188 10 14MB
German Pages 521 [522] Year 2002
I
Wolfram von Eschenbach Titurel
II
III
Wolfram von Eschenbach
Titurel Herausgegeben, übersetzt und mit einem Kommentar und Materialien versehen von Helmut Brackert und Stephan Fuchs-Jolie
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002
IV
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Wolfram < von Eschenbach >: Titurel / Wolfram von Eschenbach. Hrsg., übers. und mit einem Kommentar und Materialien vers. von Helmut Brackert und Stephan Fuchs-Jolie. – Berlin ; New York : de Gruyter, 2002 ISBN 3-11-015122-7
© Copyright 2002 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
V
Vorbemerkung Der „Titurel“ Wolframs von Eschenbach, der in Forschung und Lehre immer etwas im Schatten der großen epischen Werke, etwa des „Parzival“ oder des „Tristan“ gestanden hat, ist in den letzten Jahrzehnten in der germanistischen Mediävistik deutlich zu einem Schwerpunkt des Interesses geworden: zum einen, weil sein offener Fragmentcharakter heute stärker an Faszination gewonnen hat als in Zeiten, in denen die Geschlossenheit der Werke als Ausweis ihrer literarischen Bedeutung galt; zum anderen, weil die Gebrochenheit und Reflexivität des Erzählens dieses mittelalterliche Gedicht stärker als andere unserer eigenen literarischen Erfahrung näher rückt. Der „Titurel“ ist gegenwärtig zweifellos eines der wichtigsten und meistbesprochenen Werke des deutschen Mittelalters, aber obwohl dies so ist, liegt von ihm zur Zeit keine Werkausgabe auf dem Markt vor. Zwar sind die beiden Fragmente mehrfach im Zusammenhang mit dem „Parzival“ herausgegeben worden, doch diese Editionen (Lachmann 1833; Bartsch 1871; Piper 1890; Martin 1900; Leitzmann 1906; Marti 1932) sind gegenwärtig nur über Bibliotheken zugänglich. Auch die Neuausgabe, die Wolfgang Mohr 1978 auf der Grundlage der Handschrift G vornahm, ist im Buchhandel nicht mehr greifbar. Diese Editionslage erscheint umso verwunderlicher, als mit Bumkes Forschungen zur Überlieferungslage (1971) und zu den Editionsproblemen (1973) sowie mit Heinzles Stellenkommentar von 1972 die wesentlichen Vorarbeiten für eine neue Edition geleistet schienen und die einschlägigen Materialien bereit lagen. Die vorliegende Ausgabe, in der wir die bisherigen Forschungsergebnisse dankbar aufgenommen und verarbeitet haben, könnte, was die Zugänglichkeit des Textes angeht, mithin eine deutliche Lücke schließen. Ein zweites Desiderat versucht die Ausgabe dadurch zu erfüllen, daß sie die seit Heinzles Stellenkommentar stark angewachsene Diskussion um die „Titurel“-Stücke in ganzer Breite aufnimmt und in einem Kommentar, der sich wesentlich als Erschließung der vielfältigen und reichhaltigen Deutungsangebote der Forschung versteht, dem forschenden, lehrenden oder vielleicht auch nur interessiert lesenden Rezipienten präsentiert. Die Ausgabe mißt der praktischen Benutzbarkeit und Zugänglichkeit großen Wert bei: wir stellen daher neben den mit Handschriftenlesarten und Herausgeberanmerkungen versehenen mittelhochdeutschen Text eine möglichst genaue und verständliche Übersetzung; wir versuchen weiter, den umfangreichen Kommentar so einzurichten, daß er auch dem Nicht-Spezialisten einen Zugang ermöglicht; und wir haben schließlich von Anfang an im Auge gehabt, neben die größere Ausgabe eine kleinere zu stellen, die die wesentlichen Elemente enthalten und für den Gebrauch im Seminar greifbar machen soll.
VI
Vorbemerkung
Zum Schluß möchten wir allen denen unseren Dank sagen, die uns die Arbeit an der Ausgabe ermöglicht und erleichtert haben. In erster Linie sind dies Anja May, Alexandra Nusser, Sybille Springer, Evelyn Vlaikow, Carolin Worgall und Verena Wulff, die uns bei der Beschaffung und Sichtung des Materials ganz wesentlich geholfen haben; sodann die Teilnehmer unserer gemeinsamen Hauptseminare zu Interpretations-, Editions- und Kommentierungsproblemen des „Titurel“, mit denen wir im Seminargespräch den Text immer wieder produktiv durchgearbeitet haben. Für konstruktive und anregende Hinweise danken wir den Freunden und Kollegen vom ‚Internationalen Germanistischen Colloquium‘. Der Bayerischen Staatsbibliothek München, der Österreichischen Nationalbibliothek Wien und der Universitätsbibliothek München danken wir für die freundliche Erlaubnis, einige Seiten aus den einschlägigen Handschriften wiederzugeben. Elisabeth Schmid, Würzburg, danken wir für die Freundlichkeit, ihre Tafel der Verwandtschaftsverhältnisse in einer für den „Titurel“ modifizierten Form abdrucken zu dürfen. In zahlreichen Gesprächen hat uns Dr. Robert Lug, Frankfurt, anregende konstruktive Hinweise zu Melodie, Strophenform und musikalischen Aufführungsmöglichkeiten gegeben: auch ihm sei dafür herzlich gedankt. Schließlich gebührt ein freundlicher Dank dem Verlag Walter de Gruyter in Berlin, der die Drucklegung besorgte, und hier insbesondere Dr. Brigitte Schöning, die noch die erste Konzeption betreute, und Dr. Heiko Hartmann, der uns in der Schlußphase mit seinem fachmännischen Rat zur Seite stand. Frankfurt im Sommer 2001
Helmut Brackert Stephan Fuchs-Jolie
VII
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Editorisches Vorwort
1. Die Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Verhältnis zum „Jüngeren Titurel“ und der untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Strophenbestand . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Strophenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Strophenform und Melodie . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
6 6
. . . .
10 17 22 25
. . . . . . . . .
41 41 45
. . .
46
. . . . . . . . .
49 52 55
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
4. Zu Konzeption und Einrichtung des Kommentars . . . . . . . . . .
60
II. Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
Fragment I
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
Fragment II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
III. Vollständige Transkription der Handschrift M . . . . . . . . . . .
159
[folio 1] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [folio 2] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [folio 3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161 163 165
IV. Melodie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
169
2. Zur Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Gestaltung des edierten Textes . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Behandlung der handschriftlichen Gestalt im edierten Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Behandlung der Graphien der einzelnen Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Gestaltung des Lesarten-Apparates (= Apparat I) . . 2.4 Die Gestaltung des Herausgeber-Apparates (= Apparat II) 3. Zu unserer Übersetzung
VIII
Inhaltsverzeichnis
V. Stellenkommentar
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
Zu Fragment I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1–12: Titurels Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13–24: Schoysiane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25–36: Sigunes Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37–42: Schionatulanders Herkunft und Jugend . . . . . . . . . 43–46: Lobpreis des Grals und der Stadt Kanvoleiz . . . . . . . 47–55: Die Entwicklung der Kinderminne . . . . . . . . . . . . 56–72: Das Minnegespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73–87 (La 73–82a): Abschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88–96 (La 83–91): Schionatulanders Minnekrankheit . . . . . . 97–112 (La 92–107): Das Gespräch Schionatulander-Gahmuret 113–136 (La 108–131): Das Gespräch Sigune-Herzeloyde . . . .
. . . . . . . . . . . .
175 175 190 206 227 232 238 252 302 322 337 358
Zu Fragment II 137–143 (La 144–148 (La 149–158 (La 159–168 (La 169–175 (La
. . . . . .
388 390 398 404 415 427
Zum Schluß des überlieferten Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . .
440
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132–138): Schionatulander und der Bracke 139–143): Das Brackenseil . . . . . . . . . 144–153): Die Lektüre des Brackenseils . . 154–163): Der Verlust des Bracken . . . . 164–170): Das Schlußgespräch . . . . . . .
VI. Bibliographien und Register
1. Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
445
2. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
449
3. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
454
4. Verzeichnis der Eigennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
466
5. Wortregister zum Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
470
6. Register zum Stellenkommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
493
7. Konkordanz der Strophennummern . . . . . . . . . . . . . . . . .
503
VII. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507
Faksimiles zur Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tafel der Verwandtschaftsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . .
509 515
Editorisches Vorwort
I. Editorisches Vorwort
1
2
Editorisches Vorwort
Editorisches Vorwort
3
Der „Titurel“ Wolframs von Eschenbach ist in der Form zweier inhaltlich nicht aneinander anschließender Bruchstücke von sehr unterschiedlichem Umfang und unterschiedlichem Charakter überliefert. Das erste Bruchstück umfaßt 136, das zweite 39 Strophen mit je vier paargereimten Versen. Ob die beiden Fragmente Teile einer geplanten größeren Dichtung waren, läßt sich nicht beurteilen. Es muß aber als unwahrscheinlich gelten, daß Wolfram noch wesentlich mehr gedichtet hat, als die erhaltenen 175 Strophen. Bei den auffallend handlungsarmen und über weite Strecken von wörtlicher Rede geprägten Fragmenten handelt es sich im wesentlichen um Teile der Vorgeschichte einer im „Parzival“ nur angedeuteten Nebenhandlung. Im „Parzival“ wird nur das tragische Ende der Geschichte von Sigune und Schionatulander erzählt: Parzival trifft in der Wildnis seine Cousine Sigune, die ihren soeben von Orilus im Zweikampf getöteten Geliebten in den Armen hält (Pz. 138,9 ff.). Sigune wird sich in der Einöde in einer über dem Grab Schionatulanders errichteten Kapelle als Inkluse einmauern lassen (Pz. 435,2 ff.), schließlich dort sterben und von Parzival neben Schionatulander im gleichen Grab beerdigt werden (Pz. 804,21 ff.). Über die Vorgeschichte von Sigune und Schionatulander erhalten wir nur dunkle Andeutungen: Sigune berichtet, Schionatulander habe in ihrem und Parzivals Dienst den Tod gefunden (Pz. 141,17 f.), ein brackenseil, eine Hundeleine, habe zu seinem Tod geführt (Pz. 141,16). Und sie klagt sich an, ihrem Geliebten nicht minne gegeben zu haben (141,20 f.). In den beiden „Titurel“-Bruchstücken wird nun nachträglich die Vorgeschichte zu diesen andeutungsreichen Motiven erzählt: Die Herkunft und Familiengeschichte der Gralstochter Sigune (die im wesentlichen schon an verstreuten Stellen im „Parzival“ erzählt wurde), der Beginn der Liebesbeziehung und Minnedienstbeziehung von Sigune und Schionatulander sowie der Beginn der rätselhaften Brackenseil-Handlung. Es handelt sich demnach um den in der mittelalterlichen Literatur außergewöhnlichen und im deutschen Sprachraum wohl erstmaligen Fall, daß ein Autor selbst eine Vorgeschichte einer Geschichte, deren Ende er selbst schon einmal erzählt hatte und das stets als bekannt vorausgesetzt wird, nachträglich in einem eigenen Werk zu entwickeln beginnt. Daß dabei die „Titurel“-Fragmente keineswegs als bloß nachgetragene Ergänzung des „Parzival“ gelesen werden können,1 wird durch die gänzlich andere Form deutlich, der für die höfisch-fiktionale Erzählung außergewöhnlichen sanglichen Langzeilen-Strophe, sowie durch die völlig andere Erzählweise. So schwierig und problematisch die enge Beziehung zum „Parzival“ im Hinblick auf Verständnis und Deutung der Fragmente ist, so unzweifelhaft beweist
1
Vgl. dazu den Stellenkommentar etwa zum Schlußgespräch (einleitender Kommentar), zu 171,4 und zum Schluß des überlieferten Textes.
4
Editorisches Vorwort
sie die relative Chronogie der Texte: Zahlreiche Details und Zusammenhänge aus dem „Parzival“ werden im „Titurel“ als bekannt vorausgesetzt. Allein 29 der 32 Personen finden sich schon im „Parzival“. Nur zwei neue Personennamen tauchen in den „Titurel“-Fragmenten auf (Clauditte und Ehcunat, 154–162), ein weiterer Name (Ahkarîn 40,2) findet sich auch im „Willehalm“. Da Wolfram letzteren sowie den Festungsnamen Berbester (42,2) mit größter Wahrscheinlichkeit aus seiner „Willehalm“-Quelle „Aliscans“ genommen hat, können diese Stellen nicht vor dem „Willehalm“ entstanden sein.2 Für die absolute Datierung kommt im Falle des „Titurel“ nur die Strophe 87 in Betracht, die, wie schon die Verse 417,22 ff. des „Willehalm“, den Tod des Landgrafen Hermann von Thürigen 1217 voraussetzt. Sofern man nicht aufgrund des Fehlens dieser Strophe in der Hauptüberlieferung G an ihrer ‚Echtheit‘ zweifelt oder nachträgliche Interpolation annimmt, wofür es keine plausiblen Gründen gibt (vgl. dazu unten Kap. 1.3), folgt daraus, daß Wolfram nach 1217 noch am „Titurel“ gearbeitet hat. Ob allerdings die „Titurel“-Fragmente wesentlich oder in Teilen parallel zum „Willehalm“ (der ebenso den „Parzival“ voraussetzt) oder parallel zu spät abgefaßten Partien des „Parzival“ (dessen 7. Buch sicher auf die Jahre nach 1203 zu datieren ist) entstanden sind, muß offen bleiben. Aufgrund der subjektiven und äußerst eigenwilligen Behandlung von Sprache, Stil und Metrik ist man geneigt, den „Titurel“ als ein spätes Werk zu bezeichnen. Da jedoch ein solches Urteil und mehr noch der Schluß von dem fragmentarischen Erscheinungsbild auf Lebensumstände des Autors (Tod, Gönnerverlust) einem anachronistischen Werk- und Schaffensbegriff geschuldet sein mag, müssen alle Versuche einer genaueren historischen Verknüpfung als spekulativ zurückgewiesen werden. Die genannte Strophe 87 macht es wahrscheinlich, daß Wolfram am „Titurel“ im Umkreis des Hofes Hermanns von Thüringen arbeitete; daraus läßt sich allerdings kein Schluß auf Hermann oder den Hof als Auftraggeber ziehen. Auch eine Quelle ist nicht bekannt. Aufgrund des Herkunftsnamens Grasivalden (88,2; 97,2) und insbesondere der Titel talfîn (97,2 u. ö.) und talfînette (131,3), die sich wohl unzweifelhaft auf die Grafen von Vienne und Albon beziehen, die das Graisivaudan genannte Gebiet in Savoyen beherrschten und seit dem 12. Jahrhhundert den Titel Dalfinus trugen, ließe sich vermuten, daß Wolfram auf französische Überlieferungen zurückgegriffen hat. Woher er aber diese Kenntnisse hatte, läßt sich nicht sagen. Auch hinsichtlich zahlreicher Namen ließe sich an eine auch für die Gahmuret-Partien des „Parzival“ zu vermutende französische Quelle denken.3 Da der Großteil der Motive aus dem „Parzival“
2 3
Vgl. dazu auch den Stellenkommentar zu 40,2 u. 42,2. Vgl. dazu den Stellenkommentar zu 88,2 und 97,2. Zu den Beziehungen des Hundeleine-Motivs zu „De amore“ des Andreas Capellanus vgl. Stellenkommentar zu 149,3.
Editorisches Vorwort
5
stammt und dieser sich als einzige ‚Quelle‘ namhaft machen läßt, kann man vermuten, daß hier wohl erstmals eine fiktionale höfische Erzählung in deutscher Volkssprache vorliegt, die als Ganzes die Erfindung eines einzelnen Autors ist.
6
Editorisches Vorwort
1. Die Überlieferung 1.1 Die Handschriften Wolframs „Titurel“ ist in drei Handschriften überliefert.
G = Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 19.4 Äußeres: Pergament (minderer Qualität, Löcher und Flecken), 75 Bll., ca. 30 × 21 cm; Schriftraum ca. 260 × 180/190 mm. – ursprünglich 11 Quaternionen; der letzte Ternio fol. 70–75, der u.a den gesamten Tit. enthält, ist evtl. nachträglich dem Pz.-Kodex angefügt.5 Das einzelne Doppelblatt mit Miniaturen ist vielleicht Teil eines urspr. umfangreicheren Bilderzyklus.6 Datierung: Mitte des 13. Jahrhunderts (1240er Jahre?).7 Schrift und Schreibsprache: Altertümliche, frühgotische Textura, eilige Gebrauchsschrift mit Nähe zu Brief- und Urkundenschriften.8 7 Hände (von Hand 1 knapp die Hälfte des Pz. und der gesamte Tit.; von Hand 2 u. 3 22 bzw. 14 Bll. aus dem Pz.; von Hand 4 und 5 nur jeweils eine gute Seite; von Hand 6 fol. 75r [Prosa]; von Hand 7 fol. 75v [Tagelieder]. Hand 1 ist identisch mit der Haupthand des Cgm 51, der Tristan-Hs. M). Die Schreibsprache ist alemannisch-bairisch, „eine besonders altertümliche Ausprägung dieser zentralobd. Schreibsprache“.9
4
5 6 7
8
9
Ausf. Beschreibung von Fridolin Dressler 1970, 5 ff.; ferner Schneider 1987, 150–154; Klein 1992; ausf. Literaturverzeichnis zur Hs. in der Studienausgabe von Wolframs „Parzival“ nach der 6. Ausg. v. Lachmann, XXXII–XXXIV [Hartls Handschriftenbeschreibung aus der Vorrede zu Lachmann, 7. Aufl., ergänzt durch neuere Literatur]. – Faksimile der gesamten Hs. Stuttgart 1970; Faksimile der Titurel-Überlieferung von G: Heinzle 1973, 3–9; vgl. das Faksimile von 71r im Anhang dieser Ausgabe. – Abdruck der Titurel-Überlieferung von G: Docen 1810; Piper 1897; Engels 1970 fol. 71r–74r; Heinzle 1972 (fortlaufend im Stellenkommentar [bereinigt]; dies ist die einzige zuverlässige Wiedergabe). Dressler 1970, 16. Schneider 1999, 120. Schneider 1987, 152 f.; Klein 1992, 36. Die Datierung nach den Illustrationen „zw. 1128 und 1236“ gilt als überholt, zumal die Bilder auch später entstanden sein können. Klein 1992, 34; Schneider 1987, 153; Dressler 1970, 25. Als „frühgotische Minuskel“ jüngst bezeichnet von Schneider 1999, 36 f. Genaue Beschreibung der Schrift von Erich Petzet in E. Petzet u. O. Glauning: Deutsche Schrifttafeln des 10. bis 16. Jh.s, III, 1912, 33; vgl. auch Dressler 1970, 15 ff. und Schneider 1987, 151 ff. Klein 1992, 39, der mit plausiblen Argumenten die früheren Zuschreibungen zum Westalemannischen bzw. Elsässischen zurückweist (39 ff. u. 64 ff.). Ähnlich schon Schneider 1987, 153 f. – Vgl. auch unten S. 49 die Bemerkungen zur Behandlung der Hs. in der Edition.
Die Überlieferung
7
Provenienz: unbekannt (ein großes Skriptorium im bayerischen oder ostalem. Raum? Im Umkreis von Konrad IV?10). 1578 von Junker Sebaldus Müller von Zweiraden, fürstlicher Rat und Küchenmeister am herzoglichen Hof, der Münchner Hofbibliothek geschenkt. Einrichtung: 1 r–74v 3-spaltig eingerichtet, zw. 52 und 80 Zeilen (durchschnittlich ca. 55); Bl. 75r zweispaltig, Bl. 75v einspaltig. Einzelnes Doppelblatt mit Miniaturen im Pz.-Text; farbige Initialen; im Tit. an jedem Strophenbeginn je 3-zeiliger Platz für nicht ausgeführte Initiale freigelassen; Buchstabenreklamant vorgeschrieben (ähnlich bei den Tageliedern). Inhalt: 1r–70v: Wolframs „Parzival“ [Sigle G]; 71ra oben – 74rc Z.13 [Rest der Seite leer]: Wolframs „Titurel“ (164 Strr.: Strr. 1–175 außer 30, 31, 33, 34, 36, 53, 81, 82, 83, 84, 87)11 74v: [Schreibersprüche und Federproben] 75 r: 3 Prosastücke („Der nackte Bote“, „Die ertrunkene Seele“, Prosafragment 12) 75 v: 2 Tagelieder Wolframs (MF 3,1– 4,7 und MF 4,8–5,15).
H = Österreichische Nationalbibliothek Wien, Ser. nova 2663 („Ambraser Heldenbuch“)13 Äußeres: Pergament (erstklassige Qualität und Erhaltung), 238 (+ 5) Bll., 460 × 360 mm; Schriftraum 360 × 235 mm; 1+30 Lagen (zumeist Quaternionen). Schreiber und Schreibsprache: Geschrieben von Hans Ried (gest. 1516; Schreiber in der Innsbrucker Regierungskanzlei, von 1500 bis 1508 und ab 1514 Zöllner am Eisack bei Bozen) in sorgfältiger „Kanzleikursive mit Elementen der Fraktur“14; die Schreibsprache ist südbairisch. Provenienz: Hans Ried schrieb von 1504 bis 1516 (1515?), im Auftrag Kaiser Maximilians, zumeist in Bozen. 1517 Abschluß der Randdekorationen. Von etwa 1564 bis 1805 (oder 1806) in der „Kunst- und Wunderkammer“ auf 10 11
12
13
14
Klein 1992, 53 u. 64 ff. Wir legen bei Angaben der Strophennummern aus dem „Titurel“, soweit nicht eigens vermerkt, stets die Zählung unserer Edition zugrunde. Die entsprechende Strophenziffer der eingeführten Zählung Lachmanns ist aus der Konkordanz im Anhang schnell zu ermitteln; zuweilen wird sie mit der Sigle La eigens angegeben. Ed. v. C. v. Kraus: Drei Märlein in der Parzivalhandschrift g und das Exempel vom Armen Heinrich. In: H. Maync (Hg.): Festgabe für Samuel Singer. Tübingen 1930, 1–19. Ausf. Beschreibung bei Unterkircher 1973 (Kommentarband, mit Literatur); ferner Menhardt, III 1961, 1469–1478; Johannes Janota: [Art.] Ambraser Heldenbuch. In: VL I, 1978, 323–327 [mit Literatur]; Schnyder 1980 (Ed. von Biterolf und Dietleib), 3– 47 [mit Literatur]; Bumke 1996, 186–190 [mit Literatur]. – Faksimile der gesamten Hs. Graz 1973; Faksimile der Titurel-Überlieferung von H: Heinzle 1973, 10–13; vgl. das Faksimile von fol. 234r im Anhang dieser Ausgabe. – Abdruck der Titurel-Überlieferung von H: Schottky 1819; Heinzle 1972 (fortaufend im Stellenkommentar; dies ist die einzige zuverlässige Wiedergabe). Unterkircher 1973 (Kommentarband), 15.
8
Editorisches Vorwort
Schloß Ambras (bei Innsbruck), vorher in der Bibliothek der Innsbrucker Hofburg; von 1805 (oder 1806) bis 1918 in Wien in der Kunsthistorischen Sammlung. Einrichtung: durchgehend 3-spaltig, 63–68 Zeilen; Foliierung von Hans Ried; viele leere Spalten und Zeilen; rote Überschriften; 123 gemalte u. z. T. vergoldete Groß-Initialen (von anderer Hand), menschliche Figuren, Pflanzen, Tiere am Rand. Im „Titurel“-Teil: Initialen zweizeilig (nur I-Initialen drei- bis vierzeilig; 7-zeilige Groß-Initiale zu Str. 1); Strophen abgesetzt, Reimpunkte, schräger Doppelstrich als Silbentrennungszeichen. Inhalt: 25 Texte des ausgehenden 12. u. 13. Jh.s (soweit datierbar) verschiedenster Art: höfische Epik (Text 1–7; darunter etwa Hartmanns „Erec“ und „Iwein“ [Sigle d]), Heldenepik (Text 8–15; darunter etwa „Nibelungenlied“ und „Die Klage“ [d], „Ortnit“ [A]) und vermischte kleinere Epik (Text 16–22; darunter etwa Wernhers „Helmbrecht“ [A]). 15 Werke überliefert die Hs. als Unika (darunter etwa „Moriz von Craun“, Hartmanns zwei Büchlein der „Klage“, „Kudrun“, „Biterolf“, „Wolfdietrich A“, 4 Erzählungen von Herrand von Wildonie; für Hartmanns „Erec“ ist H die einzige, fast vollst. Hs.). Als vorletzter Text der Hs. (Text 24; zwischen Strickers „Pfaffe Amis“ [W; endet fol. 233vb unten; Rest der Seite leer] und dem Bruchstück „Der Priester Johann“ [U; fol. 235va oben – 237vc unten; fol. 238 leer] steht auf 234ra oben – 235rb Z.11 [Rest der Seite leer] Wolframs „Titurel“ (69 Strr.: Strr. 1–68 [Str. 57,1–2 erscheint zweimal], andere Strophenfolge).
M = Universitätsbibliothek München, 8° Cod. ms. 154 (= Cim. 80b ), ausgelöstes Fragment II15 Äußeres: 3 Pergamentblätter, die aus dem Einband von 8° Cod. ms. 154, einer lateinischen Sammelhandschrift (Papier, Mitte 15. Jh.), ausgelöst wurden. Bl. 1 u. 2: je 4 erhaltene Streifen der senkrecht zerschnittenen Blätter, ca. 115 –140 × 13 mm. Bl. 3: diente als Spiegel (am oberen und unteren Rand beschnitten), ca. 140 × 118 mm (dazu Abklatsch von 3v auf dem Rückendeckel des Fundbandes). Datierung: um 1300.
15
Ausf. Beschreibung der gesamten Hss. samt ausgelöster Fragmente von Gisela Kornrumpf und Paul-Gerhard Völker: Die deutschen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek München. Wiesbaden 1968, 228–232; ferner Golther 1893. – Faksimile des Fragments Heinzle 1973, 14–17; vgl. das Faksimile von fol. 1r u. 3r im Anhang dieser Ausgabe. – Abdruck bei Golther 1893; Lachmann 6. und 7. Aufl. im App.; Heinzle 1972 (fortlaufend im Stellenkommentar; dies ist die einzige zuverlässige Wiedergabe); in dieser Ausgabe S. 159–167.
Die Überlieferung
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Schrift und Schreibsprache: gotische Buchschrift von einer Hand, bairisch. Einrichtung: Schriftraum 135 × 88 mm; einspaltig, 30 Zeilen (2v: 29 Zeilen); Strophen abgesetzt mit Reimpunkten, zweizeilige rote Initialen zu Strophenbeginn, vereinzelt rubrizierte Majuskeln (3v rote Zeilenfüllungen). Inhalt: Insges. 46 Strr. von Wolframs „Titurel“ (sowie Federproben): Bl. 1: Strr. 31– 45 (sehr lückenhaft, andere Strophenfolge); Bl. 2: Strr. 76,2–90 (sehr lückenhaft, andere Strophenfolge); Bl. 3: Strr. 105,3–108; 101; 109–119,2 (kein Textverlust, z. T. schwer lesbar); auf 3r Federproben des 15. Jh.s auf den freien Zeilenenden. Die starke Differenz im Strophenbestand erschwert die Beurteilung des Verhältnisses der Handschriften untereinander erheblich: Nur elf der insgesamt 175 Strophen überliefern die drei Handschriften gemeinsam (Strr. 32, 35 u. 37– 45, wobei M hier zudem zumeist nur Wortbruchstücke überliefert); 83 Strophen – also beinahe die Hälfte – sind nur in jeweils einer Handschrift überliefert: Strr. 30 u. 53 nur in H, Strr. 81–84 u. 87 nur in M, weitere 76 Strr. nur in G, darunter das gesamte zweite Fragment. Die Handschrift H überliefert sechs Strophen, die G nicht aufweist (30, 31, 33, 34, 36, 53); vier dieser Strophen finden sich auch in M, wobei sich die beiden hier nicht überlieferten Strophen 30 und 53 außerhalb der in den Handschriftenfragmenten von M überlieferten Partien befinden, mithin nichts über deren Existenz im ursprünglichen Überlieferungsträger gesagt werden kann. In den Fragmenten von M sind allerdings fünf weitere Strophen überliefert (81–84, 87), die weder G noch H aufweist (die Überlieferung in H endet nach Str. 68). Betrachtet man nur die Abschnitte, die in H und/oder M überliefert sind, so findet sich keine Zusatz-Strophe von G gegenüber HM. Schon dieser äußerliche Befund des Strophenbestandes legt es nahe, die Überlieferung in zwei Zweige, G einerseits und HM andererseits, zu teilen. Das Verhältnis der drei Wolfram-Handschriften untereinander kann indessen nicht näher bestimmt werden, ohne die sekundäre Überlieferung der Strophen im sogenannten „Jüngeren Titurel“ (= JT) einzubeziehen. Denn in den zahlreichen Handschriften dieses Werkes sind alle 175 Strophen aus G, H und M überliefert, wenn auch freilich in modifizierter Form.
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Editorisches Vorwort
1.2 Das Verhältnis zum „Jüngeren Titurel“ und der Handschriften untereinander Die schmale Überlieferung der „Titurel“-Fragmente – gerade angesichts der Wertschätzung und intensiven Rezeption Wolframs in der Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts und der außerordentlich breiten Überlieferung seiner anderen Epen mit mehr als 80 Textzeugen für den „Parzival“ und mehr als 70 Textzeugen für den „Willehalm“ – darf nicht zu dem Fehlschluß verleiten, dieser Wolframsche Text sei bei den Zeitgenossen wenig bekannt gewesen oder habe eine bloß marginale Rolle gespielt. Im Gegenteil wirft diese mutmaßlich relativ ‚autornahe‘ Überlieferung selbst unzusammenhängender Stücke angesichts der Varianz relativ ‚unfester‘ Texte ein bezeichnendes Licht auf die frühe Epenüberlieferung der höfischen Literatur.16 Bumke hat Indizien zusammengetragen, die zeigen, daß „die alten Titurelfragmente im 13. Jahrhundert wohlbekannt“ waren.17 Der wichtigste Zeuge für die Rezeption ist dabei freilich der sogenannte „Jüngere Titurel“. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts baut ein Dichter, der sich selbst „Albrecht“ nennt, nachdem er beinahe 6000 Strophen lang unter dem Namen „Wolfram“ gedichtet hatte,18 die Wolframschen Fragmente zu einem gewaltigen, über 6300 Strophen umfassenden Gralroman aus. Daß die Überlieferung der Wolframschen Fragmente so schmal ist, mag auch wesentlich darin begründet sein, daß im „Jüngeren Titurel“ ein Epos vorlag, das es unternahm, unter dem Namen Wolfram und unter Benutzung seiner Fragmente „im Blick auf die beiden Aspekte Gral-Gralsgeschlecht und Sigune-Tschinotulander ausführlich darzustellen, was Wolfram im ‚Parzival‘ gar nicht oder nur am Rande erwähnt hatte.“19 Wie erfolgreich Albrechts Werk war, dokumentieren die mittlerweilen 16 17 18
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Dazu jetzt Bumke 1996, 60 ff.; zum „Titurel“ 63. Bumke 1971, 429 ff.; Zitat 395 Anm. 20. Die Selbstnennung „ich Albrecht“ findet sich im JT in Str. 5961 (Nyholm Ausg. III 1992; Hahn Ausg. 1842 Str. 5883). Zur prekären Stellung und Bedeutung der sog. Hinweis-Strophen s. ausf. Schröder 1993. – Die Annahme der Verfasserschaft Wolframs findet sich schon seit Ende des 13. Jahrhunderts (Schröder 1993, 7 f.), seit mindestens 1350 war das Werk unter dem Namen „Titurel“ bekannt (Wolf, ZfdA 84 [1952/53], 309–346; hier 323 f.), und dies wurde bis ins 19. Jahrhundert tradiert. Noch Docen, der 1810 als erster Wolframs „Titurel“ aus G abdruckte, hält seinen Fund für „Fragmente einer Vor=Eschenbachischen Bearbeitung des Titurel“ (ebenso Schottky 1819, der erstmals die Titurel-Partien aus dem Ambraser Heldenbuch abdruckte), den er gar für „das Werk einer altdeutschen Poetin“ zu halten geneigt war (Docen 1810, 52). Nachdem schon Docens Rezensent August Wilhelm Schlegel 1811 für Wolfram als Verfasser der Fragmente plädiert hatte, ist die Autor-Fiktion und die Verfasserschaft Albrechts erst seit Lachmanns Wolfram-Ausgabe 1833 unbestritten, der indes mit seinem herben Urteil über „den ganzen langweiligen und albernen Titurel“ (Vorrede XXIX) die jahrzehntelange Vernachlässigung des jüngeren Werkes durch die Forschung mitverschuldete. Dietrich Huschenbett: [Art.] Albrecht, Dichter des ‚Jüngeren Titurel‘. In: VL2, Bd. 1 (1978), 158–173; hier 163.
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60 bekannten Textzeugen, die bis an die Grenze zum 13. Jahrhundert hinabreichen.20 Da also schon wenige Jahrzehnte nach Wolfram der „Jüngere Titurel“ als ein Meisterwerk Wolframs tradiert wurde, ist kaum damit zu rechnen, daß man die alten Fragmente noch einmal separat als Werk Wolframs aufgeschrieben hat. Die sehr junge Handschrift H muß dabei als Ausnahme gelten, was darauf hinweisen mag, daß dem Schreiber Hans Ried auch für den „Titurel“ eine alte, vor die Enstehung des „Jüngeren Titurel“ zurückreichende Vorlage zur Verfügung stand.21 Inwiefern kann nun der „Jüngere Titurel“, in den Albrecht alle uns bekannten, in den drei Wolfram-Handschriften G, H, und M überlieferten Strophen aufgenommen hat, als Textzeuge für Wolframs „Titurel“ gelten? Zweierlei ist dabei von Bedeutung: Zum einen hat Albrecht zwar die ungewöhnliche Strophenform Wolframs aufgenommen, die Strophe aber und somit auch den Wolfram-Text durch Einführung eines Binnenreimes von vornherein maßgeblich verändert, wobei er sich, soweit man der in G überlieferten Gestalt vertraut, im ganzen durchaus weniger Freiheiten der Versfüllung erlaubte und sich stärker einem metrischen Grundgerüst anvertraute.22 Albrecht hat also die WolframStrophen eingearbeitet und bearbeitet, nicht aber bloß eingefügt, obwohl er sich im Rahmen der metrischen Bearbeitung oftmals verblüffend eng an Wolfram hält. Zum zweiten läßt sich zeigen, daß die Wolframschen Strophen auch sekundär in einer späteren Phase der Überlieferung auf die Bearbeitungen des „Jüngeren Titurel“ eingewirkt haben: Nicht nur die Entstehung, sondern auch die weitere Überlieferung und bearbeitende Tradierung von Albrechts Werk vollzog sich also offenbar keineswegs unabhängig von Wolframs Fragmenten. 23 So erstaunlich dies hinsichtlich des literarischen Bewußtseins im 13. und 14. Jahrhundert und der Tradierungspraxis der höfischen Epik ist, so prekär ist es hinsichtlich der Überlieferungsproblematik des Wolframschen Textes. Dies zeigt ein Blick auf die äußerst verwickelten und noch nicht abschließend aufgehellten Überlieferungsverhältnisse des „Jüngeren Titurel“.
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Der Codex 2675 der ÖNB Wien, Wolfs Leiths. mit der Sigle A, die zugleich auch die Melodie auf dem Vorsatzblatt überliefert (s. dazu Kap. 1.5 „Strophenform und Melodie“), wird um 1300 datiert. Wolf beschreibt in seiner Ausgabe 57 Textzeugen (Ausg. I 1955, XLIV ff.), wobei zwei Fragmente identisch sind. Nyholm spricht in dem die JT-Edition nach Wolfs Prinzipien abschließenden Band III/2 von 60 Textzeugen (Ausg. 1992, XX) und listet neue Funde unter Nr. 58 bis Nr. 64 auf (VIII ff.), wobei wiederum einige Fragmente zu schon bekannten Textzeugen gehören, wie auch später aufgefundene Fragmente (Klein 1994; Alex 1996; Nyholm/Wilhelmi 1994; vgl. auch Nyholm Ausg. IV 1995, XXVI ff.). Die Argumente für die Vermutung, daß die in H überlieferte Fassung bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, hat Bumke zusammengestellt (1971, 429 ff.). Zu den Vorlagen Hans Rieds zusammenfassend Unterkircher 1973, 7 ff. Näher hierzu s. Kap. 1.5 über „Strophenform und Melodie“. So schon Zarncke 1876, 420 ff.; Franz 1904, 31; Wolf Ausg. I 1955, CX ff.; Röll 1964, 113 ff.; ausf. Bumke 1971, 394 ff.
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Die Überlieferung des „Jüngeren Titurel“ teilt sich grundsätzlich in zwei Zweige oder Fassungen24 ( JT I und JTII ), die allerdings in sich sehr uneinheitlich bleiben und zudem zahlreiche Überschneidungen aufweisen.25 Schon die Fassung I, zu der die Hss. A, B, D und E zu rechnen sind – um nur von den Textzeugen zu reden, die Wolfram-Strophen überliefern26 –, bietet erhebliche Probleme. Um nur die eklatantesten zu nennen: Die älteste Hs. (A), die von Wolf für die beste gehalten wurde und als Leithandschrift seiner Edition zugrunde liegt, ist mit „besonders zahlreichen und schwerwiegenden Sonderfehlern“ behaftet und zeichnet sich durch große „Umdichtfreudigkeit“ aus;27 die Hss. B, D und E weisen Beziehungen zum Hyparchetypus II auf; die Bruchstücke a nehmen eine „freie und eigenartige Stellung“28 ein und stellen sich zuweilen zur Hs. H. 29 Diese Handschrift H bildet das größte Problem der Fassung II. Die Handschrift ist so eigenständig, daß sie einen eigenen Bearbeitungszweig vertritt, weshalb sie von Wolf und Nyholm als Hauptvertreter einer JTI und JTII kontaminierenden, unabhängigen „Mittelgruppe“ angesehen wurde. Nach Röll und Schröder, denen wir hier folgen, kann aber die Hs. H als „womöglich […] bester Vertreter“ eines Hyparchetypus *HXYZ( J) = JTII angesehen werden, innerhalb dessen sie eine „Schlüsselstellung“ besitzt,30 weshalb ihr mittlerweile zwei Editionen zuteil wurden31. Die übrigen Vertreter des Hyparchetypus II wurden von Röll einem Redaktor zugewiesen und unter der Sigle R zusammengefaßt. Zu R sind von den für Wolfram relevanten Hss. XYZ zu rechnen 32,
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Als „Fassung“ bezeichnet von Bumke 1996, 49. Zu Begriff und Definition von „Fassung“ ebd. 42 ff. Handschriften-Siglierung und -Zählung nach Wolf Ausg. I 1955, XLIV ff., ergänzt durch Nyholm Ausg. III 1992, VIII ff. Dort auch, sowie Wolf Ausg. II 1968, VII ff. und Nyholm, Ausg. IV 1995, VIII ff. Beschreibungen der Überlieferungsträger. Hinsichtlich der Zuordnung der Hss. zu den Gruppen folgen wir der an der Vergleichung mit Wolfram bewährten Praxis Bumkes (1971, 395 Anm. 19), allerdings mit Ausnahme der Stellung von JT H, die wir Röll und Schröder folgend zum Hyparchetypus II stellen und entsprechend die Redaktion *XYZ( J) als JT R (= JTII bei Bumke, Wolf und Nyholm) bezeichnen. Zur Gruppe I gehören auch die Fragmente a, b, c, f, h und y (= Nr. 60). Die Hs. Nr. 54 nimmt nach Wolf (Ausg. I, CXI) und Nyholm (Ausg. IV, XXXIX) eine Mittelstellung zwischen I und II ein; Bumke 1971 rechnet sie für die Vergleichung mit Wolfram zu I. Die Fragmente von y = Nr. 60 (beschr. und abgedr. von H. Bekkers, Neuphil. Mitt. 79 [1978], 219–231; Lesarten gegenüber JTI bei Nyholm, Ausg. III, XIV ff.; betr. die Wolfram Strr. 155–161) und die in Trient aufgefundenen neuen Bruchstücke zu Nr. 54 (beschr. und abgedr. von H. Alex 1996; betr. die Wolfram-Strr. 4, 5 u. 7) waren Bumke noch nicht bekannt. Die enge Zugehörigkeit von y zu JTI sowie die Sonderstellung von Nr. 54 bestätigt sich hinsichtlich der hier bewahrten Wolfram-Strophen. Röll 1964, 70 u. 144. Wolf Ausg. I 1955, CIX. Dazu ausf. Röll 1964, 151 ff. Schröder 1984, 48. Ausführliche, das Urteil Rölls unterstützende und ergänzende Begründungen finden sich bei Schröder 1965, Schröder 1984 u. Schröder 1987. – Röll kehrt dabei mit plausiblen Argumenten zu der frühesten Ansicht über die Überlieferungsverhältnisse von Zarncke (1876, 396) zurück. Nyholm Ausg. IV 1995; Schröder 1994/1995. Während Nyholm lediglich einen Abdruck der Handschrift im Sinn hat, bietet Schröder einen „bereinigten Text“ von H, also *H samt Varianten von R = XYZ. Hinzu kommen die Fragmente Nr. 18 und Nr. 41.
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ebenso K und der Druck J, die allerdings wiederum eine Sonderstellung besitzen.33 Nach Bumkes ausführlicher Vergleichung der Wolfram-Handschriften mit der Überlieferung des „Jüngeren Titurel“ kann als gesichert gelten, daß zumindest der Redaktor von JT R mithilfe eines Wolfram-Textes seine Vorlage überarbeitet hat, was zu dem Schluß führt, daß mit mindestens zwei weiteren Wolfram-Handschriften zu rechnen ist: „die eine Hs., die Albrecht als Vorlage benutzt hat, und die andere, die vom Redaktor der Handschriftenklasse II [= hier JT R] verglichen wurde“34 – und dies zu einem frühen Zeitpunkt, wenn man Albrechts Arbeit um 1260/70 und die Redaktion R mit Röll „kurz nach 1300“35 ansetzt. Darüber hinaus scheint es so, als ob mehrere Schreiber einzelne Strophen aus Wolfram-Vorlagen kopiert hätten.36 Schon aus dem Strophenbestand des Albrecht-Textes und seiner Redaktionen, die übereinstimmend jene elf Plusstrophen enthalten, die die Wolfram-Hss. H und M gegenüber G überliefern, aber auch aus einer Vergleichung des allen relevanten Textzeugen gemeinsamen Materials ergibt sich, daß Albrechts Vorlage näher an H und M stand als an G. Dabei lag Albrecht wohl ein „zwischen H und M vermittelnde[r] Text“ vor, der „im ganzen H näherstand als M“,37 ohne indes ein reiner H-Text zu sein, da er sich zuweilen auch zu G stellt. Für die Vorlage des Redaktors von JT R gilt ein ähnlicher Befund, diese ist „sogar noch näher mit H verwandt und weiter von M entfernt“.38 Der denkbare Umkehrschluß, den Pohnert befürwortete,39 daß nämlich die Handschriften H und M von Albrechts Text beeinflußt sein könnten, ist in erster Linie der Beurteilung der elf Plusstrophen von H und M gegenüber G (als in der Mehrzahl nicht authentische) geschuldet, was man unter modernen philologischen Gesichtspunkten nicht mehr wird teilen können.40
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Ein übersichtliches und hilfreiches Stemma bietet Schröder 1965, 33. Bumke 1971, 411. Entgegen der von Röll eingeführten, insbes. von den zahlreichen Arbeiten Schröder etablierten Kennzeichnung, der auch wir uns anschließen, bezeichnet Bumke die von Röll, Schröder und uns als JT R bezeichnet Klasse mit JTII unter Verzicht einer gemeinsamen Annahme eines Hyparchetypus von *H und *XYZ( J), die hier als JTII bezeichnet wird. Röll 1964, 122. Eine systematische sekundäre Benutzung von Wolfram-Strophen durch JT *B, JT *H und den Redaktor von JTII (= gemeinsame Vorlage von JT H und JT R), wie sie von Röll vermutet wurde (1964, 113 ff.; zu JT *B auch Schröder 1993, 37 ff.) bezeichnet Bumke als unsicher und aus dem spärlichen Belegmaterial nicht hinreichend begründbar, ebenso eine aufgrund einzelner Strophen zu erwägende sekundäre Benutzung Wolframs durch JT A und JT Nr. 54 (Bumke 1971, 395 ff.). Auch die von Wolf aus einer Nachvergleichung mit einer Wolfram-Hs. erklärten Abweichungen von JT a (Wolf Ausg. I 1955, CXII ff.) weist Bumke zurück und erklärt die Übereinstimmung von Wolfram und a gegen die weitere JT-Überlieferung für ein zufälliges Ergebnis der Beseitigung stumpfer Anvers-Kadenzen durch Albrecht (399– 403). Bumke 1971, 414. Bumke 1971, 419. Pohnert 1908, 5 ff. Vgl. dazu unten Kap. 1.3 zum „Strophenbestand“.
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Die Erkenntnisse über die Gestalt des Wolfram-Textes, die man aus der Überlieferung des JT gewinnen kann, sind freilich begrenzter Art. Die Überlieferung des JT bietet nur sehr indirekte Textzeugen: Da es sich bei Albrechts „Jüngerem Titurel“ um ein höchst selbständiges literarisches Werk handelt, können Lesarten des JT die Textkonstitution eines Wolfram-Textes überhaupt nur dann betreffen, wenn sie Lesarten einer Wolfram-Handschrift stützen. Und selbst dann ist in keiner Weise zu entscheiden, welcher Lesart Priorität zugemessen werden kann. Der häufige Fall etwa, daß H und JT der Handschrift G gegenüberstehen, hat wenig Aussagekraft im Hinblick auf die einzelne Lesart. Immerhin wäre es ja denkbar, daß die Fassung *HM oder eine Überlieferungsstufe *H eine Textredaktion des 13. Jahrhunderts vertritt, die eine sperrige Wolfram-Vorlage, wie sie besser von G vertreten wird, einem Bearbeitungsprozeß unterzieht, an den dann Albrecht systematisierend anknüpft. Auch wenn man die Echtheitsfrage um die Zusatzstrophen von HM resp. die besonders ‚verdächtigen‘ zäsurgereimten Zusatzstrophen einmal völlig beiseite läßt, ist hier in erster Linie an eine metrische Glättung zu denken, die H gegenüber G allenthalben zeigt und die schließlich in Albrechts sehr viel regelmäßigerer, zäsurgereimter Strophe ihre konsequente Fortführung erfahren haben könnte.41 Zudem erscheinen nicht wenige Lesarten von H und JT gegenüber G als die leichteren Lesarten, wie wir im Stellenkommentar an vielen Stellen dargelegt haben,42 wenn auch die auf Priorität und einen erschließbaren Archetypus zielenden Begriffe von lectio facilior bzw. difficilior angesichts der schmalen Überlieferungslage und der Unfestigkeit der Texte im strengen Sinne nicht angemessen sind. Damit tritt wiederum die Frage nach dem Verhältnis der drei Wolfram-Handschriften in den Vordergrund. Aus der Vergleichung der JT-Überlieferung mit den drei Wolfram-Handschriften lassen sich zusammenfassend erste Schlüsse ziehen: Albrechts Vorlage und die des Redaktors JT R war offenbar eine „vermittelnde Zwischenstufe“ zwischen G und HM, die deutlich näher bei HM steht, sich aber nicht eindeutig zu einer der Wolfram-Handschriften stellt.43 Daraus folgt, daß wir noch von zwei weiteren Überlieferungszeugen von Wolframs Strophen ausgehen können (Albrechts Vorlage und die Vorlage des Redaktors JT R), die sich zwar nicht erschließen lassen, aber von denen zumindest gesagt werden kann, daß sie in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis zu den drei bekannten Wolfram-Handschriften stehen. Im Hinblick auf die Tradierung der Wolfram-Fragmente läßt dies den Schluß zu, daß erstens Wolframs „Titurel“ im 13. Jahrhundert offenbar vor allem in H-nahen und HM-nahen Fassungen verbreitet war,44 daß man aber
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Vgl. dazu auch Kap. 1.5 „Strophenform und Melodie“. S. dazu im einzelnen den folgenden Abschnitt. Bumke 1971, 417. Dies bestätigt Bumke (1971, 429 ff.) noch durch den Hinweis auf Anspielungen auf die Wolfram-Fragmente in Texten des 13. Jahrhunderts.
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zweitens von „Mischtexte[n] verschiedener Art“ ausgehen muß, „die nicht notwendig das Ergebnis von Kontaminationen gewesen sein müssen“.45 Über die Priorität einzelner Überlieferungen ist damit im Einzelfall nichts gesagt – es bleibt immerhin denkbar, daß etwa Albrecht ein Text der *HM-Fassung vorgelegen hat und Albrechts Bearbeitung der Strophen wiederum Einfluß auf eine H-Vorlage *H ausgeübt hat. Derlei Überlegungen sind freilich insbesondere aufgrund des schmalen Vergleichsmaterials in der Wolfram-Überlieferung nicht verifizierbar. Dieser bisherige, allein am Strophenbestand und dem Verhältnis zum „Jüngeren Titurel“ entwickelte Befund wird durch einen Lesarten-Vergleich der drei Wolfram-Handschriften bestätigt. Auch hier zeigt sich, daß sich zumeist G und HM bzw. in nicht in H und M zugleich überlieferten Strophen G und H bzw. G und M gegenüberstehen, wobei JT fast stets bei H und M steht46. Die Priorität einer Lesart kann allerdings an beinahe keiner Stelle sicher erwiesen werden, die Lesarten können im philologischen Sinne nur als gleichwertig angesehen werden, wenn auch zuweilen der sekundäre Charakter einer Lesart wahrscheinlich erscheinen mag.47 Die Tatsache, daß wir bei der Abwägung einzelner Stellen im Kommentar in 14 Fällen in Handschrift G die schwierigere Lesart gegenüber H, M oder JT vermuten48 – dagegen steht nur eine schwierigere Lesart in H ( JT) gegenüber G49 –, sowie an drei Stellen der Handschrift H die gegenüber M ( JT) schwierigere Lesart feststellen50, ist nicht im Sinne von beweisenden Fehlern oder textgenetischer Priorität fruchtbar zu machen, sondern muß hinsichtlich der Frage philologischer Abhängigkeit im Raum der Vermutung bleiben. Mehr als eine Sonderstellung der Handschrift G und – mit aller Vorsicht – ein vergleichsweise geringer textkritischer Wert von M, den auch Bumke konstatiert,51 ist daraus nicht zu folgern. Immerhin könnten diese Stellen als Grundlage einer Beschreibung des Charakters der G-Fassung dienen, wie dies Bumke für eine Konstitution von Fassungen gefordert hat52: Neigung zu erspartem Ausdruck, zu syntaktischer Kürze und Brüchigkeit, zu Mehr-
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Bumke 1971, 419. Bumke 1973, 175 ff. Die Übereinstimmungen von G und JT gegen HM in den in allen Hss. überlieferten Strophen sind wohl zufällig. So hält Bumke (1973, 176–178) die Lectio G in 35,3 und 45,2 für vermutlich sekundär gegenüber HM ( JT). Vgl. dazu unten den Stellenkommentar zu diesen Strophen. Eine lectio difficilior im weitesten Sinne von G erkennen wir in den Strophen 1,4 (gegen H JT); 4,1 (gegen H JT); 26,2 (gegen H [JT]); 29,4 (gegen H); 45,2 (gegen HM [JT]); 51,2 (gegen H [JT]); 63,1– 4 (gegen H [JT]); 64,1–2 (gegen H [JT]); 70,4 (gegen JT); 89,4 (gegen M [JT]); 101,1 (gegen M); 110,4 (gegen M [JT]); 137,4 (gegen JT) und 161,4 (gegen JT). Vgl. die Komm. zu den betr. Stellen. Strophe 20,2. Strophen 33,3; 33,4 und 34,4. Bumke 1973, 182. Bumke 1996, 50 u. 53.
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deutigkeit der Subjekt-Objekt-Relationen und der Bildlichkeit. Da dies freilich den Text als Ganzen charakterisiert, wenn auch in der HM ( JT)-Fassung in geringerem Maße, so weit dies zu beurteilen ist, läßt sich daraus wohl kein Schluß auf Autornähe ziehen, wiewohl die Vorstellung verführerisch ist, dem Autor Wolfram die größtmöglichen Freiheiten und Subjektivismen zuzuschreiben.53 Daß mehrere Zeugen in offensichtlichen Fehlern übereinstimmen ist so selten, daß nicht auf sekundären Charakter bzw. auf prinzipielle Priorität eines Überlieferungszweiges geschlossen werden kann.54 Die Konstellation GM vs. H JT ist selten55, noch seltener M vs. GH JT, eine Priorität der Sonderlesarten von M scheint zwar im ganzen unwahrscheinlich, ist aber immerhin nicht auszuschließen. Allemal steht M näher bei H, weist aber auch einige Übereinstimmungen mit G auf, die nicht zufällig sein können. So sehr auch die H-Überlieferung die verbreitetste Fassung der Wolfram-Stücke zu repräsentieren scheint, so problematisch bleibt die Überlieferung in der Handschrift H selbst: In zahlreichen Details erscheint die H-Überlieferung mit ihrer „späten Patina“56 eindeutig entstellt oder verstümmelt; und auch die Sonderlesarten von H (gegen G und JT), sofern sie sich nicht als schlichte Sorglosigkeit in der Überlieferung erklären lassen, sind häufiger als fehlerhaft anzusehen als die Sonderlesarten von M oder gar G.57 Keinesfalls aber ist, wie es die ältere Forschung mehrheitlich versuchte und wie es insbesondere die Praxis der Herausgeber nach Lachmann bezeugt, der H-Text als sekundär zu erweisen – ebensowenig wie G oder auch M, soweit sich dies bei der bruchstückhaften Überlieferung von M abschätzen läßt: Die breite Übereinstimmung von H mit M und JT gegen G be-
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Ganz ähnlich gilt dies für die der Tendenz nach problematischere metrische Gestalt der G-Strophen gegenüber H. Vgl. dazu unten Kap. 1.5 über „Strophenform und Melodie“. Anders hat Mohr 1977 diesen Befund interpretiert: In seinem als „Arbeitshypothese“ (124) bezeichnetem Bild der Überlieferung geht er von der größeren Autornähe von G aus. Die darin bewahrten „Skurrilitäten des Stils“ und die freie versrhythmische Gestalt, die ihre „endgültige Form noch nicht gefunden“ (123) habe, gehen seiner Auffassung nach auf eine Vorlage *G zurück, in der zahlreiche Korrekturglossen eingetragen gewesen seien, die dann in G zum Teil die ersten Lesungen ersetzten, zum Teil aber auch kontaminiert wurden. Mohrs Fassung erlaubt es, sich ein Bild von einem Text zu machen, „der bis zuletzt im Werden ist“. Andererseits kann auf der Grundlage einer solche Hypothese keinerlei beweisende Kraft für eine Lesart entwickelt werden; sie richtet im Gegenteil „für die Herstellung eines glaubwürdigen Textes […] einiges Unheil an“, wie Mohr selbst zugibt (125). Bumke (1973, 178–180) sieht in 62,4; 68,4 und 64,1–2 (etwas anders ebd. 184) einen gemeinsamen Fehler von H JT, in 111,3 einen gemeinsamen Fehler von M und Teilen der JT-Überlieferung. Vgl. dazu unten den Stellenkommentar zu diesen Strophen. Vollständiges Verzeichnis der Stellen bei Franz 1904, 37 f.; Bumke diskutiert 35,2 und 43,3, wobei er in letzterem Falle die Priorität von GM für wahrscheinlich hält. Vgl. dazu unten den Stellenkommentar zu diesen Strophen. Heinzle 1973, XI. Dazu Bumke 1971, 415– 416; Bumke 1973, 182–183.
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weist, daß die Überlieferungsdifferenzen der entscheidenden Überlieferungsträger G und H schon im 13. Jahrhundert ausgebildet waren. Daß die 68 Strophen des H-Textes, wo er von M oder JT bestätigt wird, „die ‚gemeine Lesart‘ der ‚Titurel‘-Fragmente im 13. Jahrhundert“ vertritt und als „eine Art Vulgata-Text“ gelten mag, begründet nicht seine Priorität, spricht aber deutlich gegen eine prinzipielle Priorität von G, zu der man sich durch das große Alter der Handschrift (bzw. das geringere Alter von H) und durch die schiere Menge des allein in G bewahrten Textes leicht verführt sieht. Zusammenfassend läßt sich also sagen: G und HM ( JT) stehen sich gegenüber, aber nicht als fest ausgebildete Zweige einer zweigeteilten Überlieferung, deren Filiationen stemmatologisch im Hinblick auf einen Archetypus bestimmbar wären. Allenfalls läßt sich von zwei parallelen Fassungen *G und *H oder auch *HM sprechen, wenn man den Begriff der ‚Fassung‘ von Vorstellungen der Autornähe und textgenetischer Priorität freihält und eine breite, ursprüngliche Varianz der Texte konzediert, wie Bumke dies zuletzt vorgeschlagen hat.58
1.3 Strophenbestand Das primäre und äußerlichste Merkmal, das die Fassungen G und HM ( JT) konstituiert, ist der Strophenbestand, wie oben schon skizziert. An der ‚Echtheit‘ aller 164 in G überlieferten Strophen ist – mit wenigen Ausnahmen59 – nicht gezweifelt worden. Die Gründe für eine Athetese von G-Strophen konnten und können stets nur auf höchst dezidierten Prämissen über die konzeptionelle Gestalt, Form, Stil und Sprache des Werkes bzw. des Autors beruhen, die angesichts dieses Textes, der in jeder dieser Hinsichten eine Sonderstellung einnimmt, allesamt spekulativ bleiben müssen. Schwieriger liegen die Dinge hinsichtlich der H- und M-Zusatzstrophen. Will man nicht aus stemmatologischen Erwägungen die Überlieferung von H und M für sekundär erklären, wofür es nach dem oben Ausgeführten keine plausiblen Argumente gibt, so bleiben zumindest für die Strophen 30, 31, 36 und 53 (H-Zusatzstrophen) sowie 81 und 87 (M-Zusatzstrophen) ebenfalls nur sachliche und/oder sprachlich-stilistische Kriterien, die wiederum in keiner Weise
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Zur Definition der „Fassung“ gegenüber „Bearbeitung“ s. Bumke 1996, 42 ff. Bumke spricht mehrfach von den Fassungen G und HM von Wolframs „Titurel“: 1991, 295 f.; 1996, 42, 44, 48. Jüngst stellt Bumke die Fassungen G und H gegenüber und spricht von einer Zwischenstellung von M (deutlich näher bei H) 1999, 1408. Die Strophen 95 und 126 sind von Schwietering 1925, Strophen 99, 140 u. 141 sind von Stosch 1881 in Frage gestellt worden. Martin erklärt Strophe 85 für unecht und stellt sie in seiner Edition in AtheteseKlammern – der einzige Fall, in dem die Athetese einer G-Strophe Niederschlag in einem edierten Text gefunden hat.
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begründendes Gewicht beanspruchen können.60 Eine Sonderstellung nehmen die Strophen 33 und 34 (H-Zusatzstrophen) sowie 82, 83 und 84 (M-Zusatzstrophen; evtl. auch noch Str. 8161) ein, da die beiden ersten Verse in der Zäsur reimen, wie es für Albrechts Bearbeitung charakteristisch ist. In der älteren Forschung sind diese Strophen daher – zumindest die M-Strophen 82–84 – beinahe übereinstimmend für sekundär erklärt worden. Nun haben Bumke und Heinzle darauf hingewiesen, daß sich auch im Bestand der noch nie bezweifelten Wolfram-Strophen Beispiele für einen möglichen Zäsurreim finden lassen, der den formalen Vorstellungen der Albrecht-Strophe genügen würde: In Strophe 134 (nach G) und Strophe 66 (nach H).62 Durch eine geringfügige und sprachlich-syntaktisch unproblematische Umstellung einzelner Wörter ließe sich ein Zäsurreim auch in Strophe 69, in Strophe 11463 (bes. im Wortlaut M) sowie in der H-Zusatzstrophe 30 herstellen. Auch wenn diese Reime sich nicht positiv als „bewußt eingesetzte Schmuckmittel für die alten Fragmente“64 nachweisen lassen, muß man sie wohl nicht mit Heinzle von vornherein als „funktionslose“ Reimworte65 apostrophieren: Darüber, welche sprachlichen oder formalen Strukturen den Intentionen eines Wolfram zuzutrauen sind, ist angesichts der Klangspiele, Suggestionen, des Wortwitzes und der vieldeutigen Behandlung der Form in diesem Text kein Urteil möglich. Angesichts der Existenz solcher potentiell oder tatsächlich formgebender Reimworte in den ersten beiden Versen der Strophe kann man demnach auch im Falle der offensichtlich zäsurgereimten Zusatzstrophen nicht auf sekundäre Beseitigung eines Zäsurreimes ‚unechter‘ Strophen schließen. Auffällig bleibt am Ende schließlich die
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So auch Bumke 1973, 170 f. Zu den Argumenten für bzw. gegen die Echtheit der einzelnen Strophen sei auf Heinzles Stellenkommentar verwiesen. Da seit Heinzle und Bumke 1973 keine neuen Argumente hinsichtlich der Echtheit mehr debattiert worden sind, haben wir uns in unserem Stellenkommentar auf eine Auswahl charakteristischer Argumente beschränkt. – Anders beurteilt den Zäsurreim und demzufolge den sekundären Charakter einer „Übergangsstufe“ *HM zumindest hinsichtlich der zäsurgereimten Strophen Mertens (1970, 221 f.) im Anschluß an H. Menhardt (Rez. zu Wolfs Ausg. des JT. In: AfdA 70, 1957/58, 16–23; hier 21 ff.) noch vor Bumkes Untersuchungen zur Überlieferung. In Str. 81 ist durch einfache Umstellung des Wortes nam in der ersten Zeile ein Zäsurreim leicht herstellbar. Da dies jedoch mit ebenso geringfügigem Aufwand auch bei unbezweifelten G-Strophen möglich wäre (s. das Folgende), wie es Albrechts Bearbeitung allenhalben beweist, wird man in der Wortfolge von 81 in M nicht einfach eine sekundäre Vermeidung des Zäsurreims erblicken können (ähnlich Bumke 1973, 170 Anm. 73), wozu die sich in M anschließenden, zäsurgereimten Strophen 82 bis 84 freilich verführen. Heinzle 1972, 53 f. [Komm. zu 30/31]; Bumke 1973, 171. Fragen der Stellung der Zäsur bzw. der Binnenkadenz müssen hier aufgrund der kaum zu entscheidenden metrisch-musikalischen Ausführung (s. unten) unberücksichtigt bleiben. Darauf weist Heinzle 1972, 53 f. [Komm. zu 30/31] hin. Bumke 1973, 171 Anm. 76. Heinzle 1972, 54 [Komm. zu 30/31], der darum im ganzen dazu neigt, die zäsurgereimten Zusatzstrophen für unecht zu halten.
Die Überlieferung
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Aufeinanderfolge von zwei zäsurgereimten Strophen (33 und 34) in H und drei zäsurgereimten Strophen (82, 83 und 84; evtl. noch 81) in M; dieser Beobachtung alleine wird man aber in einer so schwerwiegenden Frage wie der der Echtheit kaum beweisende Kraft zusprechen können: Serielles Auftreten einer außergewöhnlichen formal-sprachlichen Auszeichnung irritiert zwar, es kann aber den sekundären Charakter der Überlieferung und somit eine Athetese nicht sicher begründen, es sei denn, man wollte mit durchaus unzulässigen Prämissen zu Stil und Sprache des Autors und des Werks arbeiten. Wie schon anhand der Lesarten festgestellt, ist demzufolge auch am Strophenbestand und an der Strophengestalt die Priorität von G gegenüber H und M nicht zu erweisen. Im Gegenteil lassen sich Indizien für mögliche Kürzungen in G finden: Bedenkt man, daß der Hauptschreiber von G, der auch den gesamten „Titurel“ in G schrieb, in dem von ihm geschriebenen „Parzival“-Abschnitt als einziger der Schreiber dieser Handschrift deutlich gekürzt hat, und dies geschickt und offenbar planmäßig,66 so wird man es mit Thomas Klein als „unwahrscheinlich“ bezeichnen müssen, „daß dieser Schreiber entgegen seiner sonstigen Praxis im ‚Titurel‘ überhaupt nichts ausgelassen hätte“.67 Wie schon einleitend beschrieben, finden sich in den Partien, die von H oder M geschlossen überliefert werden, keine Strophen, die G gegenüber H oder M (und dem JT) zusätzlich aufwiese. Zudem kann man sagen, daß an keiner Stelle, an der H und/oder M zusätzliche Strophen aufweisen, ein Fehlen im Textbestand von G als störend empfunden werden könnte, mithin von sorgloser oder verderbter Überlieferung in G oder *G ausgegangen werden könnte. Mit aller gebotenen Vorsicht kann man demnach von der Fassung G als einer ‚Kurzfassung‘ sprechen. Von daher erscheint es geradezu fahrlässig, die elf Zusatzstrophen von H und M gegenüber G aus dem Bestand der alten „Titurel“-Stücke ausscheiden zu wollen. Erkennt man die Überlieferung in G also als möglicherweise lückenhaft an, so muß sich die Frage aufdrängen, ob nicht im Text des „Jüngeren Titurel“ noch weitere auf Wolfram zurückgehende Strophen bewahrt sind. In der Tat sprechen die Beobachtungen an den durch Nebenüberlieferung gesicherten Partien eher gegen die Annahme, daß die Handschrift G, wo sie alleine überliefert, keine Strophe mehr ausgelassen haben sollte. Schon Lachmann hat dadurch, daß er sämtliche ihm bekannten Zusatzstrophen aus H – auch die
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Klein 1992, 55 ff., inbes. 60 ff.; zum „Titurel“ 63. Die Kürzungen im von der gleichen Hand geschriebenen Cgm 51 sind bedeutend umfassender: 12 % im „Tristan“, beinahe 37 % in Ulrichs „Tristan“-Fortsetzung gegenüber einem kanppen Prozent im „Parzival“. Zum „Kürzungsprogramm“ des Cgm 19 vgl. auch Bumke 1996, 83. Klein 1992, 63. Ähnliche Überlegungen schon bei Engels 1970, 43.
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zäsurgereimten Strophen 33 und 3468 – in seinen Text aufnahm, deutlich gemacht, daß er den G-Text für durchgehend unzuverlässig hielt. Darum hat er ab Strophe 69, dem Ausfall von H, „alles[,] was der jüngere Titurel mehr hat“,69 in seinen Apparat gestellt (nach dem Druck von 1477). Für echt erachtete er fünf dieser Strophen, von denen sich zwei tatsächlich in dem später entdeckten Fragment M wiederfinden (81 und 87). Eine im JT zwischen 80 und 81 überlieferte Strophe ( JT 754 nach Wolfs Edition), die sich in den Editionen von Bartsch und noch bei Mohr, Gibbs/Johnson und Dallapiazza findet (wohl vor allem wegen des fehlenden Zäsurreimes), hielt er ebenfalls für echt, desweiteren die beiden Strophen JT 798 (nach 121) und JT 803 (nach 125), die Bartsch in den Text aufgenommen hat und denen auch Bumke noch zuneigt.70 Lachmanns Vorgehen hat große Konsequenz für sich – allerdings werden sich weder inhaltliche noch sprachliche noch metrisch-formale Gründe finden lassen, die beweiskräftig genug erschienen, eine Strophe aus dem Werk Albrechts, der sich als Wolfram-Epigone verstand und als solcher arbeitete, Wolfram zuzuweisen. Lachmanns frühes Urteil dürfte mittlerweile wieder dem Konsens der aktuellen Forschung entsprechen: „dass aber Wolfram noch bedeutend mehr gedichtet habe lässt sich nicht wahrscheinlich machen“.71 Der philologische Optimismus von Bartsch, der neben vier einzelnen Strophen noch zwei ganze Partien von 30 bzw. 32 Strophen aus dem „Jüngeren Titurel“ rekonstruierte und Wolfram zuschrieb, mahnt zu großer Vorsicht: Es gibt keinerlei Handhabe, die Wolframsche Provenienz einer Strophe aus der sekundären Überlieferung des „Jüngeren Titurel“ zu erweisen.72 Der Text der mit der Melodie auf dem Vorsatzblatt der Handschrift JT A überlieferten sog. ‚Sigunenklage‘ wird gemeinsam mit der Melodie besprochen (s. unten Kap. 1.5). Im folgenden sei die Behandlung der in Frage stehenden Strophen in den Editionen nochmals im Überblick aufgelistet. Für die in der Forschung vorgebrachten Argumente sei auf unseren Stellenkommentar und den in dieser Hinsicht ausführlicheren Kommentar von Heinzle verwiesen.
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Die Athetierung dieser Strophen, die Moritz Haupt in der zweiten Auflage durch die Verweisung der Strophen in Klammern vornahm (zur Begründung Haupt 1844, 396, f.), hat sich in den späteren Auflagen des Lachmann-Textes erhalten. Vorrede XXIX. Lachmann benutzte die Handschriften B und H, die Fragmente a und Nr.18a sowie den Druck J des „Jüngeren Titurel“ (nach Wolfs Siglierung), hatte somit erstaunlicherweise Vertreter aller wichtigen Überlieferungszweige vorliegen. Bumke 1973, 169. Lachmann, Vorrede XXIX. So auch Heinzle 1973, X; Bumke 1973, 168 f. Zum jüngsten Versuch der Rekonstruktion einer Wolfram-Strophe aus dem JT durch Röll (1964, 117 ff.) vgl. Bumke 1967, dessen negativem Urteil sich die Forschung seither angeschlossen hat. Dazu auch einl. Stellenkommentar zu Fragment II.
Die Überlieferung
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Die sechs Zusatzstrophen von H: 30–31 als echt aufgenommen von Lachmann, Bartsch, Piper,73 Mohr, Gibbs/Johnson, Dallapiazza; als unecht abgedruckt von Martin, Leitzmann und Hartl (Lachmann 7. Aufl.); ausgeschieden von Marti. 33–34 als echt aufgenommen von Lachmann (1. Aufl.), Bartsch, Mohr, Gibbs/Johnson, Dallapiazza; als unecht abgedruckt von Lachmann (ab 2. Aufl.), Piper, Martin und Leitzmann; ausgeschieden von Marti. 36 als echt aufgenommen von Lachmann, Bartsch, Piper, Mohr, Gibbs/Johnson, Dallapiazza; als unecht abgedruckt von Martin (nach Str. 33; aber zustimmend zu Echtheit im Komm.) und Leitzmann; ausgeschieden von Marti. 53 als echt aufgenommen von Lachmann, Bartsch, Piper, Martin, Mohr, Gibbs/ Johnson, Dallapiazza; als unecht abgedruckt von Leitzmann und Hartl (Lachmann 7. Aufl.); ausgeschieden von Marti. Die fünf Zusatzstrophen von M: 81 als echt abgedruckt von Lachmann im App. zu 80 (ohne Kenntnis von M, nach JT J Str. 56); als echt aufgenommen von Bartsch (ohne Kenntnis von M, in rekonstruierter Form als Str. 82 vor 85;), Mohr (ohne Numerierung vor 85), Gibbs/Johnson und Dallapiazza (beide als Str. 80b vor 85); als unecht abgedruckt von Piper (als Str. 82 vor 85), Leitzmann (1. Aufl.) und Martin (beidemale als Str. 78a); ausgeschieden von Leitzmann (ab 2. Aufl.) und Marti. 82, 83, 84 als unecht abgedruckt von Lachmann im App. zu 80 (ohne Kenntnis von M, nach JT J Str. 57–59b), Piper im App. zu 81 (ohne Kenntnis von M; 80a–c in der Form von JT B), Leitzmann (1. Aufl.) und Martin (beidemale als Strr. 78b–d nach 81); ausgeschieden von Leitzmann (ab 2. Aufl.), Marti, Mohr, Gibbs/Johnson und Dallapiazza. 87 als echt abgedruckt von Lachmann im App. zu 86 [=La 82] (ohne Kenntnis von M, nach JT J Str. 61); als echt aufgenommen von Bartsch (ohne Kenntnis von M, als Str. 85), Martin, Leitzmann (1. Aufl.), Gibbs/Johnson (alle als Str. 82a) und Mohr ohne Numerierung; als unecht abgedruckt von Piper (als Str. 85); ausgeschieden von Leitzmann (ab 2. Aufl.), Marti und Dallapiazza.
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Wir werten Strophen, die in Athetese-Klammern [ ] abgedruckt sind, als „als unecht abgedruckt“ außer bei Mohr, der damit nur die Abweichung von G bezeichnen will. Ob dies tatsächlich der Ansicht der Herausgeber bzw. ihrer Bearbeiter entspricht, ist oftmals nicht eindeutig zu ermitteln. Am gravierendsten ist dies im Falle von Piper, der einleitend angibt, die Zusatzstrr. aus dem JT einzuklammern, tatsächlich jedoch alle von Bartsch aufgenommenen Strr. abdruckt, die wenigsten JT-Strr. einklammert, dafür aber einige der HZusatzstrr. Unklar sind auch die Verhältnisse im Falle der von Haupt revidierten 2. Aufl. von Lachmann, der die H-Zusatzstrr. 33 u. 34 einklammert, was unkommentiert von sämtlichen Bearbeitern späterer Auflagen übernommen wird, bis Hartl zusätzlich noch die H-Zusatzstrr. 30, 31 und 53 einklammert, nicht jedoch 36.
22 Weitere für 85 95 99 126 140, 141
Editorisches Vorwort unecht erklärte Strophen: Echtheit von Martin bezweifelt, von ihm als unecht abgedruckt. Echtheit von Schwietering 1925 bezweifelt. Echtheit von Stosch 1881 bezweifelt. Echtheit von Schwietering 1925 bezweifelt. Echtheit von Stosch 1881 bezweifelt.
Weiterhin wurden folgende Strophen des JT für echt erklärt bzw. aus ihm rekonstruiert: nach 80 JT 754: als echt abgedruckt von Lachmann im App. zu 80 (nach JT J Str. 55); als echt aufgenommen von Bartsch (als Str. 81), Mohr (ohne Numerierung nach Str. 80), Gibbs/Johnson und Dallapiazza (beide als Str. 80a); als unecht abgedruckt von Piper (als Str. 81). nach 121 JT 798: als echt abgedruckt von Lachmann (La 116) im App. zu 121 (nach JT J Str. 97); als echt aufgenommen von Bartsch und Piper (als Str. 120). nach 125 JT 803: als echt abgedruckt von Lachmann im App. zu 125 [= La 120] (nach JT J Str. 102); als echt aufgenommen von Bartsch; als unecht abgedruckt von Piper (jeweils als Str. 125). nach 136 Aus JT 952–960, 962–967, 969–976, 978–984 rekonstruiert Bartsch ein 30-strophiges „2. Bruchstück: Gahmuret’s Tod“: als echte Strr. 137–166 aufgenommen von Bartsch und Piper. vor 137 Aus der Str. JT B (Hahn) 1139 ~ JT H (Schröder) 963 [bei Wolf im App. zu 1172; überliefert in JTII und JT B] rekonstruiert Röll 1964 (117–121) eine vermeintlich echte Wolfram-Str. (zustimmend Schröder 1965, ablehnend Bumke 1967). nach 143 Aus JT 1184 rekonstruiert Bartsch eine vermeintlich echte Wolfram-Str.: als Str. 174 abgedruckt von Bartsch; als unecht abgedruckt von Piper. nach 175 Aus JT 1267–1297 sowie JT 1225 rekonstruiert Bartsch ein 32-strophiges „4. Bruchstück: Der Abschied“: als echte Strr. 207–238 aufgenommen von Bartsch und Piper.
1.4 Strophenfolge Auch hinsichtlich der Strophenfolge weichen die Überlieferungen signifikant voneinander ab. Allerdings ist an keiner Stelle abweichender Strophenfolge eine Überlieferung doppelt bezeugt, nimmt man den JT aus. An insgesamt sechs Stellen unterscheidet sich die Strophenfolge von G und H, wobei der JT in vier Fällen bei H steht (Stellung von 18, 28 [weitere Strophen in JT], 59, 68) und in zwei Fällen bei G (Stellung von 8 und 24). In drei Fällen stehen sich G und M gegenüber, wobei der JT in zwei Fällen die Strophenfolge von M bezeugt (Stellung von 101 und 78, in letzterem Falle aber bei Unterschieden in der Strophenanordnung des Abschnitts) und in einem Fall die Strophenfolge von G (Stellung von 79/80). In den von G nicht überlieferten Strophen ist die Strophe 36 in M gegenüber H nach vorne gezogen, was von JTI gestützt wird. Die älteren Herausgeber haben sich weitgehend Lachmanns Praxis angeschlossen, der die Strophenfolge von H bevorzugte, wo diese durch den JT ein-
Die Überlieferung
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deutig bestätigt wurde. Allein die spätere Stellung von 68 in G haben Leitzmann, Marti und Mohr bevorzugt, wobei Marti grundsätzlich die Reihenfolge G abdruckt (bei Athetese sämtlicher HM-Zusatzstrophen). Bei unterschiedlichen Strophenfolgen gegenüber der Lachmann, Bartsch und Piper nicht bekannten Handschrift M folgt allein Martin M, indem er die Strophe 36 vorzieht (er konstruiert so einen geschlossenen, athetierten Strophenblock 33–36–34) und die Strophen 79 und 80 spät stellt. Ein besonderes Problem bietet die Stellung der Strophe 78, die in G später steht als in M und im JT. Dieser Stellung haben sich nur Leitzmann (ab der 2. Auflage), Marti und Mohr angeschlossen, stets ohne Aufnahme der M-Zusatzstrophen (Mohr nimmt JT 754 und Str. 81 auf). Lachmann ist hier von G abgewichen nach dem Zeugnis des JT, worin ihm Bartsch und Piper (ebenfalls ohne Kenntnis von M), später Gibbs/Johnson und Dallapiazza gefolgt sind (letztere ohne die Aufnahme der M-Zusatzstrophen 82–84, allerdings mit Aufnahme von JT 754 und der M-Zusatzstrophe 81). In der Tat mögen an einigen Stellen die Argumente für eine Strophenfolge nach H überzeugend erscheinen. Angesichts eines Textes aber, der in dem Maße von narrativer Brüchigkeit, gestörtem Erzählkontinuum, Einschüben, Vorwegnahmen und unvermuteten Anknüpfungen gekennzeichnet ist wie der „Titurel“, kann narrative Logizität und gedankliche Glätte nicht zur Grundlage einer Entscheidung über die Strophenfolge gemacht werden. Der einzige konsequente Maßstab scheint uns die Überlieferung selbst zu sein, was nur heißen kann, sich auch hinsichtlich der Strophenfolge einer Handschrift – und das kann nur G sein – anzuvertrauen, soweit diese nicht offensichtliche Fehler aufweist. Bumkes allgemeinem, nicht an den Einzelstellen begründetem Urteil – „nirgends ist die Strophenfolge in G eindeutig fehlerhaft“74 – können wir uns in sieben der neun Fälle anschließen. Somit folgen wir auch im Falle der Strophen 59 und 68 der Strophenfolge von G gegen Lachmann und die Mehrzahl der Herausgeber. In zwei Fällen sahen wir uns jedoch gezwungen, von G abzuweichen: Die Stellung der Strophe 18 nach der Strophe 19 (so nur von Marti abgedruckt) scheint uns nicht vertretbar zu sein und muß als in G fehlerhaft bezeichnet werden, ebenso die späte Stellung der Strophe 78 (so abgedruckt von Leitzmann [ab 2. Aufl.], Marti und Mohr). Zur Begründung im einzelnen sei auf den Stellenkommentar zu den Strophen 18/19 bzw. zu Strophe 78 verwiesen. Das Problem der Stellung von Strophe 78, das insbesondere in der Anspielung auf Parzival und Sigune auf der Linde im vierten Vers begründet ist, ist im übrigen unberührt von der Aufnahme oder dem Ausgliedern der M-Zusatzstrophen 81 bis 84.
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Bumke 1973, 156.
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Editorisches Vorwort
Die Stellung dieser vier Zusatzstrophen scheint uns das größte Problem hinsichtlich der Strophenfolge im Text zu sein und ist letztlich wohl nicht befriedigend lösbar. Betrachtet man nur die Partie 77 bis 86, so erscheint es am konsequentesten, die Strophen an der Stelle zu präsentieren, an der sie in der Quelle M stehen: Nach Strophe 78. So ist Martin verfahren, der als erster die Strophen in seinen Text aufnahm (als 78a–d ). Ihm hat sich Leitzmann in der 1. Auflage angeschlossen, ohne jedoch wie Martin dann konsequent bei der Reihenfolge M zu bleiben und 79 und 80 spät zu stellen. Eine Frühstellung von Strophe 78 gegen G, die wir auch ohne die Zusatzstrophen für zwingend halten, ist damit vorauszusetzen – ein Anschluß der Zusatzstrophen an eine spät gestellte Str. 78, also die Stellung vor 86, ist ausgeschlossen. Konsequenterweise müßte man also die gesamte Partie in der Reihenfolge von M edieren, wie Martin. Dies schien uns allerdings in einer Edition, die sich aus prinzipiellen Erwägungen die weitestgehend mögliche Treue zu G, also die Edition einer Fassung G zur Aufgabe gemacht hat, ein ungebührliches Konglomerat der Fassungen zu produzieren: Die Partie 77 bis 86 läge dann in der äußeren Gestalt der Fassung M inmitten eines G-Textes vor. In dem Bestreben, uns so weit als möglich an G zu halten (Frühstellung von 79 und 80 mit G JT gegen M), keine flagranten Widersprüche im Handlungsverlauf zuzulassen (Frühstellung von 78 mit M JT gegen G) und eine Kontamination der Fassungen so weit als möglich zu vermeiden (Frühstellung von 79 und 80 mit G gegen M), haben wir uns hier der durch Lachmanns Stellung der Strophen im Apparat und Heinzles Kommentar bewährten Praxis angeschlossen.75 Dies schien uns angesichts der sich beinahe ausschließenden Forderungen nach Treue zu einer Fassung und Aufnahme aller als ‚echt‘ geltenden Strophen die vertretbarste Lösung. Leitzmanns Verfahren in der ersten Auflage, das auch Bumke bevorzugt, die Zusatzstrophen wie in M und wie Martin im Anschluß an 78 zu geben, 78 dabei nach M und gegen G vorzuziehen, dann aber mit der Stellung der weiteren Strophen wieder zu G zurückzukehren, schien uns demgegenüber problematischer, da diese Folge von keiner Überlieferung gedeckt wird.76 Letztlich müssen diese Lösungen wohl als gleichwertig bezeichnet werden; es bleibt eine Frage der Abwägung, welchen der gleichermaßen fundamentalen editorischen Prinzipien man größeres Gewicht beimißt und von welchen man abzugehen bereit ist – keine der Lösungen ist von dem Vorwurf der Kontamination freizusprechen. Auch hier sei die Behandlung der in Frage stehenden Strophen und ihrer Abfolge in den Editionen wie im Falle der hinsichtlich ihrer Echtheit diskutierten Strophen nochmals im Überblick aufgelistet. Für die in der Forschung vorgebrachten Argumente sei auf den Stellenkommentar verwiesen. 75 76
Vgl. auch die ausf. inhaltlichen Erwägungen im einl. Kommentar zu den Strophen 73–87. So auch Heinzle 1972, XIII Anm. 2.
Die Überlieferung 8 18 24 28 36 59 68
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steht in H nach 10 (gegen G JT): so abgedruckt von Martin und Leitzmann 1. Aufl. Alle anderen Hgg. folgen der Reihenfolge G. steht in G nach 19 (gegen H JT). Der Reihenfolge G folgt allein Marti. steht in H nach 21(gegen G JT): bevorzugt von Zarncke 1880 und Franz 1904. Alle Hgg. folgen der Reihenfolge G. steht in H (~JT) nach 25 (gegen G): bevorzugt von Zarncke 1880 und Franz 1904. Alle Hgg. folgen der Reihenfolge G. steht in M (und JTI ) nach 33 (gegen H). Allein Martin bevorzugt die Reihenfolge M (Strr. 33, 36, 34 athetiert). steht in H JT nach 55 (gegen G): Der Reihenfolge G folgen Marti und wir. steht in H JT nach 65 (gegen G). Der Reihenfolge H JT folgen Lachmann, Bartsch, Piper, Martin, Gibbs/Johnson, Dallapiazza (so auch Zarncke 1880, Franz 1904, Pohnert 1908, Schirok 1974). Der Reihenfolge G folgen Leitzmann, Marti, Mohr und wir. steht in G nach 85 [La 81] (gegen M JT): Leitzmann (ab 2. Aufl., als Str. 81), Marti und Mohr folgen G (ohne Aufnahme der Zusatzstrr. M). stehen in M nach 85 (gegen G JT): Allein Martin bevorzugt die Reihenfolge M (bevorzugt auch von Franz 1904). steht in M ( JT) nach 108 (gegen G). Alle Hgg. folgen der Reihenfolge G.
1.5 Strophenform und Melodie Wolframs „Titurel“ ist das erste höfische Epos, das in Strophen gedichtet ist und nicht in kurzzeiligen – im Französischen 8/9-silbigen, im Deutschen vierhebigen – Reimpaarversen. Strophische Epik findet sich vor Wolfram nur bei heldenepischen Stoffen, etwa dem „Nibelungenlied“. Die Verwendung des sicherlich von Wolfram konzipierten Titureltones durch spätere Autoren für verschiedenen Textsorten – für Albrechts höfischen Gralroman „Der jüngere Titurel“ (um 1270), Hadamars von Laber Minneallegorie „Die Jagd“ (1. H. 14. Jh.), zwei Minnelieder Ottos zem Turme II (1. Drittel 14. Jh.),77 Teile aus Heinrichs von Mügeln lateinischer „Ungarnchronik“ (2. H. 14. Jh.), dem „Cisiojanus“ des Mönchs von Salzburg (2. H. 14. Jh.),78 Ulrich Füetrers später Kompilation der höfischen Romane im „Buch der Abenteuer“ (2. H. 15. Jh.) – erfolgte ausschließlich in der metrisch strikteren und durch Zäsurreim verfestigten Form Albrechts. Nimmt man die im deutschen Literatur- und Sprachraum heimische heldenepische Strophe als primäres Vorbild an, so wird man zugestehen müssen, daß mögliche Parallelen im narrativen Stil zwar deutlich vorhanden, aber ebenso deutlich gebrochen sind. Eine befriedigende Antwort 77 78
In „Die Schweizer Minnesänger“. Hg. v. Karl Bartsch, XXXI: ‚Her Otte zem Turne II‘, Lied I. u. II, 385–388. Die „Ungarnchronik“ Heinrichs von Mügeln unter der Sigle HeiMü 410 in RSM 4 (1988), 93; die Jahrweise des Mönchs unter der Sigle Mönch/3 in RSM 4 (1988), 357 f.; zum Titurelton in der Meistersangtradition s. Brunner 1979, 151 u. 164 Anm. 26; Johannes Rettelbach: Variation – Derivation – Imitation. Tübingen 1993, 270 u. 294.
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auf die Frage, was Wolfram zu dieser strophischen Form bewogen haben mag, ist dadurch kaum zu gewinnen. Es ließe sich auf die Neigung zu Erzählerkommentar und Vorausdeutung im vierten Vers verweisen, die die NibelungenStrophe charakterisiert (dort unterstützt von einer signifikant abweichenden Metrik des vierten Verses, die bei Wolfram nicht vorliegt). Im „Titurel“ jedoch ist dies nicht mehr als eine Möglichkeit unter vielen, wechselnde Erzählerrollen und narrative und stilistische Ebenen zu markieren.79 Auch mag der elegischdüstere Duktus, der zumindest die ersten Partien des „Titurel“ kennzeichnet, heldenepischem Erzählgestus mehr entsprechen als dem höfischen Roman. Mertens deutet die Strophe als konsequente und organische Weiterentwicklung der Nibelungen- und Kudrunstrophe durch Verlängerung des zweiten und vierten Abverses und Reduktion des dritten Verses.80 Dieser Herleitung, nach der sich der „Titurel“ der Form nach ganz zur strophischen Heldenepik stellt,81 hat Bertau wohl zu Recht entgegengehalten, daß es sich, anders als bei der gleichsam klassizistischen „Kudrun“, bei der Titurelstrophe um ein „erfundenes Zitat“ handelt, selbst ein „Requisit“ des Erzählens.82 Solchem artifiziellen Manierismus ist die Anknüpfung an die Rhetorik und Form der Heldenepik nur einer unter vielen Aspekten fiktionaler Inszenierung des Erzählens.83 Denn Wolframs „Titurel“ stellt sich formal wie stilistisch einmal mehr als ein Novum in Form einer Hybride dar, im Schnittpunkt verschiedener Gattungen und ihren formalen und sprachlichen Traditionen: Die Strophenform korrespondiert nicht nur mit heldenepischen Zügen im Text, sondern ebenso mit Merkmalen der Liedlyrik. Dies gilt nicht nur für sporadische Lyrismen, allen voran die exorbitante Liebesklage der Sigune in den Strophen 122 bis 124, deren deutlich lyrischer Gestus immer wieder mit dem sog. ‚donauländischen Minnesang‘ in Verbindung gebracht wurde84 (die ihren verbreiteten Langzeilen-Ton mit dem Nibelungenlied teilt), sondern auch aufgrund einer strukturellen Verwandtschaft des Titurel-Tons mit der Kanzonenform. Das äußere Charakteristikum der klaren, durch Paarreim konstituierten Zweiteiligkeit aa bb, wie es den epischen Tönen von der Nibelungenstrophe, Kudrunstrophe bis zum Hildebrandston eignet, wird überlagert von einer an eine stollige Kanzonenform erinnernden Struktur: Die ersten beiden Verse lassen sich als die Stollen des Aufgesangs auffassen, der dritte, kürzere Vers als signifikant abweichender Beginn des Ab79
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Auf die verschiedenen Erzählerrollen und Wolframs Adaption heldenepischen Erzählstils hat insbes. Mertens (1996) hingewiesen. Mertens 1970, 234–239. Die Titurelstrophe steht nach Mertens in einer organischen Entwicklungsreihe nach der Nibelungenstrophe und der Kudrunstrophe und vor Klingsors ‚Schwarzem Ton‘, der aus der Titurelstrophe hervorgegangen sei. Mertens 1993, 198. Bertau 1983b, 79. Ähnlich jetzt Mertens 1996, 370 f.; Wyss 1974, 255 ff. Vgl. auch unten zur Artifizialität der Strophenform. Vgl. dazu den Stellenkommentar zu diesen Strophen und den einl. Kommentar zu den Strr. 113–136.
Die Überlieferung
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gesang, wobei der vierte Vers die Form des zweiten aufnimmt und also die stollige Form einem Rundkanzonen-Typus annähert.85 Aufgrund der dreifachen Wiederkehr des vierhebigen Anverses bei variablen Anschlußteilen ist auch an eine Verwandtschaft zum mittelhochdeutschen Leich gedacht worden.86 Die systematische Einführung des Zäsurreims in den ersten beiden Versen bei Albrecht und den späteren Adaptoren des Tones zeigt die Nähe zur Kanzone noch deutlicher: Die Albrecht-Strophe ist auch als Siebenzeiler mit dem deutlich kanzonenhaften Reimschema ab ab / cxc zu lesen. Insbesondere aber zeigt sich das Kanzonen-artige des Tons im Zusammenhang mit der unten zu besprechenden Melodie. Schon allein aus der Beobachtung des Textes aber erhellt, daß Wolfram für seinen Text ein neues und eigentümlich Form-Gebilde geschaffen hat. Lachmann hatte ein metrisches Grundgerüst 4+4a / 4+6a / 6b / 4+6b vor Augen, also eine achtaktige und zwei zehntaktige Langzeilen mit Zäsur jeweils nach der vierten Hebung, unterbrochen von einem unzäsurierten sechshebigen Vers. Der Paarreim wie auch die klingende Kadenz am Ende der Verse (zumeist zweisilbig, selten auch dreisilbig) sind nirgends anzuzweifeln. Alle anderen metrischen Merkmale jedoch sind kaum sicher zu benennen. Der überlieferte Text sperrt sich, in G im ganzen mehr noch als in H, einer Einordnung in dieses – oder auch ein anderes fixes – Schema. Selbst wenn man nebentonige Silben, Kontraktionen und Verschmelzungen gegenüber dem überlieferten Text frei handhabt, wird man weder prinzipielle Alternation, noch eine systematisierbare Auftaktregelung erreichen; auch wird man zahlreiche Verse nicht in ein achtbzw. zehntaktiges Schema pressen können. Allzu viele Verse bleiben zu lang, andere zu kurz87 und können nur durch Annahme extensiver Freiheiten (dreifacher Auftakt, mehrfacher Hebungsprall und Ähnliches) dem Taktmodell mit sprechmetrischem Instrumentarium kompatibel gemacht werden. Versucht man zudem, eine Zäsur zu setzen, wofür häufig nur eine klingende Kadenz in Frage kommt, die zusätzlich einen ganzen Takt für eine nebentonige Silbe benötigt, so verschärft sich das Problem der Überfüllung bzw. Unterfüllung nochmals. Aus diesem Befund lassen sich sehr unterschiedliche Schlußfolgerungen ziehen. Im wesentlichen sind vier Wege beschritten worden: 85
86 87
So zuerst Jammers 1963, 77. Zustimmend und präzisierend Brunner 1970, 151; Brunner 1997, 218 und insbes. Brunner 1979, 309 f. Ganz aus Längung und Reduzierung einer gleichmäßigen Doppellangzeilenstruktur erklärt dagegen Mertens (1970, 236 ff.) die Form. Beyschlag 1964, 175. Dagegen Mertens 1970, 234 u. Anm. 70. Aus der Fülle problematischer Verse seien nur einige als Beispiele genannt. Überlange Verse finden sich häufig in der zweiten und vierten Zeile, häufiger noch in der vierten: 46,4; 50,4; 64,4; 72,2; 75,4; 83,4; 88,4; 111,2; 133,3; 134,2; 134,4; 141,4; 147,4; 160,4; 165,2; 165,4; 171,4; 173,2. Kurze Verse sind zumeist zweite Verse (7,2; 9,2; 16,2; 24,2; 28,2; 47,2; 124,2), aber auch in einigen signifikanten Fällen erste: 19,1; 78,1; 122,1; 123,1; 124,1; 163,1. Die größere Regelmäßigkeit der dritten Verse ist evident; aber auch hier gibt es einige deutliche Unterfüllungen (etwa 35,3; 104,3; 144,3).
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Editorisches Vorwort
1. Der überlieferte Text ist vielfach verderbt und muß mit Hilfe der Nebenüberlieferung und freien Eingriffen in die Textgestalt zugunsten metrischer Glätte gebessert werden. Der Besonnenheit Lachmanns, der trotz zahlreicher Eingriffe und Bevorzugungen von H und JT aus offensichtlich metrischen Gründen eingestand, daß es ihm nicht überall gelungen sei, „den versbau nach seiner regel wieder herzustellen“, so daß „ein geschickter leser […] sich durch besserungen aus dem stegreif zuweilen selbst helfen müssen“ wird,88 schlossen sich die späteren Herausgeber zumeist nicht an und stellten durch zahlreiche, oft weitgehende Eingriffe in die überlieferte Textgestalt die oben benannte Grundform als festes Schema her.89 Auch die ältere Forschung verband ihre metrischen Analysen stets mit dezidierten Ansichten über eine ‚originale‘ Textgestalt bzw. über metri causa zu tilgende oder zu sprechende Silben, was nicht selten in eine zirkuläre Argumentation führt.90 2. Der überlieferte Text bietet nur eine vorläufige Textgestalt, die ihre endgültige Form noch nicht erreicht hat und nicht nur inhaltlich sondern auch formal gleichsam ‚fragmentarisch‘ ist. Diese von Wolfgang Mohr vertreten These, die er auch durch die von ihm exemplarisch analysierte Metrik erweisen möchte,91 nimmt immerhin an, daß eine strengere Form von Wolfram beabsichtigt gewesen sei. Zu unterscheiden, was der vermuteten „Vorläufigkeit“ und was einer eigenwilligen und nicht in Regeln zu fassenden Form- und Sprachbehandlung Wolframs zuzuschreiben ist, ist allerdings in höchstem Maße spekulativ.92 3. Wolframs Titurel-Strophe folgt nicht einem gleichförmigen Modell, sondern läßt von Strophe zu Strophe mehrere Möglichkeiten zu. Maßgeblichen Einfluß auf die Beurteilung der „Titurel“-Strophe hatte Heuslers Urteil, daß mit einem Nebeneinander unzäsurierter langer Zeilen und zäsurierten Langzeilen zu rechnen sei, wobei er auch „stumpfe“ Anverse mit nicht ausgeführtem viertem Takt zuläßt.93 Neigte Heusler zu der Ansicht, daß sich Zäsuren in den primär acht- und zehntaktigen langen Zeilen, nur gleichsam sekundär einstellten, 88 89
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Lachmann 1833, Vorrede XXIX. Insbes. gilt dies für Bartsch, Piper, Martin und Leitzmann. Leitzmann hat seinen Text zudem noch nach der von ihm vertretenen Ansicht erstellt, daß wie die Abverse auch sämtliche Anverse klingend kadenzieren müßten. Die jüngeren Herausgeber (Gibbs/Johnson, Dallapiazza) verzichten aus Einsicht in die Unwägbarkeiten in die genaue metrische Gestalt der Verse auf die Setzung einer Zäsur. Mohr gibt zwar an, in der zweiten und vierten Zeile durch Zeilenumbruch die Zäsur markiert zu haben, doch da er den Zeilenumbruch „nicht in jedem Fall“ als Ort der Zäsur verstanden wissen will (1978, [14]), ist seine Metrik der Verse außer in den wenigen dezidiert im Vorwort besprochenen Fällen ([13] ff.) nicht zu ermitteln. Hier sind zu nennen Jander 1883, Pohnert 1908, Kiefner 1952. Die These ist formuliert von Mohr 1977, 123–125; die metrische Analyse findet sich im Vorwort zu seiner Ausgabe 1978, (11)-(22). Ähnliche Überlegungen im Hinblick auf Vorlaufigkeit stellen schon Atkins (1920, 138–143) und Kiefner (1952) an. So auch Stutz 1989, insbes. 482 f. Heusler 1927, 141 f.
Die Überlieferung
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so rechnen neuere sprechmetrische Analysen neben vereinzelten langen Zeilen mit prinzipiell zäsurierten Langzeilen, die auch freiere Zäsuren (5+3- oder 3+5-taktige erste Verse, 6+4-taktige zweite Verse) zulassen.94 Dabei ist das Heuslersche Modell der Sprech-Metrik durch zahlreiche subtile Unterregeln zu erweitern und mit großen Freiheiten Wolframs in der Handhabung eines Strophenmodells zu rechnen (dreifacher Auftakt, überstumpfe Verse, häufige Binnenpausen, viersilbige Taktfüllung, Vielfalt der Kadenzformen).95 Immerhin teilt noch die subtilste solcher Analysen erstens den Optimismus Heuslers, der Text lasse sich in Kategorien enger und freier Befolgung von Regeln beschreiben und stilistisch-rhetorisch fruchtbar machen, und zweitens die Prämisse Heuslers, daß die Form mittelalterlicher deutscher Dichtung als rhythmisiertes Sprechen im Verhältnis zum natürlichen Wortton beschrieben werden muß. Dies ist die entscheidende Differenz zu einer musikalischen Perspektive auf die Texte. 4. Die strophische Dichtung ist mit Sicherheit als Sologesang vorgetragen worden und somit, zumindest im Prinzip, auch als zu singende Dichtung konzipiert worden – und so auch Wolframs „Titurel“. Die Textmetrik kann nicht mehr beschreiben als eine Spur oder Niederschlag der Melodie in der Überlieferung und kann somit die tatsächliche orale bzw. vokale Existenzform der Texte im Detail kaum erfassen. Denn erstens sind die Handschriften ‚entmusikalisiert‘, d. h. als schriftliche Texte wohl vielfach ohne Rücksicht auf die Vortragsgestalt niedergeschrieben (metrisch wichtige Phänomene wie Synkope, Apokope, Kontraktionen u. Ä. dürften oftmals auf die gesprochene, dialektal bestimmte Sprache bzw. die Schreibgewohnheiten des Schreibers zurückgehen); und zweitens ist dem musikalischem Vortrag ein höheres Maß an Variabilität und Gestaltungsfreiheit eigen, sowohl hinsichtlich der bevorzugten Verteilung der Silben auf die Töne bzw. musikalischen Phrasen, als auch hinsichtlich des Verhältnisses von gesungener Sprache und gesprochener Sprache mit ‚natürlichem‘ Wortton. Im Falle der „Titurel“-Strophe liegt nun der seltene, zumindest in Deutschland wohl einmalige Fall vor, daß ein epischer Text mit einer zu ihr passenden Melodie in einer Handschrift überliefert ist.96 Es handelt sich allerdings nicht um eine Wolfram-Handschrift, sondern um die vermutlich älteste Handschrift von Albrechts „Jüngerem Titurel“, den Codex 2675 der Österreichischen National94
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Mit einer Teilung 5 : 3 (3 : 5) bei ersten Versen rechnet Stutz (1989, 476 ff.); eine Teilung 6 : 4 neben 4 : 6 in zweiten und vierten Versen erwägt März (1992, 31), der freilich nicht sprechmetrisch sondern ebenso sehr von der Melodie her argumentiert. Zur Ambivalenz und Variabilität von Wolframs Handhabung des vierhebigen Reimpaarverses, überladenen Auftakten, viersilbigen Taktfüllungen, sporadischer Fünfhebigkeit s. Lomnitzer 1972. Zu weiteren Epenmelodien in Deutschland vgl. Brunner 1970 u. Brunner 1979; auch Bertau/Stephan 1965/57, Beyschlag 1964 u. Bertau 1965.
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Editorisches Vorwort
bibliothek in Wien. Die Pergamenthandschrift, die neben dem vollständigen Text des JT (Wolfs Leithandschrift mit der Sigle A) den Anfang des „Wartburgkrieges“ enthält, stammt vom Anfang des 14., vielleicht schon vom Ende des 13. Jahrhunderts.97 Auf der Rückseite des Vorsatzblattes (Iv) findet sich eine Titurelstrophe mit Noten in Hufnagelnotation auf fünflinigem Notensystem. Das sechs und eine viertel Zeilen bzw. Notensysteme umfassende Stück nimmt etwa einen Raum von 125 × 72 mm ein und befindet sich auf der rechten Seite der oberen Hälfte des Blattes. Geschrieben ist es nicht von der Hand des Schreibers des Haupttextes, aber ebenfalls in einer sorgfältigen Textualis. Darunter finden sich von deutlich späterer Hand (nach Wolf vielleicht 100 Jahre jünger) noch einmal die ersten beiden Verse des selben Textes als Federprobe. Der Text lautet strophisch gesetzt (zu den Zeilenwechseln s. die Transkription der Melodie): Iamer ift mir entfprungen • ach mei lait ift vefte • Owe clag hat betwugen • mein fendes hercz • ouf dirre linden efte • Hoher mvt troft vreude mvs fich decken • fufczen travren wainen • wil ich han vm difen werden recken • Dieser Text98 ist an keiner anderen Stelle überliefert. Daß er von Wolfram stammen könnte, scheidet wohl aus inhaltlichen, sprachlichen wie formalen Gründen aus:99 Nicht nur der Zäsurreim (der ja kein generelles Ausschlußkriterium aus dem Wolfram-Corpus sein muß; vgl. dazu Kap. 1.3) sondern auch die metrische Glätte mit durchgehender Alternation deutet auf ein engere Verwandtschaft mit Albrechts Werk. In der Wolfram-Überlieferung findet sich wohl keine einzige Strophe, die hinsichtlich metrischen Gleichmaßes mit dieser Strophe vergleichbar wäre. Inhaltlich steht der Text – eine Klage Sigunes auf der Linde über den toten Schionatulander – freilich außerhalb der beiden „Titurel“-Stücke, sie nimmt das eindrückliche Bild von Sigune auf der Linde mit dem Toten im Arm aus dem „Parzival“ (249,11 ff.) auf, auf das auch Strophe 78,4 des „Titurel“ anspielt. Da aus sprachlichen und formalen Gründen auch Albrecht als Verfasser unwahrscheinlich ist,100 ist wohl mit Mertens an eine einstrophige oder auch aus einigen Strophen bestehende „Siguneklage“ in Form eines Rollengedichts zu denken, wie es nach dem Vorbild der Marienklage geschaffen 97
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Beschreibung der Hs. bei Menhardt I, 1960, 86, und bei Wolf Ausg. I (1955), XLIV–LIII. Wolf vermutet eine bairische Vorlage, die auf Ostmitteldeutschem Gebiet (Böhmen?) abgeschrieben wurde. vreude in V.3 ist durch überschriebenes re aus vude korrigiert. Aufgrund der durchgeführten Diphthongierung kann die Schreibsprache als bairisch bezeichnet werden. Die monophthongierten Formen mut und mus in V. 3 deuten auf mitteldeutschen Einfluß (Abschrift; wie von Wolf für den Haupttext vermutet), will man nicht fehlende Diphthong-Markierung annehmen, was nicht auszuschließen ist. Die Argumente erwägt ausf. Mertens 1970, 221–223. Dazu Wolf 1959, 175 ff. sowie Mertens 1970, 220.
Die Überlieferung
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worden sein könnte.101 Bemerkenswert ist allemal, daß man um 1300 in mehreren Richtungen und Gattungen an der Sigune-Gestalt weitergearbeitet hat,102 wie diese Strophe und die ebenso wahrscheinlich schon um 1300 auseinandertretenden Fassungen des JT zeigen. Die Aufzeichnung der Melodie über dem Text ist sorgfältig, die Zuordnung der Textsilben zu den Noten ist eindeutig.103 Eine weitere, durch starke Spuren des Zersingens gekennzeichnete Fassung der Melodie findet sich in der „Kolmarer Liederhandschrift“ (Cgm 4997) auf fol. 662ra mit der ersten Strophe des „Cisiojanus“ (der „Jahrweise“) des Mönchs von Salzburg.104 Dies zeugt davon, daß die Melodie bzw. der Ton wohlbekannt war, denn ein Merkvers wie ein Kalendergedicht wird schwerlich auf einen wenig bekannten Ton verfertigt worden sein.105 Bertau und Stephan haben auf der Basis immanenter Kritik und eines Vergleichs mit der Kolmarer Melodie die Wiener Melodie bereinigt und kritisch ediert.106 101 102
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Ausf. Mertens 1970, 223–231. So auch Mohr (1978, 1069), der eine nicht überlieferte „Gattung der romanzenhaften Rückblickselegien“ annimmt, wie sie in eddischen Liedern überliefert sind. Die Noten sind als Punctum und Virga notiert, auch die Mehrtonfiguren (mit Ausnahme der Clivis) sind aus Punctum und Virga zusammengesetzt. Die Differenzierung im Gebrauch beider Zeichen ist offenbar rein graphischer Natur (so sind jeweils die Hochtöne der Mehrtonfiguren mit Cauda versehen, bei der Siebentonfigur auch die Anfangsnote). Es findet sich eine Dreitonfigur (Climacus, Anverskadenz von V.1), zweimal die gleiche Viertonfigur (auf verschiedener Tonhöhe im Abvers von V. 1 und in V. 3) sowie zweimal die gleiche finale Siebentonfigur (Abverskadenz der Vv. 2 u. 4). Dazu kommt zweimal die gleiche Virga mit Liqueszenz (auf den Nasal in betwungen und den Diphthong in wainen in der Anverskadenz der Vv. 2 u. 4), zweimal die gleiche Clivis (Anverskadenz der Vv. 2 u. 4) sowie eine weitere Clivis in Vers 3 (auf vreude). Das Auftakt-f des Abverses von V.4 ist zweimal notiert, das erste Mal als kleiner erster Ansatz. Dazu Bertau/Stephan 1956/57, 267. – S. das vergrößerte Faksimile der Melodieaufzeichnung im Anhang dieser Ausgabe. Faksimile der „Kolmarer Liederhandschrift“ hg. v. U. Müller, F. V. Spechtler u. H. Brunner, 2 Bde., Göppingen 1976 (= Litterae 35); in Konkordanz mit der Wiener Titurelmelodie abgedruckt von Bertau/Stephan 1956/57, 265; zur Charakterisierung der Kolmarer Melodie im Vgl. mit der Wiener ebd. 263–267; Text bei Franz Victor Spechtler: Die geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg. Berlin/New York 1972, 338–342 (= Lied G 45: Besniten wirdigkleichen). Dazu Bertau 1965, 10. Brunner macht dafür, daß der Ton in der Meistersang-Tradition eine so geringe Rolle spielt, die dort ungeliebte nicht-stollige Form verantwortlich (Brunner 1970, 151). Unter dem Namen Wolframs überliefert die Meistersang-Tradition zwei Töne, die „Flammweise Wolframs“ und die „Höneweise Wolframs“ (dazu Brunner 1970 u. 1979), die indes zu keinem der von Wolfram überlieferten Texte passen. Bertau/Stephan 1956/57, 270; unterlegt ist Wolframs Str. 30 und parallel die entsprechende Str. 689 des JT. Die Bereinigung ergibt im wesentlichen folgende Änderungen gegenüber der hs., von uns wiedergegebenen Aufzeichnung: 1. Hinzufügen eines fakultativen Auftakttones d im Anvers von Zeile 4 (anders aber Mertens 1970, 220 f.); 2. Angleichung der Anverskadenz in Zeilen 2 u. 4 an Zeile 1 zur Folge a–g–f; 3. Hinzufügen eines a in Zeile 2 u. 4 vor der Anverskadenz, entsprechend Zeile 1 (auffälligerweise stehen in den abweichenden Zeilen 2 und 4 die kadenzierenden Silben betwun-/-gen und wai-/-nen im Zeilenwechsel, was evtl. zusätzlich darauf hindeuten könnte, daß es sich um eine einrichtungsbedingte Notationsvariante zum Climacus in Zeile 1 handelt und nicht um liqueszierendes a); 4. Hinzufügen eines fakultativen Auftakttones f im Abvers von Zeile 1; 5. Hinzufügen eines vierten d im Abvers von Zeile 4 (zu Begründungen im einzelnen Bertau/
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Editorisches Vorwort
Der Melodie im hypolydischen Modus eignet aufgrund der Armut an Melismen außerhalb der Kadenzen und des im Ambitus begrenzten Umspielens der Finalis f und des umgebenden Terzraumes mit den Rezitationstönen a bzw. d (in und ) ein rezitativischer Charakter. Der Aufbau entspricht dem textmetrischen Modell der Titurelstrophe: / / / .107 Die Wiederholung der Distinktion (entspricht dem Abvers der zweiten und vierten Zeile) unterstreicht, zumal durch ihr ausführliches Melisma auf der Finalis f, die klare Zweiteiligkeit. In , und ist die Finalis f zentraler Ton, es wird stets der begrenzte Tonraum d – f – a umspielt. Die Distinktion , der Beginn der zweiten Strophenhälfte mit der dritten Zeile (textmetrisch die einzige Nicht-Langzeile), konstrastiert deutlich: Sie beginnt – in Synapie mit der vorausgehenden Finalis von – mit f, um dann den unteren Tonraum um d zu umspielen. Dabei stellt die zweite Hälfte von eine Wiederholung von in der Unterquinte dar, charakteristisch mit dem kleinen Melisma im vorletzten Volltakt. Zugleich ist, wie schon am Text festgestellt, auch in der Melodie diese Doppelstruktur durch eine dreiteilige Struktur überlagert. Der dreimal gleiche Zeilenbeginn durch in der ersten, zweiten und vierten Zeile wird signifikant unterbrochen von der kontrastierenden Distinktion . Die ganze vierte Zeile ist metrisch und musikalisch identisch mit der zweiten, der Schluß des Abgesangs nimmt also den Schluß des Aufgesangs wieder auf. Die klare Zweiteiligkeit wird demnach überlagert von einer rundkanzonenartigen Struktur AA 1 / BA1, wie es schon am metrischen Modell zu beobachten war. Von daher ist man geneigt zu sagen, daß Albrechts Bearbeitung der Strophe mit dem nun klaren Zäsurreim ab / ab und der dadurch hergestellten Siebenteiligkeit des Schemas (ab ab / cxc) diesem in der Melodie manifesten Kanzonenmuster besser entspricht.108 Dies Argument läßt sich indessen auch umdrehen und zu einem entscheidenden Indiz für das höhere Alter der Melodie gegenüber Albrecht, mithin für eine Autorschaft Wolframs machen: Im Falle von Zäsurreim in den ersten beiden Versen werden die reimenden Verse zugleich durch die gleiche Melodie gebunden. Solche Überbetonung, die andere Epenmelodien vermeiden, ließe sich als „manieristischer Stilzug der Übersteigerung“, mithin als spätere Formalisierung werten.109 Hinzu kommt, daß die bei Wolfram gehäuft zu beobachtende,
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Stephan 265 ff.). Eine andere Strophe (Str. 115) unterlegt Brunner (1997, 219) seiner neutralen Transkription. Die anderen Abdrucke der Melodie unterlegen den Text der „Sigunenklage“ oder keinen Text. Weitere Editionen (teils mit Eingriffen; vgl. zu den älteren kritisch Mertens 1970, 231 ff.) finden sich bei H. J. Moser: Geschichte der deutschen Musik, Bd. I., 4. Aufl. 1926, 163; Jammers 1957, 73; Jammers 1963, 149–50; Taylor 1964, Melodieband 17 f. u. 40; Bertau 1965, 9; Paul/Glier 1966, 73; H. J. Moser u. J. Müller-Blattau: Deutsche Lieder des Mittelalters, Stuttgart 1968, 71; Beyschlag 1969, Melodiebeilage Nr. 15; Mohr 1978, 107; Brunner 1979, 308. Eine ausführliche Beschreibung und Analyse der Melodie insbes. im Vergleich mit anderen Langzeilen-Tönen findet sich bei Bertau/Stephan 1956/57, 265 ff.; Mertens 1970, 233 ff.; Brunner 1979, 307 ff. So vor allem Brunner 1979, 309. Mertens 1970, 233 f.; ähnlich schon Bertau/Stephan 1956/57, 268 f.
Die Überlieferung
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bei Albrecht hingegen sehr seltene Neigung zu einsilbig gefüllten Takten (beschwerte Hebung, Binnenpause) auffallend gut zu vermutlich sekundären Tonspaltungen sowohl in der Distinktion als auch paßt.110 Diesen Beobachtungen kommt letztlich wohl kaum beweisende Kraft zu. Sie zeigen aber zumindest, daß die Wiener Melodie ebenso gut zu der freieren, nicht zäsurgereimten wolframschen Form der Strophe paßt, in mancherlei Hinsicht womöglich besser als zu Albrechts Strophe (und den folgenden Adaptoren des Titureltons in Albrechts Überformung). Da auch der Verweis auf einen von Wolfram übernommenen don nach meister sanges orden in der sog. ersten Hinweis-Strophe des „Jüngeren Titurel“ problematisch bleibt,111 wird man der Melodie einen ähnlichen Status zuweisen müssen, wie etwa den JT-Strophen, die sich zwischen bezeugten Wolfram-Strophen finden: Einiges mag auf Wolfram zurückgehen, dies ist sogar wahrscheinlich; was aber Wolfram angehört und was einer späteren Bearbeitung, ist nicht zu entscheiden.112 Da demnach nichts dagegen spricht, daß die Melodie – oder Wesentliches davon – von Wolfram stammt, ist es zumindesten erhellend und allemal reizvoll zu versuchen, die Strophen Wolframs mit der Melodie auszuführen.113 Jede Verteilung der Textsilben auf die Noten ist von vornherein spekulativ, da kaum im Detail zu beurteilen ist, mit welchen Freiheiten und spontanen Varianten ein Sänger des 13. Jahrhunderts Text und Melodie ausführte. Zudem ist
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Dies betrifft das verdoppelte f im dritten Volltakt von und das verdoppelte d im dritten Volltakt von ; Näheres bei Bertau/Stephan 1956/57, 267 f. Daß in der ersten der sogenannten ‚Hinweisstrophen‘ des „Jüngeren Titurel“ ( JT 499 A) der Bearbeiter Albrechts bezeugt, er habe die Strophenform zusammen mit der Melodie von Wolfram übernommen (so Bertau/Stephan 1956/57, 269 f. u. Bertau 1973, 1167), setzt die Richtigkeit der nur in den Handschriften JT A und JT B überlieferten Lesung her Wolfram voraus, die Werner Schröder (1993, insbes. 23 ff.) zugunsten von ich Wolfram in allen übrigen Handschriften mit guten Gründen angezweifelt hat. Die Strophe lautet nach JT R: Mit reymen schon zwigenge | sind disew lieder worden / gemessen rechter lenge | gar in ir done nach maister sanges orden. / ze vil, ze chlain tst ain liet verswachet. / ich Wolfram bin [her Wolfram si JT AB] unschuldig: | ain schreiber dichke recht vnrichtig machet. Da der Bearbeiter bzw. Albrecht die Wolfram-Fiktion an dieser frühen Stelle nicht „aus heiterem Himmel“ aufgegeben haben könne, um sie später wieder zu restituieren, muß die Lesung ich Wolfram vorzuziehen sein. Dann aber geht es in dieser Strophe nicht um Wolframs „ursprünglich“ doppelten Reim (im Gegensatz zu den drei Reimpaaren der Albrecht-Strophe), sondern lediglich „um von Schreibern verursachte oder zu befürchtende Störungen der rhythmischen Struktur“ (Schröder 1993, 28), gesprochen von Albrecht (oder seinem Bearbeiter) in der Wolfram-Maske und hinsichtlich seines eigenen Tones. Die Autorschaft Wolframs nahm wohl zuerst H. J. Moser an (Geschichte der dt. Musik I, 4. Aufl. 1926, 163); die Forschung hat sich diesem Urteil zumal seit Bertaus und Stephans Analysen weitgehend angeschlossen. Moser/Müller-Blattau drucken die Melodie unter dem Namen „Pseudo-Wolfram“ ab (Deutsche Lieder des Mittelalters. Stuttgart 1968, 71); Bumke äußert sich kritisch zu einer Zuschreibung an Wolfram (Bumke 1970, 42 f.; zuletzt vorsichtig Bumke 1999, 1409). Es liegt seit 1995 eine CD-Einspielung von Wolframs „Titurel“ nach dem Text von Wolfgang Mohr mit der Wiener Melodie vor: Wolfram von Eschenbach: Titurel. Reinhold Wiedenmann (Gesang), Osvaldo Parisi (Laute). Koch International GmbH Schwann 1995, Nr. 3-1832-2.
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Editorisches Vorwort
die handschriftliche Textüberlieferung ‚entmusikalisierte‘ Überlieferung, die für die Silbengestalt hinsichtlich melodischer Ausführung im einzelnen kein sicheres Zeugnis abgibt. Versucht man, Wolframs Text, wie ihn die Handschrift G überliefert, mit der Wiener Melodie zu realisieren, so ergeben sich einige plausible Möglichkeiten, die in sprechmetrischen Maßstäben überkurzen oder überlangen Verse zu deuten. Für die überlangen Verse bieten die Rezitationstöne der Melodie eine Möglichkeit zur Erweiterung strenger Taktbeschränkung. Insbesondere in den zweiten und vierten Versen, die ein zehntaktiges, gar ein 4 + 6-taktiges Schema häufig sprengen (s. oben), steht im Abvers (= Distinktion ) der Rezitationston d zur Verfügung.114 Für die kurzen Verse haben Bertau und Stephan bereits auf die ursprünglich wohl fakultativ einsilbig zu füllenden Takte in den Anversen der Langzeilen (= Distinktion ) und den langen, sechstaktigen Abversen (= Distinktion ) hingewiesen.115 Damit ist zwar deutlich, wie selbstverständlich von Alternation abgewichen werden kann – mit „beschwerter Hebung“ und „Tonversetzung“ gerade in den sechstaktigen Abschnitten ist immer gerechnet worden –, die schwierigsten Verse sind allerdings nicht zu erklären. Will man die Melodie nicht als ein bloßes Rezitationsmodell verstehen, daß sich weithin beliebig dehnen wie kürzen ließe, so wird man etwa die ersten Zeilen der Strophen 122 bis 124, worauf Christoph März nachdrücklich hingewiesen hat, nur schwerlich mit der Wiener Melodie vereinbaren können.116 Zieht man jedoch – jenseits der Melodie – Wolframs Handhabung des vierhebigen Verses im „Parzival“ vergleichend heran, so zeigt sich, daß auch hier das metrische Modell bis zum Äußersten gespannt wird.117 „Parzival“-Versen wie ez wáz Méljáhkànz (Pz. 125,11), si híez Jéschútè (Pz. 125,11), gar Cúndwìr ámùrs (Pz. 283,7) mögen im „Titurel“ die Verse (von) Támpúntéirè (22,1), Bélákánèn (37,1), vón Ánphlísèn (39,1), Sígùne wárt daz kìnt (24,1)118 entsprechen. Die Einführung oder emphatische Betonung der oft exotischen Namen war den Metrikern stets Grund genug, solche Verse zu akzeptieren. Einen plausiblen Grund, solches nicht auch für besondere Emphase ohne Namensnennungen in Anspruch nehmen zu können, gibt es nicht. Diesem ‚Muster‘ ließen sich demnach auch Halbverse wie únt dìu st ætè ´ / gebár mìt tódè 114
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Brunner (1997, 219) hat das freie Verweilen auf dem Rezitationston in seiner Textierung der Melodie mit Str. 115 vorgeführt: Er ergänzt im überlangen Abvers von V. 4 dreimal d gegenüber der hs. Überlieferung (= zweimal d gegenüber der bereinigten Edition von Bertau/Stephan). Bertau/Stephan 1956/57, 267 f. Vgl. oben zu der Zuschreibung zu Wolfram. März 1992, 31, der damit im Grunde Heuslers und Mohrs Ansicht in modifizierter Weise bestätigt, daß mit einzelnen unzäsurierten ersten Zeilen zu rechnen sei, die er freilich im Falle der Strophen 122–124 als Sechstakter versteht. Bertau/Stephan führen ihre Überlegungen zu den ‚stumpfen Anversen‘ nicht weiter aus und bleiben bei Andeutungen: „Es mag beim musikalischen Vortrag da vielleicht eine Silbe überdehnt worden sein.“ (1956/57, 269 Anm. 1). Dazu ausf. Lomnitzer 1982. Diese Metrik von 24,1 auch bei Bertau/Stephan 1956/57, 268.
Die Überlieferung
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(19,1b–2a)119, sách vìl léidè (23,1b), ál des grálès díet (44,1a), ówe dès si sínt nóch (48,1a), réht e. alsò wás séil (167,4a) und ebenso die schon zitierten Anverse aus Sigunes Sehnsuchtsklage zurechnen: ích hàn vil ábendè | ál mìn schóuwèn (122,1), án dìe zínnèn (123,1b), ích vàr uf éinèm | wáge. èine wílè (124,1). Es dürfte am Ende müßig sein, solche extreme ‚Regelverletzung‘ systematisieren und mit metrischem Instrumentarium beschreiben zu wollen. Exorbitante Überdehnung des durch den Ton gegebenen Rahmens bis hin zur tatsächlichen Auflösung dieses Rahmens mag das formale Pendant und die Realisierungsform hypertropher Emphatisierung sein. Dies aber zeigt sich nur durch wechselnde Ausfüllung und Strapazierung eines gleichbleibenden metrisch-musikalischen Grundmodells und wird durch die Annahme wechselnder Modelle gerade verdunkelt. Noch weiter in die Feingliederung der Strophe, aber auch noch weiter in die Unwägbarkeiten von Wolframs Gestaltung führt die Frage nach der Stellung und Beurteilung des Ortes der Zäsur zwischen Anvers und Abvers. Bertau und Stephan haben darauf hingewiesen, daß die Fuge im zweiten und vierten Vers (also zwischen und ) aufgrund der zweimaligen Tonfolge a–g–f – einmal gedrängt als Zäsurmelisma, einmal gedehnter als Abversbeginn – ganz eigentümlichen Reiz gewinnen kann:120 Im Grunde verschwimmt der Ort der Zäsur, der Halbschluß auf der Finalis f findet „musikalisch doppelt“ statt, im vierten wie im sechsten Volltakt.121 Damit wäre für die zweite und vierte Zeile ein 4+6oder 6+4-taktiges Gerüst möglich, die man auch als Langzeile mit gleichsam ‚übersungener‘ Zäsur hören könnte. Für die erste Zeile ist solches schwerer herzustellen, bleibt aber immerhin vorstellbar. Konzediert man, daß sich die Anverskadenz in wahlweise auf beide Weisen ausführen läßt, die der Schreiber an dieser Stelle notiert hat,122 nämlich ebenso als g-f mit vorangehendem liquesziertem a, so erhält man eine parallele musikalische Verdopplung g-f, da der Abvers ebenso mit dieser Tonfolge anschließt (der Auftaktton f bleibt fakultativ). Weniger als an eine wohl musikalisch auch durch die betonte Stellung des g unplausible Teilung 5+3123 mag hier an ein ‚Übersingen‘ der Zäsur zu denken sein. Auch hier stößt die Verbindung des Textes mit der Wiener Melodie an eine Grenze. Immerhin zeigt die Melodie, daß die Binnenzäsur einen gänzlich anderen Charakter hat als die Versschlüsse: Ihr kleines Melisma 119 120 121
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Diese Metrik von 19,2 auch bei Bertau/Stephan 1956/57, 268. Bertau/Stephan 1956/57, 268 f. So März 1992, 31, der sicher zurecht feststellt: „Welcher der beiden [Halbschlüsse] durchs Hinzutun kleiner Melismen affirmiert wird, scheint nicht notwendig strukturimmanent zu sein. Hatte der Schreiber der Wiener Titurelmelodie dies möglicherweise im Sinn, wenn er genau an dieser Stelle im Abvers der zweiten Zeile hinter hercz einen sonst nicht zu erklärenden Reimpunkt setzt?“ Die Argumente für eine Bereinigung der Kadenz in den Zeilen 2 und 4 nach der Notierung von Zeile 1 zu a–g–f von Bertau/Stephan 1956/57, 266, haben einige Plausibilität für sich, sind aber nicht zwingend. So schlägt sie Stutz 1989 aufgrund von sprechmetrischen und grammatischen Analysen vor.
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umspielt die Finalis in derselben Weise wie der anschließende Melodieverlauf, ganz anders als die ausführliche, nach unten und oben melismierende Schlußkadenz. Fragt man nach Übereinstimmung der syntaktischen mit der melodischen Phrase, so ist zu beobachten, daß auch der Versschluß einen Zeilensprung nicht hindert. Da die Versschlüsse durch Reim gesichert sind, sind die Stellen solchen Enjambements eindeutig zu bestimmen (will man nicht Verderbnis annehmen, wofür es an den genannten Stellen sprachlich und grammatisch keinen Grund gibt). Enjambement über die durch Melisma deutlich markierte Strophenmitte zeigen: 101,2–3 (… durch ir wîplîchen güete / mir lêch. si …); 122,2–3 (… gein den liehten ouwen / gar verloren. er kom …); 131,2–3 (… ûf in gerbet / hât sîn vater …); 135,2–3 (… nie miner vergezzen / wart …); 138,2–3 (… für die snellen / was bekant. wan …); 147,2–3 (… nie seil baz gehundet / wart, ouch was …); 148,2–3 (… von arde manecvalt / drûf geslagen. die …). Als ähnliches Phänomen kann die Fortsetzung der Phrase über die Strophengrenze hinweg in 140,4–141,1 (… sus kom iagende an dem seile // des fürsten bracke …) und 166,4–167,1 (… sus vant er Sigûne dort unden: // innerhalp ir hende …) gelten. Zeilensprung über das Ende des ersten oder dritten Verses, der melodisch aufgrund fehlenden Melismas weniger auffällig ist, zeigen 59,3– 4 (… âventiure künden / den rehten, die …); 95,1–2 (getwenget / was); 113,3– 4 (… unt Schoysîânen /sâmen. ê daz …); 114,1–2 (… ûz Katelange betwungen / was von …); 131,3– 4 (… die talfînete / Mahaude, diu …); 151,1–2 (… durch minne / wart gesant. daz waz …) und 164, 1–2 (… unt die kleinen / vische …). Im Lichte dieser Eigenwilligkeiten und manifesten Interferenzen zwischen sprachlich-syntaktischer und metrisch-musikalischer Form wird man auch die Binnenzäsuren zu beurteilen haben. Zuweilen läßt sich in den durch Reim gesicherten Enjambements Wolframs ein rhetorisch-poetischer Sinn erkennen, der „antinome Grunderlebnisse“ von Kommen und Gehen, Nehmen und Geben, Trennung und Vereinigung zum Ausdruck bringt, ein „Aufreißen von Gegensätzen oder einen Zusammenschluß von ursprünglich Getrenntem“.124 Doch ist der Bogen- und Hakenstil Wolframs offenbar nicht notwendig auf solche erkennbare Sinngebung begrenzt. Es ist evident, daß Wolfram die Gliederung seines Tones im „Titurel“ oftmals bricht und Interferenzen beabsichtigt, und zwar qualitativ und quantitativ in einem Maße, das die Orientierung an der strophischen Epik etwa des „Nibelungenliedes“ wenig sinnvoll erscheinen läßt.125 Überlagerung der metrisch-musikalischen Zweigliedrigkeit durch syn-
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So Blanka Horacek 1954/55, 221, die für den „Titurel“ nur auf die Strophenenjambements hinweist. So kann die Orientierung an der heldenepischen Langzeile, die Stutz (1989, bes. 476 ff.) zur Grundlage der Beurteilung metrisch schwieriger „Titurel“-Strophen macht, nur von begrenztem Wert sein. Schon die oben aufgeführten Bsp. für durch Reim gesichertes Zeilenenjambement zeigen, daß Wolfram tatsächlich Seperationen vornimmt, die „im NL undenkbar“ und „völlig atypisch für die Langzeile im allgemeinen“ (Stutz 478)
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taktisch-rhetorische Dreigliedrigkeit finden sich häufig (etwa 121,1 dînes râtes, dînes | trôstes, dîner hulde), ebenso ein durch metrisch mögliche Setzung der Zäsur durchaus mit Sinn zu füllendes Binnen-Enjambement. Unschwer lassen sich etwa folgende Beispiele als Möglichkeiten für „seperatives“ oder „kommunikatives“ Enjambement126 lesen: dâ warte ich ôsten | unt westen (123,2); den truoc si in ir herzen | dâ vor (156,2); si rief die juncfrouwen | ane (162,2); daz wirt versuochet nâhen | unt verre (174,4). Die Variabilität der Zäsur, die gerade auch in ihrer musikalischen Ausführung Seperation betonen als auch die Teilung der Langzeilen verwischen kann, mag schließlich auch eine Stellung eines ganzen Wortes über den vierten und fünften Volltakt hinweg erlauben, also formal gesprochen die Aufspaltung eines Wortes durch Zäsur.127 Welchen Effekt musikalisch vorgetragenes Enjambement beim Zuhörer auslöst bzw. welchen der Sänger oder der Autor intendieren mag, ist schwer zu beschreiben und entzieht sich letztlich einer sicheren Beurteilung. Die Verse lassen sich stets auch anders lesen – Lachmann hat solche Fernstellungen wo es ging vermieden, Leitzmann in extenso produziert. Der Frage, wie weit man metrisch und musikalisch den Rahmen des Möglichen aufspannen will, haftet eine nicht unerhebliche Beliebigkeit an. Bei aller Objektivierung, die eine in allen Strophe stets gleiche Melodie modernen Individualisierungsbestrebungen entgegensetzt,128 können doch die Versuche, der metrisch-musikalischen Formung auch für den Einzelvers poetischen Sinn abzugewinnen, die performativen Aspekte des Textes, seinen gestischen Aufführungscharakter, seine Vokalität ans Licht bringen, die der Lesetext moderner Editionen vergessen macht. Die Frage nach der metrisch-musikalischen Gestalt der „Titurel“-Verse bleibt aber letztlich dilemmatisch: Weder kann man die Melodie durch vielerlei Dehnung oder Kürzung allerorten den in G überlieferten Wolfram-Strophen anpassen, noch kann man die Wolfram-Strophen durch Einführung von Tonspaltungen, Pausierungen oder Tonversetzung aller Art in ein Langzeilen-Schema pressen, noch auch läßt sich die Wiener Melodie als „Streckbett für alle Strophen“129 gebrauchen.
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sind und „dem Usus aller Langzeilenpoesie“ (Stutz 479) dezidiert widerstreiten. Auch in Albrechts JT lassen sich Enjambements dieser Art unschwer zwischen An- und Abvers und zwischen den Versen finden, was man angesichts der deutlich strenger gehandthabten, festeren Metrik der Albrecht-Strophen schwerlich einem späterem Manierismus wird zuschreiben können. Zur Terminologie und Definition mit zahlreichen Beispielen aus Pz. und Wh. vgl. Horacek, 1954/55. Lachmann hat vor solcher Teilung zurückgeschreckt, spätere Herausgeber, allen voran Leitzmann, haben sie beständig verwendet, auch Marti hat sie zugelassen. Wir erwägen sie an einigen Stellen. Will man sich eine Vorstellung davon machen, wie die Zäsur in solchen Fällen ‚übersungen‘ werden könnte, so höre man, wie Wiedenmann und Parisi die Verse 50,2 (klôsenære), 99,4 (lûterlîche), 104,2 (Franzoysinne) und 170,1 (âventiure) ausführen: Die Grenze zwischen An- und Abvers fällt in die Wortmitte, ist aber eher als ein Umspielen der Noten a, g und f wahrnehmbar. Darauf hat besonders Bertau (1965, 16 f.) aufmerksam gemacht. März 1992, 31.
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Wolfram überlagert in seiner Strophe die ‚archaische‘, heimisch-heldenepische Zweiteiligkeit und die ‚moderne‘ liedhafte Dreiteiligkeit;130 er kombiniert in einem singulären Form- und Sprachexperiment damit eine hoch fiktionalisierte und höchst selbstreflexive Erzählung, inszenierte Mündlichkeit,131 fingierte Archaik und an der Artifizialität der Lyrik geschulte Artistik zu einer vieldimensionalen Hybride in stilistischer wie formaler Hinsicht. Der vagen Uneindeutigkeit und Offenheit dieser Form entspricht es, daß sie sich, als sie zitierbar und verfügbar wurde, schematisiert und formalisiert hat, wie es Wolframs Strophe gerade widerspricht.132 Es mag gerade die relative rezitativische Gleichförmigkeit der Melodie sein – so sie eine authentische Vorstellung von Wolframs Sang vermitteln kann – die „die Einheitlichkeit der verschieden gefüllten Strophenzeilen“ stiften kann:133 Sie schafft einen Rahmen von geradezu gesucht-künstlicher Strenge, der in „bestürzender, widerständiger Freiheit“ gefüllt wird. Dies erst bringt das Grenzüberschreitende, Experimentelle, Innovative des Textes und seiner Sprache auch in der Aufführungsform zur Geltung. Dabei mag man diese dilemmatische Spannung von Regelbezug und Grenzüberschreitung als den Niederschlag des poetischen Charakters begreifen: Die nach verschiedenen Seiten hin offene Variabilität, die Vieldeutigkeit, die Gleich-Gültigkeit des Möglichen der Form entspricht einem hypercodierten Text, der von brüchiger, mehrdeutiger Syntax, suggestiven gedanklichen und narritiven Sprüngen, gesuchten Neologismen, vieldeutiger Bildlichkeit und verschwimmenden ObjektSubjekt-Relationen geprägt ist. Der „Wechsel von handlungsorientiertem zu dialog-, kommentar- und reflexionsorientiertem Erzählen“134 findet in der artifiziellen Hybride der Strophengestalt seine Form: Die Selbstreflexion des Erzählens und des Erzählers in diesem Text bezieht sich nicht nur auf Gattungstraditionen, Erzählstrategien, sprachliche und bildliche Konventionen, sondern schließt die Form mit ein. Die Form des Sprechens fügt den systematischen Überdeterminationen und Hypercodierungen des Textes noch eine weitere Dimension hinzu, ja sie „potenziert seine Komplexität“.135 Den Innovationspotentialen und Sinndimensionen des Textes im Hinblick auf und gleichzeitig mit
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131 132 133 134 135
Vgl. Brunner 1979, 310, der dies mit Walthers Einführung der Kanzonenform in die Spruchdichtung vergleicht. So insbes. Mertens 1996, 371. So auch Brunner 1979, 310. Mertens 1970, 221 Anm. 11. Kiening/Köbele 1996, 239. Wyss 1974, 257. Daß darin das Stilisationsprinzip von Prosa zu erblicken ist, wie Wyss folgert, ist allerdings nicht recht überzeugend. Eher ließe sich daran denken, daß Wolfram und der volkssprachliche Prosaroman zur gleichen Zeit in gleichem Problemhorizont geradezu entgegengesetzte Wege beschreiten, strukturell jedoch ähnlich, in dem beide mit grenzüberschreitende Gattungshybriden arbeiten (der Prosaroman durch höfischem Stoff in historiographisch-heilsgeschichtlichem Gewand; dazu auch Mertens 1993, 198).
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seiner formalen resp. musikalischen Gestalt wäre Vers für Vers nachzugehen, bevor man die überlieferte Versgestalt dem Urteil der Verderbtheit, Vorläufigkeit oder scheiternder Sprachnot anheimgibt.136 Im Hinblick auf die Edition stellt sich diese Form als echtes Dilemma dar. Die Mehrdeutigkeit und Variabilität der Form läßt sich nicht abbilden, die Herausgeber haben sich zu entscheiden und auf eine der oftmals gleich-gültigen Möglichkeiten festzulegen. Unsere Zäsuren haben demnach prinzipiell und ausdrücklich nur Vorschlagscharakter und wollen nicht die Richtigkeit oder Höherwertigkeit gegenüber anderen möglichen Zäsurierungen behaupten. Wir geben als Hinweis auf andere Möglichkeiten die Praxis der früheren Herausgeber im Apparat an sowie den Ort der Zäsur in der musikalischen Einspielung.137 Auf die Markierung einer Zäsur im Text aber zu verzichten, wie es die neueren Herausgeber bevorzugen, hieße, dem Benutzer eben diese artifiziell-artistische Dimension der Form vorzuenthalten: Wenn man die vokale Daseinsform des Textes und Tones durch den bloß optischen Eindruck des Lesetextes substituiert, so bleibt die graphische Gestaltung der Strophe die einzige Möglichkeit, auf die prinzipielle Andersartigkeit der Existenzform des Textes zu verweisen, der ohne graphische Zäsur in bedeutend spannungsfreieren langen Zeilen gelesen würde, beinahe schon als Prosa, wo er doch sichtlich anderen, entgegengesetzten Stilisierungsprinzipien folgt. Wir haben versucht, die Zäsur in den Langzeilen im Text so zu markieren, daß einerseits die Form der Langzeilenstrophe optisch evident ist, andererseits die Zäsur als Einzelne nicht so sehr in den Text eingreift, daß man sie nicht auch ‚überlesen‘ könnte. Der Benutzer soll so wenig als möglich auf die von uns vorgeschlagene Zäsur festgelegt werden und die Möglichkeit haben, sich die Zäsur an anderer Stelle zu denken oder auch ‚wegzudenken‘. Das kleine Spatium scheint beiden ja durchaus widersprüchlichen Ansprüchen am besten gerecht zu werden, da es im Gegensatz zu anderen Zeichen wenig in den Text eingreift, d. h. leicht zu ‚überlesen‘ ist, zugleich aber dennoch die Zeile und den Schriftsatz sichtbar strukturiert. In sechs Fällen, in denen wir keine Zäsur im Text wiedergeben, schlagen wir eine Plazierung der Zäsur bzw. Binnenkadenz im Wort vor, was wir im Apparat mit Fragezeichen vermerken, da uns eine Worttrennung den edierten Text, der nichts anderes als ein ‚entmusikalisierter‘ Lesetext sein kann, optisch ungebührlich zu stören scheint. Dies betrifft die Verse 26,2; 56,1; 59,4; 90,4; 114,1 und 170,1. Dieses Fehlen einer Zäsur soll nicht heißen, daß wir hier „lange Zeilen“ anstatt zäsurierte Langzeilen annehmen: Wir gehen durchgehend von Langzeilen in allen ersten, zweiten und vierten Versen des Textes aus, zumal die 136 137
Vgl. dazu auch Kiening/Köbele 1998, 239 f. Einige Hinweise zum Problem der musikalischen Realisierung der Melodie mit den „Titurel“-Strophen hat der Sänger R. Wiedenmann selbst niedergelegt (Wiedenmann 1988, insbes. 35 f.).
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Dichotomie von langer Zeile und Langzeile nach dem oben Ausgeführten in diesem Falle weniger scharf sein mag, als es traditionelle Versmetrik glauben macht. Auf weitere metrische Zeichen im Text verzichten wir gänzlich, ebenso auf extensive Diskussion metrischer Probleme im Stellenkommentar. Nur an einzelnen, signifikanten Stellen finden sich im Kommentar Erwägungen zur metrisch-musikalischen Gesalt eines Verses. Zudem haben wir an keiner Stelle aus metrischen Gründen oder metrisch bereinigend in den Text eingegriffen oder eine Lesart der Nebenüberlieferung aus metrischen Gründen bevorzugt. Die Entscheidung darüber, welche formalen Freiheiten Wolfram bzw. der Überlieferung zugestanden werden können und welche nicht, dürfen die Herausgeber nicht im Einzelfall treffen. Wir haben sie prinzipiell getroffen, indem wir der Überlieferung mehr Glauben schenken als dem Optimismus, die Grenze zwischen Regel und Regelverstoß in Wolframs „Titurel“ formulieren bzw. allererst festlegen zu können. Bei der Wiedergabe der Melodie haben wir alle Ligaturen und Figuren (Clivis, Climacus, Vier-und Siebenton-Figur) aufgelöst und alle Notenzeichen (s. im einzelnen Anm. 103) ‚neutral‘ transkribiert. Die Liqueszenzen haben wir durch Stichnoten wiedergegeben. Die Mehrtonfiguren und Ligaturen sind durch Bogen gekennzeichnet. Der im Falle der Liqueszenzen darunter gesetzte Bogen soll andeuten, daß es sich vermutlich um eine Verschleifung mit Gewicht auf der ersten Note handelt, während die anderen Melismen (mit darüber gesetztem Bogen) das Gewicht und die Länge auf dem letzten Ton tragen. Der Zeilenwechsel der handschriftlichen Aufzeichnung ist durch ; über dem System markiert. Auch auf Kennzeichnung der Volltakte haben wir bei der Transkription verzichtet, da sie von einem nicht musikologisch ausgebildeten Benutzer allzu leicht als starrer, rhythmisch verbindlicher Rahmen mißverstanden werden könnten. Allein die Distinktionen haben wir markiert und ihre Bezeichnungen durch griechische Buchstaben über das System gesetzt. Auf eine kritische Bearbeitung der Melodie haben wir verzichtet. Hierzu sei verwiesen auf den kritisch bereinigten, mit Taktkennzeichnung versehenen und mit Text unterlegten Abdruck der Melodie von Bertau und Stephan.138 Wir haben den Text der ‚Sigunenklage‘ beigefügt, der mit der Melodie überliefert ist. Dabei haben wir entsprechend der Edition der Wolfram-Strophen die s-Graphien reguliert, u- und v-Schreibung ausgeglichen sowie Nasalstrich aufgelöst. Die Großschreibung der Handschrift bleibt unberücksichtigt, ebenso die Reimpunkte; es werden moderne Interpunktionszeichen hinzugefügt (zur hs. Gestalt s. die Transkription des Textes S. 30 und das Faksimile im Anhang).
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Bertau/Stephan 1956/57, 270; unterlegt ist Wolframs Str. 30 und parallel die entsprechende Str. 689 des JT. Weitere Editionen bzw. Transkriptionen der Melodie s. Anm. 106.
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2. Zur Edition 2.1 Grundsätzliches Joachim Heinzle hat unlängst darauf hingewiesen, daß die Wissenschaft verantwortlich dafür ist, die zentralen Werke der Literaturgeschichte – zu denen man Wolframs „Titurel“ getrost zählen darf – „aus dem Gefängnis der Wissenschaft zu befreien“ und „für ein breiteres Publikum aufzuschließen“.139 Der sich daraus ergebenden Forderung, die Texte der ‚Klassiker‘ „so lesbar wie möglich“ zu präsentieren, haben wir versucht, Rechnung zu tragen, indem wir neben einer neuhochdeutschen Übersetzung und einem nicht nur für Fachwissenschaftler konzipierten Stellenkommentar bemüht waren, die Präsentation des Textes in seinem Schrift- und Erscheinungsbild sowie der Apparate und Materialen an den Erfordernissen praktischen Gebrauchs auszurichten. In einigen Punkten tritt dieses leitende Prinzip der „Lesbarkeit“ zwangsläufig in Konflikt mit einem anderen fundamentalen Prinzip: Dem Postulat philologischer Genauigkeit und Enthaltsamkeit gegenüber der Überlieferung. Die Forderung, die Überlieferung nicht zu einem editorischen Artefakt der Fassungen zu konglomerieren und die sprachlichen Existenzformen der mittelalterlichen Texte nicht in das Gehäuse einer Lexikon-Schriftlichkeit einzusperren, gebietet größtmögliche Nähe zur Leitüberlieferung und größtmögliche Beschränkung bei Eingriffen in die Textgestalt. Um aber bei aller philologischen Genauigkeit uns nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, „Philologie als Sabotage des Lesens“140 zu betreiben, haben wir zuweilen dem Prinzip der Benutzbarkeit höhere Priorität eingeräumt: So hinsichtlich der Präsentation des Strophenbestandes, so hinsichtlich der Behandlung der edierten Zusatzstrophen, so hinsichtlich des vorsichtigen Ausgleichens der handschriftlichen Schreibsprachen. Diese möglicherweise als Defizite auslegbaren Kompromisse auf Kosten philologischer Exaktheit und Konsequenz mögen dadurch gerechtfertigt werden, daß wir stets versucht haben, unsere Eingriffe sichtbar zu machen (im Text), dem Benutzer das Material für die selbständige Beurteilung der Überlieferungs- und Forschungssituation an die Hand zu geben (in den Apparaten, dem Kommentar und den Materialien) und unsere eigenen Entscheidungen zu begründen (im Kommentar). Aus den oben dargestellten Beobachtungen zu den Lesartenverhältnissen, der Stellung des „Jüngeren Titurel“, dem Strophenbestand, der Stophenfolge 139
140
Joachim Heinzle: Klassiker-Edition heute. In: Methoden und Probleme der Edition mittelalterlicher deutscher Texte. Hg. v. Rolf Bergmann und Kurt Gärtner. Tübingen 1993, 50–62; hier 51. Ulrich Wyss: „Ich tuon sam der swan, der singet, swenne er stirbet “. Über die Lesbarkeit des Minnesangs. In: Der fremdgewordene Text. Festschrift für Helmut Brackert zum 65. Geburtstag. Hg. v. S. Bovenschen, W. Frey, St. Fuchs u. a. Berlin/New York 1997, 24 – 41; hier 28.
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und der metrisch-musikalischen Form der Strophe folgt: Ein Text, der den Anspruch auf größere Autornähe gegenüber den einzelnen Fassungen erheben könnte, ist nicht zu erreichen, da die Konzeption eines in diesem Sinne ‚kritischen‘ Textes an der leitenden Vorstellung eines Archetypus hängt, der angesichts dieser Überlieferungssituation in keiner Weise rekonstruierbar ist. Für eine Edition von Wolframs „Titurel“-Fragmenten kann daraus nur folgen, sich einer Handschrift anzuvertrauen und von ihr nur abzugehen, wo diese keinen als sinnvoll zu erweisenden Text bietet. Diese Handschrift kann nur G, die Münchner Handschrift Cgm 19 sein. Eine kritische Präsentation der Fassungen H oder HM ist wohl ausgeschlossen. Auch wenn die Fehler in H meistenteils eindeutig identifiziert werden können, so ist es doch kaum möglich, sie ohne allzu viele ungesicherte Annahmen zu bessern,141 noch weniger, die eigenwillige südbairische Schreibsprache Hans Rieds aus dem frühen 16. Jahrhundert zu ‚normalisieren‘. Der Text, der in M kritisch bearbeitbar wäre, ist äußerst gering, es handelt sich nur um die weniger als 16 Strophen umfassende Partie 105,4 bis 119,2 (mit 101). Andererseits hieße eine strikte Beschränkung auf G, auf elf Strophen zu verzichten, die ebenso als Wolfram-Strophen zu gelten haben wie die 164 G-Strophen. Da aus genannten Gründen auch eine synoptische Präsentation der kritisch bearbeiteten Fassungen nicht in Frage kommt – die einzig konsequente Lösung liegt mit Heinzles strophenweisem parallelen Abdruck der Handschriften vor –, bliebe ein Abdruck dieser Strophen im Apparat oder in einem Anhang übrig. Eine solche Aussonderung der Zusatzstrophen würde allerdings die Benutzbarkeit und Leserfreundlichkeit der Ausgabe deutlich mindern und zudem die nicht bezweifelbare Zugehörigkeit der Strophen zu Wolframs „Titurel“ wiederum verdunkeln. Darum haben wir uns entschieden, die elf nicht in G überlieferten Strophen in den Text aufzunehmen und mitzuzählen. Von der Zählung Lachmanns abzugehen, stellt allerdings eine Entscheidung von nicht zu unterschätzender Tragweite dar, da diese in der Forschung eingeführt ist. Man muß sich aber vor Augen halten, daß sie nur deshalb zustande gekommen ist, weil Lachmann die Bruchstücke von M nicht kannte. Konsequent wäre also allein eine Zählung von 164 G-Strophen bei gleichzeitiger Bezeichnung aller elf Zusatzstrophen durch Sonderzeichen (also etwa 29a für die Strophe 30) oder aber eine nicht unterscheidende Zählung aller überlieferten Strophen. Wir haben uns für letztere Möglichkeit entschieden, da die hier präsentierten 175 Strophen in ihrer Gesamtheit als die Überlieferung von Wolframs „Titurel“ zu gelten haben. Wir haben versucht, die problemlose Auffindbarkeit einzelner Strophen durch die fortlaufende Angabe von Lachmanns Zählung im Text und im Stellenkommentar sowie durch die Konkordanz im Anhang zu gewährleisten. 141
So auch Bumke 1973, 186.
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Die Aufnahme der Zusatzstrophen in den integralen Text kann sich freilich dem Vorwurf kaum entziehen, ein Konglomerat aus dem Textbestand der *H-Fassung bzw. *HM-Fassung mit dem Text der Fassung G zu produzieren. Die möglichen Mißverständnisse oder Enstellungen der Überlieferungssituation, die eine solche fortlaufende Präsentation aller Strophen riskiert, erschien uns aber letztlich weniger heikel, als integrale Bestandteile des Wolfram-Textes in einen Apparat oder Anhang zu verbannen und damit die Lesbarkeit um der philologischen Konsequenz willen zu gefährden. Um dem Vorwurf des Konglomerats so weit als möglich entgegenzutreten, haben wir die elf Zusatzstrophen durch Einzug und Schrifttype so ausgezeichnet, daß dem Benutzer auf den ersten Blick und unzweifelhaft ein Sonderstatus signalisiert wird. Die Frage der Plazierung der Zusatzstrophen, die nur hinsichtlich der ersten vier M-Zusatzstrophen (hier 81–84) fraglich und ansonsten wohl alternativlos ist, wurde schon oben eingehend diskutiert142. Die Behandlung des Textes und des Schriftbildes der Zusatzstrophen bleibt dabei ein kaum befriedigend zu lösendes Problem – wir haben auch hier der Lesbarkeit und Benutzerfreundlichkeit den Vorrang eingeräumt und versucht, unsere Abdruck-Praxis so gut als möglich zu dokumentieren (dazu im einzelnen unten). Zudem ist im Anhang eine vollständige Transkription der Handschrift M gegeben, da bei der Angabe einzelner Lesarten im Apparat nicht darzustellen und für den Benutzer nicht zu erkennen ist, wo M entweder mit der edierten Leithandschrift geht oder wo M Lücken aufweist. Der von uns edierte Text ist demnach nicht ein kritisch hergestellter, dem Ideal eines Archetypus verpflichteter Text, sondern die Lesung einer möglichst zurückhaltend bereinigten Leithandschrift. Leithandschrift ist die Handschrift G bei allen Strophen, die G überliefert. Wo G nicht überliefert, ist H Leithandschrift, wo G und H nicht überliefern, die Handschrift M. Von der Leithandschrift weichen wir nur ab, wenn wir sinnstörende Fehler vermuten, nicht aber, wenn andere Lesarten aus stilistischen oder sprachlichen Gründen als ‚besser‘, ‚archetypusnäher‘ oder ‚autornäher‘ beurteilt werden könnten, insbesondere nicht, wenn andere Lesarten einem metrischen Formideal näher kommen mögen. Verbesserungen werden wenn irgend möglich aus der Parallelüberlieferung genommen, wobei dem „Jüngeren Titurel“ nur sekundäre Beweiskraft (als Bestätigung einer anderen überlieferten Lesart) zugemessen wird. Der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Lesarten und Überlieferungen in den drei Handschriften haben wir durch zwei Maßnahmen Rechnung zu tragen versucht: Zum Ersten, indem wir die Nebenüberlieferung vollständig im Apparat 142
Vgl. Kap. 1.4 „Strophenfolge“ und Stellenkommentar zu Strr. 73–87. Die Stellung von Strophe 36 zwischen 33 und 34 nach M ist wohl gegenüber der hier (und von allen Herausgebern außer Martin) bevorzugten Strophenfolge H gleichwertig, doch muß angesichts der bruchstückhaften Überlieferung von M H hier zweifelos als Leitüberlieferung behandelt werden (vgl. zu Positionen der Forschung den Stellenkommentar zu 36).
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wiedergeben, wo sie von der Leithandschrift abweicht (im Falle des „Jüngeren Titurel“ kann dies freilich nur in beschränktem Maße und zusammenfassend geschehen; Näheres dazu unten). Zum Zweiten haben wir an Stellen, an denen uns Lesarten aus der Nebenüberlieferung interessant und diskutabel erschienen, auf die Überlieferungssituation im Stellenkommentar hingewiesen und die Lesarten gegeneinander abgewogen. Letzte Konsequenz und Vollständigkeit ist darin freilich nicht zu erzielen – eine eingehende Diskussion jeder einzelnen Differenz hätte die rein philologischen Teile des Kommentars ungebührlich aufgebläht bei wahrscheinlich eher geringem Ertrag. Sieht man davon ab, in den Text metri causa einzugreifen,143 so zeigt sich nun, daß der G-Text nur an wenigen Stellen als verderbt und also verbesserungsbedürftig angesehen werden muß. Die weitaus meisten Fälle (66 Stellen in G) können als geringfügige Schreibfehler angesehen werden (Verschreibungen, Auslassungen oder Doppelschreibungen von Buchstaben oder Buchstabengruppen),144 die wohl keinerlei textkritische Relevanz besitzen und in den allermeisten Fällen unzweiteutig auch ohne Zuhilfenahme von Nebenüberlieferung verbessert werden können. Selbst in den gravierenderen Fällen, in denen von einem sinnstörenden Fehler gesprochen werden muß, kann man zumeist einfache und spontane Schreibfehler als Ursache vermuten. In vier Fällen liegt eine Vertauschung (13,3) oder Auslassungen von Wörtern (52,2; 86,2; 89,1) vor, die aus der Handschrift selbst oder der Nebenüberlieferung gebessert werden kann, worin alle Herausgeber übereinstimmen. Die gestörte Überlieferung in den Versen 49,2 und 139,2 sowie 166,3 möchten wir ebenfalls als Verschreibung oder Fehlen einzelner Buchstaben erklären, wiewohl die Verbesserung in keiner Weise eindeutig ist, die Nebenüberlieferung keine Lösung bietet und die Herausgeber verschiedene Lesarten vorschlagen.145 Es bleiben letztlich zwei Stellen übrig, an denen wir uns gezwungen sehen, weitergehend in den G-Text einzugreifen. Es handelt sich zunächst um den Vers 137,4, in dem die Nebenüberlieferung (H JT bzw. JT) andere Lesungen bietet, die nur indirekt zur Besserung der G-Lesart beitragen können, wobei die Herausgeber in ihrer Konjektur übereinstimmen. In Vers 138,2 schließlich setzen wir eine Crux, da der 143
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Die Mehrzahl von Lachmanns Änderungen gegenüber G geht auf das Konto der Metrik, worauf schon Bumke hingewiesen hat (1973, 151 u. 153). Spätere Herausgeber haben ihn darin wie auch im Hinblick auf weitere Konjekturen oftmals bei weitem übertroffen. Zu größerer Treue zu G und somit weitgehenden Verzicht auf Konjekturen metri causa sind erst wieder Marti und Mohr (ihm folgend Dallapiazza) zurückgekehrt. Zuweilen ist nicht zu entscheiden, ob die hs. Schreibung mundartliche oder schreibsprachliche Relevanz besitzt. In Zweifelsfällen haben wir um der Lesbarkeit willen zum ‚normalmittelhochdeutschen‘ Lautstand ausgeglichen. Alle Fälle sind aber im Text durch Kursivierung markiert; die hs. Lesung ist im Apparat gegeben. Vgl. die Diskussion von Überlieferung und Forschung im Stellenkommentar zu den einzelnen Versen.
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Konjektur Lachmanns, die von allen Herausgebern und auch von uns übernommen wurde, allzu viel Hypothetisches anhaftet.146 Es bleiben also nur zwei, vielleicht fünf Stellen, höchstens jedoch neun Stellen übrig, an denen wir einen Eingriff im engeren Sinne in den G-Text vornehmen. Auch im Falle der sechs nach H überlieferten Zusatzstrophen liegt nach unserer Auffassung nur an wenigen Stellen eine Notwendigkeit zum Eingriff vor. In fünf Fällen rechnen wir mit einfacher Verschreibung (31,2; 31,2; 31,4; 33,2; 53,4; wir bessern nach Rieds Schreibgewohnheiten), wobei dies angesichts der eigenwilligen Schreibweisen Hans Rieds wohl nicht mit letzter Sicherheit beurteilt werden kann. Von einem sinnstörenden Fehler gehen wir nur im Vers 33,3 aus, in dem alle Herausgeber übereinstimmend konjizieren.147 In Vers 53,3, den H nur verstümmelt überliefert und in dem die JT-Überlieferung auseinandergeht, wenn auch nur geringfügig, sehen wir uns abermals gezwungen, eine Crux zu setzen, da die von Lachmann vorgeschlagene und von allen Herausgebern übernommene Rekonstruktion hypothetisch bleiben muß. Im Falle der fünf nach M edierten Strophen muß an keiner Stelle von einem sinnstörenden Fehler ausgegangen werden. Eine Stelle davon sehen wir als Schreibfehler an148. Allerdings liegt der Text nur in verstümmelter Form vor, so daß jeder einzelne Vers als unheilbar verderbt bezeichnet werden muß, da die Ergänzungen selbstverständlich hypothetisch bleiben. Wir haben dies jeweils durch eine Crux zu Beginn und am Ende jeder Strophe markiert.149
2.2 Die Gestaltung des edierten Textes Die Strophen sind voneinander abgesetzt, innerhalb der Strophe sind die paarig reimenden Verse zeilenweise abgesetzt. Wir markieren in den als Langzeilen aufzufassenden ersten, zweiten und vierten Versen die Zäsuren bzw. die Plazierung der Binnenkadenz durch ein kleines Spatium. Die Stellung dieser Zäsuren im edierten Text hat ausdrücklich nur Vorschlagscharakter (zur weiteren Begründung s. oben Kap. 1.5). Auf weitere metrische oder musikalische Zeichen im Text haben wir grundsätzlich verzichtet, wie auch auf jegliche Eingriffe in den Buchstabenbestand (nebentonige Vokale) oder in die Lesung der Handschriften aus metrischen Erwägungen.
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Zu den Einzelheiten der Überlieferung und Verbesserungsmöglichkeiten vgl. den Stellenkommentar zu den einzelnen Versen. In 33,3– 4 zeigt die Nebenüberlieferung eine andere Lesart, in 53,1–2 bezeugt der JT die Besserung. Zum Einzelnen vgl. den Stellenkommentar. In Strophe 83,4 fehlt eine Genitiv-Endung -s oder -es: Wir verbessern aus hs. !s"in troste!s" zu sînes trôstes. Weiteres zur Behandlung der fünf M-Zusatzstrophen s. unten.
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Editorisches Vorwort
Die Ziffer links vor der Strophe bezeichnet unsere Zählung. Am rechten Rand stehen in kleinerer Type – in der ersten Zeile die Nummern der Strophe in der Handschrift nach der Handschriften-Sigle G, H, bzw. M (die zuerst genannte Sigle bezeichnet die Leithandschrift für diese Strophe); – in der zweiten Zeile die Nummer der Strophe bei Lachmann nach der Sigle La (Athethese-Klammern nach der 6. Aufl.); im Falle der von Lachmann und Leitzmann nicht aufgenommenen fünf M-Zusatzstrophen steht dort die Strophennummer von Heinzle nach der Sigle Hei und Martin nach der Sigle Mar; – falls von Lachmann abweichend, steht dahinter die Nummer der Strophe bei Leitzmann nach der Sigle Lei (Athetese-Klammern nach der 5. Aufl.); – stets folgt in runden Klammern und nach ~ zur Kennzeichnung der nur ungefähren Entsprechung die Nummer der Strophe im „Jüngeren Titurel“ in Wolfs Ausgabe mit der Sigle JT. Der Text der jeweiligen Leithandschrift erscheint recte, alle Abweichungen kursiv. Ausnahmen bilden nur die weiter unten im einzelnen genannten, stillschweigenden Ausgleichungen. Im einzelnen: – ersetzte Wörter und ersetzte oder hinzugefügte Buchstaben stehen kursiv; – hinzugefügte Wörter stehen !kursiv" und in spitzen Klammern; – weggelassene Wörter sind durch offene eckige Klammern [ ] markiert; – weggelassene Buchstaben sind durch Kursivierung der Buchstaben vorher und nachher (außer bei Zeilenwechsel) markiert; – Umstellungen sind durch N vor dem ersten und nach dem letzten umgestellten Wort ausgewiesen (nur 13,3); – verderbte Stellen sind durch Crux † zu Beginn und am Ende der vermuteten Verderbnis gekennzeichnet (nur 53,3 u. 138,2 sowie die M-Zusatzstrophen 81–84 u. 87); – unsichere Lesungen oder beschädigte Buchstaben werden im edierten Text nicht ausgezeichnet; das beschädigte Wort erscheint aber stets im Apparat I. Dort, wie in allen Lesarten und in der Transkription von M im Anhang, stehen die beschädigten bzw. unsicher zu lesenden Buchstaben in runden Klammern. In allen genannten Fällen erscheint die Lesung der Handschrift im Apparat I.
2.2.1 Die Behandlung der handschriftlichen Gestalt im edierten Text Wir folgen den Handschriften grundsätzlich buchstabengetreu, soweit uns die Lesbarkeit des Textes nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt erscheint. Insbesondere verzichten wir darauf, Doppelformen und variierende Schreibungen auszugleichen. Bewahrt ist demnach:
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– wechselnder Gebrauch von f und v; – wechselnder Gebrauch von v und w; – wechselnder Gebrauch von i und y (y in G fast nur in Namen und Entlehnungen); – wechselnder Gebrauch von i und j (G und M kennen nur i); – wechselnder Gebrauch von Doppelkonsonant und einfachem Konsonant (außer im Falle der Doppelspiranten in G; s. unten); – wechselnder Gebrauch von Mediae und Tenues (b, d vs. p, t); – wechselnder Gebrauch von ze und zuo, (stets !zQ", einmal !zw"), och und ouch (unter Umschrift der diakritischen Zeichen; s. unten); – wechselnde Schreibung der Spirans /ch/ (–h vs. –ch, etwa ih vs. ich, durh vs. durch); – unregelmäßiges Auftreten von nebentonigem !e". Allein in zwei Fällen, in denen uns am Versende die Kadenz gestört schien, haben wir die Synkopierung rückgängig gemacht.150 Die Fälle sind im Text und Apparat kenntlich gemacht. Auch sehen wir keinen Sinn darin, reine Reime herzustellen an den wenigen Stellen, in denen unreiner Reim auftritt. In einigen Fällen mag dies auf Wolframs Sprache oder auf ein bewußtes Klangspiel deuten. Es handelt sich um sieben Fälle: 31,1–2 versuonnen : gunnen151; 56,1–2 genande : gemante; 79,3– 4 kurtoyse : reise152; 85,1–2 frömde : hemde; 93,3– 4 kumber : summer; 148,3– 4 lêrte : verte und 163,3– 4 verholne : dolene.153 Zur Herstellung eines benutzerfreundlichen Textes nehmen wir im edierten Text gegenüber den Handschriften im Falle aller Strophen bzw. Leithandschriften einige stillschweigende Änderungen vor. Wir versehen den Text mit den üblichen Längenzeichen auf allen lang zu lesenden Monophthongen, nicht jedoch im Falle von Großbuchstaben. Im Falle der sechs nach H edierten Strophen verzichten wir angesichts des frühneuhochdeutschen, südbairischen Lautstandes auf die nur bei mittelhochdeutschen Texten üblichen Längenzeichen. 150
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Wir bessern vereinst > vereinest (58,2; Reim mit meinest) und gemacht > gemachet (31,4; Reim mit wachet; nach H). Die ungenaue Reimbindung verholne : dolene (163,3– 4) haben wir aber belassen, da die Kadenz zweisilbig oder dreisilbig interpretiert werden kann. Zur frühneuhochdeutschen, (oberdeutsch-)bairischen Diphthongierung in dieser Stellung vgl. Mhd.Gramm. § 159,10. Vgl. auch hs. ssllen 34,1 und wsnder 36,1. Vgl. auch unten zur Behandlung der Hs. H. Auch M schreibt kurtoyse : reise! Vgl. dazu Stellenkommentar zu 79,3– 4. Die Verse 33,3 (ane : raine) und 166,3 (wunde : vnden) betrachten wir als fehlerhaft und haben zu aine bzw. unden konjiziert (dazu vgl. Stellenkommentar). Ebenso greifen wir in 31,3– 4 wachet : gemacht (> gemachet; nach H) und 58,1–2 vereinst : meinest ( > vereinest) ein, indem wir die sonst treu bewahrte Synkopierung (dazu s. oben) ausnahmsweise rückgängig machen.
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Die Interpunktion erfolgt vorsichtig nach neuhochdeutschen, rhetorisch– syntaktischen Prinzipien, d. h. möglichst zurückhaltend mit Punkt, Komma, Fragezeichen und einfachen Anführungsstrichen bei wörtlicher Rede; seltener mit Ausrufungszeichen, Semikolon und Doppelpunkt. Parenthese wird durch Striche, nie durch runde Klammer markiert. Die Interpunktion der Handschriften (überall Reimpunkte, zuweilen auch Punkte im Inneren der Verse) bleibt unberücksichtigt Die Groß- und Kleinschreibung ist folgermaßen ausgeglichen: Nur Eigennamen und das erste Wort jeder Strophe werden groß geschrieben, alle anderen Wörter klein. Nur im Falle der drei Strophen 139, 141 und 167, die nach unserer Auffassung nicht mit einem neuen Satz beginnen, sondern den Satz aus der vorhergehenden Strophe fortführen, schreiben wir klein. Die Zusammen- und Getrenntschreibung ist, zugunsten der Leserfreundlichkeit, ausgeglichen zu den uns am üblichsten erscheinenden Schreibungen. Zu diesem nicht unproblematischen und keineswegs mit letzter Konsequenz im Einzelfall zu begründenden Verfahren sahen wir uns aufgrund der in dieser Hinsicht eigenwilligen Praxis des G-Schreibers veranlaßt. In allen möglicherweise semantisch relevanten Zweifelsfällen geben wir die handschriftliche Lesung im Apparat. Kontraktionen und alle Fälle von Pro- und Enklise sind demgegenüber treu bewahrt, wobei wir auf den Gebrauch von Apostroph verzichten. In fünf Fällen von ungewöhnlicher Zusammenschreibung, die aufgrund der auslautenden Mediae wohl als Verschmelzungen aufzufassen sind, stellen wir die ansonsten in G stets graphisch markierte Auslautverhärtung der nun getrennten Worte wieder her.154 Hinsichtlich der Schreibung der Eigennamen richten wir uns im edierten Text – mit den unten aufgeführten stillschweigenden Regulierungen – ebenfalls getreu nach der jeweiligen Leithandschrift. In einem Falle gleichen wir eine schwer identifizierbare Schreibung von H an die Praxis von G an (33,4 Tÿosyanen > Schoysianen). G ist im ganzen sehr konsequent und einheitlich in der Namensschreibung (s. dazu im Überlick das Namensverzeichnis im Anhang). Nur in acht Fällen (25,3; 38,1; 42,1; 47,2; 55,2; 79,1; 132,2; 152,2) sehen wir die Schreibung als fehlerhaft an und korrigieren, wo möglich nach der von G sonst gebrauchten Form.155 Wir regulieren einige wenige Graphien, die wir als graphische Varianten ansehen und deren wechselnder Gebrauch uns die Lesbarkeit im ganzen erheblich zu beeinträchtigen scheint. Neben dem im Anschluß (zur Behandlung der einzelnen Handschriften) aufgeführten Bereinigungen sind in allen Hand154
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41,3 phlager > phlac er; 68,2 magich > mac ich; 74,4 enphienger > enphienc er; 102,4 nemagich 161,3 magich > mac ich). In diesem Sinne haben wir auch hs. datze zu dâ ze aufgelöst (133,4). Swete (131,4) kann wohl als /Schuete/ (~Schoette) gelesen werden.
>
nemac ich;
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schriften, soweit sie den Leittext der Edition bieten, stillschweigend ausgeglichen: – verschiedene Buchstabenformen, insbes. verschiedene s-Graphien zu s; – u und v, je nach konsonantischem oder vokalischem Gebrauch. Zudem sind folgende Kürzel und Ligaturen aufgelöst: – Die de-Ligatur (kleines e am Oberschaft des runden d angehängt) wird zu de aufgelöst (etwa: 2,2 hend > hende; 2,3 dr > der; 3,4 chlagendm > klagendem; 6,4 ordn > orden), ebenso die r-Kürzung der Handschrift M (hochgestellter Haken hinter e: de‘ > der); – die Schreibung !vñ" in G wird aufgelöst zu unt. Die Form unt erscheint wegen der konsequent praktizierten Auslautverhärtung in G gegenüber und angezeigt. In den vier Fällen, in denen G !vnde" schreibt (37,3; 38,2; 43,4; 55,3), belassen wir unde; – der in G wie M sehr sporadisch und unregelmäßig eingesetzte Nasalstrich in geschwungener Form über !e", nur sechsmal zur Kennzeichnung der Dativendung eingesetzt, wird aufgelöst zu –en (55,2; 161,3) bzw. –em (94,3; 100,4; 112,4; 124,4). In den nach H edierten Strophen tritt ein geschwungen ausgeführter Nasalstrich auf, der ebenfalls aufgelöst wird (53,3 aussn > aussen). 2.2.2 Die Behandlung der Graphien der einzelnen Handschriften Insbesondere im Falle der Handschrift G, die für den weitaus größten Teil des Textes der Edition zugrunde liegt, haben wir uns zu einigen systematischen Ausgleichungen der Schreibart entschlossen. Das Ziel ist nicht eine mechanische Transformation der Schreibsprache in ein obsoletes ‚Normalmittelhochdeutsch‘, sondern die gegenüber der Handschrift systematische graphische Differenzierung der Laute zur Verbesserung der Lesbarkeit. Die altertümliche bairisch-ostalemannische Schreibsprache von G zeigt einige Eigenarten, die in die Ausgabe des Wolfram-Textes zu übernehmen uns wenig ertragreich und sinnvoll erscheint. Insbesondere sind dies drei Merkmale: 1. die nicht differenzierende Bezeichnung der Diphthonge durch die Graphie !Q", 2. die spärliche und undifferenzierte Bezeichnung von Sekundärumlauten und 3. der ch-Konsonantismus. Hinzu kommt die e-Synkope in ig-Suffixen sowie – im Schriftbild weniger gravierend – die unregelmäßige Doppelschreibung von Spiranten. Im einzelnen haben wir in folgenden Fällen stillschweigend eingegriffen im Sinne einer Differenzierung: – Die Graphie !Q" erscheint in G als ein ‚Sammelzeichen‘ für die Diphthonge (meist auch für den Sekundärumlaut ö; an einer Stelle erscheint !w" für uo).156 Wir differnzieren durch die Schreibungen ou, öu, uo, üe. 156
Zum altertümlichen und „zentral-oberdeutschen“ Charakter dieser Schreibung Klein 1992, 39 ff.
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– Der Sekundärumlaut von kurzem a ist stets unmarkiert, im Falle des Langvokals ist er in etwa der Hälfte der Fälle durch æ-Ligatur bezeichnet, ansonsten ist er unmarkiert. Wir differenzieren durch die Schreibungen a, ä, â, æ. – Der Umlaut von kurzem o ist meist durch !Q " bezeichnet, zuweilen unmarkiert; der Umlaut von langem o ist stets unmarkiert, zuweilen auch der Umlaut des Kurzvokals. Wir differenzieren durch die Schreibungen o, ö, ô, œ. – Der Umlaut von kurzem u ist stets unmarkiert, der Umlaut des Langvokals ist in etwa der Hälfte der Fälle mit !iu" bezeichnet, ansonsten ist er unmarkiert. Wir differenzieren durch die Schreibungen u, ü, û, iu. – Die Graphie !ch" steht meist für anlautendes und inlautendes k (selten !k", meist anlautend bei Namen); stets für auslautendes c und meist für ck (selten !cch " oder !k "). Wir differenzieren durch die Schreibungen k, c, ck.157 – In –ig-Suffixen und deren Verbindungen mit –lich, -lîche und –heit (!-keit") ist fast stets das nebentonig abgeschwächte e synkopiert (selten !-ech" für –ec), was in Verbindung mit dem ch-Konsonantismus zu eigentümlichen Schreibungen führt, etwa salch (> sælec), zweinzzch (> zweinzec), kunch (> künec), minnchlich (> minneclîch), kostchliche (> kosteclîche), stætcheit (> stætekeit), gesellcheit (> gesellekeit).158 Wir differenzieren durch die Schreibungen –ec, –eclîch, –eclîche, –ekeit. – Häufig sind die Spiranten f und z graphisch verdoppelt zu !ff " bzw. !zz". Wir nehmen diese signifikante oberdeutsch-mundartliche bzw. schreibsprachliche Eigenart regelmäßig und stillschweigend zurück. Bei der Gestaltung der elf nach den Handschrift H bzw. M edierten Strophen, die G nicht überliefert, nehmen wir ebenfalls keine weitergehenden Ausgleichungen als die oben für alle Strophen beschriebenen vor. Im Falle der nach der Handschrift H edierten Strophen 30, 31, 33, 34, 36 und 53 verzichten wir allerdings angesichts des deutlich dialektalen Frühneuhochdeutsch auf Längenzeichen. Auch bevorzugen wir in Vers 33,4 die in G übliche und daher an allen anderen Stellen im edierten Text gegebene Schreibung Schoysianen, da das handschriftliche Tÿosyanen von H für den Benutzer schwer zu identifizieren wäre. Bei folgenden Schreibungen von Diphthongen und Umlauten von H greifen wir stillschweigend regulierend und differenzierend ein (ohne Angleichung an einen mittelhochdeutschen Lautstand):159
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Zum bair. und ostalem. Charakter des ch-Konsonantismus s. Mhd.Gramm. § 134. Zu diesem Phänomen vgl. Klein 1992, 40. Eine genaue Auflistung der Graphen Rieds und ihrer Verwendung, nach der wir uns hinsichtlich der Interpretation der Graphen richten, findet sich bei Schnyder 1980 (Ed. von „Biterolf und Dietleib“), 31– 47. Vgl. auch T. P. Thornton: Die Schreibgewohnheiten Hans Rieds im Ambraser Heldenbuch. In: ZfdPh 81 (1962), 52–82 [= Teilabdruck der in Baltimore 1953 unter dem selben Titel ersch. Diss.].
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– !a " und !b" schreiben wir zuweilen als ä (Primärumlaut mhd. e : 30,1 vbterlin; 53,1 schbmliche; 53,1–2 geschlachtes : rehtes); – !b " und !be" schreiben wir zuweilen als æ (31,3 sblde; 36,2 drbeten); – !as"160 schreiben wir als au (mhd. û : 36,1–2 Sigasnen : brasnen); – !es" schreiben wir als eu (mhd. iu : 33,4 kessche 33,4); – !p " schreiben wir als œ oder ö (36,1 hpret; frpmde); – !t" schreiben wir als ü (36,2 brüstel). – !se" und !te" schreiben wir als üe (33,2 ssessem; 36,3– 4 gemüete : güete); – !s" schreiben wir als uo (30,2 msmen; 31,2 u. 34,4 msss; Diphthongierung auch des Kurzvokals vor n oder l:161 31,1 verssnnen; 34,1 ssllen; 36,1 wsnder; 36,2 begsnde;). Die Ergänzungen, die wir im Text der nach den Bruchstücken M edierten Strophen 81 bis 84 und 87, dem „Jüngeren Titurel“ folgend, in weitgehender Übereinstimmung mit Heinzle vorschlagen, können nur hypothetischen Charakter beanspruchen. Allerdings ist die Spannbreite möglicher Ergänzungen weniger groß, als es zunächst aussehen könnte, so daß die ungefähre Gestalt der Strophen in M dem von Heinzle und uns präsentierten Text entsprochen haben muß, sieht man von Buchstabentreue ab. Die Größe der Lücke zwischen den Pergamentstreifen macht den Umfang des verlorenen Textes in etwa abschätzbar. Die Stellung einzelner Worte ist dabei freilich nicht mit Sicherheit zu entscheiden (vgl. etwa 83,3: !got mich " vs. !mich got " [Martin] von Heinzle und uns nur metri causa bevorzugt). In den Herausgeber-Apparat nehmen wir bei diesen fünf Strophen ausnahmsweise systematisch die abweichenden Lesarten von Martin auf. Wenn bei notwendigen Ergänzungen der großen Lücken die wahrscheinliche Schreibart nach M nicht zu erkennen ist, richten wir uns so weit als möglich nach den Gewohnheiten des bereinigten M-Textes. Der Schreiber verfährt hinsichtlich des ch-Konsonantismus und der z. T. undifferenzierenden Bezeichnungen der Umlaute ähnlich wie G. Wir greifen ähnlich wie im Falle von G differenzierend und auflösend in folgenden Fällen ein: – Der Sekundärumlaut von u ist nicht markiert und erscheint als !v" oder !u" (82,4; 84,3). Wir schreiben ü. – Der umgelautete Diphthong üe ist durch !ue" (87,1) oder !v" (83,1; unsichere Lesung) bezeichnet. Wir schreiben üe. – !V" lösen wir zu uo auf.
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Wir schreiben wie Heinzle (1972; zur Begründung XIV, Anm. 5) und Schnyder (Ed. Biterolf und Dietleib) den Index stets als o, wobei sich nicht entscheiden läßt, ob in der Handschrift nicht auch ein nach oben offenes o als Index vorliegt. Vgl. dazu Mhd.Gramm. § 159,10.
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– Die Graphie !ch" steht für anlautendes und inlautendes k und auslautendes c. Wir differenzieren durch die Schreibungen k und c (etwa 82,4 chvnftich > künftic). Zur Behandlung der Melodie und des Textes der ‚Sigunenklage‘ s. S. 40.
2.3 Die Gestaltung des Lesarten-Apparates (= Apparat I) In den Lesarten-Apparat sind aufgenommen – alle Lesarten der (der jeweiligen Strophe als Leittext zugrunde gelegten) Handschrift, sofern der edierte Text über die oben aufgeführten stillschweigenden Ausgleichungen hinaus von der Leithandschrift abweicht (im edierten Text kursiv); – alle Worte der (der jeweiligen Strophe als Leittext zugrunde gelegten) Handschrift, in denen die Lesung einzelner Buchstaben unsicher ist oder veränderte Wortabteilung semantische Relevanz besitzen könnte (im edierten Text nicht markiert); – alle Lesarten der jeweiligen Nebenüberlieferung aus H und M, soweit diese sich vom Text der Leithandschrift oder dem edierten Text unterscheiden. Graphische oder den Lautstand betreffende Differenzen der Handschriften behandeln wir nicht als Lesarten, sie werden im Apparat nicht aufgeführt (zur Aufnahme von Lesungen des „Jüngeren Titurel“ s. unten). Die im Apparat gegebenen Lesungen folgen der Handschrift buchstabengetreu, allein paläographische Varianten eines Buchstabens werden vereinheitlicht (etwa die s-Graphien). Interpunktionen in den Handschriften (Reimpunkte) sowie die Trennungszeichen bei Zeilenwechsel oder sonstige Auszeichnungen der Schrift werden nicht wiedergegeben. Auf alle weiteren Ausgleichungen, Auflösungen oder Umschriften wird verzichtet. Auch Groß- und Kleinschreibung der Handschriften ist bewahrt (Lombarden bzw. Initialen der Hss. am Strophenbeginn erscheinen als Großbuchstaben). Großschreibung in den Lesarten kennzeichnet demnach nicht Vers- oder Halbversbeginn. Der Apparat ist wie folgt eingerichtet: – Alles, was überliefert ist, steht im Apparat recte, alles andere kursiv (mit Ausnahme der Lemmaklammern). – Unsichere Lesungen der Hs. stehen im Apparat in recte gesetzten, runden Klammern ( ). – Bezieht sich die angegebene Lesart auf einzelne Wörter oder kürzere Teile, so steht, wo zur eindeutigen Lokalisierung notwendig, vor der Lemma-
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Klammer ] die edierte Lesung der Leithandschrift, danach die Lesart, die das Lemma ersetzt. – Der Apparat soll bei aller Kürze und Prägnanz in jedem Fall handhabbar und lesbar bleiben. Daher werden bei komplizierteren Varianten oft längere Lesarten ganz gegeben. Bei längeren Einfügungen oder unübersichtlichen Varianten werden die in der Leithandschrift bzw. Edition gleichen Rahmenwörter (letztes gleiches Wort davor und danach) mitgegeben, wo nicht Beginn oder Ende der Lesart ohnehin durch Versbeginn oder eindeutige Syntax zweifelsfrei ersichtlich ist. Zur Vereindeutigung ist der Versbeginn (seltener auch das Versende) in den Lesarten durch • gekennzeichnet (nicht Reimpunkt!), wo dies nötig erscheint. – Nach der Lesart steht, wenn nicht durch einfache Überlieferung überflüssig, die Sigle der Handschrift bzw. der Handschriften. Reihenfolge der Lesarten und Siglen ist grundsätzlich: G H M. Es folgen die Lesarten des JT in alphabetischer Ordnung der Siglen (nach Ausgabe Wolf; s. unten). – Werden Lesarten mehrerer Handschriften zum gleichen Lemma angegeben, so stehen Kommas zwischen den Lesarten nach den Siglen, ansonsten sind die Lesarten durch Punkt und Spatium getrennt. Die Lesarten der Handschrift M sind in den Apparat aufgenommen, wo diese entweder von der Leithandschrift erkennbar abweicht oder erkennbar mit der Leithandschrift gegen H (oder JT in ausgewählten Fällen) steht. Wo M nicht im Apparat steht, ist demnach nicht zu entscheiden, ob sie mit der Leithandschrift und dem edierten Text liest oder aber ausfällt. Ein fortlaufender, vollständiger Abdruck von M hätte jedoch den Lesartenapparat überlastet und unleserlich gemacht. Daher geben wir die Handschrift M im Anschluß an den edierten Text vollständig als Transkription wieder. Allein zu den fünf nur in M überlieferten Strophen 81–84 und 87 geben wir die gesamte Transkription der Strophe im Apparat. Die Lücken in M sind jeweils durch drei Punkte wiedergegeben und geben keinerlei Auskunft über die wahrscheinliche Größe der Lücke. Dazu ist auf das Faksimile zu verweisen (fol. 1r u. 3r im Anhang dieser Ausgabe; alle sechs Seiten bei Heinzle 1973). Die Aufnahme von Lesarten der Handschriften des „Jüngeren Titurel“ stellt ein kaum zu lösendes Problem dar. Ein vollständiger Abdruck aller Lesarten der sich z. T. stark auffächernden Überlieferung kommt nicht in Frage, da dies den Großteil des Apparates einnehmen und diesen somit vollständig unleserlich machen würde. Zudem wäre der Ertrag im ganzen wohl eher gering: Der JT bleibt ein eigenständiges Werk, in dem Wolfram-Strophen – zum Teil mehrfach – bearbeitet wurden; inwieweit die Bearbeitung für einen Wolfram-Text relevantes Textmaterial bewahrt, ist dabei im Einzelfall beinahe nicht sicher zu entscheiden (dazu oben unter 1.2). Wir haben versucht, an signifikanten Stellen
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dieser Überlieferungssituation im Stellenkommentar durch Diskussion einzelner Lesarten auch des JT Rechnung zu tragen. Für den Apparat haben wir eine strikte Auswahl vornehmen müssen, wobei letzte Konsequenz in keiner Weise erzielt werden kann. Zwei Gesichtspunkte sind leitend: Wir geben an den Stellen Lesarten aus dem JT, – wo diese im Falle eines Auseinandergehens der Wolfram-Überlieferung in G, H oder M eine der dort bezeugten Lesarten stützen oder – wo diese eine Entscheidung anderer Herausgeber (die stets im Apparat II zu finden ist) stützen. Die Sigle JT, evtl. ergänzt durch die Siglen einzelner Hss. oder Hss.-Gruppen ( JTI, JTII, JT R; zur Zuordnung s. oben unter 1.2), steht stets in runden Klammern hinter der Lesart. Dadurch soll deutlich gemacht werden, daß die JT-Lesarten einen anderen Status besitzen als die angegebenen Lesarten der WolframHandschriften G, H und M, und dies in zweierlei Hinsicht: – Zum einen handelt es sich bei unserer Wiedergabe der Lesarten nicht um eine exakte Wiedergabe der Graphien der Handschriften, da dies den Apparat bei der Vielzahl der Überlieferungsvarianten des JT bei sehr geringem Ertrag ungebührlich aufgebläht hätte. Daher sind die JT-Lesarten zu Gruppen zusammengefaßt, wo die Hss. auch bei Differenzen in Graphie und iterierenden Varianten als Repräsentanten der gleichen Lesart gelten können, wobei sich die Wiedergabe aus praktischen Erwägungen und Gründen der Lesbarkeit in den meisten Fällen nach den edierten Texten und den Variantenverzeichnissen von Wolf und Schröder richtet einschließlich deren Auflösungen und Ausgleichungen. – Zum zweiten ist im JT oftmals der ganze Vers weitergehend verändert, was die Lesarten einzelner Stellen und Wörter nicht kenntlich machen können und sollen. Weitergehend veränderte Verse des JT aber systematisch im Apparat anzugeben, konnte nicht Sinn einer Wolfram-Ausgabe sein. Um den anderen Status der JT-Lesarten gegenüber den Lesarten der Handschriften G, H und M kenntlich zu machen und um die eindeutige und ungestörte Identifizierbarkeit der Wolfram-Lesarten zu gewährleisten, werden die Lesarten des JT zudem stets getrennt und am Ende der Lesarten aufgeführt, es sei denn, sie entsprechen einer angegebenen Wolfram-Lesart. Darauf verweist die JT-Sigle Klammern hinter der Sigle der entsprechenden Wolfram-Handschrift. Dieser Versuch ökonomischer Darbietung und Auswahl der Lesarten macht es notwendig, in die gegebene Haupt-Lesart zuweilen abweichende Varianten einzelner Handschriften oder Handschriften-Gruppen in runden Klammern einzufügen. Im einzelnen: – Steht in der runden Klammer ein Wort vor der Sigle bedeutet dies: Die angegebene Handschrift fügt dieses Wort ein: krone und (auch JT DE) den gral (JT I JT H) = krone und auch den gral lesen JT D und JT E, krone und den gral lesen die übrigen Hss. der Gruppe JT I sowie JT H.
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– Steht in der runden Klammer ein kursives fehlt, so fehlt genau das letzte Wort vor der Klammer in der angegebenen Handschrift: ich den (fehlt JT A) schilt (JT) = ich schilt liest JT A, ich den schilt lesen die übrigen Hss. des JT.
– Bei unsicherem Bezug oder Wortersatz steht innerhalb der runden Klammer das ersetzte Wort vor der Lemmaklammer ], das Wort, das dieses ersetzt, unmittelbar hinter der Lemmaklammer. Steht kein Wort vor der Lemmaklammer, so ersetzt das Wort dahinter genau das letzte Wort vor der runden Klammer, insofern der Bezug nicht ohnehin eindeutig ist: min sin der ( ] min JT B) stæte (JT) = min sin min staete liest JT B, min sin der staete lesen die übrigen Hss. des JT.
– Zuweilen steht in der runden Klammer hinter der abschließenden Sigle ein außer, gefolgt von einer von der angegebenen Überlieferungsgruppe abweichenden Sonderlesart und der entsprechenden Sigle: des selben (JT, außer des selbigen JT Nr.18) = des selbigen liest JT Nr. 18, des selben lesen alle übrigen Hss. des JT.
2.4 Die Gestaltung des Herausgeber-Apparates (=Apparat II) Eine vollständige Dokumentation aller Entscheidungen, die die zahlreichen Editoren und die Bearbeiter der Neuauflagen getroffen haben, erscheint ohne den Apparat zu überlasten weder möglich noch ertragreich und sinnvoll. Daher sind in den Herausgeber-Apparat nur die Editionen und Auflagen regelmäßig und mit Sicherheit aufgenommen, denen aktuell noch eine größere Verbreitung und somit nach heutigen philologischen Maßstäben eine philologisch und nicht nur fachhistorisch bedeutsame Position zukommt. Heinzles Stellenkommentar von 1972 wird ebenfalls wie eine Edition behandelt, insofern er editorisch in dem von ihm jeweils abgedruckten Leittext relevante Bereinigungen, Verbesserungen und Interpunktionen vornimmt. Es werden prinzipiell die Lesarten aus folgenden Editionen fortlaufend verzeichnet und dokumentiert mit folgenden Siglen (in alphabetischer Folge):162 BMa = Karl Bartsch, 4. Aufl. bearb. v. Marta Marti, 1927; GJ = Marion E. Gibbs and Sidney M. Johnson, 1988; La = Karl Lachmann, 6. Aufl. von Eduard Hartl, 1926; Lei = Albert Leitzmann, 5. Aufl., 1963; Mo = Wolfgang Mohr, 1978; alle Hgg. = nur die eben genannten Editionen BMa GJ La Lei Mo (nicht aber Hei, da dort im Text zu den meisten Lesarten keine Entscheidungen getroffen werden); Hei = bereinigter Leittext im Stellenkommentar von Joachim Heinzle, 1972. 162
Genaue bibliographische Angaben s. Bibliographie.
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Editorisches Vorwort
Andere Auflagen der genannten Editionen (im Falle von Lachmanns Text auch die spätere, siebente Auflage von Hartl, 1952) werden nicht fortlaufend dokumentiert sondern nur in Ausnahmefällen, da die Abweichungen – sieht man etwa von den orthographischen Änderungen Hartls in der siebenten Auflage von Lachmann ab – nur marginal sind. Dies gilt ebenso für die jüngste Ausgabe, derjenigen von Dallapiazza (1994), der mit geringfügigen Ausnahmen durchgehend den Text von Mohr (1978) abdruckt. Insbesondere sind die von extensiver Konjekturalkritik und Herstellung strikter metrischer Vorstellungen geprägten Editionen von Bartsch, Piper und Martin nicht systematisch, sondern nur sporadisch in den Apparat aufgenommen (Martin fortlaufend bei den fünf M-Zusatzstrophen). Eine vollständige, den Umfang des Herausgeber-Apparates vervielfachende Dokumentation der Fülle von Konjekturen, die heute nicht mehr diskutabel erscheinen,163 hätte nur forschungs- und fachgeschichtlichen Wert gehabt, aber den Apparat unleserlich gemacht. Folgende Siglen werden vergeben: Ba = Karl Bartsch, 1871 Dal = Michael Dallapiazza, 1994 Hartl = Karl Lachmann, 7. Ausg. von Eduard Hartl, 1952 Mar = Ernst Martin, 1900 Pip = Paul Piper, 1890
Die Sigle WPMo (= Wiedenmann/Parisi/Mohr) bezeichnet die musikalische Einspielung des „Titurel“ nach der Textedition von Wolfgang Mohr (1978) und der in der Wiener „Jüngeren Titurel“-Handschrift überlieferten Melodie durch Reinhold Wiedenmann (Gesang) und Osvaldo Parisi (Laute). Wir haben uns entschieden, im kritischen Apparat zu dokumentieren, an welcher Stelle die durch zahlreiche Aufführungen mittelalterlicher volkssprachlicher Lieder ausgewiesenen Musiker die Zäsuren bzw. die Binnenkadenz der Melodie realisieren, weil uns dies hinsichtlich der formalen Gestalt der Strophen von großer Relevanz zu sein scheint. Systematisch kann die musikalische Realisierung freilich nicht im Apparat dokumentiert werden, da die Musiker – der Aufführungspraxis höfischer Sänger sicherlich im Prinzip entsprechend – variabel und frei mit der Melodie verfahren, oft Notengruppen auslassen, die Melodie zu einem Parlando hin verändern oder gar zuweilen ganz aufgeben. Daher ist bei fehlendem Eintrag im Apparat nicht unterscheidbar, ob Wiedenmann/Parisi in jenem Vers mit unserem Zäsurvorschlag übereinstimmen oder aber eine (eindeutig identifizierbare) Zäsur/Binnenkadenz nicht ausführen. Die Einträge unter dieser Sigle können somit nur als Hinweise und nicht als fortlaufende Dokumentation verstanden werden. Der zugrunde liegende Text ist stets der von Wolfgang Mohr von 1978, der unter der Sigle Mo fortlaufend und systematisch im 163
Dazu und zur Charakterisierung der älteren Editionen (bis Hartl 1952) Bumke 1973, 149–166.
Zur Edition
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Apparat dokumentiert ist, sofern er vom edierten Text abweicht. Zuweilen ist daher die Zäsur nach WPMo in runder Klammer hinter der dokumentierten Lesart von Mohr angegeben. Lesarten anderer Herausgeber werden nur im Apparat verzeichnet, wenn deren Text vom hier edierten Text abweicht. Die nicht genannten Editoren bieten also die gleiche Lesart (Einschränkungen der regelmäßig und sicher verzeichneten Herausgeber s. oben; Einschränkungen zur Definition von Lesart s. Folgendes), sie werden nicht als Gewährsleute angegeben. Abdrucke, die sich nur graphisch vom edierten Text unterscheiden, betrachten wir nicht als eigenständige Lesarten; sie werden nicht angegeben. Dies betrifft insbesondere unterschiedlichen Gebrauch von f und v, pf und ph, c und k, i, j und y, abweichende Wortabteilung oder andere Bezeichnung der Vokallängen. Das gilt ebenso für abweichende Interpunktion, die keine abweichende Syntax oder ein anderes Verständnis des Verses anzeigt. Auch hinzutretende oder aufgegebene !e" in Nebensilben sowie proklitische bzw. enklitische Umstellung der Verneinungspartikel !-ne" bzw. !en- " bzw. !-n " werden nicht angegeben, sofern keine abweichende grammatische Auffassung vermutet werden kann. Es werden aber von diesen inhaltlich und grammatisch irrelevanten Differenzen solche Fälle aufgenommen, die eine andere metrische Lesung eines Verses anzeigen, die über die gewöhnliche Variabilität des Verses hinaus bedeutsam ist, die also etwa eine andere Zäsur konstituieren. Letzte Eindeutigkeit ist darin nicht zu erzielen, weil die von den Herausgebern gedachte Metrik oft nicht sicher zu ermitteln ist. Weitere metrische Zeichen der Editoren (z. B. Elisions-Punkt bei Leitzmann) bleiben unberücksichtigt. Die in den sechs nach H edierten Strophen durch die Nähe zur Handschrift begründeten zahlreichen Abweichungen unseres Text gegenüber den früheren Herausgebern, die alle eine ‚Rückübersetzung‘ in den mittelhochdeutschen Sprachstand vornahmen, haben wir nicht dokumentiert und nur dann in den Apparat aufgenommen, wenn andere Worte angeboten werden oder wenn wir eine andere Auffassung der Grammatik oder Metrik erkennen bzw. vermuten. Die satztechnische Einrichtung ist im wesentlichen die gleiche wie die von Apparat I. Im einzelnen: – Der edierte Text steht recte, alles andere kursiv. – Zu Beginn der Lesarten einer Strophe sind gegebenenfalls eine abweichende Strophenfolge oder Athethese einzelner Hgg. angegeben. – Zuweilen ist zur Verdeutlichung der Versbeginn oder das Versende einer Lesart mit • gekennzeichnet. – Bei Auslassungen von Wörtern ist das gegenüber unserer Edition Ausgelassene durch „om.“ (omittit bzw. omittunt) vor der Sigle bezeichnet.
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Editorisches Vorwort
– Abweichende Interpunktion, sofern als eigene Lesart aufgenommen, ist in Worten bezeichnet, nicht abgedruckt, da sich zur Lesart gehörende Satzzeichen und den Kommentar gliedernde Satzzeichen kaum unterscheiden lassen. Also etwa: BMa Komma, La Lei Punkt nach lâzen. GJ Mo keine Interpunktion nach minne.
– Das Zeichen für Zeilenwechsel ist im Apparat /, für die Zäsur zwischen Anvers und Abvers |. Soll nur abweichende Setzung der Zäsur bezeichnet werden, wird das Wort vor der Zäsur mit dem Zäsurzeichen bzw. nur das Wort, in das die Zäsur fällt, angegeben; z. B.: und | BMa. werdec-|lîche BMa.
– Sind Lesarten mehrerer Herausgeber zu einem Lemma angegeben, so erfolgt die Reihung der Lesarten bzw. der Sigle stets alphabetisch. Eine historischgenetische Reihenfolge kann aus pragmatischen Gründen, insbes. aufgrund der z. T. stark variierenden Auflagen einzelner Editionen, nicht gegeben werden. – Unterscheidet sich eine Lesart von einer anderen gegebenen nur geringfügig, so daß kein eigener Eintrag nötig ist (etwa nur graphisch oder satztechnisch, etwa durch prinzipiellen Verzicht auf Zäsur u. ä.), so ist die Sigle in runden Klammern immer nach der Sigle der exakt abgedruckten Lesart gegeben. Bei einer nicht geringfügigen Variante steht diese an entsprechender Stelle innerhalb der längeren Lesart in Klammern, gefolgt von der entsprechenden Sigle. Eingeklammertes GJ oder Mo nach einer Lesart mit Zäsurzeichen | weist darauf hin, daß diese Editionen keine Zäsur (im Falle Mohrs keine eindeutige Zäsur) bezeichnen. wie werdeclîchen | er erwarp La (GJ, werdeclîche Lei) = GJ lesen wie La, setzen aber prinzipiell keine Zäsur; Lei liest wie La, setzt Zäsur an gleicher Stelle, schreibt aber werdeclîche.
Zu unserer Übersetzung
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3. Zu unserer Übersetzung Ein Text, der so nachhaltig und auf so vielerlei Weisen die Grenzen des Sagbaren ausmißt und so die Grenzen der Verstehbarkeit strapaziert, läßt sich nicht in flüssige Gegenwartssprache übertragen, ohne Entscheidendes preiszugeben. Unsere Übersetzung will eine erste Vermittlung zwischen Text und Leser leisten. Vermittlung heißt, unter den oft zahlreichen Wegen des Verständnisses einen Weg zu beschreiten. Nichts scheint diesem Text mehr zu widersprechen. In dem Bewußtsein, daß jede Übersetzung Interpretation ist – oft sogar die vom Leser zuerst wahrgenommene – ist es das Bestreben unserer Übersetzung, zumindest einen Teil dieser Vieldeutigkeit, Rätselhaftigkeit, Widerständigkeit und Fremdheit des Textes zu akzentuieren und auf diese hinzuweisen. Darum haben wir uns erlaubt, enger als dies oftmals üblich und in anderen Fällen auch sinnvoll ist dem Wortlaut und der Bildlichkeit des mittelhochdeutschen Textes zu folgen. Die Zugänglichkeit unseres Stellenkommentars, der oftmals die erste und vorläufige Interpretation der Übersetzung relativiert bzw. deren Prämissen offenlegt, scheint uns dies zu rechtfertigen. Das Ergebnis ist keine Übersetzung, die einen sprachlichen oder literarischen Eigenwert beanspruchen will und kann. Sie will erstens dienende Funktion haben – dem Text und dem Leser dienen – und zweitens hinweisende Funktion – hinweisen auf den Text und auf den Stellenkommentar, d. h. auf hier erwogene Verstehensalternativen, in der Forschung diskutierte Interpretationsmöglichkeiten und philologische Rahmenbedingungen derselben. Die Schreibung der Namen in der Übersetzung richtet sich grundsätzlich nach unseren auch für den Kommentar geltenden Richtlinien (s. S. 61 unten), nicht nach der Handschrift bzw. dem edierten Text.
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Editorisches Vorwort
4. Zu Konzeption und Einrichtung des Kommentars Die leitende Frage bei der Kommentierung war für uns stets, ob die mögliche Kommentierung dem Verständnis der Stelle in diesem Text dient oder nicht, wobei die Kontextbeziehung der Einzelstelle immer entscheidend wichtig war. Aus diesem Grund haben wir Informationen, die keinen erkennbaren Beitrag zum Verständnis und zur Interpretation der Textstelle und ihres Zusammenhanges ergeben (wie z. B. Etymologien, Herkunft von Namen), beiseite gelassen. Unser Anliegen war es, 1. Worterklärungen zu geben, wo die Formen, die Verwendung der Wörter und deren höfische Semantik etc. erläuterungsbedürftig erschienen und den am genauen Textverständnis interessierten Benutzern der Ausgabe (vom Spezialisten bis zum interessierten Laien) hilfreich sein konnten; 2. die oftmals sehr schwierigen syntaktischen Konstruktionen, die vielfach in der Forschung kontroverse Erklärungen gefunden haben, im ganzen Kontext der Forschungsdiskussion vorzuführen und nach Möglichkeit zu klären; 3. Hinweise zur Interpretation und Deutungsmöglichkeit einzelner Stellen und Problemkontexte zu geben und die besonders in den letzten drei Jahrzehnten (vor allem seit Heinzles Stellenkommentar) reichhaltige Interpretationstätigkeit zu erschließen. Dabei beschränken wir uns nicht darauf, andere Auffassungen zu präsentieren und Positionen der Forschung lediglich vorzustellen; nach Möglichkeit versuchen wir darüber hinaus, das Für und Wider der Argumentationen gegeneinander abzuwägen und argumentativ Entscheidungen zu fällen. Das gilt auch 4. für die hinsichtlich der Textkonstitution und Überlieferung schwierigen Stellen. Auch hier kommt es uns darauf an, die Forschungslage so genau wie möglich darzustellen und die von uns getroffenen Entscheidungen so stichhaltig wie möglich zu begründen. Mit Heinzles Kommentar von 1972 (ergänzt 1989) liegt ein ungewöhnlich umfangreicher und gründlicher Stellenkommentar vor, der zudem gut zugänglich ist. Wir wollten, insbesondere im Hinblick auf Probleme, die in den letzten drei Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum der Forschung standen, diesen Kommentar nicht einfach wiederholen; wir verweisen an diesen Stellen nur auf ihn und beschränken uns im übrigen auf die heute zentralen Aspekte und Argumentationslinien. Da die im engeren Sinne philologischen Probleme (z. B. Fragen zur Echtheit, Strophenfolge u. ä.) und ihre Diskussion in der älteren „Titurel“Forschung von Heinzle mit erschöpfender Gründlichkeit behandelt worden sind, war es für uns nicht nötig, dies alles vollständig zu rekapitulieren. Auch die Namen (Herkunft, Historisches, Etymologisches), denen Heinzle einen breiten Raum gibt, werden von uns nur in wichtigen Ausnahmefällen kommentiert (überdies sei hier grundsätzlich verwiesen auf die Rezensionen zu Heinzle von Tax 1974 und Schirok 1974, auf Schröder 1982, Passage 1984 und Nellmanns „Parzival“-Kommentar 1994). Kommentare zur Sachkultur, zu histori-
Zu Konzeption und Einrichtung des Kommentars
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schen Realien usw. sind in unserem Kommentar, wenn sie nicht eine Textstelle wirklich veranschaulichen und erhellen, auf das Nötigste beschränkt. Wir unterteilen den Text in Abschnitte und verstehen diese Unterteilung als ersten Hinweis auf den Aufbau der Fragmente, nicht aber als ein endgültiges Urteil über Symmetrien und Tektonik des Textes. Da die Erzählerkommentare, Verweise und Anspielungen das Erzählkontinuum ständig durchkreuzen und die Konsistenz der Narration offenbar planmäßig und systematisch gebrochen wird, wird eine Ordnung nach einem gegliederterten, sukzessivem Aufbau dem Text nicht gerecht. So folgt unsere Einteilung nach Abschnitten eher praktischen Erwägungen. In den einleitenden Kommentaren lassen sich interpretatorische und/oder philologische Probleme, die sich im jeweiligen Abschnitt in besonderer Weise ergeben, zusammenfassend darstellen, und es läßt sich zugleich auf die Einzelkommentare verweisen, in denen die Details ausführlicher besprochen werden. Dem Benutzer wird so ein erster Leitfaden durch den Text gegeben, der auf die Kommentare zu den einzelnen, in der Abfolge des edierten Textes nach Strophen, Versen und Lemmata geordneten Stellen hinführt. Wir haben, da wir den gesamten überlieferten Strophenbestand des „Titurel“ ohne Ausnahme aufnehmen, und, unabhängig von Echtheitsfragen, alle Strophen als überlieferte gleich behandeln wollen, eine neue Zählung eingeführt, die (ab Strophe 81 kontinuierlich) von der traditionellen Lachmannschen Zählung abweicht. Zur besseren Orientierung haben wir Lachmanns Zählung nach der Sigle „La“ der durchgängigen Strophenzählung in Klammern beigegeben. Innerhalb von Zitaten aus der Forschungsliteratur ist die dort gegebene Zählung (nach Lachmann) unverändert; dahinter wird von uns in eckigen Klammern die Zählung nach unserer Edition eingefügt. Die im Text vorkommenden Eigennamen werden im Kommentar nach Forschungsusus und nicht nach unserer Edition geschrieben, da wir hier den Handschriften (zumeist also der Schreibung G) folgen. Die Lesbarkeit des Kommentars wäre bei einer Schreibung nach G deutlich eingeschränkt; zudem ist nicht einzusehen, warum Personen, die oftmals auch im Kontext mit dem „Parzival“ oder dem „Jüngeren Titurel“ diskutiert werden, im interpretatorischen Kommentar nach den Gewohnheiten des ostalemannisch-bairischen Schreibers benannt werden sollen. Wir schreiben im Kommentar also Schionatulander, nicht Schoynatulander, Herzeloyde, nicht Herzelaude; desweiteren Brobarz (Brubarz), Graharz (Kraharz), Gurnemanz (Kurnomanz), Gurzgri (Kurzkri), Ilinot (Ylinot), Kardeiz (Karideiz), Munsalvæsche (Muntsalvatsche), Schoette (Swete), Trevrizent (Trevrezent). Die öfter benutzte und zitierte Literatur wird stets durch Nachname des Verfassers bzw. der Verfasserin, Jahr und Seitenzahl abgekürzt wiedergegeben. Im Falle der Kommentare, Übersetzungen und Editionen haben wir auf Angabe
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Editorisches Vorwort
von Jahr und Seite verzichtet. „Marti“ bedeutet also stets „Marti zur vorliegenden Stelle“, „Übers. Hollandt“ demnach „Übersetzung des vorliegenden Verses“. Einfaches „Heinzle“ meint stets den Stellenkommentar von 1972. Die Numerierung und der Text des „Jüngeren Titurel“ folgt, wenn es nicht anders vermerkt ist, stets der Zählung und der Edition von Wolf.
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II. Text und Übersetzung
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Text und Übersetzung
Fragment I 1 1 Dô sich der starke Tyturel mohte gerüeren,
G 1, H1 La 1 (~JT 500)
er getorste wol sich selben unt die sîne in sturme gefüeren. sît sprach er in alter: ‚ich lerne, daz ich schaft muoz lâzen. des phlac ih schône unt gerne.‘
2 2 ‚Möhte ih getragen wâppen‘, sprach der genende,
G 2, H 2 La 2 (~JT 501/502)
‚des solt der luft sîn gêret von spers krache ûz mîner hende. sprîzen gæben schate vor der sunnen. vil zimierde ist ûf helmen von mînes swertes ecke enbrunnen.
3 3 Obe ich von hôher minne ie trôst enphienge,
G 3, H 3 La 3 (~JT 596)
unt op der minnen süeze ie sælden kraft an mir begienge, wart mir ie gruoz von minneclîchem wîbe, daz ist nu gar verwildet mînem seneden klagendem lîbe.
4 4 Mîn sælde, mîn kiusche, mit sinnen mîn stæte,
G 4, H 4 La 4 (~JT 615)
unt op mîn hant mit gâbe unt in stürmen ie hôhen prîs getæte, des mac niht mîn iunger art ferderben. iâ muoz al mîn geslähte imer wâre minne mit triwen erben. 1 2 3
4
1 2 3 4
1 Tytorel H. mohte ] nicht H. 2 da getorst er H. vn ] mit H. 3 in ] im H. 4 schaft ] den schilt H, den (fehlt JT A) schilt (JT). phlag ich ettwen schone H. 1 Wappen so sprach H. 2 des mues H. 3 spriezzen G. die spreÿssen geben H. 4 vil zÿmmere H. 2 der suessen mynnen clam ye genade an mir H. 3 minnchlichen G, mÿnneklichem H. 4 minem siechen seneden klagendem (JT AB), dem minem senden sieche klagenden (JT DE), minem alten seneden clagendem (JT H), vor laide meinem sendem klagendem (JT R). clagenden H. 1 • Mein selikait mein ketsche mein syn vnd all mein stEte H. min sin der ( ] min JT B) stæte (JT). 2 oder in sturme H. 3 des ] das H. mein hohe art H. 1 Titurel BMa GJ Lei Mo. Titu- | rel Lei. 3 sît sprach er: ‚in alter ich lerne Lei. 4 schaft ] den schilt Ba 2.Aufl. Pip. phlac ich etwenne schône GJ La Lei. 4 zimierde ûf helmen | ist von Lei. 2 der süezen minne kraft ie saelden an mir Mo (kraft | WPMo). ie ] ir BMa. 4 klagenden Lei. 3 des ] daz La Mo. Mo Komma 2 unde in sturmen BMa, oder in stürmen GJ, oder in sturme La Lei. nach verderben.
Fragment I
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Als sich der starke Titurel noch rühren konnte, getraute er sich wohl, sich und die Seinen auf vorbildliche Weise in die Schlacht zu führen. Später, im Alter, sprach er: „Ich sehe ein, daß ich den Schaft lassen muß. Den pflegte ich gewandt und mit Freude zu schwingen.
Könnte ich noch Waffen tragen“, sprach der Tapfere, „so müßte der Wind geehrt sein durch das Krachen der Speere, die ich mit meiner Hand würfe. Ihre Splitter gäben Schatten vor der Sonne. So mancher Schmuck ist auf Helmen schon durch die Schneide meines Schwertes in Flammen aufgegangen.
Wurde mir jemals durch Hohe Minne freudige Zuversicht zuteil, hat die Süße der Minne mir jemals Glück und Stärke verliehen, empfing ich jemals den Gruß einer liebreizenden Frau – das ist meinem sehnsuchtsvollen, klagenden Dasein nun gänzlich fremd geworden.
Mein Glück und Heil, meine lautere Demut, meine aufrichtige und beständige Gesinnung, und wenn meine Hand durch Freigebigkeit und in Schlachten jemals Ruhmreiches vollbracht hat – dies alles kann meine junge Nachkommenschaft nicht zugrunde richten. Ja, es muß mein ganzes Geschlecht auf immer echte Minne und Treue erben.
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Text und Übersetzung
5 5 Ich weiz wol, swen wîplîchez lachen enphâhet,
G 5, H 5 La 5 (~JT 617/18)
daz imer kiusche unt stætekeit dem herzen nâhet. diu zwei kunnen sich nimer dâ gevirren, wan mit dem tôde aleine. anders kan daz niemen verirren.
6 6 Dô ih den grâl enphienc von der botschefte,
G 6, H 6 La 6 (~JT 512)
die mir der engel hêre enbôt mit sîner hôhen krefte, dâ vant ih geschriben al mîn orden. diu gâbe was vor mir nie menschlîcher hende worden.
7 7 Des grâles hêrre muoz sîn kiusche unt reine.
G 7, H 7 La 7 (~JT 621)
ôwê, süezer Frimutel, ih hân niht wan dich aleine mîner kinde hie behabet dem grâle. nu enphach des grâles krone unt den grâl, mîn sun der lieht gemâle.
8 8 Du hâst bî dînen zîten schildes ambet
G 8, H 10 La 8 (~JT 651)
geurbort hurteclîchen. dîn rat was aldâ verklambet. ûz der rîterschaft muose ih dich ziehen. nu wer dich, sun, aleine! mîn kraft wil uns beiden enphliehen. 5 6 7
8
5 6 7 8
1 weyplich grtessen H. 2 • daz ketsche vnd stEte dem hertzen ymmer nahet H. 3 • der zweÿ kunnen sich da nicht guriern H. geirren G, gevirren (JT, außer virren JT D). 4 niemant da geyrren H. 4 der gab was H. 1 corscheffte H (oder torscheffte ?). 2 der Engl heer empot H. 3 alln– H. 2 • ey suesser sun freymuntel H. 3 kinde behabet hie dem H. 4 emphach den gral vnd des grales crone mein H, enpfach des grales krone und (auch JT DE) den gral min ( JT I JT H), enpfach des Grales krone vnd wer den Gral (JT Nr. 54), emphach den gral vnd auch des grales chrone mein (JT R). 1 • Sun du hast H. ziten ] tesrn H. 2 geurbort so hurtikleichen das dein manlich tat was 4 crafft der wil H. vnuerklampt H. verchlamet G. 3 Ritterscheffte mss ich mich ziehn– H. 1 wîp- | lîchez Lei. 1–2 enphæhet : næhet alle Hgg. 2 imer ] imêre GJ La, immer mêre Lei, ie mêre Mar, da imer Mo. 3 sich dâ niht La, sich nimêr Mo. 4 Hei Komma nach al eine. 2 der engel | her enbôt BMa, der engel hêre | . . . . enbôt La (GJ), der engel hêre | her enbôt Lei (Mo WPMo). die der engel hêre | mir enbôt Mar. 4 vor mir was diu gâbe Lei. nie | WPMo. 2 süezer sun | Frimutel La (GJ). Frimu- | tel Lei. Nach Str. 10 (wie H) bei Mar und Lei (1. Aufl.) 1 Sun, du hâst bî dînen | zîten schiltes ambet BMa La (GJ), dû hâs bî dînen zîten, | sun, schiltes ammet Lei. 2 Lei Mo Komma nach hurteclîchen. swenne dîn rat was alda verklammet Lei. 3 muos La, muoste Lei. mich ziehen Lei. 4 La Lei Doppelpunkt, Mo Komma nach al eine. mîn kraft diu wil BMa La Lei.
Fragment I
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Das weiß ich genau: Wen das Lächeln von Frauen begrüßt, in dessen Herz zieht auf immer lautere Demut und Beständigkeit ein. Niemals mehr werden sich diese beiden entfernen, außer allein mit dem Tod. Niemand kann dies auf irgendeine andere Weise irreführen.
Als ich den Gral entgegennahm durch die Botschaft, die mir der herrliche Engel mit göttlicher Vollmacht überbrachte, da fand ich meinen Auftrag und die Gralsordnung vollständig auf ihm geschrieben. Vor mir war diese Gabe noch nie einer menschlichen Hand übergeben worden.
Der Herr des Grals muß rein und ohne Fehl sein. O weh, liebster Frimutel, außer dir habe ich keines meiner Kinder für den Gral am Leben behalten. So empfange nun die Gralskrone und den Gral, mein strahlend schöner Sohn.
Solange du lebst, hast du das Feld des Ritterdienstes kraftvoll und ehrenhaft bestellt. Aber dabei war dein Pflugrad dort festgefahren. An mir war es, dich aus der höfischen Ritterschaft herauszuziehen. Nun setze dich alleine zur Wehr, mein Sohn: Meine Kraft will uns beiden entschwinden.
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Text und Übersetzung
Got hât dich, sun, berâten fünf werder kinde. 9 diu sint och hie dem grâle ein werdez ingesinde. Anfortas unt Trevrezent der snelle, ih mac geleben, daz ir brîs wirt vor anderm prîse der helle.
Dîn tohter Schoysîâne in ir herzen besliuzet 10 sô vil der guoten dinge, des diu werlt an sælden geniuzet. Herzelaude hât den selben willen. Urrepanse de schoyen lop mac ander lop niht gestillen.‘
Dise rede hôrten rîter unt frouwen. 11 man mohte an templeisen manges herzen iâmer schouwen, die er dicke brâhte ûz manger herte, swenne er den grâl mit sîner hant unt mit ir helfe werte.
G 9, H 8 La 9 (~JT 652)
G 10, H 9 La 10 (~JT 653)
G 11, H 11 La 11 (~JT 601/602)
G 12, H 12 La 12 (~JT 603+655)
Sus was der starke Titurel worden der swache, 12 beidiu von grôzem alter unt von siecheit ungemache. Frimutel besaz dâ werdeclîche den grâl ûf Muntsalvâtsche. daz was der wunsch über irdeschiu rîche.
1 • Nun got hat dich beraten auf vil werder kinde H. 2 die sint hoch bey dem grale ain vil selig werdes ynngesinde H, di sint hoch ( ] hie JT E, fehlt JT B) bi dem grale (dir JT DE) ein vil selic werdez ingesinde (JT). 3 Tresfezzent H. 4 ob allem preÿse H. 10 1 …in G ] Mein H. Tchrosiane H. 2 daz ir der welt H, daz ir (fehlt JT E) di werld (JT). 3 hertzenlayde H. 4 vrrepanse der schoyen G. Vrrepano de Tschyen lob mag der anndern laÿ nicht H. 11 2 tepleisen G. • sy mochten an dem Tempheÿse H. iammer dick schawen H. 3 offt bracht H. 4 • Wenn er den gral mit seiner crafft vnd mit jr hilffe ritterlichen werte H. hant ] kraft (JTI, außer krefte JT ac; Vers anders JT H, fehlt JT R). 12 1 • Stnst H. 2 siecheite H. 3 freymutel H. 4 wunch G. • ze Monsalvatsch den gral das ist der – reiche H. wunsch ob jrdischm 9
9 2 grâle | BMa La Lei WPMo. ein vil sælec werdez BMa GJ La Lei. 3 Mo Semikolon nach snelle. 4 ir | Lei. 10 1 Diniu Mo. in | BMa Lei. herze GJ La. 2 des ] dês GJ La Mar Pip. 3 Herzeloyde BMa (sonst Herzeloide), Herzelöude GJ La Mo (immer), Herzeloide Lei (immer). 4 lop | mac WPMo. 11 2 geschouwen BMa, beschouwen Lei. 4 hant | und mit ir helfe rîterlîchen werte La (GJ), hende und ir helfe ritterlîchen werte Lei. unde Mo (hant | unde WPMo). 12 1 Titu- | rel Lei. 2 alter | BMa La. unde Mo (alter | unde WPMo). siecheite GJ La Lei. 4 Muntsalvæsche BMa, Munsalvâsche Lei (immer). ob irdeschem rîche La.
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Gott hat dir, mein Sohn, fünf edle Kinder geschenkt. Sie sind zugleich dem Gral hier eine würdige Gefolgschaft. Ich kann vielleicht noch erleben, daß der Ruhm des Anfortas und des tapferen Trevrizent den Ruhm aller Anderen überstrahlt.
Deine Tochter Schoysiane birgt so viele Tugenden in ihrem Herzen, daß die ganze Welt davon Segen erhält. Von gleicher Gesinnung ist Herzeloyde. Den Lobpreis Urrepanse de Schoyes kann aber der Ruhm anderer nicht zum Verstummen bringen.“
Diese Rede hörten die Ritter und Damen des Hofes. Man konnte den Templeisen ihren tiefen Kummer ansehen, die er oftmals aus so mancher Bedrängnis herausgeführt hatte, wenn immer er den Gral mit seiner Hand und mit ihrer Unterstützung verteidigte.
So war nun aus dem starken Titurel der schwache geworden, wegen seines hohen Alters und infolge der Beschwerlichkeit seiner Krankheit. Frimutel hatte da würdevoll den Gral auf Munsalvaesche in Besitz: Dies übertraf alle irdische Herrschaft.
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Text und Übersetzung
Dem wâren sîner tohter zwô von den iâren, 13 daz si gein hôher minne an vriundes arm volwahsen wâren. Schoysîânen minne Nschône gerte vil künge ûz mangen landen, des si doch einen fürsten gewerte.
G 13, H 18 La 13 (~JT 656)
G 14, H 19 La 14 (~JT 661)
Kîôt ûz Katelangen erwarp Schoysîânen. 14 schœner maget wart nie gesehen bî sunnen noch bî mânen. er het vil manger tugende genozzen. sîn herze was gegen hôhem prîse ie der kost unt der tât unverdrozzen.
Si wart schône brâht unt rîlîche enphangen. 15 der künec Tampunteire, sîn bruoder, kom ze Katelangen. rîche fürsten ungezalt dâ wâren. sô kosteclîche hôchgezît gesach niemen bî mangen iâren.
Kîôt, des landes hêrre, brîs het erworben 16 mit milte unt ellen. sîn tât was vil unverdorben, swâ man hurteclîche solte strîten unt ouch durch wîbe lôn gezimiert gein der tioste rîten.
G 15, H 20 La 15 (~JT 662)
G 16, H 21 La 16 (~JT 663)
13 2 • des sy gegen H. 3 • Thyosyanen H. gerte schone G (mit Reimpunkt nach gerte und Umstellungszeichen [?] über beiden Worten), schone gerte H (JT). 14 1 Kyot von H. Thyosyanen H. 2 gesehen seyt noch ee beÿ Ssnnen H, geboren (ward JT D) sint noch e (fehlt JT E) bi sunnen (JT). mannen G, Mannen H. 3 tugent G. • auch het Er maniger tugende genossen H. 4 was ye der coste vnnd der tat gegen preyse vnuerdrossen H. 15 1 ward im schone H. 2 Tampuntier H. kam auch ze H. 3 • vil reicher ftrsten vngezalte H. 4 • so costliche hochtzeit die gesach noch nieman in manigen iaren H. 16 2 vnd auch mit aller seiner tat H. 3 • wo man Ritterlichen solte H. 4 • vnd durch der weybe lon gezymmeret gegen tyost reiten H. 13 1 zwuo alle Hgg. 2 arme Lei. 4 BMa GJ La Semikolon, Lei Doppelpunkt nach landen. 14 2 nie gesehen | sît noch ê bî sunnen La (GJ), nie noch | gesehen ê bî sunnen Lei. gesehen | WPMo. 4 gein hôhem prîs | BMa La (GJ). prise | WPMo. 3 ouch het er manger La. vil om. GJ. tugent GJ. gein prîse ie | Lei. 15 1 wart im schône GJ La Lei. brâht | La. unde Mo (braht | unde WPMo). 2 kom ouch ze GJ La Lei. 4 gesach nie man BMa, gesach noch nie man GJ La, gesach noch niemen Lei. 16 2 milte und ouch mit ellen GJ La Lei. al sîn tât Lei. 4 durch der wîbe GJ La Lei. wîbe | Lei. gezimieret BMa GJ La Lei.
Fragment I
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Zwei seiner Töchter waren nun in einem Alter, in dem sie herangewachsen waren zu Hoher Minne in den Armen eines Geliebten. Viele Könige aus mancherlei Ländern bewarben sich in aller Form um Schoysianes Liebe, die sie schließlich jedoch einem Fürsten gewährte.
Kiot von Katelangen erlangte Schoysiane zur Gemahlin. Nie hatte man, weder bei Tag noch bei Nacht, ein schöneres Mädchen gesehen. Er hatte für viele rühmliche Taten den Lohn davongetragen: Um hohen Ruhm zu erwerben stand ihm sein Herz unermüdlich nach Freigebigkeit und tapferer Tat.
Auf prächtige Weise wurde sie ihm zugeführt und wie eine Herrscherin von ihm empfangen. Auch der König Tampunteire, sein Bruder, kam nach Katelangen. Unzählige mächtige Fürsten waren dort: solch aufwendige Hochzeit bekam man viele Jahre lang nicht mehr zu sehen.
Kiot, der Herrscher des Landes, hatte mit Freigebigkeit und Tapferkeit Ruhm erlangt: Seine Tat war von Erfolg gekrönt, wo immer es galt, kraftvoll zu kämpfen oder um Frauengunst geschmückt in den Zweikampf zu reiten galt.
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Text und Übersetzung G 17, H 22 La 17 (~JT 664)
Gewan ie fürste lieber wîp! waz der dolte 17 der herzenlîchen liebe! alsus diu minne mit in bêden wolte. owê des, nu nâhet im sîn trûren! sus nimet diu werlt ein ende: unser aller süeze an dem orte ie muoz sûren.
Sîn wîp in ze rehter zît gewerte eins kindes. 18 daz mich got erlâze in mînem hûs eines solhen ingesindes, daz ich als tiure müese gelten! die wîle ih hân die sinne, sô wirt es von mir gewünschet selten.
Diu süeze Schoysîâne unt diu stæte 19 gebar mit tôde eine tohter, diu vil sælden hæte. an der wart al wîplîch êre enstanden. diu phlac sô vil triwen, die man noch saget in mangen landen.
G 19, H 23 La 18 (~JT 669)
G 18, H 24 La 19 (~JT 670)
G 20, H 25 La 20 (~JT 671)
Sus was des fürsten leit mit liebe underscheiden. 20 sîn iungiu tohter lebte unt ir muoter was tôt. daz het er an in beiden. Schoysîânen tôt half im ûz borgen die flust an rehten fröuden unt gewin imer mêre an den sorgen.
17 1 gewan ] Wann H. 2 • hertzenlicher wunne also H. mit ] an H. 4 • vnnser aller stsse mses ye ze itngst an dem orte sauren • H. 18 1 jn gewerte ze rechter zeit eines H. 2 daz ] so H. hause all solhes ynngesindes H. 3 also tewre msste H. 4 es ] sein H. 19 1 Tschyosiane der klar und der stEte H. • Tschoisian di (vil JT E) clare di ssz und ouch (fehlt JT H) diu staete (JT). 3 alwiplich ere G, alle magtlich ere H, elliu magtlich ere (JT). 4 • Sy phlag souil der trewen die man von jr noch saget in manigem Lannde H. 20 1 liebe ] iammer H. 2 lebete Ir mseter tot H (JT, außer sin mster JT A) . 3 Thyosianem H. 4 an den freuden vnd ymmer mer gewin an H. 17 1 GJ La Lei Mo Komma nach wîp. wip | WPMo. 2 liebe ] wünne BMa La Lei. alsus ] als ez La Lei Mo. als | Lei. La Lei Komma nach wünne, Mo nach liebe. mit ] an GJ La. BMa Doppelpunkt nach wolte. 4 nimt Lei. un- | ser Lei. an dem ] am GJ La Lei. 18 Nach Str. 19 (wie G) bei BMa. 1 zît | BMa WPMo. eines BMa Mo. 2–4 BMa V. 2–4 in ParentheseKlammern. 2 in | Lei. eins BMa GJ La Lei. 3 alsô tiure GJ La Lei. müeste Lei. 19 1 Schoysîâne, | diu clâre und diu stæte La Lei (GJ), mit Komma nach stæte. 2 mit ir tôde Lei. 3 elliu magtlîch êre La (GJ). entstanden BMa Lei Mo. 4 man von ir noch GJ La Lei. 20 1 mit | Lei. 2 lebte, | ir muoter tôt, daz La (GJ, mit Punkt nach tôt), lebete und | ir muoter tôt, daz Lei. lebte | WPMo. BMa Mo La Lei Komma nach tôt. 4 und | BMa. und immer mêr gewin an Lei.
Fragment I
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Hatte je ein Fürst eine liebenswertere Frau errungen? Was hatte er zu erdulden an inniglicher Liebe! So hatte es die Minne mit diesen beiden vor. O weh, nun naht ihm sein Leid! So ist der Lauf der Welt: Unser aller Freude muß sich am Ende stets in Bitternis verkehren.
Seine Frau schenkte ihm nach angemessener Zeit ein Kind. Möge mich Gott vor einem solchen Zuwachs in meinem Haushalt bewahren, den ich so teuer bezahlen muß! Solange ich meine Sinne beisammen habe, wird mir ein solcher Wunsch nie in den Sinn kommen.
Die liebliche, treue Schoysiane gebar sterbend eine Tochter, die reich gesegnet war. An ihr zeigten sich alle weiblichen Tugenden. Sie war von solcher Güte, daß man sich noch heute in vielen Landen davon erzählt.
So war das Leid des Fürsten mit Freude vermischt: Seine junge Tochter lebte und ihre Mutter war tot. Das hatte er an den beiden. Der Tod Schoysianes brachte ihm den Verlust an echter Lebensfreude ein und nie endenden Gewinn an Kummer.
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Text und Übersetzung
Dô bevalch man die frouwen mit iâmer der erden. 21 si muose gearômâtet unt gebalsmet ê werden, durch daz man lange muose bîten: vil künge unt fürsten dar kômen ze der lîchlege an allen sîten.
Der fürste hêt sîn lant von Tampunteire, 22 von sînem bruoder, dem künge, den man dâ hiez von Pelrapeire. sîner kleinen tohter bat erz lîhen. er begunde sich des swertes, helmes unt schiltes verzîhen.
Der herzoge Manfilôt sach vil leide 23 an sînem werden bruoder. daz was ein sûriu ougenweide. der schiet ouch durch iâmer von sînem swerte, daz ir dewedere hôher minne noch tioste negerte.
Sigûne wart daz kint genant in der toufe. 24 die het ir vater Kîôt vergolten mit dem tiuren koufe, wan er wart ir muoter dur si âne. die sich der grâl zem êrsten lie tragen, daz was Schoysîâne.
G 21, H 26 La 21 (~JT 672)
G 22, H 28 La 22 (~JT 673)
G 23, H 29 La 23 (~JT 675)
G 24, H 27 La 24 (~JT 676)
21 1 do G ] Da H. 2 • sÿ msste ee gearomacet vnd auch gepalsempt schone werden H. 3 • darsmb man lange mseste mit jr peiten H. 4 fsrsten komen dartzs der H. 22 1 Tampuntiere H. 2 von fehlt H. da fehlt H. Belrapiere H. 3 chlein G, fehlt H. 4 • da begund er sich des swertes vnd helmes H. 23 1 Monfiles H. 2 ein vil sasrer H. 3 • Er schied sich auch Vor iammer von dem swerte H. 4 dewedere ] entweder H. tÿoste nicht gerte H. 24 1 Sugasne H. 2 • die jr Vater kÿot het vergolten mit vil teurem kauffe H. 4 Gral ye zum erstn– tragen lie das was Thysiane H. 21 2 muoste garômâtet Lei. und BMa GJ La Lei. gebalsamet BMa GJ, gebalsemt Lei. ê schône werden GJ La Lei. La Lei Doppelpunkt, GJ Mo Punkt nach werden. 3 muoste Lei. muose mit ir bîten La. La Lei Mo Punkt nach bîten. 4 unde Mo. fürsten | WPMo. fürsten | kom dar zer lîchlege La (GJ), vürsten kômen | dar zer lîchlege Lei. dar | BMa. 22 1 hête GJ La, hete Lei. lant | WPMo. von | rois Tampunteire Lei. 2 bruoder | La Lei WPMo, dem | BMa. künc GJ La, künec Lei. 23 1 Manfi- | lôt BMa, Mamfi- | lot Lei. sach im vil Lei Mar (Vorschlag La im Apparat). 2 ein vil sûriu Lei. 3 der ] er GJ La. sînem ] dem La. 4 dewedere | BMa, deweder | La (GJ), minne | WPMo. deweder hôher | Lei. minn La. tjoste niht engerte GJ La Lei, tjoste engerte Mo. 24 1 ge- | nant BMa Lei. 2 hete BMa. Kî- | ôt BMa. die ir vater Kîôt | het La (GJ), die ir vater hête | Kîôt 4 liez tragen BMa Lei, tragen lie GJ La. Lei.
Fragment I
75
Da übergab man unter Wehklagen die Fürstin der Erde. Sie mußte mit duftenden Gewürzen einbalsamiert werden, weil man lange zu warten hatte: Viele Könige und Fürsten waren aus allen Richtungen dorthin zur Grablegung gekommen.
Der Fürst hatte sein Land von Tampunteire, von seinem Bruder, dem König von Pelrapeire, zu Lehen. Er ließ es seiner kleinen Tochter übertragen. Er selbst entsagte dem Schwert, dem Helm und dem Schild.
Der Herzog Manfilot nahm den großen Schmerz an seinem edlen Bruder wahr. Es war ihm eine bittere Augenspeise. Er ließ auch aus Kummer vom Schwerte ab, so daß keiner von beiden mehr nach Hoher Minne und Zweikampf strebte.
Sigune wurde das Kind bei seiner Taufe genannt. Ihr Vater Kiot hatte für sie einen hohen Preis entrichtet, denn er verlor durch sie ihre Mutter. Es war Schoysiane gewesen, von der sich der Gral zum ersten Mal hatte tragen lassen.
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Text und Übersetzung G 25, H 30 La 25 (~JT 677)
Der künec Tampunteire Sigûnen die kleinen 25 zuo sîner tohter fuorte. dô Kîôt si kuste, man sach dâ vil geweinen. Kondwîrâmûrs lac ouch an der brüste. die zwô gespilen wuohsen, daz nie wart gesaget von ir prîses verlüste.
In den selben zîten was Kastis erstorben. 26 der het ouch ze Muntsalvâtsche die clâren erworben. Kanvoleiz gap er der frouwen schône unt Kingrivâls: zin beiden truoc sîn houbet vor fürsten die krône.
G 26, H 32 La 26 (~JT 683)
G 27, H 33 La 27 (~JT 685)
Kastis Herzelauden nie gewan ze wîbe, 27 diu an Gahmurets arme lac mit ir magetlîchem lîbe. doch wart si dâ frouwe zweiger lande, des süezen Frimuteles kint, die man von Muntsalvâtsche dar sande.
G 28, H 31 La 28 (~JT 679)
Dô Tampunteire starp unt Karideiz der clâre 28 – in Brûbarz truoc er die krône, daz was in dem vünften iâre, daz Sigûne was aldâ behalten –, dô muosen si sich scheiden, die iungen zwô gespilen, niht die alten.
25 1 Tampuntier Sÿgasnen H. 3 Kondwiramus G, Kondewiramss H. lag dannoch an H. 4 wohsen G, wschsen H. 26 1 Castis auch erstorben H. 2 der het Hertelauden ze Montsalvatsch H. 3 Anfuleis H. 4 ktngrifalsch ze den baiden H. 27 1 hertzelaiden H. 2 • der an Gamuretes H. mit magtumlichen leibe H. 4 des reichen frimuntels H. Montsaluasch H. 28 1 • Da Tampuntier erstarb H. kardus H. 2 Brubars trsg die H. 3 Sygasne H. 4 da msstn– H. 25 2 zuo ] ze Lei. fuorte dô. | Kîôt BMa. Lei keine Interpunktion nach fuorte. [dô] La. kust GJ La 3 lac dannoch GJ La, lac ouch noch Lei, lac noch Mo. 4 zwuo alle Hgg. wuchsen Lei. daz | BMa. nie gesaget wart von Lei. vlüste BMa GJ La Lei. 26 2 Muntsal- | vâtsche ? Muntsalvatsche | WPMo. ouch ze Muntsalvâtsch | die clâren Herzeloiden erworben BMa, ouch Herzelöuden | ze Muntsalvâtsch (Munsalvâsche Lei), die clâren, erworben La Lei (GJ). ze ] zu Mo. 4 Kongrivâls Lei. 27 2 magtuomlîchem La. 4 Frimuteles | kint, die von Munsalvâsche man dar Lei. 28 1 Mo Komma nach starp. und | Lei. Kardeiz BMa GJ La Lei. 2–3 Keine Parenthese La Lei Mo, BMa in Parenthese-Klammern. 2 er om. La Lei Mo. krône | La Lei WPMo. BMa Doppelpunkt nach krône. Brûbarz die krône | truoc, daz Lei (Vorschlag La im App.) 3 La Mo (Lei) Punkt nach behalten. 4 muosten Lei. zwuo alle Hgg.
Fragment I
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Der König Tampunteire brachte die kleine Sigune zu seiner Tochter. Als Kiot sie küßte, da sah man dort viele Tränen. Auch Kondwiramurs lag noch an der Brust. Die beiden Freundinnen wuchsen so heran, daß niemals etwas gesagt wurde, was ihren Ruhm beeinträchtigt hätte.
Zur selben Zeit war auch Kastis gestorben, der ebenfalls in Munsalvaesche die strahlend schöne Frau erlangt hatte. Kanvoleiz übereignete er dieser Herrin rechtmäßig und auch Kingrivals: In beiden Städten hatte sein Haupt vor den Fürsten die Königskrone getragen.
Kastis hatte mit Herzeloyde die Ehe nie vollzogen, die später als Jungfrau in Gahmurets Armen lag. Und doch wurde sie dort Herrscherin zweier Länder, das Kind des süßen Frimutel, die man von Muntsalvaesche dorthin ausgesandt hatte.
Als Tampunteire starb (und übrigens auch der strahlend schöne Karideiz) – in Brubarz hatte er die Krone getragen; das geschah im fünften Jahr, seit Sigune dort in Obhut geblieben war –, da mußten sich die beiden jungen Freundinnen trennen – sie waren wirklich noch nicht alt.
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29
30
Text und Übersetzung
Diu küngin Herzelaude an Sigûnen dâhte. 29 si warp mit al ir sinnen, daz man die von Brûbarz ir brâhte. Kondwîrâmûrs begunde weinen, daz si gesellekeit unt der stæten liebe an ir solte vereinen.
H 35 La 30 (~JT 689)
Das kint sprach: ‚liebes väterlin, du hayss mir gewinnen 30 mein schrein vollen tocken, wenn ich zu meiner muomen var von hynnen. so bin ich zu der ferte wol berichtet. es lebt manig ritter,
31
der sich in meinen dienst noch verphlichtet.‘
‚Wol mich so werdes kindes, das ist also versuonnen! 31 got muoss Kathelangen also herer frawen an dir lannge gunnen. mein sorge slaffet, so dein sælde wachet. und were Swartzwalde hie ze lannde,
32
G 29, H 34 La 29 (~JT 686)
H 36, M 1 La 31 (~JT 690)
er wurd ze scheften gar durch dich gemachet.‘
G 30, H 37, M 2 La 32 (~JT 692)
Kîôtes kint Sigûne alsus wuohs bî ir muomen. 32 er kôs si für des meien blic, swer si sach, bî den tounazzen bluomen: ûz ir herzen blüete sælde unt êre. lât ir lîp in diu lobes iâr volwahsen, ich sol ir lobes sagen mêre.
29 2 wap G, warb H. mit allen Irn synnen daz mans Ir von Brtbram dar prachte H. 3 Condewiramius begunde haysse wainen H. 4 • daz sich der geselleschat vnd der stEte liebe vnder jn solte verainen H. 30 1 nu heize (JT). 3 zuo der (JT). 4 • wære der sw(a) 31 2 • Got mvæ(z) … izze … frowen da g … M. mUz (JTI ), msz (JTII ). heer freten H. … (w)alt hie z … ar ze speren (d)urch dich gem(a) … M. Scheffen H. gemacht H. 32 1 Sigasne H. wQhes G, wschs H, … (o)chs M. 2 er GM ] man H. swer G ] wer H. den fehlt HM. 3 blQte G, plsete H ] wchs M. 4 • nu lat Iren leib volwachsen in der lobes jar ich sol jr lobes ktnden noch mere H. 29 4 gesellekeite | und La (GJ). und | BMa Lei, gesellekeit | WPMo. liebe solde an ir vereinen Lei. 30 Strr. 30–31 als unecht abgedruckt von Hartl Lei Mar, athetiert von BMa. 1 veter- | lîn Lei. nû heiz alle Hgg. 3 zer verte alle Hgg. 31 2 müeze alle Hgg. 3 dîn ] diu Lei. 4 unt om. GJ La Lei. er | Lei. würde Lei, wurde Mo. 32 1 al- | sus Lei. 2 meien | Lei. den om. GJ La Lei. GJ Hei Mo Punkt nach bluomen. 3 herze BMa GJ La. 4 diu om. Lei. vol- | wahsen Lei. volwahsn GJ La.
Fragment I
79
Die Königin Herzeloyde dachte an Sigune: Sie setzte alles daran, daß man sie ihr von Brubarz brachte. Kondwiramurs weinte darum, daß sie von ihrer Gesellschaft und der tiefen Zuneigung zu ihr geschieden sein sollte.
Das Kind sagte: „Liebes Väterchen, laß mir meine Truhe voll mit Puppen bringen, wenn ich von hier zu meiner Tante reise. Dann bin ich zu der Reise gut ausgerüstet. Es gibt viele Ritter, die sich noch in meinen Dienst verpflichten werden.“
„Wohl mir, daß ich ein solch edles Kind mit solchem Verstand habe! Gott möge Katelangen für lange Zeit in deiner Person eine solch herrliche Herrscherin vergönnen. Meine Sorge schläft, wenn nur dein Heil wach ist. Und wenn der Schwarzwald hierzulande läge, so würde er wegen dir ganz und gar zu Lanzenschäften verarbeitet.“
So wuchs nun Kiots Kind Sigune bei ihrer Tante auf. Jeder, der sie sah, gab ihr den Vorzug vor dem Glanz des Maien mit seinen taubenetzten Blüten: Glück und Ansehen blühten hervor aus ihrem Herzen. Laßt sie erst heranwachsen zu dem Alter, in dem man die Frauen rühmt, dann werde ich sie noch mehr rühmen.
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33
Text und Übersetzung
Was man an rainem weibe sol ze gantzen tugenden messen, an jr vil suessem leibe was des nindert hares gross vergessen:
33
H 38, M 3 La [33] (~JT 693)
sy rainer frucht, gar lauter, valsches aine, der werden Schoysianen kint, gleicher art, die keusche iunge raine.
34
Nu suollen wir gedencken Hertzelauden der rainen. 34 der kund jr lop nicht krencken. mit warheit wil ich die lieben mainen. sy ursprung aller weiblichen eren, sy kunde wol verdienen,
35
H 39, M 5 La [34] (~JT 695)
daz man jr lob muoss in den lannden meren.
G 31, H 40, M 6 La 35 (~JT 696)
Diu magetlîche witewe, daz kint Frimutelles, 35 swâ man bî ir iungen zît der frouwen lop sprach, sone erhal niht sô helles. ir lop gie für in mangiu rîche, unze ir minne wart gedient vor Kanvoleiz mit den speren hurteclîche.
33 1 (S)waz M, Swaz (JT). ze gVte mezzen M. 2 vil fehlt M. hais H, … (s) M, siden (JT). groes H. 3 • si reiniv frv … chlivhte(c) … M. rainer H, reine (JT). valsches ane H (JT). 4 • … (t) si div mVter div si trVc da(z) … (s) Tscho(y) … M. • selic si diu mster diu si (si ] sin JT H) gebar (seht JT DE) daz was Tschoysiane (JT). Tÿosyanen H. 34 1 svle(n o) … M, sul ( ] svln JT BDE, sont JT H) ouch wir (JTI JT H), schul wir auch (JT X). herzenlovden der vil rei(n) … M. 2 div chv(n) … M, di kund (JT). 3 sey H. wiplichen M (JT R), wiplicher (JT ABEH), weipleich (JT D). 35 1 Der Magtumliche witbe H. 2 • Wer bey jr jungen Iaren sprach frawen lob da erhal H. • swa (m)an d(er) … lop bi … hal et nich so helles M. 3 • lob daz ftr die verre in H, • daz vsr di virre hin ( ] hoh JT D, 4 • Vntz jr werder fehlt JT A) in (JTI ), • ir lob daz fsr die verri in (JTII ). • ir … die firre … (n) M. munde ward verdienet vor konfoleis mit speren hurtikleiche H. • vnz ir minne wart g(e) … m(it) spe … vil hvrtechlichen M. 33 Str. 33–34 als unecht abgedruckt von La (ab 2. Aufl.) Lei Mar Pip, athetiert von BMa. 1 wîbe | sol ze güete mezzen Lei. 2 ninder GJ Mo La Lei. GJ Mo Punkt, La Lei Komma nach vergezzen. 3 reiniu alle Hgg. Lei Punkt hinter eine. 4 Schoisîânen, | Lei. 34 1 sul wir Lei, sulen ouch wir GJ La. Herzelöude GJ La Mo. 2 diu kunde alle Hgg. 3 wîplîcher alle Hgg. 4 muos GJ La Mo, muoste Lei. 35 1 magtuomlîche La 2 swer bî ir La. zîte | sprach frouwen lop La (Lei). frouwen | BMa. dane erhal La, so enerhal Lei. 3 lop daz fuor die virre in GJ La Lei, lop fuor die virre Mo. gienc BMa. 4 unt wart gedient ir minne | vor Lei. Kan- | voleiz BMa. den om. GJ La Lei. spern Lei.
Fragment I
81
Nicht die geringste Kleinigkeit von dem, was man einer vollkommenen Frau an Fülle der Vorzüge anrechnen muß, fehlte dem süßen Mädchen. Aus makelloser Frucht geboren, ganz und gar rein, ohne jeden Fehler, Kind der edlen Schoysiane, von gleichem Adel wie ihre Mutter, die Reine, Junge, Makellose.
Nun wollen wir uns der makellosen Herzeloyde zuwenden. Ihr Ruhm zeigte keine Schwächen. Nur Aufrichtiges habe ich mit der Lieben im Sinn. Sie hat es wirklich verdient, sie Quelle allen Frauenruhmes, daß man ihren Lobpreis in allen Ländern verbreitet.
Die jungfräuliche Witwe, das Kind Frimutels – wo immer man in ihren jungen Jahren auch Frauen rühmte, es erscholl kein Ruhm so laut und ungetrübt wie der ihre. Weit drang ihr Ruhm vor bis in viele Reiche, bis man schließlich vor Kanvoleiz um ihre Minne heftig mit den Lanzen diente.
82
36
Text und Übersetzung
Nu hœret frömde wuonder von der maget Sigaunen. 36 do sich ir prüstel dræten und jr rayd fal har beguonde braunen,
H 41, M 4 La 36 (~JT 694)
da huep sich in jr hertzen hochgemüete. sy begunde stoltzen und losen und tet das doch mit weiplicher güete.
37
38
Wie Gahmuret schiet von Belakânen 37 unt wie er werdeclîche erwarp die swester Schoysîânen unde wie er sich enbrach der Franzoisine, des wil ih hie geswîgen unt iu künden von magetlîcher minne.
G 32, H 42, M 7 La 37 (~JT 698)
G 33, H 43, M 8 La 38 (~JT 699)
Der Franzoisine Anphlîsen wart ein kint gelâzen, 38 erboren von fürsten künne unde von art, daz muose sich mâzen aller dinge, dâ von prîs verdirbet. swene alle fürsten werdent erboren, ir neheiner noch baz nach brîse wirbet.
36 3 • do hVb … in ir lib(e) … gemvte M. 4 Sy begunde stoltzen vnd losen H (JTII ) ] si begvnde loslich … en M, si chunde (]begunde JT B) loblich (]lachlich JT B) stoltzen (JT AB), das sy begunde stolzen (JT DE). 37 1 Gamuret H. Beleganen M. 2 wie wirdiclichen erwarb er die H. 3 vnd H. 4 … (z) svlen wir allez ge … l ich iv s(a) … er minne M. hie ] alles H. vnd wil ew H. magtumlicher H, kintlicher (JT, außer magtlicher JT H). 38 1 anphlisien G. Der frantzosin Anfflisen ain kint wardt verlassen H. 2 erboren von G (JT R) ] erporn 4 wen– H. geporn Jr dhainer aus H (JT I JT H), geborn do von (JT Nr.18). von der art H. muesse H. bas H. … en werdent geboren … M. 36 Als unecht abgedruckt von Hartl Lei, athetiert von BMa. Nach Str. 33 (wie M) bei Mar. 2 unde GJ La Mo. 3 stolzen | WPMo. stolzen [und] lôsen La, stolzen lôsen Lei, stolzen unde losen Mo. 37 1 Wie . . . . . . Gahmuret | La Lei (GJ). schiet | BMa WPMo. 2 unde BMa. werdec- | lîche BMa. wie werdeclîchen (werdeclîche Lei) | er erwarp La Lei (GJ). 3 und BMa GJ La Lei. 4 und | BMa. und künden iu von GJ La Lei. magtuomlîcher La. 38 2 erborn BMa Lei. und BMa La, und | Lei. von der art La Lei. muoste Lei. 4 swenn GJ La. werdent | La Lei WPMo. erborn Lei. ir keiner (neheiner Lei) baz GJ La Lei.
Fragment I
83
Nun vernehmt wundersame Dinge von Sigune, dem jungen Mädchen. Als ihre kleinen Brüste runder wurden und ihre blonden Locken anfingen, dunkel zu werden, da erwachte Selbstbewußtsein in ihrem Herzen: Sie wurde stolz und übermütig, und doch bewahrte sie dabei durchaus ihre weiblichen Vorzüge.
Wie sich Gahmuret von Belakane trennte, auf welch ruhmreiche Weise er die Schwester Schoysianes zur Frau gewann und wie er sich der französischen Königin entzog, davon will ich hier schweigen und euch von keuscher Kinderliebe erzählen.
Anphlise, der Königin von Frankreich, war ein Kind zur Erziehung anvertraut worden, das aus fürstlichem Geschlecht erwuchs und von solcher Abstammung war, daß es sich von allem Unrühmlichen fernhielt. Wenn dereinst alle Fürsten geboren sein werden, wird nicht einer darunter sein, der erfolgreicher um Ruhm kämpft.
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Text und Übersetzung G 34, H 44, M 9 La 39 (~JT 700)
Dô Gahmuret schilt enphie von Anphlîsen, 39 diu werde küngin im lêch diz kint. daz müezen wir noch prîsen. daz erwarp sîn wâriu kindes süeze. er wirt dirre âventiure hêrre. ih hân reht, daz ih kint durh in grüeze.
G 35, H 45, M 10 La 40 (~JT 701)
Och fuor daz selbe kint mit dem Anschevîne 40 hin über in die heidenschaft zuo dem bâruc Ahkarîne. er brâht ez ze Wâleis wider dannen. swâ kint genendekeit erspehent, daz sol helfen, op se imer gemannen.
Ein teil ih wil des kindes art iu benennen. 41 sîn ane was von Krâharz Kurnomanz, kunde îsen zetrennen. des phlac er zer tiost mit manger hurte. sîn vater was genant Kurzkrî. der lac tôt umbe Schoydelakurte.
G 36, H 46, M 11 La 41 (~JT 704)
39 1 Da Gamuret den Schilt emphie H, Do gahmvret den (schilt enphie) … M. 2 • der lihe Jm dasselbe kint r 4 wirt noch diser abenthetre H. chvneginne M. 3 … az erwap im sin reinev chi(n) … M. ware H. ain herre H, … der ave(n) … wer herre M. 40 1 Answine H. 2 hintber tber die H. Barsch ze Allexandrine H (JT). 3 • Ze Waleis bracht er jn herwider dannen H, • d(o) bra … z ze waleis wid(e)r danne … M. 4 swa ] Wo H. erspehent es sol sy helffen obs ymmer H. … endechei … (p)ehent in der ivgent daz so … gema… M. 41 1 Ain tail wil ich euch des kindes frucht benennen H, Ein teil wil ich iv dez ch … nen M. bennen G. 2 sein Ane der hiess Gurnemans von GrahaYs kund yser zertrennen H, sin … (der) hiez Gurnamanz (v) … vnde o(v) … (sen zetr)ennen M. 3 phlager G. zer ] zu der H. 4 sein Vater der hiess Gruzgri der lag tot durch Tschoy de lagurte H, (sin) vater hiez Gurz(e) … urch Ts … de la cv … M. 39 1 Gahmuret den schilt | La Lei (GJ). Gahmuret schilt | BMa WPMo. enphienc GJ La Mo, emphienc BMa, em- | phienc Lei. 2 küneginne | La Lei (GJ), künegin | WPMo (Mo). BMa La Lei Doppelpunkt, GJ Semikolon nach prîsen. 3 Lei Komma nach süeze. 4 [er wirt] dirre âventiure ein hêrre La. BMa Doppelpunkt, La Komma, Mo Semikolon, Lei keine Interpunktion nach hêrre. ich | Lei, aventiure | WPMo. 2 heiden- | schaft Lei. Akarîne Lei. 4 er- | spehent Lei, genendekeit | WPMo. sie 40 1 selbe | Lei. BMa, si Lei. imêr BMa La, iemêr Lei. 41 2 sîn ane (der hiez Gurnemanz | von Grâharz) kunde La (GJ). Lei Komma nach ane. Grâharz | Gurnemanz (Gurnamanz Mo) BMa Lei (Mo). îser GJ Mo La. BMa keine Interpunktion im ganzen Vers. 3 BMa ganzer Vers in Parenthese-Klammern und danach Komma. 4 vater der hiez Gurzgrî: La. Gurzgrî alle Hgg. (immer). Gurz- | grî: Lei. umbe ] durch GJ La, um Lei. BMa Abvers in Parenthese-Klammern und danach Komma.
Fragment I
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Als Gahmuret von Anphlise die Schwertleite empfing, gab die Königin dieses Kind auf Zeit in seine Hände. Ihm sollen wir auch heute noch Ruhm erweisen. Den errang sein wahrer kindlicher Liebreiz. Er wird der Held dieser Geschichte. Ich tue recht daran, um seinetwillen alle Jugend zu lobpreisen.
Der selbe Jüngling fuhr mit Gahmuret von Anschouwe über das Meer ins Heidenland zu dem Baruc Ahkarin. Er brachte ihn wieder von dort zurück, und zwar nach Waleis. Wo immer Jünglinge Kühnheit vor Augen haben – es wird ihnen von Nutzen sein, wenn sie zum Mann heranreifen.
Ich will euch die Abstammung des Kindes genau angeben. Sein Großvater war Gurnemanz von Graharz: Der konnte Eisen zerspalten. Dies hat er im Zweikampf mit manchem Ansturm bewiesen. Sein Vater hieß Gurzgri, der starb wegen Schoydelakurt.
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44
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Text und Übersetzung G 37, H 47, M 12 La 42 (~JT 705)
Mahaute hiez sîn muoter, Ehkunates swester, 42 des rîchen phalenzgrâven, den man dâ nante ûz der starken Berbester. selbe hiez er Schoynatulander. sô hôhen brîs erwarp bî sîner zît nie einer noch der ander.
G 38, H 48, M 13 La 43 (~JT 706)
Daz ih des werden Kurzkrîen sun niht benande 43 vor der maget Sigûnen, diu genôz des: ir muoter man sande ûz der phlege von dem reinen grâle. ir hôchgeburt si zucket ouch her für unde ir künne daz lieht gemâle.
G 39, H 49, M 14 La 44 (~JT 707)
Al des grâles diet daz sint die erwelten, 44 imer sælec hie unt dort in den stæten prîs die gezelten. nu was Sigûne ouch von dem selben sâmen, der ûz von Muntsalvâtsche in die werlt wart gesæt, den die heilhaften nâmen.
G 40, H 50, M 15 La 45 (~JT 708)
Swâ des selben sâmen hin wart brâht von dem lande, 45 daz muose werden berhaft unt in vil reht ein schûr ûf die schande. dâ von Kanvoleiz verre ist bekennet. si wart in manger zungen der triwen houbetstat genennet.
42 1 … ahute G, Nachte H, (M)ohvte M. Ekunares H. 2 Phaltzgrasen H, pfalnzgrave … M. Bebester H, prebester M. 3 Tschyonatulander H. 4 erwarb beÿ seinen zeiten nie H, erwarp nie (b)i siner z … M. 43 2 maget Zigaunen das was des schult daz man jr mster sande H. diu genoz des ] das was des schult H 4 jr gepurt H. … r hoh g … (c)h zvchet her fvr vn– ir ch … (JT R), dev … M, daz was da von (JTI ). male M. Qch G ] noch H. 44 1 Alle Grales H. 2 in GM ] an H. stæn G, stEtten H, steten M. gezelten ] erwelten H. 3 was auch Sugasne desselben H. 4 • der vnns von Montsaluatsch ward in die welt gesait den da seit die halhafften namen H. 45 1 • Wo des samen icht ward bracht hin von H, … z samen hin iht w … lande M. 2 der msste werden perhafft an preise Wann jn fiel ain H, … werden berhaft a(n) … el ein sch … M. in ( ] im JT AR) viel ( ] vil JT BEJKYZ, viel vil JT D) gar ein schur (JT). 4 zungen ye der getrewen haubtstat genennet H. hQbet stat G. gennet G, genennet H, gen(en)ne(t) M. 42 2 den | BMa. nant GJ. man nant (nande Lei) ûz La (Lei). 3 Schîonatulander alle Hgg. (immer). 4 bî | Lei. 43 1 Gurzgrî- | en Lei, sun | WPMo. 2 Sigûnen, | daz was des schult daz man ir muoter sande La (GJ). Lei 4 zucket | Lei. künne ’z lieht Lei. Mo keine Interpunktion nach des. 44 1 daz | BMa Lei. 2 und | Lei. BMa Mo Komma nach dort. in ] an GJ La Lei. 4 Munsalvâsche | gesæt wart, den Lei. die | BMa. 45 1 hin | BMa La. 2 muoste Lei. und viel in rehte Lei, unde in viel vil reht Mo. 3 BMa La Lei Doppelpunkt nach bekennet. 4 manger | BMa. zungen | ie der La Lei (GJ).
Fragment I
87
Mahaute hieß seine Mutter. Sie war die Schwester des mächtigen Pfalzgrafen Ehkunat, der nach der Festung Berbester ganannt wurde. Er selbst hieß Schionatulander. So hohen Ruhm wie er errang zu seinen Lebzeiten kein anderer.
Daß ich den Sohn des edlen Gurzgri nicht vor der Jungfrau Sigune vorgestellt habe, hat den Grund in dem Vorzug, daß ihre Mutter aus dem Schutzbereich des reinen Grals ausgesandt worden war. Ihre hohe Abstammung und ihr glänzendes Geschlecht geben ihr den Vorrang.
Das ganze Gralsvolk, das sind die Erwählten, immer selig auf Erden wie im Jenseits, sind sie bestimmt zu unvergänglichem Ruhm. Nun war auch Sigune von diesem selben Samen, der von Munsalvatsche aus in alle Welt gesät wurde und den die auserwählten Begnadeten aufnahmen.
Wohin auch immer dieser Samen aus dem Lande des Grals gebracht wurde, mußte er Früchte tragen und zerschlug gerade wie ein Hagelschauer den Begnadeten alle Schande. Auf diese Weise ist Kanvoleiz weithin berühmt geworden: In vielen Sprachen wurde ihr der Name ‚Hauptstadt der Treue‘ verliehen.
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Text und Übersetzung G 41, H 51 La 46 (~JT 709)
Owol dich, Ganvoleiz, wie man sprichet dîne stæte 46 unt herzenlîche liebe, diu ûf dir geschach, niht ze spæte! minne huop sich fruo dâ von zwein kinden. diu ergie sô lûterlîche, al diu werlt möht ir truopheit dar under niht finden.
Der stolze Gahmuret disiu kint mit ein ander 47 in sîner kemenâten zôch dô. Schoynatulander was danoch niht starc an sînem sinne. er wart iedoch in herzen nôt geslozzen von Sigûnen minne.
G 42, H 52 La 47 (~JT 710)
G 43, H 53 La 48 (~JT 711)
Owê des, si sint noch ze tump [ ] ze solher angest, 48 wan, swâ diu minne in der iugent begriffen wirt, diu wert aller langest! op daz alter minnen sich geloubet, dannoch diu iugent wont in der minne bant, minne ist krefte unberoubet.
46 1 • Wol dir H. Kanuoleis H. 2 • von hertzenlicher liebe der auf H. 3 sich da frue an zwayen H. 4 ergit G. • all der welt mochte nie jr tumphait darsnder pefinden • H. 47 1 Gamuret H. mit ] bey H. 2 do fehlt H. • in siner kemenaten zoch der sUze clare Tschinotulander (JT I ), • in sein’ chamer liepleich zoch der chlare sUzze Tschionatuland’ (JT X). schoyinatulander G, Tschyonatulander H. 3 • dannoch was nicht H. 4 • er ward doch seit beslozzn– in hertzen not von Sygaunen H. 48 1 • Awe des sy sint H. si fehlt G. zetump zes zesolher G. 2 • wo mÿnne wirt begriffen in der jugent die weret H. 3 mÿnne H. 4 • dannoch wont der jugent in jr panden mÿnne ist an crefften vnberasbet H. 46 1 Kanvoleiz, | La WPMo. wie | BMa Lei. spricht dîn La. Mo Komma nach stæte. 2 unde BMa. von herzenlîcher GJ La. GJ La Lei Mo keine Interpunktion nach geschach. 3 von ] an GJ La. BMa Mo Komma, Lei Doppelpunkt, La kein Zeichen nach kinden. 4 [diu ergie] La. ergienc BMa. al | Lei, al diu | BMa, werlt | La. drunder GJ La, om. Lei. bevinden BMa GJ La Lei. 47 1 disiu kint der stolze | Gahmuret mit Lei. disiu | BMa. 2 Alle Hgg. Punkt nach zôch. zoch | WPMo. 3 BMa GJ La Mo Komma, Lei Doppelpunkt nach sinne. 4 iedoch beslozzen | in herzen nôt von La (GJ). not | WPMo. 48 1 BMa La Lei Punkt, Mo Ausrufungszeichen nach angest. 2 swâ minne Lei. jugende | Lei. 4 wont minne | bant Lei. La keine Zäsur.
Fragment I
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Wohl dir, Kanvoleiz! Wie rühmt man noch heute, daß so früh schon innige Zuneigung in deinen Mauern dauerhaft wohnte. Dort keimte schon früh eine Liebe zwischen zwei Kindern auf, die von solcher Reinheit war, daß alle Welt ihre trübe Flecken an ihr nicht wiederfinden könnte.
Der edle Gahmuret zog da die beiden Kinder in seinem Gemach zusammen auf. Schionatulander war damals noch nicht recht verständig. Dennoch wurde er durch Liebe zu Sigune in Liebeskummer verstrickt.
O weh, sie sind doch noch zu unerfahren für solche Nöte! Denn die Liebe, die in der Jugend ergriffen wird, währt am längsten. Wenn auch das Alter auf Minne verzichten kann, bleibt doch die Jugend in den Fesseln der Minne; Minne ist ihrer Macht noch nicht beraubt.
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49
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51
Text und Übersetzung G 44, H 54 La 49 (~JT 712)
Owê, minne, waz touc dîn kraft under kinder? 49 wan einer der niht ougen hât, der möhte dich spehen, wær er blinder. minne, du bist alze manger slahte! gar alle schrîbære künden nimer volschrîben dîn art noch dîn ahte.
G 45, H 55 La 50 (~JT 713)
Sît daz man den rehten münch in der minne 50 unt och den wâren klôsenære wol beswert, sint gehôrsam ir sinne, daz si leistent mangiu dinc doch kûme. minne twinget rîter under helme. minne ist vil enge an ir rûme.
G 46, H 56 La 51 (~JT 714)
Diu minne hât begriffen daz smal unt daz breite. 51 minne hât ûf erde unt ûf himele für got geleite. minne ist allenthalben wan ze helle. diu starke minne erlamet an ir krefte, wirt der zwîfel mit wanke ir geselle.
49 2 wan eine G ] • ainer H (JTII ), • wan einer (JTI ). hette H. mocht dich sptren ob Er gienge plinder H, 4 gar fehlt mocht dich spuren gieng er also blinder ( ] er mit de– plinden JT DE)(JT). warer blinder G. H. ktnden nicht erschreiben der deinen wunder art vnd dein H. 50 1 daz fehlt H. 2 och fehlt H. 3 maniger H. 4 • die mÿnne zwinget H. die mÿnne ist H. 51 1 Diu fehlt H. 2 • mÿnne hat hie auf erde haus vnd ze himel ist raine vor got jr gelaite H, • minne hat (hie JT Nr.54) uf erde hus zu himel hat si vur got ( ] himel ist rein vor got ir JT B Nr.54) geleite (JT ABNr.54), • die minne hat hie uf erde hus fur got (fehlt JT E) ist (ist die JT E) reinekait ir geleite (JT DE), • minne hat 3 • der mÿnne H. 4 creften ist hie in erde hause . vnd zehimel ist si raine fur got ir gelaite (JT X). zweiuel H. 49 1 dîn | Lei. GJ Hei Komma nach kinder. 2 eine BMa GJ Mo. BMa (Lei) Komma nach eine (einer Lei). ougen | La Lei. dich spüren, gienger blinder La. warer blinder GJ. GJ Hei Fragezeichen nach blinder. 4 nimêr | WPMo (Mo). vorschrîben art Lei. 50 1 münech Mo. in der minne in Anführungszeichen BMa. 2 och om. Lei. [wâren] La. klose- | naere WPMo. 3 BMa GJ Hei Mo Komma nach kûme. 4 minn La. helm GJ La. helm: | La, helme, | WPMo, under | Lei. Lei (La) Doppelpunkt, Mo Komma nach helme (helm La). BMa Doppelpunkt nach rûme. 51 2 erde hûs: | [und] ze himel ist reine für got ir geleite La (GJ). und (unde Mo) | ûf ze himele Lei (Mo). 4 erlamet WPMo. krefte, | ist zwîvel La (GJ). an | kraft, wirt zwîvel Lei.
Fragment I
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O weh, Minne, zu was ist es gut, daß du deine Macht auf Kinder richtest? Denn sogar einer, der keine Augen hat, also ein wirklicher Blinder, der könnte dich noch erspähen. Minne du bist allzu verschiedenartig: Alle Schreiber der Welt zusammen könnten deine Abkunft und eigentümliche Beschaffenheit niemals ganz genau beschreiben.
Da man den rechten Mönch und auch den echten Klausner feierlich auf die Gottesminne einschwört, ist ihr Geist auf Gehorsam gerichtet, [und doch ist es so,] daß sie dennoch viele Forderungen der Minne nur unzureichend erfüllen. Die Minne zwingt die Ritter unter die Helme. Der Minne genügt auch der engste Raum.
Die Minne hat vom Kleinen wie vom Großen Besitz ergriffen. Minne hat auf Erden wie im Himmel die Aufgabe inne, vor Gottes Angesicht hin zu geleiten. Minne ist überall, außer in der Hölle. Die Kräfte der mächtigen Minne erlahmen, wenn der Zwiespalt gemeinsam mit dem Wankelmut ihre Begleiter werden.
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52
53
Text und Übersetzung G 47, H 57 La 52 (~JT 715)
Ane wanc unt âne zwîfel diu beide 52 was diu maget Sigûne !unt" Schoynatulander. mit leide grôziu liebe was dar zuo gemenget. ich seit iu von ir kintlîcher minne vil wunders, wan daz ez sich lenget.
Ir schämliche zucht und der art jr geschlächtes 53 – sy waren aus lautterlicher mynne erporn – der zwang sy jr rechtes, daz sy aussen † !taugenlich jr minne halen" † an jren claren leiben
54
H 13 La 53 (~JT 716)
und ynne an den hertzen verqualen.
G 48, H 14 La 54 (~JT 717)
Schoynatulander moht ouch sîn wîse 54 von manger süezen botschaft, die diu Franzoyse küngin Anphlîse tougenlîche enbôt dem Anschevîne. die erwarb er unt wande in vil dicke ir sorge. nu wende ouch die sîne!
52 2 Sigaune vnd Tschyonatulander H (JT, außer vnd auch Tschinotulander JT Nr.54). unt fehlt G. 3 • da was die starche liebe zsgemenget H, • da ( ]do JT A) was di starke liebe ( ]minne JT A) zs gemenget (JT). 4 • Ich saget euch von jr kintlichen minne wunders vil wann H. 53 1 der ] diu (JT). 2 der ] diu (JT). 3 • daz sy aussn– • H, • daz si vil tougenlich ir minne ( ]cu– ber JT E) 4 verqualten H. halen • (JT I ), • daz si ir minne so tougenlichen halen • (JT R). 54 1 TschYonatulander H. Qch ] wol H. 2 div fehlt H. frantzoser H. 3 • bey Im empote dem werden Ensweine H, • bi im enbot ( ] sant JT a Nr.54) dem werden Anschevine (JT). 4 erwarb ] warb H. in fehlt H. ir sorge ] jr senede noet H, ir not (JT, außer swAr not JT Nr.54). 52 2 BMa Punkt nach maget, Ausrufungszeichen nach Sigûne und nach Schîonatulander. GJ La Mo Komma, Lei keine Interpunktion nach Schîonatulander. und | Lei, zwifel | WPMo. GJ La Lei Mo Doppelpunkt nach leide. 4 saget BMa, sagete Lei. kintlî- | cher Lei, minne WPMo. 53 Str. 53 athetiert von BMa, als unecht aufgenommen von Lei. 1 zuht | La WPMo. 4 innen Lei. an dem herzen Mo. 54 2 die | BMa. diu om. La. Franzoiser Lei. 4 erwarb ] warb Mo. unde wande | WPMo (Mo). sorge ] nôt La.
Fragment I
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Frei von beidem, von Wankelmut und Zwiespalt, waren das Mädchen Sigune und Schionatulander. Große Zuneigung mit Leid war zu beidem hinzu gemischt. Ich könnte euch noch viel Wunderbares von ihrer kindlichen Liebe erzählen, doch es wird nun allzu lang.
Ihre anerzogene Zurückhaltung und die angeborenen Eigenschaften ihrer Familien – sie waren beide die Früchte reiner Liebe – forderten ihr Recht, so daß sie nach außen an ihrer strahlenden Erscheinung alle Zeichen ihrer Liebe verbargen, jedoch tief im Herzen vor Qual vergingen.
Schionatulander hatte alle Ursache, in Liebesdingen erfahren zu sein, und zwar wegen der vielen Liebesbotschaften, die die französische Königin Anphlise dem von Anschouwe heimlich gesandt hatte. Er nämlich hatte sie überbracht und ihnen oftmals ihre Liebesnot gelindert. Nun lindere auch seine Schmerzen!
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Text und Übersetzung G 49, H 15 La 55 (~JT 718)
Schoynatulander vil dicke wart innen, 55 wie sîner muomen sun Gahmuret kunde sprechen mit manlîchen sinnen unde wie sich der von kumber kunde scheiden. des iach im vil der tiuschen diet, als tæten ouch die werden heiden.
G 50, H 58 [Vv. 1–2 H 17] La 57 (~JT 720)
Der süeze Schoynatulander genande, 56 als sîn gesellekeit in sorgen manecvalt in kûme gemante. dô sprach er: ‚Sigûne, helfe rîche, nu hilf mir, werdiu maget, ûz den sorgen, sô tuostu helfeclîche!
G 51, H 59 La 58 (~JT 721)
Duzisse ûz Katelangen, lâ mih geniezen: 57 ich hœre sagen, du sîst erboren von der art, die nie kunde verdriezen, sine wæren helfec mit ir lône. swer durch si kumberlîche nôt enphie, dîner sælden an mir schône!‘
55 1 TschYonatulander vil offt ward des ynnen H. 2 • vmb seinen Ohaÿm Gamuret wie wol er kunde 3 wie er sich von H. 4 • des Jahen im hie vil der sprechn– kunde mit synnen H. Gahmiret G. taufpern diet alssam taten dort die hayden H. tæn G. 56 1 Der stessen H 17. genante H. 2 • alle sein genantekait ( ]genedikait H 17) mit grosser sorge in H. 4 werdiu ] ssesse H (JT). hilffeleiche H. 57 3 • Sy weren wol gehilfflich mit H. 4 • die ye kumerleiche not durch sy genade wurbe desselben an H. diner saldn G ] desselben H, des selben (JT, außer des selbigen JT Nr.18). 55 1 wart des innen GJ La Lei. 2 umb sînen œheim Gahmuret, | wie wol er sprechen kunde mit sinnen, La (GJ). wie sîn œheim Gahmu- | ret Lei. Gahmu- | ret BMa. 3 wie er sich GJ La. 4 des jâhen im hie vil | der toufbærn diet, als [tâten] dort die La (ohne [ ] GJ). tiuschen ] toufbærn BMa GJ La, toufbaeren Mo. toufbærn | BMa, toufbaeren diet | WPMo. taten Mo, jâhen Lei. 56 GJ La Lei Mo Str. 59 vor 56 nach H JT. 1 Schoyna- | tulander ?, Schîonatu- | lander BMa Lei, Schionatulander | WPMo, La ohne Zäsur. genante BMa La Mo. BMa keine Interpunktion, Hei Punkt nach genante (genande Lei). 2 in | BMa Lei. gemande Lei. BMa La Doppelpunkt, Lei Mo Komma nach gemante. 4 süeziu maget La. maget, | WPMo. helflîche La. 57 1 Ducisse BMa GJ La Mo. Hei Komma, GJ Ausrufungszeichen nach geniezen. 2 von | Lei, sagen | WPMo. 3 si enwæren Lei. Alle Hgg. Komma, Hei Ausrufungszeichen nach lône. 4 kummerlîche | Lei. enphienc alle Hgg. enphienc | WPMo. BMa La Lei Mo Doppelpunkt, GJ Punkt nach enphienc.
Fragment I
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Schionatulander hatte oftmals erfahren, wie klug und männlich Gahmuret, der Sohn seiner Mutterschwester, zu reden und seinem Liebeskummer ein Ende zu machen verstand. Dafür war er beim Christenvolk berühmt und ebenso auch bei den edlen Heiden.
Der liebliche Schionatulander faßte sich ein Herz, so wenig ihn auch sein vertrauter, doch kummervoller Umgang mit Sigune dazu drängte. Da sagte er: „Sigune, du Hilfreiche, nun hilf mir aus meinen Sorgen, liebliches Mädchen; dann erweist du dich wirklich als hilfreich.
Duchesse von Katelangen, steh mir bei: Sagt man doch, du seist aus einem Geschlecht, das nie zögerte, hilfreich mit ihren Zuwendungen umzugehen. Wer auch immer durch dein Geschlecht erst in Not geraten sein mag: Laß dein angestammtes Heil an mir nicht zu Schanden werden!“
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Text und Übersetzung G 52, H 60 La 59 (~JT 722)
‚Bêâs âmîs, nu sprich, schœner vriunt, waz du meinest! 58 lâ mich hœren, obe du dich des willen gein mir sô vereinest, daz dîn klagendiu bet iht müge vervâhen! dune wizzest es vil rehte die wârheit, sone soltu dich niht vergâhen.‘
Alle die minne phlâgen unt minne an sich leiten, 59 nu hœret magetlîche sorge unt manheit mit den arbeiten. dâ von ih wil âventiure künden den rehten, die durch herzeliebe ie senende nôt erfünden.
G 53, H 16 La 56 (~JT 719)
G 54, H 61 La 60 (~JT 723)
‚Swâ genâde wonet, dâ sol man si suochen. 60 frouwe, ih ger genâden. des solt du durh dîne genâde geruochen. werdiu gesellekeit stêt wol den kinden. swâ rehtiu genâde nie niht gewan ze tuone, wer mac si dâ vinden?‘
58 1 • Beafamis schoner fretndt sprich was H. 2 • la horen ob du mit ztchten dich des H, la hOren zucht di dine ob du des (JT). vereinst G, verainest H. 3 iht fehlt H. 4 • du wissest recht ain warheit so solt du dich gegen mir nicht vergahen H. vervahen G. 59 1 phlegen H, pflegende sin (JT). 2 • die hpren von magtlicher sorge vnd von mannlichen arbaiten H. 3 dauon ich euch arbaite ksnde H. 4 dem rechten wolgemsten der durch liebe ye H, dem rechten der durch herzen (fehlt JT DE) liep und minne ( ] vnd von minne– JT X, von mynne JT Nr.54) kraft ie (JT I JT X). not befunde H. 60 2 ich beger genade an dich des H. dine genade ] dein gsete H (JT). 3 gesellikait die stet H. 4 niht fehlt H. ze Rseme wer H. 58 1 schœ- | ner Lei. 2 lâ hœrn, ob du mit zühten | dich La (GJ). 4 warheit | WPMo. 59 Nach Str. 55 (wie H JT) bei Ba Dal GJ La Lei Mar Mo Pip. 1 Al GJ La. 2 magtlîch (magetlîch Lei) sorge | unde La Lei (GJ). BMa keine Interpunktion nach arbeiten. 4 BMa Doppelpunkt nach rehten. die von minnen | durch Lei (nach Vorschlag La im Apparat). herze- | liebe ?, durch| BMa, die . . . . . . . . | durch La (GJ), herzeliebe | WPMo. 60 1 wonet, | WPMo. 2 des | BMa. 4 reht La. niht | BMa La Lei WPMo.
Fragment I
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„Bel ami, nun sage, schöner Freund, woran du denkst! Laß mich hören, ob du zu dem, was du von mir verlangst, auf eine solche Weise entschlossen bist, daß deine flehentliche Bitte überhaupt erfüllt werden kann. Wenn du dir da nicht sicher bist, so übereile nichts.“
Alle, die je geliebt haben und überhaupt mit Minne zu tun hatten, hört nun von den Sorgen eines Mädchens und männlicher Bewährung in den Mühen der Liebe. Davon will ich nun den wahrhaft Liebenden eine Geschichte erzählen, denen, die jemals aus tiefer Zuneigung Sehnsuchtsqualen erfahren haben mögen.
„Man muß dort Gunst suchen, wo sie zuhause ist. Herrin, ich bitte um Zuwendung, und du sollst sie mir um Deiner Huld willen gewähren. Edle Verbundenheit ziemt auch Kindern. Wer kann wirkliche Gunst dort finden, wo sie nichts zu suchen hat?“
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Text und Übersetzung G 55, H 62 La 61 (~JT 724)
Si sprach: ‚du solt trûren durch trœsten dâ künden, 61 dâ man dir baz helfen mac, dane !ich" möhte. anders du kanst dich sünden, ob du gerst, daz ih dir kumber wende, wan ih bin reht ein weise, aller mâge unt der liute mînes landes ellende.‘
G 56, H 63 La 62 (~JT 725)
‚Ich weiz wol, du bist landes unt liute grôz frouwe. 62 des enger ich alles niht, wan daz mich dîn herze dur dîn ouge schouwe, alsô daz ez den kumber mîn bedenke. nu hilf mir schiere, ê daz dîn minne mîn herze unt die fröude verkrenke!‘
G 57, H 64 La 63 (~JT 726/727)
‚Swer sô minne hât, daz sîn minne ist gevære 63 deheinem als lieben friunt, als du mir bist, daz wort im gebære wirt von mir nimer benennet minne. got weiz wol, daz ich nie bekande minnen flust noch der minnen gewinne.
61 1 solt dein trasren H. 2 bas gehelffen mtge dann ich annderst H. dane mohte G. verstndn– H. 4 waÿse meiner mage Lanndes vnd leute ellende H (JTI ). 62 1 grosse H. 2 beger H. daz dein hertze durch die augen mich anschawe H. 4 • thue der mÿnne ir recht ee der mÿnne vnns baiden die sÿnne verkrencke • H. • nu ( ] du JT A, fehlt JT BRNr.54) ts der minn ir (fehlt JT A) recht e (JT). 63 1 geware G, gewere H, gewaere (JT ABEXNr.54), gebAre (JT D). 2 • gegen ainem also lieben fresnde als du mir bist der mag wol leben one swEre H. 3 • wirt aber von mir genant ymmer mÿnne H. bennet G. 4 ich niht erkenne weder meinen verlust noch Ir gewÿnne H. 61 1 solt dîn trûren GJ La. 2 gehelfen GJ La. helfen | Lei. GJ Punkt, La Lei Doppelpunkt nach ich. möhte om. GJ La Lei. BMa Doppelpunkt, Hei Komma nach möhte. versünden GJ La Lei. 4 Ba BMa Lei Mar Mo Pip keine Interpunktion im ganzen Vers. weise | mîner mâge, lands und liute ellende La (GJ, mit Komma nach weise wie La 1. Aufl.). al- | der mâge und liute mîns Lei. aller | BMa. 62 1 grôziu GJ La Lei. 2 wan | Lei. mich om. BMa La Lei. BMa La Lei keine Interpunktion nach schouwe. 3 Lei Komma nach alsô. 63 1 daz | Lei. 2 deheime La. friunde | BMa La (GJ). vriunde, als | Lei. wort ungebære alle Hgg. 4 be- | kande Lei. noch ir gewinne GJ La. der om. Lei.
Fragment I
99
Sie erwiderte: „Du mußt, um getröstet zu werden, dein Leid dort kundtun, wo man dir besser helfen kann, als ich es vermöchte. Sonst wirst du dich versündigen, wenn du verlangst, daß ich deinen Kummer beende: denn ich bin ja eine Waise, geschieden von allen Blutsverwandten und von den Leuten meines Landes.“
„Ich weiß sehr wohl, daß du eine mächtige Herrin über ein Land und ein Volk bist. Doch nicht darauf richtet sich mein Verlangen, sondern nur, daß durch deine Augen dein Herz auf mich blicken möge, auf daß es an meinem Kummer Anteil nehme. Nun hilf mir schnell, bevor die Liebe zu dir mein Herz und meine ganze Freude vernichtet.“
„Wenn jemand auf solche Art liebt, daß seine Liebe einem so engen Freund, wie du es mir bist, gefährlich ist, so kann das für ihn schickliche Wort von mir niemals mit dem Begriff ‚Minne‘ bezeichnet werden. Gott weiß, daß ich weder von dem Leid noch von den Freuden, die die Minne bringt, jemals erfahren habe.
100
64
65
66
67
Text und Übersetzung G 58, H 65 La 64 (~JT 731)
Minne, ist daz ein êre? maht du minne mir tiuten? 64 ist daz ein site? kumet mir minne, wie sol ih minne getriuten? muoz ich si behalten bî den tocken? oder fliuget minne ungerne ûf hant durh die wilde? ich kan minne wol locken?‘
‚Frouwe, ih hân vernomen von wîben unt von mannen, 65 minne kan den alten, den iungen sô schuzlîchen spannen, daz si mit gedanken sêre schiuzet. si triffet âne wenken, daz fliuget, daz loufet, daz gêt, daz fliuzet.‘
G 59, H 66 La 65 (~JT 738)
G 60, H 68 La 67, Lei 66 (~JT 740)
‚Schoynatulander, mich twingent gedanke, 66 sô du mir ûz den ougen kumest, daz ich muoz sîn an fröuden diu kranke, unze ich tougenlîche an dich geblicke. des trûre ich in der wochen niht zeinem mâle, ez ergêt alze dicke.‘
G 61, H 69 La 68, Lei 67 (~JT 741)
‚Sone darft du, süeziu maget, mich niht frâgen von minne. dir wirt wol âne frâge bekant minnen flust unt ir gewinne. 67 nu sich, wie minne ûz fröuden in sorgen werbe! tuo der minne ir reht, ê diu minne uns beidiu in den herzen verderbe!
64 1 • Ist mynne ain Sy oder ein Eer magst du mir mÿnne bedetten H, • Ist minne ein si oder ein (fehlt Nr.54) er 2 • vnd ist mÿnne ain sy kumbt H. mahtu du mir (fehlt Nr.54) minne bedUten (JTI JT X). tsten G. • und (fehlt JT X) sag mir (fehlt JT A) wes diu minne ger ( ] beger JT E) ob si mir kumt wie (JT I JT X). sol sy tretten H. 3 si fehlt H. 4 oder fehlt H. auf die hanndt H. 65 1 wiben ] frawen H. 2 iugen G. kan den iungen den alten so H. 4 wencken das lauffet kreuchet fletget oder flessset H, wenken das ( ] swaz JTI ) loufet (daz JT Nr.54) krUchet vliuget oder flUzet (JT I; JT II fehlt). 66 2 • Wenn ich dich nicht ensihe so bin ich on fresden H (JT A). 3 ich dich aber tasgenlich erplicke H. 4 • Stnst trawe ich H. erget mir laider all ze H. 67 1 • So dorfft die ssesse H. 2 • so wirt dir one frage wol ksnt mÿnnen H. 3 • sich wie der mÿnne aus fresde in sorge werbe H. 4 Ire recht Ee der mynne vnns baiden in dem hertzen H. 64 1 ein er alle Hgg. maht du | BMa, mah- | tû Lei. 2 ein sie alle Hgg. (ein si Lei). sie? | WPMo. 4 od GJ La. ûf | Lei. GJ Hei La Lei Punkt nach locken. 65 1 vernomen | La WPMo. 4 wenken, | daz loufet, kriuchet, fliuget oder fliuzet BMa La (GJ). gêt und daz Lei. 66 GJ La Str. 68 vor 66 nach H JT. 1 Mo Ausrufungszeichen nach gedanke. 2 ougen | kums Lei. muoz an vreuden sîn diu Lei. 3 dich ] doch Lei. 4 zeim mâl La. 67 1 maget, | WPMo. 3 fröude in sorge GJ La Mo (Lei). 4 ê | BMa La Lei, reht, | WPMo. beide GJ La Lei. [den] La, om. Lei.
Fragment I
101
Minne, ist das etwas Anerkanntes? Kannst du mir Minne erklären? Ist es ein Brauch? Wie soll ich mit ihr freundlich umgehen, wenn sie mir begegnet? Soll ich sie zu den Puppen tun? Sträubt sich die Minne, mir auf die Hand zu fliegen wegen ihrer Wildheit? Oder kann ich sie leicht anlocken?“
„Herrin, ich habe von allen möglichen Leuten sagen gehört, Minne verstehe so treffsicher auf Alte wie auf Junge anzulegen, daß sie mit den Pfeilen der Gedanken schmerzhafte Wunden beibringt. Sie trifft ohne Fehl alles was fliegt, läuft, kriecht oder schwimmt.“
„Schionatulander, auch mich bedrängen die Gedanken, so daß, wenn dich meine Augen verlieren, unfehlbar all meine Freude schwindet, bis ich dich dann wieder verstohlen anblicke. Deswegen falle ich nicht bloß einmal in der Woche in Trauer, es geschieht nur allzu oft.“
„So brauchst du mich nicht weiter nach Minne zu fragen, süßes Mädchen. Auch ohne alles Fragen wird dir wohl das Leid und die Freuden der Minne bekannt. Nun sieh, wie die Minne sich aus Glück in Kummer verkehrt. Darum handle nun nach dem Gesetz der Minne, bevor sie uns beide in unseren Herzen zugrunde richtet!
102
68
69
70
71
Text und Übersetzung G 62, H 67 La 66, Lei 68 (~JT 739)
Iâ erkande ih, süeziu maget, ê wol minne von mæren. minne ist an gedanken. daz mac ich nu mit mir selbem bewæren. des betwinget si diu stæte liebe. minne stilt mir fröude ûz dem herzen, ez entöhte einem diebe.‘
68
G 63 La 69 (~JT 742)
Si sprach: ‚kan diu minne in diu herzen sô slîchen, 69 daz ir man noch wîp noch diu maget mit ir snelheit entwîchen, weiz aber iemen, waz diu minne richet an liuten, die ir schaden nie gewurben, daz si den fröude zebrichet?‘
G 64 La 70 (~JT 743)
‚Iâ ist si gewaltec der tumben unt der grîsen. 70 niemen als künstec lebet, daz er künne ir wert unt ir wunder volprîsen. nu sulen wir bêdiu nâch ir helfe kriegen mit unferscharter friuntschaft minne kan mit ir wanke niemen betriegen.‘
G 65 La 71 (~JT 744)
‚Owê, kunde diu minne ander helfe erzeigen, 71 dane daz ich gæbe in dîn gebot mînen frîen lîp für eigen! mich hât dîn iugent noch niht reht erarnet. du muost mich under schilteclîchem dache ê gedienen: des wis vor gewarnet!‘
68 1 • Da erkantest du ssesse mage mynne wol von meren H. 2 magich G. nu ] wol H. selben pebbren H. 3 si ] es H. state ] starche H (JT). 4 stilt aus meinem hertzen fresde vnd clare farbe es entaugt ainem H. 69 2 noch mait nicht (fehlt JT AB) ir snelheit (nicht JT A) mac ( ] kunnen JT B, kan JT E) entw. (JTI ), noch maget mag ir mit snellichait entw. (JT X). 4 ir (fehlt 70 2 der ir wunder kunne ( ] kan JT BE) vol prisen (JT I ), der chunne ir wund’ vol preisen (JT X). JT). nemen G. 71 68 Nach Str. 65 (wie H JT) bei Ba Dal GJ La Mar Pip. 1 maget, | BMa La WPMo. 2 BMa La Lei Doppelpunkt, GJ Semikolon, Hei Komma nach gedanken. daz | BMa. selbe GJ La, selben Mo. 4 ûz | BMa Lei. eim La. 69 1 in | BMa Lei. 2 wîp noch | BMa Lei, wîp | La. maget mac mit Lei (nach von La im Apparat erwogenem enmac). BMa Lei Fragezeichen nach entwîchen. 4 schaden | WPMo. si vreude den zebrichet Lei. 70 2 daz | Lei. er | BMa. künne ir wunder volprîsen GJ La. künne wert und Lei. 3 sul Lei. BMa Punkt, Hei Doppelpunkt nach kriegen. 4 GJ Mo Punkt, Lei Doppelpunkt nach vriuntschaft. minne | BMa. triegen GJ La Lei. 71 2 dîn | BMa Lei. 4 schiltlî- | chem Lei, schil- | teclichem WPMo. schiltlîchem BMa GJ La Lei. dienen GJ La Lei.
Fragment I
103
Oh, ich hatte die Minne früher nur vom Hörensagen gekannt, süßes Mädchen. Minne wohnt in den Gedanken. Das kann ich nun an mir selbst beweisen. Die beständige Zuneigung treibt sie dorthin. Die Minne raubt mir Freude aus dem Herzen, für einen echten Dieb wäre das nichts.“
Sie sagte: „Wenn sich denn die Minne so in die Herzen schleichen kann, daß ihr weder Mann, noch Frau, noch Mädchen, mögen sie auch noch so flink sein, entkommen, weiß denn dann wenigstens jemand, wofür die Minne an Leuten, die nie danach getrachtet haben, ihr zu schaden, Rache nimmt und denen ihr Glück zerstört?“
„In der Tat, sie hat Macht über Unbedarfte und Grauköpfe. Kein Lebender hat solches Können, daß er ihren Rang und ihre Wundertaten ganz zu würdigen vermöchte. Nun laß uns beide mit unverbrüchlicher Freundschaft um ihren Beistand werben; denn bei unverbrüchlicher Freundschaft kann einen die Minne mit ihrem Wankelmut nicht in die Irre führen.“ „O weh, könnte doch die Minne andere Hilfe gewähren, als daß ich jetzt schon meine Freiheit wie eine Leibeigene unter dein Gebot stellte! So jung wie du bist, hast du mich noch nicht auf die rechte Weise erworben. Du mußt mich unter dem Schild zuvor erst verdienen: Laß dir dies von vornherein gesagt sein!“
104
72
73
74
75
Text und Übersetzung G 66 La 72 (~JT 745)
‚Frouwe, als ich mit kraft diu wâpen mac leiten, 72 hie enzwischen unt ouch dane mîn lîp wirt gesehen in den süezen sûren arbeiten, sô daz mîn dienst nach dîner helfe ringe. ich wart in dîner helfe erboren. nu hilf, sô daz mir an dir gelinge!‘
Diz was der anevanc ir geselleschefte 73 mit worten an den zîten, dô Pompeirus für Baldac mit krefte het ouch sîne hervart gesprochen unt Ipomidôn der werde. ûz ir her wart vil niwer sper zebrochen. Gahmuret sich huop des endes vil tougen 74 et mit sîn eines schilde. er het iedoch grôze kraft âne lougen, wan er phlac wol drîer lande krône. sus iaget in diu minne an den rê. den enphienc er von Ipomidône.
G 67 La 73 (~JT 746)
G 68 La 74 (~JT 747)
G 69 La 75 (~JT 748)
Schoynatulander was leide zer verte, 75 wan im Sigûnen minne hôhen muot unt die fröude gar werte. doch schiet er von dan mit sînem mâge. daz was Sigûnen herzen nôt unt diu sîne. in zwein reit diu minne ûf die lâge.
72 2 in sUzen suren arbeiten (JT I JT X). 4 diner (JT A), din (JT BKR), deine– (JT D), dime (JT E), deine (JT J). 73 2 Pompeirus JT ADE, Pompeius JT BX. 74 1 • (• nu JTE) Gamuret der milde des endes vil (vil ] hueb sich JT DEX) tougen (JT I JT X). 4 enphienger G. 75 4 herze not G. 72 1 krefte | La Lei (GJ). 2 ouch om. Lei. wirt | Lei. [den] La, om. Lei. 4 dîne BMa GJ La Lei. er- | born Lei. Lei Komma nach sô. 73 1 ane- | vanc Lei. 2 dô | BMa. Pompeius (Pompêjus Lei) alle Hgg. 4 Ipomedôn GJ. ûz | Lei. 74 1 Gahmuret . . . . . | sich La Lei (GJ). sich | BMa. vil fehlt BMa La Lei. 2 er | Lei. iedoch ] och GJ La. 4 an | Lei, minne | WPMo. 75 2 hôhen | Lei. 4 herzenôt alle Hgg. und | BMa Lei. Alle Hgg. Doppelpunkt nach sîne. reit minne Lei.
Fragment I
105
„Herrin, sowie ich kraftvoll die Schwertleite empfangen habe, und auch schon bis dahin und danach, wird man mich in süßen, herben Bewährungskämpfen sehen, so daß ich dienstbereit nach deiner Zuwendung strebe. Denn ich empfing mein Leben allein, damit du mir beistehst. Nun wende dich mir zu, so daß ich bei dir Erfolg haben kann.“
Dies war der Beginn ihres Liebesverhältnisses, das in Worten bestand, eben zu jener Zeit, als gerade Pompeius und der edle Ipomidon ihren gewaltigen Kriegszug gegen Baldac verkündet hatten. Von ihrem Heer wurden da viele neue Speere zerbrochen.
Auch Gahmuret machte sich dorthin auf den Weg, in aller Heimlichkeit und nur mit seinem eigenen Schild. Er verfügte jedoch zweifellos über mächtige Ritterscharen, denn er trug ja in drei Ländern die Krone. So jagte ihn die Minne in den Tod. Der wurde ihm durch Ipomidon zuteil.
Schionatulander war trübe zumute bei dieser Fahrt, denn die Liebe zu Sigune verwehrte ihm frohe Zuversicht und alle Freude. Dennoch zog er mit seinem Verwandten fort. Dies war der Anlaß zu tiefer Betrübnis für Sigune und ihn selbst: Ihnen beiden legte sich die Minne in den Hinterhalt.
106
76
77
78
79
Text und Übersetzung G 70, M 16 La 76 (~JT 749)
Der iunge fürste urloup nam ze der maget tougenlîche. 76 er sprach: ‚owê, wie sol ih geleben, daz diu minne an fröuden mich rîche schiere mache, unt von tôde entscheiden? wünsche mir heiles, süeziu maget! ich muoz von dir zuo den heiden.‘
‚Ich bin dir holt, getriwer friunt. nu sprich, ist daz minne? sus wil ich imer [ ] wünschende sîn nach dem gewinne, der uns beiden hôhe fröude erwerbe. ez brinnent elliu wazzer, ê diu liebe an mir verderbe.‘
77
G 71, M 17 La 77 (~JT 750)
G 75, M 18 La 78, Lei 81 (~JT 751)
Vil liep beleip aldâ, liep schiet von dannen. 78 ir gehôrtet nie gesprechen von mageden, von wîben, von manlîchen mannen, die sich herzenlîcher kunden minnen. des wart sît Parzivâl an Sigûnen zer linden wol innen.
G 72, M 24 La 79, Lei 78 (~JT 752)
Von Kingrivâls der künec Gahmuret sich verholne 79 von mâgen unt von mannen schiet, daz sîn vart den gar was diu verstolne. wan zweinzec kint von hôher art kurtoyse unt ahtzec knappen ze yser âne schilt het er erwelt ûf die reise.
76 3 … ns der tot … M. • vil lichte mak ( ] so mak JT D) der tot uns e ( ] mag vns der dot ee JT E) gescheiden 4 • (n)v wnsch(e) … (i)r ( ]scheiden JT D) (JT I ), • wand vns der tod so leicht mag geschaiden (JT X). gelvkes (sV)zzev (m) … M, • nu wunsche mir geluckes sUze ( ] vil sueze JT BEX) (JT I JT X). 77 1 … ch bin dir holt nv … M. 2 (s)us wil ich im … (s)chen(de) si(n) … (n)de nach … winne M, • so bin ich gernde dinen ( ] vmb disen JT B) solt mit wunsch ot immer me (fehlt JT E) nach dem gewinne ( ] gedinge JT B) (JT I ), • so wil ich geren vmb den solt mit wunsche sein immer nach dem gewinne (JT X). gern sin vn– in G von jüngerer Hand auf Rasur nach imer eingefügt. 4 di(v) lie … herzen m … (r)be M. an mir ] minhalp (JT I ), meimithalbn– (JT X). 78 1 al d(a) … sich schiet … ne M. 2 nie von beide … ben noch (v) … M. • gehœret wart uf erden nie von wiben ( ] wibe JT B, frowen JT E) noch von mænlichen ( ] menlichem JT B, tege– leiche– JT DE) mannen 4 P(a) … (l) vo(n) Sygvnen bi … M. ( ] manne JT B) (JT I JT X). 79 1 von kinriuals G, (V)z Gingr … M. 2 • von mage … wibe v … nnen fvr … rt waz gar den ver … e M. 76 2 wê GJ La. ich | Lei. diu om. Lei. Mar Fragezeichen nach rîche. 3 GJ Lei keine Interpunktion nach mache. ê mac lîhte uns der tôt gescheiden Mar. 4 heiles ] gelückes, | La. heiles, | WPMo. zuo den ] zen GJ La. 77 1 getriuwer | Lei. 2 immer gernde sin und wünschende nach Mo. 4 an mir ] mînhalp GJ La Lei. 78 Nach Str. 85 (wie G) bei BMa Lei (ab 2. Aufl.) Mo 1 al- | dâ Lei. 2 von | BMa. mageden, [von] wîben, [von] manlîchen La, mageden, wîben, manlîchen Lei. 4 an | BMa Lei. Sigûn GJ La. 79 Strr. 79–80 nach 85 (wie M) bei Mar. 1 künc BMa La. Gah- | muret Lei. 2 schiet, | BMa La WPMo. 3 kurteise alle Hgg. 4 ân GJ La.
Fragment I
107
Der junge Fürst nahm heimlich von dem Mädchen Abschied. Er sagte: „O weh, wie soll ich nun bloß mein Leben so fristen, daß mich die Minne bald mit Freuden reich beschenkt, und wie soll ich dem Tod entgehen? Wünsche mir Glück, süßes Mädchen! Ich muß fort von dir ins Land der Heiden.“
„Ich bin dir zugetan, treuer Freund. Jetzt sag mir: Ist das nun Minne? So will ich auf immer eine Wünschende sein im Streben nach Belohnung, die uns höchste Freude verspricht. Eher gehen alle Gewässer in Flammen auf, als meine Zuneigung versiegt!“
Viel Zuneigung blieb dort zurück, viel Zuneigung zog von dannen. Noch nie habt ihr von Mädchen, Frauen oder tapferen Männern gehört, die sich inniger liebten. Das wurde Parzival später an Sigune auf der Linde deutlich gewahr.
Gahmuret, der König von Kingrivals, schlich sich in aller Heimlichkeit von seinen Angehörigen und seinen Gefolgsleuten davon, so daß denen sein Aufbruch gänzlich verborgen blieb. Nicht mehr als zwanzig Pagen aus edlen, höfischen Familien und achtzig Knappen in Rüstung aber ohne Schilde hatte er ausgesucht für die Fahrt.
108
80
Text und Übersetzung G 73, M 25 La 80, Lei 79 (~JT 753)
Fünf schœniu ors unt goldes vil, von Azagouc gesteine im volget ûf die vart sîn schilt andere schilte gar eine. 80 durch daz solte ein schilt gesellen kiesen, daz im ein ander schilt heiles wunschte, obe dirre schilt kunde niesen.
M 19 Hei 80a, Mar 78a (~JT 755)
81
† !Z "e Herzenlouden n!am urlou"p Gahmu!ret der" werde. sô g!ar ein tri "wenberender stam !wirt gebore"n niende!r ûf " der erde !noch getri "wer wîp, als si vil !wol besc"heinte. vo!n ir zwei "er scheid!en wart"
81
iâmer, den mane!c ouge sî"t bewein!te". † M 20 Hei 80b, Mar 78b (~JT 756)
82
† !Er" sprach: ‚vil liebes !wîp, dîn" êre
bevil!he ich got" dem rei!nen".‘
!e "r gesach si nimme!r mêre.
h"erzelîche !si begund "e weine!n". 82 !si bev"alch in ouch got !mit man"gem siuft!en tiefen". ir seit i!r herz"e künftic nôt. ey, !waz tre"hen von i!r ougen l "iefen! †
83
† !G "ahmuret die re!inen
trôs"te güetlîch!en".
!er sp"rach: ‚du s!o "lt niht weinen.
83
M 21 Hei 80c, Mar 78c (~JT 757)
i !n einem" halben iâ!re si "cherlîch!en"
!kom" ich her wider, lât !got mich" bî dem lîb!e ".‘ !s"înes trôste!s ir sor"gen ein teil ents!lief.
sus s"chiet er v!on dem minn"eclîchen wîbe. †
80 2 (v)erte mit … ander schilte M. 4 ob M. 81 1 … e herzenlovd(en) n … p Gahmv … (w)erde M. 2 s(o g) … wenberender stam … n niende … der erde M. 3 …wer wip als si vil … (h)einte M. 4 v(o) … er schei(d) … iamer den mane …(t) bewein… M. 82 1 … sprach vil liebes … ere bevil … dem rei … M. 2 … r gesach si nimm(e) … (e)rzeliche … e weine … M. 3 … alch in ovch got … gem sivft … M. 4 ir seit i …(e) chvnftich not ey … hen von i … ieffen M. 83 1 … ahmuret die re … te g(vt)lich … M. 2 … rach dv s … lt (ni)ht weinen (i)… (h)alben ia … che(rli)ch … M. 3 … ich her wider lat … bi dem li(b)… M. 4 … in troste … gen ein teil (e)nts … chiet er (v) … echliche(n wibe) M. • des trOst (JT DE), • von dem trost (JT AB), • des trostes (JT X). 80 1 ors, vil goldes, | von Lei. 2 volgete Lei. Alle Hgg. Komma nach vart. sîn | Lei. sîn schiet | anderre schilt BMa. ander GJ La Lei. 4 [schilt] La, om. Lei. schilt | WPMo. ob GJ La Lei. künde BMa. 81 Als unecht abgedruckt von Lei (1. Aufl.) Mar nach Str. 78, athetiert von BMa Lei (ab 2. Aufl.). Nach JT J als echt abgedruckt von Ba (nach Str. 80) La (im App. zu Str. 80), als unecht von Pip. Vor Str. 81 ist die Str. JT 754 (nach JT J) aufgenommen von Ba Dal GJ Mo La (im App. zu Str. 80). 1 urloup nam | Mar. 3 vil wol om. Mar. 3–4 bescheinde : beweinde GJ Mo. 4 scheiden | Mar WPMo. manc Mar. 82 Als unecht abgedruckt von Lei (1. Aufl.) Mar, athetiert von BMa Dal Mar Mo Lei (ab 2. Aufl.). Nach JT J als echt abgedruckt von Ba (nach Str. 80 u. JT 754), als unecht von La (im App. zu Str. 80) Pip. 1 Er sprach om. Mar. 2 Mar Komma nach weinen. 3 ouch om. Mar. 4 !s"înes ] !s"in Hei. sîns trôsts ir sorge Mar. 83 3 !kume" Hei. lât mich got bî lîbe Mar.
Fragment I
109
Fünf prächtige Pferde sowie eine Menge Gold und Edelsteine aus dem Lande Azagouc begleiteten ihn auf seiner Reise; sein Schild folgte ihm ganz allein, ohne jegliche Begleitung anderer Schilde. Darum aber sollte sich ein Schild einen Gefährten wählen, damit ihm der andere Schild ‚Gesundheit‘ wünschen kann, wenn er einmal niesen müßte.
Von Herzeloyde nahm der edle Gahmuret Abschied. Ein Mann, der so reich die Früchte der Treue trägt, wird heute nicht mehr auf Erden geboren, ebensowenig eine Frau von treuerer Gesinnung, wie sich bald an ihr zeigen sollte. Aus ihrer Trennung erwuchs großer Kummer, der viele Augen später zum Weinen bringen sollte.
Er sagte: „Geliebte Frau, deine gesellschaftliche Anerkennung empfehle ich Gott, der ohne Falsch ist.“ Er sollte sie nie mehr wiedersehen. Sie weinte von Herzen. Auch sie empfahl ihn Gott unter vielen tiefen Seufzern. Ihr Herz prophezeite ihr zukünftiges Leid. Oh, wie viele Tränen aus ihren Augen strömten!
Gahmuret tröstete die Reine freundlich. Er sagte: „Du mußt nicht weinen. Ich komme bestimmt binnen eines halben Jahres zurück, wenn Gott mich am Leben läßt.“ Durch seinen Trost kamen ihre Sorgen ein wenig zur Ruhe. So trennte er sich von der liebreizenden Frau.
110
Text und Übersetzung M 22 Hei 80d, Mar 78d (~JT 758)
84
† !S "us was si ûf ged!ingen
et"swenne f!rô", doch vil selten.
si !kunde mit" sorgen r!ingen. ir" triwen!bere"nd!er lîp des" muost en!gelte"n. sîn übe !rvart k"om ir ze !unheile". 84 !mi "t sînem !tô"de ir freu!de starp". man ge!sach si nim"mer mêr!e frô" noch geile. †
85
86
G 74, M 23 La 81, Lei 80 (~JT 759)
Sîn herzenlîche liebe unt ir minne niht frömde 85 was noch worden nie durch gewonheit. im gap dar diu küngin ir hemde blanc sîdîn, als ez ir blenke ruorte. ez ruorte ouch etwaz brûnes an ir huf. den poneiz vor Baldac erz fuorte.
G 76, M 26 La 82 (~JT 760)
Uz Nurgâls gegen Spânge unze hin ze Sibilie er kêrte, 86 des genendegen !Gandînes" sun, der vil wazzers ûz ougen gerêrte, dô man friesch, wie sîn vart nam ein ende. sîn hôher prîs wirt nimer getoufter diet noch den heidenen ellende.
84 1 … vs was si vf ged … swenne f … doch vil selten M. 2 si … sorgen r … triwen …(nd)… mVst en …(n) M. 3 sin vbe … (om ir) ze … M. 4 … t sinem … de ir fre(v) … (m)an ge … mer mer … noch geile M. 85 1 frQmde G. 2 … (w)orden d(v) … M. 4 … (e)lin den p … z fVrte M. 86 1 (U)z Nori(g) … h yspane(g) … ilige cherte M. 2 • des genendegen sun G, • dez g … digen …(s) sun M, • der werde (• er der JT E, • der werden JT D) sun Gandines (JT I ), • des werde– sun Gandeines (JT X). 3 … evriesch … M, gevriesch JT X. 4 nieme… M. 84 1 vil om. Mar. 2 triwenrîcher Mar. enkelten Mar. 4 ir freude erschrac: Mar. 85 Als unecht abgdruckt von Mar. 1 und | Lei. iht BMa GJ La Lei. iht worden vremde Lei. fremde BMa GJ La Mo, vremde Lei. 2 noch nie Lei. BMa Mar Punkt nach nie. durch | BMa. BMa Mo Komma nach hemde. 4 ouch om. La Lei. an | BMa, ir | Lei. BMa La Lei Doppelpunkt nach huf, GJ von ez bis huf in Parenthese-Klammern. puneiz alle Hgg. 86 1 Norgâls alle Hgg. gein BMa GJ La. Spâne GJ La Lei (Mo). unze | BMa, unz | Lei, [unze] La, om. Mo. 2 Gandînes | Lei. der | BMa. der ûz ougen wazzers vil gerêrte Lei. 3 nam ende Lei. 4 wirt ] wart BMa. [den] La, om. Lei.
Fragment I
111
So war sie auf diese hoffnungsvollen Versprechen hin zuweilen froh, aber doch eher selten. Sie verstand es, mit den Sorgen zu ringen. Reich an Treue wie sie war mußte sie dafür bezahlen. Seine Reise übers Meer brachte ihr großes Unglück. Mit seinem Tod starb ihr Glück. Man sah sie seitdem niemals mehr fröhlich oder gar ausgelassen.
Seine innige Zuneigung und ihre tiefe Liebe waren noch nie abgekühlt durch Gewöhnung aneinander. Die Königin gab ihm ihr Hemd aus weißer Seide mit auf den Weg, so wie es ihre weiße, nackte Haut berührt hatte. Es hatte auch etwas Braunes dort unten an der Hüfte berührt. Er trug es bei seinem Zweikampf vor Baldac.
Von Norgals aus zog er nach Spanien bis Sibilie, der Sohn des kühnen Gandin, er, der viel Wasser aus den Augen fließen ließ, als man erfuhr, welches Ende seine Reise nahm. Sein großer Ruhm wird niemals verschwinden, weder bei Christen noch bei Heiden.
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Text und Übersetzung M 27 Hei 82a, Mar 82a (~JT 761)
† Si mü!ezen in e"rkennen, !er mac" niht eralten. 87 Her!man" von !Dürnge"n wilent !phlac" êren, der immer !kunde w"unsches !walten". !s "wâ man !hœrt von" sînen genôzzen s!prec"hen,
die !vor im hi "n gescheid!en sint",
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wie kunde sîn lop !für" die sô pre!chen"! † G 77, M 28 La 83 (~JT 762)
Daz rede ich wol mit wârheit, ninder nâch wâne. 88 nu sulen wir ouch gedenken des iungen fürsten ûz Grâsivaldâne, des Sigûne in twanc, sîn kiuschiu âmîe. diu zôch ûz sînem herzen die fröude als ûz den bluomen die süeze diu pîe.
Sîn lieplîchiu siecheit, !die er" truoc von der minne, 89 die flust sînes hôhen muotes, an sorgen gewinne twanc den Grâharzoys vil manger pîne. er wære noch sanfter tôt als Kurzkrî vor Mâbonagrîne.
Wirt imer tiost mit hurte von sperbrechens krache 90 ûz sîner hant durh schilde brâht, sîn lîp ist ze dem ungemache doch ze kranc: diu starke minne in krenket, unt daz sîn gedanc nâch lieplîcher liebe unvergezzen sô denket.
G 78, M 29 La 84 (~JT 763)
G 79, M 30 La 85 (~JT 764)
87 1 (S)i mu …rchennen … niht eralten M. 2 her … von … (n) wilent … eren der immer … vnsches … M. 3 … wa man … sinen genozzen (s) … hen M. 4 die … n geschei(d) … (w)ie chvnde sin lo(p) … die so pr(e) … M. 88 2 iugen G. 3 • w … vne twanc sin cl(a) … M. 4 •… zoch im … (e)rzen vil … (e)n reht als vz den … n ir (s)vze tVt div (b) … M. 3 • be … (e)n Grahd’o… M. 89 1 … (c)heit die (e) … trVc M, siecheit di er truoc (JT I JT X). die er fehlt G. 4 vor ] …on M, von (JT AX), vor (JT BE), nach (JT D). 90 3 …(e)nche M. 4 gedenke (JT I ), gedenche (JT X). 87 Athetiert von BMa Dal Lei (ab 2. Aufl.). Nach JT J als echt abgedruckt von Ba La (im App.zu Str. La 82), als unecht von Pip. 1 mac et niht GJ Mar Mo. veralten GJ. 2 von Dürgen der genende, Herman pflac êrn, der wunsches prîs kund walten GJ. wîlent | Mar. Düringen Mo. Mo Komma nach walten. 4 Mo Punkt nach sint. für om. Mo. sô verre brechen GJ. 88 2 Graswaldâne BMa, Grâswaldâne GJ La Lei (Mo). BMa Punkt nach Graswaldâne. 3 BMa Doppelpunkt nach âmîe. 4 bluomen [die] süez La, bluomen süeze Lei. 89 1 die | BMa. 2 muotes, | . . . . . . . . . an La WPMo (GJ Mo). BMa Lei keine Interpunktion nach muotes. 4 als | Lei, tot | WPMo. vor ] von La. 90 2 braht, | WPMo. 4 liep- | lîcher ?, lieplîcher | BMa La, gedanc | WPMo. lieplî- | che Lei. gedenket GJ La Lei.
Fragment I
113
Ihnen allen muß er bekannt sein, er kann gar nicht altern. In hohem Ansehen lebte einst Hermann von Thüringen, der stets vorbildlich zu handeln wußte. Wo immer man von Seinesgleichen reden hört, die vor ihm hingeschieden sind – wie sehr vermochte sein strahlender Ruhm den ihren zu überstrahlen!
Ich sage die reine Wahrheit, dies ist nicht einfach erfunden. Doch nun müssen wir wieder an den jungen Fürsten aus Grasivaldane denken und daran, wozu Sigune ihn trieb, seine reine, makellose Freundin. Sie saugte die Freude aus seinem Herzen wie die Biene die Süße aus den Blüten.
Seine lustvolle Krankheit, die er von der Minne davontrug, das Schwinden seiner höfischen Hochgestimmtheit und der Zuwachs an Sorgen zwangen dem Helden aus Graharz viele Schmerzen auf. Sanfter wäre es für ihn gewesen, tot zu sein, so wie Gurzgri vor Mabonagrin lag.
Wenn er jemals im kraftvollen Ansturm unter dem Lärm splitternder Lanzen mit eigner Hand durch Schilde hindurch den Zweikampf versucht, so ist er für solche Mühen doch viel zu schwach. Es schwächt ihn die starke Minne, und daß sein Gedanke unablässig an die liebreizende Geliebte denkt.
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Text und Übersetzung G 80 La 86 (~JT 765)
Swenne ander iunchêrren ûf velden unt in strâzen 91 punierten unt rungen, durh sende nôt muose er daz lâzen. minne in lêrte an stæten fröuden siechen. swâ kint lernent ûf stên nâch stüelen, diu müezen zem êrsten dar kriechen.
G 81 La 87 (~JT 766)
Nu lât in hôhe minnen – sô muoz er ouch denken, wie er sich gein der hœhe ûf rihte unt im künne alle valscheit verkrenken sîn wernder brîs in der iugent unt in dem alter. ich weiz den fürsten, solte er daz lernen, man lêrte einen bern ê den salter.
G 82 La 88 (~JT 767)
Schoynatulander vil nœte truoc verborgen, 92 93 ê daz der werde Gahmuret wurde innen al spehende der helbæren sorgen, daz sîn liebester mâc sus ranc mit kumber. er kal et al die mânen, swie sich diu zît huop, den winder unt den summer.
G 83 La 89 (~JT 768)
Von angeborner art sô wunschlîch geschicke, 94 sîn vel, diu liehten ougen, swaz man dâ kôs des antlützes blicke, schiet dur nôt von lûterlîchem glanze. des twanc in niht ein dürkelz wenken, ez tet starkiu liebe diu ganze.
91 2 not so msst (JT ABX), not nu msst (JT E). stQlen ] an stæben (JT X). mvzzen ie des ersten 92 91 2 not so msst (JT ABX), not nu msst (JT E). 93 stQlen ] an stæben (JT X). mvzzen ie des ersten 94 1 so ] sin (JT ADEJKXYa), sint (JT B).
4 swa kint an stvln vf langent (JT BD). (JT BDEX). 4 swa kint an stvln vf langent (JT BD). (JT BDEX).
stæn G.
nach
stæn G.
nach
91 2 nôt sô muose GJ La (muoste Lei). 4 stên, nâch | BMa. nâch ] an GJ La Lei. an | Lei. müezen ie zem êrsten GJ La. dar zem êrsten Lei. dar om. BMa. 92 1 BMa Ausrufungszeichen, Hei Komma, La Lei Mo Doppelpunkt nach minnen. gedenken Lei. 2 [der] La, om. Lei. und | Lei, hoehe | WPMo. 3 [der] BMa, om. La Lei. dem om. La. 4 er | Lei. 93 2 Gahmuret der werde Lei. würde Lei. 3 kummer alle Hgg. 4 er kol BMa, er qual GJ Mo La Lei. mânen, | La Lei (WPMo). [den] winder La (den om. Lei). 94 1 arte GJ La. sô | BMa. sô ] sîn Mar Mo La. 2 GJ La Lei Mo Komma nach kôs.
Fragment I
115
Wenn die anderen Jünglinge auf Feldern und Wegen Turniere und Ringkämpfe austrugen, so mußte er das wegen seiner Sehnsuchtsqualen unterlassen. Die Minne ließ ihn alle dauerhaften Freuden entbehren. Wo immer Kinder lernen, mit Hilfe von Stühlen aufzustehen, die müssen doch zuerst einmal dort hinkrabbeln.
Nun laßt ihn nur hoch minnen – er wird auch daran denken müssen, wie er sich wieder aufrichten kann und ihm so sein in der Jugend wie im Alter beständiger Ruhm alles Falsche auslöscht. Ich kenne manchen Fürsten, wenn der das lernen sollte – eher könnte man einem Bären Psalterspielen beibringen.
Schionatulander trug viel Leid in seinem Herzen verborgen, bevor der edle Gahmuret, der genau beobachtete, an der verhohlenen Sorgenlast wahrnahm, daß sein liebster Verwandter so heftig mit dem Schmerz rang. Er quälte sich alle Monate hindurch, wie immer die Jahreszeit wechselte, winters wie sommers.
Seine von angeborenen Eigenschaften so vollkommene Erscheinung, seine Haut, seine strahlenden Augen, was auch immer an seinem glänzenden Aussehen ins Auge gefallen war, trennte sich aus Gram von allem strahlenden Glanz. Daran war nicht schwächliche Verzagtheit schuld, dies bewirkte eine starke, vollkommene Liebe.
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Text und Übersetzung G 84 La 90 (~JT 769)
Gahmuretes herze ouch von minnen getwenget was, von der minnen ir hitze, unt ir âsanc im hete under wîlen besenget sîn lûter vel, daz ez mit truopheit kunde. minne helfe er ein teil hete enphangen, er wesse ouch ir twinclîche stunde.
G 85 La 91 (~JT 770)
Swie listec sî diu minne, si muoz sich enblecken. 96 swer treit der minne al spehende künstec ougen, dâ kan sich ir kraft niht verdecken. si ist ouch ein winkelmez, hœre ich si zîhen. si entwirfet unt stricket vil spæhe noch baz dane spelten unt drîhen. G 86 La 92 (~JT 771)
Gahmuret wart innen der helbæren swære, 97 daz der iunge talfîn ûz Grâsivalden was fröuden alsô lære. er nam in sunder ûf daz velt von der strâze: ‚wie vert sus Anphlîsen knappe? dîn trûren kumt mir niht ze mâze.
G 87 La 93 (~JT 772)
Ich trage die wâren phliht al gelîch dîner pîne. 98 der rœmesche keiser unt der admirât al der Sarrazîne möhtenz mit ir rîcheit niht erwenden: swaz dich brâht in siuftebæren pîn, daz muoz mih an fröuden ouch phenden.‘
96 3 winkel mez G, strickerin (JT A). 97 4 din ] sin (JT I JT X). 98 2 romesche G.
4 strichet G, stricket (JT I ), streichet (JT J).
spahe G.
95 1 herze | ouch . . . . . getwenget La (GJ), herze ouch | was von der minne getwenget Lei (Mo, herze | WPMo). 2 La GJ keine Parenthese, aber Doppelpunkt (GJ Komma) nach hitze. [und] La. • was: ir hitze unde ir âsanc | im BMa, • ir hitze und ir âsanc | im Lei (Mo WPMo). 4 er hete ein teil | enphangn La (GJ). hete | BMa, em- | phangen Lei. 96 2 swer treget minne Lei. tregt BMa. künstec | BMa Lei, ougen, | La. kan ir kraft sich niht Lei. 4 spâhe Lei. 97 2 Grâswaldân BMa GJ La, Grâswaldâne Lei. 4 knabe? Mo, knabe? | WPMo dîn ] sîn La. 98 1 phlihte GJ La Lei Mo. al | BMa Lei, phlihte | La WPMo. 2 und der | BMa Lei. 3 Hei Punkt, La Lei Mo Komma nach erwenden. 4 bræht BMa La, bræhte Lei Mo. pîn | La. muoz ouch mich an vreuden phenden Lei.
Fragment I
117
Auch Gahmurets Herz war von der Liebe, von der Hitze der Minne, bedrängt worden, und ihre Glut hatte ihm seine reine, helle Haut zuweilen angesengt, so daß diese auch um seine trüben Flecken wußte. Er hatte die helfende Kraft der Minne sehr wohl empfangen, aber er kannte auch ihre bedrückenden Stunden.
Wie listig die Minne auch immer ist, sie muß sich eine Blöße geben. Wenn einer der Minne umsichtig spähend mit kundigem Blick begegnet, kann sich ihre Kraft nicht verbergen. Sie ist auch, wie ich ihr nachsagen höre, ein Winkelmaß. Sie entwirft und knüpft äußerst kunstvoll, kunstreicher noch als Webscheite und Brettchen.
Gahmuret nahm an der sich verbergenden Bedrückung wahr, daß der junge Dauphin aus Grasivalden so leer war an Freuden. Er nahm ihn für sich allein auf das Feld, weg von der Straße. „Wie kommt es, daß es dem Pagen der Anphlise so ergeht? Dein Trauern will mir gar nicht gefallen.
Ich trage die volle Pflicht, an deinem Schmerz ganz teilzunehmen. Der römische Kaiser und der Admirat aller Sarazenen könnten mich mit ihrem Reichtum nicht davon abhalten. Was immer dich in seufzensschwere Not gebracht hat, das nimmt auch mir meine Freude als Pfand weg.“
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Text und Übersetzung
99 Nu sult ir wol gelouben dem Anschevîne, 99
G 88 La 94 (~JT 775)
daz er gerne hulfe, obe er möhte, dem iungen seneden talfîne. er sprach: ‚owê, durh waz hât sich geloubet dîn antlütze lûterlîcher blicke? diu minne sich selben an dir roubet.
100 Ich spür an dir die minne, alze grôz ist ir slâge. 100
G 89 La 95 (~JT 773)
du solt mih dîner tougen niht helen, sît wir sîn sô nâhen gemâge unt bêde ein verch von ordenlîcher sippe. die spür ich nâher dane von der muoter, diu dâ wuohs ûz stelehaftem rippe.
101 Du minnen ursprinc, du berndez saf minnen blüete! 101
G 90, M 35 La 96 (~JT 782)
nu muoz mich erbarmen Anphlîse, diu dich durch ir wîplîche güete mir lêch. si zôch dich als si dich gebære, unt het dich an ir kindes stat, als liep du ir noch bist unt ie wære.
102 Hilest du mih dîn tougen, dâ mite ist versêret 102
G 91 La 97 (~JT 774)
mîn herze, daz dîn herze ie was, unt hât sich dîn triwe geunêret, ob du mir sô grôze nôt entwildest. des nemac ich dîner stæte niht getrûwen, daz du sô wanklîche unbildest.‘
99 1 • dem werden Anschevine sult ir des wol getrowen (JT I ), • dv solt ir wol getrawe– dem werden Antscheueine (JT X). 2 iugen G. 100 4 stelehafte G. 101 1 • Dv minne bernde saf vrsprinch minnen blvte M, • saf ( ] uf JT AX) minneberndem rise ursprink (von JT DE) minnen ( ] minne JT BX, meine JT D) bluete (JT). 2 mich wol erbarmen anfolyse div dich mir lech durch ir gUte M. 3 mir lech steht in M in V. 2. 4 vn– G ] si M. ir bist vn– ovch ie M. 102 4 nemagich G. 99 1 dem werden Anschevîne GJ La Lei. 2 hülfe Lei. obe er | BMa, ob | er Lei. 4 luter- | licher WPMo. 100 1 al | ze BMa, al- | ze Lei. 2 niht | BMa La. nâhe GJ La Lei. 3 BMa GJ La Lei Komma nach sippe. 4 die spür ich om. BMa GJ La Lei. muoter | BMa La Lei. stelehafter alle Hgg. 101 1 ursprinc, | WPMo. [du] berndez La. Docen Komma nach saf. 2 An- | pflîse BMa. 4 kindes | Lei. GJ Hei Mo Punkt nach stat. 102 2 ie | Lei. 4 desne mag ich BMa, des nemag ich GJ, desn mag ich La, des enmag ich Mo. des enmac ich niht dîner stæte Lei.
Fragment I
119
Nun sollt ihr es dem Ritter von Anschouwe gerne glauben, daß er, wenn er es vermöchte, dem jungen liebeskranken Dauphin bereitwillig hülfe. Er sagte: „Ach, weshalb hat dein Antlitz den strahlenden Glanz verloren? Die Minne beraubt sich selbst an dir.
Ich nehme an dir die Spur der Minne wahr, allzu ausgeprägt ist ihre Fährte. Du sollst mir dein Geheimnis nicht verhehlen, da wir so nahe Blutsverwandte sind und beide ein Fleisch und Blut aus gottgeordneter Familie. Diese Verwandtschaft spüre ich näher als die von der Mutter, die da hervorging aus der gestohlenen Rippe.
Du Minnenquell, du Saft, der die Blüte der Minne hervorbringt! Nun habe ich Anlaß, mit Anphlise Erbarmen zu empfinden, die dich mir in ihrer fraulichen Güte zu Lehen übergab. Sie hatte dich aufgezogen, als hätte sie dich selbst geboren, und hatte dich an Kindesstatt, so wie sie dich auch jetzt noch liebt und immer geliebt hat.
Verbirgst du mir dein Geheimnis, dann ist dadurch mein Herz verletzt, das stets dein Herz war, und deine Treue hat sich geschändet, wenn du mich deinem so großen Leid entfremdest. Doch ich mag deiner Redlichkeit nicht zutrauen, daß du so wankelmütig unrecht tust.“
103
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Text und Übersetzung G 92 La 98 (~JT 776)
103 Daz kint sprach mit sorgen: ‚sô sî mîn gedinge
dîn fride unt dîn hulde, unt daz mich dîn zorn niht fürbaz mêre twinge. ich hal dur zuht vor dir al mînen smerzen. nu muoz ich dir Sigûnen nennen: diu hât ane gesiget mînem herzen. G 93 La 99 (~JT 777)
104 Du maht, wil du, ringen den last ungefüege. 104 nu wis der Franzoysinne gemant: obe ich dîner sorge ie getrüege, nim von ir mich ûz krenken! ein slâfender leu als swære wart nie sô mîn wachendez gedenken.
105 Ouch wis gemant, waz mers unt der lande ich durchstrichen
G 94, M 31 La 100 (~JT 778)
durh dîne liebe hân, niht durh armuot. ich bin mâgen unt mannen entwichen unt Anphlîsen, mîner werden frouwen. 105 des sol ich alles wider dich geniezen. lâ dîne helfe schouwen!
106 Du maht mich wol enstricken von slôzlîchen banden. 106
G 95, M 32 La 101 (~JT 779)
wirde ich imer schiltes hêrre under helme unt ûf kost in den landen, sol mîn helfec hant dâ prîs erringen, die wîle wis mîn voget, daz dîn scherm mich erner vor Sigûnen twingen.‘
104 3 • (• des JT D) gib mir werden trost nim mich uz krenken (JT I JT X). 4 lewe wart nie so swær als wachende mein gedenchen (JT X). 105 4 helfe an mir schowen M. 106 1 von ] vz M. 2 vf chost fehlt M. 3 da nach prise ringen M. 4 die wile fehlt M. daz mich din gewalt nere vor M. 103 2 und | Lei. und daz | BMa. 4 nennen. | WPMo. mîm La. 104 1 wilt du GJ La, wiltû Lei. 2 Franzoisinne | Lei, Franzoysin- | ne WPMo. 3 •. . . . nim Mo. ir . . . . . . mich BMa GJ La Lei. 4 slâfender ] wachender BMa. leu wart nie | als swære sô La. wachendez ] slâfendez BMa. 105 1 und | BMa Lei. ich hân durchstrichen Lei. 2 dîn La. hân om. Lei. armuot. | La Lei. 4 alles | Lei. dîn La. 106 2 un- | der Lei, schiltes WPMo. BMa Komma nach hêrre, keine Interpunktion nach landen. 3 BMa GJ Punkt nach erringen. 4 dîn | BMa. scherm erner mich vor Lei.
Fragment I
121
Der Knappe sagte in großer Besorgnis: „So setze ich denn alles auf deine Versöhnlichkeit und auf dein Wohlwollen und darauf, daß dein Zorn mich nicht weiter bedrängt. Aus gebotenem Anstand verheimlichte ich dir alle meine Schmerzen. Doch jetzt muß ich dir Sigune nennen: die hat über mein Herz gesiegt.
Du kannst, wenn du willst, die übergroße Bürde erleichtern. Nun sei an die Französin erinnert. Wenn ich jemals an deinem Kummer mitgetragen habe, so befreie mich um ihretwillen von dem, was mich so schwächt. Ein schlafender Löwe wurde niemals so schwer wie meine wachenden Gedanken.
Laß dich auch erinnern, wieviele Länder und Meere ich durchquert habe, aus Zuneigung zu dir und nicht aus Abhängigkeit. Ich habe Verwandte und Lehnsleute verlassen und auch Anphlise, meine edle Herrin. Das alles komme mir nun bei dir zugute. Laß mich deine Hilfe erkennen!
Du kannst mich wohl losbinden von fest umschließenden Fesseln. Wenn ich jemals der Herr eines Schildes werde, helmbewehrt und mildtätig in den Landen, und wenn mein helfender Arm da Ruhm erstreitet, sei du bis dahin mein Schutzherr, damit dein Schutz mein Leben beschirme vor der bedrängenden Gewalt Sigunes.“
122
Text und Übersetzung
107 ‚Ey kranker knabe, waz waldes ê muoz verswinden 107
G 96, M 33 La 102 (~JT 780)
ûz dîner hant mit tioste, solt du der duzissen minne bevinden! werdiu minne ist teilhaft ordenlîche. si hât der sælige ellenthaft erworben ê dane der zagehafte rîche.
108 Doch fröu ich mich der mære, daz dîn herze sô stîget. 108
G 97, M 34 La 103 (~JT 781)
wâ wart ie boumes stam an den esten sô lobelîche erzwîget? si liuhtec bluome ûf heide, in walde, ûf velde! hât dich mîn müemel betwungen, owol dich der lieplîchen melde!
109 Schoysîâne, ir muoter, dâ für wart beruofen, 109
G 98, M 36 La 104 (~JT 783)
daz got selbe unt des kunst mit willen ir klârheit geschuofen. Schoysîânen blic der sunnenbære, den hât Sigûne, Kîôtes tohter, an ir, iehent ir erkantlîchiu mære.
110 Kîôt, der prîs beiagende in der scharflîchen herte, 110
G 99, M 37 La 105 (~JT 784)
der fürste ûz Katelangen, ê Schoysîânen tôt fröude im werte, ir zweiger kint ich sus mit wârheit grüeze, Sigûne, diu sigehafte ûf dem wal, dâ man welt magede kiusche unt süeze. 107 1 chranch M. swinden M. 2 • mit tyost v(z din)er hende wil dv M. 3 • wan d(iv) minne M (JT EaNr.54), wan ir minne (JT ABJKXY). 4 si hat der arme (ellent)hafte erworben e der M, si erwirbet e mit ellen der selige ( ] arme JT D) danne der (JT ABD), si hat der selden ewenthafft geworben dan der (JT E), sie hat der sAlge ellenthaft erworben e dan der (JT Nr.54), si hat der ellenthaft der arme e erworben dan der (JT JK), sei hat d’ ellenthaft erborben ee daz (JT R). ellenthaf erworbe(n) G. 108 1 mare G ] hOhe M ( JT). so ] also M. 2 an ] von M. gezwiget M. 3 blsme in walde vf heide vn– an 4 min svzzez mvmelin betfelde M, blsm in walde uf heide (vnd JT AB) an ( ] uf JTII, fehlt JT a) felde (JT). wungen so wol M. mUmel (JT). 109 1 • Sygvnen mVter da fvr was berUffe M. • Sigunen mster (JT, außer Tschosian mster JT a). 2 • daz got 3 Tschoysianen M. 4 Kyotes chint an im iehent dez erchantlichiv M. vn– sin chvnst M. geschvffe M. tohter ] kint (JT). gehent G. 110 1 in scharflicher herte M. 2 katalangen Tschoysianen M. e fehlt M JT. tot im alle frevde werte M. 4 meide M. vn– ir svzze M (JT X), in svzze (JT ADE), ir svzze (JT B). 107 108 109 110
1 knabe | WPMo. 4 ellenthafte ê | erworben dan der Lei. dane om. GJ La. 2 an | BMa Lei. [den] La. 4 muome Lei. müemel | BMa. 2 des | BMa, mit | Lei. 4 tohter | BMa. Kîôtes kint | La (GJ). gehent BMa. erkantlîch GJ La. 1 in | Lei. 2 tôt im fröude werte GJ La. 3 BMa GJ Hei Mo Doppelpunkt nach grüeze. 4 ûf | BMa, dem | Lei, sigehafte | WPMo. unde ir süeze GJ La.
Fragment I
123
„Ach, kranker Knabe, wieviele Wälder werden erst noch von deiner Hand in der Tjoste abgeholzt werden müssen, wenn es dir bestimmt ist, die Minne der Herzogin zu erlangen! Edle Minne wird einem nur nach Regeln zuteil. Der begnadete Tapfere hat sie sich eher erworben als der zaudernde Mächtige.
Doch freue ich mich zu hören, daß sich dein Herz so hoch erhebt. Wo wuchs jemals der Stamm eines Baumes, der sich in seinen Ästen so herrlich verzweigte? Sie strahlende Blume auf der Heide, im Wald, auf dem Feld! Hat mein Nichtchen dich bezwungen, wohl dir, bei solch glücklicher Botschaft!
Schoysiane, ihre Mutter, wurde dafür öffentlich gerühmt, daß Gott selbst und seine Kunstfertigkeit planvoll ihre Schönheit geschaffen hatten. Den Sonnenglanz Schoysianes hat auch Sigune, Kiots Tochter, an sich, so geht die verbreitete Rede.
Kiot, Ruhmjäger in scharfem, harten Kampf, Fürst aus Katelangen bis der Tod Schoysianes ihm alles Glück entzog – ihr beider Kind rede ich nun mit Wahrheit so an: Sigune, Siegreiche auf der Walstatt, wo man jungfräuliche Reinheit und Lieblichkeit zur Wahl stellt!
124
Text und Übersetzung
111 Diu dir hât ane gesiget, du solt sigenunft erstrîten 111
G 100, M 38 La 106 (~JT 785)
mit dienstlîcher triwe an ir minne. ouch wil ih des willen niht langer nu bîten, in dîne helfe ich bringe ir werden muomen. Sigûnen glanz sol dîne varwe erblüen nâch den bliclîchen bluomen.‘
112 Schoynatulander begunde alsus sprechen: 112
G 101, M 39 La 107 (~JT 788)
‚nu wil mir dîn trôst unt dîn triwe aller sorgen bant gar zerbrechen, sît daz ich mit dînen hulden minne Sigûnen, diu mich roubet nu lange ûf der fröude unt an frœlîchem sinne.‘
113 Sich möht, ob er wolte, wol helfe vermezzen 113
G 102, M 40 La 108 (~JT 789)
Schoynatulander. ouch sule wir der grôzen nôt niht vergezzen, die Kîôtes kint truoc unt Schoysîânen sâmen. ê daz si trôst enphie, diu muose fröuden sich ânen.
111 1 solt ir gestriten M. 2 an ir minne fehlt M. nu fehlt M. 3 ir werden ] mine werde M (JT ABD), ir werde (JT EaR). 4 bichlichen G, blichlichen M. 112 1 Tschynohtvlander M. 2 gar fehlt M. 3 mi(t vrloube) nv minne M (JT AB), nu mit dinem urloube minne (JT DE), nv mit vrlaube minne (JT X). 4 lange an frevden M, an vreuden (JT, außer an witze JT DE). frQliche G, frOlichem M. 113 2 schoynatulander ] Gahmuret der werde M. Qch sule ] nv svln M. 3 • an (K)yotes chint vn– M 4 samen fehlt M (JT). • e div (trost) enpfie (JT I JT R), • an kint Kyothes vnd (JT H). Tschoysianen M. div mvste aller freuden M. 111 1 dû | BMa Lei. 2 an | Lei. [minne] La. an ir minne om. BMa. wil | BMa. [willen] La. des nû niht langer bîten Lei. 4 glanz dîn varwe | sol erblüejen Lei. 112 2 dîn trôst unt om. La. und dîn | BMa Lei, trost | WPMo. Lei Punkt nach zerbrechen. 4 nu | BMa. der om. GJ La Lei. vrœlîchen Lei. 113 1 ob er ] oder La. 2 ouch | BMa. sul wir grôzer nœte Lei. 3 BMa GJ Mo Punkt, La Lei Komma nach Schoysîânen. 4 sâmen om. GJ La Lei Mo. si. . . . . . . trôst GJ La, si trôst . . . . . . | Lei. Ê daz sie trôstes sâmen | emphienc BMa. La Lei Doppelpunkt nach enphienc (emphienc Lei). enphienc | WPMo.
Fragment I
125
Über die, die dich besiegt hat, mußt du nun mit treuem Dienst um ihre Minne den Sieg erkämpfen. Andererseits will ich mit meiner Absicht nicht mehr länger warten, ihre edle Tante dazu zu bringen, dir zu helfen. Sigunes Glanz wird auch deine Farbe wieder erblühen lassen wie leuchtende Blumen.“
Schionatulander begann so zu sprechen: „So will mir nun deine Ermutigung und deine Treue die Fesseln aller meiner Betrübnisse auflösen, da ich mit deiner Erlaubnis Sigune minne, die mir nun schon lange Glück und Freude raubt.“
Gahmuret konnte sicher sein, Schionatulander, wenn er es wollte, helfen zu können. Doch laßt uns auch nicht die große Not vergessen, die Kiots Kind und Schoysianes Frucht ertrug. Bevor sie Trost erhielt, mußte sie Freude entbehren.
126
Text und Übersetzung
114 Wie diu fürstin ûz Katelange betwungen 114
G 103, M 41 La 109 (~JT 790)
was von der strengen minne – alsus het ir gedanc ze lange unsanfte gerungen, daz siz vor ir muomen helen wolte –, diu küngin wart innen mit herzen schrick, waz Sigûne dolte.
115 Rehte als ein touwec rôse unt al naz von rœte 115
G 104, M 42 La 110 (~JT 791)
sus wurden ir diu ougen. ir munt, al ir antlütze enphant wol der nœte. dô kunde ir kiusche niht verdecken die lieplîchen liebe in ir herzen. daz kal sus nâch kintlîchem recken.
116 Dô sprach diu künginne durch liebe unt durch triwe: 116
G 105, M 43 La 111 (~JT 792)
‚owê, Schoysîânen fruht! ih truoc ê alze vil ander riwe, der ich phlac hin nâch dem Anschevîne. nu wahset in mîne swære ein niwer dorn, sît ich kiuse sus an dir pîne.
117 An lande unt an liuten, sprich, waz dir werre! 117
G 106, M 44 La 112 (~JT 793)
oder ist dir mîn trôst unt ander mâge sô verre, daz dich niht ir helfe mac erlangen? war kom dîn sunneclîcher blic? wê, wer hât den verstolen dînen wangen?
114 1 • Div fvrsti(nne vz) Katalangen sere was bet(wn)gen M. 2 was steht in M in V.1. sus hete (ir gedanche vnsanfte lange) gerungen M. 4 herze (schriche) was M. 2 ir munt al fehlt M. empfant allez wol M. 3 • do ch … (e) doch 115 1 vn– fehlt M. von der rOte M. ir M. 4 liepli(chen) minne daz si so (qu)al nach M. 116 1 (chvn)eginne durch triwe • M. 2 Tsch(oysianen) M. ich het zevil ander M. 3 hin fehlt M. 4 wahesset G. mine sware G ] minen ovgen M. sus fehlt M. 2 ander mage ] al diner mage M (JT EY), aller miner ( ] diner JT EY) mage 117 1 landen M (JTI ), land (JTII ). (JT). 4 svnnen (liehter) M, liehter sunnen (JT A), svmerliehter (JT B), sunen varw’ (JT DE), svnnen liehter (JT JKR), sunne liehter (JT H). 114 1 fürstinne | La (GJ). Kate- | lange ? Ka- | telangen Lei. 2 GJ Ausrufungszeichen, Hei Komma nach minne. al- | sus Lei. alsus | BMa La. 3 GJ Hei Punkt nach wolte. 4 schricke BMa GJ La Lei. 115 1 und | Lei. 2 munt, | BMa. wol om. La. 4 ir | BMa. in herzen, | Lei. Lei Komma nach herzen. daz qual GJ Mo La Lei, daz kol BMa. 116 2 Schoisîânen | Lei. truoc alze vil ê ander Lei. 4 in mîn GJ La Lei. ein | BMa Lei. [sus] La. ich sus kiuse an Lei. 117 2 und | Lei. ander mîner mâge GJ La, ander dîner mâge Lei. 4 sunneclîcher | Lei.
Fragment I
127
Wie sehr die Fürstin aus Katelangen durch die unerbittliche Minne bezwungen war – schon allzu lange hatte sie in Qualen mit sich gerungen, daß sie es vor ihrer Mutterschwester zu verheimlichen suchte –, wie sehr also Sigune litt, merkte die Königin mit Schrecken im Herzen.
Wie eine taubenetzte Rose, rot und ganz naß, so wurden ihr die Augen. Ihr Mund, ihr ganzes Antlitz erlitten diesen Kummer sehr heftig. Da konnte aber ihre Scheu nicht das liebende Verlangen ihres Herzens verdecken, so sehr verzehrte sich das nach dem jugendlichen Recken.
Da sagte die Königin aus Zuneigung und treuer Verbundenheit: „Ach, Schoysianes Kind! Ich trug auch so schon allzu schwer an den schmerzvollen Gedanken, die sich auf den Ritter aus Anschouwe richteten. Nun wächst in meinen Schmerz ein neuer Dorn hinein, seit ich dich in solchen Qualen sehe.
An Land und Leuten, sag, was bekümmert dich da? Oder ist dir mein Beistand und der deiner anderen Verwandten so fern, daß dich ihre Hilfe nicht zu erreichen vermag? Wo ist dein sonnenheller Glanz geblieben? Ach, wer hat ihn von deinen Wangen geraubt?
128
Text und Übersetzung
118 Ellendiu maget, nu muoz mich dîn ellende erbarmen. 118
G 107, M 45 La 113 (~JT 794)
man sol bî drîer lande krône mich imer zelen für die armen, ich engelebe ê, daz dîn kumber swinde unt ich diu rehten mære al dîner sorge mit der wârheit bevinde.‘
119 ‚Sô muoz ich mit sorge al mîn angest dir künden. 119
G 108, M 46 La 114 (~JT 795)
hâstu mich deste unwerder iht, sô kan dîn zuht sich an mir gar versünden, sît ich mich dervon niht mac gescheiden. lâ mich in dînen hulden, süeziu minne! daz stêt wol uns beiden.
120 Got sol dir lônen! swaz ie muoter ir kinde 120
G 109 La 115 (~JT 796)
mit minneclîchem zarte erbôt, die selben triwe ih hie finde vil stæteclîche an dir, ich fröuden kranke. du hâst mich ellendes erlâzen wol. dîner wîblîchen güete ih danke.
121 Dînes râtes, dînes trôstes, dîner hulde 121
G 110 La 116 (~JT 797)
bedarf ich mit ein ander, sît ich al gernde nâch friunde iâmer dulde, vil quelehafter nôt. daz ist unwendec. er quelt mîne wilde gedanke an sîn bant, al mîn sin ist im bendec.
118 119 118 120 119 121
2 imer fehlt M. 3 • ich gelebe e M. 4 die (rehten wa)rheit (aller diner) sorgen beuinde M. 1 ich vor forhten dir die warheit chvn(den) M. 2 imer fehlt M. 3 • ich gelebe e M. 4 die (rehten wa)rheit (aller diner) sorgen beuinde M. 1 ich vor forhten dir die warheit chvn(den) M.
118 1 mich | BMa La Lei (Stutz 1989), maget | WPMo. 4 al | BMa Lei. [der] La, om. Lei. 119 1 al | BMa Lei. 3 dâ von Lei. 120 2 minneclîchen BMa. er- | bôt Lei, erbot, | WPMo. 3 stæteclîchen BMa. 4 erlâzen | BMa Lei, wol | WPMo. BMa Doppelpunkt nach erlâzen, keine Interpunktion nach wol. [wol] La. 121 1 trostes, | WPMo. 2 BMa Punkt nach dulde. 3 La Lei Doppelpunkt, Mo Komma nach nôt. BMa daz ist unwendec in Parenthese-Klammern. La Doppelpunkt nach unwendec. 4 BMa Doppelpunkt nach gedanke. an | Lei. BMa keine Interpunktion, Lei Doppelpunkt, Hei GJ Punkt nach bant.
Fragment I
129
Heimatloses Kind, dein Leben in der Fremde erregt mein Mitgefühl. Obwohl ich die Krone dreier Länder trage, soll man mich immer zu den Machtlosen zählen, ehe ich nicht erlebe, daß dein Schmerz weicht und ich die rechte Kunde über alles, was dich bedrückt, in Wahrheit herausfinde.“
„So muß ich dir denn in Besorgnis offenbaren, was mich bedrängt. Hältst du mich deshalb für weniger wert, so kannst du dich, höfisch gebildet wie du bist, sehr an mir vergehen, da ich von meinen Ängsten nicht loskomme. Erhalte mir deine Zuneigung, du Süße, du Liebe! So geziemt es sich für uns beide.
Gott wird dir lohnen! Alle liebevolle Zärtlichkeit, die jemals eine Mutter ihrem Kinde erwies, die finde ich, freudlos wie ich bin, in unverbrüchlicher Beständigkeit an dir. Du hast mich überhaupt nicht als Fremde behandelt. Hab Dank dafür, daß du als Frau so vorbildlich bist!
Deinen Rat, deine Ermutigung und deine Zuneigung brauche ich gleichermaßen, da ich, noch ganz von freier Jagdlust erfüllt, nach dem Freund Kummer leide und quälende Not. Das wird nicht besser. Er schlägt mein ungezügeltes Sehnen in seine Fesseln, all meine Gedanken sind an ihn gekettet.
130
Text und Übersetzung
122 Ich hân vil âbende al mîn schouwen 122
G 111 La 117 (~JT 799)
ûz venstren über heide, ûf strâze unt gein den liehten ouwen gar verloren. er kom et mir ze selten. des müezen mîniu ougen friundes minne mit weinen tiure gelten.
123 Sô gên ich von dem venster an die zinnen. 123
G 112 La 118 (~JT 800)
dâ warte ich ôsten unt westen, obe ich möhte des werden innen, der mîn herze lange hât betwungen. man mac mich vür die alten senden wol zelen, niht für die iungen. G 113 La 119 (~JT 801)
124 Ich var ûf einem wâge eine wîle. 124 dâ warte ich verre, mêre dane drîzec mîle, durch daz ich hôrte solhiu mære, daz ich nâch mînem iungem clârem friunde kumbers enbære.
G 114 La 120 (~JT 802)
125 War kom mîn spilende fröude? oder wie ist sus gescheiden 125
ûz mînem herzen hôchgemüete? ein owê muoz nu folgen uns beiden, daz ich eine für in wolte lîden. ich weiz wol, daz in wider gein mir iaget sendiu sorge, der mih doch kann mîden.
122 123 124 122 124 125
3 chom et G, kumt (JT I ), chumpt (JT X), kam (JT H), cham (JT Y), chom (JT Z). 1 •chom uf einem ( ] so sweb JTkam D, sweb JT E) ich dann einchom wile (JT). 3 et G,wilden kumt wage (JT I ),var chumpt (JT X), (JT H), cham (JT Y), (JT Z). 2 denn uber drizec (tausent DE) mile (JT).wage var ( ] so sweb JT D, sweb JT E) ich dann ein wile (JT). 1 • ufJTeinem wilden 2 denn uber drizec (tausent JT DE) mile (JT).
122 1 hân nâch liebem vriunde | vil âbende al Lei (La als Vorschlag im Apparat). La ohne Zäsur. 2 ûf | Lei. BMa La Komma nach ouwen. 3 komet GJ La Lei. 123 1 venster | . . . . an La (GJ), venster | aber an Lei. 2 unt om. La. unde | Lei. westen | BMa La WPMo. ich des möhte werden Lei. 124 1 einem wilden | wâge La Lei. wage | WPMo. 2 danne (dan Lei) über drîzec La Lei. 3 daz, ob ich La Lei (Mo). sölhiu BMa La. 4 jungen La Lei. klâren Lei. 125 1 GJ Hei keine Interpunktion nach fröude. 2 hôchgemüete ] hôher muot GJ La. ein | Lei.
Fragment I
131
Soviele Abende war es verlorene Mühe, aus dem Fenster über die Heide zur Straße hin und auf die lichten Auen Ausschau zu halten. Er kam doch niemals zu mir. So müssen meine Augen die Minne zum Geliebten durch ihre Tränen teuer bezahlen.
Dann gehe ich von dem Fenster an die Zinne hinauf. Da halte ich Ausschau nach Osten und nach Westen, ob ich den nicht erspähen könnte, der mein Herz seit langem bezwungen hat. Mit gutem Grund kann man mich schon zu den alt gewordenen Liebenden zählen, nicht mehr zu den frischen jungen.
Auf tosendem Meer segele ich zuweilen. Da halte ich weithin Ausschau, weiter als dreißig Meilen, ob ich nicht solche Botschaft vernähme, daß ich keinen Kummer mehr um meinen jungen, schönen Geliebten erleiden müßte.
Wo ist meine unbeschwerte Freude geblieben? Und wie ist nur der Hohe Mut aus meinem Herzen entwichen? Ein schmerzvolles Weh muß uns beiden nun folgen, das ich gerne allein für ihn ertragen wollte. Aber ich weiß nur zu gut, daß ihn die Liebessehnsucht wieder zu mir zurücktreibt, wenn er mir auch jetzt fern bleibt.
126
126
132
Text und Übersetzung
126 Owê des, mir ist sîn kunft alze tiure,
G 115 La 121 (~JT 804)
nâch dem ich dicke erkalte, unt dar nâch, als ich læge in dem gnaneistenden viure, sus erglüet mich Schoynatulander. mir gît sîn minne hitze alse Egremuntîn dem wurme salamander.‘
127 ‚Owê‘, sprach diu küngin, ‚du redest nâch den wîsen. 127
G 116 La 122 (~JT 805)
wer hât dich mir verrâten? nu fürht ich der Franzoysære küngin Anphlîsen, daz sich habe ir zorn an mir gerochen. al dîniu wîslîchen wort sint ûz ir munde gesprochen.
128 Schoynatulander ist hôch rîcher fürste. 128
G 117 La 123 (~JT 806)
sîn edelkeit, sîn kiusche getörste doch nimer genenden an die getürste, daz sîn iugent nâch dîner minne spræche, op sich der stolzen Anphlîsen haz an mir mit ir hazze niene ræche.
129 Si zôch daz selbe kint, sît ez der brust wart enphüeret. 129
G 118 La 124 (~JT 807)
gap si niht durch triegen den rât, der dich hât als unsanfte gerüeret, du maht im, er dir vil fröuden erwerben. sîstu im holt, sô lâ dînen wunschlîchen lîp niht verderben!
127 1 chingin. dv reist. 2 ich furchte di franzoisinne (die JT D) Anflise (JT). 128 2 getrorste G. 4 • ob Anflise di Franzoisin ( ] Franze JT B) (JTI ), • ob die franczosynne (JT R), • ob sich diu kTneginne Anflize (JT H). ir (alten JT A) haz an mir (mit hazze JT BDE) nicht enreche ( ] enraeche JT D, reche JT E)(JTI ), an mir mit hazze nit rAche (JT H), iren haz gen mir mit hazze nicht enreche (JT R). 129 2 d(e)n G. 126 2 und | Lei. dar | BMa. lige La Lei. in dem gneistendem BMa, in gneistendem GJ La, in dem gneistenden Lei Mo. Lei Punkt nach viure. 3 BMa La Lei Doppelpunkt nach Schîonatulander. 4 als | BMa Lei. Agremuntîn alle Hgg. BMa La Mo Komma nach hitze. 127 1 küne- | gîn Lei. 2 fürht | BMa. Franzoyser BMa. ich die Franzoysinne Anphlîsen La (Lei). 4 wort | WPMo. 128 2 törst La, törste GJ. immer Lei. 4 sich de Franze Anphlîsen La. mit hazze GJ La. 129 1 kint, | WPMo. sîtz | Lei. brüste GJ La. 3 fröude GJ La Mo (Lei). 4 lâ | La. dî- | nen Lei, dînen | BMa.
Fragment I
133
Ach, wie sehne ich mich nach seinem Kommen, der mein Herz so oft vor Kälte erschauern läßt – und gleich darauf ist mir, als läge ich im knisternden Feuer: So läßt mich Schionatulander erglühen. Seine Minne versetzt mich in Feuersglut so wie der Berg Agremontin den Salamander.“
„O weh,“ sagte die Königin, „du redest ja schon wie die Erfahrenen! Wer hat dich zu meinem Schaden so falsch beraten? Nun, ich fürchte die Franzosenkönigin Anphlise, daß sich deren Groll an mir gerächt hat. Denn alle deine altklugen Sprüche klingen, als kämen sie aus ihrem Munde.
Schionatulander ist ein großmächtiger Fürst. Sein Adel, sein lauterer Sinn wagten sich doch niemals an ein solches Wagnis, in seinem Alter deine Liebe zu beanspruchen, wenn sich der Haß der hochfahrenden Anphlise nicht gehässig an mir rächen wollte.
Sie hat ihn als Kind aufgezogen, seit er von der Brust genommen wurde. Wenn sie nicht aus Tücke den Rat gab, der dich so schwer getroffen hat, dann wirst du ihm und er wird dir alles Glück bereiten. Wenn du ihm in Liebe zugetan bist, dann laß es nicht zu, daß deine vollendete Schönheit zugrunde geht!
130 131
130 131
134
Text und Übersetzung G 119 La 125 (~JT 808)
130 Biut im daz zêren, lâ wider clâren dîniu ougen, diu wange, dîn kinne! wie stêt alsô iunclîchen iâren, op sô liehtez vel dâ bî verlischet? du hâst in die kurzlîchen fröude vil sorge alze sêre gemischet.
131 Hât dich der iunge talfîn an fröuden verderbet,
G 120 La 126 (~JT 809)
der mac dich wol an fröuden gerîchen. vil sælde unt minne ûf in gerbet hât sîn vater unt die talfînete Mahaude, diu sîn muoter was, unt küngin sîn muome Swete.
132 Ich klage et, daz du bist alze fruo sîn âmîe. 132
G 121 La 127 (~JT 810)
du wil den kumber erben, des Mahaude phlac bî dem talfîne Kurzkrîe! dicke ir ougen habent an im erfunden, daz er den brîs in mangen landen hielt under helme ûf gebunden.
133 Schoynatulander an brîse ûf muoz stîgen. 133
G 122 La 128 (~JT 811)
er ist von den liuten erboren, die niht lânt ir brîs nider sîgen. er wuohs in breit gestrecket an die lenge. nu halt dâ ze im die trœstlîchen fröude, unt er der sorge über dich niht verhenge!
132 2 kurkrie G. 133 3 wohes G. gestchet G, gestrecket (JT I JT HZ), gesterket (JT JKXY).
4 datze im G.
130 1 BMa Ausrufungszeichen nach z’êren. 2 dîn ougen GJ La Lei. [diu] wange, [dîn] La. kinne. | La Lei. 131 2 gerîchen: | La. 4 Mahaute Lei. muoter | Lei. und diu künegîn GJ Lei (Hei), und de künegîn La (BMa Mo). GJ Komma nach künegîn. Schôette alle Hgg. 132 1 bist | BMa La. al- | ze Lei. 2 des | BMa La. Mahaute Lei. 4 hielt ] holt Ba Mar Wackernagel, hiet? La im App. 133 2 die | Lei. Mo Komma nach sîgen. 3 wüehse Mo. an ] in Mo. 4 hol Lei, hol? La im App. dâ zim GJ La Lei, dâ z’im BMa. im | WPMo. [der] La.
Fragment I
135
Tu es ihm zur Ehre, laß deine Augen wieder aufleuchten, deine Wangen, dein Kinn! Wie paßt es zu so jungen Jahren, wenn in ihnen eine so strahlende Erscheinung zum Erlöschen kommt? Du hast in die kurze Jugendfreude viel schmerzliches Leid allzu stark hinein gemischt.
Hat dir der junge Dauphin die Freude zugrunde gerichtet, so kann er dich auch wieder reich an Freuden machen. Ein großes Maß an Glück und Minne vererbten auf ihn sein Vater und die Dauphinette Mahaute, die seine Mutter war, und eine Königin war seine Tante Schoette.
Ich beklage nur, daß du allzu früh seine Freundin bist. Du wirst noch das Leid erben, das Mahaute erlitt um den Dauphin Gurzgri. Oft haben ihre Augen erfahren müssen, daß er mit aufgebundenem Helm in vielen Ländern den Siegesruhm behauptete.
Auch Schionatulander wird ruhmreich aufsteigen. Er stammt aus einem solchen Geschlecht, das seinen Ruhm nicht sinken läßt. Der wuchs in die Breite und streckte sich in die Länge. Hilf ihm, die freudige Zuversicht zu bewahren, und möge er kein Leid über dich verhängen!
136
Text und Übersetzung
134 Swie vil dîn herze under brust des erlache, 134
G 123 La 129 (~JT 812)
daz hân ich niht vür wunder. wie kan er sich schicken under schilteclîchem dache! ûf in vil zähere wirt gerêret der funken, die ûz helmen von ecken springent, dâ fiurîn regen sich gemêret.
135 Er ist ze tiost entworfen. wer kunde in sô gemezzen? 135
G 124 La 130 (~JT 813)
ane mannes antlütze gein wîplîcher güete nie miner vergezzen wart an muoter fruht, als ichz erkenne. sîn blic sol dîniu ougen gesüezen. ûf gelt dîne minne ih im nenne.‘
136 Aldâ was minne erloubet, mit minne beslozzen. 136
G 125 La 131 (~JT 814)
âne wanc gegen minne ir beider herze was minne unverdrozzen. ‚owol mich, muome‘, sprach diu herzoginne, ‚daz ich den Grâharzoys vor al der werlde nu mit urloube sô minne!‘
134 2 wie schickt er sich gen schiltlichem dache (JT A), wie kan er sich schicken ( ] schicke sich JT D) gein ( ] vnder JT E) schildes dache (JT BDE), er schicket sich gen schiltlichem tache (JT H), wie kund er sich (so JT X) schiken vnder schiltlichem dache (JT R). 3 • (• zwar JT E) uf sin dach wirt zeher vil ( ] vil zaeher 4 mit ( ] von JTII ) vanken ( ] fvnken JT BDEH), di da ( ] do JT A) springent von wirt JT II ) gereret (JT). ( ] mit JT B) swerten da ( ] do JT A, daz JT BDE) sich fiurin ( ] fevr in JT B) regen meret ( ] meren JT B) (JT). 135 2 antule G, antlutz (JT). vergezen G. 136 134 1 under | BMa Lei. 2 wie | BMa. schiltlîchem BMa GJ La Lei. 2–3 wie kan er under schiltlîchem dache / sich schicken, dâ ûf in vil zehere rêret? La im App. 3 zeher von ecken wirt Lei. 4 [der funken] La, om. BMa. ûz helm? La im App. von ] und La. eken | La (BMa). von ecken stellt Lei in V. 3. genêret Lei. 135 1 Er sitzt ze BMa. Mo Komma nach entworfen. 2 ane ] an alle Hgg. gein | BMa. 4 minne i’m nenne La. 136 1 BMa La Lei Mo keine Interpunktion nach erloubet. Lei Komma nach beslozzen. 2 gein BMa La Lei. ir | BMa Lei. 4 ich vor al der werlde | den Grâharzois nû mit urloup Lei, Vermutung La im App. al | BMa.
Fragment I
137
Wie sehr dir auch dabei das Herz im Leibe lacht, ich wundere mich nicht darüber. Wie weiß er sich zu bewegen unter dem Schilddach! Auf ihn regnen die Tropfen der Funken hernieder, die von den Schwertschneiden aus den Helmen sprühen, wo der feurige Regen sich verdichtet.
Er ist wie für Ritterkampf geschaffen. Wer konnte ihn bloß so vollkommen gestalten? Niemals wurde an der Gestalt eines Mannes bei einem Menschenkind weniger von dem vergessen, was es braucht, die Liebe einer Frau zu gewinnen, soviel ich davon verstehe. Sein strahlender Anblick wird deine Augen mit Süße erfüllen. In der Hoffnung, daß sie vergolten wird, spreche ich ihm deine Minne zu.“ Da war die Minne nun erlaubt, sie wurde noch durch Minne bekräftigt. Unbeirrt in der Minne wurden ihre Herzen der Minne nie überdrüssig. „Wohl mir, Tante,“ sagte da die Herzogin, „daß ich nun vor aller Welt die Erlaubnis habe, den von Graharz zu minnen!“
138
Text und Übersetzung
Fragment II 137 Sus lâgen si unlange. dô gehôrten si schiere, 137
G 126 La 132 (~JT 1173)
in heller süezer stimme ûf rôtvarwer verte nâch wundem tiere ein bracke kom hôchlûtes zuo zin iagende. der wart eine wîle ûf gehalden. des bin ich durh friunde noch die clagende.
138 Dô si den walt alsus mit krache hôrten erhellen – 138
G 127 La 133 (~JT 1174)
Schoynatulander ûz † kintlîchem † leben für die snellen was bekant. wan Trefrezent der reine der lief unt spranc allen den vor, die des phlâgen ûf rîters gebeine –,
139 nu dâhter: ‚obe den hunt iemen mac erloufen, 139
G 128 La 134 (~JT 1175)
rîterlîchiu bein diu trage.‘ er wil fröude verkoufen unt ein stætez trûren dar an enphâhen. ûf spranc sîn lîp gein der stimme, als er wolte den bracken ergâhen.
140 Sît in den wîten walt niht mohte gekêren 140
G 129 La 135 (~JT 1176)
daz flühtege wilt, wan her für den talfîn, daz wil sîn arbeit gemêren. künftec trûren brâhtez im ze teile. nu dacter sich in einer dicken strût. sus kom iagende an dem seile 137 138 139 140
3 zun G. 4 frQde noch div G, vrUnde ( ] frewndes JT R) not der (JT AEaHR), fremde not der (JT BD). 2 vz chintheit in chintlichez leben G, der was gezalt von kinde ie (ie fehlt JT II ) (JT ABD JT II ). 2 die G. 3 stætz G. 4 • auf sprang er gen d’ stimme (JT X), • er sprank (hin JT DE) gen der stimme (JTI). 4 dachter G.
137 2 ûf | Lei. 4 wîle gehalden ûf: | des La (GJ). die ] der BMa Mo Pip, diu Lei. 138 1 mit | Lei. Alle Hgg. Komma nach erhellen. 2 Mo Komma nach Schionatulander. 3 BMa La Semikolon, GJ Hei Lei Mo Komma nach bekannt. Lei Doppelpunkt nach reine. 3–4 BMa wan bis gebeine in Parenthese-Klammern. 4 spranc den allen | vor Lei. vor, | WPMo. BMa GJ Hei La Lei Punkt, Mo Doppelpunkt nach gebeine. 139 1 ie- | men Lei. 2 BMa Komma nach bein. diu ] die GJ La Mar. trage | La. trage er.“ er will Mo. wil … fröude GJ La. 3 dran BMa GJ La Lei. 4 sîn lîp ] er La Lei. der | BMa. als sîn lîp den bracken wolde ergâhen Lei. 140 1 niht | BMa WPMo, walt | La. 2 für | BMa, den | Lei, wilt, | WPMo. 4 dacte er Lei. dicken | La, strut. | WPMo. struot BMa, strut GJ La Lei Mo.
Fragment II
139
So lagen sie noch nicht lange. Da vernahmen sie plötzlich, wie auf blutfarbiger Spur hinter einem verwundeten Wild mit kräftiger, wohlklingender Stimme ein Bracke mit hohem Gebell auf sie zujagte. Der wurde für eine kurze Zeit aufgehalten. Deshalb bin ich immer noch um meine Freunde in Klage.
Als sie den Wald von Lärm laut widerhallen hörten – Schionatulander war seit Kindesbeinen dafür bekannt, daß er schneller war als alle andern, ausgenommen nur Trevrizent, der reine; der lief und sprang allen voraus, die sich im Laufen übten auf ihren ritterlichen Beinen –,
da dachte er: „Wenn diesen Hund jemand einholen will, dann braucht der ritterliche Beine.“ Er ist im Begriff, sein ganzes Glück dahinzugeben und sich dafür auf immer Trauer einzuhandeln. Schon sprang er auf, der Stimme nach, als ob er den Bracken erlaufen wollte.
Da das flüchtige Wild sich nicht mehr in den weiten Wald wenden konnte, sondern nur hierher vor den Dauphin, wird es dessen Mühsal erst recht vermehren: es brachte ihm in Zukunft großes Leid. Nun ging er in einem dichten Gebüsch in Deckung. Da kam am Seil in voller Jagd
140
Text und Übersetzung
141 des fürsten bracke, dem er enphuor ûz der hende 141
G 130 La 136 (~JT 1178/1179)
nider ûf diu strâlsnitec mâl. daz si nimer hunt mêre gesende, diu in dem grôzgemuoten sande, von dem er iagte unze ûf den stolzen Grâhardeiz, daz dem vil [ ] fröuden sît erwande!
142 Dô er dur die dicke alsus brach ûf der verte, 142
G 131 La 137 (~JT 1181)
sîn halse was arâbensch ein borte. geslagen mit der drîhen vil herte dar ûfe kôs man tiure unt lieht gesteine. die glesten durh den walt sam diu sunne. aldâ vienc er den bracken niht eine.
143 Waz er mit dem bracken begreif, lât ez iu nennen: 143
G 132 La 138 (~JT 1182/1183)
gefurrierten kumber mit arbeit er muose unverzagetlîche erkennen, unt imer mêre grôz kriegen et nâch strîte. daz bracken seil was rehte im ein urhap fröuden flustbærer zîte.
144 Er truoc den hunt an dem arme Sigûnen der clâren. 144
G 133 La 139 (~JT 1185)
daz seil was wol zwelf klâfter lanc, die von vier varwe bortesîden wâren, gel, grüene, rôt, brûn diu vierde, imer swâ diu spanne erwant an ein ander geworht mit gezierde.
141 142 143 144
2 4 2 2
stral snitch G. 3 diu in da ( ] alda JT D, fehlt JT E) dem ( ] zem JT H) (JT). durh den walt (fehlt JT). gefurrieten G. borte siden G.
4 vil fil frQden G.
141 1 dem | La. er | BMa Lei. 2 strâlsnitec | Lei. GJ Komma nach mâl. 3 in dâ dem La Lei. 4 [stolzen Grahardeiz], | La. vil hôher fröuden GJ La. 142 1 al- | sus Lei. 2 BMa GJ Hei La Lei keine Interpunktion, Mo Komma nach borte. [vil] La, om. Lei. Alle Hgg. und Hei Komma nach herte. 3 BMa La Lei Doppelpunkt, Mo Komma nach gesteine. 4 [durh den walt] La. sam | BMa Lei, sunne | La. Lei Doppelpunkt nach sunne. Mo Doppelpunkt nach eine. 143 1 BMa Fragezeichen nach begreif. 4 brackenseil Lei. 144 1 dem om. Lei. 2 klâfter | Lei. von viervar Lei. 4 er- | want Lei. GJ Hei Lei Komma nach erwant.
Fragment II
141
der Bracke des Fürsten, dem er, nieder auf die pfeilgeritzte Spur, aus den Händen entglitten war. Ach, möge sie nicht noch einmal einen Hund aussenden, die Frau, die ihn dem Großmütigen geschickt hatte, von dem her er jetzt auf den Stolzen aus Graharz zujagte, was diesen seither um all sein Glück brachte!
Wie er nun so auf der Fährte durchs Gebüsch brach, da war sein Halsband eine arabische Borte. Hart darauf geschlagen mit dem Webschwert erblickte man wertvolle und funkelnde Steine. Die glänzten wie die Sonne durch den Wald. Da fing er aber nicht allein den Bracken.
Was er gleichzeitig mit dem Bracken einfing, laßt es euch sagen: Mit Mühsal gefüttertes Leid mußte er, ohne zu verzagen, erfahren und immer wieder all sein Streben auf Kampf richten. Das Brackenseil war für ihn wahrlich der Ursprung glückvernichtender Zeit.
Er brachte den Hund im Arm zu der schönen Sigune. Das Seil war gut vier Klafter lang. Es bestand aus vierfarbiger Seide: gelb, grün, rot und die vierte braun, und immer, wo eine Spanne zu Ende war, war sie an eine andere kunstvoll angefügt.
142
Text und Übersetzung G 134 La 140 (~JT 1186)
145 Dar über lâgen ringe, mit berlen verblenket, 145
imer zwischen den ringen, wol spanne lanc, niht mit steinen verkrenket, vier blat vier var, wol vingers breit die mâze. gevâhe ich imer hunt an solhez seil, ez belîbet bî mir, swenne ih in lâze. G 135 La 141 (~JT 1187)
146 Dô manz von ein ander vielt, zwischen den ringen, 146
ûzen unt innen kôs man dran schrift wol mit kosteclîchen dingen. âventiure hœret, obe ir gebietet! mit guldînen nagelen wâren die steine vaste an die strange genietet.
147 Smaragede wâren die buochstabe, mit rubînen verbundet.
G 136 La 142 (~JT 1188/1189)
adamante, krisolîte, grânât dâ stuonden. nie seil baz gehundet wart, ouch was der hunt vil wol geseilet. ir muget wol errâten, welhez ih dâ næme, op wære der hunt dergegene geteilet.
148 Uf einem samît grüenem als in meigeschem walde
G 137 La 143 (~JT 1190)
was diu halse ein borte genæt, vil steine von arde manecvalde drûf geslagen. die schrift ein frouwe lêrte. Gardevîaz hiez der hunt. daz kiut tiuschen ‚Hüete der verte!‘
145 2 verkr(en)chet G. 146 1 • do (JT Aa), • da (JT BDE), • so (JT HJKXYZ).
4 stange G.
145 1 GJ La Mo Semikolon, Hei Punkt nach verblenket. 2 zwischenn ringen La. 4 an sölch | La (GJ). 146 1 Sô Ba La Pip Mar. GJ Hei keine Interpunktion nach vielt. vielt, | WPMo. zwischenn ringen La. BMa La Lei Mo keine Interpunktion nach ringen. 2 ûze La. man | BMa Lei. 4 guldîn GJ La. nagelen | WPMo. 147 1 Smârâde GJ La Lei, Smaragde Mo. rubîn GJ La. verbündet Lei. 2 adamant GJ La. krisolte BMa GJ La, krisolde Lei. grânât | Lei. gehündet Lei. 4 râten BMa La. dar gein Lei. 148 1 grüene GJ La Lei. als | Lei. meieschem Lei. 2 genæt | BMa WPMo. 4 der | Lei. quît Lei.
Fragment II
143
Darüber lagen Ringe, die mit Perlen verziert waren, jeweils zwischen den Ringen eine Spanne lang und ohne Edelsteinschmuck vier Blätter, vierfarbig in Fingerbreite. Wenn ich jemals einen Hund, der an einem solchen Seil ist, fange, das Seil behalte ich mir, auch wenn ich den Hund laufen lasse.
Wenn man es auseinanderfaltete, so sah man außen und innen zwischen den Ringen eine kostbare Schrift. Nun hört eine erstaunliche Geschichte, wenn ihr es verlangt! Die Edelsteine waren mit Goldnägeln fest auf dem Seil vernietet.
Die Buchstaben waren Smaragde, zusammen mit Rubinen. Diamanten, Chrisolit und Granate waren daran. Niemals war ein Seil besser mit einem Hund versehen, auch war der Hund nicht schlecht beseilt. Ihr könnt schon raten, was ich vorzöge, wenn der Hund gegen das Seil zur Wahl gestellt würde.
Auf einem Samtstoff, grün wie der Wald im Mai, war das Halsband, die Borte, festgenäht. Viele Edelsteine mancher Art waren darauf festgeschlagen. Die Schrift hatte eine Frau in Auftrag gegeben. Gardeviaz hieß der Hund. Das ist zu deutsch: ‚Gib acht auf die Fährte!‘
147 148
147 148
144
Text und Übersetzung
149 Diu herzogin Sigûne las anvanc der mære: 149
G 138 La 144 (~JT 1191)
‚swie ditze sî ein bracken name, daz wort ist den werden gebære. man unt wîp die hüeten verte schône! die varent hie in der werlde gunst, unt wirt in dort sælde ze lône.‘
150 Si las mêre an der halsen, noch niht an dem seile: 150
G 139 La 145 (~JT 1192)
‚swer wol verte hüeten kan, des prîs wirt getragen nimer veile. der wonet in lûterem herzen sô gestarket, daz in nimer ouge übersihet ûf dem unstæten wenkenden market.‘
151 Der bracke unt daz seil einem fürsten durch minne 151
G 140 La 146 (~JT 1193)
wart gesant. daz was von art under krône ein iungiu künginne. Sigûne las an des seiles underscheide, wer was diu künginne unt ouch der fürste: diu stuonden bekantlîch dâ beide.
152 Si was von Kanadic erboren, ir swester, Flôrîen, 152
G 141 La 147 (~JT 1194)
diu Ylinôte dem Britûn ir herze, ir gedanc unt ir lîp gap ze âmîen, gar swaz si hete, wan bî ligende minne. si zôch in von kinde unze an schiltlîche vart unt kôs in für alle gewinne.
149 149 150 150 151 152
3 3 4 4 2
hUten (JT ADE), hUtent (JT B JT II ). II ). hUten (JT ADE), hUtent B JT JT Y), gesiht (JT HXZ). vber sihet G, ersiht (JT I (JT vber sihet G, ersiht (JT I JT Y), gesiht (JT HXZ). Yiote G.
149 2 name, | BMa La. dem werden BMa. Mo Komma nach gebære. 3 BMa Lei Komma, GJ La Semikolon nach wîp. BMa La Lei Komma, Mo Semikolon nach schône. 4 gunst, | BMa La. in sælde dort ze lône Lei. 150 2 hüeten | Lei. 2–4 Lei keine Anführungszeichen. 3–4 BMa der bis übersiht in Parenthese-Klammern. 4 ersiht La. über- | siht Lei. ûf unstætem Lei. 151 1 unde BMa La. seil | BMa La WPMo. ei- | nem Lei. 2 von | Lei. 4 künegîn und der vürste: | Lei. [ouch] BMa. fürste: | BMa La. der fürste ] er Wackernagel La im App. 152 1 Kanedic Lei. BMa Mo keine Interpunktion nach swester. 2 ir | herze, gedanc und lîp BMa, ir herze, [ir] gedanc und [ir] lîp La. 4 [von kinde] La.
Fragment II
145
Die Herzogin Sigune las den Anfang der Botschaft. „Wenn auch dies ein Hundename ist, so ist das Wort doch für jeden edlen Menschen passend. Männer und Frauen sollen gut auf den rechten Weg acht geben! So erlangen sie die Gunst der Welt und erwerben zugleich im Himmel ewigen Lohn.“
Sie las weiter an dem Halsband, noch nicht an dem Seil. „Wer immer seinen Weg wohl einzuhalten weiß, dessen Ruhm ist nicht leicht verkäuflich. Denn er wohnt in einem reinen Herzen, das so gestärkt ist, daß ihn selbst auf dem Markt der Unbeständigkeit und des Wankelmuts niemals ein Auge übersehen kann.“
Der Bracke und das Seil waren einem Fürsten aus Liebe gesandt worden. Es war nach Abstammung eine junge, gekrönte Königin. Sigune las in der genauen Erklärung des Seiles, wer die Königin und der Fürst waren: Sie waren beide deutlich genannt.
Sie stammte aus Kanadic, ihre Schwester, die Schwester der Florie, die Herz, Sinn und Leben dem Bretonen Ilinot als Geliebte geschenkt hatte, alles was sie hatte – bis auf die letzte Liebesvereinigung. Sie hatte ihn seit seiner Kanppenzeit erzogen bis er auf ritterliche Fahrt auszog und zog ihm allem vor, was sie sonst hätte gewinnen können.
153
153
146
Text und Übersetzung
153 Der holt ouch nâch ir minne under helme sîn ende.
G 142 La 148 (~JT 1195)
obe ich niht bræche mîne zuht, ich solte noch fluochen der hende, diu die tiost ûf sînen tôt dar brâhte. Flôrîe starp ouch an der selben tiost, doch ir lîp nie spers orte genâhte.
154 Diu liez eine swester, diu erbet ir krône. 154
G 143 La 149 (~JT 1196)
Claudite hiez diu selbe maget. der gap kiusche unt ir güete ze lône des vrömden lop unt ouch der si bekande. des wart ir lop beruofen in mangiu lant, daz den niemen dâ wande.
155 Diu herzoginne las von der meide an dem seile. 155
G 144 La 150 (~JT 1197)
die fürsten ûz ir rîche eines hêrren an si gerten mit urteile. si sprach in einen hof ze Beuframunde. dar kômen rîche unt arme ungezalt. man erteilte ir wale an der stunde.
156 Duc Ehkunat de Salfâsch Flôrîen 156
G 145 La 151 (~JT 1198)
den truoc si in ir herzen dâ vor. ouch kôs si in benamen ze âmîen. des stuont sîn herze hôher dane ir krône. Ehcunat gerete aller fürsten zil, wan er phlac sîner verte vil schône.
154 4 lop ] pris (JT). mangi(u) G. 155 3 bevframun(de) G. 4 ungezalt (fehlt JT). 156 1 der salfasch G. 153 1 un- | der Lei. 2 zuht, | BMa La. 4 ouch der BMa GJ La Lei. tjost, | BMa La. 154 2 maget: | BMa La (WPMo). 4 lop ] prîs BMa GJ La Mo. nie man BMa. den dâ niemen wande La. 155 1 las | La, von | BMa. magt BMa La, maget Lei, megede Mo. 2 ei- | nes Lei. 4 [ungezalt] La. unge- | zalt BMa, un- | gezalt Lei. 156 1 Ehkunahten | BMa La, Ehkunaten | Lei. 2 kôs er si benamen BMa Lei Pip. 4 Ehkunaht BMa GJ La. [aller] La. vürsten | Lei. zil | BMa La. wan er sîner verte phlac vil Lei.
Fragment II
147
Unterm Helm holte er sich im Streben nach ihrer Minne auch den Tod. Verletzte ich nicht die Gebote des Anstandes, ich würde noch heute die Hand verfluchen, die den todbringenden Zweikampf führte. Florie starb auch durch den gleichen Zweikampf, obwohl sie mit einer Speerspitze niemals in Berührung gekommen war.
Sie hinterließ eine Schwester, die ihre Krone erbte. Diese Jungfrau hieß Clauditte. Ihre Reinheit schenkte ihr, Verdienst ihrer Güte, das Lob der Fremden, aber auch das Lob dessen, der sie kannte. Darum war die Kunde von ihrem Ruhm in allen Ländern verbreitet, so daß ihn ihr niemand ins Gegenteil verkehren konnte.
Die Herzogin las von dieser Jungfrau auf dem Seil. Die Fürsten ihres Landes forderten, wie es dem Recht entsprach, einen Landesherrn von ihr. Sie hatte einen Hoftag für sie in Beuframunde anberaumt. Dorthin kamen Mächtige und minder Begüterte in großer Zahl. Durch Rechtsspruch erlegten sie ihr auf, sofort ihre Wahl zu treffen.
Den Herzog Ehcunat von Salvasch Florien hatte sie schon vorher in ihrem Herzen getragen. Ihn wählte sie sich jetzt namentlich als Geliebten. Deshalb fühlte er sich in seinem Herzen erhoben, höher noch, als ihre Krone war. Ehcunat strebte nach dem höchsten Ziel aller wahren Fürsten: Denn er war wirklich einer, der acht gab auf seinen Weg.
148
Text und Übersetzung
157 Si twanc sîn tugent unt ouch daz reht von ir rîche. 157
G 146 La 152 (~JT 1199)
sît daz ir wart erteilet diu wal, nu welt ouch diu maget werdeclîche. welt ir tiutsch ir friundes namen erkennen? der herzoge Ehcunaver von Bluome diu wilde, alsus hôrte ich in nennen.
158 Sît er von der wilde hiez, gegen der wilde 158
G 147 La 153 (~JT 1200)
si sante im disen wiltlîchen brief, den bracken, der walt unt gevilde phlac der verte, als er von arte solte. ouch iach des seiles schrift, daz si selbe wîplîcher verte hüeten wolte.
159 Schoynatulander mit einem vederangel 159
G 148 La 154 (~JT 1201)
vienc aschen unt vorhenne, die wîle si las, unt der fröude den mangel, daz er sît wart vil selten der geile. diu herzogin lôste ûf den stric durch die schrift ûz ze lesene an dem seile.
160 Der was an die zeltstange vaste gebunden. 160
G 149 La 155 (~JT 1202)
mih müet ir ûf lœsen, daz si tet. hei, wan wære sis erwunden! Gardevîaz stracte sich mit strebene, ê diu herzoginne spræche nâch sîner spîse. ir wille im was ze ezzen ze gebene.
157 157 158 159 160
1 1 2 4
sin iugent ? G. jugent und edel art und daz (fehlt JT H) (JT I JT H), iungew edl art vnd daz (JT R). sin iugent ? G. jugent und edel art und daz (fehlt JT H) (JT I JT H), iungew edl art vnd daz (JT R). anschen G, aschen (JT ABDX), Aschen (JT H). vorhenne ] vorhen (JTI ), vprhen (JTII ). zeezzen zegebene G.
157 1 iugent BMa GJ La Lei. tugent | WPMo. 2 erteilet | Lei. welte diu maget ouch werdeclîche Lei. 4 der herzoge ] duc Lei. Ehcunaver | BMa La. von Bluome- | derwilde Lei, von „bluomediuwilde“ BMa. 158 1 hiez, | WPMo. gein Lei. 2 wiltlî- | chen Lei, brief, | WPMo. 4 daz | Lei, schrift, | WPMo. 159 2 vörhen BMa GJ La Lei, vorhen Mo. der om. Lei. 3 er wart sît vil BMa. 4 durch | Lei. Mo Semikolon nach seile. 160 1 zeltstan- | ge Lei. 2 Mo Komma nach tet. 4 spîse: | BMa La, sîner | Lei.
Fragment II
149
Seine Vollkommenheit einerseits und andererseits die rechtliche Entscheidung ihrer Reichsversammlung bestimmten sie. Da ihr nun die Wahl in die Hand gegeben war, wählte die Jungfrau in rechter Weise. Wollt ihr den Namen ihres Geliebten auf deutsch wissen? Der Herzog Ehcunaver von der wilden Blume, so hörte ich ihn nennen.
Da er nach der Wildnis hieß, sandte sie ihm in die Wildnis diesen Wildfang als Brief, den Bracken nämlich, der durch Wald und Felder auf der Fährte blieb, wie es seine Art war. Ferner besagte die Inschrift des Seiles, daß auch sie selbst auf ihren weiblichen Weg achtgeben wollte.
Schionatulander fing mit einer Federangel Äschen und Forellen während sie las, und er fing sich den Mangel an Glück, so daß er seitdem nie wieder froh wurde. Die Herzogin löste den Strick auf, um die Schrift auf dem Seil zu Ende zu lesen.
Der war fest an die Zeltstange gebunden. Mich schmerzt, daß sie ihn losband! Ach, warum hätte sie es nicht bleiben lassen können! Gardeviaz streckte sich mit heftigem Drängen, noch ehe die Herzogin nach Speise für ihn verlangt hatte. Sie wollte ihm etwas zu fressen geben.
150
Text und Übersetzung
161 Zwuo iuncfrouwen sprungen her ûz für die snüere. 161
G 150 La 156 (~JT 1203)
ih klage der herzoginne blanc linde hende, op daz seil die zerfüere. waz mac ich des? ez was von steinen herte. Gardevîaz zucte unt spranc durh gâhen nâch huntwildes verte.
162 Er was ouch Ehcunate des tages alsô entrunnen. 162
G 151 La 157 (~JT 1204)
si rief die iuncfrouwen ane. die heten des bracken spîse gewunnen. si gâhten wider in daz gezelt vil balde. nu was er ûz geslofen durh die winden. man hôrte in dô schiere in dem walde.
163 Er brach halt ûz der winden ein teil der phæle. 163
G 152 La 158 (~JT 1205)
dô er wider kom ûf die niwe rôten vart, des nam in niht hæle, vil offenlîche er iagte unt niht verholne. dâ von geschach des werden Kurzkrîen sun vil nœte sît ze dolene.
164 Schoynatulander die grôzen unt die kleinen 164
G 153 La 159 (~JT 1206)
vische mit dem angel vienc, dâ er stuont ûf blôzen blanken beinen durh die küele in lûter snellem bache. nu erhôrt er Gardevîazes stimme. diu erhal im ze ungemache.
161 1 zQ iuchfrQwen G. 3 magich G. 4 nach hunt wildes verte G, uf des wunden tieres verte (JT A), nach wundem wildes verte (JT B), nach wildes geverte (JT D), nach des wilden tieres geverte (JT E), des wunden wildes ver . . . (JT y), nach wundez wildez verte (JT H), nach wundem wildes geverte (JT JK), nach wund wildes tiers verte (JT XYZ). 162 1 Ehcunat(e) de G. 163 1 ( )er G, Er (JT I JT H), Der (JT X). (JT BHR) setzen uz, (JT A) und, (JT DE) aus und nach teil. 4 Kv(rz)krien G. 164 3 luterm snellem (JT AJKXY). 161 2 blanc | BMa. linde om. La. BMa La Lei Mo Doppelpunkt nach hende, Komma nach zerfüere (zevüere Lei). 4 und | Lei. 162 1 Ehcunahte | BMa La (GJ), Ehkunate | Lei, Ehcunate | WPMo. 2 ane | BMa La WPMo. heten sbracken Lei. 4 gesloffen alle Hgg. die | BMa Lei, gesloffen | La WPMo. im walde La. 163 1 Der BMa Docen Lei. La Lei setzen ûz nach teil. 2 kom | WPMo. 4 dolne alle Hgg. 164 2 angel | Lei. 3 lûtersnellem GJ La Lei Mo.
Fragment II
151
Zwei Edelfräulein eilten heraus vor das Zelt. Mir tun die weißen, zarten Hände der Herzogin leid, daß das Seil sie zerfurchte. Was kann ich dagegen tun? Es war hart von den Edelsteinen. Gardeviaz zog heftig und sprang los, um der Wildfährte des Hundes nachzueilen.
Er war am gleichen Tage auch Ehcunat auf diese Weise entsprungen. Sie rief den Jungfrauen etwas zu. Die hatten das Fressen für den Bracken besorgt und eilten nun schnell wieder ins Zelt zurück. Jetzt war er schon durch die Zeltwände geschlüpft. Man hörte ihn dann bald im Wald.
Er hatte eben noch einen Teil der Pflöcke der Zeltwände herausgerissen. Als er wieder auf die frische blutige Fährte kam, verheimlichte er das nicht, er jagte vor aller Augen und Ohren dahin und überhaupt nicht im Verborgenen. Deshalb sollte der Sohn des edlen Gurzgri später noch viel Kummer zu ertragen haben.
Schionatulander fing große und kleine Fische mit der Angel, wo er, um sich Kühlung zu verschaffen, mit nackten, hellen Beinen im klaren, munter fließenden Bache stand. Nun vernahm er die Stimme von Gardeviaz. Die erscholl zu seinem Unheil.
152
Text und Übersetzung G 154 La 160 (~JT 1207)
165 Er warf den angel ûz der hant. mit snelheit er gâhte 165
über ronen unt ouch durch brâmen, dâ mit er doch dem bracken ninder genâhte. den het im ungeverte alsô gevirret, daz er ninder spürte wilt noch hunt, unt wart ouch von dem winde der hôre verirret. G 155 La 161 (~JT 1208/1209)
166 Im wurden diu blôzen bein ganz zerkratzet von den brâmen. die sînen blanken füeze an dem loufe ouch von stuften ein teil wunden nâmen. man kôs in, baz danne daz erschozen tier, wunden. 166 er hiez si twahen, ê er kœme underz gezelt. sus vant er Sigûnen dort unden:
167 innerhalp ir hende, als si wæren berîfet, 167
G 156 La 162 (~JT 1211)
grâ als eines tiostiurs hant, dem der schaft von der gegenhurte slîfet, der zuschet über blôzez vel gerüeret. rehte alsô was seil durch der herzoginne hant gefüeret.
168 Si kôs im vil wunden an beinen unt an füezen. 168
G 157 La 163 (~JT 1212)
si klagt in, er klaget ouch si. nu wil sich diz mære geunsüezen, dô diu herzogin begunde sprechen hin ze im nâch der schrift an dem seile. diu flust muoz nu vil sper zerbrechen.
165 166 167 168
2 1 2 1
ninde(r) G. gaz G. 2 si(n)en G. 3 wunde G. 4 chome G. gegen hurte G. 4 h(e)rzoginne G. s(i) G. (b)einen G. 2 chla(gt)in G. (Qc)h G.
165 1 ûz hende Lei. 2 BMa La Semikolon, Lei Punkt nach brâmen. ninder ] niene GJ La. 4 ninder wild noch hunt spürte, | Lei. spürte | WPMo. 166 1 ganz ] gar BMa Lei Mo, om. La. gar | BMa Lei WPMo, bein | La. 2 an dem ] am | Lei. loufe | La, füeze | WPMo. stiften BMa GJ La Lei. 3 BMa GJ La Lei Komma nach baz. dann ê daz GJ La, danne da BMa. danz tier erschossen, wunden Lei. [erschozen] La, om. Mo. wunde BMa La Mo. 4 kœme ] kom Ba GJ La Mar Pip. un- | derz Lei. underz | BMa. zelt La. Lei keine Interpunktion nach gezelt. unde BMa GJ La Mo. BMa keine Interpunktion, GJ Punkt, La Lei Mo Komma nach unde (unden Lei). 167 1 BMa GJ La Mo keine Interpunktion nach hende. BMa GJ La keine Interpunktion nach berîfet. 2 BMa GJ La Mo Komma nach grâ. tjostiures BMa GJ La Lei. tjostiures | Lei. von gegenhurte Lei. 3 züschet BMa, ziuschet GJ La Lei. 4 was daz seil alle Hgg. und Hei. was daz | seil Lei. 168 1 beinen und füezen BMa. 2 klagete in, er klagete Lei. ouch | Lei. 4 hin zim Lei. an | Lei. schrifte | am seil La (GJ).
Fragment II
153
Er warf die Angel aus der Hand. Flink eilte er über Baumstämme und auch durch Dornengestrüpp, aber trotzdem kam er dem Bracken keineswegs näher. Die Unwegsamkeit des Geländes hatte ihn ganz weit entfernt, so daß er weder das Wild noch den Hund irgendwo aufspüren konnte. Auch wurde er vom Wind am Hören gehindert.
Die nackten, heilen Beine wurden ihm von dem Dornengestrüpp zerschunden. Seine weißen Füße trugen beim Laufen auch von den Stacheln und Dornen starke Wunden davon. Man sah ihn, deutlicher noch als das angeschossene Wild, als einen Verletzten. Ehe er ins Zelt zurückkehrte, ließ er die Wunden waschen. So fand er Sigune dort unter dem Zelt: ihre Hände waren, als ob sie mit Reif benetzt wären, innen grau wie die eines Tjostkämpfers, dem der Lanzenschaft beim Rückstoß durch die Hand schrammt und zischt, wenn er über blanke Haut fährt. Genau so war ein Seil durch die Hand der Herzogin gezogen worden.
Sie sah, daß er viele Wunden hatte an Beinen und Füßen. Sie beklagte ihn, und er beklagte wiederum sie. Nun wird diese Geschichte eine bittere Wendung nehmen, als die Herzogin zu ihm zu sprechen begann und nach der Schrift auf dem Seil verlangte. Deren Verlust wird nun viele Speere zerbrechen.
169
169
154
Text und Übersetzung
169 Er sprach: ‚ich vriesch ie wênec der seile überschribene.
G 158 La 164 (~JT 1213)
brieve, buoch, en franzoyse – ich weiz wol. solch kunst ist mir niht diu belibene: dâ læse ich an, swaz dâ geschriben wære. Sigûne, süeziu maget, lâ dir sîn die schrift an dem seile gar unmære!‘
170 Si sprach: ‚dâ stuont âventiure an der strangen. 170
G 159 La 165 (~JT 1215)
sol ich die niht zende ûz lesen, mir ist unmære mîn lant ze Katelangen. swaz mir iemen rîcheit möhte gebieten, unt obe ich wirdec wære ze nemene, dâ für wolt ich mich der schrifte nieten.
171 Daz spriche ih, werder friunt, dir noch niemen ze vâre.
G 160 La 166 (~JT 1216)
obe wir beidiu iunc solten leben zuo der zît unsere künftigen iâre, sô daz dîn dienst doch gerte mîner minne, du muost mir daz seil ê erwerben, dâ Gardevîaz ane gebunden stuont hinne.‘
172 Er sprach: ‚sô wil ich gerne umbe daz seil alsô werben.
G 161 La 167 (~JT 1217/1218)
sol man daz mit strîte erholen, dâ muoz ich an lîbe unt ane prîse verderben, oder ich bringe ez wider dir ze handen. wis genædec, süeziu maget, unt halt niht mîn herze sô lange in dînen banden!‘
170 1 • solch (fehlt JTII ) aventiur ist wesende ( ] gewesende JT B) geschriben an (JT). 169 2 franzoys BMa GJ La, franzois Lei. ich | BMa. 4 dir | BMa La. [sîn] La. am seile Lei. 170 1 âven- | tiure ? (so auch WPMo). âventiur | geschriben an La (GJ). stuont geschriben â- | ventiure an Lei. 2 niht lesen zende ûz, | mir Lei. 4 waere | WPMo. ze nemen GJ La (BMa im Komm.; im Text wohl Druckfehler nennen). wolde Lei. 171 2 solten | BMa, solden | Lei. 4 dâ | BMa. Gardevîaz stuont ane gebunde hinne Lei. 172 1 um | daz Lei. 2 manz Lei. erholen, | BMa La, dâ | Lei. unt om. La. 4 maget, | WPMo. [unde] La. halt | BMa La.
Fragment II
155
Er sagte: „Ich habe noch nie etwas von beschrifteten Leinen gehört. Briefe, Bücher, auch auf Französisch, die kenne ich durchaus. Solches Können ist mir durchaus nicht fremd geblieben: In denen könnte ich lesen, was immer da geschrieben stünde. Sigune, süßes Mädchen, laß dir die Inschrift auf der Leine vollkommen gleichgültig sein!“
Sie sagte: „Da stand eine Aventiure auf dem Seil. Wenn ich die nicht bis zu Ende auslesen werde, ist mir mein ganzes Land Katelangen gleichgültig. Was man mir auch an Reichtum anböte, und selbst wenn ich verdiente, ihn anzunehmen, ich würde statt dessen lieber die Schrift haben.
Das sage ich nicht, edler Freund, um dich oder jemanden sonst in Gefahr zu bringen. Wenn wir beide, jung wie wir sind, die Schuldigkeit hätten, im gegenwärtigen Zeitpunkt unsere künftigen Jahre lebend vorzubereiten, indem du mit deinem Dienst meine Liebe noch weiter verdienen willst, dann mußt du mir zuerst das Seil holen, an dem Gardeviaz eben hier drinnen angebunden stand.“
Er sagte: „Dann muß es auch mein Bestreben sein, mich um das Seil zu bemühen. Und wenn man es im Kampf erobern muß, opfere ich Ruhm und Leben, oder ich lege es dir wieder in die Hände. Schenke mir Erhörung, süßes Mädchen, und halte mein Herz nicht so lange gefesselt.“
171
171 172
172
156
Text und Übersetzung
173 ‚Genâde unt al daz imer maget sol verenden 173
G 162 La 168 (~JT 1219)
gein ir werdem clâren friunde, daz leist ich, unt mac mich des willen niemen erwenden, op dîn wille krieget nâch der strangen, die der bracke zôch ûf der verte, den du mir bræhte gevangen.‘
174 ‚Dar nâch sol mîn dienst imer stæteclîchen ringen. 174
G 163 La 169 (~JT 1220)
du biutest rîchen solt. wie gelebe ih die zît, daz ez mîn hant dar zuo müeze bringen, daz ih die hulde dîn behalte? daz wirt versuochet nâhen unt verre. gelücke unt dîn minne mîn walte!‘
175 Sus hêten si mit worten ein ander ergetzet, 175
G 164 La 170 (~JT 1221)
unt ouch mit guotem willen. der anevanc vil kumbers, wie wart der geletzet! daz freischet wol der tumbe unt ouch der grîse von dem verzageten sicherboten, obe der swebe oder sinke an dem prîse.
173 2 erwerendn (aus verendn unvollständig verbessert; Vorsilbe er überschrieben, w aus v verbessert) G. 174 4 verschQchet G. gelukuke G. 175 2 der ane vanch G (JT R) ] ane vahen (JT A), anevanc (JT BE), anvangs (JT D). gezetzzet G, geletzet (JT). 4 sinch(e)(t? ) G. • am ( ] an JT B, ain JT D) sicherboten unverzagt (JT ABD), an dem vil vnuerzagten sicherboten (JT E), an dem (fehlt JT X) vnuerzagten sicherpoten (JT R), ob der werde sicherbote (JT H). 173 2 [ir] La. daz | La. willen om. La Lei. nie man GJ La. 4 ûf | BMa Lei, verte, | La. brâhte GJ. 174 1 dienst | WPMo. iemêr BMa, im- | mer Lei. 2 wie | Lei, solt. | WPMo. wie lebe La. dar zuo stellen La Lei in V. 3. 3 • dar zuo daz La Lei. diu hulde Mo. 4 verre. | BMa. [gelücke und] La. 3 BMa GJ La 175 2 der | anevanc BMa. der anevanc ] anevanc GJ La Lei. GJ Fragezeichen nach geletzet. Komma nach grîse. 4 unverzageten GJ La Lei Mo. sicher- | boten Lei, unverzageten | WPMo.
Fragment II
157
„Erhörung und alles, was eine Jungfrau ihrem edlen, schönen Geliebten als Höchstes schenken soll, das verspreche ich, und niemand wird mich davon abbringen können, wenn du entschlossen bist, dich ganz für das Seil einzusetzen, das der Bracke, den du mir gefangen brachtest, auf seiner Fährte fortschleifte.“
„Danach werde ich in deinem Dienste beständig streiten. Du bietest höchsten Lohn. Wie kann ich nur die Zeit überleben, so daß es meine Hand dazu bringen möge, deine Huld nicht zu verlieren? In der Nähe und in der Ferne sei es versucht. Mein Glück und deine Liebe mögen mich behüten!“
So hatten sie sich gegenseitig mit Worten getröstet und mit aufrichtigen Versprechungen. Der Anfang großen Leides – zu welchem Ende führte er! Alt und Jung werden schon noch über den zaghaften Pflichterfüller erfahren, ob er steigt oder niedersinkt in seinem Ruhm.
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Vollständige Transkription der Handschrift M
III. Vollständige Transkription der Handschrift M
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Vollständige Transkription der Handschrift M
Vollständige Transkription der Handschrift M
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Der Abdruck erfolgt buchstabengetreu. Kürzel und Ligaturen sind nicht aufgelöst, Groß- und Kleinschreibung ist bewahrt, ebenso sind die Reimpunkte wiedergegeben. Die zweizeiligen, in die Spalte eingerückten roten Initialen sind fettgedruckt. Rubrizierungen und rote Zeilenfüllungen (auf fol 3v) sowie die späteren Federproben auf freien Zeilenenden (auf fol. 3r) sind nicht wiedergegeben. Beschädigte oder unsicher zu lesende Buchstaben stehen in runden Klammern. Die Lücken in der Handschrift sind stets mit drei Pünktchen bezeichnet. Dies sagt nichts über die tatsächliche oder zu vermutende Größe der Lücke in der Handschrift aus. Dazu vgl. das Faksimile von 1r und 3r im Anhang dieser Ausgabe und das vollständige Faksimile bei Heinzle 1973, 14–17. Zur besseren Orientierung ist der Text zeilenweise gesetzt. In der Handschrift sind die Verse durchlaufend geschrieben, die Strophen sind abgesetzt. Die drei Blätter sind jeweils durch Lücke voneinander getrennt abgedruckt. Die Seitenwechsel der drei Blätter sind jeweils durch die Angabe [verso] in den Text eingefügt.
[folio 1] M 1 ~ 31
… verfvnnen • Got mW(z) … izze … frowen da g … … (wa)chet wære der fw(a) … (w)alt hie z … ar ze fperen (d)urch dich gem(a) …
M 2 ~ 32
(K)yotes c(h) … (o)chs bi ir mVmen • er chos fi f … dez mey … bi tovnazzen blVmen • vz ir (h) … (z)en wchs f(æ) … … r lip (in) div lobes iar volwac(h) … fol ir lob …
M 3 ~ 33
(S)waz m(a) … fol ze gVte mezzen • an (i)r fv … zem libe … (s) groz vergezzen • fi reiniv frv … chlivhte(c) … … (t) fi div mVter div fi trVc da(z) … (s) Tfcho(y) …
M 4 ~ 36
… u hPret … (d)er magde Sygvne(n • do fi)ch i … brv(f)tel … ar begvnde brvne(n) do hVb … in ir lib(e) … gemvte • fi begvnde loflich … en vn … plicher gvte
M 5 ~ 34
… fvle(n o) … (n) herzenlovden der vil rei(n) … div chv(n) … nchen mit warheit wil ich … n mein(e) … … ler wiplichen eren • fi (ch)vnd … verdiene … vofe in den (l)a(nd)en meren •
162
Vollständige Transkription der Handschrift M
M 6 ~ 35
… iv mag(t) … (n)t Frimvtelles • fwa (m)an d(er) … lop bi … hal et nich fo helles • ir … die firre … (n) • vnz ir minne wart g(e) … m(it) fpe … vil hvrtechlichen •
M 7 ~ 37
(W)ie Ga(h) … (v)on Beleganen • vn wi(e) … dechli … ter Tfchoyfianen • v … (brach de) … … (z) fvlen wir allez ge … l ich iv f(a) … er minne •
M 8 ~ 38
(D)e(r) fra … n w(a)rt ein chint g … … (n) … vn von d … [verso] … azzen aller dinge (d) … … en werdent geboren …
M 9 ~ 39
(D)o gahmvret den (fchilt enphie) … … chvneginne (i)m lech daz c(h) … noch pri … r … az erwap im fin reinev chi(n) … … der ave(n) … wer herre ich han (r)eht daz … grvze •
M 10 ~ 40
(O)vch fVr daz felb(e) ch … t m … (e) • hin vb … in die heidenfch(aft) z(e) d(e) … (e) • d(o) bra … (z) ze waleis wid(e)r danne … … endechei … (p)ehent in der ivgent daz fo … gema …
M 11 ~ 41
(E)in teil wil ich iv dez ch … nen • fin … (der) hiez Gurnamanz (v) … vnde o(v) … (fen zetr)ennen • dez pf(l)ach … mane(g) … (vrte fin) vater hiez Gurz(e) … urch Tf … de la cv …
M 12 ~42
(M)ohvte hies fin mVter E … dez richen pfalnzgrave … (z) vz de’ … hen prebefter • fe(l)be hiez e(r) … (e)r fo ho … (p)ris erwarp nie (b)i finer z … ander •
M 13 ~ 43
(d)az ich dez werden Gvr … benand(e) … der (m)agt (S)y(g)vn(en) dev … ir mVt(e) … (a)nde • vz der pflege von de … …r hoh g … (c)h zvchet her fvr vn ir ch … male •
[folio 2] M 14 ~ 44
(A)l dez grales diet (da)z fin … (i)mer f(æ) … hie v(n) dort in den fteten … n • n(v) w(a) … (g)vne von dem felben (f) … … alfatfch … wart gefæt den (d) … (m)en •
M 15 ~ 45
… … da …
163
z famen hin iht w … lande • werden berhaft • a(n) … el ein fch … fchande • (v)on C … che(nn)en … ngen der … gen(en)ne(t)
[folio 2] M 16 ~ 76
… … n mich r … … ns der tot … (n)v wnfch(e) … (i)r gelvkes (fV)zzev (m) … (m)Vz von di … zV den h … de …
M 17 ~ 77
… ch bin dir holt nv … (w)er fr … inne • (f)us wil ich im … (f)chen(de) fi(n) … (n)de nach … winne • der vnz be … frevde e(r) … … (z) brinnen … (i)v wazzer e di(v) lie … herzen m … (r)be •
M 18 ~ 78
(V)il liep beliep al d(a) … fich fchiet … ne • ir geh … tet nie von beide … ben noch (v) … ichen ma … • div fich herzenli … (d)en minn … … art (fit) P(a) … (l) vo(n) Sygvnen bi … n wol in …
M 19 ~ 81
… e herzenlovd(en) n … p Gahmv … (w)erde • f(o g) … wenberender ftam … n niende … der erde … wer wip alf fi vil … (h)einte • v(o) … er fchei(d) … iamer den mane … (t) bewein …
M 20 ~ 82 … fprach vil liebes … ere bevil … dem rei …
… r gefach fi nimm(e) … (e)rzeliche … e weine … … alch in ovch got … gem fivft … • ir feit i … (e) chvftich not ey … hen von i … ieffen •
164 M 21 ~ 83
Vollständige Transkription der Handschrift M
… … … …
ahmuret die re … te g(vt)lich … rach dv f … lt (ni)ht weinen (i) … (h)alben ia … che(rli)ch … ich her wider lat … bi dem li(b) … in trofte … gen ein teil (e)ntf … chiet er (v) … echliche(n wibe)
M 22 ~ 84 … vs was fi vf ged … fwenne f … doch vil felten •
fi … forgen r … triwen … (nd) … mVft en … (n) • fin vbe … (om ir) ze … … t finem … de ir fre(v) … (m)an ge … mer mer … noch geile M 23 ~ 85 … en (lichiv) l … (r) minne … de •
was … (w)orden d(v) … (im) … hvn(egine) … … (n)ch fidin … … [verso] … az brunes … (e)lin den p … z fVrte • M 24 ~ 79 (V)z Gingr … hvnech G(a) … v’eholne •
von mage … wibe v … nnen fvr … rt waz gar den ver … e • wan z(w) … (c)hinde vo … rt kvrtoyfe • (v)n a … ch chnapp(e) … (a)ne fchilt … welt vf die reife • M 25 ~ 80 (F)vnf f(c) … vn golde … azagavch geftein(e)
… volge … (v)erte mit … ander fchilte gar … e • dvrch (d) … (n) fchilt g(e) … (h)iefen • daz im ein … er f(c)hilt … chte ob di … chvnde niefen • M 26 ~ 86 (U)z Nori(g) … h yfpane(g) … ilige cherte •
dez g … digen … (s) (f)un der … er (uz) ovgen rerte • … evriefch … art nam … … pris wirt nieme … ovfter d … en heiden … M 27 ~ 87 (S)i mu … rchennen … niht eralten •
her … von … (n) wilent … eren der immer … vnfches … … wa man … finen genozzen (f) … hen • die … n gefchei(d) … (w)ie chvnde fin lo(p) … die fo pr(e) … M 28 ~ 88 (d)az re(d) … (l) mit wa(r) … (n)iender n … (e) •
nu fvln (w) … edenchen dez ivng … vrften v … (a)ldane • w … vne twanc fin cl(a) … … zoch im … (e)rzen vil … (e)n reht als vz den … n ir (f)vze tVt div (b) … M 29 ~ 89 (S)in lie(p) … (c)heit die (e) … trVc v … (n)ne •
div (f) … n mVtes (a)n forge(n) … (w)inne •
[folio 3]
165
be … (e)n Grahd’o … (m)aneger bine • er … e noch fa(n) … als (G)vrze(g) … on Mobon … (ine) M 30 ~ 90 (W)irt i(m) … ft mit hv … von fper … rache
… (e)r hant d … fchil(de) br(a) … (e)m vnge(m) … … ch ze chra … ftarche m … (e)nche • vn (nch) … her liebe …
[folio 3] M 31 ~ 105
… … … werden frowen • dez folt ich alles wider dich geniezzin la dine helfe an mir fchowen •
M 32 ~ 106
Dv mach mich wol entftrichen vz flozzlichen banden • wirde ich immer fchiltes herre vnder helme vn in den landen • fol min helfech hant da nach prife ringen • wis min vogt daz mich din gewalt nere vor Sygunen twingen •
M 33 ~ 107
Ey chranch chnabe was waldes e msz fwinden • mit tyoft v(z din)er hende wil dv der dv(ci)fen minne befinden • wan d(iv) minne ift teilhaft ordenliche (•) fi hat der arme (ellent)hafte erworben e der zaghafte riche (•)
M 34 ~ 108
Doch frev ich mich der hOhe daz din herze alfo ftiget • wa wart ie bovmes ftam von den eften fo lobliche gezwiget • fi livhtech blsme in walde uf heide vn an felde • hat dich min fvzzez mvmelin betwungen fo wol dich der lieplichen melde •
M 35 ~ 101
dv minne bernde faf vrfprinch minnen blvte • nv msz mich wol erbarmen anfolyfe div dich mir lech durch ir gUte • fi zoch dich als fi dich gebære • fi het dich an ir chindes ftat als liep dv ir bift vn ovch ie were (•)
M 36 ~ 109
Sygvnen mVter da fvr was berUffe • daz got vn fin chvnft mit willen ir clarheit gefchvffe • Tfchoyfianen plich der fvnnen bære • den hat Sygvne Kyotes chint an im iehent dez erchantlichiv mære •
166
Vollständige Transkription der Handschrift M
M 37 ~ 110
Kyot der pris beiagende in fcharflicher herte • der fvrfte vz katalangen Tfchoyfianen tot im alle frevde werte • ir zwaier chint ich fus mit warheit grUzze • Sygune div (fige)hafte vf dem wal da man welt meide kivfche vn ir fvzze •
M 38 ~ 111
div dir hat an gefigt dv folt ir geftriten • mit dien(ft)licher triwe ouch wil ich dez willen niht langer biten • in dine helfe ich bringe mine werde mVmen • Sygvnen glanz (fol) din farwe erblUn nach den blichlichen blv(omen)
M 39 ~ 112
[verso] Tfchynohtvlander begvnd(e alfo fprechen •) nv (wil mir din troft vn din) triwe aller forgenba(nt) zebrechen • fit daz ich mi(t vrloube) nv minne • Sygvnen div mich rov(bet) nv lange an frevden vn an frOlichem finne •
M 40 ~ 113
Sich mohte ob er wolde wol helfe vermezzen • Gahmuret der werde nv fvln wir der grozzen not niht vergezzen • an (K)yotes chint vn Tfchoyfianen • e div (troft) enpfie div mvfte aller freuden fich anen •
M 41 ~ 114
div fvrfti(nne uz) Katalangen fere was bet(wn)gen • von der ftrengen (minne) fus hete (ir gedanche vnfanfte lange) gerungen • (d) … (vor) ir mVmen helen wolde • d(iv) chv(negin)ne war(t innen m)it herze (fchriche) was Sygune dolde •
M 42 ~ 115
Re(ht als ein) towech rofe al naz von der rOte • (fus) w(urden) ir div ovgen ir antluzze empfant allez wol d(er nOte •) do ch … (e) doch ir chivfche niht verdechen • die liepli(chen) minne daz fi fo (qu)al nach kintlichem rechen •
M 43 ~ 116
D(o) fprach div (chvn)eginne durch triwe • owe Tfch(oyfianen fruht) ich het zevil ander riwe • der ich pflach (nach dem Anfchewine • nv wachfet in) minen ovgen ein niw(er) … ich chevfe an dir pine •
M 44 ~ 117
A(n) landen vn an livten fprich was dir werre • od(er ift) dir min troft vn al diner mage fo verre • daz (dich) niht ir helfe mag (erl)angen • war chom din funnen (liehter) plich (wer) hat den ver(ftoln) dinen wangen •
[folio 3] M 45 ~ 118
Ellendiv magt nv msz mich di(n) ellende erba(rm)en • (man) fol bi (drier lande chr)one mich zelen fvr die (armen • ich gelebe e daz din ch)vmber fwinde • vn ich die (rehten wa)rheit (aller diner) forgen beuinde •
M 46 ~ 119
So mVz ich vor forhten dir die warheit chvn(den •) … (dv) mich deft vnwerder iht fo chan din zuht (fich an) … … …
167
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Melodie
IV. Melodie
169
170
Melodie
Melodie
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Die „Wiener Melodie“ auf dem Vorsatzblatt (fol. Iv ) des Codex 2675 der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (= „Jüngerer Titurel“ Hs. A). Zu Melodie und Text sowie zu Prinzipien der Transkription der Melodie und des Textes s. das Editorische Vorwort S. 29– 40. Diplomatischer Abruck des Textes S. 30. Ein Faksimile der handschriftlichen Überlieferung von Text und Melodie befindet sich im Anhang V (S. 513).
172
173
V. Stellenkommentar
174
Stellenkommentar
Zu Fragment I
175
Zu Fragment I 1–12 (La 1–12): Titurels Rede Wolfram hat seine Liebesgeschichte von Sigune und Schionatulander, diese „Liebesgeschichte vom versäumten Augenblick“ (Mohr 1978, 152), durch die Abdankungsrede des alten Titurel (Strr. 1–12) in die Geschichte des Gralsgeschlechtes eingebettet. Sie verbindet mit dem Rückblick auf ein Leben als Kämpfer im Dienste des Grals und als höfischer Minneritter (Strr. 1–5) die Hoffnung, die der eigenen Familie verbundene sælde (und diese umfaßt auch kiusche, stæte, milte) zusammen mit der Gralsherrschaft an die folgenden Generationen, an seinen Sohn Frimutel und an dessen fünf edle Kinder vererben zu können. Diese Hoffnung gründet sich darauf, daß der Gral, zusammen mit einer Ordensregel, die vor allem die Gralsfamilie auf eine Haltung der Reinheit und Treue verpflichtete, durch die Botschaft eines Engels an Titurel übergeben wurde (Strr. 6–10). Auf die Rede ihres alten, kranken Königs reagieren die anwesenden Templeisen, Gralsritter und Gralsvrouwen, mit einer Klage über die „Zeitlichkeit der Gralsgeschichte“ (Ortmann 1980, 35), wie sie in der Übergabe der Herrschaft Titurels an seinen Sohn Frimutel zum Ausdruck kommt (Strr. 11–12). Dieser für eine Liebesgeschichte ungewöhnliche Eingang läßt nach Bumke (1997, 247) vermuten, „daß die Genealogie der Gralfamilie auch im weiteren Verlauf der Dichtung eine Rolle spielen sollte.“ Die Abdankungsrede, die, wie die ersten und letzten Strophen des Fragments I (Strr. 1–12, 13–24, 25–36, 113–136 = 2x12), zwölfstrophig gegliedert ist (vgl. Simon 1953, 186 ff.), stellt nach Ortmann (1980, 34 ff.) einen programmatischen Prolog dar, wobei nach ihrer Auffassung der Pz. für den Tit. einerseits explikative und kritische Funktion besitzt, sich anderseits das spätere Werk vom heilsgeschichtlichen Konzept des früheren distanziert: „Die programmatische Frage dieser Strophen scheint mir aus dieser kritischen Distanz zu lauten, wie ist Gralsminnegeschichte als Heilsgeschichte möglich angesichts von schicksalshaften Unheilsmächten, gegen deren Übermacht der Einzelne nichts vermag und deren absolute Determination Schuld – und Erlösung ausschließt?“ Wie der Pz., der durch die „heilsgeschichtliche Interpretation von art und Recht“ an das Strukturmuster des Doppelwegs gebunden ist, postuliere die Titurel-Rede „einen Weg, aber das Zeitkonzept der Gralsgeschichte, das sie entwirft, stellt ihn in Frage“ (36). Vom Anfang des 2. Fragmentes aus, das unmittelbar und voraussetzungslos mit der Handlung einsetzt, liegt wohl eher die Auffassung von Wyss (1974, 261)
176
Stellenkommentar
nahe, der gerade die Prologlosigkeit des Werkes als charakteristisches Merkmal herausgestellt hat: „Die Szene an seinem Beginn wird nicht einmal lokal und temporal bestimmt. Nichts wird exponiert, auf das der Leser sich einrichten könnte […]. Wörtlicher hat kein Epiker je das klassische Gebot genommen, in medias res zu gehen. Aber die Sache, in die er geht, ist nicht die Sigunenhandlung. Titurel hebt vielmehr ‚von weither‘ [Hugo Kuhn 1971, 166] an, wenn er die Sigune genealogisch herleitet.“ Diese genealogische Herleitung erfolgt nach Wyss „fern von aller triumphalen Heilsgewißheit“. Der Gral wird vielmehr zitiert als „Gegenstand schmerzlichen Eingedenkens“, ja gegenüber der „heiteren Auflösung des Zaubers, die Parzivals Dennoch-Erwählung veranstaltet“, wird der Gral im Tit. als „mythische Veranstaltung quasi von außen gezeigt“, so daß der unverläßliche genealogische Zusammenhang des Gralsgeschlechtes dem Sigunenschicksal keine Geborgenheit mehr zu bieten vermag: „Die genealogische Introduktion zum Titurelfragment vermögen wir deshalb nur als Pseudototalisierung des Erzählten zu lesen: sie soll nicht einen Bezugsrahmen für die Handlungen des Helden herstellen, sondern deren konstitutive Einsamkeit mit ihrem Verhängnis sichtbar werden lassen. Wolfram konstruiert jetzt nicht mehr ein ‚episches Weltgewebe‘ [Bertau 1983a, 56 ff.], sondern breitet einige von dessen Fetzen nebeneinander aus“ (Wyss 1974, 263). 1 (La 1) 1– 4 Die Abdankungsrede Titurels, die nach Mohr (1977, 125) an eine Tradition anknüpft (z. B. an den Anfang des Hartmannschen „Gregorius“ oder den Beginn von Wolframs Wh.) betrifft nach Wehrli (1974, 16) in ihrer ersten Strophe „bereits ein Vorzeitiges; die Erzählung ist sofort Klage des Helden, dem die hohe Vergangenheit in Sehnsucht und Jammer verwildet ist […], bis wir, zehn Strophen später erst, erfahren, daß Titurel vor versammeltem Hof spricht.“ Ortmann (1980, 29) hebt hier ab auf die zeitliche Zweidimensionalität der ersten Sätze der Rede: „sie vollziehen die mit dem epischen dô – sît gesetzte Zeitenwende in Form der Klage“. 1
Tyturel ] Nach mittelalterlichem Brauch trägt das Werk seinen Titel nach dem zuerst genannten Namen (vgl. Bumke 1997, 252; Wehrli 1997, 315; Heinzle), obwohl Schionatulander an späterer Stelle (39,4; vgl. auch den Komm. zur Stelle) ausdrücklich als Held der Geschichte bezeichnet wird: er wirt dirre âventiure hêrre (vgl. Pz. 140, 12 f. daz ir wol müget erkennen / wer dirre âventiur hêrre sî). An der Tradition der Titelgebung ist bisher festgehalten worden. Eine Ausnahme bildet Margaret Richeys Teilübersetzung ins Englische, die die beiden Liebenden zu Titelhelden der Geschichte erklärt (Richey 1960: „Schionatulander and Sigune“). Nach Classen (1990, 69) geht der Titel eines Werkes „auf den Namen desjenigen Helden zurück, der zuerst eine gewisse Rolle spielt“. Eine solche Rolle kommt Titurel sicherlich zu, auch wenn er nach seinem großen Monolog sofort wieder „im mystischen Dunkel verschwindet“. Mertens (1996, 371) hat hier mit Recht präzisiert: „Die Nennung Titurels wirkt als Gattungssignal des Gralsstoffes“, auch wenn sich seine Berufung auf Frauenlob als problematisch erweist (in Frauenlobs Gedicht VII 27,2 wird Titurel nicht als Gattungsrepräsentant sondern als Beispiel für
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ungewöhnliche tugent neben Gachmuret, Ector und andere Helden gestellt). Wolfram baut in den Anfangsstrr. die mythische Bedeutung des Grals und seines alten Königs aus, sei es, daß er sie vorfand, sei es, daß er sie selbst erfand, um damit dem Geschehen einen genealogischen Rahmen zu geben, der zugleich ein Rahmen von Resignation, Trauer und Leid ist. Der Name erscheint schon vor Wolfram in Hartmanns „Erec“ (V. 1651; um 1185) und im afrz. „Lai de Tydorel“ (12. Jh.; Ed. Lommatzsch/Wagner, Berlin 1922 = Romanische Texte z. Gebrauch f. Vorlesungen u. Übungen, 23–36). sich gerüeren ] „sich tummeln“ (Marti), „seine Kräfte ausüben, thätig sein“ (Martin), „kämpfen“ (Heinzle). Letztere Wortbedeutung ist zwar nicht bei Wolfram, aber aus anderen Werken (Wolfdietrich D X, 77; Kudrun 688,4.) für das Mhd. bezeugt. Auffällig ist jedoch, daß hier ein Verb gewählt wird, das sonst bei Wolfram (als sich rüeren und sich gerüeren) im wörtlichen Sinne von „sich rühren, bewegen“ gebraucht wird. Schon von daher liegt die Vermutung nahe, daß diese Bedeutung hier zum mindesten mitschwingt, zumal im Hinblick auf Pz. 240,23 ff. und 501,19 ff., wo Titurel als alter, an der Gicht leidender und daher unbeweglicher Greis kurz beschrieben wird. Doch die Alternative, die die Kommentatoren bisher nicht zu entscheiden wagten, ist in Wahrheit keine. Wolfram sieht bereits den noch kraftvoll kämpfenden Titurel im Lichte seiner späteren Erscheinungsform, sieht aber auch den kranken alten Greis noch im Lichte seiner früheren Kampfeskraft. Beides zusammen macht seine Figur aus. 2
gefüeren ] steht hier zeugmatisch, da nur der zweite Halbvers dazu paßt, nicht aber sich selben, bei dem „eigentlich ein Wort im Sinne von ‚sich bewegen‘ stehen sollte“ (Martin). Weitere Belege für Zeugmata mit füeren bei Heinzle 1989, 485.
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in alter ] Für Marti ist die adverbiale Verbindung „nähere Bestimmung zu sît: danach im Alter, als alter Mann; Fehlen des Artikels bei Substantiv mit Präposition“. Es ist nicht sicher zu entscheiden, ob die adverbiale Bestimmung in alter (wie in unserer Ausgabe) zum epischen Bericht zu zählen ist (Doppelpunkt nach alter) oder zur Rede Titurels (sît sprach er: ‚in alter ich lerne …‘). Martins Verweis auf das NL 1695,4, wo sît … in alter auch als zusammenhängende Wendung benutzt wird, läßt die Zugehörigkeit von in alter zum epischen Bericht vielleicht etwas plausibler erscheinen, wenn auch inhaltlich die beiden Varianten im wesentlichen übereinstimmen dürften.
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schaft (G) / schilt (H) lâzen ] = „das ritterliche Leben aufgeben“. Vergleichbare Wendungen sind Str. 22,4 swertes, helmes unt schiltes verzîhen oder Str. 23,3 schiet von sînem swerte. In 1,4 wird die Wendung aufgenommen durch den Abvers: des phlac ich schone unt gerne, wobei sich der Genitiv des Demonstrativpronomens des auf schaft bzw. schilt zurückbezieht. Da es jedoch bei Wolfram keine Parallelstelle für schaftes phlegen gibt, während schiltes phlegen bei ihm zweimal belegt ist (Pz. 504,17; 815,19) und der schilt als bevorzugtes Symbol der Ritterschaft gilt (vgl. Bartsch 2. Aufl.), haben sich einige Herausgeber (Bartsch 2. Aufl., Piper) für die Lesart von H entschieden. Die Hs. G bietet aber eindeutig die lectio difficilior, die auch durch die folgende Strophe gestützt wird, in der sehr aggressive Kampfbilder mit Titurel verbunden werden, so daß die Angriffswaffe schaft gegenüber der Verteidigungswaffe schilt an dieser Stelle vorzuziehen sein dürfte. (Vgl. auch die Artikellosigkeit in 167,4.)
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Stellenkommentar
2 (La 2) 1– 4 Speer, Helm und Schwert, die Requisiten des „sowohl heroisch wie arthurisch verstehbaren Kriegshandwerks“ (Mertens 1996, 371) bestimmen die Aussage dieser Strophe. Sie beschwört Titurel in seinem Rückblick auf die eigene ruhmreiche Vergangenheit als Kämpfer und zeichnet sich durch eine besonders dichte metaphorische Sprache aus. Wyss (1974, 278) spricht von einem „fast gespenstischen Eigenleben (der Dinge)“. Titurel beschwört die Erinnerung an seine früheren Kämpfe in Bildern, in denen „die agierenden Kämpfer vollständig hinter dem Zusammenprall von Waffen und Rüstungen verschwinden“ (Wyss 1974, 277). Ortmann (1980, 30) sieht einen Gegensatz zwischen „der uneingeschränkten Erinnerung an die kämpferische Realisierung der werdekeit“ und der Form, in der die einstige Realität der Minne beschworen wird: nämlich „in drei parallelen und in der Konstruktion wechselnden Konditionalsätzen“ (Str. 3), „die deutlich eine größere Distanz des Sprechers zum Erinnerten erzeugen und prinzipiell offenlassen, ob es diese sælde in der idealen Vergangenheit Titurels gegeben hat oder nicht.“ 1
möhte ] Der Gebrauch des Konjunktivs (im Sinne von: „hätte ich noch die physische Kraft“) unterstreicht den rückwärtsgewandten und klagenden Gestus der Rede.
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des ] wird zumeist in den Kommentaren kausal aufgefaßt (= „infolgedessen“, vgl. Marti, Hollandt). Heinzle stellt neben die kausale die instrumentale Bedeutung: „[…] dann sollte damit (sc. mit meiner Fähigkeit, Waffen zu führen) die Luft geehrt werden […].“ Da es für beide Verwendungsweisen bei Wolfram signifikante Belege gibt, dürfte eine sichere Entscheidung unmöglich sein. „Daß der Luft Ehre angetan würde durch das lärmende Zerbrechen der Speere, deren Splitter die Sonne verfinstern, ist eine echt wolframsche originelle Wendung: die Splitter sind gleichsam das Ehrengeschenk an die Luft; vgl. nhd. einem etwas verehren“ (Marti).
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schate ] Für den aus der Antike stammenden Topos der Kampfschilderung (= der Geschoßhagel ist so dicht, daß die Sonne verfinstert wird), der in der mhd. Literatur ziemlich selten sein dürfte (vgl. einzelne Nachweise bei Heinzle) verweist Marti auf Herodot VII, 226 und Vergil, „Aeneis“ XII, 578. Hyperbeln ähnlicher Art sind gerade für Wolframs metaphernreichen Stil charakteristisch (vgl. Wh. 99,1–3; 212,29–30; 220,12–13). Bezeichnend ist, daß er den Topos durch seine Brechung manieristisch übersteigert: bei ihm sind es nicht die Geschosse selbst, die die Sonne verfinstern, sondern deren Splitter, also gleichsam ein Nebenprodukt des Zusammenkrachens der Speere (spers krache 2,2). Vgl. auch den Kommentar zum nächsten Vers.
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zimierde ] Die mhd. Bezeichnung für den seit etwa 1200 aufkommenden Helmschmuck (LMA IX/1998, 606) scheint zuerst bei Wolfram nachzuweisen (vgl. Heinzle und Bumke 1997, 19). Der JT 274,2 f. hat die wolframsche Metapher nachträglich zu verdeutlichen und zu erklären versucht: uz helmen starke fiure / sluoc er, di man sach di virre glesten, / also daz die zimiere gar verbrennet / wurden . . . . Durch diese Erklärung wird aber auch deutlich, worin sich Wolframs Bild unterscheidet: Es gewinnt seine hyperbolische Kraft gerade aus der Auslassung des in der literarischen Tradition entscheidenden Bildelementes: die das Feuer der zimierde verursachenden Funken, die die Schwertschläge hervorrufen, muß der Leser/Hörer dem Verbum enbrunnen selbst entnehmen. Die Manier der Bildbrechung ist hier ähnlich wie in V. 3. – Vgl. das ähnliche Bild in 134,4.
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3 (La 3) 1– 4 Die ersten beiden Verse dieser Strophe, in der mit dem Motiv der Minne als Lebensinhalt gegenüber der heroischen Thematik der Str. 2 deutlich ein Thema des höfischen Romans aufgegriffen wird (vgl. Mertens 1996, 371), bilden je einen konditionalen Konjunktionssatz, der dritte Vers drückt die Kondition durch Inversion aus; die ersten beiden Nebensätze stehen im Konjunktiv, der dritte im Indikativ. Durch die beiden Konjunktive enphienge / begienge und das unbestimmte, auch im 3. V. stehende verallgemeinernde Zeitadverb ie erhalten Titurels Worte über die hôhe minne und ihren trost einen melancholisch-zweifelnden Ton (anders Heinzle, der die Konjunktive von den Reimverhältnissen her erklärt; Marti macht das verallgemeinernde ie dafür verantwortlich). Das Wort minne und das von ihm abgeleitete Adjektiv minneclîch (Springer 1975, 229) weisen zwar auch hin auf die beglückenden Erfahrungen der minne (hôher minne trost V. 1, der minnen süeze – sælden kraft V. 2; gruoz von minneclîchem wîbe V. 3), werden aber zugleich durch die zeitliche Distanz und die passivischen Wendungen, wie sie für den Tit. typisch sind (Kiening/Köbele 1998, 248) deutlich vom Sprechenden abgerückt (Willms 1990, 169 f. nimmt die Str. als Beleg für die in höfischer Literatur dominante Auffassung, „daß die Liebe zwischen den Geschlechtern ihren selbstverständlichen Ausdruck im körperlichen Vollzug findet.“). Ob man allerdings mit Heinzle von Titurels Worten her unter Zuhilfenahme des Pz. und des Wh. so etwas wie Wolframs Auffassungen von hôher minne (erzieherische Forderung; Forderung der Bewährung im Kampf; Vereinbarkeit mit Ehe und körperlicher Liebeserfüllung; keine Idealisierung der frouwe ins Überwirkliche; keine asketische Sublimierung) ein für allemal rekonstruieren und dann für die Interpretation einer solchen Stelle heranziehen darf, scheint fraglich. Noch weiter geht Könneker (1965, 31), wenn sie höfische Welt und Gralswelt für den Beginn der Dichtung noch „bruchlos“ ineinandergefügt sieht: „Im Erlebnis der wahren Minne vermag der Ritter der Gralsverheißung teilhaftig werden“ (ähnlich auch Rahn [1958, 21], der von einer „harmonischen Einheit“ spricht). Demgegenüber möchten wir daran festhalten, daß im Tit. durch Störmomente von vornherein Disharmonie signalisiert wird. Gegenüber den anderen Werken haben sich in diesem Spätwerk die Gewichtungen auf jeden Fall deutlich verschoben, was z. B. in V. 4 im Neben- und Ineinander von verwildet und mînem seneden klagenden lîbe thematisch wird (vgl. den Komm. zu 3,4). Nach Wolff (1950, 553) liegt „der Vergänglichkeitsgedanke“ über dem ganzen Werk und besonders über dem Eingang, „noch stärker als über dem ‚Willehalm‘, […] nicht in absichtsvollen Erörterungen, sondern nur wie der unwillkürliche Eigenton des Lebens“ (vgl. auch Bumke: Wolfram von Eschenbach, 61991, 286). 1
von hôher minne ] Nach Dick (1992, 407) ist „Minnedienst in Form ritterlichen Kampfes […] das gesellschaftliche Paradigma, in das Sigune und Schionatulander hineinwachsen“, das sie aber „mehr erleiden als erfüllen“. Der Gebrauch des das epische Vorfeld beherrschenden Terminus hôhiu minne (der nur hier sowie 13,2 und 23,4 erscheint) gewinne „noch vor dem Einsatz der Haupthandlung eine nicht zu übersehende Ambivalenz“.
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sælden kraft ] Wohl als Objekt zu enphienge = „Fülle des Glücks“ (so Martin), „Beglükkung durch Gewährung der Liebe“ (so Heinzle, der sælden als Gen.Pl. und kraft im Hinblick auf Pz.-Belege nicht wie Martin als „Mengenbezeichnung im eigentlichen Sinne“ sondern als „verstärkende Umschreibung“ auffaßt); an dieser Stelle (nach hôher minne, neben minnen süeze und vor gruoz von minneclîchem wîbe, d. h. gänzlich in einem Minnedienst-Kontext) sicherlich nicht im geistlichen Sinne als „ewigliches Heil“ (Piper) zu verstehen.
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Stellenkommentar Nach Mohr (1977, 126) hat die Hs. H „möglicherweise […] diesmal die Spur des ersten Entwurfs bewahrt: und ob der minnen clam ie genade an mir begienge“ (clam = „Enge, Fessel“).
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gruoz von minneclîchem wîbe ] Titurel spricht hier wie auch im folgenden Vers in der stilisierenden Terminologie des Minnesangs (vgl. auch den Komm. zu 5,1).
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verwildet ] Spezialterminus der Beizjagd (vgl. Dalby 303a): vom gezähmten Jagdfalken, der wieder der Wildheit verfällt (vgl. entwildest Str. 102,3). Das demonstrative daz faßt, über einen Satzbruch hin, alle drei Konditionalsätze zusammen: dies alles ist seinem seneden klagendem lîbe verwildet. Der unglückliche Zustand fehlender Minne wird damit im Bild des Minnefalken als Rückfall aus der kulturellen Überformung durch den Minnedienst in die natürliche Wildheit interpretiert. Hier zuerst klingt die für dieses Werk bezeichnende Kombination von Minnethematik und Jagdvokabular an (vgl. Kiening/ Köbele 1998, 240), die die (schon in der syntaktischen Dissimilation, im Modus der Verben und in der verallgemeinernden Zeiterfahrung des ie zum Ausdruck kommende) Ambivalenz der Minneerfahrung auf den entscheidenden Punkt bringt: die hohen Vokabeln des Minnedienstes scheinen von Anfang an durch eine bis in die Satzstruktur hineingeformte Gestik der Vergeblichkeit seltsam gebrochen. Was hohe Kultivierung war, fällt scheiternd in die Wildheit zurück. Nach Kiening/Köbele (1998, 243) setzt der Ausdruck voraus, „daß Minne nichts gänzlich Fremdes bleiben muß“, daß also „Menschen mit der Liebe vertraut sein können, daß deren wilde sich immerhin zeitweise aufheben läßt. Davon sind Sigune und Schionatulander noch entfernt. Für sie ist Vertrautheit mit dem fremden Phänomen allererst herzustellen, ist zunächst noch ungeklärt, ob Minne nicht doch – aufgrund ihrer Wildheit – unzugänglich und unzähmbar bleibt“.
4 (La 4) 1–3 Die Strophe beginnt mit drei Substantiven, deren syntaktischer Status (Nominative oder Akkusative wären formal beide möglich) nicht klar ist und im folgenden auch nicht klar wird, da sie für sich stehen und erst vom V. 3 her, der sie durch das einleitende des … niht locker aufnimmt, als Akkusativobjekte auszumachen sind. Ihre gewichtige (auch syntaktische) Herausstellung entspricht ihrer Bedeutung: es handelt sich um drei wichtige Grals- bzw. Rittertugenden, nämlich sælde = (hier im religiösen Kontext des Grals eindeutig auch im geistlichen Sinne) die zum Gral gehörige und von ihm ausgehende Gnade, himmlisches Glück; kiusche = die demütige Unterordnung unter Gottes Willen; mit sinnen mîn stæte = meine Beständigkeit der Gesinnung. Zwei weitere schließen sich, syntaktisch im unvermittelten Konditionalsatz und in Umschreibung, an: Freigebigkeit, liberalitas (hôher prîs mit gâbe als Umschreibung für milte) und Tapferkeit, fortitudo (hôher prîs in stürmen). Auch hier, wie in Str. 3, gibt der Konjunktiv (getæte), der auch rückwirkend die Nomina des ersten Verses mit erfaßt, dem Ganzen eine unerwartete Brechung. Titurel spricht vom früheren Ruhm nicht in indikativischer Sicherheit, seine Rede gewinnt auch hier (vgl. entsprechende Einfärbungen in den Strr. des Kontextes) einen Anflug von Zweifel und Traurigkeit. 1
mit sinnen mîn stæte ] die Hs. H liest mein syn vnd all mein stEte. Auch wenn diese Lesung durch den JT B (min sin, min stæte) gestützt wird, ist die der Hs. G als lectio difficilior eindeutig vorzuziehen.
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mîn hant ] Das Handeln der Person wird, wie häufig in der höfischen Epik und insbes. bei Wolfram, formuliert als Handeln des tätig werdenden Körperteils: z. B. hant noch 106,3; 153,2; 174,2; houbet 26,4; herze 82,4; ougen 122,4 u. 132,3 u. ö. Ob dies, wie Heinzle meint, nur als rhetorisches pars pro toto zu verstehen ist oder solche spezifische Metonymie nicht doch auf ein anderes Konzept von Körperlichkeit und Person verweist, erscheint zum mindesten fraglich. Wolfram läßt häufig auch Eigenschaften (etwa zorn 103,2 u. 127,3; kiusche 115,3; zuht 119,2), Zustände ( iugent 71,3 u. 128,3) oder Handlungen (mîn dienst Str. 72,3) der Personen metonymisch agieren
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des ] Genitiv des Demonstrativpronomens, abhängig von niht. mîn iunger art ] „meine junge Nachkommenschaft“ (Martin; Marti). Gegen Schultheiss (1937, 19 f.), der art nur auf Titurels Sohn Frimutel bezieht, von dem die übrige Nachkommenschaft (V. 4 = geslähte) abgehoben werde, geht Heinzle davon aus, daß es sich bei V. 4 nicht um eine Steigerung, sondern um „eine wiederholend-variierende Bekräftigung des in der dritten Zeile Gesagten“ handelt. Diese Einschätzung wird den letzten beiden Versen nicht ganz gerecht, in denen deutlich auch Unterschiedliches gesagt wird: Titurels Vertrauen, daß sîn iunger art nichts von den durch ihn verwirklichten Grals- und Rittertugenden (V. 1 f.) zugrunde richten kann, bezieht sich offenbar auf den engeren Kreis seiner direkten jüngeren Nachkommen, während der folgende Vers mit al mîn geslähte und imer das gesamte Gralsgeschlecht für alle Zeit umfaßt. Das von Titurel gegebene Beispiel scheint ihm eine so starke und auch lange nachwirkende Erbschaft für sein gesamtes Geschlecht und für alle Zeiten zu sein, daß es keinen Grund zur Besorgnis um die folgende Generation gibt. Interpretiert man die schwierige Str. 8 (vgl. Komm. dort) als Ausdruck solcher Sorge um den Sohn Frimutel, wäre V. 3 in seiner negativen Formulierung darüber hinaus noch zusätzlich motiviert.
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wâre minne mit triwen ] Auf den Bezug zur Liebe Gottes (Gott als der wâre minnære [Pz. 466,1], dessen Wesen triuwe ist; Pz. 462,19) verweist Heinzle unter Rekurs auf Schwietering (1946, 22 ff.) und Wapnewski (1955, 68 f. u. 193 f.). Eine entsprechende Formulierung, bezogen auf die Liebe Gawans zu Orgeluse, Pz. 532,10 (reht minne ist wâriu triuwe). Ähnlich Pz. 586,24 (aber mit Adj. stæte statt wâre) und Pz. 715,19 (minne in triwen, im Liebesbrief des Gramoflanz an Itonje). Alle drei Begriffe finden sich zusammen bei Parzivals Gedenken an Kondwiramurs (732,7 ff.; in fragender Form Wh. 15,16). Nach Dick (1992, 403) ist Titurels „programmatischer Minnebegriff […] im Gegensatz zur hohen Minne der Lyrik als unerfüllter Werbungs- und Sehnsuchtsminne […] als heilvolle, bewahrende Kraft im epischen Generationsdenken zu verstehen“. Nach seiner Auffassung sind in Str. 4,4 drei Komponenten dieser Konzeption vereinigt: 1. „Gralsheil wird inhaltlich verstanden als Heil der Gralssippe“; 2. „das so verstandene sippengebundene Heil gründet sich wesentlich auf vorbildliche Minne-Erfüllung von höchstem ethischem Rang“; 3. „der Weg der Heilssicherung für die Zukunft ist an den biologischen Prozeß der Vererbung gebunden“. Für den programmatischen Minnebegriff konstitutiv ist demnach die Trias von sælde, Kampf und Minne, wie sie in dieser Strophe formuliert ist; der damit umschriebene Sinnzusammenhang wiederholt sich „auf allen Stufen des epischen Geschehens“ (Dick 1992, 405). erben ] Es bleibt unentscheidbar, ob das Verb hier im Sinne von „erben“ oder „vererben“ gebraucht ist. Die Bedeutung „erben“ nimmt die Vv. 1 f. (der von Titurel erworbene Ruhm ist ein unauslöschliches Erbe für das gesamte Gralsgeschlecht), „vererben“ den
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Stellenkommentar V. 3 auf („nichts davon kann meine junge Nachkommenschaft zugrunde richten – im Gegenteil, meine gesamte Gralssippe wird immer wâre minne mit triwen vererben“). Da die Strophe mit Titurels hohem Ruhm die auch für die Gralsfamilie verpflichtenden und daher an sie weiterzugebenden Werte, also quasi das Erbe, benennt, haben wir uns für die erstere Möglichkeit entschieden (vgl. auch oben zu 4,3). Wieweit mit dieser Formulierung auf die Sigune-Handlung des Pz. angespielt wird und werden soll (so Rahn [1958, 84 ff.] u. Heinzle, die einen direkten Bezug zu Pz. 440, 3 ff. annehmen), ist nicht zu entscheiden.
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Heinzles These, daß hiermit nicht nur die Begrüßung einer Frau gemeint ist (so Martin, Hollandt), sondern der Beginn eines Minneverhältnisses, wird noch unterstützt durch die Feststellung, daß der Vers mit einer im Minnesang gebräuchlichen Beteuerungsformel (ich weiz wol) beginnt (vgl. die Belege bei Heinzle). Dem entspricht auch, daß der hier geäußerte Gedanke von der positiven Wirkung der Minne auf den Minnenden topisch im Minnediskurs sowohl der höfischen Lyrik als auch der höfischen Epik ist (umfangreiche Belegsammlung bei Willms 1990, 9–21).
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daz … nâhet ] kiusche unde stætekeit sind die beiden Subjekte des konjunktionalen Objektsatzes (daz abhängig von ich weiz wol), der dem Vorhergehenden überdies durch das demonstrative dem herzen verbunden ist, womit das verallgemeinernde swen wieder aufgenommen wird. Das Verb steht vermutlich im Singular, weil die beiden Subjekte (kardinale Gralstugenden) im generalisierenden Satz als Einheit angesehen werden. – Zur Personifizierung menschlicher Eigenschaften vgl. Komm. zu Str. 31,3. imer ] löst Martin in ie mêre („mehr und mehr“; ähnlich Leitzmann) auf, um das „Fortschreiten der Komparation“ zu verdeutlichen, während wir mit Heinzle dies für eine unnötige Verkomplizierung des Gedankengangs halten und die einfachere Übersetzung („jedesmal“, „in jedem Fall“) vorziehen. (Lachmann schreibt imêre, wohl primär aus metrischen Gründen.)
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diu zwei ] Der Pl. Neutr. kann auf zwei Substantive gleichen, nicht-neutralen, hier femininen Geschlechtes (kiusche unde stætekeit) bezogen werden (Mhd. Gramm. § 426). gevirren ] Das geirren der Hs. G ergänzen wir mit allen Hgg. nach der Lesung des JT. Marti übersetzt: „sich voneinander fernhalten“, Hollandt: „sich entfernen“ (vgl. 165,3). Bezogen auf nâhet in V. 2 und neben dâ scheint uns letztere Bedeutung besser, da die erstere lediglich auf eine Doublette von V. 2 hinausliefe und auch mit dem punktuellen Sinn des folgenden Halbverses nicht übereinstimmte (wan mit dem tôde aleine).
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wan mit dem tôde aleine ] Der Tod ist nach Wyss (1974, 262) „das allen Tugenden schlechthin kontingente Faktum“: so sind auch die in der Abdankungsrede Titurels aufgerufenen Gralstugenden unaufhebbar von Vergänglichkeit betroffen: „Wie sehr der Gral auch religiös eingefärbt sein mag, er bietet keine Hilfe gegen das Schicksal, wie es Sakramente doch zu tun beanspruchen“. Anders Classen (1990, 71), der in Titurels Rede den Versuch erblickt, „die neue heranreifende Generation auf die Ideale seiner Zeit einzuschwören“ und entsprechend V. 4 als Drohung interpretiert, „diejenigen zu warnen, die von dem rechten Pfad abzuweichen gedenken.“ Für Bumke (1997, 247) verweist Titurels
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Aussage, „daß die Reinheit und Beständigkeit wahrer Liebe niemals aus dem Herzen weichen soll, ‚außer allein mit dem Tod‘ voraus auf das zentrale Sigune-Thema: ‚Liebe bis zum Tod‘“. Ähnlich weist Mertens (1993, 205) darauf hin, daß mit dem Motiv der Verbundenheit von Minne und Tod, Treue und Tod schon hier das Leitthema des Werkes anklingt. anders ] ist nach Marti als Gen. von niemen abhängig: „niemand anders (sc. als der Tod) kann das in die Irre führen / stören“. Möglich wäre auch, anders als Adverb im Sinne von „sonst“ aufzufassen. daz ] „meint wohl die Tatsache, daß kiusche und stætekeit dem Herzen nahe sind“ (Heinzle). verirren ] sw.V. = „irre machen, in die irre führen“ (BMZ I 754); vgl. Str. 165,4.
6 (La 6) 1– 4 Abweichend von der Tradition, in der der Gral vielfach als lichte Schale dargestellt wird (zu den Vorstellungen vom Gral, wie sie im Pz. irritierend unscharf umschrieben sind, vgl. Bumke [1997, 107 ff.]), tritt er im Tit. nicht gegenständlich als solcher in Erscheinung, wird aber dennoch ganz konkret und materialiter vorgestellt: er wird durch die Botschaft des engel hêre empfangen (V. 1 f.); auf ihm ist die gesamte Gralsordnung schriftlich niedergelegt (V. 3); er ist erstmalig unter den Menschen Titurel als Gabe zuteil geworden (V. 4); der Gral muß verteidigt werden (11,4); er ist im Besitz einer Familie und vererbt sich auf den jeweils ältesten Sohn (12,3). Der Gral meint aber darüberhinaus auch die gesamte gesellschaftliche Institution, die sich auf ihn bezieht; und in diesem Sinne ist 7,4 von des grâles krône und 9,2 vom ingesinde des Grals die Rede. 1
von ] „infolge von, durch“ (Martin, Marti). botschefte ] Von einer solchen Botschaft, durch die oder mit der zusammen Titurel den Gral empfing, erzählt auch Pz. 471,26 ff., sowie der JT 257 ff.
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der engel hêre ] Das hs. here könnte als Adverb wie als Adjektiv gebraucht sein: „die mir der Engel hierher (here) entboten hat …“ oder „die mir der erhabene, heilige Engel (der engel hêre) entboten hat … .“ Obwohl einiges für die letztere Deutung spricht (die Lesung von H, die durch den Doppellaut den langen Vokal markiert; zahlreiche Belege für hêre als Epitheton von engel) wird man diese nicht, wie Heinzle, als die mit Sicherheit einzig richtige bezeichnen können. enbôt mit sîner hohen krefte ] „mit seiner von oben gegebenen Macht“ (Martin), „im göttlichen Auftrag“ (Hollandt). Wolfram erzählt Pz. 454,24 ff. und 471,15 ff., daß eine Schar von Engeln den Gral auf die Erde brachte und ihn dort, ohne daß die näheren Umstände genauer geschildert sind, beließ, wo er seither von berufenen Menschen gehütet wird; die Berufung erfolgt Pz. 471, 26 ff. auch durch einen einzigen Engel. Gegen die Ansicht der Forschung, daß es sich bei diesem Engelsboten um einen der neutralen Engel gehandelt habe (s. Komm. zu 6,4), hat Rahn (1958, 13) zwei Gründe geltend gemacht: 1. das Epitheton hêre, das undenkbar wäre „bei einem Wesen, das nach Trevrizents letzten Aussagen êweclîch verlorn ist“ (vgl. dazu vorstehenden Komm.); 2. das einzelne Erscheinen, während die neutralen Engel immer [?] als Gruppe auftreten.
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Stellenkommentar dâ ] „am Gralstein“ (Martin; entsprechend Marti). Heinzle präzisiert: „an dessen Rand“, wobei festzuhalten ist, daß hier wie im Pz. eine genaue, konkretisierbare Vorstellung von Wolfram womöglich planvoll verwehrt wird. Classen (1990, 71) gemahnt das Bild „eindringlich an die Gesetzestafeln, die Gott indirekt [?] Mose auslieferte“. mîn ] = mînen. orden ] Dieses Wort verwendet Wolfram für die „verschiedensten Ordnungen und Stände und die mit der Zugehörigkeit zu ihnen verbundenen Rechte und Pflichten“ (Heinzle); es ist aber hier sicherlich auf die mit dem Gralsauftrag verbundenen „Obliegenheiten“ (Martin) bezogen, meint also soviel wie: „Ordensregel“ (Marti), „Anordnung, Befehl, Gesetz“ (Hollandt), „Gralsordnung“ (Heinzle). Vgl. Pz. 819,26, wo Anfortas „seinen neuen Stand als Gralsritter“ (Heinzle) und die daraus resultierenden Pflichten (vgl. dazu Komm. zu Str. 7) als mîn orden bezeichnet. Classen (1990, 72 u. ö.) weist darauf hin, daß in diesem Werk, in dem eine Inschrift später eine so verhängnisvolle Rolle spielt, die Gralsworte von Titurel als geschriebene und damit lesbare beschworen werden.
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nie menschlîcher hende ] Vorher wurde der Gral von den sog. Neutralen Engeln, d. h. den Engeln, die beim Kampf zwischen Gott und Luzifer neutral blieben, gehütet (Pz. 471,15 ff.; vgl. Bumke 1997, 108; vgl. auch oben zu V. 6,2). Titurel erklärt mit diesen Worten und mit der gesamten 6. Str., „daß die Existenz des Grals nicht bloß als eine Steigerung der arturischen Gesellschaft aufzufassen sei, sondern daß der Gral auf Grund göttlicher Gnade gegründet wurde“ (Classen 1990, 71). Nach Classen projiziert sich Titurel mit diesen Worten „selber als ein neuer Mose, denn nur ihm allein sei die Gnade und Macht gegeben, von Gott die neuen Gesetzestafeln, d. h. Gottes Worte zu empfangen“ (72).
7 (La 7) 1
Marti setzt nach 6,4 einen Doppelpunkt, weil sie der Auffassung ist, 7,1 sei der Anfang der in 6,3 genannten Ordensregel, und unterstellt, an dieser Stelle solle, wie im Pz., die ganze Gralslehre ausgebreitet werden. Diese Ansicht geht an der Punktualität des Tit., der hier nur kurz ohne jede programmatische Absicht die wichtigsten Gralstugenden des Gralskönigs (kiusche und reine, nach Ranke 1946, 28 „die Quinteszenz dessen, was sein hohes Amt von ihm verlangt“) erwähnt, völlig vorbei. Die Deutungen von kiusche und reine in bezug auf Gral und Gralsgeschlecht (vgl. dazu ausführlich Heinzle), die die Forderung an den Gralsherrn als Reinheit im Sinne des Freiseins von Schuld und Sünde (Schwietering 1946, 27) oder sogar noch einsinniger als Freisein von zwanghafter Triebhaftigkeit (Schumacher 1967, 43) deuten, dürften dem Vers vom Pz. her ein zu großes Gewicht geben.
2
Das Adjektiv süeze wird – wohl nach dem Vorbild des afrz. dous – von Wolfram überaus häufig als Personenattribut für männliche und weibliche Personen gleichermaßen verwendet, und zwar in einer erstaunlichen Bedeutungsbreite (zu Wolfram vgl. W. Schröder: Süeziu Gyburc, Euph. 54/1960, 39 ff.; insbes. auch zur geistlichen Tradition vgl. F. Ohly: Süße Nägel der Passion. In: FS H. Gipper, hg. v. G. Heinz u. a., Bd. 2, BadenBaden 1985, 403 ff.). Daß Wolfram süeze, sei es als Personenattribut, sei es als odor sanctitatis ganz konkret sensorisch denkt, zeigen die hypertrophen Verwendungen Wh.
6/7/8
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62,11 ff.: sölh süeze an dîme lîbe lac: / des breiten meres salzes smac / müese al zuckermæzic sîn, / der dîn eine zêhen würfe drîn (ähnlich Wh. 88,2 ff. vom Tod des heidnischen Minneritters Tesereiz). Allerdings ist der Typus süeze + Personenbezeichnung + Eigennamen, den die Hs. H (ey suesser sun freymuntel) bietet und dem auch Lachmann, Bartsch, Pieper, Martin und Leitzmann (1. Aufl.) folgen, sonst bei ihm nicht belegt, worauf Heinzle hinweist. – Zur Anrede Sigunes mit süeziu maget vgl. Komm. zu 67,1. Frimutel ] Der Name erscheint an dieser Stelle zum erstenmal im Tit. und ohne jede Vorbereitung. Im Pz. wird er als Sohn des Titurel (251,6 u. ö.) und Vater von Anfortas, Trevrizent, Schoysiane, Herzeloyde (Pz. 823,12 ff. u. ö.) und Repanse de Schoye (Pz. 812,1–3) genannt. Hier wird erzählt, daß er als König und Träger des Gralswappens bei einer tjoste um Minne im Dienst seiner Gattin sein Leben verlor als tapferer, gerühmter Held und hêrre übern grâl (Pz. 251,6 ff.; 474,10 ff.). 3
mîner kinde ] Gen. part., wohl (wie Wh. 341,11) abhängig von niht. Möglich wäre, wie Heinzle alternativ erwägt, auch die Beziehung auf aleine. Von den hier genannten Kindern ist nichts Näheres bekannt, im Pz. ist alleine Rischoyde als Vaterschwester Herzeloydes und Gattin König Kaylets von Hoskurast genannt (Pz. 84,10–12). Im JT heißt auch die Gemahlin Titurels Richaude, von der erzählt wird: zwelf kint si was geberende ( JT 459,4). hie behabet dem grâle ] „hier für den Gral am Leben behalten“. Die Stelle verrät nicht eindeutig, was mit den anderen Kindern geschehen ist. Sind sie schon gestorben, bevor sie in den Gralsdienst einbezogen werden konnten oder sind die Söhne, was Marti erwägt, wie später Loherangrin im Pz., weggeschickt und die Töchter wegverheiratet worden?
4
des grâles krône ] wird hier zuerst erwähnt. Im Pz. ist von einer Gralskrone nie die Rede. mîn sun der lieht gemâle ] Der bestimmte Artikel (statt des zu erwartenden Pronomens) in der Anrede „ist mhd. nicht auffällig“ (Marti; vgl. Pz. 740,20 Condwîr âmûrs diu lieht gemâl und Mhd.Gramm. § 422). lieht gemâle = lieht gevar (BMZ II,1,25) = „hellfarben, strahlend schön“. Vgl. Pz. 706,18 (von Itonje), 717,30 (von Parzival), 732,2; 742,28; 801,3 (von Kondwiramurs). Zur Darstellung des schönen Menschen, dessen Schönheit als Schein, Glanz und Leuchten verstanden wird, vgl. Huber 1981, 48 ff.
8 (La 8) Zarncke (1880, 604) hat sich (wie auch Franz 1904, 31, Martin und Leitzmann in der 1. Aufl.) für die Strophenanordnung von H ausgesprochen, da der pointierte letzte Vers dieser Str. das Ende der Rede Titurels besser markiere als der matte additive Lobpreis der Kinder des Gralskönigs, und hat für die von ihm angenommene Umstellung auch eine auf den ersten Blick plausible Erklärung gegeben: danach stellte der Schreiber der Hs. G „die strophe, die von dem sohne handelt, zu den übrigen, in denen von diesem die rede ist, so daß nun Frimutel und seine kinder der reihe nach durchgenommen werden. Er glaubte eine verbesserung vorzunehmen, aber er täuschte sich völlig über die situation und die rhetorische bedeutung der strophenfolge“. Abgesehen von der Tatsache, daß der so sehr auf logische und geschlossene Zusammenhänge achtende Schreiber der Hs. G dann vieles an Unlogischem und ‚Strophen-
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Stellenkommentar
brüchen‘ hätte ‚durchgehen‘ lassen, scheint die ganze Argumentation etwas gesucht zu sein, zumal in der Anordnung von G, die im übrigen auch den Handschriften des JT (außer H) zugrunde liegt, keinerlei Unstimmigkeit vorliegt (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4). 1
bî dînen zîten ] „Zeit deines Lebens“, also nicht nur, wie Marti meint, auf die Jugend Frimutels bezogen, sondern auf dessen ganze bisherige Lebenszeit: „solange du lebst“ (Martin). schildes ambet ] s. Komm. zu 8,2
2
geurbort hurteclîchen ] Vom sw.V. urborn, das bei Wolfram vielfach vorkommt: „etwas als urbor (‚sowohl das grundstück, das eine rente erbirt, als die rente, die davon erborn wird‘ BMZ I 151b) inne haben und nutzen“. hurteclîchen vom mhd. st. Mask. hurt (frz. heurt) = „Stoß, Anprall, stoßendes Losrennen beim ritterlichen Kampf“. Bezogen auf schildes ambet hieße also der ganze Ausdruck: „Du hast zeit deines Lebens den Ritterdienst wie einen Acker behende mit deinen Speerstößen als Zinsgut genutzt (= daraus Zinsen geschlagen), d. h. ihn kraftvoll und ehrenhaft ausgeübt.“ Vgl. auch Marti: „urborn swv. beackern, urbar machen; vgl. Pz. 614,25. Der Ritterberuf wird mit einem Akker verglichen“.
2–3 dîn rat was aldâ verklambet ] Für die Deutung dieser Stelle gibt es zahlreiche (bei Heinzle sorgsam aufgelistete) Vorschläge. Begreift man Wolfram als einen Dichter, der mit seinen Bildern sehr anschaulich (wenn auch im Rahmen der gewählten Bildlichkeit zugleich sehr frei und eigenmächtig) verfährt, so darf man die Deutungen, die sich auf rât = nhd. „Vorrat, Verteidigungsmittel“ oder nhd. „Rat“ stützen (Heinzle unter III.) für diese Textstelle wohl ausschließen, da das sw.V. verklamben = „fest zusammendrücken, einklemmen“ und ganz entsprechend das Bild des Herausziehens (ûz … ziehen) in V. 3 nicht mit diesen Vorstellungen zusammenpassen, hervorragend jedoch mit dem alternativ zur Wahl stehenden rat = nhd. „Rad“ (entweder „Glücksrad“ oder „Pflugrad“). Von den Deutungen, die sich auf die Glücksrad-Tradition beziehen, scheidet die Vorstellung des stehenden und als solches von Fortuna begünstigsten Rades (Heinzle unter I.1) schon deshalb aus, weil sie mit der stark negativen Grundbedeutung von verklamben nicht in Einklang zu bringen ist, was übrigens auch für die Deutung Fourquets (Heinzle unter II.2) gelten dürfte, wonach das Rad nicht eingeklemmt, sondern fest an die Furche gedrückt sei und mithin ein Lob der Tüchtigkeit Frimutels darstelle. So scheinen uns allein die beiden verbleibenden Möglichkeiten – das festgeklemmte Glücksrad bedeutet Unglück (Heinzle unter I.2) sowie das festgeklemmte Pflugrad bedeutet Unglück wie z. B. Gefahr im Kampf (Heinzle unter II.1) – diskutierbar und somit gegeneinander abzuwägen. Bei der ersteren würde sich das aldâ beziehen auf schildes ambet in V.1; Frimutels Glücksrad wäre nach Titurels Worten eingeklemmt gewesen im schildes ambet, was in diesem Falle gleichbedeutend wäre mit rîterschaft (V. 3); denn dem Bild des Eingeklemmtseins korrespondiert das des Herausziehens. Ritterschaft könnte sich an dieser Stelle dann nicht beziehen auf das Gralsrittertum, sondern vielmehr auf das höfische Minnerittertum, in dessen Dienst Frimutel, wie der Pz. 251,6 ff. berichtet, nicht nur manegen prîs erwarb sondern später auch den Tod fand (der lac von einer tjoste tôt, / als im diu minne dar gebôt). Das verklambet ließe sich dann dahingehend deuten, daß Frimutels Glücksrad durch seine weltliche Ritterorientierung festgeklemmt war und nicht aufsteigen konnte zu der höheren Stufe des Gralsrittertums, auf die erst sein Vater ihn dann ziehen mußte. Allerdings bleibt bei dieser Version das Bild des ûz ziehens
8
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problematisch (wie letztlich schon das des Eingeklemmtseins); es läßt sich vom Glücksrad nicht recht vorstellen, es sei denn, man würde eine unkonkrete Bedeutung (etwa „herausnehmen, entfernen“) annehmen. Auf der Ebene der Bildlichkeit ist die andere Version deutlich einheitlicher: mit dem geurbort von V.2 wäre der Bildbereich des Ackerbaus bezeichnet (vgl. auch Pz. 544,15 f., wo es von einem Fährmann heißt: von anders nihtiu gienc sîn pfluoc: / daz dûht in urbor genuoc), der auch in der Metaphorik des Kampfes sehr gebräuchlich ist (vgl. Wh. 244,22 f., 327,22 f. und Strickers „Daniel“ 5054 ff.). Das eingeklemmte Pflugrad und das Herausziehen dieses Rades würden diese Vorstellungen sinnvoll weiterführen. Seltsam bliebe bei dieser Deutung allerdings, daß Titurel das Pflugrad Frimutels wieder in Gang bringt, indem er es (= ihn) ganz vom Acker nimmt. Wenn er vorher den Acker der rîterschaft erfolgreich beackert hat und dann sein Rad festklemmte, hieße das doch, daß es mit dem Beackern nicht mehr so recht gehen wollte, nicht aber, daß er sich zu sehr auf dem Acker betätigte, bis er von Titurel quasi auf seinen neuen Acker, den Gralsacker gesetzt wurde. Oder darf man bei verklambet auch daran denken, daß das Pflugrad durch Frimutels einseitiges Engagement im schildes ambet nur auf die Ackerfurche eingeengt war, es also quasi um eine lineare Einengung geht, aus der ihn der Vater herausnimmt? Solches einseitiges Engagement im weltlich-höfischen Rittertum kennen wir aus dem Pz. schließlich auch sonst, vor allem von Anfortas (Pz. 472,21 ff.), aber auch von Trevrizent (Pz. 495,13 ff.). Möglicherweise ist deshalb das der in V. 3 demonstrativ (mit Tonversetzung) aufzufassen, bezogen auf V. 1 u. 2: uz dér ríterscháft muose ích dich zíehèn = „aus dieser höfischen Ritterschaft mußte ich dich herausziehen.“ Anders argumentiert Schirok (1974, 370), der V. 8,4 so interpretiert, daß Titurel seinen Sohn früher im Kampf unterstützt hat. „Damit würde für rîterschaft (8,3) die Möglichkeit ‚Ritterwürde‘ entfallen, und es käme nur die Bedeutung ‚Ritterkampf‘ in Frage. ziehen ûz muß dann ‚retten‘ und nicht ‚aus dem Ritterstand herausholen (= befördern)‘ heißen. Das wiederum setzt voraus, daß Frimutel in Bedrängnis war. dîn rat was alda verklambet (8,2) kann damit nur negative Bedeutung haben, gleichgültig für welche Deutungsmöglichkeit man sich entscheidet.“ 4
nu wer dich, sun, aleine ] Dick (1992, 404) sieht in dieser besorgten Äußerung Titurels, „wenn die Kraft des Sohnes ohne die Hilfe des Vaters in Frage gestellt wird“, ein erstes Anzeichen für die Erfahrung, daß die „biologische Komponente der eingangs artikulierten Heilskonzeption […] mit innerer Notwendigkeit an ihre Grenzen“ stößt. „Angesichts der Allgewalt des Todes erweist sich die Kraft der hohen Minne schon aufgrund ihrer biologisch-kreatürlichen Hinfälligkeit als wenig verläßlich.“ mîn kraft wil uns beiden enphliehen ] Eine merkwürdige Formulierung, weil man erwartet, daß der alternde, kranke Gralskönig seine schwindende Kraft als solche beklagt: mîne kraft wil mir enphliehen. So aber bezieht er zugleich den Sohn mit ein, jenen Frimutel, der in diesem Text und auch sonst so seltsam blaß bleibt, ohne Kontur. Titurel spricht zu ihm, als ob er diese Konturlosigkeit ausgleichen müsse und bisher auch ausgeglichen habe. Oder ist die Stelle so zu verstehen, daß Titurel auch noch während der Gralsherrschaft Frimutels das Herrscheramt mit ihm ausgeübt hat?
188
Stellenkommentar
9 (La 9) 1
berâten ] mit Gen.Pl. (fünf werder kinder) = „jmd. mit etwas beschenken“ (Marti; vgl. auch Pz. 374,11).
2
dem grâle ] Die Hs. H schreibt (in Übereinstimmung mit den meisten Hss. des JT) hoch bey dem grale, gibt der Stelle also gegenüber dem possessiven Dativ von G einen konkret örtlichen Sinn. ingesinde ] erklärt Marti unter Hinweis auf Pz. 297 f. als: „Gefolge, das ins Haus gehört“. Vgl. Str. 18,2.
3
der snelle ] Martin und Marti erklären das Epitheton nicht im älteren allgemeineren Sinne von „stark, tapfer“, sondern im Vorgriff auf Str. 138,3, wo Trevrizent (dort allerdings mit dem Epitheton der reine) als Beispiel eines besonders schnell laufenden Ritters genannt wird, als „schnell, geschwind“. Nach Mertens (1996, 374 f.) ironisiert Wolfram in seinem Spiel mit der Doppelbedeutung von snel „den heldenepisch-traditionellen Stil der stereotypen Beiwörter“ (vgl. auch Komm. zu 138,3).
4
der helle ] Das Adjektiv steht hier, wie häufig bei Wolfram, prädikativ mit bestimmtem Artikel (vgl. etwa Pz. 198,18 sô wurde ich der verlorne). hel = „laut tönend, weithin klingend“ wie etwa auch Str. 137,2 u. Pz. 63,2 (vgl. Marti).
10 (La 10) 1
Dîn ] Heinzle macht darauf aufmerksam, daß die Vorzeichnung der Initiale (entsprechend der Lesart von H: Mein tochter Tchrosiane) m sein könnte. Streng genommen gibt diese Variante keinen Sinn, da im engeren Sinne Schoysiane nicht die Tochter Titurels ist. Als Gralsträgerin (vgl. Str. 24,4) könnte der alte Gralskönig sie vielleicht Tochter nennen, um ihre Bedeutung für den Gral und seine enge Beziehung zu ihr auszudrücken.
2
des ] Lachmann, Martin, Piper und Gibbs/Johnson lesen dês (= daz ez) = „daß es das Wohl der ganzen Menschheit fördert“ (Martin); Marti (und ebenso Heinzle) versteht den Nebensatz als „Relativsatz mit konsekutiver Bedeutung“: „daß die Welt davon Segen empfängt“ (Heinzle).
3
den selben willen ] heißt hier nicht „den gleichen Willen“, sondern soviel wie: „die gleiche Gesinnung“ (Marti) oder: „die gleiche Absicht“ (Heinzle). selben bezieht sich dabei wohl nicht auf den Nebensatz (so Heinzle: „die Absicht, die Welt an sælden geniezen zu lassen“), der ja erst die Folgerung aus dem Hauptsatz zieht, sondern auf den Hauptsatz selbst: „Herzeloyde besitzt die gleiche Gesinnung, nämlich: in ihrem Herzen so viele Tugenden zu bergen, daß die ganze Welt damit gesegnet wird.“
4
Urrepanse de schoyen lop ] Vom Namen Urrepanse de schoye, den Wolfram offenbar als Einheit auffaßt (Martin, Heinzle), ist hier der Gen. gebildet, abhängig vom Beziehungswort lop (= Akk.Obj.). Da die Hs. G auch im Pz. durchwegs die Namensform Urrepanse (gegenüber sonst Repanse) de schoye aufweist, vermutet Marti „einen Fehler der Urhandschrift der G-Rezension“.
9/10/11/12
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ander lop ] = „der Ruhm anderer“ (Marti). Da es an dieser Stelle eindeutig darum geht, den Ruhm Urrepanses herauszustellen, muß das erstgenannte lop Akk. Objekt, das zweitgenannte Subjekt sein.
11 (La 11) 1
rîter unde frouwen ] Zunächst werden die Zuhörer der letzten Rede Titurels, die mit Str. 10 endet, mit dem allgemeinen und formelhaften zusammenfassenden Ausdruck bezeichnet, bevor dann mit den templeisen (V. 2) die ritterliche Gralsgemeinschaft benannt wird.
2
templeisen ] „Wolframs Schilderung der Gralsgesellschaft ist so strukturiert, daß die Zuhörer sicherlich in erster Linie an die geistlichen Ritterorden denken sollten […].“ Die Bezeichnung templeise für die Gralsritter klingt „nicht zufällig an die Ritter des Tempelordens, die templarii an“ (Bumke 1997, 120). Der Templerorden, 1119 zum Schutz der Jerusalempilger gegründet, war einer der drei großen geistlichen Ritterorden. Über die Bildung des Wortes templeise vgl. ausführlich Heinzle.
3
er ] = Titurel, der hier, obwohl die beiden vorhergehenden Sätze andere Subjekte haben, nicht eigens namentlich genannt wird, weil er in den Emotionen der Zuhörer nach seiner langen, bewegenden Rede noch ganz präsent ist.
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werte ] Die Hs. H schreibt ritterlichen werte und greift damit das rîter von V.1 auf. Für diese Lesart haben sich Lachmann, Leitzmann und Gibbs/Johnson entschieden.
12 (La 12) 1
der swache ] Wie in Str. 9,4 prädikativ mit bestimmtem Artikel (vgl. Marti). Die Trauer, die sich hier bei den Hörern der Rede verbreitet, führt Classen (1990, 72) darauf zurück, daß der Gralsgemeinde nicht nur Titurels Begabung als militärischer Führer, sondern vor allem seine spirituelle Kraft verloren geht.
2
siecheit ] = Gen., abhängig von ungemache: „infolge der Beschwerlichkeit der Krankheit“. Die hier erwähnte Krankheit Titurels wird Pz. 501,26 f. genannt: ein siechtuom heizet pôgrât / treit er, die leme helfelôs („Podagra hat er, eine Lähmung, gegen die kein Mittel hilft.“). Podagra = Gicht.
3
besaz ] Gegen Martin (besitzen hier „in Besitz nehmen“) interpretiert Heinzle besaz als: „hatte im Besitz“, „denn das daz der folgenden Zeile wird man wohl auf die Aussage dieses Satzes zu beziehen haben, und es liegt näher, daß der Zustand der Herrschaft über den Gral, nicht der Vorgang der Inbesitznahme wunsch über irdeschiu rîche genannt wird […]. Dagegen scheint in der durch H (= JT ADEHJKXYZ) repräsentierten Texttradition [das ist der] wunsch ob irdischem rîche auf den Gral bezogen zu sein, denn nur dann ist das Präsens in Zeile 4 sinnvoll“.
4
der wunsch über irdeschiu rîche ] Mhd. über steht normalerweise mit dem Akkusativ (vgl. Mhd.Gramm. § 384). wunsch bezeichnet im Mhd. das Höchste, das Ideal. rîche dürfte hier Akk. Pl. sein vom st. Neutr. rîche = „Reich, Land, Herrschaft“; der ganze Satz
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Stellenkommentar hieße demnach: „das (nämlich die im V. 3 f. genannte Gralsherrschaft) war das Höchste über irdischen Reichen / übertraf alle irdischen Reiche“. Heinzle erwägt auch die nur für Lectio H mögliche Alternative, rîche als Adjektiv aufzufassen, mit Interpunktion nach wunsch: daz was der wunsch, ob irdischem rîche = „die Herrschaft über den Gral war das Höchste, herrlicher als alles Irdische“. Davon, daß die Gralsherrschaft in ihrer Einmaligkeit höher ist als alle sonstige irdische Vollkommenheit und geradezu paradiesischen Charakter gewinnt, spricht auch der Pz. (vgl. Pz. 235,21 ff.; 254,26; 470,14).
13–24 (La 13–24): Schoysiane Der nach der einleitenden Rede nun folgende Einsatz des episch-berichtenden Erzählens tritt ganz als genealogisch strukturierte Vorgeschichte der Protagonisten Sigune und Schionatulander auf. So gliedert sich die Erzählung zunächst auch in großer äußerer Klarheit in zwölf Strr., die den Eltern Sigunes und ihrer Geburt gewidmet sind, bevor wiederum zwölf Strr. (25–36) von Sigunes Heranwachsen berichten. Daß die Genealogie – eine als solche durchaus übliche Einleitung epischen Erzählens – entgegen der hierarchischen Ordnung und auch entgegen der Rede Titurels mit den Töchtern beginnt, auch daß „das Zwei-Töchter-Motiv […] zunächst unmotiviert“ wirkt (Dick 1992, 403), mag als programmatisches Aufmerksamkeitssignal bewertet werden: Diese Geschichte kündigt sich hier an als Geschichte der weiblichen Seite – zum einen im Gegensatz zu dem erst später vorgestellten männlichen Protagonisten (was vom Erzähler mit der Höherrangigkeit der königlichen Gralssippe in Str. 43 eigens begründet wird; s. Komm. dort), zum zweiten im Gegensatz zum Pz., in dem zwar die Gralssippe auch über die weibliche, mütterliche Linie mit dem Protagonisten in Verbindung steht, der aber selbst die Geschichte der männlichen Seite der Gralsfamilia in der vierten Generation erzählt. Der nach der Abdankungsrede eigentümlich übergangslose (Dick 1992, 403) und kommentarlose Beginn der Handlung stellt sich zunächst nur als Wechsel der Erzählperspektive und der Erzählmittel dar: Die Motive aus Titurels Rede, die Genealogie der Gralssippe, die Ordnung der rîterschaft zwischen strît und minne, die das Gralsgeschlecht auszeichnende triuwe finden ihre Fortsetzung im epischen Bericht. Doch wird er nicht nur geprägt von zentralen Motiven der Rede, sondern auch vom resignativ-elegischen Tonfall, der sich noch gewaltig verstärkt, so daß „die Weltklage […] nun fast zum Refrain“ wird (Wehrli 1974, 20). Die Vor- und Jugendgeschichte der weiblichen Protagonistin ist entworfen als Genealogie, die – gleichsam als düstere Rudimentär-Form einer Enfance – nur noch einen „Katarakt des Leides“ (Wehrli 1974, 24) gebiert. So wird „die Sippen- und Erbkonzeption Titurels als Instrument der Heilssicherung schon im ersten Anlauf signalhaft diskreditiert“ (Dick 1992, 404), und zwar nicht, indem sie Schuld oder Schwäche menschlichen und idealiter nur vorläufig un-
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idealen Handelns unterliegt, sondern indem sie dem baren Faktum des natürlichen, allgegenwärtigen Todes, gleichsam der Vergänglichkeit als solcher (vgl. Wolff 1965, 553 ff.) ausgeliefert wird. „Der art allein verbürgt nicht die Realität der sælde“ (Ortmann 1980, 38), denn der Eintritt der Erzählung in die epische Zeit offenbart ein Desaster, das seine Leitmotive hat – Leitmotive, die bedeutungsschwer eine Vielzahl von Beziehungen eröffnen und gewaltige Horizonte aufreißen, sie aber allenfalls nur andeutungsweise explizieren: Das Motiv des allgegenwärtigen, plötzlichen und gewaltsamen Frauen- und Rittertodes (hier Schoysiane, später Kastis, Tampunteire, Kardeiz, Gurzgri – sämtliche im Tit. erzählten Liebesgeschichten enden tödlich); die weibliche Partnerwahl unter Stand (Schoysiane und Kiot, später Herzeloyde und Gahmuret, Sigune und Schionatulander, Clauditte und Ehcunat); die Abkehr vom ritterlichen und höfischen Leben (hier Manfilot [im Pz. heißt er Manpfilyot] und Kiot, im Pz. Sigune, Herzeloyde, Trevrizent); später kommt hinzu das Motiv der nicht voll erfüllten Liebesbeziehung oder Ehe (Herzeloyde und Kastis, später Florie und Ilinot, vom Pz. her Sigune und Schionatulander). Erzählerisches Kontinuum, wie es zunächst in nachgerade unerbittlich-konsequenter Lakonie beschworen zu werden scheint, erlebt schon hier zu Anfang weitreichende Erschütterungen durch einen Erzähler, der sich im entscheidenden Moment ins Spiel bringt, kommentierend, vorausdeutend, identifizierend, der Namen und Geschehnisse vorenthält und nachträgt, der ständig „Verstöße gegen alle erzählerische Ökonomie“ begeht, indem „einzelne Strophen oder Strophengruppen […] ihrer Organisierung in einem motivierenden Zusammenhang nachvollziehbarer Ereignisse“ widerstreben (Wyss 1974, 264; vgl. etwa Komm. zu Str. 17,1–2 u. Strr. 18/19). Dazu gehört auch, daß die genealogische Entfaltung, kaum daß sie angefangen hat, unterbrochen wird, indem der Gralssippe eine Katelangen-Sippe von drei Brüdern beigesellt wird, die ein eigentümlich geprägtes und eng mit der Gralsippe verwobenes Schicksal hat (Kiot als Schoysianes Mann, Tampunteire als Schwiegervater Parzivals, Manfilot in seiner Absage an das Rittertum um des unglücklichen Bruders willen als eigentümliches Gegenstück zu Trevrizent; vgl. Komm. zu Str. 23,3– 4), die aber ohne weitere Herkunft gleichsam aus dem Nirgendwo kommen und sogleich wieder durch Tod oder freiwillige Absage ans Handeln aus der Handlung entfernt werden. Aus dem Pz. waren alle schon bekannt – doch Tampunteire nur als Toter, Kiot und Manfilot als gewesene Ritter und schattenhafte Existenzen an Kondwiramurs Hof (vgl. Komm. zu 14,1). Was im ersten Moment wie eine historisch-genealogische Erzählung von weither anhebt, gerät zu einem zugleich eiligen und verwirrenden Durchschreiten
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Stellenkommentar
einer epischen Landschaft, in der die Konstituenten der höfischen Welt zu leblosen Ruinen geworden sind und als „zitierte Requisiten“ (Bertau 1983b, 78) in einer verfallenden, abdankenden, vergänglichen, auf den Tod zulaufenden Welt vorgeführt werden. War schon die Sigune-Handlung des Pz. „fast nur noch zum Ergebnis geronnenes Geschehen“ (Haug 1980, 10), so wird hier Vergeblichkeit und Verfall vollends zum erzählerischen Prinzip des „Erzählens vom Ende her“ (Haug 1980, 14): „Das finale Telos ist mit einer solchen Konsequenz zum Ausdruck gebracht, daß alle erzählerische Entfaltung demgegenüber banal wird“ (Bertau 1983b, 79). 13 (La 13) 1
von den iâren ] den ist demonstrativ, wird ergänzt durch den mit daz eingeleiteten, folgenden Nebensatz (V. 2). Mit den beiden Töchtern Frimutels, Schoysiane und Herzeloyde, deren Geschichte im folgenden erzählt wird (Strr. 12–24 bzw. 26–35), setzt die epische Handlung ein, indem deren „Minnereife“ und damit der Gesichtspunkt des „Minne-Erbes der Gralssippe“ betont wird (Dick 1992, 403). Dick weist zudem darauf hin, daß das „Zwei-Töchter-Motiv“ eine Parallele in der Brackenseil-Erzählung, der Geschichte der beiden Schwestern Florie und Clauditte (Strr. 151–158) findet (vgl. auch Komm. zu Strr. 149–158).
2
gein hôher minne ] Der programmatische Terminus hôhe minne taucht in den einleitenden Erzählungen dreimal in signifikanten Zusammenhängen auf (3,1; 13,2; 23,4) und gewinnt nach Dick (1992, 407) „eine nicht zu übersehende Ambivalenz“ noch vor dem Einsetzen der eigentlichen Minnehandlung, wo der Terminus dann ganz fehlt (vgl. Komm. zu Str. 3,1– 4; als eigentümliche Variante muß die Formulierung Str. 92,1 lât in hôhe minnen gelten, ähnlich werdiu minne 107,3). Bedenkenswert scheint insbesondere die Auffassung von Willms (1990, 242 f.), die diesen Vers mit anderen Belegen aus der höfischen Literatur zusammenstellt, in denen der Begriff hôhe minne wenig programmatisch-ideologische Qualitäten hat, sondern bloß caritatem magnam meint: „Die hohe Minne will auch nichts anderes, hat kein anderes Ziel als alle Liebe“. an vriundes arm ] Wird arm als Akk. aufgefaßt, so stehen gein hôher minne und an vriundes arm gleichgeordnet und parallel bezogen auf volwahsen: Zu übersetzen wäre etwa mit Richtungsakk. „hingewachsen an den Arm des Geliebten/Ehemannes“ (ähnlich Martin, Marti). Sinnvoller scheint es, mit Heinzle einen (apokopierten) Dativ anzunehmen und eine Ergänzung zu gein hôher minne zu lesen: „zu Hoher Minne im Arm eines Geliebten/Ehemannes herangewachsen“.
3
schône gerte ] Über den beiden Worten gerte schone sind in Hs. G je drei im Dreieck angeordnete Punkte notiert, die – angesichts des Reimes, des Reimpunktes nach gerte und Lectio H – mit Heinzle „wohl als Umstellungszeichen aufzufassen sind“. gerte steht im Sg., da es sich auf das Subjekt vil (V. 4) bezieht, von dem erst der Gen. Pl. künge abhängt.
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Das im Text wiederkehrende Motiv der weiblichen Partnerwahl unter Stand (vgl. einleitenden Komm. zu diesem Abschnitt) wird hier bei seinem ersten Auftauchen durch antithetische Syntax und das adversative doch emphatisch betont. Rogozinski weist auf
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die für den vierten Vers typische Figur der Antithese hin, die häufig dem Strophenschluß besonderes Gewicht verleiht (weitere Bsp. Rogozinski 1903, 46 f.). Angesichts der Rhetorik dieser Stelle und der Bedeutung der Standesdifferenz im weiteren Text erscheint es kaum sinnvoll, wie von Heinzle erwogen, fürste ständisch unspezifisch als „Landesherr“ aufzufassen, was zudem für Wolfram nicht belegt ist. Darüber hinaus wird in Str. 22,1–2 ausdrücklich gesagt, daß der fürste Kiot sein Land zu Lehen hatte von seinem Bruder, dem künge Tampunteire.
14 (La 14) 1
Auch Kiot ist schon aus dem Pz. als Mann Schoysianes und Vater Sigunes (477,2 ff.), als Bruder Manfilots und Tampunteires und Vaterbruder der Kondwiramurs (186,21 ff.; 190,9) bekannt. Katelangen wird als Herzogtum (der herzoge Kyôt / von Katelangen Pz. 477,4 f.; 799,28) von König Tampunteire, dem Herrscher des Landes Brobarz, als Lehen vergeben (Str. 22,1–2; vgl. Komm. dort) und ist das mehrfach genannte Erbe Sigunes (Duzisse ûz Katelangen 57,1; fürstin ûz Katelange 114,1; ‚mîn lant ze Katelangen‘ 170,2). Kiot führt allerdings im Pz. zunächst zusammen mit seinem Bruder Manfilot eine seltsam schattenhafte, undeutliche Existenz am Hofe des schon toten Bruders Tampunteire, bevor er am Ende des Pz. nochmals eine größere Rolle als Begleiter der Kondwiramurs und Erzieher des Parzival-Sohnes Kardeiz spielt (Pz. 797 ff.; vgl. Komm. zu Str. 23,3–4 und einleitenden Komm. zum Abschnitt). Schmid weist darauf hin, daß im Pz. der Liebeswunsch in den Einflußbereich der mütterlichen Verwandten falle, so daß etwa im Fall Parzivals durch die Wahl der Kondwiramurs „die Richtung, welche der Heiratswunsch der Mutterschwester Schoysiane nahm […] – ihm unbewußt – seine Gattenwahl orientiert“ (1986, 188). Man mag eine Erklärung für die große Rolle der Katelangen-Sippe im Tit. darin sehen, daß Wolfram hier nochmals eben diesen Mutterschwester-Bereich expliziert, der vom Pz. her zwar den Verwandtschaftsverhältnissen nach, aber nicht von personalen Motiven her (Heiratswunsch Schoysianes, Rückzugsmotive Kiots und Manfilots) bekannt ist.
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Die Ergänzung sît noch ê, die Lachmann nach H und JT vornimmt (etwas anders Leitzmann), löst die metrischen Schwierigkeiten der Lectio G, ist aber inhaltlich wohl weder nötig noch bereichernd (dazu Mohr 1977, 127 f.). bî sunnen noch bî mânen ] Die Hyperbel erlaubt zwei Deutungen. Die meisten Kommentatoren und Übersetzer sehen hier eine Umschreibung für „weder bei Tag noch bei Nacht“ = „noch nie“ (vgl. etwa Martin; bî sunnen und bî mânen ist im Sinne von „bei Sonnenlicht / Mondlicht“ = „bei Tag / Nacht“ jeweils bei Wolfram belegt; s. Heinzle). Formal ist dies als metonymischer Ausdruck zeitlicher Totalität (oder auch räumlicher Totalität im Sinne von „unter dem Himmel“ [Hollandt u. a.]; mhd. Belege dafür bei Heinzle 1989, 487 f.) zwar stimmig, doch als konkretisierbare Beschreibung des Sehens und Erblickens in dieser Zusammenstellung so nicht belegt und nicht unproblematisch: So geläufig die Formulierung ist, daß es beim Licht der Sonne oder auch unter der Sonne nichts Schöneres zu sehen gibt, so ungewöhnlich mutet die Vorstellung an, bei Mondlicht, also nachts nach außergewöhnlicher Schönheit zu suchen, die bei Sonnenlicht nicht gesehen worden sei. Nimmt man den Ausdruck nicht als formelhafte rhetorische Trope, als topische Formulierung, sondern erlaubt eine wörtliche Konkretisierung, so darf man sich fragen, welche Mädchenschönheit ein höfischer Ritter im
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Stellenkommentar Mondlicht erblickt. Da bei Wolfram zahlreiche Witze mit eben solcher Konkretisierung scheinbar zunächst nur metaphorisch-formelhaft gebrauchter Bildvorstellungen arbeiten, kann man vermuten, daß hier im Rahmen einer Beschreibung von größter Allgemeinheit unvermutet die Vorstellung einer intimen, evtl. auch erotischen Begegnung aktiviert wird (vgl. etwa die Tageliederotik). Ein sicherlich außergewöhnlicheres und schwierigeres, aber durchaus denkbares Verständnis dieser Formulierung ergibt sich, wenn man Heinzles Erwägungen folgt und bî (wie für Wolfram etwa Wh. 364,21 belegt) vergleichend, im Sinne von „neben“, „im Vergleich mit“ auffaßt: Sonne und Mond sind als Lichtkörper Kristallisationen höchster Schönheit und als Vergleichsobjekte menschlicher Schönheit insbesondere auch in der höfischen Literatur ubiquitär (etwa Heinrich von Morungen MF 122,4; 123,1; 134,37; Burkhart von Hohenfels KLD X).
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geniezen mit Gen. = „den Nutzen von etwas haben“ oder „Freude an etwas haben“. Ob damit bloß allgemein gesagt sein soll, daß er über viele Vorzüge verfügte (so etwa Martin), daß er zahlreichen Lohn für seine tugent und sein Streben nach hôhem prîse (V. 4) erhalten hatte, daß er sich an tugent freute (so wohl Heinzle), oder ob der Nutzen und Lohn konkret in der gelungenen Werbung um Schoysiane besteht (so Marti), ist wohl nicht zu entscheiden.
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Zu den Lesarten des Verses und ihren möglichen Abhängigkeiten vgl. Mohr 1977, 128. Im Text werden die ritterlichen Fürstentugenden ellen und milte, fortitudo und liberalitas in einer Reihe von bemerkenswert ähnlichen und doch varrierenden Umschreibungen formuliert: vgl. Strr. 4,2; 16,2 u. 106,2–3.
15 (La 15) 1– 4 Für Mohr (1977, 128) zeigt diese Str. beispielhaft Vers für Vers, daß die Hs. H eine Redaktion des Textes repräsentiere, die durch wenig sinnverändernde Einfügung kleinerer Wörter die durch G repräsentierte Textfassung metrisch zu glätten trachtet. 1
brâht ] Für eine Bedeutung von bringen im Sinne von „einholen, heimführen“, wie Marti annimmt, findet sich kein Beleg. Sämtliche Übersetzer entscheiden sich für eine Bedeutung im Sinne von „bringen, führen, geleiten“ (mit angemessenem Gefolge) oder „zuführen“ (Simrock, San-Marte, Matthias, Hollandt), wofür auch die dem schône bringen entsprechende und angemessene Gegenbewegung des rîlîche enphangen spricht (zu den „mütterlichen Verwandten als Frauengeber“ bei Wolfram vgl. Schmid 1986, 187 ff.). Hauer (1992, 16) weist darauf hin, daß diese Bewegung des Gebracht-Werdens signifikant für die eigentlich statische und passive Position der weiblichen Figuren im Text ist. rîlîche ] Adv. zum Adj. rîche. Ins Germ. entlehnt von kelt. *rig- (= „König“), zu got. reiks (= „Herrscher“) und lat. rex, regius („König, königlich“), liegt hier noch die ursprüngliche, konkrete Bedeutung „wie eine Königin“, „wie es einer Herrscherin gebührt“ nahe gegenüber der zumeist allgemeiner gebrauchten Bedeutung „prächtig“ oder der jüngeren, materiellen Bedeutung „aufwendig, kostbar“ (vgl. kosteclîche V. 4 u. Komm.).
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Tampunteire ist aus dem Pz. als König des Landes Brobarz mit der Hauptstadt Pelrapeire (Pz. 180,25 ff.), Vater der Kondwiramurs (Pz. 194,18) und des Kardeiz (Pz. 293,12)
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und Bruder Manpfilyots und Kiots von Katelangen (Pz. 186, 20) bekannt. Er tritt im Pz. nur als schon verstorbener Vater und Erblasser auf, und auch die weiteren Ausführungen im Tit. bringen keine Erhellung über seinen Tod (vgl. Str. 28,1–2 u. Komm. dort). Daß die unvermittelte Nennung Tampunteires an dieser Stelle einen Verstoß gegen die „erzählerische Ökonomie“ (Wyss 1974, 264) darstelle, da sie die genealogisch orientierte Familiengeschichte der Gralssippe unterbricht, ist fraglich: Durch die Anwesenheit eines Königs, der ganz dezidiert und hierarchisch signifikant noch vor den anderen rîchen fürsten ungezalt (V. 3) genannt wird, erfährt sowohl der Hof von Katelangen als auch die Hochzeit selbst eine deutliche Auszeichnung. Daß dergestalt das Prinzip ständisch-hierarchischer representatio und zeremonieller descriptio das Prinzip narrativ-ökonomischer Logik überbietet, kann schwerlich als ungewöhnlich für einen höfischen Text bezeichnet werden. 4
kosteclîche ] Adj. zu koste = „Preis, pekuniärer Wert“ (vgl. kost in Strr. 14,4 u. 106,2 sowie kosteclîchen Str. 146,2), also ursprünglich, wie auch hier, ganz im Sinne materieller Kosten und Aufwandes. Nicht vor Wolfram belegt, könnte diese Bildung möglicherweise auf die auffällige Affinität Wolframs zu Bildern und Vokabular aus der Kaufmanns- und Finanzsprache zurückgehen (vgl. Komm. zu 20,3–4). gesach … bî mangen iâren ] Die meisten Kommentatoren und Übersetzer sehen hier ein Plusquamperfekt (Marti) und beziehen die formelhaft-unbestimmte Zeitangabe auf die Jahre vorher: „… hatte man viele Jahre lang nicht mehr gesehen“. Es ist aber auch möglich, dies auf die folgenden Jahre zu beziehen („… sah man nicht mehr in langen Jahren“ Matthias; ähnlich Fourquet) oder den Zeitraum ganz unbestimmt zu belassen, wie etwa Mohr „… erfuhr niemand in vielen Jahren“ (ähnlich Simrock, Richey). Aus den bei Martin u. Heinzle aufgeführten Parallelstellen läßt sich keine Eindeutigkeit ableiten.
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milte unt ellen ] Vgl. Strr. 4,2, 14,4 u. 106,2 u. Komm. zu 14,4. unverdorben ] Ableitung vom st.V. verderben „zu nichte werden, zu Schaden kommen“, eine Litotes, die nicht vor Wolfram belegt ist (vgl. auch Pz. 545,2 u. 699,16). Vgl. das ähnlich formulierte Lob Kiots in Str. 14,4: sîn herze was … der tât unverdrozzen. Titurel formuliert in Str. 4,3 die von ihm weiter zu vererbenden Tugenden des Gralsgeschlechtes (u. a. auch fortitudo und liberalitas 4,2 u. 16,2) ebenfalls durch die Negation von verderben (hier als Kausativum): des mac niht mîn iunger art ferderben. Die auffallende Nähe der ähnlichen (wenn auch öfter bei Wolfram belegten) Formulierung läßt den angeheirateten Fürsten Kiot gleichsam in der ideellen Erbfolge des Gralsgeschlechtes erscheinen.
3–4 Das ouch (V. 4) der Hs. G scheint dafür zu sprechen, daß in beiden Versen von Kämpfen in verschiedenem Sinne gesprochen wird (in V. 3 ganz allgemein von kraftvollem Kampf, in V. 4 speziell von ritualisiertem Turnierkampf im Minnedienst; so auch Hollandt), und nicht hysteron proteron, „das Spätere als das Frühere“ formuliert ist (so Marti): Zuerst reitet man zur tioste (V. 4), dann erst kämpft man hurteclîche (V. 3; zu hurteclîche vgl. 8,2 u. Komm.). In diesem Sinne steht Kiot abermals in der Tradition von Titurels Rede, der auch Kampf (Strr. 1–2) und Minne (Str. 3) als komplementäre (Str. 4), aber doch zunächst getrennte Aktionssbereiche ritterlichen Lebens formuliert hatte.
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Stellenkommentar
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lieber ] kann sowohl Adjektiv zu wîp, als auch Adverb zu gewan sein (Belege für liep gewinnen bei Heinzle). Heinzles inhaltliche Kritik an letzterer Lösung verfängt nicht, da sie auf einem problematischen Verständnis des Folgesatzes beruht (s. Komm. unten). Hervorhebende, nicht vergleichende Bedeutung im Sinne von „ebenso lieb“ ist erwägenswert, obwohl sehr schlecht belegt (Mhd.Gramm. § 396; erwogen von Docen) und zudem inhaltlich letztlich kaum weniger problematisch als die Rede von einer die Liebe Kiots und Schoysianes übertreffenden Liebesbeziehung (s. unten).
1–2 Alle bisherigen Vorschläge, die ersten beide Verse mit ihren syntaktischen und inhaltlichen Varianten zu deuten und zu übersetzen, müssen als problematisch und unbefriedigend bezeichnet werden. Setzt man nach wîp (V. 1) ein Komma und bezieht das folgende Pronomen der auf jenen fiktiven Fürsten (Übers. Matthias, Rapp; Heinzle), so bleibt zu fragen, inwiefern das Lob des Paares Kiots – Schoysiane durch den Gedanken an einen noch inniger liebenden Fürsten bzw. eine noch liebenswertere Frau beschrieben oder gesteigert werden könnte. Weiterhin bleibt unklar, worauf sich dann das alsus des nächsten Satzes bezieht: Wird die zuvor durch die Steigerung lieber konstatierte Differenz jetzt wieder für unerheblich erklärt und in ihren Folgen doch gleichwertig? Es zeigen sich zwei Alternativen, wie sich zumindest letzterem Problem entkommen läßt: 1. alsus ist nicht adverbial („so, auf diese Weise“), sondern als einen Nebensatz einleitende Konjunktion im Sinne von „so wie“ aufzufassen (was zur Konjektur als ez zwingt; so immerhin Lachmann, Bartsch, Piper, Martin, Leitzmann und Mohr): „Wenn je ein Fürst eine noch liebenswertere Frau gewinnen könnte – was könnte er an inniglicher Liebe empfinden, was die Minne nicht schon jenen zugedacht hatte!“ (ähnlich Mohr). 2. alsus ist doch – wie ohne Konjektur auch nicht anders möglich – adverbial zu verstehen und leitet einen selbständigen Hauptsatz ein, der sich aber deiktisch auf die folgende schmerzliche Wendung der Liebesgeschichte bezieht (so Marti, die sogar Doppelpunkt am Versende setzt; Heinzles Kritik, daß man der Minne nicht intentional solche tödlichen Absichten unterstellen könne, ist wohl angesichts des prekären, ja zerstörerischen Charakters der Minne, wie er in diesem Text etwa Strr. 48–51 beschworen wird, kaum stichhaltig). Nicht berücksichtigt bei all diesen Erwägungen ist das Problem des Verbs doln. Sämtliche Kommentatoren und Übersetzer sehen hier ein allgemeines, neutrales Verb der Empfindung (= „fühlen, erfahren“). Die einzige angeführte Belegstelle (Martin, Marti) für solch neutrale Bedeutung des doch (nach Ausweis der Wörterbücher) unzweideutig ein Erleiden, Ertragen, ein schmerzliches Empfinden ausdrückenden Verbs, ist ironisch oder zumindest als bewußtes Paradoxon im Sinne einer „süßen Last“, einer „schmerzlichen Lust“ gebraucht: Als Herzeloyde Gahmuret zum ersten Mal erblickt, heißt es si dolt ouch wol (Pz. 64,11; die von Heinzle angegebene Stelle aus „Herzog Ernst D“ [424–26] ist wohl tatsächlich eine direkte Nachahmung des Tit.-Verses und als solche ohne Beweiskraft). Einzig Docen hatte schon erwogen, ob hier doln nicht „im Bezug auf ihre baldige Trennung gesagt“ sei. Angesichts dessen ist es fraglich, ob die beiden Verse in Gänze, wie bisher ausnahmslos geschehen, tatsächlich als Apotheose der Minnebeziehung zwischen Kiot und Schoysiane gelesen werden können, oder ob sie nicht vielmehr schon in den Kontext der in Vv. 3–4 manifest werdenden düsteren Prophezeihung gehören. Die erste Phrase läßt sich ebenso als rhetorische Frage auffassen (d. h. Fragezeichen [Benecke 1812, 944;
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Übers. Passage] oder emphatisches Ausrufungszeichen [Marti; Übers. Fourquet] nach wîp): Es geht dann nicht um die obsolete Vorstellung, daß ein anderer Fürst eine liebenswertere Frau als Schoysiane erringen könnte, sondern darum, nach dem Lob des ruhmreichen Minneritters Kiot, nochmals zu bekräftigen, welche unvergleichbare Frau Kiot erworben hatte. Nimmt man nun das Verb doln in seiner pejorativen Bedeutung ernst, so ist nicht zu verstehen, warum jener um der Allgemeinheit der Formulierung willen eingeführte, fiktive Fürst leiden sollte. Angesichts des gesamten engeren und weiteren Kontextes der Stelle, in dem immer von Kiot und aus dessen Perspektive gesprochen wird (vgl. Strr. 14–16, Str. 18,1, Str. 20 und den 3. V. dieser Str.), liegt es durchaus nahe, das Pronomen der nicht auf fürste, sondern auf Kiot zu beziehen: „Hatte je ein Fürst eine liebenswertere Frau erworben (als Kiot)? – Was hatte er (= Kiot) zu erdulden an inniglicher Liebe!“ Bleibt das düster-elegische dolte nach dem zunächst harmlos scheinenden Unvergleichlichkeitstopos der ersten Phrase zunächst noch irritierend und unverständlich, folgt ihm nach signifikant zögerndem Zeilensprung das positive herzenlîchen liebe, das mit dem lieber aus V. 1 eine Klammer bildet (und keine Ditographie aus V. 1 darstellt, wie die Hgg. angesichts der Lectio H liebe ] wünne vermuten). Was im 4. Vers ein schichsalhaftes Lebensgesetz ist, die Verwandlung aller süeze in sûres, ist hier noch paradox als Einheit gedacht (wie dann wieder in Str. 20). Ob sich das folgende alsus kryptisch-resümierend auf das zuvor Gesagte oder vorwegnehmend auf das Folgende bezieht, ist offen: Der Prozeß des Umschlagens der liebe in leit ist als Changieren der Syntax, der Bezüge und Bedeutungen sprachlich realisiert. Solche Undeutlichkeit der zeitlichen Dimensionen von Vorausdeutungen und Andeutungen entspricht der narrativen Technik Wolframs, die er im 2. Fragment vielfach variiert und elaboriert (vgl. Komm unten zu 17,4, zu Strr. 18/19 und insbes. zu 137,4; 143; 159,2; 160,2; 168,2–3; 175,2). 3
nâhet ] Zwar könnte es sich, wie an einigen anderen Stellen des Textes sicher belegt (etwa 74,4; 80,2; 153,1; 154,1; s. Komm. zu 168,2), um eine apokopierte Präteritalform handeln; wahrscheinlicher aber ist es (mit Kiefner [1952, 51] u. Heinzle), „historisches Präsens“ anzunehmen im Sinne eines „Autor-Präsens“ (vgl. etwa Str. 48,1 Owê des, si sint noch ze tump; weiterhin 49,1; 90,2; ähnlich in Strr. 139,2–3 und 140,3, wo ebenso von dem trûren die Rede ist): Der Erzähler formuliert zunächst eine Voraussage im Stile des „traditionellen heldenepischen ‚Verwalters‘ des Stoffes“ (Mertens 1996, 373).
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Der vergängliche und labile Charakter irdischen Glücks, der liebe-leit-Topos, der sicherlich in altestamentlicher Weisheitsliteratur und der Fortuna-Vorstellung sein Fundament hat, findet sich in der höfischen Literatur vielfach in sententiösen und gnomischen Formulierungen (vgl. etwa NL 17,3; NL 2378; Pz. 103,23 ff.; zahlreiche verwandte Belege insbes. bei Wolfram s. W. Schröder: Christliche Paradoxa in Wolframs Wh. In: Euph. 55/1961, 85 ff.). Im Gegensatz zu Labusch, die konstatiert, daß dieser Vers „als Motto über der ganzen Dichtung stehen“ könne (Labusch 1959, 93), weist Wyss darauf hin, daß „die Formel, welche das konkrete Leid zum Refrain verdinglicht“, gerade nicht auf die Haupthandlung, sondern nur auf „eine Episode der Vorgeschichte“ bezogen sei, wodurch sie gerade „ihren eigenen Anspruch [dementiert], das Ganze zu erklären“: In bezug auf Sigune habe sich Wolfram „jeder Verallgemeinerung dieser Art enthalten“ (Wyss 1974, 252). Doch nicht nur ein anderer Umgang mit der Hauptfigur Sigune zeigt, daß der Erzähler Wolfram die Begrenztheit solcher Sentenzen durchschaut, sondern schon die folgende Str., die ebenso den Objektivitätsanspruch und Totalitätsanspruch des Heldenepisch-Formelhaften dementiert und untergräbt, indem sie in völlig gegensätzlicher Erzählerreaktion „den Stoff aus der Distanz in affektive Nähe holt.“ (Mertens
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Stellenkommentar 1996, 372 f.; vgl. Komm. zu Str. 18,2–4). Befremdlicherweise sieht Rogozinski allerdings schon in diesem Vers „eine gewisse elegisch-humoristische Stimmung“ (1903, 20). am orte ] „am Ende, schließlich“. Das st. Mask. oder Neutr. ort bezeichnet „den äussersten (anfangs- od. ausgangs-) punct nach raum u. zeit“ (Lexer II 169), also „Anfang, Ende, Ecke, Spitze“ u.a.m. sûren ] „sauer werden“. Der vielfach gebrauchte Gegensatz zu süeze (vgl. Komm. zu Str. 7,2) ist im Mhd. sûr, wo das Nhd. in metaphorischem Gebrauch „bitter, herb“ bevorzugen würde. Vgl. Str. 72,2 in den süezen sûren arbeiten; Pz. 1,2 daz muoz der sêle werden sûr; Wh. 310,22 daz dir mîn minne ie wart sô sûr. Oft auch in Form der Antithese (bei Wolfram: L 5,36: daz sûre nâch dem süezen; L 9,23 f.; Pz. 514,19; Pz. 531,26; Pz. 644,4; Wh. 12,30 Gîburge süeze wart in sûr) oder des Oxymoron (Pz. 295,4 sîn süeze sûrez ungemach; Gottfried Tr. 60 ir süeze sûr, ir liebez leit). Zu dem schon Ovidschen Oxymoron dulce et amarum s. auch Wechssler 1909, 256.
18/19 (La 18/19) Bis auf Marti bevorzugen alle Hgg. und Heinzle die auch von uns hergestellte Strophenfolge nach H und JT (in G steht die folgende Str. 19 vor Str. 18; zu den Verhältnissen im JT, in dem diesen Strr. das sog. aventiure–Gespräch vorangestellt ist, s. Schröder 1993): Das konkretere gebar mit tôde eine tohter (19,2) steht zu dem allgemeineren gewerte eins kindes (18,1) in einem Verhältnis logischer Präzisierung und Folge. Die von G gebotene Strophenfolge ist daher in unseren Augen als fehlerhaft zu beurteilen (wie auch im Falle der Strophe 78; s. Komm. dort), da sie nicht unter ein – im Tit. allenthalben sichtbares – Brüchig-Werden konsistenter Erzähllogik subsumierbar ist, sondern flagrante Widersprüchlichkeit produziert (anders Bumke 1973, 156, der allgemein feststellt, daß die Strophenfolge in G „nirgends […] eindeutig fehlerhaft sei“). Wohl wird man nicht mit Rogozinski lapidar von der durch lange Geschlechtsregister ermüdeten Aufmerksamkeit sprechen wollen, die der Erzähler nun wirkungsvoll und humoristisch „auffrischt“ (Rogozinski 1903, 11), doch erscheint auch die Erklärung der so düsteren wie eigenwillig-komischen Vorausdeutung (s. Komm. unten) in Str. 18,2–4 durch Heinzle als „kunstvoll erregte Spannung“ noch ergänzungsbedürftig. Die Str. steht am Beginn einer weitergehenden Irration des linearen narrativen Duktus der ansonsten im ganzen stringent und in fast durchgehend elegischem Ton erzählten Vorgeschichte Sigunes: Das die positive Erwartung an die Ehe der ersten Gralstochter formulierende ze rehter zît (so auch Rahn 1958, 15) wird sogleich durch eine Andeutung eingetrübt, von der zunächst nicht klar ist, worauf sie zielt: Die Ablehnung des Erzählers scheint sich zuerst auf das ingesinde, d. h. jenes kint zu richten, bevor erst mit der folgenden Str. deutlich wird, daß sie sich auf das gelten bezieht. In Str. 19 aber wird noch im selben Vers und Satz, in dem nun erklärt wird, daß dieses ingesinde mit dem tôde vergolten wurde, jenes kint aufs Höchste in den von Titurel für seine Gralsdynastie beschworenen Vokabeln gelobt. Entgegen den Erwartungen an eine stringente Erzähllogik mündet das vorweggenommene, noch unerklärte Leid, kaum daß es konkretisiert ist, in ein uneingeschränktes, hypertrophes Lob der vermeintlich an diesem Leid schuldigen Person. Der unklare Bezug der Vorausdeutungen, das eigentümliche Ineinander von größtem Leid und euphorischem Lob (wie es Str. 20 gleichsam in mehrfachen Anläufen, Antithesen und Metaphern zu formulieren versucht; vgl. Komm. dort) und das Zugleich von epischer Hörerlenkung und Hörerirritation zeigen ein Brüchig-Werden des Erzählens an (vgl. einleitenden Komm. zum Abschnitt; allgemein zur Strophenfolge vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4).
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ingesinde ] „alle Personen, die zum Haus / zur familia gehören“; damit können Bedienstete, Vasallen und natürlich auch Sippenangehörige bezeichnet sein, wie hier eine Tochter (vgl. auch Str. 9,2; zur Vorstellung und Lehre des oikos, des „ganzen Hauses“ s. O. Brunner: Das ‚ganze Haus‘ und die alteuropäische ‚Ökonomik‘, in: ders.: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl. Göttingen 1968, 103 ff.). Bertau hat darauf hingewiesen, daß möglicherweise gerade jene in den Texten Wolframs signifikant zahlreichen Selbstinszenierungen in Zusammenhang mit einer hûs–Vorstellung in besonderer Weise eine historische Subjektivität der Person des Autors durchscheinen lassen (Bertau 1983a, 159 ff.).
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gelten ] Im Hinblick auf das im selben Zusammenhang alsbald wieder verwendete Kompositum vom st. V. gelten – die het ir vater Kîôt vergolten mit dem tiuren koufe Str. 24,2 – wird man auch hier einen prononciert pekuniären Sinn („bezahlen“) annehmen können und es zur immer wieder verwendeten Metaphorik des Waren- und Handelsverkehrs stellen (vgl. Str. 20,3–4 u. Komm. dort).
2–4 Dadurch, daß sich die Figur des Erzählers hier mit ihren Lebensumständen imaginiert, die etwa im Begiff des ingesinde wörtlich (vgl. Str. 9,2) und in der Konkretion des hûs faktisch in direkte Korrespondenz treten mit den Lebensräumen der erzählten Figuren, wird man in solcher Unangemessenheit – gerade im Hinblick auf ähnliche Selbstinszenierungen Wolframs in Pz. und Wh. (s. Bertau 1983a, 145 ff.) – einen humoristischen Effekt sehen können (vgl. Strr. 145,4 u. 147,4, wo sich der Erzähler angesichts des Brakken und dessen Leine ebenfalls probehalber als Figur der Handlung fingiert). Sieht man diese extreme Subjektivierung des Erzählers mit der völlig anders gearteten topischen, sentenziösen Objektivierung des Erzählerkommentars der vorhergehenden Str. zusammen, zeigt sich der mögliche Sinn und die Tragweite solcher Selbstinszenierungen: „Dieses dichterische Ich, das nicht mehr im Geschehen aufgeht, sondern sich seiner Verantwortung vor dem Publikum, vor dem Stoff und nicht zuletzt vor sich selbst bewußt ist, konkretisiert und relativiert nicht nur lachend ein Endliches, sondern kann zugleich auch beklagen, daß es ein Endliches ist“ (Wehrli 1974, 20). Mertens sieht hier „zwei gegensätzliche Ausformungen der Erzählerrolle unmittelbar nebeneinander: die des traditionellen heldenepischen ‚Verwalters‘ des Stoffes […], und die des mit Nähe und Distanz spielenden höfischen Gestalters“ (Mertens 1996, 373; vgl. Komm. zu 17,3 u. 17,4). 4
selten ] Als Litotes im Sinne von „nie“ oder aber, da im Mhd. überaus häufig, schon als usuelle Verneinung aufzufassen (vgl. Mhd.Gramm. § 436).
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Die Trennung der Attribute in vorangestellte und nachgestellte ist im Mhd. durchaus üblich, allerdings in der vorliegenden Form mit Artikel vor dem nachgestellten Attribut für Wolfram ungewöhnlich und nur hier belegt (Marti).
2–4 Vgl. Pz. 477,2–3: mîn swester Tschoysîâne ein kint / gebar: der frühte lac si tôt. (vgl. auch Pz. 800,6–8). – Zwar wird die von Titurel in seiner Rede behauptete dynastische, erblich Minne-sælde (insbes. Str. 4) durch den Tod Schoysianes (und die folgende Absage
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Stellenkommentar Kiots und Manfilots an das Rittertum; Strr. 22–23) desavouiert (Dick 1992, 403), doch nicht ohne daß zugleich die Eigenschaften (sælde, êre, triuwe) scheinbar selbstverständlich und problemlos an die nächste Tochter-Generation weitergegeben werden: die sælde als erbliches Heil der Gralssippe (vgl. Str. 3,2 u. insbes. 4,1; s. Komm. zu Str. 4); die al wîplîch êre, die als Schlüsselwort und Inbegriff weiblicher tugent dem männlichen hôhen prîs in stürmen, von dem Titurel spricht (Str. 4,2), entsprechen mag; die triwe, die schon von Titurel mit wârer minne verknüpft wurde (Str. 4,4) und die vom Pz. her als die Eigenschaft präsent ist, die Sigune in ihrer minne charakterisiert (s. Komm. zu V. 4). Dieser Lobpreis der Sigune gewinnt durch die narrative Einbettung noch ein besonderes Gewicht, indem er, kaum ist Sigune auf der Welt, so sehr nach sofortiger Formulierung zu drängen scheint, daß das mit tôde in dieser Str., die den Tod Schoysianes tatsächlich ausspricht, geradezu beiläufig erscheint, wo doch die Strr. vorher und hinterher ganz von diesem Tode düster überschattet sind (ähnlich Wyss 1974, 264). In dem eigentümlich Oxymoron gebar mit tôde mag dieses unvermittelte Zugleich, wie es in der folgenden Str. explitzit wird, am pointiertesten eingefangen sein: Hier scheint „die Ratlosigkeit vor dem Ineinander der Gegensätze“ (Wehrli 1974, 21; ähnlich Rahn 1958, 16) ausgedrückt.
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hæte ] Indikativ Prät. = „hatte“. Wegen des Reimes wohl für die sonst von Wolfram bevorzugte Form het(e). Von anderen Dichtern häufig gebraucht für Ind. und Konj. Prät. (s. Mhd.Gramm. § 288, Anm. 3).
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enstanden ] Part. Prät. vom st.V. entstân, entstên, enstên = in transitivem Gebrauch „merken, einsehen, wahrnehmen“.
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die man ] Relativer Anschluß, wo dem Sinn nach konsekutiver Anschluß daz man si (Martin) zu erwarten wäre (ähnlich Pz. 4,13; vgl. Mhd.Gramm. § 455): „Ersparung im Ausdruck“ (Rogozinski 1903, 41). noch saget in mangen landen ] Zwar ist diese Formulierung topisch und auch im Tit. häufig (s. Belege bei Heinzle; vgl. auch insbes. die ganz ähnliche Formulierung im Zusammenhang mit triwe Str. 45,4; vgl. Komm. dort), doch mag an dieser Stelle, dem ersten Auftauchen und Rühmen Sigunes, die spezifische triwe Sigunes hervorgehoben sein, für die sie aus dem Pz. und somit in mangen landen bekannt ist und von der es heißt: al irdisch triwe was ein wint / wan die man an ir lîbe sach (Pz. 249,24 f.).
20 (La 20) 1– 4 Die schon in den vorhergehenden Strr. enge Zusammenstellung von Gegensätzlichem (vgl. Komm. zu Strr. 17,1–2; 17,4; 18/19 u. 19,2–4) erreicht in dieser Str. ihren beinahe hypertrophen Höhepunkt, indem sie das Zugleich des sich Widersprechenden gleichsam in mehrfachen Anläufen in jeder Zeile neu und in diversen Oxymora (leit mit liebe V. 1), Antithesen (lebte – tôt V. 2; flust – gewin, froiden – sorgen V. 4) und Metaphern (Verzierung, Malerei V. 1; Kaufmannssprache V. 3–4) zu formulieren versucht. 1
leit mit liebe underscheiden ] Das Part. Prät. vom st.V. underscheiden scheint eine Abwechslung von Gegensätzlichem („abwechselnd verzieren“ DWb XI,III 1748 f.; „Abwechslung von Licht und Schatten“, Lexer II 1796; Martin) zu bezeichnen. Die allge-
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meinere, neutrale Bedeutung, die ebenso möglich wäre – underscheiden = „näher bezeichnen, bestimmen“ – scheint eher im Sinne der Lectio H zu sein, die die Antithese vermeidet (lait mit iammer vnderschaiden; evtl. auch versehentliche Übernahme des iammer aus Str. 21,1, wie Tax [1974, 72] vermutet). Das in dieser Verwendung einem sinnlichen Vorstellungsbereich zugehörig scheinende underscheiden – Marti weist hin auf die Beziehung zu undersnîden (Pz. 281,21) und parrieren (Pz. 1,4) – entspricht Wolframs Eigenart, Abstrakta zu visualisieren: Dem abstrakten Oxymoron liebe mit leit entspricht so das konkretisierende underscheiden im Sinne von „bunt gemustert, gescheckt“. 2
Aufgrund der Ersparung des Ausdrucks und der passend scheinenden Lakonie kann man die Lesart der Hs. H (sein junge tochter lebete ir mseter tot) als lectio difficilior ansehen, weshalb sie – auch aufgrund der im Vgl. mit der überlangen Lectio G sinnfälligen Metrik – vielfach bevorzugt (Lachmann, Martin, Piper, Gibbs/Johnson; Leitzmann stellt ein Konglomerat her) und als ursprünglicher (Mohr 1977, 129) bezeichnet wurde.
3–4 Der Bildbereich von Geld, Handel und Warenverkehr ist von Wolfram auffallend oft zur Verbildlichung sich wandelnden Schicksals und wechselnden Geschicks gebraucht, so in diesem Text insbesondere im Zusammenhang mit Minne und Tod (Str. 24,2 vergolten mit dem tiuren koufe; Str. 63,4 minnen flust noch der minnen gewinne; ähnlich Str. 67,2; Str. 89,2 die flust sînes hôhen muotes, an sorgen gewinne; Str. 98,4 an fröuden ouch phenden; Str. 139,2 er wil fröude verkoufen; Str. 150,2–4 des prîs wirt getragen nimer veile. […] ûf dem unstæten wenkenden market), so etwa im Wh. im Zusammenhang des Kampfgeschickes und des Seelenheils (näher zum Wh.: Chr. Kiening: Reflexion – Narration. Tübingen 1991, 122 ff. u. L. Miklautsch: Minne-flust. Zur Rolle des Minnerittertums in Wolframs Wh. In: Beitr. 117 [1995], 218–234). An dieser Stelle ist die gewinvlust-Metaphorik durch das ûz borgen, das hier wohl unzweifelhaft als „auf Borg nehmen, erwerben“ zu verstehen ist (vgl. die ausf. Erwägungen bei Heinzle), und das eigentümliche half nochmals explizit gemacht und kommt dadurch in seiner irritierend-provozierenden Unangemessenheit zur Geltung (vgl. Marti, die auf das „nicht glücklich zu Ende geführte“ Bild hinweist): helfen und auch das dem Wortsinn nach positive borgen (urspr. „einem etwas anvertrauen und für ihn bürgen“, vgl. Hollandt) haben ihren angemessenen Sinn der Unterstützung zum Guten nur auf der metaphorischen Ebene, auf der gewin das positive Ziel des Tauschhandels ist. Durch die Formulierung gewin an sorgen ist klar, daß der Tod nur zu einem „schlechten Geschäft“ verhilft. Insofern mag gerade die Stärke und Prägnanz der Handels-Metaphorik für die Wechselfälle des Lebensschicksals darin liegen, daß Positiv und Negativ jederzeit vertauschbar sein können: Die Metapher bewahrt sich eine Neutralität, die sich angesichts des Gewichtes der bezeichneten unabänderlichen Lebensschicksale als Verschiebung, ja Flucht in eine Zone quasi-spielerischer Revidierbarkeit und Vorläufigkeit enthüllt.
21 (La 21) 2
gearômâtet unt gebalsmet ] Das Verb arômâten ist nur bei Wolfram (hier und Wh. 462,27) und im JT belegt (vgl. Vorderstemann 1974, 38 f. u. 45 f.). Beschrieben ist wohl mit beiden Worten der selbe Vorgang: Der Leichnam wurde ausgeweidet, „mit aromatischen Essenzen und Wein gesäubert und gewaschen“ (P. Ariès: Geschichte des Todes, München 1982, 188) und mit Balsam (spezielles Öl mit konservierender, desinfizierender Wirkung) und stark duftenden Gewürzen konserviert (vgl. auch LMA I/1980, 1805;
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Stellenkommentar Schultz 1889, II 464 ff.). Diese Prozedur wurde nach Ausweis der literarischen Quellen offenbar nur dann vollzogen, wenn der Leichnam einige Zeit nicht beerdigt werden konnte und aufgebahrt oder über weitere Strecken transportiert werden sollte (so wie es Matribleiz mit den gefallen Heidenkönigen auf Willehalms Geheiß tun soll, Wh. 462,27 ff.; ähnlich „Chanson de Roland“ L 213, wo die Gefallenen vor Ort bestattet werden; allein die Leichname Rolands, Oliviers und Turpins werden geöffnet, einbalsamiert, in Ledersäcke genäht, damit man sie nach Frankreich überführen kann). Sigune auf der Linde hält ein gebalsmet ritter tôt in ihren Armen (Pz. 249,16), als man sie später neben ihren Geliebten ins Grab legt, heißt es Schîanatulander schein / unrefûlt schône balsemvar (Pz. 804,28–29; gebalsmet liegt auch der tote Isenhart im Heerlager [Pz. 51,12]; gebalsmet wird auch Gahmuret, dessen Korpus zwar nicht aus Zeitproblemen konserviert werden muß, aber dessen Grablege in jeder Hinsicht exorbitant ist [Pz. 106,29 ff.]). Angesichts der Signifikanz dieser Bilder und der Matribleiz-Szene scheint der konservierte Körper tatsächlich eine besondere Faszination auf Wolfram ausgeübt zu haben (vgl. auch Wh. 451,25 ff.).
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durch daz man lange muose bîten ] Es kann entweder heißen „damit man lange warten konnte (auf die Gäste)“ (in diesem Sinne San-Marte) oder „weil man lange warten mußte (wegen der Anreise der Gäste)“ (so Docen, Marti und Heinzle). Um den engen Begründungszusammenhang der Vv. 2–4 noch deutlicher zu markieren, setzen wir (wie Marti, Hollandt, Gibbs/Johnson, Übers. Fourquet u. Passage) an das Ende von V. 3 einen Doppelpunkt: „Sie mußte einbalsamiert werden, weil man lange warten mußte: denn zur Beisetzung kamen aus allen Landen Könige und Fürsten herbei.“ Lachmann (der nach Lectio H mit ir einfügt), Bartsch, Martin und Leitzmann (ähnlich Übers. Matthias und Rapp) setzen nach V.2 Doppelpunkt und Punkt nach V.3, der sich dann nur auf das Vorhergehende beziehen kann: „deswegen – weil die Prozedur des Einbalsamierens so lange dauerte – mußte man lange warten (dann erst konnten die Gäste zur Beisetzung kommen)“ (ähnlich die Lösung von Simrock, Mohr und Dallapiazza/Antonini, die nach V.2 und V.3 Punkt setzen). Da aber die Prozedur der Ausweidung und Einbalsamierung nur vollzogen wurde, wenn der Leichnam aus besonderen Gründen längere Zeit konserviert werden sollte (vgl. Komm. oben zu V. 2), ist diese Deutung wenig wahrscheinlich.
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lîchlege ] Ansonsten nur später belegtes Wort (DWb VI 625) für das gewöhnlichere, von dem in V. 1 gebrauchten Verb bevelhen abgeleite Subst. bevilde = „Begräbnis, Beerdigung“ (eigentl. „die Übergabe, das Anvertrauen“). Daß es hier im Sinne von „Begräbnisort, Friedhof“ gebraucht sein könnte, wie Heinzle (nach späteren Belegen) erwägt, ist unwahrscheinlich, da die Formulierung dar komen ze der lîchlege dann einen doppelten lokalen Verweis hätte. Wyss (1974, 264) sieht in dieser Beisetzung „ein Gegenbild zum analog beschriebenen Hochzeitsfest“ (Str. 13,3 f.).
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hêt sîn lant ] Feststehende Rechtsterminologie für „sein Land zu Lehen haben“ (vgl. lîhen V. 3). Hier wird deutlich, daß Kiot tatsächlich in ständisch spezifischem Sinne fürste war, insofern er mit seinem Land Katelangen belehnt worden war von seinem Bruder, der dezidiert künec genannt wird (vgl. Komm. zu 13,4 u. 14,1).
1–2 Tampunteire … Pelrapeire ] Zu Beziehungen zum Pz. s. Komm. zu Str. 15,2. Pelrapeire, Hauptstadt des Landes Brobarz (vgl. Str. 28,2), ist im Pz. die Stadt der Kondwiramurs, in
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der sich Parzival und Kondwiramurs zuerst begegnen (Pz. 180,24 ff.), in deren unmittelbarer Nähe auch ihre beiden dem Rittertum entsagenden Vaterbrüder Kiot und Manfilot leben. 3
Wie die kaum noch geborene Sigune mit dem Land des Vaters belehnt wird und somit Erbin des – entsagenden – Vaters wird, so wird Kondwiramurs – nicht älter als fünf Jahre – Erbin ihres verstorbenen königlichen Vaters (vgl. Komm. zu Str. 28). Sigune ist jetzt schon fürstin (vgl. Strr. 57,1; 62,1). Zum im ganzen ab dem 11. Jh. zunächst nur vereinzelt und als Privileg zugestandenen weiblichen Erbfolgerecht an Lehen im frz. und dt. Hochmittelalter s. E. Ennen: Frauen im Mittelalter, 3. Aufl. 1987, 132 f.; P. Ketsch: Frauen im Mittelalter II, 1984; insbes. für die höfische Literatur Bumke 1986, 484 ff.). kleinen ] Das von der Hs. G überlieferte chlein könnte möglicherweise ein unflektiertes Adjektiv bezeichnen. Da wir jedoch keine Parallelstellen gefunden haben, behandeln wir die fehlende Endung als Verschreibung (unflektiertes Adjektiv ist häufig, doch nur bei doppeltem oder nachgestelltem Adjektiv; so 85,3; 96,2; 128,1; 161,2; 164,3; 166,1; 171,2; dieser Stelle ähnlich ist 62,1: du bist landes unt liute grôz frouwe).
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swertes, helmes unt schiltes ] Die äußerlich sichtbare Ausstattung und die Werkzeuge des Handelns sind im Sinne einer repraesentatio Symbole des höfischen Rittertums und stehen metonymisch für „ritterliches Leben“ (in diesem Sinne ist gebraucht z. B. swert: 23,3; Pz. 480,21; schilt: 8,1; 39,1; 71,4; 74,4; 80,2–4; 106,2; 134,2; 152,4; Pz. 504,17; Pz. 815,19; helm: 50,4; 106,2; 132,4; 153,1; Pz. 321,26). verzîhen ] refl. und mit Gen. „sich lossagen von, (etwas) aufgeben“, auch „verzichten auf“. Daß an dieser Stelle sowohl die kämpferische Tätigkeit als auch Minnedienst und Minnebeziehung gemeint ist, zeigt Str. 23,4. Zum Motiv der Absage an das Rittertum vgl. Komm. zu Str. 23,3–4.
23 (La 23) 1
Manfilôt ] Im Pz. treten Kiot und Manpfilyot gemeinsam als dem Rittertum entsagende Herzöge von Katelangen am Hofe Kondwiramurs, der Tochter ihres Bruders Tampunteire, auf (Pz. 186, 21 ff. u. 190,14 ff.). Aber im Gegensatz zu Kiot, der am Ende des Pz. eine nicht unbedeutende Rolle spielt (vgl. Komm. unten zu V. 3–4), ist von Manpfilyot keine Rede mehr. Schon in Hartmanns „Erec“ taucht ein Malivliot von Katelange (V. 1679) auf. sach vil leide ] leide sehen kann auf zwei Weisen gedeutet werden: 1. „zur eigenen Betrübnis sehen“ (leide ist Adverb zu sach, durch vil gesteigert; so Leitzmann und Martin, die nach Lachmanns Vorschlag sach im – wohl auch metri causa – konjizieren; so Übers. Rapp, Richey, Mohr, Gibbs/Johnson). Das Leid ist hier auf Seiten Manfilots. Man könnte dann auch nach bruoder (V. 2) Komma setzen. – 2. „viel Leid / viele Leiden sehen (an jdm.)“ (leide ist Gen. Obj., abhängig von vil; Pl. vom st. Neutr. leit oder Sg. vom st. Fem. leide; so Marti und Übers. Simrock, San-Marte, Matthias, Fourquet, Hollandt, Passage, Dallapiazza/Antonini). In diesem Falle wäre vom Leid Kiots die Rede. Obwohl Heinzle mit Recht darauf verweist, daß es in der ganzen Str. wesentlich um das Mitleiden Manfilots gehe und er deshalb die erste Variante bevorzugt, sehen wir den Bezug des daz (V. 2) bei zweiter Variante besser erklärt: Nicht das Betrübnis bereitende Sehen, sondern das gesehene Leid ist die sûriu ougenweide.
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Stellenkommentar Die Kürze des Verses veranlaßt Lachmann zu dem Konjekturvorschlag sach im vil leide im Apparat, den Leitzmann und Martin in den Text aufgenommen haben. Damit wäre bei einer Zäsur nach Manfilôt die schwierige Kürze des Abverses beseitigt. Da indes diese als emphatische Dehnung auch musikalisch durchaus plausibel zu machende Beschwerung mehrfach im Tit. anzutreffen ist (vgl. etwa am deutlichsten Strr. 122,1 u. 123,1), bevorzugen wir auch ohne Konjektur diese metrisch-musikalische Lösung gegenüber der von Leitzmann und Marti vorgeschlagenen Zäsur im Wort, die allerdings in anderen Versen beinahe unumgänglich erscheint (Strr. 26,2; 56,1; 59,4; 90,4; 114,1; 170,1; vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5).
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sûriu ougenweide ] Es fällt schwer, in dieser Wendung ein wirkliches Oxymoron (so Wehrli 1974, 21), wie von Wolfram vielfach gebildet wird (vgl. Komm. zu 17,4), zu sehen. Formuliert ein Oxymoron die paradox scheinende Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem (bî liebe leides vil o. ä.), so ist in diesem Falle nicht klar, worin das Positive, das ougenweide ja eigentlich meint, bestehen soll: Dies muß als bloße Ironie in der nur äußerlichen Form eines Oxymorons gesehen werden. Daß ougenweide auch neutral im Sinne von „Anblick, Umherschweifen der Augen“ verwendet werden kann, heißt nicht, daß seine eigentliche, metaphorische Bildung, die eine deutlich positive ist („Weide, Futterstelle für die Augen“; ähnlich Marti), an dieser Stelle vergessen ist (so Heinzle). Im Gegenteil: Gerade weil dies der einzige Beleg der ansonsten beliebten Vokabel bei Wolfram ist, ist eine pointierte, changierend-spielerische Verwendung, wie oben angedeutet, naheliegend (weitere Belege für süeziu / sûriu ougenweide bei Schleusener-Eichholz 1985, 899 ff.).
3–4 Das Motiv der Absage an das Rittertum bzw. das höfische Leben ist aus der höfischen Literatur (etwa der Rückzug des Heldenvaters Gawein am Ende von Wirnts Wigalois V. 11379 ff.; dazu Fuchs 1997, 208 ff.), insbesondere auch aus dem Pz. mehrfach bekannt: Zu denken ist an Trevrizent, aber auch an Herzeloyde und natürlich auch an Sigune. Im Falle Herzeloydes ist eine „Doppelbegründung“ (Marti) deutlich: Schmerz über den vergangenen Verlust des Geliebten (ir herze niht wan jâmers phlac Pz. 117,6) und zugleich Schutz vor den zukünftigen Gefahren des Ritterlebens (helt in [= verheimlicht Parzival] alle rîterschaft Pz. 117,28); ähnlich auch bei Trevrizent, dessen Absage Trauer und Mitleid mit dem tödlich verwundeten Bruder Anfortas und zugleich gottergebene Bußleistung meint (s. Pz. 480,11 ff.). Während aber in allen drei Fällen präsent bleibt, daß Ritterkampf und Minnedienst ihnen unvergänglichen und wachzuhaltenden Schmerz zugefügt haben, geschieht die Absage Kiots und seines ihn in compassio begleitenden Bruders Manfilot durch iâmer, der seinen Grund nicht im tödlich-fatalen Gewalt- und Minnerittertum, sondern in einem Vorgang hat, „der allem Leben einmal beschieden ist“ (Wolff 1965, 554). Somit ist auch ein Motiv der buoze, wie es für das eremitus-Modell etwa des Hartmannschen „Gregorius“ oder auch für Trevrizent, ja im Pz. vielleicht sogar für Sigune zutrifft (ich hete kranke sinne, / daz ich im niht minne gap … nu minne i’n alsô tôten Pz. 141,20 ff.), hier nicht zu erkennen. Die Motivation, die im Pz. für Kiot und Manpfilyot genannt wird und auch dort nicht näher begründet wird – durch die gotes minne / heten se ûf gegebn ir swert Pz. 186,26 f. (dagegen sagt Trevrizent später über ihn: dern wolde ouch sît [nach Schoysianes Tod] niht freude hân Pz. 477,6) – findet in dem nachgetragenen Text des Tit. einmal mehr keine Anknüpfung oder Erläuterung (anders Dick 1992, 406, der hier von der „Alternative der Gottesminne“ spricht und ausdrücklich eine Verbindung zum klôsenære in Str. 50,2 herstellt). Es ist fraglich, inwieweit man sich Kiot und Manfilot als klôsenære
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vorstellen darf, da sie sich ja weiterhin – zumindest so weit man hierfür den Pz. zu Rate ziehen kann – zuweilen am Hof ihrer Nichte Kondwiramurs aufhalten und in der Nähe wohnen in ihren weidehûsen: / zer wilden albe klûsen / die alten sâzen sunder wer (Pz. 190,21 ff.; vgl. Komm. zu 22,1–2). Die Handlungsweise Manfilots, die Wyss (1974, 264) zurecht ein „blindes Motiv“ nennt, ist aufgrund der motivischen Nähe zu Trevrizent, die bis in die Formulierung reicht – Trevrizent: ‚ich schiet von dem swerte mîn‘ (Pz. 480, 21) –, d. h. aufgrund treuer compassio beider mit ihren Brüdern beinahe noch eher verständlich als der dem Hörer vollständig lakonisch zugemutete Entschluß Kiots. Auch der Vergleich mit Titurels Abschied vom Rittertum (vgl. Wolff 1965, 554) ist nur sehr begrenzt möglich, da man hier nicht von schwindender Kraft und Alter ausgehen kann. Möglicherweise mag hier, am Vater Sigunes, der eben nicht der Gralssippe zugehört (ebenso, wie später Kanvoleiz der triwen houbetstat genannt wird; vgl. Komm. zu Str. 45,4), schon etwas von der Radikalität der triuwe Sigunes präfiguriert sein: Eine vollständige Hinwendung zur triuwe zum geliebten Partner über den Tod hinaus, die nicht impliziter Kritik am Rittertum gilt, aber auch nicht mehr mit vergangener eigener oder fremder Schuld verbunden ist. Insofern ist es folgerichtig, wenn dieser Text schließlich die vom Pz. her als entschieden geltende Frage nach Sigunes Verschulden am Ende wieder radikal offen hält (s. Komm. zu Strr. 169–175). Bedenkenswert ist weiterhin, daß Kiot im Pz. anfangs nur kurz als Entsagender erwähnt wird, am Ende aber wieder eine bedeutendere Rolle spielt, indem er Kondwiramurs zu ihrem Wiedersehen mit Parzival begleitet (Pz. 797–801) und schließlich sogar Erzieher ihres Kindes Kardeiz wird, weshalb er auch vom Tod seiner Tochter Sigune seltsamerweise gar nichts erfährt (Pz. 805,11 ff.). 4
hôher minne noch tioste ] Minne und Tjoste formulieren das Gesamt des Rittertums mit Frauendienst und Kampf (vgl. Pz. 35, 25: strît und minne was sîn ger; dazu Hauer 1992, 13). Zur im Tit. eigentümlich seltenen Verwendung des programmatischen Terminus hôhe minne vgl. Komm. zu Strr. 3,1 u. 13,2.
24 (La 24) Die Strophe steht in H nach Str. 21 ( JT bezeugt die Strophenfolge G). Für eine Stellung nach H, der sich kein Hgg. angeschlossen hat, haben allein Zarncke 1880 und Franz 1904 plädiert (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4). 1
Der Name des Kindes, von dem in Str. 18 zum ersten Mal die Rede war, wird bis zum Ende des Abschnittes zurückgehalten (wenn man nicht der Strophenfolge der Hs. H folgen möchte, die diese Str. auf Str. 21 folgen läßt, also durchaus sinnvoll die Taufe zwischen Beerdigung der Mutter und der Belehnung der Tochter bzw. Rückzug des Vaters stellt): Bis hierher standen die Eltern Schoysiane und Kiot im Mittelpunkt, ab jetzt gilt die Erzählung der eigentlichen Protagonistin, deren Name als Stropheneröffnung, zudem metrisch musikalisch beschwert (vgl. auch Bertau/Stephan 1956, 268), plaziert ist. Wolfram hat im Pz. gegenüber Chrétien die Bedeutung dieser Figur immens ausgeweitet, indem er den Protagonisten Parzival an vier entscheidenden Stellen seines Weges mit seiner Kusine zusammentreffen läßt, und der bei Chrétien namenlosen germaine cousine („leibliche Kusine“, V. 3600) einen sonst nirgends belegten Namen verleiht (zur Sigunehandlung des Pz. und seine Beziehung zum Tit. vgl. Wehrli 1974, 9 ff. und Haug 1980, 10 f.). Es ist naheliegend, in diesem Namen – ungeachtet er sich zudem zu einer
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Stellenkommentar vielgestaltigen Bildungsreihe deutscher Vornamen des „Sig-“Typus stellen läßt und sich Wolframs etymologisierende Phantasie daran entzündet (vgl. Str. 110–111 und Komm. dort) – ein aus den Silben des Wortes cousine gebildetes Anagramm zu sehen (im einzelnen s. Heinzle; dagegen H. Kolb: [Rez. zu Schröder 1982]. In: Beit. z. Namensf. 17 [1982], 270).
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vergolten mit dem tiuren koufe ] kouf = zunächst „Handel, Tausch, Geschäft“, dann auch die gehandelte Ware, dann auch „Bezahlung, Kaufpreis“. Hier kommen, aufgrund des Verbs vergelten, die letzten beiden, urspr. nur metonymischen Bedeutungen in Frage: Entweder ist Schoysiane der kouf im Sinne einer gegen Sigune eingetauschten Gabe; oder der Tod Schoysianes ist der kouf im Sinne des Preises, der für Sigune zu entrichten war (vgl. tiure gelten Str. 18,3). Zur Tauschhandels- und Kaufmannsmetaphorik vgl. insbes. Str. 20,3–4 u. Komm. dort.
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Als solle der Person Schoysianes, bevor sich die Erzählung ganz der Tochter zuwendet, abschließend Gewicht verliehen werden, wird sie hier – in einem wilden Verstoß „gegen alle erzählerische Ökonomie“ (Wyss 1974, 264) – nochmals in ihrer ausgezeichnesten Position vergegenwärtigt: als älteste Tochter des Gralsgeschlechtes (vgl. Komm. zu Str. 36). Als solcher scheint es ihr zugekommen zu sein, den Gral tragen zu dürfen. Im Pz. wird erklärt, der Gral sei so schwer, daß diu falschlîch menscheit (Pz. 477,17) ihn nicht tragen könne; nur von einer Person, die kiusche und frei von allem valsche ist (Pz. 235,27), läßt er sich tragen. Dies ist im Pz. allein die jüngere Schwester Schoysianes, die maget Repanse de Schoye (Pz. 235,25 f.; 477,13 ff.; 809,8 ff.; im Tit. Urrepanse de schoye, Str. 10,4). Anscheinend soll man sich, in Ergänzung zu den Ausführungen zum Gral im Pz., nun vorstellen, daß Schoysiane, solange sie noch maget und unverheiratet war, Gralsträgerin war und dann von der beim Gral auf Munsalvæsche verbleibenden Schwester in diesem Amt abgelöst wurde, als sie und Herzeloyde heirateten und den Gral verließen (vgl. Str. 13).
25–36 (La 25–36): Sigunes Jugend Wurden im vorhergehenden Abschnitt zentrale Motive der epischen Welt des Tit. exponiert, die auch in diesem Abschnitt im Motiv des Todes von Kastis, Tampunteire und Kardeiz, des doppelten Abschiedes Sigunes vom Vater, der Trennung von gespile und vom veter die fatalen Dominanten der epischen Konstellation bilden, so tritt hier noch das Motiv der unerfüllt bleibenden Minnebeziehung bzw. Ehe hinzu (Herzeloyde und Kastis; später Florie und Ilinot; im Pz. Sigune und Schionatulander). Es ist aber weniger die Vermehrung düsterahnungsvoller, tod- und schmerzbestimmter Geschehensmuster, die den Fortgang der Erzählung bestimmt, sondern die bis zu schroffen Brüchen fortschreitende Zerklüftung und Auflösung linearer, kommensurabler Erzähllogik. Aufgrund von fünf dicht zusammengehörigen Strr., die in der Hs. G nicht enthalten sind und über deren Stellung keine letzte Klarheit zu gewinnen ist, stellt sich die Frage in besonderer Schärfe, welcher Poetik, welcher erzählerischen Logik der Text folgt.
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Man wird die in G nicht enthaltenen Strr. 30/31, 33/34 u. 36 kaum mehr für apokryph erklären, wie es die ältere Forschung in verschiedenen Kombinationen und mit diversen formalen und textinternen Argumenten getan hat (vgl. die ausf. Darstellung zu den einzelnen Strr. bei Heinzle); denn diese Str. haben „nichts an sich, was unseren Begriffen von Stil und Gehalt des Titurelfragments widerspräche“ (Wyss 1974, 265; vgl. auch Komm. zu Strr. 30/31). Soll die Aufnahme in den Text nicht nur eine bloß pragmatische textkritische Entscheidung in dubio pro reo sein in Ermangelung von zwingenden Argumenten für die Unechtheit, so wird man versuchen müssen, einen solchen textkonstitutiven „Stil und Gehalt“ näher zu bestimmen. Mohr hat darauf aufmerksam gemacht, daß die erzählerischen Proportionen unter Einbeziehung der fraglichen Strr. „ausgewogener sind, als wenn sie fehlten“: Es bilden sich Zweiergruppen des Dialogs, des Sigunepreises und des Herzeloydepreises. Zudem „verlebendigen“ namentlich die „‚Genre‘-strophen“ 30, 31 u. 36 durch ihren Perspektivenwechsel und ihren subjekt-bezogenen Blick die in diese wenigen Strr. zusammengeraffte Entwicklung Sigunes vom Kleinkind zum jungen Mädchen (Mohr 1978, 126 f.). Auch wenn es so gelingt, den umstrittenen Strr. den in der älteren Forschung allenthalben wahrgenommenen Geruch des „tändelnd-schwülstigen“ (Martin zu 30, 31) zu nehmen, bleibt es prekär, Kategorien kompositorischer Ausgewogenheit und der Lebendigkeit zum stilistischen Authentizitätsmerkmal zu erklären, denn Inkongruenzen und Brüche bleiben allemal bestehen, sei es in den Übergängen von Strr. (etwa von 32 zu 33, von 33 zu 34), sei es in disponibel scheinender Stellung ganzer Strophen (s. Komm. zu Strr. 28,1– 4; 36,1– 4). Erzählerische Sprünge erweisen sich nicht als konzeptioneller oder überlieferungsgeschichtlicher Mangel, schon gar nicht nur der Zusatzstrr., sondern als Produkt von explizit oder implizit in die Irre führenden Erzählerlenkungen (s. etwa Strr. 32,4; 36,1). Am konsequentesten hat Wyss dies zum Zentrum der Poetik des Textes erklärt, wenn er in den narrativen Konstituenten „Gesten des Erzählers“ sieht, „die nur noch sich selbst […] meinen“, die als bloße „Inventarstücke des erzähltechnischen Repertoires“ „eine Fülle von Möglichkeiten [durchprobieren], wie Vorgeschichten gestaltet werden können“ (Wyss 1974, 266). Einer solchen, auf Dekonstruktion und Sinnverlust zielenden Poetik des Erzählens läßt sich entgegenhalten, daß auch eine „auf Unstimmigkeit hin stilisierte“ Darstellung (ebda.), eine offengelegte Uneinholbarkeit epischer Totalität – wenn auch ex negativo – einer Idee innerer Stimmigkeit gilt, die die metaphorische Dichte der Details, die Verweisungsfülle und Verknüpfungspotenzen sprachlicher Zeichen und Gesten nicht trifft. Vielleicht liegt in dem „immer wieder repetiertem Verfahren, zwei [oder im Detail betrachtet mehrere; d. Verf.] verschiedene Erzählerrollen unvermittelt nebeneinander zu stellen“
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(Mertens 1996, 374), nicht nur narrative Dysfunktionalität und Selbstbezug des souverän verfügenden Epikers, sondern ein produktives Verfahren von Pluralisierung der Perspektiven, die der Erzähler seinen Rezipienten aufgibt. Die irritierende und verdächtige Redundanz, die stellenweise beinahe manieristische Züge annimmt, ist anderes und zugleich mehr als die Inventarisierung „gängiger Lobesformeln“, die „auf engstem Raum hemmungslos outriert“ werden (Wyss 1974, 266). Die Logik des Erzählens folgt nicht mehr dem Paradigma kommensurabler und linearer, gleichsam zweidimensionaler Handlungsentwicklung, sondern ist einem vieldimensionalen erzählerischen Raum geschuldet: Jede Stelle eröffnet Anknüpfungspunkte an eine andere Geschichte, eine andere Figur, einen anderen Gedanken, eine andere Metapher. Diese Anknüpfungspunkte liegen selten genug auf der Ebene der Handlungsfolge, sondern mögen einer konnotierten Vorstellung, einer assoziierten Formulierung, einer parallelen Konstellation gelten. Es ist, als ob der Impuls für das, was gesagt wird, von quer zur konsistenten Entwicklung der Dinge liegenden Vorstellungen, von suggestiv aufgeladenen Vokabeln, von eigentümlichen, nur schwer nachvollziehbaren Konnotationen ausgeht, und dabei kaum mehr der erzählerischen Ökonomie einer zusammenhängenden Ereignisgeschichte Rechnung trägt (vgl. etwa Komm. zu 26,1; 27,2; 34,1; 35,1). In ihrer Fülle messen die Varianten den Raum narrativer und deskriptiver Logik aus und erkunden, ob in manierierten Neologismen, ob mit topischen Floskeln, das erzählerische Reservoir. Die diversen Möglichkeiten bleiben dabei oft schroff und dilemmatisch nebeneinander stehen; sie werden so behandelt, daß keine dieser Erzählpotenzen und Sinndimensionen priviligierte Realisierung zugemessen bekommt. So plötzlich ein Sinnbezug, eine Assoziation, ein Anknüpfungspunkt realisiert wird, so plötzlich kann der Faden, kaum daß er begonnen wurde, gekappt werden (vgl. etwa Komm. zu 27,1– 4; 32,1– 4; 35,4; 36,1– 4). Durch solch hypertrophes, ganz und gar unökonomisches Verfahren wird ein epischer und sprachlicher Raum konstelliert, der am wenigsten mit Spekulationen über die sinnvollste oder gar ursprünglich gemeinte Strophenfolge zu begreifen ist. Die Gleichzeitigkeit mehrer realisierbarer und realisierter Verweisungszusammenhänge bildet die Komplexität des syntagmatischen Feldes ab, die „Potentialität eines Zeichengefüges, das immer neue Verweisungen ermöglicht und eine unbegrenzte Semiose hervorbringt“ (Kiening/Köbele 1996, 264). Eine im Detail kaum zu verfolgende und sich der Festlegung entziehende Vielzahl von Relationen auf einer Vielzahl von Ebenen der sprachlichen Zeichen scheint diesen Text zu strukturieren. Die dilemmatische Gleich-Gültigkeit verschiedener gedanklicher oder metaphorischer Linien und Relationen meint dabei weniger eine sinndestruktive Stilisierung, als vielmehr eine Potenz, die Mehrdimensionalität sprachlicher Zeichen, erzählter Geschichten, sinnproduzierender Bezüge im Text zu repräsentieren und zum Thema zu machen.
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25 (La 25) 1–4 Das gemeinsame Aufwachsen der Kinder Sigune und Kondwiramurs, die einander veterntohter sind, stiftet eine signifikante, wenn auch durchaus rätselhafte „Erziehungsverwandtschaft“ (Bertau 1983a, 225 ff.). Sigune ist zuerst an den Hof ihres Vaterbruders, ihres vetern gekommen, ebenso wie zuvor – gleichsam in äquivalent-umgekehrter Bewegung – Kondwiramurs: Von ihr heißt es im Pz. wand si Schoysîâne […] zôch kint wesende (805,6–8). Für beide gilt, „daß das Haus des vetern für eine Tochter als Zufluchtsstätte in Frage kam“ (Schmid 1986, 185; zur positiven Beziehung veter – niftel s. Bertau 1983a, 224). Im Falle Sigunes ist die Notwendigkeit einer solchen „Zufluchtsstätte“ evident, denn der väterliche Hof ist verwaist, die Mutter tot, der Vater zieht sich aus dem höfischen Leben zurück. Im Falle von Kondwiramurs allerdings ist eine solche äußere Begründung nicht gegeben: Ihr Vater führt einen königlichen Hof, über ihre Mutter ist nichts bekannt, außer daß sie eine Schwester des Gurnemanz von Graharz ist. Wenn man nicht davon ausgehen will, daß Wolfram „bei dem ungeheuren Personal und den verwickelten Verwandtschaftsverhältnissen“ hier einen nur allzu „natürlichen“ Irrtum begangen habe (Heinzle, nach Heinzel 1893), so wird man sich vorstellen, daß Kondwiramurs nur kurze Zeit bei Schoysiane aufgezogen wurde bis diese starb (ähnlich Martin zu Pz. 805,6) und sie – noch an der brüste (Str. 25,3) – zum väterlichen Hof zurückkehrte. Immerhin dauerte die Stillzeit, zuweilen als erste Lebensphase der infantia definiert, nach verbreitetem Verständnis wohl bis zum Ende des zweiten Lebensjahres (LMA V/1991, 1142). Sollte kint wesende Pz. 805,8 in diesem Sinne der infantia gebraucht sein, kann Kondwiramurs bis zu zwei Jahre älter gedacht werden. Dort werden sie und Sigune als Milchgeschwister aufgezogen (man hat sich wohl in beiden Fällen eine Amme und nicht die adelige vrouwe als Säugende vorzustellen; Bertau 1983a, 225 f.; S. Shahar: Die Frau im MA, Frankfurt 1988, 140). Als auch dieser Hof verwaist und Tampunteire, der vater bzw. veter, stirbt, kommt Sigune an den Hof ihrer muome Herzeloyde (Str. 29). Entsprechend dem „matrilinearen Zug“, der schon in die vaterrechtliche Organisation des Pz. eingelagert war (Schmid 1983, 177), substituiert der Hof der Mutterschwester den väterlichen Hof. Daß dies möglicherweise einen Widerspruch zum Pz. darstellt – wenn man angesichts von Kondwiramurs’ Trauer um ihre „Erzieherin“ Schoysiane im Pz. nicht akzeptiert, daß sie bei Schoysianes Tod noch Säugling gewesen sein könnte – muß nicht auf einen bloßen Irrtum Wolframs hindeuten, sondern mag ebenso zeigen, daß auf der Ebene solch äußerer chronologischer Konsistenz der Tit. nicht als bloße nachgetragene Ergänzung zum Pz. gelesen werden kann. Man wird nicht leugnen können, daß Wolframs paralleläquivalente Konstruktion der Mädchenerziehung (die wohl durchaus realen „Kindertauschgepflogenheiten“ entspricht; vgl. ausf. M. Winter: Kindheit u. Jugend im Ma., Freiburg 1984; J. Martin: Zur Sozialgeschichte der Kindheit, Freiburg 1986; Schultz 1995) jenseits äußerer Stimmigkeit von bezwingender innerer Logik und auch Konsequenz ist: Beide gespilen werden in einem ersten Schritt am Hof ihrer jeweiligen vetern erzogen, der der Vater der anderen ist; sie müssen sich dann aber wieder, verursacht durch den Tod eines Erziehers/Verwandten, von ihren Erziehern trennen und in einem zweiten Schritt an einen anderen Hof (des vaters, als Ersatz der muome) umsiedeln. Dies ist parallel und versetzt zugleich: Die zweite Station der Kondwiramurs entspricht der ersten Station Sigunes, so daß sie zugleich „Milchgeschwister“ werden. Wenn schließlich Sigune den zweiten Schritt an einen anderen Hof tut, so ist das Thema der Trennung nicht nur abermals im Verhältnis Kind/Erzieher(-in) relevant, sondern erstmals auch im Verhältnis Kind/Kind aktualisiert. Für Wolfram mag solche strukturelle Beset-
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Stellenkommentar zung seiner Figuren nach einer Semantik der Familienbeziehung, aber auch nach parallelen bzw. abweichenden narrativen Mustern und Konstellationen des Lebensweges entscheidender gewesen sein als chronologische Stimmigkeit, noch dazu über Textgrenzen hinweg.
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Es ist ebenso möglich, wie Marti es vorschlägt, den Punkt nach dô zu setzen. Man entgeht dadurch der Reihung dô … dâ, die man als unschön und holprig empfinden mag. Man muß dann allerdings die folgende Phrase nicht als temporalen Nebensatz, sondern als koordinierten Hauptsatz auffassen (Kîôt si kuste, man sach dâ …), was im Tit. mehrfach bezeugt ist und stilistisch markant sein kann, in diesem Falle aber sperrig und wenig sinnfällig erscheint. geweinen ] Es handelt sich nicht um ein Substantiv, sondern um ein durch vil nochmals verstärktes Intensivum zum sw. V. weinen.
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Kondwîrâmûrs ] Der Name, mit dem Wolfram entgegen Chrétiens Blancheflor Parzivals Frau benennt, kann wohl als „Führerin/Geleit der Liebe“ aufgefaßt werden (Condwir wird im Pz. getrennt flektiert und in Pz.-Hs. D zudem stets getrennt geschrieben. Zudem sagt Parzival ir minne condwierte mir freude in daz herze mîn Pz. 495, 22 f.). Sigune steht zu Kondwiramurs in einem signifikant ähnlichen Verwandtschaftsverhältnis (Tochter ihres Vaterbruders) wie zu Parzival (Sohn ihrer Mutterschwester).
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Die Vorstellung von großem, beständigen prîs, die in der höfischen Literatur ubiquitär und topisch ist, erscheint hier nicht nur (wie bei Wolfram beliebt) als Litotes, negativ formuliert, sondern ganz dezidiert bezogen auf gespilen, also Kinder, gar Kleinkinder (oder sollte sich das wuohsen unbestimmt, wie etwa in Str. 13,2, auf den ganzen Zeitraum des Heranwachsens beziehen, und nicht auf den Zeitraum, der durch Tampunteires Tod in Str. 28 auf die Vier- bis Fünfjährigen begrenzt ist?). So irritierend uns diese Konfrontation von Kindheit und höfischem Verhaltensregister erscheint und so befremdlich die Vorstellung ist, Kleinkinder könnten ihres prîses verlustig gehen (wie noch deutlicher in Strr. 30 u. 31), so selbstverständlich hat die höfische Literatur Kinder und Kleinkinder in die Kategorien und Vokabeln der erwachsenen Ritterwelt einbezogen, die sich eben dadurch als ideologisch universelle und uniforme erweist (nach dem Muster von Hartmanns „Gregorius“ [V. 1180]: der jâre ein kint, der witze ein man). Die Kindergestalten der mittelalterlichen Literatur sind fast stets idealisiert und „frühreif“ dargestellt, entsprechend dem puer-senex-Motiv der Kindheit Jesu und der Hagiographie (dazu ausf. Schultz 1995). Doch immerhin legt Wolfram hier und in Str. 30/31 auch sichtlich Wert auf genaue Bezeichnungen: Kinder werden mit ihrem Alter (zuerst Säuglinge, dann vier- bis fünfjährig) und als Spielende vergegenwärtigt (sie sind gespilen, die sich ungerne trennen, sie spielen mit tocken), so daß sich darin durchaus eine Wahrnehmung von selbständiger Kindheit ausspricht.
26 (La 26) 1– 4 Kastis, Kanvoleiz, Kingrivâls ] Kastis (lat. castus = „rein, unschuldig, enthaltsam, keusch“) ist im Pz. nur an einer Stelle kurz erwähnt als erster Gatte Herzeloydes, der aber starb, bevor er ihre Minne erleben konnte (Pz. 494,15 ff.). Er übertrug ihr vor seinem Tode (s. Komm. zu V. 3) seine Länder Waleis und Norgals mit den Städten Kanvoleiz und Kingrivals (Pz. 494, 22 ff.; vgl. Str. 27,3).
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in den selben zîten ] Die formelhafte Wendung schafft einen angesichts der schicksalhaften Unerbittlichkeit der tödlichen Ereignisse „unerhört lapidaren Übergang von Schoysiane zu Herzeloyde“ (Dick 1992, 404): Die in ihrem Bezug unklare, so undeutliche wie beliebige Überleitung prätendiert – ebenso wie das in seinem Bezug unklare ouch im folgenden Vers (s. Komm. dort) – eine Logizität der Erzählfolge (ähnlich Wyss 1974, 264 f.), die sich aber tatsächlich eher assoziativ und suggestiv über Andeutungen, Anspielungen und strukturelle Ähnlichkeiten herstellt.
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ouch ] Entweder ist das ouch bloß vestärkend zu verstehen („tatsächlich, in der Tat“) oder vergleichend; dann wäre wohl gemeint „wie Kiot Schoysiane“ (Marti; ähnlich Martin; Mohr übersetzt mit „jüngst“[?] ). Die Lectio G, die den Namen Herzeloydes vorenthält, mit H und JT (der het Hertelauden ze Montsalvatsch H) zu verbessern (wie auf verschiedene Weise alle Hgg. außer Mohr), scheint angesichts des vorsätzlichen Vorenthaltens von Präzisierungen, Situierungen und Namen in diesem Text unnötig (vgl. etwa sus lâgen si unlange Str. 137,1; des fürsten bracke Str. 141,4; vgl. Komm zu Strr. 137–143): Über die Nennung der bekannteren Namen Kanvoleiz und Kingrivals (Vv. 3–4) wird die Frau des relativ unbekannten Kastis deutlicher bezeichnet, bevor dann in Str. 27,1 der bekannte Name fällt. Insofern scheint die Antonomasie in G lectio difficilior zu sein (vgl. Komm. zu V. 1). – Zur Zäsur bzw. Anverskadenz im Wort vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5). clâren ] Zunächst eine Bezeichnung aus dem Bereich der konkreten, visuellen Wahrnehmung („hell, rein, glänzend“), bezeichnet es als von Wolfram häufig gebrauchtes Personenattribut (vgl. etwa Strr. 28,1; 53,4; 124,4; 144,1; der clâre Vivîanz Wh. 13,21 u. ö.) körperliche, lichtvolle Schönheit des Menschen. Vgl. etwa die Personenenattribute lieht (Str. 7,4 u. Komm. dort) und süeze (Str. 7,2 u. Komm. dort).
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gap er … schône ] Kastis übergibt (schône = formell, rechtsverbindlich [?]; vgl Pz. 494,25: mit sale) seiner Frau sterbend seine Länder, in denen sie dann frouwe ist (Str. 27,3), wie er zuvor dort krône truoc (Str. 26,4). In der Tat hat man sich adlige Eheschließung im Hochma. „zweistufig“ vorzustellen (was eine zeitliche Differenz wie in diesem Falle meinen kann, aber nicht muß): Zunächst meint Ehe einen Vertrag zwischen zwei Familien, der Besitz- und Erbverhältnisse, so etwa auch die Morgengabe („Wittum“, dos), regelt und der durch die „Übergabe“ der Braut (er het erworben V.2) abgeschlossen ist. Zum zweiten wird bei der Hochzeit, einem formellen Fest, wozu auch im weiteren Sinne der körperliche „Vollzug“ der Ehe gehört, die Verbindung zwischen zwei Personen besiegelt, „bei der die geschlossene Ehe zur Wirklichkeit wird“. Der erste Akt des Familienvertrages also ist die „eigentliche Eheschließungshandlung“ und schon alleine rechtlich vollgültig (und nicht nur solo consensu, wie Heinzle [zu 27,3] nach Schumacher [51 f.] meint; vgl. M. Schröter: „Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe …“. Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jh., Frankfurt 1985; insbes. S. 36 f.). Allerdings erscheint zweifelhaft, ob die Übergabe von Waleis und Norgals als „Morgengabe“ (Marti) und „Wittum“ (Heinzle) erfolgte, weil es sich wohl um Übergabe und Vererbung der gesamten Herrschaftsrechte vor vürsten (V. 4), also als frouwe (27,3), Königin in immerhin zwei Ländern handelt. Daß Herzeloyde diese vollen Erbrechte beim Tode ihres Mannes zustanden, ist nicht selbstverständlich und daher wohl Bestandteil des Ehevertrages. Immerhin aber weist der Pz. deutlicher noch als diese Stelle auf den rechtlichen Akt des – sterbenden – Kastis hin: Im Pz. ist dieser Vorgang rechtsterminologisch formuliert: daz ir mit sale wart gegebn (Pz. 494, 25). Das st. Fem. sale meint allgemein den
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Stellenkommentar Akt einer rechtlich verbindlichen Übergabe eines Guts, delegatio, donatio (DWb VII I 1678; Lexer II 576).
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sîn houbet ] Die repräsentative Funktion der Person wird vergegenwärtigt durch die Nennung des für die representatio und Symbolik funktionalen Körperteils (ähnlich Str. 4,2; vgl. Komm. dort). vor fürsten ] Angesichts der im Tit. stets aktuellen Problematik der Partnerwahl unter Stand (vgl. einleitenden Komm. zu Strr. 13–24) wird man die Formulierung vor fürsten die krône tragen an dieser Stelle unzweifelhaft im Sinne einer ständischen Höherrangigkeit, einer Betonung des Königtums des Kastis verstehen. Immerhin vermählt sich die Königstochter und Königswitwe später mit dem ungekrönten Gahmuret, wie sogleich (Str. 27,2) in Erinnerung gerufen wird.
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Vgl. Pz. 494,20: er solt ab niht ir minne wonen. Der Tod ereilte Kastis offenbar noch auf der Heimreise von der erfolgreichen Brautwerbung ze Muntsalvâtsche. Die Formulierung ze wîbe gewinnen meint offensichtlich die körperliche Vereinigung, wohingegen erwerben (Str. 26,2) den formal rechtsgültigen Vorgang der Brautübergabe und Eheschließung meint (vgl. Komm. zu 26,3)
1– 4 Geht es bei den anderen, chronologisch späteren Fällen nicht körperlich erfüllter Minnebeziehungen bzw. Ehen wesentlich um die unerwartet tödlichen Folgen ritterlichen Minnedienstes (Sigune und Schionatulander, Pz. 141,21; Florie und Illinot, Tit. 152,3), so verhindert hier der natürliche, plötzlich in das Lebensschicksal hereinbrechende Tod die erfüllte Minne: Das kontingente Schicksal „ereilt“ die Personen „so rasch“ (Dick 1992, 404), daß motivierende Entwicklung der Erzählung versagt und die Kohärenz der Narration sich auflöst: Die Erzählung springt zwischen verschiedenen Motiven und Verweisen hin- und her, bevor erst in Str. 29 deutlich wird, wozu nach der Logik der Handlung von Herzeloyde die Rede ist. Wenn hier der Name Herzeloydes (nach den summarischen Erwähnung in Titurels Rede) zum ersten Mal in der epischen Handlung fällt, dann in lakonischer Formulierung ihres tragisch-frühen Witwentums, aber doch noch so, daß Kastis stets, wie auch durchgehend in Str. 26, das Subjekt der Erzählung ist. Herzeloyde wird erst in den folgenden Versen zum Subjekt der Erzählung, zunächst nur als Relativpronomen in V. 2. Es bleibt spätestens bis zu Str. 29 (s. Komm. dort), in der Herzeloyde handelt, unklar, weshalb die Dinge erzählt werden und worum es geht: um den plötzlichen, allzu frühen Tod, um das Königtum des Kastis, um die ererbten Städte und Länder, die nicht vollzogene Ehe, die Jungfräulichkeit Herzeloydes, um ihren zweiten Mann Gahmuret, um das ererbte Königtum Herzeloydes? Dies alles sind Geschichten, die anders im Pz. und im diesem Text schon einmal erzählt wurden, alles Motive, die bedeutungsschwer Zusammenhänge andeuten, aber sinnstiftende Präzisierung vorenthalten. 2
Gahmuret ] Der Vater Parzivals, dem immerhin mehr als ein Achtel des gesamten Pz. gewidmet ist und der auch in diesem Text in einer Vaterposition, als Erzieher, Ratgeber und muomen sûn (Str. 55,2) des Protagonisten auftritt, wird nur als Bestandteil einer Umstandsbestimmung in einem Relativsatz eingeführt. Mit dieser explikativen Vorausdeutung wird das frühere epische Werk, bisher stets nur implizit vorausgesetzt, zum er-
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sten Mal als bekannte Geschichte ganz dezidiert zur Erklärung heranzitiert (vgl. Richey, 1961, 185). Wird bei anderen wichtigen Personen, obwohl sie schon als Figuren der Handlung präsent sind, der Name lange Zeit vorenthalten (so bei Sigune, Herzeloyde, Schionatulander, Ehcunat), so wird etwa Kastis, wie andere Figuren mit „nur“ genealogischer Bedeutung, eingeführt, als sei er Held der künftigen Erzählung, ganz im Gegensatz zu Gahmuret, der wirklich eine entscheidende Rolle spielen wird, aber selbst nur in einem Relativsatz dieser Kastis-Erzählung auftaucht: Auch die Behandlung der Namen und des Auftritts der Figuren ist in diesem Text irritierend unökonomisch und steht in seltsamem Mißverhältnis zur Bedeutung der Figuren für den Gang der Handlung. Der absolute Anspruch an Totalität, die Tendenz, alles zugleich zu erzählen, alle Bezüge gleichzeitig zu aktualisieren, schlägt um in radikales Brüchig-Werden des epischen Geflechts: Figuren werden zu Requisiten, Motive zu Suggestionen. Insofern ist es unnötig anzunehmen, der Relativsatz habe „konsekutiven Sinn“ (Marti; „so daß sie als Jungfrau in Gahmurets Armen lag“): Solche explizite Logizität verweigert der Text, und dies schon auf syntaktischer Ebene. mit ir magetlîchem lîbe ] „starke Flexion nach dem Personalpr. ir, während nhd. nach dem flektierten Possessivpr. die schwache Form stehen muß“ (Marti). Vgl. auch Str. 124,4 u. Komm. dort (ähnlich Strr. 34,2; 52,4). 3
doch ] „dennoch, trotzdem“, bezogen auf nie gewan ze wîbe (V. 1). Zur Gültigkeit der Ehe und der Herrschaftsübergabe s. Komm. zu Str. 26,3.
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des süezen Frimuteles ] Zum Epitheton süez vgl. Komm. zu Str. 7,2. dar sande ] Die männlichen Nachkommen der Gralsgesellschaft bzw. Gralssippe werden, wie Trevrizent im Pz. ausführt, heimlich und auf Bitten in herrenlose Länder geschickt (was heimlich geschieht, damit nicht endlos viele, unreglementierte Seitenzweige der Gralsfamilia entstehen), die weiblichen Nachkommen können dagegen öffentlich nach draußen heiraten (Pz. 494,7 ff.; 495,1 ff.). Ausdrücklicher Zweck ist es, auf diese Weise für Nachkommen zu sorgen, die – da sie ja zur Hälfte das Blut der Gralsfamilia haben, die Gesellschaft beim Gral aber keusch leben muß – würdig sein mögen, zum Gral berufen zu werden (Pz. 495,3–6). Vom missionarischen Heilsbewußtsein der Gralsgesellschaft her betrachtet ist der Gedanke der „Aussendung“, der ähnlich noch öfter wiederholt wird (man sande ûz der pflege von dem reinen grâle 43,2–3; sâmen, der ûz von Muntsalvâtsche in die werlt wart gesæt 44,3–4), zutreffend und steht nicht in Widerspruch zur öffentlichen, freien Werbung (Strr. 13 u. 26) um die Gralstöchter: Mit dieser Regelung steht ein wesentliches Prinzip, nämlich die „endogame Reproduktion des ingesindes“ auf dem Spiel, wie Schmid (1986, 204) gezeigt hat.
28 (La 28) Die veränderte Strophenfolge in H (und mit Einfügung weiterer Strr. in JT), wo diese Str. schon nach Str. 25 plaziert ist, „erklärt sich wohl aus dem Bestreben, die beiden Strophen, in denen von Tampunteire die Rede ist, zusammenzurücken, so daß nun die Tampunteire- und Kastis-Geschichte als in sich geschlossene Komplexe abgehandelt werden“ (Heinzle). Angesichts der mehrfach gebrochenen epischen Kontinuität in diesem Erzählabschnitt – gerade Tampunteire taucht ja schon isoliert und plötzlich in Str. 15,2 auf und dann erst wieder zehn Strr. später in 25,1 –, läßt sich damit keine Abweichung von der Strophenfolge G begründen
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Stellenkommentar
(so auch Heinzle), zumal Str. 28 u. 29 eng aufeinander bezogen sind: Str. 28 kündigt die Trennung an, Str. 29 nennt einen Grund und Ziel der Trennung (V. 1–2) und beschreibt den Abschied näher (V. 3–4). Für eine Stellung nach H (~JT), der sich kein Hg. angeschlossen hat, haben allein Zarncke 1880 und Franz 1904 plädiert (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4). 1–2 Wir gehen davon aus, daß sich truoc er die krône in V. 2 auf Tampunteire bezieht: Der Zeitpunkt seines Todes – in nur angedeuteter fataler Gleichzeitigkeit mit seinem Sohn Kardeiz – und sein Königtum sind plausible Motivationen innerhalb der Narration. Tampunteire nimmt als veter Sigunes und sweher Parzivals eine entscheidende genealogische Position ein, er verkörpert die Verbindung von Grals- und Katelangen-Sippe in erster Generation und fällt nun, nach dem Rückzug von Vater und zweitem veter, als letzte mögliche Zuflucht innerhalb der in der höfischen Welt verbliebenen väterlichen Sippe für Sigune weg. Zudem ist die Tatsache, daß er ein gekröntes Haupt ist, schon an wichtiger Stelle thematisch gewesen (Str. 15,2; s. Komm. dort). Es erscheint demgegenüber weniger plausibel, truoc er krône auf Kardeiz zu beziehen und anzunehmen, nach einem chronologisch unbestimmten Tod Tampunteires (starp kann Plusquamperfekt sein, Tampunteire evtl. schon früher gestorben) sei nun der Tod des Thronfolgers Kardeiz der Grund für Sigunes Weggang (neben dem Begehren Herzeloydes; vgl. Komm. zu 29,1–2), obwohl auch dies denkbar ist: Der Hof zu Pelrapeire war dann noch nicht mit dem Tod Tampunteires, erst mit dem Tod Kardeiz’ vollends verwaist. Folgt man der Lesart H Kardus der clare / in Brubars trsg die crone (d. h. keine Parenthese der Vv. 2–3; so Lachmann, Leitzmann, Bartsch, Piper, Martin, Mohr; Übers. Fourquet, Passage), so ist zum Zeitpunkt der Erzählung Kardeiz eindeutig König und Erbe seines gerade verstobenen Vaters, was im JT noch in einer ergänzenden Str. (Wolf 678) explizit gemacht wird. Im Pz. wird dieser Kardeiz, nach dem später wohl der gleichnamige, älteste Sohn Kondwiramurs’ und Parzivals benannt wird, nur einmal kurz als Sohn Tampunteires und Bruder Kondwiramurs’ erwähnt, und zwar in direkter, anklagender Rede des Erzählers an frou Minne: Kardeiz fîz Tampenteire, ir [Condwiramurs’] bruoder, nâmt ir och sîn leben (Pz. 293, 12–13). Auch er ist also wohl, wie Frimutel, Ilinot, Schionatulander und viele andere von Wolframs Ritterfiguren, im Minnedienst – jung und frühzeitig, wie man annehmen kann – zu Tode gekommen. Im Pz. heißt es, Kondwiramurs habe Tampunteires Reich ererbt (Pz. 180,25 ff.), von einem zwischen Tampunteires – chronologisch vom Pz. her nicht näher einzuordnenden – Tod und Kondwiramurs’ Herrrschaft liegenden Königtum des Kardeiz ist keine Rede. Auch die Aussage Kondwiramurs mîn vater Tampenteire liez mich armen weisen (Pz. 194,18–19) deutet nicht darauf hin, daß Kardeiz nach seinem Vater gestorben sein könnte. Letzte Eindeutigkeit hinsichtlich der Deutung dieser Tit.-Verse ist freilich nicht zu erzielen, denn weder die vermeintliche Dysfunktionalität der völlig isolierten Erwähnung des Kardeiz kann angesichts dieses Textes ein zwingendes Argument sein, noch der Verweis auf vermeintlich mit dem Pz. zu harmonisierende Chronologien und Details. (Schon bei Hartmann erscheint ein Garedeas von Brebas [Er. 1652], bei Chrétien ein Karadués Briébraz [„Erec“ V. 1719]). 1
der clâre ] vgl. Komm. zu 26,2.
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behalten ] „in Obhut haben, bewahren“; vgl. behalten bî den tocken (Str. 64,3 u. Komm. dort).
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die iungen … niht die alten ] Die Figur der Litotes, der Untertreibung durch Verneinung des Gegenteils, ist hier verbunden mit Antithese, ähnlich wie in Str. 123,4 (s. Komm. dort). Diese Wiederholung macht als emphatische Hervorhebung der Jugend (und nicht bloß als „Reimfüllung“ [Martin]; auch Heinzle) guten Sinn: Es geht wohl zum einen gerade um die Frühzeitigkeit der Trennung im Vergleich mit den Abschieden und Trennungen, die sonst die Erwachsenenwelt betreffen; zum zweiten wird dadurch jenes Thema, das später zu einem dominanten Motiv wird (Str. 48 ff.), das Thema des KindSeins, des Jung-Seins in Kollision mit destruktiven Erfahrungen und Zumutungen des Lebens, zum ersten Mal deutlich angeschlagen.
29 (La 29) 1–2 Herzeloyde ist nach Tampunteires Tod die einzige lebende Verwandte Sigunes, die erstens der Eltern-Generation – der Generation der möglichen Erzieher also – angehört und zweitens in der höfischen Welt lebt (ähnlich Hollandt; zur strukturellen Gleichheit mit der Erziehung der Kondwiramurs vgl. Komm. zu Str. 25,1–4): Ihr Vater und ihr veter Manfilot haben der höfischen Welt entsagt, ihr zweiter veter Tampunteire ist gestorben; mütterlicherseits kann nur die ebenfalls durch Heirat vom Gral wegberufene muome in Frage kommen (vgl. Komm. zu Str. 30,2), die anderen Geschwister, Anfortas, Trevrizent und Urrepanse de Schoye, leben unverheiratet beim Gral. Herzeloyde steht einem königlichen Hof vor und ist in erster Ehe kinderlos verwitwet (seit wann bleibt unklar, zumindest wenn man nicht die Strophenfolge von H und JT bevorzugt [vgl. Komm. zu Str. 28,1– 4], in der sich das in den zîten, da Kastis stirbt, auf den Tod Tampunteires beziehen läßt). Von daher ist es eindeutig begründbar, warum sich Herzeloyde zu diesem Zeitpunkt ihrer Nichte annimmt (unklare Motivation des Zeitpunktes sehen hier etwa Zarncke 1880, 603; Franz 1904, 32). Daß Herzeloyde an Sigûnen dâhte, mag nicht ein plötzliches Sich-entsinnen wie an eine lange vergessene Sache bezeichnen (so anscheinend Wyss 1974, 265), sondern eher im Sinne eines sorgenden Gedenkens zu verstehen sein. 2
warp mit al ir sinnen ] Das st. mhd. V. werben hat sehr viel allgemeinere Bedeutung als im Nhd.: „sich bemühen, tätig sein, nach etwas streben“. Mhd. sin kann alle Facetten von äußerem (Wahrnehmung) und innerem Sinn (Verstand, Denken, Weisheit, innere Wahrnehmung; Marti: „auch Gefühl“; Martin: „mit ganzem Herzen“!) bezeichnen, auch gerichteten sin, also „Gesinnung, Absicht, Meinung, Ansicht“ (insbes. im Pl.; vgl. Lexer II 932). Die Wendung ist so sonst nicht belegt; evtl. ist auch an ein Verbalabstraktum zum st.V. sinnen = u. a. „jdm. etwas ansinnen“ (Lexer II 934) zu denken (ir sinnen Dat. Sg.; dagegen Lectio H mit allen irn synnen), was sich gut zu daz man ir … brâhte stellte.
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vereinen ] „eine (= alleine, einsam) werden/sein“. Die in Lectio G vorliegende Konstruktion mit Gen. Obj. („hinsichtlich Gemeinschaft/Freundschaft und beständiger Zuneigung“; so auch JT) und an + Dat. der Person ist ungewöhnlich (vgl. Lexer III 103), häufiger ist reflexive Konstruktion, wie in Lectio H, was für G als lectio difficilior spricht.
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Stellenkommentar
30/31 (La 30/31) Weder die erzähllogisch-kompositorischen, noch die metrischen, noch die stilistisch-lexikalisch argumentierenden Einwände, die gegen die Wolframsche Provenienz dieser beiden in G nicht überlieferten Strr. erhoben wurden (im einzelnen s. Heinzle), sind stichhaltig: Angesichts der mangelnden narrativen Kohärenz (vgl. insbes. einl. Komm. zu Strr. 13–24), angesichts der prekären metrisch-musikalischen Form der Strophe (vgl. „Editorisches Vorwort“ 1.5), angesichts der Fülle der gesuchten Formulierungen, Neologismen und außergewöhnlichen Konstruktionen in diesem Text (wie sie etwa auch in der gerade vorhergenden Str. Vv. 2 u. 4 zu finden sind) fügen sich diese Strr. in das Gesamtbild des Tit. (zum Kompositorischen vgl. einl. Komm. zu diesem Abschnitt). Man mag in diesen Strr. (zusammen mit Str. 36) eine „Verlebendigung“ der Kinheitsgeschichte durch Einschaltung von „Genrestrophen“ sehen (so Mohr 1978, 126 f.), oder auch ein erstes Anklingen der dialogischen Konzeption, die ab Str. 56 das ganze 1. Fragment dominieren wird gegenüber dem epischen Bericht (schon der Beginn des Textes, die wörtliche Rede Titurels, gehört mutatis mutandis hierher; nicht zufällig endet der Text jeweils im 1. und 2. Fragment mit einem Dialog). (Zur Frage nach der ‚Echtheit‘ vgl. auch allgemein „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). Das Bestürzende dieses kurzen Dialoges zwischen dem Kind Sigune und ihrem Vater Kiot liegt auch nicht in der vermeintlichen Unstimmigkeit mit kinderpsychologischer Alltagserfahrung, sondern in der Selbstverständlichkeit, mit der ausdrücklich kindliche Umwelt der tokken dem an diesem Punkt der Erzählung schon mehrfach als tödlich präsentierten minneritterlichen Verhalten vollständig kommensurabel gemacht wird, um sogleich als besonderer Vorzug und Erweis von sælde begrüßt zu werden, und zwar von niemand anderem als jenem Vater, der selbst allem ritterlichen und höfischen Leben entsagt hat – „so wird am Blick auf die Kindheit Sigunes erkennbar, wie früh ihr Leben bereits von dieser Trias [ritterliche Bewährung – Minne – Tod] geprägt ist“ (Brackert 1996, 172). Insofern erscheint die Antwort Kiots nur im ersten Moment „ironisch“ (Heinzle) und als „Scherz“ (Haug 1980, 18; vgl. Komm. zu 31,1– 4), der im nächsten Moment die ernste Wahrheit über das „Verhaltensmuster, das die Katastrophe mit sich bringen sollte“ (Haug 1980, 18) radikal und abgründig ans Licht bringt. Die Ähnlichkeit mit der Obie-Obilot-Episode des Pz. beschränkt sich nicht auf einen „hübschen Einfall“ (kleines Mädchens als Minneherrin), den Wolfram „noch einmal“ verwendet (Mohr 1978, 126). Daß auch hier die kindliche Schwester Obilot Gawan gegenüber die Dienst-Lohn-Terminologie der Minneherrin erstaunlich selbstverständlich beherrscht (etwa 368,15 ff.; 369,2 ff.), daß auch hier der Vater angesichts dieser Gesinnung seiner Tochter von ihrer sælde (373,4) und seiner freude (374,10) spricht, daß auch ihr die Hyperbel des Speere-gebärenden Waldes für ihre Zukunft als Minneherrin angesonnen wird (372,5), daß schließlich auch sie ihre tocken als Minnedienst-Pfänder einzusetzen erwägt (372,16 ff.), kann durch die breite epische Ausgestaltung und die souveräne, gleichsam neutralisierende Statik Gawans hier Anlaß zu heiteren, burlesken Szenen geben und somit für den Augenblick die Ursache des Krieges vergessen machen: Die ältere Schwester Obie, die das Prinzip der Gewährung der Minne nur um den Preis extensiver Bewährung im Kampf im gesamten Pz. vielleicht am offensivsten und radikalsten formuliert (Pz. 345,27 ff.), wobei sie sich dezidiert auf ein Modell als Vorbild beruft, das den Zweikampf-Tod des Minneritters (Galoes) und das Hinterher-Sterben der Frau (Annore) in klagender triuwe, das SigunenSchicksal also, präfiguriert (Pz. 346,15 ff.; Pz. 81,1 ff.). Was hier noch episch in Handlung entfaltet wird, ist im Tit. verdichtet zum Ineinander von Kinderspiel und der tödlichen Konsequenz dessen, für das die tocken eingesetzt werden: Zugleich mit dem Lachen über die Unangemessenheit wird das Wissen um die tödliche Konsequenz dieser Unangemessenheit aktualisiert, die darin liegt, daß der lôn-gewährende Körper der Minneherrin nicht durch Pup-
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pen substituierbar ist, daß Ritter im Minnedienst keine Puppen sind (zu tocken vgl. auch Komm. zu 30,2). Am Artushof läßt Wolfram die Damen ihre Minneritter in die Tjoste hinein auf die Gegner abschießen wie Pfeile und sie umso hochgestimmter werden, je mehr der Ritter leidet (Pz. 217,13 ff.). Er hat damit eben diese fatale Substitution des Kampfes durch Spiel formuliert: Hier wie in dem Wortwechsel des Kindes Sigune mit Kiot dem Eremiten „figurieren die Ritter weniger als Vollbringer ihrer Waffentaten denn als Opfer eines weiblichen Kampfsports“ (E. Schmid: Wolfram von Eschenbach: Parzival. In: H. Brunner (Hg.): Mhd. Romane u. Heldenepen, Stuttgart 1993, 185).
30 (La 30) 1
das kint ] Sigune spricht, „was man erraten muss“, wie Martin hinsichtlich der Authentizität skeptisch hinzufügt. Angesichts der oftmals verzögerten, nachgetragenen Einführung von Namen und Umständen in diesem Text, kann diese kurze Unsicherheit, die spätesten in V. 2 mit muomen und von hynnen ausgeräumt ist – in V. 1 könnte man zunächst an Herzeloyde (29,3–4) denken –, kaum irritieren.
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vollen ] Das Adjektiv vol ist abhängig von gewinnen (= hier etwa „verschaffen“) und bezieht sich prädikativ auf das Akk. Obj. schrein („verschaffe mir meine Truhe voll“ = „sorge dafür, daß meine Truhe voll ist“); vollen wird näher bestimmt durch den abhängigen Gen. Pl. tocken: „meine Truhe voll der Puppen“. Im Nhd. unflektiert, kann prädikatives Adjektiv im Mhd. auch stark flektiert werden (Martin verweist etwa auf Pz. 671,19). tocken ] Puppen, kleine menschliche Figuren, sind als ubiquitäres Kinderspielzeug für das Ma. gut belegt (LMA V/1991, 1144; für literarische Zeugnisse s. insbes. Schultz 1995, 50 ff.). Indessen weist Ariès darauf hin, daß der Umgang mit verkleinerten Figuren in Antike und MA noch nicht den kleinen Kindern vorbehalten war, sondern im kollektiven religiösen Alltag (Votivgabe, Totenkult) präsent war (Ph. Ariès: Geschichte der Kindheit, München 1978 [zuerst frz. 1960], 135 f.). Von der Vorstellung des leblosen menschlichen Körpers, ob als Substitut der tocke oder als einbalsamierter Leichnam, scheint für Wolfram eine besondere Faszination auszugehen (Komm. zu Str. 21,2). Was Kinderspiel betrifft, wird allein im Wh. angesichts der mörderischen Belagerung und Verteidigung des von Leichenbergen umgebenen Oransche die tocke als Möglichkeit kindlich-spielerischer Substituierung dezidiert zurückgewiesen (sine spilten niht der tokken Wh. 222,28), als die sie doch sonst bei Wolfram stets figuriert. Im Tit. selbst tauchen tocken noch ein weiteres Mal auf: in Sigunes erstem Minnegespräch mit Schionatulander, auch hier im Kontext von Minne und körperlicher Zuwendung einerseits (triuten) und kämpferischem Rittertum (Falkenmetaphorik) andererseits (Str. 64, 3; vgl. Komm. dort). Im Pz. drückt schließlich Gawan die kleine Obilot, deren gespil ihr zuvor die tocken als Minnegabe für Gawan empfahl (372,16 ff.), als ein tockn an sîne brust (395,23). Und der herrlich gewappnete Heidenkönig Josweiz wird im Wh. im Vgl. mit mîner tohter tocke (33,24) aktualisiert. Doch in der skizzierten doppelten Konnotation der tocken im Minnedienst-Komplex (vgl. auch einl. Komm. zu Strr. 30/31) – einerseits Minnepfand als Substitut des weiblichen Körpers, andererseits verdinglichtes Substitut des männlichen Körpers – geht das Motiv an dieser Stelle noch nicht auf. Immerhin ist es eine Trennungsszene, in der Sigune nach mehreren Todesfällen von ihren Erziehern und unter Tränen von ihrer Milchschwester und Spielgefährtin Abschied nehmen muß, in der sie vom hinzugekommenen Vater an einen fremden Hof, zu einer fremden muome gebracht wird. Auch wenn in Rechnung zu stellen ist, daß Familienbeziehung
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Stellenkommentar und Intimität in der Adelserziehung des Hochmittelalters sich moderner Mentalität entziehen, so ist doch auffällig, wie massiv und dominant hier die Motive der Trennung, des Abschiedes, der Fremdheit sind. In dieser Darstellung eines Abschiedes, in der sich die Erziehungswaise, bevor sie sich von der Vertrautheit in die Fremde begibt, als erstes und einziges nach ihren Puppen verlangt, mag sich eine Wahrnehmung kindlicher Lebenswirklichkeit niedergeschlagen haben, die Puppen als „Ersatzformen für Liebesmangel“ (Brackert 1996, 172) begreift. muomen ] Die muome ist die Tante mütterlicherseits, Mutterschwester (oft auch allgem. „weibliche Verwandte aus der weiblichen Linie“; vgl. müemel 108,4 u. Komm. dort); terminologisch und der Bedeutung nach strikt zu unterscheiden von der base, der Tante väterlicherseits. Doch im Gegensatz zu männlichen Personen ist das Verhältnis weiblicher Personen zu ihren muomen bei Wolfram selten aktualisiert, und zwar, mit einer einzigen Ausnahme, nur im Falle Sigune – Herzeloyde (im Tit. 32,1; 111,1; 114,3; 136,3; im Pz. 140,22; 249,23; 252,15). Bertau vermutet, daß in diesem Falle die Mutterschwester den nicht als Erzieher verfügbaren œheim, den Mutterbruder substituiert (Bertau 1983a, 223; das Avunkulat, die Beziehung zum Mutterbruder, ist beinahe ubiquitär eine primäre verwandtschaftliche Bindung).
3–4 Zum Motiv des Verhaltens des Kindes als Minneherrin vgl. einl. Komm. zu Strr. 30/31.
31 (La 31) 1– 4 Nach seinem Abschied vom Rittertum (22,4) und der Übergabe seiner Tochter an seinen Bruder (25,1–2) verwundert es, Kiot bei nächster Gelegenheit wieder in höfischer Gesellschaft, offenbar hier am Hof in Pelrapeire, anzutreffen (so wie er ja auch im Pz. an diesem Hof auftritt und von seiner Klause nur indirekt berichtet wird; vgl. Komm. zu 23,3–4). Zugleich fällt auf, daß Kiot nach dem Tod seiner Frau stets und ausschließlich als eine Figur auftritt, die Abschied nimmt, und das mehrfach: vom Ritterleben, von seiner Tochter gleich zweimal (hier und in Str. 25,2). Umso mehr irritiert, daß es eben diese Figur ist, der das vielleicht ungebrochenste Lob des Minnerdienstes und kämpferischen Rittertums zugemutet wird. So, wie dieser Kiot am Ende des Pz. als Prinzenerzieher auftritt (vgl. Komm. zu Str. 23,3–4), so kann er offenbar auch hier die Position ritterlichhöfischer Affirmation einnehmen. Weder sind klare Ironiesignale zu entdecken, noch Argumente für spätere Interpolation zu gewinnen. 2
muoss ] Alle Hgg. schlagen hier müeze vor, da sie Kiots Aussage als Wunsch in der gramm. Form eines voluntativen Konjunktivs auffassen. Die Aussage läßt sich aber auch futurisch mit modaler Färbung verstehen mit der Ind. Präs.-Form muoz (Mhd. Gramm. § 315 c). So fassen wir die Verbform auf. Von der Schreibung der Hss. her läßt sich keine Entscheidung treffen: H verfährt gänzlich unsystematisch mit der Kennzeichnung von /uo/ und dem umgelauteten /üe/. M unterscheidet zwischen diakritischem !o" für /uo/ und !e" für /üe/, hat aber hier – wie sonst nirgends – ein anderes diakritisches Zeichen über dem !v ", das sich wie !æ" (so Heinzle) oder !œ" liest. Für die (normalisierte) Form muoz spricht nicht nur der Indikativ der Vv. 1 u. 3, in denen Kiot um das Heil und die Vorzüge seiner Tochter sicher weiß, sondern insbesondere die auch inhaltlich parallele Formulierung in Str. 4,4 iâ muoz al mîn geslähte imer … erben, die von keinem Hg. bezweifelt wurde (obwohl die gemeinte Form unsicher ist, da G stets !Q" für /uo/ und /üe/ schreibt, H an dieser Stelle mues schreibt und der JT an beiden Stellen mUz). Vgl. zu den Schreibungen der Hss. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 2.22.
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also herer frawen an dir lannge gunnen ] alsô bzw. als (nach den älteren Hgg.) ist vergleichend („ebenso“), herer frawen Gen. Pl. Obj. zu gunnen. Sigune ist schon bei Kiots Absage ans Ritterleben mit Katelangen belehnt worden (vgl. Str. 22,3) und also tatsächlich schon seit langem wirkliche frouwe über Katelangen (deshalb ist dies wohl kaum „tändelnd zum fünfjährigen Kinde“ gemeint; so Martin). Der primäre Sinn von Kiots Worten liegt doch sicher weniger darin, daß Gott dem Land eine (evtl. auch andere) Herrin gewähren müsse, die ebenso vorzüglich sei wie sein Kind (so lesen sich die Übers. v. Mohr, ähnlich Gibbs/Johnson, Antonini), sondern daß Gott dem Land mit Sigune, in ihrer Person (an dir) eine so vorzügliche Herrin gewähre, und dies vor allem lannge (verkürzend, aber weniger missverständlich San-Marte: „Gott gönn dich lange K. als Herrin“, ähnlich Passage, Rapp, Matthias). Die Schwierigkeiten, die Stelle zu übersetzen, scheinen darin zu liegen, daß in Kiots Rede der grammatische Personenwechsel von der 3. Pers. (V. 1) zur 2. Pers. (V. 3–4) gleichsam in diesem Satz vollzogen wird, was wiederum der ma. Vorstellung von Herrschertum entsprechen mag, die die primäre, überpersonale und übergeordnete Institution der Landesherrin durch die jeweils konkrete Person ausgefüllt sieht. 3
In der Tradition antiker und biblischer Vorstellungen vergegenwärtigt sich mittelalterliche Literatur die den Menschen beeinflussende Kräfte und ihn beherrschenden Eigenschaften, die neuzeitliches Denken als Abstrakta und als zur Personalität gehörige Merkmale auffaßt, als selbständig agierende allegorische Mächte und Personifikationen: So zumeist die Minne (vgl. etwa Str. 64), so etwa kiusche und stætekeit (Str. 5), so lop (Str. 35,3), so hier sorge und sælde. Die Aktivität, Macht und Einflußnahme dieser Personifikationen wird häufig als Wachen bzw. Schlafen vorgestellt (vgl. zahlreiche Belege u. Verweise bei Heinzle), so auch mehrfach im Tit.: sînes trôstes ir sorgen ein teil entslief (Str. 83,4), mîn wachendez gedenken (104,4; dort auch mit der Antithese slâfen). Die auffälligen Alliterationen (sorge – slaffet – sælde) mögen ein zusätzlicher Grund für die bezwingende Prägnanz vorliegender, in dieser Zusammenstellung ungewöhnlichen Formulierung sein.
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Swartzwalde … ze scheften ] Daß im ritterlichen Kampf, insbesondere im Minnedienst, ganze Wälder zu Lanzenschäften und Speeren verarbeitet werden, ist eine außerordentlich beliebte und in vielerlei Variationen verbreitete Hyperbel in Wolframs Texten (im Tit. noch 107,1; vgl. Komm. dort), der für eifrige Ritter das Wort vom waltswende (= „Waldverschwender, Waldvernichter“; Pz. 57,23) prägt. Insbesondere der Schwarzwald wird in jedem der drei epischen Texte Wolframs genau einmal imaginär zu Lanzenschäften verarbeitet (Pz. 379,6–8; Wh. 390,1–3). Daß solcher Vergleich sich im Munde einer Figur noch hyperbolischer ausnimmt als – wie stets an den anderen Stellen – im Munde eines Erzählers, von dem man derlei Kommentare allenthalben erwarten muß, scheint weniger darauf hinzudeuten, die Rede hier als unernsten (evtl. gar epigonal interpolierten), ironischen Scherz (Martin; auch Heinzle u. Haug 1980, 18) auffassen zu sollen, als vielmehr darauf, in welchem Maße hier „der Manierismus selber das von Wolfram thematisierte Problem“ geworden ist (Wyss 1974, 265).
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er kôs si für … ] Es kann entweder heißen „er hielt sie für den Maienglanz“ (so Simrock, Matthias, Hollandt, Fourquet) oder „er zog sie dem Maienglanz vor“ (Martin unter Hinweis auf Str. 152,4 kôs in für alle gewinne; ebenso Docen, Heinzle und die Mehrzahl der Übersetzer). Erstere Möglichkeit fällt sicher aus, wenn man Heinzle folgt und sich
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Stellenkommentar Sigune inmitten taubenetzter Blüten vorstellt (bî = „neben, im Vergleich mit“; dann kein Komma nach sach). Es erscheint uns aber naheliegender, (mit Martin und Marti) in den tounazzen bluomen zunächst eine nachgetragene, durch das Glitzern nochmals eindringlich als Lichteindruck vergegenwärtigte Intensivierung des strahlenden Glanzes des Maien zu sehen (bî = „mit“; zu den tounazzen Blüten vgl. Str. 115,1 u. Heinzles Materialslg. zu dieser Str.). Es mag aber die Unentscheidbarkeit auch Programm sein: Die Verstehenspotentiale des Bildes können ineinanderfließen, indem die Frühlingsblüten zwischen Objekt des Vergleiches und Identifizierung changieren. Es kommt hinzu, daß der Vergleich im folgenden Vers offensichtlich hypertroph weitergeführt wird: sælde und êre sind die bluomen, hervorgesprossen aus Sigunes Herzen, deren Schönheit und Glanz den Blüten des Frühlingsmorgens vorzuziehen sei. Die zunächst auf einfachen Vergleich angelegte Metapher enthüllt sich als perpetuierte Überbietung durch Hinübergleiten in andere Bildbereiche: Die Schönheit des Maien wird von Sigunes Schönheit überboten; die taubenetzten Blüten werden nachgetragen als Konkretisierung des maien blic, erweisen sich dann aber nicht als einfache Beschreibungsattribute von Naturschönheit und konkreter Frauenschönheit, sondern werden wiederum überboten von den abstrakten tugent-Werten sælde und êre. Der Schönheitspreis von Frauen als Naturvergleich, bei jungen Mädchen insbesondere als Vergleich mit der bütenreichen Frühlingsnatur, ist sicherlich topisch (vgl. allgem. Th. Stemmler (Hg.): Schöne Frauen – schöne Männer, Mannheim 1988). Mit diesem Bild des Frühlingsmorgens mag auch das Thema der Vergänglichkeit und des Wiedererstehens (gebar mit tôde eine tohter 19,2) als naturhaftes Geschehen konnotiert sein (Wolff 1966, 554 f.). Allerdings wird nicht nur Sigune hier und an späteren Stellen mit Blumen und Blüten verglichen (si liuhtec bluome 108,3; als ein touwec rôse 115,1), sondern ebenso Schionatulander (berndez saf minnen blüete 101,1), dessen varwe durch Sigune zum blumenhaften Blühen gebracht wird (111,4). Sigune wird dabei zum korrespondierenden, wie auch zum auf Schionatulander bezogenen Objekt, wenn sie wie eine Biene die fröude / die süeze aus seinem Herzen saugt (88,4). Kiening/Köbele weisen darauf hin, daß solche „Vervielfältigung von Perspektiven und Verunsicherung von SubjektObjekt-Beziehungen“ signifikant für die in ihrer Komplexität nicht zu vereindeutigenden metaphorischen Aspekte zahlreicher Bildbereiche im Tit. sind (1998, 247).
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Wird das Herz, nach ma. Vorstellung und ubiquitärer Metaphorik das geistige, emotionale, sittliche und physische Zentrum des Menschen, meist als Wohnstätte personifizierter Eigenschaften und Empfindungen vorgestellt (vgl. etwa Str. 68,4 minne stilt mir fröude ûz dem herzen; Str. 88,4 diu zôch ûz sînem herzen die fröude; Str. 150,3 der wonet in lûterem herzen sô gestarket), so wird es hier zum fruchtbringenden Boden und Träger der Blüten, wie an anderer Stelle der Saft der Äste (101,1) und der Baum (108,2; zum Zusammenhang mit V.2 vgl. Komm. dort). Die Metaphorik des Herzens erscheint im Text ebenso vielgestaltig und aspektreich wie etwa der Bildbereich der Natur (vgl. Komm. zu V.2), mit dem sie mehrfach signifikant verschränkt wird (zur Bedeutung und Metaphorik des Herzens s. X.v.Ertzdorff: Studien z. Begriff d. Herzens i.d. höf. Liebeslyrik des 12. Jh.s, Freiburg 1958; M. Bertrand [Ed.]: Le ‚Cuer‘ au Moyen Âge, Aix 1991). Die in der höfischen Literatur topische, „proverbial verfestigte“ (Wyss 1974, 266) Doppelformel sælde unt êre (vgl. etwa den ersten und den letzten Satz von Hartmanns „Iwein“) nimmt das Lob der Sigune aus Kiots Munde in der vorhergehenden Str. auf, die auch von ihrer erhabenen Stellung in der Gesellschaft (31,2) und ihrer religiös-metaphysisch zu konnotierendem sælde spricht (31,3).
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Mertens sieht – nach der Selbst-Zitierung des „höfischen Erzählers Wolframs“ in Str. 31 und folgendem „minnesängerischen Frauenpreis“ – in dieser subjektiven, ich-bewußten Ankündigung „ein Heraustreten des Erzählers aus dem epischen Ablauf“, die zwei Strr. später mit dem „heldenepischen wir“ (nu suollen wir gedencken 34,1) und insbesondere in der direkt vergleichbaren Formulierung am Strophenende zugunsten des unpersönlichen man (daz man jr lob muoss in den lannden meren 34,4) wieder verlassen wird (Mertens 1996, 373 f.). Der performative Charakter solcher Rede tritt deutlicher hervor, wenn man in diesem Vers zwei koordinierte Sätze, mithin im Versbeginn eine echte Aufforderung an das Publikum sieht und nicht einen substituierten Konditionalsatz (so Marti, Heinzle). Die direkte Ansprache an die Zuhörer in der 2. Pers. Pl. ist im Tit. häufig (insbes. nu lât in 92,1; ähnlich 36,1; 59,2; 78,2; 99,1; 143,1; 146,3; 157,3), in dieser unmittelbaren Kombination mit dem Erzähler-Ich aber dennoch ungewöhnlich (vgl. die anders akzentuierten verwandten Formulierungen 37,4; 52,4; 59,3–4). diu lobes iâr ] „die Jahre, in denen man Damen zu rühmen pflegt“ (Marti). Nach Heinzle eine auch später selten belegte Neuprägung Wolframs, mit der er offenbar zu erkennen gibt, daß Sigune noch zu jung, noch nicht volwahsen (vgl. Str. 13,2) für minnesängerisches Lob ist, wobei er allerdings seine Ankündigung im Text nicht oder sehr viel anders als zu erwarten erfüllt: Ein späterer Lobpreis Sigunes erfolgt nur in Strr. 108–111, aber aus dem Munde Gahmurets und eher konzentriert auf episch-genealogische Erwähltheit, denn auf minnersängerischen Schönheits- und tugent-Preis. Den ausdrücklichsten Lobpreis aber läßt Wolfram sogleich folgen in der nächsten Str. (zur Frage nach Echtheit und Erzählstil vgl. einl. Komm. zu diesem Abschnitt).
33/34 (La 33/34) Zur Frage der Echtheit und Athetierung der beiden nicht in G überlieferten Strr. s. „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3. Die inhaltlich-stilistischen, allesamt höchst prekären Argumente für die nicht-wolframsche Provenienz (s. dazu auch einl. Komm. zu diesem Abschnitt) sind bei Heinzle im einzelnen verzeichnet. Am auffallendsten sind die in beiden Strr. auftretenden Zäsurreime (weibe : leibe; gedencken : krencken), wie sie auch die in G nicht überlieferten Strr. 82–84 zeigen sowie Str. 134 in G und Str. 66 in Hs. H (zu den Zäsurreimen vgl. „Editorische Vorwort“ Kap. 1.3 sowie im einzelnen Bumke 1971, 420 ff. und insbes. Heinzle 54 [zu Strr. 30/31], der darauf hinweist, daß es sich in Str. 33 möglicherweise um „funktionslose“, d. h. gleichsam von selbst sich einstellende Reimworte handelt, wie sie des öfteren auch in unzweifelhaft „echten“ Strr. enthalten sind).
33 (La 33) 1– 4 Daß in der Zeile zuvor vom Erzähler weiterer Lobpreis für spätere Zeit mit großem Gestus angekündigt wurde, kann schwerlich als Beweis für die Interpolation dieser in G nicht überlieferten Str. gelten, da solche Nicht-Linearität des Erzählens – ob in sprunghaften, brüchigen Anschlüssen, ob in planvoll scheinender Irreführung des Erzählers – als signifikant für diesen Text gelten muß (vgl. auch den einl. Komm. zu diesem Abschnitt). Ebenso läßt sich über die Repetition der Vokabel raine in Str. 33 und 34,1 sagen, daß sich solche Strapazierungen des Wortmaterials bei Wolfram auch andernorts finden (vgl. das viermalige wild- Strr. 157,4–158,2; vgl. das 13malige rôt Vv. bei der Beschreibung Ithers, Pz. 145,16–146,3). Zum möglichen strukturellen Sinn der Wiederho-
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Stellenkommentar lung an dieser Stelle vgl. Komm. zu V. 4. Insbesondere zwei beinahe wörtliche Nachbildungen der ersten beiden Vv. durch Ulrich von Etzenbach, auf die Heinzle aufmerksam macht, also noch aus dem 13. Jh., lassen eine fremde Interpolation unwahrscheinlich erscheinen.
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ze gantzen tugenden messen ] Es ist wohl weniger gemeint, daß man ihr eine Fülle von tugenden, die sie jeweils ganz besaß, zusprechen mußte (so Martin, der die Lectio M ze güete mezzen kommentiert mit „als Trefflichkeit anrechen“), als vielmehr, daß ihr nichts von dem fehlte, was es braucht, wenn man eine Frau daraufhin beurteilt (mezzen ze), ob sie gantze tugenden hat, also ganz und gar vortrefflich ist, indem sie alle tugenden sämtlich besitzt.
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nindert hares gross ] nindert (auch neiner, niender, ninder) bezeichnet ein „verstärktes niht: durchaus nicht, keineswegs“ (Lexer II 77); die – in diesem Falle abermalige – Verstärkung der Negation durch etwas sehr Geringwertiges (ein blat, ein bône, ein ei, ein hâr) ist im Mhd. beliebtes Stilmittel.
3–4 M und JT bieten an dieser Stelle des in H gestörten Reimes (ane – raine) auffallenderweise einen gänzlich anderen, übereinstimmenden vierten Vers. Daß daher H jünger sei und die Wiederholung der Versenden ane – daz was Schoysiane aus Str. 24,3–4 verbessern wollte (Bartsch 1868, 2; Pohnert), hat Heinzle mit plausiblen Gründen angefochten: Die Variante M/JT stellt sich eher als lectio facilior da. Die Verbesserung des möglicherweise „ursprünglichen Fehlers“ (Heinzle) ane zu aine (âne + Gen. ist eine häufige, beinahe sinngleiche Konstruktion; vgl. Str. 24,3) erscheint unproblematisch, auch angesichts der gleichen Konstruktion in Str. 80,2 andere schilte gar eine, ebenfalls mit Ellipse des verbum substantivum. 3
sy rainer frucht ] Die Hgg. setzen hier mit M und JT gegen die Lectio H den Nominativ, der bezogen auf das Fem. reiniu lautet (frucht als Mask., was die Form rainer als Nom. erklärte, ist nicht belegt). U. E. aber macht die Lectio H guten Sinn, wohingegen M und JT die glattere lectio facilior (wie vielleicht auch in V. 4; s. Komm. oben) bieten: rainer frucht kann als Genitiv aufgefaßt werden, ganz parallel zu der Konstruktion gleicher art des folgenden Verses. Dieser Genitiv bezeichnete dann – unter beim Ausruf häufiger und im ganzen Vers durchgeführter Ellipse des verbum substantivum (vgl. im Tit. 108,3) – ein Verhältnis der Zugehörigkeit bzw. in diesem Fall konkret der Abstammung: „Sie, von/aus reiner Frucht“. Somit ist mit der rainen frucht nicht Sigune, sondern ihre Mutter gemeint, die ja der nächste Vers ganz parallel wiederum zu Anfang vergegenwärtigt (s. Komm. dort). Geistliche Konnotation der Formulierung, insbes. Herkunft aus der Tradition des Marienlobes, auf die Heinzle hier und zu 34,4 hinweist, liegt zwar nahe (evtl. im Sinne von „aus reiner Frucht“ noch deutlicher als im Nominativ), doch nicht mehr als allenthalben in der Terminologie des minnesängerischen Frauenpreises (vgl. die weltlich-epischen Belege Lexer III 546). – frucht noch Str. 116,2 u. 135,3: im übertragenen Sinn „das erzeugte kind“ (BMZ III 427), vgl. Pz. 457,16 f.: nie kiuscher fruht von lîbe / wart geborn dan sîn selbes kint (weitere Belege bei Wolfram s. Rogozinski 1903, 58 f.).
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Zur Syntax vgl. Komm. zu V. 3. – Ähnlich wie in Str. 24 wird Sigune hier im letzten Vers einer ihrer Person gewidmeten Strophe als Tochter ihrer Mutter Schoysiane vergegenwärtigt, insbesondere als Angehörige des Gralsgeschlechtes: dort ist es der Hinweis auf die Mutter als Gralsträgerin (24,4), hier ist es gleichiu art: das (auch von G sowohl als
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Mask. wie als Fem. gebrauchte) art ist hier wohl zugleich im Sinne sippenbezogener, ererbter, naturgegebener Eigenschaft als auch im speziellen Sinne familiärer Abstammung gemeint (zu art als Sippe und familiäre Abstammung vgl. Titurel über seine Nachkommen Str. 4,3: mîn iunger art; in diesem Sinne auch 41,1; 53,1; 57,2; 151,1; als Natur, Beschaffenheit 148,2; 158,3). Dieser genealogische Gedanke mag auch den schroffen Übergang zu Herzeloyde in der nächsten Str. motivieren: Das Zwei-Schwestern-Motiv stiftet über den Sippengedanken, den Gralsgedanken und den Gedanken an gleiche art aller weiblichen Nachkommen der Sippe die Verbindung zu Herzeloyde. Und als Epitheton der drei weiblichen Nachkommen gilt für dieses Mal das repetierte raine, das in der ostentativen Wiederholung strukturellen Sinn entfaltet: In Str. 33,3 wird Schoysiane raine genannt, in Str. 34,1 Herzeloyde, zwischen den beiden mütterlichen Figuren Sigune selbst. Die erste Verwendung von raine in V. 1 formulierte dann den allgemeinen, überpersonalen Anspruch der reine an alle Frauen, die anschließend allen drei weiblichen Gralsnachkommen zugesprochen und beinahe als ererbtes Merkmal suggeriert wird.
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Der Zusammenhang der beiden Strr. 33 u. 34 wurde wegen des unvermittelt scheinenden Personenwechsel immer als unerklärlicher Sprung zurückgewiesen, was als Argument für ungeschickte, späte Interpolation galt – wobei der Übergang der in G erhaltenen Strr. 32 u. 35, hielte man dies für den gültigen Textbestand, kaum minder hart wäre, ebenso die Redundanz und erzähllogische Inkonsistenz, wenn man mit M und JTI Str. 36 zwischen Str. 33 u. 34 stellte (s. Komm. zu Str. 36). Noch Heinzle hält die Formulierung nu suollen wir gedencken, die sich immerhin wörtlich wiederfindet (vgl. 88,2), für „an vorliegender Stelle wenig sinnvoll“. Nach den Beobachtungen zu Str. 33 scheint uns aber der Übergang vom zwei Strr. währenden Lob Sigunes zum ebenso zwei Strr. dauernden Lob Herzeloydes, ihrer muome, in deren Lebensbereich Sigune jetzt hineintritt, weniger unpassend und unvorbereitet. Gerade das Vokabular der den Lobpreis Sigunes beendenden Formulierung die keusche iunge raine (33,4) nimmt das Lob Herzeloydes in den nächsten beiden Strr. exakt vorweg: auch Herzeloyde ist iunc (35,2); als magetlîche witewe (35,1) ist sie in besonderer Weise keusche; raine ist, wie oben (Komm. zu 33,4) beschrieben, ihr erstes Epitheton. Die Abfolge des Erzählten, die ganz offenbar schon längst nicht mehr einer erwartbaren Logik der konsistenten Entwicklung gehorcht, mag eher einer Logik der Ähnlichkeit, der Assoziation, der Suggestion folgen, die durch Vokabeln oder Vorstellungen gelenkt ist.
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krencken = „kranc, schwach werden“ (zu kranc/krenken vgl. auch Strr. 62,4; 66,2; 90,3; 92,2; 107,1; 120,3; 145,2 u. Komm. zu Strr. 62,4 u. 107,1). ir lop ist Subjekt, der ist Dat. Obj. (Pronomen für Herzeloyde). Der ganze Ausdruck kann als Litotes aufgefaßt werden: „ihr konnte ihr Ruhm nicht gering werden“ = „ihr Ruhm ließ nicht nach“. Die Lesung diu kunde von M und JT, die alle Hgg. bevorzugen, kann man demgegenüber als lectio facilior auffassen, die sich um eine Anknüpfung an das vorhergehende Lob Sigunes bemüht: krencken wäre im Sinne von „kranc machen“ zu verstehen, diu wäre hier das Subjekt (gemeint ist Sigune), ir lop wäre Akk. Obj. (gemeint wäre Herzeloydes Ruhm). Immerhin aber ist ein solcher Gedanke konkurrierenden, sich gegenseitig schwächenden Frauenruhmes schon zuvor formuliert: Urrepanse de schoyen lop mac ander lop niht gestillen (10,4). mainen ] Hier: „eine Gesinnung gegen jem. haben“ (Lexer I 2080), hier also die Gesinnung der Wahrheit. Diese für den höfischen Erzähler topische, in dieser Formulierung
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Stellenkommentar gleichwohl ungewöhnliche Wahrheitsbeteuerung, findet sich ganz ähnlich in Str. 88,1 daz rede ich wol mit wârheit, ninder nâch wâne, in eben der Str., in der die ebenso auffallend ähnlichen Worten nu sulen wir ouch gedenken (vgl. Komm. zu 34,1) folgen (ähnlich auch Str. 110,3). Martin (ebenso San-Marte) versteht die lieben nicht als Antonomasie für Herzeloyde, sondern als Abstraktum „die Liebe“, auf die der Erzähler seine „Gedanken […] richten“ will. Dagegen spricht sowohl die schwache Flexion, als auch die Tatsache, daß im vorhergehenden und folgenden die Pronomina stets unzweifelhaft Herzeloyde meinen.
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ursprung ] Zu mhd. ursprinc = „das Hervorbrechen, die Quelle“, bildl. „Ursprung“. Da Wolfram das Wort sonst ausschließlich konkret und in der Vorstellung des Herzens als ursprinc der Tränen gebraucht, fällt die bildliche Verwendung der Vokabel im Tit. auf (hier und in Str. 101,1, wo Schionatulander minnen ursprinc genannt wird). Martin sieht auch hier ein „Bild für das Herz der Fürstin, welches beständig nur edelste Weiblichkeit hervorbrachte“. Eine über verbreitete Terminologie des Minnesangs hinausgehende geistliche Konnotation (so Heinzle; vgl. Komm. zu 33,3) scheint uns weniger die primäre Erklärung solcher Formulierungen zu sein, als die dauernde, variierende Wiederholung und Verwandlung topischer Formeln oder Pseudo-Formalismen, die sich in gesuchten Wendungen niederschlägt und stets weite Assoziationsfelder öffnet. weiplichen ] Die Konjektur wîplicher nach JT, die alle Hgg. gegen H und M vornehmen, erscheint unnötig, da der Wechsel von stark und schwach flektierten adjektivischen Attributen bei Wolfram belegt zu sein scheint (Mhd. Gramm. § 392; die dort gegeben Bsp. beziehen sich allerdings nur auf Wolframs Pz. und nur auf die Hs. D, in die Lachmann hier nicht eingegriffen hat, wohingegen die andren Haupthss. die Flexionswechsel nicht aufweisen).
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Vgl. die ähnlichen Formulierungen in Str. 19,4 und sogleich in Str. 35,3. Insbesondere auffällig ist die Ähnlichkeit mit Str. 32,4, wo auch vom mêren des lobes die Rede ist, allerdings in der Ich-Form. Allein in dieser einen Str. werden in eklatant sprunghaftem Wechsel kollektiv-persönliches wir (V. 1), personales ich (V. 2) und unpersönliches man (V. 4) in der Erzählerstimme nebeneinander gestellt (dazu Mertens 1996, 374; vgl. auch einl. Komm. zu diesem Abschnitt).
35 (La 35) 1
Nachdem in der vorangegangenen Str., anknüpfend an das Lob Sigunes zuvor, von Herzeloyde gleichsam unspezifisch im Register des minnesängerischen Frauenpreises gesprochen wurde (wie ähnlich sogleich wieder in Vv. 2–3), wird nun die schon zuvor erwähnte persönliche Geschichte (die magetlîche witewe, vgl. Strr. 26–27) und unmittelbar darauf ihre genealogische Abstammung (daz kint Frimutelles) aktualisiert. Es ist, als ob der Lobpreis Herzeloydes in der Vielfalt der Möglichkeiten und Beziehungen durchgespielt werden sollte: einmal im überpersönlichen Register des topischen Frauenpreises, einmal im biographischen Register, einmal im wiederum überpersönlichen, genealogischen Register, bevor sich in V. 4 abermals das biographische Register behauptet (s. Komm. dort).
2
helles ] Das auf lop bezogene Adjektiv steht im Genitiv, da von niht abhängig. Zum Prädikat hel für lop oder prîs vgl. Komm. zu Str. 9,4. Wiederum ein vergleichender, gar konkurrierender Ruhm, ganz ähnlich wie wie in Str. 10,4 (evtl. 34,2, s. Komm. dort).
34/35/36
225
3
gie für ] „schritt vorwärts“. Der Ruhm wird – anders als in den ähnlich geographisch bestimmten Formulierungen in 34,4 und insbes. in Str. 19,4 – personalisiert als aktiv Handelnder verstanden (zu vergleichbaren Personifikationen vgl. Komm. zu 31,3), stärker noch in der von allen Hgg. (außer Marti) bevorzugten Lesart H (mit M, JT) lob daz ftr die verre: „ihr Ruhm reiste in die Weite und Ferne“. Ausf. Überlegungen zu Formulierung und Textkritik der Stelle s. Bumke 1973, 176, der der Lesart H die Priorität zuerkennt, da sie eher Wolframs Wortgebrauch entspreche und G aus HM leichter erklärbar sei als HM aus G.
4
ir minne wart gedient ] Entweder ist ist ir minne Dativ und gedienen das Part. Prät. von dienen und die Konstruktion unpersönlich („ihrer Minne wurde gedient“ = „um ihre Minne wurde gedient“: Turnier als Minnedienst; so Übers. Simrock, Matthias); oder aber ir minne ist Subjekt und gedient Part. Prät. vom Intensivum oder Perfektivum gedienen (oder intensiv gebrauchten dienen) im Sinne von „verdienen“: „ihre Minne wurde verdient/ erworben (von Gahmuret)“ (so Marti und die Mehrzahl der Übers.; so auch gedienen in Str. 71,4). Hier wird abermals das biographische Register angeschlagen, aber doch anders als in V. 1: Mit dem Verweis auf das der Erzählzeit vorausliegenden Turnier von Kanvoleiz wird die Kenntnis des Pz. (Pz. 59,21 ff.) in einem temporalen, beinahe konsekutiv klingenden Nebensatz vorausgesetzt – so, als sei das Turnier von Kanvoleiz die direkte Folge und die Begrenzung, mithin das Ziel der sukzessiven Ausbreitung ihres Ruhmes. Herzeloyde wird in ihrer Biographie vergegenwärtigt, indem deutlich gemacht wird, daß es die Biographie einer literarischen Figur ist – einer Figur, die so bekannt ist, daß ihre weitere Geschichte mit dem bloßen, im Nebensatz stehenden Verweis auf ihr vorläufiges Telos (= Kanvoleiz = Gahmuret) erledigt werden kann. Ebenso, wie auch in Str. 37 u. ö. die Beziehung zum Pz., die Andeutung einer neuen Geschichte oder Anspielung auf eine als bekannt vorausgesetzte Geschichte, ins Leere läuft, weil schon andernorts erzählt ist, was nun erzählt werden könnte, und die Erzählung anders als erwartet weitergeht, so läuft auch diese Andeutung ins Leere: Zwar scheint hier zunächst der Faden episch-logischer Erzählfolge wiedergefunden und aufgenommen, doch wird er sogleich wieder gekappt, sei es durch den jähen Wechsel zu Sigune in Str. 36 (vgl. Komm. zur Stellung der Str. 36), sei es spätestens mit Str. 37,4.
36 (La 36) Eine Zusammenstellung mit Strr. 30 u. 31, die in ihrer konkret-verlebendigenden Darstellung sichtlich „zu einer Konzeption“ gehören (Mohr 1978, 127), liegt auch aufgrund der Überlieferung nahe: Heinzle hält mit Röll (1964, 87) und Franz (1904, 22) die Position (nach JTII ) zwischen den Strr. 32 u. 33 für „die ursprüngliche“; Martin stellt sie dagegen (nach M und JTI ) zwischen Strr. 33 u. 34. Die Argumente zur Stellung der Str. sind indes kaum weniger problematisch als die zu ihrer Echtheit (vgl. etwa Martin): Die angesichts der diversen Überlieferungslage einzig Hilfe versprechenden Erwägungen zu Erzähllogik und innerem Zusammenhalt sind für die Textkonstitution nicht fruchtbar zu machen (vgl. auch einl. Komm. zu diesem Abschnitt). Angesichts der Tatsache, daß die in Str. 35,4 zuerst benannte KanvoleizGahmuret-Thematik in Str. 37 aufgenommen und sogleich wieder explizit abgebrochen wird (und in Strr. 45 u. 46 irritierend verwandelt wieder aufgenommen wird! Vgl. Komm. dort), kann man den zweifellos „engen thematischen Zusammenhang zwischen 35,4 und 37,1“ (Heinzle) kaum zum entscheidenden Argument gegen die Stellung der Str. nach H – für Heinzle „die unglücklichste“ – verwenden. Eine Anknüpfung von Str. 35 an 36 ist zudem
226
Stellenkommentar
durchaus gegeben: Der Gedanke an das Turnier von Kanvoleiz, in dem ritterlich mit Speeren um Herzeloydes minne gekämpft wurde, läßt den Gedanken an die Nichte und Ziehtochter Sigune auftauchen: Sie hatte zuletzt von ritterlichem dienst gesprochen, ihr Vater von den Speeren (Strr. 30/31). Nun kommt sie in das Alter, in dem das, was sie als kint vorweggenommen hatte und was an ihrer muome paradigmatisch formuliert wurde, Realität werden kann. Damit ist die epische Situation der Figur Sigune ausreichend konstelliert – in epischbiographischem Zusammenhang oder situativer Handlung erscheint Sigune in diesem Fragment im folgenden nicht mehr. In der letzten Str. des Abschnittes, der wesentlich ihr gegolten hatte, wird sie noch einmal in besonderer Weise vergegenwärtigt (wie es auch im Falle Schoysianes im vorigen Abschnitt geschieht; vgl. Komm. zu 24,4), bevor ein anderer Erzählstrang dominant wird und nachdem auch der Gang der Erzählung schon an anderer Stelle war (zur Frage nach der ‚Echtheit‘ vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3, zur Strophenfolge ebda. Kap. 1.4). 1
Die formelhafte, heldenepisch anmutende Anrede an die Zuhörer (vgl. ähnlich 59,2; 78,2; 146,3), die sich durch den spannungssteigernden Ausdruck frömde wuonder nachgerade als „pompöse Ankündigung“ ausnimmt, „stößt ins Leere“: denn was folgt, ist „angesichts der bloßen Natur nichts Erstaunliches“ (Wyss 1974, 266), und weiteres wird von Sigune hier nicht erzählt: frömd ist das, was folgt, für Zuhörer und Autor nicht. Welche Reichweite aber diese Ankündigung hat, ist auch hier unklar: Sie mag sich auf die gesamte Liebesgeschichte beziehen, am wenigsten vielleicht auf die unmittelbar folgenden Verse. Hauer etwa paraphrasiert, im Hinblick auf die gesamte Liebesgeschichte und unter Vorwegnahme einer pejorativen Deutung der folgenden Vv.: „Geschichten von anderswo, aus einem dem prîs fernen Land“ (1992, 58). Oder ist der Ausdruck so zu verstehen, wie ihn Blanscheflur in ihrer großen Liebesklage gebraucht: Minne als ihr selbst unvertraute, staunenswerte Macht, als wunderlîche nôt, von zouberlist bewirkt (Gottfried Tr. 1003 ff.)? Solcher Figurensubjektivismus stünde allerdings in großer Spannung zum Objektivismus des Erzähltones dieses Verses.
2
Dies ist wohl die Beschreibung der Geschlechtsreife, mithin der prinzipiellen Mannbarkeit bzw. Heiratsfähigkeit: Insofern geht es in der folgenden Liebesgeschichte nicht so sehr um das außergewöhnlich frühe Alter, sondern nach Mertens um „eine ‚erste Liebe‘ zweier Unerfahrener, die in der Liebe noch Kinder sind und Orientierung suchen“ (1993, 205).
3–4 Die Valenz der Termini hochgemüete, stoltzen und losen ist schwer abzuschätzen. hochgemüete ist einerseits als Variante zu hôher muot positiver Ausdruck für die Zugehörigkeit zur höfischen Welt, für stolzes, höfisches Selbstbewußtsein und vornehme Gesinnung (vgl. etwa Str. 125,2). Das durchaus auch reich belegte Bedeutungfeld „Übermut“, oder auch „Arroganz, Hochmut“ (Lexer I 316 f.), wird vornehmlich durch die folgenden, seltenen Verben stoltzen und losen suggeriert. stolz bezeichnet Selbstbewußtsein, dessen Bedeutungsspektrum freilich bis zu Überheblichkeit reicht, lôs meint zunächst ungebundenes, befreites Fröhlich-sein, welches bis hin zum Übermut gehen kann. Die Worte sind sichtlich „so gewählt, daß ihre Bedeutung […] ambivalent bleibt“ (Bumke 1997, 248 f.). Daß man überhaupt den primären Bedeutungen mißtraut und nicht bloß befreites, selbstbewußtes Erwachen höfischer Hochstimmung sehen kann, dürfte vornehmlich dem Gestus der gesamten Str., insbes. V. 1 geschuldet sein, der eine Veränderung Sigunes gegenüber ihrer zuletzt noch gepriesenen keusche (Str. 33; kiusche hat ja auch we-
36/37 – 42
227
sentlich die Aspekte von Zurückhaltung und Demut) erwarten läßt. Dennoch wird man schwerlich von „plötzlichem Sinneswandel“ Sigunes (Rogozinski 1903, 21; vgl. mit anderem Akzent Hauer 1992, 57 ff.) sprechen können und einräumen müssen, daß es Sigune an stolzem Selbstbewußtsein schon zuvor kaum mangelte. Wurde oben in dem Konnex von tocken und Minnerittern schon dem kleinen Kind eine in der Formulierung bedenkliche Einstellung zu minneritterlichem Verhalten zugesprochen (Str. 30), so mag hier angesichts der tatsächlich in das Alter der Minnedame kommenden Sigune im ambivalent werdenden höfischen Vokabular wiederum dieselbe Problemlage aktualisiert werden. Beidemale aber tritt diese Ambivalenz und Gefährlichkeit solch koventionalisierten Minnedienst-Gebarens nicht in den Umkreis der Verantwortung der handelnden Figuren. Eben diese Abwehr des Gedankens an subjektives Fehlverhalten und die Integration in höfisches Verhaltensrepertoire scheint dem Erzähler wichtig zu sein, wenn er abschließend Sigunes weipliche güete betont, womit die Verbindung zum vorangegangenen Frauenpreis (Strr. 32–34) gewahrt bleibt. Signifikanterweise bleibt wohl auch der Status dieser letzten Formulierung ambivalent: das verknüpfende doch kann bloß verstärkend („in der Tat, durchaus“) oder aber adversativ („dennoch, trotzdem“) gemeint sein.
37–42 (La 37–42): Schionatulanders Herkunft und Jugend In den Strr. 37–42 wird der Held der Geschichte (dirre âventiure hêrre 39,4) vorgestellt. Dafür wählt Wolfram mit Str. 37 einen seltsamen Einstieg. Er sagt zunächst, worauf er nicht eingehen will (Gahmurets Abschied von Belakane, die Eroberung Herzeloydes, den Bruch mit Anphflise) und setzt dem als seine Intention entgegen, von magetlîcher minne zu erzählen – eine Formulierung, die eher an einen weiblichen Helden, also an Sigune, denken läßt. Die sehr dezidierte Formulierung von 39,4, Schionatulander werde der Held dieser Geschichte, steht jedenfalls deutlich im Widerspruch zu diesem Erzähleingang, der schon die Relativierung vorwegnimmt, die Schionatulanders Heldenrolle durch die Strr. 42 ff. erhält: dort wird die Gralsthematik erneut aufgenommen und Sigune als Abkömmling dieser Sippe hoch über Schionatulander gestellt. So steht dieser Abschnitt, der, ganz analog zur Präsentation der Sigune, Schionatulander nach Herkunft und Heranwachsen vorstellen soll, seltsam eingezwängt zwischen Partien, in denen Sigune dominiert, und kann sich deshalb nicht recht entfalten. Zwar spart Wolfram nicht mit lobpreisenden Worten für Schionatulander (Strr. 38, 39 u. 42,4), dennoch ist nicht zu übersehen, daß der ganze Abschnitt in gar keiner Weise den vorhergehenden Strr., in denen Sigunes Herkunft und Aufwachsen bis ins Einzelne aus der Genese des Gralsgeschlechts heraus vorgeführt wird, an die Seite zu stellen ist. Wolfram formuliert dieses Ungleichgewicht selbst, wenn er sagt (41,1): Ein teil ih wil des kindes art iu benennen. So widerlegt der Zusammenhang und die Präsentation im einzelnen auf eine merkwürdige Weise den Anspruch, den dieser Abschnitt mit Entschiedenheit stellt: er wirt dirre âventiure hêrre.
228
Stellenkommentar
37 (La 37) 1
wie ] Nach Verben des Aussagens oder Mitteilens (zu denen im weiteren Sinne auch geswîgen in V. 4 gehört), kann wie „fast gleichwertig mit daz stehen“ (Mhd.Gramm. § 457). In diesem Sinne faßt Heinzle mit Leitzmann (1901, 139) gegen Stosch (1881, 198) die mit wie eingeleiteten, von geswîgen abhängigen Sätze als Objektsätze auf. U.E. ließen sie sich besser modal verstehen: denn daß das hier Erzählte geschehen ist, kann der Erzähler nicht mehr verschweigen, nachdem er es gesagt hat; er kann lediglich unerzählt lassen, wie es geschah. – Die heimliche Trennung Gahmurets von seiner ersten Frau, der schwarzen Königin Belakane, und seine Rückkehr aus dem Orient werden im Pz. 54,17 ff. erzählt.
2
die swester Schoysîânen ] = „die Schwester der Schoysiane“ = Herzeloyde. Es ist unverkennbar, daß sich diese Antonomasie hier auch dem Reimzwang verdankt; sie entspricht aber auch dem durchgängigen Stil des Tit., der eher etwas umschreibt und mittelbar sagt, als es direkt zu benennen. So schreibt Wolfram auch im folgenden Vers von der Franzoisine und läßt den Hörer/Leser erst einmal rätseln, wer gemeint ist: die auch im Pz. genannte Königin von Frankreich Anphlise, deren Name dann erst in der nächsten Strophe (38,1) erscheint (vgl. Komm. zu Strr. 39,1 u.2).
3
der Franzoisine ] Gemeint ist Anphlise, die erst in den folgenden Strr. namentlich erwähnt wird (vgl. zum Verschweigen des Namens den vorhergehenden V. 2; zu Anphlise Komm. zu 39,1 u. 2).
4
des wil ih hie geswîgen ] Nach Heinzle liegt formal die Stilfigur der Transitio-Aposiopese vor, deren Ziel es ist, „dem Publikum das Anhören von Inhalten des soeben ablaufenden Redeabschnitts (zu) ersparen, um sein Interesse sofort und um so stärker für den neuen Abschnitt zu gewinnen“ (Lausberg 439). Man wird allerdings fragen müssen, ob mit einer solchen Feststellung hier das Wesentliche getroffen werden kann. Zum einen handelt es sich ja bei den verschwiegenen Inhalten nicht um soeben Erzähltes, sondern um an den Text von außen (hier vom Pz. her) herangetragene neue Inhalte, und zum anderen ist das neue Thema, das genannt wird (von magetlîcher minne), keineswegs das Thema, das im unmittelbar darauf folgenden Abschnitt tatsächlich behandelt wird. Interessanter erscheint uns die Form der Strophe selbst, die mit den dreimaligen wie-Nebensätzen Gahmuret und seine drei wichtigsten Minneverhältnisse benennt und damit drei Beispiele nicht-magetlîcher Minne in rhetorischer Eindringlichkeit der magetlîchen minne von V. 4 gegenüberstellt. In Bezug auf den Kontext der Strr. 36 u. 38 läßt sich jedoch mit Wyss (1974, 267) sagen: es wird mit Versatzstücken gearbeitet, die „kunstvoll an der falschen Stelle placiert“ werden. von magetlîcher minne ] Heinzle kommentiert: „magetlîchiu minne bezieht sich auf die Liebe zwischen Sigune und Schionatulander, das eigentliche Thema des Gedichts. Auch Sigunes Klausnerinnendasein im P steht unter diesem Begriff, cf. P 805,1: Diu (sc. Sigune) magtuomlîche minne im (sc. Schionatulander) gap.“ In beiden Fällen geht es um eine minne, die magetlîch bzw. magtuomlîche genannt wird, also streng genommen nur die minne der Sigune sein kann, die dann sekundär als solche auf Schionatulander wirkt. Es scheint uns wichtig festzuhalten, daß das Thema des Gedichts, wenn es denn hier formuliert wird, damit eindeutig von Sigune her gesehen wird (vgl. auch Martin). Auch Wyss (1974, 266) ist der Auffassung, daß diese Stelle „eigentlich über das Fragment hinweg auf den ‚Parzival‘ zurück“ verweist, „auf das schon erzählte Ende Sigunes, das den
37/38/39
229
Tod des hier vorzustellenden Helden voraussetzt.“ Damit stünde die Stelle im Widerspruch zu 39,4 (vgl. Komm. dort), aber damit auch im Widerspruch zu sich selbst. Denn es wäre unsinnig, „eine Liebesgeschichte, wie sie doch 37,4 ausdrücklich ankündigt, mit nur einem Helden zu verfassen“ (Wyss 1974, 267).
38 (La 38) 1
Anphlîsen ] vgl. Komm. zu Str. 39,1 u.2. kint ] „ein Edelknabe“ (Martin), Page (vgl. Pz. 8,4). gelâzen ] „von den Angehörigen des Knaben zur höfischen Erziehung überlassen“ (Marti), wie es für adlige Knaben üblich war. Vgl. Strr. 101,2 ff. u. 129,1 ff.
2
Wir setzen wie alle anderen Hgg. ein Komma nach art, wobei wir im Unterschied zu Lachmann und Leitzmann auf das unnötige demonstrative der (Lesart H) verzichten. Zu anderen syntaktischen Möglichkeiten (2. Komma nach künne statt nach art; 3. Punkt nach art: von art = „von rechter Herkunft“; 4. Lesart H: Punkt nach art; der = auf fürsten bezogener Gen. Pl.) vgl. Heinzle. daz ] ließe sich als Relativum (ein kint, … daz) verstehen; hier aber wohl eher in konsekutivem Sinne: daz ez = „so daß es“. sich mâzen ] mit Gen. = „maßhalten, sich enthalten“. Vgl. die ähnliche Formulierung in Str. 25,4 (s. Komm. dort).
4
swene alle fürsten werdent erboren ] Mit diesem ungewöhnlichen Überbietungstopos („wenn einmal alle Fürsten geboren sein werden“) soll Schionatulander über alle denkbaren Fürsten der Zukunft und damit natürlich zugleich auch der Vergangenheit erhoben werden.
39 (La 39) 1
Die Schwertleite Gahmurets durch Anphlise findet auch im Pz. 97,25 ff. Erwähnung (zur Schwertleite durch eine Frau verweist Heinzle auf literarische Belege vor und historische Zeugnisse nach 1300). Von Anphlise wird im Pz. 76,7 ff. erzählt, daß sie durch ihre Boten Gahmuret an ihre frühere Minne-Beziehung erinnern läßt und ihm die Herrschaft über das gerade geerbte Land anbietet; Gahmuret kämpft jedoch gerade auf dem Minneturnier in Kanvoleiz um Herzeloyde und muß den Antrag schließlich ablehnen. Das undurchsichtig bleibende Liebesverhältnis von Anphlise und Gahmuret bzw. die Konkurrenz der beiden Königinnen und Geliebten Gahmurets spielen später noch mehrfach eine signifikante Rolle (vgl. Strr. 54–55 u. 127–129). schilt enphie ] Lachmann und Leitzmann schreiben nach der Lesart von H den schilt, vermutlich aus metrischen Gründen, denn der artikellose Gebrauch des Akkusativ bei empfâhen ist genauso gut belegt wie der mit Artikel.
230
Stellenkommentar
2
im lêch ] „‚übergab ihm zeitweise‘ den Knaben zur ritterlichen Erziehung“ (Martin). Daß lîhen sich auf Personen (nicht nur hinsichtlich ihrer Arbeitskraft) bezieht, ist zwar ungewöhnlich, aber eindeutig belegt. Vgl. auch die ähnliche Formulierung Str. 101,2–3: diu dich durch ir wîplîche güete mir lêch. Marti vermutet, daß er „als fünfzehn- bis sechzehnjähriger zu denken“ ist. Während Anphlise Schionatulander als Kind erzieht (wohl seit der Kleinkindzeit; vgl. Str. 131,1 u. Komm. dort), wurde Gahmuret das ältere Kind offenbar als Knappe, d. h. zur ritterlichen Erziehung übergeben, wie es für die Kinder des Adels üblich war (dazu LMA III 1199; Bumke 1986, 433 ff.).
3
daz ] Wohl Akkusativ, der sich entweder auf lêch oder auf prîsen beziehen läßt, also auf die Erziehung durch Gahmuret, „aber auch auf das unmittelbar vorausgehende Lob, welches somit etwas kahl dastünde“ (Martin). Kiefner (1952, 101) scheint demgegenüber daz als Nominativ, sîn wâriu kindes süeze als Akkusativ aufzufassen, wenn er schreibt: „Wolfram wollte […] nicht einen Roman von den Abenteuern Schionatulanders schreiben, sondern singen, wie er ‚erwarp sîn wâriu kindes süeze‘ (vgl. dazu Heinzle: „eine zumindest originelle Auffassung des Textes“). U. E. verbietet die auf süeze bezogene Form des Adjektivs wariu (Nom. Sg.; ebenso reinev Lectio M) einen solchen Vorschlag.
4
dirre âventiure hêrre ] Geht man aus von den entsprechenden Formulierungen des Pz. (140,12 f.; 338,7; 434,1; und ähnlich auch 4,25), so ist nicht daran zu rütteln, daß Schionatulander hier als Held der Geschichte bezeichnet wird. Daher hat Heinzle vom traditionellen Heldenbild aus sicherlich recht, wenn er schreibt: „Alle Versuche, Sigune als Hauptfigur der Dichtung zu erklären, scheitern an dieser Stelle, […] projizieren in unzulänglicher Weise das Sigunenbild des P[arzival] in den T[iturel].“ Andererseits darf man mit Wyss (1974, 267) den Einwand erheben, daß damit die Frage womöglich nicht richtig gestellt ist, weil das vorausgesetzte Heldenbild im Tit. gerade aufgelöst wird, indem Wolfram Versatzstücke aus dem Pz. kunstvoll an die falsche Stelle plaziert. „Es wird in dieser Partie des Gedichts eine Fülle von Möglichkeiten, wie Vorgeschichten gestaltet werden können, durchprobiert. Alle spielen sich als Gesten des Erzählers auf, die nur noch sich selbst, Inventarstücke des erzähltechnischen Repertoires meinen.“ Dazu gehört auch die Frage, wie ein Held präsentiert werden kann. „Die Introduktion, die Wolfram an die Stelle des Prologs gesetzt hat, läuft drauf hinaus, daß die Präsentation des Helden fragwürdig wird.“ Der epische Horizont des Helden löst sich auf in dem Widerspruch, daß die Helden wie eh und je „mit panegyrischen Tönen überhäuft“ (Wyss 1974, 267) werden, andererseits Leid und Tod von vornherein die Familien beider Helden kennzeichnen: „dieser Widerspruch demontiert die Idealität einer höfischen Gesellschaftskonzeption, der die Heldenhaftigkeit ihrer exemplarischen Vorbildritter entspringen sollte.“ Zur Demontage des Helden, von der Wyss spricht, gehört auch, daß dieser Vers in den Gegensatz tritt zu 37,4, wo es so aussieht, als wolle Wolfram „Sigune auf Kosten Schionatulanders zur Heroine“ erheben und eine Liebesgeschichte mit nur einem Helden verfassen (vgl. Komm. zu 37,4). Bumke (1997, 252) sucht das Problem durch die Auffassung zu beheben, Wolfram habe damit ankündigen wollen, daß Schionatulander im geplanten Gesamtwerk „eine größere Rolle“ habe einnehmen sollen.
40 (La 40) 1
Anschevîne ] = „der aus Anschouwe (Anjou?)“. Anschouwe ist im Pz. das Land Gandins, seiner Söhne Galoes und Gahmuret, dann dessen zweiter Frau Herzeloyde und ihres gemeinsamen Sohnes Parzivals. Den Beinamen Anschevin trägt im Pz. außer Gahmuret allerdings nur Feirefiz, sein Sohn aus erster Ehe mit Belakane.
39/40/41 2
231
hin über ] „über das Meer hin“ (Martin). Vgl auch Pz. 101,23 und „Kudrun“ 761,2 (über mer). bâruc Ahkarîne ] Im Pz. (13,16 ff., so auch in H und JT) hat der bâruc keinen Namen, im Wh. (45,16; 75,23) heißt er wie hier Ahkarîn. Da er anscheinend aus der Quelle des Wh. stammt („Aliscans“ V. 1428: Acarin), ist zu vermuten, daß Wolfram am Tit. arbeitete, als er diese Quelle schon kannte (also entweder nach Abfassung des Wh. oder während er noch mit dem Wh. befaßt war). In H und JT hat der bâruc ebenfalls keinen Namen; das mit Präposition versehene Allexandrine spielt wohl auf Pz. 18,14 f. und 21,19 ff. an, wo Gahmuret im Dienste des Kalifen bei der Belagerung von Alexandria Heldentaten vollbrachte.
3
wider dannen ] Ehrismann (1927, 292) kommentiert: „In Strophe 40 wird gesagt, Gahmuret habe Schionatulander vom Baruc wieder nach Waleis zurückgebracht. Das ist ein Widerspruch mit Strophe 73 f., eine Vermischung der zwei Fahrten Gahmurets nach der Heidenschaft. Nach Waleis konnte ja Gahmuret von der ersten Fahrt nie zurückgekehrt sein, da er dieses Land erst durch die Heirat mit Herzeloyde erhielt und auf der zweiten Fahrt in der Heidenschaft umkam.“ Es muß also mit Heinzle übersetzt werden: „er brachte es wieder zurück aus dem Heidenland, und zwar nach Waleis.“
4
genendekeit ] „Kühnheit, Mut“; Martin: „hier auf das Vorbild Gahmurets bezüglich.“ helfen ] „mit dat. einem helfen, mit akk. einem nützen; an dieser Stelle wohl der absolute Gebrauch des letzteren.“ (Marti). gemannen ] „zum Mann werden“. Wie die Wörterbücher belegen, ist dieses sw. V. vor Wolfram nicht und später auch nur äußerst selten belegt (BMZ II,1, 51a; Lexer I 835 und III/Nachtrag 190).
41 (La 41) 1
ein teil ] adverbieller Akkusativ = „teilweise, zum Teil“. art ] Abstammung, Geschlecht. Ganz parallel zur Vorstellung Sigunes wird auch bei Schionatulander starkes Gewicht auf die Abkunft gelegt, wobei hier auch die entscheidende Differenz gesehen wird: gerade hochgeburt und künne (Strophe 43,3) stellen die aus dem Gralsgeschlecht stammende Sigune hoch über Schionatulander.
2
Mit Martin ist wohl am ehesten eine Konstruktion apo koinou ohne Interpunktion anzunehmen: von Krâharz Kurnomanz bezöge sich demnach als Nominativ sowohl auf den Vordersatz wie auf den Nachsatz; oder, was in der Sache auf dieselbe Lösung hinausläuft, man setzt mit Gärtner (1969, 161 ff.) ein Komma nach Kurnomanz und supponiert ein sprachlich nicht bezeichnetes Pronomen als Subjekt zu kunde. Die bei Heinzle aufgelisteten zwei weiteren Möglichkeiten scheinen eher gesucht: 1. Subjekt von kunde ist sîn ane; was von Krâharz Kurnomanz wäre dann ein den Namen benennender Einschub, der in Kommata einzuschließen wäre; 2. der Anvers wäre ein eigener Satz mit starker Interpunktion hinter Krâharz und Kurnomanz Subjekt zu kunde. Die hier getroffene kurze Charakterisierung, die Gurnemanz als kämpferischen Haudegen und Rauhbein hinstellt, weicht ganz wesentlich ab vom Bild des Gurnemanz im
232
Stellenkommentar Pz. (162,6 ff.), wo er als idealer Ritter, der dem Helden auch empfindsame und geradezu melancholische Seiten zeigt, zum Erzieher des Protagonisten wird. îsen zetrennen ] „Eisen zertrennen“; die Wendung steht für: „Panzer und Helme durchstechen und durchhauen“ (Marti).
4
Im Pz. 178,15 ff. berichtet Gurnemanz vom Tod seines dritten Sohnes Gurzgri. Schoydelakurte bezieht sich auf die letzte Aventiure, die Erec zu bestehen hat: er muß den Ritter Mabonagrin und seine Dame erlösen, indem er ihn besiegt und ihm damit ermöglicht, das selbstgewählte Gewahrsam im Garten Joie de la curt zu verlassen (vgl. Hartmann Er. 7818 ff.). Vgl. auch die nochmalige Erwähnung des frühen Aventiure-Todes Gurzgris in Str. 89,4 u. 132,2.
42 (La 42) 1
Mahaute wird schon im Pz. erwähnt als Frau des Gurzgri und Schwester des Ehkunat (178,16 ff.). Der hier erwähnte Pfalzgraf Ehkunat von Berbester – im Pz. derjenige, der Kingrisin erschlagen hat, also die Tat begangen hat, für die man Gawan zu Unrecht beschuldigt und herausfordert (Pz. 413,13 ff.; 503,16 ff.) – ist sicherlich nicht identisch mit dem im 2. Fragment genannten Ehcunat, dem Geliebten der Clauditte (Str. 156,1; vgl. Komm. dort). Eine weitere Schwester von Mahaute und Ehkunat ist Schoette, die Mutter Gahmurets (vgl. Str. 131,4; Pz. 92,24 f.). – Passage (1984, 108 ff.) sieht eine Verbindung zu Mathilde, der Mutter des Grafen Guigo IV. Dalfinus von Albon (vgl. dazu Komm. zu 97,2).
2
ûz der starken Berbester ] Der bestimmte Artikel bei Ortsnamen mit Adjektivattribut ist nach Heinzle auch sonst bei Wolfram belegt (Pz. 498,25; 687,10). Berbester ist wohl die Sarazenenfestung Barbastro in Nordspanien, die auch im Wh. (303,1; 329,15 u. ö.) – allerdings nicht im Zusammenhang mit Ehkunat – erwähnt wird. Wie auch der Name des bâruc Ahkarîn scheint Wolfram ihn aus seiner frz. Wh.-Quelle genommen zu haben („Aliscans“ V. 5134: Barbastre), was eine Enstehung des Tit. nach dem Wh., zumindest nach den entsprechenden Wh.-Stellen wahrscheinlich macht (vgl. auch Komm. zu 40,2).
3
Erst hier erscheint, ähnlich wie im Falle Sigunes (vgl. Komm. zu 24,1), der Name Schionatulander, nachdem er bereits 39,4 dirre âventiure hêrre genannt und seine Genealogie des längeren vorgestellt worden ist.
4
nie einer noch der ander ] Wie in Pz. 91,9 ist der Artikel nur zum zweiten Glied der Reihung gesetzt: „erweiterte Ausdrucksweise für: keiner“ (Marti).
43–46 (La 43–46): Lobpreis des Grals und der Stadt Kanvoleiz Nachdem Wolfram, lange nach der Einführung von Sigune, Schionatulander als dirre âventiure hêrre (39,4) vorgestellt hat, kommt er noch einmal darauf zu sprechen, weshalb er, wie es allgemein in der Epik Usus und wie es auch im Pz. bei der Introduktion seines Helden seine Praxis ist, Schionatulander nicht
41/42/43 – 46/43
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vor Sigune genannt hat. Wolfram begründet seine Vorgehensweise mit der hôchgeburt und dem künne (43,4), also mit der durch Abstammung und Geschlecht überlegenen Stellung Sigunes. Diese Begründung, die die Differenz zwischen dieser Aussage und der angeblichen Heldenrolle Schionatulanders völlig ignoriert, läßt ihn die (gerade auch im Vergleich mit der Vorstellung Sigunes) nur kurze Einführung seines „Helden“ (Strr. 38–42) abbrechen. An dessen Stelle tritt erneut Sigune, nachdem sie (durch die Gralsthematik) mittelbar und (durch die Vorstellung ihrer Familie, Kindheit und Jugend) unmittelbar die ersten großen Abschnitte des Werkes bestimmt hatte. Wie in einer Engführung werden diese beiden Themen in einem Lobpreis des vom Gral erwählten heilhaften Kanvoleiz unmittelbar nach der aufs Äußerste verkürzten Vorstellung Schionatulanders zusammengeführt, und es ist wieder Sigune und ihre Gralsherkunft, die den Lobpreis beherrscht, so daß die angebliche Heldenrolle Schionatulanders erneut in Frage gestellt wird. Die Exposition der Kinderminne, auf die der Lobpreis dieser Strophen hinführt (vgl. insbes. Komm. zu Str. 45,4), ist höchst ungleich gewichtet, auch wenn es am Ende des Abschnitts emphatisch heißt: minne huop sich fruo dâ von zwein kinden (46,3). 43 (La 43) 1–2 Der Erzähler treibt ein seltsames Spiel mit den Publikumserwartungen, insofern durch dieses neuerliche Herausstreichen der Überlegenheit Sigunes die Klärung von 39,4 (dirre âventiure hêrre, vgl. Komm. dort) erneut problematisiert wird. Alles scheint wieder offen, und so ist es wohl kaum, wie Heinzle meint, „die erzählerische Ökonomie, […] die Geschichte des Gralsgeschlechts von Titurel über Frimutel und dessen beide vom Gral ausgesandten Töchter bis zu Sigune in einer Linie zu erzählen“, was zur Bevorzugung Sigunes geführt hat; denn das Argument der erzählerischen Ökonomie dürfte von einer Vorstellung von Logik ausgehen, die dem Tit. eben nicht eignet. Die Unentschiedenheit, das In-der-Schwebe-Halten scheint uns vielmehr bezeichnend für eine Erzählhaltung, die die traditionellen Erzählmuster präsentiert, reflektiert und immer wieder auch auflöst: Sigune ist vielleicht die Heldin, aber als Frau darf sie es nach den epischen Regeln nicht sein; Schionatulander ist der namentlich genannte Held, weil der epische Vorgang traditionellerweise einen Helden braucht, aber er tritt als reaktive, ständisch unterlegene Figur hinter Sigune zurück. Vielleicht zeigt sich in dieser Unentschiedenheit, die immer wieder zum Vorschein kommt (vgl. den einl. Komm. zu diesem Abschnitt), was Wyss (1974, 267) pointiert formuliert: „Es sieht so aus, als wollte Wolfram überhaupt nicht mehr vom Helden erzählen.“ 2
diu genôz des ] „das gereichte ihr zum Vorteil“, anakoluthisch angefügt, da man zum mit daz eingeleiteten Vordersatz (V. 1) Wendungen erwartet wie: „das kam daher, das geschah deshalb“. Das des verweist auf das Folgende, das nicht, wie üblich, hypotaktisch angefügt ist, sondern parataktisch (vgl. Marti). man sande ] Auch im Pz. verweist an einer Stelle (494,14) das unbestimmte man auf die Gralsgemeinschaft (vgl. Martin).
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Stellenkommentar
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ûz der phlege von dem reinen grâle ] „aus dem Schutzbereich des reinen Grales“. Eine ähnliche Wendung auch Pz. 826,24. Das die Reinheit, Unantastbarkeit und Heiligkeit des Grales bezeichnende Adjektiv reine ist als Epitheton im religiösen Sinne vielfach belegt (vgl. BMZ II,1, 659 f.; Lexer II 389).
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hôchgeburt ] „die hohe Abstammung, das Hineingeborenwerden in ein hochstehendes Familiengeschlecht“ so wie künne das „Familiengeschlecht“ selbst meint, in das einer hineingeboren wird. si zucket ouch her für ] Das sonst in der Verbindung mit her für bei Wolfram nicht belegte sw.V. zucken meint hier soviel wie: „in den Vordergrund ziehen, den Vorrang geben“ (Marti.).
44 (La 44) 1
des grâles diet ] Heinzle erwägt für diese Formulierung und vergleichbare im Pz. (des grâles schar 473,11 u. ö.; des grâles folc 500,15), es könne damit „an eine Beziehung zum auserwählten Volk der Bibel gedacht“ sein (dazu auch Kolb 1963, 163 ff.), was auch dadurch eine hohe Wahrscheinlichkeit erhält, daß der anschließende Text ja gerade das Thema der Erwähltheit benennt: daz sint die erwelten. Auch die Umschreibung der Herkunft Sigunes (nu was Sigune ouch von dem selben sâmen V. 3) im biblischen Sprachduktus (sâme = „Nachkommenschaft“) führt in diese Richtung sowie das hie unt dort von V. 2, in dem die zugleich himmlische wie weltliche Qualität des Grales und seiner Träger umschrieben wird (vgl. auch Komm. zu 46,1).
2
hie unt dort ] Wir fassen hie unt dort (= „hier auf Erden und dort im Jenseits“) mit Lachmann, Leitzmann und Martin als apo koinou auf und interpungieren deshalb nicht; es bezieht sich u. E. sowohl auf das Vorhergehende (imer sælec) als auch auf das Folgende (in den staeten prîs die gezelten), wodurch wiederum die erwelten von V. 1 näher bestimmt sind. Andere Zuordnungsmöglichkeiten: zum Vorhergehenden mit Komma nach dort; oder zum Folgenden mit Komma nach sælec; oder teils zum Vorhergehenden, teils zum Folgenden mit Komma nach hie; oder eigenständiger Satz mit Ellipse der entsprechenden definiten Form des Verbum substantivum. in den stæten prîs die gezelten ] zelen in = „auserwählen, bestimmen zu“. Die präpositionale Fügung, die die gezelten näher bestimmt, ist dem bestimmten Artikel vorangestellt (vgl. Marti).
3
sâmen ] Auf die spielerische Wiederaufnahme derselben und verwandter Wörter (sâmen in 45,1 und hier, saejen in V. 4) macht Springer (1975, 231) aufmerksam. Hinzu kommt die Alliteration mit Sigûne.
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ûz von Muntsalvâtsche ] Zur Aussendung vgl. Komm. zu Str. 27,4. die heilhaften ] = „die des Heiles Teilhaftigen“, lat. fortunatus. Mit diesem in dieser Bedeutung im Mhd. äußerst sparsam belegten substantivierten Adjektiv (vgl. Lexer III/ Nachtr. 232) werden hier die bezeichnet, denen durch den Gral Heil widerfährt (vgl. Komm. zu Str. 27,4).
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45 (La 45) 1
swâ und hin gehören zusammen = „wohin auch immer“. von dem lande ] = „vom Lande des Grals“. Nach Martin bezieht sich dies auf ein in swâ … hin liegendes Pronomen (= den Einwohnern des Landes), da die Burg Munsalvæsche nie als Land bezeichnet wird. Martins Begründung erscheint nicht stichhaltig, da im Pz. wiederholt von terre de salvæsche die Rede ist (251,4; 792,10 u. ö.). Ob die Änderungen in den Versionen des JT (zuo dem lande ADE, dem lande JKXYZ), wie Heinzle meint, darin begründet sind, daß die Stelle schwierig ist, erscheint fraglich. Es könnte sich hierbei auch nur um eine Angleichung der Lesung an die im swâ … hin ausgedrückte Richtung handeln.
2
daz ] bezieht sich ganz allgemein auf den ganzen vorhergehenden Satz (Marti): „ein solcher Samen mußte überall tragfähig (= fruchtbar) werden“. unt in vil ] H liest hier (mit JT) begründend: wann jn fiel ain, die lückenhafte Hs. M bestätigt das (vi)el. Die Lesung wurde von Leitzmann (und viel in rehte) und Mohr (unde in viel vil; viel vil liest auch JT D) übernommen. Zum einen spricht gegen diese Lesart, daß sie die lectio facilior ist (Verlesung des vil im Kontext mit schûr); zum anderen, daß sie die allgemeine Aussage von G, die zum ersten Halbvers daz muose werden berhaft die sinnvolle Entsprechung bildet, zu sehr konkretisieren würde. Auch für Heinzle (1989, 489) „scheint die anspruchsvollere Syntax des G-Textes eher für dessen Priorität zu sprechen“. Anders Bumke (1973, 177 f.): „Durch das Verbum fiel wird die Syntax in 45,2 einfacher; die Wendung ein schûr fiel ûf ist bei Wolfram bezeugt […] (Wh. 163,18 f.)“. in ] „ihnen“ = den heilhaften von Str. 44,4. ein schûr ûf die schande ] „neues Bild: ein Hagelwetter, das die Schande niederschlägt“ (Marti). Genau genommen setzt dieses Bild das vorhergehende als negatives fort: ein schûr ûf die schande verhindert, daß ein sâmen, in diesem Fall die schande, berhaft wird.
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Kanvoleiz ] Hier, in der schon zuvor im Text mehrfach kurz erwähnten Hauptstadt von Waleis, dem Erbland Herzeloydes, nach dem Parzival selbst der Waleis, „der Waliser“ genannt wird, findet im Pz. das Turnier statt, das zur ehelichen Verbindung Gahmurets und Herzeloydes führt (vgl. Komm. zu Strr. 26,1– 4; 35,4; 39,1). „Ohne daß der Name fällt, treten Parzival und das Paar Sigune und Schionatulander insgeheim zueinander in Beziehung, denn Kanvoleiz, der triuwen houbetstat, brachte Parzivals Eltern zusammen und war dann der Ort, wo die Kinder Sigune und Schionatulander zusammen aufwuchsen“ (Mohr 1978, 127 f.).
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si ] = Kanvoleiz; die Städtenamen sind meist weiblich wie burc, stat, veste (vgl. Martin). der triwen houbetstat ] Die Hs. H liest der getrewen haubtstat, weil sie „offensichtlich den metaphorischen Charakter der Aussage nicht verstanden“ hat (Heinzle). Rahn (1958, 84 f.) hat die Hingabe der einsamen Büßerin Sigune im Pz. zum „Vorbild der triuwe“ erklärt: „Sigune gibt das höfische Leben in vröude und hochgemüete hin für den, der sein Leben im Dienst für ihre Minne verloren hat. So zeigt sich, was Wolfram mit mag-
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Stellenkommentar tuomlîcher minne, die das eigentliche Thema der Sigune ist, gemeint hat“. Nach Rahn gelangt der Mensch erst durch die triuwe zu seinem wahren Sein, da die minne-triuwe ihn ins richtige Verhältnis zu Gott bringt und ihm so den Weg zum Himmel weist. „Darum wird der Wohnort der beiden Liebenden, Kanvoleiz, so hoch gepriesen, ist verre bekennet, und wird ie der triuwen houbetstat genennet.“ In der Tit.-Forschung ergibt sich immer wieder das Problem, wieweit es angängig ist, den Kontext des Tit. von dem des Pz. her zu deuten. An dieser Stelle scheint der Bogen des Möglichen deutlich überspannt zu sein, zumal der Lobpreis der Stadt Kanvoleiz auch aus dem Zusammenhang des Tit. zu erklären ist. Es setzt sich hier die Gralsthematik des Eingangs fort. Der Gral wird verstanden als Institution, von der der Same des Heils ausgesät wird in andere Länder. Sigune stammt aus dem Gralsgeschlecht; der Ort, an dem sie aufwächst, läßt den Gralssamen fruchtbar aufgehen und macht ihn zu einem Ort, an dem die höchsten Gralstugenden blühen. Deshalb ist Kanvoleiz berühmt, und diese Berühmtheit wird im Namen der alle anderen Tugenden in sich zusammenfassenden Tugend, der triuwe, gefeiert. Wyss (1974, 268), der diese Stelle als Ausdruck der Destruktion von Gralswelt und Heldenrolle versteht, scheint den Bogen zur anderen Seite zu überspannen: „triuwe, im ‚Parzival‘ ein Begriff für Relationen, die episch nach und nach konkretisiert werden, ist hier nur noch ein beliebiger Lobeshymnus, eine Anweisung an den Bühnenbildner gleichsam, ja die Kulissen in gediegenen Farben zu bemalen.“ Der Zug zur Destruktion ist unverkennbar im Tit. Er ist jedoch nicht im modernen Sinne zu verstehen als Bezweiflung des Sinns schlechthin, sondern eher als wachsende Unfähigkeit, an den Sinn erzählerisch heranzukommen. So wird immer wieder der Versuch gemacht, die Wahrheit und die Orte, an denen das Wahre geschieht, zu benennen; aber es gelingt nicht mehr. Die erzählerischen Wertsetzungen, die schon im Pz. ins Wanken gerieten, werden immer brüchiger. Aber Wolfram sucht, oft in Wendungen, die nicht sehr tragfähig sind, weil ihre Hohlheit schon evident wird, den sich entziehenden Sinn noch zu fassen, indem er wenigstens den Sinn der Tradition beschwört. Eine dieser Wendungen scheint auch der triwen houbetstat zu sein.
46 (La 46) 1–3 Die Lesart von H (von hertzenlicher liebe V. 2), die Lachmann in seinen Text aufnimmt, stellt stæte (V. 1) und liebe (V. 2) nicht nebeneinander wie die Hs. G, sondern erläutert die stæte der Stadt durch eine präpositionale Bestimmung: „man preist deine stæte wegen der Herzensliebe, die sich in dir schon frühzeitig ereignete.“ Sie macht, im Unterschied zu G, eine syntaktische Gliederung möglich, auf die Heinzle hingewiesen hat: so wäre in der Lectio H der erste Vers als Hauptsatz lesbar (Ausrufungszeichen nach stæte); von herzenlîcher liebe, wovon dann der Relativsatz abhängig wäre, ließe sich in diesem Falle zu V. 3 zuordnen: „durch die Herzensliebe, die sich schon früh in dir ereignete, begann dort schon früh eine Liebe zwischen zwei Kindern.“ Der Vorteil wäre, daß dann „die Aussage über die stæte parallel zu 45,4 allgemeiner (auch Herzeloyde miteinschließend), verstanden werden“ könnte (Heinzle). Der Nachteil der H-Lesart in dieser Version bleibt indessen, daß die Aussage über die Minne etwas tautologisch wäre; zum anderen, daß dann die Bedeutung des auf jeden Fall örtlich aufzufassenden dâ in V. 3 nicht klar wäre. 1
Owol dich ] wol „in ausrufen und zurufen“ (BMZ III 799) mit Akk. (wol dich; vgl. auch Pz. 252,4 wol dich der sælden reise! ) „glücklich preisend und segnend“. Heinzle fühlt sich bei der Anrede an die Stadt „erinnert an den Stil der Bibel“. Die Stelle schließt mit
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ihrer unverkennbar religiös gestimmten Emphase an die geistliche Stilisierung des gesamten Passus an (vgl. auch den Komm. zu 44,1). sprichet ] mit Akk. = „erzählen von, verkünden, preisen“ (vgl. Pz. 502,15 und Hartmann „Gregorius“ V. 2173 ern spræche sîn êre). 2
niht ze spæte ] Litotes. Nach Marti ist spæte als nachgestelltes Attribut mit liebe zu verbinden („und herzliche, nicht zu späte Liebe“), da das Adverb spâte heißen müßte, spæte aber hier durch den Reim gesichert ist. Heinzle hält auch eine attributive Beziehung auf minne für möglich, was allerdings zur Folge hätte, daß niht ze spæte und fruo in ein und demselben Satz erschienen und d. h. etwas tautologisch wirkten, während fruo im anderen Fall (spæte bezogen auf liebe) infolge der Satzgrenze nach spæte eine Variation wäre. Entgegen der Tatsache, daß Wolfram die Form spæte sonst nur mit Formen von sîn und wesen verbindet (Pz. 173,18; 194,5), dagegen die adverbiale Form auch mit anderen Verben (Pz. 437,6; 530,8 u. ö.), möchte Heinzle unter Hinweis auf den im Mhd. schon früh auftretenden Ausgleich zwischen den Formen dennoch „die Auffassung von spæte als Adverb nicht ganz verwerfen […]: es ergibt sich dann die Parallelkonstruktion: liebe geschach niht ze spæte / minne huop sich fruo“. Da wir meinen, daß die offenbar von Wolfram eingehaltene Unterscheidung von spæte und spâte größeres Gewicht hat als dieses stilistische Argument, entscheiden wir uns für die Lectio von Marti.
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Dieser Vers steht zum vorhergehenden in einem explikativen Verhältnis. Der KanvoleizPreis der ersten beiden Verse bleibt allgemein, spricht von stæte und herzenlîcher liebe und führt das Zeitmoment niht ze spæte erstmalig ein, das im späteren Zusammenhang des Tit. im Thema der Kinderminne wichtig wird. Der V. 3 expliziert dann, lenkt vom Allgemeinen zum Besonderen: „dort war es nämlich, wo eine Liebe zwischen zwei Kindern früh aufkeimte“.
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lûterlîche ] Die Vorstellung, daß die minne lûterlîche (= „lauter, rein“, meist gebraucht von dem Glanz der Gestirne) sein sollte, findet sich auch im Pz. 533,21 ff. Der Vers diu ergie sô lûterlîche bereitet den Passus im großen Minne-Exkurs (Strr. 48 ff.) vor, in dem es von den beiden Liebenden heißt: sy waren aus lautterlicher mynne erporn (53,2). Beide Verse sind auf den Grals-, Familien- und Tugendzusammenhang bezogen; der Kontext des späteren Verses thematisiert aber auch schon die Bedrohungen und Qualen, die von solcher minne ausgehen. ir truopheit … niht ] ir ist wohl mit Marti am sinnvollsten als Gen. des Possessivpronomens auf diu werlt zu beziehen: „nichts von ihrer eigenen (der Welt) Unlauterkeit“. Martin hat den Gen. auf die minne von V. 3 bezogen („die an der menschlichen Minne zu erwartende Falschheit“), was „syntaktisch gezwungen“ (Heinzle) wirkt und eine minne-Auffassung an diese Stelle heranträgt, die ihr diametral entgegengesetzt ist und auch deshalb sehr gesucht erscheint. Wenn Könneker (1965, 31) den Vers nur von Sigune her interpretiert („die Minne, die sie Schionatulander entgegenbringt, ist wâre minne, ist frei von wanc und zwîfel [T. 52,1], von ihrem Ursprung her ungetrübt durch fremde Beimischungen, die das Vollkommene stets zu verzerren drohen“), ist die Charakterisierung zweifellos richtig, sie verkennt aber, daß an dieser Stelle expressis verbis beide Kinder gemeint sind. – Vgl. auch die Verbindung von lûter und truopheit in Str. 95,3 und Pz. 533,25 ff. swâ liep gein liebe erhüebe / lûter âne trüebe […] diu minne ist ob den andern hôch.
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Stellenkommentar
47–55 (La 47–55): Die Entwicklung der Kinderminne Nach dem Lobpreis der Strr. 43– 46, die mit einer Idealisierung der Stadt Kanvoleiz enden, scheint die erste Strophe des neuen Erzählabschnitts mit ihren Angaben über Gahmuret als Erzieher von Schionatulander den Leser/Hörer wieder „down to earth“ (Richey 1961, 185) bringen zu wollen; doch schon ihr zweiter Teil gibt mit den Begriffen herzen nôt und minne Stichworte für einen allgemeinen Exkurs, der sich über vier Strr. hinzieht und die Erzählung abermals etwas aus dem Auge zu verlieren droht. Am Schluß des Abschnitts knüpft der Erzähler nach zwei überleitenden Strr., die deutlich den Übergang vom allgemeinen Exkurs zur Liebesgeschichte von Schionatulander und Sigune markieren (Strr. 52 u. 53), dann wieder an seinen Anfang an, indem er von den „Erfahrungen“ (Mohr 1978, 128) berichtet, die der junge Schionatulander gemacht hat, als er als Liebesbote zwischen Anphlise und Gahmuret hin und her ging. Das Zentrum des Abschnitts bildet damit wieder eine Partie, die in den epischen Erzählverlauf hineingeschoben ist und die das Thema der Minne, also nicht nur der Kinderminne, so allgemein wendet, daß man ihre „Praktabilität als kommentierende[n] Exkurs, wie sie die Minnestrophen im Parzival auszeichnet“ (hier und im folgenden Wyss 1974, 260) angezweifelt hat: Die Strr. „lassen sich, wenn man ihren Kontext vergleicht, dem Erzählten genau genommen gar nicht zuordnen“; denn die Liebesgeschichte Sigunes und Schionatulanders „ist und bleibt die Geschichte einer höfischen Idealminne“, die die Dimensionen, wie sie im Minneexkurs aufgerissen werden, überhaupt nicht durchmißt: „Weder exponiert das Fragment die Fragwürdigkeit der Kinderminne in der dem Exkurs angemessenen Radikalität, noch erfüllt sich in ihm die scheinbar unproblematische Synthese von Ritterminne und himmlischer Liebe, die Str. 50 verheißt“. So muß nach Wyss „der kurze Exkurs als Hinweis auf Perspektiven gelesen werden, die im Erzählten nicht anschaulich werden“. Dick (1989, 399 f.) hat versucht, solche Perspektiven aufzuzeigen. Danach wäre es dringend geboten, den Minneexkurs nicht, wie bisher zumeist, „von einem einheitlichen Minnebegriff“ her zu verstehen, sondern von einem, „der zwar eine Grundkonzeption zum Ausgangspunkt hat, aber in seiner differenzierten narrativen Realisierung einem ständigen Reflexionsprozeß ausgesetzt und damit in Frage gestellt wird“. Damit stellt sich vor allem das Problem, den Tit. vom Vorverständnis durch den Pz. grundsätzlich zu befreien und das Modell Pz. lediglich als eine Komponente der Perspektivierung, die „im Hintergrund sicher allgegenwärtig“ bleibt, einzubeziehen. „Gerade weil der intertextuell orientierte Leser schon im vorhinein zu wissen scheint, was er unter SiguneMinne zu verstehen hat, zwingt Wolfram ihn dazu, gleichsam von vorn zu beginnen“ (Dick 1989, 400). Der Minneexkurs eröffnet, so gelesen, in „Kritik und
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Infragestellung“, aber auch in „Erneuerung und Bewahrung“ vielfältige Perspektiven auf den Tit. und auf den Pz. und auf das Verhältnis der beiden Werke zueinander. 47 (La 47) 2
kemenâten ] Eigentlich ein mit Kamin versehenes, heizbares Zimmer (mlat. caminata), oft Frauengemach. Hier wohl soviel wie Zimmer, Wohn- oder Schlafraum (vgl. Pz. 164,1). Martin faßt die Textstelle, bezogen auf Gahmuret, noch allgemeiner: „in seiner nächsten Umgebung“.
2–4 Alle Hgg. (außer Heinzle) setzen Punkt nach zôch und Komma (Leitzmann Doppelpunkt) nach sinne, setzen damit einen mit dô eingeleiteten zeitlichen Nebensatz (bis sinne) in Kontrast zum Hauptsatz er wart iedoch … minne. „Die dadurch nahegelegte Auffassung als Satzgefüge ist wegen der Zusammenstellung von dô und dannoch ziemlich hart“ (Heinzle). Keine Alternative wäre es, stattdessen Komma nach zôch und Punkt nach sinne zu setzen, da sich dadurch „die gleiche Schwierigkeit“ (Heinzle) ergäbe. Martin stellt in seiner Ausgabe deswegen um: dô was Schionatulander … . Die Lesung der Verse, der wir folgen (nach Heinzle „eine Notlösung“), erscheint uns, gemäß dem Spielraum der metrischen Möglichkeiten, mit denen wir im Tit. rechnen müssen, durchaus plausibel. 3
niht starc an sînem sinne ] „nicht vollkommen zu Verstand gekommen, geistig reif“ (Martin); „durch den Gegensatz in herzen nôt deutlich: als er seine Verstandeskräfte noch nicht erlangt hatte, wurde er doch schon in der Not des Herzens, der Gefühle, eingeschlossen durch die Liebe zu Sigune“ (Marti). Bei Hauer (1992, 38) wird die Deutung dieses Verses mit recht massiver Kritik an Schionatulander verbunden: er habe „noch nicht genügend Festigkeit, […] dem Begehren in seinem sinnen gemäß zu begegnen“, d. h. um „hoch“ und „standesgemäß“ zu minnen. Wenig später heißt es von ihm, er sei im Unterschied zu Sigune „der hauptsächlich Ungemäße“ und daher in diesem Punkte „negativ zu bewerten“ (Hauer 1992, 48).
4
in herzen nôt geslozzen ] Entweder ist herzen noch als echter Gen. Sg., abhängig von nôt aufzufassen, oder es ist schon Bestandteil eines Kompositums herzenôt (st. Fem.) = „innige Not“ (BMZ II,1, 413), das als Nebenform hat: herzen nôt (z. B. NL 155,3). Zur nôt der minne vgl. auch Labusch 1959, 103. herzen nôt wird hier quasi als Raum vorgestellt, in dem der Liebende eingeschlossen ist. Diese Vorstellung wird wenige Vers später aufgegriffen, wenn es heißt: iugent wont in der minne bant (48,4). Entsprechend ist auch angest in 48,1 ganz konkret als Gefühl des Eingeschlossenseins zu verstehen, was dann in Str. 50,4 (minne ist vil enge an ir rûme) noch einmal thematisiert wird. Die Metapher des Eingeschlossenseins durch Bänder oder Fesseln der Minne, die der in romanischer und deutscher Liebeslyrik der Zeit reich entfalteten Topik des ‚Liebeskriegs‘ angehört (zurückgehend auf Ovid „Amores“ I,9,1 militat omnis amans; ausf. dazu E. Kohler: Liebeskrieg, Stuttgart/Berlin 1935; zum Topos der ‚Liebesgefangenschaft‘ Schnell 1985, 32 ff.; vgl. auch Komm. zu Str. 68,3 u.4) kommt im Tit. auch sonst vor. In Str. 121 beschreibt „die chiastisch angelegte Wortwiederholungsfigur bant/bendec im wechselseitigen Bezug der Metaphern die gleichzeitige Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit der Minnebindung“ (Kiening/Köbele 1998, 246). Vgl. auch Str. 106,1, wo Schionatulander mit
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Stellenkommentar Gahmuret über seine Liebe zu Sigune spricht und von ihm Hilfe erhofft: du maht mich wol enstricken von slôzlîchen banden. Ganz entsprechend heißt es wenig später, als Gahmuret sich ihm als Vermittler anbietet: nû wil mir dîn trôst unt dîn triwe aller sorgen bant gar zerbrechen (112,2); schließlich bittet Schionatulander Sigune halt niht mîn herze sô lange in dînen banden (172,4; s. Komm. dort; weitere Wolfram-Belege für bant und beslozzen s. Rogozinski 1903, 57 u. 61 f.). Ruh (1989, 509), der den Status des amor ligans, also der Liebe, die bindet und in Fesseln legt, auf Richards von Saint-Victor Traktat „De IV gradibus violentae caritatis“ zurückführt, bezieht in diesen Zusammenhang auch die Vorstellung der strengen minne ein (vgl. Str. 114,2).
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Mit dieser Strophe wechselt Wolfram vom Präteritum zum Präsens, und dieser Zeitenwechsel ist Folge eines Themenwechsels: exkurshaft handelt der ganze Abschnitt allgemein von der Minne, bevor dann die Str. 52 wieder zu Sigune und Schionatulander zurückkehrt. In 48,1 wendet sich der Erzähler quasi an die Zuhörer und hebt die Erzähldistanz durch eine spürbare Anteilnahme am Geschehen auf. Insofern könnte diese besondere Stelle mit H. Hempel (Kl. Schriften, Heidelberg 1966) als „Autor-Präsens“ bezeichnet werden (vgl. Komm. zu Str. 17,3 und ausf. Mhd. Gramm. § 305, Anm. 1).
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noch ze tump ze solher angest ] „noch zu unerfahren für solche Nöte“. Ganz parallel dazu und geradezu als eine Interpretation zu dieser Stelle, beginnt die folgende Strophe (49,1): Owê, minne, waz touc dîn kraft under kinder? Der Kindheit wird die tumpheit, die Unerfahrenheit zugeordnet, und deshalb sind die Kinder den besonderen Gefährdungen, ja Bedrohungen durch die allgewaltige Minne noch keineswegs gewachsen. So sieht es jedenfalls diese Strophe. Der weitere Verlauf läßt allerdings daran zweifeln, ob es so sehr die kintlîchiu minne ist, die sich in den Symptomen der Minnequal ausdrückt, als vielmehr ganz allgemein die Gefährdung eines Liebespaares, in diesem Falle Schionatulanders und Sigunes (vgl. Ruh 1989, 505). Die Tatsache, daß sie ihre Liebe später durch Gespräche (Schionatulander offenbart sich Gahmuret, Sigune ihrer Ziehmutter Herzeloyde) offiziell zu einer Angelegenheit der Familie machen und damit z. T. auch bewältigen, darf aber nicht mit Ruh (1989, 505 f.) verstanden werden als Beweis dafür, daß diese Kinder eigentlich der Liebe durchaus gewachsen sind. Die Qualen, von denen immer wieder die Rede ist, die schweren Krankheitssymptome, die Verwirrung der beiden, alles dies ist Anzeichen genug, daß mit diesem Vers und ähnlichen durchaus eine besondere Gefährdung angezeigt werden soll, und nicht nur „von deren Ende her“ (d. h. vom Ende des zweiten Fragmentes her). Daß angest hier ganz konkret als „Beengung, Eingeschlossensein“ zu verstehen ist, ergibt sich aus dem gesamten Kontext (vgl. dazu den Komm. zu Str. 47,4). In diesem Zusammenhang ist die Frage aufgeworfen worden (vgl. Heinzle), inwieweit die Feststellungen, die in diesem Vers und überhaupt im ganzen Exkurs gemacht werden, über ihren unmittelbaren Kontext hinausweisen auf die voraussehbare und vom Pz. her erschließbare Katastrophe, auf die das Werk zusteuert. Es scheint jedoch, als ob diese Thematik und Problematik überhaupt erst via Pz. in den Tit. hineinprojiziert worden ist; denn das tumpheit-Motiv spielt, abgesehen von den hier angeführten Stellen (sowie 47,3; vgl. Komm. dort) im Hinblick auf die Protagonisten im Tit. sonst keine Rolle (die von Heinzle auch herangezogenen Strr. 91 u. 132 variieren lediglich das hier Gesagte, arbeiten aber nicht weiter mit dem Motiv). Anders im Pz., wo das Wort tump
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eine ganz bestimmte Lernphase Parzivals (bis zur Begegnung mit Gurnemanz) umschreibt, die auch in der Forschungsgeschichte eine wichtige Rolle gespielt hat (vgl. Rupp 1957 sowie Haas 1964). Heinzle hebt daher, unter Hinweis auf Pz. 141,20 (Sigunes Ausspruch: ich hete kranke sinne, / daz ich im nicht minne gap) mit Recht hervor, daß sich das tumpheit-Motiv „nie direkt auf die Katastrophe bezogen findet“ und man daher genötigt ist, „den P als Stütze heranzuziehen“ (über die allgemeine Problematik vgl. Komm. zu Strr. 169–175). 2
wan ] Heinzle kommentiert: „[…] gleichwohl (sc. trotz der grundsätzlichen Unreife der Kinder) währt jung ergriffene Liebe am längsten“ und verweist zum Gedanken auf Sprichwörter (Wander: Dt. Sprichwörterlex., Lpz. 1867 ff., III 132 u. 138; TPMA VII 450 f.). Vielleicht legt der Kontext der folgenden Verse („wenn auch das Alter sich von der Minne löst, bleibt die Jugend in den Fesseln der Minne; denn sie entfaltet hier noch ihre ganze Kraft“) eher einen kausalen Sinn von wan nahe. Dem Gedanken, daß sich das Alter (kraft seiner Weisheit?) von der Minne auch lösen kann, könnte vielleicht der Gegengedanke entsprechen, daß die Jugend/Kindheit nicht trotz sondern wegen der grundsätzlichen Unreife im Bann der Minne bleibt (vgl. auch Komm. zu Str. 49).
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sich gelouben mit Gen. (minnen) = „sich entschlagen, freimachen (von der Minne)“. Nach Wolff (1966, 554) im Sinne von „Entsagung“, nach dem „Gesetz des Erdenlebens“, daß das alter minnen sich geloubet, „daß der Zeit der Freude die Entsagung folgt“.
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wonen = „sich aufhalten, bleiben“. der minne bant ] Die Metapher vom bant der Minne kehrt im gesamten Text mehrfach wieder (s. Komm. zu 47,4), nicht nur im Munde des Erzählers (wie hier), sondern insbesondere in der Rede der Figuren (Schionatulander Str. 106,1 u. 112,2 u. 172,4; Sigune Str. 121,4; vgl. Komm. dort). Vgl. auch Pz. 532,24. minne ist krefte unberoubet ] „koordiniert statt eines Kausalsatzes: da die Minne ihrer Kraft noch nicht beraubt ist“ (Marti).
49 (La 49) 1
Str. 49 wird, wie die vorhergehende, eingeleitet mit dem Ausruf owê, der hier – wie in 48,1 – die Anteilnahme des Erzählers zum Ausdruck bringt; aber der verzweiflungsvolle Ton ist womöglich noch gesteigert. Denn nachdem die Verse 48,2–4 bereits die Minnethematik ins Allgemeine gewendet hatten, wird jetzt mit der frontalen Anrede an die abstrakte Personifikation Minne in der Du-Form, der damit also „Ehrentitel und Höflichkeitsform verweigert“ (Wyss 1974, 258) wird, eine neue Ebene des Exkurses erreicht: der Erzähler kann in den folgenden drei Strophen seine Klage an eine gewaltige Schicksalsmacht richten, der die Kinder in ihrer Unerfahrenheit ausgeliefert sind und die mit ihrer Gewalt quasi unter sie fährt, wie der Text „mit auffälliger Richtungskonstruktion“ (Marti; nhd. etwa: „zwischen diese Kinder hinein“) sagt. Die Kraft der Minne wird also, auf die Kinder gerichtet, ganz dynamisch verstanden, so daß die gedankliche Stütze Martins („der Akk. hängt von einem gedachten ‚ausgeteilt‘ ab“) unnötig erscheint (Belege für die seltene Konstruktion bei Heinzle 1989, 490). – Vgl. zum Motiv der verderblichen Macht der Minne bei jungen Menschen Pz. 292,1ff: Frou minne, sît ir habt gewalt, / daz ir die jugent sus machet alt, / dar man doch zelt vil kurziu jâr […].
242 2
Stellenkommentar Die Hs. H (im wesentlichen ähnlich auch die Lesarten des JT) bringt diesen Vers in anderer Version („eine rationalistische Besserung“, Mohr 1977, 133): ihr fehlt das einleitende wan, sie schreibt ainer statt eine, sie setzt das Präteritum hette statt Präsens hât, sie schreibt spüren statt spehen und fügt mit der Konjunktion ob einen Nebensatz an: ob er gienge plinder. Da der Text in dieser Fassung „nicht evident fehlerhaft“ (Bumke 1973, 154), ja sogar durchaus verständlich ist, darf man wohl annehmen, „der für Lectio H verantwortliche Schreiber könnte das Paradoxon vom sehenden Blinden nicht verstanden und eine rationale Erklärung konstruiert haben“ (Heinzle), obwohl doch „paradoxe Wendungen […] gerade in der Minnesprache nicht selten“ sind (Bumke 1973, 154): „einer der keine Augen hätte, der könnte dich spüren, wenn er als Blinder einherginge“. Die Version der Hs. G ist beträchtlich schwieriger zu verstehen: Zum einen läßt das einleitende wan unterschiedliche Deutungen zu, denn es kann 1. ausschließende (= „ausgenommen“) oder 2. einschließende (= „nur“) Partikel oder 3. kausale Konjunktion (= „denn, weil“) sein; zum anderen ist die Frage, ob eine (= „allein“) einen Sinn ergibt oder ob mit H ainer zu lesen ist; schließlich ergibt sich das Problem, wie das warer blinder der Hs. G zu verstehen ist: ist warer die starke Form des Adjektivs (wârer blinder = „als echter Blinder“, so schon Docen) oder ist warer als wære er und blinder als flektiertes prädikatives Adjektiv aufzufassen (= „wäre er blind“)? In beiden Fällen ergäbe sich die Schwierigkeit, daß warer blinder tautologisch wäre, da einer, der keine Augen hat, üblicherweise auch als blind gilt. Die Vorschläge, die zur Lösung gemacht worden sind, lassen sich so zusammenfassen: 1. Marti („die Stelle ist schwer verständlich“) kommentiert: „Nur allein, wer keine Augen hat, der könnte dich sehen“ und faßt wærer blinder als Verstärkung zu der niht ougen hât. 2. Versteht man wan als exzipierend (= „ausgenommen, außer“) so wäre, in Kombination mit eine (bzw. mit einer) eine mögliche Übersetzung: „außer daß allein (bzw. selbst) ein Blinder dich (d. h. die minne) an ihnen erkennen könnte“. 3. Schließlich die kausale Lösung: „denn allein (bzw. selbst) einer, der keine Augen hat, also ein Blinder, könnte dich wahrnehmen“ (vgl. zu den Lösungsmöglichkeiten ausf. Heinzle). Wir haben uns, da die anderen Vorschläge keinen rechten Sinn in den Text bringen, für die kausale Lösung entschieden, müssen allerdings, um wenigstens einen halbwegs stimmigen Zusammenhang zu erhalten, die Konjektur einer in Kauf nehmen. Wir stellen dabei folgende Überlegungen an: Str. 49 ist ganz parallel gebaut wie Str. 48. Beide beginnen mit der Interjektion owê, beide leiten den zweiten Vers durch ein (wie wir meinen kausales) wan ein, das allerdings keinen logischen Anschluß im strengen Sinne herstellt; in beiden Fällen ließe sich quasi nach dem wan ein Doppelpunkt denken, der es nicht nur auf den folgenden Vers, sondern jeweils auf alle drei folgenden Verse bezieht: die Verse 48,2–4 führen dabei das ze tump von V. 1 (vgl. den Komm. zu 48,2), die Verse 49,2–4 mit den Gedanken der Wirkung und der Vielgestaltigkeit der Minne das dîn kraft weiter. Diese kraft ist so stark, daß selbst „einer, der keine Augen hat, sie noch erblicken könnte“, wobei wir wârer blinder als eine explikative Apposition verstehen (= „also ein wirklicher Blinder“). Die beiden Verse 49,1–2 ließen sich demnach etwa so paraphrasieren: „O weh, Minne, zu was ist es gut, daß deine Macht unter Kinder fährt? Denn (deine Macht ist so gewaltig:) sogar einer, der keine Augen hat, also ein wirklicher Blinder, der könnte dich noch erspähen!“
3
manger slahte ] = „mannigfacher Art“ (vom st. Fem. slahte, slaht = „Geschlecht, Gattung, Art“) und in dieser Bedeutung in der festen Form einer Redensart (vgl. etwa Pz.
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2,23; vielfältige Belege bei BMZ II,2, 389); Martin kommentiert: „so daß du auf verschiedene Weise angreifen kannst“, betont also die aggressive Seite der Wendung an dieser Stelle, die auch durch den etymologischen Zusammenhang mit dem st.V. slahen und dem st. Fem. slahte ( = „das Schlachten, Töten, Blutvergießen, die Schlacht“) zum Ausdruck kommen könnte. Schon Wehrli (1974, 23) hat formuliert, daß es Wolfram, der mit seinem Unsagbarkeitstopos auf „die literarische Situation der Zeit“ anspielt, „um die tödliche Gewalt einer absoluten Liebe“ geht; allerdings interessierte Wehrli an dieser Stelle vor allem die Frage, ob man bei Wolfram „von einem systematischen ‚Gegen-Tristan‘ oder ‚Gegenszenen‘ zur Eneit sprechen“ könnte, woran seiner Meinung nach trotz aller „Anspielungen und Vergleichsmotive“ nicht ernsthaft zu denken sei. 4
alle schribære ] Weitverbreiteter Unsagbarkeitstopos (vgl. RL 2246 ff.; NL 2233,2 f.; weitere dt. Belege bei Heinzle; zur lateinischen Tradition vgl. Curtius 1948, 168 ff.); am ähnlichsten ist die Parallele aus dem Rolandslied (alle wise scribære / machten niemmir uol scribe), die hier aber noch gesteigert ist durch das hervorhebende gar. „Die Vielfalt der Minne, vor der die Sprache versagt, das kann man als charakteristische Eingangsformel betrachten in einem Text, der die Minne thematisch ins Zentrum stellt“, so Dick (1992, 399), der dann weiter fragt, wieweit sich diese Aussage in der „rhetorischen Konvention“ erschöpft oder angesichts eines „bis ins Paradoxe gehenden Minneexkurs[es], der das Minneverständnis des Textes in seinen weltlichen und überweltlichen Dimensionen abzustecken sucht (49–51)“, vielmehr im Gegenteil sehr „wörtlich verstanden“ werden will. dîn art noch dîn ahte ] Marti glossiert „ahte stf., Art und Weise“, was jedoch im Zusammenhang der hier behandelten Minnethematik zu blaß bleibt. Gemeint ist wohl mit der Verbindung soviel wie: „deine Abkunft und eigentümliche Beschaffenheit“.
50 (La 50) 1– 4 Nach Wyss (1974, 259) ist diese Strophe, „wie die Handschriften sie überliefern, kaum im Wortlaut zu verstehen; ihr Sinn scheint etwa zu sagen, daß die Gebote der Keuschheit, wie sie dem Mönch oder Klausner auch ans Herz gelegt werden, diese doch nicht gegen die Versuchungen des Fleisches immunisieren, woraus zu ersehen sei, daß die Minne erst recht auf Ritter, die sie unter Helme zwingt, eine unwiderstehliche Macht ausübe.“ Diese Einschätzung scheint uns problematisch zu sein. Zunächst ist schon die Syntax dieser Verse unterschiedlich beurteilt worden. Bartsch/Marti, Heinzle und Mohr setzen ein Komma nach kûme, beziehen also den vierten Vers ein. Marti faßt sint gehôrsam ir sinne als konzessiven Nebensatz auf („soweit ihr Geist gehorsam ist“), sieht in doch kûme einen verkürzten Nebensatz („wenn auch mit Beschwerlichkeit, wenn es ihnen auch noch so schwer fällt“) und versteht den vierten Vers als Nachsatz zu dem begründenden Vordersatz („wenn selbst auf Mönche das Wort Minne diese Wirkung ausübt, so zwingt es um so mehr weltliche behelmte Ritter“). Nach Heinzle gewinnt aber die Strophe an syntaktischer Klarheit, wenn man doch kûme adversativ auf das konzessiv verstandene sint gehôrsam ir sinne bezieht: „Da der rechte Mönch und auch der echte Klausner trotz inständigen Bittens in der Liebe dennoch manches nur unter großer Anstrengung erfüllen können, auch wenn ihr Geist willig ist, hat sie (erst recht) Gewalt über weltliche Ritter“. Wir gehen bei unserer Interpretation dieser Stelle von zwei Überlegungen aus: 1. Der ganze Abschnitt über die Minne ist so geordnet, daß immer die erste Zeile der Strophe eine wichtige Aussage (meist des Schlusses) der vorhergehenden Strophe aufnimmt.
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Stellenkommentar Das niht starc an sînem sinne (47,3) wird weitergeführt in 48 ze tump ze solher angest; das krefte unberoubet (48,4) bereitet die Str. 49 vor, die zunächst von der Kraft der Minne handelt (V. 1–2) und dann das Thema der Vielgestaltigkeit der Minne aufwirft, das dann in Str. 50 an zwei Beispielen (Mönch und Ritter) weitergeführt wird, bevor dann durch das vil enge an ir rûme (50,4) die Str. 51 vorbereitet wird; diese endet mit dem Motiv des zwîfel mit wanke, mit dem dann die folgende Strophe 52 einsetzt. Aufgrund dieser Beobachtung begreifen wir die beiden Sätze von 50,4 als zwei Hauptsätze, setzen also Punkte nach kûme und helme. 2. Im Unterschied zu Heinzle gehen wir von der Voraussetzung aus, daß die Minne von Mönch und Klausner nicht die weltliche Minne ist, sondern hier, im Sinne der Vielgestaltigkeit der Minne und weil expressis verbis vom rehten münch und vom wâren klosenære die Rede ist, die geistliche Minne gemeint ist (vgl. 51,2, wo in diesem Zusammenhang auch die geistliche Minne mitgenannt wird), so daß die ersten drei Verse paraphrasiert etwa lauten könnten: „Da man den rechten Mönch und auch den echten Klausner feierlich auf die Gottesminne (in der minne greift wohl die geistliche Beschwörungsformel in caritate auf) einschwört, ist ihr Geist auf Gehorsam gerichtet (, aber dies in einer Weise), daß sie dennoch viele Forderungen (der Minne) nur unzureichend erfüllen können (= mögen sie auch viele Forderungen der Minne nur unzureichend erfüllen)“. Die entscheidende Aussage, an der sich die Gewalt der Minne zeigt, ist mithin der Gehorsam. So stark ist die (in diesem Falle) geistliche Minne, daß sie Mönche und Klausner in ihren Bann zieht, auch wenn diese die ideale Erfüllung nicht erreichen. Ganz parallel zu der Vorstellung, daß die Minne die Mönche und Klausner zum Gehorsam bringt, spricht dann der V. 4 von der (ob weltlichen oder geistlichen) Minne, die die Ritter unter Waffen zwingt (vgl. Komm. zu V. 4). – Zum Topos omnia vincit amor (Vergil „Bucolica/Eclogen“ X 69) vgl. auch Str. 51,1 u. 70,1 sowie insbes. Str. 65 u. Komm. zu 65,4).
4
under helme ] Wir fassen helme an dieser Stelle nicht (wie Heinzle) als Dat. Sg. auf („Die Minne bringt selbst den Ritter unterm Helm in Bedrängnis“) sondern als Akk. Pl. („Die Minne zwingt die Ritter unter die Helme“), wobei wir bei dieser Lösung im Auge haben, daß sich auch der Held der Geschichte später einmal in diesem Sinne zum Minnedienst under helme gezwungen sieht. Der noch an drei weiteren Stellen auftauchende Ausdruck under helme (stets Dat. Pl.) ist jedesmal auf signifikante Weise mit bedrängenden oder gar tödlichen Folgen der Liebe konnotiert: In Str. 106,2 verbindet Schionatulander den Gedanken an seine künftige Landesherrschaft und sein Rittertum under helme sogleich mit dem Gedanken an das twingen der Minneherrin Sigune (106,4); im Minnedienst under helme ereilt Gurzgri (132,2–4) und Ilinot (153,1) der frühe Tod. minne ist vil enge an ir rûme ] = „Minne ist sehr eng an ihrem Raum“, d. h. sie braucht nur einen engen Raum, „da sie nur in das Herz sich einschleicht“ (Martin). „Daß das Herz ein so enger Raum für die Minne sei, wird oft hervorgehoben; vgl. P. 433,3“ (Marti). (Anders Mohr [1977, 134], der die Textstelle eigenartigerweise im gegenteiligen Sinne liest: „sie beschränkt den Spielraum der Person und nimmt sie streng in ihre Pflicht“). Ruh (1989, 506) sieht in der angest einen „Wesenszug der minne schlechthin“, sie ist „Herzenspein, die als Enge empfunden wird: sie will das Herz, ihren Sitz, zersprengen“. Die Aussage, die vielleicht assoziativ auch von dem gerade genannten rîter under helme und der damit gegebenen Vorstellung der Beengtheit mit hervorgerufen worden ist (vgl. auch die angest der herzen nôt Str. 47,4 u. 48,1), bereitet mit ihrer räumlichen Vorstellung die folgende Strophe (51) vor, und es geht hier wohl nicht primär um die „Beschränkung der Minne“ und den „Gegensatz zu ihrer Allgewalt“ (Heinzle), sondern vielmehr um die Vielgestaltigkeit der Minne: daß sie auf engstem Raum ihre Ge-
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walt auszuüben vermag, ist eine ihrer vielen Qualitäten und Erscheinungsformen. In Pz. 179,18 werden die ersten aufkeimenden beklommenen Liebesgedanken Parzivals (beim Abschied von Gurnemanz und von dessen Tochter Liaze) in einen Ausdruck gefaßt, der, wenn er auch gerade auf die Ausweitung des Gefühls abhebt, doch bei der Beschreibung einer Regung von Kinderminne mit demselben Material arbeitet: im was diu wîte zenge / und ouch diu breite gar ze smal.
51 (La 51) 1
Zur Raumvorstellung vgl. den Komm. zu 50,4. Das Gegensatzpaar daz smal unt daz breite steht hier metonymisch kollektivierend für die Ubiquität der Minne, die die topische Vorstellung omnia vincit amor von Str. 50 komplettiert (s. dazu auch Komm. zu Str. 65,4). Vgl. dazu ausführlich Ruh (1989, 510 f.), der den „biblischen Ursprung“ der Ubiquität der Liebe durch den Hinweis auf Eph. 3,18 belegt und auf das Schlußkapitel des Traktats „De dilectione dei et proximi“ des Pierre de Blois verweist sowie auf Pz. 179,18 f.
2
Bei diesem Vers, bei dem die Lesart G gegenüber der von H sicherlich die schwierigere Lesart darstellt, scheint uns nicht, wie Lachmann meinte (er setzte – wie nach ihm auch Bartsch, Piper und Martin – die H-Lesart in seinen Text), in G eine Verderbnis vorzuliegen; denn es „fällt schwer, von H ausgehend eine Verderbnis von G zu begründen“ (Mohr 1977, 135). Eher könnte man von Präsumptivvarianten sprechen, die verschiedene Aspekte bezeichnen: da sowohl ûf erde bzw. ûf erden (= „auf Erden“) als auch ûf himele (= „im Himmel“) bezeugt sind, dürfte die Koppelung von beiden kein Problem ergeben. Die Wendung geleite hân ist schwer zu verstehen, und Heinzle hat sicher recht, wenn er für die G-Lesart fordert, was der klarere Sinn von H erfüllt; denn gemeint ist hier nicht: „die Liebe kommt sicher vor Gott“, sondern: „die Liebe geleitet sicher vor Gott“. Aber geleite hân kann ja nicht nur bedeuten „geleite erhalten“, sondern auch „geleite innehaben“, und da die Präposition für mit dem Akk. stehen kann, ließe sich der Vers folgendermaßen paraphrasieren: „Minne hat auf der Erde wie im Himmel die Aufgabe/das Amt inne, vor Gott hin zu geleiten“. Für die so verstandene G-Lesart (vgl. auch Mertens [1996, 377], der allerdings bei gleicher Grundauffassung ûf ze himele liest) ließe sich sowohl in Anspruch nehmen, was Mohr (1977, 134) in einem exegetischen Exkurs über Eph. 3,17–18 ausführt (vgl. Heinzle 1989, 490) als auch, was Heinzle im Hinblick auf seine Verteidigung der H-Lectio schreibt: „Im Rahmen der Titurel-Thematik kann diese Himmel und Erde umspannende Liebe zugleich als ein Erfüllungsmodus der Gralsverheißung (cf. 44,2) aufgefaßt werden“. Die Lesart H (ähnlich die Lesarten des JT) ist viel leichter zu verstehen: mÿnne hat hie auf erde haus vnd ze himel ist raine vor got jr geleite. Der gravierende Unterschied liegt darin, daß hier deutlicher getrennt wird zwischen weltlicher Liebe (sie hat ûf erde ihr Haus) und himmlischer Liebe. (Anders Ruh [1989, 51], der auf der Basis der H-Lesart davon spricht, daß Wolfram seiner Auffassung nach nicht „an den Gegensatz von irdischer und himmlischer Liebe gedacht hat“). Auf jeden Fall, darin ist Heinzle zuzustimmen, tritt die Gegenüberstellung erde/himel (sollte sie vornehmlich beabsichtigt sein) in H klarer hervor. Die Lectio G dagegen hebt darauf ab, daß schon auf Erden die Liebe auf ihre Erfüllung im Jenseits hin ausgerichtet ist. Nach Wyss (1974, 259) ist der Sprung von Str. 50 zu Str. 51 „durch kein vermittelndes Raisonnieren, kein ironisches Rollenspiel“ mehr abzusichern; denn der Begriff der Minne, der eben noch (Str. 50) „dämonisiert wurde“, erhält nun plötzlich „eine religiöse Wendung“ (vgl. dazu den einl. Komm. zu diesem Abschnitt).
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Stellenkommentar
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allenthalben wan ze helle ] Nach Dallapiazza (1995, 181) ist hier mit minne die „positiv besetzte Liebe“, die reine Kinderliebe zwischen Schionatulander und Sigune, „die von Wolfram unzweideutig als absolute Minne begriffen wird“, gemeint, und, so gesehen, sei dieser Vers „der einzige Satz wohl, der im Titurel einen Hauch von Hoffnung am Leben erhält“. Für Ruh (1989, 511) ist dieses „Ausgeschlossensein der Liebe von der Hölle“, der man bisher „keinerlei Bedeutung zugemessen“ habe, „eine erstaunliche Aussage“. Es ist nach Ruh eine kühne theologische Schlußfolgerung, die Wolfram dahin geführt hat: „Liebe ist im Himmel beheimatet, und nicht nur als eine Gott zuzuschreibende Eigenschaft, sondern Gott ist die Liebe (1 Joh. 4,17). Als wârer minnaere (Pz. 466,1) wendet er sie allem Geschaffenen und dem Menschen im besonderen zu. Sie ist in dessen Willen hineingelegt, ist seine stärkste Triebkraft – auch als Frauenliebe, die in ihrer reinen Form geleite zum Himmel ist. So aber kann Liebe nicht in der Hölle sein.“ Ruh schließt seine Ausführungen zu diesem Vers (zugleich der Schluß seines Aufsatzes) mit einem Blick auf die Gebrochenheit des Werkes, auf die Fragwürdigkeit ritterlicher Aventiure und stellt ihr die Minne entgegen: „In dieser Herbstzeit eines hohen Zeitalters ist eines geblieben: der Wert und die Kraft der Liebe. Wolfram feiert sie wie nie zuvor und erweist sie an zwein kinden in ihrer reinsten Form. Wolframs ‚Titurel‘ in seiner Gebrochenheit ist nicht ohne festen Halt. Das höchste Gut bleibt gewahrt.“ Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht solche emphatische Glorifizierung der Minne, die sich aus einer Einzelstelle oder einem Abschnitt vielleicht herauslesen läßt und die ohne das Verklärungsmodell der Sigune-Minne des Pz. überhaupt nicht zu denken ist, unterminiert wird vom anderen Textstellen und besonders vom zweiten Fragment (vgl. dazu den Komm. zu 52,4 und den einl. Komm. zu diesem Abschnitt).
4
zwîfel mit wanke ] Zu dieser Verbindung, die auf den Pz. (vgl. bes. 1,1 ff., wo auch, wie hier, das Wort geselle eine besondere Rolle spielt; 119,28; 311,22 f.) verweist, vgl. Brakkert 2000, 341 ff. zwîfel und wanc können als fast synonym hier zusammentreten, weil zwîfel noch nicht im nhd. Sinne die innere, geistig-seelische Auseinandersetzung meint, sondern ganz allgemein „die intellektuelle wie willensmäßige Unschlüssigkeitslage samt ihren Gefühlsausstrahlungen und dazu sogar oft noch Handlungsrichtungen, die das Ergebnis der gefällten Entscheidung sind, einschließen konnte“ (H. Hempel, Der zwîvel bei Wolfram und anderweit. In: Erbe d. Vergangenheit. Fg. K. Helm, Tübingen 1951, 168). Der Kern scheint mithin die allgemeine Unschlüssigkeitslage zu sein und eben darin stimmt zwîfel mit wanc überein (zu wanc vgl. auch Komm. zu Str. 70,4). geselle ] hier in der Verbindung mit Abstrakta im übertragenen Sinne wie etwa Pz. 278,25 (des rôten rîters ellen / næm den prîs zeime gesellen). Oder ist an eine Personifikation zu denken, wie vielleicht auch in Str. 70,4?
52 (La 52) 1–2 Die Lectio G bietet im zweiten Vers die Schwierigkeit, daß Sigune und Schionatulander unverbunden nebeneinander stehen, die Hs. H verbindet beide Namen durch vnd (ebenso JT). Da sich die Aussage von V. 1 im Kontext der Darstellung einer Kinderminne (46,3 minne huop sich fruo dâ von zwein kinden) aber notwendigerweise auf Sigune und Schionatulander beziehen muß, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Hs. G hier verderbt ist. Die Hgg. folgen daher bis auf Marti (die Punkt nach maget setzt und emphatische Ausrufungszeichen nach Sigune und Schionatulander) alle der Hs. H. Die Verlesung des Schreibers könnte sich so begreifen lassen, daß er
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die (von H und JT bestätigte) Inkongruenz des Numerus nicht erkannte oder akzeptierte, d. h. dem singularischen Verb (was) nur einen Namen zuordnete und offenbar der Meinung war, Schoynatulander gehöre schon zum Folgenden. Zweifellos könnte die Version H aber auch die erstbeste Notlösung (Einfügung eines und) für eine Textverderbnis sein, die der Schreiber von H schon vorfand. Und hier ließe sich erwägen, ob nicht vor Schoynatulander ursprünglich ein was gestanden hat (was diu maget Sigune, was Schoynatulander), so daß die Wiederholung desselben Wortes den Anlaß zum Weglassen in G gegeben haben könnte. Die mit der Lectio H/JT gegebene Inkongruenz des Numerus, d. h. singularische Verbform bezogen auf ein folgendes Doppelsubjekt, ist allerdings gut belegt (Mhd. Gramm. § 341). Eine zweite Schwierigkeit stellt die Zuordnung von mit leide (V.2) dar. Die meisten Hgg. setzen Komma (Leitzmann kein Satzzeichen) nach Schoynatulander und Doppelpunkt nach leide (wie es insbesondere die Wortstellung der Lesart H und des JT nahelegt). Es ist aber sicher besser, die antithetische Zwilligsformel liep unde leit (mit leide groziu liebe – ähnliche Auflösungen von festen Verbindungen 133,3; 154,3; vgl. auch Komm. zu 17,4) nicht auseinanderzureißen und sie auf âne wanc unt âne zwîfel zu beziehen, d.h. Punkt nach Schoynatulander zu setzen und nach mit leide nicht zu interpungieren (so schon Heinzle). Dafür spricht auch das dar zuo, das Marti auf Sigune und Schionatulander bezieht: große Lust und Leid hatte sich mit ihnen vermischt. 1
diu beide ] Inkongruenz des Genus: Pl. Neutr., auf die beiden vorhergehenden mask. Abstrakta zu beziehen (vgl. Marti und Mhd. Gramm. § 426)
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seit ] = sagete, hier Konj. Prät. ir kintlîcher minne] Zur starken Flexion des Adj. nach flektiertem Pronomen vgl. Str. 27,2 u. Komm. dort. – Dick (1992, 400 f.) verteilt die Minne Schionatulanders und Sigunes, mit der wir „das Vorfeld der Minnereflexion“ verlassen, auf „zwei von der Konzeption her deutlich getrennte Reflexionsstufen“. Auf der ersten, dem ersten Fragment, sei die ungebrochene kintlîchiu minne, eine hohe Minne mit ihrer besonderen Spielart der jungfräulichen Minne, stark von den beiden Modellfiguren Gahmuret und Herzeloyde, in deren Obhut die beiden jungen Liebenden aufwachsen, geprägt. „Den Ansatzpunkt für eine wesentliche Neuorientierung bietet offenbar erst das zweite Fragment“, in dem sich eine Revision „im Rahmen fiktionaler und utopiebetonter Wirklichkeitserweiterung“ vollzieht: „das am Anfang idealisierte Modell der hohen Minne zerbricht am Widerspruch zwischen Programm und epischer Verwirklichung.“ wan daz ez sich lenget ] „häufig angeführter Grund zur Kürzung der Rede: s. zu P. 643,27“ (Martin). Wenn G. Hofmannn (Die Einwirkung Veldekes auf die epischen Minnereflexionen Hartmanns von Aue, Wolframs von Eschenbach und Gottfrieds von Straßburg, Phil. Diss. München 1930, 37) meint, daß dies im Hinblick auf die „endlosen Minnereden der Eneide“ gesagt sei, so greift er damit auf ein Vorbild zurück, dem alle Minnereflexion der Folgezeit wesentliche Impulse verdankt; auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, daß es sich bei Veldeke um Minnemonologe bzw.-dialoge, hier aber um einen dem Umfang nach eher bescheidenen generellen Exkurs handelt, der mit der Figur der Transitio-Aposiopese beschlossen wird.
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Stellenkommentar
53 (La 53) Die Strophe ist nur in der Hs. H überliefert, aber, zusammen mit den auf sie folgenden Strophen 54 – 55, 59 und 56,1–2 (= La 54 – 57,2), an anderer Stelle: hinter der Strophe 12. In der Hs. H findet sich nach der Str. 52 ein Hinweis, der als Aufforderung an den Benutzer gelesen werden kann, die Strophen (offenbar versehentlich ist nur von drei Strophen die Rede) an anderer Stelle zu suchen: die dreÿ lesnt ssche vor des nach dem lesnt Ssnst was der starche TYturel (= „die drei Strophen suche vorher nach der Strophe ‚Sunst was der starche Tyturel‘“). Vor Str. 53 steht ein kleines Zeichen, vermutlich ein Auslassungszeichen (ein nach unten offenes Dreieck, mit einem waagerechten Strich durchstrichen). Da die Strophe in der Hs. G fehlt, ist sie von Marti verworfen, von Leitzmann und Hartl als unecht aufgenommen worden. Lachmann (und später Bartsch, Piper und Martin) haben sie als echt angesehen, zumal auch in G eine Lücke darauf hinzudeuten scheint, daß an dieser Stelle etwas fehlt. Nach Aussage und Stil fügt sich diese Strophe hervorragend in den Zusammenhang ein (so auch Heinzle). Der einzige Einwand, der sich gegen die Strophe machen ließe, richtet sich auf V. 3: man könnte einwenden, daß taugenlich und halen einander ausschließen, weil sie zusammen tautologisch seien. Der Einwand würde sich aber nur gegen die vermutete Lesung von V. 3 richten, wie sie aus dem JT rekonstruiert wurde. Was Wolfram an dieser Stelle wirklich geschrieben hat, ob er neben hâlen, das durch den Reim gesichert erscheint, auch tougenlîche benutzte, ist nicht entscheidbar (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). 1–2 der art jr geschlähtes … der zwang ] Alle Hgg. konjizieren (nach JT) in beiden Versen die feminine Form diu in die von ihnen ins Mittelhochdeutsche ‚rückübersetzte‘ Strophe. Für den Eingriff sprechen sicherlich gute Gründe, denn er stellt einen vertretbaren Text her: wir haben nun in 53,1 zwei Feminina, die dann von dem femininen demonstrativen diu in 53,2 aufgenommen werden (zwang V. 2 steht im Singular, weshalb diu nur Fem. Sg. sein kann, sich aber gleichwohl auf zwei Subjekte beziehen soll. Diese Inkongruenz des Numerus ist wohl unproblematisch; vgl. Mhd.Gramm § 427 ff.). In jedem Fall ist jr in 53,2 auf zuht und art zurückbeziehbar, was zweifellos einen guten Sinn ergibt (vgl. Komm. zu 53,2). Auf der anderen Seite lassen sich auch Argumente für die Lesart von H ins Feld führen: Ähnliche Inkongruenzen wie die dann auftretenden (Inkongruenz des Numerus und Genus: diu zuht und der art, der twanc) haben die Hgg. noch nie gestört. Wir verweisen nur auf die unmittelbar vorhergehende Inkongruenz des Genus (Str. 52,1: Neutrum diu beide bezogen auf wanc und zwîfel) und des Numerus (Str. 52,2: was bezogen auf Sigune und Schoynatulander; ebenso hier in Str. 53,2 bei der Lesart diu twanc). Die Mhd.Gramm. (§ 430) bringt Beispiele, die zwar nicht genau vorliegenden Fall treffen, die aber doch zeigen, daß hier mit einer großen Spannbreite gerechnet werden darf. Der Gebrauch von art als Mask. oder Fem. schwankt übrigens in den Hss. (in G ist art zweimal als Mask. und dreimal als Fem., in H viermal als Fem. und einmal, und zwar an vorliegender Stelle, als Mask. auszumachen). 2
sy waren aus lautterlicher mynne erporn ] Martin übersetzt V. 1 mit „ihre züchtige Schamhaftigkeit und die Eigenart ihrer Sippe“ und sieht nur „letztere durch die Parenthese erläutert“; aus lautterlicher mynne erporn nimmt aber beides, die schämliche zuht wie den art jr geschlähtes wieder auf. Zu lautterliche vgl. den Komm. zu 46,4. der zwang sy jr rechtes ] Das Possesivum jr kann auf zwei Weisen gedeutet werden. Die meisten Kommentatoren und Übersetzer beziehen jr zurück auf zuht und art, wobei das
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vorausgehende sy das sy des Verseingangs (die beiden Liebenden) aufnimmt: „die (sc. ihre schamhafte Wohlerzogenheit und die angeborene Eigenschaft ihrer Familie) forderten ihnen ihr Recht ab“. Martin dagegen bezieht (wie auch Bartsch und Piper) das jr auf Sigune und Schionatulander und faßt recht als die ihnen bestimmte Lebensordnung auf: „zu dem, was ihnen (zu thun und zu leiden) zukam“. Unseres Erachtens sind die beiden Beziehungen völlig gleichwertig und daher als Präsumptivvarianten zu beurteilen, so daß von hier aus keine Entscheidungshilfe für die Variante diu/der in 53,1–2 (vgl. Komm. oben) zu gewinnen ist. 3
aussen ] „nach außen“. Heinzle verweist auf Walther 121,6 f.: sie sehe dazs innen sich bewar / (sie schînet ûzen fröidenrîch). taugenlich jr minne halen ] Die Hs. H überliefert hier nur daz sy aussn. Alle bisherigen Hgg. haben nach den Versionen des JT ergänzt. Vgl. dazu auch einl. Komm. zu dieser Str.
3–4 halen … verqualen ] Das höfische Motiv, daß minne heimlich sein muß und vor der Gesellschaft nicht gezeigt werden darf (vgl. Heinzle) und das Korrespondenzmotiv, daß die Liebenden unter der Liebesqual leiden, zieht sich von dieser Strophe an durch das ganze Gedicht: Schon bei dem ersten Liebesbekenntnis Schionatulanders (vgl. etwa 56,3 ff. und 57,1 f.) und Sigunes (66,2–4) sind beide Motive wieder verquickt, desgleichen beim Abschied, der heimlich erfolgt (76,1) und in dem Abschiedsgespräch (76,2 ff.); Schionatulander sucht seine Qual, von Sigune getrennt zu sein (89 ff.), später zunächst vor Gahmuret zu verbergen (93,1), was ihm aber nicht gelingt; dieser nimmt ihn daher für sich allein auf das Feld, fern von der Straße (97,3) und erfährt dort von Schionatulanders Trennungsschmerz (103 ff.). Ganz entsprechend verheimlicht Sigune ihren Liebesschmerz ihrer Mutterschwester Herzeloyde (114,3) und offenbart dann auf die teilnehmenden Fragen hin ihre Not (119 ff.). 4
verqualen ] vom st.V. verqueln = „vor Qual vergehen, sich in Sehnsucht verzehren“. Ruh (1989, 508) verweist auf Richard von St. Victor „De IV gradibus violentae caritatis“ (Charakterisierung des Liebenden der zweiten Stufe, des amor ligans, als tam corde quam corpore languidum) und darauf, daß Wolfram im Pz. quâle noch ausschließlich dem Leiden des Amfortas vorbehält; hier im Tit. übernimmt er es in die Liebessprache (vgl. noch 93,4; 115,4; 121,4). „Wolfram thematisiert in verqueln und queln des ‚Titurel‘ erstmals die schmachtende Liebesnot dessen, der vom Gegenstand seiner Liebe getrennt wird.“ – quâl/queln und Ableitungen noch Strr. 93,4; 115,4; 121,3 u. 4.
54 (La 54) 1
wîse ] „erfahren, kundig“ (nämlich in Liebesangelegenheiten). Nach den starken Akzenten des Liebesleides, die von der Str. 53 gesetzt werden (taugenlich jr minne halen; ynne an den hertzen verqualen), wirkt der Einsatz von Str. 54 überraschend; denn man fragt, wie die wîsheit des Schionatulander sich zu der Qual verhält, die ihn ganz offensichtlich übermannt. Schwietering (1925, 46) hebt darauf ab, daß höfische Minne als Liebeskunst auch gelernt werden muß und daher also Wissen voraussetzt; Heinzle insistiert gegenüber der „erlernbaren, im Vollzug strenger Regeln sich realisierende Konvention der höfischen Minne“ darauf, daß demgegenüber „die starke innere Teilnahme der Liebenden nicht vergessen werden“ darf, „in der sich jenseits allen Erlernens die Allmacht der Minne zeigt“. Die Textstelle (wie auch die anderen von Schwietering und von Heinzle
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Stellenkommentar herangezogenen Stellen 65; 67; 91; 127 und 171,4) gewinnt durch die an Veldekes Minnelehre orientierte Position Schwieterings und die darauf antwortende Gegenposition Heinzles ein viel zu starkes Gewicht. Die durch die Minnelehre erwerbbare oder erworbene wîsheit der Liebenden ist genauso Teil der im Tit. vorgeführten Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Diskurse über Minne und legitimes Verhalten (vgl. Komm. zum Schlußgespräch Strr. 169–175) wie das Heimlichhalten oder die bis zur Minnekrankheit gesteigerte Minnequal der Protagonisten. Sie erscheint niemals als Anspruch, einer Situation besser begegnen zu können kraft erlernten Wissens; im Gegenteil, sie wird, wenn sie, wie hier, gelegentlich eingeführt wird, aus dem Kontext begründet und zugleich auch wieder durch den Kontext gebrochen. Am stärksten etwa in Str. 127, in der Herzeloyde nach der langen, mit der Minnelehre im Schwieteringschen Sinne gerade total differierenden Minnekonfession Sigunes ausruft: du redest nach den wîsen, und diese wîsheit dann sogleich als eine nicht kindgemäße auf die Einredung durch Anphlise zurückführt. Daß auch in Str. 54,1 mit dieser wîsheit des Schionatulander kunstvoll gespielt wird und sie nicht beim Worte genommen werden darf, zeigt das Ende der Strophe, wo sich, was auch Heinzle unterstreicht, der Erzähler nicht von dem wîsen Schionatulander eine Lösung seiner Minnesituation erwartet, sondern gerade durch die Wendung an Gahmuret dessen Hilflosigkeit und Verfallenheit hervorhebt: nu wende ouch die sîne! Nimmt man mit Marti moht als: „hatte Ursache“, dann löst sich das Problem situativ; dann soll nämlich gar nicht gesagt werden, daß er durch die Liebesbriefbotschaften für Anphlise tatsächlich in Liebesdingen wîse war, sondern daß er es hätte sein können. Darauf verweisen auch noch die folgenden Strophen, in denen zum einen davon die Rede ist, daß Schionatulander an Gahmuret sieht, wie sich der von kumber kunde scheiden (55,3), zum andern immer wieder betont wird, daß Schionatulander sich selbst nicht zu helfen weiß (57,3 ff.).
2
Franzoyse ] Artikelloser Gen. Pl. des st. Mask. (Franzoys), wie häufig bei Wolfram, zwischen Artikel und Beziehungswort eingeschoben. In der Hs. H (Frantzoser) fehlt das diu, ist also auch küngin artikellos, wofür Martin auf Pz. 76,13 daz ist regin de France verweist.
4
erwarb ] Vom st.V. erwerben, hier im Sinne von „bestellen“ (Liebesbotschaften bestellen, ausrichten), ungewöhnlich in dieser Bedeutung für das sonst übliche einfache st.V. werben, was auch bei Wolfram belegt ist: [botschefte], die er werben solte (Pz. 517,12 f.). Lexer (I 699) verweist auf Kchr. 9067. Ob es solche Liebesbotendienste von Knappen real gegeben hat, ist schwer zu ermitteln. Über Botendienste von Knappen allgemein berichtet Schultz (1889, I 173 f.), allerdings sind die zit. Quellen durchweg poetische Zeugnisse. Der Art. ‚Botenwesen‘ im LMA (II 484–490) gibt darüber keine Auskunft. nu wende ouch die sîne ] Adhortativer Konj. der 3. Pers. mit Ersparung des Pronomens er, wobei nicht klar ist, ob sich dies auf Schionatulander (von dem im Vorhergehenden die Rede ist) bezieht („nun möge er auch seinen eigenen Liebeskummer beheben“) oder auf Gahmuret („nun möge jener auch den Liebeskummer Schionatulanders beheben“). Die Aufforderung wendet sich wohl eher an Gahmuret (so auch Heinzle), zumal der Halbvers, so verstanden, wieder das Folgende vorbereitet. Str. 55,3 heißt es von Gahmuret: wie sich der von kumber kunde scheiden.
54/55
251
55 (La 55) 2
muomen sun ] Nach Marti, die indessen muomen sun beibehält, ist „die Verwandtschaft zwischen Gahmuret und Schionatulander nicht klar und sonst nicht bezeugt“. Martin kommentiert daher nur die H-Lesart (vmb seinen ohaÿm Gamuret wie wol er kunde sprechn): „hier wohl von Verwandtschaft i.A.“ Vermutlich um der Präzisierung des Verwandtschaftsverhältnisses durch die allgemeinere Bezeichnung oheim auszuweichen, folgt Lachmann hier der Lectio H, Leitzmann verbindet das oheim der Hs.H mit der G-Lesart. Unter Hinweis auf Pz. 92,24 ff. (Gandin, Gahmurets Vater, ist Schoettes Gemahl) und viele Stellen, die Gahmuret als deren Sohn ausweisen (Pz. 8,19; 10,15 ff.; 14,13 f. u. ö.), sowie Pz. 178,15 ff. und Tit. 41 f.; 132,2 (Gurzgri = Gemahl Mahautes) und Tit. 42 f.; 131,3 f.; 163,4 (Schionatulander = Sohn Gurzgris und Mahautes) hat Heinzle das Verwandtschaftsverhältnis dahingehend rekonstruiert, daß Gahmuret als der muomen sun (= als im weiteren Sinne der männliche Verwandte) Schionatulanders, d. h. in diesem Falle als Sohn der Schoette, der Schwester von dessen Mutter Mahaute „am ehesten“ dessen Vetter ist. Heinzle hat allerdings auf zwei Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, die sich bei diesem Ansatz ergeben: zum einen bleibe unerfindlich, wieso von Schionatulanders muome Schoette in Str. 131 gesagt wird, sie habe ihm vil sælde unt minne vererbt: „inwiefern die schwester der mutter dies hat tun können, ist unerfindlich“ (Hagen, ZfdPh 38/1906, 236; vgl. dazu aber Komm. zu 131,4 und die Lesart G dieser Stelle); zum anderen sei Liaze, die Tochter des Gurnemanz, die erste noch ganz kindliche Liebe Parzivals, nach diesem Stammbaum dessen Großtante (vgl. Lucaes, AfdA 6/1880, 155). Bertau (1983a, 229 ff.) hat die gegen diese Beziehung von Mutterschwester-Söhnen vorgebrachten Bedenken zurückgewiesen. Schwestersöhne könnten gegenüber der Mutterschwester „die Stelle des Mutterbruders vertreten […], also die Rolle des œheim. Dies drückt die Lesart von H auch terminologisch aus. Das Wort œheim steht dort durchaus nicht ‚im weitesten Sinne‘ für ‚männliche Verwandte‘. Mindestens ‚männliche Verwandte mütterlicherseits‘ hätte bei Heinzle formuliert werden können.“ Bertau bezweifelt auch, daß „Großtante“ (im Falle Liaze/Parzival) „historisch korrekt gedacht ist“, denn es fehle „vor allem der gemeinsame Ahnherr, der für die Berechnung eines Verwandtschaftsverhältnisses nötig wäre.“ Der zweite Einwand, daß man von einer Tante kein Lebensglück erben könnte, scheint Bertau von „mendelistischer“ Beschränktheit, denn „der Ausdruck ‚erben‘ ist ja doch sogar in der Erb-Biologie eine Metapher, die von Besitz auf anderes übertragen wird.“ Bertau interpretiert die Erziehungsverhältnisse bei Schionatulander und Gahmuret, die sich beide am Hofe der französischen Königin Anphlise befinden, als Verwandtschaftsverhältnisse und folgert, „daß sowohl Mahaute als auch Schoette einen Bruder gehabt haben müßten, der König von Frankreich war“, nämlich der verstorbene Ehemann der verwitweten Anphlise und œheim (= Mutterbruder) Gahmurets, dessen Stelle Gahmuret durch die Übergabe des Knappen zur Erziehung einnimmt (und durch Anphlises Heiratsanträge Pz. 77,1 ff.). Ergänzend hat Schmid (1986, 176 f., die stets der Lesart H œheim folgt) darauf hingewiesen, daß Gahmuret in der Tat strukturell die im Pz. mehrfach konstellierte Position des œheims eines vaterlosen Schwestersohnes einnimmt, Schionatulander also in der gleichen Position steht wie Parzival, Gawan und Gramoflanz.
3
wie sich der ] Statt der üblichen Wortfolge wie er sich ist das Pronomen umgestellt und statt des zu erwartenden Pers. Pron. das Demonstrativum der gewählt. kumber ] = allg. „Schmerz“, und hier im besonderen (wie 93,3 oder 118,3) „Liebesschmerz“.
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Stellenkommentar vil der tiuschen diet ] Die Hs. H liest vil der taufpern diet, bringt den Gegensatz zwischen diet und heiden durch ein hie – dort stärker zum Ausdruck und versieht die heiden nicht wie die Hs. G mit dem Epitheton werden. Das Adjektiv toufbære ist bei Wolfram noch nicht im Pz., sondern erst seit dem Wh. belegt (als Epitheton von sin, lant und erde, nicht aber von diet); Wh. 361,9 in toufbæriu lant liest allein die Hs. n in tutsche lant. Jedoch ist daraus kaum zu schließen, G müsse an dieser Stelle geändert haben, zumal sich auch nicht mit absoluter Sicherheit sagen läßt, daß n auf gar keinen Fall die echte Lesart präsentieren kann. Die beiden Lesarten sind doch wohl Präsumptivvarianten, keine ist als besser oder schlechter zu erweisen. Dem entspricht auch das Verhalten der Hgg. Keiner folgt strikt einer der beiden Hss., alle montieren eine Lesart aus beiden Hss.: Lachmann und Gibbs/Johnson übernehmen jâhen, toufbærn und die Opposition hie – dort aus H, schreiben dann aber als, und Lachmann setzt, um das werden beibehalten zu können, taten in eckige Klammern (Gibbs/Johnson lassen es aus); Leitzmann liest wie G, ersetzt aber tæn durch jâhen; Marti und Mohr folgen G, schreiben aber toufbærn (toufbaeren Mohr). tæn ] Die Hs. H liest taten, und dies ist auch die Form, die im syntaktischen Rahmen zu erwarten ist. Die Form, die die Hs. G bietet, entspricht dagegen der Konjunktivform tæten, für die jedoch nach Heinzle, der sich auf Zwierzina (1898, 497) beruft, bei Wolfram indikativische Bedeutung belegbar ist: vgl. etwa Pz. 17,3 (si tæten sînen boten kunt,/ ez wære Patelamunt, zitiert nach Lachmann, der hier den Hss. D und G folgt, während andere Hss. allerdings auch taten überliefern) oder 82,5 (die andern tæten rîterschaft = nach D, die meisten Hss. lesen taten). die werden heiden ] Zum edlen Heiden bei Wolfram s. Chr. A. Kleppel: Vremder bluomen underscheit. Erzählen von Fremden im Wolframs Wh., Frankfurt/Bern 1996.
56–72 (La 56–72): Das Minnegespräch Das große Minnegespräch zwischen den beiden kinden Sigune und Schionatulander ist die erste und umfangreichste der drei großen Dialogszenen, die das erste Fragment beherrschen. Während die beiden späteren Gespräche der unter ihrer Trennung leidenden Liebenden mit ihren Erziehern die Funktion haben, das Minneverhältnis öffentlich zu machen und zu sanktionieren, so ist dieses erste Gespräch der Ort, an dem sich die Protagonisten zuerst über Minne äußern, sich ihre Zuneigung gestehen und mit dem Versprechen von ritterlichem Minnedienst in der Hoffnung auf helfe das Minneverhältnis formell und verbal (geselleschefte mit worten Str. 73,1–2) begründen, nachdem sie zuvor die aufkeimende Liebe voreinander verheimlicht hatten (Str. 53). Die Themen, Motive und Metaphern des Textes erscheinen in den 17 Strr. der Dialogszene wie in einem Fokus gebündelt und dicht ineinander gewoben: Sippenerbe, weibliche Partnerwahl, Minneklage, Minnekrankheit, Minnekrieg-Metaphorik, Jagdmetaphorik, gesellschaftliche Ansprüche an das Minneverhältnis, kintlîchiu minne. Die Vielzahl der Themen und Motive ist dabei eingebunden in eine strikte dialogische Komposition – beide sprechen je eine Strophe, in der Mitte des Ge-
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sprächs jedoch eine Doppelstrophe (eine strenge Symmetrie beruht indes auf Umstellungen der Strr. 59 und/oder 68 gegen G; s. die Komm. dort) –, die sich unter inhaltlichen Aspekten wiederum „kunstvoll in vier Gruppen von je vier Strophen“ (Mohr 1978, 128) gliedern läßt (läßt man die Erzähler-Str. 59 und ihre prekäre Stellung einmal unberücksicht). Während die ältere Forschung die Dramaturgie dieser Dialogkomposition im Sinne einer figurenpsychologischen Entwicklung der Kinderminne zu interpretieren suchte (etwa Rahn 1958, 40 ff.; partiell noch Christoph 1981, 174 ff.) und in dem das Erkenntnisinteresse beherrschenden Bemühen um die Ätiologie der im Pz. manifesten „Schuld“ Sigunes nach frühen Anzeichen von fatalem Fehlverhalten und Altklugheit suchte (etwa Wolff 1950, 557 f.; Könneker 1965, 28 f.), so hat man in jüngerer Zeit immer wieder darauf hingewiesen, daß das Gespräch inhaltlich wie formal in der Tradition höfisch-literarischer Minnegespräche steht. Zuallererst wären hier die Lavinia-Szenen in Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“ (260,15 ff.) zu nennen, ebenso die beiden großen Minneexkurse des „Parzival“ (Pz. 291,1 ff. u. 532,1 ff.) sowie die Obilot-Obie-Episode (Pz. 343,19 ff.). Zeigen sich die beiden jungen Gesprächspartner an jedem Punkt in hohem Maße „familiar with the conventions and the language“ des höfischen Minnediskurses (Gibbs/Johnson, Komm. zu Str. 57), so ist das Gespräch freilich weit davon entfernt, eine Aneinanderreihung konventioneller Floskeln und Topoi zu sein. Dies wird man indessen weniger im „Was“ als vielmehr im „Wie“ der Versprachlichung entdecken können: Sinnvoller als eine Spekulation auf die Intentionen des Erzählers hinsichtlich der Psychologie der Figuren scheint es, die Mehrdeutigkeit und Dilemmatik der verwendeten Termini und Sprachfiguren hinsichtlich ihrer topischen und nicht-topischen Valenzen als das eigentliche Thema zu begreifen, das hier entfaltet wird und das Gespräch strukturiert. Betrachtet man die Struktur des Dialogs hinsichtlich der jeweils dominanten Sprechmodi, kommt wiederum eine kompositorische (wenn auch keineswegs proportional ausgewogene oder scharf abgrenzbare) Symmetrie zum Vorschein, die sich wie folgt darstellen ließe: formelles höfisches Sprachhandeln (56–63) Allegorisierung (64–65)
Betroffenheit (66–68)
formelles höfisches Sprachhandeln (70–72) Allegorisierung (69–70)
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Stellenkommentar
Das Frage-und Antwort-Spiel der sich stets aufeinander beziehenden, aber auch stets einen überraschenden Aspekt der aufgegriffenen Stichwörter präsentierenden Dialogpartner folgt, mit Wyss (1974, 271) zu reden, „nur der Logik der Pseudomäutik; es legt die Antinomien des Minnebegriffs bloß, ohne daß die Betroffenen sich dessen innewürden“, ja, um weiterzugehen, ohne daß sich im mindesten eine Lösung der dilemmatischen Definitionen dessen andeutete, was die Minne sei: unbezwingbare Naturgewalt oder Vehikel zur Steigerung ritterlicher Tugenden. Zumindest ist deutlich, daß diese Antinomien dem Erzähler bewußt waren. Wolframs „Insistieren auf dem rein geistigen Wesen dieser Liebe“ (geselleschefte mit worten Str. 73,1–2) macht deutlich, daß solcherart explizite zivilisatorische Sublimierung gerade nicht selbstverständlich ist und nicht „als kinderpsychologische Finesse goutiert werden kann“, da alle „Emotionalität konsequent formalisiert“ wird (Wyss 1974, 271 f.) und alle Spuren von Unmittelbarkeit in Topoi und Floskeln eingemauert erscheinen. Die sprachliche Vermitteltheit der Kenntnisse über die Minne wird zur konstitutiven Voraussetzung des Gesprächs: Die gegenseitige Verständigung über die Minne vollzieht sich, indem sie sich auf sprachliche Erfahrung beruft (explizit Strr. 65,1 u. 68,1). Sie gilt mehr dem Versuch einer sprachlichen Domestizierung der Minne als dem Psychogramm kindlicher Erfahrung: Die Hilflosigkeit, Minne zu ergreifen, zu begreifen, zu zähmen und zu domestizieren ist nicht in erster Linie kindlich, sondern legt auf verschiedene Weisen – sei es systematisch, sei es durch inkonsistente Allegorisierungen, sei es durch suggestiv-verstörende Konnotationen der Vokabeln und Bilder – die Antinomien des höfischen Minnediskurses frei. Die artifizielle Emphase emotionaler Unmittelbarkeit im Zentrum des Gesprächs (Strr. 66–68) ist ebenso Episode und Versuch neben anderen Versuchen, die Minne von mæren, d. h. als sprachlich vermittelt zu erklären. Denn diese Kinderminne ist, wie auch die folgenden Gespräche und Szenen zeigen, „so unerotisch […] wie kaum eine Liebesbeziehung Wolframs. […] Sigune und Schionatulander fassen sich nicht einmal an den Händen, aber den Minnediskurs wollen sie souverän beherrschen“ (März 1992, 35). Folgen sogar die als Erlebnisse apostrophierten Versprachlichungen verräterisch genau den Spielregeln literarisch-diskursiver Muster, so sind auch die Rahmenteile der Szene – das „hilflos verklausulierte Liebesgeständnis“ (Kiening/Köbele 1998, 242) des Anfangs (Strr. 56–63) sowie die MinnedienstVerhandlungen des Schlusses (Strr. 70–72) – fortgesetzte und dilemmatisch bleibende Versuche, die Macht und Ansprüche der Minne mit den Mitteln höfischer Verhaltens- und Beziehungsterminologie zu beschreiben. Gerade an der in immer neuen Anläufen um ein begrenztes Vokabular kreisenden, extensiven Gesprächseröffnung mag deutlich werden, daß Vieldeutigkeit und NichtFestlegbarkeit thematisch sind: Ohne das Thema der Minne und die Probleme richtigen Minneverhaltens lange Zeit im mindesten zu benennen, sind die von
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beiden gebrauchten Wendungen und Vokabeln (helfe, genâde, trôst) in ihrer höfischen Floskelhaftigkeit stets vieldeutig, suggestiv und andeutungsreich. Durch die mehrfache Wiederholung spiegeln sich die Formulierungen gegenseitig und lassen unentscheidbar, welche Bedeutungen jeweils aktualisiert oder impliziert sind. In den sich geradezu überstürzenden Kaskaden von Allegorisierungen, die von höfisch-formellem Sprechen in die Liebesbekenntnisse hineinführen (Strr. 64–65) und ebenso wieder heraus (Strr. 69–70) zum abermals formellen Gesprächsende, wird der „unauflösliche Widerstreit zwischen der Notwendigkeit und der Unmöglichkeit einer vollständigen Mitteilung von Minne“ (Kiening/ Köbele 1998, 248) vielleicht am sichtbarsten. Die vielfältigen Metaphern, Metonymien, Topoi und Allegorien – Minne als Puppe, als Jagdfalke, als Jägerin, als Diebin, als Rächerin, als Fortuna artifex – stiften keine konsistenten Bilder und Erklärungsmuster, sondern scheinen die potentiellen und widersprüchlichen Subjekt-Objekt-Relationen und Wirklichkeitsreferenzen nachgerade experimentell durchzuspielen. Indem die Allegorien und Metaphern, durch syntagmatische Reihen mehr suggestiv als sinnstiftend verbunden, ineinander übergehen und dabei die Grenze zwischen allegorischem, metonymischem und nicht-metaphorischem Gebrauch der Wörter verwischen, heben sie sich gegenseitig auf und legen sich in ihrer Konventionalität und Begrenztheit bloß. Wenn die beiden Kinder und Liebenden formal virtuos die diversen Metaphern, Topoi, Formeln und zeremoniellen Formen der höfischen Liebessprache ihrer Liebes-Wirklichkeit anprobieren wie Kleider einer Puppe, so steht weniger charakterlich Besonderes der Figuren oder schuldbedrohte Kinderminne im Zentrum, sondern die sprachliche Vermitteltheit dessen, was Minne meint, wie über sie geredet werden kann und was dem nur allzu bewußten höfischen Komment gemäß daraus folgen soll. Die Bedrohlichkeit des Gesprächsschlusses mag nach den im Redeprozeß bloßgelegten Widersprüchen und Defiziten konventioneller Minnesprache weniger in der vermeintlichen Unangemessenheit der Minnedienstabsprache zu suchen sein als vielmehr in ihrer abgründigen Konventionalität.
56 (La 57) Zur Strophenfolge s. Komm. zu Str. 59. 1
Will man nicht von einer Verderbnis ausgehen, für die weder G noch H einen Anhaltspunkt bieten, so muß man sich die Binnenkadenz bzw. die Zäsur auf alle Fälle innerhalb des Wortes Schoynatulander denken, wie immer man sich auch die Melodie bzw. das metrische Gerüst und ihre performative Ausführung vorstellt. Die Worte der süeze bzw.
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Stellenkommentar genande sind zur Ausfüllung eines ganzen Halbverses bzw. einer ganzen Distinktion wohl allemal zu kurz. Ähnliche Problematik bieten die Strr. 26,2; 59,4; 90,4; 114,1; 170,1; evtl. auch 23,1 (s. Komm. dort und „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5). genande ] Synkopierte Form der 3. Pers. Sg. Prät. (eigentlich genandete) vom ‚rückumlautenden‘ sw.V. genenden = „Mut fassen, sich erkühnen“ (vgl. 128,2). Die Lenisierung des Dentalsuffixes –te zu –de ist nach Nasal stets möglich und offenbar nicht dialektal (Mhd.Gramm. § 257 Anm. 4 u. § 146). Da der Lautwert der Graphien –nde und –nte unsicher ist, ist der Reim auf gemante nicht als unrein zu werten. – Mohr hingegen (und ihm folgend Antonini) faßt genante als Part. Prät. vom sw.V. nennen auf und übersetzt „Der Holde, Schionatulander mit Namen, …“. S. dazu auch folgenden Komm.
1–2 Die ersten beiden Verse der Str. finden sich mit sehr geringfügigen Differenzen in der Hs. H (bis sorge in) noch an einer zweiten Stelle, nämlich als Str. H 17: Die Strr. 53–55, 59 u. 56,1–2 stehen in Anschluß an Str. 12 (= H 12). In Str. 56,2 bemerkte der Schreiber sein Versehen, ließ vier vorlinierte Zeilen frei und fuhr mit Str. 13 fort. Nach Str. 52 setzte er noch einmal, mit einem eingeschobenen Verweis auf die vorne zu findenden vier fehlenden Str. (vgl. dazu Komm. zu Str. 53,1– 4) mit 56,1 ein. Die Syntax der ersten Verse läßt sich auf dreierlei Weise deuten, jeweils abhängig vom Verständnis der Konjunktion als: 1. Zumeist meint mhd. als vergleichendes „[so] wie“ und leitet modale Nebensätze ein. Dann müßte, wie es die große Mehrheit der Hgg. vorschlägt, Komma (oder keine Interpunktion) nach genande V. 1 stehen und ein Punkt (oder Doppelpunkt) nach gemante V. 2: „… faßte Mut, ebenso wie sein Zusammensein … ihn mahnte/antrieb“. Problematisch bleibt dabei allerdings das kûme: Meint das Adverb zunächst nur „mit Mühe, beinahe nicht“, so wäre es in dieser syntaktischen Verknappung als verkürzter konzessiver Nebensatz zu verstehen (nach Marti, die auf 50,3 verweist, evtl. durch doch zu ergänzen): „wenn auch nur mit Mühe“. 2. Mhd. als ließe sich temporal im Sinne von nhd. „als“ verstehen, was selten ist, aber gut belegt (Mhd. Gramm. § 459,4; Wolfram-Belege bei Heinzle). Temporales als im Mhd. läßt oft noch deutlich „die modale Bedeutung von so“ – vgl. die Entwicklung von „sowie“ aus „so wie“ – empfinden (Mhd.Gramm. § 459,4). Dabei kann man wie oben interpungieren und gemante vorzeitig auffassen: „… faßte Mut, als ihn sein Zusammensein … dazu angetrieben hatte“; oder man setzt Punkt nach genande V. 1 und dann zwingend Komma nach gemante V. 2 (wie Heinzle), wobei sich gemante vorzeitig oder als einfaches Präteritum auffassen läßt: „… faßte Mut. Als ihn sein Zusammensein … dazu angetrieben hatte / antrieb, sagte er …“. Es muß hierbei allerdings das gleiche Verständnis von kûme als verkürzter konzessiver Nebensatz unterstellt werden. Dieser zweifellos höchst problematischen Deutung von kûme kann man nur entgehen, wenn man 3. den gesamten V. 2 als Konzessivsatz liest und eine außergewöhnliche Wortstellung annimmt (eigentlich als kûme … in gemante) „… faßte Mut, so wenig ihn auch sein Beisammensein … dazu antrieb“ (wie ad 1. Komma nach genande, Punkt nach gemante). Modales als ist als Einleitung konzessiver Sätze belegt (vgl. Mhd.Gramm. § 461,7), wenn auch nicht in Verbindung mit kûme. Das kûme könnte hier auch als Litotes (i.S.v. „nicht, in keiner Weise“) aufgefaßt werden, ist aber allemal inhaltlich sinnvoll bestimmt und nicht in Syntax und Bedeutung so heikel wie in den zuvor gebotenen Auffassungen. Inhaltlich scheint uns dies die plausibelste Lesart zu sein: Die bisherige gesellekeit war geprägt von sorgen manecvalt, wurde demnach von Schionatulander als unbefriedigend empfunden und hatte wenig Grund zur Hoffnung gegeben: „… wenn auch sein (bisheriges) Zusammensein (mit Sigune), das von vielerlei Kummer geprägt war, ihn kaum dazu drängte /
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ermutigte.“ Somit wäre zugleich das im folgenden geschilderte, zunächst abweisende Verhalten Sigunes gleichsam nach vorne projiziert. Der Widerspruch von genenden und gemanen kann auch so gelöst werden, daß man auch V. 1 ganz anders auffaßt und genante als Part. von nennen versteht (wie Mohr und Antonini), mithin V. 1 als absolut vorausgestellten Nominativ mit Apposition zum einzigen Hauptsatz in V. 3 (d. h. mit Mohr Komma nach süeze, genande und gemante): „Der Süße – Schionatulander wurde er genannt –, wenn ihn auch sein Beisammensein … nur kaum dazu antrieb, so sagte er …“. Diese Auffassung von genande bzw. genante scheint allerdings wenig plausibel. 2
sîn gesellekeit ] gesellekeit meint das „freuntschaftl. verhältnis von gesellen zueinander“ und dann das „zusammensein“ von gesellen (Lexer I 909). Gemeint ist hier das Zusammensein mit Sigune. Ob damit hier nur „Gesellschaft, Beisammensein“ gemeint ist (wie wohl 29,4) oder ein Moment der Zuneigung oder gar der Minne mitzudenken ist (wie 73,1–2 Diz was der anevanc ir geselleschefte / mit worten; auch 60,3?), ist wohl nicht zu entscheiden. Das Changieren der Bedeutungen von geselle und aller Ableitungen zwischen dem neutralen, äußerlichen „Genosse, Gefährte“ und dem metonymischen Gebrauch i. S. v. „Geliebte/r“ mag von Wolfram gerade intendiert sein, wie auch die von Heinzle aufgeführten Belege zeigen (insbes. für die eminent erotische Bedeutung wäre zusätzlich noch auf das Tagelied L 3,1 zu verweisen, wo als intimst denkbare Beschreibung der Liebesvereinigung gesagt wird swelch schiltære entwurfe daz, / geselleclîche als sî lâgen L 3, 29 f.). Allemal bleibt es eigenartig, daß es sîn gesellekeit heißt, nicht ir oder diu. Dies könnte, wie auch das in sorgen, auf einen Minne- oder zumindest Zuneigungsaspekt von gesellekeit verweisen, der ja gerade Schionatulanders und zunächst eben nicht ihren gemeinsamen Empfindungen entspricht, wie sie im folgenden geäußert werden. Damit stimmt auch die eigenwillige, von Wolfram allerdings vielfach verwendete Konstruktion überein, in der das Abstraktum zum personifizierten Subjekt wird (vgl. etwa Str. 91,3 u. Komm. dort): die gesellekeit selbst mahnt und treibt an! Für die noch weiter in diese Richtung gehende Auffassung, daß gesellekeit auch unmittelbar „Liebesempfindung“ resp. „Liebesbeziehung von einem Einzelnen her gesehen“ meinen könnte, wie es Mohrs Übersetzung nahelegt (gesellekeit in sorgen manecvalt = „vor lauter Liebesnot“), gibt es keine Belege. Noch weiter geht Matthias, der sîn gesellekeit mit „die Gespielin“ übersetzt. gemante ] 3. Pers. Sg. Prät. (evtl. vorzeitig zu verstehen; s. Komm. oben) des sw. V. gemanen = „mahnen, erinnern an“ (Intensivum zu manen) = „erinnern, ermahnen, antreiben“). Die Form als Prät. des (absolut gebrauchten) sw. V. gemannen = „zum Manne werden, erstarken“ aufzufassen (San-Marte; Simrocks „übermannte“ ist nicht belegt; vgl. gemannen Str. 40,4), erscheint in vorliegendem transitiven Gebrauch allerdings kaum möglich, es sei denn man unterstellt eine mögliche Bedeutung „zum Manne machen“: „wie sein Zusammensein … ihn kaum zum Manne machte / kaum erstarken ließ“.
3–4 helfe rîche – hilf – helfeclîche ] helfeclîche ist nicht vor Wolfram belegt, ebenso helferîche, wobei unentschieden bleiben muß, ob letzteres als ein Adjektiv aufzufassen ist (wie offensichtlich die Lesart H hilffeleiche und Lachmann, hier und Pz. 122, 26 hilferîcher got) oder helfe ein abhängiges Genitiv-Objekt. – Wie an anderen Stellen so ist der Text auch hier von einem rhetorischen Sprachmuster geprägt, das durch Variation etymologisch benachbarter oder verwandter Worte eine zentrale Vokabel semantisch umkreist (vgl. etwa 94,4; 110,4; 158,1–3). Daß diese Gesprächseröffnung Schionatulanders deshalb
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Stellenkommentar mehr ist als ein „Gestammel“ unter Rückgriff auf „die nächstliegende Vokabel der höfischen Minnesprache“ (Mohr 1978, 129), ist durch die beinahe leitmotivische Rolle der Vokabel helfe im gesamten Text indiziert: Nicht nur dieses Gespräch zwischen Schionatulander und Sigune ist wesentlich von dem Thema der helfe geprägt (56,3–4; 57,3; 61,2; 62,4; 70,3; 71,1; 72,3–4), sondern auch die beiden weiteren Gespräche des ersten Fragments zeigen einen Reflex dieses dominaten Themas (vgl. Strr. 105,4; 111,3; 113,1; 117,3). Insofern läßt sich mit Richey (1961, 186) wohl eher von einem „keyword“ sprechen, mit dem Schionatulander „tentatively and humbly“ und darin durchaus höfischformell (in diesem Sinne Christoph 1981, 174) und in „gekonnte[m] höfische[m] Stil“ (Mohr 1978, 129) das Gespräch eröffnet, bevor die weiteren Schlüsselworte genâde und minne im Gespräch auftauchen. Für Wyss stellen sich diese Vokabeln als „terminologischer Fetisch“ dar, „der die Konventionalität besiegelt, in die alle spontane Regung hier eingemauert erscheint“ (1974, 270). Auf die enge Parallele zu Parzivals karfreitäglicher, vorsichtiger Wieder-Annäherung an Gott (ist hiut sîn helflîcher tac, / so helfe er, ob er helfen mac Pz. 451,21–22) machen Springer (1975, 234) und Christoph (1981, 174) aufmerksam.
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werdiu maget ] An allen anderen Stellen des Textes redet Schionatulander Sigune mit süeziu maget an (67,1; 68,1; 76,4; 169,4; 172,4), so auch hier nach der Lesart H und JT, der sich Lachmann anschloß. Der Wechsel von dem höfisch-formellen werdiu zum persönlicheren, galanteren süeziu, entsprechend dem Verlauf des Gesprächs, macht allerdings guten Sinn (so auch Mohr 1978, 129; Heinzle).
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duzisse ] Entlehnung aus afrz. duchesse = „Herzogin“ (außer in der entsprechenden Str. 721 des JT nur bei Wolfram belegt: noch Str. 107,2 und Pz. 435,23 in der Form doscesse Hs. D, dezesse Hs. G). Wie auch im Falle von talfîn (97,2 u. ö.), talfînette (131,3) und duc (156,1) legt Wolfram Wert auf französisierte Titel seiner Protagonisten. Mohr hat darauf hingewiesen, daß diese Anrede „in französischen Hofsprache“ (Mohr 1978, 129) auch Sigunes Antwort (bêâs âmîs 58,1) entspricht, was als eine Kennzeichnung besonders formalisiert-höfischer Sprache dieses Dialogbeginns verstanden werden kann.
1–2 Solch syntaktische Brüchigkeit der Rede (Koordination statt Subordination: Nach geniezen wäre ein angeschlossener Nebensatz zu erwarten) ist im „Titurel“ mehrfach zu finden (43,2; 137,2; evtl. 38,2). Das spricht allerdings kaum dagegen, in vorliegendem Anakoluth auch den nach Worten suchenden und um eine Gesprächseröffnung ringenden Schionatulander zu hören. Ein absoluter Gebrauch von geniezen, durch den der Vers als abgeschlossene Bitte aufzufassen wäre („Give me a chance!“ Gibbs/Johnson), ist nicht belegt, vielmehr erscheint nach dieser konventionellen Bittformel (Belege bei Heinzle) die Fortführung mit daz oder Genitiv-Objekt zwingend. 2–4 Der art Sigunes ist das Gralsgeschlecht. Angespielt wird hier offenbar auf zwei Kennzeichen des Gralsgeschlechtes, die zuvor schon Erwähnung fanden: 1. auf die Erblichkeit besonderer Eigenschaften, die allen Mitgliedern der Sippe zukommt, insbesondere sælde und wâre minne mit triwen (4,1– 4; vgl. Komm. dort), und 2. auf die Tatsache, daß Mitglieder der Gralsgemeinschaft in die Welt hinaus gesandt werden (27,4; 44,3–4; 45,1–2; vgl. Komm. dort), damit der Welt durch sie Heil widerfährt. Gerade die Frage, zu welchen Aufgaben Angehörige der Gralssippe in die Welt gesandt werden, bleibt in
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diesem Text unscharf und ist nur durch Rückgriff auf den Pz. einigermaßen zu erhellen (Pz. 494, 7 ff.); ebenso ist das, was dieser sâmen aus Muntsalvâtsche in der Welt bewirkt, nur höchst allgemein beschrieben: er ist ein schûr ûf die schande (45,2), die Empfänger des sâmens werden die heilhaften genannt (44,4). Schionatulander nun überträgt implitzit die Eigenschaft der Gralssippe, als helfender Beistand in die Welt gesandt zu sein, auf den Minne-Kontext. Dieser Umweg im Vorbringen seines Anliegens ist nicht nur zwangsläufig unverständlich für Sigune, sondern mutet im Zusammenhang des Textes eigenartig und düster an, denn gerade die Minneerfahrungen der Gralssippe wurden in der Vorgeschichte als schmerzreicher und todbringender „Katarakt des Leides“ präsentiert, der gerade die sælde der Gralssippe fragwürdig machte (vgl. Strr. 13–36; insbes. einl. Komm. zu Strr. 12–24). 3
helfec ] Das gegenüber dem häufigen helflîch / helfelîch ungewöhnliche Adjektiv (Springer 1975, 234; Heinzle; vgl. das ebenso ungewöhnliche helfeclîche 56,4) taucht in 106,3 noch einmal auf, auch hier im Munde Schionatulanders. Außer an diesen beiden Stellen ist es nur nach Wolfram belegt. – Zum helfe-Motiv s. Komm. zu 56,3–4.
3–4 Die Syntax des Strophenschlusses läßt sich auf zwei Weisen deuten, die indessen beide nicht unproblematisch sind. 1. Faßt man mit allen Hgg. den ersten Teil des vierten Verses als relative Ergänzung zu V. 3 auf (Komma nach lône, Punkt oder Doppelpunkt nach enphie: „… daß sie nicht all jenen hilfreich beigestanden hätten, denen durch sie / wegen ihnen Schmerz und Bedrängnis zugefügt worden war.“), so wäre von denjenigen die Rede, denen durch ein Mitglied der Gralssippe Schaden zugefügt worden wäre und die deshalb helfe und lône zu erwarten hätten. Diese Lösung ist zwar syntaktisch unproblematisch, doch inhaltlich prekär: Von einem solcherart behaupteten Zusammenhang zwischen einer durch die Gralssippe verursachten Notlage und einer aus diesem Grunde gewährten Hilfe ist zuvor nirgends die Rede, noch überhaupt von einer durch ein Mitglied der Gralssippe zugefügten Not. 2. Deshalb erscheint es uns naheliegender, Heinzles Vorschlag zu folgen und den ersten Halbsatz von V. 4 auf das Folgende zu beziehen, indem man ihn als konditionalen Satz mit unklarem Realitätsgehalt versteht: „Wenn auch immer jemand durch sie / wegen ihnen in Bedrängnis gekommen sein mag, gehe du mir gegenüber sorgsam mit deinem (angestammten Grals-)Heil um.“ Diese Lesart ist syntaktisch schwierig (insbes. aufgrund des in diesem Falle eigentlich zu erwartenden Konjunktivs), wenn solche brüchigen Konstruktion auch wohl für diesen Text akzeptiert werden müssen (vgl. etwa die ähnlich schwierige syntaktische Dissimilation in Str. 3 u. nach swer in 63,1–2 u. 96,2). Allerdings ist damit nicht minder unklar, was hier gesagt sein soll. Denn auch in dieser Lesart spricht Schionatulander – wenn auch nur als Möglichkeit – von einer durch ein Mitglied der Gralssippe verursachten Notlage, die in irgendeinem, nicht näher bezeichneten Zusammenhang mit Sigunes helfe und ihrer ererbten, sippenspezifischen sælde steht. Man kann darin wohl nichts Anderes erblicken, als eine sehr indirekte und gleichsam entpersonalisierte Anspielung auf eben jene nôt, die Schionatulander wegen und durch Sigune erfährt (dafür spricht auch der im ersten Fragment durchgehende explizite Gebrauch von nôt als Liebesleid; vgl. 47,4; 59,4; 75,4; 91,2; 93,1; 94,3; 102,3; 113,2; 115,2; 121,3). Wie bei der oben als erstes skizzierten Lösung aller bisherigen Hgg. und Übersetzer (außer Heinzle) ist auch hier der fragwürdige Zusammenhang zwischen der nôt verursachenden und der helfenden Gralsippe gegeben, wenn auch nur andeutungsweise und vage. Dieser Zusammenhang wird zudem durch den Begriff lône in Vers 3 bestärkt: Denn lône kann schwerlich bloß allgemein „Hilfe“ bedeuten, sondern meint eine
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Stellenkommentar auf Gegenseitigkeit beruhende Zuwendung, „Belohnung“ oder „Wiedergutmachung“. Wie auch angesichts des Terminus der kumberlîchen nôt kann man dies kaum anders denn als Anspielung auf das Dienst-Lohn-Verhältnis der Minnebeziehung verstehen (vgl. die in diese Richtung vereindeutigenden Übersetzungen von Simrock, Matthias, Passage u. den Komm. von Marti). Die konstitutive höfische Ordnung des lônes als Belohnung für geleisteten Minnedienst, die erst im Verlauf des Gespräch besonders durch Sigune begründet wird (s. Str. 71 f.), wird einleitend durch das Konstrukt eines impliziten Anspruchs auf lôn als Wiedergutmachung eines zugefügten Leides substituiert (ähnlich Christoph 1981, 175 u. Hauer 1992, 33). Dieses Leid, aus dessen Verursachung ein Anspruch auf lôn und helfe erwachsen könnte, kann freilich Minne nicht sein. Insofern läßt sich diese Stelle als ein erster der vielen im Verlauf dieses Dialogs unternommenen Versuche verstehen, die Macht der Minne mit den Mitteln höfischen Verhaltens- und Beziehungsvokabulars zu beschreiben und Handlungsmaßstäbe daraus abzuleiten. Daß dies hier gerade nicht ausgesprochen wird, sondern durch die faktisch unbegründete Verallgemeinerung auf die nôt bringende und dann helfe als lôn gewährende Gralssippe nur suggeriert wird, darin mag man die rhetorische Geschicklichkeit oder auch die formelle Diskretheit und tastende Vorsicht erkennen, mit der Schionatulander Sigune ihre ererbte sælde als Verpflichtung nahebringen will (vgl. dazu auch Komm. zu 58,4). – Zu der unverständlichen Lectio H und der Lösung des JT vgl. die textgenetischen Spekulationen Mohrs 1977, 136.
58 (La 59) 1
Bêâs âmîs ] Die französische Anrede, die Sigune gebraucht, entspricht Schionatulanders duzisse der vorhergehenden Str. (s. Komm. zu 57,1) und weist auf den formell-höfischen Gestus, in dem dieses Gespräch beginnt. Gehören solche französischen Ausdrücke freilich zum höfischen Stil, wie ihn gerade Wolfram pflegt (insbes. mit Übersetzung ins Deutsche, wie hier schœner vriunt), so ist es doch erstaunlich, daß Sigune Schionatulander schon zu Anfang des Gesprächs mit einem Titel anredet, der eindeutig den jeweiligen Minnepartner, Minneritter, den Geliebten bezeichnet – wie formalisiert man immer sich eine Minnebeziehung auch denkt –, nicht jedoch als Bezeichnung oder allgemeine Floskel für einen Ritter oder Freund gebraucht wird (vgl. sämtliche der zahlreichen Belege von âmîs/âmîe im Pz. u. Wh.; vgl. auch die Verwendung im Tit.: âmîe 88,3 u. 132,1; ze âmîen 152,2 u. 156,2; bêâs âmîs nennt Orgelûse rückblickend den toten Cidegast Pz. 613,1; nach Wolff [1950, 557] erinnern friunt und geselle „an die Frühzeit des Minnesangs“). Die einzige Ausnahme scheinen zwei Stellen im Wh. darzustellen, doch auch hier, wo jeweils der gefallene Vivianz von Frauen seiner Sippe bêâs âmîs genannt wird, ist keine galante neutrale Anrede gemeint: Giburc beklagt mit diesen Worten ihren Ziehsohn (Wh. 101,27), den sie im selben Moment wie niemanden sonst zu lieben bekennt; die Königin beklagt mit diesen Worten (Wh. 164,28) den noch sehr jungen Helden, mit dessen Tod die Frauen einen unermeßlichen Verlust durh die minne erlitten. – Vgl. die direkte Anrede Sigunes an Schionatulander mit getriwer friunt 77,1 und werder friunt 171,1.
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obe du dich des willen gein mir sô vereinest ] Refl. gebrauchtes vereinen = „mit sich selbst übereinkommen“, mit Gen. dann „sich entschließen zu“ (vgl. Lexer III 104). Von dem Genitiv willen ist gein mir abhängig: „die Absichten, die du mir gegenüber hast / das, was du von mir wünschst/verlangst“. Das Problem bei dieser Deutung der Konstruktion, der die Mehrheit der Übersetzer zuneigt, ist das sô: es ist eindeutig attributiv auf
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das Verb vereinest bezogen, wörtlich also „ob du … auf eine solche Weise / in solchem Maße entschlossen bist, daß …“. Das, was allerdings in Frage steht in Sigunes Augen und die Bedingung dafür ist, daß seine Bitte die Chance hat, erfolgreich zu sein (vgl. V. 3), ist ja nicht die Weise oder Intensität des Entschlossenseins, sondern der wille gein mir (= Sigune), weshalb Heinzles Übersetzung „ob du entschlossen bist, solches von mir zu verlangen“ (darin ähnlich der großen Mehrzahl der Übersetzer) zwar logisch plausibel ist, aber nicht dem genauen Wortlaut, sondern eher der Lösung der Hs. D des JT (ob du sOlhs willen gen mir vereinest) entspricht (folgt man mit Lachmann der Lesart H ob du mit ztchten dich, so ließe sich dieses sô zur Not als auf mit zühten bezogen lesen). Möglicherweise bietet doch der Vorschlag Martis, die das Verb und die ganze Konstruktion anders auffaßt, eine plausible Alternative. Marti versteht vereinen als „einig sein / einig gehen mit (gein) jemandem“, und zwar bezogen auf eine Sache, über die man mit jemandem einig ist; also etwa „ob du hinsichtlich deiner Absichten mit mir so einig gehst, daß …“ (ähnlich auch Docen u. Matthias). Das Problem des sô ist hier behoben, da es nun gerade auf das Maß des Miteinander-einig-Seins ankommt. Allerdings ist ein solcher Gebrauch von vereinen und insbes. das Verständnis von gein in diesem Sinne sonst überhaupt nicht belegt, weshalb uns das zuerst skizzierte Verständnis bei allen offenen Problemen als das Konsistenteste erscheint (zu weiteren, sicher auszuschließenden Deutungen s. Heinzle). 3
vervâhen ] Intensivum zu vâhen (= „fangen“): „erfassen, erreichen, gewinnen“, dann abstrakter „zu wege bringen, ausrichten, fördern“ (Lexer III 282 f.). „nhd. verfangen nur noch in negativer Wendung gebräuchlich“ (Marti). Hauer (1992, 33) weist auf die JagdKonnationen dieses Verbums (waidmännisch „Witterung einfangen, aufspüren“) wie auch des folgenden vergâhen (V. 4) hin, was im Falle dieser beiden Verben aufschlußreich sein mag, aber als Metaphorik des gesamten Passus von Str. 56–61 angesichts der nur mühsam zu erhellenden waidmännischen Semantik von sorge, geniezen, lôn und trôsten (dazu Hauer 1992, 32–34) gezwungen erscheint. Die zweifellos bestehenden Verbindungen zur Jagdmetaphorik und Jagdallegorik des zweiten Fragments sind doch eher punktuell, andeutend und mehrdeutig und nicht in eine konsistente Allegorese integrierbar.
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dune wizzest es vil rehte die wârheit ] Das es ist ein von wârheit abhängiger Genitiv („die Wahrheit darüber“) und bezieht sich auf das vorher Gesagte, also auf das Bedenken, ob seine Absichten ihr gegenüber auch dergestalt seien, daß sie überhaupt förderlich (und d. h., daß seine Bitten an sie erfüllbar) sein können: „Wenn du dir darüber nicht ganz und gar im Klaren bist …“. vergâhen ] Intensivum zu gâhen (= „eilen“): „durch Eile verlieren, übereilen“. Ob die Lesart von H (und JT) gegen mir nicht vergahen eine Verdeutlichung darstellt, wie Heinzle meint, scheint fraglich, denn es bleibt in beiden Fällen unklar, worauf genau sich Sigunes Warnung richtet: es mit dem Vorbringen seiner Bitte ihr gegenüber nicht zu übereilen oder seinen willen, seinen Absichten ihr gegenüber im weiteren Sinne nicht zu sehr nachzugeben. Allemal läßt sich mit Marti sagen: „Die Antwort der Sigune ist überlegt und nicht naiv […]. Sie warnt ihn; also hat sie ihn verstanden.“ Dies erhellt weniger aus Intentionen, die man Sigune konkretisierend unterstellen mag – anzunehmen, daß sie „hier schon konkrete Vorstellungen von den Wünschen Schionatulanders hat“, d. h. von Minne redet, hat schon Heinzle mit Recht in Frage gestellt (vgl. dazu Komm. zu 61,1) –, als vielmehr daraus, daß ihre Replik genau der Anrede Schionatulanders entspricht: So wenig explizit dieser Absichten, Wünsche und konkrete Bitten äußert, so vage und allgemein ist Sigunes Antwort, die „at once admonition and polite invitation“
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Stellenkommentar ist (Christoph 1981, 175). Daß die von beiden gebrauchten Wendungen und Vokabeln in ihrer höfischen Floskelhaftigkeit vieldeutig, suggestiv und andeutungsreich sind, ohne jedoch das Thema der Minne und des richtigen Minneverhaltens im Mindesten zu benennen, macht deutlich, daß eben Vieldeutigkeit, Offenheit und Nicht-Festlegbarkeit thematisch sind, so hier in der Gesprächseröffnung, so später in den Reflexionen über Minne (s. dazu den einl. Komm. u. Komm. zu 57,3–4). Zugleich ist das letzte Wort, das in dieser offen-andeutungsreichen Gesprächsexposition fällt, „das Wort, das die künftige Katastrophe vorwegnimmt“ (Mohr 1978, 130): sone soltu dich niht vergâhen. Sigune tritt, so unspezifisch es hier noch erscheint, in die Minnehandlung mit der Haltung ein, die sie am Ende dieses Gesprächs (71,3–4) wie am Ende des zweiten Gesprächs mit Schionatulander (173) kennzeichnet, und die sie im Pz. (141,20 f.) rückblickend an sich selbst beklagt: Die Haltung des Nicht-vergâhen.
59 (La 56) Schon Docen hat diese Str. entgegen der Strophenfolge von G nach vorne gestellt und die Reihenfolge von H und JT favorisiert, worin ihm alle Hgg. außer Marti gefolgt sind. Dieser Aufbau ist zweifellos kompositorisch glatter, weil das Gespräch nicht unterbrochen wird und man nun einen sechzehnstrophigen Dialog, „kunstvoll gegliedert in vier Gruppen von je vier Strophen“ (Mohr 1978, 128) vor sich hat. Zudem eignet der Str. zweifellos ein Prolog-Charakter, da sie sich mit dem Hinweis auf magetlîche sorge unt manheit mit den arbeiten nicht bloß auf den folgenden Abschnitt oder Dialog bezieht, sondern auf weitgespannte Erzählzusammenhänge. Doch auch wenn man die Stellung zu Beginn eines größeren neuen Abschnittes für plausibler halten mag und man solche auf Symmetrie und narrativer Glätte rekurrierende Argumente für diesen Text für relevant erachtet, so wird man die Stellung in G nicht für verderbt erklären können, weshalb eine Umstellung der Str. keineswegs zwingend ist. Denn auch die unmittelbare Folge von Str. 55 und 56 [= La 57] hat einiges für sich. Beide Strr. beginnen (wie auch Str. 54) mit dem Subjekt Schionatulander: Er betrachtet Gahmuret als Vorbild in Liebesdingen (55), woraufhin er sich ein Herz faßt (56 = La 57). Dieser deutliche Bezug wird durch eine allgemeine Str., die dazwischen steht (La 56 = hier 59), durchaus verdunkelt. Auch wird man den Erzählereinschub nach drei Dialogstrophen im G nicht als sinnlos bezeichnenen können: Nach Schionatulanders Gesprächseröffnung mit einer unspezifischen Bitte um helfe und Sigunes erster Nachfrage schaltet der Erzähler die Ankündigung der Minnethematik ein. Tatsächlich wird gesellekeit und minne auch erst jetzt im Dialog thematisiert (zu dem ähnlichen Problem der erwogenen Umstellung von Str. 68 nach Str. 65 nach H s. Komm. zu Str. 66; vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4). 1
Das Präsens in H phlegen ( JT noch deutlicher di minne pflegende sin) begreift Mohr (1977, 136) als „die inhaltlich bessere Lesart“, da hier Gegenwart und Vergangenheit (an sich leiten) angesprochen sind. Da der Vers jedoch auf eine allgemeine Erfahrung rekurriert, ist im Sinne eines „gnomischen Präteritum“ „die temporale Bedeutung […] stark reduziert“ (dazu Mhd.Gramm. § 308d): Auch die beiden Präteritalformen der Hs. G können inhaltlich die Gegenwart mit einschließen. In dem Relativsatz ist das Subjekt des folgenden Imperativs nu hœret vorweggenommen: „Ihr alle, die ihr jemals geliebt habt …, nun hört …“. minne an sich leiten ] leiten ist kontrahierte Form von legeten, Prät. zum sw.V. legen. Ob damit nur eine Wiederholung des minne phlegen (hier wohl nur umschreibend „mit Minne zu tun haben“ = „minnen, lieben“) formuliert ist (Marti: „sich zulegen“) oder ein
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aktiverer, emphatischer Aspekt, ist schwer zu beurteilen. Der Ausdruck „etwas an sich legen“ ist in den Wbb. nicht belegt, Martin verweist auf Iw. 1665 f. die marter und die arbeit / die sî an sich selben leit und übersetzt mit „sich auferlegen“. Diese Bedeutung, die als Metonymie der einzig in den Wbb. verzeichneten Bedeutung von an legen = „(ein Kleid) anlegen, einkleiden“ (Lexer I 1858) zu deuten wäre, erscheint hier sehr passend: Die Minne wäre so schon im Vorsatz dieser „pathetischen Ansprache“ (Marti) verbunden mit sorgen, arbeit (V. 2) und nôt (V. 4), sie wird eingeführt als etwas, das ergriffen und mit dem aktiv handelnd umgegangen wird (vgl. „Minneleid getragen“ Übers. Simrock, „qui […] en avez accepté les épreuves“ Übers. Fourquet, „who have […] assumed the burden of love“ Übers. Gibbs/Johnson). Dies weist voraus auf das einschränkende den rehten (V. 4; s. Komm. dort). 2
Die „Teilnahmeformel“ (Mohr 1978, 128) und direkte, pathetische Höreranrede (ähnlich 36,1 Nu hœret frömde wuonder; 146,3 aventiure hœret) schlägt deutlich einen heldenepischen Ton an, insbesondere in der direkten Verbindung solcher mündlich-formalen Hörer-Anrede mit der Vorausdeutung auf sorgen, manheit und arbeiten (dazu Dick 1992, 402). Eine ähnliche Zusammenstellung der weiblichen und der männlichen Perspektive auf die Minne in formelhaft anmutendem Anredegestus bietet Str. 78,2 (auch 69,2). Allerdings ist die Frage, welchen Bedeutungshorizont man den beiden Begriffen sorge und arbeit zukommen läßt. Das vielfach auftauchende Wort sorge „ist einer der von Wolfram am häufigsten gebrauchten Begriffe, um den durch die Minne hervorgerufenen Gemütszustand zu charakterisieren“ (Labusch 1959, 102; Belege dort). Allerdings ist es ebenso wenig zwingend, die angekündigten magetlîchen sorgen auf Sigunes Liebesschmerz zu beziehen, wie es einleuchtend ist, die manheit mit den arbeiten in genauer Äquivalenz als „mannhaften Sinn in der Liebesqual“ (Martin) zu verstehen. arbeit im Hinblick auf kämpferisch-ritterlichen Minnedienst ist der Terminus, mit dem dieses Gespräch beendet werden wird (72,2), doch arbeit ist, wie auch sorge, stets universaler Terminus für Leiderfahrung (vgl. arbeit in 140,2 u. 143,2), womöglich mit geschlechterrollen-spezifischen Akzenten. Im Hinblick darauf, daß beide Begriffe gerade nicht Leitbegriffe des folgenden Gesprächs sind, sondern dort nur je einmal auftauchen (in sorge 67,3; in den arbeiten 72,2), scheint damit ein Handlungshorizont zumindest mit anvisiert, der über das Minnegespräch hinausweist (so auch Hollandt). Die – mehrfach gebrochene (vgl. Komm. unten zu V. 3–4) – Formelhaftigkeit der gesamten Strophe läßt die weitergefaßte konventionelle Dimension dieser Vokabeln aktuell werden: manheit mit den arbeiten als das, was dem jungen Ritter im Minnedienst ansteht, sorge als das, was der Minnedame als Besorgnis um ihren kämpfenden Minneritter zukommt (ähnlich Heinzle). Das ist aber gerade nicht das, von dem im folgenden – noch überhaupt im gesamten Tit. – erzählt wird, sondern gerade das, was dieser Text nicht erzählt. Insofern stößt die rhetorisch aufwendige Ankündigung und bedeutungssuggerierende Vorausdeutung abermals (wie bei allen Unterschieden ähnlich in 36,1) ins Leere (zur systematischen Undeutlichkeit der zeitlichen Dimensionen von Vorausdeutungen vgl. auch Komm. zu 17,1–2).
3–4 In der Formulierung aventiure künden nimmt der Erzähler zwar die heldenepische Pose des bloßen Vermittlers der aventiure ein (dazu Mertens 1996, 374; vgl. auch V. 2 u. Komm. dort), aber mit dem – durch das Enjambement in seiner Unvermitteltheit noch bekräftigten – Anschluß durch das einschränkende den rehten ist der Erzähler in die beinahe gegenteilige Rolle des selbstmächtigen Erzählers hinübergewechselt, der so tut, „als läge es in seiner Kompetenz, sein Publikum zu definieren“ (Wyss 1974, 268). Man hat in dieser Stelle übereinstimmend eine Beziehung zu Gottfrieds „Tristan“ gesehen, so
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Stellenkommentar in der Zusammenstellung von herzeliebe und senende nôt, die sich wörtlich Tr. 61 findet (was umso signifikanter ist, als herzeliebe bei Wolfram sonst nicht belegt ist, worauf Heinzle hinweist), so in der Beschränkung des intendierten, verständigen Publikums auf die rehten (eine Anspielung auf Gottfrieds einverständigen Idealzirkel der edelen herzen Tr. 47, 170, 233 u. ö.; dazu zuletzt Dallapiazza 1995, 176 f.). Was ein solches intertextuelles Gespräch mit Gottfrieds Text allerdings für diese Stelle bedeutet, ist schwer zu sehen und kaum diskutiert. Die Beschränkung auf ein höfisch gebildetes, gleichgesinntes Publikum (vgl. auch V. 1) ist durchaus topisch, allein die Übersteigerung zu einem idealen, exklusiven Zuhörerzirkels, dessen Erfahrung und Gesinnung sich in geheimnisvoller, stets mystifizierter Übereinstimmung mit dem Werksinn befindet, ist das Kennzeichen der Gottfriedschen Konzeption, die hier eine signifikante Parallele stiften könnte. Gemeinsam ist Gottfried und Wolfram an dieser Stelle zumindest das gesteigerte Bewußtsein davon, daß sich „der ästhetische Kosmos in seinem Verhältnis zur Welt draußen“ nicht problemlos aufbauen läßt, daß man sich nicht „mit der unmittelbaren Idealität der dargestellten Hofgesellschaft“ zufrieden geben kann (Wyss 1974, 269). Denn programmatisch hinsichtlich des folgenden Minne-Gesprächs ist allemal, daß hier wie dort eben diese Beziehung thematisiert wird: In dieser Publikumsansprache die – behauptete – Beziehung zwischen lebensweltlicher Minneerfahrung der rehten Zuhörer und einer zu erzählenden aventiure über Minne, in dem Gespräch die – gesuchte und problematisierte – Beziehung zwischen dem Erleben der Minne, das zwein kinden zugemessen wird, und dem Sprechen über die Minne, das offensichtlich das Erleben, das Handeln und seine Versprachlichung determiniert. Während Gottfried die Möglichkeit des Verstehens und somit die Auflösbarkeit der Spannung zwischen Lebenserfahrung und sprachlicher Repräsentation für den exklusiven Zirkel affirmativ und programmatisch behauptet, nimmt Wolfram diese Gedankenfigur des erfahrenen Zuhörerkreises ganz akzidentell und punktuell als implizite Entschuldigung für Schwierigkeit und Unverständlichkeit der folgenden Minnedebatten auf, wodurch er sie ironisiert und „die Unwahrheit solchen Erzählens“ (Wyss 1974, 269) markiert (vgl. Komm. zu V. 4).
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Will man nicht mit Leitzmann und Gibbs/Johnson (einem durch keine Lesarten gestützten, im Apparat gegebenen Vorschlag Lachmanns folgend) den Anvers metri causa verlängern (den rehten, die von minnen durch herzeliebe), so bleibt kaum eine andere Wahl, als die Zäsur und Anverskadenz in das Wort herzeliebe zu legen (vgl. die ähnliche Problematik in den Strr. 26,2; 56,1; 90,4; 114,1; 170,1; evtl. auch 23,1; s. Komm. dort und „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5). erfünden ] Konj. Prät. des st.V. erfinden = „erfahren“. Marti erklärt den Konjunktiv durch den verallgemeinernden Charakter des Relativsatzes, was aber keineswegs zwingend (vgl. den Ind. Prät. 59,1 u. 120,1–2) und in der Verbform des Konj. Prät. auch ungewöhnlich ist (zum Konj. Präs. im verallgemeinernden Relativsatz s. die durchaus anders gelagerten Fälle Mhd. Gramm. § 473). Gegenüber dem parallelen Relativsatz in V. 1, der bei ebenso sehr verallgemeinernder Bedeutung Indikativ Präteritum zeigt, verleiht hier der Konjunktiv dem Satz einen potentialen Charakter (Martin übersetzt „kennen gelernt haben möchten“). Will man die Verbform nicht mit bloßem Reimzwang erklären, so ließe sich dieser Potentialis durchaus als subtiles Ironiesignal verstehen, das die das wahre Verständnis begründenden Liebeserfahrungen der rehten und damit das zitierte Konzept Gottfrieds (vgl. Komm oben zu Vv. 3– 4) in Frage stellt.
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60 (La 60) 1– 4 genâde ] Wie zuvor helfe (Strr. 56,3–57) so wird nun das „keyword“ (Richey 1961, 186) genâde (der Pl. genâden ist ebenso üblich und bedeutungsgleich) in mehreren Formulierungen umkreist. Gegenüber dem Terminus helfe, der von Schionatulander zunächst auch in seiner allgemeinen Bedeutung (im Hinblick auf die helfende Gralsfamilie) angesprochen wurde, bedeutet nun die repetierte genâde eine Konkretisierung im Hinblick auf das Minneanliegen und ist insofern Antwort auf Sigunes Frage nu sprich […], waz du meinest (58,1). Das hier nun unmißverständliche Eintreten in ein formelles Minnegespräch wird in den hoch konventionalisierten, topischen Formulierungen deutlich: frouwe, ih ger genâden (V. 2; s. Komm. unten) und swâ genâde wonet, dâ sol man si suochen (V. 1; s. Komm. unten). Beschreibt der Begriff (wörtl. „Herablassung, Geneigtheit, helfende Zuneigung, Zuwendung, Gunst“) zunächst innerhalb feudaler Rechtsterminologie die geforderte Haltung des Herrschenden und dann im religiösen Diskurs das Erbarmen Gottes, so gehört er bei den Trobadors (prov. merce), den Minnesängern und in der höfischen Epik zum Kernbestand der Topik des in devoter Haltung um Zuwendung der frouwe werbenden Minnedieners (dazu Wechssler 1909, 395 ff.; Labusch 1959, 95 f.; Willms 1990, 80 ff.). Doch wie zuvor im Falle der helfe werden auch hier die Bedeutungsspielräume des zentralen Terminus ausgelotet: „Der Begriff genade ist zweideutig und wird, wie seine auffallende Häufung vermuten läßt, auch so eingesetzt; genade meint sowohl geneigte Gesinnung, als auch konkret Liebeserfüllung“ (Hauer 1992, 33 Anm. 24), oder vorsichtiger „Gabe, die diese Gesinnung offenbart“ (Heinzle). Durch die mehrfache Wiederholung spiegeln sich die Formulierungen gegenseitig und machen es nachgerade unentscheidbar, welche Bedeutungen an den jeweiligen Stellen aktualisiert oder impliziert sind. Sind auch einzelne Formulierungen höchst konventionell, so ist die Str. in ihrer Gesamtheit alles andere als bloß höfisch-formelle, topische Minnerhetorik. – Vgl. auch die ganz ähnliche Problematik des Terminus genâde und des Minnelohns in Str. 173,1–2; s. Komm. dort. 1
swâ genâde wonet, dâ sol man si suochen ] Schionatulander rekurriert hier abermals auf die sippengebunden ererbten Eigenschaften Sigunes, zu der neben der helfe (57,2–4) auch die Bereitschaft zur genâde zu gehören scheint. Oder gehört dies zur MinnesangTopik des vorauseilenden Lobes der frouwe? – Dem Hinweis Martins auf die spätere Aufnahme bei Heinrich Hetzbold von Weißensee KLD I 20, III/3, 1 ist noch eine Parallele bei Ulrich von Gutenburg hinzuzufügen, die sicher vor dem Tit. zu datieren ist: (ieman) suochte genâde, er sollte si vinden MF 78,4.
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frouwe ] Schionatulander gebraucht diesen topischen Anredetitel der Minneherrin nur in diesem Gespräch (noch 65,1 u. 72,1; s. Komm. dort), sonst zumeist süeziu od. werdiu maget (vgl. Komm. zu 56,4). Das spricht für die Betontheit des formellen Minneantrages an dieser Stelle. des solt du … geruochen ] geruochen mit Gen. = „Rücksicht nehmen auf etwas, sich einer Sache annehmen, etwas gewähren“. Der abhängige Genitiv des bezieht sich grammatisch auf das zuvor geäußerte Begehren Schionatulanders: „Herrin, ich begehre Zuwendung. Dessen sollst du dich vermittelst deiner Zuwendung annehmen.“ (durh hier sicher nicht kausal, sondern instrumental). Durch diese umständliche Formulierung wird aus der topisch-formellen Bitte ein persönlicher, emphatischer Appell mit insistierender Wiederholung des Schlüsselwortes genâde, der durch die beinahe zwangsläufig syntaktisch vereinfachende Übersetzung (etwa: „Ich bedarf der Huld, und du, Herrin,
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Stellenkommentar kannst sie mir gewähren“ Hollandt, ähnlich die Mehrzahl der Übers.) ungebührlich geglättet wird. Noch unterstrichen durch das auch emphatisch zu lesende solt du (suln = eigentl. „schuldig sein, etwas zu tun“, „müssen“), kann der dringende Apell auch als abgeschwächte oder verhüllende Formulierung des in der Trobador- und Minnelyrik verbreiteten Gedankens gelesen werden, daß die frouwe sich versündigt, wenn sie genâde und Hilfe vorenthält (vgl. etwa Peire Vidal XXXVII 17 f.; Dietmar von Aist sin welle genâde enzît begân, / die sich dâ sündet an mir MF 38,27 f.; Heinrich von Morungen MF 129,36 ff.) Die Antwort der Sigune mit dem unvermittelt starken sünden (61,2) wäre so als unmittelbare Replik verständlich (s. Komm. zu 61,2).
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In den drei Verwendungen des Wortes gesellekeit in Zusammenhang mit diesem Gespräch ist die ganze Bedeutungsbreite des Begriffs abgedeckt. Während in der Einleitung des Gesprächs sîn gesellekeit (56,2) zumindest auch noch deutlich die allgemeinere Bedeutung des freundschaftlichen Zusammenseins mit sich führt (s. Komm. dort), so verwendet der Erzähler geselleschefte (73,1) im Resümée des Gesprächs als Terminus für eine formelle Minnebeziehung (s. Komm. dort). Die Verwendung des Begriffs in Schionatulanders Munde an vorliegender Stelle nimmt sich als eine Stufe in diesem Prozeß der zunehmenden Konkretisierung aus: Es wird damit schon eindeutig eine höfisch-formelle Beziehung bezeichnet, wie aus der Formulierung stêt wol und dem ethisierenden werdiu sowie dem Kontext der Str. als Werbung um genâde der frouwe hervorgeht; doch ist das Wort Minne gerade noch nicht gefallen. Wie ähnlich die Strr. 46 ff., die das Thema der Kinderminne exponieren, ohne jedoch die Fragwürdigkeit der Kinderminne zu debattieren, sondern vielmehr die allgemeine Problematik der Minne in verschiedensten Dimensionen entfalten (s. insbes. einl. Komm. zu Strr. 47–55), so fällt auch hier das Stichwort, das durch die ganze Vorbereitung des Gesprächs in den Strr. zuvor nun eine Thematisierung der Kinderminne erwarten läßt. Dies wird durch das Signalwort kinden zwar suggeriert, aber diese Erwartung wird nicht erfüllt. Nur wenn man sie auf ein explizites Minneverhältnis bezieht, ist Schionatulanders affirmative Behauptung höchst prekär (im Sinne von 49,1 Owê minne, waz touc dîn kraft under kinder). Gerade in ihrer Mehrdeutigkeit (hinsichtlich gesellekeit) und sententiösen Formelhaftigkeit aber ist sie gegen Widerspruch immun und somit rhetorisch höchst geschickt (Christoph 1981, 175 spricht von einem „argumentum ad verecundium in order to suggest that his request for ‚gesellcheit‘ is not impertinent“). So kann diese Behauptung zur offensichtlich akzeptierten Grundlage des Gesprächs werden, das erst später Züge eines spezifischen Gesprächs unter Kindern zeigt, und dies auch nur vereinzelt und ansatzweise.
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nie niht gewan ze tuone ] Diese ungewöhnliche Formulierung mit flektiertem Infinitiv läßt sich auf drei Weisen verstehen: 1. Es kann gemeint sein, „wo sie noch nie etwas zu tun / zu suchen hatte“ oder (mit gnomischen Präteritum wie 59,1) „wo sie nichts zu suchen hat“ (in diesem Sinne Martin, mit Verweis auf die allerdings etwas andere Formulierung bei Reinmar MF 170,32 dâ er niht ze tuonne hât; schlagender ist die Parallele zu Iw. 7425 ff. und wizzet daz ich nie gewan / ze tuonne mit deheinem man / den ich sô gerne erkande). Dann wäre dieser Vers eine Weiterführung von V. 3, es wäre die rehtiu genâde etwas, was mit werdiu gesellekeit eng verbunden ist und mit ihr einhergehen soll. Der komplizierte Gedankengang lautete dann etwa: „Ich würde nicht um genâde bitten und sie suchen, wenn ich nicht wüßte, daß sie zu der uns wohl anstehenden werden gesellekeit gehört; denn wer könnte sie dort je finden, wo sie nichts zu suchen hat / wo es für sie nichts zu schaffen gibt?“ (in diesem Sinne etwa Übers. Mohr). Der Satz wäre zwar formal eine genaue Entsprechung von V. 1 in Negation, zielte aber inhaltlich dennoch auf etwas anderes, weshalb uns diese Auffassung am plausibelsten erscheint. 2. Es kann
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gemeint sein „wo sie noch nie gehandelt hat“. Dann wäre der Vers auch inhaltlich eine genaue Entsprechung zu V. 1 in negierter Form, was durch die parallele Konstruktion nahegelegt wird (swâ – dâ, suochen – vinden; diese evidente Parallelität der Konstruktionen läßt allemal Rapps Übersetzung wenig plausibel erscheinen, der das si auf werdiu gesellekeit und nicht auf genâde beziehen will). Der Gedanke rekurrierte dann abermals auf die sippengebundenen Eigenschaften Sigunes (vgl. 57,2–4; Komm. zu 60,1) und ließe sich paraphrasieren: „Ich würde nicht um genâde bitten und sie suchen, wenn ich nicht wüßte, daß sie bei dir zu finden ist; denn wer könnte sie je dort finden und wer würde sie dort suchen, wo sie noch nie gehandelt hat?“ (ähnlich San-Marte, Simrock, Gibbs/Johnson). Diese aufgrund der fomalen Parallelität sicherlich sehr plausible Lösung führt allerdings das Problem mit sich, daß der Vers weitgehend als bloß rhetorisch motivierte Repetition begriffen wird. 3. Schließlich ließe sich das Präteritum abermals als gnomisches Präteritum auffassen (wie 59,1) und allgemeingültig, präsentisch verstehen: „wo sie nicht handelt / noch nicht begonnen hat, zu handeln“. Hollandt übersetzt in diesem Sinne: „Doch wie soll man Huld erlangen, wenn sie sich versagt?“ (ähnlich Matthias, Passage, Fourquet). Dies nimmt sich allerdings als ein etwas larmoyanter und außergewöhnlich unverblümter Apell aus, so, als ginge es nicht um die Zuneigung zu Sigune, sondern darum, überhaupt irgendwo Zuwendung und gesellekeit zu erfahren und dies nun als Anspruch einzufordern.
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trûren durch trœsten ] „die alliterierende Verben trûren […] und trœsten […] sind konventionelle Ausdrücke der Liebessprache“ (Marti). Der als Nomen verwendete Infinitiv trûren (wörtl. „das Trauern, die Traurigkeit“) bezeichnet im Minnediskurs „Niedergeschlagenheit infolge von Liebessehnsucht“ (Martin), das „Schmachten“ (Marti) der an der Minne Leidenden (so auch 66,4; allgem. im Sinne von „Traurigkeit, Leid“ 17,3 u. 97,4). Das trœsten (ebenso wie trûren Infinitiv als Nomen, gleichbedeutend mit dem gebräuchlicheren trôst; hier passivisch zu verstehen: „um getröstet zu werden“, „um Trost / Hilfe / Erfüllung zu erlangen“; dazu Mhd.Gramm. § 332) meint „erteilten Trost, Zusage von Hilfe, Ermutigung“ (so 83,1 u. 4; 112,2; 117,2; 121,1), „freudige Zuversicht, Ermutigung, Hoffnung (im Minnediskurs: auf Liebeserfüllung)“ oder auch das, was durch Gewährung des Erhofften zuteil wird, also die Erfüllung und das Liebesglück selbst (so 3,1 u. 113,4; vgl. Heinzle zu 3,1). Welche Bedeutung hier zu bevorzugen ist, ist schwer zu entscheiden. Falls man die unspezifische Bedeutung „Trost, Zusage von Hilfe“ ansetzt, so unterstellt man, daß Sigune hier und zuvor (Str. 58) keine konkreten Vorstellungen von Schionatulanders Wünschen habe, ihn also nicht verstehe. Dagegen spricht die systematisch gehäufte Verwendung der von der Minne-Topik besetzten Vokabeln. Versteht man daher trœsten als Gewährung des Begehrten, so muß man (mit Marti) annehmen, daß sie bloß so tut, als verstünde sie ihn nicht (so schon in Str. 58, so insbes. in 61,4). Sinnvoller als eine Spekulation auf die Intentionen der Figur bzw. die Intentionen des Erzählers hinsichtlich der Figur scheint es indessen, die Mehrdeutigkeit der verwendeten Termini in ihren topischen und nicht-topischen Valenzen als das Thema zu begreifen, das hier entfaltet wird und das Gespräch strukturiert (vgl. auch Komm. zu 58,4).
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helfen ] Zu helfe als Leitvokabel des Gesprächseingangs s. Komm. zu 56,3–4. anders du kanst dich sünden ] Refl. gebrauchtes sünden (auch sich versünden) = „sich versündigen“. Im Lichte der abermaligen Verwendung der Vokabel in 119,2 liegt es zu-
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Stellenkommentar nächst nahe, eine abgeschwächte Bedeutung „im sinne eines irrens oder unrechtthuns“ anzunehmen (so Heinzle nach Haupt). Allerdings ist diese Wendung gerade auch im Minnesang topisch (als Vorwurf an die genâde verweigernde frouwe: Dietmar von Aist MF 38,28; Ulrich von Gutenburg MF 78,25; Heinrich von Rugge MF 100,18; Bernger von Horheim MF 115,29; als Mahnung an die höfischen Neider: Heinrich von Morungen MF 128,28; MF 130,6; MF 138,26; Reinmar MF 180,5), und bezeichnet gerade die Überschneidung von religiösem Diskurs und höfischem Minnediskurs im Feld der Minneethik. Gerade die topische Qualität des Gedankens vom Zusammenhang von vorenthaltener genâde und dem sich versünden (dazu Kasten 1995, 610 f.) erweist die dichte Einbindung dieser Wendung in das Gespräch und läßt diese Mahnung Sigunes als Umkehrung dieses Gedankens im Sinne einer direkten Erwiderung auf Schionatulanders Verlangen nach genâde verstehen (des solt du durh dîne genâde geruochen 60,2; s. Komm. dort). Emphatisch verstanden also: „Umgekehrt: Du wirst dich versündigen, wenn du …“. – Das Modalverb kunnen gibt Sigunes Aussage einen apodiktischen Ton: Es meint wörtlich „du verstehst es, dich zu versündigen“ oder „du vermagst dich zu versündigen“ (also definitiv „du wirst dich versündigen“), hat jedoch nicht den abgeschwächten, konditionalen Aspekt des Nhd. „du kannst dich (möglicherweise) versündigen, falls …“.
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kumber ] „Belastung, Not, Kummer“. Insbes. auch in der Formulierung kumber wenden topisch im höfischen Minnediskurs. Bezieht man in Betracht, daß wenige Strr. zuvor die Rede davon war, wie sich Gahmuret in seinem Verhältnis zu Anphlise von seinem kumber kunde scheiden (55,3), so wird man auch hier die spezielle Bedeutung „Liebesschmerz“ mithören müssen. Im Tit. ist der Terminus sowohl in der allgemeinen Bedeutung „Schmerz“ (132,2; 143,2; 175,2) als auch in der spezifischen Bedeutung „Liebesschmerz“ (dezidiert 55,3; 124,4) verwendet (changierend wie an vorliegender Stelle: 62,3; 93,3; 118,3; auch kumberlîche nôt 57,4). Dem Terminus eignet die gleiche, hier entscheidende Mehrdeutigkeit wie in dieser Gesprächseröffung helfe, genâde, trûren, trœsten (vgl. Komm. zu 56,3–4; 58,4; 60,1– 4; 61,1)
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Es gibt zwei Möglichkeiten der Interpunktion; beide sind gleichwertig: 1. Setzt man (wie hier mit Heinzle) Komma nach weise, so steht weise absolut; die zweite Vershälfte ist parallel dazu auf ih bin bezogen und der Gen. aller mâge ist parallel zu der liute mînes landes von ellende („fern von“) abhängig (gleichwertig ist die Konstruktion, wenn man Lectio H u. JTI folgt und Komma nach weise und mâge setzt, so Lachmann in der 1. Aufl. und Gibbs/Johnson). 2. Verzichtet man auf jede Interpunktion (wie Marti, Leitzmann, Mohr und Dallapiazza), so ist der Gen. aller mâge auf weise zu beziehen; ellende wird dann nur durch der liute mînes landes ergänzt (dem entspricht Komma nur nach mâge bei Lectio H u. JTI, wie Lachmann in späteren Aufl., Bartsch, Piper, Martin). – Sigune ist eine weise (die Mutter Schoysiane ist gestorben [Str. 19 f.], der Vater Kiot war Klausner geworden [Str. 22,4] ), sie ist getrennt von ihren mâgen (Blutsverwandten in der Seitenlinie), von liuten und lant (formelhaft wie 62,1 u. 117,1; sie wächst als Erbin und Fürstin des väterlichen Landes Katelangen [Str. 22,3] zunächst bei ihrem Vaterbruder Tampunteire [Str. 25] und dann bei ihrer Mutterschwester Herzeloyde [Str. 29] auf), sie lebt im ellende, in der Fremde (in Kanvoleiz im Lande Waleis, dem Land Herzeloydes; vgl. 118,1 Ellendiu maget, nu muoz mich dîn ellende erbarmen). Vorliegende Stelle läßt es zunächst so aussehen, als ob Sigune tatsächlich gar nicht verstanden hätte, daß Schionatulanders Ansinnen auf Minne zielt. Oder gibt sie nur Nicht-Verstehen vor und versucht so, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben? Die Verwendung des topischen Minnevokabulars (helfe, genâde, trûren, trœsten, sünden, kumber) spricht gegen die Naivität der
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Sprecherin. Der Verweis auf ihre Einsamkeit und Machtlosigkeit könnte so als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit gelesen werden: Der Minnediskurs wird verschoben in den Machtdiskurs: helfe und Handlungsspielräume hat nur der Mächtige, nicht die weise im ellende. Christoph und Hauer sehen hier gar eine geschickt gestellte Prüfung der um die Minneabsichten wissenden Sigune, ein berechnendes „Insistieren auf der Klärung seines Willens“ (Hauer 1992, 34): „In making herself appear unattractive […], Sigune creates an excellent opportunity for testing Schionatulander’s motives and resolves, to see whether he merely seeks social position, pubescent dalliance, or whether he will bear the deprivation hich true love often exacts as its price.“ (Christoph 1981, 176). Allemal ist die Vieldeutigkeit und Suggestivität der Vokabeln und Argumentationsansätze Thema des Gesprächs, so daß nicht von dieser einen Stelle aus, die zunächst mit ihrer lebensweltlichen Deutlichkeit dem andeutungsreichen, verhüllenden Duktus des Dialogs zuwider zu laufen scheint, Rückschlüsse auf eine konsistente (naive oder strategische) Intention Sigunes für die gesamten ersten Strophen gezogen werden müssen (vgl. dazu Komm. zu 58,4 u. 61,1).
62 (La 62) 1–2 Deutlich nimmt Schionatulander Bezug auf die letzten Worten Sigunes, insbes. in der wiederholten Formel lant unt liute. Wie ähnlich im Falle von 61,4, so ist auch hier unterschiedlich beurteilt worden, wie explizit die Thematik von Herrschaft und Standesdifferenz in diesen Worten ist. Man hat darin bloß eine galante, der Anrede duzisse ûz Katelangen (57,1) äquivalente Zurückweisung von Sigunes vermeintlicher Selbstzurücksetzung (so Martin) oder die spezifische Reinheit der Kinderminne in Schionatulanders Abweisung insinuierter niederer Motive sehen wollen (Rahn 1958, 37 f.), was aber den Implikationen wohl kaum gerecht wird. Auch wenn man nicht der auf einen geschickt lancierten „test“ Sigunes hinauslaufenden Interpretation Christophs folgen will – „Schionatulander immediately recognizes the plan and parries with a profession of true love“ (1981, 176; vgl. auch Komm. zu 61,4) – so wird man doch zugeben müssen, daß Schionatulander „damit den Rangunterschied zwischen sich und der Geliebten als Problem“ benennt (Schmid 1988, 83). Daß er dies wiederum tut, „um den Verdacht von sich zu weisen, es könnte ihm bei seiner Werbung um den Erwerb von Herrschaft gehen“ (Schmid 1988, 83), zeigt einerseits, daß das Thema der Standesdifferenz zwischen den beiden stets „im Hintergrund steht“ (Kiening/Köbele 1998, 254; zur im Text leitmotivischen weiblichen Partnerwahl unter Stand vgl. einl. Komm. zu 13–24 u. Komm. zu 170,2–4), macht aber andererseits klar, daß dies hier nur episodisch und unproblematisiert bleibt und in diesem Gespräch nicht mehr auftaucht. Viel sinnvoller, als distinkte Gesprächsstrategien zu suchen und von einem indirekt geäußerten und zurückgewiesenen Verdacht zu sprechen, scheint es, das „geradezu anarchische Potential“ (Wyss 1974, 272) von Schionatulanders Worten des enger ich alles niht zu entdekken: Nachdem das Gespräch bisher stets in mehrdeutigen, suggestiven Wendungen verlief und zwischen gegenseitigem Nicht-Verstehen und konventionellem oder strategischem Verhüllen changierte, beendet Schionatulander in Reaktion auf den letzten und deutlichsten Abweg – die ständische Problematik – mit einer vehementen verbalen Geste der Verneinung die Sprache der Andeutungen und benennt in der Folge erstmals das eigentliche Thema minne (V. 4). Daß solch aufblitzender Anspruch auf Unmittelbarkeit der minne und auf erotische Spontaneität anschließend sogleich wieder „in den Definitionsversuchen des Fräuleins untergeh[t]“ (Wyss 1974, 272), tut dem keinen Abbruch.
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Stellenkommentar
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grôz ] Attributiv auf frouwe zu beziehen im Sinne von „angesehen, vornehm“ (die unflektierte Form in G ist ungewöhnlich, aber wohl möglich, vgl. Strr. 85,3; 96,2; 128,1; 161,2; 164,3; 166,1; 171,2; Hs. H zeigt die flektierte Form grosse, nach der Lachmann und ihm folgend Leitzmann und Gibbs/Johnson grôziu konjiziert haben). Der Vorschlag Gärtners (1974, 158), grôz prädikativ und landes unt liute als von grôz abhängigen Genitiv zu verstehen (wörtl. „du bist groß an Land und Leuten, Herrin“), erübrigt zwar das Problem der unflektierten Form, ist aber als Konstruktion nicht weniger schwierig (dazu auch Heinzle 1989, 491).
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wan daz … schouwe ] Das Akkusativobjekt mich findet sich in allen Textfassungen, aber jeweils an anderer Stelle (in G hinter daz, in H hinter augen, im JT hinter herze; deshalb vermutet Mohr 1977,137 eine Korrekturglosse), weshalb der Vorschlag Lachmanns (gefolgt u. a. von Leitzmann und Marti), mich zu streichen, wenig einsichtig ist und wohl nur metri causa erfolgte (oder versehentlich, da schon bei Docen kommentarlos fehlend und ebenso in Lachmanns Apparat). Auch wird durch diese Konjektur schouwen intransitiv gebraucht, wodurch nicht das mich, sondern herze betont ist. So kommt es (bei Martin, Marti u. schon Bartsch; auch Mohr 1978, 130) zu dem Rekurs auf den schon in der Patristik ausgebildeten Topos der oculi cordis, der Augen des Herzens, der inneren Augen (entsprechend der Vorstellung, daß die Seele Organe hat, die denen des Leibes analog sind, aber weiter und tiefer sehen; dazu Schleusener-Eichholz 1985, 1019 ff.; bei Wolfram etwa L 5,21). Die hier formulierte Vorstellung ist aber anders gelagert, da ein solcher Dualismus von Außen und Innen gerade nicht impliziert ist, sondern sich das Herz tatsächlichen Augen des Leibes bedient (und keine quasi selbständigen Wahrnehmungsorgane hat). Heinzle besteht daher darauf, daß eine andere Vorstellung zugrunde liege, nämlich die gerade in der Minnelyrik verbreitete Vorstellung „von den leiblichen Augen als des herzen spehære [Hartmann „Klage“ 533], die dem Herzen das Bild eines Menschen vermitteln und es veranlassen, ihn zu lieben“ (Heinzle; vgl. bei Wolfram etwa Pz. 311,28 u. 593,16 ff.; zahlreiche Belege bei Schleusener-Eichholz 1985, 769 ff.). Indessen scheint auch dieser Topos von dem Eindringen der Wahrnehmungen vermittelst der Augen in das Herz hier nicht unverändert aufgenommen, denn dieser wird stets so verwendet, daß die sinnliche Augenwahrnehmung dem Herzen die Minne vermittelt, d. h. die Sinneswahrnehmung dem Eindringen (der geliebten Person) in das Herz vorgängig ist, das Herz also reaktiv ist. Es geht hier aber nicht darum, daß der Geliebte / die Geliebte durch die Augen in das Herz eindringen soll; vielmehr ist die Vorstellung abermals umgekehrt: Schionatulander verlangt nicht, Sigune möge ihn ansehen, damit er in ihr Herz eindringe und sie in Liebe entbrenne, sondern er appelliert an sie, sie möge ihn nicht falsch (des enger ich alles niht V. 2) sondern richtig, und das heißt den kumber mîn (V. 3) wahrnehmen (zum bedenken s. Komm. zu V. 3). Der Topos, daß das Herz besser sieht und damit zugleich besser beurteilt als die Organe des Leibes, daß das Auge dem Herzen folge, wenn verständig gehandelt wird, und nicht umgekehrt, wie es in der Liebe geschieht (schon Ijob 31,7 si secutum est oculos meos cor meum), gehört wiederum deutlich zum Bildbereich der oculi cordis (dazu Schleusener-Eichholz 1985, 770 u. 1020 f.) Wie im Falle oculi cordis ist auch in dieser Str. das Herz das Subjekt des Schauens, das Organ, das aktiv schaut und die Augen, wenn auch nicht eigene und innere, sondern die leiblichen dazu benutzt. Insofern scheint die Pointe dieser eigenwilligen Formulierung zu sein, daß in den Worten Schionatulanders beide Vorstellungen – das wahrhaftige Sehen des Herzens und der Minnesang-Topos von dem Eindringen der Minne durch die Augen in das Herz – jeweils variiert und ineinander gewoben sind. Schionatulander präsentiert sich hier abermals in der Pose des Minnesängers, der seiner frouwe anträgt, seinen kumber wahrzunehmen und zu bedenken, und er benutzt dazu
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Bildvorstellungen, die eigentlich davon sprechen, wie die Minne in das Herz kommt. (Insofern greift wohl auch Christophs Deutung [1981, 176] zu kurz, die ganz auf die Rolle des Minnesängers abzielt und unterstellt, ihm genüge es, „to receive an accepting glance from her“.) 3
Das ez bezieht sich auf dîn herze (V. 2): Ihr Herz soll also erstens ihn ansehen (V. 2) und zweitens seinen kumber bedenken (kumber bedenken nimmt Sigunes Formulierung kumber wenden 61,3 auf; s. Komm. dort). Das Herz vereinigt also in sich Wahrnehmung und Reflexion, wobei gerade die vermittelnde Vorstellung, die aber notwendig unterstellt werden muß und auf die die Verse zielen, gerade nicht formuliert ist, daß nämlich ihr Herz seinen kumber wahrnimmt, wenn es ihn ansieht und bevor es den kumber bedenkt. Zu diesen umweghaften, indirekten Formulierungen paßt, das bedenken in seiner Vagheit zu verstehen und nicht mit Martin zu konkretisieren im Sinne von „dagegen sorge treffen“.
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Mit diesem Vers ist die Gesprächseröffnung beendet, die geprägt war von der Mehrdeutigkeit der Vokabeln und Wendungen. Indem Schionatulander noch einmal eine dieser signifikant unbestimmten Vokabeln aufnimmt (nu hilf mir), bestimmt er erstmals ihren konkreten Gehalt: helfe für dîn minne (Gen. objektivus: „die Liebe zu dir“). Nach der vehementen und deutlichen Negation von V. 2 (des enger ich alles niht) ist nun positiv und konkret benannt, worum es geht: Der Leitbegriff des gesamten folgenden Gesprächs ist gegeben, in dem aber gerade der Begriff minne seine Konkretheit wieder verliert und in Frage gestellt wird. – Die Lectio H (und JT) thue der mÿnne ir recht ist laut Mohr (1977, 137; ebenso schon Franz 1904, 28 u. Heinzle) als „falsche Vorwegnahme des Wortlauts“ von 67,4 zu erklären, eine angesichts der Ähnlichkeit beider Verse (ê – minne – herze – verkrenke/verderbe) naheliegende Vermutung. mîn herze ] Das mîn herze korrespondiert dem dîn herze (V. 2) und suggeriert ein korrespondierendes Handeln ihrer beider Herzen: Ihr Herz nimmt wahr und bedenkt, während sein Herz in Gefahr ist, ganz schwach zu werden (zum Motiv der gemeinsamen Herzen der Liebenden s. Komm. zu 102,2). verkrenken = „kranc (= schwach) machen, schwächen, herabsetzen“, nach Martin „hier ‚schädigen, verderben‘“ (vgl. 92,2; 104,3; 145,2). Ganz entsprechend gesteht kurz darauf Sigune ihre Liebe: daz ich muoz sîn an fröuden diu kranke 66,2. Auch die Vorstellung von der Gemeinsamkeit von fröude und herz wird kurz darauf abermals aktualisiert: minne stilt mir fröude ûz dem herzen 68,4. Vgl. auch 90,3 diu starke minne in krenket; diese Schwächung führt freilich unmittelbar zur Minnekrankheit: minne in lerte an stæten fröuden siechen 91,3.
63 (La 63) 1–3 Die Überlieferung der Vv. 2–4 der Str. ist so unterschiedlich, daß man mit einigem Recht von drei verschiedenen Fassungen wird sprechen können (wobei die Fassung des JT, der auf zwei Strr. erweitert [Wolf 726 u. 727], inhaltlich H nähersteht, allerdings den heikelsten Vers 63,2 gänzlich aufgibt und durch Elemente aus Str. 101,4 bzw. JT 782,4 ersetzt). Will man an dem durch alle Hss. (mit Ausnahme von JT D gebAre) bezeugten gewære (V. 1) festhalten, so ergeben die Vv. 2 u. 3 in Fassung G keinen Sinn. Das Adj. gewære (= „wahrhaftig, zuverlässig“) kann zwar sowohl mit Dat. der Person (wie G: gewære deheinem als lieben friunt) als auch mit Präposition (wie H: gewere gegen ainem
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Stellenkommentar also lieben fresnde = in beiden Fällen gleichbedeutend „[seine Minne ist] einem lieben Freund [gegenüber] zuverlässig“) konstruiert werden, erfordert dann aber einen inhaltlich positiven Anschluß, wie ihn H (und gänzlich anders auch JT) bietet: der mag wol leben one swEre (= „der kann ohne Bedrückung leben“). Dies hat zur Konsequenz, daß die Str. in H inhaltlich relativ unverbunden zweigeteilt ist: Im ersten Teil spricht Sigune positiv von Schionatulanders gerade zuvor geäußerter Minne, im zweiten Teil (Vv. 3–4) beteuert sie, von Minne nichts zu wissen, auch wenn sie über Minne rede (wirt aber von mir genant ymmer mÿnne V. 3; V. 4 in H entspricht im wesentlichen G, mit Ausnahme des [historischen?] Präsens und des [fehlerhaften?] meinen für minnen). Ob man soweit gehen kann, aufgrund der gegenüber G klareren Syntax und der abgegrenzten, aber inhaltlich deutlich anspruchsloseren und brüchigeren Gedankenfolge die Lesart H (und freilich erst recht JT) als eine lectio facilior zu bezeichnen (als Folge eines fehlerhaften gewære im Archetypus; in diesem Sinne Mohr 1977, 137), ist wohl angesichts der Sprunghaftigkeit und Brüchigkeit beinahe des ganzen Gesprächs nicht endgültig zu entscheiden. Die Fassung G allerdings ergibt im Gegensatz zu den von H und JT gebotenen Lösungen nur dann einen sinnvollen Gedankengang, wenn man (mit allen Hgg. und Heinzle) geware (V. 1) in gevære ändert (Adj. zum st.Fem. gevâre oder vâr [vgl. 171,1], „betrügerische u. böse Absicht tragend, feindselig, hinterlistig, heimlich nachstellend“; Hauer [1992, 35 f.] und Kiening/Köbele [1998, 242] weisen darauf hin, daß schon hier die Jagd als Bildspender für die Minnemetaphorik wirksam ist, wie dies in Strr. 64, 65, 100, 103 und im zweiten Fragment expliziter der Fall ist; vgl. auch 75,4 in zwein reit die minne ûf die lâge und Pz. 292,1 ff.: Frou minne, […] iwer werc sint hâlscharlîcher vâr). Aus dieser Konjektur ergeben sich mehrere mögliche Auffassungen der Syntax in G (zur Lesung von V. 2 im gebære s. gesonderten Komm. unten): 1. Versteht man sîn minne als Schionatulanders Liebe (zu Sigune) und entsprechend minne hân als „lieben“ (so dezidiert Marti u. Hollandt, Übers. San-Marte, Fourquet), so muß man einen anakoluthischen Konstruktionswechsel in Kauf nehmen, da die unpersönliche Konstruktion (swer … sîn minne … im gebaere) unterbrochen wird von einer anderen Bezeichnung desselben grammatischen Objektes (das konkrete deheinem als lieben friunt, als du mir bist substituiert das zu erwartende Pronomen im, das der Verallgemeinerung swer entspräche). Diese Herausstellung des plötzlich eingeführten konkreten Objektes kommt einer Parenthese nahe (, die man durchaus auch durch Parenthesezeichen vor deheinem und hinter bist als Ausruf markieren könnte), was wohl Marti und Heinzle im Auge haben, wenn sie hier von einem Ausbruch von Sigunes wahren Gefühlen sprechen. Doch eine derartige psychologisierende Bestimmung solchen, im Tit. häufigen Konstruktionswechsels ist keinesfalls notwendig (vgl. dazu die anakoluthischen Fügungen in 43,2; 57,1–2; 57,4; 92,4; 137,2–3; 140,1–2; 142,1–2). Will man die brüchige Syntax inhaltlich fruchtbar machen, scheinen strukturelle Analogien angemessener: Schionatulander ist zugleich das Subjekt des Liebenden und das Objekt der Gefährdung durch Minne, und dies grammatisch wie semantisch; er gefährdet sich selbst bzw. seine Minne gefährdet ihn (vgl. dazu 99,4 diu minne sich selben an dir roubet). Der Vorschlag von Stutz (1989, 463), „sîn als Gen. des Pron. pers., zu beziehen auf gevære“ aufzufassen („daß die Minne ihm hinterhältig gesonnen ist“; das impliziert minne hân = aktivisch „lieben“), kann als Variante dieser Deutung angesehen werden, da sie inhaltlich im Prinzip identisch ist. Indes muß auch hier ein schwieriger Konstruktionswechsel unterstellt werden, da gevære zuerst mit Gen. der Person (sîn) und anschließend mit Dativ der Person (deheinem als lieben friunt) konstruiert wäre (dazu auch Heinzle 1989, 491). Dies scheint keinesfalls weniger heikel als der oben vorgeschlagene Anakoluth, und dies zumal, solange ein Beleg für gevære mit Gen. der Person aussteht.
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2. Die andere Möglichkeit ist syntaktisch problemloser, aber inhaltlich weniger überzeugend: mîn minne kann auch als Gen. objectivus aufgefaßt (was durch die Parallele zu sîn minne im Vers zuvor 62,4 naheliegt) und dementsprechend minne hân passivisch als „geliebt werden“ verstanden werden (so Martin; von Heinzle favorisiert). Man entgeht zwar dem oben beschriebenen Anakoluth, da nun von zwei verschiedenen Personen die Rede ist (Sigune als Objekt der Minne und Schionatulander als Objekt der Gefährdung). Grammatisch ist dies indes nur unwesentlich einfacher: Man muß hier immerhin annehmen, daß mit dem Pronomen im regierenden Hauptsatz im (V. 2) und dem Pronomen im davon abhängigen vorgezogenen Relativsatz swer (V. 1) nicht dieselben Personen bezeichnet werden (swer zielt auf Sigune, im bezeichnet den gefährdeten friunt, also Schionatulander). Zudem wird die Brüchigkeit, die dem syntaktischen Gefüge in beiden Deutungen eignet, hier noch verstärkt: Die einleitende Konstruktion mit swer wird vom Hauptsatz (V. 2 f. daz wort im gebære …) nicht, wie zu erwarten, mit einem entsprechenden Personalpronomen aufgenommen. In der ersten Variante ist dies eine lockere, aber unmittelbar verständliche syntaktische Fügung (ganz ähnlich nach swer 57,4 u. 96,2), da das anvisierte Subjekt des Relativsatzes swer als Dativ-Objekt im im Hauptsatzes anwesend ist; in der zweiten Variante wird man diese Syntax als wirklichen Anakoluth verstehen müssen, da dem Hauptsatz jeder Bezug zum einleitenden swer fehlt. Auch scheint gerade diese Tatsache, daß nun von zwei Personen die Rede ist, wenig überzeugend: Es geht doch offenbar um die Gefährdung Schionatulanders durch die Minne, da die Minne (zu Sigune) droht, ihn zu verkrenken (62,4). Daß zwischen diesen beiden eng aufeinander bezogenen Gedanken des verkrenken und des gevære sîn nun Sigune über sich selbst spricht (oder zumindest den Satz so beginnt, als spräche sie über sich selbst, dann aber anders fortfährt), ist nicht recht plausibel. 3. Als dritte Möglichkeit käme in Betracht, den ersten Vers auf die Liebe Sigunes zu Schionatulander zu beziehen: Dann spräche sie von ihrer Minne, die für Schionatulander gefährlich würde (so die ungenauen Übers. Simrock, Rapp, Matthias?). Dies wäre syntaktisch die wohl glatteste Lösung, sie scheidet jedoch aus inhaltlichen Gründen aus: Ein gleichsam vorgezogenes, indirektes Liebesgeständnis ist als Reaktion auf die Str. zuvor und im Hinblick auf V. 4 sowie Str. 66 wohl nicht denkbar. Im Minneexkurs im X. Buch des Pz. finden sich ähnliche Formulierungen, die auf eine Ablehnung allzu leidenschaftlicher (532,1 ff.), den Liebenden zwingender (532,23 ff.) und ihm übelwollender Minne hinauslaufen. Der Erzähler will solche Minne, die als ungehiure bezeichnet wird (532,6), eben nicht wâre minne (532,17) nennen. Man kann Sigunes Worte als Reflex und Wiederaufnahme dieser Problemdispositionen lesen, die der konzeptionellen Stringenz des elaborierten Pz.-Exkurses freilich radikal widerspricht, indem sie die essentiellen Motive in wenige Worte kondensieren und somit die Vielzahl der implizierten Vorstellungen widersprüchlich und hart aneinanderfügen. In Sigunes Worten konkurrieren drei verschiedene Minne-Paradigmen – Minne als Empfindung und Verhalten einer Person vs. Minne als Personifikation, die eigenrechtlich und selbständig agiert vs. Minne als Wort, das bestimmten Phänomene bezeichnet und anderen unangemessen ist –, über deren Abgrenzungen aber die zerfallende Einheit des drei Verse umspannenden Satzes hinwegschreibt. Darin ist genau der paradoxe Charakter von Minne aufgehoben, der nun in den folgenden Strr. entfaltet wird. 2
im gebære ] Alle Hgg. lesen die Hs. G als un gebære (was keine Konjektur ist, wie Dallapiazza [1994, 113] vermutet). Die Lesung im gebære, die Heinzle als „wahrscheinlich“ bezeichnet (die ersten beiden Buchstaben sind undeutlich und blaß), dürfte allerdings si-
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Stellenkommentar cher sein: An keiner anderen Stelle trennt der Schreiber die Vorsilbe vn- (19 Belege im Tit.) bzw. un- (4 Belege) vom folgenden Wort ab; das u des Schreibers fällt wohl nirgends so breit aus und verbindet die zwei Hasten mit einem nach oben gewölbten Strich, wie es hier unterstellt würde. – Zur Syntax insbes. des problematischen Dativs im s. Komm. oben zu Vv. 1–3.
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Die kaufmännische Gewinn-Verlust-Terminologie dient bei Wolfram immer wieder als Bildspendebereich in der Minnethematik und damit eng verbunden in der Todesthematik (allein die Zusammenstellung flust –gewin begegnet im Tit. noch Strr. 20,4 u. 89,2 sowie insbes. in der beinahe wörtlichen Aufnahme dieser Worte durch Schionatulander in Str. 67,2; s. dazu insbes. Komm. zu 20,3–4). Die Formulierung ich bekande nie (zum sw.V. bekennen = „kennen, erkennen“) kann man auf zweierlei Weisen verstehen: „Ich weiß nichts von / ich habe noch nie gehört von …“ (so die Mehrzahl der Übers.; zur reduzierten temporalen Bedeutung des Präteritums insbes. in Sätzen mit nie s. Mhd.Gramm. § 308b+d) oder „ich habe noch nie erfahren / erlebt“ (so Fourquet, Gibbs/ Johnson). Ersteres zielte auf ihre tatsächliche Unwissenheit in Minnedingen (im Gegensatz zu dem durch Gahmurets Vorbild in Minnedingen schon wîse gewordenen Schionatulander; vgl. Strr. 54–55), letzteres wäre eine Beteuerung ihrer Unschuld und fehlenden Affiziertheit von der Minne (was dann freilich in Str. 66 zumindest partiell widerrufen wird, wie Schionatulanders Aufnahme genau dieser Formulierung in der Strophe darauf zeigt), wofür auch die emphatische Formel got weiz wol spricht. Der Komplexität der involvierten Diskursebenen kommt man wohl am nächsten, wenn man die Gleichzeitigkeit beider Bedeutungsdimensionen zuläßt und den Vers mit Christoph als „declaration of kiusche and tumpheit“ liest (Christoph 1981, 177). Im Lichte des fragenden Umkreisens des Wesens und Begriffs der Minne mit wechselnden Bezügen, der nicht nur hier, sondern strukturell sehr ähnlich auch in den Erzähler-Strr. 48–51 zu beobachten ist, greift man aber wohl zu kurz, wenn man den ignorantia-Topos Sigunes nur als Ausdruck einer psychologisch kommensurablen Verfaßtheit liest, worauf Christophs Deutung zielt („Sigune is too tump to understand its [= der Minne] complexities“; vgl. dazu Str. 48 owê des, si sint noch ze tump ze solher angest). Kann man die Vv. 1–3 als einen ersten, durchaus selbstsicheren Definitionsversuch der Minne ex negativo verstehen, so muß die Beteuerung der Unwissenheit, mit der Sigune im vierten Vers auftritt, allemal verwundern. Für das folgende Gespräch aber ist diese Widersprüchlichkeit konstitutiv und erscheint hier zu Beginn des definitorischen Umkreisens von Minne programmatisch, weil die Gegensätze nacheinander gestellt sind und hart und deutlich aufeinander treffen: „Sigune gibt sich wissend und unwissend zugleich“ (Kiening/Köbele 1998, 242). Dieser Vers markiert nun in seiner scheinbaren Unvermitteltheit gegenüber dem vorher Gesagten am deutlichsten das permanente Schwanken der Bezugsfelder des Minnebegriffes. War vorher (in Vv. 1–3) Schionatulanders Minne-Begriff, der sich auf das Recht der Affektion und der Wahrheit des Herzens berief, abgewiesen worden, indem mit der Unangemessenheit des Wortes Minne für solche Minnerealität argumentiert wurde, so verwendet Sigune den Begriff Minne wiederum anders: Auch wenn sie beteuert, selbst davon nichts erfahren zu haben und zu wissen, so unterstellt sie doch immerhin, daß es so etwas wie minnen flust gibt, daß also auch von ihr eine Minne Minne genannt wird, die Schaden zufügt und den Liebenden gevære sein kann. Gegen Schionatulanders Plädoyer für die Wahrheit und das Recht des Herzens (Str. 62) setzt sie abwägende Überlegungen (bes. Str. 64), die versuchen, sich der Minne „als einer sozialen Kategorie zu vergewissern“ (Wyss 1974, 270). Daß dieser Diskurswechsel aber nicht reibungslos und widerspruchslos funktioniert, zeigt diese Strophe. Daß die Pose der Unwissenheit und Unerfahrenheit schwerlich dem Psychogramm des naiven Mädchens
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dient, mag der Vergleich mit dem motivverwandten Minneexkurs des Pz. deutlich machen (dazu oben Komm. zu Vv. 1–3), indem sich das Erzähler-Ich von der falschen, zwingenden, hitzebringenden Minne mit den Worten abgrenzt: umb solhen kumber ich niht weiz (Pz. 532,16).
64 (La 64) 1–2 Alle Hgg. haben die Überlieferung in G mit Material aus H und JT verbessert und somit Sigunes Frage als Frage nach dem Geschlecht der Minne verstanden. Die Lesart von G läßt sich indes nicht als sinnlos abtun (ein êre etwa im Sinne von „eine Zierde, etwas Ruhmvolles, von der Gesellschaft Anerkanntes“ oder auch „herrschaftliche Macht, Gewalt“; site im Sinne von „Verhaltensweise“), zumal Bumke (1973, 184) darauf hingewiesen hat, daß unter textgenetischen Gesichtspunkten eine Entstehung von er und si aus ere und site verständlicher und vorstellbarer ist als eine Veränderung von er und si in ere und site (m.a.W.: Warum sollte ein Redaktor oder Schreiber die verbreitete, unschwer verständliche, evident sinnvolle und poetisch anspruchsvolle Frage nach dem Geschlecht der Minne verändern wollen?). Gleichwohl wird man aber wohl kaum die Lesart G nur deshalb als echte lectio difficilior behandeln können, weil sie den schwerer verständlichen Text bietet gegenüber einer topischen Vorstellung. Bumkes Hinweis scheint insofern kaum geeignet, die Dignität und größere Authentizität der G-Lesart zu stützen, sondern deutet vielmehr einmal mehr darauf hin, daß angesichts der Überlieferungslage dieses Textes strikt stemmatologisch und genetisch argumentierender Konjekturalkritik die materielle Grundlage fehlt: Betrachtet man die Überlieferung in H mit der problematischen Doppelung der halben Frage (ist mynne ain sy oder ein eer? … vnd ist mÿnne ain sy … 64,1–2) und die Vermeidung dieser prekären Stelle im JT durch Veränderung und Einführung des Binnenreimes (ist minne ein si oder ein er? … und sag mir, wes diu minne ger … JT 731,1–2; dazu Bumke 1973, 179), so erscheint es am sinnvollsten, die varianten Überlieferungen eher als Fassungen denn als generierbare Varianten zu behandeln. Die Fassung G bietet die Schwierigkeit, daß die Abstrakta êre und site sich dem Kontext der folgenden Verdinglichungs- und Allegorisierungsversuche Sigunes nicht recht fügen wollen. Indes läßt sich das Fragen nach der lebensweltlichen Relevanz und dem gesellschaftlichen und ethischen Ort von Minne (êre: Bringt Minne Ansehen, ist sie etwas Anerkanntes und Ruhmvolles? site: Ist Minne eine Verhaltensordnung?) als Weiterführung der hochformalisierten Sprache des bisherigen Minnedialogs, insbesondere der direkt vorhergehenden Strophe mit Sigunes Frage nach den Gefährdungen, dem gewin und flust der Minne verstehen. Während in der Fassung H und JT die Strophe schon mit der Personifikation des rätselhaften Wesens Minne beginnt, leitet in der Fassung G erst der Abvers von V. 2 mit dem nur auf Konkreta beziehbaren triuten den Wechsel in eine andere Art des Sprechens über Minne durch Personifizierung und Allegorisierung ein (wobei auch in den ersten Versen von G êre und site durchaus solchen quasi-personifizierten Abstrakta nahe kommen mögen, die Wolfram gerade in diesem Text häufig als selbständig agierende Mächte vorzustellen liebt, so etwa kiusche, stæte, triwe etc.; vgl. dazu Komm. zu 31,2). Zwei Fassungen mit völlig unterschiedlichem Sinn, unterschiedlicher Evidenz und unterschiedlicher Einbindung in Text und Tradition stehen in diesen Versen einander gegenüber. Angesichts dieser Überlieferungslage scheint es uns geboten, nicht Vorlieben für den einen oder anderen Wortlaut nachzugehen (zuletzt hat Schröder 1980, 29 f. mit Argumenten poetischer und bildlicher Kohärenz für einen Eingriff in G plädiert; kritisch
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Stellenkommentar dazu Heinzle 1989, 492), sondern den eigenen editorischen Prinzipien zu folgen, was in diesem Falle für uns bedeutet, entgegen den bisherigen Herausgeberentscheidungen die sicherlich schwierige Lesart von G im Text zu belassen. Auf der einen Seite haben wir also in G eine Fassung, die mit der Frage nach êre und site die Rede der Sigune an Problembezirke und Begriffe anbindet, die im Kontext dieses Minnedialoges sowie darüber hinaus des gesamten Werkes konstitutiv sind; auf der anderen Seite steht mit H ein Text, dessen Fragerichtung – „Ist Minne ein ,Sie‘ oder ein ,Er‘?“ – durch den Kontext zwar weder vorbereitet noch direkt aufgegriffen wird, die aber für sich das schwere Gewicht einer langen poetischen Tradition ins Feld führen kann. Wird Minne zumeist im deutschen Mittelalter ihrem grammatischen Geschlecht nach weiblich als als frou Minne personifiziert, so wird doch zuweilen die Frage nach dem wahren Geschlecht der Minne gestellt, wobei die Antwort meist offen gelassen wird (vgl. die Belege bei Heinzle aus Ulrich von Lichtenstein, „Mai und Beaflor“, Johanns von Würzburg „Wilhelm von Österreich“ und der „Minneburg“), in der Spruchdichtung aber auf verschiedene Weise beantwortet wird (Walther: Diu minne ist weder man noch wîp L 81,31; Der Marner: minn ist ein er und ist ein si ed. Strauch XV 360). Keiner der deutschen Belege ist vor Wolframs Tit. sicher datierbar, gerade die Belege aus der Epik mit der offenen Frage deuten zum Teil deutlich auf eine Abhängigkeit von dieser Tit.-Strophe hin (insbes. „Wilhelm von Österreich“ Vv. 1528–34). Man kann die Frage nach dem Geschlecht der Minne auf drei verschiedene zugrunde liegende Vorstellungen zurückführen: 1. Die in Antike und Mittelalter immer wieder in Epik und Lyrik gestellte Frage nach dem ungreifbaren, geheimnisvollen Wesen der Liebe (als Frage des jungen, unerfahrenen Mädchens vgl. Lavinias Frage in Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“ durch got, wer ist div minne? En. 261,27) erscheine hier bloß rhetorisch variiert durch Zugriff auf die nächstliegenste und allgemeinste Kategorie, die nach einem unbekannten Wesen fragt, sei also eine synekdochische Formulierung für „Minne, wer bist du?“ (dafür plädiert Heinzle unter Verweis auf HGA III, Nr. LIV 38). Dafür spricht, daß in dieser und den folgenden Strophen ein geschlechtlich spezifizierter Charakter der (zu Objekten gewordenen) Minne gerade nicht explizit thematisiert wird. Indessen mag solch unspezifische Allgemeinheit der Frage zwar zu V. 1 des H-Textes passen, aber schon nicht mehr zum zweiten Vers in H, in dem das weibliche Geschlecht der Minne nochmals aufgegriffen wird (im JT wird die Doppelgeschlechtlichkeit der Minne in sechs hinzugefügten Strr. [732–737] explizit thematisiert). 2. Das Spiel mit dem unsicheren Geschlecht der Minne ist erklärbar aus der Differenz zwischen grammatischem Femininum von prov./afrz. amor/amors und antikisierender Personifizierung als männlicher Liebesgott Amor, was zuweilen zu schwankendem Geschlecht von amor führt (vgl. etwa Chrétiens „Cligès“ V. 518 + 573: personifiziert u. Mask. vs. „Yvain“ V. 1357 ff.: personifiziert, aber Fem.; dazu B. Newman: From Virile Woman to Woman Christ. Studies in Medieval Religion and Literature, Philadelphia 1995, 153 ff.; G. Schweikle [Walther: Werke, Bd. I, 502 = Komm. zu L 81,31] verweist auf die Tenzonen der sizilianischen Dichterschule). Dem offensichtlich durch Französisieren als höfisch stilisierten Dialog der beiden (vgl. Duzisse 57,1; bêâs âmîs 58,1) wäre ein Rekurs auf das französische Wort- und Bilderspiel zuzumuten. Daß der allegorischen Vorstellung der frou Minne als Liebesaggressorin eine weitzurückreichende Tradition einer androgynen mulier virilis zugrundeliegt, die im Kontext vielfätiger weiblicher Allegorien mit androgyner Qualität zu sehen ist, hat H.E. Keller in mehreren Studien anhand zahlreicher Beispiele auch geistlicher Provenienz gezeigt (Keller 1998, 17–37; Keller 2000, inbes. 234 ff.)
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3. Als antikisierende Personifizierungen der Liebe treten in mittelalterlichen Traktaten wie in der Dichtung die weibliche Liebesgöttin Venus und die männlichen Götter Amor und Cupido schillernd, ambivalent und oft ohne deutliche Abgrenzungen nebeneinander auf (dazu Schnell 1985, 28 ff., 188 ff., 364 ff.; H.E. Keller 2000, 235 ff.). Daß Wolfram diese – auch geschlechtliche – Pluralität der Liebesgottheiten vertraut ist, zeigt der Minneexkurs im 10. Buch des Pz., wo von den Brüdern Amor unt Cupîdô / unt der zweier muoter Vênus (Pz. 532,2–3) die Rede ist (dazu ausf. Schnell 1985, 187–224). Eine Referenz dieser Stelle zur vorliegenden Tit.-Passage ist indessen kaum herzustellen (anders Schwietering 1925, 45): hêrn Amor ist im Pz. ein gêr, ein Wurfspieß, zugeordnet (Pz. 532,13; ebenso auf dem Banner des Heiden Nouppatrîs, Wh. 24,5 f. u. 25,14 f.), Cupido ein strâl, ein – mit dem Bogen zu schießender – Pfeil (Pz. 532,11), Venus eine vackeln heiz (532,15). In Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“, auf den Wolfram an vorliegender Pz.Stelle deutlich anspielt (vgl. En. 270,24), sind die Waffen anders verteilt: Dort schießt die weibliche Liebesgottheit Venus den strâl (En. 267,24; zu den Waffen der Liebesgottheiten vgl. Fromm 1992 zu En. 264,19). Die Vorstellung einer weiblichen Macht, die Liebespfeile mit dem Bogen schießt, wie sie wohl der folgenden Tit.-Str. zugrunde liegt (65,2–3; s. Komm. dort) und wie sie in der späteren Ikonographie der frou Minne verbreitet ist, mag auf die von Heinrich von Veldeke vorgegebene Bewaffnung der frou Venus mit Pfeil und Bogen zurückgehen und steht in Gegensatz zu der Bewaffnung des männlichen Cupido mit dem strâl im Pz. Im JT erklärt Schionatulander in seiner Antwort im Rahmen der eingeschobenen Strophen 732–737genau diese Pluralität männlicher und weiblicher Personifikationen: und ist Amor geheizen nach den herren / und Minn, ein si, nach vrowen (733,3–4); si vrow, er herre, Amor, der kunic, und Minne, ein vrou gewaltik kuniginne (734,2). In Wolframs Tit. allerdings ist eine Thematisierung von spezifisch männlichen bzw. Differenzen verschiedener Minnemächte und deren Attributen nicht gegeben; stets ist die Minne eine weibliche Personifikation (Classens Behauptung, daß diese Stelle die „gründliche Kenntnis der Liebesregeln aus Andreas’ De Amore“ [1990 29] dokumentiere, ist indessen völlig unbelegt). Dennoch ist es wohl am wahrscheinlichsten, daß Albrecht mit dem Rekurs auf die Amor-Cupido/Venus-Vorstellungen den Bildbereich getroffen hat, auf den Sigunes Frage nach dem Geschlecht der Minne in der Fassung H rekurriert. 1
tiuten ] Das sw.V. tiuten, diuten meint eigentl. „bedeuten in der Volkssprache, dem Volk verständlich machen“ (bezogen auf ahd. diot = „Volk“, wiewohl die Etymologie unsicher ist [vgl. Kluge 138]; vgl. auch tiuschen 148,4). Ob hier nur die allgemeine Bedeutung „auslegen, erklären“ (Martin, ähnlich Marti) anzunehmen ist, oder eine spezielle Bedeutung im Sinne von „auf deutsch, d. h. in mir verständlicher Sprache erklären“ zu konnotieren ist, bleibt unsicher. Immerhin verwendet Wolfram das Verb nur noch ein weiteres Mal und dort eindeutig im Sinne von „ins Deutsche übersetzen“ (Wh. 237,9; so etwa auch Hartmann AH 19), immerhin erprobt ja Sigune im folgenden die „Übersetzung“ von Minne in ihre Lebenswelt.
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getriuten ] Das sw.V. triuten meint „wie einen trût, einen Freund/Geliebten behandeln“, also „zärtlich umgehen mit“, bis hin zu „liebkosen, lieben“. Sigunes Frage zielt also offenbar nicht nur darauf, wie mit der Minne umzugehen sei, wenn sie einem begegnet, sondern setzt schon voraus, daß ihr als etwas, das einem kumet, das einem entgegenkommt, liebevoll zu begegnen sei. Damit scheint die gewaltsame und hinterhältige Dimension der Minne, wie sie Schionatulander im folgenden formuliert, schon hier ausgespart. „Sigune versucht grundsätzlich auszuschließen, was ihrer Vorstellung entgegensteht: Minne als gefährdendes, bedrohliches Phänomen.“ (Kiening/Köbele 1998, 243). Die folgenden Versuche, Minne in ihre Lebenswelt einzuordnen (als Puppe, als gezähmter oder zu zähmender Falke) haben diesen Ausschluß zur Prämisse.
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Sigunes Vergleich der Minne mit ihren Puppen (vgl. zur Bedeutung von Puppen im Mittelalter und zu weiteren Belegen bei Wolfram Komm. zu 30,2) wird meist ganz aus der Kindlichkeit Sigunes verstanden. Gegenüber fragwürdigen Psychologisierungen (etwa Labusch 1959, 115; Wolff 1966, 555) ist sicher Hollandt zuzustimmen: „Das Problem der Kinderminne wird nicht psychologisch gestaltet, sondern als Diskrepanz twischen dem Anspruch der hohen und der Wirklichkeit der kintlîchen Minne (52,4) im epischen Nacheinander als eine Art Rollenspiel vorgeführt.“ Will man aber nicht dabei stehenbleiben, zu konstatieren, daß die ganze Str. „etwas gewollt kindlich“ wirke (Mohr 1978, 130) oder daß hier Sigunes „kindliche Unerfahrenheit in der Liebe bis ins Komische gesteigert“ werde (Bumke 1997, 249; ähnlich Christoph 1981, 271), so wird man die Abgründigkeit mitbedenken müssen, die in der Regredierung der Minne zu tocken mindestens suggeriert wird: Nicht nur in dem angedeuteten Scheitern des folgenden Domestizierungsversuches der Minne, die die wilde nicht oder ungerne preisgibt wie der Falke, sondern auch durch den Vergleich mit der signifikanten tocken-Szene zuvor (Str. 30) wird deutlich, daß zugleich mit dem Lachen über die Unangemessenheit des Vergleichs auch die fatalen Konsequenzen solcher unangemessenen Behandlung der Minne evoziert werden: Daß die Minne kein Spiel mit Puppen und verfügbaren Objekten ist, sondern existentielle Gefährdung für diejenigen, denen minne kumet (V. 2), das ist nicht nur Thema der folgenden Strophen und der dem Gespräch vorangehenden Passage (Strr. 48–51), nicht nur Thema der allesamt tödlich endenden Liebesgeschichten dieses Textes, sondern genau das, was Sigunes Verlangen nach ihren tocken als MinnedienstPfänder schon zuvor aktualisierte (vgl. Komm. zu Str. 30/31). Sigunes Versuche, „einige Bezugspunkte für dieses unbekannte Wesen“ auszuprobieren (Wyss 1974, 271) und „Minne in Kategorien des relativ (Un-)Vertrauten einzuordnen“ (Kiening Köbele 1998, 243) – in die Lebenswelt der gesellschaftlichen Verhaltensordnung, die Lebenswelt des Kindes, die Lebenswelt der höfischen Kultivierung –, entbehren aller Harmlosigkeit. Mehr als die Kindlichkeit und Unerfahrenheit der Figur Sigune zeigt sich in den sprachlichen Domestizierungsversuchen die „Unsicherheit, ob sich Minne zum Objekt, ja zum Spielzeug machen […] läßt“ (Kiening/Köbele 1998, 243) und die Fragwürdigkeit der impliziten Prämisse, „daß Libido nur unter dem Gesichtspunkt ihrer zivilisatorischen Verfügbarkeit gedacht werden darf, so als wäre ihre Sublimierung die reinste Selbstverständlichkeit“ (Wyss 1974, 271). Der Preis nämlich, der für solche höfisch-zivilisatorischen Sublimierung zu zahlen ist, ist, daß sie Liebende zu Objekten eines Minnedienst-Reglements zurichtet – mit allenthalben tödlicher Konsequenz. Wolframs tocken-Vergleiche reproduzieren diesen Zusammenhang in der Form bloß pseudo-kindlicher Regression.
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Der vierte Vers greift – ganz im Gegensatz zu der ungewöhnlichen Vorstellung von der Minne als Puppe (V. 3) – auf einen überaus verbreitetes Bildbereich der Minnesprache zurück, auf die Falken-Metaphorik (dazu I. Reiser: Falkenmotive i. d. dt. Lyrik u. verwandten Gattungen vom 12.–16. Jh., 1963; für Martis Verweis auf einen Singvogel im Vogelbauer gibt es keine Anhaltspunkte): Die Minne ist als Jagdfalke vorgestellt, der nach dem Schlagen der Beute auf die hant des Falkners zurückfliegen soll, wozu der Jäger ihn locken muß (zu locken als terminus technikus der Falknersprache s. Dalby 1965, 138b ff.). Das Verblüffende ist aber, daß diese Metaphorik den Falken nicht als souverän verfügtes Requisit kultivierter und zivilisierender adligen Hofkultur einführt (wie etwa des Kürenbergers wîp unde vederspil die werdent lîhte zam. / swer si ze rehte lucket, sô suochent si den man MF 10,17 f.), sondern gerade das, für das die Falkenjagd Metapher sein sollte und zumeist ist, nämlich die Domestizierung und Kultivierung ungezähmter Natur, als ein fragliches und problematisches Projekt formuliert. Dies ist zum einen durch das Adverb ungerne eindeutig markiert, zum anderen mit der Formulierung durh
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die wilde („aufgrund ihrer Wildheit“; zu anderen Deutungsvorschlägen s. Komm. unten) und der abschließenden Frage nach dem locken ergänzt (zu anderen Deutungsmöglichkeiten des Schlußsatzes s. Komm. unten). Damit wird die Fragwürdigkeit von Sigunes Prämisse, Minne auf den Bereich des triuten zu beschränken (V. 2; s. Komm. dort), offensichtlich: Dem zu domestizierenden Objekt bleibt das Moment der wilde als Bedrohung; selbst die sprachliche Domestizierung will in dem brüchigen Vers nicht gelingen. durh die wilde ] „aufgrund ihrer Wildheit / ihrer Wildheit wegen“, (kausal aufgefaßt von Marti, Heinzle). Der Ausdruck läßt sich freilich auch rein lokal auffassen: „durch die Wildnis hindurch“ (so wohl Hollandt: „metaphorischer Gebrauch von wilde liegt jedoch fern.“). Der Begriff der wilde ist im Tit. vielfach besetzt als Gegensatz zum Bezirk der höfischen Kultiviertheit, in welchem die Requisiten beherrschbar und zähmbar sind (vgl. 3,4 verwildet; 102,3 entwildest; 121,4 mîne wilde gedanke; 158,1–2 sît er von der wilde hiez, gegen der wilde si sante im disen wiltlîchen brief; vgl. jeweils Komm. dort; zum Zusammenhang von Jagdmetaphorik und wilde vgl. Kiening/Köbele 1998, 240 ff.). Insofern macht es guten Sinn, den Falken bzw. die Minne ganz anschaulich als das wilde Naturobjekt zu begreifen, von dem Sigune fragend erhofft, daß es aus dem ihm eigentlich zukommenden Lebensraum der wilde in die höfische Welt hineinfliege ûf hant. Solche Topographie wird im 2. Fragment in dem gegen der wilde gesandten Bracken, seiner Jagd nach dem wilt und dem Fangen und Verlieren des nur unzureichend domestizierten Jagdhundes szenisch breit entfaltet. ich kan … locken ] Die meisten Hgg. setzen Punkt nach locken, allein Marti und Mohr (ihm folgend Dallapiazza) verstehen den Satz als Frage. Setzt man kein Fragezeichen, so läßt sich der Satz wohl nur als „coquettishly confident display […] out of character“ (Christoph 1981, 177) auffassen. Oder aber man sähe darin weniger eine affirmative Aussage, als vielmehr ein Räsonnieren Sigunes, die versucht, mit einem ihr vertrauten Requisit der höfischen Welt umzugehen (sinngemäß etwa: „Wenn die Minne wie ein Falke ist, dann kann ich wenigstens versuchen, das scheue und schwer zu zähmende Tier anzulocken“; in diesem Sinne etwa Hollandt). Die Hss. D und E des JT könnten darauf hindeuten, daß Albrecht dies als Frage aufgefaßt hat: wie sol ich sy gelocken (732,4; die anderen Hss. formulieren ähnlich uneindeutig wie Wolfram). Allemal erscheint es wenig plausibel, die Serie von Fragen mit einer affirmativen Aussage zu beenden. Syntaktisch wäre auch denkbar, nach wilde Komma zu setzen und die erste Phrase als Konditionalsatz zu verstehen: „Oder, wenn es so ist, daß die Minne wegen ihrer Wildheit nur widerstrebend auf die Hand fliegt, kann ich sie dann locken?“ Damit wäre aber einerseits die Wortstellung nicht weniger problematisch, andererseits bekäme die Frage nach dem Locken ungebührliches Übergewicht gegenüber der Konstituierung des inhaltlich wohl doch zentralen Falkenvergleichs.
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frouwe ] Schionatulander gebraucht diesen topischen Anredetitel der Minneherrin nur in diesem Gespräch (noch 60,2 u. 72,1), sonst zumeist süeziu od. werdiu maget (vgl. Komm. zu 56,4). In 60,2 unterstreicht diese Anrede den formellen Charakter des Minneantrags, in 72,1 den formellen, emphatischen Ton, in dem Schionatulander die Minnedienstverpflichtung eingeht. An dieser Stelle mag er die Konventionalität der nun vorgebrachten topischen Minnemetaphorik markieren.
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Stellenkommentar von wîben unt von mannen ] Das mhd. von kann hier sowohl „über“ („ich habe über Frauen und Männer sagen gehört“; so Martin, Marti) als auch „von“ („ich habe von Frauen und Männer sagen gehört“; so etwa Übers. Mohr, Hollandt) meinen. Martins Hinweis, daß der „gewöhnliche Gegensatz von Mann und Weib“ in der folgenden Zeile „durch den ebenso herkömmlichen von junc und alt fortgesetzt“ werde, ist kein Argument für „über“, sondern kann ebenso gut gegen diese Auffassung gewendet werden: Die Reihung metonymnisch zu verstehender Gegensatzpaare mit gleichem Vorstellungsinhalt (wîben und mannen = iungen und alten = „allen Menschen“) mag als Verdoppelung erscheinen (s. auch die formelhafte Zusammenstellung wîp / man [/ maget] 69,2; 78,2; 149,3). Im Hinblick auf die ganz parallel gebaute Str. 68, in der Schionatulander seine Rede mit dem Hinweis auf seine Kenntnisse über die Minne von Hörensagen mit der Formulierung von mæren einleitet (68,1), scheint es plausibler, wîben unt mannen als Quelle und nicht als Gegenstand von Schionatulanders Wissen über die Minne aufzufassen (dazu auch Kiening/Köbele 1998, 244). – Der Hinweis darauf, daß Schionatulander über Minne und insbes. darüber, wie über Minne gesprochen wird, mittelbare Kenntnis hat, findet sich außer in seinen eigenen Worten in Str. 68,1 schon in den Strr. 54,1–3 u. 55,1–3.
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Koordination statt zu erwartender Subordination unter den Hauptsatz V. 1 (ähnlich 57,2; 137,2). schuzlîchen ] Das Adverb schuzlîchen ist nur hier belegt und meint soviel wie „schußbereit, zum Zweck des Schusses“ oder „schußgerecht“ (Martin), „mit dem Schuß“ (Marti), „wie zum schusse“ (Lexer II 838). Springer (1975, 235 f.) macht darauf aufmerksam, daß das Wortspiel mit dem als figura etymologica aus schiuzet (V. 3) entwickelten hapax legomenon eine semantische Verschiebung einschließt „from the apparently literal, almost technical term so schuzlichen spannen to an espressly metaphorical (mit gedanken) schiuzet.“ Wehrli (1974, 21) sieht in der Formulierung schuzlîchen spannen ein Beispiel für die häufigen „fast zwanghaft wirkenden Wiedergaben eines Begriffes durch Umschreibung“. spannen ] „mit Dativ des Zweckes, (den Bogen) spannen, zielen auf“ (Marti; ähnlich Martin). In dieser Verwendung des st.V. spannen (die in den Wbb. nicht belegt ist; Heinzle verweist als Parallele auf Ulrichs von Etzenbach „Alexander“ V. 8631) sind den alten, den iungen als Dativ Plural, als die Zielobjekte der pfeileschießenden Minne also, aufgefaßt (zu der Vorstellung, daß Minne Alte und Junge ergreift, vgl. Str. 48,2–3). Grammatisch ließe sich den alten, den iungen auch als Akk. Sg. auffassen (bevorzugt von Heinzle, nach Bartsch u. Piper): Der Alte und der Junge wären dann die liebenden Personen, die von der Minne wie ein Bogen angespannt werden. Wenn allerdings demzufolge der liebende Alte und Junge nicht der von der Minne Gejagte und Getroffene sein soll, ist nicht zu erklären, wie die Pfeile, die in V. 3 gedanken genannt werden, in dieses Bild passen (zu den Deutungsmöglichkeiten von gedanken s. Komm. zu V. 3). Insofern ist die von Heinzle als Beleg herangezogene Stelle Pz. 508,30 wohl nicht vergleichbar: Orgeluse, die spansenwe des herzen, kann hier das Herz des liebenden Mannes so sehr anspannen wie das Spannseil eine Wurfschleuder (oder auch evtl. die Sehne den Bogen), ist also selbst Verursacherin der Liebesschmerzen und nicht deren Ziel. Oder sollten hier der Alte und der Junge als das Mittel (der Bogen) vorgestellt sein, mit dessen Hilfe die Bogenspannerin Minne ihre Pfeile (auf nicht genannte Dritte) schießt? Will man nicht annehmen, daß die mit modal-konsekutiver Konstruktion sô …, daz eng verbundenen Vv. 2 u. 3 in zwei ganz getrennte Vorstellungen auseinanderfallen (V. 2: Die Minne spannt die Liebenden wie einen Bogen; V. 3: Die Minne schießt Pfeile in Form
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von gedanken und entzündet damit die Liebe), so wird man den alten, den iungen als Zielobjekte der Bogenschützin Minne begreifen müssen (zum hier aufgegriffenen Topos omnia vincit amor s. Komm. zu V. 4). Kiening/Köbele (1998, 244) erklären indes diese „Überblendungen und Vertauschungen von Subjekten und Objekten“ zur Pointe der ganzen Szene: „Sigune will Minne als Objekt fixieren, schwankt aber, ob sie dieses für ein wildes oder zahmes halten soll. Schionatulander sieht Minne als Subjekt, als agierende Macht, läßt aber seinerseits offen, ob die von Minne Betroffenen, die Liebenden, eher als Mittel zum Zweck (Bogen) oder als Ziel der Aktion […] zu begreifen sind.“ – Zur verbreiteten Allegorie der frou Minne als androgyne Bogenschützin und zu den Überschneidungen mit Amor-, Cupido- und Venusvorstellungen vgl. Keller 1997, 204 ff.; Keller 1998 17 ff., Keller 2000, 231 ff. sowie den Komm. zu 64,1–2. 3
mit gedanken ] Daß Minne/Liebe mit gedanken zu verbinden sei, wird gerade in den folgenden Strr. signifikant wiederholt (66,1 mich twingent gedanke; 68,2 minne ist an gedanken; vgl. auch 90,4 daz sîn gedanc nâch lieplîcher liebe unvergezzen sô denket; 121,4 er quelt mîne wilde gedanke an sîn bant). Hollandt kommentiert (im Anschluß an Schwietering 1925, 45 f. u. Martin): „Das Bild [= Minne als pfeileschießender Amor] wird allegorisch ausgedeutet und auf den Wortsinn von minne [„Gedenken, Denken an die geliebte Person“; verwandt mit „meinen“ und lat. mens, memini] bezogen: die Pfeile, die die Minne im Herzen entzünden, sind die Gedanken“ (dazu auch Kolb 1958, 41 ff.). Die gedanken sind hier wohl nicht, wie in moderner Konnotation von „Gedanken“, als geistige Bewegung vom Liebenden hin zur geliebten Person vozustellen, sondern – beinahe in umgekehrter Richtung – als Repräsentation der geliebten Person in der inneren Anschauung des Liebenden, als eine Memoria, die durch das Erblicken oder auch das bloße Hören von der geliebten Person erzeugt wird; dem entspricht eher das nhd. „Gedenken, Angedenken“ (so auch Hauer 1992, 14). Es bleibt indes fraglich, ob die irritierende und eigenwillige Vorstellung der Liebespfeile als Gedanken durch die ursprüngliche semantische Nähe der Wörter gedanke und minne zu erklären ist. Schionatulander führt in dieser Strophe die zuvor von Sigune begonnenen Spekulationen über die Existenzform der Minne fort, indem er, in Sigunes Jagdmetaphorik bleibend, zu einem der verbreitetsten Bilder, der Allegorie der Frou Minne als Bogenschützin, greift und sie Sigunes unsicheren Veranschaulichungsversuchen an die Seite stellt, nicht ohne jedoch dabei eine Akzentverschiebung vorzunehmen: Es geht nicht mehr nur um das Was der Minne, sondern auch um das Wie, um ihre Wirkungen, wie sie dann in den folgenden Strophen noch deutlicher thematisch werden. Der schon antike Liebeskrieg-Topos vom pfeileschießenden Amor (resp. Venus, resp. Minne) zielt auf das Problem der Fernwirkung und Entstehung der Liebe, auf die Affektion. Daher entspricht der Allegorie der Liebespfeile zumeist die Affektion durch das Bild der Geliebten, das Sehen mit den Augen, wie es auch im Tit. immer wieder, so gerade auch in der folgenden Strophe als Gegensatz zu den gedanken von Sigune thematisiert wird (66,1–3; ähnlich dazu Hauer 1992, 36 u. Anm. 26). R. Schnell hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Abfolge von visio–cogitatio–actus die höfische Liebeskonzeption strukturiert, wobei die Dichter gerade der Phase zwischen Liebesentstehung (visio) und –erfüllung (actio) die größte Aufmerksamkeit schenken: Diese Phase der cogitatio wird als inneres Schauen, als Imagination, als verdâht-Sein, als pansif in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, womit eine Sublimierung der als äußerlich-körperliche Affektion verdächtigen Liebesursache erreicht wird (Schnell 1985, 139–141). Schionatulanders Worte nehmen dies nun gleichsam vorweg, indem sie die schon sublimierte, abstrahierte Vorstellung in einer gewagten Verschiebung an die Stelle der physisch-konkreten Liebespfeile setzen, die in der Logik der Allegorie erst die Verursacher der minne an gedanken sind, aber eben noch
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Stellenkommentar nicht diese selbst. Dies ließe sich aus der Perspektive der Figur als ein Verwenden von Metaphern der Jagd „ohne Sicherheit“ und „im Vorgriff auf ein nur provisorisch Verstandenes“ begreifen (Kiening/Köbele 1998, 244), legt aber zugleich seitens des Erzählers die Antinomien der höfischen Minnesprache und ihrer Topik bloß, die erotische Affektion und deren Sublimation nicht bruchlos und zugleich formulieren kann. Wolfram desavouiert die konventionelle Allegorie, die ein hohes Maß an Konkretion bietet, indem sie das rätselhafte Phänomen des Liebesschmerzes als Pfeilverwundung und die ungreifbare Macht der Liebe als allmächtige Person vorstellt, und beraubt sie aller Erklärungskraft, wenn er im entscheidenden Moment die physischen Pfeile doch wieder durch gedanken substituiert und vergeistigt. Indem er die Allegorie durch eine entgegengesetzte Metapher unterläuft und gleichsam rückgängig macht, entzieht er dem Versuch, das Unbegreifliche anschaulich zu machen, eben jede Anschaulichkeit (ähnlich hierzu Schwietering 1925, 45). sêre kann entweder als Akk.Pl. des st.Mask./Neutr. sêr = „Verletzung, Schmerz, Wunde“ (vgl. nhd. „versehrt“) oder als davon abgeleitetes, das Verbum schiuzet näher bestimmendes Adverb „schmerzhaft, schmerzvoll“ (Marti, Hollandt zu Wh. 170,1), „Wunden verursachend“ aufgefaßt werden. Die Ähnlichkeit zu Vergil „Aeneis“ X 140 volnera dirigere verführt dazu, sêre metonymisch für Pfeile zu verstehen: Die Minne schießt Wunden ab (die Ursache ist durch die Wirkung ersetzt). Dann allerdings ist wiederum fraglich, welchen Status die gedanken haben: Sind sie auch metonymisch für Pfeile (Minne schießt Wunden zugleich mit gedanken ab; dies würde einen schwierigen Konstruktionswechsel voraussetzen; ähnlich problematisch: 63,1–2 u. 112,4)? Oder müssen dann nicht die gedanken als das Mittel verstanden werden, mit dem die Wunden/Pfeile verschossen werden? Dann stünde gedanken metonymisch für den Bogen. Das allerdings macht die Allegorie noch unerklärlicher, als sie ohnehin ist (vgl. Komm. oben zu mit gedanken).
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âne wenken ] Substantivierung des sw.V. wenken (= „schwanken, (aus-)weichen, schweifen“) „ohne zu verfehlen“ (Marti), „ohne Fehl“ (Martin, der auf NL 327,2 verweist: swer ir minne gerte, der muose âne wanc / driu spil an gewinnen der frouwen wol geborn). daz fliuget, daz loufet … ] Wendungen diesen Typs, die die Vielfalt und Ganzheit der Kreaturen nach ihrer Fortbewegungsart klassifiziert, sind formelhaft schon in der frühmhd. Literatur (Belege bei Strauch 169 f. [zu Marner XIV 265]) und stehen metonymisch für „alle Lebewesen“. Nach den ähnlichen Figuren von wîben unt von mannen (V. 1), den alten, den iungen (V. 2; vgl. auch der tumben unt der grîsen 70,1) wird nun die Allmacht und Allgegenwart der Liebe hypertrophisch über den menschlichen Bezirk hinaus ausgedehnt (vgl. die ähnlichen Figuren der Ubiquität der Minne in Str. 51,1–2 daz smal unt daz breite, ûf erde unt ûf himele). Wie schon in V. 2 (sowie in den Strr. 50 u. 51) liegt die topische Vorstellung omnia vincit amor zugrunde (vgl. dazu Schnell 1985, insbes. 233 ff. u. 431 ff.; s. auch Strr. 50, 51 u. 70; bei Wolfram elaboriert in Pz. 251,9 ff.; die der dt. Tradition vorbildgebenden Formulierungen bei Heinrich von Veldeke, En. 261,28 ff., 273,36 ff.). Eine ganz ähnliche Zusammenstellung der Topoi (die mit Pfeilen jagende Personifikation der Liebe, die auf Alt und Jung zielt und nie verfehlt) findet sich im afrz. „Piramus et Tisbe“ (2. H. 12. Jh., ed. Branciforti V. 23–30): Hai, Amors, devant tes iex / Ne puet garir ioenes ne viex; / Il n’est iovente ne aez / Qui de ton dart ne soit navrez./ […] Ta saiete ne set faillir, / Vers lui ne puet nulz homs garir. – Mohr (1977, 137) entdeckt in der Fassung H (der neben Lachmann und anderen auch Marti entgegen ihren
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sonstigen Prinzipien wohl metri causa gefolgt ist) „den Aspekt der mittelalterlichen Zoologie“, während G „die Tierwelt aus dem Aspekt des Jägers und Anglers [sieht] und […] damit in dem in der Strophe angelegten Bilde [bleibt]“, weshalb er den Vers mit „[sie] trifft alles jagdbare Wild“ paraphrasiert (Mohr 1978, 131; zum Zusammenhang von Jagd und Begehren s. auch Hauer 1992, 27).
66 (La 67, Lei 66) In der Hs. H und in der Überlieferung des JT steht die Str. 68 (= La 66: Iâ erkande ich …) vor Strr. 66/67 (=La 67/68). Die Mehrzahl der Hgg. hat sich Lachmanns Entscheidung für die Reihenfolge H/JT angeschlossen, allein Leitzmann, Marti und Mohr folgen der Strophenanordnung von G. Vier inhaltliche Argumente sind für die Reihenfolge H/JT vorgebracht worden: 1. Nach Franz (1904, 33) ist Str. 68 vorzuziehen, weil sie an Sigunes Frage nach dem Wesen der Minne anknüpfe (wobei er wohl auf den Topos von der Minne als Räuberin in V. 4 abzielt, auch auf die Allgemeinheit von V. 3). 2. Auch wenn man das Argument von Franz bezweifelt, daß Str. 68 weiterhin auf das Wesen der Minne ziele, sondern darin in erster Linie das Geständnis Schionatulanders sieht, daß er das in Str. 65 allgemein Gesagte und ihm nur von mæren Bekannte nun an sich selbst erfahren habe (Str. 68; so auch Heinzle), so kann dies für eine enge Verbindung der Strr. 65 und 68 sprechen, denn diese Wendung Schionatulanders ins Persönliche steht (nach Schirok 1974, 371) „sinnvoller“ vor dem Geständnis Sigunes (Str. 66). 3. Schirok (1974, 370) weist zudem auf „das entscheidende Leitwort“ gedanke hin, das nur in der Reihenfolge H/JT „eine klare gedankliche Einheit“ konstituiere (d. h. 65,3 – 68,2 – 66,1) im Sinne einer psychologischen Vorbereitung (Strr. 65, 68) und abschließenden Formulierung von Sigunes Geständnis (Str. 66)(vgl. dazu aber Komm. zu 68,2). 4. Schließlich weist Schirok (1974, 371) darauf hin, daß Schionatulander zweimal im Plural (uns beidiu 67,4; wir bêdiu 70,3) und einmal im Singular (minne stilt mir fröude 68,4) über die Minne spreche, was dann am plausibelsten sei, wenn sein Sprechen für beider Bemühen um Minne nach Sigunes Geständnis (Str. 66), sein Sprechen über seine Verletzung durch die Minne vor dieses gestellt werde (d. h. Str. 68 vor Str. 66; vgl. dagegen aber Komm. zu Str. 68,4). So erwägenswert alle diese Argumente sind, so wenig zwingend erscheinen sie jedoch, die Reihenfolge H/JT für authentischer zu halten (so auch Heinzle 1989, 492): Strikte argumentative Logizität und konsequente Gedankenentwicklung ist kaum der strukturelle Primat dieses Textes, der immer wieder in Sprüngen, assoziativen Anknüpfungen, suggestiven Vor- und Rückverweisen und brüchigen Fügungen sein Syntagma entwickelt, und dies zumal in diesem Gespräch, das einer plausiblen Psychologie doch eher nur oberflächlich nachkommt. Die inhaltlichen Argumente für oder gegen eine überlieferte Strophenfolge sind daher wohl nicht anders zu behandeln als kompositorisch-tektonische Beobachtungen: Während Heinzle darauf hinweist, daß hinsichtlich der Anordnung von Einzelstrr. und Doppelstrr. in diesem Gespräch G aufgrund der „strenge[n] Symmetrie“ „die ausgewogenere Dialogkomposition“ biete (auf die formale Symmetrie der Strophenfolge H verweisen schon Rahn 1958, 41 u. Simon 1963, 187), kann Schirok (1974, 370) entgegnen, daß in H/JT die beiden Doppelstrophen (63/64 von Sigune; 65/68 von Schionatulander) „genau in der Mitte des Dialogs stehen“. Es ist indes mehr als fraglich, ob solche Symmetrien und numerischen Erwägungen der Faktur des Textes kommensurabel sind, zumal die Stellung der Str. 59 (=La 56) dabei stets als in G fehlerhaft vorausgesetzt wird (s. dazu Komm. zu Str. 59). Keines der inhaltlichen oder formalen Argumente scheint uns demnach zu rechtfertigen, von der Reihenfolge der Leiths. G abzugehen, zumal die Gedankenfolge in G guten Sinn ergibt: Sigune nimmt die von Schionatulander erwähnten gedanke auf und gesteht ihre Liebe (Str. 66), woraufhin Schionatulan-
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Stellenkommentar
der das zuvor vorgeführte, allgemeine Fragen nach der Minne zurückweist angesichts der tatsächlichen Erfahrung der Macht der Minne (Str. 67). Er beteuert nun in Form eines „rekapitulierenden“ Rückgriffs (so Mohr 1978, 131) auf seine erste Begegnung mit der Minne von mæren seine eigene Erfahrung mit der Minne an gedanken (Str. 68), ganz entsprechend Sigunes Geständnis. Sein abschließendes Bild von der Räuberin Minne nimmt Sigune sogleich fragend-konkretisierend auf (Str. 69). Gerade den Übergängen von Str. 65 zu 66 und 68 zu 69 eignet demnach nicht weniger (und nicht mehr) Plausibilität und Stringenz als den Gedankenfolgen bei vorgezogener Str. 68 (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4). 1
Schoynatulander ] Während Schionatulander und Sigune in der direkten Anrede sonst stets die Titulierungen der Minnesprache gebrauchen (Sigune spricht ihn zumeist mit friunt an), so redet sie ihn hier mit vollem Eigennamen an, ganz seiner ersten Anrede entsprechend, mit der er das Gespräch eröffnet: Sigune, helfe rîche 56,3. Ob darin, wie es einem modernen Verständnis scheinen mag und wie es auch wohl Marti insinuiert („Der volle Ausdruck durchbricht das konventionelle Liebesgespräch“), Ausdruck emotionaler Emphase gesehen werden kann, bleibt indes fraglich. Immerhin wird man von einem Liebesgeständnis Sigunes im Sinne eines Geständnisses von Minnesymptomen sprechen können, und es deutet nichts darauf hin, daß sie Schionatulander ihre Liebe geoffenbart hat „ohne es zu wissen“ (Labusch 1959, 96). mich twingent gedanke ] Der Hinweis von Kiening/Köbele (1998, 244 Anm. 37), daß Sigune in dieser Formulierung „sich selbst zum Objekt der Minne“ macht (wie ähnlich auch Schionatulander 68,2–4), obwohl nun von eigener Minne und nicht mehr von Minne allgemein die Rede ist, ist geeignet den engen Konnex dieser Str. zu Str. 65 zu unterstreichen: Sigunes Formulierung nimmt die gedanke von Schionatulanders Rede auf, die schon bei ihm die allegorische Verallgemeinerung so eigentümlich desavouierten, und leitet mit diesem schon zuvor der allegorischen Allgemeinheit entzogenen Begriff ihr Liebesgeständnis ein, das in den folgenden Versen nun mehrfach ihr ‚Ich‘ ins Spiel bringt. Das Wort gedanke bildet so gleichsam ein Scharnier zwischen der entpersönlichten Allegorie Minne und der vom Ich erfahrenen Minne. Wenn Christoph (1981, 179) schreibt „the look of love from the beloved when he is present or the pang of love when the beloved ist absent – love exercises equal power in both stituations“, so beschreibt er genau diese Doppelfunktion, die gedanke als Substituierung des Sehens wie der Repräsentation des Geliebten im Liebenden haben (zu gedanke vgl. auch Komm. zu Strr. 65,3 u. 68,2 u. einl. Komm. zu dieser Str.; zu twingen s. auch Str. 68,3 u. Komm. dort).
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Die Überlieferung des Versbeginns in der Hs. H, die inhaltlich keine nennenswerte Differenz zu G bietet, aber syntaktisch, da wohl als Konstruktion apo koinou zu lesen, stimmt mit der Hs. A des JT überein: wenn (swenn JT A) ich dich nicht ensihe (ensich JT A). Das ist deshalb bemerkenswert, weil dadurch ein möglicher Zäsurreim mich (V. 1) : ensich in der Wolfram-Hs. gestützt wird, zumal alle anderen Hss. des JT den Vers gänzlich anders überliefern (swenn wir nicht sehen an ein ander JT B; andere Hss. mit Varianten zu dieser Versgestalt) und in der Zäsur Tschinotulander : ander reimen. Bumke (1971, 407) schließt daraus, „daß Albrecht den Zäsurreim Tschinotulander : ander eingeführt hat. Der Schreiber von A (oder seine Vorlage) hat dann offenbar noch einmal eine mit H verwandte Wolfram-Hs. verglichen und dabei festgestellt, daß diese Hs. schon einen brauchbaren Zäsurreim hatte (mich : ensich), den man unverändert übernehmen konnte.“ Es scheint sich demnach um ein „funktionsloses“ Reimwort zu handeln (vgl. dazu Komm. zu Strr. 33/34 sowie Bumke 1971, 421 f. u. Heinzle 54 [zu Strr. 30/31]).
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an fröuden diu kranke ] kranc sein an etwas (entspricht kranc mit Gen.) = „schwach sein hinsichtlich einer Sache, Mangel haben an“ (zu krank/krenken vgl. Strr. 34,2; 62,4; 90,3; 92,2; 107,1; 120,3; 145,2 u. Komm. zu Strr. 62,4 u. 107,1). Vgl. insbes. die Formulierung ich fröuden kranke Str. 120,3. Gemeint ist offensichtlich „ich bin ganz ohne Freude“ (also Litotes; so Schwietering 1925, 43, Heinzle und Hollandt), und nicht eine körperliche Schwäche Sigunes im Sinne einer Symptomatik der Minnekrankheit, wie sie später beschrieben wird (Str. 88 ff. und 114 ff.; zu Minnekrankheit s. Komm. zu Str. 89,1). Der Verlust oder Mangel an fröude ist in diesem Text die vielfach variierte, beständig wiederkehrende Formulierung für die Folgen der Minne in den verschiedensten Hinsichten (vgl. etwa 20,4; 75,2; 84,4; 88,4; 91,3; 97,2; 98,4; 112,4; 139,2; 141,4; 143,4; 159,2. „Wo der Begriff Freude in ihren Reden vorkommt, ist es nur in der Negation“ [Labusch 1959, 104]). Sigune scheint hier explizit die Formulierung Schionatulanders ê daz dîn minne mîn herze unt die fröude verkrenke (Str. 62,4) aufzunehmen; Schionatulander schließt mit seinem Bild der Räuberin Minne, die die fröude stilt (Str. 68,4), wiederum daran an. – Die eigenwillige syntaktische Konstruktion des prädikativen Adjektives mit bestimmten Artikel findet sich des öfteren bei Wolfram, im Tit. etwa Strr. 9,4; 79,2; 137,4; 169,2. 3
tougenlîche an dich geblicke ] Das Motiv der heimlichen Blicke ist auch in der Lyrik verbreitet, wo es jedoch stets um eine vor der Gesellschaft zu verheimlichende Kommunikation zwischen Sänger und Herrin geht (etwa der heimliche Blick des Sängers als Bote an die Herrin beim Mönch von Montaudon [ed. Philippson, V. 41 ff.] und Heinrich von Morungen [MF 132,3 ff.] oder das verstohlene Gunstzeichen der Herrin bei Heinrich von Morungen [MF 139,6 ff.]). Ist dieses höfische minne heln stets begründet in dem Versuch der Verheimlichung vor der Gesellschaft, wie auch in den im Tit. leitmotivisch auftretenden Wendungen tougen/tougenlîch und heln/verholn nach diesem Gespräch (vgl. dazu Komm. zu Str. 53,3–4 u. Str. 76,1), so verheimlicht Sigune ihre liebenden Blicke hier vor allem auch dem Geliebten und gesteht sie verbal. So richtig es ist, daß beider Erfahrungen mit Minne, die sie hier austauschen „genau den Spielregeln“ (Wyss 1974, 271), mithin den sprachlichen und metaphorischen Konventionen des Redens über Minne folgen, so erzeugt doch die Spannung von Heimlichkeit und Geständnis der Heimlichkeit den Eindruck einer emotionalen Unmittelbarkeit, die in diesem Gespräch, das sonst beinahe durchgehend mit formalisierten Versatzstücken der Minnerhetorik arbeitet, sonst gerade nicht anzutreffen ist und sich in seiner emotionalisierten Poetik des Schauens mit den Strr. 122–124 vergleichen läßt.
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des trûre ich ] Der Vers ist in Verbindung zu bringen mit Str. 61,1, wo Sigune vom trûren Schionatulanders gesprochen hatte: Hier nun spricht sie von ihrem trûren um seinetwillen. Zu trûren als Leitvokabel des Minnediskurses s. Komm. zu 61,1. in der wochen niht zeinem mâle ] Litotes, die hier verbunden ist mit der Antithese (ez ergêt alze dicke), wie ähnlich in Strr. 28,4 u. 123,4; gemeint ist „oft, beständig“ (Martin).
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darft du ] Mhd. durfen, dürfen meint „bedürfen, Grund haben, brauchen, nötig haben“. Demnach ist dies gerade nicht eine Verweigerung der Antwort, „was unter Liebe zu verstehen sei“, wie Classen meint (1993, 94). Schionatulanders Behauptung, daß die eigene Erfahrung (formuliert von Sigune in Str. 66, von ihm selbst in Str. 68,2) auch âne frâge
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Stellenkommentar (67,2) eine hinreichende Erklärung für die Minne sei, wird allerdings sogleich Lügen gestraft, wenn das Gespräch spätestens ab 68,3 wieder in sprachliche Topoi und Sublimierungen des höfischen Minnediskurses mündet, die beide der Minne versuchsweise anprobieren. Die Prätention emotionaler Unmittelbarkeit des Erlebens folgt ihrerseits „genau den Spielregeln“ (Wyss 1974, 271), wie über Minneerfahrung zu reden sei; dies ist ebenso Episode und Versuch neben den anderen Versuchen, sich die Minne von mæren (68,1) und vom Hörensagen (65,1) zu erklären. süeziu maget ] Während Schionatulander Sigune zu Beginn mit werdiu maget anredet (56,4; s. Komm. dort), so ist süeziu maget ab hier die dauernde Anredeformel Schionatulanders für Sigune: 68,1; 76,4; 169,4; 172,4 (Ausnahme ist die dreimalige formelle Anrede mit frouwe [60,2; 65,1; 72,1] und mit Titel Duzisse ûz Katelangen [57,1]). Heinzle (zu La 57,4) weist darauf hin, daß Wolfram mit dem häufigen Gebrauch dieses Terminus für weltliche Frauen signifikant vom Sprachgebrauch seiner Zeit abweicht, da dies eine feste, für die virgo dulcis Maria eingeführte Formel sei. Zum Gebrauch von süeze für Personen vgl. auch Komm. zu 7,2.
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minnen flust unt ir gewinne ] Schionatulander nimmt hier genau die Formulierung Sigunes aus Str. 63,4 auf, wo diese auf ihrer Unwissenheit bzw. Unerfahrenheit in Minnedingen beharrte (s. Komm. dort). Zur kaufmännischen Gewinn-Verlust-Metaphorik bei Wolfram s. insbes. den Komm. zu Str. 20,3–4.
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ûz fröuden in sorgen werbe ] Das st.V. werben (hier im Konjunktiv aufgrund des vorangehenden Imperativs) hat ursprünglich die Bedeutung „sich kreisförmig bewegen, drehen“, woraus die hier anzusetzende Bedeutung „sich umwenden“, „sich umdrehen, umschlagen“ (Martin), „sich verkehren“ (Heinzle) abzuleiten ist. Diese Verwendung des Verbs ist selten (bei Wolfram in der Grundbedeutung „drehen“ nur noch Wh. 383,19 ff., und zwar in transitivem Gebrauch: dâ streich der alde Heimrîch / mit swerten den wiserîch, / der im dicke was gewerbet. Die Opposition fröude – sorge findet sich als stereotypes, aber stets variiertes Muster noch in Strr. 20,4; 130,4; 133,4. Vgl. auch Str. 89,2: die flust sînes hôhen muotes, an sorgen gewinne.
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tuo der minne ir reht ] Die Minne wird als Herrscherin mit eigener Rechtsordnung vorgestellt, der sich zu unterstellen Schionatulander Sigune auffordert (vgl. der zwang sy jr rechtes Str. 53,1–2; die gleiche Formulierung ist von H und JT schon in 62,4 gebraucht). Die vorgeschlagenen Paraphrasen „leiste, was die Minne fordert“ (Heinzle), „erweise der Minne, was ihr gebührt“ (Martin) suggerieren, Schionatulander spreche von bestimmten Handlungen oder Zugeständnissen, die er im Namen der Minne von Sigune fordere (am weitesten geht dabei Willms [1990, 176 bzw. 319 Anm. 20], die den Vers ohne weitere Begründung als Formulierung für „die Vereinigung vollziehen“ versteht). Doch das, was Schionatulander bzw. der minne ir reht fordert, bleibt völlig unbestimmt und unbestimmbar. Christoph (1981, 179) weist darauf hin, daß auch die Ersetzung des rationalisierenden Frage-Antwort-Spiels durch Minne-Erfahrung in diesem abschließenden Appell nur zu einer petitio principii führe, „since Sigune has made it clear that she does not know what love is“. Minne kann flust und gewinn bringen und ist zumeist räuberisch und zerstörerisch; darum gilt es, um ihre helfe zu kämpfen (70,3). Die Aufforderung „Handele nach der Rechtsordnung der Minne“ entspricht also wohl der Aufforderung, sich auf ein Minneverhältnis einzulassen, ohne daß hier schon impliziert wäre, daß dieses schließlich nur als strikt formalisiertes formuliert werden kann (Strr. 71–72). Heinzles Hinweis auf Wh. 252,15 macht den weiten, offenen Problemhorizont der For-
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mulierung deutlich: Hier dankt Heimrich seiner Schwiegertochter Giburc für die Verteidigung von Oransche mit den Worten ir habt der minne ir reht getân – die Rechtsordnung der Minne kann verlangen, daß Frauen Krieg führen (zur Beziehbarkeit auf das tödliche Ende der Minnebeziehung vgl. auch folgenden Komm.). uns beidiu in den herzen verderbe ] Wörtlich: „uns beide in den Herzen zugrunde richtet/ Schaden zufügt“. Die Konjektur Lachmanns beide ist nicht notwendig: uns beidiu ist Neutr.Pl., „weil auf Personen verschiedenen Geschlechts bezogen“ (Marti). Schirok (1974, 370) weist darauf hin, daß Schionatulander hier und in Str. 70,3 (wir bêdiu) im Plural spricht. Er sieht darin die Konsequenz auf das in Str. 66 erfolgte Liebesgeständnis, weshalb das minne stilt mir fröude (68,4) „ein Rückfall“ wäre, mithin ein Indiz für die Frühstellung der Str. 68 vor Sigunes Liebesgeständnis (s. dazu einl. Komm. zu Str. 66). Die Lesart H (= JT ABX) vnns baiden (Dat. Pl., also intransitiver Gebrauch von verderben) scheint ein völlig anderes Bild zu konstruieren: Die Minne ist hier offenbar nicht die personifizierte Macht, die die Liebenden zugrunde richtet, sondern die minne ist hier die Liebe, die beide füreinander im Herzen tragen und die Schaden nehmen kann. Minne ist hier nicht die Verderberin, sondern das, was verdirbt. Da in der im JT folgenden Str. 69 (= JT 742; die Überlieferung in H endet mit dieser Str. 67) unmittelbar von der sich in die Herzen schleichenden minne die Rede ist, wie auch in der in H u. JT vorangehenden, in G aber folgenden Str. 68,1 von der im Herzen räubernden minne, ist man geneigt, die Lesart G für die konsistentere zu halten (die Lesart JT DE, die Wolf hier bevorzugt, läßt beide Deutungen zu: e daz di minne in herzen uns verderbe). Die Lesart G ist indes nicht leicht verständlich. Der Appell an Sigune bildet eine genaue Entsprechung zu Str. 62,2 nu hilf mir schiere, ê daz dîn minne mîn herze unt die fröude verkrenke. Nun, nach den Debatten über die Macht der Minne und Sigunes Liebesgeständnis, ist konsequent die Perspektive gewechselt, indem minne als selbständige Macht außerhalb der Person begriffen wird, die beide Liebenden bzw. beider Herzen bedroht (im Hinblick auf die auch im Tit. präsente Vorstellung des gemeinsamen Herzens der Liebenden in Str. 102,2 verdient die Lesart H bzw. JT AX in dem hertzen Beachtung). Wenn Mohr (1978, 131) kommentiert: „Hier nimmt der dramatische Dialog das Hauptthema der tragischen Liebesgeschichte ahnungsvoll vorweg“, so folgt er einem naheliegenden Motivzusammenhang, der von dem einleitenden tuo der minne ir reht massiv suggeriert, aber durch das eigenartige in den herzen in Frage gestellt wird. Im Herzen zugrunde gerichtet sein und körperlich tot sein ist nicht das gleiche und auch nicht schlicht austauschbar. Auch ist nicht davon die Rede, daß das Herz selbst (als Sitz des Lebens etwa) zugrunde gerichtet werde (vgl. in diesem Sinne die Wendung verderben an in Str. 77,4; 131,1; 172,2), sondern das, was im Herzen wohnt. Eher ist also hier wohl die im Tit. in vielfachen, uneinheitlichen und durchaus widersprüchlichen Varianten anzutreffende Vorstellung heranzuziehen, nach der das Herz Wohnort der fröuden (68,4; 88,4), negativer Emotionen und Affekte sowie verschiedener positiver Eigenschaften ist (nach Hollandt auch der gedanken; vgl. Komm. zu 32,2); so ist es vor allem der Herrschaftsbereich und Aufenthaltsort der minne (68,4; 69,1) und der liebe (115,3–4). Gerade im Hinblick auf Str. 53,4, in der die Ausgangssitution des Gesprächs mit einer ähnlichen Verwendung von herzen beschrieben wird – daz sy aussen !taugenlich jr minne halen" / an jren claren leiben und ynne an den hertzen verqualen –, ist der Vers wohl eher als ein Appell zu verstehen, den drohenden Verwüstungen der Minne ein Ende zu machen, indem die Liebenden sich gemeinsam um gewin (67,2) und helfe (70,3) der Minne bemühen bzw. der Rechtsordnung der Minne unterwerfen (vgl. vorhergehenden Komm.).
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Stellenkommentar
68 (La 66, Lei 68) Zur Stellung dieser Str. s. einl. Komm. zu Str. 66. 1
süeziu maget ] Anrede wie Str. 67,1 (s. Komm. dort). von mæren ] „vom Hörensagen“ (Martin, Marti, Hollandt). mære ist dann im Sinne von „(mündliche) Nachricht / Bericht / Erzählung“ zu verstehen. mære kann aber auch im engeren Sinne den literarisch gestalteten Bericht, also „dichterische Erzählung“, in diesem Falle „Minneroman, Minneerzählung“ („tales of love“, Christoph 1981, 178) meinen. Immerhin betont Schionatulander im zweiten Fragment ganz ausdrücklich seine Kenntnis höfischer Literatur (brieve, buoch, en franzoyse – ich weiz wol Str. 169,2), immerhin handelt es sich bei der Schrift auf dem Brackenseil mutmaßlich um eine Art Minneerzählung (vgl. dazu Komm. zu Strr. 149–158). Zudem ist das Motiv, daß die Liebenden Kenntnisse über die Minne durch Liebesdichtung gewinnen, literarisch eingeführt (Tax [1974, 72] erinnert an die mæren, die Tristan und Isolde sich in der Minnegrotte erzählen [Tr. 17182–17199]; Heinzle verweist auf „Flore und Blanscheflur“, Vv. 712 ff; zu denken wäre weiterhin an Paolo und Francesca in Dantes „Inferno“ V 127–138; zur romanischen Tradition des Motives von der gemeinsamen Lektüre der Liebenden s. H. Morf: ‚Galeotto fu il libro e chi lo scrisse‘. Aus Dichtung und Sprache der Romanen III, Berlin 1922, 291). Im Kontext dieses Dialogs scheint es freilich naheliegend, von mæren auf die vorhergehenden Versuche zu beziehen, dem unbestimmbaren Wesen der Minne mit den durch Hörensagen vermittelten Kenntnissen näherzukommen (vgl. Str. 65,1 u. Komm. dort; auch die den Dialog vorbereitenden Strr. 54,1–3 u. 55,1–3), denen Schionatulander nun, indem er noch einmal „rekapituliert“ (Mohr 1978, 131), die eigene Erfahrung entgegensetzt (Str. 68,2), nachdem er Sigune auf ihre eigene Erfahrung verwiesen hatte (Str. 67,1). Allemal ist die sprachliche Vermitteltheit der Kenntnisse über die Minne, der allen Bedeutungen des Wortes mære zugrunde liegt, der entscheidende Aspekt für dieses Gespräch: Die Verständigung über die Minne vollzieht sich, indem sie sich auf sprachliche Erfahrung beruft. – Vgl. aber Lectio H, die von Sigunes Erfahrung spricht (Da erkantest du ssesse mage), was umso weniger erklärlich erscheint, als in H ja die Str. auf Str. 65 folgt und sich somit nicht auf Sigunes Liebesgeständnis beziehen kann.
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minne ist an gedanken ] Schionatulander nimmt Sigunes Bekenntnis mich twingent gedanke (Str. 66,1) auf und bestätigt es erst in Form einer allgemeinen Sentenz und dann durch seine eigene Erfahrung. Der Begriff bzw. die Vorstellung gedanke (im Sinne von „Andenken, Denken an die geliebte Person“) changiert hier abermals zwischen Abstraktion des psychisch-emotionalen Vorgangs im Subjekt (Minne ist ein Phänomen des Denkens an [die geliebte Person], „also etwas Unkörperliches“, Marti) und Allegorisierung (die Minne wohnt in den Gedanken; in diese Richtung weisen die zunehmend personifizierenden Allegorisierungen der Minne in den Vv. 3 u. 4; vgl. dazu ausf. den Komm. zu Str. 65,3). Während gedanke in Str. 65 gleichsam aus der Allegorisierung der minne hinausführte und den Versuch einer erfahrungsbestimmten Formulierung von minne inaugurierte (Str. 66,1), so führt der Begriff nun wieder in neuerliche Allegorisierungen der minne zurück (zu einer anderen, wenig plausiblen Lesart des Satzes s. unten Komm. zu V. 3). Kiening/Köbele (1998, 244) weisen darauf hin, daß Schionatulander auch grammatisch in den Vv. 2–4 „dreimal die Minne als Subjekt an die Stelle des ‚Ich‘“ rückt. selbem ] „stark flektiert (gewöhnlich schwach) analog zu den Adjektiven“ (Marti).
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bewæren ] Das vom Adj. wâr abgeleitete sw.V. meint „zeigen / beweisen, daß etw. wahr ist“. 3
Aufgrund des Artikels diu (Lectio H: die) muß diu stæte liebe als Nominativ und Subjekt, das betwinget, si demnach als abhängiges Akkusativ-Objekt aufgefaßt werden. Indessen ist nicht eindeutig, wen oder was diu stæte liebe bedrängt bzw. zwingt: das Pronomen si kann auf gedanken (so Martin, Marti, Hollandt) oder auf minne (so Heinzle, Gibbs/ Johnson) bezogen werden. Im ersten Falle wäre gemeint, daß „das beständige Wohlgefallen […] die Gedanken zur Minne [zwingt]“ (Martin), was inhaltlich leicht verständlichen Sinn ergibt, syntaktisch aber problematisch bleibt: Der Bezug des einleitenden des (von betwingen abhängiger Gen.; zu übersetzen mit „dazu“) auf ein vorhergehendes, nur als lokale Bestimmung eingeführtes Dativ-Objekt erscheint kaum möglich, es sei denn, man faßte auch V. 2 so auf, als gehe es hier um den Zustand der gedanken („In den Gedanken wohnt Minne“) und nicht um die Frage nach Wesen und Ort der Minne. Da dies aber im Zusammenhang der Reflexionen über die Minne und mit dem Motiv der gedanken (s. dazu Komm. zu V. 2) wenig plausibel ist, wird man das einleitende des auf minne ist an gedanken (V. 2) beziehen: „Dazu, daß sie an gedanken ist, drängt / zwingt sie, die Minne, das beständige Wohlgefallen.“ Verständlich wird diese irritierende Wendung nur, wenn man minne, ebenso wie liebe, als allegorisch personifiziert begreift, ähnlich dem gemeinsamen Auftreten von frou Minne und frou Liebe im Pz.: frou minne, ir habt ein êre, / und wênc decheine mêre. / frou liebe iu gît geselleschaft: / anders wær vil dürkel iwer kraft (Pz. 291, 15–18). Wird die Bedeutung von minne und liebe im Tit. zumeist weitgehend aneinander angenähert (vgl. die Zusammenstellungen von minne und liebe in Strr. 17,2; 46,2–3; 52,3–4; 85,1; 90,3–4; vgl. die Bedeutung von liebe in 59,4; 77,4; 94,4; 115,4; vgl. stæte liebe als Bezeichnung für die Beziehung zwischen den Ziehgeschwistern Kondwiramurs und Sigune in Str. 29,4), so setzt diese Stelle eine signifikante Differenz voraus (Heinzle verweist neben Pz. 291,15 ff., auf Pz. 365,1 f.; Pz. 396,21 ff. und Wolframs Tagelied L 3,31 f.). Die der Tendenz nach allgemeinere, eher den geistig-seelischen Aspekt bezeichnende liebe (zum Adj. liep: „Wohlgefallen, Freude, Liebesglück“) scheint zur minne, die hier konkreter die erotische bzw. höfisch-konventionalisierte Liebesbeziehung meint, in einer Art „Grund-Folge-Verhältnis“ (Heinzle) zu stehen: frou Liebe drängt und zwingt frou Minne, in den gedanken / dem Denken / der Erinnerung der Liebenden Wohnung zu nehmen, was eine Allegorie dafür zu sein scheint, daß liebe sich zu minne steigert bzw. konkretisiert. Oder aber man begreift beide Vokabeln auch hier semantisch gleichwertig, wobei stæte liebe die Empfindung bezeichnete und minne die Allegorisierung, die in deren Folge als in den Gedanken und im Herzen wohnende Person vorgestellt wird (in diesem Sinne der Komm. von Gibbs/Johnson). Signifikant ist, daß dies mit den vorhergehenden Bestimmungsversuchen der beiden, die um die gleichen Vokabeln kreisen, nicht in Einklang zu bringen ist: Während hier die liebe die minne zu den gedanken twinget, ist es in Str. 65,2–3 die minne, die mit den gedanken die Liebenden verletzt; in Str. 66,1 sind es die gedanken, die die liebende Sigune twingent. Handelndes Subjekt ist einmal die minne, dann sind es die gedanken, dann ist es die liebe. Das zum Motivrepertoire des Liebeskriegs (dazu Komm. zu Strr. 47,4 u. 48,4) gehörende Verb twingen (eigentlich „drücken, zwängen, bedrängen“, allegemeiner „Not und Gewalt antun“, dann abstrakter „zwingen“) ist in seinen Relationen ebensowenig festgelegt: Neben den genannten Stellen 66,1 und 68,3 wäre noch Str. 50,4 u. 114,1–2 zu nennen, wo dieses Mal die minne twinget (nämlich in 50,4 die ritter under helme und in 114,1–2 Sigune), Str. 94,3, wo abermals die liebe twinget (nämlich Schionatulander zur Minnekrankheit), Str. 88, 3, 106,4 u. 108,4, wo Sigune selbst den liebeskranken, von ihr getrennten Schionatulander twinget, sowie Str. 123,3, wo Schionatulander Sigunes
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Stellenkommentar Herz betwungen hat. Die verwendeten Vokabeln und Allegorisierungen stiften gerade keine konsistenten Bilder, sondern scheinen stets die unterschiedlichen Relationen und Bedingtheiten gleichsam experimentell durchzuspielen.
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minne stilt mir fröude ûz dem herzen ] Auch das Motiv des roubens gehört – wie die Liebesfesseln, die Minnegefangenschaft und das twingen – der Topik des Liebeskrieges an (dazu Komm. zu Strr. 47,4 u. 48,4). Ist in der literarischen Tradition zumeist der oder die Liebende der Dieb (so auch Marti; vgl. etwa Str. 112,4 u. Komm. dort; minnediep Pz. 8,22–24; hierher gehört auch die Stelle aus dem „Wilhelm von Österreich“ V. 1560f., die Classen [1993, 94] fälschlich als genaue Parallele zu vorliegendem Wolfram-Vers bezeichnet), so ist auch das Bild von der personifizierten Minne als Diebin eingeführt (die Belege, die sich bei Heinzle und Roethe [zu Reinmar von Zweter 30,6, 582] finden, sind indessen allesamt später als Wolfram). Insbesondere im Tit. findet sich diese Vorstellung häufiger, so in Str. 75,4 und 99,4, evtl. auch 117,4 (vgl. die Komm. zu diesen Strr.). Schionatulander konkretisiert die zuvor formulierte, mit der Minneforderung an Sigune verbundene Bedrohung ihrer beider Herzen (67,4), indem er betont, welche Verheerungen die Minne in seinem Herzen bereits angerichtet hat. Insofern muß der Wechsel vom uns zum mir keineswegs als inkonsistenter „Rückfall in den Singular“ (Schirok 1974, 371; vgl. einl. Komm. zu Str. 66), mithin als Argument für die Frühstellung dieser Str. (nach H/JT) gesehen werden. Schionatulander führt (nach der Minne als Puppe, als Jagdvogel, als Jägerin) mit der roubærinne Minne abermals eine neue Allegorisierung der Minne ein, wodurch das geständnisförmige Sprechen beider über die eigene Verfaßtheit in diesem Gespräch zum letzten Mal fomuliert wird, da Sigune wiederum die Allegorie und ihre Implikationen aufgreift (69,1ff.). – Zum Herz als Wohnstätte personifizierter Eigenschaften und Empfindungen vgl. Komm. zu Strr. 32,3; 62,2; 67,4 (das Herz als Sitz der fröude noch Str. 88,4). Die lange Lesart von H mag im Hinblick auf die späteren Stellen, an denen die Minne den unglücklich Liebenden ihr strahlendes Aussehen raubt (99,4 u. 117,4; vgl. auch die Minnesymptomatik in Str. 94), durchaus Sinn machen: Die clare farbe gehört auch hier sozusagen zum Diebesgut der Minne (aus meinem hertzen in H auch auf clare farbe zu beziehen und nicht nur auf fresde, wie Heinzle es tut, weshalb er die Lesart als „inhaltlich schief“ ablehnt, ist unnötig). Mohr (1977, 138) erwägt, ob nicht dieser Zusatz von H eigentlich als Ersatz für ûz dem herzen gemeint sei. Dies ähnelt der Fassung des JT, der in den Hss. übereinstimmend vreude und varwe clar überliefert, wobei hier Mißverständnisse ausgeschlossen sind, da Tschinotulanders herz verstilt, nicht die Minne. ez entöhte einem diebe ] Das Verb tugen (hier Irrealis in Form des Konj. Prät.) meint „brauchbar / förderlich / dienlich / vorteilhaft / angemessen sein oder erscheinen“: also „(selbst) einem Dieb wäre (oder erschiene) das nicht angemessen (oder dienlich).“ Gemeint ist offenbar, daß die Minne räuberischer ist als die Diebe und somit die Diebe „übertrifft“, wobei nicht entscheidbar ist, in welcher Hinsicht: ob hinsichtlich des Vermögens („selbst einem Dieb wäre das zu viel“, so etwa Übers. Hollandt, Gibbs/Johnson) oder hinsichtlich des Ausmaßes ihrer böswilligen, räuberischen Anschläge („selbst einem Dieb ginge das zu weit“, so etwa Marti, Heinzle). Indes sind beide Möglichkeiten nicht unproblematisch: Einerseits ist tugen kein Verb, das das Vermögen des Handelns bezeichnet; anderseits impliziert das der Semantik des Wortes entsprechendere Bedeutungsfeld der Schicklichkeit eine Art der Ganovenehre echter Diebe – was immerhin als skurrille Komik zu goutieren wäre. Man kann den Ausdruck aber auch als selbstreferentielles, metasprachliches Spiel mit der Problematik von Allegorie und Vergleich verstehen. Nachdem im Vordersatz die Minne als stehlendes Subjekt personifiziert wurde, ist ein affirmierender Vergleich mit tatsächlichen Dieben zu erwarten (im Sinne von: „sie ist wie ein Dieb“). Der Vergleich wird zwar formuliert, aber anders, als zu erwarten, wird
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er sogleich durch die Verneinung des Verbs dementiert: Die Minne ist gerade nicht wie ein Dieb. Nimmt man das entöhte wörtlich und verzichtet auf weitere, rein kontextbezogene semantischen Verschiebungen, so wird damit weder räuberisches Vermögen noch kriminelle Energie und Chuzpe überboten, sondern schlicht die Unangemessenheit des räuberischen Vorgangs bezeichnet: Einem echten Dieb erschiene es nicht nützlich, brauchbar oder vorteilhaft, fröude zu stehlen; das heißt: wirkliche Diebe stehlen wirkliche Dinge, von Schionatulanders fröude haben sie nichts und dies erscheint ihnen nicht verlockend (ähnlich schon Docen). Mit der Konstituierung des Vergleichs und der Allegorie der Frau Minne als Diebin ist zugleich die Begrenztheit und das Inkommensurable vergleichenden und allegorischen Sprechens aufgewiesen und reflektiert.
69 (La 69) 1– 4 Wir fassen die Strophe (mit der Mehrzahl der Hgg. und Heinzle) als ein syntaktisches Gebilde mit Konstruktionswechsel auf: Der Anschluß an den einleitenden Konditionalsatz („Wenn die Minne …“, V. 1–2) erfolgt nicht erwartungsgemäß mit sô und indirekter Frage (etwa im Sinne von „dann sage mir doch / dann frage ich [mich], ob jemand weiß …“), sondern mit der direkten Frage. Ähnliche Phänomene brüchiger Syntax und anakoluthischer Fügungen sind im Tit. häufig (vgl. etwa 43,2; 63,1–3; 92,4; 137,2–3; 140,1–2; 142,1–2); vergleichbar in diesem Gespräch ist insbes. Str. 57 (Vv. 1–2 sowie V. 4; vgl. Komm. dort). Da die beiden Hälften der in der Mitte geteilten Strophe deutlich in konditionale Beziehung zueinander gesetzt werden können, erscheint die syntaktisch unproblematische Aufspaltung in zwei unabhändige Fragesätze (Fragezeichen nach entwîchen V. 2; so Marti u. Leitzmann) als leichtere und glättende Lesart. – Sigune nimmt die von Schionatulander als Ausdruck seiner eignen Situation entwickelte Allegorie der Minne als Diebin auf (vgl. auch Komm. zu 68,4) und lenkt das Gespräch erneut zurück zu den entpersönlichten Fragen nach dem Wesen der Minne, wie sie die beiden zuvor verhandelt hatten (Strr. 64–65), bevor sie ihr eignes Befinden thematisiert hatten (Strr. 66–68). 1–2 Heinzle (zu Strr. 30/31) weist darauf hin, daß die Vv. 1 und 2 die Reimworte kan : man enthalten, aus denen sich ein Zäsurreim konstruieren ließe. Es dürfte sich allerdings um gelegentlich auftretende „funktionslose Reimworte“ handeln (ähnlich Strr. 114, 134, 66,2 in H; vgl. dazu auch „Editorische Vorwort“ Kap. 1.3, Komm. zu Strr. 33/34 u. 66,2 sowie im einzelnen Bumke 1971, 420 ff.). Der JT nutzt diese nicht, sondern verändert die Verse, um zu reimenden Anversen zu kommen. 2
man noch wîp noch diu maget ] Häufig verwendete, metonymische Formel zur Bezeichnung aller Menschen (die Trias man – wîp – maget noch Str. 78,2; Dopppelformel man – wîp, Strr. 65,1; 149,3); hier also im Sinne von „niemand / kein Mensch“. mit ir snelheit ] „und seien sie auch noch so flink“. snelheit meint hier eindeutig, da auf das Bewegungsverb entwîchen bezogen, „Geschwindigkeit, Behendigkeit, Gewandtheit“ (wie auch Str. 165,1 und snelle Str. 138,2 u. snel 164,3; anders aber der snelle 9,3). mit kann nur im Sinne von „mittels“ oder, wohl hier noch zutreffender, im Sinne von „trotz“ verstanden werden (wie NL 460,3: sine mohte mit ir kreften [= trotz all ihrer Kraft] des schuzzes niht gestân). Somit kann sich ir nicht auf diu minne beziehen (so Übers. San-Marte, Rapp, Passage; so aber im JT!), sondern bezieht sich entweder auf diu maget (so Martin) oder auf man, wîp und maget (so Heinzle, Übers. Matthias, Gibbs/ Johnson). Letzteres ist die naheliegende Möglichkeit angesichts der metonymischen
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Stellenkommentar Trias-Formel. Indes ist auch die erste Lesart nicht abwegig: Sigune betonte dann gerade ihre eigene Jugend und Unerfahrenheit, wenn sie sich über die Gewalttaten der Minne empört (Vv. 3–4). Diese Sicht Sigunes auf die Vorzüge ihrer eigenen geschlechtlichen Klasse der megede, mit der sie Jugend, Gewandtheit und Unschuld (Vv. 3–4) konnotiert, stünde dann in reizvollem Kontrast zu den vorher vom Erzähler angestellten Erwägungen, daß die Minne gerade unter den Jungen schwerste Verwüstungen anrichtet (Strr. 48,1; 49,1). Allemal bleibt dieser Satz nicht im Bild: Schnelligkeit und Gewandtheit im entwîchen ist nicht das Vermögen, mit dem sich einem schleichenden Dieb begegnen ließe (es sei denn, man sieht hier gar nicht die Allegorie der Diebin Minne aufgenommen, sondern versteht Sigunes Bild von vorneherein als Variation der Jägerin Minne, die hier auftritt als „heimliche Jägerin, die die Herzen beschleicht“ [Kiening/Köbele 1998, 244]). Sigune mischt hier offenbar die Allegorien der Minne als Diebin (68,4) mit der der Minne als Jägerin, und der Inkonsistenz dieser Bildlichkeit mag die Brüchigkeit der Syntax (vgl. einl. Komm. zu dieser Str.) entsprechen. Nichts mag die Allmacht der Minne, um die es hier stets geht (Str. 65) und die Schionatulander sogleich aufnehmen wird (Str. 70,1–2), und das wehrlose Ausgeliefertsein der Betroffenen deutlicher zu machen als die Feststellung, daß schon die verbal und gleichsam theoretisch ergriffenen Verteidigungsmittel die gänzlich falschen sind. entwîchen ] Konjunktiv Präsens (3. Pers. Pl.). Dies kann als der im Mhd. jederzeit mögliche Modus eines modal-konsekutiven daz-Satzes aufgefaßt werden (Nhd. Indikativ: „daß ihr [niemand] … entgeht“) oder aber als potentieller Konjunktiv begriffen werden („daß ihr [niemand] … entweichen kann“; so Marti u. Heinzle; vgl. Mhd.Gramm § 464 u. 484 f.). Die von Lachmann im Apparat angestellte Vermutung eines fehlenden enmac (nach JT; von Leitzmann als mac in den Text aufgenommen), das entwîchen zu einem Infinitiv machen würde, erscheint nicht notwendig. Begreift man allerdings die ersten beiden Verse als eigenständige Frage (und nicht als konditionalen, subordinierten Satz; dazu Komm. oben), so wird man Lachmanns Konjektur oder Martis Interpretation des Konjunktivs folgen müssen.
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weiz aber iemen … ] Angesichts des brüchigen Satzanschlusses scheint aber hier gebraucht, „um den Fortschritt der Rede zu bezeichnen“ (Lexer I 11): „dann“, verdeutlichend Heinzle: „dann wenigstens“. Marti, die die Strophe in zwei selbständige Fragesätze aufspaltet, schlägt „wiederum, ferner“ vor. Zur Syntax s. einl. Komm. zu dieser Str. richet ] rechen an mit Dat. =„rächen an jmd., an jmd. Vergeltung üben“. Die gewöhnliche Vorstellung von der Rache bezieht sich auf das Verhältnis von Sänger und Minneherrin (etwa Heinrich von Morungen MF 125,16; 126,13; Walther L 73,21 f.). Die Vorstellung, daß die Minne selbst in ein Racheverhältnis eintritt, indem sie den Menschen bestraft aufgrund einer Verfehlung ihr gegenüber, ist ungewöhnlich, aber schon bei Heinrich von Veldeke bezeugt (En. 270,30 f.; 273,23 ff.; 294,12 f.; Hinweis Heinzle nach G. Hofmann: Die Einwirkung Veldekes auf die epischen Minnereflexionen Hartmanns v.A., Wolframs v.E. u. Gottfrieds v.S., München 1930, 39; mit umgekehrter Zielrichtung Friedrich von Hausen MF 53,22: Gott möge den Sänger an der Minne rächen). Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Reinmar: Ich wânde ie, ez wær ir spot, / die ich von minnen grôzer swære hôrte jehen. / Des engilte ich sêre, semmir got (MF 157,11 ff.): Für das Verkennen der Macht der Minne muß der Liebende bitter bezahlen, wie es auch die gerade erst über die Macht der Liebe belehrte Lavinia formuliert: wand ich von in [Cupido, Amor und Venus] missesprach, / daz hant si an mir girochen (En. 270,30 f.). Schionatulanders Antwort, in der er gerade nicht auf die Frage nach dem Grund für das
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grausame Handeln der Minne eingeht, sondern abermals der Minne Allmacht beschreibt (Str. 70,1–2), mag auf die implizite Präsenz dieser Gedankenfigur auch hier hindeuten. Christophs vorderhand plausible psychologisierende Diagnose, Sigunes RacheSpekulationen seien „indicative of the frustration which she and Schionatulander feel“, und das Gespräch erreiche an dieser Stelle „an impasse which allows them neither to advance nor to retreat“ (1981, 180), läßt sich von hier aus modifizieren. Sigune erwägt in dieser Vorstellung von der Minne als Rächerin, die nach der zuvor evozierten, nach Diebesgut begierlichen Minne abermals eine neue Allegorisierung in nuce ist, den Grund des Daseins bzw. Grund des Handelns der Minne, und sie tut dies, indem sie ein Verhältnis der Gegenseitigkeit und des Tausches imaginiert. Parallel wird sie in ihrer nächsten Äußerung dieses Deutungsmuster des gegenseitigen Tausches auf ihr Verhältnis zu Schionatulander übertragen: Wenn sie schon nicht weiß, womit sie sich die (Verletzungen der) Minne verdient hat, so soll er die Minne an ihr erarnen (Str. 71,3). Minne ist allenthalben etwas, was in Kategorien formalisierter Beziehungen und Rechtshandlungen begriffen wird. 4
ir schaden nie gewurben ] Das st.V. werben mit Akk. (schaden) meint „sich bemühen um etw., etw. betreiben, nach etw. trachten“ (gleiche Semantik von werben mit anderer Konstruktion in Strr. 29,2 u. 172,1). Das (auf alle Fälle auf minne zu beziehende) ir kann sowohl Possessivpronomen zum Akk.Obj. schaden (= „ihren Schaden“) als auch von werben abhängiges Dat. Objekt sein (= „Schaden für sie“). Letztere Auffassung ist zwingend, wenn man schaden nicht als Verbalabstraktum, d. h. als Nomen ( vom sw. Mask. schade = „Schaden, Nachteil, Schädigung“) auffaßt, sondern als Infinitiv des sw.V. schaden („die nie danach trachteten, ihr zu schaden“; zum Infinitiv ohne ze s. Mhd.Gramm. § 335). Das Präfix ge– der Form gewurben bezeichnet die durch das nie unterstrichene Perfektivierung des Verbs, die Abgeschlossenheit der Handlung, und ist möglicherweise Kennzeichen einer plusquamperfektivischen Auffassung (Mhd.Gramm. §§ 237, 308c): „getrachtet hatten“. fröude zebrichet ] Sigune braucht wiederum ein anderes Bild für die Tätigkeit der Minne: Hatte Schionatulander zuvor davon gesprochen, daß Minne die fröude raubt, so bricht sie nun die fröude entzwei (zebrechen auch oft allgemeiner „zerstören, vernichten“). Wird die fröude im Tit. zumeist als etwas beschrieben, das verloren geht und abhanden kommt (vgl. insbes. Komm. zu Str. 66,2), so erscheint zuweilen die Vorstellung, daß die fröude wie hier aktiv zerstört wird (durch die minne verkrenket Str. 62,4; durch den entfernten Geliebten an fröuden verderbet Str. 131,1).
70 (La 70) 1–2 gewaltec der tumben unt der grîsen ] tumb = (urspr. „stumm“) allgem. „schwach von Sinnen, töricht“, hier wohl „unerfahren, jung“; grîs = „grau“, dann „grauhaarig, greis, alt“, zu konnotieren mit „weise, erfahren“. Die gleiche Doppelformel (der tumbe unt ouch der grîse) findet sich noch in Str. 175,3 (s. Komm. dort). Ebenso wie die formelhaften Zusammenstellungen den alten, den iungen (Str. 65,2), man – wîp (Strr. 65,1 u. 149,3), man – wîp – maget (Strr. 69,2 u. 78,2) steht sie metonymisch für „alle Menschen“, hier ausgedrückt im Paradigma der Erfahrenheit: sowohl die in Minnedingen Erfahrenen als auch die Unerfahrenen stehen unter ihrer Macht. Damit antwortet Schionatulander auf Sigunes Frage nach den Gründen für das Handeln der Minne insofern, als er einen Zusammenhang mit dem Handeln des einzelnen Menschen, den Sigunes râche-Spekula-
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Stellenkommentar tion insinuiert hatte, negiert: gleichgültig, ob ein Mensch noch nie mit Minne zu tun hatte oder lange Erfahrungen hat – die Minne übt Gewalt über alle aus. Indem er abermals den Topos omnia vincit amor bemüht (wie schon in Str. 65; vgl. auch Strr. 50 u. 51,1 u. Komm. zu Str. 65,4; Heinzle verweist auf die sehr ähnlichen Formulierungen des Eingangs von Hartmanns „Klage“) und ihn sogleich durch einen weiteren Topos ergänzt (V. 2), führt er das Gespräch vollends wieder auf die Ebene überpersoneller sprachlicher Formalität zurück: „Again, the children seek a solution in the rhetoric of courtly love“ (Christoph 1981, 180).
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Der Unsagbarkeitstopos (oder auch bildnerischer Unfähigkeitstopos? s. Komm. unten zu künstec) erinnert an Str. 49,4 gar alle schrîbære künden nimer volschrîben dîn art noch dîn ahte, insbesondere durch die Komposita volschrîben – volprîsen (möglicherweise ist das eigentümliche volprîsen, das nur spärlich und nur nach Wolfram belegt ist, dem – reichhaltig belegten – volschrîben an dieser Stelle nachgebildet). Beidemale ist der Unsagbarkeitstopos mit dem omnia vincit amor-Topos verbunden (dort Strr. 50–51; hier Str. 70,1), beidemale mag er gerade deshalb nicht in bloßer rhetorischer Konvention aufgehen und durchaus wörtlich zu nehmen sein. Während der Topos in Str. 49 inmitten eines ins „Paradoxe gehenden Minnediskurs[es]“ steht, wo er gerade das Paradoxe benennt (Dick 1992, 399; s. Komm. zu 49,4), so beschließt er hier die nicht minder aporetischen und paradoxe Debatte um die Frage, wer oder was die Minne sei (Strr. 64–70,1). – Heinzle verweist für die Verbindung des Unsagbarkeitstopos in Bezug auf die Minne und deren wunder auf Heinrich von Veldeke, En. 295,12 ff. u. Pz. 365,6 f. Die Emendation von ir wert unt, die Lachmann (nach dem JT) vorschlägt, erfolgt wohl metri causa, wobei auch der lange Vers in G metrisch keineswegs außergewöhnlich prolematisch ist (Docen konjiziert ir werc). Gegen den Ausschluß von ir wert mag auch die signifikant alliterierende, dreifache Attribution der Minne in dieser Str. zählen: ir wert – ir wunder – ir wanke (V. 4). Hinzu kommt ir helfe (V. 3). Den positiven Auszeichnungen des emphatisierten, formelhaften Lobes in diesem Vers steht das pejorative wanke in V. 4 umso deutlicher gegenüber (s. Komm. dort). künstec ] Auf niemen bezogenes, nachgestelltes Attribut: „Niemand, der so künstec ist, lebt …“. Jemand, der kunst (= „Wissen, Kenntnis“ auch „Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit“) hat; zu kunnen = „geistig vermögen, wissen, kennen“. Man kann die Bedeutung verschieden akzentuieren: „kenntnisreich“ (Martin, Marti, Heinzle) oder „kunstreich“ oder „geistig (aus Erfahrung oder Wissen) fähig“ (vgl. Str. 96,2 u. Komm. dort). Im Hinblick auf die Verwendung des Wortes in Verbindung mit bildnerischen Tätigkeiten (vgl. nie mâler sô künstic wart „Mai und Beaflor“ 84,36; von maisterschafft kunstig hant het dâ wunder in geweben „Biterolf und Dietleib“ 7466 f.) kann man durchaus auch an bildnerisches volprîsen denken, auf den sich der Unfähigkeitstopos bezieht (wie Wolfram L 3,29 f.; Tr. 18208 ff.). Springer (1975, 230) weist auf das etymologisierende Wortspiel der beiden zum gleichen Stamm gehörenden Wörter künstec – (er) künne hin (ähnliche Wortspiele Strr. 49,4; 56,3–4; 72,3–4; 85,3; 90,3 u. 4; 95,2,; 118,1; 121,4; 128,2; 158,1–2) und verweist auf Pz. 176,16 got noch künste kann genuoc.
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helfe ] Mit diesem Wort greift Schionatulander den Terminus auf, der in jeweils dreifacher Annomination das Gespräch beendet und einleitet (Strr. 56,3–4 u. 72,3–4). Während es dort um die helfe der frouwe geht und in den folgenden Gesprächen des 1. Fragments, in denen der Terminus eine zentrale Rolle spielt, um die helfe der Erzieherinstanzen für die jungen Liebenden (Strr. 105,4; 111,3; 113,1; 117,3), so ist von der helfe der (wiederum wohl personifiziert zu denkenden) Minne außer in der folgen-
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den Replik Sigunes (Str. 71,1) noch in Str. 95,4 die Rede: Hier wird gesagt, daß Gahmuret – der ja nicht nur aus dem Pz., sondern auch aus dem Tit. als besonders minneerfahren bekannt ist – die twinclîche stunde der Minne kenne, aber auch minne helfe erfahren habe. Zum Inhaltlichen s. folgenden Komm. zu Vv. 3–4. 3–4 Die Syntax der Verse kann auf dreierlei Weise gedeutet werden: 1. Begreift man die beiden Verse als Konstruktion apo koinou (mit unferscharter friuntschaft ist der dem vorausgehenden wie dem folgenden Satz gemeinsame Satzteil) und verzichtet auf Interpunktion (wie von Lachmann und uns bevorzugt; vgl. Strr. 41,2; 44.3; 80,2), so meinen die Verse etwa: „Nun sollen wir beide um ihre Hilfe ringen mit makelloser Freundschaft; (denn) wenn makellose Freundschaft herrscht, vermag die Minne mit ihrem Wankelmut niemanden zu verführen.“ 2. Die Interpunktion nach V. 3 kriegen (mit Marti und Heinzle) dürfte einigermaßen inhaltsgleich sein, wobei uns die nähere Bestimmung der Aufforderung Schionatulanders, den Beistand der Minne durch unferscharte friuntschaft zu erlangen, wichtig und plausibel zu sein scheint: diese friuntschaft ist nicht nur Bestandteil eines allgemeinen, überpersonalen Gesetzes (V. 4), sondern zugleich wichtiges Moment einer sehr direkten Aufforderung an Sigune, hat also zugleich Sentenzwie Appellcharakter. 3. Die dritte Möglichkeit, die die Mehrzahl der älteren Hgg. sowie Mohr und Gibbs/Johnson bevorzugen, nach friuntschaft zu interpungieren, produziert demgegenüber die inhaltlich unpassende, weil dann affirmative Aussage, daß die wankelmütige Minne niemanden verführen oder betrügen könne. Dem abzuhelfen, indem man mit dem JT mit wanke (Konjektur von Benecke 1812, 946; zustimmend Heinzle und Wyss 1974, 271) liest, somit niemen als Subjekt und minne als Akk. auffaßt, scheint uns lectio facilior: Die Umkehrung der Vorstellung, nach der nun die Liebenden die Minne potentiell betrügen, wo doch in diesem Gespräch stets die Minne als unberechenbare, räuberische, jagende Figur auftritt, ist wenig plausibel. Die Interpretation der Verse bleibt indes schwierig, denn es finden wiederum irritierende Umbesetzungen von zuvor formulierten Vorstellungen innerhalb einer Strophe statt. Bemerkenswert ist zunächst, daß Schionatulander, nachdem er in Vv. 1–2 den Zusammenhang zwischen dem Handeln der Menschen und dem der Minne zugunsten der ubiquitären Allmacht der Minne zurückgewiesen hatte, nun diese als eine personifizierte Macht imaginiert, um deren Beistand man sich zu bemühen habe (kriegen nâch [noch Str. 173,3] = „sich bemühen um, streben nach, kämpfen um“). Minne ist nun eine Person – und dies ist als gänzlich neue Qualität in den zahlreichen, variablen Allegorisierungen dieses Gesprächs anzusehen –, die etwas Erwünschtes (fröude) verleihen kann und nicht nur beraubt und verletzt. Allerdings ist sie schon im nächsten Vers eine Person, die die Menschen mit ihrem wanc betriegen kann. Es gilt demnach offenbar, sich zwar in dem Bestreben nach Gegenleistung durch helfe auf die Herrschaft der Minne einzulassen, aber zugleich so, daß man den negativen Auswirkungen ihrer Macht entgeht, daß heißt, sich nicht durch ihren Begleiter, den Wankelmut, verführen läßt oder aber dem der Minne eigenen Wankelmut die eigene Beständigkeit entgegensetzt (s. Komm. unten zu V. 4). Denn es gibt offenbar einen Bereich, an dem trotz allem die Macht der Minne endet: Angesichts unferscharter friuntschaft vermag die Minne nicht zu betrügen (vgl. das dreimalige Erwähnen und das dreimalige Verneinen von kunnen in dieser Str.: niemen als künstec, niemen künne, kan niemen). Die Bestimmungsversuche der Minne in dieser einen Strophe, der hier so gegensätzliche Eigenschaften zugeschrieben werden wie wert, wunder, helfe und wanke, und so gegensätzliche Handlungen in Bezug auf die Menschen zugemessen werden wie: über alle mächtig zu sein, Wunderbares zu vollbringen, Beistand zu gewähren sowie zu verführen und betrügen, sind im
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Stellenkommentar ganzen nicht weniger verwirrend, vielfältig, perspektivenreich und mehrdeutig als die Bestimmungsversuche im bisherigen Gespräch. Am Ende des Gesprächs sieht es so aus, als solle „die pure Faktizität der Minne […] alles andere erklären“ (Wyss 1974, 271). Allerdings wird man dennoch feststellen können, daß Schionatulander bei aller Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit der einzelnen Gedanken und Allegorisierungen, geschickt pro domo argumentiert: Da die Minne allmächtig ist, kann man sich ihr nicht entziehen, sondern muß sich in ihren Dienst stellen (mit gewaltec und helfe präformiert er die vasallistische Diktion Sigunes in Str. 71,2); um aber den Bedrohungen und Verletzungen durch die Gewaltherrschaft der Minne zu entgehen, muß man der einseitigen, von Minne dominierten Beziehung des Menschen zur Minne mit einem anderen Beziehungsmodell entgegentreten, das die Macht der Minne zu beschneiden behauptet: mit dem Modell der unverbrüchlichen Zugewandtheit der beiden Liebenden zueinander. Die von Sigune von Anfang an ins Spiel gebrachte Frage nach der Domestizierbarkeit der wilden minne (Str. 64) ist somit zumindest in der sprachlichen Prätention beantwortet: Mit unferscharter friuntschaft, so die Behauptung, ist es möglich, die Minne zu beherrschen, und daher nicht mehr nötig, vor ihr zu fliehen. An diesem Punkt des Gesprächs haben dementsprechend die Bestimmungsversuche der Minne als externalisierter Macht ein Ende; nun geht es noch um die Bestimmung von unferscharter friuntschaft.
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mit unferscharter friuntschaft ] unferschart = „nicht schartig“, metaph. „unverletzt, ganz“; hier als Ggs. zu wanc i.S.v. „beständig, makellos, unverbrüchlich, treu“. Ebenso wie helfe knüpft friuntschaft an den Beginn des Gesprächs an, wo Sigune Schionatulander mit bêâs âmîs, schœner vriunt anspricht (Str. 58,1) und Schionatulander Sigune zu werder gesellekeit auffordert (Str. 60,3). Ebenso wie beim Terminus gesellekeit (s. Komm. zu Str. 60,3) und der Anrede friunt (Str. 58,1; 77,1; 171,1; s. auch Str. 63,2) ist die genaue Bedeutungsvalenz von friuntschaft hier schwer abzuschätzen, die zwischen „Freundschaft, Zuneigung“ und „Liebschaft, Liebesbeziehung“ schwanken kann. Sigune faßt dies freilich als Aufforderung zu einer formellen Minnebeziehung auf (Str. 71,1–2). mit ir wanke … betriegen ] Martin paraphrasiert: „Minne kann dadurch, daß sie einen wanc thut, einen Streich spielt, doch niemand betrügen.“ Entgegen dieser gleichsam unspezifischen Auffassung ist die Ähnlichkeit mit Str. 51,4 zu bedenken: diu starke minne erlamet an ir krefte, wirt der zwîfel mit wanke ir geselle. In diesem Sinne mag auch hier der wanc („Wankelmut, Schwankhaftigkeit, Unbeständigkeit, Untreue“; so auch wenkenden Str. 150,4) als personifizierter Begleiter der Minne zu verstehen sein, der die Liebenden zu verführen sucht. In beiden Strr. geht es um die Grenzen der Macht der Minne, in beiden Strr. kommt dabei der wanc ins Spiel, irritierenderweise aber in ganz gegensätzlichem Sinne: In Str. 51 ist der wanc etwas, das die Macht der Minne begrenzt, da er, wie der zwîfel, eine personifizierte Eigenschaft der Liebenden ist (s. Str. 52,1–2; vgl. Komm. zu 51,4), die sich zuweilen zur Minne gesellt; hier ist der wanc etwas, was der Minne zu Gebote steht, um die Menschen zu verführen und zu betrügen, mithin um ihre Willkürherrschaft zu befestigen, der die Liebenden unferscharte friuntschaft, das Gegenteil von wanc, entgegensetzen können. Dieser topischen (wohl an der Fortuna-Ikonographie orientierten) Vorstellung von wanc als Eigenschaft und Begleiter der Minne steht die – wiewohl in einem ganz anderen Bild gebrauchte – Aussage über die Minne si triffet âne wenken (Str. 65,4) wiederum eigentümlich entgegen. – betriegen meint urspr. eher „(zu einer Handlung) verführen, verlocken“, dann „(zu einer Ansicht) verführen“ und „(mit einer Handlung) verführen“, d. h. nhd. „betrügen“ (betriegen/triegen als Terminus der Jagd und Fallenstellerei s. DWb I 1715; Dalby 1965, 242; vgl. dazu Str. 75,4 in zwein reit diu minne ûf die lâge). Welche Bedeutung gemeint ist, ist schwer zu entschei-
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den. Sieht man die Aspekte der Personifikation (von wanc) im Vordergrund, so wird man eher mit Marti übersetzen: „Liebe […] versteht es nicht, jemand […] mit ([…] der ihr sonst etwa anhaftenden) Untreue zu betören.“ Die Grenzen der Allegorie und der unscharfe Übergang zum abstrahierenden Argument sind allerdings in dieser Konstruktion allenhalben deutlich: Das zweimalige, eigenartige Parallelen konstituierende mit (mit unferscharter friuntschaft; mit ir wanke) verhindert eine strikt allegorische Konstruktion des gesamten Arguments da unferscharte friuntschaft nicht in gleicher Weise personifiziert gedacht werden kann.
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helfe ] Sigune nimmt mit der Rede von der helfe der minne Schionatulanders Worte von zuvor auf (Str. 70,3–4; s. Komm. dort) und somit den Terminus, um den der Anfang und der Schluß des Gesprächs kreist (s. Komm. zu Strr. Strr. 56,3–4 u. 72,3–4). Zum Inhaltlichen s. folgenden Komm. zu V. 2.
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Die Formulierungen in dîn gebot, mînen frîen lîp und für eigen geben entstammen deutlich der Rechtsterminologie der Vasallität bzw. der Leibeigenschaft, die für die dichterische Konzeption und sprachliche Verfaßtheit der höfischen Liebe konstitutiv ist (vgl. etwa Kasten 1986, 170 ff.). Heinzle hat darauf hingewiesen, daß diese Lehnsterminologie zumeist „als Ausdruck für die bedingungslose Unterwerfung des Mannes unter die Frau“ gebraucht werden (oder auch als Unterwerfung unter die Minne als Lehnsherrin; vgl. etwa Albrecht von Johansdorf MF 94,25 ff.; Walther L 40,19 ff.). Indessen geht es hier aber vielleicht gar nicht darum, daß Sigune sich Schionatulander unterwirft wie einem Lehnsherren bzw. wie der Ritter im Minnedienst seiner vrouwe (die angeführte Belegstelle für die Ergebung der Frau in den Willen des Mannes ich wil ouch gerner wesen frî / danne ich ie mannes sî, „Mauricius von Craûn“ 1351 f. ist lehnsterminologisch nur wenig signifikant; in der „Virginal“ ich will mich im zu eigen geben [„Dietrichs erste Ausfahrt“, ed. Stark 837,11; Hinweis Heinzle 1989, 492] geht es weniger um ein Minnedienst-Verhältnis als um Heirat). Das Minnedienstverhältnis wird Sigune ja gerade im folgenden begründen, und zwar als das, was dem hier angesprochenen Verhältnis vorangehen soll. Darum ist zu überlegen, ob nicht Marti das Richtige trifft, wenn sie kommentiert: „der Leib der Frau wird Eigentum des Mannes“ (mîn lîp sollte allerdings wohl nicht körperlich, sondern im rechtlichen oder ethischen Sinn „Leib und Leben“ aufgefaßt werden; hier wohl nicht bloß usuell für „mich“; vgl. auch das korrespondierende mîn lîp Str. 72,2). Die Verse lassen sich demnach auch so verstehen, daß Sigune ihren frîen lîp erst dann Schionatulander für eigen gibt und sich seinem gebot unterstellt, wenn er dies erarnet und gedienet hat, womit hier eher der Rechtszustand der Heirat angesprochen wäre (so auch Dick 1992, 413). Der Gestus der Klage (owê) macht ja nur dann Sinn, wenn sie solche Unterwerfung als helfe der Minne (V. 1) hier zurückweist (wie sie das Leid in Str. 63 als nicht zu rechter Minne gehörig zurückgewiesen hatte) und zunächst Gegenleistung verlangt. Indem sie genau diesen Dienst der Unterwerfung von Schionatulander fordert (Vv. 3–4), konstituiert sie sich als traditionelle literarische Minneherrin. Dieser anevanc ir geselleschefte mit worten (Str. 73,1–2) besagt wohl eher, daß Sigune sich gerade nicht für eigen, sondern „nur“ ze âmîen gibt (wie Florie dem Ilinot, Str. 152). Welche Bedingungen für welche Form von lôn in Sigunes Worten im einzelnen gemeint sind, bleibt dabei vollkommen vage, was ebenso dem literischen Minnedienstverhältnis entspricht und nicht schon die Brackenseil-Tragödie des Pz. eo ipso präjudiziert. Eine Beziehung zur bî ligenden minne Str. 152, auf die Dick, abhebt, wenn
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Stellenkommentar er diese Stelle als Beleg für Sigunes „Festhalten am Keuschheitsideal“ anführt (1992, 413), ist mehr den Suggestionen des weiteren Verlaufs der Geschichte geschuldet (vgl. die Ilinot-Florie-Episode im 2. Fragment bzw. Sigunes Selbstbezichtigungen im Pz. 241,20 ff.), als daß sie den im einzelnen konventionalisierten Sprachfiguren zu entnehmen wäre. Auf alle Fälle aber verrät Sigune „ein Interesse an Selbstbewahrung“, womit der Erzähler „dem Modell der Frau als Minneobjekt im Rahmen des Sippenheils [vgl. Strr. 13–14; 26–27] alternative Formen der Minneerfüllung“ entgegenzustellen versucht (Dick 1992, 413; vgl. auch Huschenbett 1996, 195 f.; dazu s. folgenden Komm. zu Vv. 3–4).
3–4 Die ältere Forschung hat die Bewährungsforderung Sigunes (ähnlich wie die spezifizierte Forderung nach dem Brackenseil am Ende des 2. Fragments; s. dazu einl. Komm. zu Strr. 169–175) stets als spezifisches Charakteristikum für Sigunes Minneverhalten angesehen. Die Verse wurden als Beleg für die Eigenarten der Kinderminne gewertet (weil Sigune spüre, daß beide „noch zu jung für die Minne sind“, müsse „vor der Erfüllung die Bewährung stehen“, so Labusch 1959, 96 f.) oder wurden, in dem die Interpretation beherrschenden Streben nach einer kohärenten Ätiologie der Schuld Sigunes, zur Reaktion des unreifen Mädchens erklärt, die „im übersteigerten Bewußtsein ihres eigenen Wertes die Minne als ein Machtmittel über den jungen Ritter“ einsetze (Könneker 1965, 28). Dagegen wird man mit Bumke (1997, 249) einwenden müssen, daß Sigune den Antrag Schionatulanders lediglich „wie eine erfahrene Minnedame“ beantwortet. Als Beleg dafür, daß solche Dienstaufforderung „fester Bestandteil des höfischen Minnedialogs“ sei, verweist Heinzle auf die ganz ähnlichen Formulierungen, mit denen im Pz. Obie (346,3 ff.), Obilot (370,1 ff.) und Orgeluse (509,30 ff.) werbenden Rittern begegnen (zu den Parallelen zu Obie und Orgeluse vgl. auch Christoph 1981, 180 f.). „Sigune flüchtet sich auf Schionatulanders Drängen […] in die höfische Konvention“ (Schröder 1980, 34), indem sie der Aufforderung des kintlîchen recken in Minneritter-Pose, der minne ir reht zu tun (Str. 67,4), durchaus selbstbewußte, aber keineswegs ungewöhnlich oder gar hybride den formellen Verhaltenscodex zu bedenken gibt, nach der er sich ihre Minne zuvor reht verdienen muß: Auch dies ist der minne ir reht. Dabei entspricht ihre Haltung bis in die Formulierungen hinein dem Ende des 2. Fragments: Auch dort spricht sie von der Jugend (Str. 171,2), von dem ê erwerben (Str. 171,4), auch da spricht sie in einem sich überlegen und distanziert gebenden Gestus: daz spriche ich, werder friunt, dir noch niemen ze vâre, Str. 171,1 – des wis vor gewarnet, Str. 71,4 (vgl. dazu Komm. zu 171,4). Auf eine sehr interessante Weise hat Huschenbett (1996, 195 f.) die Interpretation dieser Verse von der Schuldfrage weggelenkt. Die Forderung, die diese Verse formulieren, aktualisiere die gesellschaftlichen Implikationen des Minne-Romans: „Die ganze Minne setzt die öffentliche Anerkennung des Helden voraus; damit wird der anarchische Aspekt der Minne gegenüber dem gesellschaftlichen Anspruch gemindert.“ Für Huschenbett ist es wichtig, daß der Tit. einen von der Öffentlichkeit abgeschirmten Privatraum erzeugt, „der bei konsequenter Ausfaltung mit eben dieser Öffentlichkeit in Konflikt geraten wird, wenn die Heldin nicht in der Lage ist, diesen ‚Innen-Raum‘ durch Verinnerlichung zu schützen.“ Während sonst im Minne-Roman die Trennung des Helden-Paares von außen, d. h. durch die Gesellschaft vorgenommen wird, geschieht dies hier durch die Heldin, also Sigune selbst, die Gründe findet, den Prozeß der Minne-Annäherung zu verlängern. „Sigune sieht sich einem inneren Konflikt ausgesetzt, der darin besteht, ihre Individualität, ihre Freiheit durch Minne zu erlangen und zu verlieren. Für die ist, anders als für Schionatulander, die Gesellschaftsfrage von größerer Bedeutung.“ Wolframs Tit. erscheint so als ein „Experimentieren mit der Struktur des Minne-Romans, an der ihm offensichtlich der Prozeß-Gedanke, der Prozeß zur Verinnerlichung, wichtig war.“
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dîn iugent ] Wie auch die agierenden Körperteile (vgl. Komm. zu Str. 4,2) so läßt Wolfram häufig auch Eigenschaften (etwa zorn 103,2 u. 127,3; kiusche 115,3; zuht 119,2), Zustände (vgl. insbes. Str. 128,3 daz sîn iugent nâch dîner minne spraeche) oder Handlungen (vgl. insbes. mîn dienst Str. 72,3) der Personen metonymisch agieren. Die iugent ist demnach die Eigenschaft Schionatulanders, die Sigune hier primär anspricht, was, gemeinsam mit der genau darauf bezogenen Antwort Schionatulanders, in der er von seiner noch nicht erfolgten Schwertleite spricht (Str. 72,1), der einzige explizite Hinweis auf kintlîche minne in diesem Gespräch ist (vgl. dazu Strr. 46,3; 48; 49,1; 52,4; 115,4; 128,3; 132,1). reht erarnet ] Perfektivum bzw. Resultativum zum sw.V. arnen (= „ernten“): „vollständig ernten“, daraus „erwerben, verdienen, entgelten“ (vgl. engl. to earn). Vgl. Wh. 14,29 f.: ei, Gîburc, süeze wîp, / mit schaden erarnet wart dîn lîp. Das Adverb reht (= „rechtgemäß, richtig“) betont verstärkend den konventionellen Vertragsaspekt des Minnedienstes: „verdienen so wie es sich ziemt, in einer Dienst-Beziehung also“ (Hauer 1992, 35; s. dazu auch Komm. oben zu Vv. 3–4). Zum reht der minne vgl. auch Strr. 53,2 u. 67,4 sowie Komm. dort.
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under schilteclîchem dache ] Das ungewöhnliche Adjektiv schilteclîch/schiltlîch ist nur bei Wolfram (Strr. 152,4; under schilt(ec)lîchem dache Str. 134,2 u. Wh. 220,7; der schilt als dach des Ritters Pz. 812,17; spätere Belege bei Heinzle) und im JT belegt (Martin). Gegenüber Wehrli (1974,21), der hier nur ein Beispiel für die im Tit. „fast zwanghaft wirkenden Wiedergaben eines Begriffes durch Umschreibung“ sieht, läßt sich der Wendung in ihrer Plastizität und Visualisierung durchaus Sinn abgewinnen. Die Formulierung imaginiert den Körper des Ritters als verborgenen unter der Bewaffnung (vgl. ähnlich under helme Str. 50,4; 106,2; 132,4; 153,1; s. Komm. zu 50,4): Der Aspekt des Bedekkens ist der primäre gegenüber der Art der Bedeckung, weshalb die Konstruktion eigenartig verdreht erscheint („nhd. eher umgekehrt: der deckende Schild“, Marti). gedienen ] Transitiv gebrauchtes gedienen (Perfektivum zu dienen) = „etw. verdienen, erwerben“ (vgl. Str. 35,4 unze ir minne wart gedient; vgl. auch Pz. 248,26). Es könnte mit dem Präfix ge- auch die perfektive Auffassung des Grundwortes dienen (in transitivem Gebrauch ebenfalls „verdienen“) im Sinne eines Futur II gemeint sein: „du mußt mich zuvor verdient haben“. des wis vor gewarnet ] wis ist Imperativ der 2. Pers. Sg. des Verbum substantivum, gebildet vom Infinitiv wesen: „sei“ (ab 13. Jh. auch die Form bis; erst ab Ende des 15. Jh.s auch sei; vgl. nu wis der Franzoysinne gemant 104,2; nu wis gemant 105,1). Transitiv gebrauchtes warnen mit Gen. (des) = „jmd. vorbereiten auf, aufmerksam machen auf, warnen vor“. Hier wohl (wie Pz. 483,24 ff. ez wære kint magt ode man, / daz in der frâge warnet iht, / sone solt diu frâge helfen niht) im Sinne von „aufmerksam machen“, nicht im Sinne eines drohenden Warnens. Da warnen im Mhd. nicht mit der Präp. vor belegt ist und zudem die Sache, vor der gewarnt wird, schon durch den abhängigen Gen. des bezeichnet ist, muß vor temporales Adverb sein: „zuvor, vorher“, hier „im voraus, von vornherein“.
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frouwe ] Daß Schionatulander nun den topischen Anredetitel für die Minneherrin gebraucht, unterstreicht in emphatischem Ton den formellen Charakter des Minnedienstverhältnisses, das er im folgenden eingeht. Während Schionatulander sonst stets die An-
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Stellenkommentar rede werdiu/süeziu maget gebraucht (dazu Komm. zu Str. 56,4), taucht die Anrede frouwe nur in diesem Gespräch auf, stets im Kontext deutlich formalisierter Minneanträge (s. Strr. 60,2 u. 65,1 sowie Komm. dort). als ] hier „sowie, sobald“ (eigentl. modales al sô = „ganz wie, so wie“; daraus temporales „sowie“). wâpen leiten ] Das sw.V. leiten meint allgemein „leiten, führen“. In der Verbindung mit swert oder seltener mit wâfen/wâpen bezeichnet es die gerade in der höfischen Literatur häufig beschriebene rituelle Verleihung der ritterlichen Waffen an den jungen Adeligen und Knappen („Schwertleite“), ist also gleichzusetzen mit dem Ausdruck (ze) ritter werden oder machen (vgl. etwa Heinrich von Veldeke, En. 171,16 ff. ich han einen ivngen sun, / […] der enist noch ritter worden niht. / ich will ime morgen geben swert). Zu den historischen Zeugnissen und zu den literarischen Terminologien lateinischer Historiographie und höfischer Literatur die ausf. Darstellung bei Bumke 1986, 318 ff. Aus diesem Vers folgt einzig, daß Schionatulander zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Schwert geleitet hat, was für ein Alter von weniger als ca. 14 Jahren sprechen mag (wobei die Altersangaben für die Schwertleite erheblich schwanken; vgl. Bumke 1986, 319 f. u. 433 ff.). Ob und inwiefern dieses ritterliche Mannbarkeitsritual in Zusammenhang mit der Fähigkeit zu einer Minnebeziehung im Verhaltenscodex höfischer Kultur steht, ist nicht zu beurteilen (vgl. dazu die ebenso hypothetische wie müßige ‚Schionatulander Chronology‘ von Passage 1984, 192 f.). Im JT empfängt Schionatulander die Schwertleite nach seiner Rückkehr aus dem Orient am Hofe Herzeloudes in Anwesenheit von König Artus, was mit deutlichem Rückbezug auf diese Stelle eingeleitet wird: Er west daz vnder schilte sin lip si mUst erringen. / wie wenig in dez beuilte! er daht ‚vnd sol mir an Sygun gelingen, / dez msz mir helfen ritterlichT ere‘. / Sygun twang in zem swerte: dez wolt er nit lenger biten mere (zitiert nach JT H [Schröder 1984/95], H 920 ~ Wolf 1123; JTI u. JT R insbes. in V. 4 abweichend).
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hie enzwischen unt ouch danne ] Mhd. enzwischen meint räumlich oder zeitlich „dazwischen, inzwischen“; in Verbindung mit hie („hier“): „zwischen jetzt und dann (wenn ich diu wâpen geleitet haben werde)“. Der mit als (= „sobald“) begonnene Satz wird unterbrochen durch diesen Jetztbezug, um mit ouch dann („auch dann, danach“) vorgesetzt zu werden (Marti): „bis dahin und auch danach“. mîn lîp ] Die Formulierung mîn lîp ist hier sicherlich usuell im Sinne von „ich“ gebraucht, steht aber in signifikanter Parallele zu Sigunes Formulierung mînen frîen lîp in der Str. zuvor (Str. 71,2; s. Komm. dort): Der Selbstbewahrung von Sigunes lîp korrespondiert die Selbstverpflichtung seines lîbes zu arbeit und dienst. süezen sûren arbeiten ] Der ovidianische Topos dulce et amarum begegnet häufig im höfischen Liebesdiskurs, sei es wie hier in der Form des Oxymorons (noch etwa Pz. 295,4), sei es in der Form der Antithese (vgl. Str. 17,4; weitere Parallelstellen s. Komm. dort). Heinzle weist darauf hin, daß auch das Oxymoron süeziu arbeit topische Bezeichnung für den Minnedienst ist (Belege bei Heinzle). Schon der Begriff der arbeit allein kann aufgrund seines Bezugs zu Str. 59,2 manheit mit den arbeiten als „Minnedienst“ aufgefaßt werden (s. Komm. zu Str. 59,2; anders arbeit in Strr. 140,2 u. 143,2). Christoph dagegen sieht in den süezen sûren arbeiten „not merely a topos of love service“: „they rather reflect his own state of mind accurately and express the natural zwîfel of love“ (1981, 181).
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3–4 helfe – helfe – hilf ]. Die Vokabel helfe durchzieht leitmotivisch die Gespräche des ersten Fragments und vor allem dieses Gespräch (vgl. insbes. Komm. zu Str. 56,3–4; vgl. auch Strr. 70,3 u. 71,1 zur helfe der minne). Die dreifache Annomination der helfe stellt das Ende dieses Gesprächs in enge Beziehung zu dessen Anfang (helfe rîche – hilf – helfeclîche Str. 56,3–4): Die zahlreichen Versprachlichungsversuche des Phänomens der Minne und die weitausgreifenden Reflexionen über den Umgang mit der Minne enden also mit der Rückkehr zu jenem „terminologischen Fetisch“, von dem Wyss (1974, 270; im Hinblick auf die Strr. 56–57) feststellt, daß er „die Konventionalität besiegelt, in die alle spontane Regung hier eingemauert erscheint“. Zu den differierenden Bedeutungen vgl. auch Komm. unten zu V. 4. 3
Eine ganz ähnlich Formulierung gebraucht Schionatulander am Ende des zweiten Gesprächs mit Sigune am Ende des zweiten Fragments: Dar nâch [nach dem brackenseil] sol mîn dienst imer stæteclîchen ringen (Str. 174,1): Dort wird aber der Gegenstand des Dienstes und des Ringens ein konkretes Objekt sein, während es hier zunächst noch ganz allgemein und grundsätzlich bei der helfe der Minneherrin bleibt. – Zur metonymischen Umschreibung von Personen durch Handlungen oder Eigenschaften (mîn dienst = „ich“) vgl. insbes. Str. 71,3 u. Komm. dort.
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in dîner helfe erboren ] Alle Hgg. außer Mohr und Docen konjizieren in dîne helfe (nach der Mehrzahl der Hss. des JT). Dafür spricht zum einen, daß sich dîner leicht als Abschreibefehler aus dem vorangegangenen Vers erklären läßt (nach dîner helfe), und zum zweiten, daß die Formulierung in dîne helfe nochmals im Text zu finden ist: in dîne helfe ich bringe ir werden muomen (Str. 111,3). Es ist allerdings bei dem Verweis auf diese einzige vermeintliche Parallelstelle für in dîne helfe zu bedenken, daß dort das dîne einen Gen. objektivus vertritt (i. S. v. „Hilfe für dich“; s. Komm. zu 111,3; so auch in den von Heinzle zu 111,3 angeführten Parallelstellen), was hier nicht gemeint sein kann, da es stets um die helfe geht, die Sigune gibt: gemeint ist offenbar „daß du mir helfest“ (Martin, ähnlich Heinzle), „damit du mir hilfst“ (Marti; auch Mohr übersetzt „für deine Hilfe“, obwohl er Lectio G in dîner helfe im Text beläßt), und nicht „zu deiner Hilfe wurde ich geboren“ (Übers. Matthias; ähnlich Übers. Richey). Auf alle Fälle soll in dîne einen Richtungsakkusativ darstellen, der erboren näher bestimmt: „hineingeboren“ (Marti), i. S. v. „von Geburt dazu bestimmt“ (Heinzle, ähnlich Docen). Das Problem ist allerdings, daß die Konstruktion erboren mit in sonst nicht belegt ist (und die Hss. des JT die Konstruktion sowohl mit lokalem Dativ – so JT A, evtl. JT D u. E – als auch mit Richtungs-Akk. überliefern). Das Part. Prät. erborn (vom st.V. erbern) meint „hervorgebracht, geboren“ und ist nur mit der Präp. ze belegt, soweit ein finaler Sinn gemeint ist (einzige Wolfram-Belege: Pz. 556,25 diu iu ze dienst erboren sint; Wh. 254,20 ich wart zem jâmers zil erborn), oder mit an, wenn lokal konstruiert (Wh. 63,3 an diese werlt erborn; die Herkunft wird durch von – so etwa Str. 38,2 u. ö. Pz. 56,1 u. ö. – oder ûz – etwa Pz. 659, 29; 680,3 u. ö. – bezeichnet; weitere Belege Lexer I 613). Auch das weitgehend synonym gebrauchte geborn ist nicht mit in belegt, in finalem Sinne meist mit durch, bei Wolfram mit ze (Wh. 463,19 wart zer vlühte nie geborn), lokal auch mit an (Wh. 180,26 wart ie triuwe an iu geborn). Geht man davon aus, daß Sigunes helfe hier das gleiche meint wie im Vers zuvor, also etwas, das das Ziel von Schionatulanders Dienst und Streben bezeichnet, so wird man das erboren werden als eine Bewegung auffassen müssen, mithin eine Finalität unterstellen und mit Richtungsakkusativ konstruieren. Daß aber davon nicht zwangsläufig auszugehen ist, zeigt der folgende Halbvers: Die Hilfe, die Schionatulander hier fordert, ist eine andere als die, die er in V. 3 als sein Ziel benennt, nämlich etwas, was Sigune ihm schon auf dem Weg zu diesem Ziel ge-
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Stellenkommentar währen kann und soll (s. den folgenden Komm zu nu hilf). Dadurch entsteht die paradoxe Aussage „Hilf mir, deine Hilfe zu erringen“. Darum ließe sich auch die helfe, in welche Schionatulander an vorliegender Stelle betont geboren zu sein, wiederum anders auffassen: als eine helfe, durch die allein Schionatulander lebt, weil dies die Bestimmung seines Lebens ist. Somit ergibt sich die dreigliedrige Paradoxie: „um deine Hilfe kämpfe ich – in deiner Hilfe lebe ich – hilf mir dabei“. helfe ist einmal die Handlung der Hilfe, zugleich das, was durch helfe zuteil wird (vgl. den Komm. zu trôst Str. 61,1), zugleich auch das, was Vorraussetzung der helfe ist, nämlich die Fähigkeit Sigunes, helfe zu geben, und die Bestimmung Schionatulanders, diese helfe zu empfangen. Sigune erscheint auch hier als helfe rîche (Str. 56,3), die sie schon immer ist und von deren helfe Schionatulander schon immer lebt. Diese Vorstellung mag schwieriger sein als die des Hineinwachsens in die Bestimmung zur helfe. Da sie aber immerhin möglich erscheint und umgekehrt die Vorstellung der zielgerichteten Bewegung ebenso wenig belegt und kaum weniger Produkt weitgehender interpretatorischer Vermittlungsleistungen ist, sehen wir keinen zwingenden Grund, von der Hs. abzugehen (zumal sie durch eine Haupths. des JT gestützt wird). nu hilf, sô daz mir an dir gelinge ] Das st.V. gelingen mit Dat. der Person und Präp. an (oder Gen.) = „zum Ziel kommen bei, Erfolg haben bei, glücken an“. Vgl. dazu vnd sol mir an Sygun gelingen ( JT H 920 ~ Wolf 1123; anders JTI; weitere Belege bei Heinzle). Hauer (1992, 35) paraphrasiert ohne Angabe von Belegen „leicht und schnell vonstatten gehen“. Vgl. den dreifachen an Sigune gerichteten Appell nu hilf in diesem Gespräch, jeweils im Schlußvers der Strophe (Strr. 56,4; 62,4; 72,4): Schionatulander beschließt sein Dienstversprechen, indem er darauf verweist, daß es zu dessen erfolgreicher Einhaltung auch ihres Zutuns bedarf. Der Terminus helfe nimmt demnach in den Schlußversen verschiedene Bedeutungen an: Hier ist helfe als Beistand im Dienst gemeint, zuvor aber helfe als Ziel des Dienstes, also Ergebnis des Beistandes: Zuwendung bzw. Minnelohn. Zu der schwierig zu fassenden Bedeutung von in dîner helfe s. Komm. oben.
73–87 (La 73–82a) : Abschiede Der folgende Textabschnitt wird von der Überlieferung zum Teil stark zerklüftet dargeboten: Strophenbestand und Strophenanordnung weichen in den Handschriften G und M sowie in der entsprechenden Partie des JT stark voneinander ab. Nachdem in den Strr. 73–77 von den Vorbereitungen der zweiten Orientfahrt Gahmurets und dem Abschiedsgespräch zwischen Schionatulander und Sigune erzählt worden ist, spaltet sich die Überlieferung in differente Darstellungen. In der Hs. G schließt sich der Bericht vom Abschied Gahmurets von mâgen und mannen (79) sowie die Auskünfte über die Zurüstung der Fahrt (80) an; dem folgt eine Str. über das Hemd, das Herzeloyde Gahmuret als Abschiedsgeschenk mitgibt (85) und danach die Str. 78 mit den allgemeinen Bemerkungen des Erzählers über herzenlîche minne und der Vorausdeutungs-Reminiszenz: Parzival und Sigune auf der linden; die Sequenz wird in G abgeschlossen durch ein topisches Personenlob, mit dem Gahmuret vor Heiden und Christen gerühmt wird (86).
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Die Hs. M orientiert sich demgegenüber stärker am Verlauf der Geschehnisse: dem Abschied Sigune/Schionatulander schließen sich hier sogleich die Bemerkungen des Erzählers über herzenlîche minne und die Vorausdeutungs-Reminiszenz an (78); danach folgen Strr., die G fehlen: die hier dreistrophige Abschiedsszene Herzeloyde/Gahmuret (81–83) und eine Strophe über den Schmerz der Herzeloyde (84); handlungslogisch werden dann die Strophe über das Hemd der Herzeloyde (85), über den Abschied Gahmurets von mâgen und mannen (79), die Ausrüstung zur Fahrt (80) und das topische Personenlob (86) sowie in einer weiteren Str. der Lobpreis auf Hermann von Thüringen (87) angeschlossen. Die Haupthss. des JT bieten im wesentlichen dieselbe Anzahl und Ordnung der Strophen wie M, nur daß die Strr. 79 und 80, gefolgt von einer Zusatzstrophe, die nur hier erscheint (Umrüstung von Gahmurets schilt, JT 754), schon hinter der Str. 78 eingereiht werden. Legen wir unsere Zählung zugrunde, so zeigen die Hss. demnach folgenden Bestand und in folgender Reihenfolge (Abweichungen von der Edition kursiv): Hs. G: 77 79 80 85 78 86 Hs. M: 77 78 81 82 83 84 85 79 80 86 87 77 78 79 80 [ JT 754] 81 82 83 84 85 86 87 JTI: Läßt man die nur in einer Hs. oder Hss.gruppe stehenden Strophen einmal beiseite, so müßte man, sofern diese Überlieferung ein solches Verfahren überhaupt erlaubt, aus der Überlieferungslage den folgenden Schluß ziehen: Da wir davon ausgehen dürfen, daß Str. 78 offenbar in G an der falschen Stelle steht (vgl. einl. Komm. zu Str. 78), so wäre hier die richtige Reihenfolge durch M und JTI repräsentiert (77–78); auf diese beiden Strophen folgt in G und JT eine übereinstimmende Anordnung: 79 – 80 – 85 – 86: mit ihrer „unlogischen“ Handlungsführung könnte sie möglicherweise eine erste Fassung repräsentieren; die Herstellung eines „logischeren“ und lückenlosen Geschehniszusammenhangs könnte, wie bereits Heinzle (Komm. zu Str. 79) herausgestellt hat, zur Textfassung von M geführt haben. Bezieht man allerdings die in G nicht überlieferten Strr. ein und betrachtet nicht die Reihenfolge, sondern den Strophenbestand, so stehen sich G einerseits und M sowie JT anderseits als Repräsentanten verschiedener Fassungen gegenüber. Diese wechselnden Gruppierungen erlauben es auf keinen Fall, hier durch textkritische Argumentation – scheint sie im einzelnen auch einmal etwas sichtbar zu machen – ganz generell Bestand und Reihenfolge einer „originalen“ Fassung wiederherzustellen. Will man die nur in M (und JT) überlieferten Zusatzstrr. nicht von vorneherein aus der Überlieferung ausschließen (vgl. dazu Komm. zu Str. 81, 82–84 und 87), so stellt sich die Frage nach einer Plazierung dieser Strr. im edierten Text. Dabei scheinen uns grundsätzlich zwei Möglichkeiten in Be-
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Stellenkommentar
tracht zu kommen: Zum einen kann man den gesamten Abschnitt 77–87 in der Reihenfolge von M bieten. Dies hat den Vorzug, diesen Abschnitt in einer durch eine Wolfram-Hs. überlieferten Gestalt präsentieren zu können, führt aber andererseits zu einer Kontamination von Fassungen im edierten Gesamttext, der ansonsten strikt an G orientiert ist. Daher ziehen wir – mit Lachmann (der die ihm nur aus dem JT bekannten Zusatzstrr. im App. zu Str. 80 bietet) und Heinzle und gegen Martin und Leitzmann – die grundsätzliche Beibehaltung der Strophenfolge von G mit der Plazierung der vier nicht in G überlieferten Strr. 81–84 in Anschluß an die Str. 80 vor, da somit die Textgestalt nach G so weit als möglich gewahrt bleibt und sich keine flagranten Widersprüche im Handlungsverlauf ergeben. Die wohl unumgängliche Umstellung der Str. 78 gegen G ist davon unabhängig zu betrachten (vgl. dazu Komm. zu Str. 78), die Plazierung der in G ebenfalls nicht überlieferten Str. 87 ist alternativlos. Daß die somit gegebene Strophenfolge dem Bestand des JTI entspricht, ist als textkritisches Argument von untergeordnetem Belang, indiziert doch aber immerhin eine gewisse Plausibilität dieser Reihung (vgl. dazu auch das „Editorische Vorwort“ Kap. 1.4). Inhaltlich ist die ganze Partie sicherlich, wie Mohr schreibt (1978, 135 f.), auch ein „tiefsinniges Spiel mit den Realitätsebenen“: die Wirklichkeit der epischen Welt erscheint hier in „weltgeographischer und welthistorischer“ Umrahmung „in viele Facetten gebrochen […]. Schionatulander hat als ‚der junge Fürst aus Graswaldane‘ auch seine ‚historische‘ Seite. Gahmurets ‚Wirklichkeit‘ zeigt viele Seiten, eine andere als Anjou oder ‚Anschevin‘ denn als Erbe von Waleis, wieder eine andere auf der Reise über Spanien nach Bagdad und als Gegner von Pompeius und Ipomedon.“ Thematisch aber steht der Abschnitt 73–87 ganz eindeutig unter dem Vorzeichen des Todes: Gahmurets Abschied von Herzeloyde und der christlichen Welt ist ein Abschied vom Leben, der vorausdeutend in seinem ganzen trauervollen Ausmaß dargelegt ist und am Schluß noch einmal im Fürstenlob auf den verstorbenen Hermann von Thüringen aufgegriffen wird. Dadurch wird auch der Abschied Schionatulanders von Sigune überschattet. Das todesbestimmte Abschiednehmen des Ziehvaters Gahmuret, durch das das schmerzerfüllte Minnegespräch der beiden Liebenden umrahmt wird und das sich in anderer Form und auf anderer Ebene im Nachruf auf den langjährigen fürstlichen Gönner Wolframs noch einmal spiegelt, gibt dem ganzen Abschnitt jene dunkle Tönung, die, wiederum vorweggreifend, der Schlußvers der Str. 78 zum Ausdruck bringt: des wart sît Parzivâl an Sigûnen zer linden wol innen. „Man muß diese Zeile lange ausklingen lassen. Sie reicht vom Anfang bis zum Ende der Geschichte, die hier erzählt werden soll. Mit ‚Sigune auf der Linde‘ wird diese Geschichte ihr Ende erreicht haben“ (Mohr 1978, 134).
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anevanc ir geselleschefte] geselleschaft bezieht sich in diesem Kontext ganz eindeutig auf das Liebesverhältnis zwischen Sigune und Schionatulander. Wolfram verwendet das Wort im gleichen Sinne Pz. 12,6 und 436,11 (vgl. Komm. zu 56,2 u. 60,3). – Kiening/ Köbele (1998, 261) stellen eine Beziehung her zwischen den Strophen Tit. 73,1 f. und 170,1 f.: „Wenn der Erzähler das erste Gespräch zwischen Sigune und Schionatulander (an dessen Ende) als anevanch ir geselleschefte / mit worten (73,1 f.), das zweite aber (ebenfalls an dessen Ende) als Vergütung mit worten und ane vanch vil chumbers (170,1 f.) [= 175,1 f.] kennzeichnet, wird der Bezug zwischen beiden als zeitlich umkehrbare Dynamik kenntlich. Hier wie auch sonst im ‚Titurel‘ ergeben sich sinnstiftende Zusammenhänge vor allem durch Markierungen. Korrespondenzen zwischen den beiden Stücken werden nicht ausgesagt oder besprochen, sondern hergestellt, Konsequenzen für die Deutung der dargestellten Welt nicht benannt, sondern suggeriert.“ Das metaphorische Netz, das im ersten Teil des Tit. ausgespannt wird, findet nach Kiening/Köbele sein Pendant in einer erzählweltlichen Szenerie; die innere Logik im Verhältnis der beiden Teile erweist sich nach dieser Deutung nicht allein als eine sukzessive, sondern auch als eine simultane, „die systematisch aufeinander bezogene Momente einer Konfiguration vernetzt“. Sigune und Schionatulander werden gezeigt als ein Paar, „das sich auf Zeichen einläßt, deren Bedeutung es nicht selbst bestimmen, ja nicht einmal völlig zu kontrollieren vermag […]. Der Text markiert die Fatalität eines Tuns, dessen Konsequenz die Figuren höchstens ahnen […].“ (Kiening/Köbele 1998, 261 ff.).
2
mit worten ] Martin kommentiert: „‚ausgesprochenermaßen‘, Gegensatz mit gedanken“. Dann bezöge sich die präpositionale Fügung auf ein verbal erkärtes Liebesverhältnis; von der gesamten Titurel-Geschichte her erscheint es jedoch sinnvoller, als Gegensatz mit werken anzunehmen und dann mit Marti zu übersetzen: (Beginn ihrer Liebschaft), „die sich nur in Worten äußerte“ (so auch Heinzle). Wyss (1974, 271) scheint beides verbinden zu wollen. Nach Christoph (1981, 183), der ihr Liebesverhältnis mit dem der emotional reiferen Obie und Meljanz im Pz. (345,18 ff.) vergleicht, sind sich Sigune und Schionatulander keineswegs im klaren über die Implikationen der Sprache, die sie als Liebende sprechen: „Schionatulander and Sigune, unfortunately, believe that courtly rhetoric and etiquette represent an exclusive and absolute ‚modus operandi‘ to guide their relationship.“ Die dilemmatische Bindung von Liebe an Sprache, „um die es im ersten ‚Titurel‘-Stück allenthalben geht“, erweist sich nach Kiening/Köbele (1998, 248) an dem „fremdbestimmten, unsicheren Sprechen über Liebe“: Die Simultaneität erzeugenden und zugleich verhindernden Metaphern „tragen selbst den unauflöslichen Widerstreit zwischen der Notwendigkeit und der Unmöglichkeit einer vollständigen Mitteilung von Minne in sich.“ Pompeirus ] Die Hs. G zeigt mit der Mehrzahl der Handschriften von JTI die eigenartige Form Pompeirus. Alle Hgg. haben, wohl auch im Hinblick auf den Pz., Pompeius verbessert: Pz. 102,1 ff. wird dieser Pompeius von dem gleichnamigen, der von Rôme entran / Julîus dâ bevor („der vor Caesar einst aus Rom floh“) unterschieden. Die Hs. G liest indes auch hier ähnlich wie im Tit., nämlich ponpeirus, ebenso wie Pz. 14,3! Die Nennung von Pompeius und Ipomidon (V. 4) spielt an auf Pz. 14,3 ff. (den Brüdern Pompeius und Ipomidon hat der Baruch von Baldac die Stadt Ninive genommen, die ihnen seit alters gehört hatte) und 101,25 ff. (später fallen die Brüder in das Land des Baruch ein und ziehen vor Baldac, wo dann Gahmuret, der dem Baruch zur Hilfe kam, von Ipomidon im Kampf erschlagen wurde). Mit Baldac ist, wie Heinzle aus Ottos von Freising „Chronicon“
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Stellenkommentar belegt, mit Sicherheit Bagdad und nicht die nova Babilonia Kairo (so Passage 1984, 164 f.) gemeint (dazu auch Heinzle 1989, 493).
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hervart ] Das im höfischen Kontext selten belegte Wort (vgl. Heinzle), das Wolfram einmal im Pz. und 17mal im Wh. verwendet, ist an dieser Stelle zu verbinden mit für Baldac und mit krefte: dô Pompeirus sîne hervart mit krefte für Baldac het gesprochen (vgl. Marti, die auf Pz. 203,13 in krefteclîcher hervart verweist). gesprochen ] Die eigenartige Nennung von Pompeius und Ipomidon in einem Zusammenhang, der in gar keiner Weise mit ihnen in Verbindung steht, könnte sich daraus erklären, daß hier mit worten und gesprochen parallelisiert werden. Die Kriegsfahrt ist erst verkündet, mit Worten anberaumt, so wie die Liebschaft der beiden Liebenden vorerst nur eine der Worte ist. Wenn daraus Realgeschehen wird, wird Gahmuret von Ipomidon mit dem Speer getötet (Pz. 106,12 ff.), so wie Schionatulander auch den Tod finden wird. Es wäre demnach eine Art verdeckte Vorausdeutung (vgl. auch Rahn 1958, 46, der allerdings Gahmuret gegenüber Schionatulander auf eine Wolfram nicht adäquate Weise abqualifiziert).
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des endes ] „in die Richtung, dorthin“, nämlich in den Orient nach Baldac. Die geographische Bestimmung weist zurück auf Str. 73. vil tougen ] „ganz heimlich“. Was meint dies, wenn in Str. 79,1 ff. gesagt wird, daß er zwanzig Pagen und achtzig Knappen auf seine Fahrt mitnimmt? Die Heimlichkeit bezieht sich, wie zu Anfang der Str. 79 gesagt, wohl darauf, daß Gahmuret seine Angehörigen und seine Gefolgsleute nicht über den wahren Grund seiner Reise aufklärt. Auch Herzeloyde wird getäuscht, die ihm ihr Hemd (81,2 ff.) in dem Glauben mitgibt, er ziehe zu einem Turnier (vgl. Hauer 1992, 52).
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et mit sîn eines schilde ] „et hebt den Begriff eines hervor: nur“ (Marti). eines als Gen. rückbezüglich auf den Gen. sîn, der von schilde abhängt = „mit dem Schild von sich allein, nur mit seinem eigenen Schild“. Die Pagen und Knappen, die mit ihm fuhren (vgl. Str. 79), trugen keine Schilde, da sie noch keine Ritter waren. Hauer (1992, 56 f.) hebt den Leichtsinn hervor, der darin liegt, daß Gahmuret als Herr über drei Länder und entsprechender Heeresmacht ohne geverten in den Kampf zieht. Um dies herauszustreichen, werden die begleitenden Pagen und Knappen hier überhaupt nicht erwähnt, sie sind, mit Wyss (1974, 278) zu sprechen, „für den Epiker quantité négligeable“.
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drîer lande krône ] Bei den drei genannten Ländern handelt es sich um Gahmurets Erbland Anschouwe sowie um die Länder Herzeloydes Waleis und Norgals. Rein formal kann krône Gen. Sg. und Gen. Pl. sein. Handelt es sich um eine Krone für drei Länder oder soll es heißen, daß jedes Land eine eigene Krone besaß?
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iaget = iagete. Das formal auch mögliche Präsens (vgl. zu ähnlichen Fällen Komm. zu 168,2) wäre neben dem nachfolgenden Präteritum enphienger sehr ungewöhnlich. diu minne ] Daß hier nicht auf die Zuneigung angespielt wird, die Gahmuret seinem Dienstherrn, dem Baruch entgegenbrachte (Richey 1961, 187), und auch nicht auf das frühere Liebesverhältnis zu Anphlise, geht nicht nur aus der Nennung der drei Länder in
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V. 3 hervor, in denen die Länder der Herzeloyde eingeschlossen sind, sondern vor allem auch aus Str. 85, in der berichtet wird, daß Gahmuret vor Baldac das weiße seidene Hemd trug, das Herzeloyde ihm als ihrem Minneritter mitgegeben hatte. Wyss (1974, 273) macht darauf aufmerksam, daß hier die Minnedoktrin, wie sie gerade erst von Sigune verkündet wurde, vehement kritisiert wird. In diesem Sinne spricht auch Dallapiazza (1995, 181) von „valscher minne“, d. h. der „Ritterminne, die im Dialog zwischen Schionatulander und Gahmuret von letzterem beschrieben wird […].“ – Zur Personifikation der Minne als Jägerin vgl. Komm. zu 56,2 u. zu 75,4. Ipomidône] Vgl. zum Tod Gahmurets Pz. 106,7 ff. – Haug (1980, 13) sieht in diesem Vers eine Vorausdeutung auf Schionatulanders Schicksal: „das Schicksal der Pflegeeltern Gahmuret und Herzeloyde wiederholt sich als Variante bei ihnen [= Sigune und Schionatulander].“
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Sch. was leide zer verte ] „Sch. war trübe zumute im Hinblick auf die Fahrt“. Vgl. die ähnliche Konstruktion im „König Rother“ (hg. v. J. de Vries, Heidelberg 1922), V. 3089: Mir ist zo der uerde lief. „Schionatulanders Reaktion auf den Befehl zum Aufbruch bleibt […] als offener Gegensatz zu Gahmurets Unrast stehen […]. Kriegerisches Tun erscheint als ganz und gar lästige Arbeit, ohne die der begehrte Lohn nicht zu haben ist; es ist ausschließlich Mittel zum Zweck“ (Wyss 1974, 272).
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Sigûnen minne ] wohl Gen. obj.: „die Liebe zu Sigune“. Rahn (1958, 46 f.) meint, es bleibe „geheimnisvoll im Dunkel, ob mit Sigûnen minne Schionatulanders Liebe zu Sigune oder Sigunes Liebe zu ihm gemeint“ sei. hôhen muot unt die fröude ] Trotz des Genusunterschiedes und der Nachstellung gehört der Artikel zu beiden Substantiven. Vgl. ähnlich Pz. 304,22 und Tit. 29,4. fröude wern ] = „die Freude verwehren, rauben“. Vgl. Pz. 726,22 und Tit. 110,2.
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mit sînem mâge ] Vgl. Tit. 55,2, wo Gahmuret Schionatulanders muomen sun genannt wird (vgl. Komm. dort).
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herzen nôt ] Alle Hg. schreiben herzenôt statt herze nôt der einzigen Hs. (G). Uns scheint hier die lectio difficilior plausibler: der Schreiber hat vermutlich den Nasalstrich von herzen ausgelassen. in zwein ] = „ihnen beiden“, Dat. Pl. bezogen auf die vorher genannten beiden Liebenden. Wenn Hauer (1992, 36) in als Präposition versteht und zur Verdeutlichung schreibt: „in zwein (herzen) reit diu minne ûf die lâge“, dann ist zum einen die Beziehung auf das im Singular stehende herzen (nôt) des vorhergehenden Satzes schwierig; zum andern bleibt die Frage, was es denn heißen soll, daß die Minne in den Herzen ûf die lâge reit. Der Hinterhalt kann doch nur jemandem bereitet werden, nicht in jemandem. lâge ] „Die Minne ist als Reiterin gedacht, die sich gegen die beiden feindlich auf die Lauer begibt“ (Marti; zum Motiv der Minne als Diebin s. Strr. 68,4; 99,4 u. 117,4; vgl. auch Str. 112,4: Sigune als Räuberin). Durch die beiden vierten Verse sind Strr. 74 und 75, und damit wiederum Gahmuret und Schionatulander aufeinander bezogen. Im ei-
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Stellenkommentar nen Fall iaget diu minne an den rê, im andern Fall reit diu minne ûf die lâge. „Damit kommt es zu einer doppelten Verknüpfung: Der junge Liebende, Schionatulander, erweist sich dem erfahrenen Minneritter, Gahmuret, verbunden nicht nur auf der Ebene der Handlungswelt, wo er als Minnebote in Kanvoleiz und als Knappe auf der Orientfahrt agiert, sondern auch auf der Ebene der Bilder, wo die Affizierung durch minne als latent tödliche identifizierbar wird“ (Kiening/Köbele 1998, 245).
76 (La 76) 1
tougenlîche ] Heinzle (zu 53,3) bezieht tougenlîche auf das höfische minne heln („zunächst zwischen den Liebenden selbst, dann zwischen ihnen und der Gesellschaft“). Er verweist auf Textstellen aus dem „Eneasroman“ und leitmotivisch aus dem Tit. selbst (53,3; 93,1; 97,1; 100,2; 102,1; 103,3; 114,3; 136,3 f.). Doch scheint dies hier nur die eine Seite zu sein: auf der anderen Seite ist das tougenlîche hier auch begründet aus der Heimlichkeit, mit der Gahmuret seine Ausfahrt betreibt (vgl. dazu Komm. zu 74,1, sowie Franz 1904, 15).
2–3 Die Textstelle läßt mehrere Möglichkeiten der Erklärung zu. Zum einen ließe sich wie sol ich geleben parallelisieren mit unt von tôde entscheiden (= unt wie sol ich von tôde entscheiden = „wie soll ich dem Tode entgehen?“); das Problem dabei ist, daß entscheiden in der Bedeutung des Grundverbs scheiden (Marti) nicht belegt ist. Zum anderen ließe sich entscheiden verstehen als Partizip („gesondert, getrennt“, so BMZ II/2, 103b sowie Docen), abhängig von mache und parallel zu rîche. Auch hier besteht die Schwierigkeit, daß entscheiden in dieser Bedeutung nur mit diesem einen Beleg in den Wörterbüchern verzeichnet ist. Schließlich ist Martins Lösung zu nennen, der den Text auf der Grundlage von M und JT hergestellt hat: owê wie sol ich geleben, / daz diu minne an fröuden mich rîche? / ê mac lîhte uns der tôt gescheiden. Diese Lösung ist „enger mit dem Kontext (Feldzug) verbunden und syntaktisch eindeutig, deshalb aber auch verdächtig“ (Heinzle). Von den anderen beiden Erklärungen ist die partizipiale Lösung wegen der ungewöhnlichen Verbindung von gescheiden und machen weniger überzeugend. Wenn Heinzle allerdings zusammenfassend schreibt, daß beide Erklärungsmöglichkeiten darauf hinauslaufen, „daß die Liebe Schionatulander vor dem Tod bewahrt, indem sie ihn an fröuden rîche macht“, wird man dem entgegenhalten müssen, daß der Satz, wie man ihn im einzelnen auch erklärt, auf jeden Fall ein Fragesatz ist, der, im Angesicht des durchaus auch für möglich gehaltenen tödlichen Ausgangs der Fahrt, die beunruhigenden Risiken klar einzuschätzen sucht. Mit Recht heißt es daher bei Wyss (1974, 272 f.): „Der klarsichtige Fatalismus dieser Stelle gibt dem Problemniveau des ‚Willehalm‘ nichts nach; er läßt sich nicht herbei, den blutigen Ernst des Heidenkampfes mit dem Flitter des Minneritterwesens zu camouflieren“. 4
wünsche mir heiles ] vgl. die parallele Formulierung in Str. 80,4 (s. Komm. dort).
77 (La 77) 1–4 Die Str. ist in der früheren Forschung immer wieder als ein Zeichen für die Echtheit der Liebesempfindung Sigunes angesehen worden. So zeigt sich nach Marti „auf die konventionellen Abschiedsworte Schionatulanders […] bei dem Mädchen wieder stärkere Empfindung.“ Für Labusch (1959, 97) sind Sigunes Abschiedsworte an den scheidenden
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Freund „ein rührendes Zeugnis für die Tiefe und Reinheit ihrer Liebe.“ Schwietering (1925, 43) kommt über den Vergleich mit Veldekes Liebesdarstellung zu einem ähnlichen Urteil. Danach läßt Wolfram „über seiner [=Schionatulanders] werbenden Belehrung oder belehrenden Werbung die Geliebte ihr eigenes Herz entdecken […] und keimende Liebe und Liebesleid erleben; Veldeke beschreibt nach äußeren Merkmalen.“ Rahn (1958, 48), der diese Auffassungen im ganzen wohl teilt, macht immerhin auch darauf aufmerksam, daß diese Verse, wenn Sigune für sich und ihren Geliebten hôhe fröude wünscht, als ein Zeugnis dafür anzusehen sind, daß beide in die höfische Welt hineinwachsen (vgl. Komm. unten zu V. 2). 2
sus ] Diesen Anschluß versteht Marti als modal („in dieser Weise“), während Martin ihn von V. 1 her inhaltlicher faßt: „in dieser Gesinnung“. Das sus nimmt offenbar das zuvor stehende minne auf: wenn das in V. 1 beschriebene Gefühl des holt-Seins Minne ist, dann will Sigune ihr Streben auf die Belohnung (gewin) richten, die für sie beide hôhe fröude (das höfische Hochgefühl) verspricht. immer wünschende sîn ] Nach imer ist von jüngerer Hand auf Rasur eingefügt: gern sin vn. Nach Mohrs textgenetischen Spekulationen (1977, 138) ist dies „der einzige Fall, wo die Korrekturglosse in G noch als solche überliefert (oder nachgetragen) ist […]. Gemeint ist: sus wil ich immer gernde sîn und wünschende nach dem gewinne. M stellt die beiden Partizipien sinnvollerweise um und trifft damit vielleicht die Absicht des Korrektors noch besser (nach dem gewinne paßt besser zu gern als wünschen).“ Es ist natürlich an dieser Stelle nicht mehr zu entscheiden, ob die kargere G-Fassung am Anfang der Textentwicklung gestanden hat, die dann vom Korrektor, von M und von den Hss. des JT aufgefüllt worden ist, oder ob die G-Fassung, wofür auch einiges spricht, das Ergebnis einer Auslassung ist. Nach den Befunden, die die Gesamtheit der Überlieferungslage nahelegt, ist wohl das Erstere das Wahrscheinlichere. „Das Präsens von sîn in Verbindung mit dem Partizip (des Präsens) kann den andauernden (durativen) Charakter des Verbalvorgangs besonders hervorheben; damit kann eine gewisse Reduktion oder Neutralisierung des temporalen Gehalts und zugleich eine Intensivierung der verbalen Aussage verbunden sein“ (Mhd.Gramm. § 329,1). Gegenüber der grassierenden Verwendung solcher periphrastischen Verbindungen im JT verwendet Wolfram diese Figur „relativ selten“ (vgl. Belege bei Heinzle). Im Tit. findet sich neben dieser Stelle nur noch ein Beleg (137,4). Die Trennung von wünschende und nach dem gewinne durch das dazwischengestellte sîn isoliert den Wunsch und stellt ihn auf Dauer. Die Künstlichkeit dieser Stellung spricht die Wahrheit aus, daß Sigune in der Tat nicht nur die Wünschende ist, sondern auch bleiben wird, was noch dadurch unterstrichen wird, daß Sigune, ihr unbewußt, sich auf ein immer festlegt und ihr Wünschen nicht mit dem direkten Akkusativobjekt verbindet, sondern mit dem präpositionalen Ausdruck, wodurch die Direktheit des Wünschens gebrochen erscheint: statt wünschen heißt es hier „den Wunsch hegen nach“ (Marti) oder „wünschen zu erlangen“ (Martin). gewin, der Inhalt dieses Wunsches, hat denn auch nichts zu tun mit Echtheit des Gefühls (vgl. Komm. oben zu Vv. 1– 4), sondern ist ganz eindeutig abhängig gemacht von den Wertungen der höfischen Gesellschaft. Was minne ist und was sie von den Liebenden verlangt, welche Gefühle sie ihnen nahelegt und welche Wünsche, ist nicht durch die Spontaneität eines auf den anderen gerichteten Gefühls vermittelt, sondern im hohen Maße durch vorgegebene höfische Normen.
4
„Sprichwörtliche Redensart zur Bezeichnung von etwas Unmöglichem“ (Marti; vgl. TPMA XII 380); „gewöhnlich wird der Rhein genannt, der eher brennen werde“ (Martin; vgl. TPMA IX 287 f.).
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Stellenkommentar
78 (La78) Die Strophe ist in M und im JT an dieser Stelle überliefert, an der sie sich ausgezeichnet in den Zusammenhang des Abschiedes von Sigune und Schionatulander einfügt, was besonders durch die Anspielung auf den Pz. im vierten Vers unterstrichen wird. Die Hs. G bringt diese Strophe nach Str. 85 im Zusammenhang des Abschiedes von Gahmuret und Herzeloyde (vgl. auch einl. Komm. zu diesem Abschnitt) und macht damit, selbst wenn man die Abschiedsthematik der Vv. 1–3 auf beide Paare bezieht, auf jeden Fall die vierte Zeile der Strophe unbeziehbar und damit sinnlos. Daher bleibt es unverständlich, wenn Marti, die die Strophe als einzige der Hgg. nach der Anordnung von G einreiht, in geradezu entwaffnender Hilflosigkeit feststellt: „Diese Strophe bezieht sich auf die beiden Liebespaare, die vierte Zeile allerdings nur auf Schionatulander und Sigune“. Da sich dieser vierte Vers offensichtlich nur auf Sigune und Schionatulander beziehen kann, halten wir es für unumgänglich, an dieser Stelle (wie auch im Falle der Strr. 18/19; s. Komm. dort) die Reihenfolge der Hs. G zu verändern: Entgegen Bumkes allgemein gefälltem Urteil („nirgends ist die Strophenfolge in G eindeutig fehlerhaft“; 1973, 156) scheint uns hier eine Umstellung textkritisch notwendig (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4). 1
vil liep ] Das Adverb vil verstärkt in einer ungewöhnlichen Konstruktion das Substantivum liep. Die Verbindung ist mit Marti wohl „als ein Begriff zu fassen und gewissermaßen als Name gebraucht, da es ohne Artikel steht: ein sehr Geliebtes oder Liebendes“. Martin übersetzt: „ein herzlich geliebtes Wesen“. Beim zweiten liep im Abvers, das sich auf den abschiednehmenden Liebenden bezieht, ist das steigernde Adverb, das sicherlich auch für ihn gilt, sehr wirkungsvoll ausgespart.
2
Wie in Str. 36 (s. Komm. zu 36,1) verwendet Wolfram auch hier mit der Reihung mageden, wîben, mannen (zu dieser Reihung vgl. Komm. zu 69,2) eine formelhafte, heldenepisch anmutende Anrede an die Zuhörer, in der die „außerordentliche Qualität von seiner (sc. Schionatulanders) und Sigunes Liebe mit einer konventionellen Vorausdeutungsfloskel verdeutlicht“ (Wyss 1974, 251) wird, deren Hypertrophie durch den vierten Vers, der durch das einleitende des gerade als stützender Beleg markiert ist, zum mindesten etwas reduziert wird; denn eine Liebende, die nach dem Tod des Geliebten am Leben bleibt, kann ja nicht allein die Qualität einer wechselseitigen Liebe, wie sie hier beschrieben wird, bezeugen. Auffallend ist an dieser Stelle auch, daß nur die mannen ein Adjektiv erhalten, noch dazu ein sehr seltenes und wiederum auffälliges: ein vom gleichen Stamm abgeleitetes Adjektiv (manlîchen) (zu weiteren Belegen dieser figura etymologica bei Wolfram s. E.-J. Schmidt: Stellenkomm. zum IX. Buch des Wh., Bayreuth 1979, 144; weitere Belege ähnlicher Prägungen bei Wolfram s. Heinzle).
4
Der vierte Vers spielt an auf „den Parzival, in dem die den Tod überdauernde Liebe der Sigune geschildert wird“ (Marti; vgl. Pz. 138,13 ff.; 249,14 ff.). Diese Anspielung hat die Form einer Vorausdeutung, wie wir sie vornehmlich aus dem heldenepischen Zusammenhang kennen. Dort dient diese Stilform vor allem dazu, die Katastrophe schon heraufzubeschwören, „wenn im äußeren Handlungsverlauf noch nichts auf sie hinweist, wodurch sie den Charakter eines zwangsläufig eintretenden Ereignisses erhält“ (Könneker 1965, 34). Das Interessante an dieser Stelle aber ist, daß sie Vorausdeutung und Reminiszenz (vgl. Heinzle) zugleich ist: sie ist Reminiszenz in der Form der Vorausdeutung, d. h. es findet hier eine eigenartige Zeitverschmelzung statt, wodurch die Tit.-Geschichte und ihre Vorgeschichte im Pz. zeitlich ineinander gespiegelt werden. Zum anderen zeigt sich, daß die im vierten Vers enthaltene Katastrophe und die zuvor
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herausgestellte herzenlîchiu minne in einem völlig anderen handlungslogischen Zusammenhang stehen, als ihn der Text suggeriert. Denn es ist nicht die herzenlîchiu minne, die schließlich dazu führt, daß Parzival Sigune auf der Linde antrifft (zum Linden-Motiv vgl. auch Müller 1995, 322 ff.), sondern genau das Gegenteil: sie vermag zu Lebzeiten Schionatulanders diese herzenlîche minne nicht zu leben, und er muß sein Leben nicht im Kampf gegen die Heiden lassen, wie es diese Textstelle hier nahelegen könnte, sondern auf der Suche nach einem entlaufenen Jagdhund. „Das Ende von Sigunes Geschichte, sagt diese Stelle, steht in einem anderen Buch. Konsequenter läßt sich der illusionäre Sinnzusammenhang, der in einer erzählten Ereignisfolge zu walten hätte, nicht ironisieren. Zugleich wird deutlich, daß Wolfram selber die Statik der Siguneszenen im ‚Parzival‘, die ja auch seinen modernen Lesern oft aufgefallen ist, thematisieren will: das unvergeßliche Bild der Sigune, die den toten Schionatulander auf dem Schoß trägt, wird hier zum erzähltechnischen Problem. Denn nun soll episch auseinandergelegt werden, was im großen Epos gerade in seiner Verknappung zum Bild funktional gewesen war. Indem die epische Faktizität des ‚Parzival‘ zum Horizont des im Titurelfragment Erzählten gemacht wird, wird dessen epischer Charakter fragwürdig. Als Seitenstück zum ‚Parzival‘ ist das Fragment vielleicht auch, zumindest implizit, eine Stellungnahme zu ihm als einem Epos.“ (Wyss 1974, 273 f.).
79/80 (La 79/80) Zur Einordnung der Strr. 79/80 in die Strophenfolge, die in M nach Str. 85 stehen, s. einl. Komm. zu diesem Abschnitt und „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4.
79 (La 79) 1–2 Gahmuret wird in dieser Str. nach der Hauptstadt seines Landes Norgals genannt. Auch wenn man bedenkt, daß bisher der Ort des Geschehens (vgl. Str. 46) Kanvoleiz war, also die Hauptstadt des Königreiches Waleis, des anderen Erblandes der Herzeloyde (vgl. Str. 26), so verliert diese Benennung ihre Auffälligkeit, wenn es in Str. 86, also im selben örtlichen Zusammenhang, heißt, Gahmuret sei von Norgals nach Spanien bis Sevilla gezogen (anders dazu Heinzle). Die Hs. M liest vz Gingr!ivals", hat also offenbar, vielleicht wegen der seltsamen Wortstellung und möglicherweise im Hinblick auf die spätere Erwähnung Norgals, von Kingrivâls ganz örtlich verstanden und nicht als Titel Gahmurets. von mâgen unt von mannen als explikatives Attribut zu von Kingrivâls aufzufassen (was theoretisch möglich wäre: der König Gahmuret nahm Abschied von Kingrivals, von seinen Verwandten und seinen Leuten), scheint aufgrund der Wortstellung wenig plausibel; auch nimmt das den in dem mit daz eingeleiteten Konsekutivsatz eindeutig auf von mâgen unt von mannen und nicht auf von Kingrivâls Bezug. Vgl. auch die gleiche Formulierung Str. 105,2. 1
verholne ] Zur Heimlichkeit, mit der Gahmuret im Hinblick auf seine Ausfahrt vorgeht, vgl. Komm. zu 74,1 und 76,1. Hauer (1992, 52) stellt eine Verbindung her zur „idealen, nicht verholnen Jagd des Gardeviaz“ in Str. 163, demgegenüber das Vorgehen Gahmurets als „ungemäß ausgewiesen“ wird: „Die Öffentlichkeit muß Gahmuret wie bei Belakane scheuen, denn es ist nicht recht, was er tut: er verletzt seine Gatten-Treue, er mißachtet Abmachungen. Doch auch für ihn selbst birgt das heimliche Gehen und Al-
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Stellenkommentar lein-in-den-Krieg-Ziehen eine Gefahr“. Denn mannen und mâgen bilden als unmittelbare Öffentlichkeit, die ihn umgibt, auch seinen Schutz.
2
diu verstolne ] Prädikatives Adjektiv mit bestimmten Artikel, wie auch Str. 9,4 oder Pz. 198,18 (sô wurde ich der verlorne). Wie wichtig dieses Moment der Heimlichkeit gegenüber mâgen und mannen hier ist, wird noch einmal durch das den gar unterstrichen: ihnen wird es ganz und gar verschwiegen. Die Periphrase mittels Partizipialkonstruktion, die Wehrli (1974, 21) als Stilmittel des Tit. herausstellt, gibt der Aussage durch die künstliche Überdehnung (den gar was diu verstolne) auch formal besondere Gewichtigkeit.
3–4 Gahmuret nimmt, wie aus V. 2 hervorgeht, keinen seiner Ritter mit auf den Kriegszug, sondern nur einerseits Pagen aus edler höfischer Familie und anderseits Knappen in eiserner Panzerung, die aber noch keine Schilde führen. Vgl. dazu Pz. 210,14 f.: tûsent sarjant / mit harnasche, al sunder schilt (ähnlich Pz. 214,21 f.; vgl. auch Gahmurets Ausrüstung beim Auszug aus Anjou Pz. 8,2 ff.; vgl. auch Tit. 74,2). Zur waffentechnischen Differenzierung der Kämpfer vgl. LMA V/1991, 1232 f.; LMA VII/1995, 865 ff. u. 1784 f. Da Gahmuret seine mâgen und mannen weder einweiht noch auffordert mitzuziehen, beraubt er sich seines Schutzes (vgl. dazu Hauer 1992, 52 f.). Er ist, da weder Pagen noch Knappen einen Schild mit sich führen, angewiesen auf seinen eigenen Schild. Diese Schildthematik (âne schilt) hat die nächste Strophe quasi generiert. Der Reim kurtoyse : reise, den beide Handschriften G und M an dieser Stelle überliefern, scheint lautlich nicht rein zu sein. Formen von kurtoyse finden sich bei Wolfram gleichermaßen mit -oi- (seltener die wohl lautlich identische Graphie -oy-) und -ei-; im Reim mit reise noch Pz. 651,5–6; 735,1–2; 801,25–26; Wh. 88,3–4; 96,19–20; nach Ausweis der Editionen und Lesarten ist hier kein problematischer Reim überliefert. Ist hier das vornehme Französisieren durch unreinen Reim betont? Vgl. auch die problematischen Reime 31,1–2; 31,3–4; 56,1–2; 58,1–2; 85,1–2; 93,3–4; 148,3–4 und 163,3–4; fehlerhaft wohl 33,3 und 166,3. 4
het = hete (apokopiert zur Vermeidung des Hiats mit folgendem er? Vgl. Komm. zu 168,2): „hatte er ausgesucht für die Reise“.
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Azagouc ] Im Pz. ist das in Nordafrika situierte Azagouc das Land des Königs Isenhart (30,23), das Gahmuret erwirbt (51, 28 ff.), bevor es nach dessen Tod auf seinen mit Belakane gezeugten Sohn Feirefiz übergeht (750,15 ff.). Wie in dieser Tit.-Str. ist Azagouc auch im Pz. Herkunftsort edelster und kostbarster höfischer Ausstattungen (näphe […] von edelem gestein, Pz. 84,24 f.; von Azagouc samît tragen die Jungfrauen der Gralsprozession, Pz. 234,5). Auch im „Nibelungenlied“ trägt Brünhilt auf Isenstein von Azagouc der sîden einen wâfenroc (NL 439,2, was zu einer anhaltenden Forschungsdebatte über die Priorität beider Texte geführt hat, zumal im NL 362,2 auch Zazamanc, das zweite der orientalischen Reiche des Gahmuret und des Feirefiz, erwähnt wird). Doch ist hier Azagouc nicht nur Topos sagenhafter orientalischer Kostbarkeiten, wie im NL und der Gralsszene im Pz., sondern es ist zugleich ein Land, das Gahmuret selbst als Lehen vergeben hatte, mithin eine Reminiszenz an Gahmurets erste Orientfahrt bei Gelegenheit des Aufbruchs zu seiner zweiten (vgl. ähnlich auch die Erwähnung Belakanes in Str. 37,1).
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volget = volgete (Prädikat im Sg. Prät.; vgl. Komm. zu 168,2), „in der Einzahl nach dem nächsten Subjekt konstruiert, aber auch auf die vorhergehenden zu beziehen“ (Marti, die übrigens dann gegen alle anderen Herausgeber fortfährt: ûf die vart, sîn schiet | anderre schilt gar eine. Da sie diese unverständliche Lesart nicht erklärt, ist anzunehmen, daß es sich bei der Lectio schiet schlicht um einen Druckfehler handelt). Den zweiten Halbvers übersetzt Martin: „er als Ritter ganz allein, ohne andere Ritter“; er kommentiert: „Die Hauptschutzwaffe vertritt den Träger“ und bringt eine Reihe von Beispielen für solcherart Metonymie aus alter und neuer Sprache. Als Metonymie faßt die Stelle auch Heinzle auf (der auf vielfältige Belege hinweist). Trotzdem bleibt die Frage, ob es sich hier wirklich um eine Metonymie handelt, da ja im folgenden das Requisit Schild ein „fast gespenstisches Eigenleben“ (Wyss 1974, 278) gewinnt. Grammatikalisch ist der Halbvers, dem das Prädikat fehlt, auf zweierlei Weise lesbar: entweder läßt sich das Verbum substantivum (was) ergänzen; oder aber, was hier sinnvoller erscheint, ist schilt noch auf volget zurückzubeziehen im Sinne einer Konstruktion apo koinou (vgl. Gärtner 1969, 121–259). Heinzle faßt diesen Rückbezug als Zeugma auf. Vielleicht ist die Stelle ganz konkret gemeint im Sinne einer für Wolfram typischen Umdeutung: so wie die Pferde und die Edelsteine hinter ihm nachfolgen, so folgt ihm auch sein Schild nach, nämlich mit den Knappen und Pferden, die seine Rüstung tragen (vgl. dazu LMA VII/1995, 866), oder auf den Rücken gebunden. Und dieser Schild ist allein (eine), „ohne die Begleitung von“ (Marti) anderen Schilden (andere = anderre, Gen. Pl., abhängig von eine). Faßt man die Textstelle so auf, wird auch die folgende Begründung durch daz, die Wyss (1974, 278) mit seiner Frage: „aus welchem Grunde eigentlich?“ als reichlich unverständlich bezeichnet, in ihrer vollen valentinesken Sprachkonsequenz und Komik plausibel. Wenn keine Metonymie gemeint ist, also nicht sîn schilt eine Umschreibung für Gahmuret ist, dann beginnt das groteske Sprachspiel der folgenden beiden Verse bereits hier: sein Schild folgte ihm ganz allein, ohne die Begleitung anderer Schilde, und aus diesem Grund, weil nämlich dieser Schild sich einsam und allein sieht, sollte er sich Schildgefährten suchen.
3
durch daz ] Knüpft wohl auch begründend an das Vorhergehende an, ist aber sicherlich noch stärker demonstrativ auf das folgende daz (V. 4) gerichtet: „aus dem Grunde, deshalb, zu dem Zweck (vgl. Martin) … damit ihm eine anderer Schild Gesundheit wünschen möchte …“. gesellen ] Kann als Singular wie als als Plural aufgefaßt werden.
4
heiles wunschte ] „zur Gesundheit wünschen“ (Marti), „Gesundheit! Helf Gott!“ (Martin). Ob Wolfram tatsächlich nur diese formelhafte Wendung meint, erscheint fraglich, zumal wenige Strr. zuvor an signifikanter Stelle die selbe Wendung in sehr bedeutungsvollem Kontext gebraucht wird: ‚wünsche mir heiles, süeziu maget! ich muoz von dir zuo den heiden‘ (76,4).
3–4 Marti kommentiert: „Mit dem schlechten Witz, daß ein Schild aus dem Grund sich zur Gesellschaft einen andern mitnehmen sollte, damit ihm dieser ‚zur Gesundheit‘ wünschen könnte bei allfälligem Niesen, will der Dichter sagen, wenn Gahmuret noch ritterliche Begleitung gehabt hätte, so hätte ihm eher geholfen werden können. Es ist charakteristisch für Wolfram, sich in dieser Weise über das Aufkommen einer sentimentalen Stimmung hinwegzuhelfen“. Nach Hauer (1992, 53) umschreiben die beiden Verse, die die Str. 79 wieder aufnehmen, durch die „Analogiesetzung von Todesgefahr und niesen“
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Stellenkommentar die aussichtslose Situation, in die sich ein Ritter stürzt, wenn er sich seiner mâgen und mannen als seines öffentlichen Schutzes begibt. Diese Analogiesetzung ist nach Hauer „deshalb möglich, weil das niesen seiner alten Vorstellung nach ebenso wie der Kampf den Tod birgt: wie beim Gähnen besteht die Gefahr, daß die Seele den Körper durch dessen Öffnung verläßt: wan der mensche gewete oder nois, / sô vur ime die sêle enwec (myst. 103,8), oder: alsbald eins gewet oder nieset, so was ez tôt. (Tetzel Ro.r.183). Der Tod ist dann nur noch zu bannen, wenn einem jemand anderer heil wünscht, was im 14. Jh. soviel bedeutet wie Hilfe von Gott, dem Herren über Leben und Tod: wanne der mensch nôse, / so sal man sprechen / ‚got helfe dir‘ (myst. 103,10).“ Diese Belege (nach BMZ II 386 f.; hinzu kommt noch einer aus dem „Passional“) sind zwar alle sehr spät, dürften aber, da solche Vorstellungen sich gewöhnlich lange halten (vgl. das englische „Bless You“ und das deutsche, schon sehr säkularisierte „Gesundheit“, mit dem man noch heute auf ein Niesen zu reagieren pflegt), bestätigen, daß hier ein Zusammenhang gesehen wird, den diese Verse voraussetzen, den sie jedoch transzendieren. In Str. 74 war bereits der Gegensatz bezeichnet zwischen Gahmurets tatsächlicher Verfügungsgewalt über mächtige Scharen von schildbewaffneten Rittern und seinem Aufbruch mit nur einem, seinem eigenen schilt. Str. 79 greift dies noch einmal auf: Gahmuret schleicht sich heimlich von seinen Angehörigen und Männern davon und nimmt nur Begleiter ohne Schild mit auf die Fahrt. Str. 80 thematisiert dies ein drittes Mal, lenkt jetzt jedoch den Blick vom Riskanten dieser Unternehmung ab, indem jetzt nur noch der schilt in seiner Einsamkeit fokussiert wird. Wenn nun mit Hauer von einer „Analogiesetzung von Todesgefahr und niesen“ gesprochen werden darf, dann nur, indem die Verschiebung mitgesehen wird, die hier stattfindet. Wolfram spricht nicht von Gahmuret, von dessen Einsamkeit und Todesgefahr, sondern von dessen Schild und seiner Todesgefahr und Einsamkeit, d. h. er wendet das sehr Ernste ins Komische. „Wenn es ganz ernst ist, lacht Wolfram fast immer“ (Bertau 1973, 797). Ein akzidentielles Geschehen wird damit abgewendet; eine schreckliche Vorstellung wird abgewehrt, indem sie in einen Scherz umgedreht wird: die handelnde Person ist nicht mehr Gahmuret, sondern sein schilt und diesem, nicht Gahmuret, kann angeraten werden, sich andere Schilde als gesellen zu kiesen; aber auch die Begründung für dieses Anraten bleibt auf der Ebene der komischen Verlagerung: wenn dieser schilt einmal „niesen“ müßte, d. h. in Todesgefahr geriete, dann könnte ein anderer Schild ihm heiles wünschen, d. h. in der Gefahr beistehen (vgl. heiles wünschen in Str. 76,4). Durch diese komische Verlagerung in Sprache, die den Gedanken an das größtmögliche Unglück, den einsamen Kampfestod in der Fremde, in die größtmögliche Harmlosigkeit (niesen) verschiebt, wird das Requisit zum handelnden Subjekt auf einer metasprachlichen Ebene, der epische Vorgang mündet in ein fast selbständiges und in sich geschlossenes Sprachspiel.
81 (Hei 80a, Mar 78a) Diese Str. bildet den Anfang einer Reihe von vier Strr., die in M und im JT, nicht aber in G enthalten sind. Sie sind mit unterschiedlichen Gründen teils als „echt“ einbezogen oder als „unecht“ ausgeschieden worden (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). Die Str. 81 nimmt dabei eine Sonderstellung ein: sie ist nicht wie die anderen auf der Zäsur gereimt (es sei denn, man dreht, was leicht möglich ist, die Wortfolge, mit JT zu urloup nam um; vgl. dazu auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3) und bietet auch weder formal-stilistisch noch inhaltlich etwas Anstößiges. Die Str. ist formal auffallend parallel gebaut zu Str. 78: der erste Vers greift die Abschiedsthematik, nun zwischen Gahmuret und Herzeloyde, wieder auf; die beiden fol-
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genden Verse rühmen beide durch einen Überbietungstopos mit niender; der letzte Vers bringt eine Vorausdeutung auf den Schmerz, der durch diesen Abschied später (sît) hervorgerufen wird. Zur Plazierung der Str. in der Edition vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4 und einl. Komm. zu diesem Abschnitt. 2
sô gar ein triwenberender ] sô gar = so gänzlich; triwenberende ist vor Wolfram und auch sonst bei Wolfram nicht belegt, außer mit einiger Wahrscheinlichkeit in Str. 84,2, in der auffallenderweise Herzeloyde mit diesem eigenartigen Adjektiv beschrieben wird. – Zum Bild des stam vgl. 108,2 u. Komm. dort.
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Die Vorausdeutung, mit der die Str. endet, verweist wie die Vorausdeutung in Str. 78 auf den textualen Zusammenhang des früheren Werkes, des Pz. Und dies durch die gewählte Form in einer ähnlich genauen Weise wie 78,4, obwohl hier keine Namen genannt werden. Denn es wird nicht nur schlicht angemerkt, daß dieser Abschied Schmerz hervorrief, sondern daß dieser Schmerz selbst von vielen Augen beweint wurde, was deutlich auf die Szene im Pz. anspielt, in der Gahmuret stirbt und sein Tod bei den Heiden (Pz. 107,6) und in seinem Heimatland beklagt wird (Pz. 105,4 ff.).
82–84 (Hei 80b–d, Mar 78 b–d) Die drei Strophen 82, 83 und 84 sind nur von Golther (1893) und Leitzmann verteidigt und sonst in der Forschung einhellig für „unecht“ erklärt worden. Als Gründe dafür werden angegeben: vor allem die überall in ihren ersten beiden Versen auftretenden Zäsurreime; die „schablonenhafte, farblose und stilistisch ungeschickte Darstellung, […] die inhaltlich nichts Neues bringt und dem für den T unbedeutenden Abschied Gahmurets von Herzeloyde quantitativ ein unverhältnismäßig großes Gewicht beilegt, ferner die ziemlich plump anmutende Aufnahme von P 103,15 f.“ (Heinzle) in 81,2 f. Leitzmanns Urteil (1901, 102 f.) über diese Strr., wir seien bei ihnen einer genaueren Überprüfung „überhoben, da sie durch M alle vier als echt erwiesen werden“, wird heute niemand mehr in dieser gleichsam naiven Formulierung teilen können. Aber das Argument, das in seinem (später aufgegebenen) Urteil steckt, ist nicht von der Hand zu weisen: diese Strophen sind in M, immerhin einer Handschrift, die allen Anzeichen nach wie G noch aus dem 13. Jh. stammen dürfte, als Strophen des Tit. überliefert und sind daher als substantieller Teil der Tit.-Überlieferung ernst zu nehmen. Was die Einwände gegen sie betrifft, so erhebt sich durchaus die Frage, ob im Hinblick auf sie mehr an Auffälligkeiten festzustellen ist als die Tatsache, daß sie – wie die ebenfalls nicht in G überlieferten Strr. 33 u. 34 sowie Str. 134 in G und Str. 66 in Hs. H (s. die Komm. dort) – auf der Zäsur gereimt sind (zu den Zäsurreimen vgl. „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3 sowie im einzelnen Bumke 1971, 420 ff. und Heinzle 54 [zu Strr. 30/31]). Sieht man sich die Wertungen Heinzles im einzelnen an, so scheint es nicht statthaft, in einer Dichtung, die der Digression breitesten Raum gibt, davon zu sprechen, einer Szene sei „unverhältnismäßig großes Gewicht beigelegt“. Auch der Vorwurf, ein inkriminierter Textzusammenhang bringe „inhaltlich nichts Neues“, wird sich angesichts ähnlicher, als „echt“ ausgewiesener Strophen nicht halten lassen. Das Gleiche gilt für die beanstandeten Wortwiederholungen. Dieser Gegenargumentation aber braucht kein allzu großer Wert beigelegt werden, da es ja nicht darum gehen kann, die Frage der „Echtheit“ oder „Unechtheit“ zu klären. Diese Strr. sind nicht deshalb in die Ausgabe aufzunehmen, weil sie für „echte“ Schöpfungen eines Autors Wolfram zu gelten hätten, sondern weil sie in das Corpus der Überlieferung gehören und eine historische Fassung dieses Textes repräsentieren. Zur Plazierung der Strr. in der Edition vgl. „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4 und einl. Komm. zu diesem Abschnitt.
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Stellenkommentar
82 (Hei 80b) 1
got dem reinen ] Zu reine als Epitheton Gottes vgl. Wh. 1,1.
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Diese Vorausdeutung nimmt wie 81,4 den Tod Gahmurets vorweg: in der lakonischen Feststellung, die sich auf Gahmuret selbst bezieht, sowie im herzzerreißenden Weinen der Herzeloyde.
3
si bevalch in ouch got ] Diese Wendung nimmt das bevilhe ich got dem reinen des Anfangsverses wieder auf. Die Wiederholung desselben Wortes (bevelhen) ist durch den Vorgang bedingt; man wird sie also nicht gegen die Str. ausspielen können, zumal „echte“ Strr. gerade mit solchen Wortwiederholungen und Entsprechungen arbeiten.
4
künftic nôt ] Entsprechend zu V. 2 hat auch Herzeloyde die Vorahnung, daß Gahmuret sterben wird, ganz entsprechend zu dem Abvers von V. 2 korrespondiert dieser Vorahnung (dort die affirmative Vorausdeutung des Erzählers) ein verzweifeltes Weinen.
83 (Hei 80c) 1
trôste = trôstete 3. Sg. Prät.
2–3 Nach Heinzle ist „die ziemlich plumpe Aufnahme von P 103,15 f. do er ûze beleip ein halbez jâr, / sîns komens warte si für wâr“, die in ihrer Wertung Franz (1904, 19) folgt – „und erst der Zusatz ‚lât mich got bî dem lîbe‘! Klingt diese nachgefügte Einschränkung nicht, als merke der Interpolator plötzlich, daß sein Gahmuret doch nicht ganz korrekt die Wahrheit sage?“–, ein deutliches Indiz für die „Unechtheit“ der Strophe. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich allerdings, daß dasselbe Motiv an den beiden Stellen völlig unterschiedlich verwendet wird. Dort im Pz. beschreibt es, wie Gahmuret ausbleibt und Herzeloyde wartet; hier dagegen ist es Teil einer Tröstung, bei der der Redende (und das entspricht der Heimlichkeit seiner gesamten Reisevorbereitung) schon ahnen mag, daß er die Unwahrheit sagt, wenn er beteuert, schon in einem halben Jahr von einem Kriegszug in den Orient zurückzukehren. 3
kom ] Heinzle ergänzt kume, Martin kum. Wir bevorzugen kom, da diese bairisch Form in M bezeugt ist (chom 117,4).
4
sînes trôstes ] Unter dem Vorbehalr, daß die Ergänzung !sî–" letztlich hypothetisch bleibt, ergänzen wir die fehlende Genetiv-Endung –es (Martin –s), da sie uns bei vorausgestelltem Possissivum obligatorisch erscheint. Heinzle verzichtet auf Bereinigung. ir sorgen ein teil ] ir sorgen ist wohl Gen. Pl. von sorge, abhängig vom Beziehungswort teil. Möglich wäre auch, sorgen als substantivierten Infinitiv („ihr Sichsorgen“) und ein teil adverbiell (= „ein wenig“, iron. „ziemlich, sehr“) aufzufassen. Dagegen spricht allerdings die folgende Str. (vgl. Komm. zu 84,1). entslief ] Die Aktivität, Macht und Einflußnahme von Personifikationen wird in der Tradition als Wachen bzw. Schlafen vorgestellt, wie auch in Str. 31,3 (s. Komm. dort).
82/83/84/85
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84 (Hei 80d) 1
sus ] bezieht sich wohl, wie der Inhalt der ganzen Str., zurück auf 83,4, was zur Voraussetzung hat, daß ein teil dort nicht ironisch gebraucht ist, sondern wirklich nur „zum Teil, ein wenig“ meint: Herzeloyde war etwas getröstet durch die Worte Gahmurets, aber nicht völlig. Deshalb kann diese Strophe sagen, sie sei etswenne frô, doch vil selten. Die Traurigkeit und Besorgnis überwiegt also bei aller Hoffnung (gedinge), die Gahmurets Trost ihr bereitet hatte.
2
mit sorgen ringen ] Nach Heinzle (vgl. dort auch zahlreiche Belege) kann diese Wendung sowohl bedeuten: „gegen etwas ankämpfen“ als auch „sich in Sorgen abmühen, quälen“. Heinzle läßt es offen. Wenn es im Abvers aber heißt: des muost engelten, d. h. „mußte dafür bezahlen, kam dadurch zu schaden“, liegt doch der Gedanke näher, daß Herzeloyde „es verstand (kunde), mit den Sorgen zu ringen“: sie war deshalb, weil manchmal in diesem Kampf auch die hoffnungsvolle Freude siegte, in ein Gefühl der Zuversicht gelangt, für das sie engelten mußte. Auch die erste Zeile stimmt dieses Thema des Wechsels der Befindlichkeit (etswenne frô, doch vil selten) bereits an. Vgl. 93,2: [Schionatulander] ranc mit kumber. triwenberender lîp ] Das nochmaligen Vorkommen des ungewöhnlichen Adjektivs (vgl. Str. 81,2 und Komm. dort) ist aufgrund der Lücken in M nicht sicher, aber wahrscheinlich. Die Ergänzung von Martin triwenrîcher kann nicht in der Handschrift gestanden haben. engelten ] Vgl. Strr. 18,3; 24,2. u. 122,4. Zur Tauschhandels- und Kaufmannsmetaphorik vgl. insbes. Str. 20,3–4 u. Komm. dort.
3–4 Mit der Gewißheit, mit der der vorausdeutende dritte Vers feststellt: „seine Überfahrt gereichte ihr zum Verderben“, ist dann auch der Wechsel der Gefühle, der Kampf zwischen völlig konträren Stimmungen endgültig beendet: sein Tod läßt auch ihre freude sterben. Heinzle hält eine Anspielung auf Pz. 103,18 f. (dô brast ir freuden klinge / mitten ime hefte enzwei) für möglich, obwohl die verwendeten Bilder kaum eine Ähnlichkeit aufweisen. 4
geile ] starke Flexion („nur des Reimes wegen“; Martin). Ist hier nicht nur als Synonym von frô verwendet; sondern ist quasi dessen Steigerung durch die vitale Komponente der Bedeutung: Herzeloyde verliert jegliche vitale Lebensfreude; insofern entsprechen starp und geile einander.
85 (La 81) Die Strophe hat in der Forschung immer wieder Probleme aufgeworfen. Zum einen wegen ihrer Stellung: nach dem Abschied, wie er in Str. 83 und 84 geschildert wird, werde hier, wie vor allem Franz (1904, 11 ff.) betont hat, immer noch das Beieinandersein von Herzeloyde und Gahmuret vorausgesetzt („und nun sehen wir […] plötzlich wieder die beiden Gatten beieinander“; dagegen vgl. Komm. unten zu V. 2); zum anderen wegen ihres Inhaltes: Martin hat sie aufgrund von Trivialität, Gesuchtheit des Ausdrucks, Zotenhaftigkeit und Unstimmigkeiten sogar als unecht ausgeschieden (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). 1
ir minne ] = Herzeloydes minne wird mit Gahmurets herzenlîcher liebe verbunden. minne und liebe, die an manchen Stellen unterschiedlich konnotieren (wobei liebe die
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Stellenkommentar mehr seelisch-geistige, minne mehr die leiblich-sinnliche Bedeutung akzentuiert; vgl. dazu Heinzle zu Str. [La] 66), sind hier wohl synonym gebraucht, so daß das attributive Adjektiv herzenlîche auf beide zu beziehen ist.
1–2 Martin bemerkt: „Der Gedanke, daß die Liebe dem Gatten noch nicht wegen der Gewöhnung fremd geworden, abhanden gekommen war, ist trivial und setzt nicht voraus, was Wolfram doch annimmt, daß diese Liebe niemals abgenommen habe“. Der Gedanke, den Martin als trivial bezeichnet, entspricht, wie Heinzle mit einem Zitat aus Andreas Capellanus („De amore“ 139) und Hartmanns „Erec“ (V. 9425 ff.) belegt, der höfischen Minnelehre, nach der allzu starke Gewöhnung der Minnebeziehung schade, gelegentliche Trennung ihr dagegen gut tue. Demgegenüber will Schumacher (1967, 81) bei ihrer Deutung der Stelle darauf hinaus, daß die Gewohnheit des ehelichen Zusammenlebens wegen der „Innigkeit und Intimität ihrer gegenseitigen Zuneigung“ gerade nicht beeinträchtigt wurde, wogegen bereits Heinzle mit recht geltend gemacht hat, daß bei dieser Interpretation das noch zuwenig berücksichtigt sei. Wir fügen hinzu: auch das nie. Nach Wyss (1974, 272) macht die Str. „die Absurdität eines Minnerittertums, das nicht einmal mehr um die Gewährung des Beischlafs durch die Frau zu kämpfen braucht, sondern den aktivistischen Imperativ der höfischen Minne restlos internalisiert hat, […] bestürzend konkret, wenn sie auch noch die Eintönigkeit des ehelichen Alltags als mögliche Erklärung für Gahmurets Unrast abweist.“ frömde : hemde ] Die Handschrift G schreibt frQmde, was wohl die Lautung frömde markieren soll. Die Rundung des Primärumlautes ist im 13. Jahrhundert nur im Alemannischen bezeugt; die Unreinheit des Reimes dürfte also wohl dem Schreiber G zuzurechnen sein. 2
was ] Prädikat im Sg. trotz doppeltem Subjekt (Marti). Zur Vorzeitigkeit der ganzen Str. vgl. unten Komm. zu V. 2–4. nie durch gewonheit ] Marti setzt Punkt nach nie und kommentiert ihre Interpunktion, durch die das durch gewonheit in den folgenden Satz einbezogen wird: „zum Zwecke der Gewohnheit, d. h. um die Vertraulichkeit zu bewahren. Das Mitgeben des Hemdes, das den bloßen Leib der Geliebten berührt, ist ein Liebeszauber und soll das Fremdwerden verhüten; vgl. zu P. 101,13.“ Gegen diese interessante Interpretation spricht indessen zum einen, daß der paradoxe Gedanke, etwas sei durch gewonheit frömde geworden, besser zu Wolframs antithetischem Stil paßt; zum anderen, daß der Gedanke, Herzeloyde habe Gahmuret das hemde mitgegeben, um das Fremdwerden zu verhüten, dem durch die Interpunktion hergestellten Satz einen viel zu dialektischen und daher unplausiblen Sinn unterschiebt.
2–4 gap / ruorte / ruorte ] ruorte in V. 3 u. V. 4 ist sicherlich – wie was … worden in V. 2 – als Plusquamperfekt zu lesen. Am einfachsten ist es, auch gap in V. 2 zeitlich so aufzufassen; denn dann erübrigt sich das Problem, das aus dem Textzusammenhang von Str. 83/84 (sus schiet er von dem minneclîchen wîbe 83,4) und dieser Str. herausgelesen wurde (vgl. oben den einl. Komm. zu dieser Str.). 2–3 Vgl. dazu Pz. 101,9 ff., wo erzählt wird, daß Gahmuret das Hemd der Königin, das sie auf ihrem bloßen Leib getragen hatte, über sein Kettenhemd zog und daß sie die im Turnier durchstochenen Hemden an blôze hût anzog, immer wenn Gahmuret vom Turnier
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zurückkam. Auch in diesem Zusammenhang betont Wolfram, daß dies zwischen ihnen als Liebesbeweis galt: ir zweier minne triwen jach (101,20). 3
blanc … blenke ] ist nach Martin „eine etwas gesuchte Beziehung“. Auf unzulässige Weise wird hier ein Wortspiel, für das es in dieser Art der figura etymologica bei Wolfram unzählige Belege gibt, als Zeichen der Unechtheit verstanden. Springer (1975, 235) hat darauf hingewiesen, daß sich blenke auf Herzeloydes Komplexion (ir blôzen lîp und blôze hût Pz. 101,11 u. 17), blanc dagegen auf die Weiße des Hemdes (Pz. 109, 9 f. al kleine wîz sîdîn / ein hemde der künegîn) bezieht: „This use of two words derived from the same stem and similar in sound but referring to two rather distinct realms of reality gives Wolfram’s sequence blanc – blenke […] the character of a true pun.“ Der „pun“ reicht bis in den Schlußvers der Str., wo noch eine weitere Anspielung auf eine Pz.-Stelle in das Wortspiel einbezogen wird, „a rather intimate and jocular reference to Gawain’s and Orgeluse’s [Springer spricht an dieser Stelle irrtümlich von Arnive, also Gawans Großmutter] wedding night: diu wurz was bî dem blanken brûn (Parz. 644,1).“ Vgl. auch unten Komm. zu V. 4. – Unflektiertes erstes Adjektiv blanc wie Str. 128,1; 161,2; 164,3.
4
brûnes ] Gen. abhängig von etwaz. „etwaz brûnes an der huf, ähnliche Umschreibung der weiblichen Scham wie P. 644,1.“ (Marti). Ganz anders faßte Bertau (1977, 118) zunächst die Stelle auf, der im Hinblick auf die Titurel-Stelle von der „dunklen, vielleicht gar bäurisch zu verstehenden Farbe des Penis“ spricht. Bezogen auf die Pz.-Stelle (er vant die rechten hirzwurz, / diu im half daz er genas / sô daz im arges niht enwas: / Diu wurz was bî dem blanken brûn. Pz. 643,28 ff.) kommentiert Martin: „Ich kann nicht glauben, daß die als Hochzeitsscherz noch entschuldigte Zote von Wolfram selbst in so ernstem Augenblick wiederholt worden wäre.“ Demgegenüber geht Heinzle davon aus, daß „das ‚Braune in weißer Umgebung‘ eine in der mhd. Literatur überaus verbreitete Umschreibung für die weibliche Scham ist“. Heinzle verweist auf Lexer (I 356 u. 365) und Schmeller (I 357), nur sind die dort aufgeführten Belege alle jünger als die des Pz. und des Tit., so daß anzunehmen ist, daß Wolfram hier der Gebende war, was an der bei Lexer zitierten Ps.-Neidhart-Stelle (mit der blenke die brûne rüeren) ja ganz offensichtlich ist. Der topischen Beschreibung des Körpers höfischer Damen, ihrer Hellhäutigkeit (blenke), setzte wohl erst Wolfram mit der kontrastierenden bäurischen Farbe brûn (so Bertau 1983a, 91) ein untopisches Moment entgegen. Mit dieser Farbe sind wir im Gegenbereich des Höfischen, und dem entspricht, daß ja auch die Anspielung auf die weibliche Scham die Grenzen des höfischen Taktes durchbricht. Bertau schreibt, daß es in den „Moralprätensionen“ der höfischen Gesellschaft vermutlich an dieser Stelle einen mehr oder weniger starken „Hemmungsaufwand“ (1983a, 90) gab und dieser gesteigerten Unfähigkeit „der höheren Bildungs- und Gesellschaftsstufe, […] das unverhüllt Sexuelle zu ertragen“ (S. Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Studienausgabe Bd. 6; hier 110), widersetzt sich Wolfram offenbar, indem er das unverhüllt Nackte nicht verdrängt, sondern ausspricht und sein witziges Wortspiel gegen die Bigotterie der höfischen Gesellschaft richtet. „Hier ist wohl auch die Erklärung zu finden, weshalb die Zoten bei Wolfram im Grunde keine Zoten sind“ (Bertau 1977, 119). Wolframs Wortspiel, das das weiße Hemd der Königin, die Weiße ihrer Haut und die Bräune ihrer Scham durch ein taktiles Moment (ruorte in V. 3 u. 4) verbindet und dies alles durch das aktive Geben der Königin (im gap V. 2) und die aktive Verwendung durch Gahmuret (erz fuorte) flankiert, entspricht anderseits mit der Raffinesse seiner Anspielungen und verhüllten Direktheiten den formellen Ansprüchen, den die höfische Gesellschaft allem Anschein nach an den obszönen Witz stellte. Damit dieses Wortspiel zu seiner vollen witzigen Wirkung kommt, ist es übrigens unbedingt notwendig, das ouch,
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Stellenkommentar das Lachmann und Leitzmann aus unerklärlichen Gründen aus dem Text entfernen, in ihm zu belassen. Wyss (1974, 272) hebt dagegen hervor, daß Wolfram aus dem „Motivvorrat des ‚Parzival‘ (101,9 ff.) gerade eines ausgesucht [hat], dessen sexuelle Drastik eine Verdinglichung des Eros anzeigt, die von der humanen Behandlung sexueller Motive im ‚Parzival‘ oder einigen Tageliedern meilenweit entfernt zu sein scheint. Aus der inneren Fragwürdigkeit der Minnedoktrin entbunden, steht Sexualität hier der höfischen Gesittung als manipulierbare Sache unintegriert gegenüber.“ den poneiz ] Die Hs. G bevorzugt hier die seltenere, der Herkunft afrz. poigneis/z (Kampf; frontales Anrennen auf den Gegner mit eingelegter Lanze; meist für den Kampf in Scharen und Verbänden, aber auch für den Einzelkampf verwendet) näherstehende Form poneiz gegenüber dem verbreiteteren puneiz (an der einzigen Belegstelle im Pz. zeigt die Hs. G pQneiz; 812,11). Nach Marti handelt es sich um einen „acc. des Tätigkeitsgebiets oder der Zeit“: er trug es beim Massenspeeranrennen vor Baldac, „indem er losstürmte“ oder: „als er losstürmte“. Heinzle fügt noch als eine weitere Möglichkeit die des Raumes hinzu: er trug es „auf der Wegstrecke, die man punierende durchsprengt“ (nach Lexer II 308). Sicherlich sind alle drei Bedeutungen zugleich gemeint, ähnlich wie in der nhd. Formulierung „beim Lanzenkampf“. Zu den verschiedenen Formen des ritterlichen Kampfes vgl. Bumke 1986, 352 ff. Durch die Genauigkeit des Bezuges auf das vorausliegende Werk wird die vorausdeutende Formulierung zur düsteren Reminiszenz: Im Pz. wird in dramatischer Weise geschildert, wie sich Herzeloyde, nachdem sie vom Tod Gahmurets vor Baldac erfahren hatte (Pz. 105,1–108,29), in ihrem rasenden Schmerz eben jenes, nun blutige und zum Fetzen zerhauene Hemd Gahmurets bringen läßt, um es sich anzulegen (vgl. Komm. zu Vv. 2–3), was die Hofgesellschaft aber verhindert und den Blutfetzen (daz bluot) mit der tödlichen Speerspitze bestattet (Pz. 111,14–112,2). Diese Str. des Tit. liefert nun die Vorgeschichte dieses Hemdes nach: indem mit Vokabeln intimster Körperlichkeit geschildert wird, wie Herzeloyde Gahmuret dieses Hemd gibt, wird zugleich das Wissen darum aufgerufen, wie sie jenes Hemd wieder zurückbekommen und sich als blutiges Substitut des Körpers des Geliebten, verzweifelt und vergeblich anzueignen versuchen wird.
86 (La 82) 1
Nurgâls ] Im Pz. 103,9 (nurgals G, Nuorgals g; andere Hss. lesen Norgals) erwähntes Erbland der Herzeloyde, Hauptstadt von Kingrivals (vgl. 79,1 und 26,4). Zum Namen und zur Lokalisierung als Nordwales vgl. Heinzle 131 und 1989, 493; abweichend Marti = Verwechslung mit „Waleis, das geographisch Valois bedeutet (s. P. 103,7)“ Sibilie ] Wohl das spanische Sevilla (afrz. sebilie), zu Wolframs Zeit noch Teil des islamischen Herrschaftsbereichs, worauf auch Pz. 58,22 hinweist, da Gahmuret auf seiner ersten Orienfahrt über das eindeutig in Spanien lokalisierte (Pz. 58,27) Sibilje heimkehrt; auch RL 2677 belegt es, wo in der Streitmacht des Heidenkönigs Marsilie vortreffliche Krieger aus Sibilia genannt werden. Kolbs Identifizierung des Ortes mit dem kleinasiatischen Sibilia (1963, 34 Anm. 131) ist nach dem Kontext der Str. mehr als unwahrscheinlich.
2
des genendegen Gandînes sun ] Die Hs. G schreibt nur des genendegen sun; in der Hs. M scheint ein Schluß-s auf den Namen hinzudeuten, der hier sich anbietet und der auch in
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den Hss. des JT erscheint: Gandin, der Vater Gahmurets. Die vermutete Auslassung der Hs. G ließe sich vielleicht als Abschreibfehler durch Augensprung erklären: in beiden Wörtern (genendegen – Gandines), ist die Konsonantenanordnung g – nd gleich und schwierig. gerêrte ] „rêren swv. fallen machen; von Tränen: fließen machen. Die Vorsilbe ge– dient zur Bezeichnung des zukünftigen Geschehens: fließen machen sollte“ (Marti). Vgl. die Beispiele, allerdings nur für Präsensformen, Mhd.Gramm. § 306d. – rêren im Zusammenhang mit wazzer (der Tränen) auch Pz. 752,25. 2–3 Die Vorausdeutung, die die klagende Vorausschau auf Gahmurets Ende mit einer Metapher des Weinens (wazzer ûz ougen) verbindet, nimmt die Vorausdeutungen der Strr. 81,4; 82,3; 84,3 wieder auf. Die Wendung ein ende nemen statt dem üblicheren artikellosen ende nemen findet sich auch sonst bei Wolfram, und zwar sowohl im Pz. wie auch im Wh.; vgl. im Tit. noch 17,4. 4
wirt ] Marti liest wart, faßt also wohl ellende (nach Martin hier = „unbekannt, vergessen“) als adjektivisches Attribut von heidenen (wobei sie wohl auf den Gegensatz von getauftem = bekanntem Volk und unbekannten Heiden abhebt) oder als präteritalen Lobpreis auf: „sein hoher Ruhm … wurde niemals vergessen“. Die erste der beiden Erklärungsmöglichkeiten scheidet deshalb aus, weil es zum mindesten eine seltsame Formulierung wäre, einen persönlichen (d. h. Gahmurets) Ruhm auf Christen oder Heiden für übertragbar zu halten; das Personenlob im Präteritum dagegen wäre nach den topischen Mustern genauso möglich wie das futurische (vgl. Curtius 1948, 168 ff.). An dieser Stelle erscheint aber das futurische sinnvoller, weil die Zeilen zuvor deutlich im Stile der Vorausdeutung sich auf Futurisches beziehen, auch wenn sie im Präteritum stehen. Wir lesen also ellende als Adverb zu wirt: „sein hoher Ruhm wird niemals verschwinden weder bei Christen noch bei Heiden“.
87 ( Hei 82a, Mar 82a) Die nur in der Hs. M und im JT, nicht in G überlieferte Str. wird, da es keinen erkennbaren Grund gibt, sie Wolfram abzusprechen (vgl. Komm. zu V. 1 eralten), in der Regel für echt erklärt (vgl. Heinzle, der die Verteidiger den Athetese-Vertretern gegenüberstellt). Die Str. wäre auch eliminierbar, da sich Str. 86 direkt an Str. 88 anschließen ließe. Nur wäre, wenn es in beiden Fällen um Gahmuret ginge, die emphatische Wahrheitsbeteuerung am Anfang von Str. 88 nicht so plausibel, wie wenn sie sich auf den Namen von Wolframs Gönner (vgl. Komm. zu 87,2) bezieht (vgl. zur ‚Echtheit‘ auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). 1
in = den hôhen prîs Gahmurets. eralten ] = „alt werden“ im ganz konkreten Sinne von „altersschwach werden“ (BMZ I 26b), „hier bildlich ‚veralten‘, vor Alter vergehen“ (Martin), ein bei Wolfram sonst nicht bezeugtes Wort. Da es jedoch auch sonst bei Wolfram zahlreiche hapax legomena gibt, ist dies sicherlich kein Grund, gegen die „Echtheit“ der Strophe zu votieren.
2
Nach Mertens (1996, 374) ist der folgende Fürstenpreis ein weiteres Beispiel für Wolframs „immer wieder repetiertes Verfahren, zwei verschiedene Erzählerrollen unvermittelt nebeneinander zu stellen: […] die Einschaltung des Erzählers als courtoiser Fürstenkritiker unmittelbar nach der heldenepischen Voraussage von Gahmurets Tod“ (Strr. 84 u. 86).
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Stellenkommentar Mit Herman von Dürngen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Wolframs Gönner Landgraf Hermann I. gemeint, der von 1190 bis 1217 Landgraf von Thüringen war und der auch sonst als Förderer deutscher Literatur hervorgetreten ist (vgl. dazu Bumke 1997, 9 f.). Er wird im Prolog des Wh. (3,8–9) als Vermittler der Vorlage genannt, wahrscheinlich war er auch der Auftraggeber. Wh. 417,22–26 rühmt Wolfram Hermanns Freigebigkeit. Die Formulierung dort läßt annehmen, daß er nicht mehr am Leben war, was noch deutlicher für den Tit. gilt (vgl. V. 4 die vor im hin gescheiden sint). Das Auftauchen seines Namens im Überbietungstopos ist die einzige zeitgeschichtliche Nennung im Tit. und könnte daraufhinweisen, daß der Landgraf, den Wolfram ja bereits im Pz. erwähnt (297,16–23), auch der Auftraggeber dieses Werkes gewesen sein könnte. Die Spekulationen darüber, ob sein Name an dieser Stelle nachträglich in den Tit. eingeführt worden sei, vielleicht sogar vom Dichter selbst, („offenbar aus frischer Erinnerung“, Martin; „noch unter dem Eindruck der Todesnachricht“, Wolff, ZfdA 61/1924, 191) sind weder zu erhärten noch zu entkräften. Zu Datierungsfragen vgl. „Editorisches Vorwort“ Kap.1 u. ausf. Heinzle. wunsches walten ] walten st.V. mit Gen.; im Pz. ganz konkret: „Gewalt haben über“ (97,22 zweier krône walten; 560,6 dises landes walten); dann überhaupt: „besitzen“; wunsch = „das Herrlichste“, hier: „der höchste Ruhm“. Die Formulierung stellt eine Steigerung des sîn hôher prîs von 86,4 dar, die durch diesen Schlußzeilenabvers noch einmal überhöht wird.
3
sînen genôzzen ] = „den anderen Fürsten neben ihm.“ Ganz entsprechend wird im Pz. 315,1 f. Artus über die anderen Könige erhoben: künc Artûs, du stüent ze lobe / hôhe dînn genôzen obe.
4
die vor im hin gescheiden sint ] =„die vor ihm dahingeschieden sind“; eine Ausdrucksweise, die impliziert, daß der, über den gesprochen wird, auch tot ist (so schon Martin). für die sô prechen ] Bair. für brechen = „mit unwiderstehlicher gewalt dringen“ (BMZ I 239 mit zahlreichen Belegen für brechen vür); „brechen vür wird bes. vom Glanze gesagt; auch dem der Schönheit“ (Martin). Die Schlußzeile überbietet damit noch einmal alles vorher bereits Überhöhte: „wie vermochte sein strahlender Ruhm den ihrigen zu überstrahlen!“
88–96 (La 83–91): Schionatulanders Minnekrankheit Nach einer langen Umschweife – unmittelbar vorher ist der verstorbene Landgraf Hermann von Thüringen mit einem Fürstenpreis geehrt und davor ausführlich vom Aufbruch Gahmurets in den Orient berichtet worden (Str. 79–86) – kehrt die Erzählung im Anschluß an eine den Übergang markierende Wahrheitsbekräftigung zum Haupthelden zurück: nu sulen wir ouch gedenken … . Dessen Schicksal wird dort aufgenommen, wo es der Erzähler in dem kurzen Abschiedsdialog zwischen Sigune und Schionatulander suspendiert hatte: bei der tiefen herzen nôt, dem Liebesschmerz und der Angst vor der Reise ins Unbekannte, den ungeklärten Gefühlen also, die die Liebenden ein-
87/88 – 96/88
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ander dort gestanden hatten. Wenn es dort ahnungsschwer geheißen hatte: in zwein reit diu minne ûf die lâge (75,4), so geht es jetzt um die Wirkung dieses Hinterhaltes, die den Helden bis zur absoluten Passivität verstörende, ja geradezu selbstzerstörerische Krankheit seines liebessehnsüchtigen Herzens (Strr. 88–89), durch die die Minne ihn zwingt, in einen frühkindlichen Zustand zurückzufallen, die ihm anderseits aber auch den Impuls vermitteln könnte, sich lernend zu neuer Höhe aufzurichten (Strr. 90–91), die Lektion der Minne zu beherzigen und das so mühevoll zu erwerbende höfische Verhaltensmodell der Hohen Minne zu erlernen. Die Sequenz schließt ab mit zwei Strophen, die den neuen Erzählabschnitt, in dem Gahmuret den liebeskranken Schionatulander über seinen Zustand befragt, vorbereiten. Die eine lenkt noch einmal auf Gahmuret zurück und die andere formuliert Allgemeines über die Minne: erstere umschreibt Gahmurets eigene notvolle Minne-Erfahrung und damit die Voraussetzung dafür, daß er die Züge der Minnekrankheit an Schionatulander überhaupt wahrzunehmen und zu deuten weiß; letztere konstatiert, daß das Kräftespiel der Minne, ihr eigenartig–unentschiedenes, aber raffiniertes Spiel von Verhüllung und Enthüllung nur mit dem Instrument des einfühlsamen, verständigen Blickes durchschaubar gemacht werden kann. 88 (La 83) 1
mit wârheit, ninder nâch wâne ] Die Wendung klingt formelhaft und markiert an dieser Stelle einen „ausdrücklichen Übergang“ (Martin); die Str. hat nach Leitzmann (1901, 136) die „eigentümlichkeit, zugleich das vorige abzuschließen und das folgende anzukündigen, also gewissermaßen eine neutrale zwischenregion zu bilden“. Dennoch setzen die positive und negative Bekräftigung („ninder eigentlich = nirgendwo, hier: durchaus nicht“, Marti) nebeneinander einen sehr starken Akzent, wie er sonst bei solchen Neueinsätzen eines Abschnittes (vgl. etwa Str. 34, 56 oder 73) nicht so explizit pointiert ist, sondern eher in Handlung umgesetzt wird. Das spricht für Martins Auffassung, daß es sich hier nicht um eine Bekräftigung des in Str. 86 ausgesprochenen Fürstenlobes für Gahmuret handelt, sondern um eine Markierung, die „durch die vorherige Abschweifung von der Erzählung“ im Fürstenlob auf Hermann gerechtfertigt ist. So auch Mohr (1978, 135): „Das kann sich kaum auf anderes beziehen als auf den Preis des Landgrafen, für dessen Wahrheit das persönliche und das ‚dichterische‘ Ich Wolframs eintritt“. Martin verweist als Beispiel für einen ebenso ausdrücklichen Übergang „zur Gegenseite“ (dort von Schionatulander zu Sigune) auf 113,2.
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nû sulen wir ouch gedenken ] Formelhafte Eingangswendung, die gleich (34,1) oder ähnlich (36,1; 113,2) auch sonst im Tit. erscheint. Grâsivaldâne ] Nur noch in Str. 97,2 (vgl. Komm. dort) und sonst nirgendwo bezeugt. Schionatulander wird an beiden Stellen mit der zum Herrschaftsbereich der Dauphins (vgl. zu 97,2, wo Schionatulander der iunge talfîn genannt wird) zählenden Grafschaft
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Stellenkommentar Graisivaudan im Tal der Isère, oberhalb Grenoble, verbunden, über die die Grafen von Vienne und Albon herrschten, von denen sich Guigo IV. († 1142) zuerst le dauphin (afrz. dalfin) nannte, „vermutlich nach seinem Wappenschild“ (Martin; vgl. dazu ausf. Passage 1984, 100–108). Man kann diese Angaben als Indiz für nicht identifizierbare frz. Quellen Wolframs ansehen, die möglicherweise in Zusammenhang mit der unbekannten frz. Gahmuret-Quelle stehen, die auch für den Pz. vermutet wurde (dazu Bumke 1997, 160 f.). Im JT wird aus der Herkunftsbezeichnung eine spielerische Umschreibung der grasgrünen Kleidung Schionatulanders (Graswalt uf gras getowet | leit sinen roch gras grUne, JT 1328,1; ähnlich 1428,1 u. ö.). Vgl. auch E. Schmids (1978, 297) etwas verspielte, aber interessante Deutung von Graswaldane („der Ort wo sich Schionatulanders Schicksal erfüllt“): sie begreift den Namen als Chiffre seiner Geschichte.
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des ] Gen., von twanc abhängig. Dies kann sich entweder „auf das Folgende“ beziehen (so Marti, die daher auch nach Graswaldâne einen Punkt setzt: „dazu zwang ihn Sigune, seine reine, makellose Freundin: Sie saugte die Freude aus seinem Herzen …“) oder aber, was schon Heinzle erwägt, auf das vorhergehende gedenken, stünde also parallel zu des iungen fürsten: „Nun müssen wir auch an den jungen Fürsten denken und daran, wozu ihn Sigune trieb …“. Letztere Deutung, der Bezug auf die gesamte im folgenden geschilderte Minnekrankheit, scheint plausibler, da die Logik des zunächst näher liegenden kurzen Bezugs auf die folgende Zeile (wörtlich: „Sie zwang ihn dazu, daß sie aus seinem Herzen die Freude saugte“) fraglich ist.
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als ûz den bluomen die süeze diu pîe ] Kiening/Köbele (1998, 247) machen auf die „Vervielfältigung von Perspektiven und Verunsicherung von Subjekt-Objekt-Positionen“ aufmerksam: „Sigune erscheint als Blume, aus deren Herz sælde und ere erblühen (32,2 f.). Doch mit einer Blume wird auch das Herz Schionatulanders verglichen, aus dem Sigune, nun selbst in der Rolle der Aktiven, wie eine Biene die Süße, das Glück, heraussaugt“. Vergleiche mit der Biene kommen noch nicht im Pz., wohl aber im Wh. vor: beim Tod des Minneritters Tesereiz (Wh. 88,1 ff.) breitet sich ein zuckersüßer Duft auf dem Feld aus, so daß der reine höfische Mann allen Bienen, die ja alles Süße aufspüren können, hätte Nahrung geben können. Wh. 117,2 ff. wird in einem Vergleich gesagt, daß schon halb soviel Bienen wie es dort Verfolger gab, einen mächtigen Bären hätten töten können. Wh. 275,4 f. wird, wieder in einem Vergleich, die Fähigkeit der Bienen konstatiert, eine Schüssel bis aufs kleinste zu leeren. Alle drei Aspekte könnten hier in der Tit.–Stelle, wenn auch undeutlich und unsystematisch, mit aufscheinen, ohne daß ein geschlossener Deutungsrahmen damit erschiene: die Kraft der Bienen, die Süße zu finden; die Gefährlichkeit der Bienen, ihre todbringende Macht; die Radikalität, mit der sie alles Süße vertilgen.
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lieplîchiu siecheit ] Martin versteht lieplîchiu im Verweis auf Pz. 57,3 als „zur Liebe gehörig, von der Liebe stammend“ und faßt so den attributiven Ausdruck wohl auf als: „Liebeskrankheit“; so auch Tax (1974, 72), wogegen Heinzle (1989, 493) mit Recht die „Oxymoron-Struktur der Aussage“ geltend macht, (die Marti bereits in ihrem Kommentar mit der Übersetzung „angenehme, lustvolle Krankheit“ markiert hatte), die dadurch „zugunsten einer faden Tautologie (‚seine Liebeskrankheit, die er von der Liebe hatte‘)“ zerstört würde. Auch Rahn (1958, 49) hebt auf das Oxymoron ab: „Schionatulander lebt in jener lustvollen Trauer, die ihn lähmt und die er doch nicht lassen kann,
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weil sie das einzige ist, was ihn jetzt mit Sigune verbindet.“ Dallapiazza (1995, 177) bezieht den Ausdruck lieplîchiu siecheit auf Gottfrieds „Tristan“, ohne dies weiter zu begründen. Der ovidianische Topos des dulce malum (etwa Ovid „Amores“ II, IXb 1–2) findet sich auch im Lehrgespräch Lavinias in Veldekes Eneasroman mitten in der Entfaltung der Minne als Krankheit: ir [= der Minne] vngimach ist ssze (En. 263,13). Schwietering (1925, 43) hingegen besteht darauf, daß siecheit hier „nicht wörtlich zu nehmen“ sei: „Durch das attributive lieplich wird der metaphorische Charakter stark betont.“ – Zu den Diskursen und Typologien der Minnekrankheit vgl. Schnell 1985, insbes. 18 f. u. 50 f.; Liebe als Krankheit, hg. v. T. Stemmler, Mannheim 1990; Willms 1990; M.F. Wack: Lovesickness in the Middle Ages, Philadelphia 1990; A. Karnein: Krankheit, Sünde, Leidenschaft, in: ders.: Amor et passio, Trieste 1997, 57–72. 1–3 Hauer (1992, 40) versteht diese und die folgenden Strr. als ein „Öffentlichmachen der minne“. Dabei ist der erste Schritt das Sichtbarmachen. „Das übernimmt die minne paradoxerweise selbst, sie verrät sich nämlich“: Die Minne macht Schionatulander krank, und „Sieche sind Kranke, die sich ob ihrer Krankheit vereinzeln […]. siecheit ist deutlich sichtbar […]. Die innere, seelisch-geistige nôt des Herzens drückt sich im und durch den Leib aus“, d. h. eben durch die Symptome der Minnekrankheit. 2
Gerade im Bereich der Minnethematik – und damit eng verbunden der Todesthematik – spielt bei Wolfram die kaufmännische Gewinn-Verlust-Metaphorik eine große Rolle, allein im Tit. etwa in Strr. 20,4; 63,4; 67,2; 98,4; 139,2; 150,2–4 (vgl. dazu die jeweiligen Kommentierungen, insbes. zur beinahe gleichen Formulierung die flust an rehten fröuden unt gewin imer mêre an den sorgen 20,4). muotes, an sorgen gewinne ] Marti setzt (mit Leitzmann) nach muotes gegen die anderen Herausgeber kein Komma, faßt also den ganzen Vers als einen geschlossenen Ausdruck auf: „das Schwinden seiner höfischen Hochgestimmtheit in Beziehung auf den Zuwachs an Sorgen“. Dadurch geht jedoch der stilistische Reiz der Stelle verloren, die gerade in dem kunstvollen Chiasmus zum Ausdruck kommt.
3
Grâharzoys ] Schionatulander ist der Enkel des Gurnemanz, der im Pz. (68,22 u.162,6) nach seiner Herkunft Gurnemanz de/von Grâharz genannt wird, im Tit. von Krâharz Kurnomanz (Str. 41,2). Vgl. auch Grâharzoys Str. 136,4 und Grâhardeiz Str. 141,4. pîne ] Gen. Pl. vom st. Mask. pîn oder Gen. Sg. vom st. Fem. pîne, abhängig von twanc: „zwang ihm viele Schmerzen auf“ (vgl. zu twingen mit Gen. Lexer II 1602; vgl. auch Komm. zu 68,2).
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„Weniger Schmerz wäre es für ihn gewesen, tot zu sein, so wie Gurzgri vor Mabonagrin“. Die Stelle bringt eine Formel aus dem Arsenal der Minnetopoi: „Lieber tot sein, als die Qualen der Minne länger ertragen“. Vgl. etwa NL 285,3, wo es von dem in Liebe entbrannten Siegfried, der Kriemhilde aller erste gesach, heißt: sol aber ich dich vremeden, sô wære ich sanfter tôt. Bei Dietmar von Eist heißt es in einem Minnelied MF 36,1 ff. Ez wære mir ein grôziu nôt, / wurde er mir âne mâze liep. / so tæte sanfter mir der tôt […]. Dieser Topos wird hier verbunden mit Schionatulanders Vater Gurzgri, der im Pz. 178,15 als dritter Sohn des Gurnemanz genannt wird. Dort schon wird erzählt, daß er in Schoydelakurt von Mabonagrin erschlagen worden sei und daß sein Tod seiner Frau Mahaute und seiner Mutter tödlichen Schmerz zugefügt habe. Im Tit. 41,4 wird Gurzgri als Vater Schionatulanders, der beim Abenteuer von Schoydelakurt den Tod findet, kurz
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Stellenkommentar genannt. Diese Informationen setzt dann die spätere Nennung 132,2 ff. voraus, wenn Herzeloyde zu Sigune sagt: du wil den kumber erben, des Mahaude phlac bî dem talfîne Kurzkrie! / dicke ir ougen habent an im erfunden, / daz er den brîs in mangen landen hielt under helme ûf gebunden. Wenn Gurzgri hier in Str. 89,4 genannt wird, so ist diese Nennung überraschend; denn warum sollte, wenn vom erwünschten Tod aus Liebesleid die Rede ist, Schionatulanders Vater genannt werden, der als tapferer Ritter einen ruhmvollen Tod im Kampf gefunden hat? Der Topos höfischer Minnesprache verliert hier alles Formelhaft-Konventionelle, wenn er gleichsam beim Wort genommen und hart mit den tatsächlichen tödlichen Gefahren des Minnerittertums konfrontiert wird, für dessen Exemplifikation niemand anderes als der Vater steht. Damit ist auf eine komplizierte und indirekte Weise eine Vorausdeutung in Reminiszenz an (aus dem Pz.) bekannte Ereignisse formuliert: Sigune und Schionatulander werden in der Tat das Schicksal von Mahaute und Gurzgri erben (132,2; zur Vorstellung von der Erblichkeit von Eigenschaften oder Schicksal als genealogisch-narratives Ordnungsprinzip vgl. auch Str. 4,4 und einl. Komm. zu Strr. 12–24): so wie Gurzgri zum Schmerz der Mahaute von Mabonagrin erschlagen wurde, so wird Schionatulander, der Sohn, zum tiefsten Leid der Sigune von Orilus im Kampf getötet werden. Konterkarriert von dem Hinweis auf seines Vaters Tod und damit zugleich auf seinen eignen, gewinnt die Anwendung der Floskel „lieber tot, als solche Liebesschmerzen“ auf Schionatulander eine beinahe sarkastische Dimension. Zumal das als, das die beiden Teile des Vergleichs verbindet, eine falsche Beziehung suggeriert: Soll das sanfter tôt durch das folgende als exemplifiziert werden, wie man zunächst erwarten muß, so wäre Gurzgri das falsche Beispiel: Er wird nicht durch den Tod von Liebesschmerzen erlöst, von Minnequalen ist bei ihm nirgends die Rede, er ist verheiratet, als er getötet wird (auch wenn es sich bei Schoydelakurt um eine paradigmatische Minneaventiure handelt). Das als des Vergleichs zielt somit nicht auf das sanfter, sondern ausschließlich auf das tôt, mithin auf nichts als den baren und schrecklichen Rittertod. vor Mabonagrîne ] Lachmanns Lectio von, mit der er einem Teil der Hss. des JT folgt (auch Hs. M liest von), scheint uns eine lectio facilior: Die visuelle Vorstellung, daß Gurzgri tot vor Mabonagrin (auf der Erde) liegt, hat gegenüber der bloßen Feststellung, daß er von Mabonagrin getötet wurde, eine große Plastizität und Evidenz für sich, wie sie sich in ähnlicher Form oft bei Wolfram finden läßt. Außer Lachmann bleiben alle Hgg. bei vor.
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wirt imer ] Der konzessive Einsatz könnte sich sowohl auf künftige als auch auf zurückliegende Turniere beziehen. „Beides läßt sich vertreten, doch spricht die Form wirt für erstere Version […]; andernfalls wäre wart zu erwarten“ (Hollandt); entsprechend Marti: „zu immer, wenn jemals in Zukunft, fehlt im folgenden Vers der Gegensatz: so doch gegenwärtig.“ Das von Marti als fehlend Monierte ist jedoch ausgedrückt im doch ze kranc von V. 3; wörtlich läßt sich der Zusammenhang so verdeutlichen: „Wird überhaupt jemals eine Tjost im kraftvollen Ansturm unter dem Lärmen splitternder Lanzen mit seiner Hand durch Schilde gebracht (= die Minnekrankheit lähmt Schionatulander so, daß er, wie auch der Anfang der folgenden Strophe sagt, gar nicht an den Turmnieren teilnimmt, teilnehmen kann; aber wenn er dann einmal teilnimmt), so ist er für eine solche Anstrengung einfach viel zu schwach.“
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von sperbrechens krache ] „‚infolge‘, besser ‚im Geleite des Krachs der gebrochenen Speere‘“ (Martin, ähnlich Heinzle). Das Kompositum sperbrechen ist außer an dieser Stelle nur noch in späteren Texten anderer Autoren belegt (Belege bei Heinzle). Die Str. arbeitet hier stark mit Lautmalerei („Zu beachten sind die lautsymbolischen r“; Marti) und in der zweiten Hälfte der Str. gehäuft mit Wortspielen: kranc – krenket, gedanc – denket, lieplîcher liebe. 2
ist ] Drückt wohl als Autor-Präsens die innere Beteiligung des Erzählers aus (vgl. Komm. zu 17,3). ze dem ungemache ] Das demonstrative dem ist nach Martin bezogen auf diu starke minne in V. 3: „um die Beschwerde (die ihm die Minne gibt) zu tragen“ (entsprechend Heinzle). Hollandt bezieht es auf das direkte Beziehungswort ungemache: „jetzt ist er zu schwach zu solchem Ungestüm“, d. h. zur Anstrengung des Kampfes. Die konzessive Anlage des Satzes: Wirt imer … ist doch ze spricht unseres Erachtens eindeutig für die letztere Deutung (vgl. Komm. zu V. 1).
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kranc / krenket ] Annominationen wie diese und die des folgenden Verses (gedanc / denket), „etymologisches Spiel“ (Springer 1965, 166) oder, wie Mohr es formuliert, „erlebte, versinnlichte Etymologie“ (Mohr 1959, 348) werden nach Wehrli (1974, 21) bei Wolfram „fast zur Manier. Zugleich ist hier, bei solchem Verharren bei den sprachlichen Mitteln, der Übergang zur reinen Lautornamentik mit Alliterationen und Binnenreimen deutlich. Das bedeutet meistens eine gewisse Isolierung der Satz- oder Wortelemente – Isolierung vom Aussagegegenstand wie vom ganzen Erzählzusammenhang.“ Wehrli erkennt darin eine stilistische Entsprechung zum „Zerfall des Erzählkontinuums“. Hauer (1992, 37 f.) sieht die Wirkung der Minnekrankheit vor allem in einem Bewegungsverlust: Schionatulander, der sonst besonders schnelle, sei kraftlos, wie gelähmt, könne nicht mehr laufen und streiten (V. 1). kranc interpretiert sie von der Grundbedeutung „gekrümmt, gebeugt“ her: „Schionatulander beugt sich, seine Kraft verlierend; Stehenbleiben und Niedersinken sind eins.“ Vgl. hierzu auch den Komm. zu 91,4.
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unt daz ] leitet hier einen Subjektsatz ein (vgl. Mhd.Gramm. § 466), der durch die Konjunktion unt an das vorhergehende Subjekt minne anschließt und sich wie sie auf krenket bezieht: „die starke Minne schwächt ihn, und es schwächt ihn, daß seine Gedanken …“. lieplîchiu liebe ] Die gleiche figura etymologica findet sich in 115,4; ähnlich auch 78,2 (s. Komm. dort). Zur Zäsur bzw. Anverskadenz im Wort vgl. Strr. 26,2; 56,1; 59,4; 114,1; 170,1; evtl. auch 23,1 (s. Komm. dort und vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5). unvergezzen so denket ] „aktivisch: ohne zu vergessen; vgl. P. 738,29“ (Marti). „Gemeint ist: er kann an nichts anderes denken als an die Liebe, seine Gedanken kreisen unausgesetzt darum […]. Vorstellung von der Minne als Bann, der den Menschen lähmt; vgl. die sogenannte Blutstropfenepisode Pz. 282,24 ff.“ (Hollandt 657). Das Motiv ist sowohl in der lyrischen wie der epischen Tradition der höfischen Literatur ausgeprägt, am variantenreichsten bei den Trobadors (dazu U. Mölk: Trobadorlyrik, München 1982, 93. ff.) sowie in Chrétiens „Lancelot“ und im Lancelot-Prosaroman (dazu C. Reil: Liebe und Herrschaft, Tübingen 1996, 29 ff.).
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Stellenkommentar
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iunchêrren ] iunchêrre = „der noch nicht zum Ritter geschlagene junge Adlige, der Knappe, der sich auf den Ritterdienst vorbereitet“ (Hollandt). Vgl. Str. 79,3: Die dort als Begleitung Gahmurets genannten zweinzec kint von hôher art kurteise dürften mit den iunchêrren gemeint sein. ûf velden unt in strâzen ] „auf ungebahnten und gebahnten Wegen“ (Martin). Vgl. 97,3, wo es heißt, daß Gahmuret den liebeskranken Schionatulander beiseite nimmt, um mit ihm ungestört sprechen zu können: er nam in sunder ûf daz velt von der strâze. Hollandt verbindet mit der Lokalität genauere Vorstellungen: „velt bezeichnet in mhd. Zeit das waldlose, unbebaute freie Gelände und wird vielfach synonym mit heide ‚unbewohntes Land, Wildnis‘ gebraucht. Gemeint ist hier der Turnierplatz, der nur bei großen Burganlagen innerhalb der Mauern, sonst aber vor den Toren der Stadt, in nächster Nähe der Burg lag, aus deren Fenstern die Damen den Kampfspielen zusehen konnten (vgl. Pz. 69,21 ff.; 73,11 ff.). – strâze, entlehnt aus spätlat. strata via ‚gepflasterter Weg‘.“ Offensichtlich ist dies hier ein metonymischer Ausdruck für „überall“, wobei in Str. 97,3 dann eine konkrete Topograhie gemeint ist.
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punierten unt rungen ] punieren sw.V. afrz. pugner / poignier. „auch ohne einen feind vor sich zu haben, punierte man zur lust und zur übung“ BMZ II,1, 542 f. (vgl. poneiz 85,4 u. Komm. dort). – „ringen st. hier vom wirklichen Ringkampf“ (Martin), vgl. Iw. 24 vehten unde ringen; Tr. 2111 wol schirmen, starke ringen, wol loufen, sêre springen, dar zuo schiezen den schaft; Er. 9283 er hete vil wol gelernet ringen ze andern behenden dingen. ringen meint in allen diesen Fällen und so auch hier offenbar nicht nur allgemein „kämpfen“, sondern die erlernbare und für den adligen iunchêrren zum Erziehungsprogramm gehörige Fertigkeit, sich rein zur körperlichen Übung mit anderen zu messen (dazu Bumke 1986, 433 ff.).
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lêrte ] Nach Heinzle „hier im Sinne von ‚veranlassen‘“ (vgl. Heinzle, der auf seinen Komm. zu [La] 57,1 ff. [= 56,1] zurückverweist: „Wolfram liebt es, Abstrakta zu personifizieren und sie mit lêren, râten, gebieten, manen u.ä, in der Bedeutung ‚veranlassen‘ zu verbinden“). An dieser Stelle, an der die didaktische Funktion der Minne (vgl. V. 4) so deutlich hervortritt, dürfte jedoch das Verb lêren noch seine konkrete Bedeutung haben: Minne ist hier eine strenge, unnachsichtige Lehrmeisterin. siechen an ] „krank sein in Beziehung auf“ (Marti; vgl. die Belege Lexer II 909).
4
Wolfram gründet seinen Gedanken an dieser Stelle vielleicht auf eine sprichwörtliche Weisheit: „Das Kind soll kriechen, bis es gehen lernt“ (TPMA VII 29). Der Vers erschließt sich von seinem zweiten Teil her: „die (sc. Kinder) müssen zuerst einmal dorthin kriechen.“ Wohin? Das dar kann sich nur zurückbeziehen auf nâch stüelen: Die Kinder müssen, wo immer sie aufstehen lernen, zu den Stühlen hinkriechen. Was ist dann aber näherliegend als der Gedanke, daß es die Stühle sind, an denen sie lernen aufzustehen? Das nâch ist daher modal aufzufassen („so, wie man mit Hilfe von Stühlen aufstehen lernt“), was schon Heinzle erwogen hat und was frühere Hgg. wie Lachmann und Leitzmann durch ihre unnötige (nach dem JT vorgenommene) Änderung von nâch in an zum Ausdruck gebracht haben. Marti hat durch ihren Eingriff, das dar ganz zu tilgen und nach ûf stên statt nach stüelen mit Komma zu interpungieren, auf ihre Weise versucht, den Textsinn herauszuarbeiten, den sie so umreißt: „Den schweren Anfang
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der Minne vergleicht der Dichter mit dem Gehenlernen der Kinder, die sich an Stuhlbeinen aufrichten“. Nur trifft ihre Textversion diesen Textsinn nicht; sie hat im Gegenteil die Stelle völlig trivialisiert: „Wo immer Kinder aufstehen lernen, da müssen sie zuerst zu Stühlen hinkriechen.“ Es geht ja gar nicht in erster Linie darum, „daß die Kinder Hilfsmittel benötigen, sondern daß sie unbeholfen sind.“ (Heinzle). – Zur kontextuellen Bedeutung dieses Verses vgl. den Komm. zu 92,1–3.
92 (La 87) 1–3 Der Einsatz der Strophe (nu lât in hôhe minnen) und noch deutlicher das Bild, das in 92,2 verwendet wird (wie er sich gein der hœhe ûf rihte) legt einen Zusammenhang mit 91,4 nahe: beidemale ist von einem Aufrichten die Rede. Aber was ist hier kontextuell unter diesem gein der hœhe ûf rihten bzw. ûf stên nâch stüelen zu verstehen? Es eröffnen sich zwei Deutungsmöglichkeiten: 1. das gein der hœhe in V. 2 könnte demonstrativ auf den ganz positiv aufzufassenden V. 1 (nu lât in hôhe minnen) zurückweisen: „wie er sich zu der Höhe erhebe, die Vorbedingung der Hohen Minne ist“ (so Hollandt); in diesem Sinne spricht Wolff (1966, 557) von einem Reifungsprozeß des Heranwachsenden und ähnlich Hauer (1992, 49) davon, daß das Kind, um starc an sînem sinne zu werden (47,3), „zunächst auf Hilfe angewiesen [ist], die ihm Eigen-ständigkeit vermittelt“. Christoph (1981, 190) macht in diesem Sinne auf die Schwierigkeit aufmerksam, die sich aus den rhetorischen Ritualisierungen der höfischen Liebe speziell für noch im Wachstumsprozeß befindliche jugendliche Liebende ergeben: „The gap between puberty and mature love is difficult to bridge instantaneously through courtly rhetoric and ritual. This is precisely the proverbial observation which Wolfram makes to his audience (86,4 [= 91,4])“. Im Rahmen dieser Deutung bezöge sich V. 91,4 auf einen höfischen Lernprozeß, durch den der liebeskranke Schionatulander sich wie die Kinder, die sich an Stühlen aufzurichten lernen, aus einem defizienten Modus, aus dem Status des am Boden Kriechenden, zu befreien vermag. 2. Die andere Deutungsmöglichkeit geht davon aus, daß sich V. 91,4 und der Anfang der Str. 92 (nu lât in hôhe minnen) auf den liebeskranken Schionatulander beziehen und versteht das Folgende kontrastiv: „nun laßt ihn ruhig erst einmal hôhe minnen (= auf dem Boden kriechen wie ein kleines Kind) – auf der anderen Seite wird er auch daran denken müssen, wie er sich wieder aufrichten kann“, wobei das sich gein der hœhe ûf rihten nicht die hôhe minne meint, sondern das ritterlich-höfische Vorbildlichsein, aus dem die hôhe minne qua Minnekrankheit, jedenfalls partiell, gerade ausgegrenzt erschiene, was schon Wyss (1974, 276) pointiert hat: „Witzigerweise wird gerade die hôhe minne mit dem kriechen auf dem Boden verglichen und als pädagogisches Hilfsmittel instrumentalisiert. Das Aufstehen, zu dem sie allenfalls animieren kann, meint ritterlich-höfisches Vorbildlichsein im denkbar abstraktesten Sinne, und so hat sich die Zweck-Mittel-Relation, die die ritterliche Aktivität in den Dienst des Minnezieles stellt (vgl. Str. 74) genau umgekehrt.“ Im Rahmen dieser Deutung wäre das der in gein der hœhe in V. 2 als einfacher Artikel aufzufassen (sich gein der hœhe ûf rihten = „sich in die Höhe aufrichten, sich zu hohem Ansehen erheben“; Martin), wobei der mit unt eingeleitete Nebensatz, der parallel steht zu wie er sich … ûf rihte, offenbar die Aufgabe hat, dessen Inhalt zu umreißen: „wie er sich zur Höhe (des für einen Ritter notwendigen Ansehens) aufrichte und ihm so (d. h. indem er sich zu dieser Höhe erhebt) sein dauerhafter Ruhm alles falsche Wesen zunichte machen könnte.“ So verstanden wäre diese Strophe (verbunden mit V. 91,4) ein Beispiel für das, was Wyss 1974, 276 den „Prozeß der De-
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Stellenkommentar montage der epischen Welt“ genannt hat, in dem nicht nur die „Identität des Helden, sondern auch die eines ihrer Leitbegriffe“ aufgelöst wird.
1
Nu lât in hôhe minnen ] „verbale Variante“ (Dick 1992, 407) des Terminus hôhe minne, der gleich zu Anfang des Werkes in der Rede des Titurel zweimal in Frage gestellt wird: einmal durch den konditionalen Konjunktionssatz, zum andern durch den melancholisch-zweifelnden Ton des Nachsatzes (vgl. Komm. zu 3,1– 4). 13,2 taucht er mit eher positiver Wertung auf (Schoysiane und ihre Schwester werden als volwahsen gein hôher minne an vriundes arme bezeichnet), 23,4 dagegen wieder mit eindeutig negativer Konnotation (Minneverzicht des Herzogs Manfilot). 92,1 ist die einzige Stelle, an der der (freilich variierte) Terminus in der Minnehandlung von Schionatulander und Sigune selbst auftritt. Ob man mit Dick davon sprechen kann, daß hier der „Erzähler im Hinblick auf den minnekranken Schionatulander lehrerhaft rät“? Eher dürfte er recht haben, wenn er „einen Anstrich von Ambiguität und Ironie erkennen will“. Denn der „positive ethische Kern“, also die „in der höfisch-ritterlichen Gesellschaft selbst tief verwurzelten Denkmuster, demzufolge Minne in ihrer höchsten ethischen Realisierung an Ritterdienst gebunden ist“ (Dick 1992, 408), all dies ist in dieser Dichtung von Anfang an dunkel und melancholisch grundiert. „Die epische Schematik vom Tod des Ritters und dem Leid der Frau ist eine stillschweigende Voraussetzung, die schicksalhaft hinzunehmen ist. Das wiederum bedeutet eine latente Entwertung des Heilsaspektes. Das im Kampf zu gewinnende Minneheil wird gerade durch den Kampf- und Lohnmechanismus in Frage gestellt.“ (Dick 1992, 408).
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in der iugent unt in dem alter ] läßt sich einmal auf wernder beziehen (so Marti: „sein durch das ganze Leben währender Ruhm“) oder auf valscheit (= „alles falsche Wesen in der Jugend und im Alter“). Hier ist, schon von der Stellung her, ersteres näherliegend.
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Der Satz ist wohl als Anakoluth zu verstehen: „Ich kenne manchen Fürsten, (der so ungeschickt ist,) daß man eher einem Bären das Psalmensingen beibringen könnte, als daß er das lernte.“ (Kiefner 1952, 39). Es kann mit salter lêren sowohl das Psalmensingen, das Psalmodieren bzw. das Beten des vornehmlich von den Psalmen geprägten Stundengebetes gemeint sein (salter = „der Psalter, das Psalmbuch“) als auch das Spielen des salter ( = Psalterium), einer mittelalterlichen Form der Zither ohne Griffbrett, deren Saiten gezupft oder geschlagen wurden. Die bei Rogozinski (1903, 56) aufgeführten Beispiele aus der Literatur des 13. Jh.s lassen beide Möglichkeiten zu: sie sprechen sowohl von der Vergeblichkeit, einem Bären oder anderen für ihre Plumpheit und Unbelehrbarkeit bekannten Tiere, das Instrumente-Spielen (hier stets das harfe-Spielen) beizubringen, als auch von der Unfähigkeit des Bären zu singen. Ob Wolfram auf das unsangliche Brummen des Bären (so Tax 1974, 72) oder allgemein auf seine Ungeschicklichkeit abzielt (so Heinzle 1989, 493), ist nicht zu entscheiden. Im Fluchtpunkt des Vergleichs steht die mangelnde Fähigkeit zur kultureller, höfischer Verfeinerung, die Schionatulander in seinem Minnestreben angesonnen wird, zu der sich aber so mancher Fürst nicht fähig zeigt. den fürsten ] „könnte auf einen bestimmten Fürsten gemünzt sein, ist aber wahrscheinlicher kollektiv zu aufzufassen (vgl. P. 457,26), was nhd. durch die Mehrzahl ohne Artikel ausgedrückt würde“ (Marti). Heinzle gibt für beide Möglichkeiten Belege (für die ihm wahrscheinlichere der kollektiven Funktion sprechen im Tit. 88,4; 107,4; 154,3; 175,3). Hauer (1992, 49; ähnlich Mohr 1978, 136) scheint, ohne daß dies jemals ganz direkt ausgesprochen wird, das den fürsten auf Schionatulander zu beziehen: „Durch das
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lernen bezieht sich die Stelle ausdrücklich auf swa chint lernent, das heißt sie geht hinter das Noch-Kind-Sein Schionatulanders als Grund für seine Ungemäßheit zurück.“
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vil nœte truoc verborgen ] Die Verheimlichung der Minnenot ist ein wichtiges Motiv des Tit.; dazu Komm. zu 53,3–4.
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al spehende ] „intensiv beobachtend, als einer, der sich auf dieses Beobachten verstand“ (Marti). Die Verbindung des Part.Präs. mit al hat nach Heinzle (der zahlreiche Belege aus dem Pz. und dem Wh. auflistet) intensivierende und durative Funktion. Vgl. im Tit. noch 96,2. Gahmuret versteht sich, wie der Text selbst des öfteren unterstreicht, aus eigener intensiver Erfahrung darauf, die sichtbaren Zeichen der minne genau zu erkennen und zu lesen. Hauer (1992, 40 f.) hebt darauf ab, daß dies die erste Stufe im Öffentlichmachen der minne darstellt, das Sichtbarmachen. Sie verweist auf 97,1 f. Gahmuret wart innen der helbæren swære. „Wurde das Innewerden [in 93,2 = wurde innen, d.Hgg.] imperfektiv als Prozeß dargestellt, so ist diese im wart abgeschlossen. Etwas Neues beginnt, der hier wesentlichere zweite Teil […], das Hörbarmachen.“ helbære ] „verhohlen, heimlich“; noch 97,1, sonst offenbar im Mhd. nicht belegt.
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ranc mit kumber ] Vgl. 84,2 si kunde mit sorgen ringen. Vgl. Pz. 90,13 ir ieslîcher innen wart / daz sîn lîp mit kumber ranc.
3–4 kumber : summer ] Dieser Reim setzt, wenn er rein sein soll, die im frühen 13. Jh. md. Form kummer voraus (Mhd.Gramm. § 130). Es ist schwer zu entscheiden, inwieweit „die nhd. Verdoppelung des m vor r-Ableitung in dem darauf gereimten summer […] Wolframs Dialekt […] gemäß“ (Marti) war, zumal Wolfram solche Formen allenfalls im klingenden Reim (vgl. Wh. 20,3–4 kummer : summer) zuläßt. Sonst zeigt die WolframÜberlieferung stets kumber (inkl. aller Ableitungen). 4
kal ] Alem.-bair. Nebenform zu qual, vom st.V. queln (qu- > k- vgl. Mhd.Gramm § 116; ebenso Str. 115,4; das gleiche Lautphänomen zeigt die Hs. G in 148,4: kiut < quîdit). Alle Hgg. normalisieren zu qual, allein Marti bevorzugt die verdumpfte Form kol („bayrisches praet. zu queln, sich abquälen, Schmerzen leiden; vgl. P. 789,11“. An dieser PzStelle steht allerdings qual im Reim auf schal. Martis bairische Verdumpfung ist also wenig plausibel). – Vgl. zu queln auch Komm. zu 53,4. al die mânen ] „Die ganzen Monde (= die ganzen Monate) hindurch“. swie sich diu zît huop ] wörtl. „wie immer die Zeit sich erhob, wie immer sie anfing“ = „wie immer die Jahreszeit wechselte“. den winder unt den summer ] Formelhaft (vgl. BMZ II,2 731b und III 717a; Lexer III 916) für „zu jeder Jahreszeit“. Wenn man davon ausgeht, daß Herzeloyde, wie aus Pz. 103,15 f. hervorgeht, länger als ein halbes Jahr auf die Rückkehr Gahmurets wartete und daß die Todesbotschaft nicht lange danach bei ihr eintraf, so müßte das Gespräch zwischen Gahmuret und Schionatulander, dessen Voraussetzung das Aufmerksamwerden Gahmurets ist (V. 1–3), kurz vor Gahmurets Tod anzusetzen sein; denn die Formulie-
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Stellenkommentar rungen (al die mânen, swie diu zît sich huop, den winder unt den summer) deuten auf eine lange Zeitdauer hin. Allerdings macht die metonymische Formelhaftigkeit dieser für die Zeitdauer eingeführten Tropen deutlich, daß es dem Erzähler auf Chronologie und zeitliche Ordnungen gerade nicht ankommt, daß er vielmehr Zeiten und Orte – sehr viel anders als im Pz. – im Vagen beläßt.
94 (La 89) 1–3 Daß geschicke auf Schionatulander bezogen werden muß, ist aus dem Kontext heraus unbezweifelbar. Es handelt sich um „sein Aussehen“; deshalb ist es unnötig, sô durch sîn zu ersetzen (so mehrere Hgg. nach Lachmanns Vorbild und nach dem Wortlaut von JT ADEJKXYa). Das Possesivpronomen sîn (sîn vel V. 2) bezieht sich zugleich auch auf diu liehten ougen und rückwirkend auf geschicke (so auch Heinzle). Zu ordnen ist: geschicke von angeborner art so wunschlîch = „seine Erscheinung, die infolge seiner angeborenen Eigenschaften so wunschgemäß, so ideal war.“ Wolfram gebraucht im Pz. für „Aussehen, Gestalt, Schönheit“ nur das Wort geschickede (vgl. Pz. 168,8; 170,21 geschickede unde schîn; 361,25 f. sîn arme und ieweder hant / und swaz geschickede er dâ vant). Das Wort geschicke, das sonst nur noch im „Lohengrin“ (88,3; 694,7 u. ö.) im Sinne des Kollektivums „Gesamtheit der Erscheinung“ vorkommt, ist vielleicht eine Wolframsche Erfindung „um des Reimes willen“. Nach Heinzle steht geschicke hier „als zusammenfassender Oberbegriff zu den Appositionen vel und ougen (= Aussehen), nicht als gleichwertiger Teil einer Trias ‚Gestalt, Teint, Augen‘ (Marti), denn von der ‚Gestalt‘ kann schwerlich gesagt werden, sie verliere ihren Glanz“. Dennoch ist dies die direkte Beziehung, die mit den mittelalterlichen Vorstellungen durchaus übereinstimmt; denn die Gestalt eines Menschen wird immer auch auratisch, mit Licht umgeben gedacht. Daher sind sîn vel, diu liehten ougen und swaz man dâ kôs des antlützes blicke eher als gleichgeordnete explizierende Appositionen zu geschicke zu verstehen: „die ganze so ideale Erscheinung, d. h. seine Haut, die strahlenden Augen und was immer man da wahrnahm an Blicken des Antlitzes, verlor aus Gram allen strahlenden Glanz“. 2
swaz man dâ kôs des antlützes blicke ] swaz mit davon abhängigem Gen.Pl. blicke, zu dem wiederum der Gen. Sg. antlützes gehört. Marti übersetzt: „alles was man vom Gesicht sah“ und gibt als Erklärung: „er ist wohl schon für die Abreise gerüstet, so daß man nur mehr einen Teil des Gesichtes sah“. Mit dieser Erklärung würde die Zeitangabe von 93,4 stark im Widerspruch stehen; die Zeit des Aufbruchs, die in früheren Strophen geschildert wurde, liegt ja weit zurück; Schionatulander ist Monate hindurch schon minnekrank. Alle Hgg. außer Marti und Heinzle setzen nach kôs ein Komma. Dadurch würde blicke zum mit sîn vel und diu liehten ougen sowie dem swaz-Satz gleichgestellten Nom. und das heißt zum Subjekt zu schiet (V. 3); dadurch würde aber der verallgemeinernde Relativsatz swaz man dâ kôs sehr allgemein und nicht so recht beziehbar, während er durch das von swaz abhängige blicke einen deutlich umrissenen Inhalt gewinnt.
3
dur nôt ] Marti übersetzt: „notwendigerweise“ (ähnlich Martin); der Kontext legt es jedoch nahe, den Ausdruck konkreter auf das Minneleiden Schionatulanders zu beziehen, also etwa: „aus Liebesqual“. von lûterlîchem glanze ] „Verblassen des Augenglanzes und strahlender Jugendfarben“ (Schwietering 1925, 43). Vgl. auch die auffallend ähnlichen Beschreibungen der minnekranken Sigune Str. 117,4 und 130,1–3.
93/94/95 4
333
twanc ] Die durch twanc begonnene Wortkette setzt sich 95,1 mit getwenget und 95,4 mit twinclîche fort. Daß der ganze Abschnitt von solchen rhetorischen Sprachmustern durchsetzt ist, zeigt sich auch an dem Nebeneinander von âsanc (95,2) und besenget (ebda.), die beide auf das Grundverb sengen zurückgehen und wiederum mit hitze inhaltlich korrespondieren. Ähnlich sind in den Strr. 94 und 95 miteinander (sei es etymologisch oder formal oder inhaltlich oder kontrastiv) verbunden: vel (94,2) – liehten ougen (94,2) – blicke (94,2) – lûterlîchem glanze (94,3) – lûter vel (95,3) – truopheit (95,3). Springer (1975, 232 f.) hebt darauf ab, daß durch diese Wortspiele Schionatulander (94) und Gahmuret (95) als Mitglieder eines Familienverbandes symbolisch charakterisiert werden, für den gerade die strahlende Erscheinung bezeichnend ist. Er verweist in diesem Zusammenhang auf Pz. 501,20 ff., wo der greise Titurel als grâ bî liehtem vel beschrieben wird, wobei darauf hinzuweisen ist, daß die Epitheta des Strahlens in diesem Text ganz ausdrücklich auch Sigune (32,2; 108,3; 109,4; 111,4) und ihrer Mutter Schoysiane (evtl. 14,2; 109,3) beigegeben werden. In diesen Zusammenhang, der schon die Ähnlichkeit eines gleichen Schicksals suggeriert, stellt Springer auch die Reihe: twanc–getwenget–twinclîche, mit der Wolfram die Übermacht der Minne („the motif of overpowering love“) herausarbeiten wollte. dürkelz wenken ] Im Gegensatz zueinander stehen: das aus dem Bereich der Heldenepik stammende Adjektiv dürkel („löchrig, durchbohrt“) und das die Unversehrtheit, Integrität thematisierende Adjektiv ganz; eine entsprechende Antithese findet sich Pz. 601,16 (des mîn dürkel freude werde ganz); einen weiteren Gegensatz bildet Wolfram durch das Gegenüber des Verbalnomens wenken, das hier gebraucht wird wie das Grundwort wanc („Wanken, Schwanken, Untreue, Zweifel“, vgl. Hollandt) und des noch durch ein Adjektiv (starkiu) verstärkten liebe. Die Antithese, die damit in V. 4 aufgebaut wird, ist zugleich eine inhaltliche und eine formal-stilistische: nicht nur, daß hier zwei nicht kommensurable Größen (wenken und liebe) zusammengezwungen sind, auch die Zusammenfügung von dürkelz und wenken ist extrem; denn was soll es heißen: ein löchriges Schwanken? Mehr noch: der ganze Gegensatz erweist sich als überaus künstlich: wer käme nach den Ausführungen der vorhergehenden Strophen ernsthaft auf die Idee, es könne sich bei Schionatulander um so etwas wie „löcheriges Schwanken“ handeln? Der Erzähler erlaubt es sich mithin, eine Antithese auf Kosten der erzählerischen Logik rein aus dem Sprachmaterial ihres einen Gliedes zu entwickeln: Von der behaupteten Ganzheit der Liebe kommt er so zu der zunächst befremdlichen, bloß um der formal-metaphorischen Antithese erfundenen Formulierung dürkelz wenken. – Zu wanc vgl. auch Komm. zu 51,4 u. 70,4.
95 (La 90) Schwietering (1925, 44) hält die Str. für unecht, ohne daß klar wird, weshalb er sie athetiert. Sein Verdikt erfolgt, während er gegen die Echtheit einer anderen Str. (126) zu Felde zieht, quasi nebenbei: „einen ähnlichen Verstoß finden wir noch in Str. 90 [95], die in ihrer auf Gahmuret plötzlich überspringenden Beschreibung auch sonst auf schwachen Füßen steht.“ Die Beanstandungen, die er von einem „modernen Empfinden“ her an die Str. 126 richtet, treffen auf Str. 95 aber gar nicht zu, so daß als einziger Kritikpunkt bliebe, daß hier die Perspektive wechselt und „plötzlich“ Gahmuret in den Blick tritt. Aber erstens ist dies keinesfalls so plötzlich, wie hier suggeriert wird: die letzte Nennung Gahmurets (noch dazu bezogen auf die Wahrnehmung von Schionatulanders Liebesschmerz) liegt nur zwei Strr. zurück (93), und zweitens müßte man viele Strr. eliminieren, die als „echt“ gelten, wollte man dies zum ausschlaggebenden Kriterium machen (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3).
334 1
Stellenkommentar getwenget ] Zum Wortspiel (twinclîche in V. 4) vgl. oben den Komm. zu 94,4.
1–2 Mohr (1977, 140) geht davon aus, daß der erste Vers, so wie wir ihn in der Hs. G lesen, am Anfang der Überlieferung stand, daß dieser fragmentarische Text durch eine Korrekturnote (was von der minnen) aufgefüllt werden sollte, die der Abschreiber falsch in die zweite Zeile eingeordnet hat, so daß Leitzmann mit seiner textkritischen Herstellung der Strophe genau das Richtige getroffen habe: Gahmuretes herze ouch / was von der minne getwenget. Leitzmann läßt dementsprechend in der zweiten Zeile den ganzen Anfang (was von der minnen) aus, so daß die Zeile lautet: ir hitze und ir âsanc / im hete under wîlen besenget. Diesem starken Eingriff in das Überlieferte gegenüber fassen wir von der minnen ir hitze als einen Zusatz auf, der das von minnen in V. 1 expliziert: „Auch Gahmurets Herz war von der Liebe, von der Hitze der Liebe bedrängt worden.“ Die Mhd.Gramm. (§ 382 Anm. 1; dort zahlreiche Belege) stellt dieses Tit.-Beispiel neben eine Stelle aus dem Pz. (297,12 noch scherpfer dan der bîn ir zagel), konstatiert jedoch zugleich, daß „derartig eindeutige Beispiele für die Verschiebung der Beziehung“ innerhalb des Mhd. noch vereinzelt sind (gemeint ist hier mit Verschiebung der Beziehung: „Auf ein Substantiv, das die Auffassung als freiere dativische Ergänzung eines Verbums gestattet, können die Possessivpronomina ir oder sîn folgen, die attributiv zu einem folgenden Nomen gehören, sich aber auf den vorangehenden adverbalen Dativ beziehen“). Frühere Hgg. (Docen, Lachmann, Piper, Bartsch, Martin, Marti; vgl. dazu die Angaben im Lesartenapparat) haben wie Leitzmann an der Wiederholung (von der minnen) in V. 2 Anstoß genommen und diese daher entweder ausgelassen oder aber den ganzen Vers umgeformt. Dazu besteht kein Anlaß, denn erstens wäre dies ein Eingriff in eine sinnvoll zu deutende Überlieferung; und zweitens kommen Wiederholungen dieser Art (besonders mit dem Leitwort der Dichtung minne) in zahllosen Strr. vor (vgl. nur etwa 3, 13, 48, 49, 50, 51, 63, 64, 67, 68, 69 u. ö.). Es ist daher selbst Martis Lösung (Tilgung von von der minnen, Doppelpunkt nach was, keine Interpunktion nach hitze), die von Heinzle mit Recht als beste der erwogenen Konjekturen bezeichnet wird, ein unnötiger Eingriff in eine an sich selbst sinnvolle Textüberlieferung. 2
der minnen ir hitze unt ir âsanc ] Heinzle möchte im Hinblick auf Textstellen wie Heinrichs von Veldeke En. 39,2 ff.; 77,15 ff.; 269,20 ff. die Textstelle so verstehen, daß Wolfram hier „wahrscheinlich an die Fackel der Liebesgötter gedacht“ habe. Tatsächlich ist in den entsprechenden Passagen aus dem Eneasroman das Minnefeuer meist in topischer Weise konkretisiert (der herre Cupido / mit siner vachelen 39,2 f., oder mit deme heizen fivre / brennet mich frQwe Venvs 269,22 f.; dies nimmt Wolfram im Pz. offenbar auf: Vênus mit ir vackeln heiz 532,15); im Tit. fehlt dies jedoch, hier ist nur von der Hitze der Minne die Rede und später noch anschaulicher vom âsanc (= „Ansengen, Anbrennen“, vom gleichen Stamm wie besenget am Ende des Verses). Wieweit das literarische Publikum der Zeit die Hitze der Minne im Veldekeschen Sinne verstanden und dabei etwa an eine Fackel der Liebesgöttin gedacht hat, ist nicht mehr rekonstruierbar. Aber auffällig ist, daß Wolfram hier wie auch sonst bei der Minnekrankheitsthematik auf die mythologischen Darstellungsmittel Veldekes verzichtet, dafür aber eine starke eigene konkrete Anschaulichkeit entwickelt und offenbar auch entwickeln will, wozu auch passen würde, daß das Wort âsanc vor Wolfram nicht belegt ist (vgl. BMZ II/2, 299a; Lexer I 99 und III/Nachtr. 34), er es also möglicherweise für seine Zwecke (auch des Wortspiels) neu erfunden hat (wie vielleicht auch twinclîch in V. 4, das nur bei Dichtern nach Wolfram vorkommt, vgl. BMZ III 164b; Lexer II 1601). Das auf Ovid zurückzuführende und insbes. bei den Trobadors reich belegte Motiv vom Feuer der Minne wurde von Heinrich von Veldeke in die deutsche Epik (vgl. Giese 1968, 64–70) und von
95/96
335
Heinrich von Morungen in den dt. Minnesang eingeführt (MF 126,24–27; 140,5; weitere Belege bei C. v. Kraus in MF III 289; weiterf. Lit. bei V. Schweiger: Textkrit. u. chronol. Unters. zu den Liedern H.s v. M., Diss. Freiburg 1970, 261; S. Stebbins: Studien z. Tradition u. Rezeption d. Bildlichkeit in der „Eneide“ H.s v. V., Frankfurt 1977, bes. 86–106. âsanc / besenget ] Zum Wortspiel vgl. oben zu 94,4, sowie Springer 1975, 232 f. 3
daz ez mit truopheit kunde ] künnen + Präp. mit + Dat. = „sich auskennen mit, mit etwas umzugehen wissen, mit etwas Bescheid wissen“ (BMZ I 805b; vgl. im Pz. 2,13; 62,24; 66,10; 152, 12; 114,13 u. ö.). In diesem Vers spielt Wolfram mit dem Gegensatz von lûter und truopheit: das lûter (strahlend helle) vel weiß nach der eigenen Minneerfahrung Bescheid über truopheit (Trübheit). Diese signifikante Verbindung von lûter und truopheit findet sich auch in Str. 46,4.
4
minne helfe ] = helfe der minne, ‚die Hilfe der Minne‘. Das Wort helfe in seinen vielfachen Ableitungen ist ein Leitwort der Dichtung. Vgl. dazu Komm. zu 56,3–4 u. 105,4. Von der helfe der minne ist auch in Str. 70,3 die Rede. Zum Terminus vgl. W. Mohr: Hilfe und Rat in Wolframs Pz. In: FS J.Trier, 1954, 173–193. twinclîche stunde ] „die Stunde, da sie drückt, zwängt, preßt“ = „bedrängende, bedrükkende Stunde“. Zu twinclîche/twingen vgl. Komm zu Strr. 68,3; 94,4 u. 95,2.
96 (La 91) 1
enblecken ] „entblößen, sehen lassen, zeigen“ (Hollandt: „nhd. nur ‚die Zähne blekken‘“). Heinzle verweist zum wiederholt ausgesprochenen Gedanken dieses Verses z. B. auf „Heidin“ 105 ff. (Nu wizzet, daz sich nie verbarc / diu minne; sos von herzen starc / get tougenlîche (so hœre ich jehen): / ez müezen ouch die liute sehen.)
2
swer treit … dâ kan sich ] Wörtl. „wer immer trägt …, da kann sich“. Sehr lockere syntaktische Fügung, die einen verallgemeinernden Relativsatz unmittelbar an ein lokales Relativum anschließt und dadurch ein Gefüge von Konditional- und Konsekutivsatz herstellt; also etwa: „wenn einer trägt …, so kann sich dort“ (ähnliche anakoluthische Fügung nach swer in 57,4 u. 63,1–2). swer treit der minne al spehende künstec ougen ] Martin gibt, ohne die Konstruktion des Satzes zu erläutern, eine Übersetzung („wenn einer die genau forschende Kenntnis der Liebe besitzt“), die darauf hindeutet, daß er der minne als Genitiv auffaßt und ougen im übertragenen Sinne versteht (so wohl auch Hollandt). Auch wenn man mit der Vorstellung der „Augen der Minne“ zu rechnen hat (dazu Schleusener-Eichholz [1985, 1070 f.], die ebenfalls in diesem Vers eine „Anspielung auf die scharfsichtige Verständigkeit der Liebe“ sieht) scheint Heinzles Vorschlag im Hinblick auf den Kontext einleuchtender, der (wie Pz. 307,10 daz volc im holdez herze truoc und 724,25 diu im minne truoc) tragen + Dat. als „einem etwas entgegenbringen, einem mit etwas begegnen“ und dementsprechend der minne als Dativ, al spehende als Part. Präs. (oder Adjektiv) und künstec (unter Hinweis auf Pz. 497,8 übel ougen und 743,21 erworben kint) als unflektiertes Adjektiv auslegt: „wenn jemand der Minne eifrig spähend mit (eifrig spähenden und) geschickten Augen begegnet …“. Zu al spehende vgl. oben Komm. zu 93,2.
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Stellenkommentar künstec ] Vom (zum Wortstamm künnen = „geistig vermögen, wissen, kennen, verstehen“ gehörigen) Verbalabstraktum kunst abgeleitetes Adjektiv = „kenntnisreich, verständig, geschickt“ (vgl. Str. 70,2 u. Komm. dort). Hollandt glossiert künstec ougen mit „Kenneraugen“. Hauer (1992, 41) glossiert al spehende und künstec mit „aufmerksam und zugleich wissend“, „wobei sich dieses Wissen des kunstec-Seins sowohl auf intellektuelle Fähigkeiten als auch auf handwerkliche Kunstfertigkeit bezieht.“
3
si ist ouch ein winkelmez ] Damit wird der verhüllenden Absicht der Minne eine konträre Kraft gegenübergestellt; denn das winkelmez ist ein Instrument des Entwerfens und Zeichnens, mit dem sich die Vorstellungen der Deutlichkeit und der Genauigkeit verbinden (und in diesem Sinne kann Gahmuret zu Schionatulander sagen: ich spür an dir die minne, alze grôz ist ir slâge 100,1), die eigentlich mit der listigen Verhüllungskraft der Minne im Widerspruch stehen, weshalb das ouch in diesem Vers zunächst nicht verständlich erscheint. Marti versteht es adversativ: „einerseits sucht sich die Minne zu verstecken, andererseits ist sie Zeichner und Gobelinsticker ihrer eigenen Wirkung“; Heinzle modifiziert mit dem Vorschlag, daß das ouch sich auf listec zurückbezieht: „die Minne hat nicht nur intellektuelle, sondern auch künstlerische Fähigkeiten“: die Minne ist listec – sie ist auch ein Winkelmaß. Beide Auffassungen lösen das Problem dieser Str. so, als hätten wir es hier mit einem Entweder-Oder bzw. einer Addition zu tun. Die Funktion des ouch ist jedoch nur aus dem Gesamtverlauf der Str. heraus zu verstehen: V. 2 ist geradezu eine Interpretation von V. 1, in der die verhüllende und enthüllende Macht der Minne zueinander in Beziehung gesetzt werden: „Wenn einer der Minne umsichtig spähend mit kundigem Blick begegnet, kann sich ihre Kraft nicht verbergen“. Der dritte Vers führt mit dem ouch diesen Gedanken weiter: es ist zwar der list der Minne, ihre Kraft zu verdecken; dem, der der Minne spähend mit umsichtigen Augen begegnet, wird diese kraft jedoch sichtbar; denn diese zeigt sich darin, daß sie nicht nur eine listige Verhüllerin ist, sondern auch eine, die mit dem winkelmez genau entwirft und zeichnet. Das Entscheidende der Strophe scheint demnach zu sein, daß nur der umsichtig-genaue Blick in der Lage ist, hinter der Verhüllung auch die Genauigkeit wahrzunehmen. Das ouch ist also bezogen auf die kraft, die aber, wie der Anfang der Strophe zeigt, durch den list der Minne verdeckt ist. Die Aufdeckung dieser Beziehung ist nur durch den Nachvollzug der gesamten Strophe möglich, wozu noch der Kontext gehört: Gahmurets minne-Erfahrung, die die List der Minne gleichsam „über–listet“ (Hauer 1992, 41). hœre ich si zîhen ] zîhen könnte als „aussagen von“ neutral oder wertend als „zeihen, beschuldigen“ verstanden werden. Die Wortbedeutung ist auf den Kontext zu beziehen und stellt die Frage, ob si ist ouch ein winkelmez im Sinne der Strophe eine positive oder eine negative Kennzeichnung der Minne darstellt. Da in V. 2 von der kraft der minne die Rede ist, dürfte Ersteres der Fall sein. Sachlich könnte sich Wolfram hier auf eine Textstelle aus Gottfrieds „Tristan“ (14318 ff.) beziehen, in der geschildert wird, wie Tristan und Isolde ir varwe unde ir lîp unter der Einwirkung der Minne veränderten. Doch das Gegen- und Ineinander von Verhüllung und Enthüllung, das sich in der Str. 96 zeigt, findet sich an der die Minnesymptome in ihrer Erscheinung viel eindeutiger beschreibenden Tristan-Stelle nicht.
4
si entwirfet unt stricket ] Aufgrund der Schreibart der Hs., die ck-Laute stets mit dem Graphem ch wiedergibt, ist schwer zu entscheiden, ob strichet als stricket (d. h. als Terminus der Bildwirkerei = „wirken“ und „entwerfen“ entsprechend als „die Umrisse vorzeichnen“ bzw. im weiteren Sinne des Hendiadyoin „das ganze Bild weben“, vgl. Er. 8908 f.) oder als strîchet (d. h. als Terminus der Malerei = „malen“ und „entwerfen“ dann entspre-
96/97–112
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chend „die Umrisse zeichnen“ oder auch im weiteren Sinne „malen“, vgl. Pz. 158,15 und Wh. 241,27 ff.) zu verstehen ist (s. insbes. auch Komm. unten zu spelten unt drîhen). vil spæhe ] fassen Martin, Leitzmann und Tax (1974, 72) als Adverb spâhe („kunstreich“) auf. Marti dagegen liest spæhe (st. Fem.) und versteht es als „Abstraktum für das Konkretum: Kunstreiches“. In der Hs. steht spahe, was ohne Zweifel auch für den Umlaut stehen kann, da der Schreiber Umlaute nicht graphisch markiert (ebenso Heinzle 1989, 493, gegen Tax), so daß beide Möglichkeiten offen sind. spelten unt drîhen ] Zur Bedeutung der Termini spelte und drîhe, die nicht ganz zu klären ist, vgl. den ausf. Kommentar von Heinzle. Bei drîhe muß es sich offenbar „um ein Gerät handeln, mit dessen Hilfe man Fäden zusammendrängte. Man könnte dabei an das Webschwert oder Webscheit denken, mit dem die Schlußfäden angeschlagen werden. Aber auch eine Nadel zum Zusammendrängen der Fäden kann gemeint sein“ (so Heinzle, der zur Begründung der Bedeutung „Nadel“ besonders auf einen Beleg aus dem „Grazer Marienleben“ verweist, in dem mit der spelten wirken und mit der drîhen næjen einander gegenübergestellt sind). Wie allerdings damit der andere Tit.-Beleg (142,2 geslagen mit der drîhen vil herte) zusammenpaßt, ist schwierig zu beantworten, es sei denn man verstünde slahen dort auch in mehr übertragenem Sinne als „das Übereinanderschlagen der Fäden beim Stricken“ (Heinzle; zur Problematik des Bedeutungsansatzes vgl. auch den Kommentar zu 142,2–3). spelte dürfte nach Heinzle „ein tafel- bzw. brettartiges Gerät gewesen sein. Wahrscheinlich handelt es sich um die zur Brettchenweberei […] erforderlichen Brettchen“ (genauere Beschreibung dieser spelte sowie Belege bei Heinzle). Auf jeden Fall handelt es sich bei diesen beiden Begriffen um Termini aus dem Bereich der Webekunst. Faßt man den gesamten Zusammenhang ins Auge, so würde, wie Heinzle schon konstatierte, bei der Bedeutung strichet = stricket „das aus der Webekunst stammende Bild mit der Erwähnung von spelten und drîhen geradlinig fortgeführt“, während im Fall von strichet = strîchet (‚malt‘) „Malerei und Webekunst einander gegenübergestellt“ wären: „die Minne vermag mit dem Pinsel noch feinere Ornamente hervorzubringen als der Weber mit seinen Werkzeugen.“ Da es sich bei der Minne um eine eindeutig weiblich gedachte Allegorie handelt, scheint die weiblichere Form der Bildgestaltung, das Weben und Wirken, hier näher zu liegen: „Sie entwirft und knüpft äußerst kunstvoll, kunstreicher noch als Webscheite und Brettchen.“ Für stricket spricht zudem das Verb entstricken in 106,1, das deutlich dem vielfach verwendeten Topos der Minnefesseln zugehört (vgl. Komm. zu 47,4). Die Minne wäre dann in diesem Vers eine Macht, die mit den Fäden, mit denen sie webt und entwirfet (vgl. entwerfen noch 135,1), zugleich in Fesseln legt.
97–112 (La 92–107): Das Gespräch Schionatulander – Gahmuret Das erste Fragment des „Titurel“ wird durch zwei Gesprächsszenen abgeschlossen (97–112 Gahmuret–Schionatulander; 113–136 Herzeloyde–Sigune), die „in ihrem Verlauf symmetrisch gebaut“ (Mohr 1978, 137) und auch inhaltlich stark aufeinander bezogen sind. In beiden spielt die französische Königin Anphlise eine wichtige Rolle; in beiden sehen sich die beiden jungen Liebenden einer Erwachsenenwelt gegenüber, die sie nicht so sehr ermutigt, als ihnen vielmehr im Namen hoher Minneideale die schwere Last der Bewährung auferlegt.
338
Stellenkommentar
Das Gespräch zwischen Schionatulander und Gahmuret ist so gebaut, daß Gahmuret, besorgt über die Veränderung des liebeskranken Knappen, zunächst um das Vertrauen des Jüngeren wirbt, wobei dem Moment der verpflichtenden Verwandtschaftsbindung eine entscheidende Bedeutung zukommt. Schionatulander antwortet in vier Strophen. „Der Name Sigune fällt am Anfang seiner Rede. Auch er beruft sich auf Anphlise. Sich selbst stellt er […] als einen Menschen dar, der, noch nicht fertig in seiner Entwicklung zum Schildesamt, in eine Krise geraten ist“ (Mohr 1978, 138), von der er hofft, daß er sie mit Hilfe des Älteren meistern kann. Gahmurets Antwort konfrontiert Schionatulander vor allem mit der Schwere der dadurch gestellten Aufgabe und mündet schnell in einen Lobpreis auf Sigune und die dadurch sich ergebenden Verpflichtungen zur dienstlichen triwe (111,2). In einer letzten Strophe dankt Schionatulander Gahmuret dafür, daß er ihm kraft seiner, die hohen Ideale der Minnewelt verkörpernden väterlichen Autorität die Erlaubnis erteilt, Sigune zu lieben. Für die dunkle Grundierung des ganzen Abschnittes ist es nicht unbezeichnend, daß er, als wäre das sorgen bant (112,2) gar nicht nachhaltig aufgelöst, am Schluß noch einmal auf den Ausgangspunkt des Gespräches, auf das Minneleid und die Freudlosigkeit des Minnekranken zurückkommt und nicht mit dem Bild der Siegerin, sondern der Räuberin Sigune abschließt: sît daz ich mit dînen hulden minne / Sigûnen, diu mich roubet nu lange ûf der fröude unt an frœlîchem sinne. 97 (La 92) 1
Gahmuret wart innen der helbæren swære ] Die Formulierung, zumal mit dem sonst nur noch dort belegten Adj. helbære, weist vom situativen Wortmaterial her zurück auf Str. 93,2 (ê daz der werde Gahmuret wurde innen al spehende der helbæren sorgen). Hauer (1992, 41) weist aber daraufhin, daß „der auffallend parallele Bau der beiden Ankündigungen eine wesentliche Abweichung“ aufweist: wurde zunächst „das Innewerden imperfektiv als Prozeß dargestellt, so ist dieses im wart abgeschlossen, perfekt. Etwas Neues beginnt, der hier wesentlichere zweite Teil des Öffentlichmachens, das Hörbarmachen.“ Nach Dallapiazza (1995, 177) könnte der Ausdruck swære (ebenso wie 89,1 lieplîchiu siechheit) als „auf Gottfried bezogen“ gesehen werden.
2
talfîn ûz Grâsivalden ] Vgl. Komm. zu V. 88,2 sowie ausf. Passage 1984, 100–115. „Woher diese Angaben stammen, ist unklar“ (Bumke 1997, 254). Passage allerdings identifiziert Schionatulander wegen dieser Titulierung mit jenem (im Kommentar zu 88,2 genannten) Guigo IV. von Albon (+ 1142), der als erster den Beinamen (Zweitnamen?) Dalfinus führte (Passage 1984, 103 ff.) und dessen Mutter zudem Mathilde hieß, was in nordprovenzalischer Diktion zu Mahaute führen kann (vgl. engl. Maude; Passage 1984, 108 ff.). In der Gestaltung der Figur des Schionatulander vermutet Passage darüber hinaus einen Reflex der Gestalt Guigos V. Dalfinus, dessen Vater Guigo IV. noch vor oder kurz nach seiner Geburt gestorben sein muß, und der selbst 1162 jung und ohne männliche Nachkommen starb (Passage 1984, 104 f.). fröuden alsô lære ] lære + Gen.Pl. = „an Freuden so leer“, wie Pz. 178,14; 219,14 u. ö.
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3
Vgl. 91,1 ûf velden unt in strâzen und Komm. dort.
4
wie vert sus Anphlîsen knappe ] „Wie kommt es, daß es dem Pagen der Anphlise so ergeht?“ Zu varn = „sich befinden“ vgl. Pz. 433,8. Die Anrede in der dritten Person (weiterführende Lit. dazu bei Heinzle) ist eine vorsichtige Form der Annäherung, die Gahmuret hier wählt; sie ist quasi unpersönlich, vermeidet, wenigstens zunächst, das vertraulich-insistierende ‚Du‘. Dazu paßt, daß Schionatulander als Anphlîsen knappe angesprochen wird. Auch das rückt ihn in eine etwas objektivere Distanz, die dann im folgenden (dîn trûren …) sogleich wieder aufgehoben werden kann. Lachmanns Änderung des dîn in sîn, der sich Bartsch und Piper anschließen, gibt zwar in diesem Zusammenhang auch einen guten Sinn, ist aber völlig unnötig, da der überlieferte Wortlaut mit seinem Wechsel von behutsamer Annäherung zu größerer verwandtschaftlicher Nähe im hohen Maße selbst plausibel ist. Mit der Nennung der Anphlise ein Stichwort aufgerufen, das sich durch die beiden folgenden Gespräche (Gahmuret–Schionatulander und Herzeloyde–Sigune) hindurchzieht. Da Schionatulander der Anphlise zur Erziehung anvertraut worden war (vgl. Str. 38) und da sie ihn Gahmuret nur zeitweise als Knappen überließ (vgl. Str. 39 diu werde küngin im lêch diz kint), ist die Bezeichnung Anphlîsen knappe korrekt (vgl. Komm. zu 39, 1 u. 2). Sie weist aber darüber hinaus auch zurück auf die Zeit, die er als Kind bei der französischen Königin verbracht hat und damit auf die Strophe, in der gerade die kindliche Regression Schionatulanders berührt wurde (Str. 91), und sie greift vor auf die bedeutsame Rolle, die Anphlise im folgenden Gespräch einnimmt (vgl. Komm. zu 101,2 f.). kumt mir niht ze mâze ] „paßt mir nicht, ist mir nicht recht, gefällt mir nicht“ (zu dieser Formulierung vgl. „Kudrun“ 210,2; 405,2; 1002,3–4).
98 (La 93) 1
Ich trage die wâren phliht ] Im Unterschied zu den mehrfach belegten üblichen Wendungen phlihte hân oder phlihte nemen kommt phlihte tragen nur an dieser Stelle vor. Nach Marti wird der „vieldeutige Ausdruck“ phliht durch V. 4 näher erklärt (vgl. dazu unten zu V. 4). Wenn Martin übersetzt „Ich nehme vollen Anteil“ oder Heinzle „Ich empfinde deinen Schmerz“, wird zugunsten der emotionalen Anteilnahme der wichtige Gesichtspunkt der moralischen Verpflichtung übergangen, der an dieser Stelle deutlich mit berücksichtigt werden muß und der sich aus der familiären Verbundenheit Gahmurets mit Schionatulander ergibt, wie sie Gahmuret ganz ausdrücklich in 100,2–3 benennt (zur Verwandtschaft zw. Gahmuret und Schionatulander vgl. Komm. zu 55,2). al gelîch dîner pîne ] al gelîch = „im gleichen Verhältnis zu“ (Marti), wobei pîne der Form nach sowohl Gen.Sg. wie Gen.Pl. sein kann: „Ich trage die volle Verantwortung für deine Schmerzen (dîner pîne), in vollem Umfange.“ Martin übersetzt „ganz deinem Schmerze gleich“, faßt dîner pîne demnach als Dat.Sg. auf (dazu auch Tax 1974, 72 u. Heinzle 1989, 494), bezieht es also auf gelîch und nicht auf phliht, was uns die naheliegende Lösung zu sein scheint.
2
der rœmesche keiser ] Der Kaiser des römischen Reiches ist auch sonst das höchste Beispiel an rîcheit (V. 3): NL 49,3 f. heißt es von Kriemhild: nie keiser wart sô rîche, / der
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Stellenkommentar wolde haben wîp,| im zæme wol ze minnen / der rîchen küneginne lîp. Im Pz. 563,10 f. heißt es in übertreibender Veranschaulichung von einem Kaufmannsschatz: da vergultez niht des keisers hant / mit jener zweier stiure. der admirât al der Sarrazîne ] Der Herrscher von Baldac gilt in der sarrazenischen Welt als Kaiser; vgl. Wh. 434,1 ff.: swer den keiserlîchen namen hât, / den die heiden nennent admirât, / derst ouch vogt ze Baldac. Zwar wird der römische Kaser dort im Rang noch über den admirât gestellt (weswegen auch hier die Reihenfolge so gewählt ist, daß der rœmesche keiser zuerst genannt wird), aber grundsätzlich gilt: swaz anderer krône sint geworht, / die ûf getouften houbten sint, / ir aller kraft gein dirre ein wint / ist. (Wh. 434,12). Der Herr über den Okzident und der Herr über den Orient teilen sich zusammen die Weltherrschaft (dazu Hollandt). Zu den chronologischen Schlüssen, die aus dieser Titelbezeichnung gezogen worden sind, vgl. Heinzle sowie Kunitzsch: Die Arabica im Pz. In: Wolfram-Studien II (1974), 19.
2–4 „Der römische Kaiser und der Admirat aller Sarazenen könnten es mit ihrem Reichtum nicht rückgängig machen. Was immer dich in seufzensschwere Not gebracht hat, das muß auch von mir das Pfand der Freude nehmen (= muß auch mir meine Freude rauben).“ Die Wendung an fröuden phenden (vgl. Pz. 306,2; 769,12 f.) greift ein Bild aus dem Geld-, Handels- und Warenverkehr auf (vgl. Komm. zu 20,3–4), das Wolfram häufig für Wechselfälle des Lebensschicksals benutzt. An dieser Stelle setzt es den Gedanken fort, den die Vv. 2–3 („kein Reichtum der Welt könnte es rückgängig machen / könnte es aufheben“) zwischen den gleichgerichteten Vv. 1 und 4 entwickeln: im Gegenteil, es gibt nicht Reichtum, es nimmt Reichtum weg, „pfändet“ ihn, nur daß dieser Reichtum hier kein materieller ist, sondern ein quasi ideeller, nämlich das, was für den Menschen das Wichtigste ist, die Lebensfreude. Dem phliht in V. 1 entspricht dabei das muoz in V. 4, und insofern ist der Gedanke des ersten Verses im vierten genau umgedreht: phliht – pîne wird zu pîn – muoz. Daher ist Heinzles Bemerkung über das ez in möhtenz („ez kann sich sowohl auf die Aussage in der ersten als auch auf die in der vierten Zeile beziehen“) dahingehend zu modifizieren, daß V. 1 und 4 identisch sind und das umstrittene ez sich daher auf beide beziehen muß: auf die unauflösliche und unaufhebbare Bindung, die sich aus der familiären Verbundenheit ergibt und die alles teilen läßt, auch den tiefsten Schmerz. Wenn dieses Textverständnis adäquat ist, erweist sich Lachmanns Interpunktion – er setzt nach V. 3 ein Komma, nimmt also swaz … pîn in V. 4 als apo koinou und bezieht damit das ez in möhtenz (V. 3) auf dieses swaz – als unangemessen: denn Gahmuret weiß noch nicht um dieses swaz und sagt auch nicht im Vornhinein, daß es kein Kaiser und kein admirât ändern kann. ez kann sich also nur auf V. 1 und das heißt, wie oben dargelegt, zugleich auf V. 4 in Gänze beziehen (weshalb Martis Doppelpunkt nach erwenden den Sinn sehr genau trifft): Keine Macht der Welt kann Gahmurets Loyalität und Mitgefühl ändern und das Pfand der Freude auslösen. Deshalb ist es auch einzig sinnvoll, in V. 4 mit GJ das Verb im Indikativ brâht zu lesen und nicht, wie alle anderen Hgg., Konjunktiv anzunehmen; denn der Konjunktiv wäre nur dann gefordert, wenn das apo koinou die adäquate syntaktische Lösung wäre. 4
siuftebæren ] Das erst seit Wolfram belegte Adjektiv (vg. BMZ II,2 722b f.; Lexer II 946) verwendet Wolfram als siufzebære auch im Pz. 312,1; 330,28; 332.28; 337,12; 491,4; 781,29 (an allen Stellen liest die Hs. G siuftebære).
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99 (La 94) Die Strophe ist von Stosch (1881, 202) für unecht erklärt worden. Anlaß für die Athetierung war vermutlich die Tatsache, daß sie im JT nach Str. 102 überliefert ist, wo sie, wie Stosch zu erkennen meinte, interpoliert wurde, um die in der dann folgenden Str. 103 geäußerte Furcht Schionatulanders zu zerstreuen. Stoschs Einzelargumente gegen die Strophe sind: 1. daß V. 1 durch die Wendung an den Hörer/Leser den Zusammenhang der Rede Gahmurets unzulässig durchbreche; 2. daß die Frage und Antwort der Vv. 3–4 nur eine schlechte Wiederholung bzw. Vorwegnahme seien von 97,4 und 100,1; 3. daß die dichte Aufeinanderfolge von gelouben (99,1 und 99,3) sowie minne (99,4 und 100,1) unschön seien. Franz (1904, 35) hat die Verurteilung der Str. noch bekräftigt durch das Argument, daß Gahmuret in Str. 99,4 bereits von der minne „als der selbstverständlichen Ursache seines Kummers“ spreche, diese Stelle aber nicht vor 100,1 gestanden haben könne und daß die ganze Str. sich überhaupt „nirgends recht unterbringen lasse“. Schon Leitzmann (1901, 138) hat diese Argumentation, die sich im übrigen gegen sehr viele der „echten“ Strophen richten ließe, „als rein subjectiv begründet“ zurückgewiesen und Heinzle hat sich dem mit Recht angeschlossen. Stoschs Argumente erweisen sich in der Tat als der Versuch, das vorgegebene Urteil, daß die Str. 99 wegen ihrer anderen Position im JT der „Unechtheit“ verdächtig sei, durch nachträglich gesuchte Gründe zu rechtfertigen (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). 1
Nu sult ir wol gelouben ] Formelhafte, heldenepisch anmutende Anreden an den Zuhörer sind im Tit. häufig (vgl. etwa 34,1; 36,1; 59,2–4; 138,1) und oftmals überraschend, weil sie sich in dem Augenblick an den Zuhörer wenden, an dem alles klar zu sein scheint: stärker und wirkungsvoller als in Str. 98 läßt sich eine menschliche Familienverbundenheit kaum ausdrücken. Was bedarf es da noch der Bekräftigung? Man kann also auch hier feststellen, daß die Anrede etwas ins Leere geht (vgl. Anm. zu 36,1), oder aber man versteht sie, was adäquater zu sein scheint, als nochmalige Unterstreichung der in Gahmurets Rede zum Ausdruck kommenden Emphase.
2
hulfe / möhte ] Marti übersetzt: „geholfen / gekonnt hätte“. Gemeint ist aber doch wohl der Konj.Prät.: „daß er, wenn er es vermöchte, bereitwillig hülfe …“. seneden = senenden.
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sich geloubet ] sich gelouben mit Gen. = „sich entschlagen, aufgeben, verzichten“. Vgl. Pz. 78,5: si geloubten sich der sliche = „sie verzichteten auf Tricks“.
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diu minne sich selben an dir roubet ] „rouben mit persönlichem Akkusativobjekt, berauben; vgl. P. 364, 21“ (Marti). Martin übersetzt: „die Minne beraubt sich selbst ihres Werkzeugs, indem sie dir deine Lieblichkeit raubt“; Marti kommentiert: „dadurch, daß der Liebende die Schönheit verliert, schadet die Minne sich selbst, da Schönheit Liebeswirkung ausübt.“ Hollandt versucht den Sinn des Halbverses im Kontext genauer zu fassen: die Minne beraubt sich selbst, „indem sie sich, mit der Zerstörung seiner Schönheit, ‚selbst ihres Werkzeugs‘ beraubt“ (ähnlich Heinzle). Der Begriff des „Werkzeugs“ scheint jedoch auf eine falsche Spur zu führen: Es geht hier vielmehr um das Paradox, daß die Minne einerseits Schönheit in Gesicht und Gestalt hervorbringt, andererseits aber die Schönheit durch das enstehende Liebesleid gerade zerstört. Demnach beraubt sich die Minne ihrer intendierten Wirkung, nicht ihres Werkzeugs. Denn in diesem ganzen Kontext (vgl. insbes. Strr. 96 u. 100) ist nirgends davon die Rede, daß die Spuren der Minne die Zeichen der Schönheit seien bzw. die schönen Körper die Werkzeuge der
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Stellenkommentar Minne. Die Spuren und Wirkungen der Minne sind hier stets negativ Spuren des Minneleids. – Zum Motiv der Minne als Diebin s. Strr. 68,4; 75,4 u. 117,4 (vgl. insbes. Komm. zu 68,4). Vgl. auch Str. 112,4 (Sigune als Räuberin).
100 (La 95) 1
Ich spür an dir die minne ] spürn ist hier in seiner Grundbedeutung verwendet: „die Spur wahrnehmen“; das wird ganz deutlich an der Fortsetzung alze grôz ist ir slâge, die den Anvers noch einmal erklärt: „Ich nehme an dir die Spur der Minne wahr; allzu ausgeprägt ist ihre Fährte“. Gahmuret beruft sich auf die Wirkung der Minne, wie sie in Str. 96 umschrieben wurde: auch wenn die Minne sich zu verbergen sucht, ist sie anderseits für den genauen und einfühlsamen Blick an den Spuren ihrer Wirkung wahrnehmbar (vgl. Komm. zu 96 u. 99,4). Dabei kommt Gahmuret „directly to the point“ (Richey 1961, 188), während Herzloyde in der genau entsprechenden Situation einen Umweg wählt (An lande unt an liuten, sprich, waz dir werre! 117,1). Auffällig ist die Terminologie der Jagd (spürn, slâge), wie sie im zweiten Fragment in ähnlichen sprachlichen Verwendungen und polyvalenten Konnotationen verwendet wird (etwa Strr. 165, 166): Ist dort Schionatulander Jäger der Minne und zugleich Gejagter, so ist hier Gahmuret durch die sprachlichen Wendungen und ihre metaphorischen Potenzen der Jäger auf der Spur der Minne und Schionatulander die aufgespürte Jagdbeute (vgl. dazu Kiening/Köbele 1998, 244). slâge ] „Werkzeug zum Schlagen, Schlag, Spur (bes. vom Hufschlag der Pferde), Fährte“ (Lexer II 956), hier die Spur, die die Liebesnot im Gesicht und in der Gestalt Schionatulanders hinterlassen hat, zugleich eine Metapher der Gewaltsamkeit der Minnewirkung (zur Jagdterminologie vgl. vorhergehenden Komm.).
2
tougen ] st.Neutr. „Geheimnis, Heimlichkeit“, Gen.Pl. von niht abhängig (vgl. Pz. 453,22 wie man sîner tougen inne wart heißt es von den Geheimnissen des Grals). Zum durchgängigen Motiv der tougen minne und des heln vgl. insbes. Komm. zu Strr. 53,3–4; 66,3 u. 76,1. nâhen gemâge ] Zum st. Mask. mâc bzw. sw. Mask. mâge = „blutsverwandte Person in der Seitenlinie“ wird das kollektive st./sw. Mask. gemâc bzw. gemâge = „Verwandter“ gebildet und dazu das Adj. gemâc, gemâge = „verwandt“. In Verbindung mit dem als Adv. zu deutenden nâhen handelt es sich bei gemâge wohl um eine Form des vor allem auch als „Rechtsausdruck“ (Martin; vgl. dazu DRWb IV 61) gebräuchlichen Adjektivs (vgl. Heinzle). Faßt man dagegen wie Lachmann, Leitzmann und Gibbs/Johnson gemâge als Substantiv auf, so ist mit ihnen nâhen in nâhe zu konjizieren: nâhe gemâge = „nahe Verwandte“. Da der überlieferte Wortlaut jedoch sehr gut verständlich ist, ist die Konjektur überflüssig. – Zur Verwandtschaft zw. Gahmuret und Schionatulander s. Komm. zu 55,2.
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verch ] st. Neutr., „als Sitz des Lebens sowohl Leben als Leib“ (Marti). Als ‚volksepisches‘ Wort scheint es von einigen höfischen Dichtern gemieden zu sein, bei Wolfram ist es jedoch sowohl im Pz. als auch besonders im Wh. reich belegt. von ordenlîcher sippe ] „Als eine nach genealogischen Zusammenhängen definierte Personengruppe hatte die Familie die größte Bedeutung für die mittelalterliche Sozialge-
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schichte. Das Früh- und Hochmittelalter kennt auch den Begriff der Sippe als Verwandtschaftskreis aller von einem gemeinsamen Stammvater abstammenden Personen („agnatische Sippe“) oder als Gemeinschaft der gleichzeitig lebenden verwandten und verschwägerten Personen („cognatische Sippe“) […]. Das in Generationenfolgen denkende agnatische Verwandtschafts- und Familienbewußtsein erstarkte im Hochmittelalter, speziell im 12. Jh., wozu die lehensrechtliche Bindung der großen Familiengüter beigetragen hat.“ (W. Volkert: Adel bis Zunft. Ein Lexikon des Mittelalters, München 1991, 54). (Zur konstitutiven Bedeutung von Verwandtschaft und Sippe in Wolframs Epik s. Bertau 1983a, 190 ff. u. Schmid 1986, 171 ff.) Daß ein Begriff wie ordenlîchiu sippe vor allem als genealogischer und das heißt immer auch rechtlich gesicherter und geordneter Familienverband begriffen wird und damit als ein Zusammenhang, der weit in die Vergangenheit zurückreicht und in ihr begründet ist, erklärt, weshalb der andere genealogische Entwurf, den die christliche Religion anbietet, die Geschlechterfolge seit Adam und Eva, in diesem Kontext (vgl. V. 4) überhaupt aufgerufen wird und weshalb er abgewiesen werden kann. 4
die spür ich nâher ] nâher nimmt das nâhen von V. 2 wieder auf; das spürn von V. 1 wird nun in den Sippenkontext übertragen. Die größere verwandtschaftliche Nähe wird durch die Genealogie des Sippenverbandes hergestellt; sie ist zu spüren, d. h. ist als ständig präsentes Lebensgefühl geradezu sinnlich erfahrbar. Indem das Verbum spürn aus V. 1 aufgenommen wird, so daß nun Gahmuret ebenso die Spur und Fährte der Verwandtschaft an Schionatulander wahrnimmt, wie er die Fährte der Minne an ihm gewittert hatte, wird eine Disposition zur Minne als gleichsam erbliches Sippenmerkmal suggeriert, wenn auch gerade nicht ausgesprochen: So, als nähme er Schionatulander gerade in und wegen seiner Affinität zur Minne als Verwandten wahr (zur Vorstellung der Erblichkeit des Minneschicksals vgl. auch Str. 132,2 und 89,4 und Komm. dort). Von daher scheint die von der Mehrzahl der Hgg. seit Lachmann vorgenommene Emendierung des die spür ich als mutmaßlich fehlerhafte Ditographie des Beginns von V. 1 problematisch. Angesichts der metrischen Variabilität der Titurel-Str. Wolframs ist auch eine Konjektur metri causa dieses zweifellos außergewöhnlich langen und gefüllten Verses keinesfalls zwingend. von der muoter, diu dâ wuohs ûz stelehaftem rippe ] „stelehaft adj. (nur hier belegt), mit merkwürdigem Suffix, gestohlen. Derselbe Witz wie Pz. 82,1 f. ist hier noch gesteigert. Gott ist als Dieb gedacht. Er stiehlt Adam die Rippe, woraus er Eva macht. Die Verwandtschaft von Adam und Eva her ist soviel wie keine Verwandtschaft“ (Marti). Die lineare Verwandtschaft aller Menschen über Adam und Eva (vgl. dazu die Materialsammlung von S. Singer: Zu Wolframs Parzival, 1898, 387 ff.) erscheint gegenüber der familiengenealogischen durch das stelehaft defizitär und dadurch auch etwas abgewertet: Gott hat Adam die Rippe genommen, als dieser im Schlaf lag (Gen. 2,21 ff.; vgl. Komm. zu V. 3). stelehaftem rippe ] In der Hs. G steht stelehafte, das entgegen der Lesung der Mehrzahl der Hgg. (stelehafter, bezogen auf das st. Femininum rippe) mit Bartsch und Piper in stelehaftem aufzulösen ist, wobei rippe wie in den beiden einzigen Belegen aus dem Pz. (82,2 und 256,19) als starkes Neutrum verwendet ist. Zudem ist an keiner Stelle der Hs. G Nasalstrich in –r aufzulösen; eine solche Auflösung wäre also als Konjektur gegen die Hs. zu werten.
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Stellenkommentar
101 (La 96) In der Hs. M wie im JT steht die Strophe zwischen Str. 108 und 109, zwei Strophen, die nach Franz (1904, 34) „aufs engste zusammengehören“.Gahmuret spricht dort über Sigune; der Lobpreis auf Schionatulander und vor allem die Nennung Anphlises paßt nicht in diesen Kontext und hatte ganz offensichtlich in M (und JT) eine Textänderung zur Folge (109,2 Sygvnen mVter für Schoysiane ir muoter in M und Mehrzahl JT), da sich das ir sonst auf Anphlise bezogen hätte (die Lesart von JT a svst Tschosian scheint noch die Lesung von G zu konservieren). Der Inhalt von Str. 101 weist deutlich darauf hin, daß es sich um einen Teil der Rede Gahmurets handelt, der noch von Besorgnis geprägt ist (so auch Franz), während er in den Strr. 108 u. 109 erleichtert den Lobpreis Sigunes anstimmt. Gahmuret weiß in diesem Teil seiner Rede noch nicht, was die ihm unverständliche Veränderung Schionatulanders bewirkt hat, und nur hier ist daher die stark emotionale Rückbeziehung auf Anphlise (nû muoz mich erbarmen V. 2) am Platze. Vgl. zur Strophenfolge auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.4. 1
du berndez saf minnen blüete ] Nach Marti ist „blüete, acc. plur. von berndez abhängig“ („Du Saft, der die Blüten der Minne hervorbringt“); blüete wäre aber auch als Gen. Sg. aufzufassen, der sich auf saf bezieht und von dem wiederum der Gen. minnen abhängt („Du hervorbringender Saft der Blüte der Minne“); schließlich ließe sich mit Docen interpungieren: du minnen ursprinc, du berndez saf, minnen blüete! Es darf wohl davon ausgegangen werden, daß der in die Mitte des 13. Jh.s zu datierende Liederdichter Wachsmut von Mühlhausen an einer Stelle den Tit. aufgreift (KLD I, Nr.61, IV 1.1 f.: ein bernde saf der minnen blüete, ein ursprinc aller sælikeit); auch dieses Zitat spricht gegen die zuletzt genannte syntaktische Erklärungsmöglichkeit. Schließlich ließe sich noch fragen, ob berndez saf überhaupt alleinstehend sinnvoll ist, m.a.W. ob es nicht dringend die Frage nahelegt, was denn hervorgebracht bzw. getragen wird. Im Vergleich mit dieser anspruchsvollen Konstruktion nimmt sich die Lesart von M Dv minne bernde saf vrsprinch minnen blvte als lectio facilior aus. – Zur Blütenmetaphorik im Tit. vgl. 32,2–3; 88,4; 108,2–3; 115,1; s. insbes. Komm. zu 32,2.
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nu muoz mich erbarmen Anphlîse ] „nun habe ich Anlaß, mit Anphlise Erbarmen zu empfinden“. Dies darf nicht nur als Ausdruck von Gahmurets Gefühl verstanden werden, sondern zugleich als Bekundung seiner Verantwortung, die er dadurch eingegangen ist, daß sie ihm Schionatulander als Knappen überlassen hat (lêch V. 3; vgl. auch den Komm. zu 39,2). Anders Gibbs (1980, 53), die meint, „daß sein Gefühl für Amphlise nicht so leicht zu vergessen war. Wenn das der Fall wäre, würde auch Gahmuret an Tiefe gewinnen.“
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als si dich gebære = „als ob sie dich selbst geboren hätte“.
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als liep du ir noch bist unt ie wære ] Heinzle setzt, darin gefolgt von Mohr und Gibbs/ Johnson, einen Punkt, versteht den Halbvers also als Hauptsatz („so liebt sie dich jetzt noch und hat dich immer geliebt“). Mit allen anderen Hgg. setzen wir ein Komma hinter stat und fassen den Abvers als Nebensatz auf. Die letztere der beiden syntaktischen Möglichkeiten scheint hier angemessener, weil nur sie das Verbundensein in der Zuneigung, das die Satzaussage ausmacht, auch syntaktisch zum Ausdruck bringt: nur sie spannt einen einzigen Bogen von gebære über kindes stat hin zur unauflöslichen Dauer der Liebe. Diese unauflösliche Dauer wird hier durch die Verbindung von Präsens und Präteritum ein und desselben Wortes zum Ausdruck gebracht (bist – wære), eine Ausdrucksform, die bei Wolfram an zahlreichen Stellen belegbar ist (Nachweise bei Martin zu Pz. 4,28).
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102 (La 97) 1– 4 Kunstvoll ist in diesen vier Versen das Grundthema formal gestaltet im Spiel und Widerspiel der das Verhältnis von Gahmuret und Schionatulander umschreibenden Pronomina: du – mih – dîn – mîn – dîn – dîn – du – mir – ich – dîner – du. 1
Hilest du mih dîn tougen ] Zum höfischen Motiv, daß minne heimlich sein muß und vor der Gesellschaft nicht gezeigt werden darf, vgl. Komm. zu 53,3–4, 66,3 u. 76,1. Der Vers greift zuvor Formuliertes wieder auf (100,2), allerdings in anderer Färbung: war es dort das Band der Sippe, an das appelliert wurde, so sind es hier die Bindungen des Herzens, der triwe und der stæte.
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daz dîn herze ie was ] „Der Ton liegt auf dîn. Liebende oder verwandtschaftlich eng Zusammengehörige sind als eins gedacht und können daher identifiziert werden“ (Marti). Das topische Motiv, daß Liebende (und wie hier auch Verwandte) als Ausdruck tiefer Verbundenheit gemeinsam ein Herz haben oder es miteinander austauschen können findet sich bei Wolfram – wie überhaupt in der höfischen Literatur – an vielen Stellen (vgl. insbes. Wh. 119,28 mîn herze was dîn herze ie [Ernalt zu seinem Bruder Willehalm]; Pz. 738,9 ieweder des andern herzen truoc [über die (Halb-)Brüder Parzival und Feirefiz]; weitere Belege bei Heinzle; s. auch Wechssler 1909, 227 ff.; zum Motiv des Herztausches s. R. Decke-Cornill: Stellenkommentar zum III. Buch des Wh., 1985, Komm. zu 109,8–15; s. auch Komm. zu 32,3). Vgl. auch dîn herze – mîn herze Str. 62, 2 u. 4 sowie uns beidiu in den herzen Str. 67,4 u. Komm. dort. hât sich dîn triwe geunêret ] Daß triwe (urspgl. Bedeutung: „Vertrag“) ein wechselseitiges Verhältnis voraussetzt, wird an dieser Stelle besonders deutlich. Schionatulanders triwe erleidet einen Verlust an êre, an gesellschaftlichem Ansehen, wenn er dem (ihm gleichfalls durch êre-bestimmte triwe verbundenen) Verwandten nicht die gewünschte Aufklärung zuteil werden läßt.
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entwildest ] Gahmuret greift hier zu einem Wort (entwilden = wörtlich „wild machen, verwildern lassen“, dann „entfremden, fremd machen, fremd sein lassen, vorenthalten“), das vor Wolfram nicht (BMZ III 668a; Lexer I 599 f.) und bei Wolfram nur an dieser Stelle belegt ist, und spielt damit offensichtlich an auf den auch sonst im Titurel so wichtigen metaphorischen Bereich der Jagd (vgl. zu verwildet den Komm. zu 3,4; zu wilde vgl. Komm. zu 64,4; 121,2–4; 157,4; 158,1–2). Gahmuret hält Schionatulander vor, daß er durch sein Verschweigen seine Herzensnot quasi vor ihm in die Wildnis führt, statt sie in den kultivierten Diskurs des Gefühlsaustauschs zwischen Verwandten zu überführen: „menschliche Beziehungen [scheinen] gefährdet, wenn Schmerzhaftes verheimlicht und nicht seiner ‚Wildheit‘ beraubt wird“ (Kiening/Köbele 1998, 243). Er appelliert daher auch sogleich im nächsten Vers an eine der wichtigsten Tugenden eines kultivierten Verhältnisses: die stæte.
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daz du sô wanclîche unbildest ] Gahmuret gemahnt Schionatulander: „(deshalb mag ich deiner Beständigkeit nicht zutrauen), daß du auf eine so hin- und herschwankende Weise unrecht handelst“. Der ganze Vers ist mit seinen negativen Verklausulierungen (enmag – niht – unbildest – wanklîche) eine einzige Umschreibung des höfischen Kultivierungswertes stæte, an den Gahmuret appelliert. Gahmuret spricht nach Hauer (1992, 39) in der ganzen Strophe das aus, „was Schionatulander vorzuwerfen ist. Das entspricht zunächst der Sorge-Pflicht, […] im weiteren mischt sich im Begriff der phliht zur Verpflichtung aber auch noch die rein persönliche Anteilnahme.“ – Zu wanc und wenken vgl. 51,4; 70,4 und 94,4 und Komm. dort.
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Stellenkommentar
103 (La 98) 1–2 Das Schlüsselwort ist gedinge: als st. Neutr. = „Vertrag, Bedingung“, als sw. Mask. oder st. Fem. oder st. Neutr. „Hoffnung, Gedanke, Zuversicht“. Heinzle versteht den Doppelsinn als Wortspiel: „Schionatulander hofft, daß Gahmuret nicht zürnt, und dies ist zugleich die Bedingung, unter der er zum Geständnis bereit ist“. Dies läßt sich noch genauer fassen. mîn gedinge ist Prädikatsnomen zum Imp. Sg. sî, dem drei Subjekte nachgestellt sind: dîn fride und dîn hulde sowie der Nachsatz unt daz mich dîn zorn niht fürbaz mêre twinge. Alle drei sind also bezogen auf gedinge, rufen von gedinge jedoch eine jeweils unterschiedliche Bedeutung ab: Bedingung ist es für Schionatulander, daß Gahmuret ihm fride und hulde zusichert; es muß vorher gleichsam vertraglich vereinbart sein, daß ein versöhnliches, schonendes Verhalten (wörtl. bedeutet fride „Waffenstillstand“) auch dann noch eingehalten und das Wohlwollen ihm auch dann noch gewährt wird, wenn sich Schionatulander eröffnet haben wird; die Hoffnung Schionatulanders ist es, daß ihn dann nicht der zorn Gahmurets trifft. Alle drei sind wichtig, nicht nur die hulde, wie Hauer meint („der erste und grundlegende Schritt ist die Anerkennung des Begehrens, die huld der Welt“; 1992, 42), der allerdings eine zentrale Bedeutung zukommt, da Schionatulander mit ihr das Gespräch mit Gahmuret beschließt: sît daz ich mit dînen hulden minne Sigûnen (112,3 f.). 2
niht fürbaz mêre ] „nicht weiterhin mehr“. Dieser Zusatz zu zorn gibt nur Sinn, wenn Gahmuret vorher schon zornig war bzw., wie schon Marti festgestellt hatte, wenigstens zornig geklungen hatte. Marti vermutet, daß sich dies auf die letzten Verse von Str. 102 bezieht, die in der Tat als leichter unmutiger Tadel gehört werden können.
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ich hal dur zuht … ] Hier wird explizit ausgesprochen, daß die Verheimlichung der minne eine Forderung der Erziehung, der zuht ist. Vgl. Komm. zu 53,3–4.
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Sigûnen … ane gesiget ] Wie auch in Str. 110,4 (Sigûne diu sigehafte; s. Komm. dort und Komm. zu Str. 114,1) spielt Wolfram hier mit dem Namen Sigune, indem er einen Namensbestandteil abspaltet (Tmesis) und ihm eine Verwandtschaft mit dem sw.V. sigen unterstellt (vgl. Springer 1975, 237). Nach Hauer (1992, 42) ist dieser Vers deshalb so wichtig, weil die an Schionatulander von Gahmuret diagnostizierten Minne-Merkmale hier einen Namen bekommen: „die Minne wird im Aussprechen restlos öffentlich, jetzt kann ihr gemäß begegnet werden.“
104 (La 99) 2
der Franzoysinne ] = Anphlise; vgl. Komm. zu 39,2; 97,4; 101,2. Antonomasie wie 37,3. obe ich dîner sorge ie getrüege ] Der Gen. Sg. dîner sorge (vom st. oder sw. Fem. sorge) ist partitiver Genitiv: „einen Teil (etwas von) deiner Sorge“. Schionatulander nimmt mit dem Bild des ‚Sorgetragens‘ für einen anderen den Bildbereich des ersten Verses wieder auf: Du maht, wil du, ringen den last ungefüege.
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Der Vers bietet drei schwerwiegende Probleme: 1. Der Vers ist mit sieben Sprechsilben zu kurz für sechs Hebungen, was gerade für die metrisch unproblematischen dritten Verse der ansonsten variablen Metrik der Titurel-Strophe einen singulären Fall darstellt (vergleichbar ist allenfalls der achtsilbige Vers 144,3, wo aber die Verknappung durch
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die Aufzählung metrisch-musikalisch und rhetorisch plausibel zu machen ist); daher liegt die Annahme nahe, daß hier mindestens ein Wort fehlt (vgl. dazu vor allem Bumke 1973, 152 f.). Dafür spricht auch die Erweiterung des Verses im JT. 2. Der Bezug und die Syntax – von ir muß wohl als „ihretwegen“ aufgefaßt werden (s. BMZ III 372a) – ist extrem schwierig. Bezieht sich ir auf Anphlise oder auf die sorge (Piper) oder auf Sigune (Docen)? Oder ist sorge in trôstes zu verändern (Martin: von ir trôstes = „wegen des Trostes der Amphlise“) oder fehlt hier ein Substantiv (Marti)? 3. krenken, „passiver subst. Infinitiv, das Gekränkt-, Geschwächtwerden; oder plur. von krenke stf., Schwachheit“ (Marti). Beide Möglichkeiten sind problematisch: der subst. Infinitiv, weil er hier ohne Artikel als Dativ von ûz abhinge; das Substantiv im Dat.Pl., weil es als solches und dann zumal im Pl. äußerst ungewöhnlich ist (man könnte allerdings auch einen aus Reimgründen schwach flektierten Sg. annehmen [vergleichbar 84,4]; bei Wolfram erscheint krenke nur einmal im Dat. Sg. Pz. 810,29). Die Hss. des JT bestätigen immerhin übereinstimmend uz krenken. Da die beiden zuletzt erörterten grammatisch-syntaktischen gelagerten Probleme immerhin Lösungsmöglichkeiten eröffnen und der Vers mithin plausiblen Sinn ergibt, blieben allein die metrischen Bedenken. Aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich der metrisch-musikalischen Gestalt der Tit.-Str. und ihrer möglichen Performanz (vgl. dazu „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5) halten wir es denn doch nicht für geboten, hier metri causa eine Crux anzusetzen. 4
Mohr (1977, 140) ironisiert die zahlreichen philologischen Bemühungen, diesen schwierigen Vers zu entschlüsseln, gibt indessen eine Lösung, die kaum befriedigen kann: „Ebensowenig wie ein schlafender Löwe in schwerem Schlafe liegt (da er laut Physiologus mit offenen Augen schläft), so tut es mein wachendes Gedenken.“ Das ist ungefähr das Gegenteil von dem, was im Text steht, der nach wie vor schwierig bleibt, und er ist deshalb so schwer verständlich, weil die Vorstellung, die Schionatulander hier zur Beschreibung seines Krankheitszustandes (nämlich der swære seiner auf Sigune fixierten Minnegedanken) aufgreift („ein schlafender Löwe ist niemals so bedrückend bzw. gefährlich wie meine wachenden Gedanken an Sigune“), nicht bezeugt ist. Daher sind die Erklärungen der Kommentatoren, die sich mit nicht ganz passenden Belegen zu helfen suchten, allesamt unbefriedigend: „ein slâfender leu erklärt sich aus dem Glauben des Mittelalters, daß der Löwe mit offenen Augen schlafe […]. Daher ist er leicht zu wecken und darum die Nähe auch eines schlafenden Löwen fürchterlich“ (Martin); Marti kommentiert: „Unklar ausgedrückt: meine Gedanken, wenn ich schlafe, gleichen dem schlafenden Löwen, von dem man sagt, daß er seine Augen immer offen hat; sie sind aber gefährlicher als dieser, nämlich gleich dem wachenden.“ Heinzle hat das Problem ganz deutlich umschrieben: dem Löwenbild muß „eine Vorstellung zugrundeliegen, derzufolge der schlafende Löwe swærer, ‚bedrückender‘ bzw. ‚gefährlicher‘, ist als der wache, denn nur dann hat die Gegenüberstellung von slâfen und wachen einen Sinn.“ Heinzle rekurriert daher nicht auf die gängige, von den früheren Kommentatoren herangezogene Vorstellung, daß der Löwe mit offenen Augen schlafe (dazu ausf. Schleusener-Eichholz 1985, 326 ff.); denn die besondere swære des schlafenden Löwen im Gegensatz zum wachen sei damit nicht erklärt; er zieht vielmehr eine seltener (z. B. bei Vincenz von Beauvais im „Speculum Naturale“ [Neudr. Graz 1964] IXX 66) bezeugte Vorstellung heran: „wenn ein Löwe ‚in einem Schiff schläft, so senkt sich dieses tiefer als gewöhnlich, erwacht er dann, so tritt wieder normaler Tiefgang ein‘ […].“ Heinzle interpretiert diese Textstelle so: „Der schlafende Löwe ist demnach also im eigentlichen Wortsinn ‚schwerer‘, im übertragenen ‚gefährlicher‘ als der wache“. Er sieht überraschenderweise nicht,
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Stellenkommentar daß er mit dieser Ausdeutung des Beleges die frühere Schwierigkeit, die er zuvor so überzeugend beschrieben hatte, selbst wieder produziert. Denn es ist gar nicht einzusehen, weshalb man die Vincenz-Stelle so interpretieren solle, daß dem schlafenden Löwen eine allgemeingültige allegorische Bedeutung der Gefährlichkeit zukomme, daß also ein durch den Schlaf schwererer Löwe ein gefährlicherer Löwe sei außer in der ganz spezifischen Situation der Seefahrt, wo zusätzliches Gewicht gefährlich ist. Die Lösung scheint in einer anderen Ausdeutungsrichtung zu suchen zu sein. Auszugehen ist von dem zweiten Teil des Verses: gesagt werden soll offenbar, daß es nach Schionatulanders Meinung nichts Beschwerenderes, Bedrückenderes gibt als seine so schmerzlichen Minnegedanken an Sigune. Wolfram macht jetzt einen seiner gewohnten Sprachspiele, er nimmt das Wort, das solche Bedrückung traditionellerweise ausdrückt: swære (dem in V. 1 das Bild von der ungefüegen last entspricht; vgl. auch die programmatische Verwendung der Vokabel zu Beginn diese Gesprächs Str. 97,1) und verwendet es nun im ersten Halbvers (dem Bild vom schlafenden Löwen) so, als habe es nur diese Bedeutung: ein schlafender Löwe wurde nie so schwer (im körperlichen Gewichtssinne wird der Löwe ja in einer naturkundlichen Tradition in der Tat, wie das Schiffsbeispiel beweist, noch schwerer, als er ohnehin schon ist; deshalb das wart!), um es dann für den zweiten Halbvers wieder im andereren, übertragenen Sinne dagegegenzusetzen. Der in der philologischen Erklärungsarbeit von Generation zu Generation weitergetragene Gedanke, daß ein Löwe gefährlich ist, gehört in die Vorstellung, auf die es hier ankam, offenbar gar nicht hinein. Wolfram entwickelt spielerisch mit dem wörtlichen und dem übertragenen Sinn von swære eine Art Zeugma, indem er die metaphorische Bedeutung des Wortes noch ganz an die konkret-dingliche Vorstellung bindet und nicht von ihr unterscheidet: „ein schlafender Löwe wurde niemals so schwer wie meine wachenden Gedanken an Sigune schwer sind“. Die Opposition Schlafen vs. Wachen, die nach Heinzle die größte Schwierigkeit ausmacht, betrifft demnach nicht den Kern der Vorstellung. Vielmehr ist die Wachheit der Gedanken gleichsam sekundär gegenüber ihrer Schwere und betont nur zusätzlich die Überbietung des Vergleichsgegenstandes. Paraphrasiert: „Meine Gedanken sind schwerer als ein schlafender Löwe – und das, obwohl sie wach sind, wo doch der Löwe erst schwer und schwerer wird, wenn er schläft.“ – Ähnliche poetische Verfahrensweisen des verwirrenden Spiels mit der Polysemie von Worten finden sich namentlich im zweiten Fragment, etwa in Str. 150 (prîs), Str. 158 (wilde), Str. 159 (vâhen).
105 (La 100) 1
ouch wis gemant ] Greift den V. 104,2 wieder auf (nu wis der Franzoysinne gemant), daher der Einsatz mit ouch: „auch laß dich erinnern!“ was mers unt der lande ] Gen. part., abhängig von waz: „was an Meer und an Ländern“ = „wieviele Meere und Länder“. Die formelhafte Verbindung von mer und lant (vgl. etwa Pz. 663,26; Wh. 453,27) ist an dieser Stelle, stärker als sonst oft, auch mit Erfahrung erfüllt, denn Schionatulander hat, eigentlich gegen seinen Willen (s. Str. 76), die lange Reise mit Gahmuret auf sich genommen, die ihn über mer und lant geführt hat.
2
durh dîne liebe … niht durch armuot ] „aus Liebe zu dir, nicht aus Armut (= um Sold zu verdienen)“. „armuot hier im Sinne von ‚Abhängigkeit‘. Schionatulander ist selbst ein großer Fürst […] und kein Vasall des Anschewin, der zur Teilnahme an dessen Kriegszügen verpflichtet wäre“ (Hollandt).
104/105/106
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mâgen unt mannen ] Auch diese an sich formelhafte Wendung gewinnt im Kontext der Erfahrung, auf die sich Schionatulander hier beruft, deutlichere Kontur und meint nicht nur „alle Menschen“. Vgl. auch Str. 79, 1–2 und Komm. dort. bin … entwichen ] „habe verlassen, bin in die Ferne gezogen von“. 3
Anphlîsen ] vgl. Kommentare zu 39,2; 97,4; 101,2; 127,2.
4
lâ dîne helfe schouwen ] In allen drei Gesprächenszenen des ersten Fragmentes spielt die Bitte um helfe bzw. das Angebot der helfe eine zentrale Rolle. Ist es Schionatulander, der von Sigune mehrfach Hilfe erbittet (56,3–4; 62,4; 72,4), so wie er sie hier von Gahmuret erbittet, so bekommt Sigune helfe von Herzeloyde angeboten (117,3). Die hier erbetene helfe in Minneangelegenheiten scheint von Schionatulander auch als Gegenleistung für seine helfe für Gahmuret in Knappen- und Kriegsdiensten begriffen zu werden (vgl. 106,3).
106 (La 101) 1
von slôzlîchen banden ] slôzlîch adj. = „mit slôz versehen, schließend, umschließend“, nach Ausweis der Wörterbücher nur hier belegt. Marti übersetzt von slôzlîchen banden mit „von Kerkerbanden“. Der Pleonasmus soll aber durch die Verdoppelung wohl eher die Stärke bezeichnen, durch die sich Schionatulander gefesselt fühlt. Zugleich verdeutlich sich in dem Anvers Du maht mich wol enstricken das große Vertrauen, das Schionatulander seinem älteren Verwandten entgegenbringt. Wehrli (1974, 21) subsummiert diese Verbindung unter die oft „fast zwanghaft wirkenden Wiedergaben eines Begriffs durch Umschreibung“. – Zur Metaphorik des Bindens und der Fesseln s. auch Str. 47,4 (vgl. Komm. dort), 112,2 u. insbes. 121,4 (vgl. Komm. dort). Dazu insbes. Ruh 1989, 508 f. u. Kiening/Köbele 1998, 246 f. Zu entstricken/stricken vgl. Komm zu 96,4.
2
schiltes hêrre ] Sicherlich eine „Umschreibung für Ritter“ (Marti), als Terminus jedoch sonst nicht belegt. In Str. 79,4 werden die Knappen, die Gahmuret auf seinen Zug mitnimmt knappen ze yser âne schilt (= „in Eisen, aber noch ohne Schild“) genannt, woraus wohl zu schließen ist, daß das Schildführen als besonderes Kennzeichen des Vollritters galt. Interessant ist an dieser Stelle, daß Schionatulander bei seinem ritterlichen Selbstentwurf vor Gahmuret als erstes den Schild benennt und damit ein Moment wieder aufnimmt, das bei der Selbstdarstellung Gahmurets eine besondere Bedeutung gewonnen hatte. Vgl. den Komm. zu 74,2; 79,4; 80,4.
2–3 under helme unt ûf kost ] „der aufgebundene Helm ist das Zeichen der Kampfbereitschaft“ (Marti; zum Ausdruck under helme vgl. Strr. 50,4; 132,4; 153,1; s. auch Komm. zu 50,4); ûf kost = „so daß es Kosten veranlaßt“ (Martin; vgl. Pz. 521,30; 812,24; Wh. 209,27). „Welche Kosten hier gemeint sind, ist nicht ganz klar: es kann sich um die Kosten fürstlicher milte handeln […], aber auch um den Aufwand, den der fahrende Ritter an Reisekosten, Sold für die Knappen etc. zu bestreiten hat“ (Heinzle). V. 3 läßt sich als eine Explikation zu under helme und ûf kost in den landen verstehen: das Streben nach prîs mit einer helfec hant (= eine Hand, die durch kämpferischen Einsatz wie durch Freigebigkeit Schutz und Hilfe für alle Bedrängten gewährt; zum helfe-Motiv vgl. Komm. zu 105,4) wäre auch der Grund für die Entstehung von Kosten in den landen. Dann läge es
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Stellenkommentar in der Tat sehr nahe, mit Heinzle den gesamten Ausdruck als eine „Variation des fortitudo-et-liberalitas-Topos“ aufzufassen (so auch Hollandt). Vgl. Strr. 4,2; 14,4; 16,2.
4
die wîle ] „bis dahin, unterdessen, inzwischen“ (auf nhd. „alldieweil“ verweist Marti). voget … twingen ] Hollandt weist darauf hin, daß voget wie scherm und twingen „forensische Begriffe“ sind: voget (lat. vocatus), der „Rechtsvertreter des nicht Rechtsfähigen“, hier im übertragenen Sinne: „der Vormund eines für Kampf und Minne noch nicht Mündigen“; scherm „bezeichnet urspünglich den Fell- oder Lederüberzug des hölzernen Schildes“, dann den Schild überhaupt. „Aus der Abstraktion ‚Schutzwehr, Schutz‘ entwickelt sich der Begriff des militärischen und rechtlichen Schutzes. – twinc = „Zwang, Bedrängnis, Gerichtsbarkeit, Herrschaft“. Hollandt versteht die Form twingen als eine oblique Form (Dat.Pl.) vom st. Mask. twinc. Es scheint jedoch näherliegend, vom substantivierten Infinitiv von twingen („drücken, zwängen, bedrängen, Not und Gewalt antun“) auszugehen, da der Pl. vom st. Mask. twinc ungewöhnlich wäre. Die verwendeten Begriffe spiegeln das Geschehen der Minnekrankheit mithin auf einer anderen Ebene, auf der Gahmuret als starker, schutzgebender Gebietsherr angerufen wird von einem Schwachen, dem das gewalttätige Wirken einer Zwingherrin im Minnekrieg kaum mehr die Kraft läßt zum Überleben. „Als Schirm-herr, als offizieller und damit öffentlicher Förderer, ist es Gahmurets Aufgabe, Schionatulander bis zu der Zeit, da dieser selbst Ritter ist (schiltes hêrre under helme), für die Öffentlichkeit tauglich zu erhalten“ (Hauer 1992, 43). – Zu twingen als Terminus des Liebeskrieges vgl. Komm. zu 68,3.
107 (La 102) 1
Ey kranker knabe ] Gahmuret nimmt mit seiner Anrede an Schionatulander die letzten Verse der vorigen Strophe, in der dieser als ein Schutzbedürftiger um Beistand bittet, wieder auf: „Ach, schwacher Knabe“. kranc ist im Mhd. kein medizinischer Begriff, dafür steht siech, sondern Synonym von swach, der Gegensatz ist: starc (vgl. kranc Str. 66,2; krenken/ verkrenken Strr. 34,2; 62,4; 90,3; 92,2; 145,2). Im Wh. 179,30 fordert der französische König von seinem ungebärdigen Schwager Willehalm, der Hilfe von ihm erwartet, erst einmal die Krone zu ehren durch ein dankbares, ehrerbietiges Verhalten: muoz aber ich mit mîner krefte / iu dienen z’undanke, / sô bin ich’z der muotes kranke. Heinzle übersetzt: „so denke ich nicht daran“, Kartschoke: „so werde ich mich dazu nicht entschließen“. Tatsächlich steht da: „so bin ich es, der schwach ist an Willen“ oder sogar „schwach im Kopf“. waz waldes ê muoz verswinden ] „Bei dem Wald, der verswinden muß, handelt es sich um die gleiche Vorstellung wie in dem Ausdruck waltswende (P. 57,23): der Wald sind die zu Speeren verarbeiteten Bäume“ (Marti). Das Bild findet sich sehr oft bei Wolfram (vgl. Pz. 79,23; 372,5 ff.; 379,6 f.; 427,3; 665,15; Wh. 156,29; 220,12 f.; Tit. 31,4, s. Komm. dort). – Heinzle hebt darauf ab, daß diese Wendung, wie Str. 31,4 zeige, nicht metaphorisch zu verstehen sei: „der Ritter holzt indirekt die Wälder ab“. Er tut es eben nur indirekt, und so wird es doch zu einer Trope in Form einer Metonymie. Wichtiger erscheint uns, daß Gahmuret mit seiner „Grotesk-Hyperbel“ (Wyss 1974, 274) auf die wichtige Stelle 31,4 anspielt. Dort hatte Kiot voller Stolz zu seinem Töchterchen Sigune gesagt: were Swartzwalde hie ze lannde, er wurd ze scheften gar durch dich gemachet; hier nun wird dieses Bild, wieder bezogen auf Sigune, aufgenommen, und das heißt: bevor Gahmuret noch in Str. 108 seine Freude über diese Wahl – und auch dort bezieht sich die Freude nicht auf die Person, sondern auf deren Stellung – bekundet (108,1 doch fröu
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ich mich der mære, daz dîn herze sô stîget), formuliert er den für den ganzen Text so entscheidenden Gesichtspunkt, daß minne erst verdient werden muß und sich erst erfüllen kann, wenn hohe Schranken überwunden sind, die die Minnekonvention der höfischen Welt davor aufgerichtet hat. Für Gahmuret ist mithin „der Gesichtspunkt des formellen Minnedienstes ausschlaggebend“ (Wyss 1974, 274). 2
bevinden ] st.V., „finden, kennenlernen, erfahren“ (vgl. Str. 118,4).
3
werdiu minne] = hôhiu minne (vgl. Strr. 3,1; 13,2; 23,4; 92,1 u. Komm. dort). Diese „hat ihre eigenen Regeln, ja sie wird erst hohe Minne durch die Verpflichtung auf diese Norm. Grundlegend ist dabei das Dienst-Lohn-Verhältnis“ (Hollandt). Zum DienstLohn-Verhältnis im Minnedienst s. Kasten 1986; Schnell 1985, insbes. 77 ff.; Willms 1990, insbes. S. 122 ff. teilhaft ordenlîche ] teilhaft meint nicht wie sonst „Anteil habend“, werdiu minne bezieht sich also nicht auf Schionatulanders Liebe, die ihm ordenlîche (Adv. = „der Ordnung, der Regel entsprechend“) zuteil wird. Vielmehr muß, wie der folgende Vers zeigt, für teilhaft hier die nicht belegbare Bedeutung „Anteil gebend, zuteil werdend“ angesetzt werden; denn die Erfüllung seiner minne wird Schionatulander nur ordenlîche zuteil, wenn er sie, wie V.4 zeigt, durch eigenes Verdienst erwirbt; er muß sich dafür nach bestimmten Ordnungsregeln bewähren (vgl. dazu Wolff 1966, 558). Die Hs. M schreibt, um dies noch zu unterstreichen, wan div minne (ebenso JT EaNr.54), die Hss. ABJKXY des JT werden noch deutlicher: wan ir minne ( = „denn die minne Sigunes wird Schionatulander nur ordenlîche zuteil“).
4
Im vierten Vers werden zwei Gegensatzpaare chiastisch gegeneinander gestellt und mit dem Verb erwerben verbunden. Der Unterschied, der dadurch bezeichnet werden soll, bezieht sich auf die Frage, wie denn die in V. 3 genannte werdiu minne, die ja verdient werden muß, erworben werden kann. Christoph (1999, 48 f.) spricht in diesem Zusammenhang von einer „chivalric platitude“. Aber vielleicht ist hier doch mehr gemeint. Die Gewichtung ist die, daß der sælige („der von der sælde, vom Glück Begünstigte“) ellenthaft („mannhaft, tapfer“; unflektiert, da nachgestellt) sie eher erwirbt als der zagehafte („feige, zögerliche“) rîche („der Macht und Reichtum Besitzende“). „rîcheit, d. h. Macht und Reichtum, sind zwar selbstverständliche Voraussetzungen der hohen Minne, doch begründen sie noch keinen Anspruch auf Minnegunst; erst durch den Erweis ritterlicher Tüchtigkeit wird der Bewerber ihrer würdig“ (Hollandt). Wyss (1974, 274) spricht in diesem Zusammenhang von einer „seltsam zweideutigen Ideologisierung“, geht dabei aber davon aus, daß „einerseits der sælige dem rîchen, anderseits ellenthaftez dem zagehaften Verhalten gegenübergestellt“ werden. Das ist, wie oben dargelegt, nur bedingt richtig; denn es geht hier nicht um zwei Gegensatzpaare, sondern um eines: der sælige ellenthaft ist eine Größe für sich und anderseits der zagehafte rîche, und nur sie darf man einander gegenüberstellen (dafür sprechen auch die Lesarten: M schreibt der arme (ellent)hafte, JT D nur der arme, JT R nur d’ ellenthaft, JT ABE variieren mit ellen e der selige). Daß im übrigen diese „Sinnsprüche“ für den „Stärkeren Partei nehmen“, ist evident, ergibt sich aber aus den Erziehungsmaximen der höfischen Minnelehre, die die einer adligen Elite ist, mit Folgerichtigkeit. Daß gleichwohl Gahmurets Lehren eben die seines eigenen Verständnisses von minne sind, hat Christoph (1981, 184) herausgearbeitet: „Gahmuret’s unqualified blessing on the modus operandi which Sigune herself had requested can only confirm Schionatulander’s limited understanding of how minne may be gained and maintained. The question of what love is, what is to be done with it once gained, what it demands from lover and beloved – these matters are left unsettled.“
352
Stellenkommentar
108 (La 103) 1
mære ] Die Hs. M (sowie JT und Martin) liest hOhe (nach 92,1–2; s. Komm. zum Folgenden). Doch der frohlockende Schluß der Strophe (owol dich der lieplîchen melde!) nimmt die mære wieder auf und bestätigt damit die Lesung von G. – Huschenbett (1996, 196) weist angesichts dieser Reaktion von Gahmuret und später von Herzeloyde (Str. 131 ff.) auf die im Rahmen der Tradition des Minne-Romans völlig neue und ungewöhnliche Verinnerlichung des Minne-Prozesses durch die Eltern und die Gesellschaft bzw. deren Vertreter hin. Sie antizipieren das Ende und „geben schon jetzt ihre Zustimmung, was der Roman-Struktur völlig zuwiderläuft.“ Huschenbett meint daraus schließen zu können, daß die Titurel-Fragmente auf den schon veröffentlichten „Parzival“ hin, d. h. auf das dort bezeichnete Ende der Sigune-Schionatulander-Handlung hin geschrieben worden sind. Dies scheint uns aus prinzipiellen Erwägungen problematisch zu sein, da im Schluß der überlieferten „Titurel“-Stücke die Katastrophe und deren Folgewirkungen gerade ausgeklammert bleiben – merkwürdigerweise, wenn man vom Pz. her denkt (vgl. dazu auch einl. Komm. zu Strr. 169–175 und zum Schluß des überlieferten Textes). daz dîn herze sô stîget ] Die fröide ist verbunden mit einer hierarchischen Vorstellung, sie bezieht sich zunächst nicht in erster Linie auf die persönliche Liebesbeziehung, wie der nun folgende ausführliche Lobpreis Sigunes und ihrer Sippe zeigt: darin, daß Sigune aus so hohem Geschlecht stammt und Schionatulander seine Minnegedanken auf eine so hochgestellte Minnedame richtet, also in der ständischen Erhöhung, liegt für Gahmuret der Anlaß zur Freude. Zugleich ist aber unverkennbar auch an die Metaphorik des Aufrichtens und der Erhebung zu hôher minne zu denken, wie sie 91,4 und insbes. 92,1–2 entfaltet wurde (nu lât in hôhe minnen – sô muoz er ouch denken, / wie er sich gein der hœhe ûf rihte; s. auch Komm. dort). Wiederum scheint hier die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit der Signifikanten thematisiert: Die topische Metapher der hœhe wird sowohl ständisch hinsichtlich des Objekts der Minne als auch personal hinsichtlich des Subjekts des Minnenden konnotiert.
2
boumes stam ] „das Geschlecht, aus welchem wie Äste und Zweige die Nachkommen erwachsen“ (Martin). Durch den Stammbaum und seine Verweigung (das Verb erzwîgen ist nur an dieser Stelle belegt; üblich ist das unkomponierte Verb zwîgen, das die Hs. M überliefert), wird das reichverzweigte Geschlecht Sigunes gerühmt. Die genealogische Metaphorik des Baumes, der Äste und Triebe hervorbringt und Blüten (s. V. 3) trägt, klingt deutlich an die biblische Formulierungen für das Geschlecht Davids bzw. Isais an, welches das Geschlecht des Messias und im christlichen Verständnis somit das seiner Mutter Maria ist ( Jes. 11,1 u. 10; Dan. 11,7; Röm. 15,12; Off. 22,16). Nach Heinzle schwingt schon hier „auch die Blütenmetaphorik des Minnesangs mit“, wie sie dann im folgenden Vers aufgenommen wird.
3
si liuhtec bluome ] „die Attribute lieht, liuhtec sind Topoi für das mittelalterliche Schönheitsideal“ (Hollandt). Vgl. dazu insbes. Komm. zu 7,4 u. 26,3. Sind an dieser Stelle die Beziehungen zur geistlichen Lyrik, in der Christus und Maria oft als Blume bezeichnet werden, nicht zu übersehen, so wird die topische Blütenmetaphorik im Tit. vielfältig und auch brüchig verwendet: s. Strr. 32,2; 32,3; 88,4; 101,1; 111,4; 115,1 und jeweils Komm. dort. – Syntaktisch ist der Verseingang ähnlich gebaut wie Str. 33,3 (vgl. den Komm. dort). ûf heide, in walde, ûf velde ] Metonymisch-formelhaft für: „wo immer sie sich zeigt, glänzt sie“ (Martin). M liest an felde (so auch JT ABDE und Martin), wechselt also die
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Präpositionen (Str. 112,4 genau umgekehrt), was übrigens bei Wolfram auch gut belegt ist (vgl. die Belege bei Martin zu Pz. 168,28). Zur Artikellosigkeit bei Substantiven, wenn „sie nicht in einem spezielleren, sondern in einem allgemeineren Sinne verstanden sind“, vgl. Mhd.Gramm. § 421 sowie Komm. zu 1,3. 4
müemel ] Diminutiv zu muome, also ursprünglich „Schwesterchen der Mutter“, dann ganz allgemein „weibliche Verwandte“. Hier soviel wie „Nichtchen“; denn Sigune ist die Tochter von Gahmurets Schwägerin Schoysiane. melde ] Marti bezieht lieplîche melde auf V. 3, also auf Sigunes „Ruf, daß sie eine liuhtec bluome ist“. Der ganze Tenor der Strophe mit ihren rhetorischen Exklamationen bezieht sich jedoch durchgängig darauf, daß Gahmuret seine Freude über die so gute Wahl Schionatulanders zum Ausdruck bringt, was besonders auch durch die Korrespondenz von mære (V. 1) und melde unterstrichen wird.
109 (La 104) Zur Strophenfolge und den unterschiedlichen Lesarten in G, M und im JT vgl. den einl. Komm. zu 101. 1
beruofen = „öffentlich verkünden, ausrufen“; dâ für wart beruofen = „wurde dafür öffentlich gerühmt“ (vgl. 154,4).
2
daz got selbe unt des kunst ] Gott als Künstler (deus artifex) ist ein weit verbreiteter Topos. Vgl. dazu Curtius 1948, 116 ff. (Die Natur und Gott als Bildner schöner Menschen), 527 ff. (Gott als Bildner). Zu den vielfachen Belegen bei Wolfram vgl. Heinzle. – Zur syntaktischen Struktur (des kunst statt sîn kunst), die bei Wolfram sehr oft vorkommt (dazu ausf. J. Grimm, Dt. Grammatik IV, 1898, 341 ff.), vgl. Mhd.Gramm. § 407.
3
Schoysîânen blic der sunnenbære ] „konstruktionslos vorausgenommener Nom., durch den ([V.] 4) wieder aufgenommen“ (Marti). Der sonnenhafte Glanz der Schönheit Schoysianes rekurriert auf den Schönheitspreis von 14,2: schœner maget wart nie gesehen bî sunnen noch bî mânen und steigert ihn hier noch durch die dreifache Betonung des göttlichen Anteils an der Herstellung solcher Vollkommenheit: got selbe – des kunst – mit willen (V. 2). – sunnenbære ist hapax legomenon.
4
iehent ir erkantlîchiu mære ] Mit diesem Schluß schwingt die Strophe zurück in ihren Anfang; denn der anfänglichen Feststellung dâ für wart beruofen („dafür wurde sie öffentlich gerühmt“) entspricht genau der als Hauptsatz angeschlossene bestätigende Nachsatz: iehent ir erkantlîchiu mære („so sagen von ihr allgemein bekannte Geschichten“).
110 (La 105) 1– 4 Die syntaktische Konstruktion ist noch eigenwilliger und gebrochener als die der vorigen Strophe: der Vers 3 ist der eigentliche Hauptsatz; er weist durch das ir zweiger zurück auf die ersten beiden Verse und durch das sus vor auf den Schlußvers, der den in V. 3 angekündigten Gruß formuliert. Auf das ir zweiger in V. 3 bezieht sich der vorangestellte Nominativ Kîôt, der näher bezeichnet wird durch einen partizipialen Ausdruck (der prîs beiagende in der scharflîchen herte) und durch die Apposition der fürste ûz Ka-
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Stellenkommentar telangen. Von dem partizipialen Ausdruck ist ein Temporalsatz abhängig, in dem Schoysiane als Subjekt fungiert, die, als Mutter Sigunes und Frau Kiots, in dem Gen.Pl. ir zweiger (V. 3) wieder aufgenommen wird. Der Satz fällt in seinem ersten Teil völlig auseinander, entwickelt sich qualvoll und bietet daher – obwohl oder weil der Erzähler emphatisch seinen Gruß durch die Formel mit wârheit (V. 3) bekräftigt – keine sehr tragfähige Basis für den Preis der Sieghaftigkeit Sigunes, mit dem im 4. Vers die Strophe schließt. Die Hs. M und der JT haben an dieser Stelle eine Satzstruktur, die diese Brüche nicht aufweist: hier fehlt das den Nebensatz in V. 2 einleitende ê, der Satz wird damit zum Hauptsatz (Tschoysianen tot im alle frevde werte), wobei der Dat.Sg. im den Nom. pendens Kîôt, der prîs beiagende … wieder aufnimmt und der in V. 3 beginnende Satz zum selbständigen Hauptsatz wird.
1
Das Adj. scharflîch ist nur hier belegt; es stellt sich zu den ähnlichen zum Zweck der Umschreibung gebildeten Neologismen schuzlîchen (65,2), schilteclîch (71,4) und slôzlîch (106,1; vgl. Komm. zu 111,4). Das konventionelle Bild vom kämpfenden Ritter als Jäger des prîs fügt der vielgestaltigen Jagdmetaphorik dieses Textes (vgl. etwa Komm. zu 3,4 u. 64,4) eine neuen Aspekt hinzu.
2
ê Schoysîânen tôt ] Zu Sigunes Herkunft und frühen Familiengeschichte vgl. Str. 13 ff. Der Tod seiner Frau Schoysiane war für Kiot Anlaß, sich aus dem Weltleben zurückzuziehen (Str. 22).
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Sigûne, diu sigehafte ûf dem wal, dâ man welt ] „etymologisierend und wortspielend wird einerseits der Name Sigune mit sigehaft in Zusammenhang gebracht und ebenso wal (stn. Schlachtfeld; s. P. 182,8) mit weln (wählen), womit das Wort nichts zu tun hat“ (Marti; s. dazu auch die Fortsetzung des Wortspiels in Str. 111,2 mit gesiget und sigenunft sowie Str. 103,4 Sigune … gesiget; vgl. auch Springer 1975, 238). Bertau (1977, 100) fragt sich, ob der Namenswitz mit Sigune „etwas mehr als ein Kalauer war“. In dieser Kampf-Minne-Metaphorik von sig(e)- und wal werde man wohl „erst im Zusammenhang der erotischen Metaphorik […] etwas mehr als wortspielende Albernheit entdecken können.“ Es fragt sich, ob man Wolframs „etymologisches Spielen“ (Springer 1965, 179), seine „erlebte, versinnlichte Etymologie“ (Mohr 1959, 348) mit einem solchen Maßstab gerecht wird, oder ob nicht vielmehr die etymologischen Wortspielereien oftmals nur die scheinbar harmlose Oberfläche bilden, unter der ganz andere Aufwühlungen und Sinndenotationen zum Vorschein kommen können. Schmid (1978, 299) hat die möglichen Kontexte einer solchen Identifizierung von wal (Kampfplatz) und wal (Wahl) vorgeführt: „Die Benennung erklärt sich daraus, daß die Entscheidung auf dem Kampfplatz fällt. Das trifft zu für die Erwerbung von Frauen in mittelalterlichen Epen, ist aber im Fall der Sigune eine bittere Pointe. Sie, die sigehaft aus dem Streit mit Schionatulander hervorgehen wird, dem Streit darüber, ob der Roman auf dem Brackenseil lesenswert sei, wird den verlieren von dem sie gewelt sein wollte.“ Wehrli (1974, 21) betont die weitreichenden formalen Konsequenzen solcher Verfahren: Bei solchem „Verharren bei den sprachlichen Mitteln [wird] der Übergang zur reinen Lautornamentik mit Alliterationen und Binnenreimen“, und d. h. „eine gewisse Isolierung der Satz- oder Formelemente […] eine Tendenz zur Auflösung syntaktischer Ordnung“ deutlich, die „ihrerseits wieder dem Zerfall des Erzählerkontinuums“ entspricht. Ganz ohne Rekurs auf den wortspielerischen Witz versteht Hauer (1992, 59) die Textstelle: „Das Begehren auf sich zu ziehen, das ist […] die ruhige Weise des strîts der Frauen. Gahmuret spielt darauf an, wenn er sagt: sigune diu sigehafte uf dem wal da man welt magede kusche un sQzze (105,4). Der Mann verliert diesen Kampf auf der Walstatt, obwohl er es ist, der
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wählt, denn es zeigt sich: letztlich wählt nicht er – als souveräner Herr seiner selbst – sondern das Begehren in ihm“ (vgl. noch Hauer 1992, 76). Dallapiazza (1995, 181) spricht im Hinblick auf diesen Vers gar von einem „schrecklichen Gruß“, den Gahmuret dem unreifen Knaben zuruft. „In diesem Sinne soll er um ihren Dienst werben. Erst wenn die Minne auf dem Schlachtfeld erworben ist, wenn er ritterlichen Ruhm mit der Waffe erlangt hat, dann erst hat er Sigune wirklich erworben. Die Verknüpfung der geliebten Frau mit dem blutigen Handwerk, in dem eigentlich die Dame selbst siege, findet ihre folgerichtige Vollendung im Tod Schionatulanders […].“ Im übrigen stellt diese Abspaltung (Tmesis) und (Um-)Semantisierung eines Namensbestandteils, ob mit oder ohne etymologischen Bezug der Silben, keinen Einzelfall dar: Bertau hat auf die Spiele Wolframs mit den Namensbestandteilen –wolf– und –ram– aufmerksam gemacht (Bertau 1983a, 166–189), und auch in Str. 114,1 (s. Komm. dort) mag eine Form der Tmesis, wiederum eines Namens, zu sehen sein. magede kiusche unt süeze ] „magede gen. plur., abhängig von den beiden Abstrakta kiusche und süeze“ (Marti); Lachmanns Konjektur (nach der Hs. M und einem Teil der JTHss.) unde ir süeze verdeutlicht zwar, daß wir es hier nicht mit von magede abhängigen Adjektiven zu tun haben, ist aber, weil verdeutlichende lectio facilior, unnötig.
111 (La 106) 1–2 Der Relativsatz, mit dem diese Str. einsetzt, ist wieder „gewissermaßen konstruktionslos vorausgenommen“ (Marti). Dadurch wird die Str., die ja auch thematisch durch das Wortspiel ane gesiget und sigenunft (s. dazu Komm. zu 110,4) an das Vorhergehende anknüpft (anders jedoch M), gleichsam zäsurlos daran angeschlossen. Tatsächlich ist die Verbindung zu 110,4 formal stärker als zum folgenden Satz, in dem nichts direkt auf den Relativsatz verweist; der Anschluß muß erst durch eine hier fehlende präpositionale Bestimmung („über sie“) erschlossen werden. Dadurch wird erreicht, daß die Sieg-Thematik, wie sie in der Figur der Sigune vom Namen, von ihrer Schönheit wie von ihrer überragenden Stellung personifiziert ist, nahtlos mit der Bedingung verknüpft werden kann, unter der eine so dominante Minneherrin besiegt werden kann (Marti: „sigenunft stf., das sige nemen, Sieg, vgl. P. 58,2“): sie muß, und dies nimmt wieder das Thema des Gesamtwerkes auf, erstritten, also durch Anstrengung verdient werden: mit dienstlîcher triwe an ir minne (V. 2). Deutlicher und einfacher ist die Überlieferung in M: das umständliche sigenunft erstriten an ir minne in G ist in M ersetzt durch ir gestriten, wodurch auch das perpetuierte Wortspiel gesiget – sigenunft wegfällt. 2
ouch ] markiert an dieser Stelle sicherlich keine Anknüpfung, sondern ist adversativ aufzufassen. Den Forderungen, die Gahmuret bisher an Schionatulander gestellt hat, stellt er nun ein Hilfsangebot an die Seite. des willen niht langer nû bîten ] bîten + Gen. = „warten mit etwas“. Martin übersetzt: „nicht länger mit der Absicht zögern“, wobei das des deutlich auf den folgenden Vers verweist. – Wiedrum etymologisierendes Wortspiel mit wil und willen, ähnlich wie in den vorhergehenden beiden Versen.
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in dîne helfe ] dîne vertritt nach Marti „einen objektiven Genitiv“: „ich bringe ihre edle Tante dazu, daß sie dir hilft (wörtl. = in die Hilfe von dir)“. Zum helfe-Motiv vgl. 56,3–4; 62,4; 72,4; 105,4; 106,3; 117,3 u. folgenden Komm.
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Stellenkommentar ir werden muomen ] Antonomasie: „die edle Tante, nämlich Herzeloide“ (Marti). Gahmuret will demnach Herzeloyde als Ziehmutter Sigunes bitten, „ihre Zustimmung zum Liebesverhältnis zwischen Sigune und Schionatulander zu geben“, was sie im anschließenden Gespräch mit Sigune dann auch expressis verbis tut (vgl. 135,4 ûf gelt dîne minne ih im nenne). Heinzle findet es etwas merkwürdig, daß Gahmuret von seiner eigenen Gemahlin „ganz distanziert als Sigunes werder muomen spricht“; doch spricht er hier aus der Perspektive der beiden Liebenden, und er spricht Herzeloyde ja auch nicht als seine Gemahlin an, sondern eben als die Tante, Erzieherin und Ziehmutter Sigunes. So hat Schmid (1986, 188) darauf hingewiesen, daß im Pz. und Tit. grundsätzlich „die Verwandten mütterlicherseits für die Gattenwahl ihrer mütterlichen Verwandten zuständig“ seien, wobei in Schionatulanders Falle aufgrund der Beziehung Gahmurets mit Herzeloyde „der Liebeswunsch des Subjekts mit dem Einflußbereich des Verwandten mütterlicherseits“ konvergiere. Die Hs. M (sowie ein Teil der Hss. von JT) schreibt mine werde muomen (muome im allgem. Sinne als „weibl. Verwandte“, wie müemel 108,4; vgl. Komm. dort; von Gahmuret her gesehen: Sigune). Doch wird dann etwas unklar, worin die helfe Sigunes bestehen könnte? Um helfe war es in dem früheren Minnegespräch zwischen Sigune und Schionatulander gegangen (vgl. 56,3 ff. und bes. 70,3 ff.). Sigunes Schlußwort dort forderte den Geliebten auf, ihre minne auf die rechte Weise zu verdienen, also das zu tun, was Gahmuret in dieser Strophe mit den Worten ausdrückt: mit dienstlîcher triwe an ir minne erstrîten (V. 1–2). Da sich Gahmuret mit dem ouch aber gerade davon ab und etwas anderem zuwendet, kann mit der helfe der muome nicht Sigune gemeint sein, sondern nur jemand anderes, eben Herzeloyde.
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erblüen ] sw.V. „erblühen machen, zum Erblühen bringen“, „sonst meist ‚blühend werden‘. W. 393,20 nu alrêrst sah manz velt erblüen mit rîterschaft“ (Martin). Kiening/Köbele (1998, 247) zeigen an diesem Vers, wie die „Rollenverteilungen“ im Tit. an „Festigkeit“ verlieren: Sigune erscheint 32,2–3 als Blume (wie 108,4), aus deren Herz sælde unt êre erblühen; 88,4 wird das Herz Schionatulanders mit einer Blume verglichen. Hier nun werden „beide Blickrichtungen in einem Satz verschränkt.“ (Vgl. auch Komm. zu 32,2–3 u. zu 88,4). nâch den bliclîchen bluomen ] nâch = „gemäß, wie“, bliclîch = „blitzend, glänzend“. Das Adjektiv bliclîch ist nur noch einmal belegt, und dies in Wolframs Liedern in genau der gleichen Wortverbindung: der bliclîchen bluomen glesten (L 7,17). Die auf Alliteration basierende (vermutliche) Neubildung Wolframs ist insofern ungewöhnlich, als sonstige (vermutliche) Neubildungen aus etymologischem oder pseudo-etymologischem Zusammenhang generiert sind: âsanc / besenget (95,2), kôs / kosteclîch (146,2), also analog den häufigen alliterierend-etymologischen Wortspielen – man / manlîch (78,2), kranc / krenket (90,3), gedanc / denket (90,4), liebe / lieplîch (90,4; 115,4), twanc / twinclîch (94,4–95,4), Sigûne / sigehaft (100,4), wilde / wiltlîch (158,1–2) – verfahren. Möglicherweise liegt den Neologismen gebundet (147,1) und berîfet (167,1) ein ähnliches Bildungsprinzip qua Assonierung zugrunde: Sie sind generiert aus dem – offensichtlich wiederum etymologisierend gebildeten – Reimwort gehundet bzw. slîfet, wie hier bliclîch aus der Alliteration zu bluome. Das alliterierende bliclîch ist zudem Ausdruck einer zweifachen Klammer: Es werden hier zum einen, wie ähnlich auch 32,2 (er kôs si für des meien blic, swer si sach, bî den tounazzen bluomen) und 108,3 (liuchtec bluome), die beiden für die Schönheitsbeschreibung konstitutiven Wort- und Bildfelder – das des Glanzes, des Strahlens und das der Naturschönheit, insbes. der Blüten und Blumen – verbunden. Zum zweiten nimmt Gahmuret in seiner letzten Äußerung mit dem ungewöhnlichen bliclîch genau das Vokabular auf, mit dem er das Gespräch eröffnet hatte: durh waz hât sich geloubet dîn antlütze lûterlîcher blicke?
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dîn trôst unt dîn triwe ] trôst ist hier sicherlich nicht in der nhd. Bedeutung „Trost“ zu verstehen; denn Gahmuret tröstet Schionatulander ja keineswegs; im Gegenteil, er fordert ihn auf, sich mutig und kraftvoll dafür einzusetzen, Sigunes Minne zu verdienen. So wäre das Äquivalent für trôst hier eher „Ermutigung“ (vgl. Komm. zu Str. 61,1). Die triwe Schionatulanders hatte Gahmuret angesprochen, als er ihn darum bat, sich ihm zu eröffnen (102,2 f.; vgl. Komm. dort): Dies war ein Appell an die wechselseitige Verbundenheit der Verwandten untereinander (vgl. dazu 98,1; 100,2–3 u. Komm. dort), und darauf bezieht sich wiederum Schionatulander, wenn er die Intervention des Älteren als hilfreich empfindet: nu wil (Marti deutet dies als Umschreibung des Futurums = „ist im Begriff zu“) mir dîn trost unt dîn triwe aller sorgen bant gar zerbrechen. aller sorgen bant ] Die „Fesseln“ aller sorgen sind eine Variation zur vielfach wiederkehrenden Metapher von der minne bant, den Fesseln der Minne (vgl. Strr. 47,4; 48,4; 106,1; 121,4; 172,4 u. jeweils Komm. dort).
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sît daz ich mit dînen hulden minne ] „mit deiner Erlaubnis, wörtl. Geneigtheit“. Die Fassungen M und JT verwenden hier die gleiche Formulierung wie Str. 136,4 (Wolf 814,4): mit vrloube nv minne M ( JT AB), nv mit vrlaube minne JT X. Durch die Zustimmung der Älteren erst wird das Minneverhältnis legalisiert. „Im Gegensatz zur heimlichen Tristanliebe, spielt das Moment der Öffentlichkeit bei der hohen Minne in der Epik eine entscheidende Rolle“ (Hollandt). Bisher war stets die Heimlichkeit der Minnebeziehung akzentuiert worden (zum Motiv der tougen minne vgl. Komm. zu 53,3–4, 66,3 u. 76,1). Rahn (1958, 52) interpretiert diesen Vers als ein Erwachsenwerden Schionatulanders: „Er hat die nötige Minnebildung empfangen und ist dadurch ein gutes Stück erwachsener geworden […]. Zugleich aber hat er, obwohl er der Kinderminne nun entwachsen ist, doch deren Reinheit bewahrt. Natura und Cultura ergänzen sich somit aufs schönste und berechtigen uns zur Hoffnung auf ein wirklich ideales Minneverhältnis.“ Gegenüber einer solchen harmonisierenden Sicht, die an den Abgründen des Textes allzu leicht und leichtfertig vorbeisieht, macht Wyss (1974, 273) mit Recht darauf aufmerksam, daß es hier gar nicht so sehr um ein inneres Reifen geht, sondern um die „Anerkennnung des Minneverhältnisses durch die Umwelt, die die Pflegeeltern repräsentieren. In beiden Fällen [sc. in Schionatulanders wie Sigunes Fall; d. Hgg.] ist aller Kummer sofort verflogen, wenn die Erwachsenen das Verhältnis gebilligt haben.“
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Der Relativsatz, der sich an Sigûnen anschließt (Sigûnen, diu mich roubet …) konstruiert rouben einerseits mit der Präp. ûf (ûf der fröude), anderseits mit an (an frœlîchem sinne). Die Handschrift M sowie der JT konstruieren zweimal mit an. Dieser einfacheren Lesart hat sich allerdings keiner der Hgg. angeschlossen. Da rouben in der Regel mit absolutem Genitiv gebraucht wird, ist die Verwendung zumal mit ûf in G mehr als ungewöhnlich (rouben + an ist im Tit. immerhin einmal bezeugt: diu minne sich selben an dir roubet 94,4). Zwei Lösungsmöglichkeiten für dieses Zeugma stehen zur Wahl, die indessen beide sehr spekulativ sind. Zum einen ließe sich mit Marti lange ûf als eine zeitliche Bestimmung auffassen; rouben wäre dann im Konstruktionswechsel einmal mit Genitiv (der fröude) und einmal mit an + Dat. (an frœlîchem sinne) verwendet. Zwar ist, wie Heinzle mit Recht einwendet, die Wendung lange ûf sonst nirgends bezeugt; dennoch aber ist an vielen nhd. Verwendungen von „auf“ zu erkennen, daß irgendwann die auch zeitliche Verwendung der ursprünglich örtlichen Präposition bzw. des örtlichen Adverbs möglich wurde: „bis auf weiteres“, „auf einmal“, „auf die Minute“, „darauf, hierauf,
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Stellenkommentar woraufhin“. Es ist damit zu rechnen, daß dieser Umschlag früher erfolgte, als unsere Wörterbücher belegen, also vielleicht schon in mhd. Zeit. Die andere Möglichkeit wäre, nû lange ohne ûf als zeitliche Bestimmung zu fassen und rouben, ohne Konstruktionswechsel, einmal mit ûf (ûf der fröude = „auf dem Feld der Freude“, analog zu: „berauben auf der Straße“) und zum anderen mit an (an froelîchem sinne = „‚an Fröhlichkeit berauben“) zu konstruieren. Allerdings finden sich, soweit wir sehen, bei Wolfram keine Metaphern des Raubens, die mit lokalen Vorstellungen konstruiert wären. – Während es meist die personifizierte Minne selbst ist, die roubet und stilt (s. Strr. 68,4; 75,4; 99,4 u. 117,4; vgl. insbes. Komm. zu 68,4), so tritt hier Sigune selbst in die Position der roubærinne. Ganz ähnlich formuliert Reinmar: ûzer hûse und wider dar în / bin ich beroubet alles des ich hân: / fröiden und aller der sinne mîn. / daz hât mir ander niemen wan si getân (MF 171,38 ff.). Der hier aufgenommene Topos der Minnedame als roubærinne (s. auch etwa Heinrich von Morungen MF 130,9), der zur Vorstellungswelt des ‚Liebeskrieges‘ gehört (wie etwa Minnegefangenschaft und Minnefesseln) scheint aber an vorliegender Stelle nur indirekt anzuklingen: Wie das einschränkende lange bzw. lange ûf zeigt, geht es um das Getrennt-Sein als Ursache der Beraubung. Die Minnedame Sigune wird demnach zwar nicht wie bei Reinmar und Morungen als aktive Aggressorin vorgestellt, doch zugleich in den Konnotationen des Vokabulars und der suggerierten Identifizierung mit der personifizierten Minne dennoch als Aggressorin angesprochen.
113–136 (La 108–131) Das Gespräch Sigune – Herzeloyde Das Gespräch zwischen Sigune und Herzeloyde ist nach Mohr (1978, 138 ff.) so gegliedert, daß zu Beginn je drei Strophen davon handeln, wie Herzeloyde an Sigune die Schmerzenszeichen der Liebe wahrnimmt (113–115) und wie sie sie dann befragt nach dem Grund solcher Trauer (116–118). Sigune antwortet in acht Strophen (119–126), von denen die ersten drei das Geständnis der Minne enthalten (119–121), die nächsten drei „von absolut monologischer Haltung“ (Mohr) den zunächst begrenzten Raum ins Ungeheure erweitern (vom Fensterblick auf heide, strâze und ouwe über die Ausschau von der Zinne in die Himmelsrichtungen bis zur Sehnsuchtsfahrt auf weitem Meer) – eine eindringliche Sehnsuchtsklage (122–124), der zwei Strophen folgen (125–126) „mit rhetorisch-gesteigerter Klage, deren Pointe darin liegt, daß der Name Schionatulander bis zur vorletzten Zeile der Rede aufgespart wird“ (Mohr). Herzeloyde antwortet mit neun Strophen (127–135), von denen die ersten drei zunächst den Verdacht entwickeln, daß diese zerstörerische Minne das tückische Werk der Ziehmutter Schionatulanders Anphlise sei. Sie lenkt zum Schluß aber ein und erteilt dann mit Worten, in denen sich der Lobpreis auf Schionatulander als auch die Vorbehalte gegen ihn seltsam mischen, Herzeloyde nach und nach die Zustimmung zum Liebesbund der beiden. Sigune antwortet mit einer Strophe des Dankes, der Schlußstrophe des Gespräches und damit des ersten Fragmentes (136).
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Die beiden das erste Fragment beschließenden Gespräche zwischen Schionatulander und Gahmuret einerseits (97–112) und Sigune und Herzeloyde andererseits sind nach ihrer Grundkonstellation sehr ähnlich; beidemale befindet sich ein junger liebender Mensch in einsamer Liebesnot; beidemale werden die Zeichen dieser Liebesnot von einem Verwandten aufmerksam wahrgenommen (dazu Huschenbett 1996; s. Komm. zu 108,1); beidemale handelt es sich bei diesem Verwandten um einen hochgestellten Vertreter der älteren Generation, um eine Königin hier und um einen König dort; beidemale wird am Ende des Gespräches der bzw. dem Liebeskranken durch die Anerkennung des Minneverhältnisses in Stellvertretung für die Gesellschaft ein entscheidender neuer Lebensimpuls erteilt. So scheint die Feststellung, daß die beiden Dialoge gleich verlaufen und, wie Wyss (1974, 273) konstatiert, „im Grunde nur aus Reprisen bereits exponierter Motive“ bestehen, keineswegs überraschend. Dennoch sind signifikante Unterschiede wahrnehmbar, die sogar für die Deutung noch wichtiger sind als die so auffälligen Ähnlichkeiten. In ihnen kommt vor allem die Differenz der Geschlechter zum Ausdruck, die den beiden Gesprächen eine unterschiedliche Note gibt: „Herzeloide spricht nicht sofort alles aus, was sie weiß, das heißt sie nennt nicht – wie Gahmuret – sofort die minne als Ursache der Krankheit ihrer Nichte, sie zögert; Sigune ihrerseits nennt in ihrer Antwort erst in ihrer letzten Strophe Schionatulanders Namen (121,3 [= 126,3]); Schionatulander dagegen hat mit dem ihrem sein Gespräch eröffnet. Die beiden Männer gehen also direkt aufeinander zu, die Frauen dagegen warten ab“ (Hauer 1992, 45; vgl. dazu auch Richey 1961, 188). Aber der Dialog der beiden Frauen setzt, wie Wyss (1974, 275) betont hat, auch insofern die Akzente anders als der der Männer, „als die Frauen im Minnedienst, wie immer sie als dessen Herrinnen fingiert werden, nicht gleichberechtigt sind. Herzeloydes Verdacht gegen Anphlise vermag die Minne zunächst nur als Verführung und Sigune als wehrloses Opfer von Manipulation auffassen, während dem jungen Schionatulander von vornherein zugebilligt wird, daß er für seine Gefühle selbst verantwortlich sein kann. Auch der Duktus von Sigunes Reden ist anders als der ihres Minneritters. Sie ergeht sich in einem sentimentalen Erguß, der der Passivität der liebenden Frau, die ganz vom Kommen und Gehen des Mannes abhängt, die ihr zugehörigen konventionellen Bilder zuteilt […]. Schionatulander verliert dagegen über seine Stimmung kein Wort. Auch kann er Gahmuret an seine Verdienste erinnern, während Sigune sich umgekehrt dafür bedankt, was Herzeloyde für sie getan hat. Von einer Solidarität zwischen Mann und Frau, wie sie der ‚Willehalm‘ intendiert, ist diese Kinderminne, aber auch das Verhältnis der beiden Erwachsenen zueinander, völlig frei.“
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Stellenkommentar
113 (La 108) 1
sich … helfe vermezzen ] „sich fest und kühnlich [zur Hilfe] entschließen“ (Lexer III 178). Die Hs. M liest am Anfang des zweiten Verses Gahmuret der werde und macht damit deutlich, von wem die Hilfe ausging. In Str. 111 hatte Gahmuret erklärt: ouch wil ih des niht langer nu bîten, / in dine helfe ich bringe ir werden muomen. Hier ist daher das er in 113,1 auch auf Gahmuret zu beziehen, „denn es kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß Schionatulander Hilfe empfangen will“ (Heinzle). Sonst wäre das ob er wolte auch sinnlos, denn dieser eingefügte Nebensatz setzt voraus, daß der, von dem gesprochen wird, Hilfe gewähren wie verweigern kann. Eine andere Konstruktion des Satzes ergibt sich, wenn man sich helfe vermezzen mit Martin als „sicher auf Hilfe rechnen“ versteht, denn dann wäre Schionatulander derjenige, der fest auf Hilfe vertraut, möglicherweise sogar mit dem Beiklang des Unziemlichen (des „übermüthigen erkühnens“ Lexer III 178 f.; vgl. z. B. NL 117,2 f.). Auch in diesem Falle wäre das Subjekt des Nebensatzes ob er wolte auf Gahmuret zu beziehen. Die seltsame und schwierige syntaktische Stellung des Namens Schionatulander sowie die Tatsache, daß von Gahmuret vorher und später nicht die Rede ist, könnten für diese schwierigere Deutung in Anspruch genommen werden. – Zum helfe-Motiv vgl. Komm. zu Str. 105,4.
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ouch ] Mit dieser adversativen Konjunktion „wird der Übergang vom Haupthelden zu seiner Partnerin eingeleitet“ (Marti).
3–4 Die Lesart der Hs. M an (K)yotes chint vn Tschoysianen, die zwei Genitive in getrennter Stellung auf dasselbe Beziehungswort (chint) bezieht, hat zu Spekulationen über den „ursprünglichen“ Wortlaut geführt, die über ein gewisses Maß an Plausibilität hinaus jedoch nicht ins Beweisbare zu überführen sind. Danach hat der für die Lectio G verantwortliche Schreiber „die unübersichtliche Wortstellung nicht verstanden und sich veranlaßt gesehen, ein Bestimmungswort zu Schoysîânen einzufügen, das einigermaßen auf ânen reimte. Dafür spricht auch, daß die – bei Wolfram in dieser Form sonst nicht belegte – Umschreibung sâme für ‚Kind‘ im Falle der Mutter unpassend ist“ (Heinzle). Nun läßt sich darüber streiten, ob die Konstruktion mit den zwei abhängigen Genitiven, also ohne sâmen (V. 4), wirklich so ungewöhnlich und schwer verständlich ist, daß sich ein Schreiber zu einer so gewaltsamen Korrektur veranlaßt sehen konnte. Die Auffassung, es handele sich hier um eine Konjektur von G, ist keineswegs zwingend. Genausogut vorstellbar wäre, daß die reimende Fügung Schoysîânen : sâmen Anlaß gegeben hat, den Ausdruck zu entlasten. Aber wichtiger als die Frage nach der im Falle des Tit. nicht erreichbaren „Ursprünglichkeit“ dürfte sein, daß die Fassung G den Text, unanhängig von der Frage nach der Priorität der Version, anders organisiert als die Hs. M, nämlich im Sinne einer Parallelisierung: Kîôtes kint – Schoysîânen sâmen. Da aber in dieser parallel verdoppelten Antonomasie der Vater quasi chiastisch mit anwesend ist, dürfte die Frage, ob die Umschreibung sâme für Kind im Falle der Mutter unpassend ist, nicht so erheblich ins Gewicht fallen. 4
sich ânen + Gen. = „verzichten auf“ (vgl. Pz. 346,2 war umb er sich sinnes ânde).
114 (La 109) 1– 4 Das Problem dieser Strophe ist die syntaktische Gliederung und das heißt auch die Interpunktion. Mit Lachmann, Bartsch, Piper, Martin, Marti, Leitzmann fassen wir den Zwischengedanken (Hauptsatz + abhängigen daz-Satz: alsus het … helen wolte) als Par-
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enthese auf, setzen nach wolte ein Komma, verstehen 114,4 diu küngîn wart innen mit herzen schrick als Hauptsatz, von dem die beiden Gliedsätze wie diu fürstin … minne und waz Sigune dolte wiederum abhängig sind. Heinzle interpretiert mit Wackernagel (Altdt. Lesebuch 51873) den einleitenden Nebensatz als temporal (wie = „sowie, sobald als“, vgl. auch Lexer III 876) abhängig vom Hauptsatz alsus … gerungen; entsprechend grenzt er diesen Nebensatz durch Komma nach minne ab. Eine dritte Möglichkeit benennt schon Heinzle: Wie diu fürstin … minne läßt sich unter Verweis auf Parallelen in Strr. 46,1; 87,4; 134,1 f.; 175,1 f. „als eigenständiges Satzgefüge auffassen“ mit Ausrufezeichen nach minne. Auch wenn die wie/alsus-Konstruktion bei Wolfram sonst nicht belegt ist, darf man wohl von der Gleichberechtigung der drei Möglichkeiten ausgehen. 1–2 Wie weit Wolfram geht bei seinen sprachspielerischen Experimenten, zeigt sich besonders deutlich an dem vielleicht unscheinbaren Beispiel dieser beiden Verse. Er wählt hier und nur hier die verkürzte Form für das Herkunftsland der Sigune Katelange, das sonst überall und in allen Hss. (bei unterschiedlicher Schreibung im einzelnen) mit der Endung –en als Katelangen erscheint (G+H: 14,1; 15,2; 57,1; H: 31,2; G+M: 110,2; M schreibt auch hier in 114,1 Katalangen). Akzeptiert man die von Marti und uns vorgeschlagene Metrik des Verses (zur Zäsur bzw. Anverskadenz im Wort vgl. Strr. 26,2; 56,1; 59,4; 90,4; 114,1; 170,1; evtl. auch 23,1; s. Komm. dort und vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5), so zerschneidet Wolfram diese Namensform durch die Zäsur (Tmesis), so daß es im wahrsten Sinne des Wortes zerfällt in Kate und lange und damit als Wortmaterial verfügbar war für ein Wortspiel mit ze lange (V. 2); zugleich ergibt das so hergestellte lange mit dem folgenden betwungen einen Sinn: lange betwungen (die Artifizialität der Form dieser Verse zeigt sich im übrigen auch an dem gewagten Enjambement von V. 1 zu V. 2, ganz ähnlich wie in den Strr. 95,1–2; 131,2–3; 135,2–3; 147,2–3, was die Zulässigkeit der heiklen Zäsurierung von V. 1 unterstützen mag). Ein verwandtes Beispiel einer solchen Tmesis mag Wolframs Behandlung des Namens Sigune sein: Sigûnen … diu hât ane gesiget (Str. 103,4), Sigûne, diu sigehafte (Str. 110,4; s. Komm. dort). Zur Rhetorik und Poetik der Tmesis s. V. Toporov: Die Ursprünge der indoeurop. Poetik. In: Poetica 13/1981, 189–251; zum entrebrescar in der Trobadorlyrik insbes. 217 ff.). – Zur vielfach und mit je verschiedenen Subjekten und Objekten verwendeten Vokabel des twingens, die der Topik des Liebeskriegs angehört, s. Komm. zu Str. 68,3. 2
von der strengen minne ] Ruh (1989, 509) macht darauf aufmerksam, daß Wolfram, der die Verbindung strengiu minne schon im Pz. verwendet (Pz. 35,3; 287,10 f.; strengiu not 296,7 u. 811,10), diese „nicht vom Minnesang gewonnen haben kann, denn dieser kennt sie nicht, wenigstens nicht in seiner Blütezeit.“ Vgl. dazu Komm. zu 47,4.
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siz ] = si ez; gemeint ist das in Vv. 1–2 Gesagte: wie sehr die Fürstin aus Katelangen durch die unerbittliche Minne bezwungen war. helen wolte ] Es geht um das Verheimlichen der Minne, also um ein Motiv, das im Werk immer wieder thematisch wird; vgl. Komm. zu 53,3–4.
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diu küngin ] Der fürstin ûz Katelange (V. 1 = Sigune; vgl. duzisse ûz Katelangen 57,1) wird, gleichfalls ohne Namensnennung, diu küngin (= Herzeloyde) gegenübergestellt. Es handelt sich also nicht nur um ein Gespräch zwischen Verwandten, zwischen Tante und Nichte; Geständnis und Reaktion sind damit auch bezogen auf den Status, der beiden gesellschaftlich zukommt, auf die damit verbundenen Sprach- und Verhaltensritualisierungen.
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Stellenkommentar mit herzen schrick ] = „mit dem Erschrecken des Herzens, mit starken Herzklopfen“. Vgl. dazu Pz. 360,20 (wo Gawans zornige Augen den herbeieilenden garzûn herzen schricke lêrten) und Pz. 597,27 (wo Gawan manlîch und ân herzen schrick ins Turnier reitet).
115 (La 110) 1–2 Besonders höfische Damen werden oft mit taubenetzten Rosen verglichen (vgl. K. F. Kummer: Die poetischen Erzählungen des Herrand von Wildonie. Wien 1880, 213 f.), aber auch für Maria ist dieses Sinnbild vielfach belegt (vgl. A. Salzer: Die Sinnbilder u. Beiworte Mariens in der dt. Literatur u. lat. Hymnenpoesie d. Ma., Linz 1893, 183 f.; vgl. auch Str. 32,2, wo Sigune mit des meien blic … bî den tounazzen bluomen verglichen wird; zur Blütenmetaphorik im Tit. s. Komm. dort). Bei Wolfram findet sich dieses Bild mehrfach im Pz., im Wh. und in der Lyrik, aber immer so, worauf Heinzle hingewiesen hat, daß es sich auf die ganze Person bzw. deren Antlitz, Wangen oder Mund bezieht (vgl. z. B. den Passus über Liazes Schönheit im Pz. 188, 10 f.: als von dem süezen touwe / diu rôse ûz ir bälgelîn / blecket niwen werden schîn), während das Bild hier im Tit. nur den vor Liebesschmerz tränenden Augen gilt. Wenn sich Heinzle indessen fragt, ob diese besondere Verwendung des Bildes in ironischer Absicht erfolgt, dann sicher nicht in dem Sinne, daß Wolfram hier etwas anderes schreibt, als er meint, sondern eher in dem Sinne, daß Wolfram in diesem Werk vielfach die topischen Formen der Tradition bricht: Er verleiht ihnen, die eigentlich ja von ihrer gleichgerichteten Wiederholbarkeit leben, durch eine usuelle Verwendung eine neuartige Perspektive, in der der Topos im doppelten Sinne gerade aufgehoben erscheint: Sigune ist als höfisches Fräulein der tauigen Rose vergleichbar, und diese Schönheit wird zunächst ganz unverfremdet aufgerufen (rehte als ein touwec rôse …); der folgende Zusatz greift den Topos aber schon an, indem er ihn auf eine unerhörte Weise konkretisiert und reduziert: unt al naz von rœte. Wörtlich übersetzt heißt das: „ganz naß von Röte“, was zwei Auslegungen zuläßt: „ganz naß infolge von Röte“, also kausal (so Martin und Marti, die dies mit Recht als Umkehrung der uns geläufigen Vorstellung „rot infolge von Tränen“ auffassen) oder modal „ganz naß in Bezug auf Röte“ (so Bartsch, der den Ausdruck also appositionell zu rôse versteht). Daß die Augen rot werden vor Kummer, ist zwar auch ein Topos (vgl. Roethe zu Reinmar von Zweter 106,5) und wird von Heinzle deswegen auch herangezogen. Nur ist ersichtlich, daß Wolfram hier seine eigene Vorstellung entwickelt, und die ist gerade umgekehrt: „ganz naß von Röte, so wurden ihr (ir = possessiver Dativ) die Augen“. Das Verb des Vergleichssatzes bezeichnet also nicht, wie bei einem Topos eigentlich zu erwarten, einen Zustand, sondern eine Bewegung, was wiederum darauf hindeutet, daß hier nicht die modale, vielmehr die kausale Interpretation die adäquate ist, von der doch eigentlich offensichtlich ist, daß sie, wenigstens in unserem Sinne, falsch ist. Wie ist das zu verstehen? Die Erklärung scheint darin zu liegen, daß Wolfram zwei Topoi zusammengeschoben hat: den Schönheitstopos der taubenetzten Rose und den Schmerztopos des Rotwerdens der Augen, wobei die Sprache den Vorgang spiegelt: touwec rôse unt al naz ist die eine Vorstellung, von rœte … wurden ir diu ougen die andere. Auf eine raffinierte Weise sind so beide Topoi miteinander verbunden und einer im anderen zugleich aufgehoben. Der JT entschärft diese Brechung teilweise: Recht als ein towik rose var, alnaz von der rOte. 2
ir munt, al ir antlütze ] Das Bild des Schmerzes, das im ersten Teil der Strophe entwickelt wird und sich auf die Augen bezieht, wird fortgesetzt, indem Mund und Angesicht einbezogen werden; auch sie erleiden schweren Kummer (emphinden + Gen. = „etw. füh-
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len, darunter leiden“). Es lassen sich mit Heinzle Parallelstellen benennen, etwa die Schilderung der Minnekrankheitssymptome, die an Schionatulander wahrnehmbar sind (94,2 f. vel, liehten ougen, antlützes blicke) oder die Drohung des Orilus gegenüber Jeschute, er werde ihre Lippen blaß machen und ihre Augen rot färben (Pz. 136,5 f.); aber gegenüber diesen Stellen ist das hier von munt und antlütze Gesagte eher allgemein gehalten. Wenn Heinzle schreibt: „Während die Augen rot werden, verlieren Mund und Antlitz ihre Frarbe“, so kann diese Symptomatik zwar erschlossen werden (so auch Marti), sie wird indessen hier gerade nicht benannt. 3
ir kiusche ] Wie so oft bei Wolfram tritt metonymisch an die Stelle der Person, gleichsam für sie agierend, eine Eigenschaft (vgl. Komm. zu 4,2), hier wohl mit Hollandt zu verstehen als „Zucht, anerzogene Beherrschung“ (Marti: „Zurückhaltung, Reserve“) und nicht: „Keuschheit“ (Rahn) oder „Schamhaftigkeit“ (Martin).
4
lieplîchen liebe ] „das Adjektiv von demselben Wortstamme steigert nur: ‚die herzliche, innige Liebe‘“ (Martin). Die figura etymologica (ähnlich Str. 78,2; s. Komm. dort) nimmt diesen Ausdruck aus dem vorherigen Abschnitt über Schionatulanders Minnekrankheit auf (vgl. Str. 90,4). Vgl. aber Lectio M liepli(chen) minne und Lectio JT kintlichen liebe. kal ] queln nach + Dat. = „sich im Schmerz verzehren nach“. kal ist alem.-bair. Nebenform zu qual (wie 93,4; vgl. Komm. dort) und ähnlich 148,4. – Vgl. auch Komm. zu 53,4. kintlîchem recken ] „recke heißt Schionatulander hier wohl, weil er sich auf einem Kriegszug fern von der Heimat befindet“ (Martin). Die Anwendung dieses Ausdrucks auf Schionatulander, in der wohl die Grundbedeutung noch mit durchklingt (recke ist ursprünglich der Vertriebene, der Flüchtige, dann der außerhalb der Heimat in fremden Dienst tretende Held, vgl. Hollandt), bringt in diese schmerzerfüllte Strophe zum Schluß in typisch wolframscher Manier (auch durch die skurrile, fast oxymoronhafte Verbindung des Substantivs recke mit dem Adjektiv kintlîch) eine fast heitere Wendung.
116 (La 111) 1
durch liebe unt durch triwe ] Martin übersetzt: „aus Liebe und aufrichtiger Hingabe“, aber es ist wohl eher mit Hollandt eine Differenz zu sehen: „‚bewogen von Zuneigung und Verantwortungsgefühl‘; liebe bezeichnet die emotionale, triuwe die durch das Verwandtschaftsverhältnis bedingte sittliche Bindung von Tante und Nichte“. Vgl. auch Str. 102, wo Gahmuret in dem parallelen Gespräch mit Schionatulander auch beides geltend macht: die Bindung des Herzens und die der triwe.
2
fruht ] im übertragenen Sinn für „das erzeugte Kind“ noch 33,3 (s. Komm. dort) u. 135,3. ê ] „schon vorher“, d. h. „schon bevor ich Deinen Schmerz wahrnahm“.
2–3 riwe ] „Trauer, Schmerz“; damit ist zu verbinden hin nâch in V. 3 = „in Sehnsucht nach“ (Marti). Gemeint ist wohl der Trennungsschmerz und die Sorge, die Herzeloyde, ganz wie Sigune, aufgrund der langen Abwesentheit des im Orient befindlichen Geliebten empfindet. Oder ist hier zugleich angespielt auf die Konkurrenz zu Anphlise, die immer wieder und auch in diesem Gespräch eine signifikante Rolle spielt? (Vgl. Strr. 37–39, 54–55, 127–129; s. Komm. zu Strr. 39,1; 127,2; 128,4; 129,2).
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Stellenkommentar Zu dem Schmerz, den sie durch die Trennung von Gahmuret empfindet (s. Komm. zu Vv. 2–3), erwächst der Herzeloyde mit Sigunes Liebesschmerz ein niwer dorn. dorn ist hier gewählt als „Bild des Schmerzenden“ (Martin). Vgl. etwa Pz. 66,1 (ein mære in stichet als ein dorn), Pz. 365,22 (ez waz ir bêder ougen dorn) u. Pz. 600,10 (sherzen dorn: der Dorn sticht in das Herz hinein). Hier wird gesagt, daß der neue Dorn des Schmerzes in den alten Schmerz hineinwächst; das Bild wird also auf eine eigene, vom Üblichen abweichende Weise weiterentwickelt. Unter Verweis auf die anderen Wolfram-Belege (vgl. oben) und die Belege in den Wörterbüchern (BMZ I 384b; Lexer I 452; DWb II 1290), die alle von der Vorstellung eines „Stechens von außen“ (Marti) ausgehen, wird Wolfram deshalb quasi zur topischen Ordnung gerufen: „ein sonderbares Bild“ (Marti), „das Bild ist ungewöhnlich“ (Heinzle). Wenn man daran denkt, daß die schmerzhaftesten Verletzungen die sind, die an Stellen erfolgen, die schon verletzt sind oder schon vorher einmal verletzt waren, wird man das Bild Wolframs als ein starkes, dem Leid der Herzeloyde völlig adäquates Bild ansehen dürfen. Nur unwesentlich leichter ist die Lesung M: Dort wächst das Quälende (ein Dorn? nicht lesbar) in minen ougen, also erstens in dem Organ, das den Schmerz kiuset, und zweitens mit lokalem Dativ in dem Auge, nicht mit Richtungsakkusativ in den Kummer / das Auge hinein. Das gesehene, leidvolle Bild repräsentiert sich konkret als etwas Verletzendes im Organ der Betrachterin, die sich dadurch als Verletzte bezeichnet.
117 (La 112) 1–2 an lande unt an liuten ] Ähnliche Wendungen tauchen im Tit. in den Strr. 61 u. 62 auf, auch bezogen auf Sigune. Sie sagt zu Schionatulander, sie sei eine Waise, aller mâge unt der liute mînes landes ellende (61,4); er entgegnet 62,1: Ich weiz wol, du bist landes unt liute grôz frouwe. Dort wie hier ist also die Formel, die als liute unde lant (BMZ I 1037b) vielfältig belegt ist (und die die Hs. M [= JTI] durch den Plural landen offenbar herzustellen suchte), individuell im Hinblick auf Sigune abgewandelt: überall wird dem Rechnung getragen, daß Sigune nur über ein Land herrscht und schon daraus ist ersichtlich, daß der landesherrschaftliche Aspekt der Aussage wichtig ist. Hollandts Kritik an Martins Kommentar („‚Sage, was dich bekümmert an Land und Leuten‘: an diese hat eine Fürstin zunächst zu denken“), der Ausdruck sei formelhaft, ist daher nicht überzeugend. Herzeloyde weiß ja zunächst nicht, was in Sigune vorgeht; sie muß es aus ihr erst herausfragen, und da setzt sie nicht, wie es heute wohl zu erwarten wäre, bei der individuellen Seelenlage an, sondern bei dem gesellschaftlichen Status Sigunes als Fürstin von Katelangen. Daß sie nicht etwa schon vorher die Minnesituation Sigunes durchschaut, zeigt sich auch an dem tastenden Vorgehen: oder ist dir mîn trôst unt ander mâge sô verre? Es ist bemerkt worden (Richey 1961, 188), daß Herzeloyde im Unterschied zu Gahmuret, der im parallelen Minnegespräch mit Schionatulander eingangs sogleich zu dem entscheidenden Punkt kommt (ich spür an dir die minne 100,1), erst einen Umweg macht: „Herzeloyde evades the main issue in suggesting that her niece may be pining for her own land and people“. Unseres Erachtens ist es eher ein Herantasten, wobei die Tatsache, daß Sigune Landesfürstin ist, ja immer wieder als handlungskonstituierendes Moment in Erscheinung tritt. 2
mîn trôst unt ander mâge ] Zu konstruieren ist: mîn trôst (hier = „Ermutigung, Zusage von Hilfe, Beistand“, Hollandt) unt der trôst anderer mâge: von trôst ist der Genitiv mîn, vom elliptischen trôst der Genitiv ander(er) mâge abhängig.
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niht ir helfe ] = niht + Gen.: „nichts von ihrer Hilfe“. erlangen = „erreichen“.
4
sunneclîcher blic ] Das Adjektiv sunneclîch („sonnig, sonnenhaft“) ist nach Ausweis der Wörterbücher im Mhd. nur hier, sunnenlieht (Lesung M) bei Wolfram nur an dieser Stelle belegt (Heinzle). blic = „Glanz, Blitz, Blick der Augen, Anblick“ (Hollandt; vgl. die topische Verwendung von blic als Schönheits- und Glücksmerkmal Strr. 32,2; 94,2; 99,4; 111,4; 135,2 u. insbes. 109,3: Schoysîânen blic der sunnenbære). Herzeloyde stellt hier klagend die Frage, wo der „sonnenhelle Glanz“ der Schönheit Sigunes geblieben sei. Damit werden wie im folgenden Symptome der Minnekrankheit aufgegriffen, die ähnlich bei Schionatulander wahrzunehmen waren (vgl. etwa 94,2; 99,3 f.; dazu Richey 1961, 188). Aber Wolfram variiert. Während dort die Symptome an Schionatulander fast ausschließlich aus der Perspektive des Erzählers geschildert werden (vgl. den Abschnitt über Schionatulanders Minnekrankheit Str. 88–96), werden sie hier aus der Perspektive einer geschilderten Figur dargestellt. verstolen ] vom st.V. versteln + Dat. d. Pers. und Akk. d. Sache = „wegstehlen“. Damit werden die wangen gleichsam als Person vorgestellt, denen eine andere Person (der Geliebte? die roubærinne Minne?) die Schönheit raubt. Zum mehrfach verwendeten Bild des Beraubtseins der Liebenden vgl. Str. 112,4 (Sigune raubt Schionatulander) und Strr. 68,4; 69,1; 75,4; 99,4 (die Minne beraubt einen oder die Liebenden; s. ausf. Komm. zu Str. 68,4). Auffällig ist die Parallelität dieses ganzes Verses mit den ersten Worten Gahmurets zum liebeskranken Schionatulander: beidemale wird der Verlust strahlenden blickes mit der Imagination eines Räubers gekoppelt: owê, durh waz hât sich geloubet dîn antlütze lûterlîcher blicke? diu minne sich selben an dir roubet (Str. 99,3–4).
118 (La 113) 1
Zur Annominatio ellendiu – ellende vgl. Springer (1975, 231). Sigune lebt als Halbwaise bei ihrer Tante Herzeloyde, lebt fern von ihrem Heimatland Katelangen in der Fremde; sie wird daher von Herzeloyde als ellendiu maget, als „heimatloses Mädchen“ angesprochen, was Sigune in Str. 120,4 aufgreift. Vgl. auch Str. 61,4, wo sie sich selbst nennt: reht ein weise, aller mâge unt der liute mînes landes ellende.
2
bî drîer lande krône ] „trotz der Krone dreier Länder“; verkürzt einen Nebensatz: „obwohl ich die Krone dreier Länder trage“. Zu einer ähnlichen Verwendung der Präp. bî vgl. Pz. 302,15. Herzeloyde rechnet zu ihren beiden Erbländern Waleis und Norgals (Pz. 128,7) noch das Erbland von Gahmuret Anschouwe hinzu. zelen für die armen ] die armen (hier sicher nicht „arm“ im Gegensatz zu „reich“, sondern „nicht-mächtig“ im Gegensatz zu „mächtig“) kann sowohl Akk. Sg. wie auch Akk. Pl. sein, also: „als Nicht-Mächtige ansehen“ oder „unter die Nicht-Mächtigen zählen“. Sinngemäß kommt beides auf das selbe hinaus: Herzeloyde wählt den hyperbolischen Ausdruck, um, ganz ähnlich wie Gahmuret im Gespräch mit Schionatulander in Str. 98, zu sagen, daß ihr all ihre Macht unwichtig seien gegenüber der Frage, was Sigune bedrückt und wie ihr zu helfen sei.
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ich engelebe ê ] „es sei denn, daß ich vorher erlebe“ = „bevor ich nicht erlebe“.
366 4
Stellenkommentar unt ich ] Der folgende Nebensatz ist dem vorhergehenden daz-Satz durch die Konjunktion unt gleichgeordnet. diu rechten mære al dîner sorge ] Hollandt übersetzt: „‚den rechten Grund all deiner Sorgen“. Aber Herzeloyde sagt mære, und das heißt: was immer Sigune bedrückt und bewegt, es ist nur als Erzähltes vorstellbar und muß darüber hinaus richtig (reht) erzählt werden, um für den anderen faßbar und als Wahrheit (mit der wârheit) greifbar zu werden (vgl. auch Komm. zu Str. 68,1).
119 (La 114) 1
„Ohne Einleitung setzt die Antwort der Sigune“ (Marti) mit einem sô ein, das einen Bedingungssatz „unterdrückt“ (Marti), bzw. durch Ellipse ausläßt (Heinzle): „wenn du so eindringlich darauf bestehst, so muß ich …“. Im Nhd. haben wir durch das nachgestellte denn dafür die verkürzende Ausdrucksmöglichkeit. Es faßt das Vorhergehende in sich zusammen und leitet zugleich zum Neuen über: „so muß ich denn …“ mit sorge al mîn angest ] Sigune beschreibt damit die Spannung, in die sie sich durch die Aufforderung der Herzeloyde versetzt sieht. Sie wird durch die Zäsur formal markiert. Auf der einen Seite steht die angest, die „Beklemmung“, das Gefühl, „eingeengt“ zu sein durch den Schmerz der Minne-Einsamkeit (zu angest/enge vgl. Str. 48,1 u. 50,4 sowie Komm. dort); auf der anderen Seite die sorge, die „Besorgnis“, durch das Bekenntnis die Gewogenheit der Älteren zu verlieren. Die folgenden Verse entfalten, wie so oft bei Wolfram, diese Opposition (s. Komm. zu Vv. 2–3).
2–3 hâstu mich deste unwerder iht greift die sorge auf, die Wertschätzung der Ziehmutter zu verlieren; sît ich mich dervon (= von der angest V. 1) niht mac gescheiden formuliert die Schicksalhaftigkeit und Unausweichlichkeit der angest; sô kan dîn zuht sich an mir gar versünden führt sorge und angest in eine Art moralische Engführung: Das individuelle Liebesbegehren, das in der minne-angest gefangen ist, bäumt sich auf gegen den Anspruch der Gesellschaft, zu werten und zu verurteilen. Auf der einen Seite stehen die Regeln des höfischen Wohlverhaltens, wie sie in der zuht zum Ausdruck kommen; auf der anderen Seite stehen die Zwänge, denen sich der Minnende ausgesetzt sieht. Es ist auffällig, daß Sigune hier zur Selbstverteidigung einen Begriff aus dem religiösen Bereich aufgreift: versünden, noch gesteigert durch das gar. Damit wird sehr stark das Eigenrecht der Minne gegenüber der Moralinstanz Gesellschaft eingefordert (ein ähnlicher Gedanke bei Heinrich von Morungen MF 138,25 f.: Swer mir des erban, ob ich si minnen tougen, / seht, der sündet sich; vgl. dazu Komm. zu 61,2). 4
Der letzte Vers der Strophe scheint wieder einzulenken, zu besänftigen: lâ mich in dînen hulden, süeziu minne! (zu hulde vgl. Schionatulanders Bitte um die hulde Gahmurets unmittelbar bevor er ihm seine Liebe zu Sigune gesteht: Str. 103,2; zur zärtlichen Anrede süeziu minne s. Komm. unten). Aber Sigune setzt auch deutlich Grenzen, formuliert eine Erwartung an den Redepartner, das Eigenrecht des anderen zu respektieren: daz stêt wol uns beiden. süeziu minne ] „minne als liebkosende Anrede für die Geliebte, das Kind, aber besonders für die Mutter“, Martin; vgl. W. Grimm (zu „Graf Rudolf“, 2. Ausg. 1844, 25) und die Wörterbücher BMZ II/1, 181b; Lexer I 2146; DWb VI 2242.
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120 (La 115) 1
sol ] = „wird“, „im wünschenden Sinne“ (Martin).
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mit minneclîchem zarte ] st. Mask. zart = „Zärtlichkeit, Liebkosung“ (vgl. Pz. 202,1, wo von den schlechten Frauen gesagt wird: ir friunt si heinlîchen pîn / füegent mit ir zarte).
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ich fröuden kranke ] kranc + Gen. = „schwach in Beziehung auf, einer Sache beraubt“ (Marti). Die Stelle scheint einen früheren Ausspruch Sigunes im Minnegespräch mit Schionatulander zu zitieren: daz ich muoz sîn an fröuden diu kranke (Str. 66,2), der sich wiederum auf Schionatulanders Worte bezieht: ê daz dîn minne mîn herze unt die fröude verkrenke (Str. 62,4). Zu den zahlreichen Wendungen für den Verlust der fröude und das krenken s. ausf. Komm. zu 66,2.
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mich ellendes erlâzen ] „die Fremde nicht empfinden lassen“, „mich nicht als Fremde behandelt“. Sigune antwortet hier auf die Anrede der Herzeloyde kurz zuvor: Ellendiu maget, nu muoz mich dîn ellende erbarmen (Str. 118,1). güete ] „das Gutsein; richtiges, vorbildliches, der gesellschaftlichen zuht entsprechendes Verhalten“, wobei an solchen Stellen schon der Übergang zum nhd. Sprachgebrauch („wohlmeinende, freundliche menschliche Grundeinstellung und entsprechendes Handeln“) fließend ist. wîplîche güete noch in Str. 36,4 (von Sigune), Str. 101,2 (von Anphlise) und Str. 135,2.
121 (La 116) 1–2 dînes râtes, dînes trôstes, dîner hulde ] „deines Rates, deines Zuspruchs, deines Wohlwollens“. Heinzle kommentiert (unter Verweis auf Schulze, Archiv 54/1875, 59), die Verbindung von rât und trôst sei formelhaft. Anders Christoph (1999, 218), der hierzu feststellt, daß „in the absence of experience, both Sigune and Schionatulander operate at a merely cognitive level of discourse, and that this cognitive level is hence expressed in abstraction, formulaic recitation and ‚topoi‘.“ Da die Formel sonst bei Wolfram nicht vorkommt und hier auch durch hulde zur Trias erweitert ist, hat sie im Zusammenhang dieser Strophe, die die qualvolle Not der Sigune eindringlich darlegt, ganz offensichtlich keinen formelhaften Charakter; sie soll vielmehr durch das Gewicht eigenständig sinnschwerer Wörter wirken. Das wird noch unterstrichen durch das in V. 2 nachgestellte mit ein ander („alle zusammen“), das „die unverbundenen, anaphorisch aneinander gereihten Objekte in eines“ (Martin) gerade erst zusammenfaßt. – Formal mag diese Zeile die artifizielle Virtuosität von Wolframs Behandlung der Langzeile dokumentieren: Die metrischmusikalische Zweigliedrigkeit überlagert die grammatisch-pseudoformale Dreigliedrigkeit und bricht sie gegen den Inhalt und die Prosadiktion (die von allen zäsurierenden Hgg. vor trôstes gesetzte Zäsur ist wohl metrisch-musikalisch naheliegend bis zwingend). Stutz (1989, 478) nennt solche Einschnitte „atypisch für die Langzeile“, die wäre „im NL undenkbar“. Dies zeigt einmal mehr, daß Wolframs oftmals betont sprachspielerische, ja oft beinahe manieristische Behandlung der Form nicht in den Kategorien des stets als Kronzeuge aufgerufenen „Nibelungenliedes“ aufgeht; man denke nur an Wolframs – durch Reim eindeutig gesicherte – Enjambements (vergleichbar diesem Binnenenjambement wäre etwa die Spaltung von Substantiv und zugehörigem Adjektiv in Str. 164 1–2 die kleinen / vische. Vgl. dazu auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5).
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Stellenkommentar
2–4 al gernde ] = „ganz im Verlangen aufgehend“ (Martin), „sehnsüchtig nach“ (Marti), „(be)gierig“ (Heinzle). Dieselbe Wendung, die der Beizjagd entstammt, findet sich im Pz. 487,7 f., wo Parzival anläßlich der kargen Bewirtung bei Trevrizent sagt: wær ich für vederspil erkant, / ich swunge al gernde von der hant, / bî selhen kröpfelînen (vgl. Dalby 62a f.). Nach Heinzle läßt sich „al gernde mit nâch friunde verbinden (Marti, cf. BMZ I 532b) oder als absolut gebrauchtes Partizip auffassen und nâch friunde auf iâmer dulde beziehen (cf. BMZ I 380a).“ Wenn man diese formal bleibende Aussage auf den Sinn der Strophe bezieht, ergeben sich zwei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten: a) Das Verlangen, die Sehnsucht, die (Be)gierde, die im al gernde zum Ausdruck kommt, ist auf den Freund gerichtet (= „al gernde nâch friunde erdulde ich Schmerz“; vgl. Wolframs Lied L 5,16 ff.). b) Sie richtet sich nicht auf den Freund; zwischen dem in al gernde zum Ausdruck kommenden Verlangen und dem iâmer nâch friunde besteht ein Unterschied, vielleicht sogar ein Gegensatz. Der Blick auf die vierte Zeile zeigt, daß dort dasselbe Problem auftaucht in der Aussage: er quelt mîne wilde gedanke an sîn bant. Sind diese wilde gedanke a) die Liebesgedanken, die sich auf Schionatulander beziehen oder b) Gedanken, die in eine andere Richtung gehen, vielleicht sogar einen Gegensatz zu der Liebesbindung an den Freund markieren? Die Lösung a) ist in beiden Fällen die einfachere, durchaus auch Sinn ergebende der Varianten. Die Lösung b) ist die schwierigere, aber Wolfram wohl angemessenere Variante. Das bedarf der Begründung. In der zitierten Parzival-Stelle ist al gernde eine Wendung, die das freie Wegfliegen des Falken benennt. Übertragen auf Str. 121,2 ließe sich das absolut gebrauchte Partizip al gernde auch hier verstehen als „Begierde, frei wegfliegen zu können, sich zu lösen von den eigentlich noch nicht voll akzeptierten Bindungen“ (V. 4 bant, bendec). Martin versteht mîn wilde gedanke in V. 4 als „meinen freien Sinn“; das ist von Hollandt zurückgewiesen worden, „da wilde ausschließlich negative Bedeutung“ habe: „Sigunes Gedanken werden wilde genannt, weil sie ihrer nicht mächtig ist, ihnen nicht gebieten kann.“ Die vielfachen Belege für wilt bei Wolfram sprechen gegen diese Zurückweisung. Es handelt sich offenbar um einen Begriff, der sich in einem Wandel befindet; für das noch ganz stark am ordo orientierte frühmittelalterliche Denken besaß er, weil er immer das „‚von der Norm Abweichende, das Fremde, das Ungewohnte, auch das Natürlich-Ungezähmte (vgl. die Formel wilt unde zam)“ bezeichnet, zweifellos negative Konnotation. Wenn Wolfram in der Umbruchzeit des Hochmittelalters jedoch am Anfang der Gawanaventiuren diese wildiu mære nennt (Pz. 503,1), hat der Begriff, wie an vielen anderen Stellen auch, durchaus schon positive Bedeutung im Sinne von „erstaunliche, unerhörte Geschichten“. In Sigunes wilden gedanken grenzt sich das Ungewohnte gegen das Gewohnte ab; wehrt sich quasi ihre auf Freiheit, auf Nicht-Zähmung gerichtete Natur, die sich bei ihr zugleich auch immer mit dem ganz konventionellen, gesellschaftlichen lônGedanken der Minneherrin verbindet (vgl. Str. 71,3 f.), gegen die Qual der den Bewegungsspielraum einschnürenden Minnebindungen. Heinzle hat deshalb auf Str. 71,2 verwiesen, auf das Bedauern der Sigune, ihren frîen lîp für eigen geben zu müssen und sich u. E. zurecht auch gegen die Kritik von Schröder (1975, 335) zur Wehr gesetzt mit dem zusätzlichen Argument, daß das quelt in Str. 121,4 als Präsens ernst genommen werden muß; denn Sigune spricht nicht von einem abgeschlossenen Zustand, sondern von einem andauernden: ihre Gedanken wurden qualvoll wider ihren Willen in die Fesseln gezwungen, streben mithin ihr zu entkommen, obwohl sie weiß, daß ihre Lage unwendec ist. Schröder müsse demgegemnüber zu der verharmlosenden Übersetzung „unstet“ für wilde greifen, um seine Intertpretation („wir hören nichts davon, daß ihre Gedanken wieder frei sein wollen; vorher waren sie wilde ‚unstet‘, jetzt weilen sie beständig bei dem Geliebten“) überhaupt plausibel machen zu können (Heinzle 1989, 494 f.). Kie-
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ning/Köbele (1998, 245 f.) haben in ihrem Aufsatz über wilde minne von der Metaphernsprache her die hier gegebene Deutung bestätigt: „Als Schionatulander in der Ferne weilt, gesteht Sigune Herzeloyde die sie bedrängende Sehnsucht und benutzt dabei eine Metapher (al gernde), die jagdterminologisch die Gier des ausgehungerten Falken nach Beute meint. Eben noch von der Minne gejagt, ist sie damit selbst zur Jägerin, zum aktiv auf Raub ausgehenden Jagdvogel geworden – und bleibt es doch nicht lange. Schon im folgenden Vers erscheint sie nicht mehr als Jägerin des Geliebten, sondern als dessen Gefangene, er wiederum nicht mehr als Jagdopfer, sondern selbst als Falkner, der die ungezähmte, ungebundene wilde des Falken hindert.“ (Vgl. auch den Komm. unten zu V. 4 sowie Komm. zu Str. 64,4). 3
vil quelehafter nôt ] Heinzle hat die drei Deutungsmöglichkeiten aufgelistet, die in der Forschung seit Docen und Lachmann erwogen worden sind: 1. Apposition zu iâmer, wobei vil substantivische Mengenbezeichnung mit abhängigem Gen. part. nôt; Komma nach dulde; 2. quelehafter nôt ist von iâmer abhängiger kausaler Gen., wobei vil als steigerndes Adverb zu quelehafter gehören würde; kein Komma nach dulde; 3. adverbialer Gen. zu quelt, wobei vil auch als Adverb auf quelehaft zu beziehen wäre; Punkt nach dulde. Da die Lösungen 2 und 3 gewaltsam mit dem Text umgehen, scheint es am sinnvollsten zu sein, vil quelehafter nôt als nachgestellte Apposition aufzufassen. – Zur Wortreihe quelehaft/queln – bant/bendec vgl. Springer 1975, 111 f. qual/queln und Ableitungen noch Strr. 53,4 (s. Komm. dort); 93,4; 115,4.
4
Marti setzt Doppelpunkt nach gedanke, zieht also an sîn bant zu bendec. Aber queln + Präp. ist gut belegt, so daß es unnötig erscheint, „auf den Einschnitt nach bant“ (Heinzle) zu verzichten. wilde gedanke ] Zur kontextuellen Bedeutung dieser Formulierung s. Komm. oben zu Vv. 2–4. Zur vielfachen Verwendung des Wortes wilde im Tit. (Strr. 3,4 verwildet; 64,4 durh die wilde; 102,3 entwildest; 157,4 ff.) vgl. insbes. auch Komm. zu Str. 64,4. Zur im Liebesgespräch zw. Sigune und Schionatulander wichtigen Vokabel gedanke vgl. Str. 65,3 daz si [= die Minne] mit gedanken sêre schiuzet; 66,1 Schoynatulander, mich twingent gedanke; 68,2 minne ist an gedanken (u. jeweils Komm. dort). bant – bendec ] Mit dem terminus technicus bant für das Halsband des Hundes (vgl. Dalby 1965, 10b f.) und vollends mit dem Adjektiv bendec (BMZ I 134b: „durch das band, vorzugsweise die kuppel an der die hunde gehalten werden, fest gehalten“) bewegt sich diese Strophe abermals, wie schon in V. 2 mit der Anspielung auf die Falknersprache, im Bereich der Jagd als Bildspendebereich für die Minnemetaphorik (zur leitmotivisch im Text wiederkehrenden Metaphorik von bant, Minnegefangenschaft und Gefesselt-Sein vgl. Strr. 47,4; 48,4; 106,1; 112,2; 172,4 und jeweils Komm. dort; zur vorliegenden Stelle vgl. auch den ausf. Komm. oben zu Vv. 2–4.). Heinzle fragt: „sollte ein Bildbruch Falke/Hund vorliegen?“ Es ist charakteristisch für den Tit., daß die Bilder jederzeit durchbrochen werden können. Hier wäre die Frage zu stellen, ob nicht angespielt wird auf den Hund des zweiten Fragmentes, der sich zweimal losreißt und der durch seinen Herrn gerade mit dem Bereich des „Wilden“ verbunden ist (vgl. Str. 157,4 ff.: der herzoge Ehcunaver von Bluome diu wilde, alsus hôrte ich in nennen. // Sît er von der wilde hiez, gegen der wilde / si sante im disen wiltlîchen brief; vgl. Komm. zu Str. 158,1–2). Auf jeden Fall beschreibt die „chiastisch angelegte Wortwiederholungsfigur […] (bant, bendech) […] im wechselseitigen Bezug der Metaphern die gleichzeitige Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit der Minnebindung. Sie zielt nicht auf eine moralische,
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Stellenkommentar handlungsanweisende Bedeutung, wie sie etwa als Genitivmetapher des Typs bant der stæte in den Minneallgeorien der Folgezeit dominant wird, gibt vielmehr einer Simultaneität Raum, die die Grenzen zwischen Denotativem und Konnotativem verwischt.“ (Kiening/Köbele 1998, 246 f.).
122–124 (La 117–119) Die Strr. 122, 123 und 124 variieren einen traditionellen literarischen Typus. Sigune steht am Fenster oder in Str. 123 auf der Zinne und hält (wie etwa die frouwe bei Ps.-Dietmar, MF 37,4 ff., in Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“ 277,28 ff. u. 301,2 ff.; „Mauricius von Craûn“ 1705 ff.) Ausschau nach dem Geliebten. Interessant ist, daß Wolfram im der früheren Str. 122 zunächst die Variation bringt – der Typos erscheint aus der Rückschau gesehen als verlorene Mühe (gar verloren V. 3), die Lokalisierungen sind ganz unterschiedlich (ûz venstren über heide, ûf strâze unt gein den liehten ouwen) – und in der späteren Str. 123 das dem traditionellen Schema entsprechende Muster. Trotz der auffälligen Gemeinsamkeiten der Strophen 122–124 mit dem donauländischen Minnesang (metrische Form; Grundsituation der liebenden Frau, die sich nach dem fernen Geliebten sehnt; Innenstruktur der Einzelstrophe; elegischer Tonfall; knappe Prägnanz der Formulierungen und wörtliche Anklänge von Motiven wie vriunt, warten, über heide, an die zinnen) versucht R. Harvey (1980, 54 ff.) zu zeigen, daß eine von der Forschung immer wieder behauptete (vgl. etwa Mohr 1977, 142 f., der auf die Übereinstimmungen der Eingänge von Strr. 122, 123 und 124 mit den Eingangszeilen der Frauenstrophen des frühen Sanges verweist) bewußte und direkte Aufnahme der frühen literarischen Texte nicht anzunehmen ist: Zum einen seien die Unterschiede gravierend (durchkomponierter Aufbau der Strophengruppe; Differenzen in der Sprachgebung; präsentische Zeitform); zum zweiten gipfele die Dreierformation im Tit. mit Str. 124 in einer Klimax, deren Bildlichkeit die Tatsächlichkeit der frühen Minnelyrik sprenge; schließlich seien die Motive selbst „einem festen Bestand an gedanklichen und bildlichen Motiven“ entnommen, aus denen auch die frühe Minnelyrik geschöpft habe. Auch März (1992, 29 ff.) faßt die Strophen nicht als „Nachhall alter Rede“ donauländischen Minnesangs auf, sondern als einen Gegenentwurf zum Tagelied in der Form eines dreistrophigen, in den „Titurel“ eingebetteten Liedes. Die Differenz zur frühen Langzeilen-Lyrik mag sich auch in Wolframs signifikant freier Behandlung der Metrik zeigen: Beinahe sämtliche Eingangsverse sind stark unterfüllt (122,1; 123,1; 124,1; 124,2; dazu ausf. März 1992, 29–31), was sich gerade hinsichtlich einer musikalischen Realisierung als markante Emphase vorstellen ließe. Die für alle diese Verse von Lachmann im Apparat vorgeschlagenen und von Leitzmann und anderen frühen Hgg. in den Text eingebrachten Konjekturen folgen einer festen Vorstellung der Metrik, die eben an jenem Modell der Kürenberger- und Nibelungenstr. entwickelt ist, die hier gerade signifikant fortentwickelt wird (vgl. dazu „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5).
122 (La 117) 2
Auch in Str. 108,3 stehen Ortsangaben artikellos und mit unterschiedlichen Präpositionen, wobei nur ouwe, „das am Wasser gelegene Land“ ein differenzierendes Adjektiv erhält: den liehten ouwen.
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kom et ] Das Prät. kom (BMa Mo) paßt zum Prät. V. 1, aber die folgenden Str. haben immer Präsens. Heinzle entscheidet sich daher für die Lesart komet. Aber die Lesart kom et (Prät.) scheint uns die lectio difficilior: das Prät. ist in der Strophe selbst angelegt, die aus
121/122 – 124/122/123
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der Rückschau gesprochen ist und mit ich hân … verlorn deutlich eine Vergangenheitszeit exponiert. Wir geben daher der Lesung kom et den Vorzug, weil wir Str. 123 als ganz gegenwärtig davon abheben: „So muß ich jetzt wieder gehen“. Dadurch entsteht eine reizvolle Abfolge verschiedener Zeiten: Prät. (122), Präs. (123) und Futur (123,2: obe ich möhte des werden innen). ze selten ] Litotes: „gar nicht, nie“ (wie Str. 18,4). Rogozinski (1903, 23) versteht diese „stoßsufzerartige“ Wendung als humoristisch, was dem durchgängig verzweifelten Schmerz der Sigune wohl kaum gerecht zu werden vermag. 4
des ] „deshalb“. miniu ougen ] Wie so oft bei Wolfram wird auch hier die sprechende Person (ich) durch einen Körperteil metonymisch umschrieben (vgl. Komm. zu 4,2). friundes minne ] Gen. obj. „die Liebe zum Freund“. gelten ] „bezahlen für etwas“; verbunden mit tiure auch in Str. 18,3 u. 24,2 (tiure auch Str. 126,1). Zur Tauschhandels- und Kaufmannsmetaphorik vgl. insbes. Str. 20,3–4 u. Komm. dort.
123 (La 118) 1
So gên ich von dem venster ] Schwietering (1925, 43) belegt mit dieser und der vorhergehenden Strophe seine These, daß Wolframs lyrische Sprache die veldekesche Liebestopik „zum unmittelbarsten Ausdruck Seele und Leib bezwingender Sehnsucht steigere“. Ähnlich auch Rahn 1958, 55 f.
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dâ warte ich ] sw.V. warten (abgeleitet vom Subst. warte = „Ort der Ausschau“) = „spähen, Ausschau halten“ (vgl. Pz. 138,20 der knappe begunde warten = „schaute genauer hin“). dâ warte ich kehrt in der folgenden Strophe mit großer Eindringlichkeit an derselben Stelle der Strophe wieder: dâ warte ich verre. Hauer (1992,17 f.) versteht dieses warten als prototypisch für die Situation der Frau: „Die Frau verweilt wartend und damit Ausschau haltend nach dem Ritter, dem sie entgegensieht […]. Von hier aus kann bestimmt werden, wie sich der Wille der Frau vom gern des Mannes unterscheidet“; die Frau führt nach Hauer in dieser Welt keine Bewegung im eigentlichen Sinne aus und besitzt auch kein Begehren, „das sie auf das Objekt ihrer Begierde zugehen ließe, wie das beim Mann der Fall ist.“ Nach Hauer (44 f.) ist es bezeichnend für Sigune, daß sie diese Festlegung durchbricht; vgl. dazu den Komm. zu Str. 124,1. ôsten unt westen ] Nach Kiefner (1952, 44) Akkusative des Raumes (vom st. Neutr. ôsten bzw. st. Mask. westen); einfacher ist die Erklärung als Ortsadverbien der Richtung „nach osten, nach westen“ (Marti, Heinzle; vgl. BMZ II,1, 448a und III 609a).
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man mac ] „man hat Grund, hat Ursache“ (Marti) vür die alten senden … niht für die iungen ] Die Figur der Litotes, der Untertreibung durch Verneinung des Gegenteils, ist hier wie in Str. 28,4 (die iungen, niht die alten) verbunden mit der Antithese. Nur ist das Verhältnis hier gerade umgekehrt (die alten … niht die iungen). Nach Marti weist Sigune „die allfällige Zumutung zurück, daß man ihre
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Stellenkommentar schmachtende (sende) Liebe für kindisch halten könnte.“ Eher ist mit Heinzle der Akzent darauf zu legen, daß Sigunes Liebe so groß ist, „daß sie trotz der kurzen Zeit [und trotz ihrer Jugend; die Hgg.] schon soviel gelitten hat, wie sonst nur die alten senden“. Daß es eine Wirkung der minne ist, die Jugend alt (im Sinne von „erfahrener, weiser“?) zu machen, sagt auch der Minneexkurs im 6. Buch des Pz.: Frou Minne, sît ir habt gewalt, / daz ir die jugent sus machet alt, / dar man doch zelt vil kurziu jâr (Pz. 292,1–3). Das Thema wird im Tit. schon früher aufgegriffen (vgl. Str. 48 ff.). Dort ging es um die Differnz zwischen ihrem noch kindlichen Alter und der ihnen schon gestellten Aufgabe der Minne-Erfahrung, und d. h. um die Gefährdungen, die ihnen durch diese so frühen Erfahrungen erwuchsen. Sigune formuliert in Str. 123,4 eine Einsicht, die im Kontext mit dieser früheren Stelle steht: die Kollision mit den nicht immer angenehmen, sondern vor allem gefährlichen und destruktiven Erfahrungen der Minne hat sie in bezug auf die Zeit der Minne frühzeitig „alt“ werden lassen.
124 (La 119) 1
wâge ] Zu diesem Vers und im besonderen zu wâge sind sehr unterschiedliche Erklärungen gegeben worden; in der Regel versuchen sie, das im Text allgemein Gefaßte in eine genaue, wirkliche Vorstellung zu übersetzen. Martin kommentiert: „‚Ich fahre eine Weile auf einem unwirthbaren Meere‘: in Gedanken, wozu der hohe Standort Anlaß giebt, der den ganzen Horizont wie auf dem Meere zu überschauen gestattet.“ Nach Marti ist wâge „offenbar im engeren Sinne als Strömung aufzufassen, nicht als Meer, weil sonst der unbestimmte Artikel nicht recht erklärlich ist. Sie fährt mit einem Boot zuweilen aufs Meer hinaus.“ Hollandt hält es dagegen „für wahrscheinlicher, daß Wolfram eine am Meer gelegene Burg in Norgals (=Nordwales […]) im Sinn hat, von deren Zinnen Sigune Land und Meer überblickt.“ Mit Martin und Heinzle wird man wohl davon auszugehen haben, daß Sigune ihre Fahrt in Gedanken unternommen hat, nicht wirklich, „denn sie wird sich kaum an das ferne Mittelmeer begeben haben, über das Schionatulander zurückkommen mußte“ (Heinzle). Man wird auch nicht, nur um eine Einschätzung der Szenerie zu gewinnen, wâc („bewegtes Wasser in einem flusse, see oder meere“, BMZ III 645a) etwas abstrakt als „Strömung“ interpretieren dürfen; dagegen stehen unzählige Belege, die zeigen, daß ein wâc oder auch oft ein wilder wâc immer mit der Vorstellung verbunden ist, daß es sich um ein großes, nicht näher bestimmbares Wasser handelt und daß der unbestimmte Artikel hier die Funktion der „unbestimmten Individuation“ (Heinzle) hat, indem er eine Sache bezeichnet, „deren Wesen an sich für die Handlung des Epos gleichgültig ist“ (Radtke, Der Artikel bei WvE, Straßburg 1906, 43). Die Konjektur von Lachmann und Leitzmann nach dem JT (ûf einem wilden wâge), die metrisch einen glatteren Vers ergibt, ist inhaltlich wie sprachlich in keiner Weise zwingend, da der Vers auch ohne den Zusatz einen sehr guten Sinn ergibt (s. dazu auch einl. Komm. zu Str. 122). Nach Hauer (1992, 44 f.) durchbricht Sigune mit dieser „einzigen selbständigen Frauen-Fahrt im Titurel“ die der Frau gebotene Zurückhaltung in Begehrensdingen: „Sigune wird untreu, das heißt sie verliert festen Boden unter den Füßen, sie begibt sich auf das ‚Bewegte‘ (wac), das heißt aufs Meer.“ Dadurch verletzt sie nach Hauer ihre Treuebeziehungen – ihre Häuslichkeitsbeziehung und ihre Verwandtschaftsbeziehung –, vereinzelt sich aus ihrem Weltraum und wird aussätzig wie Schionatulander (vgl. auch Hauer 1992, 79).
2
drîzec ] Synekdochisch zu verstehen: „allgemeine Zahl für etwas Großes (Hälfte eines Schocks)“ (Marti).
123/124/125 3
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durch daz ] = durch daz daz. Eine ähnliche Konstruktion mit umbe daz Pz. 530,28: ûf sitzen meit er umbe daz, / er vorhte daz er zetræte. Die Verbindung von Präpositionen (durch daz, umbe daz, fur daz) ist im Mhd. eine vollständige Einleitung abhängiger Kausal- oder Finalsätze, der im Nhd. die Konstruktion „deshalb, weil“, „um des willen, daß“, „auf daß/damit“ entspricht (Mhd.Gramm § 462 f.); die Konjektur von Lachmann, Leitzmann und Mohr (durch daz, ob(e) ich) ist daher überflüssig. daz ich horte ] „damit ich hören könnte / um zu hören“. Marti versteht diesen Vers im Kontext ihrer Stropheninterpretation (s. o.) sehr realistisch: „Sie hoffte auf Kunde von ihrem Geliebten von jedem Schiff, das von der hohen See kam“. Der allgemein gehaltene Vers, der nur die Sehnsucht eindringlich aussagen soll, verträgt eine solch realistische Ausdeutung nicht.
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nach ] Gehört zu kumbers, das wiederum als Gen. von enbære (Konj. v. st.V. enbern = „ohne etwas sein, von etwas ablassen“) abhängt. iungem clârem ] „stark flektiert im dat. nach possess.“ (Marti); ähnlich Str. 27,3 (auch 34,2; 52,4). Zu Freiheiten in der Flexion mehrerer adjektivischer Attribute vgl. Mhd.Gramm. § 392; „Durchgängig starke Flexion mehrerer vorangestellter Adjektivattribute ist bei Wolfram belegt, cf. z. B. Wh. 161,26“ (Heinzle). Die Verbesserungsvorschläge Lachmanns (jungen clârem) oder Leitzmanns (jungen clâren) sind daher unnötig.
125 (La 120) 1
spilende fröude ist mit „unbeschwerte Freude“ nur annäherungsweise übersetzt, denn das Moment des Leicht-Beweglichen, Hüpfenden (Marti übersetzt „hüpfende Freude“, Kühn „beschwingtes Glück“), das zum Begriff spiln dazugehört, ist darin nicht enthalten. Heinzle belegt die Wendung vielfach aus dem Minnesang.
1–2 gescheiden ûz mînem herzen hôchgemüete ] Die Formulierung steht in engem Bezug zu Str. 36,3, wo es von der heranwachsenden Sigune – durchaus vieldeutig – heißt: da huep sich in jr hertzen hochgemüete (s. Komm. dort). Die Verbindung hôher muot – fröude findet sich noch in Str. 75,2: dort sind sie Schionatulander durch die Liebe zu Sigune genommen (ähnlich Str. 89,2: die flust sînes hôhen muotes, an sorgen gewinne). Zum Herz als Wohnstätte personifizierter Eigenschaften und Empfindungen vgl. Komm. zu Strr. 32,3; 62,2; 67,4; 68,4. 2
ein owê ] Die Interjektion ist hier wie des öfteren in der mhd. Literatur (besonders auch im Minnesang) substantiviert (vgl. BMZ III 542b; Lexer III 442). folgen ] Heinzle übersetzt das Verb (unter Verweis auf Lexer III 442 und DWb III 1878) mit „zuteil werden“. Die in den Wörterbüchern aufgeführten Belege rechtshistorischer Art (folgen = „durch rechtliche volge zuteil werden“) sind jedoch so spät, daß hier Vorsicht geboten ist. Einfacher scheint es in seiner Grundbedeutung auf das substantivierte owê zu beziehen: „ein schmerzvolles Weh muß uns beiden nun folgen = auf der Spur bleiben“.
3
daz ] bezieht sich auf das substantivierte owê.
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Stellenkommentar für in ] „anstatt seiner“, des Geliebten (Martin). Sie nennt Herzeloyde gegenüber zunächst nicht seinen Namen. Der Name fällt erst in der folgenden Strophe. Martin bemerkt dazu: „sie nennt ihn nicht, da er ihre Gedanken vollständig ausfüllt.“
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ich weiz wol ] Der adversative Sinn dieses Verseingangs wird sprachlich nicht mit ausgedrückt: „aber ich weiß nur zu gut …“. Es handelt sich, wie Heinzle an vielen Belegen zeigt, um eine im Minnesang gebräuchliche Beteuerungsformel (vgl. Heinzle zu 5,1). Auffällig ist, daß dies die einzige Stelle ist, an der von der Liebe des anderen mit Gewißheit gesprochen wird: Wird sonst von Schionatulander wie von Sigune der bzw. die Geliebte sprachlich nur als Gegenüber vorgestellt, durch das die Minne zwingt, bedrängt und beraubt, so kommt hier das Gegenüber in den Blick, das ebenso ein Gejagter ist (s. dazu folgenden Komm.). iaget ] Ein weiteres Mal werden die Liebenden hier als Gejagte vorgestellt. Während zumeist jedoch die Minne jagt (etwa Strr. 65,2; 74,4; 100,1), so ist es hier die sorge (zur Jagdmetaphorik s. Komm. zu Strr. 64,4; 65,2; 100,1; Kiening/Köbele 1998, 140 ff. u. 151 ff.). Minne und sorge scheinen zuweilen austauschbare Personifikationen: Beide legen in Fesseln (minne bant 48,4; sorgen bant 112,2; s. Komm. zu Str. 47,4), beide jagen die Liebenden. kan mîden ] kunnen + Inf. hier rein phraseologisch: „der mir jetzt doch fern bleibt“.
126 (La 121) Schwietering (1925,44) meint, daß diese Strophe „aus der Rolle fällt […] mit ihren Liebessymptomen des Erhitzens und Erkaltens, und zwar nicht als objektive Schilderung, sondern der Liebenden selbst in den Mund gelegt.“ Er plädiert für Eliminierung, da, wie er glaubt, der Zweck der Strophe allein darin besteht, Schionatulanders Namen zum ersten Mal durch Sigune zu nennen; auf der anderen Seite liege, wenn Herzeloyde sogleich nach Str. 125 mit Str. 127 zu Wort käme, „eine weit größere psychologische Feinheit“ darin, daß sie, „die einen Racheakt Amphlisens wittert, in die Rede einfällt und nun den Namen des Werkzeugs ihrer Rivalin selbst errät, den Sigune durch all die Strophen hindurch verschwiegen hatte.“ Schwietering weist noch auf Martins Bemerkung hin, daß das Verb erglüejen hier schon eine faktitive Bedeutung hat, „die sonst erst durch spätere Denkmäler belegt ist“; auch sei das owê in Herzeloydes Antwort viel wirksamer, wenn es nicht „bereits in der letzten Sigunenstrophe vorweggenommen wäre“. Es bedarf hier keiner Gegenbegründung; daß solche, für bestimmte Tendenzen der Älteren Germanistik früherer Generationen charakteristische Argumentation von modernem Empfinden getragen ist, ist offensichtlich. Vgl. auch den Komm. zu Str. 95 und „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3. 1–3 Syntaktisch sind die folgenden drei Verse so gebaut, daß auf einen übersichtlichen Teil (einleitende Interjektion owê des + Hauptsatz + Relativsatz: nâch dem ich dicke erkalte) ein etwas unübersichtlicherer folgt. Heinzle hat diesen zweiten Teil so beschrieben: „dann beginnt ein neuer Hauptsatz: und dar nâch … sus erglüet mich Sch., von dem der eingeschobene, das sus erläuternde Gliedsatz als ich læge in dem ganeistenden […] fiure abhängig ist“. Man kann ihn auch anders auffassen, indem man nachzuvollziehen sucht, wie er zustande gekommen ist. Zunächt war da eine verbindende Konjunktion und eine Zeitkonjunktion dar nâch, die dem ganzen folgenden Teil eine Zeitstruktur zu geben scheinen; diese wird aber durchkreuzt von dem nachfolgenden vergleichenden Neben-
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satz als ich læge in dem gnaneistenden viure, der nun seinerseits die Struktur des folgenden, als Zeitsatz angelegten Hauptsatzes bricht, indem er aus seinem komparativen Sinn ein sus generiert, das den Zeitsatz zum Vergleichssatz macht. Vergleichbare Konstruktionswechsel und anakoluthische Satzanschlüsse finden sich häufig im Tit. (s. dazu Komm. zu Strr. 63,1–2 u. 69,1– 4). 1
mir ist sîn kunft alze tiure ] Wörtl.: „mir ist sein Kommen von allzu hohem Wert“ = „er kommt gar nicht zu mir“, variiert die Litotes von Str. 122,3: er kom et mir ze selten, wobei tiure die Kaufmannsmetaphorik von Str. 122,4 aufnimmt (tiure in diesem Sinne auch Strr. 18,3 u. 24,2; s. Komm. zu Str. 20,3–4).
2–3 nach dem ich dicke erkalte / erglüet mich ] „in Sehnsucht nach welchem ich häufig kalt werde“; im Gegensatz dazu steht erglüet mich (vom sw.V. erglüejen = „erglühen machen, in Glut bringen“, in transitiver faktitiver Bedeutung sonst erst nach Wolfram belegbar) = „versetzt mich ins Glühen“. „Die heiß und kalt, rot und bleich machende Wirkung der Leidenschaften beruht auf den mittelalterlichen Anschauungen der Humoralpathologie“ (Marti). Das Motiv des Liebesbrandes ist in der ma. Literatur vielfältig belegt (gebend vermutlich Ovid, etwa Metamorphosen III 370 u. VI 455; in der mhd. Lyrik zuerst bei Heinrich von Morungen MF 126,24 ff., wohl vermittelt durch die Trobadors; dazu V. Schweiger: Textkritische u. chron. Studien zu den Liedern Heinrichs von Morungen, Freiburg 1970, 261; im Pz. etwa 130,9). Insbesondere das Heiß- und Kaltwerden findet sich vielfach in dem in dieser Hinsicht für die deutsche Literatur des Mittelalters richtungweisenden Eneasroman Heinrichs von Veldeke (im Gespräch der Lavinia mit ihrer Mutter: 262, 26 f., 263,6 f.; 267,40 f.; 268,40 f.; 269,40 ff., 280,9 f.); weitere Belegstellen bei Heinzle. 2
in dem gnaneistenden viure ] Die Hgg. ziehen alle die üblichere Form des Verbs (geneisten, gneisten = „Funken sprühen, brennen“) vor und lesen: in dem gneistenden viure. Vom Grundwort (st. Fem. oder sw. Mask.) ganeist, ganeiste = „Feuerfunke“ heißte es im BMZ I 461: „die formen dieses wortes schwanken im mhd. sehr, neben ganeist, ganeiste, geneist, gneist, gneiste findet sich auch gnaneist, gnaneiste.“ Auch für das Verb ist die Form gnaneisten/gnaneiston gut belegt (Steinmeyer/Sievers: Ahd. Glossen II 673,10; s. auch DWb IV,I,5, 639). Es handelt sich vielleicht hier um eine bewußte Aufnahme einer altertümlichen Form in emphatischer Absicht.
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alse Egremuntîn dem wurme salamander ] Vgl. Pz. 496,10 ff. … vor dem berc ze Agremontîn. / swer einhalp wil ir tjoste hân, / dâ koment ûz fiurige man: / anderhalp si brinnent niht … ; Pz. 812,19 f. ich stach vor Agremuntîn / gein eime rîter fiurîn; vom Waffenrock des Feirefiz heißt es Pz. 735, 24 ff. ime berge zAgremuntîn / die würme salamander / in worhten zein ander / in dem heizen fiure, und Pz. 757,4 f. die würme salamander / in worhten in dem fiure (auch Wh. 421,1). Egremuntin, Agremontin, Agremuntin sind bei Wolfram die unterschiedlichen Benennungen eines vulkanischen Berges (Pz. 770,7 u. Wh. 349,13 eines Landes; nach Acremonte auf Sizilien, also der Ätna?), der den in ihm (nicht „am“, wie Kühn übersetzt) lebenden Salamandern sîn hitze gît, in der sie sich wohlfühlen und ein kostbares, feuerfestes Gewebe produzieren, aus dem nach der Sage auch Waffenröcke verfertigt wurden (vgl. auch Passage 1984, 158 f.). Zum Salamanderstoff bei Wolfram vgl. Chr. Gerhardt: Das werc von salamander bei WvE u. im Brief des Priesters Johannes, FS F.J. Ronig, 1989, 135–160. – Zum Salamander und der schon antiken Vorstellung, er lebe im Feuer, s. LMA VII/1995, 1284 f.
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Stellenkommentar
127 (La 122) 1
du redest nâch den wîsen ] „nach Art der Alten, Sachkundigen, Sachverständigen“ (Marti); „wîse bezieht sich auf das Wissen von Wesen und Wirkung der Minne, das Sigunes Verständnis verrät.“ Diese Kommentare heben darauf ab, daß minne ein Wissen ist, das gelernt werden muß (vgl. Schwietering 1925, 46). Doch in diesem Text ist (vgl. Komm. zu 54,1) die durch die Minne erwerbbare oder erworbene wîsheit der Liebenden Teil der im Text vorgeführten Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Diskurse über minne und legitimes Verhalten. Sie wird aus dem Kontext begründet und zugleich auch wieder durch den Kontext gebrochen. So, wenn hier Herzeloyde nach der langen, mit der Minnelehre im Schwieteringschen Sinne gerade total differierenden Minnekonfession Sigunes ausruft: du redest nâch den wîsen, und diese wîsheit dann sogleich als eine nicht kindgemäße auf die Einredung durch Anphlise zurückführt.
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wer hât dich mir verrâten ] mir = Dativus ethicus, bezeichnet eine Person, die nur zusätzlich (also syntaktisch entbehrlich) und emotional an der Handlung beteiligt ist (nhd. etwa in Sätzen wie „Daß du mir nicht zu spät kommst!“ (dazu auch Mhd.Gramm. § 382); verrâten = „durch falschen Rat irreleiten, verführen, übel beraten“. der Franzoysære küngin Anphlîsen ] „Einen Moment denkt Herzeloide daran, Ampflise habe den Pagen angestachelt, um Sigune zu verderben, aus Rache dafür, daß sie der Königin von Frankreich durch Gahmuret vorgezogen worden war“ (Marti). Der eindeutig positiven Wertschätzung der Anphlise im Gespräch zwischen Gahmuret und Schionatulander (vgl. den Komm. zu Str. 101) setzt Herzeloyde hier ein feindseliges Bild entgegen, das dem bloßen Verdacht, den sie hegt, wenigstens zunächst, einen weiten Raum gibt, etwa wenn sie im folgenden Vers den zorn der Anphlise personifiziert und als Rachegrund hinstellt (s. unten Komm. zu V. 4; vgl. auch Strr. 128,4 u. 129,2 u. Komm. dort; zu Anphlise Strr. 37–39; personifiziert handelnde Eigenschaften auch in der nächsten Str.; s. Komm. zu 128,2–3). Mohr (1974, 139 f.) sieht den Grund für die Reaktion der Königin in dem prunkvollen Gleichnis, mit dem Sigune ihre Rede beendet hatte (Str. 126,4) und über das sich Wolfram selbst mit Hilfe seiner Personen lustig macht: „Eine so preziöse Liebessprache kann man nur am Minnehof der Königin Amphlise gelernt haben, wo Schionatulander aufwuchs! Herzeloyde hört eifersüchtig diesen Ton heraus, und erst allmählich findet sie sich darein, Sigunes Liebe zu billigen.“
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wîslîchen wort ] Die Formulierung nimmt das nâch den wîsen von V. 1 wieder auf und wendet es ins Höhnische (ûz ir munde gesprochen). Heinzle hat versucht, die Unklarheiten in der Haltung der Herzeloyde durch eine Erklärung verständlicher zu machen: „Herzeloyde meint wohl nicht, Anphlise habe Sigune direkt über die Minne belehrt; wie und wo sollten sich Anphlise und Sigune begegnet sein? Vielmehr dürfte sie vermuten, Anphlise habe Schionatulander dieses Wissen beigebracht, damit er Sigune verführe, die nun ihm und damit indirekt Anphlise nachspreche.“ Diese Erklärung scheint durch die folgende Strophe durchaus bestätigt zu werden, die aber ihrerseits wieder auch Unklarheit heraufbeschwört. Es ist unmöglich, hier wirklich Licht in die Verdächtigungswut der Herzeloyde zu bringen. Was Herzeloyde in dieser Strophe und im folgenden gegen Anphlise vorbringt, beruht einzig und allein auf Unterstellung. Diese wird veranlaßt durch die wîslîchen wort der Sigune, durch die der eigentlich noch kindliche Status der Sigune auf eine für Herzeloyde offenbar unheimliche, auf jeden Fall unverständliche Weise übersprungen wird. Herzeloyde sucht nach einer Erklärung für diese Veränderung, und da sich der Name Schionatulanders, der in Str. 121 gefallen ist, für sie mit
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Anphlise verknüpft, findet sie hier einen Anhaltspunkt, auf dem sie ihr emotionales Gedankengespinst aufzubauen weiß. Im 2. Buch des Pz. wird erzählt, wie Herzeloyde nur durch Rechtsbeistand Gahmuret an sich binden kann, der durch Briefe und Gesandte an seine älteren Bindungen an Anphlise gemahnt wird (Pz. 76,1–96,10). Daß Schionatulander als Gahmurets Knappe in dieses Minneverhältnis eingebunden war und dadurch in Minnedingen wîse geworden war, wird schon in Strr. 54 u. 55 erwähnt. Im Hinblick auf diese Vorgeschichte unterstellt Herzeloyde Anphlise offenbar währende Eifersucht, zorn und râche (Str. 128,4). Es ist die nie so ganz greifbare, immer etwas im Dunkeln bleibende Logik der Verdächtigung, die hier kunstvoll eingesetzt erscheint und die gar nicht zuläßt, die Zusammenhänge wirklich aufzuhellen. März (1992, 28 ff.) mustert zunächst den „Nachhall alter Rede“ in Ruhs Interpretation der Herzeloyde-Rede (Ruh 1980, 148) als „Anverwandlung verjährter Rivalität“ und Bertaus Auffassung, es handele sich um Floskeln, die das Gefühl als Montage darböten (Bertau 1983b, 77); für Letzteres findet er einen Beleg in dem freilich nicht sehr prägnanten Anklang von 121,4 an Pz. 76,26). Aber wesentlicher scheint ihm eine formale Besonderheitin der sog. Liebesklage der Sigune (Strr. 122–124) zu sein, der Herzeloydes Unbehagen gelten könnte, wobei er die Sigune-Strophen nicht als Nachhall donauländischen Minnesangs auffaßt, sondern als einen Gegenentwurf zum Tagelied in der Form eines dreistrophigen, in den „Titurel“ eingebetteten Liedes. Das Mißtrauen Herzeloydes wäre damit nach März „ein Mißtrauen gegenüber dem Liedstrophe gewordenen Gefühl, ihr Umschwenken [ist] das Mißtrauen ins eigene Mißtrauen.“ Was die Frage angeht, warum Herzeloyde sich überhaupt als die von Anphlise Angegriffene betrachtet, meint März nicht über die Vermutung hinauskommen zu können, daß sich darin mehr über Wolfram als über Herzeloyde oder Anphlise verrät. „Anphlise wäre dann hier die Chiffre für ein Unbehagen des Dichters, das er – passend oder nicht – an Herzeloyde weiterreicht.“ Interessant ist der Hinweis von März, daß der Name der Anphlise im Liebestraktat „De amore“ des Andreas Capellanus vorkommt, wobei ihm drei Parallelen besonders auffällig erscheinen: der Name, die Anphlise von Wolfram zugewiesene Heimat Frankreich und die Vermittlerrolle des kappelân im Pz. (Pz. 76 ff.). „Gewiß sind diese Anklänge nicht fähig, Beweiskraft zu tragen. Es kommt aber vor allem auf die inhaltliche Verknüpfung der doctrina amoris mit der Gestaltung der Anphlise an.“ (35). Hinzu kommt, daß Wolfram den Namen im Reim an das Adjektiv wîse bindet und daß sich Herzeloydes Ausfall vor allem gegen die wîsen richtet, was man nach März als Übersetzung dessen lesen kann, was Andreas den Damen so sehr ans Herz legt: „wîse wäre dann eine Frau, die über die doctrina amoris verfügt, […] die ihr Gefühl formalisierter Sprechweise überantwortet. Kraß mag dies Herzeloyde – oder Wolfram – aufstoßen, wo der dafür nötige Stilus gravis des Höfischen just eine Kinderliebe befördern soll, die so unerotisch ist wie kaum eine Liebesbeziehung Wolframs. […] Sigune und Schionatulander fassen sich nicht einmal an den Händen, aber den Minnediskurs wollen sie souverän beherrschen. Dafür stünde hier die wîse, intellektuelle Anphlise: Sie verträte das Literatur gewordene Wissen darum, wie Liebe anzugehen sei.“ (März 1992, 35). März stellt am Schluß seines Aufsatzes fest, man gewinne als Leser den Eindruck, Anphlise sei Wolfram selbst nicht ganz geheuer gewesen.
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Stellenkommentar
128 (La 123) 1
hôch rîcher fürste ] „ein großmächtiger Fürst“; das erste Adj. ist unflektiert, das zweite flektiert (wie 85,3; 161,2; 164,3); für ein Kompositum „hochreich“ gibt es keine mhd., nur nhd. Belege (vgl. DWb IV,II 1630).
2–3 sîn edelkeit, sîn kiusche …, sîn iugent ] „seine edle Abstammung und Gesinnung, seine vornehme Zurückhaltung …, seine Jugendlichkeit“: die Eigenschaften Schionatulanders treten stellvertretend für ihn handelnd auf, indem sie etwas nicht zu tun wagen (sîn edelkeit, sîn kiusche … getörste, sîn iugent … spræche), wie in der Str. zuvor der unterstellte zorn Anphlises. 2
getörste doch nimer genenden an die getürste ] „dürfte es nicht wagen, sich solche Kühnheiten herauszunehmen“; zwei etymologisch zusammengehörende Wörter (getörste, Konj.Prät. vom anormalen Verb turren = „wagen“; getürste, Akk.Pl. vom st. Neutr. geturst, Kollektivbildung zu turren = „alles Kühne und Verwegene, Kühnheit, Verwegenheit“) sind mit einem bedeutungsgleichen (genenden sw.V. = „wagen, sich erkühnen“) kombiniert, was hier mehr sein dürfte als ein bloßes Wortspiel (so Springer 1975, 110). Daß Schionatulander die Liebe Sigunes begehrt (vgl. Komm. zu V. 3), wird von Herzeloyde aus durchsichtigen Gründen zu einer ungeheuren Vermessenheit hochgesteigert, obwohl sie ihn eben noch als hôch rîcher fürste gepriesen hat: nur um noch einmal, und diesmal mit noch größerer Leidenschaft, ihre Verdächtigung gegenüber Anphlise zu wiederholen. Vgl. auch Komm. zu V. 4.
3
nâch dîner minne spræche ] sprechen nâch = „Anspruch erheben auf, begehren“; wird öfter so im Pz. verwendet, vgl. z. B. Pz. 196,20 (nâch sînem harnasch er sprach); vgl. auch Str. 160,4.
4
haz – mit ir hazze ] „Feindschaft mit Feidseligkeit“ (Martin). Die offenbar als stilistisch unschön empfundene Doppelverwendung von haz wird von den Kommentatoren als „auffällig“ (Marti, Heinzle) bezeichnet. Marti erwägt, ob es sich um eine „Textverderbnis für mit ir heize (Befehl)“ handeln könnte, was indessen bei Wolfram sonst nicht belegt ist (der JT überliefert außer JT A und JT H ebenfalls haz … mit hazze). Die Textstelle verliert ihre Auffälligkeit, sobald sie im Kontext verstanden wird: Abermals tritt hier die Eigenschaft der Person als handelndes Subjekt auf, wie schon Anphlises zorn in Str. 127,3 und Schionatulanders edelkeit, kiusche und iugent (Vv. 2–3). Die Hypertrophierung dieser Stilfigur (der haz rächt sich mit hazze) legt die Artifizialität der Metonymie in dem Moment bloß, in dem sie eine erstaunlich weitgehende psychologische Einsicht formuliert. Das ganze Satzgebäude, das mit dem Hauptsatz in V. 2 beginnt, mit einem daz-Satz fortgesetzt wird, um in den Konditionalsatz in V. 4 zu münden, repräsentiert das Wahngebäude der Herzeloyde, die zunächst einmal einen tugendhaften, hochgeborenen Fürsten (Schionatulander) exponiert; dessen Tugendhaftigkeit und Adel dient aber nur als Folie für die Erfindung, daß einem solchen Fürsten ein unangemessenes Handeln, das quasi nur an die Wand gemalt wird (= der Anspruch auf Sigunes Minne), allein dann zuzutrauen ist, wenn es ihm von außen (d. h. in diesem Fall von Anphlise) eingegeben wird. Das ganze Verdachtsgebäude der Herzeloyde ist klar erkennbar auf den abschließenden op-Satz hin entworfen. In ihm könnte das doppelte Auftreten von haz am ehesten mit diesem wahnhaften Verdächtigen selbst erklärt werden. Herzeloyde reagiert hier emotional-zwanghaft, sie kann ihre Worte sowenig kontrollieren wie ihre Gedanken. Sie identifiziert sich so sehr mit der Vorstellung, vom haz der Anphlise und deren Rachegedanken verfolgt zu sein, daß sie nichts anderes denken kann.
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129 (La 124) 1
zôch ] st.V. ziehen hier prägnant = „erziehen“. Zum Handlungszusammenhang vgl. Strr. 38,1 u. 39,1 u. 2 (s. Komm. dort). sît ez der brust wart enphüeret ] „seit es entwöhnt wurde“, also von frühester Kindheit an (nach Richey 1960, 42 u. 1961, 185 ist Mahaute demzufolge früh gestorben; vgl. Komm. zu Strr. 41,4; 42,1; 89,4).
2
gap si niht durch triegen den rât ] „wenn sie nicht aus Tücke den Ratschlag (nämlich: ein Minneverhältnis mit Sigune zu beginnen) gab“. Nach Heinzle (der mit Recht Domanigs Auffassung [Pz.-Studien, 1878, 21], die die Mitwirkung Anphlises noch mit der Schuldfrage verbindet, zurückweist) ist der Sinn dieses Satzes: „nur wenn die Liebe zwischen Schionatulander und Sigune auf echter Zuneigung beruht, kann sie Glück bringen.“ Allerdings scheint ihm nicht ganz wohl zu sein bei dieser Ausdeutung, wenn er zugleich den Vorschlag macht, man könne auch ein Fragezeichen statt eines Kommas nach gerüeret setzen: „halb noch zweifelnd gibt Herzeloyde ihren Verdacht auf und bewertet das Verhältnis zwischen Sigune und Schionatulander nun positiv.“ Tatsächlich liegt hier das Problem. Wollte man das Verhalten Herzeloydes psychologisch verstehen, gebe es wohl gar keine Möglichkeit, ihren jähen Umschwung zu erklären. Hier ist keine Entwicklung vorauszusetzen, sondern eher funktioniert die Verhaltenssteuerung so, daß aus erzählerischen Gründen der Hebel, der eben noch in Richtung ‚Konflikt‘ wies, jetzt umgestellt wird auf eine andere Form der im Tit. vorgeführten Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Diskurse über minne und legitimes Verhalten (vgl. oben Komm. zu 54,1). Die wîsheit der Erwachsenen wird wie die der jungen Liebenden jeweils aus dem Kontext begründet und zugleich auch wieder durch den Kontext gebrochen. Es scheint daher nicht sinnvoll, in diesem Zusammenhang mit Vokabeln wie „echter Zuneigung“ (s. o.) zu operieren. der dich hât als unsanfte gerüeret ] „der dich so schwer getroffen hat“. Der Halbvers bezieht sich auf das jammervolle Bild der durch die Minnekrankheit gezeichneten Sigune (Strr. 114–117), das hier im Rahmen der Verdächtigung der Herzeloyde als Folge des Ratschlages der Anphlise gesehen wird.
3
fröude erwerben ] Der Bildbereich von Geld, Handel und Warenverkehr wird von Wolfram auffallend oft zur Verbildlichung sich wandelnden Schicksals und wechselnden Geschicks verwendet, insbes. im Zusammenhang mit fröude (so Strr. 20,4; 76,2; 77,3; 139,2; 143,4); vgl. dazu insbes. den Komm. zu Str. 20,4.
4
sîstu im holt ] Konjunktiv und Inversion des Verbs im einleitenden Bedingunssatz „wegen des nachfolgenden Imperativs im Hauptsatz“ (Marti) = „wenn du ihm in Liebe zugetan bist“. Vgl. die ganz entsprechende Konstruktion Pz. 651,22 f. dînen wunschlîchen lîp ] An die Stelle der ganzen Person tritt wiederum metonymisch ein Teil des Körpers. Wörtl.: „deinen dem Ideal entsprechenden Körper“ = „deine vollkommene Schönheit“.
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Stellenkommentar
130 (La 125) 1
biut im daz zêren ] Die Formulierung läßt sich sowohl auf den vorhergehenden Vers (lâ dînen wunschlîchen lîp niht verderben!) beziehen (dann würde man mit Marti am besten ein Ausrufezeichen nach zêren setzen) als auch auf das Folgende (dann läßt sich der Anschluß lâ wider clâren … mit Marti als asyndetische Beiordnung interpretieren: „ehre ihn dadurch, daß du wieder hell werden läßt …“). clâren ] sw.V. „hell, leuchtend werden“, findet sich vor Wolfram offenbar nur bei Heinrich von Veldeke MF 59,25 (Beleg Heinzle), während die Wörterbücher (BMZ I 836b; Lexer I 1607) nur spätere Belege aufweisen.
2
alsô iunclîchen iâren ] „so jugendlichen Jahren“; der Ausdruck wird durch die kurzlîchen fröude in V. 4 wieder aufgenommen. Zu ähnlichen Alliterationen vgl. Komm. zu 111,4.
3
sô liehtez vel ] Schönheit wird im Mittelalter immer mit dem Licht verbunden (s. Komm. zu Strr. 7,4; 26,2). Das Bild präzisiert die allgemeinere Umschreibung (dînen wunschlîchen lîp) der vorhergehenden Strophe (129,4); auch hier steht wieder der Teil für das Ganze: vel = „Haut, Teint“. verlischet ] „Das Bild, das in dem Ausdruck lieht liegt, wird durch das Erlöschen weitergeführt“ (Marti).
4
in die kurzlîchen fröude ] Martis Deutung der Textstelle („Die ‚kurzdauernden Freuden‘ wohl geistliche Anschauung der kurzdauernden Freuden jedes Menschenlebens“) wird von Heinzle mit Recht im Hinblick auf V. 2 zurückgewiesen und auf die Tatsache bezogen, „daß die junclîchen jâre schnell vorübergehen“. Die Textstelle läßt sich geradezu als eine Umkehrung des traditionellen geistlichen Bildes von der Flüchtigkeit alles Irdischen lesen, als ein Aufruf zum carpe diem. Heinzles Hinweis auf Bock 1879, 33 (er „sieht das Bild in Zusammenhang mit 83,4 [hier 88,4]: Freude als ‚ein süßer Trank, in den Sorge gemischt wird“) und auf die zu 17,4 zitierte Bibelstelle (Spr 14,13) gehen deshalb an dem Sinn dieses Verses vorbei, der Sigune ja gerade auffordert, ihr minnekrankes Sehnen aufzugeben und sich von der sorge zu befreien (denn der Ausdruck vil sorge alze sêre gemischet ist ja nicht so zu verstehen, daß Herzeloyde der Sigune rät, etwas weniger sorge, sondern: überhaupt keine sorge in ihre fröude zu mischen!).
131 (La 126) 1–2 an fröuden verderbet – an fröuden gerîchen ] Von den sw.V. verderben (verderben an = „bringen zu Schaden in Bezug auf etwas“; vgl. Strr. 77,4; 172,2; Wh. 10, 26) und gerîchen (gerîchen an: für Belege vgl. BMZ II,1, 695b) „an Freuden zugrunde gerichtet / an Freuden mächtig, stark machen“. Beide Ausdrücke sind als Oppositionen und durch die gemeinsame präpositionale Bestimmung aufeinander bezogen. Zu den Metaphern aus dem Bereich von Geld und Handel (zu denen hier noch gerbet vom sw.V. erben = „vererben, als Erbschaft hinterlassen“ kommt) vgl. Komm. zu Strr. 20,4 u. 129,3. Der Ausdruck rîche machen an fröuden noch in Str. 76,2. – Zur Thematik des Erbens s. unten Komm. zu V. 4 und Komm. zu Str. 132,2.
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talfînete ] Diminutives Femininum zu talfîn (vgl. Komm. zu 88,2 und 97,2). Da die Wörterbücher zum Afrz. (Godefroy II 424 b; Tobler/Lommatzsch II 1200) als feminine Form nur daufine belegen und da anderseits die mhd. Wörterbücher nur die Tit.-Stelle ausweisen, handelt es sich wahrscheinlich um eine Wolframsche Neubildung zum belegten afrz. maskulinen Diminutiv dauffinet. Durch ihre Stellung im Versgefüge sind der iunge talfîn (am Ende des Anverses von V. 1) und die talfînete (am Ende von V. 3) deutlich aufeinander bezogen.
4
Mahaude ] Vgl. die Komm. zu Strr. 41,4; 42,1 u. 89,4. unt küngin sîn muome Swete ] Lachmann hat nach der Lesung der Pz.-Hs. D Scoette die Form Schôette eingeführt, worin ihm seither alle Hgg. gefolgt sind, wobei die Lesarten der einzigen Pz.-Belegstelle erheblich variieren (vgl. Lachmanns App. zu Pz. 92,24; die Hs. G liest etwa an dieser Stelle tuschet). Schoette, Schwester der Mahaute, also die Mutterschwester (muome) Schionatulanders wird Pz. 92,24 f. als Mutter Gahmurets genannt (zu den Verwandtschaftsverhältnissen vgl. den Komm. zu Str. 55,2). Angesichts dieser Textstelle wird immer wieder die Frage diskutiert, weshalb hier neben den Eltern Schionatulanders, von denen es im Kontext heißt, daß sie ihm vil sælde unt minne vererbt haben, auch dessen Tante erwähnt wird? Marti vermutete, sie erscheine hier wegen des Reimes. Oder bildet sie als Gahmurets Mutter sozusagen ein Verbindungsglied zu Herzeloyde? Bertau (1983a, 229 ff.) hat darauf hingewiesen, daß die Mutterschwester die eminent wichtige Position des œheim von männlichen Nachkommen vertreten können, demnach die Verbindung zu Schoette innerhalb des genealogischen Denkens der höfischen Gesellschaft hier keinesfalls abwegig oder weit hergeholt ist, wie es modernem Verwandtschaftsbegriffen scheinen mag; demzufolge sei auch der Einwand, eine Tante könne nicht vererben, von anachronistischer „mendelistischer“ Beschränktheit (vgl. dazu auch ausf. Komm. zu Str. 55,2; zur Vorstellung von der Erblichkeit von Eigenschaften oder Schicksal als genealogisch-narratives Ordnungsprinzip vgl. auch Str. 4,4 und einl. Komm. zu Strr. 12–24). Allerdings stellt sich dies (demzufolge durchaus lösbare) Problem der Vererbung nur, wenn man der seit Lachmann unumstrittenen (und auch von Heinzle in seinen bereinigten Text aufgenommenen) Konjektur unt de (diu) künegin folgt. Folgt man genau dem Wortlaut, so wird zunächst gesagt: vil sælde unt minne ûf in gerbet hât sîn vater (mit Prädikat im Singular!); dies wird erweitert, ohne daß das Verb wiederholt zu werden braucht, um eine weitere Person, bei der schon die Rangangabe (daß sie talfînete ist) im Vordergrund steht: unt die talfînete Mahaude, diu sîn muoter was. Daran schließt sich, mit Ellipse des Verbum substantivum was, eine neue Rangzuweisung: unt küngin [was] sîn muome Swete. Es geht im Tit. immer wieder um das Problem der Standesdifferenz, insbes. der weiblichen Partnerwahl unter Stand (Schoysiane und Kiot, später Herzeloyde und Gahmuret, Sigune und Schionatulander, Clauditte und Ehcunat; dazu einl. Komm. zu Strr. 13–24; zu Strr. 62,1–2 u. 170,2–4). Herzeloyde könnte darauf hinweisen, daß Gahmurets Mutter (ihre eigene Schwiegermutter also), eine Königin ist, die Mutter Schionatulanders aber (nur) eine Dauphinette. Wahrscheinlicher aber ist, da die ganze Strophe schon die Wendung zu Schionatulander vollzogen hat und Herzeloyde bereits von ihm sagt: der mac dich wol an fröuden gerîchen (V. 2), daß hier gleichsam Punkte für ihn gesammelt werden: Durch die Nennung einer Königin als seiner muome, einer wie oben angedeutet durchaus signifikanten verwandtschaftlichen Position, fällt auch ständischer Glanz auf ihn.
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Stellenkommentar
132 (La 127) 1
Der Vers nimmt eine Thematik auf, die schon früher im Werk erscheint (vgl. den Komm. zu Str. 48,1 noch ze tump ze solher angest). Dort wird auch die Frage aufgeworfen, die vor allem Heinzle mit großer Entschiedenheit gestellt hat, inwieweit Feststellungen wie diese über ihren unmittelbaren Kontext hinausweisen auf die voraussehbare und vom Pz. her erschließbare Katastrophe, auf die das Werk zusteuert. Es scheint jedoch so, als sei diese Thematik und Problematik eine Rückprojektion aus dem Pz.; denn das tumpheit-Motiv spielt im wesentlichen keine Rolle und die die Kindlichkeit und Unerfahrenheit thematisierenden Strr. 48,1, 91,4 und 132,1 variieren lediglich das Gesagte, arbeiten aber nicht weiter mit dem Motiv. âmîe ] Zur Verwendung dieser Bezeichnung bei Wolfram und im Tit. (Strr. 58,1; 88,3; 152,2; 156,2) s. ausf. Komm. zu Str. 58,1.
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wil ] Martin und Heinzle verstehen wil futurisch: „vermutend, ein prophetisches Wort! […] Die schlimme Zukunft wird sicher durch das Handeln herbeigeführt, erscheint somit als gewollt“ (Martin). Rahn (1958, 57) möchte Sigune „noch eine Möglichkeit der freien Entscheidung“ lassen. Da es an dieser Stelle vor allem darum geht, wieder auf ein Handlungsmuster aus der Familiengeschichte hinzuweisen, dem die Protagonisten folgen – im Schicksal Mahautes und Gurzgris ist das Schicksal Schionatulanders und Sigunes antizipiert (vgl. den Komm. zu Strr. 41,4 u. 89,4) – handelt es sich wohl eher um ein Zusammenspiel von Schicksalsbestimmtheit und Willentlichkeit, bei der die Anteile nicht voneinander unterschiedbar sind und auch nicht unterschieden werden sollen. erben ] Dem glückhaften Erbe (sælde unt minne Str. 131,2) wird hier das verhängnisvolle (kumber erben, des Mahaude phlac bî dem talfîne Kurzkrîe) in fast wörtlichem Zitat entgegengestellt (zur Geschichte von Mahaute und Gurzgri vgl. vor allem den Komm. zu Str. 89,4) – Die Hs. G liest kurkrie; durch Str. 41,4 (kurzkri G, Grurzgri H, Gurz(e) … M), Str. 43,1 (kurzkrien G, Gurtzgrien H, Gvr … M) und Str. 89,4 (kurzkri G, Gvrze(g) … M) dürfte die hier gewählte Schreibung ausreichend gesichert sein. – Nach Dick (1992,406 f.) darf man „die Anspielung auf Titurels Rede nicht überhören, mit der Herzeloyde Sigune vor der Minne Schionatulanders warnt, obwohl er die Minne-sælde seiner Familie geerbt hat […]. In der Verkehrung der dynamisch-visionären Heilsformel (‚iâ muoz al mîn geslähte imer wâre minne mit triwen erben‘ [4,4]) zur pragmatischen und ahndungsvollen Unheilformel ‚du wilt den kumber erben‘ enthüllt sich das tragische Missverhältnis zwischen dem beherrschenden ideologischen Modell und seiner Wahrnehmung in der epischen Perspektive einer Frau, die selbst teilhat an diesem Modell.“ – Zum Gedanken des sippengebunden Erbens s. Komm. zu Strr. 4,4 u. 131,4 u. einl. Komm. zu Strr. 13–24.
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ir ougen habent an im erfunden ] „ihre Augen haben es ausfindig machen / erfahren müssen“. Mahaute ist immer wieder (dicke), wenn Gurzgri in den Kampf zog, von Angst und Sorge um ihn erfüllt worden. „Die Verse spielen zugleich auf Gurzgris frühen Tod (vgl. Komm. zu 41,4) an und können als Vorausdeutung auf Sigunes eigenes Schicksal gelten“ (Hollandt). Zur Umschreibung einer Handlung oder eines Vorgangs (hier: Mahautes Sehen) durch die daran beteiligten Körperteile (hier: ihre ougen) vgl. den Komm. zu 4,2.
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den brîs … hielt ] Die Wendung ist sonst bei Wolfram nicht belegt und deshalb erwog Lachmann den prîs … hiet (= „den Ruhm hätte“; vgl. etwa Pz. 22,1). Wackernagel, Bartsch und Martin konjizieren holt (prîs holn = Pz. 420, 18; 652, 12; 812,24; Gibbs/ Johnson übersetzt „he had won“, Mohr „erwarb“, obwohl beide im Text hielt belassen). Die Verbesserungen erscheinen angesichts der Funktion dieses Verses unnötig: der Ausdruck under helme (Dat. Pl.) ist im Tit. immer auf signifikante Weise mit bedrängenden oder gar tödlichen Folgen der Liebe konnotiert (vgl. die Komm. zu Strr. 50,4; 106,2 und 153,1). Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Vv. 132,3–4 als eine Verharmlosung der leiderfüllten Geschichte von Mahaute und Gurzgri. Einleitend ist zwar von einem kumber (V. 2) die Rede, aber dann von brîs in mangen landen (V. 4), so daß nicht zum Ausdruck kommt, worin eigentlich dieser kumber in seinem vollen Ausmaß besteht. Zu dieser verharmlosenden Rede, mit der Herzeloyde den wahren Sachverhalt offensichtlich zu überspielen sucht, paßt das hielt, das Dauer signalisiert, wo alles in Wahrheit auf die Unbeständigkeit eines schnell zerbrochenen Glücks hindeutet.
133 (La 128) 1
muoz ] wohl futurisch aufzufassen = „wird“. stîgen ] Gegen San-Marte (ZfdPh 15/1883, 390), der Wolfram die dichterische Intention zuschreibt, „eine heldenaventüre“ verfassen zu wollen, hat Heinzle, unter Verweis auf Pz. 315,5 und 434,17 ff., mit Recht auf das Toposhafte dieses Personenlobs abgehoben. Vgl. auch Str. 175,4, wo vom sweben und sinken des prîses die Rede ist. Es mag in diesen Fällen die Bildvorstellung der Waage, der Schiffahrt oder des Fortuna-Rades konnotiert sein.
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den ] demonstrativ = „solchen“. erborn von ] „in weiterer Bedeutung als nhd. verwandt mit; vgl. 38,2 und P. 499,13“ (Marti) = „aus einem bestimmten Geschlecht stammend“. Vgl. auch Str. 53,2 sy waren aus lautterlicher mynne erporn. sîgen ] st.V. „sich senken, sinken“ (vgl. mit Gramm. Wechsel nhd. „seicht“ = mhd. sîhte).
3
er wuohs in breit gestrecket an die lenge ] Diesen Vers interpretiert Heinzle in Anlehnung an Martin als Auflösung der Zwillingsformel lanc und breit: „er (= der pris) wuchs in die Breite und streckte sich zugleich in die Länge“, d. h. „er breitete sich nach allen Richtungen hin aus“. Heinzle räumt allerdings ein, daß die syntaktischen Bezüge mehrdeutig sind; denn man kann gestrecket auch zu breit ziehen oder mit Marti in (auf die ganze Verwandtschaft bezogen) als Dat. Pl. (= den liuten), breit und gestrecket an die lenge als nachgestellte Attribute zu er auffassen. Möglich wäre es auch, angesichts der Verderbnis von G (gestchet), Martis Vorschlag mit der Lesart von JT JKXY (gesterket) zu verbinden: „Er wuchs ihnen, noch verstärkt durch die Verbreiterung.“ Die von allen Hgg. bevorzugte Konjektur gestrecket hat allerdings den Vorzug, daß sie die selbe Erstreckungsrichtung bezeichnet wie das beigeordnete an die lenge. Wolfram scheint die Topographie noch in den metaphorischen Wendungen systematisch zu ordnen: die Vv. 1–2 geben die räumliche Ausbreitung des prîses in den beiden vertikalen Richtungen an (stîgen – sîgen), V. 3 in den horizontalen Dimensionen (breit – lenge). – Vgl. auch 36,3 und Komm. dort.
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Stellenkommentar unt ] kann syntaktisch entweder als kopulative parataktische Konjunktion verstanden werden („nun halte da bei ihm die Zuversicht zum Glück [die er für sein Leben als Ritter braucht] fest, und auch kein Leid möge er über dich bringen“; etwa Übers. Mohr) oder als konditionale Konjunktion („nun erfülle ihn mit Zuversicht zum Glück, wofern auch er kein Leid über dich bringt“; in diesem Sinne Marti). Heinzle hat in diesem Zusammenhange auf Str. 135,4 verwiesen, wo die Liebesgewährung seiner Auffassung nach (vgl. Komm. dort) von Schionatulanders Gegenliebe abhängig gemacht wird, und damit für die letztere Lösung votiert. Zu unserer Bevorzugung der ersten Lösung s. den folgenden Kommentar zu niht. niht ] läßt sich entweder als Akk. des Pronominalsubstantivs mit davon abhängigen Gen. sorge oder als adverbialer Akk. (sorge = Dat.) verstehen. Wieweit im Prädikat verhenge die Grundbedeutung des Verbs verhengen („die Zügel hängen lassen, dem Pferd überlassen“) gegenüber dem allgemeineren Sinn („jmd. etwas gestatten, geschehen lassen“) noch zur Geltung kommt, ist schwer zu ermessen. Heinzle paraphrasiert die zweite Lesart „Schionatulander solle der sorge nicht freien Lauf lassen, Sigune nicht überrennen“. Das scheint der Textstelle nicht ganz angemessen; läßt man den wörtlichen Sinn der Grundbedeutung zu, so scheint Sigune hier doch als die angesprochen, über die die Zügel „verhängt“ werden und die Zügel wären hier gleichzusetzen mit dem Akk. niht der sorge: „er (Schionatulander) möge nichts an sorge über dich verhängen = hängen lassen.“ Koppelt man diese Aussage an den vorderen Halbvers, so wird die Parteilichkeit Herzeloydes deutlich: die Angehörige der eigenen Gralsfamilie Sigune, die genauso unter dunklem Schicksalsverhängnis steht wie ihr Geliebter, hält nach Herzeloydes Aussage die trœstlîchen fröude bereit (vgl. dazu Hauer 1992, 45), während von Schionatulander die Gefahr der sorge ausgeht. Beides wird einander entgegengestellt. Daher dürften die Sätze des Verses (s. Komm. oben zu unt) eher als zwei selbstständige imperativische Hauptsätze aufzufassen sein.
134 (La 129) 1
dîn herze under brust ] „die Brust bedeckt das Herz“ (Martin); vgl. Pz. 547,20 ff. du senkest mir die einen brust […] dâ lag ein herze unden; Wh. 13,19 under brust inz herze sîn; ähnlich Wh. 51,28. erlache ] Das sw.V. erlachen akzentuiert den inchohativen Aspekt des Grundverbs (lachen = „lächeln, freundlich aussehen, sich freuen“) und meint an dieser Stelle, an der ein liebes- und sehnsuchtskrankes Mädchen getröstet werden soll, wohl soviel wie „zum Lachen, zum Freuen kommen“.
1–2 Die Worte under : wunder in den Vv. 1–2 ergeben bei entsprechender Setzung der Zäsuren (so Bartsch und Leitzmann) einen Zäsurreim. Sämtliche Hss. des JT (mit Ausnahme von JT A) haben diese Möglichkeit des Zäsurreims – bei sonstigen Abweichungen des Wortlautes – übernommen. Bumke (1971, 422) hat darauf hingewiesen, „daß sich solche Reime manchmal von selbst einstellten, ohne daß der Dichter sie als bewußte Schmuckmittel eingesetzt haben muß.“ Angesichts der sprachspielerischen Feinheiten und metrischen Freiheiten dieses Textes wird man Wolfram gelegentliches Spielen mit solchen Figuren allemal zutrauen dürfen. Wahrscheinlicher scheint uns dennoch, daß es sich um funktionslose Reimworte handelt, die gelegentlich in den Tit.-Strophen auftreten, wenn auch nirgends so deutlich wie hier, sieht man von den sog. „Zusatz-
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strophen“ ab (zu den Zäsurreimen s. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3, Komm. zu Strr. 33–34 sowie im einzelnen Bumke 1971, 420 ff. und insbes. Heinzle 54 [zu Strr. 30/31]). 2–4 wie kan er sich schicken ] „wie weiß er sich anzuschicken, auszunehmen“ = „wie schön nimmt er sich aus (unter dem Schilddach)!“ Hollandt übersetzt die Textstelle futurisch („Wie herrlich wird er anzusehen sein“), da es für schon geleistete Waffentaten Schionatulanders keine Anhaltspunkte im Text gibt. Der Formulierung under schilteclîchem dache, die zurückverweist auf Str. 71,4, fehlt hier der Bewährungsaspekt, den die frühere Textstelle emphatisch formuliert. Ihn auch hier mitzudenken, heißt das unheilvolle Geschick der beiden Liebenden mitzudenken. Die Verwendung des Wortes zähere in den folgenden Versen (zähere … der funken, die ûz helmen … springent) für den Funkenregen (dâ fiurîn regen sich gemêret; vgl. dazu Str. 2,4 und die Stellenslg. bei Rogozinski 1903, 58) ist zweifellos als Metapher verständlich, wenn auch durchaus nicht üblich (vgl. BMZ III 841a, wo neben der Tit.-Stelle nur Pz. 104,6, der Angsttraum der Herzeloyde, als Beleg verzeichnet ist). Zwar ist Heinzle zuzustimmen, daß der funken in V. 4 nicht mit Rapp („Viel wird man noch um seinetwillen weinen, / wenn erst Funken, die er aus Helmen schlägt, / sich zu feurigem Regen vereinen“) als kausaler Genitiv und damit die zähere als tatsächlich geweinte Tränen aufzufassen sind; deswegen ist jedoch eine Vorausdeutung auf Schionatulanders und Sigunes Geschick noch keineswegs auszuschließen. Wenn Heinzle schreibt: „was in V. 127,2 [= 132,2] noch als Warnung angehen mochte, paßt hier wenig zur Verherrlichung des Helden“, so dürfte dieses Argument der spezifischen Gebrochenheit, mit der das Heldentum uns im Tit. entgegentritt, nicht recht adäquat sein.
135 (La 130) 1
Er ist ze tiost entworfen ] „Er ist wie für den Speerkampf gezeichnet, gebildet.“ Vergleichbar sind: Pz. 158,15 (kein schiltære entwürfe in baz / denn alser ûfem orse saz) und NL 286,1 ff. (Dô stuont sô minneclîche daz Sigmundes kint, / sam er entworfen wære an ein permint / von guotes meisters listen). Offenbar ist die Vorstellung die, daß ein Künstler den Helden so vollkommen erschaffen (= gebildet, gemalt, entworfen) hat. wer kunde in sô gemezzen ] Der zweite Halbvers fragt rhetorisch nach dem Künstler. Rhetorisch – denn damit kann nur Gott gemeint sein, der schon in Str. 109,2 als Bildhauer vorgestellt wird, „dessen Kunst Vollkommenheit verbürgt“ (Hollandt). Heinzle formuliert daher etwas zu vorsichtig: „An der vorliegenden Stelle mag der Gedanke von Gott als Bildner mitschwingen“. Wer könnte es sonst sein? Zumal auch die folgenden Vv. 2 u. 3 den Gedanken an Gott als den Bildner des Vollkommenen nahe legen.
2
gein wiplîcher güete ] „in der Richtung auf weibliche Güte hin, d. h. um Frauen geneigt zu machen“ (Marti); „‚um die Liebe einer Frau zu erwerben‘, verkürzter Nebensatz“ (Heinzle).
3
an muoter fruht ] „an irgendeiner Mutter Sohn“ (Marti); zu fruht vgl. Strr. 33,3 (sy rainer frucht; vgl. Komm. dort) und Str. 116,2 (Schoysîânen fruht).
4
sîn blic sol dîniu ougen gesüezen ] Zur topischen Verwendung von blic („Glanz, [der von einer Person ausgeht]“, „Aussehen, Anblick“) als Schönheits- und Glücksmerkmal vgl.
386
Stellenkommentar Strr. 32,2; 94,2; 99,4; 111,4; 109,3. Die Beschreibung positiver Empfindungen, die durch das Auge hervorgerufen werden (oder genauer: die das Auge selbst hat; zur Substitution der Person durch den agierenden Körperteil s. Komm. zu Strr. 4,2 u. 71,3; die ougen metonymisch für die Person noch Strr. 122,4; 132,3; 135,4; 150,4), durch ein Adjektiv, das dem Bereich des Essens und Trinkens angehört, funktioniert ähnlich wie im Falle des metaphorischen Wortes von der ougenweide (Str. 23,2; hier auch verbunden mit sûriu, häufig auch mit süeziu; s. Komm. dort). Zum Epitheton süeze s. Komm. zu Str. 7,2. ûf gelt ] „in der Hoffnung auf Vergeltung, um Vergeltung zu erlangen“ (Heinzle, unter Hinweis auf Pz. 304,6 f., Rudolf von Ems „Weltchronik“ 20037 f. und Heinrich von Freiberg „Tristan“ 1738 f.). Heinzle interpretiert: „In jedem Fall macht Herzeloyde die Gewährung der Liebe Sigunes von Schionatulanders Gegenliebe abhängig.“ Die Frage ist, ob die Textstelle wirklich so eindeutig zu entscheiden ist. Martin (und ähnlich Marti) etwa versteht den Zusammenhang völlig anders: ûf gelt = „als Lohn dafür, daß sein Blick ihre Augen gesüezet“, wobei freilich die Schwierigkeit bleibt, daß es für diese Bedeutung von ûf gelt = „als Lohn“ sonst keine Belege gibt. Die Dinge scheinen hier ähnlich zu liegen wie in Str. 133,4. Beginnt der Vers mit der Beteuerung: „Sein strahlender Anblick wird dein Auge beglücken“, so könnte der zweite Teil darauf antworten: „In der Hoffnung auf Vergeltung (= daß dieses Liebeszeichen von Sigune vergolten wird) spreche ich ihm Deine Liebe zu.“ Oder aber der zweite Teil des Satzes könnte lauten: „In der Hoffnung auf Vergeltung (= daß die Minne von Schionatulander vergolten wird) spreche ich ihm Deine Minne zu.“ Entsprechend unserer Interpretation von Str. 133,4, wo wir uns für die Parataxe von Sigune und Schionatulander entschieden haben, halten wir ganz entsprechend auch hier die erste der beiden Versionen für adäquat. dîne minne ih im nenne meint ja offenbar das, was die folgende Str. mit den Worten aufnimmt aldâ was minne erloubet, mit minne beslozzen: Die Liebe der beiden wird gesellschaftlich sanktioniert, indem beide dazu angehalten werden, die Forderungen der minne auch zu erfüllen. Die andere Version, die in der Forschung dominiert (vgl. oben Heinzle), „ultimately sanctions Sigune’s belief that she is entitled to expect continued service from Schionatulander“ (Christoph 1981, 64). Bei dieser Auffassung ist es nicht mehr weit, den Bogen zum zweiten Fragment zu schlagen, zu Sigunes Forderung, Schionatulander möge ihr das Brackenseil zurückbringen: „As far as Sigune is concerned, demanding the Brackenseil is no more than the ‚uf gelt‘ which she had been counseled to exact and expect.“ Der Schluß des ersten Fragments verweigert u. E. eine derartig eindeutige Interpretation.
136 (La 131) 1
erloubet ] Die meisten Hrsg. setzen nach erloubet kein Komma, beziehen erloubet also offenbar als Part. Perf. direkt auf minne (= „erlaubte Liebe“). Mit Heinzle und Gibbs/ Johnson ist aber die Interpunktion nach erloubet und damit die Parallelkonstruktion von erloubet und beslozzen vorzuziehen, für die es Parallelen im Text gibt, während die nicht interpunktierte Version nicht nur ungewöhnlich wäre, sondern auch den Sachverhalt verfälschte; denn es ist ja nicht die erlaubte Minne, die beslozzen wird; sie wird vielmehr erst erloubet durch das vorhergehende Diktum der Herzeloyde. Das wird in der Strophe selbst noch einmal unterstrichen durch die Formulierung in V. 4: nu mit urloube. Auch die Parallelkonstruktion spricht dafür, daß die minne zwischen den beiden, bei allem Rangunterschied und bei aller Belastung der Schionatulander-Seite, doch am Ende gleich gewichtet werden soll: „So war die Minne nun erlaubt, sie (= die Minne) wurde
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durch Minne umschlossen“. Dieses Bild des Umschließens beinhaltet u. E. diese gleiche Gewichtung (besliezen in diesem Sinne noch Str. 10,1). Aufgrund der Bestimmung mit minne ist ein abstrahierender Gebrauch von besliezen („festsetzen, beschließen, zum Abschluß bringen“) nicht plausibel. Der fünffache Gebrauch des Wortes minne in dieser Strophe scheint dieses Mit-Minne-Umschließen geradezu lexikalisch zu verwirklichen. Möglicherweise ist auch an eine Anspielung auf die dem Topos der Liebesfesseln zugehörigen Formulierungen in herzen nôt geslozzen von Sigunen minnen Str. 47,4 und enstricken von slôzlîchen banden Str. 106,1 zu denken. 2
minne unverdrozzen ] minne ist als Gen. von unverdrozzen abhängig (vgl. dazu Str. 14,4).
3
diu herzoginne = Sigune.
4
den Grâharzoys ] Die gleiche Bezeichnung für Schionatulander findet sich in Str. 89,3 (s. Komm. dort), in Str. 141,4 heißt es Grâhardeiz. vor al der werlde nu mit urloube sô minne ] = „vor aller Welt nun die Erlaubnis habe (den von Graharz) so zu minnen.“ Läßt man alle Spekulation im Hinblick auf das zweite Fragment einmal beiseite, so besagt dieser Schluß des 1. Fragments nichts anderes, als daß es für Sigune (wie entsprechend auch für Schionatulander am Schluß des vorhergehenden Gespräches mit Gahmuret in Str. 112) offenbar entscheidend wichtig ist, daß ihre Minne nach dem höfischen Regelkodex vor der Gesellschaft allgemeine öffentliche Zustimmung findet (vgl. Komm. zu Str. 112,3). Nach Christoph (1999, 219), der den Tit. wie den Pz. als Geschichte eines Kampfes um Selbsterkenntnis durch Erfolg interpretiert, repräsentieren beide Fragmente formal und thematisch unterschiedliche Stufen: „At the end of the first part, Sigune’s optimism is largely naive, for she has not been tried yet by life’s experience.“ Das zweite Fragment führt dann mit dem brackenseil das ein, was Christoph „the experience of failure“ nennt: „While the first part spoke to the inefficacy of advise, the second part speaks to the inefficacy of an authoritative text. […] Sigune may hope to suspend the need for learning through the experience of living.“ Christoph sieht an diesem Punkt eine Beziehung zwischen dem Brackenseil und dem Tit. als ganzem: „The text of the brackenseil is destined to be unread, incomplete, just as the Titurel is meant to remain incomplete.“ (vgl. dazu auch den Komm. zu 158,1–2, einl. Komm. zu 169–175 und zum Schluß des überlieferten Textes).
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Stellenkommentar
Zu Fragment II Die deutlichen, wohl auch von seiner aversiven Einstellung gegenüber dem JT geleiteten Worte Lachmanns, es lasse „sich nicht wahrscheinlich machen“, daß „Wolfram noch bedeutend mehr gedichtet habe“ (Lachmann 1833, XXIX) als in G und H enthalten, haben die Philologen nicht davon abgehalten zu versuchen, vermeintlich fehlende Textstücke aus Partien des JT zu ergänzen. So sah etwa Bartsch ein ganzes weiteres Wolfram-Textstück von 30 Strr. in der Albrecht-Überlieferung bewahrt (Bartsch 1868; dagegen Leitzmann 1901, 107 ff.; vgl. dazu „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). Um zumindest dem Anfang des zweiten Fragmentes ein deutlicheres episches Profil zu geben und dem Diktum von Stosch Genüge zu tun („str. 132 kann unmöglich liedanfang sein“; Stosch 1881, 204), hat zuletzt Walter Röll (1964, 117–121 u. 166) eine aus der JT-Überlieferung gewonnen Str. – die Str., deren Textbestand Hahn 1139 repräsentiert (Hahn 1140 = Beginn des 2. Wolfram-Fragmentes 137/La 132) – als WolframStrophe nachzuweisen versucht. Die Str. lautet in der von Röll rekonstruierten, normalisierten Wolfram-Form: Hie hebent wildiu mære, ez kom von unheile. si lâgen mit gemache des morgens fruo, dô wart in ze teile vil clagendiu nôt, diu wert unz an ir ende. von fremder âventiure wurden si aller freuden gar ellende. Innerhalb der Hss.-Gruppe JTI wird diese Strophe nur von B überliefert (daher bei Hahn aufgenommen und nicht in Wolfs kritischen Text), jedoch in Gänze von JTII (d. h. H, W, X, Y, Z), obgleich mit bedeutenden Abweichungen. Rölls Argumente – die metrische Freiheit der Str. sowie einige Wendungen, „die der Sprache der Klassik angehörten und nicht abgesunken sind“ (118) – hat Bumke (1967, 138–142) mit guten Gründen und überzeugenden Belegen zurückgewiesen (vgl. auch Nyholm 1965, 454; Huschenbett 1979, 158 f.). Obgleich Schröder Röll zunächst zustimmte und konstatierte, daß „ein zukünftiger Herausgeber […] die Str. an den Anfang des zweiten Fragments zu stellen haben“ werde (1965, 35), hat er in jüngsten Untersuchungen den textkritischen Status dieser und der umgebenden Strr. selbst für den Albrecht-Text als prekär erkannt. Allenthalben wird man die Str. aufgrund von Redundanzen auch unter erzähltechnischen Gesichtspunkten mit Bumke für „ein kaum glückliches Präludium“ (1967, 142) zum 2. Fragment halten. Eine Aufnahme dieser wie aller anderen in die vermeintliche Lücke gehörenden Strr. in den Wolfram-Text (dazu vgl. Bumke 1973, 168 ff.) ist nicht plausibel begründbar und daher entschieden abzulehnen.
Zu Fragment II
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Zwischen den beiden Fragmenten stehen im JT 358 Strr. (Schreibungen und Zählung nach Wolfs Edition), in denen Folgendes berichtet wird: Gamurets zweite Orientfahrt, der Hilfszug für den Baruc Akerin, endet mit Gamurets Tod (970; vgl. Pz. 105 ff.), der sterbend Tschinotulander die Sorge um Frau, (ungeborenes) Kind und Länder anvertraut. Tschinotulander kehrt über Spanien nach Kanvoleiz zurück, wird auf Wunsch Herzeloudens von den Vasallen an herren stat angenommen (1106) und empfängt die Schwertleite in Anwesenheit von König Artus. Nach einem Besuch bei Herzeloude und dem Knaben Parzifal in der Einöde von Solitane (1153 ff.) verbringen Tschinotulander und Sigune samt einigen iuncfrowen die Nacht zeltend an einem nahen Bach. Mit den Ereignissen des nächsten Morgens setzt das zweite Fragment Wolframs ein. Da sich am Ende des ersten Wolfram-Fragmentes Schionatulander und Gahmuret auf Orient-Reise befinden und Schionatulander im zweiten Fragment wieder bei Sigune und im Umkreis weiterer höfischer Gesellschaft ist, muß man zur Herstellung eines Handlungszusammenhangs zumindest Schionatulanders Rückkehr aus dem Orient annehmen. Weiteres, so etwa Gahmurets Tod und Herzeloydes Rückzug nach Soltane, ließen sich aus dem Pz. ergänzen – doch genau dies bleibt die interpretatorische Crux: Da der Pz. vom Erzähler des Tit. jederzeit vorausgesetzt wird, erscheint zum einen nur schwer vorstellbar, Wolfram habe hier schon Bekanntes erneut erzählen wollen. Zum zweiten bleibt angesichts des grundsätzlich anderen Charakters des Erzählens jeglicher Versuch (wie etwa der Braunagels 1999, 51 ff. u. 62) methodisch fragwürdig, das spätere Werk als Seitenstück des früheren interpretieren und aus jenem ergänzen zu wollen (zum Verhältnis zum Pz. bes. Haug 1980; Ortmann 1980; Müller 1995, 297 f.). Der fragmentarische Status des überlieferten Textes erlaubt keinerlei Spekulationen über mögliche Pläne und Absichten seines Autors, weder was die Handlung betrifft, noch was ein stilistisches Ideal der Skizzenhaftigkeit, des gewollt fragmentarischen Werkcharakters betrifft (Richey 1961; Hänsch 1982). Ein imaginierter Gesamtplan des Werkes entzieht sich, wie es – bei allen Unterschieden nach Form, Stil und Inhalt – auch für Wolframs Wh. gilt, jeder genaueren Bestimmung. Die Frage nach dem fragmentarische Charakter bleibt dilemmatisch: Zu deutlich sind Momente des Gebrochenen und Aporetischen in das Erzählen und die poetische Sprache selbst eingeschrieben, zu deutlich sind aber auch die Vorausdeutungen über den vorliegenden Text hinaus. So steht weniger die Frage nach dem, was fehlen könnte, als die Frage nach dem möglichen Sinn solchen Fehlens, solcher Fragmentarisierung, solcher zerstörten Erzählkontinuität und brüchigen Bedeutungskohärenz für den poetischen und narrativen Prozeß im Zentrum aktuellen Forschungsinteresses (Mertens 1996; Brackert 1996; Kiening/Köbele 1998).
390
Stellenkommentar
137–143 (La 132–138): Schionatulander und der Bracke „The adventure begins with an exciting leap in medias res“ (Richey 1961, 189): Der Neueinsatz des zweiten Fragmentes sus lâgen si unlange ist, wie die ganze Str. und die folgenden Str. des Fragments, ein Beispiel kryptischen Erzählens, denn er wirft nur Fragen auf und gibt keine Antworten (Brackert 1996, 156): Woran knüpft das sus an? Wer sind si und wie kommen sie an den nicht näher beschriebenen Ort, auf dem sie lâgen? Was genau ist unter lâgen zu verstehen – lagern in höfischer Muße und /oder beieinander liegen in außerhöfischer, erotischer Naturidylle (zur Beziehung zu Gottfrieds „Tristan“ s. Simon 1963, 189; Classen 1990, 40 ff.; zur Beziehung zu Hartmanns „Erec“ vgl. Braunagel 1999, 53)? Worauf bezieht sich die Zeitangabe unlange? Im folgenden setzt sich die gebrochene Erzählweise bis in die Syntax hinein fort: Sätze bleiben offen (137,1; 138,1; 140,2; 142,1), Satzteile hängen in der Luft (137,2; 139,1), überlange Parenthesen und gesuchte grammatische Konstruktionen drohen, die Satzgefüge zu zerschlagen (137,4; 138,2–4; 139,2), gesuchte Fachtermini und Wortbildungen irritieren die Beschreibungen ( z. B. hôchlûtes 137,3; strâlsnitec 141,2; 142,2). Gehörtes (in heller süezer stimme) und Gesehenes (ûf rôtvarwer verte nâch wundem tiere 137,2) stehen mit „Perspektivenwechsel“ (Wyss 1974, 278) unvermittelt nebeneinander und sind nur locker dem abrupt einsetzenden Hauptsatz verbunden. Unverständlich wieder der Schluß der ersten Str., der eine verkürzte Anspielung auf das spätere Einfangen des Hundes mit einer die Betroffenheit des Erzählers bezeichnenden Vorausdeutung verknüpft, die an Stelle des Grundverbs eine Partizipialkonstruktion mit abhängigem Akkusativ setzt und so die Aussage zerdehnt und bis an die Grenze der Verstehbarkeit verkompliziert: „Der anakoluthisch gebildete Satz markiert nicht nur dramatische Unmittelbarkeit, sondern zugleich ein Versagen vor dem zusammenhangenden Vorgang […].“ (Wehrli 1974, 16) Der Stil des Fragments, wie er gerade in den ersten Strr. anschaulich hervortritt – Wehrli spricht von „sprunghafter Erzählweise“, „Verrätselung und Zerrüttung“ (Wehrli 1974, 17), Haug von einer „Zersplitterung des Erzählkotinuums“ und von „Zerschlagen der Syntax“ (Haug 1980, 17), Wyss von „negativer Erzählkunst“ (Wyss 1974, 278) –, läßt die Annahme zu, daß diese Rätselhaftigkeit Intention sein könnte (vgl. insbes. auch den Komm. zum Brackenseil Str. 144–148 und zu seiner Inschrift Str. 149–158). Denn durch das gesamte Fragment hindurch werden immer wieder Wirkungen vor ihren Ursachen erzählt, werden Auskünfte, die der Leser dringend zum Verständnis braucht, erst viel später und oft geradezu beiläufig nachgeholt: Der Raum, in dem die Liebenden lagern, wird als Wald, in dem ein Zelt steht, erst nach und nach sichtbar; Personen werden zunächst durch Pronomina oder Epitheta eingeführt (si 137,1 u. 138,1 = Schionatulander und Sigune; des fürsten 141,1, dem grôzgemuoten
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391
141,3 = Ehcunat; si 141,2 = Clauditte); die Zeitebenen des Erzählens werden permanent ineinander verschränkt – der Vorgang der Erzählgegenwart, die Aktion Schionatulanders und des Bracken (von beiden bleibt stets irritierend undeutlich, wohin sie sich bewegen, was sie tun wollen und was sie tatsächlich gerade tun), wird unterbrochen und durchmischt mit Reflexionen auf Vergangenes (Schionatulanders Kindheit, Trevrizents Jugend, das Entlaufen des Hundes am selben Morgen) und insbesondere auf Zukünftiges durch dauernde Erzählereinmischung und erzähltechnisch nachgerade entfunktionalisierte Vorausdeutungen (137,4; 139,2–3; 140,2–3, 141,2; 141,4; 143,2–4; dazu bes. Wyss 1974, 250 f.). Wenn Wyss gegenüber dem ersten Fragment, in dem „keinerlei Ereigniszusammenhänge in szenischen Einheiten plastisch werden“, ein spezifisches Strukturmerkmal des zweiten Fragments darin erblickt, daß hier „sorgfältig eine einzige Szene“ aufgebaut wird (Wyss 1974, 278), so gilt dies mit der Einschränkung, daß Wolfram durch das „Verfahren der nachträglichen Situierung“ (Kiening/Köbele 1998, 251) von allen traditionellen Mustern eines Szenenaufbaus abweicht. Doch die gegenüber der „lyrisierenden Zelebration“ des ersten Fragments erkennbare Objektivierung des Geschehens „wird von Anbeginn als Veranstaltung des Erzählers vorgeführt“ (Wyss 1974, 278). 137 (La 132) 2
Anakoluth: Koordination statt zu erwartender Subordination unter Vers 1. in heller süezer stimme ] Terminus technicus der Waidmannsprache (Dalby 1965, 146a f. u. 224a f.). süeze = hoch, hell, wohlklingend von der Stimme eines Hundes, aufzufassen als Umstandserklärung zu ein bracke kom. Verwirrende Häufung von Präpositionen in, ûf nâch, zuo. Zur Mehrdeutigkeit des Zieles des jagenden Bracken (nach wundem tiere und zugleich zuo zin) vgl. Komm. zu 141,4 u. 166,3.
3
bracke bezeichnet einen kleineren Hund, wie er insbes. zur Spürjagd und Hetzjagd auf Rotwild üblich war (Dalby 1965, 34a ff.; LMA II/1983, 537 f.). Zugleich sind gerade Bracken als Geschenke an die frouwe, als Schoßtiere beliebt (vgl. Komm. zu 141 u. insbes. 144). Zu Motivparallelen und möglichen Quellen der Brackenepisode s. Ohly 1965, 178 ff.; Heinzle; Passage 1984, 71 ff. hôchlûtes ] Terminus technicus der Waidmannsprache (Dalby 1965, 146 a f.), adverbieller Genitiv.
4
Wyss macht auf die „Tendenz zur nicht formelhaften Vorausdeutung“ aufmerksam: Während etwa im NL „in aller Regel der Jammer strikt auf das epische Personal bezogen“ ist, wird hier der Erzähler als „Subjekt des Leides“ ins Spiel gebracht (Wyss 1974, 250). Hinzu kommt, daß die Vorausdeutung für den Hörer/Leser nicht als solche zu erkennen ist, da der Vorgang zeitlich völlig unklar bleibt: Der Hörer muß wohl zuerst denken, der Bracke werde im Moment der Erzählgegenwart aufgehalten, bevor er im
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Stellenkommentar folgenden erkennen kann, daß das Aufhalten des Hundes erst bevorsteht, also futurisch gemeint war („er wird aufgehalten werden“), da ja zunächst die Aktion fortgesetzt wird. durh frQde der Hs. G kann schwerlich gemeint sein, so daß es am Nächstliegenden ist, mit allen Hrsg. durh friunde zu konjizieren, was durch die JT-Überlieferung zumindest lexikalisch weitgehend gestützt wird. Die JT-Variante durh friundes not scheint allerdings eine einfachere Lesart, da der schwierige und ungewöhnliche Gedanke vermieden werden kann, der Erzähler bezeichne seine Helden als seine Freunde. Befreundet wären hier nur die beiden Helden untereinander, deren Not der Erzähler beklagt: „Deshalb bin ich wegen der Not der (beiden) Freunde der Klagende“. Ebenso ist wohl die clagende lectio difficilior gegenüber dem der clagende des JT: Die schwierige Konstruktion mit transitivem clagen und vorgestelltem Demonstrativpronomen Akk. Pl. bezogen auf friunde („… bin ich … diese – die Freunde – beklagend“) ist ersetzt durch substantiviertes Partizip mit Artikel („… bin ich … der Klagende“. Ähnliche Partizipialkonstruktionen auch Strr. 9,4; 66,2; 79,2; 169,2; s. dazu Rogozinski 1903, 44; Wehrli 1974, 21). Ob der Schreiber G div als md. Nebenform des Akk. Pl. die gebraucht (Kiefner 1952, 48) oder anderes meint (weibliches Sprecher-Ich?), ist nicht zu entscheiden. Für Wolfram ist eine solche Nebenform nicht sicher belegt; das in fast jeder der folgenden Str. sich einschaltende – fraglos männliche – Erzähler-Ich läßt die Annahme einer hier singulär sprechenden, weiblichen frou Aventiure (so Labusch 1959, 160; Übers. Rapp) abwegig erscheinen. Zumindest forschungsgeschichtlich bemerkenswert bleibt die ältere Erwägung, es handele sich um eine Erzählerinnen-Rolle (San-Marte, Anm. z.St.) oder gar um eine Autorin der vermeintlich „vor-eschenbachischen“ Fragmente (Docen 1810, 52).
138 (La 133) 1– 4 Die meisten Hgg. fassen die Str. als Anakoluth auf und schließen mit einem Punkt ab. Das hieße jedoch, daß der einleitende zeitliche Nebensatz mit dem Gedanken der überragenden Schnelligkeit Schionatulanders eine völlig unlogische Weiterführung erhielte: „Das einleitende dô bezieht den Nebensatz nicht auf die ablaufenden Ereignisse, sondern auf eine davon unabhängige Eigenschaft des Helden, was der Hinweis auf Trevrizent noch verstärkt, der sich daran schließt“ (Wyss 1974, 279). Man wird, zumal in der vorhergehenden Str. ein ähnlicher Sachverhalt zu konstatieren ist und der gesamte Text von offenbar intendierten logischen Brüchen durchzogen ist, kaum dagegen argumentieren können. Da die Str. in der von uns gewählten Form schon auffallend genug erscheint, entscheiden wir uns an dieser Stelle für die Parenthese (von Heinzle 1972, 182 erwogen; von Kühn in der Übersetzung in etwa nachgebildet), wobei wir den durch den Übergang von Str. 140/141 zweifelsfrei als Möglichkeit belegten Strophensprung (eindeutig Str. 140/141; wohl auch 166/167) in Kauf nehmen. Dem entspricht auch das im Tit. in dieser Form seltene Enjambement von Vers 2 auf 3 (also über die durch Reim gebundenen Strophenpaare). Somit fassen wir die ganze eigenartige Ausführung über die Schnelligkeit als eingeschobenen Gedanken auf, da der Satz in 139,1 syntaktisch korrekt fortgesetzt wird (dazu Mhd.Gramm. § 459). Das Pronomen er in dâhter bezieht sich dann auf den in der Parenthese stehenden Schionatulander, was schwierig ist, aber grammatikalisch keine Probleme aufwerfen dürfte. Abermals, wie schon in Str. 137, ist es der Erzähler selbst, der den Hund gleichsam aufhält.
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Nach Kiening/Köbele (1998, 251 Anm. 55) kontrastiert das stille Jagen von Tristans Jagdhund Hiudan dem weithin hörbaren Jagen des Gardeviaz (auch Hauer, 1992, 26; vgl. auch Str. 163,2–3).
2
Wir setzen die Konjektur ûz kintlîchem leben, die seit Lachmann alle Hgg. in den Text aufnehmen, in die Crux, denn diese Lesung bleibt bei einer solchen Überlieferungslage (eine einzige Hs. mit unverständlichem Text) nicht mehr als eine bloße Spekulation, zumal auch der JT (der was gezalt von kinde ie fur di snellen) an dieser Stelle für die Konjektur keinerlei Aufschluß gibt. Mohr (1977, 144) kommentiert: „Die Absicht war wohl, uz kintheit durch uz kintlichem leben zu ersetzen.“ Doch muß er einräumen: „Wie der seltsame Akkusativ in kintlichez leben [in der Hs. G; die Hgg.] sich erklärt, weiß ich nicht.“ für die snellen ] „vor den Schnellen“, nicht: „für Schnelligkeit“; d. h. Schionatulander war bekannt als einer, der alle anderen an Schnelligkeit übertraf, „da sonst die Ausnahme wan Trefrezent … sinnlos ist“ (Heinzle 1972, 183).
3–4 Wenn Wolfram, wie Heinzle meint, „wohl nur den Namen Trefrezents anbringen“ wollte (1972, 183), wäre zu fragen, weshalb dieser mit dem etwas skurrilen Motiv der Schnelligkeit verbunden wird, obwohl er hier das Epitheton der reine erhält (vgl. Hollandt 1971, 675), was eher mit dem Klausner des Pz. zu assoziieren ist. Nach Mertens, der auf die doppelte Bedeutung von snel („tapfer, kühn“ und „schnell, flink“) aufmerksam macht, ironisiert Wolfram, von dem Trevrizent in Str. 9 ganz formelhaft der snelle genannt wird, damit „den heldenepisch-traditionellen Stil der stereotypen Beiwörter“: „Mit diesem Rückbezug pointiert Wolfram die Ironie auf den oralen Stil, die im buchstäblichen Interpretieren von snel liegt, noch zusätzlich, weil er nur im schriftlichen Medium als solcher funktioniert – für das Hören ist der Abstand zwischen beiden Stellen zu groß“ (Mertens 1996, 374 f.). Nach Kiening/Köbele (1998, 251 Anm. 54) ist der „Hinweis auf die Schnelligkeit […] nicht ohne Untertöne: verbunden mit der Anzitierung Trevrizents […] bleibt in ihm der Aspekt der abnehmenden Vitalität des Gralsgeschlechts wirksam“ (ähnlich Haug 1980, 16).
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Die Konjektur diu für die der Hs. ist im Sinne einer vorsichtigen Normalisierung notwendig, da der Schreiber G gewöhnlich konsequent diu und die im Sinne der Grammatik unterscheidet (problematisch jedoch: 137,4, s. Komm.). Die nach Heinzle (1972, 183) „syntaktisch einfachste Lösung“, die als md. Nebenform von der zu verstehen, ist aufgrund der Sprachzugehörigkeit Wolframs wohl zu verwerfen (so auch Heinzle), obwohl das sprachliche Problem (in der älteren Forschung gab es eine lebhafte Diskussion über die Frage, „ob bei Wolfram thüringische oder bayerische Dialektmerkmale überwiegen“) nach Bumke „nicht wirklich gelöst worden“ ist (1997, 19). Wolframs Sprache wird heute zumeist als fränkisch mit einigen bairischen Merkmalen beschrieben. Wir fassen mit Marti und Heinzle trage als adhortativen Konjunktiv auf –„ritterliche Beine, die möge (er) tragen“ –, also nicht als Imperativ (mit die als md. Nebenform von der, s. o.). Wolfram mag sich für den ungewöhnlichen und auch schwer verständlichen Ausfall des Subjektes er entschieden haben, weil der nächste Satz sofort wieder mit er beginnt (zu Möglichkeiten der Nichtbezeichnung eines pronominalen Subjekts
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Stellenkommentar Mhd.Gramm. § 399). Dieses absichtsvolle Auslassen scheint uns – gerade angesichts des artifiziellen, verknappenden Stils – wahrscheinlicher, als einen – leicht erklärlichen – Abschreibefehler zu vermuten und wie etwa Mohr (… trage er.“ er wil …) zu konjizieren.
2–3 er wil fröude verkoufen … ] „er ist im Begriff, sein ganzes Glück dahinzugeben und ein beständiges Leid dafür einzutauschen.“ Zum von Wolfram bevorzugten Bildbereich von Handel, Geld und Warenverkehr vgl. Komm. zu Str. 20,3–4. Vgl. die ähnliche Formulierung in Strr. 20,4 u. Komm. zu 66,2. Das Modalverb wil hat hier keinen voluntativen, sondern futurischen Sinn (Mhd. Gramm. § 314 d). 4
Lachmann und Leitzmann korrigieren die hs. Lesung sîn lîp nach JT in er. Mohr (1977, 144) hat diese Korrektur so zu erklären versucht: „An die Stelle von sin lip sollte gein der stimme treten. JT (oder seine Vorlage) haben die Korrektur richtig verstanden.“ Da diese Korrektur aus metrischen Gründen erfolgt und sîn lîp, zumal in einem Text, der immer wieder auf heldenepisches Sprachmaterial zurückgreift, ein völlig gebräuchlicher Ausdruck ist (etwa Strr. 72,2; 90,1; 129,4), halten wir sie für unnötig. als er wolte … ] „als ob er den Bracken erlaufen wollte“. Tatsächlich versteckt sich Schionatulander sogleich wieder in einem dichten Busch, da der Bracke auf ihn zuläuft und nicht er hinter ihm her (140,4; vgl. Komm. dort). Durch den modalen Nebensatz wird der Handlungsversuch Schionatulanders schon im Ansatz als ein „fragwürdiges Als-Ob desavouiert“, und da der Hund dem Versteckten schließlich „geradezu in die Arme zu laufen“ scheint, erweisen sich „beide Handlungen Schionatulanders, das schnelle Aufspringen wie auch das gebückte Hinkauern […], gleichermaßen als unnötig und sinnlos, als Gesten der Vergeblichkeit, als welche sie der Erzähler, vorausdeutend, schon hier bloßstellt“ (Brackert 1996, 157).
140/141 (La 135/136) Stosch (1881, 195 u. 205) hat aus den heute obsolet gewordenen philologischen Vorstellungen seiner Zeit heraus die Str. 140 u.141 für unecht erklärt, da sie, „schon äußerlich verdächtig durch den übergang der construction aus der einen strophe in die andere, […] den fortgang der handlung hemmen“ und durch „unzeitige erklärungen“ wie durch „gehäufte vorausdeutungen und klagen“ den „geordneten zusammenhang“ zw. 139 und 142 stören (vgl. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.3). Hollandt (1971, 675 Anm. 10) interpretiert die Szene als Brackenjagdszene. Schionatulander und Sigune, die auf einer Waldwiese an einem fließendem Bach lagern, geraten nach ihrer Darstellung „in den Jagdbereich. Das flüchtige Wild wechselt über die Waldlichtung und wird auf Schionatulander zugetrieben“: Daß Gardeviaz sich im Zusammenhang einer solchen Jagd bewegt, wird an keiner Stelle des Tit. nahegelegt. Im Gegenteil: er ist seinem Herren entlaufen und jagt allein.
140 (La 135) 1–3 War in der vorhergehenden Str. die Vorausdeutung, die nach heldenepischer Tradition in der letzten Strophenzeile steht, schon mitten in die Str. hineingenommen, so wird sie hier noch stärker integriert: „[…] daß der losgerissene Hund ihm [Schionatulander; die Hgg.] in die Arme läuft, wird syntaktisch unmittelbar mit der Katastrophe des Helden zusammengebracht“ (Wyss 1974, 251).
139/140/141
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Der Satz bleibt syntaktisch brüchig, da er – obwohl kein wirklicher Anakoluth – anders fortgeführt wird, als zunächst zu erwarten, sowohl grammatisch als auch inhaltlich: „Der mit sit eingeleitete Nebensatz begründet nicht, was unmittelbar aus dem darin Gesagten sich ergibt, sondern dessen weitere Folgen, die Mühsal des Helden“ (Wyss 1974, 279). Wie der problematische Relativanschschluß daz wil aufzufassen sei, ist uneindeutig: Ist daz Relativpronomen zu daz flühtege wilt oder bezogen auf den Vorgang im ganzen (entsprechend auch brâhtez 140,3)? Ist wil futurisch gemeint (vgl. 139,3) oder hat es möglicherweise auch einen voluntativen Sinn? Nach Schmid erklärt diese Str. „das gehetzte Wild zum Urheber des Unheils“, so daß „der Autor hier der Kontingenz, dem Zufall, Einlaß in die erzählte Welt verschafft“ (Schmid 1988, 81 f.). Dies mag in den syntaktisch und semantisch mehrdeutigen, dilemmatischen Formulierungen sprachlich mit eingefangen sein. 4
dacte – dahte – dachte sind gleichberechtigte Varianten des Präteritums von decken (Mhd. Gramm. § 94 Anm. 1). Die Schreibung der Hs. lautet !dachter". Da der Schreiber stets !ht" schreibt, wo Reibelaut gemeint ist, stets jedoch !ch" für /c/, ist wohl die Form dacter gemeint und im Sinne einer geregelten Normalisierung (s. „Editorisches Vorwort“ Kap. 2.2.2) angebracht. an dem seile ] Die geradezu beiläufige Erwähnung des Seiles ist abermals eine beinahe dysfunktionale Vorausdeutung, da die Vorwegnahme zunächst völlig rätselhaft bleiben muß. Oder konnte der Erzähler mit der Erwartung der Erwähnung des aus dem Pz. (141, 16) bekannten Brackenseils rechnen? – Zum Strophensprung mit deutlich kommunikativem Charakter vgl. Komm zu Str. 166,4. Hier erweist sich überraschenderweise der zuvor vom Erzähler (138,2–4) und von Schionatulander (139,1–2) erbrachte Reflexionsaufwand über die Schnelligkeit als völlig umsonst. Der Bewegung des Hundes, des Wildes, Schionatulanders, die ein irritierendes und irritiertes Hin- und Her-Irren vorstellt, scheint dem im Dickicht der Bezüge, Narrationsebenen und Metaphern Umherirren der Erzählung zwischen widersprüchlichen Aktionen, nachträglichen Motivierungen, vorwegnehmenden Andeutungen, Erzählerund Figurenreflexionen zu entsprechen.
141 (La 136) 1– 4 Die Str. bietet abermals ein Beispiel für das „Verfahren der nachträglichen Situierung“ (Kiening/Köbele 1998, 251): Erst in Str. 158 bzw. 162 wird deutlich, daß mit der Antonomasie fürsten Herzog Ehcunat gemeint ist und daß es sich bei der Absenderin des Briefes um Clauditte handelt. Hier, wo die faktischen Ereignisse um den seltsamen Hund benannt werden sollten, ist offenbar die zweimalige Vorausdeutung auf das kommende Unheil wichtiger als die sachliche Information. 1
enphuor ûz der hende nider ] Heinzle geht davon aus, daß der Fürst den Bracken zuvor in Händen, auf dem Arm trug, und sucht dies durch Parallelstellen zu stützen (vgl. Komm. zu 144). Dies bleibt jedoch nicht mehr als eine gut gesicherte Möglichkeit. Ebenso denkbar sind andere Formen des enpharns, so etwa ein Losreißen des an der Leine gehaltenen Hundes (ähnlich wie später bei Sigune, wo es immerhin heißt er was ouch Ehcunate des tages alsô entrunnen 162,1; s. Komm. dort). nider hieße dann, wie
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Stellenkommentar von Martin vorgeschlagen und von Heinzle ohne zwingende Gründe verworfen, etwa „mit der auf dem Boden spürenden Nase“ (Martin).
2
strâlsnitec mâl ] „die vom Schnitt eines Pfeiles verursachten Zeichen“. Das sonst nicht belegte Adjektiv ist für Wehrli ein Bsp. für die oft „fast zwanghaft wirkende Wiedergabe eines Begriffes durch Umschreibung“, ein Kennzeichen der im Tit. „virtuos verschlüsselten und wohl auch verquälten Sprache“ (Wehrli 1974, 20 f.). In der elliptischen Konstruktion des Wortes ist das Zeitparadox des Erzählens und das Problem der Kausalität, des „Eines-nach-dem-Anderen-Erzählens“ eingefangen: Die Aktion (der Pfeil ritzt), ihre Folgen (Blut tropft aus der Pfeilwunde) und weitere Folgen der Folgen (dieses Blut hinterläßt Zeichen und somit eine ganze Spur, wenn der Getroffene läuft) sind sprachlich zusammengezwungen zu einer elliptischen Metonymie, die die Logik der Narration strapaziert: Die Spur des pfeilgeritzten Wildes wird zur pfeilgeritzten Zeichenspur (dazu auch Mohr 1978, 161). Daß der Bracke nach aufgenommener Witterung entspringt, dürfte einer Alltagserfahrung höfischer Jagd entsprechen, denn etwa Thomas de Cantimpré („Liber de naturum rerum“, ca. 1225–1241) ist es bei Beschreibung der Bracken wichtig, daß gerade diese „sich durch nichts von der Fährte abbringen lassen“ (LMA II/1983, 538).
2–3 Nach Schmid probiert Wolfram resp. der Erzähler nun – nach Str. 140 (s. Komm. 140, 1–3) – eine zweite „Rekonstruktion von des Helden Tod“ aus, indem er „suggeriert: Hätte nicht eine Dame ihrem Geliebten einen Jagdhund zum Präsent gemacht, wäre das Unheil nicht eingetroffen“ (Schmid 1988, 81 f.). Mohr spricht von „Verwünschung“ (1978, 161) (vgl. Komm. zu 160,2). 4
Der Vers ist einer der längsten des Textes und daher metrisch schwierig (vgl. den Konjekturvorschlag von Lachmann). Sucht man nach Lösungen innerhalb der konventionellen Metrik, so ließe sich mit dreifachem Auftakt und viersilbigem Binnentakt -deiz daz dem vil lesen. Eine Unterlegung unter die Melodie wäre etwa auch mit Zäsur nach ûf oder den und ein mehrsilbiges Verweilen auf dem Rezitationston des Abverses denkbar. Man könnte in der Überfüllung eine sinntragende Beschleunigung entsprechend der geschilderten schnellen Bewegung sehen. von dem er iagte … ] Schionatulander wird, wie später noch dezidierter formuliert (166,3; s. Komm. dort), vom Jäger zum Gejagten. „Schionatulander, im ersten Stück sprachlich als ein von Minne Gejagter ausgewiesen, scheint im zweiten die Position zu wechseln und zum Subjekt der Jagd zu werden. Am Ende jedoch erscheint er erneut als Objekt – einer Aktion allerdings, deren Subjekt [= Minne als agierende Macht; d. Hgg.] nun unbenannt bleibt“ (Kiening/Köbele 1998, 252). Für Kiening/Köbele (252 f.) ist diese „Überblendung von Jagdzielen“ Paradigma für die „Verwischung von Zeichenreferenzen“ und die „Unsicherheit im Status von Subjekten und Objekten“ im gesamten Text. Grâhardeiz ] In Strr. 89,3 u. 136,4 wird Schionatulander, ebenfalls in Ableitung von dem Herkunftsnamen seines Großvaters Gurnemanz von Graharz, Grâharzoys genannt. daz dem vil …] Die Vorausdeutung wird nach Wyss (1974, 250) „ins Erzählte eingebunden und damit entformalisiert“ und verliert hier „ihre syntaktische Selbständigkeit“. Als Konsekutivsatz angeknüpft an den vorgängigen Relativsatz „liefert die Vorausdeutung erst die Begründung für den emphatischen Ausruf, mit dem Wolfram jene Dame Clauditte apostrophiert […].“
141/142/143
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142 (La 137) 1– 4 Wir halten den Anakoluth an dieser Stelle bei weitem nicht für so schwierig wie oben (vgl. Komm. zu 138): Das zunächst temporal zu verstehende dô wird gleichsam modal umgedeutet: „So wie er durch das Dickicht brach …“. Daher scheint uns auch im Ggs. zu Str. 138/139 eine mögliche Parenthese – von sîn bis gesteine bzw. von sîn bis sunne (vgl. Heinzle 1972, 185) – hier nicht notwendig, da der folgende Text sich ohne Probleme in kleine Hauptsätze aufteilen läßt. 2
Das ungewöhnliche Adjektiv arâbensch findet sich in genau der gleichen Formulierung und ungewöhnlichen (aber mehrfach belegten) Wortstellung auch in der Lesart der Hs. G, also der selben Hs., von Pz. 231,11 (und nur dort): arabensch ein borte (Pz. Hs. D = La: arâbsch ein borte) (näher Heinzle 1972, 185 f.). JT zeigt arabisch (vs. von araby JT E), so daß eine Sonderlesart von G zu vermuten sein könnte.
2–3 Die von allen Hgg. und auch Heinzle bevorzugte Lesart, nicht nach borte sondern nach herte zu interpungieren, kann geslagen nur unbefriedigend deuten. Die erwogenen Möglichkeiten („Übereinanderschlagen der Fäden beim Sticken“ oder „Anschlagen der Schlußfäden beim Weben“, so Heinzle, „der harte Einschuß fest angeschlagen“, so Mohrs Übersetzung) bleiben spekulativ, da derartige webtechnische Bedeutungen des Verbs nicht belegt sind. Insofern erscheint es unproblematischer, geslagen auf gesteine im nächsten Vers zu beziehen, was durch die syntaktische Parallele zu Str. 148, 2–3 gestützt wird. Im ganzen aber ist auch diese Lesart kaum weniger schwierig, denn drîhe wäre dann nicht in der üblichen Bedeutung von „Nadel“ gebraucht, sondern bezeichnete vielleicht ein massiveres Webschwert (herte dann attributiv zu drîhen, nicht zu halse oder borte), das man möglicherweise auch zum Aufnieten der gesteine benutzen konnte (zu drîhe ausführlich Heinzle 144 ff.; vgl. Komm. zu Str. 96,4). Zu Gestalt und Beschreibung der Leine s. Komm. zu Strr. 144–148. 4
Die Str. endet wieder mit einer Vorausdeutung, die in Str. 143 deutlicher ausgeführt wird und ihrerseits wieder vorausweist auf Str. 159, wo Schionatulander zugleich mit Fischen fröude den mangel fängt. Wyss hat den tieferen Sinn solcher Vorausdeutungen darin gesehen, daß sie nicht nur kommentieren, sondern das Erzählte mit konstituieren: „Die Konsequenzen dessen was geschieht werden mit diesem selbst gleichgesetzt, wenn auch in einer überaus rätselhaften Manier“ (1974, 281). Indem die lange und verschlungen vorbereitete Tat des Hunde-Fangens selbst gar nicht eigentlich erwähnt wird, sondern die Aufmerksamkeit sofort und ausschließlich auf das gelenkt wird, waz er mit dem bracken begreif, findet abermals eine Verschiebung des Gewichtes des Erzählten vom Vorgang auf dessen Bedeutung, ein beinahe unmerkliches Hinübergleiten der Narration in Kommentar statt (s. dazu Komm. zu 143 u. 159,2).
143 (La 138) 1– 4 Die epische Vorausdeutung wächst sich nun „zum Inhalt einer ganzen Strophe“ aus: „Hier wird nicht mehr eine verhängnisvolle Zukunft bloß benannt, sondern als katastrophale Konstellation des einen Subjekts Schionatulander gedeutet“ (Wyss 1974, 252). Bumke sieht eine dreifache Bedeutung des Hundes, und zwar darin, daß er durch die Inschrift „eine Botschaft im wörtlichen Sinne“ bringt, „im übertragenen Sinn durch
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Stellenkommentar seinen Namen“; im symbolischen Sinn fungiert er als Todesbote, da er „für den Anfang einer Kette von Kämpfen [steht], die mit Schionatulanders Tod endet“ (Bumke 1997, 250). Doch genau diese Referenzebenen bleiben im Erzählen ineinander verschränkt: In Wolframs Formulierungen bringt der Hund nicht nur kumber, sondern ist selbst kumber. Diese irritierende Unschärfe der Grenze zwischen dem gegenständlichen Objekt Hund, seines Zeichencharakters und der Bedeutung des Zeichens läßt sich insbesondere im folgenden als systematische Verwischung der Differenz, ja partielle Identifizierung von Zeichen und Bezeichnetem deuten: Der Bracke ist Zeichen für etwas anderes und er ist dieses andere zugleich selbst; und darüber hinaus ist er noch Träger und Bote weiterer Zeichen.
2
Das nachgestellte mit arbeit ist bezogen auf gefurrierten kumber = wörtl.: „ein Leid, das mit Mühsal gefüttert ist.“
4
daz + Gen. bracken + Beziehungswort seil. Leitzmann schreibt brackenseil, versteht also das in der Hs. Getrennte schon als Kompositum (Lachmann kennt beide Schreibungen: ein bracken seil Pz. 141,16; ein brackenseil Pz. 294,4; weitere Belege zu seil und entspr. Komposita s. Dalby 1965, 197a ff.). Da freilich die Schreibungen der Hss. und die Schreibpraxis kaum morphologische Schlüsse erlauben, ist die Frage nicht zu entscheiden. Von dem auf ein urhap bezogenen Genitiv flustbærer zîte ist fröuden als Genitiv abhängig = wörtl.: „ein Beginn einer Zeit, die den Verlust an Glück bringt“. Vgl. die ähnlichen Formulierungen Strr. 20,4 u. 139,2–3. Zu fröude vgl. Komm. zu 66,2.
144–148 (La 139–143): Das Brackenseil In fünf Strophen wird das Brackenseil, das in Str. 140,4 im Text auftaucht, als kennte man es schon, und in Str. 142,2 f. bereits mit einigen Details vorgestellt wird, ausführlich beschrieben, und zwar aus der Perspektive eines sowohl allwissenden wie beteiligten Erzählers. Dieser gibt dem Leser/Hörer detaillreiche Auskunft über die Länge des Seils, über dessen Materialbeschaffenheit, Verarbeitung und Aussehen sowie über dessen Kostbarkeit und erweckt so den Anschein, dieses Seil sei „so exakt beschrieben, daß es sich ohne weiteres nachbilden ließe“ (Wyss 1974, 282; vgl. auch S.M. Johnson 1989, 514, der vor allem auf die seltsame Mischung von realistischen und unwahrscheinlichen Momenten bei der Darstellung des Brackenseils abhebt). Einer auf Detailstimmigkeit und Exaktheit gerichteten Betrachtung wird jedoch vieles unklar und problematisch bleiben: Die hypertrophe Länge des Seils kann man sich schwer als nützliche Ausstattung eines durch Wald und Gestrüpp jagenden Hundes vorstellen; aus dem Text wird nicht deutlich, ob es sich „um ein vierfarbiges Geflecht aus spannenlangen Teilstücken handelt oder um einfarbige Teilstücke mit wechselnder Farbfolge“ (Hollandt); auch ist etwa keineswegs zu klären, wo und wie die ringe (145,1) angebracht waren, was unter blat (145,3) genau zu verstehen sei und inwiefern man bei der Entzifferung der Schrift auf der Hun-
144 – 148/144
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deleine – gleichsam als handele es sich um ein Buch – von einem Auseinanderfalten des Seiles (146,1) sowie von ûzen und innen (146,2) sprechen kann. Ein seltsamer Widerspruch tut sich hier auf: Die angestrengte und stellenweise fast pedantische Genauigkeit wird immer wieder verunklärt und mit notwendigerweise ins Vage zielenden Autoreinmischungen und Vorausdeutungen konfrontiert. Man kann in dieser Gegenläufigkeit eine Erzählstrategie erblicken: Die noch so große Bemühung, die „wirkliche“ Hundeleine zu rekonstruieren, führt offenbar ins Leere – sie ist, wie alle anderen Zusammenhänge und Vorgänge in dieser Geschichte auch, nicht mehr beschreibbar. Alle Bemühung bleibt vage Annäherung, unbestimmter fast noch als die poetische Imagination der Katastrophe, die sich in den Ahnungen und Ängsten abbildet, mit denen der Autor seine Beschreibung kontrapunktiert.
144 (La 139) 1
S.M. Johnson (1989, 515) hält den Einsatz der Str. für „ganz unauffällig“. Das Verhalten Schionatulanders, der den Hund ohne zu zögern Sigune bringt, erscheint indes so harmlos nicht. Schließlich ist es kein Schoßhund, sondern ein Jagdhund, der auf einer blutigen Fährte einherjagt (rôtvarwer verte) und eigentlich viel besser zum männlichen Bereich, also zu Schionatulander paßt (prinzipiell sind Bracken auch als Schoßhunde und Geschenke an Damen belegt: Dalby 1965, 34a ff.; LMA V/1991, 213 f.; LCI II 334 ff.). Die Beantwortung der Frage, weshalb er den Hund nicht bei sich behält, muß mit dem Brackenseil zu tun haben, das, bevor der Hund auch nur andeutungsweise selbst in den Blick genommen wird, sogleich vom nächsten Vers an ausführlich beschrieben wird. Auf dem Brackenseil ist eine Botschaft. Diese wird von Schionatulander, als ob sie ihn nicht anginge, sogleich an Sigune weitergeleitet. Oder soll Sigune auf diese Weise als die eigentliche Adressatin der Botschaft kenntlich gemacht werden?
2
klâfter ] Eine Armspanne, entspricht etwa 1,70m; demnach wäre das Brackenseil über zwanzig Meter lang. Sehr lange Hundeleinen für den leithunt einer Spürjagd sind zwar belegt (Dalby 1965, 197a ff.), dennoch muß die Längenangabe Wolframs wohl als Hypertrophie gewertet werden. Vielleicht kann man, da die Zahl Zwölf auch jenseits spekulativer Zahlenmystik (dieser folgt etwa Rahn 1958, 70 f.) in der christlichen Tradition vielerorts Vollkommenheit und Fülle repräsentiert (LCI IV 582 f.), an eine von topischen, synekdochischen Maßangaben motivierte Formulierung denken, ähnlich wie etwa das in der mhd. Epik häufige tûsent marc (silbers/goldes), das eher „sehr teuer“ meint als eine bezifferbare Wertangabe sein will.
2–4 Die Syntax der Verse ist nicht einfach: Dem einleitenden kurzen Hauptsatz (2a) folgt ein Relativsatz, eingeleitet durch das auf klâfter bezogene Relativpronomen die (Nom.Pl.); zum prägnant gebrauchten Prädikat wâren gehört ein adverbialer Ausdruck von bortesîden (mit davon abhängigem Gen.qualitatis vier varwe), der entweder als Dat.Sg. (= „aus vierfarbiger Bortenseide“, d. h. das Brackenseil war aus vierfarbigem Seidenband) oder als Dat.Pl. (= „aus vierfarbigen Seiden“, d. h. es bestand aus mehreren farbigen Seidenbändern) zu verstehen ist. Ob sich die nachgestellten Attribute in den Vv. 3 und 4 auf vier varwe oder auf bortesîden beziehen, bleibt unklar und ebenso die Frage, wie sich
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Stellenkommentar der vierte Vers der Str. zum Vorhergehenden verhält. Wörtlich übersetzt heißt er etwa: „immer wo eine Spanne (d. h. die Spanne der gespreizten Hand) aufhörte, [war er] durch ein Zierrat [so Marti] bzw. kunstvoll [so Heinzle] verarbeitet.“ Unklar bleibt, ob es sich bei dem Seil um „ein vierfarbiges Geflecht aus spannenlangen Teilstücken handelt oder um einfarbige Teilstücke mit wechselnder Farbfolge“ (Hollandt; s. auch oben im einl. Komm. zu diesem Abschnitt). Wie auch die folgenden Strr. zeigen, ist Eindeutigkeit nicht zu erzielen. Bei seinem Versuch, den Sachverhalt zu klären, argumentiert Heinzle, daß es unmöglich sei, von ûzen und innen (146,2) und von ein ander valten (146,1) zu sprechen, wenn das Band aus farbigen Teilstücken bestand. Er verweist auf eine besondere Webtechnik, und kommt zu dem Ergebnis, daß die „einzelnen Farbstreifen nicht, wie die Kommentatoren meinen, hintereinander gelegen haben“, sondern „daß vier spannenlange, fingerbreite Seidenbänder (blat) verschiedener Farbe an der Längsseite zusammengefügt waren“; dann könnten die vier blat, von denen in Str. 140 die Rede ist, „die beschriebenen Ober- und Unterseiten der beiden Bänder sein, die im Abstand von einer Spanne durcheinandergeflochten wären: über den Durchdringungsstellen befänden sich die Ringe.“ Aber auch Heinzle kommt über gut begründete Vermutungen nicht hinaus.
145 (La 140) 1–3 Die Beschreibung des Brackenseils wird durch additive Reihung und immer dichteren Nahblick im einzelnen noch genauer, bevor sie dann durch eine Erzählereinmischung in V. 4 kurz unterbrochen wird. Aber auch hier geht die Präzisierung mit Verunklärung einher. Denn der adverbiale Anschluß dar über ist keineswegs klar, und auch im folgenden ergeben sich Probleme: Was genau meinen verblenket (V. 1), verkrenket (V. 2) und blat (V. 3)? 1
Dar über ] Nach Martin waren die Ringe „über der seide“, nach Marti „offenbar über der Bruchstelle. Die Ringe sind eben das zusammenschließende Schmuckstück“. Am besten begründet ist es wohl, mit Heinzle davon auszugehen, daß die ringe „über dem Seil, und zwar über den Naht oder Übergangsstellen“ lagen, wobei unklar bleibt, ob die ringe, die ja als geschmückt (mit berlen verblenket) geschildert werden, selbst das gezierde (144, 4) aufnehmen (so wohl Hollandt u. Marti) oder unter den Ringen noch eine eigene Verzierung angebracht war. verblenket ] Nach Martin „blank, glänzend machen“; Marti dagegen greift auf die etymologische Bedeutung „blanc, weiß machen“ zurück. Beide beziehen es auf ringe. Anders Simrock: „mit Perlen lichten Scheines“ (nachgestelltes unflektiertes Adjektiv zu berlen; ähnlich San-Marte). Der einzige weitere Beleg des Verbs, eine Stelle innerhalb der Beschreibung des Graltempels in einigen Hss. des JT, kann dort nur „verzieren, verschönern“ o. ä. meinen (so Lexer III 78 u. Heinzle): Das goldene Dach des Tempels sei mit Gravuren so verblenket, daß es nicht versniden solde / die ougen gen der liechten sunnen glitze ( JT 365,2–3) – hier wird übergroßer Glanz also gerade entfernt (vgl. „blänken“ DWb II 66; entspr. lat. nitor und davon abgel. nitidare, dessen konkrete Bedeutung „Glanz“ als Metonymie von unspez. „Schönheit“ gebraucht wird).
2
niht mit steinen verkrenket ] wörtl. „durch Steine nicht entwertet“. Martin fügt als Erklärung hinzu: „vielmehr kostbarer gemacht“ (Martin; ähnlich auch Marti). Die Deutung von Benecke und Bartsch „nicht mit schlechten Steinen besetzt“ erscheint an die-
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ser Stelle wenig sinnvoll, da es hier immer um die Kostbarkeit und Pracht des Seiles geht und ein solch negatives Verständnis nicht zum emphatischen Ton der ganzen Beschreibung paßt. 3
Martin versteht unter blat „das an ein anderes Stück angesetzte Tuchstück“. Marti zieht aus der vorhergehenden Strophe einen ähnlichen Schluß: „jedes der einzelnen vier fingerbreiten Blätter (so bezeichnet, weil eine Schrift daraufsteht, freilich aus Edelsteinen), d. h. hier Streifen, [ist] eine Spanne lang zu denken, nicht die vier zusammen, die nur insofern eine Einheit bilden, weil sich der Farbenwechsel immer wiederholt“ (ähnlich Hollandt). Plausibler, aber letztlich auch nicht alle Fragen ausräumend, scheint Heinzles Erklärung, daß es sich bei dem Brackenseil um jeweils vier durch Ringe abgegrenzte Teilstücke handelt, deren vier Bänder auseinandergefaltet werden und außen und innen gelesen werden konnten.
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Mertens (1996, 373) bezieht diese Äußerung des Erzählers auf die gleichartige von Str. 147,4 und setzt sie ab von den beiden Erzählereinmischungen in den Str. 143,1 lât ez iu nennen und 146,3 und âventiure hœret, obe ir gebietet: „Damit stehen zwei gegensätzliche Ausformungen der Erzählerrolle unmittelbar nebeneinander: die des traditionellen heldenepischen ‚Verwalters‘ des Stoffes […] und die des mit Nähe und Distanz zum Stoff spielenden höfischen Gestalters“. S.M. Johnson (1989, 519) sieht in den „scheinbar humorvollen Zwischenbemerkungen Wolframs […] sehr ernste Scherze, […] besonders angesichts der vielen ominösen Hinweise auf das Schicksal Schionatulanders.“ Die Erzähleräußerung – wie auch die entsprechende in 147,4 – läßt sich verstehen als Vorausdeutung auf die späteren Ereignisse: Als der Hund sich losreißt, kann Sigune das Seil nicht halten. Sie versucht es und verletzt dabei ihre Hände. Die Vorausdeutung weist, ohne Tadel oder Besserwisserei, selbstironisch voraus auf ein gar nicht zu vermeidendes und nur zu beklagendes Unheil (vgl. auch Komm. zu 147,4).
146 (La 141) 1
sô (Ba La Pip Mar, mit JTII ) statt des handschriftlichen dô zu lesen, scheint unnötig. Es ist an dieser Stelle durchaus der temporale Sinn von dô angebracht: antizipiert wird das spätere Lesen, d. h. Auseinanderfalten des Seiles durch Sigune (vgl. auch das des öfteren syntaktisch problematische, einleitende dô in 137,1; 138,1; 142,1). Dagegen ist mit allen Hgg. gegen Heinzle am Komma nach vielt festzuhalten; denn zwischen den ringen dürfte, obwohl die andere Interpunktion grundsätzlich auch möglich ist, inhaltlich eher zum folgenden Vers gehören. vielt ] Martin versteht es als „auszog“, Marti als „glattzog“, um es mit der eigenen Deutung des Brackenseils („vier Teilstücke jeweils hintereinander zu je einem einfarbigen, spannenlangen Seidenband“) in Übereinstimmung zu bringen (keine Erklärung geben Martin und Marti zum folgenden ûzen unt innen, obwohl – oder weil – dies mit ihrer Deutung des Brackenseils eigentlich nicht zu vereinbaren ist). Solange es im Kontext einen Sinn ergibt, kann an der Grundbedeutung „auseinanderfalten“ festgehalten werden.
2
ûzen unt innen ] vgl. Komm. zu Strr. 144,2–4. kôs – kosteclîchen ] Da Wolfram mit lautlich gleichen oder ähnlichen Wörtern oder Wortformen zu spielen liebt (vgl. Springer 1975), könnte es sich um ein intendiertes Wortspiel handeln (vgl. Komm. zu 111,4).
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Stellenkommentar Da, wie sich aus V. 4 und der folgenden Str. ergibt, die Kostbarkeit der schrift offenbar darin lag, daß sie aus wertvollen Edelsteinen bestand, und mit daher an dieser Stelle eigentlich nicht paßt, ist wohl (mit Heinzle) Ellipse anzunehmen und ein Partizip zu ergänzen: „mit kostbarem Material hergestellt“ o. ä.
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âventiure unterstreicht hier wohl nicht, wie Marti meint, das Seltsame, sondern eher das Wundersame, Wunderbare der nun anschließend geschilderten Kostbarkeiten auf der Hundeleine (so Martin). – Zur Topik und heldenepischen Erzählerrolle der Formulierung vgl. Mertens (1996, 373) und Komm. zu 145,4.
147 (La 142) 1
verbundet ] Vom sonst nicht belegten sw.V. verbunden, was Martin erklärt als „verbinden, eig. durch einen bunt befestigen“ (so auch Hollandt 1971, 678). Marti erläutert (nach Lexer III 75): „(wohl wie die ‚Steine‘ im Brettspiel) zu einem Bund vereinigen“ (so auch Heinzle). Zu fragen ist, ob hier nicht um eines witzigen Reimeffektes auf die – noch skurrilere – Kreation gehundet willen, eine absichtlich inkorrekte, weil mit schwacher Flexionendung versehen Partizipialform des st.V. verbinden (Part. Prät. verbunden) zu sehen ist und weniger ein eigentlicher Neologismus.
1–2 Unklar bleibt wieder, ob verbundet auf buochstabe zu beziehen ist (mit Interpunktion wie hier) oder der erste Halbvers von 147,1 als selbständiger Satz aufzufassen ist und der zweite Halbvers zum folgenden Vers zu ziehen ist, also „mit Rubinen gereiht standen da Diamanten, Chrysolithe und Granate (mit Komma nach verbundet)“. Die von Marti getroffene Unterscheidung von Edelsteinen (Rubine, Diamanten) und Halbedelsteinen (Chrysolith und Granate) beruht auf moderner Klassifikation; nach mittelalterlichem Verständnis (dazu Engelen 1978; Meier 1976) müßten etwa auch die berlen (145,1) zu den steinen auf dem Brackenseil gezählt werden (Engelen 1978, 38 f.). Eine Interpretation nach den Regeln der mittelalterlichen Edelsteinexegese wird bei Wolframs Brakkenseil schwerlich zu Ergebnissen führen (so auch Heinzle), gehört allerdings in höchstem Maße dem JT zu, wo die Edelsteinsymbolik und -allegorese vielerorts, so auch am Brackenseil geradezu hypertrophiert. 2
gehundet ] Wohl eine „kühne scherzhafte Bildung Wolframs“ (Marti), vielleicht in Analogie zu georset (zum mhd. gebräuchlichen sw.V. orsen) und zu geseilet im selben Satz. Benannt ist zuerst das so ausführlich beschriebene, überaus kostbare Brackenseil, dann erst der Hund, der im folgenden Vers fast beiläufig ins Wortspiel einbezogen und geradezu als Nebensache behandelt wird (ouch was der hunt …).
4
geteilet ] teilen hier in der Bedeutung „zweierlei zur Wahl vorlegen“. Auch hier in der Erzählereinmischung, die ihre Entsprechung in Str. 140,4 hat, wird der Hund, der als jagender Leithund auf der Fährte nach mittelalterlicher Auffassung als extrem wertvolles Tier galt, gegenüber seiner Hundeleine deutlich abgewertet. Zugleich verweist die Entscheidung für die Hundeleine auch in bitterem Scherz und erzählerischer Selbstironie wieder voraus auf das spätere Verhalten Sigunes, die unerbittlich darauf besteht, dieses Brackenseil wiederzubekommen und dafür sogar bereit ist, ihr Lebensglück aufs Spiel zu setzen.
146/147/148
403
148 (La 143) 1–2 grüenem ] Bezogen auf samît (die starke Form des Adjektivs ist auch sonst bei Wolfram in Nachstellung gebräuchlich) und durch die stark verkürzte, naturmetaphorische Wendung als in meigeschem walde näher bestimmt. ûf einem samît grüenem kann als adverbiale Bestimmung entweder auf das Subjekt halse („das Halsband, eine Borte, war auf Samt genäht, der grün war wie ein Maienwald“) oder auf deren Apposition borte („das Halsband war eine auf Samt, der grün war wie ein Maienwald, aufgenähte Borte“) bezogen werden. Die erste Lösung scheint wegen der Wortstellung plausibler: ûf einem samît grüenem … was diu halse – ein borte – genæt … . Auch heißt es in Str. 137,2 ausdrücklich: sîn halse was arâbensch ein borte (anders Heinzle). 3–4 lêrte : verte ] Die Nicht-Unterscheidung von kurzem und langem /e/ im Reim ist Bairisch und für Wolfram bezeugt (Bertau 1983a, 151). 3
lêrte ] verstehen Martin, Heinzle (und Marti) als „hatte gelehrt“ im Sinne von „hatte angegeben“. Wir übersetzen es als „hatte in Auftrag gegeben“ und schließen es an das Vorhergehende an: schrift wäre dann die gerade beschriebene Edelsteinschrift auf dem Seil, auf die durch das Pronomen die demonstrativ hingewiesen wäre. Eine andere Deutung versucht Classen (1990, 55): „der Verfasser des Textes auf der Hundeleine ist zunächst eine Frau“; er versteht lêrte also als „hatte verfaßt“, und verbindet die Textstelle mit einem Gedankengang Kurt Ruhs (1980, 143) („der Autor folgt […] seiner Geschichte gleichsam hintennach, sucht sie zu fassen, zu verstehen“), nur scheine „das Gewicht Wolframs bei der bewußten Fragmentierung weiter reduziert zu sein, als es Ruh noch meinte“. Classen bezieht die schrift ein frouwe lêrte damit auf das Folgende, in dem mit dem Namen des Hundes Gardevîaz und der Übersetzung des Namens, vor allem aber auch mit den Appellen der Str. 149, in der Tat Lehren formuliert werden. Eindeutigkeit ist wohl auch hier nicht zu erzielen – die Vagheit in Bezug auf schrift, lêren und auf die hier erneut mystifizierende Vorwegnahme ein frouwe, die erst später nach und nach aufgelöst wird, mag Programm sein.
4
Den Namen des Hundes Gardevîaz (von prov. garda vias oder lat. garde vias) übersetzt der Text selbst mit hüete der verte, einem alten Zuruf für den Jagdhund (vgl. Dalby 1965, 95 f.): „Bleibe auf der Spur!“ Daß diesem Signal für den Text symbolische Bedeutung zukommt, wird in der Forschung mit Recht allenthalben herausgestellt. An dieser Stelle wird deren Umriß jedoch noch nicht deutlich. Ob sie auf eine Minneregel (so etwa Hollandt) oder auf die rechte Lebensführung (Heinzle) bezogen ist, ob sie auf eine Warnung (so Classen 1990, 45) oder auf eine allgemeine höfische Lebensmaxime hinausläuft (so Bumke 1997, 251, der auf den Pz.-Epilog 827,1 ff. verweist) oder am Ende nur eine Leerformel (Mertens 1996, 207) darstellt – die Beantwortung dieser Fragen entfaltet sich mit dem Textverlauf, wobei hier abermals mit zunehmender Verdeutlichung ein hohes Maß von Verunklärung einhergeht. kiut ] aus quîdit (3. Sg. vom st.V. queden = „sprechen“). Zur lautlichen Form vgl. Mhd. Gramm. § 116: „Besonders bair., aber weiter verbreitet ist der Ausfall mit Verdumpfung des folgenden Vokals […]: quî- > kiu- […].“ Vgl. auch kal < qual Strr. 93,4 u. 115,4. verte ] kann der Form nach sowohl Gen. Sg. wie Gen. Pl. sein. „Letzteres entspräche dem Provenzalischen besser“ (Marti).
404
Stellenkommentar
149–158 (La 144–153): Die Lektüre des Brackenseils In Str. 149 beginnt Sigune die Brackenseilinschrift zu lesen. Sie liest zunächst, bis zum Ende der Str. 150, auf dem Halsband des Hundes eine allgemeine höfische Moralsentenz, die in wörtlicher Rede so zitiert wird, wie sie offenbar auf dem Halsband tatsächlich steht. Unmittelbar nach dem wörtlich zitierten Schluß der Sentenz meldet sich der Erzähler mit Informationen über Adressantin und Adressaten zu Wort, setzt also den Brief, den die Inschrift darstellt, zunächst nicht fort. Wenn er sich wieder der lesenden Sigune zuwendet, läßt er nicht mehr erkennen, was sie tatsächlich liest, sondern gibt nur einen Kommentar zur Lektüre (Str. 151,3 f.). An dieser Stelle treten das, was der Leser erfährt und das, was Sigune selbst im Brief liest, erkennbar auseinander. Der Leser kennt den Adressaten des Briefes namentlich seit Str. 141, nicht aber die Absenderin; in dem, was Sigune liest, sind beide namentlich genannt, so daß sie schon hier weiß, daß Clauditte den Brief geschickt hat, der Leser aber erfährt es erst am Ende der Inschrift. Der Text verunklärt auch die Frage, wie die sich anschließenden Geschichten der Florie und der Clauditte zu verstehen sind: sie werden in einer Form dargeboten, die weitgehend offen läßt, ob sie als Text der Inschrift des Seils gelesen werden dürfen. Dabei präsentiert sich die Florie-Geschichte deutlicher als „Einblendung des Erzählers“, während die Geschichte der Clauditte „durch explizite Signale an Sigunes Lesen der Schrift gebunden bleibt“ (Kiening/Köbele 1998, 254). Immer wieder mischt sich der Erzähler mit Verwünschungen (153,2 f.), mit direkten Fragen an den Leser (157,3 f.) oder mit kommentierenden Zwischenbemerkungen (158,4) selbst ein, und auch der Inhalt enthält im wesentlichen nur, was der Adressantin und dem Adressaten, sei es aufgrund ihrer Familiengeschichte, sei es aufgrund eigenen Erlebens, allzu bekannt sein dürfte. So löst sich die Inschrift des Briefes „in vielfältiger Perspektivierung auf: es gibt einen Text, den Sigune tatsächlich liest; es gibt einen Text, den der Erzähler dem Leser als Text im Text präsentiert und der die Grenzen zwischen Briefinschrift und Erzählerreferat bzw. Erzählereinmischung ständig verwischt; und es gibt einen Text, den der Leser sich aus dem allen zurechtmachen muß. Die Verfahrensweise des Erzählers ist umso bemerkenswerter, als es ja, wie sich im folgenden zeigt, gerade der Brackenseiltext ist, der der Geschichte ihre entscheidende Wendung gibt“ (Brackert 1996, 160; vgl. dazu auch Komm. zu 158,1–2). Statt ihn klar und eindeutig zu präsentieren, hat der Erzähler ihn „entgrenzt, verunklart, verwischt und vielleicht gerade dadurch umso suggestiver zum Objekt des Begehrens gemacht, als das er in der Folge fungiert“ (Brackert 1996, 161).
149 – 158/149
405
149/150 (La 144/145) Die beiden Strophen weisen Ähnlichkeiten im syntaktischen Bau auf, ohne ganz parallel gefügt zu sein. Im Unterschied zu Str. 149 ist 150 ganz indikativisch. Eine editorische Gleichbehandlung, die Heinzle für notwendig hält, ist daher unbegründet. Eher könnte man erwägen, Str. 149 wegen der Konjunktiv-Formen (149,2–3) als indirekte Rede aufzufassen; Str. 150 dagegen ist wegen des durchgängigen Indikativs wohl als direkte Rede zu verstehen.
149 (La 144) 1
Das Fehlen des Artikels vor einem Substantiv wie anvanc, das durch einen nachfolgenden Genitiv näher bestimmt ist, kann als archaischer Stil aufgefaßt werden (Mhd.Gramm. § 421e). mære meint hier, etwa im Sinne von „Botschaft“, eindeutig die schrift auf dem Halsband und der Hundeleine des Bracken.
2
ein bracken name ] mit zwischengestelltem Genitiv (bracken) zwischen unbestimmtem Artikel und Beziehungswort. Der name Gardeviaz entspricht nach Hauer (1992, 11) dem bracken; denn dieser sei „leibgewordenes Auf-der-verte-Sein“. den werden ] „den Edlen“, nämlich denen, die in V. 3 f. genannt sind.
3
„In Analogie zu dem imperativisch gebildeten Namen“ des Hundes faßt Heinzle hüeten als adhortativen Konjunktiv und den ganzen Vers als adhortativen Hauptsatz auf: „Männer und Frauen mögen auf dem rechten Weg bleiben!“ Möglich wäre auch, mit fast allen Hgg. nach wîp und schône ein Komma bzw. Semikolon zu setzen und die hüeten verte schône als Relativsatz mit konjunktivischer indirekter Rede zu verstehen und vom Folgenden (die varent hie in der werlde gunst) abhängig zu machen. Für diese Lösung spricht die Parallelkonstruktion der folgenden Strophe: die … die … (149), swer … der … (150). Man hat wiederholt versucht, die allgemeinen Lehren der beiden Strophen als eigentlichen Kern der Brackenseilinschrift zu deuten. So hat Rahn (1958, 75) sie als „eine theoretische Abhandlung – fast möchte man sagen eine Laienpredigt – über das Thema hüete der verte“ verstanden, verwandt dem Traktat „Scivias“ der Hildegard von Bingen. Classen (1990, 21) nimmt sie als Moralsentenzen einer theoretischen Abhandlung über die Grundlage von Liebe und deren Auswirkungen auf den Menschen, die sich direkt als Zitate auf die regulæ amoris aus „De Amore“ des Andreas Capellanus beziehen lassen. Er beruft sich dabei auf Heinzle, der „ganz überzeugend dafür“ optiere, „daß Wolfram direkt ‚Moralsentenzen‘ zitiert.“ Offenbar ein Mißverständnis; denn Heinzle geht es nicht um irgendeinen historischen Nachweis, sondern um eine Unterscheidung, daß Wolfram nach seiner Auffassung „die Schrift auf der halse […] direkt zitiert (Moralsentenzen), die Schrift auf dem seil […] aber kommentierend referiert (Erzählung).“ Zweifellos ist der Hinweis von Classen (1990, 9 ff.) interessant, daß am Ende des zweiten Buches von „De amore“ eine goldene Hundeleine oder –kette vorkommt, an der ein Pergamentstück mit Liebeslehren befestigt ist. Auch wenn man berechtigte Zweifel an der Art der Kette beiseite läßt – März hat daruf hingewiesen, daß die Vermutung Classens, jene Kette sei auch mit Hunden verbunden gewesen, wohl nicht zutrifft, denn „sie
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Stellenkommentar ist an der Stange von Artus’ Sperber befestigt“ (März 1992, 34 f. Anm. 31) – bleibt (trotz der Zustimmung Braunagels 1999, 33) fraglich, ob dieser Hinweis eine historische Herleitung untermauern kann. Denn die Übereinstimmungen der Liebeslehre bleiben mehr als allgemein; sie befinden sich auch nicht auf der Hundeleine wie bei Wolfram, und insbesondere findet sich auf ihr keine epische Erzählung. Gerade die Spezifika des Wolframschen brackenseiles sind also bei Andreas nicht vorgegeben. Hinzu kommt, worauf Müller hingewiesen hat (1995, 296 f.), daß die anläßlich des Hundenamens Gardeviaz eingeführten Sentenzen keine „umfassende theoretische Abhandlung zur Liebe“ (Classen 1990, 17) erwarten lassen: „Wolfram ist im ‚Titurel‘ weit davon entfernt, sich zum Didaktiker aufzuwerfen.“ Albrecht wird dagegen im „Jüngeren Titurel“ das Brackenseil zum Träger einer ausführlichen moralisch-didaktischen Lebenslehre machen ( JT 1874–1927), die, mehr eine ritterliche Tugend- und Herrscherlehre als eine Minnelehre, pompös zelebriert und verlesen wird (ausf., wenn auch veraltet Hermann 1939). Bedenkenswerter ist der Hinweis von März (1992, 34 f.), daß der Name Anphlise im Liebestraktat des Andreas vorkommt (zu Anphlise und ihrer Bedeutung im Tit. vgl. insbes. Komm. zu 127,4). In Entsprechung zu seiner These, daß der Tit. die Negation der literarischen Form ‚Artusroman‘ darstellt und alle Inventarstücke des Artusromans nur noch leere Versatzstücke sind, die um ihre ursprüngliche Funktionalität gebracht sind, versteht Wyss (1974, 286) diese Allegorie als eine „platte Lehre“, die „von der vollständig willkürlichen Übertragung auf den Bereich menschlicher Ethik ausgeht“. Von einem „eigenen, positiven Sinn des Tit.“ her, „eben jenen, daß der Tit. primär als literarische Reflexion über den höfischen sin und das ihn und damit die höfische Welt zersetzende Begehren“ zu lesen sei, interpretiert Hauer (1992, 82 f.): „Durch die Übertragung in 144,2 [=149,2]“ wird der sin „als Metapher ausgewiesen, die das Sein des (höfischen) Menschen als Jagd auslegt, als Fahrt.“
150 (La 145) 1
Si las mêre an der halsen ] Nachdem in Str. 148 das Brackenhalsband beschrieben worden ist und Sigune in Str. 149 begonnen hat, die Schrift zu lesen, wird jetzt deutlich unterschieden: bisher und auch in Str. 150 liest sie nur auf dem Halsband, noch niht an dem seile. Und da in diesen beiden Strophen der moralische Appell, der in dem Hundenamen liegt, erläutert wird, hat Marti festgestellt: „Auf dem Halsband steht offenbar die Moral und auf dem Seil die Geschichte“. Für diese Feststellung könnte man auch auf Str. 151,3 f. verweisen.
2–4 Lachmann und nach ihm alle Herausgeber außer Leitzmann und Marti haben übersihet in ersihet konjiziert und damit anstelle einer vermeintlich verderbten Überlieferung einen einfachen, verständlichen Text herzustellen versucht: nach diesem Verständnis der Stelle heißt es von dem gepriesenen Mann oder vom prîs selbst, daß ihn niemals ein Auge auf dem unbeständigen, wechselhaften Markt erblickt. Einer solchen ‚Verbesserung‘ des Textes durch Konjektur dürfte die handschriftliche Lesung übersihet, wenn sie nur halbwegs einen Sinn ergäbe, sicherlich vorzuziehen sein. Es sind eine Reihe von Vorschlägen gemacht worden, den überlieferten Wortlaut zu deuten. Die einfachste, aber auch nicht voll befriedigende Lösung ist die von Marti: Vers 3 und 4 von der wonet bis übersihet in Parenthese zu setzen und 150,2b mit dem gleichfalls der Kaufmannssphäre entstammenden Bild des Marktes (vgl. dazu Komm. zu 20,3–4) zu verbinden. Bei
149/150/151
407
dieser Lösung bleibt zweierlei ungeklärt: zum einen wird die Ensprechung der beiden nimer in 150,2 und 150,4 durch die Parenthese zerstört (vgl. Heinzle), zum anderen ist der Sinn des übersihet in der verkürzten syntaktischen Beziehung der Parenthese nicht mehr auszumachen. Heinzles Vorschlag („es ist wohl gemeint, daß niemand den prîs auf dem market übersehen bzw. verschmähen kann, weil er gar nicht feilgeboten wird“) bietet allerdings auch nur eine Scheinlösung und bleibt zu allgemein, weil der schwierige Vers 3 und d. h. die konsekutive Satzbeziehung zum Folgenden nicht in die Überlegungen einbezogen wird. Das Problem läßt sich vielleicht etwas aufhellen, wenn man von folgender Überlegung ausgeht: der market, eine vorwiegend äußere Szenerie, auf den sich die Str. in V. 2 mit dem Begriff prîs (= Preis) und mit dem Bild des Feilbietens (zu veile tragen vgl. die Belege bei BMZ III 291) sowie in V. 4 mit der Metapher vom unstæten wenkenden market bezieht, tritt in V. 3 mit der stärker innenbezogenen Sphäre des Herzens zusammen. Daraus scheint sich die eigentliche Schwierigkeit der Textstelle zu ergeben. Nun wird jedoch der market durch seine metaphorische Einkleidung – er wird mit zwei Epitheta zusammengestellt, die auf einer anderen Bildebene liegen, und die sich nur auf ihn beziehen lassen, wenn er zu einer allgemeineren Metapher, etwa für das menschliche Leben wird – auf eine andere Zeichenebene gehoben und nähert sich dem Bildbereich von V. 3 an: market wäre demnach sowohl der tatsächliche Markt als auch etwa der ‚Jahrmarkt des Lebens‘; ganz analog wäre prîs nach dem Doppelsinn des Wortes der tatsächliche, konkret Marktpreis als auch der allgemeine Ruhm (zum Doppelsinn von prîs vgl. Marti). Der ganze Gedankengang von V. 2–4 ließe sich dann etwa so umschreiben: „Jeder der die verte sicher zu verfolgen versteht, dessen Ruhm wird niemals zum billigen Preis auf dem schwankenden Markt des Lebens feilgeboten, dessen Ruhm wohnt vielmehr in einem reinen Herzen so gestärkt, daß ihn (als hoher Preis, der er in Wahrheit ist) niemals auch nur ein Auge auf diesem Markt (wenn er dort erscheint) zu übersehen (im Sinne von ,nicht zu beachten‘) vermag.“
151 (La 146) 1
Zum Motiv des Hundeschenken vgl. Komm. zu 144,1.
2
wart ] Singular des Prädikats trotz vorausgegangenem doppelten Subjekt (bracke und seil). Vgl. auch unten V. 4. daz was ] Ausgelassen ist bei dieser Anknüpfung ein Zwischenglied: diu daz sande, daz was … von art under krône ] Clauditte ist nach Abstammung (art) und nach Amt (krône) eine Königin.
3
underscheide ] Nach dem BMZ (II,2, 106b) und den Kommentaren von Martin und Marti, die auf Pz. 169,29 (er saget im gar die underscheit wier von sîner muoter reit) verweisen, zu verstehen als „genaue Erklärung, Bericht, Nachricht“ (Vgl. auch Lexer II 1797).
4
Die unterschiedlichen Lesungen dieses Verses weisen offenbar darauf hin, daß seine Länge als Problem empfunden wurde. Auch Wackernagels Konjektur (der fürste ] er; vgl. La im App.) wird sich dem verdanken. Der Vers ist jedoch selbst nach der strengen
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Stellenkommentar Heuslerschen Metrik durchaus in daktylischem Rhythmus regulär skandierbar. Bei einem musikalischen Vortrag dürfte ein versierter Sänger keinerlei Schwierigkeiten gehabt haben, die Vielzahl der Silben der Melodie anzupassen. was ] Auch hier steht, wie in V. 2 bei zwei Subjekten das Prädikat im Singular. diu ] Die neutrale Form steht hier, weil sich das Pronomen auf Beziehungswörter unterschiedlichen Geschlechts bezieht; gemeint sind mit diu die beiden Namen, die dem Rezipienten des Tit. noch vorenthalten werden, nicht jedoch dem Leser des Brackenseiles (vgl. dazu einl. Komm. zu 149–158). bekantlîch ] „klar zu erkennen, sichtbar“. Die nhd. Bedeutung „wie allen bekannt ist“, die Classen (1990, 59) für diese Textstelle schon voraussetzt, basiert auf einem anderen Öffentlichkeitsbegriff.
152/153 (La 147/148) Die tragische Liebesgeschichte Flories und Ilinots kann von der Sigune-Handlung des Pz. her als eine Vorwegnahme des späteren Lebensschicksals der beiden Hauptfiguren des Tit. gelesen werden: Florie schenkt Ilinot ihre ganze Liebe, bis auf die letzte Erfüllung; im Kampf um ihre Minne wird er tödlich von einem Speer getroffen, und Florie folgt ihm in den Tod, obwohl ihr, wie es im Text emphatisch heißt, nie spers orte genâhte (153,4). „Der Text deutet allerdings mit keinem Wort an, daß Sigune diese Geschichte in ihrem dunklen-vorwegnehmenden Sinn wahrnimmt oder daß in diesem Nicht-Wahrnehmen eine Verblendung zu erblicken ist. Vorsichtigerweise wird man daher an dieser Stelle Sigune aus dem Spiel lassen, wenn man, vom Pz. her, diesen Teil des ‚Textes im Text‘ als mise en abyme von deren eigenem Schicksal ansieht [s. Schmid 1988, 84]. Wichtig wäre also hier, die Differenz festzuhalten: der Leser und möglicherweise der Erzähler des Werkes kann einen solchen Sinnzusammenhang herstellen, der lesenden Figur im Werk muß er verborgen bleiben“ (Brackert 1996, 163). Die unmittelbar danach folgende Clauditte-Geschichte ist deutlich als Gegengeschichte konzipiert (vgl. Dick 1992, 408 ff.), indem hier die durch die Gralsfamilie begründete unauflösliche Verbindung von Minnebewährung, Kampf und Tod durch ein Gegenmodell abgelöst wird, dem jegliche Reminiszenz an die ritterliche Dienst- und Kampfthematik fehlt. Da aber die Florie-Geschichte als Erzählerkommentar verstanden werden kann, ist „die Gegenfigur der beiden kontrastierenden Geschichten für Sigune nicht einsichtig. Es bliebe dann als Sinnangebot für sie nur ein Teil der Clauditte-Geschichte, wobei der Erzähler auch hier im unklaren beläßt, was sie tatsächlich liest“ (Brackert 1996, 165).
152 (La 147) 1– 4 Der Anschluß dieser Str. mit seiner verdoppelten Antonomasie ist wieder ein Beispiel für die Ungeradlinigkeit dieses Textes. War in Str. 151 auf eine Weise von Clauditte die Rede, die alle Information über sie, einschließlich die über ihren Namen, offen ließ, und war mit dem Schluß dieser Strophe (diu stuonden bekantlîch dâ beide) die Erwartung erweckt, in der folgenden Strophe werde diese nun namentlich vorgestellt, so wird dies nur äußerst reduziert erfüllt. Nur ihre Herkunft wird angegeben (si was von Kanadic erboren); sie selbst, die erst in Str. 154,2 mit Namen genannt wird, dient quasi nur als
151/152/153
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Scharnier, um Florie „in raffiniertem syntaktischen Kurzschluß“ (Kiening/Köbele 1998, 253) als Subjekt des Folgenden einzuführen; „die beiden Geschichten werden in komplexer Verkoppelung geboten“ (Kiening/Köbele 1998, 253): statt des gewöhnlichen Flôrîen ir swester wird der Zusammenhang gleichsam aufgetrennt, der Name steht damit wie für sich („ir greift dem Gen. des Namens vor“; Martin). In der unglücklichen Liebesgeschichte von Florie und Ilinot, dem Sohn des König Artus, die bereits Pz. 585,29 ff. erzählt ist und hier in den Strophen 152 und 153 aufgenommen wird, ist in einigen wesentlichen Zügen das Geschick Sigunes und Schionatulanders antizipiert, wobei nicht zu klären ist, ob diese Geschichte tatsächlich auf dem Brackenseil steht oder ob sie vom Dichter ad hoc berichtend eingefügt wird (vgl. dazu einl. Komm. zu 149–158 u. 152/153). 2–3 Die Totalität der Person bezeichnend (gar swaz si hete 152,3), steht hier in kühner Liebessprache für gap sich ze âmîen die Umschreibung: ir herze, ir gedanc unt ir lîp gap ze âmîen, gleichsam addierend, um aus dieser Aufzählung dann bî ligende minne als einzige und entscheidende Form der Minne ausklammern zu können. 4
schiltlîche vart ] Fahrt mit ritterlichem Schild: „bis er auf ritterliche Fahrt auszog“ (vgl. Komm. zu Str. 22,4). Vgl. schilteclîch Strr. 71,4 u. 134, 2 u. Komm. zu 71,4. kôs in für alle gewinne ] „zog ihn allem vor, was sie sonst hätte gewinnen können“.
153 (La 148) 1
holt ] Präteritale Form des sw.V. holen: eigentl. holete, holte (Elision mit apokopiertem –e aufgrund des Hiates mit dem folgenden ouch? Hiat ist vom Schreiber zumeist allerdings zugelassen). Vgl. Komm. zu 168,2. ouch ] Auf das unscheinbare ouch ist an dieser Stelle besonders zu achten. Da alle wichtigen Elemente des Geschickes, das Schionatulander erleiden wird, hier vorweggenommen sind, ist wohl nicht zu übersehen, daß es sich um eine Präfiguration handelt. Das erklärt dann auch den starken Affekt, der in den nächsten beiden Versen mit dem Tod Ilinots verbunden wird: mit der Klage über die Tjoste, die diesem das Verderben brachte, und mit der Verfluchung des Täters wird hier vorwegnehmend der Tod Schionatulanders mit beklagt. nâch ir minne ] „im Streben nach ihrer Minne“. under helme ] „in Waffen“ (vgl. Lexer I 1240, und im Tit. Strr. 50,4; 106,2 u. 132,4; vgl. Komm. zu Str. 22,4 u. 50,4).
3
tiost bringen versteht Marti als: „mit dem Speer anrennen“. dar meint nach Heinzle „wohl ‚zu seinem Körper hin‘, also ‚gegen ihn‘“. Da ûf sînen tôt mit tioste zu verbinden wäre (die auf seinen Tod zielende Tjoste), wäre dar eine deutliche Verdoppelung und Verstärkung, da die Beziehung auf Ilinot schon durch das sînen ausgedrückt ist. Eine andere Möglichkeit wäre, brâhte etwa im Sinne von „lenkte“ zu verstehen: „(die Hand), die die Tjoste zu seinem Körper hin auf seinen Tod lenkte.“
4
an der selben tiost ] Genitiv der Ursache: „infolge dieser Tjoste“.
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Stellenkommentar doch ] Zu konzessivem doch („obschon“) vgl. Mhd.Gramm. § 445. Wie weit hier die Form aus archaisierenden Gründen gewählt ist, ist schwer zu entscheiden. Sicherlich ist doch gegenüber dem stark aufkommenden swie zu Beginn des 13. Jahrhunderts bereits die allmählich veralternde Einleitungskonjunktion. Gegenüber dem oft nur mittelbar formulierten Zusammenhang zwischen dem männlichen Ritterkampf und den daraus für die Frau resultierenden Leiderfahrungen wird bei Wolfram, und besonders deutlich an dieser Stelle, eine eindeutige und unmißverständliche direkte Beziehung formuliert. Vgl. dazu auch Brackert 1989.
154 (La 149) 1– 4 In dieser Strophe wendet sich die Erzählung der Frau zu, die der eigentliche Anlaß war für die Erwähnung der Florie, der jüngeren Schwester Clauditte. Von ihr, deren Name an dieser Stelle zum ersten Mal erscheint, sowie dem Fürsten Ehcunat, der erst in Str. 156 zum ersten Mal namentlich genannt wird, handelt das Folgende; doch wieder werden, wie so oft in diesem Text, die entscheidenden Zusammenhänge erst nach und nach sichtbar. So geht es in Str. 154 zunächst allein um das lop der Clauditte. 1
erbet ] Präteritum zum sw.V. erben (eigentl. erbete; vgl. 153,1 holte; vgl. Komm. zu 168,2).
2
kiusche ] Das zu güete gestellte ir ist auch auf das vorangestellte kiusche zu beziehen.
3
der si bekande ] ist Umschreibung für das eigentlich in der topischen Zwillingsformel erscheinende des kunden und korrespondiert mit dem einleitenden des vrömden, wobei zugleich das Pronomen des, das im Neuhochdeutschen unerläßlich ist („und auch das lop dessen, der sie kannte“), erspart ist.
4
Die Wiederholung desselben Wortes (lop) in aufeinanderfolgenden Versen war der Grund dafür, daß alle Herausgeber (außer Leitzmann) hier prîs (nach dem JT) einsetzten. Eine unnötige Konjektur, da auch an anderen Stellen unverdächtigte Wörter im selben Kontext wiederholt werden und nur zu deutlich der JT hier der Anlaß zur Konjektur war. Vgl. die ähnlichen Wendungen in Str. 34,3 u. 35,3.
155 (La 150) 1
Dieser Vers macht deutlich, daß die Geschichte der Clauditte schon auf dem Seil, also nicht mehr auf dem Halsband, zu lesen war. Sie macht indessen nicht klar, wie sie da stand. Das Folgende wie das Vorhergehende scheinen der Form nach eher der Darstellungsweise des Berichtes zu entsprechen, den der Erzähler gibt.
2
gerten mit urteile gehört zusammen: denn erst durch das richterliche Urteil wird das Begehren rechtskräftig (vgl. auch Martin)
3
hof ] Hier eindeutig (wie auch Pz. 347,25 und bes. 824,22) im Sinne von „Gerichtsversammlung der Fürsten“. Beuframunde ] „Schloß Beauffremont liegt südlich von Neufchateau (Dep. Vosges) nahe der Maas“ (Martin; ausf. Passage 1984, 166).
153/154/155/156 4
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man erteilte ir wale an der stunde ] Auf der Fürstenversammlung wird ihr durch Rechtsbeschluß auferlegt, sogleich einen Gemahl zu wählen (erteilen ist Rechtsterminus, vgl. DRWb III, 294 ff.= „durch Rechtsspruch auferlegen“). Der Akzent ist daher nicht nur auf die freie Wahl (so Marti: „durch den Beschluß der Fürsten wurde ihr die Wahl des Gemahls überlassen“) zu legen, sondern auf die – also auch zeitliche – Auflagepflicht, sich sogleich zu entscheiden (so schon Martin, bei dem allerdings das Zeitmoment nicht beachtet ist, und vor allem Heinzle).
156 (La 151) 1
Ehkunat ] Die Konjekturen des Namens: Ehkunahten (BMa La) und Ehkunaten (Lei), die beide wohl aus metrischen Gründen vorgenommen wurden, scheinen unnötig: 1. Für eine Zäsurbildung, die den Namen zerteilt (gerade auch um vier gleichmäßige Hebungen zu erzielen), bietet der Tit. genügend Beispiele (s. „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5). 2. Eine Absolutstellung des Namens, gerade auch wenn das Demonstrativum wie im Folgevers den Kasus genau anzeigt, ist im Mhd. immer möglich. 3. Die Schreibung Ehkunaht kommt, wie der Pz. zeigt, neben der von Ehkunat/Ehcunat vor (beide einmal auch im Reim, allerdings beide nicht im Akkusativ). 4. Als vergleichbaren Fall könnte man den Namen Gahmuret heranziehen. Es gibt zwei Fälle im Pz. (6,26 und 85,10), wo der Name (ohne Kasusendung) im Akk. erscheint oder absolut steht mit Titel vorher. Der Name Ehkunat/Ehcunat selbst ist aus dem Pz. und dem Tit. bereits bekannt, doch erscheint er dort (Str. 42,1–2) als Pfalzgraf von Berbester, dürfte also mit dem hier genannten nicht identisch sein. Im Pz. steht der Name mehrfach ohne Standes- und ohne Herkunftsbezeichnung. Einmal nur wird er als grâve betitelt (Pz. 503,16) de Salfâsch Flôrîen ] Es gibt im Afrz. kein Abstraktum la sauvage (= „die Wildnis“); daher heißt der Name de Salvâsch flôrîen hier sicher „von der wilden Blume“, was die einzige Überlieferung G in Wolframs Übersetzung des Namens (Str. 157,4 von Bluome diu wilde) zu bestätigen scheint (der JT verändert den Vers zu De Silvat Ekunaten, | der tugent ein floriere). Aber dann entsteht das Problem, weshalb der Text in 158,1 fortfährt: sît er von der wilde hiez, gegen der wilde si sante im disen wiltlîchen brief? Das könnte darauf hindeuten, daß Wolfram hier etwas mißverstanden hat oder bewußt eine falsche Übersetzung vornahm, wie man angenommen hat. Es ließe sich aber auch erwägen, daß Wolfram in 157,4 ganz richtig übersetzt und dann in seiner kühnen Manier aus den zwei Namen de Salfâsch Flôrîen und von Bluome diu wilde sein Wortspiel entwickelt, indem er an das gerade übersetzte diu wilde (= „die wilde“) nun in 158,1 in spielerischer Umdeutung von diu wilde (= „die Wildnis“) seine Assoziation anküpft. Das wäre dann ein wichtiger Grund, in 157,4 bei der überlieferten Lesung zu bleiben und nicht wie Marti und Leitzmann zu konjizieren (zur Konjekturalkritik des übersetzten Namens s. Komm. zu 157,4). Der Beiname eröffnet auch Assoziationen an Munsalvâtsche und Fontâne la Salvâtsche (Pz. 452,13; 456,2; vgl. Martin) und verfremdet damit auch den Gralsbereich im Kontext dessen, was hier diu wilde genannt wird. Das Beiwort Florie spielt nicht etwa auf den Namen seiner Geliebten an, sondern entspricht irritierenderweise dem von deren Schwester Florie. Ob hier ein das Inzest-Tabu berührender Witz beabsichtigt ist, ist wohl nicht zu entscheiden – Blüten und Blumen gehören zum topischen Reservoir des Schönheitspreises wie auch der Namensbildungen.
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truoc si in ir herzen ] Vgl. dazu den Kommentar zu 50,4 u. 102,2.
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Stellenkommentar kôs si in … ze âmîen ] Martin, Leitzmann und Marti konjizieren kôs er si, „da das französiche ami(s) im Deutschen i.a. unter Beibehaltung des flexivischen s übernommen wird, die vorliegende Form also zu amie = ‚Geliebte‘ zu gehören scheint […]. Die Konjektur ist aber unnötig: die maskuline Form ist – die Zuverlässigkeit der Hahnschen Ausgabe vorausgesetzt – ohne s […] belegt“ (Heinzle). Ob kôs jedoch mit den Kommentatoren als Plusquamperfekt und âmî als „Geliebter“ und nicht, was auch möglich ist, als „Gemahl“ aufzufassen ist, scheint in einem Text, der keine logische Stringenz anstrebt, sondern vielfach vorausgreift auf noch nicht Bekanntes, zum mindesten die Frage. Beides könnte sich durchaus auf die später erzählte Wahl des Gatten (Str. 152) beziehen, worauf auch das Gegeneinander von dâ vor und ouch und zumal das benamen hindeuten könnte.
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Martin kommentiert den Vers: „darum stand sein Herz (an Wert) höher als ihre Krone“. Ähnlich Marti: „Wenn Clauditte, die eine Königin war, Ehkunat, der als Herzog keine Krone, sondern nur einen Reif trug, liebte, so stand sein Herz höher im Preis als ihre Krone.“ Heinzle macht, ohne es genau auf die Stelle zu beziehen, auf das Wortspiel von hôhe stân = „sich in gehobener Stimmung befinden“ und hôhe stân = „eine gehobene Stellung einnehmen, einen hohen Wert haben“ aufmerksam. Aber dieses Wortspiel läßt die Stelle auch doppeldeutig erscheinen: „deshalb schätzte sie sein Herz (= ihn, der nur einen Reif trug) höher als ihre Krone“; sie könnte aber auch (oder zugleich auch) in Anspielung auf MF 4,17 f. (Kaiser Heinrich) meinen: „deshalb fühlte er sich in seiner Stimmung über ihre königliche Stellung erhoben“.
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gerete aller fürsten zil ] „strebte nach dem Ziel aller Fürsten, nach dem Fürstenideal im allgemeinen“ (Marti), wobei zil, abhängig von gerete, sowohl als Gen. wie als Akk. der Sache aufgefaßt werden könnte. Daß sein Fürstenideal hier im Sinne der Inschrift auf der Hundeleine (Str. 149,3) verstanden wird, verbindet ihn wiederum mit Clauditte, die ouch selbe wîplîcher verte hüeten wolte (158,4), wobei interessant ist, daß bei ihm als Mann der Konnex zum Fürstenideal gewählt ist, bei ihr jedoch ihre Weiblichkeit.
157 (La 152) 1
tugent und reht sind Nominative, bezogen auf das im Sg. stehende twanc; si ist Akk. Obj. U. E. bietet die Hs. G tugent; Heinzle liest mit einiger Unsicherheit iugent. Während allerdings die iugent hier im ganzen Kontext keine Rolle spielt, schließt die Lesung tugent sehr gut an die vorhergehende Strophe an, in der es um die fürstliche tugent Ehcunats geht. Anders im JT, wo aber in allen Fassungen das Motiv der Jugendlichkeit mit dem Tugendbegriff (jugent und edel art JTI, junge edel art JT X) verbunden ist, so daß Heinzles (1989, 497) entschiedenes Urteil: „der ‚Jüngere Titurel‘ (ed. Wolf, Str. 1199) spricht für iugent“ zu relativieren ist. Stärkere Argumente sprechen für die Lesung tugent (die auch Schirok [1974, 368] favorisiert), zumal die tugent-Verpflichtung der beiden Liebenden ausdrücklich im Text markiert wird durch den Appell zur Befolgung der lêre: hüete der verte! Durch das Verb twingen, das in diesem Text vielfach im Zusammenhang mit dem Bereich des Liebeskrieges, dem twingen der Minne gebraucht ist (vgl. bes. Komm. zu 68,3), und das hier in irritierender Spannung zu der betont freien Liebeswahl steht, scheint das Prekäre dieser Wahl, die Partnerwahl unter Stand (vgl. Komm. zu 13–24), bezeichnet.
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daz reht von ir rîche ] läßt sich mit Heinzle doppeldeutig verstehen: „die rechtliche Entscheidung ihrer Reichsversammlung“ (so auch Bartsch 1870, Piper, Martin) oder „das in ihrem Reich geltende Recht“. Da jedoch die folgende Zeile gerade die rechtliche Entscheidung der Fürstenversammlung thematisiert (daz ir wart erteilet diu wal), ist die erstere Lösung vorzuziehen, zumal die Belege aus dem Pz. (157,14 f. u. 185,11 f.), die das Bedenken Heinzles gegen diese Entscheidung wecken, durchaus auch im Sinne von „Reichsversammlung“ (und nicht nur im Sinne von „der Kaiser“) verstanden werden können. 2
Der Vers nimmt Str. 155,4 wieder auf; im Vers selbst verweist die Form welt (das sw.V. welen als Ableitung von wal) deutlich auf diu wal zurück (vgl. dazu Springer 1975, 240 f.; vgl. auch 110,4 u. Komm. dort). welt ist die wohl aufgrund des vermiedenen Hiats mit ouch apokopierte Form des Präteritums welte oder aber atemporales Präsens (vgl. auch Komm. zu 168,2). Ist die Homophonie bzw. auch Homographie mit dem folgenden welt ir … (V. 3) beabsichtigt?
4
Ehcunaver ] Gegenüber Martin und Marti („es ist kein Grund einzusehen, warum Ehkunat deutsch Ehcunaver heißen soll“; Marti) verweist Heinzle zu recht auf die „Vertretung von lat. at durch ahd. avur“ und das umfangreiche Material im Ahd.Wb. 734 ff. Bluome diu wilde ] Lachmann notiert dazu in den Lesarten mit Fragezeichen: „von bluomder wilde?“ und arbeitet damit sowohl den Konjekturen von Martin (bluomder = bluomender, also Dat. Sg. des Part. Präs. vom sw.V. bluomen „Blüten treiben“; ähnlich Leitzmann 1906) und Marti (bluomediuwilde = bluomendiuwilde; Übers. Kühn: „Blumen-Wildnis“) vor. Alle diese Vorschläge gehen davon aus, daß Wolfram hier das sauvage des Namens „irrtümlich als Abstraktum aufgefaßt“ (Marti) habe (vgl. Komm. zu 156,1). alsus hôrte ich in nennen ] Gegen Ende des zweiten Fragments, also im letzten Achtel des gesamten überlieferten Corpus, erscheint die erste und einzige Quellenberufung des Werkes und noch dazu nicht, wie es sinnvoll und aufschlußreich gewesen wäre, bei der ersten originalen Nennung des Herzogs Ehcunat (Str. 156, 1), sondern bei der Übersetzung, die ja nicht den Namen der Quelle, sondern den Namen des Erzählers bietet, für den also die Quellenberufung (hôrte ich in nennen) eigentlich nicht zutrifft. Das scheint nachhaltig die Vermutung zu bestärken, daß, so wie der manieriert übersetzte Name, das gesamte Werk vom Erzähler erfunden worden ist, daß der Tit. mithin das erste höfische Epos ohne eine literarische Vorlage ist (anders Braunagel 1999, 31 f.).
158 (La 153) 1–2 Die Strophe, die nach Kiening/Köbele (1998, 254) „eine Schlüsselrolle“ für das Verständnis des zweiten Fragments besitzt, spielt in den ersten beiden Versen mit den zusammengehörigen Wörtern wilde/wiltlîchen, mit deren verwirrender „Polysemie“ (vgl. Schmid 1988, 86 f.) und in den zwei letzten Versen mit dem Appell des Hundenamens hüete der verte, der in je eigener Weise auf den Hund und auf Clauditte angewendet wird. Dabei ist die Anknüpfung der Strophe durch das sît, das hier entweder modale oder kausale Bedeutung hat, ungemein willkürlich. Zum einen zeigte sich im vorhergehenden Textzusammenhang, daß Ehcunat gar nicht von der wilde im hier gemeinten Sinn heißt, zum andern begründete dies, wenn es wirklich so wäre, noch keinen sinn-
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Stellenkommentar vollen Zusammenhang zwischen Namensträger und Briefübersendung gegen der wilde. Das hat vor allem Wyss (1974, 283 f.) herausgearbeitet. Nun scheint sich jedoch an V. 2 das oben bereits Gesagte (vgl. Komm. zu 156,1) zu bestätigen: Denn es handelt sich nicht um die „pure Identität des Lexems, die den Sinn stiftet“ (Wyss 1974, 284), es werden vielmehr ständig Umdeutungen vorgenommen (dazu bes. Schmid 1988, 86 f.): wiltlîchen (V. 2) steht zunächst im Kontext des Wortspiels, muß also von daher auf diu wilde bezogen werden; der unmittelbar daraufhin genannte bracke zeigt jedoch, daß der Sinn von wiltlîchen umspringt, indem es jetzt auch vom wilt, vom verfolgten Tier her eine neue Bedeutung erhält. Daher scheint es unerläßlich, davon auszugehen, daß der bracke und der brief nicht nur asyndetisch gleichgeordnet sind (vgl. Heinzle), sondern den bracken als Apposition zu disen wiltlîchen brief aufgefaßt werden muß. „Der Bracke ist selber nicht nur ein Getier, sondern zugleich ein Brief“ (Wyss 1974, 282). So wechseln Identität und Verschiedenheit in dieser Strophe hin und her. Der Sinn wird hier „nicht auf dem Wege der allegorischen Deutung festgelegt, sondern über die Polysemie des Wortes wilde geradezu verwirrt“ (Schmid 1978, 87). Verwirrend ist nach Christoph (1999, 224) auch das Spiel, das Wolfram mit der Vielheit von Adressaten und Lesern treibt: Clauditte hat den Brief an ihren Geliebten Ehcunat geschickt. Tatsächlich liest ihn Sigune. Und tatsächlich lesen ihn die Leser des „Titurel“, die die Bedeutung der auf dem Brackenseil angedeuteten Geschichte ermessen können; schließlich lesen auch die Leser des „Parzival“ den Brief, die die Beziehungen zwischen Sigune, Schionatulander und dem Brackenseil-Text unter der Perspektive des Ergebnisses sehen können, das diese Geschichte zeitigt. Nach Christoph benutzt Wolfram die Themen und Charaktere des „Titurel“, um wechselseitig Licht in die Lektüre von Tit. und Pz. zu bringen. Christoph spricht in diesem Zusammenhang von einem „range of inter- and intratextuality“ (vgl. dazu auch einl. Komm. zu diesem Abschnitt und zu 136,4).
2–3 Auf den Hund, der zugleich ein wiltlîcher brief ist, wird nun, rein durch die sprachliche Assoziation phlac der verte, der eigentlich aus der höfischen Welt stammende und für sie geltende Appell angewendet, nur daß der Hund diesen Appell eben wiltlîche, d. h. wie er es von arte, von Natur aus tun muß, auslebt und somit Naturbereich und Kulturbereich in ein seltsames Verhältnis zueinander treten. Kiening/Köbele (1998, 256 f.) sind der Ansicht, daß der Hund „– gerade indem er sich zweimal losreißt und auf der Spur des Wildes bleibt – das in der Schrift geforderte Achten auf den rechten Weg einlöst“. Anders Brackert (1996, 167) und Schmid (1988, 87), die besonders auf die bedrohliche Natur des Tieres verweisen, das nicht dem Fürsten gehorcht, sondern seiner Natur folgt, die ihm befiehlt zu jagen. D. h. „die von Clauditte durch die allegorische Auslegung gesetzte Bedeutung des Bracken wird durch den von der Erzählung produzierten Sinn dementiert“ (Schmid 1988, 87). Nach Wyss (1974, 281) ruiniert der Hund „die Positivität seiner eigenen Lehre gründlicher als der Wortlaut der Inschrift es zu tun vermochte. Denn indem Gardeviaz seine Fährte hütet, beschwört er nur Unheil herauf.“ Nach Kiening/Köbele (…) 1998, 256 (…) fehlen dem Bracken „klare Allegoriesignale“, die „Handlungswelt […] [wird nicht] für eine andere Bedeutungsebene transparent, vielmehr die Beziehung von Handlung und Bedeutung zur Frage“. Diese Problematisierung des Bracken findet in der Differenz zwischen dem gegenständlichen Objekt Hund, seinem Zeichencharakter und der Bedeutung des Hundes seinen Ausdruck. Der Bracke ist Zeichen für etwas anderes und er ist dieses andere zugleich selbst, und darüber hinaus ist er noch Träger und Bote weiterer Zeichen (vgl. Komm. zu 143,1– 4). Anders Braunagel (1999, 48 f.), der an einer allegorischen Deutung festhält.
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Der vierte Vers wird scheinbar harmlos angeschlossen, als stünde die Achtsamkeit der Clauditte auf wiplîche verte mit diesem Hundeverhalten auf einer Stufe (ouch iach … daz si selbe …). Durch das Spiel mit denselben oder ähnlichen Wendungen wird so die ganze Strophe in eine gleitende Bewegung gebracht, nichts bleibt fest, Bedeutungen lösen einander ab, gehen ineinander auf, wenden sich und zeigen sich in anderer Beleuchtung, um auch diese bald wieder aufzugeben.
159–168 (La 154–163): Der Verlust des Bracken Die Handlung des zweiten Fragments gliedert sich in drei „Bewegungssequenzen“: „die beiden spiegelbildlich angelegten des Jagens und die von diesen eingeschlossene des Lesens“ (Kiening/Köbele 1998, 251). Die Schilderung des erneuten Versuchs, den wiederum entlaufenen Bracken einzufangen, weist zahlreiche Beziehungen und Parallelen zum Beginn des Fragments auf. Das Erzählen ist abermals gerade in der Beschreibung der im Kern einfachen, bewegungsreichen Handlung ein diskontinuierliches: Es springt hin und her zwischen den Orten des Geschehens – von Schionatulander beim Angeln zu Sigune im Zelt, zu den Dienerinnen vor das Zelt, zu Ehcunat, zum Hund in den Wald, wieder zu Schionatulander im Bach, wieder in den Wald und wieder zu Sigune in das Zelt –, es springt auch hin und her zwischen den Zeiten des Geschehens: Das gleichzeitige Handeln der beiden Protagonisten und des Hundes wird permanent unterbrochen durch Verweis auf vorausliegendes Geschehen (was Ehcunat am Morgen widerfahren war, was die Dienerinnen gerade zuvor getan hatten) und mehrfachen, vielgestaltigen Verweis auf zukünftige Ereignisse (159,2–3; 160,2; 163,4; 164,4; 168,2–4). Die Beschreibung konfrontiert dichte, geradezu naturalistisch anmutende Detailgenauigkeit der Einzelszenen mit der Kontingenz des Gesamtgeschehens (vgl. etwa das Motiv der nackten Beine; Komm. zu 164,1–3), sie konfrontiert konkreteste Anschaulichkeit mit höchster Abstraktion (vgl. etwa Komm. zu 159,2 u. 168,4). Wie schon zuvor, schlägt sich dies auch hier in eigentümlichem Vokabular (165,3–4; 167,1–3; 168,2), eigenwilligen Wortbildungen (164,3; 167,3; 168,2) und kaum verständlichen, oft artifiziell wirkenden grammatischen Konstruktionen (160,3; 160,4; 166,3; 167,1–3) nieder. Die dichte Beschreibung und Visualisierung (S.M. Johnson 1989, 513 f.) wird als Imagination von Realität und konsistenter, personengeführter Handlung prekär und als problematische erkennbar vom Erzähler inszeniert: „Der Naturalismus besteht nicht in der Vorspiegelung einer in sich kohärenten dinghaften Wirklichkeit, sondern in der Verweigerung einer derartigen Fiktion“ (Wyss 1974, 180). Dieses Erzählen verunsichert den Zusammenhang von Handeln und seinen Folgen, Geschehen und Erzählzukunft, von Requisiten und ihrem Zeichencharakter, nicht ohne durch ein dichtes Netz sprachlicher Verweise (Seil und Waffe; verletzte Hände und Füße; Schionatulander als Jäger und ver-
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Stellenkommentar
letztes Jagdwild) und eingewobener Kommentare Strukturen und Zusammenhänge zu stiften, deren Reichweite und Bedeutung allerdings ebenso unscharf bleiben. Der Erzähler inszeniert sich als episch-unpersonal-vorausdeutender Epiker und personales, beurteilendes Ich in irritierendem Zugleich und in mannigfaltigen Varianten (vgl. Komm. zu 159,3), so daß es scheint, als sei vollends hier „der Erzähler als einheitliche Rolle […] vom Autor bewußt aufgegeben“ (Mertens 1996, 375). 159 (La 154) 1–3 Die detaillierteste Genauigkeit, die sogar den Typus des Angelgrätes (Angel mit Köder aus Vogelfedern) und die Sorten der Fische (obgleich formelhafte Zusammenstellung; vgl. Heinzle u. Frühnhd.Wb. II 228 f.) benennt, steht in scharfem Kontrast zu der Reichweite, Abstraktion und Unschärfe der – durch Zeugma mit der Detailbeschreibung dicht verbundenen – Vorausdeutung. 2
aschen ] Zum sw. Mask. oder sw. Fem. asche (ahd. sw. Mask. asco) ist äsche nur als alem. Nebenform (Mhd.Gramm § 160,1) belegt (noch Frühnhd. zumeist asch; Frühnhd.Wb. II, 228 f.). Für einen dazwischentretenden Nasal (anschen G) ist kein Beleg zu finden, daher behandeln wir dies als Fehler. vorhenne ] ist meist als sw. Fem., aber auch wie hier stark dekliniert belegt (ahd. st. Fem. for(a)hana neben forna, forha; mhd. häufiger: forhen, forhe, förhen, före u. ä. Ahd.Wb. II 1153; Mhd. Gramm. § 126 A. 2; Lexer III 469; DWb III 1896). Die Kurzform vörhen bzw. vorhen (so auch im JT) ist von Lachmann wohl bevorzugt worden, weil sie im Ggs. zum metrisch schwierigen vórhènne eine einfache klingende Kadenz erlaubt. Die späteren Hgg. sind ihm darin gefolgt, auch wenn sie keine Zäsur setzten. Erst hier erfährt der Hörer/Leser, daß sich Schionatulander anscheinend in keiner Weise für die schon auf den ersten Blick als wundersam beschriebene Leine interessiert und Sigune verlassen hatte, nachdem er ihr – wunderlich genug (s. Komm. zu 144,1) – den Bracken umstandslos gebracht hatte (ähnlich Classen 1990, 108). So ist auffällig, daß seine Tätigkeit, das Angeln (durchaus eine standesgemäße Beschäftigung! Vgl. R.C. Hoffmann: Fishing for Sport in Medieval Europe. In: Speculum 60/1985, 877–902; ebenso Gibbs/Johnson 1988, 67; anders Hauer 1992, 71 Anm. 48), mit seinem künftigen Unglück in der Tat nichts zu tun hat (Wyss 1974, 281). Vielmehr gibt diese kontingente Beziehung von Tätigkeit und den ferneren Folgen dieser für sich genommen völlig bedeutungslosen Tätigkeit dem Erzähler Gelegenheit zu einer höchst irritierenden Vorausdeutung. Was Schionatulander da fängt, ist noch rätselhafter formuliert als in der parallelen Str. 143 (s. Komm. dort): Dort ergreift er den Hund und mit ihm arbeit und kumber. Hier fängt Schionatulander zwar wiederum Tiere – wiederum wird die Jagd in snelheit vergeblich bleiben; wiederum ist es weniger ein Jagen als vielmehr ein Fangen aus dem Stand –, aber eben sonst mangel. War schon in Str. 143 der metaphorische Charakter des Erzählten bis an die Grenzen der Verstehbarkeit ausgenutzt worden durch die Gleichsetzung von Ereignissen mit ihren weiteren Folgen, von konkreten Objekten mit ihrer insinuierten Bedeutung für die Erzählung und für die Personen, so wird mit diesem – fraglos auch einen humoristischen Effekt erzeugenden (Rogozinski 1903, 21) – Zeugma die Beziehung nochmals verkompliziert, indem das bedeutungstragende
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Objekt negativ, als absentes Objekt benannt wird: Schionatulander fängt hier nicht kumber oder arbeit, sondern mangel, Verlust. Und wenn er mangel fängt, so fängt er, beim Wort genommen, eben nichts. Somit sind auf paradigmatischer Ebene fröude und der Bracke gleichgesetzt, da sie beide Objekte des Nicht-Fangens sind. Folgt nun in Str. 143 das Unglück daraus, daß er den Bracken fängt, so folgt es hier daraus, daß er den Bracken nicht fängt. Das Irritierende solcher Erzählerlenkung ist, daß nicht klar ist, welche Reichweiten die Vorausdeutungen haben, auf welche mögliche Zukunft sich die Zeichen und ihre angesonnenen Bedeutungen beziehen. Dies desavouiert den traditionell scheinenden Stil dieser Vorausdeutungen und macht sie für die Narration geradezu dysfunktional: In ihrer rätselhaften Form bildet sich ab, daß die Zusammenhänge von Geschehen, Ursachen für das Geschehen, Folgen des Geschehens brüchig, kontingent und vieldeutig werden. 3
vil selten ist Litotes, hier i.S.v. „nie mehr“. Mertens (1996, 375) sieht in der hier und in den folgenden Strr. zu beobachtenden „Häufung und Verbreiterung der Voraussagen des tödlichen Ausgangs“ ein heldenepisches Stilmittel, das dem im Zusammenhang mit der Brackenseil-Inschrift eröffneten „buchepischen Autoritäten-Spiel“ kontrastiere. Zu bedenken ist, daß diese Vorausdeutungen mit z. T. erheblicher narrativer Dysfunktionalität einhergehen und daß diese differierenden Erzählerdiskurse nicht abschnittsweise gegeneinander treten, sondern unpersonale Vorausdeutungen (so 159,2–3; 163,4; 164,4; 168,2–4) Str. für Str. mit urteilenden Ich-Apostrophierungen des Erzählers (160,2; 161,2–3) abwechseln.
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durch … ze lesene ] „um … zu lesen“. Seltene Konstruktion einer infinitivischen Doppelmarkierung, ergänzt um das Akk.Obj. die schrift. Ein „kurzlebiger Vorläufer des um zu-Infinitivs“, zuweilen bevorzugt, da die finale Funktion deutlicher zu markieren ist (K. Keinästö: Studien zu Infintivkonstruktionen im mhd. Prosa-Lancelot, Frankfurt u. a. 1986, 64; Ähnliches Mhd.Gramm. § 335). Vgl. Pz. 435,10–11: der junge degen unervorht / reit durch âventiur ze versuochen (ed. Leitzmann; Lachmann emendiert ze gegen die Hss.; weitere Belegstellen bei Keinästö 61–65). Sigune an dieser Stelle wegen des Losbinden des Seiles Leichtfertigkeit und „grenzenlose Neugier“ zu unterstellen (Hauer 1992, 72), wird vom Text allemal in diesen Versen nicht gedeckt (vgl. Komm. zu 161, 2).
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zeltstange ] Ob an eine tragende Mittelstütze zu denken ist (Heinzle) oder an unspezifizierte Teile eines Zeltgestänges, ist nicht zu entscheiden. stange ist stark und schwach dekliniert gebräuchlich; stark dekliniert könnte hier die zeltstange Akk. Sg. oder Akk. Pl. sein. Folgt man der regelhaften Metrik Heuslerscher Prägung, so ist dieser Vers das wohl eindeutigste Beispiel des Textes für eine sog. „dreisilbige Versschleppe“ in der Binnenkadenz. Die Zäsur ist nicht an anderer Stelle denkbar, so daß innerhalb dieses metrischen Systems zéltstàngè zu lesen ist (vgl. Stutz 1989, 464). Die räumliche Situation der Szenerie wird erst hier und in den folgenden Strr. in entscheidenden Punkten verdeutlicht: Sigune und Schionatulander lagern mit einem Zelt, der Bracke ist im Inneren eines Zeltes angebunden.
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Stellenkommentar wære sis erwunden ] erwinden mit Gen. (sis = si des) und Hilfsverb sîn „mit etwas aufhören, von etwas ablassen“. Der Erzähler inszeniert sich hier zunächst in engster Teilnahme, indem er mit seinen Personen leidet und für diese leidet, wie ähnlich in Str. 137,4 (des bin ich … clagende; s. Komm. dort) und anschließend in Str. 161,2 (ich klage). Wenn er allerdings noch im selben Vers „alternatives Tun seiner Helden“ erwägt (Wyss 1974, 251) und sich damit in Distanz zu Handlung und Personen begibt, markiert er das Geschehen als Kontingentes und Inszeniertes. In 141,2–3 war diese Erwägung von Handlungsalternativen noch abgeschwächter als wünschenswerte Option auf die Erzählzukunft formuliert worden (daz si nimmer hunt mêre gesende …; s. Komm. dort). Classen sieht in dem Knoten in der Leine („ – im Text – “), unterstrichen durch das beklagte Auflösen desselben, die Symbolisierung des narrativen Zusammenhangs bzw. weitergehende Textmetaphern bezüglich Textsinn und seiner Entfaltung (1990, 22 u. 46 u. 109). Allegoriesignale fehlen allerdings an dieser Stelle gänzlich; überhaupt ist zu beobachten, daß der Text derlei konkrete Allegorisierungen und unmittelbare Symbolisierungen einer sicherlich mitverhandelten metatextuellen Sinndimension geradezu verweigert.
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stracte sich mit strebene ] streben hier wohl in der allgemeinsten Bedeutung „sich heftig regen, bewegen“ (Lexer III 1227; Marti), also etwa „streckte sich, indem er sich heftig bewegte“. Zur Gerundiums-Form mit geschwächter Endung /n/ statt /nn/ vgl. Mhd. Gramm. § 240 A.9 (vgl. lesene 159,4; gebene Str. 160,4).
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im ] Dativ-Pronomen für Gardeviaz, zu ze ezzen. Erst hier wird – wie ähnlich in Vers 1 mit der räumlichen Inszenierung geschehen – die personelle Situierung der Szene deutlich, und dies in höchst indirekter Form: Sigunes Weisung verrät, daß es Adressaten für diese geben muß, daß also noch weitere Figuren die Szene bevölkern als die, von denen bisher die Rede war, die Helden und der Hund.
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sprungen ] Es mag durch das in diesem Zusammenhang ungewöhnliche springen bloße Diensteifrigkeit der Dienerinnen bezeichnet sein, vielleicht jedoch auch eine Parallele zur bewegten Aktion des Hundes: Die Edelfräulein sprungen vor das Zelt, um dem Bracken Futter zu schaffen, der Bracke spranc vor das Zelt (V. 4), um sich selbst Beute zu erjagen. Die Bennung der Befehlsempfänger von 160,4 als zwei Dienerinnen bedeutet einerseits eine Konkretisierung, andererseits ist in der Formulierung durch nichts nahegelegt, daß diese beiden das gesamte anwesende Gefolge darstellen. „Das Verfahren der nachträglichen Situierung […] dient nurmehr der Einführung von ‚Requisiten‘“ (Kiening/ Köbele 1998, 251), denen auch die Dienerinnen als verfügbare Statistinnen zuzurechnen sind. für die snüere ] also vor das Zelt, d. h. sie verließen das Zelt. Mit snüeren, die an phælen (163,1; eingeschlagene Holzpflöcke) befestigt sind, werden die winden (162,4 u. 163,1), die aus Tuch bestehenden Seitenwände eines Zeltes, befestigt und verspannt.
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ich klage … ] vgl. Komm. zu 160,2 und 137,4. blanc linde hende ] Die Formulierung, die auf das höfische Schönheitsideal im Moment seiner Zerstörung hinweist (vgl. 167,1–4), findet ein Pendant in der Beschreibung von Schionatulanders blôzen blanken beinen (164,2) bzw. seinen blôzen bein ganz (166,1; s. Komm. dort) und Herzeloydes hemde blanc sîdîn (85,2–3), ebenfalls mit unflektiertem Adjektiv.
2–3 op daz seil … ] Das gemäß der Form des Satzes (zerfüere = Konj. Präs.) eigentlich konditionale op ist im Sinne von daz zu verstehen (zur Übertragung der Aussageform Mhd. Gramm. § 460; vgl. Strr. 3 u. 4). Der Nebensatz kann zu dem vorangehenden ich klage … gestellt werden (wie hier und von Heinzle) oder zum folgenden waz mac ich des (Punkt oder Doppelpunkt nach hende und Komma nach zerfüere; so alle Hgg.). Eine Differenz der Aussage ergibt sich nicht, allenfalls eine rhetorische Nuancierung, indem durch Abtrennung der eigentümliche rhetorische Seufzer des Erzählers stärker akzentuiert wird. 3
Nachdem der Erzähler in der vorhergehenden Str. alternatives Tun seiner Helden erwogen hatte, scheint es jetzt, als erwäge er in Reaktionen auf einen impliziten Vorwurf des Publikums alternatives Tun seiner selbst, nur um es sogleich abzuwenden – aber kurioserweise nicht, indem er die Verantwortung für das Geschehen etwa seiner Quelle oder historischer Realität zuweist, sondern indem er sich auf die materielle Beschaffenheit der Leine beruft.
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zucte ] zucken ist Intensivum von ziehen: „schnell u. mit gewalt ziehen“ (Lexer III 1165). huntwildes ] Ein zu vermutendes Kompositum huntwilt ist nur hier belegt und muß etwa bedeuten „Wild, das von Hunden / von einem Hund gejagt wird / werden kann“. Gerade im Hinblick auf die vielerorts in diesem Text zu beobachtende Neigung zu höchst ungewöhnlichen und neuartigen Konstruktionen – andere mhd. Komposita von -wilt sind rein klassifikatorisch (grozwilt, hochwilt, rotwilt) – gibt es keinen Grund, hier einzugreifen (anders etwa Dalby 1965, 306b, der nach JT wuntwildes vorschlägt). Die Varianten des JT scheinen vielmehr auf einen unverstandenen Neologismus, d. h. auf huntwildes als lectio difficilior hindeuten (ähnlich Heinzle).
162 (La 157) 1
alsô ] Die Bestimmung alsô kann sich entweder nur auf das unmittelbar zuvor Berichtete beziehen (spranc durh gâhen …) oder möglicherweise auch auf den ganzen Vorgang des Lesens der Leine, das die Aufmerksamkeit von dem Hund abzieht. Letzteres setzte wohl voraus, daß Ehcunat den Hund nicht auf dem Arm getragen hatte (vgl. Komm. zu 141). Der die Ereignisse des Morgens um Ehcunat vermeintlich präzisierende, unvermittelte Rückverweis innerhalb der bewegten Aktion knüpft, auch in der narrativen Situierung, deutlich an Str. 141 an und parallelisiert, ohne daß sich dies genauer bestimmen ließe, die beiden Fluchten des Bracken: Auf Seiten des Bracken wird die verte, die strâlsnitec mâl fokussiert, auf Seiten der Hundehalter jeweils auffallend die Hände.
3
Sah man die Dienerinnen bei ihrem ersten Auftreten springen wie den Bracken (161,1), so sieht man sie jetzt gâhen, genau wie den Bracken (Gardevîaz … spranc durch gâhen; 161,4).
420 4
Stellenkommentar geslofen ] Zum st.V. sliefen = nhd. „schlüpfen“ (slüpfen ist abgeleitetes sw. Intensivum zu sliefen). Die Schreibung gesloffen mit Doppelkonsonant gegen die Hs. geht auf Lachmann zurück, der wohl durch eindeutige Kennzeichnung einer geschlossenen, positionslangen Paenultima eine klingende Kadenz ermöglichen wollte. Alle Hgg. sind ihm gefolgt, auch wenn sie seine Zäsur nicht übernehmen. winden ] Akk. Sg. oder Pl. zum sw. Fem. winde, meint das Tuch bzw. die Tücher, die Stoffbahnen, aus denen die Zeltwände bestehen (DWb XIV,II 277; Heinzle); vgl. Komm. zu 161,1. man hôrte in dô schiere ] Vgl. die Formulierung dô gehôrten si schiere im ersten Vers des Fragments (137,1). Zum lauten Jagen s. Komm. zu 163,2–3.
163 (La 158) 1
Er ] In der Hs. G sind die – grundsätzlich nicht ausgeführten – Initialen durch kleine Buchstaben von Schreiberhand reklamiert. Oft allerdings ist der erste Buchstabe, den eigentlich die Initiale darstellen sollte, auch in Minuskel am Textbeginn wiederholt. Da nun der Innenrand diese Blattes (fol. 74) stark beschädigt ist und die Reklamanten nicht zu erkennen sind, ist es nicht zu entscheiden, ob hier als Initiale ein D (also Der brach …) hätte stehen sollen oder nicht. Die Hgg. und die Hss. des JT zeigen beide Formen. Die Entscheidung für Er hat eine gewisse Plausibilität, weil eine Verdoppelung durch den ähnlichen Einsatz der vorhergehenden Str. zustandekommt: Er was … – Er brach … (vgl. aber dagegen Str. 155: Der was …). brach halt ûz … ] ûz abverbial zu brechen oder Bestandteil des Kompositums ûzbrechen. der winden ist ein vorangestellter Dativ Sg. oder Gen. Pl. oder Sg. zu der phæle („er hatte dem Zelttuch einen Teil seiner Pflöcke herausgerissen“ oder „… einen Teil der Pflöcke des Zelttuches / der Zelttücher …“). In diesem Sinne auch die Lesarten des JT Er prach halt der winden ein teil uz [und JT A] der pfæle (dazu Mohr 1977, 145, der in der Überlieferung des JT eine schriftsprachliche Verdeutlichung der in der Hs. G nur im Vortrag verstehbaren Syntax sieht). Eine andere, grammatisch ebenso mögliche Syntax (ûz der winden als adverbiale Bestimmung: „er riß aus der Zeltwand einen Teil der Pfähle heraus“) ist problematisch hinsichtlich des Aufbaus eines Zeltes.
2
niwe rôten vart ] = die frische Blutspur, die selbe wie in Strr. 137,2 u. 141,2. Vom st. Fem. vart = „Weg, Reise, Fährte“ ist das sw. Fem. verte (137,2) abgeleitet, welches mhd. durchaus weniger gebräuchlich ist.
2–3 niht hæle, vil offenlîche ] Zur ungewöhnlichen Formulierung hæle nemen verweist Martin auf Pz. 467,20: nimts iuch niht hæl, gern ich vernim / waz ir kumbers unde sünden hât (vgl. auch En. 38,37). Abermals weist der Erzähler eigens und ausführlich darauf hin, daß der Hund laut und hörbar jagt (vgl. 137,2–3 u. Komm. dort). Die in der tautologischen Formulierung an dieser Stelle gipfelnde Dichotomisierung von „heimlich vs. öffentlich“ hinsichtlich Jagd und Minne scheint beide Fragmente zu strukturieren (dazu Hauer 1992, 52 u. 55; vgl. Komm. zu 53,3–4). Classen möchte dies abermals als Textmetapher verstanden wissen: „Zwar ist der Text aus der Ferne deutlich wahrnehmbar […], doch kann er nicht mehr eingeholt, d. h. nicht mehr entschlüsselt werden.“ (1990, 109 f.).
162/163/164/165 4
421
Die einzige der zahlreichen Vorausdeutung, die vorderhand konventionellen Charakter hat und „dem im Nibelungenepos Üblichen“ entspricht (Wyss 1974, 250). Jedoch bleibt mit Schröder (1980, 34) festzuhalten, daß in dieser lakonischen Vorwegnahme der Name des Helden durch den Verweis auf die Abstammung von einem Vater substituiert ist, dessen Schicksal selbst wiederum Vorwegnahme von Schionatulanders Schicksal ist (dezidiert in Str. 132; auch Strr. 41 u. 89; vgl. Komm. dort).
164 (La 159) 1–3 Fast wortgetreue Wiederholung des Beginns von Str. 159. Was hier hinzukommt, ist die anscheinend zunächst bloßer Detailfreudigkeit geradezu naturalistischer Beschreibung geschuldete Präzisierung, wie Schionatulander angelt – mit nackten, hellen Beinen (vgl. Sigunes blanc linde hende 161,2) im Bach stehend – und warum er solchermaßen angelt: durh die küele, wegen der Hitze des Tages. Irritierend dysfunktional für das narrative Kontinuum bleibt dieses Motiv deshalb, weil die nackten Beine und Füße gar nicht als mögliches und zu erwartendes Hindernis bei der Brackenjagd gennant werden (Str. 165), sondern erst nach vergeblicher Jagd als verletzter Körper gemeinsam mit Sigunes verletztem Körper in den Blick kommen (Str. 166): Sie sind weniger Motiv einer dicht imaginierten Realität, als vielmehr Struktursinn heischende, bedeutungsgeladene Zeichen im Repertoire des Erzählers. Die mögliche Parallele zu Gahmurets Tod, auf die Hauer hinweist (1992, 71 f.), der „ebenfalls auf eine ungemäße Jagd ging und sich dabei entblößte“, ebenfalls wegen der Hitze (Pz. 105,14 ff.), zeigt wohl eher die Kontingenz der Bedeutungspotentiale des Motivs als deren Aktualisierung. 3
lûter snellem bache ] lûter ist wohl als unflektiertes Adkjektiv aufzufassen (so Marti, wie es bei Wolfram häufig zu finden ist, gerade auch in diesem Erzählabschnitt (vgl. 161,2; 163,2 u. ö.). Es spricht allerdings auch nichts gegen die Annahme eines Kompositums lûtersnel (so BMZ, Lexer, Martin), weder, daß es nur hier belegt wäre (vgl. die zahlreichen hapax legomena in diesem Text), noch daß einige Hss. des JT zwei flektierte Adjektive aufweisen (vgl. etwa fragliches Kompositum huntwildes 161,4 und Komm. dort). Kiening/Köbele (1998, 255 u. Anm. 60) weisen auf die „Metaphern der luterheit“ hin, die die beiden Fragmente über den Diskurs von lûterheit von Minne und Gefährdung durch Minne sprachlich verknüpfen.
4
Wyss (1974, 250) sieht die Entformalisierung der Vorausdeutung an dieser Stelle darin, daß sie durch die nicht-syntaktische Stelle der Zäsur dicht mit dem epischen Geschehen verklammert und somit „ins Erzählte eingebunden“ wird. Es ist im Hinblick auf die Erzähltechnik des Fragments unwahrscheinlich, aber immerhin möglich, ze ungemache nicht auf die Zukunft, sondern auf die Empfindung Schionatulanders zu beziehen: „‚verdross ihn zu hören‘: weil er das Entweichen des Hundes dadurch erfährt“ (Martin; in diesem Sinne auch Classen 1990, 23).
165 (La 160) 1
Abermals ist, wie bei der ersten Jagd auf den Bracken, von Schionatulanders snelheit die Rede (vgl. Str. 138), abermals aber ist der Ausgang der Jagd gerade von snelheit unabhängig.
422
Stellenkommentar
2
dâ mit ] Hier als Konjunktion und Einleitung eines abhängigen Nebensatzes verstanden („womit/wodurch er aber …“) und auf snelheit zu beziehen. Der Abvers kann ebenso als selbständiger Hauptsatz aufgefaßt werden (Punkt o. ä. nach brâmen; vgl. BMa La Lei). Die Stellung des Verbes ist angesichts der Kompliziertheit des Versbaus kaum Indiz, allerdings scheint in ersterer Deutung der Syntax die Bewegung besser wiedergegeben.
3
ungeverte ] Zunächst wohl allgemein als „unwegsame Gegend, Unwegsamkeit“ (Lexer II 1879) der ronen und brâmen zu verstehen, wird es hier der Jagdterminologie angenähert und konnotierbar: Der verte des Gejagten, des Wildes, des Hundes, der eben seine verte nur allzu gut hütet, ist für Schionatulander nicht zu folgen; wo für den Bracken verte ist, ist für Schionatulander ungeverte. Unwegsamkeit wird zu Fährtenlosigkeit, so daß am Ende „die Fährte hüten und in die Irre gehen […] ununterscheidbar“ sind (Wyss 1974, 284). gevirret ] vom sw.V. virren = „verre (fern) werden od. machen“ (vgl. gevirren in Str. 5,3). Sicherlich intendierte Assonanz von geverte und gevirret, die auch etymologisch zusammenhängen.
4
spürte ] Ähnlich wie ungeverte sicherlich zunächst zu verstehen im allgemeinen Sinne von „wahrnehmen“, aber doch hier deutlich seiner (wohl primären und etymologischen) Bedeutung „einer Spur nachgehen“ zu konnotieren (Lexer II 1125). spüren, spurn ist auch als Fachterminus der Waidmannsprache umfänglich belegt (Dalby 1965, 219b f.). der hôre ] Das Abstraktum hôre = „das Hören“ (hier Gen. bezogen auf verirren = m. Gen. „in die Irre führen“ oder auch „hindern, berauben“, Lexer III 136; vgl. Str. 5,4) ist sehr ungewöhnlich, bei Wolfram noch einmal belegt und sonst nur später (vgl. Heinzle). Vielleicht auch (obwohl kein Beleg in den Wörterbüchern und bei Dalby) Terminus der Waidmannsprache? Der JT überliefert übereinstimmend hœrens (dazu Mohr 1977, 145). Gerade die Körperlichkeit und die Jagdaktion entfernt Schionatulander aus der Sphäre des Höfischen und läßt ihn zum Teil der Naturszenerie werden. Doch eben das Naturhafte, das unmittelbar Körperliche, das diese Szene in dem überdeterminierten und zugleich gebrochenen Naturalismus der Beschreibung kennzeichnet, ist es, das Schionatulanders Jagd vergeblich werden läßt: Seine verte wird ungeverte, sein Spürsinn ist dem des Spürhundes unterlegen, sein Hören wird in die Irre geführt. „Noch die Natur scheint sich gegen den Herrn der Aventiure verschworen zu haben“ (Wyss 1974, 284).
166 (La 161) 1
blôzen bein ganz ] Die meisten Hgg. haben die Verschreibung gaz der Hs. zu gar gebessert und dies als Adverb zu zerkratzet gedeutet. Es läßt sich allerdings ebenso einfach zu ganz bessern, und als – wie es vielfach im Text belegt ist (s. Komm. zu 164,3 u. 161,2) – zweites und unflektiertes Adjektiv zu blôzen bein lesen im Sinne von „unverletzt, heil“ (so Heinzle 1974, der aber ohne Angaben von Gründen 1989 gar bevorzugt; so auch Gibbs/Johnson, die aber in der Übers. ganz als Adverb auffassen, was wohl im Mhd. noch nicht möglich ist; Lachmann elidiert, wohl metri causa). Daß der JT hier ein Adverb zeigt (Di blozen bein unsüeze | zerkratzten im …), scheint uns kein Argument, da die Herstellung eines Binnenreims weitreichende Veränderungen erfordern kann. Im Gegenteil: Vorliegende Formulierung korrespondiert Sigunes blanc linde hende (161,2;
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s. Komm. dort) und Schionatulanders blôzen blanken beinen kurz zuvor (164,2): Das Ideal der Unverletztheit des höfischen, reinen, blanken Körpers wird im Moment seiner Verletzung benannt und betont. Die Zäsur, die man bei dieser Lesart nach ganz setzen wird, mag noch einen besonderen Betonung und Effekt der Härte dadurch zu erzielen, daß ein Hebungsprall in die Kadenz („Strickersche Kadenz“) bzw. auf das Zäsurmelisma fällt (vgl. dazu auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5). 2
an dem loufe ] wohl „bei diesem Lauf, beim Laufen“. Ein Substantiv louf für „Fußsohle“ (so Mohr) oder „Fuß“ (im Sinne des nhd. „Lauf“ für den Fuß eines Wildes) ist nicht belegt, wohl aber verschiedene andere, möglicherweise hier gemeinte oder zu assoziierende Prägungen der Waidmannsprache (Dalby 1965, 141a f.): louf kann die Fährte des fliehenden Wildes meinen (Schionatulander als Jäger auf der Fährte) oder auch das Rennen und speziell die Flucht des Wildes (Schionatulander als gejagtes Wild, wie sogleich in Vers 3). stuften ] Nebenform zum st. Mask. stift (so Heinzle nach Schmeller II 740; evtl. ist auch an gerundetes stüft zu denken, obwohl die Hs. nicht zu Rundung neigt). Es spricht nichts dagegen, hier die primäre Bedeutung „Stachel, Dorn“ anzunehmen (zu „steif“ und „stecken“; so Martin, Marti, Hollandt; vgl. Lexer II 1191; DWb X,II,2, 2868 f.), was besser zu brâmen und zerkratzen paßt als die von Heinzle, Mohr und Gibbs/Johnson bevorzugte, seltene Nebenbedeutung „Baumüberreste, Wurzelstümpfe“.
3–4 Da der dritte Vers sehr lang ist, haben alle älteren Hgg. auf verschiedene Weise eingegriffen (vgl. Mohr 1977, 146, der erschozen als Alternative zu wunde sieht, wie es der JT überliefert, und eine von ihm konstruierte „spätere Fassung“ in seiner Ausgabe zusätzlich abdruckt). Das schwierigste Problem des Verses ist dadurch allerdings nicht zu beheben. Der unvermeidliche Eingriff in den hs. gestörten Reim wunde : vnden impliziert eine Entscheidung über die Syntax der schwierigen Formulierung. Stellt man wunde : unde her (so alle Hgg. außer Leitzmann; Gibbs/Johnson schreiben unerklärlicherweise wunden : unde), so kann wunde der Endung nach nur schwach flektiertes, adjektivisches Attribut zu erschozen tier sein („das angeschossene, verwundete Wild“), wobei unde entweder Adverb („unten“) oder Kopula („und“; so anscheinend Martin, Marti und Hollandt) sein kann. Die syntaktisch schwierigere (und deshalb vielleicht vom Schreiber der Hs. G unverstandene), aber inhaltlich wohl zu bevorzugende Lösung liegt darin, zu wunden zu verbessern (vgl. aber anders Si kôs im vil wunden 168,1 u. Komm. dort) und dies als ferngestellltes, prädikatives Adjektiv mit Bezug auf den Objektakkusativ in (= Schionatulander) zu interpretieren (so Leitzmann und Heinzle; die Interpunktion deutet darauf hin, daß auch Lachmann den Vers so verstanden hat, obwohl er die dann inkorrekte Form wunde belassen hat; zur Flexion Mhd. Gramm. § 393). Das unden in Vers 4 ist dann Adverb (zu unde finden im Sinne von „im Zelt“ vgl. Pz. 129,28 des wîp dort unde vander ligende …). Da es im Kontext der starken Visualisierungen der gesamten Stelle mehr darum zu gehen scheint, daß Schionatulander sichtbar verletzt ist bzw. eine sichtbare Blutspur hinterläßt, als daß er tatsächlich stärker verwundet ist als das angeschossene Wild, beziehen wir baz auf kôs (Komma nach in: „man sah ihn als einen Verletzten, besser als das angeschossene Tier“; in diesem Sinne die Übers. v. Gibbs/Johnson und Wyss 1974, 284) und nicht auf wunde (Komma nach baz: „man sah ihn mehr verletzt, als das angeschossene Tier“; so Heinzle, so die Interpunktion v. Lachmann, Leitzmann und Gibbs/Johnson, Übers. Kühn). Schionatulanders nackte Beine werden nicht, wie es zu erwarten wäre, als Hindernis bei der Jagd durch die Wildnis funktional und narrativ motiviert (diese wird erfolglos durch
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Stellenkommentar die allgemeine Unwegsamkeit, Verlust der Fährte und des Lautes; vgl. Str. 165), sondern in ihrer Körperlichkeit eindringlich visualisiert, um sie als verletzte und blutige dem angeschossenen Wild und Sigunes durch das Brackenseil aufgerissenen Händen zu vergleichen. „An ihm [= Schionatulander] wird im Raum der Sichtbarkeit wahrnehmbar, was das erste ‚Titurel‘-Stück im Raum des Metaphorischen entwarf: die Unsicherheit im Status von Subjekten und Objekten, von Jägern und Gejagten“ (Kiening/Köbele 1998, 252).
4
er hiez si twahen ] Das si bezieht sich wohl auf die wunden in V. 2. Vom höfischen Körperideal der Unversehrtheit und Reinheit bleibt die vergebliche Geste ihrer Wiederherstellung (ähnlich Wyss 1974, 284): Sigunes Verletzung wird als eine von ihm wahrgenommene beschrieben, ebenso wie seine Verletzung sogleich von ihr wahrgenommen wird (Si kôs im vil wunden … 168,1; s. Komm. dort). kœme ] In mit ê eingeleitenten temporalen Nebensätzen überwiegt der Konjunktiv (Mhd. Gramm. § 475). Da der lange o-Umlaut in der Hs. G nie gekennzeichnet und stets !o" geschrieben ist, ist es hier ohnehin naheliegender, (mit Leitzmann, Marti, Heinzle und Mohr) kœme anzunehmen, als den Indikativ kom zu konjizieren (so Lachmann, Bartsch, Piper, Martin u. Gibbs/Johnson). sus ] Deiktisch zur folgenden Beschreibung Sigunes (wohl nicht: „in diesem Zustande“, Martin). Der damit markierte Strophensprung (vgl. Strr. 138–139 u. 140–141) hat kommunikativen Charakter, da er die beiden Strr. verklammert, die der Verletzung Schionatulanders und Sigunes gewidmet sind und somit beide Helden in ihrer Verletztheit aufeinander bezieht (vgl. insbes. den ähnlichen Strophensprung 140–141, wo das deiktische sus an genau der gleichen Position steht und der Blick von Schionatulander auf den Bracken wechselt zum Zweck der Zusammenführung beider). Zur Syntax näher Komm. zu 167,1–3 (vgl. auch Mohrs „spätere Fassung“ in seiner Ausgabe).
167 (La 162) 1–3 Entweder sieht man den Satz weiterhin regiert durch vant er aus Str. 166,4 („er fand Sigune … grau an der Innenseite ihrer Hände“, dann Komma oder keine Interpunktion am Ende von 166, wie fast alle Hgg.) oder man nimmt eine Ellipse des verbum substantivum an („an der Innenseite ihrer Hände [war sie] grau …“; dann Punkt oder Doppelpunkt am Ende von 166; möglich, obgleich wenig einleuchtend, wäre auch Zeugma, sofern man V. 166,4 unde herstellt und als Konjunktion begreift: sus vant er Sigûnen … unde innerhalb ir hende … grâ). Diese beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, die Syntax zu interpretieren, begründen wohl keine entscheidende inhaltliche Differenz, sondern sind rhetorische Gewichtungen, wobei uns mit Heinzle letztere Möglichkeit – mit Doppelpunkt am Ende von 166 – dem deiktischen, vorausdeutenden sus am besten gerecht zu werden scheint. Der kommunikative, verklammernde Charakter des Enjambements über die Strophengrenze wird auch durch diese syntaktische Verselbständigung von 167 nicht geschwächt (anders Heinzle; allein GJ setzen Punkt, wodurch die Strophenklammer aufgehoben wird). Syntaktisch eigenwillig, schwer verständlich und gewunden ist der Satz allemal, allein durch seinen zweimal mit als eingeleiteten und doch verschiedenartigen Vergleich (einmal zum Paradigma grâ, einmal zum Paradigma hende) und durch den zweifachen Relativsatz mit jeweils schwierigen Bezügen (dem bezogen auf tiostiur, der bezogen auf schaft).
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1
berîfet ] Der parenthetische Vergleich durch das hier zuerst belegte Verbum berîfen bemüht das Bildrepertoire der topischen Naturmetaphorik (vgl. rîfen bei Wolfram Wh. 309,30 u. L 7,14), was in seiner Harmlosigkeit gegenüber der zu beschreibenden Verletzung euphemistisch gerät. Es führt der Vergleich, der sich alleine in seiner gleichsam formalen Richtigkeit des Grau-seins erschöpft, die Unangemessenheit und das Versagen höfischer Beschreibungstopik vor Augen (vgl. dazu die zahlreichen euphemistischen Naturmetaphern in den blutigen Kampfszenen des Wh.).
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grâ ] Der Gegensatz zu blanc, das zuvor auffallend oft wiederholt war in der Beschreibung ihrer Hände (161,2) und von Schionatulanders Beinen (164,2) und Füßen (165,2; vgl. Rogozinski 1903, 19), ist eigentümlicherweise nicht das Rot des Blutes, sondern das Grau aufgeschürfter Haut: Die Visualisierung spart die Vorstellung roten Blutes auf weißer Haut aus (so auch im Wh.), wie auch die Verletzungen Schionatulanders zwar als visuelle benannt, aber nicht eigentlich als blutende Wunde visualisiert werden. Allemal ist auch dieser zweite Vergleich radikal und zerstörerisch: Er läßt Sigune „aus ihrer Geschlechterrolle fallen, indem die Verletzung eine typisch männliche ist“ (Wyss 1974, 284), er läßt die im zweiten Fragment bisher vollständig Passive selbst zur aktiven, lanzentragenden Kämpferin werden, gerade anders als jene ihr so beziehungsvoll ähnliche Florie, von der zuvor im gleichen Bildbereich formuliert wurde, daß sie an der selben tiost wie ihr Geliebter Ilinot gestorben sei, doch ir lîp nie spers ort genâhte (153,4, vgl. Komm. dort). So wird Sigune, noch unmittelbar bevor sie Schionatulander zum Kämpfer zu werden befiehlt, „Täterin und Opfer zugleich“ (Brackert 1996, 167). gegenhurte ] Nur hier (und später im JT) belegtes Kompositum (s. Heinzle) zu hurte = „Anprall, Losrennen zum Stoß“, das sich zu den anderen offensichtlich neuen Komposita des Textes stellt (vgl. huntwilt, brackenseil, umstritten: lûtersnel, brievebuoch). Gemeint ist das Zurückstoßen, das der Lanzenschaft beim Aufprall auf den gegnerischen Schild erfährt.
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zuschet ] Es ist im Mhd. weder ein Verb ziuschen (so Lachmann, Leitzmann, Martin, Lexer III 1143), noch ein Verb züschen (Marti), noch ein Verb zuschen belegt. Am Nächstliegenden scheint es, das Wort (mit Heinzle) zum im DWb (XVI 790 f.) – freilich erst für das Frühnhd. – belegten zuschen, zuscheln = „gleiten, rutschen“ zu stellen. Vielleicht ist auch an dieser von versinnlichter Anschaulichkeit geprägten Stelle ein onomapoetischer Neologismus entsprechend dem nhd. „zischen“ (erst ab dem 16. Jh. belegt; DWb XV 1631 ff.) anzunehmen. über blôzez vel gerüeret ] Partizipialkonstruktion mit spätgestelltem Partizip (zu rüeren = „in Bewegung setzen, “): „wenn / indem er über nackte Haut bewegt wird.“ Das schon vorher mehrfach bei der Beschreibung der Beine Schionatulanders gebrauchte Adjektiv blôz bezeichnet hier im Falle von Sigunes Händen sogleich das, als was es sich bei Schionatulander erst allmählich herausgestellt hatte: Verletzlichkeit, Ungeschütztheit, nicht blanke Reinheit.
4
was seil ] Alle Hgg. und auch Heinzle greifen hier ein, indem sie zu was daz seil ergänzen. Dafür scheint es allerdings keine anderen als metrische Gründe zu geben, denn artikelloser Gebrauch eines Substantives ist zweifelfrei möglich (Mhd. Gramm. § 421) und bei Wolfram belegt (vgl. Str. 1: daz ich schaft muoz lâzen). Die Artikellosigkeit und grammatische Unbestimmtheit des – in der Sache ja sehr bestimmten, außergewöhnlichen – seil mag auf eine rhetorische, emphatische Wirkung zielen: Nicht Lanze, nicht Schaft,
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Stellenkommentar sondern Seil reißt diese Wunden. Nicht auf den Hinweis auf das eine Brackenseil kommt es hier an, sondern darauf, daß Seil Verletzungen zufügen kann wie Lanzen, daß Seil in diesem Vergleich zur Waffe wird. Eine weitere Steigerung der Emphase mag man darin erblicken, daß der gesamte Anvers äußerst kurz ist und – bei Elision – fünf Sprechsilben vier Takte füllen, daß zudem seil wohl eindeutig in der Kadenz bzw. auf dem Melisma steht und zwar aufgrund der Artikellosigkeit mit vorhergehendem Hebungsprall (vgl. Komm. zu 166,1; allgem. auch „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5).
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si kôs im vil wunden ] im ist Dativpronomen für Schionatulander, mit possessiver Funktion zu vil wunden, das dann nur Akkusativobjekt sein kann (s. Heinzle): „sie sah ihm viele Wunden an“, „sie sah, daß er viele Wunden hatte“. Irritierend bleibt der Vergleich mit dem schwer verständlichen man kôs in (baz) … wunden zwei Str. zuvor (166), das sehr ähnlich erscheint und doch gänzlich anders konstruiert ist. Daß auch diese Konstruktion als nicht ganz gewöhnlich und verständlich empfunden wurde, mag der JT belegen, der zu Si kos an im vil wunden vereinfacht.
2
klagt – klaget ] wohl (aufgrund der folgende Vokale) apokopierte Formen der Präterita klagte – klagete. Elision ist in der Hs. G gewöhnlich nicht graphisch vollzogen, allein bei sieben Verbformen (einschl. dieser) kann Elision angenommenen werden. In allen diesen Fällen führt nicht vorhandenes Endungs-e vor mit Vokal beginnendem Folgewort zur Ununterscheidbarkeit der Präsens- und Präteritalformen. In vier dieser Fälle ist wohl dem Kontext entsprechend eindeutig Präteritum gemeint (74,4; 80,2; 153,1; 154,1); bei diesen beiden Formen und in 157,2 ist allerdings auch atemporales Präsens denkbar. Im gegenseitigen Beklagen wird ihrer beider Verwundung, die narrativ völlig gegensätzlich begründet war (vgl. Komm. zu 166,3), vollends als gemeinsame Verletztheit inszeniert. mære ] In den Text-Bezeichnungen âventiure (39,4; 59,3; 146,3) und mære (in diesem Sinne nur hier) ein bestimmtes Fiktionalitätsbewußtsein im Hinblick auf distinkte Gattungstraditionen, gar einem Gattungsbewußtsein zu erblicken (so Classen 1990, 78), muß bei diesem höchst bewußt fiktionalisierten Erzählen problematisch bleiben. geunsüezen ] Nur hier belegt, offenbar ein Neologismus zum Zwecke der manierierten Litotes. Zu süeze und der im Mhd. usuellen Antithese sûr s. Komm. zu Str. 17,4.
2–3 Zwar hat die Ankündigung der bitteren Wendung der Geschichte zunächst noch die Form einer Vorausdeutung, doch gerät sie durch die enge temporale und damit beinahe kausale Einbindung in die Strophe und ins Geschehen (nu … dô …) zur kommentierenden Einleitung dessen, was unmittelbar geschieht. Der Erzähler kündigt die schlimme Wendung an, „als wäre sie nicht zu verhindern“ (Wyss 1974, 251), als wäre sie unmittelbar geschuldet dem Sprechen der Sigune (so versteht es etwa Bumke 1997, 251 f.). Diese Kausalbeziehung erweist sich jedoch im Kontext der anderen Vorausdeutungen und der die Str. beendenden Vorausdeutung (s. Komm. zu V. 4) abermals als Veranstaltung des Erzählers: Auch hier wird die momentane Aktion der Geschichte mit ihren weiteren Folgen in eins gesetzt und eine kausale Beziehung insinuiert. Der Status, den solches Erzählen dem Sprechen Sigunes zuweist, ist eben kein prinzipiell anderer als der des Angelns von Fischen oder des Bellens von Hunden.
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3–4 sprach … nâch der schrift ] sprechen nâch mit Dat. u. Präp. = „eine Sache verlangen, Anspruch auf etwas erheben“ (Lexer II 1112). „Sigune geht es also nicht um den Hund und nicht um das kostbare Seil, sondern einzig und allein um die Inschrift“ (Brackert 1996, 161). 4
diu flust ] diu kann einfacher Artikel zum st. Fem. flust (so Marti) oder Demonstrativpronomen mit deiktischem Bezug auf schrift sein (so Heinzle; Brackert 1996, 161). In der Form der abschließenden Erzählereinmischung scheint die Unschärfe von Ursachen, Wirkungen, Handeln der Personen und prädisponiertem Geschehen eingefangen: Wenn diu flust selbst (und nicht etwa Ritter) in der elliptischen bzw. metonymischen Formulierung die Speere bricht, so sind wiederum – wie schon in der Str. zuvor – Seil und Waffe auf einer Ebene verhandelt. Das zukünftige Geschehen wird entpersonalisiert entworfen, da nicht Schionatulander und seine Gegner Speere brechen, sondern etwas Geschehenes – der Verlust – zum quasi-personalen, agierenden Protagonisten des zukünftigen Geschehens wird. Dies ist die genaue Umkehrung und das Pendant zu den Vorausdeutungen der vorhergehenden Strr.: Kontingentes Geschehen wurde dort unmittelbar als personale Konsequenz für den Protagonisten formuliert (Str. 143 das Einfangen von kumber; Str. 159 das Angeln von Freudenverlust; Str. 164 das ihm zum persönlichen Unheil erschallende Bellen des Hundes). In beiden Varianten wird denkbar Konkretes – Speerebrechen – und denkbar Abstraktes – Verlust, Abwesenheit – in der Aktion zusammengebunden. Die Vorausdeutung auf die Erzählzukunft ist damit nichts weniger als Imagination einer zukünftigen Realität, sondern offenkundige Disposition des Erzählers.
169–175 (La 164–170): Das Schlußgespräch Die letzten Strr. des Textes, die schon durch ihre Dialogform auf das zum Großteil von Dialog geprägte erste Fragment, insbesondere auf das erste Gespräch der Protagonisten (Strr. 56–72) verweisen, setzen durch die Formulierung eines Minnedienst-Verhältnisses eine weitere Handlung, den Versuch der Erfüllung des Minnedienstes, in Gang, die gerade nicht mehr erzählt wird. Das durch die vielfältigen Vorausdeutungen und den Horizont des Pz. vorausgesetzte Wissen um den tödlichen Ausgang des Minnedienstes (ein bracken seil gap im den pîn; Pz. 141,16) hat diese Strophen zum Ausgangspunkt der Frage nach möglicherweise schuldhaftem Verhalten Sigunes werden lassen, da sie sichtlich und vehement auf die fatale Suche nach dem Brackenseil drängt (vgl. die ausführlichen Darstellungen Heinzles 1972, 212–215 u. 1989, 497– 499). Die Frage, wie man Sigunes Verhalten beurteilt, die Schuldhaftigkeit oder die Legitimität ihrer Forderungen, hängt wesentlich von mehreren, jede für sich höchst kontrovers diskutierbaren Vorannahmen ab: Was erwartet Sigune auf dem Rest des Seiles zu lesen? Was hat sie schon gelesen (vgl. Komm. zu 144–153)? Inwiefern gewinnt dies für sie solch exorbitante Wichtigkeit? Im Wesentlichen lassen sich zunächst zwei Denkrichtungen erkennen: Die eine, die in direktem Konnex zu den Selbstanklagen Sigunes im Pz. steht (‚in unser
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Stellenkommentar
zweier dienste den tôt / hât er bejagt […]. ich hete kranke sinne / daz ich im niht minne gap‘ Pz. 141,17–21), mißt Sigune aufgrund ihrer als unangemessen bewerteten Forderungen ein schuldhaftes Verhalten zu (vgl. etwa: „verschrobene Laune“, Ehrismann 293; „Marotte“ eines „Backfisches“, de Boor 1969, 124 u. Simon 1963, 186; „Leichtsinn“, Hauer 1992, 80; „Gedankenlosigkeit“ und „tumpheit“, Wolff 1950, 121; „Unreife“, Labusch 1959, 111), wenn es vielleicht auch subjektiv schuldlose Schuld ist (vgl. etwa: „ihr Scheitern [nimmt] geradezu den Charakter einer objektiven Notwendigkeit an“, Könneker 1965, 32; „external manisfestation of an underlying malaise“, Christoph 1981b, 189). Da nun aber Sigunes Verhalten nicht von eindeutig bestimmbaren Intentionen determiniert ist und es sichtlich weniger um das Seil, als um eine allgemeine Einsicht in die rechte Lebensführung und in richtiges Minneverhalten geht (insbes. Wehrli 1974, 24 f.), versucht eine andere Denkrichtung, diese Vagheit durch die Annahme einer allegorischen Textbedeutung zu klären: Der Bracke wird zur Allegorie des Todes, an den die Leine des Lebens und der Liebe gebunden ist (Bertau 1983b, 75), die Suche wird zur „Suche nach der wahren Liebe“ (Ohly 1965, 178) oder, personalisierter gesehen, zur „Suche nach der eigenen Identität“ (Bumke 1997, 252). Wie die zuletzt genannten Deutungen schon in Rechnung stellen, kann die Tatsache, daß Sigune sich im Pz. mit ihrer Klage auch eine Schuld zuweist, nicht dazu nötigen, in diesem Text eine Vorbereitung und Begründung der Schuld zu sehen. Denn der Tit. läßt sich weder als nachgetragene Vorgeschichte des Pz. begreifen, noch hat er im Pz. formulierte Positionen schlicht zum Ziel, wie vielfach deutlich wird (vgl. etwa den einl. und abschließenden Komm. zum zweiten Fragment). Zum zweiten ist die Selbstanklage einer Figur post festum allemal interpretationsbedürftig, da sie als Figurenperspektive in Spannung zu anderen Positionen des Textes stehen kann (vgl. etwa Willehalms späteres Schuldeingeständnis der Ermordung Arofels; dazu Fuchs 1997, 276 f.). In diesem Sinne versuchen neuere Arbeiten zumeist, beide Positionen aufzuheben, indem der Text zum einen nicht von vorneherein vom Schuldverdikt des Pz. her gelesen wird und zum zweiten zugleich die Bedeutung von Hund, Leine und Begehren auf die im Gesamttext offen bleibenden Spannungsfelder von Familiengeschichte und höfischer Ideologie, Lebenswirklichkeit und mære bezogen wird. So sieht etwa Dick in Sigunes Textbegehren die Sehnsucht nach der „Utopie einer Minneverwirklichung ohne die Fatalität des sanktionierten Minnemodells“ (Dick 1992, 412), was Haug noch existentieller als „Spannung zwischen der erlebten Liebe und dem Lesen von der Liebe, zwischen Vollzug und Reflexion“ (Haug 1995, 162) faßt. Bezogen auf die Strategie des Textes bzw. seines Erzählers ist die Offenheit der Frage nach dem Handeln als „eine programmatische Absage an die fiktionale Erfahrung zugunsten einer neuen erotischen Unmittelbarkeit“ (Haug 1995, 167) gesehen worden, oder aber als ein jeder positiven Programmatik ab-
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sagendes „Verfolgen von nicht genau zu ortenden Sinnspuren […], das den Sinn zum begehrten, sich verflüchtigenden Objekt macht“ (Brackert 1996, 174). Heinzles wiederholte Formulierung, daß der Tit. „es zwar erlaubt, von Schuld zu sprechen, aber keineswegs dazu zwingt“ (Heinzle 1972, 215 u. 1989, 499), kann von hier aus poetologisch fruchtbar gemacht werden: Der Text unterstellt einerseits die Relevanz der Schuldfrage gerade durch den problematischen Horizont des Pz. auf das Suggestivste, verweigert sich jedoch gleichzeitig systematisch jeder Möglichkeit, das aktuelle und mögliche weitere Geschehen auf den Aktions- und Reflexionshorizont Sigunes festzulegen: Beide gemeinsam, Sigune und Schionatulander, werden jenseits jeder „schuldlosen Schuld“ und jeder konsistenten Allegorie in diesem Text als ein Paar präsentiert, „das sich auf Zeichen einläßt, deren Bedeutung es nicht selbst zu bestimmen, ja nicht einmal selbst zu kontrollieren vermag“ (Kiening/Köbele 1998, 262). Die rhetorische Frage, mit der Schröder zuletzt noch auf dem Schulddiskurs beharrt – „Ist es glaubhaft, daß Wolfram die für das Verständnis der ganzen Dichtung entscheidende Frage offengelassen, oder […] selbst noch keine Antwort gewußt habe?“ (Schröder 1980, 33) –, ließe sich von hieraus bejahen: Diese Offenheit scheint genau die Intention und Sinnrichtung zu sein, die der vorliegende Text einnimmt. Eine Antwort auf die so gestellte Schuldfrage ist am Ende weniger in Sicht denn je – „so einfach ist das Leben nicht“ (Mohr 1978, 152), als daß sich Erzähler oder Rezipient in der Schuldfrage für eine Option entscheiden könnte zwischen Unvermeidbarkeit des Leides oder persönlicher Unreife, falsch verstandenen Minne-Konzepten oder fatalen kollektiven Ideologien. All diese Dimensionen eröffnet der Text in toto, er bringt sämtliche Deutungsmöglichkeiten als aktuelle Problemhorizonte ins Spiel, er verweigert aber eindeutige Antworten darauf – und zwar nicht durch bares Unvollendet-Sein, sondern, wie es scheinen will, planvoll. Die Frage nach einer Schuld Sigunes zum archimedischen Punkt der Interpretation zu erklären, der außerhalb des Werkes, in geplanter oder wie auch immer im Kopf Wolframs konzipierter Fortsetzung deutlich würde, aus dem vorliegenden Text aber nicht zu erweisen ist, scheint gerade im Hinblick auf die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Diskurse über Minne und über legitimes Verhalten in diesem Text wenig sinnvoll. So wenig, wie der Erzähler im ersten Fragment nach vielfältigen Erwägungen abschließend zur Frage Stellung bezieht, ob die beiden zu jung sind für die Minne (Strr. 48–52), sondern die Antwort offen läßt, so wenig ist gerade am Schluß des Textes zu erwarten, daß Eindeutigkeit in der Frage von Minne, Rittertum und höfischem Verhalten hergestellt würde. Der vorliegende Text ist abgeschlossen, indem er die sich sicherlich aufdrängenden Frage nach der Angemessenheit, Legitimität oder auch Schuldhaftigkeit von Sigunes Verhalten nicht beantwortet, sondern vielmehr die Optionen kon-
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trovers und dilemmatisch läßt. So, wie noch der letzte Vers entgegen allem Wissen aus dem Pz. das Schicksal Schionatulanders als ein Offenes präsentiert (s. Komm. zu 175,3–4), so dementiert er auch das sichere Wissen um die Schuld, die sich Sigune im Pz. zuweist (vgl. dazu insbes. auch den Komm. zum Schluß des überlieferten Textes). 169 (La 164) 1
vriesch ie wênec ] vreischen, vereischen = „erfahren, vernehmen von etwas, etw. kennen lernen“. Da ie wênec (zu beziehen auf der seile) wohl als Litotes aufzufassen ist (im Sinne von „noch kein“) ist es sehr fraglich, ob man mit Christoph (1981b, 186) von „scoffing“, vom Spotten Schionatulanders sprechen und in seinen Worten „arrogant dismissal“ sehen kann. überschribene ] „beschrieben“, nachgestelltes Adjektiv zu der seile. Es liegt eine Konstruktion „nach dem Sinn“ vor (vgl. Marti, Heinzle), da überschribene im Akk. Pl. steht, als ob es sich direkt auf ein von transitivem vreischen abhängiges Akk. Objekt beziehe, obwohl das zugehörige Substantiv seile im Gen. Pl. steht, da das substantivierte Quantitätsadjektiv wênec dies erfordert.
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brieve, buoch, en franzoyse ] Ein Kompositum brievebuoch, wie es fast die gesamte Forschung hier annimmt, ist nur im Ahd. bei Notker einmal belegt, wo es allerdings eine Art Verzeichnis (zu brieven = urspr. „aufzeichnen“) meint. Der Sache nach näher verwandte Verwendungen von Brief und Buch bei Ulrich von Lichtenstein und im Provenzalischen (s. Martin, Heinzle) sind wenig aussagekräftig, zumal nicht klar wird, worauf die Gegenüberstellung solcher brievebuoch (Briefsammlung in Buchform? Briefe in buchartiger, d. h. poetischer Form?) und der seile überschribene abzielte. Eine lexikalische Verbindung von Brief und Buch, wie sie hier im Falle des wiltlîchen brief des Brakkenseils doch gemeint sein müßte, ist nicht belegt. Es scheint wenig überzeugend, sich auf die unspezifische Grundbedeutung zurückzuziehen (Hollandt: „brief kann alles Geschriebene bedeuten“; Marti: „im Gegensatz zu dem beschriebenen Seil ein beschriebenes Buch“), will man nicht ein beabsichtigtes Spiel mit den Bedeutungsvarianten des Lexems (brief als der versendete [Liebes-]brief und briefen im allgemeinen Sinne von „aufschreiben“) annehmen. Ein von Wolfram kreiertes und nicht weiter belegtes Kompositum zu vermuten, ist sicher im Hinblick auf andere Komposita (huntwilt, brackenseil) denkbar (Classen möchte hierin eine „Charakterisierung des Textes“ des Brackenseils aus dem Munde Schionatulanders sehen, der auf „eine umfassende theoretische Abhandlung zur Liebe“ und eine französische Quelle hinweise; 1990, 17). Näherliegend und auch dem Sinn nach sehr plausibel erscheint uns jedoch, mit Docen und Wyss (1974, 283) eine Aufzählung anzunehmen, die noch ergänzt wird durch ein intensivierendes „auch/sogar auf französisch“: Schionatulander betont, daß er (geschriebene) Briefe sehr wohl kennt, daß er Bücher kennt, daß er französisch kann, daß er auch lesen kann, daß er also durchaus mit Geschriebenen in allerlei Arten vertraut ist – aber von einer beschriebenen Hundeleine noch nie gehört hat. Mit der Beherrschung des Französischen demonstriert er selbstbewußt die Kenntnis der vorbildhaften Literatur, die zu lesen und zu kennen Ausweis höfischer Lebensart ist (vgl. das den Eltern im Baumgarten französisch vorlesende Fräulein in Hartmanns „Iwein“, 6455 ff.; vgl. die französischen Anreden im Minnegespräch, insbes. Komm. zu 57,1 u. 58,1; anders Classen, der hierin
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eine Geringschätzung fiktionaler Literatur und von Lesekenntnissen seitens Schionatulanders sehen möchte; 1990, 26 u. 45). diu belibene ] Prädikativ auf kunst bezogenes Satzadjektiv aus dem Partizip zum st.V. belîben, hier im Sinne von „unterbleiben“ (anders Mohr: „von der Kunst ist mir nichts mehr geblieben. Sonst läs ich …“. Auch die Lesung von Kiening/Köbele 1998, 257, Schionatulander habe in den brievebuoch „wenig Bleibendes“ gefunden, überzeugt nicht). Seine dem höfischen Ritter ja alles andere als selbstverständliche Lesefähigkeit per Negation zu formulieren, mag einem selbstbewußten Tonfall entsprechen: „Solches Können (Kunst des Lesens) ist mir durchaus nicht unbekannt.“ 4
Es sind wohl zwei Motive zu verbinden: Schionatulander will die Bedeutung der Schrift herunterspielen (Kiening/ Köbele 1998, 257) und zugleich Sigune suggerieren, daß die ihm bekannte Literatur der Lektüre einer höfischen Dame geziemender sei. Man kann wohl auch annehmen, daß er sich noch nicht im klaren darüber ist, worum es sich bei der schrift an dem seile tatsächlich handelt: um âventiure nämlich, wie er sogleich unterwiesen wird (Str. 170), nicht um irgendeine Beschriftung oder Inschrift. Weniger plausibel scheint es, eine intentionale Strategie Schionatulanders anzunehmen, der Sigune „Ersatz für die Inschrift“ bieten will (so Heinzle; Schröder 1980, 35). unmære ] nicht mære = „nicht berühmt, wertvoll, bedeutend“. Abermals formuliert Schionatulander per negationem (vgl. ie wênec, niht diu belibene), was einer Rhetorik des diplomatischen, indirekten Herunterspielens zugehören mag. Sigune wird genau dieses hier den Status eines „unnötigen Akzidens“ (Kiening/Köbele 1998, 258) bezeichnende unmære aufnehmen und mit diesem Wort ihre weitere existentielle Lebensbedingung formulieren (Str. 170,2; s. Komm.). Die ganz auf die Schuldfrage konzentrierte ältere Forschung sah in diesem Vers die Entschuldung Schionatulanders: „Ein solcher Einspruch ist doch das Höchste, was sich ein Ritter gegenüber den Regeln des Minnedienstes erlauben darf“ (Rahn 1958, 81).
170 (La 165) 1
âventiure ] Sigunes emphatische Benennung âventiure für das, was zuvor Schionatulander noch als bloße schrift bezeichnet hatte, verweist auf den doppelten Status des Textes: „aventiure ist in der Schrift festgehalten, aventiure ist aber auch die Schrift selbst“ (Kiening/Köbele 1998, 258). Es ist die gleiche Vokabel, mit der der Erzähler bei der Beschreibung der Leine die Aufmerksamkeit auf die Schrift gelenkt hatte – gerade jedoch nicht auf ihren Inhalt, sondern auf ihre materiale Gemachtheit (Str. 146,3; s. Komm. dort). Die beiden weiteren Verwendungen von âventiure im Text (Strr. 39,4 und 59,3) beziehen sich – beide im Munde des Erzählers – eindeutig auf die erzählte oder zu erzählende Geschichte von Sigune und Schionatulander. Eine Einfügung von geschriben aus dem Material des JT, wie die älteren Hgg. sie vorschlagen, hat nur metrische Gründe. Unterläßt man einen Eingriff, muß man allerdings wohl Zäsur bzw. Binnenkadenz in das Wort legen (vgl. dazu Strr. 26,2; 59,4; 90,4; 114,1; 170,1; evtl. auch 23,1; s. Komm. dort und „Editorisches Vorwort“ Kap. 1.5).
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sol ich ] Ob eher futurische Bedeutung oder der seltenere, aber auch bei Wolfram gut belegte (vgl. Heinzle) Gebrauch im Sinne von „darf ich“ gemeint ist, ist nicht zu ent-
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Stellenkommentar scheiden. Wolfram mag auch hier wieder bewußt mit dem Zugleich beider Sinndimensionen spielen, wie es in der allgemeinsten Umschreibung des Verbums suln als „bestimmt sein zu etw.“ (Lexer II 1054) zum Ausdruck kommt und dem wohl im Nhd. der einfache Konjunktiv entspricht: „Sollte ich nicht …“.
2–4 Sigunes entschiedenes Begehren des Textes kann wohl nur mit der Annahme erklärt werden, „daß sie das Gelesene auf sich bezieht“ (Schmid 1988, 84) – wobei eben entscheidend unklar bleibt, was sie gelesen hat und was nicht (vgl. Komm. zu Strr. 149–158), und damit natürlich auch, was sie zu lesen begehrt und erwartet. Die Preisgabe ihrer feudalen Existenz schlägt das Thema der ständischen Differenz an: Sie setzt ihre Existenz als Königin aufs Spiel, in dem sie den rangniederen Schionatulander unter Umdefinition seiner eigenen Worte (unmære) in ihren Dienst fordert. Daß sie darüber zu lesen erwartet und dies begehrt, weil sie in der hierarchischen Differenz Claudittes und Ehcunats eine bedeutsame Parallele zu ihrer Beziehung mit Schionatulander ahnt, wird zumindest nahegelegt: Die Formulierung ihrer ultimativen und fatalen Minne-Bedingung ruft genau diese im Text immer wiederkehrende Konstellation der weiblichen Partnerwahl unter Stand (Schoysiane – Kiot, Herzeloyde – Gahmuret, Clauditte – Ehcunat; Gespräch Sigune – Schionatulander Strr. 57 u. 62) auf, indem sie gegenüber Schionatulander ihre königlichen Herrschaftsansprüche thematisiert, wenn auch relativierend. So wird man in ihrer Antwort anderes sehen können als bloße „unreasonable hyperbole […] quite out of proportion“ (Christoph 1981b, 186). 4
unt obe ich … ] obe kann hier nicht – ähnlich wie in Strr. 3 u. 4 u. 161 – im eigentlichen Sinne konditional gebraucht sein (vgl. Mhd. Gramm. § 460), da nicht klar ist, welche einschränkende Bedingung damit formuliert werden sollte. Vielmehr scheint Sigune, indem sie ein zweites Mal den überragenden Wert des Brackenseils formuliert, abermals ihren hohen Rang zu betonen: „Was immer man mir an Macht und Reichtum anbieten würde, und wenn ich auch den Rang hätte, dies anzunehmen …“. Damit eröffnet sie zugleich den Weg, die Differenz an rîcheit gegenüber Schionatulander zum Schwinden zu bringen, indem sie das Seil als Wert präsentiert, der den ständischen Abstand zu vermindern vermag. ze nemene ] Das zugehörige Objekt ist rîcheit aus V. 3, ein zu erwartendes Pronomen ist erspart. Die Lachmannsche Konjektur ze nemen, der einige Hgg. gefolgt sind, erfolgt wohl metri causa und ist grammatisch unnötig (vgl. Mhd. Gramm. § 335). dâ für ] Wohl nicht im abgeschwächten Sinne der Stellvertretung („als Ersatz dafür“; so etwa Marti), sondern im Sinne der Bevorzugung (für = „vor, höherrangig als“, wie 138,2). nieten ] In reflexivem Gebrauch mit Gen. „nach etw. streben, etw. begehren“, zu ahd. niot = Begehren, Verlangen.
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vâre ] Im engeren Sinne „Hinterlist, böse Absicht, Feindseligkeit“, aber auch allgem. „Gefährdung, Nachteil, Schädigung“ (vgl. 63,1 gevære). Auch wenn Sigune nach dem Ausdruck ihrer Wertschätzung des Brackenseils und vor der Formulierung der konkreten Minnedienst- und Bewährungsaufgabe für Schionatulander bestrebt ist, den sich of-
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fensichtlich geradezu aufdrängenden Gedanken an den „fatalen Systemzusammenhang von Ritterdienst und Tod“ zurückzuweisen, so kann man dies mit Dick (1992, 412) wohl deshalb einen recht „hilflosen Versuch“ nennen, da sie ja das Problem der Gefährdung und Schädigung erst thematisiert. Dies scheint aber weniger „ihr klares Bewußtsein der Gefahr“ (Dick 1992, 410) anzuzeigen als vielmehr – als einleitende Ankündigung einer Bewährungsaufgabe – ihren Versuch, den vor der Minnegewährung zu leistenden Dienst als eine allgemeine Regel zu rechtfertigen und den Gedanken an eine nur von ihr willkürlich eingeforderte Besonderheit zurückzuweisen. 2–4 wir beidiu iunc ] Wir verstehen iunc als unflektiert nachgestelltes Adjektiv zu beidiu: „wir jungen beiden“, „wir beiden, die wir jetzt jung sind“, wodurch ein Gegensatz zu den künftigen Jahren geschaffen ist (ähnlich etwa Hollandt; Übers. Richey; Übers. Mohr). Faßt man iunc als Adverb zu leben auf (so etwa Martin; Marti; Heinzle; Schröder 1980, 33 f.; Übers. Kühn; Schmid 1988, 84: „Und sollten wir beide jung bleiben bis in alle Zukunft“), so muß man einen Gegensatz eines Lebens der Jungen – in dem dienst nach minne gert – und eines Lebens der Alten annehmen, das eigentlich keinen Minnedienst mehr kennt (Heinzle weist hin auf Str. 48,3: alter minnen sich geloubet) und nur in diesem Falle selbst noch im Alter „wie die Jungen“ um Minne diente. Dies wäre nur verständlich als „empathische Beschwörung eines schon märchenhaft wirkenden Lebenswunsches im Zeichen der Jugend“ (Dick 1992, 410). Oder aber Sigune imaginierte damit einen Zustand eines im vorläufigen, unerfüllten Dienststatus In-die-Jahre-Kommens für den Fall, daß Schionatulander das Seil nicht erwirbt. Nach dieser Deutung wäre obe nicht rein konditional (da in Vv. 2–3 nicht die Bedingung für V. 4 formuliert würde), die Konstruktion ankoluthisch und die Verbformen der Vv. 2–3 als Irrealis zu verstehen. Weniger voraussetzungsreich erscheint es, die künftigen iâre nicht als Alter, sondern als nun beginnende, „jung wie sie sind“ vor ihnen liegende Zeit des Minnedienstes zu verstehen, der damit beginnt und als Grundbedingung hat, daß Schionatulander für sie das Seil erwirbt. Man muß dann allerdings annehmen, daß Sigune an dieser Stelle – anders als etwa in Str. 173 – mit dem Erwerb des Seiles streng genommen nicht die Gewährung der Minne in Aussicht stellt, sondern zunächst dezidiert nur die Bereitschaft, ihn als in ihrem Dienst stehenden Minneritter zu akzeptieren. 3
doch ] Nach den Erwägungen zu V. 2 verstärkend („in der Tat“) aufzufassen, nicht adversativ im Sinne von „dennoch“ („trotz des Alters“, so Heinzle) oder „doch noch“ (Marti).
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An diesem Vers hat sich die Debatte nach der Legitimität von Sigunes Forderungen bzw. ihrer Schuld entzündet (s. dazu ausführlich oben einl. Komm. zu diesem Abschnitt). Es bleibt festzuhalten, daß von den Formulierungen dieses Verses her ihrem Verhalten zunächst nichts Außergewöhnliches oder Ungebührliches anhaftet: Sigune „greift nach dem vertrauten Paradigma“ (Brackert 1996, 162), indem sie die Gewährung ihrer Minne, besser die Erlaubnis, um ihre Minne dienen zu dürfen, an eine Bedingung knüpft: sie „redet die Sprache der Minneherrin“ (Ruh 1989, 505). Mertens (1993, 201) erinnert daran, daß die Aussendung des Geliebten nach einem bestimmten Gegenstand als Liebesprobe „ein universelles Motiv im Märchen und im französischen und deutschen Artusroman“ ist und verweist auf die Suche nach einem Maultierzaum in „La Mule sanz frain“ des Paien de Maisières und Heinrichs von dem Türlin „Crône“. Zugleich aber ist deutlich, daß es nicht um eine konventionelle Bewährungsprüfung zur Erringung eines Minnepreises geht, sondern von der Stimme des Erzählers und Sigunes alles getan wurde und wird, das begehrte Objekt mit größter Bedeutsamkeit zu belegen. Gerade durch die Nennung des Hundenamens Gardeviaz, den Schionatulander ja noch
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Stellenkommentar nicht kannte, wird abermals hervorgehoben, daß es nicht um das materiale Objekt der ja überaus kostbaren und einmalig seltenen Leine geht, obwohl genau diese materiale Konkretheit der Leine von Sigune durch den Hinweis auf das ane gebunden im selben Moment aktiviert wird. Die schrift an dem seile (168,4), die âventiure, die ûz ze lesene (159 u. 170) ist, ist hier substituiert durch den Bedeutsamkeit signalisierenden Namen des Hundes, wodurch markiert ist, daß sich das Begehren auf die Zeichenhaftigkeit von Schrift, und das heißt auf Sinn und Bedeutung richtet.
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gerne … alsô werben ] gerne muß nicht von vorneherein freudige Bereitschaft signalisieren („so will ich gerne …“), sondern kann ebenso die Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit seines werbens um das Seil formulieren und die Ergebenheit, mit der er alsô (bezogen auf die vorhergehenden Worte Sigunes) die Bedingungen seiner Minneherrin akzeptiert (gerne ist intensivierend zu werben, ich wil ist wohl futurisch aufzufassen): „So werde ich mich nun also/unter diesen Bedingungen voll Eifer um das Seil bemühen“. – Zu werben vgl. Strr. 29,2; 67,3; 69,4 u. Komm. dort.
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verderben muß hier wohl emphatisch verstanden werden im Sinne von „zunichte werden, sterben“. Die abgeschwächte Lesart im Sinne von „Schaden nehmen“ (auf solchem Verständnis beruhen wohl die Übers. von Hollandt, Mohr, Antonini, die etwa paraphrasieren „das Leben wagen, bis es gelingt, das Seil zu erwerben“) mag damit zu rechtfertigen sein, daß eine emphatische Formulierung der Alternativen „Tod und Schande oder Gewinn“ sich im Munde des eben noch (Str. 169) beschwichtigenden Schionatulanders unvermittelt und plötzlich ausnimmt. Die große Klarheit, mit der Schionatulander die Alternativen vor Augen stehen, ist indessen nicht zu bezweifeln. Weniger eindeutig ist dagegen, ob er den erkannten Zusammenhang von Ritterdienst und Tod, den Sigune zuvor zu entschärfen versuchte (Str. 171,1), tatsächlich „in der Sprache des Ritters und mit der dem epischen Helden zukommenden Unerschrockenheit“ artikuliert (Dick 1992, 412; ähnlich Müller 1995, 321). Gerade im Hinblick auf sein anfängliches Zögern – das abschließend abermals aufgegriffen wird (Str. 175,4), falls die Lesart G verzaget gehalten werden soll – ist es keinesfalls entschieden, daß seinen Worten in dieser Str. und in Str. 174 solch heroisch-todesbereiter Tonfall zukommt.
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oder ] Um der Klarheit willen, mit der Schionatulander die Alternativen des Ritterdienstes imaginiert, ist ein seperatives „oder“ (Übers. San-Marte, Matthias, Rapp, Richey, Gibbs/Johnson, Passage; wohl auch Heinzle) gegenüber einem konditionalen „wenn nicht“ (Martin; Übers. Kühn), „es sei denn, daß“ (Marti) zu bevorzugen (noch ausweichender und abschwächender: Hollandt, Mohr, Antonini).
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Sigune wird sogleich (Str. 173,1) mit der Vokabel genâde Schionatulanders Wortwahl aufgreifen, ähnlich wie sie es in Str. 170,2 mit dem Schlüsselbegriff unmære getan hatte. Die Metapher von den banden, in denen Sigune Schionatulanders Herz gefesselt hält, scheint nun anderes zu beschreiben, als das bant der Minne im ersten Fragment (diu iugent wont in der minne bant 48,4; er quelt mîne wilde gedanke an sîn bant, al mîn sin ist im bendec 121,4; u. ö.; vgl. insbes. Komm. zu 47,4 u. 121,4): dienen sie dort als Bild für die Minnebindung, die zwar darin als „Horizontverengung“ (Kiening/Köbele 1998, 260), aber auch als Orientierung begriffen wird, so sind hier die Bande der Geliebten Fesseln, die sie selbst zu lösen gebeten wird. Sie scheinen – darin am ehesten noch ver-
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gleichbar der Bitte Schionatulanders an Gahmuret du maht mich wol enstricken von slôzlîchen banden 106,1 – den Zustand einer Unerfülltheit abzubilden, da ihre Lösung gerade eine Erfüllung der Minne bedeutet. Diese Bande gehören nicht einer übermächtigen Minne-Kraft zu, vielmehr sind sie Fesseln, die zu lösen in Sigunes Macht steht, mithin also Metapher für Sigunes Dienst-Lohn-Bedingungen. Insofern ist in dieser Metapher das liebende Herz „in unglücklicher Weise an eine Schrift gekoppelt […], deren Verheißung unsicher bleibt“ (Kiening/Köbele 1998, 260). Schionatulanders Bitte um Gewährung von genâde – welche Art von Zuwendung oder Minne-Gewährung dies auch immer meinen könnte (vgl. Komm. zur folgenden Str. 173,1) – schon vor dem Erwerb des Seiles mag einerseits dem Arsenal an topischer Minnedienst-Rhetorik angehören (wie im Minnegespräch; vgl. Komm. zu 60,1–4). Andererseits enthüllt sich – wie noch deutlicher in Str. 174 – die vorderhand imaginierte Systematik eines Minnevertrages, einer geregelten Abfolge von Stellung der Bewährungsaufgabe, Erfüllung der Aufgabe und abschließender Gewährung der Minne als Lohn als höchst problematisch, weil zum einen leidbringend, wenn nicht gefahrvoll (vgl. Str. 171,1; 172,2; 174,2) und zum anderen höchst unscharf formuliert (vgl. Komm. zu 173).
173 (La 168) 1–2 genâde … daz leist ich ] In den Formulierungen bleibt gerade unklar, was genâde und was al daz imer maget sol verenden (verenden = wörtlich „ganz beenden“, „zu Ende bringen“) meint. Sigunes Worte bewegen sich terminologisch sicherlich im Rahmen der topischen Minnedienst-Terminologie und es muß ihr keine strategische Verschleierung unterstellt werden. Mehr und anderes als „prospect of lôn“ (Christoph 1981b, 187), als „Erhörung“ in der „allgemein gebräuchlichen Bedeutung“ (Heinzle) ist der Formulierung nicht zu entnehmen. Doch so sehr in diesen letzten Strophen die Rhetorik der Wechselrede beider sich zunächst wie eine gemeinschaftlich ausgehandelte Übereinkunft ausnimmt, so schillernd und fragwürdig bleiben die Begriffe minne gern, dienest, genâde, hulde, solt, leisten, ganz so, wie es auch im Minnegespräch im ersten Fragment signifikant war (s. einl. Komm. zu Strr. 56–72; zu genâde insbes. Komm. zu Str. 60,1– 4). Je vorderhand deutlicher, präziser und begrifflich aufgeladener die Formulierungen werden, desto unschärfer werden die Bedingungen, Versprechungen und Verheißungen hinsichtlich ihres Sinns, ihrer Reichweite und ihrer zeitlichen Dimensionierung. Die zu konstatierende Vagheit und Mehrdeutigkeit läßt sich als Strategie erkennen, nicht auf Personenebenen, sondern auf der Ebene des Erzählens und der Zeichen: Indem die Begriffe als unscharfe und dilemmatische präsentiert werden, wird das durch diese Begriffe bezeichnete Minne-Dienst-Konzept in nicht-diskursiver Weise problematisch und fragwürdig gemacht. 2–3 Beziehungsreich sind in Sigunes Rede ihr wille und sein wille einander zugeordnet, bevor in Str. 175 beider wille vom Erzähler gleichsam resümierend nochmals aufgenommen wird. (Die Ausscheidung von willen in V. 2, die Lachmann und Leitzmann wohl aus metrischen Gründen in dem zweillos sehr langen Vers vornehmen, scheint zumindest unnötig, wenn nicht verschlechternd.) Da mhd. wille das Wollen, die Gesinnung, den Entschluß bezeichnet, gleichviel ob es metonymisch für die Bezeichnung der Person verwendet wird oder im Wortsinn, wirft dies abermals die Frage nach der Reichweite und Geltung von Bedingung und Versprechen auf: Verspricht Sigune die genâde auf seinen Entschluß hin, oder auf sein kriegen hin, oder als Lohn nach dem willen und dem kriegen, wenn er ihr die Leine gebracht hat? Zumindest scheint sie mit diesen Worten
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Stellenkommentar auf sein Bitten um Gewährung von genâde schon vor dem Erreichen des Zieles der Bewährung (172,4) zu antworten und – wie wenig eindeutig auch immer – einzugehen (vgl. dazu auch Komm. zum Schluß).
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bræhte ] Von den Formen der starken Konjugation beeinflußte (zu ahd. brâhti), bei Wolfram und andernorts selten belegte Nebenform zum gewöhnlich schwach gebildeten Präteritum brâhtest (s. Mhd. Gramm. § 267). In auffälliger Parallele zu Str. 171,4 ist hier das begehrte Objekt, der Text der âventiure, die Schrift substituiert: dort durch den die Moralsentenz bezeichnenden Namen des Bracken Gardevîaz, hier durch die in prekärem Verhältnis zu dieser Moralsentenz stehenden Verhalten des Bracken, der seine verte hütete, indem er die strangen ûf der verte zôch (vgl. auch Komm. zu Str. 158,2–3).
174 (La 169) 1
Mit ganz ähnlichen Worten beschließt Schionatulander das erste Gespräch mit Sigune, in dem Minnedienst allererst allgemein vereinbart wird, wobei der Gegenstand des Dienstes und des Ringens dort nicht ein konkretes Objekt der Begierde, sondern die helfe der Minneherrin ist: sô daz mîn dienst nach dîner helfe ringe (Str. 72,3).
2–4 Die Verse bieten mehrere syntaktische und inhaltliche Möglichkeiten, die sämtlich nicht unproblematisch sind. Das Verb geleben kann sich entweder auf eine Zeitspanne („wie werde ich die Zeit hinbringen, bis …“) oder aber auf den Zeitpunkt des Erreichen eines Zieles („wie werde ich je die Zeit erleben, in der …“) beziehen. Die zweite Variante, die durch die Verwendung der Formulierung zît (ge)leben im Pz. (vgl. Heinzle) und insbes. durch Tit. Str. 9,4 (vgl. Marti) mehrfach gestützt wird, korrespondiert eher mit der schon in Str. 172,4 geäußerten Ungeduld Schionatulanders, der sich fragt, wie er die Zeit bis zum Erreichen des Zieles sô lange „aushalten kann“ (Martin). Doch ist dann der Bezug zu V. 3 prekär, da daß Erreichen des Zieles nicht das Behalten der hulde sein kann, die er ja schon besitzt. Man könnte nun entweder (so wohl San-Marte, Matthias und Rapp) für behalten eine perfektivierte Bedeutung annehmen – „endgültig erhalten“ –, was allerdings die Wörterbücher nicht belegen. Oder man faßt V. 3 als Finalsatz auf: „damit ich deine Zuneigung (dann für immer) behalte.“ Im letzteren Fall wäre dar zuo in V. 2 auf V. 1 (dar nâch), also auf das Erjagen der Leine zu beziehen. Wenn man aber diesen Bezug favorisiert, ist es wohl sinnvoller, nach V. 2 Fragezeichen zu setzen und V. 3 als vorangestellten Nebensatz zu V. 4 zu lesen (Komma nach behalte V. 4), wohl ebenfalls mit finalem Sinn: „Damit ich deine Zuwendung behalte, wird das … versucht“, oder evtl. auch als einfachen Subjektsatz: „Deine Zuwendung zu behalten, das werde ich … versuchen“. Die Verschiebung des dar zuo in den V. 3 hinein, die Lachmann und Leitzmann wohl metri causa vornehmen, so zu verstehen, daß damit nun eine konkrete Ortsangabe („hierher“) gemeint sei und ez in V. 2 Pronomen für das Seil sei („bis [daß] ich es [in meiner Hand] herbeibringen kann“; Hollandt), scheint nicht möglich: Das Neutrum ez kann sich nicht direkt auf das zuletzt genannte Feminimum strangen (173,3) beziehen, sondern wäre Pronomen eines Neutrums („das zu Suchende“) oder des entfernten seiles (172). Obwohl die Wörterbücher transitive Verwendung von geleben nur im Sinne von „erleben“ nachweisen, erscheint dennoch die erste Variante näherliegend, geleben als „in einem Zeitraum leben“ zu verstehen: Schionatulander fragt sich besorgt, wie er es bloß schaffen könnte, in der Zeit des Kampfes, noch vor dem Erreichen des Zieles, ihre hulde
173/174/175
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nicht zu verlieren. Dann bezöge sich dar zuo in V. 2 direkt auf V. 3. Oder aber dar zuo bezieht sich auf den rîchen solt, und das Ende von V. 2 und V. 3 wären nicht aufeinander bezogen, sondern beide in paralleler Konstruktion bezogen auf wie gelebe ih die zît: „(1.) so daß es meine Hand dazu (zu dem solt) bringen möge und ich (2.) deine Zuneigung nicht verliere.“ In beiden Fällen stellt sich eine Korrespondenz zu Str. 172,2 her, in der Schionatulander von der Gefahr spricht, im Kampf an lîbe unt ane prîse zu verderben, aber auch ein Zusammenhang mit dem umstrittenen verzagten sicherboten in Str. 175,4. Für diese Deutung spricht auch, worauf Christoph (1981b, 187) aufmerksam macht, daß das erste der beiden Gespräche zwischen Sigune und Schionatulander im 1. Fragment mit einem ganz ähnlichen Gedanken Schionatulanders endet (vgl. Str. 72). 4
daz wirt versuochet ] Hollandt schlägt vor, hier „doppelsinnig“ zu lesen, da man versuochen nicht nur im Sinne von nhd. „versuchen“ verstehen kann, sondern ebenso als konkretes „suchen“. Dann wäre daz ebenso Pronomen für das zu suchende Objekt (daz seil aus Str. 172?), wie sie es schon für das ez in V. 2 (s. Komm. dort) angenommen hatte. gelücke unt dîn minne mîn walte ] Zwar wird gelücke walte von Wolfram mehrfach formelhaft verwendet (Pz. 351,22; 678,17; 701,27; vgl. Heinzle), jedoch nicht in solcher Verbindung mit einem weiteren Beschützer, der Fortuna gleichsam beispringt.
175 (La 170) 1
ergetzet ] Das sw.V. ergetzen ist urspr. Kausativum zu mhd. ergezzen oder vergezzen, heißt also zunächst „(Leid, Kummer, Sorge) vergessen machen“ (Kluge 185a) und dann allgemein „entschädigen, vergüten, entgelten“ (Lexer I 630; in diesem Sinne an dieser Stelle Marti, Richey, Heinzle, Passage, Gibbs/Johnson) oder „Trost spenden“ (Simrock, Matthias, Hollandt, Mohr, Kühn, Antonini). Die im Nhd. bewahrte Bedeutung „ergötzen, erfreuen“ (so San-Marte, Martin, Rapp) ist sekundär und an dieser Stelle wenig plausibel, da wohl weniger die freudige Liebesgemeinschaft beider als vielmehr ihre auf gegenseitiger Leistung und Versprechen beruhende Minne-Dienst-Bindung gemeint ist. Die große Ähnlichkeit mit den Formulierungen, in denen der Erzähler das Ende des ersten Gesprächs der beiden Protagonisten kommentiert – diz was der anevanc ir geselleschefte mit worten (Str. 73,1–2) – sind als „lack of progression in the relationship, expressed in this circularity“ (Christoph 1981b, 188) oder aber als Beleg für die „unumkehrbare Dynamik“ des Bezuges zwischen beiden Fragmenten (vgl. Kiening/Köbele 1998, 261) gesehen worden. Bedenkt man, daß es beide Male worte sind, die Handlungen oder Verhältnisse begründen, daß aber einmal vom anevanc einer Minnebindung, beim zweiten Mal vom anevanc vil kumbers gesprochen wird, der nun wiederum, wie der Zusammenhang suggeriert, ja unmittelbar aus der Intensivierung oder Konkretisierung dieser selben Minnebindung hervorgeht, so wird deutlich, daß hier Zirkularität und Linearität keine sich ausschließenden Prinzipien im narrativen Prozeß mehr sind, sondern zugleich existieren und somit Widersprüche und Dilemmata geradezu systematisch produzieren. Sie verweisen auf ein vielgestaltiges und stets mehrdeutiges erzählerisches Reservoir, Korrespondenzen und Sinnstrukturen anzudeuten und suggestiv zu unterstellen, indem diese nicht ausdrücklich formuliert werden bzw. jede konkrete Benennung von Bedeutung und Konsequenz sogleich dementiert wird.
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Stellenkommentar
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geletzet ] Part.Prät. des sw.V. letzen = „beenden, zu Ende bringen“, zum Substantiv letze = „Ende“. Sowohl die Rhetorik der Erzählerstimme im zweiten Fragment als auch die emphatische Satzstellung mit vorgestelltem Subjekt läßt es wenig plausibel erscheinen, den Satz als Frage (so Hollandt, Gibbs/Johnson) aufzufassen. Irritierend bleibt aber, daß diesen Worten, die zunächst kaum anders als als ahndungsvolle Ankündigung eines düsteren Endes in traditionellem, heldenepischen Stil verstanden werden können, zwei Zeilen folgen, die eine Ungewißheit über den Fortgang der Geschichte formulieren und damit Sinn und Bedeutung dieser und aller vorangegangenen Vorwegnahmen und Vorausdeutungen untergraben oder zumindest ignorieren (dazu s. auch Komm. unten über den Schluß).
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der tumbe unt ouch der grîse ] Wohl formelhaft-metonymisch, wie „jung und alt“; gemeint ist also wohl „alle“, wie schon in 70,1 (s. Komm. dort): iâ ist si [die Minne] gewaltec der tumben unt der grîsen. Allein Classen (1990, 50 Anm. 47) ist der – nicht weiter begründeten – Auffassung, Wolfram wolle „hier einen Schlüssel zur Sinnerschließung des Mysteriums Liebe bieten, den nur die Weisen und Toren begreifen“.
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verzageten ] Der letzte Vers des überlieferten Textes bietet das vielleicht heikelste Problem der Textkonstitution im „Titurel“. Lachmanns Konjektur unverzageten, dem sich ausnahmslos alle Hgg. angeschlossen haben (außer Marti, die allerdings im Kommentar unverzageten bevorzugt und für verzageten in ihrem Text keine Erklärung anbietet) wird von der JT-Überlieferung gestützt, sie ist auch inhaltlich wesentlich einfacher zu erklären und paßt problemlos zum Vorhergehenden. Soll sich das verzaget der Hs. auf das vorhergehende Gespräch beziehen, so wird man wohl nicht an die primäre und emphatische Bedeutung („wie ein zage/Feigling handelnd, mutlos, verzweifelt“) denken können, sondern allenfalls von einem Zögern und Zurückhaltung, von im nhd. Sinne zaghaften, furchtsamen Momenten sprechen können (verzagen, verzaget und zagen ist in diesem schwächeren Sinne mhd. spärlich belegt [Lexer III 315 u. 1021; DWb XV 21 f.]. Bei Wolfram selbst sprechen alle Belege von verzaget für das Bedeutungsfeld „feige, mutlos, hoffnungslos, verzweifelt“, keiner für schwächeres „Zögern“. Allerdings findet sich bei Wolfram auch kein weiterer Beleg für verzaget als attributives Adjektiv, hingegen zahlreich und formelhaft unverzaget in solcher Verwendung! Etymologisch ist zagen mit „zögern“ oder „zaudern“ nicht verwandt, sondern evtl. mit der idg. Wuzel *agh- = „fürchten“ [F. Klug, Zeitschr. f. vergl. Sprachforschung 26 (1881), 69], was eine etwas abgeschwächtere Grundbedeutung wahrscheinlich macht gegenüber der von den Wörterbüchern meist bevorzugten, kriegerischeren Variante der „Hasenherzigkeit“, die auf J. Grimm zurückgeht, der eine Herkunft aus dem slavischen Wort für „Hase“ konstatiert hatte [Deutsche Rechtsalterthümer, 1828, 644]. Zu Etymologie und Semantik s. ausf. D. Ruprecht: Tristitia, Göttingen 1959, 92 ff. und I. Rosengren: Milti, Lund 1968.). Immerhin läßt sich ein Moment der Besorgnis und der Unsicherheit in Str. 172, mehr noch in Str. 174 entdecken: In beiden Strophen beginnt Schionatulander jeweils mit mutiger Entschlossenheit zur Erfüllung der geforderten Aufgabe, formuliert dann aber sogleich Bedenken, die die Zeit bis zum Erreichen des Zieles betreffen. Seine letzten Worte in Str. 174 lesen sich denn auch eher als Beschwörung denn als einen unverzageten Entschluß. Die Zaghaftigkeit der Kommentatoren, dies als Erklärung eines verzageten sicherboten zu akzeptieren (Heinzle räumt diese Möglichkeit nur „zur Not“ ein, für Gibbs/Johnson ist dies „hardly enough“) setzt die – eventuell nicht angemessene – Erwartung an eine Eindeutigkeit der Stellungnahme des Erzählers voraus. Angesichts der gehäuften und in
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ihrer Geltung und Bedeutung rätselhaft und kunstvoll unscharfen Vorausdeutungen, von denen allemal zunächst oft nicht zu erkennen ist, welche Teile und Aussagen sich auf Vergangenes oder Zukünftiges, auf schon Erzähltes, noch zu Erzählendes oder eben nur Angedeutetes und Suggeriertes beziehen, ist das Verlangen nach konsistentem, widerspruchsfreiem Bezug auf das Nächstliegende, in diesem Falle auf die zuletzt geäußerte Haltung Schionatulanders, fragwürdig und kaum als oberstes narratives und textkonstitutives Prinzip zu halten. Bedenkt man, daß entgegen dem vermeintlich vorausgesetzten sicheren Wissen um das weitere Schicksal Schionatulanders der Erzähler den weiteren Fortgang der Geschichte emphatisch als einen offenen präsentiert (vgl. Komm. unten zum Schluß), so stellt sich die Frage, ob mit dem verzageten sicherboten nicht in eben solcher Weise eine unerwartete Wendung als Option auf das nicht mehr Erzählte formuliert ist. Allemal ist der unverzaget mannes muot des Pz.-Prologes (Pz. 1,5) an dieser Stelle schon längst demontiert: allein der alles öffnende Nachsatz macht deutlich, daß solche „heroische Vorbildlichkeit nichts a priori Verbindliches mehr hat“ (Wyss 1974, 253, der unverzageten liest). Die schon von Docen erwogene, aber zumeist abgelehnte Lösung („ganz und gar unwahrscheinlich“, Heinzle; „highly unlikely“, Gibbs/Johnson), daß mit dem verzageten sicherboten der Autor gemeint sein könnte, also freischet von (V. 3) nicht als „erfahren über jemanden“ sondern als „erfahren von jemandem“ zu verstehen ist, hat zuletzt Mertens (1996, 376) wieder aufgenommen, der hier „das Ende des Erzählens“ ausgesprochen sieht: Der „Gewährsmann der alten mæren hat den Mut verloren […]. Sein erzählerisches Unternehmen, bei dem er scheitern muß, gibt er auf […].“ Der JT zeigt ja gegenüber der Hs. G nicht nur unverzageten statt verzageten, sondern ebenso ausnahmslos am, an dem oder an statt von dem, was möglicherweise auch auf eine beabsichtigte Vereindeutigung des anscheinend als zweideutig empfundenen Textes schließen ließe, so daß der Bezug auf den Erzähler als eine Art lectio difficilior gelten könnte. Allemal scheint gerade der letzte Vers von Wolframs Text eine Vagheit und damit zugleich – bei allem Abschlußcharakter – eine Verunsicherung zu intendieren, so daß ein Eingriff in den Sinn einer Textstelle, wie er weitreichender nicht sein könnte, nur bei völliger Unsinnigkeit gerechtfertigt schiene. Da nun die Lesart der einzigen Hs. wohl nicht als zweifelsfrei unsinnig zu bezeichnen ist, wenn sie auch bedeutend voraussetzungsreicher und schwieriger als eine mögliche und sinnvolle zu begründen ist, sehen wir keine strikte Notwendigkeit, textkonstitutiv einzugreifen. sicherbote ] „jemand, der sicherheit biutet“, d. h. – speziell im Anschluß an eine Niederlage im Kampf, aber auch überhaupt – Gewähr leistet und formell eine bestimmte Leistung, einen bestimmten Dienst gelobt bzw. dafür bürgt. swebe oder sinke ] Es ist wohl die Metapher der Waage (Hollandt) oder der Schiffahrt (Mertens 1996, 376; Wyss 1974, 153) oder aber die Bildvorstellung vom Rad der Fortuna (vgl. gelücke 174,4) aufgerufen. Vgl. die ähnlichen Formulierungen in Str. 133,1–2, wo vom ûf stîgen und nider sîgen des prîses die Rede ist.
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Stellenkommentar
Zum Schluß des überlieferten Textes Gegenüber der älteren Forschung, die äußere Umstände des Dichtens oder der Überlieferung (vgl. die 32 unter dem Titel „Der Abschied“ von Bartsch aus dem JT rekonstruierten Strr.) fraglos als Gründe für das Abbrechen des Textes an dieser Stelle annahm, hat die jüngere Forschung vielfache Deutungsangebote eröffnet, den konsequent durchgeführten fragmentarischen Charakter des vorliegenden Textes zu behaupten: Als „lyrical recreation of epic material […], constructed […] as a series of situations with threads of connecting narrative“ (Richey 1961, 180); als einen Text, der „den ideologisch-pädagogischen Aspekt höfischen Erzählens“ unterläuft und in die Aporie treibt, da abzusehen ist, „wie der Held in seiner Selbstverwirklichung als solcher zugrunde“ geht (Wyss 1974, 253); als ein Erzählen unter dem vorausgesetzten Tod des Protagonisten, was den gattungskonstitutiven Erfahrungsweg höfischer aventiure desavouiert, so daß solches Erzählen sinnlos und nicht mehr erzählbar wird (Haug 1980, bes. 23 f.); als einen Text, der den Weg zu einem neuzeitlichen, auf Schriftlichkeit rekurrierenden Erzähler so weit vorantreibt, daß der Text die Sinnvergabe verweigert und sie „vielmehr dem Leser selbst“ aufgibt (Mertens 1996, 377); als die Geschichte eines Helden, der samt seiner bevorstehenden, „sin-losen vart weder gepriesen noch verschwiegen werden“ und dessen „Tun nicht mehr für gemäß oder ungemäß befunden werden kann“, da es „keine verte mehr gibt“, von der man sagen könnte, daß jemand von ihr „abkommt“ (Hauer 1992, 73); als eine Fragmenthaftigkeit, die in der Geschichte selbst durch die Fragmenthaftigkeit des Brackenseils vorgegeben ist („the inconclusiveness of the text within a text, the ‚Brackenseil‘, reminds the reader that the text, Titurel, is likewise destined to be inconclusive“; Christoph 1999, 225); als ein Erzählen, das nicht mehr „auf das Herstellen von Zusammenhängen im Horizont der Fiktion“ zielt, sondern „einem Verfolgen von nicht genau zu ortenden Sinnspuren“ gleicht (Brackert 1996, 174). So scheint es auch weniger die bare Fragment-Form der nicht weiter geführten Handlungsfäden zu sein, die interpretationsbedürftig wäre: Immerhin ist ein Erzählabschnitt eindeutig beendet, so daß weitere Handlung hinreichend motiviert in Gang gesetzen werden kann; immerhin könnte eine Fortsetzung hier mit zeitlichem oder räumlichem Sprung sinnvoll einsetzen, ohne daß eine Zäsur an dieser Stelle auffällig wäre; immerhin zeigt sich eine deutliche Parallele zum Ende des ersten Fragmentes. Und dennoch ist die letzte Strophe seltsam offen, eben weil hier der Erzähler gegenüber den kaum Zweifel am zu erwartenden Ausgang der Brackenseil-Aventiure lassenden Vorausdeutungen „die Zukunft offen läßt und davon auszugehen scheint, daß das weitere Geschick Schionatulanders nicht festgelegt ist“ (Brackert 1996, 162). So sehr der sichere
Zum Schluß des überlieferten Textes
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und dezidiert vorausgesetzte Ereignishorizont des Pz. das Erzählen zum „Erzählen vom Tod her“ (Haug 1980) macht, so sehr scheint der Erzähler in einer letzten Formulierung „Widerspruch gegen seine eigene, so festgelegte Geschichte“ und „gegen das übermächtige Deutungsangebot des Pz.“ einzulegen (Brackert 1996, 175; anders zuletzt etwa Huschenbett 1996, 196 u. Christoph 1999, 219; dazu Komm. zu 108,1; 136,3; 158,1–2). Blickt man von hier aus nochmals zurück auf den letzten Teil des überlieferten Textes, auf das Minnegespräch als Ganzes, so zeigt sich eines deutlich: jeder Versuch, den Tit. vom Pz. her zu deuten, muß am Ende zu kurz greifen und fehlschlagen. Daß wir dort aus Sigunes Mund ein relativ klar formuliertes Bekenntnis hören (ich hete kranke sinne, daz ich im niht minne gap Pz. 241,20 f.), eine Art Selbstverurteilung ihres früheren Handelns, aus der zu entnehmen ist, wie sehr sie es zu dieser Zeit bedauert, Schionatulander die Liebeserfüllung verweigert zu haben, könnte dazu veranlassen, das Liebesgespräch zwischen Sigune und Schionatulander als den Versuch Wolframs zu verstehen, genauer und detaillierter als im Pz. zu zeigen, was denn zu Sigunes, jene Selbstverantwortlichkeit hervorrufendes Verhalten geführt hat. Die Tit.-Szene beweist, daß das Gegenteil der Fall ist. Die Begriffe der traditionellen Minnesprache, mit deren Hilfe die beiden über ihre Liebe und gerade auch über die heiklen Punkte ihrer Beziehung sprechen, sind von einer solchen Allgemeinheit und Uneindeutigkeit, daß sie den Zusammenhang eher verunklären und verwirren. Was handeln die beiden eigentlich miteinander aus? Ihr Miteinanderreden entlarvt sich als hilflos, da es die Kluft zwischen dem Gesprochenen und dem Unausgesprochenen und d. h. der tödlichen Konsequenz der Worte überhaupt nicht zu fassen, geschweige denn zu überbrücken vermag. Von hier aus scheint es kaum adäquat, mit Haug (1995, 166 f.) den „Titurel“ als eine „programmatische Absage an die fiktionale Erfahrung zugunsten einer neuen erotischen Unmittelbarkeit“ zu interpretieren oder mit Christoph (der die besondere Textualität des „Titurel“ gründlich herausgearbeitet hat) von einer Überlegenheit der Textur des Lebens gegenüber dem Text zu sprechen und hervorzuheben, Sigune habe zu lernen, den Text nicht (wie im „Titurel“) als Stellvertretung für das Leben zu nehmen, sondern (wie im „Parzival“) den Text durch Leiden zu transzendieren (Christoph 1999, 226 f.). Gerade der „Titurel“ zeigt, wie die Figuren in der Mittelbarkeit des höfischen Systems befangen und gefangen sind; er hebt nirgendwo darauf ab, daß durch eine größere Unmittelbarkeit das Unglück hätte vermieden werden können. Noch stärker als die Fragment-Form des Textes läßt sich somit das Fragmentarische seiner Struktur für die Deutung fruchtbar machen: Indem „Fragmentarisierungen im Vorhandenen der Komplexitätssteigerung des poetischen Prozesses dienen“, werden „Ambiguitäten und Leerstellen poetisch funktionalisiert“ (Kiening/Köbele 1998, 264). In diesem Lichte erscheint der Schluß des Fragmentes nicht ergänzungsbedürftig, sondern kann als emphatisches Festhalten
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Stellenkommentar
des Erzählers am Fragmentcharakter seines Textes, der Hypercodierung von Form und Textur und der Offenheit seiner Sinnangebote gegenüber den „vermeintlich eindeutigen Sinnangeboten höfischen Erzählens überhaupt“ (Brakkert 1996, 175) begriffen werden, das „eine neue Stufe literarischer Reflexivität erreicht“, indem es „die Bedingungen seiner Möglichkeiten freilegt“ (Kiening/ Köbele 1998, 264).
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VI. Bibliographien und Register
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Bibliographien und Register
Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen
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1. Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen Für genaue Angaben zu den Handschriften und Handschriftengruppen s. „Editorisches Vorwort“ S. 6–13. Für genaue bibliographische Angaben s. die folgenden Literaturverzeichnisse. Aufgeführt sind die Textausgaben, nach denen im Stellenkommentar zitiert wird, wenn nicht anders vermerkt. AfdA afrz. AH ahd. Ahd.Wb. Akk. alle Hgg. Anm. Antonini Art. ATB ausf. Ausg. Ba, Bartsch Bd./Bde. Beitr. BMa BMZ Dal, Dallapiazza Dat. Docen DRWb DTM DVjs DWb ed./Ed. einl. En. Er. Euph. evtl. Fem. Fourquet frz.
Anzeiger für deutsches Altertum altfranzösisch Hartmann von Aue: Der arme Heinrich. Hg. v. H. Paul. 15. Aufl. 1984. althochdeutsch Althochdeutsches Wörterbuch. Begründet v. E. Karg-Gasterstädt u. Th. Frings, 1961 ff. Akkusativ BMa, GJ, La, Lei, Mo. Anmerkung Wolfram von Eschenbach: Titurel. Trad. di Lucia Antonini. [A cura di Michael Dallapiazza.] 1994. Artikel Altdeutsche Textbibliothek ausführlich Ausgabe / Ausgaben Wolfram von Eschenbach: Parzival und Titurel. Hg. v. Karl Bartsch. Bd. 3, 1871. Band / Bände Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Hg. v. Karl Bartsch. 4. Aufl. bearb. v. Marta Marti. Bd. 3, 1932. G.F. Benecke/W. Müller/F. Zarncke: Mittelhochdeutsches Wörterbuch. 3 Bde., Leipzig 1854–1861. Wolfram von Eschenbach: Titurel. [Trad. di Lucia Antonini.] A cura di Michael Dallapiazza. 1994. Dativ Bernhard J. Docen: Erstes Sendschreiben über den Titurel. 1810. Deutsches Rechtswörterbuch, Weimar 1914 ff. Deutsche Texte des Mittelalters Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Deutsches Wörterbuch. Begr. v. J. u. W. Grimm, 16 Bde., 1854–1971. ediert, edited / Edition. einleitend Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Hg. v. H. Fromm. 1992. Hartmann von Aue: Erec. Hg. v. Leitzmann. 6. Aufl. 1985. Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte eventuell Femininum Jean Fourquet: L’ancien et le nouveau ,Titurel‘. 1951. französisch
446 frühnhd. Frühnhd.Wb. G GJ, Gibbs/ Johnson Gen. GRM H Hahn Hartl Hei, Heinzle Hg./Hgg./hg. HGA HMS Hollandt
Hs./Hss./hs. idg. Iw. JT JTI, JTII, JT R Kchr. KLD Kluge Komm. Kühn La, Lachmann lat. LCI Lei, Leitzmann Lexer LMA M Ma., ma. Mar, Martin Marti Mask. Matthias MF
Bibliographien und Register frühneuhochdeutsch Anderson/Göbel/Reichmann: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. 1986 ff. „Titurel“-Hs. G: Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 19. Wolfram von Eschenbach: ‚Titurel‘ and the ‚Songs‘. Texts and Translation by Marion E. Gibbs and Sidney M. Johnson, 1988. Genitiv Germanisch-Romanische Monatsschrift „Titurel“-Hs. H: Österreichische Nationalbibliothek Wien, Ser. nova 2663 („Ambraser Heldenbuch“) Der ‚Jüngere Titurel‘. Hg. v. K.A. Hahn. 1842. Wolfram von Eschenbach v. K. Lachmann. 7. Ausg. v. E. Hartl, 1952. Joachim Heinzle: Stellenkommentar zu Wolframs Titurel. 1972. Herausgeber / herausgegeben. Gesamtabenteuer. Hg. v. F.H. von der Hagen. 3 Bde. 1850. Minnesinger. Hg. v. F.H. von der Hagen. 4 Bde. 1838. Wolfram von Eschenbach: Willehalm – Titurel. Text, Nacherzählung, Anmerkungen und Worterklärungen. Von Walter Johannes Schröder u. Gisela Hollandt, 1971. Handschrift / Handschriften / handschriftlich indogermanisch Hartmann von Aue: Iwein. Hg. v. Benecke/Lachmann, 7. Ausg. 1968. Albrechts (von Scharfenberg) Jüngerer Titurel. Hg. v. Wolf/Nyholm, 4 Bde. 1955–1995 [= Wolf Ausg. I u.II; Nyholm Ausg. III u. IV]. Handschriften-Gruppe I, II bzw. Redaktion R des „Jüngeren Titurel“. Kaiserchronik. Hg. v. E. Schröder. Hannover 1892. Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Hg. v. C.v. Kraus. 2. Aufl. 1978. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Aufl., 1989. Kommentar Dieter Kühn: Der Parzival des Wolfram von Eschenbach. 1986. Wolfram von Eschenbach, hg. v. Karl Lachmann, 6. Aufl. 1926. lateinisch Lexikon der christlichen Ikonographie. 8 Bde., 1994. Wolfram von Eschenbach. 5. Heft: Willehalm Buch VI–IX, Titurel, Lieder. Hg. v. Albert Leitzmann, 5. Aufl. 1963. Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde., 1872– 1878. Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., 1980–1999. „Titurel“-Hs. M: Universitätsbibliothek München, 8° Cod. ms. 154 (= Cim. 80b ), ausgelöstes Fragment II. Mittelalter, mittelalterlich Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Hg. v. E. Martin. 2 Bde. 1900–1903. Wolframs von Eschenbach. Parzival und Titurel. Hg. v. Karl Bartsch. 4. Aufl. bearb. v. Marta Marti. Bd. 3, 1932. Maskulinum Die Werke Wolframs. [Übers. v.] Theodor Matthias. Bd. 2, Plauen/Hamburg 1925. Des Minnesangs Frühling. 38. Aufl. v. Moser/Tervooren 1988.
Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen mhd. Mhd.Gramm. Mo, Mohr Neutr. nhd. NL Nom. Nyholm Ausg. Obj. om. Part. Passage Pers. Pip, Piper Pl. Präs. Prät. prov. Pz. Rapp Richey RL RSM s. San-Marte Simrock Sg. Slg. st.V. Str./Strr. sw.V. Tit. TPMA Tr. u.E. V./Vv. vgl. VL Walther Wh. WMU
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mittelhochdeutsch Hermann Paul: Mittelhochdeutsche Grammatik. 23. Aufl. 1989. Wolfram von Eschenbach: Titurel. Lieder. Mhd. Text und Übersetzung von Wolfgang Mohr, 1978. Neutrum neuhochdeutsch Das Nibelungenlied. Hg. v. H. Brackert. 2 Bde., 1970 u. ö. Nominativ Albrechts Jüngerer Titurel. Hg. v. Kurt Nyholm. Bd. III 1985 u. 1992, Bd. IV 1995. Objekt omittit / omittunt (= „läßt aus / lassen aus“) Partizip Charles E. Passage: Titurel. Wolfram von Eschenbach. Transl. and studies. 1984. Person Wolfram von Eschenbach. 1. Teil. Bearbeitet v. Paul Piper, 1890. Plural Präsens Präteritum (alt-)provenzalisch Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe 1998. Wolfram von Eschenbach: Titurel. Übers. v. Albert Rapp. 1924. Schionatulander and Sigune. Transl. by Margaret Fitzgerald Richey. 2., rev. Ed. 1960. [Pfaffe Konrad:] Das Rolandslied. Hg. v. C. Wesle. 3., durchges. Aufl. 1985. Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder. 16 Bde., 1988 ff. siehe Leben und Dichten Wolframs von Eschenbach. Hg. v. San-Marte. Bd. 2, 1841. Parzival und Titurel. Rittergedichte v. Wolfram von Eschenbach. Übers. von K. Simrock. 5., verb. Aufl. 1876. Singular Sammlung / Sammlungen starkes Verb Strophe / Strophen schwaches Verb Wolfram von Eschenbach: Titurel [vorliegende Edition]. Thesaures Proverbiorum Medii Aevi. Berlin/New York 1995 ff. Gottfried von Straßburg: Tristan. Hg. v. Ranke/Krohn. 2 Bde., 1980 u. ö. unseres Erachtens Vers / Verse vergleiche Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Aufl. 10 Bde., 1978–1999. Walther von der Vogelweide, hg. v. K. Lachmann, 14. Aufl. v. Chr. Cormeau. 1996. Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hg. v. Joachim Heinzle 1991. Wörterbuch der mhd. Urkundensprache, 1986 ff.
448 WPMo Wolf Ausg. WvE ZfdA ZfdPh zit. z. St.
Bibliographien und Register Wolfram von Eschenbach: Titurel [CD]. Reinhold Wiedenmann (Gesang), Osvaldo Parisi (Laute). [N. d. Text v. Wolfgang Mohr 1978]. 1995. Albrechts von Scharfenberg ‚Jüngerer Titurel‘. Hg. v. W. Wolf. Bd I. 1955, Bd. II 1968. Wolfram von Eschenbach Zeitschrift für deutsches Altertum Zeitschrift für deutsche Philologie zitiert zur Stelle, zu dieser Stelle
Quellen
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Bibliographien und Register
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Bibliographien und Register
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Bibliographien und Register
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Christoph 1999 Classen 1990
Classen 1993
Classen 1997
Classen 1998
Curtius 1948 Dalby 1965
Dallapiazza 1995
Decke-Cornill Dick 1992
Docen
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Werner Schröder: Kommentar statt Edition? Nachträgliches zu Heinzles ‚Titurel‘-Kommentar. In: ZfdPh 99 (1980), 28–36. Werner Schröder: Die Namen im ‚Parzival‘ und im ‚Titurel‘ Wolframs von Eschenbach. Berlin/New York 1982. Werner Schröder: Textkritisches zum ,Jüngeren Titurel‘. In: WolframStudien VIII. Hg. v. Werner Schröder. Berlin 1984, 34–48. Werner Schröder: Textkritisches zum ,Jüngeren Titurel‘ (II) In: ZfdA 116 (1987), 29–35. Werner Schröder: Die sogenannten Hinweis-Strophen nebst ‚Kunst‘-Strophen und Aventiure-Gespräch in der Überlieferung des ‚Jüngeren Titurel‘. Akademie d. Wiss. und d. Lit. Mainz, Abhandlungen d. geistes- u. sozialwiss. Klasse 1993, Nr. 12. Stuttgart 1993. Werner Schröder: Die Heidelberger Handschrift H (cpg 141) des ‚Jüngeren Titurel‘. Bereinigter Text mit den Varianten der Redaktion R. 3 Teilstücke. Akademie d. Wiss. und d. Lit. Mainz. Abhandlungen der geistes- und sozialwiss. Klasse 1994, Nr.1; 1994, Nr. 11; 1995, Nr. 3. Stuttgart 1994–1995. Hermann Schultheiss: Die Bedeutung der Familie im Denken Wolframs. Breslau 1937. Alwin Schultz: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger. 2 Bde. 2. Aufl. Leipzig 1889. James A. Schultz: The knowledge of Childhood in the German Middle Ages, 1100–1350. Philadelphia 1995. Marlies Schumacher: Die Auffassung der Ehe in den Dichtungen Wolframs von Eschenbach. Heidelberg 1967. Julius Schwietering: Typologisches in mittelalterlicher Dichtung. In: Vom Werden des deutschen Geistes. Festgabe für Gustav Ehrismann. Hg. v. P. Merker u. W. Stammler. Berlin/Leipzig 1925, 40–55. Julius Schwietering: Die deutsche Dichtung des Mittelalters. Potsdam 1932 [unver. Nachdr. 1957]. Julius Schwietering: Parzivals Schuld. In: ZfdA 81 (1944/46), 44–68. Werner Simon: Zu Wolframs Titurel. In: Festgabe für Ulrich Pretzel zum 65. Geburtstag. Hg. von Werner Simon, Wolfgang Bachofer u. Wolfgang Dittmann. Berlin 1963, 185–190. Otto Springer: Etymologisches Spiel in Wolframs ‚Parzival‘. In: Beitr. 87 (1965), 166–181. Otto Springer: Playing on words: A stilistic Note on Wolframs Titurel. In: Ders.: Arbeiten zur germanischen Philologie. München 1975, 228–242 [zuerst in: Research Studies 32 (1964), 106–124]. Johannes Stosch: Zur Frage nach der Abfassungszeit der Titurellieder. In: ZfdA 32 (1888), 471–72. Johannes Stosch: Wolframs Titurellieder. In: ZfdA 25 (1881), 189–207. Johannes Stosch: Nachträgliches zu Wolframs Titurelliedern. In: ZfdA 26 (1882), 145–149. Elfriede Stutz: Wolframs Titurelstrophe – Vers 1. In: Studien zu Wolfram von Eschenbach. Festschrift für Werner Schröder zum 75. Geburtstag. Hg. v. K. Gärtner u. J. Heinzle. Tübingen 1989, 455–483. Petrus W. Tax: [Rez. Heinzle 1972]. In: Seminar 10 (1974), 71–73.
464 Taylor 1964 Tobler/ Lommatzsch TPMA
Unterkircher 1973
VL Vorderstemann 1974 Wais
Wapnewski 1955 Wapnewski 1972 Wechssler 1909 Wehrli 1974
Wehrli 1984 Wiedenmann 1988
Willms 1990
WMU
Wolf 1939 Wolf 1942 Wolf 1948/50
Bibliographien und Register R. J. Taylor: Die Melodien der weltlichen Lieder des Mittelalters. Darstellungsband und Melodieband. Stuttgart 1964. A. Tobler u. E. Lommatzsch: Altfranzösisches Wörterbuch. Berlin/ Wiesbaden 1924 ff. Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begr. v. Samuel Singer. Hg. v. Kuratorium der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Berlin/New York 1995 ff. [bisher 12 Bde.]. Ambraser Heldenbuch. Vollständige Faksimile-Ausgabe. Textband, Kommentarband. Kommentar von Franz Unterkircher. Graz 1973 (= Codices selecti 43). Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearb. Aufl. hg. v. Kurt Ruh u. a. 10 Bde. Berlin 1978–1999. Jürgen Vorderstemann: Die Fremdwörter im Willehalm Wolframs Eschenbach. Göppingen 1974 (= GAG 127). Kurt Wais: „Lai de L’Espine“. Schionatulander und Iron der Brandenburger. In: Beitr. z. Romanistik u. Allgemeinen Sprachwissenschaft. Festschrift für Wilhelm Giese. Hg. v. H. Haarmann u. M. Studemund. Hamburg 1972, 457–497. Peter Wapnewski: Wolframs Parzival. Studien zur Religiosität und Form. Heidelberg 1955. Peter Wapnewski: Die Lyrik Wolframs von Eschenbach. Edition, Kommentar, Interpretation. München 1972. Eduard Wechssler: Das Kulturproblem des Minnesangs. Bd. I. Halle 1909. Max Wehrli: Wolframs ‚Titurel‘. Opladen 1974. (= Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vorträge. G 194) [wieder in: Max Wehrli: Gegenwart und Erinnerung. Gesammelte Aufsätze. Hg. v. Fritz Wagner u. Wolfgang Maaz. Hildesheim u. a. 1998, 208–226]. Max Wehrli: Geschichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. 2. Aufl. Stuttgart 1984. Reinhold Wiedenmann: ‚Titurel‘ und ‚Ain Franck’‘. Empfindungen eines Sängers zur Salzburger Aufführung. In: Mittelalter-Rezeption III. Ges. Vorträge des 3. Salzburger Symposions: ‚Mittelalter, Massenmedien, Neue Mythen‘. Hg. v. Jürgen Kühnel u. a. Göppingen 1988, 33–36. Eva Willms: Liebesleid und Sangeslust. Untersuchungen zur deutschen Liebeslyrik des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts. München 1990 (= MTU 94). Wörterbuch der mhd. Urkundensprache. Auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300. Unter d. Leitung v. B. Kirschstein u. U. Schulze. Berlin 1986 ff. Werner Wolf: Grundsätzliches zu einer Ausgabe des ‚Jüngeren Titurel‘ I. In: ZfdA 76 (1939), 64–113. Werner Wolf: Grundsätzliches zu einer Ausgabe des ‚Jüngeren Titurel‘ II. In: ZfdA 79 (1942), 49–113 u. 209–248. Werner Wolf: Zu den Hinweisstrophen auf die Wolframfragmente in der kleinen Heidelberger Handschrift. In: ZfdA 82 (1948/50), 256–264.
Forschungsliteratur Wolf 1959 Wolff 1950
Wyss 1974 Wyss 1997
Zarncke 1876
Zarncke 1880
Zwierzina 1898
465
Werner Wolf: Zur Verskunst der Jüngeren Titurelstrophe. In: Festschrift für F. R. Schröder. Heidelberg 1959, 163–177. Ludwig Wolff: Wolframs Schionatulander und Sigune. In: Studien zur deutschen Philologie des Mittelalters. Friedrich Panzer zum 80. Geburtstag. Hg. v. Richard Kienast. Heidelberg 1950, 116–130 [wieder in: Wolfram von Eschenbach. Hg. von Heinz Rupp, Darmstadt 1966, 549–569 (= WdF 57)]. Ulrich Wyss: Selbstkritik des Erzählers. Ein Versuch über Wolframs Titurelfragmente. In: ZfdA 103 (1974), 249–289. Ulrich Wyss: „Ich tuon sam der swan, der singet, swenne er stirbet“. Über die Lesbarkeit des Minnesangs. In: Der fremdgewordene Text. Festschrift für Helmut Brackert zum 65. Geburtstag. Hg. v. S. Bovenschen, W. Frey, St. Fuchs u. a. Berlin/New York 1997, 24–41. Friedrich Zarncke: Der Graltempel. Vorstudien zu einer Ausgabe des ‚Jüngeren Titurel‘. In: Abhandlungen der Phil.-Hist. Classe der Königl. Sächs. Ges. d. Wiss., Bd. VII, Nr. 5. Leipzig 1876, 375–553. Friedrich Zarncke: Zu Walther und Wolfram. 5.: Zu Walther 80,17 und Wolframs Titurel 20,3; 6.: Zu Wolframs Titurel. In: Beitr. 7 (1880), 602–605. Konrad Zwierzina: Beobachtungen zum Reimgebrauch Hartmanns und Wolframs. In: Abhandlungen z. Germanischen Philologie. Festgabe R. Heinzel. Halle 1898 [Nachdr. Hildesheim 1985], 437–511.
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Bibliographien und Register
4. Verzeichnis der Eigennamen Aufgenommen sind alle Personennamen, Ländernamen und deren Ableitungen sämtlicher in den drei Handschriften G, H und M enthaltenen Strophen. Als Lemma gilt die (endungslose) Schreibung des Namens in vorliegender Edition beim ersten Erscheinen, also evtl. die normalisierte Form. Dahinter steht (falls abweichend) in eckigen Klammern und nach ~ die Schreibung, die von uns im Stellenkommentar verwendet wird, sowie evtl. (nach „auch:“) weitere Formen des Namens, die in der Forschung oder durch andere Wolfram-Editionen etabliert sind. Nach dem Lemma folgen die Schreibungen der Namen in den Handschriften ohne Normalisierungen. Allein die Groß- und Kleinschreibung der Hss. ist nicht berücksichtigt, Eigennamen werden stets groß geschrieben. Die Graphen für !s" sind stets als s wiedergegeben. Die Belegstellen sind nach Handschriften sortiert. Verschiedene Schreibungen stehen in gesonderten Zeilen; die Handschriften sind durch Einzug voneinander abgesetzt. Es werden innerhalb einer Hs. der Wechsel von v/u sowie variierende Flexionsendungen nicht getrennt, nur zusammenfassend verzeichnet, wobei auftretende Endungen in Klammern nach der Schreibung stehen. Die Strophenangaben beziehen sich auf vorliegende Edition, nicht auf die Stellung der Strophe in den Handschriften (diese läßt sich mit Hilfe der Konkordanz bequem ermitteln). Ahkarîn Ahkarine G 40,2 (Allexandrine) H 40,2 Anfortas Anfortas G 9,3 Anphortas H 9,3 Anphlîse [auch: Amphlîse, Ampflîse] Anphlise(-n) G 39,1; 54,2; 97,4; 101,2; 105,3; 127,2; 128,4 Anphlisien G 38,1 Anfflisen H 38,1 Anphlÿsen H 39,1 Anphleyse H 54,2 Anfolyse M 101,2 Anschevîn Anschevine G 40,1; 54,3; 99,1; 116,3 Answine H 40,1 Ensweine H 54,3 Anschewine M 116,3 arâbensch arabensch G 142,2 Azagouc AzagQch G 80,1 Azagavch M 80,1 Baldac Baldach G 73,2; 85,4 Belakâne Belachanen G 37,1
Belacanen H 37,1 Beleganen M 37,1 Berbester Berbester G 42,2 Bebester H 42,2 Prebester M 42,2 Beuframunde Bevframun(de) G 155,3 Britûn Britun G 152,2 Brûbarz [~Brobarz] Brubarz G 28,2; 29,2 Brubars H 28,2 Brtbram H 29,2 Claudite [~Clauditte] Claudite G 154,2 Condwîrâmûrs f Kondwîrâmûrs Egremuntîn Egremuntin G 126,4 Ehkunat (Pfalzgraf von Berbester) Ehkunates G 42,1 Ekunares H 42,1 Ehkunat [~Ehcunat] (Geliebter der Clauditte) Ehkunat der Salfasch Florien G 156,1 Ehcunat(-e) G 156,4; 162,1 Ehcunaver von BlQme div wilde G 157,4
Verzeichnis der Eigennamen Flôrîe Florie(-n) G 152,1; 153,4 Franzoisine Franzoisine G 37,3; 38,1 Franzoysinne G 104,2 Frantzosynne H 37,3 Frantzosin H 38,1 Fra … M 38,1 Franzoys, franzoys Franzoyse G 54,2 franzoyse G 169,2 Franzoysære G 127,2 Frantzoser H 54,2 Frimutel Frimutel(-es)(-les) G 7,2; 12,3; 27,4 Freymuntel H 7,2 Freymutel H 12,3 Frimuntels H 27,4 Frimuttelles H 35,1 Frimvtelles M 35,1 Gahmuret Gahmuret(-s)(-es) G 27,2; 37,1; 39,1; 47,1; 74,1; 79,1; 93,2; 95,1; 97,1 Gahmiret G 55,2 Gamuret(-es) H 27,2; 37,1; 39,1; 47,1; 55,2 Gahmvret, Gahmuret M 39,1; 113,2 Ga(h) … M 37,1 G(a) … M 79,1 Gahmv … M 81,1 … ahmuret M 83,1 Gahmuret M 113,2 Gardevîaz Gardeviaz(-es) G 148,4; 160,3; 161,4; 164,4; 171,4 Grâharz f Krâharz Grâharzoys, Grâhardeiz (vgl. aber: Krâharz) Graharzoys G 89,3; 136,4 Grahardeiz G 141,4 Grahd’o … M 89,3 Grâsivaldâne G 88,2 Grasivaldane G 88,2 Grasivalden G 97,2 … (a)ldane M 88,2 Gurnemanz f Kurnomanz Gurzgrî f Kurzkrî Herman von Dürngen Her … von … (n) M 87,1
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Herzelaude [~Herzeloyde, auch: Herzeloide, Herzelöude] Herzelaude(-n) G 10,3; 27,1; 29,1 Hertzenlayde H 10,3 Hertelauden H 26,2 Hertzelaiden H 27,1 Hertzelaude(-n) H 29,1; 34,1 Herzenlovden M 34,1; 81,1 Ilinôt f Ylinôt Ipomidôn Ipomidon(-e) G 73,4; 74,4 Kanadic Kanadich G 152,1 Kanvoleiz Kanvoleiz, Kanuoleiz G 26,3; 35,4; 45,3 Ganuoleiz G 46,1 Anfuleis H 26,3 Konfoleis H 35,4 Kanuolaÿs H 45,3 Kanuoleis H 46,1 Karideiz [~Kardeiz] Karideiz G 28,1 Kardus H 28,1 Kastis Kastis G 26,1; 27,1 Castis H 26,1 Kastis H 27,1 Katelangen Katelangen G 14,1; 15,2; 57,1; 110,2; 170,2 Katelange G 114,1 Kathelanngen H 14,1; 57,1 Kathelangen H 15,2; 31,2 Katalangen M 110,2; 114,1 Kingrivâls Kingrivals G 26,4 Kinriuals G 79,1 Ktngrifalsch H 26,4 Gingr … M 79,1 Kîôt [auch: Kyôt] Kiot(-es) G 14,1; 16,1; 24,2; 25,2; 32,1; 109,4; 110,1; 113,3 Kyot H 14,1 Kyot(-es) H 16,1; 25,2; 32,1 Kÿot H 24,2 (K)yotes M 32,1 Kyot(-es) M 109,4; 110,1; 113,3
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Bibliographien und Register
Kondwîrâmûrs [auch: Condwîrâmûrs] Kondwiramus G 25,3 Kondwiramurs G 29,3 Kondewiramss H 25,3 Condewiramius H 29,3 Krâharz [~Graharz] (vgl. aber: Grâharzoys, Grâhardeiz) Kraharz G 41,2 GrahaYs H 41,2 Kurnomanz [~Gurnemanz] Churnomanz G 41,2 Gurnemans H 41,2 Gurnamanz M 41,2 Kurzkrî [~Gurzgri] Kurzkri(-en) G 41,4; 43,1; 89,4; 163,4 Kurkrie G 132,2 Gruzgri H 41,4 Gurtzgrien H 43,1 Gurz(e) … M 41,4 Gvr … M 43,1 (G)vrze(g) … M 89,4 Mâbonagrîn Mabonagrine G 89,4 Mobon … (ine) M 89,4 Mahaute … ahute G 42,1 Mahaude G 131,4; 132,2 Nachte H 42,1 Mohvte M 42,2 Manfilôt [auch: Manpfilyôt, Manpfiliôt] Manfilot G 23,1 Monfiles H 23,1 Muntsalvâtsche [~Munsalvæsche] Muntsalvatsche, Muntsaluatsche, Mvntsalvatsche G 12,4; 26,2; 27,4; 44,4 Monsalvatsch H 12,4 Montsalvatsch, Montsaluatsch H 26,2; 44,4 Montsaluasch H 27,4 … alfatsch … M 44,4 Nurgâls [~ Norgals] Nurgals G 86,1 Nori(g) … M 86,1 Parzivâl Parzival G 78,4 P(a) … (l) M 78,4
Pelrapeire Pelrapeire G 22,2 Belrapiere H 22,2 Pompeirus [~Pompeius] Pompeirus G 73,2 Repanse de schoye f Urrepanse de schoye rœmesch romesche G 98,2 Sarrazîn Sarrazine G 98,2 Schôette f Swete Schoydelakurt Schoydelakurte G 41,4 Tschoy de lagurte H 41,4 Ts … de la cv … M 41,4 Schoynatulander [~Schionatulander] Schoynatulander, Schoynatvlander G 42,3; 52,2; 54,1; 55,1; 56,1; 66,1; 75,1; 93,1; 112,1; 113,2; 126,3; 128,1; 133,1; 138,2; 159,1; 164,1 Schoyinatulander G 47,2 Tschyonatulander H 42,3; 47,2; 52,2; 56,1; 66,1 TschYonatulander H 54,1; 55,1 … (e)r M 42,3 Tschynohtvlander M 112,1 Schoysîâne Schoysiane(-n) G 10,1; 13,3; 14,1; 19,1; 20,3; 24,4; 37,2; 109,1; 109,3; 110,2; 113,3; 116,2 Tchrosiane H 10,1 Thyosyanen H 13,3 Thyosyanen H 14,1 Tschyosiane H 19,1 Thyosianem H 20,3 Thysiane H 24,4 Tÿosyanen H 33,4 ThYosianen H 37,2 Tscho(y) … M 33,4 Tschoysianen M 37,2; 109,3; 110,2; 113,3; 116,2 Sibilie Sibilie G 86,1 … ilige M 86,1 Sigûne Sigune(-n) G 24,1; 25,1; 28,3; 29,1; 32,1; 43,2; 44,3; 47,4; 52,2; 56,3; 75,2; 75,4; 78,4; 88,3; 103,4; 106,4;
Verzeichnis der Eigennamen 109,4; 110,4; 111,4; 112,4; 114,4; 144,1; 149,1; 151,3; 166,4; 169,4 Sugasne H 24,1; 44,3 Sÿgasnen H 25,1 Sygasne H 28,3; 56,3 Sigasne(-n) H 29,1; 32,1; 36,1 Zigaunen H 43,2 Sygaunen H 47,4 Sigaune H 52,2 Sygvne(-n), Sygune(-n) M 36,1; 43,2; 78,4; 106,4; 109,1; 109,4; 110,4; 111,4; 112,4; 114,4 … (g)vne M 44,3 … vne M 88,3 Spânge Spange G 86,1 Yspane(g) … M 86,1 Swartzwalt Swartzwalde H 31,4 Sw(a) … (w)alt M 31,4 Swete [~Schoette] Swete G 131,4 Tampunteire [auch: Tampenteire] Tampunteire G 15,2; 22,1; 25,1; 28,1 Tampuntier H 15,2; 25,1; 28,1 Tampuntiere H 22,1
tiusch tuschen G 55,4; 148,4 tutsch G 157,3 Trevrezent [~Trevrizent] Trevrezent G 9,3 Trefrezent G 138,3 Tresfezzent H 9,3 Tyturel [~Titurel] Tytvrel G 1,1 Titurel G 12,1 Tytorel H 1,1 Titurel H 12,1 Urrepanse de schoye [auch: Repanse de schoye] Vrrepanse der schoyen G 10,4 Vrrepano de tschyen H 10,4 Wâleis Waleis G 40,3 Waleis H 40,3 Waleis M 40,3 Ylinôt [~Ilinot] Yiote G 152,2
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Bibliographien und Register
5. Wortregister zum Text Das Register verzeichnet sämtliche Substantive, Adjektive und Verben (Vollverben außer verbum substantivum, keine Hilfs- oder Modalverben oder Verben in modifizierendem Gebrauch) des Textes nach vorliegender Edition. Zu den Eigennamen und deren Ableitungen s. das vorhergehende Register. Die Lemmata sind stets im Nominativ Singular bzw. endungslos bzw. im Infinitiv (auch bei Partizipial- oder Gerundialformen und Substantivierungen mit wenigen markanten Ausnahmen) wiedergegeben. Die Schreibung bzw. die alphabetische Einordnung des Lemmas richtet sich nach der Edition (bei varianten Schreibungen nach der häufigeren Schreibung). Kommt das Lemma an der angegebenen Stelle nicht im edierten Text sondern in einer hs. Variante vor, ist die Verszahl von der Sigle der Handschrift gefolgt. Zudem ist bei Lemmata, die nur in den elf nicht von G überlieferten Strophen belegt sind, zur Erklärung der Schreibung die Sigle der überliefernden Hs. mitgegeben. Bei unsicheren oder konjizierten Lesungen steht die Verszahl in Winkelklammern. Zuweilen ist zur Verdeutlichung oder Differenzierung die Wortart oder eine Übersetzung in Klammern beigegeben, zuweilen ein Verweis auf Wörter zum gleichen Stamm, sofern diese nicht ohnehin unmittelbar benachbart verzeichnet sind. âbent 122,1 adamant 147,2 admirât 98,2 ahte 49,4 ahtzec 79,4 alt (f eralten) 28,4; 65,2; 123,4 alter 1,3; 12,2; 48,3; 92,3 ambet 8,1 âmîe 88,3; 132,1; 152,2 âmîs 58,1; 156,2 ane 41,2 ânen 113,4 anevanc, anvanc 73,1; 149,1; 175,2 angeborn (f erboren, f gebern) 94,1 angel (f vederangel) 164,2; 165,1
angest (f enge) 48,1; 119,1 anschawen (f schouwen) 62,2 H antlütze 94,2; 99,4; 115,2; 135,2 arbeit 59,2; 59,3 H; 72,2; 140,2; 143,2 arm (Subst.) 13,2; 27,2; 144,1 arm (Adj.) 107,4 M; 118,2; 155,4 armuot 105,2 arômâten 21,2 art 4,3; 33,4; 38,2; 41,1; 49,4; 53,1; 57,2; 79,3; 94,1; 148,2; 151,2; 158,3 âsanc 95,2 asche 159,2 ast 108,2 âventiure 39,4; 59,3; 146,3; 170,1
Wortregister zum Text b (f p) bach 164,3 balsmen 21,2 bant (f bendec, f binden) 48,4; 106,1; 112,2; 121,4; 172,4 bâruc 40,2 bêâs 58,1 bêde f beide bedenken 62,3 bedetten 64,1 H bedurfen 121,2 begên 3,2 begern (f gern) 60,2 H; 62,2 H begrîfen 48,2; 51,1; 143,1 behaben 7,3 behalden 28,3; 64,3; 174,3 beiagen (f iagen) 110,1 beide, bêde 8,4; 12,2; 20,2; 26,4; 52,1; 67,4; 70,3; 77,3; 78,2 M; 100,3; 119,4; 125,2; 151,4; 171,2 bein 164,2; 166,1; 168,1 bekant 67,2; 138,3 bekantlîch 151,4 bekennen 45,3; 63,4; 154,3 belîben 78,1; 145,4; 169,2 bendec (f bant) 121,4 benennen (f nennen) 40,1; 43,1; 63,3 ber 92,4
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berâten 9,1 berhaft (f bern) 45,2 berichten 30,3 H berîfet 167,1 berle 145,1 bern (f berhaft) 101,1 beruofen 109,1; 154,4 beschînen !81,3 " besengen 95,2 besitzen 12,3 besliezen (f sliezen, f slôzlîch) 10,1; 47,4 H; 136,1 beswern 50,2 bet 58,3 betriegen 70,4 betwingen (f twingen) 68,3; 108,4; 114,1; 123,3 bevelhen 21,1; 82,1; !82,3" bevinden (f erfinden, f vinden) 46,4 H; 59,4 H; 107,2; 118,4 bewæren 68,2 beweinen (f weinen) 81,4 bieten (f enbieten, f erbieten, f gebieten, f sicherbote) 130,1; 174,2 binden (f bant) 132,4; 160,1; 171,4 bîten 21,2; 111,2 blanc (f blenke, f verblenken) 85,3; 161,2; 164,2; 166,2 blat 145,3
472
Bibliographien und Register
blenke (f blanc f verblenken) 85,3 blic (f geblicken, f erplicken) 32,2; 94,2; 99,4; 109,3; 117,4; 135,4 bliclîch 111,4 blint 49,2 blôz 164,2; 166,1; 167,3 blüejen (f erblüejen) 32,3 blüete 101,1 bluome 32,2; 88,4; 108,3; 111,4; 157,4 borgen 19,3 borte 142,2; 148,2 bortesîden (f sîdin) 144,2 botschaft 6,1; 54,2 boum 108,2 bracke 137,3; 139,4; 141,1; 142,4; 143,1; 143,4; 149,2; 151,1; 158,2; 162,2; 165,2; 173,4 brâme 165,2; 166,1 braunen (f brûn) 36,2 H brechen (f sperbrechen) !87,4 "; 142,1; 153,2; 163,1 breit 51,1; 133,3; 145,3 brief 158,2; 169,2 bringen 11,3; 15,1; 29,2; 40,3; 45,1; 90,2; 98,4; 111,3; 140,3; 153,2; 172,3; 173,4; 174,2 brinnen 77,4 brûn (f braunen) 85,4; 144,3 bruoder 15,2; 22,2 brust (f prüstel) 25,3; 129,1; 134,1
buoch 169,2 buochstap 147,1 c (f k) clam 3,2 H clâr (f klârheit) 19,1 H; 26,2; 28,1; 53,4; 68,4 H; 124,4; 144,1; 173,2 clâren 130,1 corscheffte 6,1 H dach 71,4; 134,2 danken 120,4 decken 140,4 denken (f gedanc, f gedenken) 29,1; 90,4; 92,1; 139,1 dicke (Adj.) 140,4 dicke (Subst.) 142,1 dienen (f gedienen, f verdienen) 35,4 (?); 71,4 (?) dienst 30,4; 72,3; 171,3; 174,1 dienstlîch 111,2 diep 68,4 diet 44,1; 55,4 dinc 10,2; 38,3; 50,3 doln 17,1; 114,4; 163,4 dorn 116,4 dræjen 36,2 H drî 74,3; 118,2 drîhe 142,2
Wortregister zum Text drîhen 96,4 drîzec 124,2 duc (f duzisse) 156,1 dulden 121,2 durchstrîchen 105,1 dürkel 94,4 duzisse (f duc) 57,1; 107,2 ecke 2,4; 134,4 edelkeit 128,2 eigen 71,2 ellen (f ellenthaft) 16,2 ellende (Subst.) 118,1; 120,4 ellende (Adj.) 61,4; 86,4; 118,1 ellenthaft (f ellen) 107,4 enbern 124,4 enbieten (f bieten) 6,2; 54,3 enblecken 96,1 enbrechen 37,3 enbrennen 2,4 ende (f verenden) 74,1; 153,1; 170,2 enge (f angest) 50,4 engel 6,2 engelten (f gelten, f vergelten) !84,2 " enphâhen 3,1; 5,1; 6,1; 7,4; 15,1; 57,4; 74,4; 95,4; 113,4; 139,3
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enpharn (f varn, f zerfarn) 141,1 enphinden 115,2 enphliehen 8,4 enphüeren 129,1 enstân 19,3 enstricken 106,1 entrinnen 162,1 entscheiden (f gescheiden, f scheiden) 76,3 entslâfen (f slâfen) !83,4 " entwerfen 96,4; 135,1 entwîchen 69,2; 105,2 entwilden (f verwilden, f wilde, f wilt) 102,3 eralten (f alt f alter) 87,1 erarnen 71,3 erbarmen 101,2; 118,1 erben 4,4; 131,2; 132,2; 154,1 erbieten (f bieten) 120,2 erblüejen (f blüejen) 111,4 erboren (f angeborn, f gebern) 38,2; 38,4; 53,2; 57,2; 72,4; 133,2; 152,1 erde 21,1; 51,2; 81,2 êre 19,3; 32,3; 34,3; 64,1; 82,1; 87,2; 130,1 êren (f unêren) 2,2 erfinden (f bevinden, f vinden) 59,4; 132,3 ergâhen (f gâhen, f vergâhen) 139,4 ergên (f gên) 46,4; 66,4
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Bibliographien und Register
ergetzen 175,1 erglüejen 126,3 erhellen (f hel) 35,2; 138,1; 164,4 erholn (f holn) 172,2 erhœren (f gehœren, f hœren) 164,4 erkalten 126,2 erkantlîch 109,4 erkennen 63,4 H; 68,1; 87,1; 135,3; 143,2; 157,3 erlachen (f lachen) 134,1 erlamen 51,4 erlân, erlâzen 18,2; 120,4 erlangen 117,3 erlouben (f urloup) 136,1 erloufen (f loufen) 139,1 ernern (f nern) 106,4 erplicken (f blic, f geblicken) 66,3 H errâten 147,4 erringen (f ringen) 106,3 erschiezen (f schiezen) 166,3 erschreiben (f schrîben, f volschrîben) 49,4 H erspehen (f spehen) 40,4 ersterben (f sterben) 26,1; 28,1 H erstrîten (f gestrîten, f strîten) 111,1 erteilen (f teilen) 155,4; 157,2 erweln (f weln) 44,1; 44,2 H; 79,4
erwenden (f wenden) 98,3; 141,4; 173,2 erwerben (f gewerben, f werben) 14,1; 16,1; 26,2; 37,2; 39,3; 42,4; 54,4; 77,3; 129,3; 171,4 erwinden 144,4; 160,2 erzeigen 71,1 erzwîgen (f zwîgen) 108,2 ezzen 160,4 f (f v) fal 36,2 H fallen 45,2 H (M?) farbe 68,4 H fiurîn 134,3 fliegen 64,4; 65,4 fliezen 65,4 flüchtec 140,2 fluochen 153,2 flust (f verlust) 19,4; 63,4; 67,2; 89,2; 168,4 flustbære 143,4 frâge 67,2 frâgen 67,1 freischen, vreischen 86,3; 169,1; 175,3 frî 71,2 fride 103,2 friunt, vriunt 13,2; 58,1; 63,2; 77,1; 121,2; 122,4; 124,4; 137,4; 157,3; 171,1; 173,2 friuntschaft 70,4
Wortregister zum Text frô
!84,1 "; !84,4 "
frœlîch 112,4 frömde, vrömde 36,1; 85,1; 154,3 fröude (f fröuwen) 20,4; 62,4; 66,2; 67,3; 68,4; 69,4; 75,2; 76,2; 77,3; 84,4; 88,4; 91,3; 97,2; 98,4; 110,2; 112,4; 113,4; 120,3; 125,1; 129,3; 130,4; 131,1; 131,2; 133,4; 139,2; 141,4; 143,4; 159,2 frouwe 11,1; 21,1; 26,3; 27,3; 31,2; 35,2; 60,2; 65,1; 65,1 H; 72,1; 105,3 fröuwen (f fröude) 108,1 fruht 33,3; 41,1 H; 116,2; 135,3 fruo 46,3; 132,1 füeren (f gefüeren) 25,2; 85,4; 167,4 fünf, vünf 9,1; 28,2; 80,1 funken 134,4 fuoz 166,2; 168,1 fürhten, forhten 119,1 M; 127,2 furrieren 143,2 fürste 13,4; 15,3; 17,1; 20,1; 21,4; 22,1; 26,4; 38,2; 38,4; 76,1; 88,2; 92,4; 110,2; 128,1; 141,1; 151,1; 151,4; 155,2; 156,4 fürstin 114,1 gâbe (f geben) 4,2; 6,4 gâhen (f ergâhen, f vergâhen) 161,4; 162,3; 165,1 ganz 33,1; 94,4; 166,1 gebære 63,2; 149,2 gebeine 138,4
geben (f gâbe) 2,3; 26,3; 71,2; 85,2; 126,4; 128,2; 152,2; 154,2; 160,4 gebern (f angeborn, f erboren) 19,2; !81,2"; 101,3 gebieten (f bieten, f gebot) 146,3; 170,3 geblicken (f blic, f erplicken) 66,3 gebot (f gebieten) 71,2 gedanc (f denken) 65,3; 66,1; 68,1; 90,4; 114,2; 121,4; 152,2 gedenken (V.) 34,1; 88,2 gedenken (Subst.) 104,4 gedienen (f dienen, f verdienen) 35,4 (?); 71,4 (?) gedinge !84,1 "; 103,1 gefüeren (f füeren) 1,2 gegenhurte (f hurte) 167,2 gehelffen 61,2 H gehilfflich 57,3 H gehœren (f hœren) 78,2; 137,1 gehôrsam 50,2 gehundet (f seil) 147,2 geil 84,4; 159,3 gekêren (f kêren) 140,1 gel 144,3 geleben (f leben) 9,4; 76,2; 118,3; 174,2 geleite 51,2 gelîch 33,4; 98,1 gelingen 72,4
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Bibliographien und Register
gelouben 99,1 (sich) gelouben 48,3; 99,3 gelt 135,4 gelten (f engelten, f vergelten) 18,3; 122,4 gelücke 76,4 M; 174,4 gemâge (f mâc) 100,2 gemâl 7,4; 43,4 gemanen (f manen) 56,2 gemannen 40,4 gemêren (f meren) 134,4; 140,2 gemezzen (f messen) 135,1 gên (f ergên) 35,3; 65,4; 123,1 genâde 3,2 H; 57,4 H; 60,1; 60,2; 60,2; 60,4; 173,1 genædec 172,4 genâhen (f nâhen) 153,4; 165,2 genende 2,1 genendec 86,2 genendekeit 40,4; 56,2 H genenden 56,1; 128,2 geniezen 10,2; 14,3; 43,2; 57,1; 105,4 genôz 87,3 gerêren (f rêren) 86,2 gerîchen (f rîch) 131,2 gern, geren (V.) 13,3; 23,4; 60,2; 61,3; 62,2; 155,2; 156,4; 171,3
gernde 121,2 gerüeren (f rüeren) 1,1 geruochen 60,2 geschaffen 109,2 geschehen 46,2; 163,4 gescheiden (f enscheiden, f scheiden) 119,3 geschicke 94,1 gesehen (f sehen) 14,2; 15,4; 82,2; !84,4 " geselle 51,4; 80,3 gesellekeit (f gesellschefte) 29,4; 56,2; 60,3 geselleschaft (f gesellekeit) 29,4 H; 73,1 gesenden (f senden) 141,2 geslähte 4,4; 53,1 gespile (Subst.) 25,4; 28,4 gesprechen (f sprechen) 78,2 gesteine (f stein) 80,1; 142,3 gestillen 10,4 gestrîten (f erstrîten, f strîten) 111,1 M gesüezen (f geunsüezen, f süez) 135,4 geswîgen 37,4 getragen (f tragen) 2,1; 104,2 getriuten 64,2 getriwe (f triwe) 45,4 H; 77,1; !81,3" getrûwen 102,4 getuon 4,2
Wortregister zum Text geturren 1,2; 128,2 geturst 128,2 getwenget (f twingen) 95,1 geunsüezen (f gesüezen, f süez) 168,2 gevære (f vâre) 63,1 gevilde (f velt) 158,2 gevirren (f verre) 5,3; 165,3 gewalt 106,4 M gewaltec 70,1 gewære 63,1 GH geweinen (f weinen) 25,2 gewerben (f werben) 69,4 gewern 13,4; 18,1 gewin 20,4; 63,4; 67,2; 77,2; 89,2; 152,4 gewinnen 17,1; 27,1; 30,1; 162,2 gewonheit 85,2 gezelt (f zeltstange) 162,3; 166,4 gezierde 144,4 glanz 94,3; 111,4 glesten 142,4 gnaneisten 126,2 golt 80,1 got 9,1; 18,2; 31,2; 51,2; 63,4; !82,1"; 82,3; !83,3 "; 109,2; 120,1 grâ 167,2
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grâl 6,1; 7,1; 7,3; 7,4; 7,4; 9,2; 11,4; 12,4; 24,4; 43,3; 44,1 grânât 147,2 (der) grîse 70,1; 175,3 grôz 12,2; 33,2; 52,3; 56,2 H; 62,1; 74,2; 100,1; 102,3; 113,2; 143,3; 164,1 grôzgemuot (f hôchgemüete, f wolgemst) 141,3 grüene 144,3; 148,1 grüezen 39,4; 110,3 gruoz 3,3; 5,1 H güete 36,4; 60,2 H; 101,2; 120,4; 135,2; 154,2 güeteclîch 83,1 guldîn 146,4 gunnen 31,2 gunst 149,4 guot 10,2; 175,2 halden 132,4; 133,4; 137,4 hæle (f heln) 163,2 halp 83,2 halse 142,2; 148,2; 150,1 halten 172,4 hân 10,3; 18,4; 19,2; 20,2; 49,2; 63,1; 101,4; 134,2; 152,3 hant 2,2; 4,2; 6,4; 11,4; 64,4; 90,2; 106,3; 107,2; 141,1; 153,2; 161,2; 165,1; 167,1; 167,2; 167,4; 172,3; 174,2 hâr 33,2; 36,2
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Bibliographien und Register
hart 142,2; 161,3 hayss (f hitze) 29,3 H haz 128,4; 128,4 heben 36,3; 46,3; 74,1; 93,4 heide 108,3; 122,2 heiden (Subst. Pl.) 55,4; 76,4 heiden (Adj.) 86,4 heidenschaft 40,2 heil (f unheil) 76,4; 80,4 heilhaft 44,4 heizen 22,2; 42,1; 42,3; 148,4; 154,2 hel (f erhellen) 9,4; 35,2; 137,2 helbære (f heln) 93,2; 97,1 helfe 11,4; 56,3; 70,3; 71,1; 72,3; 72,4; 95,4; 105,4; 111,3; 113,1; 117,3 helfec (f gehilfflich) 57,3; 106,3 helfeclîch (f gehilfflich) 56,4 helfen (f gehelffen) 19,3; 40,4; 56,4; 61,2; 62,4; 72,4; 99,2 helferîch 56,3 H(G?) helle 51,3 helm 2,4; 22,4; 50,4; 106,2; 132,4; 134,4; 153,1 heln, helen (f hæle, f helbære, f verheln) !53,3 "; 100,2; 102,1; 103,3; 114,3 hemde 85,2 hêr 6,2; 31,2 her 73,4
hêrre 7,1; 16,1; 39,4; 106,2; 155,2 herte 11,3; 110,1 hervart (f übervart, f vart) 73,3 herz 5,2; 10,1; 11,2; 14,4; 32,3; 36,3; 47,4; 53,4; 62,2; 62,4; 67,4; 68,4; 69,1; 75,4; 77,4 M; !81,4"; 88,4; 95,1; 102,2; 102,2; 103,4; 108,1; 114,4; 115,4; 123,3; 125,2; 134,1; 136,2; 150,3; 152,2; 156,2; 156,3; 172,4 herzeliebe (f liebe) 59,4 herzenlîch 17,2; 46,2; 78,3; 82,2; 85,1 herzoge 23,1; 157,4 herzoginne, herzogin 136,3; 149,1; 155,1; 159,4; 160,4; 161,2; 167,4; 168,3 himel 51,2 hitze (f hayss) 95,2; 126,4 hôch (f hœhe) 3,1; 4,2; 4,3 H; 6,2; 9,2 H; 13,2; 14,4; 23,4; 42,4; 75,2; 77,3; 79,3; 86,4; 89,2; 92,1; 128,1; 156,3 hôchgeburt 43,4 hôchgemüete (f muot) 36,3 H; 125,2 hôchgezît 15,4 hôchlût 137,3 hof 155,3 hœhe (f hôch) 92,2; 108,1 M holn (f erholn) 153,1 holt (f hulde) 77,1; 129,4 hôre 165,4 hœren (f erhœren, f gehœren) 11,1; 36,1; 57,2; 58,2; 59,1; !87,3"; 96,3; 124,3; 138,1; 146,3; 157,4; 162,4
Wortregister zum Text houbet 26,4 houbetstat 45,4 hüeten 148,4; 149,3; 150,2; 158,4 huf 85,4 hulde (f holt) 103,2; 112,3; 119,4; 121,1; 174,3 hunt (f gehundet) 139,1; 141,2; 144,1; 145,4; 147,3; 147,4; 148,4; 165,4 huntwilt (f wilt) 161,4 hurte (f gegenhurte) 41,3; 90,1 hurteclîch 8,2; 16,3; 35,4 hûs 18,2; 51,2 H iagen (f beiagen) 74,4; 125,4; 137,3; 140,4; 141,4; 163,3 iâmer 11,2; 20,1 H; 21,1; 23,3; 81,4; 121,2 iâr 13,1; 15,4; 28,2; 35,2 H; !83,2"; 130,2; 171,2 iehen 55,4; 109,4; 158,4 ingesinde 9,2; 18,2 iugent 40,4 M; 48,2; 48,4; 71,3; 92,3; 128,3 iunc 4,3; 20,2; 28,4; 33,4; 35,2; 65,2; 76,1; 88,2; 97,2; 98,2; 123,4; 124,4; 131,1; 151,2; 171,2 iuncfrouwe 161,1; 162,2 iunchêrre 91,1 iunclîch 130,2 irdesch 12,4 îsen, yser 41,2; 79,4
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jfi k (f c) keiser 98,2 kemenâte 47,2 kêren (f gekêren) 86,1 kiesen 32,2; 80,3; 94,2; 116,4; 142,3; 146,2; 152,4; 156,2; 166,3; 168,1 kinne 130,2 kint 7,3; 9,1; 18,1; 24,1; 27,4; 30,1; 31,1; 32,1; 33,4; 35,1; 38,1; 39,2; 39,3; 39,4; 40,1; 40,4; 41,1; 46,3; 47,1; 49,1; 60,3; 79,3; 91,4; 101,4; 103,1; 109,4 M; 110,3; 113,3; 120,1; 129,1; 152,4 kintlîch 52,4; 115,4; 138,2 kiusche (Subst.) 4,1; 5,2; 110,4; 115,3; 128,2; 154,2 kiusche (Adj.) 7,1; 33,4; 88,3 klâfter 144,2 klagen 132,1; 137,4; 161,2; 168,2 klagende 3,4; 58,3 klarheit (f clâr) 109,2 klein 22,3; 25,1; 164,1 klôsenære 50,2 knabe 107,1 knappe 79,4; 97,4 komen 15,2; 21,4; 64,2; 66,2; !83,3"; 84,3; 97,4; 117,4; 122,3; 125,1; 137,3; 140,4; 155,4; 163,2; 166,4 kost 14,4; 106,2 kosteclîch 15,4; 146,2
480
Bibliographien und Register
kouf 24,2 krach 2,2; 90,1; 138,1 kraft 3,2; 6,2; 8,4; 11,4 H; 48,4; 49,1; 51,4; 72,1; 73,2; 74,2; 96,2 kranc (f verkrenken) 66,2; 90,3; 107,1; 120,3 krenken (V.) (f verkrenken) 34,2; 90,3; 104,3 kreuchen 65,4 H kriechen 91,4 kriegen 70,3; 143,3; 173,3 krisolît 147,2 krône 7,4; 26,4; 28,2; 74,3; 118,2; 151,2; 154,1; 156,3 küele 164,3 kumber 55,3; 61,3; 62,3; 93,3; 118,3; 124,4; 132,2; 143,2; 175,2 kumberlîch 57,4 künden 32,4 H; 37,4; 59,3; 61,1; 119,1 künec 13,4; 15,2; 21,4; 22,2; 25,1; 79,1 kunft 126,1 künftic 82,4; 140,3; 171,2 küngin, künginne 29,1; 39,2; 54,2; 85,2; 114,4; 116,1; 127,1; 127,2; 131,4; 151,2; 151,4 künne 38,2; 43,4 künnen 95,3 kunst 109,2; 169,2 künstec 70,2; 96,2 kurtoys 79,3
kurzlîch 130,4 küssen 25,2 lachen (f erlachen) 5,1 lâge 75,4 lân, lâzen 1,4; 38,1; 57,1; 58,2; 83,3; 91,2; 119,4; 145,4; 154,1; 169,4 lanc (f lenge, f lengen, f unlanc) 48,2; 111,2; 112,4; 114,2; 123,3; 144,2; 145,2; 172,4 lant 13,4; 16,1; 19,4; 22,1; 31,4; 34,4; 45,1; 61,4; 62,1; 74,3; 105,1; 106,2; 117,1; 118,2; 132,4; 154,4; 170,2 lær 97,2 last 104,1 leben (V.) (f geleben) 20,2; 30,4; 70,2; 171,2 leben (Subst.) 138,2 legen (f lanc) 59,1 leisten 50,3; 173,2 leit 20,1; 23,1; 52,2; 75,2 leiten 72,1 lenge (f lanc) 133,3 lengen (f lanc) 52,4 lêren 91,3; 92,4; 148,3 lernen 1,3; 91,4; 92,4 lesen 149,1; 150,1; 151,3; 155,1; 159,4; 169,3; 170,2 letzen 175,2 leu 104,4
Wortregister zum Text lîchlege 21,4 lîden 125,3 liebe (f herzeliebe) 17,2; 20,1; 29,4; 46,2; 52,3; 68,3; 77,4; 85,1; 90,4; 94,4; 105,2; 115,4; 116,1 lieht (Adj.) 7,4; 43,4; 94,2; 122,2; 130,3; 142,3 liep (Adj.) (f liebe) 17,1; 30,1; 34,2; 63,2; 82,1; 93,3; 101,4 liep (Subst.) (f liebe) 78,1; 78,1 lieplîch 89,1; 90,4; 108,4; 115,4 ligen 25,3; 27,2; 41,4; 126,2; 137,1; 145,1; 152,3 lîhen 22,3; 39,2; 101,3 linde [= Linde] 78,4 linde [= zart] 161,2 lîp 3,4; 27,2; 32,4; 33,2; 53,4; 71,2; 72,1; 83,3; !84,2"; 90,2; 129,4; 139,4; 152,2; 153,4; 172,2 listec 96,1 liuhtec 108,3 liute 61,4; 62,1; 69,4; 117,1; 133,2 lobelîch (f lop) 108,2 locken 64,4 lôn 16,4; 57,3; 149,4; 154,2 lônen 120,1 lop (f lobelîch) 10,4; 10,4; 32,4; 32,4; 34,2; 34,4; 35,2; 35,3; 87,4; 154,3; 154,4 losen 36,4 H lœsen 159,4; 160,2
481
louf 166,2 loufen (f erloufen) 65,4; 138,4 lougen 74,2 luft 2,2 lûter 33,3; 95,3; 150,3; 164,3 lûterlîch 46,4; 53,2; 94,3; 99,4 mâc (f gemâge) 61,4; 75,3; 79,2; 93,3; 105,2; 117,2 machen 31,4; 76,3 maget, meit 14,2; 36,1; 43,2; 52,2; 56,4; 67,1; 68,1; 69,2; 76,1; 76,4; 78,2; 110,4; 118,1; 154,2; 155,1; 157,2; 169,4; 172,4; 173,1 magetlîch 19,3 H; 27,2; 35,1; 37,4; 59,2 magtumlich 27,2 H; 35,1 H; 37,4 H mâl 66,4; 141,2 man 65,1; 69,2; 78,2; 79,2; 105,2; 135,2; 149,3 mâne 14,2; 93,4 manecvalt 148,2 manen (f gemanen) 104,2; 105,1 mangel 159,2 manheit 59,2 manlîch 8,2 H; 55,2; 59,2 H; 78,2 mære 68,1; 108,1; 109,4; 118,4; 124,3; 149,1; 168,2 market 150,4 mâze (f mezzen) 97,4; 145,3 mâzen 38,2
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Bibliographien und Register
meie 32,2 meigesch 148,1 meinen 58,1 melde 108,4 mengen 52,3 menschlîch 6,4 mer 105,1 meren (f gemêren) 34,4 H messen (f mâze) 33,1 H mîden 125,4 mîle 124,2 milte 16,2 minne 3,1; 3,2; 4,4; 13,2; 13,3; 17,2; 23,4; 35,4; 37,4; 46,3; 47,4; 48,2; 48,3; 48,4; 48,4; 49,1; 49,3; 50,1; 50,4; 50,4; 51,1; 51,2; 51,3; 51,4; 52,1; 53,2; !53,3"; 59,1; 59,1; 62,4 H; 62,4; 63,1; 63,1; 63,3; 63,4; 63,4; 64,1; 64,2; 64,2; 64,4; 64,4; 65,2; 67,1; 67,2; 67,3; 67,4; 67,4; 68,1; 68,2; 68,4; 69,1; 69,3; 70,4; 71,1; 74,4; 75,2; 75,4; 76,2; 77,1; 85,1; 89,1; 90,3; 91,3; 95,1; 95,2; 95,4; 96,1; 96,2; 99,4; 100,1; 101,1; 101,1; 107,2; 107,3; 111,2; 114,2; 115,4 M; 119,4; 122,4; 126,4; 128,3; 131,2; 135,4; 136,1; 136,1; 136,2; 136,2; 151,1; 152,3; 153,1; 171,3; 174,4 minneclîch 3,3; !83,4"; 120,2 minnen 78,3; 92,1; 112,3; 136,4 mischen 130,4 müejen 160,2 müemel (f muome) 108,4
müemelîn 108,4 M mügen 99,2; 161,3 münch 50,1 munt 35,4 H; 115,2; 127,4 muome (f müemel, f müemelîn) 30,2; 32,1; 55,2; 111,3; 114,3; 131,4; 136,3 muot (f grôzgemuot, f hôchgemüete, f wolgemst) 75,2; 89,2 muoter 20,2; 24,3; 42,1; 43,2; 100,4; 109,1; 120,1; 131,4; 135,3 nagel 146,4 nâhe 100,2; 100,4; 174,4 nâhen (f genâhen) 5,2; 17,3; 53,4 næjen 148,2 name 149,2; 157,3 naz (f tounaz) 115,1 nemen 17,4; 44,4; 76,1; !81,1 "; 97,3; 104,3; 147,4; 163,2; 166,2; 170,4 nennen (f benennen) 24,1; 41,4; 42,2; 45,4; 103,4; 135,4; 143,1; 157,4 nern (f ernern) 106,4 M niesen 80,4 nieten [= festnieten] 146,4 nieten [= streben] 170,4 niwe 73,4; 116,4; 163,2 nôt 47,4; 54,4 H; 57,4; 59,4; 75,4; 82,4; 91,2; 93,1; 94,3; 102,3; 113,2; 115,2; 163,4
Wortregister zum Text offenlîche 163,3 ohaÿm 55,2 H orden 6,3 ordenlîch 100,3; 107,3 ors 80,1 ort 17,4; 153,4 ôsten 123,2 ouge 49,2; 62,2; 66,2; !81,4"; !82,4"; 86,2; 94,2; 96,2; 115,2; 116,4 M; 122,4; 130,2; 132,3; 135,4; 150,4 ougenweide 23,2 ouwe 122,2 phâl 163,1 phalenzgrâve 42,2 phenden 98,4 phlege 43,3 phlegen 1,4; 19,4; 41,3; 59,1; 74,3; !87,2"; 116,3; 132,2; 138,4; 156,4; 158,3 phliht (f verphlichten) 98,1 pîe 88,4 pîn 89,3; 98,1; 98,4; 116,4 poneiz (f punieren) 85,4 prîs, brîs 4,2; 9,4; 9,4; 14,4; 16,1; 25,4; 38,3; 38,4; 42,4; 44,2; 45,2 H; 86,4; 92,3; 106,3; 110,1; 132,4; 133,1; 133,2; 150,2; 172,2; 175,4 prîsen (f volprîsen) 39,2
483
prüstel (f brust) 36,2 H punieren (f poneiz) 91,2 queden 148,4 queln (f verqueln) 93,4; 115,4; 121,4 quelehaft 121,3 raine (Subst.) (f reine) 51,2 H rat 8,2 rât 121,1; 129,2 rayd 36,2 H rê 74,4 rechen 69,3; 127,3; 128,4 recke 115,4 rede 11,1 reden 88,1; 127,1 regen 134,4 reht (Subst.) 39,4; 53,2; 62,4 H; 67,4; 157,1 reht (Adj.) 18,1; 20,4; 50,1; 58,4; 59,4; 60,4; 71,3; 115,1; 118,4; 143,4 reine (Adj.) (f raine) 7,1; 33,1; 33,3; 33,4; 34,1; 39,3 M; 43,3; 82,1; !83,1"; 138,3 reise 79,4 rêren (f gerêren) 134,3 rîch (Adj.) (f gerîchen, f rîlîch) 15,3; 27,4 H; 42,2; 56,3; 76,2; 107,4; 128,1; 155,4 rîche (Subst.) 12,4; 35,3; 155,2; 157,1
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Bibliographien und Register
rîcheit 98,3; 170,3 (ûf) richten 92,2 rîlîch (f rîch) 15,1 rinc (Subst.) 145,1; 145,2; 146,1 ringen [= kämpfen, drehen] (f erringen) 72,3; !84,2"; 91,2; 93,3; 106,3 M; 114,2; 174,1 ringen [= verringern] 104,1 rippe 100,4 rîten 16,4; 75,4 rîter 11,1; 50,4; 138,4 rîterlîch, ritterlich 11,4 H; 16,3 H; 139,2 rîterschaft 8,3 riwe 116,2 rone 165,2 rôse 115,1 rôt 144,3; 163,2 rœte 115,1 rôtvarwe (f varwe) 137,2 rouben 99,4; 112,4 rubîn 147,1 rüeren (f gerüeren) 85,3; 85,4; 129,2; 167,3 rsemen 60,4 H (?) rûm 50,4 ruofen 162,2
saf 101,1 sagen 19,4; 25,4; 32,4; 52,1; 57,2 sæjen 44,4 sælde 3,2; 4,1; 10,2; 19,2; 31,3; 32,3; 57,4; 131,2; 149,4 sælec 9,2 H; 44,2; 107,4 salter 92,4 sâmen 44,3; 45,1; 113,4 samît 148,1 sanfte (f unsanfte) 89,4 schade 69,4 schaft 1,4; 31,4; 167,2 schämlich 53,1 H schande 45,2 scharflîch 110,1 schate 2,3 scheiden (V.) (f entscheiden, f gescheiden, f underscheiden) 23,3; 28,4; 37,1; 55,3; 75,3; 78,1; 79,2; !81,4 "; 83,4; 87,4; 94,3; 125,1 scherm 106,4 schicken 134,2 schier 62,4; 76,3 schiezen (f erschiezen) 65,3 schilt 1,4 H; 8,1; 22,4; 39,1; 74,2; 79,4; 80,2; 80,2; 80,3; 80,4; 80,4; 90,2; 106,2 schilteclîch 71,4; 134,2; 152,4 schœn 14,2; 58,1; 80,1
Wortregister zum Text schône 1,4; 13,3; 15,1; 26,3; 149,3; 156,4 schônen 57,4 schouwen 11,2; 62,2; 105,4; 122,1 schrein 30,2 H schrîbære (f schrîben) 49,4 schrîben (f schrîbære, f schrift, f volschrîben, f überschriben) 6,3; 169,3 schric 114,4 schrift (f schrîben) 146,2; 148,3; 158,4; 159,4; 168,4; 169,4; 170,4 schult 43,2 H schûr 45,2 schuzlîch 65,2 sehen (f gesehen, f übersehen) 23,1; 25,2; 32,2; 66,2 H; 67,3; 72,2 seil 140,4; 143,4; 144,2; 145,4; 147,2; 150,1; 151,1; 151,3; 155,1; 158,4; 159,4; 161,4; 167,4; 168,4; 169,1; 169,4; 171,4; 172,1 seilen 147,3 selikait 4,1 H senede, senende, sende 3,4; 54,4 H; 59,4; 91,2; 98,2; 123,4; 125,4 senden (f gesenden) 27,4; 43,2; 141,3; 151,2; 158,2 sêr (f versêren) 65,3 sicherbote (f bieten) 175,4 sicherlîch !83,2 " sîdin (f bortesîden) 85,3 siecheit 12,2; 89,1
485
siechen 91,3 sigehaft 110,4 sigen (f sigenunft) 103,4; 111,1 sîgen 133,2 sigenunft (f sigen) 111,1 sin 4,1; 18,4; 29,2; 47,3; 50,2; 55,2; 62,4 H; 121,4 sinken 175,4 sippe 100,3 site 64,2 sîte 21,4 siufte 82,3 siuftebære 98,4 slâfen (f entslâfen) 31,3; 104,4 slâge 100,1 slahen 142,2; 148,3 slahte 49,3 slîchen 69,1 sliefen 162,4 sliezen (f besliezen, f slôzlîch) 47,4 slîfen 167,2 slôzlîch (f besliezen, f sliezen) 106,1 smal 51,1 smaragede 147,1 smerze 103,3
486
Bibliographien und Register
snel 9,3; 138,2; 164,3 snelheit 69,2; 165,1 snuor 161,1 sorge 20,4; 31,3; 54,4; 56,2; 59,2; 67,3; !83,4 "; 84,2; 89,2; 93,2; 103,1; 104,2; 112,2; 118,3; 119,1; 125,4; 130,4; 133,4 spæhe 96,4 spanne 144,4; 145,2 spannen 65,2 spæte 46,2 spehen (f erspehen) 49,2; 93,2; 96,2 spelten 96,4 sper 2,2; 35,4; 73,4; 153,4; 168,4 sperbrechen 90,1 spilende 123,1 spîse 160,4; 162,2 sprechen (f gesprechen) 1,3; 2,1; 30,1; 35,2; 46,1; 55,2; 56,3; 58,1; 61,1; 69,1; 73,3; 76,2; 77,1; 82,1; 83,2; !87,3"; 98,3; 112,1; 116,1; 117,1; 127,1; 127,4; 128,3; 155,3; 160,4; 168,3; 169,1; 170,1; 171,1; 172,1 springen 134,4; 138,4; 139,4; 161,1; 161,4 sprîze 2,3 spürn 49,2 H; 100,1; 100,4; 165,4 starc (f starken) 1,1; 12,1; 42,2; 47,3; 51,4; 52,3 H; 68,3 H; 90,3; 94,4 stam 81,2; 108,2 starken 150,3
stat 101,4 stæte (Subst.) 4,1; 5,2 H; 46,1; 102,4 stæte (Adj.) (f unstæte) 19,1; 29,4; 44,2; 68,3; 91,3; 139,3 stæteclîch 120,3; 174,1 stætekeit 5,2 stein (f gesteine) 145,2; 146,4; 148,2; 161,3 stelehaft 100,4 steln (f versteln) 68,4 stên 60,3; 91,4; 119,4; 130,2; 147,2; 151,4; 156,3; 164,2; 170,1; 171,4 sterben (f ersterben) 28,1; !84,4"; 153,4 stîgen 108,1; 133,1 stimme 137,2; 139,4; 164,4 stoltzen 36,4 H stolz 47,1; 128,4; 141,4 strâlsnitec 141,2 strange 146,4; 170,1; 173,3 strâze 91,1; 97,3; 122,2 streben 160,3 strecken 133,3; 160,3 strenge 114,2 stric 159,4 stricken (f entstricken) 96,4 strît 143,3; 172,2 strîten (f erstrîten, f gestrîten) 16,3
Wortregister zum Text strût 140,4 stuft 166,2 stunde 155,4 stuol 91,4 sturm 1,2; 4,2 süez (f gesüezen, f geunsüezen) 7,2; 19,1; 27,4; 33,2; 54,2; 56,1; 56,4 H; 67,1; 68,1; 72,2; 76,4; 119,4; 137,2; 169,4; 172,4 süeze (Subst.) 3,1; 17,4; 39,3; 88,4; 110,4 summer 93,4 sun 7,2 H; 7,4; 8,1 H; 8,4; 9,1; 43,1; 55,2; 86,2; 163,4 sünden (f versünden) 61,2 sunder 97,3 sunne 2,3; 14,2; 142,4 sunneclîch 117,4 sunnenbære 109,3 svnnen(liehter) 117,4 M suochen (f versuochen) 60,1 sûr 23,2; 72,2 sûren 17,4 swach 12,1 swære (Adj.) 104,4 swære (Subst.) 63,2 H; 97,1; 116,1 sweben 175,4 swert 2,4; 22,4; 23,3
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swester 37,2; 42,1; 152,1; 154,1 swinden (f verswinden) 107,1 M; 118,3 tac 162,1 talfîn 97,2; 98,2; 131,1; 132,2; 140,2 talfînete 131,3 tât 8,2 H; 14,4; 16,2 taufpere 55,4 H teil 41,1; 83,4; 95,4; 140,3; 163,1; 166,2 teilen (f erteilen) 147,4 teilhaft 107,3 templeis 11,2 tier 137,2; 166,3 tiost 16,4; 23,4; 41,3; 90,1; 107,2; 135,1; 153,3; 153,4 tiostiur 167,2 tiure 18,3; 24,2; 122,4; 126,1; 142,3 tiuten 64,1 tocke 30,2; 64,3 tohter 10,1; 13,1; 19,2; 20,2; 22,3; 25,2; 109,4 tôt (Subst.) 5,4; 19,2; 19,3; 76,3; !84,4"; 110,2; 153,2 tôt (Adj.) 20,2; 41,4; 89,4 toufen 86,4 tougen (Adj.) 74,1 tougen (Subst.) 100,2; 102,1
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Bibliographien und Register
tougenlîch !53,3 "; 54,3; 66,3; 76,1 tounaz (f naz) 32,2 touwec 115,1 tragen (f getragen) 24,4; 26,4; 28,2; 89,1; 93,1; 96,2; 98,1; 113,3; 116,2; 139,2; 144,1; 150,2; 156,2 treffen 65,4 treher !82,4 " tretten 64,2 H triegen 129,2 triwe (f getriwe) 4,4; 19,4; 45,4; 102,2; 111,2; 112,2; 116,1; 120,2 triwenberende !81,2 "; !84,2 " trôst 3,1; 83,4; 112,2; 113,4; 117,2; 121,1 trœsten, trôsten 61,1; !83,1" trœstlîch 133,4 truopheit 46,4; 95,3 trûren 17,3; 61,1; 66,4; 97,4; 139,3; 140,3 tugen 49,1; 68,4 tugent 14,3; 33,1; 157,1 tump 48,1; 70,1; 175,3 tumphait 46,4 H tuon 55,4; 56,4; 60,4; 67,4; 94,4; 160,2 twahen 166,4 twingen (f betwingen, f getwenget) 50,4; 53,2; 66,1; 88,3; 89,3; 94,4; 103,2; 106,4; 157,1 twinclîch 95,4
überschriben (f schrîben, f schrift) 169,1 übersehen (f sehen) 150,4 übervart (f hervart, f vart) !84,3 " unberoubet (f rouben) 48,4 unbilden 102,4 underscheide 151,3 underscheiden 20,1 unêren (f êren) 102,2 unferschart 70,4 ungefüege 104,1 ungemach 12,2; 90,2; 164,4 ungeverte (f verte) 165,3 ungezalt (f gezelte, f zelen) 15,3; 155,4 unheil (f heil) !84,3 " unlanc (f lanc) 137,1 unmære 169,4; 170,2 unsanfte (f sanfte) 114,2; 129,2 unstæte (f stæte) 150,4 unverdrozzen (f verdriezen) 14,4; 136,2 unverdorben (f verderben) 16,2 unvergezzen (f vergezzen) 90,4 unverzaget (f verzaget, f zagehaft) 143,2 unwendec (f wenden) 121,3 unwert (f wert) 119,2 urborn 8,2
Wortregister zum Text urhap 143,4 urloup (f erlouben) 76,1; !81,1 "; 136,4 ursprinc, ursprung 34,3; 101,1 urteil 155,2 v (f f) vâhen 142,4; 145,4; 159,2; 164,2; 173,4 valten 146,1 valsch (Subst.) 33,3 valscheit 92,2 var (f varwe) 145,3 vâre (f gevære) 171,1 varn (f enpharn, f zerfarn) 30,2; 35,3 H; 40,1; 97,4; 124,1; 149,4 vart, fart (f hervart, f übervart, f verte) 30,2; 75,1; 79,2; 80,2; 86,3; 152,4; 163,2 varwe (f rôtvarwe, f var) 111,4; 144,2 vast 146,4; 160,1 vater (f väterlin) 24,2; 41,4; 131,3 väterlin (f vater) 30,1 H vederangel (f angel) 159,1 veile 150,2 vel 94,2; 95,3; 130,3; 167,3 velt (f gefilde) 91,1; 97,3; 108,3 venster 121,2; 123,1 verbergen, verborgen 93,1 verbinden 147,1 (?) verblenken (f blanc, f blenke) 145,1
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verbunden 147,1 (?) verch 100,3 verdecken 96,2; 115,3 verderben, ferderben (f unverdorben) 4,3; 38,3; 67,4; 77,4; 129,4; 131,1; 172,2 verdienen (f dienen, f gedienen) 34,4 H; 35,4 H verdriezen (f unverdrozzen) 57,2 vereinen 29,4; 58,2 verenden (f ende) 173,1 vergâhen (f gâhen, f ergâhen) 58,4 vergelten (f engelten, f gelten) 24,2 vergezzen (f unvergezzen) 33,2; 113,2; 135,2 verheln (f heln) 79,1; 163,3 verhengen 133,4 verirren 5,4 verklamben 8,2 verkrenken (f kranc, f krenken) 62,4; 92,2; 145,2 verlassen 38,1 H verleschen 130,3 verlieren 122,3 verlust (f flust) 25,4 vermezzen 113,1 vernemen 65,1 verphlichten (f phliht) 30,4 H verqueln (f queln) 53,4 verrâten 127,2
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Bibliographien und Register
verre (Adj.) (f gevirren) 45,3; 117,2; 124,2 verre, firre (Subst.) 35,3 HM; 174,4 versêren (f sêr) 102,1 versteln (f steln) 79,2; 117,4 versünden (f sünden) 61,2 H; 119,2 versuochen (f suochen) 174,4 verssnnen 31,1 H verswinden (f swinden) 107,1 verte (f ungeverte, f vart) 137,2; 142,1; 148,4; 149,3; 150,2; 156,4; 158,3; 158,4; 173,4 vervâhen 58,3 verwilden (f entwilden, f wilde, f wilt) 3,4 verzaget (f unverzaget, f zagehaft) 175,4 verzîhen 22,4 vier 144,2; 144,3; 145,3; 145,3 vinden, finden (f befinden, f erfinden) 6,3; 46,4; 60,4; 120,2; 166,4 vinger 145,3 visch 164,1 voget 106,4 vol 30,2 volgen, folgen 80,2; 125,2 volprîsen (f prîsen) 70,2 volschrîben (f erschreiben, f schrîbære, f schrîben) 49,4 volwahsen (f wahsen) 13,2; 32,4 vorhenne 159,2
wâc 124,1 wachen 31,3; 104,4 wahsen (f volwahsen) 25,4; 32,1; 32,3 M; 100,4; 116,4; 133,3 wal [= Kampfplatz] 110,4 wal [= Wahl] (f erweln, f weln) 155,4; 157,2 walt 107,1; 108,3; 138,1; 140,1; 142,4; 148,1; 158,2; 162,4 walten !87,2 "; 174,4 wân 88,1 wanc (f wenken) 51,4; 52,1; 70,4; 136,2 wange 117,4; 130,2 wanklîch 102,4 wâppen, wâpen 1,2; 72,1 wâr 4,4; 39,3; 50,2; 98,1 wârheit 34,2; 58,4; 88,1; 110,3; 118,4; 119,1 M warnen 71,4 warten 123,1; 124,2 wazzer 77,4; 86,2 weinen (f beweinen) 29,3; 82,2; 83,2; 122,4 weise 61,4 wellen 17,2; 104,1; 113,1 weln (f erweln, f wal) 110,4; 157,2 wenden (f erwenden, f unwendec) 54,4; 54,4; 61,3; 154,4 wenken (f wanc, f wanclîch) 65,4; 94,4; 150,4 werben [ = bemühen, erwerben] (f erwerben, f gewerben) 29,2; 38,4; 54,4 H; 57,4 H; 69,4; 172,1
Wortregister zum Text werben [= sich drehen, verkehren] 67,3 werdeclîch (f wert) 12,3; 37,2; 157,2 werden 3,2; 6,4; 12,1; 24,3; 27,3; 85,2 werfen 165,1 werlt 10,2; 17,4; 44,4; 46,4; 136,4; 149,4 wern [= (ver-)wehren] 8,4; 11,4; 75,2; 110,2 wern [= andauern] 48,2; 92,3 werren 117,1 wert (Subst.) 70,2 wert (Adj.) (f unwert) 9,1; 9,2; 23,2; 31,1; 33,4; 35,4 H; 43,1; 54,3 H; 55,4; 56,4; 60,3; 73,4; 81,1; 93,2; 105,3; 107,3; 111,3; 113,2 M; 149,2; 163,4; 171,1; 173,2 westen 123,2 wilde (f entwilden, f verwilden, f wilt) 64,4; 157,4; 158,1; 158,1 wîle 18,4; 95,2; 106,4; 124,1; 137,4; 159,2 wille 10,3; 58,2; 109,2; 111,2; 160,4; 173,2; 173,3; 175,2 wilt (Adj.) (f wilde) 121,4 wilt (Subst.) (f huntwilt) 140,2; 165,4 wiltlîch (f wilde) 158,2 winde 162,4; 163,1 winder 93,4 winkelmez 96,3 wint 165,4 wîp 3,3; 16,4; 17,1; 18,1; 27,1; 33,1; 65,1; 69,2; 78,2; 79,2 M; 81,3; !82,1"; 83,4; 149,3
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wîplîch, wîblîch 5,1; 19,3; 34,3; 36,4; 101,2; 120,4; 135,2; 158,4 wirdec 170,4 wirken 144,4 wîs 54,1 (der) wîse 127,1 wîslîch 127,4 wît 140,1 witewe 35,1 wizzen 5,1; 58,4; 62,1; 69,3; 92,4; 95,4; 125,4 woche 66,4 wolgemst (f hôchgemüete, f grôzgemuot) 59,4 H wonen 48,4; 60,1; 150,3 wort 63,2; 73,2; 127,4; 149,2; 175,1 wunde (f wunt) 166,2 wunder 36,1; 49,4 H; 52,4; 70,2; 134,2 wunne 17,2 H wunsch 12,4; 87,2 wünschen 18,4; 76,4; 77,2; 80,4 wunschlîch 94,1; 129,4 wunt (f wunde) 137,2; 166,3; 168,1 wurm 126,4 yfi zagehaft 107,4 zaher 134,3
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Bibliographien und Register
zarte (Subst.) 120,2 zebrechen, zerbrechen 69,4; 73,4; 112,2; 168,4 zelen (f gezelte, f ungezalt) 44,2; 118,2; 123,4 zeltstange (f gezelt) 160,1 zerfarn (f varn) 161,2 zerkratzen 166,1 zetrennen 41,2 ziehen 8,3; 47,2; 88,4; 101,3; 129,1; 152,4; 173,4 zîhen 96,3 zil 156,4 zimierde 2,4 zimieren 16,4
zinne 123,1 zît 8,1; 18,1; 26,1; 35,2; 42,4; 73,2; 93,4; 143,4; 171,2; 174,2 zorn 103,2; 127,3 zucken 43,4; 161,4 zuht, zucht 53,1; 58,2 H; 103,3; 119,2; 153,2 zunge 45,4 zuschen 167,3 zwei, zwô, zwuo 5,3; 13,1; 25,4; 27,3; 28,4; 46,3; 75,4; !81,4 "; 110,3; 161,1 zweinzec 79,3 zwelf 144,2 zwîfel 51,4; 52,1 zwîgen (f erzwîgen) 108,2 M
Register zum Stellenkommentar
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6. Register zum Stellenkommentar Angegeben sind stets die Strophen- bzw. Strophen- und Versbezifferungen, nach denen die Einträge im Stellenkommentar geordnet sind. Gelegentliche Verweise auf das Editorische Vorwort sind durch Kursivierung und Seitenangabe abgesetzt. Im Falle häufig vorkommender Begriffe und insbes. Namen bzw. Figuren wird nur auf die Kommentare verwiesen, in denen etwas über den Begriff bzw. die Figur gesagt ist, was über die unmittelbar kommentierte Einzelstelle hinaus von Interesse oder Relevanz ist. Für eine vollständige Übersicht über das Vorkommen der Begriffe und Namen in Wolframs Text sei auf das Wortregister zum Text und auf das Verzeichnis der Eigennamen verwiesen. Abschiedsmotiv f Trennungsmotiv Ahkarin 40,2; Zu Fragment II Albrechts „Jüngerer Titurel“ Varianten zu einzelnen Versen: Vorwort 53–55; 2,4; 6,1; 5,3; 9,2; 12,3; 14,2; 21,2; 26,2; 29,4; 31,2; 33,3–4; 33,3; 34,2; 34,3; 35,3; 40,2; 45,1; 45,2; 52,1–2; 53; 53,1–2; 53,3; 56,4; 57,4; 58,2; 58,4; 59,1; 61,4; 62,2; 62,4; 63,1–3; 64,1–2; 64,4; 66,2; 67,4; 68,4; 69,2; 70,2; 70,3–4; 72,4; 73,2; 76,2–3; 77,2; 81; 86,2; 89,4; 91,4; 94,1–3; 101; 104,3; 107,3; 107,4; 108,1; 108,3; 109; 110,1–4; 110,4; 111,3; 112,3; 112,4; 115,1–2; 115,4; 117,1–2; 124,1; 128,4; 133,3; 134,1–2; 137,4; 138,2; 139,4; 142,2; 146,1; 154,4; 156,1; 157,1; 159,2; 161,4; 163,1; 164,3; 165,4; 166,1; 166,3–4; 168,1; 170,1; 175,4 weitere Stellen / Strophenstellung / Zusammenhänge: Vorwort 10–17, 29–33; 6,1; 7,3; 8; 18/19; 24; 28; 28,1–2; 34,1; 36; 57,1; 59; 66; 69,1–2; 71,4; 72,1; 73–87; 77,2; 78; 81; 87; 88,2; 99; 101; 109; Zu Fragment II; 145,1; 147,1–2; 149,3; 167,2; Zum Schluß des überlieferten Textes Albrecht von Johansdorf 70,2 Allegorie / Allegorisierung 31,3; 56–72; 64,1–2; 65,2; 65,3; 66,1; 67,4; 68,2; 68,3; 68,4; 69,3; 70,3–4; 158,1–2; 158,2–3; 160,2; 169–175 Alliteration 31,3; 44,3; 70,2; 90,3; 110,4; 111,4; 130,2; 146,2
Altes Testament 62,2; 108,2 âmîs / âmîe 58,1; 156,2 Anakoluth (f Dissimilation, f Konstruktionswechsel) 43,2; 57,1–2; 63,1–3; 69,1–4; 92,4; 96,2; 126,1–3; 137–143; 137,2; 138,1–4; 142,1–4; 171,2–4 Andreas Capellanus 64,1–2; 85,1–2; 127,4; 149,3 Anfortas 23,3–4 angest / Enge 48,1; 50,4; 119,1; 119,2–3 Anphlise 37,2; 39,1; 55,2; 74,4; 97–112; 97,4; 127,2; 127,4 Anschevin / Anschouwe 40,1; 74,3; 118,2 Antithese 13,4; 17,1–2; 17,4; 20,1–4; 28,4; 31,3; 52,1–2; 66,4; 72,2; 94,4; 104,4; 123,4; 163,2–3 Antonomasie 26,2; 34,2; 37,2; 37,3; 104,2; 111,3; 113,3–4; 114,4; 136,3; 136,4; 137–143; 141,1–4; 149–158; 151,4; 152,1–4; 163,4 Anverskadenz f Zäsur apo koinou 41,2; 44,2; 66,2; 70,3–4; 80,2; 98,2–4 arbeit 59,2; 72,2 art 1–12; 3,2; 33,4; 41,1; 49,4; 53,1–2; 57,2–4
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Bibliographien und Register
Artikellosigkeit 1,3; 1,4; 108,3; 149,1; 167,4 Asyndeton 130,1; 158,1–2 Auftraggeber Vorwort 4; 87,2 Auge 62,2; 94,1–3; 96,2; 104,4; 122,4; 132,3; 135,4 Azagouc 80,1 Baldac 73,2; 85,4; 98,2 bâruc 40,2; 73,2 Belakane 37,1; 79,1–2 Berbester 42,2 Bernger von Horheim 61,2 Binnenkadenz f Zäsur „Biterolf und Dietleib“ 70,2 Blicke / das Schauen 66,3; 93,2; 122–124; 123,2 Blütenmetaphorik 32,2; 32,3; 81,2; 88,4; 101,1; 108,2; 108,3; 111,4; 115,1–2; 156,1 bracke f Hund Brackenseil 13,1; 68,1; 71,3–4; 121,4; 136,4; 140,4; 143,4; 144–148; 144,2; 144,2–4; 145,3; 147,4; 149–158; 149,3; 156,4; 167,4; 169–175; 170,1; 170,4; 173,4; Zum Schluß des überlieferten Textes Brobarz 15,2; 22,1–2; 28,1–2; 169–175 Burkhart von Hohenfels 14,2 „Chanson de Roland“ 21,2 Chiasmus 107,4; 113,3–4; 121,4 Chrétien de Troyes 24,1; 28,1–2; 64,1–2; 90,4 Chronologie f Datierung
Clauditte 13–24; 149–158; 152/153; 152,1–4; 154,1–4; 158,1–2 Dante Alighieri 68,1 Datierung / Chronologie Vorwort 4; 40,2; 42,2; 87,2; 98,2 Deus artifex 109,2; 135,1 Dialekt / Sprache Wolframs Vorwort 47; 93,3–4; 139,2; 148,3–4 (Ps.-)Dietmar von Aist 60,2; 61,2; 89,4; 122–124 Dissimilation (syntaktisch) (f Anakoluth, f Konstruktionswechsel) 3,1–4; 3,4; 57,3–4; 63,1–3; 96,2 Echtheit / Unechtheit von Strophen Vorwort 17–22, 41–43; 25–36; 30/31; 33/34; 33,1–4; 34,1; 36; 53; 81; 82–84; 82,2–3; 85; 85,3; 87; 87,1; 95; 99; 126; Zu Fragment II; 140/141 Ehcunat de Salfasch Florie 13–24; 27,2; 42,1; 156,1; 157,4; 158,1–2 Ehkunat (von Berbester) 42,1; 42,2 Ehe 26,3 Ellipse 33,3–4; 33,3; 44,2; 80,2; 117,2; 119,1; 131,4; 139,2; 141,2; 144,2–4; 146,2; 151,2; 167,1–3; 168,4; 170,4 Enjambement Vorwort 36–37; 114,1–2; 121,1–2; 138,1–4; 140,4; 166,4 erben / Erblichkeit 4,3; 4,4; 13,1; 16,2; 19,2–4; 33,4; 55,2; 57,2–4; 60,1; 89,4; 100,4; 131,1–2; 131,4; 132,2 êre 19,2–4; 32,2; 32,3; 64,1–2 Erotik / Sexualität 14,2; 56–72; 56,2; 62,1–2; 65,3; 85,4; 110,4; 127,4; 137–143; 169–175; Zum Schluß des überlieferten Textes Erzähler, /–einmischung / –rolle 13–24; 17,1–2; 17,3; 17,4; 18,2–4; 25–36; 32,4; 34,2; 34,4; 36,1; 39,4; 48,1–4; 49,1; 54,1; 59,2; 59,3–4; 87,2;
Register zum Stellenkommentar 99,1; 110,1–4; 137–143; 137,4; 138,1–4; 141,2–3; 144–148; 145,4; 147,4; 149–158; 153,1; 155,1; 159–168; 159,2; 159,3; 160,2; 161,2; 168,2; 168,2–3; 169–175; 175,2; 175,4; Zum Schluß des überlieferten Textes Erzählkontinuum / –kohärenz / –logik / –ökonomie / –perspektive / –stil 12–24; 15,2; 18/19; 24,4; 25–36; 26,1; 27,1–4; 27,2; 30/31; 34,1; 36; 43,1–2; 45,4; 56–72; 59; 59,3–4; 66; 73,1; 73,3; 78,4; 82–84; 88–96; 88,1; 110,4; 117,4; 129,2; Zu Fragment II; 137–143; 138,1–4; 139,4; 140,4; 141,2; 143,1–4; 148,3; 148,4; 149–158; 152/153; 152,1; 158,1–2; 158,2–3; 158,4; 159–168; 159,2; 161,1; 164,1–3; 168,4; 173,1–2; 175,1; 175,4; Zum Schluß des überlieferten Textes Falkenmetaphorik 3,4; 64,4 Feuer 2,4; 95,2; 134,4 figura etymologica 44,3; 56,3–4; 65,2; 70,2; 72,3–4; 78,2; 85,3; 90,3; 90,4; 94,4; 110,4; 111,1–2; 111,2; 111,4; 115,4; 118,1; 121,3; 121,4; 128,2; 157,2; 158,1–2; 165,3 Florie 13–24; 25–36; 27,1–4; 71,2; 149–158; 152/153; 152,1–4 fortitudo et liberalitas 4,2; 14,4; 16,2; 106,2; 106,2–3 Fortuna 17,4; 70,4; 133,1; 174,4 Fragmentcharakter Vorwort 3, 20; 1–12; Zu Fragment II; 137–142; 148,3; 169–175; Zum Schluß des überlieferten Textes Frauenlob (Heinrich von Meißen) 1,1 Freigebigkeit / liberalitas 4,1–3; 14,4; 16,2 Friedrich von Hausen 69,3 Frimutel 7,2; 8,2–3; 28,1–2 friunt / friuntschaft 13,2; 58,1; 70,3–4; 70,4
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fröude 62,4; 66,2; 67,3; 68,4; 69,4; 75,2; 76,2–3; 98,2–4; 112,4; 120,3; 125,1; 129,3; 130,4; 131,1–2; 139,2–3; 159,2 fürste / fürstin 13,4; 22,1; 22,3 Gahmuret 13–24; 27,2; 55,2; 73–87; 74,4; 79,1–2; 79,3–4; 80,1; 85,4; 86,2–3; 98,2–4; 108,4; 127,4; Zu Fragment II Gandin 55,2; 86,2 Gardeviaz (f Hund) 138,1; 140/141; 148,3; 148,4; 149,2; 158,1–2; 171,4 geniezen 14,3; 57,1–2 Geschlechterrolle 59,2; 64,1–2; 69,2; 113–136; 123,2; 153,4; 156,4; 167,2; 167,2 gesellekeit / geselleschaft 56,2; 60,3; 73,1–2; 73,1; 80,3–4 genâde 3,2; 56–72; 60,1–4; 60,1; 60,4; 172,4; 173,1–2; 173,2–3 Gönner Vorwort 4; 87,2 Gottfried von Straßburg 17,4; 36,1; 49,3; 59,3–4; 59,4; 68,1; 70,2; 89,1; 91,2; 96,3; 97,1; 137–143; 138,1 Graharzoys, Kraharz f Gurnemanz Gral 1–12; 4,1–3; 6,1–4; 6,2; 6,3; 6,4; 12,4; 24,4; 43,3; 45,4 Gralsfamilie / –geschlecht / –sippe 1–12; 4,3; 4,4; 6,2; 24,4; 27,4; 33,4; 43–46; 43,4; 44,1; 45,4; 57,2–4; 57,3–4; 138,3–4; 152/153; 169–175 Gralsgemeinschaft 6,1–4; 11,2; 44,1 „Graf Rudolf“ 119,4 Grasivaldane 88,2; 97,2 Gurnemanz 25,1–4; 41,2; 89,3; 141,4 Gurzgri 13–24; 41,4; 55,2; 89,4; 132,2; 132,4
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Bibliographien und Register
Handelsmetaphorik f Kaufmannsmetaphorik hapax legomenon 65,2; 87,1; 93,2; 97,1; 100,4; 106,1; 108,2; 109,3; 110,1; 117,4; 141,2; 147,1; 161,4; 164,3; 167,3; 168,2 Hartmann von Aue „Der armer Heinrich“ 64,1 „Erec“ 1,1; 23,1; 28,1–2; 41,4; 85,1–2; 91,2; 96,4; 137–143 „Gregorius“ 1,1–4; 23,3–4; 25,4; 46,1 „Iwein“ 32,3; 59,1; 60,4; 91,2; 169,2 „Klage“ 62,2; 70,1–2 „Die Heidin“ 96,1 Heinrich von Freiberg 135,4 Heinrich von Morungen 14,2; 60,2; 61,2; 66,3; 69,3; 95,2; 112,4; 119,2–3; 126,2–3 Heinrich Hetzbold von Weißensee 60,1 Heinrich von Rugge 61,2 Heinrich von dem Türlin 171,4 Heinrich von Veldeke „Eneasroman“ 49,3; 52,4; 54,1; 56–72; 64,1–2; 65,4; 69,3; 70,2; 72,1; 76,1; 77,1–4; 89,1; 95,2; 122–124; 123,1; 126,2–3; 163,2–3 Lyrik 130,1 Heldenepik: Stil / Terminologie Vorwort 26, 38; 9,3; 17,3; 17,4; 18,2–4; 32,4; 36,1; 59,2; 59,3–4; 78,2; 78,4; 87,2; 94,4; 99,1; 138,3; 139,4; 140,1–3; 145,4; 146,3; 159,3; 175,2 helfe / helfeclîch 56–72; 56,3–4; 57,3; 57,3–4; 60,1–4; 61,4; 62,4; 70,3; 70,3–4; 71,1; 72,3–4; 72,4; 95,4; 105,4; 106,2–3; 111,3; 113,1 heln / verholn (f tougen / tougenlîch) 53,3–4; 66,3; 76,1; 79,1; 93,1; 93,2; 96,3; 102,1; 103,3; 112,3; 114,3; 163,2–3 Hendiadyoin 96,4 Herman von Dürngen 87,2 Herodot 2,3
herz / Herzmetaphorik 5,2; 32,3; 34,3; 47,4; 62,2; 62,3; 62,4; 67,4; 68,4; 102,2; 125,1–2; 134,1; 150,2–4; 156,3; 172,4 „Herzog Ernst“ 17,1–2 Herzeloyde 10,3; 13–24; 13,1; 23,3–4; 25–36; 26,2; 26,3; 27,1–4; 27,2; 29,1–2; 33,4; 35,1; 84,1; 84,2; 85,4; 111,3; 113–136; 116,2–3; 117,1–2; 118,2; 127,2; 127,4; 128,4; Zu Fragment II Hildegard von Bingen 149,3 hôch / hœhe / hôher muot / hôchgeburt 36,3–4; 43–46; 43,4; 77,2; 125,1–2 Humor 17,4; 18/19; 18,2–4; 30/31; 31,4; 64,3; 68,4; 80,2; 80,3–4; 85,4; 110,4; 122,3; 147,4; 159,2 Hund (f Gardeviaz) 64,4; 121,4; 137–143; 137,2; 138,1; 139,4; 141,1; 141,2; 143,1–4; 144,1; 147,2; 147,4; 161,4; 163,2–3; 165,3; 168,3–4; 169–175 hulde 103,1–2; 112,3; 119,4; 121,1–2; 173,1–2; 174,2–4 Hyperbel 2,3; 2,4; 14,2; 30/31; 31,4; 107,1; 118,2; 134,2–4; 170,2–4 Ilinot 13–24; 25–36; 27,1–4; 28,1–2; 71,2; 152/153; 152,1–4; 153,1; 153,3 Inkongruenz 52,1–2; 52,1; 53,1–2 Ipomidon 73,2; 73,3; 74,4 Ironie 30/31; 31,4; 59,3–4; 59,4; 78,4; 92,1; 115,1–2; 138,3–4; 145,4; 147,4 Jagdhund f Hund Jagdmetaphorik / –terminologie 3,4; 56–72; 58,3; 63,1–3; 64,4; 65,3; 65,4; 69,2; 70,4; 79,1; 100,1; 102,3; 102,3; 110,1; 121,2–4; 121,4; 125,4; 137–143; 137,2; 137,3; 141,4; 149,3; 158,2–3; 161,4; 165,3; 165,4; 166,2
Register zum Stellenkommentar Johann von Würzburg 64,1–2; 68,4 Kaiser Heinrich 156,3 „Kaiserchronik“ 54,4 Kanvoleiz 26,1–4; 35,4; 43–46; 45,3; 45,4 Kardeiz 13–24; 25–36; 28,1–2 Kastis 13–24; 25–36; 26,1–4; 26,3; 27,1–4; 27,2 Katelangen 14,1; 22,1; 114,1–2 Katelangen-Sippe 13–24; 14,1; 28,1–2 Kaufmannsmetaphorik / –sprache 15,4; 18,3; 20,3–4; 24,2; 63,4; 67,2; 84,2; 89,2; 98,2–4; 122,4; 126,1; 129,3; 131,1–2; 139,2–3; 150,2–4; 150,2–4 Kindheit / Jugend / Kindlichkeit 25,1–4; 25,4; 28,4; 30/31; 30,2; 39,2; 48,1; 64,3; 92,1–3; 97,4; 123,4; 127,1; 169–175; 171,2–4 Kinderminne 36,1; 43–46; 46,3; 47–55; 48,1; 48,2; 51,3; 52,4; 56–72; 60,3; 62,1–2; 64,3; 70,3–4; 71,3; 112,3; 123,4; 127,4; 132,1; 169–175 Kingrivals 26,1–4; 79,1–2 Kiot 13–24; 14,1; 22,1; 23,1; 23,3–4; 31,1–4 kiusche 4,1; 5,2; 7,1; 24,4; 115,3 „König Rother“ 75,1 Komik f Humor Kondwiramurs 22,1–2; 22,3; 23,3–4; 25,1–4; 25,3 Pfaffe Konrad: „Rolandslied“ 49,4; 86,1 Konstruktionswechsel (f Anakoluth, f Dissmilation) 3,1–4; 3,4; 43,2; 57,3–4; 63,1–3; 65,2; 65,3; 69,1–4; 110,1–4; 112,4; 126,1–3; 137–143; 140,1–3; 170,4
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Kraharz f Gurnemanz kranc / (ver-)krenken 34,2; 62,4; 66,2; 90,3; 104,3; 107,1; 120,3; 145,2 „Kudrun“ Vorwort 26; 1,1; 40,2; 97,4 Der von Kürenberg 64,4; 122–124 kumber 55,3; 57,3–4; 61,3; 93,3; 132,2; 132,4; 143,1–4; 143,2; 175,1 „Lai de Tydorel“ 1,1 lectio difficilior / lectio facilior Vorwort 15; 1,4; 4,1; 20,2; 26,2; 29,4; 33,3–4; 33,3; 34,2; 45,2; 51,2; 63,1–3; 64,1–2; 70,3–4; 75,4; 89,4; 101,1; 110,4; 112,4; 122,3; 137,4; 161,4; 175,4 Lehnsterminologie (f Rechtsterminologie) 22,1; 60,1–4; 70,3–4; 71,2 Lesen 110,4; 146,1; 149–158; 150,1; 152/153; 158,1–2; 159–168; 162,1; 169–175; 169,2; 169,4; 170,2–4; Zum Schluß des überlieferten Textes Licht / Lichtmetaphorik / Glanz / das Strahlen 7,4; 14,2; 26,2; 32,2; 46,4; 68,4; 87,4; 94,1–3; 94,3; 94,4; 95,3; 108,3; 109,3; 111,4; 117,4; 130,1; 130,3; 135,4; 145,1; 166,1 liebe 17,1; 17,1–2; 68,3; 85,1; 116,1 Liebeskrieg / –gefangenschaft 47,4; 65,3; 68,3; 68,4; 106,1; 112,4 Liebeskrankheit f Minnekrankheit Liebessprache f Minnekonzeption Litotes 16,2; 18,4; 25,4; 28,4; 34,2; 46,2; 56,1–2; 66,2; 66,4; 122,3; 123,4; 126,1; 159,3; 168,2; 169,1; 169,4 „Lohengrin“ 94,1–3 lôn 57,3–4; 71,2; 121,2–4; 173,1–2; 173,2–3 lûter / lûterlîche 46,4; 53,2; 94,3; 94,4; 95,3; 164,3
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Bibliographien und Register
„Mai und Beaflor“ 64,1–2; 70,2 Mahaute 42,1; 55,2; 89,4; 97,2; 129,1; 131,4; 132,4 Manfilot 13–24; 22,1–2; 23,1; 23,3–4 Manierismus 31,4 Der Marner 64,1–2; 65,4 „Mauricius von Craûn“ 71,2; 122–124 Metaphorik / Metapher (f Blütenmetaphorik, f Jagdmetaphorik, f Falkenmetaphorik, f herz / Herzmetaphorik, f Kaufmannsmetaphorik, f Licht / Lichtmetaphorik, f Naturmetaphorik, f Schifffahrtsmetapher, f Wiegemetapher) 32,2; 56–72; 65,3; 66,3; 70,4; 88,4; 104,4; 110,4; 112,4; 121,4; 133,3; 134,2–4; 149,3; 150,2–4; 159,2; 163,2–3; 164,3; 172,4 Metonymie 4,2; 14,2; 22,4; 24,2; 26,4; 51,1; 59,1; 65,1; 65,3; 65,4; 69,2; 70,1–2; 71,3; 72,3; 80,2; 91,1; 93,4; 107,1; 108,3; 115,3; 122,4; 127,2; 128,2–3; 128,4; 129,4; 130,3; 132,3; 135,4; 141,2; 145,1; 152,2–3; 168,4; 173,2–3; 175,3 Metrik Vorwort 25–39; 23,1; 24,1; 100,4; 104,3; 114,1–2; 122–124; 141,4; 151,4; 160,1; 166,3–4; 167,4 minne (f Kinderminne, f Liebeskrieg) 68,3; 85,1 hôhiu minne 3,1–4; 3,1; 13,2; 23,4; 92,1–3; 92,1; 108,1 strengiu minne 47,4; 114,2 wâriu minne 4,4 werdiu minne 107,3 Minnebänder / –fesseln / –gefangenschaft 47,4; 48,1; 48,4; 96,4; 106,1; 112,2; 121,2–4; 121,4; 125,4; 136,1; 172,4 „Die Minneburg“ 64,1–2 Minnedienst / Minnerittertum 1–12; 3,1; 3,4; 8,2–3; 17,1–2; 22,4; 23,3–4; 23,4; 25–36; 27,1–4; 28,1–2;
30/31; 30,2; 31,1–4; 35,4; 36,3–4; 56–72; 57,3–4; 64,3; 65,1; 67,4; 71,2; 71,3–4; 71,3; 72,1; 72,2; 72,3; 73,1; 76,2–3; 85,1–2; 89,4; 92,1; 97–112; 107,1; 107,3; 110,4; 111,1–2; 121,2–4; 135,4; 152/153; 169–175; 169,4; 170,2–4; 171,1; 171,4; 172,2; 172,4; 173,1–2; 174,1; 175,1 Minnekonzeption / –sprache /–topik 4,4; 13,2; 17,1–2; 37,4; 46,4; 47–55; 49,1; 49,4; 50,1–4; 51,2; 51,3; 52,4; 53,4; 56–72; 63,1–3; 63,4; 64,1–2; 64,3; 64,4; 65,3; 67,4; 68,1; 68,3; 69,2; 69,3; 70,3–4; 73,1; 74,4; 77,2; 85,1–2; 85,4; 88–96; 89,2; 89,4; 92,1–3; 107,1; 107,4; 113–136; 121,2–4; 121,4; 122–124; 127,1; 127,4; 129,2; 136,1; 136,4; 148,4; 149,3; 152/153; 169–175; 172,4; 173,1–2; Zum Schluß des überlieferten Textes Minnekrankheit 48,1; 66,1; 66,2; 88–96; 89,1; 90,3; 92,1–3; 94,2; 94,3; 106,4; 113–136; 115,2; 117,4; 129,2 Minnesang: Stil / Terminologie / Topik Vorwort 25–27, 38; 3,3; 5,1; 32,4; 33,3; 34,3; 58,1; 60,1–4; 60,1; 60,2; 61,1; 61,2; 61,4; 62,2; 66,3; 69,3; 71,2; 90,4; 95,2; 112,4; 122–124; 125,1; 125,2; 125,4; 126,2–3 Der Mönch von Montaudon 66,3 „La Mule sanz frain“ 171,4 Mündlichkeit / oraler Stil (f Heldenepik) Vorwort 29; Vorwort 38 f.; 59,2; 68,1; 138,3 Munsalvæsche 24,4; 45,1; 156,1 Mutterschwester / muome 14,1; 25,1–4; 25,3; 29,1–2; 30,2; 55,2; 108,4; 111,3; 131,4 Mutterbruder / œheim 30,2; 55,2; 131,4 Naturmetaphorik (f Blütenmetaphorik) 32,3; 45,2; 108,2; 148,1–2; 167,1 Neologismus 65,2; 70,2; 71,4; 81,2; 90,1; 94,1–3; 95,2; 98,4; 100,4; 106,1; 108,2; 110,1; 111,4;
Register zum Stellenkommentar 117,4; 131,3; 137–143; 141,2; 147,1; 147,2; 161,4; 167,1; 167,2; 167,3; 168,2 Neues Testament 51,1; 51,2; 51,3; 108,2 „Das Nibelungenlied“ Vorwort 26; 1,3; 17,4; 49,4; 65,4; 69,2; 80,1; 89,4; 98,2; 113,1; 121,1–2; 122–124; 135,1; 137,4; 163,4 Norgals 26,1–4; 26,3; 74,3; 79,1–2; 86,1; 118,2 nôt 48,4; 57,3–4; 121,3 Notker 169,2 omnia vincit amor 50,1–4; 51,1; 65,2; 65,4; 70,1–2; 70,2 Oralität f Mündlichkeit Otto von Freising 73,2 Ovid 17,4; 47,4; 72,2; 89,1; 95,2; 126,2–3 Oxymoron 17,4; 19,2–4; 20,1–4; 20,1; 23,2; 72,2; 89,1; 115,4 Parzival 22,1–2; 24,1; 25,3 Peire Vidal 60,2 Pelrapeire 15,2; 22,1–2; 28,1–2; 31,1–4 Personifikation / Personifizierung 5,2; 31,3; 32,3; 35,3; 49,1; 51,4; 56,2; 64,1–2; 65,3; 68,2; 70,3; 70,3–4; 70,4; 74,4; 75,4; 83,4; 91,3; 96,2; 96,3; 99,4; 112,4; 117,4; 125,1–2; 127,2; 168,4; 174,4 Pierre von Blois 51,1 „Piramus et Tisbe“ 65,4 „Physiologus“ 104,4 Pleonasmus 106,1 Pompeius 73,2; 73,3 Präsens– / Präteritalformen 59,1; 60,4
499
historisches oder Autor–Präsens 17,3; 48,1; 49,1; 90,2; 48,1–4; 63,1–3; 90,2; 157,2; 168,2 apokopierte Präteritalform 17,3; 74,4; 80,2; 153,1; 154,1; 157,2; 168,2 prîs 4,1–3; 4,2; 25,4; 132,4; 150,2–4 „Prosalancelot“ 90,4 Pseudo-Neidhart 85,4 quâl / queln / verqueln 53,4; 93,4; 115,4; 121,2–4; 121,3 Quellen (für den „Titurel“) Vorwort 4–5; 40,2; 42,2; 88,2; 149,3; 157,4; 169,2 Rechtsterminologie 22,1; 26,3; 60,1–4; 67,4; 69,3; 71,2; 100,2; 103,1–2; 106,4; 125,2; 155,2; 154,4; 157,1 Reim, unrein oder auffällig (f Zäsurreim) Vorwort 47; 79,3–4; 85,1–2; 93,3–4; 148,3–4; 166,3–4 Reinmar (der Alte) 60,4; 61,2; 69,3; 112,4 Reinmar von Zweter 68,4; 115,1–2 Richard von Saint-Victor 47,4; 53,4 rouben / steln / versteln 68,4; 75,4; 99,4; 112,4; 117,4 Rudolf von Ems 135,4 sælde 1–12; 3,2; 4,1–3; 10,2; 19,2–4; 30/31; 31,3; 32,2; 32,3; 57,2–4; 57,3–4; 132,2 Schiffahrt / –metapher 104,4; 124,1; 133,1; 175,4 Schionatulander 13–24; 27,2; 28,1–2; 37–42; 39,4; 42,3; 43–46; 55,2; 75,1; 88,2; 97,2; 103,1–2; 115,4; 134,2–4; Zu Fragment II; 141,4; 153,1; 159,2; 164,1–3; 165,1; 165,3; 165,4; 166,2; 169–175; 169,2; 169,4; 172,2; 174,2–4; 175,4 Schlafen und Wachen 31,3; 83,4; 104,4
500
Bibliographien und Register
Schönheit / Schönheitsbeschreibung / –topik 7,4; 14,2; 26,2; 32,2; 85,4; 94,1–3; 99,4; 108,3; 109,3; 111,4; 115,1–2; 117,4; 130,3; 135,2; 156,1; 161,2 Schoette 42,1; 55,2; 131,4 Schoysiane 10,1; 13–24; 13,1; 24,4; 33,4; 94,4 Schriftlichkeit / Schrift 6,3; 49,4; 138,3–4; 149–158; 159,3; 169,2; 170,1; 171,4; 173,4; Zum Schluß des überlieferten Textes Schuld 13–24; 23,3–4; 36,3–4; 56–72; 71,3–4; 169–175; 169,4; 171,4; Zum Schluß des überlieferten Textes Sexualität f Erotik Sibilie 86,1 Sigune 13–24; 19,2–4; 19,4; 22,3; 23,3–4; 24,1; 25,1–4; 27,2; 31,2; 33,4; 36; 43–46; 71,3–4; 77,1–4; 94,4; 108,4; 110,4; 111,1–2; 117,1–2; 118,1; 123,2; 124,1; 159,4; 167,2; 169–175; 170,2–4; 171,2–4; 171,4; 173,2–3; Zum Schluß des überlieferten Textes Sippenbindung (f erben / Erblichkeit, f Gralsfamilie) 98,1; 98,2–4; 99,1; 100,2; 100,3; 100,4; 102,2; 112,2; 116,1; 131,4 Sonne 2,3; 14,2; 109,3; 117,4 sorge 31,3; 59,2; 67,3; 84,2; 104,2; 119,1; 119,2–3; 125,4; 130,4; 133,4 stæte 4,1–3; 4,1; 5,2; 46,1–3; 102,4 Standesdifferenz 13–24; 13,4; 26,4; 62,1–2; 108,1; 131,4; 156,3; 170,2–4; 170,4 steln / versteln f rouben Der Stricker „Daniel“ 8,2–3 Strophenfolge / –stellung Vorwort 22–25, 41–43; 8; 18/19; 24; 24,1; 28; 36; 59; 66; 73–87; 78; 85; 101
Strophenform f Metrik süeze 3,2; 7,2; 17,4; 56,4; 67,1; 72,2; 88,4; 135,4; 137,2; 168,2 (ver–)sünden 61,2; 119,2–3 Synekdoche 64,1–2; 124,2; 144,2 talfîn / talfînete 42,1; 57,1; 88,2; 97,2; 131,3 Tampunteire 13–24; 13,4; 14,1; 15,2; 22,1; 25–36; 28,1–2 Tapferkeit / fortitudo 4,1–3; 14,4; 16,2 Thomas de Cantimpré 141,2 Titurel 1,1; 8,4; 12,2 Tmesis 103,4; 110,4; 114,1–2 tougen / tougenlîch (f heln) 53,3–4; 66,3; 74,1; 76,1; 100,2; 102,1; 112,3 tôt / Todesmotiv 5,4; 13–24; 25–36; 63,4; 73–87; 80,3–4; 89,2; 89,4; 143,1–4; 153,1; 169–175; 171,1; 172,2; Zum Schluß des überlieferten Textes Transitio-Aposiopese 37,4; 52,4 Trennungsmotiv 23,3–4; 25–36; 25,1–4; 28,4; 30,2; 31,1–4; 73–87; 77,1–4; 81 Trevrizent 9,3; 23,3–4; 138,3–4 triwe 4,4; 19,2–4; 19,4; 23,3–4; 45,4; 102,2; 112,2; 116,1 trôst 3,1; 56–72; 61,1; 112,2; 121,1–2 trûren 61,4; 66,4 tump / tumpheit 48,1; 63,4; 70,1–2; 132,1; 169–175; 175,3 (be-)twingen / twinclîch 50,4; 68,3; 89,3; 94,4; 95,4; 106,4; 114,1–2; 157,1
Register zum Stellenkommentar Ulrich von Gutenburg 60,1; 61,2 Ulrich von Lichtenstein 64,1–2; 169,2 Ulrich von Etzenbach 65,2 Unsagbarkeitstopos 49,4; 70,2 ursprinc 34,3; 101,1 Urrepanse de schoye 10,4; 24,4 Vaterbruder / veter 25,1–4; 28,1–2; 29,1–2 vereinen 29,4; 58,2 Vergil 2,3; 50,1–4; 65,3 verirren 5,4; 165,4 Vincenz von Beauvais 104,4 „Virginal“ 71,2 Visualisierung 20,1; 32,2; 71,4; 89,4; 159–168; 166,3–4; 167,2 Vorausdeutung / Vorwegnahme 13–24; 17,1–2; 17,3; 18/19; 27,2; 36,1; 59,2; 73,3; 78,2; 81,4; 84,3–4; 85,4; 86,2–3; 86,4; Zu Fragment II; 137–143; 137,4; 140,1–3; 140,4; 141,1–4; 141,4; 143,1–4; 144–148; 145,4; 148,3; 153,1; 159–168; 159,2; 159,3; 163,4; 164,4; 168,2–3; 168,4; 175,2; 175,4; Zum Schluß des überlieferten Textes Wachsmut von Mühlhausen 101,1 Waidmannsprache f Jagdmetaphorik / –terminologie Waleis 26,1–4; 26,3; 40,3; 45,3; 74,3; 118,2 Walther von der Vogelweide 53,3; 64,1–2; 69,3; 70,2 wanc / wenken / wanclîch 51,4; 65,4; 70,3–4; 70,4; 94,4; 102,4; 150,2–4
501
Wiegemetapher 133,1; 175,4 wilde /wiltlîch / verwildet / entwilden 3,4; 64,3; 64,4; 102,3; 121,2–4; 121,4; 156,1; 158,1–2; 158,2–3 Wirnt von Gravenberc 23,3–4 wîse / wîsheit 54,1; 127,1; 127,4 Wolfram von Eschenbach „Parzival“ als Bezugshorizont des „Titurel“: Vorwort 3–5; 1–12; 7,1; 8,2–3; 13–24; 23,3–4; 24,1; 25,1–4; 27,1–4; 27,2; 35,4; 37,1; 37,4; 39,4; 45,3; 45,4; 47–55; 48,1; 51,3; 55,2; 56–72; 71,2; 78,4; 81,4; 85,4; 93,4; 108,1; 127,4; 131,4; 132,1; Zu Fragment II; 140,4; 152/153; 158,1–2; 169–175; Zum Schluß des überlieferten Textes Sigune im „Parzival“: Vorwort 3; 4,4; 23,3–4; 24,1; 48,1; 51,3; 56–72; 71,2; 78,4; 152/153; 169–175; Zum Schluß des überlieferten Textes „Parzival“, einzelne Stellen: 1,1; 1,4; 4,4; 6,1; 6,2; 6,3; 7,2; 7,3; 8,2–3; 12,2; 12,4; 14,1; 15,2; 19,1–2; 21,2; 22,1–2; 23,3–4; 24,4; 25,1–4; 26,3; 27,1; 27,4; 28,1–2; 30/31; 30,2; 31,4; 39,1; 40,1; 40,2; 41,2; 41,4; 42,1; 42,2; 43,3; 44,1; 45,1; 46,4; 48,4; 49,1; 50,4; 51,4; 54,2; 56,3–4; 62,2; 63,1–3; 63,4; 64,1–2; 65,2; 65,4; 68,3; 68,4; 70,2; 71,3–4; 71,4; 72,4; 73,1; 73,2; 74,4; 79,3–4; 80,1; 81,4; 83,2–3; 84,3–4; 85,2–3; 85,3; 85,4; 86,1; 87,3; 89,3; 89,4; 95,2; 96,2; 98,2; 98,2–4; 100,4; 102,2; 113,4; 114,4; 115,1–2; 115,2; 120,2; 121,2–4; 123,4; 124,3; 126,2–3; 126,4; 128,3; 132,4; 134,1; 134,2–4; 135,1; 135,4; 138,3–4; 151,3; 155,3; 156,1; 159,4; 164,1–3; 166,3–4; 174,4; 175,4 „Willehalm“: Vorwort 4; 1,1–4; 2,3; 4,4; 14,2; 17,4; 20,3–4; 21,2; 30,2; 31,4; 40,2; 42,2; 55,4; 58,1; 64,1–2; 64,1; 67,3; 67,4; 71,3; 71,4; 72,4; 76,2–3; 87,2; 88,4; 98,2; 102,2; 107,1; 113–136; 126,4; 134,1; Zu Fragment II; 167,1; 167,2; 169–175
502
Bibliographien und Register
Lyrik: 17,4; 56,2; 62,2; 68,3; 70,2; 85,4; 111,4; 115,1–2; 121,2–4; 167,1 „Wolfdietrich“ 1,1 Zäsur / Binnenkadenz Vorwort 27–40; 23,1; 26,2; 56,1; 59,4; 90,4; 114,1–2; 119,1; 121,1–2; 141,4; 156,1; 164,4; 166,1; 167,4; 170,1
Zäsurreim Vorwort 18–20, 30, 32; 33/34; 66,2; 69,1–2; 81; 82–84; 134,1–2 Zeugma 1,2; 104,4; 112,4; 159,1–3; 159,2; 167,1–3 Zusatzstrophen f Echtheit / Unechtheit 175,3
Wolfram-Handschriften G H M
Wolfram-Editionen La 6. Aufl. Lei 5. Aufl. (Hei) (Mar)
hier
Wolf
Albrecht-Editionen Hahn (= JT B)
Schröder (= JT H)
500 ~ 501/502 596 615 ~ 617/618 512 621 651 652 653 ~ 601/602 ~ 603+655 656 661–664 669 670 671–672 673 675 676 677 683 685 679 686
476 ~ 477/478 568 585 ~ 587/588 488 591 617 618 619 ~ 573/574 ~ (–) + 621 622 631–634 635 636 637–638 639 641 642 643 649 651 645 652
468 ~ 467+469 554 572 ~ 574/575 481 580 611 – – ~ 559/560 ~ 561+613 614 618–620(–) 631 632 633–634 635 637 638 639 645 647 641 648
Fragment I 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14–17 18 19 20–21 22 23 24 25 26 27 28 29
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14–17 18 19 20–21 22 23 24 25 26 27 28 29
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14–17 18 19 20–21 22 23 24 25 26 27 28 29
503
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Konkordanz der Strophennummern
1 2 3 4 5 6 7 10 8 9 11 12 18 19–22 23 24 25–26 28 29 27 30 32 33 31 34
7. Konkordanz der Strophennummern
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14–17 19 18 20–21 22 23 24 25 26 27 28 29
35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46–50 51–57 13 14–15 17/58 59 60 16 61–63 64 65 66 68 69 67
– 1 2 3 5 6 4 7 8 9 10 11–15 – – – – – – – – – – – – – –
30 31 32 [33] [34] 35 36 37 38 39 40 41–45 46–52 53 54–55 57 58 59 56 60–62 63 64 65 67 68 66
[30] [31] 32 [33] [34] 35 [36] 37 38 39 40 41–45 46–52 [53] 54–55 57 58 59 56 60–62 63 64 65 66 67 68
hier
Wolf
30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41–45 46–52 53 54–55 56 57 58 59 60–62 63 64 65 66 67 68
689 690 692 693 695 696 694 698 699 700 701 704–708 709–715 716 717–718 720 721 722 719 723–725 ~ 726/727 731 738 740 741 739
Albrecht-Editionen Hahn (= JT B) 655 656 658 659 661 662 660 664 665 666 667 670–674 675–681 682 683–684 686 687 688 685 689–691 ~ 692/693 697 704 706 707 705
Schröder (= JT H) 651 652 654 656 657 658 655 660 661,1–2 – – – – – – – – – – – – – – – – –
Bibliographien und Register
– – 30 – – 31 – 32 33 34 35 36–40 41–47 – 48–49 50 51 52 53 54–56 57 58 59 60 61 62
Wolfram-Editionen La 6. Aufl. Lei 5. Aufl. (Hei) (Mar)
504
Wolfram-Handschriften G H M
Wolfram-Handschriften G H M
– 16–17 18 24 25 19–22 23 26 27 28–30 – – – – – 35 – – 31–34 36–38 39 40 41–46 – – –
69–75 76–77 78 79 80 (80a–d) 81 82 (82a) 83–85 86–90 91 92–93 94 95 96 97 98–99 100–103 104–106 107 108 109–114 115–116 117–120 121–131
69–75 76–77 81 78 79 ([78a–d]) 80 82 (82a) 83–85 86–90 91 92–93 94 95 96 97 98–99 100–103 104–106 107 108 109–114 115–116 117–120 121–131
hier
Wolf
69–75 76–77 78 79 80 81–84 85 86 87 88–90 91–95 96 97–98 99 100 101 102 103–104 105–108 109–111 112 113 114–119 120–121 122–125 126–136
742–748 749–750 751 752 753 755–758 759 760 761 762–764 765–769 770 771–772 775 773 782 774 776–777 778–781 783–785 788 789 790–795 796–797 799–802 804–814
Albrecht-Editionen Hahn Schröder (= JT B) (= JT H) 708–714 715–716 717 718 719 721–724 725 726 727 728–730 731–737 – 736–737 740 738 747 739 741–742 743–746 748–750 753 754 755–760 761–762 764–767 769–779
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 662,3–4 663–668 669–670 672–675 677–687
505
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wolfram-Editionen Lei 5. Aufl. (Mar)
Konkordanz der Strophennummern
63–69 70–71 75 72 73 – 74 76 – 77–79 80–84 85 86–87 88 89 90 91 92–93 94–97 98–100 101 102 103–108 109–110 111–114 115–125
La 6. Aufl. (Hei)
Wolfram-Editionen La 6. Aufl. Lei 5. Aufl. (Hei) (Mar)
hier
Wolf
Albrecht-Editionen Hahn (= JT B)
Schröder (= JT H)
1173–1174 1175–1176 ~ 1178/79 1181 ~ 1182/83 1185–1187 ~ 1188/89 1190–1195 1196 1197–1207 ~ 1208/09 1211–1213 1215–1216 ~ 1217/18 1219–1220 1221
1140–1141 1142–1143 ~ 1145/46 1148 ~ 1149/50 1152–1154 ~ 1155/56 1157–1162 1163 1164–1174 ~ 1175/76 1178–1180 1182–1183 ~ 1184/85 1186–1187 1188
964–965 ~ 966 ~ 968/969 971 ~ 972/973 974–976 ~ 977+ (–) 978–983 – 984–994 ~ 995/996 998–1000 1002–1003 ~ 1004+07 1005–1006 1008
506
Wolfram-Handschriften G H M
Fragment II. – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – –
132–133 134–135 136 137 138 139–141 142 143–148 149 150–160 161 162–164 165–166 167 168–169 170
132–133 134–135 136 137 138 139–141 142 143–148 149 150–160 161 162–164 165–166 167 168–169 170
137–138 139–140 141 142 143 144–146 147 148–153 154 155–165 166 167–169 170–171 172 173–174 175
Bibliographien und Register
126–127 128–129 130 131 132 133–135 136 137–142 143 144–154 155 156–158 159–160 161 162–163 164
507
VII. Anhang
508
Anhang
Faksimiles zur Überlieferung
I.
G = Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 19 fol. 71r (= Strophen 1–17; 19; 18; 20–28)
509
510
Anhang
II. H = Österreichische Nationalbibliothek Wien, Ser. Nova 2663, „Ambraser Heldenbuch“ fol. 234r (= Strophen 1–7; 9; 10; 8; 11–12; 53–55; 59; 56,1–2; 13–21; 24; 22–23; 25,1–3)
Faksimiles zur Überlieferung
III. M = Universitätsbibliothek München, 8° Cod. ms. 154 (= Cim. 80b ), ausgelöstes Fragment II fol. 1r (= Strophen 31–33; 36; 34–35; 37–38,2)
511
512
Anhang
IV. M = Universitätsbibliothek München, 8° Cod. ms. 154 (= Cim. 80b ), ausgelöstes Fragment II fol. 3r (= Strophen 105,3–108; 109; 109–111)
Faksimiles zur Überlieferung
513
V. Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 2675 (= Albrechts „Jüngerer Titurel“, A) fol. Iv [Ausschnittvergrößerung] (= Melodie mit Text der ‚Sigunenklage‘)
514
Anhang
VI. Tafel der Verwandtschaftsbeziehungen in „Parzival“ und „Titurel“ von Elisabeth Schmid [zuerst in Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe 1998, Anhang; nach Schmid 1986, 174 f.], erweitert um drei im „Titurel“ zusätzlich genannte Figuren. Geschwärztes Symbol v oder x bedeutet, daß die Figur im „Titurel“ namentlich genannt ist.