Tradition mit Innovation: Die Rektoratsreden an den deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen der Nachkriegszeit 1945–1950 [1 ed.] 9783666310829, 9783525310823


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Tradition mit Innovation: Die Rektoratsreden an den deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen der Nachkriegszeit 1945–1950 [1 ed.]
 9783666310829, 9783525310823

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Christina Schwartz

Tradition mit Innovation Die Rektoratsreden an den deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen der Nachkriegszeit 1945–1950

Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Band 103

Christina Schwartz

Tradition mit Innovation Die Rektoratsreden an den deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen der Nachkriegszeit 1945–1950

Mit 7 Diagrammen und 9 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Schriftenreihe wird herausgegeben vom Sekretär der Historischen Kommission: Bernhard Löffler Gedruckt mit Unterstützung der Franz Schnabel Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Georg Schreiber (1882–1963), Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, am 3. November 1945 bei der feierlichen Wiedereröffnung der Universität in der Stadthalle © Universitätsarchiv Münster, Bestand 68 Nr. 4942 Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-4721 ISBN 978-3-666-31082-9

Inhalt I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Forschungsstand und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 a) Schlüsselwörter im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 b) Sprachgebrauch im Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

II.

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit . . . . . . 25

III. Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen . . . . . . . . . . . 41 IV. Quellen – Rektoratsreden 1945–1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 V.

Krisenbewusstsein – Ursprung und Bewältigung der Gegenwartskrisis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Gegenwart der Krise: Beschreibung des Krisenzustands . . . . . 102 2. Herkunft der Krise: Ursachen und Auslöser . . . . . . . . . . . . 157 3. Überwindung der Krise: Auswege und Zukunftsperspektiven . . 174

VI. Kultur – Geschichte und Ethik als Motor der Reintegration . . . . . 197 1. Gemeinschaft aller Menschen: Internationalität und Völkergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Gemeinschaft eines Kulturkreises: Europa und Abendland . . . 211 3. Gemeinschaft von Werten: Humanitas und Religion . . . . . . . 224 VII. Hochschule – Restauration und Reformation eines Modells . . . . . 243 1. Rolle der Wissenschaft: Unabhängigkeit und Führung . . . . . . 245 2. Rolle der Tradition: Universitas und Wertevermittlung . . . . . . 270 3. Rolle der Reform: Aufgabenneuverteilung und Innovation . . . . 288 VIII. Résumé – Der Diskurs der Rektoren im Zeichen seiner Zeit . . . . . 337 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

6

Inhalt

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 1. Begriffe und Labels im Diskurs der Rektoratsreden . . . . . . . . 351 2. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Rektoratsreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 b) Sekundäre Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 4. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Monographien, Sammelbände und Aufsätze . . . . . . . . . . 372 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405

I. Einleitung 1. Einführung Was bedeuten Wissenschaft und Hochschule einer Gesellschaft? Welche Aufgaben haben sie in und für diese Gesellschaft zu erfüllen? Welche Grundbedingungen brauchen sie dafür? Was will die Hochschule für sich selbst erreichen? Welche Rolle spielt die Ausbildung an der Hochschule? Wer soll Zugang zu dieser Ausbildung erhalten? Was überhaupt ist Bildung? Diese und ähnliche Fragen beschäftigen die Hochschulen seit Jahrhunderten. In ihren Verlautbarungen trugen sie diese Themen immer wieder auch in die außeruniversitäre Umwelt hinein. Insbesondere das Medium der Rektoratsrede, das an Hochschulen im deutschsprachigen Raum bis in die späten 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zur festen Hochschultradition gehörte, in der Schweiz ungebrochen bis in die Gegenwart, wurde als Austragungsort solcher mit sich selbst und der Gesellschaft geführten Auseinandersetzungen genutzt. In den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm die Rektoratsrede für die Hochschulen eine wichtige Rolle ein. Sie war Teil einer akademischen Tradition, die man sich nach den Verwerfungen des Nationalsozialismus wieder erobern wollte – nicht zuletzt auch als haltgebendes Moment in einer Situation gefühlter Zersetzung. Die Reden jener Jahre weisen einen ausgesprochen politischen Charakter auf und befassen sich über den Fokus der Hochschule hinaus mit den großen Fragen der Zeit: Wie konnte es zu dem erlebten Schrecken kommen? Wie kann die gegenwärtig stark empfundene Krisensituation überwunden werden? Wie soll die Gesellschaft der Zukunft aussehen? Und daraus folgernd auf die Hochschule bezogen: Welchen Anteil hatte die Hochschule am Erfolg des Nationalsozialismus? Was kann die Hochschule für die Gesellschaft leisten und zum Wiederaufbau beitragen? Wie soll die Hochschule der Zukunft aussehen? Die Reden der Nachkriegsrektoren der deutschen Hochschulen sind eingebettet in den intellektuellen Diskurs der Zeit, der sich ganz ähnlichen Fragestellungen widmet. Sie bilden darin eine Teilöffentlichkeit, die jedoch auch ein Publikum über den akademischen Kreis hinaus erreichte. So berichtete beispielsweise die Tagespresse über die Hochschulfeierlichkeiten, in deren Rahmen die Reden gehalten wurden, und gab letztere in Auszügen wieder. An den Fragen des Wiederaufbaus und einer Reformierung der Hochschule partizipierten weite Teile der Gesellschaft. Die Beiträge der Hochschulrektoren zu der gesellschaftlichen Nachkriegsdebatte greifen viele Topoi auf, die auch der allgemeine Diskurs der Zeit behandelte. Allerdings stellen die Rektoren die Hochschule als obersten Referenzpunkt ins Zentrum ihrer Überlegungen. Diese ist demnach Teil der Gesellschaft, ist

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Einleitung

den gleichen Einflüssen unterworfen und muss sich den dort ablaufenden Veränderungen anpassen. Gleichzeitig jedoch unterliege das hochschulinterne Leben eigenen Gesetzmäßigkeiten und stelle dementsprechende Anforderungen. Das besondere an den Reden der Hochschulrektoren der Nachkriegszeit ist ihre große inhaltliche Übereinstimmung in den von ihnen diskutierten Fragestellungen ebenso wie in den Lösungsansätzen, die sie vorschlagen. Darüber hinaus kongruieren die Reden ebenfalls stark auf sprachlicher Ebene hinsichtlich ihres argumentationstragenden Vokabulars. Die Nachkriegsrektoren formieren mit ihren Reden einen eigenen Diskurs, der sich teils des intellektuellen Gesamtdiskurses der Zeit bedient, teils hochschuleigene Elemente hinzufügt – sprachlich wie inhaltlich. Wie viele andere Zeitgenossen auch versuchten die Rektoren sich und ihrem Publikum das große »Warum« zu erklären, das nach Kriegsende auf dem Erlebnis jener von Friedrich Meinecke beschriebenen »deutschen Katastrophe« lastete. In ihren Reden gehen sie dafür weit zurück in der europäischen Geistesgeschichte, analysieren geistige Strömungen von der Antike bis in die Gegenwart, suchen nach historischen Vergleichen zu der von ihnen erlebten Gegenwart. Ergebnis dieser historischen Spurensuche ist eine Argumentationslinie entlang der kulturellen und geistigen Entwicklung Deutschlands und Europas, die sie für die Krise der Gegenwart verantwortlich machen. Gleichzeitig bauen sie Kultur und Geist indes als Hauptchancen zur Überwindung derselben Krise auf. Der beginnende Ost-West-Konflikt spiegelt sich in den Reden ersten Nachkriegsjahre – auch und gerade wegen der Personalien der amtierenden Rektoren an den Ost-Hochschulen – wenig bis gar nicht. Im Verlauf des Beobachtungszeitraums – sowie mit dem Beginn einer systemkonformen Personalpolitik in der SBZ / DDR – nehmen Unterschiede in den Ansichten und Lösungsvorschlägen jedoch zu. In ihre Argumentation beziehen die Nachkriegsrektoren die Hochschulen explizit mit ein. Sie lasten der eigenen Einrichtung eine gewisse Mitverantwortung am Gewesenen an. In keiner Sekunde lassen sie jedoch Zweifel aufkommen, dass die Hochschule eine tragende Rolle in einem neuen Deutschland spielen müsse – gerade, wenn es darum gehe, die Krise der Gegenwart über eine Stärkung von Kultur und Geist zu überwinden. Sie sehen dafür eine Mischung aus Tradition und Reform vor, die das klassische Konzept der deutschen Hochschule von Forschung und Lehre beibehält, allerdings um neue Akzente ergänzt. Kaum zu beobachten sind in den Reden der Rektoren über den gesamten Erfassungszeitraum geschlechterspezifische Fragestellungen mit Blick auf die Hochschule. Der überwiegende Anteil an Studenten war männlich, Studentinnen andererseits jedoch keinesfalls Einzelerscheinungen an den Hochschulen. Dennoch findet sich in den Reden kaum ein Bezug auf die weibliche Studentenschaft oder das Frauenstudium im Allgemeinen. Die Rektoren sprechen zumeist geschlechtsneutral von »der Jugend«, »den Studenten« etc., weswegen der Gender-Aspekt für die Analyse der Rektoratsreden im Rahmen dieser Studie nicht weiter vertieft werden soll.

Forschungsstand und Abgrenzung 

9

Die Bedeutung der Hochschule allgemein für die Gesellschaft als Forschungsund Ausbildungsstätte akzentuieren die Redner mit Nachdruck. In einer Zeit gesellschaftlicher Umwälzung und knapper Mittel geht es in den Rektoratsreden jener Jahre nicht nur um Deutungshoheit, sondern ganz klar auch um Absicherung der eigenen Existenz.

2. Forschungsstand und Abgrenzung Hochschulgeschichte als Subdisziplin der Wissenschaftsgeschichte hat in den vergangenen Jahren eine zunehmend bedeutendere Gewichtung erfahren, gerade auch für ihren Verlauf im 20. Jahrhundert. Wie ebenfalls in anderen Themenbereichen historiographischer Forschung hat die Zeit des Nationalsozialismus auch für die Hochschulgeschichte einen speziellen Stellenwert und weist eine besonders hohe Dichte an Veröffentlichungen auf.1 Dies gilt nicht nur für die Institution, sondern auch für das Hochschul-Personal, Professoren und Rektoren.2 Die Erforschung der Hochschulen in der Nachkriegszeit holt aktuell stark auf. Einige größere Studien zu einzelnen Hochschulen sind für diesen Zeitraum erschienen, so etwa für die Universitäten Köln, Bonn, Rostock und Jena, die Technische Hochschule Hannover plus die Gründungsgeschichten der beiden Neu-

1 Siehe bspw. die Studien zu einzelnen Hochschulen etwa von Henrik Eberle über die Universität Halle, Hans-Paul Höpfner über die Universität Bonn, Birgit Vezina über die Universität Heidelberg beziehungsweise die Sammelbände herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Christoph Jahr zur Berliner Universität Heinrich Becker, Hans-Joachim Dahms und Cornelia Wegeler über die Universität Göttingen, Wolfgang U. Eckart, Volker Sellin und Eike Wolgast über die Universität Heidelberg, Uwe Hoßfeld über Universität Jena, Elisabeth Kraus, Eckart John, Bernd Martin, Marc Mück und Hugo Ott über die Universität Freiburg über die Universität München oder Urban Wiesing zur Universität Tübingen: H. Eberle (2002), H.-P.  Höpfner (2003), B.  Vezina (1982), H. Becker / H.-J.  Dahms / C .  Wegeler (Hg.) (1998), W. U. Eckart / V. Sellin / E . Wolgast (Hg.) (2006), U. Hoßfeld (2003), R. v. Bruch (Hg.) (2005), Ch. Jahr (Hg.) (2005), E. Kraus (2006), E. John u. a. (Hg.) (1991), U. Wiesing (Hg.) (2010). Darüber hinaus überblicksartig auch Jeremy Noakes, J. Noakes (1993). Ebenso breiter angelegte Übersichtswerke wie etwa die zweibändigen Schriften von Helmut Heiber und Wolfgang Keim, die Sammelbände von Jörg Tröger oder von Karin Bayer zusammen mit Frank Sparing und Wolfgang Woelk: H. Heiber (1992/94), W. Keim (1997), J. Tröger (Hg.), (1984), K. Bayer / F. Sparing / W. Woelk (Hg.) (2004). 2 Hellmut Seier gab bereits 1964 einen Überblick über die ›Führer‹-Rolle, die das nationalsozialistische Regime dem Rektor zugedachte. Bernd Grün hat in seiner Dissertation dieses Konzept in der Praxis der Universität Freiburg untersucht. Siehe: H. Seier (1964), B. Grün (2010). Zum politischen Verhalten der Hochschullehrer während des Nationalsozialismus bis 1939 siehe M. H. Kater (1981).

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Einleitung

gründungen jener Zeit in Berlin und Mainz.3 Aufsätze leisten einen großen Teil der Aufarbeitung der Nachkriegsjahre einzelner Hochschulen.4 Größere Überblickswerke zur Geschichte einzelner Hochschulen sind indes in vielen Fällen nicht besonders aussagekräftig, was den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg betrifft, so etwa die Festschrift zum 600-jährigen Bestehen der Universität Heidelberg oder auch der entsprechende Passus in der anlässlich der HundertJahr-Feier der TU Berlin veröffentlichten Festschrift.5 In manchen Fällen klammern Hochschulgeschichten wie beispielsweise die zum 150-jährigen Bestehen der Universität Hannover erschienene die Nachkriegszeit komplett aus.6 Gesamtübersichten der Hochschulentwicklung nach Ende des Nationalsozialismus in Fragen wie der Entnazifizierung, der Krux von Kontinuitäten und Umbrüchen, dem Wiederaufbau von Institutionen und Wissenschaft, der Demokratisierung, der Eingliederung der Hochschulen in neue politische Systeme etc. liegen einige vor.7 Vielfach beschäftigten sich Forscher mit Teilaspekten der Hochschulgeschichte der Nachkriegsjahre. Verschiedene Aspekte der allgemeinen Hochschulentwicklung jener Zeit finden sich in aktuellen monographischen Studien beleuchtet. Die gesellschaftliche Diskussion um Hochschulkonzeption und notwendige Reformen in der Nachkriegszeit behandelt Barbara Wolbring 3 Folgende Studien betrachten explizit die Nachkriegszeit der genannten Hochschulen: Universität Köln: L. Haupts (2007); Universität Bonn: Ch. George (2010); Universität Rostock: J. D. Herzig / C . Trost (2008); M. Handschuck (2003); Universität Jena: J. John / V. Wahl / L . Arnold (Hg.) (1998); TH Hannover: F.  Steffens (2011); FU Berlin: S. Lönnendonker (1987), Mainz: H. Mathy (1997). Auch die neueren Werke zur Geschichte einzelner Universitäten enthalten umfangreichere Kapitel nicht nur zur NS-Ära und der Nachkriegszeit, s. inbes. zu Berlin H.-E. Tenorth (Hg.) (2010–2012) oder Leipzig U. v. Hehl / G. Heydemann / K. Fitschen / F. König (2010). 4 So zum Beispiel die Sammelbände mit Einzelstudien zur Situation der Nachkriegsuniversitäten von Manfred Heinemann: M. Heinemann (Hg.) (1990/91); M. Heinemann (Hg.) (1999); M. Heinemann (Hg.) (2000). Darüber hinaus unter anderem auch folgende Aufsätze: G. Böhme (1971) für die hessischen Universitäten; A. Munro (1984), R. Cheval (1987), S. Paletschek (2002a) für die Universität Tübingen, S. Flachowsky (2004) für die Berliner Universität; W. Müller (1997) für die Universitäten München, Erlangen und Würzburg; F. R. Pfetsch (1985), R. de Rosa (1986), J. A. Mumper (1986), V. Sellin (1996) für die Universität Heidelberg; M. Nehrkorn / Ch. Vanja (1977) für die Universität Marburg; D. Phillips (1983) zur Wiedereröffnung der Universitäten in der Britischen Zone; U. Schneider (1984). 5 W. Doerr (Hg.) (1986); P. Brandt (1979). 6 R. Seidel (1981), Bd. 1. Auch die 2006 erschienene Geschichte zum 175-jährigen Bestehen der Hochschule klammert diese Phase der Hochschulgeschichte weitgehend aus – abgesehen von zwei halbseitigen Kurzzusammenfassungen der Schlaglichtjahre 1933 und 1945. Vgl. R. Seidel (2006). 7 So bspw. C. Defrance (2003) zur Entnazifizierung; M. G. Ash (1995) A. Schildt (1997), C. Defrance (2000), W. H. Pehle / P. Sillem (1992) zur Frage von Kontinuitäten; Th. Stamm (1981), H. Coing (1992) zum Wiederaufbau; K.-E. Bungenstab (1970), P. Chroust (1999) zu Re-education und Demokratisierung; R. Jessen (1998), R. Jessen (1999) zur Eingliederung der Hochschule ins kommunistische System.

Forschungsstand und Abgrenzung 

11

in ihrer Habilitation »Trümmerfeld der bürgerlichen Welt« sehr ausführlich.8 Einen Teilaspekt des reformerischen Ansatzes in Form von Kollegienhäusern hat Konstantin Freytag von Loringhoven in seiner Dissertation untersucht.9 Ilko-Sascha Kowalczuk hat sich in seiner Dissertation mit der Hochschulpolitik in SBZ und DDR von der Nachkriegszeit bis in die frühen 60er Jahre auseinandergesetzt.10 Was keine der bisher vorliegenden Studien vereint, ist es eine Gesamtbetrachtung der Universitäten und Technischen Hochschulen in der Nachkriegszeit. Insbesondere die Diskussion um eine Hochschulreform in jenen Jahren gibt an sich genügend Anlass, beide Hochschul-Typen im Zusammenhang beim Wiederaufbau zu betrachten. Die vorliegende Studie widmet sich dem konzeptionellen Teil dieses Wiederaufbaus, kann es jedoch nicht leisten, ebenso dessen praktische Umsetzung detailliert zu untersuchen. Barbara Wolbring berücksichtigt in ihrer Analyse der Nachkriegsdiskussion um die Hochschulreform neben den Universitäten auch die Technische Hochschulen und ihre Beiträge. Einen systematischen Vergleich des Wideraufbaus leistet ihre Schrift jedoch nicht. Das Thema Rektoren und Rektoratsreden haben lediglich einige wenige Forscher näher behandelt. Ralph Boch hat mit seiner Dissertation eine breite prosopographische Studie zu den Nachkriegsrektoren alle deutschen Universitäten vorgelegt.11 Eine vergleichbare Untersuchung zur Gruppe der TH-Rektoren liegt bislang nicht vor. Der Rektoratsrede als Quellengattung wurde bisher keine systematische Untersuchung gewidmet, doch ist sie eine vielzitierte Quelle in der hochschulgeschichtlichen Forschung. Besonders zu erwähnen sind hier Studien von Dieter Langewiesche wie auch von Bernd A. Rusinek und Rainer C. Schwinges, die sich tiefergehenden Auswertungen von Rektoratsreden gewidmet haben.12 Zur sprachlichen Entwicklung der Nachkriegszeit sei auf die Habilitationsschrift von Heidrun Kämper verwiesen, die Opfer, Täter und Nichttäter in ihren Argumentationsstrategien und Sprechmustern nach Ende des Nationalsozia8 B. Wolbring (2014). 9 K. v. Freytag-Loringhoven (2012). 10 I.-S. Kowalczuk (2003). 11 R. Boch (2004). 12 Siehe etwa D. Langewiesche (2007a), D. Langewiesche (2007b), D. Langewiesche (2007c), D. Langewiesche (2007d), D. Langewiesche (2010), D. Langewiesche (2011a), D. Langewiesche (2011b), D. Langewiesche (2012), D. Langewiesche (2014), B. A. Rusinek (2002), B. A. Rusinek (2003), R. C. Schwinges (2005). Siehe außerdem die Online-Bibliographie deutschsprachiger Rektoratsreden im 19. und 20. Jahrhundert, betreut von Dieter Langewiesche und Rainer C. Schwinges bei der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: www.historischekommission-muenchen-editionen.de/rektoratsreden (Stand 19.04.2019). Sowie das schweizerische Pendant von digitalisierten Rektoratsreden bis ins Jahr 2005, betreut von Rainer C. Schwinges: http://www.arpa-docs.ch/SedServer/SedWM.cgi?fn=Swd_ Reden&lng=0 (Stand 19.04.2019).

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Einleitung

lismus sehr ausführlich untersucht hat und in einem zusätzlichen Wörterbuch zum Schulddiskurs der Nachkriegsjahre noch weiter aufbereitet hat.13

3. Methodik Die deutsche Nachkriegsöffentlichkeit war bestimmt von Fragen der Orientierung zwischen dem »wieso« und »woher« einer verworrenen Vergangenheit und dem »wie« und »wohin« einer noch undurchsichtigeren Zukunft. Der intellektuelle Diskurs dieser Zeit versuchte sich an Erklärungen sowohl des Nationalsozialismus selbst wie auch der Hintergründe seines Aufkommens. Gleichzeitig wurden hier Zukunftsvisionen einer post-nationalsozialistischen deutschen Gesellschaft der Zukunft entworfen. Wie der Rest der Gesellschaft waren in den direkten Nachkriegsjahren gleichermaßen die Hochschulen einem Wandlungsprozess mit unbestimmtem Ausgang unterworfen. Dieser wurde begleitet von einer Diskussion um die künftige Gestalt der Hochschulen und ihre Aufgabe innerhalb der Gesellschaft. Die Reden der Rektoren der Nachkriegszeit geben einen Einblick in das Spektrum der Themen, welche die Hochschulen in jenen Jahren bewegten. Das Medium der öffentlich gehaltenen – und häufig im Anschluss publizierten – Rede verlegt die Äußerungen der Redner dabei auf eine Ebene, die über dem Alltagsgeschäft liegt und vielmehr auf programmatische Positionierung als auf tatsächliches Geschehen verweist. Die Untersuchung dieser Quellen als Ausgangspunkt der hier vorliegenden Studie ist damit weniger auf eine Synopsis der Ereignisse um die Wiedereröffnung der deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen in den Nachkriegsjahren ausgerichtet. Sie leistet vielmehr eine Analyse der öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzung mit den zentralen Fragen der Zeit im Rahmen der Rektoratsrede. In der deutschen Nachkriegsgesellschaft und darin wiederum innerhalb der Intelligenz bilden die Rektoren mit ihren Reden eine Teilöffentlichkeit. Sie behandeln häufig die gleichen Themen wie die übergeordneten Öffentlichkeiten. Im Rahmen des ihnen gemeinen Diskursraums Hochschule schaffen sie sich jedoch einen eigenen Diskurs, der hier untersucht werden soll. Die Diskursanalyse hat im vergangenen Jahrzehnt, unter anderem durch die Arbeiten von Philipp Sarasin, einen festen Platz in der Geschichtswissenschaft eingenommen. Trotz kontinuierlicher Diskussionen um die analytische Methode, gilt nach wie vor die Ansicht, dass die Individualität jedes Diskurses eigene Vorgehensweisen seiner Analyse erfordere und es keinen »Königsweg« (Siegfried Jäger) der Diskursanalyse geben könne.14 Die vorliegende Un-

13 H. Kämper (2005) und H. Kämper (2007). 14 Vgl. dazu S. Jäger (1999).

Methodik 

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tersuchung orientiert sich in vielerlei Hinsicht an der Diskurstheorie Michel Foucaults. Foucault nimmt grundsätzlich eine Positivität des Diskurses an, die als ›historisches Apriori‹ für die im Diskurs getätigten Aussagen stehe: »[…]; ich will damit ein Apriori bezeichnen, das nicht Gültigkeitsbedingung für Urteile, sondern Realitätsbedingung für Aussagen ist. Es handelt sich nicht darum, das wiederzufinden, was eine Behauptung legitimieren könnte, sondern die Bedingungen des Auftauchens von Aussagen, das Gesetz ihrer Koexistenz mit anderen, die spezifische Form ihrer Seinsweise und die Prinzipien freizulegen, nach denen sie fortbestehen, sich transformieren und verschwinden. Ein Apriori nicht von Wahrheiten, die niemals gesagt werden oder wirklich der Erfahrung gegeben werden könnten; sondern einer Geschichte, die gegeben ist, denn es ist die der wirklich gesagten Dinge.«15

Die sprachliche Äußerung ist für Foucault damit nicht nur reines Medium zum Transport von Inhalten, sie ist die Grundbedingung des Diskurses überhaupt. Die Suche nach einer ›wahren Intention‹ hinter der Diskursäußerung ist demzufolge obsolet, wenngleich sie insbesondere für historiographische Untersuchungen verlockend, jedoch kaum erfolgreich abschließbar erscheint. Gerade in der Situation der ersten Nachkriegsjahre lassen die Biographien der Redner, die Fremdbestimmung durch die alliierten Besatzungsmächte und andere Unwägbarkeiten immer wieder Fragen nach den tatsächlichen Meinungen hinter dem Gesagten aufkommen. Viel mehr als Spekulation ließe deren Beantwortung jedoch kaum zu. Insofern werden die Aussagen der Rektoren im Rahmen ihrer Reden hier als genuiner Ausdruck ihres Weltbildes verstanden. Das Medium der Rede unterstützt dieses Vorgehen, insofern sie stets in einem offiziellen Rahmen stattfinden, wo sie direkt auf einen bestimmten Kreis von Rezipienten trifft. Im Fall der Rektoratsreden wurden somit die Hauptzielgruppen, nämlich Studenten und Verwaltung, unmittelbar in der anwesenden Zuhörerschaft erreicht. Die Wirkung der Reden wurde zudem durch das zeitgenössische Medienecho und die folgende Drucklegung der meisten Reden verstärkt. Die Anlehnung der vorliegenden Studie an Foucaults Diskurstheorie hat einen weiteren Vorteil. Von Foucault als nicht abgeschlossenes System konzipiert, erlaubt sie explizit den selektiven Zugriff auf einzelne ihrer Elemente, die je nach Gegebenheiten des vorliegenden Textkorpus mit anderen methodischen Ansätzen kombiniert werden können. Im Rahmen dieser Untersuchung treten ergänzend Vorgehensweisen anderer analytischer Verfahren wie etwa der Begriffsgeschichte oder der Semiotik hinzu. Zwei Merkmale mit besonderer Ausprägung im Rektoratsreden-Diskurs sollen hier vorab noch etwas tiefer beleuchtet werden: Zum einen verwenden die Redner übereinstimmend bestimmte Schlüsselwörter, um zwischen den unterschiedlichen Themenbereichen der Diskussion zu navigieren. Zum anderen 15 M. Foucault (1973), S. 184 f.

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Einleitung

weisen die Reden jeweils sprecherabhängig bestimmte sprachliche Merkmale auf, eine einheitliche Definition der diskursimmanenten Schlüsselwörter jedoch erschweren. a) Schlüsselwörter im Diskurs Die Rektoren haben über ihre Reden Anteil an einem großen intellektuellen Diskurs innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft, welcher sich mit der direkten Vergangenheit, den Gründen, die zu ihrer als krisenhaft wahrgenommenen Entwicklung historisch gesehen führten, sowie mit den Visionen eines neuen Deutschlands auseinandersetzt. Der Tenor jener in Reden, Zeitschriften oder anderen Periodika wie auch Büchern vorgetragenen Gedanken ist in etwa der gleiche.16 Der Eindruck eines homogenen Diskurses verstärkt sich zudem durch die in großem Maße einheitliche Verwendung eines bestimmten terminologischen Kataloges. Ähnliche Anliegen firmieren unter jeweils derselben sprachlichen Bezeichnung, demselben Terminus, bzw. – umgangssprachlich formuliert – demselben ›Wort‹, wodurch sie den Gesamtdiskurs gleichsam kanonisieren. Die in dieser Weise sozusagen zu ›Schlüsselworten‹ avancierten Termini treten jeweils in bestimmten Bedeutungszusammenhängen auf, welche dadurch wiederum selbst in eine enge Verbindung zu ihrem ›Schlüsselwort‹ eintreten. Letztere Verbindung macht es schließlich obsolet, den kompletten Bedeutungszusammenhang permanent zu referieren, so dass ein Erwähnen der sprachlichen Bezeichnung für die Sprecher im Diskurszusammenhang allein ausreicht, um das zugehörige Bedeutungs- und Assoziationsfeld im Sinne seiner Funktion im Diskurs aufzudecken. Innerhalb des allgemeingesellschaftlichen Diskurses der Nachkriegszeit stellen die Hochschulrektoren eine gesonderte Sprechergruppe dar, die gewissermaßen einen in sich geschlossenen Diskursraum bildet. Sie alle sind Wissenschaftler, Ordinarien in ihrem jeweiligen Fach sowie zum beobachteten Zeitpunkt Vorstände ihrer Hochschule. In dieser Eigenschaft halten sie in öffentlichem, meist feierlichem Rahmen Reden, in denen sie sich mit aktuellen Fragen der Zeit auseinandersetzen, die zu großen Teilen ebenso der allgemeine intellektuelle Diskurs der Zeit behandelt. Darüber hinaus gibt es zwischen den Sprechern jedoch wenig Gemeinsamkeiten, und zwar sowohl in ihren biographischen Hintergründen, etwa Alter, soziale Herkunft oder Fächerzugehörigkeit betreffend17, wie auch im Hinblick auf die Art ihres sprachlichen Ausdrucks oder ihrer Beziehung zur Sprache.

16 Vgl. dazu etwa B. Wolbring (2007). 17 Vgl. Kap. III, S. 43–64. Tiefer aufgearbeitet finden sich die persönlichen Hintergründe für die Rektoren der Universitäten bei R. Boch (2004). Eine vergleichbare Untersuchung für die Rektoren der Technischen Hochschulen gibt es bislang nicht.

Methodik 

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Speziell hier, also in Bezug auf Sprachverständnis wie auch Sprachsensibilität der Redner äußern sich im einzelnen eklatante Unterschiede. Dergleichen Differenzen treten insbesondere bei der Verwendung der diskursbestimmenden ›Schlüsselwörter‹ zutage. Letztere fungieren als Stellvertreter genau aus­ definierter Konzepte, die den Termini im wissenschaftlichen Sprachumfeld hinsichtlich den ihnen zugrundeliegenden konkreten Definitionen vergleichbar sind. Wortform und dahinterstehendes geistiges Konzept bilden eine Einheit mit einer bestimmten Funktion im Diskurs, welche sich über die sprecher­ individuelle semantische Zuschreibung – wie sie bei allen sprachlichen Zeichen vorkommt – erhebt. Derartig gebrauchte ›Schlüsselwörter‹ sollen hier die Bezeichnung Begriff erhalten, die jedoch konzeptionell nicht mit der Verwendung im Sinne der linguistischen Terminologie gleichzusetzen ist. Gemeint ist damit also nicht etwa de Saussures »concept« im Zeichenmodell oder die »meaning«-Seite im semiotischen Dreieck von Ogden und Richards: nicht also das geistige Konzept, das hinter einem sprachlichen Zeichen steht und es – bei Ogden und Richards – mit seinem Referenten in der außersprachlichen Wirklichkeit verbindet.18 Viel eher soll hier eine weiter gefasste Definition des Begriffs gewählt werden, die sich an die Begriffsgeschichte anlehnt, wo sie in ähnlicher Form vorkommt. Die Begriffsgeschichte nämlich fasst den Begriff als einen bestimmten Code, der von einer Sprechergemeinschaft zu einem gewissen Sachverhalt geteilt wird. Reinhart Koselleck schreibt in seiner Einleitung zu den »Geschichtlichen Grundbegriffen« dazu folgendes: »Die Bedeutung eines Wortes verweist immer auf das Bedeutete, sei es ein Gedanke, sei es eine Sache. Dabei haftet die Bedeutung zwar am Wort, aber sie speist sich ebenso aus dem gedanklich intendierten Inhalt, aus dem gesprochenen oder geschriebenen Kontext, aus der gesellschaftlichen Situation. Ein Wort kann eindeutig werden, weil es mehrdeutig ist. Ein Begriff dagegen muss vieldeutig bleiben, um Begriff sein zu können. Der Begriff haftet zwar am Wort, ist aber zugleich mehr als das Wort. Ein Wort wird – in unserer Methode – zum Begriff, wenn die Fülle eines politisch-sozialen Bedeutungszusammenhanges, in dem – und für den – ein Wort gebraucht wird, insgesamt in das eine Wort eingeht. […] Begriffe sind also Konzentrate vieler Bedeutungsgehalte. Wortbedeutungen und das Bedeutete können getrennt gedacht werden. Im Begriff fallen Bedeutung und Bedeutetes insofern zusammen, als die Mannigfaltigkeit

18 De Saussure unterscheidet für den Aufbau eines ›Wortes‹ zwischen Ausdruck und Inhalt. Die Ausdrucksseite repräsentiert das sprachliche Zeichen einer Lautkette, den Inhalt das von ihr abgerufene Konzept (»concept«), also die Vorstellung von einer Sache, die sich als Abstraktion aus all den Sachen zusammensetzt, die vom selben sprachlichen Zeichnen bezeichnet werden. Siehe F. de Saussure (1969). Das semiotische Dreieck von Ogden und Richards erweitert die zweiseitige Beziehung von sprachlichem Zeichen und dessen konzeptionelle Bedeutung (»meaning«) um den Sprecher, ohne den beide nicht in Beziehung gebracht werden können. Siehe C. K.  Ogden / I. A.  Richards (1923).

16

Einleitung

geschichtlicher Wirklichkeit in die Mehrdeutigkeit eines Wortes so eingeht, dass sie nur in dem einen Wort ihren Sinn erhält, begriffen wird.«19

Die Art und Weise, in der manche der Rektoren in ihren Reden bestimmte ›Schlüsselwörter‹ verwenden, deutet allerdings sehr stark darauf hin, dass bei ihnen die diskursimmanente Semantik des Begriffs von individuellen Assoziationen überlagert wird. An nicht wenigen solcher Stellen scheint erkennbar durch, dass ein Redner einem Sachverhalt einfach nur das dafür gängige Etikett aufklebt, indem er ihn mit dem passenden ›Schlüsselwort‹ belegt. Aus seinem argumentativen Umfeld innerhalb der Rede wird jedoch klar, dass das ›Schlüsselwort‹ hier nicht diskurskonform eingesetzt ist, sondern dass es auf sonstige, nichtzugehörige semantische Inhalte verweist und somit als Begriff nicht mehr seine volle Funktion erfüllen kann. Am augenscheinlichsten werden solche Phänomene etwa dort, wo bedeutungsähnliche, aber keinesfalls synonyme Begriffe wie etwa Europa und Abendland, die von anderen Rednern konzeptionell getrennt voneinander behandelt und benutzt werden, offensichtlich als lediglich sprachliche Varianten dienen, um die Erörterung eines Gedankens vielfältiger in der Formulierung zu gestalten.20 An dieser Stelle muss die hier vorliegende Studie denn auch über das Instrumentarium der Begriffsgeschichte hinausgehen. Eine Homogenität im Gebrauch einer begrifflichen Struktur, wie sie etwa Voraussetzung für eine begriffsgeschichtliche Analyse zu sein hätte, ist in diesem Fall nicht gegeben. Es erscheint vielmehr so, dass manche Sprecher über das Repertoire an ›Schlüsselwörtern‹ des Diskurses verfügen, dieses aber lediglich – vergleichbar dem, was der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen »Plastikwörter« nennt  – als »konnotative Stereotype«21 verwenden. Pörksen verbindet in dem Terminus »Plastikwörter« eine »Vorstellung von unendlicher Formbarkeit mit der einer geformten Stereotypie«22. »Plastikwörter« sind als »Wörter, die in der Umgangssprache sich ausbreiten«, zu unterscheiden von »Begriffen, die hintergründig wirksam sind«. Anders als den gleichlautenden »Begriffen« haftet ihnen ein »umfangreicher Vorstellungsbezirk und ein Assoziationshof« an, die sowohl für den Sprecher wie für den Empfänger nur eine diffuse Definition des Gesagten ermöglichen und den Rest einer freien Konnotation überlassen23: »Die Wörter werden nicht in den jeweiligen Zusammenhängen nuanciert und festgelegt; dem Sprecher fehlt die Definitionsmacht. Sie sind, als vom konkreten Zusammenhang unabhängige, ›kontextautonome‹ Wörter, äußerlich den Termini der Wissenschaftssprache verwandt, haben freilich nicht deren präzis definierte, von einem Assoziationshof freie Bedeutung. Die Verwandtschaft liegt in der angenommenen

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R. Koselleck (1972), S. XXII. Vgl. hierzu z. B. J. Kroll (1947), S. 63 Sp. 1, J. Schmid (MR JGU 1947), S. 9. U. Pörksen (1989), S. 11. U. Pörksen (1989), S. 21. U. Pörksen (1989), S. 42–44.

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Konstanz der Bedeutung, in der genormten Selbständigkeit dieser Wörter; sie sind die gemeinsprachlichen Neffen der Termini: Stereotype. […] Bei den Wörtern dominiert statt der Denotation die sich in Ringen, in Wellen ausbreitende Konnotation; an die Stelle der Bezeichnungskraft tritt die Ausstrahlung scheinbarer Aufklärung. […] sie formulieren ein Gut oder liefern den Schein einer Einsicht. Bei ihrem Gebrauch dominiert die Funktion der Rede, nicht ihr Was.«24

Dies mag, von Sprecher zu Sprecher verschieden, nur an vereinzelter Stelle vorkommen, in einigen Fällen ist jedoch davon auszugehen, dass die Sprecher bestimmte ›Schlüsselwörter‹ gebrauchen, ohne deren konkrete Bedeutung, wie sie der Diskurs vorgibt, zu erfassen. Wie bereits erwähnt gerinnen beispielsweise Europa und Abendland hier und dort zu Synonymen, Kultur wird zum Allgemeinplatz und Positivismus geriert zum regelrechten Schimpfwort. Das Nennen des ›Schlüsselworts‹ löst nach wie vor die ihm zugehörige Assoziationskette aus, das nonkonforme sprachliche Umfeld, in dem es erscheint, kappt hier aber seine Funktionsfähigkeit als Begriff. Dabei tritt mit Uwe Pörksen die »Funktion des Bezeichnens […] zurück gegenüber der des Bedeutens«.25 Der Sprecher bringt ein ›Schlüsselwort‹ an entsprechender Stelle in seine Rede ein, hat damit Teil am zugehörigen Diskurs, das ›Schlüsselwort‹ selbst bezeichnet aber nicht mehr den eigentlichen Begriff. Dessen Bedeutung schwingt zwar nach wie vor mit; überhaupt deshalb nur qualifiziert sich der Sprecher qua Nennung des ›Schlüsselworts‹ zur Teilhabe am Diskurs. Die begriffliche Semantik verliert aber durch diese Art des Gebrauchs, die mehr »benutzt« als »reflektiert«26, derartig an Gehalt, dass sich der Begriff letztlich auf eine Art ›Etikett‹, bzw. Label reduziert. Die Funktion des Labels im Diskurs lässt sich etwa mit der des Labels eines Wirtschaftsunternehmens oder einer Marke vergleichen. Um eine Marke samt dazugehörigem Label zu platzieren, ist es wichtig, den Markennamen in Verbindung mit dem Label so intensiv wie möglich zu verbreiten, damit dem Konsumenten die Marke überhaupt erst bekannt wird. Gelingt dies, gelten Marke und Label dem Konsumenten fortan als »wichtige Orientierungshilfe, die eine einfachere Identifikation der gewünschten Leistung ermöglicht«27. Darüber hinaus verkörpert die Marke weitere Eigenschaften. Sie dient als »Kommunikationsmittel von Herstellern zu Abnehmern«, sie steht inhaltlich für eine zumindest »gleichbleibende oder verbesserte Qualität«, hilft bei der Differenzierung [des Produkts] von anderen Wettbewerbsangeboten«, in Verbindung mit dem zugehörigen Label als Transmitter erreicht sie eine »Wiedererkennbarkeit«, wodurch sich Chancen auf »Wiederholungskäufe« erst erschließen.28 Der Wirt24 25 26 27 28

U. Pörksen (1989), S. 118–121. U. Pörksen (1989), S. 38. J. Schiewe (1998), S. 219. C. Homburg / H.  Krohmer (2006), S.  628. W. Pepels (2009), S. 61–66.

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schaftswissenschaftler und Marketingexperte David A.  Aaker beschreibt den Charakter der Marke als »mental box«. Informationen über dieselbe Marke speichert der Empfänger demzufolge in einer geistigen ›Box‹, die als Erkennungszeichen das Label der Marke trägt: »After time passes, little in the box might be retrievable. The person knows, however, if it is heavy or light. He or she also knows in which room it is stored – the room with the positive boxes (that is, objects that have earned positive feelings and attitudes) or the one with the negative boxes.«29

In seltenen Fällen hat sich eine Marke – jeweils gekoppelt an das zugehörige Label – derart erfolgreich etabliert, dass ihr Name über das Produkt dominiert. Beispielsweise hat sich der Markenname »Tempo« im deutschsprachigen Raum als Bezeichnung für das von ihm vertretene Produkt komplett durchgesetzt und den Gebrauch der eigentlichen Bezeichnung »Papiertaschentuch« umgangssprachlich ersetzt. Somit wirkt die Bezeichnung »Tempo« auch auf Nachahmerprodukte anderer Hersteller, die mit Eigenschaften des Produkts »Tempo«, welche über die Grundgemeinsamkeit »Papiertaschentuch« hinausgehen – wie etwa »Durchschnupfsicherheit« oder »besondere Weichheit«30  – nichts weiter gemein haben. Der produktbezogene Inhalt von »Tempo« verwässert an dieser Stelle, die Funktionsfähigkeit der Bezeichnung »Tempo« wird dadurch jedoch nicht eingeschränkt. Übertragen auf den Diskurs der Rektorenreden steht das Label für eine bestimmte Menge an Assoziationen, die an ein bestimmtes ›Schlüsselwort‹ gekoppelt sind. Manche dieser Assoziationen beziehen sich direkt auf den semantischen Gehalt des Begriffs, den das ›Schlüsselwort‹ im Diskurs evoziert. Andere Assoziationen, die auf persönlichen Erfahrungen des Individuums beruhen, schwingen völlig frei in diesen originär begrenzten Distrikt hinein. Sie beeinflussen die darin getroffene Prädefinition des Begriffs, respektive überlagern diese sogar. Die hauptsächliche Funktion, die das Label erfüllt, ist es, den Diskurs am Laufen zu halten, was dank seiner Bindung an ähnliche historische, philosophische oder ideelle Inhalte wie die des Begriffs tatsächlich gelingt. Im Unterschied zum Gebrauch des Begriffs jedoch lässt das Label über dessen konkret definierten Inhalt hinaus eine wellenhaft sich ausbreitende Konnotation bei Sprecher und Hörer zu. Dieser weiter gefasste Assoziationsrahmen verwässert den Begriff im Diskurssinn. Das Label ist der begrifflichen Semantik allenfalls diffus, trotzdem jedoch in anhaltender Persistenz verbunden. Dies garantiert gemeinsam mit der phonetischen Identität von Begriff und Label seine Funktionsfähigkeit innerhalb des Diskurses. Aus ihrer passiven Teilhabe sind allen Mitgliedern des Diskurses dessen bestimmende ›Schlüsselwörter‹ bekannt. Um aktiv daran teilzuhaben, muss der Diskursteilnehmer lediglich exakt jenen 29 D. A. Aaker (1996), S. 10. 30 Vgl. Dokumentation der Werbekampagnen für Tempo aus den letzten 80 Jahren: http:// www.tempo.net/de/die-marke-tempo/zeitreise (Stand 23.09.2015).

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Kanon an ›Schlüsselwörtern‹ abrufen und einhalten, was letztlich auch dazu führt, dass Inhalte verwässern. Derartige ausufernde Assoziation trägt auf der anderen Seite jedoch dazu bei, die allgemeine Akzeptanz des ›Schlüsselworts‹ zu steigern, wovon in letzter Konsequenz sowohl Label wie auch Begriff profitieren. Je abstrakter ein Begriff zu fassen ist und je größer einerseits die Notwendigkeit, andererseits aber auch die Schwierigkeit seiner genauen Definition, desto anfälliger ist er dafür, von vagen Assoziationen befallen zu werden und im Gebrauch eines Sprechers zum Label herabzusinken. Betroffen sind daher vorrangig Begriffe wie Religion, Abendland etc., welche die Hauptlinien des Gedankengangs im Diskurs bestimmen, und viel weniger solche, die zwar selbst einen gewissen Bedeutungsumfang besitzen, jedoch vor allem benutzt werden, um einen ›größeren‹ Begriff zu strukturieren und auszudeuten, wie etwa Schuld, Vermassung etc. Sie bleiben im Wesentlichen bei allen Rednern labelhaft undifferenziert. b) Sprachgebrauch im Diskurs Auffällig am Quellenkorpus der Rektoratsreden aus der deutschen Nachkriegszeit ist ein sehr heterogener Umgang mit Sprache in den einzelnen Reden. Die Rektoren als Personengruppe eint zunächst ihr Status als Hochschulprofessoren, die zum beobachteten Zeitpunkt ihren Institutionen als Leiter vorstanden. Darüber hinaus weist diese Gruppe jedoch heterogene Züge auf, was Herkunft, fachspezifische Prägung oder individuelle persönliche Hintergründe betrifft. Entsprechend müssen die Rektoren ebenfalls in sprachlicher Hinsicht als Individuen angesehen werden, die ein unterschiedliches Bewusstsein im sprachlichen Ausdruck aufweisen, die einzelne Begriffe unterschiedlich assoziieren und die – trotz eines allgemein überdurchschnittlichen Bildungsniveaus – über unterschiedliche Kenntnisstände in Bezug auf die von ihnen angesprochenen Themen verfügen. Derartige Unterschiede lassen sich nicht zuletzt im Hinblick auf den Umgang mit den sprachlichen Relikten der NS-Zeit beobachten. Entgegen früher sprachkritischer Äußerungen wie etwa von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind war die deutsche Sprache nach 1945 nicht komplett ›zersetzt‹ oder ›tot‹ – genauso wenig wie die Nationalsozialisten sie 1933 gänzlich neu erfunden haben konnten.31 Dennoch hatten sich in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft bestimmte Begriffe, Ausdrucksweisen wie auch ein gewisser Sprachstil festgesetzt, die über das Ende des Regimes im Mai 1945 hinaus eine gewisse Kontinuität im deutschen Sprachraum aufwiesen. Diese betrafen aber, wie Walther Dieckmann in seinem Aufsatz »Diskontinuität?« von 1983 schreibt, 31 D. Sternberger / G. Storz / W. E. Süskind (1957).

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»(a) nicht alle Ebenen der Sprache gleichmäßig, meist überhaupt nur Teilbereiche des Lexikons und Stilphänomene; (b) nicht alle Sprechergruppen in gleicher Weise; sie beeinflussen (c) nicht alle gesellschaftlichen Kommunikationsbereiche (Alltag, Politik, Massenmedien, Literatur, Wissenschaft etc.) gleich stark, und sie treten (d) mit zeit­ lichen Verzögerungen auf.«32

Anhand einer Analyse von Zeitungsartikeln der Nachkriegszeit zeigt Dieckmann, dass die Verwendung vieler Begrifflichkeiten der NS-Sprache sich allein aufgrund der neu in den Fokus rückenden Themen und Ereignisse in der Berichterstattung verloren habe. Dennoch beobachtet er eine nennenswert große Zahl von Artikeln, in denen Vokabular aus dem »faschistischen Gebrauchskontext« ohne jeglichen »Sprachzweifel« referenziert werde, auch wenn es um aktuelle Themen gehe. Den pauschalen Rückschluss auf eine entsprechende ideologische Verhaftung des Verfassers lässt er jedoch mit dem Verweis auf die ausschlaggebende Bedeutung des jeweils geschilderten Sachverhalts nicht zu.33 Wie Dieckmann weist auch Georg Stötzel darauf hin, dass die Verwendung nationalsozialistisch belegter Begrifflichkeiten in den Nachkriegsjahren nicht zwangsläufig auf eine Nähe zur dahinterstehenden Ideologie verweise. Sie sei vielmehr Ausdruck eines individuell unterschiedlichen Grads an »Sprach­ reflexivität und geschichtsbewusster Sprachsensibilität«. Die »Gemeinschaft der Deutschsprechenden« stelle sich insgesamt gesehen »uneinheitlich im Erfahrungshintergrund, im Wissensstand und folglich auch hinsichtlich der Sensibilität gegenüber historisch belasteten Wörtern, Ausdrücken oder Ausdrucksweisen der deutschen Sprache« dar, weswegen es zwangsläufig zu unterschiedlichen Ausdrucks-Levels im individuellen Sprachgebrauch komme.34 In der Nachkriegszeit selbst erschienen mehrere Veröffentlichungen von Zeitzeugen, die sich bereits kritisch mit der Verwendung von Sprache durch die Nationalsozialisten auseinandersetzten. Der Philologe Victor Klemperer veröffentlichte 1947 unter dem Titel »Lingua Tertii Imperii« (LTI) seine dazu noch während der NS-Zeit verfassten Notizen.35 Sternberger, Storz und Süskind untersuchten in der von Sternberger herausgegebenen Zeitschrift »Die Wandlung« von 1945 bis 1948 monatlich einen aus ihrer Sicht typischen NS-Begriff. In Buchform erschien die Sammlung dieser Wortkritiken »Aus dem Wörterbuch des Unmenschen« knappe zehn Jahre später, im Jahr 1957.36 Ziel jener Arbeiten war es, zum einen auf den Anteil der Sprache am Geschehen während der NS-Diktatur aufmerksam zu machen und gleichzeitig eine ›Entnazifizierung der

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W. Dieckmann (1983), S. 92. W. Dieckmann (1983), S. 96 f. G. Stötzel (1995b), S. 366. V. Klemperer (2007). D. Sternberger / G. Storz / W. E. Süskind (1957).

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Sprache‹ zu anzustoßen. Tatsächlich blieben derartige Vorstöße in der direkten Nachkriegszeit ohne große Wirkung.37 Die Nachkriegsrektoren beschwören in ihren Reden einheitlich die Abkehr vom nationalsozialistischen Gedankengut. Auf der sprachlichen Ebene allerdings sind die Redner dabei individuell unterschiedlich stark von verschiedenen Mustern beeinflusst, wie sie typisch für die NS-Sprache waren. Am deutlichsten zeigt sich dies lexikalisch in der Verwendung von Wörtern und Bezeichnungen, die in der offiziellen Sprache des Nationalsozialismus bestimmte ideologische Konnotationen erfüllten, beziehungsweise die zur Beschreibung bestimmter Sachverhalte benutzt und häufig stereotyp wiederholt wurden. Sprechen die Rektoren beispielsweise von der deutschen Gesellschaft, so verwenden sie in der Regel den Begriff »Volk«. Bereits im 19. Jahrhundert hatte »Volk«  – auch in den Komposita ›Volksnation‹ und ›Volksgemeinschaft‹  – im Prozess der nationalen Konstitution eine gewisse Aufladung erhalten.38 In der nationalsozialistischen Verwendung entwickelte er sich zu einem der »positiven Hochfrequenzwörter« überhaupt. Er diente damit dem Transport zentraler nationalsozialistisch-ideologischer Anliegen, ähnlich anderen Begriffen wie ›Rasse‹, ›Art‹, ›Blut‹, ›Raum‹ etc.39 In den Nachkriegsreden der Rektoren erscheint die Bezeichnung »Volk« unkommentiert auf diese Verbindung hin. Viele Redner benutzen sie sogar, um eine definitionsmäßige Trennung zwischen dem Volk und den Nazis vorzunehmen. Dies geschieht vor allem im Zusammenhang der Schuld-Frage, um die Linie zwischen Tätern und Nichttätern klar zu ziehen und die Verantwortung für das Geschehene der ›anderen‹ Gruppe, nämlich den Nazis, zuweisen zu können.40 Je nach Sprachsensibilität der einzelnen Redner erscheinen in den Reden teils auch andere Phänomene an nationalsozialistisch aufgeladenem Sprachduktus oder zugehöriger Lexik. Auf den gesamten Quellenkorpus hin gesehen sind derartige Relikte häufiger in den Reden von Rektoren der Technischen Hochschulen zu finden als bei den Universitäts-Rektoren. Ein Beispiel, das die teilweise verzögerte sprachliche Weiterentwicklung sehr gut dokumentiert, liefert der Metallhüttenkundler Paul Röntgen in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen 1946. Röntgen beschwört darin eine Rückkehr zur ›Kulturnation‹ als Deutschlands einzige Rettungsmöglichkeit. Zur Begründung folgt eine Anleihe an klassisch biologistische Formulierungen, wie sie sprachlich auch wenige Jahre zuvor hätten getätigt werden können: Allein die deutsche ›Kulturnation‹ als »Mutterboden« halte die »Heilkräfte« bereit, mit denen die nationalsozialistischen »Krankheitserreger restlos aus dem deutschen Volkskörper« ausgeschieden werden könnten. Insbe-

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Vgl. hierzu: G. Stötzel (1995b), S. 356–359. Vgl. hierzu H.-U. Wehler (1995), S. 951. G. Stötzel (1995b), S. 364. Zu diesem Themenkomplex vgl. Kap. V.1, S. 121–123.

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sondere der im NS propagandistisch stark benutzte Begriff des »Volkskörpers« überrascht an dieser Stelle. Röntgen lässt die Formulierung sowohl inhaltlich wie auch in der gedruckten Ausgabe der Rede gänzlich unkommentiert. Er verfügt offenkundig nicht über ein Bewusstsein für die jüngste Sprachgeschichte des Begriffs, vor allem nicht für dessen zwischenzeitliche Diskreditierung. Ähnlich unterschiedliche sprachliche Bewusstseinslevels der einzelnen Redner lassen sich auch bei der Verwendung der diskurs-typischen ›Schlüsselwörter‹ beobachten. An der Beispiel-Paarung der Begriffe Europa und Abendland, die beide mit einer hohen Frequenz im Diskurs fallen, lässt sich dies sehr gut exemplifizieren. Ein Redner wie der Moraltheologe Theodor Steinbüchel befasste sich in seiner Tübinger Antrittsrede 1946 sehr distinguiert mit diesen beiden Entitäten und ihrer geschichtlich-begrifflichen Entwicklung. In vielen anderen Reden werden sie hingegen schlicht als Formulierungsvarianten ohne tiefere semantische Unterscheidung benutzt.

4. Gliederung Die folgenden Kapitel führen zunächst in die Rahmenbedingungen des Diskurses ein. Der erste Teil dieses Großkapitels beschreibt kurz Situation der Universitäten und Technischen Hochschulen in den vier Besatzungszonen für die Nachkriegsjahre. Danach wird der Kreis der Rektoren und ihrer persönlichen Hintergründe vorgestellt, die als Redner die Akteure dieses Diskurses sind. Der letzte Teil führt in die Quellengattung der Rektoratsrede mit ihren Besonderheiten für die Nachkriegszeit ein. Danach folgt die Untersuchung des Diskurses. Die Reden der Rektoren sind dominiert von drei großen Themenbereichen: Zunächst erörtern die Redner extensiv ihre krisenhafte Wahrnehmung der Gegenwart inklusive deren Hintergründe sowie Auswege daraus. Wichtigster Anknüpfungspunkt in diesem Umfeld ist die Kultur – Internationalität, gerade auch im europäischen Raum, und eine Wiederbelebung moralischer Instanzen stehen dabei im Fokus der Rektoren. Zu guter Letzt brechen die Redner all diese Themen auf ihre Institutionen herunter mit der Frage, wie die Hochschule der Zukunft auszusehen habe, um ihre Aufgaben innerhalb der Gesellschaft wahrnehmen zu können. Die Krise der Gegenwart ist für die deutsche Nachkriegsgesellschaft eines der bestimmenden Themen. Neben der physisch erfahrbaren Zerstörung herrschte bei vielen Zeitgenossen der Eindruck, gleichermaßen in einer zerstörten Gesellschaft zu leben. Alle Lebensbereiche waren von dieser Krisenerfahrung betroffen. Die Verarbeitung dieser Krise nimmt in den Reden der Nachkriegsrektoren einen gewichtigen Teil ein, im Hinblick auf die Gesellschaft insgesamt wie auch im Hinblick auf die Hochschulen, und wird im ersten Teil dieses Großkapitels untersucht. Der zweite Teil nimmt die Erklärungsversuche der Redner in den Blick, wie es zu einer Krise dieses Ausmaßes kommen konnte, um schließlich

Gliederung 

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im letzten Teil dieses Kapitels die Auswege näher zu beleuchten, welche die Redner aufzeigen. In allen drei Zeitabschnitten – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – sind die Kultur und ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen einer der Haupt­ bezugspunkte für die Redner. Die Krise der Gegenwart bewerten die Redner in erster Linie kulturell. Der Verfall der Kultur ist der am meisten referenzierte Grund, warum die Krise überhaupt heraufzog. Gleichermaßen gilt die Wiederbelebung von Kultur als sicherster Ausweg daraus. Verschiedene kulturelle Aspekte beleuchten die Redner intensiv. Dazu gehören zum einen die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern allgemein. Die Verbindungen im eigenen abendländisch-europäischen Kulturkreis unterstreichen die Rektoren insbesondere. Darüber hinaus verweisen sie auf eine übergeordnete moralische Instanz, die entweder in Form des humanistischen Gedankens oder aber auch einer religiösen Bindung dem Einzelnen wieder Rückhalt bieten solle. Jeder dieser drei Punkte wird in einem eigenen Unterkapitel betrachtet. Nachdem in den zwei vorangegangenen Großkapiteln der Blick sehr stark auf allgemein-gesellschaftliche Analysen und Vorstellungen der Redner gerichtet war, wendet er sich nun ihren Schlussfolgerungen in Bezug auf die Hochschule zu. Ihre im vorherigen bereits dargelegten Ansichten treffen auch auf die Institution Hochschule zu, verfeinern sich aber durch die speziellen Gegebenheiten dieser Einrichtung noch weiter. Die Verfasstheit der deutschen Hochschule als Heimstätte für die Gemeinschaft aus Forschung und Lehre stellt den unangefochtenen Ausgangspunkt der rektoralen Überlegungen dar. Ein einfaches Zurück zu den Zuständen vor 1933 halten die Redner jedoch für unmöglich. Die Rolle, welche die Wissenschaft in der Zukunft einnehmen solle bzw. könne, ist somit Gegenstand weiterführender Überlegungen. Ebenso überdenken sie die konzeptionellen und organisatorischen Strukturen der Hochschule, die  – wie zu den Glanzzeiten der vormodernen Universität  – wieder mehr einen gemeinschaftlichen Aspekt betonen sollten. Hinsichtlich der Ausbildung der jungen Generation sehen die Redner indes die Notwendigkeit, neue Wege zu beschreiten. Der letzte Teil dieses Großkapitels sammelt entsprechend die Vorschläge und Konzepte für eine Reform der Hochschule.

II. Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

Zentraler Dreh- und Angelpunkt der Rektoratsrede ist die Hochschule. Sie ist der physische Ort, von dem aus die Rede ihre Verbreitung findet. Genauso stellt sie den ideellen Ort dar, auf den die Rede inhaltlich referenziert. Sie ist Raum von Wissenschaft und Forschung genauso wie von Bildung und Ausbildung. Sie gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen und aus dem heraus der Rektor sein Wirken entfalten kann. Als öffentliche Einrichtung steht sie darüber hinaus zur gleichen Zeit in Kontakt mit Gesellschaft und Staat. Zu Ausgang des Zweiten Weltkriegs war dieses stolze Bild der Hochschule weit entrückt. Das Hochschulleben lag darnieder, der Vorlesungsbetrieb war eingestellt, die Forschungsreinrichtungen, Bibliotheken etc. zu großen Teilen ausgelagert oder zerstört, die Hochschulangehörigen selbst kriegsbedingt weit verstreut. Die zwölf Jahre des nationalsozialistischen Regimes hatten tiefe Spuren auch an der Hochschule hinterlassen. Das nationalsozialistische Hochschulkonzept hatte traditionelle Formen der Hochschulorganisation abgelöst, unter anderem durch die Übertragung des Führer-Prinzips in den universitären Bereich. Die akademische Selbstverwaltung fand sich auf ein Minimum beschnitten, die gesamte Institution stark dem politischen Willen der Machthaber unterworfen. Bei allen Hochschulen befand sich zu Kriegsende ein Gros der Universitätsangehörigen – sowohl der Studenten wie auch der Dozenten – zunächst noch andernorts. Überall jedoch fand sich eine Gruppe von Professoren wie auch anderen der Hochschule nahestehenden Personen, die sich an eine baldige Wiedereröffnung machten, vielfach bereits vor Einnahme der jeweiligen Stadt durch die alliierten Armeen.1 Ziel war es, Fakten zu schaffen, die Hochschule als kontinuierlich agierende Einrichtung zu präsentieren, die sich selbst vom nationalsozialistischen Einfluss befreit hatte, um der Institution im Übergang die Existenz zu sichern. In den meisten Fällen waren diese Maßnahmen erfolgreich und die Hochschulen wurden spätestens im Laufe des Jahres 1946 wiedereröffnet.2 In 1 So zu beobachten beispielsweise in Berlin, Göttingen, Greifswald, Hamburg, Heidelberg, Jena, Leipzig, Münster, Tübingen oder Würzburg. Vgl. hierzu R. Boch (2004), S. 129 f. 2 Die Geschehnisse an den einzelnen Hochschulstandorten variieren sowohl in ihren Abläufen wie in der Zusammensetzung der an ihnen beteiligten Interessengemeinschaften. Eine eigene Untersuchung der Geschichte der Wiedereröffnung der deutschen Hochschulen liegt bislang nicht vor. Aufschluss geben jedoch die einzelnen Hochschulgeschichten. Kurze Zusammenfassungen der Wiederaufnahme des Betriebes an den deutschen Universitäten finden sich bspw. Bei R. Boch (2004), S. 17–37 oder bei J. John (1998), S. 15–39 inkl. Tabellarischer Übersicht auf S. 449–452. Der Ansicht Johns, die deutschen Universitäten seien reformunwillig gewesen und hätten sich »mit einigen rituellen und personellen Korrekturen«

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wenigen Fällen, wie beispielsweise bei der Ludwigs-Universität in Gießen, gelang dies nicht in vollem Umfang. Die Universität in Gießen wurde 1946 zunächst geschlossen. Es bestanden jedoch weiterhin eine Hochschule für Bodenkultur und Veterinärmedizin sowie eine Medizinische Akademie. Nachdem diese bereits 1950 organisatorisch vereinigt worden waren, wurde die daraus entstandene Hochschule jedoch erst 1957 wieder in den Rang einer Universität erhoben.3 Wichtig für die Überführung der Hochschulen aus der – nun – nationalsozialistischen Vergangenheit in eine noch ungewisse Zukunft war auch die Installation von neuem Führungspersonal. In Ermangelung aktualisierter Satzungen oder durch sie legitimierter Hochschulorganen wählten in vielen Fällen die Wiederaufbaugremien Übergangsrektoren, meist auf Basis der Hochschulsatzung aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Teilweise geschah dies auch bereits in Absprache mit den Besatzungsmächten bzw. auf Ernennung durch diese hin. Die so ins Amt gekommenen Rektoren blieben meist nur bis zur Möglichkeit regulärer Wahlen im Amt,4 wurden aber teilweise auf diese Art auch nachträglich legitimiert und füllten danach eine oder gar mehrere Amtszeiten aus – im Extrembeispiel der Universität Köln blieb der Übergangsrektor Josef Kroll durch mehrfache Wiederwahl bis 1949 im Amt5. An anderer Stelle, wie zum Beispiel in Braunschweig, wurde der erste Nachkriegsrektor Gustav Gassner im Juli 1945 zunächst ohne Wahl vom zuständigen Bildungsministerium in Abstimmung mit der britischen Besatzungsmacht ernannt. Gassner amtierte, nachdem er a, 17. April 1946 durch eine ordnungsgemäße Wahl im Amt bestätigt worden war, bis 1948 und fungierte darüber hinaus als Mitbegründer und Vorsitzender der Nordwestdeutschen Hochschulkonferenz.6 Wie auf das deutsche Nachkriegsleben allgemein hatten die Besatzungsmächte ebenso auf die sich wieder formierenden Hochschulen großen Einfluss. Nachdem sie zunächst alle Hochschulen geschlossen hatten, begleiteten sie deren Wiederöffnungsprozess unter anderem durch die extra von der Besatzungsver-

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zufriedengeben wollen, ist hier zu widersprechen. Nicht nur von außen, sowohl in Form alliierter Forderungen wie durch den intellektuellen deutschen Nachkriegsdiskurs, wurde die Notwendigkeit einer Reform des Hochschulausbildungssystems an die Institutionen herangetragen. Auch im Inneren der Hochschulen herrschte zu diesem Thema viel Diskussion, wie es letztlich die Rektoratsreden jener Jahre belegen. Vgl. hierzu auch B. Wolbring (2007). Zur Geschichte der Universität Gießen vgl. E.-M.  Felschow / C .  Lind / N.  Busse (2008) und P. Moraw (1982). So zum Beispiel Johannes Hoops in Heidelberg, der noch 1945 von Karl Heinrich Bauer abgelöst wurde. Ähnlich lag der Fall auch in Darmstadt, wo Wilhelm Schlink in Absprache mit der amerikanischen Besatzungsmacht ab April 1945 dem Vertrauensausschuss an der TH vorstand, bis im November desselben Jahres Erich Reuleaux das Rektorat übernahm. Zur Wahl, Wiederwahl und schließlich Abwahl Josef Krolls als Rektor der Universität Köln vgl. B. Heimbüchel (1988). Weitere Beispiele von Rektoren, die über die Übergangszeit hinaus im Amt bestätigt wurden finden sich z. B. mit Rudolf Smend in Göttingen, Emil Wolff in Hamburg, Friedrich Zucker in Jena oder Josef Martin in Würzburg. Vgl. hierzu F. Moeller (Hg.) (1952), S. 220; M. Heinemann (1990), S. 1–30.

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waltung abgestellten Hochschuloffiziere. Im Einzelnen unterschied sich dieser Prozess zunächst zwischen den unterschiedlichen Besatzungszonen und lief aufgrund der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten auch innerhalb der Zonen nicht an jedem Standort in gleicher Art und Weise ab. Vor dem Hintergrund der zügig eingeleiteten Denazifikation behielten sich die Alliierten ein entscheidendes Mitspracherecht in der Besetzung der Rektorate vor. Die zuständigen Stellen prüften und bestätigten an den Hochschulen von internen Gremien gewählte Rektoren oder schalteten sich in komplexere Wahlvorgänge ein. So beispielsweise bei der Besetzung der Nachfolge des letzten NS-Rektors an der Universität Marburg. Nachdem der gewählte Theologe Heinrich Frick das Amt ablehnte, entschieden die amerikanischen Zuständigen, den Juristen Julius Ebbinghaus als Rektor einzusetzen, der in der Wahl die zweitmeisten Stimmen erhalten hatte, was universitätsintern jedoch sehr kritisch gesehen wurde.7 An der TH München wurden gar die ersten beiden Nachkriegsrektoren, Übergangsrektor Hans Döllgast und Wiedereröffnungsrektor Georg Faber, durch die amerikanische Militärregierung ernannt.8 Die hochschulpolitischen Unternehmungen der alliierten Besatzungsbehörden beschränkten sich indes nicht nur auf die Wiederingangsetzung der bestehenden Hochschulen, sondern führten an verschiedenen Stellen auch zur Gründung neuer Hochschulen. Besondere Aktivität legte hier die französische Besatzungsmacht an den Tag. Sie gründete im Verlauf der Jahre zwischen 1946 und 1948 sowohl die Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz nebst dem später eingegliederten Dolmetscherinstitut Germersheim wie auch die Universität des Saarlandes und die Akademie für Verwaltungswissenschaften, ab 1950 Hochschule für Verwaltungswissenschaften, in Speyer. Die einzelnen Gründungen hatten in der Zielsetzung, den französischen Einfluss auf linksrheinisch deutschem Gebiet möglichst zu stärken,9 einen gemeinsamen Hintergrund, unterschieden sich jedoch in ihren Ausrichtungen und Organisationsformen.10 Während die Speyerer Hochschule in erster Linie auf die Ausbildung von Beamten im höheren Dienst ausgelegt war – und daher an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden soll –,11 verfolgte die französische Militärregierung mit der Gründung der beiden Universitäten andere Ideen. Das neu gegründete Bundesland Rheinland-Pfalz sollte aus Sicht der französischen Stellen ein möglichst starkes Bundesland werden und daher nicht ohne Universität bleiben. Der Leiter der Kultur- und Erziehungsabteilung der französischen Militärregierung Raymond Schmittlein setzte sich für die Grün7 Zur Amtsübernahme durch Julius Ebbinghaus vgl. E. Schwinge (1997), S. 110 ff. 8 M. Pabst / M. Fuchs (2006), Bd. 1, S. 353–355. 9 Vor allem mit Blick auf die Option, einen autonomen Rheinstaat zu gründen, die die Franzosen nach Kriegsende für möglich hielten. 10 Zu den politischen Hintergründen der französischen Hochschulpolitik vgl. R. Hudemann (1989). 11 Zur Geschichte der Hochschule für Verwaltungswissenschaften siehe R. Morsey (1997).

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dung einer Universität am Standort Mainz ein, der aus Sicht der französischen Militärregierung über die größten Vorteile auf geographischer, politischer und wirtschaftlicher Ebene verfügte. Er beinhaltete daneben eine gewisse Symbolträchtigkeit, denn die alte Mainzer Universität war 1798 unter französischer Jakobiner-Herrschaft aufgehoben worden. Darauf aufbauend sollte der Universität ein Anstrich von Kontinuität verliehen werden, indem die Eröffnung der Hochschule als Wiederaufnahme des Betriebs kommuniziert wurde. Die französische Besatzungsmacht verband mit der Gründung der Johannes-Gutenberg-Universität eindeutige Reform-Vorstellungen. Sie sollte einen Gegenentwurf zu beiden anderen im französischen Besatzungsgebiet gelegenen Universitäten in Freiburg und Tübingen darstellen, die von Schmittlein als zu nationalistisch und zu unbeweglich eingeschätzt wurden, um einem neuen demokratischen Deutschland besondere Impulse geben zu können. Folglich sollte die neue Universität ein Zentrum der Umerziehung und der Ausbildung einer neuen Elite werden.12 Vor einem stark differierenden politischen Hintergrund ergab sich im Saarland, was die Hochschulsituation anging, eine bedingt vergleichbare Situation wie in Rheinland-Pfalz. Ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Siegermächte auf französisches Betreiben hin ein (teil-)autonomes Saargebiet geschaffen, das in starker Beziehung zu Frankreich stand. Auch hier gab es – wie im neu formierten Land Rheinland-Pfalz – keine Universität. Um der Saarbevölkerung den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen, belebte die Militärregierung zunächst die Ausbildungskurse für Mediziner an der Landesklinik Homburg wieder, die es bereits in den dreißiger Jahren gegeben hatte – zunächst als Übergangslösung. Nach Bemühungen um eine Anbindung der Kurse an die frisch gegründete Mainzer Universität, die jedoch ohne Erfolg blieben, engagierte sich schließlich die Université de Nancy und nahm fürs erste die Mediziner-Kurse unter ihre Fittiche. Im März 1947 wurde die Außenstelle Homburg in den Status eines ›Institut d’Etudes Supérieures‹ erhoben, womit sich auf französischer Seite die Intention verband, das Bildungsangebot über die medizinische Ausbildung hinaus zu erweitern. Die französische Saarpolitik jener Jahre zielte, wie Armin Heinen es beschreibt »neben der kulturellen Eigenständigkeit gegenüber Deutschland, der Stärkung der saarländischen Autonomie« auch auf die »Verankerung eines positiv verstandenen Einflusses der französischen Kultur«, um darüber wiederum politischen Einfluss zu gewinnen. Im Februar 1948 begannen in Homburg neben den weiterlaufenden Kursen in Medizin auch geisteswissenschaftliche, naturwissenschaftliche und juristische Kurse nach französischem Vorbild. Bereits zuvor war von französischer Seite aus eine Verlegung des Instituts nach Saarbrücken angedacht worden, während von saarländischer Seite Zweifel an der Überlebensfähigkeit der Einrichtung bestanden. Die französischen Stellen sagten schließlich entsprechende Unterstützung zu, formten die im Frühjahr 1948 gegründete Hochschule jedoch nach französischem Vorbild und 12 Vgl. hierzu C. Defrance (1994), S. 117–130 wie auch H. Mathy (1997), S. 15–39.

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beriefen bis zur Eingliederung des Saarlands in die Bundesrepublik ausschließlich französische Professoren ins Rektoramt.13 Die politischen Sonderbedingungen im Saarland und die starke Anlehnung der Universität an das französische Hochschulmodell heben die Hochschule klar von den hier betrachteten Einrichtungen ab. Die ersten Hochschulvorstände waren Professoren französischer Provenienz. Die Tradition der Rektoratsrede wurde an der Universität entsprechend zunächst nicht nach deutschem akademischem Brauch gepflegt. Aus diesen Gründen soll die Universität in dieser Untersuchung nicht weiter berücksichtigt werden. Trafen die französischen Besatzer mit ihren Gründungsvorhaben vor Ort jeweils auf entsprechende bereits vorhandene Bestrebungen, derartige Projekte zu initiieren, zu befürworten und zu unterstützen, so ergab sich in Berlin eine gänzlich andere Motivation einer weiteren Hochschulgründung der direkten Nachkriegsphase. Die vormalige Friedrich-Wilhelms-Universität, nun im sowjetischen Sektor Berlins liegend, war nach ihrer vorübergehenden Schließung im Januar 1946 als ›Lindenuniversität‹ wiedereröffnet worden. Dass die sowjetische Administration bald begann, in steigendem Maße Einfluss auf Hochschulinterna zu nehmen, stieß universitätsintern auf Widerstand, der bis hin zur Verhaftung mehrerer Studenten und Dozenten führte. Ab dem Herbst 1947 wurden im Umfeld der Hochschule erstmals Forderungen nach Gründung einer neuen Universität laut, die im April 1948 in einer Protestwelle gegen die politische Infiltration der Hochschule kulminierten. Daraufhin begann schließlich die amerikanische Militärregierung die Möglichkeit zu prüfen, eine neue Hochschule im Westteil Berlins zu gründen. Im Juni nahm ein Ausschuss zur Gründungsvorbereitung seine Arbeit auf, der sich aus Studenten, Dozenten, sonstigen Universitätsangehörigen wie auch aus Personen aus dem Hochschul-Umfeld zusammensetzte und der sich an die Öffentlichkeit mit der Bitte um Unterstützung wandte. Unter dem Eindruck der Berlin-Blockade, die die Stadt ab Ende Juni 1948 traf, befürwortete letztlich auch der Berliner Magistrat das Projekt und eine Satzung konnte erarbeitet werden, auf deren Grundlage die Freie Universität am 4. Dezember 1948 gegründet wurde. Bereits einen Monat vor der feierlichen Eröffnung der Freien Universität wurde am 4. November 1948 die Satzung der neuen Hochschule verabschiedet. Sie galt als die modernste Hochschul-Verfassung ihrer Zeit. Sie erkannte die Studentenschaft als offizielles ›Organ‹ der Universität an und stattete sie mit weitreichenden Befugnissen sowohl in der studentischen Selbstverwaltung wie auch innerhalb der Gesamt-Verwaltung der Universität aus. Erstmals waren an einer deutschen Universität studentische Vertreter als Mitglieder im Senat – im Fall der FU ebenfalls im Kuratorium – an zentralen Fragen der akademischen Selbstverwaltung bis hin zur Berufung von Professoren beteiligt. Das Kura­ 13 R. Hudemann (1989) und A. Heinen (1989).

30

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torium nahm an der FU gleichermaßen eine Sonderfunktion ein, wie sie an anderen Hochschulen nicht existierte. Neben den Vertretern der Universität nahmen darin die obersten Vertreter des Landes Berlin sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Platz. Zu den Aufgaben des Kuratoriums gehörte es, das Budget der Universität direkt im Zusammenspiel mit der Landesregierung festzulegen, ohne es einem dazwischen geschalteten Kultusministerium vorlegen zu müssen.14 Die Gründer der Freien Universität wollten mit diesen Strukturen eine vorbildgebende Reformuniversität schaffen, die möglicherweise auch andere deutsche Hochschulen zur Nachahmung anregte. Der Ansatz ist keineswegs als radikal zu anzusehen. Die hochschulinternen Ämter beispielsweise wurden mitsamt ihren Funktionen aus dem klassischen Hochschulmodell übernommen. Zusammen mit dem von flammender Aufbruchsstimmung geprägten Gründungsgeist erweckte die junge Hochschule jedoch sogar Bewunderung auf Seiten der amerikanischen Besatzungsmacht. Diesen Gründungsaktivitäten im universitären Umfeld stand auf der Seite der Technischen Hochschulen kein direktes Pendant gegenüber. Ein ähnliches Gründungsprojekt für eine vergleichbar breit angelegte neue Technische Hochschule zeichnete sich weder in den Nachkriegsjahren noch in den darauffolgenden knapp zwei Jahrzehnten ab. Allein in der DDR sollte zu Beginn der fünfziger Jahre einem Beschluss des Ministerrats zufolge der technologische Fortschritt befördert werden, indem zusätzliche technische Bildungseinrichtungen mit einem jeweils spezialisierten Fokus gegründet wurden. Insgesamt sieben Spezialhochschulen an unterschiedlichen Standorten wurden in den Jahren 1952 bis 1954 ins Leben gerufen.15 Nach dem sowjetischen Vorbild der spezialisierten Ausbildung wurden die neuen Hochschulen jedoch zunächst nicht als den Technischen Hochschulen gleichrangig eingestuft. Dies geschah erst Anfang der sechziger Jahre. Ab diesem Zeitpunkt wurde auch im Westen Deutschlands über eine Aufstockung der technisch orientierten Hochschulen nachgedacht, was schließlich zur Gründung neuer THs wie beispielsweise in Hamburg-Harburg oder Kaiserslautern führte, beziehungsweise was über die Konzeption der Fachhochschule in die Begründung einer neuen Hochschulform mündete. Die größte Veränderung unter den Technischen Hochschulen der direkten Nachkriegszeit, was ihren Status als Hochschule anging, vollzog die Technische Hochschule in Berlin, die bei ihrer Wiedergründung 1946 in »Technische Uni14 Hochschule im Umbruch (1978), S. 50. Zur Gründung der FU Berlin vgl. außerdem S. Lönnendonker (1987) und K. Kubicki (Hg.) (2008). 15 Hochschule für Verkehrswesen in Dresden (1952), Hochschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg (1953), Hochschule für Maschinenbau in Karl-Marx-Stadt (1953), Hochschule für Elektrotechnik in Ilmenau (1953), Technische Hochschule für Chemie in Leuna-Merseburg (1954), Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar (1954), Hochschule für Bauwesen in Leipzig (1954). Vgl. hierzu A. Malycha (2002), S. 102; C. Pieper (2012), S. 58 f.

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

31

versität« umfirmierte. Dies geschah nicht zuletzt auch aus einer praktischen Erwägung heraus: Die Bezeichnung ›Technische Hochschule‹ ließ sich schwer in andere Sprachen übersetzen, ohne den Charakter als weiterführende Ausbildungsstätte zu verlieren. Infolgedessen hatte man die Gebäude der TH direkt nach der Besetzung Berlins, wie Werner Hahmann in einer rückblickenden Darstellung es beschreibt, mit einem dreisprachigen Schild versehen, das sie in Deutsch wie auch in Englisch und russisch als ›Technische Universität‹ kenntlich machte und so vor möglichen Übergriffen schützen sollte.16 Daneben spielten auch »programmatische Überlegungen« eine Rolle.17 In seiner Gründungsansprache begründete Rektor Walter Kucharski den Schritt folgendermaßen: »Die Neuheit des Namens drückt aus, dass wir der Zukunft nicht mit sämtlichem alten Gepäck entgegenzugehen brauchen, sondern dass die Türen für einen neuen Geist geöffnet sind. Und durch die Bezeichnung ›Universität‹ wird unmißverständlich daran erinnert, dass eben unsere heutigen Bestrebungen auf die universitas humanitatis gerichtet sind, auf die Allgemeinheit, die Allseitigkeit der Menschlichkeit.«18

Die Hochschule habe für diese Umbenennung, so Kucharski weiter in seiner Rede, einige Kritik einstecken müssen. Dem Vorwurf, die »Universitas« werde »durch die Hinzufügung des Beiwortes Technik eingeschränkt«, begegnete er mit einer ausführlichen Darstellung des eigenen Anspruchs, den Ingenieurberuf breit anzulegen. Der Ingenieur sei demnach nicht mit der Technik in ihrer reinen Form befasst, sondern nutze diese auf kreative Art. Er sei damit – »bei aller Bescheidenheit« – der Tätigkeit des Künstlers verwandt. Um bei künftigen Ingenieuren den Blick über den Tellerrand hinaus zu weiten, müsse die Ausbildung des Ingenieurs in die Breite gehen und eine »allgemeinere Bildung unserer Persönlichkeit« ermöglichen. Vor diesem Hintergrund stelle die Umfirmierung zu einer Technischen Universität den folgerichtigen Schritt dar.19 Mit dem Wechsel ihrer Bezeichnung gab die TU Berlin gleichzeitig einem zentralen Punkt in der allgemeinen hochschulpolitischen Nachkriegsdiskussion Ausdruck, die eine breitere Ausbildung mit einer speziellen Förderung der Charakterbildung forderte.20 Einen Überblick über die Universitäten und Technischen Hochschulen, die nach 1945 wieder oder erstmals ihren Betrieb aufnahmen und deren Rektoren mit ihren Reden Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind, gibt folgende Tabelle: 16 W. Hahmann (1963), S. 14. Ergänzend dazu H. Ebert (1976), S. 6 f. 17 Zur Gründung und Namensgebung der TU vgl. P. Brandt (1979), S. 498–501 und R. Rürup (1979), S. 29–34. Vgl. hierzu auch Kap. VII.2, S. 278. 18 W. Kucharski (B TU 1946), S. 12. 19 W. Kucharski (B TU 1946), S. 12. Zur Entwicklung der TU Berlin in der Nachkriegszeit vgl. als zeithistorisches Dokument die Festschrift zur 150-Jahr-Feier, J. Becker (1949). 20 Siehe B. Wolbring (2014), S. 338 f.

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Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

Tabelle 1: Universitäten und THs, die zwischen 1945 und 1950 in Deutschland aktiv waren, gelistet nach Besatzungszonen (siehe farbliche Hinterlegung) jeweils zuerst die Universitäten, dann die THs. Hochschule

Ort

Zone

Typ

(Wieder)eröffnung

Rheinische FriedrichWilhelms-Universität

Bonn

GB

Uni

17.11.1945

Georg-August-Universität

Göttingen

GB

Uni

17.09.1945

Universität Hamburg

Hamburg

GB

Uni

06./08.11.1945

Christian-AlbrechtsUniversität

Kiel

GB

Uni

27.11.1945

Universität zu Köln

Köln

GB

Uni

10.12.1945

Westfälische WilhelmsUniversität

Münster

GB

Uni

03. / 05.11.1945

Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule

Aachen

GB

TH

03.01.1946

Technische Universität Berlin (vormals: Technische Hochschule Charlottenburg)

Berlin

GB

TH

09.04.1946

Technische Hochschule Carolo-Wilhelmina

Braunschweig

GB

TH

13.11.1945

Berg­a kademie ClausthalZellerfeld

ClausthalZellerfeld

GB

BA

12.06.1946

Technische Hochschule Hannover

Hannover

GB

TH

12.11.1945

Albert-Ludwigs-Universität

Freiburg

F

Uni

17.09./03.12.1945

Johannes-GutenbergUniversität

Mainz

F

Uni

22.05.1946

Eberhard-Karls-Universität

Tübingen

F

Uni

20.08./15.10.1945

Freie Universität

Berlin

USA

Uni

04.12.1948

Friedrich-AlexanderUniversität

Erlangen

USA

Uni

11.1945/05.03.1946

Johann-Wolfgangvon-Goethe-Universität

Frankfurt /  Main

USA

Uni

01.02.1946

Ruprecht-Karls-Universität

Heidelberg

USA

Uni

15.08.1945/07.01.1946

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

33

Hochschule

Ort

Zone

Typ

(Wieder)eröffnung

Philipps-Universität

Marburg

USA

Uni

25.09.1945

Ludwig-MaximiliansUniversität

München

USA

Uni

02.1946/23.07.1946

Bayerische JuliusMaximilians-Universität

Würzburg

USA

Uni

15.10.1945/12.03.1947

Technische Hochschule Darmstadt

Darmstadt

USA

TH

07.01.1946

Technische Hochschule Fridericiana

Karlsruhe

USA

TH

15.02.1946

Technische Hochschule München

München

USA

TH

08.04.1946

Technische Hochschule Stuttgart

Stuttgart

USA

TH

23.02.1946

Humboldt-Universität (vormals: FriedrichWilhelms-Universität)

Berlin

SU

Uni

20./29.01.1946

Ernst-Moritz-ArndtUniversität

Greifswald

SU

Uni

15.02.1946

Martin-Luther-Universität

Halle

SU

Uni

01.02.1946

Friedrich-SchillerUniversität

Jena

SU

Uni

15.10.1946

Universität Leipzig

Leipzig

SU

Uni

05.02.1946

Universität Rostock

Rostock

SU

Uni

25.02.1946

Technische Hochschule Dresden

Dresden

SU

TH

01.10.1946

Berg­a kademie Freiberg

Freiberg

SU

BA

08.02.1946

34

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

Die Hochschulen unterscheiden sich in der Zahl der Rektoren, die in den Jahren zwischen 1945 und 1950 jeweils der Institution vorstanden, sehr stark voneinander. Traditionell hatte der Rektoratswechsel an den deutschen Universitäten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im Jahresrhythmus erfolgt, ebenso an den Technischen Hochschulen seit dem zeitlichen Umfeld ihrer Status-Angleichung an die Universitäten. An verschiedenen, vornehmlich Technischen Hochschulen hatte sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein Turnus durchgesetzt, nach dem der Rektor zumeist für zwei Jahre im Amt verblieb.21 Dies hatte sich jedoch spätestens zu Zeiten des Nationalsozialismus zerschlagen. Da der Rektor nicht mehr gewählt, sondern von höherer Stelle ernannt wurde, entfiel der regelmäßige Wechsel im Amt zumeist. Nach Kriegsende setzte sich der verlängerte Verbleib im Amt, freilich mit wiederum veränderten (hochschul-)politischen Vorzeichen, an einer Vielzahl von Hochschulen in unterschiedlicher Form fort. Einige wenige Hochschulen wie etwa die TU Berlin, die TH Karlsruhe22, die Universität Heidelberg, die Universität Marburg23 oder die Universität Leipzig24 gingen nach der ersten Überbrückungsphase direkt zu einem regelmäßigen jährlichen, beziehungsweise zweijährlichen Amtswechsel über, wie im Fall der TH Aachen, TH Braunschweig, TH Darmstadt, TH Dresden, TH Stuttgart, den Bergakademien Clausthal-Zellerfeld und Freiberg sowie der Universität Erlangen. Einen gewissen Sonderfall stellt hierbei die Universität Göttingen dar. Auch dort erfolgte der Rektoratswechsel in den Nachkriegsjahren im Zweijahres-Rhythmus. Dies übernahm man hier jedoch zunächst noch aus dem Turnus der NS-Zeit, bis man ab 1952 wieder zu jährlichen Amtswechseln überging. An sehr vielen Hochschulen erfolgte der Rektoratswechsel zunächst jedoch recht schwankend, so dass an manchen Standorten über die fünf Nachkriegsjahre hinweg nur zwei unterschiedliche Rektoren ins Amt kamen,25 an anderen hingegen mehr als fünf. Im Extremfall Heidelberg traten sogar sieben Rektoren im Erfassungszeitraum ihr Amt an. An fast der Hälfte der 33 deutschen Hochschulen amtierten in den Jahren zwischen 1950 und 1950 jeweils vier Rektoren. Ein weiteres knappes Drittel der Hochschulen wurde im gleichen Zeitraum von jeweils drei Rektoren geleitet. Einen detaillierten Überblick gibt Diagramm 1:

21 So z. B. an der TH Aachen, TH Braunschweig, TH Darmstadt, TH München, TH Stuttgart bzw. den Bergakademien Clausthal-Zellerfeld und Freiberg. Vgl. hierzu die Rektorenlisten der deutschen Hochschulen in der Datenbank Rektoratsreden im 19. und 20. Jahrhundert, online verfügbar über die Website der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter: http://www.historischekommission-muenchen-editionen.de/rektoratsreden (Stand 25.03.2014). 22 In Karlsruhe ab 1950 zweijährlich. 23 In Marburg im Verlauf der 50er Jahre zweijährlich. 24 In Leipzig hatte der jährliche Rektoratswechsel bis zum Amtsantritt von Georg Mayer Bestand, dessen Rektorat bis 1964 andauern sollte 25 So etwa an den Universitäten Halle und Köln.

35

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit 14 13

12

10 9

8

6

6

4

2

0

2

2 1

2

3

4

5

6

7

Diagramm 1: Übersicht über die Anzahl der Rektoren pro Hochschule, sortiert nach Zahl der Rektoren (X-Achse) und Menge der Hochschulen mit dieser Anzahl an Rektoren von 1945 bis 1950 (Y-Achse).

Der Trend ging, wie das Diagramm zeigt, in den Nachkriegsjahren zu verlängerten Amtszeiten. Lediglich neun Hochschulen, also ein gutes Viertel der deutschen Hochschulen insgesamt, besetzten ihre Rektorate in den Jahren von 1945 bis 1950 fünfmal oder häufiger.26 Dabei bleibt anzumerken, dass auch diese neun Hochschulen keineswegs sofort und durchgehend zu den traditionell einjährigen Amtszeiten übergingen. Vielmehr kam es gerade in der Anfangszeit verstärkt zu schnelleren Wechseln in den Rektoraten, während es in den späteren Jahren teils zu deutlich längeren Amtszeiten kam.27 Allein die TU Berlin, die TH Karlsruhe, die Universität Heidelberg, die Universität Marburg sowie die Universität Leipzig weisen nach einer kurzen Übergangsphase 1945/46 durchgängig einjährige Rektorate auf. Gerade weil die Hochschulen erklärtermaßen nach einer Wiederherstellung vieler Elemente der akademischen Tradition strebten, ist die große personelle Kontinuität in den Rektoraten auffällig. Ob sie in Zeiten des Umbruchs als haltgebendes Moment empfunden wurde oder einem Engpass an geeignetem Personal geschuldet war, übersteigt die Analysemöglichkeiten dieser Studie. Dies wäre in einer gesonderten Untersuchung zu klären. Die folgenden Tabellen geben detaillierten Aufschluss über die Universitätsvorstände aller Universitäten und Technischen Hochschulen in den Akademischen Jahren zwischen 1945/46 und 1950/51, gegliedert nach den vier Besatzungszonen. 26 Dies sind mit jeweils fünf Nachkriegsrektoren die TH Berlin, TH Darmstadt, TH München, Universität Freiburg, Universität Marburg und Universität München; mit sechs Rektoren die TH Karlsruhe und Universität Leipzig; mit sieben Rektoren die Universität Heidelberg. 27 So z. B. an der Universität Freiburg oder den Technischen Hochschulen in Darmstadt und München.

36

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

Tabelle 2: Rektoren an den Hochschulen der Französischen Besatzungszone (Universitäten dunkel hinterlegt, Technische Hochschulen hell). Hochschule

Ort

1945/46

1946/47

1947/48

1948/49

1949/50

1950/51

AlbertLudwigsUniversität

Freiburg

Sigurd Janssen28

Arthur Allgeier

Constantin v. Dietze

Constantin v. Dietze

Gerd Tellenbach

Friedrich Oehlkers

JohannesGutenbergUniversität

Mainz

Josef Schmid

Josef Schmid29

August Reatz

Hellmut Isele

Hellmut Isele

EberhardKarlsUniversität

Tübingen

Walter Erbe

Walter Erbe

Helmut Thielicke

Arthur Allgeier –

August Reatz Hermann Schneider

Theodor Stein­ büchel

Theodor Stein­ büchel

28 Rücktritt am 13.12.1945 wegen der Ernennung Josef Schmids zum Professor an der Universität Freiburg auf Druck der französischen Besatzungsbehörde. Vgl. hierzu Ch. Baginski (1996), S. 357 f. 29 Abberufung am 13.10.1947 durch den Senat der Universität Mainz, vermutlich auf Beeinflussung durch die französische Besatzungsbehörde hin. Vgl. hierzu Ch. Baginski (1996), S. 360–363.

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

37

Tabelle 3: Rektoren an den Hochschulen der Britischen Besatzungszone (Universitäten dunkel hinterlegt, Technische Hochschulen hell). Hochschule

Ort

1945/46

1946/47

1947/48

1948/49

1949/50

1950/51

Rheinische FriedrichWilhelmsUniversität

Bonn

Heinrich Konen

Heinrich Konen

Martin Noth

Theodor Klauser

Theodor Klauser

Ernst Friesenhahn

GeorgAugustUniversität

Göttingen

Rudolf Smend

Friedrich Hermann Rein

Friedrich Hermann Rein

Ludwig Raiser

Ludwig Raiser

Wolfgang Trillhaas

Universität Hamburg

Hamburg

Emil Wolff

Emil Wolff

Rudolf Laun

Paul Harteck

Paul Harteck

Arthus Jores

ChristianAlbrechtsUniversität

Kiel

HansGeorg Creutzfeldt

HansGeorg Creutzfeldt

Hermann v. Mangoldt

Heinrich Rendtorff

Heinrich Rendtorff

Hans Diller

Universität zu Köln

Köln

Joseph Kroll

Joseph Kroll

Joseph Kroll

Joseph Kroll

Gotthold Bohne

Gotthold Bohne

Westfä­ lische WilhelmsUniversität

Münster

Georg Schreiber

Emil Lehnartz

Emil Lehnartz

Emil Lehnartz

Franz Beckmann

Franz Beckmann

RheinischWestfälische Technische Hochschule

Aachen



Paul Röntgen

Paul Röntgen

Wilhelm Müller

Wilhelm Müller

Wilhelm Fucks

Technische Universität Berlin

Berlin



Walter Kucharski

Jean D’Ans

Kurt Apel

Hans Freese

Walter Pflaum

Technische Hochschule CaroloWilhelmina

Braunschweig

Gustav Gassner

Gustav Gassner

Hans Herloff Inhoffen

Hans Herloff Inhoffen

Hans Herloff Inhoffen

Paul Koeßler

Berg­ akademie ClausthalZellerfeld

ClausthalZellerfeld

Gerhard Krüger

Gerhard Krüger

Gerhard Krüger

Günter Wassermann

Günter Wassermann

Friedrich Johannsen

Technische Hochschule Hannover

Hannover

Conrad Müller

Otto Flachsbart

Otto Flachsbart

Walter Großmann





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Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

Tabelle 4: Rektoren an den Hochschulen der US-amerikanischen Besatzungszone (Universitäten dunkel hinterlegt, Technische Hochschulen hell). Hochschule

Ort

Freie Universität

Berlin

FriedrichAlexanderUniversität

Erlangen

1945/46 –

1946/47 –

1947/48 –

1948/49

1949/50

1950/51

Friedrich Meinecke

Edwin Redslob

Hans Kress v. Kressenstein

Theodor Süß

Eduard Brenner

Eduard Brenner

Friedrich Baum­ gärtel

Friedrich Baum­ gärtel

Rudolf Pohle

FrankJohannWolfgangfurt / Main von-GoetheUniversität

Georg Hohmann

Walter Hallstein

Walter Hallstein

Franz Böhm

Boris Rajewsky

Boris Rajewsky

RuprechtKarlsUniversität

Heidelberg

Johannes Hoops30

Hans v. Campenhausen

Wolfgang Kunkel

Karl Geiler

Karl Freudenberg

Gerhard Hess

PhilippsUniversität

Marburg

Julius Ebbinghaus

Friedrich Matz

Heinrich Frick

Gerhard Albrecht

Gerhard Albrecht

Alfred Benninghoff

LudwigMaximiliansUniversität

München

Albert Rehm31

Georg Hohmann

Aloys Wenzl

Walter Gerlach

Walter Gerlach

Walter Gerlach

Bayerische JuliusMaximiliansUniversität

Würzburg

Josef Martin

Josef Martin

Ernst Rösser

Ernst Rösser

Ernst Hoyer

Karl H. Bauer

Karl Vossler32 Ferdinand Flury33 Josef Martin

30 Kommissarisches Rektorat bis Wiedereröffnung der Universität Heidelberg am 15.08.1945. Vgl. hierzu J. Hoops (HD RKU 1945), S. 13. 31 Kommissarisches Rektorat bis Teil-Wiedereröffnung der Universität München im Februar 1946. Vgl. W. Müller (1997), S. 56 f. 32 Kommissarisches Rektorat bis Wiedereröffnung der Universität München im Juli 1946. 33 Kommissarisches Rektorat bis zu seiner Entlassung im Juli 1945 wegen Beteiligung an Kampfgasforschung und -einsatz im NS. Vgl. seinen Eintrag im Personenlexikon zum Dritten Reich.

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

39

Hochschule

Ort

1945/46

1946/47

1947/48

1948/49

1949/50

1950/51

Technische Hochschule Darmstadt

Darmstadt

Wilhelm Schlink34

Richard Vieweg

Gustav Mesmer

Gustav Mesmer

Alfred Mehmel

Alfred Mehmel

Technische Hochschule Fridericiana

Karlsruhe

Rudolf Plank

Theodor Pöschl

Hans Jungbluth

Paul Günther

Ernst Terres

Hermann Backhaus

Technische Hochschule München

München

Hans Döllgast35

Robert Vor­hoelzer

Ludwig Föppl

Hans Piloty

Hans Piloty

Hans Piloty

Technische Hochschule Stuttgart

Stuttgart

Richard Grammel

Richard Grammel

Otto Schmitt

Otto Schmitt

Erich Siebel

Erich Reuleaux

Georg Faber36 Richard Grammel

34 Kommissarisches Rektorat bis Wiedereröffnung der TH Darmstadt im Januar 1946. Vgl. seinen Eintrag im Verzeichnis der Hochschullehrer der TH Darmstadt. 35 Kommissarisches Rektorat direkt nach Kriegsende, widmete sich dann vermehrt dem Wiederaufbau. 36 Kommissarisches Rektorat bis zu Wiederaufnahme des Lehrbetriebs im SS 1946.

40

Foren – Hochschulen im Deutschland der Nachkriegszeit

Tabelle 5: Rektoren an den Hochschulen der Sowjetischen Besatzungszone (Universitäten dunkel hinterlegt, Technische Hochschulen hell). Hochschule

Ort

1945/46

1946/47

1947/48

1948/49

1949/50

1950/51

HumboldtUniversität

Berlin

Eduard Spranger

Johannes Stroux

Hermann Dersch

Hermann Dersch

Walter Friedrich

Walter Friedrich

Rudolf Seeliger

Rudolf Seeliger

Rudolf Gross

Rudolf Gross

Hans Beyer

Johannes Stroux ErnstMoritzArndtUniversität

Greifswald

MartinLutherUniversität

Halle

Otto Eißfeldt

Otto Eißfeldt

Otto Eißfeldt

Eduard Winter

Eduard Winter

Eduard Winter

FriedrichSchillerUniversität

Jena

Friedrich Zucker

Friedrich Zucker

Friedrich Zucker

Otto Schwarz

Otto Schwarz

Otto Schwarz

Universität Leipzig

Leipzig

Johannes Friedrich

Julius Lips

Georg Mayer

Ernst Lohmeyer Rudolf Seeliger

Friedrich Hund Bernhard Schweitzer Hans Georg Gadamer

Universität Rostock

Hans Beyer

Rostock

Kurt Wach­ holder

Hans Georg Gadamer

Erwin Jacobi

Günther Rienäcker

Günther Rienäcker

Hans Hermann Schmid

Ernst Struck

Ernst Struck

Enno Heidebroek

Werner Straub

Werner Straub

Kurt Koloc

Kurt Koloc

Gerhard Grüß

Ernst Diepschlag

Ernst Diepschlag

Friedrich Leutwein

Friedrich Leutwein

Georg Mayer

Günther Rienäcker Technische Hochschule Dresden

Dresden

Berg­ akademie Freiberg

Freiberg

Karl Hahn Enno Heidebroek Friedrich Regler

III. Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

Das Rektorat gehört traditionell zu den zentralen Organen der Institution Hochschule. Der Rektor ist in der Regel Mitglied der Professorenschaft seiner Hochschule und wird aus diesem Kreis auf bestimmte Dauer gewählt. Er leitet die Hochschulgeschäfte unterstützt von den Verwaltungsorganen und vertritt die Hochschule nach außen. Bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein umreißt diese Beschreibung die Rolle des Rektors im Hochschulleben, sowohl an den Universitäten wie an den Technischen Hochschulen. Nach 1933 begannen die Nationalsozialisten mit einer Umstrukturierung des Hochschulsystems. Unter anderem wurden die alten Hochschulstatuten abgeschafft. Die akademische Selbstverwaltung wurde stark beschnitten. Per Erlass wurde das ›Führerprinzip‹ auch auf das akademische Umfeld übertragen, verkörpert in der jedoch nicht eindeutig definierten Person des ›Führer-Rektors‹. Dieser wurde nicht mehr durch das Kollegium erwählt, sondern von politischer Stelle ernannt. Die Übertragung der treuebasierten Führer-Gefolgschafts-Idee sollte zu einer verstärkten Aktivierung der Hochschule im Sinne des Regimes beitragen.1 Beim Wiederaufbau nach Kriegsende starteten die Hochschulen alsbald Aktivitäten, um zu den traditionellen Formen ihrer Organisation zurückzukehren. Die ersten Nachkriegsrektoren wurden aufgrund der äußeren Umstände teils improvisiert gewählt, teils kommissarisch ernannt. Bald schon allerdings hatten die Hochschulen ihre Statuten überarbeitet oder neu aufgestellt, so dass sie ihre Vorstände wieder in ordentlichen Wahlen bestimmen konnten. Der Rektor wurde fortan in der Regel wieder vom Senat der Hochschule gewählt.2 Die Satzung der neu gegründeten Freien Universität Berlin, die am 4. November 1948 verabschiedet wurde, galt als die modernste Hochschul-Verfassung ihrer Zeit. Sie formulierte verschiedene Neuerungen für die Verfassung und

1 In seiner Untersuchung zur NS-Hochschulpolitik erzählt Hellmut Seier die Geschichte des Rektoramtes als zunehmenden Bedeutungsverlust seit dem Mittelalter, so dass das nationalsozialistische Eingreifen in die Hochschule als logische Konsequenz dieser Entwicklung zu gelten habe. H. Seier (1964), S. 105 f. Bernd Grün arbeitet die Unterschiede in der Verfasstheit des Rektoramts vor 1933 im Vergleich zum nationalsozialistischen ›Führer-Rektors‹ in seiner Dissertation anhand des Beispiels der Universität Freiburg in einer Gegenüberstellung heraus. Siehe hierzu: B.  Grün (2010), S. 97–117. 2 Vgl. hierzu Kap. II, S. 26 f.

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Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

Struktur der neuen Hochschule.3 In Bezug auf Position und Aufgabe des Rektors allerdings bleibt sie dem klassischen Vorbild treu: »§ 5 Der Rektor Der Rektor wird aus dem Kreis der ordentlichen und außerordentlichen Professoren am Ende des Sommersemesters von den ordentlichen und außerordentlichen Professoren in geheimer und direkter Wahl auf die Dauer eines Jahres gewählt. Die Wahl des Rektors bedarf der Bestätigung durch den Magistrat. […] § 6 Aufgaben des Rektors Der Rektor ist Leiter der akademischen Selbstverwaltung und führt deren laufende Verwaltungsgeschäfte. Ihm obliegt die Pflicht, für die Erfüllung der im § 3 bestimmten Aufgaben der Universität zu sorgen. Der Rektor vertritt die Universität nach außen und nach innen […].«4

Wer also waren nun die Rektoren, welche nach Kriegsende die bedeutende Aufgabe übernahmen, ihre mehr oder weniger stark zerstörten, in jedem Fall jedoch von den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft beeinträchtigten Institutionen wiederaufzurichten und in Gang zu setzen? Eine ausführliche proso­ pographische Untersuchung zu den Nachkriegsrektoren der deutschen Universitäten hat Ralph Boch mit seiner 2004 erschienenen Dissertation »Exponenten des ›akademischen Deutschland‹ in der Zeit des Umbruchs«5 vorgelegt. Eine ähnlich übergreifende Studie zu den Rektoren der Technischen Hochschulen liegt bislang nicht vor. Das vorliegende Kapitel soll die Ergebnisse Bochs um einige Beobachtungen mit Blick auf die gesamte Rektorenschaft der deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen von Kriegsende 1945 bis ins Jahr 1950 zu einem besseren Verständnis ergänzen, kann sie jedoch aufwandsbedingt nicht in allen Punkten nachvollziehen, gerade was zum Beispiel konfessionelle oder politische Zugehörigkeiten angeht. Die Ausgangslage an den deutschen Hochschulen im Frühjahr 1945 war kriegsbedingt unterschiedlich schwierig, jedoch allenthalben weit entfernt von einem regulären Hochschulbetrieb, und dies sowohl institutionell wie auch personell. Der Vorlesungsbetrieb ruhte. Dozenten wie Studenten waren häufig noch nicht vom Kriegseinsatz zurückgekehrt, befanden sich in Gefangenschaft, auf der Flucht oder im Exil. Im Bemühen, eine Hochschule wieder in Gang zu setzen, war zumeist eine Gruppe von Professoren aktiv, die vor Ort geblieben waren, bereits zurückkehren konnten oder über andere Hochschul-Mitglieder kontaktiert wurden. Die Auswahlmöglichkeiten hinsichtlich einer Besetzung des Rektoramts waren somit ebenfalls nicht repräsentativ für einen regulären

3 Die Studentenschaft wurde darin erstmals als ›Organ‹ der Hochschule bezeichnet. Sie erhielt weitreichende Befugnisse in der Selbstverwaltung und entsendete Vertreter in Senat, Kuratorium und Berufungskommissionen. Zur Gründung der FU Berlin vgl. Kap. II, S. 22 f. 4 Hochschule im Umbruch (1978), S. 50. 5 R. Boch (2004).

Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

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Hochschulbetrieb, sondern in starkem Maße abhängig von den verfügbaren Personen. Entsprechend mussten die ›Gründergruppen‹ beim Wahlverfahren des Rektors improvisieren. Vielfach wurden die ersten Nachkriegsrektoren daher explizit als Übergangsrektoren bezeichnet, die so lange amtieren sollten, bis eine satzungsbasierte Wahl stattfinden konnte.6 Die Hochschulen strebten in der Nachkriegszeit verstärkt danach, traditionelle Formen ihrer Organisation schnellstmöglich wiederaufzubauen. Daraus resultierte nicht zuletzt auch eine rege Rede-Tätigkeit ihrer Rektoren. Die klassische Rektoratsrede betonte häufig fachliche Thematiken. In der Nachkriegszeit äußerten sich die Rektoren jedoch auch vielfach politisch-konzeptionell, so dass sich aus den Rektoratsreden auch in gewissem Maße Informationen zu den Personen der Rektoren ableiten lassen. Hierauf soll indes keine biographische Untersuchung aufgebaut werden. Die Aussagen öffentlicher, von den alliierten Besatzungsstellen freizugebender Redensind so weit nicht belastbar, zumal es den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde, den Grad der dahinterliegenden Überzeugung der einzelnen Redner zu prüfen. Die Analyse der Rektoratsreden legt zunächst eine nähere Betrachtung der Fächerzugehörigkeit der Nachkriegsrektoren nahe. Bei der Gewichtung der Fächer ist in diesem Gesamtüberblick zu berücksichtigen, dass die Zahl der hier untersuchten Universitäten in der Nachkriegszeit fast exakt im Verhältnis 2 : 1 zu den Technischen Hochschulen stand. Entsprechend fungierten von den insgesamt 131 Rektoren im Untersuchungszeitraum 87 als Universitätsrektoren, die restlichen 44 als Rektoren einer Technischen Hochschule. Die Rektoratsrede war inhaltlich-thematisch klassischerweise eng mit der akademischen Fachrichtung des einzelnen Rektors verwoben. Naturgemäß unterscheiden sich die Fächerzugehörigkeiten in ihrer Verteilung recht stark zwischen Universitätsrektoren und ihren Kollegen an den Technischen Hochschulen; so auch in dieser Untersuchung zu beobachten. Befanden sich an den Universitäten in den Nachkriegsjahren zunächst im wesentlichen Vertreter der Geisteswissenschaften im Rektoramt, gefolgt von den drei großen Fächern Jura, Theologie und Medizin, so waren an den THs am häufigsten Ingenieurswissenschaften vertreten. Während sich die Fächerverteilung an den Universitäten im Verlauf der fünf Nachkriegsjahre veränderte, blieb sie an den THs vergleichsweise konstant. Für die Gruppe der Nachkriegsrektoren insgesamt ergibt sich folgende Beobachtung: An der Spitze der deutschen Hochschulen standen in den Nachkriegsjahren am häufigsten Vertreter der Geisteswissenschaften7. Diese waren jedoch

6 Vgl. hierzu R. Boch (2004), S. 122–138. 7 Folgende geisteswissenschaftliche Fächer sind hier vertreten: Altorientalistik, Anglistik, Archäologie, Deutsche und nordische Philologie, Geschichte, Klassische Philologie, Kunstgeschichte, Mathematik, Philosophie, Romanistik.

44

Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

bis auf eine Ausnahme ausschließlich an den Universitäten tätig.8 Bei den Naturwissenschaftlern, die am zweitstärksten im Rektorat vertretene Fächergruppe,9 ist das Verhältnis zwischen Rektoren von Universitäten und Technischen Hochschulen fast ausgeglichen. An dritter Stelle folgt der Bereich Maschinenwesen aus den Ingenieurswissenschaften10, dessen Vertreter ausschließlich Rektorate an Technischen Hochschulen bekleideten. Die insgesamt 61 Rektoren der drei genannten Fächergruppen machen gemeinsam fast 50 % aller Nachkriegsrektoren aus. Eine Übersicht über die Fächerverteilung der Rektoren von 1945–1950 gibt folgendes Diagramm:

2%

2% 2% 2%

3%

Geisteswissenschaften: 25 Naturwissenschaften: 20

19%

Maschinenwesen: 16

4%

Jura: 17

5%

Theologie: 15 Medizin: 12 Bauwesen: 7

9% 15%

Wirtschafts- & Sozialwissenschaften: 5 Geowissenschaften: 4 Mathematik: 3

12% 12% 13%

Hüttenkunde: 3 Psychologie: 2 Elektrotechnik: 2

Diagramm 2: Fächerzugehörigkeit der Nachkriegsrektoren der deutschen Universitäten und THs (Prozentuale Angabe im Diagramm, Numerische Anzahl der Rektoren rechts daneben).11

8 Der einzige Geisteswissenschaftler unter den TH-Rektoren ist der Kunsthistoriker Otto Schmitt, 1948–1950 Rektor der TH Stuttgart. Zu Person Schmitts vgl. W. Augustyn (2004). 9 Folgende naturwissenschaftliche Fächer sind hier vertreten: Botanik, Chemie, Physik. 10 Folgende Ingenieurswissenschaften aus dem Bereich Maschinenwesen sind hier vertreten: Maschinenbau, Materialkunde, Mechanik. 11 Die hier gewählte Einteilung der Fächergruppen richtet sich nicht nach Fakultätszuordnungen. Insbesondere an den Technischen Hochschulen ist eine solche Einteilung schwierig und uneinheitlich. Gleiches gilt z. B. auch für den Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten. Diese waren teilweise erweiterten juristischen Fakultäten angegliedert, teilweise in einer eigenen gemeinsamen Fakultät zusammengefasst, an den Technischen Hochschulen wiederum unterschiedlich organisiert. Insofern wurde hier eine

Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

45

Die Rektoratsbesetzungen an den Universitäten für sich betrachtet zeigen gegenüber der obigen Gesamtschau eine Verschiebung in Richtung der klassischuniversitären Fächer. Über ein Viertel der Rektoren im Erfassungszeitraum kam dort aus den Geisteswissenschaften. Die drei großen Fächer Jura, Theologie12 und Medizin stellten zusammengenommen genau 50 % der Rektoren. Dazu zählten jedoch lediglich 12 Mediziner,13 die anders als wenige Jahre zuvor nur 14 % der gesamten Rektorenschaft ausmachten14 – im Untersuchungszeitraum genauso viele wie Naturwissenschaftler. In letztgenannter Gruppe wiederum dominierten die Physiker. Von insgesamt zwölf Rektoren, die aus den Naturwissenschaften kamen, waren sieben Physiker.15 Die besondere Stärke von Geisteswissenschaften, Jura und Theologie, die zusammen knapp zwei Drittel der Nachkriegsrektoren an den deutschen Universitäten stellten, zeichnet sich möglicherweise auch durch die Diskurskompetenz ihrer Vertreter aus. Die Einrichtungen brauchten in der Wiederaufbauphase rednerisch starke Argumentatoren. Die besondere Kompetenz jener drei Fächer auf diesem Gebiet machte ihre Vertreter damit unter Umständen in verstärktem Maße rektorabel. Das folgende Diagramm 3 zeigt die Verteilung der Fächer an den Universitäten über den gesamten Erfassungszeitraum:

Einteilung gewählt, die auch Fächer wie z. B. die Mathematik gesondert aufführt, die zum damaligen Zeitpunkt keiner eigenen Fakultät angehörten. Methodisch bietet jedoch auch diese Einteilung keine lückenlose Lösung. Die Kategorie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften belegen hier beispielsweise die wirtschaftswissenschaftlichen Fächer zusammen mit der Ethnologie. Diese Zuteilung könnte als problematisch angesehen werden, da die Ethnologie damals – wie auch häufig noch heute – an den philosophischen Fakultäten angesiedelt war. Da jedoch zum einen die Ethnologie heute häufig als Sozialwissenschaft eingestuft wird und bereits von Julius Lips, dem einzigen Ethnologen unter den Nachkriegsrektoren, sehr soziologienah interpretiert wurde, wird sie hier der Gruppe der Sozialwissenschaften zugeschlagen. 12 Von den insgesamt 15 Theologen im Rektoramt sind 9 evangelische Theologen (Friedrich Baumgärtel, Hans von Campenhausen, Otto Eißfeldt, Heinrich Frick, Ernst Lohmeyer, Martin Noth, Heinrich Rendtorff, Helmut Thielicke und Wolfgang Trillhaas) sowie 6 katho­ lische (Arthur Allgeier, Theodor Klauser, August Reatz, Ernst Rösser, Georg Schreiber und Theodor Steinbüchel). 13 Karl Heinrich Bauer, Alfred Benninghoff, Hans-Georg Creutzfeldt, Ferdinand Flury, Georg Hohmann, Sigurd Janssen, Arthur Jores, Hans Kress von Kressenstein, Emil Lehnartz, Friedrich Hermann Rein, Hans Hermann Schmid und Kurt Wachholder. 14 Im Vergleich dazu waren in den Jahren von 1939 bis 1945 zu Kriegsende 46 % der Universitätsrektoren Mediziner. Vgl. Boch (2004), S. 164 f. 15 Walter Friedrich, Walther Gerlach, Paul Harteck, Friedrich Hund, Heinrich Konen, Boris Rajewsky und Rudolf Seeliger. Von den restlichen fünf Naturwissenschaftlern waren drei Chemiker (Hans Beyer, Karl Johann Freudenberg und Günther Rienäcker) und zwei Botaniker (Friedrich Oehlkers und Otto Schwarz).

46

Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

5%

2% 1%

28%

14%

Geisteswissenschaften: 24 Jura: 17 Theologie: 15 Medizin: 12 Naturwissenschaften: 12

14%

Wirtschafts- & Sozialwissenschaften: 4 Geowissenschaften: 2 19%

Psychologie: 1

17%

Diagramm 3: Fächerzugehörigkeit der Nachkriegsrektoren der deutschen Universitäten (Prozentuale Angabe im Diagramm, Numerische Anzahl der Rektoren rechts daneben).16

An den Universitäten fallen zudem – anders als an den Technischen Hochschulen – unterschiedliche Konjunkturen bestimmter Fächer zu bestimmten Zeiten ins Auge. Unter den Rektoren der Nachkriegsuniversitäten, insbesondere in den Anfangsjahren, waren überdurchschnittlich viele Geisteswissenschaftler vertreten. 40 % der direkten Nachkriegsrektorate an den Universitäten füllten Vertreter der Geisteswissenschaften aus. Die Klassischen Philologen hatten daran einen gewichtigen Anteil. Von den 14 Geisteswissenschaftlern, die ihr Rektorat 1945 oder 1946 antraten, kamen fünf aus der Klassischen Philologie (= 13,5 % der Gesamt-Rektorenschaft dieser Jahre), bis 1950 folgten nochmals zwei.17 Überhaupt machen die Philologen in der direkten Nachkriegszeit den Hauptanteil an den Geisteswissenschaftlern im Rektoramt aus. Es finden sich daneben zwei Anglisten, zwei Romanisten und ein Germanist unter den Universitätsvorständen.18 Wie Boch bereits feststellt, drückte sich in diesen ersten Rektoratsbesetzungen zum 16 Die weiteren im Rektorat vertretenen Einzelfächer sind bei den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften: Nationalökonomie bzw. VWL und Ethnologie. Bei den Geowissenschaften: Geographie und Mineralogie. 17 In den Jahren 1945/46: Joseph Kroll, Josef Martin, Albert Rehm, Johannes Stroux und Friedrich Zucker. Später folgen: Franz Beckmann und Hans Diller. 18 Aus der Anglistik: Johannes Hoops und Emil Wolff. Aus der Romanistik: Gerhard Hess und Karl Vossler. Aus der Germanistik: Hermann Schneider.

Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

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einen eine »strategische Traditionsorientierung« der Universitäten aus.19 Dafür spricht auch die Wahl dreier Philosophen ins Rektoramt in diesem Zeitraum.20 Daneben galten jedoch gerade auch Sprachkenntnisse und Auslandkontakte als wertvolle ›Zusatz-Skills‹ für einen Kandidaten aufs Rektoramt, was die große Zahl an Philologen unterstreicht. Mit dem Amerika-Historiker Eduard Brenner kam in Erlangen ab 1946 ein weiterer Rektor ins Amt, der bereits qua Fächerzugehörigkeit seine Befähigung in diesem Feld nachweisen konnte. Die wiedererstarkte Orientierung an traditionellen Mustern bei der Rektoratsbesetzung drückt darüber hinaus auch die vergleichsweise starke Präsenz der Theologen in den Universitätsrektoraten aus.21 Anders als bei den Geisteswissenschaftlern blieb der Anteil der Theologen über den gesamten Erfassungszeitraum hin stabil bei ca. 15 %. Die Wahl von Geisteswissenschaftlern ins Rektoramt reduzierte sich hingegen nach dem Boom der ersten Jahre in den späten Vierzigern um fast die Hälfte. Die Mediziner hatten ihre Vormachtstellung in den Universitätsleitungen, die sie während der NS-Zeit innehatten, bereits mit Wiederbeginn 1945 verloren, waren zum Ende des Erfassungszeitraums hin sogar nur noch fünftstärkstes Fach. Anders herum bei den Juristen: Nachdem diese eher geringen Anteil an den frühen Rektoraten hatten,22 nahmen sie gegen Ende der vierziger Jahre einen Anteil an der Rektorenschaft von mehr als 20 % ein. Damit liegen sie exakt gleichauf mit den Naturwissenschaften, die dank des Booms der Physik (fünf der neun Naturwissenschaftler, die zwischen 1948 und 1950 ins Rektoramt kamen, waren Physiker) in den späten vierziger Jahren ebenfalls einen wichtigen Platz unter der ›rektorablen‹ Fächern erlangt hatten. Die Entdeckung der Atomenergie verlieh der Physik in jenen Jahren eine starke Aura, was sich offensichtlich auch in der Besetzung des Rektoramtes ausdrückte. Zudem ist zu beobachten, wie sich die Fächerbasis langsam verbreiterte, wenn gegen Ende des Erfassungszeitraums vermehrt Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Einzug ins Rektorat hielten (zusammen mit der Psychologie machten diese am Ende des Erfassungszeitraums fast 10 % an der gesamten Rektorenschaft aus). Vergleiche hierzu Diagramm 4: Ein gänzlich anderes Bild in der Fächeraufteilung zeigt die Übersicht über die Fächer der TH-Rektoren. Mehr als ein Drittel der Rektoren stammte dort aus dem Bereich Maschinenwesen.23 Mit deutlichem Abstand, etwa halb so stark folgten die Naturwissenschaften24 und – in fast gleichem Größenverhältnis 19 20 21 22

R. Boch (2004), S. 162–166. Julius Ebbinghaus, Hans-Georg Gadamer und Eduard Spranger. In den Jahren 1939 bis 1945 gab es keine Theologen im Rektoramt. Vgl. R. Boch (2004), S. 164 f. Dies bedeutete keine große Veränderung zur Zeit zwischen 1939 und 1945, wo nur ca. 5 % Prozenten der Rektoren aus der Jurisprudenz kamen. Vgl. R. Boch (2004), S. 164 f. 23 Im Einzelnen sind aus dem Maschinenwesen folgende Fächer mit Rektoren vertreten: Mechanik, Maschinenbau, Werkstoffkunde und Materialprüfung, Strömungsmaschinenlehre, Verbrennungskraftmaschinenlehre sowie Fahrzeugtechnik. 24 Die Naturwissenschaftler im Rektorat der Technischen Hochschulen kommen aus der Chemie (4), der Physik (3) und der Botanik (1).

48

Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

3% 8%

3%

Geisteswissenschaften: 1945-46: 15 / 1948-50: 8

2% 2% 7%

Jura: 1945-46: 3 / 1948-50: 9

20%

40%

22%

Theologie: 1945-46: 6 / 1948-50: 6 Medizin: 1945-46: 8 / 1948-50: 4

22%

22%

Wirtschafts- & Sozialwiss.: 1945-46: 1 / 1948-50: 3 Geowissenschaften: 1945-46: 1 / 1948-50: 1

10% 15% 16%

Naturwissenschaften: 1945-46: 3 / 1948-50: 9

8%

Psychologie: 1945-46: 0 / 1948-50: 1

Diagramm 4: Entwicklung in der Fächerverteilung der Universitätsrektoren im Vergleich zwischen den Rektoratsantritten 1945–1946 (innerer Kreis) und 1948–1950 (äußerer Kreis). Prozentuale Angabe im Diagramm, Numerische Anzahl der Rektoren rechts daneben.

dazu – das Bauwesen25. Zusammen fassen diese drei Bereiche mehr als zwei Drittel der TH-Rektoren. Dem Inhalt der technischen Hochschulen gemäß machten die Ingenieurswissenschaften26 mit 23 Rektoren etwas mehr als die Hälfte der TH-Rektoren aus. Die an den Universitäten besonders starken Geisteswissenschaften nehmen sich dagegen ebenso wie die Psychologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit je einem Vertreter im Rektoramt sehr bescheiden aus. Auffälligkeiten an der Verteilung der Rektorate zwischen den verschiedenen Fächern zeigen sich auch an den Technischen Hochschulen. Das starke Übergewicht der Vertreter des Maschinenwesens ist bemerkenswert, war das Fach Maschinenbau an den Hochschulen von den Studentenzahlen her betrachtet zwar leicht größer als die Elektrotechnik. Dass jedoch 16 Rektoren aus dem Maschinenwesen nur zwei Angehörige der Elektrotechnik im Rektoramt gegenüberstehen, verzerrt die faktische Bedeutung der beiden Fächer. Die Gründe hierfür lassen sich an dieser Stelle nicht aufklären. Es scheint, als müsse man tiefer in die Geschichte der einzelnen Hochschulen einsteigen. 25 Dem Bauwesen sind die Fächer Architektur, Bauingenieurswesen und Verkehrswesen zugeschlagen. 26 Hierzu zählen alle Fächer aus Maschinenwesen, Hüttenkunde, Elektrotechnik sowie Bauingenieurs- und Verkehrswesen.

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Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

Der große Schub, den das Fach Physik an den Universitäten in jenen Jahren erlebte, blieb an den Technischen Hochschulen eher aus. Von den acht Naturwissenschaftlern im Rektorat gehörte die größte Gruppe mit vier Vertretern der Chemie27 an, danach erst kommt die Physik28 mit drei Rektoren. Möglicherweise entwickelten die neuen Entdeckungen der Physik an den praxisorierientierteren Technischen Hochschulen – wo das Fach eher als Grundlagenwissenschaft eingestuft wurde – nicht die gleiche Zugkraft. Eine komplette Aufschlüsselung der Fächerverteilung der TH-Rektoren liefert folgendes Diagramm:

2%

Maschinenwesen: 16

2% 2%

5%

Naturwissenschaften: 8

5%

Bauwesen: 7 36%

7%

Mathematik: 3 Hüttenkunde: 3

7%

Geowissenschaften: 2 Elektrotechnik: 2 Geisteswissenschaften: 1 16% 18%

Wirtschafts- & Sozialwissenschaften: 1 Psychologie: 1

Diagramm 5: Fächerzugehörigkeit der Nachkriegsrektoren der Technischen Hochschulen in Deutschland (Prozentuale Angabe im Diagramm, Numerische Anzahl der Rektoren rechts daneben).

Anders als an den Universitäten erhalten sich die im Gesamtüberblick festgestellten Haupt-Kräfteverhältnisse an den THs fast exakt in allen Abschnitten des Erfassungszeitraums. Entstammten in den Anfangsjahren 1945 und 1946 sieben Rektoren dem Maschinenwesen29, drei dem Bauwesen30 und ebenso drei den Naturwissenschaften31, so kamen in den Jahren 1948 bis 1950 acht Rektoren 27 Jean D’Ans, Paul Günther, Hans Herloff Inhoffen und Ernst Terres. 28 Wilhelm Fucks, Friedrich Regler und Richard Vieweg. 29 Richard Grammel, Karl Hahn, Enno Heidebroek, Walter Kucharski, Rudolf Plank, Theodor Pöschl und Wilhelm Schlink. 30 Hans Döllgast, Erich Reuleaux und Robert Vorhoelzer. 31 Gustav Gassner, Friedrich Regler und Richard Vieweg.

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Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

aus dem Maschinenwesen32 ins Amt, vier aus dem Bauwesen33 und drei aus den Naturwissenschaften34. Veränderungen zeigen sich hier allenfalls in den nachgeordneten Fächern, die leicht unterschiedliche Berücksichtigung fürs Rektorat erfuhren. Die Differenzen hier sind jedoch zu gering, als dass sich daraus bestimmte Muster ableiten ließen. Eine weitere Auffälligkeit hinsichtlich des Führungspersonals der Nachkriegszeit betrifft die Altersstruktur der Rektoren. Der Altersdurchschnitt der Rekto­ ren aus den fünf Nachkriegsjahren bei Amtsantritt lag bei 55,2 Jahren. Be­ sonders stark waren die Geburtenjahrgänge zwischen 1880 und 1890 vertreten (Vgl. dazu Diagramm 6). 60

54

50

40 37

Gesamt Uni TH

34

30

29 20

21

20

17 10

13

13

9

9 0

1

4

bis 1880

bis 1890

bis 1900

bis 1910

0

1

nach 1910

Diagramm 6: Numerische Übersicht über die Verteilung der deutschen Hochschulrektoren der Jahre 1945–1950 nach Geburtsjahrgängen.

In den Anfangsjahren lag der Altersschnitt der Rektoren der frisch wiedereröffneten Hochschulen bei Amtsantritt mit 58,0 Jahren knapp drei Jahre höher. 37 von 54 Rektoren, die in den Jahren 1945 und 1946 ihr Amt antraten, also etwas mehr als zwei Drittel aller Rektoren der ersten Nachkriegsjahre, waren 55 und älter. Aus derselben Gruppe hatten elf Rektoren (= 20,4 % der Rektorschaft jener Jahre) bereits das 65. Lebensjahr überschritten, fünf (= 9,3 %) davon waren bereits über 70.35 Der älteste unter den ersten Nachkriegsrektoren war der acht32 Hermann Backhaus, Otto Flachsbart, Paul Koeßler, Kurt Koloc, Walter Pflaum, Hans Piloty, Erich Siebel und Günter Wassermann. 33 Kurt Apel, Hans Freese, Alfred Mehmel und Wilhelm Müller. 34 Wilhelm Fucks, Paul Günther und Ernst Terres. 35 In der Altersgruppe 65–70 Jahre: Paul Röntgen, Georg Hohmann, Emil Wolff, Georg Faber, Ferdinand Flury, Enno Heidebroek. 70 Jahre und älter: Wilhelm Schlink, Heinrich Konen, Karl Vossler, Albert Rehm und Johannes Hoops.

Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

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zigjährige Johannes Hoops in Heidelberg, der sein Amt allerdings nur wenige Monate ausübte. Wie viele der älteren Rektoren hatte er das Amt bereits vor 1933 schon einmal inne. Ein Grund für die vergleichsweise hohe Altersstruktur unter den Rektoren zu Wiederbeginn des Hochschulbetriebs war die Verfügbarkeit jener älteren, teils bereits emeritierten Professoren, die altersbedingt nicht mehr zum Kriegsdienst herangezogen worden waren. Daneben spielte häufig ihre politische Einstellung eine wichtige Rolle, galt die ältere Generation mit ihrer kaiserzeitlichen Prägung doch als weitaus geringer belastet als jüngere Professoren, die ihre Karriere während der NS-Zeit gemacht hatten. Zudem stand die jüngere Generation in dem Ruf schlechter ausgebildet zu sein; »mit wissenschaftlich geringer qualifizierten Kräften« wollte man einen Neubeginn jedoch nicht »wagen«, schreibt Joachim Scholtyseck in seinem Aufsatz über die deutschen Universitäten im Wiederaufbau.36 Einen weiteren Grund für die starke Präsenz der älteren Generation in den direkten Nachkriegsrektoraten benennt Ralph Boch mit der Traditionsorientierung der Hochschulen. Die älteren Professoren inkorporierten die große Ära der deutschen Hochschulen, an deren ruhmreicher Vergangenheit sich die Einrichtungen beim Wiederaufbau orientieren wollten. Boch nennt als Beispiel die Personalie Albert Rehm, der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München im Mai 1945 im Geiste der »strategischen, rückwärtsgewandten Legitimitätssuche« bewusst als Rektor ausgewählt worden war, da er »der letzte erreichbare Rektor aus der Zeit vor 1933« war.37 Ähnlich wie Rehm und Hoops hatte die beachtliche Zahl von 20 Rektoren (15 % der gesamten Nachkriegsrektorenschaft) das Amt bereits vor 1933 ausgeübt, bis auf eine Ausnahme alle in Weimarer Zeit. Nicht zuletzt die langjährige Erfahrung dieser Älteren in der Praxis der akademischen Selbstverwaltung dürfte in einer als Krise wahrgenommenen Periode ein haltgebendes Moment für die Hochschulen bedeutet haben. Darauf deutet auch die Beobachtung hin, dass diese älteren, zum wiederholten Mal ins Rektoramt berufenen Professoren insbesondere die Phase des politischen Übergangs und der Wiederordnung des Hochschulbetriebs prägten, wie Tabelle 6 zeigt. Bis auf zwei kamen alle anderen 18 wiederberufenen Rektoren in den Jahren 1945 und 1946 zum wiederholten Mal ins Amt. Von den direkten Nachkriegsrektoren machen sie somit exakt ein Drittel aus. Die Tabelle zeigt ebenfalls, dass der Anteil der erneut ins Amt berufenen Rektoren an den Technischen Hochschulen wesentlich höher liegt als an den Universitäten. Fast die Hälfte der direkten Nachkriegsrektorenschaft brachte dort Erfahrung im Amt mit, während dies an den Universitäten im gleichen Zeitraum 1945/46 lediglich bei etwas mehr als einem Viertel der Fall war. Eine genaue Untersuchung der Gründe hierfür kann an dieser Stelle nicht unternommen werden. Möglicherweise spielte in dieser Fragestellung das Desiderat der praktischen Erfahrung, das an den Technischen Hochschulen seit jeher in 36 J. Scholtyseck (2008), S. 213. 37 R. Boch (2004), S. 157 f.

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Akteure – Rektoren der Nachkriegshochschulen

Tabelle 6: Rektoren der Jahre 1945 bis 1950, die bereits früher ein Rektorat innehatten, getrennt nach Universitäten (oberer Abschnitt) und THs (unterer Abschnitt). Name

*

Rektorat nach 1945

Rektorat vor 1933

HS

Jahr

HS

Jahr

Eißfeldt, Otto

1887

Halle MLU

1945–1948

Halle MLU

1929–1930

Flury, Ferdinand

1877

Würzburg BJMU

1945

Würzburg BJMU

1931–1932

Hoops, Johannes

1865

Heidelberg RKU

1945

Heidelberg RKU

1920–1921

Konen, Heinrich

1874

Bonn RFWU

1945–1947

Bonn RFWU

1929–1931

Kroll, Joseph

1889

Köln U

1945–1949

Köln U

1930–1931

Laun, Rudolf

1882

Hamburg U

1947–1948

Hamburg U

1924–1926

Lohmeyer, Ernst

1890

Greifswald EMAU

1945–1946

Breslau SFWU

1930–1931

Rehm, Albert

1871

München MLU

1945–1946

München MLU

1930–1931

Vossler, Karl

1872

München MLU

1946

München MLU

1926–1927

Wolff, Emil

1879

Hamburg U

1945–1947

Hamburg U

1923–1924

Zucker, Friedrich

1881

Jena FSU

1945–1947

Jena TLU

1928–1929

Gassner, Gustav

1881

Braunschweig THCW

1945–1947

Braunschweig THCW

1932–1933

Grammel, Richard

1889

Stuttgart TH

1945–1948

Stuttgart TH

1929–1930

Heidebroek, Enno

1876

Darmstadt TH

1945–1947

Dresden TH

1923–1924

Müller, Conrad

1878

Hannover TH

1945–1947

Hannover TH

1920–1923

Plank, Rudolf

1886

Karlsruhe THF

1945–1946

Karlsruhe THF

1930–1931

Reuleaux, Erich

1883

Darmstadt TH

1945–1946

Darmstadt TH

1931–1932

Röntgen, Paul

1881

Aachen RWTH

1946–1948

Aachen RWTH

1932–1934

Schlink, Wilhelm

1875

Braunschweig THCW

1914–1916 1918–1921

Terres, Ernst

1887

Darmstadt TH

1945

Darmstadt TH

1924–1925

Karlsruhe THF

1949–1950

Karlsruhe THF

1928–1930

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starkem Maße die Abläufe bestimmte, auch hier eine Rolle. Nicht nur die Ausbildung künftiger Ingenieure war im Vergleich zum universitären Studium wesentlich praxisnäher ausgerichtet. Auch die Berufung von Professoren an die Hochschule erfolgte nach anderen Gesetzgebungen als an der Universität. Wie Wilhelm Heinz Schröder beispielhaft für die TH Berlin untersucht hat, hatten bis in die zweite Hälfte der zwanziger Jahre das 20. Jahrhunderts rund 4⁄5 der Ordinarien an der TH Praxis-Erfahrung gesammelt. Später war dies immer noch bei einem Drittel der ordentlichen Professoren der Fall.38 Eventuell wurde in Zeiten der gefühlten Krise die Erfahrung im Rektoramt gleichermaßen als qualifizierendes Moment zur Stabilisation empfunden. Eine übergreifende Studie zur Situation der Technischen Hochschulen nach dem Zweiten Weltkrieg steht jedoch noch aus. 30

25

26

20

20

19

18

18

15

15

14 10

5

8

7

9

9 6

6 3

0

10

12 10

bis 1880

Gesamt Uni TH

3

3 3

2

0

bis 1890 bis 1900 bis 1910 nach 1910

1945–46

3 101 0 bis 1880 bis 1890 bis 1900 bis 1910 nach 1910 2

1948–50

Diagramm 7: Entwicklung der Altersstruktur der Rektoren nach Geburtsjahrgängen im Vergleich zwischen den Rektoratsantritten 1945–1946 (linke Seite) und 1948–1950 (rechte Seite).

Im Verlauf der fünf Nachkriegsjahre verringerte sich der Anteil der älteren Generation (zu sehen in Diagramm 7), so dass gegen Ende des Erfassungszeitraums das Durchschnittsalter der neu ins Amt kommenden Rektoren bei 54,4 Jahren lag. Vor allem der Anteil der Unterfünfzigjährigen stieg in den Jahren 1948 bis 1950 gewaltig an. Sie machten mit 20 der insgesamt 60 Rektoren in diesem Zeitabschnitt exakt ein Drittel der Rektorenschaft aus. An den Universitäten lag ihr Anteil sogar bei 40 %. An den Technischen Hochschulen hingegen veränderte sich der Anteil dieser Altersgruppe kaum. Hier waren in den späteren Jahren vor 38 W. H. Schröder (1979), S. 79–89.

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allem die 50- bis 60-Jährigen im Rektoramt gefragt. Sie besetzten mehr als die Hälfte aller Rektorate der späten vierziger Jahre. Etwas abweichend vom Gesamtbild gestaltete sich die Altersverteilung in den Rektoraten ebenfalls an den Hochschulen, die im Gebiet der SBZ bzw. DDR angesiedelt waren. In weitaus geringerem Maße wurde dort auf die ältere Generation beim Wiederaufbau zurückgegriffen. Lediglich fünf (= 35,7 %)39 der 14 Rektoren, die in den Jahren 1945 und 1946 ihr Amt antraten, waren 60 Jahre und älter, keiner der Rektoren hatte das 70. Lebensjahr überschritten. Das Durchschnittsalter der Rektoren der wiedereröffnenden Hochschulen in der SBZ lag damit bei 53,9 Jahren. Hieraus lässt sich in der Folge jedoch nicht der Schluss auf eine gleichsam ›programmatische Verjüngung‹ der Hochschule ziehen. Von den genannten 14 Rektoren aus der Zeit der Wiedereröffnung der Hochschulen standen lediglich drei dem beginnenden sozialistischen Gesellschaftsprojekt von Anfang an unterstützend gegenüber.40 Dieser Beobachtung entspricht ebenfalls die Feststellung Ralph Bochs, der zufolge die direkten Nachfolger jener Gründungsrektoren zumeist wesentlich älter als diese waren, vor allem nämlich Angehörige der Geburtenjahrgänge zwischen 1880 und 1890.41 Gegen Ende des Erfassungszeitraums allerdings, als sich die politische Beeinflussung der Rektorwahlen zunehmend verstärkte, lag das Durchschnittsalter der Rektoren an den Ost-Hochschulen mit 53,5 Jahren wiederum leicht unter dem gesamtdeutschen Mittel. Die wachsende politische Beeinflussung der Hochschulen im Osten lässt sich an der Personalpolitik gut nachverfolgen. Unter den frühen Rektoren in der SBZ fanden sich noch wenig überzeugte Sozialisten. Viel häufiger waren dies – wie auch im Westen  – Wissenschaftler von bedeutendem Rang, die politisch meist weniger zum Sozialismus tendierten, so z. B. die Philosophen Hans Georg ­Gadamer in Leipzig (Rektoratsantritt 1946) und Eduard Spranger in Berlin (Rektoratsantritt 1945), der Gräzist und Papyrologe Friedrich Zucker in Jena (Rektoratsantritt 1945), der Altorientalist und Begründer der Hethitologie J­ ohannes Friedrich in Leipzig (Rektoratsantritt 1948), der Theologe Otto Eißfeldt in Halle (Rektoratsantritt 1945), oder die Physiker Friedrich Hund in Jena (Rektoratsantritt 1948), Walter Friedrich in Berlin (Rektoratsantritt 1949) und Rudolf Seeliger in Greifswald (Rektoratsantritt 1946). In dieser frühen Phase blieben sie weitgehend unbehelligt. Dass politischer Druck aber auch hier schon möglich war und gegebenenfalls mit massiven Mitteln ausgeübt wurde, zeigt der Fall des Theologen Ernst Lohmeyer in Greifswald. Aufgrund seiner kritischen Haltung zum Nationalsozialismus 1935 von Breslau strafversetzt, war er bereits seit zehn Jahren in Greifswald tätig. Als Persönlichkeit von hoher Integrität wurde er bei Kriegsende zum kommissarischen Rektor der Universität Greifswald bestimmt. In der Nacht vor der Wiedereröffnung der Hochschule am 15. Februar 39 Enno Heidebroek, Rudolf Seeliger, Eduard Spranger, Johannes Stroux und Friedrich Zucker. 40 Enno Heidebroek, Günther Rienäcker und Johannes Stroux. Vgl. hierzu S. 51 in diesem Kapitel. 41 R. Boch (2004), S. 175.

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1946 wurde Lohmeyer von der sowjetischen politischen Geheimpolizei GPU des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD) verhaftet. Grund dafür war wohl eine vorausgegangene politisch motivierte Denunziation, die zunächst jedoch genauso wenig aufgeklärt wurde wie Lohmeyers weiterer Verbleib. Erst über zehn Jahre später wurde bekannt, dass er bereits im September 1946 hingerichtet worden war.42 Die zunehmende Ideologisierung der Hochschulen blieb nicht ohne Wirkung auf den Lehrkörper.43 Zum einen bewirkte sie einen Drain-out von zahlreichen Wissenschaftlern auch unter den Rektoren, die sich dem System entziehen wollten und an Hochschulen außerhalb der SBZ bzw. DDR abwanderten. Zum anderen folgte darauf eine mehr und mehr politisch motivierte Berufungspolitik auch und gerade ins Rektoramt. Folgende Tabelle 7 zeigt zunächst eine Auflistung der Nachkriegsrektoren, welche die SBZ bzw. DDR während oder nach ihrem Rektorat an einer im Osten gelegenen Hochschule verließen: Tabelle 7: Nachkriegsrektoren, die von ihren Hochschulen in der SBZ / DDR in den Westen wechselten. Name

Rektor an…

Im Jahr…

Geht nach…

Im Jahr…

Dersch, Hermann

Berlin HU

1947–1949

Köln U

1951

Friedrich, Johannes

Leipzig U

1948–1949

Berlin FU

1950

Gadamer, Hans-Georg

Leipzig U

1946–1947

Frankfurt JWGU

1947

Hahn, Karl

Dresden TH

1945

München TH

1953

Hund, Friedrich

Jena FSU

1948

Frankfurt JWGU

1951

Leutwein, Friedrich

Freiberg BA

1949–1951

Hamburg U

1958/5944

Regler, Friedrich

Freiberg BA

1945–1946

Wien TH

1947

Schweitzer, Bernhard

Leipzig U

1945–1946

Tübingen EKU

1948

Spranger, Eduard

Berlin HU

1945

Tübingen EKU

1946

Wachholder, Kurt

Rostock U

1945–1946

Bonn RFWU

1953

Zucker, Friedrich

Jena FSU

1945–1948

Hamburg45

1962

42 A. Hilger (2006), S. 109–113. 43 Zur Besetzung der SBZ-Rektorate in der Nachkriegszeit vgl. Boch (2004), Kap. III.2.2. 44 Friedrich Leutwein kam 1958 aus dienstlichen Gründen nach Hamburg und beschloss dort, nicht mehr zurück nach Freiberg zu gehen. Ab 1959 war er an der Universität Hamburg tätig. 45 Friedrich Zucker verließ die DDR nach seiner Emeritierung aus privaten Gründen zusammen mit seiner Frau, um seinen Kindern näher zu sein, die sich bereits in der BRD befanden.

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Tabelle 7 zufolge verließen von den insgesamt 23 Rektoren, die zwischen 1945 und 1950 amtierten, 11 die SBZ bzw. DDR, um – in den meisten Fällen – ihre Tätigkeit an einer Hochschule im Westen fortzuführen. Die Dimension jener Abwanderungsbewegung allein unter den Rektoren verdeutlicht bereits, wie drängend das Problem des Lehrkräftemangels an den Hochschulen im Osten allgemein war. Der Eindruck verstärkt sich zudem dadurch, wenn man diesen Zahlen die weitaus geringere Quote an Zuwanderung innerhalb dieser Personengruppe entgegenstellt. Nur ein Rektor verließ die westlichen Besatzungszonen, um Leben und Karriere in der sowjetischen Zone fortzusetzen: Georg Mayer war nach Kriegsende zunächst Mitarbeiter für Sozialisierungsfragen im hessischen Wirtschaftsministerium. 1947 folgte er einem Ruf nach Leipzig, wo er bereits ein Jahr später zum Prorektor gewählt wurde. Politisch fand er in der DDR seine Heimat, was seine langjährige Mitgliedschaft für die SED in der DDR-Volkskammer belegt, der er über vier Wahlperioden von 1950 bis 1967 angehörte.46 Mit Eduard Winter und Julius Lips entschieden sich weitere zwei Rektoren nach Flucht bzw. Exil in den späten 40er Jahren bewusst dafür, in die SBZ bzw. DDR zu gehen: Eduard Winters Leben lässt sich bereits vor dem Krieg als bewegt bezeichnen. 1919 zum Priester geweiht, verfolgte er eine theologisch-wissenschaftliche Karriere, die ihn 1934 auf den Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Patristik an der Deutschen Universität Prag als Nachfolger von August Naegle führte. Im Verlauf der 30er Jahre entfernte sich Winter mehr und mehr von der Kirche, stellte 1939 einen Mitgliedsantrag zur Aufnahme in die NSDAP, heiratete und wurde schließlich exkommuniziert. Seine weitere Forschung finanzierte die Reinhard-Heydrich-Stiftung, deren Institut für osteuropäische Geistesgeschichte Winter fortan in Prag leitete. Er arbeitete darüber hinaus für den Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS. 1945 flüchtete Winter mit seiner Familie nach Wien, wo er sich zum sozialistischen Internationalismus47 bekehrte und für die sowjetische Besatzungsmacht zu arbeiten begann. 1947 nahm er den Ruf auf den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität Halle an. Er blieb als österreichischer Staatsbürger bis zum seinem Tode 1982 in der DDR, unterstützte das System publizistisch wie auch als Wissenschaftsorganisator, unterhielt aber gleichzeitig intensive Beziehungen in den Westen.48 46 Zur Biographie Georg Mayers siehe Wer war wer in der DDR? Band 2, S. 857. Siehe auch den Eintrag im Catalogus Professorum Lipsiensium: http://www.uni-leipzig.de/ unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Mayer_644 (Stand 03.04.2013). Vgl. außerdem: Volkskammer der DDR (1957); Volkskammer der DDR (1959); Sekretariat der Volkskammer (1964). 47 Der Lebensgeschichte Eduard Winters geht Ines Luft in ihrer Dissertation dezidiert nach: I. LUFT (2008). 48 Zur Biographie Eduard Winters siehe auch Winter, Eduard. In: Wer war wer in der DDR? Band  2, S. 1429. Vgl. außerdem den Eintrag im Catalogus Professorum Halensis: http:// www.catalogus-professorum-halensis.de/wintereduard.html (Stand 03.04.2013).

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Julius Lips war 1933 wegen der zunehmenden Politisierung der Ethnologie auf eigenen Wunsch von seinem Lehrstuhl in Köln zurückgetreten. Begründet mit einer ›jüdischen Abstammung‹ wurde Lips in der Folge die Lehrbefugnis entzogen, die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt und sein Vermögen beschlagnahmt. Er wanderte über Paris in die USA aus, wo er an mehreren Hochschulen lehrte und Feldforschung betreiben konnte. Im politischen Widerstand des deutschen Exils engagierte er sich ab 1937 im Bund Freiheitlicher Sozialisten, später auch im ›Council for a Democratic Germany‹, der von den USA aus Pläne für ein demokratisches Nachkriegsdeutschland erarbeitete. 1948 kehrte er nach Deutschland zurück und nahm einen Ruf nach Leipzig an, den er dem Angebot, seinen Kölner Lehrstuhl wiedereinzunehmen, aus politischen Gründen vorzog. Lips verstarb 1950 im Rektoramt.49 Weitere vier Nachkriegsrektoren der Ost-Hochschulen wurden durch die Kriegsumstände in das Gebiet der späteren sowjetischen Besatzungszone verschlagen und verblieben dort: Ernst Diepschlag war bis 1945 Direktor des Eisenhüttenmännischen Instituts der Technischen Hochschule in Breslau. Nach seiner Flucht von dort war er kurz an der Akademie für Technik in Chemnitz tätig. Seit 1946 hatte er die Professur für Eisenhüttenkunde an der Bergakademie Freiberg inne. Er beteiligte sich in den folgenden Jahren maßgeblich am Aufbau der DDR-Hüttenindustrie, verstarb allerdings bereits 1953.50 Der Österreicher Hans-Hermann Schmid gelangte ähnlich wie Diepschlag kurz nach Kriegsende in die sowjetische Zone. Nach seiner Entlassung als Direktor der Städtischen Frauenklinik im böhmischen Reichenberg (Liberec) 1938 wegen »nicht arischer Abstammung« hatte er dort als niedergelassener Frauenarzt praktiziert. Nach Ende des Krieges gelangte er in der zweiten Jahreshälfte 1945 für kurze Zeit nach Halle und trat noch im selben Jahr die Stelle als Direktor der Universitäts-Frauenklinik in Rostock an. Dort blieb er bis zu seinem Tode 1957.51 Otto Schwarz war in den 20er Jahren Mitglied in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und der KPD. Dies erschwerte ihm im Nationalsozialismus das berufliche Fortkommen. 1944 übernahm er schließlich die Leitung der Systematischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Kulturpflanzenforschung in Wien. Mit dessen kriegsbedingter Verlegung 1945 gelangte auch Direktor Schwarz in den Harz. Nach Kriegsende erhielt seine Karriere jedoch schon bald enormen Auftrieb: Schwarz wurde 1946 zum Ordinarius für Bota49 Zur Biographie Julius Lips’ siehe Wer war wer in der DDR? Band 1, S. 806. Vgl. außerdem den Eintrag im Catalogus Professorum Lipsiensium: http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/ professorenkatalog/leipzig/Lips_702 (Stand 03.04.2013). 50 Zur Biographie Ernst Diepschlags siehe Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1, S. 235. 51 Eintrag von »Hans-Hermann Schmid« im Catalogus Professorum Rostochiensium: http:// cpr.uni-rostock.de/metadata/cpr_person_00002313 (Stand 25.01.2013). Zur Biographie Hans Hermann Schmids siehe Schmid, Hans-Hermann. In: Wer war wer in der DDR? Band 2, S. 1150 f.

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nik in Jena berufen und dort 1948 – nach Einschätzung der FDJ Studenten-Zeitschrift – als erster wahrer »Sozialist« ins Rektoramt gewählt.52 Er leitete überdies das Herbarium Haussknecht in Weimar und ab 1949 auch das neu geschaffene Institut für Spezielle Botanik an der Universität Jena. Politisch engagierte sich Schwarz im Kulturbund (KB)53, für den er von 1954 bis 1963 in der Volkskammer saß.54 Der gebürtige Berliner Hans Beyer war bereits 1933 der NSDAP und SA beigetreten. Kurz nach seiner Habilitation 1939 wurde er zum Militärdienst eingezogen. An der Ostfront geriet er 1943 in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wo er eine antifaschistische Umschulungsmaßnahme durchlief und dem ›Nationalkomitee Freies Deutschland‹ beitrat, einem Zusammenschluss deutscher Kriegsgefangener und vornehmlich kommunistischer Exilanten in der UdSSR gegen den Nationalsozialismus. Nach seiner Rückkehr 1946 wurde es ihm wegen seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus trotz gewichtigen Leumunds verwehrt, seine Tätigkeit an der Universität Berlin wiederaufzunehmen. Ein Jahr später trat er eine Professur für anorganische Chemie an der Universität Greifswald an. Er engagierte sich als Mitglied der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) politisch für das neue System und war von 1954 bis 1958 Mitglied der Volkskammer.55 Leichten Zuwachs in der Dozentenschaft konnten die Ost-Hochschulen auch aus ›lokalen‹ Neuberufungen verzeichnen. Die Neu-Professoren kamen teilweise bereits in den Nachkriegsjahren im Rektoramt an: Kurt Koloc hatte sein Studium an der TH Dresden 1933 aus politischen Gründen zunächst abbrechen müssen, da er als aktives Mitglied des Sozialistischen Studentenbunds von der Hochschule verwiesen wurde, konnte seine Karriere dann aber doch fortsetzen. Nach Kriegsende wurde er auf den Lehrstuhl für Allgemeine Gewerbelehre und Normung an die frisch wiedereröffnete TH Dresden berufen. 1949 stieg er zum Leiter des neu gegründeten Instituts für Betriebswissenschaft und Normung auf. In der Legislaturperiode 1950 bis 1954 saß er als 52 O. Schwarz (J FSU 1948), S. 40. 53 Der Kulturbund fußte auf einer Initiative deutscher Exilanten. Nach Kriegsende stellte Johannes R. Becher bei der sowjetischen Militäradministration 1945 den Antrag auf Zulassung einer solchen Vereinigung zum Zwecke der »demokratischen Erneuerung Deutschlands«. Zunächst nicht explizit als KPD-nah aufgestellt, gelangte der Kulturbund jedoch bald unter den Einfluss der neu gegründeten SED. 1947 verboten die amerikanische und die britische Militärregierung den Kulturbund in ihren Besatzungszonen. In der DDR entwickelte sich der Kulturbund zu einer großen, jedoch nicht in stärkstem Maße karriereförderlichen unter den Massenorganisationen. Zur frühen Geschichte des Kulturbundes vgl. M. Heider (1983). 54 E. Höxtermann / J. Höxtermann (1992), S. 1208–1210. Zur Biographie Otto Schwarz’ siehe Wer war wer in der DDR? Band 2, S. 1210. Vgl. außerdem: Volkskammer der DDR (1957); Volkskammer der DDR (1959). 55 Zur Biographie Hans Beyers siehe Wer war wer in der DDR? Band 1, S. 118 f. Vgl. außerdem: Volkskammer der DDR (1957).

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Abgeordneter des Kulturbunds in der Volkskammer der DDR. Ab 1954 übernahm er die Leitung des neuen Industrie-Instituts an der TH, das für die Ausbildung von Parteikadern zuständig war.56 Ernst Struck entstammte einer Arbeiterfamilie und war lange Jahre als Lehrer tätig, während er nebenberuflich weiter studierte. 1930 trat er in die SPD ein. Ab 1943 war er an der Lehrerbildungsanstalt in Güstrow tätig. Nach Ende des Krieges übernahm er die Leitung des Pädagogischen Instituts Schwerin, wo ebenfalls Lehrer ausgebildet wurden. 1946 wurde das SED-Mitglied Struck zunächst als außerordentlicher Professor für Psychologie an die Universität Rostock berufen, erhielt im selben Jahr noch ein Ordinariat in Greifwald, kehrte aber bereits 1948 wieder zurück nach Rostock. Von 1952 bis zu seinem Tode zwei Jahre später hatte er einen Lehrstuhl an der Universität Leipzig inne.57 Aus den hier nur kurz umrissenen Biographien wird deutlich, dass viele jener Neuberufenen ein persönliches Interesse verfolgten, sich an dem gesellschaftlich-politischen Experiment in der SBZ und DDR zu beteiligen, weswegen sie nicht nur ihre Ämter erfüllten, sondern sich häufig auch über die Hochschule hinaus engagierten. Dies gilt auch für viele unter den Ost-Rektoren, die als Professoren bereits seit längerem in Amt und Würden waren und die SBZ bzw. DDR nicht verließen. Nicht alle dieser Personen haben vor dem Hintergrund ihrer Biographien als überzeugte Sozialisten zu gelten. Dennoch widmeten auch sie ihren Einsatz dem Aufbau eines neuen Gesellschaftsmodells im Ostteil des Landes und erhielten dafür im Gegenzug hohe Ehrungen und verbesserte Karrieremöglichkeiten. Johannes Stroux betätigte sich in der SBZ bereits direkt nach Kriegsende als Wissenschaftsorganisator. Er wurde nicht nur als Gründungsrektor der Berliner Universität bestellt, sondern war auch an der Gründung der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) als Nachfolge-Einrichtung der Preußischen Akademie der Wissenschaften beteiligt und fungierte von 1946 bis 1951 als deren erster Präsident. Daneben engagierte er sich im Kulturbund, als dessen Gründungsvizepräsident er amtierte, wie später auch im Dachverband der DDR-Massenorganisationen, der Nationalen Front. Als Präsidiumsmitglied des Deutschen Volksrates war er maßgeblich an der Gründung der DDR beteiligt. Bis zu seinem Tode 1954 war er Mitglied der Volkskammer.58

56 Zur Biographie Kurt Kolocs siehe Wer war wer in der DDR? Band 1, S. 695. Vgl. außerdem: Volkskammer der DDR (1957) und M. Lienert (2011), S. 193. 57 Eintrag von »Ernst  Struck« im Catalogus Professorum Rostochiensium: http://cpr.unirostock.de/metadata/cpr_person_00002312 (Stand 25.01.2013). Eintrag von »Ernst Friedrich Wilhelm  Struck« im Catalogus Professorum Lipsiensis: http://cpr.uni-rostock.de/ metadata/cpr_professor_000000002312 (Stand 25.01.2013). Zur Biographie Ernst Strucks siehe Wer war wer in der DDR? Band 2, S. 1294. 58 Zur Biographie Johannes Stroux’ siehe Wer war wer in der DDR? Band  2, S. 1293 f. Vgl. außerdem: Volkskammer der DDR (1957).

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Auch der Nachfolger Stroux’ als Präsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Walter Friedrich, saß für den Kulturbund in der ersten Wahlperiode von 1950 bis 1954 in der Volkskammer. 1950 wurde Friedrich außerdem zum Vorsitzenden des Deutschen Friedenskomitees gewählt, einer Organisation, die sich für den Weltfrieden und die friedliche Koexistenz der Staaten einsetzte. Unter seiner Leitung wurde das Institut für Medizin und Biologie zum Medizinisch-Biologischen Forschungszentrum der DAW ausgebaut.59 Hatte Enno Heidebroek seine Karriere im Nationalsozialismus durch ein gewisses Bezeigen von System-Konformität voranbringen können  – er zählte zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler 1933 und war ab 1934 Mitglied im NS-Lehrerbund –, so gelang ihm dies auch nach Kriegsende. 1945 trat er in die Liberal-Demokratische Partei (LDPD) ein. Er war Mitglied im Sächsischen Landtag und später auch der Provisorischen Volkskammer. Von 1946 bis 1949 war er Präsident der Kammer der Technik (KdT), welche das technische Fortkommen der SBZ / DDR in der Praxis voranzutreiben suchte.60 Über Rudolf Gross ist für die Zeit des Nationalsozialismus’ wenig bekannt, er war allerdings Förderndes Mitglied der SS61. Nach einer eineinhalbjährigen Suspendierung vom Amt gelangte er 1947 wieder auf seinen Posten als Direktor des Mineralogisch-petrographischen Instituts der Universität Greifswald. Im Jahr darauf erfolgte seine Wahl zum Rektor der Hochschule. Ebenfalls 1948 trat Gross in die SED ein. Während seines Rektorats wurde er Mitglied des Wissenschaftlichen Senats für Volksbildung in Berlin. Ab 1952 war er stellvertretender Vorsitzender im Mineralogischen Beirat des Staatssekretariats für Hochschulwesen. Er verstarb nur zwei Jahre später bei einem Unfall.62 Auf lange Sicht am erfolgreichsten engagierte sich Günther Rienäcker, der 1945 in die SPD eingetreten und seit deren Zusammenlegung mit der KPD damit SED-Mitglied der ersten Stunde war. In den folgenden Jahren stieg er in der politischen Hierarchie der SBZ / DDR auf: vom Stadtverordneten in Rostock über die Mitgliedschaft in Landtag und Volkskammer bis hinein ins Zentralkomitee der Partei, dem er von 1958 bis 1963 angehörte. Daneben war er in den fünfziger Jahren Vorsitzender des Zentralvorstands der Gewerkschaft Wissenschaft sowie Mitglied des FDGB-Bundesvorstands. Parallel dazu konnte er auch seine 59 Zur Biographie Walter Friedrichs Wer war wer in der DDR? Band 1, S. 350. Vgl. außerdem: Volkskammer der DDR (1957). H. Bielka (2002), S. 172 f. 60 Zur Biographie Enno Heidebroeks siehe Wer war wer in der DDR? Band 1, S. 502. 61 Gross selbst schreibt in einem 1953 verfassten Lebenslauf, er sei »zur Verbesserung meines Leumundes« durch Verbindungen zu Parteimitgliedern gegen einen »geringen Monatsbeitrag« zu dieser Mitgliedschaft gekommen, nachdem er 1933 »wegen antifaschistischer Einstellung sowie wegen freundschaftlicher Beziehungen zu jüdischen Wissenschaftlern dem nationalsozialistischen Ministerium denunziert worden« war. Vgl. hierzu: Lebenslauf Rudolf Gross (UA GW). 62 Zur Biographie Rudolf Gross’ siehe Wer war wer in der DDR? Band 1, S. 435 f. Vgl. außerdem: Lebenslauf Rudolf Gross (UA GW).

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wissenschaftliche Karriere weiter vorantreiben: 1953 folgte er einer Berufung an die Humboldt-Universität, später war er Forschungsdirektor am Institut für Physikalische Chemie der DAW.63 Tabelle 8: Übersicht über die SBZ- / DDR-Rektoren der Jahre 1948–1950 mitsamt ihrer Aktivitäten. 10 von 13 Rektoren dieser Jahre engagierten sich zumindest zweitweise politisch-gesellschaftlich. Antrittsjahr

Name

HS

Aktivität

1948

Friedrich, Johannes

Leipzig U

Geht 1950 nach Berlin an FU

Gross, Rudolf

Greifswald EMAU

SED-Mitglied; Engagement in Bildungspolitik

Hund, Friedrich

Jena FSU

Geht 1951 nach Frankfurt an JWGU

Schmid, Hans Hermann

Rostock U

Österr. Staatsbürger; Mitglied im Wissenschaftl. Beirat d. Landesreg. Mecklenburg-Vorpommern

Schwarz, Otto

Jena FSU

Ab 1954 Mitglied Volkskammer (MdVK)

Winter, Eduard

Halle MLU

Österr. Staatsbürger; aktiver System-Unterstützer

Beyer, Hans

Greifswald EMAU

Ab 1954 MdVK

Friedrich, Walter

Berlin HU

Ab 1950 MdVK

Koloc, Kurt Ernst

Dresden TH

Ab 1950 MdVK

Leutwein, Friedrich

Freiberg BA

Bis 1954 ZK-Mitglied; 1958 nach Hamburg

Lips, Julius

Leipzig U

Kommt 1948 aus US-Exil nach L; Tod 1950

Struck, Ernst

Rostock U

Engagement in Bildungspolitik

Mayer, Georg

Leipzig U

Kommt aus US-Zone; ab 1950 MdVK

1949

1950

Zum Ende des Erfassungszeitraums mehrten sich die Zeichen, dass die systemkonforme Einstellung wachsenden Einfluss auf die Wahlen von Rektoren gewann und mehr und mehr zur Voraussetzung wurde. Vergleichbaren Jubel zu dem, den die Rektor-Wahl von Otto Schwarz in »Forum«, der Studenten-Zeitschrift der FDJ, hervorgerufen hatte, löste kein weiterer Rektor aus, der in Spät63 Zur Biographie Günther Rienäckers siehe Wer war wer in der DDR? Band 2, S. 1075. Vgl. außerdem: Volkskammer der DDR (1957).

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phase des hier beobachteten Zeitraums ins Amt kam.64 Ein Blick auf die Rektoren der letzten drei Antrittsjahre zeigt jedoch einen deutlichen Anstieg des politisch-gesellschaftlichen Engagements für den Aufbau des neuen sozialistischen Staats innerhalb der Rektorenschaft, wie Tabelle 8 verdeutlicht. Mit Ernst Struck wurde 1949 in Rostock zum ersten Mal ein Vertreter der neugeschaffenen Fakultäten zum Rektor gekürt. Auch mit seiner eigenen Biographie stand der Volksschullehrer und Lehrerausbilder Struck, der keine universitäre Laufbahn vorzuweisen, wohl aber ein Ordinariat für Pädagogik an der neu gegründeten Pädagogischen Fakultät innehatte, für den Wandel der Ost-Hochschulen. Gleichzeitig wurde es den Vertretern der traditionellen Universität zunehmend erschwert, in führenden Ämtern Einfluss auf die Hochschule nehmen zu können. Dies bekam etwa Friedrich Zucker zum Ende seines Rektorats in Jena zu spüren. Kurz vor dem regulären Ablaufen seiner Amtszeit statuierte die Sowjetische Militäradministration (SMA) an dem Rektor, der seine Hochschule in der Tradition akademischer Selbstverwaltung führte, ein klares Exempel in Form einer »politisch-ideologischen Machtdemonstration«65, die zu seiner Absetzung führte. Begründet wurde dieser Schritt von offizieller Seite später mit der Unfähigkeit Zuckers, »den Kampf um eine weitere Demokratisierung der Universität und die Vertreibung der frech gewordenen Reaktion« zu leiten.66 Noch mehr Druck übte die thüringische SMA gemeinsam mit den deutschen Landesbehörden auf den Nachfolger Zuckers, Friedrich Hund, aus. Aufgrund anhaltender interner Streitigkeiten um die Zulassungsfrage67 wurde Hund schließlich nach etwa einem halben Jahr seines Rektorats zum Rücktritt genötigt und verließ kurze Zeit später die DDR. Zu dem gleichen Schluss kam auch Friedrich Leutwein, der während seines Rektorats an der Bergakademie Freiberg noch Mitglied des Zentralkomitees der SED gewesen war. Die Hochschulpolitik, wie sie am dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 verkündet wurde empfand er als derart untragbar, dass er sich im selben Jahr entschloss, von einer Dienstreise nach Hamburg nicht wieder zurückzukehren.68 Nicht nur im Osten, sondern auch in den westlichen Besatzungszonen gab es in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg Interferenzen zwischen den Hochschulleitungen und den politischen Stellen, denen sie unterstanden. Auch hier kam 64 Vgl. O. Schwarz (J FSU 1948), S. 40 Sp. 1. 65 Simon (2001), S. 40. 66 Der damals zuständige Garde-Generalmajor I. S.  Kolesnitschenko äußerte sich im Jahr 1979 entsprechend in einem in der Zeitschrift »Sozialistische Universität« erschienen Artikel über »Die Neugeburt der Friedrich-Schiller-Universität nach dem Zweiten Weltkrieg«. Zitiert nach Simon (2001), S. 32 f. 67 Zur Bedeutung der Zulassungsfrage für die Wiederaufbau-Phase der deutschen Hochschulen vgl. Kap. VII.3, S. 317–321. 68 Zur Biographie Friedrich Leutweins siehe Wer war wer in der DDR? Band 1, S. 794.

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es in Einzelfällen zu Absetzungen von Rektoren aus politischen Gründen. Dies geschah jedoch vorrangig in den ersten Jahren nach Kriegsende, in denen die Entnazifizierung von großem Interesse und die politische Einflussnahme seitens der Besatzungsmächte größer war als gegen Ende des Erfassungszeitraums. Betroffen davon war beispielsweise Hans-Georg Creutzfeldt in Kiel. Nach mehrfachen Zwistigkeiten mit den britischen Besatzungsbehörden wurde er schließlich vorzeitig als Rektor der Christian-Albrechts-Universität abgesetzt, nachdem er sich nicht an die von den Briten geforderte zahlenmäßige Begrenzung bei der Immatrikulation vormaliger Wehrmachtsangehöriger gehalten hatte.69 Für Robert Vorhoelzer hatte die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Besatzungsmacht um sein Rektoramt an der TU München den Grund weniger in aktuellen, aus dem Amt heraus begründeten Problemstellungen als mit Ereignissen aus der Vergangenheit. Den Nationalsozialisten hatte der Architekt als »Baubolschewist« gegolten. Noch 1933 wurde ihm sein Lehrstuhl an der TU München entzogen und er wurde in den Ruhestand versetzt. Ende der dreißiger Jahre erhielt er eine Berufung an die Akademie der schönen Künste nach Istanbul, um dort die Architektur-Abteilung zu leiten. Spionagevorwürfe, die sich auf Luftbildaufnahmen bezogen, welche Vorhoelzer dort zu Lehrzwecken gemacht hatte, führten 1941 zu seiner Entlassung und Ausweisung aus der Türkei. Diese Episode holte ihn 1947 als Rektor und Spezialkommissar für den Wiederaufbau der TU München infolge einer Denunziation wieder ein. Die amerikanische Militärregierung enthob ihn zunächst aller Ämter. Ein Spruchkammerverfahren wurde eingeleitet, das nach einem halben Jahr zwar zur vollständigen Rehabilitierung Vorhoelzers führte, ihn jedoch persönlich tief getroffen zurückließ.70 Wiederum anders liegt der Fall von Josef Schmid, der sich als Rektor der frisch gegründeten, von der französischen Besatzungsmacht als Reformuniversität konzipierten Universität Mainz letztlich in einem Gewirr von Kompetenzstreitigkeiten und Anschuldigungen befand. Schmid hatte nach Kriegsende den französischen General und späteren Directeur général des Affaires culturelles der französischen Militärregierung Raymond Schmittlein kennengelernt, der ihn fortan protegierte. Aufgrund der mangelnden wissenschaftlichen Qualifikation Schmids, der nach seiner Promotion bei mehreren Verlagen gearbeitet hatte, kam es zu verschiedenen Querelen. Zunächst an der Universität Freiburg, wo Rektor Sigurd Janssen das Drängen Schmittleins auf Einstellung Schmids zum Anlass nahm, von seinem Amt zurückzutreten. An der im Aufbau befindlichen Universität Mainz, wo Schmittlein ihn gleichzeitig zum Gründungsrektor erkoren hatte, ließ sich Schmid schließlich einfacher als Professor platzieren. Schmid zeigte sich in der Aufbauphase der Hochschule durchaus als geschickter Wissenschaftsorganisator, konnte aber mit seiner Person in Verbindung stehende Unkereien, die sich auch auf den Ruf der neuen Universität auswirkten, nie loswerden. Im zweiten Jahr seines ur69 Vgl. hierzu J. H. Wolf (2003). 70 Zur Biographie Robert Vorhoelzers vgl. U. Drepper (1990).

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sprünglich auf vier Jahre angelegten Rektorats entspann sich schließlich eine interne Auseinandersetzung, in der der Verwaltungsdirektor und Kurator der Universität, Fritz Eichholz, der gleichzeitig der Schwager Schmittleins war, eine wichtige Rolle spielte. Verschiedene Studien über die »Affäre Josef Schmid« haben die Abläufe der Ereignisse und ihre Hintergründe in Teilen rekonstruieren können, stellen jedoch einhellig fest, dass deren komplette Aufklärung aufgrund der mangelnden Quellenlage nicht mehr möglich sei. Es hatten sich demzufolge Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung der Universität ergeben, für die Schmid den Verwaltungsdirektor Eichholz verantwortlich machte. Gleichzeitig jedoch hatte Schmittlein seine Unterstützung für Schmid zurückgezogen, weil er sich von ihm im Rückblick betrogen gefühlt haben wollte. Tatsächlich hatte Schmid bei seiner Bewerbung 1945 teils unwahre, teils geschönte Angaben gemacht, die ihm zum einen eine höhere wissenschaftliche Reputation und zum anderen den Anstrich eines durch die Nationalsozialisten politisch Verfolgten verleihen sollten – wie Christophe Baginski in seiner Untersuchung des Falls recherchiert hat. In die Auseinandersetzung mit Eichholz griff die französische Militärregierung vermehrt ein, bis schließlich der Senat der Universität Mainz, der Schmid kurz vorher noch unterstütz hatte, Mitte Oktober 1947 dessen Abberufung beschloss. Daran schloss sich ein langwieriges Disziplinarverfahren um die Bewerbung und Amtsführung Schmids an, das erst 1952 mit dessen Freispruch beendet wurde.71 Im Unterschied zu den Hochschulen im Osten schaffte es in den Westgebieten kein frisch zurückgekehrter Exilant in der Zeit zwischen 1945 und 1950 ins Rektoramt. Ralf Boch verweist in seiner Studie zu den Universitätsrektoren der Nachkriegszeit bereits auf eine starke Benachteiligung der rückkehrwilligen Emigranten in diesem Zweitraum gerade an den westdeutschen Universitäten, insbesondere gegenüber denjenigen Kollegen, die aus den Ostgebieten vertrieben worden beziehungsweise von dort abgewandert waren. Auch in den Diskussionen der Hochschulkonferenzen spielte das Thema keine Rolle. Auch da, wo die Besatzungsmacht – beispielsweise im Falle der Briten gegenüber der norddeutschen Hochschulkonferenz – aktiv dazu aufforderte, Remigranten neu oder wiederzuberufen, verhielten sich die Hochschulen passiv und verwiesen auf ihre »traditionell korporativen Rechte zur Selbstergänzung des Lehrkörpers«. Ähnlich dürr ist die Quellenlage hinsichtlich Äußerungen der Nachkriegsrektoren zu ihren früheren jüdischen Kollegen, die sich nach Kriegsende ebenfalls häufig im Exil befanden, wenn sie der Verfolgung durch die Nationalsozialisten hatten entkommen können. Gleichwohl war der Rückkehrwille in dieser Gruppe deutlich schwächer.72 71 Zu weiteren Details der »Affäre Josef Schmid« vgl. Ch. Baginski (1996) und H. Mathy (1997), S. 61–74. 72 R. Boch (2004), S. 44–48. Vgl. hierzu auch A. Szabó (1996) und M. Heinemann (1997) in Bezug auf den Umgang mit diesem Thema seitens der deutschen Hochschulkonferenzen.

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Unter den Rektoren der drei Westzonen finden sich indes vereinzelte Professoren, die während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes zeitweise emigriert waren bzw. sich aus unterschiedlichen Gründen längere Zeit im Ausland aufgehalten hatten. Robert Vorhoelzer hatte, wie bereits erwähnt, mehrere Jahre im Exil in der Türkei verbracht. Dort weilte zwischen 1935 und 1939 auch ­Gustav Gassner als Sachverständiger des türkischen Landwirtschaftsministeriums und Gartendirektor des türkischen Pflanzenschutzdienstes in Ankara, nachdem er zuvor von Nationalsozialisten unter dem Vorwurf der Beteiligung an hochverräterischen Aktivitäten inhaftiert und entlassen worden war. Seine Arbeit in der Türkei wurde unbeabsichtigt beendet, da Gassner 1939 während eines Aufenthalts in Deutschland vom Kriegsausbruch überrascht wurde.73 Erich Reuleaux wirkte indes während einer Beurlaubung von seinem Darmstädter Lehrstuhl in der Zeit von 1934 bis 1937 als Professor für Verkehrswesen und Berater des Eisenbahnministeriums in China. Er allerdings kehrte nach seiner Rückkehr wieder nahtlos auf seine Position zurück und bekleidete zwischen 1938 und 1941 das Amt des Dekans der Abteilung Bauingenieurwesen an der TH.74 Johannes Hoops, der 1934 aus Altersgründen emeritiert worden war, nahm in den Jahren 1937 bis 1939 eine Gastprofessur in Berkeley an. Hoops hatte seit den zwanziger Jahren bereits mehrfach Gastprofessuren in den USA wahrgenommen und auch er kehrte 1939 nach Beendigung seiner Tätigkeit direkt nach Deutschland zurück.75 Weitere Parallelen lassen sich zwischen den Rektoren der östlichen Hochschulen und jenen im Westen ziehen. Auch in den Westzonen übernahmen zum einen viele Wissenschaftler von bedeutendem Rang Verantwortung in der Führung der Hochschulen. Zum anderen engagierten sich viele der Rektoren auch über die Hochschule hinaus am gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau. Von den 102 Rektoren, die zwischen 1945 und 1950 in den drei westlichen Zonen und später in der Bundesrepublik tätig waren, hat ein großer Teil Bedeutung innerhalb des jeweiligen Fachbereichs, teilweise auch darüber hinaus entwickelt. Hierzu zählen unter den Geisteswissenschaftlern etwa die Historiker Friedrich Meinecke und Gerd Tellenbach, der Romanist Karl Vossler, der Philosoph Aloys Wenzl, der Archäologe Friedrich Matz oder der Anglist Johannes Hoops. Unter den Naturwissenschaftlern die Physiker Walter Gerlach und Paul ­Harteck, beide während der NS-Zeit beteiligt am deutschen Uranprojekt und nach Kriegsende zunächst von den Alliierten in Farm Hall interniert, Wilhelm 73 Zur Biographie Gustav Gassners vgl. A. Szabó (2000), v. a. S. 562 f. 74 Zur Biographie Erich Reuleaux’ vgl. seinen Eintrag in der DBE Bd. 8, S. 338, sowie seinen Eintrag in der Hessischen Biographie: http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/gsrec/ id/4080/current/2/sn/bio?q=reuleaux (Stand 13.02.2016). 75 Zur Exilzeit Gustav Gassners vgl. A. Szabó (2000), S. 563. Zu Erich Reuleaux vgl. Anm. 4. Zur Biographie Johannes Hoops’ siehe seinen Eintrag in Badische Biographien, Bd. 4, S. 144 f.

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Fucks, in den fünfziger Jahren mitverantwortlich für den Aufbau der Kernforschungsanlage Jülich, Boris Rajewsky, Mitbegründer der Biophysik, oder Heinrich Konen, Impulsgeber der Spektroskopie-Forschung, die Chemiker Jean D’Ans, Karl Johann Freudenberg, Hans Herloff Inhoffen und Ernst Terres sowie die Botaniker Friedrich Oehlkers und Gustav Gassner. In der Medizin der Neuropathologe Hans-Georg Creutzfeldt, einer der Entdecker der Creutzfeldt-­ Jakob-Krankheit, Arthur Jores, Mitbegründer der Psychosomatik, der Anatom Alfred Benninghoff, der Krebsforscher Karl Heinrich Bauer, der Biochemiker Emil Lehnartz oder – in einer anderen Form von Bedeutsamkeit – Ferdinand Flury, der seit den 20er Jahren am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie an der Erforschung von Kampfgasen, besonders Zyklon B, mitbeteiligt war. In der Theologie der Bibelwissenschaftler Martin Noth, der Patristiker Hans Freiherr von Campenhausen, der Alttestamentler Arthur Allgeier oder der Religionsphilosoph Wolfgang Trillhaas. In den Ingenieurswissenschaften der Begründer der Kältetechnik Rudolf Plank, Hans Piloty, der den Bau der Programmgesteuerten Elektronischen Rechenanlage (PERM) als einer der ersten Rechneranlagen in Deutschland anregte, Otto Flachsbart auf dem Gebiet der Windlasten sowie Erich Siebel mit bedeutenden Grundlagearbeiten für den Bau von Dampfkesseln und Druckgefäßen. Darüber hinaus beispielsweise der Mathematiker Georg Faber, der Geodät Walter Großmann, der Architekt Robert Vorhoelzer wie auch Wilhelm Müller im Transportwesen. Die Mehrheit der bedeutenden Juristen und Ökonomen im Rektoramt ist kaum von ihrer Wirkung auf den staatlich-gesellschaftlichen Wiederaufbau in der Bundesrepublik zu trennen. Insbesondere Walter Hallstein prägte im Rahmen seiner späteren Tätigkeit als Staatssekretär im Bundeskanzleramt durch seine Mitarbeit am EWG-Vertrag, vor allem aber durch die nach ihm benannte deutschlandpolitische Doktrin die frühe Bundesrepublik und ihre Rolle in ­Europa.76 Hermann von Mangoldt war in der ersten Legislaturperiode Mitglied des Landtags Schleswig-Holstein für die Christlich Demokratische Union (CDU), amtierte daneben als erster Innenminister des neu gegründeten Landes und war an der Ausarbeitung des Grundgesetzes sowie an dessen Kommentierung beteiligt.77 Staatstrechtler Ernst Friesenhahn wirkte ab 1951 als Richter am Bundesverfassungsgericht.78 Der Wirtschaftsrechtler Ludwig Raiser war Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums und entwickelte die in der

76 Zur Biographie Walter Hallsteins vgl. M. Kilian (2005) und I. Piela (2012). 77 Zur Biographie Hermann von Mangoldts siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www. deutsche-biographie.de/pnd118781537.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Wolfrum, Rüdiger: Mangoldt, Hermann.In: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 32 f. Vgl. außerdem: A. Rohlfs (1997) und U. Vosgerau (2008). Zusammen mit Friedrich Klein begründete von Mangoldt den Grundgesetz-Kommentar »Das Bonner Grundgesetz. Kommentar«, der 1953 zum ersten Mal erschien. 78 Zur Biographie Ernst Friesenhahns vgl. S. Stolle (2004), J. Frowein (1985) und B. von Bülow (1996).

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Bundesrepublik gültigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen.79 Franz Böhm als Mitbegründer der Freiburger Schule und der Agrarökonom Constantin von Dietze hatten konzeptionellen Einfluss auf die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft. Böhm engagierte sich daneben politisch als langjähriges Mitglied im Bundestag, nachdem er 1945/46 bereits Kulturminister in Hessen gewesen war.80 Von Dietze wurde in den Beirat des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft berufen.81 Der Staatsrechtler Rudolf Smend wirkte nicht aktiv in einer politischen Funktion, sondern mehr durch seine Schriften auf den Aufbau der Bundesrepublik. Gesellschaftlich engagierte sich jedoch auch er sehr stark innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), deren Kirchenrechtliches Institut er unmittelbar nach Kriegsende mitbegründet hatte und deren Rat er von 1946 bis 1955 angehörte.82 Insgesamt lässt sich für die Nachkriegsrektorenschaft auch im Westen ein hoher Grad an politisch-gesellschaftlichem Engagement ausmachen. Neben den bereits genannten finden sich weitere Träger höherer politische Ämter in den Reihen der Rektoren: Karl Geiler amtierte als erster Ministerpräsident des Landes Hessen,83 Heinrich Konen von 1946 bis 1947 als Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen und bekleidete parallel dazu ein Landtagsmandat für die CDU.84 Theodor Süß war Ministerialdirektor der Hochschul-Abteilung im bayerischen Kultusministerium und in späteren Jahren Botschafter in Kuba und Haiti.85 Eduard Brenner war 1951 bis 1954 Staatssekretär im bayerischen Kultusministerium,86 während Rudolf Pohle als Ministerialrat im bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben fungierte.87 Walter Erbe gehörte für mehrere 79 Zur Biographie Ludwig Raisers siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd118597957.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Raiser, Thomas: Raiser, Ludwig. In: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 123–124. 80 Zur Biographie Franz Böhms vgl. B. Kaff (1989), O. Schlecht (1995) und A. Hollerbach (1989). 81 Zur Biographie Constantin von Dietzes siehe seinen Eintrag im Magdeburger Biographischen Lexikon: http://www.uni-magdeburg.de/mbl/Biografien/0801.htm (Burkart v. Dietze; Stand 13.02.2016). 82 Zur Biographie Rudolf Smends siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 118823817.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Landau, Peter: Smend, Carl Friedrich Rudolf. In: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 510–511. Vgl. auch A. v. Campenhausen (2008). 83 Zur Biographie Karl Geilers siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 102038015.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Duden, Konrad: Geiler, Karl Hermann Friedrich: In: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 151. Vgl. auch W. Mühlhausen (1999). 84 Zur Biographie Heinrich Konens siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 116331208.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Gerlach, Walther: Konen, Heinrich: In: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 485 f. 85 Zur Biographie Theodor Süß’ siehe seinen Eintrag im Erlanger Professorenkatalog, Teil 1, S. 175 f. 86 Zur Biographie Eduard Brenners siehe seinen Eintrag im Erlanger Professorenkatalog, Teil  3, S. 24 f. 87 Zur Biographie Rudolf Pohles siehe seinen Eintrag im Erlanger Professorenkatalog, Teil 1, S. 150 f.

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Legislaturperioden als Abgeordneter der Freien Demokratischen Partei (FDP) dem Deutschen Bundestag an,88 Josef Martin von 1947 bis 1949 dem bayerischen Senat,89 Georg Schreiber kandidierte 1947 für die CDU für den nordrhein-westfälischen Landtag, konnte jedoch kein Mandat erlangen90. Über den politischen Bereich hinaus engagierten sich viele der Rektoren anderweitig innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Ähnlich wie Rudolf Smend waren auch Constantin von Dietze und Ludwig Raiser in der Evangelischen Kirche aktiv, zunächst als Mitglied deren Synode. Von Dietze amtierte schließlich von 1955 bis 1961 als Präses der EKD-Synode,91 Raiser folgte ihm von 1970 bis 1973 in diesem Amt nach92. Walter Erbe fungierte von 1950 bis 1955 als Präsident der deutschen UNESCO-Kommission.93 Eduard Brenner war Vorsitzender des Bunds für Naturschutz.94 Wilhelm Müller gehörte 1949 zu den Mitbegründern des Karlspreises und war Mitglied des ersten Direktoriums.95 Viele der Rektoren waren als Berater unterschiedlicher Institutionen gefragt. So war Wilhelm Müller Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Verkehr sowie in verschiedenen Gremien der Deutschen Bahn.96 Hans Piloty saß im Rundfunktrat des Bayerischen Rundfunks,97 Josef Martin im Bayerischen Beratenden Landesausschuss.98 Boris Rajewsky war in den fünfziger Jahren Berater der Deutschen Atomkommission.99

88 Zur Biographie Walter Erbes siehe seinen Eintrag im Internationalen Biographischen Archiv: http://www.munzinger.de/search/document?index=mol-00&id=00000004166&type=​ text/html&query.key=E1J0JuO1&template=/publikationen/personen/document.jsp&​ preview (Stand 10.11.2015). Auch in gedruckter Form: Internationales Biographisches Archiv 49 (1967). Vgl. auch U. Galm (1987). 89 Zur Biographie Josef Martins siehe U. W. Scholz / O. Schönberger (1995). 90 Zur Biographie Georg Schreibers siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 118761676.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Morsey, Rudolf: Schreiber, Georg. In: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 529–530. Vgl. auch R. Morsey (2000). 91 Siehe Anm. 81. 92 Siehe Anm. 79. 93 Siehe Anm. 88. 94 Siehe Anm. 86. 95 Zur Biographie Wilhelm Müllers siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 132271117.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Schieb, Alfred: Müller, Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 484–485. 96 Siehe Anm. 95. 97 Zur Biographie Hans Pilotys siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 137150423.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Fuchs, Margot: Piloty, Hans. In: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 446–447. Beziehungsweise sein Portrait in M. Pabst / M. Fuchs (2006), Bd. 2, S. 899–902. 98 Siehe Anm. 89. 99 Zur Biographie Boris Rajewskys siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 118597981 (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Kaul, Alexander: Rajewsky, Boris. In: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 125–126.

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Über ihre Tätigkeit in der akademischen Selbstverwaltung der eigenen Hochschule hinaus engagierten sich viele der Rektoren auch in der Wissenschaftsorganisation. Die Wiederbelebung der Forschungsförderung war den Professoren ein großes Anliegen, verfügte Deutschland doch lediglich über geringe Mengen an Rohstoffen. So war ihnen nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht daran gelegen, vor allem auch die naturwissenschaftlich-technische Forschung wieder konkurrenzfähig zu machen, die dem ›State of the Art‹ bei Kriegsende um einiges hinterherhinkte. Diese Anstrengung sollte sich auch auf die wirtschaftliche Entwicklung niederschlagen. Die Deutsche Bunsengesellschaft für Physikalische Chemie warb in einer an die Landesregierungen gerichteten Denkschrift Anfang 1949 mit folgenden Worten für eine entsprechende Finanzierung der Forschung: »Die Pflege der naturwissenschaftlichen Forschung ist infolge ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nichts anderes als Sozialpolitik auf lange Sicht.«100 Die Mittelknappheit in den Nachkriegsjahren trug das ihre dazu bei, dass sich viele Wissenschaftler für die Forschungsförderung engagierten. Auch die neu gegründeten Länder zeigten sich ebenso wie die Zonenverwaltungen und die beginnenden Strukturen des Bundes auf diesem Feld aktiv. All dies führte zu einer Vielzahl unterschiedlicher Initiativen, die sich teilweise auch gegenseitig Konkurrenz machten. Eine Übersicht über die vielfältigen Wege, die hier in den Nachkriegsjahren eingeschlagen wurden, gibt die Dissertation von Thomas Stamm.101 An dieser Stelle soll jedoch das Engagement der Nachkriegsrektoren im Vordergrund stehen. Friedrich Hermann Rein gehörte 1945 zu den Vordenkern und Mitbegründern des Deutschen Forschungsrats, der seiner Konzeption nach erstmals ein Organ für Wissenschafts-Lobbyismus in der deutschen Öffentlichkeit und Politik darstellen sollte.102 Gustav Gassner war ebenfalls Mitglied im Forschungsrat. Einige der Nachkriegsrektoren übernahmen später Funktionen im Wissenschaftsrat, der 1957 vor dem Hintergrund einer deutlich verbesserten Finanzlage der Bundesrepublik in dem Gedanken gegründet wurde, Deutschland als Teil des westlichen Blocks technologisch weiter voranzubringen, um in der Konkurrenz der Systeme mithalten zu können.103 Gerd Tellenbach und Walter Pflaum waren Mitglieder des Wissenschaftsrats, Ludwig Raiser amtierte von 1961 bis 1965 als dessen Vorsitzender. Friedrich Oehlkers war bereits Wiedergründungsmitglied der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, die zusammen mit dem Deutschen Forschungsrat schließlich 1951 in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgehen sollte. Mitgründer der DFG selbst waren außerdem Ludwig Raiser, 100 Denkschrift der Deutschen Bunsengesellschaft für Physikalische Chemie an die Ministerien, Landtage usw. aus Anlaß der Kürzung der Geldmittel für Forschungszwecke vom 10.02.1949, zitiert nach Th. Stamm (1981), S. 197 f. 101 Th. Stamm (1981). 102 Th. Stamm (1981), S. 126–141. 103 Zur Gründung des Wissenschaftsrats: O. Bartz (2006), S. 41–55.

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Joseph Kroll, Friedrich Hermann Rein. Auch die ersten Präsidenten der DFG stammen aus den Reihen der Nachkriegsrektoren: Ludwig Raiser stand der Gemeinschaft von 1951 bis 1955 vor, Gerhard Hess von 1955 bis 1964, Walter Gerlach amtierte von 1951 bis 1961 als Vizepräsident. Präsidiumsmitglieder waren daneben auch Hans Piloty und Gerd Tellenbach.104 Friedrich Hermann Rein war in der direkten Nachkriegszeit neben seinem Engagement für Deutschen Forschungsrat und DFG ebenfalls am Aufbau der Max-Plack-Gesellschaft (MPG) beteiligt. Weitere Gründungsmitglieder der MPG unter den Nachkriegsrektoren waren Heinrich Konen, Georg Schreiber und Walther Gerlach. In der Folgezeit waren auch weitere der Rektoren in der MPG aktiv. Boris Rajewsky wurde 1951 beispielsweise Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rats der Gesellschaft, Paul Harteck war ab 1956 Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied und Walter Gerlach amtierte von 1951 bis 1969 als Senator.105 Zuvor hatte Walter Gerlach bereits von 1949 bis 1951 als Gründungspräsident den Vorsitz der Fraunhofer Gesellschaft inne.106 Theodor Klauser und Emil Lehnartz waren Präsidenten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) von 1950 bis 1954 bzw. 1960 bis 1968.107 Joseph Kroll war Mitbegründer der Studienstiftung des deutschen Volkes.108 Gerd Tellenbach übernahm führende Aufgaben im Deutschen Hochschulverband.109 Gerhard Hess war in den 60er Jahren Mitglied im Gründungsausschuss der Universität Konstanz.110 Hans Piloty war Mitglied im Präsidium des Verbands deutscher Elektrotechniker (VDE).111 Von 1951 bis 1961 war Richard Vieweg Präsident der Physikalisch-Technischen Versuchsanstalt.112 Walter Erbe leitete von 1958 bis 1961 die Naumann-Stiftung.113 104 Zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft: R. v. Bruch (2010); K. Orth (2010). 105 Zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft: E. Henning (2011), zur Gründung siehe insbesondere S. 282–285. 106 Zur Rolle Walter Gerlachs als Wissenschaftsorganisator vgl. B. A. Rusinek (2005). Zur Fraunhofer Gesellschaft vgl. Fraunhofer-Gesellschaft (2009). 107 Zur Geschichte des Deutschen Akademischen Austauschdienstes vgl. P. Alter (Hg.) (2000) und M. Heinemann (2000). 108 Zur Biographie Joseph Krolls siehe seinen Eintrag in der NDB: http://www.deutschebiographie.de/pnd 116552441.html (Stand 13.02.2016). Auch in gedruckter Form: Merkelbach, Reinhold: Kroll, Josef. In: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 72 f. Zur Geschichte der Studienstiftung vgl. R.-U. Kunze (2001). 109 Zur Biographie Gerd Tellenbachs siehe seinen Eintrag in der Deutschen Biographischen Enzyklopädie, Bd. 9, S. 884 f. Vgl. auch: Th. Zotz (2006), S. 41–44. 110 Zur Biographie Gerhard Hess’ siehe seine Kurzvita in der Listung der DFG-Präsidenten: http://www.dfg.de/dfg_profil/geschichte/praesidenten/gerhard_hess/index.html (Stand 13.02.2016). 111 Siehe Anm. 97. 112 Zur Biographie Richard Viewegs siehe seinen Eintrag im Lexikon der Elektrotechniker, S. 442. 113 M. Faßbender (2009), S. 42–53. Siehe Anm. 88.

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Das gesellschaftlich-politische Engagement der Rektoren in der deutschen Nachkriegsgesellschaft spiegelt sich im politischen Charakter ihrer Reden. War die intellektuelle Öffentlichkeit jener Jahre von einer breit angelegten Diskussion des Neuanfangs und dessen Ausgestaltung geprägt, so beteiligten sich die Hochschulrektoren von ihrer Warte aus daran. Die Rolle der Hochschule in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft machte daran nur einen, wenn auch den gewichtigsten Teil ihrer Äußerungen aus. Genauso analysierten sie in ihren Reden die gesellschaftliche Entwicklung bis zu und während des Nationalsozialismus – inklusive der aus ihrer Sicht daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen in Richtung Zukunft. Die Formel, die sich im Tenor der Rektoratsreden für den deutschen Wiederaufbau hochschulpolitisch wie allgemeingesellschaftlich ergab, ist eine Kombination aus Tradition und Reform. Den Anspruch an die Hochschule setzten die Rektoren erwartungsgemäß hoch an. Entsprechende Forderungen stellten die Redner dabei auch an sich selbst als Vorstände dieser Institutionen. Sie nutzten die Rektoratsrede sowohl als programmatische Stellungnahme nach außen wie auch als Selbstzeugnis, das die eigene Position darin reflektierte. Verschiedene Rektoren formulierten ihren Anspruch an die eigene Amtsführung ganz explizit. Diese kurzen Redenausschnitte können gleichsam als Miniaturen eines gesamten Hochschulprogramms gesehen werden, das die Rektoren im Einzelnen vorschlugen. So legt Gerd Tellenbach zunächst einmal den Grundcharakter des akademischen Lebens und seiner eigenständigen Verwaltung dar: »Vom innersten Leben der Hochschule pflegt der neue Rektor ein Zeugnis abzulegen, der aus der Reihe der Professoren hervortritt und ganz unmittelbar als Forscher und Lehrer seines Faches hier tätig wird. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass im Mittelpunkt des gesamten akademischen Lebens die Wissenschaft steht, die streng auf ihr eigentliches Ziel, nämlich auf Erkenntnis aus ist, wenn sie in ihren Ergebnissen auch sehr vielseitig wirksam werden kann.«114

Die Aufgaben des Rektors der Gegenwart, seine Verbindung in eine lange Tradition hinein sowie die Erfüllung aktueller Erfordernisse, die er leisten muss, rücken weitere Rektoren wie hier Arthur Allgeier ins Zentrum ihrer Definition: »Auch der Rektor von heute ist nicht einfach Geschäftsträger, Verwaltungsbeamter, der in der Erledigung von tausend kleinen und größeren Anliegen, wie sie nun einmal auch das akademische Leben mit sich bringt, aufgeht.«115 Ähnlich auch Jean D’Ans: »Wie ich mir die Amtsführung eines Rektors denke, folgt aus meiner Auffassung, die ich von der Übertragung des Sinnes des Wortes Rektor habe: er sei ein Lenker, überall helfend, der Alles auf dem rechten Wege milde zusammenhält, einem hohen Ziele zu-

114 G. Tellenbach RB (FR ALU 1950), S. 58. 115 A. Allgeier (FR ALU 1946), S. 8.

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strebend. Ich bin mir der Schwierigkeiten des Amtes, der Aufgaben und insbesondere der derzeitigen Verhältnisse sehr bewusst.«116

Sowie Hans Freese, der mit der Betonung des demokratischen Aspekts der Aufgabe bereits einen Ausblick auf den gesamtgesellschaftlich-politischen Charakter der Rektoratsreden der Nachkriegszeit gibt: »Auf der tiefen Erkenntnis von der Notwendigkeit der Freiheit für Wissenschaft und Forschung beruht auch die demokratische Verfassung der deutschen Hochschulen, bei der der jährlich wechselnde Rektor nur primus inter pares ist. Gewiß möchte manchmal die in einer Hand geballte Energie im Augenblick mehr erreichen, aber auf die Dauer ist das organische Wachstum durch die demokratische Verfassung besser gesichert.«117

116 J. D’Ans (B TU 194), S. 3. 117 H. Freese (B TU 1949), S. 7.

IV. Quellen – Rektoratsreden 1945–1950 Reden der Rektoren von Universitäten und Technischen Hochschulen zu rituell wiederkehrenden Anlässen gehören zur akademischen Tradition im gesamten deutschsprachigen Raum bis in die ausgehenden 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Mindestens einmal pro Jahr – meist bei Amtsantritt, am Stiftungstag der Hochschule oder, in früheren Zeiten, zum Geburtstag des Monarchen – trat der Rektor vor ein Publikum, dem nicht nur Zuhörer des akademischen Umfeldes angehörten, sondern genauso Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens. Als obersten Vertretern der Hochschule bot sich den Rektoren hier die Gelegenheit, die eigene Institution nach außen wie nach innen darzustellen und zu positionieren. Um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert hinein begannen die Hochschulen, eigene Schriftenreihen aufzulegen, in denen die Rektoratsreden standardmäßig abgedruckt wurden, teilweise mit mehreren Auflagen. Manche fanden darüber hinaus Aufnahme in angesehene Zeitschriften wie die »Deutsche Rundschau«. Die Reden erlangten dadurch eine überregionale Verbreitung, zumindest in der universitären Teilöffentlichkeit oder auch im akademischen Bildungsbürgertum, womit sich den Reden ein noch größeres Forum eröffnete. Sie wurden unter anderem an andere Hochschulen verschickt, dort gesammelt1 und auch aktiv rezipiert. Dies belegen beispielsweise Zitate und Querverweise auf Rektoratsreden von anderen Hochschulen oder aus früheren Zeiten, die Rektoren hier und da in ihre eigenen Reden einbinden.2 Inhaltlich folgen die Reden – sie sind in der bibliographischen Datenbank der Rektoratsreden des 19. und 20. Jahrhunderts der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erschlossen3 – über die Zeit hinweg einem Schema, das Dieter Langewiesche so charakterisiert: »1. Sie schauten auf die großen Entwicklungen in Staat und Gesellschaft und bestimmten den spezifischen Ort der Universität, eines Fachs oder der Wissenschaft insgesamt in diesem historischen Geschehen. Die Universität in ihrem politischen, gesellschaftlichen, kulturellen Umfeld ist die Leitlinie dieses Typus von Rektoratsrede. 2. Sie betrachteten die Universität als Institution. Es ging um ihre innere Gestalt, ihre Bauform. Äußere Bedingungen wurden einbezogen, doch der Fokus war institutionell nach innen gerichtet. 3. Sie präsentierten einen wissenschaftlichen Bereich – ein ganzes Fach, einen Ausschnitt daraus oder ein bestimmtes Problem  –, anhand dessen der Redner meinte, 1 Vgl. hier die Anzahl an Standorten der Schriftenreihen in den Hochschul-Bibliotheken, abrufbar bspw. über die ZDB (http://dispatch.opac.d-nb.de/; Stand: 07.11.2015). 2 Vgl. hierzu in diesem Kapitel S. 75 f. 3 Vgl. http://www.historische-kommission-muenchen-editionen.de/rektoratsreden (Stand: 07.11.2015).

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Quellen – Rektoratsreden 1945–1950

einem fachfremden Publikum die Bedeutung der eigenen Disziplin für die Universität und für die gesamte Gesellschaft einsichtig machen zu können.«4

Verfolgt man die Titel der Rektoratsreden über das 19. hinweg und bis ins 20. Jahrhundert hinein, so ergibt sich in der Verteilung der drei inhaltlichen Gruppen folgende Gewichtung: Mit Abstand am häufigsten sprechen die Rektoren über Themen ihres Fachbereichs, skizzieren die Forschungsentwicklung, verweisen auf Innovationen, die innerhalb ihres Faches erzielt wurden oder von ihm ausgingen, und betonen damit auch dessen gesellschaftliche Relevanz. Häufiger finden sich auch Reden, die sich mit hochschulpolitischen Themen auseinandersetzen, so etwa mit der wissenschaftlichen Freiheit oder der Frage, was Bildung sein solle, gerade auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Zusammenhänge. Eher selten richten die Rektoren den Blick auf die ›große‹ Politik; meist sind es die großen Ereignisse in der außeruniversitären Welt, die – dann aber gehäuft – ein entsprechendes Echo in den Reden hervorrufen, so etwa die Revolution 1848, die Reichsgründung 1871 oder der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 bis ins Folgejahr. Innerhalb der Reden stellen die Rektoren sehr wohl Bezüge bspw. zu politischen Themen auch unter fachspezifisch gehaltenen Titeln her et vice versa, was allerdings an den thematischen Gewichtungen aufs Ganze gesehen nicht rüttelt. Parallel dazu sind die Rektoratsberichte zu sehen, welche die Rektoren am Ende ihrer Amtszeit gaben, häufig zur Feier der Amtsübergabe: Zuerst gab der abtretende Rektor einen Überblick über sein Rektorat, danach hatte der neue Rektor Gelegenheit, sich mit seiner Rektoratsrede als erster Amtshandlung zu positionieren. An einigen Hochschulen gehörte es daher auch zur Veröffentlichungstradition, beide Reden im selben Band der Universitätsschriftenreihe abzudrucken, so zum Beispiel in Aachen, Stuttgart oder Tübingen. Walter Hallstein erläutert das komplementäre Verhältnis von Rektoratsrede und -bericht in seinem Rektoratsbericht von 1948: »Es ist ein wohlbegründeter Brauch, der dem aus seinem Amte scheidenden Rektor auferlegt, über seine Amtszeit in einer akademischen Feier vor der inneren Öffentlichkeit der Universität, aber auch vor den Repräsentanten der äußeren Öffentlichkeit des Landes zu berichten. Dieser Brauch ergänzt die Sitte der akademischen Antrittsrede des neuen Rektors. Wenn solche Antrittsrede einen Blick auf einen – beispielhaft vorgeführten – Vorgang wissenschaftlicher Arbeit selber erlaubt, so wie sie hundertfältig an der Universität geleistet wird, gibt der Geschäftsbericht ein Bild der Werkstatt, der Instrumentation jener Arbeit, der Bedingungen, die ihrer Entfaltung Freiheit oder Grenzen geben. Denn nicht über das Ganze und nicht über das Wesentliche der Leistung einer Universität kann er Aufschluß geben: dieses Wesentliche wird täglich und stündlich in der denkerischen Durchdringung der Wirklichkeit getan.«5

4 D. Langewiesche (2007a), S. 48. 5 W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 5.

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Die Rektoratsreden in den direkten Folgejahren des Zweiten Weltkriegs stehen klar in dieser Tradition. Die Hochschulen feierten mit großer Freude ihre Wiedereröffnung, häufig bereits im größeren Rahmen, und bemühten sich in der Folge, die feierlichen Veranstaltungen zu restituieren, in welche die jährliche Rektoratsrede klassischerweise eingebettet war. Vertreter aus sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens auf lokaler wie auf übergeordneter Ebene, Abgesandte der alliierten Militärverwaltung sowie Rektoren anderer, zumeist benachbarter Hochschulen nahmen an diesen Festakten teil und wurden entsprechend als Zeugen für das allgemein-gesellschaftliche »Interesse am Bestand und Leben der Universität«6 begrüßt. Besonders große Bedeutung maßen die Redner der Anwesenheit von ausländischen Gästen bei. So blickte etwa Walter Hallstein mit großem Stolz allein auf die Zahl der aus dem Ausland angereisten Gäste anlässlich einer von der Universität Frankfurt veranstalteten Gedenkfeier zum hundertjährigen Jubiläum der Revolution von 1848, bei der unter anderem auch der Kanzler der Universität Chicago, Robert M. Hutchins, eine Ansprache hielt und an der insgesamt 32 Vertreter europäischer und nordamerikanischer Hochschulen teilnahmen7. Gleichermaßen bedeutungsvoll hob der geschäftsführende Rektor Edwin Redslob in seiner Begrüßung bei der Feier zur Eröffnung der Freien Universität Berlin die Anwesenheit inkl. Ansprache des Dichters Thornton Wilder als »erstem Gast des Auslandes« hervor.8 Doch auch schon die Möglichkeit, derartige Festivitäten als Hochschule wieder frei begehen zu können, nahmen Rektoren mit Erleichterung auf, wie beispielsweise Josef ­Martin zu Beginn seiner Rede anlässlich der Wiedereröffnung der Universität Würzburg 1946: »Sechs Jahre lang, solange der Kriegslärm unser Vaterland umtobte, hat die Universität es vermieden, in einer Feierstunde in die Öffentlichkeit zu treten. Heute hat sie nach altem Brauche mit ihren Ehrengästen sich wieder versammelt, um das Stiftungsfest unserer Alma Julia zu begehen, der vor 364 Jahren Kaiser Maximilian II. durch Dekret aus Prag feierlich die Rechte und Privilegien einer deutschen Universität verliehen hat.«9

Der Selbstreferenzialität der Quellengattung Rektoratsrede blieben die Rektoren auch in der Nachkriegszeit treu. Die Redner flochten sowohl Bezüge zu früheren Rektoratsreden und zu großen Gelehrten vor allem der Vergangenheit gerne in ihre Reden ein wie sie auch Themen aus den Reden anderer Rektoren ihrer Zeit aufgreifen und kommentieren. Georg Hohmann etwa zitierte in seinen Rektoratsreden in Frankfurt wie in München aus der Rede Theodor Mommsens zu Antritt seines Rektorats an der Berliner Universität 1874 »Über das Geschichts-

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Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 3. Vgl. hierzu W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 18 f. E. Redslob (B FU 1948), S. 24. J. Martin (WÜ BJMU 1946), S. 3.

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studium«10 verschiedene Passagen, die das Bildungsverständnis der Nachkriegszeit aus den Erfahrungen und Ansichten der Vergangenheit heraus untermauern.11 Kurt Apel nahm in seiner Rede anlässlich der 150-Jahrfeier der TU Berlin eine längere Passage aus der Rektoratsrede von Adolf Harnack an der Berliner Universität aus dem Jahr 1900 auf. Apel rekapitulierte die Geschichte der Hochschule unter Leitspruch Ciceros »Historia magistra vitae«12. Apel nutzte das Zitat Harnacks an dieser Stelle, um seine grundlegende Programmatik zu stützen.13 Die Ansicht, man könne und müsse aus der Geschichte lernen, ist in den Rektoratsreden generell stark verbreitetet. Viele Redner, häufig keine Vertreter der Geschichtswissenschaft, suchten immer wieder in der Vergangenheit nach vergleichbaren Gemengelagen, die ihnen und ihren Zeitgenossen als Beispiel für den Umgang mit gegenwärtig zu bewältigenden Situationen dienen konnten. Sie leisteten damit in gewissem Sinne einen Rückgriff auf die moralisch belehrende Form antiker und mittelalterlicher Geschichtsschreibung.14 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Beispiele, die ein Lernen aus der Geschichte ermöglichten, wieder häufiger proklamiert. Anders als Heinrich August Winkler es mit Blick auf die spätere, in der Bundesrepublik gerne gezogene Lehre aus der Vergangenheit formuliert, bezogen die Hochschulrektoren der direkten Nachkriegszeit die von ihnen gewählten historischen Beispiele dabei weitaus weniger auf die Gräuel der Nazi-Zeit. Gegenstand des historischen Vergleichs war für sie vielmehr die von ihnen konstatierte Krisensituation samt Auswegen daraus.15 Der Bezug der Rektoren zu lehrreichen Beispielen der Vergangenheit richtete sich gleichermaßen auf Persönlichkeiten der Geistesgeschichte. Otto Flachsbart hielt als im Amt bleibender Rektor an der Technischen Hochschule Hannover 1949 lediglich seinen Rektoratsbericht. Der traditionelle Termin der Amtsübergabe am Stiftungstag der Hochschule, dem 1. Juli, ist gleichzeitig auch der Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz, dem sich die Hochschule sehr verbunden sieht. Flachsbart leitete seine Rede folglich ein, indem er Bezug auf das überkommene Gedenken an Leibniz nahm und einen historischen Vergleich zwischen der Gegenwart und Leibniz’ Lebenssituation nach dem Dreißigjährigen Krieg zog: Zu beiden Zeiten habe die gleiche Herausforderung bestanden, neue Verbindungen zwischen verfeindeten Nachbarn herzustellen. In der Vergangenheit hätten Wissenschaft und Kunst im Anschluss eine Blütezeit erlebt und somit das ihre zur Aufgabe der Völkerversöhnung beigetragen, was sie nach Vorstellung Flachsbarts auch in der Gegenwart leisten sollten.16 10 11 12 13 14

Th. Mommsen (1905). Vgl. G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 16 u. G. Hohmann (M LMU 1946), S. 18. Cicero, De oratore II, c. 9, 36 und c. 12, 51. K. Apel (B TU 1949), S. 3 f. Zum Verschwinden der beispielgebenden Funktion im Sinne von »historia magistra vitae« aus der Historiographie vgl. R. Koselleck (1979b). 15 H. A. Winkler (2004), v. a. S. 11–15. Zum historischen Vergleich in den Rektoratsreden vgl. auch Kap. V.1. S. 113–118. 16 O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 3 f.

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Die Person, auf die sich die Rektoren der Nachkriegsjahre am häufigsten bezogen, ist auf das gesamte Quellenkorpus hin betrachtet Johann Wolfgang von Goethe, der in 43 Reden vorkommt. Walter Gerlach thematisierte die Rolle Goethes als erster Bezugsperson der Deutschen in seinem Rektoratsbericht zu Ausgang des Jahres 1949, in dessen Verlauf nicht nur an der LMU, sondern auch an einigen anderen Hochschulen Gedenkfeiern zu Goethes 200. Geburtstag abgehalten worden waren: »Ich darf wiederholt an Goethes Wort erinnern: ›Kann es etwas Schöneres geben, als wenn die Jugend aus allen Weltgegenden zusammenkäme um sich fester für das Gute zu verbünden.‹ Wir sollten Goethes Worte nicht immer nur bewundern – sondern auch ernst nehmen!«17

Weitere häufig zitierten Gewährsmännern der Nachkriegsrektoren sind Imma­ nuel Kant (direkte Namensnennung in 23 Reden), Friedrich Schiller (in 16 Reden), die Dichter und Denker der griechischen und römischen Antike (z. B. Platon in 10 Reden, Aristoteles in 10 Reden, Horaz in 5 Reden), der europäischen Renaissance und Aufklärung (z. B. Niccolò Machiavelli in 6 Reden, Gottfried Wilhelm Leibniz in 10 Reden, René Descartes in 9 Reden) des Deutschen Idealismus und der Romantik (z. B. Georg Wilhelm Friedrich Hegel in 14 Reden, Friedrich Hölderlin in 11 Reden, Johann Gottlieb Fichte in 8 Reden, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling 3 Reden). Die Gebrüder Wilhelm und Alexander Humboldt erscheinen in 15 Reden. Sie werden meist als ›Patrone‹ der modernen Wissenschaft oder des humanistischen Denkens angesprochen, weniger jedoch in Bezug auf die Universität als solche.18 An Gelehrten der Gegenwart finden sich vor allem Karl Jaspers (in 8 Reden), Jacob Burckhardt († 1897, in 8 Reden), den die ältere Generation unter den Rektoren noch als Zeitgenossen erlebt hatte, Max Weber († 1920, in 6 Reden), Max Scheler († 1928, in 4 Reden) sowie der 1936 verstorbene Oswald Spengler (in 5 Reden) in den Reden wieder. Die gegenseitige Rezeption aktueller Rektoratsreden war in der Nachkriegszeit sehr stark. Die Hochschulen pflegten zum einen nachbarschaftliche Kontakte, was sich auch in der zahlreichen Teilnahme von Rektoren und anderen Hochschulvertretern an den Feierlichkeiten insbesondere der umliegenden Bildungsinstitutionen zeigte. Zum anderen begannen viele Hochschulen – hauptsächlich in den drei Westzonen – mit der Wiederauflage der eigenen Schriftenreihen aus der Vorkriegszeit, bzw. aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Meist gleichen Titels wurden die Reihen mit dem Zusatz »Neue Folge« versehen, in einer neu begonnenen Zählung. In vielen Fällen war in Nummer eins der wiederaufgelegten Reihe die Rektoratsrede zur Wiedereröffnung der Hochschule 17 W. Gerlach RB (M LMU 1949), S. 12. 18 Das heute häufig zitierte Bild der »Humboldtschen Universität« ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr präsent. Die Rektoren sprechen häufiger von der »deutschen Universität«, wenn sie die Form von Wissenschaft und Lehre als universitäre Organisationsform meinen. Vgl. hierzu Kap. VII.2, S. 282 f.

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abgedruckt, die folgenden Rektoratsreden gliederten sich sukzessive in die Serie ein. Damit schufen die Hochschulen ihren Verlautbarungen wieder einen Verbreitungsraum, der in der akademischen und intellektuellen Teilöffentlichkeit der Zeit Widerhall fand. Häufig griffen die Rektoren in ihren Reden Motive aus den Reden anderer Rektoren auf, vielfach thematisierten sie diese Bezugnahme ausdrücklich. August Reatz etwa griff in seiner Mainzer Rektoratsrede 1947 eine Forderung von Georg Hohmann auf, die dieser ein Jahr zuvor in Frankfurt geäußert hatte. Hohmann hatte den Neuaufbau einer Theologischen Fakultät in Frankfurt angesprochen, die nach seiner Vorstellung zwingend benötigt werde, um eine ›wahre‹ Universitas verwirklichen zu können. Reatz sah darin den Beleg für den von ihm selbst formulierten Anspruch, die Theologie müsse ihr angestammtes Recht, die »Krönung der Universitas litterarum« zu sein, in der Gegenwart wieder verstärkt anmelden. Die Bedeutung der Theologischen Fakultät blieb als Thema auch intern an der Frankfurter Universität aktuell. So bedauerte Walter Hallstein, Hohmanns Nachfolger im Amt, in seinem Rektoratsbericht 1948 das bisherige Scheitern der Versuche, eine Theologie in Frankfurt einzurichten, bekundete aber das fortbestehende Interesse daran: »Diese Erweiterung [der Universität um eine Theologische Fakultät] gerade jetzt in Angriff zu nehmen, sind wir durch die Erwägungen veranlaßt worden, dass zumal heute, eine Hochschule nicht für sich in Anspruch nehmen kann, eine strahlungskräftige Stätte der Austragung der letzten geistigen Auseinandersetzungen der Zeit zu sein, wenn in ihrer Mitte die Theologie als die wissenschaftliche Lehre von den christlichen Überlieferungen und Offenbarungen fehlt, und dass nur so auf die Dauer eine Erziehung der Studenten zu den vollen Menschlichkeitswerten unserer Überlieferung gewährleistet ist.«19

Wie im Beispiel Frankfurt erhielten sich in einigen Fällen gerade innerhalb einzelner Hochschulen gewisse Themen in den Rektoratsreden über die Personen im Amt hinweg. So beklagten in Göttingen nacheinander die Rektoren Rudolf Smend und Friedrich Hermann Rein die für die Deutschen typische passive Haltung und mangelnde Aktivität.20 Vor allem Smends Rede 1945 über »Staat und Politik« geht der Frage nach, in welchem Verhältnis der Bürger zum Staat steht und kommt mit Blick auf die Deutschen zu dem Schluss, den auch Rein in seiner Rede ein Jahr später wiederauflegte: Die Deutschen verharrten aufgrund einer mangelhaften Demokratisierung in einer Untertanen-Haltung, die Mitschuld an dem erlebten Unheil trage. Um dem Land künftig eine gedeihliche Entwicklung zu sichern, müssten sie diese nun unbedingt abstreifen. In ähnlicher Weise griff Walter Gerlach in seiner Rede anlässlich des 200. Geburtstags ­Johann Wolfgang von Goethes mit dessen Konzept von Bildung als Wechsel19 Vgl. hierzu: G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 17; A. Reatz (MZ JGU 1947), W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 19 f. 20 R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 372–379, F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 9.

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spiel zwischen Allgemein- und Spezialwissen ein Motiv auf, das auch schon sein Vor-Vorgänger Karl Vossler bei der Wiedereröffnung der LMU angesprochen hatte.21 Vossler wehrte sich in seiner Rede gegen eine allgemeine Verdammung des Spezialwissens. Die zeitgenössische Forderung, Bildung solle möglichst allgemein sein, nahm er zum Ausgangspunkt, um den Unterschied zwischen dem menschlich Allgemeinen, der Humanitas, und dem sachlich Allgemeinen, der Universitas, aufzuzeigen. Die Humanitas könne seiner Ansicht nach nur über die Beschäftigung mit dem Besonderen erreicht werden. Gerlach vertrat in seiner Rede ein ähnliches Konzept, das er zudem mit einem Zitat Goethes sekundierte. Einen weiteren Fall inneruniversitärer Tradierung eines Themas bilden die Aachener Rektoren Wilhelm Müller und Wilhelm Fucks ab, die in ihren Antrittsreden jeweils auch die Grenzen der Wissenschaft berücksichtigt sehen wollten.22 Die Wissenschaft könne nicht alle Fragen klären bzw. alle Probleme lösen. Es bleibe immer ein letzter ungeklärter Teil, der entsprechend respektiert werden müsse. Aus verschiedenen Gründen fallen die Reden der Hochschulrektoren in den direkten Folgejahren des Zweiten Weltkriegs aus dem klassischen Raster der Rektoratsrede heraus, insbesondere im Hinblick auf Anlass und Inhalt. Der Nationalsozialismus hatte (auch) an der Hochschule mit vielen Traditionen gebrochen. Betroffen davon war in den Jahren 1933 bis 1945 ebenfalls die klassische Rektoratsrede. Die sogenannten Führer-Rektoren wurden ohne zeitliche Begrenzung ins Amt berufen.23 Damit entfiel an der Mehrheit der Hochschulen der jährliche Redetermin des neu antretenden Rektors. Stiftungstage wurden häufig nicht mehr begangen. Stattdessen schuf sich die politisierte nationalsozialistische Hochschule eigene Redeanlässe wie z. B. zur Feier des 30. Januar24, des 1. Mai25 oder zum Gedenken an die mythifizierte Schlacht bei Langemarck vom

21 W. Gerlach (M LMU 1949a), S. 15, K. Vossler (M LMU 1946), S. 20. 22 W. Müller (AC RWTH 1948), S. 28, W. Fucks (AC RWTH 1950), S. 18. 23 Vgl. hierzu H. Seier (1964) und B. Grün (2010), S. 97–117. 24 Der Termin wurde häufig weiterhin als »Reichgründungsfeier« tituliert, die an einigen Hochschulen zur Erinnerung an die Kaiserproklamation Wilhelms I. 1871 begangen wurde. Wenige Jahre nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wurde das Datum der Feier vom 18. Januar knapp zwei Wochen nach hinten verschoben auf das Gründungsdatum des neuen, ›Dritten Reichs‹. Beispiele hierfür sind: F. Hübener (1936): Ansprache und Festrede des Rektors Professor Dr.-Ing. Hübener [ zur Feier des Tages der nationalen Erhebung und des Reichsgründungstages am 30. Januar 1936]; W. Groß (1936): Die Feier des 30. Januar 1936; F. Koch (1937): Das Reich Adolf Hitlers, die Erfüllung deutscher Sehnsucht; E.-H. Brill (1937): Von den Aufgaben deutscher Wissenschaft; E. Krieck (1938): Charakter und Weltanschauung. Rede zum 30. Januar 1938; Th. Mayer (1940): Deutschland und Europa. Rede gehalten anläßlich der Feier der Reichsgründung und der Machtübernahme am 30. Januar 1940. 25 Die Mai-Feier wurde häufig mit inneruniversitären Anlässen kombiniert Beispiele hierfür sind: E. Seifert (1938): Verpflichtung der neu aufgenommenen Studenten durch den Rektor,

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10. November 191426. Alle diese neuen Redetermine – dies gilt gleichermaßen für die Stiftungsfeiern, wo sie noch begangen wurden – waren nicht notwendigerweise Gelegenheit zur rektoralen Äußerung. Die Festreden wurden teilweise von den Rektoren, teilweise von anderen Professoren der Hochschule gehalten. Mit Kriegsende unternahmen die Hochschulen sehr schnell intensive Bemühungen, die nationalsozialistischen Strukturen abzustreifen, und sie begannen, traditionelle Elemente wiederzubeleben. Die Rektoratsrede, verbunden mit dem meist jährlichen Wechsel inneruniversitär gewählter Rektoren, wurde an vielen Hochschulen direkt wieder eingeführt. Otto Eißfeldt, Rektor bei Wiedergründung der Universität Halle, betont die prompte Wiederbelebung traditioneller Elemente wie der Rektoratsrede oder der Feier des Stiftungstages in ihrer haltgebenden Funktion, »um in dem rasenden Strom des gegenwärtigen Geschehens überhaupt Boden zu behalten unter unseren Füßen«.27 An anderen Hochschulen, wie z. B. an der TH Darmstadt dauerte es aufgrund der lokalen äußeren Umstände etwas länger, bis man zur Tradition der Rektoratsrede zurückkehrte.28 Teilweise mussten nach und nach erst wieder die rituellen Anlässe festgelegt werden, ein Grund, warum von manchen Rektoren sehr viele Reden aus dieser Zeit vorliegen, von anderen hingegen keine. Die Rektoratsrede soll demnach für den Zeitraum der Nachkriegsjahre definiert werden als eine Rede, die der amtierende Rektor einer Hochschule in dieser Funktion innerhalb eines öffentlichen Rahmens an der Hochschule gehalten hat.

Prof. Dr. E. Seifert am 30. April 1938; H. Grothe (1940): Tag zur Feier der nationalen Arbeit, gehalten 1939 26 Die Schlacht bezeichnet den Beginn des Stellungskriegs im 1. Weltkrieg. Sie bedeutete für die deutsche Seite keinen militärischen Erfolg, sorgte für hohe Verluste, wurde aber in der Öffentlichkeit propagandistisch zum Erfolg umgedeutet. Der ›Opfergang‹ der jungen Soldaten wurde alsbald zum Mythos stilisiert. Der Kult um Langemarck begann bereits in den 20er Jahren, wurde schließlich auch von den Nationalsozialisten aufgegriffen und in den 30er Jahren entsprechend ausgebaut. Vgl. hierzu B. Hüppauf (1993). Die Langemarck-Feier wurde häufig mit inneruniversitären Anlässen kombiniert. Beispiele hierfür sind: O. Gruber (1936): Rede zur Langemarck- und Immatrikulationsfeier am 14. November 1936; H. Grothe (1939): Langemarckfeier und Immatrikulation am 21. November 1937. 27 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 3 f. 28 Schriftliche Auskunft des Universitätsarchivs Darmstadt vom 20. Juli 2005: »Es ist tatsächlich so, dass es in der Zeit von 1945–1949 nur diese einzige Rektoratsrede von 1949 [die Rede von Alfred Mehmel zum Amtsantritt seines Rektorats] gibt. In der Zeit von 1945 bis 1949 herrschte an unserer total zerstörten Hochschule ein völliger Ausnahmezustand.« Der Kleine Senat der Hochschule Darmstadt hatte im Dezember 1945 auf Antrag des Rektors Erich Reuleaux die Abschaffung größerer Feierlichkeiten anlässlich der Wiedereröffnung beschlossen, wie der Sitzungsbericht vom 11. Dezember 1945 zeigt: »Der Rektor schlägt vor, anläßlich der Wiedereröffnung der Technischen Hochschule einen Akt in einfachem Rahmen zu veranstalten. Hierbei wird der Rektor anstelle des sonst üblichen Fachvortrags nur eine Ansprache halten.« Diesen Modus hielt man bis 1949 bei. Vgl. hierzu UA DA, TH 21/01.

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Inhaltlich zeigen sich die Reden der Nachkriegsrektoren als überdurchschnittlich politisch. Die Rektoren setzen sich intensiv mit den Fragen ihrer Zeit auseinander. Ausgehend von einem starken Krisenbewusstsein in Bezug auf die Gegenwart blicken die Rektoren in Vergangenheit und Zukunft. Sie betreiben einerseits intensive Ursachenforschung, wie es zu dieser »deutschen Katastrophe« (Meinecke) habe kommen können und gehen dafür weit zurück in der europäischen Geistesgeschichte. Das Ergebnis ihrer Analyse lautet, dass einheitsstiftende Faktoren in Europa wie etwa die christlich-religiöse Bindung, die humanistischen Werte oder auch die abendländische Geistesgemeinschaft als solche in der Vergangenheit mehr und mehr vernachlässigt worden seien. Die Einheit habe begonnen zu zerfasern, zuerst im Politischen, schließlich auch im Kulturellen, bis hin zum Aufbau direkter Gegensätzlichkeiten etwa in Form nationalistischer Ideen. Gleichzeitig sei die Menschheit immer stärker dem Glauben an die Allmacht der menschlichen Vernunft sowie an den unendlichen Fortschritt in Wissenschaft und Technik verfallen. Halt- und orientierungslos sei man damit zwangsläufig auf den soeben erlebten Untergang zugesteuert. Auf der anderen Seite suchen die Rektoren nach Auswegen aus der Krise der Gegenwart. Sie kommen in ihren Analysen der Gegenwart einheitlich zu dem Ergebnis, dass sich die politisch-gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht rückgängig machen ließen. Vielmehr müsste ihr vor allem im Hinblick auf eine positive Entwicklung der Zukunft bewusst Rechnung getragen werden, um damit auch zu verhindern, dass sich ähnlicher Schrecken jemals wiederhole. Staat und Gesellschaft erforderten in der Gegenwart einen neuen gestalterischen Ansatz, suchten jedoch gleichzeitig nach einem stabilisierenden Moment. Um diese unterschiedlichen Bedürfnisse gleichermaßen zu befriedigen, schlagen die Rektoren einen Rückgriff auf traditionelle Werte vor, die an die veränderten Strukturen angepasst werden sollen und dabei neue Entwicklungen mitaufnehmen, um so den künftigen Wandel zu begründen. Die Rolle von Hochschule und Wissenschaft beleuchten die Rektoren innerhalb dieser Zusammenhänge intensiv. Eine Mitbeteiligung, ja Mitschuld am Entstehen und Ausbruch der Krise räumen die Redner ebenso ein, wie sie den Schaden feststellen, den dieselbe Krise an ihren Hochschulen, beziehungsweise am gesamten Wissenschafts- und Hochschulsystem verursacht habe. Dieses Eingeständnis von Schuld ist für die weitere Argumentation der Rektoren von zentraler Bedeutung. Die Rektoren, die in dieser Form Schuld bekennen, sind in der überwiegenden Mehrheit persönlich nicht politisch belastet aus der Zeit des Nationalsozialismus, in einigen Fällen waren sie nicht einmal aktives Mitglied der Hochschule in jener Zeit. Diese Redner sind im Vorteil, Schuldgeständnisse offen aussprechen zu können, ohne sich für ihre eigene Person gänzlich damit zu identifizieren zu müssen. In den Reden ergibt sich daraus ein argumentatorisches Modell von Schuldbekennern, die sich gleichzeitig von den ›wirklich Schuldigen‹ lossagen, zu denen sie sich nicht zählen. Auf dieser gedanklichen Volte wiederum gründen die Redner einen Führungsanspruch seitens der Hochschule, was die Gestaltungsmacht über die Zukunft betrifft: Die geistige Qua-

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lität, die sich in der Hochschule auch und gerade im reflektierten Umgang mit der eigenen Vergangenheit bezeuge, qualifiziere die Institution und ihre Angehörigen folgerichtig zu führenden Aufgaben in einem neuen Deutschland.29 Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, verlangen die Redner auch für den akademischen Bereich Veränderungen, die sie – wie schon für die gesamtgesellschaftliche Restrukturierung  – in einer Kombination aus Tradition und Reform beschreiben. Abgesehen von aktuellen Geschehnissen und Fragestellungen, welche die Reden der Nachkriegsrektoren in weiten Teilen bestimmen, scheinen jedoch auch im rektoralen Diskurs der späten vierziger Jahre klassische Themen der Rektoratsrede heraus. Eine ausführliche Krisenrhetorik war im 19. Jahrhundert genauso Bestandteil der akademischen Kommunikation wie nach Ende des Zweiten Weltkriegs – ebenso wie sie es auch im Zeitalter der Bologna-Reform ist. Anders als in den Nachkriegsjahren fokussiert sich die Krisenbetrachtung zu anderen Zeiten jedoch meist weit weniger auf umfassende gesellschaftliche Fragen per se, sondern viel direkter auf Hochschule und Wissenschaft.30 Das Verhältnis von Wissenschaft und Hochschule zur Gesellschaft spielte in den Rektoratsreden zu allen Zeiten eine tragende Rolle. Die Frage, was die Hochschule und ihre Wissenschaft in der Gesellschaft zu sein und zu leisten habe, stellen sie kontinuierlich.31 Die Antwort darauf drückt immer einen Führungsanspruch seitens der Hochschule aus. 29 Vgl. hierzu Kap. V.1, S. 131–141. 30 F. v. Raumer (1843): Über die Krisis der Jahre 1806 und 1807, gehalten 1843; K.  Heyder (1862): Was erschwert gegenwärtig besonders die Wirksamkeit und Stellung der Universität und wie hat sie diesen Schwierigkeiten zu begegnen?, gehalten 1862; A. Thaer (1885): Ueber die gegenwärtige landwirtschaftliche Krise in Deutschland, gehalten 1885; O. Bumke (1929): Eine Krisis der Medizin, gehalten 1928; J. Kroll (1931): Hochschulprobleme, gehalten 1931; E. Kohlrausch (1932): Die geistesgeschichtliche Krise des Strafrechts, gehalten 1932; E. Locher (1932): Krisennotrecht, gehalten 1932; K. Galling (1952): Die Krise der Aufklärung in Israel, gehalten 1951; G. Knetsch (1960): Probleme und Perspektiven des Ausländerstudiums, gehalten 1960. 31 C. G.  Ehrenberg (1856): Über die Stellung der Universitäten im Staate und zur Gesamtbildung sowie Erfahrungswissenschaften zu dem Staate, gehalten 1855; R. O. S.  Lipschitz (1874): Wissenschaft und Staat, gehalten 1874; H. Keil (o. J.): Von der Entwicklung der philologischen Studien an den Universitäten Wittenberg und Halle zur Zeit Melanchthons und F. A. Wolfs und von dem Einfluß der beiden Universitäten auf die klassische Bildung des deutschen Volkes, gehalten 1875; E. Winkelmann (1880): Ueber die ersten Staats-Universitäten, gehalten 1880; C. M. v. Bauerfeind (o. J.): Staatswirtschaftliches Bauwesen und Technischer Unterricht in Bayern unter König Ludwig I, gehalten 1884; H. Dernburg (1884): Die Bedeutung der Rechtswissenschaft für den modernen Staat, gehalten 1884; E. Troeltsch (1906): Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten, gehalten 1906; A. Leist (1908): Kann die civilistische Rechtswissenschaft dem Staate nützen?, gehalten 1908; W. Kähler (1910):Staat und Vaterland. Grundsätzliche Gedanken über staatsbürgerliche Bildung, gehalten 1910; G. Wickop (1911): Die Entwicklung der Großherzoglichen Technischen Hochschule zu Darmstadt und ihre zukünftigen

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Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der akademischen Freiheit, vor allem im 19. Jahrhundert ein großes Thema der Rekto­ ratsreden.32 Die Freiheit von Forschung und Lehre forderten die Redner sowohl damals wie nach dem Zweiten Weltkrieg (wohingegegen dieses Thema zu Beginn des 21. Jahrhunderts von der Frage nach der ›Exzellenz‹ von Forschung und Lehre an der Hochschule überlagert oder gar abgelöst zu sein scheint). Unter dem nachhallenden Eindruck der nationalsozialistischen Hochschule hingegen stand für die Nachkriegsrektoren eindeutig die Rückgewinnung der wissenschaftlichen Freiheit im Vordergrund. Den Verlust dieser Freiheit beschreiben sie vielfach unter dem Stichwort ›Positivismus‹. Gemeint ist damit die Entfernung der Wissenschaft von allen ethischen Grundbedingungen bis hin zur totalen Losgelöstheit, was schließlich zu ihrer politischen Dienstbarmachung durch den Nationalsozialismus geführt habe. Vor diesem Hintergrund sehen die Nachkriegsrektoren selbst vor, die von ihnen geforderte Freiheit konzeptionell in einen Bezugsrahmen einzubetten, der sowohl ethische Grundwerte wie auch ein geregeltes Verhältnis zum Staat einschließt. Aufgaben in den Fragen der staatsbürgerlichen, ethischen und künstlerischen Erziehung, gehalten 1911; F.  Lenz (1913): Das technische Bildungssystem in Rücksicht auf Staat und Wirtschaft, gehalten 1913; L. Troske (1917): Die Sicherstellung unserer Volksernährung und die unserer Munitions- und Sprengstofferzeugung, gehalten 1917; W. Kähler (1920): Volkswirtschaft und Unterrichtswesen, gehalten 1920, E. Seckel (1921): Staat, Volk, Universität, gehalten 1921; W. Gerloff (1932): Wirtschaftswissenschaft und politische Bildung, gehalten 1932; E. v. Hippel (1933): Die Universität im neuen Staat, gehalten 1933; M. Heidegger (1933): Die Selbstbehauptung der deutschen Universität, gehalten 1933; G. Wunderle (1933): Universität und Volksgemeinschaft, gehalten 1933; H. Hahne (1935): Volkheit als Gegenstand von Forschung und Lehre und Mittel zur Erziehung zum heroischen Volksbewußtsein, gehalten 1934; W. Meyer-Erlach (1935): Universität und Volk. Rektoratsrede über den Neubau der Deutschen Universität, gehalten 1935; K. Schiller (1955): Der Ökonom und die Gesellschaft, gehalten 1955; H. Hungerland (1957): Universität und Staat, gehalten 1957; R. Schick (1963): Die gesellschaftliche Verantwortung der Universität, gehalten 1963; H. Fleckenstein (1968): Beitrag der praktischen Theologie zur Bewältigung der Wohlstandsgesellschaft, gehalten 1968; P. Mittelstaedt (1971): Naturwissenschaft und Gesellschaft, gehalten 1970; B. Ilschner (1972): Bildungsreform in einer Leistungsgesellschaft, gehalten 1972. 32 I. H. Fichte (1971): Über die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit, gehalten 1811; L. F. O.  Baumgarten-Crusius (1826): Über wissenschaftliche Freiheit an sich und in Beziehung auf die deutschen Universitäten, gehalten 1826; M. Stadlbaur (1848): Über die akademische Freiheit, gehalten 1848; E. J. v. Schmidtlein (1851): Von der akademischen Freiheit und dem rechten Gebrauche derselben, gehalten 1851; H. v. Helmholtz (1896): Über die akademische Freiheit der deutschen Universitäten, gehalten 1877; J. v. Held (1883): Festrede an die Studirenden der Julius-Maximilians-Universität zur Feier des 301. Stiftungstages derselben [über die academische Freiheit, oder: wie versteht sie der rechte Student?], gehalten 1883; F. X. Linsenmann (1888): Die sittlichen Grundlagen der akademischen Freiheit, gehalten 1888; M. Lenz (1911): Freiheit und Macht im Lichte der Entwickelung unserer Universität, gehalten 1911; E. Blunck (1922): Über Freiheit in der Erziehung zur Baukunst an der Technischen Hochschule, gehalten 1922; H. Krings (1966): Über die akademische Freiheit, gehalten 1965.

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Über allem schwebt zu allen Zeiten – bis in die Gegenwart hinein – die große Frage, was Bildung sein solle.33 Die Beantwortung dieser Frage ist zu einem gewissen Grad abhängig vom jeweiligen Kontext und Zeitgeist. Der Grundsatz einer soliden fachlichen Ausbildung ist darin immer enthalten, die Erweiterungen darum verändern sich. Die Nachkriegsrektoren stellen dafür ein umfassendes, ganzheitliches Bildungskonzept auf, das über Fach- und Allgemeinwissen hinausgeht, indem sie postulieren, Bildung müsse gleichzeitig eine Formung des Charakters bewirken. Neu daran ist vor allem die Überlegung, mit welchen Maßnahmen die Hochschule gezielt auf diese Aufgabe eingehen könne, während man im 19. Jahrhundert überzeugt war, das Formen des Charakters sei eine notwendige Folge wissenschaftlicher Bildung, also eine Selbstverständlichkeit. Die Kombination aus politisch-gesellschaftlichen, hochschulpolitischen und fachspezifischen Inhalten in den Reden der Rektoren verändert sich innerhalb der fünf Nachkriegsjahre. Äußern sich die Redner in den ersten Jahren fast ausschließlich zu gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen und der Positionierung der Hochschule dazu, so tritt mit der Entspannung in der äußeren Situation auch in den Rektoratsreden eine leichte ›Normalisierung‹ ein. In den ersten zwei bis drei Jahren drängt die Suche nach Antworten auf die großen Fragen – im Blick hierbei immer auch die Hochschule – schon aus den Titeln vieler Reden heraus: »Ein Ende  – oder ein Anfang?«, »Grundvoraussetzungen deutscher Wieder­ geburt«, »Staat und Politik«, »Neuer Staat und neue Hochschule«, »Die demo33 J. V.  Reissmann (1844): Rede vom zeitlichen Rector der Königl. Julius-Maximilians-Universität Joh. Val. Reissmann [über Geist und Geistesbildung]; J. B. Weißbrod (1846): Über die wissenschaftliche Bildung als Aufgabe der Hochschule; G. W. Osann (1849): Rede zum Antritte des Rectorats [über die wissenschaftliche Ausbildung]; J. A. R. v. Stintzing (1864): Die deutsche Hochschule in ihrem Verhältnisse zu der allgemeinen Bildung unserer Zeit; C. M. Bauernfeind (1869): Über den Einfluss der exacten Wissenschaften auf die allgemeine Bildung und auf die technischen Fachstudien insbesondere, gehalten 1868; E. Frhr. V. Gorup Besanez (1874): Rede beim Antritte des Prorectorats der Königlich Bayerischen Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen [über die Zweitheilung der nationalen wissenschaftlichen Bildung seit der Gründung der polythechnischen Hochschulen]; E. Lommel (1881): Über Universitätsbildung; P. Kleinert (1885): Vom Antheil der Universität an der Vorbildung für’s öffentliche Leben; K. Haushofer (1890): Ueber die Aufgaben der technischen Hochschule auf dem Gebiete der allgemeinen Bildung; W. Fleischmann (1897): Wesen und Bedeutung der allgemeinen Bildung, gehalten 1896; C. R. v. Holzinger (1900): Das Verhältnis der deutschen Universitäten zu den Bildungsbestrebungen der Gegenwart, gehalten 1899; F. Bernhöft (1900): Das neunzehnte Jahrhundert als Vorläufer einer neuen Bildungsstufe; O. Hertwig (1905): Das Bildungsbedürfniss und seine Befriedigung durch deutsche Universitäten; S. Günther (1913): Arbeitsteilung und wissenschaftliche Allgemeinbildung, gehalten 1911; G. Scheffers (1912): Allgemeine Bildung in Vergangenheit und Gegenwart; A. Wahl (1921): Rede des antretenden Rektors [über Universität und Volksbildung]; M. Horkheimer (1953): Begriff der Bildung, gehalten 1952; F. Arnold (1955): Einheit der Bildung in der Vielheit ihrer Fächer, gehalten 1954; H. Rüsch (1966): Lassen sich die Humboldt’schen Bildungsideale heute noch verwirklichen?; F.  Leonhardt (1967): Anregungen zur Bildungspolitik; B. Ilschner (1972): Bildungsreform in einer Leistungsgesellschaft.

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kratische Sendung der Universität«, »Hochschule und Volkstum in der neuen Zeit«.34 Die Redner betonen in ihren Reden teils bewusst, mit dem von ihnen gewählten thematischen Fokus einen Bruch mit der Tradition der Rektoratsrede zu begehen, und erachten es vor diesem Hintergrund für notwendig, diesen explizit zu begründen, wie z. B. Theodor Pöschl, der seine Rektoratsrede 1947 in Karlsruhe über die »Zukunftsaufgaben der Technischen Hochschulen« hält und dabei das Verhältnis der Hochschule zur Gesellschaft untersucht: »In der Vergangenheit war es eine akademische Sitte, dass die Rektoratsübergabe vom antretenden Rektor zum Anlaß genommen wurde, über besondere Fragen seines eigenen Fachgebietes zu berichten, mit denen er sich gerade beschäftigte, oder die zu dieser Zeit im Blickfelde des allgemeinen Interesses standen. Wenn ich heute von dieser Gepflogenheit abweiche, so liegt der Grund darin, dass angesichts des gegenwärtigen Notstandes von der Hochschulleitung erwartet werden kann, dass sie zu allgemeinen Fragen Stellung nimmt, die auch für das Gefüge der Hochschulen von entscheidender Bedeutung sind, und die darauf hinauslaufen, aus der Situation, in die das gesamte öffentliche und private Leben durch eine verantwortungslose Staatsführung gebracht worden ist, herauszukommen. Es müssen neue Wege gefunden werden, auf denen eine geordnete Friedensarbeit wieder aufgenommen werden kann.«35

Ähnlich formuliert dies auch Friedrich Baumgärtel noch 1948 in seiner Rede über »Das Wesen und die heutige Lage der Universität« in Erlangen: »Es ist alter akademischer Brauch, dass bei hoher akademischer Feierlichkeit der Redner ein Thema aus seinem eigenen Fachgebiet wählt. Nicht immer zur Genugtuung der Hörer, die für fachwissenschaftliche Ausführungen ja nicht so ganz selbstverständlich aufnahmefähig sein können. Aber dieser Brauch hat seinen tiefen Sinn. Es muss auch bei festlichem Actus, und gerade bei ihm, da sich die akademische Gemeinschaft und die Öffentlichkeit begegnen, das eigentliche Anliegen der Universität zur Wirkung kommen, aus dem sie lebt und um dess Willen sie selbst ein zentrales Anliegen des ganzen Volkes ist. Wenn ich heute diesen Brauch durchbreche, so gewiss nicht deshalb, weil ich das vergessen hätte, oder weil ich akademische Tradition nicht als teuer erachtete. […] Aber es kann wohl Zeiten geben, in denen die Universität unmittelbarer über ihr Anliegen sprechen und in denen sie sich vielleicht auch Gedanken über sich selbst machen muss.«36

Auf der anderen Seite erscheint es dem Freiburger Rektor Arthur Allgeier in seiner Antrittsrede 1946 nötig zu erläutern, warum er gerade zu diesem Zeitpunkt eine fachbezogene Rede über »Lateinische Psalmenübersetzung in alter und

34 R. Plank (KA THF 1946); K. H. Bauer (HD RKU 1946b); R. Smend (GÖ GAU 1945); J. Ebbinghaus (MR PU 1945a); G. Rienäcker (RO U 1946); G. Schreiber (MS WWU 1945). 35 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 3. Ähnl. bspw. G. Bohne (K U 1949), S. 3; G. Rienäcker (RO U 1946), S. 5; G. Schreiber (MS WWU 1945); S. 2). 36 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 1.

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neuer Zeit« hält, nämlich aus Anlass einer zu diesem Zeitpunkt neu erschienenen Übersetzung: »Es war immer eine Sitte bei uns und ein sinnvolles Vorrecht des Rektors, einmal im Jahre, bei seinem Amtsantritt, seinen Kollegen und den Studenten aller Fakultäten sowie den Freunden der Alma mater einen Einblick in die Welt zu geben, die uns wissenschaftlich beschäftigt. Auch der Rektor von heute ist nicht einfach Geschäftsträger, Verwaltungsbeamter, der in der Erledigung von tausend kleinen und größeren Anliegen, wie sie nun einmal auch das akademische Leben mit sich bringt, aufgeht. Jedenfalls wehrt er sich, darin zu versinken, und darf, wenn irgendwann und irgendwo, so heute und hier einmal darum bitten, ihm in seine geistige Welt zu folgen, so abgelegen und fremd sie auch den anderen vorkommen mag. […] Ich empfinde es wie eine persönliche Erholung, wenn ich zu Ihnen sprechen darf von lateinischen Psalmenübersetzungen in alter und neuer Zeit, aber nicht sowohl von diesen Übersetzungen an und für sich, nach ihrer stofflichen und formalen Seite, als von dem zugrunde liegenden Bedürfnis, überhaupt eine lateinische Übersetzung zu erhalten.«37

Doch selbst solche Rektoratseden wie die soeben zitierte Rede Allgeiers, die kein politisches Interesse im Titel tragen, sondern zunächst ein fachspezifisches Thema aufzugreifen scheinen, beinhalten in jenen Jahren immer auch Äußerungen zur politisch-gesellschaftlichen Großlage, bzw. zu Hochschule und Wissenschaft darin. Im Falle Allgeiers sind dies einige, wenn auch kurze Bemerkungen zur Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Hermann Schneider leitet seine Tübinger Rektoratsrede »Über Entstehung, Träger und Wesen des Neuen in der Geschichte der Dichtkunst« 1945 mit einer langen Passage ein, die die Gemeinsamkeiten der europäischen Geistesgeschichte, insbesondere der deutschen und französischen, hervorhebt, deren Störung in der jüngeren Vergangenheit beleuchtet und dann mit dem Blick auf das »Neue« in eine wieder von Gemeinsamkeit geprägte Zukunft schreitet.38 Mehrere Juristen unter den Rektoren  – wie beispielsweise Walter Hallstein 1946 in Frankfurt hinsichtlich der »Wiederherstellung des Privatrechts« – nehmen sich in ihren Reden einem Thema ihres Fachgebiets an, aus dem heraus sie den Bezug zur äußeren politischen Situation jeweils (quasi)automatisch entwickeln können.39 Dieses Ausgreifen der fachspezifisch angelegten Rektoratsrede auf Bezüge zur außerwissenschaftlichen 37 A. Allgeier (FR ALU 1946), S. 8. Die Nachfolger Allgeiers in Freiburg, Constantin von Dietze und Gerd Tellenbach, schließen sich jeweils bei ihrer Amtsübernahme 1947 und 1949 mit ähnlichen Begründungen dieser Tradition an, vgl. C. v. Dietze (FR ALU 1947), S. 5; G. Tellenbach ( FR ALU 1949a), S. 5. In ähnlicher Weise leiten hier und da auch Rektoren anderer Hochschulen fachbezogene Reden ein, so etwa F. Regler (FG BA 1946), S. 50; H. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 8. 38 H. Schneider (TÜ EKU 1945). 39 Vgl. W.  Hallstein (F JWGU 1946). Ähnlich zu beobachten auch bei R. Smend (GÖ GAU 1945): Staat und Politik; E. Jacobi (KI CAU 1947): Mitbestimmungsrecht der Belegschaft; K. Geiler (HD RKU 1948): Macht und Recht; G. Bohne (K U 1949): Menschenwürde und Strafrecht; E. Friesenhahn (BN RFWU 1950): Staatsrechtslehrer und Verfassung.

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Gegenwart verankert Edwin Redslob in der Einleitung seiner Rede als geschäftsführender Rektor anlässlich der Gründung der FU Berlin explizit in der Tradition der Rektoratsrede. Er selbst beginnt seine Rede mit einer Ansprache zur Eröffnung der neuen Hochschule und geht dann über zu einer kunsthistorischen Betrachtung der Figuren im Naumburger Dom, deren Ausdruck und Gestaltung er in Beziehung zu ihrer Entstehungszeit im 13. Jahrhundert setzt – einer Zeit, die er als ähnlich krisenhaft wie die Gegenwart charakterisiert. »Es entspricht daher akademischem Brauch, dass die festliche Rede über das, was die Stunde zu sagen verlangt, hinausführt zu dem, was das Heute des Alltags mit der Ideenwelt der Wissenschaft verbindet, dabei aber für die Gegenwart im Sinnbild Bedeutung hat. Für wenige Minuten öffnet der Redende die Tür zu seinem Hörsaal, damit etwas vom geistigen Streben der Universitas Litterarum spürbar werde.«40

Wie auch Redslob nutzen die Redner häufig die Gelegenheit, den eigenen Forschungsbereich in Verbindung mit der außeruniversitären Gegenwart zu bringen, was letztlich immer auch zu dessen Legitimation beitragen soll – insbesondere in Zeiten finanzieller Knappheit. Beispielsweise erläutert der Biochemiker Emil Lehnartz in seiner Münsteraner Rektoratsrede von 1946 über »Die Entwickelung des Fermentbegriffes« anhand des methodischen Vorgehens in der Fermentforschung nach dem Trial-and-Error-Prinzip, dass auch Staat und Gesellschaft aus dem Irrtum lernen können: »Nie aber ist der wissenschaftliche Irrtum sinnlos, weil auch aus ihm stets ein neuer Fortschritt erwächst. Das aber ist wohl eine Feststellung, die nicht allein für die Naturforschung, die vielmehr für jede Wissenschaft gilt, und die darüber hinaus auch für unsere Stellung im Leben und im Staate allgemeine Gültigkeit hat.«41

Neben solchen, eher indirekt ableitbaren Nutzen für die Gesellschaft führen die Redner fachgebietsabhängig gerne auch direkte praktische Hilfeleistung des eigenen Fachs beim gesellschaftlichen Wiederaufbau an, wie etwa Walter Hallstein 1946 in der bereits erwähnten Rede zur Restrukturierung des Privatrechts, durch die das Individuum wieder mehr Bedeutung und Sicherheit im öffent­ lichen Raum erlange,42 oder aber Wilhelm Müller, Professor für Eisenbahn­ wesen in Aachen, der 1948 einen zügigen Wiederaufbau des Eisenbahnnetzes in Deutschland anmahnt, um auf längere Sicht nicht wirtschaftlich und verkehrsmäßig abgeschnitten zu sein.43 Mit dem Fortschreiten der Zeit verändert sich die Themenstruktur innerhalb der Rektoratsreden nicht wesentlich. Insbesondere die politische Großlage bleibt auch in der zweiten Hälfte des Erfassungszeitraums bewegt. Die Einflüsse der 40 41 42 43

E. Redslob (B FU 1948), S. 25. E. Lehnartz (MS WWU 1946), S. 26. W. Hallstein (F JWGU 1946). W. Müller (AC RWTH 1948).

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rundherum ablaufenden Prozesse, das politische Auseinanderdriften von West und Ost, die Währungsreform, schließlich die beiden Staatsgründungen spiegeln sich in den Reden wider. Es wird dabei zunehmend deutlich, dass das Drängen, sich die Vergangenheit zu erklären und grundlegende gedankliche Konzepte für die Zukunft zu entwickeln, nachlässt zugunsten einer mehr praktisch orientierten Diskussion um die Art und Weise, wie die Gegenwart im Sinne einer positiven Entwicklung Richtung Zukunft konkret gestaltet werden solle. In den Rektoratsreden nimmt dieser Bereich auch in den späteren Jahren dauerhaft einen großen Raum ein. Parallel mischen sich auch wieder fachspezifischere Themen ein. Bereits im Dezember 1948 erscheint es beispielsweise schon wieder möglich, unkommentiert eine rein fachbezogene Rede ohne jeglichen Verweis auf aktuelle Bezüge zu halten, wie etwa Theodor Klauser über den »Ursprung der bischöflichen Insignien und Ehrenrechte«44. Dennoch erachten es viele Redner für notwendig, ihre Themenwahl zu rechtfertigen, selbst in den Reden der letzten Jahre des Erfassungszeitraums, wo es insgesamt häufiger vorkommt, dass sich die Rektoren n ihren Reden mit Fachlichem befassen möchten. Walter Gerlach hält seine Antrittsrede als Rektor der LMU München 1948 »Über das Licht«. Aus den einleitenden Worten, in denen Gerlach seine Themenwahl als eine traditionsbedingte erläutert, spricht gleichermaßen das Empfinden einer ›Normalisierung‹ der äußeren Lage, die es nicht mehr so dringend wie wenige Jahre zuvor erscheinen lässt, sich mit Fragen aktuell-politischer Natur auseinanderzusetzen: »Eine alte akademische Sitte verlangt, dass das Thema der Rede bei einer akademischen Festlichkeit dem Fachgebiet des Hochschullehrers entnommen sein soll. Je größer der Gegensatz zwischen der inneren Ruhe des Lebensbereiches der Wissenschaft und dem turbulenten Treiben des äußeren Lebensgeschehens wurde, desto häufiger verließ man diese Tradition in dem Bestreben, die allgemeinen Zusammenhänge zwischen Universität und Wissenschaft und jenem äußeren Lebensgeschehen darzustellen. Die erste und höchste Aufgabe des Professors ist es aber doch, durch Vermehrung des Wissens auf seinem eigenen Arbeitsgebiet die Tiefe der Erkenntnis zu erweitern, dadurch zur Vervollkommnung des menschlichen Geistes beizutragen und hiervon Kunde zu geben. Die Pflege aller Betätigungsgebiete des Geistes ist durch ihre Verbindung in der Universität gegeben. Seine zweite Aufgabe als Hochschullehrer ist die Erziehung der Studenten zu der Denkweise, welche sich in dem von ihm und ihnen gewählten Aufgabenbereich bewährt hat.«45

Die Sehnsucht des von Amtsgeschäften geplagten Rektors nach seiner wissenschaftlichen Betätigung bringt Wolfgang Trillhaas zum Ausdruck. In Anbetracht der hochkomplexen Aufgabe, in solch schwierigen Zeiten die Universität zu führen, bittet er sich quasi zum eigenen Trost aus, eine fachbezogene Rektoratsrede halten zu dürfen: 44 Vgl. Th. Klauser (BN RFWU 1948). 45 W. Gerlach (M LMU 1948), S. 3.

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»Wer wollte es wagen, angesichts dieses drängenden und treibenden Lebens ein Programm auszusprechen. Es mag im Blick auf die Zukunft dem Rektor im Augenblick genug erscheinen, wenn die Pflichten jedes Tages bis zum Abend mit Weisheit und Langmut erfüllt worden sind, wenn es einem gegeben wird, zur rechten Zeit das rechte Wort zu finden, das Getrennte zu vereinigen und die vereinte Kraft doch nicht zu einer Gefahr für das individuelle Leben werden zu lassen. Möchte es mir beschieden sein, das hohe Amt der Universität mit Gottes gnädiger Hilfe so zu führen, dass ich mich am Ende dessen wenigstens nicht zu schämen brauche. Gestatten sie mir nunmehr, dass ich den Freiheitsgedanken, der in vielfältiger und verwirrender Fülle gerade unser akademisches Leben heimlich erfüllt, zum Gegenstand einer Besinnung in meiner Rektoratsrede mache, indem ich über das Thema spreche: ›Die christliche Freiheitsidee.‹«46

Der Jurist Gotthold Bohne stellt hingegen das Spezifikum seines Fachgebiets in den Vordergrund seiner Begründung, warum er sich, gerade vor dem aktuellen Hintergrund, mit seiner Rektoratsrede darin bewegen möchte: »Es entspricht alter akademischer Gepflogenheit, dass der Rektor bei seiner Amtsübernahme vor die Öffentlichkeit tritt mit der Behandlung eines Problems der von ihm vertretenen Wissenschaft, und wenn heute ein Jurist dieses Bekenntnis vor der Öffentlichkeit ablegen soll, dann erwartet man von ihm ein Bekenntnis zu der Frage, die die Öffentlichkeit am meisten bewegt, ein Bekenntnis zur Rechtserneuerung.«47

Ähnlich formuliert dies auch Hans Kress von Kressenstein, der 1950 an der FU Berlin über psychosmatische Zusammenhänge von Krankheiten spricht, die in der Gegenwart mit wachsender Häufigkeit zu beobachten seien, jedoch nicht auf die Kriegserlebnisse, sondern auf die bereits seit längerem schwelenden, nach wie vor ungelösten sozialen Missstände zurückgeführt werden müssten: »Es obliegt dem neugewählten Rektor, deutscher akademischer Tradition entsprechend, aus seinem Fachgebiet ein Thema zu beleuchten, von dem erwartet werden kann, dass es allgemeinem Interesse begegnet.«48 Unterschiede in der politischen Ausrichtung sind in den Anfangsjahren zwischen den Äußerungen der Rektoren in den unterschiedlichen Besatzungszonen kaum auszumachen. Die Topoi, welche die Redner ansprechen, sind zonenübergreifend die gleichen, ebenso wie die Themen, die Hochschule und Gesellschaft im Allgemeinen bewegen, nach Kriegsende allerorten übereinstimmen. Hinzu kommt, dass auch in der Sowjetischen Zone zunächst vorwiegend bürgerlich geprägte Professoren das Rektorenamt übernahmen, die ihre politische Heimat nicht im Sozialismus hatten – und vielfach dort auch nicht fanden, weswegen

46 W. Trillhaas (GÖ GAU 1950), S. 3 f. 47 G. Bohne (K U 1949), S. 5. 48 H. Kress v. Kressenstein (1950), S. 9.

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einige dieser frühen Rektoren die SBZ bzw. DDR in den Folgejahren verließen.49 Den jeweiligen Besatzungszonen zuordnen lassen sich die Redner in den ersten Jahren hauptsächlich durch bestimmte Bezugsgrößen in ihren Reden, die sich auf die jeweilige Besatzungsmacht fokussieren, wie z. B. auf deren politische Führung, und die sie zum Beleg der eigenen Argumentation anführen. Der Tübinger Rektor Hermann Schneider mahnt in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Universität eine Wiederbelebung der internationalen, v. a. der europäischen Zusammenarbeit unter Bezug auf eine in Freiburg gehaltene Rede des namentlich nicht genannten »französischen Staatschefs« Charles de Gaulle an.50 Rektor Enno Heidebroek begleitet die Ankündigung eines Ausbaus der Pädagogischen Fakultät in seiner Rede zur Wiedereröffnung der TH Dresden mit einem Ausspruch des »Marschall Stalin« über die Bedeutung des Lehrers für die Gesellschaft: »Der Lehrer ist der Ingenieur für die Volksseele.«51 Der Erlanger Rektor Eduard Brenner widmet seine gesamte Rede 1947 der Person und dem Wirken Abraham Lincolns in der Zeit nach Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs, um schließlich den Bogen in die Gegenwart zu Franklin D. Roosevelt zu schlagen, der zum Zeitpunkt der Rede allerdings bereits verstorben ist. Roosevelts Nachfolger im Amt des US-Präsidenten Harry S. Truman wird in der Rede wiederum nicht erwähnt. Brenner vergleicht Lincolns ausgleichende Wirkung mit dem auch bei Roosevelt vorhandenen »Interesse für die Einzelheiten, für das Individuelle, das Einmalige« und verbindet damit die Hoffnung auf eine nach dem Vorbild Lincolns milde Behandlung der unterlegenen Seite. »Das vertieft seine Schlüsse und erweitert seine Erfahrungen von dem Volk, das ihm keine Masse, sondern ein Zusammenschluss wertvoller Persönlichkeiten ist.«52 Auch in den späten 40er Jahren, als sich eine Blockbildung zunehmend abzuzeichnen begann, weisen die Rektoratsreden in Ost und West kaum Differenzen hinsichtlich der grundlegenden Thematik auf. Es sind vielmehr die Lösungsansätze, die im Einzelnen angestrebt werden, die hier Unterschiede sichtbar machen. Aus den Reden der Rektoren in der Sowjetischen Zone, beziehungsweise später der DDR, spricht ein schematischeres Vorgehen als im Westen. Die Hochschulen waren in die zentralistische Staatsorganisation eingebettet, mussten sich teilweise in neue Zuständigkeitsstrukturen einordnen, denen sie via Verordnung durch zentrale Stellen zugeteilt wurden,53 verkündeten ihre Beteiligung am 49 So z. B. Hans Georg Gadamer, Friedrich Regler oder Eduard Spranger. Vgl. hierzu Kap. III, S. 55 f. 50 H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 8 f. 51 E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 6. 52 E. Brenner (ER FAU 1947), S. 22. 53 Gerhard Grüß begrüßt »mit allem Nachdruck« die »Rückgliederung der Bergakademie in die Verwaltung des Landes Sachsen«, nachdem sie für einen kürzeren Zeitraum der Zentralverwaltung der Brennstoffindustrie unterstellt war, G. Grüß RB (FG BA 1947). 1949 hält die TH Dresden eine Kundgebungsveranstaltung ab, um zu einer Verordnung der Deutschen Wirtschaftskommission über neue Fördergrundlagen für die Wissenschaft Stellung zu beziehen, W. Straub (DD TH 1949).

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Zweijahres- bzw. Fünfjahresplan54 und widmeten sich schließlich mit großem Eifer dem Aufbau neuer Fakultäten von staatstragender Bedeutung55. Mit dem Fortschreiten der politischen Entwicklung hin zu einer politisch systemischen und schließlich auch staatlichen Trennung veränderte sich die personelle Struktur in der Rektorschaft der SBZ- bzw. DDR-Hochschulen.56 In verstärktem Maße kam nun ein dem neuen System gewogenes Personal ins Rektoramt, was wiederum ein umfassenderes Bekenntnis zu dem Projekt einer sozialistischen Staatsorganisation innerhalb der Rektoratsreden bewirkte. Die FDJ-Studenten-Zeitschrift »Forum« begrüßte es in ihrer 2. Ausgabe 1949 ausdrücklich, dass mit Otto Schwarz als neuem Vorstand der Universität Jena »zum erstenmal [item] ein Sozialist zum Rektor einer deutschen Universität gewählt« wurde. Dieser Einleitung folgt Schwarz’ Antrittsrede, die das Blatt als »Bekenntnis zur demokratischen Universität, wie es bisher in Deutschland noch kein Rektor abgelegt hat«, in ganzer Länge abdruckte.57 Schwarz legt in seiner Rede über »Die demokratische Universität im Kampf für den Fortschritt der Menschheit« mit großem Engagement seine Sicht auf die Notwendigkeit eines zügigen Aufbaus der sozialistischen Volksuniversität dar und erläutert die nächsten Schritte dahin: »Ich bin nicht unbescheiden und weiß, dass diese Wahl nicht meiner Person unmittelbar gelten kann, sondern vor allen Dingen den Sinn hat, dass Sie damit Ihren Willen äußerten, die Leitung der Universität mit allen den Kräften zu verbinden, die die Tragenden der vor sich gehenden geschichtlichen Umwälzung sind. Nicht nur für meine Person, sondern ebenso für die Klasse, deren politischer und weltanschaulicher Wille mit dem Wort ›Sozialismus‹ nur unvollkommen umschrieben ist, bedeutet diese Wahl die Übernahme einer großen Verantwortung, nämlich die, dass dieses Gremium von Wissenschaftlern nunmehr vertrauensvoll Tradition und Erbe einer ruhmreichen Vergangenheit bewußt in die Hände der Klasse der Werktätigen gelegt hat, dass diese es nicht nur treu bewahre, sondern auch weitervermehre.«58

Auch die fachbezogenen Reden der späteren Jahre in der SBZ, bzw. DDR greifen gerne staatstragende Themen auf. Ernst Jacobi spricht 1947 in Leipzig über die bis dato noch ungeklärte Problematik des betrieblichen Mitbestimmungsrechts seitens der Belegschaft, eine Frage, »für die ich gerade auch bei den Werktätigen Verständnis und Aufgeschlossenheit voraussetzen darf«, insbesondere vor dem Hintergrund der beabsichtigten verstärkten Öffnung der Hochschule gegenüber 54 Zum Zweijahresplan: O. Schwarz (J FSU 1948); W. Straub (DD TH 1948). Zum Fünfjahresplan: K. Koloc RB (DD TH 1950). 55 Der Auf- und Ausbau von Pädagogischen und Agrarwissenschaftlichen Fakultäten spielt hierbei ein große Rolle genauso wie die Förderung der Arbeiter- und Bauernstudenten: Seeliger RB (GW EMAU 1949); W. Straub RB (DD TH 1949); H. G. Gadamer RB (L U 1947); J. Friedrich RB (L U 1949). 56 Vgl. hierzu Kap. III, S. 54–62. 57 Forum 3 (1949), Nr. 2, S. 40 f. 58 O. Schwarz (J FSU 1948), S. 40, Sp. 1 f.

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dieser »bisher zurückstehenden Schicht der Werktätigen«.59 Und selbst Julius Lips, der in seiner Rektoratsrede ebenfalls in Leipzig zwei Jahre später den kollektiv organisierten Ackerbau indigener Völker beschreibt, weiß sich mit der offiziellen sowjetischen Lehrmeinung in Wissenschaft und Politik zu verbinden: Für die Ausdeutung seiner wissenschaftlichen Thesen zieht er zum einen Sergei Pawlowitsch Tolstow heran, den Direktor des Ethnographischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Darüber hinaus unterstreicht er seine Ergebnisse mit dem Verweis auf Stalins Schrift »Über Dialektischen und Historischen Materialismus«60 und dessen darin getätigten Äußerungen zu den Produktionsverhältnissen in der Urgemeinschaft, die auf der gesamtgesellschaftlichen Verteilung der Produktionsgüter beruhten.61 Die Reden der Rektoren im Westen, hier vor allem die Rektoratsberichte, befassen sich in der zweiten Hälfte des Erfassungszeitraums vielfach mit der Währungsreform und deren Auswirkungen auf den Wiederaufbau der Hochschulen und die Lage der Studenten. Die Maßnahme als solche schätzen die Redner jeweils als richtig und wichtig ein. Franz Böhm nimmt sie im September 1948 als eine der Grundbedingungen seiner Reflexionen über »Wirtschafts­ordnung und Wirtschaftsleistung« im künftigen Deutschland zum Ausgangspunkt seiner Rektoratsrede in Frankfurt.62 Einige andere Rektoren befürchten im Vorfeld der Reform schwerwiegende Auswirkungen der Währungsumstellung auf die finanzielle Situation der Hochschulen und besonders auch der Studenten.63 Im Rückblick berichten viele Redner in den Rektoratsberichten über teils größere Schwierigkeiten, welche die Währungsreform verursacht habe,64 die Mehrheit der Rektoren beurteilt die Lage jedoch als weit weniger dramatisch als erwartet.65 Über die Unterscheidung zwischen fachbezogener und politischer Rede hinaus lassen sich für die Rektoratsreden der Jahre 1945 bis 1950 bestimmte Themenkonjunkturen ausmachen. Zum einen sind dies verschiedene Jubiläen und Jahrestage. Im Jahr 1948 sind einige Reden zur Erinnerung an die Revolution von 1848 zu verzeichnen, die sich zum 100. Mal jährte.66 Ein Jahr später gedachten viele Redner des 200. Geburtstags von Johann Wolfgang von Goethe.67 Häufig wurden diese Reden im Rahmen eigens dafür anberaumter Feiern gehalten. In Frankfurt beispielsweise fanden rund um 18. Mai 1948, dem Tag, an dem das 59 E. Jacobi (L U 1947), S. 1 f. 60 J. Stalin (1960). 61 J. Lips (L U 1949), S. 6 f. 62 F. Böhm (F JWGU 1948), S. 91. 63 C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 23; P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 21. 64 A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 9, 18 f.; E. Rösser RB (WÜ BJMU 1949), S. 13 f.; O. Schmitt RB (S TH 1950), S. 3 f.; G: Wassermann RB (CLZ BA 1950), S. 9. 65 F. Böhm RB (F JWGU 1949), S. 19; C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 7; O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 4; G. Mesmer RB (DA TH 1949), S. 8; K. Apel RB (B TU 1949), S. 2. 66 W. Hallstein (F JWGU 1948); E. Lehnartz (MS WWU 1948). 67 W. Gerlach (M LMU 1949); G. Tellenbach (FR ALU 1949a); H. H. Inhoffen (BS THCW 1949).

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›Professorenparlament‹ 1848 zum ersten Mal in der Paulskirche zusammengetreten war, mehrere Festveranstaltungen statt. Hierzu zählte unter anderem auch ein Festakt der Universität mit internationalen Gästen. Ihren Höhepunkt fand die Gedenkveranstaltung mit einer Feier in der frisch wiederaufgebauten Paulskirche selbst. Die Bedeutung, die solchem Gedenken beigemessen wurde, lässt sich daran ablesen, dass der Rektor selbst die Festrede zu dem jeweiligen Anlass hielt. Mehrere Hochschuljubiläen liegen in den fünf Jahren des Erfassungszeitraums: Zunächst das 200-jährige Bestehen der Carolo Wilhelmina in Braunschweig, das die Hochschule im Sommer 1945 jedoch nicht feierlich beging. Gründungsrektor Gustav Gassner kommentierte das Vorgehen im Rückblick bei seiner Immatrikulationsansprache im Januar 1946 folgendermaßen: »Wir haben dem Ernst der Zeit Rechnung getragen und schweren Herzens von einer Feier abgesehen. Wir haben, statt zu feiern, gearbeitet und haben es dadurch erreicht, dass die Hochschule mit dem Beginn ihres dritten Jahrhunderts zu neuem Leben erwacht ist.«68 Anders verhielt es sich bereits 1949 mit der 150-Jahrfeier der TU Berlin. Zwar gab es auch hier Überlegungen, ob eine große Feier den äußeren Umständen angemessen sei, »bestärkt durch die britische Militärregierung« habe man sich letztlich doch für die Feier entschlossen, um der »Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit und der Zukunft unserer Hochschule« Rechnung zu tragen. Nach dem Festakt am 18. März folgten daher weitere zwei Tage mit Feierlichkeiten und Vorträgen. 1950 feierte die Bergakademie in Clausthal-­ Zellerfeld ihr 175-jähriges Bestehen ebenfalls mit dreitägigen Festlichkeiten. Rektor Friedrich Johannsen hielt zu diesem Anlass eine programmatische Rede über die Reform der Ingenieursausbildung.69 Abgesehen von datierbaren Anlässen hat auch das Thema Atomenergie in den Reden starke Konjunktur, vor allem in der zweiten Hälfte des Erfassungszeitraums. Mehrere Physiker unter den Rektoren widmen dem Thema eine gesamte Rede, auch viele Nicht-Physiker greifen das Thema in ihren Reden mehr oder minder ausführlich auf.70 Die Gefahr, die von der Nutzung dieser physi­ 68 G. Gassner (BS THCW 1946), S. 19. Die Feier holte die Hochschule 1950 zum Jahrestag des 205-jährigen Bestehens nach. Vgl. hierzu F. Moeller (Hg.) (1952), S. 220. 69 Vgl. Clausthaler Hochschulnachrichten 2, Nr. 3 (1950); K. Apel (B TU 1949), S. 2; F. Johannsen (CLZ BA 1950b). Der Artikel von Siegfried Valentiner, Professor für Physik an der Bergakademie Clausthal und mehrfacher Rektor in den 20er und 30er Jahren, zur Geschichte der Bergakademie in der Festschrift zur 175-Jahrfeier, gibt einen kurzen Einblick in das Konzept, den Studenten durch Allgemeinbildung »einen Hauch des edlen Geistes der Menschlichkeit« verspüren zu lassen. Auf die Erfahrung des Nationalsozialismus als Motivation für dieses Ausbildungskonzept geht Valentiner indes kaum ein. Die Zeit von 1925 bis 1950 erzählt er ohne 8 größere Brüche. Vgl. S. Valentiner (1950), S. 52–58. 70 Physiker unter den Rektoren, die in ihren Reden die Atomenergie besonders thematisieren: P. Harteck (HH U 1948) über die Beschreibung der Bedeutung von schwerem Wasserstoff für die Nutzbarmachung der Atomenergie; F. Hund (J FSU 1948) über die Physik als Mittel

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kalischen Neuentdeckung – zu Ende des Krieges mit den Atombomben-Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki eingehend demonstriert  – ausgehe, heben die Redner insgesamt warnend hervor. Von einer friedlichen Nutzung versprechen sie sich dennoch den größtmöglichen Gewinn für das Wohl der gesamten Menschheit. In sprachlicher Hinsicht sind die Rektorenreden der fünf Nachkriegsjahre sehr unterschiedlich. Die Redner teilen – insbesondere in den frühen Jahren – eine vorsichtige, fast demütige Haltung, die teils wohl den tatsächlichen Empfindungen der Redner entsprach. Zu einem gewissen Anteil dürfte sie aber auch der Situation einer öffentlichen Rede im feierlichen Rahmen unter Anwesenheit von Vertretern der jeweiligen alliierten Besatzungsmacht geschuldet sein. Auch der durchweg positiv-konstruktive Grundton, der die Reden beim Blick auf das Verhältnis zu den alliierten Stellen kennzeichnet, spricht hierfür. Etwaige Zwistigkeiten um die Reorganisation der Hochschulen, die es durchaus gab,71 tauchen in den Rektoratsreden nicht auf. Geht es hingegen um die allgemeine Situation Deutschlands nach dem verlorenen Krieg schlagen die Rektoren  – auch hier insbesondere in den frühen Jahren – einen weitaus eindringlicheren, bisweilen regelrecht dramatisierenden Ton an. Um die Beispiellosigkeit der Lage hervorzuheben, greifen die Redner zum Teil auf eine ganze Bandbreite von Superlativen zurück, wie z. B. Josef Schmid: »Hier vollzieht sich der grausigste Zusammenbruch eines Volkes, das die geistigen und moralischen Fundamente vergaß. Das deutsche Volk erlebt nun seine tiefste Erniedrigung.«72 Ähnlich formuliert auch Günter Rienäcker: »Wir haben den elendsten Zusammenbruch unserer Geschichte erlebt, wir standen durch eigene Schuld am Rande des Abgrundes.«73 Der gleiche Duktus an Formulierung zeichnet auch die Vorschläge, was nun aus der gegenwärtigen Krisensituation heraus zu tun sei, um in eine bessere Zukunft zu gelangen, wie etwa bei Josef Kroll, der eine künftig zu bestärkende geistige Festigkeit propagiert:

zu Allgemeinbildung und die Revolutionierung der Weltsicht durch die Quantentheorie; B. Rajewsky (F JGWU 1949) über die Atomphysik als »populärste« Wissenschaft der Gegenwart und ihren Platz innerhalb der Naturwissenschaft; W. Gerlach (M LMU 1949a) über die Notwendigkeit ideologiefreier wissenschaftlicher Förderung, gerade im Hinblick auf die Forschung zur Atomkraft; H. Beyer (GW EMAU 1950) über die Atomenergie im Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Politik. Weitere Redner, die das Thema der Atomenergie in ihren Reden als zukunftsweisend hervorheben: K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 59; G. Grammel (S TH 1946), S. 13; J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 12 f.; Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 7 f.; W. Müller (AC RWTH 1948), S. 26. Mahnende Stimmen zur Atomenergie: E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 4; J. D’Ans (B TU 1947), S. 10; W. Fucks (AC RWTH 1950), S. 17. 71 Vgl. hierzu Kap. III, S. 62–64. 72 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 8 f. 73 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 5 f.

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»Wir müssen den Missbrauch treffen, die schlechte Gesinnung, die dreiste Niedrigkeit, die selbst das Feinste und Edelste vom Himmel herunterzerrt und beschmutzt, das gerissene, heuchlerische Lügnertum, das zu abscheulichen, selbstischen Zwecken die höchsten Güter eines Volkes zum Blendwerk der Hölle benutzt.«74

Sichtbar wird hieraus gleichermaßen die starke Bildhaftigkeit der Sprache in den Rektorenreden. Um ihre Sicht auf das Erlebte, die Krisis der Gegenwart und mögliche Lösungsansätze für die Zukunft darlegen zu können, müssen die Redner immer wieder auf Bilder ausweichen. Die Erfahrungen der vorvergangenen Jahre scheinen einen Impact zu besitzen, der vieles nicht direkt sagbar erscheinen lässt. Stattdessen scheint es erforderlich, das Unsagbare in Bildern zu umkreisen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, welche die Redner selbst formulieren, eine über das ganze Spektrum zwischen Tätern und Opfern zerfaserte Gesellschaft nicht weiter zerreißen, sondern in einen Zustand der Einheit zurückführen zu müssen. Daraus bedingt es sich für die Redner anscheinend, bestimmte, mit Blick auf den gesellschaftlichen Zustand als sensitiv einzustufende Themen indirekt angehen zu müssen. Allen voran betrifft dies die Schuldfrage, sowohl in ihrer Behandlung an der Hochschule wie darüber hinaus auch gesamtgesellschaftlich gesehen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Themenbereichen im metaphorisch-bildhaften Raum scheint sich aufgrund der ihr innewohnenden distanzierten Sprechhaltung daher für die Redner besonders anzubieten. In den Reden resultiert daraus in vielen Fällen zudem eine separierende Positionsbestimmung von wir (das Volk) und die (die Nationalsozialisten), die zwar eine Trennung von Tätern und nicht Nichttätern induziert, genaue Zuordnungen jedoch umgeht und damit ebenfalls eher diffus bleibt.75 Die »Abgrenzungsstrategie« der »Nichttäter«, die einerseits auf rational-juristischer Argumentation fußte, gleichzeitig aber einer emotionalisierenden Metaphorik bedurfte, beobachtet auch Heidrun Kämper im Schulddiskurs der Nachkriegszeit. Sie erklärt das Bedürfnis nach dem Bildhaften damit, dass den Zeitgenossen die rein rationale Erklärung zum vollständigen Erfassen des Nationalsozialismus nicht ausgereicht habe. Gleichzeitig habe man über die emotional aufgeladene Bildersprache eine andere Wahrnehmung des Nationalsozialismus geschaffen, die unter anderem von »Teufeln«, »Dämonen«, »Psychopathen« u. ä. geprägt war, und damit eine andere Realität konstruiert.76 Auf der argumentatorischen Ebene ergibt sich für die Redner daraus wiederum ein Lavieren zwischen Schuldeingeständnis, Zurückweisung eigener Schuld und Umgang mit der Schuld anderer. Sie sind deutlich bemüht, alle Parteien – die Alliierten, die schuldbelasteten wie die schuldlosen bis hin zu den im NS verfolgten Kollegen und auch Studenten – einzubeziehen mit dem Ziel, allen Interessen gerecht zu werden, ohne dabei den Führungsanspruch der Institu74 J. Kroll (K U 1946a), S. 11. 75 Vgl. hierzu Kap. V.1, S. 121–124. 76 H. Kämper (2005), S. 313.

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tion Hochschule zu beschädigen. Eine Rede, die genau dieses Lavieren zwischen den verschiedenen Positionen besonders klar demonstriert, ist die des Tübinger Rektors Hermann Schneider aus dem Herbst 1945, gerichtet an zwanzig aus Gründen politischer Belastung entlassene Mitglieder des Lehrkörpers. Schneider unterstreicht seine eigene Haltung in dem von ihm durchgeführten Auswahlprozess der zu Entlassenen als möglichst kollegial. Er begründet die Notwendigkeit ihrer Entlassung nicht mit etwaigen Verfehlungen dieser Personen selbst, sondern zieht sich auf eine Position zurück, wie sie der kriegsverlierenden Partei seit Menschengedenken obliege: Seit jeher müsse der Kriegsverlierer eine gewisse Form des Tributs leisten; in diesem Fall bestehe er aus einem Teil des universitären Lehrkörpers. »Es war nicht ein übelwollender Rektor, der seine Kollegen austrieb, es waren die Militärbehörden der Siegermacht, die im Zug der Vergeltungsmaßnahmen nach einem greuelvollen Krieg nun auch die Dezimierung der akademischen Lehrkörper über die deutschen Hochschulen brachte.«77

Dieser Satz wäre in einer Rede zum Amtsantritt oder zur Jahresfeier in diesem Zeitabschnitt nur mit geringer Wahrscheinlichkeit zu finden. Ebenso wenig die Versicherung Schneiders zum Abschluss seiner Rede, die Hochschule werde die »hochgeschätzten Kollegen« über deren Entlassung hinweg als die ihrigen betrachten: »Bleiben Sie die Unseren, wie wir Sie als unsere Kollegen nach wir vor betrachten und hochachten werden. Lassen Sie uns bei akademischen Feiern Ihre vertrauten Gesichter nicht entbehren, wenn Sie uns auch aus dem Zuschauerraum ansehen werden, wissen wir doch, dass da ein gutes, abgesprengtes, aber geistig uns doch verbundenes Stück Universität sitzt und uns lauscht. Nicht die Ausgestoßenen, die verlorenen Söhne werden zu uns aufblicken, sondern hochgeschätzte Kollegen, die kundig abwägen, ob die Universität Tübingen ihren Ansprüchen genugzutun vermag, und deren Blicke uns hoffentlich stets verraten werden, dass wir Lehre und Forschung auf der Höhe ihres kritischen Anspruchs und wissenschaftlichen Ideals zu halten wissen.«78

Trotz aller Schlussstriche, welche die Rektoren im allgemeinen unter die NS-Vergangenheit ziehen, fällt an manchen Stellen in ihren Reden allerdings doch eine gewisse Verhaftung in den Sprachmustern der vergangenen zwölf Jahre auf. Wortwahl, Formulierungsweisen und Vergleichsmuster, wie sie typisch für die Sprechweise im Nationalsozialismus waren, liegen teils noch über der Sprache der Nachkriegsrektoren.79 Beispielhaft für das Weiterleben der NS-Rhetorik sind die Reden des Aachener Rektors Paul Röntgen. Inhaltlich betont er die Wichtigkeit, das geistige Erbe des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft 77 H. Schneider (TÜ EKU 1945b), S. 115. 78 H. Schneider (TÜ EKU 1945b), S. 116. 79 Zur Charakteristik nationalsozialistischer Sprache siehe E. Seidel / I. Seidel-Slotty (1961). Zur Kontinuität sprachlicher Überreste der NS-Zeit vgl. auch Kap. I, S. 14–19.

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zu überwinden, sprachlich steckt er jedoch selbst streckenweise in dessen Bildsprache und idealtypischen Vorstellungen fest. Bei der Wiedereröffnung der RWTH im Januar 1946 mahnt Röntgen, Ordinarius für Metallhüttenkunde, zur Überwindung von Scham und Schmerz der Gegenwart eine Besinnung auf das »wahre, unsterbliche und ewig junge Deutschland« an, »das der ganzen Kulturwelt durch die Jahrhunderte hindurch so unendlich viel geschenkt hat und noch zu geben in der Lage und bereit ist, das wir mit der ganzen Kraft unseres Herzens lieben und zu dem wir uns bekennen, jetzt mehr noch als je zuvor, nachdem es ohnmächtig, geschändet und zerrissen am Boden liegt«.80 Diesen Aufruf zur Wiederbelebung des nationalen Geistes unter Bezugnahme auf die Idee der Kulturnation des 19. Jahrhunderts untermauert Röntgen schließlich mit einer Anleihe an den Biologismus81, wie er typisch für die nationalsozialistische Rhetorik ist. Auch der von der NS-Propaganda intensiv benutzte Begriff des »Volkskörpers« findet darin noch seinen Platz: »Zu diesem Deutschland, unserer wahren geistigen Heimat, müssen wir zurück­ finden, wenn es überhaupt noch eine Zukunft geben soll, in der es wert ist zu leben. Nur aus diesem Mutterboden können die Heilkräfte gezogen werden, um die Krankheitserreger restlos aus dem Volkskörper auszuscheiden und wieder zu gesunden. Operative Eingriffe allein können keine Heilung bringen; sie könnten im Gegenteil allzu leicht ein geistiges und seelisches Vakuum erzeugen, in das anarchistische Kräfte ungehindert einströmen könnten, da die Natur nun einmal kein Vakuum erträgt.«82

In seiner Ansprache zur Immatrikulation, einen Monat später, spricht Röntgen in einem militärisch gefärbten Stil. Mehrfach wendet er sich in seiner Rede explizit den Studenten vor dem Hintergrund ihrer Kriegserfahrung als Soldaten zu. Er bemüht dabei auch Bilder wie das der soldatischen Kameradschaft, die dem Soldatentum einen idealisierten Zug verleihen, ähnlich dessen Überhöhung durch die nationalsozialistische Propaganda. Diese soldatischen Tugenden gelte es nun in das bürgerlich-zivile Leben hinein zu übertragen: »Sie, die Sie aus dem Felde in das bürgerliche Leben zurückkehren, werden mit der Uniform so vieles abstreifen müssen, werden, wie ich schon sagte, sich auch geistig umstellen müssen, aber eines retten Sie bitte unversehrt herüber: den Geist echter Kameradschaftlichkeit. Übertragen Sie diesen ins studentische Leben, schließen Sie sich in Freundesbünden mit neuem Inhalt und neuer Form zusammen.«83

Aus solchen Redeausschnitten ergibt sich daneben eine weitere Beobachtung zur Sprache der Nachkriegsrektoren, der Unterschied nämlich zwischen den Rekto80 P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 14 f. 81 Zur Herkunft des Biologismus sowie zu den Grundlagen für dessen große Verbreitung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. die Überblicksdarstellung von Heinz Schott, H. Schott (2002). 82 P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 15. 83 P. Röntgen (AC RWTH 1946b), S. 8 f.

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ren der Universitäten und denen der Technischen Hochschulen, der auf mehreren Ebenen verläuft. Wie im Falle Röntgens lassen sich hier häufig Unterschiede in Sprachverständnis und auch in der Sensibilität für Sprache ausmachen. Nicht bei allen Rednern ist dies so deutlich nachvollziehbar, es fällt jedoch auf, dass keine der Reden von Universitätsrektoren ähnlich stark von der NS-Rhetorik geprägt ist. Es mag dies hier (auch) an der umstrittenen Person Röntgens liegen,84 ein unterschiedlich sensibler Umgang mit Sprache macht sich jedoch ebenfalls bei anderen Rednern bemerkbar, unter anderem auch bei einigen der Nicht-Geisteswissenschaftler unter den Universitätsrektoren. Am klarsten ist der Unterschied im Sprachverständnis in der Begriffsunterscheidung zwischen Europa und Abendland aufzuzeigen. Der Moraltheologe Theodor Steinbüchel befasst sich in seiner gesamten Rede zum Rektoratsantritt 1946 unter dem Titel »Europa als Verbundenheit im Geist« mit der Definition und dem Hintergrund dieser beiden Einheiten, beleuchtet die Begriffe vor ihrer historischen wie ihrer gegenwärtigen Bedeutung. Für eine große Zahl an Rednern allerdings scheint diese begriffliche Trennung der beiden Begriffe konzeptuell nicht zu bestehen. Sie nutzten sie in ihren Reden durchaus auch synonym als Formulierungsvarianten, so zu beobachten z. B. in der Rede des Geographen Josef Schmid in Mainz 1947: »Der deutsche Zusammenbruch, so lebensgefährlich und so folgenreich er für uns sein mag, ist nur Symptom einer allgemeinen europäischen Krise. Diese wurde im abendländischen Geistesleben seit dem Abschluß des Dreißigjährigen Krieges immer drohender und erfuhr schließlich ihre extreme Zuspitzung in den Weltkriegen der Gegenwart.«85

Generell lässt sich daneben auch in der Verfasstheit der Reden ein leichter Unterschied zwischen den Reden der Universitätsrektoren und denen der Rektoren von Technischen Hochschulen ausmachen. Wo die Universitätsrektoren häufig den Geist86 der Zeit, der akademischen Welt oder anderer Zusammenhängen suchen, analysieren und sowohl zum Schuldigen an der gegenwärtigen Misere wie auch – in veränderter Form – zum Heilsbringer der Zukunft aufbauen, sind die Rektoren der Technischen Hochschulen häufig pragmatischer in ihrem Vorgehen. Wie beispielsweise Theodor Pöschl berechnen sie schon früh, wie viele »deutsche Menschen« das Land in nächster Zeit verlassen werden müssen, um akzeptable Lebens­bedingungen vorzufinden,87 oder plädieren wie Wilhelm Müller für einen als­baldigen Wiederaufbau des Eisenbahn-Schienensystems in Deutschlands, damit das Land nicht auf lange Sicht isoliert werde.88 Praktische 84 Siehe dazu die Datenbank »Professoren / innen und Dozenten / innen der RWTH (1870–1995)«. Online in gekürzter Version: http://www.archiv.rwth-aachen.de/lehrkoerper/ (Stand 13.02.2016). 85 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 9. 86 Zur Definition und Vorkommen von Geist vgl. Kap. V.3, S. 177 f. 87 T. Pöschl (KA THF 1947), S. 5. 88 W. Müller (AC RWTH 1948), S. 26.

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Fragen, insbesondere auch zu Themen der Hochschule und der Hochschulreform handeln die Universitätsrektoren gerne im Rahmen ihrer Rektoratsberichte ab, während die Rektoren der Technischen Hochschulen diese öfter auch in ihre Rektoratsreden einstreuen. Müsste man die Rektoratsreden mit Hauptschlagwörtern für ihren jeweiligen Fokus versehen, so trügen die Reden mit universitärer Provenienz »Geist«, die Reden von Technischen Hochschulen »Technologie« im Titel. Insgesamt nehmen die Rektoratsreden der Rektoren in den Nachkriegsjahren sehr viele Impulse von außen auf und beziehen aus Sicht der Hochschule dazu Stellung. Die Redner bewegen sich mit ihren Reden im öffentlichen Raum und erheben Anspruch, diesen führend mitzugestalten. Dabei geht es für die Hochschule immer auch um die eigene Position in Staat und Gesellschaft, die es nach Zerstörung, Strukturverlust und im Angesicht materieller Versorgungsengpässe abzusichern gilt.

V. Krisenbewusstsein – Ursprung und Bewältigung der Gegenwartskrisis

In den Rektoratsreden ist sehr häufig die Rede von Krise beziehungsweise Krisis. Je nach Fokus der Rede bezieht sich der Begriff1 auf Phasen von unterschiedlicher Länge. Bei manchen Rednern betreffen diese eine langfristig angelegte krisenhafte Entwicklung, die bereits mit der Zeit der Aufklärung ansetzt, andere wenden sie auf gesellschaftliche Bereiche an, die sich seit dem 19. Jahrhundert zum Negativen hin entwickelt hätten, bei wieder anderen konstatiert sich die Krise aus der Ausgangslage nach dem 1. Weltkrieg oder aber ab der nationalsozialistischen ›Machtübernahme‹ 1933. Absolute Einigkeit besteht jedoch bei allen Rednern darüber, dass man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einer Krise befinde. Besonders in den ersten Nachkriegsjahren von 1945 bis 1947 ist das Bewusstsein für die Krisis der Gegenwart ein großes Thema der Reden, und dies auf unterschiedlichen Ebenen2. Um die Zeit der Währungsreform 1948 erreicht der Ausdruck einer Krisenwahrnehmung vor allem in den westdeutschen Reden eine neue Spitze, bis er in den Reden allgemein zum Ende des Erfassungszeitraums hin parallel mit der ›Normalisierung‹ der Großlage etwas zurückgeht. Nicht nur die zeitliche Dimension, die jenes Krisenbewusstsein umfasst, oszilliert in den Reden zwischen verschiedenen Ansatzpunkten, sondern auch dessen geographische Zuordnung. Nicht wenige Redner sehen keineswegs Deutschland allein von der Krise erfasst, sondern wahlweise ganz Europa oder den gesamten Kulturraum des Abendlandes3. Bisweilen dehnt sich die Diagnose eines Krisenzustands gar auf die Welt im Ganzen aus. Die Krise wird damit für die Nachkriegsrektoren »zur strukturellen Signatur« (Koselleck) ihrer Zeit. Ähnlich wie Reinhart Koselleck es in den Geschichtlichen Grundbegriffen für den geschichtsphilosophischen Grundbegriff »Krise« beschreibt, handelt es sich 1 Zur Definition von Begriff, auch in Unterscheidung von Label siehe Kap. I, S. 14–19. 2 Die Rektoren äußern sich in den Reden dieses Zeitabschnitts überdurchschnittlich politisch, sowohl auf die allgemeine Lage wie auf die Hochschule bezogen. In einigen Fällen zeigt sich die Wahrnehmung der Krise allerdings deutlich vom fachlichen Interesse dominiert. Solche Reden behandeln vorwiegend Fragestellungen der jeweiligen Fachrichtung des Redners, jedoch immer bezogen auf die Ausgangslage Deutschlands nach Kriegsende. So diskutieren z. B. sowohl Kurt Apel 1946 an der TU Berlin wie auch Wilhelm Müller zwei Jahre später in Aachen Probleme des Eisenbahnwesens in Zusammenhang mit den großen Zerstörungen der betrieblichen Infrastruktur etc. durch den Krieg. Walter Hallstein in Frankfurt 1946 und Walter Erbe wiederum zwei Jahre später in Tübingen etwa befassen sich mit der problematischen Stellung der Jurisprudenz nach ihrer Korrumpierung im Dritten Reich. Vgl. hierzu Kap. IV, S. 79–82. 3 Zur Bedeutung und Vorkommen von Abendland im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.2, insbes. S. 213 f.

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Krisenbewusstsein – Ursprung und Bewältigung der Gegenwartskrisis

bei den Krisen-Referenzen der rektoralen Redner um »die tastenden Versuche, eine zeitspezifische Ausdrucksmöglichkeit zu gewinnen, die die Erfahrung einer neuen Zeit auf den Begriff bringen sollte, deren Herkunft verschieden tief gestaffelt wird und deren unbekannte Zukunft allen Wünschen und Ängsten, Befürchtungen oder Hoffnungen freien Spielraum zu lassen schien«.4 Die Auseinandersetzung der Rektoren mit der Krise erfolgt in drei Schritten. Zum einen beschreiben die Redner das Szenario der krisenerfassten Gegenwart. Im nächsten Schritt suchen sie auf verschiedenen Wegen nach einer Erklärung, wie es überhaupt zur Krise kommen konnte, häufig auch fokussiert auf unterschiedliche Teilaspekte. Schließlich entwerfen die Rektoren Bilder einer zukünftigen Gesellschaft inklusive der bevorstehenden Aufgaben, die dafür zu bewältigen sind. Die Hochschule spielt auf allen drei Stufen jeweils eine gewichtige Rolle.

1. Gegenwart der Krise: Beschreibung des Krisenzustands Eine von starker Verunsicherung gezeichnete Wahrnehmung der Gegenwart ist weit verbreitet in den Reden. Diese generiert sich aus Sicht der Redner vor allem aus dem Bewusstsein für die jüngst hereingebrochene Katastrophe, ein Begriff, mit dem sie sich in den meisten Fällen auf den gerade verlorenen Krieg beziehen. Die gegenwärtige Lage beschreiben sie demnach zumeist – wie hier exemplarisch Karl Heinrich Bauer – ausgehend vom Kriegsende: »Deutschland ist geschlagen. Seine Städte sind verwüstet. Hunger und Kälte drohen. Das Gespenst lähmender Verzweiflung schleicht umher.«5 Das Wegbrechen der äußeren Strukturen geht in diesen Beschreibungen einher mit einer ebenso starken »inneren Zerrüt­ tung« Deutschlands als »unglücklichstem aller europäischen Länder«6. Symptome hierfür beobachten die Rektoren auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie benennen derartige Anzeichen labelhaft mit jeweils ähnlichen Stichwörtern wie etwa dem allgemeinen Fehlen von »Ehrlichkeit«, »Redlichkeit«, »Echtheit«, »Eigenwerten«, »Transzendenz«. Auf der anderen Seite hingegen herrsche in der gegenwärtigen Gesellschaft eine starke Überrepräsentanz von negativ zu bewertenden Eigenschaften wie »Neid«, »Hass«, »Misstrauen«, »Gemeinheit«, »Angeberei«, »Korruption« bis hin zur Anbetung falscher Götzen wie »Macht und Kapital«. Darüber sei sogar das Modell eines Staates, der »den freien Menschen nur beherrschen möchte«, zum »Letztwert« erhoben worden.7 4 5 6 7

R. Koselleck (1982), S. 627. K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 43. J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 8. Beispiele für derartige Darstellungen der Gesellschaft der Gegenwart etwa bei: J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 8; Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 14; Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1947), S. 4 u. S. 17; E. Terres (KA THF 1949), S. 5.

Gegenwart der Krise: Beschreibung des Krisenzustands 

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Derlei Gegenwartsanalysen gipfeln häufig in der Feststellung, der momentane Zustand stelle überhaupt »in erster Linie eine geistige Krise« dar.8 Dies geht einher mit dem starken Gefühl eines Kontinuitätsbruchs, der in den betreffenden Schilderungen teils große Dimensionen annimmt, wenn etwa von einer »Stunde der Bewährung« gesprochen wird, wie sie noch nie »schwerer und schicksalsvoller« gewesen sei, da in ihr ein ganzes »Jahrtausend deutscher Geschichte […] zu Grabe getragen« werde.9 Trotz solcher punktuell bedeutungsschwangeren Wortwahl geht es den Rednern dabei jedoch nicht um den Entwurf von Untergangsszenarien, sondern viel mehr um die Beschreibung eines gewaltigen Umbruchs. Der Gegenwart kommt demzufolge die Funktion eines Wende- oder Scheidepunkts mindestens des deutschen Schicksals zu, und zwar sowohl in einer positiven wie einer negativen Lesart. Letztere ist allerdings ausschließlich in einigen der frühen Reden zu finden. Die Begleiterscheinungen jenes Umbruchs werden zu diesem Zeitpunkt teils als so gewaltig empfunden, dass Emil Wolff in seiner Hamburger Rektoratsrede 1945 Zweifel einräumt, ob es sich hierbei wirklich ›nur‹ um einen Wandlungsprozess oder nicht doch um den nahenden Untergang handele.10 Die frühen Reden beherrscht zudem häufig eine große Zukunftsangst, bedingt durch die – zu diesem Zeitpunkt – noch weitgehende Ungewissheit über das weitere Schicksal der Welt, Europas und des eigenen Landes im Besonderen. Die Intensität jener Erfahrung kulminiert in der Darstellung eines wahrhaft apokalyptischen Szenarios in der Frankfurter Rede Georg Hohmanns, nach dem in der Gegenwart gleich einem »Gottesgericht über den deutschen Hochmut« geurteilt werde.11 Einen derart bedrohlichen Status erreicht die Krise bei Hohmann und auch anderen Rednern, weil aus ihrer Sicht schlechthin alle Lebensbereiche davon erfasst sind. In der Mehrheit vertreten die Rektoren jedoch eine optimistischere Lesart, welche die krisenbeladene Gegenwart eher als »Durchbruch in eine neue Zeit«12 begreift. Die rauen Begleitumstände rund um das Werden dieses neuen Zeitalters fasst Josef Kroll kurz in eine stark biologisierende Kreißsaal-Metapher, wie sie in diesem Zusammenhang häufiger zu finden ist: »Nichts wird ohne Schmerzen geboren.«13 Ein weiteres Beispiel dafür liefert Julius Ebbinghaus, der in der krisengeschüttelten Gegenwart den Moment der »Wiedergeburt unserer politischen Existenz«14 sieht. Wenn es bis zum tatsächlichen Wiedererstehen einer selbständigen deutschen Politik nach der allgemeinen Einschätzung auch noch eine Weile dauern sollte, so betrachten viele Redner den gegenwärtigen Zeitpunkt dennoch bereits als »Ende und Anfang«15 zugleich. Ohnehin sei ein 8 9 10 11 12 13 14 15

Hier im Beispiel zitiert nach E. Terres (KA THF 1949), S. 5. H. G. Gadamer (L U 1946), S. 3; E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 5. E. Wolff (HH U 1945), S. 18 f. G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 22. K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 45. J. Kroll (K U 1946b), S. 3. J. Ebbinghaus (MR PU 1945a), S. 17. J. Stroux (B HU 1946), S. 9.

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Zurück zur Situation von 1933 oder auch 1939 nicht mehr möglich, da sich »für alle jetzt lebenden Menschen neue Lebensbedingungen« ergeben hätten, zum einen durch Verluste materieller Art wie vor allem auch an »geistigen, sittlichen und moralischen Qualitäten« – zusätzlich verstärkt durch den Faktor der Millionen hinzugekommener Flüchtlinge.16 Inmitten solcher großen gesellschaftlichen Veränderungen, so befindet Hans Georg Gadamer in Leipzig, könne die Aufgabe nun nicht mehr sein, »das Alte und durch eine ehrwürdige Tradition Geheiligte festzuhalten«.17 Eine wirkliche Wende halten die Redner darüber hinaus auch für nötig, um als deutsches Volk den »Weg in die Gemeinschaft der Völker« wieder zurückzufinden. Dies gelte parallel dazu auch für die Akademiker, um zurück zur »Wirklichkeit im Geiste« zu gelangen.18 Von dieser noch zu vollziehenden Wende gehen aus Sicht der Rektoren gesellschaftlich viele Erwartungen aus, die auf eine bessere Zukunft hinstreben, wenngleich zumeist eher diffus formuliert. Die Beobachtung, es herrsche in der Gesellschaft ein prinzipieller Wille zur Veränderung sowie die indefinite Erwartung eines wie auch immer gearteten Neuen, teilt beispielsweise Hermann Schneider in seiner Tübinger Rede über das Neue in der Dichtkunst: »Nie wohl war die allgemein menschliche Hoffnung auf ein Besseres, auf eine neue Zeit so vag und blieb so im Stimmungsmäßigen stecken wie heute. Und doch ist sie da, muss sie da sein. Uns will heute dünken, dass wir von der Zukunft nur noch ein Besseres zu erwarten haben als das Heute. In welcher Richtung es liegen, wo das Licht aufleuchten, wohin der Weg ins Freie führen wird – das ist alles verschleiert. Nur: wir seufzen diesem Licht hoffend entgegen und wissen von ihm das Eine: dass es ein Anderes sein wird als diese traurige und verhaßte Gegenwart.«19

Unter den Rektoratsreden besonders in der ersten Hälfte des Erfassungszeitraums gibt es kaum eine, in der Wende oder Zeitenwende nicht an wenigstens einer Stelle vorkäme. Gemeint ist damit gewöhnlich eine als notwendig angesehene Veränderung beziehungsweise eine neue Ära, die man anbrechen sieht. Der Terminus erscheint hinsichtlich seiner historischen Einordnung in den Reden hauptsächlich als Label ein, will heißen, die Redner verwenden ihn weitest­ gehend, ohne darüber zu reflektieren. Dass ihnen im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis dato bereits mehrfach epochale Zeitenwenden verkündet wurden, die sich am Ende jedoch lediglich als Episoden herausstellten, berücksichtigen sie nicht. Einzig Günther Rienäcker erörtert in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Rostocker Universität 1946 die Problematik der Zeitenwende als Begriff. Vielleicht dem besonderen politischen Klima der SBZ oder aber seinen eigenen

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Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 4 f. H. G. Gadamer (L U 1946), S. 3 f. E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 5. H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 12.

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Überzeugungen20 geschuldet, attestiert er ihm den »schlechten Klang« der Abgegriffenheit. Bereits 1918 sei eine Zeitenwende ausgerufen worden, die letztlich jedoch nicht eingetreten sei, weil es nicht gelang, »die Kräfte auszuschalten, die Deutschland schließlich wieder auf den falschen Weg brachten«. 1933 hätten die neuen Machthaber erneut eine Zeitenwende versprochen, was Rienäcker allerdings als bloße »Propagandaparole« aburteilt: »Es gab da nur den armseligen Versuch eines Anspruches auf Totalität, Geist und Gesinnung künstlich zu beugen und gleichzuschalten, das heißt auszurichten auf Ziele, die in ihrer Ungeheuerlichkeit manchem heute erst klar werden.« Letztlich jedoch kann auch er nicht umhin, sich dem allgemeinen Empfinden einer starken Diskontinuität anzuschließen und dem Begriff – angewandt auf die Gegenwart – seine Berechtigung zuzugestehen: »Wenn man aber wirklich jemals sagen kann, dass das deutsche Volk in den letzten Jahrhunderten irgendwann am Wendepunkt seiner Geschichte stand, so trifft es heute zu.«21 Der allgemeine Konsens über die Zeitenwende der Gegenwart erklärt sich möglicherweise aus dem wenige Jahre vor Kriegsende entworfenen, zu seiner Zeit jedoch nicht verbreiteten Modell einer »Idee der Zeitwende« Richard Koebners. Der gedankliche Ansatzpunkt, von dem aus eine »Zeitwende« jeweils gedacht wird, so fasst Dieter Langewiesche Koebners Gedanken, ist demzufolge gebunden an ein gleichzeitiges Krisen­ bewusstsein, an dem es in der Nachkriegszeit nicht mangelte: »Je größer die Gegenwartskrise, in der man zu leben meint, je gewaltiger die Zukunftsaufgabe, vor die man sich gestellt sieht, so zeigt Koebner, desto schärfer kann die Trennlinie zwischen Geschichte und Zukunft gezogen werden. Die Radikalität des imaginierten Bruchs mit der Vergangenheit erzwingt die Radikalität der angesonnenen Zukunftsaufgabe.«22

In ihrem Krisenempfinden sehen sich die Rektoren mit ihren geographischen Nachbarn vereinigt, denn nicht nur Deutschland, sondern die gesamte »europäische Gesellschaft und das europäische Bewusstsein«23 werden von der Krisis der Gegenwart erschüttert. Überall in Europa seien »wichtige Grundlagen des Daseins« bedroht. Gemeint sind damit nicht zuvorderst die »materielle Existenz«, sondern genauso übergeordnete Werte wie »Familiengemeinschaft, soziales Zusammenleben, Beziehungen zwischen Völkern u. a.«. Diesen Zustand fassen die Rektoren in zahlreiche Bilder, nicht ohne ein gewisses Pathos mit20 Rienäcker engagierte sich sehr stark politisch sowohl in der SBZ wie später auch zu DDR-Zeiten. Er saß seit 1946 für die SPD im mecklenburgischen Landtag, ab 1947 im Präsidialrat des Kulturbundes und erklomm nach und nach die politische Karriereleiter bis hin zur Mitgliedschaft im Zentralkomitee der SED ab 1958. Vgl. R. Boch (2004), S. 128, Anm. 17. 21 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 5 f. 22 D. Langewiesche (2008), S. 49. Von den Rektoren erreicht in den Reden keiner den Reflexionsgrad, den Richard Koebner in seiner allerdings erst posthum erschienenen Schrift »Die Idee der Zeitwende« entwickelt hat; vgl. R. Koebner (1990). 23 E. Wolff (HH U 1945), S. 19 f.

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einfließen zu lassen: »Europa blutet aus tausend Wunden«24 oder »Die Nachkriegszeit ist nirgendwo ein goldenes Zeitalter«25 sind nur einige Beispiele dafür. Dass das gegenwärtige gemeinsame Leid künftiger Anknüpfungspunkt für eine Reintegration Deutschlands in die europäische Gemeinschaft werden könnte, schwingt in den Rektoratsreden meist nur unausgesprochen mit. Ein Grund dafür liegt wohl darin, dass Deutschland für die Not der anderen zu großen Teilen verantwortlich war. Diesen Punkt der jüngsten Geschichte thematisieren die Rektoren jedoch in anderen Zusammenhängen wie z. B. dem Schulddiskurs.26 Auf der Suche nach Kräften, die das Europa der Gegenwart einen, wenden sich die Rektoren vielmehr einem allseits »starken Krisenbewusstsein« zu, wofür sie im Wesentlichen eine langfristig entstandene und schon vor dem Krieg nicht nur in Deutschland spürbare geistige Krise verweisen. Besonders bedroht davon sehen sie die Kulturwelt des Abendlandes, und damit auch – wie Theodor Steinbüchel es formuliert – den »europäischen Mensch selbst in seiner überkommenen Verfassung«.27 Über die deutschen Grenzen hinaus befänden sich nämlich gerade diejenigen abendländischen Errungenschaften in großer Gefahr, die letztlich das Wesen dieses Kulturraums ausmachten, d. h. »die Idee der Freiheit und die Idee der Persönlichkeit«28 in ihrer Funktion als eigenständige Werte. Gerne bedienen sich die Redner in ihrer Diagnose des Krisenzustands biologistischer Motive zur Verbildlichung, wenn sie etwa von »lebensgefährlichen Erschütterungen dieser Kultur« sprechen, nach denen sich die Anzeichen einer einsetzenden »Gesundung« bislang nur schwach und »ohne den starken Atem der siegenden Überzeugung« bemerkbar machten.29 Die Gesellschaft  – Deutschland gilt hier nur als Spitze des Eisbergs – leide gegenwärtig vor allem darunter, dass grundlegende geistige und moralische Werte zerstört seien. Daraus folgend habe sich eine Form von »seelenloser und kalter Gleichgültigkeit« unter den Menschen verbreitet, die keine Rücksicht auf »Leben und Besitz des Nächsten« nehme.30 Andererseits herrsche jedoch gerade in dieser Situation moralischer Wirrnis bei vielen Zeitgenossen ein »elementares Verlangen nach dem wahren Recht«31, nach »Ordnung, Anstand und Ehrlichkeit, Vernunft, Treu und Glauben«32. Heidrun Kämper ordnet derartige Deutungen des Nachkriegszustands 24 25 26 27 28 29 30 31 32

J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 11. J. Kroll (K U 1947), S. 62. Zum Schulddiskurs vgl. in diesem Kapitel S. 122–126. Darüber hinaus mahnen insbesondere dann, wenn es um die Situation der deutschen Hochschule der Nachkriegszeit geht, des Öfteren an das harsche Vorgehen der Nationalsozialisten gegen Hochschulen im eroberten Ausland. Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 13. F. Meinecke (B FU 1948), S. 20. W. Hallstein (F JWGU 1946), S. 5 f. K. Apel (B TU 1948), S. 3. W. Erbe (TÜ EKU 1948), S. 25. K. Apel (B TU 1948), S. 3.

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einer zukunftsgerichteten deutschen Identitätsstiftung zu, wie sie insbesondere von Nichttätern in jenen Jahren vorgetragen worden sei: »Aus dem Archiv des kulturellen Gedächtnisses wird in der frühen Nachkriegszeit derjenige begriffliche Bestand ausgewählt und abgerufen, der zum einen ein deutliches Gegenkonzept zu dem von Nationalsozialismus und Nazis repräsentierten Deutschtum bildet, der zum andern die Welt von der Existenz des anderen Deutschland überzeugt. Einen Nachweis der Selbstwiederfindung konkretisiert man mit der Vorstellung von Reinigung und Genesung. Dieses Wortfeld steht in einer logischen Bedeutungsbeziehung zu verschüttet insofern, als es die nämliche Vorstellung von vorhandener guter Substanz präsupponiert, die freigelegt werden muss, weil sie verschüttet ist, oder: die gereinigt werden muss, weil sie schmutzig wurde, oder: die genesen muss, weil sie krank war.«33

In seiner 1953 erschienen Studie über Wandlungen der deutschen Familie im ersten Nachkriegsjahrzehnt folgert Helmut Schelsky aus jenem auch von den Hochschulrektoren angesprochenen Ordnungs- und Sicherheitsbedürfnis des Einzelnen, das durch die Erfahrungen des Krieges und seiner Nachwirren gegenwärtig gesteigert vorhanden sei, eine verstärkte Zufluchtsuche des Individuums in die kleinste gesellschaftliche Einheit, die Familie. »Die Ehe und Familie wurden im Zusammenbruch der staatlichen und wirtschaft­ lichen Ordnung und in der unmittelbaren Gefährdung, der jeder einzelne ausgesetzt war, als der natürliche Halt und Schutz empfunden und ihr Bestand als letzte menschliche Sicherheit erlebt.«34

Dieser Rückzug einer Vielzahl von Deutschen ins Private ist auch Thema der Rektoratsreden, wird dort aber kritisch gesehen. In den Augen der Rektoren ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung vonnöten, um die deutsche Lage insgesamt zu verbessern.35 Als weiteren Aspekt jener allgemeinen gesellschaftlichen Krise, der mit der Bedrohung der abendländischen Werte und deren Folgen in ursächlichem Zusammenhang stehe, benennen die Rektoren die Mechanisierung und Vermassung. Beide Ausdrücke finden häufig lediglich als Label Verwendung, wenn es darum geht, die gegenwärtigen Problemstellungen kurz anzureißen, der eigentliche Gedankengang aber auf die Zukunft zielt. Sie gehören indes zum eingeführten Vokabular der Kritik an der Moderne, mit dem schon seit mehreren Jahrzehnten die negativen Auswüchse einer industrialisierten Gesellschaft beklagt wurden. Nicht wenige rektorale Redner formulieren diese Kritik aber – wohl in Anbetracht der veränderten Ausgangslage im Vergleich zu früheren Kritikern – noch 33 H. Kämper (2005), S. 396 f. 34 H. Schelsky (1954), S. 63–92 u. S. 178–192. Vgl. auch die Kapitel über die »Zusammenbruchsgesellschaft« in C. Kleßmann (1982). 35 Vgl. Kap. V.3.

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einmal ausführlich unter Verwendung der beiden Schlagwörter als Begriffe: In der modernen arbeitsteiligen Wirtschaftsform sei der Mensch der Maschine förmlich ausgeliefert; der Einzelne trage kaum mehr Verantwortung und gehe als kleines Rädchen im großen Getriebe unter. Zudem seien die meisten Menschen so sehr von der Mechanisierung ihrer Erwerbstätigkeit sowie ihres gesamten Lebensablaufs gefangen, dass ihnen darüber hinaus die Energie zu qualitativ hochwertiger Betätigung in ihrer übrigen freien Zeit fehle. Sie suchten dagegen in steigendem Maße nach Zerstreuung, wodurch sich einerseits ihre Anfälligkeit gegenüber Manipulation erhöhe, und andererseits die Vermassung der Gesellschaft immer weiter vorangetrieben werde. Klagen über eine zunehmende Vermassung der Gesellschaft sind kein neues Motiv der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Es bevölkert die soziologischen Schriften z. B. Gabriel Tardes, Gustave Le Bons oder Max Webers bereits seit der Jahrhundertwende als negative Ausdeutung der Entwicklung der modernen Gesellschaft. In seiner Studie über »Masse und Charisma« untersucht Michael Günther die Massenbegriffe der Soziologie am Anfang des 20. Jahrhunderts.36 Trotz seiner weiten Verbreitung in jener Zeit konstatiert Günther einen allenfalls diffusen Bedeutungsgehalt der »Masse«, als deren »einziges charakteristisches Merkmal« zunächst die »Unbestimmtheit« auszumachen ist: »Das Noumenon wurde hier für die Sache selbst genommen. Das Nichterkannte, Unerforschte erschien so a priori als ›allgemein bekannt‹. Nicht mehr der Begriff schien als ›amorph‹, sondern die Sache selbst ›war‹ es: Die ›Masse‹ als formbarer indifferenter ›Menschenteig‹, der ›Mensch im Plural‹ in seiner ›häßlichsten‹ Daseinsweise wurde dieserart, quasi intellektuell, geboren.«37

Das Bild der Masse vermittelt sich nicht nur aus solchen Schriften als unselbständig, beeinflussbar, verständnis- und vernunftlos bis hin zu einer destruktiven, aggressiven Prädisposition. Günther weist darauf hin, dass schon Friedrich Nietzsche ähnliche Deutungen der Masse in seinen Schriften entworfen habe. Ebenso hielt die Befürchtung einer Vermassung bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts Einzug in die Diskussionen der Hochschulen. Im Nachkriegsdiskurs beklagen die Redner übereinstimmend vor allem die Reduktion des Menschen auf den »reinen Funktionär« und damit den Verlust des menschlichen Eigenwerts als gravierendstes Anzeichen der Krise.38 Löse sich nämlich die Achtung vor der Individualität des Einzelnen aus dem Wertebewusstsein, so »schwinden außer dem Wert der Person selbst alle menschlich-sittlichen Werte«39. Verantwortlich für diesen Missstand machen Rektoren aus allen Besatzungszonen in erster Linie das wirtschaftliche System. Ernst Terres, Professor für Gastechnik und Brennstoffverwertung, spricht in seiner 36 37 38 39

Vgl. hierzu M. Günther (2005), v. a. S. 10–26. M. Günther (2005), S. 11. K. Geiler (HD RKU 1948), S. 28 f. Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1947), S. 6.

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stark religiös motivierten Karlsruher Rektoratsrede von der »Ungerechtigkeit der heutigen Gesellschaft und Wirtschaftsordnung«40, welche sich künftig ändern müsse. Der Mainzer Rektor Josef Schmid gibt neben einer »Entseelung der Arbeit« dem »maßlosen Erwerbstrieb der kapitalistischen Unternehmer« wie allerdings auch der »Absonderung der Arbeiterschaft« Schuld am gegenwärtigen Zustand.41 Ebenso kritisiert der Moraltheologe Theodor Steinbüchel in seiner Rede zur Eröffnung der Studententagung der französischen Besatzungszone in Tübingen die »Entwürdigung des Menschen im Menschen zum bloßen Mittel für wirtschaftliche Zwecke«. Steinbüchel, der sich bereits in seiner Dissertation mit dem ›Sozialismus als sittlicher Idee‹ auseinandergesetzt hatte, würdigt auch hier den Ansatz des Sozialismus für dessen Entwurf einer »Gesellschafts- und Wirtschaftsform, die die Ehrung des Menschen wieder ermöglicht und damit auch im gesellschaftlichen Leben den Menschen wieder achten lehrt«, was »echte Transzendenz zum Menschen« bedeute.42 An den Begriff der Vermassung schließt in vielen Fällen eine umfassende Kulturkritik an. Die für das Individuum konstatierte »Entpersönlichung des Daseins«43 bedeute aus kultureller Sicht in der Konsequenz immer mehr »Oberflächlichkeit« im »geistigen Leben« bis hin zur kompletten »Abstumpfung des Ausdrucks- und Empfindungsvermögens«44. Dem Einzelnen fehle mehr und mehr der Sinn für »seine geistige, persönliche Individualität in ihrer Treue zu sich selbst«. Er befinde sich aus »Angst vor dem, was wir selber sind und was in uns selbst an Möglichkeiten da ist«, nur noch auf der Flucht vor dem eigenen Ich und verliere sich damit letztlich in der Masse.45 Zu dieser Verlorenheit trägt nach Meinung des Braunschweiger Rektors Hans Herloff Inhoffen überdies bei, dass die Menschen mit Information förmlich überfrachtet würden, weswegen sie kaum noch zu »eigenem, selbständigem Denken« fähig seien. Auch dies verstärke das Zusammenschmelzen der Menschen zu einer leicht zu beeinflussenden Masse. Im Zuge seiner Kulturkritik führt Inhoffen, Rektor einer Hochschule in der Britischen Zone, ausgerechnet die Vereinigten Staaten – obwohl ebenfalls Besatzungsmacht – als nicht nachzuahmendes, negatives Beispiel an. In vielen Reden, häufig jedoch nicht ausschließlich an Hochschulen in der US-Zone, galten die USA als weitreichendes Vorbild für die Ausgestaltung eines künftigen Deutschlands. Anders bei Inhoffen: Die US-amerikanische Gesellschaft habe bereits einen extrem hohen Stand der Medialisierung erreicht, welche den Geist des Bürgers förmlich »gefangen nehme«. Durch die tägliche »Flut bedruckten 40 41 42

E. Terres (KA THF 1949), S. 16. J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 9 f. Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1947), S. 14. Den starken Bezug Steinbüchels zum Sozialismus und dessen kontinuierliches Wiederauftauchen in den Schriften Steinbüchels stellt auch Andreas Lienkamp in seiner 2000 erschienen Dissertation heraus. Vgl. besonders A. Lienkamp (2000), S. 394–415. 43 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1947), S. 9. 44 H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 13. 45 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1947), S. 9–12.

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Papiers« werde schließlich jedoch das »eigene Denkvermögen« des Einzelnen »einer gefährlichen Entwöhnung und Verflachung zugeführt«.46 Die Rektoren üben hiermit vor dem aktuellen Hintergrund in ganz klassischer Weise Kritik an der Moderne, wie sie schon seit der Jahrhundertwende unter ähnlichen, teils gleichen Leitgedanken und Benennungen vorkam. Aktiven Bezug auf die Moderne als Begriff nehmen sie dabei jedoch kaum.47 Wenn überhaupt nutzen die Redner den Ausdruck attributiv abgewandelt in adjektivischen Konstruktionen wie: »moderne Zeit«, »moderne(r) Mensch(heit)«, »moderne(s) Wissen(schaft)«, »moderne(r) Geist(eshaltung)«, »moderne Universität«, »moderne Industrie« etc. Die Frage, ob, wann oder wodurch etwas modern ist, wird dabei nicht diskutiert, sondern gilt als Voraussetzung. Vielmehr interessiert das als modern gelabelte Objekt, und zwar hinsichtlich dessen, was es sowohl historisch wie auch gegenwärtig betrachtet darstellt. In den Köpfen scheint sich eine Akzeptanz der Moderne als dem Zeitalter der Gegenwart und somit eine gewisse sprachliche Normalität der Bezeichnung gegenüber etabliert zu haben, weswegen sie als solche nicht mehr problematisiert werden muss. Letzteres bleibt jedoch nach wie vor dort erforderlich, wo es die Auswirkungen der Moderne auf bestimmte Bereiche wie Wissenschaft, Industrie oder die Menschheit selbst betrifft. Hier bezeichnet das Attribut modern jeweils eine Abgrenzung zu entsprechend früheren Vergleichszuständen der Objekte, die jetzt in ihrer modernisierten Form beschrieben werden. In den Rektoratsreden berührt dies am häufigsten die Bereiche Wissenschaft / Universität sowie Industrie / Wirtschaft. Dies jedoch bedeutet nicht automatisch eine positive Konnotation von modern. Der Begriff wird vielmehr in zwei voneinander unabhängige Richtungen gedacht. Bezogen auf die krisengeschüttelte Gegenwart bezeichnet er vorrangig negativ eingeschätzte Entwicklungen verglichen mit ihrem vorkritischen Zustand zu früheren Zeiten, in die Zukunft gedacht benennt er jedoch ausgehend von der momentanen Krisenverfassung entsprechend modernisierte und dadurch zum Positiven gewendete Prozesse. 46 H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 13. 47 Anders als etwa bei dem Begriff der Gemeinschaft (vgl. hierzu Kap. VII.2, S. 273 f.) ist es in diesem Fall eher unwahrscheinlich, dass der nationalsozialistische Sprachgebrauch zu einer vergleichbaren Kontamination des Terms Moderne geführt hat. Linguistische Arbeiten zur Sprache des Nationalsozialismus belegen, dass Moderne und modern keine eigenen Begrifflichkeiten in der Sprache des Regimes selbst waren. In dem von Cornelia Schmitz-Berning erstellten Handbuch zum NS-Vokabular findet sich beispielsweise kein entsprechender Eintrag. Vgl. darüberhinaus C. Schmitz-Berning (1998); ebenso bei E. Seidel / I. Seidel-Slotty (1961). In der Geschichtswissenschaft hat die Frage nach der Modernität des Nationalsozialismus eine große Debatte hervorgerufen, in der u. a. auch Argumente der Linguistik herangezogen wurden. Insbesondere die assoziative Konnotation, die mit dem Begriff einhergeht, bestimmte dabei die Diskussion. Argumentierte die eine Seite, man könne wertneutral definieren, was Modernität im bestimmten Fall ausmache, so befand die Gegenseite, der Term modern werde generell von einer positiven Konnotation bestimmt, welche es allein schon verbiete, sie auf den Nationalsozialismus zu beziehen, um nicht unterschwellig falsche Verbindungen herzustellen. Vgl. N. Frei (1993).

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In einigen Fällen weist das Krisenempfinden der Rektoren gar über die Gegenwart hinaus und richtet sich gleichermaßen auf die weitere Entwicklung in der Zukunft. Aus der Situation momentaner Instabilität, so fürchten verschiedene Redner, drohe alsbald weiteres Ungemach. Vielfach warnen sie vor Resignation und Nihilismus angesichts einer Gegenwart, die auf den ersten Blick hoffnungslos erscheinen könne. Viele Menschen fühlten sich derart »entwurzelt und müde«, dass sie »keinen anderen Sinn mehr sehen, als gerade noch so viel Nahrung zu schaffen [sic], um mit ihren Kindern nicht verhungern zu müssen«.48 Derartige »Lethargie, die rastlose Tätigkeit, der tatlose Missmut, der erstickte Wille« könnten zu einer »tödlichen Gefahr«49 werden, wenn sie etwa den Einsatz des Einzelnen für ein Überwinden der Krise verhinderten. Gerade für die Deutschen, so stellen die Göttinger Rektoren Rudolf Smend und Friedrich Hermann Rein fest, sei jene »passive Haltung« nicht nur »typisch« und ein »altes Laster«, sondern letztlich »die Wurzel so vieler Mängel und Nöte«. In der jetzigen Lage jedoch könne Hilfe nur aus der Eigeninitiative kommen, indem sich auch die Deutschen dem Ringen »der Welt draußen« mit den USA als Vorreiter anschlössen und begönnen, Lösungen der gesellschaftlichen Probleme unter Wahrung der politischen Sittlichkeit zu suchen.50 Dieser Aufforderung schließt sich unter anderem auch Emil Lehnartz in Münster an. Er allerdings argumentiert von einer anderen Seite her. Deutschland werde gegenwärtig trotz eigenem Verschulden seiner Notlage in großem Maße Hilfe von außen zuteil. Nun liege es an den Deutschen, sich derer im Gegenzug durch »eigene Arbeit, eigene Leistung, eigenes Streben« würdig zu erweisen und aus diesem Engagement einen »Ansatz und Ausgangspunkt zu einem neuen Leben der Nation« zu machen.51 Ausdrücklich betonen viele der Rektoren zudem, wie unabdingbar es für die deutsche Zukunft sei, die Nation neu zu beleben, und zwar nicht zuletzt deshalb, um der Gefahr vorzubeugen, dass sich Teile der Bevölkerung aus einem Gefühl von Verunsicherung und Unzufriedenheit erneut radikalisierten. Hans Kress von Kressenstein widmet diesem Thema ausgehend von der Feststellung einer Zunahme an »psycho-physischen Erkrankungen in allen Kulturländern« noch im Jahr 1950 eine ganze Rede, in der er die Ursache jener Gefahr weniger in den konkreten Erfahrungen des Krieges ausmacht als vielmehr in den daraus erwachsenen Folgen. Der Einzelne erlebe gegenwärtig tiefe Angst vor der Zukunft, weil weder das individuelle noch das gesamtgesellschaftliche Schicksal abgesichert sei. Dieser Tendenz zur kollektiven Verängstigung, die letztlich die psychische Gesundheit gefährde, müsse nun durch eine Sozialpolitik des Auffangens Einhalt geboten werden, welche die »seelisch-geistigen Bedürfnisse« des Einzelnen entsprechend berücksichtige und ihm seine Eigenverantwortung

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J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 8. Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1945a), S. 11 f. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 377 f.; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 9. E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 5.

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zurückgebe.52 Die Situation fasst der Karlsruher Rektor Rudolf Plank resümierend in die bildhaft beschwörerische Formel: »In unserer gegenwärtigen Lage gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Finis Germaniae, wenn wir uns an die bisherigen Maximen klammern, oder ein Stirb und Werde im wahrhaft Goethe’schen Sinn.«53 Was bleibt, ist in häufig die Frage nach dem Sinn des erfahrenen Leids. Da man sich noch mitten in dem leidvollen Erleben begriffen sieht, wird dessen Einordnung auf spätere Zeiten verschoben. Den zeitlichen wie emotionalen Abstand zu der eingetretenen Katastrophe schätzen die Redner einhellig als noch nicht groß genug ein, wie Hermann Schneider, der die Ausgangslage folgendermaßen beschreibt: »Die Katastrophe liegt hinter uns, ihr Knall betäubt noch unser Ohr, der Staub, den sie aufgewirbelt hat, trübt unser Auge, verdüstert die Erde und verdeckt den Himmel«54. Die tatsächliche Bedeutungsschwere der ganzen Situation sei momentan noch nicht absehbar. So befindet auch Sigurd Janssen: »Aus der Verwirrtheit der Geister und aus den Trümmern der Gebäude blicken wir Menschen auf und kommen erst allmählich zur Besinnung über die Geschehnisse.«55 Somit bleibt die Deutung des Leids in Gegenwart und jüngster Vergangenheit samt deren »tiefem, heute noch verhülltem Sinn« einem späteren Zeitpunkt überlassen, dem die große Hoffnung innewohnt, »aus der Asche dieser Weltkatastrophe vielleicht einmal eine glücklichere Zukunft« erwachsen lassen zu haben.56 Solche Redeausschnitte spiegeln das Empfinden der Zeitgenossen um den Moment des tatsächlichen ›Zusammenbruchs‹ im Mai 1945 herum. Die daraus abgeleitete Wahrnehmung einer ›Stunde Null‹, mittlerweile quasi ein Gemeinplatz der deutschen Nachkriegsgeschichte, ist trotz einer entsprechenden Wahrnehmung durch die Zeitgenossen faktisch weder für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung jener Jahre eingetreten wie auch umso weniger für die Hoch­ schulen.57 Joachim Scholtyseck verweist neben einer erstaunlich kurzen Unter52 53 54 55 56 57



H. Kress v. Kressenstein (B FU 1950; Zitat S. 12. R. Plank (KA THF 1946), S. 6. H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 11 f. S. Janssen (FR ALU 1945), S. 12. R. Grammel (S TH 1946), S. 11. Unterschiedliche Einblicke in die Lage der »Zusammenbruchsgesellschaft« gibt Christoph Kleßmann in seiner Studie »Die doppelte Staatsgründung«. Dass die »Stunde Null« als »totaler Neubeginn« nicht existierte, findet auch in seine Betrachtung Eingang. Er verweist jedoch darauf, dass diese jedoch sehr wohl »als Metapher für eine diffuse Stimmungslage verwendbar« sei, die aus den verfügbaren Quellen »ex post schwer nachzuvollziehen und begrifflich einzufangen ist«, C. Kleßmann (1982), S. 37, vgl. insgesamt S. 37–65. Uta Gerhardt behandelt das Phänomen ›Stunde Null‹ aus soziologischer Sicht und kommt dabei zu dem Schluss, dass es bei aller unterschiedlicher Betrachtung durch die heutige Wissenschaft in Köpfen sowohl der Zeitgenossen wie auch der nachfolgenden Generationen als »Erfahrungszusammenhang« bestand hat und als Übergangsphase im Systemwechsel von Diktatur zu Demokratie mehr bietet als einen reinen Erinnerungsplatz der ›Zusammenbruchsgesellschaft‹. Vgl. U. Gerhart (2005), S. 11–17.

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brechung des Lehrbetriebs an vielen Hochschulen auf die »kaum glaublichen Kontinuitäten« in Personal und Struktur der Hochschulen, die dem Selbstbild der Zeitgenossen widersprächen.58 Indes gilt ein krisengeschütteltes Deutschland wie in der Nachkriegszeit anzutreffen keineswegs als beispielloser Fall. Mehrfach versuchen Rektoren – in den meisten Fällen jedoch nicht die Historiker unter ihnen59  – eine historische Einordnung der Gegenwart. Dabei greifen sie des Öfteren ein Bild auf, das bereits drei Jahrzehnte früher von Max Weber in Anlehnung an Heinrich von Treitschke benutzt wurde, und führen dieses weiter fort. Fast immer allerdings verwenden die Redner das Motiv ohne Bezug auf seine Herkunft und Vorgeschichte, gerade so als sei es ein Bild der allgemeinsprachlichen Metaphorik. In verschiedenen Schriften und Reden um die Jahreswende 1918/19 hatte Weber die deutsche Lage zu Ausgang des 1. Weltkrieges analysiert und gleichzeitig Überlegungen zur Gestalt eines künftigen Deutschlands angestellt. Er konstatierte zunächst mehrere »völlige Zusammenbrüche« Deutschlands, datiert auf die Jahre 1648, 1806 und 1918. Sowohl nach dem Dreißigjährigen Krieg wie nach dem Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches sei das Land in einer »neuen Jugend« erblüht. Daher setzte Weber seine Hoffnungen auf eine baldige »dritte Jugend« der Deutschen.60 58 J. Scholtyseck (2008), S. 209–211. 59 Unter den 133 Rektoren befinden sich insgesamt vier Historiker und zwei Kunsthistoriker (Eduard Brenner, Friedrich Meinecke, Gerd Tellenbach, Eduard Winter; Edwin Redslob, Otto Schmitt). Vgl. Kap. III. Von diesen sechs halten zwar alle Reden mit einem Bezug auf ihr Fachgebiet, meistens auch um eine bestimmte Problemlage der Gegenwart zu illustrieren. Einen historischen Vergleich im Sinne der hier gemeinten Anführung von Krisenfällen der Geschichte mit Ähnlichkeit zur Gegenwart nimmt jedoch nur Edwin Redslob in seiner 1948er Rede vor (siehe S. 105 f. in diesem Kapitel). Die meisten Redner, die historische Vergleiche nach dem obigen Muster ziehen, gehören indes anderen Fachrichtungen an, möglicherweise mit einem leichten Übergewicht der Geisteswissenschaften. Klar unterrepräsentiert sind dabei die Naturwissenschaften. 60 Einzige Benennung Webers als Quelle bei: Inhoffen (BS THCW 1948), S. 11. Weber selbst zitiert ein Wort Heinrich v. Treitschkes von einer »zweiten Jugend«, welche der »deutschen Nation« zuteil geworden sei, aus dessen »Deutscher Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert«. Unter dem Eindruck der nur wenige Jahre zurückliegenden deutschen Einigung in Form des Kaiserreiches bezog Treitschke die deutsche Verjüngung auf den zum zweiten Mal ausgefochtenen »Kampf um die Grundlagen staatlicher Macht und freier Gesittung«, der auf deutschem Boden zunächst »vor einem Jahrtausend das stolzeste Königtum der Germanen« hervorgebracht habe. Nach dem Dreißigjährigen Krieg habe dieser wiederholt werden müssen, weshalb die Deutschen als »das jüngste unter den großen Völkern Europas« zu gelten hätten. Siehe H. v. Treitschke (1918), S. 3. Weber zieht gegen Ende des Ersten Weltkriegs die Parallele zur Gegenwart sowohl in verschiedenen Briefen wie vor allem auch in einer breit rezipierten, aber nicht von ihm selbst schriftlich überlieferten Rede vom 2. Januar 1919 in Heidelberg mit dem Titel »Deutschlands Wiederaufrichtung«. Verschiedenen Presseberichten zufolge – wie hier aus der Hei-

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Wie die Rektoren rund dreißig Jahre später wissen, hatte Weber mit seiner Prophezeiung einer »dritten Jugend« nicht unrecht. Sie sprechen jedoch in dem Bewusstsein, dass letztere im Vergleich zu ihren Vorgängern im größten Stile versagt hat. Im Zentrum dieser Einschätzung liegt für die Reder jedoch weniger die Erfahrungen der NS-Zeit, sondern vielmehr die Ereignisse des Jahres 1945. Die jüngste Kriegsniederlage Deutschlands samt ihrer Begleiterscheinungen stellen sie auf eine Stufe mit den drei von Weber benannten Zusammenbrüchen, bzw. messen ihnen gar noch mehr Bedeutungsschwere bei. Als Vergleichsgröße ziehen die Rektoren allgemein gerne und so auch in diesem Fall den 1. Weltkrieg heran, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er ihrem eigenen Erfahrungsraum angehört. Insbesondere aus dieser Gegenüberstellung werde – so die Argumentationslinie – ersichtlich, dass der gerade beendete Krieg zum einen ein bislang nicht gekanntes Ausmaß an Zerstörung äußerlicher wie innerlicher Art mit sich gebracht habe.61 Zum anderen befinde sich Deutschland nach Ende dieses Krieges in einer mit Blick auf die Zukunft ungleich schwierigeren Ausgangslage, da 1918 immerhin die »staatliche Souveränität« als »höchstes Gut« verblieben war.62 Nun richte sich, so folgert beispielsweise Kurt Apel, die ganze Hoffnung auf eine »vierte Jugend«, die »die jetzige Katastrophe überwindet und bessere Erfolge in der staatsbürgerlichen Formung des deutschen Volkes erzielt als frühere Geschlechter«.63 Auch die erste von Weber und Treitschke genannte deutsche Krisenzeit, den Dreißigjährigen Krieg, nutzen Rektoren wiederholt als Spiegel der Gegenwart. Die von ihm ausgehende Dimension an Schrecken und Zerstörung erscheint vielen Rednern die einzig adäquate historische Parallele, finden sich doch mehrfach in den Reden ähnliche Formulierungen wie hier bei Johannes Hoops, der die Ausgangslage seines zweiten Rektorats ins Verhältnis mit der bereits schwierigen Situation des ersten im Jahr 1920 setzt: »Und jetzt nach dem zweiten Weltkrieg, nach einem Zusammenbruch, wie ihn schlimmer und vollständiger

delberger Zeitung wiedergegeben – führte Weber folgendes aus: »Wenn Treitschke einmal gesagt hat, dass den Deutschen als dem einzigen Kulturvolk einmal – nach dem Dreißigjährigen Krieg – eine zweite Jugend beschieden gewesen sei, so sei jetzt die Zeit der dritten Jugend gekommen, nach der dann die schlichte Freude wieder heimkehren werde nach Deutschland.« Vgl. M. Weber: Deutschlands Wiederaufrichtung, in: M. Weber (1988), S. 424. In den Rektoratsreden wird Weber vermutlich nach einer 1932 erschienenen Schrift von Karl Jaspers zitiert, die ihn sowohl als Politiker, Forscher wie als Philosophen portraitierte. Dies legen vor allem die nur bei Jaspers entsprechend vorkommenden Datierungen nahe, welche auch so in den Rektoratsreden zu finden sind: »Deutschland ist das einzige Volk, dem die Geschichte zweimal, nach dem völligen Zusammenbruch von 1648 und 1806, eine neue Jugend gab. Es wird noch eine dritte Jugend haben nach der eisigen Nacht, die es nun durchschreiten muss.« Vgl. K. Jaspers: Max Weber. Politiker – Forscher – Philosoph. In: K. Jaspers (1968), S. 437. 61 C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 13; J. Hoops (HD 1945), S. 13. 62 G. Hohmann (M LMU 1946), S. 7. 63 K. Apel (B TU 1948), S. 3.

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unser deutsches Vaterland seit dem Dreißigjährigen Kriege nicht mehr erlebt hat, bin ich abermals mit der Leitung der Geschicke meiner geliebten Ruperto Carola betraut worden.«64 Die imaginierten Gemeinsamkeiten der beiden Kriege beschränken sich indes nicht nur auf die materielle Vernichtung ganzer Städte samt ihrer Bewohner. Sie konstituieren sich in den Rektoratsreden darüber hinaus auch in Form einer großen Unsicherheit und Uneinigkeit auf politischer wie religiöser Ebene, welche in der Gegenwart wie in der Vergangenheit ganz Europa erfasst habe.65 Der Neurologe Hans Creutzfeldt zieht die Parallele noch ein Stück weiter, indem er in seiner Kieler Rektoratsrede von 1946 die zuvor vergangenen 30 Jahre insgesamt als einen Zeitraum definiert, der – wie zur Zeit der Dreißigjährigen Krieges – ganz »im Zeichen des Unfriedens« gestanden habe: angefangen mit dem 1. Weltkrieg und dem deutschen »Zusammenbruch« zu dessen Ende über die Streitigkeiten in den zwanziger Jahren mit ihren permanenten »Parteikämpfen« bis hin zu einer »Zwangsherrschaft wie sie in Deutschland noch nie bestanden hatte« mit einem weiteren »unvermeidlichen Zusammenbruch« am Ende.66 Von kunsthistorischer Seite her motiviert führt der geschäftsführende Rektor der FU Berlin Edwin Redslob67 in seiner Rede zur Eröffnung der neuen Universität eine weitere Krisenzeit aus der deutschen Geschichte in den Vergleich ein. Er bespricht die Ausgestaltung der Figuren im Westchor des Naumburger Domes, von wo aus er zu den äußeren Umständen ihrer Entstehungszeit im 13. Jahrhundert hinführt. Seinerzeit wurde »Deutschland bis zur Saale und Elbe« von den Raubzügen der Tataren heimgesucht, woraufhin der Deutsche Orden zum Kreuzzug »gegen die heidnischen Völker des Ostens« aufrief. Im Zuge dieser kriegerischen Auseinandersetzungen habe die Region »eine Zeit, die im Zeichen ähnlicher Bedrängnis und ähnlicher Sorgen stand wie die unsere«, erlebt.68 Doch nicht nur Krisenfälle der deutschen Geschichte werden zum Vergleich der gegenwärtigen Problematik herangezogen. Gerne greifen die Rektoren ebenso auf Beispiele der griechischen und vor allem der römischen Antike zurück. Dies ist zum einen wohl dem überdurchschnittlich hohen Anteil an Klassischen Philologen unter den Nachkriegsrektoren geschuldet.69 Andererseits aber betätigen sich daran auch vielfach Fachfremde wie etwa der Anglist Emil Wolff in Hamburg oder der Gastechniker Ernst Terres in Karlsruhe. In diesen

64 65 66 67 68 69

J. Hoops (HD RKU 1945), S. 13. O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 3. H. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 1. Er vertrat den erkrankten Rektor Friedrich Meinecke. E. Redslob (B FU 1948), S. 31. In der Fächerverteilung waren die Klassischen Philologen überdurchschnittlich in der Rektorenschaft vertreten und stellten bspw. in den ersten Nachkriegsjahren 13,5 % der Gesamtrektoren. Auf den Nachkriegszeitraum gesehen macht der Anteil der Klassischen Philologen ca. 5 % aus. Vgl. dazu Kap. III, S. 46 f.

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Fällen erscheinen die zitierten Beispiele jedoch eher als Platzhalter aus dem breiten intellektuellen Bildungsrepertoire, mit denen die Redner ihrer Argumentation plastischer machen wollen. Somit ergibt sich aus dem platzhalterischen Gebrauch des historischen Bildes in gewisser Weise eine Parallele zum unterschiedlichen Einsatz von Labeln und Begriffen im Hinblick auf inhaltliche Tiefe und Durchdringung. Im Unterschied zu einer platzhalterartigen Verwendung antiker Präzedenzfälle beschäftigt sich der Würzburger Altphilologe Josef Martin in zwei Reden intensiv mit der Zeit der römischen Bürgerkriege, vor allem im Hinblick auf die Wiederherstellung des Friedens zu deren Ende hin. Trotz aller zu beachtender Unterschiede in Ziel, Hergang und Ausgang, die zwischen der antiken Vergleichs­größe und ihrer Vorlage in der Gegenwart bestehen, zieht Martin eine Parallele bezüglich ihrer jeweiligen Ursachen: In beiden Fällen seien den Kriegen geistige und moralische Krisen vorausgegangen. Im antiken Rom hätten der epikureische Hedonismus und der lukrezische »Materialismus« die »alten Römertugenden untergraben und zerstört«. Den »Verfall der Sitten«, welcher »infolge des aus allen Ländern der Erde in Rom zusammenströmenden Reichtums« bereits zuvor eingesetzt hatte, hätten diese geistigen Strömungen letztlich in einem solchen Maße auf die Spitze getrieben, dass es innerhalb einer zerrütteten Gesellschaft zum Bürgerkrieg kommen konnte.70 In der Situation des Volkes zu Ausgang jener Auseinandersetzungen findet Martin eine weitere Analogie zur Gegenwart: »Auch damals nach den Bürgerkriegen und der Ermordung Caesars schien vielen in Rom der Boden unter den Füßen zu wanken und die Auflösung nahe, auch damals erwuchs aus dieser Untergangsstimmung heraus als natürliche Folge die Hoffnung auf eine Erneuerung der Zeiten, auf die Geburt des Weltenheilandes, wie sie Vergil in seiner vierten Ecloge verkündet hat, das Verlangen nach innerem und äußerem Frieden, das heute auch uns so mächtig ergriffen hat.«71

Eine gleichfalls antike Entsprechung zur gegenwärtigen geistigen Krise zeigt der Gräzist und Papyrologe Friedrich Zucker in seiner Ansprache zur Wiedereröffnung der Universität Jena auf – in diesem Fall aus der griechischen Geistesgeschichte. Die Gründung der Akademeia durch Platon registriert Zucker als Reaktion auf die Bedrohung der »ganzen geistig-sittlichen und staatlichen Existenz des griechischen Volkes« durch den »Relativismus und Individualismus der Sophistik« sowie deren Folgen. In der Gegenwart habe man den Nachwirkungen einer ähnlich »grauenvollen Anarchie des Denkens« zu begegnen, welche gleichermaßen zu einem »geistig-sittlichen und materiellen Zusammenbruch« geführt habe, den Zucker wiederum trotz der von ihm selbst hergestellten historischen Parallele als »beispiellos« bezeichnet. Hilfe kommt für Zucker dem Bei-

70 J. Martin (WÜ BJMU 1946), S. 7 f. 71 J. Martin (WÜ BJMU 1947), S. 3.

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spiel Platons folgend aus der »Erforschung und Aufrichtung der Wahrheit in der Natur, in der Geschichte und im Gegenwartsleben«, d. h. aus der Wissenschaft und Forschung, letztlich also aus der Universität.72 Mehrfach sprechen Rektoren in ihren Vergleichen auf die späte römische Geschichte an, insbesondere auf den Untergang des Römischen Reiches. Als Kirchenhistoriker und bedeutender Patristiker seiner Zeit behandelt Hans von Campenhausen in seiner Heidelberger Rede von 1946 den Fall Roms aus der Sicht des Kirchenvaters Augustinus. In dem Ansinnen, Auswege aus der aktuellen Misere aufzuzeigen, verweist Campenhausen auf Augustinus’ Antworten an eine »Zeit, die wie die unsrige einen Zusammenbruch erfahren hatte, der Glück und Stolz eines Reiches zertrümmert und ein angesichts dieses Schicksals ratloses Volk zurückgelassen hatte«.73 Der christlichen Heilsgewissheit des Theologen Campenhausen abgängig spürt der Anglist Emil Wolff in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Hamburger Universität dem traumatisierenden Nachwirken des römischen Zusammenbruchs auf die Gegenwart nach. Deutlich verkürzt in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der antiken Parallele dient sie Wolff vor allem als eine Art argumentatorisches Trampolin dafür, die Krisenhaftigkeit Gegenwart vor dem historischen Prospekt als ungleich bedrohlicher zu malen. So zieht er die Möglichkeit in Betracht, es könne sich bei den allenthalben sichtbaren, vielschichtigen Auflösungserscheinungen um eine »Zerstörung des europäischen Lebens« handeln, welche »der Katastrophe des römischen Imperiums und dem Untergang der antiken Zivilisation im 5. Jahrhundert analog ist« oder sogar »in ihrer Endgültigkeit darüber hinausgehend«.74 Der Karlsruher Professor für Gastechnik und Brennstoffverwertung Ernst Terres führt ausgehend von der Antike einen zyklischen Begriff der Bedeutung geistiger Krisen aus. Er nutzt die historischen Platzhalter zur Untermauerung seiner eigenen geistesgeschichtlichen Deutungen. Seit »Beginn der christlichen Ära« seien die Menschen vier Mal »vor eine grundsätzliche Revision ihrer Auffassung über das weltliche Geschehen und das Schicksal der Menschheit gestellt« worden: Erstens bei Ablösung der »pessimistischen« Weltanschauung der Antike durch die »christliche Religion der Liebe, der Gnade und der Erlösung«; zweitens beim »Zusammenbruch der mittelalterlichen Welt«, nachdem diese in ihrer Jenseitsgewandtheit zunächst von Erstarrung befallen, schließlich aber durch ihre Hinwendung zum Diesseits mittels Erkenntnis- und Entdeckerdrang überwunden wurde; drittens im Umfeld der französischen Revolution, angefangen bei der Aufwertung des Individuums durch Rousseau bis hin zur Erhebung der »Vernunft zur Göttin«; viertens mit der seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmenden Religionsfeindlichkeit, die in der russischen Oktoberrevolution gip-

72 F. Zucker (J FSU 1945), S. 274. 73 H. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 8. 74 E. Wolff (HH U 1945), S. 19.

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felte, indem dort die Religion »durch einen neuen Glauben an die Selbsterlösung des Kollektivs durch den Segen der Technik« ersetzte.75 Zwar schätzt Terres die zeitliche Distanz zur russischen Revolution als noch zu gering ein, »um darüber unbefangen urteilen zu können«, er gibt aber hinsichtlich der gegenwärtig anzustrebenden Zukunft folgendes zu bedenken: »Technischer Fortschritt und menschliches Glück liegen aber auf verschiedenen Ebenen, und der technische Fortschritt hat die Menschen nicht glücklicher gemacht. Dieser Glaube muss früher oder später in Pessimismus oder in einer Umkehr enden. Die Erlösung der Menschen liegt nicht im Materiellen, sondern im Geistigen.«76

Ebenfalls in Richtung Zukunft, jedoch weitaus pragmatischer im Ansatz denken die Rektoren Josef Martin und Eduard Brenner. Mit zwei ganz unterschiedlichen historischen Vergleichen werben sie um milde Behandlung durch die Siegermächte. Martin führt einmal mehr die antiken Römer ins Feld, welche die ihnen unterlegenen Völker »mit Gerechtigkeit, Klugheit und Milde« durch das »foedus« in ein »Verhältnis der amicitia und societas« mit sich verbanden. Auch für das besiegte deutsche Volk erhofft er nun solche Behandlung.77 Der Amerikanist Brenner dagegen zielt auf den gleichen Effekt mit einem Beispiel aus seinem Fachgebiet. Er rekurriert auf die Milde Abraham Lincolns gegenüber den besiegten Südstaaten zu Ende des amerikanischen Bürgerkriegs unter dem Motto »Forgive and Forget«.78 Als warnenden Zusatz zeigt er daneben auf, um wieviel schwieriger sich die Aussöhnung der beiden Kriegsparteien nach der Ermordung Lincolns gestaltete, nachdem seine Nachfolger eine weitaus weniger versöhnliche Politik betrieben. Eine historische Einordnung der epochalen Erfahrung des Nationalsozialismus anhand von Vergleichsfällen der Weltgeschichte analog zu den Parallelen, wie sie die Rektoren für die Krisensituation der Gegenwart ziehen, findet weder in den Rektoratsreden noch im allgemeingesellschaftlichen Diskurs der Zeit statt. Historische Argumente fallen hier vielmehr im Gegenteil, um den National­ sozialismus als Sonderfall in der Geschichte auszuweisen und erste Erklärungsansätze zu unterstützen, warum dies alles in Deutschland möglich war. Umso erstaunlicher erscheint es vor diesem Hintergrund, wenn sich der Hamburger Rektor Rudolf Laun ausgerechnet an der Person Adolf Hitlers um einen historischen Vergleich bemüht. Der Name Hitlers fällt selten in den Reden; wenn von ihm gesprochen wird, so geschieht dies größtenteils in Umschreibungen seiner Person ohne direkte Namensnennung. Bereits zu diesem Zeitpunkt lässt sich daraus in vielen Fällen eine mehr oder weniger starke Tendenz ablesen, die

75 76 77 78

E. Terres (KA THF 1949), S. 6–11. E. Terres (KA THF 1949), S. 11. J. Martin (WÜ BJMU 1947), S. 12. E. Brenner (ER FAU 1947), S. 27.

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Person Hitlers zu dämonisieren79. Die Dämonisierung insbesondere der Person Hitlers wie auch der Nationalsozialisten allgemein erfüllt den Beobachtungen Heidrun Kämpers zufolge verschiedene Funktionen: »Mit der Dämonisierung versucht man indes nicht nur Grausamkeit sichtbar zu machen, Unbeschreib­ liches zu beschreiben. Gleichzeitig entpersönlicht man in dieser Metapher Nazis und Nationalsozialismus und stellt damit beruhigende, sie aus der Gemeinschaft isolierende Ferne her.«80 Durch seinen Vergleich mit anderen »absolut gewissenlosen Individuen« der Weltgeschichte wie etwa Nero oder Cesare Borgia hingegen hält der Jurist Laun zwei Jahre nach Ende des ›Dritten Reiches‹ Hitler fern von einer derartigen ­Mythifizierung und Entmenschlichung. Indem er die genannten Fälle als historische Beispiele von Kapitalverbrechern einordnet, deren Vorkommen in der Gesellschaft durch Kriminalstatistiken permanent belegt werde, betont er im Gegensatz dazu zunächst die zutiefst menschliche Dimension sowohl des Verbrechens wie des Verbrechers. Darüberhinausgehend deutet Laun mit seiner derartigen Klassifikation das Verbrechen als prinzipiell wiederholbar und gleichzeitig verweist er damit auf die Unmöglichkeit, kriminelles Potential dieser Größenordnung einer bestimmten nationalen Prädisposition zuzuschreiben.81 Für die Periode der zwölfjährigen nationalsozialistischen Herrschaft bieten die Redner keinerlei historische Vergleichsfälle. Das Thema dieser jüngsten Vergangenheit greifen die meisten Redner indes sehr wohl in unterschiedlicher Form auf. Es besteht ein durchweg großes Bedürfnis danach, zu erkennen, wie es überhaupt dahin kommen konnte, auch wenn dieser Rückblick in den Reden gemeinhin als schmerzvoll und beschämend empfunden wird. In einhelligem Konsens vereint sehen die Rektoren jedoch keine Alternative als sich der Auseinandersetzung mit dem zu stellen, »was 12 Jahre lang die deutsche Seele versklavt und den deutschen Namen vor der Geschichte geschändet« habe, wenn man das aus der Vergangenheit herrührende Chaos der Gegenwart ordnen und eine neue Zukunft aufbauen wolle. Denn wie Karl Heinrich Bauer stellvertretend für seine Kollegen feststellt, ist der Nationalsozialismus zwar »militärisch besiegt, politisch erledigt, aber geistig noch nicht überwunden«.82 Die Aufarbei79 Peter Reichel setzt das Aufkommen dieser Deutungsweise im zeitlichen Umfeld der Nürnberger Prozesse an, wo der vorherige Generalgouverneur des NS-Regimes im besetzen Polen Hans Frank dem Gerichtspsychologen Hitler als verführerischen »Teufel« beschrieb. Vgl. P. Reichel (2000), S. 52. 80 H. Kämper (2005), S. 317. 81 R. Laun (HH U 1947), S. 5. Ähnlich wie Laun äußert sich Karl Jaspers in einem Briefwechsel mit Hannah Arendt zur Problematik der »kriminellen Schuld« Hitlers, welche Arendt aufgrund ihrer »Ungeheuerlichkeit« für »juristisch nicht mehr faßbar« hält. Jaspers argumentiert dagegen, eine Reduktion auf kriminelle Kategorien sei gerade deshalb vonnöten, weil »die Schuld, die alle kriminelle Schuld übersteigt«, ansonsten »unvermeidlich einen Zug von ›Größe‹ – satanischer Größe« bekäme, die »wie das Reden vom ›Dämonischen‹ in Hitler« unausgesprochen fern läge. Vgl. dazu: H. Arendt / K. Jaspers (1993), S. 98 f. 82 K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 45.

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tung der nationalsozialistischen Verbrechen stellt nach Ansicht von Friedrich Hermann Rein keineswegs ein »Vergessen aller nationalen Würde« dar, wie gelegentlich moniert werde. Vielmehr bedürfe es ihrer gerade deshalb so dringlich, weil es immer noch Menschen gebe, die »trotz zweier verlorener Kriege« keine Einsicht zeigten.83 Übereinstimmend dazu argumentiert auch Georg Schreiber: Die »Bitterkeiten der letzten Jahre« nicht zu beschweigen, könne unter keinen Umständen als »Selbstverstümmelung« gewertet werden, sondern diene im Gegenteil gerade dazu, sich »innerlich zu befreien«.84 Erst aus dieser Auseinandersetzung heraus könne der richtige Weg bestimmt werden, der in eine bessere Zukunft führen solle.85 In der Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit dokumentieren die Bezeugungen der Rektoren ein starkes Schamgefühl. Hiermit schließen die Rektoratsreden direkt an den allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs an, wo der Begriff der Scham in jenen Jahren einen nicht geringen Stellenwert einnimmt. Dergleichen Empfindungen regen sich besonders hinsichtlich der »verhängnisvollen und verbrecherischen Folgen« des Nationalsozialismus, welche »heute jedem bekannt« seien, oder auch in Bezug auf die Tatsache, jenes »Unwesen« nicht »aus eigener Kraft« beseitigt zu haben.86 Der Begriff der Scham flankiert in den Rektoratsreden wie im gesamtgesellschaftlichen Diskurs oftmals den Begriff Schuld87. Diese begriffliche Liaison führte schließlich soweit, dass Theodor Heuss 1949 im Zuge der Kollektivschuld-Debatte die Neubildung »Kollektivscham« als seiner Meinung nach passenderen Gegenentwurf zur »Kollektivschuld« in die Diskussion einbrachte.88 In der 1987 erschienen Schrift »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein« stuft Ralph Giordano jene Begriffspaarung rückblickend als Zugeständnis an die »schweigende Mehrheit« (Noelle-Neumann) ein: »Schuld ist das Resultat von Unterlassung oder Beteiligung an einem schrecklichen Geschehen, Scham die Reaktion auf diese Haltung. Schuld hat eine ursächliche Beziehung zum Tatgeschehen, Scham eine moralische – sie ist die Sekundäretappe. Das ist von den Massen, die sich entgegen ihrer ganzen äußeren Haltung tief schuldig fühlten, sehr genau gespürt worden. Deshalb ist der diskriminierte Begriff kollektiv in Zusammenhang mit Scham viel gnädiger aufgenommen worden.«89

Der breiten Masse – und dazu zählen in diesem Fall auch die Hochschulrektoren – müsse demnach Scham als Angebot zur Selbsteinordnung viel sympathischer erschienen sein als Schuld. Was Giordano anschließend an Verhaltens83 84 85 86 87 88

F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 4. G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 3 f. Th. Süß (ER FAU 1946), S. 15 f.; ähnlich: R. Smend (GÖ 1945), S. 363 f. G. Hohmann (M LMU 1946), S. 10; G. Rienäcker (RO U 1946), S. 9. Zur Diskussion der Bedeutung von Schuld s. in diesem Kapitel S. 122 f. Zu dieser im Dezember 1949 gehaltenen Rundfunkrede und ihrer Wirkung vgl. H. Kämper (2005), S. 295 f. 89 R. Giordano (1987), S. 271.

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und daraus resultierenden Sprachmustern beschreibt, steht durchaus in Analogie zu entsprechenden Äußerungen innerhalb der Rektoratsreden. Dies gilt insbesondere, wenn man den auf den Gestus blickt, aus dem heraus die NS-Zeit dargestellt wird. Die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nimmt in den Reden unterschiedlich viel Platz ein. Formell erfolgt sie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zunächst in Gestalt eines tendenziell vorwurfsvollen Verurteilens der vergangenen zwölf Jahre insgesamt. Die klare Ablehnung des Nationalsozialismus in öffentlicher Rede an einer deutschen Hochschule in den direkten Nachkriegsjahren erfüllte zweifelsohne eine auf Seiten der Alliierten bestehende Erwartungshaltung und bewirkte damit einen positiven Effekt auf das Verhältnis zu den alliierten Besatzungsmächten. Die Biographien eines Gutteils der Rektoren jenes Zeitraums legen jedoch nahe, dass es hierbei nicht ausschließlich darum ging, bei den Siegermächten um Milde zu werben, sondern dass aus solchen Äußerungen tatsächlich auch persönliche Überzeugungen heraussprachen.90 In ihren Reden nehmen die Rektoren vorwiegend eine klar distanzierte Position zum Nationalsozialismus als Ideologie und Staatsform wie auch zu seinen Repräsentanten ein. Daraus folgern sie eine starke innergesellschaftliche Trennung: Dem passiv reagierenden wir der Durchschnittsbevölkerung steht ein aktiv agierendes die entgegen, das die am Regime Beteiligten meint. Den genauen Grenzverlauf zwischen beiden Gruppen legen die Redner indes nicht trennscharf fest. Wenig hilfreich für eine konkrete Bestimmung dieser Trenn­ linie erweist sich zudem das vielfache Vorkommen unpersonaler Beschreibungen des wir-Antipoden wie etwa das NS-Regime, das Dritte Reich oder gar einfach der Nationalsozialismus. In personalisierter Form sprechen die Rektoren allenfalls – gleichermaßen unkonkret – von den Nazis. Ebenso wenig wird geklärt, wer wir sind und vor allem wer nicht. Mit großer Überzeugung aber vertreten die Redner, die sich selbst ohne jeden Zweifel zur wir-Seite zählen, die Ansicht, dass die Gegenseite, also die Nazis, in unerhörter Selbstüberhöhung völlig haltlos jegliche Gebote von Anstand und Recht übertreten hätten. Aufgrund ihrer »materialistischen Weltauffassung« und ihres »brutalen Zweckdenkens« seien sie dafür verantwortlich zu machen, dass ein »Jahrtausend deutscher Geschichte und Kultur« nun untergegangen und sämtliche ethischen Werte ins Gegenteil verdreht seien.91 Des Weiteren stellen die Redner eine starke Dualität her zwischen den durch die jüngste Historie eminent verunglimpften »alten deutschen Tugenden« und der gegenwärtigen Übermacht von explizit als »undeutsch« bezeichneten Un­ tugenden: Mit dem Hinweis auf Madame de Staëls Schilderung der Deutschen aus dem 19. Jahrhundert stellen sie hier Werte wie »Aufrichtigkeit«, »Ehrlichkeit«, »Worttreue«, »Bescheidenheit«, »Ehrbarkeit« einerseits und andererseits 90 Siehe Kapitel III, insbes. S. 51–63. 91 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 16 f.

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Negativa wie »Hochmut«, »Lüge«, »Wortbruch«, »Egoismus«, »Verantwortungslosigkeit«, »Unrecht« gegenüber. Für die Schilderungen der Nazis berufen sich die Redner darüber hinaus auf die objektiv schlechtesten Charaktereigenschaften. Sie kommen in den Reden als »skrupellos«92, »unsittlich«93, »scharlatanenhaft«94, »verbrecherisch«95, »machtbesessen«96, »brutal«97, »volksfeindlich«98, »selbstisch«99, »leichtfertig«100, »unreif«101, »barbarisch«102, »kulturlos«103, »ungebildet«104 daher. Betitelungen dieser Art kulminieren in der Person Adolf Hitlers. In den wenigen Fällen, in denen Hitler direkt angesprochen wird, geschieht dies vorwiegend in der Absicht, ihn als Fallbeispiel von höchster Aussagekraft aufzubauen, um die zuvor global konstatierten schlechten Nazi-Eigenschaften unumstößlich und von höchster Instanz aus zu belegen. Zu diesem Zweck wird unter anderem auf des Führers mangelhafte Bildung hingewiesen. Ausgerechnet er, der selbst »das Ausland nie betreten« habe und »keine fremde Sprache kannte«, habe »Dok­trinen« einer deutschen Überlegenheit verbreitet und somit in unerhörtem »Selbstbetrug« eine »grotesk anmutende Überheblichkeit« gezüchtet, deren Ergebnisse man nun bewältigen müsse.105 Die Distanzierung von Hitler gipfelt in dem Vorwurf des Betrugs am eigenen Volk. Argumentiert wird hier mit der Diskrepanz zwischen Hitlers ideologischer Propaganda – repräsentiert zum Beispiel durch die Rolle der Erb- und Rassenlehre als »Angelpunkt seiner Staatstheorie« – und seiner konkreten Machtpolitik: Er selbst habe »durch das Hinopfern der Blüte der Nation« im Krieg »das deutsche Erbgut« geschädigt »wie nichts zuvor in unserer Geschichte«.106 Weitere Belege für ihre Einschätzung der Nazis liefern den Rektoren die Nürnberger Prozesse. Quittieren sie die dortigen Erkenntnisse zwar mit gewissem Erstaunen, so schreiben sie dem Tribunal jedoch mehrheitlich eine geradewegs Augen öffnende Wirkung zu. Vor der gesamten Welt offenbarten die »vermeintlichen Herrenmenschen« dort »Knechtsgesinnung«, »Knechtsgehorsam« und »Sklavenmoral« als ihren wahren Charakter. Besonders die stark negativ konnotierte Sklavenmentalität der NS-Führungschargen wird auch an 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106

R. Plank (KA THF 1946), S. 8. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 374. E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 5. H. Schneider (TÜ EKU 1945), S. 11. J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 11. E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 6. G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 4. J. Kroll (K U 1946a), S. 11. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 374. G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 23. A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 25. G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 4. J. Kroll (K U 1946b), S. 10. R. Plank (KA THF 1946), S. 10. K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 56.

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anderer Stelle gerne wiederaufgegriffen. Die Nazis verkörpern dabei den Sklaven, der »mit der abgefeimten Schläue, wie sie Sklaven eigen ist«, wahlweise die Jugend verführt oder aber – hier nimmt die Darstellung leicht widersprüchliche Züge an  – der mit »verschmitzter Ruchlosigkeit« durch seine Ungebildetheit das gesamte Volk »um die Freiheit« bringt.107 Dass die Herrschaft solcher »Elemente« von Anfang an zwangsläufig zu nichts anderem als dem deutschen Untergang habe führen können, betonen einige Rektoren in ihren Rückblicken explizit.108 Den Weg in den Untergang zeichnen die Rektoren in seinen Hauptlinien nach. Die tiefe Abgründigkeit des Nationalsozialismus stellen sie zunächst in dessen Wirken nach Innen auf Staat und Gesellschaft heraus. Insbesondere die gesellschaftliche und staatliche Schieflage, die der Nationalsozialismus einerseits durch seinen ideologischen Absolutheitsanspruch sowie andererseits durch den von ihm provozierten Krieg evoziert hatte, greifen viele Reden an entsprechender Stelle auf. Speziell Juristen sind es aber, die sich aus Sicht ihrer jeweiligen Fachgebiete eingehender – teilweise in Form kompletter Reden – mit den Fragen der nationalsozialistischen Einflussnahme auf das Staatswesen befassen. Vielfach fällen diese Rektoratsreden den Vorwurf eines materialistischen Zweckdenkens, das der NS-Staatslehre wie vor allem auch der politischen Praxis in den vergangenen zwölf Jahren als »das größte Verbrechen des Nationalsozialismus« überhaupt anzukreiden sei. Sämtliche Belange bis hin zum Wert des Menschen selbst hätten sich diesem Anspruch unterordnen müssen, weswegen, wie Karl Heinrich Bauer in Anlehnung an Kant formuliert, »im Menschen die Menschheit nicht mehr heilig« war. Damit sei eine Grundordnung umgestoßen worden.109 Walter Hallstein, zu diesem Zeitpunkt Professor für Gesellschaftsrecht an der Universität Frankfurt, setzt sich in seiner Rede zu deren Wiedereröffnung intensiv mit dem nationalsozialistischen Zweckmaterialismus auseinander. Alles und jeder habe danach einen Zweck erfüllen müssen, um überhaupt seine Lebensberechtigung zu erhalten; sogar Freude sei legitimationsbedürftig geworden und habe sich als Kraftspender verdingen müssen.110 Besonders der Leitsatz »Recht ist, was dem Volke nützt« spreche diese Sprache, den neben Hallstein viele andere Redner ebenfalls als Beleg für die Perfidität des NS-Vorgehens heranziehen.111 Er offenbare eine freie Verfügbarkeit des Rechtsgedankens selbst. Dieser dem Satz inhärenten Logik nach lassen sich aus Sicht der Redner sämtliche daraus erfolgte Gräueltaten in einen höheren Zusammenhang setzen. In ähnlicher Weise beurteilt Rudolf Smend aus der Perspektive des Staatsrechtlers die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf das Staatswesen selbst. 107 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 94; J. Kroll (K U 1946b), S. 10; J. Kroll (K U 1947), S. 62. 108 G. Hohmann (F JWHU 1946), S. 23; Gustav Gassner datiert seine Erkenntnis des kommenden deutschen Untergangs rückblickend auf das Jahr 1933, vgl. G. Gassner (BS THCW 1946), S. 17. 109 K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 45. 110 W. Hallstein (F JWGU 1946), S. 18. 111 Vgl. etwa J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 8 f.

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In seiner in Göttingen gehaltenen Rede »Staat und Politik« befasst er sich eigens mit der aktuell höchst schwierigen Beziehung jener beiden Größen zueinander. Der Eindruck eines NS-typischen Zweck-Egoismus’ schlägt sich auch hier wieder deutlich nieder. Hauptbetroffener ist in diesem Fall der Staat als die höchste Organisationseinheit. Indem sich ein bereits von Jacob Burckhardt falsch verstandener Staatsbegriff als reiner Machtzustand anstelle eines Rechtszustands allgemein verfestigt hatte, habe das »Dritte Reich« ausgesprochen erfolgreich die gültige staatliche Ordnung aushöhlen und durch den eigenen »Machtapparat« der Partei ersetzen können. Somit sei in der Folge der Staat selbst »zugunsten des Volkes oder praktisch der Partei« entwertet worden.112 Da in einem solchen System keine Gewissensfreiheit mehr herrschte, so wird auch an anderer Stelle festgestellt, sei der Staat selbst damit zur leibhaftigen »Quelle der Intoleranz und Immoralität« geworden.113 Notwendigerweise beleuchten die Rektoren neben den Aktivitäten der Natio­ nalsozialisten auch die Rolle, welche der passiv dargestellte Konterpart, von den Rednern meist als das Volk bezeichnet, in jenen zwölf Jahren gespielt habe. In gleicher Darstellung – als passive, nicht konkret schuldbelastete Mehrheit – ging das Volk wenig später in den Gründungsmythos der Bundesrepublik ein.114 Gegenüber dem Volk nehmen die Rektoren in ihren Reden eine Zwischenposition ein. Obgleich sie sich klar auf der wir-Seite verorten, ordnen sie sich selbst dem Volk nicht zu, sondern bleiben auch zu dieser Gruppe auf Distanz in einer analysierenden Zwischenperspektive wie sie dem wissenschaftlichen Blick auf ein zu untersuchendes Objekt entspricht. Hinsichtlich einer Definition verharrt das Volk im Unterschied zu den Nazis indes auf bloßem Label-Status, was seine Charakterisierung anbelangt. Äußern sich die Redner in Bezug auf die Nazis immerhin noch zum Gegenstand selbst und dessen Grundeigenschaften, so gibt es in den Reden hingegen kaum Hinweise darauf, was nun dieses Volk ausmacht, aus wem oder was es sich konstituiert etc. Der in Bezug auf den Nationalsozialismus ebenfalls in passiver Rolle beschriebene Wissenschaftler – also der Redner selbst – sieht sich im Gegensatz zu dem von ihm als leicht beeinflussbar beschriebenen Volk jedoch in der Lage, die Sachverhalte klar einzuschätzen und zählt sich selbst entsprechend nicht dazu. Genauso wenig zählt er die verbrecherisch aktiven Nazis hinzu. Somit ist das Volk nicht gleichbedeutend mit ›den Deutschen‹. Aus Sicht der Redner erscheint es eher als ein Teil des Kollektivs wir, das seinerseits zudem die klar sehenden Wissenschaftler und möglicherweise weitere Gruppierungen umfasst und sich daher aus mehreren Teilen zusammensetzt. Die Definition des Volks für sich betrachtet bleibt indes so unkonkret, dass es als Begriff letztlich nicht klar wird. Das wiederum ermöglicht es den Rednern, eine pauschale Beziehung des Volkes zum Nationalsozialismus förmlich zu unterstellen. 112 R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 366. 113 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 92. 114 Vgl. K. Hammerstein (2008), S. 48–52.

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Rückblickend werden nun Erklärungen gesucht, die plausibel begründen, warum sich die Nationalsozialisten in Deutschland trotz aller Mängel und Vergehen so lange und – zum Ende hin – so desperat an der Macht halten konnten. Das Interesse der Redner richtet sich vor allem auf das Volk als dem durch sein Nichteingreifen passiven Träger des Systems. In den meisten Fällen charakterisieren die Redner dabei allerdings nicht das deutsche Volk, sondern üben eine generelle Kritik an der Gesellschaft der Moderne. Auch hier wieder läuft die Argumentation gedanklich in zwei Richtungen: Zum einen deutet man die jüngste Geschichte pauschal als Teilergebnis einer großen Kulturkrise des gesamten Abendlands, von der bei weitem nicht nur Deutschland betroffen sei; zum anderen beschreitet man gleichzeitig den Pfad der Sonderwegsthese, indem man die speziellen historischen Vorbedingungen und geistigen Haltungen betont, auf welche jene Krise speziell in Deutschland gestoßen sei.115 Als eine wichtige Säule, welche es den Nazis überhaupt ermöglicht habe, in die entsprechenden Machtpositionen zu kommen, machen die Rektoren folgerichtig die geistige Prädisposition des deutschen Volkes aus. Dem »deutschen Menschen« fehle in entscheidendem Maße eine »Bindung an die geistigen Kräfte«, bzw. eine »sittliche Verpflichtung gegenüber der Heimat«, weswegen er als »Massentyp« einzustufen sei, deutet Josef Schmid.116 Genau diese Schwäche habe sich gemäß der rektoralen Analyse  – als zweite Säule der Machtausübung im Nationalsozialismus – die NS-Propaganda zunutze gemacht, wodurch sie dem NS-System zur nötigen Stabilität verhelfen konnte. Der deutsche »Massentyp« habe sich somit mangels geistiger Festigung »von jedem lauten Schreier mitreißen« lassen und nahm jedweden Missbrauch seiner selbst »stillschweigend« in Kauf, sei dieser »unter dem lärmenden Trompeten irgendeiner Propaganda« nur vehement genug gefordert worden.117 Im Rückblick erkennen die Rektoren die Inhalte jener Propaganda als ›flach‹, ›gehaltlos‹ und ›widersprüchlich‹. Laut ihrer Schilderung des Volkes und seiner Rolle während des Nationalsozialismus waren es jedoch dieselben ›Phrasen‹, ›Schlagwörter‹ und ›Parolen‹, dank derer es den Nazis gelungen sei, das Volk in ihrem Sinne zu ›lenken‹, zu ›verführen‹ und letztlich zu ›verdummen‹. Der inhaltliche Widerspruch, der hier besteht, wird von den Rektoren nicht näher erörtert. Einen indirekten Ausgleich erfährt er jedoch durch die weitere Darstellung der NS-Propaganda in den Reden, welche der gesamten nationalsozialistischen Bewegung in den Worten Walter Hallsteins einen »pseudoreligiösen Charakter« mit eigenem Ritus gegeben habe. Der Nationalsozialismus habe damit bewusst – wie auch von anderen »modernen ›Weltanschauungen‹« bekannt – auf das gegenwärtig »unbefriedigte Glaubensbedürfnis der Massen« gezielt. Man habe sich freimütig an Sätzen der christlichen Theologie bedient, welche dann 115 Zur Suche nach den Vorbedingungen der Krise, besonders auch in Form geistiger Prädisposition bzw. historischer Abläufe vgl. Kap. V.2. 116 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 10 f. 117 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 10 f.; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 6.

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entsprechend abgewandelt Gestalt annahmen in Form von Parolen wie »Du bist nichts, dein Volk ist alles«. Hallstein kommentiert hier spitzfindig: »Es ist mehr als ein bitteres Bonmot, wenn man darauf mit der Frage antwortet: wie kann eine Gesamtheit von lauter Nichtsen etwas anderes sein als ein Nichts?«118 Ein weiterer Deutungsansatz, der in diesen Zusammenhang wiederum eine neue Argumentationsrichtung einschlägt, belegt eindringlich den Erklärungsnotstand, in dem sich die Rektoren als Zeitgenossen hinsichtlich der jüngsten deutschen Vergangenheit befanden. Die bisher aufgeführten Erklärungsmuster divergierten in ihrer Zielrichtung bereits recht stark bis hin zur graduellen Widersprüchlichkeit. Dieser Eindruck verstärkt sich umso mehr, als diese unterschiedlichen Erklärungsansätze unbesehen der vorhandenen inneren Widersprüche, die teils zwischen ihnen bestehen, zumeist miteinander kombiniert werden. Einen Höhepunkt, an dem die Kalamität dieser Argumentation in ihrem ganzen Umfang ersichtlich wird, erreicht der Cluster von Deutungsversuchen schließlich dort, wo er die rationale Ebene komplett verlässt, sich einem metaphysischen Ansatz zuwendet und auch diesen noch in sich aufnimmt. Nicht nur in den Reden der Rektoren, sondern auch in der außerhalb davon betriebenen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit finden sich breit gestreut ähnliche Bilder, welche die mit Verachtung belegten Nationalsozialisten retrospektiv in das Licht einer dämonischen Macht rücken. Verschiedene Prädikationen aus dem Deutungsfeld der Unterwelt werden herangezogen, um die »wahrhaft mephistophelische Dämonie« des NS-Regimes in ihrer Unwiderstehlichkeit bildreich erklärbar zu machen. Sogar Zitate Goethes, welcher im Dämonischen bereits die Gefahr einer »ungeheuren Kraft« mit »unglaublicher Gewalt über alle Geschöpfe« erkannt hatte,119 finden sich in solche Darstellungen zu deren Bekräftigung eingebunden. An deren Ende steht jeweils das Volk als verführtes Kollektiv, das den Verlockungen der Dämonen, welche aus dem Orkus Nationalsozialismus emporgestiegen kamen, nicht habe widerstehen können.120 Mit Hilfe dieser Interpretation schaffen es die Redner zwar, die ungeheuerliche Machtfülle der Nazis zu erklären. Diese Darstellung umgibt die Nazis jedoch zugleich mit einem Nebel, der in seiner Undurchdringlichkeit wiederum eine genauere Bestimmung ihrer selbst nicht mehr möglich macht – was den Rednern andererseits auch eine gewisse argumentatorische Erleichterung verschafft. Denn in ihrem Erklärungsansatz ist gleichermaßen die Opferrolle des ›hypnotisierten‹ deutschen Volkes selbst angelegt, auch wenn dies in den Rektoratsreden nicht offen ausgesprochen wird.121 Gedanklich ist dieses Plädoyer auf verminderte 118 W. Hallstein (F JWGU 1946), S. 16. 119 K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 17. 120 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 29; J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 8; E. Wolff (HH U 1945), S. 32; R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 375; J. Kroll (K U 1947), S. 61; W. Gerlach (M LMU 1949a), S. 17. 121 Zur Rolle der Dämonisierung von Nationalsozialismus und Nationalsozialisten im Nachkriegsdiskurs vgl. den Eintrag »Dämon« in Kämper (2007), S. 30–33.

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Zurechnungsfähigkeit jedoch weit entfernt von einem immerhin bewusst begangenen »politischen Irrtum« im Sinne Eugen Kogons.122 Wie weit verbreitet der von den Rektoren vertretene Erklärungsansatz im gesamtgesellschaftlichen Diskurs der Zeit war, zeigt sich nicht zuletzt auch in dessen Aufnahme in den Gründungsmythos der Bundesrepublik, wie Katrin Hammersteins Studie über die postdiktatorischen Gründungsmythen der beiden deutschen Staaten sowie Österreichs nachweist.123 Eine machtvolle Nachwirkung der NS-Propaganda fürchten die Rektoren bis in die Gegenwart hinein. Sie betonen immer wieder, dass der Nationalsozialismus zwar tot, sein Geist aber längst nicht überwunden sei. Friedrich Baumgärtel führt das Weiterwirken der Propaganda in Erlangen am Beispiel des gesellschaftlichen Ansehens der Studenten vor, die aus seiner Sicht aktuell eine ähnliche Diffamierung wie im NS erführen. Immer noch meine man, die »studierende Jugend« mittels zwangsmäßig verordnetem Arbeitsdienst die »Würde der Arbeit« kennenlernen lassen zu müssen.124 Baumgärtel erscheint dies als förmliche Fortsetzung des NS-Arbeitskults, wonach nur »die Handarbeit« zu einer »wahren Arbeitsauffassung« erziehe.125 Gleich ihm fordern viele Rektoren eindringlich eine aktive Auseinandersetzung der deutschen Gesellschaft mit den nationalsozialistischen Hinterlassenschaften im bewussten Bemühen um einen Neuanfang. Die Wirkung des Nationalsozialismus über die deutschen Grenzen hinaus betrachten die Rektoratsreden in erster Linie über das Thema des Krieges. Auch diesen lasten sie der nationalsozialistischen Propaganda an. Diese habe es verstanden, das Volk gläubig zu einem Kampf für das Vaterland zu entsenden, bei dem es in realiter einzig um »das Dasein und das Wohl der Partei« gegangen 122 Vgl. E. Kogon (1947), S. 649–651. 123 K. Hammerstein (2008), S. 48–52. Die von Hammerstein für die Gründungsmythen bedeutsame spätere Differenzierung des DDR-Selbstbilds als »Volk der Opfer« tritt in den Rektoratsreden der späten 40er Jahre noch nicht in vergleichbarem Maße zutage, zumal im ersten Abschnitt dieses Zeitraums noch nicht mit einer Trennung Deutschlands in zwei Staaten und Systeme gerechnet werden konnte. Wenngleich die Darstellung des deutschen Volkes als »politisch Verführte« hier nur aus Quellen der drei Westzonen belegt werden kann, so bedeutet dies nicht, dass der entsprechende Diskurs in der SBZ bereits ein gänzlich anderer war, insbesondere zu einem frühen Zeitpunkt. Ähnliches belegt auch Georg Stötzel für den Befreiungs-Diskurs, der ab ca. 1948 die Deutung des Kriegsendes in der SBZ / DDR dominierte. In den ersten Nachkriegsjahren herrschte dort demnach wie auch im Westen das Bild eines »Zusammenbruchs« vor. Vgl. G. Stötzel (1998), S. 255 f. Zum Selbstbild der Deutschen als »erstes Opfer Hitlers« siehe auch N. Frei (2005), S. 97–99 und N. Frei (1996), S. 404–406. 124 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 16 f. 125 Vgl. § 1 Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935. Reichsgesetzblatt (1935). Baumgärtel fokussiert hier den propagandistisch stark aufgeladenen Reichsarbeitsdienst. Dass dieser in seiner ursprünglichen Form jedoch keine Erfindung der Nationalsozialisten war, wird in seiner Argumentation außer Acht gelassen.

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sei.126 Zum eigentlichen Kriegsgeschehen äußern sich die Rektoren wenig, egal ob es das Begehen oder das Erleiden kriegerischer Handlungen angeht. Sie heben hingegen vielfach den unvernünftigen Charakter des Krieges allgemein hervor und argumentieren mit Beispielen über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg. Die Menschheit verleugne im Krieg seit Jahrhunderten »ihr wahres Wesen« und habe noch immer kein Bewusstsein für ihre »spezifisch menschlichen Fähigkeiten« der Konfliktlösung entwickelt, weswegen die stete Wiederkehr von Kriegen letztlich als »Ausdruck abgrundtiefer Unbildung und höchster Unvernunft« zu sehen sei.127 Auch an dieser Stelle behandeln die Redner die Gegenwart als Sonderfall. Durch den Übergang zum »totalen Krieg« nämlich habe sich das Wesen des Krieges ethisch wie rechtlich gesehen verschärft.128 Aus den Erfahrungen der beiden letzten Kriege zusammen ziehen die Rektoren das Fazit, die »Völker der Welt« sollten nun verstanden haben, dass Krieg besonders in Anbetracht des mit ihm »einhergehenden Verfalls der Moral und der Sitten« künftig »kein taugliches Mittel« mehr zur Behebung »bestehender Schwierigkeiten materieller Art« darstelle.129 Zur Deutung des Kriegsendes kursieren in den Rektoratsreden zwei verschiedene Ansätze, die parallel nebeneinander existieren und zunächst keinen begrifflichen Antagonismus bilden. Zum einen ist die Rede vom Kriegsausgang als einem deutschen Zusammenbruch, zum anderen wird dieser gleichfalls als Befreiung bezeichnet. In der ersten Zeit scheint es eher der individuellen Sichtweise des Redners zu obliegen, mehr den einen oder den anderen Aspekt der deutschen Kriegsniederlage zu akzentuieren. Die beiden Bezeichnungen bilden in den Rektoratsreden jenes Zeitabschnitts keine antagonistisch zu verstehenden Begriffe, aus denen unterschiedliche Grunddeutungen des Kriegsausgangs heraussprechen sollen. Sie bewegen sich vielmehr auf zwei gänzlich verschiedenen Ebenen, die sich nicht begegnen. Eine Aufteilung der Deutungszuordnung nach ideologischen Gesichtspunkten kristallisierte sich in den jeweiligen Erinnerungsdiskursen zum Kriegsende in Ost und West erst ab den späten 40er Jahren heraus. In der BRD hielt sich die Erinnerungskultur des Zusammenbruchs bis in die Mitte der 80er Jahre und öffnete sich einer Deutung des Kriegsendes im Sinne einer Befreiung erst im Zusammenhang mit der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag, in der Weizsäcker den 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung« bezeichnete.130 In der DDR übernahm die Deutung des Kriegsausgangs als Befreiung, die vor allem der Rote Armee zu verdanken sei, eine stark integrative Bedeutung für den Gründungsmythos des ›Volks der Op126 R. Plank (KA THF 1946), S. 3. 127 R. Grammel (S TH 1946), S. 14; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 5. 128 J. Ebbinghaus (MR PU 1945a), S. 16 f.; K. Geiler (HD KRU 1948), S. 24; E. Terres (KA THF 1949), S. 6. 129 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 12. 130 R. Weizsäcker (1985).

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fer‹ an. Diese divergierte zwar zum Teil recht stark von den persönlichen Erfahrungen der Bürger, wurde aber bis zum Ende der DDR als »institutionalisierte« Erinnerung beibehalten.131 In den Rektoratsreden ist eine vergleichbare geographische Aufteilung der beiden Begrifflichkeiten nicht festzustellen. Sie benennen hier eher unterschiedliche Dimensionen, in denen das Kriegsende wahrgenommen wurde. Wird Zusammenbruch eher auf die äußeren Umstände bezogen, so steht Befreiung mehr für das innere Erleben. Von einem »beispiellosen geistigsittlichen und materiellen Zusammenbruch« getroffen beschreiben die Rektoren Erlebnisse der »totalen Auflösung jeglicher staatlicher Organisation und Autorität«, des Absackens der wirtschaftlichen Produktion »auf ein Maß […], das die Existenz des deutschen Volkes in Frage stellte«, bis hin zum Eindruck der kompletten Auflösung auf politischer Ebene, wodurch Deutschland »auf Gnade und Ungnade den Siegern in die Hand gegeben« worden sei.132 Die Redner gestehen die Niederlage ein und nehmen folglich bewusst die Position des »früheren Gegners, der völlig zerschlagen am Boden liegt« ein, um nun die Milde der Sieger zu beschwören. Hierzu passt auch die von den Rednern geäußerte Dankbarkeit für das »hochherzige Entgegenkommen« der Siegermächte, das Hilfe »zu einer geistigen und auch einer materiellen Regeneration« Deutschlands ermögliche. Gleichzeitig stellen die Redner mit derartigen Äußerungen ihre Einsichtsfähigkeit unter Beweis, dass die Alliierten den Deutschen nichts weniger als die »Befreiung von einem Terrorsystem« gebracht hätten, »von dem wir selbst uns nicht zu befreien vermochten«.133 Auf dieser Ebene bewegt sich der Begriff Befreiung hauptsächlich. Viele Rektoren beziehen sich damit auf ein Gefühl innerer Erleichterung über das Ende von »Druck und Terror«, wonach wieder geistige Freiheit herrsche, selbstbestimmt zu denken und zu sprechen.134 Wie so oft richten sie dabei den Blick von der Gegenwart ausgehend in Richtung Zukunft. Obgleich von der »Zwangsjacke des ›Dritten Reiches‹« befreit, könne man sich noch längst nicht als »frei« bezeichnen. Vielmehr sei man der Chance, die man erhalten habe, 131 Vgl. dazu G. Stötzel (1998) und K. Hammerstein (2008). 132 F. Zucker (J FSU 1945), S. 274; P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 12; F. Böhm (F JWGU 1948), S. 92 f.; K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 16. 133 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 6; K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 16 f.; ähnlich: P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 12; E. Brenner (ER FAU 1947), S. 22–27. 134 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 16 f.; ähnlich: A. Allgeier (FR ALU 1946), S. 8. Ähnlich unpolitisch für die Mehrheit der Deutschen deutet auch Horst Dieter Schlosser die Befreiungserfahrung in einem Aufsatz über das Vorkommen einer »Stunde Null« in der deutschen Sprache: »Viele Zeitzeugen, die keineswegs zum Widerstand gegen das NS-Regime gehörten, haben heute kaum Probleme, das Kriegsende zumindest mit dem Gefühl zu verbinden, befreit worden zu sein, während der politische Begriff Befreiung in vollem Bewusstsein sicher nur von Gegnern und Opfern der NS-Diktatur verwendet werden kann. Befreiung empfanden eben auch viele andere, allerdings als Ende der Angst vor Bombenangriffen, vor dem Verlust von Familienangehörigen oder vor dem eigenen Einsatz in den letzten Aufgeboten wie dem Volkssturm.« Siehe H. D. Schlosser (1995), S. 193 f.

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verpflichtet, indem man handele.135 Mit der Befreiung »von den unmittelbaren Ängsten und Qualen des schrecklichen und unsinnigen Krieges« geht auch die Hoffnung auf eine »Zeit des Friedens auf Erden« einher, welche die Redner mit einem baldigen Wiederaufbau und der Wiederherstellung von Gerechtigkeit verbinden.136 Gerechtigkeit hat aus Sicht der Rektoren in zwei Richtungen zu wirken. Einerseits soll sie dazu beitragen, die Schuldigen angemessen zu bestrafen, um andererseits den Unschuldigen auf dieser Basis ein neues Leben zu ermöglichen. Daraus erwächst unweigerlich die Frage, wo die Grenzen zwischen Schuldigen und Unschuldigen verlaufen, bzw. wie sich Schuld und Unschuld überhaupt definieren. Derlei Überlegungen führen mitten hinein in den komplexen Schuld­diskurs der Nachkriegszeit. In den Reden der Rektoren wie auch in der intellektuellen Debatte der Zeit spielt die Frage nach der Schuld des Einzelnen, der Schuld bestimmter gesellschaftlicher Gruppen wie beispielsweise der Intelligenz, der Professorenschaft oder der Hochschulen bis hin zur Frage der Kollektivschuld des gesamten deutschen Volkes generell eine große Rolle. Die Auseinander­setzung mit dieser Problematik soll den Deutschen vor allem nach Ansicht der intellektuellen Elite Aufschluss geben über ihre Verantwortung vor der Welt, um so ein Stück Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen. In den Rektoratsreden finden sich indes wenige Beispielfälle, anhand derer das Problem der Schuld des Einzelnen erörtert würde. Erwähnt werden zu diesem Komplex allenthalben die obersten NS-Führer. Hinsichtlich einer Konkretisierung deren Vergehen scheint gleichwohl kein tiefergehender Klärungsbedarf zu bestehen. Die Rektoren äußern allenfalls Befremden in Hinsicht auf die Verteidigungsstrategien der Angeklagten in den Nürnberger Prozessen: Der dort praktizierte Rückzug auf das Argument des Befehlsgehorsams gibt ihnen ebenso Anlass zu Verwunderung wie die zu verhandelnden Verbrechen.137 Die Redner, die sich allesamt auf der wir-Seite verorten, sehen gemeinhin keinen Anlass, sich selbst in ähnlicher Weise wie die Gruppe der Täter in Frage zu stellen. Weitere Klärung eventuell bestehender individueller Schuld überantworten sie einer Aufarbeitung im Einzelnen. Sie begründen dies mit dem allzeit individuellen Charakter eines jeden Verbrechens. Möglicherweise in Anlehnung an eine Vorlesung von Karl Jaspers im Wintersemester 1945/46, die sich ausschließlich mit der Schuldfrage befasste, wird an einigen Stellen von unterschiedlichen Kategorien der Schuld gesprochen. Die Essenz jener Vorträge erschien 1946 als Buch,138 rief in den Rektoratsreden aber trotz der anerkannten Bedeutung Jaspers’ für den Wiederaufbau der Hochschulen kein großes Echo hervor. All-

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K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 51. R. Grammel (S TH 1948), S. 3. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 372 f. Vgl. K. Jaspers (1946b).

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gemein erfreute sich die Einteilung von Schuld in unterschiedliche Kategorien jedoch einiger Beliebtheit in der gesellschaftlichen Diskussion, jeweils mit dem Ziel, den angenommenen Kollektivschuld-Vorwurf als grundlegend unzutreffend abzuwehren.139 Der Erlanger Rektor Theodor Süß trennt in ähnlicher Weise zwischen theologischer Schuld, die auf der Vernachlässigung christlicher Werte beruhe, juristischer Schuld, die aus konkreten Gesetzesverstößen bestehe, sowie moralischer Schuld, die sich aus Passivität dem Unrecht gegenüber herleite. Die Schuld des Individuums könne sich demnach auf allen drei dieser Ebenen bewegen. Zu ihrer Klärung erfordere es aber vor allem eine innere Auseinandersetzung des Einzelnen mit seinem Gewissen sowie danach gegebenenfalls mit der Rechtsprechung oder Gott.140 Etwas anders sieht dies hinsichtlich der Gruppenschuld aus. Die Rektoren sprechen hier zumeist die Gruppierung der Hochschulen an, welche durch ihre Rolle während der NS-Zeit unbestreitbar in gewisser Weise zur Sache des Nationalsozialismus beigetragen habe. Es treten hierbei zwei argumentative Linien auf: zum einen eine Form der Distanzierung wie schon zu den Nazis allgemein, heruntergebrochen auf die Mikroebene der Hochschule und adaptiert an deren Gegebenheiten; zum anderen ein gruppenbezogenes Schuldbekenntnis, aus dem heraus gleichzeitig ein Führungsanspruch abgeleitet wird. Die zunächst angesprochene Distanzierung ist in vielen Reden unterschiedlichster Provenienz zu finden und hat ihren Hintergrund wohl darin, dass kein Rektor seine eigene Hochschule mit konkreten Schuldzuweisungen belasten möchte. Die Argumentation verläuft im Allgemeinen so, dass die Redner im Namen der Hochschulen im Allgemeinen – die eigene damit eingeschlossen – eingestehen, einen gewissen Anteil an den Unternehmungen des National­ sozialismus gehabt zu haben. Sie sprechen hier meist von der Hochschule141, die sowohl im Schulddiskurs wie darüber hinaus den Allgemeinplatz in der Auseinandersetzung mit dem akademischen Umfeld einnimmt. Im Argumentationsfeld Gruppenschuld gestaltet sich dies zumeist derart, dass sich die Hochschule – ganz allgemein gehalten – von dem Nationalsozialismus zu niederen Zwecken habe missbrauchen lassen. Andernorts habe dies bisweilen böse Früchte getragen. Im eigenen Haus indes sei der akademische Geist wenigstens so wach ge-

139 Dies zeigt etwa die vergleichbare Diskussion im deutschen Katholizismus sowie den ihm nahestehenden publizistischen und politischen Kreisen, siehe K. Repgen (1988), S. 142–150 u. 154–161. 140 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 35 f. 141 In den Rektoratsreden wahlweise auch als die Universität bezeichnet. Die Art und Weise, in der die beiden Begrifflichkeiten verwendet werden, sowie deren Gebrauch an Universitäten einerseits und Technischen Hochschulen andererseits decken sich weitestgehend. Daher wird hier und im Folgenden ausschließlich die Bezeichnung die Hochschule benutzt, um die Einheit des Begriffs, bzw. des Labels zu wahren. Zur weiteren Bedeutung und Vorkommen der Hochschule im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 243 f.

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blieben, dass die Hochschule zum einen den Suchenden »eine Stätte milden und freundlichen Lichtes« geblieben sei. Zum anderen habe sich unter der Ober­ fläche von Zwang und Führerverfassung Widerstand geregt oder es sei immerhin von der Option der inneren Emigration reichlich Gebrauch gemacht worden, als man keine anderen Möglichkeiten mehr gehabt habe.142 Diese Form der Argumentation konstatiert Heidrun Kämper allgemein für die deutsche Intelligenz wie auch für die Kirchen. Der Niedergang sei in deren Retrospektive nicht darauf zurückzuführen, »dass der Geist fehlte«, sondern dass der vorhandene, bewahrte Geist nicht genügt habe, um schlimmeres zu verhindern: »›Nicht genug‹ ist ein selbst anklagendes Schuldargument mit exkulpierender Funktion. Das exkulpierende Moment dieser Argumentation besteht in der mit nicht genug präsupponierten Behauptung eines geistigen Potenzials. Es war (und ist) vorhanden, die Deutschen können also nicht verloren sein.«143

Eine tatsächliche Emigration als alternative Möglichkeit, sich dem NS-Regime zu entziehen, blenden die Rektoren in ihren Rückblicken weitestgehend aus. Allein der von 1934 bis 1948 selbst emigrierte Julius Lips, einer der wenigen Exilanten unter den Nachkriegsrektoren, spricht in seiner 1949er Rektoratsrede in Leipzig über die Zeit seines Exils, welche gerade ihm als Ethnologen auch besondere Chancen zur Feldforschung geboten habe. Er erwähnt freilich, dass insgesamt nicht viele Wissenschaftler jenen Pfad beschritten haben.144 Den Weg der inneren Emigration präsentieren dagegen mehrere Redner als eine Art Widerstand »gegen die äußere Tyrannis«, der »wenigstens innerlich und seelisch« stattgefunden habe.145 Dass Eigen- und Fremdwahrnehmung der Formen innerer Opposition unter Umständen jedoch stark auseinanderdriften konnten, vermerkt Hans Georg Gadamer in seinem Leipziger Rektoratsbericht 1947: »Die Anstrengung, sich zu behaupten, den Einklang und die Eintracht mit einem tragenden Gemeinwesen zu entbehren, eine nur von Wenigen verstandene Sprache zu führen und sich doch in allen Äusserungen um Verständnis und Widerhall mühen zu müssen, bindet alle Kräfte und führt dazu, dass man den aus solcher Kraftanstren­ 142 In diesem Tenor etwa: G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 3; E. Wolff (HH U 1945), S. 17; O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 9 f.; Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1947), S. 4.; J. Stroux (B HU 1946), S. 11. Dabei ergeben sich bisweilen inhaltliche Widersprüche in der Argumentation, wenn etwa z. B.  Hans Georg Gadamer in seinem Rektoratsbericht 1947 an der Universität Leipzig innerhalb desselben Satzes zunächst betont, dass die eigene Hochschule »stärker als die meisten anderen Universitäten Deutschlands, den nationalsozialistischen Irrlehren inneren Widerstand entgegengesetzt« habe, dann aber die momentane Schwächung der Hochschule mit darauf zurückführt, dass ein »erheblicher Teil des Lehrkörpers aufgrund der Landesgesetze wegen seiner politischen Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer ihrer Gliederungen entlassen« werden musste. Vgl. H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 2. 143 H. Kämper (2005), S. 331. 144 J. Lips (L U 1949), S. 3 f. 145 G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 4.

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gung bestrittenen Kampf in seiner konkreten Wirklichkeit und sozialen Bedeutung höher einschätzt, als es den Tatsachen und der Meinung der übrigen Welt entspricht.«146

Auch in diesem Punkt erreicht die Argumentation der Rektoren die angestrebte Distanzierung, indem sie sich nun auf einem gänzlich unpersönlichen Level bewegt, das mit der Hochschule jetzt gar eine Institution umfasst. Zwar stellt Ernst Terres in seiner Rede zu Rektoratsantritt 1949 fest, dass nicht die Institutionen die eigentliche Schuld treffe: »Es sind natürlich nicht die unpersönlichen Organisationen, denen wir die Schuld zusprechen müssen, sondern verantwortlich sind die Menschen, die diese Organisationen geschaffen haben und verantwortlich führen.«147 Im Gesamttenor der Reden bleibt die Verwendung der Hochschule148 in diesem Zusammenhang allerdings auf dem Niveau eines nicht näher bestimmten Labels: Keiner der Rektoren benennt konkret, wer die Personen oder Einrichtungen genau waren, welche sich korrumpieren ließen, sei denn, sie gehörten zu den ganz offensichtlich politisch beeinflussten Auswüchsen des Nationalsozialismus an den Hochschulen wie etwa die »Führerrektoren« oder verschiedene Neudefinitionen mehrerer Disziplinen hin zu einer »deutschen Wissenschaft«. Der zweite Aspekt der Gruppenschuld, das von den Rektoren geleistete Schuldbekenntnis, kann den obigen Ausführungen zufolge also nur eine eher allgemein gehaltene Form von Schuld betreffen: Rektoren, welche im Einzelnen als politisch nicht belastet eingestuft waren, gestehen Versäumnisse und Verfehlungen einer als die Hochschule bezeichneten, aber nicht weiter definierten Gruppe von Personen und Institutionen, welche dieser Einrichtung angehören. Die Schuld der Hochschule erkennen die Rektoren vor allem darin, der eigenen Sache nicht treu gewesen zu sein. Nach dem 1. Weltkrieg habe man seitens der Hochschule in »Empörung« verharrt. In diesem Fall präzisieren die Redner den Allgemeinplatz immerhin auf die Professorenschaft, welche nach Kriegsende gemäß dem Leitwort Spenglers intensiv den »Untergang des Abendlandes« diskutiert habe.149 Darüber habe man vergessen, die eigene wie auch die allgemeine Lage und die ihr zugrunde liegenden veränderten Anforderungen einer neuen 146 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 3 f. Zur Problematik der Bedeutung und des Stellenwerts der »inneren Emigration« im deutschen Nachkriegsdiskurs vgl. auch die Kontroverse zwischen den Schriftstellern Thomas Mann, Walter v. Molo und Frank Thieß. Siehe G. Kurz (1996). 147 E. Terres (KA THF 1949), S. 18. 148 Zur weiteren konzeptionellen Auseinandersetzung mit der Hochschule im Rahmen der Rektoratsreden siehe Kap. VII.1, S. 243 f. und Kap. VII.3, S. 288–290. 149 D. Felken (1988), S. 233 inkl. Anm. 105. Die Betitelung Spenglers als einer der »Wegbereiter des deutschen Zusammenbruchs« in Form einer geistigen Vorbereitung des Nationalsozialismus zusammen mit Hegel und Nietzsche äußert demnach bereits 1948 der Historiker und Soziologe Alfred von Martin, siehe A. v. Martin (1948). Wie die Untersuchung Hermann Dorowins zu kulturkritischen Stimmen in anderen Ländern Europas zu Beginn der 1930er Jahre zeigt, galt Spengler bereits dort als einer der »ideologischen Zuträger de Nationalsozialismus, vgl. H. Dorowin (1991), S. 71.

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Zeit tiefgreifend zu hinterfragen, weswegen die Hochschulprofessoren als Stellvertreter ihrer Institutionen letztlich Mitschuld daran trügen, dass sich ein derart »übersteigerter Nationalismus« überhaupt entwickeln konnte. Schließlich habe sich auch die Hochschule von jenem nationalistischen Wahn fangen lassen, weswegen sie es versäumt habe, die ihr Anvertrauten mit »geistig und sittlich« gefestigter Widerstandskraft gegen die »vergifteten Waffen der Arglist und Verblendung« auszustatten. Sie habe im Gegenteil sogar selbst mit dazu beigetragen, »das Denken der studierenden Jugend für die kommende böse Saat empfänglich zu machen«.150 Hinzugekommen sei eine innere Zerrissenheit der Hochschule sowohl politischer wie wissenschaftlicher und struktureller Art, die es schließlich unmöglich gemacht habe, mit einer Stimme zu sprechen. Darüber habe sie die »für die Autorität der Universitäten in der öffentlichen Meinung unentbehrliche Voraussetzung ihrer fest behaupteten Stellung über den Tagesstreit der Parteien« zu einem Gutteil verloren.151 Rechtzeitig und wirkungsvoll Position gegen den Nationalsozialismus zu beziehen – wie vielerseits erwartet –, sei aus dieser Lage heraus praktisch unmöglich gewesen. Vielmehr habe sich die Hochschule am Ende selbst in ihr Schicksal ergeben. Somit trage sie jedoch in Person ihrer »damals verantwortlichen ›Führer‹« ebenso Mitschuld daran, Vorbild für ein »Verhalten« gegeben zu haben, »das schließlich dem ganzen Lande zum Verhängnis« geworden sei. Noch schwerer wiege die Schuld »einzelner Angehöriger der Hochschule«, welche sich »mit eigener Hand an Maßnahmen beteiligt haben, durch die nicht nur bisher als unantastbar gehaltene akademische Traditionen verletzt wurden, sondern zum Teil sogar primitive Forderungen der Menschlichkeit«, wie etwa »die deutschen Ärzte und MalariaImpfer«, die im Konzentrationslager »ihre menschlichen Brüder« kaltblütig als »Material« ihrer Forschung benutzt und gequält hätten.152 Trotz derartiger »Verrohung, Verwilderung und Barbarei« des »seelischen und geistigen Bildungsguts«153 verorten die Redner die Hochschule als Gesamt nicht auf der Seite der Täter. Die Vergehen, welche man sich kollektiv oder aber bestimmten Angehörigen im Einzelnen anlastet, hätten sich immer auch gegen die Hochschule selbst gewandt. Strukturell habe sich die Hochschule binnen kurzer Zeit derselben Angriffe durch den Nationalsozialismus ausgesetzt gesehen wie beispielsweise das Staatsgefüge. Das »bewährte, geschichtlich entstandene Prinzip« des Hochschulaufbaus habe unter anderem in Form des Führerrektors, welcher in erster Linie politisch verlässlich zu sein hatte, einer »falsch verstandenen Staatsautorität« weichen müssen. Hinzu gesellten sich große personelle Verluste, mangelhafte Planungssicherheit bedingt durch das häufige Schwanken

150 C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 195; J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 15; J. Reatz (MZ JGU 1947), S. 12; E. Wolff (HH U 1945), S. 24 f. 151 E. Wolff (HH U 1945), S. 24 f. 152 Th. Pöschl, (KA THF 1947), S. 4.; K. Vossler (M LMU 1946), S. 12. 153 K. Vossler (M LMU 1946), S. 12.

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zwischen Existenzbedrohung und Bejubelung sowie eine große Zahl aufoktroyierter nationalsozialistischer Organisationen und Riten.154 Hauptsächlich im Hinblick auf bestimmte Mitglieder der Hochschule, denen zwar meist unkonkret und ohne namentliche Nennung, aber dennoch persönliche Schuld vorgeworfen wird, werben die Redner in Kontrast zu der sonstigen Entpersonalisierung für den menschlichen Faktor der gesamten Problematik. So treffe die Hochschule der Vorwurf durchaus zu Recht, sie habe sich nicht »mit der Macht, die sich vielleicht hätten entfalten können«, gegen den National­ sozialismus gestemmt. Die Gründe hierfür seien indes ganz menschlicher Natur. Zum einen sei die »Zahl derer« zu gering gewesen, »die einen Weltruf in die Waagschale zu werfen hatten«, aufgrund dessen sie zumindest zu Beginn der NS-Herrschaft öffentliche Kritik hätten äußern können und trotzdem für das Regime unantastbar geblieben wären. Alle anderen hätten dies nur in der Masse erreichen können. Dieser wiederum fehlte es offensichtlich an Führung bzw. in gleichem Maße »an politischer Einsicht oder männlicher Entschlusskraft«.155 Georg Hohmann sieht sich demgegenüber in seiner Münchener Rektoratsrede in die »Pflicht der Wahrheitsfeststellung« genommen, nicht zu übergehen, dass es immerhin im Herbst 1932 noch einen von »500 deutschen Universitätslehrern« unterzeichneten »Aufruf gegen den Antisemitismus« gegeben habe.156 In der Literatur zur Geschichte der deutschen Hochschulen zu Ende der Weimarer Republik beziehungsweise zu Beginn des Nationalsozialismus findet sich keinerlei Hinweis auf diesen Aufruf.157 Einzig ein Aufruf des Wissenschaftlichen Beirats der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg an den Reichserziehungsminister aus dem April 1933, die Entlassungen jüdischer Wissenschaftler einzustellen, belegt für diesen Zeitraum einen kollektiven Protest auf Hochschulseite.158 Die Gründe dafür, warum die Professoren dem aufziehenden Nationalsozialismus nicht verstärkt entgegenschritten, die die in der heutigen 154 H. H. Schmid (RO U 1948), S. 4; E. Wolff (HH U 1945), S. 17; G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 4; H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 10; H. G. Gadamer (L U 1946); S. 5. 155 J. Ebbinghaus (MR PU 1945a), S. 18 f. 156 G. Hohmann (M LMU 1946), S. 10. Dass dieser Aktion im Juli 1932 ein Aufruf von immerhin 81 deutschen Professoren vorausgegangen war, Hitler sofort zum Reichskanzler zu ernennen, erwähnt Hohmann jedoch ebenso wenig wie viele weitere Bekenntnisaktionen seitens der Hochschulen und ihrer Mitglieder in den kommenden Jahren. Vgl dazu etwa H. Olszewski (1989), S. 83–91. 157 Auch Anselm Faust, der einen detailreichen Überblick über die politischen Aufrufe deutscher Hochschullehrer in den Jahren 1932/33 gibt, fällt kein Hinweis auf die von Hohmann angeführte Erklärung. Siehe A. Faust (1980). Ebenso unerwähnt bleibt der von Hohmann zitierte Aufruf bspw. bei Ch. Jansen (1992) oder im Sammelband K. Schwabe (Hg.) (1988). 158 B. Vezina (1982), S. 28 f. Einige Jahre zuvor hatte beispielsweise auch die Deutsche Liga für Menschenrechte eine Unterschriften-Sammlung gegen den wachsenden Antisemitismus gestartet. Wie Christian Jansen in seiner Dissertation zum politischen Denken der Heidelberger Hochschullehrer nahelegt, schein diese Aktion jedoch gerade auch im Hochschul-Umfeld auf schwache Resonanz gestoßen zu sein. Siehe Ch. Jansen (1992), 289 f.

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Forschungsliteratur genannt werden, ziehen die Nachkriegsrektoren in ihren Reden indes nicht heran: Weder die unter den Hochschullehrern der Weimarer Republik weit verbreitete national-konservative politische Einstellung wie auch die teils heftige Ablehnung der Moderne durch sie – beschrieben unter anderem von Fritz K. Ringer in »Die Gelehrten«159 –, kommen in den Rektoratsreden vor. Tatsächlich stand dem nicht näher bestimmbaren Aufruf, den Hohmann erwähnt, das von ca. 1.000 deutschen Hochschullehrern unterzeichnete »Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat« vom November 1932 gegenüber. Waren die meisten der Professoren zu diesem Zeitpunkt weder Parteigenossen noch Mitglieder anderer NS-Gemeinschaften, so hatte die Aufbruchsstimmung, die von nationalsozialistischen Aktivisten nicht zuletzt auch von Studentenseite zu jener Zeit verbreitet wurde, eine gewissen Eindruck bei den Professoren hinterlassen.160 Dies belegt auch die Entwicklung der Parteimitgliedschaft unter den Hochschullehrern. Schätzt Anselm Faust diese für 1932 noch auf ca. 4 %, so waren stellt Rainer Hering am Beispiel der Universität Hamburg für das Sommersemester 1933 eine Eintrittswelle der Hochschuldozenten in die NSDAP fest, die bis zur Aufnahmesperre im Mai um die 20 % der Dozenten in die Partei spülte, ca. der fünffache Anteilswert im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.161 Nach Michael Grüttner zeichnete sich daran jedoch mehr ein Generationenkonflikt ab, als dass die etablierten Professoren sich in großer Zahl zum Nationalsozialismus bekehrt hätten. Tatsächlich engagierten sich, wie Grüttner nachweist, überwiegend die jüngeren Wissenschaftler für die Sache des Nationalsozialismus, die vor 1933 noch Assistenten oder Privatdozenten waren. Die etablierten Professoren blieben eher passiv und hatten damit gewisse Einbußen an Einfluss zu verzeichnen. Wie Michael H. Kater jedoch zeigt, traten die etablierten Professoren demgegenüber verstärkt in der Unterzeichnung von Unterstützungsbekenntnissen zum Nationalsozialismus in den Vordergrund, wohlmöglich um ihre fehlende Parteimitgliedschaft auszugleichen. Das öffentliche Bekenntnis zum NS komme damit laut Kater für sie dem »Charakter einer Schutzfunktion« gleich.162 In jedem Fall rückte diese ältere Generation an Hochschullehrern an ihren Institutionen nach Kriegsende wieder in die Führungspositionen, was nicht ohne Einfluss auf die Argumentationslinie, wie sie die Rektoratsreden der Nachkriegszeit relativ einheitlich verfolgen, blieb. 159 F. K. Ringer (1983), S. 220–228. Zur politischen Entwicklung der Professoren vom politisch fortschrittlichen Vordenker bis hin zum enttäuschten Konservativen, der dem Radikalismus den Boden zu bereiten hilft, siehe auch Hans Peter Bleuel (1968). In neuerer Zeit betont auch Michael Grüttner das »Selbstverständnis der Universitäten sich als unpolitische Institution zu definieren, die gegenüber den politischen Parteien ihre Unabhängigkeit zu bewahren suchte«, fügt aber hinzu, dass dabei auch gewisse »Affekte gegen den Weimarer Parteienstaat« eine Rolle spielten. 160 A. Faust (1983), S. 118–127. 161 A. Faust (1983), S. 118; R. Hering (1991), S. 92–95. 162 M. H. Kater (1981), S. 69 f.

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In den späteren Jahren während des NS, so Emil Lehnartz, hätten die »Akademiker, Professoren und Studenten« schließlich eine »wesentliche Rolle« in der Widerstandsbewegung im Untergrund gespielt. Doch gerade dort habe sich deutlich gezeigt, »dass weder von der Universität noch von einer anderen geistigen Ebene aus der Kampf gegen dieses System der Gewalt mit Erfolg aufgenommen werden konnte«.163 In diesem Sinne argumentiert auch Constantin von Dietze, selbst während der NS-Zeit Mitglied der Bekennenden Kirche und Mitbegründer des Freiburger Kreises. In seiner Freiburger Rektoratsrede von 1947 streicht er deutlich heraus, wie unerreichbar das Ziel gewesen sei, in einer Situation von Zwang und Zerfall den Studenten festen Halt durch Vermittlung eines »unverrückbaren Ethos« mitzugeben. Selbiges hätten sich unter dem herrschenden Druck auch von den Professoren nur wenige erhalten können, wie also hätten sie die Studenten dazu erziehen können.164 Die Hochschule selbst, das sagt auch Lehnartz, habe keinen Widerstand geleistet, »insbesondere nicht gegen jene dunklen und teuflischen Mächte, die uns in den vergangenen Jahren regiert haben«.165 Dennoch schätzt er das Mitwirken ihrer Angehörigen am Widerstand als bedeutsam ein. Wirft man einen Blick in die Forschungsliteratur über Hochschulen und ihre Angehörige im NS, so lässt sich die »wesentliche Rolle«, die Lehnartz den Hochschulangehörigen im Wider­stand bescheinigt, insbesondere für die Professoren schlecht nachvollziehen. Ausgehend von einem Widerstandsbegriff, der »Verhaltensweisen, die eine grundsatzliche Ablehnung des NS-Regimes erkennen lassen« meint, auch wenn sie nicht zu dessen Sturz führen könnten, schreibt Dieter Langewiesche in einem Aufsatz über die Selbstgleichschaltung und Selbstbehauptung der Universität Tübingen während des Nationalsozialismus zusammenfassend über die deutschen Hochschulen. »Widerstand ist von den deutschen Universitäten nicht ausgegangen. Sie wurden vielmehr in einer Mischung aus Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung in den neuen Staat eingefügt. Wohl aber gab es Versuche der Selbstbehauptung als Institution, in den Wissenschaftsdisziplinen und einzelner Personen. Wie erfolgreich diese Versuche waren, muss von Fall zu Fall geprüft werden. Allgemeine Aussagen sind nicht möglich. Wer aber über die ›Nichtgleichschaltung‹, wie es Hans Rothfels genannt hat, wer über die institutionelle, die fachwissenschaftliche oder die individuelle Selbstbehauptung hinaus den Schritt zum lebensgefährlichen Widerstand gegen die Grundlagen der nationalsozialistischen Diktatur wagte, musste diesen Schritt alleine tun, ohne die Hilfe und ohne den Schutz seitens der Universität und ihrer Mitglieder. Es war das Wagnis sehr weniger. Ihr Widerstand kam aus der Universität, aber es war nicht der Widerstand der Universität.«166 163 E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 6. 164 C. v. Dietze (FR ALU 1947), S. 192 f. 165 E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 5 f. 166 D.  Langewiesche (1997), S, 618. Siehe auch Langewiesches ausführliche Auseinander­ setzung mit dem Widerstandsbegriff, D. Langewiesche (1983).

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In der Forschungsliteratur finden sich mehrere Untersuchungen, die ein ähn­ liches Bild auf die Professorenschaft im Nationalsozialismus werfen und Einzelbeispiele nennen, die ein persönliches Engagement in unterschiedlichen Formen von Widerstand aufzeigen.167 In seiner dreibändigen Studie über die Hochschulen im Nationalsozialismus attestiert Helmut Heiber auch den Zirkeln von Gegnern, die sich an Hochschulen wie Marburg, Rostock, Münster, Göttingen, Jena oder Leipzig zu klandestinen Treffen zusammenfanden, wenig Wirksamkeit: »Wieviel davon sich mit kollektivem ›Meckern‹ begnügt hat, ist schwer auszumachen, vermutlich aber der größte Teil.«168 Einzig den Freiburger Kreis, dessen Mitglieder tatsächlich in die Aktion »20. Juli« eingebunden waren und dafür wie im Falle Constantin von Dietzes nach Scheitern des Attentats inhaftiert wurden, zählt er zum organisierten Widerstand, da es dort »zu einer gewissen Institutionalisierung unter Versteifung der Abwehrposition gegenüber Staat und Partei wie auch zu praktischer Arbeit gekommen ist«.169 Tatsächlich also trifft der vom Widerstandsmitglied von Dietze formulierte Rückblick auf die Professorenschaft im ›Dritten Reich‹ weitaus besser zu, indem er ihr im Mindesten ein Übermaß an Passivität bescheinigt. Dieser passiven Haltung der »Wissenschaftler« kann Günther Rienäcker in Rostock auch einen positiven Aspekt abgewinnen. Trotz aller Kritik, dass der Rückzug in die unpolitische Forschung den »Machern des Dritten Reiches den Versuch recht erleichterte, den Ton auch in der Hochschule anzugeben«, habe er zumindest den »Bestand der Hochschule und der Wissenschaft« gesichert.170 Hiermit wird an dieser Stelle gleichsam ein neues Label geschaffen.171 In vielen Reden existiert die Wissenschaft parallel zu der Hochschule. Auch sie erfährt in diesem Zusammenhang keine konkrete inhaltliche Füllung, scheint aber losgelöst vom Institutionellen der Hochschule in der Nähe des gleichfalls oft herbeizitierten akademischen Geistes zu existieren. Beiden wird die Eigenschaft zugesprochen, dem Nationalsozialismus gegenüber im Wesentlichen unbestechlich geblieben zu sein. Insbesondere die Wissenschaft habe aufgrund der »ihr immanenten Kräfte« der Versuchung widerstehen können, ihr »Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht« zu verkaufen.172

167 Vgl. etwa H. Heiber (1991), S. 175–186, H. Olszewski (1989), S. 158–165, oder B. W. Reimann (1984), S. 47 f. 168 H. Heiber (1991), S. 187. 169 H. Heiber (1991), S. 188–197. 170 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 6 f. 171 Vgl. im Gegensatz dazu den Begriff der Wissenschaft, Kap. VII.1, S. 246 f. 172 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 9 f. In gleichem Sinne: G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 3; Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1947), 4. Eine ausführlichere Diskussion der Wissenschaft findet in den Rektoratsreden indes im Zusammenhang mit ihrer Bedeutung für die Weiterentwicklung der Hochschule statt; vgl. hierzu Kap. VII.1.

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Am Ende derartiger Prozesse der Selbstbefragung steht in vielen Reden der Ausblick auf die Konsequenzen, die nun daraus zu ziehen seien. Große Einigkeit herrscht darüber, dass man nicht einfach nur versuchen solle, an die Kontinuität universitärer Tradition bis vor 1933 anzuknüpfen. Vielmehr verpflichte die Erfahrung der zurückliegenden zwölf Jahre sowie der zumindest teilweise damit einhergehende Vertrauensverlust gegenüber der Hochschule dazu, einen Prozess innerlicher wie äußerlicher Erneuerung anzustreben. Entsprechend mit Unverständnis kommentiert demzufolge Ernst Friesenhahn 1950 die erste Zusammenkunft der deutschen Staatsrechtler nach dem Krieg, im Rahmen derer keinerlei Anstalten gemacht worden seien, die eigene Rolle während des Nationalsozialismus in irgendeiner Form zu reflektieren.173 In die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit während der zurückliegenden zwölf Jahre begeben sich die Rektoren nicht zuletzt auch in legitimatorischer Absicht. Die Darstellung der Hochschule als zwar fehlgeleitete, aber im Grunde funktionsfähige Institution der Gesellschaft nutzen sie, um den von ihnen formulierten Führungsanspruch zu untermauern. Als tiefere Intention klingt in den Reden zuweilen das Motiv durch, ähnlichen, in der Nachkriegsgegenwart von außen an die Hochschule gerichteten Schuldzuweisungen zuvorkommen zu wollen, um der Hochschule keinen größeren Schaden entstehen zu lassen. Hauptsächlich aber schlagen jene Bekenntnisse den Ton einer sich selbst reflektierenden Elite an. Aus dem Bewusstsein heraus, selbst nicht bei denen mit dabei gewesen und daher weitgehend unbelastet zu sein, gestehen deren Mitglieder prinzipiell Schuld ein. Den damit erbrachten Beweis ihrer fortbestehenden Reflektionsfähigkeit machen sie unversehens zur Grundlage dafür, auch weiterhin eine geistige Führungsrolle zu beanspruchen.174 Selbst ein etwaiger Verlust an Vertrauen, das die Öffentlichkeit der Hochschule entgegenzubringen bereit ist, kann diesen Anspruch in ihren Augen nicht erschüttern. Wie keine andere Institution nämlich wirke die Hochschule aus Sicht der Rektoren »Kraft ihrer inneren Bestimmung und ihrer Bedeutung für die Erziehung des gesamten Volkes« entscheidend auf »die Zukunft des deutschen Staatslebens« ein.175 Die Frage einer Kollektivschuld des gesamten deutschen Volkes schließlich ist ein Thema, das in den Rektoratsreden keine flächendeckende Behandlung findet. Hauptsächlich in den ersten Nachkriegsjahren nehmen sich Rektoren dieser Frage an. In erster Linie sind dies Juristen, welche sich aus fachlicher Sicht, insbesondere von der strafrechtlichen Seite her mit dem Vorwurf aus­ einandersetzen und dabei grundsätzlich zum gleichen Ergebnis kommen wie der 173 E. Friesenhahn (BN RFWU 1950), S. 6 f. 174 Zum gleichen Ergebnis hinsichtlich einer aus dem Schuldbekenntnis heraus formulierten Führungsanspruchs kommt Heidrun Kämper in ihrer von linguistischer Seite her ausgehenden Untersuchung zum allgemeinen gesellschaftlichen Schulddiskurs der frühen Nachkriegszeit in Bezug auf die Gruppe der bei ihr so benannten »Nichttäter«. Siehe H. Kämper (2005), S. 332 f. 175 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 2 f.

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größer dimensionierte gesamtgesellschaftliche Diskurs jener Zeit176. Im Unterschied zu einigen Teilnehmern der außeruniversitären Debatte argumentieren die Rektoren allerdings auf einer rationalen Ebene, ohne den Themenkomplex zu emotionalisieren. Danach sei die Schuld eines Kollektivs unter strafrechtlichen Gesichtspunkten nicht fassbar, im Gegensatz etwa zu seiner Haftbarkeit im Zivilrecht, sondern könne ausschließlich auf moralischer Ebene bestehen. Die kollektive moralische Schuld der Deutschen, so der Tenor der rektoralen Debatte, liege vor allem darin, dass sie als Volk insgesamt verantwortlich stünden für die kollektiv erwählte Regierung. Sie errechne sich hingegen nicht durch die Summe aufaddierter individueller Schuld, weswegen auch die politischen Säuberungen im Zuge der Entnazifizierung kritisch zu sehen seien. In diesem Verständnis würde vielmehr von einer prinzipiellen Schuldvermutung in Bezug auf alle Deutschen ausgegangen, was vom juristischen Standpunkt her nicht tragbar sei.177 Auch von nichtjuristischer Seite her kommt Kritik an dem Begriff der Kollektivschuld auf. Der Kältetechniker Rudolf Plank lehnt diesen 1946 mit der stark relativierenden Begründung ab, das »Deutsche Volk« habe »in den verflossenen Jahren selbst zu viel gelitten, um das Verständnis für eine generelle Verurteilung« seiner selbst aufbringen zu können.178 Planks späterer Nachfolger an der TH Karlsruhe, Ernst Terres, versucht sich in seiner einige Jahre später gehaltenen Rektoratsrede vom 10. Dezember 1949 indes an einer Umdeutung des Begriffes. Er befasst sich darin unter anderem mit dem »kollektivistischen Zeitalter« und dessen weiteren Auswirkungen. Insofern als nicht Organisationen, sondern die Menschen dahinter an den vergangenen Geschehnissen Schuld trügen, bestehe demnach sehr wohl eine Art von Kollektivschuld. Terres möchte diese dem eigenen Empfinden nach »richtiger« als »Kollektivunglück« ansehen, »das wir gemeinsam tragen und auch gemeinsam wieder überwinden müssen«.179 Wurde bereits in früheren Jahren mit Varianten zum Begriff der Schuld experimentiert, wobei etwa Umdeutungen wie Verantwortung entstanden,180 so scheint es mit dem größeren zeitlichen Abstand zum Kriegsende möglich geworden zu sein, derart euphemisierende inhaltliche Umdeutungen jenes Begriffs vorzubringen. Genau drei Tage vor der Rektoratsfeier und Terres’ Rede in Karlsruhe hatte der frisch amtierende Bundespräsident Theodor Heuss den Deutschen ebenfalls eine andere Variante zur Kollektivschuld angeboten. Anlässlich einer Feierstunde der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Wiesbaden, welche im Radio übertragen wurde, sprach er von einer Kollektivscham, welche Hitler dem deutschen Volk aufgezwungen habe. Diese bestünde vor allem in der Kalamität, 176 Zur Debatte um die Kollektivschuld in der deutschen Nachkriegsgesellschaft vgl. Th. Eitz / G. Stötzel (2007), S.  371–395. 177 Vgl. etwa Th. Süß (ER FAU 1946), S. 35 f.; zur Frage der Entnazifizierung W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 10. 178 R. Plank (KA THF 1946), S. 5. 179 E. Terres (KA THF 1949), S. 18. 180 Vgl. hierzu Th. Eitz / G. Stötzel (2007), S. 376 f.

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»mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen«.181 Die Reaktionen auf Heuss’ Rede waren vielfältig und überwiegend positiv, resümiert Peter Merseburger in seiner Biographie Theodor Heuss’, »auch wenn sich Einwände und Widersprüche in das Echo mischten«. Insgesamt habe Heuss jedoch damit ein »Signal« gesetzt, welches »das Erinnern den Deutschen zur Pflicht« gemacht und ebenso »die Legitimität des neuen Staates (Becker)« gestärkt habe.182 In ihrer Studie zum deutschen Schulddiskurs der frühen Nachkriegszeit beschäftigt sich Heidrun Kämper für eine breitere Diskursgemeinschaft unter anderem mit der Frage der Kollektivschuld. Sie konstatiert zunächst, dass der Vorwurf einer Kollektivschuld, gegen den man sich glaubte verteidigen zu müssen, im Grunde erst durch die Diskursträger selbst aufgebaut wurde. Der daraus folgenden Diskussion zur Kollektivschuld schreibt sie zwei bestimmte Funktionen zu, die auch im Tenor der Rektoratsreden wiederzufinden sind. Zum einen demonstrierte man damit der gesamten Welt das Bewusstsein für die eigene Schuld, zum anderen erschuf man gleichzeitig die Möglichkeit, die eigenen Deutungsmuster in Bezug auf diese Schuld geltend zu machen. Die Fixierung auf den juristischen Aspekt der Kollektivschuld rühre nach Ansicht Kämpers letztlich daher, dass der scheinbar von außen kommende Vorwurf von der deutschen Diskursgemeinschaft hauptsächlich im juristischen Sinne verstanden worden sei. Mit der Widerlegung jenes Vorwurfs nach dem für die Rektoratsreden beschriebenen Muster habe man paradoxerweise eine Kollektivschuld ablehnen können, die man sich auf anderer Ebene selbst bescheinigte. Auf genau diese Ablehnung einer kriminalisierten Schuld wiederum baue schließlich die zweite Funktion der Diskussion auf. Deren Intention sei es, die Welt von einem anderen Deutschland zu überzeugen und so die Deutschen auf lange Sicht hin zu rehabilitieren.183 Wie bei der Frage der Gruppenschuld konnte also auch hier durch den Beweis kritischer Reflexionsfähigkeit eine Denk- und Deutungshoheit der Deutschen für sich selbst behauptet werden. Die gegenwärtige Krisensituation insbesondere auch der Hochschule stellen die Rektoren nicht nur hinsichtlich des Zustands der Institution und ihrer strukturellen Umgebung fest. Sie richten den Blick dabei vor allem auch auf die von ihr zu Erziehenden. Die Rektoren sprechen hier zumeist global von der Jugend. Deren gegenwärtige Situation, Problematik und Zukunftsperspektiven nehmen als Thema in den Reden allgemein sehr viel Platz ein. In einer Gesellschaft, die sich von Grund auf restrukturieren musste, überrascht die Fokussierung auf die 181 Th. Heuss (1965), S. 100 f. 182 P. Merseburger (2012), S. 480–484. Eine geistige Einordnung der Rede Heuss’ nimmt in ähnlicher Form auch Karl-Josef Kuschel in seiner Untersuchung von Heuss-Reden vor, vgl. K.-J. Kuschel (2013), S. 264–274. Zur Wirkung der Heuss-Rede vgl. außerdem H. Kämper (2005), S. 295 f. 183 Vgl. H. Kämper (2005), S. 293–301.

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Ausbildung der nächsten Generation nicht, zumal sich die Reden zum Teil ganz explizit an die Studenten selbst wandten.184 Doch obwohl die Reden sehr viel analysieren, was die Jugend erlitten habe, wo sie besonderer Betreuung bedürfe, wie sie ausgebildet werden müsse etc., bleibt die konkrete Frage nach dem ›wer‹ einmal mehr außen vor. Die Rektoren geben beispielsweise keinerlei Hinweise darauf, wie jung man etwa zu sein habe, um überhaupt der Jugend anzugehören. An verschiedener Stelle, vor allem wenn es um die Zulassungsfrage geht, wird erwähnt, dass einige Studienbewerber sich bereits jenseits des üblichen Studentenalters befänden. Trotzdem werden auch diese am Ende subsummiert unter das Label der studierenden Jugend. Wie der Rest der Gesellschaft könne sich auch diese Jugend nicht den Einflüssen der gegenwärtigen Krise entziehen. Sie sei im Gegenteil, darin stimmen alle überein, sogar in weitaus stärkerem Maße davon betroffen. Wie noch »keine Generation vor ihr«, so formulieren die Redner vielfach, habe sie Leid, Verlust, »Mühsale und Entbehrungen« ertragen müssen.185 Bewundernswerterweise reagiere sie darauf, so wird ebenfalls konstatiert, im Großen und Ganzen mit erstaunlicher Gefasstheit. Nichtsdestotrotz befände sie sich neben den »äußeren Schwierigkeiten« und »schweren privaten Sorgen« der Gegenwart im »bitteren Bewusstsein der Sinnlosigkeit der gebrachten Opfer« ihrer Vergangenheit, woran »ihr jugendlicher Glaube und ihre Ideale zerbrochen« seien.186 Aus diesem Grunde mache sich unter der Jugend auch ein bestimmtes Maß an Resignation bemerkbar. Die Rektoren äußern sehr viel Verständnis für die Situation jener jungen Menschen, die kaum etwas anderes kennengelernt haben als das System des Nationalsozialismus, in dem sie aufwuchsen. Das Schul- und Erziehungswesen der vergangenen zwölf Jahre beurteilen die Rektoren übereinstimmend als »Volksverdummung«, »engstirniges Eindrillen von Schlagworten«, »Förderung der Mittelmäßigkeit« etc.187 Anstatt die Jugend zu eigenständigem Denken zu erziehen, sei sie mit den Phrasen der NS-Propaganda traktiert und auf diese Art geistig klein gehalten worden. Die hierdurch vom Geistigen weitestgehend entfremdete Generation habe der Nationalsozialismus später in ihrer jugendlichen Gläubigkeit und ihrem Idealismus derartig getäuscht, dass sie willig in einen ihr

184 In Reden, die bei Universitätsfeiern gehalten wurden, leiten die Rektoren häufig in direkter Ansprache zur Besprechung studentischer Belange über. Da die Hochschulen noch nicht sofort wieder ihre zumindest bis 1933 üblichen universitären Feierlichkeiten mit den entsprechenden Redeanlässen aufnahmen, hielten die Rektoren daneben häufig Reden im Grundcharakter der klassischen Rektoratsrede zu anderen Gelegenheiten, insbesondere zur Immatrikulation. Dabei richteten sie sich der Natur der Sache nach vor allem an ein studentisches Publikum. 185 J. Kroll (K U 1946b), S. 4; vergleichbare Formulierungen z. B. bei: P. Röntgen (AC RWTH 1946b), S. 2; G. Rienäcker (RO U 1946), S. 3, K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 43. 186 J. Kroll (K U 1946a), S. 11. 187 H.-G. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 2; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 7.

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hehren Krieg gezogen sei, der in Wahrheit ausschließlich verbrecherische Ziele hatte.188 Wie schon anhand der Rolle des Volkes im Nationalsozialismus vorexerziert, steht der Topos von Verführung und Missbrauch in den Rektoratsreden auch für die Darstellung der Jugend wieder im Zentrum der Argumentation. Zweifelsohne trifft das Argument im Fall von Kindern und Jugendlichen, welche unabhängig vom jeweils dahinterstehenden System immer der Obhut einer staatlichen Erziehung übergeben sind, in vollem Umfang zu. Gleichwohl verwischen vereinzelte Redner dieses von ihnen selbst gezeichnete Bild, indem sie die jugendliche Grundeinstellung auf eine kritische Sichtweise hin umdeuten. So attestiert etwa Constantin von Dietze den Jugendlichen, die Indoktrination seitens NS-Schulsystem, Jungvolk oder HJ habe »nur bei wenigen Wurzeln geschlagen«. Im Gegenteil habe sie sie sogar »ungemein kritisch gegen alle Phrasen, kritisch auch gegen die Unzulänglichkeit von sogenannten Führern« gemacht. Er belegt dies mit der lautstarken Zustimmung, die Professoren gegenwärtig im Hörsaal zuteilwerde, wenn sie Kritik am Nationalsozialismus äußerten.189 Die Mehrzahl der Redner ordnet dergleichen Reaktionen der Jugend jedoch eher der Enttäuschung zu, welche die jungen Menschen erlebt haben. Diese habe zugleich ein extremes Misstrauen hervorgerufen, das eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der jungen mit der älteren Generation enorm erschwere. Die Rektoren beurteilen diesen Zustand sehr kritisch. Nicht zuletzt für den Wiederaufbau, bei dem man auf die Jugend angewiesen sei, bedeute dies eine schwere Hypothek, sollte sich daran nicht in Kürze etwas ändern lassen.190 Die Redner bringen indes viel Verständnis für jene vielerorts zu beobachtende ›Anti-Haltung‹ der Jugend auf, deren Hintergründe sie im Wesentlichen eine weit verbreitete Orientierungslosigkeit ausmachen. Alle Werte seien zerbrochen, an die die junge Generation von klein auf zu glauben gehalten war. Sie fühle sich zu Recht getäuscht, wisse nun aber nicht, woran sie sich überhaupt noch orientieren solle. Hinzukomme, dass sie nach den Jahren des Krieges, aber auch aufgrund ihrer mangelhaften Vorbildung mit »ungeübtem Geist« auf die Suche nach neuen Orientierungspunkten gehen müsse.191 Sie habe schlicht keine Erfahrung darin, sich an Diskussionen sei es zu politischen, sei es zu allgemeinen Fragen zu beteiligen. Momentan sei sie daneben von einem Gefühl »vermeint­ licher Aussichts- und Hoffnungslosigkeit« befangen.192 Sichtbar werde diese Problematik auch im Universitätsleben, wie Friedrich Hermann Rein aus eigener Erfahrung hinsichtlich der studentischen Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung schildert, die die Universität Göttingen für wichtig erachte. Die Studenten entgegneten diesbezüglichen Aufforderungen mit Reaktionen 188 189 190 191 192

C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 192; J. Kroll (K U 1947), S. 62. C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 192. K. Apel (B TU 1948), S. 3 f. H.-G. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 2; ähnlich z. B.: F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 1. E. Terres (KA THF 1949), S. 4.

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wie »Wir wollen arbeiten und keine parlamentarischen Kindereien«, worin sich nach Reins Einschätzung ein noch gänzlich falsches Bürgerverständnis äußere.193 Auch das Stichwort Vermassung taucht in diesem Zusammenhang wieder in den Reden der Rektoren auf. Gerade die Jugend sei diesem Einfluss während des Nationalsozialismus in besonderem Maße anheimgefallen. Friedrich Baumgärtel befürchtet, davon könne weitere Gefahr ausgehen: Resultiere aus dieser Prägung nämlich nun eine Einstellung von »Gleichgültigkeit gegen den Nebenmann, egoistischem Wesen, Interesselosigkeit dem Ganzen der Universität gegenüber«, drohe dem Allgemeinwesen schwerer Schaden.194 Spätestens hier beginnt die Jugend, langsam deckungsgleich mit den Studenten zu werden. Im Gegensatz zu dem eher allgemein gehaltenen Label, das die Jugend ganz global fasste, entwickeln die Redner aus den Studenten einen konkreten Begriff. Keine andere in den Reden genannte Personengruppe, auch nicht die Hochschullehrer selbst, wird so genau beleuchtet, analysiert und hinterfragt wie die Studenten. Dies unterstreicht noch einmal die Wichtigkeit, welche die Rektoren den Jungakademikern in einem neuen Deutschland beimessen. Kommen sie auf den akademischen Nachwuchs zu sprechen, so fällt meist unweigerlich der Hinweis auf dessen große Aufgabe, als künftige Führungskräfte nicht nur den praktischen Wiederaufbau, sondern gerade auch die geistige Erneuerung maßgeblich voranzutreiben. Hochschulbildung bedeutet in dieser Lesart nicht allein qualifiziertes fachliches Wissen, sondern schließt die Bildung des Charakters mit ein. Insbesondere dieser Aspekt soll aus Sicht der Rektoren im späteren Leben der Akademiker außerhalb der Hochschule eine bestimmte Breitenwirkung entfalten und vorbildhaft auf andere gesellschaftliche Schichten abstrahlen.195 Momentan jedoch, das sehen die Rektoren gleichermaßen, sei das »weltanschauliche Suchen«196 für die Studenten noch nicht abgeschlossen, wie es auch allgemein für die gesamte Jugend zu beobachten sei. Vielmehr flüchteten nach Einschätzung der Rektoren viele der jüngeren davor, sich mit der von außen drängenden Sinn- und Existenzfrage auseinanderzusetzen. Gerd Tellenbach macht noch 1950 in seinem Rektoratsbericht die Unsicherheit der allgemeinen Lage als mögliche Ursache für jene Verdrängungshaltung der Jugend aus: »Es handelt sich dabei nicht bloß um die materielle Existenz, sondern um die Frage, was sie mit ihrer Kraft, ja, was sie mit ihrem Leben anfangen soll.«197 In der Folge stürzten sich die Studenten nach Beobachtung Constanin von Dietzes vielfach »bis zur Betäubung« in die fachliche Arbeit, »um die quälenden Fragen nach dem Sinn und den Aufgaben unseres gesamten Lebens beiseite zu schieben«.198

193 194 195 196 197 198

F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 10. F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 17. In diesem Sinne: G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 15 f. Vgl. Kap. VII.X, S. 298–300. E. Rösser RB (WÜ BJMU 1949), S. 14. G. Tellenbach RB (FR ALU 1950), S. 61. C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 194.

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Den großen Fleiß der Studenten hebt die überwiegende Mehrheit der Redner positiv hervor. Auch die größte materielle Not, in der sich die meisten von ihnen vor allem den Rektoratsberichten zufolge befinden, mache sie nicht müde, ihren schier unbändigen Wissensdurst zu stillen. Einige Rektoren wie etwa Josef Kroll empfinden für diesen Arbeitseifer regelrechte Bewunderung.199 Häufig blicken die Redner zum Vergleich auf die eigene Studienzeit zurück. Stellen die älteren Rektoren dabei zumeist große Unterschiede zu den »Musensöhnen« der Zeit vor dem 1. Weltkrieg fest, die zum Teil mehr Burschenherrlichkeit als ernsthaftes Studium erlebt hätten, so sehen die jüngeren Rektoren hier starke Parallelen zu ihrer eigenen Studienzeit nach dem 1. Weltkrieg, wenngleich diese von der Gegenwart an Härte noch übertroffen werde. Insbesondere mit dieser ähnlichen Erfahrung im persönlichen Hintergrund machen die betreffenden Rektoren den gegenwärtigen Studenten Mut, wie im etwa Fall Alfred Mehmels, der ihnen in seiner Antrittsrede versichert, dass auch eine Studienzeit, die unter rauen Umständen stattfand, ihnen im Rückblick freudvolle Erinnerungen bescheren werde.200 Die Ernsthaftigkeit, mit der die aktuelle Studentengeneration ihr Studium angehe, trifft auf besonders großes Lob seitens der Rektoren. Die »Hoffnung«, sich nach dem Krieg »ihrem ersehnten Studium zuwenden« zu können, habe viele der »jungen Leute« überhaupt nur über die Jahre hinweg aufrechterhalten, deutet Hans Jungbluth diese Haltung. Er leitet daraus eine Verpflichtung der Hochschule ab, die Studenten nun »nicht im Stich« zu lassen. Aufnahmebeschränkungen an den Hochschulen seien daher eine unglücklicherweise notwendige, jedoch »aus rein technischen Gründen« zu ergreifende Maßnahme.201 Das starke Engagement der Hochschulen gilt auch der materiellen Not der Studenten. Hauptsächlich in Rektoratsberichten dokumentieren die Rektoren den Fortschritt des Wiederaufbaus von Mensen, Stipendiensystemen, Wohnheimen etc. Nichtsdestotrotz kommen sie angesichts der begrenzten finanziellen Mittel nicht umhin, zusammen mit solchen Fortschrittsberichten jedes Mal aufs Neue auf die weiterhin verheerende soziale Lage der Studenten zu verweisen. Einige Rektoren ziehen dafür Studien zu Rate, die an ihren Hochschulen erhoben wurden, um den Zustand der Studentenschaft in Zahlen fassen, angefangen beim durchschnittlichen Untergewicht bis hin zur täglichen Reisedauer der Pendler.202 Gerade auch die hohe Ziffer der Werkstudenten wird hier immer wieder ins Feld geführt. Mehr als die Hälfte der Studenten sei demnach darauf 199 Vgl. J. Kroll (K U 1946b), S. 4. 200 Beispiele für entsprechende Reden älterer Rektoren: C. v. Dietze (FR ALU 1947), S. 5; Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1947), S. 16. Beispiele für Reden jüngerer Rektoren: A. Mehmel (DA TH 1949), S. 27; in gleichem Sinne K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 43. 201 H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 8 f. 202 Beispiele für derartige Statistiken über die soziale Lage der Studenten finden sich etwa in den Rektoratsberichten von Ernst Rösser, Gustav Mesmer oder Franz Böhm. Vgl. E. Rösser RB (WÜ BJMU 1949); G. Mesmer RB (DA TH 1949); F. Böhm RB (F JWGU 1949).

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angewiesen, sich die Finanzierung des Studiums selbst zu erarbeiten. All dies zusammengenommen sorgt für eine starke Beunruhigung unter den Rektoren, stehe doch zu befürchten, dass sich die Studenten im Erwerb der materiellen Lebensgrundlage aufzehrten und nicht die erforderlichen Studienergebnisse erreichten.203 Mit Fortschreiten der Zeit verzeichnen die Rektoren eine leichte Entspannung der strukturellen Krisensituation. Vorrangig in den Rektoratsberichten verweisen sie etwa auf eine Abnahme der Displaced Persons (DPs) unter den Studenten, den fortschreitenden Wiederaufbau, der weniger studentischen Arbeitseinsatz benötige; teilweise stellen sie den Rückgang von studentischen Rechtsverstößen oder aber das Auslaufen der Verfahren zur politischen Säuberung fest, worauf sie mit großer Erleichterung reagieren.204 Bei solchen Feststellungen fällt jedoch ins Auge, dass es sich lediglich um graduelle Verbesserungen der Krisenlage handelt, welche die Redner derart freudig begrüßen. Jedes Anzeichen von Konsolidierung deuten sie als nächsten Schritt zurück zu einer nicht näher definierten, aber umso stärker herbeigesehnten ›Normalität‹. So erblickt auch der Darmstädter Rektor Gustav Mesmer in seinem Rektoratsbericht vom Dezember 1949 in seiner Umgebung »ein Bild, das uns hoffen lässt, dass sich die Zustände allmählich wieder normalisieren«.205 In gleicher Weise gilt dies für die Gesamtsituation. Wo die Rektoren eine Entspannung der Lage bemerken, verpassen sie es selten, daran die Hoffnung auf eine baldige Wiederauferstehung zu knüpfen. Den improvisierten Charakter solcher Verbesserungen berücksichtigen sie durchaus, im Fokus jener Passagen liegt dennoch eine Betonung der großen Symbolkraft, welche dem jeweils nächsten Schritt im Wiederaufbau zugesprochen wird.206 Erneute Verwendung findet an dieser Stelle der Begriff der Befreiung. Ernst Rösser etwa äußert das glückhafte Empfinden, dass sich »neue Tore zur Welt« sowohl für »Industrie und Wirtschaft« wie auch für die »Wissenschaft« im Begriff seien zu öffnen, und dies wohlgemerkt in beide Richtungen.207 Insbesondere die Universitätsrektoren heben das von ihnen beobachtete Wiedererwachen des »Geistes« als Zeichen der Hoffnung hervor, das anderweitig bestehende Untergangsbefürchtungen eindeutig widerlege. Die produktive »Energie des Denkens« unterstütze offenkundig die »europäische Wissenschaft« wie auch die »europäischen Völker« in ihrem Kampf für die »Freiheit und all das, was die Idee der Freiheit an 203 In diesem Sinne z. B. W. Gerlach RB (M LMU 1949), S. 8 f.; O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 6. 204 Vgl. hierzu C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 6, 10–12, 19; R. Seeliger RB (GW EMAU 1949), S. 3. 205 G. Mesmer RB (DA TH 1949), S. 8. 206 P. Röntgen (AC RWTH 1947), S. 2 f.; P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 18–20; ähnlich J. Friedrich RB (L U 1949), S. 1. 207 E. Rösser RB (WÜ BJMU 949), S. 8 f.

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höchsten Gütern des Geistes und des Lebens einschließt«.208 Die Rektoren sehen sich auch hier also wieder in die gesamteuropäische Situation eingebettet. Karl Geiler gibt überdies zu bedenken, dass bereits in der Vergangenheit Kulturen, die sich in »Gefahr der Auflösung« befänden, bisweilen »Erneuerungskräfte« hervorgebracht hätten, die einen Untergang letztlich verhindert hätten. In der Gegenwart nimmt er in diesem Zusammenhang nun eine neue, »auf Freiheit und Verantwortung gegründete Geschichtsauffassung« wahr, welche die »Frage des Abendlandes« zum Besseren wenden könne.209 Die westdeutschen Rektoratsreden verzeichnen indes 1948 einen erneuten Anstieg an Krisenbewusstsein. Die Reden in den drei Westzonen aus der Zeit kurz vor oder kurz nach der Währungsreform im Juni 1948 beinhalten sehr häufig die Befürchtung, die wirtschaftliche Lage nicht nur des Landes, sondern auch der Hochschule und insbesondere der Studenten werde sich alsbald verschlechtern. Dabei äußern speziell die Ökonomen unter den Rektoren wie etwa Franz Böhm großes Verständnis für die Notwendigkeit der Maßnahme als solcher, würden damit doch die »wirklichen Kräfteverhältnisse der deutschen Volkswirtschaft, soweit man gegenwärtig von einer solchen überhaupt sprechen kann«, offengelegt. Gleichzeitig schaffe die Reform »mit aller ihrer Brutalität und drückenden Schwere« alsbald eine der Grundbedingungen für eine funktionierende Volkswirtschaft, nämlich die »bestmögliche Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Mitglieder« und die »Deckung des öffentlichen Bedarfs«.210 Betrachtet man hingegen die nur wenige Zeit später verfassten Rückblicke der Rektoren auf jenen Zeitraum, so zeigt sich, dass eine ›erneute Härteprüfung‹ im erwarteten Maß überhaupt nicht eingetreten ist, was bei den Rednern wiederum große Erleichterung hervorruft. Zwar habe die Finanzierung des Hochschulbetriebs an vielen Stellen gelitten, erfreulicherweise seien aber die Studentenzahlen nicht wie angenommen in größerem Umfang zurückgegangen. Gerne unterstreichen die Rektoren, dass dies nicht zuletzt dem verstärkten Engagement der Hochschule selbst, der öffentlichen Hand sowie weiterer Helfer wie etwa der Presse, der Wirtschaft oder auch etwaiger Hilfsprogramme aus dem Ausland zu verdanken sei. Konkrete Hilfsleistungen bestanden beispielsweise in der freien Essensausgabe in den Mensen – in der amerikanischen und britischen Zone häufig Teil der bereits seit 1947 bestehenden Hooverspeisung211 –, der Einrichtung von studentischen Arbeitsvermittlungen an den Hochschulen und dem erhöhten Angebot von Erwerbsmöglichkeiten seitens Städten, Behörden etc. Verschiedene Hochschulen vergaben in dieser Zeit auch Stipendien, die einem Erlass der Studiengebühren entsprachen. In ihrem Reden beobachten die Rektoren zudem eine enorme Wertschätzung des Studiums durch die Studenten. Sie seien in der 208 E. Wolff (HH U 1945); S. 19 f. 209 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 27. 210 F. Böhm (F JWGU 1948), S. 91; ähnlich, aber weniger ins Detail auch C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 23. 211 R. Norton Smith / T. Walch (2003); C. Stern (2008).

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Mehrheit gewillt, bis zum Äußersten an ihrer Einschreibung festzuhalten, was ebenfalls zur Stabilität der Studentenzahlen beigetragen habe.212 In der zweiten Hälfte des hier erfassten Zeitraums rückt ein weiteres politisches Thema ins kritische Bewusstsein der Reden. Die sich abzeichnende künftige Teilung Deutschlands ruft in den Rektoratsreden große Kritik hervor, vor allem an den im Osten gelegenen Hochschulen. So hält Werner Straub in Dresden im April 1949 die unverändert provisorische Lage des zerteilten Deutschlands, dem »noch immer ein Friedensvertrag, mit ihm unsere nationale Einheit vorenthalten« würde, für eine »dauernde Kriegsgefahr« mitten in Europa.213 Das hundertjährige Jubiläum der 1848er Revolution nahm Hans Hermann Schmid in Rostock ein Jahr zuvor bereits zum Anlass, im Andenken an deren revolutionäre Ziele die Forderung nach einem »einigen Vaterland« zu den »einfachsten Menschenrechten« hinzuzufügen, ebenso »wie die persönliche Freiheit des Körpers und des Geistes und wie der Anspruch auf eigene Sprache und Kultur« dazugehören.214 Gleichwohl schwingt in einigen der Reden aus der sowjetischen Zone in den späteren Jahren bereits ein sprachlicher Duktus, der auf einen veränderten politischen Hintergrund schließen lässt. Entsprechend häufig bemühen sie den Topos der Sowjetunion als der friedliebenden und um die deutsche Einheit bemühten Macht schlechthin.215 Im Zuge des beginnenden Kalten Krieges macht sich auch in den Rektoratsreden in der zweiten Hälfte des Erfassungszeitraums eine fortschreitende Klima­ veränderung bemerkbar. Wurde aus westlicher Sicht mit Fortschreiten der Zeit zunächst allenfalls eine verstärkte politische Einflussnahme auf die Hochschularbeit in der SBZ bemerkt,216 so gewinnt die Kritik an den dort bestehenden ›Zuständen‹ bei einigen Rektoren insbesondere im zeitlichen Umfeld der beiden Staatsgründungen an Deutlichkeit. Die betreffenden Redner kritisieren dabei – teils mehr sachlich begründet, teils eher emotional vorgetragen – in erster Linie den Mangel an individueller Freiheit in dem heraufziehenden kommunistischen System. Dies beginnt für sie unter anderem bei der zentralwirtschaftlichen Ordnung, die nach Einschätzung von Franz Böhm nur unter absoluter Kontrolle jedes einzelnen Gliedes funktionieren könne, weswegen sie zugleich anfällig für das Aufkommen von Willkür sei.217 Hans Herloff Inhoffen bemüht sich um eine »unvoreingenommene Betrachtung«, nachdem man in der SBZ lediglich von einem anderen Ansatz aus versuche, der Krise Herr zu werden. Im Folgenden vergleicht Inhoffen die aus jenem Ansatz resultierende Form staatlicher Existenz 212 O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 4; C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 7 f.; G. Mesmer RB (DA TH 1949), S. 8; G. Wassermann RB (CLZ BA 1950); S. 10; F. Böhm RB (F JWGU 1949), S. 19. 213 W. Straub (L U 1949), S. 6. 214 H. H. Schmid (RO U 1948), S. 8. 215 O. Schwarz (J FSU 1948), S. 41, Sp. 3. 216 Vgl. etwa C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 21. 217 F. Böhm (F JWGU 1948), S. 9.

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mit dem Bild eines Termiten­staats. Eine Organisation nach diesem Muster habe zwar als »mustergültig« hinsichtlich ihrer Effizienz zu gelten, baue aber darauf, den gegenwärtig zu beobachtenden »Zerfallsprozesses in die Mannigfaltigkeit« zu einem Abschluss zu führen, der in der vollständigen »Entpersönlichung des Menschen« ende. Jedem Einzelnen würde eine genau definierte Funktion zugewiesen, woraus in der Folge aus der Mannigfaltigkeit wieder eine Einheit entstünde. »Die Vielheit im Zahlenmäßigen bleibt hierbei erhalten, aber durch die innewohnende Uniformierung im geistigseelischen Bereich wird sie letzten Endes doch zu einer Einheitlichkeit, d. h. hier zu einer Einfachheit.«218 Darauf dass die realkommunistische Auffassung die reine Funktionalität des Menschen im Vergleich zu dem Menschenbild überbetone wie es das Grundgesetz formuliere, verweist auch der Bonner Rektor und Staatsrechtler Ernst Friesenhahn. Leicht echauffiert stellt er dem »freien Menschen« der bundesdeutschen Verfassung den »nur noch in der Organisation existierenden Roboter der Volksdemokratie, die am Plan ausgerichtet ist«, entgegen.219 Ähnlich emotional appelliert Gerd Tellenbach in Freiburg im Rahmen seiner Immatrikulationsansprache zum Wintersemester 1949/50 am 15. November 1949, gut einen Monat nach Gründung der DDR also, an das unbedingte Bemühen um die Freiheit von Forschung und Lehre. Er argumentiert mit den »erschreckenden Beispielen der russischen Zone« und dokumentiert damit zugleich den typischen BRD-Sprachgebrauch der kommenden Jahre, der die Existenz eines zweiten deutschen Staates bewusst ignorierte.220 Auf der Gegenseite liegen weitaus weniger Beispiele vor, die eine kritische Sicht auf den Westen seitens der SBZ-Rektoren belegen. Zum einen hängt dies sicherlich mit der geringeren Zahl an Hochschulen und somit einer kleineren Anzahl an Rektoratsreden im Vergleich zu den drei Westzonen zusammen. Zum anderen scheint sich darin bereits eine sich verändernde Hochschulkultur anzudeuten, die sich im Laufe der 50er Jahre in der DDR festigen sollte. Schon gegen Ende der 40er Jahre entwickelte sich dort eine Tendenz zu Rektoraten mit mehr als zwei Jahren Länge, was möglicherweise zu einem generell geringeren Redeaufkommen, in jedem Fall aber zu einem rückläufigen Publizieren von derlei Reden führte. Die zwei Beispiele, die im Zusammenhang mit politischem ›Lagerdenken‹ seitens der SBZ-Rektoren angeführt werden können, verweisen auf zwei unterschiedliche Arten, mit dem innerdeutschen Clash der Systeme in dieser Zeit umzugehen, einem kooperativ-versöhnlichen sowie einem offen218 219 220

H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 21 f. E. Friesenhahn (BN RFWU 1950), S. 36. G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 54. Die Bezeichnung der DDR als »Sowjetzone« u. ä. durch westdeutsche offizielle Stellen zog sich bis in die 60er Jahre und wurde von Seiten der DDR gespiegelt durch die Bezeichnung der BRD als »Bonner Separatstaat« oder die »Westzonen«. Gründe dafür waren u. a. das beiderseitige Festhalten am Gedanken der deutschen Einheit, das eine Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten ad absurdum geführt hätte, wie auch der jeweilige Allein­ vertretungsanspruch. Vgl. hierzu F. Bedürftig (1996), S. 293 f. und D. Staritz (1996), S. 37 f.

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siv-missbilligenden. Johannes Friedrich stellt Ende Oktober 1949 die »staatspolitische« Wirkung einer studentischen Konferenz an der Universität Leipzig anlässlich des Goethejahres fest, die »mancherlei Vorurteile und Missverständnisse, die leider im Westen noch über uns herrschen, zu beseitigen und zu klären« geholfen habe.221 Geht es Friedrich darum, Verständnis und Verständigung der Gegenseite zu erwecken, so äußert Hans Beyer im Gegensatz dazu in seiner Greifswalder Rektoratsrede 1950 den offenen Vorwurf der Kriegstreiberei an den Westen. Insbesondere die US-amerikanische Atomwaffenpolitik geißelt er als »Atomimperialismus«, der mit gezielter Panikmacherei versuche, den USA die modernste Atomwaffentechnik und als Folge daraus die Weltherrschaft zu verschaffen. Zum Gewährsmann seiner Argumentation macht er sich den britischen Kernphysiker, Nobelpreisträger und bekennenden Sozialisten Patrick Maynard Stuart Blackett. Dieser engagierte sich im selben Zeitraum mit dem stark anti-amerikanisch gefärbten Buch »Military and Political Consequences of Atomic Energy«222 für ein Verbot der Atombombe. Blacketts Buch rief insbesondere in den Öffentlichkeiten der ersten Atommächte kontroverse Diskussionen aus, die ihn jedoch überwiegend als falsch zu widerlegen versuchten und ihm Parteinahme für die Sowjetunion vorwarfen.223 Der Greifswalder Rektor Beyer argumentiert denn tatsächlich unter Berufung auf Blackett, dass die Sowjetunion, die »keine privatkapitalistischen Interessen« kenne, genau deshalb als die »stärkste Kraft für eine friedliche Ausnutzung der Atomenergie« zu betrachten sei, was sie zu einem »Bollwerk des Friedens« mache, dem es allein um das Wohl »aller Werktätigen« gehe.224 Abseits der ideologischen Überblendung lässt sich an diesem Rede-Ausschnitt die Wichtigkeit der Thematik Atomenergie im allgemeinen Diskurs der Zeit wie auch innerhalb der Rektoratsreden ablesen. Viele Reden nehmen jene neue Errungenschaft der Kernphysik in kürzeren oder längeren Passagen ausgesprochen kritisch unter die Lupe. Naturgemäß sind es vor allem die Naturwissenschaftler und Techniker, die sich eingehender damit auseinandersetzen, jedoch nicht ausschließlich. Man sieht sich einhellig am Beginn einer neuen Ära technischer Möglichkeiten, die jedoch ambivalente Bewertungen erhalten. Die Redner erkennen darin einerseits die Chance, bislang unbekannten Wohlstand für breite Schichten zugänglich zu machen, wie andererseits auch eine Gefahr, die zur kompletten Vernichtung der Menschheit führen könnte. Folglich spricht aus den Reden Faszination und Furcht zugleich. In jedem Fall müsse diese neue

221 Friedrich, Johannes RB (L U 1949), S. 13 f. 222 Vgl. P. M. S. Blackett (1948). 223 Mary Jo Nye beschreibt in ihrer Biographie Blacketts die ganze Bandbreite von Reaktionen auf das Buch aus den USA und daneben ebenfalls aus der Sowjetunion und Großbritannien, die sich in diesem Zeitraum bereits an eigenen Atomwaffen-Projekten arbeiteten. Vgl. M. J. Nye (2004), S. 88–92. 224 H. Beyer (GW EMAU 1950), S. 12–15.

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Technik, so die Rektoren, in einem anderen Geiste gebraucht werden als in den vergangenen, speziell den letztvergangenen Jahren.225 Oft beziehen sich die Redner auf die Technik oder das Wesen der Technik. Inhaltlich bleibt beides jedoch eher blass und tritt lediglich als Label auf. So ist in verschiedener Form zu erfahren, was die Technik bzw. das Wesen der Technik nicht ausmache. Dem folgt jedoch keine positive Definition der Begrifflichkeiten. Diese defensive Haltung gründet auf zeitgenössischen Vorwürfen an die Technik, welche die Redner in nicht unwesentlichem Umfang ausmachen. Sie beziehen sich auf Anschuldigungen, die der Technik die Schuld an der Krise, am Krieg und insbesondere an dem von ihm hervorgerufenen Leid anlasten. Vor allem die Rektoren Technischer Hochschulen erwehren sich solcher Vorwürfe in ihren Reden und werden dabei ebenso von verschiedenen Universitätskollegen unterstützt. Der Münchener Nachrichtentechniker Hans Piloty räumt der Kritik an der Technik einen durchaus »berechtigten Kern« ein, sie müsse aber »auf das richtige Maß« zurückgeführt werden. Die Technik sei richtigerweise sehr stark »zweckgebunden«, was ihre Vertreter jedoch nicht unweigerlich zu »charakterlosen Dienern der erstrebten Funktion« mache. Diese seien hingegen zumeist bestrebt, mit ihren Entwicklungen das »Leben der Menschen zu erleichtern«. Piloty argumentiert des Weiteren – wie mehrere seiner Kollegen – zunächst im Stil des auch im übrigen Schulddiskkurs häufig anzutreffenden ›tu quoque‹: Auch andere Wissenschaften seien »nicht ganz zweckfrei«. Sein emotionales Plädoyer für die Technik beendet er mit einer Schlussfolgerung, die Assoziationen an das gerade verabschiedete und breit verurteilte NS-Zweckdenken weckt und daher einen nicht unproblematischen Eindruck hinterlässt: »Wenn man aber vom Zweck spricht, ist die Art der seinethalben angewendeten Mittel bedeutungslos.«226 Einmal mehr wird in diesem Zusammenhang der Missbrauchstopos angeführt, um sich und allen anderen zu erklären, warum durch die Technik letzen Endes so viel Schaden habe entstehen können. Hans Piloty macht sich nochmals zum Verteidiger seiner Sache. Einige Techniker hätten sich zweifelsohne zum schlechten Einsatz der von ihnen entworfenen Technik anwerben lassen. Es sei andererseits jedoch auch »mit der reinsten Verkörperung des Geistes und gerade mit dieser, dem gesprochenen, geschriebenen, gedruckten Wort« Missbrauch getrieben worden, wodurch der Missbrauch der Technik wiederum letztlich erst ermöglicht wurde. Keineswegs liege dies im Wesen der Technik begründet, sondern entstamme vielmehr der Gesinnung der Auftraggeber: »Der Auftraggeber für die Gaskammern war uns schon ein Beispiel. Er war kein Techniker. Er fand nur, leider, solche zu willigen Dienern.«227 In diesem Sinne steht Piloty etwa auch Hans Georg Gadamer bei, der ebenfalls einwirft, die Schuld an den 225 Vgl. etwa J. D’Ans (B TU 1947), S. 4 f.; B. Rajewsky (F JWHU 1949), S. 31 f. 226 H. Piloty (M TH 1948), S. 3 f. 227 H. Piloty (M TH 1948), S. 4 f.

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katastrophalen Auswirkungen des technischen Fortschritts läge nicht in der Technik selbst, sondern »bei den Menschen, die sie dazu benutzen«.228 Das gleiche Argument dient Piloty auch als Entgegnung auf den Vorwurf, technische Produkte trügen in erheblichem Maße dazu bei, dass die Kultur verflache. Derartige Entwicklungen verursache nicht die Technik selbst, es seien die Benutzer, die sich auf maßlose Art und Weise an ihr bedienten. Im Endeffekt sei dies alles eine Frage der Erziehung, die in Zukunft anderes zu leisten habe als in der Vergangenheit.229 An diesem Punkt kommt für die Rektoren einmal mehr die Hochschule ins Spiel. Die Situation und Aufgabe der von ihnen vertretenen Einrichtungen ist ihnen durchweg ein großes Anliegen und macht in den Reden einen nicht unwesentlichen Teil aus. Die Rektoren sehen die Art von Erziehung, die sie für eine neu verfasste Gesellschaft für notwendig halten, klar als Aufgabe der Hochschulen an. Dies beziehen sie nicht nur auf die fachliche Ausbildung der Akademiker, sondern sie bauen hier auf eine Breitenwirkung der akademischen Erziehungsleistung. Die Reden der Rektoren zeigen die Lage der Hochschulen allerdings zunächst als genauso von der gegenwärtigen Krise erfasst wie alle anderen Bereiche des Lebens. Daher feiern es die Redner als Zeichen der Hoffnung und des Friedens, dass ihre Institutionen überhaupt wiedereröffnet werden. Erneut wenden sie den Blick sofort zurück auf die jüngste Vergangenheit, die bei ihnen nun als »Unterbrechung des normalen Hochschullebens« und »Zeitspanne der Beeinträchtigung und Unterdrückung des freien wissenschaftlichen Denken und Lehrens« firmiert.230 Für die frisch wiedereröffneten Hochschulen betonen sie daher die unabdingbare Notwendigkeit, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, sondern sich von Grund auf neu zu sortieren. Damit erhalte man zugleich die Möglichkeit, sich vor der Welt wie auch vor sich selbst zu rehabilitieren.231 Dem ersten Eindruck nach, so berichten Rektoren meist rückblickend auf die Zeit der Hochschul-Wiedereröffnungen, habe man sich mit einer schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert gesehen, dräuten über den frisch eröffneten Hochschulen und ihrem hochgesteckten Ziel, eine ideelle Neuorientierung einzuläuten, zunächst eine übermächtige Wolke alltäglicher Sorgen: Raumknappheit, Massenansturm, Verpflegungsnotstand, Mangel an Heizmaterial sind dafür nur einige Beispiele.232 Derartige vorrangig wirtschaftliche Sorgen hätten sich indes nicht nur auf den Alltag des laufenden Hochschulbetriebs niedergeschlagen. Sie beeinflussten in beträchtlichem Maße den gesamten strategischen Wiederaufbau bis hin zur Akquise neuen Personals. Die Personallage galt besonders 228 229 230 231

H. G. Gadamer (L U 1946), S. 7. H. Piloty (M TH 1948), S. 6. R. Plank (KA THF 1946), S. 4 f. W. Kucharski (B TU 1946), S. 13; J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 7; S. Janssen (FR ALU 1945), S. 11. 232 Vgl. etwa K. H. Bauer RB (HD RKU 1946), S. 3.

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in den frühen Jahren an allen Hochschulen, an Teilen davon aber auch noch zu Ende des Erfassungszeitraums als ausgesprochen angespannt. Die Zahl der erfolgreichen Berufungen differierte zwischen den Hochschulen zu dieser Zeit sehr stark.233 Wie vor allem die Rektoratsberichte mitteilen, gaben dabei in erster Linie die äußeren Bedingungen wie das Ausmaß der Zerstörung, das politische Klima oder die Wohnungssituation am Hochschulort den Ausschlag. Um attraktiv für das Lehrpersonal zu sein, bemühten sich die Hochschulen mit großem Engagement, den Umständen entsprechend bestmögliche Bedingungen vor Ort zu schaffen, speziell was die Wohnungsbeschaffung betraf. Die Zerstörungen mussten sie zunächst als gegeben hinnehmen, sie begannen jedoch sofort mit versammelten Kräften den Wiederaufbau.234 Explizite Beschwerden formulieren die Rektoren lediglich in Bezug auf die bürokratischen Rahmenbedingungen: Die politischen Überprüfungen der Berufenen zögen sich zum Teil derart in die Länge, dass man sie am Ende an andere Hochschulen verliere. Überhaupt sehen die Redner das gesamte Verfahren der Entnazifizierung eher kritisch. Einerseits begrüßen sie – wie im Folgenden exemplarisch herausgegriffen Rudolf Plank in Karlsruhe  – außerordentlich, dadurch von »wissenschaftsfremden und moralisch minderwertigen Elementen« befreit zu sein, derentwegen sich das »Niveau der Hochschule auf einem traurigen Tiefstand« befände.235 Andererseits beklagen sie den wiederholten Verlust einer beträchtlichen Anzahl wissenschaftlich wertvoller Kollegen aufgrund äußerer Bedingungen. Es genüge etwa schon die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP, selbst wenn die Betroffenen gar nicht politisch aktiv hervorgetreten seien. Die Entnazifizierung samt ihrer Auswirkungen auf die Situation der Hochschule setzt der Chirurg Karl Heinrich Bauer in Heidelberg mit fachnaher Metaphorik ins Verhältnis zu den früheren personellen Verlusten der deutschen Hochschulen: »4 große Aderlässe hatte die deutsche Wissenschaft hinter sich, zunächst durch den ersten Krieg, sodann durch die Entlassungsaktion der Nationalsozialisten, ferner durch deren weitere Hochschulpolitik, die den wissenschaftlichen Nachwuchs in die Partei, zum Militär und in die Industrie abdrängte und endlich durch die schweren blutigen Verluste des 2. Weltkrieges. So war klar, dass die Gefahr des Weißblutens im Auge behalten werden musste oder, chirurgisch ausgedrückt, wir mussten bedenken: eine Operation darf nicht gefährlicher sein, als die Krankheit, um deren willen man sie macht. So musste um manchen Mann, der geirrt, vielleicht sogar gefehlt, aber nicht gesündigt hatte, gekämpft werden, um ihn mit dem sicheren Nachweis des Freigebliebenseins von Nazi-Ideologie aus der Quarantäne frei zu bekommen.«236 233 Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1947), S. 4; W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 13 f. 234 K. Apel (B TU 1948), S. 8 f.; K. H. Bauer RB (HD RKU 1946), S. 6; Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1947), S. 14. 235 R. Plank (KA THF 1946), S. 4 f. 236 K. H. Bauer RB (HD RKU 1946), S. 5.

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Der ›Kampf um den Einzelnen‹ konnte schlechterdings nicht in allen Fällen gewonnen werden. »Opfer mussten fallen, sonst wäre die ganze Aktion umsonst gewesen«, dies stellt Hermann Schneider in einer Rede an 20 entlassene Kollegen im Oktober 1945 fest. Innerhalb des Quellenkorpus’ stellt diese Rede eine Besonderheit dar. Sie ist die einzige Rede im Quellenkorpus, die als Rede zu einem inneruniversitären Anlass vom Rektor in Amtsausübung gehalten wurde, die jedoch abseits jeglicher Festtagsrhetorik die Sicht auf das Innere der Universität freigibt. Schneider versichert die Entlassenen nicht nur seiner persönlichen Anteilnahme an ihrem Schicksal, sondern bringt darin auch das Bedauern der Universität als Institution zum Ausdruck. Er erklärt ihre Entlassung zu einem Teil der notwendigen »Vergeltungsmaßnahmen nach einem gräuelvollen Krieg«, die sich die Siegermächte vorbehalten. Als Rektor habe er in gewissem Umfang – betontermaßen ohne Einzelne zu denunzieren – dazu beitragen müssen, um Schlimmeres von der Universität als übergeordnetem Ganzem fernzuhalten. Ob rein aus Rhetorik oder aus tatsächlicher Überzeugung versichert Schneider die Entlassenen abschließend ihrer weiterhin bestehenden Hochachtung seitens der Universität und heißt sie auch künftig herzlich willkommen.237 Insgesamt, das belegt ebenso der Rektoratsbericht von Franz Böhm, wird das Verfahren der Entnazifizierung vor allem und von allen als »demütigend« empfunden.238 Entsprechend große Erleichterung verkünden die späteren Rektoratsberichte über den Abschluss jener Verfahren.239 Die Krisenwahrnehmung beziehen die Rektoren schließlich auch auf die Hochschule selbst, die sie zunächst durch die äußeren Bedingungen der Nachkriegszeit wie später auch durch gesellschaftliche Entwicklungen in Frage gestellt sehen. Vorrangig in der ersten Hälfte des Erfassungszeitraums richten die Rektoren den Blick auf die inneren Strukturen und den Aufbau der Hochschule, welche zu diesem Zeitpunkt zwangsläufig noch an den Hinterlassenschaften der NS-Zeit zu tragen habe. Davon betroffen sehen die Redner alle Hochschulteile, angefangen bei der Verwaltung über die Studenten bis hin zu Teilen der Dozentenschaft, die aufgrund ihres jüngeren Alters mit der ›echten‹ Universität noch nicht in Berührung gekommen seien. Die Redner konstatieren hier eine allgemein verbreitete Verunsicherung, aus der die Institution Hochschule mitsamt ihrer Glieder zu neuer Eigenverantwortlichkeit geführt werden müsse. In späteren Jahren sorgen sich die Redner ferner über die öffentliche Wahrnehmung der Hochschule. Wurde bis dahin vor allem die große Anteilnahme einer breiteren Öffentlichkeit an der Situation der Hochschule in den Rektoratsreden gelobt, so mischen sich nun auch kritische Stimmen darunter. Vereinzelt sehen sich Rektoren in den früheren Jahren konfrontiert mit einem gesell-

237 H. Schneider (TÜ EKU 1945b), S. 115 f. 238 F. Böhm RB (F JWGU 1949), S. 11. 239 Bspw. O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 7 f.

Gegenwart der Krise: Beschreibung des Krisenzustands 

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schaftlichen Vertrauensverlust gegenüber der Hochschule.240 Später beklagen die Rektoren hier und da mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit für die Sache der Hochschule, auch wenn dies kein Breitenphänomen wird. Dennoch stellen sie eine zu geringe Präsenz hochschulbezogener Fragen und Probleme in der Öffentlichkeit fest, wenn nicht gar ein nicht vorhandenes öffentliches Interesse dafür. Dies schlage sich darüber hinaus auch auf das Engagement seitens der staatlichen oder kommunalen Verwaltung nieder. Otto Flachsbart bringt in seinem Rektoratsbericht ein drastisches Beispiel für Ressentiments, welche den Hochschulen seitens der Verwaltung bisweilen entgegengebracht würden. In dem besagten Fall hätten sich einige Studenten der TH Hannover im zeitlichen Umfeld der Währungsreform hilfesuchend ans Arbeitsamt gewandt: »Der zuständige Sachbearbeiter im Landesarbeitsamt erklärte den Studenten nach vergeblichen Verhandlungen, ›dass weder von Seiten des Staates noch der Industrie das geringste Interesse daran bestehe, dass sie ihr technisches Studium fortsetzten. Die Hochschulen könnten ohne Schädigung des Staates ruhig einmal für fünf Jahre geschlossen bleiben.‹ Presse und Rundfunk haben sich dieses Falles angenommen, wofür beiden besonders gedankt sei. Inzwischen hat sich die Leitung des Landesarbeitsamtes von der bemerkenswerten Äußerung des Herrn Sachbearbeiters distanziert.«241

Nicht zuletzt um solchen Ressentiments entgegenzuwirken, betonen die Rektoren gerne den Wert der Arbeit, welche die Hochschule für die Gesellschaft leiste. Als sich eine politische Teilung Deutschlands immer mehr abzuzeichnen beginnt, halten sie denn auch die gesamtdeutsche Zusammenarbeit der Hochschulen als wichtigen Beitrag zur kulturellen Einheit Deutschlands entsprechend hoch. Im allgemeinen Interesse liege es doch bei weitem nicht nur, die nationalen Eigenarten des Bildungswesens zu wahren, so Constantin von Dietze, sondern vor allem auch, »die geistige und kulturelle Einheit der Deutschen zu wahren«. Darüber hinaus sei gerade letztere eine wichtige Grundlage dafür, die »junge Generation« auszurüsten »zur erfolgreichen Bewältigung der ihr in der heutigen Welt zufallenden geistigen, sozialen und sittlichen Aufgaben, zur Wahrung der abendländischen Kultur«.242 Als problematisch für die Umsetzung solcher selbst formulierter Ansprüche erweisen sich aus Sicht der Rektoren allerdings die Nachkriegsgegebenheiten an den deutschen Hochschulen, vor allem im Hinblick auf die vorhandenen finanziellen Mittel. Auf wissenschaftlicher Ebene befürchten sie, hinter den Hochschulen anderer Länder zurückzubleiben, die aktuell mehr Geld in die Forschung investierten. Einen Grund hierfür sehen einige Rektoren wiederum

240 So zu finden bei H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 2 f. 241 O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 6. Ähnliches bei F. Böhm RB (F JWGU 1949), S. 5 f. 242 C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 21. Ähnlich auch: G. Gassner RB (BS THCW 1948), S. 16; W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 27.

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in der mangelnden Aufmerksamkeit der öffentlichen Hand für die Belange der Hochschule und deren Wichtigkeit für eine funktionierende Volkswirtschaft.243 Die aktuelle Hochschulsituation erweist sich aus Sicht der Rektoren noch problematischer und hinderlicher hinsichtlich des Ausbildungskonzepts, das die Hochschulen anstreben. Dem Ziel, die »junge Generation« breitestmöglich auszubilden, steht die Notwendigkeit der wiederholt angesprochenen Zulassungsbeschränkungen gegenüber. In Ermangelung ausreichender finanzieller, räumlicher und personeller Mittel, um dem Ansturm der Bewerber gerecht werden zu können, sind die Hochschulen gezwungen, diese während des gesamten Erfassungszeitraums in bestimmtem Maße aufrechterhalten. Angesichts der unsicheren Lage auf dem Arbeitsmarkt sieht sich die Mehrzahl der Rektoren gleichzeitig jedoch in der Verantwortung, nicht »wahllos eine übergroße Menge junger Leute studieren zu lassen«, die hinterher dem »Elend verfallen müssen«, wie Josef Kroll es ausdrückt.244 Unter den Rednern herrscht ein ausgeprägtes Bewusstsein für das gesellschaftliche Problem, das die abgewiesenen Studienbewerber darstellen. Sie verweisen in ihren Reden jedoch im Allgemeinen auf die angenommen besseren Berufsaussichten im Handwerkssektor, die man sich von dem bevorstehenden materiellen Wiederaufbau Deutschlands verspricht. Motiviert ist die Entscheidung, die Zulassungsbeschränkungen einzuführen und aufrecht zu erhalten, letztlich auch durch die Angst vor einem Zerfall der akademischen Schicht. Die Rektoren fassen dies unter die Schlagworte einer drohenden »Vermassung des Akademikertums« beziehungsweise dem unter allen Umständen zu vermeidenden Heranziehen eines »Akademischen Proletariats«.245 Ein Massenbetrieb an der Universität würde als »Niedergangs- und Krisenerscheinung« aufgefasst; ihn gilt es daher möglichst zu verhindern. Hans Jungbluth versucht sich 1948 an der TH Karlsruhe in seiner Rektoratsrede mit dem programmatischen Titel »Akademikerüberfluß?« an einer Relativierung dieses Phänomens. Im internationalen wie im historischen Vergleich des Anteils der Studenten an der Gesamtbevölkerung rechnet er vor, dass die große Furcht vor einem neu entstehenden »Akademikerproletariat« unbegründet sei. Es handele sich bei dem gegenwärtigen Ansturm um ein lediglich temporäres Phänomen, das auf verschiedenen Faktoren gründe: Zunächst seien die Studentenzahlen in Deutschland seit 1932 kontinuierlich gefallen, was erst mit den geburtenschwachen Jahrgängen von 1914 bis 1918 zusammenhing, später dann mit den Einberufungen zum Wehr- und Kriegsdienst. Momentan nun durchliefen kriegsbedingt mehrere Studentengenerationen gleichzeitig die akademische Ausbildung, was den Eindruck eines Überschusses erwecke. Nach einer erhofften Erholung der Wirtschaft werde sich dieser jedoch alsbaldig verflüch243 G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 49; F. Johannsen (CLZ BA 1950b), S. 14; G. Mesmer RB (DA TH 1949), S. 5. 244 J. Kroll (K U 1946a), S. 11. 245 So zu finden bei Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 16; J. Kroll (K U 1945), S. 6; J. Friedrich RB (L U 1949), S. 9; C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 6 f.

Herkunft der Krise: Ursachen und Auslöser 

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tigen, denn dann würden gut ausgebildete, leistungsfähige Arbeitskräfte vermehrt gebraucht.246 Die hochschulinterne kritische Reflexion des eigenen Wachstums ist indes kein neues Phänomen der Nachkriegszeit. Sie ist typisch für entsprechende Betrachtungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und kommt seither auch in den Rektoratsreden immer wieder vor. Die Vermassung der Hochschule ist dabei nur ein Teil der Krisenwahrnehmung. Damit in einem gegenseitigen Bedingungsverhältnis verbunden ist die starke Ausdifferenzierung der Disziplinen. Dieter Langewiesche sieht den Hintergrund dieser zweiteiligen Krisenwahrnehmung in einer Verletzung der »Kernidee der deutschen Universität«: »Die Universität, so besagte diese Idee, die nie verwirklicht wurde, aber als zu erstrebendes Leitbild das Selbstverständnis der Institution und ihrer Mitglieder bestimmte – die Universität als Stätte der reinen Wissenschaft, fern jedes Brotstudiums, und die Wissenschaft als eine erkennbare Einheit, die den, der sie erfasst, zur sittlichen Persönlichkeit bildet, die ihrerseits Staat und Gesellschaft als Elite gestalten werde.«247

Die Rektoren der späten vierziger Jahre greifen hiermit ein weiteres Stück Tradition auf, ziehen jedoch – wie im Folgenden ersichtlich wird – im Vergleich zu ihren Kollegen in der Vergangenheit etwas andere Schlüsse daraus, wie dieser internen Krise zu begegnen sei.

2. Herkunft der Krise: Ursachen und Auslöser Ausgehend von der Wahrnehmung und Darstellung der Krise der Gegenwart, welche die Rektoren in kaum einem Lebensbereich nicht feststellen konnten, fragen sie nach deren Ursprung. Als Motiv dieser Spurensuche scheint dabei in erster Linie ein Interesse an der Zukunft hervor. Man möchte aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und es künftig besser machen. Dabei betonen die Ur­ sachenforscher ausdrücklich, dass eine solche Analyse keinesfalls mit »frevelhafter«248 Nestbeschmutzung gleichzusetzen sei. Im Gegenteil müsse man sich, wie Rudolf Smend (Jahrgang 1882) in seiner Rede »Staat und Politik« vorexerziert, genauestens mit dem »Punkt der Abirrung« auseinandersetzen, welcher »unsere Väter […] in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfallen sind«, wenn »wir in eine gesunde politische Lage zurückkehren wollen«.249 In der gleichen Intention fügt Georg Hohmann das geschichtspolitische Argument an, dass man »angesichts auch der Verleumdung und Geschichtsfälschung« durch den Nationalsozialismus den vergesslichen Menschen das Vergangene notwendigerweise 246 247 248 249

H. Jungbluth (KA THF 1948), v. a. S. 4–6. D. Langewiesche (2008d), S. 199. J. Ebbinghaus (MR PU 1945a), S. 17. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 364.

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nochmals korrekt dargestellt vor Augen führen müsse; dazu gehören für ihn negative und positive Aspekte des Zurückliegenden, wie etwa auch der Aufbau der ersten deutschen Demokratie.250 Im Wesentlichen unterscheidet sich die Suche nach Erklärungen für das Geschehene, welche die Rektoren in ihren Reden betreiben, inhaltlich nicht vom allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs. So leitet ein historischer Ansatz die Spurensuche im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang wie auf Ebene der Rektoratsreden. Gemeinhin verfolgen beide Diskurse hier eine teleologische Entwicklungslinie, die größtenteils mit der Aufklärung samt der von ihr ausgehenden Säkularisierung beginnt und geradewegs auf den Nationalsozialismus als zwangsläufigen Endpunkt zuläuft. Am Aufbau der Sonderwegsthese haben die Rektoren mit der bei ihnen anzutreffenden Darstellung des Nationalsozialismus als historischer Unumgänglichkeit bedingten Anteil. Die speziellen deutschen Gegebenheiten, welche letztlich nach der allgemeinen Argumentation den ›Sonderweg‹ bestimmt haben sollen, finden sich in den Rektoratsreden allerdings ganz klar eingebettet in eine krisenhafte Entwicklung, die gesamt Europa während der zuvor vergangenen rund 200 Jahre erfasst habe. Zuweilen betonen die Rektoren sogar ausdrücklich, die Gegenwart, insbesondere der »deutsche Zusammenbruch«, sei lediglich das »Symptom einer allgemeinen europäischen Krise«, die sich überall »im abendländischen Geistesleben seit dem Abschluß des Dreißigjährigen Krieges« ausgebreitet habe.251 Wie schon nach dem ersten Weltkrieg bestimmen im Wesentlichen die abendländischen Kulturgrundlagen und Werte, bzw. die Angst um deren Verlust den inhaltlichen Fokus der Diskussion um die Ursachen der aktuell erlebten Krise.252 Als ihre Bezugsgröße fungiert eine Vorstellung vom europäischen Mittelalter und seiner Gesellschaft als einer homogenen Struktur, in der noch eine »einheitliche und universale Kultur« geprägt durch »universale Regierung und Religion« existiert habe – wie Vanessa Conze mit Blick auf den abendländischen Diskurs in Deutschland feststellt.253 Höchst selten verweisen Rektoren indes direkt auf dieses Leitbild; der Bezug wird meist ex negativo hergestellt, indem sie auf den Zeitpunkt der Aufklärung verweisen, ab dem sich die idealisierten Verhältnisse endgültig verändert hätten. Eine unmittelbare Bezugnahme auf das Leitbild Mittelalter, die neben Conze auch Otto Gerhard Oexle für die Weimarer Zeit (als Gegenpol zur Moderne), für den Nationalsozialismus (als Bringer eines ›neuen Mittelalters‹) wie auch für die Nachkriegszeit (in Wiederholung seiner Gemeinschaft stiftenden Bedingungen) konstatiert,254 hätte möglicherweise im 250 251 252 253

G. Hohmann (M LMU 1946), S. 7. J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 9. Vgl. dazu auch Kap. VI.2. Vgl. V. Conze (2005), S. 116–122, die den gleichen Ansatz der Argumentation für die zwanziger Jahre nachweist, wo er die Herkunft des Ersten Weltkrieges darlegt. 254 O. G. Oexle (1996), insbesondere S. 159: »Man sollte annehmen, dass die Ideen vom ›neuen Mittelalter‹ im Zeichen von ›Ganzheit‹ und ›Gemeinschaft‹ nach 1945 in Deutschland restlos diskreditiert waren. Dies ist indessen nicht der Fall. […] Grundfigur aller Interpre-

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akademischen Bereich zu stark romantisierend gewirkt, gibt man sich in den Rektoratsreden doch weniger nostalgisch verklärt denn vielmehr aufbruchsartig engagiert bei der Suche nach dem richtigen Weg in die Zukunft. Begrifflich auf einen Nenner gebracht machen die Rektoren in dem zur Zeit der Aufklärung entstandenen Positivismus den Hauptschuldigen dafür aus, dass sich die Gesellschaft seit jener Zeit mehr und mehr vom Göttlichen abgewandt habe. Dabei fungiert die Bezeichnung Positivismus in der Argumentation sowohl als Begriff wie als Label255. Er kommt einerseits in einer spezifizierteren Form vor, die dem Begriff seine historische Entwicklung zugesteht, nach welcher der Positivismus anfangs eine andere Geisteshaltung verkörpert habe als später im 19. Jahrhundert. Seien seiner ursprünglichen Form große Erkenntnisse der Wissenschaft zu verdanken, so habe sich später eine regelrechte Euphorie um das eigentlich rein wissenschaftlich-methodische Konzept gerankt, welche dieses gar zu einer »Weltanschauung«256 erhob. Die zweite Form seiner Verwendung innerhalb der Rektoratsreden unterzieht den Positivismus als Label keiner differenzierten Betrachtung hinsichtlich seiner verschiedenen Entwicklungsstufen. Die entsprechenden Passagen nehmen ausschließlich Bezug auf seine Überhöhung zum allgemeingültigen Denkkonzept. Dank seiner breitangelegten Semantik kann er für die Redner quasi als Dachbegriff all das umfassen, was sie nun an der geistigen Entwicklung im 19. Jahrhundert negativ sehen. Der Positivismus – in den Reden häufig als Agens eingesetzt – habe demzufolge zunächst von seiner naturwissenschaftlichen Grundkonzeption aus die anderen Wissenschaften erobert, wodurch sich in der Folge schließlich auch das allgemeine Denken mehr und mehr »mechanisierte«257. Letzten Endes sei daraufhin nicht nur die religiöse Bindung an den christlichen Glauben zurückgegangen, sondern insgesamt der humanistische Gedanke, ersetzt von einer förmlichen Heilserwartung an die menschliche Erkenntnisfähigkeit allein. Betrachtungen der Geistesgeschichte, die diesem Erklärungsmodell folgen, fallen wie im Beispiel des Mainzer Dogmatikers Prälat August Reatz bisweilen eher polemisch aus: »Die Folge war eine Versklavung an das Triebleben mechanischer Voraussetzungen und die Preisgabe des humanitären Gedankens an eine Weltanschauung, die in der Geschichte nur die Entwicklung eines höher gezüchteten Affendaseins sah und folgerichtig in der Rassenvergötzung und in der Seelenmystik des Blutes endete.«258

Die meisten Redner hingegen ziehen im Sinne einer wissenschaftlich rationalen Argumentation eine Fülle von Gelehrten und Werken heran, die sich aktuell

255 256 257 258

tationen und Deutungen ist hier erneut der zum ontischen Gegensatz stilisierte Kontrast von Moderne und dem Mittelalter in den noch immer gleichen, auch hier ständig wiederholten Behauptungen über die geistige und soziale Bindungslosigkeit des Individuums als dem grundlegenden Defekt der Moderne.« Zur Definition und Unterscheidung von Begriff und Label siehe Kap. I, S. 14–19. A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 16. G. Bohne (K U 1949), S. 7. A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 16.

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oder auch bereits ein halbes Jahrhundert zuvor mit der »Krise der Moderne« auseinandersetzen, bzw. auseinandergesetzt haben. Zum Beleg der kursierenden Theorien über die Herkunft dieser Krise fallen am häufigsten die Namen der beiden bereits verstorbenen Jacob Burckhardt († 1897) und Oswald Spengler († 1936) sowie des noch lebenden Zeitgenossen Friedrich Meinecke nebst Zitaten aus ihren einflussreichsten Werken. Dabei stehen Burckhardts 1905 posthum unter dem Titel »Weltgeschichtliche Betrachtungen«259 erschienene Vorlesung über das Studium der Geschichte und Spenglers zweibändiger »Untergang des Abendlandes«260 aus dem Jahr 1918 auf einer Stufe mit dem 1946 zum eigentlichen Thema veröffentlichten »Die deutsche Katastrophe«261 Meineckes. Der Umstand, dass erstere aus einer historisch anders gelagerten Krisenwahrnehmung heraus entstanden und in Bezug auf die gegenwärtige Krise nicht die gleiche Aussagekraft besitzen, findet zumeist keine Berücksichtigung, sieht man sich doch gestützt durch deren Argumente am fortgesetzten Ende derselben krisenhaften Entwicklungslinie. Alle drei Bücher erfreuten sich in den späten 40er Jahren großen Zuspruchs. Die »Weltgeschichtlichen Betrachtungen« wurden gleich von mehreren Ver­lagen herausgegeben262, allein die Taschenbuchausgabe bei Kröner erreichte zwischen 1946 und 1949 zwei Auflagen263. Das Spätwerk Friedrich Meineckes mit dem sprechenden Titel »Die deutsche Katastrophe« schaffte es bereits 1949 auf die vierte Auflage264. Spenglers »Untergang des Abendlandes« war kommerziell vor allem in den 20ern ausgesprochen erfolgreich. Bei C. H. Beck beispielsweise erschien 1926 eine »Jubiläumsausgabe anläßlich des 100. Tausends des ersten Bandes«265. In akademischen wie publizistischen Sphären löste das Werk eine Flut verschiedenster Reaktionen aus, so dass der prägnante Titel schon bald »zu einem stehenden Topos«266 gerann, wie Vanessa Conze es beschreibt. Dieser hallte auch in den Rektoratsreden der Nachkriegsjahre 1945 bis 1950 noch wider.267 259 Vgl. J. Burckhardt (1983). Zitiert bei: W. Erbe (TÜ EKU 1948), S. 29; R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 364–370; J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 15; H. Piloty (M TH 1948), S. 5; E. Redslob (B FU 1950), S. 6; O. Schmitt (S TH 1948), S. 16. Georg Hohmann empfiehlt in seiner Münchener Rektoratsrede sogar explizit, vor dem Hintergrund der aktuellen Krise das Werk Burckhardts erneut zu lesen. G. Hohmann (M LMU 1946), S. 10. 260 Vgl. O. Spengler (1950). Zitiert bei: J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 14; A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 12; E. Wolff (HH U 1945), S. 19; K. Geiler (HD RKU 1948), S. 27. 261 Vgl. F. Meinecke (1946). Zitiert bei: L. Föppl (M TH 1947), S. 7; E. Redslob (B FU 1948), S. 27. 262 z. B. Bern: Hallwag 1947; Detmold-Hiddesen: Maximilian 1947; Krefeld: Scherpe 1948; Tübingen: Reichl 1949; Pfullingen: Neske 1949. 263 Stuttgart 1946 (6. Auflage); Stuttgart 1949 (7. Auflage). Angabe nach telefonischer Auskunft des Kröner Verlags vom 21.01.2009. 264 Wiesbaden: Eberhard Brockhaus 1949. 265 München 1927. 266 V. Conze (2005), S. 28. 267 Vgl. insbesondere J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 14 f.

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Nach 1933 scheint das Buch den Angaben der deutschen Bibliothekskataloge zufolge jedoch bereits nicht mehr von den Bibliotheken angeschafft worden zu sein. Bei C. H.  Beck, wo Band 1 ab seinem erstmaligen Erscheinen in diesem Hause 1919 in den 13 Jahren bis 1931 weitere zehn Mal aufgelegt wurde, folgten in den zehn Jahren darauf nur weitere drei Auflagen. Detlef Felken vermutet in seiner Biographie Oswald Spenglers, dass Spengler »im Pantheon der nationalsozialistischen Weltanschauung« trotz teils großer gedanklicher Näher dazu nicht recht Platz fand und letztlich auch auf gewisse Art durch das Erscheinen des ›Führers‹ widerlegt worden sei. In der Wahrnehmung der NS-Zeit »schien der Untergang des Abendlandes durch das persönliche Eingreifen Adolf Hitler einstweilen abgewendet«.268 Nach 1941 wurde das Werk zunächst gar nicht mehr aufgelegt, was sich erst 1950 mit einem Nachdruck der Ausgabe von 1923 änderte, wie sich aus der Bibliographie des Beck-Verlages ablesen lässt.269 Dies spiegelt einerseits die Bedingungen der Kriegswirtschaft wider. Möglicherweise wirkte sich in dem Nichtwiedererscheinen des Werkes nach Kriegsende aber auch Spenglers zeitweise Nähe zum Nationalsozialismus aus, aufgrund derer er schon bald als der »intellektuell herausragende ›Wegbereiter‹ der nationalsozialistischen Diktatur« eingestuft wurde,270 was ihn möglicherweise in der Nachkriegszeit zunächst zu einem nicht veröffentlichbaren Autor machte. Spengler selbst hatte sich bereits 1933 in seinem Buch »Jahre der Entscheidung«271 wieder vom Nationalsozialismus distanziert, plante gar einen zweiten Band, in dem er das national­sozialistische Ideenkonstrukt mit dem von ihm zutiefst verachteten Bolschewismus auf eine Stufe stellen wollte, äußerte sich aber weiterhin begeistert über den italienischen Faschismus, insbesondere über die Person Mussolinis.272 All dies tat der Rezeption des »Untergangs« im intellektuellen Nachkriegsdiskurs jedoch keinen Abbruch. Immerhin gehörte er seit fast 30 Jahren zum intellektuellen Bücherkanon. Zudem verfügte er über eine ungebrochene thematische Aktualität.273 In seiner hochintellektuell angelegten Antrittsrede von 1946 mit dem Titel »Europa als Verbundenheit im Geist« setzt sich der Tübinger Moraltheologe Theodor Steinbüchel zum einen intensiv mit dem einigenden Moment innerhalb der europäischen Kultur auseinander. Zum anderen untersucht er ebenso die Faktoren, die für ihre Krise verantwortlich zeichnen. Ausgehend vom »Geis268 D. Felken (1988), S. 242 f. 269 A. Heinrich (1988), S. 616. 270 D. Felken (1988), S. 233 inkl. Anm. 105. Die Betitelung Spenglers als einer der »Wegbereiter des deutschen Zusammenbruchs« in Form einer geistigen Vorbereitung des Nationalsozialismus zusammen mit Hegel und Nietzsche äußert demnach bereits 1948 der Historiker und Soziologe Alfred von Martin, siehe A. v. Martin (1948). 271 Vgl. O. Spengler (1933). 272 D. Felken (1988), S. 219–237. 273 Vgl. hierzu auch D. Felken (1988), S. 243 f.

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tigen«, das die Europäer über die Jahrhunderte hinweg in verschiedener Gewichtung, hauptsächlich jedoch über den Faktor Religion274 miteinander verbunden habe, beschreibt er die historische Entwicklung dieser Bindung. Er bezieht dabei die Europabilder einzelner Gelehrter wie Friedrich Nietzsche, Max Scheler oder Ernst Troeltsch jeweils mit ein. Angekommen in der Gegenwart verweist Steinbüchel auf den Marxismus als eine quasi ›modernisierte‹ Form der gesamteuropäischen geistigen Verbindung, die jedoch von ihrer Anlage her in der praktischen Umsetzung mit Problemen behaftet sei. Europäische Verbundenheit repräsentiere gegenwärtig ebenso das überall vorhandene »starke Krisen­ bewusstsein«. Die Sicht auf die Krise bettet er in ein breiteres analytisches Spektrum ein. Denker aus ganz Europa wie Miguel de Unamuno, José Ortega y Gasset, Johan Huizinga, Christopher Dawson, Paul Valéry oder Jacques Maritain eint gemäß der synoptischen Darstellung Steinbüchels eine Auffassung der Gegenwart als Krisenzeit, deren Ursprünge von dem »modernen Säkularisierungsprozess des Christentums« herrührten. Besonders nahe steht Steinbüchel der Position Maritains, der bereits seit seinem 1936 erschienen Werk »Humanisme intégral« in einer wachsenden Zahl von Schriften für eine christlich-humanistisch geprägte Gesellschaftsordnung plädierte.275 Steinbüchel geht mit der von Maritain als Ursache der Krise festgestellten »Metaphysikscheu« ebenso konform wie mit der daran anschließenden »Feststellung einer mangelnden Ausschöpfung der ›sozialen Möglichkeiten des Christentums‹«.276 Auch andere Rektoren konstatieren inhaltlich die Erscheinung, die Steinbüchel und Maritain als »Metaphysikscheu« bezeichnen. Ihr zunehmendes Erstarken erklären sie in erster Linie über den Aufschwung von Naturwissenschaft und Technik, der dem Positivismus ursprünglicher Definition zu verdanken sei. Der Karlsruher Rektor Ernst Terres zeichnet diese Entwicklung in seiner Antrittsrede ausgehend von der Antike kritisch nach. Seit der Renaissance herrsche demnach ein »unüberwindlicher Drang nach Erkenntnis« in Europa, der jedoch allmählich eine Überbetonung der Vernunft, eine verstärkte Abkehr von der Religion und eine fortschreitende »Verödung der Seele« hervorgebracht habe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei man gar dazu übergegangen, aus dem »Glauben an die Technik« die Erwartung einer »Erlösung der Menschheit durch sie« abzuleiten, was etwa in der Sowjetunion besonders ausgeprägt zu beobachten sei.277

274 Zur Bedeutung und Vorkommen von Religion im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 237 f. 275 J. Maritain (1936). Danach erschienen außerdem: A travers le désastre, 1941; Les droits de l’homme et la loi naturelle, 1942; Le Christianisme et la démocratie, 1943; Principes d’une politique humaniste, 1944. Siehe J. Maritain (1946); J. Maritain (1942); J. Maritain (1943); J. Maritain (1944). 276 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 13–15. 277 E. Terres (KA THF 1949), S. 6–11.

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»Über diesen Drang nach Erkenntnis und den Erfolgen in der wachsenden Beherrschung der Natur hat der Mensch das Maß für sich und die Grenzen, die ihm vom Schöpfer gesetzt sind, verloren und seinen Auftrag verkannt, nur im Dienste dieses Höheren sich die Erde untertan zu machen. Die Gefahren dieser Entwicklung zeigen sich heute deutlicher denn je, ebenso die bedrückende Angst, daran zugrunde zu gehen und dem Weg der Menschheit in die Barbarei Vorschub zu leisten.«278

Generell bemängeln die Redner das Fehlen einer »kulturellen Grundlage«, welche die Technik279 als »geistig-sittliches Fundament« in die »Gesamtheit der Kulturerscheinungen der Menschheitsgeschichte« einbetten und eine »Fehlleitung technischer Errungenschaften« verhindern helfen würde.280 Naturwissenschaft und Technik hätten sich in den vergangenen Jahrhunderten in einem hohen Tempo fortentwickelt, was nicht ohne Auswirkungen auf die Gesellschaft geblieben sei. Die sozialen Ordnungsprinzipien und das ethisch-moralische Gefüge seien dieser Entwicklung jedoch nicht in gleichem Maße gefolgt, was die Struktur der menschlichen Gesellschaft insgesamt ins Ungleichgewicht gebracht habe. Theoretisch sei man in der Gegenwart vom aktuellen Stand der Technik her in der Lage, dem Individuum ein »sehr hohes Maß an Lebenshaltung, Wohlstand, Bildungsmöglichkeit, Freiheit von Schmerzen, von Sorg, von Not« zu bieten. Stattdessen jedoch, so konstatiert Richard Grammel in Stuttgart, scheine sich die Menschheit in einem »schizophrenen« Zustand zu befinden, da sie trotz der geistigen Leistungen auf diesem Feld »in einem Jahrtausend abendländischer Geschichte« ein kaum vergleichbares Vorankommen in »ihrer politischen, soziologischen und moralischen Struktur« erreichen konnte. Stattdessen habe sie eine »wohl bei keiner Tiergattung vorkommende Selbstzerfleischung« betrieben.281 Überdies hat der technische Fortschritt in den Augen der Rektoren für eine komplette Veränderung der Arbeitswelt gesorgt. Die von ihm geschaffene Maschine habe letztlich den Menschen selbst zur Maschine gemacht. Mit der Mechanisierung der Arbeit habe sich das allgemeine Tempo des Lebens und Arbeitens derart erhöht, dass »keine Zeit zur Besinnung auf die Grundlagen, das Unerfaßbare und Ewige« mehr bleibe.282 Das gesamte Arbeitssystem kranke zudem an der »Unfähigkeit seiner menschlichen Führung«, was wiederum eine fortschreitende »Entseelung der Arbeit« bevorteilt habe.283 Nun stehe der maßlose Erwerbstrieb der Unternehmer einer Absonderung der Arbeiterschaft gegenüber. Durch die Produktionsgemeinschaft, die sich von ihren überlieferten Traditionen entfernt habe, verlaufe ein tiefer Riss. Auf der anderen Seite sei auch 278 E. Terres (KA THF 1949), S. 5. 279 Zur Bedeutung und Vorkommen der Technik im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1, S. 151 f. 280 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 9. 281 R. Grammel (S TH 1946), S. 14–16. 282 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 8. 283 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 9 f.

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die Wissenschaft284, deren Entdeckungen die moderne Wirtschaftsform erst bedingten, im Verlaufe dieser Entwicklung in ein schwieriges Verhältnis der Abhängigkeit geraten, da sie für weitere Forschung eine immer teurer werdende Infra­struktur benötige.285 Darüber verliere sie jedoch die Kontrolle über die eigenen Arbeitsergebnisse an den jeweiligen Financier, was etwa den Missbrauch unter anderem der Technik seitens des Nationalsozialismus erkläre. Auswirkungen von Positivismus und Säkularisierung auf die gesellschaftliche Struktur erkennen einige Redner auch im Hinblick auf das Rechtssystem. Es sind dies fast ausschließlich Juristen. In einer Aufteilung nach Fächern stellen sie die größte Gruppe der Nachkriegsrektorenschaft und nicht wenige von ihnen setzen sich in ihren Rektoratsreden mit fachbezogenen Themen kritisch auseinander. Sie übertragen die allseits diagnostizierte Krise der ethisch-moralischen Werte auf die Rechtskultur, die ihrem Urteil zufolge in gleichem Maße und aus den gleichen Gründen von der krisenhaften Entwicklung betroffen ist, denn sie erwachse »aus weltanschaulichen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten eines Volkes«286 und verändere sich mit diesen. Wie für den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsgang referenzieren die Redner auch für die Rechtsgeschichte auf das Mittelalter als idealer Bezugsgröße. Seit Ende des Mittelalters habe sich das Recht von der christlichen Moral als seiner Grundlage nach und nach entfernt. Stattdessen habe, gestützt auf die Ideen Machiavellis, die Orientierung an der Macht zunehmend an Bedeutung gewonnen. Über der immer weiter fortschreitenden Säkularisierung der Rechtsbasis sei es allerdings versäumt worden, die alten religiös geprägten Denkformen in moderne philosophische Kategorien umzuwandeln, um dem Recht ein neues Fundament zu geben. Stattdessen habe sich insbesondere im 19. Jahrhundert ein vom Positivismus bestimmter Rechtsgedanke durchgesetzt, nach dem der Staat allein auf der Basis seiner Macht Recht schaffen könne. Solange dieser Staat durch den kaiserlichen Souverän als verantwortlichen Garanten repräsentiert wurde, habe dieses System noch über einen gewissen Stand verfügt. Mit dem Wandel zur Republik sei es jedoch einer von Willkür bestimmbaren Handhabe anheim­gefallen, nach der letztlich auch ungerechte Gesetze zu geltendem Recht gemacht werden konnten.287 Immer wieder fällt in der Argumentation, die auf die historische staatliche Entwicklung zielt, an entscheidenden Stellen das Schlüsselwort Macht. Dieses ist in seiner Verwendung jedoch äußerst schwierig einzuordnen. Es wird jeweils an – im Wortsinn – mächtiger argumentativer Stelle geführt, wo es dann aber 284 Zur Bedeutung und Vorkommen der Wissenschaft im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 246 f. 285 H. G. Gadamer (L U 1946), S. 1948. 286 G. Bohne (BN RFWU 1949), S. 5 f. 287 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 22; W. Erbe (TÜ EKU 1948), S. 26–28; R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 269 f.; G. Bohne (BN RFWU 1949), S. 12–15.

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weitgehend inhaltsleer bleibt. Der bevorzugte Ort einer philosophischen oder juristischen Abhandlung zur Klärung von Fragen wie des Wesens der Macht befindet sich eher in anderen Medien als der Form der Rede. Auffällig ist in den Rektoratsreden aber die betont negative Konnotation, der die Bezeichnung vorwiegend unterliegt und die in den meisten Fällen – auch von den Juristen unter den Rednern – nicht hinterfragt wird. Einzig Rudolf Smend versucht in seiner Rede über »Staat und Politik«, mit einer Fehldeutung des Staatsbegriffs als reinem »Machtzustand« aufzuräumen, die seit der Renaissance zu beobachten sei. Aus dieser Missinterpretation leite sich nach Ansicht Smends einerseits seit Jahrhunderten eine falsche Staatslehre ab – mit bekanntem Ergebnis in der Praxis. Damit verbunden habe sich andererseits über die Zeit eine negative Sicht auf die Macht als solche entwickelt. Smend plädiert nun intensiv für eine Wiederbelebung des Staatsbegriffs als »Rechtszustand«.288 Auf Basis dieser Quellenlage ist es schwierig, die Bezeichnung Macht den Begriffen oder Labels eindeutig zuzuordnen. Sie bleibt inhaltlich ausgesprochen unkonkret, was auf ein Label verweist. Dennoch nimmt sie argumentativ eine recht starke Stellung ein. Da es jedoch zu keiner expliziten Ausdeutung ihrer Semantik kommt, erreicht sie das Level eines Begriffs eher nicht. Alle bisher in den Reden genannten Erscheinungen traten in jeweils unterschiedlichen Abstufungen in ganz Europa zutage. Warum in Deutschland daraus im Vergleich zu den restlichen europäischen Ländern ein so anderer Verlauf der Geschichte hervorging, fragen sich auch die Rektoren. Ihre Antworten beleuchten neben den überall in Europa spürbaren Erscheinungen der Krise auch die besonderen Ausgangsbedingungen auf deutschem Gebiet. Es ergeben sich daraus ähnliche Erklärungsmuster wie in der Sonderwegsthese, die sich erst später in der bundesrepublikanischen Debatte durchsetzte.289 Anders als dort argumentiert betten die Nachkriegsrektoren die speziell deutschen Präkonditionen in ihrer Analyse in das Szenario der gesamteuropäischen Krise ein. Diese nehmen sie als Hintergrund, vor dem sie illustrieren, was an den deutschen Gegebenheiten die Grundlagen des Nationalsozialismus ausmachte. All dies geschieht wie immer mit dem Blick auf die Zukunft. Ziel der Analyse ist es, die Ursachen jener deutschen ›Besonderheit‹ zu finden und auszuschalten, um künftig keine Bedrohung mehr für sich und andere darzustellen. Rückblickend suchen die Redner zunächst in der deutschen Geschichte nach Anhaltspunkten, deren Folgen sich später zugunsten des nationalsozialistischen Aufstiegs auswirkten. Dieselben Erklärungsmuster, die sie hinsichtlich der geistesgeschichtlichen Entwicklung bereits in allgemeiner Form ausgeführt haben, 288 R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 365–367. 289 Einen Überblick über die Entwicklung der Sonderwegsthese vom Inbegriff der deutschen Erfolgsgeschichte am Ende des 19. Jahrhunderts bis zu ihrer negativen Umdeutung als Ursache des Nationalsozialismus und schließlich einem weiteren Wandel durch deren Aufbrechung in den 1980er Jahren gibt H. Grebing (1986), insbesondere S. 11–22.

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hängen sie nun an konkreten Ereignissen und Personen auf. Wie schon bei der historischen Einordnung der gegenwärtigen Krisensituation sind es vor allem die Nicht-Historiker, die sich dabei um historische Vergleiche bemühen.290 Die Suche nach Ausgangspunkten für die große Krise und ihre speziellen Auswirkungen in Deutschland beschäftigte nicht nur die Hochschulrektoren, sondern die deutsche Intelligenz im Ganzen. Mark W. Clark hat die unterschiedlichen Ergebnisse dieser Spurensuche untersucht und ist dabei auf ähnliche historische Erklärungsansätze gestoßen wie sie auch von den Rektoren vorgetragen wurden: Theodor Adorno und Max Horkheimer sehen die Wurzel der Krise in der Aufklärung, Martin Heidegger geht dafür noch weiter zurück bis zum Entstehen des metaphysischen Denkens, Bertolt Brecht macht den Kapitalismus verantwortlich, für Thomas Mann ist der Nationalsozialismus ähnlich wie für Meinecke als Variante des europäischen Faschismus eine der Antworten auf eine größere kulturelle und politische Krise, Karl Jaspers stellt die Krise gar in einen weltweiten Zusammenhang.291 In den Rektoratsreden ist eines der wichtigen historischen Motive wie schon für den historischen Vergleich der Krisensituation als solcher der Dreißigjährige Krieg. Hier werden Hinweise auf die spezifisch deutschen Grundbedingungen der 300 Jahre später erfolgten Ausartung gesucht. Josef Schmid leitet von der extremen Kriegserfahrung der Bevölkerung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts für die Folgezeit eine starke »Sehnsucht nach staatlicher Selbständigkeit« und einen »Willen zur Macht« ab, welche schließlich in der Dominanz des »preußischen Wesens« endete, das wiederum in erster Linie »von Zweckmäßigkeits und Willenskräften« geleitet gewesen sei. Hinzukommende Faktoren der wirtschaftlich-sozialen Weiterentwicklung wie etwa Bevölkerungsexplosion, Landflucht, Verstädterung und Industrialisierung hätten der Bevölkerung aufgrund ihres rasanten Fortschreitens mehr und mehr den Halt und die Bindung an Land, Sitten, Geschichte und Religion entzogen. Diese hätten in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass sich die Sehnsucht nach einer Stabilität gewährleistenden Instanz schließlich auf den politischen Sektor konzentriert habe. All dies zusammengenommen habe letztlich einen Weg vorgezeichnet, der »in gerader Linie über Friedrich II., Bismarck und Wilhelm II. zu Hitler« geführt habe.292 Von besonderer Relevanz auf dem Weg zum Nationalsozialismus ist nach Ansicht von Emil Lehnartz in Deutschland auch das Scheitern der 1848er Revolution. Der Sieg des Obrigkeitsstaats habe im »deutschen Menschen« den »Sinn für Freiheit, für Selbstverantwortung am politischen Geschehen« verschüttet und ihn »zu einem willigen Glauben an die Macht« verführt. In der ersten deutschen 290 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Historiker im Vergleich zu den Kollegen aus anderen Fächern sich nicht in der Suche nach den Ursachen für die Krise der Gegenwart betätigt hätten. Sie verlagerten dies jedoch aus den Rektoratsreden in analytische Sachbücher, in deren Erstellung sie ausgesprochen waren. Eine Auflistung davon findet sich etwa bei W. Schulze (1989), S. 45–48. 291 Vgl. M. W. Clark (2006), S. 167–177. 292 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 8–10.

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Demokratie schließlich seien die Ideen von 1848 nicht ausreichend zum Tragen gekommen, weshalb man letztlich erneut in einem Obrigkeitsstaat gelandet sei, der jedoch »mehr als jeder andere, den das deutsche Volk bis dahin gesehen hatte, Freiheit, Recht und Menschenwürde mißachtete und der darum das deutsche Volk erneut in den Untergang führte und die geschichtliche Entwicklung von fast einem Jahrtausend vernichtete«.293 Die Argumentation der Rektoren richtet sich darauf, den Deutschen ein fehlgeleitetes politisches Denken zu konstatieren, das ihnen speziell zu eigen sei und das sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert in unterschiedlichen Schattierungen innerhalb der deutschen Gesellschaft bemerkbar gemacht habe. Für den Sieg des Obrigkeitsstaats machen die Redner insbesondere das bereits erwähnte falsche Verhältnis der Deutschen zur Macht in Verbindung mit einer speziellen dahinterstehenden Rechtsidee verantwortlich. Aus Sicht Rudolf Smends brachte der »Machiavellismus« im politischen Denken gerade in Deutschland ein grundsätzliches Zweifeln daran hervor, dass politisches Handeln mit sittlicher Haltung vereinbar sei. Man erwarte hingegen viel eher, im Zuge politischer Aktivität persönliche Opfer auf der Ebene von Moral und Ethik bringen zu müssen, woraus sich wiederum die stark passive Haltung der Deutschen erkläre.294 Nach Meinung von Walter Erbe wirkten sich die besonders ausgeprägte »analytischkasuistische Denkweise« im deutschen Recht und dessen umfassende »Verstaatlichung« zum »größten Verhängnis« aus, da sie gleichzeitig eine »physische und moralische Verstaatlichung der Rechtsunterworfenen« bewirkten. Dadurch aber habe der »Zerfall von Rechtsgesinnung und Rechtsbewußtsein bei den Rechtsadressaten als Begleiterscheinung der Minderung der moralischen Volkskräfte« begonnen. Im Gegensatz zu der Rechtsgeschichte anderer Länder habe es schließlich der Positivismus dank dieser besonderen Rechtsauffassung geschafft, in Deutschland »mehr zu werden als ein unschädliches und sogar nützliches Durchgangsstadium«. Als ›Problem‹ spürbar wurden seine Einflüsse seit Ende des Kaiserreiches, als die Menschen insbesondere durch die Verordnungspolitik der Weimarer Zeit zunehmend »nicht mehr imstande« gewesen seien, die »Rechtsidee in ihr Bewußtsein zu fassen« und das daraus entspringende »verpflichtende sittliche Gefühl zu spüren«.295 Zu diesen Feststellungen eines speziellen Verhältnisses der Deutschen zu Macht und Obrigkeit gesellen sich aus Sicht der Redner weitere soziokulturelle Beobachtungen deutscher Besonderheiten, die in bestimmter Art und Weise damit korrelierten. Sie verorten diese am häufigsten unter den Stichwörtern Militarismus und Nationalismus. Als Spitze einer obskuren Anzahl weiterer »dunkler Neigungen«, zu denen das deutsche Volk tendiere, machen die Rektoren sie in hohem Maße mitverantwortlich für die jüngst erlebte »Katastrophe«.296 Verweist 293 294 295 296

E. Lehnartz (MS WWU 1948), S. 5 f. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 377 f. W. Erbe (TÜ EKU 1948), S. 31–35. R. Plank (KA THF 1946), S. 10 f.

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Friedrich Hermann Rein noch auf ein internationales Vorkommen insbesondere des Militarismus, der nicht nachvollziehbar als »Schöpfung eines bestimmten Landes« auszumachen, sicher aber als »eine der fluchwürdigsten Erfindungen des Menschen« anzusehen sei,297 so ziehen die meisten Redner die beiden Begriffe zur Erklärung spezifisch deutscher Gegebenheiten heran. Wenn auch nicht näher ausgeführt, so schließen sich die Rektoren in der Mehrheit damit doch einer in der deutschen Nachkriegsgesellschaft verbreiteten und mit der offiziellen Erklärung der Alliierten kongruierenden Ansicht an, wonach eine besondere Prädisposition der Deutschen den Nährboden für die nationalsozialistische Ideologie vor allem im Preußentum ausmachte. Christopher Clark behandelt die Sicht der Alliierten des Zweiten Weltkriegs auf das Preußentum zu Abschluss seiner Preußen-Studie »Iron Kingdom« unter dem Titel »The Exorcists«: »The western allies needed no persuading that Nazism was merely the latest manifestation of Prussianism.«298 Entsprechend habe das Vorhaben, Preußen aus dem deutschen Bewusstsein zu tilgen, zu den wichtigsten Zielen der Re-Education gehört: »Here, the objective was to eliminate Prussia as a ›mental construct‹, to ›deprussianize‹ the German imagination.«299 Auch in den Rektoratsreden stehen Militarismus und übersteigerter Nationalismus inhaltlich so eng mit der Ausdeutung des Preußentums als geistiger Basis des Nationalsozialismus in Verbindung, dass die bloße Erwähnung der beiden Begriffe ausreicht, um den entsprechenden Diskurszusammenhang auch ohne weitere Bezugnahme aufzudecken. Ähnliche Ergebnisse hat Barbara Kämper in ihrer Studie zum deutschen Schulddiskurs der unmittelbaren Nachkriegszeit herausgearbeitet; so fallen Begriffen wie »falscher Nationalismus« (bei Kämper auch als »Hybris«), »Militarismus«, »politische Unmündigkeit« oder »Idealismus« als deutschen »Nationalstereotypen« in gesteigertem Maße explikative Funktionen im Diskurs zu.300 Kämper stuft »Idealismus« als eine »problematische Kategorie« ein, da er ob seines positiven Klangs eine Unvereinbarkeit und dem »Bezeichneten«, der nationalsozialistischen Herrschaft, aufweist. Für die Rektoratsreden ist er dagegen eher zu vernachlässigen. Lediglich Theodor Steinbüchel stellt analog zu dem von Kämper beobachteten Diskurselement ein Versagen des »Idealismus« als philosophischer Anschauung fest, bezieht sich jedoch auf den Marxismus als den Punkt, von dem aus er überwunden wurde.301 Kämper hingegen konstatiert auf der Basis eines breiteren Diskursraums ihres Untersuchungsgegenstands eine Prädisposition des »Idealismus«, die seine Aufnahme in das nationalsozialistische Gedankengut begünstigt habe.

297 F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 4. 298 C. Clark (2006), S. 670, vgl. insgesamt S. 670–681. 299 C. Clark (2006), S. 679. Zu zeitgenössischen Analysen des Militarismus vgl. auch W. Wette (1999). 300 B. Kämper (2005), S. 351–366. 301 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 16 f.

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Ebenfalls hinsichtlich der drei weiteren deutschen Stereotypen besteht ein Unterschied zwischen der Einschätzung Kämpers und den Aussagen der Rekto­ ratsreden. Kämper stellt diese Eigenschaften jeweils als Grundzüge des deutschen Wesens vor, welche »die Nazis« in ihrem Sinne »auszunutzen verstanden« – sowohl um an die Macht zu kommen wie auch danach.302 Die Rektoren versuchen in ihren Reden jedoch, anhand derselben Eigenschaften die Ausgangsbedingungen der deutschen Mentalität zu erklären, die das Aufkommen einer Bewegung wie der des Nationalsozialismus überhaupt erst ermöglichten. Insofern beschreiben Kämper wie auch die Rektoren die gleichen Erscheinungsformen spezifisch deutscher Charakteristika, setzen diese jedoch an unterschiedlichen Punkten im historischen Ablauf für ihre Argumentation ein. Wie den Militarismus ordnen die Rektoren auch den Nationalismus, den sie von seiner gesamten Zielrichtung her als falsch bewerten, stark der deutschen Geschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu. Ohnehin sei der Natio­nalismus in Deutschland erst im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts entstanden; seit Gründung des Reiches schließlich habe er sich schließlich mehr und mehr übersteigert. Rückblickend erkennt etwa Rudolf Plank darin eine »oft grotesk anmutende Überheblichkeit«, welche die Deutschen glauben ließ, »auf allen Gebieten anderen Völkern überlegen« zu sein.303 Auch Karl Vossler nimmt in den einleitenden Worten zu der neugegründeten Schriftenreihe »Geistiges München«, in der die Druckfassung seiner Immatrikulationsansprache aus dem Wintersemester 1945/46 als Nummer 1 erschien, Bezug auf jenes übertriebene deutsche Sendungsbewusstsein der Vergangenheit. Für die Zukunft bescheidet er sich betont beispielhaft mit einem kleineren Wirkungsfeld: »Wir wissen zu gut, dass es nicht gerade eine Tugend deutschen Wesens, und noch am wenigsten eine segensreiche ist, sogleich die Gültigkeit von für richtig gehaltenen Erkenntnissen und Maximen nicht nur auf das eigene Volk, sondern möglichst auch auf den zugehörigen Erdteil oder gar die Menschheit auszudehnen und, dem rausch großer Worte verfallend, von Weltbeglückung zu träumen, ohne zuvor mit der Not im eigenen Hause fertig geworden zu sein. Darum also, angesichts dieses gefahrvollen Hanges unseres Wesens zur Anmaßung, beschränken wir uns bewußt (aber nicht ohne Stolz) auf den engsten uns gezogenen Lebenskreis, eben auf das ›geistige München‹.«304

In der retrospektiven Analyse des deutschen Selbstbilds klingt unausgesprochen aber doch unverkennbar das bereits im 19. Jahrhundert vielzitierte Schlagwort »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen« durch, das einem Gedicht Emanuel Geibels305 entnommen wurde. Die Realität der Nachkriegsgegenwart hatte jenem Selbstbild zwischenzeitlich vollends der Boden entzogen, wie die sprachliche Haltung der Rektoren innerhalb ihrer Reden belegt. Sie äußern allerdings 302 303 304 305

H. Kämper (2005), S. 354. R. Plank (KA THF 1946), S. 10. K. Vossler (M LMU 1946), S. 9. E. Geibel: Deutschlands Beruf. In: Ders., Gesammelte Werke, Bd. 4. Stuttgart 1883. S. 215.

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ebenso, dass derartige Erkenntnisse bis vor kurzem noch von der »Nation als Maß aller Dinge« überlagert gewesen seien, was Zug um Zug »alle übernationalen Ideale« verdrängt hatte. Gedanken an »Demokratisierung, Humanisierung oder Verchristlichung der Welt« seien August Reatz zufolge bereits »lange vor Rosenberg« als »blutlose Theorie« abgetan worden.306 Rudolf Plank betreibt in seiner 1946er Rektoratsrede mit dem fragenden Titel »Ein Ende – oder ein Anfang?« intensive Ursachenforschung nach den Gründen, warum ausgerechnet die Deutschen in ihrer Geschichte einen Weg wie den des Nationalsozialismus eingeschlagen hätten. Den deutschen Überlegenheitsgedanken, der ebenfalls seiner Einschätzung nach eine wichtige Rolle dabei gespielt habe, brandmarkt er als glatten »Selbstbetrug«, mussten doch sogar »Geschichtsbücher […] sinnentstellend gefälscht« werden, um jenes Bild ausreichend zu begründen.307 Gleichso als Auswirkung der überhöhten Staatsmacht in Deutschland erscheint in den Reden der Rektoren der Militarismus. Rudolf Plank widmet jener gesellschaftlichen Adaption des militärischen Bereichs ebenfalls einen längeren Abschnitt in seiner 1946er Rektoratsrede. Schon im soldatischen Zusammenhang sei es demnach eine deutsche Besonderheit gewesen, von den Rekruten einen »bedingungslosen Kader-Gehorsam« unter »vollständiger Ausschaltung jeder eigenen Denkfunktion« zu fordern, was bei »keinem Kulturvolk« sonst anzutreffen sei. Dies führe letztlich dazu, das »eigene Verantwortungsgefühl« auszuschalten, was einen Menschen Zeit Lebens auf die »blinde Befolgung von Anordnungen« präge. In der jüngsten Vergangenheit habe diese Art der Erziehung aus »Millionen von Menschen zwangsläufig Teilnehmer an verbrecherischen Handlungen« gemacht.308 Wie schon bei anderen Abstrakta beobachtetet, setzen die Redner auch den Militarismus häufig als Agens ein. Friedrich Hermann Rein etwa charakterisiert den Militarismus als »System des sturen Abwartens und Befehlsempfangens«. Zu seinem größten »Opfer« in der Geschichte habe er ohne Zweifel das Deutsche Reich gemacht.309 Die Redner kehren damit die eigentlichen Zusammenhänge von ideellen Konzepten und ihren physischen Trägern argumentativ um, was wiederum die Vorstellung evoziert, dass derartige Abstrakta eine eigene, unabhängige Existenz führten. Der zum aktiv handelnden Subjekt gewordene Gedanke fällt nun eine gesamte Nation an, die sich seiner zu erwehren nicht imstande ist und folglich von ihm in den Abgrund gerissen wird. Bezogen auf den Fall des Militarismus erreichen die Redner darüber eine subtile Vertiefung der deutschen Opferrolle, selbst im Zusammenhang von Schuldaufklärung. Diese Kombination bietet den Deutschen das an sich paradoxe Selbstbild eines ›schuldigen Opfers‹. Mitverantwortlich, um in diese Position zu gelangen, ist gemäß der rektoralen Argumentationslogik auch die politische Unmündigkeit der Deutschen, 306 307 308 309

A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 4. R. Plank (KA THF 1946), S. 10. R. Plank (KA THF 1946), S. 7 f. F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 5.

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die man sich in der Rückschau selbst in aller Schärfe attestiert und die in engem kausalem Zusammenhang mit dem Militarismus stehe. Die Deutschen stellen in diesem Bild ein Volk »gehorsamer Untertanen« mit »unpolitischer Haltung« dar,310 dem es an »gesunder Vernunft«, »Billigkeit« sowie »weiser Voraussicht« mangele.311 Die »besondere politische Instinktlosigkeit dieses deutschen Volkes«312 gekoppelt an seine »Beamtenhaltung« sei schließlich zur »Hauptursache unseres Unglücks« geworden313. In Anbetracht solchen kollektiven Versagens zieht Hermann Schneider in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Universität Tübingen im Oktober 1945 folgendes Résumé: »Du hasts verdient  – dieses Wort an die Adresse des deutschen Volkes als Ganzen [item] muß offen ausgesprochen werden. […] Dass man der rohen Macht wich, war menschlich, dass man großspurigen Versprechungen zum Opfer fiel verzeihlich. Aber dass man der Tyrannei Gewalt über das eigene Wollen einräumte, dass man an den prahlerischen Verführer und Verbrecher sein Herz verlor – das war Verrat des deutschen Volkes an seinem besten Selbst und an seiner großen Vergangenheit.«314

Richard Grammel verweist indes auf die ansonsten kaum beachtete Diskrepanz zwischen hoher Erkenntnisfähigkeit im wissenschaftlichen Bereich einerseits und eklatanter Unfähigkeit auf dem politischen Sektor andererseits. Dieser Zwiespalt sei bei den Deutschen »besonders auffallend«, weswegen der Nationalsozialismus »immer nur eine besonders pathologische Komponente dieser menschlichen und im besonderen deutschen Schizophrenie« darstelle.315 In einer für den Diskurs typischen Weise argumentiert hingegen Hans Georg Gadamer in seiner Rektoratsrede von 1946 mit einem allgemeinen Kulturverfall als Basis für den nationalsozialistischen Aufstieg. Dass deutsche Wissenschaft und Kultur in den hundert Jahren zuvor beachtliche Erfolge gefeiert hatten, findet darin keine Beachtung. Die Argumentationslinie Gadamers ordnet demgegenüber dem Verfall der »guten und edlen Tradition der Kultur und der Humanität« eine politische Wirkung zu, die das »Unwesen des Nationalsozialismus in unserem Volke« mit hervorgerufen habe.316 Alle bislang erörterten Erklärungsansätze differieren kaum zwischen den unterschiedlichen Besatzungszonen. Ein Grund dafür ist sicherlich der Zeitpunkt, zu dem die Suche nach den Ursachen der Krise hauptsächlich stattfindet. Dies ist vor allem in den frühen Jahren der Fall, in denen zwischen den Hochschulen in West und Ost noch keine großen Unterschiede in Verfassung, politischer Ausrichtung wie auch personeller Besetzung bestehen. Infolgedessen sind zu diesem Zeitpunkt noch keine Deutungsunterschiede in den Reden zu finden, die von 310 311 312 313 314 315 316

R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 372 f. H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 11. G. Rienäcker (RO U 1946), S. 6. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 372 f. H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 11. R. Grammel (S TH 1946), S. 16. H. G. Gadamer (L U 1946), S. 3 f.

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einer unterschiedlichen geographischen und ideellen Herkunft herrühren. Dies ändert sich jedoch ab etwa der Mitte des Erfassungszeitraums. Hatte das Gefüge der traditionellen Universität zunächst Bestand behalten, so begannen die Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht nun gemeinsam mit den ihnen nahestehenden deutschen politischen Kräften in der SBZ, der Institution Hochschule strukturell wie ideell ein neues Gesicht zu geben.317 Dies äußerte sich auch und gerade in der Personalpolitik. Fanden sich unter den frühen Rektoren kaum überzeugte Sozialisten, so änderte sich dies in der zweiten Hälfte des Erfassungszeitraums zusehends. Im Zuge der politisch-ideologisch motivierten Umgestaltung des Hochschulwesens besetzten immer häufiger Anhänger des politischen Wechsels die entsprechenden Führungspositionen, während die bürgerlichen Vertreter eines traditionellen Hochschulbilds teils aktiv aus den Ämtern gedrängt wurden. In gleichem Maße bewirkte jener Wandel in der Hochschulpolitik, dass sich eine Vielzahl von Professoren zur Abwanderung aus Sowjetischen Zone entschloss. Allein von den Rektoren der fünf Nachkriegsjahre unternahm knapp die Hälfte diesen Schritt – die meisten allerdings erst im Verlauf der 50er Jahre. Eine Zuwanderung von Lehrkräften an die Ost-Hochschulen erfolgte hingegen in weitaus geringerem Maße. Auch hierfür stehen die Rektoren exemplarisch: Nur drei von 23 Rektoren waren im Erfassungszeitraum einem Ruf in die SBZ gefolgt.318 Die Politisierung der Hochschulen in der Sowjetischen Zone veränderte schließlich auch den Umgang damit, wie die Krise der Gegenwart zu erklären sei. Mit den neuen Köpfen zog die sowjetkommunistische Lehrmeinung ein, nach der die Krisis kausal dem aufsteigenden Kapitalismus zuzuordnen sei. Dieser Ansatz bestimmt etwa die Antrittsrede Eduard Winters in Jena 1948, welche die politischen Aktivitäten des Vatikans behandelt: »Die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren für die Weiterentwicklung der Welt, nicht nur Europas, von ausschlaggebender Bedeutung. Der Kapitalismus trat in jene Konzentration, die wir als Imperialismus bezeichnen. Der letzte Kampf um die Rohstoffe und Absatzmärkte der Welt begann. Das Ende dieses Kampfes musste der Weltkrieg werden.«319

Ähnlich einschlägig behandelt Winter die Rolle der katholischen Kirche. Die Versuche Papst Leos XIII., durch ein russisch-französisches Bündnis aus der Isolation zu gelangen, in die der Vatikan nach Gründung des Königreichs Italien geraten war, beurteilt er als reine Form machtpolitischen Strebens. Winter setzt hier Religiöses mit Politischem in eins und folgert daraus vor dem Hintergrund 317 Zur Umgestaltung der Hochschulen in der SBZ nach sowjetischer Vorgabe vgl. M. Heinemann (2000), darin v. a. A. P. Nikitin (2000a). 318 Weitere vier SBZ-Rektoren waren neu berufene Professoren an ihren Hochschulen, befanden sich aber bereits zuvor in der Sowjetischen Zone. Zum personellen Wandel in der Rektorenschaft in der SBZ vgl. Kap. III, S. 55–59. 319 E. Winter (HAL MLU 1948), S. 1.

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der krisenerschütterten Gegenwart eine indirekte Mitschuld der Kirche an den von ihm skizzierten fatalen Auswirkungen des »Imperialismus«: »Engste Zusammenhänge von geistigreligiösen und wirtschaftlichpolitischen Kräften, von Kirche und Imperialismus, die auch heute bestehen, werden in dem Kampf des Vatikans um das russischfranzösische Bündnis verblüffend offenbar. Es zeigt sich das Grundverhalten der römischen Kurie, Gründe für Erfolge und Misserfolge, Stärke und Schwäche der Kurialpolitik. Und deswegen erscheint das Thema heute, wo der Vatikan auf dem Parkett der Diplomatie in so einseitiger Weise erscheint, wieder höchst aktuell.«320

Fernab von jeglicher Politisierung der Ursachenforschung, die einer sich abzeichnenden Blockbildung geschuldet ist, richten die Rektoren den Blick zwangsläufig auch auf die von ihnen vertretenen Einrichtungen und ihr Zutun zum Nationalsozialismus. Gemäß ihrer Selbstanalyse kommen sie einheitlich zu dem Ergebnis, es habe hier gleichfalls Verfehlungen gegeben. Die Rektoren benennen das Versagen der Hochschule insbesondere auch darin, in Sachen Charakterbildung zu wenig geleistet zu haben. Bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, insbesondere aber in den letztvergangenen Jahrzehnten habe man auf dieses Aufgabengebiet zunehmend aus den Augen verloren. Im Angesicht des stetig steigenden Tempos in allen Bereichen des Lebens sei man immer mehr dahin gekommen, nur noch die drängenden, vorrangig wirtschaftlichen Bedürfnisse der Gesellschaft mit Hilfe entsprechender wissenschaftlicher Ergebnisse zu befriedigen. Darüber sei einerseits keine Zeit mehr zur »Verfolgung höherer Ideale« geblieben. Andererseits, so reflektiert Otto Eißfeldt, hätten die Wissenschaftler schließlich selbst das Vertrauen in die »persönlichkeitsbildende Kraft« ihrer Arbeit weitgehend verloren, weswegen sie »vorschnell und kleinmütig Ansprüchen, gar Ausschließlichkeitsansprüchen anderer Bestrebungen auf Erziehung von Jugend und Volk das Feld räumten«.321 In ähnlicher Weise äußert sich Theodor Pöschl, der die Problematik aus Sicht der Technischen Hochschulen schildert. Diese hätten ihren Beitrag zwar zum naturwissenschaftlichen sowie zum praktischen technischen Fortschritt geleistet. Dieser wiederum habe jedoch auf der anderen Seite eine »moralische und soziale Unordnung« in die Welt gebracht. Pöschl attestiert den THs im Folgenden, sie seien in Vergangenheit und Gegenwart nach wie vor nicht darauf ausgelegt, aktiv an einer positiven Entwicklung des moralisch-ethischen oder des gesellschaftlich-sozialen Bereichs mitzuwirken, weswegen sie Mitschuld an der gegenwärtigen Krise trügen.322 Dies gelte es künftig grundlegend zu ändern. Auf Basis all dieser Erklärungsansätze für die eigene Vergangenheit machen sich die Rektoren schließlich auf die Suche nach einem Weg in eine bessere Zukunft.

320 E. Winter (HAL MLU 1948), S. 23. 321 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 10 f. Ähnlich auch E. Wolff (HH U 1945), S. 27). 322 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 5 f.

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3. Überwindung der Krise: Auswege und Zukunftsperspektiven Ausgehend von ihrer Analyse der Krise der Gegenwart in ihren verschiedenen Erscheinungen und Ursachen blicken die Rektoren in die Zukunft. Deren Gestaltung nehmen sie als große Herausforderung wahr. Bevor diese Aufgabe jedoch begonnen werden könne, sei es unabdingbar erforderlich, mit allem, was in ursächlichen Zusammenhang zu den Fehlern der Vergangenheit gebracht werden könne, konsequent abzuschließen, bislang bestehende Werte in ihrer Grundsätzlichkeit zu hinterfragen und auch gesellschaftliche Strukturen kritisch zu beleuchten.323 Dass man damit vor schwierigen und arbeitsreichen Zeiten stehe, ziehen sie als weitere Erkenntnis aus dieser Analyse. Die Rektoren wie etwa Josef Kroll kleiden derartige Einsichten gerne in bedeutungsschwere Worte mit einem Pathos, das sie freilich ebenso als Ausdruck der Hoffnung und Ansporn verstanden wissen wollen: »Nichts wird ohne Schmerzen geboren, Weinen steht an jeder Wiege, und das Große und Gute ist immer umdrängt von den Unzulänglichkeiten und ungebändigten Leidenschaften der Menschen. Das ist nun einmal Weltgesetz. Wie könnten wir es erst recht in unseren heillos aufgerührten Zeiten anders erwarten? Aber wir glauben auch mit fester Ruhe und Geduld an ein anderes Gesetz: dass wenn wir in unerschütterlicher Treue mit großem Herzen und mit reinen Händen dem Werke dienen, das Gute triumphieren wird. […] Wir säen unter Mühsalen in die Zukunft. Wer das tut, kann fürs erste nur mit magerem Ertrage rechnen. Aber Zukunft heißt Hoffnung und Vertrauen. Wer arbeitend hofft und vertraut, wird froh und stark, und der Erfolg wird ihm zugegeben.«324

Entgegen einer in der deutschen Bevölkerung verbreiteten Lethargie nach Kriegsende, welche die Redner als verbreitetes Symptom der Krise beschreiben, plädieren sie mit Verve für das Zusammenstehen aller genauso wie für das Engagement des Einzelnen. Das gemeinsame Anpacken sehen sie als einzigen Ausweg zur Bewältigung der Gegenwart und wollen daher mit ihren Reden bewusst aufrütteln, um eine Bewegung von unten nach oben zu initiieren. In der momentanen Situation, so proklamiert Josef Schmid, komme es im Vergleich weniger darauf an, dass »in den Verwaltungen oder Regierungen gute Köpfe sitzen«, sondern vielmehr darauf, dass sich »jeder Einzelne seiner Mission bewusst« werde und entsprechenden Einsatz an den Tag lege.325 Günther Rienäcker geht noch einen Schritt weiter, indem er die Existenzberechtigung des Individuums an seiner aktiven Mitarbeit beim Neuaufbau bemisst: »Das ist selbstverständliche Pflicht eines jeden Einzelnen, der seine Existenz und seinen Lebensanspruch 323 H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 11 f.; C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 26; R. Plank (KA THF 1946), S. 5; F. Hund (J FSU 1948), S. 5; O. Schwarz (J FSU 1948), S. 41, Sp. 3. 324 J. Kroll (K U 1946b), S. 3. 325 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 17.

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nur dadurch erwirken kann, dass er aktiv am Neuaufbau mitarbeitet.«326 Dass mit solchen Forderungen gleichzeitig dem bisher beklagten Krisenphänomen der Vermassung327 begegnet werden solle, betont etwa Karl Geiler. Das Wiederaufleben des »Werts der Persönlichkeit und des wahren Menschtums« in allen Bereichen des öffentlichen Lebens sieht er als einen unverzichtbaren Schritt auf dem Weg aus der Krise heraus.328 Hermann Schneider hofft gar auf eine quasi pionierhafte Avantgarde von »Schwellenmenschen«, die auf dem Weg in die Zukunft als erste »den großen Schritt ins Neue triebhaft wagen«, gleich »Heroen, die uns auf neue Höhen heben«.329 Karl Heinrich Bauer hält im Januar 1946 eine komplette Rede zu diesem Themenkomplex. Unter dem Titel »Philosophie des tätigen Lebens« erläutert er, wie die klassische »vita activa« auf die Gegenwart zu übertragen sei. Einen Leitfaden für das Engagement des Einzelnen liefert er gleich mit – auch unter Bezugnahme auf die verschiedenen Fachspezifika der Akademiker.330 Zweifel an der grundsätzlichen Möglichkeit einer deutschen ›Wiederauferstehung‹ lassen die Rektoren nicht zu. Allein schon wegen seiner »zentralen Lage in Europa«, dem »Gewicht unserer Menschenzahl« sowie der »weltweiten Bedeutung unserer Produktionskraft« könne Deutschland auf Dauer nicht in Isolation verbleiben.331 Es bedürfe jedoch, darüber sind sich die Rektoren fürderhin einig, großer Anstrengungen der Deutschen, um das verlorene Vertrauen in der Welt wiederzugewinnen. Dies sei nicht von heute auf morgen zu schaffen, weswegen man das Anliegen von deutscher Seite aus gleichermaßen mit Geduld und Beharrlichkeit anzugehen habe.332 In der weiteren Ausführung solcher Gedanken macht sich ein Unterschied in der Art und Weise der Formulierung bemerkbar, in der die Rektoren von ihren Zukunftsvorstellungen sprechen, vor allem wenn man diese mit ihrer Beschreibung und Analyse des Krisenzustands und seiner Ursachen vergleicht. Waren die Redner dort sprachlich eher präzise darin, ihren Beobachtungen Ausdruck zu verleihen, so bemühen sie hier auffallend häufiger Abstrakta von teils sehr weit reichendem Inhalt. Zumindest streckenweise bleiben sie damit eher inkonkret, was sie an Maßnahmen für notwendig erachten, um die zukünftige Entwicklung positiv zu befördern. Gegenwart und Vergangenheit scheinen für sie greifbarer, was sich im Vergleich zu einer bislang nur in der Vorstellung existierenden Zukunft in einer gewissen Luftigkeit der Sprache niederschlägt. Zudem boten die politischen Verhältnisse, die den Prospekt der Rektorenreden bildeten, den Deutschen insbesondere in den frühen Jahren ohnehin keine freien Gestal326 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 6. 327 Zur Bedeutung und Vorkommen von Vermassung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1, S. 107 f. 328 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 29. 329 H. Schneider (TÜ EKU 1945a). S. 34. 330 Vgl. K. H. Bauer (HD RKU 1946a). 331 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 95. 332 Vgl. etwa G. Rienäcker (RO U 1947), S. 6; G. Hohmann (M LMU 1946), S. 9.

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tungsmöglichkeiten; ein gewisses Maß an Vorsicht, respektive Zurückhaltung war demzufolge angebracht, zumal in der Programmatik einer öffentlichen Rede. Dass die Charakteristik der Quellengattung auf diese Beobachtung einen gewissen Einfluss hat, macht sich auch darin bemerkbar, dass sich die Redner gerade im Hinblick auf die Zukunftsvorstellung in einer Art Festtagsrhetorik ergehen. Tatsächlich erschöpft sich diese größtenteils darin, große Visionen zu entwickeln, die im Rahmen der Reden fast ausschließlich die grundsätzliche geistige Verfasstheit jener Zukunft umreißen. Bleibt die Suche nach Gründen dafür letztlich spekulativ, so werden aus den angesprochenen Zukunftsbildern trotz einer gewissen Vagheit dennoch die großen Linien erkennbar, welche diese Zukunft nach Ansicht der Rektoren leiten sollten – inklusive einer darin enthaltenen geistigen Neuorientierung. Wie indes als Einzelner, als Institution oder Gesellschaft konkret dahinzukommen sei, bleibt an vielen Stellen nur Andeutung. Eine semantische Auswertung macht der nicht näher ausgeführte Gebrauch von Abstrakta nur noch bedingt möglich. Anstelle einer konkreten Beschreibung von Reformbestrebungen sind auf der abstrakten Ebene keine wesentlichen Unterschiede des sprachlichen Gebrauchs erkennbar. Die Unterscheidung von Begriff und Label ist hier weitgehend obsolet.333 Das Abstraktum besitzt zwar eine reichhaltige Semantik, die jedoch – möglicherweise gerade aufgrund ihrer Weitläufigkeit – allgemein von den Rednern nur oberflächlich charakterisiert wird, um den Hintergrund dafür zu schaffen, dass der Ausdruck überhaupt im Sinnzusammenhang verständlich wird. Als oberste Prämisse für die nächste Zukunft geben die Rektoren einen inneren Wandel aus, der gerade auch hinsichtlich einer von außen kommenden Wiederanerkennung der Deutschen zu vollziehen sei. In den Augen der Rektoren stellt dies eines der wichtigsten Ziele für die Zukunft dar, das sich aber ihrer Einschätzung nach nur durch aufrichtige Auseinandersetzung mit dem Alten und einer daraus erfolgten Neuorientierung erreichen lässt. Zum zentralen Leit­ motiv, unter dem eine Neuorientierung zu erfolgen habe, küren die Rektoren den Begriff der Besinnung. Besinnen sollten sich die Deutschen demnach vor allem auf ihre geistigen Fähigkeiten, durch welche sie in der Vergangenheit zu einer kulturell bedeutenden Nation aufgestiegen seien. Der Klassische Philologe Josef Martin zieht daraus gleich in mehreren seiner Würzburger Rektoratsreden Parallelen zur Situation im antiken Rom nach den Bürgerkriegen. Genau wie in der Gegenwart sei damals ein konsequenter Bruch mit den Verirrungen der jüngsten Vergangenheit notwendig gewesen. In Besinnung auf alte Werte und Tugenden, begleitet von dem Bemühen um eine Wiedererweckung der alten Religion sei es schließlich gelungen, die Gesellschaft zu einer neuen Sittlichkeit zu bekehren und letztlich einen neuen Staat aufzubauen.334 333 Zur Definition und Unterscheidung von Begriff und Label siehe Kap. I, S. 14–19. 334 J. Martin (WÜ BJMU 1946), S. 11 f. u. S. 16 f.; J. Martin (WÜ BJMU 1947), S. 3.

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Inhaltlich steht Besinnung damit in enger Beziehung zu dem Begriff des Geistes. Dieser war bereits wichtig für die Analyse der Krise der Gegenwart, die als vorrangig geistige definiert wurde, und ist es in gleichem Maße für die Konzeption von Auswegen daraus. Semantisch diffundiert der Begriff im Diskurs der Rektoren in ein weites Feld an Bedeutungen aus: vom Intellekt und Seelenleben des Einzelnen über die Art und Weise, in der sich Strukturen von Institutionen wie etwa der Hochschule335 gestalten, bis hin zu einer Art Urkern von Kultur336 und Wissenschaft337. Hier und da fließt zusätzlich bzw. darüber hinaus der religiöse Aspekt in die Verwendung des Begriffs mit ein. Wohl aufgrund seiner Präsenz auf den verschiedensten Ebenen menschlichen Daseins steht der Geist bei den Rektoren ganz allgemein für den Garanten einer funktionierenden Zivilisation. Ist dieses omnipräsente Konzept gestört, wie die Redner zum Beispiel mit Blick auf das 19. Jahrhundert diagnostizieren, gerät die Zivilisation ins Wanken – wie die gedankliche Fortführung dieses Beispiels mit der Historie des 20. Jahrhunderts belegt. Da die Krise der Gegenwart demgemäß also auf einem Versagen des Geistes beruhe, erfordere es nun eine Besinnung auf dessen ursprüngliche Stärke, um den allgemeinen Niedergang umzukehren.338 Die Gegenwart gilt allein schon aufgrund der äußeren Begleitumstände als geeigneter Zeitpunkt, um sich tiefgreifend zu besinnen. Den aktuell gefühlten Moment des Umbruchs, gekennzeichnet von physischer Zerstörung und dem zeitgleichen Zerbrechen geistiger Konzepte bezeichnen die Redner mehrfach als »Wiedergeburt des Geistes«.339 Symbolträchtig beschwören sie ein Hand in Hand von materiellem und geistigem Wiederaufbau. Auf Basis des wiedergewonnenen Geistes, der gegenwärtig gewissermaßen den einzig verfügbaren Rohstoff darstelle, will man sich die Zivilisation Zug um Zug zurückerobern. Als »Grundvoraussetzung für den Sieg des Guten« sieht Karl Heinrich Bauer zuallererst ein Überwinden des »Gifts der Intoleranz«.340 Gepaart mit einer neuen Sittlichkeit könne aus der Kraft des Geistes schließlich ein ebenso neues Deutschland entstehen. Dieses solle sich nach Rudolf Plank fortan »Kraft seines Geistes in sittlicher Haltung« für die »Weiterentwicklung der Menschheit«, die »Linderung ihrer Not« sowie für die »Steigerung ihres Glücksgefühls« einsetzen.341 Besonders in Anbetracht des von ihnen verursachten Leids, so Josef 335 Zur Bedeutung und Vorkommen der Hochschule im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VII.1, S. 243 f. 336 Zur Bedeutung und Vorkommen der Kultur im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VII.1, S. 197 f. 337 Zur Bedeutung und Vorkommen der Wissenschaft im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.1, S. 246 f. 338 E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 5; J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 12; J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 12; P. Röntgen (AC RWTH 1946), S. 1; R. Plank (KA THF 1946), S. 6. 339 z. B. K. H. Bauer RB (HD RKU 1946), S. 2. 340 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 91 f. 341 R. Plank (KA THF 1946), S. 10. Vgl. hier auch J. Stroux (B HU 1946), S. 11; Th. Süß (ER FAU 1946), S. 20.

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Schmid, stünden die Deutschen zudem in der Pflicht, nun »als erste die Kraft aufzubringen, aus Leid und Not zu einem wahren Menschtum zurückzufinden« und ihre Schuld wiedergutzumachen.342 Das Materielle sei darin letztlich sekundär, pflichtet Ernst Terres den Universitätskollegen bei, was in dieser Art unter den Technikern ein weniger verbreiteter Argumentationsschwerpunkt ist: Allein der Geist kann seiner Ansicht nach zum »einzigen und wirklich tragenden Fundament der Zukunft« gereichen.343 Aus diesem Grunde fordert auch Josef Kroll alle »Guten, Bildungsfähigen, vor allem die Träger der akademischen Bildung« zur aktiven Anteilnahme auf – allerdings unter dem leicht pikanten Motto »Befreie dich selbst und werde deinem Volke Führer zur Freiheit«.344 Mit solchen Appellen wird einmal mehr das Individuum angesprochen. Die Redner setzen allgemein eine Wiederanerkennung des individuellen Eigenwerts als Basis zur Wiederherstellung der Kultur voraus. Um das Fortschreiten der V ­ ermassung der vergangenen Jahrzehnte einzudämmen und künftig umzukehren, müsse, so Walter Hallstein, primär die Verantwortung wieder an den Einzelnen zurückgegeben werden.345 Weiteren Begleiterscheinungen der Vermassung wie etwa dem Gefühl der Entwurzelung oder dem Mangel an geistigem Halt ist nach Ansicht der Rektoren ebenfalls bewusst entgegenzusteuern, solle der Neuanfang von Erfolg begleitet sein. Die Frage, wie dies vonstatten gehen solle, teilt die Rektoren in zwei Lager. Eines davon sieht vor allem in der Religion346 als Teil des abendländischen Erbes347 einen Stützpfeiler der Zukunft. Die Besinnung auf diese »ewigen Werte« könne helfen, aus einer »verfehlten Lebensform« heraus- und zurück zu einem »Geist der Einigkeit« zu finden, in dem Sittlichkeit und Sinnstiftung individuell wie kollektiv die vorhandene »innere Leere« beseitigen helfen und ein »richtiges Verhältnis zu sich und zu seinem Gott« entstehen ließen.348 Die zweite Gruppe von Rektoren erachtet die bindende Kraft der Religion innerhalb der Gesellschaft der Gegenwart als nicht mehr groß genug. Zu viele Menschen hätten sich bereits zu weit davon entfernt. Um auch diesen Gliedern der Gesellschaft Halt und ethisches Bewusstsein zu vermitteln, müsse man daher weiter greifen. Gerade weil die Religion nicht mehr wie im Mittelalter die allgemein gültige »gewaltlose geistige Macht« schlechthin verkörpere, fordert etwa Rudolf Laun den global organisierten Aufbau eines »öffentlichen Gewissens«, das verbindlich auch für »nichtchristliche Völker und religionslose Regierungen und Parteien« gelten 342 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 14. 343 E. Terres (KA THF 1949), S. 6. 344 J. Kroll (K U 1946b), S. 10. 345 W.  Hallstein (F JWGU 1948), S. 25 f. Vgl. hierzu auch G.  Hohmann (F JWGU 1946), S. 17–19. 346 Zur Bedeutung und Vorkommen der Religion im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.3, S. 237 f. 347 Zur Bedeutung und Vorkommen des Abendlands im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.2, S. 213 f. 348 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 13; E. Terres (KA THF 1949), S. 17 f.

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könne und solle.349 In solchen Gedankengängen spiegelt sich in Bezug auf ihre Umsetzung in die deutsche Realität immer wieder die Ethik Kants, geprägt von dem ihr innewohnenden Pflichtgedanken. Redner wie Karl Heinrich Bauer erkennen darin eine Reminiszenz an die spezifisch deutsche Geisteshaltung. Notwendigerweise, so Bauer, müssten die neuen ethischen Modelle bestimmte nationale Besonderheiten berücksichtigten. Er erachtet dies regelrecht als Grundlage für ihr Funktionieren, da verschiedene Mentalitäten auf verschiedenste Art und Weise verpflichtet werden müssten.350 Ausgehend von einer tiefgreifenden Besinnung auf traditionelle Werte streben die Rektoren darüber hinaus eine Erneuerung in Staat und Gesellschaft an. Im Gegensatz zur Besinnung schließt der Begriff der Erneuerung explizit auch Werte ein, die in der Vergangenheit nicht in gleichem Maße oder gar nicht akzentuiert wurden. Die Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation als dem Moment eines Wendepunkts scheint die Einschätzung der Redner zu begünstigen, dass ein Neuanfang nicht allein im Rückgriff auf Überliefertes zu machen sei.351 Nichtsdestotrotz bauen die neuen Werte insbesondere auf der Besinnung auf die ­a lten auf. Nur wenn die Gesellschaft falschen Nationalismus352, Vermassung sowie eine generelle Leere im Dasein überwinde und sich statt dessen wieder zu abendlän­discher Gemeinschaft, Humanismus353, wahlweise Religion, in jedem Fall aber einer ausgeprägten Sittlichkeit bekenne, könnten neue Projekte wie etwa die Etablierung einer funktionierenden Demokratie oder eine Lösung der sozialen Frage erfolgreich angegangen werden, aus denen wiederum neue Werte entstünden. Derartige gesellschaftliche Vorhaben sind für die Rektoren einmal mehr stark beeinflusst vom Geist, der ihnen jeweils innewohnt. Er stellt aus ihrer Sicht die wirkungsmächtige Größe schlechthin dar, die Veränderung erst ermöglicht. Was im Geist nicht vorgedacht wurde, bzw. als grundlegende Prägung vorhanden ist, kann in die Realität nicht übertragen werden. Ziel ist auch hier eine Verknüpfung von altem mit neuem. So wenig das Gros der deutschen Professorenschaft nach dem Ersten Weltkrieg von der Demokratie als politischem System der Zukunft überzeugt war,354 so intensiv plädieren die Rektoren nach 1945 dafür, Deutschland als demokratischen Staat wiederaufzubauen, und werben für breite Unterstützung dieses Projekts. Der Beobachtung Heidrun Kämpers zufolge ist das Engagement für die Demokratie im intellektuellen Nachkriegsdiskurs insgesamt sehr häufig 349 R. Laun (HH U 1947), S. 21 f. 350 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 92–95. 351 Zur Wahrnehmung der Gegenwart als Wende- oder Scheidepunkt vgl. Kap. V.1, S. 104 f. 352 Zum falschen Nationalismus als einer der deutschen Besonderheiten, die als Gründe für die angenommene gesonderte historische Entwicklung Deutschlands im Nachkriegsdiskurs ausgemacht wurden vgl. Kap. V.2, S. 168–171. 353 Zur Bedeutung und Vorkommen des Humanismus im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 230–234. 354 Vgl. hierzu Kap. V.1, S. 124 f.

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anzutreffen. Die führende Elite habe den demokratischen Gesellschaftsentwurf konzeptionell mit ihrem Streben nach einer Wiederkehr des Humanismus verbunden, während das Gros der Bevölkerung dem eher gleichgültig gegenübergestanden habe.355 Dies bestätigt auch Christoph Kleßmann, der ebenfalls aus zeitgenössischen Stimmen die Bedeutung der alltäglichen Versorgung und Sicherheit vor einer Beschäftigung mit politischen Themen besonders für die frühe Nachkriegszeit in den Vordergrund stellt.356 Die Plädoyers – gerade auch in den Rektoratsreden – für die gute Sache der Demokratie sind daher vor allem auch als Überzeugungsarbeit einer gesellschaftlichen Vorreitergruppe an der skeptischen, noch unorientierten Mehrheit zu verstehen. Der werbende Charakter darin zeigt sich schon im argumentativen Aufbau der betreffenden Passagen. Die Redner stellen die Demokratie in dialektischer Anordnung gerne einer anderen Staatsform gegenüber und kommen dabei jeweils zu dem Ergebnis, dass das demokratische System die größten Vorteile für Individuum und Kollektiv gleichermaßen besitze. Die Situation der Rektoren, die sich mit diesem Werben als Hochschullehrer an ihr Publikum wenden, macht den Hintergrund jener Überzeugungsarbeit besonders deutlich, sprechen sie doch zu einer Generation von Studenten, die im politischen Leben mit der Demokratie noch nie in Berührung gekommen ist. Die Art der Argumentation, die sie hierfür wählen, bedingt einen mehr oder minder stark idealisierenden Ton, der allerdings mehr von einem staatsphilosophischen Bekenntnis zeugt als eine Anleitung für die politische Praxis zu geben. Über konkrete Elemente, nach denen eine künftige Demokratie tatsächlich verfasst sein müsste, wie beispielsweise ein Wahlsystem oder die Art der Volksvertretung, treffen die Redner im wesentlichen keine Aussage. Ihr Gedankengang kreist um absolut Grundlegendes, weswegen der Begriff ein breitgefächertes Spektrum an Wertvorstellungen widerspiegeln kann. In ihrer Analyse der Vergangenheit hatten die Rektoren bereits einen Mangel an demokratischer Tradition in Deutschland festgestellt. Um für die Zukunft nun entsprechend die Weichen zu stellen, beschwören viele Redner wiederum den ›richtigen‹ Geist, von dem die Demokratie künftig getragen sein müsse. Nur wenn man ihr in den Worten Constanin von Dietzes mit »rechtem Geist und gebotenem Ethos«357 begegne, ließe sich die große Verantwortung bewältigen, die eine Demokratie für den Einzelnen wie für das Gesamt bedeute. Rudolf Smend spricht hier vom »politischen Lebenswillen« eines Volkes als der zwingend erforderlichen geistigen Grundhaltung. Darum dass diese in ausreichendem Maße vorzufinden sei, müsse man sich zunächst »in hartem gedanklichem und sittlichem Ringen« bemühen, wolle man »nach allem, was geschehen ist und was heute ist, einigermaßen wenigstens die Freiheit und das Leben wiedergewinnen«.358 Ein wiedererwecktes ethisches Bewusstsein – vor allen Dingen in 355 356 357 358

H. Kämper (2005), S. 442–466. Ch. Kleßmann (1982), S. 53–56. C. v. Dietze (FR ALU 1947), S. 196. R. Smend (GÖ GAU 1945), S. 379.

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Bezug auf das Kollektiv –, das sich in einer bewussten »Mitverantwortung für den Mitmenschen«359 ausdrücke, wie darüber hinaus die Gewährleistung einer »Gewissensfreiheit«360 unter allen Umständen fordern die Redner weiterhin als grundlegende Bestandteile des demokratiefördenden Geistes ein. Innerhalb dieses diskursiven Rahmens steht die Demokratie in den Rektoratsreden wie im intellektuellen Gesamtdiskurs für den politischen Ausdruck eines wiedererstandenen Humanismus. In manchen Darstellungen gilt sie gar als das einzig menschenwürdige Staatssystem überhaupt. Nur in einer Demokratie werde, so Gotthold Bohne in seiner Rede über die Menschenwürde, der »Einzelmensch in seiner Hoheit und Würde geachtet«, da nur in dieser Staatsauffassung das Individuum einen Anspruch auf Gerechtigkeit besitze.361 Der Theologe August Reatz sieht im Bekenntnis zur Demokratie weit mehr als die Wahl einer »äußeren Staatsform«. Darin schwinge gleichsam ein »Ethos«, das »aus dem Bewusstsein unserer gemeinsamen Menschenwürde und unserer besonderen geschichtlichen Berufenheit heraus« komme, wenn nicht gar »aus der Verantwortung vor dem schöpferischen Urgrund unseres Menschseins und im Einklang mit den von hier aus vorgegebenen Normen aller politischen und sozialen Ordnung«.362 Die praktischen Aspekte eines realen demokratischen Systems lassen die Rektoren freilich nicht völlig außer Acht. Doch bleiben sie auch hier zumeist bei allgemeiner gehaltenen Feststellungen stehen. So stellen sie etwa den Grundsatz absoluter Legitimität auf: Diese drücke sich in der Praxis ausschließlich in der Machtübertragung durch freie Wahl aus, nach welcher der souveräne Volkswille als Ganzes, d. h. anteilig müssten neben der Meinungsmehrheit auch die Minderheiten repräsentiert sein. Die Teilhabe an der Demokratie sei dem Einzelnen künftig unmittelbar zu gewähren, um darüber sein Gefühl eines demokratischen Durchdrungenseins zu fördern. Nur auf diese Weise könne gewährleistet werden, dass auch der Einzelne sich im Ernstfall zum Schutz der Demokratie aufgerufen fühle und keine Weimarer Verhältnisse mehr zu entstehen drohten.363 Dafür wie die Wege zu diesem Durchdrungensein in der Praxis aussehen sollten, geben die Rektoren indes keinerlei Hinweise, wenngleich sie an der Wichtigkeit, dass das Projekt einer Demokratisierung der Deutschen gelingen müsse, keinen Zweifel lassen. Einhellig bauen sie auf eine funktionierende Demokratie. Allein diese könne in eine erfolgreiche Zukunft führen und auf Dauer einen Rückfall in Zustände von Unrecht und Willkür verhindern. Nach außen betrachtet habe nur ein auf der Basis »sittlicher Erneuerung« demokratisch gewordenes Deutschland die Chance, wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen zu werden.364 359 360 361 362 363 364

E. Terres (KA THF 1949), S. 18. K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 92. G. Bohne (K U 1949), S. 25. A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 27. Vgl. hier etwa K. Geiler (HD RKU 1948), S. 19 f.; G. Hohmann (M LMU 1946), S. 12 f. E. Lehnartz (MS WWU 1948), S. 6; Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 12; G. Rienäcker (RO U 1946), S. 7; K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 94.

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Ihre Überzeugungsarbeit unterstreichen die Rektoren zudem durch Beispiele bereits existierender, funktionierender Demokratien. Als besonders nachahmenswertes Vorbild nennen die Redner am häufigsten die Schweiz, nicht etwa die USA und genauso wenig die Sowjetunion. Möglicherweise galt die Schweiz den Rednern als besserer, weil neutraler Leumund für ihre Argumentation. Heidrun Kämper liest aus dem breiteren Nachkriegsdiskurs zur Frage der Demokratie eine weitverbreitete Skepsis eines Großteils der deutschen Bevölkerung gegenüber der alliierten, insbesondere der amerikanischen365 Demokratisierungsprojekte heraus.366 Die kritische Sicht der Deutschen auf Maßnahmen wie Dezentralisierung, Demilitarisierung und Denazifizierung, mit denen die Demokratisierung – obgleich inhaltlich wie begrifflich ganz anders gelagert – zusammengeschlossen in der Reihe der »vier D« propagiert wurde, habe global ein beachtliches Maß an Misstrauen hervorgerufen. Auf deutscher Seite habe man in erster Linie befürchtet, zwangsweise ein politisches System amerikanischer Prägung aufgepfropft zu bekommen, was bereits im Vorgriff den Eindruck einer arroganten Bevormundung hinterließ.367 Die Schweiz gilt hingegen in vielen Rektoratsreden als Paradebeispiel einer »glücklichen« Nation, da sie sich eben nicht an »militaristischen« oder »imperialistischen« Zielen aufhalte, sondern vielmehr nach der Lehre Thomas Hobbes’ und auf der Basis einer selbstgegebenen demokratischen Staatsverfassung »das größtmögliche Glück möglichst vieler Menschen« erstrebe.368 Vorrangig die Juristen unter den Rektoren beackern mit dem Aufbau eines verlässlichen Rechtssystems einen weiteren Teil des Grundsteins für eine reale Demokratie in ihren Reden. Auch hier wieder dreht sich die Auseinandersetzung hauptsächlich um grundlegende Fragen zu dessen geistiger Verfasstheit. Vorgeschlagen wird wie in anderen Bereichen der Dreierschritt aus Besinnung auf Überkommenes, Orientierung an den Bedürfnissen der Gegenwart und daraus abgeleitet eine neue Form, die sich durch höchstmögliche Stabilität und geringstfügige Korrumpierbarkeit auszeichnen müsse, kurz eine Erneuerung. Um »wahres Recht« zu schaffen, bedarf es aus Sicht Walter Erbes künftig einer 365 Hier bleibt allerdings zu fragen, ob amerikanische Demokratisierungsvorhaben anders als etwa sowjetische unter anderem gerade deshalb so kritisch gesehen wurden, weil es in der amerikanischen Zone überhaupt möglich war, von deutscher Seite aus solche Kritik zu äußern. Auf diese Möglichkeit geht Kämper nicht ein. 366 In ähnlicher Weise beschreibt auch Uta Gerhardt eine skeptische und wenig einsichtige Haltung der Deutschen nach Kriegsende, die nur schwer zu durchbrechen war, wie sie von Vertretern der Besatzungsmacht wahrgenommen wurde. Siehe U. Gerhardt (2005), z. B. S. 176–183. 367 H. Kämper (2005), S. 442–449. Bestätigt wird diese kritische Sichtweise auf die alliierten Bemühungen um eine Demokratisierung der Deutschen aus historischer Forschung, z. B. N.  Frei (1996), S. 14–17; F. Hentschke (2001), S. 217–254. 368 Th. Süß (ER FAU 1945), S. 40 f.; in gleichem Sinne etwa G.  Hohmann (M LMU 1946), S. 12.

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»Verankerung in überpositiv gültigen rechtlichen Grundwerten, und zwar um so mehr, je rationaler und abstrakter es [i. e. das Recht] im Zuge seiner Entwicklung geworden ist«. Weil dies jedoch in der Gegenwart nicht mehr in Berufung auf die göttliche »lex aeterna« zu gewährleisten sei, eine Begründung des Rechts »allein aus dem Geiste des Rationalismus« sich jedoch ebenso wie ein »Naturrecht verstanden als Recht konkreter Rassen und Völker« bereits »als ungenügend erwiesen« hätten, könne die Rechtsbasis künftig nur auf einem »neuen humanistischen und christlichen Ideal« gründen. Dieses habe zeichne sich dadurch aus, den »Wert der Einzelperson in ihrer Individualität« zu berücksichtigen und ihr entsprechende Räume zur Entfaltung zu gewähren.369 Schließlich entstünde aus dieser Kombination eine »Art empirischen Naturrechts« von allgemeiner Gültigkeit: »Aus der Rechtsentwicklung wird auf induktivem Wege ein oberstes Rechtsprinzip, das der Gerechtigkeit, sei es gewonnen, sei es entdeckt, für den Aprioristen nicht minder gültig als für den Empiristen; denn es ist für die Einsicht in seine Verbindlichkeit gleichgültig, ob man sich die Anschauung von den obersten Zielen des Rechts aus der Erfahrung heraus bildet, sie als Entwicklungsresultat auffaßt, oder ob man sie als der Erscheinung gegenüber primär begreift, als Entfaltung eines ewigen Sinngehaltes des Rechts, der unabhängig von dem ihn auffassenden Subjekt besteht.«370

Handlungsbedarf sehen die Rektoren ferner hinsichtlich der extremen Tendenzen, welche die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten förmlich zerris­sen hätten. In den Reden herrscht ein großes Bewusstsein dafür, bis dato in einem ›Zeitalter der Extreme‹ (E. Hobsbawm) gelebt zu haben. Die Redner verleihen diesem Gefühl in verschiedener Form Ausdruck, etwa indem sie ein Empfinden der nachhaltigen »Störung der inneren Ordnung« oder eine fatale »Einseitigkeit in der geistigen Entwicklung« beschreiben.371 Die Abkehr von bisherigen Denkweisen, die zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt hätten, halten die Redner für unumgänglich, um Staat, Gesellschaft und Individuum in sich selbst wie auch im Verhältnis zueinander wieder in Balance zu versetzen. »Einigkeit« und »Einheit« ausgehend von der geistigen Ebene gelten ihnen als Grundvoraussetzungen dafür, die Aufgaben der Zukunft anzugehen.372 Hans Freese empfiehlt, bestehende Antagonismen im dialektischen Sinne Hegels zu beseitigen, benennt jedoch lediglich die Bereiche, in denen derartige Gegensätze in Gleichklang zu bringen seien. Wie diese Synthese zustande kommen könne und solle, lässt er im Wesentlichen unerwähnt. Vordringlich erscheint ihm ein Ausgleich der Dualismen von »Seele« und »Geist«, »Individualismus« und »Gemein-

369 W. Erbe (TÜ EKU 1948), S. 37–42. 370 W. Erbe (TÜ EKU 1948), S. 43. 371 Vgl. hier etwa E. Wolff (HH U 1945), S. 20; H. Freese (B TU 1949), S. 4; H. Diller (KI CAU 1950), S. 30. 372 Siehe z. B. A. Allgeier (FR ALU 1946), S. 20.

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schaft«, auf einer weniger abstrakten Ebene etwa auch von »Handwerk« und »Maschinenarbeit«.373 Vielen Reden sprechen den Bereich Wirtschaft, Industrie und Erwerb an. Die Veränderungen, denen gerade dieser Sektor im Verlauf der letzten hundert Jahre unterlag, hätten den sozialen Frieden innerhalb der Gesellschaft mehrfach aufs Tiefste gestört. Insofern ist die Wirtschaft für die Rektoren ein wichtiges Thema, vor allem auch im Blick auf ihre zukünftige Gestalt. Um den bisherigen Kreislauf mit all seinen Konflikten und Zwängen erfolgreich zu durchbrechen, brauche es in der Zukunft zuvorderst ein komplett umgestaltetes Wirtschaftssystem. Eine solche neue Wirtschaftsordnung soll in der Vorstellung von Rednern wie etwa dem Ökonomen Franz Böhm auf einer neuen Einigkeit zwischen den verschiedenen Gruppen der Wirtschaftsträger aufgebaut sein. Nur wenn sich Unternehmer, Verwaltung und Arbeiterschaft gemeinsam auf ein Ziel einschwörten, gebe es überhaupt eine Chance auf einen Wiederaufschwung.374 Besonders in den frühen Jahren denken die Redner die unterschiedlichsten Modelle künftiger Wirtschaftsformen durch. Dabei ziehen auch Rektoren der westlichen Zonen teils sozialistisch beeinflusste Ansätze in Erwägung. Friedrich Hermann Rein fordert 1946 basierend auf der Erkenntnis, dass der moderne Krieg nichts weiter als eine »Entropievermehrung« bedeute, die »Sozialisierung der Hauptgüter der Erde, eben der Kohlen und Erdöllager«, weil »deren Privatbesitz« einen »gesellschaftsfeindlichen Tatbestand« darstelle.375 Walter Hallstein spricht sich im gleichen Jahr zumindest für den Zeitraum akuter materieller Not, der seiner Erwartung zufolge nicht zu kurz anzusetzen sei, für eine Verstaatlichung des kompletten Sektors der »Lebensgüter« aus, »weil nur die verbundene Kraft vieler den erforderlichen Aufwand tragen und nur eine gemeinschaftliche Instanz die angemessene Verteilung des Wenigen gewährleisten kann«.376 Die Diskussion der künftigen Wirtschaftsordnung rührt in erster Linie von der Suche nach einer Lösung der sozialen Frage her. Hinsichtlich seiner Motivation steht dieses Ansinnen mit dem vielfach heraufbeschworenen neuen Humanismus in Zusammenhang. Von diesem erwarten sich die Rektoren, dass er nicht nur bestehende gesellschaftliche Gräben schließen und Einigkeit stiften werde, sondern darüber hinaus auch breitgefächerte Entwicklungsmöglichkeiten für Individuum und Kollektiv bereitstellen solle. Die Rektoren stellen sich dies nach einem ganzheitlichen Ansatz vor: Durch eine einmalige Besserung des Lebensstandards für die unteren Schichten sei die soziale Problematik nicht aus der Welt zu schaffen. Vielmehr müsse die gesamte Wirtschaftsstruktur dahingehend verändert werden, dass die Arbeitnehmer sowohl durch eigene Interessenverbände wie durch die staatliche Sozialpolitik besser abgesichert seien. 373 374 375 376

H. Freese (B TU 1949), S. 5–7. F. Böhm (F JWGU 1948), S. 92 f. F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 5. W. Hallstein (F JWGU 1946) S. 30 f.

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Ernst Jacobi referiert darüber im Jahr 1947 in Leipzig in einer Rede über das Mitbestimmungsrecht der Belegschaft ausgehend vom Betriebsrätegesetz des Alliierten Kontrollrats. Danach solle das betriebliche Mitbestimmungsrecht mit »weitem Spielraum für die Initiative der Beteiligten« neugestaltet werden. Jacobi deutet diese Vorgabe gleichermaßen als Lektion im Politischen, wodurch die Deutschen zudem »etwas sehr Wesentliches über Demokratie lernen können«.377 Daneben erscheint es in der rektoralen Diskussion der sozialen Fragestellung als unabdingbar, den Tendenzen der Vermassung in den modernen Produktionsbedingungen aktiv entgegenzuwirken. Indem man künftig etwa Berufsbilder zwischen der zwangsläufig dünnen akademisch gebildeten Schicht und dem derzeit übergroßen Heer der »ungelernten Arbeiter« in besonderem Maße fördere, ließen sich die Arbeitsbedingungen zum Wohle von Individuum und Kollektiv verbessern. Das dadurch bereitgestellte Mehr an Bildung komme dem individuellen Bedürfnis des Einzelnen »geistig-seelischer Art« nach Ansicht von Friedrich Hermann Rein genauso entgegen wie es in der Folge vor allem Positives für die Gesellschaft bedeute, wenn der so Geförderte seine »schöpferische« Kraft schließlich im Beruf einsetzen könne.378 Diejenigen, die dergleichen Erfüllung beruflich nicht erreichen können werden, ermutigt Jean D’Ans, ihre Kreativität in der Freizeit auszuleben, beispielsweise im Kunsthandwerk oder durch die Pflege eines eigenen Gartens.379 Ein ›Zurück zur Natur‹ empfiehlt ebenfalls Hans Hermann Inhoffen. In der Natur gewinne »der Mensch seine innere Ruhe zurück« und stabilisiere somit die so wichtige Verbindung von Körper, Geist und Seele.380 Vereinzelt machen Redner allerdings auch auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die das Unterfangen, die soziale Frage zu lösen, mit sich bringe. Um in der Vermittlung zwischen den Interessenparteien erfolgreich zu sein zu können, so viel weiß Gerhard Grüß aus der Praxis seiner Amtsausübung zu berichten, erfordere dies zunächst auf allen Seiten den guten Willen, über die jeweiligen Klassenvorurteile hinwegzusehen.381 Ebenso grundlegende Bedeutung für den Erfolg besitze die Art und Weise, wie Wirtschaft und Gesellschaft auf den Frieden umgestellt würden. Dieser Umstellung unterlägen nicht nur die system- und produktionsbedingten Wirtschaftsstrukturen. Es offenbare sich darin außerdem, so Paul Röntgen, eine menschliche Seite. Tausende von Frontrückkehrern müssten zum Teil ohne konkrete berufliche Ausbildung in ein ziviles Leben wiedereingegliedert werden, das ihnen zum Teil ebenfalls völlig unbekannt sei. Für diese Menschen müsse ein Platz sowohl im Erwerbsleben wie in der Gesellschaft gefunden werden.382 Theodor Pöschl problematisiert derweil die breit diskutierte allgemeine ›Bildungsoffensive‹. Er argumentiert im Vergleich zu 377 378 379 380 381 382

E. Jacobi (L U 1947), S. 17. F. H. Rein (GÖ GAU 1946). S. 11 f. J. D’Ans (B TU 1947), S. 11 f. H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 22. G. Grüß RB (GF BA 1947), S. 5. P. Röntgen (AC RWTH 1946), S. 2.

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den meisten seiner Kollegen genau umgekehrt, beinahe im Sinne des Brechtschen Diktums »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«. Man müsse den Menschen zuerst in ihrer realen Lebenswelt einen Anreiz in Form von »Verbesserungen ihrer Arbeitsmöglichkeiten und Lebensbedingungen« schaffen. Erst dadurch entstünde bei ihnen der Wunsch nach einem Erhalt dieser Konditionen, so dass sie überhaupt ein Interesse daran entwickelten, sich als aktiver Staatbürger an den grundlegenden Instanzen der Demokratie zu beteiligen: »Das Ziel muß sein [it.] die eigenen Interessen des einzelnen Menschen durch Verbesserungen seiner Arbeitsmöglichkeiten und Lebensbedingungen so zu lenken, dass er selbst an der Aufrechterhaltung und Durchführung der staatlichen Ordnung einen positiv betonten Anteil nimmt; erst dann kann mit dem Aufbau einer den sittlichen Werten zugewandten Persönlichkeitspflege gerechnet werden.«383

Die von Pöschl vorgetragene Sorge verdient um so intensivere Aufmerksamkeit, als nicht nur er, sondern auch weitere seiner Kollegen große Veränderungen innerhalb einer deutschen Nachkriegswirtschaft erwarten. Sie gehen – hauptsächlich in der unmittelbaren Nachkriegszeit – zunächst von einer langen, teils in der Dauer von Jahrzehnten bezifferten Periode der Ungewissheit aus, in der Deutschland unselbständig dem Willen der Besatzungsmächte unterliegen oder doch zumindest keinen Zustand der inneren Ordnung im Land herbeiführen können werde.384 Damit in Zusammenhang stehen bei verschiedenen Rednern Erwartungen einer wirtschaftlichen Struktur, die künftig weitestgehend auf den Sektor der Großindustrie verzichten müsse und deren Produktionsleistung damit geringer ausfallen werde als der herrschende Bedarf.385 In der Folge scheint es Theodor Pöschl 1947 in seiner Karlsruher Rektoratsrede unausweichlich, dass ein »nicht geringer Teil von deutschen Menschen […] ins Ausland abwandern« werden müsse.386 Mit Fortschreiten der Jahre kehrt bei den Rektoren in Bezug auf die wirtschaftlichen Aussichten etwas mehr Zuversicht ein. Beobachten lässt sich dies etwa an der Rede von Pöschls direktem Amtsnachfolger Hans Jungbluth nur ein Jahr später. Jungbluth geht schon nicht mehr davon aus, eine deutsche Wirtschaft würde es in der Zukunft nur noch in marginalisierter Form geben. Er fragt im Gegenteil ganz praxisorientiert danach, auf welchen Industriezweig sich die Deutschen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln fokussieren sollten, und kommt zu dem Schluss, dass sich dafür in erster Linie der technologische Bereich eigne: »Eines ist sicher: Nur und ausschließlich durch die Technik wird Westdeutschland am Leben bleiben können, da die eigene Landwirtschaft die Bevölkerung nicht am Leben zu erhalten vermag. Es wird sich vor allem um die Verfeinerungstechnik wie Textil383 384 385 386

Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 11 f. H. Konen (BN RFWU 1945), S. 1 f.; J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 8. W. Müller (AC RWTH 1948), S. 25; Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 5. Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 5.

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fach, Heilmittel, feinster Maschinenbau usw. handeln müssen, da diese Industrien mit einem Minimum an in Westdeutschland nicht vorhandenem und deshalb die Devisen belastendem Werkstoff und einem Maximum an in Deutschland hinreichend zu Gebote stehender Arbeitskraft arbeiten.«387

Allerdings, das betont Jungbluth ausdrücklich, erfordere die Konzentration auf ein Wirtschaftsgebiet, das in erster Linie auf Know-how setze, nicht irgendeine Form der Arbeitskraft, sondern speziell diejenige von gezielt und ausreichend geschultem Personal, inklusive eines gesteigerten Anteils an Akademikern. Im Gleichklang mit weiteren Rednern zeichnet er für die Zukunft jedoch ein im Vergleich zur Vergangenheit verändertes Bild der Zusammenarbeit innerhalb der Betriebsgemeinschaft. Ebenso wie ein Wandel in den strukturellen Bedingungen der Wirtschaft zu erwarten sei, so erwarten ihn Jungbluth und seine Kollegen für die persönlichen Beziehungen der Tätigen. Trotz der Wichtigkeit, die sie den Akademikern beim Wiederaufbau zuschreiben, gehen sie – auf der Basis des – insgesamt von einem verstärkten Ausgleich von Hierarchien am Arbeitsplatz aus. Den Grund dafür sehen sie vor allem im Zusammenwirken von geringerer Wirtschaftskraft und Finanzstärke parallel zu einer allgemeinen Anhebung des Bildungsniveaus. Weil sie darin auch finanziell geringer ausfallende Vorteile der Akademikerschaft miteinrechnen, gehen sie insgesamt von einer Nivellierung der Gesellschaft in der Zukunft aus.388 Richten gerade die Rektoren Technischer Hochschulen wie etwa Pöschl und Jungbluth bisweilen den Blick auf vornehmlich praktische Aspekte des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, insbesondere auf den Anteil der Technik389 daran – allein zwei TH-Rektoratsreden beschäftigen sich beispielsweise mit dem Wiederaufbau einer zukunftsträchtigen Infrastruktur für das Eisenbahnwesen390 –, so klingt doch auch in Reden universitärer Herkunft immer wieder durch, wie sehr insbesondere die Leistungen der Technik die Gestalt der Zukunft bei weitem nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht beeinflussten. Die Techniker selbst verweisen dabei mehrfach auf die kritischen Seiten jener ›Technikeuphorie‹, deren Gefahren auszuschalten man nun bemüht sein wolle, vor allem anderen bei den kommenden Ingenieursgenerationen. Sie verpflichten die eigene Zunft auf das Bekenntnis zu der vielfach geforderten neuen Humanität391, die auch in diesem Fall Abhilfe schaffen solle.392 387 H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 7. 388 F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 8; H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 10. 389 Zur Bedeutung und Vorkommen der Technik im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1, S. 151 f. 390 K. Apel (B TU 1948); W. Müller (AC RWTH 1948). 391 Auch zum neuen Humanismus vgl. Kap. VI.3, S. 230–234. 392 L. Föppl (M TH 1947), S. 4. In gleichem Sinne: E. Terres (KA THF 1949), S. 14 f.; H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 11.

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Grundsätzlich besteht im Chor der Rektoren eine generelle Einigkeit darüber, dass die Welt nach wie vor, bzw. gar in immer größerem Maße den weiteren Fortschritt in der technischen Entwicklung brauchen werde. Dieser jedoch solle künftig zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden und nicht wie bisher zur gegenseitigen Zerstörung. Aus diesem Grunde bedürfe es ab sofort einer gezielten Erziehung, um einem erneuten Missbrauch der Technik vorzubeugen. Selbiges gelte gleichwohl nicht nur für die Techniker, sondern für die gesamte Gesellschaft, weswegen es zum »gemeinsamen Anliegen aller, die irgendwie erzieherisch tätig sind«, gemacht werden müsse. Hans Piloty zielt damit breit gestreut auf »Kirchen, Schulen und alle Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung«.393 Besonders wichtig erscheint den Rektoren diese Erziehungsarbeit auch vor dem Hintergrund der verhältnismäßig neuen, aber in rasantem Tempo prosperierenden Nutzung der Atomenergie. Man sieht sich am Beginn einer neuen Ära der Menschheit. Indes hänge die Entscheidung darüber, ob diese neue Epoche unbekannten Segen oder totale Verderbnis über die Welt bringen werde, ausschließlich von dem verantwortungsvollen Umgang mit jener frisch entdeckten Kraft ab.394 Sämtlichen Beschwörungen kultureller Einheit der abendländischen Völker bzw. der Menschheit insgesamt verleiht das Aufgreifen der Atomenergie in den Rektorenreden eine neue Dimension an Bedeutung, zumal es in einer nicht geringen Frequenz in den Reden anzutreffen ist. Ganz besonders an diesem Thema bemisst sich für die Redner die Unumgänglichkeit einer internationalen Lösung vieler aktueller Probleme. Nach der Sorge um die nationale Einigkeit fordern die Rektoren folglich, Aktivitäten auf internationaler Ebene in Sachen Versöhnung und Gemeinschaftlichkeit einzuleiten. Dafür müssten allenthalben nationalistische Tendenzen abgebaut werden, die zwar nicht allein in Deutschland bestünden; dort allerdings lägen sie in einer bis zur extremen Ausuferung übersteigerten Form vor, welche die Rektoren als eine der Hauptursachen für die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte diagnostizieren. Genau aus diesem Grunde müsse denn auch hier ganz besonders intensiv gegen den Nationalismus vorgegangen werden. Weil in Deutschland im Namen der Nation bereits »viel gesündigt« worden sei, hält es Karl Heinrich Bauer im Sinne einer tiefgründigen Erneuerung gar für notwendig, den gesamten »Begriff und unser inneres Verhältnis zum Vaterland neu [zu] erkämpfen«.395 Die Abkehr vom falschen Nationalismus bisheriger Prägung beinhaltet nach Vorstellung der Rektoren notwendigerweise den künftigen Verzicht auf nationale Überheblichkeit sowie auf das 393 H. Piloty (M TH 1948), S. 6. Ähnlich: J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 12 f.; H. G. Gadamer (L U 1946), S. 7; E. Terres (KA THF 1949), S. 5. 394 K. H.  Bauer (HD RKU 1946a), S. 59; E.  Heidebroek (DD TH 1946), S. 4; B.  Rajewsky (F JWGU 1949), S. 31 f. 395 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 95.

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Streben nach äußerer Machterweiterung, stattdessen aber die Verpflichtung zur Wahl vernunftgeleiteter Mittel im Umgang mit anderen Staaten. In jedem Fall bedürfe es darüber hinaus einer europäischen, wenn nicht weltweiten Zusammenarbeit, um derartige Intoleranz dauerhaft zu bannen.396 Insgesamt äußern die Rektoratsreden ein flächendeckend starkes Interesse an einer wie auch immer gearteten internationalen Zusammenarbeit. Man erwartet sich davon nichts Geringeres als die Begründung eines neuen, wieder von einem allumfassenden Humanismus geprägten Zeitalters. Großes Bewusstsein herrscht außerdem dafür, dass die Deutschen sich vor allen anderen von den mittlerweile als Ballast empfundenen Wesenheiten der vergangenen Jahre zu befreien hätten, damit sie früher oder später wieder in die »Völkerfamilie« aufgenommen würden. Darin nämlich bestehe, wie es beispielsweise Georg Hohmann ausdrückt, Deutschlands »einzige Chance eines Weiterlebens als Nation«. Zuvor jedoch stünden die Deutschen in der Pflicht, Moral unter Beweis zu stellen, damit von außen überhaupt wieder Vertrauen zu ihnen gefasst werden könne.397 In seiner Greifswalder Rektoratsrede aus dem Jahr 1950 sieht Hans Beyer das Verhalten der Deutschen vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich erfolgten staatlichen Teilung und den damit festgeschriebenen Zugehörigkeiten zu zwei konkurrierenden Systemen gar als richtungsweisend für den weiteren Verlauf der Weltgeschichte.398 Wenn Stimmen aus dem Ausland sich in wohlwollendem Ton mit dem Deutschland der Gegenwart befassen, nehmen es die Redner allemal mit großer Dankbarkeit wahr,399 so etwa als der Schweizer Theologe Karl Barth direkt nach Kriegsende sein »Freundeswort von draußen« veröffentlichte, das im Druck den Titel »Zur Genesung des deutschen Wesens« erhielt.400 Ein weiteres Beispiel für einen Auslöser rektoraler Dankbarkeitsbekundungen in diesem Zusammenhang ist die Teilnahme des amerikanischen Schriftstellers Thornton Wilder an der Gründungsfeier der Freien Universität Berlin, der dort sogar ein Grußwort sprach.401 An verschiedener Stelle schimmert in den Reden besonders in dem Gedanken an ein geeintes Europa402 die starke Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden durch. Dabei äußern die Redner ihre Vorstellung von Einigkeit auf überstaat­ licher Ebene in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Abstufungen. Diese reichen vom Propagieren eines bloßen Zusammengehörigkeitsgefühls auf rein geistiger Basis bis hin zu Vorschlägen eines europäischen Staatenbunds, wenn nicht gar eines Bundesstaats. Welchen Zielpunkt die Rektoren für eine euro396 Vgl. etwa Th. Süß (ER FAU 1946), S. 37–40; K. Geiler (HD KU 1948), S. 29. 397 G. Hohmann (M LMU 1946), S. 13. 398 H. Beyer (GW EMAU 1950), S. 15. 399 Vgl. G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 17; E. Redslob (B FU 1948), S. 24. 400 K. Barth (1945). 401 Th. Wilder (1949). 402 Zur Bedeutung und Vorkommen von Europa im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.2, S. 212 f.

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päische Einigung im Einzelnen auch vor Augen haben, so liegt die Zukunft Europas und der Welt ihrer Auffassung nach ganz eindeutig in den Händen eines bewussten Umgangs mit der globalen Verantwortung, die man künftig zu tragen habe. Durch den Kriegsausgang befinde man sich in einer insgesamt »völlig neuen Weltlage«, die vollkommen auf »Welteinheit, Welteinigkeit und Weltfrieden« verweise.403 Um diesen Zustand zu erreichen, bedürfe es jedoch international gefasster Regelungen. Friedrich Hermann Rein spricht hier zunächst die weltweit verfügbaren Ressourcen an. In kriegerischen Auseinandersetzungen würden diese im Sinne physikalischer Entropie unwiederbringlich und wider die menschliche Vernunft zerstört. Daher fordert Rein eine »Sozialisierung der Hauptgüter der Erde«, um derartige »Entropievermehrung« durch Kriege möglichst auszuschalten.404 Im Interesse eines dauerhaften Friedens argumentiert auch Rudolf Laun für einen internationalen Zusammenschluss auf politischer Ebene. Hält er die Gründung eines Weltstaats zwar für unwahrscheinlich, weil dafür alle bestehenden Staaten ihre Autonomie aufgeben müssten, so glaubt er doch an einen internationalen Staatenbund als den einzigen Weg zu einer wirklichen Friedenssicherung. Die Aufgabe dieser Institution solle demzufolge etwa sein, über die Einhaltung der Menschenrechte zu wachen oder nationale Einzelinteressen auf Staatenkonferenzen auszugleichen. Dies alles solle unter der Zielsetzung geschehen, einen Zustand zu erreichen, in dem Regierungen es »unter ihrer und ihres Volkes Würde fänden, fremde Völker zu unterdrücken«.405 Auf die Herausforderung, die Grundbedingungen jeglicher »übernationaler Zusammenschlüsse« zu schaffen, verweist auch Karl Geiler: Die Nationalstaaten müssten dafür in jedem Falle »nationale, politische und wirtschaftliche Egoismen« überwinden und »auf einen Teil ihrer Souveränität« verzichten. Nach Ansicht Geilers lasse sich dies jedoch nicht von jetzt auf gleich erreichen, es erfordere vielmehr im Vorfeld eine grundlegende »psychologische Vorbereitung und Bereitschaftmachung der europäischen Völker«.406 Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit, welche die Rektoren in Bezug auf eine Außenpolitik der internationalen Kooperation formulieren, erstaunt es, dass kaum einer der Redner auf den 1945 bereits erfolgten internationalen Zusammenschluss von 51 Nationen im Rahmen der Vereinten Nationen eingeht.407 Umgekehrt stellt sich für die Rektoren beim Blick auf zukünftige Formen internationaler Zusammenarbeit zwangsläufig die Frage nach dem Schicksal der Deutschen auf nationaler Ebene. In den ersten Jahren äußern die Redner kaum konkrete politische Vorstellungen zu einem künftigen Deutschland als wieder403 K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 18. 404 F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 5. 405 R. Laun (HH U 1947), S. 20–27. 406 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 26. 407 Zur Frage der Rezeption der Vereinten Nationen in den Rektoratsreden vgl. Kap. VI.1, S. 205–207.

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erstandenem Staat, abgesehen von Faktoren seiner grundsätzlichen Verfasstheit, wie etwa einem eindeutigen Bekenntnis zur Demokratie. Die Deutsche Frage wird erst mit Fortschreiten der Zeit in den Rektoratsreden virulent, nachdem ein gewisses Maß an Selbstverwaltung unter Aufsicht der alliierten Besatzungsmächte zurückgewonnen war und vor allem als der Beginn des Kalten Krieges sich abzuzeichnen begann. Im Angesicht der fortschreitenden Blockbildung, die eine politische Teilung des Landes immer wahrscheinlicher erscheinen ließ, begannen die Rektoren damit, die Einheit Deutschlands in ihren Reden herauszustellen. Dies setzten sie zum Teil auch nach den beiden Staatsgründungen noch fort, wobei sie allerdings schnell den Charakter politischer deutscher Nachkriegsrhetorik übernahmen, die zwar mit Leidenschaft die deutsche Einheit behauptete, praktisch jedoch um ihre Undurchsetzbarkeit wusste.408 Um den Topos der deutschen Einheit herum finden sich in den Reden keinerlei Spitzen gegen die jeweils andere Seite. Diese finden sich eher in der Diskussion bestimmter inhaltlicher Fragen, zu denen es auf beiden Seiten unterschiedliche Lösungsansätze gibt, wie etwa zur Gestaltung der Hochschulverfassungen. Immer wieder sprechen die Rektoren Themen und damit verbundene Ziel­ setzungen an, die künftig ein Mehr an Bildung409 fordern. Bildung gilt allgemein als Schlüssel zu einer besseren Zukunft, taucht aber im Diskurs häufig als Label auf, wenn es darum geht, den jeweiligen Vorstellungsbereich zu formulieren. So ist bisweilen nicht erkennbar, welche Fähigkeiten wo geübt, bzw. welche Kenntnisse wozu erworben werden sollen. In erster Linie für den Hochschulbereich fungiert Bildung als detailliert beschriebener Begriff in den Reden der Rektoren. Dort fühlen sich die Redner offensichtlich berufen, konkretere Aussagen über das anzustrebende Bildungsniveau der künftigen Akademiker zu treffen und Fähigkeiten, die dafür zu erwerben sind, genauer zu benennen. Dabei kommt es zu Überlappungen des akademischen und des allgemeinen Bereichs. Die Rektoren formulieren einen Bildungsanspruch für die Akademiker, der über die Hochschule hinausgeht. Da viele von ihnen ihre Berufe später außerhalb der Hochschule ausübten, solle ihre erworbene Bildung dieser Vorstellung nach innerhalb ihres Wirkungskreises entsprechend auf ihr Umfeld abstrahlen. Die Redner machen keine konkreten Angaben dazu, welche Bestandteile der akademischen Bildung auf diesem Weg transportiert werden können oder gar sollen. Erkennbar wichtig ist für sie dabei aber die Weitergabe der humanistischen Prägung.410 Gerade was die politische Beteiligung angeht, so fordern mehrere Redner ein verstärktes Engagement der Akademiker wie überhaupt aller Personen mit »tie408 F. Meinecke (B FU 1948), S. 22; H. H. Inhoffen (BS THCW 1948), S. 11; W. Straub (DD TH 1949), S. 6; E. Redslob RB (B FU 1950), S. 8. 409 Zur Bedeutung und Vorkommen von Bildung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. auch Kap. VII.1, S. 261 f. 410 Vgl. hierzu Kap. VII.1, S. 259–265.

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fem Wissen« und »höchster Sorgfalt im Urteil«411. Auf diesem Typus Mensch soll aus ihrer Sicht die Zukunft aufgebaut sein. Rekrutieren könnten sich seine Vertreter indes keineswegs nur aus dem Kreis der Akademikerschaft. Entscheidend hierbei sei jeweils das Maß an Allgemeinbildung, über das der Einzelne verfüge. Insofern streben die Redner eine Anhebung der »allgemeinen Volksbildung« an. Denn, so Richard Grammel, ein »in allen seinen Schichten hochgebildetes und nur von hochgebildeten Männern geleitetes Volk« werde nicht dem »politischen Wahnsinn zum Opfer fallen«.412 Dass hier Begriffe wie Vernunft und Verstand stark in die Vorstellung von Bildung miteinfließen, zeigt Grammel im direkten Anschluss. Aus seiner oben formulierten Vorstellung der Zukunftsgesellschaft leitet er das Gebot ab, jeder Mensch müsse sich gebührend den Verstand ausbilden: »Nur die Kraft des Verstandes kann den Menschen emporziehen aus dem letzten Sumpf seiner Tierheit und ihn – ob in naher oder erst in ferner Zeit, wir wissen es nicht – zum wahrhaftigen Menschen machen.«413 Mit Bildung im klassischen Sinne – wie sie etwa Rudolf Plank vorschwebt, wenn er das Wiederauferstehen Deutschlands an eine Besinnung auf die »reichen Veranlagungen im deutschen Volk« knüpft, durch die es einst »Volk der Dichter und Denker« wurde414 – hat dies nichts zu tun. Ähnlich weit zu fassen ist auch das Spektrum an Bildung, das die Hochschule künftig vermitteln will. In ihren Hochschul-Konzeptionen für die nähere und fernere Zukunft betonen die Rektoren ausdrücklich die bedeutsame Stellung, ja gar die Führungsrolle, welche die Hochschule im Wiederaufbau einzunehmen gedenke. Sie sehen sich als Vorreiter in der Analyse von Vergangenheit und der daraus hervorgegangenen Problemstellungen wie auch in der Erarbeitung von Lösungen für die Zukunft. Daraus ergeben sich mehrere, vom Chor der Redner übereinstimmend formulierte Aufgaben in den Feldern Erziehung, Forschung und gesellschaftlicher Auseinandersetzung, die man sich selbst auferlegt. In ihrem erzieherischen Konzept legen die Rektoren das Gewicht klar auf eine Befähigung zu selbständigem Denken auf der Basis einer möglichst breiten Allgemeinbildung415. Fachliches Wissen müsse die Hochschule in jedem Fall auch weiterhin vermitteln, ihren Erziehungsauftrag verstehen die Rektoren aber vor allem als charakterliche Bildung. Künftige Generationen von Akademikern sollen gestützt von einem breiten Wissen im Bewusstsein eines neuen Humanismus agieren, um damit weniger anfällig zu sein, einer Korrumpierung im Stile der kürzlich erlebten anheimzufallen. Inspiriert vom ähnlich krisenbestimmten historischen Umfeld der Gründung von Platons Akademeia formuliert der Klassische Philologe Friedrich Zucker als Aufgaben der zukünftigen Universität die

411 412 413 414 415

F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 6. R. Grammel (S TH 1946), S. 16 f. R. Grammel (S TH 1946), S. 17. R. Plank (KA THF 1946), S. 6. Zur Wichtigkeit der Allgemeinbildung vgl. Kap. VII.1, S. 261 f.

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»Bekämpfung jener Irrlehren [des Nationalsozialismus] und im Positiven [die] Heranbildung zu konsequent denkender, kritischer, objektiver Durchdringung des Gegebenen und Erziehung zur Unterordnung unter sittliche Normen, mit einem Wort Hervorbringung wahrer geistiger und sittlicher Bildung«.416 Darüber hinaus steht die Hochschule für die Rektoren zu einem gewichtigen Teil verantwortlich im Wiederaufbau, indem sie die von ihr geleistete Forschung in die Gesellschaft einbringe. Eine Forschung, wie sie die Redner vorsehen, solle in ihrer direkten Wirkung dem Wohlergehen aller Menschen dienen. Damit könne sie im übertragenen Sinne zugleich einen doppelten Beitrag zum Frieden leisten. Wenn nämlich die Nationen künftig ihren Wettstreit auf wissenschaftlicher Ebene austrügen, würden kriegerische Auseinandersetzungen obsolet.417 Klingen solche Äußerungen auch sehr utopisch gefärbt, so drücken sie doch die klar erkennbare Hoffnung aus, mit den wenigen verbliebenen Mitteln gerade dem eigenen Land wieder zu einer gewissen Anerkennung in der Welt zu verhelfen. Für die Rektoren erscheint dies am ehesten über die in ihrer direkten Einflusssphäre liegende Wissenschaft möglich, bzw. liegt ihnen gedanklich am nächsten. Abgesehen von solch klassischen Obliegenheiten wie der Bildungsfrage sind die Rektoren auch bereit, mit der Hochschule zur Bewältigung kommender Aufgaben neue Wege zu beschreiten. Dazu gehört für sie in erster Linie die Be­ handlung von »Problemen der Gegenwart«, wie der Aufgabenbereich in den Reden häufig bezeichnet und gerne mit Attributen wie »lebendig«, »allumfassend« oder »brennend« versehen wird418. Inhaltlich können die »Probleme der Gegenwart« prinzipiell alle Bereiche des Lebens umfassen, wie auch die Krise der Gegenwart auf alle Lebensumstände wirke. Warum die Hochschule von nun an verstärkt zu jenen Fragen Stellung beziehen und Hilfe anbieten will, die sie traditionell eher weniger tangierten, begründen die Redner unterschiedlich. Allgemein nennen sie als Hauptgrund dafür aber einmal mehr das Anliegen, ihren im selbständigen kritischen Denken unerfahrenen Studenten Orientierung zu bieten und in breitestmöglichem Maße Allgemeinbildung zu vermitteln. Walter Gerlach leitet die »verhältnismäßig neue« Aufgabe der Hochschule folgendermaßen her: »Sie ist vor allem durch zwei Faktoren bedingt: Erstens der gesteigerte Einfluß der Naturwissenschaften auf das Leben, der schnelle Umsatz von neuartigen Entdeckungen zu technischen Entwicklungen und ihre Verwendung als politischer Machtfaktor sei es in der Propaganda, sei es in kriegsdrohenden Waffen; zweitens die Schnellebigkeit unserer Zeit, das gesteigerte Tempo jeder Änderung, wodurch vor allem in sozialen 416 F. Zucker (J FSU 1945), S. 276. In diesem Sinne auch G. Rienäcker (RO U 1946), S. 13 f.; P. Röntgen (AC RWTH 1946), S. 2. 417 F. Regler (FG BA 1946), S. 58; K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 17; S. Janssen (FR ALU 1945), S. 11. 418 Siehe hierzu etwa: R. Plank (KA THF 1946), S. 16; J. Kroll (K U 1947), S. 63, W. Gerlach (M LMU 1949b), S. 13.

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Fragen eine revolutionshafte Unruhe entsteht. Der Hauptgrund für das letztere ist eine oberflächliche Bildung, eine mangelnde Einsicht in das Wesen der Dinge und ihrer Entwicklung, ebenso bei Akademikern wie in breiten Volksschichten.«419

Überdies sehen die Rektoren die Akademiker der Zukunft verpflichtet, ihren Beitrag zum Allgemeinwohl zu leisten. Die »Probleme der Gegenwart« beträfen die Allgemeinheit als Ganzes, ebenso könnten sie nur durch das Zusammenstehen aller gelöst werden. Ein »vom gesellschaftlichen Geschehen losgelöstes Dasein in einer abgeschlossenen Studierstube« könne sich in einer solchen Zeit kein Wissenschaftler mehr erlauben, erhebe er gleichzeitig Anspruch darauf, an »allen Ergebnissen der gesellschaftlichen Arbeit« teilhaben zu wollen.420 In der SBZ, respektive später in der DDR wurde diese Form der Argumentation dahingehend genutzt, eine gesellschaftszugewandte Mobilisierung der Hochschule zu fordern, was letztlich auch ihre Politisierung nach kommunistischem Credo miteinschloss. Dem geistig arbeitenden Akademiker wurde demnach die Pflicht auferlegt, durch sein Tun einen Betrag zum kollektiven Fortschritt zu leisten. Daraus könne er gegenüber dem körperlich arbeitenden Gros der Bevölkerung überhaupt erst ein Anrecht darauf erwerben, an deren erwirtschafteten Gütern sowohl persönlich wie in der Finanzierung seiner Forschung teilzuhaben.421 Diesen Aufruf an die Akademiker allerdings schreiben die Rektoren in Ost wie West gleichermaßen groß. Vor allem auf der Seite der Universitätsrektoren fokussiert er sich leicht auf einen ideellen Beitrag zur Stärkung von Ethos und geistigem Halt.422 Die Rektoren der Technischen Hochschulen haben hingegen eher praktisch geleitete Vorstellungen. Aus der Nähe der anwendungsbezogenen Fächer heraus schlagen sie etwa ein Engagement der Hochschule in der Lösung der Ernährungsfrage oder der Fortbildung von im Beruf stehenden Ingenieuren als mögliche Beiträge vor.423 Umgekehrt knüpfen die Rektoren an ihre Erklärung zum bereitwilligen Einsatz für die Gesellschaft in vorsichtiger Weise Forderungen, was ebendiese Gesellschaft umgekehrt für die Hochschule zu leisten habe. Nicht zuletzt auch deswegen, damit die Hochschule den von ihr selbst formulierten Auftrag überhaupt erfüllen könne. Man argumentiert gerne mit der Wichtigkeit der Hochschule gerade für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, für den die Forschungs- und Ausbildungsergebnisse der Hochschulen dringend erforderlich seien. Somit stehe und falle der Erfolg dieses Unternehmens mit einer angemessenen Förderung der Hochschularbeit.424 Alfred Mehmel führt dies folgendermaßen zusammen: »[…] es ist oft genug darauf hingewiesen [item], dass die Erkenntnis von heute 419 W. Gerlach (M LMU 1949a), S. 13 f. 420 O. Schwarz (J FSU 1948), S. 40, Sp. 2 f. 421 Beispiele für diese Haltung in den Rektoratsreden etwa G. Rienäcker (RO U 1946), S. 6–8; E. Jacobi (L U 1947), S. 1 f.; K. Koloc RB (DD TH 1950), S. 10. 422 C. v. Dietze (FR ALU 1947), S. 196. 423 G. Gassner RB (BS THCW 1948), S. 14; G. Grüß RB (FG BA 1947), S. 10. 424 K. Apel RB (B TU 1949), S. 7; G. Gassner RB (BS THCW 1948), S. 16.

Überwindung der Krise: Auswege und Zukunftsperspektiven 

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die Technik von morgen und die Wirtschaft von übermorgen ist, dass ein verarmtes Volk sich den Luxus gar nicht erlauben kann, die Wissenschaften zu vernachlässigen.«425 Wie bereits an anderer Stelle sind es die Rektoren der Universitäten, die auch hier wieder mit den geistigen Aufgaben argumentieren, welche die Hochschule in der Gesellschaft übernehme, gerade was die erzieherische Leistung betreffe.426 In gesteigertem Maße richten sich die Erwartungen der Rektoren an die Jugend427, die sie ohne jegliche Art von vorsichtiger Zurückhaltung bekunden. Auf der Jugend liegen die Hoffnungen für die Zukunft, daran lassen die Redner keinen Zweifel. Sie soll den Wiederaufbau entschieden voranbringen und auf der Basis der umfassenden Bildung, die man ihr angedeihen lassen will, die Gesellschaft maßgeblich verändern. Viel Pathos begleitet die Mahnungen der Rektoren, die Jugend möge nicht an der Krise der Gegenwart oder ihrer persönlichen leidvollen Vergangenheit verzweifeln, sondern die ihr eigene Begeisterung und den Elan nutzen, um in eine neue Zukunft aufzubrechen.428 Wie viele seiner Kollegen wendet sich Günther Rienäcker mit seinen ermutigenden wie ermahnenden Worten direkt an die Studenten der Universität Rostock: »Wir möchten Ihnen zeigen, dass für Idealismus, Heldentum und Tapferkeit im friedlichen Leben und zumal in der Wissenschaft nicht nur Raum ist, sondern dass sie mehr als je nötig sind. Denn wir brauchen unbedingt eine Jugend, die den Idealismus und den Mut besitzt, trotz der Not der Zeit nicht nur an die Zukunft unseres Volkes zu glauben, sondern unbeirrt und entsagungsvoll hart dafür zu arbeiten.«429

Insbesondere die akademische Jugend, also der Teil der jungen Generation, der es geschafft hat, einen der wenigen Studienplätze zu bekommen, sehen die Rektoren in der Pflicht, sich dieses Privilegs würdig zu erweisen. Schließlich würde ihr diese Möglichkeit trotz der allgemeinen Notlage finanziert aus öffentlichen Geldern eröffnet. Insofern stehe sie in der Schuld des gesamten Volkes. Vor allem auch den nicht erfolgreichen Studienbewerbern gegenüber habe sie sich mit dem entsprechenden Engagement dafür zu rechtfertigen, studieren zu dürfen, wie die Rektoren vielfach formulieren. Andererseits beschere ihr der Eintritt in die Hochschule den Zugang zu einem völlig neuen Erfahrungsschatz, der seinen Teil dazu beitragen werde, den Studenten einen Teil ihrer Sorgen wenn nicht vergessen zu machen, so doch zumindest zu lindern. Dabei betonen die Redner ausdrücklich, dass sie andere Motive zum Studium als den Drang nach Wissen und Erkenntnis nicht zu akzeptieren gedenken, zumal sie die Hoffnung auf 425 A. Mehmel (DA TH 1949), S. 25. 426 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 20. 427 Zu Bedeutung und Vorkommen der Jugend im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. V.1. S. 141–144. 428 K. Apel (B TU 1948), S. 3 f.; J. Kroll (K U 1946a), S. 11 f. 429 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 13.

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Krisenbewusstsein – Ursprung und Bewältigung der Gegenwartskrisis

spätere materielle Vorteile des Akademikerdaseins ohnehin für nicht erfüllbar halten.430 Stattdessen fordern Rektoren wie August Reatz von den Studenten eine »Besinnung auf die geistigen Grundlagen unseres Daseins«431, um ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen zu können, die Hans von Campenhausen gestaffelt beschreibt: »Sie sollen im Schutz unserer Universitätsordnung mit besten Kräften Ihr Wissen mehren, dem Geiste echter Forschung lebendig begegnen und den Sinn für das Große und für das Ganze bilden, damit Sie, die künftigen, verantwortlichen Träger der Zukunft, im Dienste der Wahrheit und zum Wohle der Menschheit damit auch unserem Vaterland am besten dienen können.«432

Trotz aller Schwierigkeiten der Zukunftsplanung in den Nachkriegsjahren, auch trotz aller inhaltlicher oder formulierungsbedingter Lücken, die in den Konzepten der Rektoren klaffen, weswegen diese mehr oder weniger zu bloßen Absichtsbekundungen gerinnen: Ein grundsätzlicher Optimismus der Redner im Blick auf die Zukunft bleibt festzuhalten. Sie gehen durchweg davon aus, früher oder später sei die Krise überwunden und ein neues Deutschland werde seinen Platz in der Welt einnehmen. Hans Hermann Schmid formuliert am Ende seiner Rektoratsrede dementsprechend sein »Glaubensbekenntnis« an die Zukunft, das den Tenor seiner Kollegen im Gesamtklang wiedergibt: »Ich glaube an das Wahre, Gute und Schöne. Ich glaube an den unsterblichen Geist der deutschen Kunst und Wissenschaft. Ich glaube an die deutsche Jugend, daran, dass sie trotz aller Bedrängnis den Weg nach aufwärts finden wird. Ich glaube an das deutsche Volk, an die Möglichkeit seiner Erhebung aus tiefster Erniedrigung zu neuem, fried­ lichem Aufstieg. Ich glaube an das, was wir mit allen Fasern unseres Herzens ersehnen, an die deutsche Einheit.«433

430 H. Freese (B TU 1949), S. 8 f.; K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 43 f.; G. Tellenbach (FR ALU 1949), S. 2; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 7. 431 A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 3. 432 H. Frhrr. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 22. 433 H. H. Schmid (RO U 1948), S. 18.

VI. Kultur – Geschichte und Ethik als Motor der Reintegration

Im Einklang mit dem intellektuellen Diskurs der Nachkriegszeit ordnen die Rektoren die von ihnen konstatierte Krise1 in einen Zusammenhang ein, dem sie einen geistigen Ursprung zugrunde legen. Den Ausgangspunkt sämtlicher im alltäglichen Leben spürbarer Krisensymptome bildet dieser Deutung nach zunächst ein ›Verfall‹ des Geistes2. Daraus sei zunächst vor allem eine Beeinträchtigung der Kultur erfolgt. Schließlich habe die Krise das gesamte gesellschaft­liche Leben in Mitleidenschaft gezogen. Kultur fasst hier einen weiten semantischen Rahmen. Wenngleich dies von den Rednern nicht in besonderem Maße thematisiert wird, so verwenden sie den Begriff 3 Kultur in diesem Zusammenhang weniger in einem normativen Sinn, in dem er etwa im 19. Jahrhundert dominierte. Die Einflüsse der anglo-amerikanischen Kulturanthropologie – beispielsweise aus dem Werk Edward B. Tylors – hatten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch auf die deutschsprachige Wissenschaft niedergeschlagen, wie etwa bei Max Weber oder Jacob Burckhardt zu sehen.4 Die Nachkriegsrektoren schließlich verweisen mit dem Begriff der Kultur hauptsächlich auf einen größeren Komplex, der Elemente der zeitgenössischen philosophischen Anthropologie Max Schelers, Helmuth Plessners oder Arnold Gehlens beinhaltet. Kultur beschränkt sich im Diskurs der Rektoren demnach nicht ausschließlich auf eine enge Ausdeutung im Sinne von künstlerischer Produktion zum Zwecke der Sinnstiftung bzw. die daraus entstandenen Produkte. Sie steht sehr wohl jedoch in engem Zusammenhang mit dem Geist. Der weite Kultur-Begriff der Redner bezeichnet verschiedene Strategien, die der Mensch verfolgt, um sein Zusammenleben ebenso wie seinen Fortbestand zu sichern und zu gestalten. Damit umfasst er sämtliche Ausprägungen und Strukturen der menschlichen Gesellschaft, »sowohl Gewohnheiten, alltägliche Rituale, normative Orientierungen, Moral, Glaubenssätze, Artefakte und Kunst als auch technische und ökonomische Prozesse etc. – kurzum: alles, was über die bloße Natur hinausgeht«.5 In verstärktem Maße verweisen die Ideen, wie sie die Rektoren in ihren Reden äußern, darüber hinaus auf das Menschenbild Kants, in dem sich die geistigen Fähigkeiten des Menschen mit moralischen Ansprüchen treffen. 1 Zur Bedeutung und Vorkommen der Krise im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. V.1, S. 101 f. 2 Zur Bedeutung und Vorkommen des Geistes im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. V.3, S. 177 f. 3 Zur Definition und Unterscheidung von Begriff und Label siehe Kap. I, S. 14–19. 4 Vgl. hierzu S. Moebius (2009), S. 17 f. 5 S. Moebius (2009), S. 17.

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Kultur – Geschichte und Ethik als Motor der Reintegration

Die große Dimension, die der Begriff Kultur im Diskurs der Nachkriegsrektoren erreicht, führt zur gleichen Zeit zu seiner breiten Verwendung innerhalb der Reden, die wiederum bisweilen nur auf Teilaspekte von ihm verweist. Je nach Redner, bzw. Argumentationsrichtung ist an unterschiedlicher Stelle das gesamte Bedeutungsspektrum des Begriffs zu finden – teils nach seiner enger, teils nach seiner weiter gefassten Ausdeutung. Konkrete Definitionen über ihren Kultur-Begriff geben indes die wenigsten Redner direkt. Zumeist wird mit großer Selbstverständlichkeit von Kultur gesprochen, der jeweils angenommene Bedeutungsrahmen als gegeben vorausgesetzt. Insofern kann man durchaus einen labelhaften Gebrauch von Kultur in diesem Zusammenhang konstatieren. Da der Kulturbegriff geistesgeschichtlich jedoch in die verschiedensten Deutungsweisen ausdiffundiert, ist es ohnehin kaum möglich, sein gesamt verfügbares Inhaltsspektrum permanent mitzureferenzieren. Insofern nimmt der Begriff als solcher keinen Schaden, wenn er in Teilaspekten verwendet wird. Die Kultur bildet den zentralen Punkt im politischen Diskurs der Rektoren. Von diesem Punkt aus treten die Rektoren in eine zirkuläre Argumentation ein. Dieser zufolge erleidet die Kultur – genauso wie der Geist – nicht nur den ersten und schwersten Schlag durch die gegenwärtige Krise, sie hat diese zumindest in Teilen mit hervorgerufen.6 Gleichzeitig bestimmen die Rektoren die Kultur zum Königsweg, um aus derselben Krise wieder herauszufinden. Der argumentative Weg, das Problem zur Therapie zu machen, stellt sich für die Rektoren durchaus schlüssig dar. Sie verweisen in diesem Zusammenhang nicht aktiv darauf, es scheint jedoch, als habe die kurz zuvor begründete Kybernetik möglicherweise einen gewissen Einfluss auf diese zirkulär angelegte Argumentation. Wie aus den Reden hervorgeht, wurde die junge Disziplin von verschiedenen Rednern bereits rezipiert.7 In gewisser Weise streben die Rektoren ihrer Argumentation zufolge die Wirkung einer ›zirkulären Kausalität‹ in dem Sinne an wie sie von Norbert Wiener, dem Begründer der Kybernetik, formuliert wurde:8 Indem eine Vielzahl an Grundsätzen des menschlichen Geistes- und Zusammenlebens in der Vergangenheit vernachlässigt worden sei, habe man die Katastrophe der Gegenwart heraufbeschworen. Um diese nun zu überwinden, so der Zirkelschluss dieser Logik, müsse man den krisenbefallenen kulturellen Einheiten wieder

6 An dieser Stelle lässt sich einmal mehr die Tendenz der Redner beobachten, Abstrakta zu personalisieren, um ihnen in der Argumentation eine aktive Rolle zuzuweisen, die in realiter jedoch nur scheinbar besteht. 7 Vgl. z. B. F. Hund (J FSU 1948), S. 16. 8 Wiener und seine Mitstreiter veröffentlichten ihren Ansatz, sowohl maschinelle wie neuronale Systeme unter den gleichen Gesichtspunkten zu betrachten, erstmals im Jahr 1943 in dem kurzen Artikel »Behavior, Purpose and Teleology«, siehe A. Rosenblueth / N. Wiener / J. Bigelow (1943). Das alternative System »for understanding the new realm of communication and control processes that were puposeful, goal-directed, and teleological in nature« fand in den Folgejahren schnell weitere Verbreitung. Vgl. Hierzu F. Conway / J. Siegelman (2009), S. 131–136.

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Leben einhauchen, angepasst freilich an die zeitgenössischen Bedürfnisse und Bedingungen. Von größter Bedeutung für die Verwirklichung dieses Ziels ist nach Einschätzung der Redner eine Wiederbelebung der internationalen Verbindungen. Die Krise begrenzt sich ihrer Ansicht nach nicht nur auf Deutschland, sondern trete weltweit überall auf, weswegen sie auch nur durch kollektive Zusammenarbeit überwunden werden könne. Stecken die Rektoren den Radius solcher Kooperation auch weltweit, so konzentrieren sich im Fokus ihrer Ausführungen auf den Teilausschnitt des eigenen Kulturkreises. Von ihnen gepriesene Werte9 wie Humanität und Toleranz fordern sie für den gegenseitigen Umgang der gesamten Völkergemeinschaft ein. Angesichts ihrer Herkunft und historischen Bedeutung verorten die Redner dieselben Werte indes am wirkungsmächtigsten im europäischen Raum, wo sie gemeinsam mit der christlichen Religion10 eine einheitliche Identität geschaffen hätten. Im folgenden Kapitel sollen die kulturellen Aspekte näher beleuchtet werden, deren Niedergang die Rektoren dem Zirkelschluss zufolge als Mitbedingung der Krise erkennen und denen sie daher ein förderliches Einwirken auf die Nachkriegsentwicklung zuschreiben, wie sie ihren Vorstellungen entspräche. Parallel zu der weltweit von ihnen diagnostizierten Problemlage gehen sie gleichermaßen von einer weltumspannenden kulturellen Gemeinsamkeit zwischen allen Menschen aus. Davon ausgehend fällt ihr Blick auf die qualitativ noch höher von ihnen bewerteten Berührungspunkte innerhalb des eigenen Kulturkreises. Die Konstituenten dieser kulturellen Gemeinschaft reflektieren die Redner sehr detailreich. Im Folgenden werden also zunächst die Ideen der Rektoren zur Wiederbelebung der allgemeinen internationalen Zusammenarbeit beleuchtet. Sie gehen dabei zum einen von der Feststellung einer prinzipiellen Gemeinschaftlichkeit der menschlichen Kultur aus. Daraus leiten sie ein großes dem Nationsgedanken übergeordnetes Maß an Identifikation ab. Darüber hinaus rekurrieren sie auf eine weiterfortführende weltweite Vernetzung, womit sie eine regelrechte Verpflichtung zur globalen Kooperation begründen. Aus diesen beiden Elementen definieren die Redner die globalen Aufgaben der Zukunft, sowohl für die gesamte Völkergemeinschaft wie für die Deutschen im Speziellen. Von dort aus wandert der Blick auf Europa und Abendland als den eigenen Kulturkreis.11 Die Redner ordnen diesen zunächst als regionale Teilausprägung der weltumspannenden Gemeinschaft der Völker unter. Sie verorten hier allerdings eine noch tiefere Gemeinsamkeit. Daraus leiten sie die Notwendigkeit ab, 9 Zur Bedeutung und Vorkommen der Werte im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 224–226. 10 Zur Bedeutung und Vorkommen von Religion im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 237 f. 11 Zur Bedeutung und Vorkommen von Europa und Abendland im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.2, insbes. S. 213 f.

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das spezielle völkerverbindende Moment in der Gegenwart bewusst zu reaktivieren, solle die von der Krise und vom Krieg hart getroffene Kultureinheit Europa, bzw. Abendland nicht vollends dem Untergang preisgegeben werden. Neben anderen Punkten zählen die meisten Redner vor allem die gemeinsame Geschichte sowie die einheitliche geistige Prägung durch Christentum und Humanismus12 in der Reihe an Faktoren auf, die das kulturelle Gefüge Europa bzw. Abendland bildeten. Insbesondere diese beiden Aspekte verursachen einige der wenigen Dissonanzen im Gesamtkorpus der Rektoratsreden, weswegen sie einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollen. Die Redner halten den Humanismus zwar unisono auch in der Zukunft für einen wichtigen identitätsstiftenden Faktor im europäischen Bewusstsein. Einem nicht geringen Anteil der Redner kommen jedoch eindeutige Zweifel, was die Wirkungsmacht der Religion in der Gesellschaft der Gegenwart betrifft. Der gesamte Abschnitt Kultur ist immer auch sehr stark mit dem Blick nach Innen zu lesen. Deutschland ist zu Ende des Zweiten Weltkrieges von der internationalen Völkergemeinschaft wie auch von der Gemeinschaft innerhalb des eigenen Kulturkreises ausgeschlossen. Die Rektoren betonen in ihren Reden immer wieder die historisch erwachsenen geistigen und kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern, insbesondere den europäischen. Sie räumen ein, diese seien in der Gegenwart nicht unbedingt gut zu erkennen, bestehen aber auf deren fortlaufende Existenz. Immer wieder kommen sie auf die Rolle der Deutschen in der Gegenwart zu sprechen. Als diejenigen, welche die gemeinsamen Werte in der Vergangenheit mit Füßen traten, seien gerade sie nun verpflichtet, sich als erste wieder darauf zu besinnen13 und ein ›gutes Beispiel‹ abzugeben. Hinter solchen Aufrufen steht ganz eindeutig die Hoffnung, mit der Referenz auf die gemeinsame Kultur einerseits sowie dem aktiven Bemühen um deren Rückgewinnung andererseits, auf längere Sicht die Reintegration Deutschlands in den Kreis der internationalen Völkergemeinschaft zu erreichen.

1. Gemeinschaft aller Menschen: Internationalität und Völkergemeinschaft Vor dem Hintergrund der von ihnen als stark wahrgenommenen Krisis der Gegen­wart blicken die Rektoren auf die Weltgemeinschaft. Wie im Innern des Landes ist die Erfahrung der gesellschaftlichen Krise und vor allem des Krieges für sie ebenso darüber hinaus sichtbar. In Form von Zerrissenheit, Orientierungsverlust und Zerstörung wirkten sich diese überall auf der Welt aus. Mit 12 Zur Bedeutung und Vorkommen von Humanismus und Religion im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 230–234 und S. 237 f. 13 Zur Bedeutung und Vorkommen von Besinnung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.3, S. 176 f.

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solchen Darstellungen wecken die Rektoren hinsichtlich internationaler Gemeinsamkeiten als erstes den Topos der ›Leidensgemeinschaft‹ als Assoziation. Diesem Motiv zufolge haben die Menschen rund um den Globus unter dem Krieg gleichermaßen unabhängig von Frontzugehörigkeiten in den vergangenen Jahren gelitten; auch nach Kriegsende halte dieser Zustand an. Nun aber solle zielbewusst eine nach vorne gerichtete Gemeinschaftlichkeit aufgebaut werden. Der Kölner Rektor Josef Kroll hebt den Gedanken des Voranschreitens in seiner Rede zur Eröffnung des ersten Ferienkursus’ ausländischer Studenten nach dem Krieg im Juli 1947 besonders hervor. Den Zusammenbruch Deutschlands deutet er als »Theodizee«, die den Glauben an die menschlichen Ideale wieder zum Leben erweckt habe; »das hieß zugleich Ende der Völkerverhetzung, Ende der Kriegs und Greuelpropaganda, Hinwendung zu dem, was die Völker verbindet und eint«. Aus der Politik der Gegenwart sei dieser Gedanke zwar noch nicht in aller Klarheit herauszulesen, die Anwesenheit ausländischer Studenten an einer deutschen Hochschule zwei Jahre nach Kriegsende scheint Kroll jedoch als Beleg dafür zu genügen, das »Werk der Versöhnung und Einigung« bereits als lebendig »im Geiste der Völker« verorten zu können.14 Mehrere Redner wie etwa Theodor Süß deuten ihr Zusammenwirken mit den Vertretern der jeweils zuständigen Besatzungsmacht vor Ort als »harmonische Zusammenarbeit im Kleinen zwischen den Völkern«, die vorbildgebend auf das große Ganze wirken könne.15 Die Ziele, welche die Rektoren in Bezug auf internationale Versöhnung und Zusammenarbeit formulieren, wurzeln für sie in der Feststellung einer grundsätzlichen Einheit und Gemeinschaftlichkeit aller menschlichen Kultur. In seiner Rede über das »Wesen der Kultur« erörtert der Altphilologe Johannes Stroux an der Humboldt-Universität den Zusammenhang von Geist und Arbeit als wesentliche Grundbestandteile der Kultur.16 So zeichne sich der Mensch in erster Linie durch den Geist aus, der von allen irdischen Wesen allein ihm eigen sei. Erst durch »Erziehung« jedoch ließen sich die geistigen Fähigkeiten nutzbar machen. Evolutionshistorisch betrachtet liegen die Anfänge dieser »Erziehung«, ergo der Kultur, nach Auffassung von Stroux in den Strategien, die der Mensch im Überlebenskampf entwickelt habe. Nach und nach hätten ihn jene auf immer 14 J. Kroll (K U 1947), S. 61. 15 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 14. 16 Stroux war zwar in seinem früheren Leben kein überzeugter Sozialist, beteiligte sich allerdings in SBZ und DDR von Anfang an stark am Aufbau der Bildungs- und Kultureinrichtungen. Er war beispielsweise von 1945 an Vizepräsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, später Mitglied des Wissenschaftlichen Senats beim Ministerium für Volksbildung und von 1949 bis zu seinem Tode 1954 Mitglied der Volkskammer (Vgl. R. Boch (2004), S. 137 f. inkl. Anm. 63). Für die Nachkriegszeit liest sich aus der besprochenen Rede zur Wiedereröffnung der Berliner Universität 1946 an verschiedenen Stellen im mindesten ein gelungenes Arrangement mit sozialistischen Ideologie heraus, wenn er etwa nach der antiken Definition von Kultur deren starke Bindung an Arbeit bespricht und daraus eine »sittliche Rechtfertigung« der Rolle der Arbeiter »in der Weltordnung« ableitet.

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höhere kulturelle Entwicklungsstufen geführt.17 Ganz im Sinne Kants sei der Mensch schließlich gar zu einer »Einschränkung seines Selbst und zwar dessen, was triebhafte Regungen ihm begehrlich erscheinen lassen«, fähig, spinnt Hans Gerhard Creutzfeldt diesen Gedanken weiter.18 Als generelles Kennzeichen der menschlichen Kultur gilt den Rektoren der permanent darin präsente Gestaltungsdrang, die »bewusste Zwecksetzung«, wie Karl Heinrich Bauer formuliert, die »alles durchzieht, was Menschen je gehandelt haben«.19 Entsprechend führt August Reatz in seiner Mainzer Rede »Völkergemeinschaft und Universität« fort: »Die Kultur ist der Erbbesitz der Menschheit, wie sie auch im Lauf der Jahrtausende durch das Zusammenwirken aller Nationen und Rassen entstanden ist.«20 Daraus folgert Reatz wie viele seiner Amtskollegen einen Absolutheitsanspruch der menschlichen Kultur, der über alle weiteren einheitsstiftenden Faktoren wie etwa »Volk oder Rasse« dominiere. »Nationen« sieht er als das ledigliche Produkt jeweils unterschiedlicher geschichtlicher Abläufe, weswegen sie allenfalls »eine Art Gesamtindividualität innerhalb des menschlichen Geschlechtes« böten. Gleichwohl gilt es ihm als unbestreitbar, dass sich aufgrund der Verschiedenartigkeit der äußeren Bedingungen an unterschiedlichen Orten jeweils verschiedene Arten der Anpassung an diese hatten herausbilden müssen, um »ökonomischen Wohlstand oder ein geordnetes Rechtsleben […] ebenso wie eine menschenwürdige, ethischreligiöse Geistesbildung« überhaupt erst zu ermöglichen. Keiner der daraus entstandenen »Kulturtypen« könne jedoch für sich stehen, sie alle würden zurückgeworfen auf das »Ganze des menschlichen Kulturwerkes«, das auf dem »geistigen Wesen des Menschen in seinen elementaren Beziehungen zur Natur, zur Gesellschaft und zu Gott« gründe.21 Letztlich, so Paul Röntgen in der Rede zur Wiedereröffnung der RWTH Aachen im Januar 1946, könne im gegenwärtigen »Anblick dieses erschütterndsten aller Totentänze« sogar Trost aus dem Umstand bezogen werden »dass […] die höchsten Lebensgüter der gesamten Menschheit anvertraut sind, damit alle Völker sie besitzen und mehren mit den ihnen von dem Schöpfer zu eigen gegebenen Kräften«.22 Die Rektoren sehen die weltweite Konstellation zu Ausgang des Zweiten Weltkriegs bereits ohnehin von diesem Sachverhalt geprägt. Von ihrem gedanklichen Ansatz aus, dass sich sowohl ideelle wie materielle »Lebensgüter« in gemeinschaftlichem Besitz der Menschheit befänden und einem kollektiven verantwortungsvollen Umgang oblägen, schließen sie auf eine Gesamtsituation, die man nach heutiger Diktion als Globalisierung bezeichnen würde. Insbesondere auf wirtschaftlicher Ebene befinde sich jede kulturelle Einheit, bzw. jeder Staat in 17 18 19 20 21 22

J. Stroux (B HU 1946), S. 13. H. G. Creutzfeldt (KI CAU 1945), S. 5. K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 56. A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 10. A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 5–10. P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 11.

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Verflechtungen und Abhängigkeiten über die nationalen Grenzen hinaus, aus denen heraus sich keiner so einfach lösen könne. Rückblickend, so urteilt Theodor Pöschl, stelle der Krieg im allgemeinen wie auch gerade die Autarkiepolitik des NS-Regimes ein »als Wahnsinn zu bezeichnendes Unterfangen« dar, bei dem »Verbindungen mutwillig zerrissen und die Wohlfahrt ganzer Erdteile phantastischen Ideologien geopfert« wurden.23 Um solchem »Wahnsinn« künftig ein Ende zu setzen, seien die bislang verfeindeten Staaten nun zur Versöhnung aufgefordert. Direkter und schneller als auf der politischen Ebene sieht der Rektor der Technischen Hochschule Karlsruhe dieses Werk freilich durch die verschiedenen Formen der Kultur verwirklicht: »Heute gilt mehr als je zuvor der Satz, dass die Errungenschaften der Technik, insbesondere die Lokomotive, der Kraftwagen und das Flugzeug mehr getan haben, um die Menschen zu vereinen, als alle Diplomaten der Welt. Dasselbe gilt auch von jedem wirklichen Kunstwerk der Malerei, Plastik, Architektur und der Musik.«24

Die Rektoren ermitteln jedoch auch an der Kultur selbst schweren Schaden. Die Rettung der Kultur rufen sie daher als Hauptaufgabe der Zukunft für die Menschheit aus. Sie legen zudem den humanitären Gedanken als gemeinsame ideelle Basis für einen erfolgreichen Neuaufbau fest. Werde dieser allgemein als gemeinsames Fundament anerkannt, könnten künftig komplett neue, funktionierende Organisationseinheiten entstehen, vom direkten Umfeld bis hin zu weltumspannender Reichweite.25 Die realpolitische Ausgangslage nach dem gerade beendeten Krieg beleuchten solche idealistischen Ansätze mitsamt den daraus abgeleiteten Zukunftsaufgaben nur wenig. Was an praktischer Arbeit für eine internationale Aussöhnung konkret zu leisten sei, beschreiben die Redner für den Bereich der Hochschule26. Eine Übertragung auf die staatspolitische Ebene nehmen sie indes kaum vor. Wo sie dergleichen dennoch ansprechen, transferieren sie das von ihnen für Wissenschaft27 und Hochschule vorgeschlagene Konzept der internationalen Verständigung durch direkten Kontakt zwischen den Menschen ohne Veränderung auf die Politik. Für den Bereich von Wissenschaft und Hochschule rekurrieren sie in den ersten Nachkriegsjahren hauptsächlich auf die Zusammenarbeit mit der zuständigen Besatzungsmacht, teilweise auch auf Kontakte zu Wissenschaftlern im Ausland, von denen einige sogar schon in jenen Jahren an einer deutschen Hochschule zu Gast waren. Groß angelegte Austauschprogramme wie beispiels23 24 25 26

Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 13); ebenso J. Schmid MZ JGU (1946) S. 17. Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 13. J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 16. Zur Bedeutung und Vorkommen der Hochschule im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 243 f. 27 Zur Bedeutung und Vorkommen der Wissenschaft im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 246 f.

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weise das amerikanische Fulbright Programm oder auch deutsche Einrichtungen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht (wieder) aktiv.28 In späteren Jahren verweisen die Redner mit großer Erleichterung auf den Umstand, dass nun auch wieder deutsche Wissenschaftler und Studenten Auslandserfahrung machen dürften.29 Die Aufgabe, Nationalismus, Überheblichkeiten und Vorurteile zu überwinden, sehen die Redner grundsätzlich als globale, sie formulieren sie jedoch in gesondertem Maße dringlich für die Deutschen. Gerade im eigenen Land müsse man endlich zu der Einsicht gelangen, dass Krieg und Gewalt, aber auch deren aggressive geistige Vorbedingungen genauso wenig dem eigenen Volke nutzten wie sie die Menschheit an sich voranbrächten. Nur gegenseitiges »Vertrauen und Freundschaft«30 könnten dies leisten. In Deutschland müsse daher dringend das Bewusstsein dafür geweckt werden, dass man einzig über eine Reintegration in den »großen Kreis der Völkerfamilie«31 ein gewisses Maß an Geltung wiedererlangen und dauerhaft behalten könne. Gleichermaßen müsse sich die Erkenntnis durchsetzen, dass »der letzte Sinn eines Volkes […] nicht in seiner äußeren Größe und materiellen Macht, sondern im Glück seiner Menschen und seinem kulturellen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit«32 liege. Mehrfach äußern Redner die Befürchtung, man werde ihnen wegen solcher Forderungen womöglich Nestbeschmutzerei unterstellen, die den letzten Rest von Nationalgefühl zu untergraben versuche. Die Redner verwahren sich gegen derartige virtuelle Vorwürfe bereits im Vorfeld mit dem Argument, Integration in die Weltgemeinschaft bedeute keineswegs, wie Georg Hohmann es formuliert, das »Aufgehen unseres geistigen Seins in anderen Völkern«. Ziel sei vielmehr ein reges Eigenleben im Austausch mit anderen, »so dass der deutsche Mensch er selbst bleibe und zugleich Weltbürger sei«.33 Der Anklang dieser Worte an Johann Wolfgang von Goethe ist kein Zufall. Hohmann bezieht sich an dieser Stelle auf den Säulenheiligen der Nachkriegsrektoratsreden34 und die Feier zu dessen Geburtstag an der Universität Frankfurt. Der frisch wiederberufene Ernst Beutler, Goethe-Forscher und Professor für Literaturgeschichte,

28 Zur Wichtigkeit des internationalen Austauschs und dessen Rolle in der Hochschulreform, die die Nachkriegsrektoren anstreben, vgl. Kap. VII.3, S. 332–336. 29 Die schubweise Fortentwicklung der Auslandskontakte lässt sich beispielsweise anhand der beiden Rektoratsberichte von Theodor Steinbüchel ablesen. Vgl. Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1947), S. 4 und Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948); S. 21 f. 30 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 42. 31 G. Gassner (BS THCW 1946), S. 19. 32 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 42. 33 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 18. 34 Goethe ist in den Reden der Nachkriegsrektoren mit großem Abstand die meistgenannte Person, auf welche die Redner als Gewährsmann ihrer Argumentation Bezug nehmen, vgl. hierzu Kap. IV, S. 77.

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hatte zu diesem Anlass eine Rede über »Besinnung« gehalten, aus der Hohmann zitiert.35 Mit ihren Vorstellungen von internationaler Aussöhnung und Zusammenarbeit entsprechen die Rektoren dem Zeitgeist. Nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland und insbesondere in den USA wurden schon während des Krieges ähnliche Konzepte diskutiert – in Europa vielfach von Dissidenten und Exilanten, in den Vereinigten Staaten auf Seiten der Regierung. Die unterschiedlichen Ideen spiegelten das gesamte politische Spektrum, weswegen die mit ihnen verbundenen Zielvorstellungen im Einzelnen stark differierten. Gemeinsam war ihnen jedoch der grundlegende Gedanke, dass der erfolgreiche Aufbau einer Zukunft für die Welt nach dem Krieg eine funktionierende Form von internationaler Zusammenarbeit voraussetzte. Das Hauptmotiv solcher Kooperation bestand jeweils in der Absicherung des weltweiten Friedens. Um diese Aufgabe tatsächlich erfüllen zu können, sahen die Konzepte eine Institution vor, die – im Gegensatz zum Völkerbund – von ihrer Struktur und ihren Kompetenzen her diesem Anspruch gerecht werden können sollte.36 wurden Die Regierung der Vereinigten Staaten arbeitete bereits vor dem Kriegseintritt der USA an Plänen zur Schaffung einer solchen Weltorganisation für die Zeit nach Kriegsende. Nachdem US-Präsident Franklin D.  Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill im Sommer 1941 die sogenannte ›Atlantik-Charta‹ unterzeichnet hatten, war mit dieser zunächst nur als Willensbekundung zu verstehenden Vereinbarung dennoch der Grundstein für das spätere Entstehen der UNO gelegt. In den folgenden Jahren wurde das Projekt einer Vielzahl an konzeptionellen Änderungen in Aufbau, Struktur, Ausrichtung etc. unterzogen, der Kreis der unmittelbar an diesem Prozess beteiligten Mächte um die Sowjetunion, China und später Frankreich erweitert. Nach vier Jahren der Verhandlung und Vorbereitung unterzeichneten schließlich am 26. Juni 1945 die Vertreter von 51 Staaten die Charta der Vereinten Nationen auf deren Gründungskonferenz in San Francisco.37 Zwar entsprang die Organisation einem Kriegsbündnis und enthielt in ihrer Satzung die entsprechend geprägten sogenannten ›Feindstaatenklauseln‹.38 Die in der Charta formulierten Ziele und Aufgaben decken sich jedoch an den wesentlichen Punkten wie beispielsweise in der Frage der Friedenssicherung oder des internationalen Austauschs mit den Postulaten der deutschen Nachkriegsrektoren. In ihren Vorstellungen einer völkerverbindenden Zusammenarbeit zeigen sich sowohl die Vorbereiter der Vereinten Nationen wie auch die Hoch35 36 37 38

Vgl. Hierzu E. Beutler (1946). Vgl. K. Voigt (1987); W. Loth (2007), S. 265–272. Zur Vorgeschichte der UNO-Gründung vgl. H. Volger (1995), S. 1–28. Gemeint sind damit die Artikel 53 Ziff. 2 und Artikel 107 der UN-Charta, in welchen den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs bestimmte Sonderrechte gegenüber ihren früheren Angreifern und deren Koalitionären zugestanden werden. Vgl. hierzu: K.  Köster (2000), S. 25–28; H. Weber (1998), S. 35 f.

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schulrektoren im Nachkriegsdeutschland beeinflusst von Immanuel Kant, insbesondere von dessen Schrift »Zum ewigen Frieden«39. Die Rektoren nehmen in ihren Reden zum Teil explizit auf Kants Traktat Bezug und ebenso baut die Charta der Vereinten Nationen zu einem gewichtigen Teil auf den Ideen Kants auf. An vielen Stellen entspricht die UN-Charta sehr genau dem Plan für einen internationalen Friedensbund, wie ihn Kant in seiner Schrift aus dem Jahr 1795 ausarbeitete. In beiden Fällen ist es die unmittelbare Erfahrung von Krieg, welche die Urheber zum Anlass nehmen, die Sorge für weltweiten Frieden und Sicherheit einer neu zu schaffenden, internationalen Organisation zu übertragen.40 Sowohl Kants Völkerbund wie auch den Vereinten Nationen sind zur Umsetzung ihrer Aufgaben verschiedene Organe gegeben, die sich strukturell an den innerstaatlichen Gewalten einer demokratischen Staatsform orientieren, jedoch über unterschiedlich große Durchsetzungsmacht verfügen. Den humanistischen Anspruch Kants bekräftigten die Vereinten Nationen mit der 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.41 Die Vereinten Nationen haben mit ihrer Charta den Schritt vom klassischen Völkerrecht, einem »Kriegs-Völkerrecht«, hin zu einem neuen Völkerrecht, einem »Friedens-Völkerrecht« vollzogen, schlussfolgert Otfried Höffe in seiner Schrift über das Vorbild von Kants Völkerbund für die Vereinten Nationen.42 In Anbetracht der großen Wichtigkeit, welche die Nachkriegsrektoren der internationalen Kooperation beimessen, sowie ihrer direkten Bezugnahme auf Kants Traktat, wäre es also zu erwarten, dass die Redner die neu geschaffene Organisation entsprechend rezipierten. Tatsächlich jedoch taucht die UNO in den Rektoratsreden fast gar nicht auf. Die wenigen Stellen, an denen sie dennoch Erwähnung in den Reden findet, tragen reinen Berichtscharakter und gehen nicht auf die Bedeutung der frisch geschaffenen Institution an sich ein, sondern führen sie mit großer Selbstverständlichkeit als Teilstück anderer Sinnzusammenhänge an. Eine negative Sicht auf die UN lässt sich aus den Rektoratsreden indes nicht herauslesen. Enno Heidebroek etwa spricht von der Notwendigkeit, die internationalen Beziehungen angesichts der gewaltigen Zerstörungskraft moderner Kriegsmaschinerie künftig mit den Mitteln der Vernunft zu gestalten. Das »Grundgesetz der Vereinten Nationen« diene hierbei als Präzedenzfall künftiger Politik.43 Karl Heinrich Bauer sammelt Argumente für die Notwendigkeit einer »sittlichen Erneuerung« Deutschlands. In diesem Zusammenhang benennt er 39 Vgl. I. Kant (1968). 40 Bei Kant war dies zum einen die bereits einiges an Jahren zurückliegende Erfahrung des Siebenjährigen Krieges und aktuell um die Entstehung des »Ewigen Friedens« herum der Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa im Zuge der Französischen Revolution. 41 O. Höffe (1995), S. 245–256; U. Albrecht (1998), S. 19–24. 42 O. Höffe (1995), S. 250. 43 E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 4.

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im Juni 1946 den Beitritt zu den Vereinten Nationen als langfristiges Ziel, das sich ein neues Deutschland stecken müsse, und das ohne die von ihm geforderte »Erneuerung« nicht zu erreichen sei.44 Aus den Reden heraus ist nicht zu erkennen, warum das Echo auf die Gründung der von den Rednern selbst so dringlich geforderten Friedensorganisation nicht größer ausfällt. Klaus Köster konstatiert in seiner Dissertation über das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen für die direkten Nachkriegsjahre einen ausgesprochen geringen Informationsgrad innerhalb der deutschen Öffentlichkeit, was die Institution UN sowie deren Arbeit betrifft. Überdies habe die deutsche Bevölkerung in jener Zeit allgemein nur geringes Interesse an Politik, insbesondere an der Außenpolitik aufgewiesen.45 Mag letzteres auf die Gruppe der Rektoren etwas weniger als auf den Durchschnitt der Bevölkerung zutreffen, so scheint ersteres möglicherweise von größerer Bedeutung zu sein. Die zitierte Rede Heidebroeks unterstützt diese These. Heidebroek beklagte im September 1946, dass es erst des Beweises der Zerstörungsgewalt moderner Waffen bedurft habe, um »das Weltgewissen« wachzurütteln. Er begrüßte daher ausdrücklich das Vorhaben, »dass nunmehr […] die Feststellung, dass die Entfesselung eines Krieges ein Verbrechen an der Menschheit schlechthin darstellt, zum Grundgesetz der Vereinten Nationen werden soll«.46 Es gibt hier zwei Möglichkeiten der Deutung. Entweder Heidebroek will mit seiner Formulierung »… werden soll« eine Entwicklung der zunächst theoretischen Anlage der UN-Charta hin zur politischen Realität einer tatsächlichen Wirksamkeit der Institution der Vereinten Nationen vorzeichnen. Irritierend bliebe dennoch die breite Ignoranz, welche die Rednerschaft der UNO entgegenbrachte, obwohl sie die von ihnen vorgetragenen Gedanken organisierter internationaler Kooperation ziemlich genau verkörperte. Oder aber Heidebroek spricht hier im Futur, was wiederum bedeutet, dass er über keinerlei Kenntnis darüber verfügt haben dürfte, dass die UN-Charta bereits über ein Jahr zuvor verkündet wurde. Somit wäre schlichte Unkenntnis über die genauen Vorgänge der internationalen Politik die Erklärung für das Nichtvorkommen der Vereinten Nationen im Gros der Rektoratsreden. Dafür spräche auch das Faktum, dass die Rektoren – gleichwohl sie sich in ihren Reden vielfach in Grundsatzthemen ergehen – den Bezug zu politischen Themen der Gegenwart wie etwa der Denazifizierung, der Währungsreform oder der Gründung der beiden deutschen Staaten an sich nicht scheuen. Heidebroeks Rede bezeugt zudem ein gleich gelagertes Interesse in Ost und West an Friedenssicherung und internationaler Zusammenarbeit. Über weite Strecken lassen sich auf diesen Topos hin fast keine Unterschiede nach westlicher oder östlicher Provenienz aus den Rektoratsreden herauslesen. Auch die Abküh44 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 94. 45 K. Köster (2000), S. 189–193. 46 E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 4.

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lung der Beziehungen zwischen den westlichen Mächten und der Sowjetunion macht sich an dieser Stelle in den Reden kaum bemerkbar, es sei denn dadurch, dass die Thematik internationaler Verständigung weniger häufig angesprochen würde. Ob dieser inhaltliche Wandel in der Hauptsache jedoch tatsächlich dem beginnenden Kalten Krieg zuzuschreiben ist, bleibt fraglich. In dieser Phase verlagerte sich der allgemeine Fokus auf den verstärkt in Angriff genommenen innerdeutschen Wiederaufbau, der vom Heraufziehen des Kalten Krieges zwar maßgeblich beeinflusst war, so jedoch in der Öffentlichkeit etwa der Rektoratsreden nicht unbedingt in direkten Zusammenhang gesetzt wurde.47 Eine klare Stellungnahme, die ein eindeutiges Bekenntnis von Blockzugehörigkeit abgibt, kommt in diesem Zusammenhang zunächst nur von der FU Berlin. Die zunehmend schwierige Lage Berlins wie auch die spezielle Gründungssituation der Freien Universität, die im Protest gegen die zunehmende kommunistische Beeinflussung der Linden-Universität ihren Ursprung hatte, begünstigte ein derartig politisches Auftreten in besonderem Maße. In seiner Rede zur Amtsübergabe an Hans Kress von Kressenstein im November 1950 – zu einem Zeitpunkt also, als mit den beiden Staatsgründungen die ideologische Teilung Deutschlands längst zementiert war – geriert Edwin Redslob ein Bild Berlins und der FU als das eines »vorgeschobenen Postens der westlichen Kulturwelt«, der seine Funktion aus der direkten Konfrontation mit dem östlichen Konkurrenzmodell beziehe und entsprechend auf die Westernisierung und Westorientierung Deutschlands rückwirken solle: »Was wir in Berlin täglich erleben, ist eine Erziehung zu Political Science, deren Verarbeitung einen wertvollen und selbständigen Beitrag der deutschen Wissenschaft und des deutschen Denkens zur politischen und wirtschaftlichen Gesundung der Welt, zur Gestaltung Europas und zum Brückenschlag der Vereinigten Staaten von Europa zu den Vereinigten Staaten von NordAmerika darstellen kann.«48

Ein starkes Fundament für eine künftige internationale Kooperation zu schaffen, ist ein Anliegen, was die Rektoren gleichermaßen verfolgen. Dazu gehört es aus ihrer Sicht an erster Stelle, den gegenseitigen Hass zwischen den Nationen abzubauen, der für sie nichts weiter als die Folge von Nichtwissen und den daraus resultierenden Vorurteilen darstellt. Hiermit bekennen sich die Rektoren einmal mehr zur Bildung49 als der Basis für die von ihnen angestrebte künftige Gesellschaft. Theodor Süß begründet dies folgendermaßen: »Unkenntnis und Halbbildung sind die größten Hindernisse zu einem wahren menschlichen Fortschritt und einem wahren Frieden zwischen Klassen, Nationen und Rassen.«50 47 Zur Veränderung der Themenkonjunktur innerhalb der Rektoratsreden im Verlauf des Erfassungszeitraums vgl. Kap. IV, S. 87–89. 48 E. Redslob RB (B FU 1950), S. 6. 49 Zur Bedeutung und Vorkommen von Bildung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 261 f. 50 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 29 f.

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Folglich sieht sich die Hochschule verpflichtet, ihren Einsatz der »gesamten, deutschen Bildung«51 zu widmen, mit dem Ziel, dem deutschen Volk, genauso aber auch der Menschheit im Ganzen dadurch einen Dienst erweisen zu können. Ihren Anspruch untermauern die Rektoren mit dem Verweis auf die ›Scientific Community‹ und die Internationalität der Wissenschaft generell. Die traditionelle Nichtbeschränkbarkeit der Wissenschaft auf nationale Grenzen definieren die Redner als wichtigen Bestandteil des gerne von ihnen auch gerne in einer erweiterten Form als »echte Wissenschaft« gebrauchten Diskurs-Begriffes. Dieser baut auf einer idealen Vorstellung von Wissenschaft und ihren Bedingungen auf. Die Wissenschaft beruhe danach auf Tugenden, die jenseits jeglichen Nationalgefühls stünden; ihre Ergebnisse verbesserten sich gerade durch den ungehinderten Austausch zwischen quer über die Welt verteilten Wissenschaftlern, weswegen letztlich alle Völker gleichermaßen Anspruch darauf besäßen.52 Viele wissenschaftliche Erfolge der Vergangenheit ordnen die Rektoren genau jener Kooperation ohne Grenzen zu, weswegen sie im Rückblick die Behauptung einer ›deutschen Wissenschaft‹ zutiefst verurteilen: Es habe in der Wissenschaftsgeschichte kaum eine »größere Fälschung der Wirklichkeit«53 gegeben als diese. Tatsächlich soll die Wissenschaft in den Augen der Redner über ihre direkten Erträge hinaus eine Vorbildfunktion einnehmen, die eine internationale Zusammenarbeit auch in anderen Bereichen möglich mache. Die gemeinschaftliche Suche nach »der einen, einzigen, allgemeingültigen, für und gegen alle gleichen Wahrheit«54 diene in gleichem Maße dem Frieden und der Verständigung zwischen den Völkern. Entsprechend zitiert der Tübinger Rektor Hermann Schneider eine von Charles de Gaulle in Freiburg gehaltene Rede als zukunftsweisend: De Gaulle forderte darin, das Bemühen um internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft künftig von seiner Bedeutung her demjenigen in Politik und Wirtschaft gleichzustellen.55 Um die Dimension der völkerverbindenden Wirkung der Wissenschaft möglichst breit zu unterstreichen, bemühen die Rektoren verschiedene Vergleiche. Am häufigsten ziehen sie die Parallele zur Kunst, die nach genau den gleichen Maßstäben von Internationalität funktioniere, was den Austausch ihrer Produzenten untereinander, die Bedingungen ihrer Produktion sowie ihren Einfluss auf die Gesellschaft betreffe. Friedrich Zucker stellt die völkerverbindende Wirkung der Wissenschaft aus historischer Perspektive gar derjenigen der Religion gleich.56

51 J. Stroux (B HU 1946), S. 12. 52 R. Plank (KA THF 1946), S. 13; J. Kroll (K U 1947), S. 61. bzw. Literatur zu wiss. Austausch (AvH, DAAD etc.). 53 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 10. 54 F. Zucker (J FSU 1945), S. 275. 55 H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 8; ähnlich, allgemeiner gehalten: R. Laun (HH U 1947), S. 3. 56 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 13; G. Rienäcker (RO U 1946), S. 10; F. Zucker (J FSU 1945), S. 275.

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Wie häufig in den Rektoratsreden zu finden, erfreut sich der historische Vergleich auch auf diesem Feld einer gewissen argumentativen Beliebtheit. Aus bestimmten Elementen der europäischen Geistesgeschichte – bevorzugt aus ähnlich gelagerten Momenten der Krise57 – filtern Rektoren die große Bedeutung von Hochschule und Wissenschaft. Diese liegt für sie in dem zeitübergreifenden Zusammenführen von Menschen begründet, das diese beiden Institutionen leisten. Aus diesem Grund schlagen sie eine Stärkung von Hochschule und Wissenschaft als einen Ausweg aus den Problemen der Gegenwart vor. Es sind dies – wie auch an anderer Stelle – einmal mehr vor allem Klassische Philologen und Ingenieure, welche die historische Argumentation wählen. Die Klassischen Philologen wie Johannes Stroux und Friedrich Zucker entlehnen ihre Vergleiche aus der Antike. Stroux verweist auf die bereits in der »philosophischen Kulturtheorie der Antike« vertretene Ansicht, es habe unumgänglich »im Wesen der Entwicklung der menschlichen Natur« gelegen, dass sich die geistigen Fähigkeiten des Menschen immer weiter verfeinerten, bis sie schließlich »die Stufe reiner Forschung und reiner Wissenschaft« als höchste Form der Entwicklung erreicht hätten.58 Zucker betont die integrative Wirkung der »wissenschaftlichen Forschungsstätten« nach Vorbild von Platons ›Akademeia‹ bereits auf das »politisch so zerrissene Griechentum«; eine Wirkung, welche die Jahrhunderte überdauert habe und bis in die Gegenwart hinein fortbestehe: »Dem Kosmopolitismus hat einer der universalen Gelehrten des griechischen Alter­ tums, Eratosthena [item] von Kyrene, im 3. Jahrhundert v. Chr. die Formulierung gegeben, dass nicht das γένοζ, wir würden sagen, die Rasse, sondern die δεζπ die entscheidende Qualifikation eines Menschen bedingt, d. h. die körperliche, geistige und sittliche Tüchtigkeit.«59

Wie in anderen Themenbereichen der Reden wird auch hier der Dreißigjährige Krieg als Vergleichsmoment bemüht. Vielen Rednern gilt er als einziges historisches Pendant zu dem gerade beendeten Krieg, im Hinblick auf die Ausmaße des von ihm verursachten Schreckens. Den einzigen »Staat«, den jene 30 Jahren Kriegsgeschehen weitgehend unberührt gelassen hätten, beschreibt Otto Flachbart als die »res publica litterarum«. Wie das »Reich der Künste« habe sie »ihren inneren Zusammenhalt« bewahren können, weswegen beide direkt nach Kriegsende in der Lage waren, eine internationale Versöhnung zu initiieren. Im Unterschied zur Situation des 17. Jahrhunderts habe der Zweite Weltkrieg jedoch eine noch größere Durchschlagskraft in alle Lebensbereiche besessen und habe seine Spuren daher auch in Wissenschaft und Kunst hinterlassen. Daraus folgert Flachsbart nun keineswegs, dass beide Komplexe zu einem vergleichbaren Dienst nicht mehr in der Lage seien. Er empfiehlt vielmehr eine bewusste

57 Zum historischen Vergleich der Krise siehe Kap. V.1., S. 113–118. 58 J. Stroux (B HU 1946), S. 16. 59 F. Zucker (J FSU 1945), S. 275.

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Rück-Besinnung60 auf das Wirken von Leibniz und seinen Zeitgenossen, um daraus Handlungsanweisungen für die Gegenwart abzuleiten.61 Eine ähnliche Parallele zeichnet Rudolf Plank für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Aus der Situation eines isolierten Deutschlands heraus habe sich die Wissenschaft gleichfalls als »erster und wichtigster Helfer« beim Wiederanknüpfen der »zerrissenen Bande mit dem Ausland« erwiesen. Bereits wenige Jahre später habe Deutschland wieder aktiv am internationalen wissenschaftlichen Austausch teilnehmen können.62 Die Besonderheit der deutschen Gegebenheiten und künftigen Aufgaben in Verbindung mit der Internationalität von Wissenschaft spricht eine Vielzahl von Rednern an. Zum einen geht es dabei um den entscheidenden Beitrag, den die Wissenschaft für das gegenwärtig zerstörte deutsche Renommée zu leisten habe. Die Wissenschaftler der Gegenwart seien, so Rudolf Plank, förmlich dazu aufgerufen, unter Beweis zu stellen, dass »das deutsche Volk als Ganzes nicht mit den Mord und Brandbuben der SS und der Gestapo zu identifizieren ist«, dass es statt dessen »nach Beseitigung einer Clique von Verbrechern und Wahnsinnigen, genügend sittliche Kraft, Aufbauwillen und schöpferische Potenz besitzt, um auf Achtung und Anerkennung Anspruch erheben zu dürfen«.63 Daneben formulieren die Rektoren den (Selbst)-Auftrag an die Vertreter der deutschen Wissenschaft, als erste auf dem Feld der Versöhnung tätig zu werden. Es müsse nach Ansicht von Josef Schmid als die »akademische Verpflichtung überhaupt« aufgefasst werden, »zu helfen, die durch Krieg, Politik, Hass und soziale Ungerechtigkeit getrennten Menschen miteinander zu vereinen und die Bande mit anderen Völkern wiederherzustellen«.64

2. Gemeinschaft eines Kulturkreises: Europa und Abendland Mehr noch als die weltweite Aussöhnung der Völker beschäftigte die Menschen in Europa bereits während des Krieges der Gedanke an die Zukunft des eigenen Kontinents.65 Als Ausgangspunkt und Hauptschauplatz dieses Krieges lag Europa nicht nur in weiten Teilen physisch in Trümmern, es klafften vor allem auch tiefe Gräben in der Verständigung zwischen dem beziehungsreichen Ensemble von Nationalstaaten. In diesem Moment erfuhr der zeitlich sehr weit zurückreichende Gedanke, Europa als Einheit zu fassen, einen neuen starken 60 Zur Bedeutung und Vorkommen von Besinnung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.3, S. 176 f. 61 O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 3. 62 R. Plank (KA THF 1946), S. 12 f. 63 R. Plank (KA THF 1946), S. 13. 64 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 17. 65 Vgl. dazu W. Loth (2007), S. 63–69; W. Loth (1990b), S. 63 f.; W. Lipgens (1977), S. 387.

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Impuls. Seit dem Mittelalter hatte diese Idee in konzeptioneller Mannigfaltigkeit immer wieder Phasen starker Konjunktur erfahren, zumeist in Momenten der Krise und der äußeren Bedrohung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichte sie schließlich eine dauerhafte Präsenz in den intellektuellen Debatten. Die Erfahrung des Ersten Weltkrieges steigerte die Bedeutung des Konzepts schließlich so weit, dass in den zwanziger Jahren bereits auf höchster politischer Ebene ernsthaft über Projekte einer europäischen Einigung beraten wurde. Als kurze Zeit später ein weiterer Krieg auf dem Kontinent ausbrach, reifte vielerorts in Europa die Erkenntnis, dass das Konfliktpotential zwischen den europäischen Nationalstaaten, das quasi zyklusartig immer wieder zum Ausbruch kam, nur durch eine neuartige europaweite Ordnung in den Griff zu bekommen sei. Daraus folgernd setzten Überlegungen ein, auf welcher Basis man den Konfliktmomenten entgegenwirken könne, in denen man nun historische ›Konjunkturzyklen‹66 erkannte, um Frieden und Sicherheit dauerhaft gewährleisten zu können.67 Begriffsgeschichtlich teilen Europa und Abendland eine größere semantische Schnittmenge, werden jedoch durch eine feine bedeutungsunterscheidende Linie getrennt. So steht Europa zumeist mehr in einem »geographisch-politischen« Zusammenhang, wohingegen Abendland mehr auf das »geistig-kulturelle« verweist.68 Die geographische Bezeichnung Europa wurde schon in der Antike benutzt. Heinrich Lewy führte 1895 in seiner Abhandlung über »Die semitischen Fremdwörter im Griechischen« bereits eine mögliche Herleitung des Wortes aus dem semitischen ›ereb‹ für ›dunkel‹ bzw. ›Abend‹ aus, womit es der Kultur der phönikischen Seefahrer als Bezeichnung für das westlich von ihnen liegende Griechenland zuzuschreiben sei.69 Auch wenn die Etymologie des Wortes nicht vollständig belegt ist, so zeigen die ersten schriftlichen Quellen sowie antike Karten, dass das ursprüngliche Einzugsgebiet, das die geographische Bezeichnung Europa trug, tatsächlich die Peloponnes und die griechischen Inseln umfasste. Mit der Ausbreitung des Raumes, den der Begriff abdeckte, breiteten sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte ebenso die Diskussionen aus, wo die Grenzen dieses Gebiets – vor allem im Osten – zu ziehen seien. Diese dauern bis in die Gegenwart an, spielen aber für das zeitgenössische Geschehen, wie es die Rektoren in ihren Reden kommentieren, keine Rolle. Dort dominiert ganz im Gegensatz – wohl nicht zuletzt aus den deutschen Interessen heraus – die Beschwörung einer gerade nicht geographisch ausdefinierten Einheit Europas wie des Abendlandes. Direkt nach dem Krieg waren die Deutschen selbst von der europäischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Somit richteten sie den Blick nicht 66 Gemeint sind damit keine festen Konjunkturzyklen im Schumpeterschen Sinn mit einer jeweils vordefinierten Dauer. In einer derart formulierten Motivation für das Streben nach einer europäischen Einigung drückt sich jedoch offenkundig die Grundannahme von wiederkehrend auftretenden Wellen der Gewalt in der europäischen Geschichte aus. 67 J. Mittag (2008), S. 25–49; W. Loth (2007), S. 267–272. 68 P. E. Hübinger (1990b), S. 19 f. 69 H. Lewy (1895). Vgl. auch R.-J. Sattler (1971), S. 19 f.

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segregativ nach außen, sondern integrativ ins Innere des Kontinents und seiner Gemeinschaft. Die politische Komponente mischte sich bereits in der griechischen Antike in den semantischen Gehalt von Europa, wenn ihn die Griechen – wie etwa bei Herodot oder Hippokrates zu finden – mit einer von Freiheitsstreben geleiteten Geisteshaltung belegten, um die griechische Demokratie von der Despotie der Perser abzugrenzen.70 Lebendig wurde der politische Europa-Begriff danach in begrenztem Maße in den Lobgesängen der Hofdichter zur Zeit Karls des Großen, die ihn als ›Pater Europae‹ zum Identifikationsmoment für das neu entstandene Kaiserreich stilisierten, wenngleich dieses Motiv von Karl selbst nicht verfolgt und benutzt wurde.71 Mit dem Humanismus erreichte das Konzept Europa auch kulturell eine stärkere Bedeutung, die es schließlich geeignet erscheinen ließ, die säkularisierte Nachfolge des Begriffs ›Christenheit‹ anzutreten. Im Zuge der konfessionellen Spaltung Europas hatte dieser seine vormalige allverbindende Kraft verloren.72 Der Historiker Heinz Gollwitzer geht in seiner 1951 im Druck erschienen Habilitationsschrift über »Europabild und Europagedanke« davon aus, dass sich Europa förmlich aus dem Abendland heraus entwickelt habe. Parallel zu der geistigen Wandlung durch Humanismus und Reformation habe die veränderte weltpolitische Lage dazu beigetragen: Der christliche Orient sei durch den Fall Konstantinopels als Antipode entfallen und von der frisch entdeckten Neuen Welt abgelöst worden. Der so verschobene Fokus habe gleichermaßen die bis dahin vorherrschende Bezeichnung Abendland zugunsten von Europa abgelöst. Tatsächlich, so muss jedoch auch Gollwitzer konzedieren, haben beide Konzepte und Begriffe – wie sie bereits zuvor parallel zueinander existierten – genauso in späterer Zeit Bestand, wenngleich sich Europa mit fortschreitender Zeit als der prägendere Begriff herausstellte.73 Abendland ist die direkte Übersetzung des lateinischen ›Occidens‹ von ›occidere‹ – ›niedergehen‹, ›untergehen‹, das im Mittelalter die durchgängige Bezeichnung für die Gebiete westlich der byzantinischen Einflusssphäre war und das als ›Okzident‹ direkten Eingang in den deutschen Wortschatz gefunden hat. In übersetzter Form erschien der Begriff erstmals in der Luther’schen Bibelübersetzung, von wo aus er sich in den folgenden Jahrhunderten verbreitete, jedoch zunächst jeweils ein einzelnes Land bezeichnete, bzw. im Plural mehrere ›Abendländer‹. Zum ›Kollektivsingular‹ mit einer flächendeckenden Bedeutung gleich ›Okzident‹ verdichtete sich der Begriff erst während der ›Sattelzeit‹ (Koselleck) am Anfang des 19. Jahrhunderts. In diesen Zeitabschnitt fällt ebenfalls die ideologische Aufladung von Abendland. Beeinflusst durch die Ideen der Romantik wurde dem Begriff ein idealisiertes Bild des Mittelalters als Zeit 70 R.-J. Sattler (1971), S. 20–24. 71 In seiner Biographie Karls des Großen bezweifelt Johannes Fried, dass das Konzept ›Europa‹ zur Zeit Karls überhaupt nachvollziehbar existierte. Siehe J. Fried (2013), S. 77–96. 72 J. Mittag (2008), S. 21–49; P. E. Hübinger (1990b), S. 6–9; R.-J. Sattler (1971), S. 12–18, 25–49. 73 H. Gollwitzer (1951), S. 42–53.

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der Einheit zugrunde gelegt. Prägend für den Gehalt des Begriffs wurde in der Folge die kulturell-geistige Einheit des als westlich empfundenen europäischen Gebiets, das durch die antike Geistesgeschichte und die christlich-lateinische Religion verknüpft war. Ein politisches Bewusstsein in Bezug auf das Abendland trat verglichen mit dem Europa-Begriff zu Beginn der Neuzeit nicht in gleichem Maße zutage.74 Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Abendland-Ideologie fokussierte mehr und mehr auf den von ihr propagierten Niedergang der abendländischen Kultur. Ihren Gipfelpunkt fand diese zu Ausgang des Ersten Weltkrieges in dem von Oswald Spengler konstatierten »Untergang des Abendlandes«75. In den zwanziger Jahren und während des Nationalsozialismus verlor sich ihre Bedeutung in der Konkurrenz mit anderen Ideologien. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte der Abendland-Gedanke eine wahre Renaissance, wodurch er in der Nachkriegszeit, so schreibt Axel Schildt, zu einem »inflationär verwandten Begriff und zentralen Ideologem des Kalten Krieges« avancierte, und dies sowohl auf kulturellem, publizistischem wie auf politischem Gebiet.76 Die Notwendigkeit, als Voraussetzung für Frieden in Europa ein Gefühl von Gemeinschaft und Miteinander wiederzubeleben, sehen auch die Hochschulrektoren in ihren Reden als unverzichtbaren Bestandteil der gegenwärtigen Aufgaben. Sie sprechen dabei terminologisch sowohl von Europa wie von Abendland als dem Kernpunkt ihres Anliegens. Diese Doppelung stellt ein diffiziles Problem für die begriffliche Analyse dar. Die Sprecherschaft ist in ihrem Sprachgebrauch und ihrer Sprachsensibilität derart heterogen strukturiert,77 dass aus der Gesamtschau der Rektoratsreden keine eindeutige Begriffsklärung weder für Europa noch für Abendland möglich ist. Verschiedene Redner wie etwa der Moraltheologe Theodor Steinbüchel, der eine gesamte Rede dem Thema der europäischen »Verbundenheit im Geiste« widmet,78 treffen in ihrer jeweiligen Wortwahl ungleich präzisere Unterscheidungen als andere, aus deren Vorträgen heraus sich Europa und Abendland z. T. lediglich als quasi synonyme Formulierungsvarianten darstellen.79 In vielen, wenn nicht sogar in der Mehrheit der Fälle stehen Europa und Abendland damit als Labels für einen nicht ganz klar zu unterscheidenden Inhalt, der sich aus vermischten Bedeutungsanteilen beider

74 P. E.  Hübinger (1990b), S. 3–6, 12–19; O.  Münzberg / L .  Willkens (Hg.) (1979), S. 140–150; H. Gollwitzer (1951), S. 25–41. 75 O. Spengler (1950). Zu Rezeptionsgeschichte von Spenglers »Untergang« seit seinem Ersterscheinen bis nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Kap. V.2, S. 159–161. 76 A. Schildt (2000), S. 49–55. 77 Zu den Personen der Rektoren und ihren unterschiedlichen Hintergründen vgl. Kap. III. Zu den Problemen, die sich daraus in der Analyse der Rektoratsreden ergeben, vgl. Kap. I, S. 12–19. 78 Siehe Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946). 79 Vgl. hierzu z. B. J. Kroll (1947), S. 63 Sp.1, J. Schmid (MR JGU 1947), S. 9; teilw. auch A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 7 bzw. H. G. Gadamer (L U 1946), S. 9

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Begriffe zusammensetzt.80 Aus dem Gesamtvorkommen im Redenkorpus lässt sich in groben Zügen eine Bedeutungsunterscheidung vornehmen, derzufolge Abendland eine mehr geistige Einheit markiert, die gegenwärtig von Krise befallen ist, wohingegen Europa mehr die geographische Einheit repräsentiert, die aktuell vom Krieg heimgesucht wurde. Gerichtet auf die Zukunft bestimmt Europa den politischen Gedanken in verschiedenartigen Konzepten von Vereinigung, während Abendland an geistig-kulturelle Gemeinsamkeiten appelliert.81 Anders als in der Frage von Internationalität und Völkergemeinschaft findet sich in der Diskussion um Europa und Abendland ein Unterschied zwischen West- und Ost-Reden. An den Westhochschulen wird das Thema stark frequentiert. Im Osten ist dies weitaus weniger der Fall, eventuell weil damit – wie Sylvia Paletschek formuliert – in verstärktem Maße Bezug auf die »christlich-antike Tradition und eine geistesaristokratische Haltung«82 genommen wurde, die in der SBZ / DDR aus politischen Gründen bewusst so nicht vertreten wurde. Die Ausschnitte, an denen europäische Belange in den Reden der Ost-Hochschulen vorkommen, belegen den gleichen Grundkonsens über die gemeinsame europäische Geschichte und Kultur wie die West-Reden.83 Solche Stellen sind jedoch zunächst in den Reden der SBZ-Rektoren wesentlich seltener zu finden. Der entscheidende Unterschied zu den Kollegen in den westlichen Zonen ist darüber hinaus, dass die Redner im Osten nichts Konkretes daraus ableiten, wenn sie auf eine gemeinsame europäische Geistesgeschichte oder ähnliches zu sprechen kommen. Es bleibt bei der bloßen Feststellung; was diese europäische Gemeinschaft jedoch in der Gegenwart bedeute oder was dafür oder daraus in der Zukunft entstehen solle, kommt schlichtweg nicht vor. Da die Reden der Rektoren immer auch der offiziellen Haltung der jeweils zuständigen Besatzungsmacht Rechnung zu tragen hatten, könnte die Art der Behandlung des europäischen Themas durch die SBZ-Rektoren auch die sowjetische Besatzungspolitik widerspiegeln. Stalin hatte sich wie vor ihm bereits US-Präsident Roosevelt noch während des Krieges gegen europäisch-regionale Friedenspläne ausgesprochen. Beide konzentrierten sich auf global ausgerichtete Pläne, die schließlich 1945 in der Gründung der Vereinten Nationen mündeten.84 Mit Kriegsende in Europa begann die Sowjetunion zudem umgehend, die eigene Einflusssphäre zu sichern, indem sie Gebiete, in denen die Rote Armee am Ende des Krieges stand, dauerhaft an sich zu binden suchte.85 Projekte zu einer gesamteuropäischen Einigung waren in dieser Politik nicht vorgesehen. 80 Zur Definition und Unterscheidung von Begriff und Label siehe Kap. I, S. 14–19. 81 Das Vorkommen der Bezeichnungen Europa und Abendland in diesem Kapitel richten sich im Folgen nach ihrer jeweiligen Verwendung in den zitierten Reden. 82 S. Paletschek (2006), S. 243. 83 Siehe z. B. G. Rienäcker (RO U 1946), S. 8; H. G. Gadamer (L U 1946), S. 10; W. Straub (DD TH 1949), S. 6. 84 H. Volger (1995), S. 5–16. 85 Vgl. W. Loth (1980), S. 94–149; J. Mittag (2008), S. 55–69.

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Vereinzelt erachten auch Rektoren der westlichen Hochschulen den Hinweis auf die Weltgemeinschaft als der Europa und dem Abendland übergeordneten Einheit für nötig. Schließlich ruhe das Abendland auf den gleichen Grundlagen wie alle menschliche Kultur86 und bilde darin ein regionales Gefüge als »europäische Kultureinheit, an der alle Kulturvölker des Westens und des Ostens mitgebaut« haben.87 Die Entstehung dieser Einheit suchen die Redner gemeinhin weit zurück in der Vergangenheit. Theodor Steinbüchel sieht die »Geburtsstunde des Abendlandes« in der Schlacht von Salamis, initiiert durch die »Abwehr des persischen ›Barbars‹ von Europa durch die Hellenen«.88 Für August Reatz entstand »die europäische Kultur« fast gleichzeitig mit dem Aufkommen eines »Bewusstseins der europäischen Völkereinheit« ausgelöst durch die Kaiserkrönung Karls des Großen. Die folgenden Auswirkungen auf das Staatsgefüge des neu entstandenen Kaiserreiches preist er zudem als »Verwirklichung der augustinischgregorianischen Universalidee der Civitas Dei«.89 In alter Tradition, die bis auf Autoren der Antike zurückgeht, beschreiben die Rektoren den Freiheitsgedanken als die ursprüngliche, den europäischen Kulturkreis prägende Größe. Der Begriff Freiheit ist dabei als »geistigsittliche Selbstbestimmung durch die Stimme des Gewissens« zu verstehen, so die Definition Friedrich Meineckes. Aus jener Selbstbestimmtheit wiederum entstehe »Persönlichkeit«, will heißen die »Formung des eigenen Lebens durch Freiheit«. Beide Faktoren gemeinsam bilden für den Begründer der Ideengeschichte Meinecke die »Herzwurzeln der Ideen ›Europa‹ und ›christliches Abendland‹«.90 Freiheit ist demnach diejenige Eigenschaft, welche auf sämtlichen Ebenen, sowohl Europa wie dem Abendland das entscheidende Gepräge verleiht. Wolfgang Trillhaas verfolgt die Freiheit in seiner Rede über die »christliche Freiheitsidee« entlang ihrer begrifflichen Entwicklung seit der Antike. Zunächst ein »Ideal der persönlichen Freiheit« des Einzelnen angesichts der Konfrontation mit Sklaverei, habe sich der Begriff über die Jahrhunderte hinweg ausgeweitet auch auf die politische, die »staatliche Freiheit« im Streben nach »Unabhängigkeit von der Tyrannis«. Von dort aus sei er zu einem bestimmenden Faktor der Moderne geworden: »Der Anbruch der modernen Welt steht im Zeichen der Freiheit von den überkommenen Autoritäten, vor allem gerade auf theoretischem Gebiet: Freiheit des Denkens, Freiheit der persönlichen Entschlüsse.«91 Gerade weil die »Energie des Denkens und die des sittlichen Willens zur Freiheit« schon immer als »höchster und reinster Ausdruck des europäischen Geistes, seine klarste Form und sein edelster Inhalt« galten, schöpft Emil Wolff aus dem »Wissen um 86 Zur Bedeutung und Vorkommen von Kultur im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.1, S. 197 f. 87 A. Reatz (MZ JU 1947), S. 7. 88 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 4 f. 89 A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 7. 90 F. Meinecke (B FU 1948), S. 21. 91 W. Trillhaas (GÖ GAU 1950), S. 6 f.

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ihre starke Lebendigkeit« in der Gegenwart die Zuversicht auf ihr baldiges Zutun dafür, »dass aus den Ruinen einer zerbrochenen inneren und äußeren Welt eine neue, die Aussicht auf reinere Lebensmöglichkeiten öffnende Ordnung erstehen« werde.92 Im Dialog mit dem Christentum, dessen Einfluss die Rektoren als weiteren identifikationsstiftenden Faktor93 für Europa und Abendland benennen, habe der philosophische Freiheitsgedanke weitere Tiefe erlangt. Der »Widerstreit von Vorsehung und göttlicher Vollmacht auf der einen und der Freiheit des individuellen Willens auf der anderen Seite« bilde seit Augustinus ein »Grundproblem des europäischen Denkens«, analysiert der Theologe Trillhaas. Über seinen Einigkeit stiftenden Charakter hinaus habe das Christentum »für alle Völker abendländischer Kultur« von der Spätantike bis in die Gegenwart als Quelle höherer Vernunft gedient, was es zur »eindrucksvollsten Manifestation menschlichen Glaubens an Gott« mache.94 In enger Verbindung mit den christlichen Werten95 steht auch der Humanismus96. Aus Sicht der Redner bestimmt auch er im Zusammenwirken mit den bereits genannten Motiven die »Grundlagen der abendländischen Kultur«97. In seiner Antrittsrede als Rektor der Universität Tübingen befasst sich Theodor Steinbüchel eingehend mit der Frage nach europäischer Einigkeit, wie sie sich aus der Geschichte heraus begründe und wie sie auch in der Gegenwart noch vorkomme. Steinbüchel sucht in erster Linie nach einem »Europa als Verbundenheit im Geist«. Um dessen Entwicklung nachzuzeichnen, durchmisst er über 2000 Jahre an europäischer Geistesgeschichte. Die Rede Steinbüchels gehört auf die Gesamtheit des Quellenkorpus’ hin gesehen von ihrem Anspruch her zu den intellektuellsten Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Problemstellungen und deren Ursprüngen, weswegen sie im Folgenden etwas eingehender besprochen werden soll. Steinbüchel betont wie seine Kollegen ein von der Antike an tief verinnerlichtes Streben nach Freiheit als das wesentliche Unterscheidungsmerkmal, das den »Gegensatz Europas zu Asien« begründe. Er bettet dies in einen größeren geistigen Zusammenhang ein, demzufolge sich die »europäische Geistigkeit« seit der Antike durchgängig vor allem durch ihren Erkenntnisdrang auszeichne. Hieraus 92 E. Wolff (HH U 1945), S. 20. 93 Der Begriff ›Identifikation‹ folgt hier dem von Ute Frevert in den »Eurovisionen« vertretenen, nach dem ›Identifikation‹ aufgrund ihres dynamischen, nichtabgeschlossenen, offenen Charakters den Vorzug gegenüber der statischeren, ideologisch überformten ›Identität‹ zu geben ist. Vgl. dazu U. Frevert (2003), S. 19 f. 94 K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 46. 95 Zur Bedeutung und Vorkommen der Werte im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 224–226. 96 Zur Bedeutung und Vorkommen von Humanitas und Humanismus im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 230–234. 97 G. Hohmann (M LMU 1946), S. 11.

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wiederum habe sich in der »europäisch-abendländischen Kulturarbeit« ein unbändiger Wille zur Gestaltung der Umwelt entwickelt, welcher einen weiteren entscheidenden Unterschied ausmache: »Das Handeln nach der eigenen Geisteseinsicht im Leben des Individuums wie in der Gestaltung von Welt und Gemeinschaft ist das, was dem europäischen Menschen das Gesicht und seiner Kultur das Gepräge gegeben hat.«98 Steinbüchel stimmt hier explizit dem zu, was Hegel im Kapitel über die natürlichen Vorbedingungen des Geistes in seiner »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« zum »Prinzip des europäischen Geistes« schreibt, vor allem im Gegensatz zu den Denkweisen anderer menschlicher »Rassen«.99 Hinzu kommt für Steinbüchel wie bereits für Hegel das Christentum als »zweiter bildender Faktor des Abendlandes«: Die neu hinzugetretene Verantwortlichkeit vor Gott habe das bereits in der Antike geformte gestalterische Selbstbewusstsein des Individuums noch weiter vertieft. Diese Art von ›Verpersönlichung‹ der göttlichen Beziehung habe im christlichen Selbstbewusstsein ein Gefühl der Berufenheit erzeugt, das für den »abendländischen Menschen« und »für seine Gewissenshaltung tief charakteristisch, ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal abendländischen Existenzgefühls« geworden sei.100 Von jener grundlegenden, Gemeinschaft stiftenden Basis aus wendet sich Steinbüchel sofort dem »Problem Europa« zu, dessen Genese er mit dem »Zusammenbruch des von Imperium und Sacerdotium als gestaltenden Realfaktoren getragenen mittelalterlichen Ordo« verbindet. Der »Begriff der Christenheit« habe, so Steinbüchel, fortan die Lücke des nun nicht mehr gänzlich geeinten Abendlandes gefüllt. Konzentriert auf ihr wesentliches Element, die christliche Religion, hätten sich die auf geistiger Ebene verbliebenen Überreste jener totalen Einheit beschwören lassen, »in der die europäischen Völker von den nichtchristlichen der übrigen Welt sich abheben als geistige Glaubensgemeinschaft«. Doch habe sich Europa mit dem Säkularisierungsprozess der folgenden Jahrhunderte immer mehr zu einer »säkularen Kulturidee« hin verändert – wenngleich auch zunächst weniger von »politischen« denn von »geistigen Strömungen« getragen. Bis in die Zeit der Romantik hinein waren diese untrennbar mit dem »Bewusstsein gemeinsamer Christlichkeit« verbunden.101 Je mehr es in die Neuzeit hineingeht, desto eher habe der Darstellung Steinbüchels zufolge die Wissenschaft102 als das »eigentliche Band« zu gelten, »das die res publica mundana zusammenhält, von der Europa ein Teil ist«. Das wissenschaftliche Denken habe mit der Zeit immer größeren Einfluss auf die Gestaltung politischer Ideen genommen, wie sie sich beispielsweise im Konzept des »europäischen Gleichgewichts« als Ausdruck der Balance hegemonialer Inter98 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 4 f. 99 Zitiert nach der Werksausgabe, Red. Eva Moldenhauer: G. W. F.  Hegel (2003) § 393, S. 60–62. 100 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946). S. 5. 101 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 5 f. 102 Zur Bedeutung und Vorkommen der Wissenschaft im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VII.1, S. 246 f.

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essen Englands und Frankreichs manifestierten oder etwa in dem Anteil aufklärerischer Gedanken an den Motiven der Französischen Revolution. Letztere formulierte schließlich einen Anspruch, der Frankreich als »eine besondere Nation zum Vertreter und Vorkämpfer« erhob. Darin zeigte sich nach Ansicht Steinbüchels bereits zu jenem Zeitpunkt eine Problematik, die im darauffolgenden Jahrhundert zum kompletten Ausbruch kommen sollte. Trotz Förderung seitens einiger bedeutsamer Vordenker habe sich der Europa-Gedanke im 19. Jahrhundert nicht durchsetzen können. Im Staatswesen wie im Kulturleben Europas habe stattdessen »eine Relativierung der Werte und eine Atomisierung« um sich gegriffen, »die eine einheitliche Europa-Idee nicht mehr denken, geschweige verfolgen« ließ. Mit dem einhergehenden Verlust des geistig-religiösen Einheitsgefühls setzt Steinbüchel förmlich das Ende des Abendlands gleich: »Aus dem im christlichen Geist zur Einheit drängenden ›Abendland‹ ist ›Europa‹ geboren als die in Gegensätze sich zersetzende Vielheit.«103 Ausführlich referiert Steinbüchel die trotz aller »Vielheit« vorhandenen positiven Ansätze zu Europa. Die Europa-Bilder einer Vielzahl von Gelehrten unterschiedlicher Zeitabschnitte und Nationalitäten wie beispielsweise Friedrich Nietzsche, Ernst Troeltsch, Max Scheler, Christopher Dawson, Paul Valéry, Jacques Maritain oder Nicolai Berdiajew fügt er zu einem Gesamtaufruf zusammen, »alle Nationen in ihrer geistigen Eigenart zur Gemeinsamkeit europäischer Kultur zu vereinen«.104 Die Bedeutung der Gedanken Karl Marx’ aus europäischer Sicht hebt Steinbüchel, der kurz nach dem Ersten Weltkrieg über den »Sozialismus als sittliche Idee«105 promoviert hatte, besonders hervor. Der Marxismus fungiere in der Gegenwart als starkes geistiges Bindeglied in Europa, weil im Zentrum seines Interesses ebenso wie beim Christentum die Sorge um den Menschen stehe. Der christlichen Sozialethik gleich beklage er die »Entfremdung« des Menschen von seinem ursprünglichen Wesen, hervorgerufen durch die gegebenen Produktionsverhältnisse. Marx versuche nun mit einer eigenen Strategie, der Menschheit zum »Sprung in die Freiheit« zu verhelfen. An dieser Stelle lässt Steinbüchel die Gemeinsamkeiten mit dem Marxismus enden, denn es stehe zu befürchten, dass auch er die »Entfremdung« des Menschen nicht löse, sondern vielmehr die »gleiche Entpersönlichung« unter anderen Vorzeichen

103 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 6–9. Entgegen solcher Thesen vertritt Steinbüchel hier keine kulturellen Endzeitvorstellungen wie etwa Oswald Spengler. Prägende Elemente des Abendlands verschwinden für ihn nicht ganz, sondern schwingen auch in der modernen Europa-Idee in unterschiedlichen Gewichtungen weiter mit, so dass sich die Kultur seiner Sichtweise nach schlicht verändert und keinesfalls wie in dem Spengler’schen Zivilisationsbegriff versteinert. Dementsprechend referiert Steinbüchel die Gedanken Spenglers, die in gewisser Häufigkeit in den Rektoratsreden zitiert werden, in seiner Rede ausgesprochen skeptisch, vgl. hierzu auch Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 11. 104 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 10–22. 105 Vgl. Th. Steinbüchel (1921).

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fortführe.106 Seine geistesgeschichtliche Rundumschau abschließend formuliert Steinbüchel einen Aufruf an die ›Vertreter des Geistes‹, namentlich an die Hochschule107, die bereits vorhandenen geistigen Übereinstimmungen aufzunehmen und fortzutragen: »So gibt es der Verbundenheit im Geiste genug im Europa von heute. In der heutigen Situation sie aufzugreifen scheint mir eine zeitberufene Aufgabe der deutschen Universität. Alles Leben ist ein Empfangen und Geben, ein Nehmen und Mitteilen, auch das Leben des Geistes. Und Universität heißt uns – wir sagten es Dienst am Geist. Wo immer der Geist uns begegnet, sind wir ihm verantwortlich verbunden durch das ganze geistige Europa hindurch.«108

Einige der Kollegen Steinbüchels rekurrieren in gleicher Weise auf die geistigen Kulturgüter des Abendlandes als dessen wesensbestimmende Merkmale. Insbesondere betonen sie die Prägekraft des wissenschaftlichen Denkens. Hans Georg Gadamer beschreibt parallel zu der »Geburtsstunde Europas«, die auch er auf die erfolgreiche Abwehr der Perser durch die vereinigten griechischen Heere datiert, die »Geburtsstunde der europäischen Wissenschaft«, die er in der »Aufnahme und Fortbildung der ägyptischen und babylonischen Mathematik und Naturerkenntnis durch das Genie der Griechen« ausmacht. Auf diesem »Fundament der Wissenschaft« baue letztlich die »Einzigkeit unseres Schicksals in der Geschichte der Menschheit«. Denn wo »andere große Weltreiche und Kulturen« lediglich »in religiösen und künstlerischen Werkschöpfungen allein den Ausdruck ihres Wesens gefunden« hätten, sei es den Griechen gelungen, »den urmenschlichen Drang des Wissenwollens in die objektive Gestalt der Wissenschaft« zu bringen und »damit den Weg der Menschheit gewendet« zu haben.109 Dergleichen Einflüsse zeigten sich ebenso im Aufbau der Gesellschaft, wie Walter Hallstein mit dem Blick auf supranationale Zusammenhänge anfügt. Zum Beleg verweist er auf die Geschichte der europäischen Rechtssysteme. Unleugbar seien jene die »Ergebnisse eines durch Jahrtausende währenden Austauschs von Problemen und Lösungen, der auf europäischen Boden begonnen hat und mit den amerikanischen Rechtskreisen fortgesetzt wurde«. Aus diesem Grund könnten die unterschiedlichen »nationalen Rechtsordnungen« nicht isoliert voneinander betrachtet werden, sondern stets nur gemeinsam als »Zweige am Baume der abendländischen Kultur«.110 Dass Nordamerika auf diese Art direkt in das Abendland miteingegliedert wird, ist fast ausschließlich in Reden an Hochschulen der amerikanischen Besatzungszone zu finden. Die entsprechenden Stellen sprechen zumeist explizit und ausschließlich die USA an, so dass es sich hierbei 106 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 15–19. 107 Zur Bedeutung und Vorkommen der (neuen) Hochschule im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 241 f. und Kap. VII.3, S. 288–290. 108 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 26. 109 H. G. Gadamer (L U 1946), S. 9 f. 110 W. Hallstein (F JWGU 1946), S. 27 f.

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zu einem Gutteil um eine Reminiszenz der Redner an die zuständige Besatzungsmacht handeln dürfte. Als Motivation ihrer Aufrufe zur Wiedererweckung eines europäischen Gemeinschaftsgefühls benennen die Rektoren einhellig die aktuelle Kriegserfahrung. Ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg, bestärkt allerdings durch das Erleben, wie die damals unternommenen europäischen Einigungsbestrebungen scheiterten, rufen die Hochschulrektoren ebenso wie Vertreter aller Bereiche des öffentlichen Lebens in ganz Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs dazu auf, traditionell bestehende geistige Verbindungen zu reaktivieren. Nicht nur die Rektoren in ihren Reden nehmen Europa als »Schicksalsgemeinschaft«111 wahr, die künftig entweder zusammen vorankomme oder aber zusammen untergehe. Der Aufruf ergeht allgemein – mit den Worten Charles de Gaulles – »an alle guten Europäer«112, sich am Wiederaufbau Europas zu beteiligen. Die Rektoren zitieren in ihren Reden entsprechend gerne ähnlich appellierende Stimmen aus dem Ausland, die ihrem Anliegen argumentative Breite verleihen und seine gesamteuropäische Dimension unterstreichen sollen. Sie zielen damit in erster Linie darauf, eine »neue, bessere Welt« zu errichten, was aus ihrer Sicht mehr erfordert als Politik und Wirtschaft allein leisten können. Es komme auf die gesamte Bevölkerung der europäischen Länder an und deren Bereitschaft, sich auf Werte zurückzubesinnen wie »Ehrfurcht, Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Bindung, einen weltüberwindenden Glauben und eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, kurz, ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste«.113 Die spezifisch deutsche Sichtweise mit ihrer Betonung des gemeinschaftlichen Aspekts verleiht der Darstellung der Ausgangslage Europas nach dem Krieg zudem eine stark reintegrative Note. Mit dem Kriegsausgang waren die Deutschen zunächst komplett aus der »europäischen Völkerfamilie«114 ausgeschlossen. Insofern sind die Appelle an gemeinsame Geschichte und Kultur immer auch als ein Versuch zu lesen, auf längerfristige Sicht wieder in den ›Schoß der Familie‹ zurückkehren zu dürfen. Verschiedene Redner wie beispielsweise Theodor Pöschl postulieren daneben den Transfer eines wiedererweckten europäischen Einigkeitsgefühls auf die politische Ebene in Form der »Vereinigten Staaten von Europa«. In der zeitgenössischen Debatte quer durch Europa war dieses Konzept einer auf föderativen Prinzipien beruhenden Staatsgründung eine der beiden am häufigsten diskutierten politischen Zielvorstellungen für die Zukunft des Kontinents – in Konkurrenz zu einem unionistischen Modell, das einen Bund weiterhin eigenständiger Staa-

111 112 113 114

J. Kroll (K U 1947), S. 63. H. Schneider (TÜ EKU 1945a), S. 9. J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 11; ähnlich: J. Kroll (K U 1946b), S. 2 f. A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 18.

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ten favorisierte. Als problematisch galt ersteres Konzept vor allem deswegen, weil es einen Verzicht der beteiligten Staaten auf ihre Souveränität erfordert hätte, was zu jenem Zeitpunkt viele Kritiker, teilweise selbst Befürworter der Idee für nicht durchsetzbar hielten.115 Für Pöschl gehört die Auseinandersetzung mit der »Frage der Vereinigten Staaten von Europa« zu den wichtigsten Aufgaben der europäischen Einigung. Die Möglichkeiten, das Konzept tatsächlich zu realisieren, beurteilt jedoch auch er eher skeptisch. Das hindernde Moment dabei ist seiner Einschätzung nach die politische Struktur Europas, die er »in einschneidender Weise vorbelastet« einschätzt. Im historischen Rückblick seien bereits »die verschiedenen, teilweise bereits hoch entwickelten Staatsformen in den verschiedenen Ländern des europäischen Kontinents« als Bürde anzusehen. Aus der kurzfristigen Perspektive heraus sei das Vorhaben im größtem Maße »durch die vergiftete Atmosphäre der Beziehungen zwischen diesen Ländern durch die zahlreichen Kriege, insbesondere der beiden letzten, deren Folgen nicht so bald beseitigt sein werden«, belastet. Diesen beiden Punkten fügt Pöschl einen dritten Störfaktor zu, nämlich die »Ausweisungen deutscher und sogenannter volksdeutscher Menschen« im östlichen Teil Europas seit Kriegsende. Seiner Argumentation zufolge stünden alle drei Punkte gleichbedeutend einer Verwirklichung des Projektes ›Vereinigten Staaten von Europa‹ hinderlich gegenüber.116 Die Bedeutung, die Pöschl der Vertreibungsfrage in Bezug auf ihren negativen Einfluss, einen gemeinsamen europäischen Staat zu gründen, beimisst, spiegelt eine spezifisch deutsche Sichtweise. In der zeitgenössischen Diskussion jenes föderalen Konzepts im gesamt-europäischen Diskursraum fand der Topos dergleichen Beachtung nicht. Es spiegelt sich hier eine Tendenz der nachkriegsdeutschen Öffentlichkeit, die Deutschen selbst als Opfer anzusehen, zuerst der Nazis117 wie später auch der Folgen des Krieges.118 Auch wenn die Rektoren für den europäischen Einigungsprozess in den meisten Fällen keine konkreten Handlungsvorschläge oder -anweisungen geben, so zeugen ihre Reden doch von dessen partiell bereits in der Nachkriegsgegenwart anzutreffenden Erscheinungen. In der Zusammenarbeit mit den zuständigen Vertretern der Besatzungsmächte beschwören die Redner in konstanter Frequenz die abendländische Geistesgemeinschaft, die trotz der zurückliegenden Kriege – wo nötig, gar unter Einbeziehung der US-Amerikaner – spürbar weiter­ bestehe.119 An einigen Hochschulen formulieren die Rektoren zudem standort115 Zu föderalistischen und unionistischen Strömungen in Europa vgl. bspw. M. Gehler (2010), S. 173–179; J. Mittag (2008), S. 59–74; F. Niess (2001), S. 72–91. 116 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 14 f. 117 Zur deutungsmäßigen Trennung des Volkes von den Nazis vgl. Kap. V.1, S. 121–124. 118 Zur Selbsteinschätzung der Deutschen als Opfer vgl. Kap. V.1, S. 124–128 und Kap. V.2, S. 169 f. 119 H. Konen (BN RFWU 1946), S. 3; A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 7.

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bedingt einen historischen Anspruch, europäische Belange zu vertreten, der aus der regionalen Geschichte abgeleitet wird, wie im Beispielfalle Aachens. Der bevorzugte Aufenthaltsort des ›Pater Europae‹ Karls des Großen vermittelt den Rektoren der RWTH in ihren Reden hier und da die Selbstwahrnehmung, am Ort einer Art zeitweiliger ›Hauptstadt Europas‹ zu agieren.120 Die RWTH verlieh beispielsweise 1950 die akademische Ehrenbürgerschaft an den Oberbürgermeister der Stadt, Albert Haas, womit nicht nur dessen Verdienste um die Hochschule, sondern explizit zu gleichen Teilen »seine langjährige Mitarbeit an den europäischen Einigungsbestrebungen im Geiste der abendländischen Kultur« geehrt werden sollten.121 Wie dieses Beispiel zeigt, herrschte seitens der Rektoren wenig Scheu, größere Zusammenhänge in der entsprechend großen Formulierung auf lokale Bedürfnisse herunterzubrechen. Die Funktionsweise dieses kommunikativen Reigens als Verschiebung und Austausch von angelagerten Assoziationen zeigt noch klarer das Beispiel Berlin. An der FU begriff man den europäischen Auftrag aus der Gegenwart heraus. Anders als auf Aachen schauten die Völker der Welt in den späten vierziger Jahren aufgrund der brisanten Lage, in der sich die Stadt befand, intensiv auf Berlin, weswegen sich aktuelle Bezüge dort sehr einfach herstellen ließen. Entsprechend, formuliert Edwin Redslob, bringe die Insel-Lage Berlins in Kunst und Wissenschaft besonders fokussiert und zugespitzt das wesentliche Merkmal »aller Städte der westeuropäischen Kultur« hervor, was für den Kulturschaffenden darin bestehe, »das örtliche Motiv gerade dadurch [zu] erfüllen, dass sein Wirken darüber hinausweist«.122 Die Hochschulen leiten einen an sie gerichteten, vermittelnden Auftrag aus dem Diskurs über Europa und Abendland ab. Im Einklang mit dem Konzept einer neuen Hochschule123 suchen ihre Vertreter bewusst nach Wegen, das äußere Geschehen aus der Welt in die Hochschule zu bringen, um daraus der Hochschule nicht nur ihre inneren Zusammenhänge von außen her zu erklären. Genauso wollen sie ihr die Möglichkeiten aufzeigen, selbst gestalterischen Einfluss auf das Äußere auszuüben. All dies zielt darauf, die akademische Tradition Europas in der Gegenwart wiederaufzugreifen und zu neuer Blüte zu bringen. Von Beginn ihrer Existenz an nämlich habe gerade die Hochschule eine besondere, multiplikatorische Rolle erfüllt. Die »europäische Universität« spiegele, so begründet dies Walther Gerlach, den »besten Teil der abendländischen Geistesentwicklung«. In der Forschung betreibe sie die »Fortentwicklung«, in der Lehre die »Verbreitung« der Kultur.124 Insofern kann der Diskurs über Europa und Abendland ebenso als Re-entry im Luhmannschen Sinne125 verstanden werden. 120 P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 12. 121 W. Müller RB (AC RWTH 1950), S. 22 f. 122 E. Redslob (B FU 1950), S. 15. 123 Zur Bedeutung der neuen Hochschule im Diskurs der Rektoratsreden vgl. Kap. VII.3, S. 241 f. und Kap. VII.3, S. 288-290. Vgl. auch K. Hammerstein (2008), S. 48–52. 124 W. Gerlach (M LMU 1949a), S. 3. 125 N. Luhmann (1997), S. 796.

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Ihre Unterscheidung zwischen der außeruniversitären und inneruniversitären Kulturgeschichte führen die Redner am Ende wieder zusammen auf den für sie relevanten Punkt, von wo aus sie die Einflussmöglichkeiten der Hochschule bestimmen wollen. Somit erhält auch die Lehre eine weitreichende Bedeutung, wie etwa Josef Kroll unterstreicht: Das erzieherische Element der Hochschule helfe, die Not der »misshandelten Jugend, dem eigentlichen Opfer der Unheilszeit« zu lindern, ihr »den Glauben und die Hoffnung zurückzugeben, ihr den Weg zu den alten Idealen zu eröffnen« sowie ihr »die Möglichkeit zu gewähren, sich arbeitend zu bilden und zur Leistung zu ertüchtigen«.126 Darüber hinaus sei eine Leistung der Hochschule ebenso für die eigene Nation zu erwarten. Mit Blick auf das Deutschland der Gegenwart sieht Emil Wolff die Hochschule als ein Stück Kontinuität an, das »trotz allem, was uns von der übrigen Welt scheidet«, die Anbindung an das gemeinsame »geistige Erbe« bewahrt und »in dem, was der bedeutendste Inhalt unseres Lebens ist und den Sinn unserer Tätigkeit bestimmt, den Zusammenhang mit dem überpersönlichen Reich der Vernunft und der Heimat der europäischen Tradition lebendig« erhält.127 Somit trage die Hochschule letztlich über den akademischen Rahmen hinaus dazu bei, eine »neue europäische Gemeinschaft«128 aufzubauen.

3. Gemeinschaft von Werten: Humanitas und Religion Wie kaum ein anderes Thema bestimmt die Diskussion der Werte den deutschen Nachkriegsdiskurs. Gemeint sind damit nicht nur bei den Rektoren teilweise auch »materielle Werte«129, deren Verlust und Wiedererschaffung. Im Wesentlichen dreht sich die Debatte jedoch um »geistige Werte«130. Diese stehen inhaltlich in starkem Bezug zu der europäischen bzw. abendländischen Kultureinheit. Gemäß der diskursimmanenten Überzeugung beruhe diese zu einem nicht unwesentlichen Teil darauf, genau jene Werte zu teilen, weswegen sie in den Reden häufig auch als abendländische Werte apostrophiert auftauchen. Die krisenhafte Entwicklung in Europa wird demzufolge auf eine »Erschütterung«131 und »Infragestellung«132 der gemeinsamen Werte in der Vergangenheit zurückgeführt.

126 J. Kroll (K U 1946b), S. 2 f. 127 E. Wolff (HH U 1945), S. 26. 128 S. Janssen (FR ALU 1945), S. 11. 129 Siehe bspw.: Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 4 f.; P.  Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 18; W. Gerlach (M LMU 1949b), S. 23. 130 Etwa bei: G. Gassner (BS THCW 1946), S. 20; P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 14; J. Stroux (B HU 1946), S. 10; H. G. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 1; J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 10; K. Apel (B TU 1948), S. 3. 131 W. Erbe (TÜ EKU 1948), S. 36. 132 F. Hund (J FSU 1948), S. 5.

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Darauf habe sich ein allgemein gesellschaftlicher Prozess des »Ablösens«133 von jenen Werten in Gang gesetzt, bis schließlich gar zu deren »Revidierung«134 und »Negierung«135 hin. Die Krise der Gegenwart136, wahrgenommen als Krise des Geistes, ist somit gleichfalls eine »Krise der Werte« (P. Valéry)137. Um nun eine gedeihliche Entwicklung der Zukunft zu sichern, folgert die Logik des Diskurses es als unabdingbar, die gefährdeten Werte der traditionellen Überlieferung zu retten und neu zu beleben. Unter Hinzunahme neuer, zeitaktuell bestimmter Werte sollen sie schließlich zu einem neuen Ordnungssystem aufgebaut werden. Die grundlegende Bedeutung der Werte ist damit unzweifelhaft hervorgehoben. Ihre Inhalte bleiben jedoch diffus. Einerseits suggeriert die Art und Weise ihrer Darstellung in den Reden, welche sie mit Attributen wie »ewig gültig«138 oder »unzerstörbar«139 belegt, sie seien ontologisch als ein quasi »Apriorisches«140 erfassbar. Solche Deutungen verweisen auf einen gewissen Einfluss Max Schelers, den die Rektoren zum Kanon der intellektuellen Referenzgrößen in ihren Reden zählen. Die wertebasierte Ethik Schelers baut auf der Phänomenologie Edmund Husserls auf und grenzt sich von Kants intellektuell ausgelegter Ethik bewusst dadurch ab, dass Scheler die Werte als apriorisches System mit einer hierarchischen Ordnung charakterisiert, welches das Individuum emotional erfasst.141 Den Ansatz, die Werte nicht aus einer begrifflichen Rekonstruktion abzuleiten, scheinen die Rektoren in ähnlicher Form zu verfolgen. Andererseits erkennen sie in denselben Werten zugleich jeweils von der Gesellschaft eingesetzte Größen, wenn sie deren Wandelbarkeit und damit auch Ablösbarkeit beklagen.142 Genau dieser Zwiespalt, in dem sich der Verlust einer absoluten Gewissheit über das »präexistente Gute oder Wahre« dokumentiert, bildet für Hans Joas die Initiation des »Werts«, wie er sie in seiner 1997 erschienen Schrift über »Die Entstehung der Werte« beschreibt. In der Moderne repräsentierten folglich die »Werte« das traditionelle philosophische Konzept des ›Guten‹.143 In den Rektoratsreden werden die konzeptionellen Inhalte der eingeforderten Werte seitens der Redner letztlich als gegeben vorausgesetzt. Es erfolgt keine Auseinandersetzung darüber, was sie im konkreten Bezugsfall zu bedeuten

133 134 135 136 137 138 139 140 141

J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 10 f. Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 8 f. Th. Süß (ER FAU 1946), S. 19. Zur Bedeutung und Vorkommen der Krise im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1, S. 101 f. P. Valéry (1937), S. 21; so zitiert bei Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 14 f. G. Rienäcker (RO U 1946), S. 8. P. Röntgen (AC RWTH 1947), S. 6. M. Scheler (1927), S. 78–109. Vgl. auch: A. G. Wildfeuer (2011), S. 2494–2496. Zu Max Scheler und seiner Rolle im Kanon der intellektuellen Referenzgrößen, welche die Redner häufig zitieren, vgl. Kap. VI, S. 77. 142 Vgl. die oben angeführten Zustandsbeschreibungen, siehe Anm. 131–135. 143 Vgl. A. Rödder (2008), S. 12 f., aufbauend auf H. Joas (2006), S. 13–16.

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hätten. Als Labels144 werden die Werte – in Verbindung mit einer überwiegend positiven Konnotation  – verschiedenen Themenbereichen der Rektoratsreden zugeordnet, deren wünschenswerte Eigenschaften sie vertreten sollen, so z. B. die menschliche Kultur145, Europa und Abendland146 oder die Wissenschaft147. Spezielle Kombinationen von Werten formten dieser Logik zufolge etwa die jeweils national unterschiedlichen Eigenschaften der Völker. Die Besinnung148 auf die jeweils dahinter liegende Einheit jener Werte führe ein Volk zur Erkenntnis seiner Selbst und beschere ihm gleichermaßen Selbstachtung.149 Aus der Krise der Gegenwart wiederum entspringe allgemein eine Suche nach den »entscheidenden Werten des Lebens«150, zu denen sowohl »altererbte«151 wie auch »neu«152 zu bestimmende Werte gehörten. Insbesondere die Suche nach den »von uns allen gleichmäßig akzeptierten höchsten Werten«153 spricht eine Vielzahl an Rednern als verbreitetes Anliegen der Gegenwart an. Die Verknüpfung mit der Ebene des »Religiösen, Seelischen und Geistigen«154 ist der am häufigsten hergestellte thematische Bezug der Werte. Der Bezug auf die Besinnung, den die Redner häufig herstellen, bestimmt auch hier ihre Position im Diskurs. Im Urteil des gesellschaftlichen Nachkriegsdiskurses habe die Vernachlässigung speziell der »geistigen« Werte zu der Krise geführt, die in den Verheerungen des vorausgegangenen Jahrzehnts gipfelte. Um die daraus resultierende, nach wie vor krisenbelastete Situation der Gegenwart zu überwinden, gelte es nun, Einkehr zu halten und sich auf jene Werte zu besinnen, welche die

144 Zur Definition von Label in der Unterscheidung zum Begriff siehe Kap. I, S. 14–19. 145 So zu finden etwa bei: Th. Süß (ER FAU 1946), S. 31; G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 15; A. Mehmel (DA TH 1949), S. 26; W. Gerlach (M LMU 1948), S. 13; Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1947), S. 6. Zur Bedeutung und Vorkommen von Kultur im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.1, S. 197 f. 146 Beispiele dafür bei: E.  Friesenhahn (BN RFWU 1950), S. 22; Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 6. Zur Bedeutung und Vorkommen von Europa und Abendland im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.2, S. 212–214. 147 Erwähnt beispielsweise bei: W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 20; E. Redslob RB (B FU 1950), S. 7; J. Stroux (B HU 1946), S. 11. Zur Bedeutung und Vorkommen der Wissenschaft im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 246 f. 148 Zur Bedeutung und Vorkommen von Besinnung im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. V.3, S. 176 f. 149 Siehe z. B.: W. Hallstein (F JWGU 1946), S. 5; J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 7; W. Hallstein (F JWGU 1948), S. 5. 150 C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 194. 151 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 3. 152 K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S.  153 W. Fucks (AC RWTH 1950), S. 17. 154 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 20 f.; ähnlich z. B. auch bei: P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 14; K. Geiler (HD RKU 1948), S. 28.

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Rektoren mit »ethisch«155, »sittlich«156, »ewig«157, »heilig«158, »höher«159 oder gar »gottverbunden«160 attribuieren. Derlei Benennungen zeugen nicht zwangsläufig von einer bewusst angestrebten Hinwendung zum christlichen Glauben als Heilsversprechen. Dies wird im Fall erst aus dem jeweiligen Argumentationszusammenhang klar. Die genannten Attribute können daher auch auf eine nicht-christlich motivierte Ethik verweisen. Viele Rektoren sehen in einer gesamtgesellschaftlichen Wiederbelebung der Religion den Ausweg aus der Krise. Die zeitgenössisch gerade seitens der kirchlichen Vertreter gerne in diesem Kontext gebrauchte Losung einer ›Rechristianisierung‹ der Gesellschaft fällt in den Rektoratsreden nicht. In dem Schlagwort ›Rechristianisierung‹ drückt sich die große Zuversicht aus, welche die offiziellen Repräsentanten beider Konfessionen nach Ende des Krieges hegten, die Religion wie auch die Kirche als Institution könne nun zu alter, bereits vor 1933 verloren geglaubter Stärke zurückfinden. Die Erfahrung von Abdrängung, Isolation und Verfolgung im Nationalsozialismus, der die Kirchen im Narrativ der eigenen Rückschau erfolgreich mit Klandestinität, Standhaftigkeit und Märtyrertum begegnet waren, bewirkte zu Ende des Krieges eine regelrechte Aufbruchsstimmung. Vor allem die Katholiken, aber auch die theologisch und personell intern gespaltenen Protestanten verfügten als einzige Organisationen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt über funktionierende Strukturen. Dies machte sie – auch aufgrund der moralischen Autorität, die ihnen gemeinhin zugesprochen wurde – zu einem gefragten Partner der Alliierten, vor allem in den Westzonen. Die Kirchen übernahmen folglich in der direkten Nachkriegszeit viele für sie nicht direkt typische Aufgaben etwa in der öffentlichen Verwaltung, in der Versorgung der Bevölkerung, in der politischen Einflussnahme im westlichen Ausland zugunsten Deutschlands etc. Neben diesem gesellschaftlichen Bedeutungszuwachs erkannten beide Kirchen ihre dringlichste Aufgabe in der seelischen Betreuung einer desillusionierten, demoralisierten Bevölkerung. Die fast unverzichtbare Position, in die sie gerückt waren, weckte bei ihnen in erheblichem Maße Zuversicht, die moderne Gesellschaft auf längere Sicht wieder mit dem Geist des Christentums zu durchdringen bzw. – mit dem zeitgenössischen missionarischen Impetus ausgedrückt  – zu ›rechristianisieren‹.161 Die Rektoratsreden hingegen sprechen hier zurückhaltender von einer »Wie155 W. Gerlach (M LMU 1948), S. 3; G. Gassner (BS THCW 1946a), S. 18; in diesem Sinne auch: H. H. Inhoffen (BS THCE 1948), S. 8. 156 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 12; G. Bohne (K U 1949), S. 18; G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 16. 157 E. Terres (KA THF 1949), S. 18; G. Rienäcker (RO U 1946), S. 8. 158 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 8. 159 H. Piloty (M TH 1948), S. 4. 160 G. Schreiber (MS WWU 1945), 7. 161 Zu der Nachkriegssituation beider Kirchen im NS vgl. für die Katholische Kirche: K. Repgen (1988); A. M. Birke (1988). Für die Evangelische Kirche: M. Greschat (1988), W. Jochmann (1988).

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derausbreitung162, »Wiedererweckung«163 oder »Wiederbelebung«164 der christ­ lichen Religion in der Gesellschaft. Unter den Rektoren herrscht zudem nicht die gleiche universale Gewissheit über den Erfolg dieses Projekts. Die Frage nach dem Anteil des christlichen Glaubens an der ethischen Stabilisierung einer künftigen Gesellschaft macht im Rahmen des rektoralen Diskurses vielmehr sogar den Punkt aus, an dem die Meinungen am weitesten auseinander gehen. So sehr die Redner ähnliche Konzepte für den gesellschaftlichen Wiederaufbau vertreten und so große Übereinstimmung über die zugrundeliegenden Werte dieser neuen Gesellschaft unter den Rektoren auch herrscht, so sehr scheiden sich die Geister doch an deren Basis. Den Befürwortern eines Wiedererstarkens der Religion165 – sinngemäß also einer ›Rechristianisierung‹ – steht eine Gruppe von Rednern gegenüber, welche die Frage mehr oder minder skeptisch beurteilt, ob das Christentum gegenwärtig noch über die nötige bindende Kraft verfüge, um gesamtgesellschaftlich ethische Orientierung und Stabilität gewährleisten zu können. Sie diskutieren – meist basierend auf einem neuartig zu konzipierenden Humanismus – die Möglichkeiten anderer sittlicher Bindungen mit allgemeiner Gültigkeit, die ohne Ansehen der religiösen Überzeugung des Einzelnen auskommen. Quantifizieren lassen sich die Gruppen nur schwer, da sich nicht alle Rektoren klar in die ein oder andere Richtung äußern. Anzunehmen ist jedoch ein leichtes Übergewicht auf seiten der Religionsbefürworter. In der gesamten Sprechergruppe herrscht trotz der ideellen Unterschiede über die Richtung der zu beschreitenden Wege große Einigkeit darüber, dass für den Aufbruch in die Zukunft unumgänglich eine geistige Größe benötigt werde, die Halt und Orientierung vermitteln könne. Die Dringlichkeit dieses Problems bewirkt überdies eine vergleichsweise hohe Reflexionsdichte jenes Themenkomplexes in den Reden. Rektoren verschiedenster Fachrichtungen nehmen sich der Frage als einer »weltanschaulichen« an, auch wenn es ihnen nach eigenem Dafürhalten »von Berufs wegen« nicht zustehe. Dennoch empfinden letztlich auch sie die Notwendigkeit, es trotzdem zu tun; denn »um Weltanschauung haben wir alle zeitlebens gerungen, und das geht uns alle an«.166 Eine Debatte zum Thema wird indes als solche nicht geführt. Befürworter von Religion wie Fürsprecher des Humanismus reagieren nicht auf die Argumente der jeweils anderen Gruppe. Jeder Redner vertritt aus eigener Überzeugung seine Ansichten darüber, woher jene im Wiederaufbau dringend benötigte geistige Kraft zu beziehen sei, hält sich aber zumeist zurück, andere Meinungen anzugreifen oder zu verurteilen. Hans Georg Gadamer fasst die darin liegende 162 163 164 165

H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 20. J. Martin (WÜ BJMU 1946), S. 11. G. Hohmann (M LMU 1946), S. 11. Das Schlagwort Religion steht in den Rektoratsreden immer in Zusammenhang mit dem Christentum. Andere Formen von Religionen diskutieren die Rektoren nicht. Die Darstellung dieser Studie folgt diesem Wortgebrauch. Ist also im Folgenden in Bezug auf die Rektoratsreden von Religion die Rede, so ist stets das Christentum gemeint. 166 E. Terres (KA THF 1949), S. 3.

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Suche nach einem Konsens in seiner Eröffnungsrede an der Universität Leipzig 1946 folgendermaßen: »Nur darüber kann es Meinungsverschiedenheiten geben, woher die Kraft geschöpft wird, um dieser Aufgabe zu genügen. Hier glauben die einen von uns, sie komme letzten Endes aus dem Unglauben an den Menschen und dem Glauben an Gott, die anderen dagegen stellen sich auf den Glauben an den Menschen allein. Dieser Gegensatz steht noch offen in die Zukunft der Menschheit hinein, aber er gefährdet nicht die Solidarität aller, die eine freiheitliche Entwicklung unseres Volkes und eine friedliche Zukunft der Menschheit anstreben.«167

Gründe für ihre argumentative Zurückhaltung nennen die Redner sonst keine. Sie unterstreichen vielmehr das Bewusstsein, dass die Suche nach geistigem Halt in den traditionell überkommenen Werten eine Erscheinung darstelle, die von jeher zu Momenten der Krise gehöre. »Es ist, als ob die Menschen aus der Gefahr, von dem mächtig dahinbrausenden Strome des Neuen ins Unendliche mitgerissen zu werden, sich nur so glauben retten zu können, dass sie altererbte Werte zu ihrem Halt nehmen.«168 So der Kommentar Otto Eißfeldts. Als Neuerung erscheint den Rektoren allerdings die wachsende Erkenntnis der Menschheit, dass es sich bei der gesuchten »höheren Macht« nicht um militärische oder machtpolitische Überlegenheit handeln solle, sondern eindeutig um eine geistige und moralische Größe. Sie verbinden diese Einsicht mit der Hoffnung, dass die Welt, geleitet von dem Gedanken ethisch-moralischer Größe, künftig ein friedvollerer Ort werde.169 Insbesondere die Universitätsrektoren setzen auf den Geist170, der den Weg in eine ›bessere Zukunft‹ vorzeichnen solle. Die Rektoren der Technischen Hochschulen teilen diese Argumentation, beziehen in ihre Vorstellungen jedoch von Anfang an auch sehr praktisch-organisatorische Gedanken um den Aufbruch in die Zukunft mit ein, so dass der Geist nicht in gleichem Maße zum Absolutum erklärt wird.171 Die notwendige Anbindung des Geistes an die sogenannten ›höheren‹ Werte postulieren hingegen alle Redner gleichermaßen. Im Angesicht des »Ewigen« stünden die Menschen vor der Aufgabe, die ihnen gegebene Zeit verantwortungsvoll zu gestalten. Krise bedeute demnach einen »Selbstverlust an die Zeit, Überwindung der Krisis die Verantwortung vor der Zeit«.172 Solch »ewige Werte« entstammten nicht allein der religiösen Sphäre, wie verschiedentlich betont wird. Genauso spiegelten sich diese etwa im Eintreten für Menschenrechte und Menschenwürde durch die Vertreter der Aufklärung und der klassischen 167 H. G. Gadamer (L U 1946), S. 16. 168 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 3. 169 G. Schreiber (MS WWU 1946), S. 20. 170 Zur Bedeutung und Vorkommen von Geist im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.3, S. 177 f. 171 Zu den unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen, um Wege aus der Krise zu finden, vgl. Kap. V.3. 172 Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1947), S. 17.

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deutschen Philosophie, im Kampf für lebenswerte Daseinsbedingungen durch die Arbeiterbewegung oder aber im Einsatz des Roten Kreuzes für humanitäre Zwecke zu Zeiten des Krieges.173 Für den Neuaufbau der Gesellschaft gelte es aktuell, sich auf ebensolche Werte zu stützen, »deren Anerkennung subjektiven und zeitgebundenen Zweckmäßigkeiten entzogen« sind, damit die Strukturen, welche die Allgemeinheit gliederten, mehr »als eine bloße Friedensordnung« darstellten.174 Einen bedeutenden, wenn nicht den entscheidenden dieser Werte machen die Rektoren in der wiederzubelebenden Humanitas175 fest. Viele Redner befassen sich intensiv mit der bewegten Vergangenheit dieses Begriffs in der europäischen Geistesgeschichte und speziell auch mit dessen Deutung in der Gegenwart, so dass er eher selten als Label in den Reden zu finden ist. Humanitas verkörpert für die Redner demzufolge traditionell das antike Erbe des Abendlandes.176 Bereits vor dem Entstehen des Christentums habe jenes geistige Konzept die ›besondere‹ abendländische Geisteshaltung grundlegend beeinflusst.177 In dem Diktum »Humanität ist Freiheit«178, so geäußert von Joseph Kroll bei der Wiedereröffnung der Kölner Universität, zeigt sich eine weitere Verbindung zu den als typisch gesehenen abendländischen Eigenschaften, wie hier dem FreiheitsGedanken179. Der Professor für Technische Mechanik Ludwig Föppl definiert Humanitas als eine Haltung, »die sich des Wertes und der Würde des Menschen, wie sie sich als richtunggebende Begriffe im christlichen Abendland entwickelt haben, stets bewusst ist«. Gleichzeitig stehe sie für eine »seelische Kraft, die wir überall als sittlichen Kern in unserem Tun und Lassen einsetzen«. Dieser »in früheren Zeiten selbstverständliche« Bezug sei jedoch »seit einem Jahrhundert« als Handlungsvoraussetzung mehr und mehr verlorengegangen und benötigte daher eine Wiederverankerung in der Gegenwart.180 Sehr wohl notiert das Gros der Redner ein gegenwärtig wiedererwachtes großes Bedürfnis nach humanitären Werten, die den Wert und die Würde des Menschen achteten, sowie nach einem wieder gelebten Streben nach Transzendenz. Insofern ist die Forderung nach Humanitas kein Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Redner173 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 8. 174 G. Bohne (K U 1949), S. 18. 175 Häufig findet anstelle von Humanitas auch die deutsche Form Humanität Verwendung in den Reden. Um jedoch eine Verwechselung mit deren umgangssprachlichem Gebrauch zu vermeiden, soll hier ausschließlich die lateinische Version als Begriff geführt werden. 176 In diesen geistesgeschichtlichen Zusammenhängen ist fast ausschließlich vom Abendland die Rede, Europa trifft konzeptionell nicht den geforderten Charakter der Entwicklung von den Ursprüngen her. Zur Bedeutung und Vorkommen von Abendland und dessen Unterscheidung zu Europa im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.2, S. 212–214. 177 Vgl. etwa J. Kroll (K U 1945), S. 10. 178 J. Kroll (K U 1946b), S. 10. 179 Zur Bedeutung und Vorkommen von Freiheit im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.2, S. 216 f. 180 L. Föppl (M TH 1947), S. 4.

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gruppen, sondern beleuchtet ein grundlegendes Bedürfnis der Zeit, unabhängig von einer Argumentation für eine Wiederbelebung des Christentums oder dagegen. Karl Heinrich Bauer beschreibt diesen Umschwung in der Denkweise der Zeit mit einem Vergleich: »Aber die Weltenuhr geht weiter ihren schweren Gang. Vom Extrem der Unmenschlichkeit schwingt ihr Pendel langsam wieder hinüber zu menschlicher Liebe.«181 In gesteigertem Maße relevant für die Zukunft scheint den Rektoren überdies das Eingehen der historisch beschriebenen Humanitas in einen neuen Humanismus. Damit reflektieren die Rektoren auf eine weitere zeitgenössische Debatte über das Versagen des Humanismus traditioneller Prägung, welche auch die europäischen Philosophen und Denker der Zeit beschäftigte. Angefangen bei Jean-Paul Sartre, Martin Heidegger und Karl Jaspers stand der Humanismus in den Nachkriegsjahren vielfach in der Diskussion, inklusive unterschiedlicher Schlussfolgerungen in Bezug auf den künftigen Umgang damit.182 Gemeint war zunächst der klassische Humanismus, der sich als Vorbild aus einem idealisierten Bild der Antike sowie aus der Vorstellung eines feststehenden Wesens des 181 K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 46. 182 Der Existenzialismus nach Prägung Sartres hatte auf die angesprochene Auseinander­ setzung mit dem Humanismus in der Nachkriegszeit auch in Deutschland einen gewissen Einfluss. Bei einer Veranstaltung des »Club Maintenant«, organisiert von dem Journa­listen Jacques Calmy und dem Philosophen Marc Beigbeder, hielt Sartre im Nachkriegs-Paris 1945 einen Vortrag, der 1946 erstmals als Essay mit dem Titel »L’existentialisme est un humanisme« veröffentlicht wurde. Der Text zählt zu der »offensive existentialistique«, die Sartre und Simone de Beauvoir im Herbst jenes Jahres zur Verbreitung ihrer Ideen starteten. Sartre sieht den Humanismus dabei nicht in Widerspruch zum Existenzialismus. Er könne jedoch nicht als gegeben angenommen werden und müsse folglich als Akt der freien Selbstbestimmung des Individuums im Zusammenspiel mit anderen neu entworfen werden. Siehe J.-P. Sartre (2000). Vgl. auch A. Chebel d’Appollonia (1991), 117 f. Inspiriert davon wurde ebenfalls die Auseinandersetzung Heideggers mit der Bedeutung des Humanismus in der Gegenwart. Sie beruht auf einer Korrespondenz mit dem französische Philosophen Jean Beaufret, der 1946 in einem Brief die Frage nach einem neuen Sinn von »Humanismus« aufgeworfen hatte. Heidegger widersprach darin der Ansicht Sartres, dass das Konzept von Humanismus aus der Wirklichkeit abzuleiten sei, es beinhalte stattdessen die transzendentale Erfahrung des Seins. Der Antwortbrief Heideggers ist in einer überarbeiteten Fassung als »Brief über den ›Humanismus‹« 1947 zugleich Heideggers erste Veröffentlichung nach dem Weltkrieg. Deren breite Resonanz bedeutete nach dem Lehrverbot für ihn einen gewissen Rückgewinn an Ansehen. Siehe M. Heidegger (2004). Vgl. auch D. Mende (2003), S. 247–249. Karl Jaspers, auf den Sartre ebenfalls referenzierte, trug seine Überlegungen »Über Bedingungen und Möglichkeiten eines neuen Humanismus« 1949 in einem Vortrag bei den »Rencontres Internationales« in Genf vor. Auch er sieht einen gewissen transzendenten Bezug, schränkt die Entstehungsbedingungen eines neuen Humanismus aber insofern ein, als dass er nicht notwendigerweise aus dem Sein entstehen werde, sondern einzig aus der gelebten inneren Freiheit. Im Druck erschienen sie noch im selben Jahr in der Zeitschrift »Die Wandlung«. Siehe K. Jaspers (1949). Zu den Gegenkonzepten Jaspers’ in Bezug auf den Totalitarismus vgl. auch K. Salamun (1985), S. 118–125. Zum Gesamtzusammenhang vgl. etwa D. Morat (2007), S. 58–64.

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Menschen konstituierte. Letzteres wiederum sollte durch einen vordefinierten Bildungskanon zum Vorschein gebracht werden. Der Fokus der kritischen Beleuchtung dieses Konzepts in der Nachkriegszeit richtete sich in erster Linie auf die Folgen, die aus einem – wie Sartre es ausdrückt – derartig »geschlossenen Humanismus« erwuchsen. Ein »Kult der Menschheit«, der so auf ein bestimmtes Ideal fixiert sei, führe zwangsläufig zum Ausschluss dessen, was dem Ideal nicht entspreche.183 Der Faschismus mit seinem grundlegenden Charakter der Ausschließlichkeit erscheint in der so beschriebenen Entwicklung somit als der Logik letzter Schritt.184 Die Rektoren kritisieren in ihren Reden an vielen Stellen gleichermaßen die »Vergottung des Menschen«185 und die Überbetonung der menschlichen Vernunft186 in der Vergangenheit. Sie ziehen in der Regel jedoch nicht mit der philosophischen Debatte gleich, die sich teils sehr kritisch mit dem Humanismus auseinandersetzt, in manchen Fällen sogar explizit von ihm ausgeht. Allein der Gründungsrektor der Humboldt-Universität in Berlin, der Altphilologe Johannes Stroux, stößt etwas in diese Richtung, wenn er die terminologische Trennung von Humanitas und Humanismus hervorhebt, die bereits in der Vergangenheit bestanden habe. Obwohl verwandt durch ihre historische Verwachsenheit mit dem »allgemeinen Begriff der Kultur« und der »friedlichen Kultur« im speziellen, seien beide bereits von »Wortbildung« und »Entwicklung« her zu unterscheiden. Vor allem aber habe Humanitas »als Haltung und sittliche Verpflichtung« von jeher »nationale Missgunst und Feindseligkeit« ausgeschlossen, während der Humanismus »nach der Natur der Bildungswerte, auf die er sich stützt, und nach der Natur des Bildungsideales, das er zu verwirklichen sucht«, zwar »der gleichen Humanität« verpflichtet sei. Aber »er konnte, wie seine Geschichte zeigt, leichter mit nationalistischen und selbst mit kriegerischen Ideologien in Verbindung gebracht werden«.187 In der Mehrheit der Fälle bleibt der Humanismus trotz der inhaltlich an ihm geübten Kritik, die sich hauptsächlich auf die Formen seiner Überlieferung bezieht, als Begriff insgesamt positiv belegt für Gegenwart und Zukunft. Ein Verzicht darauf, wie ihn Heidegger in seinem »Brief über den ›Humanismus‹« zur Diskussion stellt,188 scheint für die Rektoren angesichts großen gesellschaft­ lichen Bedürfnisses nach explizit ›humanitären‹ Werten, das sie immer wieder feststellen, ganz ausgeschlossen. Ein direktes Wiederanknüpfen an den traditionellen Humanismus erachten sie jedoch aufgrund der indirekt auch von ihnen formulierten Kritik als unmöglich. Stattdessen gehen die Hochschulrektoren hier mit Konzepten, wie sie im philosophischen Diskurs der Zeit beispielsweise 183 184 185 186 187 188

J.-P. Sartre (2000), S. 175. Vgl. G. Seubold (2001), S. 153–166. P. Röntgen (AC RWTH 1946b), S. 4. Vgl. hierzu etwa H. Freese (B TU 1949), S. 4. J. Stroux (B HU 1946), S. 16. Vgl. Heidegger (2004), S. 313.

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Karl Jaspers vorschlägt, konform und propagieren einen neuen Humanismus. Dieser müsse, so Enno Heidebroek in Dresden, vor allem auf der Höhe der Zeit stehen als ein Gedanke, der »das Weltbild von heute in sich begreift«.189 Heidebroek nimmt damit einen wesentlichen Bestandteil des »neuen Humanismus« vorweg, wie Jaspers ihn in dem 1949 gehaltenen Vortrag »Über Bedingungen und Möglichkeiten eines neuen Humanismus« entwirft. Jaspers formuliert darin die Rahmenbedingungen jenes »neuen Humanismus« ganz ähnlich. Dieser müsse sich gegen die widrigen zeitgenössischen Umstände in Technik, Politik und Kultur behaupten und – im Gegensatz zu seinem historischen Vorläufer – entsprechend auf den Einfluss reagieren, den diese Größen auf die Umwelt ausübten.190 Die Rektoren scheinen damit in erster Linie eine Erweiterung des Humanismus um den naturwissenschaftlichen und technischen Bereich zu meinen. Zumindest versuchen sich im Rektoratsredendiskurs ausschließlich Rektoren Technischer Hochschulen an einer Definition dieses neuen Humanismus. Rudolf Plank, Rektor der TH Karlsruhe, bringt den Begriff entsprechend auf den Punkt, indem er einen »ganz neuartigen […] Humanismus naturwissenschaftlicher Prägung« beschwört, der »keine grundsätzliche Abweichung vom Gedanken der Humanität« darstelle, sondern vielmehr dessen »menschheitsgeschichtlich notwendig erscheinende Fortentwicklung«.191 Auch Wilhelm Müller zieht sich in seiner Rede an der RWTH Aachen ganz auf das allgemeine Bedürfnis nach Humanitas zurück. Diese müsse künftig »über dem bloßen Nützlichkeitswert alles Technischen, Wirtschaftlichen und Organisatorischen« stehen. Denn das »Sein des Menschen« beschränke sich nicht auf ein »Dasein in ökonomischen Situationen«. Erst durch das Hinzukommen der Humanitas erschließe sich dessen Wert und zugleich auch die Hoffnung, »dass dem christlichen Abendland die geniale Synthese zwischen Technik und Kultur gelingen wird«.192 Erste Anzeichen für das Wirken des wiedererwachten bzw. neubegründeten Humanismus in der Welt entdecken die Redner sowohl in der internationalen Hilfe für Deutschland in den Nachkriegsjahren wie auch in der vielzitierten »harmonischen Zusammenarbeit« mit den Besatzungsmächten. Darin liegt für Joseph Kroll der Beweis, dass der »Geist der humanitas selbst über die tiefsten Klüfte hinweg die verbindende Brücke zu schlagen vermag«. »Aus diesem guten Geist erwächst der gute Wille, und der gute Wille ist der Schöpfer und Erhalter des Friedens.«193 Genau diejenigen Werte zu vermitteln, welche der angestrebten neuen Form der Humanitas zugrunde liegen, bestimmen die Redner einhellig zu einer der

189 190 191 192 193

E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 9. K. Jaspers (1949), S. 716–722. R. Plank (KA THF 1946), S. 6. W. Müller (AC RWTH 1948), S. 28. K. Kroll (K U 1945), S. 1. Vgl. auch z. B. P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 20.

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wichtigsten Aufgaben der Hochschule194 in der Gegenwart. Nicht nur auf die fachliche Ausbildung solle künftig das Augenmerk gelegt werden. Mindestens in gleichem Maße zähle die charakterliche Bildung der Studenten, damit diese später die Kraft und Umsicht besäßen, im Geiste der Humanitas zu wirken. Indem sie Verständnis, Toleranz und Offenheit zu verkörpern und zu fördern wüssten, trügen sie dadurch den entscheidenden Teil zu einem erfolgreichen Wiederaufbau Deutschlands sowie zu dessen Versöhnung mit dem Rest der Welt bei.195 Eine Unterscheidung in der Auslegung von Humanismus zwischen West und Ost ist aus den hier zitierten Quellen nur in Ansätzen nachzuzeichnen. Die West-Rektoren rekurrieren mit Humanitas stark auf die Antike und das Abendland als geistige Grundlage der europäischen und damit auch der deutschen Kultur. Die Rektoren der Hochschulen im Osten kritisieren den historischen Huma­nismus und plädieren für eine Neuinterpretation des Begriffs. Dies allerdings sind keine jeweils exklusiven Beobachtungen. Auch im Westen ist der Ruf nach einem neuen Humanismus in aller Munde, genauso wie im Osten der Anschluss an die geistige Größe der Vergangenheit gesucht wird. Eine Politisierung der Vokabel hin zu einem »fortschrittlichen Humanismus« oder gar einem »sozialistischen Humanismus«, wie sie Heidrun Kämper in ihrer Studie zum Schulddiskurs der Nachkriegszeit als wesentlich für den Gebrauch von Humanismus im Osten herausarbeitet, ist für den Diskurs der Rektoratsreden damit ebenso wenig zu bestätigen wie dessen – laut Kämper – reine Rückwärtsgewandtheit im Westen.196 Manche Redner in West wie Ost wollen aus der Humanitas und den ihr ver­ wandten Werten künftig gar eine allgemein gültige, religionsunabhängige moralische Instanz ableiten. Das gesellschaftliche Abdriften von der Religion sehen sie als unumkehrbar an. Die Religion sei in der Gegenwart nicht mehr in der Lage, ihre einstige Funktion als allumfassende, höchste Macht auszuüben. Dass die Gesellschaft jedoch einen Stützpfeiler der Moral benötige, habe die Geschichte gerade der letztvergangenen Jahre aufs Deutlichste gezeigt. Rudolf Laun fordert daraus folgernd den Aufbau eines globalen »öffentlichen Gewissens«, das verbindlich auch für »nichtchristliche Völker und religionslose Regierungen und Parteien« gelten solle.197 Eine »soziale Moral«, welche aus der »Summe der Verpflichtung gegenüber den anderen und gegenüber der Gesellschaft« entstehe, müsse nach Ansicht von Karl Heinrich Bauer weltweit, auch »für die Lauen, die Ungläubigen, die Atheisten«  – unter Berücksichtigung bestehender jeweiliger nationaler Besonderheiten – Gültigkeit besitzen, damit sich letztlich die »Herr194 Zur Bedeutung und Vorkommen der neuen Hochschule im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.3, S. 288–290. 195 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 14; P. Röntgen (AC RWTH 1947), S. 8; J. Kroll (K U 1945), S. 10; J. Kroll (K U 1946b), S. 10; E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 9. 196 Vgl. H. Kämper (2005), S. 415–422. 197 R. Laun (HH U 1947), S. 21 f.

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schaft des Sittengesetzes« als eine »wesentliche tragende Idee der Zukunft« durchsetzen könne.198 Das Eingehen auf die unterschiedlichen Mentalitäten macht Bauer zu einem zentralen Pfeiler seiner Gedanken über ein neues Moral-System. Die »Macht des Glaubens an das Vaterland« sei als Ausdruck der »Vitalität« eines Volkes zu verstehen, in der sich die »Kraft einer Nation, sich an veränderte Existenzbedingungen anzupassen«, zeige. Diese »letzte Macht im Leben der Völker« verfüge über die Kraft, auch die »Abenteurer, Sonderlinge, die Abseitigen, Immoralisten usw.«, welche durch reine Moral-Lehren nicht zu erreichen seien, »produktiv« in die Gemeinschaft miteinzubeziehen.199 Die ›Nation‹ hat in den Rektoratsreden eine eher schwache Rolle. Bedingt durch die Überreizung des Topos in den vorherigen Jahrzehnten scheint sie als Identifikationsmoment hier nicht anführbar. Bauer selbst äußert in seiner Rede hierzu: »In jeder anderen großen Nation versteht sich das Nationale immer von selbst. Es ist scheinbar paradox, aber wirklich so: Wir müssen sogar den Begriff und unser inneres Verhältnis zum Vaterland neu erkämpfen.«200 Im Tenor der Nachkriegsrektoren habe sich der Einzelne der Nation und ihrem Fortkommen gerade in Zeiten der Krise zu verpflichten. Solcher Argumentation schwingt jedoch vielmehr der Gedanke an physischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau bei als die äußere Demonstration nationaler Größe. Insbesondere in den Passagen der Rektoratsreden, die nach einer neuen moralischen Basis ohne eine enge Bindung an die Religion suchen, machen immer wieder die Ethik Kants und speziell der darin enthaltene Pflichtgedanke von sich reden. Bauer entdeckt in Kants Lehre vom »Willen zur Pflicht um ihrer selbst willen« die nationale deutsche Besonderheit, die einen großen Anteil an der deutschen Gestalt jener von ihm geforderten neuen »sozialen Moral« auszumachen habe.201 Rudolf Laun erweitert den Kant’schen Begriff des Gewissens. Stehe es bei Kant für diejenige Kraft, die auf Recht und Gesetz verpflichte, so strebt Laun eine ›moderne‹, an die »raumzeitliche Erfahrungswelt« angepasste Vorstellung vom Gewissen an: von seiner Deutung als der einzigen »Quelle des Sittlichen« bei Kant hin zu dem neu aufgestellten, untrennbaren Doppelbegriff »Gewissen und Rechtsgefühl«. In seiner Rede über die Konditionen eines »dauernden Friedens« beschreibt Laun die beiden Begriffsbestandteile ausführlich. Danach verfüge jedes Volk in seiner Gesamtheit über einen untrügbaren Sinn für Recht und Gerechtigkeit, der sich vor allem an dem orientiere, was Menschen dem eigenen Pflichtgefühl nach tun sollten. In der Politik ge198 Bauer selbst gibt der Religion den Vorzug. Er will jedoch den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen und eine Alternative zum religiösen Fundament von Moral aufzeigen, das eine allgemeine Gültigkeit besitzt. Denn die Gesellschaft könne sich nur dann zum Positiven hin entwickeln, wenn sie von der »Herrschaft des Sittengesetzes als einer wesentlich tragenden Idee der Zukunft« druchdrungen ist. Vgl. K. H.  Bauer (HD RKU 1946b), S. 93. 199 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 92–95. 200 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 93. 201 K. H. Bauer (HD RKU 1946b), S. 92 f.

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winne indessen häufig ein Egoismus die Oberhand, demzufolge die darin Beteiligten eher danach handelten, was sie ihrer subjektiven Vorstellung nach wollten. Ließe sich nun das Gewissen nach dem Vorbild von Kants Kategorischem Imperativ gemeinsam mit jenem ›natürlichen‹ Rechtsgefühl des Volkes zu einer Doppelinstanz paaren sowie künftig obendrein im Handeln der Exekutive durchsetzen, bestünden in der Welt kaum mehr Anlässe zu kriegerischen Auseinandersetzungen.202 Eine beachtliche Zahl an Rednern möchte sich hingegen nicht auf menschlich gesetzte moralische Maßstäbe verlassen. Sie argumentieren gleichfalls mit der jüngsten Vergangenheit. Gerade dort habe sich gezeigt, wie vergänglich und wie wenig verpflichtend sich sämtliche Konzepte, die den Menschen selbst zum Ausgangspunkt ethischer Verhaltensmaßstäbe machten, am Ende gewirkt hätten. Parallel zu gleichlautenden Gegenwartsanalysen der Kirchenvertreter verorten diese Rektoren in der durchlebten Krise starkes Potential für eine Rückbindung an die christliche Religion.203 Angesichts der starken gesellschaftlichen Zersetzung bis hin zu einer drohenden »inneren Auflösung des Menschen« beschreiben sie den gegenwärtigen Wert des Christentums wegen seiner »ordnenden, zucht und maßhaltenden Unterordnung und Einordnung im Sinne des Christentums« als den eines Rettungsankers oder gar als die »einzige Hoffnung« darauf, »aus der Fliehbewegung heraus wieder zur Synthese, zur Einheitlichkeit im tiefsten Sinne zu gelangen, die zugleich tiefste Einsichtigkeit bedeutet«.204 In der Glaubensgemeinschaft fänden sich zugleich »Schicksals- und Leidensgenossen« wie auch »Helfer, die uns zu Deutern unserer eigenen Wirklichkeit werden«.205 Nachdem Hitler – eine der wenigen Stellen, an denen seine Person direkt namentlich angesprochen wird206 – »Materialismus und Militarismus in brutaler Konsequenz zur endgültigen Katastrophe geführt« habe, herrsche nun endgültige Klarheit darüber, dass der »vermessene Weg ohne Gott« der »Weg des Verderbens und des Todes« sei.207 Insbesondere unter dem Regime des Nationalsozialismus habe sich das Leben »ohne göttlichen Funken« ausgesprochen »banal« gestaltet: 202 R. Laun (HH U 19447), S. 11 f.; 20–22. 203 Kritische Aspekte der Kirchengeschichte wie die Frage nach Konkordat auf katholischer Seite sowie nach Deutschen Christen auf protestantischer Seite beleuchten die Rektoren nicht, ebenso wie sich die Kirchenvertreter kaum der Frage einer Vergangenheitsbewältigung stellen. Die Kirchen sehen sich im Wesentlichen als die einzig standhafte Einrichtung, die dem Nationalsozialismus trotzen konnte. In den Rektoratsreden ist dies jedoch kein Thema. Es geht in der Befürwortung eines religiösen Wiederaufschwungs nicht um ein Wiedererstarken der Kirchen als Institutionen, sondern um die Rückkehr eines religiösen Empfindens in der Gesellschaft. Zur Kirchengeschichte der Nachkriegszeit vgl. etwa M. Greschat (1988), K. Repgen (1988). 204 H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 20 f. 205 H. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 8. 206 Vgl. hierzu Kap. V.1, S. 118 f. 207 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 9 f.

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»Die natürliche Freude, als Ausdruck der seelischen Gesundheit, ging verloren. Hast und Argwohn, Zynismus und Skeptizismus hier und dort; dazu ein Ausleben der Triebe, eine Gier nach künstlichen Reizen, um die geistige Öde und die mangelnde innere Substanz zu ersetzen. In Organisationen und Überorganisationen suchte man die schwindenden Persönlichkeitswerte zu kompensieren.«208

Demgegenüber stufen die Religionsbefürworter die religiösen Bedürfnisse des Menschen als grundlegend und zeitlos ein. Eine konstante Verbindung zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre besteht aus ihrer Sicht gleichermaßen in Vergangenheit und Gegenwart. Aus der Beziehung zu dem »Urquell aller Schöpferkraft, dem lebendigen Gott«, beziehe der Mensch den »lebendigen Geist« als Grundlage seiner »Produktivität«.209 Darüber hinaus fungiere die Bindung an Gott als sinnstiftendes Moment für den Menschen vor einem »Gefühl der Nichtigkeit gegenüber dem All«.210 Friedrich Hermann Rein verbindet die religiöse Forderung zudem mit einem Bildungsanspruch, angelehnt an einen Satz Isaac Newtons, demzufolge »nur halbes Wissen von Gott weg, ganzes Wissen aber zu Gott hinführt«. Aus dieser Verbindung folgert er die »Grundlage allerhöchster Ehrfurcht, die jede Vergottung des Menschen und damit den verbrecherischen Missbrauch menschlicher Autorität ausschließt« und die in diesem Sinne den Ausganspunkt bereiten könne »für jenes unerschrockene, unbefangene Urteilen und Handeln, wie wir es so bitter benötigen, um Wege zu finden aus der Erniedrigung und Verelendung der Menschen unserer Tage«.211 Gerade auch für die weniger gebildete »große Masse der Menschen« sei die Religion, so Karl Heinrich Bauer, der beste Träger von moralischer Weisung. Die »Lehren der Vernunft allein« reichten allenfalls »geübten Denkern« aus. Um die erwünschte Breitenwirkung zu erzielen, müssten die »Lehren der Moral und Ethik […] nicht nur wahr, sondern zugleich auch allen verständlich, bildhaft, erlebnisstark, imperativ, d. h. wahre Gottesgebote sein«. »Der Mensch muss sich angesprochen, im Innersten ergriffen, ja erschüttert fühlen, wenn er reagieren soll.«212 Aus solchen Passagen wird die Vielschichtigkeit von Religion im Diskurs der Rektoratsreden offenkundig. Eine genaue inhaltliche Klärung erfährt es aus keiner der Reden. Seine Semantik wird in der Regel als gegeben und allgemein bekannt vorausgesetzt. In der Mehrzahl der Fälle steht Religion demnach als Platzhalter für das Christentum in seinem für Deutschland typischen bikon­ fessionellen Vorkommen von Katholizismus und Protestantismus. Andere Religionen finden hier keine tiefere Berücksichtigung. Das gilt auch für das gerade im geistesgeschichtlichen Kontext für Deutschland nicht unwesentliche Judentum. Das Schicksal der jüdischen Gelehrten im nationalsozialistischen Deutsch208 209 210 211 212

J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 11. F. Oehlkers (FR ALU 1950), S. 18 f. K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 60 f. F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 6. K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 61.

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land sowie dessen nachziehende Bedeutung für die deutsche Wissenschaftslandschaft finden nicht nur innerhalb der Rektoratsreden, sondern im gesamten Hochschuldiskurs der Nachkriegszeit kaum Erwähnung.213 Immerhin verweisen die Redner partiell auf die allgemeine Entwicklung des religiösen Lebens von Anbeginn der Menschheitsgeschichte, wenn sie mit einer grundsätzlichen Veranlagung des Menschen zur Religiosität argumentieren, um deren Unverzichtbarkeit auch in Gegenwart und Zukunft zu begründen. Letztlich implizieren solche Ansätze jedoch eine vorgezeichnete, teleologische Entwicklungslinie von einfacheren Religionsformen hin zum Christentum als dem eigentlichen, dem höchsten Ausdruck von religiösem Leben. Das konkrete Konzept von Religion wird also offensichtlich mangels subjektivem Klärungsbedarf nicht definiert, die Umstände und die Rolle der Institution Religion analysieren, beschreiben und definieren die Redner indes in den meisten Fällen so eingehend, dass sie einen Begriff konstituieren. Ein paralleles Vorkommen von Religion in Label-Form lässt sich hier trotz der Größe des Begriffs nicht festmachen. Wo von Religion gesprochen wird, geschieht das nie en passant; sie ist einer der zentralen Argumentationspunkte, egal ob positiv oder negativ beurteilt hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit in der Gesellschaft der Zukunft. Die Bedeutung des Christentums unterstreichen die Befürworter seiner gesellschaftlichen Wiederbelebung hauptsächlich, indem sie auf seinen großen gestalterischen Einfluss in der Geschichte des Abendlands verweisen. Sie legen in historischer Sicht dar, wie sich selbst Konzepte – unter anderem auch die Humanitas –, die bereits von den antiken Philosophen vorgedacht worden waren, erst mit dem Aufkommen des Christentums haben durchsetzen können. Fortan habe die christliche Religion die Strukturen der europäischen Gesellschaft durch die Jahrhunderte hinweg in entscheidendem Maße mitgeprägt. Auch in der Gegenwart sprechen die Redner dem Christentum trotz durchlebter Krise die Macht zu, Freiheit und Halt von höchster Stelle aus zu vermitteln. Beleg dafür ist ihnen das aufrechte Widerstehen echter, weil nur Gott verpflichteter Christen gegenüber dem NS-Regime.214 Die ewig gültige, wenn auch in ihrem Zugang veränderte Bedeutung der Religion bringt der Theologe Hans von Campenhausen auf die Formel, »dass der Weg jeder Zeit zu Christus und von Christus zu jeder menschlichen Zeit gar nicht so weit ist, wie wir selbst in Zweifel und Verzweiflung, in Unmut und Hochmut immer wieder zu meinen geneigt sind«.215 Campenhausen zieht darüber hinaus in seiner Rede »Augustinus und der Fall von Rom« eine historische Parallele der Gegenwart zur Spätphase der römischen Geschichte. Der Untergang Roms hing seiner Ansicht nach entschieden mit dem Umstand zusammen, den »einen, wahren Gott nicht finden« zu können. Stattdessen habe sich die römische Gesellschaft einer Vielzahl von Göttern und Kul213 Vgl. dazu Kap. III, S. 64 f. 214 A. Reatz (MZ JGU 1949), S. 10; G. Bohne (K U 1949), S, 16; W. Trillhaas (GÖ GAU 1950), S. 18; O. Eißfeldt (HAL MLU 1946), S. 3 f. 215 H. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 20.

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ten hingegeben, welche in erster Linie nur »als Werkzeug und Ausdruck« dafür dienten, »die eigene Größe und Herrschaft« widerzuspiegeln. »Der letzte Grund des Lebens, die Gerechtigkeit, die Menschen und Reiche erhält, war damit verfehlt, und der frevelnde Stolz, die superbia des Menschen, trat an ihre Stelle.«216 Eine ähnliche Warnung im historischen Gewand sprach bereits Karl Heinrich Bauer in seiner Heidelberger Eröffnungsrede aus. Nur diejenigen Staaten in der Geschichte hätten einen Niedergang abwenden können, welche »die Religion rein erhielten und die Formen ihres Kultes schützten«.217 Eine ähnliche Ansicht vertrat auch Georg Schreiber, der genau diese Passage aus der Rede Bauers wenig später in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Universität Münster zitierte. Den erfolgreichen Widerstand der Kirchen gegenüber dem Nationalsozialismus wertete er allerdings bereits als Hoffnungszeichen für die Zukunft.218 Der Verlust des Glaubens in der modernen Gesellschaft macht in der Analyse der Rektoren einen der Hauptgründe für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts sowie für die daraus folgende Krise der Gegenwart aus.219 Die Rolle der Wissenschaft, insbesondere der Naturwissenschaft und Technik, überdenken die Redner ausgesprochen kritisch. Es sind dies zu einem hohen Anteil, wenngleich keinesfalls ausschließlich, die Rektoren der Technischen Hochschulen. Sie greifen zuallererst die Vorwürfe gegenüber Naturwissenschaft und Technik auf, wie sie im Diskurs der Zeit häufig vorkamen. Ihre Auseinandersetzung damit beschließen die Redner am Ende unisono mit dem gleichen Urteil. Die Schuld für die teils monströsen Geschehnisse der Vergangenheit, an denen die Technik beteiligt war, liege nicht in deren Wesen220, sondern in der Art ihres Gebrauchs durch den Menschen. Trotzdem, so konzedieren sie, habe sich die Wissenschaft »im Rausche ihrer Erkenntnisse, aber noch mehr ihrer unbewiesenen Hypothesen« vor allem im vergangenen Jahrhundert zu einem neuen Heilsbringer stilisiert. Damit habe sie nach Einschätzung von Ernst Terres »in erster Reihe mitgeholfen, dem Volke den Glauben an Gott und an die letzten Dinge zu nehmen«.221 An dieser Stelle taucht das von den Rektoren ansonsten kaum angeführte Argument des ›Zeitgeistes‹ in der Diskussion auf. Hans Georg Gadamer stellt die Art und Weise, in der Wissenschaft in unterschiedlichen Zeitabschnitten betrieben wird, in diesen Zusammenhang; denn Wissenschaft sei immer »Kind ihrer 216 H. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 15. 217 Zitiert nach G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 7. Im Abdruck der Rede Bauers zur Wiedereröffnung der Universität Heidelberg, gehalten am 15.08.1945, in dem Sammelband »Vom neuen Geist der Universität« mit Dokumenten, Reden und Vorträgen aus dem Studienjahr 1945/46 ist diese, von Schreiber zitierte Passage nicht enthalten. 218 G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 7. 219 Vgl. dazu Kap. V.2, S. 161 f. 220 Zur Bedeutung und Vorkommen der Technik, bzw. dem Wesen der Technik im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1., S. 151 f. 221 E. Terres (KA THF 1949), S. 4.

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Zeit«.222 Terres (Jahrgang 1887) zeichnet die Ontogenese insbesondere der älteren Wissenschaftler anhand ihres Lebensweges nach, beeinflusst durch den sich verändernden ›Zeitgeist‹. Als Wissenschaftler seien sie zunächst im Geist des »Materialismus« sozialisiert worden, und zwar zu genau dem Zeitpunkt, als der »Kampf gegen die christlichen Religionen« auf seinem Höhepunkt stand. Später »in den Mannesjahren« habe sich hingegen eine gewisse Form von Skepsis unter ihnen verbreitet, nachdem die Negativ-Folgen des materialistischen Weltbildes massiv offenbar geworden waren, insbesondere durch das Erleben des Ersten Weltkrieges. Die Erfahrung des Nationalsozialismus sowie eines weiteren Weltkrieges als Kulminationspunkt jener geistigen Strömung hätten am Ende dazu geführt, »im Widerstand gegen den Zeitgeist unsere christliche Weltanschauung wieder zu erwerben und dadurch endgültig zu festigen«.223 Aus diesen kurzen Passagen lässt sich eine eher negative Konnotation des ›Zeitgeistes‹ herauslesen. Die Rektoren schwimmen damit ein Stück weit auf der Welle der intellektuellen ›Zeitgeist‹-Kritik der 20er und 30er Jahre, die aus ihren Kreisen heraus formuliert wurde.224 Der ›Zeitgeist‹ ist für sie letztlich nichts weiter als ein Fähnlein im Wind, dem man sich entgegenzustemmen hat. Damit liegen die Rektoren ebenfalls nahe bei der kritischen nachkriegs-zeitgenössischen Sichtweise auf kulturelle Veränderung. Die restaurativen Tendenzen der Nachkriegsgesellschaft, die auf die vor-nationalsozialistische, vielfach auf die wilhelminische Zeit verweisen, sind gleichermaßen in den Rektoratsreden erkennbar und lassen sich einerseits auf die rückblickende Einstufung des Nationalsozialismus als »Unkultur« zurückführen. Das zusätzliche Wegbrechen sämtlichen äußeren strukturellen Halts verstärkte die rückwärtsgewandte Orientierung der deutschen (vor allem der westdeutschen) Nachkriegsgesellschaft und hielt sich bis weit in die 50er Jahre hinein.225 Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit argumentieren die Parteigänger einer Wiederbelebung der Religion mit den von ihr ausgehenden charakterformenden Qualitäten. Insbesondere im Hinblick auf den Wissenschaftler der Zukunft weisen sie jenen Qualitäten eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Emil Wolff etwa leitet aus den Erlebnissen der letzten Jahre Gemeinsamkeiten von Religion und Wissenschaft ab, die sie in die Zukunft hinein verbinden sollen. Das Durchleben »gemeinsamer Gefahr und gemeinsamer Auflehnung« während des Nationalsozialismus hätte seitens der Wissenschaft das Bewusstsein wiedererweckt, in einer »durch reiche und große Überlieferung geknüpften und vielfältig geschlungenen Verbindung« zu 222 H. G. Gadamer (L U 1946), S. 8 f. 223 E. Terres (KA THF 1949), S. 3 f. 224 Als Vertreter dieser solcher Zeitkritik sind bspw. Karl Jaspers, Werner Sombart, Max Wundt, Ferdinand Tönnies und andere zu nennen. Vgl. hierzu S. Kluck (2010), S. 222. 225 Vgl. hierzu A. Doering-Manteuffel (1998), S. 536–540. Zur Bedeutung der Traditionswahrung in den Rektoratsreden siehe Kap. VII.2.

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Religion und Kirche zu stehen. Daraus müsse künftig eine Annäherung auch der beiderseitigen Institutionen resultieren. Die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenüber könne letztlich die Erkenntnis befördern, dass beide Seiten gleichermaßen »an einem geistigen Reich, an der Civitas Dei, dem Reich des Friedens und der Ordnung, der Klarheit und des Lichtes, des Geistes und der Wahrheit« bauten.226 Kirche und Hochschule hätten in der Gegenwart eine gemeinsame Aufgabe zu bewältigen, so befindet auch Sigurd Janssen. Diese liege im »Wiederaufbau der Humanität, der Nächstenliebe, der gegenseitigen Duldung und Hilfe«.227 Wolfgang Trillhaas wendet sich der Aufgabenstellung im Bereich der Erziehung künftiger Akademiker-Generationen zu. Die besondere »Freiheit, die dem Christen als hohes Gut, als Wiederherstellung seiner Menschenwürde widerfährt«, zeige sich »gerade in der Hinwendung zum Anderen«. Aus diesem Umstand müssten künftig »wichtige Konsequenzen« für die akademische Erziehung abgeleitet werden.228 Ebenso grundlegend beurteilen verschiedene Rektoren die Bedeutung der Religion für den gesamten Wiederaufbau von Staat und Gesellschaft, gehöre sie doch »zu den letzten Fundamenten des Staates«. Nur durch sie könne eine »wirkliche Befriedung der Welt« sowie eine »echte Völkerverständigung« erreicht werden.229 Das Gros der Rektoren behält den Fokus indes auf der Wissenschaft selbst. Vor allem die Vertreter der Natur- und Technikwissenschaften beschwören die Bedeutung des Transzendenten für die Wissenschaft. Aus dem Gesamt wie aus ihren einzelnen Disziplinen sei das Bewusstsein für Transzendenz nie ganz verschwunden, sondern zwischenzeitlich nur verschüttet worden. Als wahre Wissenschaft betrieben, taste auch die Naturwissenschaft diesen Bereich nicht an. Sie achte vielmehr wie jede wahre Wissenschaft »die höhere Sphäre, die alles regiert, und vor der sich die Naturwissenschaft nur in Ehrfurcht verneigt – das Göttliche«.230 Ernst Terres wagt es gar, der Wissenschaft einen produktiven Einfluss auf die Religion zu attestieren. Die »moderne Forschung« nämlich habe die »grundlegenden Erkenntnisse geschaffen«, »die dem Menschen den Glauben an einen Schöpfer und ewigen Gott zurückgeben«. Dies bedeutet für Terres zugleich den Ausweg aus der Krise der Gegenwart. Der »Mensch unseres Zeitalters« habe nur zwei Möglichkeiten. Entweder »den Weg über den Pessimismus in das Nichts« oder aber »den Weg über die Bindung an einen lebendigen Gott und Schöpfer zur Ethik christlicher Prägung und zur Anerkennung eines alles umfassenden Prinzips, das auch Leben und Schaffen jedes Einzelnen in die Verwirklichung des göttlichen Willens einbaut«.231 226 227 228 229 230 231

E. Wolff (HH U 1945); S. 33. S. Janssen (FR ALU 1945), S. 11. W. Trillhaas (GÖ GAU 1946), S. 18. Vgl. etwa O. Eißfeldt (HAL MLU 1946), S. 4; K:H: Bauer (HD RKU 1946a), S. 61. B. Rajewsky (F JWGU 1949), S. 42. E. Terres (KA THF 1949), S. 13.

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Ähnliches gibt auch der Theologe August Reatz an der Universität Mainz zu bedenken. Zwar sei die »alte Stellung« der Religion in der Gesellschaft unwiederbringlich verloren; die Wissenschaft als die »andere völkervereinende Macht« müsse daher nun ihren Platz erfüllen, um zu garantieren, dass »Europa nicht in der Anarchie versinken« werde.232 Das »christliche Humanitätsideal« lasse sich wie alle anderen humanitären Ideen nur »im Zusammenspiel aller völkerverbindenden geistigen Faktoren« verwirklichen. Der Wissenschaft sei hierin während der gesamten »Geschichte der abendländischen Kulturepoche« eine »entscheidende Rolle« zugefallen. Nun stelle sich allerdings die Frage, ob das Christentum mit »seiner unbestreitbar weltverbindenden Kraft« nicht doch auch in der Gegenwart die Wissenschaft mit seinem Geist erfüllen könne.233 In jedem Fall werten die Rektoren die wiederansteigende Präsenz der Religion im Hochschulleben als Hoffnungszeichen. Die Wiedereröffnung theologischer Fakultäten begrüßen sie nicht nur aus Gründen einer Rekomplettierung der Universität im Sinne einer Universitas234. Gerade in der Zeit geistiger Not habe die Theologie und die von ihr vermittelte weltanschauliche Lehre viel zur Besserung der Gesamtsituation beizutragen.235 Mit der Wiederkehr der Religion an die Hochschule verbindet sich darüber hinaus die Hoffnung, »dass ein neuer guter Geist in die Hallen unserer alma mater einziehen wird«. Die Religion solle in Zukunft als unverbrüchlicher Teil der Hochschule behandelt werden, getreu nach der Devise: »Wenn Gott das Haus nicht baut, bauen die Bauleute vergebens.«236 In diesem Sinne gibt auch Georg Schreiber mit den Worten Karl Heinrich Bauers für die Hochschule die Maxime aus: »Zurück zur Religion.«237

232 A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 11. 233 A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 13. 234 Zur Bedeutung und Vorkommen der Universitas im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.2, S. 271 f. 235 Siehe etwa G. Schreiber (MS WWU 1946), S. 24–28; G. Hohmann (M LMU 1946), S. 11; O. Eißfeldt, HAL MLU 1946, S. 4 f.; W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 19 f. 236 P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 13. 237 G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 7. Zur Redesituation Schreibers und dem Zitat Bauers Vgl. in diesem Kapitel S. 238 f.

VII. Hochschule – Restauration und Reformation eines Modells

Ausgehend von Krisenbewusstsein und der daraus folgenden Analyse der Kultur und Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart wenden sich die Hochschulrektoren der eigenen Institution zu. Für das gesamte Themenspektrum innerhalb des Rektoratsreden-Diskurses bildet die Hochschule den Fluchtpunkt. Sie hat, so die Rektoren, eine erhebliche Mitverantwortung an der Krise1, vor allem aber habe sie gemäß dieser Selbstbetrachtung die Aufgabe, den Weg aus der Krise heraus zu bahnen. Deshalb beginnen die Hochschulen ausführliche Analysen ihrer selbst, auf struktureller wie auf konzeptioneller Ebene. In der Folge befassen sich viele Rektoren in ihren Reden explizit mit der Situation und Aufgabe der Hochschule, wie schon aus Titeln wie »Die Idee und Aufgabe der Universität«, »Das Wesen und die heutige Lage der Universität«, »Wollen und Ziele der neuen Hochschule«, »Zukunftsaufgaben der Technischen Hochschulen«, oder »Die demokratische Universität im Kampf für den Fortschritt der Menschheit« ersichtlich.2 Damit einher geht eine Verortung der Institution Hochschule in ihrer Umwelt. In Anbetracht der krisenbestimmten Gesamtlage gilt es den Rektoren, die enorme gesellschaftliche Relevanz der von ihnen vertretenen Einrichtungen zu untermauern. Dabei pochen sie auf die gleichberechtigte Bedeutung von Forschung und Lehre, nicht nur für den Kosmos der Hochschule selbst, sondern auch für ihr Wirken in der Gesellschaft und für diese. Deutlicher noch als an anderer Stelle vertreten die Rektoren mit Blick auf einen zukunftsfähigen Wiederaufbau hier den Ansatz einer Kombination aus Restauration und Reformation, in diesem Fall des vertrauten Hochschulmodells. Viele der in diesem Zusammenhang diskutierten Stichwörter gehören dem klassischen Themen-Kanon der Gattung Rektoratsrede an, wie bspw. die Feststellung von Krisen wissenschaftlicher wie gesellschaftlicher Art, die Beziehung zwischen Wissenschaft bzw. Hochschule und Gesellschaft, die Bedeutung der akademischen Freiheit, bis hin zu der Frage, was Bildung3 jeweils zu sein habe.4 Insbesondere die stark von der äußeren Situation bestimmte Krisen1 Zur Bedeutung und Vorkommen der Krise im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1, S. 101 f. 2 E. Wolff (HH U 1945); F. Baumgärtel (ER FAU 1948); J. Schmid (MZ JGU 1946); Th. Pöschl (KA TH 1947); O. Schwarz (J FSU 1948). 3 Zur Bedeutung und Vorkommen von Bildung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. in diesem Kapitel, S. 260–262. 4 Dieter Langewiesche arbeitet in seinem Aufsatz »Die Universität als Vordenker?« die Wendejahre vom 19. ins 20. Jahrhundert als Entstehungszeit der genannten Topoi der Selbstanalyse heraus. Sie seien dominiert von einer »Krisendiagnose als Dauerreflexion« über das Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft, die sich originär aus zwei Erfahrungen speise: Zum

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wahrnehmung, welche auf die gegenwärtigen Umwälzungen von bislang unbekannten Ausmaßen reflektiert, dominiert die Reden auf allen inhaltlichen Ebenen von Politik über Kultur bis hin zu Hochschulfragen und fördert zum Teil unerwartete Erkenntnisse zutage.5 Mit dem Blick auf die Hochschule begeben sich die Redner allerdings wieder in bekanntes Fahrwasser, indem sie vor dem Hintergrund einer veränderten äußeren Situation die Hochschulsituation nach den ihnen bekannten Mustern analysieren. Drei zentrale Punkte arbeiten die Redner dabei heraus: Erstens die Rolle der Wissenschaft als der tragenden Größe hinter der Institution der Hochschule, zweitens die Universitas6 als überlieferte idealtypische Form von Struktur und Konzept der Hochschule und schließlich die Hochschulreform als notwendige Aktualisierung und Anpassung der Hochschule an veränderte Bedürfnisse und Umstände der Zeit. An dieser Stelle arbeiten die Redner weniger begrifflich denn programmatisch. Insofern ist in diesem Zusammenhang weniger die Frage entscheidend, ob ein Schlüsselwort als Begriff oder Label7 im Diskurs gebraucht wird. Die Redner sehen sich hier vielmehr gehalten, die von ihnen benutzten Begriffe jeweils zu definieren, obgleich sie sie im Anschluss daran teilweise auch wieder programmatisch reduzieren oder reinterpretieren. Insbesondere Begriffe wie die Wissenschaft8 oder die Universitas stehen für solche Programme. Insgesamt ist der Diskurs der Rektoratsreden im Hinblick auf die Hochschulpolitik in weitaus praktischerem Geist aufgebaut als an anderer Stelle. Die Redner schlagen – gerade was eine Reform der Hochschule anbelangt – unterschiedliche Konzepte vor. Insbesondere an diesem Punkt zeigen sich innerhalb des gesamten Diskurses wohl am deutlichsten vorhandene Kontroversen. Zugehörigkeiten zu bestimmten Hochschulen, Traditionen oder politischen Umgebungen werden hier im Einzelnen sichtbar. Dennoch handelt es sich in der Hauptsache lediglich um die unterschiedliche Ausgestaltung bestimmter Ideen in der Praxis. Über die grundlegenden Ziele, die sich damit verbinden, besteht auch hier weitgehender Konsens. Die Wissenschaft gilt den Rednern als der Anker, an den alle institutionellen Ausprägungen wie bspw. die Hochschule, alle weiteren Ziele und Aufgaben vertäut sind. Sie vertreten einen Wissenschaftsbegriff, der in starkem Maße idealisiert, um darauf ihre Ansprüche sowohl nach innen wie nach außen aufzubauen.

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einen aus der »expansiven Ausdifferenzierung aller Wissenschaftszweige« und zum anderen aus dem »Anwachsen der Universität zum Großbetrieb«. Siehe D. Langewiesche (2008e), S. 199–203. Die Redner stellen bisweilen für sie unübliche Überlegungen an, wie bspw. Walter Hallstein, der 1946 offen über eine Verstaatlichung verschiedener Wirtschaftsbereiche nachdenkt. Vgl. hierzu Kap. V.3, S. 184 f. Zur Bedeutung und Vorkommen der Universitas im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.2, S. 271 f. Zur Definition von Begriff und dessen Unterscheidung von Label siehe Kap. I, S. 14–19. Zur Bedeutung und Vorkommen der Wissenschaft im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 246 f.

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Ohne Wissenschaft gibt es keine Hochschule, keine Lehre, keinen Fortschritt in Gesellschaft und Technik. Aus Sicht der Rektoren stellt sie den tiefsten Ausdruck des menschlichen Geistes dar, der die Welt erkunden und nach seinem Verständnis gestalten will. Zudem attestieren ihr die Redner charakterbildende Eigenschaften. Wer sich mit der wahren Wissenschaft befasse, der werde in der Ganzheit seines Seins erfasst und wesensmäßig für sein Leben geprägt. Die Redner versäumen es nicht, die hieraus resultierende gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaft – einerseits in Form der Weiterverwertbarkeit ihrer Ergebnisse in Industrie und Technik, andererseits durch die von ihr geleistete erzieherische Arbeit – entsprechend hervorzukehren. Damit ist gleichzeitig der Bogen zu der sie repräsentierenden Einrichtung, der Hochschule, geschlagen. Die Hochschule betrachten die Rektoren an dieser Stelle des Diskurses gleichfalls in Form einer idealen Ausprägung, die vor allem den traditionellen Anteil der Institution betont: die Universitas. Das Idealbild einer Hochschule in konzeptioneller wie struktureller Einheit rufen die Redner aus der Vergangenheit ab und entwickeln daraus ihr Idealbild und dessen Bedeutung für die Gegenwart. Letztere liegt vor allem in der Betonung von Einheit und Menschlichkeit. Ebenso wie in Bezug auf die allgemein-gesellschaftliche Problematik der Zeit dominiert die Suche nach diesen Werten auch den hochschulinternen Diskurs der Rektoren. Anders als für die breite Allgemeinheit sehen sie sich für die eigene Institution jedoch in der Lage, konkrete Handlungsanweisungen zu erteilen. Sie sind sich dabei durchaus bewusst, dass es mit einer reinen Besinnung auf die Vergangenheit nicht getan ist. In der Turbulenz der Gegenwart bieten die Tradition und die von ihr abgeleiteten Ideale jedoch ihrer Ansicht nach zunächst einmal den dringend benötigten Halt. Um die Hochschule an die veränderten Gegebenheiten anzupassen und gemäß dem Vorhaben der Rektoren zu einem Vorreiter der gesellschaftlichen Entwicklung zu machen, bedarf es zudem einer Hochschulreform. Diese soll zum einen den traditionellen Gedanken, den die Rektoren im Hinblick auf die Universitas formuliert haben, aufnehmen und ihn mit neuen oder verbesserten Methoden in der Hochschule verankern. Zum anderen beschreiten die Rektoren hier auch konzeptionell neue Wege, welche die Hochschule in eine erfolgreiche Zukunft führen sollen. Sie argumentieren mit den veränderten Zeiten, neuen Bedürfnissen, die sich innerhalb der Gesellschaft daraus ergeben, sowie mit neuen Aufgaben, die der Hochschule damit entstehen und die sie allein aus der Tradition heraus nicht erfüllen könne.

1. Rolle der Wissenschaft: Unabhängigkeit und Führung Ausgangspunkt aller Überlegungen in Richtung Hochschule ist für die Rektoren die Wissenschaft. Sie ist der Nucleus, aus dem heraus konkrete Anwendung und weiterführende Aufgaben erst entspringen. In einer ausnehmend großen Zahl

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von Reden erörtern die Rektoren die Rolle der Wissenschaft für die Hochschule selbst, für den technischen Fortschritt sowie für sämtliche Bereiche der Gesellschaft. Sie zeichnen dabei das Bild eines Ideals von Wissenschaft, das es anzustreben gelte, das sie an verschiedenen Stellen indes auch selbst wieder brechen. Zunächst jedoch setzen sie sich mit der Bedeutung des Begriffs Wissenschaft auseinander, um das Wesen der Wissenschaft zu erkunden. Es geht in dieser Betrachtung immer wieder auch um Gegensätze, etwa Theorie – Praxis, Wissen – Bildung, Inhalt – Form, welche die Rektoren in der Wissenschaft vereinigt sehen. Wie bei kaum einem anderen Begriff des Rektoratsreden-Diskurses gehen die Redner hier in die analytische Tiefe, wenn sie etwa bis zur Etymologie des Wortes vordringen. Im Deutschen, so Paul Röntgen, betone Wissenschaft von der Wortbildung her den an sich »wenigwichtigen Teil, das Wissen«. Der wesentliche Gehalt des Begriffs liege jedoch vielmehr in der Haltung dahinter.9 Die »Wortgeschichte« von Wissenschaft in der griechischen Antike zeigt nach Deutung von Hans Georg Gadamer die Entstehung aus der Praxis heraus und dann erst hin zu »dem, was auch wir mit einem griechischen Ausdruck ›Theorie‹ nennen«: »Theoretisches Wissen ist ursprünglich nicht ein Gegensatz zur Praxis, sondern deren höchste Steigerung und Vollendung.«10 Das Wesen der Wissenschaft definieren die Redner in erster Linie über den menschlichen Geist11. Demzufolge werden alle Arten von Neuentdeckungen und Erfindungen aus dem menschlichen Erkenntnis- und Gestaltungswillen geboren. Die Wissenschaft, welche diese Suche systematisch betreibt und erfasst, steht hierbei für die höchste Stufe, auf der sich solches Bestreben in Inhalt und Form vereinigt. Ihr Inhalt sei dabei »der ganze Reichtum, den wir denkend erschließen können«. Ihre Form aber – die »denkende Bewegung des Geistes, die den Gegenstand, der ihr gegeben scheint, in Wahrheit schafft, indem sie ihn durchdringt und begreift« – verwirkliche sich, »indem sie sich betrachtend über ihre eigenen Gebilde erhebt und ihren reinsten Inhalt und ihre krönende Aufgabe in der schärfsten Bestimmung und durchsichtigen Klärung des eigenen Tuns findet«.12 Der hier zitierte Redner, der Hamburger Rektor Emil Wolff, dehnt in seiner Rede über »Die Idee und Aufgabe der Universität« die innere und äußere Ebene der Erkenntnisfähigkeit auf »die Weite des Weltraums und die tiefsinnige Gesetzmäßigkeit des Geschehens im Bereich der kleinsten Teile, der hochgewölbte Himmel der Ideen und der dunkle unbewusste Urgrund des Lebendigen und der Seele«13 aus. Solche Darstellungen deuten zum Teil auf geradewegs spirituelle Beziehungen zur Wissenschaft. Sie verdichten sich ganz besonders dort, wo es um die persönlichkeitsbildende Wirkung der Wissenschaft geht. 9 10 11 12

P. Röntgen (AC RWTH 1947), S. 3 f. H. G. Gadamer (L U 1946), S. 11. Zur Bedeutung und Vorkommen von Geist im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.3, S. 177 f. E. Wolff (HH U 1945), S. 18. Ähnlich auch: K. Vossler (M LMU 1946), S. 11 f.; K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 57. 13 E. Wolff (HH U 1945), S. 18.

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Friedrich Baumgärtel fasst das Wesen der Wissenschaft in seiner Erlanger Rektoratsrede über »Das Wesen und die heutige Lage der Universität« folgendermaßen zusammen und verweist damit gleichzeitig auf einen weiteren darin enthaltenen Aspekt: »Das ist das Wesen der Wissenschaft nach unsern heutigen Begriffen: Sie ist gewissensgebundene freie schöpferische Erkenntnis und wissenschaftliche Arbeit geschieht in der Gemeinschaft des Geistes.«14 Somit ist das Wesen der Wissenschaft auch geprägt von einer bestimmten Haltung. Gekennzeichnet im Wesentlichen vom »Darüberstehen« zielt die Haltung der Wissenschaft auf die Erkenntnis des rein Sachlichen und der Wahrheit, die einer Sache innewohnt. Sie lasse dabei entgegen zutiefst menschlicher Vorliebe alle Arten von »Meinung« außer Acht und orientiere sich ausschließlich an »Gründen«.15 Worin die Wahrheit hinter den Dingen konkret bestehe, lassen die Redner offen; es gibt für sie in diesem Zusammenhang allerdings nur eine, nicht mehrere Wahrheiten. Die Wissenschaft ist ihrer Auslegung zufolge auf der Suche nach der Wahrheit. Habe sie die Wahrheit gefunden und erkannt, so sei es darüber hinaus ihre Aufgabe, diese mit »Wahrhaftigkeit«16, will heißen ›wahrheitsgemäß‹ zu verkünden. Unabdingbare Voraussetzungen dafür seien Freiheit17 und Neutralität, die der Wissenschaft zugestanden werden müssen, bzw. die sie sich selbst erhalten muss. Der Hintergrund, warum die Rektoren die wissenschaftliche Wahrheitssuche sowie deren Voraussetzungen derart betonen, ist  – wie sie selbst schildern – die Erfahrung von Wahrheitsverdrehung und politischer Einengung aus den zurückliegenden Jahren.18 Nach Überwindung der nationalsozialistischen Diktatur, so die Folgerung, könne sich die Wissenschaft nun wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, der Suche nach der Wahrheit, in Freiheit und Selbstbestimmung widmen.19 Darüber definiert sich indirekt gleichsam die Wahrheit für den Diskurs der Rektoren. Über die Grundbedingungen von Freiheit und Neutralität ist ihr Rahmen abgesteckt, ihr tieferer Gehalt ex negativo als Gegenentwurf zur Handhabe der jüngsten Vergangenheit aufgezeichnet, so dass die Wahrheit letztlich als Begriff in den Diskurs eingeht, ohne gleichzeitig auch als Label vorzukommen. Anders als die Wissenschaft nimmt die Hochschule20 in den Reden der Rektoren an vieler Stelle einen Allgemeinplatz in der Auseinandersetzung mit der 14 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 3 f. 15 H.G Gadamer (L U 1946); S. 12 f. In diesem Sinn auch: F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 3 f.; O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 9. 16 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 3. 17 Zur Bedeutung und Vorkommen von Freiheit im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.2, S. 216 f. 18 Vgl. hierzu etwa G.  Hohmann, (F JWGU 1946), S. 20; H. G.  Gadamer (L U 1946), S. 9; P. Röntgen (AC RWTH 1946b), S. 3; R. Gross (GW EMAU 1949), S. 2 f. 19 G. Tellenbach RB (FR ALU 1950), S. 59 f.; W. Hallstein (FJWGU 1946), S. 23. 20 In den Rektoratsreden wahlweise auch als die Universität bezeichnet. Die Art und Weise, in der die beiden Begrifflichkeiten verwendet werden, sowie deren Gebrauch an Universitäten einerseits und Technischen Hochschulen andererseits decken sich weitestgehend. Daher

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äußeren Umgebung ein. Überall da, wo die Redner das akademische Umfeld ihrer Institutionen nach außen abgrenzen wollen oder die übergeordnete Einheit einzelner Glieder ihrer Einrichtungen nach innen gerichtet hervorheben wollen, ist von der Hochschule die Rede. In den wenigsten Fällen wird definiert, was die Hochschule dabei sei. Zumeist setzen die Redner die vielen Anteile der Hochschule von der Verwaltungseinheit über die Forschungs- und Ausbildungsstätte hin zu einer politischen und gesellschaftlichen Größe als bekannt voraus. So taucht die Begrifflichkeit in unterschiedlichsten Passagen der Rektoratsreden auf, ohne dass die Redner auf die Rolle Bezug nehmen, die sie an dieser Stelle ihrer Argumentation jeweils einnimmt. Insofern ist die Hochschule streckenweise durchaus als Label zu betrachten. Einzig im hochschulpolitischen Bereich der Reden kommen die Rektoren auf den Gehalt der Hochschule zu sprechen. Intensiv beleuchten sie das Idealbild der Hochschule, die Universitas, ein Bild das die Einheit der Institution Hochschule aus der Vergangenheit heraus beschwören soll. Ähnlich ausführlich beleuchten die Redner die Gestalt der Hochschule in der Zukunft, wenn sie die aus ihrer Sicht notwenigen Reformmaßnahmen beschreiben, dank derer die Einrichtung auf die Höhe der Zeit geführt werden soll. An solchen Stellen ist die Bezeichnung klar als Begriff erkennbar. Die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Wissenschaft können aus Sicht der Rektoren nicht übergangen werden. Eine simple Wiederaufnahme des Betriebes liegt nicht in ihrem Interesse. Wie schon für allgemein gesellschaftliche Belange fordern die Redner auch seitens der Hochschule eine Besinnung auf traditionelle Werte.21 Besondere Bedeutung für die akademische Sphäre messen sie wiederum der Verbindung von Wissenschaft und Wahrheit bei. Nach dem Ausbruch eines gewissen »Mystizismus« während des NS habe nun der Leitspruch zu gelten: »Fort mit aller unwahren Romantik politischmilitaristischer Art, Besinnen auf das Tatsächliche, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben. Fort mit diesen Gespenstern, die die Sinne umnebeln!«22 Den aktuellen Veränderungen tragen die Rektoren insofern Rechnung, als sie sich nicht auf das reine Reaktivieren akademischer Tradition festlegen. Vielmehr wollen sie »systematisch« dafür sorgen, dass ethische, moralische wie auch fachlich methodische Standards in Zukunft eingehalten werden, um die Gefahr eines erneuten Abdriftens der Wissenschaft zu eliminieren.23 Eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen hierbei auch die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen mit ihrem inhaltlichen wie methodischen Varianwird in dieser Arbeit ausschließlich die Bezeichnung die Hochschule benutzt, um die Einheit des Begriffs, bzw. des Labels zu wahren. 21 Zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Wiederbelebung traditioneller Werte vgl. Kap. V.3, S. 178–181. 22 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 20. 23 C. v. Dietze (FR ALU 1947b), S. 24.

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tenreichtum. Aus Sicht der Redner bildet sich unter dem Dach der Hochschule das ganze Spektrum von Bildung und verschiedenartiger Formung des Menschen ab. So sei es in den Geisteswissenschaften etwa geboten, sich mit »leidenschaftlichem Herzen« in den jeweiligen Gegenstand ›einzufühlen‹ (»Die Kollegen von der Naturwissenschaft müssen uns diese Seitensprünge in das Gebiet der immerhin noch kontrollierten Emotion gestatten«), um dann zusammen mit dem »kühl beobachtenden Verstand« die Formen eines »abgeschlossenen Bildes« zu erkennen.24 Während der Historiker Eduard Brenner die Vorzüge seines Fachs in Sachen Leidenschaft mit der klassisch hermeneutischen Vorgehensweise des Historismus beschreibt, hebt der Physiker Friedrich Hund die erzieherische Eignung der Naturwissenschaften hervor. Sie seien besonders geeignet, die Studenten zu »wissenschaftlicher Haltung und ihrer Ausstrahlung« zu erziehen, weil zu ihrer Ausübung keine große »Lebenserfahrung« benötigt werde, sie jedoch genau dahin reichten, »wo Humanismus und Realismus sich zu verbinden anfangen«.25 Die Redner verweisen hier indirekt schon auf die umfassende, an der Hochschule versammelte Einheit von Wissen und Bildung wie sie die Institution Universitas ihrer Ansicht nach verkörpert. Wie die Universitas ist demzufolge auch das Wesen der Wissenschaft stark von Humanitas26 geprägt. Johannes Stroux befasst sich in seiner Rektoratsrede an der Humboldt-Universität 1946 ausführlich mit den für ihn untrennbaren Zusammenhängen zwischen Wissenschaft und Humanitas: »Humanität ist Haltung und Charakter, mit dem jede Art wissenschaftlicher Arbeit und Forschung betrieben werden soll.« Kommen »Haltung« und »Charakter« in der wissenschaftlichen Tätigkeit zusammen, so werde die Wissenschaft zur »Schöpferin der Kultur nach ihren geistigen und materiellen Inhalten«, damit zur »Urheberin und Wächterin der Humanität« und schlichtweg zur »Erscheinungsform des Humanismus«.27 »Sie hat damit nicht nur natürlichen und sittlichen Eigenwert, sondern auch eine oberste Funktion in der Sicherung kultivierter Daseinsformen und in der Leitung des Aufstiegs der ganzen Menschheit zur Kulturhöhe. Als solcher oberster und letzter kultureller Wert ist es die Wissenschaft, die das Glücksbedürfnis der Menschheit erfüllt.«28

Walter Hallstein entschuldigt sich ausdrücklich dafür, das »allzu oft gebrauchte Wort« auch für seine Ausführungen verwenden zu müssen, »da uns kein angemesseneres einfällt«; trotzdem weist auch er der Humanitas einen Part unter den Grundvoraussetzungen der Wissenschaft zu.29 Insgesamt steht die Humanitas im Diskurs der Rektoren nicht allein für den ethischen Hinterbau der Wissen24 E. Brenner (ER FAU 1947), S. 6. 25 F. Hund (J FSU 1948), S. 14–16. 26 Zur Bedeutung und Vorkommen von Humanitas im Rektoratsreden-Diskurs siehe Kap. VI.3, S. 230–234. 27 J. Stroux (B HU 1946), S. 17. 28 J. Stroux (B HU 1946), S. 17. 29 W. Hallstein (F JWGU 1948), S. 21.

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schaft, sie macht darin vielmehr den entscheidenden Unterschied aus, der den Sektor Wissenschaft – wie auch den der Kultur – von anderen gesellschaftlichen Bereichen abhebt: Beide Felder gelten als bis in ihr tiefstes Inneres von Humanität geprägt. Der Nationalsozialismus habe zwar ihre äußere Ebene beeinflussen können, dem innersten Kern habe er jedoch nichts anhaben können. Diese Deutung, wie sie sich im gesamten intellektuellen Nachkriegsdiskurs findet,30 erhielt tragende Unterstützung durch das sogenannte »Blaue Gutachten«. Die britische Besatzungsmacht hatte 1948 den von ihr berufenen Studienausschuss für Hochschulreform beauftragt, nach ihren Vorgaben den Zustand der deutschen Wissenschaft zu untersuchen. Das daraus resultierende Gutachten bestätigte den ›gesunden Kern‹ der deutschen Hochschulen mit dem Segen der Besatzungsmacht.31 Die Rektoren konnten also getrost in ihren Reden Wissenschaft und Kunst zu unbelasteten Zugpferden in eine neue Zukunft erklären und daraus insbesondere für die Wissenschaft einen Führungsanspruch innerhalb der Gesellschaft herleiten. Es ist wiederum Emil Wolff in seiner Rede über »Die Idee und Aufgabe der Universität«, der die besondere Rolle der Wissenschaft, gerade in ihrer Verbindung zum humanistischen Gedanken, für die gesamte europäische Gesellschaft hervorhebt. Die von ihr selbst verschuldete Krise könne sie nur über die erneute Bekenntnis zu jenem »Reich der Ideen« überwinden, »an dem das Denken Europas seit den Griechen gebaut hat, das sich seit dem großen System der mittelalterlichen Philosophie in stetem Fortschreiten immer neue Gestalten geschaffen hat, das die Welt des historischen Geschehens in der Tiefe bewegt hat«:32 »Die Bewältigung der Natur hat zu einer Entäußerung des Geistes geführt, die sich mit dämonischer Gewalt gegen das Reich innerer Klarheit und Ordnung, gegen den wahren Reichtum und die echte Tiefe unseres Bewusstseins selbst richtet und mit dem Untergang bedroht, was der europäische Geist in Jahrtausenden geschaffen hat. Nur einer kopernikanischen Wendung der Wissenschaft selbst, die die höchste und eigenste Verwirklichung des europäischen Geistes ist, kann die Kraft und die Seinsgewißheit des Denkens entspringen, die der entseelenden Macht des gefesselt erst recht entfesselten Außen und der unerbittlichen Bedingtheit, in die es uns hilflos verstrickt, eine Welt innerer Freiheit gegenüberstellt. Darin liegt aber zugleich die Versöhnung der Wissenschaft mit der Unmittelbarkeit des Lebens; denn aus der abgelösten Betrachtung der Erscheinungen wird sie zu einem erfüllten eigenen Sein, zu dem überpersönlichen Leben der Ideen.«33

Aus dem Zitat Wolffs geht ein weiterer wesentlicher Faktor als Grundbedingung für das wesensgerechte Wirken der Wissenschaft hervor, die Freiheit. In dem Bild, das die Rektoren zeichnen, ist die Humanitas das Fundament, auf der 30 31 32 33

Vgl. hierzu auch H. Kämper (2005), S. 330–332. Gutachten zur Hochschulreform (1948), S. 3 f. E. Wolff (HH U 1945), S. 31 f. E. Wolff (HH U 1945), S. 32.

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die Wissenschaft stehen muss, die Freiheit ist der Raum, den sie zu ihrer Entfaltung benötigt. Der Freiheitsgedanke, den die Redner ebenso als zutiefst prägend für den europäischen Kulturkreis beschreiben,34 ist aus ihrer Sicht demnach gleichermaßen prägend für eine der signifikantesten Erscheinungen, die genau dieser Kulturkreis hervorgebracht hat, die Wissenschaft. Einige der Rektoren widmen der Freiheit als Grundvoraussetzung für Wissenschaft und Forschung längere Abschnitte in ihren Reden. Friedrich Baumgärtel erklärt die Unabdingbarkeit von Freiheit für die wissenschaftliche Betätigung mit ihrer Bindung an die Wahrheit. Nur wenn der Forscher frei seinem Gewissen folgen und sich mit anderen austauschen könne, wachse Erkenntnis. Davon wiederum sei nicht nur die Wissenschaft selbst abhängig, sondern auch ihre soziale und politische Umwelt. »Hier ist eine gegenseitige lebendige fruchtbare Durchdringung, die ein gegenseitiges existenzielles Interesse immer neu gebiert. Dieses Interesse realisieren heisst: die wissenschaftliche Tätigkeit einordnen müssen in den Organismus, den sich die Umwelt als ihren Lebensgrund und Lebensraum gestaltet hat: in den Organismus des Staates.«35

Das durchaus spannungsreiche Verhältnis von Wissenschaft und Staat und wie es zu regeln sei, ist eines der Hauptanliegen von Baumgärtels Rede. Baumgärtel geht davon aus, dass sich Wissenschaft und Staat in erster Linie an der Hochschule begegneten, und zielt daher vor allem auf die Rechtslage der akademischen Selbstverwaltung innerhalb des Staates ab. Er lotet das Spannungsfeld aus zwischen einer möglichst unabhängigen Rechtsgestalt der Hochschule  – in finanzieller Abhängigkeit vom Staat, jedoch bei freier Forschung mit garantierter Lehr- und Lernfreiheit – und gleichzeitiger Erfüllung der staatlichen Anforderungen an die Standards der Qualifikationsprüfung. »Der Staat sieht sich im Hinblick auf die Universität im Gegensatz zu andern Selbstverwaltungskörpern (die Kirche ausgenommen) der Notwendigkeit gegenüber, ihr die Bewältigung von Aufgaben zu überlassen, deren Lösung für ihn lebensnotwendig ist, in die er aber mit seiner Verwaltung nicht hineinzureichen vermag, da seine verwaltungs und gesetzgeberischen Mittel an dieser Stelle ein sachfremdes Instrument sind und einfach versagen. Die akademische geistige Gemeinschaft sieht sich im Hinblick auf den staatlichen Organismus, in dem sich das Leben des Volkes verkörpert, vor der Notwendigkeit, den Kontakt mit der staatlich politischen Organisation auf jeden Fall schärfstens zu bewahren und gerade auch im Organ der Selbstverwaltung sich als lebendiger Teil des staatlichpolitischen Organismus zu gestalten – nicht um sich zur Geltung zu bringen, sondern in dem Wissen darum, dass geistiges und staatlichpolitisches Leben nicht nur in Relation zu einander sind, sondern dass sie ein Organon sein müssen; falls sie sich nicht selbst verraten und aufgeben wollen.«36 34 Zur Bedeutung des Freiheitsgedankens siehe Kap. VI.2, S. 216 f. 35 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 4. 36 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 12 f.

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Die Lösung dieser Problematik liegt für Baumgärtel in der Festlegung der Hochschule auf die Rechtsform einer »genossenschaftlichen Korporation« – für ihn nicht gleichzusetzen mit »kollektivistisch«  –, da sie als »akademische geistige Gemeinschaft« stets »aus der Wahrheitsfrage lebt und arbeitet« und »aus diesem letzten Antrieb heraus sich ihre Gemeinschaftsart gestaltet«. Dass künftig die akademische Selbstverwaltung beim Verfassungsgericht eingeklagt werden könne, begrüßt Baumgärtel zudem als hilfreiche Maßnahme, die dem Verhältnis von Wissenschaft und Staat auf Dauer Entspannung und Stabilität verschaffen werde.37 Die Frage des verfassungsmäßigen Schutzes von Wissenschaft und Forschung nimmt auch Ernst Friesenhahn in den Blick. Die Geschichte dieser »typisch deutschen Erscheinung«, die »offenbar im Zusammenhang mit der Verbeamtung der Wissenschaftspflege in Deutschland steht«, die allerdings »nicht zum traditionellen Bestand der liberalen Freiheitsrechte« gehöre und daher »in den meisten Verfassungen der Welt vergebens« gesucht werde, verfolgt er von ihrem ersten Auftreten in der Paulskirchen-Verfassung bis in die Gegenwart. In diesem Zusammenhang verweist auch er auf das problematische Verhältnis von Wissenschaft und Staat, »das Spannungsfeld zwischen Freiheit der Wissenschaft und Lehre einerseits und Beamtenpflicht andererseits«. Der Staatsrechtler Friesenhahn problematisiert den Freiheitsbegriff aus zwei Richtungen. Zum einen wolle sich der Staat davor schützen, von Seiten der Wissenschaft angegriffen oder gar unterlaufen zu werden. Andererseits müsse die Wissenschaft künftig davor bewahrt werden, erneut zum politischen Spielball zu werden. Friesenhahn diskutiert die Möglichkeit einer Beschränkung der wissenschaftlichen Freiheit inklusive der Problematik, wo dabei die Grenze zu ziehen sei zwischen Maßhaltung und Zensur, hält eine solche Beschränkung in gewissem Rahmen jedoch prinzipiell für möglich:38 »Selbst wenn man diese These akzeptiert – und ich bejahe sie grundsätzlich –, ergeben sich doch in unserem Falle keine Bedenken, da die Freiheit von Wissenschaft und Lehre kein irgendwie gearteter Naturrechtssatz, sondern ein geschichtlich bedingtes Institut ist, dessen Inhalt sich aus der jeweiligen Einschätzung einander gegenüberstehender Werte ergibt, – etwa Freiheit fordernde Geistigkeit auf der einen, politische Sicherheit auf der anderen Seite. Eine Verfassung, die dieses Grundrecht gewährt, kann also durchaus eine Grenze der hier gemeinten Art ziehen, weil sie nicht an die Wurzeln der Lehrfreiheit überhaupt geht.«39

Im Zentrum des Interesses steht für die Rektoren trotz gewisser Bestrebungen, sich gegenüber allgemeingesellschaftlichen Belangen zu öffnen, die Forderung nach einem Schutz der wissenschaftlichen Sphäre gegenüber der Außenwelt, insbesondere der Politik. Die Erfahrung der politischen Einflussnahme auf Wissen37 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 4–8 u. 12–14. Ähnlich auch H. Freese (B TU 1949), S. 7. 38 E. Friesenhahn (BN RFWU 1949), S. 10–35. 39 E. Friesenhahn (BN RFWU 1949), S. 22.

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schaft und Hochschule, der Verlust von Wissenschaftlern und Studenten durch Ausschluss, Abwanderung, Krieg und Epuration sowie die Isolation von der internationalen Forschung in den vorvergangenen Jahren bestärken bspw. Sigurd Janssen, seinen Aufruf, »die Freiheit unserer Arbeitsstätte, der Universität, zu schützen«, besonders deutlich zu formulieren. Dazu gehört für ihn vor allem eine aktive Mitarbeit aller Hochschul-Mitglieder an der akademischen Selbstverwaltung.40 Walter Hallstein geht hier noch einen Schritt weiter und fordert die Wissenschaftler dazu auf, über die Grenzen der res publica litterarum hinaus »politisch tätig« zu werden, sollte Gefahr für die Freiheit der Wissenschaft bestehen.41 Wenn die Redner von einer Verteidigung der wissenschaftlichen Freiheit sprechen, so haben sie in erster Linie die Erfahrungen der vergangenen zwölf Jahre unter dem nationalsozialistischen Regime vor Augen. Das Bild einer ›missbrauchten‹ oder gar ›geschändeten‹ Wissenschaft dominiert die Betrachtungen der jüngsten Vergangenheit. Die Nationalsozialisten42 hätten Forschung und Lehre in einem ›positivistischen‹ Verständnis schlicht als »Summe von Wissen«43 aufgefasst, bar »jedes religiösen und sittlichen Bewusstseins«44 dahinter. In vielfacher Weise seien der Wissenschaft zu »politischen, wirtschaftlichen und bald auch kriegerischen Zwecken« propagandistische »Irrlehren« aufgezwungen worden, die »das innerste Wesen der Wissenschaften entstellen«.45 »Man zwängte die Wissenschaft in das eiserne Gefängnis nationalsozialistischer Parteidoktrin, in dem sie kläglich verkümmern musste und bestritt jede Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft. Kleinstbürger  – denn nichts anderes war der soziologische Grundcharakter des Nationalsozialismus – forderten, dass nichts gelehrt werden dürfe, was den armseligen Thesen mittelmäßiger Parteipropheten widersprach.«46

Schlagworte wie »Blut und Boden«, »Volk in Waffen«, »Sterben fürs Vaterland«, »eiserne Zeit« hätten die Ernsthaftigkeit der Wissenschaft unterminiert und einen »unwissenschaftlichen Mystizismus« hervorgebracht, »der anscheinend dem deutschen grüblerischen und spekulativen Wesen so liegt«.47 Der Gipfel dieses Missbrauchs48 schließlich sei mit den »monströsen Gebilden der von aller Welt belachten ›deutschen‹ Mathematik und ›deutschen‹ Physik« erreicht wor40 S. Janssen (FR ALU 1945), S. 13–15. 41 W. Hallstein (F JWGU 1948a), S. 21. 42 Zum Dualismus zwischen den Nationalsozialisten und dem Rest der deutschen Gesellschaft vgl. Kap V.1, S. 113–120. 43 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 28. 44 K. Vossler (M LMU 1946), S. 12. 45 J. Stroux (B HU 1946), S. 10. 46 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 26 f. 47 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 20; G. Hohmann (M LMU 1946), S. 10 u. 18. 48 Zur Bedeutung und dem Gebrauch des Missbrauchstopos in den Rektoratsreden vgl. Kap. V.1, S. 117–119.

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den, »in denen unsere Mitwirkung an der fortschrittlichen Entwicklung zahlreicher Gebiete ausdrücklich verboten wurde«.49 Auch und gerade einzelne wissenschaftliche Disziplinen seien von dem Missbrauch getroffen worden. Die Redner nennen hier gern ihre jeweils eigenen Fächer, um den erlittenen Missbrauch zu beschreiben. Besonders häufig in diesem Zusammenhang auf den Gesamtdiskurs hin gesehen fällt jedoch die Jurisprudenz. Julius Lips, der einzige Ethnologe unter den Rektoren, ordnet in seiner Antrittsrede 1949 in Leipzig die Situation seines Fachs während des NS gleich neben diese Vergleichsgröße ein: »Wohl keine Wissenschaft außer vielleicht der des Rechts – der Wissenschaft des Rechts und dem Geist des Rechts – ist in den politischen Stürmen der vergangenen Jahre so misshandelt und gedemütigt, verzerrt und missbraucht worden wie meine Wissenschaft […].«50 Den Blickwinkel der eigenen Disziplin nutzen Redner wie der Agrarökonom Constantin von Dietze darüber hinaus, um die Auswirkungen und Folgen des Nationalsozialismus auf die Wissenschaft insgesamt bildhaft zu beschreiben: »Die Verpflichtung, die alle Mitglieder des Lehrkörpers seit 1945 ausdrücklich anerkennen, ist echter Ausdruck einer lebendigen Gesinnung. Diese Gesinnung ist aber noch eine zarte Pflanze, der das Dorngestrüpp mancher Verirrungen Licht und Luft entzogen hat, der schwere Hagelschauer arg zugesetzt haben. Sie ist auch gegenwärtig noch von Unbilden der Witterung und von unheimlichen Schädlingen bedroht. Da sie ein Kulturgewächs ist, bedarf sie zum rechten Wachstum sorgfältiger und liebevoller Pflege.«51

Der Missbrauchs-Topos ist einer der großen Erklärungsansätze der Rektoren dafür, warum der Nationalsozialismus in Hochschule und Gesellschaft derart habe um sich greifen können. Der Missbrauch trifft in der Darstellung der Redner die Jugend, das Rechtssystem, die Ausübung von Macht, insbesondere aber auch die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse. Gerade in der Diskussion der Schuldfrage52 und der eigenen Rolle in diesem Zusammenhang ziehen sie für ihre Argumentation den Missbrauch der Wissenschaft heran. Die Schuld der Wissenschaft bestehe in erster Linie darin, dass sie sich von den Nationalsozialisten habe missbrauchen lassen. Dieses politisch dominierte Intermezzo der vergangenen zwölf Jahre habe jedoch nicht die tradierte wahre Wissenschaft aufgesogen und in Mitleidenschaft gezogen. Somit beanspruchen die Rektoren aus dem von ihnen geleisteten Schuldbekenntnis heraus letztlich einen Führungsanspruch für Hochschule und Wissenschaft innerhalb des neuen demokratischen Gesellschaftsaufbaus – eine gedankliche Volte, für die ebenfalls die Formulierung in den Reden verbale Haken schlagen muss.

49 50 51 52

R. Plank (KA THF 1946), S. 14. J. Lips (L U 1949), S. 3. C. v. Dietze (FR ALU 1947b), S. 25. Zur Debatte um Schuld und deren Bedeutung siehe Kap. V.1, S. 130 f.

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Die Formen des Missbrauchs beschreiben die Rektoren in schillernden Farben. Diese Schilderungen sind bisweilen von erhöhtem emotionalem Gehalt, wie etwa die oben zitierte Passage aus der Rede von Theodor Süß. Dennoch bleibt der Missbrauch im Diskurs der Rektoren im Vergleich zu verschiedenen diskursbestimmenden Begriffen in seiner Definition eher blass und inkonkret. Er wird durchweg als Label dafür gebraucht, die Deutungsrichtung der Rektoren zu vertreten. Die Rektoren vertreten fast ausschließlich die Sichtweise eines von außen nach innen ankommenden, übermächtigen Missbrauchs. Umgekehrt wird der Missbrauch wenig bis gar nicht von der anderen, der inneren Seite her beleuchtet, aus der Sicht der ›Missbrauchten‹ mit ihren jeweiligen Prädispositionen. Die Frage, warum sich die Wissenschaft oder konkreter, die Wissenschaftler als Einzelpersonen und auch als Kollektiv auf den Nationalsozialismus einließen, wird in dieser Offenheit kaum gestellt. Allenfalls der Einfluss des Positivismus’53 und der damit einhergehende Verlust an ethischer Bindung, wie sie sich in der modernen Wissenschaft verbreitet hätten, werden als abstrakt gehaltene Erklärung dafür herangezogen, warum die Wissenschaft so einfach habe ›verführt‹ und ›missbraucht‹ werden können – in der Formulierung jeweils so passivisch wie unpersönlich gehalten. Es vollzieht sich hier wie schon an anderer Stelle das Argumentationsmuster einer gedanklichen Trennung zwischen den Nazis als indefiniter, entpersonalisierter Teilmenge und den von ihnen beherrschten gesellschaftlichen Einheiten wie bspw. auch das Volk, die Jugend etc.54 Gerade die Jugend als weiteres großes Missbrauchsopfer des Nationalsozialismus ist nach Definition des Rektoren-Diskurses neben ihrer propagandistischen und vor allem ihrer physischen Ausnutzung im Krieg ein weiteres Mal vom Nationalsozialismus getroffen, wenn es um ihre Ausbildung geht. Schon in der Schule seien die Studenten der Gegenwart weniger mit solider Grund- und Allgemeinbildung denn mit politischen Parolen versehen worden. Hinzu kamen die kriegsbedingten Unterrichtsausfälle, die für weitere Wissenslücken gesorgt haben, und mit denen sich die Hochschule nun konfrontiert sieht.55 In vergleichbarem Maße sei während des NS der Unterricht auch an der Hochschule beeinflusst worden. An den Technischen Hochschulen insbesondere sei alles aus dem Unterrichtsprogramm herausgenommen worden, »was den Studierenden eine allgemeine Bildung vermitteln konnte«, etwa durch die Schließung der Geisteswissenschaftlichen Fakultäten.56 Die gesamte Ausbildung an den Hochschulen sei auf das Hervorbringen von »Spezialisten« ausgerichtet worden, die sich durch ihre einseitige Ausbildung zwar »glänzend« auf ihrem Fach­gebiet bewegen konnten. Dies jedoch habe sie »zu sehr begrenzt auf ihren kleinen Teilausschnitt 53 Zur Bedeutung und Vorkommen von Positivismus im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.2, S. 159. 54 Siehe hierzu besonders Kap. V.1, S. 121–128. 55 J.  Schmid (MZ JGU 1946), S. 17 f.; R.  Plank (KA THF 1946), S. 15; C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 192. 56 R. Plank (KA THF 1946), S. 14.

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unseres allzu sehr spezialisierten menschlichen Lebens«, weswegen eine derartige Ausbildung »automatisch eine Schmälerung der Persönlichkeit und des Charakters« mit sich gebracht habe. Daraus wiederum folgert Theodor Süß: »So ist es erklärlich, dass ein Volk ethisch in dem Maße versagen konnte, wie es eingangs [in seiner Rektoratsrede, Anm. d. Autorin] geschildert wurde.«57 So ausführlich die Rektoren den Missbrauch von Wissenschaft und Hochschule betonen, so kommen einige der Redner nicht umhin, in gewissem Umfang auch deren »Versagen« festzustellen. Der Erklärungsmodus bleibt – leicht aktivischer gehalten – indes der gleiche. Die Wissenschaft, bzw. die sie vertretenden Institutionen und Personen, habe sich unter dem Einfluss des Positivismus von ihrem »letzten Anliegen« entfernt, ihre Bindung an übergeordnete Bezüge wie die Humanitas eingebüßt und schließlich das Vertrauen in sich selbst ver­loren.58 Weitere Erklärungsansätze für das Versagen der Wissenschaft vor dem Nationalsozialismus greifen die Verlorenheit der Wissenschaft als Zeitphänomen auf. Redner wie Hans-Georg Gadamer oder Franz Böhm gehen in ihrer Suche nach Gründen des Versagens davon aus, dass auch die Wissenschaft immer »ein Kind ihrer Zeit« sei und damit bestimmten äußeren Einflüssen unterliege. Im aktuellen Fall habe sie sich der Erscheinung Nationalsozialismus schlicht nicht erwehren können. Dazu habe auch beigetragen, dass die Naturwissenschaften mit ihrem Fortschritt den anderen Wissenschaften wie auch der gesellschaftlichen Entwicklung »zum größten Schaden der Welt« uneinholbar vorausgeeilt seien.59 Dass der Vorwurf des Versagens nach Kriegsende teils auch von Seiten der außeruniversitären Gesellschaft an die Wissenschaft gerichtet werde, beurteilen die Redner letztlich als positives Zeichen im Hinblick auf die gesellschaftliche Bedeutung, die Wissenschaft und Hochschule nach wie vor beigemessen werde. Walter Hallstein nimmt diesen Vorwurf »nicht ohne Bewegung, beinahe nicht ohne Rührung« auf, weil sich darin eine »tief enttäuschte Gläubigkeit« äußere: »Der Glaube, nachdem alles versagt hatte, was jener Gewalt hätte Herr werden sollen, nachdem vor allem die Politiker versagt hatten, die Politiker in aller Welt, da hätten es die Wissenschaft und ihre Träger sein sollen, die den Staat retteten –, und nicht bloß in dem Sinne, wie die Professoren der Paulskirche einst aufstanden vor ihrem Volk und für die Freiheit zeugten gegen die Gewalt, d. h. als Politiker unter Politikern und gegen Politiker, sondern durch Aktivierung ihrer wissenschaftlichen Kraft selbst.«60

Die Hochschulrektoren wollen nun Sorge tragen, dieser Erwartung an die Wissenschaft in der Gegenwart gerecht zu werden. Gerade in der Aufbruchssituation nach Kriegsende, wo es hinaus »in die reine Luft des Rechts mit einer wahren Klärung der Lage und dem Recht der Verteidigung« gehe, will man sich laut 57 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 30 f. 58 F. Baumgärtel (ER FAU 1948); S: 17; A. Reatz (MR JGU 1947), S. 16; O. Eißfeldt (J FSU 1945), S. 10 f. 59 H.-G. Gadamer (L U 1946), S. 9; F. Böhm (F JWGU 1948), S. 109. 60 W. Hallstein (F JWGU 1848), S. 16 f.

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S­ igurd Janssen »für die Freiheit der Persönlichkeit, der Religion und Wissenschaft gegen die Übergriffe der Staatsgewalt und die Ansprüche politischer Parteien« einsetzen.61 Insbesondere sei es Aufgabe der Hochschule, so Julius Ebbinghaus in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Marburger Universität 1945 mit dem Titel »Neuer Staat und neue Hochschule«, den Wiederaufbau – unbestrittenermaßen die Hauptaufgabe der Gegenwart – aufklärerisch zu unterstützen. Ebbinghaus spricht in diesem Zusammenhang von mehreren »Nebelbänken« um die Wissenschaft, die man zunächst beseitigen müsse: Diese liegen seiner Ansicht nach zuvorderst um den internationalen Charakter der Wissenschaft, die samt ihrer Errungenschaften von einem einzigen Volk beansprucht worden sei. Daneben müsse die »Objektivität« der Wissenschaft aus dem Nebel gehoben werden. Deren Existenz sei in den vorvergangenen Jahren schlichtweg negiert worden. Tatsächlich jedoch könne die Wahrheit nicht nach dem eigenen Willen definiert werden, weil sonst jede »Möglichkeit des Denkens aufhört«. Ganz besonders tückischen Nebel verortet Ebbinghaus um die Freiheit der Wissenschaft. Da der »Zauber des Wortes« selbst den Nationalsozialisten zu groß gewesen sei, um offen dagegen vorzugehen, hätten sie das große »Siegeszeichen« der Wissenschaft aus dem 19. Jahrhundert kurzerhand umgedeutet. Fortan habe die Wissenschaft nicht mehr die »Freiheit ›von‹ etwas« besessen, es sei ihr stattdessen die »Freiheit ›zu‹ etwas« zugesprochen worden, konkret etwa dazu, »diese oder jene angebliche Wahrheit zu beweisen – dieses oder jenes vermeintliche Interesse zu rechtfertigen«. Jene Umdeutung habe aber letztlich zu nichts anderem als zu einer Verknechtung der Wissenschaftler geführt. Wahre Wissenschaft sei in höchstem Maße abhängig von der ersteren Art Freiheit, nämlich frei zu sein insbesondere »vom Zwange, dies oder jenes zu sagen oder nicht zu sagen«. Diese Freiheit sei geradewegs eine »Lebensfrage für die Wissenschaft«, weil jene nicht ohne den freien Austausch von Gedanken zu betreiben sei.62 Ebbinghaus folgert hier wie viele seiner Kollegen eine politische Neutralität der Wissenschaft. Deren Gestalt oder tiefere Bedeutung ist jedoch innerhalb des Diskurses genauso umstritten wie die Frage, ob nicht gerade die Wissenschaft auch politisch zu sein habe – und falls ja, in welcher Form und in welchem Rahmen sich dieses politische Engagement zu bewegen habe. Einig sind sich die Rektoren in dem Punkt, dass Wissenschaft und Politik unterschied­lichen Gesetzen folgen. Karl Heinrich Bauer bringt diesen grundlegenden Unterschied folgendermaßen auf den Punkt: »Politik braucht Kampf, Wissenschaft braucht Frieden. Wissenschaft ist Streben nach Wahrheit, Politik ist Streben nach Macht.«63 Die Suche der Wissenschaft nach Wahrheit lasse keine Kompromisse zu, die Politik hingegen lebe genau davon, ergänzt Heinrich Konen diese Unterschei-

61 S. Janssen (FR ALU 1945), S. 12 f. 62 J. Ebbinghaus (MR PU 1945a), S. 19–27. 63 K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 52.

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dung.64 Inwieweit die Hochschule oder der einzelne Wissenschaftler in den beiden Sphären getrennt voneinander agieren kann oder soll, schätzen die Redner jedoch recht verschieden ein. Die Erfahrungen der vergangenen zwölf Jahre mit der bewussten Politisierung von Wissenschaft durch den Nationalsozialismus nehmen insbesondere die Rektoren in den westlichen Zonen zum Ausgangspunkt für ihre Forderung, dass die Wissenschaft nie wieder den direkten Interessen der Politik oder gar einer bestimmten Partei dienen dürfe.65 Trotzdem trage vor allem die Hochschule als Institution der Wissenschaft eine »hohe politische Verantwortung«66, zum einen der Gesellschaft gegenüber. Ihre einzelnen Glieder seien »ethisch gehalten, sich unserem Volke hingebend aufzuschliessen [item]«, was nur auf dem »Wege politischen Wollens« möglich sei.67 Zum anderen verfüge die Hochschule als eine der »stärkste Stützen« der »Staatsmacht« neben »Religion«, »Recht« und »Wirtschaft« über eine »eminente staatspolitische Bedeutung«.68 In seiner Rede anlässlich der Gedenkfeier der Frankfurter Universität zum hundertjährigen Jubiläum der 1848er Revolution geht Walter Hallstein intensiv auf das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik ein. Er konzipiert diese als Antipoden, die in einer wechselseitigen Beziehung zueinanderstehen, welche es beiden Seiten ermögliche, die jeweils andere zu ihrem Objekt zu machen. Ziel müsse es hierbei insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen sein, einen ausgeglichenen Zustand zu erreichen. Die Wissenschaft sei in der Gegenwart explizit aufgefordert, ihrem Sinn gemäß dazu beizutragen. Dieser Beitrag bestehe ganz besonders darin, unter Zugrundelegung wissenschaftlicher Maximen wie etwa dem »Dienst an der Wahrheit«, dem »Gebrauch der Vernunft bis an ihre Grenzen«, der »Hingabe an die Sache« und der »Bereitschaft zur Diskussion« inklusive der »Aufgeschlossenheit für die Gegenmeinung, für die Kritik« die Grundbedingungen einer allgemein respektablen politischen Kultur zu schaffen. Die Revolution von 1848 nehme dabei eine Vorbildfunktion ein, weil die damals beteiligten Wissenschaftler nicht nur zur Formulierung der eigenen Freiheit Großes geleistet hätten. Eine »politische Wissenschaft«, wie sie seit Ende der Weimarer Republik und während des Nationalsozialismus gefordert wurde, solle es dennoch nie wiedergeben. Der politische Wert der Wissenschaft solle künftig stattdessen allein in ihrem »menschlichen Wert« liegen. Die Wissenschaft, die immer auch Wertung und Bewertung beinhalte, solle es daher zu ihrer Aufgabe machen, »zur Bildung des Wertbewusstseins selbständig beizutragen, die Wertideen zu entfalten, zu differenzieren, zu begrenzen, sie gegeneinander abzuwägen«. Diese Erziehungsarbeit soll nach Vorstellung Hallsteins jedoch aus64 65 66 67 68

H. Konen (BN 1946), S. 3. R. Plank (KA THF 1946), S. 11 f.; C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 21. C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 21. F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 16. K. H. Bauer (HD RKU 1946a), S. 52.

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schließlich »auf dem Grunde der Gesetze wissenschaftlicher Arbeit« stattfinden, das heißt auf Grundlage der wissenschaftlichen Maximen.69 Am Ende seiner Ausführungen bringt Hallstein seine These auf folgenden Nenner: »So weit wir auch entfernt sein mögen von der Philosophie der führenden Köpfe unter den 48ern, so ist es doch Geist, aus ihrem Geist geboren, es ist derselbe alte Glaube an die humane Kraft der Wissenschaft, daran, dass sie, wenn sie schon keine Weltanschauung liefern kann, es doch Trägern verschiedener Anschauungen mit gleichem Absolutheitsanspruch möglich macht, als sittliche Wesen miteinander zu leben. In einem Staate aber, in dem dieser Wert geachtet wird, da ist auch der Gegensatz von Geist und Macht in einem höheren Begriffe von Politik aufgehoben. […] In diesem Sinne, und nur in diesem, kann auch die Wissenschaft Politik sein, im Sinne einer Politik, die ist: das Ineinanderweben der Seelen.«70

Für die Rektoren der Ost-Hochschulen stellt sich die Frage politischer Neutralität der Hochschule hingegen nicht in dieser Art. Zwar steht auch hier außer Frage, dass die Hochschule nicht in der Form ihrer nationalsozialistischen Ausprägung weiterarbeiten solle, dass es vielmehr intensiver Reformen in ihrer Gestalt und Struktur bedürfe, um die Hochschule für ihre Aufgaben innerhalb einer neuen Gesellschaft vorzubereiten. Die Redner stellen die Hochschule daraus folgernd, insbesondere in ihrer Funktion als Ausbildungsstätte, direkt in den Dienst der Gesellschaft. Mit neuen Fakultäten sollten unter dem Stichwort der ›Volksuniversität‹ breitere Schichten in die Bildungssphäre der Hochschule aufgenommen werden. Über ihre fachliche Ausbildungsarbeit hinaus sei die Hochschule des Weiteren dafür verantwortlich, der neuen deutschen Gesellschaft die dringend von ihr benötigten neuen Führungskräfte zu liefern.71 In der Praxis bedeutete dies für die Ost-Hochschulen bald, dass sie den Vorstellungen der sozialistischen Führung entsprechend eine neue Elite möglichst mit Herkunft aus der Arbeiter- und Bauernschicht sowie mit adäquaten politischen Vorstellungen heranbilden sollten. Ab den späten vierziger Jahren übernahmen die Hochschulen zudem offiziell Anteile an den Zwei- und Fünfjahresplänen.72 Die Frage der Bildung ist ein traditionelles Thema der Rektoratsrede über die Jahrhunderte hinweg.73 Der Begriff der Bildung, zumal der wissenschaftlichen, spielt auch im Diskurs der Nachkriegsrektoren eine zentrale Rolle. Die Einschätzung der Redner, was es dem jungen Menschen der Gegenwart nutze, sich akademisch zu bilden, ist überwiegend von einem humanistischen Bildungsideal beeinflusst. Insbesondere auch der teils vorherrschende Glaube, dass Bildung le69 70 71 72

W. Hallstein (F JWGU 1948), S. 8–21. W. Hallstein (F JWGU 1948), S. 23. Vgl. hier bspw. H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 13–15. W. Straub (DD TH 1948), v. a. S. 6; J. Friedrich RB (L U 1949), S. 12; K. Koloc RB (DD TH 1950), S. 10. 73 Zur Diskussion der Bildung in den Rektoratsreden der Nachkriegszeit und auch davor vgl. Kap. IV.

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diglich bereits vorhandene Vorveranlagungen oder Talente fördere und vervollkommne, weist auf die humanistische Prägung des Bildungsbegriffs hin.74 Gerd Tellenbach exemplifiziert die Verbindung von Bildung und Ethik als Forderung des abendländischen Humanismus in seiner Ansprache an die neu immatrikulierten Studenten 1949 quasi als Einweisung in die neue Welt, die sie betreten: »Seit den Griechen ist die abendländische Kultur geprägt durch die Forderung vernünftigen Denkens und Handelns. Der Vernunft zu folgen, ist ein Postulat abendländischer Humanität. Vernunft ist nicht nur die humane Weise der Seins und Welterkenntnis, sondern ihr sich zu beugen, ist ein ethisches Verhalten. Logik ist keine bloße Verstandsübung, sondern auch sittliche Lauterkeit. Vernunft und Logik, Sachlichkeit, Folgerichtigkeit und Bewusstheit sind in jedem Beruf zu erstreben. In ihnen erblicken wir Bildung und fordern vom Gebildeten, dass er zu verstehen sucht, was immer er tut, dass er den Zusammenhang seines Tuns und seiner Welt mit dem umfassenden Schaffen und den größeren Bereichen zu verstehen strebt, denen er zugehört. Bildung ist immer vernünftige Klärung des Menschen und geistige wie sittliche Durchdringung seiner praktischen Berufsübung und Lebensführung.«75

Wie schon nach Ende des Ersten Weltkriegs rekurriert die Hochschuldebatte auch in den späten vierziger Jahren auf ein Modell, das sich inhaltlich auf die Ideen der Neuhumanisten im frühen 19. Jahrhundert stützt, nach dem eine wissenschaftlich fundierte, breit angelegte Allgemeinbildung eine ethischmoralisch fundierte Persönlichkeit schaffe.76 Im Diskurs der Nachkriegs­ rektoren wird der direkte Bezug auf die neuhumanistischen Denker wie Friedrich Schleiermacher, Johann Gottlieb Fichte, Henrik Steffens, nicht zuletzt Wilhelm von Humboldt u. a. sowie auf ihre Schriften zur Hochschule und deren Bildungsaufgabe indes sehr selten hergestellt.77 Wo ganz besonders Humboldt im späteren Verlauf des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart andauernd beinahe als Äquivalent der modernen Hochschule eingesetzt wird, so belassen es die Nachkriegsrektoren bei einigen wenigen Verweisen. Im Rektoratsreden-Diskurs findet sich keine einheitliche Stellungnahme zum Bildungsbegriff Humboldts. Dieser wird vielmehr einmal, bei Emil Wolff, als »aristokratisch« in seiner »Großartigkeit« dargestellt, wohingegen Edwin Redslob an anderer Stelle seine Bedeutung für den Siegeszug der bürgerlichen Kultur hervorhebt.78 Diese Gegensätzlichkeit in der Einschätzung der Rektoren zeigt sehr deutlich, dass Humboldt nicht zum kanonisierten intellektuellen Diskurs der Nachkriegszeit gehörte und seine spätere Bedeutung in der hochschulpolitischen Argumentation demzufolge hier noch nicht erreicht hatte. 74 So zu finden etwa bei W. Müller (AC RWTH 1950), S. 2; J. Kroll (K U 1946b), S. 6. 75 G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 49. 76 Zur Bedeutung der Neuhumanisten für den Bildungsdiskurs im 20. Jahrhundert vgl.: S. Paletschek (2002), v. a. S. 200–203. 77 Mit Blick auf die Beziehung zu Humboldt vgl. Kap. VII.2, S. 282 f. 78 E. Wolff (HH U 1945), S. 27 f.; E. Redslob (B FU 1950), S. 12.

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Bildung wird vor dem Hintergrund der akademischen Tradition, die in den Jahren des Nationalsozialismus missachtet worden sei, von den Nachkriegs­ rektoren mit großer Selbstverständlichkeit als die den ›wahren‹ Menschen formende Größe definiert. Was deren Inhalt konkret zu sein habe, abgesehen davon, dass die reine Anhäufung von Wissen noch kein Merkmal von Bildung sei, klären die Redner nicht eindeutig. Sie betonen vielmehr die von ›wahrer‹ Bildung erzielten Effekte in demjenigen, der sie sich erarbeitet hat: Toleranz, Bescheidenheit, Geduld, Beharrlichkeit, Selbstlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Objektivität – schlicht, das Beste im Menschen, das die Bildung erst hervorbringe.79 Ob allerdings zwangsläufig der klassisch-humanistische Bildungskanon zu befolgen sei, um die benannten Effekte von Bildung zu erzielen, wird bisweilen, wie beispielsweise von Karl Vossler, bezweifelt. Der Romanist Vossler entspricht, was die Bildungsinhalte angeht, dem Gedanken seiner Kollegen, die eine Modernisierung des Humanismus-Konzepts durch die Einbeziehung naturwissenschaftlich-technischer Elemente fordern:80 »Kann man aber heute im Ernst noch glauben, dass innere Bildung ausschließlich die humanistische sei, dass, wer das Griechische des Homer und des Plato und das Latein des Horaz und des Seneca nicht versteht, zu keiner inneren Bildung kommen könne? (…) Jeder Unterricht, wenn er mit ganzer Seele und gesammeltem Geist schlicht, gediegen, sachlich erteilt wird, bildet den inneren Menschen. Und was die Schulen, das Wissen und Lernen und unser Verstand nicht vermögen, das kann der innerliche Mensch zur Festigung des Geistes in seiner Kirche, in seinem religiösen Glauben ohne gymnasiale Bildung finden. Als gebildet im seelischen und geistigen Sinne muss ich nach meiner Erfahrung und Überzeugung jeden anerkennen, der einen guten Willen hat und ein spezifisches Können.«81

Dass Bildung, und zwar in besonderem Maße die wissenschaftliche, den Menschen im Positiven zu formen vermöge, darüber erzielen die Redner insgesamt große Einigkeit. Die »akademische Bildung« habe als »Sonderfall der menschlichen Bildung« zu gelten, so Josef Kroll. Es sei sicherlich genauso möglich, »sich zum Menschen formen auch ohne Hörsaal und Studierzimmer«. Der Weg über die Wissenschaft sei jedoch »vielleicht der probateste«, da er »unmittelbar in den Bereich des reinen Geistes führt«. Allerdings sei die »Möglichkeit dazu immer nur Wenigen gegeben«.82 Das wissenschaftliche Arbeiten heben die Rektoren gerade deshalb als besonders charakterbildend hervor, weil die tugendschaffenden Effekte der Bildung elementarer Bestandteil der Wissenschaft seien.83 Otto Eißfeldt betont in seiner 79 P. Röntgen (AC RWTH 9147), S. 4; H. G. Creutzfeld (KI CAU 1945), S. 7; J. Kroll (K U 1946b), S. 6–8; R. Plank (KA THF 1946), S. 16. 80 Zum neuen Humanismus vgl. Kap. VI.3, S. 233 f. 81 K. Vossler (M LMU 1946), S. 19 f. 82 J. Kroll (K U 1945), S. 9. 83 A. Mehmel (DA TH 1949), S. 26; J. Kroll (K U 1946a), S. 12; K. Vossler (M LMU 1946), S. 24.

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Rede zur Wiedereröffnung der Universität Halle den Bezug zur Wahrheit, auf den sich die Wissenschaft ausrichte. Darin erkennt er »Kräfte der Bildung und der Erziehung«, »die sonst nicht zur Verfügung stehen und doch von keinem Volk, am wenigsten von dem unseren in seiner gegenwärtigen Lage, entbehrt werden können«. Das Ringen um die Wahrheit und deren Erkennen führe letztlich »zu unbedingter Sachlichkeit, Objektivität und Gerechtigkeit«. Unverzichtbare Grundlage für den Erfolg hierin seien »Geduld und Zähigkeit«. Am Ende dieses Prozesses stehe jedoch »das erhabene Gefühl heiliger Verantwortlichkeit und königlicher Freiheit zugleich«.84 Gerd Tellenbach ergänzt die Beschreibung der bildenden Wirkung von Wissenschaft um ein kontinuierliches »Wählen und Entscheiden«, welches das wissenschaftliche Arbeiten verlange, »das spontane, selbstverantwortliche Agieren«: »Und dieser ihr Wesenszug ist es gerade, durch den die Wissenschaft ihre menschenbildende Kraft erhält und sie unserer Überzeugung nach zu einer höchst wirksamen, natürlichen und humanen Berufsvorbildung befähigt.«85 Infolgedessen zeichnen die Redner einen Idealtypus des ›wahren Akade­ mikers‹, der all die Tugenden in sich vereint, zu denen ihn die wissenschaft­liche Bildung geführt hat. Der »ideale Zug« sei der akademischen Tätigkeit schon seit Plato eigen, so Karl Vossler; folglich müsse als »Akademiker in diesem Verstande« jeder bezeichnet werden, »der eine Sache um ihrer selbst willen und nicht für Geld oder andere Vorteile und nicht gezwungenermaßen studiert oder betreibt«.86 Aus dieser Art des Denkens und Arbeitens entwickelt der Akademiker nach Vorstellung der Redner einen bestimmten wissenschaftlichen Habitus. Hans Georg Gadamer formuliert drei entscheidende Kriterien, die das Wesen dieses wissenschaftlichen Habitus’ prägen: 1. »Höchste Konzentration und Versunkenheit in die Sache selbst«: »Die Tugend, die es hier zu sehen gilt, ist das unbedingte Eingehen auf die Sachen, unter Vergessen jeglicher Rücksicht auf die anderen wie auf sich selbst, auf Gott und die Welt.« 2. Der »Zweifel an sich selbst«: »So schwer ist es, nicht seiner Mitwelt, sondern dem inneren Gebot der Wahrheit und der Erkenntnis genug zu tun. Was er [der Akademiker, Anm. d. Autorin] zu sagen hat, sind Wahrheiten, die erst die Zukunft zu allgemeiner Anerkennung bringen wird.« 3. »Echte Bescheidenheit«: »Die Anfechtungen, die er [der Akademiker, Anm. d. Autorin] bei seiner Arbeit innerlich erfährt, lehren ihn eindringlich die Grenzen seines Könnens und die erdrückende Größe seiner Aufgabe. Es gehört zu ihm bereite Anerkennung des Urteils anderer und die Abstreifung jeden Hochmuts des eigenen Standes.« Gadamer schließt diese Anforderungsliste mit einem mahnenden Vergleich des Ideals mit seiner Ausprägung in der aktuellen Generation von Akademikern: Wären die Kräfte der »Sachlichkeit«, »Entschiedenheit« und »Bescheidenheit«, wie er die Schlüsseleigenschaften des 84 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 11 f. 85 G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 50. 86 K. Vossler (M LMU 1946), S. 13.

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wissenschaftlichen Habitus’ in den drei Punkten benennt, »in den Männern der deutschen Wissenschaft groß genug gewesen, die schwächliche Anpassung an das nationalsozialistische Regime wäre für sie keine Versuchung geworden«.87 Besonders betonen die Redner die Fähigkeit zum selbständigen Denken, die den ›wahren‹ Akademiker auszeichne. Er prüfe beständig die bei ihm ankommenden neuen Informationen, wäge sie kritisch ab und bilde sich daraus seine eigene Meinung. Basis dieser Vorgehensweise müsse nach Einschätzung der Rektoren allerdings zum einen ein großes Maß an Wissen und Erfahrung und zum anderen eine ethische Verankerung, sei es in der Religion oder in der Philosophie sein.88 Folglich legen die Redner großen Wert darauf, dass ›wahres‹ Akademikertum kein Geschenk des Himmels sei, sondern hart erarbeitet werden müsse. Es lasse sich genauso wenig allein über geprüftes Fachwissen erlangen, sondern liege vielmehr in dem beständigen Streben nach Weiterbildung und Weiter­ entwicklung. Hier seien vor allem die Professoren gefordert, als Vorbild zu agieren und »echte Professoren zu sein, d. h. Bekenner, die in Wahrhaftigkeit und Unerschrockenheit ihren Beruf ausüben, die sich ihrer großen Verantwortung vor unserem Volke und vor der Humanitas und nicht zuletzt vor unseren jungen Kommilitonen bewusst sind«.89 Die Verantwortung spielt überhaupt eine große Rolle für den ›wahren‹ Akademiker. Die Verpflichtung auf die Wahrheit sei es, die den Akademiker dazu dränge, »Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen, auch und gerade in Zeiten, wenn auf Anerkennung oder Dank nicht zu rechnen ist«; so beschrieben von Paul Röntgen. »Diese innere, aus dem Suchen nach Wahrheit, aus selbstloser Verantwortungsbereitschaft erwachsende Form der geistigen Freiheit bestimmen [item] die gesamte Haltung des echten Akademikers und sind die Grundtugenden, aus denen heraus ihm die Erfüllung der ihm auferlegten Sonderverpflichtungen, also auch der beruflichen, zur sittlichen Verpflichtung werden, denen er sich nicht nur nicht entziehen will, denen er sich auch nicht entziehen kann, mögen auch noch so viele Hemmungen von außen oder auch von innen sich einstellen.«90

Verantwortung trägt der Akademiker demnach nicht nur im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit, sondern in besonderem Maße auch gegenüber dem Volk91, das ihm seine besondere Ausbildung wie ebenfalls die wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermögliche. Vor diesem Hintergrund sei er zunächst 87 H. G. Gadamer (L U 1946), S. 14 f. Ähnlich auch: F. Hund (J FSU 1948), S. 14; G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 49. 88 W.  Müller (AC RWTH 1950), S. 1 f.; J.  Kroll (K U 1946b), S. 6; J.  Kroll (K U 1945), S. 7; K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 47. 89 C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 191. Dazu auch: P. Röntgen (AC RWTH 1947), S. 3; H. Konen (BN RFWU 1946), S. 3; F. Hund (J FSU 1948), S. 5. 90 P. Röntgen (AC RWTH 1946b), S. 3. 91 Zur Bedeutung und Vorkommen von Volk im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1, S. 124.

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zur Dankbarkeit und fernerhin zu »größerer Leistung« – ohne »Überheblichkeit« – verpflichtet, um seinen Teil als »Glied des Volkes« beizutragen.92 Dabei geht es für die Rektoren einerseits um einen Beitrag zum wissenschaftlichen, technischen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Fortschritt. Darüber hinaus  – und das betonen, unter anderen Vorzeichen, insbesondere die Redner in SBZ bzw. DDR – bedeute dies auch ein gesellschaftliches Engagement. Der Akademiker sei gehalten, seine Bildung in die Gesellschaft einfließen zu lassen. Drei Tage nach Gründung der DDR klärt Rudolf Gross im Rahmen seiner Immatrikulationsansprache in Greifswald die Studenten darüber auf, dass von ihnen ab sofort gefordert werde, keine »sogenannten ›unpolitischen‹ Menschen« zu sein: »Sie müssen sich bemühen, die fortschrittliche Haltung auch als Studenten schon anderen mitzuteilen und daran mitzuarbeiten, dass Deutschland ein friedliebendes, fortschrittliches Land wird, das mit seinen Nachbarländern in Freundschaft und gegenseitigem Kulturaustausch lebt und das ein sinnloses Kriegselend wie das der letzten Jahrzehnte unmöglich macht.«93

Die Hochschule macht es sich konsequenterweise zur Aufgabe, Menschen heranzuziehen, die in geistiger Freiheit und Verantwortung zu agieren wissen. Genau darauf sei »die ganze Arbeit der Hochschule« letztlich ausgerichtet, formuliert Wilhelm Müller in Aachen.94 Methodisch beruft sich Karl Heinrich Bauer dabei zunächst auf die »ewig […] gleichen« Wege der Erziehung: »lebendiges Beispiel, Lehre und Forschung«. Jede Schule vermittele »Wissen und Können«, jedoch nur an der Hochschule geschehe dies »vor dem Hintergrund des un­ ablässigen Kampfes, unser Wissen durch alle Methoden der Forschung ständig zu vermehren«.95 Bei den jungen Menschen, denen die Hochschule ihre Erziehung angedeihen lassen möchte, bemerken die Redner allerdings eine starke Veränderung im Vergleich zu früheren Studenten-Generationen. Sie haben nichts mehr gemein mit den Studenten, die zunächst »zwei bis drei Jahre ›gaudeamus igitur‹ und nach verpufftem Spiritus ein braves Phlegma« pflegten, wie es Karl Vossler beschreibt. Die Erfahrung von Diktatur und Krieg habe die junge Generation mit »zwei scheinbaren Gegensätzen« gekennzeichnet: »Kritik und Hingabe«. Tatsächlich vereine diese Generation von Studierenden damit nach Ansicht von Edwin Redslob »die Pole aller Forschung« und besitze »charakterlich die besten Voraussetzungen« für die wissenschaftliche Ausbildung.96 Das Hervorheben der charakterlichen Ausgangsbedingungen geschieht hier indes nicht von ungefähr. Vielfach bemerken die Redner, welche Schwierigkeiten die schlechte Allgemein92 F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 7; J. Kroll (K U 1946a), S. 12. 93 R. Gross (GW EMAU 1949), S. 2 f. 94 W. Müller (AC RWTH 1950), S. 2. 95 K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 44. Zum erzieherischen Programm der Hochschule vgl. Kap. VII.3. 96 E. Redslob (B FU 1948), S. 25 f.

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bildung bereite, die die jungen Studenten bedingt durch Kriegsausfälle und unzureichendem, wenn nicht wissensverfälschendem Unterricht im National­ sozialismus mitbrächten.97 Nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem erzieherischen Aspekt der Hochschule betonen die Redner den akademischen Internationalismus. Wissenschaft kenne im doppelten Wortsinn keine Grenzen. Sie diene der gesamten Menschheit. Die Redner betonen ausdrücklich die Tradition der grenzübergreifenden, internationalen Zusammenarbeit in der Wissenschaft, die lange Zeit keinerlei nationalpolitische Animositäten gekannt habe. Da sich wissenschaftliche Probleme häufig nicht im Laufe eines Forscherlebens alleine lösen ließen, sei die Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftler ohnehin unabdingbar. Die Wissenschaft frage dabei nicht nach Herkunft oder Stand, sondern lediglich danach, was jemand zu ihren Fragestellungen beizutragen habe.98 In der Konsequenz sei es daher nur logisch, dass sich die Zusammenarbeit an derartigen Frage­stellungen über die ganze Welt verteile und somit auch das Anrecht auf die Ergebnisse gleichmäßig verteilt sei.99 Die Aufgabe der Wissenschaft und der Wissenschaftler sei somit darin zu sehen, »mit ihrem Forschen und Wirken den wahren Belangen der Menschheit zu dienen, indem sie mithelfen, dass angstfreie, zufriedene Menschen in einer geordneten Welt leben«.100 Auch für die Gesellschaft innerhalb des eigenen Landes gilt den Rektoren die Devise der Grenzenlosigkeit. »Akademiker ist kein Titel, bedeutet nicht Besitz und Vorrecht, sondern lebenslange Verpflichtung«, postuliert Wilhelm Müller in Aachen.101 Die Wichtigkeit und Gleichschätzung sämtlicher Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen für Wirtschaft und Gesellschaft halten die Redner wie hier Otto Eißfeldt für unumstritten: »Der Reichtum des Lebens eines Volkes und der Menschheit besteht eben in dem Miteinander und Nebeneinander mannigfacher Kräfte, und diese Mannigfaltigkeit gilt es trotz der Möglichkeit, ge­ legentlicher Spannungen zu erhalten und zu pflegen.«102 Die besondere Haltung der Wissenschaft, besonders auch die von ihr geübte Neutralität mache dabei in erster Linie ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft aus. Gerade vor dem Hintergrund der großen Veränderungen und Brüche der Gegenwart habe sich zudem die Bedeutung der Wissenschaft innerhalb der Gesellschaft vergrößert, weil sie die veränderten bzw. gänzlich neuen Frage97 Beispielsweise J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 17; Th. Süß (ER FAU 1946, S. 26 f. 98 H. Jungbluth (KA TH 1948), S. 15; H. G. Gadamer (L U 1946), S. 15. Diese Sichtweise solle sich dem Anspruch der Rektoren zufolge nun auch in verstärktem Maße in der Ausbildung künftiger Generationen von Akademikern spiegeln, siehe: J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 12; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 8. 99 Vgl. hierzu: W. Müller (AC RWTH 1950), S. 2; F. Regler (FG BA 1946), S. 58; G. Hohmann (M LMU 1946), S. 18. 100 H. Kress v. Kressenstein (B FU 1950), S. 21. 101 W. Müller (AC RWTH 1950), S. 2. 102 O. Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 12.

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stellungen erfassen und in Zusammenhang bringen könne. »Wir leben in einer Epoche, die sich mit den überpersönlichen Bindungen unter neuen Gesichtspunkten und veränderten Aspekten beschäftigt« – so Edwin Redslob über die Situation der Gegenwart.103 Daraus ergebe sich eine bewusste Hinwendung der Menschen zur Wissenschaft, weil sie sich von ihr erhofften, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Die Wissenschaft, das betont auch Karl Heinrich Bauer, versuche ihrerseits, »die äußeren und inneren Lebensbedingungen des Menschen fortschreitend zu verbessern«, und stehe damit für den »Kampf ums Dasein in seiner edelsten Form«.104 Der Einfluss der akademischen Gemeinschaft105 und ihrer Geisteshaltung auf die Umwelt muss nach Einschätzung der Rektoren noch gesteigert werden. Ihre Kultur des Strebens nach Erkenntnis, der gegenseitigen Achtung, der von Sachlichkeit bestimmten Diskussion gelte es, innerhalb der gesamten Gesellschaft zu verbreiten. Insbesondere für die politische Kultur der Deutschen sei es ein unbestreitbar wichtiges Unterfangen, ebensolche Werte zu etablieren, wolle man eine funktionierende Demokratie aufbauen. Die mangelnde demokratische Tradition der Deutschen ist eine der häufig vorgetragenen Sorgen innerhalb des Rekotratsreden-Diskurses. Die Vertreter der Wissenschaft nehmen sich einer Lösung dieser Problematik mit ihren Mitteln an, wie die Rede von Gerd Tellenbach zur Immatrikulation im Wintersemester 1949 an der Universität Freiburg veranschaulicht: »Es ist schon etwas wert, wenn man seine Behauptungen nicht durch laute Stimme, häufige Wiederholung oder gar Terror durchzusetzen sucht, sondern durch vernünftige Gründe. Es kommt darauf an, den Andersdenkenden anzuhören und gelten zu lassen und bei gegensätzlichen Interessen einen vernünftigen Austrag zu finden.«106

Darüber hinaus übe die Wissenschaft auch im praktischen Leben großen geistigen Einfluss aus, beispielsweise über die einzelnen Akademiker im Berufsleben: Die Bildung und charakterliche Prägung, die sie sich durch die Beschäftigung mit der Wissenschaft an der Hochschule erarbeitet haben, gäben sie indirekt an ihr berufliches Umfeld weiter. Die Werte, welche die Hochschule vermittele, zögen auf diesem Wege um ein vielfaches weitere Kreise. Hieraus leitet die Hochschule in Person der Rektoren für sich den Anspruch ab, maßgeblich zu einer positiven Weiterentwicklung der Gesellschaft beizutragen. Dementsprechend schreibt sie es sich auf die Fahne, in ihren Zöglingen ein Bewusstsein für diesen Auftrag zu entwickeln und ihnen das nötige Rüstzeug zu dessen Erfüllung mit auf den Weg zu geben. Die Redner versäumen es an dieser Stelle nicht, erneut die Bedeutung zu unterstreichen, die eine derart aufgestellte Hochschule mittels 103 E. Redslob (B FU 1950), S. 5. 104 K.H Bauer, (HD RKU 1945b), S. 45. 105 Zur Bedeutung und Vorkommen von akademischer, bzw. wissenschaftlicher Gemeinschaft im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.2, S. 273 f. 106 G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 50.

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ihrer examinierten Abgänger innerhalb des staatlichen Systems erlange, wodurch sich wiederum die Notwendigkeit ihrer adäquaten Förderung seitens des Staates erhöhe: »So ist ihre Wirksamkeit im höheren Sinn eine politische, und so ist auch der Staat an der Intaktheit und geistigen Höhe der Universität in stärkstem Maße interessiert.«107 Überhaupt sei die moderne, vom technischen Fortschritt geprägte Gesellschaft ohne die Vorarbeit der Wissenschaft nicht denkbar. Es ist wiederum Gerd Tellenbach, der in seiner Freiburger Immatrikulationsansprache im Herbst 1949 die Rolle der Wissenschaft für die Entwicklung der Gesellschaft auch in wirtschaftlicher Hinsicht herausstellt: So wäre etwa die demographische Entwicklung des vergangenen Jahrhunderts ohne die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Rationalisierungen in Technik, Verwaltung und Wirtschaft sowie dem daraus folgenden Ausbau der Versorgungsmöglichkeiten nicht möglich gewesen. Dem Aspekt der Ernährung und des Beitrags der unterschied­ lichen wissenschaftlichen Disziplinen dazu messen die Rektoren  – vor dem Hintergrund der schwierigen Ernährungslage der Nachkriegszeit – insgesamt viel Bedeutung bei. Nicht zu unterschätzen sei gerade auch auf diesem Sektor der Bedarf an entsprechend ausgebildetem Personal, das die Vorgaben der Wissenschaft in die Praxis umzusetzen wisse. »Dieser Zusammenhang der Volksbildung mit unserer Existenz wird viel zu wenig gesehen. Man findet stattdessen vielfach die irrige Vorstellung, unser Bildungswesen sei ein Luxus, der im Verhältnis zu unserer Armut zu teuer sei«, bescheidet Gerd Tellenbach den Kritikern eines schnellen Wiederaufbaus der Hochschulen.108 Die zunehmende »Schnelligkeit«, mit der die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft in die Praxis umgesetzt werden, ist dem Frankfurter Rektor Boris ­Rajewsky zufolge ein besonderes Charakteristikum »unserer Zeit«. Dies führe nicht nur »in kurzer Zeit zu Umwälzungen und Umschichtungen in dem ganzen System der Wirtschaft«, sondern schaffe auch »gänzlich neue Verhältnisse in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur der Welt«.109 Daher, hakt Jean D’Ans an der TU Berlin ein, sei eine Mitsprache der Wissenschaft und ihren Vertretern in Fragen der gesellschaftlichen Zukunftsplanung unbedingt zu sichern, damit nicht »von Kreisen, die der Wirtschaft und dem technischen Leben ferner stehen und die nicht die innige empfindliche Verflechtung durchschauen, unermesslicher Schaden heraufbeschworen werden [item]«.110 Speziell mit Blick auf die deutsche Ausgangslage stufen die Rektoren die Bedeutung der Wissenschaft für die wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklung als außerordentlich hoch ein. Dies sei bereits in der Vergangenheit so gewesen 107 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 15. Vgl. auch: P. Röntgen (AC RWTH 1947), S. 6 f.; J. D’Ans (B TU 1947), S. 12. 108 G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 47 f.); Vgl. hier auch: H.G Gadamer (L U 1946), S. 6 f.; O. Schwarz (J FSU 1948), S. 40 Sp. 3; H.G Gadamer RB (L U 1947), S. 8 f. 109 B. Rajewsky (F JWGU 1949), S. 27. 110 J. D’Ans (B TU 1947), S. 12.

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und setze sich nun in der Gegenwart und Zukunft unverändert fort. Deutschland besitze kaum natürliche Ressourcen und sei somit auf den Transfer von Technologie angewiesen. Hans Jungbluth pocht in seiner Karlsruher Rektoratsrede, die mit Befürchtungen eines drohenden »Akademikerüberflusses« aufräumt, auf dem zielgerichteten (Wieder)aufbau des Technologie-Standortes Deutschland: »Nur und ausschließlich durch die Technik wird Westdeutschland am Leben bleiben können, da die eigene Landwirtschaft die Bevölkerung nicht am Leben zu erhalten vermag.«111 Diese Feststellung schließt ebenfalls die Forderung nach entsprechend ausgebildetem Personal mit ein. Paul Röntgen in Aachen verweist in diesem Zusammenhang auf eine Denkschrift des Physikers Walter Weizel aus den Nachkriegsjahren.112 Weizel war seit 1936 Ordinarius für Theoretische Physik in Bonn und als Kritiker der politisch bestimmten Wissenschaft schon während des Nationalsozialismus hervorgetreten. Nach dem Krieg engagierte er sich aktiv politisch für die SPD als Fraktionsvorsitzender im Bonner Stadtrat, später ebenfalls als Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen.113 In der Schrift »Forschung und künftiger Lebensstandard«, die sich an die nordrheinwestfälischen Landtagsfraktionen richtete, fordert Weizel einen konsequenten Wiederaufbau der Exportindustrie basierend auf dem Transfer aktueller Forschungsergebnisse in industriell verwertbare Produkte. Obwohl nicht gedruckt, erreichte diese Schrift offensichtlich eine gewisse Verbreitung im intellektuellen Raum in Nachkriegsdeutschland. So findet sie sich beispielsweise auch als Typoskript im Nachlass des Freiburger Mathematikers Wilhelm Süß.114 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist für Weizel ebenso wie für Jungbluth und Röntgen die Lebensfähigkeit des deutschen Staates: »Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass die Bevölkerung unsers Landes einen erträglichen Lebensstandard nur wieder erreichen kann, wenn es uns gelingt, wieder eine leistungsfähige Exportindustrie in Gang zu bringen mit deren Exporterlösen wir im Ausland Rohstoffe und Lebensmittel erwerben können.«115 Um in diesem Geschäft erfolgreich zu sein, bedürfe es jedoch einer ausreichenden staatlichen Forschungsförderung. Nur daraus könne Innovation entstehen, die wiederum neue Industriezweige entstehen lassen könne, ohne die eine moderne Gesellschaft über kurz oder lang nicht überleben könne.116 Die Relevanz auch einzelner wissenschaftlicher Disziplinen  – in der Darstellung der Rektoren meistens die der eigenen – für das Fortkommen der Allgemeinheit unterstreichen verschiedene Redner. Die Repräsentation des eigenen Fachgebiets ist traditioneller Inhalt der Rektoratsrede, beinhaltete aber gerade 111 112 113 114 115 116

H. Jungbluth (KA TH 1948), S. 7. Vgl. hier auch: S. Janssen (FR ALU 1945), S. 14. P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 21. Zur Person Weizels vgl. K. Hentschel (Hg.) (1996), S. Lf. Universitätsarchiv Freiburg, 7.23, 396. W. Weizel (o. J.), S. 15. W. Weizel (o. J.), S. 16 f.

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in Zeiten der Verteilungskämpfe wie nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch eine weitere Ebene. Indem sie die gesellschaftliche Relevanz des eigenen Faches hervorhoben, leisteten die Rektoren zugleich legitimatorische Arbeit in eigener Sache. Sie zielten damit nicht nur darauf, den Fortbestand der Institution Hochschule zu sichern, sondern sie bereiteten auch den Boden dafür, der eigenen Forschung möglichst gute Bedingungen zu verschaffen.117 Etwas losgelöst von dieser Beobachtung steht die Physik. Fächerübergreifend priesen die Redner die neuen Möglichkeiten, die sich der Menschheit aus deren jüngsten Entdeckungen eröffneten, allem voran aus der Nutzung der Atomenergie. Gleichzeitig mahnen sie jedoch den vorsichtigen Umgang mit dieser gefährlichen Kraft an, deren ungeheure Zerstörungsmacht nicht noch einmal zum Ausbruch kommen solle.118 Ganz besonders im Osten, jedoch nicht ausschließlich dort heben die Redner in umgekehrter Form die Bedeutung der Beziehung von Wissenschaft und Gesellschaft hervor. Die Arbeit der Wissenschaft werde allein daraus ermöglicht, dass die Gesellschaft die finanzielle Grundlage dafür bereitstelle, sei es aufgrund der »hingebungsvollen Arbeit des ganzen werktätigen Volkes«119 beziehungsweise weil ein »moderner, fortschrittlicher demokratischer Staat« aufgebaut »auf Wissenschaft und Kunst«120 sein müsse. Die Redner leiten hieraus zum einen die Verpflichtung der Wissenschaft ab, für die Gesellschaft etwas zu leisten und zu schaffen, was im Konkreten etwa »dem Werktätigen die Arbeit erleichtert und seine Lebenslage verbessern hilft«121. Zum anderen ergeben sich aus Sicht der Redner aus diesem Verhältnis auch politische Verpflichtungen seitens der Wissenschaftler in dem Sinne, ihrer Pflicht als Bürger im gesellschaftlichen Rahmen nachzukommen. Hierzu Franz Böhm: »Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, die Ergiebigkeit wissenschaftlichen Arbeitens lasse sich dadurch steigern, dass man die Gelehrten in einem politik und gesellschaftsfreien Naturschutzpark ansiedelt.«122 Trotz aller Hochschätzung der Wissenschaft und vielleicht auch, um die Erwartungen an die Wissenschaft nicht ins Unermessliche steigen zu lassen, mischen sich hier und da zurückhaltende Töne in den Chor der Wissenschaftsbegeisterung. Es geht darum, auch die Grenzen der Wissenschaft aufzuzeigen. Diese Grenzen zu erkennen, ist nach Ansicht von Wilhelm Müller in Aachen wichtig, denn »mit den Methoden unserer Hochschulen können nicht alle Pro117 Die Bedeutung der Physik betonen die Physiker Friedrich Hund (J FSU 1948), S. 8–12 und Friedrich Regler (FG BA 1946), S. 58. Die besondere Leistung der Biologie betont der Biophysiker Boris Rajewsky (F JWGU 1949), S. 32 u. S. 46. Den der Staatsrechtslehre am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft betont Ernst Friesenhahn (BN RFWU 1950), S. 37. 118 Vgl. hier etwa J.  Schmid (MZ JGU 1947), S. 12 f.; K. H.  Bauer (HD RKU 1946a), S. 59; R.  Grammel (S TH 1946), S. 13; W.  Müller (ACRWTH 1948), 26; H. Beyer (GW EMAU 1950), S. 1; J. D’Ans (B TU 1947), S. 10. 119 W. Straub (DD TH 1949), S. 5. 120 R. Gross (GW EMAU 1949), S. 2. 121 W. Straub (DD TH 1949), S. 5. 122 F. Böhm RB (F JWGU 1949), S. 6.

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bleme gelöst werden, da das naturwissenschaftliche Experiment in keiner Weise an die menschliche Persönlichkeit heranreicht und sich der sittlich gute Wille jeder ökonomischen Berechnung entzieht«.123 Auch Müllers Nachfolger Wilhelm Fucks hält es für »illusorisch«, »in allen Bereichen des menschlichen Lebens durch wissenschaftliche Betätigung zu objektiven Sachverhaltsaussagen zu kommen, von denen ausgehend wir alle einmütig die Probleme des Lebens angreifen können«. Es brauche vielmehr gewisse »sakrosankte Bezirke« bzw. »Tabus«, »die nur mit Ehrfurcht betreten werden dürfen, […] wenn die ganze Gruppe und wenn der einzelne als menschliche Gemeinschaft oder als menschliches Wesen überhaupt mit menschlicher Würde auch nur existieren wollen«.124

2. Rolle der Tradition: Universitas und Wertevermittlung Neben der Wissenschaft als prägendem Moment des Themenkomplexes Hochschule ist für die Redner auch die Institution, welche die Wissenschaft in erster Linie beheimatet, von größtem Belang. Die Hochschule ist der Dreh- und Angelpunkt, von dem die Vorstände der Universitäten und Technischen Hochschulen mit ihren Überlegungen ausgehen, sei es zu politisch-gesellschaftlichen Fragen oder auch zu Fragen der inneren Organisation ihrer Einrichtungen bzw. zu deren Wirken. Wie schon im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wiederaufbau halten die Rektoren nach Kriegsende auch für die Hochschule einen Rückgriff auf die Tradition für unverzichtbar. Der Nationalsozialismus hat in ihren Augen seine Strukturen der Hochschule aufgezwungen, diese für seine Zwecke missbraucht und dabei fundamentale Teile des Hochschulgefüges zerstört. Dass die Hochschule nach diesem Angriff überhaupt noch existiere, hat für die Redner essentiell mit ihrem – in der Nachkriegszeit viel beschworenen – ›gesunden Kern‹ zu tun. Dieser könne zwar gefangen genommen und seiner Freiheit beraubt werden, er lasse sich jedoch nicht zerstören. Die Redner räumen indes ein, dass auf Seiten der Hochschule selbst Fehler begangen worden seien. Dieser Umstand trägt aus Sicht der Rektoren umso mehr dazu bei, dass sie es für ihre Institutionen als unabdingbar erachten, sich in der Gegenwart neu zu orientieren. Um einen solchen Orientierungsprozess in einer Situation der allgemeinen Aufgelöstheit und Haltlosigkeit erfolgreich vollziehen zu können, wollen sich die Rektoren zunächst auf traditionelle Elemente stützen. Wie auch beim Thema der Wissenschaft ziehen sie ein ideales Bild der Institution Hochschule heran, in diesem Fall historisch auf die mittelalterliche Universitas bezogen. Die Universitas verkörpert dabei einen Komplex an Werten, die ihrer Einschätzung nach in der Gegenwart fehlen – Einheit, Zusammen-

123 W. Müller (AC RWTH 1948), S. 28. 124 W. Fucks (AC RWTH 1950), S. 18.

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halt, Werthaltig­keit, Humanität etc. Den gesamten Themenkreis der Hochschule zeichnet der Begriff im warmen Licht einer goldenen Vergangenheit. Gleichzeitig zielt die Beschwörung der Universitas in der Nachkriegsgegenwart auf den von der Hochschule erhobenen Führungsanspruch beim Neuaufbau der deutschen Gesellschaft. An mancher Stelle des Rektoratsreden-Diskurses bleibt die Hochschule eher diffus, teils mehr als Institution, teils mehr als Substitut für Lehre und Forschung gedacht. An anderer Stelle wiederum dient die Hochschule als einer der Schwarz-Weiß-Scheidepunkte, der auch die Gesellschaft allgemein in ein wir und die trennt. Die Unterscheidung zwischen dem Volk und den Nazis, welche die Rektoren in ihrer Analyse der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse während des Nationalsozialismus vornehmen, dehnen sie insbesondere im Zusammenhang mit der Schuldfrage auf die Hochschule aus. Die entpersonalisierte, quasi abstrakte Formulierung die Hochschule ermöglicht ihnen die gedankliche Volte, gleichzeitig den Missbrauch der Hochschule zu beklagen, eigene Schuld dabei einzugestehen und doch den gesunden Fortbestand des akademischen Geistes in die Gegenwart hinein zu konstatieren, aus dem sie wiederum den Führungsanspruch der Hochschule in Richtung Zukunftsgestaltung ableiten.125 Ganz anders im Zusammenhang mit den Plänen für den Wiederaufbau der Hochschule: Hier gewinnt die Hochschule auch als Begriff deutlich an Farbe und Strahlkraft – immer im Blick dabei die Formulierung ihres gesellschaftlichen Führungsanspruchs. Die Universitas als das vorbildgebende Hochschulmodell hat demzufolge weit mehr Funktionen als lediglich den traditionellen Anteil an der nun aufzubauenden neuen Hochschule zu vermitteln. Sie soll auch und gerade aus historischer Sicht aufzeigen, was der Gehalt der Hochschule in der Vergangenheit war und nun wieder sein kann bzw. sein soll. Der Bezug zur mittelalterlichen Universitas und ihrer ideellen Bedeutung ist von zentraler Wichtigkeit für ihre Stellung im Nachkriegsdiskurs der Rektoren. Das Mittelalter gilt in den Reden der Rektoren hier und da als das Zeitalter, in dem Einigkeit und Gemeinschaftssinn die Gesellschaft und ihre Organisation prägten.126 Folglich habe auch die mittelalterliche »Universitas Magistrum et Scholarum« in erster Linie die »Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden« bedeutet und erst später in der »Universitas Litterarum« (auch) die »Universalität von Forschung und Lehre« betont.127 Entstanden als »Schöpfung und Symbol des christlichen Humanitätsideals« im Mittelalter, habe sie den »Gedanken einer europäischen Bildungs und Völkereinheit durch die Jahrhunderte« getragen, was ihr »den übernationalen Sinn, das Weltformat des abendländischen Geis125 Wer oder was genau die Hochschule in diesem Zusammenhang sei, wird an dieser Stelle des Diskurses zunächst nicht definiert. Sie kommt in der politischen Argumentation eher als Label vor. Vgl. hierzu Kap. VII.1, S. 243 f. 126 Vgl. hierzu Kap. V.2, S. 158 f. 127 E. Redslob (FU B 1948), S. 23.

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tes« verliehen habe. »Universitas, humanitas, pietas waren die Grundpfeiler alles wissenschaftlichen Forschens und Strebens«.128 Der klassische Philologe Friedrich Zucker möchte überdies die Aspekte von Bestimmtheit und Verpflichtung im Begriff Universitas betont sehen, da der Ausdruck ›universitas‹ im Mittelalter »nichts anderes als die ›Korporation‹« bezeichnet habe.129 Zucker führt den Ausgangspunkt der Universitas bereits auf Platons Akadḗ­ meia zurück, denn schon in jener »Erstlingsgründung« seien die grundlegenden Eigenschaften der späteren Universitas angelegt gewesen. Vor allem habe sie den »entscheidenden Tatbestand des Verhältnisses der wissenschaftlichen Forschung zum Ganzen des Kulturlebens« im positiven Sinn erfüllt, wozu auch »Erforschung und Aufrichtung der Wahrheit« sowie das »gemeinsame Bemühen um wissenschaftliche Ergebnisse« gehörten.130 Dass solche Inhalte – und seit dem Mittelalter auch die zugehörigen Strukturen – die Jahrhunderte bis in die Gegenwart hinein überdauert hätten, sehen die Redner als überaus bemerkenswert an, zeuge dies doch von der »Zähigkeit« jener »Ordnungen und Lebensformen«, die als Gebilde aus »vielfältigsten Forschungsgebieten, Wirklichkeiten und Methoden« an sich sehr »verletzlich« seien.131 Letztlich hätten die Jahrhunderte jedoch auch an der Universitas nicht spurlos vorübergehen können. Die »Verkörperung der weltanschaulichreligiösen Einheit«, die sie im Mittelalter dargestellt habe, sei durch »das Aufkommen der positiven Wissenschaften im Verlauf der treibhausartigen Entwicklung der Technik und Naturwissenschaften während des 19. Jahrhunderts« aufgesprengt und in ein »beziehungsloses« Nebeneinanderher verwandelt worden.132 Welcher Wert dabei verloren zu gehen drohte, so Karl Heinrich Bauer in Heidelberg, sei den Angehörigen der Hochschule jedoch erst durch die Eingliederung der Hochschule ins nationalsozialistische System, nämlich »erst seit wir um sie bangten«, zu Bewusstsein gekommen.133 Der Nationalsozialismus gilt auch August Reatz in der Retrospektive als »Epoche intellektueller und moralischer Verwahrlosung«.134 Bei Kriegsende, ergänzt Josef Kroll, sei von der Hochschule kaum etwas anderes als die »hohe Idee der Universität« übrig gewesen. Kroll spricht damit indirekt den ›gesunden Kern‹ der deutschen Hochschulen an, den man sich nicht nur selbst, sondern mit der vollen Unterstützung höchster Stellen über das sogenannte »Blaue Gutachten« attestierte. Der Studienausschuss für Hochschulreform, ein Gremium, das mehrheitlich aus sich mehrheitlich aus Vertretern deutscher Hochschulen, weiterer gesellschaftlicher Gruppen beziehungsweise der Kultusbehörden zusammensetze,135 hatte darin 1948 im Auftrag der britischen Besatzungsmacht 128 129 130 131 132 133 134 135

A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 13–15. F. Zucker (J FSU 1945), S. 275. F. Zucker (J FSU 1945), S. 273–275. W. Trillhaas (GÖ GAU 1950), S. 3. J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 11–13. K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 15 f. A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 25 f. Vgl. hierzu B. Wolbring (2014), S. 178 f.

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den Zustand der deutschen Hochschulen als im Kern gesund befunden. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass – wenngleich auch »die Hochschulen Träger einer alten und im Kern gesunden Tradition« seien – die Notwendigkeit einer Hochschulreform bestehe. »Die Aufgabe einer Reform muss es sein, den gesunden Kern der Tradition in den Dienst der Notwendigkeiten unserer Zeit zu stellen.«136 Ähnliches äußert rückblickend auf die Zeit der Wiedereröffnung der Hochschulen Josef Kroll in seiner Rede zur Eröffnung des Wintersemesters 1946/47: »Unseren Prüfern, die die Existenz und künftige Wirkung der Universität verantworten sollten, und der mit hohen Erwartungen und gläubigem Vertrauen zu uns geströmten Jugend hatten wir kaum anderes zu bieten als unseren vom Wissen um die Notwendigkeit, den Wert, und die Eigenart des akademischen Studiums ausgerichteten Willen und den Optimismus dessen, der sich der Heiligkeit seiner Aufgabe bewusst und der Kraft des mit reinem Herzen Erstrebten sicher ist.«137

Der ›gesunde Kern‹ wird von den Rektoren insgesamt nur wenig direkt angesprochen, taucht aber in unterschiedlicher Dimension und Facettierung an vielen Stellen auf. Wie viele ›gesunde‹ Anteile die Hochschule in der Nachkriegszeit vorweisen könne, unterliegt in den einzelnen Reden jeweils dem individuellen Auge des Betrachters. Grundsätzlich besteht innerhalb des Diskurses jedoch breite Einigkeit darüber, dass die Hochschule vom Nationalsozialismus nicht völlig korrumpiert worden und daher ein wie auch immer gearteter ›gesunder Kern‹ vorhanden sei. An das frisch wiedererlangte Bewusstsein für die Kostbarkeit der Hochschule wollen die Rektoren nun anknüpfen. Das Wissen sei in der Hochschule nach wie vor präsent, es müsse nun aber mit dem rechten Geist138 und einem dahinterstehenden Erkenntnisdrang wiederbelebt werden. Dies wiederum könne nur in der Gemeinschaft aller Hochschulglieder geschafft werden, weswegen die Redner auf diesen Punkt bei ihrer Beschwörung des Wiederaufbaus der Universitas besonders viel Wert legen. Karl-Heinrich Bauer benutzt hierfür das Bild der Mutter Hochschule, die ihre Kinder herbeiruft, um das Feuer für ihren Herd wieder zu entfachen: »Die Alma mater, die sorgende Mutter, ruft von überallher Männer herbei, ihr Feuer zu bringen für den gemeinsamen Herd. Sie bringen das Feuer und schüren die Flammen. Aber Menschen sind sterblich und alles Wissen erstürbe, wären die Feuerbringer nicht zugleich Fackelträger im Staffellauf des Lebens.«139

Die Einheit der wissenschaftlichen Disziplinen, versinnbildlicht in dem Begriff der akademischen Gemeinschaft, die sich unter dem Dach der Universitas ver136 Gutachten zur Hochschulreform (1948), S. 3 f. 137 J. Kroll (K U 1946b), S. 1. 138 Zur Bedeutung und Vorkommen des Geistes im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.3, S. 177 f. 139 K H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 15 f.

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sammele und deren Ideale lebe, ist eines der großen Ziele, das die Redner für die neue Hochschule ausgeben. Jeder Fachbereich müsse zwar das eigene Fortkommen sichern, dennoch solle künftig das Bewusstsein bewahrt werden, dass man derselben Gemeinschaft angehöre. Der Kunsthistoriker Edwin Redslob vergleicht dieses Gebilde mit einem großen Garten, in dem jedes Fachgebiet sein eigenes Beet pflege, »dessen schöpferische Fruchtbarkeit« jedoch erst im Gesamt »der Welt die besten Werte sichert«.140 Der einzelne solle in diesem Rahmen Fähigkeiten und Eigenschaften ausbilden wie Selbständigkeit, Freiheit, Humanität, Erkenntnisdurst, Wahrheitsliebe, Reinheit etc. und diese zur Mehrung des Gesamtwohls der Gemeinschaft einsetzen.141 Die Definition dieses Begriffs hebt individuell von Redner zu Redner unterschiedlich teils andere Begriffsanteile hervor. Die Gesamtheit aller Inhalte, die der Begriff insgesamt verkörpert, schwingt jedoch immer mit, so dass hier kein parallel laufendes Label gleichen Namens für den Diskurs feststellen lässt. Wie bereits in anderen Zusammenhängen zu beobachten, heben die Rektoren die Bedeutung einzelner Fächer auch mit Blick auf die Gemeinschaft der Wissenschaften besonders hervor. Die Philosophie als die »Scientia regia, die ›Aufbewahrerin der Wissenschaft‹, wie Kant sie nannte«142, wird gerne als oberste Instanz für den Zusammenhalt dieser Einheit angeführt, da sie alle anderen Wissenschaften umfasse. Eine ähnlich wichtige Funktion wird auch der Theologie zugeschrieben, die ihrerseits den transzendenten Aspekt, den auch jede Form von wissenschaftlicher Betätigung enthalte, erfasse und im Gefüge der Universitas verkörpere.143 Einigkeit und Gemeinschaft sind für die gesamte Nachkriegsgesellschaft aus Sicht der Hochschul-Rektoren wichtige Themen. Die Zersplitterung, in der sich die Gesellschaft ihrer Analyse zufolge nach dem Nationalsozialismus befinde, könne nur geheilt werden, indem einigende Momente wie z. B. kulturelle Errungenschaften ins kollektive Bewusstsein gerückt und gemeinsame Projekte wie der Aufbau eines demokratischen Staates begonnen werden. Dass sie für dieses Unterfangen einen Begriff wie die Gemeinschaft ansetzen, der gerade von den Nationalsozialisten in höchstem Maße instrumentalisiert wurde,144 reflektieren die Redner nicht. 140 E. Redslob RB (FU B 1950), S. 7 f. 141 Hierzu etwa: J. Kroll (K U 1945), S. 8; F. Zucker (J FSU 1945), S. 273–275; A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 25 f. 142 K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 45. 143 Zur Bedeutung der Theologie für die Nachkriegsuniversität vgl. in diesem Kapitel S. 282 f. 144 C. Schmitz-Berning (1998), S. 261, definiert folgendermaßen: »Schlagwort des Nationalsozialismus: Bezeichnung für die aus dem Fronterlebnis des Ersten Weltkriegs erwachsene, auf Blut und Rasse gegründete, von der nationalsozialistischen Weltanschauung getragene Verbundenheit aller Volksgenossen untereinander und mit dem Führer.« Ähnlich bei E. Seidel / I. Seidel-Slotty (1961), S. 101–107: »Das Wort ›Gemeinschaft‹ hat im Zusammenhang mit der Entwertung des Gesellschaftsbegriffs eine ungeheure Verbreitung erfahren. Das Wort wurde als mystischer Begriff von der Vulgärsoziologie (Toennies) ein-

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Die »große Sammlungsaufgabe der Gegenwart in allen Kulturbereichen« veranlasst auch die Hochschule, intern die »Grenzen der wissenschaftlichen Arbeitsteilung« zu überbrücken, um über eine Bündelung der Teilleistungen auf ein Gesamtziel hinzusteuern.145 Die Universitas spiegele dieses Ziel inhaltlich wie strukturell. Damit wollen die Rektoren insbesondere jenen Teil der Hochschulentwicklung der Vergangenheit überwinden, der zur Aufsplitterung der Universitas geführt habe und den sie als »Degradierung der Universität zur Fach oder Berufsschule« wahrnehmen. Für die Rektoren »eine der verderblichsten Aktionen der Vergangenheit«.146 In diesem Themenfeld beziehen sich die Redner gerne auf Karl Jaspers. Jaspers war in der Hochschuldebatte nach dem Zweiten Weltkrieg sehr aktiv und propagierte die Einheit der Universität wie schon in seiner nach dem Ersten Weltkrieg erschienenen Schrift »Die Idee der Universität« (1923), die 1946 als erster Band der neu aufgelegten Serie »Schriften der Universität Heidelberg« in einer Neufassung wieder veröffentlicht wurde. Die Erfahrung des Nationalsozialismus nutzte Jaspers in seinen Reden und Schriften der vierziger Jahre, um die fortbestehende Gültigkeit seiner Argumentation auch 20 Jahre nach ihrem Ersterscheinen zu unterstreichen und als umso dringlicher zu charakterisieren, wie z. B. in seiner Rede bei der Teil-Wiedereröffnung der Heidelberger Universität im August 1945. Eine Erneuerung der Hochschule habe demnach auf der Basis ihrer historischen, eng in Gemeinschaft verwobenen Gliederung zu erfolgen, müsse jedoch auch die neuen naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen in diese Einheit mit aufnehmen. Diese neu zu gewinnende Einheit könne es schaffen, die Akademiker verschiedener Fachrichtungen wieder in einem gemeinschaftlich-gemeinsamen Geiste, nämlich dem der Wissenschaftlichkeit und der Humanität zu erfassen. »Das aber kann nur gelingen, wenn die Universität ein alles umfassendes Ganzes ist, nicht ein Aggregat von Fachschulen und Spezialitäten«.147 In engem Zusammenhang damit steht auch die große Bedeutung der Humanitas, deren Geist die Rektoren in der Hochschule gelebt und gepflegt sehen wollen. Karl Vossler beschreibt in seiner Rede über »Forschung und Bildung an der Universität« 1946 in München die historische Entwicklung der Hochschule weg von den Idealen der »allseitigen und umfassenden Bildung«, wie sie zur Zeit der Renaissance noch erreichbar war. Die Weiterentwicklung der Wissenschaft und die Mehrung ihrer Erkenntnisse hätten es dem modernen Menschen schließlich jedoch unmöglich gemacht, nach einer »allseitigen Ausbildung seiner eigenen geführt. Solche unscharfen Begriffe dienten bereits in vorfaschistischer Zeit zur ›Vernebelung‹, in diesem Fall zur Vertuschung der Gespaltenheit der kapitalistischen Gesellschaft in antagonistische Klassen.« 145 W. Hallstein (F JWGU 1946), S. 22. 146 F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 8. 147 K. Jaspers (1947), S. 26. Die wesentlichen Punkte seiner Argumentation stammen aus der »Idee der Universität«, K. Jaspers (1980).

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Anlagen und Kräfte« zu streben, ohne Gefahr zu laufen, »ewiger Schüler zu bleiben und nirgends Meister zu werden«. Trotzdem, so Vossler, sehnten sich die Menschen auch in der Gegenwart noch nach der Schönheit und Harmonie dieser allseitigen Bildung148, weswegen das humanistische Bildungsideal nie verblasse. Die Gegenwart erfordere indes vor dem Hintergrund des zwischenzeitlich erreichten allgemeinen Wissensstands nicht nur die allgemeine, sondern ganz besonders auch die spezielle Bildung, die jedoch immer noch durch ein »altes Vorurteil« behaftet sei: »Es [das Vorurteil] stammt aus der an und für sich richtigen Einsicht und Forderung, dass Bildung etwas Menschliches ist, wonach jeder streben soll. Insofern hat sie allerdings nichts Speziales an sich und soll all-gemein [item], das heißt menschlich sein. Die Allgemeinheit der Menschlichkeit ist aber etwas anderes als die der Sachen und der Fächer. Die erste heißt auf lateinisch Humanitas, die zweite Universitas. Das menschlich Allgemeine, den wahren und eigentlichen Humanismus, muss man in der Höhe und Tiefe, nicht in der Breite suchen, und er ist nur erreichbar durch Anstrengung und Spannung auf eine besondere und bestimmte Aufgabe.«149

Die Rede Vosslers eröffnet nur vordergründig einen Widerspruch zwischen Universitas und Hochschule. Tatsächlich steht sie nicht im Widerspruch zu den allgemein erhobenen Forderungen nach einer breiten Bildung, die den gesamten Menschen erfasse. Er wirft hier vielmehr ein nochmals anderes Licht auf diesen Anspruch, indem er die Unverzichtbarkeit auch des Spezialwissens hervorhebt, das besonders in den Nachkriegsjahren misstrauisch beäugt wurde. Vossler verbindet das Plädoyer für das Spezialwissen in seiner Rede mit der Forderung nach einem neuen Humanismus, der seiner Ansicht nach die Natur- und Technikwissenschaften miteinschließen solle.150 Bei aller inneren Betrachtung der Universitas ist es den Rektoren darüber hinaus wichtig, auch auf die Verbundenheit der Hochschule mit der Gesellschaft hinzuweisen, von der sie nicht getrennt oder isoliert werden könne. Emil Wolff erläutert in seiner Rede über »Die Idee und Aufgabe der Universität« zur Wiedereröffnung der Hamburger Universität im November 1945, dass der vielfach behauptete »Gegensatz zwischen Wissenschaft und Leben« komplett auf einem Missverständnis beruhe.151 Dieser Eindruck entstehe von außen betrachtet durch die bisweilen strenge, verschlossene Wirkung der Wissenschaft, die jedoch nicht von ihrem eigentlichen Wesen herrühre, sondern vielmehr als »Symptom der inneren Zerrissenheit des Lebens selbst« zu sehen sei, »das vergebens die verlorene Einheit wiederzufinden strebt, indem es einzelne unter seinen 148 Zur Bedeutung und Vorkommen von Bildung vgl. im Rektoratsreden-Diskurs auch Kap. VII.1, S. 261 f. 149 K. Vossler (M LMU 1946), S. 17–20. 150 Vgl. hierzu insbesondere Kap. VI.3, S. 233 f. 151 E. Wolff (HH U 1945), S. 20–22.

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Ausdrucksformen einseitig zum Absoluten erhebt«. Tatsächlich gehe die Verbindung der Wissenschaft zur Gesellschaft weit über die Grundlagenforschung für spätere technische Anwendungen hinaus. In der Gegenwart habe man sich jedoch in der immer weiteren Auffächerung der Disziplinen derart verloren, dass es »nur noch Wahrheiten, aber keine Wahrheit mehr zu geben« scheine. Um diesem Missstand zu begegnen, schlägt Wolff die Bestärkung eines neuen Einheitsgefühls vor, da die »[…] Rückkehr zu einem für das wissenschaftliche Denken und das Bewusstsein der Zeit allgemeingiltigen [item] Systems im Sinne der mittelalterlichen Philosophie oder auch nur des weitreichenden Einflusses von Descartes, Kant oder Hegel eine ungestillte Sehnsucht bleiben muss – eine Sehnsucht, deren Erfüllung zudem eher eine Fesselung als eine Befreiung der Bewegung des Gedankens bedeuten würde«.152

Wolff begibt sich daher auf die Suche nach einem neuen Weg, »jene für die lebendige Wirkung der Wissenschaft auf die geistig und seelisch verarmte, innerlich hilflos der Bedrängnis äußerer Not ausgelieferte Gegenwart unentbehrliche Einheit wiederzugewinnen«. Er stößt dabei auf »Ideen wie die der Wahrheit und der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Sittlichkeit, der Ordnung und des Maßes, der Toleranz und der Humanität, die das edelste Erbe europäischen und deutschen Geistes in sich schließen, die erneut zur klaren Anschauung erhoben und in ihrem tiefen Gehalt erarbeitet und ergriffen werden müssen«. Die Aufgabe der Universität habe also darin zu bestehen, ihrem Wesen nach das zu verkörpern, was sie institutionell repräsentiere und was sie ihrem Namen nach verkörpere. Der Anspruch des Universalen berge zwar auch Gefahren in sich, weil er über die traditionellen Aufgaben von Forschung und Lehre hinausgehe. Im Angesicht der hohen Verantwortung, welche die Hochschule in Gegenwart und Zukunft der nationalen Gesellschaft wie der ganzen Welt gegenüber trage, müsse sie diese Aufgabe jedoch in vollem Bewusstsein ihrer Pflicht übernehmen: »So können wir dem feierlichen Ernst des Augenblicks am ehesten gerecht werden, wenn wir ihn der Selbstbesinnung und der Selbstprüfung widmen, wenn wir in harter Selbsterkenntnis feststellen, worin die Vergangenheit gefehlt hat, weil sie, der wahren Idee der Universität und ihres höchsten Berufes vergessend, bei aller rein wissenschaftlichen Tüchtigkeit ihren bildenden Einfluß und ihre moralische Autorität eingebüßt hat, und auf Grund der so gewonnenen Einsicht uns erheben zu der klaren Anschauung der reinen Idee der Universität und der daraus fließenden Bestimmung ihrer altehrwürdigen und ihrer neuen, durch den Wandel der Zeit gesetzten Aufgaben.«153

Die Verkörperung eines universalen Anspruchs, der sich bereits über die Bezeichnung der Institution transportiert, ist vor einem anderen Hintergrund auch an den Technischen Hochschulen Thema. Die TH Berlin-Charlottenburg firmierte bei ihrer Wiedereröffnung 1946 zur ersten Technischen Universi152 E. Wolff (HH U 1945), S. 21. 153 E. Wolff (HH U 1945), S. 22.

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tät Deutschlands um. Gründungsrektor Walter Kucharski begründete dies in seiner Eröffnungsrede damit, dass ein Bruch mit der ›Last‹ der Vergangenheit bewusst gewünscht sei. Die neue Bezeichnung erinnere »unmissverständlich« daran, »dass eben unsere heutigen Bestrebungen auf die universitas humanitatis gerichtet sind, auf die Allgemeinheit, die Allseitigkeit der Menschlichkeit«. Mögliche Kritik an einer nur eingeschränkten Umsetzbarkeit von Universitas an einer technisch ausgerichteten Hochschule wies er mit dem Verweis auf die Vielseitigkeit der Ingenieurswissenschaften zurück.154 Tatsächlich lagen hinter der Umbenennung wohl auch praktische Erwägungen, wie Peter Brandt in der Jubiläumsschrift zum 100-jährigen Bestehen der Technischen Hochschule bzw. Universität Berlin aufzeigt: Man wollte in fremdsprachiger Kommunikation, etwa mit den Siegermächten, unbedingt falsche Assoziationen vermeiden und klar den Anspruch einer Hochschule im deutschen Wortsinn aufrechterhalten.155 Der Gründungsrektor der TH Braunschweig, Gustav Gassner, hatte bereits wenige Monate vorher ebenfalls Gedanken über eine Umbenennung der TH in Technische Universität geäußert: Ursprünglich habe die britische Besatzungsmacht die Frage aufgebracht, in deren heimischen Hochschulsystem die Bezeichnung »technical university« gängig sei, weswegen die Briten universitäre Maßstäbe an die THs anlegten. »Dies führte dann zwangsläufig bei uns zur Prüfung der Frage, ob nicht die Zeit gekommen sei, die Bezeichnung ›Technische Hochschule‹ in den Namen ›Technische Universität‹ zu verwandeln und damit auch äußerlich zum Ausdruck zu bringen, dass die Technische Hochschule mehr will als bloße Fachkenntnisse vermitteln.«156

De facto blieb die TH Braunschweig wie auch die restlichen Technischen Hochschulen in Deutschland noch einige Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs bei ihrer Bezeichnung. Die zweite Umbenennung einer TH in TU erfolgte erst 1961 in Dresden, wo sich Rektor und Senat aufgrund der in ihren Augen bereits erfolgten Entwicklung der Hochschule hin zu einer »universitas litterarum technicarum« entsprechend darum bemühten.157 Weiter Technische Hochschulen stellten teils im Zuge des Hochschulausbaus in den sechziger Jahren – wie zum Beispiel die TH Braunschweig oder auch die TH Hannover beide 1968 –, teils im Umfeld der Diskussion um Budget-Autonomie zu Ende des 20. bzw. zu Beginn des 21. Jahrhunderts – so etwa die TH Darmstadt im Jahr 1997 – auf die Bezeichnung ›Universität‹ um. In Karlsruhe firmierte man 1967 zur Universität um behielt aber bis zum Zusammenschluss mit dem Forschungszentrum Karlsruhe 2009 zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) den Zusatz TH im Namen »Universität Karlsruhe (TH)« bei. Die RWTH Aachen hält bis heute in ihrem

154 155 156 157

W. Kucharski (B TU 1946), S. 12. P. Brandt (1979), S. 498–501. G. Gassner (BS THW 1946), S. 21. R. Pommerin (2003), S. 285–293.

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deutschsprachigen Auftritt an der Bezeichnung Technische Hochschule fest, hat aber im englischen die Bezeichnung »Aachen University« hinzugefügt.158 Um das Gefühl von Einheit innerhalb der Hochschule möglichst tief zu verankern, streben die Rektoren intensiv danach, auch auf der strukturellen Ebene einen Ausdruck dafür zu finden. Die Lösung sehen sie vor allem in einer verstärkten akademischen Selbstverwaltung, die zum einen den Kontakt zwischen den Fakultäten – insbesondere zwischen Geistes- und Naturwissenschaften – herstellen solle. Zum anderen zielen die Rektoren damit auf einen sachlich-rationalen, wissenschaftlich geprägten Austausch innerhalb der Verwaltungsorgane, der geeignet sei, die »Gelehrtenrepublik« quasi als »Urform der Demokratie« zum Vorbild für das politische Leben zu erheben.159 Dies gilt in erster Linie für die drei West-Zonen. In der SBZ wurde die Selbstverwaltung der Hochschulen im Verlauf der Nachkriegsjahre insgesamt eher zurückgefahren denn gestärkt. Hinweise auf ein gemeinschaftsstiftendes Element universitärer Verwaltung finden sich jedoch auch dort: Nachdem beispielsweise die Freiberger Bergakademie für kurze Zeit der Zentralverwaltung der Brennstoffindustrie unterstellt war, nahm Rektor Gerhard Grüß ihre Wiedereingliederung in den Zuständigkeitsbereich des Volksbildungsministeriums zum Anlass, die Gemeinschaft der Hochschulen zu beschwören, die untereinander zusammenstehen sollten und nicht voneinander entfremdet werden dürften.160 Doch nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in der täglichen Arbeit müsse die Hochschule intern einen Weg finden, das gemeinschaftliche Bewusstsein aufrechtzuerhalten, drängen die Redner. Constantin von Dietze konzediert, dass es zwischen den einzelnen Fächern aufgrund ihrer inhaltlichen Divergenzen keine einheitliche Weltanschauung mehr geben könne. Umso mehr müsse für die »Pflege der Sozialethik« getan werden, die nicht als »verbindliche Weltanschauung« vorgegeben werden solle, sondern als gemeinsamer Grund der wissenschaftlichen Arbeit diene.161 Auch Hans von Campenhausen sieht die Bedeutung der inneren Einheit in erster Linie für die »Gemeinschaft der geistigen Arbeit und der geistigen Tradition« selbst und weitaus weniger in dem »bunten Glanz«, der nach außen strahle.162 Die Einheitsbestrebungen innerhalb der Hochschule dienen aus Sicht der Redner letztlich auch dem Fortbestand der Institution. Der »Kreislauf des akademischen Lebens« sehe es vor, neue Mitglieder in die Gemeinschaft aufzunehmen, um sowohl Wissen weiterzugeben, wie auch um dem Einzelnen die Möglichkeit

158 Zur Positionierung der Technischen Hochschulen in Bezug auf eine Umbenennung in »Technische Universität« siehe auch B. Wolbring (2014), S. 338 f. 159 W.  Trillhaas (GÖ GAU 1950), S. 3. Ähnlich auch: G.  Tellenbach RB (FR ALU 1950), S. ­59–62; K. Apel (B TU 1048), S. 4 f. 160 G. Grüß RB (FG BA 1947), S. 3. 161 C. v. Dietze (ALU FR 1947b), S. 24 f. 162 H. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 20.

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einer Ausbildung zu geben.163 In einer funktionierenden Gemeinschaft, in der man sich über das gemeinsame Ziel einig sei, gehe dies umso umfassender und effektiver. Trotz ihres Fokus’ auf die Bedeutung der Gemeinschaft nach innen sehen einige der Rektoren auch die Außenwirkung einer ›einigen‹ Hochschule. Vor allem das Gespenst einer dauerhaften Reduktion auf eine reine Fachschule, das die Hochschulen in der schwierigen Nachkriegslage umtreibt, wollen die Redner damit vertreiben. Lebe die Hochschule die Gemeinschaft, so mache sie dadurch sichtbar, »dass wir nicht nur 5 Fakultäten, sondern eine einzige Universität sind, dass wir uns nicht in noch so hervorragende Fachschulen aufspalten lassen wollen, sondern nur solche Wissenschaften für lohnend und fruchtbar halten, deren Ursprung und Ziel letztlich gemeinsam sind«.164 Eine Gelegenheit, dies nach außen zu demonstrieren, biete laut Gerd Tellenbach etwa der Dies Universitatis. Der Rektor der Johannes Gutenberg-Universität Hans Isele bricht diese Gesamt-Situation auf die Nachkriegsneugründung Mainz herunter. Ohne eine möglichst breite, in die tiefe gehende Anlage wäre aus der jungen Hochschule in den fünf Jahren ihrer Existenz nichts weiter als eine »reine Fachschule oder als fakultätsmäßig gegliederte Addition mehrerer Fachschulen« geworden. Ziel es sei aber zur Freude der Universität auch von seiten der französischen Besatzungsmacht von Beginn an gewesen, eine »universelle und wahrhaft ›humanistische‹ Institution« zu errichten. Dass dies nach so kurzer Zeit bereits Früchte trage, belege etwa der hohe Entwicklungsstand des Studium Generale.165 Zur Vollkommenheit der Universitas gehört in den Augen nicht weniger Rektoren auch die Theologie. Der Theologe Otto Eißfeldt reflektiert in seiner Ansprache zur Wiedereröffnung der Martin-Luther-Universität Halle die Forderungen nach einer verstärkten Beschäftigung mit ethischen und religiösen Fragen in der aktuellen Hochschulreform-Debatte. Die Theologie komme, so Eißfeldt, anders als andere Wissenschaften »von oben, vom Ewigen her« und nicht »von unten, von Welt und Mensch her«. »Aber es könnte wohl sein, dass die anthropologische Betrachtungsweise der anderen Fakultäten und die theologische der Theologischen Fakultät sich einmal begegnen, dann eine fruchtbare Synthese gefunden und damit vollends die Daseinsberechtigung und Unentbehrlichkeit der Theologischen Fakultät im Rahmen der Universität erwiesen wird.«166

Stärker noch formuliert der Mainzer Rektor, Prälat August Reatz, die Theologie könne in der Gegenwart ihre »alten Rechte« als »sinngemäße Krönung der Universitas litterarum« wieder anmelden, da letztlich alle sittlichen Kräfte in ihr wurzelten und alle Fragen des Daseins zu ihr führten. 163 164 165 166

K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 44. Ähnlich auch: E. Redslob (B FU 1948), S. 24 f. G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 46. H. Isele RB (MZ JGU 1951), S. 24. O. Eißfeldt (HAL MLU 1946), S. 4 f.

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»Indem man wieder die Solidarität des Wissens in der Solidarität eines Glaubens zu verwurzeln sucht, der sich aus göttlicher Offenbarung heraus an alle Rassen und Völker der Erde wendet und die geschichtliche Menschheit in der absoluten Religion als der sittlichen Grundlage unserer Gesamtkultur verbindet, gewinnt die Universität zugleich den sichersten Einheitsgrund für ihre der idealen Humanität verpflichtete Arbeit zur Verwirklichung der wahren Solidarität der Völker.«167

Das Thema der Theologischen Fakultät beschäftigte über den gesamten Erfassungszeitraum hinweg auch die Universität Frankfurt. Seit ihrer Gründung 1914 war die Universität bewusst nicht mit einer Theologischen Fakultät ausgestattet worden.168 Im Zuge ihrer Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich die Universitätsleitung um einen entsprechenden Ausbau der Hochschule, weil – so Gründungsrektor Georg Hohmann – »wir im Rahmen der Universitas eine wesentliche Hebung des gesamten Niveaus der Universität erwarten und gerade in unserer geistigen Notzeit die Hilfe von dieser Seite nicht entbehren wollen«.169 Dieses Bemühen blieb jedoch zunächst aus finanziellen und organisatorischen Gründen erfolglos,170 was Hohmanns Nachfolger Walter Hallstein in seinem Rektoratsbericht 1948 ausdrücklich bedauert, denn erst mit der Theologischen Fakultät besitze die Universität jene »Gestalt, die eine jahrhundertelange Geschichte dem Typus der deutschen Universität gegeben« habe. Einen möglichst baldigen Ausbau der Universität hält er für dringend erforderlich: »[…] zumal heute, eine Hochschule nicht für sich in Anspruch nehmen kann, eine strahlungskräftige Stätte der Austragung der letzten geistigen Auseinandersetzungen der Zeit zu sein, wenn in ihrer Mitte die Theologie als die wissenschaftliche Lehre von den christlichen Überlieferungen und Offenbarungen fehlt, und dass nur so auf die Dauer eine Erziehung der Studenten zu den vollen Menschlichkeitswerten unserer Überlieferung gewährleistet ist.«171

Auch Barbara Wolbring unterstreicht in ihrer Studie zu den hochschulpolitischen Reformdiskursen der Nachkriegszeit das Konzept eines Ausbaus der Hochschulen durch Errichtung neuer Lehrstühle als Teil der Verwirklichung der Universitas. Neben der Theologie erwähnt sie weitere von diesem Konzept vorgesehene Fächer wie beispielsweise die Sozialwissenschaften Soziologie und Politologie oder die für das Zusammenspiel mit den Besatzungsmächten bedeutsamen Fächer Amerikanistik und Slawistik.172 167 A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 17 f. 168 Zur Gründung der Universität Frankfurt als moderne Hochschule, die bewusst auf die Einrichtung theologischer Fakultäten verzichtete, vgl. N. Hammerstein (1989), S. 17–31. 169 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 17. 170 Vgl. hierzu N. Hammerstein (2012), S. 20–24. Die Errichtung je eines Lehrstuhls für katholische und protestantische Theologie gelang in Frankfurt erst im Laufe der 1950er Jahre. 171 W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 19 f. 172 Vgl. B. Wolbring (2014), S. 338–343.

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Was die Nachkriegsrektoren als Universitas beschreiben und als Zielsetzung ausgeben, ist inhaltlich sehr nahe den Ideen und Schriften der Neuhumanisten am Beginn des 19. Jahrhunderts verwandt, ähnlich wie es auch für das Wissenschaftsideal des Rektoren-Diskurses der Fall ist.173 Wie bereits für das Konzept der Wissenschaft zu beobachten, stellen die Rektoren hinsichtlich der programmatisch eng damit verbundenen Institution der Hochschule allerdings ebenso wenige Bezüge zu Schleiermacher, Fichte und anderen her – trotz der Nähe der Konzepte zueinander. Auch Wilhelm von Humboldt, der im späteren 20. Jahrhundert vermehrt als Erfinder des Modells einer zu gleichen Teilen forschenden und lehrenden Hochschule gehandelt wurde,174 taucht hier kaum anders als am Rande des Diskurses auf. Benennen die Rektoren das Hochschulmodell, das sie propagieren, so sprechen sie zumeist von der »deutschen Universität«.175 Humboldt wird an verschiedener Stelle als Ideengeber bzw. Vervollkommner dieser Institution angeführt, deren historisches Gewachsensein dabei allerdings außer Frage steht. Die organisatorische Leistung Humboldts, der modernen, »von Kant inaugurierten« Wissenschaft mit ihren Grundfreiheiten die institutionelle Basis zu sichern, merkt etwa Karl Geiler an. Geiler sieht darin die Verschmelzung einer Modernisierung mit den mittelalterlichen Wurzeln unter dem Zeichen des »abendländischen Freiheitsbegriffs« verwirklicht.176 Den ordnenden, konstruktiven Charakter in Humboldts Vorstellungen von der Leistung der Wissenschaft betont – vor dem Hintergrund des beginnenden Wiederaufbaus in der Nachkriegsphase  – auch Günther Rienäcker.177 Lediglich zwei Redner nehmen direkten Bezug auf Wilhelm von Humboldt als den Grundsteinleger der modernen Hochschule. Zum einen ist dies der Gründungsrektor der nach den Brüdern Humboldt frisch umbenannten, vormaligen Berliner Friedrich-­ Wilhelms-Universität, Johannes Stroux. In seiner Ansprache zur Eröffnung der Universität im Januar 1946 bezieht sich Stroux auf das Vorbild, das Wilhelm von Humboldts Konzept auch in Gegenwart und Zukunft für Hochschule und Wissenschaft bleiben werde, denn »es ist in seinem Kerne unvergänglich«. »Wir aber, die wir unser Werk nicht auf eine Fortsetzung der Traditionen gründen dürfen, wenn es der völlig veränderten Lage unseres Volkes gerecht werden soll, werden, wie es im Wesen der Umkehr liegt, für unsere Orientierung oft zum Ursprung zurückkehren, und mit gutem Recht verbleiben die beiden Brüder Humboldt als geistige Patrone am Portal unserer wiedererstehenden Universität.«178

173 Vgl. hierzu Kap. VII.1, S. 260 f. 174 Paletschek (2002). 175 E. Lehnartz (MS WWU 1947), S. 3; Th. Steinbüchel (TÜ EKU 1946), S. 12; G. Rienäcker (RO U 1946), S. 8; F.  Zucker (J FSU 1945), S. 275; G.  Hohmann (F JWGU 1946), S. 16; W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 19; S. Janssen (FR ALU 1945), S. 15; E. Friesenhahn (BN RFWU 1950), S. 37. 176 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 7. 177 G. Rienäcker (RO U 1946), S. 10 f. 178 J. Stroux (B HU 1946a), S. 10.

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Der Münsteraner Rektor Emil Lehnartz schließlich setzt das Wesen des akade­ mischen Geistes an der modernen Hochschule, das auf der Einheit von Forschung und Lehre basiere, am deutlichsten mit der Person Humboldts in Zusammenhang: »Die deutsche Universität empfing ihre letzte prinzipielle Richtunggebung [item] durch die Humboldtsche Idee von der Universität. wie sie in der Gründung der Universität Berlin verwirklicht wurde, durch jene Idee, in der die Einheit von Forschung und Lehre als Ziel gesetzt war. […] Der Aufstieg der deutschen Universität im 19. Jahrhundert gab dieser Idee recht. Nicht umsonst kamen in dieser Zeitspanne, die wir etwa bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges setzen können, Studenten und jüngere Forscher aus allen Kulturnationen an deutsche hohe Schulen, um teilzuhaben an der Art von akademischer Bildung, die für sie spezifisch war.«179

Dass die allumfassende Ausbildung und Bildung im Verlauf des 19. Jahrhunderts an der Hochschule einer immer weiter gehenden Spezialisierung weichen musste, beklagen die Rektoren im Rückblick einhellig. Galt der Spezialist ein Jahrzehnt zuvor noch als das Höchstmaß des Akademikers in der Gesellschaft, so verurteilen die Nachkriegsrektoren sämtliches Spezialistentum als einseitig, banal und letzten Endes gefährlich.180 Den Spezialisten zichtigen sie einen »Fachmann ohne Verständnis für die Zusammenhänge des Lebens«,181 einen lebenslangen »Banausos« mit der lediglich »formalen Berechtigung, den Schein zum Ausüben eines Berufes«,182 einen »Teilmenschen, verflacht und ungesammelt, überanstrengt und humanitätslos, ganz und gar nur auf Leistung und Effekt eingestellt«183. Jenes, vom Nationalsozialismus in großem Stil weiter beförderte Übergewicht der Spezialisierung machen die Redner vor allem wegen seiner Auswirkung auf die mangelhafte Persönlichkeitsbildung in hohem Maße für die gerade erlebte »Katastrophe« verantwortlich. So befindet Walter Kucharski, »Zu den tiefsten Gründen unserer Katastrophe gehört, dass die überwiegende Anzahl der maßgebenden Persönlichkeiten im Grunde nur halbe Menschen waren, indem sie von den vielen menschlichen Eigenschaften nur diejenigen pflegten und zur Entwicklung kommen ließen, die ganz eng mit ihrem sogenannten Fach zu tun hatten«.184

Einer der Nachfolger Kucharskis als Rektor der TU Berlin, Kurt Apel, denkt diesen Gedanken wieder auf seinen Anfang zurück, indem er die »künstliche« Trennung der Wissenschaften als Ursprung für das Entstehen jenes »seelen­ 179 E. Lehnartz (MS WWU 1947), S 3. 180 Auch Barbara Wolbring beschreibt als Anspruch der Hochschulreform in der Nachkriegszeit eine Betonung allgemeiner Bildung der Studenten mit dem Ziel, der Demokratie eine möglichst breite Basis zu schaffen. Vgl. hierzu B. Wolbring (2014), S. 309–321. 181 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 12. 182 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 27. 183 H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 11. 184 W. Kucharski (B TU 1946), S. 11.

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losen Spezialistentums mit seinem unheilvollen Einfluss auf die Entwicklung des Menschen« ausmacht, »unter dessen Folgen die gesamte Menschheit heute zu leiden hat«.185 Constantin von Dietze geht von den »Erfahrungen unserer Zeit« mit dem Spezialistentum aus in Richtung Zukunft. Das Dilemma der »Fachmenschen«, die »den Blick für die Anforderungen und die Möglichkeiten des Ganzen verlieren«, so »dass sie entweder innerlich verkümmern oder in einer inneren Auflehnung gegen das unnatürliche Spezialistentum plötzlich von irgendwelchen Wahnideen besessen werden, dass sie in dem fanatischen Wunsche, die Welt zu verbessern, der sich oft mit egozentrischem Geltungsdrange vermischt, zu fürchterlichsten Verderbern werden können«, dürfe sich auf keinen Fall wiederholen.186 Derartige Einschätzungen, ihrer Form nach regelrechte Beschimpfungen, wie sie die Redner über dem Spezialistentum und seinen Vertretern ausschütten, halten sie im gesamten Diskurs an keiner anderen Stelle bereit. Die einzige Gruppe, mit der sie in gewisser Hinsicht ähnlich verfahren, die Nazis, trifft im Diskurs auf wiederum andere Beurteilungen, die sie eher dämonisieren als herabqualifizieren.187 Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden ›Feindbildern‹ liegt wohl darin, dass die Redner die Nazis von vorneherein als eigene, von ihnen getrennte Gruppe einstufen, zu der keinerlei Verbindung besteht. Die Nazis gelten ihnen als tumb und ungebildet. Um deren dennoch große Wirkung auf die deutsche Gesellschaft erklären zu können, müssen die Rektoren dunkle Mächte beschwören. Bei den Spezialisten handelt es sich hingegen im Grunde um ihresgleichen: Akademiker, die jedoch aus der Sicht nach Kriegsende heraus schlicht fehlgeleitet waren. Die Entstehung dieses Missstands situieren die Redner – wie auch für andere gesellschaftliche Bereiche  – in der Vergangenheit, den Höhepunkt auch dieser Fehlentwicklung verorten sie gleichermaßen im Nationalsozialismus. Somit ist auch der vielfach definierte Begriff des Spezialisten, bzw. des Spezialistentums eine Erscheinung der Kulturkritik, die sich aus dem Krisenbewusstsein der Gegenwart speist. Theodor Pöschl benennt dies ganz klar, indem er in diesem Zusammenhang von einen »kulturellen Chaos« spricht, für welches das Spezialistentum stehe.188 Der Begriff des Spezialisten, bzw. des Spezialistentums ist einer der schwächeren Begriffe im Diskurs. Er lässt dem Sprecher vergleichsweise viel Deutungsspielraum. Da das Schlüsselwort jedoch immer definiert wird, und das in inhaltlich gleicher Weise, kann hier nicht von einem Label gesprochen werden. Bei aller Verdammung des Spezialistentums stellen einige der Redner – paral­ lel zu der Charakterisierung des universalen Bildungsbegriffs – jedoch fest, dass der Fortschritt in der Wissenschaft und vor allem in der Technik wesentlich auf 185 186 187 188

K. Apel (B TU 1948), S. 4 f. C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 194 f. Vgl. hierzu Kap. V.1, S. 121 f. und S. 126 f. Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 10.

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einer Spezialisierung beruhe und daher nicht verzichtbar sei. Es sei nun aber die Aufgabe der Gegenwart wie auch der Zukunft, so Constantin von Dietze, »Spezialisierung und Universitas Litterarum in ein rechtes Verhältnis zu bringen«, so dass sich der Spezialist der Grenzen der Fachdisziplin inklusive deren Beziehungshaftigkeit zum Gesamt der Wissenschaft bewusst bleibe.189 Aus diesem Grund fordern viele der Rektoren eine möglichst späte Spezialisierung der jungen Akademiker im Studium.190 Einmal mehr ist es auch hier wieder Karl Vossler, der sich zum Anwalt der Veränderung macht. Aus seiner Sicht ist eine allumfassende Bildung in der Gegenwart ohnehin nicht mehr zu erreichen. Die negative Beurteilung von spezifischem Können – als der ›wahren‹ Bildung eher »abträglich und hinderlich« – gilt ihm ein »altes Vorurteil, das wir abtun müssen.«191 Die akademische Ausbildung baue wesentlich auf dem Spezialwissen sowie Spezialkönnen auf und müsse das auch in Zukunft, so die Grundaussage Vosslers, die er mit der kurzen Sentenz untermauert: »Wer nichts Besonderes lernt und leistet, kann auch nichts Allgemeines.«192 Mit Blick auf die Studienpläne für die aktuelle Studentengeneration sind sich die Rektoren jedoch einig, dass es nicht damit getan sei, allein die vorgesehenen Fachveranstaltungen zu besuchen: »Wer das tut, gibt von selbst das Beste, was ihm die Hochschule zu übermitteln vermag, preis«.193 Trotz notwendiger Spezialisierung wollen sie keine Spezialisten ausbilden, sondern fordern ein umfassendes Ziel der Bildung. Die akademische Ausbildung solle – mit den Worten Paul Röntgens – den »ganzen Menschen erfassen« als »wahren homo humanus« mit einem »tiefen, unausrottbaren Gefühl für Menschenwert und Menschenwürde«194. Röntgen möchte sich mit dem Programm einer umfassenden Ausbildung von der ideengeschichtlichen Größe des »homo technicus« entfernen. Hans Jungbluth legt für die Beschreibung der akademischen Ausbildungsziele eher anthropologische Kategorien an. Er strebt nach einer Überwindung des »homo faber oder homo oeconomicus«, um zum Dasein eines wirklichen »homo sapiens«, geprägt nicht nur von Wissen, sondern auch von Humanitas, vorzudringen.195 Hans Herloff Inhoffen ergänzt die Reihe schließlich um den »homo politicus« als Ziel der akademischen Menschenbildung. Darunter fasst er einen Menschen, »der seine Werte, Fähigkeiten und Tugenden« nicht nur seinem eigenen Umfeld zugutekommen lässt, sondern der »darüber hinaus imstande und gewillt ist, als Glied des gesellschaftlichen Ganzen zu handeln, letztlich also aus eigenem Impuls seiner Nation zu dienen«. Unter Berufung auf Max Webers Vortrag »Politik als Beruf« aus dem Jahr 1917/1919 nennt Inhoffen »Leidenschaft, Verantwor189 190 191 192 193 194 195

C. v. Dietze (FR ALU 1947b), S. 5 u. 15 f. So etwa G. Gassner (BS THCW 1946), S. 21; A. Mehmel (DA TH 1949), S. 27. Vgl. in diesem Kapitel S. 275 f. K. Vossler (M LMU 1946), S. 20. P. Röntgen (AC RWTH 1946b), S. 7. P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 22. H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 13.

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tungsgefühl und Augenmaß« als entscheidende charakterliche Qualitäten, die der Akademiker während seiner Ausbildung entwickeln müsse, um zu einem »staatsmännisch denkenden und handelnden Menschen« zu werden.196 Etwas stärker formuliert dies der Dresdener Rektor Werner Straub bei seiner Ansprache an die neu immatrikulierten Studenten im Dezember 1947. Die Akademiker sieht er in die Pflicht genommen, genauso wie sie mit »wirklich demokratischem Geist« an der »civitas academica« mitwirkten, sich auch an der »Erneuerung des gesellschaftlichen und geistigen Lebens unseres Volkes« zu beteiligen.197 Dazu gehört für Gustav Gassner wiederum auch die Übernahme von Verantwortung für den ideellen und ebenso für den materiellen »Wiederaufbau unseres zerstörten Vaterlandes«.198 Gerade die Rektoren der Technischen Hochschulen sehen verbunden mit der Forderung nach einer möglichst umfassenden Ausbildung der Studenten gesteigerten Handlungsbedarf an ihren eigenen Institutionen. In großer Zahl attestieren sie dem Studium der Natur- und Technikwissenschaften dahingehende Nebenwirkungen, dass es »zu einer eigenartigen, einseitigen kritischen Geisteseinstellung führen« kann, »wenn nicht ein Gegengewicht geschaffen wird«199, bzw. dass es als »einseitiges Fachstudium die Entwicklung zur Persönlichkeit schädigt oder unterdrückt« und den Studierenden »vergessen lässt, dass es im Leben sowohl des einzelnen wie eines Volkes nicht nur auf die fachlichen Leistungen, sondern vor allem auch auf geistige und ethische Werte ankommt«200. Um hier positiv entgegenzuwirken, sei dringend einzuschreiten, stellt auch Hans Jungbluth fest: »Denn der Mangel an begrifflichem Denken scheint ein wesentliches Kennzeichen des Ingenieurs zu sein.« Diesen gelte es durch die Beschäftigung mit den Geisteswissenschaften auszugleichen, denen speziell das begriffliche Denken im Gegensatz zu dem gegenständlichen Denken in Mathematik und Technik eigen sei.201 Jungbluths Vorgänger als Rektor der TH Karlsruhe, Theodor Pöschl, hatte bereits ein Jahr zuvor den Zusammenschluss von Technik-, Geistes- und Sozialwissenschaften zu einem übergeordneten Ganzen gefordert, einer Art »Philosophie der Naturwissenschaften und der Technik«, welche die Bestrebungen nach einer umfassenden Bildung und Ausbildung erst vervollkommne, denn: »Nicht Einzelerkenntnisse sollen das Ziel der Hochschulausbildung sein, sondern vielmehr die Fähigkeit, in technischem Geiste zu denken und Sonderprobleme selbständig zu bearbeiten, wie sie die technische Praxis in so außerordentlicher Vielgestaltigkeit stellt. Unsere Lehrerfahrung zeigt immer wieder, dass gerade darin die wesentlichen Schwierigkeiten des ganzen technischen Studiums liegen. Ferner soll der 196 197 198 199 200 201

H. H. Inhoffen (BS THCW 1948), S. 8–10. W. Straub (DD TH 1947), S. 2. G. Gassner (BS THCW 1946), S. 21. P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 16. G. Gassner (BS THCW 1946), S. 20. H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 13.

Rolle der Tradition: Universitas und Wertevermittlung 

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Ingenieur seine Arbeit in das öffentliche Leben einzubauen und die Beziehungen zu diesem zu erfassen vermögen.«202

Folgerichtig sehen die Rektoren vor allem der THs, aber auch der Universitäten einen Reformbedarf in der Organisation des Studiums an ihren Institutionen. So sagt Kurt Apel in seinem Rektoratsbericht 1948 an der TU Berlin über die Ziele hinter der Einführung des neuen Studienplans: »Entscheidend war der Gedanke, nicht nur die Studierenden der Technik in ihrer Wissenschaft zu fördern, sondern zugleich in ihnen einen Humanismus zu pflegen, der darin besteht, dass eine harmonische Verwirklichung der Idee des Menschen in der nüchternen Zeitsituation erreicht wird. Es sollen Ingenieure geformt werden, die auch als Menschen in der Gemeinschaft und im grauen Alltag des Lebens nicht versagen.«203

Mit dem Anspruch einer umfassenden, also ›universalen‹ Bildung verbinden die Rektoren zunächst eine Vermittlung von Wissen, das über das reine Fachwissen hinausgeht und das Charakter und Persönlichkeit zu formen vermag. Der Akademiker soll fähig sein, selbständig und kritisch zu denken, nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit sich selbst. Er soll ein Bewusstsein für die höheren Zusammenhänge seines Tuns erlangen. Hans von Campenhausen fasst dieses Postulat folgendermaßen: »Wir wissen, dass Wissen und Erkenntnis noch nicht die Bildung und das Leben selber sind. Aber was je gelebt, Menschen gebildet und Menschen mit Kraft und Leben erfüllt hat, das wird in der Universität überliefert, das möchte von uns gelehrt, von Ihnen gelernt werden und möchte in Ihren verstehenden Herzen zu neuem Leben, zu neuer Wirksamkeit und Wirklichkeit erwachen.«204

Gleichzeitig erkennen die Redner allerdings auch die Schwierigkeiten, die sich mit solchen Forderungen im praktischen Ausbildungsprogramm der Hochschule ergeben. Um jeden Preis wollen sie vermeiden, dass darunter der Versuch verstanden würde, Allwissenheit zu vermitteln. Allein aufgrund der mittlerweile unfassbar großen Wissensmenge könne dies letztlich nur zu einem Nichtwissen führen.205 Insofern könne auf die fachliche Spezialisierung auf keinen Fall verzichtet werden, zumal – so die kritische Stimme Wilhelm Fucks – in der Gegenwart gemeinsame »höchster Werte« erst wieder definiert werden müssten, die als Basis einer umfassenden Ausbildung dienen sollten.206 Dem Theologen August Reatz scheint etwas mehr Grundvertrauen in das Wiedererstehen von Werten 202 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 9 f. 203 K. Apel RB (B TU 1948), S. 3 f. Ähnlich bereits auch Apels Vorvorgänger: W. Kucharski (B TU 1946), S. 11. 204 H. v. Campenhausen (HD RKU 1946), S. 21. 205 Vgl. hierzu: H. H. Inhoffen (BS THCW 1949), S. 9 f. 206 W. Fucks (AC RWTH 1950), S. 17 f.

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eigen zu sein, wenn er das Programm formuliert, wie er es im Sinne der Universitas verwirklicht sehen möchte,: »An der Johannes Gutenberg-Universität sollte sich – das war der eigentliche Sinn unserer zahlreichen über den engen Fachbetrieb hinausgehenden Vorlesungen und Universitätsveranstaltungen – ›das höchste allgemein Menschliche‹ nach einem tiefen Wort Wilhelm von Humboldts’ ›gleichsam in einem Brennpunkt sammeln, und nicht die wissenschaftliche Bildung nach äußeren Zwecken und Bedingungen in das Einzelne zersplittern‹. Dabei war es uns ebenso selbstverständlich – was auch bei den verschiedensten Gelegenheiten betont wurde –, dass echte Universitas nicht das Geringste mit einer vermeintlichen Vielseitigkeit oder gar Allseitigkeit akademischer Bildung zu tun habe und dass es ein verhängnisvoller Dilettantismus sei, wenn jemand glauben wollte, sich mit geringschätzigem Blick auf Fachwissenschaft und Spezialistentum in allen Wissenschaften einbürgern zu können. Aber das sollte das echte Bemühen von Lehrern und Studenten sein, dass sich auch von jedem Teilgebiet der Wissenschaft aus über das Konkrete und Empirische hinaus ein Zugang in die Welt der wissenschaft­ lichen und weltanschaulichen Probleme eröffne, die in ihrer unlösbaren Verschlungenheit irgendwie und notwendig über das Wesen der Dinge hinaus zum Wesen unseres Menschseins führen.«207

3. Rolle der Reform: Aufgabenneuverteilung und Innovation Neben der Rolle von Wissenschaft208 und Hochschule209 sowie der Bedeutung ihrer Tradition für den Wiederaufbau in der Gegenwart bilden Reform und Erneuerung die dritte Säule des Hochschulprogramms, das die Nachkriegsrektoren in ihren Reden präsentieren. Sie diskutieren neue Ideen, die Hochschule und ihr Ausbildungskonzept zu gestalten, daneben aber auch die Einbindung traditioneller Elemente, die zwischenzeitlich vernachlässigt oder aufgegeben wurden, in die aktuelle Praxis. Die Redner vertreten mit Nachdruck einen Kurs, der zunächst Inhalte der akademischen Tradition neu beleben soll. Diese wieder­ zuerrichten bzw. zu stärken, gehört für die Rektoren zu den wichtigen Aufgaben der Hochschule der Gegenwart. Die wiederbelebte Tradition soll aus ihrer Sicht das Fundament bilden, auf dem neu hinzukommende, dem Fortschreiten der Zeit und der veränderten Umwelt geschuldete Komponenten aufbauen können. Die Rektoren sehen dieses arbeitsintensive Unterfangen als zwingende Notwendigkeit, um der Hochschule als Institution die Zukunft zu sichern. Das Ziel dieser Reformbemühungen rufen die Redner gerne unter dem Schlagwort der neuen Hochschule aus, welche sich nicht nur durch eine neue 207 A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 26. 208 Zu Bedeutung und Vorkommen der Wissenschaft im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 246 f. 209 Zu Bedeutung und Vorkommen der Hochschule im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 243 f.

Rolle der Reform: Aufgabenneuverteilung und Innovation 

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Gestalt und Struktur auszeichne. Die neue Hochschule erhält im geforderten Reformprozess auch neue Aufgaben, vor allem im erzieherischen Bereich. In Bezug auf die akademische Ausbildung ist dies in erster Linie die Einführung eines ganzheitlichen Studienprogramms, das die Studenten zu charakterfesten Persönlichkeiten erziehen soll, die im öffentlichen Leben Verantwortung übernehmen und die ›Softskills‹ ihrer akademischen Ausbildung beim Aufbau eines demokratischen Gesellschaftssystems einbringen. Daneben übertragen die Rektoren der Hochschule mehr und mehr direkt gesellschaftsrelevante Aufgaben. Verbunden mit einer Öffnung der Institution hin zur Gesellschaft will die Hochschule auch dort eine erzieherische Wirkung entfalten und zu einer Umgestaltung vor allem der deutschen sozialen und politischen Kultur beitragen. Was dies im Einzelnen zu bedeuten hat, ist aus dem Diskurs nicht einheitlich abzulesen. Gerade in der Planung der praktischen Maßnahmen zum Aufbau der neuen Hochschule unterscheiden sich nicht nur die Konzepte in den unterschiedlichen Besatzungszonen, sondern auch die einzelner Hochschulen voneinander. Die unterschiedliche materielle wie personelle Ausgangslage der Hochschulen nach Kriegsende bedingten hier eine Vielzahl von unterschiedlichen Herangehensweisen, die wiederum zu unterschiedlichen Lösungsansätzen führten, je nachdem welche Kapazitäten eine Hochschule zur Verfügung hatte. In den späten vierziger Jahren waren die Hochschulen in verstärktem Maße abhängig von den Gegebenheiten vor Ort, die sie teilweise zu pragmatischen Lösungen vor der Verwirklichung idealer Vorstellungen zwangen. Die daraus eventuell resultierenden Abweichungen vom Ideal des Diskurses widersprechen jedoch nicht dem grundsätzlich formulierten Programm, das alle Hochschulen nach ihren Möglichkeiten zu verfolgen suchten. Auf Basis der Rektoratsreden lässt sich keine Geschichte des Wiederaufbaus der deutschen Hochschulen schreiben. Insbesondere die Rektoratsberichte gewähren zwar Einblicke in die Aktivitäten der Hochschulen im Wiederaufbau wie auch in die Schwierigkeiten, die damit verbunden waren. Für eine detaillierte Aufarbeitung, inwieweit die deutschen Nachkriegshochschulen die von ihnen selbst aufgestellten Reformpläne tatsächlich umsetzten, ist es jedoch unabdinglich, weitere Quellen zur Geschichte der einzelnen Hochschulen und der für sie zuständigen Verwaltungen hinzuziehen. Dies ist jedoch Stoff für ein eigenes Forschungsunterfangen und muss daher an anderer Stelle geleistet werden. Das folgende Kapitel hat zum Ziel, die Programmatik der neuen Hochschule der Arbeitswirklichkeit jener Zeit gegenüberzustellen. Es zeigt die großen Linien auf, welche die Diskussion um den Wiederaufbau prägten und unter denen sich die Neugestaltung der Hochschule schließlich vollzog. Die Beispiele aus der Hochschularbeit, wie sie die Rektoren selbst in ihren Reden anführen, werden hier dazu verwendet, die verschiedenen Projekte im Wiederaufbau der Hochschulen mit ihren Fragestellungen und Problemlagen plastisch vor Augen zu führen. Sie bilden den Hochschulalltag keinesfalls in seiner ganzen Spannweite ab, wurden jedoch von den Rednern selbst als hervorhebenswert eingestuft und stehen damit symptomatisch für den Wandel.

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Die neue Hochschule als Begriffserweiterung der Hochschule entwickelt im Diskurs der Rektoren eine gewisse Durchschlagskraft. Verschiedene Redner nehmen den Begriff 210 als weithin sichtbares Zeichen der geforderten Reform schon in die Titel ihrer Reden auf. So etwa: Enno Heidebroek 1946 mit »Die neue Hochschule« in Dresden, Josef Schmids »Wollen und Ziele der neuen Hochschule« von 1946 in Mainz oder Julius Ebbinghaus mit »Neuer Staat und neue Hochschule« 1945 in Münster.211 Aus der Verbindung von »neu« mit verschiedenen Teilkonzepten der Hochschule entsteht besonders in den frühen Jahren eine Dynamik, welche eine gleichzeitig aufkommende Bewegung innerhalb der Gesellschaft spiegelt. Das Neue ist gewollt und gesucht, eine Rückkehr zum ›Davor‹ scheint ohnehin nicht möglich. Der Topos lässt den Rednern indes genügend Raum, um den Fokus, auf den er sich konzeptionell im Einzelnen richten soll, jeweils frei zu bestimmen. Die unterschiedlich gelagerte Problematik der Nachkriegshochschulen, die sich aus ihrer jeweiligen Situierung ergab, bestimmte, wie viel von welchem Reformansatz an Ort und Stelle umgesetzt werden konnte. Sie wird besonders stark im Tagesgeschäft der Hochschulen sichtbar, etwa an der viel diskutierten Frage der Zulassung zum Hochschulstudium. Der Grad an Zerstörung, personeller Ausblutung sowie der Unterstützung am Standort hatte Einfluss auf die Beurteilung dieser, für den Fortbestand einer jeden Hochschule so wichtigen Frage. Sichtbar wird an diesem Diskussionspunkt darüber hinaus auch der Unterschied zwischen der Hochschulplanung in den West-Zonen, die das Gewicht sehr stark auf die schulischen Vorbedingungen und Qualifikationen legten, sowie andererseits der Programmatik in der SBZ, wo bereits früh von einer Öffnung der Hochschule für alle Gesellschaftsschichten unabhängig von ihrer Vorbildung gesprochen wurde. Eine kohärente Bezeichnung für den Reorganisationsprozess der Hochschule nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Sinne eines einheitlichen übergeordneten Schlüsselworts führt der Diskurs indes nicht. »Hochschulreform«, bzw. »Reform« erscheint in den Reden hier und da als Titel dieses Vorhabens, setzt sich aber als Begriff für den Gesamtkomplex nicht durch. Die Redner sprechen hier ebenfalls von einer »Weiterentwicklung« oder »Anpassung« der Hochschule an die Gegebenheiten der Gegenwart. Ob die Redner die Bezeichnung »Reform« konzeptionell gemeinhin als zu groß empfanden, wie der mit »Hochschulreform« betitelte Abschnitt des Rektoratsberichts von Otto Schmitt aus dem Jahr 1950 nahelegt, muss jedoch offenbleiben: »Man mag darüber streiten, ob das Wort ›Reform‹ der richtige Ausdruck ist für das, was wir wollen, und ob es sich nicht vielmehr einfach um eine gesunde und konsequente Weiterentwicklung gemäß den völlig veränderten politischen und sozialen Verhältnissen unserer Zeit handelt. Jedenfalls hat auch bei uns, anknüpfend insbe210 Zur Definition von Begriff und dessen Unterscheidung von Label siehe Kap. I, S. 14–19. 211 E. Heidebroek (DD TH 1946); J. Schmid (MZ JGU 1946); J. Ebbinghaus (MS WWU 1945a).

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sondere an das »Hamburger Gutachten zur Hochschulreform« von 1948 eine aus Vertretern aller Abteilungen zusammengesetzte Kommission unter Leitung unseres Kollegen Dehlinger eine Reihe von Leitsätzen ausgearbeitet, die in allem Wesentlichen die Billigung des Großen Senats gefunden haben. Wenn nicht alles täuscht, so wird es diesmal nicht bei Verhandlungen und Beschlüssen bleiben, wie wohl meist in früheren Fällen. Wir bekennen uns allerdings zu der Überzeugung, dass eine Reform nicht auf einen Schlag durch radikale Änderung der Hochschulverfassung durchgeführt werden kann, sondern in stetiger Entwicklung und wohlüberlegter Reihenfolge erfolgen muss.«212

Ausgehend von der Rolle der Tradition für die Hochschule der Gegenwart und Zukunft betonen die Rektoren zunächst die alten Elemente, die ihrer Ansicht nach auch in einem neuen Gefüge Bestand haben sollten. Hierzu zählen die Redner Werte wie »Wahrheit«213, »Gerechtigkeit« oder »Freiheit«214.215 Darüber hinaus setzen sie auf strukturelle Größen wie die akademische Gemeinschaft216, die in starkem Zusammenhang mit der Forderung nach einer Wiederbelebung der Universitas217 steht. Auch Rahmenveranstaltungen des akademischen Jahres wie die Immatrikulationsfeier oder der Stiftungstag samt der zugehörigen Ansprachen tragen für die Rektoren dazu bei, die universitäre Tradition wieder ins Bewusstsein zu rufen und zur einem lebendigen Bestandteil der Hochschule zu machen.218 Um im »rasenden Strom des gegenwärtigen Geschehens überhaupt Boden zu behalten unter unseren Füßen«, hält Otto Eißfeldt es – wie seine Kollegen – geradewegs für unabdingbar, sich zunächst auf die Tradition als dem aus seiner Sicht einzig gebliebenen Halt zu stützen. Auch die neuen Aufgaben, die in einer veränderten Nachkriegsgesellschaft auf die Hochschule zukämen und sie zu neuen Positionen und Strukturen zwängen, sollten diese Rückbindung bewusst nicht durchbrechen. Johannes Stroux stellt die Besinnung219 auf die Tradition als Orientierungshilfe in den Vordergrund, namentlich als »Quelle der Kraft und eine Wegleitung in unsere Zukunft«.220 Joseph Kroll nimmt die Problematik, sich gegenwärtig in einer akademischen Sphäre zu orientieren, die durch 212 O. Schmitt RB (S TH 1950), S. 17. 213 Zu Bedeutung und Vorkommen der Wahrheit im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 247 f. 214 Zu Bedeutung und Vorkommen von Freiheit im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.2, S. 216 f. 215 Vgl. hierzu bspw. E. Redslob (B FU 1948), S. 31 f. 216 Zu Bedeutung und Vorkommen der akademischen Gemeinschaft im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.2, S. 273 f. 217 Zu Bedeutung und Vorkommen der Universitas im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.2, S. 273 f. 218 H.  Konen (BN RFWU 1945), S. 1; O.  Eißfeldt (HAL MLU 1945); S. 3 f.; H. Konen (BN RFWU 1946), S. 3. 219 Zur Bedeutung und Vorkommen der Besinnung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.3, S. 176 f. 220 J. Stroux (B HU 1946), S. 10.

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die äußere Situation stark angegriffen sei, über die deutschen Grenzen hinaus in ganz Europa wahr und warnt: »Die Synthese von Tradition und Fortschritt scheint bedroht.«221 Constantin von Dietze hingegen richtet den Blick bereits optimistischer in die Zukunft und erläutert anhand der »Ars Amatoria« Ovids aus der reichen Tradition humanistischer Bildung heraus, in welchem Verhältnis die Verbindung zwischen Tradition und Innovation im Wirken der Hochschule künftig stehen solle: »Nec minor est virtus quam quaerere parta tueri. Virtus, Tugend, hat sie [die Universität, Anm. d. Autorin] zu üben im ›quaerere‹, im Forschen nach der Wahrheit, im Suchen nach neuen Wegen und Zielen, aber auch im ›parta tueri‹, in der getreuen Bewahrung dessen, was frühere Generationen geschaffen haben.«222

Mit der Stärkung der Tradition sehen die Redner insbesondere die verschiedenen Ebenen von Gemeinschaft als einen Pfeiler, auf dem die Hochschule aufbauen solle: Sei es in Bezug auf die Gemeinschaft zwischen den Dozenten, zwischen den Studenten, zwischen den Fakultäten, zwischen den Hochschulen oder zwischen Hochschule und Gesellschaft.223 Die Rektoren sind überzeugt davon, dass die Krise224 der Gegenwart nur in einer gemeinschaftlichen Anstrengung zu überwinden sei. Speziell mit Blick auf die Hochschule bedeutet dies für sie etwa auch, einen Ausgleich zwischen Geistes- und Naturwissenschaften zu erwirken, die akademische Selbstverwaltung wiederherzustellen, stabile und vertrauensvolle Beziehungen zu Politik und Gesellschaft aufzubauen, bzw. die Aufgaben der Hochschule innerhalb der Gesellschaft zu wahrzunehmen und damit auch die grundlegenden politisch-sozialen Grundstrukturen weiterzuentwickeln.225 Mit diesen traditionellen Elementen im Rücken wenden sich die Rektoren schließlich der Erneuerung der Hochschule zu, die sie in gleichem Maße für wichtig halten, um den Fortbestand ihrer Institutionen langfristig zu sichern. Die veränderte politische und gesellschaftliche Lage rund um die Hochschule, die eine simple Rückkehr zu den Strukturen von vor 1933 nicht zuließe, ist nur einer der zentralen Gründe, den die Redner für die Hinwendung zum Neuen anführen.226 Es müsse, so die Forderung der Rektoren, im Interesse der Hochschule liegen, den beständigen Wandel der Zeiten mitzuvollziehen, wenn sie von ihrer Grund221 J. Kroll (K U 1947), S. 63. 222 C. v. Dietze RB (FR LAU 1949), S. 26. 223 S. Janssen (FR ALU 1945), S. 13; P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 19); G. Gassner RB (BS THCW 1948), S. 15; W. Müller RB (AC RWTH 1950), S. 24; J. D’Ans (B TU 1947), S. 14; E. Redslob RB (B HU 1950), S. 3. 224 Zur Bedeutung und Vorkommen der Krise im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V., S. 101 f. 225 J. D’Ans (B TU 1947), S. 13; F.  Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 12; K.  Geiler (HD RKU 1948), S. 10; H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 19; K. Kress v. Kressenstein (B FU 1950), S. 9; W. Straub (DD TH 1948), S. 5 f.; H. Konen (BN RFWU 1945), S. 3. 226 P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 15; G. Schreiber (MS WWU 1945), S. 2.

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idee her lebendig bleiben wolle. Daneben gelte es, die Institution Hochschule den gesellschaftlichen Vorstellungen und Organisationsstrukturen anzupassen, die sich ganz besonders in der Gegenwart stark verändert hätten. Insofern sei, so Enno Heidebroek 1946 in Dresden, als »Spiegelbild des gewaltigen äußeren Geschehens« nun ebenso auf Seiten der Hochschule eine Zäsur zu setzen, die zugleich den »Abschluss einer Periode der Deutschen Kulturgeschichte auf technischem Gebiete und den Anfang einer neuen Zeit« markiere.227 Manche Redner rücken insbesondere den politischen Aspekt dieser Reorganisation in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Dies betrifft sowohl die Einordnung der Hochschule in eine demokratische Nachkriegsgesellschaft wie die politisch-demokratische Erziehung der Gesellschaft durch die Hochschule. In beiden Fällen sieht sich die Hochschule vor große Aufgaben gestellt, von deren Erfüllung – aus ihrer Perspektive – der Erfolg des Projekts, einen neuen demokratischen deutschen Staat zu errichten, maßgeblich abhänge.228 Basis für einen erfolgreichen Neuaufbau der Hochschule ist für eine breite Phalanx an Rednern die Loslösung vom Nationalsozialismus und seinem Gedankengut. Dies hat nach Ansicht der Rektoren auf verschiedenen Eben zu erfolgen. Zum einen strukturell, in der Gestalt der Hochschule. Die seitens der Alliierten geforderte Entlassung von politisch belastetem Personal halten viele Redner, besonders in den frühen Jahren, für eine »selbstverständliche«229 Maßnahme, die allein schon aus »politischer Verantwortung«230 wie auch »aus eigener Initiative« heraus als »eine der ersten Handlungen der in der Neuformung begriffenen Universität«231 zu vollziehen sei. Vor allem mit zunehmendem Fortschreiten der Zeit und einem entsprechenden Abflauen des anfänglichen Gefühls von Dringlichkeit in dieser Sache erachten es manche Rektoren für nötig, auf die Gegebenheiten des Hochschulbetriebs hinzuweisen: Insbesondere den Ablauf des Unterrichts möchten die Redner so weit als möglich unbeeinträchtigt von derlei Überprüfungen und Entlassungen sehen.232 Solche Formen der Argumentation müssen nicht zwangsläufig als Beleg für eine restaurative Grundhaltung der Rektoren gelten. Sie speisen sich zu einem Gutteil aus der pragmatischen Erwägung zwischen der Einsicht in den politischen Anspruch der Denazifierung einerseits und dem ohnehin bereits bestehenden Lehrkräftemangel an den meisten Hochschulen andererseits. Die Rektoren – dies ein typischer Reflex in den Nachkriegsreden – versuchen in ihren öffentlichen Ansprachen einen Brückenschlag zwischen verschiedenen, oft gegensätzlichen Interessen und Parteien 227 E.  Heidebroek (DD TH 1946), S. 1; Vgl. hierzu auch: K.  Geiler (HD RKU 1948), S. 7 f.; H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 10 f.; H. Freese (B TU 1949), S. 7 f.; G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 47. 228 J. Friedrich RB (L U 1949), S. 1; J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 15. 229 J. Kroll (K U 1945), S. 4. 230 C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 22. 231 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 5. 232 Vgl. bspw. H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 5.

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und bieten dafür bisweilen sehr komplexe, teils paradoxe oder oxymoronische Argumentationsketten. Trotz gewisser Einwände der Rektoren gegen zu große Eingriffe der Entnazifi­ zierung in den alltäglichen Hochschulbetrieb lässt die Zahl und Art der Äußerungen darüber, was und warum aus Sicht der Redner getan werden müsse, um den Nationalsozialismus innerhalb der Hochschule zu überwinden, darauf schließen, dass den Hochschulleitungen die Reinigung ihrer Institution ganz besonders unmittelbar nach Kriegsende ein ernst gemeintes Anliegen war. Die Rektoren sind sich, wie Friedrich Regler es in Freiberg formuliert, eins darüber, dass es fortan »nicht im alten Geiste« weitergehen werde, sondern dass an der Hochschule »alle Reste des Faschismus, die noch vorhanden waren, auszumerzen« seien.233 Neben der Frage konkreter personeller Konsequenzen beziehen sich die Redner hier vor allem auch auf die Ausrichtung von Wissenschaft und Lehre. Dabei geht es ihnen um die Beseitigung von »Propaganda«234 und »Irrlehren«235 aus der Wissenschaft genauso wie um einen Wandel in der Erziehung. Letztere habe im vergangenen Jahrzehnt darauf fokussiert, »der deutschen Jugend schon im zarten Kindesalter die Methoden der Gewalt, der Herrschsucht, der Unterdrückung und der Intoleranz« beizubringen, »das Recht des Starken, die Belanglosigkeit des Wissens und Könnens, wenn nur der Bizeps genügend entwickelt und das Parteiprogramm genügend eingepaukt war«.236 Sigurd Janssen zeigt in seiner Rede zur Wiedereröffnung der Universität Freiburg in diesem Zusammenhang ein weiteres Beispiel für die rhetorischen Pirouetten, welche die Rektoren in ihrer Argumentation der schuldig-schuldlosen Hochschule237 drehen: »Bis vor kurzem waren unsere Sinne vernebelt durch Zensur und Propaganda. Offen wagte keiner mehr seine Meinung zu sagen, und diejenigen, die es taten, wurden verfolgt. Der auf uns lastende Druck zerstörte jedes Gespräch und jede geistige Gemeinschaft. Jetzt sehnen wir uns heraus in eine reinere Atmosphäre, in der das freie Wort gilt und die Darlegung der Gründe, die den anderen überzeugen.«238

Die Rektoren gehen allerdings über den reinen Geist239 hinaus weiter in die Hochschul-Praxis, wenn sie wie Hans Georg Gadamer fordern, die Bibliotheken »von den entstellenden Einflüssen des nationalsozialistischen Schrifttums« zu säubern und ebenso die Berufungspolitik künftig neu auszurichten.240 In der SBZ / DDR bedeutet dies explizit auch immer die Wiederzulassung des Marxis233 F. Regler (FG BA 1946), S. 50. 234 S. Janssen (FR ALU 1945), S. 12. 235 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 19. 236 R. Plank (KA THF 1946), S. 14. 237 Vgl. hierzu Kap. V.1, S. 131–141. 238 S. Janssen (FR ALU 1945), S. 12. 239 Zum Begriff des Geistes vgl. Kap. V.3, S. 177 f. 240 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 8; J. Friedrich RB (L U 1949), S. 6.

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mus. Gadamer selbst formuliert in seinem Rektoratsbericht in Leipzig 1947: »In der Forschung und Lehre unserer heutigen Universität sind alle Ideenmächte gleichberechtigt, die das Prinzip der demokratischen Freiheit achten und sich in einer freien wissenschaftlichen Auseinandersetzung zur Geltung zu bringen wissen.«241 Einer seiner Nachfolger, Johannes Friedrich, präzisiert dies zwei Jahre später in seinem Rektoratsbericht im Sinn einer bewussten, nicht zuletzt personellen Ausgestaltung der Hochschule gemäß den Ideen des Stalinismus: »Diesen 14 Abgängen durch Tod oder Wegberufung steht nun glücklicherweise eine weit grössere Zahl von Neuberufungen gegenüber, die getragen sind von dem Bestreben, einerseits die noch immer vorhandenen Lücken im Lehrkörper weiter zu schliessen, andererseits den früher vernachlässigten Lehren des histor. und dialektischen Materialismus die von der Gegenwart geforderte Berücksichtigung an der Universität zu verschaffen.«242

Letztlich begreifen die Rektoren die Neustrukturierung der Hochschule gerade vor dem Prospekt der jüngsten Vergangenheit auch als nationale Aufgabe. Man befinde sich gegenwärtig zwar in einer Situation geprägt von Armut und Not. Dies brauche nach Ansicht von Werner Straub jedoch kein Grund für Schamgefühle zu sein, »wenn wir nicht dabei stehenbleiben, wenn wir alle Mittel und Kräfte zu ihrer Überwindung [der Not, Anm. d. Autorin] konzentriert und sparsam dort einsetzen, wo sie für den äußeren und inneren Wiederaufbau am dringlichsten gebraucht werden«. Denn: »Im Gelingen dieses Neuaufbaues liegt beschlossen, ob wir die verlorene Würde wieder erringen.«243 Friedrich ­Johannsen erschließt diesem Motiv eine weitere Argumentationsebene, wenn er die Notwendigkeit einer Hochschulreform als unerlässlich bezeichnet, um im internationalen Vergleich die eigene »Stellung behaupten zu können«.244 Hinsichtlich der praktischen Umsetzung einer Reorganisation oder Neustrukturierung der Hochschule nennen die Rektoren verschiedene Ansatzpunkte: Einer der wichtigsten Pfeiler, auf dem dieser Prozess aufbauen soll, ist wie beim Wiederaufbau der Universitas wiederum die Gemeinschaft, vor allem innerhalb der Hochschule selbst. Die bisherige Organisationsform habe, mit den Worten Walter Hallsteins, gleich einem »Brandmauersystem«245 die Fakultäten voneinander getrennt und so das als fatal eingeschätzte Spezialistentum246 begünstigt. Diese Strukturen gelte es nun zu öffnen, damit sich nach Edwin Redslob möglichst viele Fachdisziplinen vereinigen, »um für die großen Fragen des kulturel241 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 11. 242 J. Friedrich RB (L U 1949), S. 6. 243 W. Straub RB (DD TH 1948), S. 1. 244 F. Johannsen (CLZ BA 1950b), S. 14. 245 W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 20. 246 Zur Bedeutung und Vorkommen von Spezialist und Spezialistentum im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.2, S. 283–285.

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len, des politischen und des wirtschaftlichen Lebens, von denen die Zukunft der menschlichen Kultur abhängt, Antworten zu finden, die, gerade weil sie wissenschaftlich und objektiv sind, bei der Neuformung der Welt aktuelle und aktive Bedeutung gewinnen«.247 Dabei dürfe sich die Hochschule auch nicht durch die krisenhaften Umstände bei der Wiederaufnahme ihrer Arbeit von dem neu beschrittenen Weg abbringen lassen. Inneren und äußeren Schwierigkeiten jeglicher Art müsse dabei mit Pragmatismus und Improvisationsfähigkeit begegnet werden, fordern die Rektoren nicht zuletzt von sich selbst. Vor allem aber, so befindet Paul Röntgen, könnten die »großen und neuartigen Anforderungen, vor die in dieser schicksalsschweren Zeit sich die deutschen Hochschulen gestellt sehen« nur durch »den zielbewussten Ausbau und die zunehmende Befestigung der Beziehungen« der Hochschulen untereinander bewältigt werden. Als Gründungsrektor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen konnte Röntgen aus der positiven Erfahrung eines organisierten Zusammenschlusses der Nachkriegshochschulen sprechen. Mit der Nordwestdeutschen Hochschulkonferenz war in der britischen Zone als erster vor den anderen drei Besatzungszonen eine Zusammenkunft der Hochschulleitungen angeregt worden. Bereits ab September 1945 tagte dieses Gremium und nahm damit eine Einrichtung wieder auf worden, die es in Gestalt der Deutschen Rektorenkonferenzen in Deutschland bis zu ihrem Verbot 1936 in ähnlicher Form gegeben hatte.248 Hinsichtlich der Organisationsstruktur der neuen Hochschule wollen die Nachkriegsrektoren die traditionellen Stärken wiederaufnehmen und neu ausgestalten, vor allem über eine Wiedereinführung der akademischen Selbstverwaltung. Die verfassungsmäßige Verankerung des universitären Selbstverwaltungsrechts im Freistaat Bayern begrüßt beispielsweise Friedrich Baumgärtel 1948 als Rektor der Universität Erlangen auf das wärmste, da sich dadurch das Verhältnis der Hochschule zum Staat deutlich entspanne.249 Gleichzeitig wollen Rektoren wie Rudolf Seeliger auch die Position der Studenten durch eine eigene Selbstverwaltung stärken, was zudem den demokratischen Aspekt innerhalb der neuen Hochschule betonen solle.250 Einer der wichtigsten Aspekte für den Aufbau der neuen Hochschule liegt aus Sicht der Rektoren in der akademischen Ausbildung. Diese solle nicht wie bisher den Fokus rein auf die Vermittlung von Fachwissen und wissenschaftlicher Methode setzen, sondern explizit den Faktor Erziehung miteinbinden. Der Impetus dieses neuen Konzepts für den akademischen Unterricht zielt dabei nicht darauf, den Anteil der fachlich-wissenschaftlichen Ausbildung zu reduzieren. Vielmehr soll die Ausbildung der Studenten nach Vorstellung der Hochschulleitungen um

247 248 249 250

E. Redslob RB (B FU 1950), 5 f. Vgl. hierzu M. Heinemann (1990), Bd. 1, S. 1–25. F. Baumgärtel (RE FAU 1948), S. 9 f. Ähnlich: A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 25. Hierzu etwa R. Seeliger RB (GW EMAU 1949), S. 6.

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einen ethisch-moralischen Teil erweitert werden, der die künftigen Akademiker zu charakterfesten Staatsbürgern erziehe.251 Die alleinige Beschäftigung mit der Wissenschaft wurde entgegen früherer Ausbildungskonzepte bereits nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr als ausreichend angesehen. Anders als in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre war es den Hochschulen – wie Dieter Langewiesche formuliert – in der Folge jedoch vor allem um eine »ethisch fundierte Formung des Einzelnen durch seine Entscheidung in den weltanschaulichen Gegensätzen der Gegenwart« gegangen.252 Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte das Ziel einer weiterführenden Ausbildung weit weniger einen politisch-ideologischen denn einen humanistischen Kernpunkt und die Hochschulen suchten bewusst nach Veranstaltungskonzepten, um den entscheidenden charakterbildenden Einfluss auf ihre Studenten auszuüben: Zum einen sollte der künftige Akademiker damit auch in unsicheren Zeiten gewappnet und zum eigenständigen Denken befähigt sein. Darüber hinaus sollte er aber auch in seinem künftigen Wirkungskreis für seine an der Hochschule erlangten Erkenntnisse und humanistischen Werte253 als Multiplikator dienen.254 Barbara Wolbring verortet die Diskussion um die Bedeutung der Bildung in der erschütternden Erfahrung, dass Bildung die Greuel des Nationalsozialismus nicht zu verhindern wusste, diese teils sogar noch gestützt habe: »Über die Entnazifizierung hinaus wurde eine spezifische Verantwortung der Professoren für den Nationalsozialismus erörtert, die aus der Bedeutung von Bildung, aus einer ihr zugeschriebenen Wächterfunktion abgeleitet wurde. Dahinter stand das Entsetzen darüber, dass Deutschland, das Land der Bildung, ein derart barbarisches Terrorregime hatte hervorbringen können und dass auch gebildete Deutsche den Zivilisationsbruch des Holocaust hatten geschehen lassen bzw. sogar mitgemacht hatten. Die Gültigkeit der Bildung als zivilisierende Kraft, als Potenz von Fortschritt und moralischer Entwicklung der Menschen war dadurch grundsätzlich in Frage gestellt, und die Professoren waren ein wichtiger Kristallisationspunkt des Bildungszweifels.«255

Um das nach Kriegsende postulierte umfassende Ausbildungsziel zu erreichen, sehen insbesondere die Rektoren der Technischen Hochschulen einige strukturelle Erweiterungen vor. Im Konzept der Redner bestehen diese in erster Linie aus einer Erweiterung des Unterrichtsplans, der u. a. die Gründung neuer Fakultäten verlange, welche die Hochschule »mit einem geistigen Fundament« aus geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fächern untermauerten. Die 251 E. Friesenhahn (BN RFWU 1950), S. 37; R. Seeliger RB (GW EMAU 1949), S. 2; W. Straub (DD TH 1948), S. 6. 252 D. Langewiesche (2008d), S. 202. Vgl. hier auch B. Wolbring (2014), S. 309–321. 253 Zur Bedeutung und Vorkommen der Werte im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VI.3, S. 224–226. 254 G.  Hohmann (F JWGU 1946), S. 15; H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 11; J.  Kroll (K U 1946b), S. 6; K. Geiler (HD RKU 1948); S. 10. 255 B. Wolbring (2014), S. 254.

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dadurch verbreiterte Ausbildung solle »den werdenden Ingenieur« befähigen, »seinen Beruf später mit menschlicher Verantwortung zu erfüllen«.256 Die Hochschulen im Osten planten unabhängig von ihrem Status als Universität oder TH die Neugründung von Fakultäten. Motivation war die ideologisch-politisch aufgeladene Absicht, breiteren Schichten den Zugang zur höheren Ausbildung zu ermöglichen. Die Rektoren propagieren unter dem Stichwort der »Volksuniversität« etwa die Gründung von neuen Fakultäten nach jeweils aktuell vordringlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen. In der Gegenwart bestünde beispielsweise ein gesteigerter Bedarf nach Pädagogischen Fakultäten, welche die Lehrer von Beginn des Studiums an auf ihre künftige Aufgabe vorbereiten, oder nach Landwirtschaftlichen Fakultäten, die sich den aktuellen Ernährungsfragen widmen.257 Den Dienst an der Gesellschaft stellen die Rektoren also in den Mittelpunkt der Aufgaben, welche die Hochschule in Gegenwart und Zukunft erfüllen solle. Forschung und Lehre ordnen sie beide gleichermaßen diesem Ziel unter. Besonders am Herzen liegt den Rektoren die Förderung des Gemeinwohls durch die Aktivitäten der Hochschule. Unter ›Gemeinwohl‹ subsumieren sie inhaltlich jegliche Form von gesellschaftlichem Interesse, sowohl politischer, sozialer, wirtschaftlicher Art wie auch in kultureller oder ethischer Hinsicht. Grundlage all dessen muss aus ihrer Sicht der Aufbau eines demokratischen Staatssystems sein, zu dem die Hochschule nach Kräften beitragen solle, indem sie Einsicht in die Zwecke der Demokratie wecke und gleichzeitig ein Interesse, daran als Staatsbürger aktiv teilzuhaben. Darüber hinaus sehen die Redner die Hochschule in der Verantwortung, die künftige Führungsschicht eines demokratischen Deutschland heranzuziehen – eine »neue deutsche Elite« auszubilden, wie der erste hessische Ministerpräsident Karl Geiler es 1948 nach seiner Rückkehr in die Wissenschaft als Rektor der Universität Heidelberg ausdrückt. In das Selbstverständnis jener neuen »Elite« spinnt Hans Herloff Inhoffen den Gedanken ein, sich als »Diener der Allgemeinheit« zu begreifen. Setze sich dieser Gedanke durch, so lasse sich auch die Dualität zwischen Staat und Hochschule ausgleichen, schlicht indem sich die Akteure auf beiden Seiten des dienenden Aspekts ihres Daseins bewusst seien. Die Hochschule ihrerseits könne und müsse dabei ihre geistige Autonomie wahren und sich, so Sigurd Janssen, dem Bekenntnis der »Wahrheit«, bzw. jenem von »Recht und Unrecht im Sinne wahrer Gerechtigkeit« verschreiben, um der Gesellschaft fortan als unabhängige Instanz zu dienen.258 Die Redner veranschlagen die Bedeutung ihrer Arbeit nicht nur auf nationaler Ebene für die deutsche Gesellschaft. Die von ihnen erzielten Ergebnisse 256 K. Apel (B TU 1948), S. 5 f. 257 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 13–15; R. Seeliger RB (GW EMAU 1949), S. 3. 258 K. Geiler (HD RKU 9148), S. 8 f.; H. H. Inhoffen (BS THCW 1948), S. 4 f.; S. Janssen (FR ALU 1945), S. 12–15; J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 12 f.; J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 15f; R. Smend ( GÖ GAU 1945), S. 363 u. 379.

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wirkten vielmehr genauso nach außen, indem die angestrebten Veränderungen im künftigen Deutschland dazu beitragen, das »moralische Prestige, welches in unverantwortlicher Weise vor aller Welt verspielt wurde«, wiederzugewinnen. Friedrich Hermann Rein setzt zu diesem Zweck auf eine Reaktivierung des »auch heute noch in der Welt geachteten geistigen Deutschland«.259 Wolfgang Trillhaas erweitert vier Jahre später als Nachfolger im Rektoramt der Univer­ sität Göttingen den von Rein vorgeschlagenen Aktionsradius um das Bemühen, als Hochschule aktiv an der »Erhaltung und Wiedererweckung des europäischen Geistes« mitzuwirken.260 Auch Emil Wolff definiert zum Abschluss seiner Rede über »Die Idee und Aufgabe der Universität« anlässlich der Wiedereröffnung der Hamburger Universität 1945 die Repositionierung Deutschlands als eine der zentralen Auf­gaben für die Nachkriegsgegenwart. Ein jeder Deutscher müsse seine »schwere geschichtliche Verantwortung« erkennen und sich »von seiner bisherigen Denkart« abwenden hin zu einem Interesse daran, einen freiheitlichen, sozial gerechten, humanitären Staat aufzubauen. Die Hochschule müsse diesen Prozess unterstützen, indem sie jenes ›andere Deutschland‹ helfe wieder hervorzuholen, welches »die der Geschichte edelsten deutschen Denkens, Fühlens und poetischen Schaffens enthaltenen Schätze deutscher Humanität« beinhalte: »Die Universitäten erfüllen einen echt deutschen Beruf, sie arbeiten an der Begründung eines berechtigten und ausgewogenen, von Überhebung freien und in Bescheidung sicheren deutschen Selbstbewußtseins, wenn sie sich einordnen in den Kampf um die Verteidigung des alle europäischen und aus europäischer Überlieferung geistig genährten Nationen einenden europäischen Erbes, jenes antiken Erbes, das das Christentum einschließt. […] So fassen wir die Aufgabe und die Idee der Universität zusammen: Bürger zu bilden aus dem Geiste dieses Reiches und für dieses Reich.«261

Wie auch zu früheren Zeiten in den Rektoratsreden zu beobachten, weisen die Nachkriegsrektoren dem Konzept der deutschen akademischen Ausbildung mit ihrer Nähe zur wissenschaftlichen Forschung eine Rolle zu, die weiter trägt als nur einen Nachwuchs an Führungskräften heranzuziehen. Anders als früher formulieren sie zudem einen klaren erzieherischen Auftrag, der über die reine Beschäftigung mit der Wissenschaft hinausgeht: die Erziehung zum Staatsbürger. Die Erfahrung des Nationalsozialismus hat sie nach eigenem Bekunden dahin geführt, bewusst auf die charakterliche Bildung der Studenten Einfluss nehmen zu wollen, um sie zu umsichtigen, dem Gemeinwohl gegenüber verantwortungsvollen Wesen zu erziehen. Die künftigen Akademiker sollen nicht mehr jenem Spezialistentum verfallen, dem die Rektoren eine weitreichende Mitverantwortung am Erfolg des NS-Regimes zusprechen. Die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft forderten zudem mehr von jedem Einzelnen als eine 259 F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 4. 260 W. Trillhaas (GÖ GA 1950), S. 18. 261 E. Wolff (HH U 1945), S. 33 f.

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fachlich limitierte Sichtweise, so dass es nicht ausreiche, den Studenten – wie früher – allein fachlich-wissenschaftliches Rüstzeug zu vermitteln, damit sie sich in ihrem späteren Lebensumfeld souverän bewegen können.262 Die Komplexität der veränderten Umwelt verlange hier mehr Engagement seitens der Hochschule, um die künftigen Akademiker zu erden und möglichst zu eigenständigen Persönlichkeiten zu formen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Dass bei diesem Unterfangen zunächst die besondere Bildungs- und Erziehungsgeschichte der aktuellen Studenten-Generation zu berücksichtigen sei, vergegenwärtigen die Redner bewusst. »12jährige straffste Erziehung kann unmöglich spurlos an unserer gesamten Jugend vorüber gegangen sein«, gibt etwa Theodor Süß zu bedenken. Allein mit Härte auf etwaige, aus ideologischer Verirrung resultierende Äußerungen der Studenten zu reagieren, halten die Rektoren daher einhellig für falsch. Genauso wenig halten sie einen Weg für gangbar, der die Studenten »von heute auf morgen gleichsam mit dem Ruck eines Hebels zu einer völlig andern Auffassung« bringen solle.263 Sie begründen dies vor allem damit, dass die junge Generation bereits genügend Zwang und Drill erfahren habe. In seiner Münchener Rektoratsrede führt Georg Hohmann daraus folgernd aus, es komme bei der »staatsbürgerlichen Erziehung« der »kommenden Generation« vor allem auf »Geduld« an: »Wir müssen Geduld haben und dürften nicht die Nerven verlieren, wenn in irgend einem Saale einmal ein Zwischenruf ertönt, der uns etwa nur zeigt, dass dieser Mensch, der sich von seinem Zweifel befreien wollte, nicht genügend unterrichtet war. Wir wollen ihn nicht mit Gewalt und Autorität bekehren. sondern versuchen, in freundschaftlicher Art ihm unsere Gründe, die auf Wissen und Erfahrung beruhen, auseinanderzusetzen.«264

Der Erfolg, die nationalsozialistisch erzogene junge Generation in das demokratische Projekt der Gegenwart einzubinden, hängt für die Rektoren maßgeblich davon ab, dass man die verunsicherten jungen Leute dort abhole, wo sie gerade stünden, und nicht versuche, ihnen eine neue Ideologie schlichtweg überzu­ stülpen. Die Hochschule selbst will sich nicht mehr als »politische Erziehungsanstalt«265 gerieren, sondern die ihr Anvertrauten durch eigenständige Auseinandersetzung selbst zur Erkenntnis bringen. Indes sind die Rektoren nicht bereit, reaktionäres Protestverhalten an der neuen Hochschule zu tolerieren. Derartige Vorkommnisse will man ebenso einhellig mit empfindlichen Strafen und Verweisen von der Hochschuleinrichtung belegen.266

262 Zu dem traditionellen Bildungsanspruch und -vorgehen der Hochschule vgl. D.  Lange­ wiesche (2011), v. a. S. 181–185. 263 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 23 f. 264 G. Hohmann (M LMU 1946), S. 8. 265 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 16; ähnlich: K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 18. 266 Siehe hier etwa: H. G. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 4.

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Besonderen Reformbedarf sehen die Rektoren der Technischen Hochschulen hinsichtlich der Ingenieursausbildung an ihren Institutionen. Bislang habe man nicht genug, in den vergangenen 12 Jahren schließlich gar nichts mehr getan, um den Blick der werdenden Ingenieure über den technischen Tellerrand zu weiten, so der Grundtenor hinter diesem Anspruch. Durch die jüngsten Erfahrungen und die Erfordernisse der Gegenwart sehen sich die Rektoren angehalten, das TH-Studium an dieser Stelle zu verändern. Sie wollen die aufgesplitterte Spezialisierung sowohl institutionell wie ideell hinter sich lassen. Der künftige Ingenieur müsse nach Ansicht von Ernst Terres in Karlsruhe sein Fachwissen »wieder mit dem Grunde des Geistigen verbinden«; daraus solle er eine »Weltanschauung gewinnen, die ihn durchs Leben trägt und ihn im Geistigen verankert«, weil er »in der heutigen Zeit eine große Verantwortung, nicht nur der Technik gegenüber, sondern gegenüber seinem Volke und dem schaffenden Menschen im besonderen« trage.267 Die bisweilen stark an praktischen Fragen orientierte Argumentationsweise der TH-Rektoren zeigt sich gerade auch an diesem Punkt, wenn etwa Paul Röntgen auf die finanzielle Situation der Nachkriegshochschulen verweist, die es gegenwärtig schlicht »aussichtslos« mache, der »mit einer atemberaubenden Dynamik vorwärtsstürmenden technischen Entwicklung« folgen oder gar mit ihr Schritt halten zu können. Ein solcher Versuch »würde an unserer Armut scheitern«. Röntgen schlägt daher vor, aus der Not eine Tugend zu machen und sich in der Ausbildung bewusst auf die Grundlagen zu konzentrieren, d. h. eine »breite naturwissenschaftliche und allgemeine Bildung zugleich« zu vermitteln. Die weiter notwendige Spezialisierung erfolge ohnehin im späteren Beruf. Röntgen plädiert für eine »gänzlich neue Auffassung von diesem akademischen Studium an der Technischen Hochschule«, das »die Studierenden aus der Enge ihres Fachgebietes« herausführen und »auf ›Technisch‹ die geringere, auf ›Hochschule‹ aber die Hauptbetonung« lege.268 Was aus solchen Aussagen folgernd im Einzelnen geplant oder getan wurde, variiert von Hochschule zu Hochschule. Ausschlaggebend für diese Unterschiede sind zunächst die jeweilige Lage einer Hochschule nach Kriegsende, die verschiedenen Rahmenbedingungen in den einzelnen Besatzungszonen, darüber hinaus aber auch unterschiedliche Konzepte, die eine Hochschule schwerpunktmäßig verfolgen wollte. Aus den Reden der Rektoren geht hervor, dass sich die Hochschulen über die Grenzen von Institution und Besatzungszone hinaus gegenseitig in ihren Aufbau-Aktivitäten beobachteten und teilweise auch kommentierten. Die unterschiedliche Ausgestaltung eines neuen Studienprogramms ist dabei einer der besonders häufig gezogenen Vergleiche. Generell geht es den Hochschulleitungen, so wie die Rektoren in ihren Reden konzeptionell verlautbaren, um eine Verbreiterung des Studienplans über die

267 E. Terres (KA THF 1949), S. 4 f. 268 P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 15 f.; ähnliche Vorschläge machen auch: E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 11; R. Plank (KA THF 1946), S. 16; Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 9 f.

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alleinige Vermittlung von Fachwissen hinaus. Dafür nehmen einige Hochschulen wie etwa die Technische Universität Berlin eine Verlängerung der GesamtStudien­dauer in Kauf. Kurt Apel stellt in seiner Rede zum Amtsantritt ein Studienkonzept vor, welches dem Fach-Studium zwei »Grundsemester« voranstelle, in denen eine »Grundlage für die Erziehung zur Persönlichkeit gelegt« werde, »die sich ihrer Aufgabe als Staatsbürger und Kulturträger stets bewusst ist«. Die Studenten sollten darin – von Apel unspezifisch formuliert – »gewisse Kenntnisse allgemeiner Art« erwerben, die sie im späteren acht Semester dauernden Fachstudium weiter vertiefen sollen.269 Häufiger als ein so klares Bekenntnis zum verlängerten Studium legen die Rektoren Konzepte vor, die eine parallel geführte Fach- und Allgemeinausbildung vorsehen. Das Stichwort ›Studium Generale‹ ist eines der zentralen Vorhaben, das Universitäten und THs gleichermaßen zu diesem Zweck auf- und ausbauen wollen.270 Ein anderes Konzept vertritt Friedrich Hund in seiner Rede über »Physik und allgemeine Bildung« anlässlich der Jahresfeier der Universität Jena 1948. Der Physiker Hund hebt darin die Qualität seines Faches als besonders umfassend hervor, weswegen die Physik »im geistigen Zentrum der Hochschule« wie auch auf der Höhe der Zeit mit dem gesellschaftlichen Interesse stehe. Vor diesem Hintergrund plädiert Hund – nach dem Bild der klassischen Bildungsvorstellung wie sie im 19. Jahrhundert vertreten wurde – dafür, in erster Linie die »Fachausbildung« Mittlerin für eine »allgemeine Bildung, im tiefen Sinne«, sein zu lassen, die eine »Formung des geistigen Menschen« bewirke: »Durch die Fachausbildung hindurch dient die wissenschaftliche Hochschule am besten der allgemeinen Bildung, so bleibt sie im Einklang mit ihren besten Traditionen. So wird eine Halbbildung, zu der jede andere allgemeine Bildung leicht führt, vermieden. Die allgemeine Bildung steht dann nicht am Anfang des Studiums (etwa mit Hören von Vorlesungen über Philosophie, Geschichte Wirtschaftswissenschaft usw.), das Studium führt vielmehr zu ihr hin. Der Weg ist mühsam, aber wohl lohnend.«271

Viele Hochschulen planten in der Nachkriegszeit einen strukturellen Ausbau, um dem selbst gesteckten Erziehungsziel gerecht werden zu können. Nicht wenige Technische Hochschulen wie beispielsweise die THs Karlsruhe272, Braun-

269 270 271

K. Apel (B TU 1948), S. 5. Zum Studium Generale vgl. in diesem Kapitel S. 311 f. F. Hund (J FSU 1948), S. 15. Die Vorstellung, dass wissenschaftliche Betätigung zur Charakterbildung führe, äußert sich in den Rektoratsreden bereits im 19. Jahrhundert und hält sich als Credo der Hochschulen bis in die Weimarer Republik. Vgl. dazu Langewiesche (2007b). Erst der Nationalsozialismus inklusive des Kriegsausgangs als seiner letzten Konsequenz bringt die Rektoren der Nachkriegszeit dazu, eine Erweiterung der Hochschul-Ausbildung um den Komplex der staatsbürgerlichen Erziehung zu fordern und einzuführen. Vgl. hierzu in diesem Kapitel S. 302–304. 272 K.-P. Hoepke (2007), S. 63–67.

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schweig273, Hannover274, Stuttgart275, Darmstadt276 oder Dresden277 besaßen vor 1933, vielfach bereits seit dem 19. Jahrhundert einen allgemein-wissenschaftlichen Fachbereich oder boten zumindest allgemeinbildende Kurse an. Diesen wollten sie nach Kriegsende wiederbeleben und ausbauen – so auch im Falle der TH Braunschweig. Dafür jedoch, so Gründungsrektor Gustav Gassner in seinem Abschlussbericht 1948, sollten und müssten neue Professuren geschaffen werden.278 Teilweise gehörte es ebenso in den Plan der Hochschulen, weitere neue Fakultäten gründen, so etwa in Dresden. Unter dem Titel »Die neue Hochschule« stellte Rektor Enno Heidebroek 1946 bei der Wiedereröffnung der TH das Konzept einer – aufgrund der äußeren Umstände – stark reduzierten Technischen Hochschule vor, die zu anfangs nur noch aus drei Fakultäten bestehen sollte. Dazu gehörte jedoch von Anfang an eine pädagogisch ausgerichtete. Die Motivation hinter der Gründung dieser Pädagogischen Fakultät umschreibt Heidebroek mit einem »Ausspruch des Marschalls Stalin«: »Der Lehrer ist der Ingenieur für die Volkseele.« Die Pädagogische Fakultät solle daher nicht nur für die Ausbildung von Lehrern mit technischem Verständnis zuständig sein, sondern gleichzeitig den künftigen Ingenieur zu dem »guten Pädagogen« formen, der er sein müsse, wenn er »seine soziale Aufgabe der Menschenführung und der Betriebsleitung richtig erfüllen will«.279 Andernorts, wie etwa in Darmstadt, sollte bewusst auf die Gründung einer »humanistischen Fakultät« verzichtet werden, weil dort – wie Gustav Mesmer in seinem Rektoratsbericht 1949 ausführt – die Überzeugung herrschte, dass die »Persönlichkeit der einzelnen Fachprofessoren stark genug sein müsse, um die menschliche Seite unserer Erziehungsaufgabe mit dem Fachstudium zu vereinen«. Der Lehrplan sehe überdies einen »Unterricht in allgemeinbildenden Fächern«, der sich über die gesamte Studiendauer ziehen solle, »zumal der Studierende oft erst im vorgeschrittenen Studienalter zum vollen Verständnis« des dort Gelehrten gelange.280 Im Rahmen der Feier des 175-jährigen Jubiläums der Bergakademie ClausthalZellerfeld 1950 stellte Friedrich Johannsen drei Maximen der Studien­reform auf, wie sie sich an den Technischen Hochschulen vollziehen solle: »Grundsätzlich sind es drei Forderungen, die bei einer Reform des technischen Studiums zu beachten sind: 1) Es muss eine gründliche Ausbildung in den mathematisch-naturwissenschaft­ lichen Fächern gefordert werden.

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H.-U. Ludewig (1995), H. Mehrtens (1995c). K.-H. Manegold (1981). G. Schweikle (1979). K. O. v. Aretin (1977); W. Naumann (1977). R. Pommerin (2003), S. 69–73. G. Gassner RB (BS THCW 1948), S. 15; Gassner dazu auch bereits Anfang 1946: G. Gassner (BS THCW 1946), S. 20. 279 E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 6–8. 280 G. Mesmer RB (DA TH 1949), S. 6.

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2) Eine gute Kenntnis der allgemeinen Technik und eine gründliche Beherrschung des engeren Fachgebietes sind unerläßlich. 3) Es muss eine Vertiefung der Allgemeinbildung angestrebt werden.«281

In der Praxis bedeuten diese drei Forderungen für Johannsen zum einen eine Verlängerung der Studiendauer – allein schon deshalb, weil das naturwissenschaftlich-technische Wissen sich derart vergrößert habe, dass es in der bisher vorgesehenen Studienzeit nicht ausreichend abgehandelt werden könne. Um den Erfolg des Lernens zu verbessern, sieht Johannsen viel Raum für das eigenständige Arbeiten der Studenten vor, das durch seminarartige Übungseinheiten oder Arbeitsgemeinschaften mit Dozenten ergänzt werden solle. Besondere Aufmerksamkeit muss seiner Ansicht nach dem dritten Punkt gewidmet werden: Die vielfältigen Aufgaben in der Praxis des modernen Arbeitsbetriebs bürdeten dem Ingenieur wesentlich mehr auf als die reine Beschäftigung mit »technischen Problemen und laufenden Betriebsangelegenheiten«. Er sei daher nicht als »einseitiger Spezialist« gefordert, sondern müsse künftig auch »Aufgaben der Allgemeinheit« übernehmen, für die er »aufgrund seiner Fähigkeiten und Kenntnisse besonders geeignet« sei. Während des Studiums sollten sich die werdenden Ingenieure nach Vorstellung Johannsens daher im Rahmen des Studium Generale mit geistes- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen befassen, die neben einer Wissenserweiterung auch der »Persönlichkeitsbildung« dienten.282 Einige wenige TH-Rektoren benennen indes auch die Schwierigkeiten, welche die reale Umsetzung solcher Pläne mit sich brächten. Paul Röntgen sorgt sich darüber, dass die Technische Hochschule im Vergleich zur Universität generell weniger prädestiniert sei zur Vermittlung einer breit angelegten Bildung. Allein die »größere Zahl an Philologen und Theologen« an den Universitäten »wirkt als Sauerteig, und so erfolgt doch ein mittelbares Hineinbeziehen auch der Studierenden der übrigen Fakultäten in die Einflusssphäre der reinen Geisteswissenschaften«.283 Hans Jungbluth stellt zwei grundsätzliche Probleme der gesamten Debatte hervor, die einen Einblick in die Arbeitsrealität bei der Umsetzung der idealtypischen Reformvorstellungen jener Zeit geben: Zum einen sei »kaum klar« definiert, »was man in unserem Falle denn unter ›allgemeiner Bildung‹ verstehen will«. Zum anderen verweist auch er auf das Problem der Studiendauer, denn allein die Menge des zu vermittelnden Fachwissens habe derartig zugenommen, dass sich die Frage stelle, wo überhaupt noch die zusätzlichen allgemeinbildenden Unterrichtseinheiten untergebracht werden sollen. Jungbluth zielt hierbei auf eine hochschul-einheitliche Lösung, merkt allerdings gleichzeitig an, wie schwierig sich das Austarieren der Fachdisziplinen untereinander

281 F. Johannsen (CLZ BA 1950b), S. 14. 282 F. Johannsen (CLZ BA 1950b), S. 14 f. 283 P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 22.

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wie auch gegenüber dem formulierten Gesamt-Erziehungsanspruch organisatorisch gestalte.284 Den Ausbildungssand der aktuellen Studenten-Generation beklagen die Rektoren aller Hochschul-Typen als problematisch: Den Studenten fehle es in eklatantem Maße an Vorbildung, um den Ansprüchen eines Hochschul-Studiums gerecht zu werden. Dieser Herausforderung treten viele Hochschulen zunächst mit der Einrichtung eines propädeutischen Studienabschnittes entgegen, der dem eigentlichen Studium vorgeschaltet ist. Sie erschlagen damit nach Einschätzung ihrer Rektoren gleich mehrere Punkte des von ihnen selbst aufgestellten Anforderungsprofils. Zu allererst das Hauptziel, den »Kriegsabiturienten« die Wissenslücken zu stopfen, bzw. diejenigen wie etwa die »aus dem Kriege heimgekehrten Soldaten, die vielfach keinen normalen Abschluß ihrer Schulbildung hatten erzielen können«, ebendiesen nachholen zu lassen.285 In der Sowje­tischen Besatzungszone ist damit sehr bald auch gemeint, »junge Menschen vornehmlich aus dem Arbeiter- und Bauernstand« an die Hochschule zu holen, um das Projekt der »Volksuniversität« gesellschaftlich voranzubringen.286 Zonenübergreifend verbinden die Rektoren mit der Einrichtung solcher Vorkurse zugleich das Ziel, die kriegsgeschädigte junge Generation wieder an das »geistige Arbeiten« zu gewöhnen und zurück ins zivile Leben einer Gesellschaft im Friedenszustand zu führen. Hans Gerhard Creutzfeldt bezeichnet dies in seiner Immatrikulationsansprache im Januar 1946 als »Verpflichtung zur Wiedergutmachung«, welche die Hochschule den jungen Leuten gegenüber zu erfüllen habe.287 Im gleichen Zug wollen die Hochschulen im Rahmen des Propädeutikums allerdings auch erreichen, mit der allseits konstatierten ›ideologischen Verwirrung‹ der Studenten allmählich aufzuräumen und deren Geist für ein neues Denken zu öffnen.288 Weitere praktische Maßnahmen zur Umsetzung des Allgemeinbildungsziels differieren von Hochschule zu Hochschule, abhängig von der bereits angesprochenen jeweils unterschiedlichen Ausgangssituation, den jeweils vorhandenen Mitteln, Kontakten, bzw. den jeweils im Vordergrund stehenden Konzepten. Die neu gegründete Freie Universität Berlin beispielsweise richtete bis zum Ende des Rektorats von Edwin Redslob 1950 laut dessen Abschluss-Bericht eine »wissenschaftliche Zentralbibliothek« ein, in der die Studenten sich interessengeleitet selbst informieren können sollten. Daneben habe die Universität mit Unterstützung des Magistrats der Stadt »Einrichtungen für Musik und Kunstpflege, StudioBühne und Leibesübungen« unterhalten.289 In Tübingen, wo die Universitätsbibliothek weitgehend vom Krieg verschont blieb, betont Theodor Stein­ 284 285 286 287 288 289

H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 12 f. K. H. Bauer RB (HD RKU 1946), S. 3; C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 20. R: Seeliger RB (GW EMAU 1949), S. 6. H. G. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 2; C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 20. R. Plank (KA THF 1946), S. 15. E. Redslob RB (B FU 1950), S. 5.

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büchel die besondere Bedeutung dieser »Sammlung geistiger Erkenntnisse nicht nur unserer Kultur, sondern des Menschengeistes in Geschichte und Gegenwart überhaupt« als »Institut der Wissensvermittlung«. Darüber hinaus erhielten die Tübinger Studenten die Möglichkeit, ihre Sprachkenntnisse durch praktische Übung in Form von Dolmetscher-Kursen zu vertiefen.290 Ähnlich wie in Berlin gründeten sich auch an der Universität Mainz studentische Gemeinschaften zur Pflege von Musik und Theater. Der Studenten-Zeitschrift »Die Burse« attestiert Rektor August Reatz, »in der kurzen Zeit ihres Bestehens« bereits »eine geistige Heimstätte studentischen Lebens in Mainz und darüber hinaus ein ideales Band akademischer Gemeinschaft von sozialer und internationaler Bedeutung« geworden zu sein. Das Blatt musste jedoch zum Bedauern von Reatz nach der Währungsreform infolge mangelnder finanzieller Mittel vorübergehend eingestellt werden.291 Die Gründung eines journalistischen studentischen Organs feiert auch Otto Schmitt in Stuttgart als große Errungenschaft, insbesondere da es sich in diesem Fall um ein gemeinsames Projekt mit der TH Karlsruhe handelte, das somit gleichzeitig zur Verbindung der beiden Hochschulen und ihrer Angehörigen beitragen sollte.292 Die aktive Teilhabe der Studenten schreiben viele Hochschulen groß. So begrüßt Constantin von Dietze in seinem Rektoratsbericht 1948 in Freiburg die Organisation einer studentischen »Kulturwoche« und auch sein Nachfolger Gerd Tellenbach lobt die Aktivität der Studenten als »besonders lebendige […] Impulse« für das universitäre Leben. Ebenso gibt es kaum einen Rektor, der nicht explizit für einen Austausch mit dem Ausland, den dortigen Hochschulen, Dozenten und Studenten plädierte als besonders wünschenswerten Weg zur Öffnung des Denkens und zur Formung der Persönlichkeit.293 Allen Hochschulleitern gemein ist darüber hinaus die geisteswissenschaftliche Prägung ihrer Reformvorhaben. Überall finden sich in den Reden der Rektoren Aufrufe zu einer intensiven Beschäftigung mit »Philosophie, Ethik und Religion« wie etwa in Georg Hohmanns Frankfurter Rektoratsrede von 1946.294 Diese Art der Besinnung solle sich im Unterricht widerspiegeln, genauso wie die Studenten sich auch beim Eigenstudium diesem Bereich speziell widmen sollten. Hans Jungbluth fordert – wie viele seine Kollegen unter den TH-Rektoren – von seinen Studenten eine besonders intensive Beschäftigung mit den geisteswissenschaftlichen Themen, um das »begriffliche Denken des Geisteswissenschaftlers« zu erlernen, das dem Ingenieur als Ausgleich zu seinem »gegenständlichen Denken« typischerweise fehle.295 Hans Herloff Inhoffen hebt die Stärkung des 290 291 292 293

Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 13–15. A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 12. O. Schmitt RB (S TH 1950), S. 29. Zum internationalen Anspruch der deutschen Nachkriegshochschulen vgl. in diesem Kapitel, S. 335 f. 294 G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 19. 295 H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 12 f.; ähnlich aus der Nachfolger Jungbluths in Karlsruhe, E. Terres (KA THF 1949), S. 4 f.

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geisteswissenschaftlich geprägten Teils der Hochschul-Ausbildung auf eine weitere Stufe gesellschaftlicher Relevanz. Nicht nur für die persönliche Entwicklung des Studenten sei die Auseinandersetzung mit den geistigen Belangen von großer Wichtigkeit, sondern gerade auch zu dem weiterführenden Zweck, die dadurch erlangten Erkenntnisse und Werte wieder tiefer in der Gesellschaft zu verankern: »Nicht, dass es den Hochschulen an einer geisteswissenschaftlichen Produktion mangelt, aber es fehlen ohne Zweifel die starken geistigen Kraftströme, die von den hohen Schulen zum Volke fließen sollten. Hier scheint eine Lücke zu existieren, die geschlossen werden müsste.«296 Ganz besonders wichtig ist den Rektoren in diesem Zusammenhang das Projekt des Studium Generale, wahlweise parallel in den normalen Unterrichtsablauf eingebettet oder in regelmäßigen Abständen als Dies Academicus bzw. Dies Universitatis an gesonderten, vom sonstigen Unterricht freigehaltenen Tagen abgehalten.297 Manche Hochschulen organisierten darin von Anfang an ihr allgemeinbildendes Programm, andere – wie etwa im Fall von Freiburg oder Mainz – wandelten ihr Propädeutikum zum Studium Generale um, nachdem der große Bedarf, Schulbildung an der Hochschule nachzuholen, mit den Studentenjahrgängen gegen Ende des Erfassungszeitraums nachließ.298 Die angebotenen Veranstaltungen gaben das Spektrum der Wissenschaften, die an einer Hochschule vertreten waren, jeweils möglichst umfassend wieder. Darüber hinaus boten viele Hochschulen Veranstaltungen an, die der politischen Information dienten. Walter Hallstein führt in seinem Rektoratsbericht von 1948 die Vorlesungsreihe »Politik und soziale Ordnung« als großen Erfolg auf diesem Gebiet an. Den Impetus der Vorlesung, einen Beitrag dazu zu leisten, das »Vakuum an politischem Urteil, das der Zusammenbruch des Nationalsozialismus in unseren Studenten zurückgelassen hat«, zu beseitigen, stützen Hallsteins Deutung zufolge die hohen Hörerzahlen: »Im Durchschnitt mehr als 400 Vorlesungsstunden sind in jedem Semester in diesem Rahmen dargeboten worden, im Durchschnitt mehr als zweieinhalbtausend ist die Zahl der für sie alle zusammen im Semester eingeschriebenen Hörer gewesen.«299 War die Teilnahme am Propädeutikum, wo vorhanden, jeweils verpflichtend, so vertraten die Hochschulen unterschiedliche Regelungen, was die Veranstaltungen des Studium Generale betraf. Freiburg beispielsweise behielt den verpflichtenden Charakter eines bestimmten Kanons an allgemeinbildenden Vorlesungen, die parallel zum regulären Studienbetrieb liefen, innerhalb des hier 296 H. H. Inhoffen. (BS THCW 1948), S. 5. 297 Eine Übersicht über die unterschiedlichen Konzepte des Studium Generale gibt auch B. Wolbring (2014), S. 332–346. Zur Diskussion um die Gestaltung des Studium Generale siehe außerdem: K. v. Freytag-Loringhoven (2012), S. 161–176. 298 Vgl. hierzu etwa C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 21 f.; G. Isele RB (MZ JGU 1950), S. 24 f. Die Situation in Freiburg beschreibt auch U. Christ (2007), S. 559–561. Für Mainz siehe H. Mathy (1997) 226–234. 299 W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 21.

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betrachteten Zeitabschnitts bei. Um für das 3. Semester zugelassen zu werden, mussten sich die Studenten zudem einer Prüfung über den allgemeinbildenden Studienteil unterziehen.300 Andere Hochschulen wie etwa die Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt hielten die Teilnahme am Studium Generale freiwillig. Vor allem aus den Anfangsjahren berichten die Rektoren wie etwa Hans Gerhard Creutzfeldt in Kiel durchweg über hohe Teilnehmerzahlen auch »in nicht ausreichend geheizten Räumen«.301 Mit Fortschreiten der Zeit mischen sich jedoch auch Klagen über einen Rückgang des Interesses. Walter Hallstein bedauert beispielsweise 1948 die Entwicklung von einem anfangs regen freiwilligen Besuch der allgemeinbildenden Veranstaltungen in Frankfurt hin zu einer verstärkten Konzentration auf das Fachstudium.302 Ein Novum im allgemeinbildenden Angebot schufen die Universitäten Heidelberg und Tübingen. Kurze Zeit nach der teilweisen Wiedereröffnung der Heidelberger Universität brachte man dort ein Projekt auf den Weg, dessen Motivation sich besonders auch aus der direkten Nachkriegssituation im Hochschulwesen speiste. Ähnlich zu anderen Hochschulen plante die Universität eine Vorstudienanstalt mit gleichzeitiger Wohngelegenheit für bedürftige Studenten, die aufgrund ihrer mangelhaften schulischen Ausbildung während des Krieges noch nicht als studienreif angesehen wurden. Über das Ziel der reinen Wissensvermittlung bzw. der Bereitstellung von günstigem Wohnraum hinaus verfolgte die Universität mit der Errichtung des Collegium Academicum jedoch tiefergehende Ziele: Der erste Leiter des Collegiums Joachim G. Boeckh, vormaliger Leiter der reformpädagogischen Odenwaldschule, formulierte die zentrale Aufgabe der Institution in seinem Konzeptpapier »Über ein zu errichtendes Collegium der Universität« im Oktober 1945 als Vermittlung des christlichhumanistischen Weltbilds. Neben einem breitgefächerten Studienprogramm mit einem stark philosophischen Schwerpunkt sollten dazu Lesungen, Vorträge über Politik und Religion, Theater- und Musikabende beitragen. In ihrem Lernprozess sollten die Studenten durch Tutoren unterstützt werden. Neben dem humanistischen Gedanken sollten sich die Collegiaten nach Ansicht Boeckhs auch in der demokratischen Praxis üben, indem sie an der Verwaltung der Einrichtung mitbeteiligt wurden.303 300 U. Christ (2007), S. 560 f. 301 H. G. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 5. 302 W. Hallstein RB (F KWGU 1948), S. 21 f. 303 Die Schrift Boeckhs liegt als Teil seines Nachlasses im Archiv der Berlin-Brandenbur­ gischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. Nach Einschätzung von Konstantin von Freytag-Loringhoven handelt es sich bei dem »Bekenntnis Boeckhs zur Demokratie« mehr um ein »allgemein philosophisches« als um eines »auf eine praktizierte und praktizierende Demokratie« hin gerichtetes. Boeckh selbst betonte in seinem Erziehungskonzept die Aspekte von »Führen, Anleitung und Belehrung« gegenüber den Studenten. Diese kollidierten in ihrer passiven Ausrichtung, so FreytagLoringhoven, mit den weiter formulierten Grundsätzen von Selbstverwaltung und Selbsterziehung. Vgl. K. v. Freytag-Loringhoven (2012), S. 286–295.

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In Tübingen betrachtete es die Universitätsleitung nach der Einführung des Zentralabiturs in der französischen Besatzungszone für notwendig, ein pro­pädeutisches Jahr für Abiturienten anzubieten, die sich noch nicht für das Studium bereit fühlen. Im Bericht zu Abschluss seines Rektorats gibt Theodor Steinbüchel Einblicke in die Entstehung dieser bis dato in der deutschen Hochschullandschaft einmaligen Einrichtung. Die Bestimmung des im Februar 1948 eröffneten Leibniz-Kollegs lasse sich laut Steinbüchel keineswegs mit einem »leidigen Nachhilfekurs für schwächere Abiturienten« gleichsetzen. Stattdessen habe man eine Institution konzipiert, »die eine heute in allen Ländern, nicht nur in Deutschland, angestrebte universale Grundausbildung der jungen Akademiker zu verwirklichen verspricht«. Das Programm des Kollegs sehe eine direkte Betreuung der Studenten durch junge Dozenten verschiedener Fach­ bereiche vor, um zunächst eine humanistische Grundhaltung anzuregen und zu festigen: »Die sokratische, persönliche Wissenserweckung ist die Form des Unterrichts im Kolleg, die Methode platonisch: der Dialog. […] Die Arbeit in diesem Kolloquium will über die Beschäftigung mit fachlichen Problemen der Einzelwissenschaften hinaus an Grundfragen der Wissenschaft überhaupt und damit der menschlichen Existenz heranführen.«304

Ergänzt werden solche übergreifenden Bildungsmaßnahmen durch fachlichen Unterricht in »Mathematik, Physik, Latein, Griechisch, Französisch und Englisch, und zwar ist jedes Fach obligatorisch für jeden«. Darüber hinaus sei »den musischen Dingen, der Kunstbetrachtung, der Kammermusik und dem Bühnenspiel, auch der körperlichen Betätigung« viel Raum gewidmet. Die Besonderheit der Einrichtung leite sich jedoch, so Steinbüchel, vor allem aus zwei Charakteristika ab: Zum einen sei das Jahr am Leibnizianum für die Studenten »ein Jahr positiver und allgemeiner Erziehung zur Hochschule«, damit also die Möglichkeit, sich humanistische Grundlagen anzueignen. Zum anderen werde die Erfahrung der Ausbildung durch das Zusammenleben von Studenten und Dozenten in einer Form von Internat verstärkt. Steinbüchel verbindet mit dem Kolleg sowohl große Hoffnungen wie Pläne:305 »Das Leibnizkolleg ist in seiner heutigen Gestalt nur erst ein Anfang. Das Ziel muss sein, diese Bildungsarbeit auf alle deutschen Abiturienten auszudehnen, die in Tübingen ihr Studium betreiben wollen. Möge sich die neue Einrichtung als ein tragender Grundstein der heute notwendig gewordenen, unumgänglichen Hochschulreform bewähren!«306

Besonders intensiv beleuchtet Josef Schmid das Thema Studium Generale in seiner Rede zur Eröffnung der von der französischen Besatzungsmacht als 304 Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 19 f. 305 Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 17–20. 306 Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 20.

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Reform-Universität konzipierten Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.307 Schmid stellt das Konzept der neuen Hochschule auf vier Pfeiler: Universitas, Charakterbildung, politische Erziehung und internationale Gemeinschaft. Als Universitas müsse die Hochschule »über das Fachliche hinaus in die Zusammenhänge der wichtigen allgemeinen Aufgaben und Lebensfragen« vordringen »für die Erhaltung und Entwicklung des sozialen Fortschrittes, der menschlichen Freiheit und die Verbesserung der materiellen Wohlfahrt«. Im Sinne der Charakterbildung müsse die Hochschule »die Prinzipien echten Menschentums« lehren, »indem sie neben den intellektuellen Fähigkeiten auch die Anlagen des Charakters, des Mitfühlens, des Menschenverstehens, der Ehrfurcht und der Verinnerlichung entwickelt«. Die politische Erziehung erfordere eine »restlose Entfernung jeder nationalsozialistischen und preußischmilitaristischen Ideologie durch eine wahrheitsgetreue Darstellung der Ursachen, die Deutschland in das gegenwärtige Elend stürzten«, um einer erneuten »Verschiebung der Schuldfrage« wie nach dem Ersten Weltkrieg vorzubeugen. Damit solle es schließlich möglich sein, den Sinn für die internationale Gemeinschaft zu stärken, den bisher herrschenden »nationalen Egoismus« zu überwinden und stattdessen »das Verständnis für die kulturellen und sozialen Errungenschaften anderer Länder und Völker« zu pflegen »mit dem Ziele, die gegenseitige Achtung voreinander und die geistige Verantwortung für fremde Art im Sinne einer universellen Weltverbundenheit zu fördern«. Auf der praktischen Seite sieht dieses Konzept eine starke universitäre Gemeinschaft mit ausgeprägter Diskussionskultur vor, die insbesondere auch aktuelle Themen von den unterschiedlichen fachlichen Standpunkten her beleuchten und vermittelnd Stellung beziehen solle. Um die Studenten für diesen Kosmos bereit zu machen, sieht Schmid für sie »in den ersten Semestern philosophische, ethische, religiöse, geschichtliche und länder und völkerkundliche Vorlesungen zur Vertiefung der allgemeinen Bildung« vor. Hinzu kommen weitere Veranstaltungen zur Förderung des demokratischen Verständnisses. Die fachlichen Vorlesungen sollen durch zugehörige Übungen ergänzt werden, in denen ein vertrauensvolles Meister-Schüler-Verhältnis zwischen Dozenten und Studenten entstehen könne, das wiederum die persönliche Entwicklung des Einzelnen im Sinne der Humanitas befördern helfe. Um die jungen Menschen zur Toleranz gegenüber dem Andersartigen und zur Erkenntnis von dessen Wert zu führen, veranschlagt Schmid einen direkten internationalen Austausch sowohl von Dozenten wie von Studenten.308 Der letzte Nachfolger Schmids innerhalb des Erfassungszeitraums, Georg Isele, rechnet im Bericht zu Abschluss seines Rektorats 1951 den Erfolg des Mainzer Studium Generale vor, das zwischenzeitlich die Funktion des ursprünglichen Propädeutikums mit übernommen hatte. Umgelegt auf die Ge307 Zur Konzeption der neuen Universität als »école d’humanités« seitens der französischen Besatzungsmacht und deren Umsetzung siehe S. Zauner (1994), S. 236–250. 308 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 12–15.

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samt-Studentenzahl hätten demzufolge 77,5 % aller Studenten im zugrundeliegenden Sommersemester 1951 wenigstens eine Veranstaltung des Studium Generale besucht  – die »anerkennenswert bildungshungrigen, aber dennoch illegalen ›Schwarzhörer‹« dabei nicht eingerechnet. Allein auf die Studenten der ersten drei Semester gerechnet, denen die Universität den Besuch von drei bis vier solcher Veranstaltungen anrate, ergebe sich daraus, dass tatsächlich alle dieser Studenten drei Veranstaltungen besucht hätten.309 Die Unterschiedlichkeit der Umsetzung des Studium Generale unterstreicht auch Barbara Wolbring. Sie deutet dessen verschiedene, jeweils standortabhängige Ausprägungen als graduelles Versagen einer flächendeckenden Hochschulreform. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit eine einheitliche Regelung überhaupt möglich gewesen wäre über vier Besatzungszonen hinweg mit unterschiedlichsten Ausgangsbedingungen nach Kriegsende an jedem Standort, deren Ausgestaltung zudem in erhöhtem Maße von den agierenden Personen vor Ort abhängig war. Zuzustimmen ist Wolbring jedoch grundsätzlich, dass das Studium Generale am Ende nicht den großen reformatorischen Schub in der universitären Ausbildung leistete, der insbesondere zu anfangs in den geäußerten Erwartungen mitschwang.310 Die Rolle von Bildung311 bewerten die Rektoren für die Gegenwart indes nicht als Selbstzweck. Über eine Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung hinaus, gehen viele Redner explizit auf den praktischen Nutzen ein, den die derzeitigen Studenten in ihrem späteren Berufsleben aus ihrer universitären Ausbildung ziehen können sollten und müssten. Dies gelte umso mehr, als die junge Generation in der Ausübung ihrer Berufe fast auf sich gestellt sei, da sie erfahrene ältere Kollegen nur in begrenztem Umfang um Rat fragen können werde. Insofern dürfe die Hochschule ihrerseits die Aufgabe, ihre Studenten auch auf deren künftiges Berufsleben vorzubereiten, nicht außer Acht lassen.312 Insbesondere die TH-Rektoren betonen die Wichtigkeit der berufsbezogenen Bildung. T ­ heodor Pöschl greift dieses Thema in seiner Rede über die »Zukunftsaufgaben der Technischen Hochschule« als eine der »sozialen Fragen« auf, mit denen sich die Hochschule zu beschäftigen habe. Auch bislang weniger beliebte Berufsfelder wie etwa in der Landwirtschaft gelte es, in diesem Zuge bewusst zu fördern und zu stärken.313 Als Akademiker seien die Studenten in ihrem späteren Berufsleben daneben verpflichtet, die tiefere Erkenntnis, über die sie kraft ihrer höheren Bildung verfügten, in der Funktion eines Multiplikators in der Gesellschaft zu verbreiten. Karl Vossler sieht die Akademiker berufen, eine vermittelnde Funktion inner309 G. Isele RB (MZ JGU 1950), S. 24 f. 310 Vgl. hier B. Wolbring (2014), S. 346–348. 311 Zur Bedeutung und Vorkommen von Bildung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. VII.1, S. 261 f. 312 J. D’Ans (B TU 1947), S. 14; P. Röntgen (AC RWTH 1947), S. 6. 313 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 12.

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halb der Gesellschaft zu übernehmen, da sie durch ihre umfassende Ausbildung Einsicht in die Gründe für den teils »tieferen Haß« zwischen verschiedenen »sozialen Schichten und nationalen Gruppen« erlangt hätten, die in den »Unterschieden der Denkart, des Glaubens und der Bildung« lägen. Sie seien speziell dazu aufgefordert, »Duldung und Achtung« zu üben und zu erkämpfen »für jede Art von echter menschlicher Bildung«: »Jeder soll die Möglichkeit haben, sich nach eigener Anlage zu bilden: das ist unser sozialer, demokratischer, christlicher, liberaler und kommunistischer Wunsch,  – aber keiner, der die Kraft und den Willen, kurz den Schwung, nicht hat, in die Höhe und Tiefe zu dringen, soll sich breitmachen dürfen. Das ist unsere aristokratische Forderung.«314

Die Hochschulleitungen wollen zu diesem Zweck mit gutem Beispiel vorangehen. Sie sehen dabei sich selbst wie auch alle übrigen Hochschullehrer gefordert, da sie über ihren persönlichen Kontakt am intensivsten auf die Studenten einwirken könnten. Die Dozenten sollten zum einen – so die gleichbleibende Basisforderung – immer auch Forscher sein, um die grundlegenden wissenschaft­ lichen Tugenden der Beharrlichkeit und Erkenntnissuche aus eigener Erfahrung vermitteln zu können.315 Zum anderen sollten sie darüber hinaus auch über herausragende charakterliche Qualitäten verfügen. Für Josef Schmid muss der Hochschullehrer folglich »nicht nur tüchtiger Fachmann und Pädagoge« sein, »sondern eine weltaufgeschlossene, demokratische und harmonische Persönlichkeit von hoher Gesinnung, eine Persönlichkeit, die imstande ist, neben einer gediegenen Fachausbildung eine humanitäre und demokratische Lebensauf­ fassung zu entwickeln«.316 Wichtig seien darüber hinaus Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit, Erkenntnisdrang und Begeisterung für die Sache. Nur so könnten die »pädagogischen Laien«, die die Hochschuldozenten letztlich seien, die Studenten erreichen und »für den akademischen Geist gewinnen«.317 Dabei hätten die Hochschullehrer konstante Selbstprüfung zu betreiben, um den beschrittenen Weg nicht zu verlieren. Sie sollten beständig kontrollieren, ob sie den wesentlichen Gehalt hinter der von ihnen vermittelten Bildung transportieren könnten, um sicherzustellen, dass »die Jugend von der Wissenschaft gepackt wird«, wie Friedrich Hund die zentrale Aufgabe der Dozenten formuliert.318 Zur Bekräftigung dieses Vorhabens leistete das Lehrpersonal an verschiedenen Hochschulen während der Festveranstaltungen ein Gelöbnis, ihre Studenten zum Geist der Wissenschaft, zur Humanitas sowie zu wahrem, weil demo314 315 316 317

K. Vossler (M LMU 1946), S. 25 f. K. Vossler (M LMU 1946), S. 22 f.; G. Gassner RB (BS THCW 1948), S. 16. J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 17 f. J. Kroll (K U 1945), S. 4; F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 18; H. H. Inhoffen (BS THCW 1948), S. 9; W. Müller (AC RWTH 1950), S. 2 f. 318 F. Hund (J FSU 1948), S. 15.

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kratischem Patriotismus durch das von ihnen vorgelebte Beispiel erziehen zu wollen. Vorbild dafür war die Rede von Julius Ebbinghaus zur Wiedereröffnung der Universität Marburg 1945, in der er seine Kollegen erstmals zu folgendem Gelöbnis aufrief: »Wir geloben zuerst und zuoberst, dass wir den Geist der Wissenschaft und der freien Kritik in Ihnen entzünden und Ihnen alle bloß nachgesprochene Rede unerträglich machen wollen. Dass wir Sie lehren wollen, Vorurteile abzulegen, selbst zu prüfen und Ihr Urteil jederzeit mit dem Urteil anderer zu vergleichen. Dass wir Ihnen spürbar machen wollen die Verpflichtung zum Zweifel, zum Abwägen der Gründe und zur Konsequenz des Denkens und Sie daran gewöhnen wollen, den Schwätzer zu verachten, wie loh auch der Atem der Rede ihm aus dem Munde lodert. Wir geloben zweitens, dass wir Ihnen helfen wollen so gut wir es vermögen zu einem freien Menschentume. Dass wir Ihnen die Menschheit zeigen wollen in ihrer Größe aber auch in ihrer Kleinheit, und dass wir Ihnen Misstrauen beibringen wollen gegen alles angemaßte Heldentum und menschliche Überheblichkeit. Dass wir Ihnen den Trieb nach wahrer Ehre erregen wollen und Sie lehren wollen, dass es keine Ehre gibt, die es erforderte, irgendein Unrecht zu begehen, zu bedecken oder seine Partei zu ergreifen. Wir wollen Ihnen aber drittens helfen, die wahre Idee des Vaterlandes und der Vaterlandsliebe zu verstehen. Zu verstehen, dass der Mensch kein Vaterland haben kann außer da, wo Recht und Gesetze herrschen und er selbst als ein gleichberechtigtes Mitglied an dieser Gesetzgebung teilnehmen kann. Zu verstehen ferner, dass der Staatsherrscher selber die Bürger vaterlandslos machen kann, wenn sie von ihm ihr Recht nicht mehr erhoffen können, und er sie, wenn sie sich dann von ihm abwenden, nicht anklagen kann, sie hätten das Vaterland verraten, da doch er selber es verriet. Alsdann aber werden Sie auch gelernt haben, zu unterscheiden zwischen dem Vaterlande und seinem Herrscher, und dass nicht Deutschland Männern verpflichtet ist, sondern die Männer, wie hoch sie auch immer stehen, dem Vaterlande. Wir geloben aber viertens und letztens, dass wir die Höhe der Aufgabe, die uns durch unsere Wissenschaft gestellt ist, niemals zum Anlass nehmen wollen zu einer unziemlichen Überschätzung unseres Standes und unserer Personen. Die höchste Wahrheit, die wir Sie über das Verhältnis der Menschen untereinander lehren können, ist die, dass alle Menschen gleich sind und der, der diese Wahrheit bestritt, bewies schon dadurch, dass er die Welt der Freiheit nicht kannte. Die Menschen sind gleich in ihren Rechten, das heißt, kein Mensch kann Herr über den anderen sein, und das Recht des Befehles über sie kommt nur ihrer Vereinigung zu, sofern diese eine Vereinigung ist nach Gesetzen des Rechtes. Was aber jenen letzten Wert des Menschen anlangt, der nicht nach irdischen Maßen gemessen werden kann, so gilt da nicht die Höhe der Aufgabe, die jeder sich selbst gestellt hat, sondern allein die Treue, mit der er seine Kräfte regt.«319

So wie die Rektoren die Hochschullehrer auf bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen verpflichten, ergeht gleichermaßen der Aufruf an die Studenten, 319 J. Ebbinghaus (MR PU 1945), S. 29 f.; in ähnlicher Form auch bei G. Hohmann (F KWGU 1946), S. 21 und G. Hohmann (M LMU 1946), S. 17.

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sich in die neue Hochschule gemäß der von ihr gestellten Anforderungen einzufügen. In erster Linie fordern die Hochschulvorstände eine geistige Offenheit ein – sowohl den akademischen Idealen wie auch darüberhinausgehenden weltanschaulichen Fragen gegenüber. Der Student der Gegenwart habe sich in seinem Studium von einem breiten Drang nach Wissen und Erkenntnis leiten zu lassen, ohne auf das reine Fachstudium oder spätere, vor allem auch materielle Nutzen fixiert zu sein.320 Das Studium solle die Studenten nicht nur zu Akademikern qua Ausbildung machen, sondern ebenfalls und vor allem zu »vollwertigen Menschen«321, die dazu beitrügen, die »Idee der ›omnis humanitas‹«322 zu verwirklichen. »Das aber verlangt Ideale. […] Nur wer aus idealem Antrieb zur Universität kommt, wird die harten Bedingungen, die wir fordern müssen, erfüllen können.«323 Ähnlich wie in diesem Diktum Josef Schmids rufen die Rektoren die Studentenschaft dazu auf, sich ganz dem Streben nach Wahrheit und eigenständigem Denken zu widmen, dabei auch Toleranz gegenüber anderen zu entwickeln, damit sie später auf Basis dieser ganzheitlichen Bildung »wahre Helfer und Führer […] zum Wohle der Menschen« würden.324 Sie erkennen dabei durchaus, wie bspw. Hans Freese in seiner Antrittsrede 1949, dass die Akzeptanz und Umsetzung solcher Forderungen in erster Linie durch eben die angesprochenen Studenten den Erfolg ihrer Hochschulreform entscheidend bemesse: »Bei aller Bedeutung der Tradition darf [sich] eine Hochschule nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern muss ständig der Veränderung des Lebens Rechnung tragen und immer wieder die Synthese zwischen Tradition und Fortschritt aufs neue finden. Einer der wichtigsten Momente ist dabei die polare Spannung Geist – Seele. […] Würde es nur darauf hinauskommen, den Studierenden noch mehr Wissen einzutrichtern, wäre der Versuch misslungen. Nur wenn die große Synthese alle Herzen ergreift, kann er Erfolg haben.«325

Mit ihrer Forderung beziehen sich die Rektoren indes nicht nur auf Aktivitäten im Rahmen des Lehrbetriebs der Hochschule. Gerade auch außerhalb sollen die Studenten ihrer Ansicht nach Initiative zeigen, sich interessieren und ihren Blickwinkel erweitern. Wege zu dieser vielfach angemahnten Offenheit sehen die Redner in der Wahrnehmung kultureller Angebote wie auch in der Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen oder in Auslandsaufenthalten.326 Als Glieder der Hochschule hätten die Studenten darüber hinaus auch ihren Beitrag 320 W. Müller (AC RWTH 1950), S. 4; C. v. Dietze (FR ALU 1947a), S. 195; G. Tellenbach (FR ALU 1949cb), S. 55. 321 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 28. 322 A. Reatz (MZ JGU 1947), S. 18. 323 J. Schmid (MZ JGU 1947), S. 6. 324 Wie Schmid auch: G. Hohmann (M LMU 1946), S. 18 f.;Th. Süß (ER FAU 1946), S. 25 f.; K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 43 f. 325 H. Freese (B TU 1949), S. 8. 326 R. Plank (KA THF 1946), S. 16.

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in der akademischen Selbstverwaltung zu leisten, um – mit den Worten Gerd Tellenbachs – aktiv daran mitzuwirken, den »Geist der Universität selbst mitzuerneuern«.327 Vor dem Hintergrund der Aufgabenfülle, vor welche die Rektoren die deutsche Nachkriegsgesellschaft gestellt sehen, versuchen sie teilweise auch – wie im folgenden Beispiel Friedrich Hermann Rein – die Studenten bei der Ehre zu packen: »Bei der Größe der Aufgaben, die, wie ich Ihnen aufzuzeigen versuchte, der Universität heute zukommen, wäre es ein Zeichen schmäh­lichen Versagens, wenn Sie nicht in sich den Trieb zur Mitwirkung verspürten.«328 Darüber hinaus betonen die Redner immer wieder die Verpflichtung derjenigen, die zum Studium zugelassen wurden, gegenüber der großen Zahl der nicht angenommenen Studienbewerber. »Das Schicksal der Abgewiesenen verpflichtet Euch!«, lautet das große Memento etwa bei Sigurd Janssen. Zur Formulierung dieses besonderen Pflichtverhältnisses, das aus dem schweren Engpass in den Ausbildungskapazitäten der Hochschulen gegenüber den enorm hohen Bewerberzahlen jener Jahre resultiere,329 wählen die Rektoren insgesamt ähnlich gewichtige Worte. Karl Heinrich Bauer dehnt den historisch-gesellschaftlichen Bezug gar auf eine »Notpflicht« in einer »Notzeit« auch gegenüber den »noch Gefangenen, Gefallenen und Ermordeten« aus.330 Die Hochschulleiter fordern von den Studenten daher ein gänzlich maßvolles, würdiges Verhalten, Fleiß sowie Respekt vor und Bekenntnis zur Idee der Universität.331 Um die Studenten bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen – und nicht zuletzt um sich selbst der Richtigkeit der eigenen Auswahl zu versichern –, wolle die Hochschule, so Johannes Friedrich in Leipzig, eine »sinnvolle Studienberatung« plus eine »in immer stärkerem Maße durchgeführte Studienkontrolle« in Form von »Rückmeldungen zu Beginn jedes Semesters« und »Zwischenprüfungen nach bestimmter Semesterzahl« einführen.332 Ähnlich dem Gelöbnis der Lehrenden, lassen die Rektoren vieler Hochschulen auch die Studenten eine Verpflichtungserklärung ablegen. Anders als bei den Dozenten bedeutet dies jedoch keine Neuerung, sondern eine Rückkehr zur vor-nationalsozialistischen Hochschultradition. Wilhelm Müller an der RWTH Aachen fasst dieses Gelöbnis in seiner Ansprache bei der Immatrikulationsfeier zum Wintersemester 1949/50 etwa so: »Wenn ich Sie jetzt in unsere akademische Gemeinschaft aufnehme, so verpflichte ich Sie daher 1) die Verfassung der Hochschule und die Satzungen der Studentenschaft getreu zu achten.

327 328 329 330 331 332

G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 47. F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 10. Zum Problem der Zulassungsfrage vgl. in diesem Kapitel S. 321–325. K. H. Bauer (HD RKU 1945b), S. 43. G. Tellenbach (FR ALU 1949b), S. 47; G. Hohmann (F LWGU 1946), S. 23). J. Friedrich RB (L U 1949), S. 10.

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2) Ehre und Disziplin der akademischen Gemeinschaft zu wahren. 3) Mit Ernst und Wahrhaftigkeit der Wissenschaft zu dienen. 4) In Treue zu Volk und Vaterland für Humanität und wahre Freiheit zum Fortschritt zu wirken.«

So wie die Rektoren ihre Anforderungen an den Studenten der Gegenwart stellen, äußern sie gleichzeitig ihre Vorstellungen zu den Formen, in denen sich studentische Gemeinschaft künftig vollziehen solle. Sie treffen dabei jeweils die grundlegende Feststellung, dass das alte Korporations- und Verbindungswesen überholt sei und nicht wiederaufleben solle. Selten stellen die Redner dabei den Bezug zu dem Verbot der Korporationen seitens der alliierten Militärregierungen her. Gustav Gassner bezeichnet den Verzicht auf die Wiedergründung studentischer Verbindungen alten Schlages hingegen als unabhängig davon bestehendes gesellschaftliches Bedürfnis einem überholten Anachronismus gegenüber: »[…] sie würden wohl auch ohne Verbot der militärischen Stellen kaum zu neuem Leben erwacht sein, denn sie werden in weiten Volkskreisen als belastet empfunden und passen in den Ernst der Zeit und in die sozialen Nöte unseres Vaterlandes nicht mehr hinein.«333 Die Hochschule wünsche sich trotz dieser Veränderung ein lebendiges studentisches Gemeinschaftsleben, das sich – so die Rektoren – an den Fragestellungen und Bedürfnissen der Gegenwart orientieren solle. Die Formen und Strukturen müssten dafür zwar noch gefunden werden, von Seiten der Hochschule solle dieser Gestaltungsprozess aber in keinem Falle reglementiert oder schematisiert werden. Mit einer wichtigen Einschränkung: Aus der Erfahrung, was politische Agitation an der Hochschule an Unruhe verursachen könne, wolle man künftig keine parteipolitisch motivierten Gruppierungen unter den Studenten dulden.334 Willkommen hingegen seien studentische Gruppierungen, die – ohne parteipolitische Verhaftungen – zur akademischen Selbstverwaltung beitrügen wie etwa die Fachschaften oder der wiedergegründete Allgemeine Studierendenausschuss (AStA).335 Indes zeigten sich viele Hochschulen bereit, das Entstehen eines neuen studentischen Gemeinschaftslebens strukturell zu unterstützen. Ziel solcher Maßnahmen war es, den Raum für einen zwischenmenschlichen Austausch unter den Studenten zu schaffen, in dem zum einen diskutiert, in dem aber auch ›Kameradschaft‹ gepflegt werden konnte. Ersteres lasse sich, so die Rektoren, u. a. in den Veranstaltungen des Studium Generale erfahren, welche die Studenten in offener Runde zusammenbrächten. Von noch größerer Bedeutung waren aber Pläne der Hochschulen, auch physisch Räume für den Austausch der Studenten bereitzustellen, um beide Aspekte gemeinsam zu verwirklichen. Der Bau von

333 G. Gassner (BS THCW 1946), S. 20. 334 A. Mehmel (DA TH 1949), S. 27; G. Tellenbach RB (FR ALU 1950), S. 63; G. Hohmann (F JWGU 1946), S. 23 f. 335 F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 14 f.

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Wohnheimen war hierbei ein Projekt, das mehrere Hochschulen verfolgten.336 Die Rektoren Constantin von Dietze in Freiburg und Karl Heinrich Bauer in Heidelberg setzen derartige Bauvorhaben in ihren Reden entsprechend in direkten Zusammenhang mit der angestrebten Förderung des studentischen Gemeinschaftslebens.337 Auch das Tübinger Leibnizianum mit seinem Internatscharakter solle den konzeptionellen Ausführungen Theodor Steinbüchels zufolge einen katalysierenden Effekt auf die Weiterentwicklung der Studenten durch ihr Zusammenleben erzielen.338 Trotz aller Bemühungen um eine Neuorganisation des sozialen Lebens der Studenten berichtet Franz Böhm 1949 mit Sorge über die Beobachtung zunehmender »Tendenzen, das Korporationswesen wieder in alten Formen zu beleben, die geeignet sind, von weitesten Kreisen unserer Mitbürger als Herausforderung und Rückfall in einen Geist sozialer Absonderung und gesellschaftlichen Dünkels empfunden zu werden«. Er unterstellt den Studenten dabei weniger die Absicht, »sich abzuschließen und zu verletzen«. Die Erklärung für diese Rückwendung liegt für Böhm vielmehr in einem Mangel an Alternative. Der Aufbau neuer Strukturen brauche Zeit, das Bedürfnis, »die entscheidenden Jahre ihres Lebens an der Universität in einer großen Stadt als Einzelgänger zubringen«, hingegen sei für die Studenten akut. Böhm sieht die Hochschule diesbezüglich »unter Zeitdruck«, auch ein »soziales Gemeinwesen« für die Studenten aufzubauen.339 Das Problem, genügend Platz für die Studenten an der Nachkriegshochschule bereitstellen zu können, äußerte sich bereits auf noch grundlegenderer Ebene. Die Hochschulen waren sowohl personell wie infrastrukturell vom Krieg ausgezehrt, ortsabhängig teils mehr, teils weniger, aber doch auf die gesamte deutsche Hochschullandschaft hin feststellbar beeinträchtigt. Gleichzeitig kamen zu den regulär am Studienbeginn stehenden Jahrgängen eine Vielzahl von Kriegsheimkehrern, die ebenfalls noch ihre Ausbildung zu absolvieren hatten, als Studienbewerber hinzu. Die Hochschulen fanden sich in der Folge mit einer nach Bildung und Ausbildung lechzenden Masse an jungen Leuten konfrontiert, die alle gleichzeitig ins Studium drängten, die jedoch die beschränkten Kapazitäten der Einrichtungen überstiegen. Infolgedessen sahen sich die Hochschulen gezwungen, Auswahlverfahren zu etablieren, nach denen sie die Bewerber sortierten, um sie dann zuzulassen oder abzulehnen. 336 Für den Freiburger Fall siehe U. Christ (2007), S. 570–572. In Heidelberg wurde das studentische Zusammenleben zunächst über das Collegium Academicum gefördert, siehe hierzu K. v. Freytag-Loringhoven (2012). 337 C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 10 u. 20; K. H. Bauer RB (HD RKU 1946), S. 4; ähnlich, mit der Betonung auf der Wichtigkeit des studentischen Gemeinschaftslebens auch: P. Röntgen (AC RWTH 1946b), S. 8 f. 338 Zum Leibniz-Kolleg vgl. in diesem Kapitel S. 312 f. 339 F. Böhm RB (F JWGU 1949), S. 22.

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In ihren Reden bedauern die Rektoren diesen Zustand, wissen aber ganz besonders in den ersten Nachkriegsjahren keinen anderen Rat. Sie sehen es als ihre Pflicht an, vor dem Hintergrund knapper Kassen keine ausufernde Zulassungspolitik zu verfolgen.340 Gleichzeitig sehen einige Redner auch die Notwendigkeit, dem seit Ausbau der Hochschulen und besonders seit den 20er Jahren umhergehenden ›Schreckgespenst‹ der Vermassung341 durch entsprechende Zulassungsbeschränkungen zu entgehen. Nicht nur für die Hochschule selbst bedeuteten solche Maßnahmen eine Absicherung, »ihre Mission erfüllen« zu können.342 Es werde damit gleichzeitig eine »Proletarisierung des Akademiker-Standes« verhindert.343 Andere Rektoren argumentieren gegen derartige Befürchtungen. Aus ihrer Sicht drohe aufgrund des aktuellen Andrangs weder Hochschule noch Akademiker-Stand schlimmeres Ungemach. Die verstärkte Nachfrage nach Studienplätzen erklären sie pragmatisch mit der vorherigen Kriegssituation, welche die jungen Menschen von der Weiterverfolgung ihrer Ausbildung abgehalten habe, so dass nun mehrere Jahrgänge gleichzeitig zum Studium erschienen, die ihre Ausbildung sonst nacheinander absolviert hätten. Insbesondere die TH-Rektoren stehen typisch für diese pragmatisch geprägte Argumentationshaltung. So rechnet etwa Hans Jungbluth in seiner mit »Akademikerüberfluß?« betitelten Rede 1948 in Karlsruhe genauestens die Studierendenzahlen im internationalen Vergleich vor, nach denen von einer Vermassung des deutschen Hochschulbetriebs keine Rede sein könne. Auch er schreibt den momentanen Andrang an den Hochschulen der äußeren Situation zu. Darüber hinaus argumentiert er, dass mit Blick auf den Wiederaufbau Deutschlands gerade die Akademiker gebraucht würden, da das ressourcenarme Deutschland nur über technische Innovation wieder wirtschaftsfähig sein könne, für die es an erster Stelle gut ausgebildetes Personal benötige. Momentane Zulassungsbeschränkungen hält jedoch auch er für unausweichlich, um das Grundniveau der Ausbildung an der Hochschule nicht durch Überfüllung zu verwässern.344 Die politische Motivierung hinter dem Plädoyer für eine weniger restriktive Zulassungspolitik wird an anderer Stelle noch um einiges prominenter. Edwin Redslob zeigt in seinem Rektoratsbericht 1950 an der Freien Universität Berlin verschiedene Gründe für die Alternativlosigkeit des schnellen Wachstums der jungen Hochschule auf, die er in der speziellen Gründungssituation der FU begründet sieht. Die Universität sei

340 K. Geiler (HD RKU 1948), S. 10 f.; H. G. Creutzfeldt (KI CAU 1946), S. 3. 341 Zur Bedeutung und Vorkommen der Vermassung im Rektoratsreden-Diskurs vgl. Kap. V.1, S. 107 f. Vgl. zur Wiederkehr dieser universitären Krisenwahrnehmung besonders H. Titze (1990), S. 263–291; S. Paletschek (2001), S. 142–155. D. Langewiesche (2008e), S. 199–203. 342 F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 11. 343 A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 8 f. 344 H.  Jungbluth (KA THF 1948). In ähnlichem Tenor etwa auch: F.  Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 18; P. Röntgen RB (AC RWTH 1948), S. 21.

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demzufolge geradewegs verpflichtet, einem jeden, der sich nicht dem politisch beeinflussten Hochschulbetrieb der Ostzone beugen wolle, Raum zu bieten. Darüber hinaus sei es explizite Aufgabe der FU, der »Jugend von Westberlin« die Möglichkeit zu einem freien Studium zu eröffnen.345 Von nicht zu unterschätzender Bedeutung, das betonen einige der Rektoren, sei bei verstärktem Zulauf zu den Hochschulen das zahlenmäßige Verhältnis zwischen vorhandenem Lehrpersonal und zugelassenen Studierenden. Wolle man die »große Masse von Studenten« nicht wie bisher »sehr weitgehend sich selbst überlassen«346, wolle man also die selbstgesteckten Ziele einer umfassenden Ausbildung im Kreise der akademischen Gemeinschaft tatsächlich umsetzen, so gehe dies nur über eine Aufstockung des Lehrpersonals. Der Physiker Wilhelm Fucks stellt anlässlich der 80-Jahrfeier der RWTH Aachen in Anlehnung an die verwaltungsübliche Berechnung des »minimalen Verwaltungsbezirks« eine Formel zur durchschnittlichen Berechnung des an der Hochschule im Mindesten benötigten Personals auf, die er gleichsam als hochschulpolitisches Argument für deren weiteren strukturellen Ausbau nutzt. Er multipliziert dabei ζ = die Anzahl der »selbständig Lehrenden«, kurz gefasst also der Professoren = 100 mit z = der Anzahl an Mitarbeitern pro »selbständig Lehrendem«, also die Diplomanden, Doktoranden und Habilitanden = 10 und mit t = der durchschnittlichen Verweildauer eines solchen Mitarbeiters an der Hochschule = 5 Jahre (vier davon dienen seiner weiteren Ausbildung): Damit kommt er auf eine Mindestgröße von 5.000 Mitgliedern eines Hochschul-Lehrkörpers. Vor dem Hintergrund solcher Berechnungen hält Fucks das bisherige Wachstum der Hochschule für ein grundsätzlich begrüßenswertes Phänomen, das durchaus weiter gefördert werden dürfe.347 Trotz ihrer grundsätzlichen Befürwortung einer beschränkten Zulassung zum Studium beklagen die Rektoren in ihren Reden selbst die zwangsläufig bei solchen Auswahlverfahren auftretende Ungerechtigkeit. Sie bemühen sich daher, die Kriterien, die jener Selektion zugrunde liegen, möglichst transparent zu machen. Besonders in den Anfangsjahren betonen sie zum Beispiel, dass »Härtefälle« wie Flüchtlinge, Heimatvertriebene, Kriegsversehrte und überhaupt Kriegsteilnehmer bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt berücksichtigt würden.348 Ein zentraler Punkt in der gesamten Zulassungsthematik ist indes die Frage der geistig-intellektuellen Qualität der Bewerber. Genauso wie Barbara Wolbring die Selbstpositionierung der Hochschulen in den gesellschaftlichen Reformdiskursen der Nachkriegszeit beschreibt,349 besteht auch im Chor der Rektoratsreden einhellige Übereinkunft, dass die Leistung der Erwählten stim345 346 347 348

E. Redslob RB (FU B 1950), S. 4. F. Böhm RB (F JWGU 1949), S. 9. W. Fucks (AC RWTH 1950), S. 15 f. W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 10; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 11; A. Reatz RB (MZ JGU 1949), S. 8 f. 349 B. Wolbrbing (2014), v. a. S. 154–161.

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men müsse. Vor allem an den Hochschulen in den westlichen Zonen gilt das Abitur unabhängig vom Hochschultypus bald wieder als gewünschtes Maß, an dem die geforderten Studienvoraussetzungen abzulesen seien. Die Zwischenphase, in der man sich »zur Bewältigung eines Massenproblems« mit »Massentechniken« bei der Auswahl der Studenten behelfen müsse, wünscht sich eine Vielzahl an Rektoren alsbald als überwunden.350 Das Abitur sei, so Theodor Pöschl, keine reine »Formalität«: »Es ist nun einmal so, dass die Reife, wie sie im Abiturzeugnis der höheren Schulen zum Ausdruck gebracht wird, im allgemeinen nicht in einem Schnellverfahren erworben werden kann. Durch ein solches können wohl gewisse Kenntnisse angelernt werden, nicht aber die zur wissenschaftlichen Arbeit erforderlichen Bedingungen, deren Aneignung in den meisten Fällen nur durch eine allmähliche, auf viele Jahre verteilte Schulausbildung, aber nicht durch ein forciertes Kurzstudium möglich ist.«351

In der SBZ beharrt man weit weniger auf dem Abitur als der relevanten Richtgröße in der Zulassungsfrage, sieht sich jedoch gleichermaßen einem aktuell nicht zu bedienenden Zustrom an Studienbewerben gegenüber. Dieser müsse wegen der begrenzten Kapazitäten der Hochschule zwangsläufig zu einer Begrenzung der Aufnahmezahlen führen, auch wenn man damit – wie Werner Straub in seinem Rektoratsbericht 1948 an der TH Dresden feststellt – eine Kollision mit dem »Nachwuchsbedarf der Wirtschaft und Verwaltung« provoziere. Die Hochschule müsse sich seiner Ansicht nach dennoch bemühen, die verschiedenen gesellschaftspolitischen Anforderungen, die an sie gestellt werden, in bestmöglichem Maße zu erfüllen: »Das im Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule verankerte gleiche Recht auf Bildung ohne Rücksicht auf Herkunft und Vermögen nach Maßgabe der Anlangen und Fähigkeiten zusammen mit dem Grundgedanken des Arbeiterstudiums und der politischen Notwendigkeit, eine wirklich demokratische Gesinnung und Haltung des akademischen Nachwuchses zu sichern bilden den dreifältigen Komplex gesellschaftspolitischer Bedingungen. Zu ihm gesellt sich die für den wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufstieg unseres Volkes nicht minder gewichtige Forderung, durch Erfassung der Begabungen ein möglichst hohes wissenschaftliches Niveau des Nachwuchses zu sichern und der Ausbildung nur voll Befähigte zuzuführen.«352

Rudolf Gross ergänzt diesen Katalog noch um eine leistungsbezogene Anforderung, die Studierenden selbst betreffend. Diese müssten in Kauf nehmen, dass ihnen die knappen Kapazitäten an den Hochschulen die Freiheit während des Studiums beschnitten. Die Studenten seien gehalten, sich sowohl in der Länge wie auch in der Ausgestaltung ihres Studiums zu beschränken, um dem Arbeits-

350 W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 16 f. Ähnlich auch: E. Redslob RB (B FU 1950), S. 4. 351 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 11. 352 W. Straub RB (DD TH 1948), S. 7 f.

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markt baldmöglichst zur Verfügung zu stehen, was z. B. einen Fächerwechsel nur in Ausnahmefällen möglich mache.353 Was sich in dem Rede-Ausschnitt von Werner Straub bereits andeutet, ist eine allgemein zu beobachtende Tendenz beim Aufbau der neuen Hochschule. In ihrem Bestreben, im Zentrum der Gesellschaft positioniert zu sein, verkünden die Hochschulen über ihre Rektoren, sich künftig verstärkt gegenüber neuen gesellschaftlichen Schichten öffnen zu wollen. Auf der Suche nach »Hochbegabten«, die das Land in der Zukunft voranbringen helfen sollten, wollen sich die Hochschulen nun ganz gezielt auch in bildungsferneren Schichten umtun. Als Argument hierfür führen die Rektoren an, die besonderen Talente seien unabhängig von Stand und Herkunft gleichmäßig in der Gesellschaft verteilt. Daher müsse die Hochschule dringend für die – anteilsmäßig an der Bevölkerung betrachtet – große Zahl an bisher unentdeckten Hochbegabten aus den »arbeitenden Schichten« erschlossen werden, um das Wohl der Allgemeinheit dauerhaft zu sichern.354 Dieses Credo der sozialen Gleichheit verfolgen die Hochschulen nach Aussage ihrer Rektoren bereits in der Zulassungspolitik. Man wolle, so die Redner, keinesfalls nur »gewissen Kreisen«355 offenstehen. Wie allerdings der Weg, Studenten aus weniger zahlungskräftigen Ständen mit weniger bildungsbürger­ lichem Hintergrund an die Hochschule zu bringen, in der Praxis umgesetzt werden solle, darin verfolgen die Hochschulen kein einheitliches Konzept. Die Hochschulleitungen bleiben bei der Vorstellung ihrer Reformprogramme zumeist den Vorschlag schuldig, wie bei der Förderung jener Studentenschicht zu verfahren sei. Die Rektoren äußern zu diesem Komplex allenfalls vereinzelte, eher inkonkret gehaltene Ideen. Manche Redner wälzen die Begabtenförderung gänzlich auf die Schule ab, wo eine »weise Erziehungsbehörde« Mittel und Wege zu finden und umzusetzen habe, dass Kinder unabhängig von den Fördermöglichkeiten des Elternhauses gleiche Bildungschancen erhielten.356 Gerade an den Hochschulen in den Westzonen wird – nicht zuletzt durch das Festhalten am Abitur als Legitimation zum Hochschuleintritt – die ausreichende Vorbildung aller Studenten gleich welcher Herkunft als unverzichtbar angesehen. Der Zugang zur Hochschule ist demzufolge hier letztlich an mehr Bedingungen geknüpft als allein an die Begabung. Eine Vielzahl an Rektoren befürwortet eine finanzielle Förderung bedürftiger Studenten. Möglichkeiten der Förderung sehen die Redner etwa im Erlass von Gebühren, in Buchspenden und vor allem in Stipendien. Hier allerdings zeigt sich, dass dieses Vorhaben im Westen vorsichtiger angegangen wird als im 353 R. Gross (GW EMAU 1949), S. 1. 354 E. Heidebroek (DD TH 1946), S. 10; K. H. Bauer (HD RKU 1945a), S. 18; W. Fucks (AC RWTH 1950), S. 17. 355 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 15. 356 So etwa F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 7 f.; F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 18 f.

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Osten. Georg Hohmann verweist noch im gleichen Satz, in dem er eine finanzielle Unterstützung von Studenten durch die öffentliche Hand fordert, auf die notwendige Anpassung derartiger Fördermöglichkeiten an die jeweilige staat­ liche Finanzlage.357 Theodor Pöschl argumentiert aus dem historischen Ideal des Hochschulbildes, die Hochschule habe in ihrer Geschichte noch nie auf die Herkunft eines Begabten geschaut. Finanzielle Fördermöglichkeiten über Stipendien habe es immer schon gegeben. Folglich weist er den Vorwurf, »die Hochschulen seien nur für die besitzenden Kreise da und verschlössen sich dem Zuzug aus Arbeiterkreisen«, als »doppelt unberechtigt« zurück. Dennoch erachtet auch er einen Ausbau des Förderwesens pauschal für wünschenswert.358 Im Osten wird die Öffnung der Hochschulen und die damit verbundene Notwendigkeit einer Förderung von Studenten um einiges klarer kommuniziert. Folglich feiert Werner Straub die Gründung der Sozialen Studentenhilfe (SoSt) im Land Sachsen in seinem Rektoratsbericht 1948 an der TH Dresden als große gesellschaftliche Errungenschaft: »Mit der Sozialen Studienhilfe, die im Mai ds. Js. konstituiert wurde, wurde die zentrale Organisation geschaffen, der neben der Einrichtung und Unterhaltung sozialer Institutionen, wie der Mensa-Betriebe und Studentenheime, die ausschließliche Vergebung der Stipendien zukommt. Bedenkt man, dass etwa 75 % unserer Studierenden durch Gebührenerlass und Stipendien die Durchführung ihres Studiums ermöglicht wird, vernimmt man, dass im abgelaufenen Studienjahr rund 1 160 000 Mark dafür von der SoSt zu Verfügung gestellt wurden, die teils aus staatlichen Mitteln, teils aus Beiträgen, die durch Betriebe und die demokratischen Organisationen und Parteien zufließen, stammen, so wird deutlich, in welchem Maße heute das Hochschulstudium aus dem individuellen in den gesellschaftlichen Bereich übergegangen ist.«359

Jene breit angelegte Förderpolitik in der SBZ bzw. DDR ist Teil des Konzeptes der »Volksuniversität«. Im Zuge der politischen Neuausrichtung gehörte die Verbreiterung der gesellschaftlichen Elite zu dem Programm, das die Sowjetische Besatzungsmacht beförderte. Der Hochschule kam darin explizit die Aufgabe zuteil, die neuen Führungsschichten mit dem nötigen Wissen und der richtigen Haltung auszustatten. Sie war damit ganz klar in das politische Projekt der gesellschaftlichen Umgestaltung eingebunden, das unter dem Leitmotiv einer sozialen Einigung kommuniziert wurde. Bereits im Dezember 1945 gab die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung in der SBZ »Grundlegende Hinweise über die Zulassung zum Studium an Universitäten und Hochschulen« heraus. Darin forderte sie explizit die »Heranbildung einer neuen demokratischen Intelligenz« 357 G. Hohmann (M LMU 1946), S. 16. 358 Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 11. Zur Entwicklung von Stipendienwesen und Stiftungen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Th. Adam (2008). 359 W.  Straub RB (DD TH 1948), S. 8. Weitere Stipendienfonds richten der FDGB und die Länder ein, vgl. hierzu H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 17 f. sowie I.-S. Kowalczuk (2003), S. 273–280.

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als »dringendes Gebot der Stunde« im Sinne einer ›antifaschistisch-demokratischen‹ (Walter Ulbricht) Umgestaltung der Gesellschaft. In der Praxis sah diese Regelung vor, Studenten auch ohne schulisches Reifezeugnis zum Studium aufzunehmen, wenn diese geeignet seien. Die Hochschulen wurden verpflichtet, »Sonderkurse allgemeinbildender und fachlicher Art« einzurichten, obligatorisch für alle Studenten ohne Reifezeugnis wie für solche, bei denen die Dozenten einen Bedarf an Nachschulung feststellten. Vor Studienbeginn sollte zudem ein »Kursus zur demokratischen Erziehung« absolviert werden.360 Zur Umsetzung dieser Forderungen richtete die Universität Berlin 1946 eine Vorstudienanstalt ein, die zur »Brechung des Bildungsmonopols« beitragen sollte. Kinder ›nichtprivilegierter‹ Herkunft, dem politischen Willen nach vornehmlich aus Arbeiter- und Bauernkreisen, hatten dort die Möglichkeit, in 2- bis 3-Jahres-Kursen die nötigen Qualifikationen zu erwerben, um anschließend ein Hochschulstudium zu beginnen. 1949 wurde die Vorstudienanstalt in eine Arbeiter- und Bauernfakultät umgewandelt.361 Ähnlich früh richtete die Universität gemäß dem Rektoratsbericht von Hans Georg Gadamer auf Initiative des Landes Sachsen hin zur Förderung des »sogen. Arbeiterstudiums« Vorbereitungskurse ein, um »einen Großteil von Studierenden an die Universität« zu führen, »die nicht den normal Weg über die öffentlichen höheren Schulen gegangen sind«, namentlich »Jungarbeiter, die durch die bisherigen sozialen und ökonomischen Verhältnisse, in denen sie sich befanden, an ein Studium an der Universität nicht denken konnten«.362 In den Reden der Rektoren der Hochschulen in der Sowjetischen Zone finden sich Bekenntnisse zur »Volksuniversität« und – je nach politischem Bekenntnis des Redners – auch zu dem dahinterstehenden gesellschaftlichen Großkonzept teils schon in den Anfangsjahren. Der Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften und spätere Volkskammer-Abgeordnete Johannes Stroux betont 1946 bei der Wiedereröffnung der Universität Berlin als deren Rektor die versöhnende Wirkung einer solchen Hochschule innerhalb der Gesellschaft:363 »Die erneuerte Universität Berlin wird in einem hohen und wahren Sinne des Wortes eine Volksuniversität sein und sich allen zur Bildung aufstrebenden jungen Menschen aus dem Volke öffnen. Sie wird ihr Blut und ihren Ideengehalt damit erneuern. Sie weiß und hat es eben wieder erprobt, dass die deutschen Arbeiter und die Arbeiterparteien für die Erhaltung von Wissenschaft und Forschung eintreten und für die Werte der Geisteskultur ein offenes Verständnis haben. Sie fühlt sich diesen Kräften und ihrem Streben nach Wissen verbunden und wird, im Gegensatz zu früheren Zeiten 360 Siehe R. Hansen (2012), S. 54–65 und 72–84. 361 A. Vogt (2012), S. 163 f. 362 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 18. Vgl. hierzu auch G. Heydemann (2010), S. 380–404. 363 Stroux selbst stand der neuen Zulassungspolitik von Zentralverwaltung und Militär­ administration intern wie viele Professoren der HU kritisch gegenüber, trug diese Kritik aber nicht nach außen. Im Urteil Reimer Hansens machte er sich mit seinem »timiden Opportunismus« damit zu einem »Erfüllungsgehilfen der Sowjetisierung der Universität«, vgl. R. Hansen (2012), S. 83.

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gegenseitigen Misstrauens zwischen Arbeiter und Intelligenz, die neue und brüder­ liche Verbundenheit zu verstärken und durch neue Mittel der Zusammenarbeit zu ent­ wickeln bestrebt sein; denn aus der erneuerten Universität soll nun eine neue deutsche Intelligenz, die aus allen Schichten des Volkes stammt, hervorgehen, die die volle Höhe wissenschaftlicher Ausbildung mit dem einfachen und wahrhaftigen Charakter des von jedem Standesdünkel freien, zum Dienst für die Gesamtheit des demokratischen Staatswesens entschlossenen Menschen vereinigt.«364

Otto Schwarz, der bereits in den zwanziger Jahren Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gewesen war,365 wird bei seinem Amtsantritt von der Studenten-Zeitschrift der FDJ als erster wahrer »Sozialist« im Rektoramt einer deutschen Universität gefeiert. In seiner Rede bekennt sich Schwarz entsprechend zu der gegenwärtigen Notwendigkeit, die Hochschule als altes gesellschaftliches Gut mit dem neuen politischen Bestreben in Verbindung zu bringen: »Nur wenn es gelingt, dem lebendigen Strom aller jener Kräfte, die am Aufbau einer wahren Demokratie Deutschlands mit ganzem Herzen und heißen Bemühungen beteiligt sind, auch den Weg an die Universität beständig offenzuhalten und ihn in deren weitere Entwicklung organisch einzufügen, kann erwartet werden, dass die Idee der Universität, jene vielleicht schönste Blüte einer großen Vergangenheit der bürgerlichen Geschichtsepoche, in eine glücklichere und gesegnete Zukunft hinübergerettet und zur reifen Frucht gestaltet wird.«366

Zentraler Punkt bei der Umgestaltung der traditionellen Einrichtung zur »Volksuniversität« sei, so Schwarz weiter, das Einbinden der »Arbeiter- und Bauern­ studenten« in Studium und Struktur der Hochschule. Bewertet er vor allem den hohen politischen Gehalt dieser Maßnahme, so beleuchten andere, dem sozialistischen Projekt weniger nahestehende Kollegen in erster Linie die Rahmenbedingungen, die für den Erfolg dieser Reform erfüllt sein müssten. Die fehlende Vorbildung ist dabei für sie ein häufig genannter Punkt für Bedenken.367 Johannes Friedrich erläutert im Bericht zu Ende seines Rektorats Ende Oktober 1949 die verschiedenen Einrichtungen, welche die Universität Leipzig geschaffen habe, um den neuen Studententypus an das Hochschulstudium heranzuführen. Die Vorstudienanstalten mit ihren mehrjährigen Kursen seien zwischenzeitlich zu »Arbeiter- und Bauernfakultäten« ausgebaut worden, welche »künftig in dreijährigen Kursen begabte junge Arbeiter und Bauern zur Universitätsreife führen werden«.368 Ein knappes Jahr später sollte er die DDR verlassen, um fortan an der FU Berlin zu lehren.369 364 J. Stroux (B HU 1946b), S. 11. 365 E. Höxtermann / J. Höxtermann (1992), S.  1208 f. 366 O. Schwarz (J FSU 1948), S. 40 Sp. 3 367 G. Grüß RB (FG BA 1947), S. 9; H. G. Gadamer (L U 1946), S. 6. 368 J. Friedrich RB (L U 1949), S. 3. 369 Vgl. hierzu Eintrag »Prof. Dr. phil. habil. Johannes Karl Eduard Paul Friedrich« im Professorenkatalog der Universität Leipzig: http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/ professorenkatalog/leipzig/Friedrich_412/ (Stand 13.02.2016)

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Friedrichs Vorgänger im Amte, Hans Georg Gadamer, der sich zum Zeitpunkt der zitierten Rede seines Nachfolgers bereits in der Bundesrepublik befand,370 gab in seinem Rektoratsbericht 1947 einen Einblick in die frühen Erfolge jener neuen Hochschul- und Zulassungspolitik. Im Wintersemester 1946/47 seien demnach bereits 450 »Arbeiterstudenten« immatrikuliert worden, im laufenden Semester nochmals so viele.371 Werner Straub macht in seinem Rektoratsbericht 1949 entsprechende Angaben für die TH Dresden: Demzufolge kamen in Dresden 53 % der neuimmatrikulierten Studenten im Wintersemester 1949/50 »aus Arbeiter- und Bauernkreisen«, wodurch sich deren Gesamtanteil an der Studentenschaft damit auf 46,5 % erhöhte. Straub nimmt diese Zahlen als Beleg für das »Ausmaß, in dem das Recht auf Bildung in unserem demokratischen Staatswesen seine konkrete Realisierung findet«.372 Straubs Nachfolger Kurt Koloc befürwortete überdies die Gründung von zusätzlichen Fachhochschulen, wie im Rahmen des Fünfjahresplans vorgesehen, als »notwendige sinnvolle Erweiterung unserer Möglichkeiten der Ausbildung hochqualifizierter Führungskader«.373 Die Rektoren sehen den Bildungsauftrag der Hochschule in der Nachkriegszeit keinesfalls auf den direkten Wirkungskreis ihrer Institutionen begrenzt. Unabhängig vom sie umgebenden politischen System wollen sich die Hochschulen im Zentrum der Gesellschaft verorten. Dazu gehört nach Ansicht der Rektoren ein aktiver Kontakt in die Gesellschaft hinein. Die Redner haben dabei unter anderem die vielen Studienwilligen, die jedoch keinen Studienplatz bekommen konnten, im Auge. Beispielsweise in offenen Abendkursen könne man diesen »doch die Bildungsgüter« der höheren Schule übermitteln, »wenn auch in anderer Form«.374 Die Aufgabe der Hochschule in der Nachkriegszeit sehen die Redner ebenfalls darin, einer Gesellschaft Orientierungshilfe zu geben, die das Wegbrechen ihrer Strukturen, Ordnungsformen wie auch ethisch-moralischer Maßstäbe zu verarbeiten habe. Auch hier berichten die Redner über große Erfolge von frei zugänglichen, explizit an die breite Bevölkerung gerichteten Vortragsprogrammen, welche die Hochschule veranstalte.375 Manche Hochschulen richteten zudem spezielle Bildungseinrichtungen ein, bzw. sorgten für deren Wiederbelebung, die sich der Weiterbildung von Hochschulexternen widmeten. Die »Akademie der Arbeit« an der Universität Frankfurt versorgte nach ihrer Wiedergründung den »Nachwuchs der Gewerkschaftsbewegung mit dem erforderlichen sozialpolitischen, wirtschaftswissenschaftlichen und juristischen 370 Vgl. hierzu Eintrag »Prof. Dr. phil. habil. et Dr. h. c. mult. Hans-Georg Gadamer« im Professorenkatalog der Universität Leipzig: www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professoren​ katalog/leipzig/Gadamer_454/ (Stand 13.02.2016) 371 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 17 f. 372 W. Straub RB (DD TH 1949), S. 9 f. 373 K. Koloc RB (DD TH 1950), S. 10. 374 P. Röntgen (AC RWTH 1946a), S. 15. 375 W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 22; R. Seeliger RB (GW EAMU 1949), S. 4.

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Rüstzeug«, um dadurch – so die Beurteilung von Walter Hallstein – die gedeihliche »Entwicklung eines freiheitlichen politischen Lebens in unserem Volke« zu unterstützen.376 Andere Rektoren berichten auch darüber, dass ihre Hochschullehrer aktiv aus der Hochschule zu Vorträgen hinausgingen und sich beispielsweise an der Arbeit der Volkshochschule beteiligten.377 Zu dem Bestreben der Hochschule, einen zentralen Platz innerhalb der neuen demokratischen deutschen Gesellschaft einzunehmen, gehört in der Wahrnehmung der Rektoren ebenso ein enger Kontakt zu der sie umgebenden Sphäre über rein bildungsmäßige Belange hinaus. Die frühzeitige Wiedereröffnung der Anstalten höherer Bildung nach Kriegsende werten Redner wie Friedrich Hermann Rein als Zeichen dafür, »dass offensichtlich den Universitäten für den Wiederaufbau Deutschlands eine besondere Bedeutung beigemessen wird«.378 Eine enge Verbundenheit zwischen Universität und Öffentlichkeit bedeute derweil keinen Verzicht auf Unabhängigkeit seitens der Hochschule. Genauso wenig sei damit eine Reduzierung des Anspruchs an die Arbeit innerhalb der Hochschule selbst verbunden. Vielmehr sei der Austausch mit der außeruniversitären Welt für die Hochschule geradewegs lebensnotwendig, zumal in Zeiten des Wiederaufbaus.379 Ihre Arbeit vollziehe sich zwar fernab der Öffentlichkeit. Diese Ruhe wolle und müsse man sich erhalten, um die gestellten Aufgaben überhaupt erfüllen zu können.380 Dennoch sei die Hochschule, so Arthur Allgeier, »wie jedes zoon politikon« bedürftig nach »wohlwollender Mitarbeit der Bürger und Freunde«.381 In diesem Sinne sei es im Gefüge eines demokratischen Gemeinwesens umgekehrt allerdings genauso Pflicht der Gesellschaft, an der Arbeit der Hochschule und ihren Angelegenheiten Anteil zu nehmen, in den aktiven Austausch mit ihr zu gehen und eigene Impulse in ihren Betrieb hineinzugeben. Schließlich, so das Fazit dieser Aufforderung, handele es sich bei der Hochschule um ein zutiefst öffentliches Anliegen.382 Der Notwendigkeit, die Verbindung zwischen Hochschule und Gesellschaft in der Gegenwart aktiv zu stärken, widmet Hans Herloff Inhoffen in seiner Rede an der TH Braunschweig 1948 einen längeren Abschnitt. Er sieht mit Blick auf diese Anforderung in erster Linie die Hochschule gefragt, die es schaffen müsse, ihre Arbeit und Ergebnisse an die breite Öffentlichkeit zu kommunizieren. Den gegenwärtig spektakulären Ergebnissen der Naturwissenschaften oder der Medizin gegenüber sieht er bereits ein größeres allgemeines Interesse entgegenge376 377 378 379

W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 22 f. R. Seeliger RB (GW EAMU 1949), S. 4; G. Isele RB (MZ JGU 1951), S. 20. F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 3. G. Tellenbach RB (FR ALU 1950), S. 63; W. Trillhaas (GÖ GAU 1950), S. 2; G. Isele RB (MZ JGU 1951), S. 19 f.; G. Hohmann (M LMU 1946), S. 14 f.; A. Allgeier (FR ALU 1946), S. 19; O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 6.. 380 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 23. 381 A. Allgeier (FR ALU 1946), S. 19 f. 382 W. Straub RB (DD TH 1949), S. 1; K. Apel (B TU 1948), S. 7; H. Jungbluth (KA THF 1948), S. 13 f.

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bracht. Die Geisteswissenschaften müssten demgegenüber noch aufholen. Die Hochschullehrer seien dazu aufgefordert, aus dem geschlossenen Raum der Wissenschaft hinauszutreten und allgemein verständlich über ihre Arbeit berichten. Mehr noch, sie sollten auch über reine Fragen der Wissenschaft hinaus zu »Fragen Stellung nehmen, die die Öffentlichkeit angehen und diejenigen unter uns, die dazu befähigt sind, zu intensiverer Auseinandersetzung mit den drängenden Problemen des Tages anspornen«.383 »Man müsste überhaupt die Beantwortung der Frage, ob die Hochschulen sich auf dem richtigen Weg befinden mit der Feststellung verknüpfen, ob sie künftig imstande sein werden, dem Staatswesen neben Forschern und Technikern einen weitaus größeren Prozentsatz an fähigen Staatsmännern zur Verfügung zu stellen als dies bisher der Fall gewesen ist.«384

Weitere Betätigungsmöglichkeiten in Sachen Öffentlichkeitsarbeit sehen die Kollegen Inhoffens etwa in der Kontaktpflege mit den Medien, bei Georg Isele die »modernen Führungsmittel wie Rundfunk, Presse und Film«. Nach Vorstellung der Rektoren könnten bestimmte Programme über die Hochschul-Aktivitäten berichten, spezielle Seminare an der Hochschule abgehalten werden, bzw. könnten Hochschulvertreter über eine Mitgliedschaft in den Rundfunkräten auch direkten Einfluss ausüben. Die Hochschule lade traditionell zudem, so die Rektoren, bewusst Vertreter des öffentlichen Lebens zu ihren Feierlichkeiten ein, um sie ihrer Arbeit in den eigenen Wänden noch ein Stück näherzubringen. Noch näher an die Belange der Allgemeinheit sollten die Hochschullehrer nach Vorstellung verschiedener Rektoren künftig als freie, den Zwängen der Parteipolitik nicht unterworfene Berater der Politik rücken. Damit würde gleichzeitig auch die Hochschule selbst an Gestaltungskraft innerhalb der Gesellschaft gewinnen.385 Für alle diese Betätigungsfelder benötige die Hochschule jedoch eine hinreichende Finanzierung. Insofern schließen die Rektoren an ihre Bekundungen der Offenheit gegenüber jedweden gesellschaftlichen Anliegen jeweils die Forderung nach entsprechenden Finanzmitteln an, welche der Hochschule zu deren Erfüllung zur Verfügung gestellt werden müssten. Die Notwendigkeit der Forschungsförderung stellen die Redner besonders hervor, da gerade Forschungsergebnisse für die Gesellschaft in wirtschaftlicher Hinsicht von großer Bedeutung seien. Dies gelte vor allem für die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer, die allerdings auch die meisten Finanzmittel für ihre Arbeit benötigten. Nach der vorangegangenen Isolierung im Nationalsozialismus müsse man nun einiges aufholen. Die Zerstörungen des Krieges hätten schließlich das ihre hinzugetan, um nun ein starkes Engagement des Staates als Hauptgeldgeber zu 383 H. H. Inhoffen (BS THCW 1948), S. 5–7. 384 H. H. Inhoffen (BS THCW 1948), S. 7. 385 G. Isele RB (MZ JGU 1951), S. 20; F. H. Rein (GÖ GAU 1946), S. 3; Th. Pöschl (KA THF 1947), S. 15.

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rechtfertigen, wolle man nicht eine Abwanderung bedeutender Wissenschaftler riskieren oder aber in erneute Abhängigkeiten geraten, etwa von der Industrie. Um die Beziehung zwischen Staat und Hochschule vor einem Abhängigkeitsverhältnis wie im NS zu bewahren, müsse zudem das Mitspracherecht, das dem Staat im Gegenzug zur Finanzierung der Hochschule zustehe, künftig genauestens geregelt werden. Fest steht für die Rektoren jedoch die Verpflichtung des Staates, den Hochschulen auch und gerade in solch schwierigen Zeiten beizustehen.386 Der Ausruf von Theodor Süß, »Wir sind zu arm, um uns schlechte Universitäten leisten zu können«, dokumentiert diese Haltung sehr pointiert. Süß schließt daran z. B. den Vorschlag an, den bisherigen Militär-Etat in einen Kultur-Etat umzuwandeln, von dem auch die Hochschulen profitieren sollen.387 Nach Gründung der Bundesrepublik fordert Kurt Apel ein verstärktes Engagement des Bundes, indem er die Eidgenössisch Technische Hochschule (ETH) in Zürich als Vorbild eines solchen Fördermodells anführt.388 Mit Fortschreiten der Zeit und einer auch seitens der Redner konstatierten zunehmenden ›Normalisierung‹ der allgemeinen Lage wagen die Rektoren mehr Vorstöße in Richtung Politik, um Fehlentwicklungen zu kritisieren, die sie aus ihrem Blickwinkel feststellen. Die intensivste Auseinandersetzung findet mit der Kultuspolitik auf Länderebene statt, wo die für die Hochschulen direkt zuständigen Entscheidungsstellen angesiedelt sind. Mehrfach äußern Rektoren Kritik an den Rahmenbedingungen von Berufungsverfahren. Diese seien zu komplex, zu sehr mit landesspezifischen Regelungen überfrachtet, immer mehr vom finanziellen Aspekt der Verhandlungen belastet etc. Die Ängste hinsichtlich der Konkurrenzfähigkeit ihrer Institutionen, welche die Rektoren bereits in Bezug auf den internationalen Vergleich geäußert haben, treiben sie ebenso auf nationaler Ebene um. Sie ermahnen die Politik, die Freizügigkeit der Wissenschaftler nicht durch politische Absprachen zu behindern. Sie warnen davor, im nationalen wie im internationalen Zusammenhang den Eindruck entstehen zu lassen, ein bestimmter Standort sei aus bürokratischen Gründen ungünstig für die wissenschaftliche Betätigung. Sonst werde man die besten Köpfe an andere Hochschulen verlieren.389 Genauso engagiert kämpfen die Rektoren für den Erhalt ihrer Einrichtungen, wo sie diese von politischen Rationalisierungsplänen bedroht sehen. Otto Flachsbart etwa setzt sich massiv für den Bestand der TH Hannover ein. Diese sieht sich mit Bedenken der niedersächsischen Landesregierung konfrontiert, als zweite Technische Hochschule des Landes – neben der TH Braunschweig – finanziell nicht tragbar zu sein. Flachsbart rechnet dagegen vor, es gebe in ganz 386 E. Redslob RB (B FU 1950), S. 7; K. Geiler (HD RKU 1948), S. 9 f.; H. Freese (B TU 1949), S. 9; H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 8 f.; F. Baumgärtel (ER FAU 1948), S. 6. 387 Th. Süß (ER FAU 1946), S. 15. 388 K. Apel RB (B TU 1949), S. 7. 389 F. Böhm RB (F JWGU1949), S. 11; G. Isele RB (MZ JGU 1951), S. 10.

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Deutschland auf elf Länder verteilt insgesamt nur sieben Technische Hochschulen, »und das in einem Zeitalter der Technik«. Man stehe damit in der Verantwortung für den technischen Fortschritt gegenüber der gesamten deutschen wie auch der europäischen Bevölkerung. Sollte also das Land Niedersachsen zwei THs nicht finanzieren können, »dann kann nach unserer Auffassung daraus nicht der Schluß gezogen werden, dass eine Hochschule zu verschwinden hat, sondern höchstens der, dass die Landesgrenze falsch gezogen ist«.390 Eine weitere Entwicklung, die erst über die Jahre klarer in den Reden sichtbar wird, ist das Bewusstsein, unterschiedlichen ideologisch-politischen Grundausrichtungen anzugehören. Im Westen äußert sich dies zum ersten Mal in größerem Stil zu Beginn des Kalten Krieges – der Zeitabschnitt, in den auch die Gründung der Freien Universität Berlin fällt. Der Gründungsrektor der FU, Historiker Friedrich Meinecke, ordnet die Hochschul-Neugründung in den politischen Gesamtzusammenhang ein als »einzelnen Punkt auf dem großen Schlachtfeld der Welt, in dem großen Kampf der Geister und der realen Mächte«. Er ruft für den Bereich der wissenschaftlichen Arbeit, die er in der SBZ als grundsätzliches »Streben nach Wahrheit« – »trotz des Irrtums über die Zeitlage, in dem man dort befangen ist« – noch für möglich hält, zum »Wetteifer miteinander« auf, anstatt zum »Kampf gegeneinander«.391 Sein Nachfolger Hans Kress von Kressenstein spricht nur zwei Jahre später mit weit weniger integrativem Impetus vom Westen Berlins als »dem Vorposten abendländischer Geisteshaltung und Kultur«.392 Nachdem die Stadt während der Dauer der Blockade für mehr als ein Jahr auf die Unterstützung aus den Westgebieten abhängig war, sucht Kurt Apel in seinem Rektoratsbericht an der Technischen Universität im November 1949 nach Wegen, auf Berliner Seite eine Gegenleistung für die geleistete Hilfe zu erbringen. Ein guter Beitrag dazu läge aus seiner Sicht etwa in der seitens der Hochschule angestrebten Wiedererrichtung der Bergbau-Fakultät.393 Apel zielt damit wohl auf eine Unterstützung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus seitens der Hochschule, besonders vor dem Hintergrund, dass mit der Bergakademie Freiberg eine der wenigen Ausbildungsstätten im Bergbau-Bereich aus politischen Gründen weggefallen sei. Er erläutert seinen Vorschlag jedoch nicht näher. Im Osten tauchen je nach der politischen Überzeugung der einzelnen Nachkriegsrektoren bereits früher Hinweise auf einen bewussten Umgang mit unterschiedlichen politisch-systemischen Konzepten auf, vor allem im Umfeld der gesellschaftspolitischen Positionierung der »Volksuniversität«. Durch die direkte Einbindung der Hochschule in politische Programme wie den Zweijahresplan, der am 30. Juni 1948 verkündet wurde, erfolgte zudem eine bewusste Aufladung von Wissenschaft und Hochschule mit den Inhalten des sozialistischen Gesellschaftsprojekts. Die TH Dresden etwa veranstaltete im November 1948 einen 390 391 392 393

O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 12. F. Meinecke (B FU 1948), S. 21 f. H. Kress v. Kressenstein (B FU 1950), S. 21. K. Apel RB (B TU 1949), S. 4.

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Dies academicus als Tagung zur Vorbereitung auf den Zweijahresplan. In seiner Ansprache zu diesem Anlass bezeichnet Rektor Werner Straub die »unmittelbare, auf gegenseitiger Kenntnis aufgebaute Verbindung zwischen Hochschule und Praxis« als »sinnvoll und notwendig«.394 Otto Schwarz beurteilt den Zweijahresplan in seiner Antrittsrede an der Universität Jena nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht als einen großen Schritt aus der gegenwärtig schwierigen Lage. Er trage darüber hinaus dazu bei, »eine neue demokratische Beziehung zur Arbeit des einzelnen herstellen, ohne die ein Fortschritt und ein Weg aus diesen Trümmern nicht möglich ist«, woraus Schwarz wiederum folgert: »Dem Zweijahrplan an unserer Universität die Möglichkeit zur Entfaltung zu verschaffen, ist nichts anderes als ein weiterer Schritt zu einer wirklichen Volksuniversität.«395 Der »erste Sozialist« im Rektoramt einer deutschen Hochschule, Schwarz, ordnet auch seine eigene Wahl dem größeren Zusammenhang »der vor sich gehenden geschichtlichen Umwälzung« unter. Er zieht eine deutliche Grenze zu der bisherigen Gesellschaftsform und damit auch zur Gestalt der traditionellen Hochschule, die nun – »in die Hände der Klasse der Werktätigen gelegt« – die eigene »ruhmreiche Vergangenheit« als Basis nehme, sich in eine neue, bessere Zukunft aufzumachen. Der Weg der Hochschule in die Zukunft geht für die Rektoren unabhängig von den jeweiligen politischen Systemen jeweils mit einer Öffnung der Institution gegenüber internationalen Einflüssen einher. Dies ist bereits im Konzept der Universitas angelegt, wird aber von den Rednern in ihren jeweils formulierten Reform-Absichten gleichermaßen als grundlegendes Element der neuen Hochschule betont. Zum erfolgreichen Wiederaufbau eines funktionierenden Hochschulbetriebs zählt es in den Augen der Rektoren neben allen internen Reformen und Restrukturierungen als dringende Erfordernis, den unterbrochenen Austausch mit ausländischen Institutionen wiederaufzunehmen. Walter Hallstein konstatiert, dass »die deutsche Wissenschaft der Gegenwart nichts dringender braucht als die Befreiung aus der nationalen Isolierung der letzten anderthalb Jahrzehnte«.396 Hans Georg Gadamer sieht eine starke internationale Vernetzung als wichtiges Ziel, um die »Verengung« zu überwinden, »an der die Wissenschaft in Deutschland in Folge des Nationalsozialismus« gerade auch durch die »Isolierung und Abschnürung von der Wissenschaft des Auslandes« besonders leide.397 Aus diesem Grund heißen die Redner jedes einzelne Kooperationsangebot einer ausländischen Hochschule mit großer Begeisterung willkommen. Das Beispiel der Universität Frankfurt illustriert, wie der akademische Austausch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder etabliert wurde. Auf 394 W. Straub (DD TH 1948), S. 5 f. 395 O. Schwarz (J FSU 1948), S. 41 Sp. 2. Weitere Verweise auf den Zweijahresplan bei J. Friedrich RB (L U 1949), S. 12; W. Straub (DD TH 1949), S. 4. 396 W. Hallstein RB (F JWGU 1948), S. 18. 397 H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 12.

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Einladung der Universität Chicago startete ein Austauschprogramm, das zunächst jedes Jahr eine gewisse Anzahl an Dozenten von Chicago nach Frankfurt bringen sollte. Insbesondere die Rektoratsberichte geben Aufschluss über die Entwicklungen der Auslandskontakte der einzelnen Hochschulen.398 Für viele deutsche Hochschulen gestaltete sich das Wiederanknüpfen internationaler Beziehungen anfangs in der Art, dass die Welt in der ein oder anderen Form zunächst zu ihnen gebracht wurde. Ausländische Gelehrte übernahmen Gastprofessuren oder kürzere Lehraufenthalte an einer deutschen Hochschule wie beispielsweise in Frankfurt. Andere Beispiele für eine ähnliche Wiederaufnahme internationaler Kontakte finden sich an den Universitäten Freiburg und Tübingen, die über starke Verbindungen zu Hochschulen in Frankreich verfügten.399 Von der Universität Würzburg aus gab es gute Kontakte zu britischen, niederländischen und schweizerischen Gelehrten.400 Die RWTH Aachen re-­etablierte internationale Kontakte über Beziehungen zu Institutionen in den nah angrenzenden Nachbarländern, später ebenfalls in den USA.401 Bereits recht früh kamen auch wieder Studenten aus anderen Ländern, um an deutschen Hochschulen zu studieren, entweder in Form eines längeren Studienaufenthalts oder lediglich für einen Sommerkurs. Die Universität Tübingen richtete bereits im Akademischen Jahr 1946/47 wieder Ferien-Kurse aus, an denen Studenten aus der Schweiz, Frankreich und Großbritannien teilnahmen.402 Josef Kroll hieß in einer Ansprache im Juli 1947 die ersten internationalen Teilnehmer zum ersten Sommerkurs nach dem Krieg an der Universität Köln willkommen.403 Die deutschen Hochschulen verzeichneten daneben auch reguläre Einschreibungen ausländischer Studenten. Zunächst handelte es sich hierbei vor allem um sogenannte ›Displaced Persons‹, Personen also, die unfreiwillig etwa als Flüchtlinge, Gefangene oder Zwangsarbeiter nach Deutschland gekommen waren und die noch nicht in ihre Heimatländer hatten zurückkehren können. In den späteren Jahren des Erfassungszeitraums hingegen waren vermehrt wieder Austausch-Studenten aus europäischen Ländern und den USA an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Constantin von Dietze etwa berichtet, dass im Wintersemester 1948/49 an der Universität Freiburg 7 % aller Studenten aus dem Ausland kamen.404 Kurz zuvor hatte die Universität die Studiengebühren für ausländische Studenten abgeschafft, um für diese Klientel attraktiver zu sein.405 398 399 400 401 402 403

N. Hammerstein (2012), S. 39. C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 17; Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 21 f. E. Rösser RB (WÜ BJMU 1949), S. 9. W. Müller RB (AC RWTH 1950), S. 20 f. Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1947), S. 4. J. Kroll (K U 1947), S. 61–63. Auf diesen »ersten Deutschlandbesuch ausländischer Studenten nach dem Kriege« verweist auch die Chronik der Universität Köln, E. Meuthen (1988), S. 51. 404 C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 6. Zu den Auslandskontakten der Freiburger Studenten siehe auch U. Christ (2007), S. 564–566. 405 C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 17.

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Neben solch größeren Ereignissen wie Gast-Dozenturen und Ferien-Kursen trugen nicht zuletzt auch Buch-Spenden dazu bei, die weite Welt in deutsche Studierzimmer zu bringen. Da die Hochschulen die extreme Knappheit an Büchern nach dem Krieg aus ihren eigenen Mitteln kaum beheben konnten, waren solche Spenden mehr als willkommen.406 Die Rektoren bedenken die Donatoren in ihren Berichten mit entsprechendem Applaus. Die Universität Würzburg erhielt beispielsweise Buchspenden aus den USA, der Schweiz, Frankreich und Schweden. Ihr Rektor Ernst Rösser stuft die gespendeten Bücher in seinem Rektoratsbericht 1949 rückblickend als einen der Faktoren ein, die »für Deutschland neue Tore zur Welt aufgetan haben«.407 Bald öffneten sich die Türen schließlich in beide Richtungen, so dass deutsche Gelehrte und Studenten auch eingeladen wurden, ins Ausland zu reisen, zunächst in die umliegenden Länder. Mit Stolz und Dankbarkeit verkünden die Rektoren derartige Neuigkeiten zumeist als geballte Erfolgsmeldung in ihren Berichten. So konnten sich die Tübinger und Freiburger Rektoren über Ein­ladungen in die Schweiz freuen, wenn etwa die Universität Zürich Stipendien an Tübinger Studenten zum Studium in Zürich vergab. Die nahegelegene Universität Basel ermöglichte Studenten aus Freiburg die Teilnahme an ihren Lehrveranstaltungen. Die internationalen Austausch-Aktivitäten nahmen in Freiburg nach wenigen Jahren bereits derart aktive Züge an, dass die Universität 1950 beschloss, eine Akademische Auslandsstelle zu deren Koordination zu eröffnen. An beiden Universitäten, in Freiburg und Tübingen, berichten die Rektoren zudem über Austauschprogramme mit Universitäten in Frankreich.408 Studenten der Technischen Hochschule in Hannover hatten in den Jahren bis 1949 zur Freude von Otto Flachbart bereits die Möglichkeit zu Studienaufenthalten in Göteborg oder Bristol.409 In den späteren Jahren erweiterte sich das geographische Spektrum der Austauschprogramme schließlich auch über den Atlantik. Mit großem Stolz berichtet Ernst Rösser über Einladungen an Dozenten der Universität Würzburg zu Studienreisen ins »gelobte Land«, die USA.410 In Stuttgart nahmen die Studenten laut Bericht von Otto Schmitt ihr Schicksal zunächst selbst in die Hand. Noch bevor spätere Austausch-Möglichkeiten mit Universitäten in Europa und den USA in Gang gekommen seien, hätten sie »die langjährige Isolierung gesprengt, indem sie in der Schweiz, in Schweden und in England Erntedienst verrichteten«.411 406 F. Zucker (J FSU 1945), S. 277; K. Apel RB (B TU 1949), S. 7; C. v. Dietze RB (FR ALU 1949), S. 12. 407 E. Rösser RB (WÜ BJMU 1949), S. 8 f. 408 G. Tellenbach RB (FR ALU 1950), S. 63; C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 17 f.; Th. Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 21. 409 O. Flachsbart RB (H TH 1949), S. 10. 410 G. Rösser RB (WÜ BJMU 1949), S. 9. 411 O.  Schmitt RB (S TH 1950), S. 26. Ab dem Studienjahr 1949/50 bestand für Stuttgarter Studenten erstmals auch die Möglichkeit zu einem Austauschjahr am Georgia Institute of Technology in Atlanta. Zuvor hatten sich Kontakte mit dem Ausland im Wesentlichen auf

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Der Wiederbeginn eines internationalen Austauschs gelang den deutschen Hochschulen in den späten vierziger Jahren zumeist auf bilateraler Basis über Kontakte zu einer Hochschule im Ausland. Die deutschen Hochschulen waren in dieser Zeit an kein größer angelegtes Austausch-Programm wie bspw. das 1946 aufgelegte Fulbright Programm der US-amerikanischen Regierung angeschlossen. Dieses wurde erst 1953 auf die Bundesrepublik ausgeweitet.412 Eigene Einrichtungen zur zentralen Organisation des akademischen Austauschs gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), gegründet im Jahr 1925, der den Austausch von Studenten und Wissenschaftlern aus und nach Deutschland organisiert hatte, war 1945 aufgelöst und erst fünf Jahre später als Einrichtung der Bundesrepublik wiedergegründet worden.413 Die wesentlich ältere Alexander von Humboldt-Stiftung, die bereits von 1860 an den Austausch von deutschen und ausländischen Wissenschaftlern gefördert hatte, war 1931 in den DAAD integriert worden und damit ebenfalls seit 1945 aufgelöst. Es dauerte bis 1953, um die Stiftung wieder zum Leben zu erwecken, obwohl der politische Beschluss hierzu bereits im Verlauf des zweiten Halbjahres 1950 unter intensiver Beteiligung der Kulturabteilung der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten der Bundesrepublik414 gefasst worden war. Die Gründe hierfür lagen in verschiedenen Problemen, welche die Wiedergründung der Stiftung u. a. aufgrund ihrer starken Bindung an ihre vormaligen Räumlichkeiten in Berlin verursachte, die sich jetzt im Sowjetischen Sektor der Stadt befanden. Die Fragen der neuen organisatorischen, strukturellen und legalen Form der Stiftung mussten mit entsprechend großer Sensibilität gelöst werden.415 Andere Einrichtungen zum kulturellen internationalen Austausch wie etwa das Deutsche Auslandsinstitut in Stuttgart und die Deutsche Akademie wurden 1950 als Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) bzw. 1951 als GoetheInstitut wiedergegründet.416 Die deutschen Hochschulen waren also zunächst auf sich gestellt. Und so galt es, eigene Kontakte zu aktivieren, um den internationalen Austausch wieder in Gang zu bringen. Dies geschah auf verschiedenen Wegen. In den bereits erwähnten Beispielen der Universitäten Freiburg und Tübingen sowie der RWTH Aachen waren es regionale Kontakte der im Grenzgebiet liegenden Hochschulen, welche einen ersten Austausch ermöglichten. Von Freiburg und Tübingen aus in die Schweiz und nach Frankreich, von Aachen aus in Richtung Belgien

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die hohe Anzahl von Displaced Persons begrenzt, die an der TH in den Nachkriegsjahren studierten. Siehe hierzu: A. Schäfer (2004), S. 30–32. L. R. Sussman (1992), S. 20 f. V. Laitenberger (2000), S. 21–28; P. Alter (2000), S. 51–59; M. Heinemann (2000), S. 10–12. Die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten ersetzte in der Zeit von Juni 1950 bis zur Wiedererlangung der außenpolitischen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland die Funktion des Auswärtigen Amtes, in welches sie im März 1951 überging. Vgl. hierzu: K.-S. Schulte (2000), S. 42f; U. Wengst (1984), S. 184–190. C. Jansen (2004), S. 46–57. C. Jansen (2004), S. 47.

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und den Niederlanden. In anderen Fällen, wie etwa an der TH Darmstadt, waren es im Rückblick des Rektors Gustav Mesmers persönliche Kontakte zwischen Dozenten der TH und Kollegen an ausländischen Einrichtungen, die zunächst informelle Kontakte und schließlich den Aufbau eines offiziellen Austausches ermöglichten.417 Auch die Alliierten Militärregierungen blieben nicht untätig, um die deutschen Hochschulen beim Aufbau internationaler Kontakte, meist in ihren jeweiligen Heimatländern lokalisiert, zu unterstützen. In Freiburg unterstützte die Französische Militärregierung die Bemühungen der Universität um Kontakte zu Hochschulen in Frankreich, indem sie zunächst anbot, Gastdozenturen französischer Wissenschaftler in Freiburg zu vermitteln. Dieser Vorschlag wurde von der Universitätsleitung auf das wärmste begrüßt, jedoch gleichzeitig mit dem Wunsch verbunden, daraus einen Austausch in beide Richtungen zu machen. Im April 1948 berichtet Constantin von Dietze hoffnungsfroh über dieses Ansinnen: »Unsere Antwort ist von den höchsten Stellen der Militärregierung mit großem Verständnis aufgenommen worden, und wir hoffen, dass sich daraus ein reger Austausch entwickeln wird.«418 Während die Hochschulen in den westlichen Gebieten ihre internationalen Kontakte über die Jahre immer erfolgreicher ausbauten, beklagten sich die Rektoren der Hochschulen in der SBZ bzw. DDR konstant über einen Mangel an Kontakt mit Wissenschaftlern und Wissenschaft im Ausland. In seinem Rektoratsbericht 1947 in Leipzig erklärt Hans Georg Gadamer die »grossen Schwierigkeiten« in der Herstellung internationaler Kontakte noch allgemein mit der »politischen Lage unseres Volkes«.419 Zwei Jahre später bewertet Werner Straub in seinem Rektoratsbericht an der TH Dresden die Möglichkeit der »persönlichen Kommunikation« mit Wissenschaftlern in anderen Ländern inkl. West-Deutschland wie auch den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur aus dem Ausland als nicht ausreichend für einen regulären akademischen Betrieb. Er warnt explizit vor den Langzeit-Auswirkungen auf Forschung und Lehre, »wenn es nicht bald gelingt, unsere nun unfreiwillige, früher leider selbstverschuldete Abschnürung von der ausländischen Literatur und seit 1 1/2 Jahren auch von der der Westzonen Deutschlands aufzuheben«. Eher vage erwähnt er schließlich einige »von uns dankbar empfundene Maßnahmen der Regierung«, die eine leichte Verbesserung der Situation erwirkt hätten – vor allem im Anbahnen von Kontakten zur Wissenschaft in der Sowjetunion.420 Eine Aufnahme von internationalen Kontakten auf bilateralem Weg ähnlich dem Vorgehen der Hochschulen in den Westzonen stand für die Hochschulen in der SBZ bzw. DDR offensichtlich weniger stark im Fokus. Bildung und Forschung unterlagen dort schon früh einer zentralisierten Organisation. Die politische Führung setzte dabei zunächst auf eine beständige Beschwörung 417 418 419 420

G. Mesmer RB (DA TH 1949), S. 8. C. v. Dietze RB (FR ALU 1948), S. 18. H. G. Gadamer RB (L U 1947), S. 12. W. Straub RB (DD TH 1949), S. 6.

Rolle der Reform: Aufgabenneuverteilung und Innovation 

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der deutschen kulturellen und damit auch wissenschaftlichen Einheit. Verbindungen nach außen bestanden daher trotz der zitierten Klagen zunächst zu den Hochschulen und Wissenschaftlern in den westlichen Gebieten. Die Intensität des innerdeutschen Austauschs war in den Folgejahren schließlich stark abhängig davon, zu welchem Grad die SED-Führung politisch jeweils auf das Ziel einer deutschen Wiedervereinigung ausgerichtet war.421 Mit der Zweiten Hochschulreform im Jahr 1951 avancierte das sowjetische Modell der Wissenschaftsorganisation offiziell zu Vorbild und Maßgabe für das akademische Leben in der DDR. Spätestens damit wurde die Sowjetunion das wichtigste Land für den internationalen wissenschaftlichen Austausch der DDR. 1951 wurde eine erste Delegation von Studenten in die Sowjetunion entsandt. In der Folge organisierte die Arbeiter- und Bauernfakultät II (ABF II) an der Universität Halle den institutionalisierten Austausch. Jedes Jahr bereitete diese Einrichtung eine Gruppe von Studenten, ausgewählt nach ihren Leistungen im Studium sowie nach ihrer politischen Verlässlichkeit, auf den Studienaufenthalt in der Sowjetunion vor. In späteren Jahren erlangte die sozialistische Jugend-Organisation FDJ entscheidenden Einfluss auf den akademischen Austausch in der DDR.422 Ganz besonderen Stellenwert nahmen die internationalen Beziehungen für die Freie Universität Berlin ein. Ihre Gründung im Dezember 1948 konnte nur durch die konkrete Unterstützung sowohl der US-Militärregierung wie auch durch ca. 2 Millionen Mark an Spenden von privaten Donatoren aus den USA erfolgen. Direkt nach ihrer Eröffnung setzte die Universität eine Außenkommission ein, deren Aufgabe es war, Kontakte mit Hochschulen in den westdeutschen Gebieten wie auch im Ausland herzustellen. Von Beginn an war die FU geprägt von einer stark westlichen Ausrichtung und besonders engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. So hielt etwa der US-amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder die Festrede bei ihrer Gründungsfeier am 4. Dezember 1948. Zwei Jahre später errichtete die FU eine Partnerschaft mit der Columbia University in New York.423 Gründungsrektor Friedrich Meinecke, der den Grundcharakter der jungen Universität in ihrer Anfangszeit aktiv mitprägte, benennt in seiner Eröffnungsansprache die Motivation hinter all diesen Bemühungen folgendermaßen: »Aber das empfinden wir doch heute übermächtig, dass die segensreichste Tradition Deutschlands und des ganzen Abendlandes heute verteidigt werden muss gegen tödliche Gefahren: die Idee der Freiheit und eng mit ihr verbunden die Idee der Persönlichkeit. Aus Freiheit und Persönlichkeit wächst nun auch wahre Wissenschaft und deren Lehre hervor.«424

421 422 423 424

J. Niederhut (2007), S. 18–37. K.-A. Zech (2004), S. 4–8; J. Niederhut (2007), S. 21–37. Zur Gründung der FU Berlin vgl. Kap. II, S. 29 f. F. Meinecke (B FU 1948), S. 20.

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Hochschule – Restauration und Reformation eines Modells

Meinecke beschreibt hier nicht nur den Hintergrund für eine möglichst internationale Ausrichtung der Hochschule. Seine Äußerungen gehen vielmehr über die reine Darstellung der Aktivitäten an der FU Berlin hinaus. Er trifft damit den zentralen Punkt, zu dem das gesamte akademische Leben im Deutschland der Nachkriegsjahre hinstrebte. Die gewichtigen Worte Meineckes können damit zugleich als Essenz der gesamten programmatischen und praktischen Arbeit gelesen werden, welche an den Hochschulen zu diesem Zeitpunkt geleistet wurde: Sie fassen alle Bemühungen, eine neue Hochschule aufzubauen, sowohl was das Wiedererstarken der Wissenschaft angeht wie auch hinsichtlich einer ganzheitlichen Erziehung der Studenten zu gefestigten, eigenständigen Persönlichkeiten. Freiheit gilt in diesem Zusammenhang als eine der Grundbedingungen, um jene Art von humanistischer Attitüde zu erlernen und fortzutragen. In diesem Sinne weisen Meinecke und seine Kollegen in den Leitungen der deutschen Hochschulen gerade auch dem internationalen Austausch eine tragende Rolle zu, um den neuen Humanismus zu erlernen, zu üben und zu praktizieren, was ihn wiederum zu einem integralen Bestandteil des Konzepts der neuen Hochschule machte.

VIII. Résumé – Der Diskurs der Rektoren im Zeichen seiner Zeit

Reden der Rektoren von Universitäten und Technischen Hochschulen zu rituell wiederkehrenden Anlässen gehören zur akademischen Tradition im gesamten deutschsprachigen Raum bis in die ausgehenden 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Mindestens einmal pro Jahr – meist bei Amtsantritt, am Stiftungstag der Hochschule oder, in früheren Zeiten, zum Geburtstag des Monarchen – trat der Rektor vor ein Publikum, dem nicht nur Zuhörer des akademischen Umfeldes angehörten, sondern genauso Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens. Als obersten Vertretern der Hochschule bot sich den Rektoren hier die Gelegenheit, die eigene Institution nach außen wie nach innen darzustellen und zu positionieren. Verfolgt man die Titel der Rektoratsreden über das 19. Jahrhundert hinweg bis ins 20. hinein, so ergibt ein Blick auf die darin besprochenen Themen folgende Gewichtung: Mit Abstand am häufigsten sprechen die Rektoren über Themen ihres Fachbereichs, skizzieren die Forschungsentwicklung, verweisen auf Innovationen, die innerhalb ihres Faches erzielt wurden oder von ihm ausgingen, und betonen damit auch dessen gesellschaftliche Relevanz. Häufiger finden sich auch Reden, die sich mit hochschulpolitischen Fragen auseinandersetzen, so etwa mit dem Thema der wissenschaftlichen Freiheit oder der Frage, was Bildung sein solle, gerade auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Zusammenhänge. Eher selten richten die Rektoren den Blick auf die ›große‹ Politik; meist sind es die großen Ereignisse in der außeruniversitären Welt, die – dann aber gehäuft – ein entsprechendes Echo in den Reden hervorrufen, so etwa die Revolution 1848, die Reichsgründung 1871 oder der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 bis ins nachfolgende Jahr hinein.1 Die verstärkte Wiederaufnahme der Rektoratsreden in den direkten Folgejahren des Zweiten Weltkriegs war klares Statement der Hochschulen, die eigene Tradition wiederzubestärken. Die Hochschulen feierten mit großer Freude ihre Wiedereröffnung, häufig bereits im größeren Rahmen, und bemühten sich daher, die feierlichen Veranstaltungen zu restaurieren bzw. zu restituieren, in welche die jährliche Rektoratsrede vor dem Nationalsozialismus eingebettet war. Vertreter aus sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens auf lokaler wie auf übergeordneter Ebene, Abgesandte der alliierten Militärverwaltung sowie Rektoren anderer, zumeist benachbarter Hochschulen nahmen an diesen Festakten teil und wurden entsprechend als Zeugen für das allgemein-gesellschaftliche »Interesse am Bestand und Leben der Universität« begrüßt  – wie im Beispiel 1 Vgl. D. Langewiesche (2007a), S. 48.

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Résumé – Der Diskurs der Rektoren im Zeichen seiner Zeit

durch den abtretenden Rektor Theodor Steinbüchel bei der Rektoratsübergabe an der Universität Tübingen im Jahr 1948.2 Nach Kriegsende orientierten sich die Hochschulen insgesamt sehr stark an der Zeit vor 1933. Sehr schnell unternahmen sie intensive Bemühungen, die nationalsozialistischen Strukturen abzustreifen, und sie begannen, traditionelle Elemente wiederzubeleben. Die Rektoratsrede, verbunden mit dem meist jährlichen Wechsel inneruniversitär gewählter Rektoren, wurde als Teil dieser Tradition an vielen Hochschulen direkt wieder eingeführt. Otto Eißfeldt, Rektor bei Wiedergründung der Universität Halle, betont die prompte Wiederbelebung traditioneller Elemente wie der Rektoratsrede oder der Feier des Stiftungstages in ihrer haltgebenden Funktion. Sie bedeuteten eine wichtige Stütze, »um in dem rasenden Strom des gegenwärtigen Geschehens überhaupt Boden zu behalten unter unseren Füßen«.3 Andere Hochschulen hatten mit diesem »rasenden Strom« intensiver zu kämpfen, weswegen es dort aufgrund der äußeren Umstände etwas länger dauerte, bis man zur Tradition der Rektoratsrede zurückkehrte. Teilweise mussten nach und nach auch erst wieder die rituellen Anlässe festgelegt werden, zu denen der Rektor sprechen sollte – ein Grund, warum von manchen Rektoren sehr viele Reden aus dieser Zeit vorliegen, von anderen hingegen nur wenige oder gar keine. Inhaltlich zeigen sich die Reden der Nachkriegsrektoren als überdurchschnittlich politisch. Die Rektoren setzten sich intensiv mit den Fragen ihrer Zeit auseinander. Ausgehend von einem starken Krisenbewusstsein in Bezug auf die Gegenwart blickten die Rektoren in Vergangenheit und Zukunft. Sie betrieben einerseits intensive Ursachenforschung, wie es zu dieser »deutschen Katastrophe« (Meinecke) habe kommen können und gehen dafür weit zurück in der europäischen Geistesgeschichte. Das Ergebnis ihrer Analyse lautet, dass einheitsstiftende Faktoren in Europa wie etwa die christlich-religiöse Bindung, die humanistischen Werte oder auch die abendländische Geistesgemeinschaft als solche in der Vergangenheit mehr und mehr vernachlässigt worden seien. Die Einheit sei zerfasert, zuerst im Politischen, schließlich auch im Kulturellen, bis hin zum Aufbau bewusster Gegensätzlichkeiten etwa in Form nationalistischer Ideen. Gleichzeitig sei die Menschheit immer stärker dem Glauben an die Allmacht der menschlichen Vernunft sowie an den unendlichen Fortschritt in Wissenschaft und Technik verfallen. Halt- und orientierungslos sei man damit zwangsläufig auf den soeben erlebten Untergang zugesteuert. Auf der anderen Seite suchen die Rektoren nach Auswegen aus der Krise der Gegenwart. Sie verfolgen dabei einen praktisch ausgerichteten Ansatz. Da man die politisch-gesellschaftliche Entwicklung nicht rückgängig machen könne, müsse ihr vielmehr im Hinblick auf eine positive Entwicklung der Zukunft bewusst Rechnung getragen werden, um damit auch zu verhindern, dass sich ähn2 Theodor Steinbüchel RB (TÜ EKU 1948), S. 3. 3 Otto Eißfeldt (HAL MLU 1945), S. 3 f.

Résumé – Der Diskurs der Rektoren im Zeichen seiner Zeit

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liches jemals wiederhole. Staat und Gesellschaft erforderten in der Gegenwart einen neuen gestalterischen Ansatz, suchten jedoch gleichzeitig nach einem stabilisierenden Moment. Um diese Bedürfnisse zu befriedigen, schlagen die Rektoren einen Rückgriff auf traditionelle Werte vor, die an die veränderten Strukturen angepasst werden sollen, neue Entwicklungen mitaufnehmend, um so den künftigen Wandel zu begründen. In ihren Reden begründeten die Rektoren über regionale, politische, generationelle sowie fachspezifische Bezüge hinweg einen festen Kanon an Begriffen, der eine weitgehend kongruente Argumentationslinie innerhalb der Sprechergruppe aufbaut, stützt und leitet. Sie bildeten damit einen eigenen Diskursraum innerhalb des intellektuellen Nachkriegsdiskurses, der sich seinerseits mit dem gleichen Krisenbewusstsein auseinandersetzte und teils mit den gleichen Begrifflichkeiten operierte, jedoch nicht in gleichem Maße auf die Hochschule als obersten Bezugspunkt zielte. Die starke Wahrnehmung einer Krise der Gegenwart in der deutschen Nachkriegsgesellschaft betraf nach Kriegsende alle Bereiche des Lebens. Es ist daher nicht überraschend, dass auch die Hochschulen sich dieser Diskussion anschlossen und nach den Gründen suchten, die zu dieser führten. Ebenso wie der außeruniversitäre Diskurs besetzen auch die Hochschulrektoren in ihren Reden das Zentrum der Krise mit Begriffen wie Katastrophe, Zusammenbruch, Befreiung, Missbrauch, Schuld oder Scham. Für den deutschen Zusammenhang ist die Katastrophe essentieller Bestandteil der Krise. Zerstörung, Niederlage, Unordnung, Desorientierung sind Erlebensbestandteile der Katastrophe, die zur gleichen Zeit von Friedrich Meinecke in seinem von den Zeitgenossen häufig zitierten Werk »Die deutsche Katastrophe« beschrieben wurde. Die Hochschulrektoren deuteten den Kriegsausgang – ebenfalls Teil der Katastrophe – in ihren Reden sowohl als Zusammenbruch wie als Befreiung. Eine politisch-systemische Konkurrenz beider Begriffe wie während des Kalten Krieges zu beobachten existiert in der direkten Nachkriegszeit (noch) nicht. Sie bewegen sich hier vielmehr auf zwei gänzlich verschiedenen Ebenen. Beziehen die Redner Zusammenbruch eher auf die äußeren Umstände, so steht Befreiung mehr für das innere Erleben. Tatsächlich zeugen die Rektoratsreden, was die Wahrnehmung der Krise betrifft, insgesamt weitaus weniger von einem materiellen Bezug – der vom Begriff der Krise gleichwohl nicht wegzudenken ist – als vielmehr von einem vorrangig die »geistige« Ebene betreffenden Phänomen. Redner wie beispielweise Karl Heinrich Bauer in Heidelberg beschreiben eine »innere Zerrüttung«4 Deutschlands und attestieren der Nachkriegsgesellschaft in vieler Hinsicht Verrohung. Das Wegbrechen der äußeren Strukturen habe die bereits vorher herrschende Orientierungslosigkeit in moralischen Fragen weiter verstärkt. 4 Karl Heinrich Bauer (HD RKU 1945b), S. 43.

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Résumé – Der Diskurs der Rektoren im Zeichen seiner Zeit

Die nationalsozialistische Bewegung beschreiben die Redner als Teil dieser »geistigen« Krise, deren Ursprünge sie unterschiedlich tief in der Vergangenheit verorten. Aus der Nachkriegsgegenwart blicken sie mit Abscheu auf die vergangenen 12 Jahre zurück. Das Medium der öffentlichen Rektoratsrede, die zudem von den zuständigen alliierten Stellen gebilligt werden musste, legte den Rednern zweifelsohne derlei Äußerungen nahe. Die Biographien eines Gutteils der Rektoren jenes Zeitraums lassen jedoch darauf schließen, dass es hierbei nicht ausschließlich darum ging, bei den Siegermächten um Milde zu werben, sondern dass aus solchen Äußerungen tatsächlich auch persönliche Überzeugungen sprachen. In der Konfrontation mit der eigenen direkten Vergangenheit fallen sowohl im Diskurs der Hochschulrektoren – wie auch außerhalb davon – in jenen Jahren häufig die beiden Begriffe Scham und Schuld. Insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um eine mögliche ›Kollektivschuld‹ des deutschen Volkes konnte der Begriff der Scham oder gar die Weiterentwicklung »Kollektivscham« von Bundespräsident Theodor Heuß eine gewissermaßen akzeptanzfördernde Wirkung entfalten, indem er auch den individuell sich schuldig fühlenden Nicht-Tätern eine Ausdrucksmöglichkeit ihres Gefühls anbot. Eine ›Kollektivschuld‹ als solche lehnen die Rektoren indes ebenso ab wie der Großteil der Nachkriegsgesellschaft insgesamt. In ihren Reden tendieren die Rektoren teils ähnlich wie Heuss dazu, in die Diskussion eine andere Auslegung einzubringen. Um sich von den nationalsozialistischen Tätern weiter zu distanzieren, ziehen die Rektoren in ihren Reden einen klaren Strich zwischen dem Volk und den Nazis. Das Volk steht in den Reden der Rektoren für die passive, nicht konkret schuldbelastete Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Den aktiven Konterpart, der dem Volk gegenübersteht, nehmen die Nazis ein, womit die am Regime Beteiligten gemeint sind. Über die Nazis ist facettenreich in den Reden zu erfahren, dass sie in unerhörter Selbstüberhöhung völlig haltlos jegliche Gebote von Anstand und Recht übertreten hätten. Die Rektoren belegen sie mit den objektiv schlechtesten Charaktereigenschaften, das Volk hingegen bleibt eher blass an konkreten Zügen. Dennoch vollziehen die Redner eine strikte innergesellschaftliche Trennung zwischen einem wir (= das Volk, die Redner und weitere Subgruppierungen) und einem die (= die Nazis), die insbesondere auch in der Diskussion um die Schuldfrage zur argumentativen Basis wird. Die wir-Seite, zu der sich die Redner in diesem Fall hinzuzählen, weist die Täterschaft und damit die Schuld klar den Nazis zu. An anderer Stelle hingegen treten die Redner aus dem wir heraus und nehmen eine analysierende Zwischenperspektive ein, wie sie dem wissenschaftlichen Blick auf ein zu untersuchendes Objekt entspricht: Wo es um Erklärungen geht, warum sich der Nationalsozialismus so lange und – zum Ende hin – so desperat an der Macht halten konnte, beschreiben die Rektoren das Volk als eine leicht beeinflussbare Masse. Eine Rolle, die dem Wissenschaftler nicht angemessen erscheinen mag. Folglich analysieren sie: Die moderne Gesellschaft habe den Menschen allgemein der Vermassung anheimfallen lassen. Spezielle deutsche Prä-

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dispositionen hätten es den Nazis schließlich ein Leichtes gemacht, das Volk in ihrem Sinne zu ›lenken‹, zu ›verführen‹ und letztlich zu ›verdummen‹. Den Deutschen fehle in entscheidendem Maße eine »Bindung an die geistigen Kräfte«, bzw. eine »sittliche Verpflichtung gegenüber der Heimat«, weswegen sie für die Vermassung so anfällig gewesen seien. Genau diese Schwäche habe sich die NS-Propaganda – als zweite Säule der Machtausübung im Nationalsozialismus – zunutze gemacht, wodurch sie dem NS-System zur nötigen Stabilität verhelfen konnte. Der deutsche »Massentyp« habe sich somit mangels geistiger Festigung »von jedem lauten Schreier mitreißen« lassen und nahm jedweden Missbrauch seiner selbst »stillschweigend« in Kauf, sei dieser »unter dem lärmenden Trompeten irgendeiner Propaganda« nur vehement genug gefordert worden.5 An dieser Stelle kommen mehrere Argumentationslinien der Rektoren zusammen: Zum einen handelt es sich aus ihrer Sicht bei der aktuellen Krise um ein weit über Deutschland hinausgehendes Phänomen. Dieses habe sich zumindest in ganz Europa ausgebreitet, wenn nicht sogar darüber hinaus. Daneben gehen sie von spezifisch deutschen Vorbedingungen aus, warum jene allgemeine Krise in Deutschland zu derartigen Auswüchsen habe führen können – ganz im Sinne der Sonderwegsthese, die von Seiten der Siegermächte in jenen Jahren aktiv bestärkt wurde. Zu guter Letzt sprechen sie das Volk unter dem Stichwort Missbrauch, dessen Opfer es nach erfolgter Hirnwäsche durch die Nazis letztlich wurde, zu einem Gutteil frei von Schuld. Um die Herkunft der Krise der Gegenwart zu erklären verfolgen sowohl die Rektoren wie ebenso auch der außeruniversitäre Diskurs eine historische Linie. Der ›deutsche Sonderweg‹ taucht in beiden Diskursen als Erklärungsmuster auf, das mit Stichworten wie Militarismus, Nationalismus, Positivismus, Mechanisierung oder Vermassung gefüllt wird. Als Einzelphänomene waren der Deutung beider ursachenforschender Diskurse zufolge all jene stichwortartig genannten Strömungen keine spezifisch deutschen Erscheinungen, sondern Teil der allgemeinen Krise der Moderne. Erst ihre spezielle Zusammensetzung in Deutschland habe – zusammen mit einem mangelhaften Verständnis von Demokratie und einem gestörten Verhältnis zur Macht – eine Entwicklung in Gang gesetzt, die zu dem erlebten Schrecken geführt habe. Allgemein in Europa seit dem 19. Jahrhundert zu beobachtende Erscheinungen wie insbesondere der Positivismus hätten in Deutschland gleichermaßen ihre Wirkung entfaltet. Das Phänomen Positivismus beschreiben die Redner in seiner Herkunft als wissenschaftsspezifisch: Neue Methoden der Wissenschaft hätten zu immer größeren Erfolgen geführt, woraus eine Euphorie entstanden sei, die schließlich über die Wissenschaft hinaus auch die Gesellschaft erfasst und der Wissenschaft die Hauptdeutungshoheit verliehen habe, die ihr in dieser Art nicht zukomme. Der so entstandenen quasi-religiösen Erscheinungsform 5 J. Schmid (MZ JGU 1946), S. 10 f.

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des Positivismus lasten die Redner die Hauptschuld dafür an, dass sich die Gesellschaft mehr und mehr vom Göttlichen ab- und einem Allmachtsgedanken zugewandt habe, in dessen Zentrum der Mensch allein stand. Der industrielle Fortschritt, der seinerseits auf dem wissenschaftlich basierten Positivismus beruhte, habe ebenfalls zu der krisenhaften Entwicklung beigetragen, indem er die Gesellschaft einer zunehmenden Mechanisierung und damit der Vermassung zugeführt habe. Der Einzelne sei dadurch mehr und mehr Kleinteil zentra­ lisierter Abläufe ohne Eigenverantwortung geworden, so dass er sich schließlich in der ›unselbständigen‹, ›beeinflussbaren‹, ›kulturlosen‹ Masse aufgelöst habe. Die Rektoren schließen sich hier dem bereits seit der Jahrhundertwende weitverbreiteten Phänomen der Kritik an der Moderne an, die sich hinlänglich in Werken wie Jacob Burckhardts »Weltgeschichtliche Betrachtungen« oder Oswald Spenglers »Untergang des Abendlandes« dokumentierte. Beide Werke wie das Phänomen als solches stießen in der Nachkriegszeit auf ein breites Echo und erhielten weitere Unterstützung etwa in Form von Friedrich Meineckes »Die deutsche Katastrophe«.6 Auch weitere geistige Strömungen des 19. Jahrhunderts wie der zunehmende Nationalismus seien sowohl innerhalb wie außerhalb Deutschlands zu be­obachten gewesen. Rückblickend beschreiben die Rektoren dieses Ideal als teils groteskes Phänomen bis hin zum Selbstbetrug. Gerade im Zusammenspiel mit dem Militarismus aber ordnen die Rektoren den Nationalismus jenen spezifisch deutschen Problematiken zu, die letztlich zum ›Sonderweg‹ geführt hätten. Ein besonders stark ausgeprägter Kader-Gehorsam, der sonst nirgends anzutreffen sei, habe das seine dazu beigetragen, das Verantwortungsgefühl des Einzelnen auszuschalten und ihn auf die blinde Befolgung von Anordnungen zu prägen. Wenn viele Redner die beiden Begriffe auch zumeist nicht näher ausführen, so schließen sich die Rektoren allein über deren Nennung einer in der deutschen Nachkriegsgesellschaft verbreiteten und mit den Erklärungsansätzen der Alliierten kongruierenden Ansicht an: Eine besondere Prädisposition der Deutschen habe demnach den Nährboden für die nationalsozialistische Ideologie bereitet, die vor allem im Preußentum auszumachen sei. Im Tenor der Nachkriegsrektoren erscheinen die Deutschen im Vergleich zur Bevölkerung anderer Staaten, allen voran der Vereinigten Staaten von Amerika, zudem als nur unzulänglich vertraut mit der Ausübung von Demokratie. Deshalb habe diese Staatsform in Deutschland nicht funktioniert. Ein falscher Staatsbegriff, der den Staat als »reinen Machtzustand« missdeutete, habe es dem Nationalsozialismus überhaupt nur ermöglicht, die gültige staatliche Ordnung

6 In den Nachkriegsjahren erfreuten sich alle drei Werke großer Beliebtheit im intellektuellen Diskurs und erreichten trotz Materialknappheit teils mehrere Auflagen in kurzer Zeit. Ebenso werden sie auch in einer Vielzahl von Rektoratsreden zitiert, wenn es darum geht, die Herkunft der Krise zu erklären.

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auszuhöhlen und durch den eigenen »Machtapparat« der Partei zu ersetzen.7 Verbunden mit der militaristischen Prägung auf Pflicht und Gehorsam habe diese Fehlinterpretation in Deutschland letztlich dazu geführt, dass sich eine starke Obrigkeitshörigkeit und politische Unmündigkeit durchgesetzt habe. Da die Rektoren die Krise von ihren Ursprüngen her als eine »geistige« verorten, sehen sie im Geist ebenso den Ausweg aus ihr. Im Diskurs ihrer Reden fließt der Geist richtungsbestimmend in verschiedenste Lebensbereiche weit über den rein spirituellen Bezug hinaus. Wohl aufgrund dieser Präsenz steht der Geist bei den Rektoren ganz allgemein für den Garanten einer funktionierenden Zivilisation. War er in der vergangenen Periode menschlicher Geschichte gestört, wodurch die Krise der Gegenwart hervorgerufen wurde, so erfordere es nun eine Besinnung auf seine ursprüngliche Stärke, um den allgemeinen Niedergang umzukehren. Den aktuell gefühlten Moment des Umbruchs, gekennzeichnet von physischer Zerstörung und dem zeitgleichen Zerbrechen geistiger Konzepte bezeichnen die Redner mehrfach als »Wiedergeburt des Geistes«. Symbolträchtig beschwören sie ein Hand-in-Hand-Gehen von materiellem und geistigem Wiederaufbau. Auf Basis des wiedergewonnenen Geistes, der gegenwärtig gewissermaßen den einzig verfügbaren Rohstoff darstelle, will man sich die Zivilisation Zug um Zug zurückerobern. Die Besinnung steht im Diskurs der Rektoren als zentrales Leitmotiv für eine Neuorientierung in Deutschland. Den inneren Wandel machen die Redner zur Grundvoraussetzung, um früher oder später wieder internationale Wiederanerkennung Deutschlands zu erlangen, und ebenso dafür, wieder den Status einer zivilisierten Gesellschaft zu erreichen. Die Besinnung auf traditionelle Werte und den rechten Geist ist ein erster Abschnitt des Weges, den die Rektoren dort hin vorzeichnen. Darüber hinaus brauche es auch eine Erneuerung in Staat und Gesellschaft, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Die Redner mahnen in diesem Zusammenhang besonders eine neue Sittlichkeit und ein eindeutiges Bekenntnis zur Demokratie an. Insgesamt sind es für die Nachkriegsrektoren vor allem kulturelle Werte, auf die sie ihre Hoffnung bauten. Verschiedene begriffliche Eckpunkte markieren ihre Argumentation: Kultur verwenden die Redner dabei weniger in einem normativen Sinn, sondern eher als einen weiten Begriff, der sämtliche Ausprägungen und Strukturen der menschlichen Gesellschaft umfasst. Sie meinen damit einen größeren anthropologischen Komplex. Die Kultur erfüllt  – ähnlich wie der Geist – eine doppelte Funktion im Diskurs der Rektoratsreden: Sie hat in der Analyse der Rektoren einerseits die Krise der Gegenwart durch eigene Zerfallsmomente mit hervorgerufen. Andererseits bestimmen die Redner sie zum Königsweg, um aus derselben Krise wieder herauszufinden. Es geht den Rektoren dabei gleichermaßen um den geistigen Wiederaufbau Deutschlands, den sie auf einer wiedererstarkten Kultur aufsetzen wollen, wie 7 Rudolf Smend (GÖ GAU 1945), hier S. 365–367.

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um die mittelfristige Reintegration Deutschlands in die Völkergemeinschaft. Ähnlich wie in der zeitgenössischen deutschen philosophischen Anthropologie – etwa bei Max Scheler, Helmuth Plessner oder Arnold Gehlen – beschreiben die Hochschulrektoren die weltweit vergleichbaren Grundzüge menschlicher Kultur. Als übernationales Moment erwachse aus ihr eine einigende Verbindung, die über dem Nationsgedanken anzusiedeln sei. Darüber hinaus sprechen die Redner ein Phänomen an, das aus heutiger Sicht als ›Globalisierung‹ bezeichnet würde: Die internationalen Verflechtungen seien weltweit derartig stark, dass kein Staat auf Dauer überleben könne ohne darauf Rücksicht zu nehmen und daran teilzuhaben. Daraus wiederum resultiert aus Sicht der Rektoren eine regelrechte Verpflichtung eines jeden Staates zur globalen Kooperation. Den Fokus der internationalen Beziehungen legen die Redner indes auf Europa beziehungsweise das Abendland als den eigenen Kulturkreis. Hier ist ihrer Ansicht nach die Hauptaufgabe der Deutschen zu sehen, da sie vor allem in ihrer nächsten Umgebung großen Schaden angerichtet hätten. Gerade sie seien daher nun verpflichtet, sich als erste wieder auf historisch erwachsene gemeinsame Werte zu besinnen, die auf der christlichen Religion und dem Humanismus basierten. Insbesondere einer Wiederbelebung des Humanismus, der sich in der zeitgenössischen Debatte gemeinhin dem Vorwurf des Versagens gegenübersah, trauen die Redner eine große Wirkung zu. Gefordert sei jedoch ein neuer Humanismus. Dieser müsse sich gegen die widrigen zeitgenössischen Umstände in Technik, Politik und Kultur behaupten und – im Gegensatz zu seinem historischen Vorläufer – auf den Einfluss, den diese Faktoren auf die Umwelt ausübten, entsprechend reagieren. Inwieweit die Religion in der Nachkriegsgegenwart noch vergleichbare Wirkungsmacht besitzen könne, ist im Diskurs als einer der ganz wenigen Punkte eher umstritten. Viele Redner sehen die Religion in der Gegenwart nicht mehr in der Lage, ihre einstige Funktion als allumfassende, höchste Macht auszuüben. Dafür sei ihr gesellschaftlicher Rückhalt bereits zu stark geschrumpft. Ebenso unklar, wenngleich kein Diskussionspunkt, den die Redner selbst thematisieren, ist die konzeptionelle Trennung der beiden Begriffe Europa und Abendland, die in einem Großteil der Reden eher synonym denn komplementär verwendet werden. Der gesamte Kulturkreis – gleich ob Europa oder Abendland, darüber sind sich die Redner einig – sei von der gleichen geistigen Krise getroffen und drohe auseinanderzufallen, würden nicht baldmöglichst identitätsstiftende Werte entworfen und etabliert. Genau hier sehen die Rektoren die Deutschen in der Pflicht. Eine zentrale Rolle im geistigen wie im gesellschaftlich-sozialen Wideraufbau und darüber hinaus auch für die Wiederherstellung internationaler Beziehungen sprechen die Rektoren den von ihnen geleiteten Institutionen zu. Die Hochschule hat ihren Analysen zufolge einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Krise der Gegenwart, vor allem aber erhält sie in den gleichen Selbstbetrachtungen die Aufgabe, den Weg aus der Krise heraus zu bahnen. Sie kann und soll dem

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Anspruch der Rektoren nach in einem neuen Deutschland wichtige Funktionen ausüben, die über ihre bisherige Rolle hinausgehen. Habe sich die Einrichtung Hochschule zuletzt in ihrem Wirken stark beschneiden wie auch vereinnahmen lassen, so solle nun wieder wahre Wissenschaft ihren Charakter prägen, die unvoreingenommen und systematisch nach der Wahrheit hinter den Dingen strebe. Die Redner zeichnen ein Idealbild der Hochschule, die sie anstreben, das sich an die mittelalterliche Universitas anlehnt und die Einigkeit der akademischen Gemeinschaft beschwört. Entstanden als ein Produkt der europäischen Geistesgeschichte, habe sie den Geist des Abendlands durch die Jahrhunderte über nationale Grenzen hinweg getragen. Das Bild, das die Rektoren in ihnen Reden von der Universitas zeichnen, zeigt die Hochschule bereits als Trägerin der wichtigsten Elemente, welche die Analyse der Rektoren als Entwicklungsziele für die deutsche Gesellschaft allgemein ergeben hat: demokratische Strukturen, Internationalität, abendländische geistige Werte, insbesondere einen neuen Humanismus. Die Redner sprechen der Hochschule daher eine Vorbildfunktion innerhalb und für die Gesellschaft zu. Neben einer solchen allgemeinen Funktion müsse sich die Hochschule jedoch auch im gesellschaftlichen Rahmen ihren Kernaufgaben widmen. Die Hochschule der Zukunft, so formulieren die Rektoren, bestehe zunächst aus den traditionellen Elementen der »deutschen Hochschule« (von einem Humboldt’schen Modell ist hier nur in ganz seltenen Fällen die Rede), die beide auf ihre Art einen Dienst an der Gesellschaft leisteten: Forschung und Lehre. Die Redner bewegen sich an dieser Stelle ihrer Argumentation auf einer sehr feinen Trennlinie: Einerseits wollen sie der Wissenschaft im künftigen Deutschland die Freiheit insbesondere von politischer Einmischung sichern, eine Grundvoraussetzung zum produktiven Arbeiten. Andererseits kommen sie nicht umhin, die Bedeutung der Wissenschaft für Staat und Gesellschaft hervorzuheben und gleichzeitig die Bereitschaft zu signalisieren, sich in deren Dienst zu stellen. Folglich betonen die Redner gerne, wie sehr beispielsweise neue Ergebnisse der Forschung sowohl die Lebendigkeit der Hochschule selbst beförderten wie darüber hinaus auch die wirtschaftliche Weiterentwicklung. Da Deutschland nicht über größere Ressourcen verfüge, sei der Transfer von Technologie aus der Forschung in die Wirtschaft ein überlebensnotwendiger Prozess, um wirtschaftlich bestehen zu können. Von besonderer Wichtigkeit ist den Rektoren darüber hinaus der erzieherische Aspekt der höheren Bildung. Was die Hochschule den einhelligen Aussagen ihrer Rektoren zufolge nicht mehr sein solle, ist eine reine Ausbildungsanstalt. Die fachliche Ausbildung bleibe naturgemäß Teil des Studiums. Als weitaus wichtiger verorten die Rektoren jedoch die charakterliche Bildung ihrer Studenten. Über die reinen Fachkurse hinaus sollten die Hochschulen künftig – und das ist neu – durch eigens dafür geschaffene Bildungsangebote dazu beitragen, selbständig denkende und urteilende Menschen mit möglichst humanistischer Grundhaltung in die Arbeitswelt zu entlassen, wo sie die erworbene Bildung und Sichtweise weiter forttragen sollten. Insbesondere die Technischen Hochschulen sahen an dieser Stelle erhöhten Bedarf an einer verbreiterten Ausbildung ihrer

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Studenten, genauso wurden entsprechende Vorkurse oder auch die Einrichtung eines ›Studium Generale‹ an den Universitäten eingeführt. In der SBZ verfolgte die Hochschulpolitik unter dem Motto der neu zu schaffenden ›Volksuniversität‹ eine Öffnung der Hochschule für ›Arbeiter- und Bauernkinder‹, in deren Folge eigene Fakultäten zur Vermittlung der als notwendig erachteten Bildung geschaffen wurden. Die einzelnen Redner gehen mit dem Kanon an ›Schlüsselwörtern‹, den sie innerhalb ihres Diskurses nutzen, recht unterschiedlich um. Auf bestimmte dieser Termini gehen sie näher ein und leuchten ihre Semantik wie ihren Bedeutungsgehalt für den Diskurs weiter aus. Andere diskurskonstituierende ›Schlüsselbegriffe‹ bleiben in den Reden eher an der Oberfläche, eine konzeptionelle Vertiefung findet für sie nicht statt. Ursachen für diese unterschiedlichen Deutungstiefen mögen zum einen im jeweiligen Fokus liegen, den die Redner für ihre Rede vorgesehen haben. Zum anderen weisen die Reden darüber hinaus auch ein unterschiedliches Sprachverständnis auf, das innerhalb der Sprechergruppe festzustellen ist. Resultat dieses unterschiedlichen Sprachgebrauchs ist eine unterschiedliche Tiefe des Diskurses in Bezug auf unterschiedliche von ihm behandelte Themen. Viele der für den Diskurs zentralen ›Schlüsselbegriffe‹ formieren sich aus der Gesamtschau der Reden heraus auch im semantischen Sinne zu einem Begriff. Andere diskursbestimmende Termini erreichen hingegen wohl eine bestimmte Präsenz in diesem Kommunikationsraum, erfahren aber keine tiefere semantische Ausdeutung. Sie kleben wie Labels auf einem eher diffus bleibenden Inhalt. Dies betrifft zumeist solche Diskursvokabeln mit einer breiten allgemeinsprachlich-semantischen Grundkonstitution, für welche die Redner ein grundsätzliches Verständnis vorauszusetzen scheinen. Insofern ist eine Analyse des Diskurses, den die Nachkriegsrektoren der deutschen Hochschulen über ihre Rektoratsreden begründen, im Sinne einer fixen Definition der diskurskonstituierenden Begrifflichkeiten kaum möglich. Wohl aber können die Unterschiede aufgezeigt werden, bei welchen ›Schlüsselbegriffen‹ es den Rednern als nötig oder wichtig erscheint, sie begrifflich zu differenzieren, beziehungsweise wo dies nicht der Fall ist. Daneben lässt sich für einen bestimmten Teil des Diskurs-Vokabulars eine beiderseitige Verwendung beobachten, sowohl als Begriff wie als Label. Hierin zeigt sich unter anderem auch, wie unterschiedlich das Sprachverständnis innerhalb dieser zunächst recht homogen erscheinenden Sprechergruppe tatsächlich war. Inhaltlich ergibt der Diskurs der Nachkriegsrektoren trotz aller Unterschiede in den Personen und Hintergründen der Rektoren wie auch in den politischen und zeitlichen Umgebungen, in denen sie sprachen, dennoch ein verhältnismäßig einheitliches Bild. Geprägt vom intellektuellen Diskurs ihrer Zeit griffen die Hochschulvorstände viele der darin vorkommenden Motive und Begriffe auf und integrierten sie in einen eigenen Argumentationsaufbau, der in erster Linie auf den Bestand und den weiteren Ausbau der Hochschule ausgerichtet war.

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In einer Zeit knapper Ressourcen verwiesen die Redner folgerichtig immer wieder auf die Querverbindungen allgemein gesellschaftlich-sozialer oder gar politischer Desiderata zum akademischen Umfeld. Einer Gesellschaft, die gleichzeitig Halt und Neuorientierung suchte, boten sie die Hochschule als traditionsbewussten Wegweiser mit Reformwillen als Stütze an. Auch wenn die politischen Realitäten im Verlauf der späten vierziger Jahre weg von einer tiefgreifenden Reformierung von Hochschule und Gesellschaft führten, wie sie in den ersten Nachkriegsjahren auch in den Rektoratsreden breit diskutiert wurden, so waren die Ansätze, die dazu in den direkten Nachkriegsjahren geäußert wurden, weitaus mehr als Lippenbekenntnisse. Neue Einrichtungen aus dieser Zeit wie etwa das ›Studium Generale‹ an den Hochschulen haben vielfach bis heute Bestand. Die Gestalt der Führungsrolle, in der die Rektoren die Hochschule innerhalb der Gesellschaft von Anfang an einsetzten, blieb von den Veränderungen im außer-universitären Umfeld, die sich im Laufe der Nachkriegsjahre abzeichneten, über weite Strecken gänzlich unberührt. Auch politisch-systemische Unterschiede blieben hinter dieser Priorität der Argumentation lange zurück. Erst als der Kalte Krieg im Verlauf des Jahres 1948 ein nicht zu ignorierendes Faktum wurde, drifteten Inhalte und Basis dieser Argumentation zwischen den Besatzungszonen auseinander. Der Grundgedanke blieb jedoch in Ost wie West der gleiche: Die Gesellschaft braucht die Hochschule  – gerade dann, wenn es ihr schlecht geht.

Dank Dieses Buch basiert auf meiner Dissertation, die im Sommersemester 2016 von der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen wurde. Ihr Entstehen haben viele Menschen und Institutionen begleitet. Bei all ihnen möchte ich mich für Ihre Unterstützung bedanken. Ganz besonders danken möchte ich meinem Doktorvater Dieter Langewiesche, der die Arbeit über all die langen Jahre sehr geduldig, immer mit einem offenen Ohr, mit Rat und Tat betreut hat. Er besitzt die große Gabe, sich auf die Gedankengänge und Konzepte anderer einlassen zu können und sie konstruktiv zu unterstützten, ohne ihnen seine eigene Herangehensweise überzustülpen. Im Gefühl einer gehaltenen Freiheit konnte ich im Austausch mit ihm meinen eigenen Zugang zum Dissertationsthema und eine für mich passende Methodik seiner Bearbeitung entwickeln. Dies habe ich als sehr wertvoll empfunden. Ebenfalls danken möchte ich Sylvia Paletschek (Universität Freiburg), die nicht nur das Zweitgutachten übernommen hat. Über die Zeit hat sie mir den ein oder anderen sachdienlichen Hinweis gegeben und mir außerdem immer wieder die Möglichkeit geboten, meine Arbeit zu diskutieren. Die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Fritz Thyssen Stiftung hat sowohl das Forschungsprojekt »Rektoratsreden im 19. und 20. Jahrhundert« wie auch meine Dissertation, die im Rahmen dessen entstand, überhaupt erst möglich gemacht. In den Dank hierfür möchte ich ebenfalls die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften miteinschließen, bei der das Projekt angesiedelt war und die nun mein Buch in ihre Schriftenreihe aufnimmt. Auch inhaltlich verdanke ich das Entstehen meiner Dissertation vielen Beiträgen anderer. Stellvertretend seien hier genannt: Jürgen Dittmann (Universität Freiburg), mit dem ich den linguistischen Teil der Arbeit diskutieren konnte, Eike Wolgast (Universität Heidelberg) und Ralph Boch (Hans Sauer Stiftung), die mir beide Quellen und Materialien aus ihren Beständen zur Verfügung gestellt haben. Ein großer Dank gilt ebenso den Mitarbeitern von Archiven und Bibliotheken, die mir Quellen bereitgestellt und mit vielfältigen Auskünften weitergeholfen haben. Die offene Diskussionskultur am Lehrstuhl von Dieter Langewiesche habe ich als großen Zugewinn wahrgenommen. Meinen Kollegen und Mitdoktoranden bin ich daher sehr dankbar für ihre Ideen und Vorschläge. Dies gilt insbesondere für meine kritischen Lektoren Charlotte Lerg und Rainer Gruhlich sowie Christa Klein (Universität Freiburg). Mit Daniela Zetti (ETH Zürich) habe ich jeden Stein meiner Dissertation einmal umgedreht. Danken möchte ich ihr für ihren vielseitigen Input dazu wie auch für ihre finale Motivation zum Abschluss des Projekts.

350

Dank

Großen Dank richte ich an meine Freunde in nah und fern, die mich über die lange Zeit immer wieder ermuntert, motiviert und mit Interesse begleitet haben. Sie haben mir vieles beigebracht, auch abseits der wissenschaftlichen Fragestellungen. Für diese Bereicherung und Vielfalt danke ich ihnen allen, im Besonderen aber meiner Freundin Ulrica. Meinem Mann Arne möchte ich für seine Unterstützung und die Freiräume danken, die er mir mit großer Selbstverständlichkeit gegeben hat, um die Arbeit zu ihrem Abschluss zu bringen. Im Verlauf unserer gemeinsamen Geschichte sind wir viel aneinander und miteinander gewachsen – die Straße des Lebens hält hoffentlich noch viele gemeinsame Abenteuer für uns bereit. Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern, die mich mit vielen Freiheiten gefördert und mit großem Vertrauen darin unterstützt haben, meinen Interessen nachzugehen, ohne mich von falschen Sorgen leiten zu lassen. Sie haben mir beigebracht, die einfachen Antworten nicht automatisch hinzunehmen, sondern tiefer zu schauen. Sie waren immer für mich da. Dafür bin ich ihnen von ganzem Herzen dankbar. Freiburg, im März 2019

Christina Schwartz

Anhang 1. Begriffe und Labels im Diskurs der Rektoratsreden Begriff / Label

Kapitel

Seite

Abendland

VI.2

213 f.

Befreiung

V.1

129 f.

Besinnung

V.3

176 f.

Bildung / A llgemein-

VII.1

261 f.

Demokratie

V.3

179–181

Erneuerung

V.3

179

Europa

VI.2

212 f.

Freiheit

VI.2

216 f.

Geist, (akademischer) / der Wissenschaft

V.3

177 f.

Gemeinschaft, (akademische) / (wissenschaftliche)

VII.2

273 f.

Hochschule, die (neue)

VII.1 / VII.3

243 f./288–290

Humanitas / Humanismus, (neuer) / Humanität

VI.3

230–234

Jugend, die

V.1

141–144

Katastrophe

V.1

102 f.

Krise / K risis

V.1

101 f.

Kultur

VI.1

197 f.

Macht

V.2

164 f.

Mechanisierung

V.1

107 f.

Militarismus

V.2

168–171

Moderne / modern

V.1

110

Nationalismus, (falscher)

V.2

168–170

Nationalsozialismus, v. a. Nazis, die

V.1

121–123

Positivismus

V.2

159

Religion

VI.3

237 f.

352

Anhang

Scham

V.1

120 f.

Schuld, (des Einzelnen) / Gruppen- / Kollektiv-

V.1

130 f.

Spezialist / Spezialistentum

VII.2

283–285

Studenten, die

V.1

144

Technik, die / Wesen der

V.1

151 f.

Universitas

VII.2

271 f.

Vermassung

V.1

107 f.

Volk, das

V.1

124

Wahrheit

VII.1

247 f.

Wende / -punkt (auch: Scheidepunkt) / Zeiten-

V.1

104 f.

Werte

VI.3

224–226

Wissenschaft, die (wahre) / Wesen der / Haltung der (auch: akademische Haltung)

VII.1

246 f.

Zusammenbruch

V.1

129 f.

Abkürzungsverzeichnis 

353

2. Abkürzungsverzeichnis ABF Arbeiter- und Bauernfakultät AC Aachen ALU Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg B Berlin BA Bergakademie BJMU Bayerische Julius-Maximilians-Universität, Würzburg BN Bonn BRD Bundesrepublik Deutschland BS Braunschweig BuE Bildung und Erziehung CAU Christian-Albrechts-Universität, Kiel CLZ Clausthal-Zellerfeld DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DA Darmstadt DAW Deutsche Akademie der Wissenschaften DD Dresden DDR Deutsche Demokratische Republik DP Displaced Person EKU Eberhard-Karls-Universität, Tübingen EMAU Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald ER Erlangen ETH Eidgenössisch Technische Hochschule, Zürich F Frankfurt / Main FAU Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg FDJ Freie Deutsche Jugend FG Freiberg FR Freiburg FSU Friedrich-Schiller-Universität, Jena FU Freie Universität, Berlin GAU Georg-August-Universität, Göttingen GG Geschichte und Gesellschaft GÖ Göttingen GPU Gossudarstwennoje Polititscheskoje Uprawlenije (Staatliche politische Verwaltung) GW Greifswald GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht H Hannover HA Historische Anthropologie HAL Halle HD Heidelberg HH Hamburg HJ Hitler-Jugend HU Humboldt-Universität, Berlin ifa Institut für Auslandsbeziehungen J Jena JGU Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz JWGU Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt / Main K Köln KA Karlsruhe

354

Anhang

Kap. Kapitel KB Kulturbund KdT Kammer der Technik KI Kiel KPD Kommunistische Partei Deutschlands L Leipzig LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands LMU Ludwig-Maximilians-Universität, München M München MdVK Mitglied der Volkskammer MLU Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg MR Marburg MS Münster MZ Mainz NDB Neue Deutsche Biographie NKFD Nationalkomitee Freies Deutschland NKWD Narodny Komissariat Wnutrennich Del (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten) NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei PU Philipps-Universität, Marburg RB Rektoratsbericht RFWU Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn RKU Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg RO Rostock RR Rektoratsrede RWTH Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen S Stuttgart S. Seite SA Sturmabteilung SAJ Sozialistische Arbeiterjugend SBZ Sowjetische Besatzungszone SD Sicherheitsdienst (des Reichsführers SS) SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SFWU Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität, Breslau SMA / SMAD Sowjetische Militäradministration (in Deutschland) SoSt Soziale Studentenhilfe Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel TH Technische Hochschule THCW Technische Hochschule Carolo-Wilhelmina, Braunschweig THF Technische Hochschule Fridericiana, Karlsruhe TLU Thüringische Landesuniversität, Jena (ab 1934 FSU) TU Technische Universität, Berlin TÜ Tübingen U Universität UdSSR Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken UA Universitätsarchiv WÜ Würzburg WWU Westfälische Wilhelms-Universität, Münster ZK Zentralkomitee (der SED)

Quellenverzeichnis 

355

3. Quellenverzeichnis a) Rektoratsreden Nicht gedruckte Reden: Albrecht, Gerhard (MR PU 1948): Rede anlässlich des Rektoratsantritts am 3. Dezember 1948 von Gerhard Albrecht. Marburg UA: Best. 305a Nr. 208. Baumgärtel, Friedrich (ER FAU 1948): Das Wesen und die heutige Lage der Universität. Rede bei der feierlichen Übernahme des Rektorats für das Studienjahr 1948/49 von D. Friedrich Baumgärtel, o. Professor der Theologie an der Universität Erlangen. Erlangen UB: H00/4 ENC.A 91[9. Creutzfeldt, Hans Gerhard (KI CAU 1945): Rede zur Eröffnung der Universität Kiel am 27.11.1945. Kiel Historisches Seminar: o. Sig. Ders. (KI CAU 1946): Immatrikulations-Rede des Rektors gehalten in der »Neuen Universität« am 30. Januar 1946. Kiel Historisches Seminar: o. Sig. Eißfeldt, Otto (HAL MLU 1946): Ansprache der Rektors bei der Wiedereröffnung der Universität am 1. Februar 1946. Jena UA: Rep4/197. Freese, Hans (B TU 1949): Antrittsrede von Herr Professor Freese anläßlich der Rektoratsübergabe am 15. November 1949. Berlin TU UB: 4B4885. Friedrich, Johannes RB (L U 1949): Rektoratsbericht über das Studienjahr 1948/49. Leipzig UA: UAL R86, Bd4. Gadamer, Hans Georg RB (L U 1947): Rektoratsbericht über das Studienjahr 1946/47. Leipzig UA: UAL R86, Bd2. Gross, Rudolf (GW EMAU 1949): Ansprache zur Immatrikulation vom 10.01.1949. Greifswald UA: Rektorat 1948–1961. Grüß, Gerhard RB (FG BA 1947): Rechenschaftsbericht anläßlich der Rektoratsübergabe am 15. Dezember 1947. FG UA: o. Sig. Heidebroek, Enno (DD TH 1946): Die neue Hochschule. Ansprache von Professor Dr.-Ing. E. Heidebroek, Rektor der Technischen Hochschule Dresden, zur Neueröffnung der Technischen Hochschule am 14. September 1946. Dresden UA: Rektorat 1946 I/12 Jacobi, Ernst (L U 1947): Über das Mitbestimmungsrecht der Belegschaft. Leipzig UA: UAL R86, Bd2. Koloc, Kurt RB (DD TH 1950): Bericht des Rektors der Technischen Hochschule Dresden, Professor Dr.-Ing. Kurt Koloc, zur Immatrikulation WS 1950/51 über das Studienjahr 1949/50. Dresden UA: Rektorat 1950 I/14. Konen, Heinrich (BN RFWU 1945): Ansprache des Rektors der Universität Bonn anlässlich der Immatrikulationsfeier vom 1.12.45 im akadem. Kunstmuseum. Bonn UA: Bestand 69 Nr. 21. Kroll, Joseph (K U 1945): Ansprache Seiner Magnigizenz des Rektors der Universität, Professor Dr. Kroll, anläßlich der festlichen Wiedereröffnung der Universität Köln verbunden mit der feierlichen Immatrikulation der Studenten am Montag, dem 10. Dezember 1945 vormittags 11 Uhr in der Aula der Universität. Köln UA: Zug. 28/464. Kroll, Joseph (K U 1946b): Rede zur Immatrikulation WS 1946/47. Köln UA: Zug. 28/464. Mayer, Georg (L U 1950): Rede anlässlich der Trauerfeier für Julius Lips. Leipzig UA: UAL, R 1197. Müller, Wilhelm (AC RWTH 1950a): Ansprache Sr. Magnifizenz, Herrn Prof. Dr.-Ing. W. Müller anläßlich der Immatrikulationsfeier im Wintersemester 1949/50. Aachen UA: 12163. Ders. RB (AC RWTH 1950): Ansprache Seiner Magnifizenz, des Herrn Rektors der TH. Aachen, Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Müller, anläßlich der Rektoratsübergabe am 28. Juni 1950. Aachen UA: 12119.

356

Anhang

Röntgen, Paul (AC RWTH 1946b): Rede des Rektors der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Prof. Dipl. Ing. Paul Röntgen an der Immatrikulations-Feier am 15. Februar 1946. Aachen UA: 12163. Ders. (AC RWTH 1946c): Rede des Rektors zur Immatrikulation im Wintersemester 1946/47. Aachen UA: 12163. Ders. (AC RWTH 1947): Rede des Rektors zur Immatrikulation im Sommersemester 1947. Aachen UA: 12163. Schmid, Hans Hermann (RO U 1948): Rede des neuen Rektors Dr. H. H. Schmid. Medizinische Wissenschaft und ärztliche Kunst. Rektoratsübergabe am 15. April 1948. Rostock UA: R 76. Seeliger, Rudolf RB (GW EMAU 1949): Rechenschaftsbericht von Rektor Prof. Seeliger, 25.1.49. Greifswald UA: Rektorat 1948–1961. Straub, Werner (DD TH 1947): Ansprache an die neu immatrikulierten Studierenden bei der feierlichen Verpflichtung am 17. Dezember 1947. Dresden UA: Nachlass W.  Straub 1947–49 Nr. 64. Ders. (DD TH 1948): Forschung und Lehre an der Technischen Hochschule im Lichte des Zweijahresplanes. Referat am 27. November 1948 im Rahmen der Zweijahresplantagung (7. dies academicus) der Techn. Hochschule. Dresden UA: Nachlass W. Straub 1947–49 Nr. 64. Ders. (DD TH 1949): Ansprache bei der Kundgebung des Lehrkörpers, der Studentenschaft und er Belegschaft der Technischen Hochschule zur Verordnung der Deutschen Wirtschaftskommission über die Erhaltung und Entwicklung der deutschen Wissenschaft und Kultur und zum Weltfriedenskongreß am Mittwoch, dem 6. April 1949 (einberufen von der BGL und dem Ausschuß für Einheit und gerechten Frieden an der Technischen Hochschule Dresden). Dresden UA: Nachlass W. Straub 1947–49 Nr. 64. Ders. RB (DD TH 1948): Bericht über das Studienjahr 1947/48 bei der Immatrikulationsfeier am 9. November 1948. Dresden UA: Nachlass W. Straub 1947–49 Nr. 64. Ders. RB (DD TH 1949): Bericht über das Rektoratsjahr 1948/49 bei der feierlichen Rektoratsübergabe am 10.11.1949. Dresden UA: Rektorat 1949 I/13. Winter, Eduard (HAL MLU 1947): Der Vatikan und das russisch-französische Bündnis (1894). Antrittsrede bei Gelegenheit der Übernahme des Rektorates gehalten in der Universität Halle im Oktober 1948. Halle-Wittenberg UA: Rep. 4 Nr. 672.

Gedruckte Reden: Allgeier, Arthur (FR ALU 1946): Lateinische Psalmenübersetzung in alter und neuer Zeit. In: Wissenschaft und Leben. Reden zur Universitätsfeier am 1. Juni 1946. Freiburg 1948. S. 7–21 (Freiburger Universitätsreden, Neue Folge 2). Apel, Kurt (B TU 1948): Rede des antretenden Rektors, Prof. Dr.-Ing. Kurt Apel, aus Anlaß der Rektoratsübergabe am 3. November 1948. [o. O.] 1948. Ders. RB (B TU 1949): Rede des scheidenden Rektors, Prof. Dr.-Ing. Kurt Apel, aus Anlaß der Rektoratsübergabe am 15. November 1949. [o. O.] 1949. Bauer, Karl Heinrich (HD RKU 1945a): Was bedeutet uns die Universität? Ansprache an die Teilnehmer des Fortbildungskurses für kriegsapprobierte Jungärzte (15.8.1945). In: Vom neuen Geist der Universität. Dokumente, Reden und Vorträge 1945/46 hg. v. K. H. Bauer, Professor der Chirurgie an der Universität Heidelberg, Rektor der Universität 1945/46. Berlin – Heidelberg 1947. S. 15–18 (Schriften der Universität Heidelberg 2). Ders. (HD RKU 1945b): Wissenschaft und Humanität. Rede aus Anlaß der ersten feierlichen Immatrikulation der Studierenden der theologischen und medizinischen Fakultät am 20.11.45. In: Vom neuen Geist der Universität. Dokumente, Reden und Vorträge 1945/46

Quellenverzeichnis 

357

hg. v. K. H. Bauer, Professor der Chirurgie an der Universität Heidelberg, Rektor der Universität 1945/46. Berlin  – Heidelberg 1947. S. 43–49 (Schriften der Universität Heidelberg 2). Ders. (HD RKU 1946a): Philosophie des tätigen Lebens. Rede des Rektors der Universität Heidelberg aus Anlaß der Eröffnung aller Fakultäten am 7.1.46. In: Vom neuen Geist der Universität. Dokumente, Reden und Vorträge 1945/46 hg. v. K. H. Bauer, Professor der Chirurgie an der Universität Heidelberg, Rektor der Universität 1945/46. Berlin – Heidelberg 1947. S. 51–63 (Schriften der Universität Heidelberg 2). Ders. (HD RKU 1946b): Grundvoraussetzungen deutscher Wiedergeburt. Rede des Rektors der Universität Heidelberg aus Anlaß der feierlichen Immatrikulation der im Sommer­ semester 1946 neu zugelassenen Studierenden am 17.6.1946. In: Vom neuen Geist der Universität. Dokumente, Reden und Vorträge 1945/46 hg. v. K. H. Bauer, Professor der Chirurgie an der Universität Heidelberg, Rektor der Universität 1945/46. Berlin – Heidelberg 1947. S. 90–95 (Schriften der Universität Heidelberg 2). Ders. RB (HD RKU 1946): Rechenschaftsbericht des Prorektors Professor Karl Heinrich Bauer über das abgelaufene Amtsjahr. In: Aus der Arbeit der Universität 1946/47. Hg. v. Hans Frhr. v. Campenhausen, Professor der Theologie an der Universität Heidelberg, Rektor der Universität 1946/47. Berlin – Göttingen – Heidelberg 1948. S. 1–8 (Schriften der Universität Heidelberg 3). Beckmann, Franz (MS WWU 1949): Der Friede des Augustus. Rede, anläßlich der Ueber­ nahme des Rektorats am 4.11.1949 von Franz Beckmann. Münster 1951 (Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 25). Benninghoff, Alfred (MR PU 1950): Das Problem der organischen Form. Marburg 1952 (Schriften der Philipps-Universität Marburg 1). Beyer, Hans (GW EMAU 1950): Die Atomenergie im Lichte der Wissenschaft und Politik. Antrittsrede des neugewählten Rektors der Universität Greifswald Prof. Dr. Hans Beyer. Greifswald 1950. Böhm, Franz (F JWGU 1948): Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsleistung. Rede bei Übernahme des Rektorats. In: Kurt Biedenkopf u. a.: Franz Böhm. Beiträge zu Leben und Wirken. Melle 1980. S. 91–110. Ders. RB (F JWGU 1949): Bericht des scheidenden Rektors Prof. Dr. iur. Franz Böhm, o. Pro­ fessor der Rechte bei der Rektoratsübergabe am 2. November 1949. (Frankfurter Universitätsreden, Neue Folge 4). Bohne, Gotthold (K U 1949): Menschenwürde und Strafrecht. Rede gehalten bei der feierlichen Übernahme des Rektorats der Universität zu Köln am 10. November 1949 von Professor Dr. iur. Gotthold Bohne. Krefeld 1949 (Kölner Universitätsreden 7). Brenner, Eduard (ER FAU 1946): Rede an die Studenten gehalten am 11.11.1946 zur Immatrikulationsfeier an der Universität Erlangen. Bamberg 1947. Ders. (ER FAU 1948): Abraham Lincoln. Rede, gehalten bei der Rektoratsfeier der Universität Erlangen am 8. Okt. 1947. Erlangen 1948 (Erlanger Wissenschaftliche Beiträge, Philologische Reihe 2). Campenhausen, Hans Freiherr von (HD RKU 1946): Augustin und der Fall von Rom. Festvortrag und Immatrikulationsansprache des Rektors D. Hans Frhr. v. Campenhausen. In: Aus der Arbeit der Universität 1946/47. Herausgegeben von Hans Frhr. v. Campenhausen, Professor der Theologie an der Universität Heidelberg, Rektor der Universität 1946/47. Berlin – Göttingen – Heidelberg 1948. S. 8–25. D’Ans, Jean (B TU 1947): Technik und Kultur. Rede anläßlich der feierlichen Rektoratsübergabe am 28. Oktober 1947 von Prof. Dr. J. D’Ans. Berlin 1947. Dietze, Constantin von (FR ALU 1947a): Ansprache bei der Immatrikulationsfeier am 26.2.1947. In: Ders.: Gedanken und Bekenntnisse eines Agrarpolitikers. Gesammelte Aufsätze von Constantin von Dietze. Göttingen 1962. S. 191–197.

358

Anhang

Ders. (FR ALU 1947b): Wege und Aufgaben wissenschaftlicher Agrarpolitik. Rektoratsrede vom 23. Mai 1947. Freiburg 1948 (Freiburger Universitätsreden, Neue Folge 3). Ders. RB (FR ALU 1948): Jahresbericht des Rektors Professor Dr. Constantin v. Dietze. In: Reden gehalten bei der Universitätsfeier am 16. April 1948. Freiburg 1949. S. 5–23 (Freiburger Universitätsreden, Neue Folge 4). Ders. RB (FR ALU 1949): Jahresbericht des Prorektors Prof. D. Dr. Constantin von Dietze, vorgetragen bei der Universitätsfeier am 30. April 1949. Freiburg 1949 (Freiburger Universitätsreden, Neue Folge 5). Diller, Hans (KI CAU 1950): Göttliches und menschliches Wissen bei Sophokles. Kiel 1950 (Kieler Universitätsreden 1). Ebbinghaus, Julius (MR PU 1945a): Neuer Staat und neue Hochschule. Eröffnungsrede und Schlußwort des Rektors bei der feierlichen Wiedereröffnung der Marburger Universität am 25. Sept. 1945. In: Ders.: Zu Deutschlands Schicksalswende. Frankfurt 1946. S. 16–30. Ders. (MR PU 1945b): Jugend und Vaterland. Rede und Schlußwort des Rektors bei der feierlichen Immatriukaltion am 17. Dezember 1945. In: Ders.: Zu Deutschlands Schicksalswende. Frankfurt 1946. S. 47–57. Eißfeldt, Otto (HAL MLU 1945): Prophetie und Politk. Rede gehalten bei Antritt des Rektorats der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg am 12. Juli 1945 von Otto Eißfeldt. Halle 1945 (Hallische Universitätsreden 79). Erbe, Walter (TÜ EKU 1948): Von der angeblichen Unverbindlichkeit der Jurisprudenz. In: Reden bei der feierlichen Übergabe des Rektorates zu Beginn des Sommer-Semesters am 8. April 1948. Tübingen 1948. S. 25–44 (Universität Tübingen 39). Flachsbart, Otto RB (H TH 1949): Bericht des Rektors Professor Dr.-Ing. O. Flachsbart über die Amtszeit 1948/49, erstattet am 1.7.1949 bei der akademischen Feier des Gründungs­ tages der Technischen Hochschule Hannover. Hannover [o. J.]. Föppl, Ludwig (M TH 1947): Die Technische Hochschule in ihrer Wandlung. Vortrag von Professor Dr. Ludwig Föppl, Rektor der Techn. Hochschule München, anläßlich der Jahresfeier am 12. Dezember 1947. München 1948 (Münchner Hochschulschriften 2). Friesenhahn, Ernst (BN RFWU 1950): Staatsrechtslehrer und Verfassung. Rede zum Antritt des Rektorates der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn am 5. November 1950 von Ernst Friesenhahn. Krefeld 1950 (Bonner Akademische Reden 4). Fucks, Wilhelm (AC RWTH 1950): Immatrikulationsfeier am 4. Dezember 1950. Gedenken an das achtzigjährige Bestehen der Hochschule. Rede des Rektors Professor Dr.Ing. Wilhelm Fucks. In: Jahrbuch der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen 2 (1949), S. 13–18. Gadamer, Hans Georg (L U 1946): Über die Ursprünglichkeit der Wissenschaft. Rede des ordentlichen Professors der Philosophie Dr. phil. Hans Georg Gadamer gehalten bei Übernahme des Rektorats anläßlich der Wiedereröffnung der Universität Leipzig am 5. Februar 1946. Leipzig 1947 (Leipziger Universitätsreden 14). Gassner, Gustav (BS THCW 1946): Ansprache an die Studierenden zur Immatrikulation am 14. Januar 1946. In: Beiträge zur Geschichte der Carolo-Wilhelmina. Braunschweig 1976. S. 17–22. Ders. RB (BS THCW 1948): Ansprache und Bericht des Rektors Professor Dr. phil. G. Gassner anläßlich der Rektoratsübergabe am 16. Juli 1948. Braunschweig 1948. Geiler, Karl (HD RKU 1948): Macht und Recht. Rektoratsrede 1948 von Karl Geiler. Berlin – Göttingen – Heidelberg 1949. (Heidelberger Universitätsreden, Dritte Folge 1). Gerlach, Walther (M LMU 1948): Über das Licht. Rede, gehalten beim Antritt des Rektorats der Ludwig-Maximilians-Universität zu München am 16. Oktober 1948 von Dr. rer. nat. Walther Gerlach, Professor für Experimentalphysik. München 1948 (Münchner Hochschulschriften 7). Ders. (M LMU 1949a): Die akademische Provinz. Rede gehalten bei der Goethefeier der

Quellenverzeichnis 

359

Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der Universität München, der Technischen Hochschule München, der Landeshauptstadt München am Stiftungstag der Ludwig-Maxi­ milians-Universität zu München am 26. Juni 1949 von Dr. rer. nat. Walther Gerlach, Professor der Experimentalphysik, h. t. Rektor der Universität. München 1949 (Münchner Hochschulschriften 8). Ders. (M LMU 1949b): Physik und Natur. Rektoratsrede verbunden mit dem Jahresbericht der Ludwigs-Maximilians-Universität zu München von Dr. rer. nat. Walther Gerlach, o. Professor der Experimentalphysik, h. a. Rektor der Universität am 14. Dezember 1949. München 1950 (Münchner Hochschulschriften 9). Grammel, Richard (S TH 1946): Ansprache von Rektor Professor Dr.-Ing. h. c. Dr. R. Grammel. In: Ansprachen beim Festakt der Technischen Hochschule Stuttgart zur Feier ihrer Wiedereröffnung am 23. Februar 1946 von Lt. Colonel Charles D.  Winning, Professor Dr.-Ing. h. c. Dr. R. Grammel, Kultminister Dr. Th. Heuss, Oberbürgermeister Dr. A. Klett. Stuttgart [1946]. S. 10–19 (Technische Hochschule Stuttgart, Reden und Aufsätze 14). Ders. RB (S TH 1948): Bericht des abgehenden Rektors Professor. Dr. rer. nat. Dr. sc. techn. h. c. R. Grammel über die Studienjahre 1945/46, 1946/47 und 1947/48. In: Reden gehalten bei der Übergabe des Rektroramtes am 3. Mai 1948. Stuttgart 1948. S. 3–12 (Reden und Aufsätze Technische Hochschule Stuttgart 15). Hallstein, Walter (F JWGU 1946): Wiederherstellung des Privatrechts. Rede bei Übernahme des Rektorats der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Heidelberg 1946 (Schriften der süddeutschen Juristen-Zeitung 1). Ders. (F JWGU 1948): Festrede des derzeitigen Rektors Dr. iur. Walter Hallstein, o. Professor der Rechte. In: Wissenschaft und Politik. Festrede des derzeitigen Rektors Dr. iur. Walter Hallstein, o. Professor der Rechte, Ansprache des Kanzlers der Universität Chicago Dr. h. c. Dr. h. c. Robert M. Hutchins LLD, Professor of Law, beim Akademischen Festakt aus Anlaß der Hundertjahrfeier der Nationalversammlung am 18. Mai 1948. Frankfurt 1949 (Frankfurter Universitätsreden, Neue Folge 1). Ders. RB (F JWGU 1948): Bericht des scheidenden Rektors, Dr. iur. Walter Hallstein, o. Professor der Rechte, bei der Rektoratsübergabe am 24. September 1948. Frankfurt 1950 (Frankfurter Universitätsreden, Neue Folge 3). Harteck, Paul (HH U 1948): Die Sonderstellung des Wasserstoffs in der Materie. Rede gehalten anläßlich der Feier des Rektorwechsels an der Universität Hamburg am 17. Nov. 1948 von Paul Harteck, ordentlichem Professor der physikalischen Chemie. Hamburg 1950 (Hamburger Universitätsreden 6). Hohmann, Georg (F JWGU 1946): Rektoratsrede zur Eröffnung der Frankfurter Universität. In: Die Bildungs- und Erziehungsaufgabe der heutigen Universität. Drei Reden, gehalten zur Feier der Wiedereröffnung der Frankfurter Universität am 1. Februar 1946. Frankfurt 1946 (Frankfurter Universitätsreden 1). Ders. (M LMU 1946): Rede zur Eröffnung der Ludwig-Maximilians-Universität München. München 1947 (Kultur und Politk 7). Hoops, Johannes (HD RKU 1945): Begrüßungsansprache anläßlich er Eröffnung des Fortbildungskursus für Jungärzte und Übergabe des Rektorates am 15.8.45 in dem Hörsaal der Ludolf-Krehl-Klinik. In: Vom neuen Geist der Universität. Dokumente, Reden und Vorträge 1945/46 herausgegeben von K. H. Bauer, Professor der Chirurgie an der Universität Heidelberg, Rektor der Universität 1945/46. Berlin – Heidelberg 1947. S. 12–14. Hund, Friedrich (J FSU 1948): Physik und allgemeine Bildung. Rede zur Jahresfeier der Friedrich-Schiller-Universität Jena am 26. Juni 1948 gehalten von F. Hund, dem Rektor der Universität. Jena 1949 (Jenaer Akademische Reden 31). Inhoffen, Hans Herloff (BS THCW 1948): Antrittsrede des neuen Rektors Professor Dr. phil. H. H. Inhoffen anläßlich der feierlichen Rektoratsübergabe am 16. Juli 1948. Braunschweig 1948.

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Ders. (BS THCW 1949): Über die geistig-seelische Problematik des Menschen der Gegenwart. Rede zur Jahresfeier der Carolo Wilhelmina zu Braunschweig am 5. Juli 1949. Braunschweig 1949. Isele, Hellmut Georg RB (MZ JGU 1950): Bericht des Rekors Professor Dr. iur. Hellmut Georg Isele über seine beiden Amtsjahre vom 1. August 1949 bis 30. September 1951, erstattet bei der Feier der Rektoratsübergabe am 28. November 1951 in der Aula der Johannes Gutenberg- Universität. [o. O.] [o. J.]. Janssen, Sigurd (FR ALU 1945): Professor Dr. S. Janssen. In: Hochschule und Wiederaufbau. Ansprachen zur Wiedereröffnung der Universität 1945/46 im Auftrag des Rektorates herausgegeben von Prof. Dr. J. Vincke. Freiburg [1948]. S. 11–15 (Freiburger Universitäts­reden, Neue Folge 1). Johannsen, Friedrich (CLZ BA 1950a): Neue Wege und Möglichkeiten der thermischen Zinkgewinnung. Rede des neuen Rektors, Prof. Dr. Friedrich Johannsen (Ausschnitte). In: Clausthaler Hochschulnachrichten 2, Nr. 2 (1950), S. 11 f. Ders. (CLZ BA 1950b): Ansprache beim Festakt zur 175-Jahrfeier des Rektors, Magnifizenz Prof. Dr. Johannsen (Ausschnitte). In: Clausthaler Hochschulnachrichten 2, Nr. 3 (1950), S. 13–16. Jungbluth, Hans (KA THF 1948): Akademikerüberfluß? Festrede gehalten anläßlich der Übernahme des Rektorates der Technischen Hochschule Fridericiana Karlsruhe am 24. Januar 1948 von Professor Dr.-Ing. Hans Jungbluth, Direktor des Instituts für Mechanische Technologie und Materialprüfung an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Karlsruhe 1948 (Karlsruher Akademische Reden, Neue Folge 4). Klauser, Theodor (BN RFWU 1948): Der Ursprung der bischöflichen Insignien und Ehrenrechte. Rede gehalten beim Antritt des Rektorates der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn am 11. Dezember 1948 von Dr. theol. Theodor Klauser, Professor der Kirchengeschichte. Krefeld 1953 (Bonner Akademische Reden 1). Konen, Heinrich (BN RFWU 1946): Der Beginn des neuen Akademischen Jahres. In: Bonner Universitäts-Zeitung 1 (1946) Nr. 8, S. 2 f. Kress von Kressenstein, Hans (B FU 1950): Disharmonie als Ursache von Krankheiten. Rektoratsrede der Freien Universität Berlin. In: Rektoratsübergabe zur Eröffnung des dritten Universitätsjahres der Freien Universität Berlin 25. November 1950. Berlin 1950. S. 9–22 (Veröffentlichungen der Freien Universität Berlin 5). Kroll, Joseph (K U 1946a): Rede des Rektors der Kölner Universität bei der Feier des Stiftungstages der Universität und der Immatrikulation der Studenten am 5. Juni 1946. In: Kölner Universitäts-Zeitung 1 (1946/47) Nr. 2, S. 1 f. Ders. (K U 1947): Ansprache Sr. Magnificenz des Rektors Prof. Dr. Kroll bei der Eröffnung des ersten Ferienkursus ausländischer Studenten an der Universität zu Köln. In: Kölner Universitäts-Zeitung 2 (1947) Nr. 4/5, S. 61–63. Kucharski, Walter (B TU 1946): Rede zur Eröffnung der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg, 9. April 1946. [o. O.] [o. J.]. Laun, Rudolf (HH U 1947): Der dauernde Friede. Rede gehalten anläßlich der Feier des Rektorwechsels an der Universität Hamburg am 6. November 1947 von Rudolf Laun. Hamburg 1947. Lehnartz, Emil (MS WWU 1946): Die Entwickelung des Fermentbegriffes. Rektoratsrede gehalten am 12. November 1946 von Prof. Lehnartz. Münster 1949 (Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen LandesUniversität zu Münster 20). Ders. (MS WWU 1947): Gedanken zur Immatrikulation. Aus einer Ansprache des Rektors, Professor Dr. E. Lehnartz. In: Das Auditorium 1947, Nr. 7/8, S. 3–7. Ders. (MS WWU 1948): Ansprache seiner Magnifizenz des Rektors Prof. Dr. Lehnartz. In: Sinn und Erbe der deutschen Revolution 1848. Ansprachen bei dem Gedenkakt der Universität Münster am 13. Mai 1948 von Emil Lehnartz und Kurt von Raumer. Münster 1949.

Quellenverzeichnis 

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S. 3–6 (Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen LandesUniversität zu Münster 22). Lips, Julius (L U 1949): Die Erntevölker, eine wichtige Phase in der Entwicklung der menschlichen Wirtschaft. Rektoratsrede gehalten am 31. Oktober 1949 in der Kongreßhalle zu Leipzig. Berlin 1953 (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 101, Heft 1). Martin, Josef (WÜ BJMU 1946): Neuordnung des Staates und die Dichtung unter Augustus. Festrede anläßlich des 364. Stiftungsfestes der Universität, gehalten am 11. Mai 1946. Würzburg 1946 (Würzburger Universitätsreden, Neue Folge 2). Ders. (WÜ BJMU 1947): Frieden. Festrede anläßlich des 365. Stiftungsfestes der Universität, gehalten am 11. Mai 1947. Würzburg 1947 (Würzburger Universitätsreden, Neue Folge 6). Mehmel, Alfred (DA TH 1949): Antrittsrede des Rektors Prof Dr.-Ing. Alfred Mehmel. Gedanken über die Entwicklung des konstruktiven Ingenieurbaues mit besonderer Berücksichtigung des Massivbaues. In: Feier der Rektoratsübergabe am 15. Dezember 1949. Darmstadt 1949. S. 11–27. Meinecke, Friedrich (B TU 1948): Ansprache des Rektors Professor Dr. Dr. h. c. Friedrich Meinecke gesprochen vom Krankenlager in seiner Wohnung und durch den RIAS in den Festsaal übertragen. In: Gründungsfeier der Freien Universität Berlin im Dezember MCMXLVIII. Berlin 1949. S. 19–22 (Veröffentlichungen der Freien Universität Berlin 1). Mesmer, Gustav RB (DA TH 1949): Jahresbericht des vorjährigen Rektors Prof. Dr. phil. Gustav Mesmer. In: Feier der Rektoratsübergabe am 15. Dezember 1949. Darmstadt 1949. S. 3–10. Müller, Wilhelm (AC RWTH 1948): Verkehrsprobleme der Eisenbahn in der Nachkriegszeit. Ansprache des Rektors o. Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Müller bei der Übernahme des Rektorats am 30. Januar 1948. In: Jahrbuch der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen 2 (1949), S. 25–28. Oehlkers, Friedrich (FR ALU 1950): Die Kontinuität des Lebendigen. Freiburger Rektoratsrede am 6. Mai 1950. Freiburg 1950 (Freiburger Universitätsreden, Neue Folge 9). Piloty, Hans (M TH 1948): Die Rolle des Geistes in der Nachrichtentechnik. Vortrag von Prof. Dr. Hans Piloty, Rektor der Techn. Hochschule München, anläßlich der Jahresfeier am 3. Dezember 1948. München 1949 (Münchner Hochschulschriften 4). Plank, Rudolf (KA THF 1946): Ein Ende – oder ein Anfang? Rede gehalten anläßlich der Wiederöffnung der Technischen Hochschule Fridericiana zu Karlsruhe am 15. Februar 1946 vom Rektor, Professor Dr.-Ing. Rudolf Plank. Karlsruhe 1946. Pöschl, Theodor (KA THF 1947): Zukunftsaufgaben der Technischen Hochschulen. Festrede gehalten anläßlich der Übernahme des Rektorates der Technischen Hochschule Fridericiana zu Karlsruhe am 18. Januar 1947 von Professor Dr. Ing. Theodor Pöschl, Direktor des Instituts für Mechanik und angewandte Mathematik an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Karlsruhe 1947 (Karlsruher Akademische Reden, Neue Folge 2). Rajewsky, Boris (F JWGU 1949): Das physikalische Weltbild in der Biologie. Rede beim Antritt des Rektorates gehalten von Dr. phil. nat. Boris Rajewsky, o. Professor der Biophysik und physikalischen Grundlagen der Medizin. Frankfurt 1952 (Frankfurter Universitätsreden, Neue Folge 4). Reatz, August (MZ JGU 1947): Völkergemeinschaft und Universität. Akademische Rektoratsrede gehalten am 11. Dezember 1947 von August Reatz, Dr. theol., Dr. phil. h. c., Päpstlicher Hausprälat, o. ö. Professor an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz. Mainz 1948 (UniversitätsDrucksachen von und über die Universität Mainz 8). Ders. RB (MZ JGU 1949): Bericht des Rektors Prälat Professor Dr. Dr. h. c. August Reatz anläßlich der Rektoratsübergabe am 24. Juli 1949. Mainz 1949. Redslob, Edwin (B FU 1948): Rede des Prorektors und geschäftsführenden Rektors Professor Dr. Edwin Redslob. In: Gründungsfeier der Freien Universität Berlin im Dezember MCMXLVIII. Berlin 1949. S. 23–32 (Veröffentlichungen der Freien Universität Berlin 1).

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Ders. (B FU 1950): Kunst und Kultur der deutschen Stadt. Akademische Festrede zur Immatrikulationsfeier der Freien Universität Berlin, Sommersemester 1950, gehalten von Dr. Edwin Redslob, Professor der Kunst- und Kulturgeschichte. Berlin [1950] (Veröffentlichungen der Freien Universität Berlin 4). Ders. RB (B FU 1950): Ansprache des scheidenden Rektors Professor Dr. Edwin Redslob. In: Rektoratsübergabe zur Eröffnung des dritten Universitätsjahres der Freien Universität Berlin 25. November 1950. Berlin 1950. S. 3–8 (Veröffentlichungen der Freien Universität Berlin 5). Regler, Friedrich (FG BA 1946): Inaugurationsrede des Rektors Prof. Dr. F. Regler. Von der Lupe zum Elektronenmikroskop. In: Hofmann, Hans, Bernd Meister u. Eberhard Wächtler, Die Neueröffnung der Bergakademie Freiberg am 8. Februar 1946. Freiberg 1985. S. 50–58. Rein, Friedrich Hermann: Die gegenwärtige Situation der Universität. Rede des Rektors, Prof. der Physiologie, Dr. F. H. Rein bei der feierlichen Verpflichtung der Studenten an der Georg August Universität in Göttingen am 18. Juni 1946. Göttingen 1946. Rienäcker, Günther (RO U 1946): Die demokratische Sendung der Universität. Rede bei der Wiedereröffnung der Universität Rostock. Schwerin 1946 (Kleine Schriftenreihe d. Kulturbundes Mecklenburg-Vorpommern 1). Ders. RB (RO U 1947): Rede zur Rechenschaftslegung über die Arbeit der Universität Rostock während der ersten drei Semester nach der Neueröffnung der Universität, gehalten am 30.7.1947. In: Neueröffnung der Universität (1946–1986). Rostock 1986. Röntgen, Paul (AC RWTH 1946a): Zur Wiedereröffnungsfeier der Technischen Hochschule Aachen. Ansprache des Rektors Paul Röntgen am 3. Januar 1946. In: Jahrbuch der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen 2 (1949), S. 11–17. Ders. RB (AC RWTH 1948): Zur Rektoratsübergabe am 30. Januar 1948. Ansprache des Rektors o. Prof. Dr.-Ing. E. h. Paul Röntgen. In: Jahrbuch der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen 2 (1949). S. 18–24. Rösser, Ernst (WÜ BJMU 1949): Die Stellung der Laien in der Kirche nach dem Kanonischen Recht. Würzburger Rektoratsrede von 11. Mai 1949. Würzburg 1949 (Würzburger Universitätsreden, Neue Folge 9). Ders. RB (WÜ BJMU 1949): Jahresbericht der Julius-Maximilians-Universität erstattet anläßlich ihres 367. Stiftungsfestes am 11. Mai 1949 im Kaisersaal der Residenz. Würzburg 1949 (Würzburger Universitätsreden, Neue Folge 8). Ders. RB (WÜ BJMU 1950): Jahresbericht der Julius-Maximilians-Universität, Würzburg, erstattet anläßlich ihres 368. Stiftungsfestes am 11. Mai 1950 im Gartensaal der Residenz. Würzburg 1951 (Würzburger Universitätsreden, Neue Folge 11). Schmid, Josef (MZ JGU 1946): Wollen und Ziele der neuen Hochschule. Von Professor Dr. Josef Schmid, Rektor der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Mainz 1946 (Mainzer Universitätsreden 1). Ders. (MZ JGU 1947): Die Mission des Akademikers. Von Professor Dr. Josef Schmid, Rektor der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Mainz 1947 (Mainzer Universitätsreden 7). Schmitt, Otto (S TH 1948): Antrittsrede des neuen Rektors Professor Dr. phil. Otto Schmitt über Kunstgeschichte im Hochschulunterricht. In: Reden gehalten bei der Übergabe des Rektroramtes am 3. Mai 1948. Stuttgart 1948. S. 14–32 (Reden und Aufsätze Technische Hochschule Stuttgart 15). Ders. RB (S TH 1950): Bericht des abgehenden Rektors Professor Dr. phil. Otto Schmitt über die Studienjahre 1948/49 und 1949/50. In: Reden bei der Übergabe des Rektoramtes am 3. Mai 1950. Stuttgart 1950. S. 3–30 (Technische Hochschule Stuttgart, Reden und Aufsätze 16). Schneider, Hermann (TÜ EKU 1945a): Über die Entstehung, Träger und Wesen des Neuen in der Geschichte der Dichtkunst. Rede, gehalten bei der Neueröffnung der Universität Tü-

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bingen am 15. Oktober 1945 von Professor Dr. Hermann Schneider, Rector Magnificus. Tübingen 1950 (Tübinger Universitätsreden 1). Ders. (TÜ EKU 1945b): Ansprache des Rektors an 20 amtsentlassene Kollegen. In: Schmid, Manfred (Hg.), Wiedergeburt des Geistes. Die Universität Tübingen im Jahre 1945. Tübingen 1985. Schreiber, Georg (MS WWU 1945): Hochschule und Volkstum in der neuen Zeit. Rektoratsrede zur Wiedereröffnung der Westfälischen Landesuniversität am 3. November 1945 von Professor D. Dr. Georg Schreiber, Rektor der Universität Münster. Recklinghausen 1945. Ders. (MS WWU 1946): Theologische Fakultäten. In Hochschule und Christentum. Reden zur Eröffnung der Evangelisch Theologischen Fakultät der Westfälischen Landesuniversität von C. A. H. Chadwick, G. F. Savage, H. Schreiner, G. Schreiber. Münster 1946. Schwarz, Otto (J FSU 1948): Die demokratische Universität im Kampf für den Fortschritt der Menschheit. In: Forum 3 (1949), S. 40 f. Siebel, Erich (S TH 1950): Antrittsrede des neuen Rektors Professor Dr.-Ing. Erich Siebel über Bedeutung der Materialprüfungsanstalten für die Festigkeitsforschung. In: Reden bei der Übergabe des Rektoramtes am 3. Mai 1950. Stuttgart 1950. S. 31–45 (Technische Hochschule Stuttgart, Reden und Aufsätze 16). Smend, Rudolf (GÖ GAU 1945): Staat und Politik. Ein Vortrag, gehalten als Einführung einer historisch-politischen Vortragsreihe der Universität Göttingen im Wintersemester 1945/46. In: Ders.: Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze. Berlin 1994 (3. Auflage). S. 363–379. Steinbüchel, Theodor (TÜ EKU 1946): Europa als Verbundenheit im Geist. Rede bei der Übernahme des Rektorates der Universität Tübingen von Professor D. Dr. Theodor Steinbüchel. Tübingen 1946 (Universität Tübingen 36). Ders. (TÜ EKU 1947): Der Mensch – heute. Vortrag des Rektors der Universität Tübingen, Herrn Professor D. Dr. Theodor Steinbüchel, gehalten in Tübingen auf der Studententagung der Studenten der französischen Besatzungszone. Stuttgart 1947. Ders. RB (TÜ EKU 1947): Jahresbericht des Rektors Prof. D. Dr. Theodor Steinbüchel bei der feierlichen Eröffnung des Sommersemesters am 23. April 1947. In: Reden bei der feierlichen Eröffnung des Sommersemesters am 23. April 1947. Tübingen 1947. S. 3–17 (Universität Tübingen 37). Ders. RB (TÜ EKU 1948): Jahresbericht des Rektors der Universität bei der feierlichen Übergabe des Rektorates zu Beginn des Sommersemesters am 8. April 1948. In: Reden bei der feierlichen Übergabe des Rektorates zu Beginn des Sommer-Semesters am 8. April 1948. Tübingen 1948. S. 3–24 (Universität Tübingen 39). Stroux, Johannes (B HU 1946a): Vom Wesen der Kultur. Auszüge aus einer Ansprache zur Eröffnung der Berliner Universität. In: Aufbau 1946, 1. S. 111–116. Ders. (B HU 1946b): Kultur, Humanität und Humanismus. Rede zur Wiedereröffnung der Berliner Universität am 29. Januar 1946. In: Humboldt-Universität Berlin: Festakt zur Wiedereröffnung der Humboldt-Universität in der Staatsoper Berlin. Berlin 1984. S. 9–18. Süß, Theodor (ER FAU 1946): Zwei Ansprachen an Studenten. Zur Eröffnung der Universität Erlangen am 5. März 1946. München 1947 (Kultur und Politik 5/6). Tellenbach, Gerd (FR ALU 1949a): Goethes geschichtlicher Sinn. Freiburger Rektoratsrede vom 30. April 1949. Freiburg 1949 (Freiburger Universitätsreden, Neue Folge 6). Ders. (FR ALU 1949b): Ansprache bei der Immatrikulationsfeier, 15.11.1949. In: Ders.: Der sibyllinische Preis. Schriften und Reden zur Hochschulpolitik 1946–1963. Freiburg 1963. S. 46–51. Tellenbach, Gerd (FR ALU 1949c): Ansprache bei der Allgemeinen Studentenversammlung am 15.11.1949. In: Ders.: Der sibyllinische Preis. Schriften und Reden zur Hochschulpolitik 1946–1963. Freiburg 1963. S. 52–57. Ders. RB (FR ALU 1950): Jahresbericht der Universität Freiburg 1949/50. In: Ders.: Der si-

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byllinische Preis. Schriften und Reden zur Hochschulpolitik 1946–1963. Freiburg 1963. S. 58–64. Terres, Ernst (KA THF 1949): Die abendländische Weltanschauung im technischen und kollektivistischen Zeitalter. Vortrag gehalten bei der Übernahme des Rektorats der Technischen Hochschule Karlsruhe am 10. Dezember 1949 im Badischen Staatstheater zu Karlsruhe von Prof. Dr.-Ing. Ernst Terres. Karlsruhe 1950 (Karlsruher Akademische Reden, Neue Folge 7). Trillhaas, Wolfgang (GÖ GAU 1950): Die christliche Freiheitsidee. Rede beim Antritt des Rektorats am 6. Mai 1950. In: Ders.: Akademische Reden 1950–1952. Göttingen [1952]. S. 1–18. Vossler, Karl (M LMU 1946): Forschung und Bildung an der Universität. München 1946 (Geistiges München 1). Wachsmuth, Werner (WÜ BJMU 1947): Die chirurgische Indikation. Festvortrag, gehalten anläßlich der Wiedereröffnung der Julius-Maximilians-Universität am 12. März 1947. Würzburg 1947 (Würzburger Universitätsreden, Neue Folge 4). Wassermann, Günter RB (CLZ BA 1950): Bericht über das Studienjahr 1948/49. In: Clausthaler Hochschulnachrichten 2, Nr. 2 (1950). S. 10 f. Wolff, Emil (HH U 1945): Die Idee und die Aufgabe der Universität. In: Reden von Senator Heinrich Landahl und Professor Dr. Emil Wolff, Rektor der Universität, gehalten bei der Feier der Wiedereröffnung am 6. November 1945 in der Musikhalle. Hamburg 1946 S. 17–34. Zucker, Friedrich (J FSU 1945): Ansprache des Rektors Friedrich Zucker bei der Übergabe der Universität in der Aula. In: Jürgen John / Volker Wahl / Leni Arnold (Hg.), Die Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1945. Dokumente und Festschrift. Jena 1998. S. 273–278.

b) Sekundäre Quellen Nicht gedruckte Sekundäre Quellen: Universitätsarchiv der TU Darmstadt (UA DA): Senatsakten 1945–1949. TH 21/01. Universitätsarchiv der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: Weizel, Walter (o. J.): Forschung und künftiger Lebensstandard. Nachlaß Wilhelm Süß, 7.23, 396. Universitätsarchiv der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (UA GW): Lebenslauf Rudolf Gross. UAG PA 218 Bd. 7.

Gedruckte Sekundäre Quellen: 1950: Festschrift zur 175-Jahrfeier der Bergakademie Clausthal: 1775–1950. Clausthal-Zeller­ feld. Arendt, Hannah / Jaspers, Karl (1993): Briefwechsel 1926–1969. Hg. v. Lotte Köhler u. Hans Saner. 3. Auflage, München – Zürich. Arnold, Franz (1955): Einheit der Bildung in der Vielheit ihrer Fächer. Rede des Rektors der Universität Tübingen, Professor Dr. theol. Franz Arnold bei der feierlichen Immatrikulation am 7. Dezember 1954 im Festsaal der neuen Aula. In: Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft. Zwei Reden bei der Immatrikulation am 7.12.1954. Tübingen 1955. S. 9–25. Barth, Karl (1945): Zur Genesung des deutschen Wesens. Ein Freundeswort von draussen. Stuttgart. Bauernfeind, Carl Max von (1869): Über den Einfluss der exacten Wissenschaften auf die allgemeine Bildung und auf die technischen Fachstudien insbesondere. Rede zur Ein-

Quellenverzeichnis 

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weihungsfeier der technischen Hochschule in München gehalten am 19. December 1868 von Professor Dr. C. M. Bauernfeind, d. Z. Director. In: Ders. (Hg.), Reden und Vorträge zur Einweihungsfeier der Technischen Hochschule in München. München 1869. S. 20–36. Ders. (o. J.): Staatswirtschaftliches Bauwesen und Technischer Unterricht in Bayern unter König Ludwig I.  Vortrag gehalten bei der Jahresschlussfeier der Königlichen Technischen  Hochschule in München am 28. Juli 1886 gehalten von Carl Max v. Bauerfeind. München. Baumgarten-Crusius, Ludwig Friedrich Otto (1826): Über wissenschaftliche Freiheit an sich und in Beziehung auf die deutschen Universitäten. Rede bei dem Antritte des Prorectorates der Universität Jena am fünften August 1826. Jena. Becker, Josef (1949): Von der Bauakademie zur Technischen Universität. 150 Jahre Technisches Unterrichtswesen in Berlin. Berlin-Charlottenburg. Bernhöft, Franz (1900): Das neunzehnte Jahrhundert als Vorläufer einer neuen Bildungsstufe. Rede gehalten zur Universitäts-Feier am 28. Februar 1900 von Prof. Dr. F. Bernhöft, d. Z. Rector. Rostock. Blackett, Patrick Maynard Stuart (1948): Military and Political Consequences of Atomic Energy. London. Blunck, Erich (1922): Über Freiheit in der Erziehung zur Baukunst an der Technischen Hochschule. Rede, gehalten beim Antritt des Rektorates an der Technischen Hochschule zu Berlin am 1. Juli 1922 Erich Blunck. Berlin. Brill, Ernst-Heinrich (1937): Von den Aufgaben deutscher Wissenschaft. Von Dr. Ernst-Heinrich Brill, Ordentlicher Professor der Dermatologie, Rektor der Universität. In: Ansprachen gehalten am 30. Januar 1937 in der Aula der Universität Rostock aus Anlaß des Gedenktages der 4. Wiederkehr der nationalsozialistischen Machtergreifung. Rostock. S. 5–14 (Rostocker Universitäts-Reden 21). Bumke, Oswald (1929): Eine Krisis der Medizin. Rede gehalten bei der Übernahme des Rektorats am 24. November 1928. München. Burckhardt, Jacob (1983): Weltgeschichtliche Betrachtungen. Nach dem Oerischen Text unter Heranziehung der von W. Kaegi gegebenen Ergänzungen. Stuttgart. Dernburg, Heinrich (1884): Die Bedeutung der Rechtswissenschaft für den modernen Staat. Rede bei Übernahme des Rektorats an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin gehalten am 15. October 1884 von Dr. Heinrich Dernburg. Berlin. Ehrenberg, Christian Gottfried (1856): Antrittsrede bei Übernahme des Rectorats der Universität zu Berlin am 15. October 1855 in der Aula der Universität gehalten von Dr. C. G. Ehrenberg, Professor der Medizin. Über die Stellung der Universitäten im Staate und zur Gesamtbildung sowie Erfahrungswissenschaften zu dem Staate. Berlin. Europa (1953): Dokumente zur Frage der europäischen Einigung. Hg. vom Auswärtigen Amt. Bonn. Fichte, Immanuel Hermann (1971): Über die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit. Eine Rede beim Antritte seines Rectorats an der Universität zu Berlin, den 19. October 1811 gehalten. In: Fichtes Werke, hg. v. Immanuel Hermann Fichte, Bd. VI, Zur Politik und Moral. Berlin. S. 451–476. Fleckenstein, Heinz (1968): Beitrag der praktischen Theologie zur Bewältigung der Wohlstandsgesellschaft. Vortrag gehalten beim 386. Stiftungsfest der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Kaisersaal der Residenz am 11. Mai 1968. Würzburg. Fleischmann, Wilhelm (1896): Wesen und Bedeutung der allgemeinen Bildung. Rede, gehalten bei Übergabe des Rectorats der Königlichen Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. am 12. April 1896 von Wilhelm Fleischmann. In: Chronik der Königlichen Albertus-Universität zu Königsberg i. P. 1896/97. Friedländer, Ernst (1982): Klärung für Deutschland. Leitartikel in der ZEIT 1946–1950. Hg. v. Norbert Frei und Franziska Friedländer. München – Wien (Dokumente unserer Zeit 6).

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Anhang

Galling, Kurt (1952): Die Krise der Aufklärung in Israel. Rede anläßlich der Übernahme des Rektorates am 28. November 1951 von Professor D. theol. h. c. Dr. phil. Kurt Galling. Mainz. Geibel, Emmanuel (1883): Gesammelte Werke. Band 4. Stuttgart. Gerloff, Wilhelm (1932): Wirtschaftswissenschaft und politische Bildung. Rede anläßlich der Übernahme des Rektorates der Johann Wolfang Goethe-Universität am 5. Nov. 1932 gehal­ ten von Dr. W. Gerloff, o. ö. Professor der Wirtschaftlichen Staatswissenschaften. Frankfurt. Gorup-Besanez, Eugen Freiherr von (1874): Rede beim Antritte des Prorectorats der Königlich Bayerischen Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen am 4. November 1874 gehalten. Erlangen. Groß, Walter (1936): Die Feier des 30. Januar 1936. Gestaltet nach einer Niederschrift von Will Decker. Die Ansprache hielt Walter Groß. Berlin. Grothe, Hans (1939): Langemarckfeier und Immatrikulation am 21. November 1937. In: Nachrichten der Bergakademie Clausthal 4. Heft, 1939. S. 1–6. Ders. (1940): Tag zur Feier der nationalen Arbeit. In: Nachrichten der Bergakademie Clausthal 5. Heft, 1940. S. 3–9. Gruber, Otto (1936): Rede zur Langemarck- und Immatrikulationsfeier am 14. November 1936 gehalten vom Rektor der Technischen Hochschule Prof. Dr. Otto Gruber. Aachen (Aachener Akademische Reden 5). Günter, Siegmund (1913): Arbeitsteilung und wissenschaftliche Allgemeinbildung. Festrede gehalten bei der Akademischen Feier der K.  Technischen Hochschule zu München am 7. Dezember 1911 von dem derzeitigen Rektor Professor Dr. Siegmund Günther, K. Geh. Hofrat. München. Gutachten zur Hochschulreform (1948): Gutachten zur Hochschulreform vom Studienausschuß für Hochschulreform. Hamburg. Hahne, Hans (1935): Volkheit als Gegenstand von Forschung und Lehre und Mittel zur Erziehung zum heroischen Volksbewußtsein. Festrede zum 18. Hartungs 1934 von Hans Hahne, z. Z. Rektor. Halle. Haushofer, Karl (1890): Ueber die Aufgaben der technischen Hochschule auf dem Gebiete der allgemeinen Bildung. Antrittsrede gehalten am 16. November 1889 von Karl Haushofer. München. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (2003): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Dritter Teil: Die Philosophie des Geistes. Neu editierte Ausgabe, 1. Auflage, 5. Nachdruck Frankfurt (G. W. F. Hegel: Werke in zwanzig Bänden 10). Heidegger, Martin (1933): Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Rede, gehalten bei der feierlichen Übernahme des Rektorats der Universität Freiburg i. Br. am 27.5.1933. Breslau. Ders. (2004): Brief über den »Humanismus«. In: Ders.: Wegmarken. Gesamtausgabe Abt. I: Veröffentlichte Schriften 1910–1976, Bd. 9. Frankfurt. S. 311–360. Held, Joseph von (1883): Festrede an die Studirenden der Julius-Maximilians-Universität zur Feier des 301. Stiftungstages desrselben, gehalten von dem zeitlichen Rector Dr. Joseph v. Held, K. B. Geheimen Rath und ö. o. Professor der Rechte, am 2. Januar 1883, vormittags 11 Uhr, in der Academischen Aula [über die academische Freiheit, oder: wie versteht sie der rechte Student?]. Würzburg. Helmholtz, Hermann von (1896): Über die akademische Freiheit der deutschen Universitäten. Rede gehalten beim Antritt des Rectorats an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1877 am 15. October 1877 gehalten von H. Helmholtz. In: Vorträge und Reden von Hermann von Helmholtz, Bd. 2. Braunschweig (4. Auflage). S. 191–212. Hertwig, Oskar (1905): Das Bildungsbedürfniss und seine Befriedigung durch deutsche Universitäten. Rede zur Gedächtnissfeier des Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhelm III in der Aula derselben am 3. August 1905 gehalten von Oskar Hertwig. Berlin. Herzog, Rolf (1985): Lips, Julius. In: NDB, Bd. 14. Berlin. S. 672 f.

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Kleinert, Paul (1885): Vom Antheil der Universität an der Vorbildung für’s öffentliche Leben. Rede bei Antritt des Rectorats gehalten in der Aula der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität am 15. October 1885 von Paul Kleinert. Berlin. Klemperer, Victor (2007): LTI – Notizbuch eines Philologen. 22. Auflage, Stuttgart. Knetsch, Georg (1960): Probleme und Perspektiven des Ausländerstudiums. Würzburger Rektoratsrede gehalten am 12. November 1960 zur Rektoratsübergabe der Julius-Maximilians-Universität. Würzburg. Koch, Franz (1937): Das Reich Adolf Hitlers, die Erfüllung deutscher Sehnsucht. Rede zur Feier der nazionalsoz. Machtübernahme, 30.1.1937. Berlin. Koebner, Richard (1990): Die Idee der Zeitwende (1941–1943). In: Ders.: Geschichte, Geschichtsbewußtsein und Zeitwende. Vorträge und Schriften aus dem Nachlaß. Hg. vom Institut für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv in Zusammenarbeit mit dem Richard-Koebner-Lehrstuhl für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und H. D. Schmidt. London – Gerlingen. S. 147–193 (Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Geschichte Universität Tel Aviv 11). Kogon, Eugen (1947): Das Recht auf politischen Irrtum. In: Frankfurter Hefte 2, S. 641–655. Kohlrausch, Eduard (1932): Die geistesgeschichtliche Krise des Strafrechts. Rede zum Antritt des Rektorats der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1932 gehalten von Eduard Kohlrausch. Berlin. Krieck, Ernst (1938): Charakter und Weltanschauung. Rede zum 30. Januar 1938 gehalten in der Aula der Neuen Universität Heidelberg von Ernst Krieck. Heidelberg (Heidelberger Universitätsreden, Neue Folge 4). Krings, Hermann (1966): Über die akademische Freiheit. Festvortrag gehalten am 10. Nov. 1965 anläßlich der feierlichen Eröffnung des Rektoratsjahres 1965/66. Saarbrücken Kroll, Josef (1931): Rede gehalten bei der Rektoratsübergabe von dem scheidenden Rektor Dr. phil. J. Kroll, ord. Prof. der Klassischen Philologie. Köln. Kürschner (1950): Kürschners deutscher Gelehrtenkalender. Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. 7. Ausgabe. Hg. v. Friedrich Bertkau. Berlin. Kürschner (1954): Kürschners deutscher Gelehrtenkalender. Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. 8. Ausgabe. Hg. v. Gerhard Oest­ reich. Berlin. Leist, Alexander (1908): Kann die civilistische Rechtswissenschaft dem Staate nützen? Akademische Rede zur Feier des Jahresfestes der Grossherzoglich Hessischen Ludwigs-Universität am 1. Juli 1908 gehalten von dem derzeitigen Rektor Dr. Alexander Leist, Professor der Rechte. Gießen. Lenz, Friedrich (1913): Das technische Bildungssystem in Rücksicht auf Staat und Wirtschaft. In: Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. in der Halle der Herzoglichen Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig am 16. Juni 1913, mittags 12 Uhr. Braunschweig. Lenz, Max (1911): Freiheit und Macht im Lichte der Entwickelung unserer Universität. Rede zum Antritt des Rektorates der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin gehalten in der Aula am 15. Oktober 1911 von Max Lenz. Berlin. Leonhardt, Fritz (1967): Antrittsrede des neuen Rektors Professor Dr.-Ing. Fritz Leonhardt. Anregungen zur Bildungspolitik. In: Reden bei der Rektoratsübergabe am 5. Mai 1967. Stuttgart 1967. S. 24–47. Lewy, Heinrich (1895): Die semitischen Fremdwörter im Griechischen. Berlin. Linsenmann, Franz Xaver (1888): Die sittlichen Grundlagen der akademischen Freiheit. Rede zur Feier des Geburtsfestes seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg, den 6. März 1888 gehalten von Fr. X. Linsenmann. Tübingen. Lipschitz, Rudolf Otto Sigismund (1874): Wissenschaft und Staat. Rede, gehalten bei dem An-

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des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. in der Halle der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin am 26. Januar 1912 gehalten von G. Scheffers. [o. O.]. Scheler, Max (1927): Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. Neuer Versuch der Grundlegung eines ethischen Personalismus. 3. Auflage, Halle. Schelsky, Helmut (1954): Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme. 2. Auflage, Stuttgart. Ders. (1957): Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend. Düsseldorf – Köln. Schick, Rudolf (1963): Die gesellschaftliche Verantwortung der Universität. Rede anlässlich des Festaktes zum Abschluss der Universitätswoche am 8. Mai 1963. Stralsund. Schiller, Karl (1955): Der Ökonom und die Gesellschaft. Rede anläßlich der Feier zum Beginn des neuen Amtsjahres des Rektors am 9. November 1955 von Dr. Karl Schiller, ordentlichem Professor der Volkswirtschaftslehre, Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg. Hamburg. Schmidtlein, Eduard Joseph von (1851): Von der akademischen Freiheit und dem rechten Gebrauche derselben. Eine Rede beim Antritt des Prorektorats der Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen, am 4. November 1851 gehalten. Erlangen. Seckel, Emil (1921): Staat, Volk, Universität. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhelms III. in der Aula am 3. August 1921 gehalten von Emil Seckel. Berlin. Seifert, Ernst (1938): Vepflichtung der neu aufgenommenen Studenten durch den Rektor, Prof. Dr. E. Seifert am 30. April 1938. Würzburg (Würzburger Universitätsreden 4). Sekretariat der Volkskammer im Auftrag des Präsidenten der Volkskammer der DDR (Hg.) (1964): Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. 4. Wahlperiode. Berlin. Spengler, Oswald (1933): Jahre der Entscheidung. Erster Teil. Deutschland und die welt­ geschichtliche Entwicklung. München. Ders. (1950): Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Welt­geschichte. 2 Bände. München. Stadlbauer, Max (1848): Über die akademische Freiheit. Rede an die Studirenden der Ludwig-Maximilians-Universität gehalten bei dem Antritte seines Rectorates von Max Stadl­ baur. München. Stalin, Iosif V. (1960): Stalin – Über dialektischen und historischen Materialismus. Vollständiger Text und kritischer Kommentar von Iring Fetscher. 6. Auflage, Frankfurt (Staat und Gesellschaft 5). Sternberger, Dolf / Storz, Gerhard / Süskind, Wilhelm E. (1957): Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. 2. Auflage, Hamburg. Stintzing, Johann August Roderich von (1864): Die deutsche Hochschule in ihrem Verhältnisse zu der allgemeinen Bildung unserer Zeit. Rede beim Antritt des Prorectorats der Königlich Bayerischen Friedrich-Alexanders-Universität Erlangen am 4. November 1864 gehalten. Erlangen. Terres, Luise (1974): Ernst Terres 1887–1958. Erinnerungen an meinen Mann. Brief an seine Stammfamilie in Luxemburg. München. Thaer, Albrecht (1885): Ueber die gegenwärtige landwirtschaftliche Krise in Deutschland. Akademische Festrede zur Feier des Stiftungsfestes der Großherzoglich Hessischen Ludewigs-Universität am 1. Juli 1885 gehalten von dem derzeitigen Rektor Dr. Albrecht Thaer, ordentlichem Professor der Landwirthschaft. Gießen. Treitschke, Heinrich von (1918): Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Erster Teil: Bis zum zweiten Pariser Frieden. (Staatengeschichte der neuesten Zeit 24) 10. Aufl. Leipzig. Troeltsch, Ernst (1906): Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunter-

Quellenverzeichnis 

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richt und die theologischen Fakultäten. Akademische Rede zur Feier des Geburtsfestes des höchstseligen Großherzogs Karl Friedrich am 22. November 1906 bei dem Vortrag des Jahresberichts und der Verkündung der akademischen Preise gehalten von Dr. theol. et phil. h. c. Ernst Troeltsch, Geh. Kirchenrat und o. ö. Professor der Theologie, d. Zt. Prorektor der Grossh. Badischen Universität Heidelberg. Heidelberg. Troske, Ludwig (1917): Festrede des neueintretenden Rektors Geheimer Regierungsrat Professor Troske [Die Sicherstellung unserer Volksernährung und die unserer Munitions- und Sprengstofferzeugung]. In: Die Uebergabe des Rektorates am 30. Juni 1917 Königliche Technische Hochschule zu Hannover. Hannover. S. 9–19. Valéry, Paul (1937). Die Politik des Geistes. Wien. Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.) (1957): Handbuch der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin. Volkskammer der DDR in Verbindung mit dem Deutschen Institut für Zeitgeschichte, Berlin (Hg.) (1959): Handbuch der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. 3. Wahlperiode. Berlin. Wahl, Adalbert (1921): Rede des antretenden Rektors Professor Dr. Adalbert Wahl über »Universität und Volksbildung«. In: Reden anläßlich der Rektoratsübergabe am 30. April 1921 im Festsaal der neuen Aula. Tübingen 1921. S. 11–20. Weber, Max (1988): Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918–1920. (Gesamtausgabe Max Weber 1, 16) Tübingen. Weißbrod, Johann Baptist (1846): Über die wissenschaftliche Bildung als Aufgabe der Hochschule. Rede an die Studirenden der Ludwig-Maximilians-Universität München gehalten beim Antritte seines Rektorats den 9. Dezember 1846. München). Weizsäcker, Richard (1985): Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei der Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa. Bonn, 8. Mai 1985. Zitiert nach: http://www. bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/Reden/1985/​05/​ 198​50508_Rede.html (Stand 11.05.2019). Wer ist wer? (1951): Wer ist wer? Das deutsche Who’s who. 11. Ausgabe. Berlin Wilder, Thornton (1949): Ansprache des Dichters Thornton Wilder. In: Gründungsfeier der Freien Universität Berlin im Dezember MCMXLVIII. Berlin 1949. S. 50 f. (Veröffent­ lichungen der Freien Universität Berlin 1). Winkelmann, Eduard (1880): Rede zum Geburtsfeste des höchstseligen Großherzogs Karl Friedrich von Baden und zur akademischen Preisvertheilung am 22. November 1880 von Dr. Eduard Winkelmann, Grossherzoglich Badischer Hofrath und o. ö. Professor der Geschichte, d.z. Prorektor. Ueber die ersten Staats-Universitäten. Heidelberg. Wickop, Georg (1911): Die Entwicklung der Großherzoglichen Technischen Hochschule zu Darmstadt und ihre zukünftigen Aufgaben in den Fragen der staatsbürgerlichen, ethischen und künstlerischen Erziehung. In: Die Feierliche Übergabe des Rektorats an der Großherzoglichen Technischen Hochschule zu Darmstadt für das Studienjahr 1911/12 am 24. Oktober 1911, dem Gedenktag des 75jährigen Bestehens der Hochschule. Darmstadt. S. 20–38. Wunderle, Georg (1933): Universität und Volksgemeinschaft. Rede, gehalten bei der akademischen Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1933 von Georg Wunderle, z. Z. Rektor der Universität. Würzburg.

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4. Literaturverzeichnis a) Nachschlagewerke Badische Biographien, Neue Folge. 6 Bände. Stuttgart 1982–2011. Catalogus Professorum Lipsiensis. Online verfügbar unter: http://research.uni-leipzig.de/ catalogus-professorum-lipsiensium (Stand 11.05.2019) Catalogus Professorum Rostochiensium. Online verfügbar unter: http://cpr.uni-rostock.de (Stand 11.05.2019). Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE). Hg. von Rudolf Vierhaus. 12 Bände. 2. Ausgabe. München 2005–2008. Hessische Biographie. Online verfügbar unter: http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/index/ sn/bio (Stand 11.05.2019). Internationales Biographisches Archiv. Online verfügbar unter: https://www.munzinger.de/ search/start.jsp (Stand 11.05.2019). Lexikon der Elektrotechniker. Hg. von Kurt Jäger und Friedrich Heilbronner. 2. Ausgabe. Berlin 2010. Neue Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 25 Bände. Berlin 1953–2013. Online verfügbar unter: http:// www.deutsche-biographie.de (Stand 11.05.2019). Die Professoren und Dozenten der Friedrich-Alexander-Universität 1743–1960. Hg. von Astrid Ley u. a. 3 Bände. Erlangen 1993–2010. Teil 1: Theologische Fakultät, Juristische Fakultät, online verfügbar unter: http://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/index/​ index/docId/1419 (Stand 11.05.2019); Teil 2: Medizinische Fakultät, online verfügbar unter: http://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/index/index/docId/1420 (Stand 11.05. 2019); Teil 3: Philosophische Fakultät, Naturwissenschaftliche Fakultät, online verfügbar unter: http://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/index/index/docId/1421 (Stand 11.05.2019). Wer war wer in der DDR? Hg. von Helmut Müller-Enbergs. 2 Bände. 5. Ausgabe. Berlin 2010. Online verfügbar unter: http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-werin-der-ddr-%2363%3B-1424.html (Stand 11.05.2019).

b) Monographien, Sammelbände und Aufsätze 1765–1965. Bergakademie Freiberg (1965): Festschrift zu ihrer Zweihundertjahrfeier am 13. November 1965. Hg. von Rektor und Senat der Bergakademie Freiberg. Bd. 1. Geschichte der Bergakademie Freiberg. Leipzig. Aaker, David A. (1992): Management des Markenwerts. Frankfurt. Ders. (1996): Building Strong Brands. Bath. Abendroth, Wolfgang (1984): Die deutschen Professoren und die Weimarer Republik. In: Jörg Tröger (Hg.) (1984). S. 11–25. Adam, Thomas (2008): Stipendienstiftungen und der Zugang zu höherer Bildung in Deutschland von 1800 bis 1960. Stuttgart (Pallas Athene 28). Aicher, Florian (Hg.) (1990): Robert Vorhoelzer – Ein Architektenleben. Die klassische Moderne der Post. München. Albrecht, Ulrich (1998): Völkerbundsprojekte der frühen Humanisten – Von Erasmus zu Kant. In: Ulrich Albrecht (Hg.) (1998), S. 13–27.

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Personenregister Adorno, Theodor W.  166 Albrecht, Gerhard  38 Allgeier, Arthur  36, 45, 66, 71, 85 f., 326 Apel, Kurt  37, 50, 76, 114, 283, 287, 302, 328 f. Arendt, Hannah  119 Aristoteles 77 Augustinus  117, 217, 238 Backhaus, Hermann  39, 50 Barth, Karl  189 Bauer, Karl Heinrich  26, 38, 45, 66, 102, 119, 123, 153, 175, 177, 179, 188, 202, 206, 231, 234 f., 237, 239, 242, 257, 264, 266, 272 f., 315, 317, 339 Baumgärtel, Friedrich  38, 45, 85, 127, 144, 247, 251 f., 296 Beaufret, Jean  231 Beckmann, Franz  37, 46 Beigbeder, Marc  231 Benninghoff, Alfred  38, 45, 66 Berdiajew, Nicolai  219 Beutler, Ernst  204 Beyer, Hans  40, 45, 58, 61, 94, 150, 189 Bismarck, Otto von  166 Blackett, Patrick Maynard Stuart  150 Boeckh, Joachim G.  308 Böhm, Franz  38, 67, 92, 147 f., 154, 184, 256, 269, 317 Bohne, Gotthold  37, 89, 181 Borgia, Cesare  119 Brecht, Bertolt  166, 186 Brenner, Eduard  38, 47, 67 f., 90, 113, 118, 249 Burckhardt, Jacob  77, 124, 160, 197, 342 Caesar, Gaius Iulius  116 Calmy, Jacques  231 Campenhausen, Hans Frhr. v.  38, 45, 66, 117, 196, 238, 279, 287 Churchill, Winston  205 Cicero, Marcus Tullius  76 Creutzfeldt, Hans-Georg  37, 45, 63, 66, 115, 202, 305, 308 D’Ans, Jean  37, 49, 66, 71, 185, 267 Dawson, Christopher  162, 219

de Beauvoir, Simone  231 de Gaulle, Charles  90, 209, 221 de Staël-Holstein, Anne Louise Germaine   121 Dersch, Hermann  40, 55 Descartes, René  77, 277 Diepschlag, Ernst  40, 57 Dietze, Constantin von  36, 67 f., 137 f., 143 f., 155, 180, 254, 279, 284 f., 292, 306, 317, 331, 334 Diller, Hans  37, 46 Döllgast, Hans  27, 39, 49 Ebbinghaus, Julius  27, 38, 47, 103, 257, 290, 313 Eißfeldt, Otto  40, 45, 52, 54, 80, 173, 229, 261, 265, 280, 291, 338 Eratosthenes von Kyrene  210 Erbe, Walter  36, 67 f., 70, 101, 167, 182 Faber, Georg  27, 39, 50, 66 Fichte, Johann Gottlieb  77, 260, 282 Flachsbart, Otto  37, 50, 66, 76 f., 155, 210, 328 Flury, Ferdinand  38, 45, 50, 52, 66 Föppl, Ludwig  39, 230 Foucault, Michel  13 Freese, Hans  37, 50, 72, 183, 314 Freudenberg, Karl Johann  38, 45, 66 Frick, Heinrich  27, 38, 45 Friedrich II. (der Große)  166 Friedrich, Johannes  40, 54 f., 61, 150, 295, 315, 324 f. Friedrich, Walter  40, 45, 54, 60 f. Friesenhahn, Ernst  37, 66, 139, 149, 252 Fucks, Wilhelm  37, 49 f., 66, 79, 270, 287, 319 Gadamer, Hans-Georg  40, 47, 54 f., 90, 104, 132, 151, 171, 220, 228, 239, 246, 256, 262, 294 f., 323, 325, 330, 334 Gassner, Gustav  26, 37, 49, 52, 65 f., 69, 93, 278, 286, 303, 316 Gehlen, Arnold  197, 344 Geibel, Emanuel  169 Geiler, Karl  38, 67, 147, 175, 190, 282, 298

406

Personenregister

Gerlach, Walther  38, 45, 65, 70, 77, 79, 88, 193, 223 Giordano, Ralf  120 Goethe, Johann Wolfgang  77, 79, 92, 112, 126, 150, 204 Gollwitzer, Heinz  213 Grammel, Richard  39, 49, 52, 163, 171, 192 Gross, Rudolf  40, 60 f., 264, 320 Großmann, Walter  37, 66 Grüß, Gerhard   40, 90, 185, 279 Günther, Paul  39, 49 f.

Isele, Hellmut  36, 280, 310, 327

Haas, Albert  223 Hahn, Karl  40, 49, 55 Hallstein, Walter  38, 66, 74 f., 78, 86 f., 101, 123, 125 f., 178, 184, 220, 244, 249, 253, 256, 258 f., 281, 295, 307 f., 326, 330 Harnack, Adolf  76 Harteck, Paul  37, 45, 65, 70, 94 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  77, 133, 161, 183, 218, 277 Heidebroek, Enno Wilhelm Tielko  40, 49 f., 52, 54, 60, 90, 206 f., 233, 290, 293, 303 Heidegger, Martin  166, 231 f. Herodot von Halikarnassos  213 Hess, Gerhard  38, 46, 70 Heuss, Theodor  120, 140 f., 340 Hippokrates von Kos  213 Hitler, Adolf  60, 79, 118 f., 122, 127, 135 f., 140, 161, 166, 236 Hobbes, Thomas  182 Hohmann, Georg  38, 45, 50, 76, 78, 103, 135 f., 157, 160, 189, 204 f., 281, 300, 306, 322 Hölderlin, Friedrich  77 Homer 261 Hoops, Johannes  26, 38, 46, 50–52, 65, 114 Horaz  77, 261 Horkheimer, Max  166 Hoyer, Ernst  38 Huizinga, Johan  162 Humboldt, Alexander von  77, 282, 333 Humboldt, Wilhelm von  77, 260, 282 f., 288, 345 Hund, Friedrich  40, 45, 54 f., 61 f., 249, 302, 312 Husserl, Edmund  225 Hutchins, Robert M.  75

Kant, Immanuel  77, 123, 179, 197, 202, 206, 225, 235 f., 274, 277, 282 Karl der Große  213, 216, 223 Klauser, Theodor  37, 45, 70, 88 Klemperer, Victor  20 Koebner, Richard  105 Koeßler, Paul  37, 50 Kogon, Eugen  127 Koloc, Kurt Ernst  40, 50, 58 f., 61, 325 Konen, Heinrich  37, 45, 50, 52, 66 f., 70, 257 Koselleck, Reinhart   15, 101, 213 Kress von Kressenstein, Hans Frhr.  38, 45, 89, 111, 208, 329 Kroll, Joseph  26, 37, 46, 52, 70, 95, 103, 145, 156, 174, 178, 201, 224, 230, 233, 261, 272 f., 291, 331 Krüger, Gerhard  37 Kucharski, Walter  31, 37, 49, 278, 283 Kunkel, Wolfgang  38

Inhoffen, Hans Herloff  37, 49, 66, 109, 148, 185, 285, 298, 306, 326 f.

Jacobi, Erwin  40, 91, 185 Janssen, Sigurd  36, 45, 63, 112, 241, 253, 257, 294, 298, 315 Jaspers, Karl  77, 114, 119, 130, 166, 231, 233, 240, 275 Johannsen, Friedrich  37, 93, 295, 303 f. Jores, Arthur  37, 45, 66 Jungbluth, Hans  39, 145, 156, 186 f., 268, 285 f., 304, 306, 318

Laun, Rudolf  37, 52, 118 f., 178, 190, 234 f. Le Bon, Gustave  108 Lehnartz, Emil  37, 45, 66, 70, 87, 111, 137, 166, 283 Leibniz, Gottfried Wilhelm  76 f., 211 Leo XIII (Papst)  172 Leutwein, Friedrich  40, 55, 61 f. Lewy, Heinrich  212 Lincoln, Abraham  90, 118 Lips, Julius  40, 45, 56 f., 61, 92, 132, 254 Lohmeyer, Ernst  40, 45, 52, 54 f. Luhmann, Niklas  223 Luther, Martin  213 Machiavelli, Niccolò  77, 164, 167 Mangoldt, Hermann v.  37, 66 Mann, Thomas  133, 166 Maritain, Jacques  162, 219

Personenregister Martin, Josef  26, 38, 46, 68, 75, 116, 118, 176 Marx, Karl   219 Matz, Friedrich  38, 65 Mayer, Georg  34, 40, 56, 61 Mehmel, Alfred  39, 50, 80, 145, 194 Meinecke, Friedrich  8, 38, 65, 81, 113, 115, 160, 166, 216, 329, 335 f., 338 f., 342 Mesmer, Gustav  39, 146, 303, 334 Molo, Walter von  133 Mommsen, Theodor  76 Müller, Conrad  37, 52 Müller, Wilhelm  37, 50, 66, 68, 79, 87, 98 f., 101, 233, 264 f., 269 f., 315 Mussolini, Benito  161 Nero 119 Newton, Isaac  237 Nietzsche, Friedrich  108, 133, 161 f., 219 Noth, Martin  37, 45, 66 Oehlkers, Friedrich  36, 45, 66, 69 Ortega y Gasset, José  162 Ovid 292 Pflaum, Walter  37, 50, 69 Piloty, Hans  39, 50, 66, 68, 70, 151 f., 188 Plank, Rudolf  39, 49, 52, 66, 112, 140, 153, 169 f., 177, 192, 211, 233 Platon  77, 116 f., 192, 210, 261, 272, 309 Plessner, Helmuth  197, 344 Pohle, Rudolf  38, 67 Pöschl, Theodor  39, 49, 85, 98, 173, 185– 187, 203, 221 f., 284, 286, 311, 320, 322 Raiser, Ludwig  37, 66–70 Rajewsky, Boris  38, 45, 66, 68, 70, 267 Reatz, August  36, 45, 78, 159, 170, 181, 196, 202, 216, 242, 272, 280, 287, 306 Redslob, Edwin  38, 75, 87, 113, 115, 208, 223, 260, 264, 266, 274, 295, 305, 318 Regler, Friedrich  40, 49, 55, 90, 294 Rehm, Albert  38, 46, 50–52 Rein, Friedrich Hermann  37, 45, 69 f., 78, 111, 120, 143 f., 170, 184 f., 190, 237, 299, 315, 326 Reuleaux, Erich  26, 39, 49, 52, 65, 80 Rendtorff, Heinrich  37, 45 Rienäcker, Günther  40, 45, 54, 60 f., 94, 104 f., 138, 174, 195, 282 Ringer, Fritz K.  136

407

Röntgen, Paul  21 f., 37, 50, 52, 97 f., 185, 202, 246, 263, 268, 285, 296, 301, 304 Roosevelt, Franklin D.  90, 205, 215 Rösser, Ernst  38, 45, 146, 332 Rothfels, Hans  137 Sartre, Jean-Paul  231 f. Scheler, Max  77, 162, 197, 219, 225, 344 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph  77 Schelsky, Helmut  107 Schiller, Friedrich  77 Schleiermacher, Friedrich  260, 282 Schlink, Wilhelm  26, 39, 49 f., 52 Schmid, Hans Hermann  40, 45, 57, 61, 148, 196 Schmid, Josef  36, 63 f., 94, 98, 109, 125, 166, 174, 177 f., 211, 290, 309 f., 312, 314 Schmitt, Otto  39, 44, 113, 290, 306, 332 Schmittlein, Raymond  27 f., 63 f. Schneider, Hermann  36, 46, 86, 90, 96, 104, 112, 154, 171, 175, 209 Schreiber, Georg   37, 45, 68, 70, 120, 239, 242 Schumpeter, Joseph  212 Schwarz, Otto  40, 45, 57 f., 61, 91, 324, 330 Schweitzer, Bernhard  40, 55 Seeliger, Rudolf  40, 45, 54, 296 Seneca 261 Siebel, Erich  39, 50, 66 Smend, Rudolf  26, 37, 67 f., 78, 111, 123 f., 157, 165, 167, 180 Sokrates 309 Sombart, Werner  240 Spengler, Oswald  77, 133, 160 f., 214, 219, 342 Spranger, Eduard  40, 47, 54 f., 90 Stalin, Josef  90, 92, 215, 295, 303 Steffens, Henrik  260 Steinbüchel, Theodor  22, 36, 45, 98, 106, 109, 161 f., 168, 204, 214, 216–220, 309, 317, 338 Sternberger, Dolf  19 f. Storz, Gerhard  19 f. Straub, Werner Adolph Theodor  40, 148, 286, 295, 320–322, 325, 330, 334 Stroux, Johannes  40, 46, 54, 59 f., 201, 210, 232, 249, 282, 291, 323 Struck, Ernst  40, 59, 61 f. Süskind, Wilhelm E.  19 f. Süß, Theodor  38, 67, 131, 201, 208, 255 f., 268, 300, 328

408

Personenregister

Tardes, Gabriel  108 Tellenbach, Gerd  36, 65, 69–71, 86, 113, 144, 149, 260, 262, 266 f., 280, 306, 315 Terres, Ernst  39, 49 f., 52, 66, 108, 115, 117 f., 133, 140, 162, 178, 239 f., 241, 301 Thielicke, Helmut  36, 45 Thieß, Frank  133 Tolstow, Sergei Pawlowitsch  92 Tönnies, Ferdinand  240 Treitschke, Heinrich von  113 f. Trillhaas, Wolfgang  37, 45, 66, 88, 216 f., 241, 299 Troeltsch, Ernst  162, 219 Truman, Harry S.  90 Tylor, Edward B.  197

Vieweg, Richard  39, 49, 70 Vorhoelzer, Robert  39, 49, 63, 65 f. Vossler, Karl  38, 46, 50, 52, 65, 79, 169, 261 f., 264, 275 f., 285, 311

Ulbricht, Walter  323 Unamuno, Miguel de  162

Wachholder, Kurt  40, 45, 55 Wassermann, Günter  37, 50 Weber, Max  77, 108, 113 f., 197, 285 Weizel, Walter  268 Weizsäcker, Richard von  128 Wenzl, Aloys  38, 65 Wiener, Norbert  198 Wilder, Thornton  75, 189, 335 Wilhelm II (Dt. Kaiser)  166 Winter, Eduard  40, 56, 61, 113, 172 Wolff, Emil  26, 37, 46, 50, 52, 103, 115, 117, 216, 224, 240, 246, 250, 260, 277, 299 Wundt, Max  240

Valéry, Paul  162, 219, 225 Vergil 116

Zucker, Friedrich  26, 40, 46, 52, 54 f., 62, 116, 192, 209 f., 272