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German Pages 32 Year 1877
Neber
das Wesen der Muskelarbeit.
Vortrag gehalten zu Wiesbaden im Februar 1876
von
A. Fick, Profeffor der Physiologie in Würzburg.
2.
Berlin SW. 1877.
Verlag von Carl Habel. (C. G. Lüderitz'sche Berlagsbuchhandlung.) 33. Wilhelm Straße 33 .
127% Ane 28 .
Puteription fund
Das Recht der Ueberseßung in fremde Sprachen wird vorbehalten.
Von allen Lebenserscheinungen des menschlichen und des thierischen Leibes überhaupt fällt keine so sehr in die Augen als jene Bewegungen seiner Glieder, die anscheinend ohne alle äußere Ursache geschehen und die man daher als " willkürliche " bezeichnet.
Von jeher hat diese Erscheinung so sehr die Aufmerk-
samkeit auf sich gezogen,
daß man sie als das eigentlich charak-
teristische Merkmal des thierischen Lebens Leben der Pflanzen betrachtet hat.
im Gegensatze zum
Jedesfalls kann man , vom
Standpunkte des thierischen Subjektes selbst behaupten , daß die willkürlichen Bewegungen der eigentliche , ja der einzige Zweck der ganzen Organisation der höheren Thiere find. In der That ist ja das Ziel jedes Wollens eines thierischen Subjektes irgend eine Einwirkung auf äußere Gegenstände und dieses Ziel kann nur erreicht werden durch eine willkürliche Bewegung . Suchen wir das , was bei allen willkürlichen Bewegungen geschieht , auf den einfachsten und allgemeinſten Ausdruck zu bringen, so
ergiebt sich dies. dies .
Bei
jeder
willkürlichen
Be-
wegung, ohne Ausnahme , hat einer von zwei Vorgängen oder beide zugleich statt ,
nämlich Ertheilung von Geschwindigkeit an
Massen oder Ueberwindung von Kräften. Um ein Beispiel einer willkürlichen Bewegung zu haben, bei welcher möglichst rein Beschleunigung einer Maſſe ohne Ueberwindung von Kräften ſtatt1* (299) XII 273.
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findet, denke man an das bekannte Kinderspiel mit kleinen Steinfugeln. Die Spiße des gebogenen Mittelfingers wird hinter dem ersten Daumenglied gleichsam eingehakt ; während sich nun der Mittelfinger gewaltsam streckt , wird seine Spiße vom Daumen losgelaſſen, er schnellt in die gestreckte Stellung und schleudert die vor das Nagelglied fort.
gelegte Kugel mit großer Geschwindigkeit
Denken wir uns diesen ganzen Vorgang in einer Hori-
zontalebene, so daß die Schwere der Bewegung weder hinderlich noch förderlich ist , so besteht die ganze Wirkung des Aktes in der Ertheilung der Geschwindigkeit an die Masse der Kugel. Stellen wir uns zweitens vor , wie wir den Fuß des gebogenen linken Beines auf einen vor uns stehenden Stuhl oder auf eine Treppenstufe aufſeßen und das gebogene Bein langſam strecken, so haben wir eine willkürliche Bewegung vor Augen, bei welcher umgekehrt die Wirkung faſt ausschließlich in Ueberwindung von Kräften , nämlich in Ueberwindung der Schwere des eignen Körpers besteht , denn das Resultat ist eben die Erhebung der Körperlast entgegen der Schwere.
Die Geschwindigkeit , welche
dabei die Körpermaſſe haben muß , könnten wir überall als unbedeutend vernachlässigen.
Wir brauchen fie uns aber auch gar
nicht als durch den Akt ſelbſt entstanden zu denken, wenn wir uns diesen Akt vorstellen als einen Schritt in einem stetigen bergauf Gehen. In den meisten Fällen willkürlicher Bewegung geschieht übrigens beides zugleich, es werden sowohl au Maſſen neue Geschwindigkeiten ertheilt als auch Kräfte überwunden. Der allgemeinſte Grundsatz der Mechanik sagt nun aus : Wenn eine Masse eine neue Geschwindigkeit erlangt, oder wenn eine Kraft überwunden wird ,
oder wenn gar beides zusammen
geschieht, ohne daß zugleich andere Massen an Geschwindigkeit verlieren, so muß nothwendig irgend eine Kraft gewirkt haben, (300)
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d. h. es muß der Angriffspunkt derselben im Sinne ihrer Richtung wirklich fortgeschoben sein.
Diesen Vorgang aber bezeichnet
die Kunstsprache der Mechanik mit dem Worte Arbeit.
Man
kann alſo kurz sagen : Jede Beschleunigung einer Masse und jede Ueberwindung einer Kraft kann nur durch " Arbeit " bewirkt werden , wofern dabei nicht andere Massen an Geschwindigkeit verlieren.
Dieser Satz ist nichts Anderes als ein freilich nicht ganz genauer und vollständiger Ausdruck des berühmten Princips der Erhaltung der Kraft oder, wie man neuerdings wohl zweckmäßiger sagt, der Erhaltung der Energie. Es ist nicht wohl möglich , hier , wo eine mathematiſche Form der Darstellung ausgeschloffen ist,
dies
ebenso viel be-
sprochene, als wenig verstandene Princip streng zu beweisen, oder auch nur erschöpfend
darzustellen ,
es mag aber doch versucht
werden , dasselbe durch einige aus den verschiedenen Gebieten des natürlichen Geschehens gewählte Beispiele der Anschauung des Lesers soweit zu vergegenwärtigen ,
als es für das Verſtändniß
des Wesens der Muskelarbeit nöthig ist. Ich will ein erstes Beispiel dem Bereiche der kosmischen Bewegungen entnehmen.
Es ist bekannt, daß ein Komet, wenn
er in den unermeßlichen Fernen des Weltraumes zuerst auftaucht, äußerst langsam in seiner Bahn vorschreitet, und daß er dann später, in die Nähe der Sonne gekommen, sich mit ungeheurer Geschwindigkeit bewegt.
Hier ist also vor unsern Augen im
Laufe einiger Zeit der Masse des Kometen eine Geschwindigkeit ertheilt worden, die er vorher nicht besaß.
Gemäß dem Principe
der Erhaltung der Energie haben wir zu fragen : welche Kraft hat hier Arbeit geleistet ? Die Antwort ist bekannt .
Es ist die
Anziehungskraft , welche die Sonne auf die Masse des Kometen ausübt. Im Sinne dieser Kraft ist ihr Angriffspunkt - der (301)
6 Komet - wirklich verschoben , indem sich derselbe der Sonne
genähert hat ; diese Kraft hat also Arbeit geleistet, und so konnte die Geschwindigkeit erzeugt werden . Wegen der enormen Verschiedenheit der Abmessungen sieht ein anderer allgemein bekannter Vorgang von dem der Kometen beschleunigung auf den ersten Blick sehr verschieden aus, iſt aber dem Wesen der Sache nach ganz derselbe; ich meine die Beschleunigung eines fallenden Körpers .
In der That, laſſen wir
z. B. einen in der Hand gehaltenen Stein einfach los, ohne ihn im mindeſten zu stoßen oder zu schleudern , so hat er anfänglich gar keine Geschwindigkeit , er sinkt aber zu Boden und kommt daselbst , wenn
die Höhe des Falles anch nur wenig über ein
Meter betragen hat , mit sehr beträchtlicher Geschwindigkeit am Boden an , wie aus dem heftigen Aufschlagen daselbst schon zu ersehen ist.
Hier ist also wiederum einer Maſſe Geschwindig-
keit ertheilt worden und es muß also eine Kraft Arbeit geleistet haben. Auch hier liegt auf der Hand, welche Kraft Arbeit leistete, es war die sogenannte Schwere oder die Anziehungskraft ,
mit
welcher die Erde auf alle ponderabele Materie einwirkt; denn es ist ja bei unserem Vorgange wirklich der Angriffspunkt dieſer Kraft der Stein - im Sinne dieser Kraft vorgerückt, indem er sich der Erde genähert hat. Wir können aber leicht auch Vorgänge herstellen, bei denen die Arbeit der Schwere eines Körpers nicht wie im freien Falle Beschleunigung von Massen bewirkt , sondern vielmehr Ueberwindung anderer Kräfte, z. B. der Schwere eines anderen Körpers.
Dies ereignet sich z . B., wenn wir über eine um eine
wagrechte Are leicht drehbare Rolle einen vollkommen biegſamen, aber unausdehnsamen Faden legen und an seine beiden Enden gleiche Gewichte anhängen.
Geben wir jeßt dem einen Gewichte
nur einen ganz leisen Anstoß nach abwärts, so wird dasselbe mit (302)
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ziemlich konstanter
Geschwindigkeit
abwärts steigen
und
andere mit derselben Geschwindigkeit aufwärts ziehen.
das
Wenn
die Reibung in den Arenlagern der Rolle sehr klein ist, und die Biegsamkeit des Fadens sehr vollkommen, so merkt man mit gewöhnlichen Hilfsmitteln kaum etwas von einer Verzögerung der Bewegung, und diese dauert so lange fort, bis das eine oder das andere Gewicht an
ein Hinderniß
anstößt.
Hier leistet
die
Schwere des sinkenden Gewichtes Arbeit , indem dasselbe im Sinne derselben, d. h. nach dem Mittelpunkte der Erde zu fortrückt ,
aber es wird nicht, wie wenn es frei fiele , beschleunigt.
Statt dessen aber wird eben die Schwere des anderen dem ersteren gleichen Gewichtes überwunden , denn es steigt aufwärts , trok der es abwärts treibenden Schwere.
Aendern wir den soeben betrachteten Vorgang ein wenig ab, so liefert er uns eine sehr lehrreiche Erscheinung , welche uns einen Maaßſtab für die Arbeitsgrößen in die Hand giebt. Wir wollen uns nämlich jetzt zwei untereinander fest verbundene Rollen um dieselbe wagerechte Are drehbar denken . Um ganz bestimmte Vorstellungen zu haben, wollen wir annehmen, der Durchmesser der einen Rolle sei 5 Cm. und der der andern 3 mal so groß, also 15 Cm.
Ferner sei an jeder der beiden
Rollen ein Faden befestigt und einige Male darum geschlungen, so aber, daß schließlich die freien Enden der beiden Fäden auf entgegengesetzten Seiten der Are von den Rollen herabhangen. Wenn wir nun an das Ende des über die größere Rolle geschlungenen Fadens 1 Kgr. anhängen , so müssen wir an das Ende des anderen Fadens 3 Kgr. anhängen , um Gleichgewicht zu erhalten , denn dies letztere Gewicht zieht an einem 3 mal kleineren Hebelarm.
Geben wir jetzt dem einen Gewichte einen
Anstoß abwärts , so wird die Doppelrolle , wie vorher die einfache, mit gleichen Gewichten belastete , in konstanter Bewegung (303)
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bleiben.
Das eine Gewicht wird finken, das andere steigen, bis
ein für den Vorgang selbst zufälliges Hinderniß eintritt.
Wenn
das abwärts gestoßene Gewicht das leichtere war, so hat man die paradore Erscheinung vor Augen, daß die Schwere eines kleineren Gewichtes die eines größeren überwindet , denn dies wird vom Erdboden troß seiner größeren Schwere entfernt dadurch , daß das kleinere ,
dem Zuge seiner geringeren Schwere folgend , fich
der Erde nähert.
Betrachtet man aber das Endergebniß des
Vorganges, nachdem er durch irgend welchen Eingriff zum Stillstande gebracht ist, so bemerkt man, daß das dreimal größere Gewicht nur durch den dritten Theil der Wegstrecke gestiegen ist, welche das kleinere sich gesenkt hat.
durch
Der Umfang der Rolle
nämlich , auf welche sich der Faden mit dem größeren Gewichte aufwickelt ,
ist
nur
von
welcher
fich der Faden mit dem fleineren Gewichte abwickelt.
Wenn
3. B.
das
Meter
gesunken
des Umfanges der Rolle,
kleinere Gewicht wäre ,
3 Kgr. nur um
von 1 Kgr. durch ein ganzes " so wäre das größere Gewicht von
Meter gestiegen.
Denselben Effekt hätte
ich offenbar auch hervorbringen können durch das Sinken von 3 Kgr. um gleichfalls
Meter, wenn ich 3 Kgr. an einen eben-
falls um die kleinere Rolle in umgekehrtem Sinne geschlungenen Faden geknüpft hätte.
Ebenso hätte ich aber denselben Effekt,
nämlich das Ueberwinden der Schwere von 3 Kgr. durch eine Wegstrecke von Sinfen von
Meter , auch hervorbringen können durch das Kgr. durch 2 Meter, wenn ich an dieselbe Are
eine Rolle von 30 Cm. Halbmeſſer gesteckt und an einen darüber geschlungenen Faden
Kgr. angehängt hätte.
Dies würde dem
Gewicht von 3 Kgr. an der Rolle von 5 Cm.
Durchmesser
Gleichgewicht gehalten haben, und wenn man ihm einen Anstoß gegeben hätte, so wäre wiederum das System in gleichförmige Bewegung gekommen, bei welcher das Gewicht von 4 Kgr. durch (304)
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2 Meter gesunken wäre in derselben Zeit , in welcher das Gewicht von Kgr. um
Meter gestiegen wäre.
Man sieht ohne
Weiteres, daß sich diese Betrachtung dahin verallgemeinern läßt, daß der Effekt der Hebung von 3 Kgr. durch einen Weg von Meter bewirkt werden kann, vermittelst des Sinkens eines beliebigen Gewichtes durch eine Wegstrecke , deren Maaß in Metern multiplicirt mit dem Maaße des Gewichtes in Kilogrammen ein Produkt giebt = 3 × 1 oder = 1.
Der Werth eines Stückes
Arbeit bemißt sich also nach dem Produkt aus Kraft (hier im speciellen Falle Gewicht) und Wegstrecke, durch welche diese Kraft positiv gewirkt hat, d. h. , durch welche sie ihren Angriffspunkt wirklich gezogen hat.
Die Einheit der Kraftgrößen ist nun das
Kilogramm , denn in Kilogrammen mißt man bekanntlich nicht nur die Kraft, welche einen Körper zum Erdboden zieht, sondern auch die Spannung einer Feder oder den Druck eines Gaſes gegen 1 Quadratmeter Wandfläche , die Anziehungskraft eines Magnets u. f. w.
Die Einheit für Wegstrecken ist das Meter.
Die Einheit der Arbeitsgrößen wird sich also zweckmäßigerweiſe darſtellen laſſen als das Produkt der Krafteinheit und der Längeneinheit und sich bezeichnen lassen mit dem Worte "1 Kilogrammmeter ", welche Wahl denn auch in der That die Uebereinkunft der Mechaniker getroffen hat. Um noch ein Beispiel für das Princip der Erhaltung der Energie aus dem Gebiete der Schwere beizubringen, will ich erinnern an einen Eisenhammer , der durch ein oberschlächtiges Wasserrad getrieben wird. Hier füllen sich bekanntlich die Kästen des Rades beständig am Gipfel ihrer Bahn und entleeren sich unten wieder. Das ganze gebrauchte Wasser sinkt also , so lange es mit der Maschine überhaupt in Wechselwirkung steht, durch eine Wegstrecke , die etwas größer ist als der Halbmesser des Rades und fleiner als sein Durchmesser. Mit Hülfe verschiedener (305)
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Maschinentheile wird diese Arbeit verwendet , um die Schwere von großen Hämmern zu überwinden, d . h. , um solche zu heben, so daß sie hernach losgelassen auf das glühende Eisen wieder herabfallen können.
Hier muß nun auch wieder , abgesehen von
den Verlusten durch Reibung der Maſchinentheile, Gleichheit bestehen zwischen der positiven Arbeit des fallenden Wassers und der überwundenen Hammer von 500
Schwere der Hämmer.
Wenn z . B.
ein
gr. 10 mal um 1 M. gehoben werden soll,
so muß eine Wassermasse so tief sinken, daß ihr Gewicht, multiplicirt mit der Wegstrecke , durch die sie gesunken ist , dukt giebt ,
das gleich ist 500 × 10.
ein Pro-
Habe ich also weniger
Waſſer zur Verfügung, so kann ich doch denselben Effekt hervorbringen, wenn ich es veranstalten kann, daß es tiefer ſinkt, z . B. auf einem Rade von größerem Halbmesser. Sehen wir uns jetzt noch einige Vorgänge an , in welchen andere Kräfte als gerade die Schwere Arbeit leisten, z. B. einen Pfeilschuß mit dem Bogen.
Der Pfeil, anfangs ruhend, erlangt
eine bedeutende Geschwindigkeit.
Nach dem Principe der Erhal-
tung der Energie muß eine Kraft Arbeit geleistet, d. h . ihren Angriffspunkt in ihrem Sinne verrückt haben.
Offenbar ist dies die
elastische Kraft des Bogens , dessen Enden sich in der That in der Richtung bewegt haben , in welcher fie die elaſtiſche Kraft zieht. Noch lehrreicher für unseren Zweck ist die Anwendung elastischer Kräfte zu einem Schusse in einem bekannten Kinderspielzeug . Ein Kautschukſtrang ist an einem Ende befestigt ; am freien Ende ist ein geeignetes Stück angeknüpft um eine Kugel aufzunehmen.
Wird dies mit der Hand angezogen und dadurch der
Kautschukſtrang etwa auf das
Doppelte seiner ursprünglichen
Länge gedehnt und dann losgelaſſen, so wird die Kugel mit einer beträchtlichen Geschwindigkeit fortgeschnellt.
Die Arbeit ,
welche
hierzu nach dem Princip der Erhaltung der Kraft erforderlich (306)
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ist , haben die elastischen Kräfte des Kautschufstranges geleistet. Man weiß ja ,
daß ein elaſtiſcher Strang , wenn er über seine
natürliche Länge hinaus gedehnt wird, solche Kräfte entwickelt. Es wirkt nämlich alsdann eine Kraft, welche das eine Ende gegen das andere hin zu treiben strebt.
Diese Kraft ist um so größer,
je größer die Dehnung ist, und beim Kautschuk der Dehnung ziemlich proportional.
Diese Kräfte sind aber in unserem Falle
ganz zur Wirkung gekommen oder haben Arbeit geleistet, da das angezogene Ende nach dem Loslassen sich wirklich dem festen Ende wieder nähert, wohin es eben die elastischen Kräfte ziehen, und so ist die hier erfolgende Beschleunigung der Kugel aus der allgemeinen Ursache der Bewegung , der Arbeit, erklärt.
Um aber
hier ein Maaß für die Arbeit zu gewinnen, hätten wir nicht einfach die vom Ende des Kautschukſtranges durchmessene Wegstrecke mit einer bestimmten Kraftgröße zu multipliciren ; denn auf jedem Punkte des Weges wirkt eben eine andere Kraft. Anfangs , wo der Strang am meisten gedehnt ist, wirkt die größte Kraft und dann nach Maaßgabe seiner Zusammenziehung eine immer kleinere, bis zulezt die elastische Spannkraft Null wird , nämlich in dem Augenblick , wo das Strangende in seine natürliche Lage gekommen ist. Wenn man hier die Arbeit messen will , muß man den ganzen Dehnungsbetrag oder die ganze Wegstrecke in sehr kleine Theile theilen und jeden multipliciren mit dem Betrage von Spannung, der für diesen kleinen Theil des Weges durchschnittlich gilt , und dann diese kleinen Produkte alle summiren. Betrachten wir nun noch ein Beispiel, in welchem weder die Arbeit leistenden Kräfte noch die bewirkten Bewegungseffekte unmittelbar als solche sichtbar sind , wie in den bisherigen Beispielen.
Es kann heutzutage für ausgemacht gelten ,
daß , was
wir Wärme nennen , nichts Anderes ist , als die unregelmäßigen Bewegungen der kleinsten Theilchen des warmen Körpers , und (307)
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daß die Temperatur das Maaß für die Heftigkeit dieser Bewegungen ist.
So müssen wir z . B. annehmen, daß die kleinsten und das ist jede Theilchen der Luft, sofern dieselbe warm ist -
Luftmenge mehr oder weniger
auf kleinen Bahnen heftig hin-
und herfahren, so ruhig auch die Luftmasse als Ganzes erscheint. Die Theilchen der Luft in einem geheizten Zimmer — müssen wir uns ferner vorstellen
fahren heftiger hin und her, als die der
Luft in einem kälteren Raume , und das sogenannte Wärmegefühl, welches ein Mensch hat, wenn er aus dem kälteren Raume in das geheizte Zimmer tritt , ist nur die Folge davon , daß jezt die Lufttheilchen energischer auf seine Haut hämmern , als vorher. Wenn diese Annahmen richtig sind , so kann eine Temperaturerhöhung eines Körpers nach dem Principe der Erhaltung der Energie nur durch Arbeit hervorgebracht werden, d. h. , es müſſen irgendwie Kräfte ihre Angriffspunkte in ihrem Sinne verlegen, wenn die Temperatur eines Körpers erhöht werden soll , da ja Temperaturerhöhung gar nichts Anderes heißt als Beschleunigung von Maſſen.
Die gemachte Folgerung gilt natürlich nur, wenn
vorausgesetzt wird, daß nicht andere Massentheilchen in ihren Bewegungen verzögert werden , wie wir ja diese Bedingung beim ersten Aussprechen unseres Sahes schon gestellt haben . mechanische Arbeit,
Daß durch
z . B. durch Sinken schwerer Massen, die
Temperatur von Körpern erhöht werden kann, ist eine bekannte Erfahrung.
Wir könnten z . B. ganz wohl die Luft eines Zim-
mers heizen , wenn wir außerhalb durch fallendes Wasser ein Rad in Gang setzten und durch dieses eine große im Zimmer befindliche Metallscheibe, die sich gegen eine gleich große feftſtehende energisch riebe.
Daß überhaupt Reibung eine sehr ergiebige und
praktische Wärmequelle ist , erfahren wir bei jeder Entzündung eines Zündhölzchens ; Reibung aber kann nicht statt finden ohne mechanische Arbeit. (308)
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Man hat sehr sorgfältige Versuche angestellt, in welchen durch die Arbeit der Schwere vermittels der Reibung Wärme erzeugt wurde, und hat dabei das von unserem Standpunkte vorauszusehende höchst wichtige Ergebniß gefunden , daß durch Aufwendung einer beſtimmten mechanischen Arbeit ein ganz bestimmtes Wärmequantum erzeugt werden kann. Die Wärmemenge nämlich, welche die Temperatur eines Kilogrammes Wasser von 0 ° auf 1 ° der hunderttheiligen Scala zu erhöhen erforderlich ist, fann erzeugt werden durch eine Arbeit von 425 Kilogrammmeter. Diese lettere Zahl nennt man darum das mechaniſche Wärmeäquivalent, da man die soeben definirte Wärmemenge zur Wärmeeinheit gewählt hat.
so müssen wir vom Standpunkte die Kräfte,
des Principes der Erhaltung der Energie fragen
-
Welches sind nun
welche die erforderliche Arbeit leisten , wenn wir die Temperatur der Zimmerluft durch ein Ofenfeuer erhöhen. handgreiflich aber
Sie sind weniger
nicht weniger mächtig als die Kräfte des
fallenden Wassers oder die Federkräfte, welche wir bisher im Auge hatten.
Die hier arbeitenden Kräfte find die sogenannten Ver-
wandtschaftskräfte zwischen den kleinsten Theilchen der Kohle auf dem Roste und des Sauerstoffes der Luft. Man muß sich nämlich vorstellen , daß zwischen jedem Kolhenstofftheilchen und jedem Sauerstofftheilchen in sehr kleiner Entfernung eine mächtige gegenseitige Anziehungskraft wirkt. Wenn ein mehr als das schärfste Mikroskop vergrößerndes Auge das Feuer auf dem Rofte eines Ofens beobachten könnte, so würde es Zeuge eines stürmischen Schauspieles sein.
Es würde sehen , wie die Kohlenstofftheilchen und
Sauerstofftheilchen, vom Zuge der gegenseitigen Anziehungskraft gezogen, aufeinander losstürzen, und wie der fallende Stein in um so heftigere Bewegung gerathen, je näher sie einander kommen. - - direct Ein solches Auge würde also was wir nur erschließen
(309)
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wahrnehmen , wie durch Arbeit einer Kraft Bewegung erzeugt wird.
In dieser Bewegung sind zunächst nur die Kohlenstoff-
und Sauerstofftheilchen selbst begriffen resp . die Kohlensäuremoleküle, welche durch die Verbindung derselben entstehen.
Sie hämmern
dann gleichsam an die Wände des Ofens und erschüttern ihre fleinsten Theile, und das Erzittern dieser theilt sich durch wechselseitigen Anstoß den umgebenden Lufttheilchen mit , deren Bewegung so auch mittelbar beschleunigt wird, was in der hergebrachten Ausdrucksweise
soviel heißt ,
als
" Erhöhung der Temperatur
der Luft." Das vorhin entwickelte Prinzip erlaubt uns ſogar, die Arbeit der chemischen Kräfte im mechanischen Maße zu meſſen.
Man
weiß nämlich, daß durch die Verbrennung von 1 Kgr. Kohle etwa 8000 Wärmereinheiten entstehen. Dies Wärmequantum ist aber vermöge des mechanischen Wärmeäquivalentes nur erzeugbar durch eine Arbeit von 3,400,000 Kilogrammmeter. Das heißt mit andern Worten, daß , wenn die kleinsten Theilchen eines Kilogrammes Kohlenstoff und die zugehörigen Sauerstofftheilchen bis zur Bildung von Kohlensäuremolekülen einander nahe kommen , die gegenseitige Anziehungskraft so viel Arbeit geleistet hat wie die Schwere, wenn 3,400,000 Kilogramm durch 1 M. herabfallen. Die Wirkung der chemischen Anziehungskraft braucht nicht was dasselbe
immer nur unregelmäßige Molekularbewegung oder sagt
„Wärme“ zu sein.
Bei geeigneten Veranstaltungen
kann es dahin kommen, daß ein Theil der Wirkung chemischer Anziehungskräfte in Erzeugung sichtbarer Bewegung zusammenhängender Massen oder in Ueberwindung im Großen wahrnehmbarer Kräfte besteht.
Das geschieht z . B. bekanntlich, wenn Kohle
unter dem Kessel einer Dampfmaschine verbrannt wird .
Hier
werden mittelbar durch die Anziehungskräfte zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff die Wassertheilchen im Kessel so heftig hin und (310)
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her geworfen, daß sie in Dampf gleichsam zerstäuben und wenigstens theilweise vermöge der erlangten Geschwindigkeiten im Cylinder gegen die Grundfläche des Kolbens hämmern.
Dieser
wird dadurch gegenwirkenden Kräften zum Troße fortgedrückt. Natürlich wird die Bewegung der Dampftheilchen in dem Maaße schwächer als der Kolben zurückweicht d. h., es verschwindet Wärme als solche in entsprechendem Maaße wie mechanische Wirkung am Kolben der Maschine ausgeübt wird. Nie aber, das ist besonders hervorzuheben, kann die ganze Wirkung der chemischen Anziehungskräfte ausschließlich bestehen in geordneter Maſſenbewegung oder in Ueberwindung von äußeren Kräften die auf zuſammenhängende Maſſen als Ganzes wirken.
Stets
ist ein
namhafter Bruch-
theil des Gesammteffektes der Arbeit
chemischer Kräfte Wärme, d. h. ungeordnete Molekularbewegung. Wenn es mir gelungen ist , durch die vorstehende , etwas weite, aber keineswegs überflüssige Abschweifung, dem Leser auch nur eine ungefähre Anschauung vom Princip der Erhaltung der Energie zu geben, dann muß er nun, wenn wir wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückkehren, fragen : welche Kräfte sind es , die beim Vorgange der willkürlichen Bewegungen die Arbeit leisten die erforderlich ist um dabei Maſſen in Bewegung zu setzen und äußere Kräfte zu überwinden ? Wo sind im thierischen Leibe Kräfte deren Angriffspunkte in ihrem Sinne fortrücken, wenn eine willkürliche Bewegung geschieht? Eine erste freilich, wie sich bald zeigen wird, nur vorläufige Antwort auf diese Frage wird sich sogleich ergeben , wenn wir die Einrichtungen untersuchen , welche bei den vorhin als Beiſpiele
willkürlicher
Bewegungen
gebrauchten
Vorgängen ins
Spiel kommen. Betrachten wir zunächst den Finger , der eine Kugel fortschnellt, so finden wir in seinem Inneren ( Siehe Fig. 1. ) drei (311)
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Fig. 1. Knochen, welche untereinander durch Scharniere die sogenannten Gelenke in Verbindung stehen , vom vordersten und mittleren dieser beiden Knochen gehen Sehnenfasern aus , die über die Rückseite der Gelenke verlaufend , sich zu einem bandartigen Streifen vereinigen , der über den Handrücken weiter verläuft, und in der Figur durch einen starken, schwarzen Strich dargeſtellt ist.
Offenbar muß , wenn irgend eine Kraft an dieſem
Bandstreif nach dem Arm zu zieht , der Finger gestreckt werden. Nun ist der gedachte Bandstreif verknüpft mit einem auf der Rückseite des Vorderarmes liegendem Stücke ( ab in Fig. 1.) jener merkwürdigen Substanz, die man in der Küche Fleiſch, in der Anatomie Muskelsubstanz nennt.
Sie ist bekanntlich roth
gefärbt und besteht aus lauter parallelen Fasern, die in unserem Falle sämmtlich die Richtung des Sehnenstreifs fortſeßen , mit dessen freiem Ende (a Fig. 1.) fie , wie gesagt , verknüpft sind. Das andere Ende (b Fig . 1. ) des in Rede stehenden Muskels ist an die beiden Vorderarmknochen dicht am Elnbogengelenke angeheftet , im übrigen liegt der Muskel leicht verschiebbar auf diesen Knochen auf. Ein solches Stück Muskelfleisch hat nun die merkwürdige Eigenschaft, daß es sich unter Umständen , deren wir uns subjektiv als „Willensimpuls" bewußt werden, plötzlich verhält, wie ein nach der Richtung seiner Fasern gedehnter und mithin gespannter elastischer Strang . Wird also in einem solchen Augen(312)
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blicke das bis dahin hinter dem Polster des Daumens festgehakte Nagelglied des gekrümmten Fingers losgelassen , so kommen die elastischen Kräfte des gespannten Muskels zur Wirksamkeit oder Arbeit , indem der Sehnenstrang wirklich gegen das andere feſte Ende (b Fig. 1.) des Muskels herangezogen wird , ganz so, als wäre dieser ein gedehnter und dann losgelassener Kautschukſtrang. Alle Massen also, die mit dem freien Ende verknüpft sind , werden durch diese Wirkung der elastischen Kraft beschleunigt, wenn nicht zu überwindende Gegenfräfte die Beschleunigung verhindern. Man sieht also, wie in unserem Falle die Fingerglieder, die sich vermöge ihrer Gelenkverbindung nur im Sinne ihrer Gradausstreckung bewegen können , eben in diesem Sinne vorgeſchnellt werden müssen und die davor gelegene Kugel gleichfalls zu dieser Bewegung zwingen. Ganz ähnlich ist die Einrichtung der Apparate , welche in unſerem zweiten Beispiele wirken ; an dem größeren Unterschenkelknochen (ab Fig. 2 ) ist ein dicker Sehnenstrang ( ac Fig. 2) angeheftet , der über das scharnierartig eingerichtete Kniegelenk bei der angenommenen Stellung gekrümmt verläuft.
Etwas
oberhalb desselben (bei c Fig . 2) geht er auch in einen Muskel über , dessen Fasern seine Richtung ungefähr fortsehen und ihr anderes Ende theilweise am Oberschenkel , (bei d Fig. 2) theilweise am Beckenknochen (bei f Fig. 2) finden . Gehen nun diese Muskelfasern plöglich unter dem Einflusse eines Willensimpulſes in jenen Zustand über, wo sie sich wie ein gedehnter und folgeweise sich zusammenzuziehen strebender elastischer Strang verhalten , so gestaltet sich der Vorgang ähnlich aber doch etwas anders wie im ersten Beispiel.
Der Unterschenkelknochen nämlich
fann dem Zuge nicht folgen, weil der Fuß am Boden angestemmt ist. Dahingegen kann das andere Ende, nämlich der Oberschenkel mit dem Rumpfe dem Zuge folgen und zwar , indem sich der XII. 273. 2 (313)
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Fig . 2 . Oberschenkel im Kniegelenk aufwärts dreht.
Dieser Drehung
aber wirkt die Schwere des ganzen Rumpfes
entgegen , welche
für sich das Kniegelenk abwärts zu drehen strebt.
Wir können
uns nämlich die Masse des Rumpfes und Oberschenkels im Schwerpunkt (etwa bei S Fig. 2) vereinigt denken, auf welchen fie im Sinne des senkrechten Pfeiles abwärts ziehend wirkt. So kommt es, wenn beide Kräfte nahezu im Gleichgewichte sind wie dies gewöhnlich der Fall ist
nicht zu einer großen Ge-
schwindigkeit, dafür aber wird eben die Schwerkraft überwunden durch die elastische Kraft der gespannten Muskeln, Schwerpunkt des ganzen Körpers um
indem der
einen gewissen Betrag
vom Erdboden entfernt wird. Mit dieser Betrachtung ist aber das eigentliche Räthsel noch (314)
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nicht gelöst.
Denn wären die elastischen Kräfte, welche bei der
Muskelzusammenziehung unmittelbar die Arbeit leiſten nur die allgemein bekannten elastischen Kräfte , wie sie Kautschukstränge oder Spiralfedern von Stahldraht besitzen, dann könnten sie nur in Wirksamkeit treten , nachdem die Muskeln zuvor mit demselben Aufwand von Arbeit anderer mechanischer Kräfte gedehnt wären , welche sie hernach zu leisten im Stande find. Wie z. B. ein Bogen zuvor mit gleicher Kraft gespannt sein muß als mit welcher man schießen kann. Besäßen wir statt der Muskeln, wie sie wirklich sind, bloß elastische Stränge , so wären keineswegs Bewegungen, ähnlich unſeren willkürlichen, unmöglich, aber sie wären eben nur dann möglich, wenn wir zuvor Gelegenheit gehabt hätten, durch eine fremde Kraft, etwa die Schwere eines finkenden Körpers, dieselben ― spannen gleichsam die Uhr aufziehen zu lassen . Eine dem Willen unterworfen gedachte Auslösevorrichtung könnte alsdann in geeigneten Momenten die gespannte Feder losschnellen lassen, um einen gewollten Zweck zu erreichen. Welche Kräfte die allerdings verschwindend kleine,
aber doch nicht absolut der Null
gleiche Arbeit leisten könnten, die zum Auslösen erforderlich wäre, das ist eine Frage, die bei der wirklich bestehenden Einrichtung auch von Seiten der Muskelphysiologie unbeantwortet bleibt und daher hier füglich unerörtert bleiben kann. Ein mit bloß
physikalisch elastischen Strängen statt der
Muskeln ausgerüstet gedachter Thierkörper würde offenbar nur dann zu willkürlichen Leistungen jederzeit bereit sein können, wenn er an einem Orte aufgestellt wäre, wo eine allezeit fließende Arbeitsquelle, z. B. fallendes Waffer oder dergleichen bereit wäre, die jeden Augenblick die losgeschnellten Federn wieder aufziehen könnte. Dies wäre also eine zwar an sich denkbare, zu gewissen zweckmäßigen Leistungen fähige Einrichtung aber eine offenbar 2* (315)
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viel unvollkommenere Einrichtung, als eine, welche die Kraftquelle in fich trägt. Ein Muskel verhält sich nun in der That, wie man jeden Augenblick an sich selbst beobachten kann, ganz anders wie ein gewöhnliches elastisches Band. Der Streckmuskel des Fingers z . B. leiſtet in seinem ruhenden Zustande der Biegung des Fingers so gut wie gar keinen Widerstand ; es kostet so gut wie gar keine Arbeit, den Nagel des Mittelfingers hinter das vordere Daumenglied zu frümmen.
Hernach aber, wenn unter dem Willensim-
puls der Muskel in seinen andern Zustand, den sogenannten „tetanifirten “ übergegangen ist, zieht er sich, wie mehrfach angegeben wurde, mit großer Gewalt zusammen, wie ein mit Gewalt gedehnter Kautschukſtrang. Wir haben in diesem Akte anscheinend ein ganz widerfinniges Phänomen vor Augen, wie etwa
eine Uhr, die mit
großer Kraft abläuft, ohne daß ihre Feder gespannt wäre, oder wie einen Bogen, der von selbst schießt, ohne daß er zuvor ges spannt wäre.
Um dies recht ersichtlich zu machen , wollen wir
uns an die Stelle des Fingerstreckmuskels einmal wirklich ein Kautschukband gesezt denken, dessen natürliche Länge der natürlichen Länge des ruhenden Muskels gleich kommt.
Wir würden
dann auch den Mittelfinger bis hinter das vordere Daumenglied ohne nennenswerthen Arbeitsaufwand biegen können.
Um nun
das Losschnellen des sich streckenden Fingers bewerkstelligen zu können, müßten wir etwa Folgendes vornehmen .
Wir müßten
den Kautschukſtrang von der Sehne and dem Armknochen abknüpfen, ihn doppelt zusammenlegen , nun den gedoppelten Strang durch irgend welche äußere Gewalt wieder auf die ursprüngliche Länge · des einfach gelegten dehnen, den so gedehnten doppelten wieder an Sehne und Knochen anknüpfen und nun die bis dahin feſtgeſtemmte Fingerspite loslassen, dann würde der Finger aufschnellen wie durch (316)
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den lebenden Muskel.
Ganz ähnlich ließe sich die Wirkung
der Schenkelstrecker bei Erhebung
des Rumpfes auf dem Knie
sowie die Wirkung jedes beliebigen andern Muskels mit Kautschuf nachahmen. Ein solches Abknüpfen von Sehne und Knochen, doppeltes Zusammenlegen und Wiederausdehnen des gedoppelten Muskels Soll
findet nun allerdings im lebenden Thierkörper nicht statt.
aber dem Princip der Erhaltung der Energie Genüge geschehen, so muß der Vorgang doch dem beschriebenen höchst analog sein. Es muß sich unter
dem Einflusse
des Willensimpulses
der
Muskel in ein neues Ding verwandeln, dessen natürliche Länge nur etwa halb so groß ist wie die natürliche Länge des Muskels im ursprünglichen Zustande, neuen Dinges müssen
und die elastischen Kräfte
dieses
durch Arbeit anderer Kräfte in dem
Maaße überwunden werden, daß es auf jene ursprüngliche Länge gedehnt wird und sich nun mit großer Energie zusammenzuziehen strebt.
Wir können dieser Betrachtung zufolge nunmehr die Frage so stellen : Welche Kräfte arbeiten, um zunächst die elastischen Kräfte des innerlich verwandelten Muskels zu überwinden, so daß er bei seiner ursprünglichen Länge erhalten bleibt, und daß dann diese elastischen Kräfte ihrerseits Arbeit leisten können ,
die unmittelbar sichtbare
während sich der Muskel wirklich zu=
sammenzieht? Welcher Art diese Kräfte find , das wird sogleich einleuchten, wenn wir einen scheinbar der Muskelzusammenziehung sehr unähnlichen, im Wesen der Sache aber sehr verwandten Vorgang betrachten , nämlich einen Schuß aus einem mit Pulver geladenen Geschütz.
Die Analogie wird dann am deutlichsten in
die Augen springen, wenn wir den Pulverschuß vergleichen mit dem Schuß aus einer Windbüchse. Zwischen diesen beiden Vor(317)
22
gängen findet nämlich
genau dasselbe Verhältniß
ſtatt , wie
zwischen dem Fortschnellen einer Kugel durch den willkürlich gespannten Muskel und durch einen gewaltsam gedehnten Kutschukstrang.
In der That, wollen wir aus einer Windbüchse eine
Kugel schießen , so müssen wir die Luft in der Kammer zuvor mit derselben Gewalt komprimiren, mit welcher sie sich hernach ausdehnen soll, genau so wie wir einen Kautschukstrang mit derselben Gewalt dehnen müssen , mit welcher er sich hernach zusammenziehen soll. patrone.
Ganz anders verhält sich
Sie ist durchaus
die Pulver-
nicht gewaltsam komprimirt, das
Pulver darf lose hineingeschüttet sein und die Kugel ist ohne alle Kraftanstrengung davor gelegt.
Nach der Entzündung ver-
wandelt sie sich aber in ein ganz anderes Ding, nämlich in eine Gasmasse, die sich genau so verhält wie eine gewaltsam komprimirte, und die sich daher gewaltsam auszudehnen ſtrebt gerade wie sich der Muskel durch den Reiz verwandelt in ein anderes Ding, welches sich so verhält wie ein gewaltsam gedehnter Strang,
der sich gewaltsam zusammenzuziehen strebt.
Im Pulverschuß haben wir also wie in der willkürlichen Muskelzuſammenziehung einen paradoren Vorgang vor Augen, wie einen Schuß mit dem Bogen, der nicht zuvor gespannt ist oder wie das Ablaufen einer Uhr, die nicht zuvor aufgezogen ist. Bei der Pulverpatrone haben wir also wie beim Muskel zu fragen, welche Kräfte haben so viel Arbeit geleistet als erforderlich sein würde, um die elastischen Kräfte der Gasmasse,
der eigentlich
ein viel größeres natürliches Volum zukommt, zu
überwinden,
so daß sie zunächst in den Raum der Patrone zusammengedrängt ist.
Welches diese Kräfte bei der abbrennenden Patrone find,
liegt auf der Hand .
Es sind die chemischen Anziehungskräfte
zwischen den Theilchen der Kohle haltenen Sauerstoffes, (318)
und des im Salpeter ents
denn diese Kräfte kommen ja bei der
23
Explosion zur Wirkung ,
indem sich der Kohlenstoff mit dem
Sauerstoff zu Kohlensäure verbindet. Die große Analogie einer willkürlichen Muskelzuſammenziehung mit dem Pulverschuß legt die Vermuthung nahe , daß Kräfte derselben Art, nämlich chemische Anziehungskräfte, im gereizten Muskel wie in der erplodirenden Patrone die eigentlich arbeitenden sind, daß mit andern Worten auch im gereizten Muskel Atome, die sich wechselseitig anziehen, dieser Anziehung Folge gebend sich verbinden, und so der Bewegungseffekt hier wie überall sonst durch "1 Arbeit" zu Stande kommt. Diese Vermuthung wird sofort zur Gewißheit, wenn man einige Thatsachen hinzu nimmt, deren Auffindung zu den wichtigsten physiologischen Entdeckungen der Neuzeit gehört.
Der
Muskelsaft zeigt nämlich nach der Reizung deutliche Spuren von einem chemischen Proceſſe, der im Muskel während seiner Aktion muß stattgefunden haben.
Vor Allem zeigt er nämlich ſaure
Reaktion, während der Saft des geruhten Muskels neutral oder eher alkalisch reagirt.
Es haben sich also bei der Thätigkeit
Säuren gebildet aus neutral reagirenden Körpern. Insbesondere ist nachzuweisen, daß sich bei der Muskelthätigkeit Kohlensäure bildet.
Wenn nun auch diese hier nicht das Erzeugniß der Ver-
bindung freien Sauerstoffes mit freiem Kohlenstoff ist , so sind doch diese beiden Elemente,
die mit einer ungeheuren gegen=
seitigen Anziehungskraft begabt sind, aus lockereren Verbindungen in die festest mögliche übergegangen, was mit andern Worten heißt, daß die Anziehungskraft immer noch positiv gewirkt oder Arbeit geleistet hat.
Man beachte, daß bei der Pulverexplosion
auch nicht freier Sauerstoff zur Verwendung kommt, sondern solcher, der vorher mit dem Kalium und Stickſtoff des Salpeters Auch darauf mag noch in lockerer Verbindung gewesen war. gleich an dieser Stelle aufmerksam gemacht werden,
daß man (319)
24
keineswegs etwa nothwendig annehmen müsse,
die chemischen
Proceſſe fänden im Muskel nur vor der wirklichen Zuſammenziehung
statt, erzeugten die Spannung, und nun wirkte die
fertige Spannung rein nach Art der elastischen Kräfte eines ge= dehnten Kautschukstranges . Es verlaufen vielmehr wohl immer die chemischen Processe zum Theil noch während des Aftes der Zusammenziehung, die Spannung unterhaltend und mehrend. Auch hierin ist der Vorgang des Pulverschusses ganz analog, denn die Patrone verbrennt keineswegs momentan und vollständig, bevor die Kugel im Laufe sich in Bewegung gesetzt hat. Vielmehr dauert der Verbrennungsproceß, wenigstens wenn Geschütz und Patrone richtig für einander berechnet sind, so lange fort, bis die Kugel den Lauf verläßt. Eine zweite Spur von der Arbeit chemischer Kräfte bei der Muskelzusammenziehung ist die bei derselben stets nachweisbare Wärmeentwickelung .
Es wurde bereits weiter oben be-
merkt, daß überall, wo chemische Kräfte zur Wirkung kommen, ein Theil der Wirkung nothwendig in Wärmeerzeugung bestehen müsse.
Wenn also im thätigen Muskel chemische Anziehungs-
kräfte wirklich Arbeit leisten , so
kann der Effekt dieser Arbeit
nicht ausschließlich der mechanische Effekt der Muskelzusammenziehung sein, sondern es muß auch Wärme frei werden. dies
wirklich
ausnahmslos
der Fall ist ,
fann
Daß
experimentell
bewiesen werden. Jeht, nachdem man die unzweifelhaften Beweise dafür in Händen hat, daß bei der Muskelthätigkeit chemische Processe stattfinden und Wärme frei wird , ist es leicht, auch allgemein bekannte Erscheinungen des täglichen Lebens in diesem Sinne zu deuten.
Jedermann weiß , daß , wenn er auch nur kurze Zeit
mit seinen Muskeln energisch arbeitet, z. B. bergan steigt, ein Bedürfniß nach lebhafterem Athmen sich fühlbar macht. (320)
Dies
25
ist nichts Anderes als der Reiz, welchen die durch die Muskelthätigkeit erzeugte Kohlensäure und die eben daher rührende Erschöpfung an freiem Sauerstoff des Blutes im Athmungsnervencentrum ausübt. Wenn nämlich auch - wie vorhin ausdrücklich bemerkt wurde -
im Muskel nicht freier Sauerstoff zur
Bildung der Kohlensäure verwandt wird, so zehrt doch die MusFelthätigkeit mittelbar den freien
Sauerstoff des Blutes
auf.
Wahrscheinlich geschieht dies in der Weise, daß bei den chemischen Muskelprocessen neben der Kohlensäure noch andere leicht weiter verbrennliche Produkte gebildet werden, die
rasch in das Blut
übergehen und sich des hier befindlichen freien Sauerstoffes bemächtigen.
Gerade die Verarmung des Blutes an solchem iſt
aber nachgewiesenermaßen der Hauptanreiz im Athmungscentrum zu gesteigerter Thätigkeit, die dann das Blut wieder mit Sauerstoff belädt.
Von diesem Sauerstoff wird ein Theil in Zeiten
der Ruhe den Muskeln selbst zugeführt und dort zunächſt in jene lockeren Verbindungen gebracht, aus denen, wie wir sahen, die Kohlensäure und andere Spaltungsprodukte bei der Thätigkeit entstehen. Eine andere altbekannte Erscheinung, die auf chemische Proceffe bei der Muskelarbeit deutet, ist die That,
Ermüdung" .
In der
der Muskel ermüdet" , heißt nichts anderes als : er kommt
in Folge Thätigkeit in einen Zustand, in welchem er sich Reizen gegenüber nicht mehr so verhält wie zuvor; es muß alſo ſein chemischer Bestand ein anderer geworden sein. Eine Thatsache, welche auf die Wärmeentwickelung bei der Muskelthätigkeit hinweist, ist die allgemein bekannte Erhizung und gesteigerte Wärmeabgabe bei angestrengter Muskelthätigkeit. Wenn nun durch den Nachweis der Arbeit chemischer Anziehungskräfte bei der
Muskelthätigkeit auch der Widerspruch
gegen das Princip der Erhaltung der Kraft beseitigt ist, so haben 321)
26
wir doch noch keine Ahnung von dem eigentlichen Hergang, durch welchen die Wirkung der Anziehung zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff schließlich einen Strang, der vorher schlaff war, ohne daß seine Länge sich ändert, in Spannung versetzt und befähigt, fich mit Gewalt zuſammenzuziehen.
Bei dem Beiſpiel,
welches wir sonst so äußerst analog gefunden haben, beim Pulverschuß, sind wir glücklicher gestellt.
Hier können wir Schritt
für Schritt die Verursachung verfolgen. mit einem Pulverkorn
Der erste Funke,
der
in Berührung kommt, leitet durch die
lokale Temperaturerhöhung die Diſſociation des Salpeters ein ; die befreiten Sauerstoffatome stürzen sich, von der Anziehung ge= trieben,
auf die nächsten Kohlenstoffatome, welche selbst auch
durch die Wirkung rathen.
der gleichen Kraft in heftige Bewegung ge-
Die erzeugte Wärme regt denselben Proceß in den be-
nachbarten
Theilen an,
und so sehen wir, daß ein furchtbar
stürmisches Hin- und Herfahren der Kohlenstoff- und Sauerstofftheilchen, sowie der gebildeten Kohlensäuremoleküle das Resultat sein muß.
Diese Moleküle hämmern vermöge ihrer Geschwindig-
keit zum Theil gegen die Wand des Laufes , zum Theil aber gegen die Kugel und theilen ihr durch die immer wiederholten Anstöße
eine immer größere Geschwindigkeit mit, während sie
selbst an solcher dabei einbüßen. So analog sonst in vieler Beziehung die Pulvererplosion der Muskelreizung auch ist, das können wir mit Bestimmtheit ſagen : auf die Art und Weise , wie nach der soeben gegebenen Schilderung die chemischen Kräfte mechanische Leistung hervorbringen, erstreckt sich die Analogie in keiner Weise, auch nicht in den allgemeinſten Zügen.
Beim Pulverschuß erzeugt die chemische
Arbeit zunächst blos Wärme, nämlich unregelmäßiges Hin- und Herfahren der Moleküle, und diese Wärme bringt ihrerseits den mechanischen Effekt hervor, ganz ähnlich wie dies bei der Dampf(322)
27
Man nennt eine Vorrichtung, in welcher
maschine der Fall ist. dies geschieht,
eine
„thermodynamische Maschine“ und würde
also füglich ein Pulvergeschüß als eine solche bezeichnen können. So wenig wir auch sonst von den inneren Vorgängen im Muskel wissen, das können wir mit Bestimmtheit sagen, daß der Muskel nicht eine thermodynamische Maschine ist, daß mit anderen Worten der Effekt der chemischen Arbeit nicht zunächst als Wärme auftritt, um dann erst in mechanische Leistung verwandelt zu werden. Die Gründe für diese Behauptung sind nicht ohne ein tieferes Eingehen in die Principien der mechanischen Wärmetheorie darzulegen und können daher hier nicht entwickelt werden, aber fie find ganz unwiderlegbar. Da am lebenden Muskel sehr merkwürdige elektromotorische Eigenschaften entdeckt sind, so hat man einigen Grund zu der Vermuthung, die sich freilich noch nicht einmal zu einer ausführlichen Hypotheſe geſtalten läßt, daß bei der Muskelthätigkeit elektrische Wirkungen die Vermittlerrolle spielen zwischen der Arbeit chemischer Anziehungskräfte und dem schließlichen mechanischen Effekt, dem Principe nach in derselben Art, wie dies bei den bekannten künstlichen elektrodynamischen Maschinen geschieht. Diese Vermuthung merkwürdige Thatsache, Muskel besonders denselben sind.
wird daß
andererseits
gestützt durch
die
elektrische Einwirkungen auf den
energische und wenig zersetzende Reize für
Es muß jedem Beobachter des neueren Ent-
wickelungsganges der Physiologie auffallen, wie diese elektriſchen Einwirkungen auf die Muskel- und Nervenfaser seit dem Glücksfund Galvani's vor nunmehr bald hundert Jahren ein besonders bevorzugter Gegenstand der Forschung gewesen sind. scheinen,
als
Es könnte
ob dies lediglich seinen Grund hätte in der fast,
möchte man sagen, magischen Seltsamkeit der in Rede stehenden (323)
28
Erscheinungen, welche nicht verfehlen kann, die Neugierde zu reizen . tung
Ich möchte indessen glauben, daß der fleißigen Bearbeidieses Feldes
der unbewußte Gedanke als Sporn dient ,
daß gerade auf ihm das eigentliche Räthsel des Lebens zuerſt gelöst werden kann.
In der That ist wohl Grund zu dieſer
Annahme vorhanden.
Das Wesen des Lebens scheint nämlic
überall zu
beſtehen in einem chemischen Proceß, der in einer
„Protoplasma" genannten Substanz an jedem Punkte auf Grund sehr verschiedenartiger äußerer Anstöße (Reize) entstehen kann, und
der sich dann von diesem Punkte aus in der Continuität
des Protoplasma fortpflanzt.
Je nach kleinen Modifikationen
des Protoplasma hat dieser Proceß - der Erregungsproceß verschiedene Nebenerfolge , die man als die verschiedenen Lebenserscheinungen der verschiedenen Protoplasmastücke aufzählt, Sekretion, mechanische Leistung, Theilung 2c.
als
In den Muskel-
und Nervenfasern sind nun die Protoplasmamoleküle regelmäßig geordnet, so daß die Fortpflanzung des eigenthümlichen Proceſſes in einer Richtung über weitere Strecken hin regelmäßig geſchieht und noch dazu in vielen parallel nebeneinander gelagerten Elementartheilen in ganz gleicher Weise.
Dadurch ist der ganze
Hergang dem mikroskopisch Kleinen entrückt, und es kann was an größeren Massen beobachtet ist ohne Weiteres auf das Element übertragen werden , was bei der Drüsenzelle, Epithelzelle u . s. w. nicht möglich ist.
Das Protoplasma der Muskel- und Nerven-
faser verhält sich zu dem anderer Zellen gewissermaßen wie ein Stoff im krystallisirten Zustande zu demselben im amorphen, ungeordneten.
Wie nun die Eigenschaften jedes
Stoffes im
krystallisirten Zustande offener zu Tage treten als im amorphen, so dürften auch die Grundeigenschaften des Protoplasma an den Muskel- und Nervenfasern am ersten entdeckt werden, und wenn einmal die Phyſiologie im vollſtändigen Beſiße einer mechanischen (324)
29
Erklärung der Muskel- und Nerventhätigkeit sein wird , so bleiben vielleicht die Erscheinungen der
Ernährung, des Wachsthums,
der Formentwickelung noch lange räthselhaft. Ueber die Natur des chemischen Processes in der Muskelfaser, der die Quelle ihrer Kraft ist, kann man noch Einiges feststellen.
Er ist erstens, wie schon bemerkt wurde , kein Ver-
brennungsproceß im eigentlichen Sinne des Wortes, da kein freier Sauerstoff dabei unmittelbar eine Rolle spielt. Es ist vielmehr . ein der Gährung vergleichbarer Zerfallproceß einer jedesfalls sehr verwickelten chemischen Verbindung.
Da aber doch im Großen
und Ganzen freier Sauerstoff aus der Atmosphäre angezogen werden muß, wenn die Muskeln andauernd Arbeit leisten sollen, und da schließlich die höchste Oxydationsstufe des Kohlenstoffes, Kohlensäure, ein Hauptprodukt des Processes ist, so kann man ihn doch als einen Verbrennungsproceß im weitern Sinne des Wortes auffassen ; nur muß man nicht vergessen, daß ein Akt des Proceſſes, nämlich die Einfügung neuer Sauerstoffatome in jene der Spaltung oder Gährung anheimfallenden verwickelten Verbindung, der Muskelaktion immer vorausgehen muß. Die wichtige Frage, welcher Natur die Verbindung ist, die bei der Muskelaktion in Kohlensäure und wahrscheinlich noch viele an= dere Produkte zerfällt,
oder die Frage, welches das krafterzeu=
gende Brennmaterial des Muskels ist, läßt sich bis zu einem gewissen Punkte beantworten.
Von vorn herein ist es am
wahrscheinlichsten, daß diejenigen chemischen Verbindungen, welche zumeist die Muskelfaser konstituiren, es auch sind , deren Zerstörung oder Verbrennung die Kraft erzeugt. sentlich eiweißartige Stoffe.
Es sind dies we-
So nennt man bekanntlich jene
Gruppe von höchst komplicirten Verbindungen aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Schwefel,
welche überall
in den Organismen eine hervorragende Rolle spielen, ohne welche (325)
30
es keine lebende Zelle giebt.
Da der feste Rückstand des Mus-
kels faſt nur aus solchen Verbindungen beſteht, so hat man es, als
man überhaupt anfing, die Quelle der Muskelkraft in der
Verbrennung zu suchen, für selbstverständlich gehalten, daß als Brennmaterial nur jene eiweißartigen Verbindungen in Frage kommen könnten. eilten Schluß
Man machte hierbei aber einen ebenso über=
wie ihn etwa ein Chemiker machen würde, der
zum ersten Male eine Lokomotive arbeiten sähe, wenn er schlösse, da diese Maschine fast nur aus Eisen besteht, so muß auch Eiſen , das krafterzeugende Brennmaterial sein.
Neuerdings hat sich
nun gezeigt, daß jener Schluß nicht nur übereilt, sondern auch falsch war.
Wenn Eiweiß verbrennt, so muß offenbar unter den
Verbrennungsprodukten neben Kohlensäure und Wasser eines oder mehrere sein, welche den Stickstoffgehalt des Eiweißes enthalten.
Aus dem Säugethierkörper scheidet der Stickstoffgehalt
verbranntes Eiweißes fast ganz als ein gewiſſer, „Harnſtoff“ ge= nannter Körper im Harn aus .
Es lag daher nahe zu vermu=
then, daß bei energischer Muskelarbeit, wobei doch voraussichtlich die Verbrennung des Muskels gesteigert werden mußte, die Harnstoffausfuhr aus dem Körper vermehrt würde.
Zur größten
Ueberraschung fanden nun verschiedene Forscher, daß die energischste und andauerndſte Muskelarbeit keineswegs eine Steigerung der Harnstoffausscheidung zur Folge hat.
Dagegen wird
die Kohlensäureausscheidung durch Muskelarbeit allerdings sehr erheblich vermehrt.
Hieraus ist schon zu vermuthen, daß bei der
Muskelarbeit nicht Eiweiß , sondern ein Material verbrennt, welches wie etwa Fette oder Kohlehydrate gar keinen Stickſtoff enthält.
Zur vollen Gewißheit kann diese Vermuthung gebracht
werden durch
einen Versuch, dem folgender Gedankengang zu
Grunde liegt.
Wie viel Eiweiß im Ganzen in einem mensch-
lichen Körper im Laufe einer beſtimmten Zeit zersetzt wird, kann (326)
31
man aus der Stickstoffausscheidung im Harn während dieſer Zeit leicht berechnen.
Man weiß aber andererseits, wie viel
Wärme bei der Verbrennung dieses Eiweißes bis zu der Stufe, wie sie im menschlichen Körper stattfindet, überall erzeugt werden kann, oder wie viel Arbeit, wenn man die Wärme auf mechanisches Maaß reducirt, die chemischen Kräfte bei der Verbrennung des Eiweißes leisten.
Hat nun der dem Versuche
unterworfene menschliche Körper
etwa durch Ersteigung eines
Berges mehr meßbare äußere Arbeit mit seinen Muskeln ge= leistet, so ist wenigstens
erwiesen, daß zur Leistung der Arbeit
andere Verbrennungen als Eiweißverbrennung mitgewirkt haben. Am anschaulichsten wird dieser Gedankengang werden, wenn wir die numerischen Ergebnisse eines solchen Versuches betrachten. Aus
dem
Stickstoffgehalt des Harns ergab sich, daß während
der Versuchszeit in dem Körper höchstens 37 gr. Eiweiß verbrannt waren, dadurch können höchstens 162 Wärmeeinheiten entstehen, welche einer Arbeitsleistung von 68376 Kilogrammeter äquivalent find.
Der Körper hatte aber durch Erhebung seines
eigenen Gewichtes auf einen nahezu 2000 m. hohen Berg eine Arbeit von 148656 Kilogrammeter geleistet, welche mehr als das Doppelte ist von der Arbeit, welche die chemischen Kräfte bei Verbrennung von 37 gr. Eiweiß leisten.
Das Mißverhältniß
würde noch größer erscheinen, wenn man die Muskelanstrengun= gen noch in Anschlag bringt, welche gar nicht zur Erhebung des Körpergewichtes mitwirken, die aber nicht numerisch geschäßt werden können .
Von einer ausschließlichen Benutzung des Ei-
weißes als krafterzeugendes Brennmaterial kann also gar nicht die Rede sein.
Weitere Erwägungen führen nun auf Grund
dieses Ergebnisses zu dem sichern Schluß, daß das krafterzeugende Brennmaterial im Muskel lediglich stickstofffreie Verbindungen find.
Von solchen ist zwar jederzeit nur eine sehr kleine (327)
32
Menge im Muskel vorhanden, das hat aber durchaus nichts Auffallendes, denn man kann annehmen, daß die Mengen dieser Stoffe im
Muskel um so häufiger durch neue ersetzt werden.
Geradeso ist es ja mit den Kohlen in der Lokomotive, jederzeit iſt eine den Eisenmassen gegenüber verschwindende Menge Kohle auf dem Rost, aber um so öfter wird die verbrannte durch neue ersetzt. Der Vergleich mit der Dampfmaschine führt uns schließlich noch auf die ökonomische Frage nach der Ausnutzung der chemischen Arbeit für die Zwecke des Subjektes .
Diese bestehen wie
bei der Dampfmaschine lediglich in der mechaniſchen Leiſtung, und man hält eine Dampfmaschine für um so vollkommener, ein je größerer Bruchtheil der ganzen chemischen Arbeit, welche bei Verbrennung der Kohle
die Verwandtschaftskräfte leisten ,
als
mechanischer Effekt zum Vorschein gebracht wird . Unsere wirklichen Dampfmaschinen sind in dieser Beziehung sehr unvollkommen, denn man kann allerhöchstens darauf rechnen, daß
der chemischenArbeit
wirklich mechanisch nutzbar gemacht wird. Wenn wir nun den ganzen menschlichen Körper
als
eine Maschinenanlage betrachten und
die ganzen eingeführten Nahrungsmittel als Brennmaterial ansehen,
das zum Zwecke der
mechanischen Leiſtung
verbrannt
wird, so kann unter günstigen Umständen der 5. Theil der ganzen bei der Verbrennung von den chemischen Anziehungskräften geleisteten Arbeit vermittels der Muskeln zur Beschleunigung von Massen und Ueberwindung äußerer Kräfte ,
also mit
andern
Worten für die gewollten Zwecke des Subjektes nutzbar gemacht werden, und nur vierFünftel der chemischen Arbeit erzeugen Wärme. Der menschliche Muskelapparat ist also im ökonomischen Sinne eine weit vollkommenere Einrichtung als die vorzüglichste Dampfmaschine.
(328) Druck von Gebr. Unger (Th . Grimm ) in Berlin, Schönebergerſtraße 17a.