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German Pages 326 Year 1991
HANSJÖRG KLAUSINGER
Theorien der Geldwirtschaft
Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J, Broermann
Heft 407
Theorien der Geldwirtschaft Von Hayek und Keynes zu neueren Ansätzen
Von
Hansjörg Klausinger
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Klausinger, Hansjörg: Theorien der Geldwirtschaft: von Hayek und Keynes zu neueren Ansätzen I von Hansjörg Klausinger. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Volkswirtschaftliche Schriften; H. 407) Zug!.: Wien, Wirtschaftsuniv., HabiL-Sehr., 1989 ISBN 3-428-07074-7 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH. Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-07074-7
Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die geringfügig modifizierte Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Mai 1989 an der Wirtschaftsuniversität Wien eingereicht wurde. Es zählt zu den angenehmen Aufgaben nach Abschluß dieser Arbeit, die im Laufe der Zeit akkumulierte Dankesschuld abzustatten: Herr Prof. J. Hanns Piehier hat meine Arbeit insbesondere durch die Gewährung jener Freiräume, ohne die eine solche Untersuchung nicht auskommen kann, geduldig unterstützt. Durch ihre ungebrochene Bereitschaft zu Diskussion und Kritik haben die Kollegen Dr. Engelbert Dockner, Dr. Norbert Hentschel, Dr. Markus Kostner und Dr. Alfred Sitz zur Eliminierung von Irrtümern und Unklarheiten beigetragen. Weitere Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten habe ich von den Herren Prof. Leonhard Bauer, Prof. Ewald Nowotny, Dr. Reinhard Neck und Doz. Herbert Watther erhalten. Frau Gabriete Andre hat mit gewohnter Akkuratesse die Erstfassung des Manuskripts erstellt. Allen Genannten danke ich sehr herzlich, ohne sie mit der Verantwortung für das Endergebnis belasten zu wollen. Seitens der Wirtschaftsuniversität Wien wurde meine Arbeit durch die Gewährung eines Zuschusses unterstützt. Für die hiedurch erfahrene Förderung drücke ich meinen aufrichtigen Dank aus. Zuletzt gilt mein besonderer Dank all jenen, die dem Entstehen dieser Arbeit eine freundschaftliche bzw. kollegiale Zuversicht entgegengebracht haben, welche zuweilen die des Verfassers übertroffen und gerade dadurch bestärkt hat. Wien, im Jänner 1990 Hansjörg Klausinger
Iohaltsverzeichnis 1. EINLEITUNG
7
1.1 Theoriegeschichte und Wirtschaftstheorie
7
1.2 ProblelllBtellung und Überblick
9
2. KUMULATIVER PROZESS UND MONETÄRES GLEICHGEWICHT BEI WICKSELL UND MYRDAL 2.1 Wickaell: Gleichgewicht der Geldpreise und kumulativer Proze8
15 15
2.1.1 Der Mechanismus der Quantitätstheorie
16
2.1.2 Das Gleichgewicht der Geldpreise
21
2.2 Myrdal: Monetäres Gleichgewicht 2.2.1 Allgemeines Gleichgewicht und monetäres Gleichgewicht 2.2.2 Die Analyse der Wiekseilachen Bedingungen
24 25
27
2.3 Ein Modell des monetären Gleichgewichts und des kumulativen Prozesses
33
2.3.1 Die Angebotsseite
35
2 .3.2 Monetäres Gleichgewicht 2.3 .3 Monetäres Ungleichgewicht und kumulativer Proze8
36 38
2.3.4 Fester Geldlohn und monetäres Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung
41
3. F .A. VON HAYEKS THEORIE DER GELDWIRTSCHAFT
45
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtechaft
45
3.1.1 Intertemporales Gleichgewicht in der idealtypischen Tauschwirtschaft
46
3.1.2 Neutrales Geld
49
3.1.3 Geldzins und Gleichgewichtszine
53 59
3.1.4 Intertemporales Ungleichgewicht in der Geldwirtschaft 3.1.6 Neutralität als Norm der Geldpolitik? 3.2 Hayeka monetäre Konjunkturtheorie
66 70
3.2.1 Intertemporale Koordination ohne monetäre Störungen. Ein Modell zu Hayek (1931a) 3.2.2 Enwungenes Sparen und der Hayek-Zyklua 3.2.3 Kritik der Hayekschen Konjunkturtheorie 3.3 Grenzen der Gleichgewichtsanalyse 3 .3.1 Marktproze8 und Wettbewerb 3 .3.2 Die Informationsfunktion des PreisaystelllB 3.3.3 Rationalität und untemehmerischea Handeln
70 76 80 83 84 90 91
4
lnhalteverzeichni1 3.3.4 Das empirische Element in der Gleichgewichtsanalyse 3.3.5 Marktproließ und LaisBell-Faire 3.3.6 Du subjektiviatiache Dilemma 3.4. Geld und intertemporaleB Gleichgewicht. Eine vorläufige Würdigung
4. J.M. KEYNES' ALLGEMEINE THEORIE DER GELDWIRTSCHAFT 4.1 Die Geldtheorie der "Treatiae on Money" 4.1.1 Zirkulationasphären und Kritik der Quantitätstheorie
94 98 101 104 109 llO 111
4.1.2 KreislaufprolieB und Gleichgewicht
114
4.1.3 Die Grundgleichungen
ll9
4.1.4 Der monetäre Sektor 4.1.5 Von der "Treatise" 11ur "General Theory"
141
4.2 Geldwirtschaft, Saysches Gesetll und effektive Nachfrage
127 147
4.2.1 Keynes' Wirtschaftstypologie und das Nachfrageproblem
147
4.2.2 Die Interpretation des Sayachen Geset11es
163
4.2.3 Die Theorie der effektiven Nachfrage in der "General Theory" 4.2.4 Die Rekonstruktion der Theorie der effektiven Nachfrage 4.3 Investition und Zinssatz in der Geldwirtschaft
169 162 176
4.3.1 Die Investitionstheorie
177
4.3.2 Die Liquiditätspräferenztheorie des Zinssatzes
183
4.3.3 Unterbeschäftigung und die wesentlichen Eigenschaften des Geldes
189
4.3.4 Intertemporale Koordination in der Geldwirtschaft 4.4 Ein
Zwei - Sektoren-Modellt~ur
"General Theory"
4.5 Unfreiwillige Arbeitslosigkeit und flexible Geldlöhne 4.6 Der Keynessche Beitrag zur Theorie der Geldwirtschaft 5. THEORIEN DER GELDWIRTSCHAFT NACH HAYEK UND KEYNES 5.1 Die neoklusische Synthese 5.1.1 Die walrasianische Rekonstruktion der Keynesschen Ökonomie 5.1.2 Allgemeines Wettbewerbsgleichgewicht und die Rekonstruktion der klassischen Ökonomie 5.1.3 Du Dilemma der neoklassischen Synthese 5.1.4 Der Wandel des Begriffes der Geldneutralität 5.2 Neuere Begründungen der Geldwirtschaft
198 202 206 216 226 226 225 232 235 238 245
5.2.1 Geld in Modellen des allgemeinen Gleichgewichts 5.2.2 Transaktionskosten und Geld als Tauschmittel 5.2.3 Geldnachfrage und Liquidität
245
5.2.4 Liquidität veraus Neutralität?
256
5.3 Die Geldwirtschaft in der Neuen Klassischen Ökonomie
249 252 267
6.3.1 Von der Monetarismus- Kontroverse zur Neuen Klassischen Ökonomie
267
6.3.2 Rationale Erwartungen und die Funktion des Preissysteme
261
6.3.3 Die reine Theorie der Geldwirtschaft
266
lnhaltlverseichnia 6.3.4 Gleichgewicht ala methodiachea Prinsip in der Neuen Klassischen Ökonomie 5.4 Geldwirtschaft und Unterbeschäftigung in der Neuen Keynesschen Ökonomie 5.4.1 Geldwirtschaft und monetäre Traneaktionen 6.4.2 Geldwirtschaft und Unterbeechiftigung 5.4.3 Neue Keynesianiamen - Rückblick und Aueblick
5
277 277 280 286
6. ZUSAMMENFASSUNG
291
Abkürzungsverr;eichnis
301
Literaturverzeichnis
303
1. EINLEITUNG 1.1 Theoriegeschichte und Wirtschaftstheorie Was würden wir dabei gewinnen, absurde Meinungen, überwundene, und mit Recht überwundene Doktrinen ~u sammeln? Es wäre ebenso unnütz wie langweilig, sie auszugraben. Daher wird auch die Geschichte einer Wissenschaft umso kür~er, je mehr die Wissenschaft sich vervollkommnet ... Es kommt nicht darauf an, die Irrtümer ~u lernen, sondern sie ~u vergessen. 1 (J.B. Say) Highbrow opinion is like a hunted hare; if you stand long enough, it will come back to the place it started from. 2 (D . Robertson)
Die beiden vorangestellten Zitate weisen darauf hin, daß sich jede theoriegeschichtliche Untersuchung mit der Frage auseinanderzusetzen hat, warum sie sich mit den "falschen Meinungen toter Ökonomen" (Blaug 1985, 1) befaßt. Hiezu greift man am besten auf die von Schumpeter (1954, 4ff.) angebotenen Begründungen zurück: 3 Neben didaktischen Gründen nennt er die Möglichkeit neuer Ideen und Anregungen sowie von Einsichten in die Verfahren des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts. Im letzteren Sinne liefert die Wissenschaftsgeschichte das empirische Material für Wissenschaftstheorie (und -soziologie), an dem einerseits die Gültigkeit von Hypothesen einer positiven Theorie des Erkenntnisfortschritts zu messen ist und das anderseits an den Kriterien einer normativen Wissenschaftstheorie gemessen wird.4 Im folgenden geht es jedoch primär um den zweiten von Schumpeter genannten Grund, um die Beziehung zwischen Theoriegeschichte und Wirtschaftstheorie. In dieser Hinsicht kann Theoriegeschichte als bloße Übung moderner Analysetechniken an 1 Coun Complet d'Economie Po!itique Pratique, Bd. 2, 1828/29; ~itiert nach Gide/Rist (1913, vii). 2 Zitiert nach Nobay/Johnson (1977, 470). 3 Vgl. auch Backhaus (1983) und Walker (1988). 4 Zum Ansatz einer rationalen Rekonstruktion wissenschaftlicher Forschungsprogramme nach Lakatos (1970) vgl. aus der Sicht der Geschichte der ökonomischen Theorie ~.B . Hutebison (1978) und E. Weintraub (1985). In mancher Hinsicht böte wohl die Logik mathematischer Entdeckungen (Lakatos 1976) eine geeignetere Vorlage.
8
1. Einleitung
überlieferten Inhalten betrieben werden, indem die jeweils moderne Theorie als Höchststand wissenschaftlicher Entwicklung und als bestmögliche Erklärung der Realität akzeptiert wird. Die moderne Theorie kann uns dann lehren, welche Fehler die älteren Ökonomen hätten vermeiden können - wären sie bereits im Besitze des neuesten Erkenntnisstandes gewesen. Die Position einer solchen "Whig History" vertritt z.B. Samuelson ( 1978, 1415): "... within any classical economist there is to be discerned a modern [neoclassical] economist trying to be born." Hierauf trifft die Kritik des obigen Say-Zitates zu: Eine solche Theoriegeschichtsschreibung hätte, außer der Affirmation der herrschenden Theorie, keinen Beitrag zum Erkenntnisfortschritt zu bieten 5 - und wäre ansonsten nur durch den intrinsischen Reiz antiquarischer Studien zu rechtfertigen. Trotz der unbestreitbaren Schwierigkeit, Geschichtsschreibung anders als von einem (wie immer vermittelten) Standpunkt der Gegenwart aus zu betreiben, versucht die folgende Untersuchung sich der Gefahr einer solchen Einseitigkeit zu entziehen und zugleich die Relevanz der Theoriegeschichte für die Wirtschaftstheorie zu behaupten. Eine Voraussetzung hiefür ist die These eines nicht-kumulativen Erkenntnisfortschritts (zumindest) der Wirtschaftswissenschaften.6 Das bedeutet, daß - unter der Annahme, der Erkenntnisstand aufeinander folgender Theorien (oder Paradigmen etc.) ließe sich überhaupt vergleichen7 - ein solches Fortschreiten auch mit einem Verlust an Erkenntnis einhergehen kann. Für die Wirtschaftswissenschaften ist eine solche Sicht besonders als These der Zyklizität ökonomischer Ideen (Neumark 1975) bekannt. Unterscheidet man hiebei - Schumpeter (1954, 41f.) folgend - zwischen "Vision" und "Technik", so legt dies eine Interpretation nahe, wonach die analytische Technik einem linearen Fortschritt folgt - allerdings mit der Gefahr, daß mancher Fortschritt durch einen Verlust an inhaltlicher Substanz der Vision erkauft wird. Dieser letzteren Sichtweise entsprechend, zielt die folgende Untersuchung auf Theoriegeschichte als Dialog zwischen moder5 Vgl. Boulding (1971): • After Samuelaon, who needa Adam Smith?"; ~:ur neueren Diakuuion einer "Whig History of Economic Science" vgl. Samuelson (1987), Kurdas (1988) und McCloakey (1988). 6 Vgl. 11:.8 . Ceaarano (1983) . 7 Anden die lnkommensurabilitätathese von Kuhn (1970); siehe auch Watkins (1970, 34f.).
1.2 Problemstellung und Überblick
9
ner Theorie und historischen Autoren bzw. deren Werken. 8 Einerseits können mit den Mitteln einer weiter entwickelten Analysetechnik und mit dem Vorteil der Retrospektive Irrtümer und Mängel historischer Theorien aufgezeigt werden. Andererseits wird von den historischen Problemstellungen ausgehend gefragt, welche von deren Dilemmata gelöst werden konnten (und welche bloß vergessen wurden). In diesem Sinne kann Theoriegeschichte ein Mittel der Theoriekritik darstellen, insbesondere als etablierte Theorien typischerweise rechtfertigend auf prominente historische Vorläufer zu verweisen pflegen. Das Verfolgen diese Ansatzes wird in der vorliegenden Arbeit durch zwei Einschränkungen erleichtert: Erstens beschränkt sie sich auf die Darstellung wissenschaftsinterner Faktoren der Theoriendynamik und läßt externe außer acht. Zweitens wurde das gewählte Gebiet der Theorie der Geldwirtschaft im 20. Jahrhundert derart eingegrenzt, daß die betrachteten Theorien innerhalb einer gemeinsamen methodischen Tradition stehen, nämlich einer neoklassischen bzw. (weiter gefaßt) einer dem Prinzip des methodologischen Individualismus verpflichteten Analyse. 9 Schließlich erscheinen auf dem Gebiet der Geldtheorie, das als eines der am schwierigsten mit dem neoklassischen Ansatz faßbaren und als am wenigsten abgeschlossen gilt, die Erfolgsaussichten groß, daß Theoriegeschichte die beabsichtigte fruchtbare Kritik zu leisten vermag. 1.2 Problemstellung und Überblick Die Frage, wie und mit welchem Stellenwert Geld und Geldwirtschaft im Rahmen der ökonomischen Analyse zu behandeln seien, hat seit jeher einen Ansatzpunkt der Kritik an den herrschenden Orthodoxien gebildet. So führt etwa Schumpeter in seiner "Geschichte" das analytische Gegensatzpaar "realwirtschaftliche" bzw. "geldwirtschaftliche Analyse" ein, bevor er die Ökonomie des Merkantilismus und der Physiokratie behandelt. Die folgende Untersuchung wird von seiner Begriffsdefinition ausgehen: 8 In diesem Sinne r;ählen Versuche einer "converaation with the re-educated dead" &ur rationalen Rekonstruktion, "the real and imagined converaations they might have had with their contemporaries" r;ur hiatarischen Rekonstruktion wissenachaftlicher Diar;iplinen (siehe Rorty 1984, 60 und 62). Beide Aspekte sollen im folgenden berücksichtigt werden. 9 Für die Keynessche Theorie der Geldwirtschaft ist diese Zuordnung umstritten und wird im 4. Kapitel näher begründet.
10
1. Einleitung
Real analysis proceeds from the principle that all the essential phenomena of economic life are capable of being deacribed in terms of goods and services, of decisions about them, and of relations between them. Money enters the picture only in the modest roJe of a technical device that has been adopted in order to facilitate transactions. This device can no doubt get out of order, and if it does it will indeed produce phenomena that are specifically attributed to its modus operandi. But so long as it functions normally, it does not affect the economic process, which behaves in the same way as it would in a harter economy; this is essentially what the concept of Neutral Money implies. Thus, money has been called a "garb" or "veil" of the things that really matter ... (Schumpeter 1964, 277)
Die Position der realwirtschaftlichen Analyse kennzeichnete im besonderen die Vertreter der sog. klassischen Nationalökonomie. Hier soll daher die Vorgeschichte unserer Untersuchung beginnen und die Klassiker in einigen Zitaten zu Wort kommen lassen. 10 David Hume eröffnet seine Abhandlung "Of Money" mit den folgenden Worten: Money is not, properly speaking, one of the subjects of commerce; but only the instrument which men have agreed upon to facilitate the exchange of one commodity for another. It is none of the wheels of trade: It is the oil which renders the motion of the wheels more smooth and easy. (Hume 1762, 281)
Und Adam Smith wendet sich gegen die merkantilistische Gleichsetzung von Geld und Reichtum, wenn er dem Geld produktiven Charakter bei der Hervorbringung von Gütern abspricht: Money, therefore, the great wheel of circulation, the great instrument of commerce ... makes no part of the revenue of the society to which it belongs; and though the meta) pieces of which it is composed, in the course of their annual circulation, distribute to every man the revenue which properly belongs to him, they make themselves no partofthat revenue. (Smith 1776, Book 2, ch.2, §23, 291)
Noch fast ein Jahrhundert nach Hume resümiert John Stuart Mill in bezug auf die Rolle des Geldes: ... there cannot, in short, be intrinsically a more insignificant thing, in the economy of society, than money [which] like many other kinds of machinery only exerts a distinct and independent influence of its own when it gets out of order ... (Mill 1871, Book 3, ch.7, §3)
Die Auswahl der Zitate offenbart ein Spannungsverhältnis zwischen der sich auf den geldlosen Tausch von Gütern beziehenden Werttheorie einerseits - in der Klassik als Element einer realwirtschaftlichen Reichtumstheorie, in der Neoklassik einer Allokationstheorie - und anderseits der Notwendigkeit der analytischen Begründung von Geldwirtschaft. Das erweist sich insbesondere angesichts der durch Handelsbilanzdefizit, Inflation und kommerzielle Krisen ausgelösten Kontroversen bezüglich der Or10 Vgl. als Fundstellen für Zitate zur klassischen Geldtheorie Binswanger (1982) und Patinkin (1981b).
1.2 Problemstellung und Überblick
11
ganisation des Geldwesens, der Bullion- und der Banking-Kontroverse, als problematisch. Am Ende des 19. Jahrhunderts werden schließlich in der Analyse der Neoklassik reine Theorie (von Wert, Preis und Verteilung) und monetäre bzw. Konjunkturtheorie getrennt, wobei zumindest in der Exposition die Preisbildung dichatomisiert und die werttheoretische Bestimmung der Austauschverhältnisse der einzelnen Güter der quantitätstheoretischen Bestimmung der Geldpreise vorangestellt wird. Eine klare zeitgenössische Darstellung dieser Vorgangsweise und ihrer Beschränkungen findet man in Knut Wiekseils Einleitung zum zweiten, der monetären Theorie vorbehaltenen Band seiner "Vorlesungen": Im [ersten] Bande haben wir die Produktion, die Verteilung und den Tausch so behandelt, als ob sie sämtlich ohne Mitwirkung dee Geldes stattfänden ... [dies] ist auch als erste Annäherung zulässig, denn ohne Zweifel lassen sich die mit Hilfe des Geldes bewerkstelligten Transaktionen in vielen Fällen begriffsmäßig so fassen, als ob sie ohne Dazwischentreten des Geldes vor sich gegangen seien. Unter den vielen Gleichnissen, vermittelst welcher man die Natur und die Funktionen des Geldes zu veranschaulichen versucht hat, ist das von dem Öle in einer Maschinerie aus mehreren Gesichtspunkten recht zutreffend; das öl bildet keinen Teil der eigentlichen Maschine, ist weder treibende Kraft, noch ausführendes Werkzeug, und in einer absolut vollendeten Maschinerie würde ein Minimum an Schmiermitteln erforderlich sein. Natürlich aber darf jene Vereinfachung nur provisorisch sein: die Nationalökonomen gehen nicht selten zu weit, wenn sie voraussetzen, daß die wirtschaftlichen Gesetze, die sie mit Abstrahieren vom Gelde deduziert haben, ohne weiteres unter den wirklichen Verhältnissen, wo das Geld tatsächlich so gut wie alle Tausche ... vermittelt, gelten würden. Die in idealer Vollendung dastehende Maschinerie, die ganz ohne Reibung ginge und daher keiner Schmiermittel bedürfte, ist noch nicht erfunden ... Der Gebrauch (oder der Mißbrauch) des Geldes kann die realen Tausch- und Kapitalphänomene tatsächlich in sehr starker Weise beeinflussen ... (Wicksell 1922, 4!.)
Mag der Erkenntniswert von Wiekseils Metapher vom "Öl in der Maschine" 11 umstritten sein, so bezeugt sie doch den Zustand einer unbehaglichen Koexistenz zweier Ansätze der ökonomischen Analyse, die die traditionelle neoklassische Theorie nur noch ungenügend zu integrieren vermochte. Dieses bereits erwähnte Spannungsverhältnis bildet den Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung. Sie beschränkt sich darauf, dies für die Geldtheorie des 20. Jahrhunderts an einigen markanten Lösungsversuchen darzustellen; auf Vollständigkeit besteht kein Anspruch. 11 Ein ähnliches Bild gebraucht Samuelson in seinen Erinnerungen an die neoklassische Geldtheorie: " ... money is like a catalyst in a chemical reaction, which makes the reaction go faster and better, but which, like the oil in the widow's cruse, is never used up." (Samuelson 1968, 3)
12
1. Einleitung
Die Untersuchung beginnt (im folgenden zweiten Kapitel) mit der geldtheoretischen Analyse der Skandinavischen Schule und konzentriert sich hiebei auf die Werke von Wiekseil und Gunnar Myrdal. Wiekseils Ansatzpunkt ist die Analyse des dynamischen Mechanismus der Quantitätstheorie; hieraus entwickelt er den nur in einer Geldwirtschaft möglichen kumulativen Prozeß. Anband dieses Konzeptes werden der Zusammenhang zwischen dem Gleichgewicht der relativen Preise und jenem der Geldpreise behandelt und schließlich die bekannten Wiekseiischen Bedingungen abgeleitet. Für Myrdal ist der Gegensatz zwischen allgemeinem und monetärem Gleichgewicht ausgeprägter als bei Wicksell, für den dieser Gegensatz vor allem in der mangelnden Stabilität des monetären Gleichgewichts besteht. Die Darstellung Myrdals befaßt sich mit der Einführung von Erwartungen als eigenständige Variable in die Analyse, wodurch sie sich in seiner Sicht kritisch von dem durch allgemeines Gleichgewicht vorgegebenen Rahmen unterscheidet. Von diesem Standpunkt aus wird eine ReformuIierung des kumulativen Prozesses vorgenommen. Für die Theorie der Geldwirtschaft von Friedrich August von Hayek (im dritten Kapitel) wird von dessen Konzept des intertemporalen Gleichgewichts ausgegangen. Dieses ist für den Idealtypus einer Tauschwirtschaft definiert; im folgenden wird untersucht, inwieweit es - gemäß dem Konzept des Neutralen Geldes auf eine Geldwirtschaft übertragen werden kann. Hiebei wird auch zur sog. Hayek-Sraffa-Kontroverse Stellung genommen. Sodann geht es darum, inwiefern durch monetäre Faktoren ausgelöstes intertemporales Ungleichgewicht den Ansatzpunkt zur Erklärung von Konjunkturen und Krisen bilden und ob Neutralität bzw. eine konjunkturlose Wirtschaft durch eine geeignete Geldpolitik wiederhergestellt werden kann. Der nächste Abschnitt stellt die Wirkungen freiwilligen und erzwungenen Sparens einander gegenüber; im Mittelpunkt steht hiebei der Krisen erzeugende Ricardo-Effekt. Im letzten Abschnitt wird auf die für Hayeks späteres Werk bedeutende Kritik der Gleichgewichtsanalyse eingegangen. Besondere Schwerpunkte bilden die Behandlung der Informationsfunktion des Preissystems und die methodische Rechtfertigung der Gleichgewichtsanalyse. Als Resümee werden einige logische Probleme der Hayekschen Vision der Geldwirtschaft diskutiert. Während für die Hayeksche Theorie das Konzept des intertemporalen Gleichgewichts ein zentrales heuristisches Prinzip darstellt, geht es in der Keynesschen Theorie um eine Geld-
1.2 Problemstellung und Überblick
13
wirtschaft, in der intertemporale Koordinationsprobleme nicht mehr perfekt gelöst werden können. Der erste Abschnitt des John Maynard Keynes gewidmeten, vierten Kapitels beschäftigt sich mit der Vorgeschichte der "General Theory": Es werden der wesentliche Inhalt der "Treatise on Money", deren kritische Diskussion und Weiterentwicklung skizziert. Der nächste Abschnitt behandelt Keynes' Konzept einer Geldwirtschaft, wie es in den Vorarbeiten zur "General Theory" entwickelt worden ist, als Ansatz zur Widerlegung des Sayschen Gesetzes und versucht sodann eine Rekonstruktion der Theorie der effektiven Nachfrage. Hervorgehoben wird die Frage, ob in einer dem Sayschen Gesetz gehorchenden Neutralen Wirtschaft Unterbeschäftigung möglich ist. Der dritte Abschnitt resümiert die Theorie der Investition und der Liquiditätspräferenz. Einen Schwerpunkt bildet die Möglichkeit von Vollbeschäftigung bzw. intertemporaler Koordination in einer Geldwirtschaft Nach einer (modelltheoretischen) Zusammenfassung der Elemente des Keynesschen kurzfristigen Gleichgewichts werden die Effekte von Lohnanpassungen behandelt. Dabei wird eine potentielle Asymmetrie zwischen einem Lohnund einem Geldstandard herausgearbeitet. Das Kapitel schließt mit einer zusammenfassenden Untersuchung, welche Elemente des Keynesschen Ansatzes für eine - institutionelle Faktoren berücksichtigende - Theorie der Geldwirtschaft verwendet werden können. Das fünfte Kapitel setzt sich mit der Fortführung Hayekscher und Keynesscher Ansätze zur Geldwirtschaft in der neueren Geldtheorie auseinander. Zuerst wird die sog. neoklassische Synthese dargestellt, in der sowohl die Keynessche als auch die klassische (Hayeksche) Ökonomie mit den Mitteln der allgemeinen Gleichgewichtstheorie rekonstruiert worden sind. Auf die hiebei zutage tretenden Dilemmata und Bedeutungsverluste wird besonders hingewiesen. Im zweiten Abschnitt geht es um die Einführung von Geld in diese Modelle. Zuerst wird dies für Modelle des allgemeinen Gleichgewichts behandelt, sodann für die Ableitung der Tauschmittelfunktion und deren Zusammenhang mit der Erklärung einer Liquiditätsprämie des Geldes. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit der Analyse der Geldwirtschaft in der Neuen Klassischen Ökonomie, vor allem unter dem Aspekt einer behaupteten Beziehung zu Hayeks Geld- und Konjunkturtheorie. Drei Punkte werden hiebei herausgestellt: die Informationsfunktion des Preissystems in der Theorie rationaler Erwartungen; die (fragliche) Koexistenz von intertemporalem Gleichgewicht und den eine Geldwirtschaft begründenden Faktoren; schließlich die
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1. Einleitung
methodische Rechtfertigung der Gleichgewichtsanalyse. Der vierte Abschnitt skizziert mit der Neuen Keynesschen Ökonomie einen alternativen Ansatz, der konsequent die Funktionsprinzipien einer Geldwirtschaft betont und von einem Modell perfekter intertemporaler Koordination abgeht. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, inwieweit monetäre Transaktionen und organisierte Märkte mit den Auktionsmärkten der allgemeinen Gleichgewichtstheorie vereinbar bzw. für die Möglichkeit von Unterbeschäftigung verantwortlich sind. Den Abschluß der Untersuchung bildet ein Resümee, in dem die beiden gegensätzlichen Ansätze zu einer Theorie der Geldwirtschaft einander gegenübergestellt werden - der traditionelle von Hayek und der Neuen Klassik, in dem die Verbindung zu intertemporalem Gleichgewicht gewahrt wird, auf der einen Seite und auf der anderen eine sich u.a. auf Myrdal und Keynes berufende, heterodoxe Strömung, die das Ausgehen von existierenden institutionellen Gegebenheiten einer Geldwirtschaft in den Vordergrund stellt.
2. KUMULATIVER PROZESS UND MONETÄRES GLEICHGEWICHT BEI WICKSELL UND MYRDAL 2.1 Wicksell: Gleichgewicht der Geldpreise und kumulather Prozeß
Das geldtheoretische Werk Wiekseils bildet wenn nicht den Beginn der modernen makroökonomischen Theorie, so jedenfalls den gemeinsamen Ausgangspunkt nahezu aller konjunkturtheoretischen Ansätze und Kontroversen dieses Jahrhunderts. Die Hauptwerke "Geldzins und Güterpreise" (1898) und "Vorlesungen über Nationalökonomie, 2. Band" (1922), in denen sich die Grundgedanken seiner Geldtheorie finden, übten vor allem auf seine später zur sog. Skandinavischen Schule gerechneten Nachfolger großen Einfluß aus. Ähnliches galt auch für die zweite Generation der Österreichischen Schule, zunächst von Mises, später von Hayek u.a., für welche insbesondere Wiekseils Weiterentwicklung der Österreichischen Kapital- und Zinstheorie einen attraktiven Anknüpfungspunkt darstellte. Diese beiden z.T. gegensätzlichen Richtungen werden in dieser Untersuchung noch ausführlich behandelt. In den 30er-Jahren wurde die Verwendung Wiekseilscher Konzepte auch in der britischen geldtheoretischen Literatur gebräuchlich, obwohl eine englische Übersetzung der beiden Hauptwerke erst 1935/36 erfolgte. Keynes in seiner "Treatise on Money" (I 930) und Robertson (vgl. u.a. Robertson 1934a) waren die einflußreichsten Träger dieser - noch durch Sprachbarrieren behinderten - Rezeption 1 , die durch die (englische) Veröffentlichung der konjunkturtheoretischen Arbeiten Hayeks eingeleitet worden war. Obwohl Keynes wesentliche auf Wiekseil zurückgehende Akzente schließlich in seiner "General Theory" eliminierte, blieb auch in der keynesianischen Makroökonomie der neoklassischen Synthese und ihren Reinterpretationen eine "Wicksell Connection" (Leijonhufvud 1981 b) erhalten. 1 Oft r.itiert iat der Hinweis Myrdala (1933, 370), daß r..B. Keynes' "Treatiae" unter der "sympathischen angelsäeheischen Art unfreiwilliger Originalität ... leidet, die ihren Grund in gewissen systematischen Lücken in der Kenntnis der deutschen Sprache bei der Mehrr.ahl der englischen Nationalökonomen hat".
16
2. Kumulativer
Pro~:eß
und monetäre& Gleichgewicht
Letztlich betont auch der Name von Friedmans (1968) Konzept der "natürlichen Arbeitslosenrate" einen allerdings fragwürdigen Bezug zur Wiekseiischen Tradition.
2.1.1 Der Mechanismus der Quantitätstheorie Die theoriegeschichtliche Auseinandersetzung 2 unterscheidet mit wechselnden Schwerpunkten - in Wiekseils Geldtheorie drei Gebiete, die einen entscheidenden Neuansatz bedeuteten: (1) die Kritik (bzw. Erweiterung) der Quantitätstheorie, (2) die systematische Verknüpfung von Geldtheorie und Werttheorie sowie (3) die Untersuchung eines "monetären" Gleichgewichts als Ansatzpunkt der Ableitung geldpolitischer Normen. Diese drei Gebiete haben als Ausgangspunkt die Quantitätstheorie gemeinsam. Hiebei ist wohl jenen Interpreten der Wiekseiischen Geldtheorie, wie z.B. Patinkin, beizupflichten, die seine Analyse nicht als Widerlegung der Quantitätstheorie ansehen, sondern als den Versuch einer Erweiterung ihres Anwendungsbereiches8. Diese Erweiterung erfolgt in zwei Richtungen. Einerseits kritisiert Wiekseil die Beschränkung der Quantitätstheorie auf die statische oder komparativ-statische Analyse von Gleichgewichtszuständen; sie verabsäume es nachzuweisen, "weshalb eine (proportionale) Preisveränderung stets eine Veränderung der Geldmenge begleiten muß, und ... wie es dabei zugeht" (Wicksell 1922, 181 f.). Es geht somit darum, über das bloße Postulat einer gegebenen Umlaufsgeschwindigkeit hinauszugelangen 4 und den ökonomischen Mechanismus zu untersuchen, der den von der Quantitätstheorie vorausgesetzten Anpassungsprozeß steuert. Auf der anderen Seite trachtet Wiekseil den Anwendungsbereich der Quantitätstheorie über den Fall einer an den Stoffwert des Geldmediums gebundenen Währung hinaus auf die "modernen Geldund Kreditverhältnisse" (ib., 182) auszuweiten. Im letzteren Fall 2 Vgl. u.a. Hutebison (1953), Patinkin (1965) , Shackle (1967), Sowell (1972), Blaug (1985, 632ff.) . 3 Vgl. für Belege hie~:u Patinkin (1965, 581ff.). Manche Autoren der Skandinavischen Schule sahen hingegen Wickeelle Aneab als Abkehr von der Quantitätstheorie (~:u Myrdal siehe den folgenden Abechnitt) ; diese Gegenposition vertritt ~: .B . Shackle (1967, 290f.). 4 Vgl. den Hinweis Patinkine (1965, 588), daß Wickeeil nur Bargeld und Reserven ~:u "Geld" rechnet und sich sein Begriff der Umlaufegeechwindigkeit auf diese Geldmengendefinition be~:ieht .
2.1 Wicksell: Gleichgewicht der Geldpreise und kumulativer Pro&eß
17
der Kreditwirtschaft dient von den Banken geschöpftes Giralgeld als Zahlungsmittel. Als gedankliche Extremversion ist hiebei die Situation anzusehen, in der keine "materiene Substanz als Basis des Geldsystems dient" (Wicksen 1898, 93 ), ein reines Kreditsystem, in dem die Kreditschöpfung nicht durch einen gegebenen Bestand von Reserven begrenzt ist, die seitens der Banken nicht reproduziert werden können. Die Analyse der jeweils wirkenden Anpassungsmechanismen ist daher das Problem des Wieksensehen Ansatzes. In einer Wirtschaft ohne Kreditgeld läßt sich der Anpassungsprozeß durch den (später so genannten) "Realkasseneffekt" darstenen: Eine Erhöhung des Geldumlaufs führt bei unveränderten Preisen zu einem Überschuß an Kasse, der schrittweise durch eine Erhöhung der Nachfrage nach Gütern abgebaut wird, wodurch die Preise zu steigen beginnen etc. (vgl. ib., 85ff.) 5 . In diesem Zusammenhang verweist Wieksen im übrigen auf das Horten und Enthorten von Geld als Auslöser von Preisschwankungen. Dessen Effekte sind insofern paradox, als Horten im Sinne eines intendierten Sparens bzw. einer Wertaufbewahrung nur aus einzelwirtschaftlicher Sicht nütztich erscheint, versuchen es jedoch ane Akteure zugleich, so kann keine Kaufkraft in die Zukunft transferiert werden (vgt. Wieksen 1922, 7ff.). In einer Kreditwirtschaft werden hingegen vom Anpassungsprozeß der Zinssatz und infolgedessen die Produktionsstruktur betroffen; 6 durch den Einfluß von Erwartungen werden die Preisänderungen selbstverstärkend - kurzum, in der Kreditwirtschaft kommt es zum "kumulativen Prozeß". Es ist von eminenter Bedeutung, daß Wiekseil in die Untersuchung des Anpassungsprozesses das analytische Konzept von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage als neues Element einführt. Die während des Prozesses ausgelösten Preisänderungen werden als Folge eines Ungleichgewichts betrachtet: "Eine angerneine Preissteigerung ist daher nur unter der Voraussetzung denkbar, daß [beim ursprünglichen Preisniveau, H.K.] die allgemeine Nachfrage nach Waren aus irgendeiner Ursache den Vorrat (oder das Angebot) überstiegen habe ..." (ib., 18 I) Das Saysche Theorem, nach dem "... die Waren selber als gegenseitig die Nachfrage 5 Siehe auch Wiekseil (1922, 161!.); diese Stellen dienen Patinkin als Beleg, um Wiekseil - als ein&igem Neoklassiker - eine konsistente Stabilitätsanalyse der Quantitätstheorie &u&ugestehen (Patinkin 1965, 581!.). 6 Die beiden Pro&esse entsprechen dem direkten b&w. indirekten Mechanismus der klassischen Geldtheorie; vgl. Blaug (1986, 168ff.).
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2 . Kumulativer Prozeß und monetäres Gleichgewicht
nacheinander konstituierend und begrenzend" zu betrachten seien, gelte nur "in letzter Hand" (Wicksell 1922, 181 ), d.h. wenn es sich nicht um eine Geldwirtschaft handelt. In dieser stellt die Gleichheit von Güterangebot und Güternachfrage keine Identität mehr dar, sondern spezifiziert im Gegenteil die monetäre Seite des Systems und legt als Gleichgewichtsbedingung Preisniveau bzw. Geldwert fest. Die Anwendung dieses analytischen Konzepts wird für Wiekseil geradezu programmatisch: Jede Geldwerttheorie, die diesen Namen verdienen soll, muß daher imstande sein, nachzuweisen, wie und aus welchem Grunde die monetäre oder pekuniäre Nachfrage nach Waren unter gegebenen Urnetinden das Warenangebot übersteigen oder, umgekehrt, darunter bleiben wird. (ib.)
Mit diesem Schema geht Wiekseil an die Beschreibun~ des kumulativen Prozesses heran (vgl. insbesondere ib., 221 ff.) Für die analytische Darstellung setzt Wiekseil eine Reihe von Annahmen: Es wird eine vollbeschäftigte Wirtschaft betrachtet; die Güter werden in Konsum- und Investitionsgüter unterschieden (oder nach Wiekseil in solche, die der "gegenwärtigen Konsumtion" dienen, und solche, die zur "Zukunftsproduktion" bestimmt sind). Die Unternehmer als Investoren richten ihre Nachfrage nach Investitionsgütern an der Gegenüberstellung des Darlehenszinses mit ihren Gewinnerwarlungen aus. Die Gewinnerwarlungen orientieren sich an den jeweils herrschenden (Konsumgüter-)Preisen, es handelt sich hiebei, in modernerer Terminologie, um statische Preiserwartungen. Für die Investitionsentscheidung gibt daher das Verhältnis des durch diese Erwartungen bestimmten Kapitalzinses und des Darlehenszinses den Ausschlag; nach Wiekseil bildet eine Divergenz zwischen diesen beiden Zinssätzen die Voraussetzung für den kumulativen Prozeß. Wieksen stellt den kumulativen Prozeß8 am Beispiel eines Zustroms von Reserven aus dem Ausland dar. Dieser erhöht die Liquiditätsreserven des Bankensystems und führt zu einer Senkung des Darlehenszinses, sodaß eine Zinsdivergenz entsteht, die einen Anreiz zu erhöhter Nachfrage nach Investitionsgütern bildet. Gleichzeitig mag aufgrund des niedrigeren Zinssatzes auch das Angebot an Ersparnis zurückgehen; in dem Ausmaß, als nun die Nachfrage (für Investitionszwecke) das Angebot auf dem Kredit7 Vgl. auch Myrdal (1939) und den folgenden Abschnitt. Ein Modell des kumulativen Prozesses wird in Abschnitt 2.3 dargestellt. 8 Vgl. die Rekonstruktionen des kumulativen Prozesses von Hicks (1965, 62ff; 1977b, 61ff.); siehe auch Patinkin (1965, 587ff.).
2.1 Wicksell: Gleichgewicht der Geldpreise und kumulativer Pror;eß
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bzw. Kapitalmarkt übersteigt, führen die Banken Kreditschöpfung durch und weiten damit den Geldumlauf aus. Auf der Produktionsseite bewirkt die erhöhte Nachfrage ein Steigen des Preises von Investitionsgütern und eine Verlagerung der Produktionsmittel, insbesondere der Arbeitskräfte, in diesen Bereich. Das macht eine Erhöhung der Löhne bzw. der Preise anderer Produktionsmittel notwendig, wodurch die Einkommen ebenfalls ansteigen. Infolgedessen kommt es zu einer Zunahme des Wertes der Nachfrage nach Konsumgütern, die auf ein wegen der Produktionsverlagerung in den Investitionsgüterbereich verringertes Angebot trifft; das erhöht letztlich auch die Preise der Konsumgüter. Damit ist eine Runde des kumulativen Prozesses abgeschlossen, in der die bestehende Zinsdivergenz zu einer Erhöhung aller absoluten Preise geführt hat. In dieser Situation treffen die Unternehmer wieder ihre Investitionsentscheidung: Den höheren Preisen der Kapitalgüter stehen höhere Konsumgüterpreise gegenüber, prima facie hat sich der Kapitalzins als Ausdruck der Gewinnerwartungen daher nicht geändert. Bleibt der Darlehenszins ebenfalls auf dem vorigen Stand, so besteht die Zinsdivergenz weiter, und eine neue Runde des Prozesses nimmt ihren Anfang usw. Nach diesem Muster veranschaulicht Wiekseil die kumulative, d.h. selbstverstärkende Tendenz des Anpassungsprozesses in einer Kreditwirtschaft Allerdings existiert eine Reihe von Faktoren, die dieser kumulativen Tendenz entgegenwirken und gewährleisten, daß die Preissteigerungen ein Ende finden. Der wichtigste in dieser Hinsicht von Wiekseil selbst genannte Faktor ist das Bestehen monetärer Restriktionen. Von diesen kann nur in einem reinen Kreditsystem abgesehen werden, in dem tatsächlich keine Beschränkung der Kreditschöpfung den Prozeß begrenzt. Die monetären Restriktionen bedeuten demgegenüber, daß für den inländischen Umlauf neben dem geschöpften Giralgeld auch als Reserve dienendes Geld verwendet wird, sodaß die Preiserhöhungen schließlich einen immer größeren Teil hievon im Umlauf binden und die Banken Reserven verlieren (siehe z.B. Wiekseil 1922, 225f.). Ist der Bestand an Reserven die für die Banken kritische Größe9 , an der sich die Festlegung des Darlehenszinses orientiert, wird dies eine Erhöhung des Zinses zur Folge haben: Die Zinsdivergenz verschwindet, der kumulative Prozeß findet ein Ende. In analoger Weise wirkt die Restriktion durch den 9 Und nicht der Anteil der Reserven am Geldumlauf; siehe wieder Patinkin (1965, 592f.) .
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2. Kumulativer
Pro~ell
und monetäres Gleichgewicht
Verlust von Währungsreserven in einer offenen Wirtschaft. Diese monetären Restriktionen sichern demnach, daß der kumulative Prozeß - außer im Extremfall des reinen Kreditsystems - die Wirtschaft zu einem bestimmten Endpunkt steuert, in welchem bei erhöhtem Preisniveau die Beziehungen des monetären Gleichgewichts zwischen Nachfrage und Produktion im Konsum- und Investitionsgüterbereich wieder erfüllt werden. Eine andere wichtige Rückkopplung entsteht im beschriebenen Prozeß über die durch die Zinsdivergenz forcierte Kapitalakkumulation. Diese kann durch eine Erhöhung des Produktionspotentials das Steigen der Konsumgüterpreise dämpfen und damit zu einer Abschwächung des kumulativen Charakters des Prozesses beitragen. Über einen Rückgang der Gewinnerwartungen, zudem verstärkt durch einen abnehmenden realen Ertrag aus dem vergrößerten Kapitalstock, würde hiedurch der Investitionsanreiz wieder abgeschwächt. Dies entspricht dem von Cassel (1921, 447f.) vorgebrachten Einwand, daß eine zu niedrige Bankrate (im Sinne von Wiekseils "Geldzins") mit der Zeit auch den Kapitalzins herabdrücken werde, bis mit der Wiederherstellung der Gleichheit von Darlehens- und Kapitalzins der kumulative Prozeß beendet ist. Daher sei Wiekseils Vorstellung von dessen kumulativem Charakter "übertrieben" und "paradox" (ib., 447Fn.). Die Frage nach der Bedeutung des beschriebenen Effekts bildete den Gegenstand der sog. "Wicksell-Cassei-Kontroverse" (siehe Marget 1938, 229Fn.). Für Wiekseil gehört diese Rückwirkung nur "zu den sekundären Faktoren des Problems" (Wicksell 1922, 222), von denen abgesehen werden kann. Dies geschieht durch die Annahmen eines gegebenen realen Ertrages des Kapitals und statischer Preiserwartungen, die eine Rückkopplung von den realisierten Erträgen auf die Ertragserwartungen ausschalten. Kommt es allerdings im Laufe des kumulativen Prozesses zu vermehrter Kapitalbildung durch eine Zunahme unfreiwilliger Ersparnisse, so schließt Wiekseil einen Rückgang der Erträge und eine Abschwächung des Prozesses nicht aus (ib., 226f.). In diesen Überlegungen ist bereits ein Kernstück der Weiterentwicklung durch die Österreichische Schule enthalten, nämlich die auf dem Konzept des "erzwungenen Sparens" gründende monetäre Überinvestitionstheorie.
2.1 Wicksell: Gleichgewicht der Geldpreise und kumulativer Pror:eß
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2.1.2 Das Gleichgewicht der Geldpreise Die Untersuchung des kumulativen Prozesses führt Wiekseil aber letztlich zu einem bedeutenden Schritt: zur Frage nach dem Zusammenhang bzw. dem unterschiedlichen Charakter des Gleichgewichts der Geldpreise und jenes der relativen Preise. In einer bekannten Stelle in den "Vorlesungen" 10 heißt es dazu: Der große, entscheidende Unterschied r;wischen den gegenseitigen 11 Warenpreisen einerseits und dem allgemeinen Warenpreisniveau andererseits ist also ... der, daß das Gleichgewicht der ersteren in der Regel s t a b i I ist, vergleichbar dem eines freihängenden Pendels oder dem einer auf den Boden einer Schale gelegten Kugel: werden diese durch irgend einen Zufall aus ihrer Gleichgewichtslage gebracht, so streben sie von selbst ... danach, ihre alte Lage wieder einr:unehmen. Die allgemeinen Warenpreise wiederum befinden sich, unter Voraussetr:ung eines unbegrenzt elastischen Geldwesens, sozusagen in i n d i f f e r e n t e m Gleichgewichte, einem solchen, wie es eine Kugel oder ein Zylinder auf einer ebenen, wenn auch ein wenig rauben Fläche einnimmt: die Kugel bewegt sich nicht von selbst weiter, sondern bleibt infolge der Trägheit und der Reibung an der Stelle, wohin man sie gelegt hat, liegen; treten aber r:ufälligerweise Kräfte auf, welche stark genug sind, sie aus ihrer GleichgewichtsJage r:u bringen, so erhält sie auch keine Tendenr; r:um Wiedereinnehmnen dieser Lage, sondern wenn die Kräfte, die sie in Bewegung gesetr:t haben - d .h. hier der Unterschied r:wischen dem normalen oder realen Kapitalzinse und dem tatsächlichen Darlehnszinse -, zu wirken aufhören, verharrt sie vielmehr in einer neuen, ebenfalls indifferenten Gleichgewichtslage. (Wicksell 1922, 224)
Für diesen behaupteten Gegensatz zwischen Stabilität und Indifferenz liegt eine einfache Erklärung darin, daß es im Laufe des kumulativen Prozesses zu einer Erhöhung des Geldumlaufs kommt und daher das Preisniveau steigt; ebenso ist außer für ein reines Kreditsystem das Preisniveau bestimmt, bei dem der Prozeß sein Ende finden wird (siehe Patinkin 1965, 595). Trotzdem erscheint die getroffene Gegenüberstellung fundamental. Wiekseil setzt wohl voraus, daß in einem (auch quantitätstheoretisch beschreibbaren) Gleichgewicht der Geldpreise ein Gleich~ewicht der relativen Preise im Sinne der Werttheorie gesichert ist. 2 Während des Anpassungsprozesses, jedenfalls aber im kumulativen Prozeß, wird das in der Ausganyssituation herrschende Gleichgewicht der relativen Preise gestört. 3 In der gedanklichen Konstruktion des reinen Kreditsystems liegt - wenn auch bei Wiekseil bloß implizit 10 Eine analoge Aussage findet sich r:uvor in Wiekseil (1898, 92f.) . 11 Synonym für "relative" Preise; siehe die englische Übersetzung (Wicksell 1935, 196). 12 Darauf scheint auch die bereits r:itierte Stelle r:um Sayschen Theorem hinzuweisen (Wicksell 1922, 181). 13 Zu den im kumulativen Pror:eß hervorgerufenen Strukturverschiebungen zwischen Konsum- und Investit ionsgütersektor äußert sich Wiekseil nicht ausdrücklich, gesteht sie aber als Möglichkeit r:u (siehe Wiekseil 1922, 226f.).
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2. Kumulativer Pro11eß und monetäres Gleichgewicht
- die Möglichkeit begründet, daß das ursprüngliche Gleichgewicht der relativen Preise nicht wieder erreicht wird und das absolute Preisniveau unbestimmt bleibt, da der Prozeß ad infinitum andauert. Zumindest im Ansatz ist hier Geld daher nicht bloß ein Schleier über den real bestimmten Austauschverhältnissen; ein Ungleichgewicht auf der Geldseite drückt sich nicht nur in Geldwertänderungen aus, sondern führt zu systematischen Wirkungen auf reale Größen. 14 Allerdings ist die Wiekseiische Analyse in dem Sinne "naiv", als sie nicht danach fragt, inwieweit diese beiden Gleichgewichtskonzepte bzw. die jeweils bestimmenden Faktoren in einer Geldwirtschaft voneinander abgegrenzt bzw. miteinander vereinbart werden können. Die Verbindung von monetärer und realer Sphäre wird auch in der Charakterisierung des Gleichgewichts durch die sog. Wiekseilsehen Bedingungen deutlich. Implizit ist Gleichgewicht definiert durch die Gleichheit von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage und - davon abgeleitet - durch die Abwesenheit kumulativer (oder anderer Anpassungs- )Prozesse (siehe Wiekseil 1922, 181 ). Es geht bei Wiekseils Bedingungen daher darum festzustellen, unter welchen Umständen das Auftreten solcher kumulativer Prozesse vermieden werden kann. Wiederum finden sich in den beiden Werken Wiekseils diese Gleichgewichtsbedingungen nur implizit in der Definition des sog. "natürlichen" (oder "normalen") Zinses - zuerst in "Geldzins und Güterpreise": Jene Rate des Darlehnszinses, bei welcher dieser sich gegenüber den GUterpreisen durchaus neutral verhält und sie weder IIU erhöhen noch IIU erniedrigen die Tenden11 hat, kann nun keine andere sein als eben diejenige, welche durch Angebot und Nachfrage festgestellt werden wUrde, falls man sich überhaupt keiner Geldtransaktionen bediente, sondern die Realkapitalien in natura dargeliehen wUrden - oder was etwa auf dasselbe hinauskommt, als der jeweilige Stand des natUrliehen Kapitalllinses. (Wicksell 1898, 93)
Später heißt es in einer modifizierten Form, welche die Vorstellung eines Marktes für "Realkapitalien in natura" aufgibt, in den "Vorlesungen": Der Zinsfuß, bei welchem die Nachfrage nach Darlehenskapital und der Vorrat [oder besser: das Angebot] an ersparten Mitteln sich gerade mit einander decken und der also dem erwarteten Ertrage der neugebildeten Kapitale mehr oder minder entspricht, wäre nun der normale oder natUrliehe (reale) Zins . ... Es muß dann ipso facto ... auch auf dem Waren- oder Dienstmarkte Gleichgewicht herrschen, so daß Arbeitslöhne und Warenpreise unverändert bleiben. (Wicksell 1922, 220) 14 Diese Interpretation widerspricht der These von Garrison (1984), wonach filr Wiekseil in der Geldwirtschaft stets ein realwirtschaftliches Gleichgewicht realisiert werde.
2.1 Wickaell: Gleichgewicht der Geldpreise und kumulativer Pro&eß
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Demnach sind nach Wiekseil die folgenden Bedingungen jede für sich notwendig und hinreichend für Gleichgewicht: (1) die Gleichheit von Geldzins und natürlichem Zins, (2) der Ausgleich von Angebot und Nachfrage von Darlehenskapital, und (3) die Stabilität des (Konsumgüter-)Preisniveaus. In diesem Zusammenhang wird auch erstmals der Begriff der "Neutralität" (hier eines Geldzinses) formuliert, an den später Hayek mit seinem Konzept des "Neutralen Geldes" anknüpft. Ohne die nachfolgende Diskussion dieser Bedingungen vorwegzunehmen, ist hier noch die von Wicksell für unterschiedliche Zinssätze verwendete Terminologie zu klären. 16 Zu unterscheiden sind im besonderen die Begriffe "Geldzins", "natürlicher Zins" und "normaler Zins". 16 "Geldzins" steht synonym für "Darlehnszins" und bezeichnet den von den Banken für Ausleibungen gesetzten Kreditzins; aus der Sicht der Banken ist der für die Höhe des Geldzinses ausschlaggebende Bestimmungsfaktor der Bestand an Reserven. Der "natürliche Zins" (oder auch "Kapitalzins") ist eine erwartungsbestimmte Größe; er stellt im Wieksensehen System eine eigenständige analytische Variable dar, die nur im Gleichgewicht mit dem Geldzins zusammenfällt, aber nicht mit diesem identisch ist. An manchen Stellen unterscheidet Wiekseil hievon noch den "normalen Zins" (siehe z.B. Wicksell 1898, 111 ): Dieser ist dann jener numerische Wert des Geldzinses, der den erwähnten Gleichgewichtsbedingungen genügt, d.i. der Gleichgewichtszinssatz.17 In der Weiterentwicklung von Wicksells Ansätzen wurden diese vor allem für die Erklärung konjunktureller Phänomene verwendet18 und das Bestehen einer Zinsdivergenz zum kritischen monetären Element von Konjunkturen und Krisen gemacht. Die 16 Vgl. die ausführliche Diskuaeion in Marget {1938, 197ff.). 16 Hier iet daran &u erinnern, daß mit dem Adjektiv "natürlich" in der Englischen Klassik langfristige Gleichgewichtewerte benichnet wurden, &.B .. der "natürliche Preis" bei Smith etc.; seit Caimes' "Principles" wurde "normal" als Synonym verwendet (Hutchison 1963, 23 und 80) . 17 In der neueren Keynes-Exegeae führte diese Unterecheidung von natürlichem und normalem Zina &u Diakueeionen darüber, ob der natürliche Zins eine eigene analytische Größe (Patinkin 1976, 47; Kahn 1984, 74} oder als Gleichgewichtuins blo8 ein numerischer Wert ist (Leijonhufvud 1981b, 166). 18 Wickeeil verwendete aeinen Ansat& in ereter Linie &ur Erklärung säkularer Preistenden&en (siehe Hieb 1977b, 64f.); für Überlegungen &u Konjunktunyklen siehe Wickeeil {1922, 238ff.).
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2. Kumulativer Pro&e8 und monetäres Gleichgewicht
Ursache für die Divergenz sahen hiebei manche Autoren in den einen Störfaktor darstellenden Schwankungen des Geldzinses z.B. als Folge einer inflationistischen Notenbankpolitik (vgl. von Mises 1912). Für Wiekseil dagegen stellen "Veränderungen des natürlichen Kapitalzinses das primum movens" (Wicksell 1898, 152) dar, denen sich der Geldzins nur unvollkommen und verzögert anpassen kann. Hiedurch erklärt Wiekseil auch (ib., 151 ff.) die - von seinem Standpunkt aus - kontraintuitive Korrelation von hohen Zinssätzen und hohen Preisen, das von Keynes so genannte "Gibson-Paradoxon". 19 Der nächste Abschnitt hat die Weiterführung von Wiekseils System durch die Skandinavische Schule am Beispiel der Arbeiten von Myrdal zum Gegenstand. Aus konzeptioneller Sicht begründen diese einen der Österreichischen Schule widersprechenden Ansatz: Während Myrdal versucht, den bei Wiekseil noch bestehenden Zusammenhang von geld- und realwirtschaftlichem Gleichgewicht zu lösen, trachtet der Österreichische Ansatz danach, das in Wiekseils Neutralitätsbegriff bloß naiv beschlossene Zusammenfallen der beiden Konzepte in ein allgemeines System der Werttheorie zu integrieren.
2.2 Myrdal: Monetäres Gleichgewicht
Myrdal, dessen geldtheoretischer Beitrag in diesem Abschnitt behandelt wird, zählt zu den wichtigsten jüngeren Vertretern der Skandinavischen Schule. Eine wesentliche Gemeinsamkeit der Autoren dieser Schule liegt im Bezug ihrer Arbeiten zur Wiekseilsehen Tradition, die im Sinne einer "immanenten Kritik" (Myrdal 1939, 30ff.) als Grundlage von weiteren Entwicklungen dient. Von einer Geschichtsschreibung der ökonomischen Analyse wurde den schwedischen Autoren eine mehr oder minder weitgehende Vorwegnahme makroökonomischer Theorien und wirtschaftspolitischer Leitlinien der keynesianischen Revolution zugeschrieben, anderseits auch deren bedeutender Beitrag zur Ent-
19 Keynes wiederholt im weaentlichen Wiekseils Erklärung und lehnt, ebenso wie Wiekseil (1898, 151!.), die aus heutiger Sicht näherliegende von Fisher anhand der Unteracheidung von Nominal- und Real&ina ab (Keynes 1930b, 177ff.). Siehe kritisch Hayek (1932a, 38f.) und Marget (1938, 196ff.).
2.2 Myrdal: Monetäres Gleichgewicht
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wiekJung der dynamischen Methode gewürdigt. 1 Im folgenden soll hingegen anhand der Arbeit Myrdals die Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Geld- und Werttheorie sowohl in methodischer Sicht als auch am Beispiel der Kritik der Wiekseilsehen Bedingungen dargestellt werden. 2.2.1 Allgemeines Gleichgewicht und monetäres Gleichgewicht Im Mittelpunkt steht Myrdals Monographie über das monetäre Gleichgewicht. Hievon existieren drei inhaltlich voneinander abweichende Fassungen: eine schwedische aus 1931, eine deutschsprachige Fassung als Beitrag zu einem von Hayek herausgegebenen Sammelband (Hayek l933a) sowie schließlich eine englische Übersetzung (1939). 2 Deren prägnanter Titel "Monetäres Gleichgewicht" ("Monetary Equilibrium") wird hier als Bezeichnung des von Myrdal entwickelten Konzeptes beibehalten, der folgenden Darstellung liegt in erster Linie diese Fassung zugrunde. Im übrigen beruht die Bedeutung von diesem Werk Myrdals vor allem auf der konsistenten Entwicklung eines Konzepts der Periodenanalyse; dessen wichtigster Baustein ist die Unterscheidung von "ex-ante" und "ex-post", eine analytische Neuerung, die unter anderem die für die Diskussion der 30er-Jahre kennzeichnende Konfusion über die Definition des Sparens beseitigen half. Im Vergleich zum Ansatz von Wiekseil verschärft Myrdal die Kritik an der Quantitätstheorie, die für ihn der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, mit welcher die relativen Preise bestimmt werden, als bloßer Annex aufgesetzt ist (Myrdal 1939, 12). Daraus folgt eine schärfere Trennung der Begriffe des monetären Gleichgewichts (d.i. Wiekseils Gleichgewicht der Geldpreise als Gleichgewicht von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage in einer Geldwirtschaft) und des allgemeinen Gleichgewichts (d.i. Wiekseils Gleichgewicht der relativen Preise). Diese beiden Konzepte seien miteinander nicht vereinbar: "For the two theories are ... based on entirely different principles of explanation." (ib.) In der allgemeinen Gleichgewichtstheorie sei nichts enthalten, was die Rolle des Geldes erklären könne. Umgekehrt ist nach Myrdal für 1 Vgl. hier;u Patinkin (1982), Hanseon (1982) und Siven (1986) ; aiehe auch Ohlin (1937a). 2 Zu den Abweichungen r;wiachen den einr;elnen Faaaungen siehe Hanaaon (1982 , 10·4ff.).
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2. Kumulativer Prozell und monetäres Gleichgewicht
jede monetäre Problemstellung die Berücksichtigung der Faktoren der Unsicherheit und der Erwartungen ("anticipations") konstitutiv (Myrdal 1939, 32). Für die Periodenanalyse einer Geldwirtschaft steht die Frage im Mittelpunkt, durch welchen Mechanismus erwartete (ex-ante-) in realisierte (ex-post-)Größen umgewandelt werden - hiebei sind Diskrepanzen als Ausdruck enttäuschter Erwartungen die Regel. Demgegenüber bezieht sich ein "perfect general equilibrium of prices in the static analysis of price formation" auf einen (z.B. stationären) Zustand, in dem erwartete und realisierte Größen zusammenfallen, sodaß "monetary equilibrium conditions are ... fulfilled ex hypothesi" (ib., 35 und 39).3 Zur Unterscheidung der beiden Gleichgewichtskonzepte stellt Myrdal fest: The static analysis, which deals with relative prices only, assumes that a deviation from the equilibrium position bringe about reactive forces which restore equilibrium again ... The equilibrium ia said, in thia kind of price analyais, to have some aort of a 'virtual reality' ... In this monetary acheme the relation is exactly reveraed: A deviation from the equilibrium position - however amall, as Wiekseil emphasi&es - atarta a dynamic development in the courae of which equilibrium ia definitely abandoned. For this reason the movement ia aaid to be cumulative. The monetary equilibrium haa the nature of being labile inatead of atable aa in the general price theory ... and the monetary equilibrium poaition is, therefore, not a tendency at all but just the contrary. (ib., 36f.)
Dies ist offenbar mehr als eine bloße Paraphrase auf die bereits zitierte Wicksell-Stelle. Denn Myrdal betrachtet nur mehr den Fall des reinen Kreditsystems, in dem der Zinssatz tatsächlich eine exogene Variable ohne Tendenz zum Gleichgewichtswert darstellt, sodaß die von Wiekseil geschilderten monetären Restriktionen die kumulative Bewegung nicht bremsen können und das Preisniveau zu keinem bestimmten Wert mehr konvergiert. Folgerichtig wendet sich Myrdal gegen die Bemerkung Wicksells, das Saysche Theorem sei immerhin "in letzter Hand" gültig (Wicksell 1922, 181 ), wodurch ein Zusammenfallen der beiden Gleichgewichtskonzepte impliziert wird - es sei dies bloß eine "obscure reservation" (Myrdal 1939, 21). Die Gegenüberstellung von Stabilität des werttheoretischen und Labilität des monetären Gleichgewichts bedeutet daher eine Tren3 Zur Unvereinbarkeit von Geld und vollkommener Voraussicht vgl. ausführlicher Knight (1921) und Hicka (1933). Die Interpretation von Shackle (1967, 89ff.), wonach Myrdal mit der Berückaichtigung von Unsicherheit eine konsistente Begründung der Geldwirtschaft geliefert habe, erscheint &u wohlwollend, da Unsicherheit lebtlieh nur ein akaidentielles Element seines Systems bleibt.
2.2 Myrdal: Monetäres Gleichgewicht
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nung der beiden Konzepte. Myrdal stellt dies klar, indem er davon ausgeht, daß monetäres Gleichgewicht keineswegs eine werttheoretisch hergeleitete Gleichgewichtskonstellation in der realen Sphäre der relativen Preise voraussetzt: "The monetary equilibrium condition fixes ... only eertain specifie relations of prices ..." (Myrdal 1939, 36), nämlich die Bedingung des Gleichgewichts zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage, darüber hinaus würden aber innerhalb dieses Güteraggregats durch monetäres Gleichgewicht keine spezifischen Beziehungen (z.B. unverändertes Gleichgewicht auf den einzelnen Märkten) festgelegt. Aus der Labilität des monetären Gleichgewichts folgt schließlich, daß es nicht als Laissez-faire-Ergebnis erreicht werden kann, da die für das werttheoretische Gleichgewicht behaupteten Stabilitätstendenzen fehlen. Monetäres Gleichgewicht ist daher ein allenfalls durch geldpolitische Eingriffe herstellbarer "Knifeedge"- Fall: The equilibrium position ia a state of the system which must be upheld by incessantly counteracting the influence of all intervening primary changes, if the system shall not start rolling. (ib.)
Diese Perspektive spiegelt sich in der Analyse des kumulativen Prozesses wider. Durch eine gegenüber Wiekseil klarere Formulierung der wirksam werdenden Verzögerungen ergibt sich, daß ein expansiver oder kontraktiver Effekt stets zuerst auf die Preise der Kapitalgüter, sodann auf die Faktorpreise (Löhne) und zuletzt auf die Preise der Konsumgüter wirkt - der kumulative Prozeß als "a race of different 'price Ievels"' (ib., 27). Das Vorauseilen der Kapitalgüterpreise bewirkt jedenfalls eine Verschiebung der Ressourcen aus der Konsum- in die Investitionsgüterproduktion, die solange bestehen bleibt, als der kumulative Prozeß andauert. Damit gilt aber eindeutig, daß monetäres Ungleichgewicht die in der Ausgangssituation bestehende Konstellation der relativen Preise nachhaltig ändert. 2.2.2 Die Analyse der Wiekseilsehen Bedingungen
Im folgenden soll Myrdals kritische Analyse der Wiekseilsehen Bedingungen dargestellt werden. Hiebei ist nochmals zu betonen, daß für Myrdal - wohl klarer als für Wiekseil - monetäres Gleichgewicht durch die Vermeidung der Tendenz zu kumulativen Prozessen gekennzeichnet ist (siehe ib., 37); an den Wiekseilscben Bedingungen wird untersucht, inwieweit sie jeweils eine
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2. Kumulativer. Prozell und monetäres Gleichgewicht
gültige bzw. vollständige Charakterisierung dieses Gleichgewichts erbringen können. Die erste Bedingung behauptet die Gleichheit von Geldzins und natürlichem Zins. Myrdals Kritik setzt zuerst an der "in-natura"Definition des natürlichen Zinses an (siehe oben, Wiekseil 1898, 93), die in dem Sinne interpretiert werden kann, daß sie von einer "naturalen" (produktionstechnischen) Bestimmung des natürlichen Zinssatzes ausgeht. Dieser Zins würde somit einer durch die Grenzproduktivität des Kapitals determinierten physischen Ertragsrate entsprechen ("a marginal physical productivity"; Myrdal 1939, 50). Doch ist hiedurch eine eindeutige Festlegung des Zinssatzes nur möglich, wenn Veränderungen der relativen Güterpreise in der Zeit ausgeschaltet werden können: entweder in einer Ein-Gut-Welt, in der das als Kapital eingesetzte mit dem produzierten Gut identisch ist 4 , oder in einem stationären Gleichgewicht, in dem die relativen Preise per definitionem konstant bleiben. Da das eigentliche Anwendungsgebiet des Wiekseiischen Ansatzes außerhalb dieser gedanklichen Extremfälle liegt, muß die Vorstellung eines physisch determinierten Zinssatzes aufgegeben werden. Die Alternative besteht in der Interpretation des natürlichen Zinssatzes als Wertproduktivität ("exchange value productivity"; Myrdal 1939, 51). Der natürliche Zins hat hiebei die Dimension einer nominellen Ertragsrate, d.h. genauer: Der in Geldeinheiten ausgedrückte erwartete Ertrag wird zum Preis des entsprechenden Kapitalgutes in Beziehung gesetzt. Dies ergibt einen sich auf Geldeinheiten beziehenden Zinssatz, der mit dem für den gleichen Zeitraum geltenden Geldzins verglichen werden kann. In dieser Form lautet die erste Bedingung qj pk = r, wobei q der erwartete Netto-Erlös (Quasi-Rente) pro Einheit, pk der Preis des Investitionsgutes und r der Geldzins ist (vgl. ib., 66f.). Dies kann auch so formuliert werden, daß die Bedingung qj r = pk den Ausgleich von Kapitalwert (Nachfragepreis) und Produktionskosten (Angebotspreis) der Investitionsgüter fordert (siehe ib., 70). Die obige Überlegung zeigt, daß wenn Konsum- und Investitionsgüter unterschieden werden, die relevante Ertragsrate nur noch nominell dargestellt werden kann; ebenso tritt nun bei der Bestimmung eines "realen" Zinssatzes ein Indexproblem auf. 4 Paradigmatisch ist Wiekseils Point-input-point-output-Beispiel des reifenden Weines (Wicksell 1913, 238ff.).
2.2 Myrdal: Monetäres Gleichgewicht
29
Während Myrdal, wie erwähnt, aus diesem Dilemma die Konsequenz zieht, dem natürlichen Zinssatz eine nominelle Ertragserwartung zugrundezulegen, scheint es dagegen, als habe er ein anderes Problem übersehen: Selbst wenn nämlich (z.B. im Ein-GutFall) eine physisch bestimmte Ertragsrate und ein nomineller Geldzins einander gegenüberstehen, ist ein Vergleich nur möglich, wenn beide in den gleichen Einheiten, etwa in Geldeinheiten, ausgedrückt werden. Hiefür ist aber die Berücksichtigung der (erwarteten) Geldwertänderung unumgänglich. Es ist bemerkenswert, daß nahezu alle Diskussionen der Wiekseilsehen Bedingungen es verabsäumten, in der Problemformulierung diese auf Fisher zurückgehende und zu diesem Zeitpunkt in der Literatur durchaus rezipierte Unterscheidung von Real- und Nominalzins zu berücksichtigen. 6 Vielmehr wird stets implizit deren Zusammenfallen vorausgesetzt. Darüber hinaus ergibt sich ein weiteres Problem: Stellt man eine gegebene, d.h. vom Investitionsniveau unabhängige, physische Ertragsrate und einen nominell definierten Geldzins bei einer gegebenen erwarteten Geldwertänderung einander gegenüber, so ist offensichtlich nur ein einziger Wert des Geldzinses mit monetärem Gleichgewicht, d.h. mit der ersten Bedingung vereinbar. Da im monetären Gleichgewicht beide Zinssätze zusammenfallen, würde der "Gleichgewichtszinssatz" aber nicht mehr ausreichen, die Höhe der Nachfrage auf dem Kapitalmarkt festzulegen. Jedenfalls bliebe der kumulative Prozeß undefiniert: Stimmen die beiden Zinssätze nicht überein, so kann kein Wert der Kapitalgüterpreise den Markt räumen. 6 Dies entspricht einer Situation, in der die Ertragserwartung wohl nominell definiert ist, aber unmittelbar und vollständig die Erhöhungen des Kapitalgüterpreises mitmacht, d.h. die Erwartungen gegenüber den gegenwärtigen Kapitalgüterpreisen eine Elastizität von eins aufweisen (siehe Hicks 1946, 205). Dies weist nun unmitttelbar auf die Bedeutung der zweiten Wiekseilsehen Bedingung hin. In der englischen Ausgabe seines Werkes schreibt Myrdal definitiv: "The conclusion is thus that Wicksell's first equilibrium formula is inadequate. To be determi6 Vgl. zu Fishen Zinstheorie Blaug (1986, 528ff., insbesondere 536ff.) . Zur Rezeption siehe Hayeks Untencheidung von Wicksella natürlichem und Fishen realem Zins (Hayek 1929a, 124f.); ferner bereits Wickeeil (1898, 15lf.). 6 Dies scheint der unprUnglichen Konzeption Wiekseils am nächsten r:u kommen; siehe Hanuon (1982, 136!.).
30
2. Kumulativer Proze8 und monetäre& Gleichgewicht
nate it must be related to the second formula." (Myrdal 1939, 84) Denn die in Myrdals Sinn rekonstruierte Gleichheit von Geldzins und erwarteten Erträgen entspricht bloß dem durch gewinnmaximierendes Verhalten der Investoren hervorgebrachten Ausgleich von externem und internem Zinssatz. Dieser definiert bloß ein "Investitionsgleichgewicht" (Shackle 1967, l 13); es wird ein Punkt auf der Investitionsnachfragekurve (bzw. der Nachfrage nach Darlehenskapital) bei gegebenem Geldzins festgelegt, nicht aber jener Punkt, d.h. jener Zins, bei dem Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren herrscht. 7 Erst diese zweite Bedingung des Gleichgewichts zwischen Sparen und Investieren ist notwendig und hinreichend für monetäres Gleichgewicht. Charakteristisch für die Analyse ist hiebei auch der Wandel in der Terminologie: Während Wiekseil stets von Angebot und Nachfrage auf dem Kapitalmarkt spricht und diese Ausdrücke auch von den Österreichischen Neo-Wicksellianern beibehalten werden, verwendet Myrdal die Begriffe "Sparen und Investieren" (vgl. Myrdal 1939, 86ff.). Dies kann bei Myrdal aber zu keinen Mißverständnissen Anlaß geben, da gerade seine Exante-Definition des Sparens klar macht, daß Sparen nicht als für die Kapitalgüterproduktion gewidmeter Konsumverzicht mit Investieren identisch zu setzen ist. 8 In dieser Weise ist monetäres Gleichgewicht durch die ersten beiden Bedingungen vollständig beschrieben. Irrigerweise schließt Myrdal allerdings, daß mit Wiekseils Formulierung der ersten Bedingung nur ein stationäres Gleichgewicht vereinbar sei (ib., 79f.) Dies geht darauf zurück, daß Myrdal sowohl die erwarteten Erträge (q) als auch die hieraus abgeleiteten Kapitalwerte (q/ r) als Durchschnittsgrößen interpretiert. Daher sind als Folge der ersten Bedingung Kapitalwert und Produktionskosten einander gleich, der erwartete Gewinn der Investoren verschwindet, und es kommt (in einer an Marshalls "long run" erinnernden Schlußfolgerung) zu keinen Neuinvestitionen mehr: Ein stationärer Zustand ist erreicht. Offenbar verlangt das Investitionsgleichgewicht aber bloß 7 Ander11 nach Myrdal (1933); siehe auch Hansson (1982, 134). 8 Für Myrdal bezeichnet "Sparen" eine monetäre Größe, nicht eine "reale En~par nis" (oder "Kapitalbildung"), die mit den realen Investitionen identisch ist: Angebot und Nachfrage nach Kapital sind "conditionally equal", nicht "identically equal" (Myrdal 1939, 23; siehe auch ib., 87ff.). Wiekseil abstrahiert im en~ten Band seiner "Vorlesungen" von jenen monetären Problemen, die er im zweiten Band behandelt; dem entaprechen auch die jeweils verwendeten Begriffe des Sparene; siehe Sowell (1972, 196) und Hanssen (1982, 131Fn.).
2.2 Myrdal: Monetäres Gleichgewicht
31
den Ausgleich der marginalen Ertragsraten (bzw. Kapitalwerte), sodaß intramarginale Gewinne als Anreiz für Investitionen fortbestehen können (siehe z.B. Shackle 1967, 114). Das monetäre Gleichgewicht ist daher durchaus mit einer wachsenden Wirtschaft vereinbar, ohne daß die Existenz von positiven "profit margins" (Myrdal 1939, 84) im Gleichgewicht angenommen werden muß. Zuletzt bleibt noch der Zusammenhang zu Wiekseils dritter Bedingung zu klären. Für Wiekseil war die Bedingung des stabilen Preisniveaus kaum mehr als ein anderer Ausdruck für die Abwesenheit kumulativer Prozesse. Myrdal dagegen löst den Zusammenhang zwischen monetärem Gleichgewicht und der Norm für den Preisniveaupfad völlig auf. Ein erster Kritikpunkt bestreitet die praktische Verwendbarkeit eines stabilen Preisniveaus als Indikator für monetäres Gleichgewicht. Denn für die Aufrechterhaltung des monetären Gleichgewichts gegenüber Änderungen von exogenen Einflußfaktoren ("primary changes")9 ist es gerade notwendig, eine Anpassung aller anderen Variablen zuzulassen. Und unter dem Gesichtspunkt des monetären Gleichgewichts ist die zu stabilisierende Beziehung jene von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage, nicht aber ein spezifisches Preisniveau: "The non-specific relations must, in fact, undergo adjustment changes if in spite of primary changes the specific relations are to be kept in equilibrium state." (ib., 36) Ein zweiter Einwand ist noch fundamentaler; er bezieht sich auf die Frage, inwiefern monetäres Gleichgewicht durch eine gleichmäßige Bewegung der absoluten Preise, die die Entwicklung der relativen Preise nicht beeinflußt, überhaupt gestört werden kann: What doea a development of the price system in which the profit margin ia kept continuoualy at such a Ievel that the condition aaving = investment is fulfilled, imply as to the tendency of the 'price Ievel'? - Ju far as I can aee, nothing at al1 in itaelf ... IC the equilibrium price relationa ... are fulfilled, any movement of the absolute money prices consistent with them willleave monetary equilibrium undiaturbed. (ib., 132)
Für monetäres Gleichgewicht ist demnach bloß eine Konstellation spezifischer relativer Preise (Zinssätze) ausschlaggebend; da Sparen und Investieren von einer gleichmäßigen Änderung dieser Preise nicht betroffen werden, legt monetäres Gleichgewicht keine eindeutige Preisnorm fest, sondern ist mit einer Vielzahl 9 Zum Beispiel einer Änderung der Sparneigung.
32
2. Kumulativer Pror.:e.B und monetäres Gleichgewicht
solcher Normen vereinbar. Für Myrdal spielt auch die Unterscheidung "antizipiert" oder "nicht antizipiert" keine Rolle (Myrdal 1939, 132), da er nur das Gleichgewicht einer einzigen Periode betrachtet, nicht aber eine Sequenz-Analyse mit Anpassungen der Erwartungen zwischen den Perioden durchführt (siehe Hansson 1982, 111 ff.). In letzterem Fall würde Myrdals Aussage nur auf antizipierte Preisbewegungen zutreffen. Dieses Argument der Invarianz des monetären Gleichgewichts gegenüber gleichmäßigen Preisniveauänderungen läßt aus der Sicht der Geldpolitik die Wahl der anzustrebenden Preisnorm offen. Myrdal befürwortet hiebei die Stabilisierung der am wenigsten flexiblen Preise, womit er für die durch das Konzept des monetären Gleichgewichts zu beschreibende Wirtschaft die Existenz erheblicher "Friktionen" als selbstverständlich voraussetzt und die Abkehr von der impliziten Vorstellung bestärkt, monetäres Gleichgewicht müsse mit realwirtschaftlichem Gleichgewicht zusammenfallen. In einer praktischen Anwendung entspräche dies wohl der Stabilisierung der Lohnsätze, einer "Lohnnorm"; technischer Fortschritt in einer wachsenden Wirtschaft wäre dann mit einem sinkenden Niveau der Güterpreise verbunden (Myrdal 1939, 192f.). Zuletzt ist noch auf eine Anwendung der Analyse Myrdals auf die Untersuchung von Konjunkturzyklen hinzuweisen. Hier gelangt Myrdal zum Begriff des "Indifferenzfeldes" des monetären Gleichgewichts, d.h. daß - besonders im Laufe eines Zyklus monetäres Gleichgewicht als Absenz eines selbstverstärkenden Prozesses nicht nur in einer Vollbeschäftigungssituation auftreten kann. Ein Beispiel hiefür ergibt sich, wenn die Starrheit der Löhne und zugleich die bloß unterproportionale Reaktion der Konsumnachfrage auf Einkommensänderungen 10 in einem Konjunkturabschwung berücksichtigt wird. Aus dieser Konstellation wird ein monetäres Gleichgewicht als Ruhe- (bzw. Wende- )Punkt dieses Prozesses erreicht, in dem der Ausgleich von Gesamtangebot und Gesamtnachfrage bei einer Unterbeschäftigungssituation erfolgt 11 (siehe ib., 164ff.). 10 Myrdal erklärt dies u.a. aus Umverteilungseffekten und einer Tendenr.: r.:ur Ventetigung von Konsumniveaus in der Zeit (Myrdal1939, 164!!.). 11 Inwieweit Myrdal hiemit Keynes' Konr.:ept eines Unterbeschäftigungsgleichgewichts vorweggenommen hat, ist unter Historikern der ökonomischen Analyse umstritten. Zum Beispiel konr.:ediert Shackle (1967, 123!!.) eine weitgehende Antizipation der Keynesschen Modellstruktur. Für Patinkin (1982) ist dagegen kritisch, da.B dieses Element des Myrdalschen Systems nicht Teil der "zentralen Botschaft" war
2.3 Ein Modell des kumulativen Prozesses
33
Daraus folgt, daß monetäres Gleichgewicht als Norm nicht bloß, wie oben gezeigt, die Frage nach dem Preisniveaupfad offenläßt, sondern auch die Beschäftigungssituation nicht eindeutig determiniert. Welche Situation ein monetäres Gleichgewicht darstellt, hängt davon ab, welche "Friktionen" (z.B. in Form "falscher Preise") dem Modell zugrunde gelegt werden. Durch die Vielzahl der mit dem Konzept des monetären Gleichgewichts zu vereinbarenden Friktionen ist nicht mehr klar, inwieweit dem (bzw. welchem von mehreren) monetären Gleichgewicht(en) der Charakter einer Norm zukommen soll. Dies scheint m.E. ein kritischer Punkt aller im Prinzip auf dieser, hier an Myrdals Werk dargestellten Konzeption beruhenden makroökonomischen Modellkonstruktionen zu sein. Damit hängt eine andere prinzipielle Schwäche des Myrdalschen Ansatzes zusammen: Trotz der wiederholten Behauptungen, die Erscheinungen der Geldwirtschaft seien mit dem Gleichgewichtskonzept der Werttheorie nicht zu fassen, wird nicht geklärt, welche Rolle Geld bzw. Kredit in dieser Wirtschaft spielen. So offensichtlich es ist, daß sich die angeführten Faktoren, Unsicherheit und Erwartungen, der Behandlung im Rahmen des allgemeinen Gleichgewichts (in seiner zeitgenössischen Ausprägung) entziehen, so wenig wird letztlich klar, in welcher Weise diese Faktoren die Existenz von Geld und Kredit begründen können. 12 Dieser Mangel schwächt die Überzeugungskraft der strikten Trennung von monetärem und real bestimmtem Gleichgewicht.
2.3 Ein Modell des monetären Gleichgewichts und des kumulathen Prozesses
Die vorangegangene Diskussion der drei Wiekseilsehen Bedingungen legt den Versuch nahe, diese einzelnen Bausteine im nachhinein zu einem widerspruchsfreien Modell zusammenzusetzen. Die aus dem vorigen herauszudestillierenden Charakteristika eines solchen Modells sind:
und zudem die Rolle von Einkommensänderungen als Mechanismus, der Gleichgewicht hentellt, nicht beachtet wurde (ib., 8f., 52 und passim). 12 Explizitere Hinweiae unter den Zeitgenoasen finden sich bei Hicka (1933, 1935) .
2. Kumulativer Prozell und monetäre• Gleichgewicht
34
- die Gliederung der Wirtschaft in zwei Sektoren, Konsum- und lnvestitionsgüterproduktion, die durch immobiles Kapital 1 und mobile Arbeit gekennzeichnet sind; - als Ausgangspunkt flexible Löhne, die auf dem Arbeitsmarkt Vollbeschäftigung garantieren (siehe z.B. ib., 24ff.); daneben wird auch der Fall fester Löhne behandelt; - das Sparen wird, anderen Autoren der Skandinavischen Schule folgend (siehe Lindahl 1939, 142), als einkommensabhängig angenommen, implizit definiert dies eine Konsumfunktion; - die für die Investitionsentscheidungen relevanten Ertragserwartungen werden, wie bereits dargelegt, als nominell und exogen formuliert. Im folgenden wird zuerst die Angebotsseite eines Zwei-Sektoren-Modells dargestellt. Sodann werden die (komparativ-statischen) Modellergebnisse für monetäres Gleichgewicht, für die Dynamik des kumulativen Prozesses und zuletzt für eine Version des "Indifferenzfeldes" mit festem Geldlohn abgeleitet. Liste der verwendeten Symbole
y f n
k v=w/p w
p h=pk/p y c
..
q
r
M A
d c k o t
Produktion Produktionsfunktion Beschäftigung Kapitalstock Reallohn; u=Dv /v Geldlohn; w=Dw /w Geldpreis; 'K=Dp/p relativer Preis; 17=Dh/h Einkommen (nominell) erwarteter Ertrag (nominell) erwarteter Ertrag (real) Zinssatz Geldmenge Kredit (als Stromgrölle)
Sub- bzw. Superakripte: -nachfrage -angebot Konsumgüter Kapitalgüter exogene G rölle Zeitindex Operatoren:
dx(t) Dx
=x(t) - x(t-1)
=dx/dt
1 Dies folgt insbesondere aus der Unterscheidung von "neuen" und "alten Kapitalgütern" bei Myrdal (1939, 66).
35
2.3 Ein Modell des kumulativen Pror.esses
2.3.1 Die Angebotsseite Es werden zwei Sektoren der Güterproduktion (Konsum- und Kapitalgüter) unterschieden; während die Arbeitskräfte zwischen den Sektoren mobil sind, ist Kapital sektorspezifisch und immobil. Die entsprechenden Produktionsfunktionen sind stetig und differenzierbar mit den üblichen Eigenschaften, sie lauten somit: 2 (l)
yi =
I/ni' k); ki = kio' i a I 1 an
= c,
k;
=/' > o, a 11 an =/" < o. 2
2
Gewinnmaximierung impliziert für Arbeitsnachfrage und Güterangebot:3 (2)
ay.•;av. = I I.'I f." < I I I
(3)
o.
Entsprechend lassen sich die Reallohnelastizitäten der Beschäftigung und der Produktion, a.I und ß.,I definieren: (4)
ai
=
(anidl avi )( v/n)
=
li'l li"ni < 0,
(5)
Für qualitativ eindeutige Resultate ist gelegentlich die Annahme identischer Produktionselastizitäten notwendig, d.i. (6)
Werden Arbeitsmarktgleichgewicht und ein starres Arbeitsangebot vorausgesetzt, so gilt: (7)
ncd(v c ) + nkd(vk) = n0 .
Durch logarithmisches Differenzieren von (7) und Umordnen folgt für die Änderungsraten: (8)
w=
11rc + ( l-1)1rk' mit 1
= ncc a [n cc a +( n
0
-nc )akT 1;
w ist somit linear homogen in den Preisen, und es gilt für die Produktlöhne: 2 Hier und in den folsenden Kapiteln werden Gleichunsen kapitelweise durchnumeriert; nur bei Verweiaen auf andere Kapitel wird die Kapitelnummer voranseatellt, r..B. (2.1). 3 Dynamiache Rückwirkun(en auf den Kapitalatock werden im folsenden vernachliaai(t.
36
2. Kumulativer Pro&eß und monetäres Gleichgewicht
(9)
tJ
c
= ( 1-"t)f'J,
(10) 2.3.2 Monetäres Gleichgewicht
Das Grundmodell des monetären Gleichgewichts besteht aus vier Märkten: (1) dem Markt für Konsumgüter, (2) für Kapitalgüter, (3) dem Arbeitsmarkt und (4) dem Kreditmarkt. Hiebei sorgt der Zinssatz (simultan mit den anderen endogenen Variablen) für den Ausgleich von Sparen und Investieren. Es gelten die folgenden Gleichgewichtsbedingungen: (lla,b)
y
(12a,b)
pk = qj r; yk = f/nkd).
(13a,b)
lld
(14a,b)
Ad = pkyk = ( 1-c)Y = A
8
c
= f(nd)=cY/p =yd, c
=
c
c
c
fc'- 1(vc) + fk'- 1(vk)
=n
0 •
8•
Diese Gleichungen legen die acht endogenen Variablen fest, d.s.
yc, pc, yk, pk, n, w, r und A; exogen sind q, c und Y, d.s. Er-
tragserwartungen, Konsumquote und Einkommen.
Für ein durch diese Bedingungen charakterisiertes Gleichgewicht als Ausgangspunkt werden die nachfolgenden komparativstatischen Experimente durchgeführt. Durch entsprechende Substitution läßt sich das Modell auf ein 2x2-System reduzieren: Nach Verwendung von (8) kann man die Gleichgewichtsbedingung für den Konsumgütermarkt (II) in pc und h = pk/ pc ausdrücken; nach Einsetzen aus dyc = -hdyk (entlang der Produktionsgrenze) gilt dies auch für das Kreditmarktgleichgewicht (14): (15)
(y c -efc')dp c + p ce/k'dh = Ydc + cdY,
mit e
=(1-"'f)(fc'/ fc") = ( 1-"t)ß/Y/fc') < 0;
die anderen relevanten Vorzeichen und die Reaktionen auf Änderungen von q ergeben sich rekursiv. Die Ergebnisse der komparativ-statischen Analyse des monetären Gleichgewichts faßt die folgende Tabelle zusammen:
2.3 Ein Modell des kumulativen Prozesses
Tabelle 1:*)
q
c
+
+ +
r pc
0
pk
0
h
w
yc yk
0
y
+ + 0
0
?
0
+
0
37
+ 0 0
*) In Zeile i und Spalte j der Tabelle steht sgn (8i/8j) mit i = r, pc' pk' h, w, yc' yk bzw. j = q, c, Y.
Zu diesen Ergebnissen ist insbesondere zu beachten, daß eine Verbesserung der Ertragserwartungen bloß zu einem kompensierenden Zinsanstieg führt, jedoch nicht auf den realen Sektor übertragen wird - dies ist eine Folge der ( übervereinfachenden) Annahme einer zinsunabhängigen Konsumfunktion. Änderungen in der Sparneigung haben dagegen die typischen realen Konsequenzen. Eine Untersuchung der Lösungen zeigt zudem, daß die realen Variablen (r, h, yc, yk) gegenüber q und Y null-homogen, die nominellen Variablen (pc, pk, w) linear homogen sind. Diese explizite Modelldarstellung offenbart auch Ansatzpunkte der Kritik. Als Folge der kritischen Haltung Myrdals gegenüber der Quantitätstheorie vernachlässigt sein System jegliche portefeuilletheoretische Analyse. Geld tritt nur als Spiegelbild des Kredits auf, ohne daß seine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel geklärt würde. Das obige Modell kennt daher weder Geldnachfrage (als Nachfrage nach einer Bestandsgröße), noch berücksichtigt es eine Hartungsnachfrage (als Nachfrage nach einer Stromgröße). Die spezifizierten Gleichgewichtsbedingungen beziehen sich ausschließlich auf Stromgrößen. Das Preisniveau wird im Modell nicht durch monetäre Faktoren (wie in der Quantitätstheorie) bestimmt, sondern hängt von den nominell spezifizierten Erwartungen (q und Y) ab. Zu jeder beliebigen Preis- (bzw. Ertrags- )Erwartung extstlert daher ein erwartungskonsistentes Gleichgewicht, d.h. eine Konstellation (des monetären Gleichgewichts), bei der sich die Preiserwartungen erfüllen. Daher gibt es (ohne Bezug auf eine von der Geldpolitik zu setzende Preisnorm) keine objektive modellimmanente Basis für die Erwartungen; das absolute Preisniveau kann nicht durch "rationale Erwartungen" festgelegt werden. Ohne exogene nominelle Erwartungen bleibt
2. Kumulativer Proze8 und monetäres Gleichgewicht
38
das absolute Preisniveau im monetären Gleichgewicht unbestimmt (siehe z.B. Hicks 1946, 251 ff.). 4 Weiters ist zu beachten, daß das den Konsum- und Sparentscheidungen zugrunde liegende Einkommen Y eine vorweg (exante) durch Antizipationen bestimmte Größe ist. Für Myrdals Periodenanalyse folgt dies aus der kapitaltheoretischen Definition des Einkommens als jener Betrag, der gerade verbraucht werden kann, sodaß der Kapitalwert intakt bleibt; dies basiert offenbar auf einer Erwartung bezüglich des Kapitalwertes am Ende der Periode (vgl. Myrdal 1939, 93). Durch diese Konstruktion kann die Gleichheit von Einkommen, Wert der Produktion und Ausgaben als Gleichgewichtsbedingung formuliert werden. Dagegen impliziert hier die identische Gleichsetzung von Einkommen und Wert der Produktion wegen der fehlenden Möglichkeit von "leakages" in der Einkommensverwendung zugleich die identische Gleichheit von Einkommen und Ausgaben und läßt das System wiederum indeterminiert. 6 Zudem würde die endogene Bestimmung des Einkommens, simultan mit den anderen Gleichgewichtswerten des Modells, dem methodischen Anspruch Myrdals widersprechen, mit seiner Periodenanalyse Kausalstrukturen ofrenzulegen (siehe insbesondere ib., 43ff.). 2.3.3 Monetäres Ungleichgewicht und kumulativer Prozeß
Im monetären Ungleichgewicht ist der Zinssatz auf einem "falschen" Wert r = ro fixiert und kann nicht für den Ausgleich des Kreditmarktes sorgen. Eine hiedurch entstehende Differenz zwischen Sparen und Investieren wird durch die Kreditschöpfung !:l.M kompensiert. Im oben dargestellten Modell ist daher für monetäres Ungleichgewicht r als exogen zu klassifizieren und !:l.M als neue endogene Variable einzuführen. Die Gleichung für den Kreditmarkt lautet nun: (14a,b')
Ad
= pkyk = ( 1-c)Y +
!:l.M
= A 11 •
4 Im Standardmodell rationaler Erwartungen bestimmt der Gütermarkt den Reah;ine und dieeer bei gegebenem Nominalr.ine die Infiationeerwartungen. Obwohl die gleichgewichtige Realkuee bestimmt ist, bleiben Preianiveau und (endogene) Geldmenge indeterminiert, wenn kein Geldmengenr.iel vorgegeben iet. Vgl. hier.u Sargent/Wallace (1976, 1982), Sargent (1982) und McCallum (1986b).
5 Eine Endogenieierung dee Einkommens durch Y = p cyc + pkyk macht du System indeterminiert - (11), (14) und die Einkommenagleichung sind linear abhängig.
2.3 Ein Modell des kumulativen Proseaea
39
Als Ausgangspunkt der komparativ-statischen Experimente wird ein monetäres Gleichgewicht gewählt, insbesondere gilt daher ll.M = 0. Nach Substitution wie zuvor legt die Gleichgewichtsbedingung für den Konsumgütermarkt jetzt eindeutig pc fest, die Kreditmarktbedingung bestimmt ll.M, nachdem die anderen Werte der endogenen Variablen rekursiv ermittelt wurden: (16) (17)
(y c -efc ')dp c = Ydc + cdY- (efk'/ r)dq, (y c -efc ')d( ll.M) = = Yykdc-[( 1-c)yc-efc']dY+(YI P)(cyk-efk')dq.
Die Vorzeichen der komparativ-statischen Multiplikatoren zeigt die folgende Tabelle:
Tabelle 2: pc pk
h w
yc
yk
ll.M
q
c
y
+ + + +
+
+
0
0
+ +
+ +
+ +
+
Hieraus ersieht man, daß im monetären Ungleichgewicht Änderungen der nominellen Größen, q und Y, reale Auswirkungen haben. Von den komparativ-statischen Ergebnissen ausgehend, ist nun die Dynamik des monetären Ungleichgewichtes zu untersuchen sie beschreibt den "kumulativen Prozeß". Hiefür müssen q und Y dynamisiert bzw. endogenisiert werden; die folgenden Annahmen werden getroffen: (18)
qt = Pct-1zt,
(19) yt = Pct-1Yct-1 + Pkt-1Ykt- 1' Die erwartete Ertragsrate vollzieht somit mit einer Verzögerung die Entwicklung der Konsumgüterpreise nach, dies entspricht wohl Wiekseils Vorstellung statischer Erwartungen in diesem Kontext am besten (vgl. auch Hicks 1965, 62f.). Die Einkommensgleichung modelliert anderseits durch eine Einkommen-Aus-
2. Kumulativer Pror;eB und monetäres Gleichgewicht
40
gaben-Verzögerung das für den kumulativen Prozeß konstitutive Element des Nachhinkens der Faktorentgelte. Die komparativ-statische Analyse bezieht sich auf eine Umgebung des monetären Gleichgewichts, in der die Funktionen linear approximiert werden. Für diese Umgebung gilt auch die nachfolgende Analyse des kumulativen Prozesses als lokale Dynamik. Durch Linearisierung und Substitution wird aus (18) und (19): (20)
dqt = pcdzt + zdpct-l'
(21 )
dYt = ycdpct-1 + (yk j r )( pcdzt-l+zdpct-2);
hiebei stehen pc, yc etc. (ohne Zeitindex) für die Werte des monetären Gleichgewichts, dpct, dyct für die Abweichungen ( pct-pc), (yc-yct} etc. Ein monetäres Ungleichgewicht kann (zu einem Zeitpunkt t = r) durch eine (dauernde) Änderung der exogenen Größen zo und co entstehen: dzt = dz, dct = dc, t ~ r. Das Gleichgewicht auf dem Markt für Konsumgüter bestimmt zu jedem Zeitpunkt deren Preis, sodaß durch Einsetzen der Prozeß in pct ausgedrückt werden kann: (y c -€/c ')dp ct
(22)
=
= -( E/k'/ r )( pcdz+zdpct-l)+Ydc+c[ycdpct-l+(ykj r )( PiZ+zdpct_2)] = ( cyc -E/c')dpct-l+( 1-c)ycdpct_ 2+( P/rh)[( 1-c)yc-f./c']dz + Ydc,
wobei die Bedingungen des monetären Gleichgewichts z j r = h und hcyk =( 1-c) yc verwendet wurden. (22) ist eine Differenzengleichung zweiter Ordnung in pct, die mit den üblichen Methoden gelöst werden kann. Die Frage nach der Stabilität des Prozesses wird durch die Untersuchung der Wurzeln der charakteristischen Gleichung beantwortet: Da sich deren Koeffizienten auf null summieren, ist eine Wurzel mit \=1 gegeben, die .andere beträgt 0 > .A2 = -(cy c -E/c ') / (y c -efc ') > -1. Setzt man we1ters für dX0
= {( P/rh)[( 1-c)yc -E/c']dZ+Ydc}/(yc-f./c'),
so. erhält m~n für die partikuläre Lösung dp•ct D1e allgememe Lösung lautet daher: (23)
F 1t.
= dXi 1->.2
dpct = Al + A2>.2t + dXi 1->.2;-It.
Dies entspricht der ursprünglichen Vorstellung des kumulativen Prozesses: Eine Störung setzt einen Prozeß steter Preisänderungen
2.3 Ein Modell des kumulativen ProHaaea
41
in Gang, der durch den letzten Term von (23) repräsentiert wird; die durch den zweiten Term verursachten Schwingungen verschwinden im Limit. Die unmittelbaren Wirkungen können bereits aus der Tabelle 2 entnommen werden: Erhöhungen von q und c induzieren einen positiven kumulativen Prozeß, der mit einer Veränderung der Produktionsstruktur einhergeht. Eine Untersuchung des relativen Preises h, (24)
dht = r- 1dz- hpc- 1(dpct.-dpct.-l),
ergibt, daß diese realen Wirkungen im Limit des Prozesses erhalten bleiben. 2.3.4 Fester Geldlohn und monetäres Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung
In dieser Version wird neben dem Zinssatz r = ro auch der Geldlohn w = wo fixiert und zu einer exogenen Größe. Um den von Myrdal erwähnten Aspekt der unterproportionalen Reaktion des Konsums auf Einkommensänderungen in das Modell zu integrieren, wird in die Konsumnachfrage ein autonomer realer Bestandteil, ca, eingeführt. An Stelle von (II) bis (14) treten nun die folgenden Gleichungen: (25a,b) (26a,b)
y. = f(nd)=c +cYjp =yd. c
c
c
a
c
c
q j r, yk = finkd).
I Pc J +Ik ·-trw0 I P) k ' (28a,b) Pk y k = ( 1- c) Y - pcc a + l:l.M = A 8 • An exogenen Größen kommen wo und ca hinzu; aufgrund des
(27)
Ic'- 1(w
0
festen Geldlohns ist Vollbeschäftigung nicht länger gesichert. Die rekursive Struktur des Modells ist leicht ersichtlich: (25a,b) bestimmen pc und yc, (26a) bestimmt pk, (26b) yk, (27) n, und (28a,b) legen A bzw. l:l.M fest. Für die komparativ-statischen Experimente wird wiederum ein monetäres Gleichgewicht mit Vollbeschäftigung als Ausgangspunkt gewählt. Für den Konsumgüterpreis gilt dann: (29)
[yc-ca-(/c '21/ c ")jdpc = Ydc + cdY + pc dc; a
42
2. Kumulativer Pror;e8 und monetäres Gleichgewicht
hieraus folgen dpc und die anderen Variablen rekursiv. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt.
Tabelle 3: pc pk h yc yk n AM
q
c
y
ca
0
+
+
+
+ +
0
0
0
0
+
+
+
+ + +
0
0
0
+ +
+
+ +
In dieser Konstellation kann daher eine Art "Sparparadoxon" abgeleitet werden. Im dargestellten Modell ging es Myrdal um den Nachweis, daß monetäres Gleichgewicht als Ausgleich von Güterangebot und -nachfrage auch bei Unterbeschäftigung zustande kommen kann, somit ein "Indifferenzfeld" für monetäres Gleichgewicht existiert. Im folgenden wird gezeigt, daß ein durch einen Schock ausgelöster dynamischer Prozeß tatsächlich zu einem Ruhepunkt strebt, der ein monetäres Gleichgewicht ist. Die Erwartungsanpassung wird wie zuvor dargestellt; nach Substitution ergibt sich (mit ßi aus [5]}: (30)
dqt = pcdzt + zdpct- 1'
(31)
dYt
=y /
1-ßc)dp ct- 1 + hyk(J-ßk)dpct- 2 + ( p / ' )dzt-1"
Durch Einsetzen in (29) erhält man die Gleichung für den dynamischen Prozeß in p c als: (32)
fY/ 1-ßc)-ca]dpct-CY/ 1-ßc)dpct- 1 -hcyl1-ßk}dpct- 2 = = Ydc + pc dc a + (p c cykjr)( 1-ßk)dz.
Aus der Vorzeichenfolge folgt gemäß der Descarteschen Regel, daß die Wurzeln reell sind, die dominierende Wurzel ist positiv. Für die Stabilitätseigenschaften ist die Summe der Koeffizienten tpi der dpct-i ausschlaggebend. Eine eindeutige Aussage ist unter der Voraussetzung identischer Lohnelastizitäten ß = ßc = ßk möglich; für die Summe gilt dann (33)
Eitpi =
-ßca
> 0,
2.3 Ein Modell des kumulativen Proseesee
43
daher ist der Prozeß stabil. Die partikuläre Lösung p•c , die den Ruhepunkt des Prozesses beschreibt, lautet: (34)
dp• c = -(ßc a F 1[Ydc+p cdc a +(pccykjr)(l-ßk)dz]
Hieraus können die komparativ-statischen Multiplikatoren für die Werte in diesem neuen monetären Gleichgewicht abgeleitet werden:
Tabelle 4:
q
c
ca
pk
+ +
+ + 0
+
yk
+ + +
+ + 0
+
+ +
+ 0
+ 0
+ 0
pc h yc n
t::..M
Während demnach die komparativ-statischen Ergebnisse des monetären Gleichgewichts mit flexiblen Geldlöhnen durchaus klassisch interpretiert werden können, besitzt die Version des Indifferenzfeldes - mit gegebenem Zinssatz und Geldlohn - Eigenschaften eines Unterbeschäftigungsgleichgewichtes.
3. F.A. VON HAYEKS THEORIE DER GELDWIRTSCHAFT Die vorigen Kapitel haben das Konzept der realwirtschaftlichen Analyse und deren Infragestellung durch Wiekseils für die Geldwirtschaft abgeleitete These des kumulativen Prozesses zum Gegenstand gehabt. Hier soll nun dieses Spannungsverhältnis einer realwirtschaftlich geprägten Theorie der Geldwirtschaft im wirtschaftstheoretischen Werk Friedrich August von Hayeks dargestellt werden, in dem die neoklassische Position in außergewöhnlicher Klarheit und Schärfe der Argumentation zum Ausdruck kommt. 1 Zuerst wird der geldtheoretische Ansatz Hayeks, insbesondere sein Konzept der Geldwirtschaft behandelt, sodann seine Theorie des Konjunkturzyklus; abschließend geht es um Hayeks Kritik neoklassischer Konzeptionen von Gleichgewicht und Wettbewerb sowie deren Fortführung durch die sog. neo-österreichische Schule. 3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft Im folgenden ist auf das geld- (und konjunktur- )theoretische Werk Hayeks einzugehen; dem soll ein Blick auf die Werkgeschichte vorangestellt werden. Sie ist grundsätzlich dem "frühen" Hayek 2 zuzuordnen und beginnt mit dem wesentlichen Beitrag über "Das intertemporale Gleichgewichtssystem der Preise" (1928). Dessen methodischer Ansatz wird in der Habilitationsschrift "Geldtheorie und Konjunkturtheorie" ( 1929a) weitergeführt. 1931 entsteht "Preise und Produktion"3 als jedenfalls in der Wirkung 1 Für nähere Informationen r;u Leben und Werk ist als Auswahl auf Machlup (1977b). O'Driscoll (1977), Shackle (1981) und Butler (1983) hinr;uweiaen sowie auf die Festschriften Streissler (1969a), Machlup (1977a) und Leube/Zlabinger (1984). 2 Für die Untencheidung eines "frühen" Hayek, der Geld- und Konjunkturtheorie auf der Grundlage der Gleichgewichtsmethode untenucht, und eines "späten" mit Arbeiten r;u Wettbewerb und Marktpror;el! sowie Sor;ialphilosophie vgl. Hutebison (1981, 203ff.) 3 Dieses Werk enchien r;uent als "Prices and Production" (193lb). Zur Übenetzungsgeschichte der Hayekachen Werke ist anr;umerken, da.B die grundlegendere "Geldtheorie" (1929a) ent später (1933c) übenetr;t worden ist, die für daa Gleichgewichtskonr;ept wichtigen Aufsähe (1928 und 1933b) gar ent in jüngster Zeit (1984).
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3. F.A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
zentrales Werk; seine konjunkturtheoretische Fundierung wurde in der internationalen Diskussion als Gegenentwurf zur Keynesschen "Treatise on Money" interpretiert. Die hieraus folgende Kontroverse mit Hayek auf der einen, Keynes und Sraffa auf der anderen Seite (vgl. Hayek 193lc,d, 1932a,b; Keynes 193lb und Sraffa 1932a,b) gilt als eine der heftigsten in der Nationalökonomie und blieb ohne entscheidendes Ergebnis. Ein von Hayek 1933 herausgegebener Sammelband "Beiträge zur Geldtheorie" enthält neben dem bereits erwähnten Beitrag von Myrdal ( 1933) auch eine Arbeit von Johan Koopmans (1933) zum Konzept des neutralen Geldes, die sich mit Hayeks vorliegenden Schriften beschäftigt (vgl. Hayek 1933a,b). Die Rolle der Erwartungen behandelt Hayek (1935a) ausführlicher, ehe er sich - bereits nach dem Erscheinen von Keynes' "General Theory" - nochmals einer zentralen Begründung für die Notwendigkeit einer Umkehr des kumulativen Aufschwungprozesses mittels des sog. "Ricardo-Effekts" zuwendet (Hayek 1939a, 1942a,b, 1969e; vgl. auch Kaldor 1942). Mit dem ersten (und einzigen) Band seiner Kapitaltheorie (1941) ist das geld- und konjunkturtheoretische Werk Hayeks weitgehend abgeschlossen - es bleibt für einige Jahrzehnte im Schatten der keynesianischen Revolution ohne wesentlichen Widerhall. Aus späterer Zeit sind vor allem die Wiederaufnahme der Kritik am Keynesianismus (z.B. Hayek 1966, 1978b) sowie ein Plädoyer für Währungskonkurrenz (Hayek 1976) hervorzuheben. 3.1.1 Intertemporales Gleichgewicht in der idealtypischen Tauschwirtschaft
Im folgenden wird von der These ausgegangen, daß für Hayeks geldtheoretisches Werk die Anwendung des Gleichgewichtsbegriffes auf Phänomene einer Geldwirtschaft das zentrale Problem bildet. 4 Hiebei wird der Begriff des "intertemporalen Gleichgewichts" (Hayek 1928) als ein sich über die Zeit erstreckendes Gleichgewicht eingeführt, 5 es bezieht sich auf einen Zeitraum bzw. auf mehrere Zeitpunkte und erlaubt Änderungen der UmVon dem unten erwähnten Beitrag von Koopmana (1933) existiert keine englische Übersetr.ung. 4 Vgl. r.u Hayeks Theorie der Geldwirtschaft neuerdings Lutr. (1969), Milgate (1979), Deaai (1982), McCloughry (1982), Butoe (1985) und Klaueinger (1986b) sowie von neo-öaterreichiacher Seite O'Driacoll (1977) und Garrieon (1984). 5 Hayeka Priorität vor Lindabi (1939) und Hicka (1946) wird von Milgate (1979) nachgewiesen.
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
47
weit, d.h. der ökonomischen Daten. Dies stellt eine wesentliche Erweiterung gegenüber dem traditionellen Konzept des stationären Gleichgewichts dar, in dem die Daten über die Zeit konstant gehalten werden und das, obwohl als Konstruktion in der Zeit gedacht, statischen Charakter aufweist. Denn im stationären Gleichgewicht spiegelt die Gegenwart per definitionem stets die Zukunft wider, sodaß gelungene Anpassung an die gegenwärtige Datenlage auch eine solche für die Zukunft garantiert. Das stationäre Gleichgewicht entspricht daher einer Situation, in der sich Erwartungen erfüllen, die Zukunft gleiche genau der Gegenwart. Durch die annahmegemäße Konstanz der Daten bleibt die Gleichgewichtskonstellation im Zeitablauf unverändert. Dagegen wendet Hayek ein, es sei: ... unzweckmäßig ..., die Anwendung des Gleichgewichtsbegriffes ausechließlich auf Systeme zu beschränken, die sich nur Uber Zeiträume erstrecken, innerhalb welcher alle äußeren Bedingungen konstant bleiben, anstatt ... nur anzunehmen, daß keine Abweichung von dem erwarteten Verlauf der Dinge stattfindet. (Hayek 1928, 48)
In diesem Falle (des intertemporalen Gleichgewichts) reichen die bei Stationärität implizit vorausgesetzten statischen Erwartungen nicht mehr aus, für eine Anpassung an die Zukunft wird vollkommene Voraussicht notwendig. Diese bezieht sich auf die zeitliche Entwicklung von Bedürfnissen und Produktionsmitteln (ib., 38f.); später wird dies von Hayek noch erweitert: The assumptions ... which are implied in the concept of equilibrium are essentially that everybody foresees the future correctly and that this foresight includes not only the changes in the objective data but also the behaviour of all the other people with whom he expects to perform economic transactions. (Hayek 1935a, 139f.)
Diese sehr umfassende Form der Voraussicht läßt sich allerdings - wie die Gleichgewichtstheorie gezeigt hat 6 - im Kontext vollkommener Konkurrenz auf die bloße Voraussicht der Gleichgewichtspreise bzw. bei Existenz von Unsicherheit des Zusammenhangs zwischen objektiven Daten ("Zuständen der Welt") und Gleichgewichtspreisen reduzieren. Aus den von Hayek angeführten Beispielen, z.B. von intertemporalem Gleichgewicht angesichts saisonaler Schwankungen (Hayek 1928, 48f.), läßt sich im übrigen wohl ableiten, daß er das Konzept in erster Linie auf regelmäßige Datenänderungen, nicht auf die Anpassung an Schocks (als einmalige Datenänderungen) angewendet wissen wollte.
6 Vgl. hiezu Arrow (1964) und Radner (1972); siehe auch unten 5.1.2.
48
3. F .A. von Hayeks Theorie der Geldwirtschaft
Die Annahme vollkommener Voraussicht ist allerdings keine unproblematische Konstruktion; auf mögliche logische Schwächen hat bereits die zeitgenössische Kritik von Morgenstern ( 1935) hingewiesen. Zwei Einwände sollen aufgegriffen werden. Der erste bezieht sich anhand des bekannten "Holmes-Moriarty-Paradoxons" auf die potentiell selbst-zerstörende Wirkung vollkommener Voraussicht fremden Verhaltens (ib., 343f.), d.h. auf das strategische Problem wechselseitiger Abhängigkeit des eigenen Verhaltens vom vermuteten Verhalten anderer - eine Situation, in der ein Gleichgewicht (in reinen Strategien) nicht existieren muß. Dieses Paradoxon ist jedoch spieltheoretisch durch eine stochastische Formulierung (d.h. von gemischten Strategien) auflösbar; im Fall der vollkommenen Konkurrenz, in welcher die Machtlosigkeit des einzelnen Akteurs gegenüber dem Aggre_,gat formalisiert ist, tritt das Paradoxon von vorneherein nicht auf. Noch grundlegender ist ein zweiter Einwand: Die Annahme vollkommener Voraussicht "... führt ... dazu, daß die Individuen auch eine vollständige Einsicht in die - erst durch die Gleichgewichtstheorie zu liefernde - theoretische Ökonomie haben müssen ..." (ib., 342). Man setzt damit nicht nur bei den Akteuren die Kenntnis jener Theorie voraus, mit deren Hilfe ihr Verhalten beschrieben wird (ib., 346), sondern impliziert zudem, daß die künftigen Gleichgewichtspreise bereits zuvor gleichsam in den Köpfen der Akteure gefunden worden sind, ehe dieses Ergebnis nachträglich auf den Märkten nur noch bestätigt wird. Insofern minimiert die Annahme vollkommener Voraussicht die dem Markt zuschreibbare Informationsfunktion des Preissystems.8 Intertemporales Gleichgewicht bedeutet jedenfalls die Existenz eines "intertemporalen Preissystems" (Hayek 1928, 36), derart daß die Pläne der Akteure miteinander vereinbar sind und sich deren Erwartungen erfüllen - damit entfällt im Zeitablauf jeder Anreiz, die vorformulierten Pläne zu modifizieren. Diese allgemeine Eigenschaft eines Gleichgewichts wird hier auf das Verhalten im Zeitablauf übertragen (siehe ib., 37 und 38). Der Ansatz des intertemporalen Gleichgewichts wird vorerst auf eine sog. "Naturalwirtschaft" bezogen, wo der Tausch "ohne Ver7 Die spieltheoretische Lö1ung wurde von Neumann/Morgen•tem (1944) gefunden; 111ur Formalisierung von vollkommener Konkurren& vgl. aus methodischer Sicht E.Weintraub (1986 , 38ff.). 8 Siehe unten 3.3.2.
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
49
wendung eines Tauschmittels" (Hayek 1928, 41) durchgeführt wird, d.h. auf eine Wirtschaft, die kein Geld benötigt. Dies ist jener Typus, für den die Ergebnisse der "statischen Theorie" (Hayek 1929a, 14) bzw. der "reinen Ökonomie" (ib., 53) unmittelbar zutreffen. Ausführlicher wird dieser Begriff der Naturalwirtschaft von Koopmans diskutiert. Er entspricht demnach dem "Idealtypus einer reinen Tauschwirtschaft nach den Gesetzen der Gleichgewichtstheorien" (Koopmans 1933, 228); deren Gegenstand bildet: ... der hypothetische, in der Realität wohl überhaupt nicht denkbare Zustand, in dem gleich&eitig sowohl die Friktionserscheinungen, die sich mangels eines allgemein anerkannten Tauschmittels dem Zustandekommen eines vollständigen Gleichgewichts widerset&en, wie auch die spe&ifischen Änderungen, die eich infolge der tatsächlichen Einführung eines derartigen Tauschmittela in den Wirtschafteablauf ergeben, als nichtexistierend vorausgeset&t werden. (ib., 230)
Für diese Naturalwirtschaft gelten die in der Werttheorie abgeleiteten Effizienzeigenschaften, den Abweichungen von diesem Idealtypus entsprechen die erwähnten "Friktionen" (Koopmans 1933, 229f.). Es geht bei dieser Naturalwirtschaft daher nicht um eine wirkliche Wirtschaft, die ohne Geld auskommen muß, sondern um eine analytische Konstruktion. - In einem Kommentar stimmt Hayek (1933b) dieser Interpretation zu, wobei er ebenfalls hervorhebt, daß es sich beim Begriff der Naturalwirtschaft um ein "Instrument der theoretischen Analyse" handelt, und nicht etwa um eine wirtschaftspolitische Norm (ib., 659). 3.1.2 Neutrales Geld
Damit ist der Anknüpfungspunkt für eine Theorie der Geldwirtschaft gegeben - die Möglichkeit, das Konzept des intertemporalen Gleichgewichts von der Natural- auf die Geldwirtschaft zu übertragen, wird mit dem Begriff des neutralen Geldes charakterisiert. Die grundlegende Frage lautet, ob "... jene natürliche Abstufung der Preise in der Zeit, die den bei Naturaltausch entstehenden intertemporalen Tauschrelationen entsprechen würde, und die allein auch in der Geldwirtschaft einen störungslosen Ablauf zu sichern vermöchte ..." (Hayek 1928, 58), nun als dem intertemporalen Gleichgewichtssystem entsprechendes Verhältnis der Geldpreise (ib., 60) realisiert werden kann. In diesem Falle ist Geld neutral, es übt keinen aktiven Einfluß auf die Preisbildung aus (Hayek 1931 a, 30 und 108 ), sodaß schließlich "... der Ablauf in einer Geldwirtschaft, und insbesondere die relativen Preise,
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3. F .A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
von keinen anderen als den - von der unter der Annahme des Naturaltausches entwickelten Gleichgewichtstheorie berücksichtigten - 'realen• Bestimmungsgründen beeinflußt wird" (Hayek 1933b, 659). Noch klarer als bei Hayek kommt der Zusammenhang bei Koopmans zum Ausdruck: "Neutral ist ... das Geld dann, und zwar nur dann, wenn sämtliche Vorgänge in der Geldwirtschaft dem Idealtypus einer reinen Tauschwirtschaft ... entsprechen" (Koopmans 1933, 230), d.h. wenn geldwirtschaftliches Gleichgewicht das gleiche Ergebnis liefert. 9 Beim Kriterium der Neutralität geht es Hayek demnach um den Vergleich der Gleichgewichtskonstellation einer Geldwirtschaft mit einer idealtypischen Tauschwirtschaft, deren Ergebnisse er selbst als "fiktiv" (Hayek 1929a, 118) oder "hypothetisch" ( 1928, 62) bezeichnet. 10 Im Zusammenhang mit dem Konzept des neutralen Geldes stellt es eine kritische Schwäche von Hayeks Theorie der Geldwirtschaft dar, daß es verabsäumt wird zu klären, wodurch überhaupt ein geldwirtschaftliches Gleichgewicht begründet wird (vgl. Desai 1982, 162) bzw. inwieweit die Verwendung eines allgemeinen Tauschmittels mit dem Gleichgewichtskonzept des neutralen Geldes vereinbar ist.U Als Beleg dafür, daß Hayek dieses Problem ebenfalls als noch nicht zureichend geklärt angesehen hat, kann seine Forderung an die Geldtheorie gelten, die Bedingungen eines neutralen Geldes festzusteHen (Hayek 1931 a, 31 ). Es ist in diesem Sinne konsequent, die späteren Ergebnisse der allgemeinen Gleichgewichtstheorie als Antworten auf diese Fragestellung zu deuten.U Aus dieser Sicht macht es die Begründung einer Geldwirtschaft notwendig, zuerst von den Annahmen der idealtypischen Tauschwirtschaft abzugehen und Friktionen einzuführen, damit Geld eine Funktion zu erfüllen hat. Gleichzeitig bedeutet neutrales Geld einen Zustand, in dem mit der Einführung von Geld diese Friktion völlig überwunden, d.h. die Abweichung vom Idealtypus vollständig rückgängig gemacht worden ist. Dies ver9 J. Akerman bezeichnet in einem Kommentar ein neutrales Geldsystem als erreicht, "wenn die Geldwirtschaft mit der Tauschwirtschaft übereinstimmt, wenn Wirklichkeit und Theorie zusammenfallen• (1934, 376); von Misea spricht im gleichen Zusammenhang von einer "Naturaltausch-Fiktion• (1940, 189f.) und warnt vor deren unkritischer Anwendung auf Probleme der Geldwirtachaft. 10 Vgl. auch Myrdala Begriff der "virtuellen Realität" eines aolchen Gleichgewichte. 11 Vgl. Cowen/Fink (1985), die diese Kritik auch auf Gleichgewichtskonzepte von Mises beziehen. 12 Vgl. zu dieser These Klaueinger (1986b); aiehe unten 6.2.1.
3.1 Intertemporalee Gleichgewicht und Geldwirtschaft
61
leiht der Frage nach der Art dieser Friktion entscheidende Bedeutung. Ebenso ist daraus zu schließen, daß die Identifikation einer Naturalwirtschaft mit einer wirklichen Wirtschaft, die ohne Tauschmittel auskommen muß, in der aber wohl Friktionen existieren, verfehlt ist. 13 Die dort durch Einführung des Geldes erzielbaren Effizienzgewinne stehen daher nicht im Widerspruch zum Konzept des neutralen Geldes. 14 Hayeks Äußerungen zur Funktion des Geldes bzw. implizit zu der sie begründenden Friktion beschränken sich auf die Darstellung als Tauschmittel, das die Einführung des indirekten Tausches ermöglicht (z.B. Hayek 1931 a, 119). Während daher in der Naturalwirtschaft, in der nur Güter gegen Güter getauscht werden können, die "Identität des Gesamtangebotes und der Gesamtnachfrage" nicht aufgehoben werden kann, gilt dies nicht mehr nach Einführung eines Geldes: Als Nur-Tauschmittel, das von keinem Wirbchafteeubjekt zum Verbrauch begehrt wird, sondern seinem Wesen nach immer weiter getauscht werden muß, ohne je seinen Zweck endgültig erfüllt zu haben, hebt das Geld die Endlichkeit und daher Geschlossenheit des Systems auf und vermag daher Vorgänge auszulöeen, die innerhalb des geschlossenen Gleichgewichtssystems nicht denkbar sind. (Hayek 1929a, 46f.)
Geld- und Naturalwirtschaft können voneinander abweichende Ergebnisse liefern, insofern nur ein Teil einer monetären Transaktion (Ware gegen Geld gegen Ware) geplant oder ausgeführt wird. Hayek (ib., 56) spricht hier von den "einseitigen Wirkungen des Geldes", Koopmans (1933, 257) von "selbständigen halben Tauschgeschäften". Typische Beispiele sind Neugeldschöpfung, Geldvernichtung bzw. Horten und Enthorten (Koopmans 1933, 257). Hiedurch wird das Saysche Prinzip 16 durchbrachen und werden Preisbewegungen ermöglicht, die nicht jenen der Naturalwirtschaft entsprechen (müssen) (ib., 258f.). Neutralität verlangt die Ausschaltung bzw. zumindest die Kompensation solcher halber Tauschgeschäfte (ib., 278Fn.). Unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet, macht der indirekte Tausch zeitlich abgestufte Entscheidungen möglich, ins13 Dieaer verfehlte Vergleich liegt in der &eitgenöeeiechen Diakusaion u.a. den Arbeiten von Barger (1936) und Roaenatein-Rodan (1936) zugrunde; dagegen iat z.B. die Interpretation von Roherbon (1940c, 142) korrekt. 14 Das Kon&ept einer hieraua folgenden "qualitativen Nicht-Neutralität" (wie bei Samuelson 1968) enhpricht daher nicht dem Hayekachen Sprachgebrauch; aiehe unten 6.1.4. 16 Dieaer Begriff wird auedrücklieh nur von Koopmana, nicht von Hayek gebraucht.
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3. F.A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
besondere eine zeitliche Verschiebung zwischen Einkommenserwerb und -verwendung (Koopmans 1933, 265). Dies entspricht der bereits zu jener Zeit gängigen Formulierung, daß Geld eine Finanzierungsrestriktion auferlegt, insofern jede Einkommensverwendung durch einen vorangegangenen Einkommenserwerb bzw. vorhandene Kassenbestände beschränkt ist. 16 Dadurch treten in der Geldwirtschaft sukzessive Entscheidungen an die Stelle simultaner Plankoordination, für die Bestimmung der Gleichgewichtsrelationen ist statt einem System simultaner Gleichungen ein Differenzengleichungssystem zu lösen 17 - für Neutralität ist daher die "Wiederherstellung der Simultanität" (ib.) notwendig. Ein Beispiel für eine solche mögliche Abweichung bietet Hayek (193la, 9ff.) mit dem sog. "Cantillon-Effekt": 18 Danach hängt die Wirkung einer Erhöhung des Geldumlaufs davon ab, an welchem Ort der Wirtschaft (ob z.B. durch Goldfunde oder eine aktive Leistungsbilanz) sie erfolgt - hiedurch entsteht ein qualitativer oder Verteilungseffekt Solange im Zuge der sukzessiven Umverteilung der realen Kassenbestände nicht ein langfristiges Bestandsgleichgewicht erreicht worden ist, dauert die Abweichung jedenfalls an. Offensichtlich würde Neutralität (bzw. die Rückkehr zu Neutralität) verlangen, daß die gleichgewichtige Verteilung der Kassenbestände unabhängig von den Anfangsbeständen ist - dann verschwinden die Verteilungseffekte in der langen Frist. 19 Hayeks Sicht der Rolle des Geldes ist somit auf die Tauschmittelfunktion bzw. die Möglichkeit der Schöpfung und Vernichtung von Kaufkraft zentriert. Sraffa wirft ihm in seiner Kritik diese vollständige Abstraktion von realen Institutionen der Geldwirtschaft wie "... debts, ... money-contracts, ... wage-agreements, ... 16 Am bekanntesten in der Formulierung von Robertaon (&.B. 1926 und 1933a); vgl. jedoch neben Koopmane auch Bilimovic (1936) und Haberler (1938, 328), für den dies "an enential feature of a money economy" darstellt, ebenso neuerdinge Clower (1967). 17 Koopmans' Frage, ob die "Wuuel" (stationäre Lösung) des geldwirtachaftlichen Differen&engleichungssystems mit der Lösung für das geldlose simultane System r.usammenfallen werde, r.ielt auf die später von Archibald/Lipsey (1968) analysierten Eigenschaften einea langfristigen Kaasenbeatandsgleichgewichta; siehe unten 6.1.4. 18 Hayek war mit dem Werk Cantillona gut vertraut ; von ihm stammen Vorwort und Anmerkungen r.ur deuteeben Überaebung von Cantillons "Essai" (vgl. Hayek 1931e) . 19 Diese Idee ist in Humes These von der "natural diatribution of specie" vorweggenommen; siehe hiezu Viner (1966, 74ff.) sowie Blaug (1986, 13).
S.l Intertemporalee Gleichgewicht und Geldwirtschaft
53
sticky prices" (Sraffa 1932a, 44) vor- Geld werde auf diese Weise bedeutungslos, daher müsse es auch, unabhängig von der Geldpolitik, neutral bleiben. Für Hayek sind diese institutionellen Faktoren bereits Ausdruck einer Friktion (die für den Idealtypus des neutralen Geldes nicht unterstellt wird), demgegenüber stellt die durch Geld ermöglichte Entstehung und Vernichtung von Kaufkraft bzw. deren Einfluß auf einzelne Märkte (vor allem den Kapitalmarkt) eine tiefergehende Ursache für Nicht- Neutralität dar (Hayek 1932b, 238). Ähnliches gilt auch für einen weiteren Kritikpunkt Sraffa ( 1932a, 51) argumentiert, in der Tauschwirtschaft sei die Rückzahlung eines Sachkredits in Einheiten eines (beliebigen) Gutes festgelegt, in der Geldwirtschaft wäre dies durch entsprechende Indexklauseln reproduzierbar. Da Geldkredite jedoch typischerweise ohne solche Klauseln formuliert würden, sei daher das tauschwirtschaftliche Ergebnis durch keinerlei Geldpolitik erreichbar, d.h. Neutralität unmöglich. Dem ist entgegenzuhalten, daß das Abgehen von Indexklauseln bzw. vom Sachkredit durch einen Wohlstandsgewinn, z.B. die Ersparnis von Transaktionskosten der Vertragsformulierung mittels einer preisstabilisierenden Geldpolitik, begründet werden kann (ähnlich ib., 43f.) - die Möglichkeit eines Wohlstandsgewinnes bedeutet jedoch, daß die zum Vergleich herangezogene Tauschwirtschaft nicht dem Idealtyp entsprochen haben kann. 20 3.1 .3 Geldzins und Gleichgewichtszins
Die oben erwähnte Quelle von Nicht-Neutralität im Sinne einseitiger monetärer Wirkungen verweist auf den Kreditmarkt als Initiator intertemporalen Ungleichgewichts. Dessen monetäre Organisation, die Verknüpfung von Finanzintermediation und Geldschöpfung, 21 schafft nahezu automatisch die Möglichkeit von Nicht-Neutralität. (Auch hier wird die Existenz der Finanzintermediation - wie zuvor von Geld als Tauschmittel -, die als Institution in der idealtypischen Naturalwirtschaft keinen Platz hat, ohne nähere Begründung durch Friktionen etc. vorausgesetzt.) 20 Hier iat darauf hinr.uweiaen, daß von jenen Publikationen Hayeka, in denen eine genauere Definition dea neutralen Geldes gegeben worden war, r.ur Zeit dieser Kontroverse noch keine engliache Obenetr.ung vorlag. 21 Dieser Zusammenhang bildet seit der Currency-Banking-Kontrovene über die Peelsche Bankakte von 1844 und den Chicago- Plan der 40er-Jahre dieeea Jahrhunderts bia r.u den Geldmengenrätaeln der jüngsten Vergangenheit einen Anstoß für Neutraliaierunpvonchläge; vgl. hier.u Neldner (1976).
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8. F.A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
Die Analyse des intertemporalen Gleichgewichts greift hier auf die bereits diskutierten Wiekseilsehen Bedingungen für monetäres Gleichgewicht zurück. Diese verlangen die Übereinstimmung des Geldzinses mit dem - allerdings nicht eindeutig definierten - natürlichen Zins. Hayek (z.B. 193la, 22) identifiziert den natürlichen Zins mit dem Gleichgewichtszins, wobei er hier an die Zinserklärung der reinen (d.h. realwirtschaftlichen) Kapitaltheorien von Böhm-Bawerk und Wiekseil anknüpft. Wiekseil vereinfacht deren Aussagen insoweit, als er sich auf die Übereinstimmung von "Nachfrage nach Kapital und ... Angebot von Ersparnissen" (ib.) als Gleichgewichtsbedingung konzentriert - eine Formulierung, die Hayek nicht verwendet, weil sie einerseits den intertemporalen Charakter des Gleichgewichts in den Hintergrund rückt, anderseits Termini wie Sparen und Investieren eine befriedigende logische Klärung des Einkommensbegriffes voraussetzten.22 Der Zinssatz besitzt grundlegende Bedeutung für die intertemporale Koordination, seine Funktion ist, "... den Umfang der Kapitalverwendung in den verschiedenen Produktionszweigen mit dem verfügbaren Kapitalbestand in Übereinstimmung zu halten ... (und] die Produktivkapitalerzeugung im Gleichgewicht mit der Konsumgütererzeugung ..." (Hayek 1929a, 34; siehe auch ib., 46). Diese zu erfüllende Aufgabe wird an anderer Stelle präzisiert: The starting point ... [are] (a) the intentions of all the consumera with respect to the way in which they wish to diatribute at all the relevant dates all their reaources (not merely their 'income') between current conaumption and provision for Cuture consumption, and (b) the separate and independent decisiona of the entrepreneura with respect to the amounta of consumera' goods which they plan to provide at these various datea ... An equilibrium rate of interest would then be one which assured correspondence between the intentiona of the consumera and the intentiona of the entrepreneura. (Hayek 1985a, 158f. und 145)
Kritisch bleibt anzumerken, daß hier die Realisierung des Gleichgewichtszinses stellvertretend für die Bedingung intertemporaler Koordination steht, d.h. für die Erfüllung eines ganzen Spektrums von Austauschrelationen. Dieses umfaßt nicht bloß die Zinsstruktur (für unterschiedliche Zeiträume), sondern es ist auch die Realisierung bzw. vollkommene Voraussicht der relativen Preise der Zukunftsgüter erforderlich. Die Koordinationsleistung kann daher schwerlich auf dem Kapitalmarkt bzw. durch den Zinssatz allein erbracht werden, insbesondere wenn daneben keine Zukunftsmärkte existieren. Hier trifft die oben aus Morgenstern ( 1935) abgeleitete Kritik an der vorausgesetzten Informations22 Vgl. Hayek (1986a, 162 und 1986b).
S.l Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
66
funktion von Preisen ohne Märkte zu. Der Versuch, ein intertemporales Gleichgewichtspreissystem auf die Erfüllung einer einzigen kritischen Gleichgewichtsbedingung zu reduzieren, stellt insofern einen Schwachpunkt dieser Analyse dar. 23 Rekonstruiert man intertemporales Gleichgewicht mit vollkommener Voraussicht für eine Naturalwirtschaft, so muß es sich beim Gleichgewichtszins um einen Güterzins handeln. 24 Um diesen Gleichgewichtszins auf den Geldzins einer Geldwirtschaft beziehen zu können, ist nun wiederum von der idealtypischen Naturalwirtschaft auf eine Wirtschaft des neutralen Geldes überzugehen. Hayek stellt fest, daß es beim Gleichgewichtszins einer Geldwirtschaft um den "nicht durch monetäre Einflüsse modifizierten, aber selbstverständlich nur für das in Geldform gehandelte Kapital gezahlten Zins ..." ( 1929a, 120) geht. In diesem Sinne soll der Gleichgewichtszins garantieren, daß an Kreditnehmer gerade soviel an Kaufkraft im Wege der Finanzintermediation übertragen wird, wie auf der anderen Seite Konsumenten als Kreditgeber bereit sind, auf die Widmung der Kaufkraft ihres Einkommens für Konsumzwecke zu verzichten. Wie noch näher auszuführen sein wird, begründet jedoch in der Geldwirtschaft die Möglichkeit der Geldschöpfung die für Hayeks Theorie zentrale Quelle einer Abweichung des Geldzinses von seinem Gleichgewichtswert, und damit des Kreditangebotes von der Höhe der freiwilligen Ersparnisse. Von dieser Perspektive aus kann der analytische Kern der sog. Hayek-Sraffa-Kontroverse behandelt werden. 26 Hierin kritisiert Sraffa das Konzept eines einheitlichen natürlichen (bzw. Gleichgewichts- )Zinssatzes in einer nicht-stationären Tauschwirtschaft. Ohne Geld existiere nur im (stationären) Gleichgewicht26 ein einheitlicher Zinssatz, außerhalb dieses Gleichgewichts aber gäbe es soviele natürliche Zinssätze wie Güter (Sraffa 1932a, 49). Der natürliche Zins wird hiebei mit einem sog. Eigenzins 27 identifi23 Siehe hiezu auch die Kritik in Leijonhufvud (1968, 224ff.). 24 Vgl. hiezu Arrow (1964, 1975) und Nagatani (1975). 25 Vgl. zur Hayek-Sraffa-Kontroverse Milgate (1979), Desai (1982), McCloughry (1982) und Lachmann (1986), die m.E. die Konaietenz von Hayeks Argumentation durchweg• unterschätzen. 26 Während eich Hayek auf intertemporalee Gleichgewicht bnieht, ist für Sraffa Gleichgewicht mit etationärem Zuetand identiech; Vil. Milgate (1979) . Dies erklärt eini~te der folgenden Mißverständnisse. 27 Das Konzept wird von Keynes (1936, ch.17) wiederaufgenommen; siehe unten 4.3.3.
56
3. F.A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
ziert. Hayeks Bedingung für neutrales Geld beinhalte daher einen Widerspruch, denn außerhalb eines stationären Gleichgewichts existiere kein einheitlicher Wert für den natürlichen Zins, dem der Geldzins gleichzusetzen sei. Wohl wäre es möglich, aus der Vielzahl unterschiedlicher Eigenzinssätze durch Wahl eines Index eine Art "Realzins" zu konstruieren, aber auch das helfe nicht weiter, da dann der Wert des Gleichgewichtszinses vom gewählten Index abhängt (Sraffa 1932a, 51). Dieses Gegenargument hat Hayek bereits bei der Diskussion von Wiekseils "in-natura"-Definition zurückgewiesen, da "... sich ein einheitlicher Preis für Leihkapital nur in der Geldwirtschaft bilden kann ..." (Hayek 1929a, 125); nun bekräftigt er gegen Sraffa, daß (in der Naturalwirtschaft) die verschieden hohen Eigenzinssätze ein Gleichgewicht darstellen können (Hayek 1932b, 245). Trotz seiner scheinbaren Paradoxie ist dieses Argument einfach nachzuvollziehen: Für eine Naturalwirtschaft mit vollständigen Zukunftsmärkten muß in einem Wettbewerbsgleichgewicht eine Arbitragebedingung erfüllt sein, wonach das Ergebnis eines Kaufkrafttransfers unabhängig davon ist, über welche Märkte er effektuiert wird. Daher implizieren Änderungen der relativen Preise zwischen den einzelnen Zeitpunkten auch notwendigerweise unterschiedliche Eigenzinssätze. Trotz Erfüllung dieser Arbitragebedingung ist die Wahl eines Gutes zur Bestimmung des natürlichen Zinssatzes willkürlich. Für die Geldwirtschaft wird dieser numeraire als Recheneinheit durch Geld ersetzt, ohne daß es annahmegemäß zu einer Änderung der ursprünglichen Struktur der relativen Preise kommt. Ist nun der Zeitpfad des Geldpreisniveaus (für ein Gut oder einen Index) festgelegt, so ist auch der Gleichgewichtswert für den Geldzins eindeutig fixiert. Hayeks Beweisführung ist aus dieser Sicht logisch unangreifbar. Es ist aber anzumerken, daß mit dem Ersetzen des Sachkredits durch den Geldkredit die entsprechenden Zukunftsmärkte verschwinden; aus der Arbitragebedingung, die für tatsächlich existierende Märkte abgeleitet worden ist, wird nun die ungleich restriktivere Bedingung, 28 daß - mit der notwendigen Voraussetzung vollkommener Voraussicht - alle Spekulationsgewinne verschwinden. Zudem zeigt für dieses Gleichgewichtssystem das Gedankenexperiment einer Änderung des vorgegebenen Preisniveaupfades die Gültigkeit des sog. Fisher-Theorems. Der Preisni28 Insofern als hier, aber nicht bei vollständigen Märkten, die erwähnte Kritik von Morgenstern an vollkommener Voraussicht &utrifft.
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
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veaupfad bestimmt den Gleichgewichtsgeldzins, insofern als eine höhere Wachstumsrate der Geldpreise cet. par. im gleichen Ausmaß den Gleichgewichtszins erhöht. Unter diesem Gesichtspunkt legt nicht die Gleichgewichtsbedingung für den Geldzins gleichzeitig das monetäre Regime (bzw. den Preisniveaupfad) fest, sondern es gilt umgekehrt der Gleichgewichtszins nur jeweils für ein bestimmtes monetäres Regime. Dies bestätigt eine u.a. von Sraffa29 vorgebrachte Invarianzthese: Vorausgesetzt, daß sich der jeweilige Gleichgewichtsgeldzins einstellt, ist neutrales Geld mit jedem Preisniveaupfad (bzw. jedem monetären Regime) vereinbar; die Bedingung des neutralen Geldes kann daher nichts zur Bestimmung einer geeigneten (neutralen) Geldpolitik beitragen. Dies widerspricht Hayeks Vorstellungen, der für geldpolitische Abstinenz und einen hiedurch bestimmten Wertstandard eintritt. 30 Die Eigenschaften eines intertemporalen Preissystems können ohne weiteres für eine Wirtschaft mit n Gütern und 2 Perioden (Gegenwart und Zukunft) illustriert werden: Zuerst sind die relativen Preise bzw. die Eigenzinssätze zu definieren. O.B.d.A. kann das Gut "n" als numeraire gewählt werden, und man definiert pit als den relativen Preis von "i" in Einheiten von "n" in der Periode t (i = 1 ... n; t = 1, 2); pit sind die Einheiten von i, -~ie man in der Periode t für eine Einheit von n erhält. Für die Anderungsrate des relativen Preises von i gegenüber dem numeraire von Periode 1 auf Periode 2 gilt: 11"i pi2 - pil)/ pil. Der Eigenzinssatz ri gibt an, wieviele Einheiten von i der Periode 1 gegen eine Einheit i der Periode 2 eingetauscht werden können.
=(
Existieren alle 2n Märkte (für Gegenwarts- und Zukunftsgüter) bzw. gelten die 2n-l Gleichgewichtspreise, so verlangt die Arbitragebedingung, daß das Austauschverhältnis zwischen zwei Gütern unabhängig von den benützten Märkten sein muß. Daher muß gelten: 31
'n = ( 1+1ri)ri,
alle i (1rn
=0).
Mit 11"i f: 11"j (alle i f: j) existieren n verschiedene Gleichgewichts-Eigenzinssätze r.; nur im stationären Gleichgewicht mit 11"i = 0 (alle i) existiert ein 1 einheitlicher Zinssatz ri = r. 29 Vgl. die ähnliche These von Myrdal; siehe oben 2.2.2. 30 Siehe unten 3.1.5.
31 Im folgenden ber:eichnen die Symbole Gleichgewichtswerte; die Existent: eines Gleichgewichts mit sinnvollen Werten für die Variablen muB vorausgesett:t werden.
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3. F .A. von Hayeks Theorie der Geldwirtschaft
Für die Bestimmung eines äquivalenten Geldpreissystems ist o.B.d.A. pnl = 1 zu setzen bzw. die Änderungsrate für den Geldpreis des numeraire vorzugeben: pn2 = ( 1+~)pn1, ~ > -1. Es werden die gleiche Austauschrelationen 7ri und ri wie oben vorausgesetzt, die nunmehrige Nullgewinn-Bedingung für Spekulation liefert: ( 1+~)rn
= ( 1+~)( 1+1r.)r. = rm, 1 1
rm ist der (Gleichgewichts- )Geldzins. Der Parameter J.' bestimmt den Pfad des Geldpreisniveaus, für gegebenes ~ = J.'o legen die Bedingungen des intertemporalen Gleichgewichts auch bei unterschiedlichen ri einen einheitlichen Gleichgewichtswert rm fest. Veränderungen der Inflationsrate ~ schlagen pari passu auf rm durch. Anderseits bleibt auch in der Geldwirtschaft (außer im stationären Gleichgewicht) der Gleichgewichtsrealzins ein von der Wahl des Index abhängiger Wert. Das schlagende Argument Hayeks gegen Sraffa kann somit derart zusammengefaßt werden, daß der relevante Gleichgewichtszins einer Geldwirtschaft ein Geldzins ist, nicht ein impliziter Realzins.
Die Erfüllung der obigen Bedingungen, d.h. die Realisierung des Gleichgewichtszinses, ist allerdings in einer Geldwirtschaft prekär. In Hayeks Analyse ist der Kapitalmarkt der entscheidende Ansatzpunkt, da das über den Bereich der Finanzintermediation vermittelte Angebot nicht mehr mit der realen Ersparnis übereinstimmen muß (Hayek 1929a, 35). Wird aber durch Geldschöpfung mehr an Kredit für Investitionen vergeben, als von den Haushalten freiwillig zur Verfügung gestellt worden ist, so bedeutet dies eine Abweichung des herrschenden Geldzinses von seinem Gleichgewichtswert Somit entsteht ein intertemporales Ungleichgewicht. Hiedurch sind die (künftigen) Pläne von Produzenten und Konsumenten nicht länger vereinbar (siehe Hayek 1928, 50 und 62). Der im Vergleich zum intertemporalen Gleichgewicht "falsche" herrschende Preis (der Geldzins) hat, wenn auch in der Gegenwart die laufenden Pläne noch aufeinander abgestimmt sind und Markträumung gewährleistet ist, wie jedes Ungleichgewicht zur Folge, daß die auf die Zukunft gerichteten Pläne auseinanderfallen und somit Erwartungen enttäuscht werden müssen. Während demnach das intertemporale Gleichgewicht durch vollkommene Voraussicht gekennzeichnet ist, kommen im Ungleichgewicht neben falschen Preisen auch fehlgeleitete Erwartungen
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
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zustande. In einer späteren Arbeit bezeichnet Hayek sogar die falschen Preise als Ursache der Erwartungsfehler: "... [some] constellations of prices ... will create expectations inevitably doomed to disappointment" (Hayek I 935a, I 40); so z.B., wenn sich Unternehmer an den gegenwärtigen Preisen (oder Zinssätzen) für die Zukunft orientieren und das gegenwärtige Kapitalangebot extrapolieren (ib., 142). 32 3.1.4 Intertemporales Ungleichgewicht in der Geldwirtschaft
An dieser Stelle ist es angebracht, über den methodischen Charakter des Hayekschen Ungleichgewichts zu reflektieren. Offensichtlich wird, wenn auch der entsprechende Gleichgewichtsbegriff exakt definiert ist, der Begriff des Ungleichgewichts durch bloße Negation nicht ausreichend bestimmt. Intertemporales Gleichgewicht bezeichnet eine Situation geräumter Märkte und sich erfüllender Erwartungen, die mit den Ergebnissen der tauschwirtschaftliehen Allokation übereinstimmt. Im intertemporalen Ungleichgewicht stellt sich hingegen (aufgrund monetärer Einflüsse) ein vom intertemporalen Preissystem abweichender Preis ein, durch den die gegenwärtigen Märkte wohl geräumt, die Erwartungen von Produzenten und Konsumenten bezüglich der intertemporalen Abstimmung von Produktion und Konsumtion jedoch unvereinbar werden. Entscheidend ist, daß - käme nur in der Ausgangssituation der richtige Preis zustande - der Zustand des Gleichgewichts bzw. eines neutralen Geldes noch immer erreichbar ist. Dies ist etwa der oben erwähnten Konzeption einer Geldwirtschaft von Myrdal gegenüberzustellen, in der das allenfalls als fiktive Referenz dienende Gleichgewicht der Naturalwirtschaft keinesfalls mehr erreicht werden kann. Ebenso übersieht Hayek die Möglichkeit, daß für eine Geldwirtschaft ein Markträumungsgleichgewicht mit vollkommener Voraussicht existiert, es aber nicht die idealtypische Allokation erbringt. 33 Die vorhergehende Interpretation von Ungleichgewicht als eines falscher intertemporaler Preise wird von Hayeks Aussagen eindeutig bestätigt. Er verwendet in der theoretischen Analyse die 32 In diesem Beitrag fordert Hayek auch die Entwicklung einer Theorie der Erwartungabildung (1935a, 166). 33 Und daher die geforderten Effir.ienr.eigenachaften nicht aufweist; für neuere Ansätze siehe unten 6.4.
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3. F .A. von Hayeks Theorie der Geldwirtschaft
Situation des neutralen Geldes stets als Referenzzustand. Ungleichgewichte und Konjunkturschwankungen werden als Folge des Abweichens des Geldzinses vom - nur im intertemporalen Gleichgewicht definierten - natürlichen Zins angesehen. An einer besonders markanten Stelle heißt es hiezu: Eine zureichende Erklärung jenes 'natürlichen' Zinssatzes ist ... die unerläßliche Grundlage ... für das Verständnis der Wirkungen, die von jedem tatsächlich bestehenden Zinssah auf die Wirtschaft ausgehen . ... [J]ede Erklärung jener Zinssätze, die nicht den Zusammenhang mit jenem fiktiven Gleichgewichtszins herstellt, [müßte] völlig in der Luft hängen. (Hayek 1929a, 118)
Aber die Vorstellung einer Abweichung setzt zumindest die logische Existenz (bzw. Bestimmbarkeit) dessen voraus, wovon die Abweichung erfolgt - dies ist nur mit der oben gegebenen Interpretation vereinbar, wonach der richtige Preis (Zins) die intertemporale Koordination wiederherzustellen imstande ist. Dieselbe Argumentationsfigur spiegelt sich in einem Zitat aus Hayeks Kapitaltheorie (1941 , 408): [M]oney by its very nature constitutes a kind of loose joint in the self-equilibrating apparatus of the price mechanism which is bound to impede its working.
So lose diese Verbindung durch Einführung von Geld auch werden mag, für eine widerspruchsfreie Aufrechterhaltung der obigen Sichtweise von intertemporalem Un~leichgewicht darf die Verbindung jedenfalls nicht verloren gehen. 4 •35 Das Problem dieses Ansatzes liegt somit darin, ob überhaupt ein interessantes, Facetten der Wirklichkeit widerspiegelndes Modell einer Geldwirtschaft existiert, das einen solchen Bezug zum Gleichgewicht der idealtypischen Naturalwirtschaft zuläßt. Jedenfalls formulierte Hayek selbst: ... daß die Aufgabe der Geldtheorie ... in nichts weniger besteht, als in einer Neubearbeitung des ganzen Feldes, das von der reinen Ökonomie unter der Voraussetzung des Naturaltausches behandelt wird, wobei sie zu untersuchen hat, welche Änderungen gegenüber den Ergebnissen der reinen Ökonomie sich als Folge der Einführung des indirekten Tausche• ergeben. (Hayek 193la, 119)
Für Hayek ist demnach die Wirtschaft des neutralen Geldes nicht geeignet, eine aktuelle Geldwirtschaft adäquat zu beschreiben; die grundlegende Frage, inwiefern in einer adäquaten Geld34 Insofern 1cheint mir auch der Versuch von Garriaon (1984) gescheitert, die neo-österreichische Theorie in eine Zwischenetellung swiachen Monetarismus, der intertemporales Gleichgewicht als Beschreibung der Realität akzeptiert, und Keynesianismua, der dies ablehnt, zu manövrieren. 35 Die Frage der Erreichbarkeit dee vollständigen Gleichgewichts durch Marktprozesse, d ie Hayek zunehmend beschäftigt hat, wird unten (3.3) behandelt.
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
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theorie noch Platz für die Naturaltauschfiktion des neutralen Geldes sein kann, bleibt offen.36 Es ist nun zu fragen, inwiefern sich intertemporales Ungleichgewicht in der Geldwirtschaft im Grunde von jenem in der Naturalwirtschaft unterscheidet bzw. ob die hinzukommende Möglichkeit einer monetären Störung auch den Charakter der Ungleichgewichtssituation derart zu verändern vermag, daß nur hiedurch - wie vorausgesetzt - in der Geldwirtschaft Konjunkturschwankungen in Gang gesetzt werden. 37 Hayek gibt eine Antwort, indem er sich an verschiedenen Stellen auf die Frage nach der Tendenz zu intertemporalem Gleichgewicht bezieht. Um die Interpretation zu erleichtern, wird hiebei vorweg (in moderner Terminologie) zwischen realen und monetären Störungen unterschieden, welche jeweils zu Anpassungen des Wirtschaftssystems führen. Per definitionem können für die idealtypische Naturalwirtschaft bzw. eine Wirtschaft des neutralen Geldes keine monetären Störungen existieren, sondern bloß reale (wie Änderungen von Zeitpräferenz und -produktivität), in einer nicht-neutralen Geldwirtschaft beide. Der Naturalwirtschaft schreibt Hayek nun die Eigenschaft einer Tendenz zum Gleichgewicht zu . Hat eine reale Störung eine Änderung der Konstellation des intertemporalen Gleichgewichts zur Folge, so paßt sich das System in Richtung auf dieses neue Gleichgewicht an (siehe Hayek 1928, 38). Dem wird das Verhalten einer (nicht-neutralen) Geldwirtschaft gegenübergestellt - es wirken dort monetäre Störungen, die eine Anpassung der Wirtschaft veranlassen, obwohl sich das (nur von den realen Faktoren bestimmte) Gleichgewicht gar nicht geändert hat; die Anpassung ist "wirtschaftlich funktionslos" (ib., 62). Außerdem fehlt nun eine unmittelbar zum Gleichgewicht zurückführende Tendenz, denn im Gegensatz zur Naturalwirtschaft kann die Geldwirtschaft in einem Ungleichgewicht verharren: ... the body of existing pure economic theory demonstrates that, so long as we neglect monetary facton , there ie an inherent tendency toward an equilibrium of the economic system; and ... monetary factors may bring about a kind of disequilibrium
36 Siehe hie~u Hayeke Kritik an der Keyneeachen "Treatiee", diese vernachlässige " ... those fundamental theoreme of 'real' economice on which alone any monetary explanation can be auccesafully built" (Hayek 1931c, 270); auch in einer späteren Arbeit findet eich dae Kon~ept einee "real equilibrium ... dietorted by monetary changes" (Hayek 1969e, 178). 37 Vgl. ~u dieser These Hayek (1929a, 17ff.).
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3. F .A. von Hayeke Theorie der Geldwirtschaft
in the economic ayetem, which could not be explained without recouree to these monetary factore. (Hayek 1932b, 238}38
Dies gilt natürlich auch für in der Geldwirtschaft wirkende reale Störungen, eine unmittelbar auf Wiederherstellung von Gleichgewicht gerichtete Anpassung ist nicht gewährleistet. Anzumerken bleibt, daß die beschriebene These von der Tendenz zum Gleichgewicht in der nicht von Geld gestörten Wirtschaft für Hayek hier offenbar apriorischen Charakter besitzt, d .h. keiner weiteren Begründung bedarf. 39 In dieser Sicht ist Konjunkturerklärung nur durch Aufgabe der Naturaltauschfiktion möglich. Die Naturalwirtschaft bzw. die neutrale Geldwirtschaft ist nach dem oben Gesagten konjunkturlos - sie reagiert auf Änderungen von Variablen, die die Lage des intertemporalen Gleichgewichts verschieben, 40 mit unmittelbarer Anpassung. Konjunkturen sind daher erst außerhalb der "strengen Interdependenz und Geschlossenheit des Gleichgewichtssystems" (Hayek 1929a, 14) faßbar, denn nur "die Theorie der einseitigen Wirkungen [des Geldes] vermag ... Vorgänge zu erklären, die in dem naturalwirtschaftliehen Gleichgewichtssystem undenkbar sind, wie eben jene disproportionalen Entwicklungen, die Krisen hervorrufen" (ib., 56). Nochmals ist zu betonen, daß diese Schlußfolgerung auf der für die Naturalwirtschaft vorausgesetzte Tendenz zum Gleichgewicht beruht. Da Hayek neutrales Geld nicht bloß mit dem Nichtvorhandensein monetärer Einflüsse gleichsetzt, sondern auch mit der Abwesenheit (bzw. Überwindung) aller anderen Friktionen - so z.B. der Ausschaltung von Erwartungsfehlern -, ist es allerdings nicht einsichtig, inwiefern solche Friktionen unbedingt mit der geldwirtschaftlichen Organisation verknüpft sein müssen. Dieser Einwand ist umso schlagender aufgrund der Einsicht, daß z.B. (ohne ausreichende Anzahl informationsvermittelnder Märkte) aus einem "richtigen" Gleichgewichtspreis (Zins) nicht die Gleichgewichtspreise der Zukunftsgüter erschlossen werden können. Im folgenden ist auf Eigenschaften und Ursachen möglicher Nicht-Neutralitäten einzugehen. Im idealtypischen Fall des neutralen Geldes kann der Zinssatz gemeinsam mit vollkommener Voraussicht die Produktions- und Konsumtionspläne so koordi38 Siehe auch Hayek (1929a, 47), Hutebison (1963, 246) und Frisch (1977). 39 Siehe jedoch unten 3.3.1. 40 Im neueren Sprachgebrauch: "fundamentale".
8.1 Intertemporalee Gleichgewicht und Geldwirtschaft
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nieren, daß Schwankungen des Sparens oder Investierens bzw. von Zeitpräferenz oder Zeitproduktivität ieweils zu einem neuen intertemporalen Gleichgewicht führen. 1 Die Wirkungen der Bildung freiwilliger Ersparnisse entsprechen hier jenen, die die reine Zinstheorie für den Fall voraussagt, daß "das Sparen nicht in Geldform, sondern in natura erfolgte" (Hayek 1931a, 52) - die Ersparnis führt als Konsumverzicht zur Widmung der freiwerdenden Ressourcen für die Realkapitalbildung. Durch die Annahme vollkommener Voraussicht verschwinden auch die durch zeitliche Verzögerungen mit einer Erhöhung der Ersparnis verbundenen Friktionen, die Möglichkeit von "Irrtümern in der Zeit" (Fanno 1933); vielmehr werden sich "Verminderung von Konsum und Verminderung der Konsumgüterproduktion ... synchronisieren" (Hayek 1931a, 85Fn.) können. Die Ursache von Fehlanpassungen und Konjunkturschwankungen liegt in der nicht-neutralen Organisation des Geldwesens begründet. Demgegenüber scheiden Schwankungen der Ersparnis aus methodischen - wegen der vorausgesetzten Tendenz zum Gleichgewicht - bzw. aus empirischen Gründen (Hayek 1935a, 143) als Konjunkturerklärung aus. Die entscheidende Nicht-Neutralität kommt zustande, weil einander Angebot und Nachfrage von Realkapital auf dem Markt nicht unmittelbar gegenüberstehen, sondern unter der Vermittlung des Bankensystems "Kapital nur indirekt in der Form von Geldkapital gehandelt" (Hayek 1929a, 35) wird. Da jede Kreditvergabe i.d.R. eine Schaffung von Zahlungsmitteln bedeutet, bildet dies den Einfallsweg für von der Geldseite herrührende Störungen. Die Banken werden somit zu mehr als bloßen Maklern, die "den börsenmäßigen Verkehr in Ersparnissen" (ib., 112) vermitteln; das Angebot von Ersparnissen kann nun durch Geldschöpfung vermehrt bzw. durch Geldvernichtung vermindert werden. Dies bewirkt einen monetären Einfluß auf die Zinsbildung, sodaß der von den Banken festgesetzte Geldzins vom Gleichgewichtszins als eine durch "Veränderungen der Geldmenge" hervorgerufene "Fälschung der Preisbildung" (ib., 76) abweichen kann. Die Begründung für die Automatik, mit der monetäre Störungen auf dem Kreditmarkt produziert werden, besteht in der Organisation des Bankensystems. Dieses reagiert nicht unmittelbar auf Änderungen der Spar- und lnvestitionspläne, sondern erst wenn 41 Siehe unten (3.2.1) für die entsprechenden komparativ-statischen Experimente.
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3. F.A. von Hayeke Theorie der Geldwirtachaft
sich diese in einer Veränderung der Liquiditätsposition niederschlagen (Hayek 1929a, 103). Typischerweise werden solche Abweichungen des Geldzinses vom Gleichgewichtswert nicht durch exogene Schwankungen des Geldzinses hervorgerufen, sondern umgekehrt weil der Geldzins Schwankungen im natürlichen Zins (z.B. nach einer Verbesserung der Ertragserwartungen) erst mit einer Verzögerung nachfolgt (ib., 80f.). 42 Hiedurch werden jedenfalls auf dem Kapitalmarkt falsche Preissignale gesetzt, welche über eine Fehlleitung der Produktion zu inkonsistenten intertemporalen Dispositionen führen - das konjunkturtheoretische Fazit bildet der unten zu beschreibende "Hayek-Zyklus". Unmittelbar hat dies die Finanzierung übermäßiger Investitionen durch "erzwungenes Sparen" zur Folge, indem die inflationistische Geldschöpfung den Realwert des Konsums senkt. Im gegenteiligen Fall einer Geldvernichtung bleiben Akte neuer Ersparnis wirkungslos und werden aufgrund der Fehlreaktion des Bankensystems zu bloßem Horten - eine Gefahr, die besonders von der zeitgenössischen britischen Konjunkturtheorie betont wurde (vgl. z.B. Robertson 1928). Die hiebei entstehende Version eines Sparparadoxons ist ohne weiteres mit dem Hayekschen Ansatz vereinbar (wenn es auch für seine Konjunkturerklärung ohne Belang bleibt), letztlich ist hier nicht die Ersparnis, sondern die unzureichende monetäre Organisation das Übel. Hayek geht somit bei der Begründung der nicht-neutralen Geldwirtschaft von der Existenz eines entwickelten, zur Geldschöpfung befähigten Bankensystems aus, ohne jedoch jene institutionellen Faktoren (als "Friktionen") zu isolieren, die ein solches Bankensystem begründen bzw. seine Lebensfähigkeit aufrechterhalten. Ein Ansatzpunkt läge z.B. in den aus der Natur von Kreditgeschäften folgenden hohen Informations- und Transaktionskosten, die einerseits das Fehlen von Zukunftsmärkten, anderseits die Effizienzvorteile spezialisierter Finanzintermediäre erklären könnten. Dieses Versäumnis wird an anderer Stelle vital, wenn Hayek argumentiert, dem geschilderten Stabilitätsnachteil, der Anfälligkeit für Konjunkturen, stehe ein - für die wirkliche Wirtschaft unentbehrlicher - Effizienzvorteil der Organisation durch Finanzintermediäre gegenüber. Denn durch die Informations- und Kostenvorteile der Intermediäre werden dem Kapital42 Hayeks Erklärung der Abweichungen des Geldzinses lehnt sich hier an jene Wicksells an; siehe oben 2.1.2.
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
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markt mehr Sparmittel zugeführt, als dies alternative Organisationsformen vermöchten. Konjunkturschwankungen sind "der Preis des Fortschritts [d.h. von Wachstum, H.K.] ... , Stabilität der Wirtschaft müßte damit erkauft werden, daß der Zins ... dauernd höher stände, als dies sonst der Fall wäre, und dadurch der technische Fortschritt verlangsamt würde" (Hayek l929a, 111 f.). 43 Diese Rechtfertigung folgt weitgehend ähnlichen Argumenten Schumpeters ( 1912). Ihr Mangel besteht darin, daß hier Hayek selbst die wirkliche Geldwirtschaft nicht mit dem Idealtypus, in welchem die Finanzintermediation funktionslos wäre, sondern mit einer hievon abweichenden Wirtschaft ohne Finanzintermediation vergleicht. Gerade wenn dies sinnvoll und der von Hayek beschriebene Effizienzvorteil relevant ist, dann wird das Anknüpfen an eine idealtypische Naturalwirtschaft und deren Gleichgewichtszins zu einem - auch für die bloße theoretische Analyse dubiosen Anspruch. 3.1.5 Neutralität als Norm der Ge/dpolitik?
Da die Ursache von Ungleichgewicht und Konjunkturzyklen in Geldschöpfung bzw. -vernichtung (oder Horten bzw. Enthorten) gesehen wird, liegt die Frage nahe, ob diesen schädlichen Einflüssen nicht durch eine aktive Geldpolitik begegnet werden könnte. Einer solchen "Neutralisierungspolitik" müßte es darum gehen, die Erfüllung der den monetären Bereich betreffenden Neutralitätsbedingungen sicherzustellen. Hayek verweist in diesem Zusammenhang auf den Mengerschen Begriff des "inneren Geldwertes", dessen Stabilisierung von der Geldseite herrührende Störungen des Wirtschaftsablaufes ausschaltet (Hayek 1929a, 62; 193la, 30). Er drückt ähnliches durch den Begriff der "effektiven Zirkulation"44 aus; definitionsgemäß ist deren Änderung gleichbedeutend mit einer der nominellen Güternachfrage bzw. in Keynesscher Terminologie mit einem Überschuß (Defizit) der Investition relativ zur Ersparnis. Die effektive Zirkulation entspricht daher - in einer aggregierten Version - dem geplanten Geldstrom MV, d.i. der linken Seite der Quantitätsgleichung. Die Vermeidung monetärer Störungen könnte 43 Siehe auch Hayek (1928, 66) sowie die r.eitgenöaaischen Kreditechöpfungslehren, r..B . L.A. Hahn (1920). 44 Siehe unten 4.1.6.
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3. F .A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
durch Stabilisierung dieser Größe und damit des Nominaleinkommens erreicht werden. Wiederum ist hier angesichts der in der Diskussion der Hayek-Sraffa-Kontroverse abgeleiteten Invarianzthese zu modifizieren, daß es eigentlich nicht um Stabilisierung geht, sondern darum, die Konsistenz des geplanten Geldstromes mit dem erwarteten Preisniveaupfad herzustellen. Mit den praktischen Mitteln, die der Zentralbank zur Verfügung stehen, gestaltet sich die Verwirklichung des Neutralisierungszieles jedoch äußerst schwierig. Als Ansatzpunkt der Geldpolitik kann eine Geldmengengröße dienen - deren Stabilisierung darf aber nicht mit der Stabilisierung der effektiven Zirkulation gleichgesetzt werden. Ein erstes Problem stellt die Existenz von "Geldersatzmitteln" (Hayek 193Ia, 107) dar, die - wie z.B. umlaufende Handelswechsel - neben dem von der Zentralbank zu steuernden Aggregat existieren und ein Ausweichen auf zusätzliche Tauschmittel ermöglichen (ib., 106ff.; siehe auch Hayek 1928, 66). Eine Stabilisierung der relevanten Umlaufgrößen müßte zumindest auch die Bankkreditmenge umfassen, deren direkte Kontrolle aber nur durch eine völlige Umgestaltung des Intermediationssystems (z.B. im Sinne des sog. "Chicago-Planes" einer 100%-Reserve) erreicht werden könnte, was Hayek (1929a, 11lf.) jedoch ablehnt. Weitere Schwierigkeiten entstehen aus anderen Schwankungen des Geldbedarfs, die befriedigt bzw. kompensiert werden müssen, um nicht zur Quelle eines Ungleichgewichts zu werden. Beispiele hiefür sind Änderungen im Ausmaß der vertikalen Integration bzw. Schwankungen der Umlaufsgeschwindigkeit (Hayek 1931a, ll2ff.). Selbst damit sind erst die auf der Ebene der Aggregate auftretenden Probleme erwähnt, ebenso wichtig sind aber die qualitativen oder Verteilungseffekte. Auch wenn es gelingt, den angeführten Schwierigkeiten zu begegnen, z.B. eine Erhöhung des Kassenhaltungskoeffizienten durch eine Erhöhung der Geldmenge quantitativ zu kompensieren, ist es keineswegs gewährleistet, ja nach Hayek kaum möglich, die neu geschaffene Geldmenge richtig zu lokalisieren (ib., I 16f.). Dies gilt umso mehr, als im beschriebenen Geldsystem der Kapitalmarkt jene Stelle ist, an der neues Geld in Umlauf gesetzt wird. Findet nun geplantes Horten nicht unmittelbar zuungunsten der (kapitalmarktwirksamen) Ersparnis statt, so erzeugt der Versuch, dieses Horten zu kompensieren, selbst wiederum Verteilungseffekte und senkt z.B. den Geldzins. Es ist noch zu ergänzen, daß auch reale Störungen (z.B.
3.1 Intertemporales Gleichgewicht und Geldwirtschaft
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Angebotsschocks) trotz einer Neutralisierung im Aggregat Ursache von Verteilungseffekten sein können, wie dies von Koopmans ( 1933, 288ff.) anhand der Preisniveaueffekte solcher Störungen diskutiert wird. 46 Hayek zieht aus diesen Komplikationen zwei Schlußfolgerungen: Zum ersten, daß es niemals mit den Mitteln der Geldpolitik möglich sein wird, die Nicht-Neutralität einer Geldwirtschaft gänzlich zu beseitigen (Hayek 1929a, 110; 193la, 118). Die Bedingung, daß Geldzins und Gleichgewichtszins einander entsprechen, kann nicht direkt garantiert werden, da "der Gleichgewichtszins ... nie festgestellt werden kann" (Hayek 193la, 117) - eine wohl auch für die Bedeutung dieses Konzepts als Referenznorm ominöse Feststellung! Ebensowenig kann dieser Ausgleich durch aktive Geldpolitik hergestellt werden, da es an theoretischem Wissen (ib., 118) mangelt; der spätere Hayek hätte außerdem auf das noch kritischere Problem des fehlenden konkreten Wissens über die Daten des Problems verwiesen. Daraus ist die zweite Schlußfolgerung abzuleiten: die Befürwortung einer Maxime der geldpolitischen Abstinenz. Da jede Veränderung der Geldmenge seitens der Zentralbank selbst geeignet ist, jene Störungen hervorzurufen, die sie zu bekämpfen trachtet, besteht die "zweitbeste" Lösung in der Aufrechterhaltung einer unveränderlichen Geldmenge. 46 Damit wird ein unvermeidliches Ausmaß an Nicht-Neutralität akzeptiert, das durch die erwähnten Komplikationen automatisch geschaffen wird - angesichts der Gefahr, daß die Kur sonst schlimmer wäre als die Krankheit. Die diesbezügliche Empfehlung gilt sowohl im konjunktur- als auch im wachstumstheoretischen Kontext: Im ersteren heißt es einerseits der Versuchung zu widerstehen, einen beginnenden Aufschwung durch Ausweitung der Geldmenge zu finanzieren - dahinter steht die Sicht des "Wiener Theorems", das Ausmaß der unvermeidlich folgenden Krise korreliere mit jenem der vorangegangenen Hochkonjunktur (siehe Starbatty 1985, 93); ebenso wird anderseits die Bekämpfung einer Depression durch expansive Geldpolitik abgelehnt (Hayek 1929a, 112f.; 1931a, 117f.). Hayek argumentiert noch angesichts der Krise der 30er-Jahre, die Dauer
46 Für eine ausführlichere Danteilung siehe Klauainger (1985a, 42ff.). 46 Für eine polit-ökonomiache Begründung dieaer Regel siehe Hayek (1960, 336).
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der US-amerikanischen Depression sei die Folge einer unangemessen expansiven Geldpolitik (Hayek 1932c).47 Im wachstumstheoretischen Kontext stellt sich die Frage nach der Rolle der Geldpolitik unter dem Titel des "monetären Standards".48 Hier bedeutet Hayeks Vorschlag ein mit dem Wachstum der Wirtschaft bzw. mit technischem Fortschritt einhergehendes Sinken des Preisniveaus. Diese Position wird von Hayek mit großer Konsistenz vertreten ( vgl. Hayek 1928, 52ff.; 1929a, 58ff. und 1931 a, I 0 I ff.). Die gleiche These hat bereits Davidson gegen Wiekseils Gleichgewichtsbedingung eines stabilen Preisniveaus vertreten 49 - jedoch muß die Beweisführung, daß in einer wachsenden Wirtschaft nur ein sinkendes Preisniveau die Wiekseiischen Bedingungen erfüllen kann , an der Invarianzthese scheitern. In der ausgedehnten Diskussion dieses Themas in den 30er-Jahren zählte u.a. Robertson 50 zu den Befürwortern eines sinkenden Preisniveaus, dem er neben der Vermeidung erzwungenen Sparens auch eine größere Verteilungsgerechtigkeit angesichts langfristig nominell fixierter Einkommen zuschreibt. Die am weitesten ausformulierte Gegenthese hiezu stammt von Harrod (vgl. u .a. Harrod 1934a,b, 1935; Robertson 1934b; Bode/ Haberler 1935). Er zeigt mittels eines Kreislaufmodells 61 , daß in einem Wachstumsgleichgewicht stabiles Preisniveau und Ausweitung der Geldmenge realisiert werden können, ohne eine Divergenz zwischen Markt- und Gleichgewichtszins bzw. Kapitalfehlleitungen auszulösen. Wird bei Wirtschaftswachstum ein stabiles Preisniveau erwartet, so bedingt dies eine mit dem Wachstum gleichlaufende Erhöhung der erwünschten Kassenbestände, die annahmegemäß die Nachfrage nach Wertpapieren verringert und eine Lücke zwischen der Investitionsnachfrage und dem Angebot von Ersparnissen auf dem Markt für Leihkapital entstehen läßt. In diesem Ausmaß ist die Geldmenge zu erhöhen, sodaß monetäres Gleichgewicht gesichert ist - die Geldschöpfung wird gerade durch das Horten der Haushalte absorbiert, und es stellt sich das erwartete stabile Preisniveau ein. Dieses Ergebnis bestätigt die In47 Zu diesem Widerspruch zwischen monetaristiachen und (neo- )österreichischen Beurteilungen der Geldpolitik in den 30er-Jahren vgl. Brunner (1981), Siegel (1984) und Gallaway/Vedder (1984) sowie Laidler (1986b). 48 Siehe ausführlicher in Klaueinger (1985a, 42ff.). 49 Vgl. zu dieser Kontroverse Myrdal (1933) und Thomae (1935). 50 Vgl. Roberhon (1928) und hiezu Samuelson (1963). 51 Für eine Rekonstruktion siehe Klauainger (1986a, 65ff.).
3.1 Intertemporalee Gleichgewicht und Geldwirtschaft
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varianzthese. 62 Hiefür ist ausschlaggebend, daß Geldschöpfung und Horten auf den Kapitalmarkt wirken, wodurch Verteilungseffekte ausgeschlossen werden. Nur hier kann die Hayeksche Gegenkritik ansetzen. Das verdeutlicht, daß Hayeks Ablehnung eines im Wachstumsprozeß stabilen Preisniveaus nicht auf einem (logisch begründeten) Unmöglichkeits-Theorem beruht, sondern auf der Beurteilung der praktischen Problemlage. Ihm scheinen demnach die zu erwartenden Nachteile preisverzerrender Verteilungseffekte der Geldschöpfung größer als jene Friktionen, die sich aufgrund der mangelnden Flexibilität mancher Preise (nach unten) ergeben - und die für andere Autoren eine Preisstabilisierungspolitik erstrebenswert machen. 63 Daneben existiert aus österreichischer Sicht natürlich noch die bekannte Kritik, daß kein allgemein akzeptierter, zu stabilisierender Preisindex existieren könne, da das Konzept des Geldwertes nur aus subjektivistischer Sicht sinnvoll zu interpretieren sei. 64 Hiezu ist noch eine letzte Anmerkung am Platze: Hayeks Plädoyer für geldpolitische Abstinenz machte ihn in den 30er-Jahren zu einem (skeptischen) Anhänger des Goldwährungssystems, das wenn regelgemäß angewendet - die Geldschöpfung der Diskretion der Zentralbank entzieht (Hayek 1931 a, 119f.; 1932c ). Er ist von dieser Position jedoch später zugunsten einer Preisstabilisierungsstrategie abgegangen, die automatisch, nicht aufgrund diskretionärer Geldpolitik zu realisieren sei - erst mittels einer Warenreservewährung (Hayek 1943), neuerdings mittels privater Währungskonkurrenz (Hayek 1976). Für letztere gelangt Hayek sogar zu der ganz "unösterreichischen" Aussage, private Währungskonkurrenz gewährleiste nicht bloß Preisniveaustabilität, sondern auch die Wahl des bestmöglichen Preisindex (ib., 58ff.).
62 Die uitgenöaaieche Diakussion von Harrod• Beitrag hat lU keiner Lösung geführt. Robertaon (1934b, 473f.) achreibt Harrod dieee Invarian1these zu, die er selbst für irrig hält, da sie auf die tautologische Interpretation von Gleichheit von Sparen und Investieren 1urückr.uführen sei. Harrod (1934b, 476f.) leugnet diee in seiner Replik, zieht jedoch die Invarianr.these zurück und behauptet die Möglichkeit monetären Gleichgewichte nur noch für ein stabiles Preisniveau. Bode/Haberler (1936, 76ff.) schließlich lehnen ee ab, das Horten der Haushalte auf die Anti1ipation der Preisniveauentwicklung zurückzuführen - ihre Argumentation wie auch jene der anderen Beteiligten leidet entschieden darunter, daß ee nicht gelingt, sich über den Gebrauch fundamentaler Termini ("Sparen", "Horten" etc.) lU verständigen. 63 Vgl. 1.B. Myrdal (1933) und Hansen/Tout (1933). 64 Insbesondere bei Miees, vgl. neuerdings Mou/McDonald (1981); zum Begriff des Subjektiviemue, eiehe unten 3.3.6.
70
3. F .A. von Hayeke Theorie der Geldwirtschaft
3.2 Hayeks monetäre Konjunkturtheorie Hayeks Zykluserklärung geht von der Dauerhaftigkeit bzw. der intertemporalen Konsistenz von durch unterschiedliche Formen des Sparens initiierter Kapitalbildung aus. Im Sinne der WicksellMises-Tradition der Konjunktur- bzw. Kapitaltheorie wird hiebei freiwilliges Sparen von anderen Quellen der Kapitalbildung unterschieden (Hayek 1939b, 159f.). Auch hier besteht implizit ein Bezug zu neutralem Geld, da die freiwillige Ersparnis die mit den Bedingungen des intertemporalen Gleichgewichts zu vereinbarende Kapitalbildung repräsentiert. Dagegen bezeichnet erzwungenes Sparen eine durch monetäre Faktoren bewirkte Erhöhung der Kapitalbildung über das Maß der freiwilligen Ersparnis hinaus und fungiert durch die Umlenkung der Ressourcen zu längeren Produktionsumwegen als Auslöser des konjunkturellen Aufschwunges (ib.).
3.2.1 Intertemporale Koordination ohne monetäre Störungen: Ein Modell zu Hayek ( 193Ja) Eine zentrale Aufgabe des Hayekschen Ansatzes besteht darin, die intertemporale Koordination von Produktion und Konsum bzw. die optimale Anpassung an Datenänderungen, z.B. der Zeitpräferenz (Sparen) oder der Zeitproduktivität (Investieren), darzustellen. Dies wird zuerst für die idealtypische Wirtschaft des neutralen Geldes bzw. für freiwilliges Sparen analysiert (vgl. Hayek 1931a, 75ff.). Geht man von einem stationären Gleichgewicht aus und nimmt z.B. die Zeitpräferenz ab, so bedeutet dies die Bereitschaft, einen Teil des Einkommens zu sparen. Die hiedurch frei werdenden Ressourcen werden in längere Produktionsprozesse investiert, die durch den niedrigeren Zinssatz und das "Schließen des Preisfächers" (ib., 75Fn.) rentabel geworden sind. 1 Schließlich kommt mit einem längeren Produktionsprozeß und einem niedrigeren Zinssatz sowie einer entsprechenden Reallokation der Primärfaktoren ein höherer Output zustande, der im neuen stationären Gleichgewicht wieder zur Gänze konsumiert werden
1 Das "Schließen des Preiefächen" entspricht einer Verringerung der Preisspannen zwischen benachbarten Produktionsatufen.
3.2 Hayeks monetäre Konjunkturtheorie
71
Liste der verwendeten Symbole Einkommen (real) Anr:ahl der Pror;esse mit normiertem Arbeitsinput b Output eines Pror;esees Pror:eßlänge 8 c Konsum r Zinssatll V Reallohn p Profitrate n Beschäftigung Geldpreis p M Geldmenge 6 Spar-Parameter T Produktivitäts-Parameter e Eulerache Zahl Sub- br:w. Superskripte: o exogene Variable r.. öf/ör; für f = f(r;, ... ) y X
= Dx =dx/dt
Operatoren :
kann. Nach der vorübergehenden Einschränkung des Konsums laufen Produktion und Konsum bzw. Verbrauch und Reinvestition des Kapitals wiederum synchron, die geringere Zeitpräferenz kommt in der Erhaltung eines größeren Kapitalstocks als zuvor zum Ausdruck. Die eben verbal skizzierten Effekte können anhand einer komparativ-statischen Analyse des Modells einer stationären Wirtschaft, wie es in Hayek (1931 a) formuliert worden ist, überprüft werden. Das entsprechende Modell kann durch das folgende Gleichungssystem dargestellt werden: 2 (I) (2)
c(r, y)-S
=
y=
xrb(O); cr 0 nachgewiesen wird. Für eine Erweiterung und erste fomparativ-statische Ergebnisse vgl. Klausinger {1986); die dargestellte Version ist hineichtlieh Konsumfunktion und Arbeitsmarkt allgemeiner.
72
(6) (7)
3. F .A. von Hayeks Theorie der Geldwirtschaft
xO = n o' M 0 = K.px(rb-vO)jr.
Hiebei stellt (I) die Gleichgewichtsbedingung für den Konsumgütermarkt dar - unter Verwendung der Bedingung, daß im stationären Zustand die Nettoinvestitionen verschwinden; (2) definiert das Realeinkommen; (3) ist die Gewinnmaximierungsbedingung für die Wahl der Prozeßlänge, wenn die Produktion durch eine Flow-input-point-output-Technologie charakterisiert ist3; (4) definiert die Profitrate als die interne Verzinsung eines Produktionsprozesses; (5) sichert die Null-Gewinn-Bedingung; (6) entspricht dem Arbeitsmarktgleichgewicht; und (7) spezifiziert die transaktionsbestimmte Geldnachfrage sowie Geldmarktgleichgewicht. Für die komparativ-statische Analyse wird von einem Gleichgewichtszustand ausgegangen, in dem die folgenden Bedingungen erfüllt sind: (8)
b"-rb' < 0,
(9)
> 0, voerl-b > 0,
(10) (II) (12)
b-vO
b' = verl,
o = 0; 0
T
0
= J.
(8) ist die zweite Bedingung für ein Gewinnmaximum; (9) und (10) folgen aus dem Nachweis, daß im Gleichgewicht p > 0 gilt; (II) ergibt sich aus (3), (4) und (5); (12) definiert 6 und r als exogene Shift-Parameter. Als komparativ-statische Experimente werden Änderungen der Zeitpräferenz (6), der Zeitproduktivität (r) bzw. des Arbeitsangebots (no) untersucht. Nach Substitution von (2) und (5) in die verbleibenden Gleichungen sowie nach Vernachlässigung des rekursiv zu bestimmenden monetären Sektors erhält man das folgende System: (13)
c dr - s xb'dO - s bdx = d6 + s xbdr, r
Y
Y
-bdr- dv + (b"-rb')dO
y
= (rb-b')dr,
3 Diese entspricht den Annahmen Hayeks (193la, 1939a); vgl. Thalenhont/Wenig (1984).
3.2 Hayeke monetäre Konjunkturtheorie
73
( b-b'9 )dr + ( l-er8 )dv = -rbdr, xd9 + 9dx = dn 0 •
Für die Koeffizientendeterminante A folgt: (14)
A = -sy xer8(b-v9)(b'9-b) + cr 9(b"-rb')(er8-J) =?
Wegen der Unbestimmtheit des Vorzeichens von A sind qualitativ eindeutige Resultate nicht gesichert. Daher ist das Vorzeichen nach dem Korrespondenzprinzip aus einer geeigneten Stabilitätsbedingung zu erschließen. Für die gemäß dem TatonnementPrinzip formulierte Modelldynamik außerhalb des Gleichgewichts wird hiebei von der folgenden Zuordnung von Variablen und Gleichgewichtsbedingungen ausgegangen (für>., w, J1, 'I > 0):
(18)
= >.[ xb-c( r,xb) ] . DO = w(b'-rb-v), Dx = er p-r ). Dv = 11( x8-n 0 ).
( 19)
Dp
(15)
(16) (17)
e,
Dr
=
'I[M0 -Kpx(b-v9) / r].
Eine notwendige Stabilitätsbedingung verlangt für die entsprechende Jacobische Matrix J (20)
det( J) = xA(b-v8)/ (b-b'8) < 0 bzw. A > 0.
Kritisch für Stabilität ist hiebei die Dimension der Zinseffekte. So bewirkt z.B. eine höhere Sparneigung ein Überschußangebot von Konsumgütern und damit ein Sinken des Zinssatzes. Wirkt dies nun stärker als Anreiz zu Mehrproduktion (durch eine Verlängerung der Prozeßdauer) als zu Mehrkonsum, so weitet sich die Lücke auf dem Konsumgütermarkt aus. Nur im umgekehrten Fall (für A>O) ist der Prozeß stabil. 4 Die Bedingung (20) wird nun für die komparativ-statische Analyse vorausgesetzt. Deren Multiplikatoren sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt:
4 Andere als in der Modelivenion von Thalenhont/Wenig (1984), die A < 0 impliziert.
74
3. F .A. von Hayeks Theorie der Geldwirtschaft
Tabelle 1:•>
6
T
n0
+ +
-(0) ?(+) +(0) -(0)
-(0) +(0) +(0) ?( +)
r V
9 X
*) In Klammern die Voneichen filr den Falls = 0; siehe hiez.u Klaueinger (1986).
y
Die Vorzeichen sind einsichtig und entsprechen Hayeks Intuition. Erwähnenswert ist allenfalls, daß komparativ-statisch die Ausweitung des Arbeitsangebotes no zu einem Anstieg des Reallohnes führt - die Ursache besteht darin, daß für sy > 0 eine Erhöhung des Outputs eine Senkung des Zinssatzes notwendig macht; das führt zu einer Verlängerung der Prozeßdauer und ermöglicht nach Erosion der Profite einen höheren Reallohn als zuvor.5 In der obigen, durch die Tatonnement-Annahme vereinfachten dynamischen Analyse wird die Untersuchung von Nettoinvestition und Einkommen sowie von nicht-synchronisierten Produktionsprozessen außerhalb des stationären Gleichgewichts vernachlässigt; auch die Erwartungsbildung während des Anpassungsprozesses wird nicht berücksichtigt. Diese zusätzlichen Faktoren können das Auftreten von Anpassungskrisen selbst für Änderungen der freiwilligen Ersparnis begründen. Zwei Aspekte sind hiezu anzuführen, beide verweisen auf die Voraussetzung vollkommener Voraussicht. Erstens muß eine Zunahme der Ersparnis rechtzeitig, mit dem Vorlauf einer Produktionsperiode, vorausgesehen werden, damit der geringeren Konsumnachfrage eine geringere Produktion von Konsumgütern entspricht. So wird einerseits die niedrigere Konsumnachfrage zu (vorerst) gleichbleibenden Preisen befriedigt, anderseits werden die ersparten Ressourcen in längere Produktionsprozesse gesteckt, wo sie nach erfolgter Umstrukturierung einen höheren Output erbringen. Ohne diesen Vorlauf käme es nicht zu einem allmählichen Sinken der Konsumgüterpreise, wenn die verbesserte Versorgung auf die geringere Nachfrage trifft, sondern zu einer zyklisch-überschießenden Anpas5 Eine Reinterpretation dee vorliegenden Modelle mit festem Reallohn (als exogen) und nachfragebestimmter Beschäftigung (ale endogen) vermag zwar eine Art "klassisches Unterbeschäftigunpgleichgewicht" zu liefern, ist jedoch mit der obigen Zuordnung instabil.
3.2 Hayeka monetäre Konjunkturtheorie
75
sung: Erst träfe die niedrigere Nachfrage auf die ohne Vorlauf unveränderte Produktion von Konsumgütern, sodaß deren Preise sinken; dann wird der Prozeß umstrukturiert - die Konsumgüterproduktion geht zurück und die Preise steigen wiederum, ehe sie als Folge des durch die Prozeßverlängerung gestiegenen Outputs endgültig auf den neuen Gleichgewichtswert zurückgehen. Diese Anpassung eröffnete zusätzliche Möglichkeiten von Erwartungsfehlern und krisenhaften Kapitalfehlleitungen. Analog dazu kann ohne vorbereitende Spartätigkeit auch die Durchsetzung einer produktionssteigernden Innovation zu einer Anpassungskrise führen. Dies läßt sich an einem zweiten Aspekt des Überganges zu längeren Produktionsprozessen demonstrieren: Eine längere Prozeßdauer macht es bei einer Flow-input-pointoutput-Technologie unmöglich, die neuen (längeren) Prozesse mit der gleichen Intensität wie zuvor zu betreiben, wenn in der Ausgangssituation keine Arbeitskräftereserven zur Verfügung stehen. 6 Startet man mit einer Intensität, die im neuen Gleichgewicht das Arbeitsangebot gerade ausschöpft, so wird zu Beginn des Umstrukturierungsprozesses Arbeitslosigkeit entstehen; beginnt die Anpassung mit unveränderter Intensität, so können nicht alle Prozesse zu Ende geführt werden - einige müssen wegen mangelnder Arbeitskräfte abgebrochen werden, ebenfalls mit der Gefahr einer entstehenden Übergangsarbeitslosigkeit ( vgl. z.B. Zernegni 1984). Die Problerne des Überganges von einem stationären Gleichgewicht zu einem neuen mit geändertem Produktionsverfahren knüpfen an die aus Ricardos "On Machinery"-Kapitel (Ricardo 1821, eh. 31) wohlbekannte Frage an, ob die Einführung einer arbeitssparenden Technik die Lohnarbeiter besser stellen wird (vgl. hiezu Blaug 1985, 132ff.). Für Hayek ist ein negativer Effekt, eine Verschlechterung der Reallohnsituation, nur als Problern der Anpassung rnöglich. 7 Hieraus wird ein der Hayekschen Konjunkturtheorie zugrunde liegender Kunstgriff deutlich: Hayek identifiziert neutrales Geld sowohl mit der Abwesenheit monetärer Störungen als auch mit vollkommener Voraussicht und eliminiert dadurch zwei verschiedene und voneinander unabhängige Ursachen von U ngleichgewicht. Freiwillige Ersparnis bezieht sich 6 Diese Vollbeechliftigungaannahme wird z.B. in Hayek (1931a, 34} getroffen. 7 Vgl. hiuu Moss/Yaughn (1986). Hicks (1965, 183ff.; 1973a) analysiert diese Anpassung als Problem der "Traverse"; er betont, daß solche Anpassungsprobleme ohne monetäre Störungen entstehen können (1973a, 132ff.).
76
3. F .A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
auf die komparativ-statische Analyse des intertemporalen Gleichgewichts und setzt damit eine reibungslose Anpassung des Wirtschaftssystems an Änderungen von Sparen und Investieren voraus. Die freiwillige Ersparnis gehört somit dem fiktiven Bereich des intertemporalen Gleichgewichts an. Die Möglichkeit des Entstehens von Strukturproblemen aufgrund nicht-monetär verursachter Abstimmungsprobleme bleibt unbeachtet, da alle potentiell auftretenden Friktionen der Nicht-Neutralität der Geldwirtschaft zugeschrieben werden. Sie bildet die alleinige Domäne von Konjunkturen und Krisen. 3.2.2 Erzwungenes Sparen und der Hayek-Zyklus
Das Konzept des erzwungenen Sparens8 spielte in einer Reihe zeitgenössischer Konjunkturtheorien eine zentrale Rolle.9 Es bildet auch für Hayek den Ausgangspunkt der Erklärung des Konjunkturzyklus. Ansätze hiezu finden sich schon in den frühen Arbeiten (Hayek 1928, 56f.; 1929a, 127ff.; 1929b ), die zentralen Fundstellen sind sodann "Preise und Produktion" (1931 a) sowie die modifizierte Version in "Profits, Interest and Investment" (l939a). 10 Das erzwungene Sparen bewirkt eine Umlenkung in Richtung längerer Produktionsprozesse nicht wie beim freiwilligen Sparen durch eine Umwidmung des Einkommens seitens der Konsumenten, sondern durch Schaffung zusätzlicher Kaufkraft für die Investoren, die ihre Pläne gegenüber der unveränderten Konsumnachfrage durchsetzen. Zunächst ergeben sich die gleichen Folgen wie im Falle des freiwilligen Sparens (Hayek 1931 a, 57ff.): Es kommt zu einem Schließen des Preisfächers, d.h. zu einem Sinken des Geldzinses relativ zum Gleichgewichtszins und zu einem Preisanstieg von Kapitalgütern (d.i. des konsumferneren Outputs) relativ zu Konsumgütern, wodurch die Ressourcenverlagerung in längere Prozesse bzw. eine Zunahme der Produktions8 Der Terminus "erzwungenes Sparen" geht auf Wiekseil (1898, 102 und 143) &urück; für einen historischen Überblick vgl. Hayek (1932d), aus analytischer Sicht Machlup (1943) . 9 Am bekanntesten ist der eine Art Mittelstellung r;wiachen Hayek und dem Keynea der "Treatiae" einnehmende Anaatr; von Roherbon (eiehe r;.B . 1934a); vgl. hier;u Prealey (1979) und Wilson (1980) . 10 Rekonstruktionaverauche des Hayek-Zyklua finden sich u.a. bei Macfie (1934}, Haberler (1941, 41ff.), Hicka (1967b), Streiaaler (1969b), Meyer (1981), Wagner (1981, 29ff.), Wainhouae (1984}, Moaa/Vaughn (1986), Ut&ig (1987), Bellante/ Garrison (1988) und Roaner (1988).
3.2 Hayekl monetäre Konjunkturiheorie
77
stufen induziert wird. 11 Im Gegensatz zum Idealfall des freiwilligen Sparens kann eine dauerhafte Übereinstimmung der Dispositionen der Konsum- und der Produktionsseite nicht erreicht werden. Denn der erhöhte Geldumlauf muß letztlich zu einer Erhöhung der Geldeinkommen der Primärfaktoren führen, wonach eine unveränderte (reale) Konsumnachfrage einer durch die Ressourcenumlenkung verringerten Konsumgüterproduktion gegenübersteht. In diesem Sinne ist durch die Kreditexpansion tatsächlich ein reales Sparen, d.h. ein Konsumverzicht, erzwungen worden. Damit ist im Aufschwung ein kritischer Punkt erreicht, es entsteht eine Tendenz steigender Konsumgüterpreise und steigender Zinssätze. Wird die Kreditexpansion nicht verstärkt fortgesetzt, so leitet nun ein Öffnen des Preisfächers einen gegenläufigen Prozeß der Verkürzung der Produktionsprozesse ein. Dies ist der zentrale Punkt von Hayeks Krisenerklärung: Der dem Wiekseilsehen Prozeß ähnelnde Konjunkturaufschwung muß notwendigerweise zu einem Wendepunkt gelangen und zu einer Krise führen. Der hiefür verantwortliche Mechanismus besteht in der durch den Aufschwung induzierten Zunahme der Konsumnachfrage, die schließlich zu kürzeren Produktionsprozessen bzw. zu einer Abnahme der Nachfrage nach Kapitalgütern führt. 12 Diesen Mechanismus bezeichnet Hayek als den "Ricardo-Effekt" (erstmals Hayek 1939a). Eine erste Version dieses Effekts wurde bereits zuvor (Hayek 1931 a) dargestellt. Dort ist für das Nachhinken der Konsumgüterpreise die verzögerte Zunahme der für den Konsum verwendeten Einkommen der Primärfaktoren verantwortlich. In Hayeks Argumentation (ib., 86f.) scheint es, als ob die kapitalgüterlastige Produktionsstruktur beibehalten und der Abschwung vermieden werden könnte, solange die Kreditschöpfung fortgeführt wird (siehe Hayek 1969e, 172f.). Zudem müßten wohl wie im kumulativen Prozeß die steigenden Konsumgüterpreise in den Ertragserwartungen der Investoren extrapoliert werden und die Primärfaktoren ihre Preisforderungen nur nominal durchsetzen können. Diese fortgesetzte Kreditschöpfung ist jedoch insbesondere angesichts der begrenzten Liquiditätsreserven in einem Goldwährungssystem (bzw. der dysfunktionalen Folgen von Inflation - vgl. Hayek 1978b) nicht möglich. Mit deren Aussetzen steigt der Geldzins, der Preisfächer öffnet sich wieder, es 11 Du Problem des AusmalSes der vertikalen Integration der Unternehmen wird hier vernachläasigt. 12 Vgl. Mose/Vaughn {1986) für einen Überblick über die Sekundärliteratur.
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3. F .A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
kommt zu einem (relativen) Sinken der Kapitalgüterpreise - neue Prozesse mit längerer Dauer werden nicht mehr begonnen, alte werden abgebrochen, weil ihr Kapitalwert durch die Zinserhöhung negativ geworden ist. Unter dem eigentlichen Namen "Ricardo-Effekt" präsentiert Hayek (l939a) eine abgewandelte Variante dieses Mechanismus. Vor allem werden jetzt nicht mehr flexible Preise, Löhne und Zinsen sowie Vollbeschäftigung in der Ausgangssituation vorausgesetzt. Vielmehr wird der Geldzins durch eine unbegrenzte Geldschöpfungsfähigkeit fixiert und auf dem Arbeitsmarkt ein starrer Geldlohn gleichzeitig mit Arbeitskraftreserven angenommen, wobei die Arbeitskraft zwischen Konsum- und Kapitalgüterproduktion immobil ist (ib., 5). Unter diesen Annahmen soll der Ricardo-Effekt nun zeigen, daß nicht der steigende Geldzins, sondern die steigende Profitrate für den Mechanismus sorgt, der den oberen Wendepunkt erzeugt (ib., 3f.); die Be§renzung der Kreditschöpfungsmöglichkeiten wird unerheblich. 1 In diesem Kontext hat das Ansteigen der Konsumgüternachfrage im Aufschwung einen Anstieg der Preise zur Folge, nachdem die dort vorhandenen Arbeitskräftereserven ausgeschöpft worden sind bei gegebenem Geldlohn sinkt der Reallohn. Laufen in der Ausgangssituation Produktionsprozesse unterschiedlicher Länge nebeneinander, deren jeweilige interne Verzinsung (als Gleichgewichtsbedingung) dem Geldzins entspricht, so erhöht die Reallohnsenkung die Ertragsrate dieser Prozesse umso stärker, je kürzer der Prozeß ist (Hayek 1939a, 8ff.). Dies bewirkt - so Hayek (ib., 10) - eine Verlagerung der Produktionsstruktur zu den kürzeren Prozessen, womit für die Produktion des gegebenen Outputs weniger Kapitalgüter benötigt bzw. nachgefragt werden. Wie die anschließende Diskussion (vor allem Kaldor 1942 vs. Hayek 1942a,b) gezeigt hat, ist die mikroökonomische Fundierung dieses Ricardo-Effektes anfechtbar. Denn unter vollkommener Konkurrenz erhöht die Reallohnsenkung die interne Ertragsrate aller bereits operierender Prozesse und macht außerdem längere Prozesse als zuvor rentabel; gewinnmaximierende Anbieter müßten daher trachten, die Intensität der existierenden Prozesse
13 Es ist daher nicht ohne weiteres möglich su argumentieren (wie s.B. Moss/Vaughn 1986), die beiden Versionen des Ricardo-Effektes wären im wesentlichen identisch.
3.2 Hayeks monetäre Konjunkturtheorie
79
auszuweiten 14 - und zwar kürzere stärker als längere - und neue längere Prozesse einzuführen (Kaldor 1942, 158ff.). Die Nachfrage nach Kapital - und im übrigen auch jene nach Arbeit würde daher entgegen Hayeks These zunehmen; sein Resultat einer Verkürzung der Produktionsperiode kann sich nur ergeben, wenn die Übergewinne wegkonkurriert worden sind, weil der Geldzins der Profitrate nachgefolgt ist. Hayek ( 1942a, 300ff.) ist jedoch schon zuvor von der Annahme eines vollkommenen Kreditmarktes abgegangen - die Skepsis gegenüber dem Konzept des vollkommenen Wettbewerbs charakterisiert viele seiner Arbeiten dieser Zeit. Danach sei für den Kreditmarkt die Annahme eines vollkommen elastischen Kreditangebotes nicht haltbar, vielmehr werde aus Risikogründen für jeden individuellen Nachfrager der Kredit derart rationiert, daß er sich einem mit seiner Nachfrage (bzw. mit dem Verschuldungsgrad) ansteigenden Zins gegenübersieht. Wegen der zunehmenden marginalen Kreditkosten kann es nun tatsächlich bei ausreichend starker Rationierung zu einer Verkürzung der Produktionsperiode kommen. Die Kreditkosten können per definitionem jedoch nur nach einer Ausweitung der für die Investition bestimmten Kreditnachfrage zunehmen, das Ergebnis einer insgesamt geringeren Nachfrage nach Kapitalgütern ist daher nicht ableitbar (Kaldor 1942, 169f.). In der Wirkung auf die Kapitalnachfrage wird der Effekt einer kürzeren Prozeßdauer jedenfalls durch eine erhöhte Intensität überkompensiert. Ein anderer Versuch der mikroökonomischen Fundieruns des Ricardo-Effektes setzt an die Stelle einer Kredit- eine Faktorrestriktion, d .h. wegen ausgeschöpfter Arbeitskraftreserven wird nun eine Erhöhung der Beschäftigung ausgeschlossen (vgl. Utzig 1987, 142ff.) 16 In diesem Fall kommt für die Prozeßdauer die behauptete Reaktion zustande, sie sinkt mit dem Reallohn, der in Gütereinheiten gemessene Wert des gewünschten Kapitalstocks geht ebenfalls zurück. Aber dieses Ergebnis gilt unter der Voraussetzung einer vollbeschäftigten Wirtschaft, d.h. nach der Anpassung bleibt die Beschäftigung für das repräsentative, vertikal völlig integrierte Unternehmen unverändert, und zudem weist die 14 Unter konstanten Skalenerträgen ist der Gewinn und damit das geplante Intensitäteniveau nach oben unbegrenr;t. 16 Hier wäre noch r;u begründen, inwiefern diese Faktorrestriktion als Restriktion für das ein11elne Unternehmen modelliert werden kann; allerdings eebt der nichtmarkträumende Reallohn ohnediee eine Rationierung der Beschäftigung voraus.
80
3. F.A. von Hayekl Theorie der Geldwirtschaft
Faktorrestriktion nach Senkung des Reallohns einen positiven Schattenpreis auf, d.h. es kommt zu einer Tendenz zu Überbeschäftigung. Als Ansatz einer Krisenerklärung scheint daher auch diese Version fehlzugehen, weil das entscheidende Ergebnis des Ricardo- Effekts, die "Verdrängung" der Investitionsnachfrage aufgrund sinkender Reallöhne, aus der Voraussetzung zu niedriger, nicht-markträumender Reallöhne abgeleitet worden ist. Für die Begründung der Unvermeidbarkeit eines krisenhafen Umstrukturierungsprozesses ist daher die ältere Version des Ricardo-Effektes besser geeignet; auch diese muß allerdings auf die Existenz von Anpassungsproblemen und Friktionen zurückgreifen. Hayek erreicht dies durch die Unterscheidung von spezifischen und nicht-spezifischen Produktionsmitteln (Hayek 1931 a, 71) bzw. später durch die Annahme immobiler Arbeitskräfte (Hayek 1939a). Im ersteren Fall ist es die Immobilität spezifischer Kapitalausstattungen, die einen Rücktransfer der Arbeitskräfte in Produktionsprozesse mit kürzerer Dauer verhindert - wegen des Mangels an für die Konsumgüterproduktion benötigtem komplementären Kapital (auf den konsumnahen Stufen) " ... ist es möglich, daß ... zeitweilig kein Lohn niedrig genug wäre, um allen Arbeitern Beschäftigung zu geben" (Hayek 1931 a, 91 Fn.). Insofern herrscht in der Krise Kapitalüberfluß (in den brachliegenden konsumfernen Stufen) und Kapitalmangel (in den konsumnahen Stufen) zugleich (ib., 94), weil die Nachfragestruktur nicht der im Aufschwung aufgebauten Produktionsstruktur entspricht. Die Dauer der Krise folgt aus der Notwendigkeit, in lange Prozesse investiertes, unrentables Kapital abzubauen. Begründet man die Krise allerdings mit diesen Umstellungsproblemen, so ist danach zu fragen, woher die Asymmetrie stammt, die den kreditfinanzierten Übergang von kürzeren zu längeren Prozessen nicht krisenhaft verlaufen hat lassen (vgl. Laidler 1986b). 3.2.3 Kritik der Hayekschen Konjunkturtheorie
Eine vorläufige Würdigung des konjunkturtheoretischen Aspektes des Hayekschen Werkes hat zuerst auf dessen historische Bedeutung hinzuweisen. Es stand in den 30er-Jahren im Mittelpunkt einer folgenreichen Kontroverse zwischen der "klassischen" konjunkturtheoretischen und wirtschaftspolitischen Position Hayeks (und von z.B. Robbins 1934) und einer mehr heterodoxen, zu aktiverer Wirtschaftspolitik neigenden Richtung, wie sie u.a. Keynes
3.2 Hayeka monetäre Konjunkturtheorie
81
vertreten hat. 16 Diese Diskussion offenbarte sich insbesondere in einer Frontstellung zwischen den Universitäten von London und Cambridge. 17 Mit dem Erscheinen von Keynes' "General Theory" (1936) war die Auseinandersetzung faktisch entschieden. Deren Analyse absorbierte den Einsatz einer überwältigenden Mehrheit von Wirtschaftstheoretikern, während Hayeks Ansatz trotz einiger Weiterentwicklungen (Hayek l939a, 1941) in Vergessenheit geriet, besonders nachdem Hayek selbst sich mehr sozialphilosophischen Fragestellungen zugewandt hatte. 18 Dieser Umschwung hatte gewiß seine wissenschaftssoziologischen Wurzeln (vgl. z.B. Johnson 1971), aber die entscheidende Kritik an Hayeks Konjunkturerklärung scheint mir durchaus nach wissenschaftslogischen Kriterien faßbar. Ein augenfälliger Vorzug der keynesianischen Krisenerklärung liegt in der unmittelbaren Plausibilität, die Krise auf eine zu geringe Gesamtnachfrage bzw. diese auf pessimistische Ertragserwartungen der Investoren zurückzuführen. Dagegen mutet die Erklärung Hayeks paradox an: der unglücklich gewählte Topos der "Kapitalknappheit" in der Krise genauso wie die These, daß ein Erstarken der Konsumgüternachfrage die Krise verschärfen müsse. Hinter diesem Mangel an "Common-sense" (der als Erfolgskriterium ja eher von sozialpsychologischem als von wissenschaftstheoretischem Interesse ist) steckt allerdings ein wesentlicheres Defizit: die mangelnde Möglichkeit, einzelne Elemente der Hayekschen Konjunkturtheorie zu operationalisieren und an der Empirie zu prüfen - gerade hier besaß die Keynessche Theorie einen unschlagbaren Vorteil, der schließlich in die Begründung der Ökonometrie mündete. So stehen empirische Untersuchungen zur Hayekschen Konjunkturtheorie noch immer aus. 19 Die implizierte zyklische Entwicklung der Kapitalintensität zählt jedenfalls nicht zu den akzeptierten "stilisierten Fakten" des Konjunkturzyklus (vgl. Schebeck/Tichy 1984), vielmehr wird die größere Amplitude der Investitionen aus dem Akzeleratorprinzip und Capitalwidening-Prozessen erklärt. Die Zeitdimension von Prozessen der 16 Arbeitsbeschaffungsprogramme ("public works") wurden jedoch auch von "klassischen" Autoren wie Pigou unterstübt, vgl. Hutebison (1978, 176ff.); r;ur Unterkonsumtionstheorie von solchen • Außenseitern" wie Douglaa sowie Foster und Catchinga vgl. Haberler (1941, 119ff.). 17 Die Atmosphäre dieser Kontroversen wird u.a. in den Erinnerungen von Hayek (1966), Hickl (1967b, 1973b), Robinson (1978b) und Kahn (1984, 180) deutlich. 18 Hervorr;uheben sind auch die "Konversionen" von r;.B . Kaldor und Robbina. 19 Einen ersten Ansatz in Form von Kausalitätsteste liefert Wainhouae (1984).
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3. F .A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
Kapitalintensivierung wird i.d.R. als so groß angesehen. daß sie eher für Wachstums- oder Industrialisierungsprozesse als für konjunkturelle Erscheinungen als Erklärung herangezogen werden könne. 20 Auch für den Ricardo-Effekt fehlt bislang eine direkte empirische Bestätigung. Dies gilt vor allem für die Voraussetzung. daß dem Ende des Aufschwungs ein durch einen Konsumboom verursachtes Sinken des Reallohnes vorangehe - dies steht im Gegensatz zum akzeptierten Konjunkturmuster von bei Annäherung an Vollbeschäftigung und Nachziehen der Geldlöhne steigenden Reallöhnen. Vor diesem zweifelhaften empirischen Hintergrund schien der Mehrzahl der Ökonomen der Überinvestitionsansatz Hayekscher Prägung als ein vielleicht interessantes. aber wohl zu sehr von der Realität abgehobenes intellektuelles Gedankenexperiment. Noch wichtiger ist ein anderer Punkt: Für Hayek stellt die Krise einen notwendigen. wenn auch schmerzlichen Prozeß dar. durch den Strukturfehler bereinigt. d.h. Produktionsprozesse verkürzt werden. Hieran ist bemerkenswert. daß die Notwendigkeit dieser Krise nicht a priori aus dem Erklärungsansatz folgt. sondern aus zusätzlichen Hilfsannahmen über die Immobilität oder Komplementarität von Produktionsfaktoren; ebenso ist die vorausgesetzte Asymmetrie fragwürdig. die Verlängerungen der Prozesse reibungslos zuläßt. Verkürzungen jedoch nur krisenhaft. Aus dieser Sicht der Krise erscheint der Versuch. sie durch wirtschaftspolitische Maßnahmen abzukürzen. als ungeeignet. da z.B. Geldpolitik nur Gefahr läuft. die Strukturfehler der nächsten Hochkonjunktur zu begünstigen. Wirtschaftspolitik ist damit zu vollständiger Abstinenz verurteilt. Hayek (und mancher seiner Anhänger) übersieht hier das von anderen der klassisch-liberalen Tradition zugehörigen Konjunkturtheoretikern (z.B. Röpke 1933) als "sekundäre Deflation" bezeichnete Phänomen (siehe Haberler 1941, 63ff.). Dieses verweist auf die Tatsache. daß eine Deflation über das für eine Strukturbereinigung notwendige Ausmaß hinausgehen und auf alle Produktionsstufen übergreifen kann - durch Multiplikatorprozesse2\ durch Umverteilung 22 oder über den klassischen Mechanismus der Finanzkrise. 23 In der sekundären Defla20 So z.B. Hielte (1967b) und Streiaaler (1969b). 21 Vgl. bereite vor Keynea ' "General Theory" seine "Treatiae" sowie u.a. Myrdal (1939). 22 Vgl. Robertaon (1934a) und Kaldor (1940) . 23 Vgl. z.B . Hiclta' "Rechtavenchiebung" (1933; siehe auch 1977b).
3.3 Grenr;en der Gleichgewichtsanalyse
83
muß die Wirtschaftspolitik aktiv werden, um ein Fordauern der "wirtschaftlich funktionslos" gewordenen Krise zu verhindern. Gerade in der Großen Depression der 30er-Jahre mußte dagegen eine These, die auch nach fast einem Jahrzehnt Massenarbeitslosigkeit die Krise als noch immer nicht abgeschlossene Reinigungsphase interpretierte und wirtschaftspolitische Zurückhaltung empfahl, an Attraktivität verlieren, insbesondere da zugunsten eines solchen wirtschaftspolitischen Aktivismus nahezu Konsens bestand - wenn auch nicht hinsichtlich seiner theoretischen Fundierung. Hiefür lieferte schließlich die "General Theory" ein analytisches Gerüst, in dem - in der hier verwendeten Terminologie - fast ausschließlich das Problem der sekundären Deflation im Mittelpunkt steht. 3.3 Grenzen der Gleichgewichtsanalyse
Nach Butos (I 985, 337) bestehen für Hayek die Grenzen der Gleichgewichtsanalyse in der Integration von Geld in deren Rahmen und in den ihr zugrunde liegenden Informationsannahmen. Der erstere Aspekt ist mit Bezug auf das Konzept des intertemporalen Gleichgewichts und der Neutralität des Geldes bereits behandelt worden; die Beschäftigung mit dem letzteren führt Hayek, beginnend mit Hayek (I 937) 1 , zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Marktprozessen, denen gegenüber das Gleichgewichtskonzept in den Hintergrund tritt. Das Abrücken vom Gleichgewichtskonzept (gemeinsam mit einer methodischen Reorientierung vom Misesschen Apriorismus zu einer gemäßigten Popper-Methodologie) läßt hier einen Bruch zwischen einem frühen und einem späten Hayek erkennen (vgl. Hutchisan 1981 und Butos 1985). Dieser wird von den Interpreten der neo-österreichischen Schule übersehen, indem alle - auch die frühen - Arbeiten Hayeks ausschließlich aus der späteren Marktprozeß-Perspektive gedeutet werden. 2 Die Frage einer verborgenen Kontinuität bzw. des Zusammenhanges zwischen Gleichgewicht und Marktprozeß wird im folgenden untersucht, wobei nun - zwangsläufig in geringerer Ausführlichkeit - neben Hayek auch
1 Als weitere Arbeiten sind u.a. Hayek (1945, 1949c, 1969b) r;u nennen. 2 Vgl. r;.B. O'Driscoll (1977).
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8. F .A. von Hayeke Theorie der Geldwirtschaft
andere Anhänger des neo-österreichischen Paradigmas zu Wort kommen. 8 Die behandelten Informationsvoraussetzungen bzw. die Informationsfunktion von Marktprozessen und Preissystem sind für das Thema dieser Untersuchung insofern von besonderer Bedeutung, als die hier zutage tretenden Probleme in den Modellen der Neuen Klassik (in Abschnitt 5.3) wiederkehren werden. 3.3.1 Marktprozeß und Wettbewerb
Hayeks Untersuchung (Hayek 1937) setzt beim unterschiedlichen Status des Gleichgewichtskonzepts für die individuelle und für die Marktebene (bzw. für einzel- und gesamtwirtschaftliche Ebene) an. Auf der Individualebene herrscht Gleichgewicht zwischen den Handlungen eines Akteurs, insoweit sie Teil eines Planes sind. Diesem Plan liegen die jeweils subjektiven Erwartungen des Akteurs zugrunde (ib., 3Sff.). Auf der Marktebene wird Gleichgewicht dadurch definiert, daß die jeweiligen individuellen Pläne ausgeführt werden können; dies ist nur möglich, wenn sie miteinander vereinbar sind, sodaß sich die den Plänen zugrunde liegenden subjektiven Erwartungen erfüllen (ib., 37ff.). Dabei ist zu beachten, daß sich die subjektiven Erwartungen der Individuen auf externe Daten der Umwelt und auf die Handlungen der anderen Akteure richten 4 und nur ein Teil dieser Erwartungen handlungsbestimmend wird. Hier stellt das Kriterium der Planvereinbarkeil gegenüber dem von Gleichgewicht als bloßem Ruhepunkt (oder stationärem Zustand) einen entscheidenden Fortschritt dar. Es werden sodann zwei Versionen von Gleichgewicht unterschieden (ib., 39ff.) - beide stehen noch im Kontext eines intertemporalen Gleichgewichts. Gleichgewicht kann dadurch definiert werden, daß alle Pläne miteinander vereinbar sind und eine mög8 Ein eigenes neo- österreichiaches Forschungsprogramm neben Neo- Walrasianismus und Keynesianismus unterscheidet z.B. E. Weintraub (1985, 180ff.) . Die "NeoAustrian Economics" beruft sich vor allem auf Mises und Hayek. Als Hauptvertreter und deren Werke sind u .a. Kirzner (1973) und Lachmann (1977) zu nennen; zur Einführung vgl. z.B. O'Driscoll (1977). Shand (1984) und O'Driscoii/Rizzo (1986) sowie eine Reihe von Sammelwerken und die seit 1987 erscheinende "Review of Austri an Economics". 4 Diese Unterscheidung ähnelt der heute üblichen zwischen technologischer und Marktunsicherheit; siehe Hirshleifer/ Riley (1979, 1876!.).
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liehe Konstellation der externen Umwelt existiert, in der sich alle (auf die Zukunft gerichteten) Erwartungen erfüllen - als ein Gleichgewicht mit kohärenter Voraussicht. Ein demgegenüber strengerer Gleichgewichtsbegriff liegt vor, wenn zusätzlich verlangt wird, die Erwartungen müßten sich tatsächlich erfüllen dies entspricht perfekter (oder korrekter) Voraussicht. Dagegen ist (am anderen Ende des Spektrums) ein genuines (intertemporales) Ungleichgewicht durch inkohärente Erwartungen gekennzeichnet, d.h. durch solche, die sich keinesfalls zugleich realisieren lassen. Daraus folgen die Bestimmungsgründe der Dynamik solcher Gleichgewichte: Bei korrekter Voraussicht wird das Gleichgewicht wie geplant im Zeitablauf realisiert. Bei kohärenter Voraussicht kann es zu unerwarteten Veränderungen der externen Daten kommen, sodaß eine Abweichung von den ursprünglichen Plänen in Richtung auf ein neues Gleichgewicht erfolgen muß. Als Folge eines genuinen Ungleichgewichts können dagegen keinesfalls alle Pläne realisiert bzw. alle Erwartungen erfüllt werden - eine Änderung mancher Pläne bzw. die Enttäuschung von Erwartungen ist unvermeidlich. Nochmals ist darauf hinzuweisen, daß es die letztere Konstellation ist, die die analytische Grundlage für Hayeks Konjunkturtheorie bildet. Hayek unterscheidet nun in bezug auf den Gleichgewichtsbegriff zwischen logischer und empirischer Gültigkeit. Hiebei bezieht sich die logische Gültigkeit auf die Frage, ob ein Gleichgewicht innerhalb eines Modells abgeleitet werden kann und mit dessen Prämissen nicht in Widerspruch steht (in moderner Terminologie: die Frage nach der Existenz des Gleichgewichts). Die logische Analyse befaßt sich daher mit der Konsistenz von Aussagen innerhalb eines Axiomensystems (Hayek 193 7, 4 7). Dagegen geht es beim empirischen Aspekt darum, inwiefern die aus dem Modell gezogenen Schlußfolgerungen im Prinzip verifiziert (oder falsifiziert) werden können (ib., 33f.). 6 Diese Unterscheidung ist für die individuelle und die Marktebene unterschiedlich schlagend. Da für die Handlungen des ein6 Wie 1.B. Hutebison (1981, 214ff.) feststellt, geht Hayek hier von der apriorischen Begründung der Ökonomie, wie aie von Miaes vertreten worden ist, ab und lä.Bt im Gegensatc duu cumindest im Princip Falaificierbarkeit als Kriterium der Wissenachaftlichkeit und empirieehe Bestätigung als Kriterium der Bewährung 1u - soda.B nicht alle Fragen der Ökonomie socusagen durch blo.Bes Nachdenken gelöat werden können. Vgl. dagegen Mises (1949, 868) : " ... the ultimate yardstick of an economic theorem's correctnesa or incorrectness ia aolely reaaon unaided by experience"; siehe hiecu auch Blaug (1980, 91ff.) .
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3. F .A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
zeinen Akteurs weiterhin Rationalität zugrunde gelegt wird, ist es unproblematisch, jeden individuellen Plan im Sinne eines Gleichgewichts zu interpretieren. Dagegen erscheint Hayek nun für die Marktebene die apriorische Voraussetzung von Gleichgewicht nicht angebracht. Vielmehr bildet das Bestehen einer Tendenz zum Gleichgewicht eine notwendige, aber nicht-evidente Bedingung für die Anwendbarkeit des Gleichgewichtskonzeptes auf der Marktebene, wobei sich diese Tendenz auf eine empirischen Sachverhalt bezieht. Whatever may occaeionally have been aaid by overpure economiata, there seema to be no possible doubt that the only juatification for ]concem with equilibrium] ia the supposed tendency toward equilibrium. It is only by this aesertion that auch a tendency exists that economics ceaees to be an exercise in pure logic and becomea an empirical science ... ]And] the assertion of the exiatence of a tendency toward equilibrium ia clearly an empirical propoaition, that ia, an aeaertion about what happens in the real world which ought, at least in principle, to be capable of verification. (Hayek 1937, 44 und 45)
Bei der Begründung dieser unterschiedlichen Behandlung von individueller und Marktebene spielt die bereits zuvor von Mises erkannte Tatsache der Wissensteilung (ib., 50) eine entscheidende Rolle. Denn die individuellen Pläne werden aufgrund von Erwartungen aufgestellt, die auf jeweils subjektivem (oder in moderner Terminologie: privatem) Wissen beruhen, das in seiner Gesamtheit nicht allgemein zugänglich ist. Ein Gleichgewicht stellt demnach eine Situation dar, in dem die Koordination dieser Wissensfragmente gelungen ist (ib., 54) - kohärente Voraussicht bedeutet z.B., daß trotz des jedem Akteur eigenen Wissens die subjektiven Erwartungen potentiell erfüllt werden können. Es wird hiebei nicht alles Wissen der Akteure kommuniziert, sondern nur jenes relevante Wissen, das handlungsbestimmend ist (ib., 50). Die aufgrund unterschiedlichen Wissens erstellten Pläne werden im Gleichgewicht miteinander vereinbar. In diesem Sinne ist aber Gleichgewicht auf der Marktebene keine Apriori-Konstruktion mehr, da aus dem Postulat des zielgerichteten Handeins wohl Gleichgewicht in Relation zu einem individuellen Plan aufgrund des jeweiligen privaten Wissens folgt, nicht aber die erfolgreiche Koordination dieses Wissens in einem Marktgleichgewicht. Hayeks Forderung nach einer empirischen Begründung der Tendenz zum Gleichgewicht ergibt nur Sinn aus der (für das folgende zentralen) Erkenntnis, daß gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht nicht ohne weiteres aus einzelwirtschaftlichem Gleichgewicht bzw. Rationalität abgeleitet werden
3.3 Grenzen der Gleichgewicht.analyae
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kann. Analog gilt dies auch für (jede Definition von) Systemrationalität bzw. Effizienz (siehe Butos 1985, 334). Die Tendenz zum Gleichgewicht steht auch im Mittelpunkt von Hayeks Kritik des orthodoxen Wettbewerbskonzeptes. Denn Wettbewerb äußere sich als dynamischer Marktprozeß (Hayek 1949c, 94), der einerseits in der Suche nach neuem privaten Wissen, anderseits in dessen Kommunikation an andere Marktteilnehmer, mit denen Transaktionen abgeschlossen werden, besteht. Die Leistung des Wettbewerbs umfaßt sowohl den Anreiz zu bestmöglicher Nutzung der jeweils eigenen Ressourcen (und Kenntnisse) als auch Koordination. Nach Hayek wird erst durch den Wettbewerb der einzelne Produzent dazu gebracht, die Lage seiner Kostenfunktion (quasi experimentell) herauszufinden oder durch Prozeßinnovationen die Kosten zu senken (d.h. die Lage der Kostenfunktion zu verschieben). 6 Diese beiden Aspekte sind allerdings kaum zu trennen, und es wird damit auch das Konzept eines Gleichgewichts, das einen exogenen Stand des Wissens für den einzelnen Produzenten voraussetzt, schwierig zu fassen. Hayeks Konzeption des Wettbewerbs als Entdeckungs- (und Koordinations- )Verfahren steht im Gegensatz zum vollkommenen Wettbewerb der neoklassischen Orthodoxie. Dort wird ein Marktgleichgewicht aus Annahmen über die Marktstruktur (siehe ib., 95f.) abgeleitet, die implizieren, daß das für Hayek grundlegende Problem der Kommunikation des privaten Wissens bereits befriedigend gelöst ist. Dazu zählt u.a. die Annahme der vollkommenen Information - diese ist je nach unterstellter Marktorganisation (z.B. ob ein Auktionsmarkt vorliegt oder nicht) unterschiedlich zu interpretieren, ob sie tatsächlich Information über alle individuellen Daten (die "tastes and technology" der neoklassischen Analyse),7 über die verschiedenen Preisangebote oder nur über den vom Auktionator vorgegebenen Preis voraussetzt. Grundsätzlich ist jedoch Hayeks Kritik zutreffend, daß alle diese Ansätze den Fehler begehen, die Perspektive des einzelnen Akteurs und seines Wissens mit jener des beobachtenden Ökonomen zu verwechseln (Hayek 1937, 39f.). Das Gleichgewicht des vollkommenen Wettbewerbs kann daher bestenfalls eine fiktive Situation beschreiben, in der alle Markt6 Vgl. hier;u r;.B. Streiuler (1980). 7 Dies ent.pricht jedenfalls den in der Spieltheorie oder für rationale Erwartungen üblichen Annahmen.
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prozesse abgeschlossen sind und der Wettbewerb aufgehört hat. Für Hayek (und besonders aus neo-österreichischer Sicht) ist dieser Zustand deshalb fiktiv, weil es sich bei Marktprozessen um tendenziell offene Prozesse handelt. In einer sich rasch wandelnden Umwelt sind die beschriebenen Such- und Kommunikationsprozesse niemals endgültig abgeschlossen, da sich stets neue Alternativen anbieten, stets Erwartungen durch diesen Prozeß enttäuscht werden und nach neuen Anpassungen verlangen - in einer gewissen Hinsicht der Marktprozeß daher Gleichgewicht ebenso zu zerstören wie zu schaffen scheint. Die Bedeutung des Nachweises einer empirischen Tendenz zum Gleichgewicht impliziert zudem, daß in der Realität typischerweise Ungleichgewichtssituationen beobachtet werden können - zumindest im Prinzip ist Ungleichgewicht für Hayek ein Beobachtungsbegriff (siehe Butos 1985, 346). 8 Das Akzeptieren von Gleichgewicht als Fiktion bedeutet andererseits, daß Hayek die logische Möglichkeit von Gleichgewicht - wenn es z.B. gelänge, den Wissensstand der einzelnen Akteure exogen zu fixieren - nicht leugnet; es bleibt weiterhin als fiktiver Referenzstandard erhalten (siehe Hayek 1937, 44). Bezüglich der Tendenz zum Gleichgewicht ist Hayek (natürlich) ein Stabilitätsoptimist (vgl. ib., 53). Allerdings heißt die Herausstellung des empirischen Aspekts des Marktprozesses nicht, daß er eine direkte empirische Prüfbarkeit dieser Tendenz annimmt (ib., 55). Dies folgt für ihn aus dem Aspekt der Wissensteilung - da kein Beobachter je über die individuellen Informationen der Akteure verfügen kann, sind auch keine zu testenden Prognosen über konkrete Eigenschaften des Gleichgewichts möglich. An deren Stelle können allenfalls sog. "Mustervoraussagen" treten (Hayek 1967b), die sich auf typische Adaptionsvorgänge eines wettbewerbliehen Systems beziehen. Auch die logische Analyse solcher Marktprozesse führt bei Hayek nicht über die Aussage hinaus, für die Tendenz zum Gleichgewicht sei die Regelmäßigkeit der externen Umwelt eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung (Hayek 193 7, 49) - insbesondere für eine nicht-stationäre Welt folgt daraus unmittelbar der fiktive Charakter eines (intertemporalen) Gleichgewichts. Angesichts dieser 8 Dies unterscheidet den neo-österreichiachen Anaatr; von jenem der ChicagoSchule und der Neuen Klasaiachen Ökonomie, für die Ungleichgewicht keinen Beobachtungsbegriff darstellt; siehe Reder (1982, 10ff.). Vgl. hiezu auch O'Driscoll (1978) und exemplarisch Klein (1976) Uber Kirzner (1973) . Zur Neuen Klassischen Ökonomie siehe unten 5.3.
3.3 Grenzen der Gleichgewichtaanalyae
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Dürre an intersubjektiver modelltheoretischer und empirischer Evidenz (und der weitgehenden Ablehnung ökonometrischer Methoden) wird der Vorwurf verständlich, bei der von Hayek inspirierten "Austrian Economics" handle es sich um ein Forschungsprogramm ohne Forschung (Paque 1985, 426; vgl. auch Snippe 1987b ). An dieser Stelle ist auf eine Unklarheit in der Analyse von Marktprozessen hinzuweisen, nämlich daß nicht eindeutig hervorgeht, als Tendenz zu was für einem Gleichgewicht der Marktprozeß anzusehen ist. 9 Hayek (1937) scheint insbesondere in der Unterscheidung zwischen kohärenter und korrekter Voraussicht an einem Konzept des intertemporalen Gleichgewichts, wenngleich wiederum - wie in der Konjunkturtheorie - als Fiktion, festzuhalten. Da an dieser Stelle inkohärente Erwartungen ein Gleichgewicht ausschließen, soll der Marktprozeß jedenfalls mehr als eine bloße Sequenz von temporären Gleichgewichten herbeiführen. 10 Bestärkt wird diese Interpretation dadurch, daß sich Hayek auch in späteren Arbeiten - wie jener zum RicardoEffekt (Hayek 1969e, 178), die durch ihre kapitaltheoretische Argumentation einen notwendig intertemporalen Bezug aufweist auf ein "reales" (als von monetären Effekten ungestörtes) Gleichgewicht beruft. Ebenso wird am Keynesianismus die mangelnde Berücksichtigung von Faktoren intertemporaler Koordination kritisiert.11 Dagegen begnügen sich wirtschaftspolitisch orientierte Arbeiten (etwa Hayek 1969b) mit einem sehr weiten Konzept der durch Marktprozesse hervorgebrachten Ordnung oder "Katallaxie", für welche bereits die Abstimmung der laufenden Pläne und eine Bedingung der Produktion zu geringstmöglichen Kosten ausreichen - intertemporale Koordination bleibt außer Betracht. Unter anderem Vorzeichen scheint hier die bereits oben erwähnte Spannung zwischen der "realistischen" Einsicht in die Grenzen der Gleichgewichtsanalyse und der Unentbehrlichkeit von Gleichgewicht als fiktiver Referenz zum Ausdruck zu kommen (insbesondere dann, wenn ein möglichst vollkommenes Gleichgewichtskonzept zugrunde gelegt wird).
9 D.h. ob er bloß Markträumung, auch Angleichung der Erwartungen oder gar Aggregation privater Information zustande bringt. 10 D.i. nach Hicke (1946) Markträumung der Gegenwartsmärkte bei exogen gegebenen individuellen Erwartungen. 11 Typisch hiefür 11.B. Garriaon (1986); Näheres siehe unten 3.4.
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3.3.2 Die Informationsfunktion des Preissystems Gleichgültig, ob von Gleichgewicht als koordiniertem Zustand, in dem privates Wissen kommuniziert wird, oder von Katallaxie als einem fortdauernden Prozeß der Anpassung an eine sich wandelnde Umwelt ausgegangen wird, in beiden Fällen entspricht das Systemverhalten der Hayekschen Vorstellung von einer spontanen Ordnung. Darunter versteht er ein selbstorganisierendes System, das aus dem regelgeprägten Verhalten von Individuen resultiert, ohne daß es von diesen zweckhart entworfen worden wäre. 12 Das augenfälligste Beispiel für eine solche Ordnung bietet das Wettbewerbssystem bzw. die regulative und informationsvermittelnde Funktion, die das Preissystem hierin spielt. Hayek spricht sogar vom "Wunder" des Preissystems (1945, 87). Preise indizieren demnach Knappheiten und bilden einen Anreiz zu ökonomischem (bzw. effizientem) Verhalten. Änderungen der Knappheitsrelationen an irgendeiner Stelle des Systems werden durch die Preisbewegung an jeden einzelnen Akteur weitergegeben. 13 Hiebei ist die Sparsamkeit der übermittelten Information beachtlich, insbesondere können die Anpassungen vorgenommen werden, ohne daß die Akteure die jeweiligen Ursachen der geänderten Knappheiten kennen müssen. 14 Hier gibt es einen unmittelbaren Bezug zur sog. Wirtschaftsrechnungsdebatte (u.a. zwischen Mises und Hayek sowie Lange und Lerner 15 ). Aus der Sicht Hayeks spricht die nicht zu bewältigende Informationsaufgabe gegen die Möglichkeit, mittels eines Zentralplanes die Wettbewerbsergebnisse zu erreichen. Insbesondere ist gegen den Versuch der Marktsimulation das Fehlen von Wettbewerb einzuwenden, und damit jenes Prozesses, der die bestmögliche Nutzung verstreuter, einem zentralen Plan nicht zugänglicher Information sichert. Die Grenzkosten-Preis-Regel z.B. müsse scheitern, weil das Wissen um die Grenzkosten privat ist 12 Vgl. hier;u Hayek (1969c; 1973, 36ff.) sowie aus anderer Sicht Schlicht (1986). 13 Siehe das häufig r.itierte Beispiel einer Verknappung von Zinn (Hayek 1946, 85f.) . 14 Siehe Hayek (1945, 86f.): "The most significant about this system is the economy of knowledge with which it operatea, or how litUe the individual participanta need to know in order to be able to take the right action, ... in order to adjuat their activitiea to changea of which they may never know more than ia reflected in the price movement." Die letzten beiden Halbsätr.e tind für die Interpretation der Hayekschen These entscheidend. 16 Zur Neubewertung dieser Debatte vgl. Lavoie {1986).
3.3 Grensen der Gleichgewichtaanalyse
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und ohne den Anreiz des Wettbewerbs nicht genutzt (und damit zugleich weitergegeben) wird. Hayek bezieht sich mit der Informationsfunktion des Preissystems auf Gleichgewichtspreise, die Information über die gegenwärtige Knappheit von Gütern liefern. Diese These wird in manchen Interpretationen ausgeweitet: erstens, auf die Funktion von Gleichgewichtspreisen, nicht nur gegenwärtige, sondern auch künftige Knappheiten widerzuspiegeln, selbst wenn die Informationen über diese künftige Knappheit (bzw. über künftige Zustände der Welt) privat sind. Dies bedingt für die Entzifferung der Preissignale die Kenntnis der strukturellen Zusammenhänge zwischen jeweiliger privater Information und den Marktpreisen. Das steht zur These der sparsamen Informationsvermittlung im Widerspruch. 16 Zweitens, ist für die neo-österreichische Tradition neben der Informationsfunktion von Preisen im Gleichgewicht jene im Ungleichgewicht zur Steuerung von Marktprozessen relevant (vgl. Kirzner 1984). Hier signalisieren Ungleichgewichtspreise (allerdings nur für eine stationäre Umwelt bzw. ex ante) die Gelegenheit von Arbitragegewinnen, deren Ausnützung näher zu Gleichgewicht und Koordination heranführt Mit der Hayekschen These ist dies sicher nicht unverträglich, steht aber nicht im Mittelpunkt seiner Argumentation (wie der Mangel an Textbelegen zeigt). 3.3.3 Rationalität und unternehmerisches Handeln Diese zweite Interpretation bildet den Ausgangspunkt, um den Marktprozeß näher zu charakterisieren. Die Analyse von Kirzner (I 97 3) betont die Funktion des Unternehmers und dessen "Findigkeit" 17, im Ungleichgewicht bestehende Gelegenheiten zu Arbitragegewinnen aufzuspüren und zu nutzen. Insofern besteht diese Funktion ebenso wie jene der Gewinne nur im Ungleichgewicht;18 durch die Unternehmerischen Aktivitäten wird der Marktprozeß cet. par. - so behauptet Kirzner - zum "hypothetischen Gleichgewichtszustand" (Kirzner 1978, 59) vorangetrieben. Die Unternehmer sind daher für Kirzner - im Gegensatz zu 16 17 18
rUck.
Siehe hier;u unten 5.3.2. So die Obenetr.ung (Kirr.ner 1978, 28) fUr das engliache "alertneaa". Kirr.ner (1978, 69) fUhrt dieae • Arbitragetheorie de• Gewinns" auf Miaes r.u-
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Schumpeters "schöpferischer Zerstörung" von Gleichgewicht und akzentuierter als bei Hayek - in einem gleichgewichtschaffenden Prozeß engagiert. Kirzner exemplifiziert diese These für den Fall eines einzelnen Gütermarktes (bzw. eines mit einem Gütermarkt verbundenen Faktormarktes). Bezüglich der Marktstruktur geht er nicht von Walras' hochorganisiertem Auktionsmarkt aus, wo selbst im Ungleichgewicht ein einheitlicher Preis herrscht, sondern von einem durch eine Vielzahl von bilateralen Transaktionen und damit auch von Preisen charakterisierten Markt. 19 Eine Annäherung an Gleichgewicht kann durch das Ausnützen bestehender Preisdifferenzen auf dem Gütermarkt oder zwischen Güter- und Faktormarkt erreicht werden. Soweit es sich um Aktivitäten in der Zeit handelt, besitzen sie notwendig ein spekulatives Element (siehe Kirzner 1978, 69), z.B. durch die Extrapolation von beobachteten gegenwärtigen auf künftig bestehende Gewinnmöglichkeiten. Die Gewinngelegenheiten des Kirznerschen Unternehmers sind daher vorerst nur Elemente eines individuellen Planes und basieren auf subjektiven Erwartungen, ihre Umsetzungsmöglichkeit ist nicht von vornherein gesichert. Dies weist auf ein methodisches Problem zurück, das im neoösterreichischen Ansatz (z.B. Kirzner 1986 und radikaler O'Driscoll/ Rizzo 1985) als Gegensatz von statischem und dynamischem Subjektivismus bezeichnet wird - repräsentiert durch die Gegenüberstellung des Robbinssehen Maximierers 20 mit dem Kirznerschen Unternehmer. Während das neo-österreichische Paradigma die Berücksichtigung realer Zeit, der Ungewißheit der Zukunft oder der Subjektivität von Erwartungen etc. betont, läßt sich der wesentliche Unterschied als ein methodischer (und ohne Rekurs auf metaphysische Konstrukte) darlegen. Für die Entscheidungstheorie des Robbinssehen Akteurs ist kritisch, daß sie mit ihren Informationsannahmen nur auf die Situation eines entsprechenden Gleichgewichts abgestimmt ist. In diesem Falle braucht nicht zwischen den subjektiven Erwartungen, die den individuellen Plan bestimmen, und den objektiven Ergebnissen der Marktebene unterschieden zu werden, da Gleich19 Dies entspricht der Tradition der Österreichischen Analyse, die von Mengen "isoliertem Tausch" IIU Böhm- Bawerka "Pferdemarkt" reicht. 20 Zurückgehend auf Robbins (1932) - ein ebenfalls von "öaterreichiachen" Einflüssen geprägtes Werk.
3.3 Gremo;en der Gleichgewicht.analyse
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gewicht impliziert, daß die individuellen Handlungen zu den erwarteten Konsequenzen führen. (Überraschungen bezüglich des Zustandes der Welt werden nicht ausgeschlossen, bloß Marktunsicherheit eliminiert.) In diesem Gleichgewichtskontext erscheint die Annahme vollständiger Information als gerechtfertigt und das individuelle Verhalten allein aus dem Rationalitätspostulat (für gegebene Primitiva wie "tastes and technology", aber ohne weitere · Ad-hoc-Annahmen 21 ) ableitbar. Aber für das Verhalten im Ungleichgewicht ist diese Entscheidungstheorie (bzw. ihre Informationsannahme) ungeeignet (vgl. Otruba 1981, 41 ff.), da der Gleichgewichtsansatz keine Antwort auf die Frage gibt, welche Konsequenzen bei unvereinbaren Plänen eintreten werden. Daher ist auf dieser Ebene der im Gleichgewicht eindeutige Zusammenhang zwischen (geplanten) Handlungen und Konsequenzen durchbrachen, rationales Handeln undefiniert. Auch die Beschreibung von Ungleichgewicht als Gleichgewicht auf einer niedrigeren Stufe (z.B. von Nicht-Markträumung als Rationierungsgleichgewicht) kann dieses Problem nicht beseitigen. Denn ist für dieses Gleichgewicht der niedrigeren Stufe eine Entscheidungstheorie mit vollständiger Information anwendbar, so gilt dies wieder nicht für das entsprechende Ungleichgewicht, sodaß man beim Versuch einer logischen Letztbegründung zu einem infiniten Regreß gelangte. Ausschlaggebend ist, daß man ohne Ad-hoc-Elemente (wie z.B. eine nicht unmittelbar aus Optimierungsverhalten abgeleitete Preissetzungsregel) nichts darüber auszusagen vermag, wie und ob sich eine Tendenz zum Gleichgewicht bildet. 22 Unter diesem methodischen Aspekt ist auch eine naive Variante der Robbinssehen Entscheidungstheorie zu kritisieren, welche die Einführung solcher Ad-hoc-Elemente ablehnt. Denn natürlich ist die methodische Vorentscheidung, nur Gleichgewichte zu betrachten, ebenso wie die Gleichsetzung von subjektiven und objektiven Daten des Entscheidungsproblems, auch eine Ad-hocFestlegung, dieses Element somit unumgänglich. Für Kirzners Unternehmer ist es z.B. in der (falliblen) Spekulation auf Ge21 Im weiteren wird dem (r.weifelhaften) neueren Sprachgebrauch gefolgt, Annahmen, die nicht direkt dem Rationalitätspoetulat oder dieeen Primitiva r.ur.urechnen sind, ale "ad hoc" r.u ber.eichnen. 22 In dieaem Sinne beeteht die Kritik von Huffman (1986) an Hahn (1984) r.urecht: Rationalität ohne explir.ite Einführung von Ad-hoc-Anpaasungshypothesen ist nur mit der Analyse von Gleichgewicht vereinbar; daraus ist allerdinge nicht die Überlegenheit eine• Gleichgewichbaneatr.es r.u folgern.
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winngelegenheiten enthalten, sodaß auch hier die Tendenz zum Gleichgewicht zu einer nicht selbstevidenten Hypothese wird. Sie kann - um es zu wiederholen - eben gerade nicht aus der Logik der individuellen Entscheidung gefolgert werden. Dies ist eine der hervorragendsten Erkenntnisse, die aus dem Studium der Arbeiten Hayeks zu ziehen ist. Es kann nicht aus der behaupteten Findigkeit der Unternehmer auf eine Tendenz zum Gleichgewicht geschlossen werden; die konkrete Version unternehmerischen Handeins (im Sinne von Kirzner) und deren Koordinationserfolg kann nicht ohne Rekurs auf empirische (im Sinne von Ad-hoc- )Hypothesen analysiert werden. Freilich bleibt an der neo-österreichischen Position zu kritisieren, daß dieser methodischen Einsicht kein inhaltliches Korrelat im Sinne der Spezifizierung und Prüfung konkreter verhaltenstheoretischer Hypothesen entspricht.
3.3.4 Das empirische Element in der Gleichgewichtsanalyse Von dieser Einsicht ausgehend, soll nun eine über den neoösterreichischen Ansatz hinaus gültige Verallgemeinerung versucht werden. Den gemeinsamen Ausgangspunkt bildet der von Österreichischen (und neoklassischen) Autoren zugrunde gelegte Ansatz des methodologischen Individualismus 23 . Er verlangt die ErkHirung gesamtwirtschaftlicher Erscheinungen durch Rückführung auf individuelle Entscheidungen. Hiefür werden zwei Ebenen der Theoriebildung benötigt: Jene des Individuums beschreibt Ziele und Strategien der einzelnen Akteure, jene der Interaktion spezifiziert den Mechanismus, durch den einzelwirtschaftliche Pläne in gesamtwirtschaftliche Ergebnisse umgesetzt werden. Da typischerweise ökonomisches Handeln nicht einseitig, sondern zumindest bilateral (ein "Tausch") ist, muß die Interaktionsstruktur24 festlegen, wessen Pläne realisiert werden bzw. wie eine Übereinstimmung von Plänen herbeigeführt wird. Wie oben erwähnt, stehen für diese beiden Ebenen exemplarisch die methodischen Konzepte der einzelwirtschaftlicher Rationalität 2S Dieser findet sich al1 "kompoaitive Methode" bereits bei Menger (1883), siehe dazu Hutebison (1981, 18Sf.). Den Begriff hat wohl Schumpeter (1908, 88ff.) geprägt. 24 Die "Interaktionastruktur• bezeichnet jene Elemente von Modellen, durch die die Interdependenzen zwischen den individuellen Handlungen dargestellt werden, &.B. die Form des Wettbewerbe, die Zahl der exietierenden Märkte etc.
3.3 Grensen der Gleichgewichtsanalyse
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- die gemeinsam mit den subjektiven "Daten" das geplante Verhalten bestimmt - und des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts - in dem die handlungsbestimmenden subjektiven Erwartungen und die objektiven Ergebnisse zusammenfallen. 26 Das entspricht Hayeks Definition von Gleichgewicht als Zustand interindividueller Vereinbarkeit von Plänen (relativ zu einer Interaktionsstruktur). Insofern besteht im Gleichgewicht keine Tendenz zu Verhaltens- (bzw. besser: Plan- )Änderungen. Ohne Spezifikation der Interaktionsstruktur bleibt diese Gleichgewichtsdefinition inhaltlich unbestimmt. Daher ist z.B. gegenüber dem Vorwurf des mangelnden Realismus von Gleichgewichtsmodellen auf die Unterscheidung zwischen einem formellen und einem materiellen Begriff von Gleichgewicht zu dringen, d.h. zwischen Gleichgewicht als Analysemethode und dem Inhalt eines spezifischen Gleichgewichtsmodells. Es ist somit sinnvoll, mit E. Weintraub (1985, 108f.) den Begriff der Gleichgewichtsanalyse nur formell, im Sinne einer Heuristik, zu fassen und nicht wie Neue Klassiker und Post-Keynesianer (wenn auch aus gegensätzlichen Motiven) auf einen bestimmten Typ von Gleichgewicht einzugrenzen (vgl. als Beispiele Lucas 1980 und Davidson 1977). In diesem Sinne zählen z.B. sowohl intertemporale als auch bloß temporäre, Markträumungs- ebenso wie Rationierungsgleichgewichte zur Gleichgewichtsanalyse. Sie unterscheiden sich voneinander allerdings durch die jeweils vorgegebene Interaktionsstruktur und, davon abgeleitet, durch die für den einzelnen Akteur zulässigen Aktionsparameter. Insofern ist klar, daß die Gleichgewichtsanalyse keineswegs vollkommene Voraussicht, Markträumung oder Vollbeschäftigung logisch impliziert - trotz der notorischen Verwechslung von Markträumung und Gleichgewicht, die dazu geführt hat, Modelle, die nicht-geräumte Märkte zulassen, als "Ungleichgewichtsmodelle" zu apostrophieren. 26 Abstrakter formuliert folgt daraus die Möglichkeit, Hierarchien von Gleichgewichten zu konstruieren, derart daß übergeordnete Gleichgewichte die Koordination von mehr Variablen bzw. die Wahl aus einer umfangreicheren Strategienmenge zulassen. So 25 Dieser Zusammenhang wird vielleicht bei spieltheoretischen Ansähen noeh einsichtiger: Die individuelle Zielfunktion und die Sper.ifikation der Interdependenr.en legen die Auer.ahlungematrix feet, für eine vorweg definierte Form von Rationalität gibt ein entsprechender Gleichgewichtebegriff ein Lösungekonr.ept mit den o.a. Eigenschaften an. 26 Vgl. die Titel der Arbeiten von Drar.en (1980) und Benaasy (1982}.
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werden im intertemporalen Gleichgewicht die im temporären Gleichgewicht exogenen Zukunftserwartungen zu einer endogenen Größe, ebenso wie der Preis im Markträumungsgleichgewicht Die Erfassung von Anpassungsprozessen kann durch die Methode der Gleichgewichtsbewegung erfolgen: 27 Das Ungleichgewicht der höheren Stufe wird hiebei als Gleichgewicht auf einer niedrigeren modelliert. Die mögliche Tendenz zu einem übergeordneten Gleichgewicht wird als Sequenz von Gleichgewichten der niedrigeren Stufe dargestellt, wobei die auf dieser Stufe exogene Variable im Prozeß modifiziert wird, bis allenfalls ein Gleichgewicht der höheren Stufe erreicht worden ist. 28 Die zuvor für die Frage der Tendenz zum Gleichgewicht abgeleitete Erkenntnis ist hier ebenfalls von Bedeutung. Ebenso wie die Untersuchung der Tendenz zum Gleichgewicht einer verhaltenstheoretisch fundierten Anpassungshypothese (z.B. von Lernprozessen oder der Erwartungsbildung) bedarf, ist auch die Anwendung eines bestimmten Typs von Gleichgewicht nur empirisch (und nicht logisch) zu rechtfertigen. Eigenschaften der Interaktionsstruktur wie vollkommene Konkurrenz, Markträumung, die Existenz von Märkten oder die "Rationalität" von Erwartungen können nicht aus dem Postulat der individuellen Rationalität abgeleitet werden. Dort, wo Elemente der Interaktionsstruktur selbst Gegenstand von Entscheidungen der Individuen sind, ist für deren Transformation in Ergebnisse wieder eine Meta-Struktur nötig usf. - sodaß man ohne Ad-hoc-Vorgabe eines Interaktionsmechanismus nicht auskommt. 29 Der verhaltenstheoretisch zu begründenden Anpassungshypothese korrespondiert eine ebenfalls nicht bloß analytisch (durch den Rekurs auf individuelle Rationalität) zu rechtfertigende Spezifikation der Interaktionsstruktur. Daher muß ein Programm, gesamtwirtschaftliche Ergebnisse allein aus Rationalität und den subjektiven Daten abzuleiten, 80 aus methodischen Gründen scheitern. 27 Vgl. Schlicht (1978); nach Rizzo (1979b, 6) ~cheint eine solche Vorgangsweise auch mit dem neo-österreichischen Paradigma vereinbar. 28 Als Beispiele vgl. Bray (1988) oder Ramaer (1988) . 29 Analog können in einem spieltheoretischen Problem die Spielregeln nicht aus individuellen Entscheidungen hergeleitet werden. 30 Siehe dagegen Huffman (1986, 595) und - trotz seiner skeptischen Einstellung gegenüber den Modellierungsstrategien der Neuen Klassischen Ökonomie - Laidler (1986a, 37): "An economics which can deduce true predictions about all the phenomena that might interest us from nothing but premises about maximir;ing behaviour is presumably the ideal towards which we are all striving."
3.3 Grenzen der Gleichgewichtsanalyse
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In dieser Hinsicht ist auch die Kritik an der Kunstfigur des Auktionators der Walrasianischen Gleichgewichtstheorie zu relativieren. Dieser repräsentiert einen Aspekt der Interaktionsstruktur, indem er unter den exogen vorgegebenen Bedingungen die Konsistenz der individuellen Optimierungsstrategien sichert. 31 Den Auktionator im Sinne eines wohlwollenden, Koordination herbeiführenden Diktators zu interpretieren oder auf ihn selbst das Rationalitätspostulat anzuwenden ist daher ein methodischer Fehlgriff.32 Der Auktionator als scheinbarer Fremdkörper in einer auf individueller Rationalität basierenden Gleichgewichtstheorie steht stellvertretend für einen notwendigen Ad -hoc- Bestandteil jedes Ansatzes des methodologischen Individualismus (nämlich für die Interaktionsstruktur, die niemals gänzlich aus der Individualebene erschlossen werden kann). Kritik müßte daher nicht an der logischen, sondern an der empirischen Gültigkeit eines spezifischen Gleichgewichtsmodells, d.h. an der empirischen Relevanz der Modellimplikationen, ansetzen - hier entscheidet sich, welcher Typ (welche Stufe) von Gleichgewicht für die Analyse anzuwenden ist. An dieser Stelle ist schließlich noch darauf hinzuweisen, daß Rationalität und Gleichgewicht nicht die einzig mögliche Modellierungsstrategie des methodologischen Individualismus sind, sondern auch die Kombination einer behavioristischen Handlungstheorie (z.B. der beschränkten Rationalität) mit einem unvereinbare Pläne (als Ungleichgewicht~ zulassenden Interaktionsmodell deren Anforderungen entspricht. 3 Zumindest als Ergänzung der Gleichgewichtsanalyse könnten solche Untersuchungen einen wichtigen Beitrag leisten.
31 Dies gilt nur im Gleichgewicht seibat bzw. soJanie der Anpaeeungeproze8 - der Tatonnement-Annahme gemäll - fiktiv ist und sich bloll auf die Revision von Plänen bezieht. Für die Analyse eines Prozesses, in dem tatsächlich wirtschaftliche Aktivitäten (Transaktionen) stattfinden, ist dieser Ansah: nicht geeignet (vgl. Arrow 1969) - es müllte zumindest auf eine niedrigere Stufe einer Hierarchie von Gleichgewichten zurückgegriffen werden. 32 Siehe z.B. Rameer (1984, 44f.) bzw. Kromphardt (1987, 178f.), wo die Rolle des Auktionators in Rationierungsmodellen mit dem Argument kritisiert wird, warum der Auktionator nicht gleich auch für markträumende Preise sorge - ein Argument, dae konsequenterweise auch gegenüber Erwartungsfehlern und anderen Ineffizienzen anzuführen wäre. 33 Vgl. programmatisch Aoki/Leijonhufvud (1976) sowie für einen Simulationsansah: Otruba (1981) .
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3. F.A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
3.3.5 Marktprozeß und Laissez-Faire Nach diesem methodischen Exkurs geht es nun um die Beurteilung von Marktprozessen. Deren Überlegenheit gegenüber alternativen Allokations- bzw. Koordinationsmechanismen zählt zweifellos zum unverzichtbaren Credo des neo-österreichischen Paradigmas. Folgerichtig wird auch eine weitgehende wirtschaftspolitische Abstinenz befürwortet und das wichtigste Kriterium für wirtschaftspolitische Maßnahmen in der Förderung des Wettbewerbs gesehen. Marktprozesse bewirken - so das typische Argumentationsmuster -, jedenfalls wenn findige Unternehmer existieren, die Hervorbringung eines erhöhten Maßes an Koordination der einzelnen Pläne, d.h. verbesserte wechselseitige Abstimmung und Kommunikation; inwiefern diese Koordinationsleistung analytisch als Tendenz zu einem Gleichgewicht erfaßt werden kann, ist allerdings umstritten. 34 Koordination, nicht der wohlfahrtsökonomische Begriff der Effizienz, stelle demgemäß das adäquate Beurteilungskriterium für die Leistung eines Wirtschaftssystems dar. Am sog. Nirwana-Ansatz der Wohlfahrtsökonomie (vgl. Demsetz 1969) wird kritisiert, dessen Effizienzbegriff beziehe sich auf einen unerreichbaren Idealzustand und sei daher für die Beurteilung von Marktprozessen ungeeignet, legitim nur der Vergleich der Koordinationsleistungen unterschiedlicher Institutionen, die mit den gleichen Problemen unvollständiger Information fertig werden müssen. 36 Zuerst soll die These von der Koordinationsleistung des Marktprozesses diskutiert werden. Hiebei ist vorweg auf den bereits dargelegten Zusammenhang zwischen Individual- und Interaktionsebene zu verweisen bzw. auf das Hayeksche Argument, eine Tendenz zum Gleichgewicht und implizit Vollkommenheit oder Nicht- Verbesserbarkeit eines Gleichgewichts könne nicht logisch aus Apriori-Annahmen über die Individualebene hergeleitet werden.36 Für eine modelltheoretische Analyse benötigt man zudem 34 Näheres im nächsten Abachnitt. 36 Eine ähnliche Kritik findet sich bereits bei Hayek (1946, 89ff.); vgl. auch Kinner (1978, 17lff.). 36 Riuo (1979b, 6f.) argumentiert, ein ausreichend weiter Begriff von Gleichgewicht implir.iere jedenfalls dessen Effiaienr., da alle offenstehenden Möglichkeiten der Nutr.ensteigerung realisiert wUrden. Dies gilt aber nur für eine gegebene lnteralttionaatruktur, und der tautologische Charakter dieaer These folgt aus dem Venicht, alternative Strukturen r.u betrachten.
3.3 Grencen der Gleichgewichtaanalyae
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(Ad-hoc- )Hypothesen über Anpassungsprozesse bzw. die Interak-
tionsstruktur. Das bloße Postulat der Existenz findiger Unternehmer vermag Koordination bzw. Effizienz nicht zu garantieren. Denn Findigkeit ist als Aufspüren und Nützen von Gewinngelegenheiten nur in einem subjektiven (ex ante) Sinn definiert, aus dem individuellen Koordinationsversuch darf aber nicht auf den gesamtwirtschaftlichen Koordinationserfolg geschlossen werden. Dieses methodische Problem kann auch nicht durch den Hinweis gelöst werden, das Lernen der Unternehmer sei analog dem Erwerb von Vermutungswissen im Sinne der Poppersehen Methodologie konzipiert. 37 Der Prozeß von Vermutung und Widerlegung erhöht zwar die "Wahrheitsnähe", doch handelt es sich dabei bloß um ein konventionalistisches Kriterium, das Annäherung an die Wahrheit (im Sinne eines erkenntnistheoretischen Realismus) nicht gewährleisten kann. 38 Die Kritik an der Koordinationsthese läßt sich am besten anband von Gegenbeispielen konkretisieren.
Eine direkt auf Kirzner Bezug nehmende Kritik muß bei der Beschränkung der von ihm angeführten Beispiele auf eine partialanalytische Betrachtung ansetzen. Daß die Übertragung partialanalytischer Ergebnisse auf die Gesamtwirtschaft eine Art "Trugschluß der Verallgemeinerung" bedeuten kann, ist wohlbekannt. So hat z.B. die Stabilitätsanalyse von Tatonnement-Modellen gezeigt, daß bei hinreichend starken Komplementaritätsbeziehungen zwischen den Gütern eine für den einzelnen Markt cet. par. stabilisierende Preisanpassung in ihrer Systemwirkung destabilisierend wirken kann. 39 Weiters kann nach Kirzner das Auftreten von Unternehmern als Arbitrageure zwischen Güter- und Faktormarkt Unterbeschäftigung verhindern. Das trifft jedoch nur für den klassischen Fall von Arbeitslosigkeit aufgrund zu hoher Reallöhne zu. Hier kann ein Tausch von überschüssig angebotener Arbeit gegen in zu geringem Maß angebotene Güter bei einem niedrigeren Reallohn initiiert werden. Anders steht es jedoch bei Keynesscher Ar-
37 Vgl. Boland (1982, 96ff.), O'Driscoll/Riuo (1985, 3Sff.) und Ut&ig (1987, 26lff.) eowie kritisch Salanti (1987). S8 Vgl. r..B. Popper (1973, besonden 46ff.). 39 Vgl. die sog. "Brutto-Substitut"-Annahme fUr Tatonnement-Stabilitl!.t bei Arrow/Hahn (1971, 282ff.).
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3. F .A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
beitslosigkeit in einer arbeitsteiligen Wirtschaft. 40 In einem solchen Keynesschen Gleichgewicht mit nachfragebeschränkter Produktion existieren keine Gelegenheiten mehr, durch gewinnbringende bilaterale Transaktionen zu verbesserter Koordination zu gelangen. Selbst wenn überschüssige Arbeit zu einem niedrigeren Lohnsatz angeboten würde, wird der einzelne Produzent erwarten, daß er zusätzliche Produktion nicht absetzen kann. Vollbeschäftigung hat hier eine kooperative Ausweitung von Beschäftigung und Produktion durch alle Produzenten zur Voraussetzung, eine Koordinationsaufgabe, die wohl auch findige Unternehmer überfordert.41 Ein anderes Gegenbeispiel ergibt sich, wenn für ein und dieselbe Ausgangssituation (aus der Sicht eines externen Beobachters) mehrere Gleichgewichtszustände resultieren, die womöglich nach dem Pareta-Kriterium gereiht werden können. Dies gilt etwa für sich selbst erfüllende Erwartungen, z.B. das Verhalten angesichts einer Liquiditätskrise (vgl. Diamond/Dybvig 1983 ). Die Erwartung eines Bankenzusammenbruchs induziert ein Verhalten (einen "run"), das diese Erwartung erfüllt, während optimistischere Erwartungen den Zusammenbruch verhindert hätten. Daraus lassen sich die folgenden Schlüsse ziehen. Gleichgewicht als ein Höchstmaß erreichbarer Koordination bedeutet, daß innerhalb einer vorgegebenen Interaktionsstruktur alle Gewinngelegenheiten wahrgenommen und realisiert worden sind. Die in der Wirtschaftsrechnungsdiskussion vorgebrachten Argumente weisen überzeugend nach, daß ein innerhalb einer Wettbewerbsstruktur hervorgebrachtes Ergebnis z.B. durch das Kommandosystem eines zentralen Planes nicht erreicht werden kann. Insoweit ist der neoösterreichischen Position durchaus beizupflichten. Allerdings ist ein Zentralplan nicht die einzige Alternative der Wirtschaftspolitik, wenn sie ein Wettbewerbsergebnis zu verbessern trachtet. Denn es darf aus den o.a. Gründen nicht von vornherein darauf vertraut werden, daß die existierende Interaktionsstruktur die bestmöglichen Resultate erbringt bzw. - eine Stufe höher argu-
40 Zur Untencheidung von klaaaiacher und Keyneeacher Arbeitslosigkeit vgl. r;.B. Clower (1965) und Benaaay (1982); aiehe auch unten. In der Non-tatonnement-Literatur iat ein analoger Einwand gegen den aog. "Hahn-Pro&e.ll" bekannt; siehe F .M. Fisher (1983, 33f.). 41 Spieltheoretisch kann dieaea Problem ale ein "Gefangenendilemma" erfa8t werden; siehe Schotter (1981, 37ff.).
3.3 Grenaen der Gleichgewichtsanalyse
101
mentiert - durch einzelwirtschaftliche Kooperation die bestmögliche Interaktionsstruktur hervorgebracht worden ist. Gerade wenn mögliche Verbesserungen nur durch kooperatives Handeln erreicht werden können, liegt die Vermutung nahe, daß Wirtschaftspolitik durch eine Änderung des institutionellen Rahmens (bzw. der Interaktionsstruktur) Marktversagen tatsächlich beseitigen kann. 42 Denn selbst wenn Wettbewerb als überlegenes Koordinationsverfahren akzeptiert wird, bleibt noch die Frage nach dem geeignetsten institutionellen Rahmen offen. Die Betonung der Unverzichtbarkeit dieser ordnungspolitischen Aufgabe des Staates zählt zu den wesentlichen, von den Neo-Österreichern aber kaum rezipierten Erkenntnissen des Ordoliberalismus (z.B. Eucken 1952). Marktversagen könnte in diesem Sinne durchaus als Folge eines mangelhaften ordnungspolitischen Rahmens angesehen werden - z.B. externe Effekte als Folge unzureichender Eigentumsrechte - und einen wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf begründen. Natürlich sind auch in Hinsicht auf die Wirtschaftspolitik Anreizstruktur und Informationsbasis der Entscheidungsträger und der vollziehenden Bürokratie zu berücksichtigen. Ein Apriori-Argument für wirtschaftspolitische Abstinenz und damit für die Optimalität des jeweiligen Status quo43 erscheint jedoch zumindest genauso dogmatisch und analytisch unfundiert wie die am Nirwana-Ansatz zurecht kritisierte Prävalenz korrigierbaren Marktversagens. 3.3.6 Das subjektivistische Dilemma
Zuletzt ist auf die interne Kritik an der Bedeutung des Gleichgewichtskonzeptes für das neo-österreichische Paradigma einzugehen. Für diese interne Diskussion ergibt sich auf mehreren Ebenen 44 ein Problem, das ich als "subjektivistisches Dilemma" bezeichnen möchte. Es folgt aus dem Subjektivismus-Postulat, das die spezifisch Österreichische Variante des methodologischen Indi42 Modelltheoretische Beispiele hiefür aind etwa die Änderung von Haftunpregeln im Rahmen des sog. "Coaae-Theorems" bei Vorliegen relevanter Tranaaktionskoaten oder die Einführung von Qualitllotsstandarda bei aaymmetrischer Information. 43 Seit Buiter (1980) als "Pangloss-Theorem• bekannt (nach einer Figur aus Voltaires "Candide"). 44 Zur methodischen Ebene vgl. Hutebison (1981, 203ff.).
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3. F.A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
vidualismus begründet. Hiebei bezeichnet Subjektivismus den Ansatz, bei der Erklärung menschlichen Verhaltens bzw. gesellschaftlicher Erscheinungen nicht auf die Relationen der physischen Welt als Ursachen abzustellen, sondern auf die subjektiven Motive, Vorstellungen und Erwartungen der Individuen. 46 Ein Dilemma entsteht durch die vom methodologischen Individualismus geforderte Verknüpfung der vom Subjektivismus dominierten individuellen Sphäre mit jener der Interaktion. Die im Zentrum der Österreichischen Ökonomie stehende Kommunikationsleistung, die auf Vereinbarkeit von Plänen und Vereinheitlichung von Erwartungen abzielt, scheint ein Überschreiten der vom Subjektivismus gezogenen Grenzen notwendig zu machen. In der oben dargestellten Methoden-Diskussion zeigte sich dies in der Ietztlichen Nicht-Begründbarkeit der Interaktionsstruktur aus den individuellen subjektiven Entscheidungen. Die neo-österreichische Diskussion über das "richtige" Maß an Subjektivismus (z.B. Yeager 1987) spiegelt dies in der Frage nach dem Status von Gleichgewicht bzw. der Tendenz zum Gleichgewicht wider. Tatsächlich ist die grundlegende Frage: Wie gelangt man von einer (extrem) subjektivistisch geprägten Theorie des individuellen Verhaltens zu Aussagen über erfolgreiche interindividuelle Koordination? Wie bereits oben dargelegt, beziehen sich Hayek und Kirzner in ihren theoretischen Arbeiten auf ein Gleichgewichtskonzept bei Hayek am offenkundigsten im Konzept des neutralen Geldes, aber auch mittelbar durch seinen Stabilitätsoptimismus, bei Kirzner durch die Orientierung des Unternehmerischen Marktprozesses an einem Gleichgewichtszustand. Gleichgewicht stellt hier einen fiktiven Referenzstandard völliger Koordination 46 bzw. den hypothetischen Endpunkt der Anpassung an eine gegebene Umweltkonstellation 47 dar und liefert somit (dem theoretischen Ökonomen) Information über die potentiellen Koordinationsleistungen des Wettbewerbs. 46 Vgl. dazu Hayek (1952, 4lff.); kennzeichnend ist das folgende Zitat: "Money ia money, a word ia a word, a coametic ia a cosmetic, if and becauae everybody thinka they are.• (Hayek 1949b, 60) 46 Siehe Hayek (1937, 34): • .. before we can explain why people commit miatakea, we muat firat explain why they ahould ever be right"; siehe auch Garriaon (1986, 317). 47 Diesen Gleichgewichhbegriff Ichreibt Lachmann (1976, 60) u.a. Mieea und Hayek zu.
S.S GremJen der Gleichgewichhanalyse
lOS
Von Vertretern eines radikalen Subjektivismus (wie Lachmann 1976, 1977, 1978 und O'Driscoll/Rizzo 1985) wird die Orientierung an diesem Gleichgewichtsbegriff abgelehnt. In der Nachfolge von Shackle geht Lachmann von der Unbestimmbarkeil (im Sinne einer Nicht-Voraussagbarkeit auch im Prinzip!) menschlichen Handeins aus und bezweifelt die Existenz gleichgewichtsstrebiger Tendenzen (Lachmann 1977, 37f.). Da das Subjektivismus-Postulat besonders für die Bildung von Erwartungen angesichts einer nicht voraussehbaren Zukunft gilt, ist bestenfalls Koordination im Sinne von Markträumung, nicht jedoch eine Abstimmung von Plänen und Erwartungen möglich, die sich auf die Zukunft richten. Eine Illustration hiefür bietet der Aktienmarkt, auf dem im Gleichgewicht Haussiers und Baissiers, d.h. divergierende Erwartungen koexistieren (Lachmann 1976, 59f.). Intertemporale Koordination vermögen demnach auch Markt und Wettbewerb nicht zu leisten. Erwähnenswert ist sicherlich, daß Lachmann trotz dieses Nihilismus bezüglich Gleichgewicht und Koordination die Überlegenheit von Marktprozessen mit apodiktischer Gewißheit zu vertreten weiß 48 - Nicht-Österreicher sehen auch darin ein Dilemma (siehe Hutebison 1981, 229f. und Shearmur 1986, 219f.). Einen anderen Aspekt heben O'Driscoll/Rizzo (1985) in ihrer Kritik am ebenfalls Hayek und Kirzner zugeschriebenen Konzept des exakten Gleichgewichts (ib., 79ff.) hervor. Dieses Konzept sei kontrafaktisch und inkonsistent, da einerseits ein solches Gleichgewicht aufgrund ständiger Änderungen der externen Umwelt nicht erreicht werden könne, anderseits der Marktprozeß endogen notwendigerweise neues Wissen erzeugt und die Enttäuschung von Erwartungen hervorruft - sodaß schließlich die Vorstellung eines solchen Gleichgewichts mit jener des Marktprozesses im Widerspruch stehe. 49 Dieser Anspruch ist sicherlich überzogen. 60 Denn erstens geht es Hayek und Kirzner primär um die Möglichkeit, d .h. die logische Konsistenz, ihres Gleichgewichtskonzeptes, insofern es als fiktiv oder hypothetisch betrachtet wird. Und zum zweiten ist der Schluß von der Produktion neuen Wissens durch den Marktprozeß auf die Notwendigkeit enttäuschter Erwartun48 Im Gegeneab lU Shackle, der von den gleichen Prämi81en auageht, aber auch ber;üglich der wirtachafhpolitiachen Konaequenr;en nihilistisch bleibt. 49 Vgl. O 'Driacoll/Riuo (1986, 71ff.) über die "endogeneity of uncertainty in real time and ih incompatibility with atandard notiona of equilibrium" (ib., 72) . 60 Vgl. r;ur folgenden Kritik Baird (1987).
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8. F.A. von Hayeks Theorie der Geldwirtschaft
gen ein non sequitur, denn natürlich kann neues Wissen auch Erwartungen bestätigen - die Möglichkeit eines intertemporal Erwartungen koordinierenden Gleichgewichts kann dadurch nicht ausgeschlossen werden. Letztlich erweist sich dieses Dilemma für das neo-österreichische Paradigma als ausweglos. Die logische Mö\lichkeit eines intertemporalen Gleichgewichts ist unbestreitbar. 1 Dessen praktische Relevanz hängt nach Hayek allerdings von der empirischen Tendenz zum Gleichgewicht ab.62 Die o.a. Kritikpunkte der unvermeidlichen Subjektivität von Erwartungen und deren endogenen Enttäuschung durch den Marktprozeß stellen wichtige Einwände dar. Sollten sie zutreffen, so scheint der Nachweis der logischen Existenz (zumindest nach Hayeks eigenen Kriterien) irrelevant - wie dessen Kritiker jedoch dem selbstgestellten Dilemma entkommen wollen, etwas über die Wünschbarkeil von Marktprozessen auszusagen, ohne angeben zu können, welche (intertemporalen) Muster von diesen erzeugt werden, muß wohl unbeantwortet bleiben. 3.4 Geld und intertemporales Gleichgewicht. Eine vorläufige Würdigung.
Bevor die für eine Würdigung von Hayeks Beitrag zur Theorie der Geldwirtschaft bedeutsame Frage nach der Relevanz von intertemporalem Gleichgewicht anband modelltheoretischer Argumente untersucht wird, sind die wesentlichen Elemente von Hayeks Theoriegebäude zu rekapitulieren. Hayek konzipiert Geldwirtschaft derart, daß Geld explizit nur als ein potentieller Störfaktor auftritt, indem es dem für die intertemporale Koordination zentralen Preis, dem Geldzins, Abweichungen vom Gleichgewicht (einer äquivalenten Tauschwirtschaft) ermöglicht. Unbeachtet bleibt die Frage, welche Funktion Geld in dieser Wirtschaft ausübt, insbesondere inwiefern diese Wirtschaft vom tauschwirtschaftliehen Idealtypus abweichen muß, damit für Geld eine Funktion zu erfüllen ist. Eine implizite 61 Für den Nachweil im Rahmen der Theorie dea Allgemeinen Gleichgewicht. siehe Arrow (1964) und unten 6.1.2. 62 Siehe jedoch Garriaon (1986, 818), der die Tendenz r.um (intertemporalen) Gleichgewicht apriorisch begründet, d .h. r.u den unwiderleglichen Axiomen dee Paradigma. zählt.
3.4 Eine vorläufige Würdigung
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Voraussetzung für Geldwirtschaft ist auch bei Hayek die Unvollständigkeit der Märkte - in Form nicht existierender Zukunftsmärkte -, sodaß für zukünftige Güter Preise durch Preiserwartungen ersetzt werden müssen. Intertemporales Gleichgewicht verlangt die Korrektheit (oder zumindest Kohärenz) dieser Erwartungen. Dagegen ist das Argument der unvermeidlichen Subjektivität von Erwartungen zu halten, wie es vor allem Lachmann betont hat. Als weiteres wichtiges Element ist die Informationsfunktion des Preissystems heranzuziehen, wobei für die folgenden Überlegungen besonders Hayeks Aussage über die Sparsamkeit der kommunizierten Information relevant ist, die dem einzelnen Produzenten eine Reaktion auf geänderte Knappheiten ermöglicht, ohne deren Ursachen kennen zu müssen; Ähnliches gilt für die durch Ungleichgewichtspreise ausgelösten Arbitrageaktivitäten Kirznerscher Unternehmer. Jedes dieser Elemente spiegelt einen unverwechselbaren Beitrag Hayeks zur Entwicklung der ökonomischen Theorie wider; für die hier zu betrachtende Theorie der Geldwirtschaft stellt sich die entscheidende Frage nach der Möglichkeit, diese geldtheoretischen und wettbewerbstheoretischen Erkenntnisse aus einer widerspruchsfreien "Vision" zu rekonstruieren. In ihrer ganzen analytischen Schärfe wird diese Frage an dem Versuch von Garrison schlagend, eine neo-österreichische Makroökonomie (mit konstitutiven Bestandteilen aus Geld- und Kapitaltheorie) einem monetaristischen bzw. keynesianischen Ansatz gegenüberzustellen. 1 Dabei nimmt sie nach Garrison (1984, 202f.) bezüglich des Status von intertemporalem Gleichgewicht eine Mittelstellung ein: Für den monetaristischen Ansatz ist es stets verwirklicht, dagegen für Keynesianer unerreichbar. Demgegenüber läßt das Österreichische Paradigma beobachtbare Zustände von intertemporalem Ungleichgewicht zu, als deren Ursache monetäre Störungen gelten, sie werden jedoch durch das Vorherrschen einer Tendenz zum Gleichgewicht zum Verschwinden gebracht. Die der Keynesschen Theorie zugeschriebene Leugnung dieser Tendenz wird daraus erklärt, daß vom wesentlichsten intertemporalen Steuerungsmechanismus, nämlich dem Geldzins, durch die rein monetäre Zinserklärung der "General Theory" (irrigerweise) abgesehen wird.
1 Vgl. Garrison (1984, 1986, 1987) und kritisch Snippe (1987a,b) .
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3. F.A. von Hayeka Theorie der Geldwirtschaft
Aus dieser Sicht muß aber der Optimismus, intertemporale Koordination könne in einer Geldwirtschaft bloß durch die Gleichgewichtspreise für Gegenwartsgüter und den Geldzins gewährleistet werden, ohne Grundlage bleiben. Einerseits ist selbst für einen dem intertemporalen Gleichgewicht entsprechenden Zinssatz (d.h. ohne monetäre Komplikationen) die Koordination von künftiger Produktion und Konsumtion nur global, nicht bezüglich der einzelnen Märkte gesichert - hiefür ist die korrekte Voraussicht der künftigen relativen Preise notwendig, für die jedoch keine Zukunftsmärkte sorgen können. Anderseits gleicht der auf dem Kapitalmarkt bestimmte Geldzins bloß Angebot und Nachfrage bezüglich des Transfers von Kaufkraft (in Form von Geldkredit) aus, dieser Zins vermag aber nicht anzuzeigen, in welchem Ausmaß die in die Zukunft transferierte Kaufkraft für Güternachfrage genutzt oder bloß weiterer Vermögensanlage dienen wird. Was den intertemporalen Kontext angeht, so kann das unvollständige Preissystem demnach nicht in der von Hayek angegebenen Weise über (zumindest die künftigen) Knappheiten informieren, und zwar weil keine Marktpreise für die künftigen Güter existieren. Es gibt daher keinen Mechanismus, um die hinter den Angebots- und Nachfrageplänen steckenden Preiserwartungen aufeinander abzustimmen bzw. korrekte Voraussicht zu sichern. Für den einzelnen Akteur stellen seine Preiserwartungen ebenso wie seine Angebots- und Nachfragepläne bezüglich künftiger Güter ein privates Wissen dar, das - obwohl für intertemporale Koordination unentbehrlich - von dem unvollständigen Preissystem nicht vermittelt wird. Im Sinne der neo-österreichischen (Hayekschen) Terminologie handelt es sich um einen Zustand des Ungleichgewichts, das von den Preissignalen nicht beseitigt werden kann, da für die hier skizzierte Geldwirtschaft die nicht allein "real" bestimmte Höhe des Geldzinses nicht Ausdruck einer Störung, sondern konstitutives Merkmal ist. 2 Dieses negative Verdikt ist allerdings in einem Punkt zu relativieren: Bleiben die "Daten des Problems", d.s. die individuellen Präferenzen einschließlich des erwarteten Nutzens der Geldhaltung sowie der Stand der Technologie, lange genug stationär, so besteht die Möglichkeit, aus Erwartungsfehlern zu lernen eine logische Notwendigkeit, durch Lernprozesse systematische 2 Das &ustandegekommene Gleichgewicht entspricht daher nur den Anforderungen eines temporären Gleichgewichts.
3.4 Eine vorläufige Würdigung
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Fehler auszuschalten, existiert natürlich nicht. Es ist auch fraglich, inwieweit das benötigte Ausmaß an Stationarität mit der Vision von Wissensvermittlung in einer sich ändernden Welt vereinbar ist, die dem neo-österreichischen Paradigma zugrundezuliegen scheint. Falls jedoch die Akteure auf diese Weise Kenntnis von der Struktur des Wirtschaftssystems erlangt haben, so können sie aus dem unvollständigen Preissystem nicht nur Information über die gegenwärtigen Knappheiten, sondern auch über die zukünftigen Angebots- und Nachfragepläne herauslesen, obwohl diese privates Wissen darstellen. 3 Sogar dann wird in manchen Konstellationen das private Wissen nicht zur Gänze, sondern nur partiell enthüllt. 4 Der entscheidende Einwand ist allerdings, daß diese Art von Informationsfunktion des Preissystems nicht derjenigen Hayeks entspricht: Der Gleichgewichtspreis signalisiert nun nicht mehr bloß die Knappheit des betreffenden Gutes, vielmehr impliziert Strukturkenntnis, daß die Akteure die Zuordnung zwischen unterschiedlichen Konstellationen privaten Wissens über künftige Pläne und den Gleichgewichtspreisen kennen. Aus den Preisen sind daher die künftigen Pläne der anderen Akteure (teilweise) zu erschließen und hernach (eventuell in einem iterativen Prozeß) die eigenen Pläne zu korrigieren. Hier trifft - anders als bei Hayek ( 1945) - die auf Morgenstern ( 1935) zurückgehende Kritik zu, daß jeder Akteur, um die Gleichgewichtspreise richtig interpretieren und intertemporale Koordination herstellen zu können, ein Problem lösen muß, das in seiner Dimension jenem eines Zentralplanes gleichkommt, den die informationsvermittelnde Funktion des Preissystems gerade ersetzen sollte. 6 Als Resümee ist daher festzustellen, daß eine konsistente Rekonstruktion der Hayekschen Theorie der Geldwirtschaft, in der Platz für eine marktinhärente Tendenz zu intertemporalem Gleichgewicht besteht und gleichzeitig die subjektivistische Basis der Individualentscheidung sowie die Informationsfunktion des Preissystems im Sinne Hayeks gewahrt ist, als gescheitert zu betrachten ist. - Dies weist zunächst auf die alternative Sichtweise 3 Erat unter dieaer Wiaeenaannahme gilt die optimistiache Bemerkung von O'Driecoll (1977, 27): "To argue ... againet the effieiency of a market eyetem becauee it Iacki future marketa is aurely to mi88 the point. lf there are pricee, the expectationa of all market partieipanta are thereby reflected for all othera to interpret." 4 Genaueres hiezu im Kapitel 6.3.2. 6 Vgl. su dieeer Kritik Arrow (1978) und neuerdingeSnippe (1987b) .
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3. F.A. von Hayekl Theorie der Geldwirtschaft
einer Geldwirtschaft, der der Bezug zu intertemporalem Gleichgewicht verloren gegangen ist und in der die "dark forces of time and ignorance" (Keynes 1936, 155) herrschen.
4. J.M. KEYNES' ALLGEMEINE THEORIE DER GELDWIRTSCHAFT In der Geschichtsschreibung der theoretischen Ökonomie gelten die Jahre von 1926 bis 1939 als Höhepunkte einer fruchtbaren Auseinandersetzung mit den traditionellen Ansätzen der Neoklassik (vgl. Shackle 1967). Dies gilt besonders für das Gebiet der Geldtheorie. Hier repräsentierte John Maynard Keynes (gegenüber so unterschiedlichen Anhängern der "klassischen Ökonomie" wie Hayek, Robertson und Pigou) die heterodoxen Strömungen der Zeit. Ein kurzer Blick auf die Werkgeschichte soll die folgende Untersuchung einleiten. 1 Hier ist - für den Bereich der monetären Theorie - eine Entwicklung zu einem immer radikaleren Gegensatz zur traditionellen Doktrin festzustellen. Steht der "Tract on Monetary Reform" (1923; CW 4) noch ganz auf dem Fundament der Quantitätstheorie, so wird diese im "Treatise on Money" (I 930; CW 5 und 6) bereits in Frage gestellt und ihr analytischer Apparat durch die sog. "Grundgleichungen" ersetzt. Im Hauptwerk, der "General Theory" ( 1936; CW 7)2 , wird schließlich auch die hinter der Quantitätstheorie stehende realwirtschaftliche Analyse, insbesondere deren Vollbeschäftigungs-Optimismus, kritisiert und Unterbeschäftigung als Normalzustand einer LaissezFaire-Wirtschaft erkannt. Die beiden letzteren Werke bilden den wesentlichen Gegenstand der folgenden Abschnitte, wobei das Schwergewicht naturgemäß bei der GT liegt. Im übrigen konnte Keynes' Angriff auf die Orthodoxie nicht ohne Kontroversen abgehen. Zu erwähnen sind hiebei u.a. die Auseinandersetzung mit Hayek, in deren Rahmen die Hayek-Sraffa-Kontroverse entstand3, ferner die langwierige und ergebnislose Verteidigung von 1 Zu Leben und Werk v&l. u.a. Harrod (1951), Patinkin (1976) sowie Skidelaky (1983) . 2 "Treatiae on Money" wird im fol&enden mit "TM" ab&ekUrzt (die Zitate beziehen sich etete auf den ersten Band, wenn nicht auedrUcklieh durch "II" - für den zweiten Band - an&e&eben), für "General Theory" steht "GT". Die Zitierun&en fol&en den Aua&aben der "Collected Writinp of John Maynard Keynea" ("CW"). 3 Siehe oben 3.1.3.
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4. J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
TM und GT gegen die Kritik seines ehemaligen "Ko-Autors" Robertson", sowie die ebenfalls von Robertson initiierte Diskussion der Keynesschen Zinstheorie. 5 Im literarischen und analytischen Stil von Hayek diametral verschieden, hat Keynes jedenfalls ein theoretisches Werk hinterlassen, dessen Faszination an der kaum überschaubaren Zahl von Enträtselungsversuchen und exegetischen Übungen abzulesen ist. 4.1 Die Geldtheorie der "Treatise on Money"
Die Entstehung der "Treatise" stellte Keynes vor ein Dilemma, das auch am Ergebnis abzulesen ist: Einerseits ging es ihm darum, das geldtheoretische Standardwerk seiner Zeit zu schaffen6 , anderseits entfernte er sich mit jeder Fassung der TM weiter von den Positionen der traditionellen Geldtheorie, ohne daß schließlich ein kohärentes Ganzes entstanden wäre. Dem letzteren Umstand verdankt sie ihren die Interpretation erschwerenden uneinheitlichen Charakter - Keynes selbst spricht im Vorwort von den "many skins I have sloughed still littering these pages" (TM, xvii) - ebenso wie die unerwartete und vehemente Kritik in der wissenschaftlichen Rezeption. 7 Aus dieser Entstehungsgeschichte läßt sich wohl eine Anzahl von Mängeln dieses trotz manchmal erstaunlicher Konsistenz unrigorosen, in vielen Passagen geradezu literarischen Werkes erklären. Beispiele solcher Mängel sind die uneinheitliche Definition und Verwendung von zentralen Begriffen8 sowie das weitgehende Fehlen der Unterscheidung von geplanten und realisierten Größen bzw. von Individual- und Marktexperimenten9 - dies be4 Vgl. Robertson (1931, 1933a,b,c) und Keynes (1931b,c, 1933b). 5 Zur allgemeinen Re&eption der GT siehe unten 5.1.1. 6 Bekanntlich verfolgte Schumpeter ebenfalls ein solches Projekt, gab es jedoch auf, nachdem ihm Keynes mit der TM &uvorgekommen war; vgl. Starbatty (1985, 76). 7 Zur TM als den Beginn von Keynes' "Struggle for Freedom from the Quantity Theory" siehe Patinkin (1976, 18); vgl. auch Kahn (1984, 27ff.). 8 Das augenscheinlichste Beispiel bietet die Definition des Investitionsbegriffes er buieht sich einmal auf den (Wert des) physischen Zuwachs(es) von Realkapital, an anderer Stelle auf den gelamten Kapitalbeatand (aiehe TM, 114, 117 und 155). 9 So erläutert Keynes an verschiedenen Stellen (siehe u.a. TM, 33 und 226) die Ursachen einer Erhöhung der finan&iellen Zirkulation, ohne daß klar wird, ob es 1ich hiebei um eine geplante Geldnachfrage im Sinne aggregierter Individualexperimente oder um die realisierte Geldmenge im Sinne eines Marktexperiments handelt. Nur die
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
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gründet den zu untersuchenden Vorwurf, bei den "Grundgleichungen" der TM handle es sich um bloße Tautologien. Ganz besonders exemplifiziert die TM jedoch das Dilemma einer um Realismus bemühten theoretischen Ökonomie: Wohl ist das der TM zugrunde liegende Grundmodell logisch konsistent, die zur Illustration des Modells erzählten "Geschichten" 10 gehen jedoch oft über das im Modell Beweisbare weit hinaus. - Diese Dilemmata und Interpretationsprobleme bilden den Hintergrund, vor dem in den folgenden Abschnitten versucht wird, die wesentlichen Aussagen des Grundmodells der TM zu rekonstruieren. 4.1.1 Zirkulationssphären und Kritik der Quantitätstheorie
Die TM beginnt mit einer lehrbuchhaften Klassifikation der Geldarten, Abgrenzungen des Geldbegriffes und einer Darstellung von Indexzahlen. Die erwähnten Gelddefinitionen stehen ebenso konventionell in der Tradition der Geldtheorie der 20er-Jahre wie die Analyse des Geldangebots- bzw. Geldschöpfungsprozesses 11 das Maß der potentiellen Geldschöpfung hängt von dem Bestand an Zentralbankgeld ("high-powered money"), den in Großbritannien durch Konvention bestimmten Reservesätzen gegenüber Bankeinlagen, dem "Gleichschritt" der Kreditgewährung zwischen den Banken etc. ab (TM, 20ff.). Für den analytischen Aufbau der TM ist die von Keynes getroffene Vereinfachung wichtig, "that all the centrat bank money is held by the member banks, [and] also that all the current money in the hands of the public is member bank money, i.e. bank deposits" (ib., 27). Das erlaubt es, von der Bargeldhaltung des Publikums abzusehen, sodaß alles Geld, auf das sich dessen Nachfrage richtet2 aus von den Geschäftsbanken geschaffenen Einlagen besteht. 1 Im folgenden unterscheidet die TM zwischen Einlagentypen (Sicht- und Spareinlagen) 13 , klassifiziert sie nach den Motiven der letztere Interpretation würde die Schlußfolgerung auf ein elastisches Geldangebot (wie bei Shackle 1967, 212f.) notwendig machen. 10 Zum "atorytelling" vgl. Ward (1972, 179ff.). Wie daa vorige Kapitel ger;eigt hat, gilt dieser Vorwurf auch gegenüber Hayek. 11 Vgl. r;u den Geldbegriffen Robertaon (1928, 34ff.); r;um GeldschöpfunJapror;eß sind in der TM selbst (22) die Arbeiten von Phillip1 (1920) und Crick (1927) r;itiert. 12 Diese Vereinfachung gilt auch für die GT (vgl. 167); vgl. Miller (1984b) . 13 Für "Sichteinlagen" und "Spareinlagen" ateht im Original "caah depoaita" b&w. "savinga depoaita", die übrigen Überaetzungen sind offenkundig.
112
4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Kassenhaltung und ordnet sie den Zirkulationssphären zu. In der späteren Terminologie entspricht die auf Sichteinlagen gerichtete Kassenhaltung dem sog. "Transaktionsmotiv" - hiebei sind die Einkommenseinlagen den Zahlungen von Faktorentgelten zugeordnet, die Geschäftseinlagen den Transaktionen der Unternehmen, die daneben noch Zahlungen von Vorleistungen und von Investitionen etc. umfassen können. Sie bilden zusammen die in Sichteinlagen gehaltene Kasse. Davon abzugrenzen sind die Spareinlagen, die als Vermögensanlage gehalten werden: [A] bank deposit may also be held, not for the purpose of making paymenta, but as a means of employing savings, i.e., aa an investment. The holder may be attracted by the rate of interest which bis banker allows him; or he may anticipate that other investments are likely to depreciate in money value; or he may attach importance to the stability of the money value of bis savings and to being able to turn them into cash at ahort notice; or he may find thia the most convenient way of holding amall increments of savings with the intention of transforming them into a specific investment when they have accumulated to a sufficient sum; or he may be awaiting an opportunity of employing them in his own business ... (TM, 31f.)14
Allerdings ist diese Trennung in Sicht- und Spareinlagen weder aus der Sicht der Einleger noch aus jener der Banken strikt, wenn auch i.d.R. Sichteinlagen im Gegensatz zu Spareinlagen nicht verzinst sind. Zudem wären zu den Sichteinlagen, welche Transaktionsbedürfnisse befriedigen, auch nicht ausgenützte Kreditrahmen zu rechnen (vgl. ib., 32ff. und 36ff.). Aus den erwähnten Motiven der Haltung der verschiedenen Kassen kann auf deren Ursachenfaktoren zurückgeschlossen werden. Hiezu führt Keynes aus: [Income deposita] will be aome more or le11 stable function of [the aggregate annual money income of the community] ... - The volume of tranaactiona, in reapect of which the business deposita are tumed over, ... may be classified as followa: (i) tranaactions arising out of the division of productive functions .. . ; 16 (ii) speculative transactiona in capital goods or commoditiea; (iii) financial transactiona, e.g . the redemption and renewal of treaaury billa, or changes of investments. - Now of these (i), like the transactiona in reapect of income deposits, will be a fairly stable function of the money value of current output... 14 Die angeführten Motive entsprechen weitgehend den Konzepten der nachkeynesianiachen, mikroökonomischen Geldnachfragetheorie: dem Anaatz des optimalen Portefeuilles bei Risiko (Tobin 1958), der Berücksichtigung von Transaktionskosten (Baumol 1962, Tobin 1966). der Flexibilitli.tapräferen& (Jones/Ostroy 1984) . Vgl. auch die frühe Weiterführung dieser Gedanken der TM durch Hicka (1935) und seine Rekapitulation (Hicke 1982b). - Daa Faktum der Verzinsung der Spareinlagen ermöglicht es, einige Rätsel der Liquiditätspräferenztheorie auflulöaen (Chang/Hamberg/ Hirata 1983). 15 D .s. Zahlungen für Faktorentgelte und Vorleistungen.
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatise on Money'
113
Transactiona in categories (ii) and (iii) on the other band need not be, and are not, govemed by the volume of current output. (TM, 39 und 4lf.)
In diesem Zusammenhang unterscheidet Keynes in der TM zwei Zirkulationssphären, industrielle und finanzielle Zirkulation: By industry we mean the buaineu of maintaining the normal process of current output, distribution and exchange and paying the facton of production their incomes ... By finance, on the other band, we mean the buainess of holding and exchanging existing titles to wealth ... and the proceu of conveying current aavings and profits into the hands of entrepreneun. (ib., 217)
Industrielle und finanzielle Zirkulation bezeichnen den diesen Aktivitäten entsprechenden Geldumlauf (bzw. die Kassenhaltung). Zur industriellen Zirkulation zählen demnach die Einkommenseinlagen und jene Komponente der Geschäftseinlagen, die den Zahlungen von Faktorentgelten und Vorleistungen entspricht, d.i. die oben angeführte Kategorie (i) (ib., 42). Zur finanziellen Zirkulation gehören dagegen neben den verbleibenden Geschäftseinlagen (den Kategorien (ii) und (iii)) die der Vermögensanlage dienenden Spareinlagen (ib.). Hieraus folgt, daß nur für die industrielle Zirkulation eine direkte Abhängigkeit von Einkommensgrößen vorhanden ist - wenn auch bei Einkommens- und Geschäftseinlagen in unterschiedlichem Maße: Erstere dienen direkt der Zahlung von Faktorentgelten (bzw. Einkommen im Sinne der TM), letztere umfassen den gesamten Produktionswert und beinhalten daher auch Profite (als "windfalls") und Vorleistungen. Trotz dieser Komplikation kann ein enger Zusammenhang zwischen industrieller Zirkulation und Einkommen bestehen (ib., 218ff.), der in einer Form der Cambridge-Gleichung darstellbar ist (ib., 207). 16 Dies gilt aber nicht für die Gesamtheit der Einlagen. Denn insbesondere die Vermögensanlage in Spareinlagen gehorcht anderen Gesetzmäßigkeiten und bestimmt sich aus anderen Ursachen als die für Transaktionszwecke gehaltene Kasse. Ihr wesentlicher Bestimmungsgrund ist (modern formuliert) "portefeuilletheoretisch" und besteht neben den Ertragserwartungen und Risikoeinstellungen darin, daß für sie das Vermögen ,.. und nicht das laufende Einkommen - den begrenzenden Fonds an Ressourcen, im Sinne
16 Kritischer suvor (TM, 43): • .. it is misleading to represent the total of cash deposits .. . as bearing any siable or normal relationship to the national money income" (meine Hervorhebung).
114
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtechan
einer Budgetrestriktion, darstellt. 17 Daraus folgert Keynes die Ablehnung des quantitätstheoretischen Ansatzes als geeignetes Instrument zur Erklärung der Schwankungen des Geldwertes, da durch die Annahme einer vorgeblich stabilen Beziehung zwischen Kassenhaltung und Einkommen, dem "Cambridge-k", ein wesentlicher Faktor für eine kausale Erklärung, nämlich das Verhalten der Vermögensanleger außer acht gelassen wird (TM, 198ff.). Diesem Defekt suchte Keynes, durch seine "Grundgleichungen", die am Kreislaufprozeß ansetzen, abzuhelfen. 4.1.2 Kreislaufprozeß und Gleichgewicht
Dieser Abschnitt beschäftigt sich zuerst mit dem der Analyse zugrunde liegenden Ablaufschema und der Struktur des analysierten Kreislaufes, sodann werden die verwendeten Termini definiert und die sog. Grundgleichungen abgeleitet. Das Ablaufschema der TM knüpft ebenso wie die im wesentlichen partialanalytische Vorgangsweise an Marshallsehe Konzepte an, insbesondere an dessen Fristenklassifikation. 18 In der TM verwendet Keynes ein Phasenschema zur Beschreibung von Anpassungsreaktionen; ohne eine explizite Fristenklassifikation vorzunehmen, wird allen Erklärungen von Abläufen ein einheitliches Reaktionsmuster zugrunde gelegt (vgl. u.a. TM, 142ff., 163ff., 24lff.). Die kritischen Variablen sind hiebei die produzierten Mengen und die unterschiedlich flexiblen Produkt- bzw. Faktorpreise (und -entgelte). Den Ausgangspunkt bildet ein (unten noch näher zu definierendes) Gleichgewicht zwischen diesen Variablen, das von einem Schock gestört wird. Die dadurch ausgelösten Reaktionen können, hiebei Hicks (I 967d, 191 ff.) folgend, in drei Phasen zerlegt werden: ( 1) Die Outputs und Faktorentgelte der (zwei) Sektoren sind gegeben bzw. prädeterminiert, Markträumung kommt durch die flexiblen Produktpreise zustande; hiedurch können Gewinne oder Verluste durch das Auseinanderfallen von Erlösen und Faktorentgelten bzw. von Produktpreisen und Stückkosten entstehen.
17 Zu Keynee' TM ale Kritik der Cambridge-Quantitätetheorie vgl. Patinkin (1976, 40ff. und 1982, 165ff.) eowie die dort &itierten Belegstellen, inebeeondere TM, 207{. 18 Vgl. hiesu u.a. Hutebison (1953, 79ff.) und Blaug (1985, 371ff.).
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiee on Money'
115
(2) Als Reaktion auf diese Gewinne/Verluste, die ein Auseinanderfallen von Angebots- und Nachfragepreis signalisieren, werden die Outputs und allenfalls die Beschäftigung bei gegebenen Faktorpreisen angepaßt (siehe Patinkin 1976, 33 ). 19 (3) Zuletzt erfolgt nach der Änderung von Produktionsmengen und Beschäftigung die Anpassung der Faktorentgelte. Die Anpassungsreaktionen sollen formal durch die sog. "Grundgleichungen" erfaßt werden; diese konzentrieren sich auf die erste Phase und beantworten daher bloß die Frage nach der Entwicklung des Preisniveaus bei gegebenen Produktionsmengen der Sektoren. Der grundsätzliche kreislauftheoretische Ansatz der TM ist jener der Einkommenstheorie, in dem einander Einkommensentstehung im Konsum- und Investitionsgütersektor und Einkommensverwendung gegenübergestellt werden (siehe TM, 121). Gegen die traditionelle Methode der (Cambridge- )Quantitätstheorie wendet Keynes ein, daß sie den eigentlichen Aufgaben der Geldtheorie nicht entsprechen könne: The fundamental problern of monetary theory ia not merely to eetablieh identitiee ... The real taek ... ie to treat the problern dynamically, analyaing the different elemente involved, in euch a manner ae to exhibit the caueal proce11 by which the price Ievel ie determined, and the method of traneition from one poeition to another. (ib., 120)
Auffallend ist die enge Anlehnung an Wiekseil - sowohl in der Kritik der Quantitätstheorie als für die Analyse der Übergangsphase ungeeignet (und die kausale Rolle des Zinssatzes vernachlässigend) als auch im neuen einkommenstheoretischen Ansatz. 20 Dieser Ansatz wird in der TM mit dem bereits dargestellen Phasenschema kombiniert. Für die Produktion der Outputs in den beiden Sektoren werden Inputfaktoren benötigt, denen Faktorentgelte gezahlt werden. Diese stellen Einkommen dar, das für Konsumzwecke oder für die Ersparnisbildung verwendet werden kann. Nur wenn die Konsumausgaben bei gegebenem Output von Konsumgütern einen Preis bestimmen, der keinen Anreiz birgt, 19 Streng cenommen iet natürlich der e r w a r t e t e Profit die aullchlaggebende Größe; tabichlieh macht Keynee die Voraueeet&ung explizit, dall die Erwartungen zum einen primll.r von laufenden GrölSen bestimmt werden, zum anderen diese Erwartungen i.d.R. autreffen (siehe TM, 143f.). Die Annahme korrekter Erwartungen der Unternehmer entepräehe ebenfalle der Marehalleehen Tradition (Hutchieon 1963, 81). 20 Siehe Patinkin (1976, 48) und Myrdal (1939, 22f.) sowie oben 2.1.1.
116
4. J.M. Keynee' All,emeine Theorie der Geldwirtschaft
diesen Output zu lindern, bzw. wenn die Ersparnis den so bestimmten Produktionskosten des Investitionsgüteroutputs entspricht, herrscht Gleichgewicht. Änderungen exogener Größen (z.B. der Sparneigung) führen dagegen zu Ungleichgewicht, das sich in Gewinnen/Verlusten und Reaktionen der Outputs ausdrückt. Hier setzt Keynes mit seiner zentralen Fragestellung an: Inwieweit haben solche exogenen Änderungen eine geeignete Umstrukturierung der Produktion zur Folge, wie dies von der traditionellen ("klassischen") Analyse behauptet wird? Besteht ein Zusammenhang zwischen den Preisen der Konsum- und Investitionsgüter, insbesondere: Erzeugt eine Nachfrageverlagerung stets Anreize für eine gleichlaufende Produktionsverlagerung zwischen den Sektoren, sodaß einander die Mengenreaktionen insgesamt kompensieren? Zur Beantwortung dieser Fragen entwickelt Keynes seine Grundgleichungen. Ehe diese untersucht werden können, sind die Defintionen der verwendeten Termini und der Gleichgewichtsbegriff zu klären. Die wichtigsten Definitionen werden im neunten Kapitel der TM festgelegt; hiebei ist zu beachten, daß - Jahre bevor ein einheitliches System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entwickelt wurde - manche von Keynes' Definitionen sowohl von jenen der Zeitgenossen als auch von der modernen Terminologie abweichen. Keynes beginnt mit der Definition des Einkommens bzw. dessen Abgrenzung gegenüber Profiten: Income li.e.] (1) the community'e money income; (2) the earnin1s of the facton of production; and (3) the cost of production; and ... profits li.e.] the difference between the cost of production of the current output and ita actual aale proceede, so that profite are not part of the community'e income as thue defined. - More particularly we include in income ... the normal remuneration of entrepreneurs. (TM, 111) ... I propose to define the 'normal' remuneration of entrepreneurs at any time as that rate of remuneration which, if they were open to make new bar,aina with all the facton of production at the currently prevailing rates of earnings, would leave them under no motive either to increase or decrease their acale of operatione. (ib., 112)
Einkommen im Sinne der TM kann somit nur relativ zu vorgegebenen Faktorpreisen bzw. Produktionsmengen definiert werden, es entspricht dann den jeweiligen Produktionskosten als dem Produkt aus Outputmenge und entsprechendem Angebotspreis. Zu beachten ist, daß die jeweilige Outputmenge von den Unternehmen (bei gegebenen Faktorpreisen) in Hinblick darauf gewählt wird, daß sie erwarten, genau den entsprechenden Angebotspreis realisieren zu können. Unter diesem Aspekt entspricht Keynes'
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatise on Money'
117
Einkommen dem von den Unternehmen erwarteten Erlösen. 21 Abweichungen der tatsächlichen von diesen erwarteten Erlösen stellen sodann - per definitionem: unerwartete - Gewinne dar, Keynes bezeichnet sie gelegentlich als "windfalls" (TM, 113).22 Ungewöhnlich ist Keynes' Definition der Ersparnis in der TM: Savings ... the sum of the difference between the money incomes of individual& and their money expenditure on current consumption. (ib.)
Daraus folgt, daß Profite nicht zur Ersparnis zählen bzw., sofern Teile hievon konsumiert werden, die Ersparnis vermindern: Thus profite, not being part of the income of the community, are not pari of its savings either - even when they are not spent on current consumption .. . (ib., 114; siehe auch 112)
Wie später gezeigt wird, entspricht die Ersparnis im üblichen Sinn (als Wertzuwachs des Vermögens ohne Kapitalgewinne) in der Terminologie der TM der Summe aus Ersparnis und Profiten - "the value of the increment of the wealth of the community is measured by savings plus profits" (ib., 114). Schließlich wird noch der Begriff der Investitionen festgelegt: 23 Investment [ia] the net increment during a period of time of the capital of the community .. . , and the value of inveatment [is] not the increment of value of the total capital, but the value of the increment of capital during any period. (ib.)
Kapitalgewinne bzw. -verluste zählen demnach nicht zu den Investitionen, ebensowenig wie zum Einkommen. Am Beispiel der Investitionen können die in der TM verwendeten Bewertungsmaßstäbe rekapituliert werden: einerseits physische Größen ("investment") gegenüber Wertgrößen, anderseits innerhalb der Wertgrößen die Bewertung zu aktuellen Preisen 21 Siehe auch Shackle (1967, 170f.); dies setr.t voraus, da.B die der Einkommensdefinition zugrunde gelegten Outputs den von den Unternehmen geplanten entsprechen. Siehe hinu unten 4.2.4. 22 Hayek (1931c,d) kritisiert die unzureichende kapitaltheoretische Fundierung des Einkommenabegriffes der TM, eine analytisch befriedigende Definition des Einkommens sei ohne Klärung der Probleme der Messung von Kapital nicht möglich "[Income, i.e ...] any expenditure on consumption which would be possible without diminution of the value of the existing capital." (Hayek 1931d, 402) 23 Der Begriff der Investition wird in der TM inkonsistent verwendet; es wird nicht swiachen Plänen und Realieierungen unterechieden, sudem hei.Bt es an anderer Stelle: "The aggregate of the real capital and the loan capital we ehall call the amount of inveetment ... and the value of the increment of inveetment ie the sum of the values of the additional itema" (TM, 117) - hier eteht Investition für Kapital bzw. Vermögen. Für eine ausführliche Kritik vgl. Hayek (1931c). - Im folgenden wird Inveetition stets im Sinne der im Text zitierten Definition gebraucht.
118
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
("value of investment") gegenüber der Bewertung zu Angebotspreisen ("cost of investment"). Ausgehend von diesen Definitionen verlangen die Gleichgewichtsbedingungen zwischen Einkommensentstehung und -verwendung bzw. zwischen Produktionsmengen, Produkt- und Faktorpreisen die Übereinstimmung von laufenden Erlösen und Produktionskosten (siehe TM, 136ff.) bzw. von Ersparnis und Investitionen. Eine solche Gleichgewichtskonstellation wird als Ausgangspunkt der Untersuchung von Anpassungsreaktionen vorausgesetzt. Hiebei sind aber zwei Einwände gegen die dargestellte Definition geltend zu machen: Erstens läßt sie den Bezug zu den realen Charakteristika des Gleichgewichts offen, zweitens scheint der Wachstumsaspekt ungenügend berücksichtigt. Der erste Einwand kann in der Frage zusammengefaßt werden, ob das so definierte Gleichgewicht explizit einen bestimmten Beschäftigungsgrad, insbesondere Vollbeschäftigung determiniere. 24 Dies kann nicht beantwortet werden, da die TM wohl - in der dritten Phase der Anpassung - das Verhalten der Faktorpreise im Ungleichgewicht untersucht, nicht aber, was deren Wert im Gleichgewicht bestimmt. Somit bleibt offen, ob es sich gleichzeitig um Arbeitsmarktgleichgewicht und Vollbeschäftigung im klassischen Sinne handelt. Die Hinweise in der TM hiezu sind widersprüchlich: An einer Stelle heißt es, daß die Aussagen der Quantitätstheorie nur auf die eben beschriebenen Gleichgewichtszustände zuträfen, d.h. "in equilibrium - i.e. when the factors of production are fully employed ..." (ib., 132), an anderer Stelle wird die Aufschwungphase eines Kreditzyklus beschrieben, als ausgehend "from a preceding slump which has reached an equilibrium between prices and costs of production, but is still characterised by unemployment" (ib., 274). Es liegt nahe, dem Keynes der TM diesbezüglich (noch) eine klassische Sicht zuzuschreiben, wonach das langfristige Gleichgewicht durch Vollbeschäftigung charakterisiert und das im Zusammenhang mit dem Kreditzyklus angesprochene "Gleichgewicht" nur das vorübergehende eines Wendepunktes sei. 26 Jedenfalls gehen Fragen nach dem Produktions- bzw. Beschäftigungsniveau über den Rahmen
24 So etwa Marget (1988, 107ff.); vgl. auch Hicka (1967d). 26 Vgl. die Analogie 1um Konupt des "Quasi-Gleichgewichte" bei Roherbon (1934a).
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatise on Money'
119
der TM als einer monetären Theorie hinaus. 26 Für eine Interpretation, die hier bereits eine (bewußte) Vorwegnahme des in der GT zentralen Konzepts des Unterbeschäftigungsgleichgewichts sieht (wie Hicks 1967d), findet sich allerdings kein Beleg. Der zweite Einwand bezieht sich auf die mangelnde Einbettung des Gleichgewichts in einen langfristigen Wachstumszusammenhang.27 Insoweit Keynes' Konzept eine positive Nettoinvestition voraussetzt, bedeutet dies eine stete Vermehrung der produktiven Ressourcen, die in einem Wachstumsgleichgewicht eine Zunahme der produzierten Mengen zur Folge haben muß. Dies steht einerseits mit der Gleichgewichtsdefinition in Widerspruch, die besagt, daß im Gleichgewicht gerade kein Anreiz zur Änderung der Produktion besteht, anderseits müßte der Kapitalzuwachs im Portefeuillesektor in Form von Vermögenseffekten wirksam werden. 28
4.1.3 Die Grundgleichungen Die folgende Ableitung der Grundgleichungen vereinfacht die ursprüngliche Vorgangsweise: Während in der TM das Ausgangsgleichgewicht der untersuchten Periode auf ein Gleichgewicht in einer Basisperiode zurückgeführt wird, wird hier dieser Bezug zu einer Basisperiode, Hicks (1967d) folgend, aufgegeben. Daher braucht auf die Kritik von Hansen (1932) an der Fortschreibung der Produktionsstruktur der Basisperiode nicht eingegangen werden. Die obigen Definitionen können dann folgendermaßen algebraisch dargestellt werden: (1)
y = y C + yk = p Cy CO + pkyk0 '
(2)
F=F+F=py +py C k CO CO ko ko' rr = rrc + rrL -p Jy + ( pk-pk0 Jyk 0 = Y - F, . = ( pccoco
(3) (4a)
sk
= F-
c,
26 Vgl. Patinkins (1976, 67} Hinweil auf Keynea' Bemerkung (1u Hawtrey): "The question how much reduction of output is caused .. . ia important, but not strictly a monetary problem." (CW 13, 145) Für Hayeks Kritik tiehe unten 4.1.6. 27 Vgl. wieder Marget (1938, 103(!.). 28 Einen Be&ug &u VermögenseCCekten in der Geldnachfrage stellt Keynes im Vorwort sur deuhchen Autgabe au1 1931 her (TM, xxvi Fn.).
120
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft Liste der verwendeten Symbole
F y
p y
11
c
s
sk
(Normal-)Einkommen (gemäB TM) Einkommen (nominell) Geldpreis Produktion Windfalle (TM) Konsum Sparen
Sparen (gemäB TM) Sub- bl!lw. Superakripte: -nachfrage d -angebot 8 Konsumgüter c Kapitalgüter k exogene Variable 0
(5a)
C=py c co'
Hiebei definiert (1) das Einkommen im üblichen Sinne, (2) jenes im Sinne der TM (als normales Faktorentgelt) sowie (3) die Windfalls; (4a) definiert wiederum die Ersparnis gemäß der TM und (5a) den Konsum. Voraussetzungsgemäß sind die Outputs yio ( i=c,k) vorgegeben und pio = pio( yio) stellt den entsprechenden Angebotspreis dar. 29 Durch Einsetzen von p Cy CO = C = F -sk = p CO y CO+pk0 yk 0 -sk folgt (I)
Pc = [Fc+(pkoyko-Sk)]/Yco;
das ist Keynes' erste Grundgleichung für das Preisniveau der Konsumgüter (vgl. TM, 122). Aus der Definition des allgemeinen 29 Die Konkordanll der Symbole der TM mit den hier verwendeten ist wie folgt (vgl. auch Patinkin 1976, 34f.): E (factor earnings exclusive of abnormal profits) F, 0 (E at base-period prices) y 0 , I' (current costs of producing investment goods) pkoyko' C (I' at base-period prices) yk , • 0 I (I' at current market pr1ces) pkyko' E - I' ( current costs of producing consumption gooda) Pcoyco' R (E - I' at base-period prices) y , , , CO P (current pnce Ievel of con1umpt1on good1) pc' P' (current price Ievel of inve1tment goods) pk' 11 (price Ievel of output aa a whole) :: p, Q1 (profits in the consumption aector) 11c, Q (profits in the economy aa a whole) 11.
=
=
=
=
= =
=
=
=
=
=
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiee on Money'
Preisniveaus p = (peyco+pkyko}/yo (mit yo telbar: (II)
= yco+yko)
121
folgt unmit-
P = [F+(pkyko-Sk)]/yo;
das ist die zweite Grundgleichung (TM, l22f.). 30 Aus den beiden Gleichungen kann im übrigen ersehen werden, daß eine NullProfiten äquivalente Gleichgewichtsbedingung durch sk = pkoyko = pkyko gegeben ist, d.h. durch die Gleichheit der Ersparnis mit dem Wert und den Kosten der Investition. Diese Ableitung gibt aber allein keine Auskunft über den Status der Grundgleichungen, d.h. ob sie bloße Identitäten oder Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge wiedergeben. Keynes versucht sie diesbezüglich gegenüber den tautologischen Quantitätsgleichungen abzuheben, indem er für seine Grundgleichungen die Fähigkeit beansprucht, jene Faktoren zu isolieren, "through which, in a modern economic system the causal process actually operates during a period of change" (ib., 120). Anderseits gelten gemäß der obigen Ableitung die Identitäten Ilc = pkoyko-Sk bzw. II = pkyko-Sk, sodaß sich derart die Grundgleichungen auf die augenscheinliche Tautologie: Preis = Stückkosten + Stückgewinn reduzieren lassen. 31 Hiezu stellt Keynes fest: These conclusions are, of coune, obvioue and may serve to remind us that all theee equations are purely formal; they are mere identities; truisme which tell us nothing in themeelves ... Their only point is to analyse and arrange our material in what will turn out to be a useful way for tracing cause and effect, when we have vitalised them by the introduction of extraneous facta from the actual world. (ib., 125)
Das gibt einen entscheidenden Hinweis: Die "extraneous facts", die aus den Tautologien Ursache-Wirkungs-Erklärungen machen sollen, können offenbar in einer Klassifikation der in den Gleichungen enthaltenen Größen in (modern ausgedrückt) exogene und endogene Variable bestehen. 32 Zu klären bliebe demnach, welche Variablen - neben den prädeterminierten Outputs und den Faktorentgelten - exogene Größen darstellen; stehen bloß exogene oder prädeterminierte Variablen auf der rechten Seite der Grundgleichung, so liegt deren Interpretation als reduzierte Form des 30 In der Schreibweise der TM lauten die Gleichungen:
(I) (11)
P = E/0 + (1'-S)/R, Il = E/0 + /I-S)/0.
31 Nach Robertaon (1931, 398): " ... of all the truiame in which the theory of the value of money haa been formulated, thia is the moat truistical." 32 Analog wie eine Quantititagleichung als redur;ierte Form eines Geldmarktmodelle reformuliert werden kann.
122
4. J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Kreislaufmodells auf der Hand. Kritisch hiefür ist der Status der oben angeführten Gleichung (5): Handelt es sich hiebei bloß um die Definition des realisierten Konsums, so gilt die Grundgleichung identisch. Ist anderseits C eine geplante Größe und (5) eine Gleichgewichtsbedingung für den Konsumgütermarkt, so ist eine Interpretation als reduzierte Form möglich. Die Schwäche der Keynesschen Analyse liegt darin, daß sie diese Unterscheidung nirgends explizit trifft. Nun ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen eine "kausale" Interpretation der Gleichungen (I) und (II) zulässig ist. Als erstes beschränkt die notwendige Exogenität der Outputs und Faktorentgelte die Anwendung auf die erste Phase des Anpassungsprozesses. Weiters verlangt eine kausale Interpretation die Unabhängigkeit der geplanten Ersparnis Sko = F - C von den endogenen Variablen pc und p; dies impliziert, daß kein Konsum aus Gewinnen erfolgen darf. Andernfalls könnten die Gleichungen (I) und (II) wiederum nur als Identitäten angesehen werden. 33 Zuletzt muß auch noch pk, das Preisniveau der Investitionsgüter, diese Exogenitätseigenschaft aufweisen; dies ist allerdings geradezu eine der Hauptthesen der TM, die pk aus Portefeuilleentscheidungen außerhalb des Kreislaufzusammenhanges bestimmt im Vergleich zum Preis der Konsumgüter "the price Ievel of investment goods ... depends on a different set of considerations" (TM, 121). Unter diesen Voraussetzungen ist eine kausale Interpretation der Grundgleichungen zulässig; sie isolieren die Variablen sko und pko als die für die Entwicklung des Preisniveaus in der ersten Phase kritischen Faktoren. Keynes bezeichnet sie als den "Spar-Faktor" bzw. den "Baisse-Faktor" (ib., 130). Die entscheidende Frage bezieht sich auf die Abhängigkeit der beiden sektoralen Preisniveaus. Da die Änderung der Preise relativ zu den Produktionskosten nach der ersten Phase Mengenreaktionen hervorruft, zeigt die Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus an, ob Störungen des Ausgangsgleichgewichts expansive oder kontraktive Tendenzen von Produktion und Beschäftigung nach sich ziehen. Insbesondere gilt dies für die angeführten Faktoren: Bewirkt z.B. eine Erhöhung des Sparens oder ein Ansteigen der Investitionsgüterpreise Reaktionen, die zu einer kompensierenden Wirkung auf das allgemeine Preisniveau führen? Keynes bestreitet dies und be33 Für die Erweiterung mit c > 0 aiehe unten. Keynea interpretiert die ursprünglichen Gleichungen in dieaeor Fall unzuläesigerweiae kausal.
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
123
hauptet aufgrund der Grundgleichungen die völlige Unabhängigkeit der beiden Preisniveaus und damit der Wirkungen der beiden Faktoren, da der erstere Faktor allein das Preisniveau der Konsumgüter, der letztere jenes der Investitionsgüter bestimme (siehe u.a. TM, 130).34 Im von der TM vorgegebenen Modellrahmen müssen daher Sparen und Investieren nicht notwendig miteinander übereinstimmen und eine reibungslose Anpassung an Änderungen der exogenen Faktoren gewährleisten. Vielmehr handelt es sich um voneinander unabhängige Entscheidungen: Saving is the act of the individual consumer and consists in the negative act of refraining from spending the whole of his current income on conaumption. Investment ... ist the act of the entrepreneur ... and c:onsista in the positive act of atarting or maintaining some proceaa of production ... (ib., 166)
Die Entscheidungen über die Ersparnis und die Aufteilung der Ressourcen für Konsum und Investition für jeden künftigen Zeitpunkt werden "by different people" (ib., 157) getroffen. Zusätzliche Ersparnis muß daher nicht automatisch zusätzliche Investition bedeuten. Es bleibt zu untersuchen, wodurch die Übertragung der Impulse zwischen Sparen und Investieren, etwa durch Zins- oder Vermögenseffekte, behindert wird. Hiefür ist im TM-Modell entscheidend, daß jede Geldeinheit zusätzlicher Ersparnis gleichzeitig Verluste in der Konsumgüterproduktion hervorruft. Sparen bewirkt daher keine Zunahme des Vermögens, sondern hat bloß Transfereffekte: Einerseits reüssieren die Konsumenten einen Transfer in Form gestiegener Kaufkraft (durch das Sinken der Konsumgüterpreise), anderseits wird durch die Verlustfinanzierung36 der Konsumgüterproduzenten das vermehrte Angebot an Ersparnis gerade verbraucht, sodaß keine vermehrten Mittel für die Investitionsgüternachfrage bzw. als Erhöhung des Nettovermögens zur Verfügung stehen (siehe ib., 156). Mit Blick auf die oben dargestellten Grundgleichungen kommt Keynes daher zu dem Schluß:
34 Daa letztere Ergebnis entspricht der Behauptung, "that the price Ievel of consumption goods is entirely independent of the pric:e Ievel of investment goods" (ib., 123). Siehe unten die Ergebni11e (6) und (7) für c""=O. 36 Die Finanzierung der getarnten Verluste durch Nachfrage nach Enpamia {d.i. nach Wertpapieren) impliziert den Plan, eine unveränderte Kasse zu halten.
124
4. J .M. Keynes' Allsemeine Theorie der Geldwirtschaft
... that a fall in the price of consumption soods due to an excess of savins over investment does not in itself ... require any opposite chanse in the price of new inveatment goode. (TM, lSOf.)
Nur durch ein - aus dieser Sicht zufälliges - Zusammentreffen der Änderung der beiden Faktoren, eine Zunahme des Sparens und eine Abnahme des Baisse-Faktors, können Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau und hiedurch veranlaßte Mengenreaktionen vermieden werden. Zudem würde dies eine Umstrukturierung der Produktion bedeuten, die eine künftige Übereinstimmung der Pläne bezüglich Einkommensentstehung und -verwendung gewährleistete (siehe ib., 157). Jedenfalls behauptet die TM die Möglichkeit einer wesentlichen Funktionsstörung des marktwirtschaftlichen Systems in Form des dargestellten "Sparparadoxons"36, das die automatische Übertragung von Sparen in Investieren in Frage stellt. Analog kann auch der Baisse-Faktor als Auslöser von Produktionsschwankungen fungieren . Die bisherigen Überlegungen können in etwas allgemeinerer Form in einem Partialmodell des Gütermarktes rekonstruiert werden. Hiefür sind die obigen Gleichungen (l) bis (3) durch die folgenden zu ergänzen: (4) (5)
= c!' + c"'II = pcyc l>cr>O, c?-c"'~O. s = Y - Pccd = rr + sk.
pccd
0;
Hiebei macht (4) gegenüber der ursprünglichen Formulierung (4a) explizit, daß es sich um eine Gleichgewichtsbedingung handelt; überdies wird die Konsumnachfrage als abhängig vom Einkommen37 bzw. den Windfalls angenommen. (5) definiert die Ersparnis im üblichen Sinne. An diesem Modell können die Effekte von Änderungen des Spar- bzw. des Baissefaktors (repräsentiert durch cf bzw. pk als exogene Größen) abgeleitet werden. Den Ausgangspunkt bildet ein Gleichgewicht mit verschwindenden Windfalls. Dann gilt nach Einsetzen von (3) und (4): 36 Das Sparparadoxon der TM ist von einem anderen Typ als jenes von z.B. Foater und Catchinga, das auf Konzepten der Unterkonsumtion und Stagnation beruht; vgl. hiezu Hayek (1929b) und Keynes' Differenzierung (TM, 160f.). FUr die ähnlichen negativen Effekte dee Hortena von Enpamiseen siehe z.B. Robertson (1928, 77ff.). Keynes beharrt in der der TM folsenden Disku111ion allerdings darauf, da8 diese Tendenz systematisch auftritt und ohne RUckgriff auf den irrefUhrenden Begriff des "Hortena" analysiert werden kann. 37 Aue der Exegese der TM lä.8t eich diese Beziehung allerdinge nicht ableiten. Siehe auch unten zur sog. "Bananen-Parabel".
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
(6)
126
dpc = {Fdcf+C.Jlkodp.._)/[( 1-c-r:)yco]; op/oCf > 0, op/op.._ ~ 0 für cw- ~ 0.
(7)
dY = dii = ( Fdcf+y.,.0 dp.._)/( 1-cw-); aY;acr >
o. aY;ap.._ > o.
Für die Ersparnisgrößen folgt "Grundgleichungen": (8)
dS =
analog den Keynesschen
Yk 0 dpk'
(9)
dSr = { 1-cw-)dii = Fdcf + y.._0 dp.._.
(10)
dSk = -d( pCy C ) = -yCOdpC .
Nach (9) ist die aus Gewinnen anfallende Ersparnis Sr unabhängig von der Konsumneigung aus den Gewinnen cw-. Daher wirkt der Konsum aus Gewinnen selbst wiederum gewinnerzeugend, je größer er, desto höher die Windfalls II - das "Witwenkrug"-Resultat (siehe TM, 125)38 . Nach {10) entspricht der Änderung der Ersparnis im Sinne der TM kompensierend die Änderung der Gewinne in der Konsumgüterproduktion. In der TM werden die Abstimmungsprobleme zwischen Sparen und Investieren vor allem als Ursachen konjunktureller Schwankungen behandelt. Zum Beispiel werden anband der sog. "Bananen-Parabel" (ib., 158ff.) die Folgen eines anhaltenden Überschusses der Ersparnis über die Investitionen in einer über die erste Phase hinausgehenden Frist illustriert. 39 Vorausgesetzt wird eine Wirtschaft, in der verderbliche Güter produziert werden und das einzige Konsumgut bilden; im Ausgangszustand herrscht Gleichgewicht, in dem die Ersparnis gerade dem Wert der "investierten Bananen" entspricht. Wird nun eine erfolgreiche Sparsamkeitskampagne gestartet, ohne daß gleichzeitig die Investition zunimmt, so kommt es zu den bereits aus den Grundgleichungen bekannten Ergebnissen. In den folgenden Phasen werden als Reaktion auf die entstehenden Verluste erst Produktion bzw. Beschäftigung, sodann die Faktorpreise reduziert. Auch dies kann Gleichgewicht nicht wiederherstellen. Mit der Verringerung der Faktorentgelte bzw. des Einkommens gehen nämlich in gleichem 38 Vgl. die Diakuliion der sog. "widow'e cruee fallacy" im Cambridge-Circue (CW 13, 337ff. sowie Robinson 1933) und die poet-keyneaianieche Verteilungstheorie von Kaldor (1966). 39 Siehe Wagner (1981, 46!.) und Baren& (1987, 62ff.) .
126
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Ausmaß die Konsumausgaben zurück, um das geplante Niveau der Ersparnis (Sko in [4]) aufrecht erhalten zu können. Für den Fortgang der Deflation nennt die TM drei Möglichkeiten: Thua there will be no poeition of equilibrium until either (a) all production ceaaea and the entire population atarvea to death; or (b) the thrift campaign ia called off or petera out aa a reault of the growing poverty; or (c) inveatment ia stimulated by aome meana or another so that ih cost no Ionger laga behind the rate of saving. (TM, 160)
Diese Passage ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Sie besagt, daß ohne exogene Verhaltensänderungen - die Fälle (b) und (c) - kein Endpunkt des deflatorischen Prozesses abzusehen ist, bevor der Nullpunkt erreicht ist. Dies weist darauf hin, daß in der TM noch kein bewußter Bezug auf das Konzept des Unterbeschäftigungsgleichgewichts genommen wird, insbesondere sind Einkommensänderungen zur Wiederherstellung eines Ausgleiches von Sparen und Investieren nicht Teil des analytischen Apparats der TM. 40 Ebensowenig werden in der TM Konsum und Ersparnis im Sinne des "psychologischen Gesetzes" der GT als einkommensabhängig behandelt, wodurch ein Ausgleich bei positiven Werten des Outputs erreicht werden könnte. Vielmehr ist die geplante Ersparnis eine autonome Größe. Keynes geht es in der TM nicht um eine Analyse der realen Charakteristika solcher Gleichgewichtszustände, sondern um den Kreditzyklus - und in diesem Kontext erzeugt eine erwartungsinduzierte Zunahme der Investitionen (der oben erwähnte Fall (c)) den unteren Wendepunkt des Zyklus, der der Deflation ein Ende setzt. 41 Jedenfalls bleibt die Gegenüberstellung von Sparen und Investieren als analytischer Ansatzpunkt und die Abstimmung der beiden Größen als das Funktionsproblem der Marktwirtschaft dominierend. In einer letzten Erweiterung wird nun die Untersuchung dieses Zusammenhanges auf den monetären Sektor bzw. die Analyse der Vermögensanlage ausgedehnt.
40 Vgl. hier;u ausführlich Patinkin (1976, 64ff.) . Gerade diese äquilibrierende Rolle des Einkommens sei die kritische theoretische Neuerung der GT, die aie nicht bloß von Keynea' früheren Werken (einachliel!lich der TM), sondern auch von den vorgeblichen Antir:ipationen der GT durch andere Autoren (r:.B. der Schweden oder Kaleckis) unterscheide - 10 Patinkin (1982, eh. 1). 41 Siehe hiezu auch die Pauagen in Keynea' Harria-Lecture aua 1931 (Keynes 1931a, 366!.) und wiederum Patinkin (1976, 68). Zur Chronologie siehe unten 4.1.6.
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
127
4.1.4 Der monetäre Sektor
Wie bereits zuvor angeführt, wendet sich Keynes in der TM gegen den quantitätstheoretischen Ansatz mit dem Argument, dieser vernachlässige die Übergangsphase und sei einer kausalen Interpretation nicht in dem Maße zugänglich wie die Grundgleichungen. Diese Aussage kann an der Analyse der Wirkungsweise der Bankrate verdeutlicht werden. 42 In der TM resümiert Keynes in dem Kapitel "The Modus Operandi of Bank Rate" (TM, 166ff.) die Ansätze der traditionellen Theorie der Bankrate, die deren Aufgabe bzw. deren Wirkung auf das Preisniveau zum Gegenstand hat: The traditional doctrine ... hu been woven of three diatinct strande of thought ... - The first of theae regards bank rate merely as a meana of regulating the quantity of bank money ... - The aecond ... u a meana of protecting a country'a gold reservea by regulating the rate of foreign Jending ... - The third strand of thought ... conceivea of bank rate as influencing in some way the rate of investment ... and, perhapa in the case of Wickeeil and Cuael, as influencing the rate of investment relative to that of aavings. (ib., 167ff.)
Der zweite Ansatz wird, da er für eine geschlossene Wirtschaft ohne Belang ist, aus der Betrachtung ausgeschieden. Der erste Ansatz stellt dagegen die traditionelle Verknüpfung der Bankrate mit der Quantitätstheorie her - eine Senkung der Bankrate führt (z.B. über eine Steigerung der nachgefragten Kredite) zu einer Erhöhung der Bankgeldmenge, die wiederum gemäß Quantitätstheorie proportional auf das Preisniveau wirkt. Dagegen richtete sich Keynes' Kritik bei der Ableitung seiner Grundgleichungen: Die strikte, durch das Cambridge-k ausgedrückte Abhängigkeit der Kassenhaltung vom Einkommen gelte, wenn überhaupt, nur für einen Teil derselben; auf Sparen und Investieren einwirkende Faktoren wie z.B. die Bankrate könnten daher Änderungen des Preisniveaus zur Folge haben, ohne mit einer Zunahme der Bankgeldmenge verbunden zu sein. Weder ist die Zunahme der Bankgeldmenge eine notwendige Folge von Änderungen der Bankrate, noch ist sie der einzige Weg, um eine Wirkung auf das Preisniveau zustande zu bringen.43 42 Keynes definiert: " ... 'banlt rate' ... the effective rate for Jending and borrowing which prevails in the marltet ... of money for ahort perioda; ... 'bond rate' ... the complex of intereat ratea effective in the market for borrowing and lendin1 of money for Ionger perioda; and ... the term 'marltet rate of intere•t' for the complex of banlt rate and bond rate." (TM, 179) 43 "lt ia conceivable that the cuh depoaite may remain the same, the savings depoaits may remain the nme, the velocities of circulation may remain the aame, the volume of monetary tranaactiona may remain the aame, and the volume of output
128
4. J.M. Keynee' All,emeine Theorie der Geldwirtschaft
Im Unterschied dazu führt der dritte Ansatz mit der Gegenüberstellung von Sparen und Investieren zu dem in Keynes' Grundgleichungen ausgedrückten Wirkungsmechanismus. Die Grundgleichungen, verbunden mit der entsprechenden Phaseninterpretation, zeigen den kausalen Ablauf: Zum Beispiel wirkt eine Senkung der Bankrate einerseits auf die Ersparnis und bewirkt über eine erhöhte Konsumnachfrage eine Preissteigerung, anderseits - wie noch zu zeigen ist - kommt es zu einer Erhöhung des Preises der Kapitalgüter. Die unmittelbare Wirkung besteht demnach in einer Divergenz zwischen der Ersparnis und (dem Wert) der Investition, welche durch den zweiten Term der Grundgleichung wiedergegeben wird (TM, 166). In der Folge werden sich zunächst Output und Beschäftigung, sodann die Faktorentgelte anpassen - sodaß zuletzt das Auseinanderfallen von Sparen und Investieren (zweiter Term der Grundgleichungen) auf die Produktionskosten (deren erster Term) zurückwirkt (vgl. ib., 183ff.). Davon ausgehend gibt Keynes in der TM mit Bezug auf Wiekseil eine alternative Charakterisierung der Gleichgewichtsbedingungen. Er definiert den "natürlichen Zins" als jenen Zins, der Sparen und Investieren, den zweiten Term der Grundgleichungen, ausgleicht, bzw. den "Marktzins" als den gerade herrschenden Zins. Gleichgewicht ist daher gesichert, wenn natürlicher und Marktzins zusammenfallen, anderseits bewirkt eine Divergenz dieser beiden Größen Veränderungen im Preisniveau, die so lange anhalten, wie die Divergenz fortbesteht (ib., 139).44 Wird vorausgesetzt, daß Änderungen der Bankrate "effektiv" sind und den herrschenden Marktzins bestimmen (ib., 179), dann may remain the same; and yet the fundamental price Ievels may change." (TM, 132f.) - Hier ist auf die untenchiedliche Struktur des monetären Sekton in der Thornton- Wickseii-Hayek-Tradition im Ver,leich &u Keynes' TM hin&uweisen (vgl. Hicks 1977b). In der ersteren wird von einer Situation auagegangen, in der die Banken über übenchußreeerven verfügen oder im Extremfall von Wickaella "vollkommenem Kreditsystem" keine Reserven benöti1en. In diesem Fall führt eine Senkung der Bankrate (b&w. dea Kredibinsaabea) &u einer höheren Nachfrage nach Kredit - spiegelbildlich mit der gestiegenen Inveetitionsnachfra,e kommt es &U einer Aueweitung der Bankgeldmenge durch Geldachöpfung. Dagegen geht die TM von einem stete ausgenübten Geldschöpfun,apotential aue; ein ÜbenchuB der Inveatition über die Ersparnie führt daher allenfalle &ur Verdrängung der finan&iellen durch industrielle Zirkulation, ohne daß die Summe der Bankeinla,en sich ändern muß. 44 In der GT gibt Keynee dieae Begriffsverwenduni auf, da Gleichheit von Sparen und Investieren mit beliebigen Beechäftigungsniveaus vereinbar ist, soda8 eine gan&e Schar natürlicher Zinssät&e existiert. Jenen natürlichen Zineaatz, der als ein&iger Vollbeschäftigung gewährleistet, nennt Keynee den "neutralen Zinssatz" (eiehe GT, 242ff.).
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
129
wirkt der Marktzins auf die Investitionsnachfrage, da sich der Nachfragepreis der Kapitalgüter als mit dem Marktzins kapitalisierter Wert der erwarteten Nettoerträge ergibt (TM, 180). Hiebei sind sowohl der erwartete Ertrag ("yield") als auch der Zinssatz als nominelle Größen definiert. Außerdem wird der erwartete Ertrag als vom Zinssatz unabhängig angenommen, d.h. daß Änderungen der Bankrate weder auf den erwarteten realen Ertrag noch auf den erwarteten Preis der Kapitalgüter wirken (siehe ib., 181 ). Ein niedrigerer Zinssatz hat somit bei gegebenen Angebotsverhältnissen einen höheren Nachfragepreis zur Folge und bewirkt damit einen Produktionsanstieg (ib., 189).46 Im einfachsten Fall werden Kapitalgüter und andere nichtliquide Anlagen ("Wertpapiere"46) als perfekte Substitute angesehen, dann ist die Investitionsentscheidung jener über die Aufteilung des gesamten zu veranlagenden Vermögensportefeuilles d.h. ohne die Sichteinlagen der industriellen Zirkulation - in Wertpapiere und Spareinlagen nachgeordnet Die beiden Anlageformen können einander als homogener Block von Wertpapieren einerseits und Spareinlagen anderseits gegenübergestellt werden. (In den späteren Kapiteln der TM wird eine stärkere Differenzierung innerhalb der Wertpapiere vorgenommen.) Die Portefeuilleentscheidung als "choice between 'hoarding' and 'investing"' (ib., 127) wird mit der für den Einkommenskreislauf relevanten zwischen Konsum und Ersparnis konfrontiert ... the deciaion aa to holding bank depoaits or aecuritiea relatea, not only to the current increment to the wealth of individual&, but also to the whole block of their existing capital. Indeed, aince the current increment is but a trifiing proportion of the block of exiating wealth, it ia but a minor element in the matter. (ib.)
Dies betont den Portefeuilleaspekt der Entscheidung, als dessen Folge die Bestimmung der Preise der Vermögensgüter - hiefür steht stellvertretend der Preis der Kapitalgüter - dem Prozeß des Einkommenskreislaufes weitgehend entzogen ist. 47 Die geplante Aufteilung des Vermögens zwischen Wertpapieren und Spareinlagen hängt von Erwägungen der Anleger bezüglich Liquidität und Risiko (z.B. von Kapitalverlusten) ab - Anhalts46 Siehe hinu auch 4.3. 46 Wertpapiere ("aecuritiea"') entsprechen dem "existing atock of wealth ... ex-
cluding from this liquid claima on caah" (TM, 222) . 47 Die• steht im Widenpruch sur "klassischen" Bestimmung dee Zinssatses auf dem Markt für Leihkapital, deaaen Angebot und Nachfrage durch Sparen und Investieren festgelegt sind.
130
4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
punkte hiefür wurden bereits bei der Diskussion der "Kassenhaltungsmotive" gegeben (siehe oben, TM, 3lf.). Diese Präferenzen legen die Anlageentscheidung mit Rücksicht auf die Ertragssituation fest: [The] diataste for other securitiea ia not absolute and dependa on [the] expedations of the future retum to be obtained from aavinga depoaib and from other aecurities respectively, which ia obvioualy affected by the price of the latter - and also by the rate of intereat allowed on the former. (ib., 127f.)
Wie bei der Investitionsentscheidung steht dahinter die Annahme, daß die aus Wertpapieren erwarteten Erträge eine nominell fixierte, von deren Preis unabhängige Größe seien (was z.B. bei festverzinslichen Anleihen offensichtlich zutrifft). Als weiterer Baustein zu einem Grundmodell der TM soll nun die von Keynes verbal skizzierte Portefeuilleentscheidung formal rekonstruiert werden. Hiebei wird diese im Sinne des Tobin-Markovitz-Ansatzes als Entscheidung zwischen Geld (Einlagen) und einem zinstragenden Wertpapier mit variablem (Geld-)Preis formuliert. Im zugrundeliegenden statischen Modell werden die Präferenzen eines repräsentativen Anlegers durch eine Nutzenfunktion über Erwartungswert und Varianz des Vermögens am Ende der betrachteten Periode definiert, sie weist konvexe Indifferenzkurven auf und ist (der Einfachheit halber) homothetisch, d.h. (Il)
U=U(E.SJ: au;aE>O. au; asO ; ac; aE = -(S/E)(ac; as; < o. Liste der verwendeten Symbole
q V d e o
Erwartungswert (einea Portefeuilles) Varianz (eines Portefeuilles) Preis dea Kapitalgutea Kapitalgüterbeatand Spareinlagen (Spekulationskasae) Einlagensinasat11 erwarteter Ertrag (nominell) Vermögen Sub- bsw. Supenkripte: -nachfrage erwartete Größe exogene Variable
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatise on Money'
131
Für die Vermögensrestriktion sowie für Erwartungswert (E) und Varianz (S) gilt nun: (12)
V= L 10 + pk.Ko = L 1 d + pk.~'
(13)
E = (J+i)L 1d + p~
(14)
s
= qe + pke'
mit p
= (Jk.~ = (Jpk.~'
Durch entsprechende Substitution gelangt man zur Formulierung des Entscheidungsproblems als: (15)
Max. U(E, S) unter der Nebenbedingung: E = ( l+i)( L 10+pk.K0 ) + 'l!Sj(Jpk., mit 'I!
=p -
( l+i)pk.;
diese liefert als erste Bedingung: (16)
G(E, S)
='l/j (Jpk..
Durch Differenzieren von ( 16) und der Nebenbedingung aus ( 15) erhält man das Gleichungssystem: (17)
(oGjoE)dE + (oGj oS)dS = (K/ S)dp- (Kp/ Spk)dpk' dE- (K'll/ S)dS
= Kdp-
(K'l!/ p.._)dp.._ + ( l+i)dL 10;
mit den folgenden Ergebnissen für S: (18)
as; ap >
o: as;apL < o: as;aL ..
10
= s; v >
o,
bzw. aus (14) und (12) für die Portefeuillenachfrage: (19)
o:
a~;ap = (K/ S)(as;apJ >
a~ ; ap.._ = (K/ S}{(as; apkJ-S/ pkJ < o~joL 80 =K0 / V>O. (20)
aL.d; ap = -p.._(a~;ap)
o:
o:
oLd/ oL 10 = L 10/ V> 0. I
Wegen der vorausgesetzten homothetischen Nutzenfunktion gilt für die P?rtefeuillenachf~age L 1 d = [J-e( p, pk) ]V, und somit für den Antetl der Wertpaptere am Vermögen:
e
(21)
ae; ap
= (pk;vxa~;ap; >
o:
ae;ap.._ = -( p/V)(o~ j op) < 0; ae; aL 10 = 0.
132
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Einer solchen formalen Ableitung von Portefeuillenachfragefunktionen kommt Keynes in der der Publikation der TM folgenden Diskussion am nächsten, etwa in einer Replik (Keynes 193lc) auf Robertson (1931 ), wovon auch Passagen in den Vorworten zu fremdsprachigen Ausgaben der TM verwendet wurden. Hier wird die Nachfrage nach Spareinlagen ausdrücklich in Form einer Nachfragekurve (analog zu 20) beschrieben, die mit dem Preis der Kapitalgüter ansteigt und deren Lage von der jeweiligen "BaisseStimmung" oder "Neigung zum Horten" abhängt (siehe TM, xxvif.). An manchen Stellen der TM wird dieses einfache Modell in zweierlei Hinsicht erweitert: einerseits durch die Berücksichtigung eines spekulativen Elements in der Portefeuilleentscheidung, sodaß auf dem Wertpapiermarkt unterschiedliche Kurserwartungen ("bulls and bears") nebeneinander existieren können (ib., 223ff.), anderseits durch Überlegungen zur Psychologie der Wertpapierspekulation bzw. von Erwartungen im allgemeinen (TM, II 323ff.). 48 Beide Gedanken werden in der GT nochmals aufgenommen. Der Portefeuillenachfrage steht einerseits ein gegebener Bestand an Wertpapieren (stellvertretend für den existierenden Kapitalstock) gegenüber, der sich jeweils im Ausmaß der Investition erhöht, anderseits das Angebot von Spareinlagen durch das Bankensystem. Im einfachsten Fall gilt, daß die Banken als Aktiva nur über Reserven in Form von Zentralbankgeld und über Be Liete der verwendeten Symbole: Geldmenge Zentralbankgeld Reserveaätr.e m L Sichteinlagen (Transaktionskaase) c Sparen s y Einkommen (nominell) Sub- br.w. Supenkripte: Zentralbank Z B Geechäftebanken Haushalte H
M R
48 • Apart ... from calc:ulationa of greater or leaa ignorance, moet people are too timid and too greedy, too impatient and too nervou1 about their inveetmenta, the fluc:tuatione in the paper value of which can 10 euily obliterate the reaulte of ao much honest effort, to take long viewe or to place even u much reliance u they reaeonably might on the dubietiee of the long period; the apparent certaintiee of the short period, however dec:eptive we may auapec:t them to be, are much more attrac:tive.• (TM, li 324)
133
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
stände von Wertpapieren verfügen, die sie allenfalls gegen Spareinlagen einzutauschen bereit sind. Außerdem wird eine maximale Ausnützung des Geldschöpfungspotentials vorausgesetzt. Unter strikter Beachtung der durch Vermögensrestriktionen ausgedrückten Konsistenzbedingungen kann der monetäre (bzw. Portefeuille-)Sektor durch das folgende System dargestellt werden:
=
(22)
R0
(22')
R0 +
(pk-pko)Kzo = pkKZd'
(23)
frr=
R 0 + pk0 KB, 0
(23')
frr+
( pk -pko)KBo = Ro + pkKBd,
(24)
R=
(25)
VH =
(26)
V=
(27)
Ld=
~tY;
(28)
Ld=
r 1-e( p.
(29)
d
(30) (31)
c I
pkKH
m c L cd + m1 L 1d.' 1 > mc > O·' m c-> m. > 0' d
=
d
d
Lco + L•o + pkKHo = Lc + L• + pkKH ' V -Ld-S c
H
1t
> 0,
Ld+Ld C
'
pkJ ;v.
e( p. pk;v +
W=
pk~
pkoKZo'
I
s.
'
PiKHd+KBd+Kzd) = PiKHo+KBo+Kz) = pkXS.
Hiebei stellen (22'), (23') sowie (25) die Bilanzgleichungen der Zentralbank, der Geschäftsbanken sowie der Haushalte dar, wobei die Kjo (j = Z. B, H) die vorhandenen Bestände zu Beginn der betrachteten Periode und die Kjd die nachgefragten Portefeuilles am Ende der Periode bezeichnen; analoges gilt für R, Lc und La. Annahmegemäß mögen Buchgewinne der Banken ohne Auswirkung auf das Reserven- bzw. Einlagenangebot bleiben; dies folgt aus den Gleichungen (22) und (23). (24) formuliert die Annahme, daß das Geldschöpfungspotential voll ausgeschöpft wird, indem sich die Geschäftsbanken auf der Einlagenseite passiv der Nachfrage anpassen. (26) definiert das für die Portefeuilleentscheidung relevante Vermögen, die Portefeuillenachfrage in (28) und (29) entspricht den Ergebnissen aus (I 9) bis (21 ). Die Nachfrage nach Sichteinlagen (27) orientiert sich am Einkommen im üblichen Sinne. (30) und (31) formulieren schließlich das Gleichgewicht auf dem Geld- bzw. dem Kapitalmarkt. Hiebei ist die Annahme zu beachten, daß neue Ersparnis zur Gänze auf dem Kapitalmarkt
134
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
angelegt wird, ebenso wie sämtliche Investitionen über den Kapitalmarkt finanziert werden. Diese Vereinfachung erlaubt es, positive Ersparnisse bzw. Investitionen in einem ansonsten stationären Gleichgewicht zu untersuchen. Die Konsistenz der Formulierung des Güter- und des monetären Sektors kann anhand des Walrassehen Gesetzes durch die Aufsummierung der Überschußnachfragen nachgeprüft werden. Das ergibt: (32)
(cr:'+c IT-py) +feV+py +pkyk0 -cr:'-c 11+ I 11" c CO c CO I 11"
+ ~+( Pk -pko)KBo -R+Ro+( Pk -pko)Kzo -Pi KHo+Kao+Kzo+yk)] +
+ [ttY+( 1-~)V -Ro -pkoKBo+R-pkoKZo] =
=
V+~-pkoKBo -pkoKzo+( Pk -pko)( Kao+Kzo)-pk( KHo+Kao+Kzo}+ttY = ~+pkKHo-ttY-pkKHo-Pk/Kao+Kzo}+ttY = 0
Für die nachfolgenden Ergebnisse ist die Reaktion des Bankensystems auf Änderungen der Portefeuillenachfrage, und besonders die Elastizität des Angebots von Spareinlagen, ein kritisches Element. Doch finden sich in der TM kaum über die Analyse des Geldschöpfungspotentials hinausgehende Hinweise zum Verhalten der Banken, insbesondere kein Ansatz einer portefeuilletheoretischen Erklärung. Der Schlüssel muß daher in der Struktur der Reservesätze liegen. 49 Gelten für Sicht- und Spareinlagen die gleichen Reservesätze (mc=ma), so kann bei maximaler Ausnützung des Geldschöpfungsspielraums durch eine Umschichtung zwischen Sicht- und Spareinlagen die Summe der Bankeinlagen nicht geändert werden, bei gegebener industrieller Zirkulation ist daher eine Anpassung des Bestandes an Spareinlagen an eine gestiegenen Nachfrage nicht möglich. Umgekehrt ist eine unbegrenzte Ausdehnung des Angebots von Spareinlagen dann möglich, wenn für diese überhaupt keine Reserven gehalten werden (mc>me=O). Für dazwischen liegende Fälle (mc>ms>O) wäre offenbar bei einer Umschichtung von Sicht- zu Spareinlagen die Möglichkeit einer Erhöhung der Bankeinlagen insgesamt gewährleistet. Diese Wirkungen identischer bzw. unterschiedlicher Reservesätze werden im zweiten Band der TM diskutiert, wobei einander die britische Praxis (identische Sätze) und jene der USA (mit 49 Vgl. die Beiträge von Miller (1984a,b, 1985).
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatise on Money'
135
niedrigeren Sätzen für Spareinlagen) gegenübergestellt werden. Die Abschaffung der Reservehaltung für Spareinlagen wird als Beispiel einer stabilitätsfördernden Reform der Bankpraxis dargestellt (siehe TM, II llf.). Denn im Falle eines starren Angebots von Spareinlagen muß die Anpassung (z.B. an eine Verstärkung der Baisse-Stimmung) über den Preis der Wertpapiere vor sich gehen; ist im anderen Extrem das Angebot völlig elastisch, so käme es bloß zu einer Ausweitung des Bestandes an Spareinlagen bei unveränderten Wertpapierpreisen. Im ersteren Falle würden die Kurse durch Verkaufsangebote des Publikums solange gesenkt, bis die Anleger wiederum bereit sind, die existierende Menge von Wertpapieren zu halten. Im letzteren Falle tauschen dagegen die Banken solange zum herrschenden Preis Wertpapiere gegen Spareinlagen ein, bis die gestiegene Nachfrage befriedigt ist. Die Vermutung liegt nahe, daß die den britischen Verhältnissen entsprechende Annahme identischer Reservesätze und damit einer starren gesamten Geldmenge am ehesten Keynes' Intentionen entspricht, auch scheint dies der plausibelste Weg, um zu den zentralen Aussagen der TM über den Zusammenhang von Sparen und Investieren zu gelangen. Allein ein eindeutiger Hinweis kann in der TM nicht ausgemacht werden. 60 Die eben aus der verbalen Analyse der TM gewonnenen Ergebnisse sollen nun aus der Partialanalyse des obigen PortefeuilleModells (für exogenes Einkommen Y) abgeleitet werden. Insbesondere werden die komparativ-statischen Effekte von Änderungen des Einkommens (dY), des Baisse-Faktors (dp) bzw. der Geldpolitik (dR) untersucht. Für die letztere folgt aus der Modellformulierung, daß die Nettovermögensposition der Haushalte VH von der Veränderung von R unberührt bleibt; es handelt sich daher um eine Offen-Markt-Politik. Den Ansatzpunkt der Analyse bildet die finanzielle Zirkulation. Das Angebot an Spareinlagen folgt aus (23), (24) und (27) als: (33)
L I 1 = (R 0 -mCttY)/m; I
für die Nachfrage gilt wie oben: (28)
L 1 d = [J-e( p, p.1)]V.
50 Siehe hier;u u.a. TM, 128 und 224, worin das Verhalten dea Banlr.en1yatema wie eine (exogene) Variable beschrieben wird. Ungleich ri&ider ist Keynes' Klanteilung gegenüber Roberbon, daJI die Analyse der TM nicht bloß ein gegebenes Angebot der gesamten Banlr.einlagen, aondem sogar der Spareinlagen vorausseh:e (Keynes 1931c, 224). Hiefür finden sich m.E. in der TM selbst keine Belege.
136
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Nach Einsetzen von (25) und (26) erhält man die Gleichgewichtsbedingung: (34)
dL 1 = ( dR-mcK.dY)/m, = =
raL,d;apkJdpk + (aL.d;ap)dp -r I-eJ~tdY,
bzw. als Ergebnis der partiellen Analyse des monetären Sektors: (35)
dpk = [m,- 1dR+( J-e-mcm,- 1 )K.dY-~2 dp]/~1' mit ~ 1 apk; aR >
= aL.d;apk > o. ~2 = aL.d;ap
o.
O;
Diese Ergebnisse stimmen qualitativ mit den Aussagen der TM überein. 51 Doch wird in der TM (wenn auch nicht modelltheoretisch) an manchen Stellen eine komplexere Struktur des finanziellen Sektors untersucht. Als mögliche Anlageformen für das Vermögen werden neben den Spareinlagen kurzfristige Titel (darunter diskontfähige Wechsel) und langfristige Titel unterschieden, bei letzteren wird gelegentlich zwischen Anleihen und Aktien differenziert, ebenso zwischen Aktien, dem dahinter stehenden Bestand an existierenden und neu produzierten Kapitalgütern. 62 Dem entsprechen unterschiedliche relevante Zinssätze bzw. Preise, so etwa die Unterscheidung von Bankrate und Anleihenzins etc. Während diese Unterscheidung für spezifische Aspekte der Portefeuilletheorie relevant ist, insbesondere für die Frage nach der Wirksamkeit der Geldpolitik als Bankratenpolitik, wird dieses breite Spektrum von Vermögensgütern bei der Anknüpfung an den Kreislaufprozeß und die Grundgleichungen zu einem Aggregat der Wertpapiere zusammengefaßt. In diesem Kontext sind daher der Kurs der Wertpapiere, der Preis der existierenden und der Preis neu produzierter Kapitalgüter identisch - dazu steht die Tatsache, daß bei der Beschreibung von Anpassungsprozessen im monetären Sektor diese Preise unterschieden werden, nicht im Widerspruch. 53 51 Der Spe&ialfall m 8 =0 wird weiter unten behandelt. 62 Vgl. beaonden TM, eh. 16, 217ff., und eh. 37, 304ff. 53 Im Umkreis der Grundgleichungen definiert Keynes P' u.a. als "the price Ievel of investmenh [i.e. securitiee]" (TM, 128, Zeile 24), • ... of inveetmentl ae a whole, and hence of new inveetmentl" (129, Z. llf.) b&w. als "price Ievel of inveatment goods (whether new or old)" (129f.); liehe dagegen im Kapitel über die finan&ielle Zirkulation: "Nor does the price of existing securities depend at all cloeely over short periode ... on the price of new fixed capital. For existing eecuritiee largely coneiet of propertiee which cannot be quickly reproduced ... "(ib., 222), b&w. • ... when eecurity prices are rising, thie is likely ... in general but not neceasarily - to etimulate a rise in
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatise on Money'
137
Jedenfalls liegt der Interpretation der Grundgleichungen auf der Portefeuilleseite ein Modell zugrunde, das nur die beiden Vermögensanlagen "Wertpapiere" und "Spareinlagen" unterscheidet. 64 In diesem Falle kann das Portefeuille-Gleichgewicht auf Gleichgewicht des Geldmarktes reduziert werden, wodurch es über die industrielle Zirkulation mit dem Einkommenskreislauf verknüpft wird: .. . given the total quantity of money, only thoee combinations of the rate of earnings, the volume of output and the price Ievel of securitiee are feasible which Iead to the aggregate requirementa of money being equal to the given total. (TM, 132)
Dies macht nun die Betrachtung eines simultanen Gleichgewichts ("multiple equlibrium"; ib., 129) der beiden Sektoren erforderlich. Die Folgen von Änderungen der beiden entscheidenden Faktoren, des Spar- und des Baisse-Faktors, sollen zunächst, dem Beispiel der TM folgend, verbal charakterisiert werden. Aufgrund von Keynes' Annahme über die Verlustfinanzierung bewirkt eine Erhöhung des Sparens keine Zunahme des Angebots von Leihkapital und damit keine unmittelbare Wirkung auf das veranlagungsfähige Vermögen. Somit kommen als indirekte Effekte auf den monetären Bereich Rückwirkungen über die industrielle Zirkulation in Frage. Kritisch ist hiebei, ob sich die industrielle Zirkulation am (vorgegebenen) Einkommen (F) orientiert oder an den realisierten Erlösen (Y=F+li). In der TM wird die erstere Abhängigkeit betont (siehe ib., 132 und 221 )56; wo die letztere Version als theoretische Möglichkeit nicht ausgeschlossen wird, wird doch deren praktische Relevanz bestritten (Keynes 1931 c, 223: "... likely to be negligible and to belong to the class of the innumerable small ..."). Im ersteren Fall kann es zu keinen Rückwirkungen kommen, da die industrielle Zirkulation unabhängig von laufenden Größen festgelegt ist; im letzteren Fall sind die Rückwirkungen von der Elastizität des Geldangebots mitbestimmt. Ist das Geldangebot der Banken starr (wie in der Version identischer Reservesätze), kommt es zu einer Umschichtung von industrieller zu finanzieller Zirkulation. Die erstere sinkt mit den Erlösen aus der Konsumgüterproduktion, zu einer gegengleichen P', the price Ievel of new inveatment ...• (226) Auf dieae Widenprßche hat bereits Robertaon (1931, 379ff.) hingewieaen. 64 Siehe auch Patinkin (1976, 81): • ... the portfolio-choice model of the Treatise is effectively a two-asset one: money and equity securities." 66 Nur diese Formulierung iet mit der Annahme der Verlustfinan&ierung durch Verkauf von Wertpapieren vereinbar; vgl. Klaueinger (1989c).
138
4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Erhöhung der Nachfrage nach Spareinlagen sind die Anleger nur bereit, wenn der Preis der Wertpapiere (bzw. Kapitalgüter) steigt und damit der effektive Marktzins ceteris paribus sinkt. Dies führt zu einer teilweisen Kompensation der Verluste in der Konsumgüterproduktion durch Profite im Investitionsgütersektor, eine vollständige Kompensation ist aber unmöglich, da diesfalls keine umzuschichtenden Sichteinlagen übrig blieben. Im entgegengesetzten Extremfall, wenn das Angebot von Sichteinlagen starr und jenes von Spareinlagen völlig elastisch ist (weil nur für Sichteinlagen Reserven gehalten werden), kommt es hingegen zu vollständiger Kompensation: Die Anleger versuchen solange einen Teil der freiwerdenden industriellen Zirkulation in Wertpapieren anzulegen, bis deren Preise soweit gestiegen sind, daß die überschüssige Kasse verbraucht ist; gleichzeitig nimmt das in Spareinlagen gehaltene Vermögen zu. Für die dazwischen gelagerten Fälle ist (wenn der Reservesatz für Spareinlagen niedriger als für Sichteinlagen, aber positiv ist) das Ausmaß der erwähnten Kompensation der Verluste umso größer, je niedriger der Reservesatz für Spareinlagen. In gleicher Weise können die Wirkungen einer Veränderung des Baisse-Faktors, z.B. einer Verstärkung der Baisse-Stimmung, nachvollzogen werden. Bei vollständig elastischem Angebot von Spareinlagen wird die veränderte Präferenz der Anleger durch bloße Ausdehnung des Spareinlagenvolumens bei unveränderten Wertpapierkursen befriedigt, und zwar indem die Anleger den vorhandenen Wertpapierüberschuß den Banken gegen Gewährung von zusätzlichen Spareinlagen verkaufen. Der Bedarf für industrielle Zirkulation bleibt hievon unberührt, ebensowenig entstehen Gewinne oder Verluste. Anders im Falle eines starren Geldangebots: Hier führt die verstärkte Baisse-Stimmung zunächst zu einem diese Erwartung erfüllenden Kursrückgang. Bei einkommensabhängiger industrieller Zirkulation bleibt dies die alleinige Wirkung; ist dagegen der Transaktionsbedarf von den Erlösen abhängig, so reduziert sich dieser mit dem sinkenden Kurs. In diesem Maße ist eine Umschichtung zu Spareinlagen möglich, die dem ursprünglichen Kursrückgang und den damit einhergehenden Verlusten im Investitionssektor entgegenwirkt, ihn aber nicht zur Gänze rückgängig machen kann. 66 Die dargestellte stabilitätsför66 Dieaer Wirkunpmechaniamue entspricht der von Leijonhufvud (198lb, 174) eo genannten wLiquiditätspräferens-Sequenzw, die sich - fol,t man der obigen Interpretation - entgegen der Auslegung Leijonhufvude bereit. in der TM findet.
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
139
dernde Wirkung eines elastischen Angebots von Spareinlagen bestätigt den Keynesschen Vorschlag einer Reform der Bankpraxis (siehe oben TM, II 11 f.). Wiederum sind im folgenden die vorigen Aussagen aus dem Modell der TM abzuleiten. Hiefür ist das simultane Gleichgewicht von Gütersektor und monetärem Sektor zu bestimmen, indem die Ergebnisse der jeweiligen Partialanalysen, d.s. (6), (7) und (35), nach den endogenen Variablen, pc und pk bzw. Y, gelöst werden. Nach einigen Umformungen ergibt sich: (36)
dpk = [( 1-c". )mI - 1dR+( 1-e-mC m I -I)K.Fdcf-( 1-c".)~ 2 dp] I~.
mit ~ apk/BR
(37)
>
= (1-c". )A.~1 -(1-~-m m -I )K.yko > o·' ." c 1
o. apk;acr < o. ap.._; ap > o.
dpc = { cr 'vk 0 m8 - 1dR+FN 1-(J-e-mc m• -I )K.yk0 ]dcf-C_.Yko~2dp}j~yco;
ßp/ßR ~ 0, ßp/ßcf > 0, ßp/BP > 0.
(38)
dY = (yk0 m,- 1 dR+F~ 1 dcf-yk. 0~2 dp)j~; ay; aR >
o. aY; acr > o. aY; ap > o.
Im Hinblick auf die Diskussion der TM ist beispielhalber der positive Effekt einer Erhöhung der Konsumneigung er auf das Einkommen anzuführen, wonach die im Konsumgütersektor entstehenden Zufallsgewinne nicht durch Verluste in der Kapitalgüterproduktion wettgemacht werden. Zuletzt ist noch der Spezialfall mit ma=O zu untersuchen. Reserven werden nur gegenüber der industriellen Zirkulation gehalten, und es gilt daher: (39)
R 0 = m c K.Y.
Daraus ergeben sich unmittelbar die komparativ-statischen Multiplikatoren: (40)
ßp/ßR ßp/BP
(41)
= c".JmcK.Yco
=0,·
~ 0, ßp/ßcf
ßpkj ßR = ( 1-c".)/mcK.Yko ap.._; ap =
o.·
= F /Yco >
> 0. ßpkj ßcf
0,
= -F j yko
< 0,
140
4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
(42)
ay;aR
=
1/mc" > o. aY;acf = o. aY;ap = o.
Wie in der TM vermutet, werden in diesem Falle die aggregierten Windfalls (bzw. die Erlöse) gegenüber Änderungen des Spar- bzw. Baisse-Faktors völlig isoliert. Abschließend ist noch kurz auf die aus der TM zu folgernde Beurteilung der Möglichkeiten der Geldpolitik einzugehen. Deren Aufgabe besteht darin, den natürlichen und den Marktzins in Übereinstimmung zu bringen. Obwohl sich Keynes diesbezüglich optimistisch zeigt, formuliert er doch drei wesentliche Einwände. Der erste bezieht sich auf die übliche Form der Bankraten-Politik, die direkt nur auf das kurzfristige Spektrum der Anlagen wirkt, während für die Investitionsentscheidung der langfristige Zinssatz den Ausschlag gibt. Eine gegenüber der von Keynes entwickelten Erwartungstheorie der Fristigkeitsstruktur des Zinssatzes stärkere Reaktion des langfristigen Zinssatzes mag mit Bezug auf die Psychologie der Spekulation erklärt werden; allenfalls müßte die Geldpolitik, um Wirkung zu erzielen, direkt am langen Ende des Spektrums ansetzen (siehe TM, 304 und 331 ). Der zweite Einwand bezieht sich auf die Wirksamkeit der Geldpolitik, wenn bereits eine tiefe Krise herrscht. Dann senken einerseits die verschlechterten Ertragserwartungen den natürlichen Zinssatz, anderseits erhöht die gestiegene Vorsicht der Anleger den herrschenden langfristigen Marktzins. Es ist zweifelhaft, ob die Mittel der Zentralbank hier ausreichen, um den Marktzins im benötigten Maß zu senken; außerdem setzt sie sich - bei einer beginnenden Verbesserung der Ertragserwartungen - der Gefahr von Kursverlusten aus, während die gegen die Bank spekulierenden Anleger belohnt würden. 57 In dieser Situation ist daher eine direkte Beeinflussung der Investitionen, z.B. durch Fiskalpolitik, vorzu-
57 " ... circulll8tances can arise when ... the natural rate of interest falls ao low that there ia a very wide and quite unuaual gap between the idea.s of borrowen and of Ienden in the market on long-tenn. [In fact] ... the natural rate of interest may fall ... almost to nothing. But it is precisely at such a time a.s this that Ienden are most exigent and least inclined to embark their resources on long term unleas it be on the most unexceptionable security; ao that the bond rate, far from falling towards nothing, may be expected ... to be higher than normal. [lt ia impoaaible) in such circulll8tances ... to keep the market rate and the natural rate of long-term interest at an equality with one another, unleaa we impoae on the central bank the duty of purcha.sing bonds up to a price far beyond what it eonaiden to be the long-period norm. Yet .. . this will mean ... [the prospect of] a aerioua financialloaa ." (TM, II 334). Auf diese Stelle besieht sich Leijonhufvud (198lb, 196ff.); aiehe auch unten 6.4.2.
4.1 Die Geldtheorie der 'Treaii1e on Money'
141
ziehen. 68 Als dritte und zur Zeit der Entstehung der TM aktuellste Begrenzung der Geldpolitik ist schließlich auf "internationale Komplikationen" im Rahmen eines Goldwährungssystems hinzuweisen (TM, 335ff.). 69 4.1.5 Von der "Treatise" zur "General Theory" In einer abschließenden Beurteilung der "Treatise" sind zwei Perspektiven zu unterscheiden: einerseits deren Stellenwert im Rahmen der zeitgenössischen geldtheoretischen Diskussion und anderseits ihre Bedeutung als eine Vorstufe zu Keynes' Hauptwerk, der "General Theory". Aus der Sicht der Zeitgenossen enthielt die TM neben unverkennbaren Elementen der Tradition, wie dem an Marshalls Fristen orientierten Phasenschema und der Konzentration auf die Bewegungen des Geldwertes als primäres Erklärungsziel der Geldtheorie ( vgl. Hicks 1967d), eine Reihe konzeptioneller Neuerungen. Diese umfassen methodische, theoretische und wirtschaftspolitische Aspekte. Der methodische Aspekt äußert sich in der Ablehnung des Analyseschemas der Cambridge-Quantitätstheorie, an die Stelle von Kassenhaltung und Geldschöpfung treten mit Sparen und Investieren Elemente einer Einkommenstheorie als Bestimmungsgründe des Preisniveaus. Auf theoretischer Ebene liegt ein Schwerpunkt auf der behaupteten Unabhängigkeit der Preisniveaus von Konsum- und Kapitalgütern, ersteres würde von Kreislauffaktoren, letzteres von Portefeuillefaktoren bestimmt. Daher ist ein automatischer Ausgleich von Sparen und Investieren durch Marktkräfte nicht gewährleistet, und zwar auch ohne monetäre Einflüsse. Da die intertemporale Abstimmung der Pläne nicht gesichert ist, kann eine Erhöhung des Sparens negative Folgen als Nachfrageausfall zeitigen - dieses Funktionsproblem einer Laissez-Faire-Wirtschaft bildet fortan ein zentrales Element der Keynesschen Vision. 60 Schließlich bedeuten in wirtschaftspolitischer Hinsicht Keynes' Zweifel an der Effektivität der konventionell gehandhabten Bankraten-Politik ebenfalls eine 58 " ... aodali1tie aetion by whieh eome offieial body 1tep1 into the ehoee whieh the feet of the entrepreneun are too eold to oecupy" (TM, 11 336). Schon r;uvor hatte Keynee (1929) Fiskalpolitik in Form von "public worke" ala Krisentherapie befürwortet; deren Sekundäreffekte analy1ierte Kahn (1931). 69 Vgl. hiesu Leijonhufvud (1968, 40lff.) . 60 Siehe hiesu Schumpeter (1946, 268 bsw. 1954, 1171).
142
4. J .M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Abkehr von orthodoxen Positionen (siehe Leijonhufvud 1968, 404). Diese Zusammenfassung offenbart jedenfalls einen Gegensatz zwischen dem Keynes der TM und sowohl Vertretern der traditionellen Quantitätstheorie als auch des neuen Österreichischen Ansatzes. In der Rezeption der TM wird dies in zweierlei Kritik sichtbar: Die traditionelle Kritik (u.a. von Robertson und Hawtrey) setzt an den Aussagen zur Zinstheorie an - sie verteidigt methodisch den Ansatz der Quantitätstheorie und inhaltlich die Tendenz kompensierender Änderungen von Konsum- und Kapitalgüterpreisen als Folge von Schwankungen der Ersparnis. Schärfer wird der Gegensatz der zugrundeliegenden Visionen in der Kontroverse zwischen Hayek und Keynes herausgearbeitet, nicht zuletzt weil die gleichzeitig publizierten "Prices and Production" (Hayek 1931 b) die klassische Alternative darstellten. 61 Hayek bezieht sich in der Kritik auf seine Theorie der Geldwirtschaft, die im fiktiven Zustand des neutralen Geldes einen realwirtschaftlich bestimmten Bezugspunkt besitzt und Abweichungen davon monetären Störungen zuschreibt. Hayeks "Reflexionen" stellen demnach einen grundsätzlichen Aspekt der Kontroverse heraus, wenn er seinen Erklärungsansatz dem monetären der TM entgegensetzt. Diese analysiere das Gleichgewicht einer Geldwirtschaft, ohne die ihr zugrunde liegenden realen Zusammenhänge zu beachten. Keynes verabsäume die notwendige Auseinandersetzung mit jenen "... fundamental theorems of 'real' economics on which alone any monetary explanation can be successfully built" (Hayek 193lc, 270); insbesondere fehle es der TM an einer ausgearbeiteten Kapitaltheorie (ib., 278): ... Mr. Keynea eeeme never to have been concemed to atudy the fundamental nonmonetary problerne of capitalistic production ... [or have] ever reflected upon the function of the rate of interest in a aociety where there ia no banking ayatem. (Hayek 1931d, 401)
Die zweite kritische Frage ist, ob tatsächlich - wie es der Hayeksche Ansatz verlangt - alle in der TM als Auseinanderfallen von Sparen und Investieren bezeichneten Störungen auf eine monetäre Ursache zurückgeführt werden können. Die gegensätzlichen Positionen treten in der Diskussion klar zutage und sind zum Teil auch die Folge einer eigenwilligen Verwendung von Termini 61 Vgl. zum folgenden u.a. Hayek (1931c,d, 19S2a) und Keynes (19Slb) sowie die in CW lS, 257ff., abgedruckte Korrespondenz zwischen den beiden Kontrahenten; die oben 3.1.3 erwähnte Hayek-Sraffa-Kontrovene verlief parallel dazu.
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
143
(auf beiden Seiten). Hayek (193lc, 290f.) formuliert folgendermaßen: ... the fact that more (or le..) money is being invested than is being saved is equivalent to so much money being added to {or withdrawn from) induetrial circulation, so that the total of profits, or the difference between the expenditure and the receipts of entrepreneun ... will be equal to the net addition to (or subtraction from) the eCfective circulation.
Soweit durch das Bankensystem (oder die Geldpolitik) Schwankungen der effektiven Zirkulation 62 vermieden werden können, wird daher auch jede Divergenz von Sparen und Investieren unmöglich. Dagegen betont Keynes ( 1931 b, 251 ): [I]n my view, saving and investment (aa I define them) can get out of gear without any change on the part of the banking system from 'neutrality' u defined by Dr. Hayek, merely aa a result of the public changing their rate of investment, there being no automatic mechaniem in the economic syetem (as Dr. Hayek's view would imply there must be) to keep the two rates equal, provided that the effective quantity of money is unchanged.
Auf einer analytischen Ebene läßt sich der Konflikt um den monetären Ursprung solcher Divergenzen auf die (eher triviale) Definitionsfrage reduzieren, welche "cetera" der monetären Seite "paribus" gehalten werden müssen, damit die Neutralität des Bankensystems gewährleistet ist. Keynes behauptet das Vorliegen von Mängeln des Selbststeuerungsmechanismus der Wirtschaft als Folge eines starren Geldangebots gegenüber einer systematisch schwankenden finanziellen Zirkulation. Hayek definiert anderseits die effektive Zirkulation derart (als die der industriellen Zirkulation entsprechende Stromgröße), daß deren Änderung der Differenz von Investieren und Sparen entsprechen muß. Das Ceterisparibus eines neutralen Bankensystems besteht somit in der Verhinderung von Schwankungen dieser effektiven Zirkulation. Das bedeutet z.B., daß der bei einer Zunahme des Sparens (gemäß der TM) entstehenden Hortungstendenz mit einer Ausweitung der Bankgeldmenge zu begegnen wäre, umgekehrt bei einer Verbesserung der Ertragserwartungen. Geschieht dies nicht, so kommt es zu einer jener von Hayek beschriebenen Komplikationen, die die Verwirklichung eines neutralen Geldes unmöglich machen - aus seiner Perspektive wäre die Störung dennoch als monetär zu bezeichnen. Die paradigmatische Differenz der beiden Sichtweisen liegt allerdings anderswo: Während für Keynes (schon in der TM) 62 Um die Definition dieses Begriffes drehte sich in enter Linie die erwähnte Korrespondent: &wischen Hayek und Keynes. Im wesentlichen entspricht im Kontext der TM die Stabilisierung der effektiven Zirkulation jener des nominellen Einkommens (inklusive von Windfalls). Siehe auch oben 3.1.6.
144
4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
diese Divergenzen von Sparen und Investieren geeignet sind, konjunkturelle (bzw. kumulative) Anpassungsprozesse auszulösen und daher eine Bedrohung des behaupteten Marktautomatismus darstellen, handelt es sich für Hayek um Phänomene, deren Bedeutung im Vergleich zur konjunkturauslösenden Kreditschöpfung gering ist. Aus der Sicht der Keynes-Exegese ist nicht die zeitgenössische Kritik, sondern die Stellung der TM als eine Vorstufe zur GT von höchstem Interesse. Dabei geht es neben der relativen Bewertung der beiden Werke darum, was den - die Keynessche Revolution konstituierenden - Unterschied zwischen ihnen ausmacht und wann dieser entscheidende Schritt vollzogen worden ist. Aber bereits das Spektrum der Antworten auf bloße Vorfragen ist notorisch breit. Das beginnt bei der Beurteilung des artistisch-literarischen Aspekts - ungeachtet der allgemeinen Wertschätzung von Keynes als vorzüglichem Schriftsteller (vgl. E. Johnson 1978) ist für Patinkin (I 976, 25) die TM "not a good book", während wiederum Samuelson (I 946, 318) die GT als ein "badly written book" bezeichnet. Ebenso ist der didaktische Wert der TM umstritten: Patinkin setzt die angeführte Kritik mit dem Ratschlag fort, er sehe vom Standpunkt der makroökonomischen Theoriebildung "little profit ... in reading it [die TM] toda{ (Patinkin 1976, 25). Dagegen verweist eine Reihe von Autoren6 darauf, daß nur ein sorgfältiges Studium der in der TM enthaltenen detaillierten Analyse des monetären Sektors die hinter der eher schematischen Behandlung in der GT steckenden Überlegungen erschließe, da diese dort nur in den wesentlichsten Grundzügen - "stripped to its bare bones" (Hicks 1967d, 189) - ausgeführt seien. Größere Übereinstimmung herrscht in der Beurteilung des geänderten Schwerpunkts der Analyse. Die TM verstand sich als ein umfassendes geldtheoretisches Werk, das den langfristigen Bezugspunkt eines vorgegebenen Outputs akzeptierte und damit innerhalb der der Geldtheorie gezogenen Grenzen verblieb. Die Frage nach Höhe und Zusammensetzung des (Gleichgewichts- )Outputs, von dem ausgehend Abweichungen und Ungleichgewichtsprozesse untersucht werden, steht außerhalb dieses geldtheoretischen Rahmens. Die Analyse der TM zeigt, wie eine monetäre Expansion zuerst auf die Güterpreise wirkt, Zufallsgewinne oder -verluste ("windfalls") entstehen, die Änderungen des 63 Vgl. Harrod (1961, 476), Hieb (1967d), Leijonhufvud (1968, 26} und neuerdings Miller ( 1984b).
4.1 Die Geldtheorie der 'Treatiae on Money'
146
Outputs induzieren, und wie nun hiedurch die rigiden Faktorpreise wieder einer neuen Gleichgewichtslage angepaßt werden, indem die Windfalls durch Einkommensinflation beseitigt werden. Daher kommt hier Outputänderungen nur die Rolle eines Zwischengliedes zu, das für den Ausgleich zwischen flexiblen (Güter-) und rigiden (Faktor- )Preisen sorgt. Da Anpassungsmechanismen bzw. die Erklärung von Zyklen den Bereich der von Keynes in der TM analysierten Prozesse bilden, läßt sich die TM (trotz einiger Idiosynkrasien) durchaus noch mit der klassischen These vereinbaren, Unterbeschäftigung sei eine Angelegenheit von Zyklen und Ungleichgewicht.64 Aus dieser Sicht ist auch das in der TM enthaltene "Sparparadoxon" in seiner Bedeutung zu relativieren - Sparen schafft zwar deflatorische Probleme, aber doch nur vorübergehend, bis die rigiden Faktorpreise durch den Outputrückgang bewegt werden. Dagegen stellt die in der "Bananenparabel" enthaltene These einer fehlenden Tendenz zum Gleichgewicht ein - für die Orthodoxie wie für Keynes gleicherweise - erklärungsbedürftiges Rätsel dar (vgl. Barens 1987, 62ff.). Seine Lösungsversuche führen den Keynes der TM - einen "aufgeklärten Quantitätstheoretiker" (Goetzke 1985, 99) - schließlich zur Frage, ob Anpassungsprozesse tatsächlich stets zu Vollbeschäftigung (zurück- )führen müssen oder ob auch ein End- bzw. Ruhepunkt bei Unterbeschäftigung möglich sei. Unterbeschäftigung würde dann nicht als eine bloß vorübergehende Erscheinung, wie z.B. der untere Wendepunkt eines Zyklus, sondern als dauerhaft erklärt. Das im Hinblick auf dieses Rätsel am Lösungsversuch der GT konstitutiv Neue ist das Vorherrschen von Mengenanpassungen. Das bedeutet nicht, daß Keynes grundsätzlich von dem in der TM entwickelten Phasenschema, welches eine Sequenz von Anpassungen der Güterpreise, der Gütermengen und zuletzt der Faktorpreise annimmt, abgeht und die Reihenfolge von Preis- und Mengenanpassungen umkehrt. 66 Vielmehr ist entscheidend, daß es die Outputbewegungen selbst sind, die - anders als in der "Bananenparabel" - ein neues Gleichgewicht herstellen, in welchem zumindest aus der Sicht des Gütermarktes keine unmittelbare Än-
64 Vgl. in diesem Zusammenhang Barena (1987, Kapitel 2) und Goet~:ke (1986, besondere 18ff. und 117ff.). 66 Wie dies oft behauptet wird, s.B. Leijonhufvud (1968, 52) und Friedman (1970, 209); siehe unten 4.2.4.
146
4. J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
derungstendenz mehr besteht. 66 Wenn auch eine ursprüngliche Abweichung von einer Vollbeschäfti"ungssituation durch einen (Multiplikator-)Prozeß verstärkt wird , so hat der Prozeß doch einen Ruhepunkt - wenn dieser auch nicht mit Vollbeschäftigung zusammenfallen muß. Dadurch wird die Höhe der Produktion zu einem endogenen Faktor und integriert Geld- und Werttheorie zu einer "allgemeinen Theorie". Die auf Patinkin zurückgehende These, daß die theoretische Innovation der GT68 in der Möglichkeit eines (Gütermarkt- )Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung besteht, insbesondere aber darin, daß dieser Ruhepunkt durch Mengenanpassungen erreicht wird, entspricht der herrschenden Lehre einer "neoklassischen" Sicht der GT. Dagegen wird von einer fundamentalistischen Interpretation69 die wesentliche Reorientierung einer genuin keynesianischen Analyse in der verstärkten Betonung des Unsicherheitsaspekts - wodurch im Gegensatz zur klassischen Annahme vollkommener Information der Analyse rationalen Verhaltens die Basis entzogen sei - und in der Eingliederung der Analyse in die institutionellen Gegebenheiten einer "realistischen Geldwirtschaft" gesehen. Diese kurze Skizze des Weges von der TM zur GT als einer Gegenposition zur klassischen Ökonomie hat den Ausgangspunkt dar&,elegt, von dem aus die folgende Untersuchung weiterführen soll. 0 Sie beabsichtigt weder einen Digest zur GT71 noch eine 66 Dies folgt Patinkins Interpretation (1982, 9). 67 Das ist ein für Leijonhufvud (1973) entscheidender Aapekt. 68 Weitere Neuerungen bestehen in der Ausformulierung der Liquiditibpriferenr;theorie bzw. einer eigenständigen lnvestition1theorie mit dem Konzept der Grenzleistungsfähigkeit. Siehe Patinkin (1982, 8f.) und den dort zitierten Brief von Keynes an Harrod (CW 14, 86). 69 Vgl. z.B. Shackle (1967), Davidson (1978) und als Einführung Rothschild (1981). Auf die Versuche einer Synthese aus Marx (bzw. Ricardo und Sraffa) und Keynes kann im folgenden nicht näher eingegangen werden; vgl. paradigmatisch Kalmbach/Kuu (1983). 70 Der Vollständigkeit halber ist hier auf die Chronologie der Entetehung der GT kur.r; einzugehen; vgl. hiezu Moggridge (1973), Patinkin (1976, 1982) und Barena (1987). Den Ausgangspunkt markieren, wie erwähnt, die "Bananenparabel" (TM, 159f.), deren Rätsel in der Harris-Lecture aus 1931 (Keynes 1931a) nochmals in den Termini der TM diskutiert wird. Einen wesentlichen Fortachritt stellt der berühmte Multiplikator-Artikel von Kahn (1931) dar, wenn der Multiplikator auch nur in seiner dynamischen Version und hinsichtlich der Frage von Sekundireffekten, nicht aber als Gleichgewichtabe&iehuni analy1iert wird. Keyne• formuliert noch 1931 in einem Brief an Kahn (CW 13, 373ff.) explizit eine Sparfunktion und entdeckt (in einem Entwurf sur GT aue 1932, CW 13, 386ff.) die Stabilititebedingung: ..:1Nachfrage < ..:1Einkommen. 1934 (in einem weiteren Entwurf, CW 13, 424ff.) ist der "Paradigmenwechsel" endgültig vollsogen - Konsum- und lnveatitionsfunktion werden mathematisch formuliert, eheneo die entsprechende Gleich,ewichtabedin-
4.2 Geldwirtachaft, Sayachea Gesetz und effektive Nachfrage
147
erschöpfende Übersicht über die Vielzahl von Interpretationsversuchen zu bieten. Vielmehr werden wesentliche Teile der GT unter dem Aspekt betrachtet, inwiefern sie Elemente einer Keynesschen Theorie der Geldwirtschaft beinhalten. Den Beginn macht eine Vorstellung der Bausteine der GT - zuerst der Keynesschen Konzepte der Geldwirtschaft sowie deren Bezug zur Widerlegung des sog. Sayschen Gesetzes und zur Theorie der effektiven Nachfrage und deren Rekonstruktionen. Im nächsten Abschnitt wird die Investitionstheorie und die Spezifikation des Finanzsektors behandelt, unter besonderer Betonung der intertemporalen Koordination in der Geldwirtschaft und der sog. wesentlichen Eigenschaften des Geldes. Nach einer modelltheoretischen Rekapitulation des Analyserahmens der GT wird sodann die Effektivität von Lohnsenkungen im Vergleich zu Geld- und Fiskalpolitik untersucht. Abschließend wird der Keynessche Beitrag zu einer Theorie der Geldwirtschaft kritisch kommentiert.
4.2 Geldwirtschaft, Saysches Gesetz und effekthe Nachfrage 4.2.1 Keynes' Wirtschaftstypologie und das Nachfrageproblem
Den wesentlichen Anstoß zur Entwicklung der Theorie der effektiven Nachfrage hat das in der sog. "Bananenparabel" der TM enthaltene Rätsel gegeben. Dessen Lösung führte Keynes zu zwei Entdeckungen: zur Bestimmung der Stabilitätsbedingung für den Anpassungs-(Multiplikator- )Prozeß - diese wurde in der GT durch das "psychologische Gesetz" der Konsumneigung fixiert; und zur Erkenntnis der Möglichkeit eines Gleichgewichts der effektiven Nachfrage auf einem Niveau unterhalb von Vollbeschäftigung. Bevor diese Lösung genauer untersucht wird, ist noch auf jenes Konzept der Geldwirtschaft einzugehen, das Keynes in seinen
gung, Einkommen und Enparnia werden bereite im Sinne der GT, d .h . einachlieBlich der Windfall•, definiert. Den nic:haten Schritt stellt die Theorie der effektiven Nachfrage ala Grundlage der GT dar, wie sie im folgenden Abschnitt untenucht wird. 71 Vgl. hiefür Hanaen (1963) sowie neuerdingsChick (1983) und Jäggi (1986).
148
4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Vorarbeiten und Entwürfen 1 zur GT dargestellt hat und durch das der Zusammenhang mit dem Sayschen Gesetz zu klären versucht wird. 2 Auf einen wesentlichen Ansatzpunkt verweist der Titel des Beitrages zur Spiethoff-Festschrift (Keynes 1933a) ebenso wie jener der Vorlesungen aus 1932 (CW 29, 35ff.), nämlich den einer "monetären Theorie der Produktion". Diese wird oft als das ausschlaggebende Element der Keynesschen Orthodoxiekritik angesehen, welches - so ein üblicher Vorwurf - in der neoklassisch inspirierten Rezeption der GT wieder verschwunden sei. 3 Den Ausgangspunkt bildet Keynes' Suche nach jenen stillschweigend getroffenen Annahmen, die der klassischen Ökonomie zugrunde liegen und die Tendenz zu einem Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung gewährleisten. Er dringt dabei auf eine Gegenüberstellung der Wirtschaft des klassischen Modells mit jener "realistischen" Geldwirtschaft, "in which we actually live" (GT, 20). Aus dieser Sicht wird ein entscheidender Unterschied am Begriff der "Unternehmerwirtschaft" festgemacht: lt ia of the eaaence of an entrepreneur economy that the thing (or thinga) in terma of which the facton of production are rewarded can be apent on aomething which ia not current output, to the production of which current output cannot be diverted (except on a limited acale) , and the exchange value of which is not fixed in terma of an article of current output to which production can be diverted without Iimit. (CW 29, 85)
Die von diesem Entlohnungsmittel geforderten Eigenschaften sind somit: (I) Lagerfähigkeit - die Möglichkeit, es zu halten und nicht auszugeben; (2) Nicht-Produzierbarkeil - sodaß es nicht bei mangelnder Nachfrage nach Gütern an deren Stelle hergestellt werden kann; 4 und (3) die Möglichkeit für den Preis des laufenden Outputs, frei gegenüber dem des Entlohnungsmittels zu schwanken. Für Keynes ist Geld, jedenfalls, das zu seinen Zeiten existierende, das Entlohnungsmittel par excellence (ib., 86). 5 Ofrensichtlich ist in dieser Wirtschaft ein Abweichen der geplanten Ausgaben vom Wert der Produktion bzw. vom Einkommen mög1 Dieses ent 1976 aufgefundene Material iet 1979 ale CW 29 veröffentlicht worden. 2 Eine wichtige Grundlage für die nachfolgenden Überlegungen bildet die sorgfältig dokumentierte Arbeit von Barena (1987). 3 Vgl. a.B. Rotheim (1981); aiehe auch unten 4.3 und 4.6. 4 Vgl. hieau auch Barena (1987, 106ff.). 5 Im folgenden Text wird ein Entlohnungsmittel mit den obigen Eigenachalten als "Geld" beaeichnet.
4.2 Geldwirtschaft, Sayaches Gesetz und effektive Nachfrage
149
lieh. Wegen des Lagerkostenvorteils von Geld werde diese mögliche Abweichung als Tendenz zu Abflüssen aus dem Einkommenskreislauf - durch das Horten von Geld-Einkommen - bzw. als chronischer Nachfragemangel realisiert, im umgekehrten Fall des Lagerkostennachteils würde eine chronische Übernachfrage nach Gütern entstehen (CW 29, 86f.). Offenkundig ist diese Behauptung logisch nicht haltbar: Die Lagerfähigkeit kann nur den optimalen Bestand an Geld bestimmen, insoweit dieser invers mit den Lagerkosten variiert; ein Nachfragemangel verlangt jedoch nach dem Bilden von Horten, d.h. nach Veränderungen des Bestandes, und kann daher nur das Ergebnis einer Änderung (Senkung) der Lagerkosten sein. 6 Neben das Charakteristikum einer Unternehmerwirtschaft, das in der Existenz eines "Geldes" besteht, stellt Keynes eine weitere Differenzierung nach den "laws of production" (ib., 78). Auf der einen Seite steht die für die Unternehmerwirtschaft typische "Geldorientierung"7 - die Produktion ist hiebei durch Unternehmen organisiert, welche Sachkapital von Kapitalisten mieten und Arbeiter beschäftigen (ib., 87f.); das Unternehmen "is dealing throughout in terms of sums of money. It has no object in the world except to end up with more money than it started with" (ib., 89). Da die Bezahlung der Arbeit bzw. die Rückzahlung der Geldvorschüsse in Geld geleistet werden muß - und wohl auch ein erwirtschafteter Überschuß nur in Geldform verwendet werden kann -, macht dies die Orientierung am Geldprofit notwendig. Der Geldorientierung wird die Produktorientierung als typisch für die von Keynes so genannte "Genossenschaftswirtschaft" (ib., 77f.) gegenübergestellt. Hier wird das Produkt unter den an der Produktion Beteiligten nach vorweg festgelegten Anteilen aufgeteilt.8 Da alle Kosten in Form von Produkteinheiten entgolten werden - und implizit ein allfälliger Überschuß in Produktform konsumiert oder investiert werden kann -, verlangt rationales Entscheiden den Ausgleich von Grenzprodukt und Grenzleid der 6 Dieses Argument gilt genauso gegen den bekannten Vorachlag von Gesell, ein "Freigeld" einzuführen, welcher in der GT (353ff.) erwihnt wird. 7 Bei Baren• (1987, 112): "geldorientierte Unternehmennotivation"; für Keynes' Bezugnahme auf das Maruche G-W-G'-Schema aiehe CW 29, 8lf. 8 Wörtlich hei.Bt es: " ... by dividing up in agreed proportiona the actual output• für das implisierte Vollbeachäftigunpergebnis reicht die• jedoch nicht aus; korrekt mü.Bte ein Produktlohn für den Faktoreinsatz vereinbart werden. Im folgenden wird diese Modifikation vorauageaetzt.
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4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Arbeit; damit ist aber die Erfüllung des "zweiten klassischen Postulats" (GT, 5) gesichert und somit auch Vollbeschäftigung (CW 29, 78). Ein Mangel an Nachfrage stellt in dieser Wirtschaft kein Problem dar, da die Produktion nicht abgesetzt werden muß, sondern direkt Nutzen stiftet. Am einfachsten ist die Genossenschaftswirtschart in der Getreide-und-Arbeit-Wirtschaft der Klassiker formuliert, einer Wirtschaft, in der ein einziges, universal verwendbares Gut existiert, das durch Arbeit und (Getreide- )Kapital erzeugt wird.9 Keynes wendet das Konzept einer Genossenschaftswirtschaft darüber hinaus auch für den Fall an, daß mehrere Güter produziert werden (ib., 76f.) - unter der impliziten Voraussetzung, Probleme der Nachfragestruktur könnten vernachlässigt werden. Vor diesem begrifflichen Hintergrund unterscheidet Keynes die folgenden Wirtschaftstypen 10 - die Kriterien hiefür sind einerseits die Existenz von "Geld", anderseits Geld- versus Produktorientierung. Den Beginn macht - am weitesten von der "realistischen" Geldwirtschaft entfernt - die "Naturaltauschwirtschaft" ("harter economy"; ib., 66f.). In ihr herrscht Produktorientierung, es existiert kein "Geld". Wird nun Geld eingeführt, das als bloßes Tauschmittel fungiert, aber nicht (von einer Produktionsperiode zur nächsten) lagerfähig ist, so spricht Keynes nicht mehr von Naturaltausch, sondern von einer "Genossenschafts- oder Reallohnwirtschaft" ("co-operative economy"; ib., 67 und 77f.). 11 In beiden Wirtschaftstypen wird produktorientiert gewirtschaftet und sind Abflüsse aus dem Einkommenskreislauf nicht möglich; in dem Beitrag zur Spiethoff-Festschrift werden sie unter dem Namen "Realtauschwirtschaft" ("real exchange economy"; CW 13, 408) zusammengefaßt. Dem steht die "Unternehmer- oder Geldlohnwirtschaft" (CW 29, 67 und 78), manchmal auch "Geldwirtschaft'' schlechthin (CW 13, 409) gegenüber. Da in ihr "Geld" existiert, können Abflüsse aus dem Einkommenskreislauf auftreten; da die Faktorentlohnung in Geld fixiert ist, ist der realisierte Produktwert des Lohnes vom Verhältnis zwischen Ausgaben und Kosten abhängig. Vollbeschäftigung ist nun nicht mehr - als Konsequenz des Organisationsprinzips der Wirtschaft - gesichert; als Topos wird dies von Keynes zumeist als die "Verletzung des 9 Zu Ricardoa Getreide-Modell vgl. Blaug (1986, 88ff.). 10 Vgl. hie&u Baren• (1987, 123ff.). 11 "Genouenechafbwirtechaft" wird im folgenden allgemein für eine Wirteehaft mit Produktorientierung verwendet.
-4.2 Geldwirtachaft, Saysches Geaet& und effektive Nachfrage
161
Sayschen Gesetzes" bezeichnet. 12 Erst in der zuletzt geschilderten Wirtschaft wird die Frage nach der Höhe der Beschäftigung relevant, und zwar als ein unmittelbar geldtheoretisches Problem. Zwischen die Genossenschafts- und die Unternehmerwirtschaft stellt Keynes zuletzt die sog. "Neutrale (Unternehmer- )Wirtschaft" (CW 29, 78). 13 Als Gedankenexperiment wird hier eine Geldwirtschaft (mit lagerfähigem "Geld" und Geldorientierung) skizziert, in der jedoch stets die potentiell auftretenden Abflüsse durch entgegenwirkende Maßnahmen der Geldpolitik kompensiert (neutralisiert) werden. Sofern sich die klassischen Lehrsätze auf eine Geldwirtschaft beziehen, treffen sie die stillschweigende Annahme, diese verhalte sich wie eine Neutrale Wirtschaft (ib., 79). Die hier gültigen Neutralitätsbedingungen stellen das Saysche Gesetz wieder her, indem sie Abflüsse unmöglich machen, und sichern das Erreichen von Vollbeschäftigung (ib., 91). "Neutralität" bezeichnet daher für Keynes jene fiktive Konstellation, bei der klassische Lehrsätze auch für eine Geldwirtschaft gültig bleiben. Allerdings betrachtet er sie - anders als die Hayeksche Tradition - nicht als eine nützliche Fiktion, sondern als einen Ausdruck für jene kritische Voraussetzung, die die klassische Theorie trotz ihrer logischen Kohärenz der Aussagekraft bezüglich des Beschäftigungsproblems beraubt. 1• Die oben beschriebene Geldwirtschaft charakterisiert Keynes durch stilisierte Eigenschaften des zu seiner Zeit existierenden (Papier- )Geldes, welche gleichzeitig das für seinen Lösungsversuch zentrale Ergebnis möglicher Abflüsse aus dem Einkommenskreislauf garantieren. Es ist zu beachten, daß nicht nur Geld die geforderten wesentlichen Eigenschaften aufweisen kann - Keynes merkt dies selbst an (ib., 85), 16 ohne diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Von grundlegender Bedeutung ist der weitergehende Einwand, die für Keynes wesentlichen Eigenschaften seien für 12 Vgl. CW 29, 90ff. Die Bueichnung "Sayachee Geaet&" wird dort noch nicht gebraucht. 13 Dies wird von Rotheim (1981) übersehen, der Genoaaenechafh- und Neutrale Wirteehaft gleicheet&t. 1-4 Vgl. aus Keynes' Malthus-Eaaay: "Malthua ia dealing with the monetary economy in which we happen to live; Ricardo with the abatraction of a neutral money economy." Und" ... if only Malthus, instead of Ricardo, had been the parent atem, from which nineteenth-century economics proceeded, what a much wiser and richer place the world would be to-day." (CW 10, 97 und lOlf.) Siehe außerdem CW 13, -420 baw. CW 29, 118f. 16 Vgl. auch Hahn (1977, 183) mit dem Beispiel "alter Meister".
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4. J.M. Keyne•' Allgemeine Theorie der Geldwirt.chaft
die Tauschmittelfunktion des Geldes - üblicherweise das definierende Charakteristikum 16 - weder notwendig noch hinreichend. Dies gilt insbesondere für die Eigenschaft der Nicht-Produzierbarkeil - die Forderung nach Lagerfähigkeit ist unproblematisch, da als Tauschmittel nur ein Wertaufbewahrungsmittel (in einem physischen Sinne) in Frage kommt. Jedenfalls bildet die unterlassene Klärung des Zusammenhanges von "Geld" und Tauschmittel einen Schwachpunkt von Keynes' geldwirtschaftlichem Ansatz. Dies illustriert das Gedankenexperiment, mit dem Keynes (CW 29, 95f.) Geld als Nur-Tauschmittel in eine Naturaltauschwirtschaft einführt und diese in eine Genossenschaftswirtschaft umwandelt. Seine Vorgangsweise besteht darin, ein datiertes und nur für einen Zahlungsvorgang gültiges Rechengeld, welches zur Erleichterung des Güteraustausches verwendet und hernach wieder eingezogen wird, entsprechend dem Produktionswert der jeweiligen Güter zu verteilen. Die grundlegende Frage lautet jedoch, wie der Tauschwert der Güter festzustellen ist, ehe das Rechengeld verteilt und damit die Nachfrage nach Gütern artikuliert worden ist. Abgesehen von der Rückkehr zu einer Universalgut-Wirtschaft, in der kein Rechengeld benötigt wird, bleibt als einzige mit der Existenz eines bloßen Rechengeldes zu vereinbarende Lösung, vorauszusetzen, daß die relativen Gleichgewichtspreise (und damit auch die zu verteilenden Mengen an Rechengeld) bereits vorweg festgelegt sind. Die Funktion dieses Geldes wird demnach darauf reduziert, für eine kosteneffiziente Abwicklung bereits vorbestimmter Transaktionen zu sorgen; nach deren Durchführung verschwindet die Nachfrage nach Geld. 17 Dieses Dilemma zeigt, daß Keynes hier ebenso wie zeitgenössische klassische Ökonomen bei der Beurteilung möglicher Abweichungen einer tauschmittelverwendenden Wirtschaft vom Idealtypus der klassischen Ökonomie fehlgeht, weil er versucht, ein als Tauschmittel dienendes Geld in eine Modellwirtschaft einzuführen, ohne zu klären, welche Funktion es zu erfüllen hat. Die ungenügende Beschäftigung mit den Ursachen für die Verwendung eines allgemeinen Tauschmittels, aber auch für Unternehmerwirtschaft und Geldorientierung, verleiht den typusbegründenden Annahmen den Anschein von "Adhockerie". Dagegen vermöchte 16 Au•führlicher •iehe unten 6.2. 17 Vgl. eine ähnliche Kon•truktion bei Hicks (1967c).
4.2 Geldwirtschaft, Saysches Gesetz und effektive Nachfrage
163
gerade die Suche nach den Bedingungskonstellationen, die die Existenz von Geld, von Unternehmen etc. erst ermöglichen, auf jene Annahmen der klassischen Ökonomie zu weisen, in der für diese Institutionen kein Platz ist. 18 Keynes übersieht daher z.B. die wichtige Frage, ob institutionelle Regelungen (z.B. eine weisere Geldpolitik) einem funktionstüchtigen Geld seine dysfunktionalen Eigenschaften nehmen könnten; oder anders ausgedrückt: ob es die Tauschmittelfunktion des Geldes ist, die eine Geldwirtschaft am Erreichen jener Ergebnisse hindert, die die klassische Ökonomie für eine Universalgut-Wirtschaft abgeleitet hat. An die kritisierte Konzeption der Genossenschaftswirtschaft anknüpfend, ist nochmals auf die beiden Kriterien für die Unterscheidung der Wirtschaftstypen einzugehen. Die Keynessche Klassifikation impliziert, daß das erste Kriterium der Existenz eines "Geldes" ebenso wie jenes der Geldorientierung die Fixierung des Lohnes in Geldeinheiten voraussetzt. Darauf deutet die Identifizierung von Unternehmer- mit Geldlohnwirtschaft (CW 29, 78) ebenso hin wie die Tatsache, daß die damit ausgeschlossene (weil kontradiktorische) Kombination von "Geld" mit Produktorientierung bei der Klassifikation der Wirtschaftstypen tatsächlich unbesetzt geblieben ist. 4.2.2 Die Interpretation des Sayschen Gesetzes
Für Keynes definiert die Zugrundeleguns des Sayschen Gesetzes das Theoriegebäude der "Klassik" 19; daher konzentriert sich sein Angriff auf die klassische Ökonomie vorerst auf die Widerlegung des Sayschen Gesetzes. Dessen historischer Stellenwert soll zuvor rekapituliert werden. Hiebei ist zunächst zwischen Klassik und Neoklassik im üblichen Sinne zu unterscheiden. 20 In der Klassik stellt sich die Frage danach, ob ein Mangel an Nachfrage die Ausdehnung der Produktion, Kapitalakkumulation und Wachstum systematisch derart begrenzen kann, daß die Nachfrage ein Hindernis für säkulares 18 Siehe unten 6.1.2 und 6.3.2. 19 Siehe dagegen CW 29, 270: "I mean by a 'cla11ical economist' one who, whether he know1 it or not, requires for his conclusions the assumption of something in the nature of Say's law"; siehe auch GT 6, CW 14, 24 sowie CW 29, 216. 20 Zur Geechichte des Sayschen Gesehles vgl. Hutebison (1963, 344ff.) und Sowell (1972).
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4. J.M. Keynea' All&emeine Theorie der Geldwirtschaft
Wachstum darstellt. 21 Anders ausgedrückt geht es darum, ob für jedes Produktionsniveau jene ausreichenden Gewinne realisiert werden können, die die Unternehmer zur Reproduktion veranlassen.22 Der Begriff der Vollbeschäftigung spielt in der klassischen Ökonomie keine Rolle, da das Arbeitsangebot beim Subsistenzlohn völlig elastisch ist und stets eine Reserve an Arbeitskräften bereitsteht. Aus dieser Sicht kann eine systematische Tendenz zu einem Nachfragemangel durch den Rekurs auf eine an Produktorientierung anknüpfende Analyse verneint werden. Mit Keynes' Worten schafft sich das Angebot seine eigene Nachfrage (CW 29, 80 und GT, 18); oder mit John Stuart Mill: "produce ... constitutes the market for produce" (Mill 1844, 73 ), und "whoever offers a commodity for sale, desires to obtain a commodity in exchange for it, and is therefore a buyer by the mere fact of his being a seller" (ib., 69). 23 Das Angebot eines Gutes richtet sich daher auf die Nachfrage nach einem Gut und nicht nach Geld (oder einem anderen unproduktiven Wertaufbewahrungsmittel). Dies gilt analog für eine Wirtschaft mit einem Warengeld, sodaß auch hier kein Überangebot von produzierbaren Gütern auftreten kann. Mill selbst erkennt jedoch die Problematik, die sich durch nicht-produziertes (Papier-)Geld auftut, indem es durch verstärkte Geldhaltung zu einem Abfluß von Kaufkraft kommen kann. Dies sei jedoch nur typisch für den mit einer Kreditkrise einhergehenden Vertrauensverlust und daher ein vorübergehendes Phänomen, das für die säkulare Entwicklung (bzw. für die Frage nach dem langfristigen Gleichgewicht) ohne Belang sei. 24 Letztlich weist dies auf die klassische Sparen-ist-Investieren-Doktrin (siehe Hutchisan 1978, 143f.), wonach jedes eine Lücke im Einkommenskreislauf verursachende Horten unter marktwirtschaftliehen Rahmenbedingungen
21 In dieaem Sinne auch Patinkin (1966, 646ff.). 22 Siehe Sowell (1972, 360) und Barens (1987, 112). 23 Zitiert nach Walker (1986, 10} und Hutebison (1963, 360}. Weni&er auasagekräfti& iat das in der GT (18) wieder&e&ebene Zitat (Mill 1871, Book 3, ch.14, §2), welches nur daa Vorhandensein ausreichender Kaufkraft, nicht deren tatsächlichen Einsatz nachweiat; siehe Patinkin (1966, 646!.). 24 Siehe Barene (1987, 90) und auch Hutebison (1978, 164!.). Ale Textevidenz siehe Mill (1844, 69f. und 1871, Book 3, ch.14, §4).
4.2 Geldwirtschaft, Sayachea Geset& und effektive Nachfrage
166
einen Akt der Irrationalität darstellt und daher nicht Ansatzpunkt systematischer Kritik sein kann. 26 Entgegen der Keynesschen Historiographie finden sich in der englischen Neoklassik, insbesondere bei seinen Zeitgenossen, nur noch wenige Spuren des Sayschen Gesetzes.26 Wenn überhaupt explizit, dann wird es als Teilaspekt eines vollständigen Gleichgewichts diskutiert bzw. als Eigenschaft des langfristigen Gleichgewichts, zu dem die Wirtschaft tendiert. Im Gegensatz zur klassischen Interpretation wird das Sa~sche Gesetz analog einer Gleichgewichtsbedingung behandelt. 2 Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt garantiert Vollbeschäftigung und Gleichgewicht auf den Gütermärkten sichert, daß die damit verbundene Produktion zu ausreichenden Preisen abgesetzt werden kann. Die Überlegungen zum Sayschen Gesetz werden nun in die Keynessche Terminologie übertragen. Grundlegend hiefür ist der - unten noch zu erläuternde - Begriff der effektiven Nachfrage. Diese wird als Relation zwischen erwarteten Erlösen und (variablen) Kosten definiert, sodaß die effektive Nachfrage für ein gegebenes Produktionsniveau genau dann ausreicht, wenn die Differenz zwischen Erlösen und Kosten die Unternehmer gerade zufriedenstellt und sie bereit sind, dieses Produktionsniveau aufrechtwerhalten (CW 29, 80). In Anlehnung an die TM wäre diese Differenz als ein im Marshallsehen Angebotspreis enthaltener Normalgewinn zu interpretieren. 28 Mit Hilfe dieses Instrumentariums definiert Keynes das Saysche Gesetz (in seiner klassischen Variante) dadurch, daß bei jedem Produktionsniveau eine für dessen Reproduktion gerade ausreichende Nachfrage zustande kommt - Schwankungen der effektiven Nachfrage sind ausgeschlossen (ib., 80f. und 90f.)29 . Die oben als neoklassisch bezeichnete Variante impliziert dagegen, daß eine für das Vollbeschäfti26 Gerade diesen Vorwurf der Irrationalität dee Horten• venucht die Keynesache Liquiditätspräferenztheorie su entkräften; siehe besonden Keynes (19S7a, USf.). Siehe auch den nächsten Abschnitt. 26 Vgl. Walker (1986, 7ff.). Keynea selbst nimmt u .a. Hawtrey, Robertson und Ohlin (CW 29, 270) sowie Hayek (CW 14, 24) von dem Vorwurf aua, klauiache Ökonomen su aein. 27 Vgl. die Untencheidung von Sayscher Identität und Sayacher Gleichheit nach Becker/Baumol (1962). 28 In CW 29, 90!. (ähnlich GT, 26) wird effektive Nachfrage bereite als Gleichheit von aggregierten Ausgaben und Koaten definiert; diea ist mit der obigen Definition konsistent, soweit die Kosten den Normalgewinn enthalten. 29 Siehe auch GT, 18{. und 26.
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4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
gungsniveau der Produktion gerade ausreichende effektive Nach-
frage gesichert ist; obwohl nicht ausdrücklich in dieser Formulierung, setzt sich Keynes in der GT auch damit auseinander. Es bleibt noch zu klären, inwieweit Gültigkeit des Sayschen Gesetzes (im klassischen Sinne) und Vollbeschäftigung zusammenfallen müssen, oder anders ausgedrückt: Gibt es bei Gültigkeit des Sayschen Gesetzes eine Tendenz zu Vollbeschäftigung? Hier differiert Keynes' Antwort im zitierten Entwurf zur GT von der GT selbst. 30 Im Entwurf (CW 29, 91) werden zwei Bedingungen für eine neutrale Wirtschaft unterschieden: eine erste, die die Übereinstimmung von Ausgaben und Kosten garantiert, und eine zweite, wonach selbst in diesem Falle noch mögliche Faktoren auszuschalten sind, die die Beschäftigung unter dem Vollbeschäftigungswert halten. Denn die Konsequenz des Sayschen Gesetzes, d.i. der ersten Neutralitätsbedingung, ist bloß "to establish a state of neutral equilibrium so that the system is in equilibrium for any Ievel of employment. Hence a touch may be required to insure that the actual Ievel will be one of full employment as it would be in a co-operative economy ..." (ib.; siehe auch 158f.). Der Gewinn entspricht hier stets dem Normalgewinn (bei keinem Produktionsniveau entstehen Windfalls), sodaß es in einer Unterbeschäftigungssituation keinen Anreiz gibt, die Produktion auszudehnen. Folgerichtig muß davon ausgegangen werden, daß bei einer kompensierenden neutralen Geldpolitik vom Arbeitsmarkt induzierte Geldlohnsenkungen wirkungslos bleiben. Im Gegensatz dazu ist in der GT dieser Aspekt verschwunden; dort heißt es eindeutig, im Falle des Sayschen Gesetzes "competition between entrepreneurs would always Iead to an expansion of employment up to the point at which the supply of output as a whole ceases to be elastic [d.i. Vollbeschäftigung] ..." (GT, 26). Somit bedeutet hier das Saysche Gesetz, daß kein Hindernis für Vollbeschäftigung existiert (ib.). 31 Für die Exegese stellt dieser Widerspruch ein aufzulösendes Rätsel dar. Patinkin ( 1982) findet eine plausible Antwort im Übergang von dem in der TM und in den hier zitierten Entwür30 Diese Frage behandelt auch Barena (1987, 91ff. und 212ff.). 31 Siehe auch GT, 29, wo Keynea (bei Gültigkeit des Sayachen Gesebea) von einem stabilen Gleichgewicht bei maximaler Beschäftigung spricht; etwaa unklarer sind die Stellen CW 14, 266 und 276 - hier werden im gleichen Fall Unterbeechäftigungeaituationen als neutrales Gleichgewicht ber.eichnet. Siehe jedoch CW 14, 242, wo Keynea die Gewohnheit konr.ediert, "neutral" und "inatabil" aynonym r.u verwenden.
4.2 Geldwirtechaft, Say1che1 Guet& und effektive Nachfraae
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fen verwendeten Konzept des Normalgewinnes zur Annahme der Gewinnmaximierung in der GT.32 Denn wenn für jedes Produktionsniveau eine entsprechende effektive Nachfrage gesichert ist, sind für die Unternehmen (in ihrer Gesamtheit) alle diese Niveaus realisierbar - da der Gewinn (entlang der aggregierten Angebotskurve) mit steigender Produktion zunimmt, werden sie den maximalen, d.h. den mit Vollbeschäftigung kompatiblen Output erzeugen. 33 Die Exposition der GT weist noch ein weiteres auffallendes Merkmal auf: Die in den Entwürfen prominent figurierenden Wirtschaftstypen und die enge analytische Beziehung zwischen Unternehmerwirtschaft, Geldorientierung und Unterbeschäftigung kommen in der Theorie der effektiven Nachfrage nicht mehr vor. Hiefür bietet Barens (1987, 212ff.) eine überzeugende Erklärung: In den Vorarbeiten zur GT war es Keynes um den Nachweis der Möglichkeit von Unterbeschäftigung gegangen. Diese wurde durch Abflüsse aus dem Einkommenskreislauf erklärt, welche wiederum aus der Konstruktion einer Konsumfunktion mit einer marginalen Konsumneigung zwischen null und eins begründet wurde. Diese im wesentlichen empirisch und nicht entscheidungstheoretisch begründete Konsumfunktion macht nun einen expliziten Bezug auf eine Geldwirtschaft und auf wesentliche Eigenschaften des "Geldes", um das Saysche Gesetz zu widerlegen, überflüssig. Da ebenso die hypothetische Gültigkeit des Sayschen Gesetzes Vollbeschäftigung ohne weiteres gewährleistet, wird auch die Unterscheidung von Geld- und Produktorientierung nebensächlich (wenn sie auch im Konzept der effektiven Nachfrage unausgesprochen präsent bleibt). Barens (ib., 217f.) folgend, kann das Verschwinden der Geldwirtschaftskonzepte als Konsequenz des von den Cambridge-Ökonomen gepflogenen didaktischen Stils34 angesehen werden, der für den Leser alle für das Resultat nicht notwendigen Komplikationen beseitigt. Im Falle der GT war es am einfachsten, das Saysche Gesetz durch das Postulat einer empirisch plausiblen Konsumfunktion zu widerlegen. Dies bestätigt doch zum Teil die Interpretation von Leijonhufvud (1968), wonach er die von Keynes herausgestellten Mengenanpassungen, die zu Unterbeschäftigung führen, als Vorweg32 Siehe Patinkin (1982, 142); Barene (1987, 94 und 216) folgt dieaer Erklärung. 33 Die Korrektheit dieser Auaaaae wird unten überprüft. 34 Val. hier;u Fouraker (1968).
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4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtechaft
nahme von durch "false-tradinf verursachten einkommensbeschränkenden Prozessen ansieht. 3 Da zur Zeit seiner Interpretation die oben diskutierten Entwürfe noch verschollen waren, scheint es tatsächlich so, als habe Leijonhufvuds historische Rekonstruktion ein neues Faktum vorhergesagt, nämlich ein auf Transaktionsunvollkommenheiten bezugnehmendes geldwirtschaftliches Element der Keynesschen Ökonomie, welches durch diese Entdeckung verifiziert worden ist.36 Allerdings sollte dies nicht überbetont werden. Indem Keynes in den Entwürfen zwischen Genossenschafts- und Neutraler Wirtschaft, deren entscheidender Unterschied in Produkt- versus Geldorientierung besteht, dahingehend differenzierte, daß bei letzterer selbst bei Gültigkeit des Sayschen Gesetzes Vollbeschäftigung nicht gesichert ist, scheint er zwar vor jener Entdeckung gestanden zu sein, die Jahrzehnte später von Clower ( 1965) gemacht wurde: daß bei dezentralisiertem Tausch zur Realisierung von pareto-verbessernden Transaktionen die Koinzidenz von "notionaler" Nachfrage nicht ausreicht, sondern diese nur insofern effektiv gemacht werden kann, als sie durch Kaufkraft unterstützt ist. 37 In einer Wirtschaft mit geldorientierter Produktion setzt dies die Verfügung über Tauschmittel voraus. Ein Keim dieser Idee ist sicherlich in der ursprünglichen These möglicher Unterbeschäftigung in der Neutralen Wirtschaft verborgen. 38 Aber entscheidend ist wohl, daß Keynes selbst seine geldwirtschaftlichen Ansätze wiederum verworfen hat und auch dort, wo die in der GT entwickelte Theorie der effektiven Nachfrage Ansatzpunkte geboten hätte, diese nicht oder fehlerhaft ausgeführt hat. Der Keynes-Auslegung der neoklassischen Synthese ist daher in dieser Hinsicht nicht exegetische Verzerrung vorzuwerfen, sondern höchstens, daß sie - ebenso wie Keynes - eine Chance vertiefter theoretischer Erkenntnis nicht wahrgenommen hat.
35 Vgl. Leijonhufvud (1968, 102 und 1983a, 198Fn.). 36 In dem Sinne, daß die Entdeckung einer "neuen Tateache" auch für ein Forschungsprogramm der Rekonstruktion der Wiaaenachaftageachichte das Kriterium für dessen empirieehe ProgreaaivitiLt bildet; vgl. Lakatos (1970). 37 Siehe unten 6.4. 38 Weder für eine Antizipation der Dual-Deciaion-Hypotheae noch für eine Interpretation als Ungleichgewichtsdynamik vermag ich Textbelege in der GT au finden; siehe auch unten 6.4.3.
•. 2 Geldwirtschaft, Sayachea Gesetz und effektive Nachfrage
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4.2.3 Die Theorie der effektiven Nachfrage in der "General Theory"
Im folgenden wird nun die Theorie der effektiven Nachfrage dargestellt, wie sie die Grundlage von Keynes' GT bildet. Sie wird dort unter der vorläufigen Annahme eines gegebenen Geldlohnes und einer bis zum Vollbeschäftigungspunkt nachfragebestimmten Beschäftigung im dritten Kapitel behandelt. Dieses ist von vielen Interpreten beiseitegeschoben bzw. als "schwierig" bezeichnet (Samuelson 1946, 319) und auch von Keynes selbst (siehe z.B. CW 14, 181) als revisionsbedürftig angesehen worden. Trotzdem erscheint es als ein zentraler Ansatzpunkt, wenn es darum geht, sowohl den revolutionären Gehalt als auch manche inhaltliche Schwächen des gesamten Werkes abzuschätzen. Als erstes empfiehlt es sich, die relevanten Definitionen der GT zu rekapitulieren: Es wird von den Zahlungsströmen ausgegangen, die der Unternehmer für die eingesetzten Faktoren leistet; diese umfassen die Faktorkosten und die Kosten der Vorleistungen39 der Profit ergibt sich sodann als der Überschuß des Wertes der Produktion über diese Kosten (GT, 23). Faktorkosten plus Profit ergeben das (Gesamt- )Einkommen (ib.). Vom Standpunkt des Unternehmens kann dieses Einkommen auch als Erlös betrachtet werden (ib., 24)."0 - Bei den bisher genannten Größen handelt es sich durchwegs um realisierte Werte, die grundsätzlich einer statistischen Erfassung zugänglich sind. Anders ist dies bei den Definitionen der jeweiligen Angebots- und Nachfragegrößen, die sich auf erwartete Werte beziehen. So definiert nun Keynes: ... the aggregate aupply price of the output of a given amount of employment is the expectation of proceeda which will just make it worth the while of the entrepreneul'll to give that employment (ib., 24),
und die aggregierte Nachfrage als: ... the proceeds which entrepreneul'll expect to receive from [a given] employment (ib., 25) .
Das ist noch zu präzisieren. Bezüglich der aggregierten Angebotsfunktion wird mehrmals darauf hingewiesen, daß sie aus der Annahme der Gewinnmaximierung abgeleitet ist: Ein Wert der Beschäftigung entspricht der aggregierten Angebotsfunktion, 39 Die von Keynea hervorgehobene Komponente der "uaer coata" wird vernachlässigt. "Proceeda" könnte statt mit "Erlös" auch mit "Wertachöpfung" übel'lletr;t werden.
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4. J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
wenn der von dieser Beschäftigung erwartete Erlös - unter anderem einen gegebenen Geldlohn vorausgesetzt - den maximalen Gewinn ergibt. Auch der zu maximierende Gewinn ist eine Erwartungsgröße, worauf des öfteren Bezug genommen wird - z.B. als "the entrepreneur's expectation of profit" (GT, 55 - meine Hervorhebung; vgl. auch 24, 25 und 53f.). Ebenfalls deutlich in diese Richtung weist der Versuch, die aggregierte Angebotsfunktion aus der Gewinnmaximierungsbedingung: Grenzerlös Grenzkosten abzuleiten (ib., 55). In der aggregierten Nachfragefunktion ist eine von Keynes' wesentlichsten Neuerungen enthalten, nämlich seine - der Stabilitätsbedingung, die bei der Lösung des Rätsels der Bananenparabel abgeleitetet worden ist, gehorchende - Konsumfunktion ("propensity to consume"; ib., 28)."41 Sie hängt über das Einkommen produktionsbedingt von der Beschäftigung ab - ebenso wie die aggregierte Angebotsfunktion. Gemeinsam mit einem exogen gegebenen Wert für die (geplanten) Investitionen ergibt die Konsumfunktion die aggregierte Nachfragefunktion. Vergleicht man nun aus der Perspektive eines Unternehmens für eine bestimmte Beschäftigung den Wert der aggregierten Allgebotsfunktion mit dem erwarteten Erlös (den Keynes mit der aggregierten Nachfrage identifiziert), so folgt, daß es bei einem Überschuß des letzteren über den ersteren gewinnsteigernd ist, die Beschäftigung zu erhöhen (ib., 25). Erst im Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage wird der (erwartete) Gewinn maximiert (ib.), sodaß es für den Unternehmer (bei gegebenen Erwartungen) keinen Anreiz für eine Verhaltensänderung gibt. Den entsprechenden Wert der aggregierten Nachfrage nennt Keynes die "effektive Nachfrage" (ib., 25 , vgl. auch 55).42 Die effektive Nachfrage ist demnach eine Erwartungsgröße. Das wird daraus abgeleitet, daß der Produktionsprozeß Zeit benötigt und das Unternehmen daher seinen Produktionsentscheidungen Erwartungen zugrunde legen muß, die sich auf den Zeitpunkt beziehen, wenn der Produktionsprozeß abgeschlossen worden ist. Diese Erwartungen, die die Outputentscheidung steuern, werden in der GT als "kurzfristig" bezeichnet (ib., 47); sie beziehen sich 41 Nähere• r:u Keynes' "p1ychologiachem Geeetz" darf als bekannt vorausgeeetzt werden. 42 Siehe auch CW 29, 80, und für den Bezug r:u Gewinnmaximierung CW 29, 89 und 98.
4.2 Geldwirtschaft, Sayschea Gesetz und effektive Nachfrage
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auf den vom Unternehmer für sein Produkt erwarteten Preis (GT, 46). Die kurzfristigen Erwartungen können enttäuscht werden. Wird ein höherer Preis als erwartet auf dem Markt realisiert, so entsteht ein Anreiz für den Produzenten, seine Preiserwartungen (nach oben) und damit seine Produktionsentscheidung zu korrigieren; erfüllen sich die Erwartungen, so entfällt diese Änderungstendenz. Keynes wird nun oft für die Analyse der GT die Annahme erfüllter (oder gar rationaler) Erwartungen zugeschrieben43 - als ein (schwacher) Textbeleg dient seine Aussage, daß "... it will often be safe to omit express reference to short-term expectations" (ib., 50). Dies bezieht sich jedoch auf die behauptete enge Abhängigkeit der Erwartungen von realisierten Ergebnissen, nicht umgekehrt auf die Erfüllung der Erwartungen! 44 Wie sich zeigen wird, ist es gerade die fehlende Unterscheidung von Erwartungs- und realisierten Größen, die die Interpretation der Theorie der effektiven Nachfrage so erschwert. Expliziter ist Keynes in seiner Korrespondenz (nach Erscheinen der GT), in der er darauf besteht, daß seine Theorie Unterbeschäftigung nicht zu einer Frage von Anpassungsprozessen ("higgling of the market", CW I 4, 182), sondern des G Ieichgewichts macht: "... if I were writing my book again I should begin by setting forth my theory on the assumption that short-period expectations were always fulfilled" (ib., 181 ). Die von Keynes abgeleiteten Ergebnisse bleiben daher insbesondere für den Fall eines "kurzfristigen Gleichgewichts" gültig, wo erwartete und realisierte Werte übereinstimmen.46 Es handelt sich somit bei der Gleichheit von aggregiertem Angebot und aggregierter Nachfrage einerseits sowie effektiver Nachfrage und realisiertem Einkommen anderseits um zwei verschiedene Gleichgewichtsbedingungen - die eine bezieht sich auf das Optimierungsgleichgewicht des Unternehmens angesichts gegebener Erwartungen, die andere auf die Erfüllung der Erwartungen.
43 Zum Beispiel von Leijonhufvud {1983a, 184f.); dagegen ist insbesondere der Unterschiedswischen der methodischen Annahme erfüllter Erwartungen und der inhaltlichen Hypothese endogener (struktureller) Erwartungen einsuwenden. 44 Siehe die Fortsetzung des Zitats: • ... in view of the fad that in practice the process of revision of ehort-term expectation ia a gradual and continuous one, carried on largely in the light of realised reeulte; ao that expected and realir;ed reeulta run into and overlap one another in their influence• {ib.). 46 Vgl. hiesu Kregel (1976) und Haneson (1985).
162
4. J.M. Keynes' All&emeine Theorie der Geldwirtschaft
Das Prinzip der effektiven Nachfrage besagt demnach, daß die Gleichheit von aggregiertem Angebot und aggregierter Nachfrage die Höhe der Beschäftigung festlegt, eine eindeutige Lösung ist aus den Verhaltensannahmen zur Konsumfunktion gesichert, jedoch kann diese Lösung auch Unterbeschäftigung bedeuten. 46 Dem stellt Keynes die klassische Doktrin des Sayschen Gesetzes gegenüber, wonach Angebot und Nachfrage für jede Höhe der Beschäftigung zusammenfallen (GT, 25f.) - woraus für gewinnmaximierende Unternehmen eine Tendenz zur Vollbeschäftigung folge. Implizit wird hier angenommen, daß jede effektive Nachfrage auch realisiert wird. Als erstes Resümee scheint es sich daher - trotz des unorthodoxen Ergebnisses - beim in der GT verwendeten analytischen Instrumentarium um eine Übertragung traditioneller Konzepte auf die Ebene der Gesamtwirtschaft zu handeln.47 Die Konzepte des Angebotspreises bzw. der Angebotsfunktion, abgeleitet aus Gewinnmaximierung, d.i. der Gleichsetzung von Grenzerlös und Grenzkosten, knüpfen an wohlbekannte Elemente der Marshallsehen Unternehmenstheorie an. 48 Auch das in der TM verwendete Konzept des "normalen Gewinns" ist mit der nun angewendeten Gewinnmaximierungsannahme vereinbar, wenn beachtet wird, daß offenbar jedem Produktionsniveau ein anderes Niveau des Normalprofits entspricht, sodaß ein höherer Output einen höheren Profit verlangt, wenn man sich entlang einer Marshallsehen Angebotskurve bewegt. 49 4.2.4 Die Rekonstruktion der Theorie der effektiven Nachfrage
Es scheint daher ein leichtes, Keynes' verbale Darstellung dieser Konzepte formal nachzuvollziehen. Im folgenden wird eine Ableitung skizziert, die auf S. Weintraub und Davidson und Smo-
46 Hiefür ist die Höhe der Investitionen der kritische Faktor; siehe den nächsten Abschnitt 4.3. 47 Siehe Walker (1986, 13); die Idee, An&ebot und Nachfra&e für die &esamte Produktion zu formulieren, findet •ich bereits bei Wickeell; •iehe oben 2.1.1. 48 V&l. hier.u Blau& (1986, S71ff.). 49 Für eine neoklassische Kostenfunktion C(y) &ilt für den Normal&ewinn ßN(y) C'(y)y - C(y) mit ßN' C"y > 0.
=
=
4.2 Geldwirbchaft, Sayschea Geset& und effektive Nachfrage
163
Liste der verwendeten Symbole Produktion Produktionsfunktion n Beschäftigung k Kapitalstock w Geldlohn p Geldpreis z aggregierter Angebot.preia D aggregierter Nachfragepreis n Profit y Einkommen (nominell) c Konsum (nominell) I Investition (nominell) Sub- b&w. Supenkripte: d -nachfrage s -angebot e erwartete Größe w in Lohneinheiten gemessen 0 exogene Variable y
f
lensky zurückgeht 60 und in jener (post- )keynesianischen Tradition weitverbreitet ist, die sich mit dem dritten Kapitel der GT ausdrücklich auseinandersetzt. Ausgegangen wird von einer aggregierten Produktionsfunktion 61 (43)
y= f(n , k);
daraus folgt: (44)
woj p = f'(n),
(45)
nd =
(46)
ys =
r 1(wo j p), f!r 1(w / P)]; 0
d.s. die Gewinnmaximierungsbedingung ( 43), die Arbeitsnachfrage (44) bzw. das Güterangebot (45). Keynes definiert die Angebotsfunktion in Lohneinheiten 62 - ein Vorgehen, dem wir hier folgen; nach Einsetzen von (43) gilt: (47)
z. =
py1 j w0 = f(n) / f'(n).
50 Siehe S. Weintraub (1958), Davidson/Smolensky (1964) und Roberts (1978); manche Autoren legen Wert darauf, du Ergehnie nicht au1 einer aggregierten Produktionsfunktion, sondern durch Aggregation von Induatrie-Angebotakurven ab&uleiten. Für die folgende Ableitung siehe Fender (1981, 42fr.) aowie Patinkin (1982, 130ff.). 51 Die Produktionsfunktion f(.) ist "well-behaved" - es existieren überall positive, sinkende Grensprodukte: f'>O, f" 1,·
d.h. in dem - Keynes' Überlegungen zugrunde liegenden - Zw-nDiagramm verläuft Zw oberhalb der und steiler als die 45°-Gerade. Einsichtigerweise gilt für den Profit in Lohneinheiten: (49)
dll w/dn
=
(dZ wjdn)-1
= -//"//'2 >
0,
d.h. der Profit steigt (entlang der Angebotsfunktion) mit der Beschäftigung.63 Wird z.B. zur Vereinfachung eine Produktionsfunktion vom Typ Cobb-Douglas unterstellt: (43')
y
=
na.x1 -a.,
dann gilt für Zw: (47')
Z w = n/cr.
Die Zw-Funktion wird dann in einem Zw-n-Diagramm zu einer Geraden 5\ wobei - wenn nur Arbeit als variabler Faktor betrachtet wird - die 45° -Gerade die totalen variablen Kosten und der vertikale Abstand zwischen Zw und der 45°-Geraden den Profit, jeweils in Lohneinheiten, wiedergibt. Analog kann auch die aggregierte Nachfragefunktion (in Lohneinheiten Dw) abgeleitet werden. Allgemein gilt - der GT (28f.) folgend: (50)
D w = Cw (Y w )+Iw .
Hiebei kann für Yw, das Einkommen, Zw, der erwartete Angebotspreis, substitutiert werden, insbesondere wenn auf die Unternehmenserwartungen Bezug genommen wird. In einer linearisierten Standard- Version 56 gilt dann: 53 Die Schwierigkeiten, die Keynes' Angebotsfunktion auch "kompetenten Theoretikern" bereitet, wird z.B. durch einen Irrtum von E. Weintraub dokumentiert, der für die Angebotsfunktion Z = pey = "(n) achreibt (E. Weintraub 1979, 41) . Korrekt wäre Z = w 0 y /f'. 54 Die Z -Funktion verläuft konkav (konvex) zur n-Achae, sofern die Subatitutionselaetizitlt der Produktionsfunktion f gröBer (kleiner) ala eina iet; siehe Ambroei {1978, 300) . Folgt man einem "oral-hiatory report" von Fuefeld (1986), 10 hat Keynea die Angebotekurve konkav gezeichnet; dies widenpräche den Vermutungen von S. Weintraub und Davidaon. 56 Siehe z.B . S. Weintraub (1968) und neuerdinge Caaaroea (1981) und J. Brunner {1986).
4.2 Geldwirtachaft, Sayachea Geseil und effektive Nachfrage
165
D w = c a + cZw +Iw; 0 < c < 1. Wegen der marginalen Konsumneigung kleiner als eins folgt nun- wie üblich - dDw/dn = c(dZw/dn) < dZw/ dn und Zw(O) = 0 < Dw(O) = ca+/w. 56 - Die effektive Nachfrage ist durch Dw = = Zw definiert, die eindeutige Lösbarkeit durch die vorgenannten Bedingungen garantiert. 67 (50')
Die Theorie der effektiven Nachfrage ist allerdings komplizierter und gegenüber den Enträtselungsversuchen der Exegese hartnäckiger, als es nach den bisherigen Darlegungen den Anschein hat. 58 Dies ist spätestens offenkundig, seitdem sich Patinkin in einer Reihe von Schriften erneut mit diesem Problemkomplex auseinandergesetzt und neue analytisch relevante Fragen gestellt hat (Patinkin 1976, 1977, 1978, 1982), so z.B.: - Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Angebotsverhalten in der TM und der GT, insbesondere zwischen dem Konzept des Normalgewinns und Gewinnmaximierung? (Patinkin 1982, 126) - Wie ist der zu maximierende Profit definiert? Kann in einer Zw-n-Grafik die vertikale Differenz zwischen Angebots- und Nachfragepreis als Maß für den Profit interpretiert werden - insbesondere aus der Analogie der Rolle der Profite (als Windfalls) in der TM und der in der GT (24f.) beschriebenen Anpassung? Wie ist dies mit der Aussage (GT, 55) vereinbar, daß im Punkt der effektiven Nachfrage die Gewinne maximiert würden? (Patinkin 1976, 86ff.) - Wie sind jene Versuche von Keynes zu beurteilen (CW 13, 425ff. und GT, 55Fn.), die Angebotsfunktion formal aus Gewinnmaximierung abzuleiten, die jeweils fehlerhaft und in Wi56 Ambrosi (1981) kritisiert an dieaer Formulierung, daß damit dD /dn auch von den Angebotsparametern dZ /dn = 1 - (ff")/f' 2 abhängt. Er echiä.;t, auf der Hypotheae aufbauend, daß nur 1'rbeitseinkommen konsumiert werden, die Formulierung (50") Dw = c + cn + Iw vor, wobei nun dD wfdn = c gilt. Die Tatsache, daß nach (50") dD w/dZ w = (dDw/dn)l1/(dZw/dn)] dieaelben Angebotsparameter wie oben enthält, führt bei Ambroai merkwürdigerweiae zur Mißbilligung der Verwendung dieser Darstellung. 67 Der kritische Unterschied zur bekannten Danteilung de1 sog. Samuelaon-Croee (erstmals in Samuelaon 1939) beateht natUrlieh nicht im abweichenden Format des Diagramme (Z bzw. y atatt n), aondern in der dort fehlenden preistheoretischen Fundierung de:'Angebotsverhaltene. 58 Für eine Übersicht über die frühe Literatur su Keynes' aggregiertem Angebot siehe s.B. Patinkin (1976, 84Fn.).
166
4. J.M. Keynee' All&emeine Theorie der Geldwirtschaft
derspruch zur oben angeführten Standardinterpretation gerieten? - So wird in der GT aus der Gewinnmaximierungsbedingung dDw/dn = 1 (der in Lohneinheiten ausgedrückte Wert des Grenzprodukts entspricht dem Reallohn, d.i. in Lohneinheiten eins) fälschlich die Bedingung dZw/dn = 1 abgeleitet, der gemäß die Angebotsfunktion mit den totalen variablen Kosten zusammenfiele (Patinkin 1976, 87f. und 1982, 144f.). 69 Aus diesen Widersprüchen zieht Patinkin den Schluß, daß Keynes den Übergang vom Konzept des Normalgewinns zu Gewinnmaximierung (von der TM zur GT) bloß oberflächlich vollzogen habe und dem analytischen Denken in Durchschnittsgrößen verhaftet geblieben sei bzw. Marginal- und Durchschnittsgrößen verwechselt habe (Patinkin 1982, 126 und 146f.).60 Er wendet sich daher gegen die obige Auslegung der Angebotskurve, die Keynes eine komplizierte mathematische Ableitung zuschreibt, was dessen üblichem analytischen Stil keineswegs entspricht (ib., 131) - "the obscurity with which the aggregate supply curve is presented in the General Theory is a sign not of profundity, but of obscurity ..." (ib., 150). Daher macht Patinkin schließlich den radikalen Lösungsvorschlag, das Ergebnis der (fehlerhaften) Fußnote (GT, 55) als definitiv aufzufassen und die aggregierte Angebotskurve mit der Kurve der totalen variablen Kosten zu identifizieren; anderseits seien alle Bezüge auf Gewinnmaximierung (insbesondere GT, 25 und 54) aus der zentralen Botschaft der GT zu streichen (Patinkin 1976, 92f. und 1978, 588f.). Durch diesen Vorschlag würde die Verwendung des Samuelson-Cross-Diagramms wiederum legitimiert, insofern es alles enthält, was für die Ergebnisse der GT von Belang ist, ohne sich mit ohnehin obskuren Bezügen auf optimierendes Unternehmerverhalten zu beschweren. Auch technisch folgt hieraus, daß Zw nun in einem Zw-n-Diagramm durch eine 45°-Gerade dargestellt werden kann (Patinkin 1976, 87f.)61 , nicht aber - wie Patinkin in
=
59 Die entscheidenden Sätl:e lauten: • ... Iet ua take Z ;(N) ... aa the aggregate aupply function. Then, aince the proceeda of the marJnal product ie equal to the marginal factor-coat at every point on the aggregate eupply curve, we have ~N ~z", = ~;(N), that ie to say ;'(N) = 1 ...• (GT, 55Fn.). 60 Ale markanteste• Beispiel: "The law of production in an entrepreneur economy can be etated aa follow1. A proceu of production will not be etarted up, unieil the money proceede expected from the aale of the output are at leaat equal to the money coata which could be avoided by not ttarting up the proceu [i.e. die totalen variablen Kosten].• (CW 29, 78) 61 Eine eolche Danteilung mit konttanten Ertrlf.&en de• Fakton Arbeit enthält bereits Hanaen (1963, 30f.).
= ...
4.2 Geldwirtachaft, Sayachea Geseh: und effektive Nachfrage
167
einer Korrektur (1977, 157ff.) feststellt - im üblichen Diagramm mit Yw, dem Einkommen, auf der Abszisse - hier verläuft Zw flacher als 45°. Zu beachten ist zudem, daß die Streichung der Gewinnmaximierungsannahme tatsächlich vital für die Rekonstruktion Patinkins ist, da mit konstanten Erträgen des variablen Faktors Arbeit die Existenz positiver Profite mit Gleichgewicht gewinnmaximierender kompetitiver Unternehmen unverträglich ist. Wiewohl es letztlich nicht geraten erscheinen wird, dem skizzierten Lösungsvorschlag zu folgen - die exegetischen Gegenargumente werden unten angeführt -, weist er doch auf einige kritische Schwächen des dritten Kapitels der GT. Dies sind (1) die unzureichende Unterscheidung von erwarteten und realisierten Größen, besonders im Zusammenhang mit der aggregierten Nachfrage, welche durch die implizite Argumentation im Rahmen eines kurzfristigen Gleichgewichts und den allgemeinen Mangel, zwischen Plan- und Ist-Größen zu trennen, verdeckt wird; (2) die irrige Gleichsetzung von Nachfrage aus einzel- und gesamtwirtschaftlicher Sicht; zuletzt (3) Widersprüche, die auf Ableitungsfehler zurückgehen. Im folgenden wird in dieser Reihenfolge versucht, die genannten Schwächen zu beseitigen und die Mikrofundierung der Theorie der effektiven Nachfrage konsistent zu rekonstruieren. 62 Zunächst geht es um die Unterscheidung von erwarteten und realisierten Größen. Diese wird in der GT nur in der Gegenüberstellung von effektiver Nachfrage und Einkommen durchgeführt. Beide enthalten (da identisch mit den erwähnten "proceeds"; GT, 24) einen Profit bzw. ein Unternehmereinkommen - diese Definitionen sind daher mit dem Lösungsvorschlag von Patinkin, der ein Zusammenfallen von effektiver Nachfrage und totalen variablen Kosten erfordert, unverträglich. In der GT wird aber nicht zwischen erwartetem und unerwartetem Profit unterschieden, anders als in einigen erhaltenen Entwürfen. Dort zerlegt Keynes noch - ähnlich wie in der TM - den realisierten Profit in einen erwarteten Teil (Quasi-Rente) und einen unerwarteten (Windfalls bzw. Zufallsgewinne) (CW 13, 424ff. und CW 14, 418f.). 63 Vermutlich hätte die Beibehaltung dieser Terminologie in der GT manche Irrtümer vermeiden helfen können. Die Gewinnmaxi62 Vgl. Roberta (1981) und Caaaroaa (1981). 63 Siehe auch Roberta (1978, 666ff.). In der GT gibt e1 keine eigene Bueichnung für Zufallagewinne; "Windfall•" heißen nun die Kapitalgewinne (GT, 67f.).
168
4. J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
mierung des Unternehmens basiert auf Plangrößen, und es muß sich daher beim zu maximierenden Profit um eine erwartete bzw. Plangröße handeln. Somit kann sich der in der GT geschilderte Anpassungsprozeß (GT, 25) nur auf den Planungsbereich des Unternehmens beziehen, er ist ein "nationaler" Algorithmus, der das Unternehmen zur gewinnmaximalen Beschäftigungsentscheidung führt - diese liegt dort, wo Angebotspreis und erwarteter Nachfragepreis übereinstimmen. 64 Die vertikale Distanz zwischen Nachfrage- und Angebotskurve mißt nicht einen Profit65 , sondern zeigt im Gegenteil die Existenz unausgeschöpfter Profitmöglichkeiten an. Außerhalb des kurzfristigen Gleichgewichts ist die Erfüllung von Erwartungen nicht gewährleistet. Weicht die realisierte von der erwarteten Nachfrage ab, so entstehen Windfalls als Differenz von realisierten Erlösen (Einkommen) und effektiver Nachfrage bzw. von realisiertem und erwartetem Nachfragepreis. Für die folgende Produktionsperiode werden die Unternehmer ihre Preiserwartungen entsprechend anpassen 66 und als Reaktion auf positive Windfalls die Produktion (ceteris paribus) erhöhen; gleichzeitig mit dem höheren erwarteten Profit verschwinden die Windfalls - dies beschreibt, durchaus in der Marshallsehen Tradition, den Prozeß, durch den der Wettbewerb Übergewinne eliminiert. Die Unterscheidung zwischen erwarteten und zufälligen Profiten bzw. zwischen dem nationalen Anpassungsprozeß in Richtung Gewinnmaximum bei gegebenen Erwartungen und der Revision von Preiserwartungen in Richtung kurzfristiges Gleichgewicht klärt auch, inwiefern im Punkt der effektiven Nachfrage - wie in der GT behauptet - die Profite maximiert werden. Dies gilt in dem trivialen Sinn, daß auf der Kurve der erwarteten Erlöse jener Punkt gewählt wird, der den höchsten erwarteten Profit erbringt, der Schnittpunkt mit der Angebotskurve (in der GT -Definition). Jedenfalls wird nicht über Punkte der aggregierten Nachfragekurve maximiert, da diese vom einzelnen Unternehmen ja nicht wahrgenommen werden kann 67; auch nicht über Punkte 64 Siehe Roberts (1978, 565f.); es handelt sich hier um Angebot und Nachfrage aus einzelwirtschaftlicher Sicht, siehe unten. 65 Entgegen Patinkin (1976, 91) . 66 In der TM wird noch angenommen, da8 sich der erwartete am laufenden Profit orientiert; in der GT (50!.) iet dieser Zusammenhang weniger "mechanisch". 67 Siehe Patinkin (1982, 143); andernfalls entspräche der Schnittpunkt einem Profitminimum (ib.) .
4.2 Geldwirtschaft, Saysches Gesetz und effektive Nachfrage
169
der Angebotskurve5 8 , da unterschiedliche Punkte unterschiedlichen Preiserwartungen entsprechen, letztere aber nicht zu den Entscheidungsvariablen des Unternehmens zählen. Diese Behauptungen verlangen nach einer Klärung des Zusammenhanges zwischen der vom einzelnen Unternehmen erwarteten und der gesamtwirtschaftlichen (aggregierten) Nachfrage. Viele in der GT enthaltenen Widersprüche haben ihren Ursprung darin, daß nicht zwischen der Sicht des einzelnen Unternehmens und der gesamtwirtschaftlichen Perspektive, zwischen unternehmensinternen und unternehmensexternen Effekten unterschieden wird, weil die Gesamtwirtschaft untersucht wird, als wäre sie in Form eines Riesen- Unternehmens organtstert (Asimakopulos 1983, 526ff.). 69 Denn die von Keynes behauptete Abhängigkeit der Nachfrage von der Beschäftigung besteht wohl für die Gesamtwirtschaft - die aggregierte Nachfrage ist über die Konsumfunktion abhängig von der Beschäftigung -, nicht aber für das einzelne Unternehmen, da die Nachfrage nach dessen Produkten nicht von der eigenen Beschäftigungslage abhängt (ib., 527). 70 Der Rückkopplungs- (bzw. Multiplikator- )Effekt, der von einer Ausweitung der Produktion über höhere Einkommen zu einer gestiegenen Nachfrage läuft, ist unternehmensextern und kann von einem einzelnem Unternehmen nicht berücksichtigt werden. 71 Das Unternehmen maximiert daher nicht angesichts einer maßstabsverkleinerten aggregierten Nachfragefunktion, sondern für einen gegebenen erwarteten Preis, welchem es die Grenzkosten gleichsetzt. Analog setzt eine Produktionsänderung eine Änderung der Preiserwartung voraus (als Folge nicht erfüllter Erwartungen). Die oben dargestellte Ableitung ist daher durch die erwartete Nachfrage Dew eines repräsentativen Unternehmens zu ergänzen: 72 (51)
68 Andere argumentiert Patinkin (1982, 144). insbesondere für den Fall des Sayachen Gesetzes. 69 Auch Roberta (1978, 566) acheint diesen Unterschied gelegentlich zu überaehen. 70 Vgl. Caaaroea (1981, 1984) und Torr (1984) . 71 Hier ist ein Hinweis auf die ebenfalls von Cambridge-Ökonomen (Marahall und Pigou) entwickelte These möglicher Abweichungen von internen und externen Ko sten angebracht. Vgl. Blaug (1986, 380ff. und 597ff.). 72 Vgl. zum folgenden Caaaroaa (1981) und auch Jäggi (1986, 39ff.).
170
4.
J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Diese wird in einem Zw-n-Diagramm (Figur I), zusammen mit den bereits diskutierten Konzepten, dargestellt. Soweit die variablen Kosten nur aus Lohnkosten bestehen, fällt die Kostenkurve mit der 45°-Geraden zusammen; 73 die vertikale Differenz zwischen Dew und TVC mißt den (erwarteten) Gewinn. Der gewinnmaximierende Punkt auf der Dew-Kurve ist bei jener Beschäftigung n• gegeben, bei der eine Parallele zur 45°-TVC-Geraden die Dew-Kurve berührt, d.h. dDew/dn = 1 gilt. Betrachtet man unterschiedliche Preiserwartungen (pe1 und pe2), so erzeugen diese die Kurven Dew1 und Dew2 bzw. die optimalen Beschäftigungswerte n•1 und n•2; die Angebotskurve Zw des Unternehmens setzt sich aus allen diesen gewinnmaximierenden Punkten zusammen, in deren jedem dDew/dn = 1 bzw. wjpe = dyjdn gilt. Weiters ist in Fig. I die (maßstabsverkleinerte) aggregierte Nachfragekurve Dw eingetragen, die den üblichen Verlauf aufweist. Ein kurzfristiges Gleichgewicht liegt dann vor, wenn für eine gewählte Beschäftigung n• die Kurven Dw und Dew zusammenfallen, wie z.B. für n•2. Selbst im Gleichgewicht sind die beiden Kurven nicht ident, sondern haben nur in n*2 einen Punkt gemeinsam - das Unternehmen orientiert sich an Dew und tastet sich durch Variation der Preiserwartungen an Dw heran. 74 Während die DewKurve (für gegebene Preiserwartungen) unterschiedliche Beschäftigungslagen und Erlöse für das einzelne Unternehmen in Verbindung setzt, gibt die Dw-Kurve an, wie die Nachfrage reagiert, wenn alle Unternehmen die Beschäftigung verändern - ein Gedankenexperiment, das in einer Wettbewerbssituation für das einzelne Unternehmen ohne Bedeutung ist.
Fixe Kosten würden die Kostenkurve bloß parallel nach oben verschieben. Stabilität des Anpassungsprozesses kann folgendermaßen nachgewiesen werden (filr eine grafische Darstellung siehe Jäggi 1986, 69f.): Der Einfachheit halber wird ein in Geldeinheiten formuliertes Modell verwendet - für einen geräumten Markt gilt sodann: (i) pf [n(w/pe)] = ca + cpef(n) +I; linearisiert man in einem kurzfristigen Gleichgewicht (p = pe), so erhält man: (ii) dp = [p(l-c)(f• 2/ff")+c]dpe. Der Mechanismus der Erwartungsbildung wird ala adaptiv angenommen: (iii) Dpe = A(p-pe), A>O, wobei Dpe lJpe/ lJt mit t als Zeitindex. Somit folgt: (iv) lJDpe/lJpe = A[(lJp/lJpe)-1] = A(1-c)[(pf' 2/ff")-1] < 0; damit ist (unabhängig von A) lokale Stabilität gesichert. 73
74
=
4.2 Geldwirtschaft, Saysches Geset& und effektive Nachfrage
171
Figur 1:
zw
TVC
n
Durch diese Ergänzung kann die Aussage von Patinkin präzisiert werden, wonach das zentrale Ergebnis der GT in der Betonung von Gleichgewicht wiederherstellenden Mengenanpassungen bestehe. Dies trifft wohl zu, jedoch treten die Mengeneffekte als Folge von Preisänderungen auf. Darauf weist der oben rekonstruierte Anpassungsmechanismus ebenso hin wie eine Anzahl von Textbelegen (siehe GT, 76 und 123f.). Für die Interpretationsgeschichte ist dies besonders im Hinblick auf die ursprüngliche Behauptung von Leijonhufvud ( 1968, 52) interessant, das revolutionäre Element der GT bestehe in der Umkehr der Rangordnung von Preis- und Mengenanpassungsgeschwindigkeiten. Die implizierte Annahme rigider Preise ist aber zumindest für die Güterpreise mit den Ausführungen in der GT nicht vereinbar.75 Ebenso bildet die obige Ableitung einen möglichen Schlüssel zu jenen A bleitungsfehlern, die das Verstehen der Konzepte der ef75 Vgl. die Kritik von lackman {1974, 265f.).
172
4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtachaft
fektiven Nachfrage so sehr erschwert haben. Ein Beispiel bietet die seit Patinkin besonders beachtete Ableitung in der GT (55Fn.)76 . Sie bezieht sich auf die Unternehmensentscheidung, die durch die Angebotsfunktion dargestellt wird. Nachdem wiederum die Gewinnmaximierungsbedingung als Gleichheit von Wertgrenzprodukt und (Grenz-)Faktorkosten korrekt formuliert worden ist (d.i. in den obigen Termini: tl.Dew = tl.n), wird irrigerweise die Angebotsfunktion mit der Erlösfunktion gleichgesetzt und aus tl.n = tl.Zw auf dZw/dn = 1 geschlossen. Dieser Irrtum kann auch folgendermaßen ausgedrückt werden: Im Punkt des Gewinnmaximums muß die Kurve des erwarteten Erlöses eine Steigung von eins, d.i. 45°, aufweisen; das bezieht sich auf eine Schar von Erlöskurven mit parametrischen Preiserwartungen pe, die Angebotskurve ist die Summe aller solcher Punkte; daher, so Keynes, muß auch die Angebotskurve durchgängig eine Steigung von eins aufweisen 77 - dieser Schluß ist falsch, wenn auch durch den zeitgenössischen Standard der mathematischen Ökonomie entschuldbar.78 Der Fehlschluß ist außerdem mit der obigen Interpretation des Sayschen Gesetzes (aus CW 13, 426f.) vereinbar. Verfolgt man die Implikationen des Ergebnisses weiter, so folgt aus dZw/ dn = = 1 die Annahme einer linearen Produktionsfunktion mit Arbeit als alleinigem variablen Faktor79 , z.B. y = kn. In diesem Fall entspricht die Angebotsfunktion den totalen variablen Kosten 80 - für Patinkin, wie erwähnt, Grund genug zu schließen, daß Keynes stets die Angebotsfunktion mit den totalen variablen Kosten identifiziert habe. Andere vermuten 81 , Keynes habe nur eine besonders einfache Produktionsfunktion für seine Ableitung benutzt, ohne die problematischen Eigenschaften dieser speziellen 76 Siehe auch die fehlerhafte Ableitung in CW 13, 426. 77 Ähnlich rekonstruiert, wenn auch ohne auf Preiserwartungen Bezug su nehmen, Patinkin (1982, 145). 78 Vgl. den berühmten Irrtum von Viner (1931), der die Hüllkurve der langfristigen Stückkosten durch die Minima der kurzfristigen Kurven seiebnen wollte; siehe Patinkin (1982, 155). 79 Oder entsprechend der in der Fußnote (GT, 56Fn.) vorgeschlagenen Vereinfachung: Arbeit {bsw. Lohnsats) als Index aller variablen Faktoren (baw. deren Entgelt). 80 Die Angebotsfunktion (Z =n) lautet: w e n = oo für pe/w>k 0 :Sn :S oo für pe/w=k n = 0 für p /w0.
Wegen "'c aus (71): (79)
0
c
=DpcIPc 1r
c
erhält man für die Multiplikatoren von p c
= [(ßp c l ßw)Dw+pJßp l ßq)D1re]l p, .. c c
und nach Differenzieren von (77) und (78): (80)
dDw = ).[(ßnl ßw)dw+pißnl ßq)d1re]
bzw. (81) +(ß1r l ßD1re)dD1re-d1re} = c
= J1( ( ß1r I ßDw )[( ßDwI aw )dw+( ßDwI ß1re )d1re] -d1re }x c
x[ }-j1(81r l ßD1re)j- 1• c
Nach Einsetzen aus (79) und (80) in (81) erhält man als Stabilitätsbedingungen für Spur und Determinante der entsprechenden Jacobischen Matrix: (82)
sp = )..(ßnl ßw)+J1[>..pkpc -l(ßpc l ßw)(ßnl ßq)-J]x x[ l-J1PLP -l(ßpc1 ßq)T 1..J1(ßnl ßw)x[ l-J1PLP .. c - (ßp c1 ßq)F > 0.
Gemäß der Bedingung d et > 0 ist für die Stabilität ein positives Vorzeichen des Klammerausdruckes [] erforderlich - dieses garantiert, daß der unmittelbare Effekt einer Änderung der erwarteten auf die laufende Inflationsrate die zwischen ihnen bestehende Diskrepanz nicht vergrößert. Selbst unter dieser Voraus20 D~rch die Berücksicht!.gung eines weiteren Pror;esses Dpb e=v(pb -pbe) kommt es r;u kemen nennenswerten Anderungen.
214
4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der GeldwiriBchaCt
setzung ist die Erfüllung der Spur-Bedingung nicht a priori gesichert - ein potentiell destabilisierender Effekt kann mit einer abweichungsverstärkenden Rückkopplung von der Beschäftigung über Lohnänderung, Preisänderung und Änderung der Inflationserwartungen wieder zurück zur Beschäftigung laufen. Keynes' Überlegungen zur Geldlohnflexibilität werden zu einer Art "Symmetriethese" zusammengefaßt (GT, 267ff.): Erzielen Lohnsenkungen überhaupt positive Effekte, so können sie in zumindest demselben Ausmaß durch Geldpolitik herbeigeführt werden - Lohnsenkungen bei gegebener Geldmenge und Erhöhungen der Geldmenge bei gegebenem Lohnsatz sind insoweit symmetrisch. Dies wird allerdings mit der Warnung verbunden, die Wirkung der Geldpolitik selbst sei begrenzt und der Unterstützung (durch Fiskalpolitik) 21 bedürftig. Sich auf Lohnflexibilität, d.h. auf Lohnpolitik anstelle von Geldpolitik, als Mittel zur Beschäftigungssicherung zu verlassen, käme einem "monetary management by the trade unions" (ib., 267) gleich. 22 Diese kontraintuitive Vorstellung verweist auf die praktischen Vorzüge der Geldpolitik: Sie ist leichter zu koordinieren als die Lohnbildung auf dezentralen Arbeitsmärkten, insbesondere im Hinblick auf die vorgetragene Relativlohn-Hypothese; sie entspricht Billigkeitsüberlegungen, da sie Umverteilung vermeidet; sie vermeidet die negativen Auswirkungen von Bankrotten und Deflationserwartungen. Daher sei als wirtschaftspolitische Konsequenz eine Stabilisierung der Geldlöhne durch den Einsatz der Geld- (und Fiskal- )Politik anzustreben (ib., 270). In diesem Sinne seien auch die Arbeiter, insofern sie ihre Geldlöhne verteidigen, vernünftigere Ökonomen als jene der klassischen Schule, die auf deren Flexibilität vertrauen (ib., 14). 23 Welche Schlußfolgerung ist aus den Überlegungen zur Lohnflexibilität für die methodische Beurteilung eines sog. "Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung" zu ziehen? In der GT finden sich Bemerkungen über mögliche langfristige Positionen 24 eines Wirt21 Siehe r..B . GT, 267. Zur Rolle der Fiskalpolitik in der GT vgl. Meltr.er (1981) va. Patinkin {1983); die eigentliche Ausarbeitung einer fiskalistischen Poaition erfolgte durch Hansen (r..B. 1963). 22 Modigliani (1977, 6f.) r.itiert dieae Pauage, indem er dem Monetarismus den Glauben an ein aolchea "monetary management" &uachreibt. 23 Nicht alle Kommentatoren acheinen die Ironie hinter dieaer Puaage erkannt r.u haben; aiehe s .B. Bliu (1983, 8) . 24 Patinkin (1976, 108f.) weiat darauf hin, dall solche Positionen in der GT nicht als Gleichgewicht achlechthin ber.eichnet werden.
4.6
Unfreiwilli~te Arbeibloai~tkeit
und flexible Geldlöhne
216
Schaftssystems für den Fall flexibler Geldlöhne (siehe GT, 191, 253 und 303f.), nämlich (l) Vollbeschäftigung, oder (2) eine Situation, in der absolute Liquiditätspräferenz herrscht (d.i. der Minimalzinssatz der "Liquiditätsfalle"), oder (3) ohne Grenzen fallende Löhne und Preise.26 Im Kontext des 19. Kapitels und des Shifting-equilibrium-Ansatzes betrachtet, erscheint nicht die Ableitung eines langfristigen Unterbeschäftigungsgleichgewichts als entscheidende These, sondern daß trotz Geldlohnanpassung Sequenzen von kurzfristigen Gleichgewichten mit Unterbeschäftigung bestehen bleiben, die keine ausgeprägte Tendenz zu Vollbeschäftigung aufweisen. Dies entspricht z.B. Patinkins Interpretation der GT als "a dynamic theory of unemployment disequilibrium" (Patinkin 1976, 113). Keynes' Aussagen zum durchschnittlichen Systemverhalten (GT, 249f.) weisen in die gleiche Richtung.26 Die theoretische Analyse der GT muß daher weder, wie Barens (1987, 225ff.) meint, Vollbeschäftigung als Eigenschaft eines (stabilen) langfristigen Gleichgewichts konzedieren 27 , noch ist sie auf die Existenz eines solchen Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung angewiesen. 28 Weder Ableitung noch Widerlegung der Existenz eines Unterbeschäftigungsgleichgewichts bzw. die Analyse von sog. "Keynes-Fällen" (die eigentlich "Modigliani-Fälle" sind) in Textbüchern werden somit der Keynesschen Kritik der Selbststeuerungsfähigkeit von Marktsystemen gerecht.
26 Der letr.tere Fall kann auch außerhalb der Liquiditätsfalle als Inatabilität auftreten; auf welche Variante Keynes hier ab~:ielt, iat aus dem Text nicht zu erschließen. 26 Siehe 1.8.: " ... the economic ayatem ... ia subject to severe fluctuation• in respect of output and employment, [but] it ia not violently unstable. lndeed it aeema capable of remai nin~t in a chronic condition of subnormal activity for a conaiderable period ... without any marked tendency either towarda recovery or towarda complete collapae." (GT, 249) Meltr.er (1981) achließt von diesen Stellen auf die behauptete Existen1 eines lan(fristi~ten Unterbeachäfti(Unp(leich~tewichta; sicherlich bezieht aich jedoch weder hier noch andenwo ("conditiona of stability"; GT, 260) der Beltriff der Stabilität auf eine dynamische Analyse im modernen Sinn dieses Konzepts, sondern wohl auf die typische Schwankunpbreite, innerhalb der die Entwickluni des Systeme verläuft. 27 Wobei ea scheint, ala ob auch Barena (1987) der Rhetorik der Neuen Kluaik in die Falle ~teht, indem der Nachweis der Exiaten1 einea (temporären) Vollbeschäfti(Un(S(leich~tewichta mit dem Scheitern der Selbstre(Ulierun~tskritik (ib., 2S8f.) ~tleich~tesetr.t, aomit Existen1 und Stabilität b1w. markträumender und flexibler Geldlohn verwechselt wird. 28 Anden z.B. Meltzer (1981) und Goetzke (1986) .
216
4. J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
4.6 Der Keynessche Beitrag zur Theorie der Geldwirtschaft In diesem Schlußteil ist der geldwirtschaftliche Aspekt der Keynesschen Allgemeinen Theorie als entscheidendes Thema dieser Untersuchung darzustellen. Keynes hat an vielen Stellen der GT den Allgemeinheitsanspruch seiner Theorie gegenüber dem von den klassischen Ökonomen behandelten Spezialfall bekräftigt - diese sei nur für Vollbeschäftigung gültig, jene umfasse auch Unterbeschäftigungssituationen (GT, 16), diese beruhe auf der falschen Dichotomie von Geld- und Werttheorie, jene auf der korrekten von einzel- und gesamtwirtschaftlicher Analyse (ib., 293). Am wichtigsten erscheint aber der Gegensatz zwischen der GT, die sich auf eine Geldwirtschaft (mit dem Geld, wie es historisch existiert) bezieht, und der klassischen Ökonomie, in der Geld keine Rolle spielen darf und nur in der Form eines neutralen Geldes vorkommen kann. Explizite Beispiele für diese Gegenüberstellung gibt es in den erwähnten Vorarbeiten zur GT (in CW 29) und in der GT selbst (z.B. ib., 19f., 293f.), besonders im 17. Kapitel, wenn monetäre und nicht-monetäre Wirtschaft unterschieden werden (ib., 239f.). Im folgenden soll danach gefragt werden, wodurch die Keynessche Geldwirtschaft charakterisiert ist; inwiefern diese Begründung widerspruchsfrei bzw. ob eine widerspruchsfreie Rekonstruktion möglich ist, welche bestehende Mängel ausmerzt; und zuletzt inwiefern Keynes' Kritik der klassischen Ökonomie auch auf Schwachpunkte von deren modernen Wiederbetebungen verweist. Das zentrale Charakteristikum der Keynesschen Geldwirtschaft ist die Existenz von Geld als Vermögensgut mit einer dominierenden Liquiditätsprämie 1; oder anders ausgedrückt: Geld als Anlage neben anderen, die es bezüglich des pekuniären Ertrages übertreffen . Diese Tatsache wird (vor allem in Keynes' berühmtem QJE-Beitrag) gegen die Gültigkeit der klassischen Ökonomie ausgespielt, mit deren Voraussetzungen Geldhaltung nicht zu vereinbaren sei: Money ... is a atore of wealth . ... But in the world of the clasaical economy, what an insane use to which to put itl ... Why ahould anyone outside a lunatic asylum wieh to hold money ae a store of wealth? (Keynee 1937a, 115f.) 1 Dies folgt aus der Definition einer "non- monetary economy" als "an economy in which there ie no aaset for which the liquidity-premium is alwaye in exceee of the carrying c:oste" (GT, 239).
4.6 Der Keynesche Beitrag zur Theorie der Geldwirtschaft
217
Die Bedingungen für das Bestehen einer starren Liquiditätsprämie werden in der GT als sog. wesentliche Eigenschaften des Geldes angegeben (- ähnlich wie in den Vorarbeiten, wo es darum geht, welche Eigenschaften die Möglichkeit von Abflüssen aus dem Einkommenskreislauf gewährleisten). Für den Keynesschen Ansatz ist bemerkenswert, daß die klassischen Fragen nach dem Wesen des Geldes bzw. nach der Begründung seines - vom intrinsischen Wert unabhängigen oder diesen jedenfalls übersteigenden - Tauschwertes übergangen werden. Keynes nimmt die Existenz eines intrinsisch wertlosen (Papier- )Geldes als gegeben hin, ohne nach den Konsequenzen dieses Phänomens für sein eigenes System noch nach der Möglichkeit zu fragen, sie als Kritik gegen die klassische Ökonomie einzuwenden. Zum Beispiel scheint Keynes' Betonung von Geld als Wertaufbewahrungsmittel zu übersehen, daß auch ein "nur" als Tauschmittel fungierendes Geld gehalten werden muß und dies ebenso erklärungsbedürftig ist bzw. eine Prämie für die Geldhaltung erzeugt. 2 Keynes' wesentliche Eigenschaften des Geldes nehmen eine wichtige Stellung für seine Theorie der Geldwirtschaft ein, weil sie nicht nur die historischen Gegebenheiten beschreiben, sondern gleichermaßen die Existenz einer Liquiditätsprämie sowie die Möglichkeit von Unterbeschäftigung begründen helfen sollen. Wie bereits oben gezeigt worden ist, ist jedoch eine entscheidende Argumentationskette fehlerhaft. Diese besagt, daß eine Voraussetzung für das Bestehen einer Liquiditätsprämie durch die Erwartung von Geldwertstabilität gebildet werde und weiters als Voraussetzung hiefür eine geringe Produktions- bzw. Substitutionselastizität von Geld (als die beiden ersten wesentlichen Eigenschaften) anzusehen sei. Für die Produktionselastizität trifft dies nicht zu; auch die Annahme einer a priori geringen Substitutionselastizität ist nicht einsichtig. Daraus folgt, daß die Eigenschaft der niedrigen Produktionselastizität des existierenden Papiergeldes, welche die Verletzung des Sayschen Gesetzes und damit Unterbeschäftigung möglich macht, nicht auch gleichzeitig die Existenz einer Liquiditätsprämie bzw. die Keynessche Geldwirtschaft begründen kann. Hier scheint die Vernachlässigung der Tauschmittelfunktion des Geldes besonders als Mangel, denn gerade die Transaktionskostenersparnis aufgrund der Funktion als 2 Die Erklärung dee Halten& eines ertraglosen Geldes neben zinstragenden Vermögensgütern durch dessen Tauschmittelfunktion wurde schon von Hicks {1936) geleistet.
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4. J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Tauschmittel vermag eine Prämie zu sichern, welche auf dem Flexibilitäts- bzw. Liquiditätsvorteil des Geldes beruht. Auf der anderen Seite bildet aus dieser Sicht natürlich nicht mangelnde Geldwertstabilität überhaupt, sondern allein Inflation eine Gefahr für die Geldfunktion. Geht man im Erklärungsversuch weiter und fragt nach den Ursachen, die die von einem funktionsfähigen Geld zu erbringenden Leistungen erst erstrebenswert erscheinen lassen, so stößt man bei Keynes auf den Aspekt der Unsicherheit. Sie schafft einen Bedarf an Flexibilität und damit die Bereitschaft, für Geld eine Prämie zu bezahlen: ... our deaire to hold money aa a store of wealth is a barometer of the degree of our distrust of our own calculations and conventions concerning the future. (Keynes 1937a, 116)
Wie Keynes Unsicherheit konkret zu spezifizieren trachtete - ob im Sinne von Knight als Unmöglichkeit, subjektive Wahrscheinlichkeiten anzugeben, da nicht alle möglichen Zustände der Welt bekannt sind, oder ob als eine Form von sequentieller Unsicherheit3 - ist umstritten. 4 Jedenfalls ist die existierende Unsicherheit derart, daß sie nicht (z.B. durch Versicherungsmärkte) auf den Status von Sicherheit reduziert werden kann und sich ebensowenig im Zeitablauf völlig auflöst. 5 Im Vergleich zum klassischen Ansatz folgt diese Unsicherheit aus der Nichtexistenz von kontingenten Zukunftsmärkten - eine Tatsache, die Keynes im wichtigen 16. Kapitel der GT für das Scheitern der intertemporalen Koordination von Spar- und Investitionsplänen verantwortlich macht. Daher kann Geldhaltung als Versicherung gegen eine ungewisse Zukunft rational sein. Zudem weist dies voraus auf die neueren (oft allerdings zu engen) Erklärungen der Geldfunktion bzw. eines Tauschwertes von Geld aus den (zeitlichen, räumlichen oder auf Kontingenzen bezogenen) Unvollständigkeiten des Marktsystems. 6
3 Ein erster Ansah in dieser Richtung stammt von Hart (1942). 4 Auf eine nähere Untersuchung dieses Aspekte muß hier verzichtet werden; vgl. stellvertretend für eine kaum überschaubare Literatur den instruktiven Oberblick von Lawson (1986). 5 Diese - unter anderem die Liquiditätspräferenz begrUndende - Unsicherheit ist daher auch in einem langfristigen Gleichgewicht im Keyneaschen Sinne (siehe GT, 48f.) vorhanden; vgl. Hansson (1985). 6 Siehe unten 5.1.2 und 5.2.1.
4 .6 Der Keyne1che Beitrag sur Theorie der Geldwirtschaft
219
In dieser Hinsicht gilt der bekannte Topos: "Kein Geld ohne Unsicherheit", insofern als beide Phänomene eine gemeinsame (logische, nicht genetische) Wurzel besitzen. Verglichen mit dem idealtypischen Modell der Realanalyse, welches vollkommene Voraussicht bzw. vollständige Märkte impliziert, ist Unsicherheit die Folge einer "Friktion", d.h. einer Abweichung vom Idealzustand. Das gleiche gilt für Geld, welches auch nur in einer Welt der Friktionen existieren kann. Beide Erscheinungen, Geld und Unsicherheit, verweisen somit auf das Fehlen jener postulierten Institutionen, die eine perfekte intertemporale Koordination möglich machten; sie erscheinen im Vergleich mit den von Keynes hervorgehobenen wesentlichen Eigenschaften des Geldes als vorrangige Ansatzpunkte. Zwei weitere (z.T. in der GT nur implizit angesprochene) Aspekte der Keynesschen Theorie der Geldwirtschaft sind festzuhalten. Sie stecken in den Vorarbeiten hinter dem Begriff der geldorientierten Produktion bzw. der Gegenüberstellung von genossenschaftlicher und unternehmerischer Organisation. Geldorientierung setzt voraus, daß Transaktionen (wie Entgelte für Faktorleistungen) in Form von Geldzahlungen erfolgen, was aus der Tauschmittelfunktion folgt, bzw. wichtiger: daß Geld benötigt wird, um wirksame Nachfragesignale zu setzen, da sich die Produktion am erzielbaren Geldprofit orientiert. Das führt schließlich zu Clowers Problem (Clower 1965); nach dem Interpretationsvorschlag von Leijonhufvud (1968) wäre die Einsicht in dieses Problem bereits der Keynesschen GT zuzuschreiben. Es wurde oben gezeigt, daß Keynes auf dieses Problem wohl in den Vorarbeiten hingewiesen, die grundlegende Einsicht in die zusätzlich eröffneten Möglichkeiten eines Koordinationsversagens in seine Theorie der effektiven Nachfrage bzw. in die Diskussion des Sayschen Gesetzes jedoch nicht eingebracht hat. In einem anderen Sinne wird Geldorientierung allerdings in den Vorarbeiten ausdrücklich beschrieben und in der Analyse der GT vorausgesetzt, nämlich als Unternehmerische Organisation der Produktion. Das bedeutet, daß die Nutzung der Produktionsfaktoren zu im vorhinein vereinbarten Entgelten erfolgt (somit z.B. Löhne und Darlehensrückflüsse fixiert werden), während dem Unternehmer7 ein Residualeinkommen zufällt; sowie als ergänzende Annahme, daß die Festlegung der Entgelte in Geldeinhei7 Die Funktion des Unternehmen wird bei Keynea strikt von jener des Kapitalisten oder Rentien getrennt .
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4. J.M. Keynes' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
ten erfolgt. In der Gegenüberstellung zur Produktorientierung werden diese beiden Annahmen nur unzureichend unterschieden. Da im Falle der Produktorientierung die Probleme der relativen Nachfrage nicht beachtet werden, d.h. die Annahme eines Universalgutes oder vorweg gegebener relativer (Gleichgewichts-) Preise impliziert wird, verlangt optimale Produktion den Ausgleich von Grenzprodukt und Grenzleid in Form eines Produktlohnes. Muß jedoch der Produktlohn fixiert werden, ehe die relativen Preise feststehen, kann er mit diesen relativ zum Grenzleid der Arbeit, das sich auf einen Reallohn bezieht, schwanken und die Produktorientierung würde die Erfüllung beider klassischen Postulate nicht mehr garantieren. Nur im letzteren Fall bleibt im übrigen für Geld eine aktive Aufgabe zu erfüllen. Obwohl Keynes keine auf Rationalität rekurrierende Rechtfertigung der vorausgesetzten Institutionen versucht, könnte ein solcher Versuch durchaus lohnen. Ein möglicher Weg wäre die Herleitung der Unternehmensorganisation aus der Funktion der Einkommenssicherung.8 Das ergibt aber nur Sinn in einer Wirtschaft, in der (wie es auch die GT voraussetzt) unter Ungewißheit über die zu erzielenden Erlöse (bzw. relativen Preise) produziert werden muß - ein Ergebnis zeitaufwendiger Produktion und geldwirtschaftlicher Organisation, die notwendig wird, weil die Produktion nicht schon vorweg auf Zukunftsmärkten verkauft werden kann. In diesem Kontext kann nach der Begründung der Fixierung des Lohnes in Geldeinheiten gefragt werden. Im Gegensatz zu (z.B.) Produktlohnfixierung eliminiert die Festlegung in Geldeinheiten für den Lohnbezieher das Risiko schwankender relativer Preise und ordnet es dem Unternehmer zu - dort bildet es anderseits einen Anstoß für Beschäftigungsschwankungen und für die Reallokation von Arbeit. Eine Bindung des Lohnes an Indexklauseln, welche auch gegen Geldwertschwankungen versichert, ist möglicherweise zu kostenaufwendig. 9
8 Dies impliziert unter der Annahme, daß die weiter entfernte Zukunft weniger voraussehbar ist, eine ausreichend lange Kontraktlaufzeit; ein "Hiring-Hall"-Modell mit täglich revidierten Löhnen würde dieser Begründung sicher nicht entsprechen. Für diese und alternative Begründungen der Organisation durch Unternehmen vgl. Schneider (1987, 618ff.). 9 Aus der Sicht einer friktionsfreien Modellwelt ist das Fehlen von lndexklauseln, besonders auch bei Vermögensanlagen, ein erklärungsbedürftiges (und wohl noch nicht hinreichend gelöstes) Rätsel; vgl. Pichler/Verhonig/Hentschel (1979, 180ff.). Siehe unten 5.3.3.
4.6 Der Keynesche Beitrag r.ur Theorie der Geldwirtschaft
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Als ein Charakteristikum der von Keynes spezifizierten Unternehmerwirtschaft ist deren Anfälligkeit gegenüber Deflation hervorzuheben - die Geldlohnfixierung gefährdet den kurzfristigen Gewinn, die nominell fixierten Kreditrückzahlungen das langfristige Bestehen des Unternehmens. Die Tatsache, daß bei Fixierung des Geldlohnes das Unternehmen sowohl das Risiko von Schwankungen der relativen Preise als auch des Geldwertes zu tragen hat, legt die Vorteilhaftigkeil einer den Geldwert sichernden Wirtschaftspolitik nahe. Deflation erscheint somit als Bedrohung der Unternehmerischen Organisation der Produktion, ebenso wie Inflation die geldwirtschaftliche Organisation gefährdet. Aus diesen institutionellen Vorbedingungen läßt sich daher ebenfalls eine Politik der Preisstabilisierung herleiten, wie sie Keynes' GT zur Vermeidung, wenn auch nicht zur Bekämpfung von Unterbeschäftigung impliziert. Denn der (anzunehmende) Effizienzvorteil unternehmerischer Organisation würde durch die Verfolgung eines Lohnstandards, welcher das für beide Vertragspartner unspezifische gesamtwirtschaftliche Risiko von Geldwertänderungen weitgehend eliminiert, gefördert, durch die Etablierung eines Geld(mengen)standards jedoch bedroht. 10 Um Mißverständnisse zu vermeiden, soll nochmals betont werden, daß die oben beschriebene Form der Geldlohnfixierung nicht mit (absoluter) Geldlohnstarrheit gleichzusetzen ist. Sie gilt nur für den Zeitraum der Kontraktdauer 11 , die allerdings gemäß der Keynesschen Analyse ausreichen muß, um die Anpassung an kurzfristiges Gleichgewicht zu erlauben. 12 Die im 19. Kapitel der GT untersuchte Geldlohnflexibilität bedeutet im Gegensatz zur neuerdings üblichen Gleichsetzung von "flexibel" und "markträumend" bloß, daß zwischen den Kontraktperioden der Geldlohn als Reaktion auf die Arbeitsmarktsituation angepaßt werden kann. Dieser Prozeß der Lohnanpassung wird als Sequenz von kurzfristigen Gleichgewichten analysiert. Abschließend sollen noch einige methodische Aspekte angesprochen werden: Eine wesentliche Erweiterung des Keynesschen Systems liegt in der ausdrücklichen Berücksichtigung von Unsi10 Auf mikroökonomische Aspekte verweist auch die Charakteriaierung des Auatro-Keyneaianiamua durch Tichy (1982); vgl. auch Böhm (1982). 11 Zur endogenen Bestimmung der Kontraktdauer vgl. Gray (1978). 12 Der Vorteil der Risikoüberwälr.ung wird den Nachteil potentieller Unterbeschäftigung UrilliO eher überwiegen, je stärker relative gegenüber absoluten Preisänderungen dominieren.
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4. J.M. Keynea' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
cherheit. Dies führt aber bei Keynes nicht zu völliger Beliebigkeit des Verhaltens oder einer grundlegenden Abkehr von Rationalität, wie ihm dies ein "opportunistischer" bzw. "nihilistischer" Fundamental-Keynesianismus (Coddington 1983, 60ff.) zuschreiben möchte. Vielmehr wird der Versuch einer verhaltenstheoretischen Fundierung für vernünftiges Handeln angesichts von Unsicherheit unternommen. Die hiezu entwickelten Thesen sind in den in Frage kommenden Werken (TM, GT und Keynes 1937a) bemerkenswert einheitlich: die (exzessive) Orientierung der Zukunftserwartungen an der Gegenwart (siehe TM, 322f.; GT, 152 und Keynes 1937a, 114), das Akzeptieren vorherrschender Bewertungen und Erklärungsschemata sowie die Orientierung an gemeinsamen Konventionen, d.i. die Beurteilung des fraglichen Sachverhaltes durch den Rest der Welt. Die erwähnten Konventionen können sich für eine "Schönwetter-Ökonomie" (Schelbert 1987) durchaus als stabil erweisen, in Krisenzeiten sind sie jedoch zerbrechlich und großen Schwankungen unterworfen (GT, 154; Keynes 1937a, 115) - von hier führt der Weg zu jener Form von Unsicherheit, die eine Liquiditätspräferenz rechtfertigt. 13 Folgt man Keynes, so muß die analytische Konsequenz aus dem Bestehen von Unsicherheit die Entwicklung einer entsprechenden Verhaltenstheorie sein 14 (die sicherlich über den von Keynes skizzierten Stand hinaus verbesserungsfähig ist), nicht aber die Kapitulation vor den Grenzen der menschlichen Erkenntnis. Gleichermaßen wie Keynes m.E. mit der Berücksichtigung von Unsicherheit den Rahmen eines (vielleicht bloß stilisierten) methodologischen Individualismus nicht verläßt, gilt diese Trennung von inhaltlichen und methodischen Aspekten für seine Ablehnung des Gleichgewichtsbegriffes der klassischen Ökonomie. Diese ignorierte die Tatsache der Unsicherheit, indem sie von einem Referenzzustand sich selbst erfüllender Erwartungen bzw. als Spezialfall von statischen Erwartungen in einem stationären Gleichgewicht ausgeht. Dem stellt die GT das Konzept des kurzfristigen Gleichgewichts bzw. "shifting equilibrium" gegenüber, wobei die langfristigen, d.h. über die Modellperiode hinaus reichenden Erwartungen gegeben sind und bei festem Geldlohn alle
13 Eine dieabe&ügliche Abgren&ung der Anwendunpbereiche von lda~~iacher und Keyneaecher Makroökonomie achligt Scheiben (1987) vor. 14 Zur verhaltenswissenschaftlichen Baaia der Keyneeachen Erwarlunptheorie vgl. Rieter (1985).
4.6 Der Keynesche Beitrac zur Theorie der Geldwirtschaft
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Märkte außer dem Arbeitsmarkt geräumt werden. 16 Im kurzfristigen bzw. temporären Gleichgewicht wirkt die Zukunft mittels exogener Erwartun~en bzw. einer exogenen Erwartungsfunktion auf die Gegenwart 1 , diese Erwartungen erfüllen sich nur "zufällig" - selbsterfüllende Erwartungen werden zu einem unwahrscheinlichen Spezialfall. Die fundamentalistische Kritik an der allgemeinen Verwendung des Gleichgewichtskonzeptes 17 erscheint daher exegetisch wie inhaltlich nur dort gerechtfertigt, wo sie den Gleichgewichtsbegriff eng definiert, d.h. inhaltlich auf verschiedene Versionen intertemporalen Gleichgewichts beschränkt. Sie trifft insofern zu, als Geld - insbesondere in seiner Rolle als allgemeines Tauschmittel - im Modell des intertemporalen Gleichgewichts keinen Platz finden kann, ebensowenig wie eine Tendenz zu intertemporalem Gleichgewicht im Keynesschen Modell der Geldwirtschaft Deren institutionelle Voraussetzungen, wie die Existenz von Unsicherheit, unternehmerischer Organisation und Geldlohnfixierung, begründen das Entstehen einer Liquiditätsprämie und die Rolle der effektiven Nachfrage, und damit eine Abweichung der geldwirtschaftlichen Gleichgewichtskonstellation von jener der idealtypischen Tauschwirtschaft. 18 Dies schafft die Möglichkeit inter- und intratemporalen Koordinatlonsversagens, das im Rahmen der "Unvollkommenheiten", die die Geldwirtschaft charakterisieren, kaum korrigiert werden kann: Selbst Marktkräfte oder eine kluge Wirtschaftspolitik, die Vollbeschäftigung herzustellen vermöchten, können intertemporale Koordination nicht garantieren. Aber wie oben gezeigt worden ist, ist selbst diese Tendenz zu Vollbeschäftigung sehr fraglich. Gilt daher das schlichte Diktum, Unterbeschäftigung sei eine Folge der geldwirtschaftlichen Organisation? Die vorangegangene 15 Kunfristiges Gleichgewicht dient als Instrument, um die realzeitlich simultan ablaufenden Anpassungen kurz- und langfristiger Erwartungen sowie des Geldlohnes zu entwirren; ausgefeilter wird dies von Hicks (1946) als "temporäres Gleichgewicht" gefaßt, in welchem auch der Arbeitsmarkt geräumt wird und die (langfristigen) Erwartungen ilber eine exogene Erwartungsfunktion von den laufenden Größen abhängen können. 16 In der GT werden sowohl die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitala als auch Geld ala Bindeglieder &wischen Zukunft und Gegenwart be&eichnet (GT, 145 und 294) . 17 Vgl. z.B. Shackle (1967), Kregel (1976) und Davidaon (1977). 18 Filr eine frilhe Ausweitung der Keynesachen Kritik auf die Werttheorie im engeren Sinne vgl. Townshend (1937).
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4 . J.M. Keynee' Allgemeine Theorie der Geldwirtschaft
Diskussion wollte nachweisen, daß dies eine gefährliche Vereinfachung darstellt. Denn selbstverständlich kann Unterbeschäftigung nicht durch die Abschaffung der geldwirtschaftlichen Organisation beseitigt werden (und letztere ist auch nicht bloß Ausdruck von vermeidbaren, "deregulierbaren" Restriktionen). Vielmehr ist die Rolle des Geldes (und die anderer institutioneller Faktoren) erst außerhalb der idealtypischen Welt der realwirtschaftlichen Analyse verständlich, wo zugleich mit der Begründung der Geldwirtschaft das Entstehen von Koordinationsmängeln (wie z.B. Unterbeschäftigung) möglich wird. Umgekehrt scheint aus dieser Sicht die Modeliierung von Geldwirtschaft durch bloßes Hinzufügen eines als "Geld" bezeichneten Wertaufbewahrungsmittels und einer dessen Tauschwert sichernden Restriktion zu einem ansonsten nach den Gesetzen der realwirtschaftlichen Analyse funktionierenden System als Irrweg. Dies scheint eine der wesentlichen Lehren zu sein, die aus der Keynesschen Kritik der klassischen Ökonomie cum grano salis gezogen werden kann - eine Schlußfolgerung, die trivial erscheinen möchte, würde ihr in neueren Theorien der Geldwirtschaft nicht so oft zuwider gehandelt.
5. THEORIEN DER GELDWIRTSCHAFT NACH HA YEK UND KEYNES Dieses Kapitel bietet einen kritischen Überblick über die Entwicklung geldwirtschaftlicher Theorien nach Hayek und Keynes. Da wesentliche Partien einer solchen Theoriegeschichte der modernen Ökonomie als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, ist hier eine weniger breite Behandlung des Themas am Platze. Wegen der Parallelität vieler Entwicklungen muß außerdem auf eine strikt chronologische Darstellung verzichtet werden. Die Abschnitte dieses Kapitels behandeln: (l) die sog. neoklassische Synthese und die ihr innewohnenden Dilemmata, beispielhaft dargestellt an der Geschichte des Neutralitätsbegriffes; (2) die Ansätze einer Begründung der Geldwirtschaft aus der Analyse der Geldfunktionen; schließlich die neuerdings aktuelle Renaissance klassischer und keynesianischer Ansätze - (3) in der Neuen Klassischen (Makro-)Ökonomie bzw. (4) in der Neuen Keynesschen Ökonomie. 5.1 Die neoklassische Synthese
5.1 .1 Die wa/rasianische Rekonstruktion der Keynesschen Ökonomie Keynes hatte seine "General Theory" der orthodox-klassischen Theorie mit dem Anspruch größerer Allgemeinheit entgegengesetzt, wonach die klassische Theorie nur als Spezialfall der Keynesschen Geltung besitze. Für viele Behauptungen der GT ist jedoch das zugrundeliegende Modell bzw. die logische Struktur der Analyse implizit geblieben. Damit existierte für die zeitgenössischen Ökonomen eine Fülle zu lösender "Rätsel" 1 , z.B. die Kontroverse um Liquiditätspräferenz- vs. Leihfondstheorie des
1 Die Vorgabe solcher Rätsel ist für Johnson (1971, 188) eine Voraussetr;ung für den Erfolg einer "revolutionären" Theorie.
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6. Theorien der Geldwirtschaft nach Hayek und Keynes
Zinssatzes 2 , die adäquaten Definitionen von Sparen und Investieren, die unfertige Analyse des aggregierten Angebots etc. Das Zusammentreffen dieses Erklärungsbedarfes mit der Neubelebung des von Walras und Pareta begründeten Ansatzes der Neoklassik hatte die spezifische Form der Rekonstruktion der Keynesschen Ökonomie zur Folge, nämlich im Rahmen einer walrasianischen Analyse des allgemeinen Gleichgewichts.3 Das Hauptverdienst hiefür (manche Kritiker würden es allerdings nicht als Verdienst bezeichnen wollen") gebührt Hicks. Bereits dessen erste Auseinandersetzung mit dem Keynesschen System machte - im von Keynes nicht akzeptierten Nachweis, daß im Gleichgewicht Liquiditätspräferenz- und Leihfondstheorie zum gleichen Ergebnis führen (siehe Hicks 1936, 45f.) - vom Konzept des Walrassehen Gleichgewichts Gebrauch. Wenig später versuchte er in "Value and Capital" (Hicks 1946), mit dem Konzept des temporären Gleichgewichts das neoklassische Instrumentarium auf Keynessche Probleme anzuwenden. Hiebei wird Gleichgewicht als Markträumung auf den Gegenwartsmärkten bei exogenen (bzw. durch eine Erwartungselastizität bestimmten) Erwartungen zukünftiger Preise interpretiert (ib., 130ff. und 205). (Als weiterer wichtiger Beitrag zur Gleichgewichtsanalyse sind natürlich Samuelsons "Foundations" (1947) zu erwähnen, die u.a. mit ihrer Stabilitätsanalyse die spätere Keynes-Rezeption beeinflußt haben.) Der Eindruck, die Übersetzung der GT in die Walrassehe Analyse wäre allein das Werk von Hicks gewesen, ist allerdings verfehlt dieser Interpretationsansatz liegt einer ganzen Reihe von Beiträgen zugrunde (vgl. Reddaway 1936 und Meade 1937 noch vor Hicks 1937, sowie Rarrod 1937, Lange 1938 und die Diskussion zwischen Pigou 1937 und Kaidar 1937).6 Im folgenden wird jedenfalls von der These ausgegangen, daß diese Kombination von (Keynesschem) Inhalt und (Walrasscher) Form nicht grundsätzlich unvereinbar ist, beziehen sich die zentralen Aussagen der GT 2 Vgl. hier.u genauer Klausinger {1989c). 3 E. Weintraub {1979) spricht daher von einer neo- walraaianischen Synthese; als r..T. kritiache Überblicke r.um folgenden vgl. Leijonhufvud {1968, 1969), Clower {1975), Landmann {1976) und Hahn {1977). 4 Eine eper.ifiache Variante dieser Kritik ist im ~Journal of Poet Keyneeian Economica" institutionalisiert, vgl. aua anderer Sicht auch Leijonhufvud (1983d) und selbstkritisch Hieb (1980); für eine positivere Bewertung treten hingegen Solow (1984) und Ramaer (1986) ein. 6 Vgl. hier.u Young (1987). Weitere Beispiele der Rer.eption sind in Wood (1983) gesammelt.
6.1 Die neoklaaaiache Synthese
227
doch auf ein (von Keynes so genanntes) "kurzfristiges Gleichgewicht".6 Für die frühen Ansätze der keynesianischen Ökonomie7 paradigmatisch sind die Arbeiten von Hicks (1937) und Modigliani (1944). In beiden geht es darum, Keynessche und klassische Ökonomie einander anband eines allgemeinen (Makro-)Modells gegenüberzustellen, das diese als Spezialfälle enthält. Hicks (I 93 7) leitet das (heute meist sog.) "IS-LM"-Modell unter der Voraussetzung eines festen Geldlohnes ab. Klassische und (spezielle) Keynessche Theorie werden mit extremen (vertikalen bzw. horizontalen) Verläufen der LM-Kurve identifiziert. Interessanterweise liegt die Abgrenzung zwischen den beiden Ansätzen nicht in der Existenz von Unterbeschäftigung - bei einem festen Geldlohn resultiert sie in beiden Ansätzen -, sondern in der Wirksamkeit der Fiskalpolitik. Nach Hicks begründet der Keynessche Spezialfall, in dem Fiskalpolitik maximal wirksam ist und durch keine Zinseffekte konterkariert wird, eine "Economics of Depression" (ib., 111 ). In einem analogen Modellrahmen fragt Modigliani (I 944) nach der Möglichkeit eines Unterbeschäftigungsgleichgewichts. Für die betrachteten Märkte (d.s. Güter-, Geld- und Arbeitsmarkt; der Wertpapiermarkt bleibt verborgen) wird ein Standard-AngebotsNachfrage-Modell formuliert - der Unterschied zwischen klassischem und Keynesschem System besteht in der Annahme flexibler bzw. (nach unten) starrer Geldlöhne. Drei Typen von Lösungen sind möglich: (I) Mit flexiblen Geldlöhnen können die Gleichgewichtsbedingungen für die drei Märkte die drei relevanten Preise (Zinssatz, Reallohn und Preisniveau bzw. Geldlohn) bestimmen und somit Vollbeschäftigung gewährleisten (ib., 187ff.). (2) Mit festem Geldlohn fällt eine der Variablen weg, gleichzeitig wird die Bedingung für Arbeitsmarktgleichgewicht aufgegeben - für einen relativ zur Geldmenge zu hohen Geldlohn folgt ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht (ib., 211 ff.). (3) Nur im Spezialfall der sog. Liquiditätsfalle kommt es trotz flexibler Geldlöhne nicht zu Vollbeschäftigung. Die Untergrenze für den Zinssatz (als Li6 Siehe oben 4.2; siehe auch daa Zugeatändnie von Clower (1976, 190): "On a literal reading of the General Theory, ii ie hard to avoid the impreuion that the central core of the analyaie ia juet a carele1111ly executed venion of a few-commodity W alraaian model." 7 "Keyneaian Economice" eteht hier - Leijonhufvud (1968) folgend - für die Makroökonomie der neoklaaeiachen Syntheee.
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6. Theorien der Geldwirtschaft nach Hayek und Keynes
quiditätsprämie) liegt hier über dem für Vollbeschäftigung benötigten Wert; ins Modell wird dies als zusätzliche Zinsrestriktion neben den Gleichgewichtsbedingungen eingeführt, die daraus folgende Überbestimmtheit des Modells macht Vollbeschäftigung unmöglich. Ist die Produktion nachfragebestimmt, so resultieren Unterbeschäftigung und ein indeterminiertes Preisniveau (Modigliani 1944, 221 f.). Außer in diesem Spezialfall besteht der primäre Unterschied zwischen Keynesscher und klassischer Ökonomie nur in der (empirisch relevanteren) Annahme starrer Geldlöhne. 8 Der nächste entscheidende Schritt folgte aus Patinkins Versuch einer Integration von Wert- und Geldtheorie. Das bedeutete zugleich eine Kritik an klassischen Konzepten der Geldtheorie, 9 vorerst soll jedoch nur auf den Beitrag zur Rekonstruktion des Keynesschen Systems eingegangen werden (vgl. vor allem Patinkin 1951 und 1965). Er nahm hiebei einerseits die klassische Kritik an der behaupteten Nicht-Existenz eines Vollbeschäftigungsgleichgewichts im Sinne des sog. Pigou-Effektes auf, anderseits untersuchte er die potentiell negativen Effekte von Lohnflexibilität (wie von Keynes im 19. Kapitel der GT beschrieben). Unglücklicherweise hat der erstere Aspekt nachdrücklichere Beachtung gefunden. Die erwähnte klassische Kritik richtet sich gegen die Behauptung, es sei trotz Lohn- und Preisflexibilität möglich, daß kein Vollbeschäftigungsgleichgewicht existiere (wie in Modiglianis Liquiditätsfalle). Dagegen wird der Pigou-Effekt eingewendet: 10 Sofern in der betrachteten Wirtschaft der Realwert der Geldmenge infolge von Deflation zunimmt, muß diese Erhöhung eines Vermögenswertes schließlich (ceteris paribus) dazu führen, daß mehr konsumiert und weniger gespart wird. Dadurch steigt der mit Vollbeschäftigung kompatible Zinssatz, bis die minimale Liquiditätsprämie erreicht wird. Patinkin (1951, 21) formuliert dies als "Pigou- Theorem": "There always exists a sufficiently low price Ievel such that, if expected to continue indefinitely, it will generate full employment." 11 - Damit ist die Liquiditätsfalle als Argu8 Siehe Leijonhufvuda (1968, 86) Motto &ur neoklaaaischen Synthese: "The Theoretically Trivial is the Practically Important and the Practically lmportant is the Theoretically Trivial. • 9 Siehe unten 5.1.4. 10 Nach Pigou (1943) b&w. schon &uvor Haberler (1941). 11 Für weitere Einschränkungen Patinkins siehe unten; eine rigoroae Analyse der hinreichenden Bedingungen bietet Grandmont (1983).
6.1 Die neoldaaaiache Synthese
229
ment gegen ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht einer Wettbewerbswirtschaft widerlegt 12 und aus klassischer Sicht verbleibt vom Keynesschen Theoriegebäude bloß die Erklärung von Unterbeschäftigung durch starre Geldlöhne (bzw. aufgrund des ersten klassischen Postulats: durch zu hohe Reallöhne). Dies stimmt mit der klassischen Erklärung von Unterbeschäftigung überein und spricht der GT jede substantielle theoretische Neuerung ab. 13 Obwohl auch Patinkin gelegentlich der Sicht zuzuneigen scheint, die praktische Relevanz der GT sei über deren theoretischen Gehalt zu stellen, qualifiziert er doch die klassischen Gegenargumente beträchtlich. Denn selbst im statischen Kontext ist mit dem Pigou-Effekt die Existenz von Vollbeschäftigung nicht in jedem Fall gesichert. Gibt es nämlich nominell fixierte Forderungen bzw. Verbindlichkeiten zwischen den Akteuren, so entstehen durch ein niedrigeres Preisniveau Verteilungseffekte - Gläubiger gewinnen zulasten von Schuldnern. Mit ungleichen Konsumneigungen kann dies den Pigou-Effekt auf die Gesamtnachfrage kompensieren (Patinkin 1951, 15). Einen Extremfall stellt die Möglichkeit des Bankrotts dar, durch den Finanzvermögen vernichtet wird und der damit ebenfalls einer Nachfrageerhöhung entgegenwirkt (ib., 15f.). 14 Abgesehen von den Verteilungs- und Bankrotteffekten kann sich der Pigou-Effekt nur auf jenen Teil der privaten Kassenhaltung stützen, dem als Forderung nicht eine Verbindlichkeit des privaten Sektors entgegensteht (d.h. auf Zentralbankgeld, nicht auf Giralgeld). Dieser Einwand, der vor allem die praktische Wirksamkeit dieses Effekts beschränkt, geht auf Kalecki (I 943) zurück; er wurde später in der Unterscheidung von Außen- und Innengeld wieder aufgenommen. 15 Die zentrale Frage besteht jedoch nicht in der Existenz eines temporären Gleichgewichts mit Vollbeschäftigung, sondern im dynamischen Aspekt: Kann dieses Gleichgewicht durch Lohnsenkungen erreicht werden bzw. wie rasch? (Patinkin 1951, 2Iff.) Keynessche Wirtschaftspolitik wäre demnach durch Skepsis ge12 Vgl. die letzte Auseinandenetzung zwischen Hicks (1957) und Patinkin (1969). 13 Daher wird dieses keyneeianiache Modell von manchen Autoren als Karikatur der Keynesschen Ökonomie angesehen; vgl. Leijonhufvud (1969), Clower (1975) und Howitt (1986a). 14 Der Bankrotteffekt einer Deflation bildet bereite bei Fisher (1933) eine Unache von Depressionen; vgl. neuerdings Leijonhufvud (1973), Tobin (1980a) und Minsky (1982). 16 Vgl. hiezu Patinkin (1972a, eh. 9).
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6. Theorien der Geldwirtschaft nach Hayek und Keynee
genüber den Stabilitätseigenschaften eines Laissez-Faire-Systems zu begründen. Denn der Wiederherstellung von Vollbeschäftigung durch Deflation wirken neben den erwähnten Verteilungs- und Bankrotteffekten auch die Möglichkeit einer Zunahme von Unsicherheit bzw. die Erwartung einer fortdauernden Deflation entgegen. Erstere kann (auch ohne Liquiditätsfalle) ein Sinken des Zinssatzes trotz gestiegener Realkasse verhindern, letztere senkt die erwartete Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (Patinkin 19517 22f.). 16 Dies stellt einen intertemporalen Substitutionseffekt dar , 1 der den Vermögenseffekt der erhöhten Realkasse (über- )kompensieren kann. Die (rasche) Konvergenz zu Vollbeschäftigung mittels einer Deflation hält Patinkin daher für zweifelhaft, Unterbeschäftigung demnach zwar nicht für ein Phänomen des Gleichgewichts, wohl aber eines lang anhaltenden Ungleichgewichts (vgl. Patinkin 1951, 28f.; 1965, eh. 13; 1976, 113f.). Mit dieser dynamischen Betrachtung zerstört Patinkin die in Modiglianis Ansatz enthaltene Symmetriethese, wonach Unterbeschäftigung die Folge einer zu niedrigen realen (d.h. in Lohneinheiten gemessenen) Geldmenge ist - ein Defekt, der gleichermaßen durch eine Erhöhung der Geldmenge wie durch Lohnsenkungen zu beheben sei. In diesem Sinne bestehe gemäß der Symmetriethese zwischen Lohn- und Geldstandard 18 Indifferenz. Die Keynessche GT behauptet dagegen, durch Veränderungen der Geldmenge könnten die negativen Erwartungs- und Bankrotterfekte von Lohnsenkungen vermieden werden; obwohl das gleiche temporäre Gleichgewicht resultieren mag, besteht eine den Lohnstandard begünstigende Asymmetrie der dynamischen Anpassung.19 Anderseits wird von Patinkin zwischen den Formen der Geldpolitik (auf die "Government-budget-restraint"-Literatur vorausweisend) differenziert. Der klassische Typus der Geldpolitik, die 16 Alle diese Einwinde find4!n eich b4!r4!ite in d4!r GT; siehe ob4!n 4.6. 17 Nach Grandmont (1983, 19); mit statiechen Pr4!iserwartungen verachwindet der Effekt. 18 Ein Lohnstandard b4!&eichnet nach Ricke (1974, 69f.) di4! Situation 4!inea feet4!n Geldlohnes und einer variabl4!n (von der G4!ldpolitik 1eateuerten) Geldmenge; um,ekehrt wird b4!i einem Geldetandard die G4!ldm4!nC4! featcehalt4!n, soda8 etwaige Anpassungen üb4!r einen flexibl4!n Geldlohn erfolcen mü11en. Du b4!kannteate Beiapiel ein4!1 Geldstandards ist Friedmana "k%-Recel" (Friedman 1969). 19 Siehe hie&u auch Hahn (1977, 186). Charakterietiacherweiee ceht die N4!ue Klassische Ökonomie wieder von ein4!r Symmetriethese aus; vcl. &.B. Fethke/ Policano (1981).
6.1 Die neoklaaaiache Syntheae
231
Offen-Markt-Politik, mag immerhin als Ergänzung eines LaissezFaire-Systems eingesetzt werden (Patinkin 1951, 28ff.) - sie ist aber nicht imstande, eine dem Pigou-Effekt analoge Wirkung zu erzielen, da kein realer Vermögenszuwachs entsteht, sondern nur Vermögenskomponenten ausgetauscht werden. Insofern kann ihre Nachfragewirkung sogar hinter der einer Deflation zurückbleiben. Die für einen Lohnstandard relevante Geldpolitik muß jedenfalls darin bestehen, die Geldmenge direkt (durch Transfers oder Staatsausgaben) zu erhöhen - damit handelt es sich aber in einem strengen Sinne bereits um eine Kombination von Geld- und Fiskalpolitik, nämlich um ein geldfinanziertes Budgetdefizit. Mit Patinkins magnum opus (Patinkin 1965) wurde eine erste Phase der neoklassischen Synthese abgeschlossen; die nachfolgende war nicht mehr von der Rekonstruktion der Keynesschen Ökonomie, sondern von deren Auseinandersetzung mit der monetaristischen Gegenrevolution geprägt (vgl. Johnson 1971 sowie Friedman 1956, 1968, 1970, 1971 ). Signifikanterweise verlor im Rahmen der Monetarismus-Kontroverse die komplexere KeynesInterpretation von Patinkin wieder an Bedeutung und wurde durch den Rückgriff auf das Festlohn-Modell verdrängt (vgl. Patinkin 1972b vs. Friedman 1972). Ebenso verlagerte sich mit der Formalisierung der Lohn- und Preisanpassung in Form der sog. Phillips-Kurve 20 das dynamische Problem auf eine andere Ebene. Es ging nun nicht mehr darum, ob Lohnanpassungen (für gegebene Nachfragefaktoren) Vollbeschäftigung wiederherstellen können oder kumulative Inflations- bzw. Deflationsprozesse auslösen, sondern um die Möglichkeit, durch systematische (nachfrageunterstützte) Inflation eine Beschäftigungsausweitung herbeizuführen. Diese Reformulierung begünstigte die (Neutralitäts-) Argumente der klassisch-monetaristischen Tradition: Sie erleichterte es, auf die theoretische Schwäche des von Keynes favorisierten Lohnstandards zu verweisen, insofern als hinter der angenommenen Starrheit der Geldlöhne keine befriedigende Theorie der Lohnbildung steht, die Schranken für die Wirksamkeit bzw. Erwünschtheit expansiver Nachfragesteuerung angibt; anderseits verdeckt die Phillips-Kurven-Formulierung die Frage nach der Stabilität des vom Monetarismus angestrebten Geldstandards.
20 Ale Oberblick vgl. Santomero/Seater (1978).
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6. Theorien der Geldwirbehalt nach Hayek und Keynes
5.1.2 Allgemeines Wettbewerbsgleichgewicht und die Rekonstruktion der klassischen Ökonomie Parallel zur Rekonstruktion der Keynesschen Ökonomie war auch die allgemeine Gleichgewichtstheorie selbst weiterentwickelt worden. Im Mittelpunkt standen dabei die Fragen der Existenz bzw. der Effizienzeigenschaften des Gleichgewichts. 21 Die frühen Untersuchungen von Walras, Pareto und Cassel hatten zu Ergebnissen mit bloßem Vermutungscharakter (selbst auf der logischen Ebene) geführt: Bezüglich der Frage der Lösbarkeit eines Systems von Gleichgewichtsbedingungen begnügte man sich mit dem Abzählen von Gleichungen und Variablen - unter Berücksichtigung der linearen Abhängigkeit der Übernachfragefunktionen aufgrund des Walrassehen Gesetzes schienen die Preise bis auf die Festlegung einer Recheneinheit bestimmt. Dieses "Abzähl-Kriterium" ist aber nicht hinreichend für die Existenz einer Lösung, zudem verlangt eine ökonomisch sinnvolle Interpretation den Ausschluß negativer Preise bzw. die Berücksichtigung freier Güter. 22 Als weiteren Schritt galt es sodann, das Konzept von einem Marktauf ein Wettbewerbsgleichgewicht auszuweiten, d.h. die Übernachfragefunktionen aus einem entscheidungstheoretischen Kalkül von Haushalten und Unternehmen (unter der Voraussetzung vollkommener Konkurrenz) abzuleiten. In analoger Weise war auch Paretos wohlfahrtstheoretische Untersuchung von Optimalitätseigenschaften des Gleichgewichts ergänzungsbedürftig, da sie sich bloß mit der Erfüllung von Marginalbedingungen befaßte. In beiden Bereichen kam es in den 50er-Jahren mit den Arbeiten von Arrow und Debreu zu einem Durchbruch. 23 Zuerst wurde die Beziehung zwischen Wettbewerbsgleichgewicht und ParetaOptimum durch die Ableitung der beiden Hauptsätze der Wohlfahrtsökonomie geklärt: Demnach ist ein Wettbewerbsgleichgewicht pareto-effizient24 bzw. kann umgekehrt eine pareto-effi21 Zur Geschichte der allgemeinen Gleichgewichtstheorie vgl. Arrow/Hahn (1971, eh. 1), Hildenbrand (1983) und E. Weintraub (1985). 22 An dieser Reformulierung b&w. an enten Exiatensbeweisen waren in den 30erJahren Österreichische Ökonomen bsw. Mathematiker (aber nicht Ökonomen der Österreichischen Schule) prominent beteiligt; vgl. E. Weintraub (1986, 62ff.) . Ober deren Emigration b&w. deren Beitrag r.ur mathematischen Ökonomie in den USA berichten Craver (1986) und Craver/Leijonhufvud (1987). 23 Zur gleichen Zeit erbrachte auch McKen&ie (1954) einen Existen&beweis für das Gleichgewicht einer linearen Ökonomie; vgl. E . Weintraub (1986, 97ff.). 24 Unter anderem mu.B die Abwesenheit externer Effekte vorauageset&t werden.
6.1 Die neoklaaaieche Synthese
233
ziente Allokation durch ein Wettbewerbsgleichgewicht (wenn es existiert) realisiert werden (vgl. Debreu 1951 und Arrow 1952). Wenig später wurde in Form eines Existenzbeweises ein StandardSet von Voraussetzungen 26 für die Existenz eines Wettbewerbsgleichgewichtes bestimmt (vgl. Arrow/Debreu 1954). Im Kontext der vorliegenden Untersuchung interessieren vorrangig die Interpretationsmöglichkeiten dieser Ergebnisse. 26 Das obige Modell des allgemeinen Gleichgewichts geht von eindeutig abgrenzbaren Gütern und der Existenz von Märkten für diese aus. Die Güter können u.a. nach Ort und Zeit differenziert werden. Soll demnach ein solches Gleichgewicht als intertemporal interpretiert werden, so bedingt dies die Vollständigkeit der Märkte, d.h. die Existenz aller Zukunftsmärkte. Auf diesen werden bereits in der Gegenwart alle künftigen Aktivitäten von Haushalten und Unternehmen koordiniert. Die jeweiligen Preise zeigen die (intertemporalen) Austauschraten als Knappheitsindikatoren an, die für intertemporales Gleichgewicht erforderlichen Arbitragebedingungen werden durch Transaktionen auf den bestehenden Märkten erfüllt. Dieses Analyseschema kann auf den Fall des Risikos ausgedehnt werden, indem die Güter zusätzlich nach den jeweiligen Zuständen der Welt (z.B. "Regen" oder "Sonnenschein") differenziert werden. Vollständigkeit solcher kontingenter Märkte heißt, daß den Akteuren alle Versicherungsmöglichkeiten offenstehen, und garantiert die unbeschränkte Effizienz des entsprechenden Gleichgewichts. Ein formal identisches Modell (nach Arrow 1964) läßt eine alternative Interpretation zu. In dieser Version wird nicht die Existenz aller Zukunftsmärkte vorausgesetzt, sondern nur einer ausreichenden Anzahl von Anleihemärkten ("Arrow-securities"), sodaß jeder beliebige Transfer von Kaufkraft zwischen Zeit-Ereignis-Kombinationen ermöglicht wird. Formal ausgedrückt verlangt dies so viele Märkte als nötig, um den Güterraum vollständig "aufzuspannen". Nun kann das gleiche allokative Ergebnis realisiert werden wie mit vollständigen Märkten. Allerdings ist zu beachten, daß die Information über die relativen Güterpreise in 26 Die wichtigaten ("Wohlverhaltena-")Annahmen betreffen u.a. die Konvexität von Präferenun und Technologie, die Existenz einee von der Auaetattung dominierten Konsumvektors und die (indirekte) Renourcenverbundenheit der Hauehalte (vgl. Arrow/Hahn 1971, 69ff., 77ff. und 117f.). 26 Vgl. hiuu Arrow/Hahn (1971, 122ff.) und Mildenbrand (1982) . - Im folgenden eteht für" Arrow-Debreu-" kurz" AD-"Gleichgewicht.
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6. Theorien der Geldwirtachaft nach Hayek und Keynea
den künftigen Zeit-Ereignis-Kombinationen nicht mehr von aktiven Märkten stammt, sondern dieses Wissen allen Akteuren im vorhinein unterstellt werden muß. Diese besitzen somit, selbst wenn ihre Vermutungen über die Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmter Zustände der Welt differieren, rationale Erwartungen in dem Sinne, daß sie jedem Zustand der Welt den entsprechenden Gleichgewichtspreisvektor zuordnen können 27 - bei Sicherheit entspricht das der Annahme perfekter Voraussicht. Diese letztere Rekonstruktion ist für unsere Zwecke von besonderer Bedeutung: Ein Rückblick auf die von Hayek und Koopmans gelieferte Charakterisierung des intertemporalen Gleichgewichts einer idealtypischen Tauschwirtschaft erhellt, daß Arrows Modell einer formalen Darstellung dieser Wirtschaft so nahe kommt wie nur möglich. 28 Dies gilt jedenfalls für die Version der perfekten Voraussicht. Hayek hat selbst auf die Notwendigkeit dieser Annahme hingewiesen (Hayek 1928, 39 und 48), ebenso hat er Güter neben ihren physischen Charakteristika nach Ort und Zeit unterschieden (ib., 36). Koopmans wiederum verweist auf die Effizienzeigenschaften des betreffenden Gleichgewichts (Koopmans 1933, 230), welche auch Arrows Version besitzt, sowie auf die postulierte Absenz von Friktionen (ib., 229f.), worunter die Gültigkeit von "Wohlverhaltens"-Annahmen verstanden werden kann. Schließlich rechnet Hayek die Rekonstruktion der Bedingungen der idealtypischen Wirtschaft zu den Agenden zukünftiger Forschung (Hayek 1933b, 659) - im nachhinein muß die Intuition erstaunen, mit der er entscheidende Bedingungen erfaßt hat. Gleichwohl lenkt die überraschende Übereinstimmung den Blick auf die Schwächen der Konstruktion. Denn die von Hayek für das Gleichgewichtskonzept als problematisch erkannten Phänomene, Geld und (private) Information, finden auch in dieser Version des allgemeinen Gleichgewichts keine Berücksichtigung. Zum einen bezieht sich das Modell nicht auf eine Geldwirtschaft; die sog. Anleihen sind in der Gegenwart gehandelte Ansprüche auf ein Standardgut in einer künftigen Zeit-Ereignis-Kombination, sie erfüllen keine Geldfunktion, sondern dienen bloß einem zentral vorzunehmenden Saldenausgleich (vgl. Nagatani 1975 und Arrow 1975). Zum anderen existiert kein Problem privater Infor27 Hildenbrand (1982, 20) beseichnet diesen Typus rationaler Erwartungen als "korrekte bedingte Preia-Prognoaen". 28 Zu dieser These vgl. Klaueinger {1986b).
6.1 Die neoldauiache Synthese
236
mation. 29 Doch ist die Voraussetzung genereller Information in Form rationaler Erwartungen kritisch genug. Denn während dieses Wissen im ursprünglichen AD-Modell noch aus der Koordination von Angebots- und Nachfrageplänen auf aktiven Märkten stammt, existieren diese als Instanzen der Informationsvermittlung in der letzteren Version nicht mehr. Während somit Hayeks Kritik (wie in Hayek 1945) darauf abzielt, die Kommunikation privater Information durch das Marktsystem zu berücksichtigen, liegt hier das Problem noch tiefer, weil es um die Kommunikation von Plänen geht, für welche die entsprechenden Märkte fehlen. Sofern diese Kommunikationsleistung in Zweifel steht, muß auch die Relevanz des Konzeptes des intertemporalen Gleichgewichts als fragwürdig gelten. Schließlich besagt Arrows Modell bloß, daß es eine Konstellation von Erwartungen bezüglich künftiger Preise gibt, die sich - wenn sie von allen Akteuren geteilt wird - im Zeitablauf erfüllt; d .h. in diesem Gleichgewichtsmodell ist das Konzept sich-selbst-erfüllender Erwartungen (im Gegensatz zu Mor\ensterns "Holmes-Moriarty-Paradoxon") nicht kontradiktorisch. 0 Wie es dazu kommt, daß sich gerade diese Konstellation von Erwartungen - ohne interpersonelle Kommunikation - in den Köpfen der Akteure herausbildet, bleibt offen. Es lohnt sich, nochmals darauf hinzuweisen, daß intertemporales Gleichgewicht bzw. ein entsprechender Gleichgewichtszinssatz ohne die kritische Voraussetzung vollkommener Voraussicht nicht wie bei Hayek als Referenzstandard für intertemporale Koordination fungieren kann - und daß Keynes' Begründung (GT, eh. 16) für das Vorherrschen intertemporaler Koordinationsmängel an der Nicht-Existenz von Zukunftsmärkten ansetzt. 5.1.3 Das Dilemma der neoklassischen Synthese Die vorangegangenen Abschnitte haben den Stand der keynesianischen Makroökonomie bzw. der allgemeinen Gleichgewichtstheorie nach drei Jahrzehnten des Keynesianismus (d.i. bis Patinkin 1965) rekapituliert. 29 Zur Berücklichtigung von Geld und privater Information in Modellen des allgemeinen Gleichgewichts siehe unten 6.3.2 und 6.3.3 . 30 So auch Arrow (1976, 487). Dies widerlegt den Einwand radikaler neo-österreichischer Subjektiviaten, ein solche• Gleichgewicht aei logisch unmöglich; siehe oben 3.3.6.
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5. Theorien der Geldwirtac:halt nach Hayek und Keynee
Auf den ersten Blick scheinen die Gemeinsamkeiten der beiden Theoriezweige durch die analoge formale Struktur gegeben - in beiden Fällen wird ein aus mehreren Märkten bestehendes Schema mit den Mitteln des Walrassehen Gleichgewichts analysiert. Wohl besteht ein Unterschied in der Strenge der mikroökonomischen Ableitung der den einzelnen Märkten zugrunde liegenden Verhaltensfunktionen und natürlich im Ausmaß der Aggregation, doch wurde dies auf den unterschiedlichen Rigorositätsanspruch bzw. Operationalisierungsgrad angewandter und reiner Theorie zurückgeführt, nicht auf Widersprüche im analytischen Ansatz. Diese Gemeinsamkeit wurde durch die zwanglose Übertragung formaler Einsichten aus der allgemeinen Gleichgewichtstheorie auf makroökonomische Modelle betont. So diente z.B. die Stabilitätsanalyse aus Samuelsons "Foundations" (1947) zum Vorbild für die makroökonomische Formulierung von Preisflexibilität (bei Patinkin 1965, 38ff. und 429ff.). Patinkin (1949, 1965) und Hahn (1955) verwendeten ebenfalls Theoreme der Gleichgewichtstheorie zur Widerlegung sowohl von Modiglianis Version des klassischen Modells als auch der durch die Liquiditätsfalle behauEteten Nicht-Existenz eines Gleichgewichts bei Vollbeschäftigung. 1 Die inhärenten Schwächen einer Anwendung des Instrumentariums des AD-Gleichgewichts 32 zur Untersuchung Keynesscher Probleme wurden kaum beachtet. So wurde die Existenz einer Vollbeschäftigungslösung für ein Makro-Modell mit flexiblen Preisen (im Sinne des Pigou-Theorems) bloß mit Plausibilitätsargumenten begründet, aber nicht rigoros nachgewiesen - dies moniert bereits Morgenstern (1941) in einer Rezension von Hicks' "Value and Capital", später Hahn (1965) gegenüber dem temporären Gleichgewicht von Patinkin ( 1965). Als fundamental erscheint hiebei der Irrtum, Ergebnisse des allgemeinen Gleichgewichts unreflektiert auf Problembereiche zu übertragen, in welchen die kritischen Annahmen für (z.B. AD- )Gleichgewicht nicht erfüllt sind.33 Denn das Makro-Modell der neoklassischen Synthese bezieht sich auf eine Wirtschaft mit unvollständigen Märkten, in der Geld existiert und die Unterbeschäftigung im Sinne eines nicht geräumten Ar31 Am bündigsten fonnuliert durch Hahn (1977, 177): • ... 'exiatence' [ia] at riek only from diacontinuoue and not from oddly ahaped exceaa demand funetione .• 32 Auch hier iet darauf r;u verweisen, dall die mangelnde Eignung dee AD-Aneabee nicht die Ablehnung der Gleichgewichteanalyee an eich r;u implizieren braucht. 33 In dieser Hineicht ist die Kritik von r;.B. Clower (1976) und Davidaon (1977) wohl berechtigt .
6.1 Die neoklaaaische Synthese
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beitsmarktes zuläßt. Demgegenüber ist das AD-Modell weder für die Analyse temporären Gleichgewichts noch einer Geldwirtschaft geeignet, ebensowenig ist seine mikroökonomische Fundierung mit Nicht-Markträumung vereinbar. Die schließliehe Erkenntnis dieser Ungereimtheiten führte unter dem Stichwort der "Mikrofundierung der Makroökonomie" - zur Ausarbeitung komplexerer Versionen der allgemeinen Gleichgewichtstheorie, von denen man sich mehr Einsicht in jene Koordinationsprobleme erhoffte, die den Gegenstandsbereich der makroökonomischen Theorie bilden. Beispielhalber sind die Versuche der Erfassung von Transaktionen im Ungleichgewicht zu erwähnen, einerseits die Untersuchung von Spillover-Effekten durch Patinkin (I 965, eh. 13) und Clower (I 965), anderseits die von Phelps (1970b) angeregten Suchtheorien. Gleichzeitig trachtete man danach, Geld in einem System des allgemeinen Gleichgewichts zu begründen. Über den Erfolg dieser Versuche werden die folgenden Abschnitte referieren. Zuvor muß jedoch noch auf die verschiedenen Ansätze einer Synthese zwischen den beiden Theoriezweigen eingegangen werden. Wohl am bekanntesten ist jener von Samuelson, der auch die Bezeichnung "neoklassische Synthese" geprägt hat. Er schlägt als Hypothese vor, von einer Aufgabenteilung auszugehen, wonach (mit den kritischen Worten von Arrow 1967, 735): "... it is held that achievement of full employment requires Keynesian intervention but that neoclassical theory is valid when full employment is reached." 34 Diese Vermutung hätte jedoch zu klären, wodurch das allgemeinere Keynessche Modell von dem spezielleren der klassischen Ökonomie abweicht und unter welchen besonderen Voraussetzungen die Reaktionen der beiden Modelle zusammenfallen. Mit dem Überhandnehmen des Festlohn-Modells als Paradigma keynesianischer Ökonomie - wie erwähnt handelt es sich hiebei schon um ein Ergebnis der monetaristischen Gegenrevolution - entstand eine "handfestere" Version dieser Synthese, "... according to which general equilibrium theory describes long-run trends, Keynesian theory describes short-run fluctuations, and a Phillips-curve, possibly augmented by mechanically formed expectations, describes the transition between the two runs" (Howitt 1986b, 103). Demgemäß wird zwischen kurz- und langfristig gültigen Aussagen unterschieden und die kurzfristige Abweichung 34 Eine ähnliche These vertritt auch Keynee in der GT (3) .
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6. Theorien der GeldwirtachaCt nach Hayek und Keynea
von den klassischen Ergebnissen der langen Frist auf die Existenz von Friktionen - seien es starre Löhne, seien es exogene lnflationserwartungen36 - zurückgeführt, die im Zeitablauf verschwinden. Langfristig würde Vollbeschäftigung mit flexiblen Preisen bzw. ein (stationäres) Gleichgewicht mit sich erfüllenden Erwartungen erreicht. Die grundlegende Problematik dieser Syntheseversuche besteht darin, daß sie trotz der oben aufgezeigten Inkonsistenz zwischen dem Gegenstandsbereich der keynesianischen Theorie und jenem des AD-Modells die (meist bloß postulierte) klassische Lösung für die lange Frist mit dem intertemporalen Gleichgewicht der idealtypischen Wettbewerbswirtschaft gleichsetzen. Besonders eklatant und paradigmatisch prägend geschieht dies in Friedmans Version des Monetarismus, in der Vollbeschäftigung mit der durch den Walrassehen Auktionator herbeigeführten Allokation identifiziert wird (vgl. Friedman 1968, 8; 1970, 219). 36 5.1.4 Der Wandel des Begriffes der Geldneutralität
Die Fragwürdigkeit der letzteren These ist - wie die theoriegeschichtlichen Ausführungen zu Hayeks Begriff des neutralen Geldes zu zeigen versucht haben - der präkeynesianischen Analyse wohl bewußt gewesen. Mit der Niederlage der klassischen Tradition gegenüber der Keynesianischen Revolution war dieses Thema von der wissenschaftlichen Agenda verschwunden und bezüglich des Vergleichs von Geld- und Tauschwirtschaft eine tabula rasa entstanden, die eine in dieser Hinsicht naive und mangelhafte Analyse begünstigte. Dies und die Versuche, die klassische Geldtheorie im Rahmen des neowalrasianischen Ansatzes zu rekonstruieren, werden im folgenden anband des Wandels des Begriffes der Geldneutralität behandelt. 37 In diesem Zusammenhang hat sich wiederum der Beitrag von Modigliani (1944) als Ausgangspunkt einer fruchtbaren Diskussion erwiesen. Dort war Neutralität durch die sog. "klassische Dichotomie" charakterisiert worden (ib., 216f.). Hiebei handelte es sich um einen behaupteten Spezialfall eines Makro-Modells, in dem 36 Vgl. im Rahmen der Phillips-Kurven-Diskussion Phelps (1967), Friedman (1968) sowie Gordon (1976). 36 Siehe unten 5.3.1; vgl. neuerdings ähnlich Kohn (1986). 37 Vgl. zur folgenden Begriffsgeschichte Klausinger (1989a).
6.1 Die neoldaaeiache Synthese
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die Quantitätstheorie in dem Sinne gilt, daß eine konsistente Trennung der Gleichgewichtsbedingungen des realen und des monetären Sektors möglich ist. Der reale Sektor bestimmt demnach für eine gegebene Geldmenge und unabhängig vom Preisniveau die realen Gleichgewichtswerte (Mengen und relative Preise); der monetäre Sektor bestimmt das Preisniveau über eine Kassenhaltungsgleichung. Im Laufe einer lang andauernden Kontroverse 38 wurde von Patinkin (u.a. 1949, 1965) die Ungültigkeit dieser Dichotomie nachgewiesen. Denn die postulierte Null-Homogenität der Übernachfragefunktionen des realen Sektors (bezüglich der absoluten Preise) widerspricht der Konsistenzrestriktion des Walrassehen Gesetzes. Gemäß der ersteren Behauptung kann der reale Sektor für ein beliebiges Preisniveau im Gleichgewicht sein, nach dem Walrassehen Gesetz muß dann auch Gleichgewicht für den monetären Sektor gelten - wodurch jedoch das Preisniveau unbestimmt bleiben würde (vgl. Patinkin 1949, Hahn 1955). Patinkin (1949, 144f.) löste diese Inkonsistenz des dichotomisierten Systems, indem er (analog dem diskutierten Pigou-Effekt) einen Realkasseneffekt in den Übernachfragefunktionen berücksichtigte - die Homogenitätseigenschaft gilt (gegenüber den Geldpreisen und der Geldmenge) weiter, die Dichotomie des Systems ist freilich beseitigt. Daher mußte im Rahmen von Patinkins Kritik eine andere Definition von Neutralität gefunden werden. Dieses bis heute akzeptierte Kriterium bezieht sich nun nicht mehr auf das Gleichgewicht selbst, sondern auf die komparativ-statische Invarianz von dessen realen Charakteristika gegenüber Änderungen der Geldmenge (z.B. Patinkin 1949, 142ff.; 1965, 72ff.). Durch die oben postulierten Homogenitätseigenschaften ist diese Invarianz nicht gesichert, es müssen zusätzlich noch Verteilungseffekte (entweder durch die Annahme identischer Individuen oder durch die proportionale Verteilung zusätzlicher Kasse) ausgeschaltet und allenfalls existierende nominell fixierte "outside assets" ebenfalls proportional vermehrt werden; im Kontext eines temporären Gleichgewichts sind außerdem statische Preiserwartungen notwendig.39 Wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, dann entspricht das Neutralitätsexperiment im wesentlichen einer bloßen S8 Für einen Überblick vgl. Mauer {1966) . 39 Vgl. hiesu Gale {1982, 7ff.) und Grandmont
(1983, 38ff.).
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6. Theorien der Geldwiriachaft nach Hayek und Keynes
Änderung der Recheneinheit, sodaß Neutralität mit der Abwesenheit von Geldillusion gleichzusetzen ist. 40 (Das legt natürlich die monetaristische Replik nahe: Wie kann die Keynessche Ökonomie die Neutralität des Geldes bestreiten, wenn es nur um die Änderung der Recheneinheit geht? - Tatsächlich sind eben die für diese Gleichsetzung notwendigen Bedingungen für die wirkliche Geldpolitik niemals erfüllt!) Der von Patinkin gewählte Modellrahmen wurde in der anschließenden Diskussion als kurzfristig charakterisiert41 , da er von einer exogenen Verteilung der Kassenbestände ausgeht; in langfristiger Betrachtung stellt ein Umschichtungsprozeß für jeden Akteur die gewünschte (und daher endogene) Realkasse her. 42 Für ein solches langfristiges Gleichgewicht gilt (nach Archibald/Lipsey 1958) nicht bloß Patinkins Invarianzeigenschaft unabhängig von der Verteilung der zusätzlichen Geldmenge, vielmehr ist auch wieder eine konsistente Dichotomisierung möglich. Denn im langfristigen Gleichgewicht als einem stationären Zustand müssen per definitionem für jedes Individuum erwünschte und tatsächliche Kassenhaltung übereinstimmen. Hier trifft jedoch der entscheidende Einwand, nämlich daß die Gleichungen dieses dichotomisierten Systems keine Übernachfragefunktionen darstellen und daher die Situation außerhalb eines stationären Zustandes nicht zu beschreiben vermögen.43 Außerdem sind Stabilität und Eindeutigkeit des langfristigen Gleichgewichts außer in speziellen Fällen nicht gewährleistet (siehe Gale 1982, 20f.). In diesem Sinne ist Patinkins Dichotomie-Kritik nicht erschüttert worden. Eine weitere Eigenschaft eines geldwirtschaftlichen Gleichgewichts ist bemerkenswert. Friedman (1959, 71 ff.; 1969, I ff.) und
40 Vgl. neuerdings Lucas (1987, 82): " ... we would view any monetary modelthat did not have this neutrality property with the deepest suspicions, the way we would view a physical model that predicted different times for the earth to complete its orbit depending on whether distance is measured in m.ilea or kilometere." 41 Nach Nobay/Johnson (1977, 472) ist das präkeynesianische "monetäre Gleichgewicht" als ein Vorläufer kurzfristiger Neutralität ammeeben - hiefUr gibt ee m.E. keine Textbasia; siehe oben 2.2. 42 Analog .r;u Humes Theorem der natürlichen Verteilung des Währungsgoldee; demgemäll bezeichnet Grandmont (1983) den langfristigen Ansatr. als "klaeeisch", den kurzfristigen ale "neoklaeaisch". 43 Vgl. Patinkin (1972c) ve. Samuelaon (1972) ; nach Niehans (1979, 9ff.) gilt du dichotomisierte System für "caeh-compensated" Übernachfragefunktionen.
5.1 Die neoldaaaiache Synthese
241
Samuelson (I 968, 1969) verweisen als erste44 auf eine Ineffizienz einer Laissez-Faire-Geldwirtschaft, insofern als private und soziale Kosten der Schaffung von Realkasse voneinander abweichen. Für den einzelnen Akteur entsprechen die Opportunitätskosten der Realkasse dem entgangenen Zinsertrag alternativer Anlagen, gesamtwirtschaftlich sind diese Kosten null. (Denn man könnte das gleiche allokative Ergebnis mit einer höheren Realkasse durch proportionale Senkung aller Geldpreise erzielen - allerdings nicht als Wettbewerbsgleichgewicht.) Daher kommt es zu einer Abweichung von sozialen Erträgen (annahmegemäß gleich dem privaten Geldnutzen 45 ) und sozialen Kosten der Kassenhaltung - die gleichgewichtige Realkasse ist zu niedrig. Wendet man bekannte Theoreme der Wohlfahrtsökonomie an, so kann diese Ineffizienz durch Subventionierung der Kassenhaltung in der Höhe des Nominalzinses (die pauschal finanziert wird) wettgemacht und eine "optimale Geldmenge" (besser: Realkasse) realisiert werden. Ein Spezialfall einer solchen Politik ist eine Deflation mit der Rate des Realzinses, sodaß der Nominalzins (bzw. die benötigte Subvention) verschwindet (nach Friedman 1969). Falls dies die einzige Ineffizienz der betrachteten Geldwirtschaft (relativ zu einer AD- Wirtschaft) ist, so führt eine Politik der optimalen Geldmenge zu Allokation und Effizienz wie in der idealtypischen Tauschwirtschaft. 46 An dieser Stelle ist der Vergleich der o.a. Neutralitätskonzepte mit jenem Hayeks instruktiv. Ohne hier auf die logische Möglichkeit einer Wirtschaft mit neutralem Geld (in Hayeks Sinne) einzugehen, ist vorweg festzustellen, daß erstens hiefür eine Politik der optimalen Geldmenge eine notwendige Voraussetzung
44 Wiederum iat entgegen NobayfJohneon (1977, 475) festcuhalten, daß die Diakuaeion um den monetären Standard in den 30er-Jahren (siehe oben 3.1.5) keineswegs als Vorwegnahme eines Konzepte der optimalen Geldmenge angesehen werden kann. 45 Diese Annahme ist nicht-trivial, wie daa oben (2.1.1) erwähnte Wiekseiische Paradoxon des Hortene zeigt. 46 Zu beachten ist hiebei u.a., daß ein Liquiditätsouteen des Geldes vorauegesetzt wird, wonach Geld und Kapital nicht (wie in anderen Modellen) perfekte Substitute aind; weiten müssen privater und aocialer Geldnut&en cueammenfallen und muß der Geldnutzen bei einer endlichen Realkaaae gesättigt werden. Außerdem stellt ein Gleichgewicht mit optimaler Geldmenge eine Lösung "auf des Messen Schneide" dar, da bei einer bloß marginal überhöhten Subvention niemand mehr bereit wäre, Realkapital &u halten. Im übrigen setzt daa Theorem perfekte Voraueeicht voraus. Vgl. hiesu u.a. Hahn (1971b) und Niehans (1979, 93ff.).
242
6. Theorien der Geldwirbehalt nach Hayek und Keynes
darstellt. 47 Durch die Einführung von Geld in eine Tauschwirtschaft und dessen optimale Subventionierung könnte das AD-Ergebnis wiederhergestellt werden. Vorderhand bleibt offen, für welche gelderzeugende Friktion bzw. welchen Typ einer Geldbegründung dies zutreffen mag. Zweitens sind beide Neutralitätskonzepte der neoklassischen Synthese, Neutralität als Dichotomie bzw. als Invarianz, offenbar schwächer als das Hayeksche Kriterium. Selbst in einem langfristigen Gleichgewicht kann z.B. die o.a. Ineffizienz weiterbestehen und die Allokation der Geldwirtschaft vom AD-Ergebnis abweichen. Dieses langfristige Gleichgewicht kann daher nicht ohne weiteres mit intertemporalem Gleichgewicht identifiziert werden. Ein Programm, die monetäre Theorie als Stabilitätstheorie des allgemeinen (AD- )Gleichgewichts zu rekonstituieren (Kohn 1986, 1221), setzt somit gerade voraus, was zu beweisen wäre, nämlich die Existenz von intertemporalem Gleichgewicht in einer Geldwirtschaft. Noch schwächer ist das Invarianzkriterium, das über die realen Charakteristika des Gleichgewichts überhaupt nichts aussagt. Hier wird der Vergleich mit einer geldlosen Wirtschaft als Grenzwert einer Geldwirtschaft, deren nominelle Geldmenge gegen null konvergiert, sinnlos. 48 Mit Samuelson ( 1968, 531) sind hiebei ein qualitativer und ein quantitativer Aspekt der Geldneutralität zu unterscheiden - die Einführung von Geld mag die Wohlfahrt gegenüber einer unvollkommenen Tauschwirtschaft steigern, von der Geldmenge ist diese Wirkung jedoch unabhängig. Keines der neueren Kriterien sagt aber etwas darüber aus, inwieweit die Unvollkommenheit einer Tauschwirtschaft hiedurch völlig beseitigt werden kann. Drittens ist auch in diesem Kontext die Aussage zu bestätigen, daß die Bedingung des neutralen Geldes keinen eindeutigen Preisniveaupfad festlegt; jeder Pfad, der perfekt vorausgesehen wird und an den sich die Akteure vollständig angepaßt haben (inklusive einer optimalen Kassenhaltung), ist zulässig. Die Ineffizienz einer durch Inflation hervorgerufenen, zu geringen realen Kassenhaltung könnte durch eine jeweils optimale Subvention
47 Unter den in der vorigen Fußnote angeführten Einschrlnkungen. Vgl. sum Zusammenhang von Neutralität und optimaler Geldmenge auch Riete (1986, 109). 48 Vgl. 1u dieaem Vorschlag von Patinkin (1966, 76) kritisch Wonnacott (1968) und Lub (1969).
6.1 Die neoldauiache Syntheae
243
beseitigt - und dadurch "Super-Neutralität"49 herbeigeführt werden. Zuletzt besteht ein ausschlaggebender Unterschied darin, wie zusätzliches Geld in die Wirtschaft gelangt. Bei Hayek wird, der Wiekseilsehen Tradition folgend, Geld in Form von Kredit geschöpft, indem die Banken eine Übernachfrage nach Darlehen zu unverändertem Zinssatz durch zusätzlichen Geldumlauf erfüllen. Das Einströmen von Geld geht direkt mit einer Störung der gleichgewichtigen Preisstruktur einher, da die Geldmengenerhöhung unmittelbar auf einem Markt (dem Kreditmarkt) als Angebotserhöhung wirksam wird. Anders im Analyserahmen der neoklassischen Synthese: Deren Neutralitätsexperimente werden unter der Voraussetzung vollzogen, daß Geld als pauschaler Transfer (wie von einem Hubschrauber verstreut, vgl. Friedman 1969) verteilt wird. Hiedurch werden die bei Hayek geradezu notwendig nicht-neutralen (Verteilungs- )Effekte der Geldschöpfung zu einem Problem von sekundärer Bedeutung. Daher ist für Hayek das Konstanthalten der Geldmenge eine Voraussetzung für Neutralität (siehe Hayek 1933b, 661 ), während demgegenüber für den nun üblichen Begriff Neutralität in der Invarianz gegenüber Geldmengenänderungen besteht. 50
Der Wandel des Neutralitätsbegriffes in der neoklassischen Synthese hatte zur Folge, daß der Vergleich von Geldwirtschaft und Tauschwirtschaft (bzw. deren Gleichsetzung in monetaristischen Ansätzen) kaum problematisiert wurde. Eine Ausnahme bildete die Wachstumstheorie, wo Wohlfahrtseffekte der Einführung von Geld ausdrücklich diskutiert worden sind - allerdings in Unkenntnis der Vorgeschichte dieses Problems und (daher) mit paradoxen Schlußfolgerungen. Kontrovers war hiebei die Frage nach der Wohlfahrtswirkung (bezogen auf einen repräsentativen Akteur) der Einführung von Geld in ein Modell der wachsenden Wirtschaft. Nach Tobin (1967, 71) verringert die Einführung von Geld die Wohlfahrt, da es als Wertaufbewahrungsmittel ein Substitut für Realkapital darstellt und somit eine Geldwirtschaft eine niedrigere Kapitalaus49 Streng genommen beaieht aich Super-Neutralität auf die Invarian& Jegenüber untenchiedlichen Geldmengenwachatumaraten. 60 Aua diesem Untenchied allein iat der Begriffawandel ableitbar; ea ist daher umeo eigenartiger, daß (neo-öaterreichiache) Hayek-Kommentatoren deaaen Neutralitäbkonaept mit jenem von Patinkin gleichaeben; aiehe &.B. O'Driacoll (1977, SOff.) und Scheide (1986, 679 und 689).
244
6. Theorien der Geldwirbchan nach Hayek und Keyne•
stattung per capita aufweisen wird. Dagegen ist nach Patinkin/Levhari (1968) der Nutzen der Kassenhaltung mitzuberücksichtigen: Neben dem (Tobin- )Effekt auf Kapitalintensität und Konsum ist der Liquiditätsnutzen als eine Ursache von Wohlfahrt, die in der Tauschwirtschaft nicht existiert, zu beachten. Auf diese Weise ist der Schluß möglich (ib., 214), die Wohlfahrt einer Geldwirtschaft könne jene der Tauschwirtschaft übersteigen. 61 Für den beabsichtigten Vergleich ist zu klären, welche Eigenschaften der Tauschwirtschaft zugeschrieben werden bzw. welche Rolle Geld in der entsprechenden Geldwirtschaft spielt. In den orthodoxen Wachstumsmodellen (z.B. Solow 1956) wird dies nicht eigens spezifiziert, doch liegt es (auch durch die implizite Annahme perfekter Voraussicht) nahe, eine vollkommene Transaktionstechnologie62 vorauszusetzen und das Modell auf Arrows Version des intertemporalen Gleichgewichts zurückzuführen (siehe Hahn 1969, 195). Dies ist noch zwingender, wenn man ein Modell des optimalen Wachstums als Ausgangspunkt nimmt; dann folgt aus dem Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomie, daß der Zeitpfad als Wettbewerbsergebnis bei perfekter Voraussicht realisiert werden kann (siehe Lucas 1988, 9). - Geld kann daher in diese Modelle erst eingeführt werden, nachdem die Annahme einer perfekten Transaktionstechnologie aufgegeben worden ist, und im besten Falle die hiedurch entstehenden Friktionen wettmachen, d.h. die idealtypischen Ergebnisse wiederherstellen. Der Nutzen einer idealtypischen Tauschwirtschaft kann höchstens erreicht, niemals überschritten werden (entgegen Patinkin/ Levhari 1968). Unter den obigen Voraussetzungen ist für das Zustandekommen des AD-Ergebnisses in einer Geldwirtschaft wiederum die optimale Subvention der Kassenhaltung notwendig, welche die Ertragsraten von Geld und Kapital ausgleicht und die Wohlfahrtseffekte der Inflation eliminiert. Rekapitulierend ist daher ein Kardinalfehler der neoklassischen Synthese in der mangelnden Problematisierung, d.h. in der Leugnung der Widersprüche, einer scheinbaren Isomorphie zwischen den Ergebnissen der klassischen Makroökonomie und dem AD51 Analog kann in einer Geldwirbchan Inflation aowohl (durch den Tobin-Effekt) wohlfahrileteigernd ala auch (durch eine verringerte Ka..enhaltung) wohlfahrbmindemd wirken; vgl. hiuu Nagatani (1978, 24lff.) und Gale (1983, 84ff.). Beide Effekte aind nur fUr eine nicht-neutrale Geldwirtachaft relevant. 62 Dieaer Begriff wird unten (6 .2.1) näher erläutert.
6.2 Neuere Begründungen der Geldwirtschaft
246
Modell der Gleichgewichtstheorie zu sehen. Eine wesentliche Ursache hiefür stellt das Fehlen einer modellkonsistenten Begründung der Rolle des Geldes dar - insofern als die Existenz von Geld das Unterscheidungsmerkmal der beiden Theoriezweige ist. Solche Ansätze einer partial- und totalanalytischen Begründung der Geldwirtschaft sind Gegenstand des nächsten Abschnitts. 5.2 Neuere Begründungen der Geldwirtschaft 5.2.1 Geld in Modellen des allgemeinen Gleichgewichts Das vorige Kapitel hat als eine Schwachstelle der neoklassischen Synthese hervorgehoben, daß Geld im Rahmen des grundlegenden AD-Modells keinen Platz findet. 1 Die dafür verantwortlichen Voraussetzungen des AD- Modells sind: 2 - die Existenz vollständiger (kontingenter bzw. Zukunfts-) Märkte; - die Vollkommenheit der Transaktionstechnologie, d .h. weder die Organisation von Märkten, auf denen die Pläne der Anbieter und Nachfrager koordiniert werden, noch der nachfolgende tatsächliche Austausch von Gütern verursachen Kosten; 3 - die Zentralisation der Koordinationsleistung (wie sie durch das Tatonnement des fiktiven Auktionators symbolisiert wird) einerseits erfolgt hiedurch der Planausgleich für alle Märkte simultan und unter Beachtung ihrer Interdependenzen, anderseits wird zwischen der Plankoordination und der Realisierung der Transaktionen strikt getrennt, da die Güter erst getauscht werden, nachdem Plangleichgewicht (wie auf einem Auktionsmarkt) hergestellt worden ist.
l "The moat aerious challenge that the exiatence of money poses to the theoriat is that the beat developed model of the economy [the Arrow-Debreu veraion of a Walraaian general equilibrium) cannot find room for it." (Hahn 1982, l) 2 Alle dieae Vorauasetr.ungen ber;iehen sich auf Elemente der Interaktionsstruktur; siehe oben 3.3.4. 3 Der entere Aspekt wird im folgenden der Sphäre der "Koordination", der lehtere der Sphäre der "Transaktionatechnologie i.e.S." r;ugerechnet.
246
6. Theorien der Geldwirtschan nach Hayek und Keynee
Damit Geld in diesem Modell des allgerneinen Gleichgewichts eine Funktion zu erfüllen hat, müssen eine oder mehrere der kritischen Annahmen aufgegeben werden. 4 So kann an die Stelle vollständiger Märkte die Annahme vollkommener Voraussicht (bzw. rationaler Erwartungen) treten. Hiebei werden wie in der AD-Ökonornie die Angebots- bzw. Nachfragepläne von den Individuen bereits in der Gegenwart für alle Zukunft formuliert, aufgrund vollkommener Voraussicht sind die Pläne im Gleichgewicht miteinander kompatibel. Allerdings können nicht alle Pläne in der Gegenwart artikuliert (bzw. koordiniert) werden, da manche Märkte erst im Zeitablauf aktiv werden - es kommt somit zu einer sequentiellen Artikulation dieser Pläne. Für das oben erwähnte Beispiel einer Wirtschaft mit Arrow-securities kann trotzdem das AD-Ergebnis reproduziert werden; bei vollkommener Voraussicht benötigt man dazu soviele Anleihen wie künftige Zeitpunkte, bei rationalen Erwartungen ist dies um die Anzahl der jeweiligen Kontingenzen zu vervielfachen.
Existieren nicht alle für den intertemporalen Kaufkrafttransfer benötigten Märkte, so können nicht alle Pläne (bzw. Überschußnachfragen) auf Märkten ausgedrückt bzw. koordiniert und realisiert werden. Hier kann als eine zusätzliche Bedingung für die individuellen Pläne gefordert werden, daß die entsprechenden Budgetrestriktionen sich nun auf die jeweils geäußerten Pläne bzw. abzuwickelnden Transaktionen beziehen müssen, nicht auf ein bloß in den Köpfen der Akteure existierendes Angebot. Damit tritt an die Stelle der einen für den AD-Fall gültigen Verrnögensrestriktion, welche sich auf den gesamten Zeithorizont bezieht, eine Sequenz von Budgetrestriktionen für die jeweils zu einem Zeitpunkt aktiven Märkte. Je nach Konvention können sie den Wertausgleich der zu einem Zeitpunkt artikulierten Pläne (Zahlung bei Bestellung) oder der durchzuführenden Transaktionen (Zahlung bei Lieferung) verlangen. 6 In beiden Fällen gilt, daß das AD-Ergebnis und damit unbeschränkte Effizienz nicht erreicht wird, wenn eine dieser sequentiellen Budgetbeschränkun-
4 Zum folgenden vgl. Hahn (1982, eh. 1}, Gale (1982), Radner (1982) eowie Illing (1986). 6 Zum Konzept des allgemeinen Gleichgewicht• einer Sequenzökonomie vgl. Radner (1968, 1972) sowie Gale (1982, eh. 6).
6.2 Neuere Besründun,en der Geldwir·bchaft
247
gen bindend wirksam wird (d.h. einen positiven Schattenpreis aufweist). 6 Die vorausgesetzte Entstehung von Budgetsequenzen kann als Folge mangelnden Vertrauens zwischen den Tauschpartnern angesehen werden. 7 Die benötigten Märkte für künftige bzw. kontingente Güter existieren nicht bzw. nicht kostenlos, weil z.B. die Informationsstruktur private bzw. asymmetrische Information zuläßt. Dies führt zu den aus der Versicherungsökonomie bekannten Problemen der negativen Auslese bzw. des moralischen Risikos. Zukunftsmärkte, auf denen gegenwärtige gegen künftige Leistungen gehandelt werden, sind nicht kostenlos, da die tatsächliche Zahlungsbereitschaft bzw. -möglichkeit der Akteure in der Zukunft nicht ohne weiteres gewährleistet werden kann - es müssen Kosten der Information über die Charakteristika des Schuldners, der Formulierung von Rechtstiteln, deren Kontrolle und Durchsetzuns in Kauf genommen werden. 8 Analoges gilt für Versicherungsmärkte: Wenn z.B. die Ausstattung der Individuen vom Zustand der Welt abhängt, jedoch private Information des Betroffenen ist, die nur mit Kosten vom Versicherer nachgeprüft werden kann, so wird dies eine vollständige Versicherung und damit das Erreichen des AD-Ergebnisses unmöglich machen. 9 Die geschilderten Kosten werden im allgemeinen unter der Bezeichnung "Transaktionskosten" zusammengefaßt (siehe Niehans 1979, 62f.); sie sind Ausdruck einer Unvollkommenheit der Transaktionstechnologie. Deren Ursache liegt in den oben dargestellten Fällen in den Informationsannahmen begründet. Die skizzierte Sequenzökonomie liefert einen ersten Ansatz einer Geldbegründung. In dieser Wirtschaft kann ein Wertaufbewahrungsmittel - typischerweise als eine stoffwertlose Forderung gegen den Staat, als "outside asset" - eingeführt werden, das allenfalls (bei endlichem Zeithorizont) für die Erfüllung einer zu-
6 Du geläufigste Beispiel bindender sequentieller Restriktionen aufgrund eines unvollkommenen Kapitalmarktes bietet die Orientierung des Konsurna am laufenden Einkommen anstelle des Lebens- oder Dauereinkommena.
7 V1l. hiesu Gale (1982, 231ff.). 8 In diesem Sinne können solche Transaktionakoeten als Charakteristika von "named goods" (im Gegensat& &u "anonymoua gooda") angesehen werden; siehe Hahn (197la, 76). 9 Für einen Ansah von Geld als Versicherung vgl. Bewley (1980) und Illing (1986, Kap. 2) .
248
5. Theorien der Geldwirtschaft nach Hayek und Keynes
künftigen Zahlungsverpflichtung dienen kann. 10 Wird diese Forderung als Träger intertemporaler Kaufkraft akzeptiert 1\ so kann es zum intertemporalen Saldenausgleich verwendet werden und eventuell bindende Budgetsequenzen wiederum zur einzigen Vermögensrestriktion konsolidieren. Insbesondere ist bei geeigneter Verteilung der Forderungen auf die Akteure das Wiedererreichen des AD- Ergebnisses möglich (andernfalls ein Pareto-effizienter Zustand, der einer Umverteilung der Ausstattung entspricht). 12 Dieser Ansatz leistet eine Begründung für den Tauschwert einer intrinsisch wertlosen Anlage, z.B. eines reinen Zeichengeldes. Dessen Wert leitet sich dann daher, daß es einen sonst unzulässigen oder Transaktionskosten verursachenden Kaufkrafttransfer ermöglicht. 18 Die gegenwärtig beliebteste Formulierung einer Sequenzökonomie folgt dem sog. Modell der "overlapping generations" (OLG - nach Samuelson 1958, Wallace 1980). Die Unmöglichkeit unbeschränkter intertemporaler Transaktionen wird hier nicht durch asymmetrische Information oder mangelndes Vertrauen, sondern aus der physischen "Generationen-Friktion" erklärt: Die jeweils junge Generation verfügt über keine Marktpartner für ihr potentielles Sparangebot, mit denen sie Transaktionen für die Zukunft abschließen kann - die alte Generation erlebt die nächste Periode nicht mehr, die nachfolgende ist noch nicht geboren. Diese Friktion, die im allgemeinen kein unbeschränkt effizientes intertemporales Gleichgewicht zuläßt 14 , kann korrigiert werden, indem in der Ausgangsperiode die alte Generation mit einem Zeichengeld ausgestattet wird, das künftig von der jeweils jungen Generation als Gegenwert für Verkäufe an die alte akzeptiert wird. Diese Anlage ("Geld") erfüllt im Sinne eines Generationenvertrages eine (sozial-)versicherungsähnliche Funktion.15 10 Um bei endlichem Zeithorir;ont das Problem der Rückwärtsinduktion r;u vermeiden; siehe Hahn (1973, 117). 11 l.d.R. existiert stete auch ein nicht-monetäres Gleichgewicht, in dem Geld keine Kaufkraft err;ielt. 12 Siehe unten 5.2.4. 18 Im einfachsten Fall (vgl. Niehans 1979, eh. 2) als einr;iges Wertaufbewahrungsmittel in einer Wirtschaft mit verderblichen Gütern. 14 Da die oben (5.1.2) erwähnte Annahme der Ressourcenverbundenheit verlebt ist. 15 Im hier erwähnten Samuelson-Fall entsteht die lneffir;ienr; einer OLG-Wirtachaft ohne Geld aus der "Gegenwartslastigkeit" der Ausstattung. Auch der umgekehrte (klassische) Fall einer "Zukunftslastigkeit" ist denkbar; siehe Grandmont
6.2 Neuere Bep11ndun,en der Geldwirtachaft
249
5.1.2 Transaktionskosten und Geld als Tauschmittel Im folgenden sind die erwähnten Transaktionskosten näher zu charakterisieren bzw. ist ihr Zusammenhang zur Geldverwendung zu begründen. Der weiten Definition von Niehans (1979, 62f.) folgend, fallen u.a. die Kosten der Marktkommunikation (z.B. der Suche eines Tauschpartners), der Qualitätsprüfung von Gütern und der Vertragsdurchsetzuns unter dieses Konzept. Solche Kosten können als Folge unvollkommenen Vertrauens oder asymmetrischer Information entstehen; z.B. kann dies, wie oben gezeigt worden ist, dazu führen, daß die Forderung eines möglichst direkten Tausches (quid pro quo) an die Stelle eines multilateralen oder intertemporalen Saldenausgleiches tritt und damit zusätzliche, sequentielle Budgetbeschränkungen für das individuelle Verhalten schafft. In diesem Kontext kann es etwa dadurch zu Transaktionskosten kommen, daß im Falle des direkten (nur noch bilateralen) Tausches Suchkosten entstehen, da es nun zeitaufwendig ist, einen geeigneten Partner mit gegengleichen Tauschplänen zu finden. 16 Je spezifischer die zu tauschenden Güter bzw. je dünner der Markt, desto höher werden die Suchkosten sein (siehe Jones 1976, 761 ff.). Ein ähnliches Beispiel bieten Verifikationskosten, wenn die Qualität eines Gutes oder die Bonität eines Verpflichteten nachgeprüft werden müssen (vgl. Brunner/Meltzer 1971, King/Piosser 1985). Diese Kosten können eine Unvollkommenheit der Transaktionstechnologie anzeigen, die sowohl der Transaktionssphäre im engeren Sinne zugeordnet werden kann - sodaß die Kosten bei der Abwicklung von Transaktionen bei bereits vorgegebenen Gleichgewichtspreisen entstehen 17 -, als auch der Koordinationssphäre - sodaß die Artikulation von Nachfrageplänen Transaktionskosten verursacht und diese somit auch in die Bestimmung der Gleichgewichtspreise eingehen.18 Jedenfalls kann in der Situation einer unvollkommenen Transaktionstechnologie Geld als ein allgemeines Tauschmittel, das bei (1983, 97f.) . Zur Einführung von Geld als "outside liability" im Ietsteren Fall vgl. Bryant (1981). 16 Diee entspricht Jevona' bekannter Bedingung der "double coinc:idence of wanta". 17 Dieser Anaat& liegt den Arbeiten der Jones-Oatroy-Starr- Tradition zugrunde; vgl. als Überblick Hentachel (1976) . 18 Ein einfaches Modell hiefür bieten King/Plo88er (1986).
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6. Theorien der Geldwirtschaft nach Hayek und Keynes
jeder Transaktion Verwendung findet, eine Funktion erfüllen. Der direkte Tausch von Ware gegen Ware wird durch den indirekten Tausch von Ware gegen Geld gegen Ware ersetzt, wenn die Konstellation der Transaktionskosten gewährleistet, daß ein Gut (Tauschobjekt) existiert, bei dessen allgemeiner Verwendung Transaktionskosten gespart werden können. 19 Entscheidend für die Geldeigenschaft ist deren zirkulärer Charakter: Geld erfüllt die Funktion als Tauschmittel aufgrund seiner geringen Transaktionskosten; die Transaktionskosten sind gering, weil es die Geldfunktion erfüllt. In diesem Sinne machen nicht physische Eigenschaften ein Tauschobjekt zum Geld (z.B. klassische Eigenschaften wie Homogenität, Teilbarkeit, Haltbarkeit, Seltenheit etc.), sondern die auf selbsterfüllenden Erwartungen beruhenden niedrigen Transaktionskosten. 20 Jones (1976, 765ff.) verdeutlicht das am Beispiel von Suchkosten. Geht man von einer Situation aus, in der das Auffinden eines geeigneten Tauschpartners für alle Güter gleich wahrscheinlich ist, so bewirkt die Entscheidung eines Akteurs, eines von mehreren (möglicherweise physisch gleichbefähigten) Gütern als Tauschmittel zu akzeptieren, daß sich aus der Sicht der anderen Tauschpartner die Suchkosten für dieses Gut verringern. Damit steigt der Anreiz, diesem Beispiel zu folgen - je allgemeiner jedoch der Gebrauch als Tauschmittel wird, desto größer auch die Transaktionskostenersparnis durch die Verwendung dieses spezifischen Gutes als Geld. 21 In diesem Sinne kann Geld als eine soziale Institution angesehen werden. Nach Schotter ( 1981, 9f.) bedeutet das, daß in einer komplexen gesellschaftlichen Situation die individuellen Handlungsalternativen durch Konstellationen sich selbst erfüllender Erwartungen vorstrukturiert werden, von denen abzuweichen für keinen der Beteiligten lohnt. Es handelt sich um das Ergebnis eines Koordinationsspieles. 22 Ist ein Koordinationsgleichgewicht einmal erreicht, so weist die existierende Institution eine gewisse Trägheit auf, da für den einzelnen Akteur erst bei prohibitiven 19 Steht c .. für die Transaktionskosten eines Tausches von i gegen j, so muB c .. > ~ ~ c. + c . gelten, für alle i -:#: j -:#: m, wobei m für das Tauachmittel steht. Eine ihnIm mJ liehe Formulierung des Problems geht auf Wiekseil (11HS, 114ff.) zurück. 20 Siehe Jones {1976, 776). 21 Analoges gilt für Verifikationsko•ten z.B. aufgrund der Spezialisierung auf die Qualitätsprüfung eines bestimmten Gutes; siehe Brunner/Meltzer (1971, 786) . 22 Vgl. Schotter {1981, 36ff.); auf den gleichen Aapekt verweist der von Tobin {1980b, 86f.) gebrauchte Vergleich von Geld und Sprache.
6.2 Neuere Belrilndungen der Geldwirbehalt
261
Kosten (z.B. der Geldverwendung) die Aufgabe der institutionellen Regel optimal ist - hiedurch mag auch die erstaunliche Langlebigkeit monetärer Institutionen angesichts von Hyperinflation erklärt werden. An dieser Stelle ist ein kurzer Rückblick auf die Frage der Geldentstehung bzw. die sog. Geldwesenkontroverse lohnend. Der Tradition der Österreichischen Schule entspricht die These einer organischen Entstehung der sozialen Institution "Geld". 23 Sie gilt als Paradebeispiel einer Institution als Ergebnis (zielgerichteten) menschlichen Handelns, aber nicht Entwurfes24 , d.h. als eine spontane Ordnung. Die Sicht von Geld als soziale Institution legt auch eine Lösung für die alte Frage nach dem Wesen des Geldes, d.h. nach dem Ursprung des Geldwertes, nahe. Mögliche Antworten auf diese Frage bieten "Metallismus", "Konventionalismus" und "Chartalismus" (vgl. Schumpeter 1954, 288ff. und Stavenhagen 1969, 418ff.). Ersterer leitete den Geldwert aus dem Stoffwert des Geldobjekts, der zweite aus der sozialen Konvention der Annahme, letzterer - am bekanntesten Knapp ( 1905) - aus der staatlichen Dekretierung als Zahlungsmittel ab. Nach den vorhergehenden Überlegungen erweist sich der Metallismus als irrig, da selbst bei einem stoffwerthaltigen Geld dessen Tauschwert von seiner Tauschmittelfunktion mitbestimmt würde; ebenso greift die staatliche Theorie des Geldes zu kurz, da der Annahmebefehl allein die Geldfunktion für den allgemeinen Tauschverkehr nicht sicherzustellen vermag. Vielmehr entspricht die Sicht von Geld als sozialer Institution einer konventionalistischen Begründung des Geldes. Allerdings beschreibt diese bloß die Gleichgewichtsbedingungen eines Koordinationsspieles, ohne damit vorweg zu bestimmen, welchem Tauschobjekt in einer konkreten historischen Situation die Geldfunktion zufallen wird. 26
23 Zu organischen va. kollektiviatischen Theorien aor.ialer Institutionen vgl. Schotter (1981, Sff.); r.ur Österreichischen Sicht siehe Menger (1891) sowie neuerdinga Streiaaler (1973) und O'Driacoll (1986). 24 D.i. "the result of human action but not of human deaign" nach dem lchottischen Moralphilosophen F. Hutcheaon; vgl. Hayek (1969d) . 26 Hahn (1982, 28) verweist darauf, daß für das entsprechende Koordinationsspiel das Nash-Gleichgewicht i.d.R. nicht eindeutig ist.
252
5. Theorien der Geldwirtschaft nach Hayek und Keynea
5.2.3 Geldnachfrage und Liquidität
Die Begründung der Tauschmittelfunktion des Geldes erklärt nur dessen Verwendung beim Gütertausch, nicht aber seine Rolle als Wertaufbewahrungsmittel, d.h. eine systematische Haltung von Geld, wenn gleichzeitig zinstragende Anlagen als Alternativen existieren. Anders gewendet, begründet die vorangehende Analyse die Geldfunktion von Wertaufbewahrungsmitteln im allgemeinen, nicht aber die Auszeichnung einer bestimmten Anlage gegenüber anderen, z.B. als vollkommen liquide. Dies wird besonders in Modellen kritisch, für die die Tauschmittelfunktion im Hintergrund bleibt - für das Modell mit Arrow-securities oder das OLG-Modell ist Geld von einer vergleichbaren, eventuell zinstragenden Anlage (z.B. einer Staatsanleihe) nicht zu unterscheiden. Hiefür sind zwei Deutungen möglich: Kritiker solcher Modelle (z.B. Tobin 1980b) erblicken darin einen Mangel des Modells in der Charakterisierung von Geldwirtschaften - eben in der Vernachlässigung der Tauschmitteleigenschaft -, aus der Sicht der Neuen Klassischen Ökonomie26 handelt es sich dagegen um einen Hinweis darauf, daß in einer deregulierten Geldwirtschaft Geld keine besonderen Eigenschaften aufweist, die es von anderen Anlagen unterscheiden. Das angeführte Problem ist ursprünglich im Rahmen der Mikroökonomie der Keynesschen Geldnachfrage bzw. der Erklärung der Liquiditätsprämie behandelt worden, später auch im Zusammenhang mit dem Theorem der optimalen Geldmenge. Hier wird zunächst den Keynesschen Motiven zur Liquiditätspräferenz gefolgt, wobei darauf hinzuweisen sein wird, daß das Konzept der Transaktionskosten eine zentrale Stellung einnimmt. 27 Für die Ableitung einer Transaktionsnachfrage nach Geld ist der lagertheoretische Ansatz von Baumol (1952) und Tobin (1956) beispielhaft. Er geht davon aus, daß nicht nur zwischen Geld und Gütern, sondern auch gegenüber anderen Anlagen Transaktionskosten bestehen; dabei wird die Tauschmittelfunktion von Geld vorausgesetzt, daher müssen Anlagen erst gegen Geld getauscht werden, ehe sie für Gütertransaktionen in Frage kommen. Bei diesem Umtausch entstehen Transaktionskosten. Bei fixen Transaktionskasten wird die (Höhe der) Geldhaltung aus dem Abwägen 26
B~w.
der "New Monetary Econornics"; siehe hiuu unten 5.3.3.
27 Vgl. ~um folgenden u .a. die Überblicke in Nagatani (1978) und Niehans (1979).
6.2 Neuere Begründungen der Geldwirtschaft
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von Transaktionskosten gegenüber zeitabhängigen Zinserträgen entscheidungstheoretisch bestimmt. Bei proportionalen Transaktionskosten ist Geldhaltung nur bis zu jenem Zeitpunkt vorteilhaft, ab dem der Zinsertrag die Transaktionskosten übersteigt (vgl. Niehans 1979, 43ff.). Als Ergebnis kommt es bei fixen Transaktionskosten zu diskontinuierlichen Transaktionen zwischen Geld und Anlagen, bei proportionalen Kosten ab dem erwähnten kritischen Zeitpunkt zu kontinuierlichen Transaktionen. 28 Im übrigen kann der lagertheoretische Ansatz für den Fall erweitert werden, daß neben Geld und zinstragenden Anlagen Güterbestände gehalten werden (vgl. Feige/Parkin 1971 ). Kritisch ist zu diesem Ansatz zu erwähnen, daß für die Ableitung der Geldnachfrage eine Einkommensperiode fest vorgegeben ist. Sie repräsentiert die durch die Einführung eines Tauschmittels erst ermöglichte Desynchronisierung von Einnahmen und Ausgaben (vgl. Brunner /Meltzer 1971 oder Niehans 1979); diese gütermäßige Desynchronisierung entspricht dem von Geld bewirkten Schließen sequentieller Budgetbeschränkungen, z.B. jener des direkten Tausches. Das modelltheoretische Problem besteht allerdings darin, daß diese Beschränkungen selbst nur dann als exogen angenommen werden dürfen, wenn sie (wie die OLG-Friktion) physisch bedingt sind - für den m.E. überzeugenderen Fall einer ökonomischen Erklärung sequentieller Beschränkungen müßte auch das Ausmaß der Desynchronisation endogen erfaßt werden. Eine alternative Formulierung dieses Ansatzes (als Begründung einer Vorsichtskasse) erhält man, wenn nicht von fest vorgegebenen Zahlungsintervallen, sondern von stochastischen Einnahmenbzw. Ausgabenströmen ausgegangen wird ( vgl. Whalen 1966). Da die Finanzierung von Ausgaben durch den Verkauf von Wertpapieren - falls ein Kassendefizit vorliegt - wiederum Transaktionskosten verursacht, begründet dies trotz des entgangenen Zinsertrages die Haltung einer Vorsichtskasse. In diesem Rahmen, d.h. bei vorbestimmten bzw. exogenen Einnahmen und Ausgaben, übernimmt die Kassenhaltung eine Puffer-Funktion; unerwartete Einnahmen oder Ausgaben schlagen sich vorerst in Änderungen 28 An dieser Stelle ist anr.uführen, daß die in Modellen der neoklaasiachen Synthese (r..B. Patinkin 1966) übliche Formulierung, die Realkalle ala Argument der Nutr.enfunktion darr.uatellen, mit jener von Transaktionskostenersparnissen konsistent iat. Optimierung einer direkten Nutr;enfunktion unter der Bedingung einer Transaktionarestriktion iat äquivalent der Optimierung einer indirekten Nutr;enfunktion mit der Realkaaae als Argument. Allerdinga ergeben sich hieraus Restriktionen für die Vorr;eichen der Kreur;ableitungen der indirekten -Nutr.enfunktion. Vgl. hier;u Feenstra (1986).
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6. Theorien der Geldwirtschaft nach Hayek und Keynes
des Kassenbestandes nieder, bevor sie sich allenfalls auf andere Angebots- bzw. Nachfragepläne auswirken.29 Diese Puffer-Funktion folgt unmittelbar aus der Rolle von Geld als allgemeines Tauschmittel bzw. aus den dahinterstehenden Transaktionskostenvorteilen. Eine andere Variante der Vorsichtskasse wird nicht als Konsequenz unsicherer Zahlungsströme, sondern unsicherer Anlageerträge abgeleitet (vgl. Jones/Ostroy 1984). Auch hier wird von einem Transaktionskostenvorteil des Geldes ausgegangen, nämlich von geringeren Kosten des Umstieges in eine andere Anlageform ("switching costs") für Geld als für alternative Anlagen. Das gibt Geld wiederum die Eigenschaft höchster Liquidität bzw. Flexibilität. 30 Entscheidungstheoretisch folgt i.d.R. aus einer Zunahme von sequentieller Unsicherheit31 , d.h. einer erwarteten Verfeinerung der Informationsstruktur im Zeitablauf, eine erhöhte Nachfrage nach flexibler Disposition (Jones/Ostroy 1984, 19), d.h. hier nach Geld. Die Vorsichtskassenhaltung entsteht, wenn eine flexible zinslose Anlage einer (im Extremfall) irreversiblen zinstragenden Anlage vorgezogen wird, weil sequentielle Unsicherheit herrscht und z.B. für die Zukunft genauere Information über die tatsächlich rentabelste Anlageform erhofft wird. 32 Schließlich ist noch die sog. spekulative Kassenhaltung zu behandeln. Die Formulierung in der Keynesschen GT bezieht sich auf einwertige (Punkt- )Erwartungen, sie ist insofern nicht überzeugend, als Geld nur bei der sicheren Erwartung eines gegenüber alternativen Anlagen dominierenden Ertrages gehalten wird. Tobin (1958) hat diesen Ansatz portefeuilletheoretisch ausgestaltet.33 Es wird von Risikoaversion und stochastischen Zinserwartungen ausgegangen, sodaß der Zins nun zum Entgelt für die In29 Vgl. hiuu neuerdings die "Puffer-Version" dea Monetarismus (Laidler 1984b) zur Erklärung der Diskrepanz kurzfriatiger und langfristiger Geldnachfragefunktionen; zum Zusammenhang mit der Liquiditätspräferenz-Leihfonds-Kontroverse vgl. Klaueinger {1989