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German Pages 510 [511] Year 2020
Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Herausgeber/Editors Christoph Markschies (Berlin) · Martin Wallraff (München) Christian Wildberg (Pittsburgh) Beirat/Advisory Board Peter Brown (Princeton) · Susanna Elm (Berkeley) Johannes Hahn (Münster) · Emanuela Prinzivalli (Rom) Jörg Rüpke (Erfurt)
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Sarah-Magdalena Kingreen
Tertullians Schrift „Adversus Valentinianos“ Die argumentative Widersetzung Tertullians gegen die Valentinianer als ein in rhetorischer Perspektive geschlossenes Werk
Mohr Siebeck
Sarah-Magdalena Kingreen, geboren 1988; Studium der Ev. Theologie, Latein, Musik und Erziehungswissenschaften in Berlin; seit 2015 Assistentin am Lehrstuhl für Antikes Christentum an der Humboldt-Universität zu Berlin; 2019 Promotion. orcid.org/0000-0001-9546-2002
Zugleich Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin (2019). ISBN 978-3-16-159602-5 / eISBN 978-3-16-159603-2 DOI 10.1628/978-3-16-159603-2 ISSN 1436-3003 / eISSN 2568-7433 (Studien und Texte zu Antike und Christentum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meinen Eltern
Vorwort Vorwort
Tertullians Valentinianerschrift gehört zu den stilvollsten und rhetorisch geschliffensten Werken dieses Autors. Diese Schrift aus dem Schatten des Vergessens zu befreien, in den sie durch eine an das Werk von Irenäus fixierte Auslegungsgeschichte gestellt wurde, motivierte mich zum Verfassen dieser Arbeit. Mit diesem Buch liegt die geringfügig überarbeitete und nochmals durchgesehene Fassung meiner von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Sommersemester 2019 angenommene Dissertation vor. Diese Arbeit verdankt ihr Entstehen zahlreichen Gesprächen und Impulsen. Besonders danke ich sehr herzlich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies, der mich schon in Studienzeiten für den Bereich der christlichen Gnosis in der Antike zu begeistern verstand, mich während der ganzen Zeit wissenschaftlich gefördert, in vielen Gesprächen und Kolloquien meine Dissertation betreut und mit Denkanstößen begleitet hat. Ebenso danke ich dem Team des Lehrstuhls für Antikes Christentum, an dem ich seit 2015 als Assistentin arbeite, und dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mich fortwährend motiviert und inspiriert haben. Herzlich danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Volker Henning Drecoll und der Melanchton-Stiftung in Tübingen. In einem gemeinsamen Oberseminar zur Valentinianerschrift Tertullians im Januar 2018 konnte sich meine Übersetzung einer kritischen Überprüfung stellen und mit großem Gewinn gemeinsam diskutiert werden. Sodann danke ich Prof. Dr. Dietmar Wyrwa (Berlin) und auch Geeske Brinkmann (Berlin), die jeweils weite Teile der Arbeit gelesen und in kontinuierlichen Gesprächen begleitet haben. Gewinnbringend erinnere ich zudem eine Präsentation meiner Dissertation auf der Tagung der Patristischen Arbeitsgemeinschaft 2017, bei der ich die Impulse von Prof. Dr. Barbara Aland (Münster) dankend aufgenommen habe. Über weite Strecken stellt die Arbeit eine näherungsweise, personale Begegnung mit dem antiken Autor Tertullian dar. Prof.in Dr. Christiane Burbach und Pfr.in Claudia Schubert danke ich für die Ausbildung in Personzentrierter Gesprächsführung, die mir in dieser Zeit einen lebendigen Zugang zu dieser personalen Begegnungskompetenz und zur Bewältigung des gesamten Projektes immer wieder erschlossen haben. Mein Dank gilt weiterhin Frau Prof.in Dr. Judith Becker, die das Zweitgutachten erstellte, sowie den Herausgebern Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph
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Vorwort
Markschies, Prof. Dr. Martin Wallraff und Prof. Dr. Christian Wildberg für die Aufnahme in diese renommierte Reihe. Weiterhin seien auch dem Verlag, stellvertretend für die engagierte Betreuung Elena Müller und Tobias Stäbler, gedankt. Abschließend, aber nicht zuletzt danke ich meiner Familie für ihre Unterstützung und Begleitung beim Entstehen der Arbeit, namentlich meinem Ehemann Jan Kingreen, der die gesamte Arbeit sorgsam Korrektur gelesen hat, sowie meinen Eltern, die mir seit jeher den Rücken stärken – ihnen sei diese Arbeit als Dank gewidmet. Potsdam, Ostern 2020
Sarah-Magdalena Kingreen
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Vorwort ...................................................................................................... VII
Teil A: Einleitung...................................................................................... 1 Kapitel 1: Hinführungen.......................................................................... 2 Kapitel 2: Zur forschungsgeschichtlichen Perspektive ................... 7 Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten und rhetorisch versierten Christen aus Karthago ................ 11 3.1. Tertullians Bildungsmöglichkeiten in Karthago und seine paradox anmutende Wertung von Bildung ........................................................... 12 3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians anhand von Adv. Val. ......................................................................................... 17
Kapitel 4: Adv. Val. – eine polemische Streitschrift als christliche Lehrschrift ........................................................ 28 Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val............................ 33 5.1. Bedeutung und Funktion des Exordiums: Rhetorischer Hintergrund und Tertullians Adaption in Adv. Val. ................................................... 34 5.2. Das Programm von Adv. Val. entsprechend dem Exordium (Adv. Val. 1–6) ....................................................................................... 38
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Inhaltsverzeichnis
Exkurs: veritas, disciplina und doctrina – Tertullians christliches Verständnis nach Adv. Val. 1 .......................................................... 40 5.3. ‚Sola narratio‘ (Adv. Val. 6,2): Adv. Val. als ‚widerlegende Darstellung‘ ........................................................................................... 43 5.3.1. Bedeutung und Funktion der Narratio in der Rhetorik ................... 44 5.3.2. Bedeutung und Funktion der Refutatio in der Rhetorik .................. 46 5.3.3. Die Verbindung von Narratio und Refutatio zur ‚widerlegenden Darstellung‘ (Adv. Val. 7–39) ......................................................... 47
Kapitel 6: Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie ....... 50 6.1. Adv. Val. als von Tertullian einheitlich sowie vollständig konzipiertes Werk ....................................................................................................... 50 6.2. Rhetorische Ironie und Polemik als Widerlegungsstrategie .................. 56 6.3. Officium ridendi ..................................................................................... 60 6.3.1. Die Grundlegung des Lachens in der antiken, lateinischen Rhetorik .......................................................................................... 62 6.3.2. „Lachen“ im Œuvre Tertullians ...................................................... 65 6.3.3. „Lachen“ als literarische Strategie im Umfeld Tertullians ............. 67 6.3.4. Officium ridendi als literarische Strategie Tertullians in Adv. Val. . 71 6.4. Tertullians Stilisierung der valentinianischen Lehre als eine tragoedia, die er mit komödianten Elementen karikiert ........................................... 74
Kapitel 7: Die intendierte Leserschaft ............................................... 78 Kapitel 8: Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung ........................................................... 81 8.1. Valentin und die Valentinianer im Œuvre Tertullians ........................... 82 8.2. Die Valentinianer in Adv. Val. sind Schüler des Ptolemäus .................. 85 8.3. Zur historischen Situation: Valentinianer in Karthago? ........................ 89
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 9: Die Quellengrungdlage von Adv. Val. ........................... 94 9.1. Lagen Tertullian valentinianische Schriften vor? .................................. 94 9.2. Auf welche Schriften seiner Vorgänger rekurriert Tertullian? .............. 96 9.2.1. Justin und sein verschollenes Syntagma ......................................... 96 9.2.2. Irenäus’ Adv. Haer. als Vorlage ..................................................... 99 9.2.2.1. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Inspirationsquelle für das Exordium .......................................... 102 9.2.2.2. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Varianz der Reihenfolge der Darstellung ...................................................... 102 9.2.2.3. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Personifizierung und Genealogie-Vorstellung als Zuspitzung tertullianischer Polemik ..................................................................................... 105 9.2.2.4. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Zusammenfassung ........................................................................................... 108 9.2.3. Miltiades und Proclus ................................................................... 108 9.3. Zusammenfassung: Die Quellengrundlage von Adv. Val. ................... 113
Teil B: Übersetzung von Adv. Val. ................................................... 117 Teil C: Interpretation ............................................................................ 155 Kapitel 1: Adv. Val. 1: Eleusinia Valentiniana – Tertullians Charakterisierung der Valentinianer ............................. 156 1.1. Funktion von Adv. Val. 1 innerhalb des Exordiums ............................ 156 1.2. Analyse von Adv. Val. 1 ...................................................................... 156 1.2.1. Adv. Val. 1,1: Die Priorität der Valentinianer liegt auf der Geheimhaltungspflicht .................................................................. 156 1.2.2. Adv. Val. 1,2-3: Die Valentinianer und die Mysterien von Eleusis ................................................................................... 164 1.2.3. Adv. Val. 1,4: Als Abgefallene von der Wahrheit sind die Valentinianer Häretiker .......................................................... 176
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 2: Adv. Val. 2–3: Praemunitio – Die rechtgläubige Einfalt der Taube und valentinianische Klugheit der Schlange ...... 180 2.1. Funktion von Adv. Val. 2–3 innerhalb des Exordiums ........................ 180 2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3 .................................................................. 180 2.2.1. Adv. Val. 2,1: Die Differenzierung in simplices und prudentes .... 180 Exkurs: Simplicitas im Œuvre Tertullians .............................................. 185 2.2.2. Adv. Val. 2,2–4: Das wahre Verständnis von simplicitas.............. 189 2.2.3. Adv. Val. 3,1-5: Die Darlegung der Lehre allein bedeutet ihre Widerlegung ................................................................................. 197
Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer in ihrer gruppeninternen Diversität und Absicherung der Quellengrundlage .................................................................................. 219 3.1. Funktion von Adv. Val. 4–5 innerhalb des Exordiums ........................ 219 3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5 .................................................................. 219 3.2.1. Adv. Val. 4: Valentin und die Valentinianer ................................. 219 3.2.2. Adv. Val. 5: Zur Quellengrundlage ............................................... 234
Kapitel 4: Adv.Val. 6: Die rhetorische Strategie von Adv. Val. – officium ridendi ............................................ 240 4.1. Funktion von Adv. Val. 6 innerhalb des Exordiums ............................ 240 4.2. Analyse von Adv. Val. 6 ...................................................................... 240 4.2.1. Adv. Val. 6,1–2a: Methodische Bemerkungen .............................. 240 4.2.2. Adv. Val. 6,2b–3: Die rhetorische Konzeption.............................. 243
Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: „Die erste Szene der Tragödie“ (13,2): Die Fülle der valentinianischen Gottheit – Das Pleroma......................................................................... 252 5.1. Gliederung von Adv. Val. 7–13 ........................................................... 252
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5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13 ................................................................ 252 5.2.1. Adv. Val. 7,1–3a: Tertullians Vorüberlegung: Die valentinianische Gottheit ist polytheistisch und instabil ......................................... 252 5.2.2. Adv. Val. 7,3b–8: Die valentinianische Gottheit: Die Ogdoas ...... 258 5.2.3. Adv. Val. 8: Die valentinianische Gottheit: Das Pleroma ............. 271 5.2.4. Adv. Val. 9: Eine Version über das Schicksal des jüngsten Äon Sophias ......................................................................................... 277 5.2.5. Adv. Val. 10: Eine andere Version über das Schicksal des jüngsten Äon Sophias ............................................................. 283 5.2.6. Adv. Val. 11: Die Befestigung des Pleromas ................................ 291 Exkurs: „Zwei Schulen und zwei Kathedren“ der Valentinianer (11,2) . 295 5.2.7. Adv. Val. 12: Die Gleichwerdung aller Äonen und Jesu Emanation ..................................................................................... 302 5.2.8. Adv. Val. 13: Zwischenresümee: Die Theaterbühne ..................... 312
Kapitel 6: Adv. Val. 14–23: Außerhalb des Pleromas – Achamoth und das Wirken des Demiurgen ................ 317 6.1. Gliederung von Adv. Val. 14–23 ......................................................... 317 6.2. Analyse von Adv. Val. 14–23............................................................... 317 6.2.1. Adv. Val. 14: Achamoths Wirken ................................................. 317 6.2.2. Adv. Val. 15: Die Elemente der Welt ............................................ 327 6.2.3. Adv. Val. 16–17: Die Entstehung von Materie.............................. 334 6.2.4. Adv. Val. 18–19: Die Gestaltung der drei Gattungen von Materie und des Demiurgen ......................................................... 343 6.2.5. Adv. Val. 20–21: Das Wirken des Demiurgen .............................. 351 6.2.6. Adv. Val. 22: Der Teufel ............................................................... 359 6.2.7. Adv. Val. 23: Zwischenresümee: Die Struktur des Ortes außerhalb des Pleromas und die Elemente.................................... 360
Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung ......................................................................... 365 7.1. Gliederung von Adv. Val. 24–32 ......................................................... 365 7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32............................................................... 366 7.2.1. Adv. Val. 24–26: Valentinianische Schöpfungslehre .................... 366
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Inhaltsverzeichnis
7.2.2. Adv. Val. 27–28: Valentinianische Lehren zur Christologie und das Wirken des Demiurgen........................................................... 383 7.2.3. Adv. Val. 29: Valentinianische Anthropologie.............................. 393 7.2.4. Adv. Val. 30: Valentinianische Ethik ............................................ 402 7.2.5. Adv. Val. 31–32: Valentinianische Eschatologie .......................... 411
Kapitel 8: Adv. Val. 33–39: Wie ein Nachspiel: Einige Lehrvarinaten der Schüler des Ptolemäus ...... 431 8.1. Abgrenzung, Funktion und Gliederung der Texteinheit ....................... 431 8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39............................................................... 432 8.2.1. Adv. Val. 33–34: Lehrvarianten über Bythos’ Paargenossin und sein Geschlecht ............................................................................. 432 8.2.2. Adv. Val. 35–36: Lehrvarianten zum Pleroma und zu Emanationsvorstellungen ................................................................................ 436 8.2.3. Adv. Val. 37–38: Lehrvarianten eines anonymen Bischofs und Von Secundus ............................................................................... 440 8.2.4. Adv. Val. 39,1–2a: Lehrvarianten innerhalb der valentinianischen Christologie .................................................................................. 444 8.2.5. Adv. Val. 39,2b: Abschluss ........................................................... 447 Literaturverzeichnis .................................................................................... 449 Quellen (Texte, Übersetzungen, Kommentare) ...................................... 449 Hilfsmittel .............................................................................................. 454 Sekundärliteratur .................................................................................... 455 Register ....................................................................................................... 469 Stellen .................................................................................................... 469 Sachen, antike Namen und Orte ............................................................. 492
Teil A
Einleitung
Kapitel 1
Hinführungen 1. Hinführungen
Der rhetorisch gebildete und zum Christentum bekehrte Quintus Septimius Florens Tertullianus brilliert Anfang des 3. Jahrhunderts im pluralen Umfeld Karthagos mit zahlreichen literarischen Werken. Diese zeugen neben dem exzellenten Rhetoriker von einem belesenen, belebenden und agilen Literaten, der sich an verschiedenen innerchristlichen und nichtchristlichen ‚Fronten‘ engagiert,1 um die veritas christiana, der er sich verpflichtet fühlt, mit jedem Werk klarer zu profilieren.2 Den Maßstab setzt für ihn der eine, aus dem Evangelium abgeleitete, christliche Glaube, wie er ihn in den biblischen Schriften verkündet sieht. Die valentinianische Lehre bildet für Tertullian – wie bereits eine Generation vor ihm für seinen theologischen Vorgänger Irenäus von Lyon, dessen Werk Tertullian mit seiner Schrift nachfolgen will – eine zentrale Herausforderung. Diese nimmt er mit dem Ziel an, seine Perspektive auf Wesen und Inhalt des christlichen Glaubens durch Aufweis seiner Verfälschungen zu explizieren, insbesondere durch den Nachweis der Verfehlung des monotheistischen Anspruchs. Darin sieht Tertullian die grundlegende Lächerlichkeit und Obszönität dieser von ihm als Häresie stilisierten Lehre. Neben Valentinianern fordern ihn z.B. Anhänger von Markion oder Praxeas zur literarischen Betätigung heraus. Gegen die von ihm wahrgenommenen Bedrängungen der Gruppe der Christen im Blick auf ihren legitimen Status gegenüber staatlichen Neben apologetischen Schriften finden sich antihäretische Werke sowie Schriften, in denen insbesondere die Ausgestaltung des christlichen Lebens und Darlegung der Glaubensgrundlage den Schwerpunkt bilden. Vgl. dazu ausführlich die Einleitungen bei TRÄNKLE, HERMANN, § 474. Q. Septimius Florens Tertullianus, in: Klaus Sallmann (Hg.), Die Literatur des Umbruchs. Von der Römischen zur Christlichen Literatur. 117 bis 284 n. Chr. (Handbuch der lateinischen Literatur der Antike 4), München: C.H. Beck 1997, 438–511; BUTTERWECK, CHRISTEL, Art. Tertullian, in: Theologische Realenzyklopädie 33 (2002), 93–107; SCHULZ-FLÜGEL, EVA, Art. Tertullian, in: Siegmar Döpp, Wilhelm Geerlings (Hg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg/Basel/Wien: Herder 32002, 668– 672. 2 Dass grundlegend die theologische und intellektuelle Selbstverortung mit der soziologischen Bestimmung einhergeht, zeigt Eshleman eindrucksvoll für sophistische, philosphische und christliche Kreise in der Spätantike. Identitätsbildung und Gruppen-Abgrenzungen sind miteinander verwoben (vgl. ESHLEMAN, KENDRA, The Social World of Intellectuals in the Roman Empire. Sophists, Philosophers, and Christians, Cambridge: Cambridge University Press 2012). 1
Kapitel 1: Hinführungen
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Repräsentanten schreibt Tertullian ebenso wie über ethische Themen, die mit klaren Verhaltensanweisungen für Christen versehen sind. Mit seiner Hinwendung zur montanistischen Theologie finden sich in diesen thematischen Einlassungen deutlich rigidere Töne. Speziell auf die Valentinianer und ihre Lehre reagiert Tertullian grundlegend in seiner Schrift Adversus Valentinianos;3 daneben stehen einzelne thematisch orientierte Auseinandersetzungen mit dieser Lehre.4 Tertullian fühlt sich herausgefordert, die Grenzen des Christseins innerhalb der Kirche zu bestimmen. Er tritt dabei mit dem Anspruch auf, dass es entsprechend auch einen Bereich außerhalb der christlichen Gemeinschaft geben muss, nämlich dort, wo die regula fidei nicht gilt. Seine Definition solcher Grenzen zwischen Innen und Außen verbindet er mit der Forderung nach Einhaltung und Schutz dieser Grenzen. Er achtet wachsam auf Grenzdurchbrüche und nutzt seine rhetorische Kompetenz und literarische Ausdrucksstärke, um Bruchstellen zu markieren und die Grenzen an dieser Stelle wieder zu festigen.5 Zu Grenzen gehört für ihn darum auch die Fähigkeit zur entsprechenden Grenzkontrolle. Die wiederum verlangt Wehrfähigkeit und erfordert dafür geeignete Waffen. Im Wort, das Tertullian durch Ironie und Polemik schärft,
3 Für die chronologische Einordnung des Werks finden sich zwei Hinweise: Zum einen verweist Tertullian in Adv. Val. 16,3 (ebenso wie in Anim. 21,3) auf sein bereits verfasstes Werk Adv. Herm., das als terminus post quem auf seine prinzipielle Einsprache gegen die Häretiker verweist (Adv. Herm. 1,1) und für das als terminus ante quem die beiden Vorverweise (Adv. Herm. 10,2 und 16,1) auf die geplante Abhandlung gegen Markion dienen. Eine Einordnung von Adv. Herm. vor 203, direkt nach Praescr., ist möglich (vgl. auch TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus, 460; Chapot votiert für um 205, vgl. CHAPOT, FRÉDÉRIC, Tertullien. Contre Hermogène. Introduction, Texte critique, Traduction, et Commentaire [Sources Chrétiennes 439], Paris: Le Cerf 1999, 12). Zum anderen führt Tertullian in Adv. Val. 5,1 Proculus noster in der Reihe seiner Vorgänger an, denen er in seinem Werk nachfolgen will; diese Erwähnung mit dem Possessivpronomen in der 1. Person Plural wird in der Forschung als Indiz für die montanistische Einstellung Tertullians gewertet (vgl. zur Person des Proculus und der Diskussion 8.2.3.). Es bleibt unsicher, wie belastbar diese Notiz für eine eindeutig montanistische Zuordnung von Adv. Val. ist. Da die antivalentinianische Schrift Tertullians allerdings frühestens 203 nach Christus anzusetzen ist, fällt diese ohnehin mit seiner zunehmenden montanistischen Einstellung zusammen, ohne dass die Datierung an dieser historischen Person hängt. Gegen eine Abfassung in Karthago plädiert einzig Nöldechen und lokalisiert diese Schrift in Rom (NÖLDECHEN, ERNST, Das römische Kätzchenhotel und Tertullian nach dem Partherkrieg, in: Zeitschrift für Wissenschaftliche Theologie 31 [1887], 207–249.343–351). 4 Vor die Abfassung von Adv. Val. fallen Anim. und vermutlich Carn. Christ.; später verfasst Tertullian seine Schrift über die Auferstehung (Resurr.) und Scorp. Zur jeweiligen Datierung vgl. TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus. 5 Nicht nur die immer wiederkehrende Kampfesrhetorik in Adv. Val. drückt dieses Selbstverständnis aus; in Scorp. äußert Tertullian zu Beginn, dass „uns Christen der Glaube als Schutzabwehr dient“ (nobis fides praesidium; 1,3 [CChr.SL 2, 1069,17 REIFFERSCHEID/WISSOWA]), die es zu verteidigen gilt.
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Kapitel 1: Hinführungen
besitzt er eine sehr wirkmächtige Waffe, die er einsetzt. Sie wirkt erhebend, heiter und leicht und ist zugleich scheidend scharf.6 Ziel der vorliegenden Monographie ist es, mit der detaillierten Auslegung von Tertullians Schrift Adv. Val. der ursprünglichen Intention des Autors in Hypothesen möglichst nahezukommen, ohne der Illusion zu erliegen, wirklich zu wissen, was Tertullian gemeint habe. Die Verortung Tertullians in den Denkhorizonten seiner Zeit lässt neben die Perspektive des Christen, der einen Kampf zur Abgrenzung der Glaubenszugehörigkeit führt, das Phänomen der antiken Rhetorik treten. Robert D. Sider hat grundlegend der rhetorischen Perspektive auf Tertullians Werk die Richtung gewiesen.7 Die vorliegende Arbeit macht es sich zum Ziel, dies konsequent auf das Werk Adv. Val. anzuwenden und mit dieser rhetorischen Perspektive neue Interpretations- und Verstehensmöglichkeiten zu erschließen. Dazu ist auch eine deutsche Übersetzung auf Grundlage des lateinischen Texts, den Jean-Claude Fredouille für die Sources Chrétiennes ediert hat, notwendig. Sie wird als Teil B dem Kommentar vorangestellt geboten.8
6 Dass dabei die Findung und Absicherung der eigenen Position als die christliche Theologie nach den christlichen Schriften mit der Idee der Häresie einhergeht, zeigt Judith Lieu: „The concept of heresy reinforces the ideal of a single shared authorative text; the idea of a shared authorative text identifies those who would be excluded as heretics.“ (vgl. LIEU, JUDITH M., Heresy and Scripture, in: Markus Lang [Hg.], Ein neues Geschlecht? Entwicklung des frühchristlichen Selbstbewusstseins [Novum testamentum et orbis antiquus 105], Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 81–100, 100). Karen King markiert die Strategien, mit denen Christen ihre eigene Position herausgearbeitet haben; eine Grenzziehung u.a. durch die Kategorisierung der Außenstehenden als Häretiker war unabdingbar und findet sich in allen apologetischen Texten wieder. „Calling people heretics is an effort to place outside those who claim to be in the inside.“ (vgl. KING, KAREN, What is Gnosticism?, Cambridge/MA: Harvard University Press 2003, 20–54, Zitat 24). Zur rhetorischen Intention des irenäischen Werks vgl. z.B. ALAND, BARBARA, Polemik bei Irenäus von Lyon. Strategie – Ertrag – Wirkung, in: Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 170), Berlin/New York: de Gruyter 2010, 579–602. 7 Vgl. zur Forschungsgeschichte ausführlich Kap. 2. Sider hat bereits gesehen, dass Adv. Val. in seiner Struktur vom klassischen rhetorischen Aufbau abweicht und zugleich von Tertullian so konzipiert worden ist (vgl. SIDER, ROBERT D., Ancient Rhetoric and the Art of Tertullian [Oxford Theological Monographs], Oxford: Oxford University Press 1971, 30). 8 Einige wenige Abweichungen von dieser Textgrundlage werden in textkritischen Anmerkungen im Kommentar diskutiert. Die vorhandene deutsche Übersetzung des Texts stammt von Heinrich Kellner, der diese 1882 auf der Editionsgrundlage des Texts von Franz Oehler (Leipzig 1854) anfertigte (vgl. KELLNER, KARL ADAM HEINRICH, Gegen die Valentinianer, in: ders., Tertullians sämtliche Schriften aus dem Lateinischen übersetzt. Bd. 2: Die dogmatischen und polemischen Schriften [Bibliothek der Kirchenväter 7], Köln: DumontSchauberg 1882, 101–127). Nach dem Einreichen der Dissertation erschien zudem eine neue Übersetzung von Volker Lukas in der Reihe Fontes Christiani (LUKAS, VOLKER, Tertullian.
Kapitel 1: Hinführungen
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Eine konsequent rhetorische Perspektive auf die Schrift Adv. Val. mündet in das Ergebnis, dass Tertullian dieses Werk in seiner vorliegenden Form als eine widerlegende Darstellung bewusst konzipiert hat und lediglich mit diesen beiden partes orationis, einem ausführlichen Exordium und einer ebenso umfassenden Narratio, Einheitlichkeit herstellt. Die gesamte Anlage seines Werkes spiegelt seine rhetorische Strategie wider. Diese Strategie bildet sich in Adv. Val. als einer Gesamtkomposition literarisch ab. Dieses Ergebnis weicht von der von Fredouille u.a. vertretenen These ab, dass Tertullian mit Adv. Val. lediglich ein Vorspiel, ein widerlegendes Scharmützel, vor der eigentlichen argumentativ vorgehenden Widerlegung verfasst habe, die dieser allerdings nicht mehr niedergeschrieben habe; die Motivik wird in der Gesinnungsänderung und Interessensverschiebung vermutet.9 Die in der Arbeit vorgelegte rhetorische Analyse bietet eine Verstehenshilfe zu Intention und zentraler Wirkabsicht Tertullians, die er mit diesem Werk verfolgt. Tertullian nimmt von seinem christlichen Standpunkt aus rhetorische Mittel in Gebrauch, um damit zu überzeugen. Nicht Informationsvermittlung, sondern das Gewinnen des casus – die Destruktion der Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der valentinianischen Lehre – bildet Tertullians Ziel. Um seine Leserschaft zu überzeugen (persuadere), bedient sich der in der klassischen rhetorischen Tradition beheimatete Nordafrikaner des Handwerks der advokatisch ausgerichteten Redekunst. Dabei folgt Tertullian den drei von Cicero aufgestellten Zielen10: Erstens gilt es aufzuzeigen, dass er und die Gruppe der Christen, die um ihn ist, im Besitz der Wahrheit sind und dieser dienen.11 Zweitens hat er die Sympathie seiner Leserschaft zu gewinnen; dazu spricht er sie direkt an, inkludiert sie in seine Interpretation und markiert damit eine klare Scheidung und Unterscheidung der Gruppen, sodass er drittens die Affekte seiner Leserschaft seiner Intention folgend weckt und fokussiert.12 Gegen die Valentinianer streitet Tertullian in einer ironischen Grundhaltung, mit der er Paradoxien der referierten Lehrmeinung herausstellt, indem er Allusionen auf die hellenistisch-römische Tradition anbringt und die Falschheit der nur scheinbar christlichen Lehre markiert. Spielerisch widmet er sich dieser Begründung, die in seinen Augen keiner weiteren theologisch-argumentativen Widerlegung bedarf.
Adversus Valentinianos. De Carne Christi. Gegen die Valentinianer. Über den Leib Christi [Fontes Christiani 84], Freiburg: Herder 2019). 9 Zur These Fredouilles u.a. vgl. ausführlich 6.1. sowie zur vorliegenden Begründung insbesondere Kapitel 4–6 der Einleitung. 10 Vgl. Cic., De orat. II 115: Ita omnis ratio dicendi tribus ad persuadendum rebus est nixa: ut probemus vera esse, quae defendimus; ut conciliemus eos nobis, qui audiunt; ut animos eorum, ad quemcumque causa postulabit motum, vocemus. 11 Vgl. dazu 5.2. 12 Vgl. dazu 6.3. sowie 7.
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Kapitel 1: Hinführungen
Dass die Gruppenbezeichnung Valentiniani keine Selbstbezeichnung ist, weiß auch Tertullian, der darauf hinweist, dass „wir sie so nennen“ (cur Valentinianos appellemus; Adv. Val. 4,1). An anderer Stelle karikiert er diese als „Scheinchristen“ (plane et ipsi imaginarii Christiani; 27,3). Auch wenn sein Kommentar in polemischem Ton verfasst ist, bestätigt ihn Justins Zeugnis, bei dem sich auch zuerst der Name Οὐαλεντινιανοί findet (Dial. 35,6) und nach dem sich die Mitglieder der so bezeichneten Gruppe selbst als Christen bezeichnen (Dial. 35,1 f.6). Auch Irenäus beschreibt die Gefahr, die er von dieser Gruppe ausgehen sieht, dahingehend, dass sie Christen seien, die das gleiche Vokabular verwenden und ebenfalls die Evangelien und Paulus zur Grundlage nehmen, deren Auslegung allerdings erheblich differiere (Adv. Haer. I praef. 1 f.). Während Irenäus klar zwischen den Valentinianern und Gnostikern differenziert,13 stellt Tertullian diese Bezeichnungen in eine hierarchisierende Beziehung, wenn er abschließend wertet, dass „sich die üppig wuchernden Lehren der Valentinianer schon zu Wäldern von Gnostikern ausgewachsen haben“14. Analog zu dieser klimaktischen Steigerung lässt sich die parallel formulierte Anti-Klimax in Scorp. 1,5 verstehen, wenn Tertullian die Situation so deutet, dass „dann Gnostiker hervorbrechen, dann Valentinianer hervorschleichen, dann alle Gegner des Martyriums herauskriechen“15. Auch das dritte und letzte Vorkommen von Gnostici in seinem Œuvre verbindet Tertullian mit den Valentinianern. Im Kontext der von Platon ausgehenden erkenntnistheoretischen Thematisierung fragt Tertullian, ob dort „nicht bereits die häretischen Samen der Gnostiker und Valentinianer sichtbar werden“16. Es fällt auf, dass Tertullian Valentinianer und Gnostiker zusammendenkt und über letztere keine weiteren Informationen vorliegen hat.17 Der Aufbau dieser Monographie ist dreigeteilt. Teil A systematisiert das Werk Tertullians und fragt nach dem Entstehungshintergrund, der Struktur und Strategie von Adv. Val. Teil B bietet eine Übersetzung der Schrift, auf die im materialen Durchgang (Teil C) eine kommentierende Auslegung der Schrift folgt, die sich stets aus der rhetorischen Perspektive ergibt.
13 Als Gnostici bezeichnet er lediglich eine Gruppe, die ihre Schüler mit einem Brandmal kennzeichnet und von der er namentlich Marcellina anführt (vgl. Adv. Haer. I 25,6), während er die Valentinianer nie mit dieser Zuschreibung charakterisiert, sondern lediglich deskriptiv unterstellt, dass sie Erkenntnis suchen (vgl. z.B. Adv. Haer. I 2,5; 4,5; 5,6; 6,1). 14 Adv. Val. 39,2 (SC 280, 154,15 f. FREDOUILLE): Atque ita insolescentes doctrinae Valentinianorum in silvas iam exoleverunt Gnosticorum. 15 Scorp. 1,5 (CChr.SL 2, 1069,8–10 R EIFFERSCHEID/W ISSOWA): tunc Gnostici erumpunt, tunc Valentiniani proserpunt, tunc omnes martyriorum refragatores ebulliunt calentes et ipsi offendere, figere, occidere. 16 Anim. 18,4 (VCS 100, 24,26 f. W ASZINK): Relucentne iam haeretica semina Gnosticorum et Valentinianorum? 17 Vgl. dazu auch den Kommentar zu Adv. Val. 39,2, auch in Differenz zu Irenäus.
Kapitel 2
Zur forschungsgeschichtlichen Perspektive 2. Zur forschungsgeschichtlichen Perspektive
Ein vorangestellter forschungsgeschichtlicher Überblick übernimmt für die folgende Studie eine Navigationsfunktion. Unter einer primär rhetorischen Perspektive wurde Adv. Val.1 bisher nicht analysiert; es lassen sich vornehmlich zwei leitende Perspektiven auf die Schrift ausmachen: Wird diese zum
1 Adv. Val. ist handschriftlich im Corpus Cluniacensis überliefert. Von fünf Sammlungen, die Tertullians Werke überliefern, tradiert lediglich dieses vermutlich in Spanien im 6. Jahrhundert verfasste, heute verlorene und zuerst im Kloster Cluny (10./11. Jahrhundert) bezeugte Corpus dieses Werk. Kroymann (CChr.SL 2, 751–778) und auf seiner Edition aufbauend Fredouille (SC 280/281) unterscheiden zwei jeweils verlorene Hyparchetypen, die das Corpus Cluniacensis in 16 Handschriften überliefert haben. Aus dem 11. Jahrhundert stammen die jeweils unvollständig erhaltenen Handschriften Montepessulanus (M = Montpellier H 54) und Selestianensis (Paterniacensis; P = Schlettstadt 439), in denen Adv. Val. jeweils auf die Schriften Pat., Carn. Christ., Resurr. und direkt auf die trinitätstheologische Schrift Adv. Prax. folgt. Während im Montepessulanus nach Adv. Val. die gegen Marcion gerichteten Bücher stehen, sind im Paterniacensis die Schriften Adv. Iud, die ps.-tertullianische Schrift Adv. Haer. sowie Praescr. und Adv. Herm. niedergeschrieben. Kroymann deutet diese beiden Handschriften als Abschriften des verlorenen Hyparchetypus des Codex Cluniacensis (α). Die Überlieferung von Adv. Val. im Luxemburgensis (X = Luxemburg 75) aus dem späten 15. Jahrhundert sowie dem Florentinus Magliabechianus (F = Florenz, Magliabechus, Conv. Soppr. I,VI,10), ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert, deutet Kroymann als Handschriften, die den verlorenen Codex Hirsaugiensis (β) wiedergeben. Letztere Handschrift ist nach Fredouille in zwei weitere Handschriften eingegangen: Vindobonensis (V = Wien 4194) und Leidensis latinum (L = Leiden, lat. 2), beide auch aus dem 15. Jahrhundert. Im Luxemburgensis und Florentinus Magliabechianus folgt die Schrift Adv. Val. auf Adv. Prax., auf die wiederum die fünf Bücher gegen Marcion nachfolgen. Für die Rekonstruktion des verlorenen Hyparchetypus Codex Hirsaugiensis ist zudem die erste Edition des Humanisten Beatus Rhenanus (1521) maßgeblich, der auf diesen Codex sowie den Paterniacensis (P) aus dem anderen Zweig zurückgreifen konnte. Hilfreich wäre es gewesen, wenn Fredouille den Status als Edition von R1 in seinem Stemma sichtbar gemacht hätte; so wird eine Gleichrangigkeit zwischen den Handschriften und dem ersten Druck evoziert. Zudem verwirrt die Verwendung der kleinen und großen Buchstaben; denn auch die als G geführte Handschrift Gorziensis ist verloren. Die chronologische Anordnung der einzelnen Überlieferungen ist zudem im Stemma bei Kroymann ersichtlicher. Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. KROYMANN, CChr.SL 1, V–IX sowie das Stemma und Tabula II; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 46–58. Betrachtet man die weitere Editionsgeschichte von Adv. Val., fällt auf, dass das Werk in seiner Drucklegungsgeschichte bis ins 20. Jahrhundert hinein immer im Kontext von (Teil-)Gesamtausgaben des Œuvres Tertullians ediert worden ist.
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Kapitel 2: Zur forschungsgeschichtlichen Perspektive
einen im Kontext der Tertullian-Forschung als ein Werk dieses Autors wahrgenommen, so ist Adv. Val. zum anderen eine wichtige Quelle im Kontext der Valentinianismus-Forschung. Für erstere Perspektive hat Jean-Claude Fredouille eine kritische Edition für die Reihe Sources Chrétiennes besorgt, deren Text auch der vorliegenden Übersetzung zugrunde liegt.2 Adv. Val. kommt auch in Folge von Fredouilles Bewertung dieser Schrift als ‚ein Vorspiel‘ vor der eigentlichen nicht mehr stattgefundenen argumentativen Auseinandersetzung Tertullians mit der valentinianischen Lehre eher geringere Bedeutung im gesamten Werkkorpus des Karthagers zu.3 In der Tertullian-Forschung erschienen in den Jahren 1971 und 1972 gleich drei sehr bedeutsame und folgenreiche Studien.4 Timothy D. Barnes bringt in seinem bahnbrechenden Werk Tertullian. A Historical and Literary Study Licht in die auf wenigen sicheren Fakten basierende Biographie Tertullians und skizziert die Person Tertullian einzig auf Grundlage dessen
2 Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens I (Sources Chrétiennes 280); II (Sources Chrétiennes 281). Diesen Text übernimmt auch Chiara O. Tommasi Moreschini in ihrer 2010 im Sammelband zu Tertullians Opera dogmatica erschienenen italienischen Übersetzung in der Reihe Scriptores Africae Christiani. Wenn in der vorliegenden Arbeit an einigen Punkten für eine Übernahme der handschriftlich bezeugten Lesart gegen den Editionstext der SC votiert wird, findet sich eine textkritische Diskussion an der jeweiligen Stelle im Kommentar. 3 Zu Fredouilles These sowie der gegenteiligen Annahme dieser Arbeit vgl. insbesondere Kapitel 5 und 6 der Einleitung. In einigen Aufsätzen werden Teilaspekte der Schrift Adv. Val. diskutiert, vgl. z.B. DÖLGER, FRANZ JOSEPH, „Unser Taube Haus“. Die Lage des christlichen Kultbaues nach Tertullian. Textkritik und Kommentar zu Tertullian Adversus Valentinianos 2.3, in: Antike und Christentum 2 (1930), 41–56; DERS., Der Rhetor Phosphorus von Karthago und seine Stilübung über den tapferen Mann. Zu Tertullianus, Adversus Valentinianos 8, in: Antike und Christentum 5 (1936), 272–274; MARKSCHIES, CHRISTOPH, Nochmals: Valentinus und die Gnostikoi. Beobachtungen zu Irenaeus, Haer. I 30,15 und Tertullian, Val. 4,2, in: Vigiliae Christianae 51 (1997), 179–187. 4 Die Forschung zuvor gliedert sich schwerpunktmäßig in die Diskussion um die juristische Prägung Tertullians (z.B. BECK, ALEXANDER, Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian, Halle: M. Niemeyer 1930), um seinen philosophischen Hintergrund (z.B. SPANNEUT, MICHEL, Le Stoïcisme des Pères de L’Église de Clément de Rome a Clément d’Alexandrie [Patristica Sorbonensia 1], Paris: Éditions du Seuil 1957), in sprachgeschichtliche Studien (z.B. BRAUN, RENÉ, Deus Christianorum. Recherches sur le Vocabulaire doctrinal de Tertullien [Collection des Études augustiniennes. Série Antiquité 70], Paris: Études Augustiniennes 21977; HOPPE, HEINRICH, Syntax und Stil des Tertullian, Leipzig: Teubner 1903; LÖFSTEDT, EINAR, Zur Sprache Tertullians, 2 Bde., Lund: Gleerup 1920; MOINGT, JOSEPH, Théologie trinitaire de Tertullien. Bd. 1: Histoire, Doctrine, Méthodes [Théologie 68], Paris: Aubier 1966; Bd. 2: Substantialité et individualité [Théologie 69], Paris: Aubier 1966; Bd. 3: Unité et procession [Théologie 70], Paris: Aubier 1966) oder auch die Frage nach biblischen Bezügen in Tertullians Werken (z.B. O’MALLEY, THOMAS, Tertullian and the Bible. Language – Imagery – Exegesis [Latinitas Christianorum Primaeva 21], Nijmegen/Utrecht: Dekker & van de Vegt 1967).
Kapitel 2: Zur forschungsgeschichtlichen Pespektive
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eigenen Schrifttums. Zeitgleich erschien Robert D. Siders Untersuchung Ancient Rhetoric and the Art of Tertullian. Er bringt einen weiteren Perspektivwechsel in die Tertullian-Forschung ein, indem er Tertullian konsequent als rhetorisch gebildeten Autor in den Blick nimmt und sein Werk – zunächst vornehmlich strukturell, allerdings auch argumentativ – in dieser Tradition analysiert. Zuletzt verortet Fredouille in seiner Monographie Tertullien et la conversion de la culture antique den Autor im größeren Kontext der römischen Antike. Diese drei Studien erscheinen unabhängig, ohne dass die Autoren aufeinander Bezug nehmen können. 5 Neuere Untersuchungen widmen sich vornehmlich einzelnen Werken des Autors und analysieren diese vor dem Hintergrund dieser Studien. Tertullian wird als ein Christ mit hervorragender rhetorischer Bildung verstanden, der im Übergang vom 2. zum 3. Jahrhundert am antiken Leben in Karthago partizipierte.6 So bietet Tertullians Werk zugleich die (einzige) Quellengrundlage für Untersuchungen zum Leben in Karthago um die Jahrhundertwende, wie sie z.B. die Studie zur Sozialgeschichte Karthagos von Georg Schöllgen vorlegt.7 Als zweite Perspektive ist die Betrachtung der Schrift im Kontext der Valentinianismus-Forschung zu nennen. Giuliano Chiapparini hat in seiner vergleichenden Studie Valentino Gnostico e platonico. Il Valentinianesimo della ‚Grande notizia‘ di Ireneo di Lione: Fra Esegeso gnostica e Filosofia medioplatonica von 2012 den irenäischen Text Adv. Haer. I 1–8 und Adv. Val. 7– 32 nebeneinandergelegt. Dabei wird die Untersuchungsperspektive allerdings einlinig von Irenäus her eingenommen.8 Aufgrund dieser Parallelität wird die Erst in seinem 1985 zur Neuauflage der Biographie Tertullians hinzugefügten Postscriptum geht Barnes auf die zeitgleich erschienenen Monographien ein, vgl. BARNES, TIMOTHY D., Tertullian. A Historical and Literary Study, Oxford/New York: Oxford University Press 21985. 6 Zu nennen sind z.B. D UNN, G EOFFREY D., Tertullian’s Adversus Iudaeos: A Rhetorical Analysis (Patristic Monograph Series 19), Washington: Catholic University of America Press 2008; GEORGES, TOBIAS, Tertullian ‚Apologeticum‘ (Kommentar zu frühchristlichen Apologeten 11), Freiburg u.a.: Herder 2011 und LUKAS, VOLKER, Rhetorik und literarischer „Kampf“. Tertullians Streitschrift gegen Marcion als Paradigma der Selbstvergewisserung der Orthodoxie gegenüber der Häresie. Eine Philologisch-Theologische Analyse (European University Studies. Series XXIII. Theology. Bd. 859), Frankfurt a. M./Bern: P. Lang 2008. Daneben steht eine Untersuchung zu den lateinischen Neubildungen Tertullians: WELLSTEIN, MATTHIAS, Nova Verba in Tertullians Schriften gegen die Häretiker aus Montanistischer Zeit (Beiträge zur Altertumskunde 127), Stuttgart 1999. 7 Vgl. SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida? Neben Tertullian bieten Apuleius und Fronto sowie christlicherseits die Akten zum Martyrium der Märtyrer von Scilli oder der Passio Perpetuae et Felicitae Quellengrundlagen. Mit den Werken Cyprians und Augustins lässt sich die sozialgeschichtliche Entwicklung Mitte des 3. sowie das Ende des 4. Jahrhunderts erhellen. 8 Das zeigt sich u.a. in der Struktur der Untersuchung, bei der die Kapitelabfolge Tertullians den irenäischen angepasst wird; das Exordium von Adv. Val., das ohne irenäische Parallele ist, wird in einleitenden Fußnoten abgehandelt. Vgl. CHIAPPARINI, GIULIANO, 5
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Kapitel 2: Zur forschungsgeschichtlichen Perspektive
Lehrdarstellung in Adv. Val. 7–32 in der Forschung weniger herangezogen; jüngst erst hat Christoph Markschies darauf aufmerksam gemacht, dass in literarkritischer Hinsicht die einlinige Perspektivität zu hinterfragen ist und dem bei Tertullian überlieferten Text durchaus mehr Bedeutung in der Rekonstruktion der valentinianischen Lehre zugesprochen werden muss als bisher geschehen.9 Daneben findet sich die Rezeption von Informationen aus dem Exordium, die u.a. Einar Thomassen in seiner einschlägigen Studie zum Valentinianismus The Spiritual Seed. The Church of the ‚Valentinians‘ und auch Markschies in seiner Untersuchung zum namensgebenden Stifter dieser Gruppe Valentinus Gnosticus? aufnehmen.10 Im Kontext der Interpretationen der Geschichte der Valentinianer wird die Schrift Adv. Val. immer wieder auf ihre historische Tragfähigkeit und Anschlussfähigkeit hin überprüft. Vorliegende Untersuchung verbindet beide Perspektiven und geht davon aus, dass diese Schrift in ihrer vorliegenden Form vollständig und intentional motiviert von Tertullian verfasst wurde. Das zugrunde gelegte argumentative Konzept gilt es in einer konsequent rhetorischen Perspektive in Hinsicht auf die Struktur des Werkes, auf die Auswahl der Darstellung sowie auf die Darstellung, d.h. die gewählten Worte, selbst zu analysieren. Dass parallel zu der vorliegenden Untersuchung nach der Abgabe eine neue deutsche Übersetzung der Schrift Adversus Valentinianos in der Reihe Fontes Christiani erschienen ist, bestätigt die Dringlichkeit der Zugänglichmachung dieses Texts in deutscher Sprache.11 Auf Abweichungen in den beiden jeweiligen Übersetzungen wird im Kommentarteil hingewiesen.
Valentino Gnostico e Platonico. Il Valentinianesimo delle ‚Grande Notizia‘ di Ireneo di Lione: Fra Esegesi Gnostica e Filosofia Medioplatonica (Temi metafisici e problemi del pensiero antico. Studi e testi 126), Mailand: Vita e pensiero 2012. 9 Vgl. M ARKSCHIES, C HRISTOPH, ‚Grande notice‘. Einige einleitende Bemerkungen zur Überlieferung des sogenannten Systems der Schüler des Ptolemaeus Gnosticus, in: Einar Thomassen/Christoph Markschies (Hg.), Valentinianism. New Studies (Nag Hammadi and Manichaeans Studies 96), Leiden: Brill 2020, 29–87. 10 Vgl. THOMASSEN, EINAR, The Spiritual Seed. The Church of the “Valentinians” (Nag Hammadi and Manichaean Studies 60), Leiden/Boston: Brill 2006; MARKSCHIES, CHRISTOPH, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 65), Tübingen: Mohr Siebeck 1992. 11 Vgl. LUKAS, Tertullian.
Kapitel 3
Tertullian – Konturen eines gebildeten und rhetorisch versierten Christen aus Karthago 3. Tertullian – Konturen eines Christen aus Karthago
Aufgewachsen in Karthago im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts, partizipierte der Nordafrikaner Tertullian wie seine Mitbürger am römischen Leben, ging zu den spectacula, verehrte die römischen Götter, lebte in einer Ehe und konvertierte schließlich zum erblühenden karthagischen Christentum.1 Seine Schul- und Ausbildung wird er ebenfalls in Karthago genossen haben, auch wenn er sich dazu in seinen heute vorliegenden Schriften nicht äußert. Dass Tertullian gebildet ist, rhetorisch geschult und diese Kunst in seinen Werken erscheinen lässt, haben bereits Barnes, Fredouille und Sider herausgearbeitet.2 Fredouille spricht gar von einer „christlichen Rhetorik“, deren theoretische Ausarbeitung zu Lebzeiten Tertullians noch verfrüht gewesen wäre, sodass diese aus seinen praktischen Werkstücken zu eruieren ist.3 Zur Biographie Tertullians, der mit vollem Namen Quintus Septimius Florens Tertullianus hieß (vgl. die Selbstbezeichnung als Tertullian in Bapt. 20,5 sowie mit dem Gentilicium Septimius, einer nordafrikanischen Familie Ende des 2. Jahrhunderts, aus deren Geschlecht auch der Kaiser Septimius Severus stammte, in Virg. Vel. 17,9; das Cognomen Florens führen erst mittelalterliche Handschriften und lediglich Hieronymus schreibt von „Tertullian, dem Afrikaner“ [Tertullianus Afer; Chr. 25]), sowie seinen 31 erhaltenen und mindestens 14 verlorenen Schriften aus den Jahren 197–212 (sicher datieren lassen sich 197 Ad Nat., Mart. und Apol., 207/208 die dritte Fassung von Adv. Marc. [mindestens die Bücher I–IV] sowie 211 Cor. und 212 Scorp., Scap. und Fug. [möglicherweise 212/213], alle anderen Werke ordnen sich anhand relativer chronologischer Indizien in diesen Zeitraum ein) vgl. HARNACK, ADOLF VON, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius. Teil I: Die Überlieferung und der Bestand, 2 Bde., Leipzig: Hinrichs 21958, Bd. 1: 256–302; BARNES, Tertullian; TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus; BUTTERWECK, Tertullian, 93–107. Zur Frage nach der Teilnahme an spectacula verfasst Tertullian eine eigene Schrift (Spect.) und seiner Ehefrau widmet er zwei Bücher (Ux.). Zur Frage nach der Entstehung des Christentums in Karthago, dessen frühester Beleg die auf ca. 180 nach Christus zu datierenden Akten der Märtyrer von Scilli sind, sowie der Frage, ob das Christentum eher jüdische oder hellenistische Wurzeln hat, vgl. z.B. BARNES, Tertullian, 60–84; DUNN, GEOFFREY D., Tertullian (The Early Church Fathers), London/New York: Routledge 2004, 13–18; WILHITE, DAVID, Tertullian the African. An Anthropological Reading of Tertullian’s Context and Identities (Millennium-Studien 14), Berlin/New York: de Gruyter 2007, 27–35. 2 B ARNES, Tertullian; FREDOUILLE, JEAN-C LAUDE, Tertullien et la Conversion de la culture antique, Paris: Études Augustiniennes 1972; SIDER, Ancient Rhetoric. 3 Vgl. FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 29–35. 1
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
Explizite Selbstaussagen zu seiner Bildungslaufbahn in Karthago fehlen. Im Folgenden wird in einem Zweischritt zunächst nach den Bildungsmöglichkeiten gefragt, die Tertullian in Karthago offenstanden – ein möglicher Rom-Aufenthalt ist damit nicht ausgeschlossen4 –, und in die Tertullians wertende Aussagen zur Bildung einzuordnen sind, die, wenn sie pauschal als bildungsfeindlich interpretiert werden, zunächst mit seiner Bildung unvereinbar scheinen (1). Auch die vorliegende gegen die Valentinianer gerichtete Schrift hat Tertullian entsprechend den Regeln und der Kunst der antiken Rhetorik konzipiert, was konkrete Rückschlüsse auf seine vielschichtige Bildung zulässt. Darauf aufbauend soll in einem zweiten Schritt systematisiert werden, welche vermittelten Inhalte Tertullian so geprägt haben, dass er in diesem gegen die Valentinianer gerichteten Werk mit diesen so virtuos spielen kann, um anschließend ein (Bildungs-)Profil Tertullians beschreiben zu können (2).
3.1 Tertullians Bildungsmöglichkeiten in Karthago und seine paradox anmutende Wertung von Bildung 3.1. Tertullians Bildungsmöglichkeiten in Karthago
Die Bildungsmetropole Nordafrikas und Provinzhauptstadt Karthago bot ihren Bürgern die Möglichkeit, die klassische römische Schullaufbahn zu absolvieren. Aufschluss über die Schulorganisation und das kulturelle Leben in Karthago in der Spätantike geben vornehmlich Quellennotizen aus der Biographie und den Werken des Nordafrikaners Apuleius sowie der beiden Christen Tertullian und Augustin.5
4 Einen Aufenthalt in Rom bezeugt Tertullian selbst. Sofern diese Stelle als historisch belastbar einzuschätzen ist und nicht lediglich als rhetorische Finesse, fällt dieser Aufenthalt vor das Jahr 202 (Cult. Fem. I 7,2). Kenntnisse des Lokalkolorits wie z.B. die Beschreibung der Insula feliculan in Adv. Val. 7,3 können als weiteres Indiz für einen Romaufenthalt herangezogen werden. Euseb schreibt, dass Tertullian einer „der besonders vorzüglichen Männer in Rom“ gewesen sei (H.e. II 2,4 [GCS 9/1, 110,16–18 SCHWARTZ/MOMMSEN]: ταῦτα Τερτυλλιανὸς τοὺς Ῥωμαίων νόμους ἠκριβωκώς, ἀνὴρ τά τε ἂλλα ἒνδοξος καὶ τῶν μάλιστα ἐπί Ῥώμης λαμπρῶν), die lateinische Übersetzung Rufins überliefert abweichend, dass er „unter unseren Schriftstellern sehr berühmt gewesen sei“ (111,16 f.: haec Tertullianus, vir et legum et institutionum Romanorum peritissimus et inter nostros scriptores admodum clarus). Dass keine sichere Aussage über einen Romaufenthalt zu treffen ist, deutet auch Barnes an (DERS., Tertullian, 58). Für einen Romaufenthalt plädiert BUTTERWECK, Tertullian, 93. 5 Vgl. dazu grundlegend B ARNES, Tertullian, 187–210, zu Augustin das von Volker H. Drecoll herausgegebene Handbuch (Tübingen: Mohr Siebeck 2007) sowie die ausführliche Untersuchung von VÖSSING, KONRAD, Schule und Bildung im Nordafrika der Römischen Kaiserzeit (Collection Latomus 238), Brüssel: Latomus 1997, 304–557.
3.1. Tertullians Bildungsmöglichkeiten in Karthago
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Tertullian selbst stammt aus einer literarisch gebildeten Familie, wie er in Praescr. 39,4 schreibt. 6 Er hat die klassische, antike Schullaufbahn in Karthago durchlaufen, wie seine Werke bezeugen (für Adv. Val. s.u.), und er selbst überliefert indirekt einige Informationen zum karthagischen Schulleben seiner Zeit, das er zugleich aus christlicher Perspektive bewertet und einordnet. Tertullians Verhältnis als Christ zur antiken Kultur gilt es genau zu bestimmen. Während in der Forschung zunächst ein antithetisches Gegenüber diagnostiziert wurde, was seinen Grund vornehmlich in Tertullians ablehnenden Aussagen zur Philosophie hat,7 hat Fredouille die These einer Synthese von antiker Bildung und christlichem Glauben bei Tertullian begründet und Momente der Kontinuität und Transformation herausgearbeitet.8 Der kurze Durchgang wird allerdings aufzeigen, dass auch eine Synthese nicht Tertullians Ziel war. Vielmehr befindet sich der in der paganen Welt verhaftete Christ in einem nicht aufzulösenden Dilemma: Macht er zum einen die erworbenen kulturellen Güter auch für das Christentum fruchtbar, lehnt er diese zugleich ab, weil sie nicht essentiell für die christliche Existenz seien. Beispielhaft zeigt sich dieses Verhältnis an Tertullians Aussagen zur Schulbildung. Zunächst belegt der Karthager implizit die Möglichkeiten der Schulbildung bis zum Rhetor in Karthago. Dass auch eine grundlegende philosophische Ausbildung möglich war, bezeugt die Biographie seines Landmanns Apuleius, der auch als Vertreter der sogenannten Zweiten Sophistik diese für Nordafrika repräsentiert,9 während Tertullians Interesse an der Beschäftigung mit der Philosophie nach Selbstaussagen adressatenorientiert ausgelöst war (s.u., 3.2). Für eine Universität in Karthago fehlen die Belege.10 6 SC 46, 143,11–13 R EFOULÉ/DE LABRIOLLE: Meus quidam propinquus ex eodem poëta inter cetera stili sui otia Pinacem Cebetis explicuit. 7 Vgl. Tertullians Aussagen z.B. in Praescr. 7,9–11. 8 FREDOUILLE, Tertullien et la conversion de la culture antique. Vgl. auch Barnes’ Konklusion: Tertullian „stands half way between the pagan satirist Juvenal and the Christian satirist Jerome.“ (BARNES, TIMOTHY, Tertullian the Antiquarian, in: Elizabeth Livingstone [Hg.], Studia Patristica. Bd. XIV: Papers Presented to the Seventh International Conference on Patristic Studies held in Oxford 1971, Part III: Tertullian, Origenism, Gnostica, Cappadocian Fathers, Augustiniana [Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 117], Berlin: Akademie-Verlag 1976, 3–20, 20). 9 Barnes stellt fest, dass Tertullians Gelehrsamkeit und Technik auch als eine Manifestation der Zweiten Sophistik-Bewegung gesehen werden kann, und charakterisiert Tertullian als „christlichen Sophisten“ (DERS., Tertullian, 213 sowie auch DERS., Tertullian the Antiquarian, 6–9). Zur Schulbildung im Kontext der Bewegung der Zweiten Sophistik vgl. WEBB, RUTH, Schools and Paideia, in: Daniel S. Richter/William A. Johnson (Hg.), The Oxford Handbook of The Second Sophistic, Oxford/New York: Oxford University Press 2017, 139–153. 10 Vielmehr lässt das Zeugnis, dass Apuleius, der sich selbst als philosophus und orator verstand und gemeinsam mit seinem Stiefsohn Pontianus Karthago für weitere Studien verlassen hat (vgl. Flor. 18,8; Apol. 72,2 f.), den Schluss zu, dass die Ausbildung in Karthago
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
Im zehnten Kapitel von De idololatria bietet Tertullian im Kontext der Argumentation, welche Handlungen als Götzendienst zu bewerten sind, ein ausführliches Bild der Elementarschule Karthagos.11 In De Pallio lässt er den Philosophenmantel, das Pallium, die Berufe aufzählen, in denen dieses getragen werden sollte; dazu zählen u.a. der Lehrer der Elementarschule, den Tertullian in seinen drei Funktionen als „erster Lehrer der Buchstaben“ (primus informator litterarum), „erster Sprachlehrer“ (primus enodator vocis) und „erster Rechenlehrer“ (primus numerum harenarius) aufführt,12 der grammaticus sowie der rhetor und sophista.13 Zuletzt lässt er in Adv. Val. 8,3 in einem Beispiel einen „geistig äußerst faden lateinischen Rhetor in den Schulen Karthagos“ (in scholis Karthaginensibus fuit quidam frigidissimus rhetor Latinus) auftreten. Unabhängig davon, ob die zuletzt genannte Stelle tatsächlich als eine Erinnerung an Tertullians eigene Schulzeiten zu interpretieren ist oder lediglich als ein rhetorischer Kunstgriff, der zugleich seiner Leserschaft durch die Assoziation an ein reales Umfeld plausibel erscheinen soll,14 fällt der Plural in scholis auf, den Tertullian in der Anekdote nutzt. In Verbindung mit den beiden anderen Quellenhinweisen lässt sich nicht nur die Repräsentanz des dreigliedrigen römischen Systems aus Elementar-, Grammatik- und Rhetorikschule für Karthago konstatieren, sondern auch ein zweisprachiger Rhetorikunterricht. 15 bis zum Rhetor möglich war und der mögliche Philosophieunterricht „auf eher niedrigem Niveau angesiedelt war“ (VÖSSING, Schule und Bildung, 403; weitere Argumente dazu aaO., 322 ff. sowie 355, zu Apuleius’ Selbstverständnis 443 f.464). 11 Zur Argumentation, dass es sich um eine Elementarschule handelt, vgl. V ÖSSING, Schule und Bildung, 307 f. 12 Die drei mit der Elementarschule verbundenen Lehrer (primus belegt die Zugehörigkeit zur Grundstufe) sind ohne Parallele im römischen Reich (insbesondere enodator ist lediglich bei Tertullian belegt und harenarius bleibt in dieser spezifischen Bedeutung singulär; vgl. dazu TLL Art. enodator V/2 602,70–73; Art. (h)arenarius VI/3 2532,7–10 sowie HUNNINK, Tertullian. De Pallio, 288). Vössing plädiert dafür, die drei Lehrer als Personifikation der drei Unterrichtseinheiten der Elementarschule zu deuten, die historisch von einer Person unterrichtet wurden; die vorliegende Differenzierung des Elementarlehrers sei vielmehr ein rhetorischer Kunstgriff Tertullians (vgl. DERS., Schule und Bildung, 317–319; anders SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 142 f.). 13 Daneben folgen der „Arzt“ (medicus), der „Dichter“ (poeta), der „Musiker“ (qui musicum pulsat), der „Sterndeuter“ (qui stellarem coniectat) sowie der „Vogelschauer“ (qui volaticam spectat). 14 Vorliegend wird dafür plädiert, dass es sich primär um ein aus argumentativen Zwecken genutztes Exempel handelt, das einen Haftpunkt in der realen Schulwelt Karthagos haben kann. Allerdings kann daraus nicht zwingend auf eine eigene Schulerinnerung Tertullians geschlossen werden (vgl. dazu den Kommentar zur Stelle). Anders bewertet allerdings z.B. Barnes die Stelle (DERS., Tertullian, 196). 15 Zur Diskussion um ein zwei- oder dreistufiges System in der Antike vgl. VÖSSING, Schule und Bildung, 563–574 mit weiterer Literatur. Vössing plädiert zudem dafür, die Dreistufigkeit nicht zu schematisch zu verstehen, sondern als ein dynamisches System, das „Schüler [...] nicht in drei klar voneinander getrennten Etappen“ absolviert haben (aaO.,
3.1. Tertullians Bildungsmöglichkeiten in Karthago
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Sowohl die Differenzierung von rhetor und sophista in Pall.16 als auch die Betonung des rhetor Latinus in Adv. Val. weisen auf die Existenz eines getrennten griechischen sowie lateinischen Rhetorikunterrichts in Karthago Ende des 2. Jahrhunderts hin, dessen Ausrichtung einen spezifischen Fokus auf die Forensik gelegt hat und zur advokatischen Tätigkeit befähigte.17 Tertullian selbst hat diese Bildung erhalten, macht sie für sein eigenes Wirken fruchtbar und tritt in seinen Werken für die aktive Partizipation am römischen Alltagsleben ein. Diese Positionierung insbesondere auch für den Schulbesuch begründet sich in der aus seiner Perspektive einzig legitimen Intention, dass Christen des Lesens mächtig sein sollen, um die Grundlage des christlichen Glaubens, die Biblischen Schriften lesen zu können.18 Tertullian zielt auf einen ‚mündigen Christen‘ in Karthago, der den biblischen Schriften im Wissen um ihren Offenbarungscharakter zugleich als einen literarischen Text begegnen kann.19 Damit plädiert er für die Ermöglichung der eigenständigen Erschließung der schriftlichen Glaubensgrundlage, ohne dass er etwas über die historisch tatsächlichen Gegebenheiten der Bildung der Christen in Karthago aussagt.20 567). Inhaltlich wurden sowohl archaische Literatur (Plautus, Accius, Lucretius, Ennius) als auch die sogenannte ‚silberne Latinität‘ (Plinius, Tacitus, Seneca) und Cicero gelesen und von den Griechen Homer, Herodot und Platon (vgl. STEINER, HEINRICH, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia [Studien zur Theologie und Geschichte 3], St. Ottilien: EOS Verlag Erzabtei St. Ottilien 1989, 95–97 sowie VÖSSING, Schule und Bildung, 574–585). 16 H UNNINK bemerkt zu sophista: „Most likely we are to think of famous, travelling public speakers such as Apuleius. [...] In that case, we would have something like a fourth stage in literary training here, after that of the litterator, the grammaticus, and the rhetor.“ (DERS., Tertullian. De Pallio, 288 f.). Parallelstellen aus dem römischen Reich sammelt dazu auch VÖSSING, Schule und Bildung, 321 Anm. 1156. 17 Vgl. dazu u.a. STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 31; V ÖSSING, Schule und Bildung, 384–387; SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 145; GEMEINHARDT, PETER, Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung (Studien und Texte zu Antike und Christentum 4), Tübingen: Mohr Siebeck 2007, 69; TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus, 440. Zum Profil Tertullians s.u. 3.2. Cyprian und Augustin waren zu Rhetoriklehrern ausgebildet; die Lehrstühle gaben sie als Kleriker (so Cyprian) oder als Folge dessen, „was man Bekehrung nennen kann“ (so Augustin; DRECOLL, VOLKER H., III. Entwicklungen – 3. Die ‚Bekehrung‘ in Mailand, in: ders. [Hg.], Augustin Handbuch, Tübingen: Mohr Siebeck 2007, 153–164, 153) auf (vgl. dazu auch BARNES, Tertullian, 194 f.). 18 Vgl. Idol. 10,4 f. 19 Vgl. dazu mit Quellenbelegen bei Tertullian auch G EMEINHARDT, Das lateinische Christentum, 71–73 sowie SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 142 f. 20 Tertullians Worte über die simplices in der Gemeinde (Adv. Prax. 3,1; vgl. dazu auch den Exkurs zu Adv. Val. 2,2) sind dahingehend zu deuten, dass der Großteil der Gläubigen in Karthago ungebildet war. Dass hinter den simplices – aus der Perspektive derjenigen, die Schulbildung über den Elementarunterricht hinaus genossen haben – allerdings keine Analphabeten standen, stützt die Beobachtung der wertschätzenden Formulierungen bei Tertullian, der sich z.B. im Kontext der Widerlegung der Valentinianer auch als simplex
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
Schulbildung stand für Tertullian – insbesondere auch als Christ – nicht infrage, sondern bildete eine als notwendig angesehene Basis und Konstante. Es bedeutet für ihn keinen Widerspruch, als Christ den Lehrerberuf zu versagen und zugleich – so liest es sich implizit aus seinen Werken heraus – für die Notwendigkeit der Schulbildung auch für Christen zu votieren, obgleich er sich zugleich nirgends positiv dazu äußert. 21 Denn Tertullians Interessenspunkt liegt nicht primär auf der Frage nach dem „Erwerb von Bildung, sondern um deren Einsatz zum Zweck literarischer Analyse, die nach Tertullian in sacris nicht prinzipiell zu vermeiden ist.“22 Es sind lebenspraktische Fragen, denen sich Tertullian stellt, zu denen auch die Notwendigkeit der Bildung zählt und denen z.B. Aussagen zur Teilnahme am öffentlichen Leben entsprechen, dem sich Christen nicht einfach entziehen konnten,23 oder auch die Rezeption des hellenistisch-römischen Literaturguts, wie u.a. Adv. Val. aufweist. Entsprechend deutet Tertullian die Anwendung der erlernten rhetorischen Fähigkeiten als notwendige Reaktion auf die Herausforderung durch seine Gegner.24 Der rechtgläubige, ‚mündige Christ‘, wie er in Tertullians Werken erkennbar wird, unterwirft sich damit dem Paradigma, zwischen dem eigenen, christlichen, monotheistischen Glauben und den lediglich als Bildungsgüter zu wertenden polytheistischen Erzählungen differenzieren zu können. 25 Tertullian verfolgt damit weder das Ziel einer Synthese von antiker Kultur und christlicher Praxis noch begründet er eine Antithese. Das Paradox besteht darin, dass er der Tradition und Kultur, der er entstammt, zum einen zutiefst verbunden blieb und diese für sein Wirken als Christ fruchtbar machte, zum anderen aber „aus konzeptionellen Gründen kein positives Verhältnis [dazu, SMK] entwickeln“26 konnte. Generell lässt sich beobachten, dass Tertullians Haltung zur antiken Kultur, die ihn prägte, kontextbedingt ist und in jedem einzelnen Werk bezeichnen kann. Vössing stellt heraus, dass die Grenze der Bildung, die Tertullian vor Augen stand, kein Analphabetismus, sondern literarische Bildung, wie sie auf der Grammatikschule vermittelt wurde, oder gar rhetorische Bildung war. Allerdings findet sich in Tertullians Zeugnis „keine Aussage über die faktische Verbreitung“ der Elementarbildung in der Gemeinde, vielmehr wird eine „selbstverständliche Wertschätzung der Schriftlichkeit“ ausgedrückt (DERS., Schule und Bildung, 548, vgl. ein etwas anderes Ergebnis bei SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 142–148). 21 Vgl. Idol. 10; dazu auch G EMEINHARDT, Das lateinische Christentum, 64–69 sowie SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 231 f. 22 G EMEINHARDT, Das lateinische Christentum, 72. 23 Vgl. z.B. auch mit Blick auf die spectatcula die Differenzierung zwischen der passiven und aktiven Teilnahme, die für Tertullian beide verwerflich sind (Spect. 15,3–8). 24 Vgl. Resurr. 5,1. 25 Gemeinhardt verweist auf das Antiquitätsprinzip als an den Biblischen Schriften als Maßstab genommener „hermeneutischen Schlüssel für das Verhältnis von Christentum und paganem Altertum“, das die Christen um ihn bzw. mindestens seine Leser mit ihm teilten (DERS., Das lateinische Christentum, 77–80, Zitat 78). 26 G EMEINHARDT, Das lateinische Christentum, 81 Anm. 92.
3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians
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gesondert analysiert werden muss, sodass eine pauschale ablehnende Haltung zu kurz greift. Vielmehr steht er in dem Zwiespalt, Partizipation an der antiken Bildung und Kultur als notwendig zu betrachten und auch zu verwenden und zugleich ein aktives Unterweisen dieser – dem entspricht ein aktives Partizipieren an den spectacula – zu untersagen; denn ein Lehrer oder Schauspieler muss die mythologischen, polytheistischen Inhalte nicht nur vermitteln, er muss diese glaubwürdig vertreten, er muss an den Festen partizipieren und so mit einer Haltung auftreten, die zum Anspruch des Christentums im Widerspruch steht. Es gilt, die „bleibende kategoriale Differenz“ der „faktisch alternativlosen Verbindung von römischer Kultur und christlichem Leben“ wahrzunehmen.27 Tertullian ist kein ‚Bildungsfeind‘; vielmehr zeigt er auch hier die Grenzen auf, die er für eine ernsthaft ausgelebte, der einen veritas christiana verpflichteten Überzeugung sieht.
3.2 Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians anhand von Adv. Val. 3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians
Der in Karthago, möglicherweise auch in Rom28 ausgebildete Tertullian wird in seinen Werken erkennbar. Auf die Inhalte von Tertullians Bildung, die er in den karthagischen Schulen erworben hat, lassen sich aus seinen Werken annäherungsweise Rückschlüsse ziehen, was z.B. Steiner, Fredouille, Barnes untersucht und systematisiert haben. Neben der rhetorischen Kunstfertigkeit zeigt sich Tertullians philosophische Grundbildung, weist er „ein beträchtliches Maß an Vertrautheit mit der heidnischen Literatur in lateinischer Sprache“29 sowie eine intensive Beschäftigung mit den Biblischen Schriften auf und weiß auch Anekdoten aus dem alltäglichen Leben gezielt zu verwenden. Die jeweils exemplarisch am Gesamt-Œuvre arbeitenden Untersuchungen haben Adv. Val. wenig thematisiert.30 Dabei lässt sich auch aus dieser Schrift ein Profil Tertullians erkennen, das er gezielt argumentativ gegen die Valentinianer einsetzt. Tertullians Talent tritt zunächst in sprachlich-stilistischer Hinsicht in Adv. Val. hervor. Mit diesem Werk steht Tertullian vor der Aufgabe, eine ursprünglich in griechischer Sprache tradierte Lehre einem lateinischsprachigen Publikum zu vermitteln. Dazu legt er einerseits der Narratio die griechische Fassung des irenäischen Werks Ἔλεγχος καὶ ἀνατροπὴ τῆς ψευδώνυμου γνώσεως GEMEINHARDT, Das lateinische Christentum, 81 sowie 81 Anm. 92. Vgl. dazu bereits Kap. 3 Tertullian – Konturen eines gebildeten und rhetorisch versierten Christen in Karthago, Anm. 4. 29 TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus, 506. 30 Eine Überblicksuntersuchung bietet u.a. STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia. Seine Analyse von Adv. Val. findet sich auf einer halben Seite wieder (aaO., 118). 27
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
zugrunde, das er teils wörtlich ins Lateinische überträgt.31 Dies hat ihn andererseits auch dazu veranlasst, neue Termini zu bilden, um die ursprünglich griechischen von den Valentinianern verwendeten Termini sowie christliche Begriffe auf Latein wiedergeben zu können. Es begegnen der Leserschaft eine Reihe solcher sogenannter Neologismen, die zuerst in Adv. Val. belegt sind.32 Zugleich finden sich noch Spuren des Griechischen in der von Tertullian angegeben Methodik zur Wiedergabe der valentinianischen Äonen-Namen. Einige Namen tradiert er auf Griechisch in lateinischer Umschrift, verspricht allerdings, lateinische Übersetzungen am Seitenrand zu bieten. Die in lateinischer Übersetzung verwendeten Namen plant er supralinear im Griechischen anzuführen.33 Die hebräische Sprache beherrschte er hingegen nicht, wie die Polemik zum Namen Achamoth in 14,1 nahelegt. Als christlicher Rhetor flankieren und basieren die Biblischen Schriften seine Argumentation, die auf der Verteidigung der einen christlichen Wahrheit beruht.34 Neben die Autorität des Apostel Paulus, auf die sich Tertullian über Vgl. dazu 9.2.2. Dazu zählen: designator, 3,5; detector, 3,5; supparare, 4,3 und 14,2; supernitas, 7,1; innatus, 7,3; 11,2 und 15,1; primordialis, 7,8; deiectio, 10,1; circumductor, 10,3; inauguratio, 11,1; inadprehensibilis, 11,3; adprehensibilis, 11,3; expiatus, 13,1; paedagogatum, 13,1; antistitum, 13,1; comparaticum, 13,1; peraequati, 11,4; consubstantivus, 12,5 und 18,1; extrinsecus, 12,5; ininterpretabilis, 14,1; defectiva, 14,1; incorruptibilitas, 14,2; ferruginans, 15,3; sulphurans, 15,3; illuminator, 15,5; rigator, 15,5; exterminium, 16,2; massaliter, 16,3; passionalis, 16,3; paratura, 16,3; frugesco, 17,1; primigenitalis, 20,2; coelementato, 23,2; concorporificato, 23,2; defunctus, 26,2; transmeatorius, 27,1; geneatorius, 27,1; ovanter, 281; obventicius, 29,3; comparaticius, 31,1; innascibilis, 37,2. Vgl. zur christlichen Begriffsbildung durch Neuprägungen die Untersuchung von WELLSTEIN, Nova Verba. 33 Vgl. auch den Kommentar zu 6,2. 34 In der Forschung wurden die beiden Extrempositionen diskutiert, dass Tertullian einer alten karthagischen Bibelübersetzung folgt bzw. dass er frei, ohne Kenntnis einer solchen Bibelübersetzung aus dem griechichen Text übersetzt. Tertullian selbst bekundet in Adv. Marc. II 9,1 f. und Adv. Prax. 5,2 f., dass ihm der griechische Text vorlag, den er ins Lateinische überträgt. Allerdings hat eine Diskussion sämtlicher Bibelstellen erwiesen, dass keine solche lineare Antwort korrekt ist, sondern sich bei Tertullian selbst eine Variationsbreite an Zitaten findet. Neben Stellen, die wie in Adv. Marc. oder Adv. Prax. als eine direkte Übersetzung aus dem Griechischen einzuordnen sind, lassen sich Evidenzen dafür finden, dass Tertullian einige lateinische Übertragungen kannte, ohne dass diese Autorität für ihn besessen habe (vgl. z.B. zu Jes: GRYSON, ROGER, Esaias [Vetus Latina 12], Freiburg: Herder 1987–1993, 16; zu 1Kor FRÖHLICH, UWE, Epistula ad Corinthios I [Vetus Latina 22], Freiburg: Herder 1995, 169–181; zu den Pastoralbriefen FREDE, HERMANN JOSEF, Epistulae ad Thessalonicenses, Timotheum, Titum, Philemonem, Hebraeos [Vetus Latina 25], Freiburg: Herder 1975–1982, 143 f. oder zu den sogenannten katholischen Briefen THIELE, WALTER, Epistulae Catholicae [Vetus Latina 26], Freiburg: Herder 1956–1969, 79; sowie auch O’MALLEY, Tertullian, 3–62 und die Feststellung Harnacks, dass „Tertullian in der griechischen Bibel lebte und webte, sie stets zur Hand hatte und in zahlreichen Fällen aus ihr selbst übersetzte“ [HARNACK, ADOLF VON, Tertullians Bibliothek Christlicher Schriften, in: 31
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3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians
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das Stichwort apostolus in 2,3 und 5,2 beruft, tritt insbesondere das Matthäusevangelium. Das wörtliche Zitat aus Mt 10,16 bildet das Argument für den grundlegenden Widerspruch gegen die Valentinianer, die Praemunitio in Adv. Val. 2 f. In Kap. 2 fällt die Häufung der biblischen Anspielungen auf, die rhetorisch der Wichtigkeit der eigenen Verortung der christlichen Grundlegung entspricht.35 Biblische Rekurse dienen Tertullian zudem in seiner Polemik, um die Posteriorität der Valentinianer zu belegen, sowie als Autoritätsargument für die eine – von Tertullian postulierte – christliche Wahrheit.36 Daneben treten biblische Anspielungen, die in der valentinianischen Lehre grundgelegt sind.37 Diese karikiert Tertullian gerne zusätzlich, wenn er beispielsweise den Demiurgen voller Sarkasmus als „Zenturio vom Evangelium“ (centurio de evangelio; Adv. Val. 28,1) betitelt, um auf den Vergleich mit dem Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,5 f.) anzuspielen.38 Häufiger allerdings finden sich Anspielungen auf Literatur aus der hellenistisch-römischen Umwelt. Diese Gewichtung ist der Intention von Tertullians Schrift geschuldet, die Valentinianer gerade nicht als christliche Gruppe, sondern als eine unter dem Deckmantel des Christentums fungierende, im Wesen polytheistisch ausgerichtete Glaubensgemeinschaft zu porträtieren.39 Dass dabei zugleich die eigene christliche Ausrichtung die Grundlage bildet, zeigt nicht nur der Grundtenor an, der immer wieder auf die veritas christiana zielt und antithetisch die Unglaubwürdigkeit der valentinianischen Lehre herausstellt, sondern auch die biblische Fundierung in Kap. 2, bevor Tertullian ab Kap. 3 mit Reminiszenzen an die Literatur aus der hellenistisch-römischen Umwelt spielt. Auf elf bzw. zehn antike Autoren rekurriert Tertullian Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 10 (1914), 303– 334, 307]). Die bei Tertullian bezeugten Bibelzitate finden sich in den vom Vetus-LatinaInstitut in Beuron herausgegebenen Editionen in den Anmerkungen; die Vetus Latina selbst bezeichnet eine „Vielfalt an Texten und Textbruchstücken, die in direkter oder indirekter Überlieferung in Bibelhandschriften und als Zitate bei christlichen Autoren und liturgischen Texten erhalten sind“ (vgl. ZELZER, KLAUS, § 468. Vetus Latina, in: Klaus Sallmann [Hg.], Die Literatur des Umbruchs. Von der Römischen zur Christlichen Literatur. 117 bis 284 n. Chr. [Handbuch der lateinischen Literatur der Antike 4], München: C.H. Beck 1997, 352– 367, 353]. 35 Vgl. Mt 2,16; 27,22 f. in Adv. Val. 2,2; Mt 18,3, 1Kor 14,20 und SapSal 1,1 in Adv. Val. 2,3 sowie Mt 3,16; 4,1 und Gen 8,8 f. in Adv. Val. 2,4. 36 Vgl. z.B. 1Tim 1,4; Tit 3,9 in Adv. Val. 3,4; 1Kor 11,19 in Adv. Val. 5,2; Mt 13,24– 30.31 f. sowie 1Kor 15,37.44 in Adv. Val. 29,3; Mt 25,6 in Adv. Val. 31,1; Jes 40,6 in Adv. Val. 32,1 (als Zitat); Mt 22,30 sowie 2Kor 5,2.4 in Adv. Val. 32,5; Mt 10,24 in Adv. Val. 33,1. 37 Vgl. u.a. Jes 53,2 f. in Adv. Val. 14,1; Kol 1,16 in Adv. Val. 16,1; Jes 45,5 in Adv. Val. 21,1; Gen 1,2.6–10.26; 2,7; 3,21 in Adv. Val. 24,1–3; Mt 3,16; 27,11 f. in Adv. Val. 27,2; 1Kor 5,6–8 in Adv. Val. 31,1; Röm 7,22 und Eph 3,16 in Adv. Val. 32,2. 38 Vgl. dazu den Kommentar zur Stelle. 39 Vgl. die Zusammenfassung in 3,3 sowie das gesamte Werk Adv. Val.
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
namentlich40 und zitiert aus zwei Schriften explizit, während weitere Anspielungen die Interpretation der widerlegenden Darstellung Tertullians unterstreichen.41 So bietet Tertullian zumeist implizite Anspielungen, die bei seiner gebildeten, antiken Leserschaft Assoziationen an die griechische und römische Mythologie hervorrufen lassen und die ihm selbst über die (Schul-)Lektüre der römischen Dichter, insbesondere Vergil und Ovid, vermittelt wurde. Hinter den näherhin unbekannten Märchen der „Türme der Lamia“ und der „Kämme des Sol“ in 3,3 kann eine Gestalt – Lamia – aus der griechischen Mythologie stehen sowie auf die Legende zur Gründungsgeschichte Roms angespielt werden, wie sie Vergil in seiner Aeneis überliefert. Vergils Werk hat auch in Kap. 10 Eingang gefunden, ohne von Tertullian explizit benannt zu werden.42 Der Einwurf causa mali tanti („Der Grund für so viel Übel!“; 10,2) entspricht der vergilischen Formulierung, die dieser zweimal mit Blick auf die Königstochter Lavinia aufschreibt (Aen. VI 93; XI 479 f.) und parallelisiert die valentinianische Sophia mit der ebenfalls jungen, weiblichen Protagonistin. Mit diesem Ausruf wird eine – vordergründig von den Frauen – jeweils unabsichtlich ausgelöste, negative Ereigniskette kommentiert. Anders verhält es sich mit dem Dichter Ovid und seinem Werk Metamorphosen, auf das Tertullian in 12,1 als Ganzes explizit in einem polemischen Vergleich mit der abschließenden festigenden Gleichmachung aller Äonen im Pleroma nach der valentinianischen Lehre rekurriert. Dieser Vergleich legt 40 Ob es elf oder zehn Nennungen sind, hängt von der Wertung der Äußerung der miscellania Ptolemaei in 12,4 ab, vgl. den Kommentar zur Stelle. Die hier angenommene ironischpolemische Deutung Tertullians lässt Ptolemäus nicht als eine aus der Antike zitierte AutorAutorität zählen, sondern deutet eine klimaktische Anspielung auf den gleichnamigen Valentinianer und seine vorliegend bekämpfte Lehre. 41 Vgl. zur Bildung Tertullians B ARNES, Tertullian, 187–210. Barnes arbeitet exemplarisch heraus, dass Tertullian nicht nur die klassischen Schulautoren Vergil, Terenz, Sallust und Cicero eingehend kannte, sondern auch in der Literatur der sogenannten silbernen Latinität (Plinius, Tacitus und Juvenal) so bewandert war, dass er sie argumentativ in seinen eigenen Werken verwenden konnte. Eine eingehendere Untersuchung zur Literatur-Rezeption in Tertullians Werk bietet STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 38– 130. 42 Dass Tertullian Vergil kannte und insbesondere auf die Aeneis in seinem Werk häufig rekurriert, belegt auch der explizite Vergleich der valentinianischen Äonenlehre mit der Weissagung mit den 30 Ferkeln des Sauprodigiums aus der vergilischen Aeneis (vgl. Adv. Marc. I 5,1 sowie Verg., Aen. III 390–393; VIII 42–45). Zur Vergil-Kenntnis Tertullians sowie den Dichtern vgl. BRAUN, René, Tertullien et les Poètes Latins, in: ders. (Hg.), Approches de Tertullien. Vingt-Six Études sur l’auteur et sur l’œuvre (1955–1990) (Collection des Études augustiniennes 134), Paris: Études Augustiniennes 1992, 97–109; FREUND, STEFAN, Vergil im Frühen Christentum. Untersuchungen zu den Vergilzitaten bei Tertullian, Minucius Felix, Novatian, Cyprian und Arnobius (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, Neue Folge 16), Paderborn: Schöningh 2000, 29–96.
3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians
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nahe, dass in 10,1 die Parallele der Stilisierung der Sophia nach ihrem Fall – Sophia sei „entstellt durch Blässe, Magerkeit, Ungepflegtheit“ (deformatam eam pallore, macie, incuria) – mit der Charakterisierung der Göttin Invidia durch Ovid in Met. II 775 beabsichtigt ist. Schließlich kommentiert Tertullian diese Zeichnung Sophias, die eine Zufügung aus seiner Feder bildet, mit einem „glaube ich“ (credo). Ebenfalls aus Ovids Metamorphosen ist der Hintergrund für die Anspielungen in 15,3 bekannt, wenn Tertullian die mythologischen Tränen der Achamoth, aus denen nach valentinianischer Lehre die feuchte Substanz hergeleitet wird, mit Beispielen für gefährliche Wasser in der (mythologischen) Geschichte der hellenistischen und römischen Antike vergleicht. 43 Zuletzt finden sich Allusionen an Bilder der griechischen Mythologie, wenn er z.B. den valentinianischen Menschen in 25,3 als vierfachen Geryon bezeichnet und damit nicht nur die mythologische Figur karikiert. In 12,4 rekurriert Tertullian ebenfalls lediglich stichwortartig auf die Geschichte der Pandora, die Hesiod überliefert, und den Nestortrank, den Homer beschreibt. Entsprechend der archaisierenden Vorliebe im 2. Jahrhundert ist Ennius in Adv. Val. sehr präsent. Tertullian weiß ein direktes Zitat aus den lediglich fragmentarisch erhaltenen Annalen des Epikers zu überliefern, dessen Interpretation er zudem mit Verweis auf Jupiter erneut in der mythologischen Welt verankert.44 Dieses bildet die hermeneutische Folie zu Beginn der Darstellung der valentinianischen Lehre in der Narratio (Adv. Val. 7,1). Die Lehre wird nicht nur mit der Vorstellungswelt des Götterpantheons parallelisiert, sondern der Vergleich mit der Fiktion des Werks des römischen Dichters stellt die valentinianische Lehre als „noch verwunderlicher [... heraus] als die Vorstellungen eines Ennius oder Homer.“45 Ebenfalls singulär lässt sich die polemische Anspielung auf das gleichnamige Werk Ennius’ Sabinas raptas in Adv. Val. 32,3 in die Ennius-Rezeption einordnen.46 Neben Rekursen auf poetische Werke finden sich einige, die sich auf Dramatiker in dieser die Valentinianer bekämpfenden Schrift beziehen. Entsprechend Tertullians Strategie, die vorsieht, der von ihm als Tragödie stilisierten Lehre mit komödianten Elementen zu begegnen,47 kommt der Komödie und dem Mimus ein besonderer Stellenwert zu. Dort finden sich auch zwei explizite Rekurse, wenn Tertullian in 14,4 den Laureolus des Catull als Vergleichspunkt heranzieht und in 12,5 „andere Possenreißer der Osciae“ (Osciae scurris) anführt. Entsprechend seiner Gesamtanlage des Werkes Adv. Val. degradiert er
Neben Ovid berichtet auch Plinius in seiner Naturalis historia von diesen Quellen. Dieses findet sich lediglich noch in einer Quelle im 5. Jahrhundert bezeugt, vgl. dazu den Kommentar zu Adv. Val. 7,1. 45 FREUND, Vergil im frühen Christentum, 32 Anm. 2. 46 Vgl. dazu jeweils den Kommentar zur Stelle. Zum Enniuszitat vgl. auch B RAUN, Tertullien es les poètes latins, 25. 47 Vgl. dazu 6.4. 43
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
die valentinianische Lehre, indem er deren Stoff als eine Tragödie klassifiziert und die mythosimmanente Szenenabfolge als ein auf der Theaterbühne dargebotenes Schauspiel stilisiert (13,2; 33,2). Diesem Vergleich entsprechen der Aufmerksamkeitsaufruf und die Vorhersage der Erheiterung der Leserschaft in 6,3 sowie die karikierende Aufforderung zum Applaus (13,2), die ebenfalls römischer Komödiendichtungen entspringt und sich zudem auch in der Fabelliteratur findet.48 Hinter dem Hinweis auf die „Patina des Accius“ in 12,4 steht möglicherweise der gleichnamige Tragödiendichter Lucius Accius aus dem 2. Jahrhundert. Die Verwendung des Theaters und der Dramaliteratur verhilft Tertullians Leserschaft auf persönliche Assoziationen zurückzugreifen, die aus der Erfahrung eigener Theaterbesuche in Karthago wachgerufen werden können.49 Als weitere literarische Gattung findet auch ein Geschichtswerk Eingang in Adv. Val., wenn Tertullian in 34,2 polemisch auf den Historiker Fenestella und sein Werk Annalen anspielt.50 Die Allusionen an die Literatur aus der griechisch-römischen Umwelt vollzieht Tertullian stichwortartig mit punktuellen Nennungen.51 Die Rekurse auf die Biblischen Schriften bilden dabei den Grundton für Tertullians eigenes Fundament. Als Christ macht er seine literarische Prägung und Bildung durch das hellenistische und lateinische Literaturgut fruchtbar, ohne sich einseitig oder gar bildungsfeindlich davon zu distanzieren. Er nutzt die grundsätzliche Ablehnung dichterischer Fiktion und der mythologischen verarbeiteten Stoffe in den Dramen, um in gesteigerter Form die darzustellende Lehre der Valentinianer zu entkräften, indem er sie auf den Boden der Fiktion stellt. Es zeigt sich seine zwar kritische Einstellung zu diesen Werken der nicht-christlichen Kultur, die er aber zugleich für seine eigenen argumentativen Zwecke zu nutzen weiß.52 Schließlich zielt Tertullian nicht darauf „bei aller Verkehrtheit des Gottesbildes der Dichter, bei aller Verderbtheit ihrer einst wahren Überlieferung, bei aller Fruchtlosigkeit der Dichterzitate zur Heidenbekehrung [...] die
Dass Tertullian auch diese explizit kennt, belegt die Anspielung auf „die Dohle des Asöp“ in 12,4. 49 Zu den archäologischen Funden des römischen Theaters in Karthago s.u. 6.4. 50 Bereits Laktanz bewundert Tertullians Bildung in jedem literarischen Genre (vgl. Inst. V 1,23). 51 „Freilich muß man nicht unbedingt davon ausgehen, daß er jeden Autor, den er erwähnt, auch selbst im Original gelesen hat, so manches hat er sich wohl aus Florilegien angeeignet, die damals vielfach im Umlauf waren – doch werden wir ihm sicher unterstellen dürfen, daß er überall, wo es anging, bemüht war, an die Originale zu kommen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.“ (STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 97). Letzteres postuliert STEINER ohne weitere Belege. 52 Zu einem ähnlichen Fazit kommt STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 128–130. 48
3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians
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Dichter aus dem christlichen Bewußtsein tilgen zu wollen“. 53 Vielmehr macht er sich dieses Wissen über das Allgemeingut des gebildeten Bürgers in seinen polemisch-ironischen Argumenten fruchtbar und „zu Verbündeten seines Kampfes“54. Das literarische Gut der griechischen und lateinischen Umwelt wird ein Mittel zum Zweck der Bekämpfung, d.h. der Widerlegung der valentinianischen Lehre ohne eine endgültige Zerstörung, indem diese literarisch in die Grundrichtung eingeordnet wird, die aufgrund ihrer genuin polytheistischen Ausrichtung nach Tertullian aus einer ernst genommenen christlichen Perspektive abgelehnt werden muss. Selbstverständlich stellt Tertullian damit auch seine eigene literarische Belesenheit heraus,55 der primäre Zweck allerdings findet sich werkimmanent in der polemischen Opposition und Widerlegung seiner Gegner. Die literarischen Rekurse und Reminiszenzen prägen zugleich den „Charakter einer literarisch fundierten Ironie“56, mit der Tertullian die valentinianische Lehre bekämpft. Neben die christliche und literarische Prägung treten Bezüge zur Philosophie. Tertullians geistige Abhängigkeit von philosophischem Gedankengut – insbesondere der Stoa –57 zeigt sich in seinem gesamten Œuvre.58 Seine philosophische Beschäftigung reagiert dabei auf seine literarischen Herausforderungen. So stilisiert er beispielsweise seine Gegner durch plakative Zuordnung zu philosophischen Richtungen und identifiziert Valentin als Platoniker und Markion als Stoiker (Praescr. 7,3). Damit bekräftigt Tertullian seinen Vorwurf, dass die Häresien gedankliche Anleihen in den jeweiligen
FREUND, Vergil im frühen Christentum, 33. Zur Untersuchung von Tertullians kritischer Rezeption der griechischen und römischen Dichter, wie es aus seinem gesamten Œuvre ersichtlich wird, vgl. BRAUN, Tertullien et les poètes latins. 54 „[...] ses alliés des combat [...]“. (B RAUN, Tertullien et les poètes latins, 33). 55 Nach Steiner ist dies der primäre Zweck der literarischen Anspielungen und Zitate in Adv. Val. (vgl. DERS., Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 118). 56 STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 118. 57 Vgl. POHLENZ, M AX, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1948, 436–440. Zu Tertullians philosophischer Prägung vgl. insbesondere BARNES, Tertullian, 205 f.; STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 198. 58 In diese sind seine philosophiefeindlichen Bemerkungen in ihrer je eigenen Kontextualisierung einzuordnen (vgl. insbesondere Praescr. 7,9 und Apol. 46–49). Vgl. dazu u.a. FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 301–357 sowie STEINER, Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 174–218. Osborn plädiert mit Hilfe eines sehr weiten PhilosophieBegriffs dafür, Tertullian als Philosophen zu verstehen (vgl. OSBORN, ERIC, Was Tertullian a Philosopher?, in: Elizabeth Livingstone [Hg.], Studia Patristica. Bd. XXXI: Papers presented to the Twelfth International Conference on Patrisic Studies held in Oxford 1995, Leuven: Peeters 1997, 322–334). Diese Deutung stützt die literaturkritische Rubrizierung solcher Texte wie des vorliegenden in der hohen Kaiserzeit (vgl. dazu auch Kap. 4 der Einleitung). 53
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
philosophischen Konzepten haben.59 Der Bekämpfung der als häretisch klassifizierten Gedanken folgt daher auch zwangsläufig eine Ablehnung der jeweiligen im konkreten Fall mit der häretischen Position verbundenen philosophischen Richtung.60 In Adv. Val. rekurriert Tertullian explizit sowohl auf den Philosophen Epikur (7,4) als auch auf die philosophischen Strömungen der Pythagoräer, der Stoiker sowie die Person Platons (15,1), um diese für seine Polemik fruchtbar zu machen. Neben diese polemischen Aufnahmen treten Gedankengänge, die positive Bezüge zur Philosophie aufweisen. Wenn Tertullian in Adv. Val. 3,2 im Kontext der Frage nach der Art und Möglichkeit der Gotteserkenntnis folgert, dass neben die Erkenntnis Gottes aus der Natur und den Werken mit Hilfe der menschlichen ratio die erhöhte Erkenntnis durch die Biblischen Schriften und Offenbarung tritt, markiert er keinen Widerspruch der beiden Erkenntniswege, sondern präzisiert und ergänzt die ‚philosophische Methode‘ durch die – in seiner Perspektive – vollkommenere, christliche Erkenntnis. Zudem sei auf die explizite Nennung Justins verwiesen, mit dem Tertullian die Reihung seiner theologischen Vorgänger beginnen lässt, denen er mit diesem Werk nachfolgen will (5,1). Justin wird näherhin als philosophus und martyr charakterisiert. Entsprechend der rein positiven Würdigung der vier Persönlichkeiten in 5,1 lässt auch die erste Charakterisierung Justins als Philosophen ein positives Verständnis Tertullians erahnen, der in Justin die Verbindung von philosophischem Denken und christlichen Glauben adäquat verwirklicht sah.61 Als Absolvent der Rhetorikschule war Tertullian insbesondere auch rhetorisch gebildet und ließ diese Erkenntnisse in Adv. Val. einfließen.62 Dies belegt die gesamte Anlage des Werks, was sich deutlich in 6,3 zeigt; die Rhetorik ist bei Tertullian „im Dienst der Polemik“ funktionalisiert.63 Insbesondere Ciceros 59 Zum mittelplatonischen Deutungshintergrund der valentinianischen Lehre vgl. ALAND, BARBARA, Gnosis und Philosophie, in: dies., Was ist Gnosis? Studien zum frühen Christentum, zu Marcion, und zur kaiserzeitlichen Philosophie (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 239), Tübingen: Mohr Siebeck 2009, 45–90; DIES., Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben. Kosmosfrömmigkeit versus Erlösungstheologie, in: dies., Was ist Gnosis? Studien zum frühen Christentum, zu Marcion, und zur kaiserzeitlichen Philosophie (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 239), Tübingen: Mohr Siebeck 2009, 103–124. 60 Hierbei handelt es sich um einen gängigen Topos der gegen Häretiker gerichteten Polemik; bereits Irenäus widmet den zweiten Band seiner Widerlegung der Häresien der These, dass die Philosophie die Quelle aller Häresien bildet. 61 So lässt sich auch die wertschätzende Formulierung Seneca saepe noster in Anim. 20,1 deuten. 62 Die Skizzierung des Beispiels des in Adv. Val. 8,3 auftretenden Rhetoriklehrers belegt ebenfalls die Kenntnis einer Rhetorikschule, ohne dass dort konkrete eigene Erinnerungen verarbeitet sein müssen. 63 Zum Zitat vgl. die gleichnamige Überschrift bei G EMEINHARDT, Das lateinische Christentum, 63 sowie den Kommentar zu 6,3 und Kapitel 5 der Einleitung.
3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians
25
Werk kannte Tertullian, ohne dies an irgendeiner Stelle zu explizieren; allerdings ähneln sich manche Formulierungen im Wortlaut sehr (vgl. 6,3).64 Seine rhetorische Bildung verlieh ihm eine „advokatische Art des Argumentierens“65. Allerdings hat sich der Karthager, statt vor Gericht zu plädieren, wofür sich keine Zeugnisse finden, als Literat betätigt; in seinen Werken hat er häufig das genus iudicale als Grundstruktur gewählt.66 Eusebs biographische Notiz, die Tertullian als „sehr bewandert in den römischen Gesetzen“ beschreibt, wird in der Forschung als Zeugnis herangezogen, um für den Berufsstand eines Advokaten oder gar professionellen Juristen zu votieren.67 Allerdings formuliert diese Notiz nicht eindeutig eine advokatische Tätigkeit, sondern spricht vielmehr von der Bildung Tertullians. Es ist zudem auszuschließen, dass Tertullian mit seinem namensgleichen Zeitgenossen, dem in Rom wirkenden Juristen Tertullianus, identisch ist. 68 Vielmehr erklären sich Tertullians juristische Kenntnisse aus der Ausrichtung der Praxis des Rhetorikunterrichts in Karthago im 2. Jahrhundert mit einem spezifischen Fokus auf die Forensik sowie Tertullians Prägung in der Zeit der Zweiten Sophistik.69 Steiner bietet eine psychologisierende, empirisch nicht näher nachweisbare Erklärung: „Daß er gerade einen Cicero, dessen Rhetorik er wohl die wesentlichste Formalgrundlage für seine Schriften verdankt, kaum jemals direkt erwähnt, ist vielleicht auch mit einem gewissen Verdrängungseffekt zu erklären: Er wollte weder sich noch anderen zugestehen müssen, was er diesem Autor verdankte.“ (DERS., Das Verhältnis Tertullians zur antiken Paideia, 129). Dass Ciceros Werke Orator und De Oratore im Karthago des 4. Jahrhunderts gelesen wurden, belegt Augustin (ep. 118,2.34; vgl. dazu HÜBNERs Artikel im Augustin Handbuch: HÜBNER, WOLFGANG, Klassische Lateinische Literatur und Rhetorik, in: Volker H. Drecoll [Hg.], Augustin Handbuch, Tübingen: Mohr Siebeck 2007, 49–60, 50–53 und VÖSSING, Schule und Bildung, 378 Anm. 1296). 65 TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus, 506; vgl. auch die Analyse zur Struktur von Adv. Val. in Kapitel 4 der Einleitung. 66 Vgl. dazu die Untersuchung von SIDER, Ancient Rhetoric. 67 Eus., H.e. II 2,4 (GCS 9/1, 110,16–18 SCHWARTZ/M OMMSEN): ταῦτα Τερτυλλιανὸς τοὺς Ῥωμαίων νόμους ἠκριβωκώς, ἀνὴρ τά τε ἂλλα ἒνδοξος καὶ τῶν μάλιστα ἐπί Ῥώμης λαμπρῶν; die von Rufin tradierte lateinische Fassung bleibt hier unklarer (111,16 f.): haec Tertullianus, vir et legum et institutionum Romanorum peritissimus. Zum Ergebnis dieser Berufsdifferenzierung gelangt Rankin, der die Forschungsgeschichte zu dieser Fragestellung resümiert: „[...] that it is likely that Tertullian was an advocate (if he was either) rather than that he was a professional jurist; and that as such he possessed only as much legal knowledge as was necessary to exercise that particular vocation.“ (RANKIN, DAVID I., Was Tertullian a Jurist?, in: Elizabeth Livingstone [Hg.], Studia Patristica. Bd. XXXI: Papers presented to the Twelfth International Conference on Patrisic Studies held in Oxford 1995, Leuven: Peeters 1997, 335–342, 342). 68 Vgl. zur Diskussion um den von Ulpian und im Codex Iustinianus genannten Juristen Tertullianus und den gleichnamigen Nordafrikaner die eingehende Analyse bei BARNES, Tertullian, 22–29. 69 S.o. Kap. 3 Tertullian – Konturen eines gebildeten und rhetorisch versierten Christen aus Karthago, Anm. 9. Der „Ehrgeiz der Advokaten [...] ebenso wie die Erwartung der 64
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Kapitel 3: Tertullian – Konturen eines gebildeten Christen
Es lässt sich annehmen, dass Tertullian nicht als Advokat oder gar Jurist arbeitete, dass er auch kein Philosoph war und nicht als Kleriker in den Kirchen Karthagos lebte. Weder als (Rhetorik-)Lehrer an den Schulen in Karthago noch als christlicher Lehrer wird er seinen Unterhalt erworben haben.70 Der hochgebildete christliche Laie verdiente sein Geld außerhalb eines Amtes seiner Kirche.71 In den Gelehrtenzirkeln Karthagos war er zu Hause. Als gebildeter Rhetor lebte Tertullian in einer hohen Unabhängigkeit und führte einen akademischen, literarischen und zugleich an die Lebenswelt der Christen um ihn herum angebundenen Diskurs. In der Welt der Sophisten hat er seine literarische Tätigkeit in den Dienst des christlichen Glaubens gestellt und Traktate verschiedener Couleur verfasst.72 Mit Adv. Val. etabliert er den häretischen Diskurs weiterhin und erarbeitet einen Baustein auf dem Weg zu einer christlichen Klienten [sollten] in erster Linie auf die rhetorisch-literarische Ebene“ gerichtet sein (VÖSSING, Schule und Bildung, 385). Vössing verweist zudem auf das Lehrbuch Iul. Sev., der Berufsanfänger vor zu tief gehender Rechtskenntnis warnt (aaO., 386 Anm. 1317 sowie SIDER, Ancient Rhetoric). 70 Vgl. dazu seine Positionierung insbesondere in Idol. 10. 71 Ob Tertullian Priester war, ist in der Forschung umstritten. Allerding lassen sich die Selbstaussagen eher dahingehend verstehen, dass Tertullian als anerkannter Laie innerhalb der Gemeinde Karthagos wirkte und als solcher schriftstellerisch äußerst rege tätig war. Zwar redet Tertullian nach Anim. 9,4 vor der Gemeinde (... quid de anima disserveramus ... [VCS 100, 11,16 WASZINK]), allerdings zählt er sich selbst eindeutig zu den Laien (vgl. Castit. 7,3: Nonne et laici sacerdotes sumus? Scriptum est: Regnum quoque nos et sacerdotes deo et patri suo fecit. Differentiam inter ordinem et plebem constituit ecclesiae auctoritas et honor per ordinis concessum sanctificatus. Adeo ubi ecclesiastici ordinis non est concessus, et offers et tinguis et sacerdos es tibi solus. Sed ubi tres, ecclesia est, licet laici. [SC 319, 92,15–21 MORESCHINI/FREDOUILLE]. Vgl. auch Mon. 12,2). Erst in der biographischen Deutung wird Tertullian das Priesteramt zugeschrieben (vgl. Hier., Vir. Ill. 53,1). Barnes deutet diese Notiz als ein Wunschdenken Hieronymus’ einer Parallelisierung zwischen sich selbst und Tertullian (DERS., Tertullian, 11). Butterweck argumentiert auch gegen einen Katechumenenunterricht, da kein fester Schülerkreis auszumachen sei (DIES., Tertullian, 94). 72 Ob Tertullian selbst als Sophist einzuordnen ist, hängt von der Bewertung der Bewegung der Zweiten Sophistik ab. So charakteriseren Barnes oder Moreschini Tertullian als „christlichen Sophisten“. Ein sophista sei jemand, der literarisch zu apologetischen Zwecken zum Schutz des eigenen Glaubens bzw. Philosophie tätig war (vgl. MORESCHINI, CLAUDIO, Tertulliano Christianorum Sophista, in: Enrico Dal Covolo, Giancarlo Rinaldi [Hg.], Gli imperatori Severi. Storia, archeologia, religione [Biblioteca di Science Religiose 138], Rom: LAS 1999, 197–206, 205 f.; BARNES, Tertullian, 211–232; DERS., Tertullian the Antiquarian). Die bleibende Differenz zur Identität eines Sophisten markiert Vössing: „Hier liegt – bei aller Vergleichbarkeit [Apuleius’ und Tertullians; SMK] – der entscheidende Unterschied zu Tertullian, der immer für eine inhaltliche Position (und somit natürlich zugleich für sein Prestige) kämpfte und sich dabei seiner Bildung bediente, während es etwa Apuleius in erster Linie um die Anerkennung seiner Bildung (und damit seines Prestiges) ging, wobei er sich eher unstrittiger, in literarischer Form geprägter Themen bediente.“ (DERS., Schule und Bildung, 469).
3.2. Zum Profil von Bildung und Rhetorik Tertullians
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Lehre, auf deren Grundlage diese in den kommenden Jahrhunderten von den nächsten Theologen-Generationen profiliert werden kann.
Kapitel 4
Adv. Val. – eine polemische Streitschrift als christliche Lehrschrift 4. Adv. Val. – eine polemische Streitschrift
Als rhetorisch gebildeter, christlicher Literat sieht sich Tertullian herausgefordert, gegen verschiedene Fronten (apologetische) Schriften zu verfassen. Thematisch als Abgrenzungsschrift zur valentinianischen Lehre angelegt, verfasst er mit Adv. Val. zum einen ein anti-valentinianisches Werk, in dem er das valentinianische Lehrsystem in einer polemischen Darstellung widerlegt. Als Offenbarungs- und Enthüllungsschrift soll sein Werk abschreckend auf seine Leserschaft wirken und zugleich in Form der polemischen Widerlegung erheiternde Wirkung erzielen. Genus orationis bildet dem Titel entsprechend (adversus) daher das genus iudicale als Angriff und Auflösung des Wahrheitsanspruchs der valentinianischen Lehre vor der richtenden Leserschaft. Zum anderen aber ist die Schrift auch dem genus demonstrativum zuzuordnen, das implizit unterhalb der Oberfläche zur veritas christiana drängt. Zugleich nämlich bietet diese Auseinandersetzung die Möglichkeit einer festigenden Selbstbestimmung der eigenen christlichen Position Tertullians. Als ein dynamischer Prozess wird der eigene christliche Glaube in polemisch-ironischer Auseinandersetzung mit der fremden, unter christlichem Namen lancierten Lehre plausibilisiert und ausformuliert. Neben der Form einer leidenschaftlichen und polemischen Streitschrift ist Adv. Val. daher vom Charakter einer bestärkenden Schrift für die eigene christliche Position geprägt. Entsprechend der literarturwissenschaftlichen Rubrizierung der hohen Kaiserzeit lässt sich diese christliche Lehrschrift daher auch als philosophischer Traktat klassifizieren. In Angriff und Abgrenzung von der valentinianischen Lehre wird zugleich die eigene Grundlage der fides christiana manifest. Agierendes Strukturmoment bildet für Tertullian die veritas. Bereits in Praescr. 1,1 hatte Tertullian die Verunsicherung einiger Christen bis hin zur „Umkehr ihres Glaubens“ als Auslöser seines Schreibens markiert: Die gegenwärtige Zeitlage veranlasst uns noch einmal, an Folgendes zu erinnern: Wir dürfen uns nicht über jene Häresien verwundern, sei es darüber, dass sie existieren – für die Zukunft wurden sie nämlich verkündet –, sei es darüber, dass sie den Glauben einiger umkehren; denn
Kapitel 4: Adv. Val. – eine polemische Streitschrift
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dazu sind sie da, dass der Glaube durch die Erfahrung einer Versuchung auch eine Prüfung erfahre.1
Die Existenz von Häresien markiert er einerseits als unabdingbar für das zeitgeschichtliche Geschehen. Darin zeigt sich ein weiterer Hinweis für die doppelte Intention seiner antihäretischen und apologetischen Schriften. Erst in der Abgrenzung der als gegnerisch gezeichneten Position findet zugleich eine Konkretisierung und klarere Fokussierung der eigenen christlichen Position statt. Andererseits deutet Tertullian den Zweck der Häresien – zwar entsprechend seiner polemischen Ader überspitzt – in der Umkehrung des Glaubens einiger Christen (vgl. auch Adv. Val. 1,1: Valentinianer als apostatae veritatis). Diese Bestimmung überführt er in eine generelle Aussage über einen als notwendig zu erachtenden Zweck der Existenz von Häresien, was er rhetorisch durch den Parallelismus temptatio/probatio unterstreicht. Die Erfahrung der Versuchung des Glaubens gleicht einer Glaubensprüfung, an dessen Ende für Tertullian nur ein Ausgang stehen kann. Letztendlich deutet er die Existenz der Häresien als positive Prüfung und Konkretisierung des eigenen Glaubens, die im antihäretischen Vorgehen kristallin wird. Dabei befruchten sich in Tertullians Werk sein apologetisches Verhalten und sein antihäretisches Interesse gegenseitig und sind fluide zu denken. Auch in Adv. Val. finden sich apologetische sowie attackierende Züge, die in widerlegender Ablehnung die festigende Selbstvergewisserung des eigenen christlichen Glaubens intendieren.2 Tertullian hat bereits mit seinem Apologeticum 197 nach Christus abweichend zu den klassischen Apologien des 2. Jahrhunderts eine fiktive Verteidigungsrede abgefasst. In der Forschung zeigt sich die Tendenz, unabhängig von der Gattung der Apologie die Apologetik als „apologetische Methode“ näher zu bestimmen, d.h. als eine Argumentationsstrategie, die nicht auf eine literarische Form festgelegt ist und dynamisch auf die jeweiligen Zeitbedingungen
SC 46, 88,1–6 REFOULÉ/DE LABRIOLLE: Condicio praesentium temporum etiam hanc admonitionem provocat nostram non oportere nos mirari super haereses istas, sive quia sunt, futurae enim praenuntiabantur, sive quia fidem quorundam subvertunt, ad hoc enim sunt ut fides habendo temptationem haberet etiam probationem. 2 “The second century, in particular, was a battleground for the struggle of Christians to control their own discourse and define their faith.” (CAMERON, AVERIL, Christianity and the Rhetoric of Empire. The Development of Christian Discourse [Sather Classical Lectures 55], Berkeley: University of California Press 1991, 21). 1
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Kapitel 4: Adv. Val. – eine polemische Streitschrift
reagiert hat.3 Was dabei für das 4. Jahrhundert herausgestellt wird4 – nämlich die literarische Apologetik von Christen gegen Christen – findet sich in kleiner Form bereits bei Tertullian: Auch er zielt darauf, die eine Wahrheit als im Besitz der Christen um ihn herum gegen Abweichler, zu denen er die valentinianischen Christen zählt, herauszustellen. Als Folge erscheint die Grenzziehung zwischen einem ‚richtigen‘ und einem ‚falschen Christentum‘. 5 Literarisch zeigt sich die Ergänzung von Apologetik und Polemik: Verteidigung und Angriff, Apologie und widerlegende Polemik sind koexistent zu denken. In Verteidigung und Angriff sind zeitgleich in beiden Formen die Selbstverortung
3 “Apologetic texts are texts which in one way or another include elements of defence. […] As a consequence a text must also answer some kind of attack to be labelled apologetic. These attacks can be explicit or implicit; they can be real or constructed by the author himself.” (JACOBSEN, ANDERS-CHRISTIAN, Apologetics and Apologies – Some Definitions, in: ders./Jörg Ulrich/Maijastina Kahlos [Hg.], Continuity and Discontinuity in Early Christian Apologetics [Early Christianity in the Context of Antiquity 5], Frankfurt a. M.: Peter Lang 2009, 5–21, 5). Jacobsen wehrt damit explizit die Zuordnung antihäretischer Texte ab, die nicht auf einen vorhergehenden Angriff reagieren, sondern selbst einen Angriff auf eine andere Position vollziehen (aaO., Anm. 3). Zugleich (vgl. Praescr. 1,1) spürt Tertullian eine reale Herausforderung: Eine ‚falsche Vertretung‘ des christlichen Glaubens unter dem Label des christlichen Glaubens kann von Tertullian durchaus als Angriff verstanden oder gedeutet worden sein. So wäre sein polemischer Angriff bereits reaktiv zu verstehen; die Beschreibung dieses vorgängigen ‚Angriffs‘ fehlt allerdings. Vgl. zur Definition EDWARDS, MARK J. u.a., Introduction, in: dies. (Hg.), Apologetics in the Roman Empire. Pagans, Jews, and Christians, Oxford: Clarendon Press 1999, 1–13, 1; FIEDROWICZ, MICHAEL, Apologie im Frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, Paderborn: Schöningh 2000, 10–16; zur Gattung der Apologie vgl. CAMERON, AVERIL, Apologetics in the Roman Empire – a Genre of Intolerance?, in: JeanMichel Carrié/Rita Lizzi Testa (Hg.), Humana Sapit. Études d’Antiquité Tardive Offertes à Lellia Cracco Ruggini (Bibliothèque de l’Antiquité Tardive 3), Turnhout: Brepols 2002, 219–228, 220–223; KLOSTERGAARD PETERSEN, ANDERS, The Diversity of Apologetics. From Genre to a Mode of Thinking, in: Anders-Christian Jacobsen/Jörg Ulrich/David Brakke (Hg.), Critique and Apologetics. Jews, Christians, and Pagans in Antiquity (Early Christianity in the Context of Antiquity 4), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2009, 15–41, 17–23; FIEDROWICZ, aaO., 21 f.; Zitat bei CAMERON, aaO., 221. Vgl. zudem KLOSTERGAARD PETERSEN, aaO., 25: “in fact, it can be argued that an apologetic element is involved in almost every form of communication in the sense that an inherent aspect of human interaction […] reflects a constant attempt to protect and to defend one’s own interests as part of the continual forging of an own identity”. 4 Vgl. z.B. U LRICH, JÖRG, Apologetics and Orthodoxy, in: ders./Anders-Christian Jacobsen/David Brakke (Hg.), Critique and Apologetics. Jews, Christians, and Pagans in Antiquity (Early Christianity in the Context of Antiquity 4), Frankfurt a. M.: Peter Lang 2009, 209– 229. 5 Diese Strategie findet sich bei Tertullian auch in anderen Werken, vgl. z.B. Adv. Marc. oder auch Apol.
Kapitel 4: Adv. Val. – eine polemische Streitschrift
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und Selbstvergewisserung des eigenen Standpunkts sowie Selbstdefinition und Definition der anderen genuiner Bestandteil.6 Auch ein inhaltlicher argumentativer Bezug lässt sich zwischen Tertullians beiden Schriften Apol. und Adv. Val. aufweisen: Das Kontrastmotiv occultum/manifestum, das im Apol. die Oberflächenstruktur der forensischen Rede komplementär als zweites Gefüge bestimmt und für die Interpretation unabdingbar ist, nutzt Tertullian auch in Adv. Val. als literarische Strategie.7 Das Kontrastmotiv bestimmt sein argumentatives rhetorisches Vorgehen. In beiden Schriften bildet veritas den Bezugspunkt und Ausgangspunkt des rhetorischen Agierens Tertullians. Fredouille bestimmt sie als eines der „Prinzipien der christlichen Eloquenz“8 Tertullians, das seiner christlichen Rhetorik zugrunde liegt. Im Apol. strebt veritas ihrem eigenen Wesen entsprechend danach, erkannt zu werden (Apol. 1,2), wird aber durch ihre Ankläger, die römischen Statthalter, verfolgt und geheim gehalten (1,1). Die Aufgabe der Ankläger wäre es nach Tertullian aber gerade, der Wahrheit zu gestatten, sich zu offenbaren – dies sieht er auch in ihrem erhobenen Sitz auf dem Byrsa-Hügel in Karthago bestätigt.9 Auch in Adv. Val. markiert veritas für Tertullian die Aussage über Wirklichkeit und Existenz des einen und einheitlichen Gottes, auf den sich der christliche Glaube bezieht. Schließlich ist es ein wesenhaftes Charakteristikum der veritas, offenbar zu sein (und gerade nicht verborgen; Adv. Val. 3,2) und freudig und furchtlos zu lachen (6,3). Als Objekt der Unterweisung verbindet sie in sich simultan die Momente der Lehre (docere) und der Überzeugung (persuadere), während zugleich deutlich wird, dass das primäre Moment der doctrina gilt, die deshalb ohne menschliche Überzeugungsversuche überzeugend ist, weil sie vera ist (1,4). Insgesamt zeigt sich, dass das Wortfeld occultare/abscondere im Exordium sehr präsent ist.10 Tertullians Ziel besteht darin, die Wahrheit aus
CAMERON, Apologetics, 224 f. Vgl. auch JACOBSEN, Apologetics and Apologies, 12 f. Für Apol. hat dies Georges in seinem Kommentar herausgearbeitet, vgl. DERS., Tertullian ‚Apologeticum‘, 38–44. 8 FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 30: „[...] principes d'une éloquence chrétienne [...]“. Fredouille leitet den platonischen philosophischen Hintergrund her, der in der Stoa wieder rezipiert wurde, vgl. mit Quellenbelegen aaO., 31 f. 9 Georges zeigt, dass die argumentative Grundstruktur diesem Kontrastmotiv entspricht, wenn die verborgenen Taten der Christen in Apol. 7–9 den offenbaren Taten jener als Anklagegegenstand gegenüberstehen, denen sich Tertullian im Großteil des Werkes (Apol. 10– 45) widmet. Tertullian verfolgt sein Grundmuster, die christliche Wahrheit aus dem Verborgenen, in dem die Ankläger sie halten – im Hintergrund werden sie von der Macht der Dämonen bestimmt (2,14; 27,4) –, ins Offenbare herauszuführen (46,2). 10 occultare (sechsmal): 1,1 (zweimal); 3,3 (Gegenbegriff zu manifestus); 10,2 (curare de occultatione; vgl. 1,1); 18,2 und 25,2 (mythosimmanent); in Apol. 11mal; Adv. Marc. 28mal (davon Adv. Marc. II dreimal; III einmal; IV achtmal; V 16mal) und Anim. zehnmal von gesamt 76 Nennungen bei Tertullian; manifestus: 3,3; abscondere (viermal): 3,1 (Wesen der 6
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Kapitel 4: Adv. Val. – eine polemische Streitschrift
den Fängen der Häretiker zu befreien. Veritas inhäriert dabei eine Dynamik, die vom occultum zum manifestum hinstrebt und der Offenbarungslogik folgt. Dabei betont Tertullian die Verborgenheitsdimension stärker, um das Paradox der Wahrheit im Verborgenen zu verdeutlichen. Das grundliegende Argumentationskonzept konstruiert daher die offenbare Wahrheit gegen die zu verbergende Häresie, sodass eine Frontverschiebung stattfindet. Eine innerchristlich entstandene Differenz wertet Tertullian als eine Scheidung in einen ‚inner‘ und einen ‚outer-circle‘, wobei dem zweiten das Christsein abgesprochen wird. Mit Adv. Val. bietet Tertullian daher eine perspektivische Momentaufnahme seiner Wahrnehmung der Grenzziehung zwischen den zur Gruppe der Christen um ihn herum gehörenden Glaubenden und den als Valentinianern Außenstehenden. Diese Momentaufnahme ist dynamisch und prozessual zu bewerten.11 Die veritas ist die agierende Autorität, auf deren Folie Tertullian die valentinianische Lehre, die in seiner Wertung die veritas christiana gerade verkehrt, in seiner widerlegenden Darstellung bekämpft. Die Intention der Enthüllung und Ans-Licht-Ziehen der aus seiner Perspektive aus schamhaften Gründen verborgenen Lehre, deren Anhänger in gesteigerter Form mit einer Geheimhaltunsgspflicht belegt sind, liegt in der Offenlegung der – nach Tertullian – im Wesen unglaubwürdigen Lehre, deren mythologischer Charakter, polytheistische Ausrichtung und obszön-sexuellen Anspielungen offensichtlich werden. Die scheinbare auf der veritas basierende Glaubwürdigkeit wird zerstört.12 Literarisches Mittel bildet die Offenbarungs- und Enthüllungsschrift des valentinianischen Treibens. Dieser Intention entspricht die Abfassung des vorliegenden Werks auf Latein: Möglicherweise liegt hiermit die erste Schrift über die valentinianische Lehre in lateinischer Sprache vor, sodass anzunehmen ist, dass Tertullian diese Lehre auch einer Leserschaft zugänglich machen wollte, die des Griechischen nicht mächtig war.
Schlange); 3,2 (Widerspruch zu veritas); 3,5 (Valentinianer als Subjekt); 31,1 (mythosimmanent); detector: 3,5 (metaphorisch als Waffe im vorliegenden Werk). 11 “‘Christianity‘, ‘Hellenism‘ and ‘Judaism‘ are not fixed entities; rather, apologetic writings themselves create the respective identities which they purport to defend or attack.” (CAMERON, Apologetics, 223). 12 Vgl. dazu auch 6.
Kapitel 5
Struktur und Programm von Adv. Val. 5. Struktur und Programm von Adv. Val.
Adv. Val. gliedert sich in ein Exordium (Adv. Val. 1–6) und eine ausführliche Narratio (Adv. Val. 7–39), die sich zweifach unterteilen lässt. Während in Kap. 7–32 die widerlegende Darstellung der valentinianischen Lehre erfolgt, wie sie den Schülern um Ptolemäus zugeordnet wird – hier wird inhaltlich maßgeblich der irenäischen Darstellung gefolgt –, führt Tertullian in Kap. 33–39 verschiedene Lehrvarianzen an, die wie eine reductio ad absurdum das Werk beenden. Damit folgt Tertullian der irenäischen Strategie, die er allerdings nach seinem Gusto modelliert. Mit diesem Aufbau durchbricht er die klassische antike Disposition einer Rede.1 Sein Programm und Argumentationskonzept, das der Schrift Adv. Val. zugrunde liegt, markiert Tertullian im Exordium, das aus seiner Feder ohne eine erkennbare Vorlage stammt. Bevor dieses Konzept als solches betrachtet werden kann (5.2.), ist ein Blick auf die Verwendung des Exordiums in Adv. Val. zu werfen, das es in die rhetorische Lehrbuch-Tradition einzuordnen gilt (5.1). Anschließend ist auf gleiche Weise die Funktion der Narratio zu bestimmen, die als ‚widerlegende Darstellung‘ die Funktion der refutatio integriert (5.3). Auch für Tertullian boten Ciceros theoretischen rhetorischen Grundlegungen das Gerüst seines rhetorischen Agierens,2 das er in seinem literarischen Schaffen variierte und seiner Intention anpasste. Cicero selbst markierte die dispositio einer Rede bzw. Werks explizit als Moment, um die Aufmerksamkeit der Hörer bzw. Leser zu erhalten.3 Dass Tertullian nicht nur stilistisch der 1 Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 13. Fredouille weist auf die Freiheiten des Redners bzw. Autors hin, die bereits Cicero formuliert (Cic., De orat. II 307; vgl. auch Quint., Inst. VII 10,5–7). 2 S.o. 3.2. Gemeinhardt stellt – ohne nähere Begründung zur Auswahl dieses Jugendwerkes Ciceros – fest, dass „Ciceros De inventione [...] das hermeneutische Handwerkszeug, mit dessen Hilfe Tertullian die Auseinandersetzung um die rechte Deutung der Heiligen Schrift führt“, bietet (DERS., Das lateinische Christentum, 72). Für das 4. Jahrhundert belegt Augustin die Rezeption von Ciceros Werken De inventione, Orator und De oratore (Aug., ep. 118,2.34 sowie dazu HÜBNER, II. Traditionen 1. Klassische lateinische Literatur und Rhetorik, 50–53), sodass diese Werke vermutlich auch schon Tertullian studiert hat. Über die Verwendung weiterer Rhetorikhandbücher in Karthago finden sich keine Informationen (vgl. VÖSSING, Schule und Bildung, 378 mit Literaturhinweisen Anm. 1296). 3 Vgl. dazu die Analyse von M ÖLLER, M ELANIE, Ciceros Rhetorik als Theorie der Aufmerksamkeit, Heidelberg: Winter 2013, 212–234.
34
Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
antiken Rhetorik folgt, sondern auch das jeweilige Argumentationsmuster seiner Werke dieser verpflichtet ist, hat Sider in seiner Studie Ancient Rhetoric and the Art of Tertullian herausgestellt.4 Er sieht drei Charakteristika in Tertullians Anwendung der antiken Rhetorik gegeben, die sich ebenfalls auf Adv. Val. anwenden lassen: First, we shall find that he employs the textbook pattern of structure with a great degree of flexibility, omitting, transposing, and combining parts as the demands of rhetorical effectiveness suggested. Second, he brings to some of these parts a few basic features repeated so often as to become almost stereotyped. The exordium, for example, is developed with a great regularity on the basis of a central contrast or pejorative association. Third, his vigorous and abundant use of the premonition allows us a special interest in that feature, an interest which is heightened when we observe that occasionally he will set a premonition in balance with an amplification to give his composition something of a symmetrical effect.5
Um diese Adaption, wie sie Sider insbesondere für die Verwendung des Exordiums und den strukturellen Aufbau der Werke Tertullians herausstellt, auch für Adv. Val. nachvollziehen zu können, ist zunächst für die Verwendung des Exordiums sowie der Narratio beispielhaft die in den rhetorischen Lehrbüchern niedergeschriebene Bestimmung nachzuzeichnen und anschließend Tertullians Anwendung zu beschreiben. Um die lateinische Rhetorik-Tradition, wie sie vor 200 nach Christus belegt ist, als Deutungsfolie für Tertullians Agieren heranzuziehen, werden im vorliegenden Kontext knapp Ciceros und Quintilians Aussagen zu Funktion und Aufbau des Exordiums sowie die der anonymen Rhetorica ad Herrennium zusammengefasst. Von dort ausgehend wird Tertullians Agieren in Adv. Val. bewertet.6
5.1. Bedeutung und Funktion des Exordiums: Rhetorischer Hintergrund und Tertullians Adaption in Adv. Val. 5.1. Bedeutung und Funktion des Exordiums
Cicero definiert das Exordium als den Teil der Rede, „der den Geist des Hörers in geeigneter Weise auf den restlichen Vortrag vorbereitet“ und der diesen dazu 4 Vgl. zuvor z.B. bereits die Untersuchung von Becker zum Apologeticum: B ECKER, CARL, Tertullians Apologeticum. Werden und Leistung, München: Kösel 1954. 5 SIDER, Ancient Rhetoric, 22. 6 Die griechischen Progymnasmata des Hermogenes oder des Aelius Theon bleiben aufgrund dieser methodischen Engführung außen vor; vgl. dazu besonders HEATH, MALCOLM, Hermogenes. On Issues. Strategies of Argument in Later Greek Rhetoric, Oxford/New York: Oxford University Press 1995; KENNEDY, GERORGE A./RABE, HUGO, Hermogenes. Invention and Method. Two Rhetorical Treatises from the Hermogenic Corpus (Writings from the Greco-Roman World 15), Atlanta: Society of Biblical Literature 2005; KENNEDY, GERORGE A., Progymnasmata. Greek Textbooks of Prose Composition and Rhetoric (Writings from the Greco-Roman World 10), Leiden/Boston: Brill 2003 sowie PATILLON/BOLOGNESI, Aelius Théon. Progymnasmata.
5.1. Bedeutung und Funktion des Exordiums
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„wohlwollend, aufmerksam und belehrbar macht“.7 Die Funktionen korrelieren mit verschiedenen Genera8, über deren Angemessenheit der Redner situativ entscheiden muss und für die je verschiedene geeignete exordiale Topoi angeführt werden.9 Daher müssen „die einleitenden Partien der Rede stets präzise, treffend, reich an Gedanken und angemessen im Ausdruck sein“ und insbesondere – hier liegt Ciceros Hauptpunkt – müssen sie „zur Eigenart der Fälle passen.“10 Cicero vergleicht das Exordium mit einem Kampf.11 Das Exordium verhalte sich zur weiteren Rede bzw. zum weiteren Werk wie der Fechtkampf vor dem eigentlichen auf Vernichtung angelegten Gladiatorenkampf zu diesem. So wie vor dem eigentlichen Gefecht spielerische Scharmützel stattfinden, die nicht auf Verwundung des Gegners zielen, sondern vielmehr der Zurschaustellung dienen, soll das Exordium weniger eine „Gewaltanwendung“ als vielmehr „ein Genuss“ sein.12 Hier gilt es – wie beim Kampf, wenn „die Lanzen anfänglich so gelassen geschwungen werden“ –, „die Kräfte zu schonen“.13 7 De Inv. I 20: Exordium est oratio animum auditoris idonee comparans ad reliquam dictionem; quod eveniet, si eum benivolum, attentum, docilem confecerit. Cicero selbst thematisiert das Exordium in der älteren Schrift De inventione im Kontext der Besprechung der inventio, während er in De oratore im Kontext der Darlegung der dispositio auf das Exordium zu sprechen kommt. Vgl. auch Quint., Inst. III 5,2: Tria sunt item, quae praestare debeat orator, ut doceat, moveat, delectet. […] erunt enim quaedam remotae ab adfectibus, qui ut non ubique habent locum, ita quocumque inruperunt, plurimum valent. Zum Exordium vgl. auch SCHÖPSDAU, KLAUS, Art. Exordium, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 3 (1996), 136–140. 8 Cicero bestimmt fünf genera causarum: die ehrenhafte (honestum), die auffallende (admirabile), die unbedeutende (humile), die zweideutige (anceps) und die unklare (obscurum) Art des Falls (vgl. De Inv. I 20). 9 Vgl. Cic., De Inv. I 20–25. 10 De orat. II 315: Prinicipa autem dicendi semper cum accurata et acuta et instructa sententiis, apta verbis, tum vero causarum propria esse debent. (Übersetzung nach MERKLIN, HARALD, Markus Tullius Cicero. De Oratore. Über den Redner, Stuttgart: Reclam 2016, 409). 11 Vgl. die ähnliche Metaphorik, die Tertullian nutzt, um die Strategie und Anlage seines Werkes Adv. Val. zu beschreiben (Adv. Val. 3,5; 6,2 f. sowie 6.1.). 12 De orat. II 317: Nec est dubium, quin exordium dicendi vehemens et pugnax non saepe esse debeat; sed si in ipso illo gladiatorio vitae certamine, quo ferro decernitur, tamen ante congressum multa fiunt, quae non ad vulnus, sed ad speciem valere videantur, quanto hoc magis in oratione est spectandum, in qua non vis potius quam delectatio postulatur! Cicero amplifiziert das Argument und nihiliert auf der Metaebene die Existenz eines Naturereignisses, das „plötzlich mit aller Wucht hervorströmt“; auch dieses sei „von der Natur selbst durch ruhigere Anfänge vorbereitet“ (Nihil est denique in natura rerum omnium, quod se universum profundat et quod totum repente evolvat; sic omnia, quae fiunt quaeque aguntur acerrime, lenioribus principiis natura ipsa praetexuit. [ebd.]). 13 De orat. II 316: [...] primas illas hastas ita iactare leniter, ut et venustati vel maxime serviant et reliquis viribus suis consulant.
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Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
Dass das Exordium thematisch mit der folgenden Rede eng verbunden sein muss, hebt Cicero eigens hervor und verweist – erneut mit einem Vergleich aus dem militärischen Bereich – auf „das Vorspiel der samnitischen Fechter, die vor dem Kampf Lanzen schwingen, die sie während des Kampfes gar nicht gebrauchen“. Stattdessen müssten „die Gedanken, mit denen man schon das Vorspiel bestritt“, auch Gegenstand des eigentlichen (Wort-)Kampfes sein.14 Daher sei das Thema des Exordiums „aus dem Innersten des Falls entlehnt“15 und könne entweder „vom Angeklagten, vom Gegner, von der Sache oder von denen, die den Fall verhandeln, her“ begonnen werden.16 Auch das strukturelle Verhältnis zwischen dem Einleitungsteil und dem weiteren Werk müsse präzise bedacht sein, wie Cicero mit Hilfe des architektonischen Vergleichs der Beziehung von Vorhallen und Eingängen zu Tempeln und Häusern herausstellt.17 Das Exordium soll die Hörer- bzw. Leserschaft thematisch zum Gegenstand des folgenden Werks hinführen, indem auf die für die eigene Position und Person wohlwollende und damit für die zu verhandelnde Sache ablehnende Aufmerksamkeit abgezielt wird. In diese rhetorische Tradition ordnet sich auch das Exordium von Adv. Val. ein. Mit diesem zielt Tertullian darauf, die Affekte seiner Leserschaft zu beeinflussen. Die ciceronische dreifache Funktionalität lässt sich beobachten: Der ‚Geist des Lesers‘ soll thematisch zum Gegenstand der Schrift hingeführt werden (docilem parare), die neben einer Darlegung der valentinianischen Lehre auch die Bekräftigung der eigenen christlichen Lehre, die auf der veritas beruht, beinhaltet. Mit dieser bewussten Positionierung in der negativen Stilisierung seiner ‚Gegnerschaft‘ und zugleich gruppenbildenden Formulierung über die eigenen Standpunkte zielt Tertullian als Autor zugleich darauf, mit seiner Leserschaft über die Affektverbindung in Kontakt zu treten und ihre für seine Position und Deutung wohlwollende Aufmerksamkeit für das folgende Werk zu erhalten (benivolum et attentum parare; captatio benevolentiae). Tertullian wählt einen thematischen Ausgangspunkt (ex re). Dieser sei nach Cicero geeignet, „wenn sie (bzw. die Sache) grausam, ruchlos, unerwartet, unverschuldet, erbärmlich, unangenehm, unwürdig, neuartig, wenn sie nicht
14 Cic., De orat. II 325: Atque eius modi illa prolusio debet esse, non ut Samnitium, qui vibrant hastas ante pugnam, quibus in pugnando nihil utuntur, sed ut ipsis sententiis, quibus proluserint, vel pugnare possint. 15 Cic., De orat. II 318: Haec autem in dicendo non extrinsecus alicunde quaerenda, sed ex ipsis visceribus causae sumenda sunt. 16 Cic., De orat. II 321: sed cum erit utendum principio, quod plerumque erit, aut ex reo aut ex adversario aut ex re aut ex eis, apud quos agetur, sententias duci licebit. 17 Cic., De orat. II 320: sed oportet, ut aedibus ac templis vestibula et aditus, sic causis principia pro portione rerum praeponere; sowie 325: conexum autem ita sit principium consequenti orationi, ut non tamquam citharoedi proemium adfictum aliquid, sed cohaerens cum omni corpore membrum esse videatur.
5.1. Bedeutung und Funktion des Exordiums
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wiedergutzumachen und nicht heilbar ist“18 und wenn man zugleich „unsere Sache lobend hervorheben, die der Gegner in Verachtung niederdrücken“19 kann. Tertullian stilisiert die Lehre der Valentinianer als unwürdig (vgl. 6,2 f.), als schamlos (1,1; 3,3), als sexuell anrüchig und obszön (1,3) sowie als genuin polytheistisch (3,3 f.); daher werde diese mit allen Kräften geheim gehalten (1,1 f.; 3,5). Dieser steht die eigene christliche, auf der einen unumstößlichen veritas beruhenden Lehre gegenüber (vgl. 1,4; 3,2 und dazu 4.2.2). Tertullian nutzt das Exordium zur grundlegenden Gegenüberstellung von Glauben und Unglauben – in seiner Wertung formuliert als Gegenüberstellung von an der Wahrheit orientiertem Glauben und Häresie. Damit markiert und autorisiert er zugleich seinen eigenen christlichen Glauben in Differenz zur Lehre der Valentinianer. In diesem Werk bedarf es dazu nicht der ausführlichen Darlegung der regula fidei20; ihm genügt vielmehr eine Gegenüberstellung, um den Zusammenhang von veritas, fides und disciplina herauszustellen, den er in der valentinianischen Lehre bestreitet.21 Die thematische Hinführung ergänzt Tertullian mit Elementen, die auf die agierenden Personen zielen; diese nimmt entsprechend Ciceros Differenzierung bei den Gegnern ihren Ausgangspunkt (ex adversario) und ist geeignet, um die Gegnerschaft negativen Emotionen der richtenden Leserschaft auszusetzen.22 Auch Tertullian verbindet die Sachfrage mit den agierenden Personen: So werden die Valentinianer nicht nur von Beginn an als Gegner stilisiert, sondern in einem besonders negativen Licht gezeichnet. Sein Werk beginnt mit der Charakterisierung der Valentinianer als „Abgefallene der Wahrheit“, die „einen Hang zu erfundenen Geschichten haben“ und es mit den „Moralvorstellungen“ nicht zu ernst nehmen (apostatis veritatis et ad fabulas facile est et disciplina non terretur; 1,1); sie wären ‚Blender‘ (vgl. 1,1 f.), „spitzfindig“ (prudentes; 3,5) statt „klug“ (sapientes) oder „einfach“ (simplices; Adv. Val. 2 f.). Für diese Kontrastierung verwendet Tertullian auch die herkömmliche
Cic., De orat. II 322: ex re, si crudelis, si nefanda, si praeter opinionem, si immerito, si misera, si ingrata, si indigna, si nova, si quae restitui sanarique non possit. 19 Cic., De Inv. 22: ab rebus, si nostram causam laudando extollemus, adversariorum causam per contemptionem deprimemus. 20 Dreimal überliefert Tertullian die regula fidei, vgl. Adv. Prax. 2; Praescr. 13; Virg. Vel. 1. 21 Vgl. dazu 5.2. 22 Vgl. Cic., De Inv. 22: Ab adversariorum autem, si eos aut in odium aut in invidiam aut in contemptionem adducemus. In odium ducentur, si quod eorum spurce, superbe, crudeliter, malitiose factum proferetur; in invidiam, si vis eorum, potentia, divitiae, cognatio proferentur atque eorum usus arrogans et intolerabilis, ut his rebus magis videantur quam causae suae confidere; in contemptionem adducentur, si eorum inertia, neglegentia, ignavia, desidiosum studium et luxuriosum otium proferetur. Vgl. auch De orat. II 321. 18
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Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
Zuordnung der Häretiker mit Schlangen23 zum Ausdruck ihrer „bösartigen Raffinesse“24 und der Christen um ihn herum als simplices, in deren Gruppe Tertullian rhetorisch auch seine Leserschaft subsummiert. Schließlich seien sie nur dem Namen, nicht aber ihrer Lehre nach Valentinianer (4,1). Diese knappen Charakterisierungen nutzt Tertullian, um seiner Leserschaft ein einprägsames Bild der Personen zu geben, die er als Urheber dieser darzustellenden Lehre beschreibt. Nicht nur das Thema, die valentinianische Lehre, sondern auch die Personen dahinter skizziert Tertullian im Exoridum bewusst so, dass seine Leserschaft in ihren Affekten ablehnend beeinflusst ist. Tertullian zielt auf das die Valentinianer und ihre Lehre ablehnende Urteil seiner Leserschaft, dem ein wohlwollendes, zustimmendes Urteil mit Blick auf seine eigene Position entspricht. Dazu nimmt er seine Leserschaft in unmittelbarer Ansprache mit hinein und macht das zu verhandelnde Thema, das er als einen lächerlichen Stoff klassifiziert (vgl. 6,2 f.), dessen Vertretern allein aus diesem Grund kein Ansehen zukommen kann, auch zu ihrem (vgl. den Stil der Diatribe in 1,4 sowie die direkte Ansprache mit Imperativ in 6,2). Letztendlich thematisiert Tertullian eine Lehre, der in seinen Augen dieser Rang gerade abzusprechen ist. Die Ausführlichkeit des Exordiums mit sechs Kapiteln – was fast 1/6 des gesamten Werkes ausmacht – weist bereits auf die grundlegende Bedeutung hin, die Tertullian diesem für Adv. Val. zumisst. Schließlich entspricht es seiner Strategie, mit einer ausführlichen Narratio bereits alle Lehrgedanken seiner Gegner zu widerlegen (vgl. 3,5; 6,3; dazu ausführlich 5.3 sowie 6.1).
5.2. Das Programm von Adv. Val. entsprechend dem Exordium (Adv. Val. 1–6) 5.2. Das Programm von Adv. Val. entsprechend dem Exordium
Der Funktion des Exordiums entspricht Tertullians Struktur und Argumentationskonzept, das hier manifest wird und für die literarische und rhetorische Strategie grundlegend ist. Während der Einstieg in Kap. 1 als Interpretationsfolie das eigentliche Thema benennt, auf welcher Tertullian die widerlegende Darstellung der valentinianischen Lehre bieten will – die veritas christiana –, folgt in Adv. Val. 2 f. eine ausführliche Praemunitio, um der verhandelten Lehre und deren Anhängern von Beginn an jedweden Anschein von Glaubwürdigkeit zu nehmen. Tertullians Vorgehen widerspricht diametral den von ihm dargestellten Unternehmungen der Valentinianer. Während es für die Valentinianer – nach Tertullian „der größte Kultverein unter den Häretikern“ (1,1) – prioritäres Ziel ist, die eigene Lehre über das Pleroma zu verbergen, macht 23 Vgl. die Steigerung in Adv. Prax., wenn Tertullian im Exordium Praxeas als Teufel identifiziert (1,1–3). 24 SIDER, Ancient Rhetoric, 30.
5.2. Das Programm von Adv. Val. entsprechend dem Exordium
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Tertullian diese in seinem Werk seiner Leserschaft zugänglich. Er will Licht auf das in der Dunkelheit verborgene Tun der Valentinianer werfen, indem er ihre Verkündigung veröffentlicht. Dass hier ein üblicher Topos im Kampf gegen die Gnostiker vorliegt, belegt eine parallele Deutung bei Irenäus: „Der Sieg gegen sie besteht in der Offenlegung ihrer Lehre.“25 Tertullian argumentiert mit dem Kontrastmotiv occultum/manifestum[/non occultum]: Während die veritas danach strebt, in doctrina und disciplina offenbar zu sein, gelten die Valentinianer gerade als Abgefallene der Wahrheit (apostata veritatis, haeretici; 1,1). Hauptcharakteristikum, das Tertullian für sie ironisierend und polemisierend herausstellt, ist der prioritäre Wunsch, ihre Lehre und ethischen Richtlinien zu verbergen (occultare, z.B. 1,1.2). Durch die vergleichende Parallelisierung mit den Mysterien von Eleusis konterkariert Tertullian diesen Anspruch auf das Geheimnis. Die Funktion des Vergleichs besteht in einer klar wertenden Betonung ihrer Ritualhandlungen und nicht in einer Aussage über den juristischen Status der Gruppe der Valentinianer. Zugleich spricht Tertullian den Valentinianern jedweden Anspruch auf den Status, religio zu sein, ab. Haeresis und superstitio sind die für ihn gültigen Kategorien (vgl. 1,1); die Gruppe der Valentinianer definiere sich über ein gemeinsames Ritual, das in ihrer Lehre fundiert und für Außenstehende nicht zugänglich ist. Als Mysterien-Kult unterstellt Tertullian ihnen auch ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber ihrer Umwelt: Nach ihrer Lehre sind sie die mit Gewissheit bereits Erlösten, die daher – als Träger des pneumatischen Samens (vgl. 29,4; 30,1.3) – nicht mehr auf Gesetzlichkeiten zur normativen Lebensführung zu achten haben. Angesichts dieser klaren Hierarchie gibt es einen definierten ‚inner‘ und ‚outer-circle‘. Als Praemunitio untergräbt Tertullian in Adv. Val. 2 f. in einer grundlegenden Widerlegung jedweden Anspruch der Valentinianer, aus seiner Perspektive Christen zu sein und eine christliche Lehre zu vertreten. Vor der eigentlichen Darstellung ihrer unglaubwürdigen Lehre will Tertullian dieser gegnerischen Gruppe ihr Fundament entziehen. Dazu legt er den Valentinianern das Zitat Mt 10,16 in den Mund, um die vorgebrachte Deutung im folgenden Argumentationsgang umzukehren. Diese Strategie folgt häufig im gesamten Werk. Letztendlich seien die metaphorischen, mit der Taube verbundenen Christen um ihn herum diejenigen, die die Einfalt des Herzens (vgl. SapSal 1,1) tragen, während die mit der Schlange verbundenen Häretiker gerade negativ stilisiert werden als diejenigen, die lediglich nach Klugheit und Weisheit streben. Die Trennung in die intellektuelle und die emotionale Erkenntnis Gottes widerspricht Tertullians Menschenbild. Er skizziert den Zusammenhang an dieser Stelle als einen fließenden Übergang der Gotteserkenntis: Zu der im Anschluss an Paulus als kindlich geprägte Herzenseinfalt charakteriserte 25 Adv. Haer. I 31,3 (SC 264, 388,38 f. R OUSSEAU/D OUTRELAU): sive adversus eos victoria est sententiae eorum manifestatio.
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Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
Gotteserkenntnis kommt die Erkenntnis aus dem Verstand hinzu; hier zeigt sich Tertullians stoische Denkart. So würden die Valentinianer aber Gott gerade nicht erkennen können, als ihn vielmehr zu zerstören (2,4). Ein knapper geschichtlicher Abriss in Kap. 4 tradiert die Anfänge der Lehre, die ursprünglich auf den Namensgeber der Richtung (Valentin) zurückgeht. Das Kapitel dient Tertullian dazu, die Diversität und Pluralität der Lehre, die sich im Verlauf der Narratio zeigen wird, und zugleich die Abständigkeit der Valentinianer zu ihrem einstigen Namensgeber herauszustellen: Seine Gegner sind die Valentinianer, nicht Valentin. Tertullian zielt darauf, neben der Abständigkeit der Valentinianer von den Christen um ihn (im Bild: simplices und prudentes) auch eine innervalentinianische Diversität und Pluralität aufzuweisen. Polemisch zeichnet er das Bild der in sich in Nuancen und Grüppchen zerfallenden Häresie, die der einen Wahrheit verpflichteten einheitlichen Kirche – wie Tertullian sie versteht – diametral gegenüberstehen muss. Wenn die Hüllen, die sie sorgsam um sich wie eine Schminke schichten, wie Tertullian in einem polemischen Vergleich mit einer Prostituierten herausstellt (4,3), entfernt werden, bleibt ein substanzloses Gegenüber mit einem märchenhaften Lehrgebäude bestehen. Dem einen wahren christlichen Glauben begegnet eine instabile, in sich inkonsistente Lehre der Gnostiker. Letztendlich zielt Tertullian darauf ab, gar nicht anders zu können, als den Grund ihrer Glaubwürdigkeit zu zerstören, wenn er die Valentinianer direkt anschaut. Er wirft den Valentinianern spalterische Tendenzen durch vermessenes, raffiniertes Phantasieren vor, die nicht nur eine Spaltung mit der einen christlichen Lehre, sondern auch innerhalb ihrer Gruppe untereinander bewirke. Jede Darstellung der folgenden Lehre wird nun auch unter dem Vorwurf eines Phantasiegebildes gelesen werden. Um sein eigenes Werk zu legitimieren und die Richtigkeit seiner Überlieferung abzusichern, führt Tertullian Theologen der Vorgängergenerationen an, denen er mit seiner Schrift nachkommen will (Adv. Val. 5). Zuletzt folgt in Kap. 6 die Darlegung seiner eigenen Strategie, die zugleich eine Selbstlegitimation beinhaltet. Exkurs: veritas, disciplina und doctrina – Tertullians christliches Verständnis nach Adv. Val. 1 Tertullian nutzt das erste Kapitel seiner Schrift gegen die Valentinianer auf zwei Weisen: Zum einen skizziert er seine Perspektive auf diese gnostische Gruppe, vereinnahmt rhetorisch seine Leserschaft und bestimmt die für dieses Werk indizierte Leseperspektive: Die Valentinianer sind Häretiker. Polemisch konterkariert er das Bild der Valentinianer als Feinde Christi26 sowie der zur eigenen Gruppe gehörenden Christen, weil sie jenseits der
26 In 27,3 resümmiert er polemisch, dass die Valentinianer „offensichtlich auch selbst bloß scheinbare Christen“ seien (plane et ipsi imaginarii Christiani).
5.2. Das Programm von Adv. Val. entsprechend dem Exordium
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Wahrheit stehen. 27 Schließlich ist bei den Häretikern „unserer Wahrheit alles fremd und feindlich“ und „uns der Zugang (d.h. zu ihnen und ihrer Lehre) verboten“.28 Zum anderen aber umreißt er die seine eigene Theologie und Einstellung begründenden Maximen, ohne den Inhalt der Lehre (regula fidei) auszuformulieren. Mit den Termini veritas, disciplina und doctrina29 markiert Tertullian die Grenze, an der sich für ihn ‚rechtes‘ Christsein bemisst und anhand derer er seine eigene Position als plausibel erweisen muss. Grundlegend ist dafür das Verständnis der veritas.30 Der lateinische Terminus umfasst ein weiteres semantisches Feld als die heute geläufige Übersetzung mit „Wahrheit“. In veritas sind die Bedeutungsgehalte von Wahrheit und Wirklichkeit miteinander verbunden.31 „Dasselbe Wort gilt daher für den Inhalt des Urteils, für das Urteil und für die Person, die es vorbringt.“32 Der grundlegende ontologische Aspekt benennt die Wirklichkeit des Seienden (ἡ ἀλήθεια τῶν ὄντων)33. Für Tertullian drückt sich in diesem Terminus die Wirklichkeit Gottes, wie sie der in Sukzession der Apostel stehende christliche Glaube bekennt, aus; die Wirklichkeit der Existenz Gottes ist in veritas gesetzt.34 „Das wesenhafte Zusammengehören von Sein und Wahrheit, die Tatsache, daß Wahrheit die auf das denkende Vernehmen bezogene Struktur des Seins, also seine Unverborgenheit ist, berechtigt zu der Aussage: der Bereich des Intelligiblen, der Ideen oder des eigentlichen Seins ist Wahrheit.“35
Zur allgemeinen Häretikerpolemik bei Tertullian vgl. OPELT, ILONA, Die Polemik in der christlichen lateinischen Literatur von Tertullian bis Augustin (Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften 2. Reihe NF 63), Heidelberg: Winter 1980, 30–36.40–46 sowie den Kommentar zu haeresis in Adv. Val. 1,1. 28 Praescr. 12,1 (SC 46, 105,2–4 R EFOULÉ/DE LABRIOLLE): Apud haereticos, ubi omnia extranea et adversaria nostrae veritatis ad quos vetamur accedere? 29 Das Substantiv fällt dabei erst an späterer Stelle, ist hier allerdings durch die Verbalformen vertreten. 30 Mit insgesamt 12 Nennungen im gesamten Werk kommt dem Terminus tragende Bedeutung zu. Fünf der Vorkommen sind allerdings Nennungen des gleichnamigen valentinianischen Äons (je zweimal in 7,6 und 33,2 sowie 36,2). 31 Der die Wirklichkeit bezeichnende Terminus realitas stammt aus dem Mittelalter. Vgl. WÜLFING VON MARTITZ, PETER, Verus, Verum und Veritas, in: Glotta 48 (1968), 278–293, 281; CHAPOT, FRÉDÉRIC, Virtus Veritatis. Langage et Vérité dans l’œuvre de Tertullien (Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 186), Paris: Études Augustiniennes 2009, 15–27. 32 „Le même mot s’applique donc à l’objet du jugement, au jugement et à la personne qui l’émet.“ (CHAPOT, Virtus Veritatis, 21). 33 Pl., Men. 86b 1; vgl. dazu B EIERWALTES, W ERNER, Deus est veritas. Zur Rezeption des griechischen Wahrheitsbegriffes in der frühchristlichen Theologie, in: Ernst Dassmann, Karl Suso Frank (Hg.), Pietas. Festschrift für Bernhard Kötting (Jahrbuch für Antike und Christentum 8), Münster: Aschendorff 1980, 15–29, 15. 34 Tertullian weist selbst auf die platonische Trennung von Wirklichkeit (Idee) und Abbild hin: Anim. 18,3 (VCS 100, 24,22–26 WASZINK): vult enim Plato […] et illas quidem esse veritates, haec autem imagines earum. Denn ἀλήθεια/veritas „sagt nicht primär, daß etwas ‚richtig‘ durch eine Aussage getroffen sei, sondern daß etwas in bestimmter Weise von selbst her ist: Nicht sich ändernd, identisch es selbst, von sich selbst her der begründenden Einsicht offen, unverborgen.“ (BEIERWALTES, Deus, 17). 35 B EIERWALTES, Deus, 18. 27
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Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
Damit dient veritas für Tertullian genuin als ein Kontrast zu den Vorstellungen der Häretiker, die aus seiner Perspektive chimärenhafte Gottheiten anbeten.36 Auf diesem Hintergrund kann er die Valentinianer als apostatae veritatis (1,1) bezeichnen37, um dagegen das Wesen der Wahrheit zu bestimmen: Es widerspricht der Wahrheit wesentlich, verborgen zu werden (3,2); vielmehr entspricht ihr ein freudiges und furchtloses Lachen (6,3).38 Als Objekt der Unterweisung verbindet sie in sich simultan die Momente der Lehre (docere) und der Überzeugung (persuadere), während zugleich deutlich wird, dass das primäre Moment der doctrina gilt, die deshalb ohne menschliche Überzeugungsversuche überzeugend ist, weil sie vera ist (1,4). Veritas korrespondiert dabei mit fides. Diese beiden Termini bezeichnen für Tertullian eine entgegengesetzte Bewegung des gleichen Inhalts: Während der Glaube eine aufwärtsgerichtete Bewegung des gläubigen Herzens zu seinem Gott ist, bildet veritas eine von Gott ausgehende, als Offenbarung bekannte Bewegung zum Menschen.39 Trotz der Kontrastierung der Bewegungsrichtung kommt veritas allumfassendere Bedeutung zu: „Während fides eher das objektive Glaubensgut bezeichnet, umfaßt veritas […] das Gesamte der geoffenbarten Wahrheit.“40 Die von Tertullian für sich und die Christen um ihn herum beanspruchte Wahrheit ist durch zwei Momente bestimmt: Dem regula-konformen, d.h. schriftgemäßen Glauben entspricht das Stehen in der Sukzessions-Kette, die bis auf Gott selbst zurückgeht. Denn „die Wahrheit [muss] uns zuerkannt werden, die wir sämtlich nach jener Regel leben, die die Gemeinden von den Aposteln, die Apostel von Christus, Christus von Gott her weitergegeben haben.“41 Für Tertullian korrelieren zudem disciplina und veritas konstitutiv miteinander. Deutlich stellt er dieses hier zugrunde liegende Konzept in Praescr. heraus. Der aus dem klassischen Latein übernommene Terminus disciplina beschreibt auch für Tertullian neben der reinen Lehre und Unterweisung immer eine lebenspraktische Dimension, sodass das Moment der Lebensführung konstitutiv mitzudenken ist.42 Neben der kirchlichen Lehre, die auf der durch 36 „Chez lui la vérité de Dieu désigne davantage l’existence du Dieu unique des chrétiens, par opposition aux chimères de ses adversaires, que le caractère absolu de l’existence réalisé en Dieu.” (CHAPOT, Virtus Veritatis, 25). 37 Auch Valentin sei zum Zweck der Bekämpfung der Wahrheit bekehrt worden (ad expugnandam conversus veritatem, 4,2). 38 Vgl. ein ähnliches Konzept und Argumentationsschema z.B. auch in Apol. 1. 39 Vgl. C HAPOT, Virtus Veritatis, 27 mit Verweis auf Resurr. 1,1. 40 O HME, H EINZ, Kanon ekklesiastikos. Die Bedeutung des altkirchlichen Kanonbegriffs (Arbeiten zur Kirchengeschichte 67), Berlin/New York: de Gruyter 1998, 107. In der Forschung wird diskutiert, inwieweit Bedeutungsnuancen zwischen der Wendung regula veritatis und regula fidei auszumachen sind (vgl. dazu aaO., 98.118); anders Chapot, der eine synonyme Verwendung deutet (DERS., Virtus Veritatis, 90; BRAUN, Deus Christianorum, 424 f.). 41 Praescr. 37,1 (SC 46, 139,1–7 R EFOULÉ/DE LABRIOLLE): Si haec ita se habent, ut veritatis nobis adiudicetur, quicumque in ea regula incedimus quam ecclesiae ab apostolis, apostoli a Christo, Christus a Deo tradidit, constat ratio propositi nostri definientis non esse admittendos haereticos ad ineundam de scripturis provocationem quos sine scripturis probamus ad scripturas non pertinere. 42 Vgl. M OREL, V ALENTIN, Art. Disciplina, in: Reallexikon für Antike und Christentum 3 (1957), 1213–1229; DERS., Disciplina. Le mot et l’idée represéntée par lui dans les œuvres de Tertullien, in: Revue d’histoire ecclésiastique 40 (1944/45), 5–46; OHME, Kanon, 104– 108.119; BRAUN, Deus Christianorum, 423–425. Eine Verbindung auf Ebene der Werke
5.3. ‚Sola Narratio‘: Adv. Val. als ‚widerlegende Darstellung‘
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die Apostel überlieferten Lehre Christi beruht, 43 beschreibt disciplina den christlichen „evangeliumsgemäßen [Lebens-]Wandel“44, den Tertullian gerade bei den Valentinianern und Häretikern im Allgemeinen vermisst.45 Denn diese lehren, wie Tertullian in der Narratio gegen die Valentinianer karikiert, dass sinnlich wahrnehmbare disciplina lediglich für die „seelischen Menschen“ notwendig sei (vgl. 26,2). Daher ist aus valentinianischer Perspektive disciplina einzig dieser mit dem „psychischen Samen“ ausgestatteten Gruppe vorgeschrieben und als „Joch der Lebensführung“ aufgegeben.46 Die Valentinianer werten dies, so wie Tertullian es stilisiert, für sich so, dass sie weder Werke (operationes) vollbringen müssen noch „irgendeine Aufgabe der Lebensführung zu beachten haben“.47 Tertullian stellt dagegen das Axiom, dass die Art der Lebensführung (disciplina) ein Hinweis auf die dahinterstehende Lehre und damit auf die Beschaffenheit des Glaubens selbst ist.48 Für ihn korreliert ein Nicht-Einhalten elementarer mit den Biblischen Schriften festgehaltenen Grundordnungen sowie einem dementsprechenden Lebenswandel mit dem Status des Abfalls von der Wahrheit (apostata veritatis). Denn die, die ‚Falsches‘ lehren, geben die Wahrheit aus der Hand. 49 Daher macht Tertullian dieses ethische Argument in seiner Argumentation sehr stark.
5.3. ‚Sola Narratio‘ (Adv. Val. 6,2): Adv. Val. als ‚widerlegende Darstellung‘ 5.3. ‚Sola Narratio‘: Adv. Val. als ‚widerlegende Darstellung‘
Entsprechend der These, dass Tertullian in Adv. Val. eine Widerlegung der Lehre der Valentinianer anstrebt und diese dem Stil der antiken Rhetorik folgt, Tertullians (lehrhafte Schriften sowie die Kirchenzucht betonende Schriften aus montanistischer Zeit) zeichnet Cardman nach, vgl. CARDMAN, FRANCINE, Tertullian on Doctrine and the Development of Discipline, in: Elizabeth Livingstone (Hg.), Studia Patristica. Bd. XVI: Papers Presented to the Seventh International Conference on Patristic Studies held in Oxford 1975 (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 129), Berlin: Akademie-Verlag 1985, 136–142. 43 Z.B. Praescr. 6,4; 19,2. 44 O HME, Kanon, 95. Vgl. für eine nähere Analyse von Praescr. 41–44: aaO., 94– 96.107 f. 45 Collegium [Valentiniani …] disciplina non terretur (1,1 [SC 280, 78,1–3 FREDOUILLE]); prostratio disciplinae (Praescr. 41,3 [SC 46, 147,8 f. REFOULÉ/DE LABRIOLLE]; auch 41,1). Vgl. dazu auch MUNIER, CHARLES, Propagande Gnostique et Discipline Ecclesiale d’après Tertullien, in: Revue des sciences religieuses 63 (1989), 195– 205. 46 hanc enim regulam animali semini praestitutam (30,1 [SC 280, 140,4 FREDOUILLE]); disciplinae iugum (30,2 [142,10]). 47 nec ulla disciplinae munia observant (30,1 [140,2]). Die Nennung in 18,2 (disciplina Soteris) innerhalb der Erzählung des Mythos ist im engeren Sinn der Unterweisung genutzt (vgl. auch TLL Art. disciplina V/I 1318.34). 48 Praescr. 43,2 (SC 46, 150,46 R EFOULÉ / DE L ABRIOLLE ): Adeo et de genere conversationis qualitas fidei aestimari potest: doctrinae index disciplina est. Vgl. auch Adv. Herm. 1,2, auch wenn der Begriff disciplina nicht explizit genannt wird. 49 So formuliert bereits Iren., Adv. Haer. I praef. 1; 4,3.
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Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
ist seine Ankündigung, dazu allein einer Narratio zu bedürfen, zu deuten. Strukturell folgt nach dem ausführlichen Exordium, in dem Tertullian sein Argumentationskonzept erläutert, lediglich eine ebenfalls ausführliche Narratio. Dass dieser dabei widerlegender Charakter zukommt, zeigt die folgende Untersuchung. 5.3.1. Bedeutung und Funktion der Narratio in der Rhetorik Die Narratio gilt als der Teil einer antiken Rede, in dem „ein als Handlungsablauf faßbares Geschehen mitgeteilt wird“50. Auf das Exordium folgend soll die Narratio der Ort einer Rede bzw. eines Werks sein, den zu verhandelnden Stoff darzulegen. Dabei ist weder das Faktizitätskriterium ausschlaggebend noch der Redner bzw. Autor daran gehalten. Vielmehr ist die Narratio „die Darstellung geschehener oder gleichwie geschehener Dinge“.51 Und Quintilian spitzt diese Definition mit Blick auf den Orator bzw. Autor der Narratio dahingehend zu, dass es sich um eine „die zum Überreden nützliche Darlegung eines getanen oder scheinbar getanen Geschehens“ handelt.52 Auch die Narratio unterliegt also – wie die gesamte Rede – der lenkenden Darstellung des Autors und erfüllt eine persuasive Funktion. Daher gelten als Bewertungskriterium einer guten Narratio die Deutlichkeit ihrer Darstellung, die Kürze sowie die Glaubwürdigkeit des Ereignisses, das in der Darstellung seinen Niederschlag findet.53 Es liegt in der Freiheit des Redners, Schwerpunkte der Erzählung zu setzen, mit tendenziösen Bemerkungen in der Darstellung zu intervenieren und auf den Fiktionalitätsstatus des Dargelegten hinzuweisen.54 Der Autor solle schließlich sein Ethos erkennbar werden lassen, indem er sich selbst emotional in die 50 K NAPE, JOACHIM, Art. Narratio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 (2003), 98–106, 98. 51 Cic., De Inv. I 27: Narratio est rerum gestarum aut ut gestarum expositio; Part. 9,31: Quoniam narratio est rerum explicatio et quaedam quasi sedes et fundamentum constituendae fidei. Vgl. auch Rhet. Her. I 3,4; III 13,23. 52 Inst. IV 2,31: Narratio est rei factae aut ut factae utilis ad persuadendum expositio. 53 Diese Charakterisierung findet sich in allen Rhetorikhandbüchern, vgl. z.B. Cic., De Inv. I 28: ut brevis, ut aperta, ut probabilis sit. Vgl. dazu KNAPE, Narratio, 102 f. 54 Vgl. z.B. Cic., De orat. II 330; De Inv. 30: Quare, [...], omnia torquenda sunt ad commodum suae causae, contraria, quae praeteriri poterunt, praetereundo, quae dicenda erunt, leviter attingendo, sua diligenter et enodate narrando. Die Begrifflichkeiten sind in der antiken römischen Rhetorik nicht eindeutig bestimmt, sondern werden durch jeweils wechselnde Synonyme näher charakterisiert. Als „Darlegung“ (expositio/expolitio) hat die Narratio den Inhalt, um den es geht, zu erzählen. Als Differenz dazu zeigt sich bei der demonstratio, dass sie eher die Betonung auf den Modus einer als zu verhandelnden Sachverhalt dargelegten Erzählung legt und danach fragt, „auf welche Art und Weise etwas geschehen konnte“, um Hintergrundinformationen und weitere Erklärungen zu bieten (vgl. Cic., Fin. 4,13: et demonstrationes, quem ad modum quidque fiat; Rhet. Her. III 13,23: demonstratio est oratio, quae docet remissa voce, quomodo quid fieri potuerit aut non potuerit.; sowie Quint., Inst. IV 2,31).
5.3. ‚Sola Narratio‘: Adv. Val. als ‚widerlegende Darstellung‘
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Darstellung einbringt und seine eigene Wertung des Dargestellten stärker hervortreten lässt.55 In der Rhetorik werden gemeinhin drei Genera differenziert, von denen die dritte Gattung fiktionale Inhalte behandelt und vornehmlich zu Übungszwecken verwendet wird. 56 Näherhin wird die Darstellung von Ereignissen entsprechend des Fiktionalitätskriteriums in „die erdichtete Erzählung“ (fabula), „die geschichtlich beglaubigte Erzählung“ (historia) und „die erfundene Erzählung“ (argumentum) unterschieden.57 Während die als historia klassifizierten Darstellungen Ereignisse thematisieren, deren Wahrheitsgehalt gegeben ist, aber durch zeitliche Abständigkeit bestimmt ist, differieren argumentum und fabula mit Blick auf den möglichen Wahrscheinlichkeitsgrad des geschilderten Ereignisses. Kommt dem als argumentum definierten Geschehen noch die Faktizitätsmöglichkeit zu, gilt dieses für die fabula nicht. Cicero definiert: „Die erdichtete Erzählung [fabula] ist die, in welcher weder wahre noch wahrscheinliche Dinge enthalten sind [...]. Die geschichtlich beglaubigte Erzählung [historia] ist ein wirkliches Ereignis, das aber von unserer Zeit weit entfernt liegt [...]. Die erfundene Erzählung [argumentum] ist ein ersonnenes Geschehen, das sich aber dennoch wirklich hätte ereignen können.“58 Die anonyme Schrift Rhetorik an Herrennius vergleicht die drei – häufig als Übung schriftlich verfasste – Untergattungen mit den Dramen; die fabula entspreche der Erzählart, wie sie sich in Tragödien wiederfinde, während das argumentum eher dem Inhalt von Komödien entspreche.59 Zuletzt wird mit Blick auf den Charakter der Narratio betont, dass sie vor allem „launigen Anmut“ (festivitas) haben müsse.60 Cicero gibt dem Redner dazu folgende Hinweise: Festivitas erhalte die Narratio „durch den Wechsel der Ereignisse, die differenzierende Schilderung der Charaktere: Ernst, Sanftmut, Hoffnung, Furcht, Verdächtigung, Sehnsucht, Heuchelei, Irrtum, Mitleid, 55 Zu dieser bereits von Aristoteles für den Redner entwickelten Ethos-Lehre vgl. K NAPE, Narratio, 99 f. 56 Vgl. Rhet. Her. I 12 f.; Cic., De Inv. I 27: Die drei Genera differenziert Cicero inhaltlich bzw. nach ihrer Funktion: causa ipsa; digressio extra causam; quod delectationis causa. Das dritte Genus kann „um der Unterhaltung willen in Verbindung mit einer nicht unnützen Übung vorgetragen und niedergeschrieben“ werden (quod delectationis causa non inutili cum exercitatione dicitur et scribitur). 57 Vgl. Cic., De Inv. I 27. 58 Cic., De Inv. I 27: Fabula est, in qua nec verae nec veri similes res continentur [...]. Historia est gestae res ab aetatis nostrae memoria remota [...]. Argumentum est ficta res, quae tamen fieri potuit. Vgl. die ähnliche Definition bereits in Rhet. Her. I 8,13: Fabula est, quae neque veras neque veri similes continet res, ut eae sunt, quae tragoediis traditae sunt. Historia est gesta res, sed ab aetatis nostrae memoria remota. Argumentum est ficta res, quae tamen fieri potuit, velut argumenta comoediarum. Vgl. hierzu auch Kap. 1 Adv. Val. 1: Eleusinia Valentiniana – Tertullians Charakterisierung der Valentinianer, Anm. 17. 59 Rhet. Her. I 8,13. 60 Vgl. z.B. Cic., De orat. II 328; De Inv. I 27.
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Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
Umschwung des Schicksals, unerwarteter Schaden, plötzliche Freude, willkommener Ausgang der Ereignisse.“61 5.3.2. Bedeutung und Funktion der Refutatio in der Rhetorik Die Refutatio wird zum einen als Gegenstand der inventio in den Rhetorikbüchern behandelt. Positive Beweisführung der eigenen Position – als confirmatio, probatio oder argumentatio bezeichnet – und negative Widerlegung der gegnerischen Argumente – als confutatio oder refutatio in den Handbüchern behandelt – zählen als unentbehrliche partes orationis. Während unter bestimmten Bedingungen wie z.B. der Bekanntheit der Sachlage auf die Narratio verzichtet werden kann, entscheidet sich an der Beweisführung die Bewertung der Rede. Zum anderen hat sich der Terminus zu einer Art Gattungsbegriff entwickelt, der auf Texte angewendet wird, „für deren Gesamtduktus die polemische oder apologetische Intention leitend ist.“62 Für die Refutatio als widerlegenden Teil einer Rede sind verschiedene Argumentationsstrategien entwickelt worden, deren Fortführung in der lateinischen Tradition auf der aristotelischen Grundlegung basieren.63 Grundsätzlich wird zwischen den vorliegenden und den vom Redner vom Gegenstand der zu verhandelnden Sache her selbst zu erarbeitenden Beweisen unterschieden.64 Während zur ersten Kategorie beispielsweise Gesetzestexte, vorliegende Dokumente, Zeugenaussagen oder sämtliche belegbare Fakten zählen, basiert die 61 De Inv. I 27 (Übersetzung nach N ÜßLEIN, THEODOR, Marcus Tullius Cicero. De inventione. Über die Auffindung des Stoffes [Sammlung Tusculum], Düsseldorf: Artemis & Winkler 1998, 61): Hoc in genere narrationis multa debet inesse festivitas confecta ex rerum varietate, animorum dissimilitudine, gravitate, lenitate, spe, metu, suspicione, desiderio, dissimulatione, errore, misericordia, fortunae commutatione, insperato incommodo, subita laetitia, iucundo exitu rerum. 62 STAAB, G REGOR, Art. Refutatio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 7 (2005), 1109–1113, 1110. Bereits in Quintilians Definition klingt diese Zweiteilung an (Inst. V 13,1): Refutatio dupliciter accipi potest: nam et pars defensoris tota accusatori satis sit plerumque verum esse id, quod obiecerit, patronus est posita in refutatione, et quae dicta sunt ex diverso, debent utrimque dissolvi. Staab weist auf die Lokalisierung in den Progymnasmata sowie später auf die Entwicklung christlicher Literatur hin (aaO., 1110 f.) Dem entspricht analog die Einordnung des Werkes Adv. Val. in eine widerlegende und apologetische Gattung. 63 Vgl. dazu eingehend insbesondere Aristoteles’ Ars Rhetorica mit der Zweiteilung in die rhetorische Deduktion (Enthymem als rhetorischer Syllogismus) und die rhetorische Induktion (Exemplum); zum Rekurs z.B. Quint., Inst. V 1,1. 64 Vgl. Cic., De. orat. II 116 f.: Ad probandum autem duplex est oratori subiecta materies: una rerum earum, quae non excogitantur ab oratore, sed in re positae ratione tractantur, ut tabulae, testimonia, pacta conventa, quaestiones, leges, senatus consulta, res iudicatae, decreta, responsa, reliqua, si quae sunt, quae non reperiuntur ab oratore, sed ad oratorem a causa atque a reis deferuntur; altera est, quae tota in disputatione et in argumentatione oratoris conlocata est. Quint., Inst. V 1,1 f.
5.3. ‚Sola Narratio‘: Adv. Val. als ‚widerlegende Darstellung‘
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zweite Kategorie allein auf den argumentativ-logischen Fähigkeiten des Redners bzw. Autors. Dieser könne mit Indizien (signa), Beweisgründen (argumenta), die von der Person oder von der Sache her zu entwickeln sind, oder auch mit Beispielen (exempla) arbeiten und für seine eigene widerlegende Argumentation fruchtbar machen.65 Probates Mittel seien aber auch das Lächerlich-Machen der gegnerischen Position und Partei oder ein geringschätziges Behandeln dieser. 66 Vollständigkeit soll dabei nicht erzielt werden, sondern „sinnvolle Verkürzungen verleihen der Argumentation mehr Glanz und Schlagkraft.“67 Schließlich hebt Cicero hevor, dass Pathos eine durchaus wichtigere Komponente sei als eine ausführliche Beweisführung. Diese habe allerdings diesem Zweck, nämlich der Beeinflussung der Affekte und Überzeugung der Hörerbzw. Leserschaft, zu dienen. Nichts nämlich ist beim Reden wesentlicher, Catulus, als dass der Zuhörer dem Redner gewogen ist und dass er selbst so tief bewegt wird, dass er sich mehr durch den Drang seines Herzens und einen inneren Aufruhr als durch sein Urteil oder seine Einsicht lenken lässt. Die Menschen entscheiden nämlich viel mehr aus Haß oder aus Liebe, aus Begierde oder aus Zorn, aus Schmerz oder aus Freude, aus Hoffnung oder aus Furcht, aus einem Irrtum oder aus irgendeiner Gemütsregung als aus der Wahrheit oder aus einer Vorschrift, aus irgendeiner Rechtsnorm, aus einer Verfahrensformel oder aus Gesetzen.68
5.3.3. Die Verbindung von Narratio und Refutatio zur ‚widerlegenden Darstellung‘ (Adv. Val. 7–39) In dieser rhetorischen Tradition steht auch die von Tertullian als Narratio klassifizierte Darstellung der valentinianischen Lehre in Adv. Val. 7–39 (vgl. 6,2 sola narratio) als zu verhandelnden Stoff (materia ipsa; 6,3). Die Darlegung der Lehre, die Tertullian in der polemischen Tradition seiner Vorgänger – insbesondere von Irenäus – als fabula/μῦθος charakterisiert und damit auf die Göttermythenkritik anspielt, entspricht der Nacherzählung einer
Vgl. z.B. die Grundlegung bei Quint., Inst. V 8–12. Vgl. z.B. Quint., Inst. V 13,23; VI 3,23. Zur Verwendung des Lächerlichmachens in Adv. Val. und der rhetorischen Grundlegung vgl. 6.3.4. Zur ausführlicheren Darstellung der Beweisführung vgl. KLEIN, JOSEF, Art. Beweis, Beweismittel, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 (1992), 1528–1548. 67 FUHRMANN, M ANFRED, Die antike Rhetorik. Eine Einführung, Mannheim: Artemis & Winkler 62011, 91. 68 Cic., De orat. II 178: Nihil est enim in dicendo, Catulus, maius, quam ut faveat oratori is, qui audiet, utique ipse sic moveatur, ut impetu quodam animi et perturbatione magis quam iudicio aut consilio regatur: plura enim multo homines iudicant odio aut amore aut cupiditate aut iracundia aut dolore aut laetitia aut spe aut timore aut errore aut aliqua permotione mentis quam veritate aut praescripto aut iuris norma aliqua aut iudici formula aut legibus. 65
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Kapitel 5: Struktur und Programm von Adv. Val.
mythologischen Geschichte, die in der Wiedergabe lebendig wird.69 Beispielsweise schildert Tertullian die Ereignisse, Widerfahrnisse und Emotionen beim Geschehen im Pleroma (Adv. Val. 7–13) ebenso abwechslungsreich als emotionales Erfahrnis der einzelnen personifizierten Äonen, das in dem Erlebnis des jüngsten Äon Sophia mündet, wie das Geschehen außerhalb des Pleromas in Achamoths Perspektive (Adv. Val. 14–23). Die Sehnsucht der Äonen, ebenso wie Nus den Vater erkennen zu können, wird genauso lebendig wie der Neid Sophias und ihre Furcht infolge der Hervorbringung einer eigenen Leibesfrucht oder auch das Mitleid aller Äonen mit der Weisheit. Diese Darstellung hat zugleich persuasive Funktion. Mit tendenziösen Bemerkungen durchbricht Tertullian die Darstellung regelmäßig, wird als Autor erkennbar und lenkt seine Leserschaft. So weist er auf den Fiktionalitätsstatus der zu verhandelnden Lehre hin, indem er diese beispielsweise in Paradoxien verstrickt oder durch den Vergleich mit Literatur der hellenistisch-römischen Umwelt vom Selbstanspruch, das christliche Evangelium auszulegen, abrückt. Tertullians Pointe liegt darin, dass er den Gegenstand, um den es in seiner Schrift geht, als fabula klassifiziert. Entsprechend dieser Einordnung der valentinianischen Lehre als reine erfundene Geschichte begegnet er diesem zu verhandelnden Stoff auf struktureller Ebene seines Werkes. Da es sich in dieser Klassifikation um nicht mehr als eine fabula handelt, die gemeinhin ihren Ort in der Darstellung in der Narratio hat, genügt dieser Teil, um den stilisierten Selbstanspruch der Valentinianer zu nivellieren und dieser Lehre nicht nur die Möglichkeit, an der Wahrheit zu partizipieren, sondern auch den Wahrscheinlichkeitsstatus abzusprechen. Entsprechend seines Axioms, dass allein die darstellende Offenlegung dieser Lehre ihrer Widerlegung gleichkomme, nutzt Tertullian strukturell die Narratio, um der Lehre jedweden Boden der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit zu nehmen. Dazu verfasst er nach einer ausführlichen Einleitung mit eigener Standortbestimmung eine ebenfalls ausführliche Narratio, in die er – entsprechend den rhetorischen Richtlinien – bereits auktoriale Kommentare, kurze Argumentationen oder Gegenbeweise einflicht, denen widerlegende Funktion zukommt. Entsprechend der Klassifizierung als fabula stilisiert Tertullian diese als Tragödienstoff.70 Tertullians Darstellung entspricht zum einen den in der Rhetorik festgesetzten Eigenschaften einer Narratio, deutlich, kurz, und glaubwürdig zu sein. Mit 69 Vgl. mit weiterführender Literatur A LAND, B ARBARA, Der gnostische Mythos, seine Vorlagen und seine Wirkungen. Autorkonzepte in Beziehung, in: Eve-Marie Becker, Jörg Rüpke (Hg.), Autoren in religiösen literarischen Texten der späthellenistischen und der frühkaiserzeitlichen Welt, Tübingen: Mohr Siebeck 2018, 259–290, 263–265 sowie MARKSCHIES, CHRISTOPH, Welche Funktion hat der Mythos in gnostischen Systemen? Oder: ein gescheiterter Denkversuch zum Thema „Heil und Geschichte“, in: ders., Gnosis und Christentum, Berlin: Berlin University Press 2009, 83–112. 70 Zum karikierenden Vergleich mit dem Drama, vgl. 6.4 sowie die Parallelisierung bereits Rhet. Her. I 8,13.
5.3. ‚Sola Narratio‘: Adv. Val. als ‚widerlegende Darstellung‘
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einer fesselnden Kurzweiligkeit referiert er die Lehre, wie sie ihm vorliegt, oder paraphrasiert diese, um jeden Gedanken mit einem eigenen Kommentar einzuordnen und zu karikieren. Dazu dienen ihm insbesondere die Mittel der Ironie und der Polemik. Dem Glaubwürdigkeitsimperativ begegnet er ironisch, indem er immer wieder auf die Unglaubwürdigkeit und Fiktionalität der dargestellten Lehre anspielt und sich zugleich absichert, nicht selbst Autor dieses Stoffes zu sein (vgl. z.B. 6,2 f.). Zum anderen wird diese Darstellung auch dadurch zu einer widerlegenden Darlegung, indem argumentative Momente, die klassisch in der rhetorischen Refutatio ihren Ort haben, präsent sind. Diese verleihen der Schrift auch den Anschein, zur widerlegenden Gattung an sich zu zählen. Tertullians Strategie, mit der er „die häretische Lehre desakralisiert“, indem er „den tragischen Mythos seines mystischen und religiösen Inhalts beraubt“71, zielt auf ein Überzeugen seiner Leserschaft durch Beeinflussung ihrer Affekte. In diese fügt sich eine punktuelle logische Argumentation, die hauptsächlich mit den Mitteln der Ironie und Polemik humorvoll geführt wird und vornehmlich in knappen Bemerkungen, neu gebildeten oder sehr selten vorkommenden Begriffen und insgesamt dem minimalen Aufweis von Widersprüchen besteht, ein.72 Mit dem Hinweis auf sola narratio (6,2) markiert Tertullian drei Momente im Kontext seines Werkes: Bezeichnet narratio zum einen den pars oratoris, in dessen Rahmen die antivalentinianische Auseinandersetzung geführt wird, charakterisiert Tertullian zum anderen die darzustellende Lehre der Valentinianer als lediglich im Rahmen der Narratio zu verhandelnde fabula. Zuletzt markiert der Terminus seine eigene Strategie, die durch ein öffentliches Nacherzählen mit widerlegenden Momenten gekennzeichnet ist und bereits damit die Lehrsubstanz destruiert. Damit entspricht Tertullian rhetorisch den Vorgaben der Lehrbücher. Die strenge Differenzierung in Narratio und Argumenatio wurde dynamisch gehandhabt, wenn Quintilian dazu auffordert, Elemente der Argumentatio bereits in der Narratio anzubringen, sofern dieses der Intention zur Klärung des Sachverhalts entspreche und „für den Fall nützlich sei“.73
71 FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 14. „Elle désacralise la doctrine hérétique en dépouillant de son contenu mystique et religieux le mythe tragique de cette gnose.“ 72 Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 19: „Comme il l’avait laissé entendre, il ne réfute que rarement la docrine des héretiques, se contentant, dans ces quelques cas, de faire apparaitre une contradiction implicite ou une inconséquence voilée, évitant surtout d’interrompre le course d’un récit qu’il a voulu divertissant.“ 73 Vgl. Quint., Inst. IV 2,82: At enim quaedam argumenta turba valent, diducta leviora sunt. Id quidem non eo pertinet ut quaeratur an narrandum, sed quo modo narrandum sit. Nam et congerere plura in expositione quid prohibet, si id utile est causae, et promittere, sed et dividere narrationem et probationes subiungere partibus atque ita transire ad sequentia?
Kapitel 6
Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie 6. Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie
Der strukturellen Anlage des Werkes Adv. Val. entspricht die rhetorische Strategie Tertullians, die er eigens thematisiert. Gegen die These, dass Adv. Val. lediglich die Einleitung in eine größere antivalentinianische Kontroverse bildet, wird im Folgenden für ein klar konzipiertes, den Regeln der antiken Rhetorik folgendes Werk argumentiert, das von Tertullian in seiner Struktur und Anlage in der vorliegenden Form verfasst worden ist.
6.1. Adv. Val. als von Tertullian einheitlich sowie vollständig konzipiertes Werk 6.1. Adv. Val. als einheitlich konzipiertes Werk
In der Forschung wird u.a. die These vertreten, Adv. Val. sei lediglich ein ‚Vorspiel‘ vor dem eigentlich geplanten, der Widerlegung dienenden, aber aus Gesinnungsgründen nicht mehr abgefassten (oder erhaltenen – diese Frage ist noch nicht erörtert worden) Werk gewesen.1 So berufen sich u.a. Harnack, Fredouille und Tommasi Moreschini auf Äußerungen Tertullians innerhalb des Exordiums (bes. 3,5; 6,1–3), um dafür zu votieren, dass diese Schrift, die ihrer Form nach lediglich aus einem Exordium (1–6) und einer Narratio (7–32; 33–39) besteht, abgebrochen worden ist bzw. lediglich die Einleitung in eine fehlende ausführliche Kontroverse biete.2 Die 1 Allerdings hat Sider darauf aufmerksam gemacht, dass Adv. Val. stark von der klassischen rhetorischen Form abweicht, dabei aber von Tertullian in dieser Form bewusst komponiert wurde (vgl. DERS., Ancient Rhetoric, 30). Diese Beobachtung gilt es in dieser Arbeit auszuführen. Anders wertet Dunn den zweiten Teil des Werks nicht als Narratio, sondern vielmehr als Confirmatio, ohne dies näher zu begründen (vgl. DERS., Tertullian’s Adversus Iudaeos, 65 Anm. 33). 2 Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 11–14; TOMMASI M ORESCHINI, C HIARA OMBRETTA, Adversus Valentinianos, in: Claudio Moreschini u.a. (Hg.), Tertulliano. Opere dottrinali (Scrittori cristiani dell’Africa romana 3.2.a–3.2.b), Rom: Città Nuova 2010, 195– 326, 219–222.228–330; aber auch bereits HARNACK, Geschichte der altchristlichen Literatur I/1, 282 f. Anm. 4. Fredouille bestätigt zugleich, dass es sich bei Adv. Val. „eigentlich nicht um ein kleineres Werk im Œuvre Tertullians handelt“ (DERS., Tertullien et la Conversion, 157). Neuerdings findet sich diese These wieder grundlegend für das Verständnis des Werkes bestätigt in der deutschen Übersetzung von Volker Lukas für die Reihe Fontes Christiani (vgl. DERS., Tertullian. Adversus Valentinianos, 25).
6.1. Adv. Val. als einheitlich konzipiertes Werk
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fehlende Refutatio sei geplant gewesen, aber aufgrund von Tertullians zunehmender montanistischer Einstellung anderen Themen gewichen. Die Ankündigung eines „gespielten Angriffs“ (lusio congressionis) vor dem eigentlichen „Kampf“ (pugna; 6,2) verstehen sie als Hinweis auf die ernst zu nehmende fehlende Widerlegung ebenso wie die Selbstbezeichnung des vorliegenden Werkes von Tertullian als „Büchlein“ (libellum; 6,1), dem die Widerlegung in einem altero libello folgen müsse. 3 Zuletzt deutet Fredouille auch die Beschreibung des Werks der Vorgänger Tertullians, die valentinianische Gedanken „überliefert und zurückgewiesen haben“ (prodere und retundere; 5,1) und die er seinem eigenen Werk zugrunde legen wird, als Hinweis auf eine größere Konzeption Tertullians, die nicht vollendet wurde. Schließlich korrespondieren die gewählten lateinischen Verben auffälligerweise mit dem irenäischen Werktitel seiner fünfbändigen Widerlegung, der ein binitarisches Schema zugrunde liege. Auch an dieser Stelle sehen die Forscher lediglich die darstellende Funktion in Adv. Val. vorliegen und werten die widerlegende und zurückweisende als fehlend. Bevor auf die Konzeption Tertullians eingegangen wird, die er im Exordium zugrunde legt und die gerade auf eine ‚widerlegende Darstellung‘ zielt, die in Adv. Val. als einem abgeschlossenen Werk vorliegt, sollen diese Einwände diskutiert werden. Gegen das letzte Argument gilt es anzuführen, dass der irenäische Werktitel Ἔλεγχος καὶ ἀνατροπὴ τῆς ψευδώνυμου γνώσεως sicher als Hintergrundfolie für Tertullians Vorgehen gedient hat. Allerdings lässt sich diese Notiz nicht als Hinweis deuten, dass Tertullian selbst – diesem binitarischen Schema entsprechend – ein fünfbändiges, die einzelnen rhetorischen Schritte sukzessiv abarbeitendes Werk verfassen wollte. Tertullian hält entsprechend seiner eigenen These, dass die Enthüllung (prodere/ἔλεγχος bzw. demonstratio, narratio) der Lehre zugleich bereits der Widerlegung derselben gleichkomme (retundere/ἀνατροπή bzw. refutatio, destruere), fest und kann gerade damit auch auf z.B. Irenäus’ Werk als Grundlage rekurrieren. Diese Interpretation stützt die Formulierung im Perfekt, die im vorliegenden Kontext in 5,1 eindeutig auf die bereits bestehenden Werke seiner Vorgänger verweist und keinen versteckten Hinweis auf Tertullians eigene Strategie bietet. Auch das Diminutivum libellum (6,1) verwundert an dieser Stelle weniger, da Tertullian dieses auch zur Bezeichnung deutlich umfangreicherer Werke aus seiner Feder nutzt wie z.B. dem fünfbändigen, sehr wahrscheinlich nach Adv. Val. entstandenen Werk Adv. Marc.4 Daher sollte dieser Terminus an dieser 3 Tränkle konstatiert zurecht, dass Tertullian im Kontext dieser Schrift zwar von einem ‚Vorspiel‘ spricht, allerdings „ohne daß wir wüßten, wie ernst es ihm mit seiner Ankündigung war.“ (DERS., Q. Septimius Florens Tertullianus, 463). 4 Vgl. z.B. Adv. Marc I 1,7; II 27,8; Carn. Christ. 7,1; 8,3 mit Rekurs auf das jeweils gegen Marcion und Apelles gerichtet libellum; Anim. 55,5. Insgesamt findet sich dieses Diminutiv 14 Mal im Œuvre Tertullians; allerdings kennt er auch den Terminus libellulus (vgl.
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Kapitel 6: Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie
Stelle nicht herangezogen werden, um für eine separat geplante Refutatio zu argumentieren. Wäre nicht sogar eher zu fragen, ob Tertullian, wenn Adv. Val. lediglich als ein ‚einleitendes Vorspiel‘ zu werten ist, nicht einen anderen Titel gewählt hätte?5 Und auch auf das Argument, dass der zunehmenden montanistischen Einstellung Tertullians eine Gesinnungs- und Themenverschiebung zukomme, durch die er das Interesse an der Widerlegung der gnostischen Häretiker verloren habe, lässt sich nur zurückfragen, wie dann die sicher in die montanistische Phase und nach der Schrift Adv. Val. zu datierenden und teilweise sehr ausführlichen Werke Adv. Marc. (207/208 nach Christus), Resurr. (209/210), Adv. Prax. (nach 210) und Sorp. (212) zu bewerten sind. Diesen Anfragen entspricht eine positive Konzeption Tertullians. Adv. Val. besteht in der Gestalt einer antiken oratio als ‚widerlegender Darstellung‘ einzig aus einem ausführlichen Exordium und einer ausführlichen Narratio. Als solches ist das Werk vollständig von Tertullian angelegt und verfasst worden. Ihm genügen diese beiden Teile einer antiken Rede, um sein Ziel zu verfolgen, eine rhetorisch brillierende Kampfschrift gegen die Lehre der Valentinianer zu verfassen und in diesem Zuge ihre Gedanken auch zu widerlegen. Mittels des Exordiums beeinflusst Tertullian seine Leserschaft für die folgende Lektüre, um in der Narratio die valentinianische Gotteslehre, Kosmologie, Anthropologie, Soteriologie, Ethik und Eschatologie schon im Vollzug der Darlegung zu widerlegen. Die grundlegende rhetorische und argumentative Anlage von Adv. Val. basiert daher auf der Idee, dass die Narratio bereits die Widerlegung (Refutatio) selbst ist (vgl. 3,5; 6,1–3). Dieses hat systemimmanente und damit inhaltliche Gründe im Gegenstand der Schrift selbst, wie Tertullian im Exordium begründet: der Lehre und dem Sein der Valentinianer (vgl. 4,1 f.). Zugleich rechtfertigen rhetoriktheoretische Überlegungen in der Antike dieses Vorgehen. Tertullian stellt die These auf, dass die „Darlegung allein“ (sola demonstratio; 6,1) des Inhalts der valentinianischen Lehre, d.h. „allein die Erzählung“ (sola narratio; 6,2) als Teil einer antiken Rede bereits der Widerlegung gleichkomme, die keiner eigenständigen Erarbeitung mehr bedürfe. Bereits das „Zeigen“ der valentinianischen Gedanken, ihrer Lehre und ihres Handelns, wie es in Exordium und Narratio geschieht, bedeute ein „Zerstören“ dieser (etiam solummodo demonstrare destruere est; 3,5). Lediglich einzelnen Themen der valentinianischen Lehre widmet sich Tertullian in der Folgezeit ausführlich und Ad Nat. I 20,14; Adv. Marc. II 1,1). Vgl. zudem auch mit Beispielen in der klassischen lateinischen Literatur TLL Art. libellum VII/2 1269,51–81. 5 Vgl. z.B. den Titel Praescr. als eindeutig bezeichnete erste gegen Häretiker gerichtete grundlegende Einsprache, auf die je sich mit einzelnen Häretikern sich beschäftigende Schriften folgen oder aber der kreative Titel Scorp, der auf die Scorpionenstiche durch die Häretiker eingeht.
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in Form einer auf der Schriftauslegung basierenden Widerlegung. Diese Beobachtung stützen zwei Details in der Entstehungsgeschichte von Adv. Marc. und Adv. Prax. Schon die dreiteilige Entstehungsgeschichte, von der Tertullian in seiner praefatio zum ersten Buch von Adv. Marc. zeugt, belegt die zum gegen die Valentinianer gerichteten Werk differierende Situation.6 Die Anziehungskraft der markinischen Lehre auf die Christen scheint weiter auszustrahlen, sodass Tertullian sich gezwungen sah, nach einer ersten knappen Widerlegung der Gedanken Markions (Teile aus Adv. Marc. I und II) dessen Schriftauslegung en detail zu bekämpfen (Adv. Marc. IV/V) und aus dessen eigenem Schriftkanon heraus zu widerlegen. Anders als bei der valentinianischen Lehre hat die Auslegung Markions so hohe Plausibilität für die Christen um Tertullian entwickelt, dass sie bis ins Innere vorzudringen droht. Eine Abweisung lediglich in ein ‚Außen‘ des wahren Glaubens und Aufzeigen der Grenzlinien reichen hier nicht mehr aus; Tertullian muss stabilisierend und damit auch argumentierend nach innen wirken und geht daher auch materialiter stärker in die Auseinandersetzung. Ähnliches lässt sich in seiner Schrift Adv. Prax. beobachten. Nachdem zuvor bereits ein schriftlicher Widerruf des die monarchianischen Lehren in Nordafrika verbreitenden Lehrers erzielt werden konnte – dass Tertullian der dahinterstehende anonyme Auktor ist, ist nicht unwahrscheinlich (vgl. Adv. Prax. 1,6) –, erleben diese Gedanken dennoch eine neue Anziehungskraft. Dieser stellt Tertullian sich in Adv. Prax. entgegen, das nach den partes orationis gegliedert ist und in einer ausführlichen Refutatio und Confutatio auch die Auseinandersetzung mit den von Praxeas angeführten Schriftbeweisen führt. Beiden Werken ist gemeinsam, dass erst nach einem ersten Versuch – der ersten Auflage von Adv. Marc. bzw. der Erlangung des schriftlichen Widerrufs monarchianischer Gedanken – eine zweite tiefer gehende Auseinandersetzung folgt. Ein ähnlicher Umgang lässt sich mit valentinianischen Gedanken beobachten. Adv. Val. bildet – nach der Ankündigung in Praescr. – die grundsätzliche 6 Adv. Marc. ist in drei Phasen entstanden. Während Tertullian zunächst (um ca. 203) in der ersten Auflage seines Buches die Grundzüge von Markions Lehre und deren Gegenargumente verfasst haben dürfte (vgl. dazu BRAUN, Tertullien. Contre Marcion I, 12–14), wurde die zweite Auflage unautorisiert und in Tertullians Augen fehlerhaft von einem Glaubensbruder herausgegeben, der später die christliche Gemeinschaft verlassen hat (vgl. Adv. Marc. I 1,1 f.). Die dritte Auflage entspricht der heutigen Überlieferungsform von Adv. Marc. und wird von Tertullian zudem in verschiedenen Phasen verfasst. Während das erste Buch der dritten Auflage vor 207 entstanden sein muss (vgl. den Hinweis auf das 15. Regierungsjahr von Septimius Severus in Adv. Marc. I 15,1), sind die Bücher IV und V, die sich mit der markinischen Auslegung des Lukasevangeliums sowie der Paulusbriefe beschäftigen, nicht vor 211 entstanden. Diese Schrift-Diskussion kündigt Tertullian bereits im Epilog seines ersten Buches an (I 29,9). Adv. Marc. III weist dazu Parallelen mit Teilen aus seiner Schrift Adv. Iud. auf (vgl. dazu HAUSES, REGINA, Tertullian. Adversus Iudaeos. Gegen die Juden [Fontes Christiani 75], Turnhout: Brepols 2007, 43–46).
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Kapitel 6: Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie
Abweisung dieser Lehre vom Anspruch auf christliche Einordnung. Tertullian kann dazu die irenäische Darstellung zur Grundlage nehmen. Lediglich zwei theologischen Themen widmet er sich näher, der Frage nach der Leiblichkeit Christi (Carn. Christ.) sowie der Frage nach der Auferstehung (Resurr.). Die Thematisierung der Seele (Anim.) berührt ebenfalls valentinianische Sichtweisen, bietet aber auch vornehmlich philosophische Rückbezüge Tertullians sowie Auslegungen der Biblischen Schriften. In Scorp. berührt Tertullian zudem das Martyriumsverständnis. Punktuelle Themen der valentinianischen Lehre greifen ins Innere der christlichen Gemeinschaft ein und destabilisieren diese, worauf Tertullian argumentativ reagiert. Grundsätzlich aber fruchtet seine rhetorische Strategie, nach der die Offenlegung und polemische Darstellung diese bereits vollgültig destruiert. Rhetorisch karikiert Tertullian die häretische Gruppierung mit Adv. Val. auf eine zweifache Weise: Zum einen legt er eine Schrift vor, die deutlich in der antiken Redetradition steht und diese bewusst abwandelt. Aus Perspektive der klassischen oratio ist dieses Werk unvollendet, weil der eigentliche Hauptteil, die argumentatio und refutatio, fehlen. Indem Tertullian die literarisch bekämpfte Gruppe als eine darstellt, für deren Widerlegung die beiden hinführenden Teile einer Rede ausreichen, charakterisiert er sie allein damit bereits als eine zwar ernst zu nehmende – schließlich ist sie die Tinte seiner Feder wert – aber dabei als schnell zu widerlegende Gruppierung innerhalb der christlichen antiken Landschaft, der kein inhaltliches oder lebenspraktisches Gewicht zukomme und die daher auch keine im Sinne der antiken Tradition fünfteilige schriftliche Widerlegung bedürfe. Zum anderen karikiert Tertullian die Valentinianer auf inhaltlicher Ebene. Sein Vorgehen widerspricht diametral den von ihm dargestellten Unternehmungen der gnostischen Gruppe. Während es für die Valentinianer, so wie Tertullian sie stilisiert, prioritäres Ziel ist, Lehre und Ethik zu verbergen, sodass Tertullian ihre Erkennbarkeit gerade ironischerweise an ihrer strikten Geheimhaltungspflicht markiert, zerrt er diese in dieser ausführlichen Darstellung in die Öffentlichkeit. Eine solche Offenlegung der nach Tertullian wesentlich auf Geheimhaltung angelegten valentinianischen Lehre (vgl. officium silentii; 1,1), die für ihn als fabula zu klassifizieren ist, deren Ort in einer antiken Rede die Narratio ist, belege bereits deren Haltlosigkeit, zeige deren Obszönität und beweise deren im Wesen angelegte polytheistische Grundlegung. Daher sei keine eigenständige argumentative Refutatio notwendig, wie sie die rhetorische Lehre vorsieht. Vielmehr findet die Widerlegung bereits im darstellenden Teil der gegnerischen Position ihren Ort, da allein diese veröffentlichende Nacherzählung, gespickt mit polemischen und ironischen Kommentaren, alle Gegenargumente bei der Leserschaft evoziere, ohne ein argumentatives eigenständiges Vorgehen durch den Autor zu bedürfen. Tertullian betont, dass die Wahl der Methodik dabei nicht ursächlich bei ihm als Autor liege, sondern der Stoff (materia 6,3) selbst diese evoziere. Einerseits intendiert er, sich selbst vom Verdacht der
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Erdichtung zu entlasten, den er damit zugleich impliziert, um andererseits die valentinianische Lehre als unglaubwürdige und erfundene fabula zu charakterisieren, die jenseits deren Selbstanspruchs stehe, Auslegung des christlichen Glaubens zu sein. Gleichwohl bietet Tertullian seiner Intention entsprechend eine Kampfschrift, die seiner Leserschaft keine freie Wahl in der Bewertung dieser bekämpften Gruppe bietet. Werden die Valentinianer nicht nur eindeutig als Häretiker und deren Sein als superstitio (1,1) klassifiziert, bietet die Wahl der Kampfesrhetorik Tertullian auch die Möglichkeit, seiner Leserschaft implizit seine Intention vor Augen zu führen. Sein Vorgehen mutet paradox an und verdeutlicht letztendlich die erhobene Position, derer Tertullian sich als ‚rechtgläubiger Christ‘ bewusst ist. Einerseits nutzt Tertullian Vokabular aus dem Bereich des Militärs. Insbesondere in 3,5 und 6,2 f. findet sich diese Terminologie der Kampfesrhetorik7: Der „erste Keil des Angriffs“, d.h. die Sperrspitze der Heeresformation ist zwar bereits „bewaffnet“ (hunc primum cuneum congressionis armavimus; 3,5), Tertullian will den vernichtenden Angriff aber vorerst verzögern (congressionem distulerim; non erit delibatione transpunctoria expugnatio; 6,2). Denn mit dieser literarischen gegen die Valentinianer gerichteten Abfassung, d.h. der „Darlegung und Offenbarung ihrer ganzen Glaubenshaltung“ (detectorem et designatorem totius conscientiae illorum; 3,5) in Form einer „bloßen Erzählung“ (solam narrationem professus; 6,2) ist „der erste Sieg bereits begonnen“ (primamque hanc victoriam auspicamur; 3,5). Auch im militärischen Bild verdeutlicht Tertullian, welch geringer Aufwand zur Widerlegung der Valentinianer nötig ist: Allein die vorderste Front der Kampfformation wird einer „Zerstörung“ (destruere; 3,5; revinci; 6,3) der valentinianischen Lehre gleichkommen, ohne dass das Haupt-Heer zum Einsatz kommen wird. Sein Werk vergleicht er vielmehr mit dem Schaukampf (lusio) vor dem eigentlichen, häufig mit dem Tod eines Kontrahenten endenden Gladiatorenkampf (pugna; 6,2).8 Andererseits betont Tertullian immer wieder, dass seine Intention gerade kein blutrünstiger Kampf ist. Es geht ihm nicht um die Zerstörung der Personen; diese sollen vielmehr von der Haltlosigkeit der Lehre, mit der sie sympathisieren, überzeugt werden. Indem Tertullian die militärische Terminologie nutzt,9 evoziert er ex negativo den vernichtenden Charakter seiner Schrift, deren militärischer Formation rhetorisch die einleitenden und darstellenden Teile einer antiken Rede entsprechen, derer er sich hier bedient. Voll Ironie Vgl. zu dieser Metaphorik auch O’MALLEY, Tertullian, 107–113. Auch Cicero verwendet diese Metaphorik zur Verdeutlichung der Funktion und der Anwendung des Exordiums, vgl. Kap. 5 Struktur und Programm von Adv. Val., besonders 5.1 mit Anm. 12. 9 Seine angestrebte Kontoverse deutet Tertullian auch in Adv. Marc. III 5,1; Scorp. 4,3; Pud. 6,1 als Kampf. 7
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verdeutlicht die gewählte Metaphorik, dass die Auseinandersetzung mit den Valentinianern ein Kampf ist, deren vernichtender Charakter nicht den Anhängern gilt, sondern als Schlacht auf dem Papier mit zerstörerischer Tendenz mit Blick auf die gelehrten Glaubensinhalte geführt wird. Tertullian zieht den Modus der Auseinandersetzung ins Lächerliche, um die Leichtigkeit zu symbolisieren, mit der er diese Schlacht mit den entsprechenden rhetorischen Mitteln auf dem Pergament führt und die der Lächerlichkeit und Haltlosigkeit, die in seinen Augen der Lehre zuzumessen ist, entspricht. Dabei entspricht seiner Gesamtstrategie auch die Dynamik der Darstellung der Lehre in der Narratio, deren Grundzüge sich auch in der irenäischen Darlegung finden. Während Tertullian zu Beginn in Adv. Val. 7 f. ein klares Konzept anführt, nach dem die valentinianische Gotteslehre als Polytheismus einzuordnen ist (vgl. bereits 3,3), überführt er diese Darstellung mit süßer Polemik in immer abstruser und konfuser wirkende Lehrtopoi, wie er beispielsweise in der Darstellung der Christologie (26,2; 27) aufzeigt. Den Abschluss bieten sieben Kapitel mit Lehrauswüchsen (Adv. Val. 33–39). Diese rhetorische reductio ad absurdum lässt der Leserschaft keine Chance, die valentinianische Lehre oder das dahinterstehende Konzept zu verstehen oder auch nur interessiert zu bleiben. Die sich in allen Teilen findende polemisch gesteigerte Ausmalung bildet Tertullians eigene Strategie und Proprium dieser Schrift. Formal und metaphorisch in der Kampfesrhetorik versinnbildlicht genügen Tertullian Exordium und Narratio, um die Lehre unwiderruflich zu destruieren. Anstelle einer klassischen Refutatio findet sich dabei eine Mischform aus erzählender Darstellung und tertullianischer Polemik, die dem Wesen seines zu bearbeitenden Themas entsprechen. Für seine rhetorische Strategie sammelt Tertullian seine ‚Waffen‘ aus dem Steinbruch der antiken Rhetorik zusammen, mit denen er auf einen lachenden Leser zielt, der sinnbildlich für die Lächerlichkeit des dargestellten Stoffs steht. Grundlegend sind zwei Ebenen voneinander zu unterscheiden: Auf literarischer Ebene nutzt Tertullian den rhetorischen ornatus z.B. der Ironie, den er zuweilen zu polemischen, sarkastischen, angreifenden Kommentaren schärft. Davon zu unterscheiden gilt es die intendierte Wirkung dieser Stilmittel: nämlich den lachenden Leser als Ausdruck des lachhaften Charakters der fabula valentiniana.
6.2. Rhetorische Ironie und Polemik als Widerlegungsstrategie 6.2. Rhetorische Ironie und Polemik als Widerlegungsstrategie
Die antike Definition bestimmt Ironie (εἰρωνεία) als eine Redeweise, die einen Sachverhalt mittels des Gegenteils ausdrückt, indem der Redner seine eigene Meinung verheimlicht (dissimulatio, d.h. nur ein bestimmtes Publikum erkennt die eigentliche Absicht) oder verstellt (simulatio, für jedermann ist die
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Absicht erkennbar, d.h. eine spöttische Rede).10 Grundlage für Ironie ist die antike Definition, die sich durch individuelle Signale und Hinweise im Text zeigt und als solche vom Leser erkannt werden muss, damit sie ihre Wirkung erzielen kann. Das Problem dieser antiken Definition wurde in der Linguistik herausgearbeitet: (1) Die Definition ist zu weit gefaßt, weil sie z.B. die Lüge oder die Heuchelei nicht auszuschließen vermag. (2) Sie ist zu eng gefaßt, weil sie unterstellt, daß das exakte Gegenteil von dem gemeint ist, was vorgeblich gesagt wird. Dadurch wird die Bedeutungsvielfalt der Rhetorischen Ironie in unzulässigem Maß eingeschränkt, die ja oft mehr und anderes zum Ausdruck bringt als das genaue Gegenteil.11
Das Konzept der Ironie wird daher als „Simulation der Unaufrichtigkeit“12, d.h. als eine bewusste Verletzung des Gebots der Aufrichtigkeit, die von der Hörerbzw. Leserschaft erkannt werden soll („transparente Unaufrichtigkeit“13), verstanden. Der Versuch, Ironie ohne den Begriff des Gegenteils zu definieren, birgt allerdings neue Probleme: Zum einen ist die Definition zu weit gefasst ist, indem alle indirekten Sprechakte unter diese Definition fallen, unabhängig davon, ob ein ironischer Zweck vorliegt oder nicht; zum anderen gibt es keine universellen Ironie-Signale und Marker, an denen Ironie erkennbar werden muss. Vielmehr gelten diese „immer nur relativ zu den für eine bestimmte
10 Im 4. Jahrhundert vor Christus wird Ironie in der Anaximenes von Lampsakos zugeschriebenen Rhetorica ad Alexandrum 21,1 so definiert: Εἰρωνεία δέ ἐστι λέγειν τι μὴ λέγειν προσποιούμενον ἤ {ἐν} τοῖς ἐναντίοις ὀνόνμασι τὰ πράγματα προσαγορεύειν. Cicero gibt εἰρωνεία als dissimulatio (Verheimlichung der eigenen Meinung) wieder und Quintilian differenziert zwischen simulatio (Redner bzw. Autor stellt sich, als sei ihm eine bestimmte Auffassung wirklich zu eigen, d.h. die „positive Vortäuschung einer eigenen, mit einer Meinung der Gegenpartei übereinstimmenden Meinung“) und dissimulatio (d.h. Verstellung, sodass die eigene Meinung vor dem Gegner bzw. Leser verheimlicht wird); bei ihm kommt Ironie sowohl als Trope als auch als Gedankenfigur vor: „Bei beiden nämlich muss das Gegenteil von dem verstanden werden, was ausgesprochen wird.“ (in utroque enim contrarium ei, quod dicitur, intellegendum est; Inst. IX 2,44). Aquila Romanus bestätigt in den Rhetores latini minores (De figuris sententiarum et elocutionis; 3. Jahrhundert) die Weiterführung dieser Tradition (§ 7): εἰρωνεία, simulatio, frequentissima apud oratores figura, ubi aliud verbis significamus, aliud re sentiamus. 11 N ÜNLIST, R ENÉ, Rhetorische Ironie – Dramatische Ironie. Definitions- und Interpretationsprobleme, in: Jürgen P. Schwindt (Hg.), Zwischen Tradition und Innovation. Poetische Verfahren im Spannungsfeld klassischer und neuerer Literatur und Literaturwissenschaft, München/Leipzig: Saur 2000, 67–87, 72 f. 12 Vgl. LAPP, EDGAR, Linguistik der Ironie (Tübinger Beiträge zur Linguistik 369), Tübingen: Gunther Narr Verlag 1992, 140–171. 13 H ECKEL, H ARTWIG, Was ist Ironie?, in: Reinhold Glei (Hg.), Ironie. Griechische und lateinische Fallstudien (Bochumer altertumswissenschaftliches Colloquium 80), Trier: Wissenschaftlicher Verlag 2009, 15–31, 24. Vgl. dazu NÜNLIST, Rhetorische Ironie, 75.
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Kapitel 6: Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie
Sprechhandlung je geltenden Realisierungsbedingungen“14, sodass eine Äußerung erst innerhalb eines bestimmten Kontextes zur Ironie wird und als solche erkannt wird, d.h. „an der Aussprache, an der Person oder an der Natur der Sache“15. Weder das von der antiken Rhetorik geknüpfte Netz der Tropen und Figuren noch die Mittel moderner Linguistik vermögen diese [scil. rhetorische Ironie] zu fixieren. Rhetorische Ironie sperrt sich dagegen als reiner ornatus der Rede definiert zu werden; ebenso sperrt sie sich dagegen, durch abstrakte sprachwissenschaftliche Formeln auf eine bloße Struktur reduziert zu werden. Ironie verlangt nach Rezipienten, die bereit und in der Lage sind, sie durch verständige Interpretation im je einzelnen Fall aufzuspüren, sie in ihren jeweiligen Mechanismen und Wirkungen zu beschreiben und sie [...] zu genießen.16
Wenn Rhetorik also als der entscheidende Schlüssel zum Verständnis von Tertullians Werk und insbesondere Adv. Val. zu gelten hat, ist zu fragen, ob nicht die Perspektive, mit der dieses Werk gelesen werden will, auch speziell die rhetorische Ironie im Blick haben sollte. Grundlage dafür ist eine rezeptionshermeneutisch geleitete Herangehensweise. Es bleibt zu fragen, ob Ironie daher nicht mehr ist als ein funktionales Element und vielmehr eine systematische Haltung und ‚Grundstrategie‘17 umfasst, mit der Tertullian arbeitet. Ironie wäre dann Mittel zum Zweck, z.B. in der Betonung der Ambiguität der valentinianischen Lehre, den Alltags-Vergleichen, spöttischen Witzen, Wortspielen, Neologismen usw. Beispielsweise ließe sich der Vergleich der komplizierten Mythoskonstruktion der Valentinianer mit alltäglichen Ammen- und Kindermärchen so deuten, indem Tertullian diese als von der Amme zum Einschlafen erzählten Märchen konkret mit zwei Kinderschreckgeschichten identifiziert („Türme der Lamia“ und „Kämme des Sol“; 3,3) und damit das Gegenteil intendiert.18 Ähnlich lässt sich die Notiz in Adv. Val. 1,1 verstehen, wenn Tertullian mit Hilfe der Hyperbel die Valentinianer als den „größten Kultverein“ (frequentissimum collegium) einführt. Ironisch und spöttisch verweist er darauf, dass sie weder groß sind noch dem Status eines Kultvereins entsprechen. Dabei spitzt Tertullian seine Ironie häufig polemisch zu. Polemik ist zunächst ein neuzeitlich geprägter Terminus, der sich so nicht in den antiken Rhetorikbüchern findet oder lediglich als Teilaspekt des Tadels (ψόγος, 14 LAPP, Linguistik der Ironie, 30; vgl. auch das Resümee bei N ÜNLIST, Rhetorische Ironie, 77; HECKEL, Was ist Ironie?, 27 f. 15 Quint., Inst. VIII 6,54: quae aut pronuntiatione intellegitur aut persona aut rei natura. 16 H ECKEL, Was ist Ironie?, 30. 17 Vgl. C APONE, A LESSANDRO, Osservazioni sull’ironia di Tertulliano nell’ Adversus Valentinianos, in: Auctores Nostri. Studi e Testi di Letteratura Cristiana Antica. 4. Interpretare e communicare. Tradizioni di scuola nella letteratura latina tra III e VI secolo, Bari: Edipuglia 2006, 229–242, 230.241. 18 Iam si et in totam fabulam initietur, nonne tale aliquid recordabitur se in infantia inter somni difficultates a nutricula audisse, “Lamiae turres” et “Pectines Solis”? (Adv. Val. 3,3).
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vituperatio) und damit als Gegenteil des Lobs (ἔπαινος, laus) innerhalb des genus demonstrativum verortet wird.19 Polemik ist von der Invektive zu differenzieren: Beide sind zwar eine angreifende Rede und lassen sich in der spezifischen Redeabsicht unterscheiden. Inhaltlich bildet ein polemischer, literarischer Angriff jedoch die Bekämpfung eines konkreten Sachverhalts oder einer Meinung, die von einer Person oder Personengruppe vertreten wird, während die Invektive emotional auf die Person selbst gerichtet ist. In Bezug auf Absicht und Wirkung findet sich als häufigste Form der Polemik das einseitige Bekämpfen einer Lehrmeinung einer Person oder Personengruppe mit dem eindeutigen Ziel der Abgrenzung von dieser Meinung und des abschließenden Siegs. Damit ist der Polemik eine sachlich orientierte Argumentation in ihrer Bekämpfung des Gegenübers nicht abzusprechen. Die Invektive zielt dagegen auf einen destruierenden, persönlich und moralisch vernichtenden Angriff, in deren Folge der invektivisch Agierende juristisch für seine persönliche Schmähkritik belangt werden kann. 20 Dabei lässt sich für beide Formen 19 Vgl. K OSTER, SEVERIN, Invektive und Polemik in der Antike. Suche nach einer Verhältnisbestimmung, in: Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 170), Berlin/New York: de Gruyter 2010, 39–53, 39; STAUFFER, HERMANN, Art. Polemik, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 (2003), 1403–1415, bes. 1403– 1405. Dass keine Einigkeit darüber besteht, welche Form (Polemik oder Invektive) der rhetorischen Form des Tadels zuzuordnen ist, zeigt sich daran, dass sowohl Stauffer (aaO.) und Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi (DIES., Einführung, in: dies. [Hg.], Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte [Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 170], Berlin/New York: de Gruyter 2010, 1–14, 4 f.), als auch Neumann (DERS., Art. Invektive, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 4 [1998], 549–561, 549– 545) und Koster (aaO.) diese Zuordnung vornehmen. „Die lateinisch christliche Literatur hat mit einem Großmeister der literarischen Polemik ihren furiosen Auftakt, Tertullian, der gegen nichtkatholische Christen und Großkirche ebenso wie gegen seine nichtchristliche[n] Zeitgenossen die hohe Kunst der literarischen Polemik mit Florett und Vorschlaghammer auszuüben versteht. Dabei braucht er sich nicht auf eine literarische Gattung festzulegen, denn ebenso wie für das Lob kennt die antike Rhetorik für die ‚Vermittlung von A[g]gressionstechnik‘ (Stauffer) kein spezifisch ihr zugeordnetes Genus.“ (WISCHMEYER, WOLFGANG, Polemik bei Augustin, in: Oda Wischmeyer/Lorenzo Scornaienchi [Hg.], Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte [Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 170], Berlin/New York: de Gruyter 2010, 603–620, 605). 20 Vgl. auch K OSTER, SEVERIN, Die Invektive in der Griechischen und Römischen Literatur (Beiträge zur klassischen Philologie 99), Meisenheim: Hain 1980, 1–39.353 f.; NEUMANN, Invektive, 549 f. Dabei lässt sich für beide Formen feststellen, dass ihr eigentlicher Adressat nicht die in der Rede bezichtigte Person oder Personengruppe darstellt. Vielmehr richtet sich die Polemik und Invektive an ein Publikum, dessen Affekte beeinflusst werden sollen, um ebenfalls zur (vernichtenden) Bewertung über die Person oder ihre Lehrmeinung zu gelangen. Die Invektive selbst hat dabei verschiedene literarische Formen ausgebildet: Als Teil anderer literarischer Formen kann sie als Bau- oder Integrationselement fungieren. Hier gelten Schimpfwörter als die kürzeste, selbstständige Ausprägung (28 Stück
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feststellen, dass ihr eigentlicher Adressat nicht die in der Rede bezichtigte Person oder Personengruppe darstellt. Vielmehr richtet sich die Polemik und Invektive an ein Publikum, dessen Affekte beeinflusst werden soll, um ebenfalls zur vernichtenden Bewertung über die Person oder ihre Lehrmeinung zu gelangen.21 Auch dieser Sachverhalt liegt in Adv. Val. vor. Tertullian hat sich der literarischen Strategie der Polemik und Invektive bedient und in diesem vorliegenden Werk eine Schrift gegen die Lehrmeinung einer Gruppe verfasst, der er mitunter mit scharfer Kritik begegnet, um sie zu bekämpfen und zu destruieren, sich von ihnen abzugrenzen und seine Leserschaft in diese Positionsfindung mit hineinzunehmen, ohne diese Gruppe endgültig zu zerstören.22 Barnes konstatiert: „Polemic requires satire, ridicule and a still rarer gift: the ability to seize upon and exploit the weak points in an opponent’s argument. Tertullian was an adept in all three.“23 Tertullian zielt darauf, die Lehre seiner Gegnerschaft mit rhetorischen Mitteln zu vernichten, die Personen aber, die dieser Lehre anhängen, will er vielmehr ‚bekehren‘.
6.3. Officium ridendi 6.3. Officium ridendi
Tertullian intendiert mit seinem im ironischen, polemischen und teils sarkastischen Stil gehaltenen Werk literarisch einen ‚lachenden Leser‘ als Ausdruck der Lächerlichkeit des verarbeiteten Themas. Durch die evozierte Reaktion wird der valentinianischen Lehre und den Valentinianern selbst jedweder Anschein von Ernsthaftigkeit entzogen. Seine eigene methodische Begründung findet sich zum Abschluss seines Exordiums (Adv. Val. 6,2 f.), die dem rhetorischen Topos folgt, das Hör- oder Lesepublikum durch den Redner zu gewinnen (persuadere). 24 Als eines der stärksten Mittel zum Einnehmen des finden sich nach OPELT in Adv. Val.; vgl. OPELT, ILONA, Die lateinischen Schimpfwörter und verwandte sprachliche Erscheinungen. Eine Typologie, Heidelberg: Winter 1965 sowie DIES., Polemik in der christlichen lateinischen Literatur). 21 Es zeigt sich allerdings, dass die Differenzierung schwammig bleibt. Ein weiterer Grund neben der knappen theoretischen Grundlegung und rhetorisch nicht eindeutigen Verankerung bildet die sprachliche Ungenauigkeit in der Wissenschaft, wenn selten von Invektive und häufiger übergreifend von Polemik gesprochen wird. 22 Dass er sich dabei auch sog. Schimpfwörter bedient, hat Opelt ausführlich gezeigt. Interessanterweise handelt sie unter dem Titel „Die Polemik in der christlichen lateinischen Literatur von Tertullian bis Augustin“ von dem invektivisch zuzuordnenden Schimpfwörtergebrauch in der christlichen Literatur der Spätantike und nutzt die Begrifflichkeiten synonym. Dies lässt sich als Hinweis auf die nahezu unmöglich scheinende eindeutige Differenzierung dieser beiden Bereiche in der Antike werten. 23 B ARNES, Tertullian, 220. Vgl. zudem das Statement Boughner’s: „Tertullian’s essays are not satire or invectives. Whether they are diatribes is a moot point. But they are satiric.“ (BOUGHNER, ROBERT F., Satire in Tertullian, Michigan: University Microfilms 1975, 3). 24 Vgl. zum Folgenden auch FREDOUILLE, Tertullien, 149–158.
6.3. Officium ridendi
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Publikums durch die Affektbewegung (delectare) gilt Humor. Wenn das Publikum lacht, weil der Redner etwas Lächerliches oder auf lächerliche Art und Weise präsentiert (ridiculum, iocus), führt dies zur Heiterkeit (festivitas, urbanitas) des Publikums, das sich (ungewollt) zum Redner hingezogen fühlt und sich damit von der rednerisch bekämpften Gruppe distanziert.25 Indem Tertullian seiner Leserschaft eine „Pflicht zu lachen“ (officium ridendi) auferlegt, sofern es ein dem Inhalt angemessenes Lachen ist (dignus), interpretiert er die antike rhetorische Tradition mit Blick auf seine eigene Situation. Die seiner Leserschaft gestellte „Aufgabe zu lachen“ bildet seine schärfste Waffe gegen die Glaubwürdigkeit der valentinianischen Lehre.26 Mit diesem verpflichtenden „Dienst zum Lachen“ über diese verborgene Lehre und damit auch über diejenigen, die dieser Lehre anhängen, kommt dem Lachen sozial exkludierende und ächtende Bedeutung zu. Tertullian argumentiert noch einen Schritt weiter, indem er diese Waffe als eine ihm aufgezwungene Waffe darstellt: Dieses Vorgehen ergebe sich genuin aus der Qualität des Inhalts der valentinianischen Lehre (materia ipsa), d.h. rhetorisch der res ipsa. Weil die als Mythos gebotene Lehre der Valentinianer für Tertullian von Unglaubwürdigkeit und Humor gekennzeichnet ist, stilisiert er sich als vor die Situation gestellt, diesem Stoff einzig mit Humor und Lachen begegnen zu können, um ihm keine Ernsthaftigkeit (gravitas) zukommen zu lassen. Karikierend stellt er fest, dass schließlich lediglich diese die Lächerlichkeit offensichtlich herausstellende Begegnungsform dem bearbeiteten Stoff entspreche. Tertullian steht in der lateinischen Rhetorik-Tradition und postuliert als Strategie seines Werkes eine „verpflichtende Aufgabe zu lachen“. Gilt Lachen als anthropologische Grundkonstante, die unter den historischen Bedingungen zu reflektieren ist, ist zu fragen, ob dieser textimmanenten Struktur und Argumentation eine außertextuelle Geste entsprechen sollte.27 Ist hier mehr indiziert als eine Leserschaft, die sich einer komödianten Darstellung der valentinianischen Lehre widmet? Intendiert Tertullian einen ethischen Impetus für eine Vgl. dazu u.a. HÜGLI, ANTON, Art. Lachen, Das Lächerliche, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 5 (2001), 1–17; MARTIN, JOSEF, Antike Rhetorik. Technik und Methode (Handbuch der Altertumswissenschaften 2/3), München: C.H. Beck 1974, 52–60. 26 Cicero bietet in seinem Werk De oratore eine Grundlegung über das Lachen als wirkungsvolles Mittel der Rhetorik. Diese Kunst basiert auf keiner theoretischen, zu erlernenden Lehre, sondern zählt vielmehr zu den natürlichen Begabungen des Redners. Gerade Ironie sei ein hilfreiches Mittel, um Gelächter zu erregen (De orat. II 269). 27 Moderne Theorien fragen dabei nach der Entstehung des Lachens und bieten verschiedene Antwortmöglichkeiten, die vorliegende Frage allerdings nicht näher tangieren. Neben der Überlegenheitstheorie (Hobbes) finden vor allem die Inkongruenztheorie (Kant, Bergson) und Erleichterungstheorie (Freud) Anklang. Vgl. dazu mit weiterer Literatur BEARD, MARY, Das Lachen im alten Rom. Eine Kulturgeschichte, übersetzt von Carsten Drecoll, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2016, 53–70. 25
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Haltung, die seine Leserschaft eingehen soll, um die Gruppe der Valentinianer in der realen Begegnung auszulachen? Um diesen Kontext und die Bewertung des Lachens zu beleuchten, soll zunächst (6.3.1) die rhetorische Grundlegung des Lachens in der antiken, lateinischen Tradition, insbesondere bei Cicero und Quintilian, eruiert werden, um dann (6.3.2) die Konnotation und Kontextualisierung von „lachen“ (ridere/risus/ridiculus) im Œuvre Tertullians zu analysieren. Sodann (6.3.3) wird diese in Adv. Val. 6,2 f. dargelegte methodische Grundlegung als ein im literarischen Umfeld Tertullians vorhandenes literarisches Konzept überprüft, um diese Strategie auch in Adv. Val. nachzeichnen zu können (6.3.4). 6.3.1. Die Grundlegung des Lachens in der antiken, lateinischen Rhetorik Cicero bietet in seinem Werk De oratore eine theoretische Grundlegung über das Lachen als wirkungsvolles Mittel der Rhetorik, verbunden mit anschaulichen Beispielen, die Tertullian gekannt hat;28 Quintilian nimmt diese Grundlegung in seinem zwölfbändigen Werk zur Rhetorik auf und gewichtet sie angemessen für seine eigene Darstellung.29 Scherz (iocus) und Witz (facetia) zählen zu nützlichen Mitteln innerhalb der Rede, um die Affekte des Publikums für den Redner zu beeinflussen und den Gegner zu irritieren.30 Diese Kunst basiert auf keiner theoretischen, zu erlernenden Lehre, sondern zählt vielmehr zu den natürlichen Begabungen des Redners.31 Zugleich begibt sich der Redner damit in eine gewisse Gefahr: Der Grad, dass nicht der Gegner, über den gelacht 28 S.o. 3.2. sowie die Analyse von Adv. Val. 6,3 und dazu FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 153–156. 29 Beard wertet dieses ciceronische Werk als „das gehaltvollste, fundierteste und anspruchsvollste Buch über Lachen, das uns aus der antiken Welt überliefert ist“ (DIES., Das Lachen im alten Rom, 149). Schließlich bildet seine Darstellung die erste in der römischen Literatur. Im Hintergrund stehen die verloren gegangene Schrift von Aristoteles über die Komödie sowie vor allem die peripatetische Witzelehre (vgl. LEEMAN, ANTON D., M. Tullius Cicero. De Oratore Libri III. Kommentar 3. Buch II, 99–290 [Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern], Heidelberg: Winter 1989, 190– 206; FANTHAM, ELAINE, The Roman World of Cicero’s De Oratore, Oxford/New York: Oxford University Press 2004, 189). 30 Cic., De orat. II 217; 236: est plane oratoris movere risum, vel quod ipsa hilaritas benevolentiam conciliat ei, per quem excitata est, vel quod admirantur omnes acumen, uno saepe in verbo positum, maxime respondentis, non numquam etiam lacessentis, vel quod frangit adversarium, quod impedit, quod elevat, quod deterret, quod refutat, vel quod ipsum oratorem politum esse hominem significat, quood eruditum, quod urbanum, maximeque quod tristiam ac severitatem mitigat et relaxat odiosasque res saepe, quas argumentis dilui non facile est, ioco risuque dissolvit. Zur lateinischen kaum zu differenzierender Terminologie des Witzigen vgl. LEEMAN, M. Tullius Cicero, De oratore libri III, 183–188. 31 Cic., De orat. II 216; 227: Quare tibi, Antoni, utrumque adsentior et multum facetias in dicendo prodesse saepe et eas arte nullo modo posse trade. Vgl. auch Quint., Inst. VI 3,11–14.
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werden soll, sondern der Redner selbst plötzlich isoliert werden kann, weil sich das Lachen gegen ihn dreht, ist schmal und spiegelt sich im Terminus ridiculus wieder, der sowohl den Gegenstand des Gelächters als auch das- oder denjenigen bezeichnen kann, das oder der zum Lachen bringt.32 Dem Lachen ist ein gewisses Überraschungsmoment charakteristisch: „Deshalb lachen wir, wenn wir uns gewissermaßen in unserer Erwartung getäuscht haben.“33 Material für das Lächerliche bietet sich dem Redner viel. „Ernsthafte Gedanken“34 können Quelle für Witze sein; vor allem aber das „durch Schimpf und Schande bestimmte“ lässt sich, gerade wenn es auf eine nicht schimpfliche Art dargeboten wird, so darstellen, dass das Ziel des Witzes, beim Publikum Lachen zu erregen, erreicht wird. 35 Denn nicht die Qualität des Hässlichen selbst ruft Lachen hervor, sondern die auf rhetorischer Ebene sich darstellende Gewitztheit des Redners, der diese hässliche Thematik für seinen Witz heranzieht und im witzigen Gewand präsentiert.36 Durch das Lachen des Publikums kann der Gegner entmachtet und dem Redner Wohlwollen entgegengebracht werden. Allerdings soll Gelächter nicht zu jeder Gelegenheit, sondern zu bestimmten Zwecken eingesetzt werden. Cicero zeichnet Grenzen des Erregens von Lachen von ästhetischer, moralischer und sozialer Dimension auf: Mäßigung sei notwendig, sofern ein ernsthaft zu verhandelndes Verbrechen vorliege oder das Gegenüber in seiner sozialen Situation zu bemitleiden sei. Witze dürfen nicht „der Würde Abbruch tun“.37 Das Abrutschen in Possenreißerei auf der einen und das krampfhafte Suchen nach der Pointe auf der anderen Seite markieren die Linie, auf der sich der Redner beim Erregen von Lachen bewegt.38 Denn „das Lachen ist 32 G LARE, PETER G. W., Oxford Latin Dictionary, Oxford: Oxford University Press 2010, Sp. 1653 f.: „1. Capable of arousing laughter […] 2. (in bad sense) Absurd, silly, ridiculous.“ Vgl. vor allem auch Quint., Inst. VI 1,48. Quintilian hebt die aktive und passive Bedeutung von ridiculus hervor; derjenige, der aktiv Lachen erzeugt, kann selbst passiv zum Lachobjekt werden. 33 Cic., De orat. II 260: ex quo, cum quasi decepti sumus expectatione, ridemus. 34 Cic., De orat. II 248: tantum interest, quod gravitas honestis in rebus severisque, iocus in turpiculis et quasi deformibus ponitur, […]. 35 Cic., De orat. II 238; 236: Locus autem et regio quasi ridiculi – nam id proxime quaeritur – turpitudine et deformitate quadam continetur. Haec enim ridentur vel sola vel maxime, quae notant et designant turpitudinem aliquam non turpiter. Quintilian systematisiert die Fundorte des Materials für das ridiculum des Redners (Inst. VI 3,35–46). 36 Vgl. B EARD, Das Lachen im alten Rom, 161. Im Hintergrund stehen aristotelisches Gedankengut und Entwicklungen der Komödie, vgl. dazu auch unten Anm. 64 sowie LEEMAN, M. Tullius Cicero, De oratore libri III, 206.239; FANTHAM, The Roman world of Cicero’s De oratore, 192 Anm. 13; HALLIWELL, STEPHEN, Greek Laughter. A Study of Cultural Psychology from Homer to Early Christianity, Cambridge/New York: Cambridge University Press 2008, 307–331. 37 Cic., De orat. II 229: ne quid iocus gravitate decerperer; vgl. auch II 237–238; 247. 38 Vgl. Cic., De orat. II 239; 256.
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nicht weit vom Auslachen entfernt.“39 Diese aggressive Form des Auslachens widerstrebt Cicero in seiner theoretischen Grundlegung, der Lachen als Mittel zur Sympathiegewinnung des Publikums und Auflockerung der Rede, mit denen aus seiner Perspektive ein rhetorisches Besiegen seines Gegners einhergeht, heranzieht. Zuletzt differenziert Cicero zwischen zwei Arten des Lächerlichen: Zum einen benennt er das Lächerliche der Sache nach (res), das durch einen die ganze Rede durchziehenden, „durchgehenden Humor“ (perpetua festivitas) charakterisiert wird und sich in Erzählungen (fabella, narratio) und Nachahmungen (imitatio) wiederfindet.40 Gerade Ironie sei ein hilfreiches Mittel, etwas lächerlich zu machen, „wenn man etwas anderes ausspricht, als man denkt […], wenn man in der ganzen Rede tiefernst seinen Spott treibt, wobei man anderes meint als sagt“.41 Zum anderen nennt er den kurzen, scharfen Wortwitz (dicacitas), der sich durch seine pointierte Formulierung (dictum, verbum) auszeichnet.42 Hilfreiche Mittel sind dazu, den Nutzen von Zweideutigkeiten (ambiguitas) zu bedenken, den Wortwitz mittels einer Paronomasie zu provozieren sowie eine allegorische, metaphorische oder ironische statt erwartete wörtliche Auslegung von zitierten Äußerungen zu bieten.43 Quintilian systematisiert diese ciceronische Grundlegung über den Humor und resümiert, dass letztlich alle Tropen Möglichkeiten bieten, Lachen beim Publikum hervorzurufen. Allerdings favorisiert er die Ironie – in beiden Formen: simulatio als Vortäuschung, die Meinung des Gegenübers zu vertreten, sowie dissimulatio als Verstellung und Verheimlichung der eigenen Meinung – als beste Methode.44 Das Optimum sei erreicht, wenn beide Formen, das Lachen wegen des Inhalts und des Wortwitzes, zusammenfallen.45 Quint., Inst. VI 3,7: a derisu non procul abest risus. Cic., De orat. II 219; 240–243; 264–289. 41 Cic., De orat. II 269: Urbana etiam dissimulatio est, cum alia dicuntur ac sentias, non illo genere, de quo ante dixi, cum contraria dicas, […], sed cum toto genere orationis severe ludas, cum aliter sentias ac loquare. Vgl. auch II 271; 289. 42 Cic., De orat. II 219; 244; 248. 43 Zu ambiguitas vgl. Cic., De orat. II 250; 253–256; zu paronomasia 256 f.; zur allegorischen, metaphorischen oder ironischen Deutung 258–263. Vgl. zum gesamten Absatz auch die systematisierende Darstellung Quintilians: Inst. VI 3,22–28. 44 Quint., Inst. VI 3,85: Plurimus autem circa simulationem risus est, quae sunt vicina et prope eadem, sed simulatio est certam opinionem animi sui imitantis, dissimulatio aliena se parum intellegere fingentis. 45 Vgl. Cic., De orat. II 248. Dass eine Differenz zwischen der theoretischen Grundlegung über das Lachen und manchen nahezu aggressiv wirkenden Witzen in Ciceros Reden besteht, lässt sich nur unzureichend mit der häufig begegnenden Inkongruenz zwischen Theorie und Praxis erklären. Ist die theoretische Analyse in De orat. als Apologie für Ciceros eigenes Verhalten aufzufassen oder als Auseinandersetzung mit der zur römischen Praxis gewordenen griechischen Tradition? Vgl. dazu BEARD, Das Lachen im alten Rom, 166–160; FANTHAM, The Roman world of Cicero’s De oratore, 199–208. 39
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6.3.2. „Lachen“ im Œuvre Tertullians Auf gesamt 63 Nennungen beläuft sich das Vorkommen von ridere, risus oder ridiculus im Œuvre Tertullians. Bei einer näheren Betrachtung fällt auf, dass neben einer im Werk vorhandenen Häufung des Wortfelds in Apol. und Adv. Val. mit je 12 und Ad Nat. mit neun Nennungen auch Einzelvorkommen auf eine rhetorisch und methodisch bewusst eingesetzte Strategie des Lachens bei Tertullian hinweisen.46 Diese Strategie reflektiert er in Adv. Val., wenn innerhalb des Exordiums gleich fünfmal lediglich zum Abschluss in 6,3 eine Form von ridere mit der methodischen Rechtfertigung und Absicherung seines Vorgehens verbunden ist.47 Dass der lachende Leser seine schärfste Waffe gegen die Glaubwürdigkeit der valentinianischen Lehre bildet, spiegelt der kumulierende Gebrauch und methodische Hinweis wider, mit dem Tertullian auf diese – für ihn natürliche – exkludierende Waffe zum Ende seines einführenden Exordiums hinweist. Gemeinsames Lachen begründet eine gemeinsame Emotion von Leserschaft und Autor, die eine klare Grenze definiert zwischen einer ‚ingroup‘ und ‚outgroup‘, zwischen der wahren und falschen Lehre. Dieser methodischen Grundlegung entsprechen zwei Rekurse innerhalb der Narratio: In 19,2 und 21,1 durchbricht Tertullian seine Darstellung des valentinianischen Mythos, indem er zum einen mit einer rhetorischen Frage an die 1. Person Singular sich selbst als Autor fragt, ob er nicht angesichts dieser Gedanken lachen solle (19,2), und sich zum anderen direkt an seine Leserschaft wendet (2. Person) und voraussagt, dass diese angesichts dieser Mythos-Beschreibung und -Erklärung noch mehr lachen werde (21,1). Diese beiden Durchbrechungen der narrativen Ebene fügen sich literarisch in die vorbereitenden methodologischen Bemerkungen von 6,3 ein. Tertullian nimmt sie mit diesen kurzen Rekursen erneut auf und erinnert seine Leserschaft an die exkludierende Tendenz seines Werkes. Ein zweiter Kumulationspunkt des Wortfelds ridere innerhalb der Narratio findet sich auf Ebene der Darstellung des valentinianischen Mythos mit dem fünfmaligen Hinweis auf das Lachen Achamoths, das inhaltlich mit dem Bezug zum Licht und göttlichen Pleroma verbunden ist (15,4 f.; vgl. dazu den Kommentar zur Stelle). Zwei beispielhaft zu besprechende Themenfelder im weiteren Werk Tertullians belegen, dass Tertullian ridere eine exkludierende Funktion zuschreibt Der quantitativ zwar mit 14 Nennungen oberhalb liegende Befund in Adv. Marc. verteilt sich auf die fünf Bücher und lässt eine Kumulation in Adv. Marc. IV 14 f. mit neun Vorkommen erkennen, wenn Tertullian den Vers „Selig seid ihr, die ihr weint, denn ihr werdet lachen“ (Luk 6,23) auslegt. In Anim. finden sich vier, in Pat. zwei; in Spect., Test. Anim., Paen., Ux., Pall., Resurr., Idol., Mon. und Ieun. sind je eine Nennung zu verzeichnen. 47 Si et ridebitur alicubi, materiis ipsis satisfiet. […]. Congruit et ueritati ridere, […]. Curandum plane ne risus eius rideatur, si fuerit indignus; ceterum ubicumque dignus risus, officium est. 46
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und gerne nutzt. Es finden sich Bemerkungen, bei denen er „lachen“ als Grenzziehung gegen eine nichtchristliche Richtung heranzieht und dabei sich selbst in diese lachende Gruppe inkludiert. Wenn er im Perfekt konstatiert „wir haben auch gelacht“ (risimus), wird hier häufig ein Hinweis auf Tertullians heidnisch religiöse Erziehung und spätere Bekehrung zum Christentum gedeutet.48 An dieser Stelle kommt es aber vor allem auf die rhetorische Funktion der Exklusion und Gruppenbildung durch eine ‚Lachgemeinschaft‘ mit Hilfe der pluralischen Formulierung an.49 Zudem bietet die exkludierende Funktion Tertullian auch die Möglichkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung und Klärung der Fronten, wie sie vornehmlich in den gegen Nichtchristen gerichteten Werken und insbesondere bei eschatologischer Thematik vorkommt. Tertullian wehrt sich in Apol. 23,11–16 gegen eine Verleugnung des Gerichts. Die von ihm als Dämonen entlarvten fremden Götter stellt er mit den verlachenden Adressaten (antistites) seines Werkes in eine Reihe. Grundlage seines mit exkludierender und negierender Funktion versehenen parallelisierenden Wortspiels bildet ridere: „Was auch immer ihr verlacht, mögen sie [d.h. die Dämonen] es auch mit Euch verlachen.“50 Das negativ konnotierte „lachen“ gegen die Christen dreht Tertullian durch diese Identifizierung mit dem dämonischen Lachen um, sodass es gegen seine Adressaten selbst gerichtet wird. Denn die falschen Götter werden letztendlich die Wahrheit Gottes selbst enthüllen und ihre Leugnung erkennen (Apol. 13,11). Das leugnende Verlachen der christlichen Hoffnung kann nach Tertullians Vorstellung einzig ins Verderben führen. So kann er auch sarkastisch konstatieren: „Daher werden wir verlacht, wenn wir verkündigen, dass Gott Gericht halten wird.“51 Hinter dem trockenen Sarkasmus liegt Tertullians Gewissheit auf das endgültige Gericht, das alle irdischen Verhältnisse umkehren wird.52 Diese Beispiele verdeutlichen die ausgrenzende Funktion des Lachens, die Tertullian häufig in seinem Werk heranzieht und beide Parteiungen bei einer Auseinandersetzung aus seiner Perspektive betreffen kann.53 Ziel ist die sozial Vgl. dazu z.B. den Kommentar bei GEORGES, Tertullian ‚Apologeticum‘, 259 f. Vgl. Apol. 15,5; 16,12; 18,4; Ad Nat. I 10,47. 50 Apol. 23,13 (CChr.SL 1, 132,68 D EKKERS): Quodcumque ridetis, rideant et illi vobiscum. 51 Apol. 47,12 (CChr.SL 1, 164,52 D EKKERS): Itaque ridemur praedicantes Deum iudicaturum. Im Folgenden findet sich auch der Terminus decachinnare („schallend auslachen“), der ebenfalls in Ad Nat. I 19 vorkommt und ridere verstärkt. 52 Eine ähnliche Argumentation findet sich in Ad Nat. I 19: Die Auferstehung der Toten ist für Nicht-Christen unvorstellbar; daher fordert Tertullian sie ironisch zum Lachen auf. 53 Daneben finden sich Nennungen, bei denen ridere sich aus dem Kontext genuin ergibt und zugleich dennoch eine grenzziehende Funktion markiert (z.B. Apol. 2,17: Lachen als Machtdemonstration der Christen, die nach der Leugnung vor Gericht den Eifer der Folternden verlachen können; Ad Nat. I 16 und Apol. 9,16: Lachen als Hybris bei den Makedoniern, 48
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exkludierende und gruppenbildende Funktion, die gemeinsames Lachen hervorbringt, die selbstverständlich in der Abwertung („verlachen“, „lachen über“) einer Position und gleichzeitigen Legitimierung der anderen Position liegt. 6.3.3. „Lachen“ als literarische Strategie im Umfeld Tertullians Die sich bei Tertullian manifestierende Strategie, seine Leserschaft in den folgenden Prozess mit hineinzunehmen und in direkter Ansprache aufzufordern, das folgende Werk aufmerksam bzw. mit Humor54 zu lesen oder zu hören, erweist sich bereits als etablierte Methode in der lateinischen Literatur. Schon Tertullians Landsmann Apuleius sagt seiner Leserschaft im Prolog seiner Metamorphosen voraus, dass er bei der folgenden Lektüre Vergnügen haben wird: lector intende, laetaberis!55 Mit dieser futurischen, indikativischen Ankündigung formuliert Apuleius einen Kontrakt der reziproken Interaktion zwischen dem Leser und Rezipienten sowie dem Autor und Sprecher des Prologs, wie sie sich bereits in der römischen Komödiendichtung und Satire findet. 56 So wird die aufmerksame Lektüre des Lesers mit Vergnügen (die Zusage laetaberis) und „witzigem Summen“ im Ohr (lepidus susurrus; I 1,1) belohnt, wenn er diese ihm gestellte Aufgabe des Leseprozesses annimmt.57 Die anfängliche die ihren Inzest mit Ödipus legitimieren; Apol. 15,1: sarkastische Frage, ob die Hörer eigentlich ihre eigenen Götter verlachen; Mon. 16,1: rideo als Bewertung für eine inhaltliche Differenz; Anim. 46,10: in der philosophischen Argumentation als methodisches Mittel der Grenzziehung mit ironischer Ansprache von Aristoteles). 54 Humor bildet dabei selbstverständlich einen neuzeitlichen Terminus und Leitbegriff für das Komische. Vgl. SCHÜTTPELZ, ERHARD, Art. Humor, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 4 (1998), 86–98; BREMMER, JAN N./RODDENBURG, HERMAN, Humor und Geschichte. Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute, übersetzt von Kai Brodersen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, 9–17, 9 f. 55 Apul., Met. I 1. 56 Vgl. SCOBIE, A LEXANDER, Apuleius Metamorphoses (Asinus Aureus). A Commentary (Beiträge zur Klassischen Philologie 54), Meisenheim: Hain 1975, 77; MAY, REGINE, Apuleius’ Metamorphoses or The Golden Ass: Book 1 . With an introduction, translation and notes (Aris & Phillips Classical Texts), Oxford: Oxford University Press 2013, 99. Zur Schwierigkeit der Identifikation des „Ichs“ des Prologs sowie Differenzierung des realen, fiktiven und implizierten Lesers vgl. den Sammelband von AHUVIA KAHANE/ANDREW LAIRD, A companion to the Prologue of Apuleius’ Metamorphoses; besonders ZIMMERMANN, MAAIKE, Quis ille ... lector. Addressee(s) in the Prologue and throughout the Metamorphoses, in: Ahuvia Kahane/Andrew Laird (Hg.), A Companion to the Prologue of Apuleius’ Metamorphoses, Oxford: Oxford University Press 2001, 245–255. 57 Vgl. dazu die Differenz in der Interpretation zwischen G IBSON, B RUCE, Argutia Nilotici Calami. A Theocritean Read?, in: Ahuvia Kahane/Andrew Laird (Hg.), A Companion to the Prologue of Apuleius’ Metamorphoses, Oxford: Oxford University Press 2001, 67–76, 68 Anm. 3 und ZIMMERMANN, Quis ille ... lector.
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Aufforderung bringt den Leser in einen aktiven Leseprozess. Dieser Aufgabe entsprechen die im weiteren Verlauf des Werkes begegnenden Anreden als „gewissenhafter Leser“ (lector scupulosus; IX 30,1), „bester Leser“ (lector optime; X 2,4) oder „wissbegieriger Leser“ (studiose lector; XI 23,5). Dabei beschreibt der Imperativ intende zwar die Handlung des aufmerksamen Lesens selbst, betont aber die Qualität: Es geht um ein sorgfältiges, vollkommen aufmerksames Lesen. „Only by answering the call to be readers can we expect the benefits promised. Furthermore, those benefits themselves are purely verbal: they exist in only words, and they are described only in a word which denotes action, not content.”58 Apuleius’ Aufforderung an seine Leserschaft lässt sich nur im reziproken Verhältnis verstehen: Vergnügen gibt es für konzentriertes Folgen (dieses fabelhaften Materials, variae fabulae; I 1,1). Auch Apuleius folgt mit dieser ungewöhnlich deutlichen Ansage und Verpflichtung seiner Leser bereits einer bestehenden Tradition, wie sie sich in der Komödiendichtung findet. Für Terenz lässt sich in jedem Proömium seines Werks die Bitte an das römische Publikum vernehmen, aufmerksam (adeste) und mit Schweigen (cum silentio) der folgenden Aufführung zu folgen.59 Hintergrund bildet neben der Explikation der folgenden Handlung die historische Situation der Aufführung.60 Auch bei Plautus finden sich diese Hinweise.61 Interessant für vorliegende Fragestellung erweist sich der Prolog in Asinaria: „Es steckt viel Witz und Scherz (lepos ludusque) in der Komödie, der Stoff ist zum Lachen (ridicula res est). Seid mir reichlich aufmerksam.“62 Dem Zuschauer wird ein Versprechen gegeben, dass er sich amüsieren wird, weil ein komischer Stoff dargeboten werden wird. Auch diese Prologe bieten – wie bei Apuleius – einen Kontrakt zwischen Zuschauer und Schauspieler: Wenn der 58 SLATER, N IALL, The Horizons of Reading, in: Ahuvia Kahane/Andrew Laird (Hg.), A Companion to the Prologue of Apuleius’ Metamorphoses, Oxford: Oxford University Press 2001, 213–221, 221. 59 Vgl. Ter., An. 24 (favete, adeste aequo animo et rem cognoscite); Hau. 35 f. (adeste aequo animo, date potestatem mihi/ statariam agere ut liceat per silentium); Ph. 30 (date operam, adeste aequo animo per silentium); Hec. 55 (mea causa causam accipte et date silentium); Eu. 44 (date operam, cum silentio animum attendite); vgl. auch Ad. 24 f. 60 Dazu zählt die dem Schauspieler geschenkte Aufmerksamkeit, die für eine angemessen Bezahlung notwendig war. Dem Bezahlsystem entsprach eine Bezahlung nur bei erfolgreicher Aufführung, vgl. PETERSEN, MARIA/TROMARAS, LEONIDAS, Terence. Eunuchus, Hildesheim: Weidmann 1994, 123; BARSBY, JOHN, Terence. Eunuchus (Cambridge Greek and Latin Classics), Cambridge/New York: Cambridge University Press 1999, 6.89; DOWDEN, KEN, Prologic, Predecessors, and Prohibitions, in: Ahuvia Kahane/Andrew Laird (Hg.), A Companion to the Prologue of Apuleius’ Metamorphoses, Oxford: Oxford University Press 2001, 123–136, 135. 61 Vgl. Pl., Am. 15 f. (ita huic facietis fabulae silentium); As. 13 f.; Capt. 54; Cas. 21 f.; Men. 4; Poen. 126 (adeste); Trin. 22 (adeste cum silentio). 62 Pl., As. 13 f.: inest lepos ludusque in hac comoedia, / ridicula res est. date benigne operam mihi.
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Zuschauer (oder Leser) aufmerksam ist, wird der Autor ihn eine Zeit lang erfreuen oder gar zum Lachen bringen.63 Der Inhalt der Komödie regt zum Lachen an, weil er genuin ridiculus ist. Hier zeigt sich ein antikes Phänomen, das erst neuzeitlich differenziert worden ist. In der Antike war Komik und das Komische nichts anderes als das Lächerliche (τὸ γέλοιον/ridiculum).64 Vielmehr Vgl. z.B. auch Verg., Aen. V 71; Hor., Carm. III 1,2. κωμικός/comicus leitet sich von κῶμος („Gelage, fröhlicher Umzug“) her und war ursprünglich ein fröhlicher Umzug zu Ehren des Gottes Dionysos (vgl. RICHERT, FRIEDEMANN/VOGEL, GÜNTER, Kleine Geistesgeschichte des Lachens, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, 24 f.). Grundlegend für das komödiante Drama ist ein normverletzender Konflikt, der eine menschliche Schwäche so zur Darstellung bringt, dass sich das Publikum damit identifizieren kann und entsprechend reagiert: Entweder gelten diese Normverletzung und die folgenden Sanktionen dem Publikum als angemessen, sodass es von dieser „komischen Person“ belustigt ist und sich überlegen fühlt, oder aber die dargestellte Normverletzung wird als Entlastung von eigenem Druck erfahren, sodass „die Distanz zwischen Publikum und Figur einem Einvernehmen Platz [macht], das sich der Bejahung des Abseitigen, von der Norm Ausgegrenzten verdankte.“ (WINKLER, MARKUS, Art. Komik/Das Komische, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 4 [1998], 1166–1174, 1167). Dabei verhilft eine hyperbolische, ironisierende, mit dem Unerwarteten spielende, verzerrende und teils abwegige Handlung dem komischen Charakter. In der Philosophie fragten bereits Platon und Aristoteles nach dem Grund des Lachens: Platon bezieht das Lächerliche auf die Schlechtigkeit und kommt so in seiner Frühzeit zu einer Abwertung des Komischen, weil Lachen den Weg zum Guten und zur wahren Selbsterkenntnis verstellt, und bewertet später weniger scharf, dass Lachen – gerade weil es die Unvernunft des Menschen offenbart – zur Selbsterkenntnis und Tugendbildung führt (vgl. Phlb. 48c; Prm. 130cd; Plt. 606c). Anders wertet Aristoteles, der in der Komödie die „Nachahmung“ (μίμησις) des „Hässlichen“ (αἰσχροῦ), d.h. des sinnlich wahrnehmbaren Schlechten versteht, an dem „das Lächerliche teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht.“ (Po. 1449a). Vielmehr wird dem vernunftbegabten Menschen mit dieser Darstellung die Wirklichkeit vor Augen geführt, weil das Lächerliche als Fehler bewusst wird, indem Fremdwahrnehmung und rationale Wahrnehmung der Wirklichkeit als divergierend vor Augen geführt werden. Auf diesem Hintergrund spricht sich Aristoteles für „ein überlegt-überlegenes, ein maßvolles Lachen“ (RICHERT/VOGEL, Kleine Geistesgeschichte des Lachens, 32) aus. Denn „die aber angemessen zu scherzen wissen, heißen artig und gewandt, als wüssten sie sich wohl zu wenden. Denn solche Scherze sind gleichsam Bewegungen des Charakters, des inneren Menschen“ (EN. IV 14,1127b–1128a). Angemessener Humor ist „wohlgewandt“ (εὐτράπελος) und bildet den Mittelweg zwischen dem Possenreißer auf der einen und demjenigen, der mit zu wenig Witz durchs Leben geht, auf der anderen Seite. Das aristotelische Werk Über die Komödie ist nicht erhalten. Zum Gesamten vgl. HALLIWELL, Greek laughter; RICHERT/VOGEL, aaO., 17–43; BEARD, Das Lachen im alten Rom, 44–53; BREMMER, JAN. N., Witze, Spaßmacher und Witzbücher in der antiken griechischen Kultur, in: ders./Herman Roodenburg (Hg.), Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute, übersetzt von Kai Brodersen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, 18–31; KULLMANN, WOLFGANG, Die antiken Philosophen und das Lachen, in: Siegfried Jäkel/Asko Timonen (Hg.), Laughter down the Centuries, Turku: Turun Yliopisto 1994, 79–98 sowie die Ausführungen zu Cicero s.o. 63
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drückten die Gattungen Satire, Komödie oder auch Epigramm Humor aus und führten zum Lachen. Und auch in der Gattung der Fabeln findet eine solche Ankündigung, erheiternd zu wirken, Anklang. Phaedrus formuliert in seinem Prolog: „Mein Büchlein bringt ein zweifaches Geschenk: Es soll Lachen wecken und es soll dem klugen Leser eine Lebenslehre geben.“65 Tertullian macht sich diese literarische Strategie zu eigen und spitzt sie zu. Auch er spricht seine Leserschaft direkt an und formuliert im Imperativ (6,2) bzw. benennt indikativisch Fakten (6,3).66 Textimmanent inszeniert er über das Lachen eine Gruppenbildung, die sich über die an seine Leserschaft gerichtete „Aufgabe zu lachen“ konstituiert und eine klare Trennung in diese lachende ‚ingroup‘ und verlachte ‚outgroup‘ herstellt.67 Mit dieser literarischen Inszenierung stilisiert Tertullian seine Gegner, die Valentinianer bewusst karikierend, um Komik zu provozieren. Dabei bleibt es ein literarisches Konstrukt – wie es auch andere sogenannte Häresiologen gegen gnostische Gruppen verwendet haben – und begründet eine Differenz zwischen einem Lachen über diese Gruppe und die Stilisierung dieser Gruppe, die in ein aggressives Lachen mit exkludierendem Charakter über diese Gruppe bei der Leserschaft mündet. Gleichzeitig hilft dieses ausschließende Moment der eigenen ‚ingroup‘ sich über die eigenen Werte und Normen zu vergewissern. Zunächst einmal handelt es sich also um eine literarische Strategie, die textimmanent einen Lachanlass konstruiert, in dessen Wirkung eine Gruppe lächerlich gemacht wird. Ob diesem Lachanlass tatsächlich eine außertextuelle Wirkung in Form eines realen Auflachens entsprochen hat, ist situations- und institutionsgebunden – eine Theateraufführung unterscheidet sich an diesem Punkt genuin von einem literarischen Werk, das primär zur Lektüre bestimmt ist.
Phaedr., Prol.: Duplex libelli dos est: quod risum movet / Et quod prudentis vitam consilio monet. 66 Das stilistische Mittel, den Leser direkt anzusprechen (lector), nutzt Tertullian häufiger (vgl. Adv. Val. 6,2; Adv. Marc. III 6,1; IV 6,4). In Pall. 3,2,2 vereinnahmt er den Leser, indem er ihm in der 2. Person Singular Futur vorhersagt, dass er, wenn er einem Chamäleon begegnet, wegen der Inkongruenz zwischen dem ausdrucksstarken Namen und der Größe dieses sehr kleinen Tiers lachen werde. Damit werden im Vorhinein die Affekte der Leserschaft gelenkt. 67 Vgl. die Untersuchung zum inklusiven und exklusiven Lachen bei Horaz und Vergil. Wittchow führt beispielhaft die Jambendichtung als Inszenierung einer solchen Differenzierung in eine ‚ingroup‘ und ‚outgroup‘ an, bei der durch diesen aggressiven Spott auch die eigenen Werte (meist ex negativo) manifestiert werden (vgl. WITTCHOW, FRANK, Prekäre Gemeinschaften. Inklusives und exklusives Lachen bei Horaz und Vergil, in: Werner Röcke/ Hans Rudolf Velten [Hg.], Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der frühen Neuzeit [Trends in medieval Philology 4], Berlin/New York: de Gruyter 2005, 85–110, 90 f.). 65
6.3. Officium ridendi
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6.3.4. Officium ridendi als literarische Strategie Tertullians in Adv. Val. Die Analyse hat gezeigt, dass Tertullian auf der rhetorischen Grundlegung Ciceros fußt, um Gelächter als literarische und rhetorische Strategie zu nutzen. Die grundlegende textimmanente Funktion des Lachens bildet hier einzig ein exkludierendes Gelächter, dem sowohl ein gruppenbildendes und -scheidendes (‚ingroup‘/‚outgroup‘) als auch ein sich erhebendes und zugleich selbstvergewisserndes Moment inhäriert. Tertullian folgt damit einer auch in seinem Umfeld genutzten literarischen Strategie, bei der das Werk, dem der Ausdruck des Auflachens entsprechen kann, die Leserschaft erfreuen soll. Mittels des in diesem Werk doppelt konnotierten Terminus officium68 agiert Tertullian auf rhetorisch, polemischer Ebene, um seinen Anspruch auf die allein gültige christliche Wahrheit zu untermauern. Verbindet officium auf den ersten Blick die Christen um Tertullian und ihre Gegnerschaft, indem beide qua ihrer auf ihrem jeweiligen Glauben basierenden sozialen Zugehörigkeit einer Aufgabe (officium) nachzukommen haben, stehen sich die beiden officia zugleich unvereinbar gegenüber, indem sie sich diametral widersprechen: Wollen die Valentinianer nach Tertullians Stilisierung der Aufgabe des Schweigens nachkommen, haben die Christen um Tertullian die Aufgabe zu lachen. Letztendlich gründet diese Argumentation in der Zuordnung der einen christlichen veritas, die für Tertullian einzig die Gruppe der Christen um ihn besitzt, sodass den Valentinianern dieser Anspruch abgesprochen werden muss. Da die Valentinianer ihre Anhänger zum Schweigen über ihre Lehre auffordern (officium), weil sie nach Tertullians Meinung schamhaften Inhalts ist, ist es auch die „dienstliche Verpflichtung“ (officium) der Christen um Tertullian, die Valentinianer durch Verlachen auszugrenzen. Tertullian nutzt das Exordium des vorliegenden Werkes für eine theoretische Begründung der polemischen Bekämpfung seiner Gegner, indem er Ciceros rhetorischer Grundlegung folgt. Grundfrage für Tertullian bildet nicht diejenige nach dem rechten Maß im Verfassen des Lachanlasses, wie sie z.B. Clemens Alexandrinus stellt. 69 Vielmehr bietet er eine – im ironischen und Zum Terminus vgl. DYCK, ANDREW R., A Commentary on Cicero. De Officiis, Ann Arbor: University of Michigan Press 1996, 2–8; MARASTONI, ALDO, Q. S. Fl. Tertulliani Adversus Valentinianos (Pensatori Religiosi 10), Padua: Gregoriana 1971, 127. HORN markiert, dass officium „ursprünglich die soziale Rolle u. so auch die Wahrnehmung von Ämtern u. Aufgaben“ bezeichnet und erst im 18. Jahrhundert zum ethischen Handlungsterminus wurde (vgl. HORN, CHRISTIAN, Art. Pflicht, in: Reallexikon für Antike und Christentum 27 [2016], 544–552, 546). Officium meint zunächst eine pflichtmäßige Dienstleistung und Verpflichtung, sodass Tertullian seine Leserschaft an ihre „dienstliche Verpflichtung“ qua ihres Christseins erinnert. 69 Der Zeitgenosse Tertullians und Alexandriner Theologe Clemens hat sich zu Beginn des 3. Jahrhunderts in seinem ethischen Werk Paidagogos als erster Theologe überhaupt systematisch mit dem Phänomen des Lachens auseinandergesetzt und in einer Synthese vom christlichen, biblischen Gut und antiken, philosophischen Gedanken Prinzipien einer 68
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Kapitel 6: Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie
polemischen Ton gehaltene – Reflexion darüber, dass mittels Ironie als ‚Waffe des Gegenbeweises‘, Polemik und Humor durch Lachen sowie satirische Elemente in der Narratio der valentinianische Mythos desakralisiert und ihm jedwede Glaubwürdigkeit entzogen werden kann.70 Ob Tertullian weitergehend hinter der textimmanenten Struktur und Argumentation mit der karikierenden Steigerung zur „verpflichtenden Aufgabe zu lachen“ im Zuge der Lektüre oder gar in der Begegnung mit Valentinianern eine außertextuelle Geste des Lachens bei seiner Leserschaft evoziert, bleibt hingegen offen. Wenn Clemens in seiner Schrift unter einer ethischen Fragestellung das Phänomen des Lachens befragt71 und für ein für Christen maßvolles Lachen plädiert, liefert er damit ein Indiz, dass Gelächter und die Frage nach dessen Angemessenheit, nicht aber die Frage nach einem Lach-Verbot eine Fragestellung für Christen bildet. Wenn Clemens’ Plädoyer für ein christlichen Lachkultur entwickelt. Dabei liegt es ihm nicht daran, Lachen gänzlich als negatives Phänomen abzutun. Vielmehr lotet er die Grenzen vom auch für Christen angemessenen Lachen aus. Clemens differenziert auf der einen Seite zwischen Menschen, die „lächerliche“ (γελοῖα) oder vielmehr „zu verlachende Stimmungen“ (καταγέλαστα) nachahmen und aus dem platonischen Idealstaat auszuweisen seien, sodass Christen sich erst Recht davon fernhalten sollten, selbst „Possen zu reißen“ (γελωτοποιεῖν) oder solchen Menschen überhaupt zuzuhören (vgl. Paed. II 5, 45,1 f.). Auf der anderen Seite erkennt Clemens das „humorvolle Scherzen“ (χαριεντίζεσθαι) als zulässig für Christen an. Lachen gehöre zwar – und damit folgt er dem aristotelischen Diktum –wesentlich zum Menschsein dazu (vgl. II 5, 46,2), allerdings gelte es, das „genaue Maß und den richtigen Zeitpunkt“ (μᾶλλον δὲ μέτρον αὐτοῖς καὶ καιρὸν) zu finden, sodass Lachen auf richtige Weise „Anstand“ und „Selbst-Disziplin“ (κοσμιότητα), auf falsche aber „Zügellosigkeit“ (ἀκολασία) zeige (vgl. II 5, 46,1). Dieses maßvolle „Lächeln“ (μειδίαμα), das sich vom „Gekicher“ (κιχλισμὸς) der Frauen und übermütigen „Gelächter“ (καγχασμός) der Männer unterscheide, bezeichnet Clemens als „Lachen der Verständigen“ (σωφρονούντων ὁ γέλως) und beruft sich dabei auf Sir 21,20 (vgl. Paed. II 5, 46,3 f.). „Humorvolles Scherzen“ (χαριεντίζεσθαι) sei für die „Älteren“ (Πρεσβύτης), d.h. für bereits in das Mannesalter eingetretene Menschen angemessen, bei denen auch andere und Jüngere mitlachen dürften. Scherzworte können nach Clemens sogar im maßvollen Gebrauch hilfreich in der Erziehung der Jüngeren sein (vgl. Paed. II 2, 22,4; 5, 47,3; 7, 57,1 f.). Für Clemens besteht durchaus die berechtigte Möglichkeit, dass der Mensch – insbesondere als Christ – sich dem ihm wesenhaft eigenen Lachen zur gelegentlichen Entspannung bedient und bestenfalls als „harmloses Lächeln“ äußert. Dass der Übergang zwischen maßvoll und maßlos schmal ist, zeigt Clemens anhand von Beispielen auf. Angemessenheit und Ernsthaftigkeit bilden dabei die für ihn geltenden Kriterien. Dass Clemens sich allerdings für diese Grundlegung über das Lachen Raum und Zeit nahm, ist als Hinweis auf die Realität von Lachen in der christlichen Antike zu werten, wenn Christen selbstverständlich in ihrem sozialen Umfeld lebten und sich verhielten. Vgl. zum Ganzen z.B. HALLIWELL, Greek laughter, 483–495; OSBORN, ERIC, Ethical Patterns in Early Christian Thought, Cambridge/New York: Cambridge University Press 1976, 50–83. 70 Damit steht Tertullian bereits in einer etablierten rhetorischen Tradition, die in Rom lokalisiert ist, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 19; DERS., Tertullien et la Conversion, 157 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 229–231. 71 Vgl. oben Anm. 69.
6.3. Officium ridendi
73
maßvolles Lachen als Christ als eine Abgrenzung zu allzu großem unernsthaften Verhalten zu deuten ist, könnte Tertullians Vorstoß gerade die konträre Stoßrichtung haben. Indem er für das Lachen argumentiert und geradezu auffordert, stellt er sich gewissermaßen gegen ein gewisses Moment von ‚Spaßbremsen‘.72 Zudem lässt sich diese Wendung als spitzfindige Drehung Tertullians interpretieren, um diese literarische Strategie für seine Leserschaft annehmbar zu machen. Körperliches Lachen, ausgelöst durch literarisch verfasste Gedanken, gehört institutionell ins Theater, dessen Besuch Tertullian den Christen um sich herum gerade verbietet.73 Indem er diese literarische Strategie, bewusst mit komödianten Elementen durchwebt, nutzt, spielt er zugleich an einen solchen Theaterbesuch an, wie auch die expliziten Bezüge im Werk Adv. Val. selbst zeigen.74 Dieses eigentlich für die Christen verpönte Element unkontrollierter Emotionen, die z.B. durch die Aufführung einer Komödie hervorgerufen werden können, karikiert er, indem er diese Emotion zugleich restringiert. Tertullian stilisiert Lachen als ein Lächerlich-Machen anderer zu einem Phänomen, das auch Christen offensteht, und macht diese direkte Aufforderung an seine Leserschaft in seiner ganzen Paradoxie zugänglich. Die in der Ironie zugespitzte Emotionskontrolle macht diese als Aufforderung stilisierte literarische Strategie in der paradoxen Ausdrucksweise einer „verpflichtenden Aufgabe zu lachen“ für seine Leserschaft annehmbarer. Der Widerspruch in der Verbindung von einem Zwangsverhalten (officium) und einer intrinsischen Emotion (ridere), die in einem Explosionsmoment unkontrolliert zum Ausdruck kommt, bildet den Höhepunkt der ironischen Paradoxie, mit deren Hilfe Tertullian eine Lachgemeinschaft entworfen und einen Lachanlass inszeniert hat. In seinem Verständnis bildet die valentinianische Lehre das Material, auf das es zu reagieren gilt, das gerade nicht in einem Lächerlich-Machen besteht, sondern vielmehr ein klärendes Herausstellen der genuinen Lächerlichkeit selbst ist. Mehr noch: Es entspricht der Würde des Redners (dignitas) bzw. Autors und ist daher seine Aufgabe (officium) im ciceronischen Sinn, die sich für ihn aufdrängende Lächerlichkeit des valentinianischen Systems herauszuarbeiten und darzulegen.75
Vgl. zum „rire du bouffon“ FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 157. Vgl. die gesamte Argumentation von Spect. sowie dazu FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 145–148 74 Vgl. 6.4. 75 Vgl. ähnlich FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 155 Anm. 52. 72
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Kapitel 6: Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie
6.4. Tertullians Stilisierung der valentinianischen Lehre als eine tragoedia, die er mit komödianten Elementen karikiert 6.4. Tertullians Stilisierung der Lehre als eine tragoedia
Der skizzierten rhetorischen Strategie Tertullians entspricht die Karikatur der valentinianischen Lehre als eine Tragödie. Die Stilisierung der Lehre mit dieser Zuschreibung verhilft Tertullian, auch auf der Gattungsebene dem dargebotenen Stoff den Status einer Lehre – erst recht den einer christlichen Lehre – abzusprechen und diesen als eine mythologische Thematik, als eine fabula zu bestimmen (vgl. 1,1; 3,3 f.; 32,4; 33,1). In seiner widerlegenden Darstellung der valentinianischen Lehre in der Narratio expliziert Tertullian diesen ironisierenden Vergleich mit einem antiken Drama (vgl. insbesondere 13,2 und 33,1). Die Untergliederung des darzustellenden Lehrinhalts in der Narratio vergleicht er mit verschiedenen Akten einer Tragödienaufführung. Zugleich lässt er die lehrimmanenten Schauplätze der einzelnen Akte mit einer Theaterbühne korrelieren. So bildet der erste in Adv. Val. 7–13 dargestellte Teil über die Gotteslehre die „erste Szene der Tragödie“ (prima tragoediae scaena; 13,2); die Verortung der Szenerie auf mythologischer Ebene „innerhalb der Versammlung des Pleromas“ (intra coetum pleromatis) entspricht dabei der Theaterbühne. Dahingegen ist der zweite Akt (Adv. Val. 14–23; 24–32), nämlich „eine andere tragische Vorstellung“ (alia coturnatio; 13,2)76 auf der Theaterbühne „jenseits des Vorhangs“ (trans siparium) lokalisiert, und spielt mythosimmanent „außerhalb des Pleromas“ (extra Pleroma). Die folgende Zusammenstellung von Lehrvarianzen in Adv. Val. 33–39 charakterisiert er gleichsam als ein „musikalisches Nachspiel“ (epicitharisma; 33,1). Die Explikation der Lehre der auf Ptolemäus zurückgehenden Valentinianer (Adv. Val. 7–32) wird durch die punktuelle Anführung von verschiedenen Lehrvarianzen gleichsam in ihrer Absurdität bestätigt und die Verschriftlichung der fabula valentiniana dramaturgisch abgerundet. Zugleich lässt sich dieser abschließende Teil als Finale deuten; entsprechend der argumentativen Sturktur der reductio ad absurdum mündet die ‚widerlegende Darstellung‘ in der gewählten Theatermetaphorik in den abschließenden Höhepunkt. Dabei folgt Tertullian der irenäischen Argumentationsstruktur, die er in seine eigene polemische Theater-Karikatur überführt. Zeitgenössische Parallelen finden sich so nicht, epicitharisma bleibt zudem ein Hapaxlegomenon.77 Dem Vergleich des gebotenen Inhalts mit einer Tragödienaufführung entspricht die Gleichsetzung der Leserschaft mit dem Theaterpublikum. Die Aufforderung nach der widerlegenden Darstellung des ersten Teils bzw. Aktes 76 Auch in Spect. 23,4 verwendet Tertullian metonymisch den griechischen Bühnenschuh, der ein unverwechselbares Accessoire des Tragödienschauspielers war (cothurnus), um auf die Tragödie zu rekurrieren. 77 Vgl. auch den Kommentar zur Stelle.
6.4. Tertullians Stilisierung der Lehre als eine tragoedia
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(Adv. Val. 7–13) an die Leserschaft „Was den Rest betrifft, sagst Du: Lebt wohl und applaudiert!“78 rekurriert auf die gängige Praxis der römischen Komödienliteratur, wie sie sich bei Plautus und Terenz findet.79 Tertullian nimmt diese beim Zuschauer bekannte Aufforderung auf, um auch diese im Folgenden zu ironisieren. Seine vermeintliche Korrektur des seiner Leserschaft in den Mund gelegten Wortes impliziert eine Steigerung der bekannten Literatur in die Absurdität. Die Aufforderung Tertullians „Keineswegs, was den Rest betrifft, sage ich: Hört zu und pfeift aus!“ 80 impliziert, dass diese valentinianische Lehre viel unglaubwürdiger und lachhafter ist als alle bekannten Tragödien und Komödien, die seine Leserschaft im Sinn haben könnte. Ironischerweise leitet Tertullian mit dieser Aufforderung zum zweiten Teil der valentinianischen Lehre über, die entsprechend der plakativen Lokalisierung „jenseits des Vorhangs“ für den Zuschauer gar nicht direkt miterlebbar ist. Ob der Karthager damit den Lokalkolorit aufnimmt und auf den Bau des lokalen Theaters anspielt, muss offen bleiben.81 Das spätestens Mitte des 2. Jahrhunderts errichtete Theater Karthagos82 entsprach einem kaiserzeitlichen Theaterbau: Der Zuschauerraum (cavea) bestand aus fünf Ringen, die ca. 11.300 Besuchern Platz boten; die Bühne (proscaenium) war von einem Bühnengebäude (scaenae frons) umschlossen, von dem heute noch drei Apsiden nachweisbar sind. Ob deren Bühnenzugänge möglicherweise durch einen Vorhang verschlossen waren, ließe sich aus Tertullians Skizzierung schließen.83 Schließlich ist ein Vorhang im kaiserzeitlichen Theaterbau zur Verhüllung der Bühne für die Zuschauerperspektive nachweisbar sowie verschiedene Tücher zur Darstellung der Ortswechsel mit Szenenhintergründen auf der Bühne im griechischen Theater. 84 Wenn Tertullians Stilisierung der lehrimmanenten Schauplätze mit der Theaterbühne historischen Anhalt haben sollte, sind zwei Möglichkeiten denkbar: Wenn ein Vorhang zum Verhängen der Bühne existiert haben sollte, könnte Tertullian den ersten Akt – die Szenerie im Pleroma 13,2 (110,8 f.): Quod superest, inquis, vos valete et plaudite! Zu Parallelstellen vgl. den Kommentar zur Stelle. 80 13,2 (110,9 f.): Immo quod superest, inquam, vos audite et proicite! 81 Siparium findet sich in der römischen Literatur vor Tertullian zum einen zur Bezeichnung des „Bühnen-Vorhangs“, der zugleich bemalt als szenischer Hintergrund dienen konnte (vgl. Apul., Met. I 8,5; X 29,5 mit Beleg für Karthago, sowie Cic., Prov. 14; Juv., Sat. VIII 186; Quint., Inst. VI 1,32; 3,72). Seneca hingegen überliefert die Bedeutung „Komödie“, parallel zu coturno gebildet (Tran. 11,8). 82 Zur Datierung vgl. den Ausgrabungsbericht von R OS, K AREN E., The Roman Theater at Carthage, in: American Journal of Archaeology 100 (1996), 449–489, 481 sowie den Hinweis Apuleius’, der im karthagischen Theater seine Vorlesung hielt (vgl. Flor. 18). 83 Zum Aufbau der Bühne, wie aus den Ausgrabungen rückzuschließen ist, vgl. R OS, The Roman Theater, 468–473 sowie JÜRGENS, HEIKO, Pompa Diaboli. Die lateinischen Kirchenväter und das antike Theater, Stuttgart: Kohlhammer 1972, 200 f. 84 SEIDENSTICKER, B ERND, Das antike Theater, München: C.H. Beck 2010, 30–32.109 sowie die Quellenbelege im Kommentar zu 13,2. 78
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Kapitel 6: Die Anlage des Werkes als rhetorische Strategie
– im orchestra zwischen Bühne und Zuschauerringen lokalisieren und den zweiten auf der Bühne, allerdings hinter verschlossenem Vorhang. Möglich erscheint als zweite Deutung, dass der erste Akt sichtbar auf der Bühne inszeniert vorgestellt wird und der zweite hinter dem Vorhang – damit hinter dem Bühnenhaus – und den Blicken des Publikums versperrt ist. Unabhängig davon, ob diese Stilisierung Tertullians der valentinianischen Lehre mit dem historischen Theaterbau in Karthago verifizierbar ist, fällt der weitere literarische Umgang Tertullians auf.85 Charakterisiert er die valentinianische Lehre und insbesondere die Darstellung des Ergehens der Sophia als tragischen Stoff und damit als tragoedia, karikiert er diese in seiner widerlegenden Darlegung durchweg mit komödianten Elementen. Ohne auf Plautus’ Mischform der tragicomoedia zu rekurrieren,86 spielt auch Tertullian mit beiden Gattungen. Explizit rekurriert Tertullian im Kontext der Darstellung des Ergehens des Äons Sophia in 10,2 auf die Tragödien- und Komödienliteratur. Die rhetorische Frage „Wo nämlich hätte es schon Tragödien oder Komödien gegeben, von denen der Stoff, etwas auszusetzen, was unter Scham geboren wurde, entlehnt sein dürfte?“87 impliziert die Abwertung der vorliegenden Lehre im Vergleich mit der – aus Tertullians Perspektive – ebenfalls ablehnungswürdigen Dramen-Kompositionen. Auf der Folie seiner in Spect. 17 formulierten Theaterkritik, die für Christen aus seiner Perspektive aufgrund der impudicitia in ein Partizipationsverbot mündet, formuliert er hier klimaktisch, sodass die valentinianische Vorstellung als eine noch tollkühnere Idee karikiert wird als bereits in den in seinen Augen obszönen und grenzenlosen sowie zudem fiktiven römischen Komödien verarbeitet wird. Im Hintergrund steht vermutlich die Atellana fabula, eine aus oskischem Sprachgebiet aus der kampanischen Stadt Atella bekannte Komödienform der bäuerlichen Posse, die von Mimen-Schauspielern auch in Karthago im Anfang des 3. Jahrhunderts dargeboten wurde.88 In Adv. Val. 12,5 spielt Tertullian auf diese „anderen Possenreißer der Oscia“ (Osciae scurris) explizit an, um die Valentinianer als Urheber dieser dargestellten Lehre mit jenen oskischen
85 Jürgens plädiert zudem für eine regelmäßige Aufführungspraxis von Tragödien in Karthago: „Die Tatsache, daß der christliche Autor seinen ironischen Vergleich nur mit wenigen Worten anzudeuten braucht, zeigt, daß die Aufführung einer Tragödie zu seiner Zeit keine Seltenheit ist.“ (DERS., Pompa Diaboli, 222). Vössing stellt heraus, dass auch in Karthago die meiste Aufführungspraxis der Pantomime und dem Mimus galt (vgl. DERS., Lehre und Bildung, 481 Anm. 1619 f.). 86 Pl., Am. 59.63 87 102,11–13: Ubi enim iam tragoediae atque comoediae, a quibus forma mutuaretur exponendi quod circa pudorem erat natum? 88 Vgl. auch das Zeugnis in Spect. 17,2.
6.4. Tertullians Stilisierung der Lehre als eine tragoedia
77
Komödianten zu vergleichen.89 Auch in 14,4 rekurriert er explizit auf einen Mimus. Der Vergleich mit dem „Laureol“ des sonst unbekannten Dichters Catull, in dem eine Kreuzigungsszene real inszeniert wurde, verhilft Tertullian zu einer weiteren degradierenden Wertung der valentinianischen Vorstellung gegenüber der ebenfalls nicht angesehenen Theater-Praxis. Mit dieser Anspielung markiert er zwei Momente: Zum einen kritisiert er Achamoth, um die es in diesem Vergleich geht und die nach Tertullian „den Laureol des Catull nicht eingeübt hatte“ (quia nullum Catulli Laureolum fuerit exercitata), sich dem Kreuz nicht hinzugeben, um die im valentinianischen Mythos als Kreuz symbolisierte Grenze Horos in Richtung Pleroma zu überwinden. Damit ironisiert Tertullian das Verbleiben Achamoths außerhalb des Pleromas als Schwäche und Mutlosigkeit, diese Grenze nicht überwinden zu wollen, und karikiert damit zugleich Juvenals Kritik an Männern, die sich freiwillig melden, Laureol auf der Bühne darzustellen, ihren Stand zu missachten. Zum anderen stigmatisiert Tertullian auf einer Metaebene die fehlende Kunstfertigkeit des valentinianischen Theaterstücks, auf dessen Aufführungsreife Achamoth nicht „eingeübt“ ist. Impliziter erscheint die Anspielung in 14,1: Tertullian formuliert den Ausstoß Achamoths aus dem Pleroma mit dem Verb, das im Theater das Ausbuhen eines schlechten Schauspielers bezeichnet (explodere) und darin mündet, diesen von der Bühne zu verjagen. Und den mythosimmanent als über den sieben Himmeln skizzierten Sitz des Demiurgen, den dieser nach seinem Werk der Welterschaffung einnimmt, karikiert Tertullian ebenfalls mit einem TheaterVergleich und spricht vom Abschluss des „siebengeschossigen Himmelstheaters“ (caelorum septemplicem scaenam; 20,1). Zuletzt lässt sich die Karikatur der eschatologischen Vorstellung der valentinianischen Lehre in 32,4, der Tertullian die Entstehung eines weiteren Äons mit Namen Onesimus andichtet, ähnlich als eine solche Verbindung mit dem Theater-Stoff deuten, wenn der Name Onesimus als Anspielung auf die bei Menander inszenierte Sklaven-Persönlichkeit gewählt wurde.90 Tertullian nutzt die Gattung des Dramas, um die valentinianische Lehre für seine Leserschaft einzuordnen und sie dabei gleichzeitig zu karikieren. Der Vergleich mit dem Theater rekurriert auf einen Bereich des öffentlichen Lebens der römischen Gesellschaft, der seiner Leserschaft vor Augen steht.
89 Auch an dieser Stelle impliziert Tertullian einen degradierenden Vergleich, vgl. auch den Kommentar zur Stelle. 90 Vgl. zudem den Sklaven Onesimus im Philemon-Buch der Bibel.
Kapitel 7
Die intendierte Leserschaft 7. Die intendierte Leserschaft
Die Frage, für wen oder für welche Gruppe Tertullian diese Schrift verfasst hat, kann nur mit Hypothesen beantwortet werden, für die der Karthager Anhaltspunkte in seiner Schrift bietet. Auf der literarischen Ebene spricht Tertullian seine Leserschaft regelmäßig direkt an. Mit den Personalpronomina in der 2. Person korrespondiert die Anrede als lector in Adv. Val. 6,2. Während Tertullian der direkten Anrede entsprechend seine Leserschaft vornehmlich in der 2. Person Singular anspricht, formuliert er im Kontext der Stilisierung der valentinianischen Lehre als Aufführung eines Theaterstücks diese Anrede pluralisch. Die intendierte Leserschaft nimmt die Rolles des imaginierten Theaterpublikums ein.1 Diese Perspektive ergänzen Formulierungen des Autor-Ichs. Zum einen wird Tertullian in der 1. Person Singular erkennbar,2 zum anderen aber formuliert er ebenso in der 1. Person Plural. Damit vereinnahmt er seine Leserschaft in seine Wahrnehmungen und Deutungen. Diese pluralischen Formulierungen sind zudem zu differenzieren in solche, bei denen er seine Leser inklusiv mitdenkt; hier fallen die gehäuften Formulierungen mit (Possessiv)Pronomina auf.3 Daneben stehen solche, die als pluralis modestiae zu werten
1 Grundsätzlich spricht Tertullian seine Leserschaft in der 2. Person Singular an: quaeras; temptes; subostendas; certes; tuam simplicitatem (1,4); deputa; lector (6,2); credas (7,3; 16,1; 23,3; 31,1); habes (7,8; 24,3; 25,3); audisti (8,4; 15,2); acclama (8,4); miraris (10,1); vides (11,2); inquis (13,2); obstupescas (15,2); non vis (19,2); magis rideas (21,1); accipe (25,1; 37,1); putas (32,3); designaveris (37,2); speres, adaequaris (39,2). Daneben findet sich lediglich in der an eine Theater-Szene erinnernden Polemik in 13,2 die pluralische Verwendung: vos valete et plaudite; vos audite et proicite (13,2). 2 meam partem (2,2); inquam (4,1); mihi erit limes; optaverim (5,1); demandabo (6,1); distulerim congressionem; (professus narrationem); ostendam, non imprimam (6,2); incipiam (6,3); nescio (7,3; 27,1; 30,2); expostulo; denoto (7,4); reddo; dixi; cogor hic (8,2); credo (10,1; 32,4); putem (11,1); tolerabo; denotabo (11,3); opinor (11,3; 12,3; 16,2); inveni ambigue (12,5); inquam (13,2); ut ita dixerim; pudet (17,1); audio; quaero; rideam (19,2); quaeram (20,3); puto; ne dixerim cetera (21,1); ego interim argumentabor (23,3); audeo (24,1); reddo (27,1); colligam (29,1); tacendo iam dixi (32,4); ne ego; prodiderim; verendum mihi est; homo sum; habeo; dispolior; sexui meo deputor; mihi (32,5); producam; malui (33,1); malo ignorare quam discere (35,2). 3 notamur simplices; nos insipientes (2,1); nostrae columbae domus (3,1); simplices nos omnia scimus (3,5); novimus, appellemus (4,1); noster Proculus (5,1); nostro creatori (7,2); videamus (8,4); nos et illud (11,3); dei nostri (15,2); nos (15,4.5); deum nostrum (18,2);
Kapitel 7: Die intendierte Leserschaft
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sind und sprachlich zwar die Leserschaft in Tertullians Handeln mit einbeziehen, während dieser als spezifisch erkennbarer Autor in den Hintergrund tritt; rhetorisch soll hier allerdings vielmehr Bescheidenheit des Autors suggeriert werden.4 Mit den verwendeten Formulierungen impliziert und konstatiert Tertullian Gemeinsamkeiten mit seinem angesprochenen lector, die sich aufgrund der pluralischen Schreibung von noster Proculus (5,1) auch als eine gemeinsame montanistische Glaubenseinstellung deuten lassen. Dem inhaltlichen Duktus entsprechend zielt Tertullian auf eine Leserschaft, die er zur Gruppe der Christen um sich herum zählt (vgl. auch die Personalpronomina) und die zumindest unspezifische Kenntnis über die Grundzüge der valentinianischen Lehre hat; Tertullian formuliert seine widerlegende Darstellung durchaus voraussetzungsreich.5 Daneben verfügt seine intendierte Leserschaft über Grundkenntnisse in der hellenistisch-römischen Literatur und mythologischen Welt. Über den Bildungsstand wird weiterhin deutlich, dass Tertullian gebildete, lateinischsprechende Christen vor sich hat, die des Griechischen nicht vollumfänglich mächtig sind. Möglicherweise sympathisieren einige mit den valentinianischen Lehrgedanken. In eine Situation der Verunsicherung hinein formuliert Tertullian eine Warnung vor der Verführung durch diese Lehre, in deren Prozess zugleich das eigene christliche Sein und dessen Glaubensgrundlage und Haltung erinnert wird. Dies bestätigt die rhetorische Ausgestaltung, die insbesondere im rhetorischen und polemischen Ton sowie mit hyperbolischen Charakterisierungen der valentinianischen Positionen arbeitet sowie die gegnerische Position lediglich in deskriptiven Formulierungen thematisiert.6 Entsprechend der doppelten Intention Tertullians zielt das Werk neben seiner Frontstellung gegen die Valentinianer als fiktive Adressaten, was die angreifenden, ironisch-polemisch agierenden Momente der Schrift ausmacht, auf die Stärkung seiner eigenen christlichen Position. Es lässt sich als Warnung an die Christen um ihn herum nobiscum magis diabolus convenit (23,2); nos novimus (24,1); possidemus; elaboremus; nobis; non norimus (30,1); nostrae; agimus; contenti erimus (32,1). 4 quos destinamus haereticos (1,3); armavimus primum cuneum; auspicamur primam victoriam (3,5); prospicimus (4,4); dicemur (5,1); praemittentes sumus; usuri sumus (6,1); ponemus (6,2); materia, quae nos commisit cum Hermogene (16,3); credamus (24,2); supra diximus (29,3); vae; excesserimus; obtorpuerimus; optaverimus (30,2); videmus (30,3). Ein Wechsel beider Personen auch innerhalb einer Passage ist dabei nicht ungewöhnlich. Zur Konstruktion vgl. auch MENGE, HERMANN/BURKHARD, THORSTEN/SCHAUER, MARKUS, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 52012, § 60. 5 Dass Tertullian aber vermutlich die philosophische Auslegung und Deutung des Kunstmythos nicht bewusst verschweigt, sondern dies seine eigene Kenntnis übersteigt, dazu vgl. 8.3. 6 Vgl. die Auflistung der referierenden, teils neutraleren, teils polemisch gefärbten Verben, die durchgehend in der 3. Person formulieren, in Anm. 24 in Kap. 8 Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung.
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Kapitel 7: Die intendierte Leserschaft
lesen, nicht mit der valentinianischen Lehre zu sympathisieren oder gar ihren religiösen Handlungen beizuwohnen. Die Rezipienten sollen in ihrem Glauben bestärkt und vor der verführerischen, häretischen Lehre bewahrt werden.7 Die Grundlinien der eigenen christlichen Lehre markiert Tertullian als eine gemeinsame, der veritas verpflichteten Grundbasis. Die fehlende Explikation des gemeinsamen Glaubensinhalts z.B. in Form der regula fidei, wie sie sich in Praescr., Virg. Vel. und Adv. Prax. findet, lässt sich zudem als eine gemeinsame Wissensbasis deuten, die Tertullian für sich und seine christliche Leserschaft voraussetzt.
7 Vgl. ein ähnliches Vorgehen z.B. in Apol., wo sich in Auseinandersetzung mit heidnischen Vorwürfen zugleich die Kontur der christlichen Wahrheit und des christlichen Glaubens herauskristallisiert, oder Adv. Marc. Aland hat diese Intention auch für die irenäische Schrift herausgestellt (vgl. DIES., Polemik bei Irenäus von Lyon, 580 f.592).
Kapitel 8
Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung 8. Die intendierte Gegnerschaft
Inhaltlich adressiert die Schrift Adv. Val. gegen die Valentinianer (Valentiniani; 1,1).1 Programmatisch beginnt und schließt Tertullian sein Werk mit der Nennung dieses Namens (1,1; 39,2). Dass eine Diskrepanz zwischen der zuerst von Tertullian verwendeten Bezeichnung 2 zur Selbstbezeichnung dieser Gruppe besteht, lässt sich implizit aus Tertullians – zwar polemisch gefärbten, auf die Abtrünnigkeit zum Ursprung hinweisenden – Aussage in 4,1 nehmen, in der er die eigene Perspektive der Bezeichnung hervorhebt: „Wir kennen, sage ich, auch sehr gut ihren Ursprung und wissen, warum wir sie ‚Valentinianer‘ nennen, auch wenn sie keine zu sein scheinen.“3 Etymologisch leite sich diese Bezeichnung von ihrem Stifter Valentin her.4 Die Valentinianer sind in ihrer Lehre von Valentin klar zu unterscheiden. Auffälligerweise beachtet Tertullian diese Differenzierung zwischen dem Stifter und seinen Nachfolgern nur in dieser explizit gegen die Gruppe der Valentinianer gerichteten Schrift.
Neben dem Namensgeber Valentin (vgl. zu den erhaltenen Fragmenten Valentins: MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?) und dem in Rom wirkenden Ptolemäus (vgl. den Kommentar zu 4,2) sind neun valentinianische Persönlichkeiten namentlich bekannt, über deren Lebensumstände allerdings wenig tradiert ist (von einigen zeugt Tertullian in Adv. Val. 4,2 f.). Zur Übersicht vgl. MARKSCHIES, CHRISTOPH, Art. Valentin/Valentinianer, in: Theologische Realenzyklopädie 34 (2002), 495–500; THOMASSEN, The Spiritual Seed. 2 Markschies weist nach, dass Tertullian an dieser Stelle eine typische römische Praxis der Gruppenzugehörigkeits-Bezeichnung anwendet (vgl. MARKSCHIES, CHRISTOPH, Valentinian Gnosticism. Toward the Anatomy of a School, in: John D. Turner/Anne McGuire [Hg.], The Nag Hammdi Library after Fifty Years. Proceedings of the 1995 Society of Biblical Literature Commemoration [Nag Hammadi and Manichaeans Studies 44], Leiden: Brill 1997, 401–438, 415 f.). 3 Novimus, inquam, optime originem quoque ipsorum et scimus cur Valentinianos appellemus, licet non esse videantur. Justin bezeugt, dass sich die Gruppe selbst als Christen verstand (vgl. Dial. 35,2). Vgl. auch THOMASSEN, Spiritual Seed, 4 f. 4 4,3: Ita nusquam Valentinus, et tamen Valentiniani, qui per Valentinum. 1
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Kapitel 8: Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung
8.1. Valentin und die Valentinianer im Œuvre Tertullians 8.1. Valentin und die Valentinianer im Œuvre Tertullians
In den 31 erhaltenen Schriften Tertullians finden sich in acht Werken gegen Valentin oder die Valentinianer gerichtete Gedanken. Chronologisch ist die vermutlich vor 203 nach Christus entstandene Schrift Praescr. von diesen die älteste, Scorp. (212 entstanden) die jüngste Schrift. Dazwischen reihen sich Anim. (nach 203), Adv. Val. (zwischen 203–207), Carn. Christ. (ca. 207/208), Adv. Marc. (ca. 207/208), Resurr. (ca. 209/210) und Adv. Prax. (nach 210) ein.5 Trotz der ihm bekannten Differenzierung zwischen den Valentinianern und Valentin schreibt Tertullian Letzterem eine Lehre zu, die nach Aufweis seiner Schrift Adv. Val. als ptolemäische Lehre (s.u.) einzuordnen ist: Wenn Tertullian in Praescr. konstatiert, dass Valentin von Äonen, also „irgendwelchen zahllosen Gestalten“, und „von der Dreiteilung des Menschen“ gelehrt habe,6 oder polemisch feststellt, dass kein zweiter Gott gelehrt wurde, „bis Valentin seine Äonen ausstreute und vom Fehltritt eines einzigen Äons den Ursprung des Schöpfergottes ableitete“7, und wenn er in Anim. 12,1 in einem Rekurs auf Zur Datierung vgl. TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus. Es lässt sich eine relative Chronologie nachzeichnen, nach der Praescr. als erstes antihäretisches Werk ohne jeden montanistischen Anklang vor 203 zu datieren ist und vor Adv. Herm. und Adv. Val. entstanden ist. Adv. Herm. ist zudem vor Anim. entstanden. Carn Christ. setzt das verlorene Werk Adversus Appelles voraus sowie die apologetischen Schriften Apol. und Test. Anim. und kann damit frühestens Anfang des 2. Jahrhunderts, vermutlich um 207/208 nach Christus entstanden sein. Erst nach Carn. Christ. ist Resurr. verfasst worden. Die dritte, die Bücher I–IV umfassende Fassung von Adv. Marc. ist auf die Jahre 207/208 nach Christus zu datieren. Adv. Prax. ist mit eindeutigen montanistischen Zügen nach 210 entstanden, während Scorp. sich anhand von Rekursen auf die lokalen Christenverfolgunen 212 sicher datieren lässt. 6 Praescr. 7,3 (SC 46, 96,7–9 R EFOULÉ/DE LABRIOLLE): Inde aeones et formae nescio quae infinitae et trinitas hominis apud Valentinum: Platonicus fuerat. Vgl. auch 33,8: In Paulus’ Zitat 1Tim 1,4 erkenne man Valentin; es folgt eine kurze Skizze der Äonen-Emanation. 7 Praescr. 34,4 (SC 46, 135,10–12 R EFOULÉ/DE LABRIOLLE): Valentinus Aeonas suos spargeret et unius Aeonis vitium in originem deduceret Dei creatoris. Daneben finden sich weitere Rekurse auf die Person Valentins in Praescr.: Wird dieser in 7,5 mit der Frage Unde deus? verbunden, attestiert Tertullian diesem in 10,7 f. ebenfalls eine eigene Auslegung der Schriftstelle Mt 7,7. Zum Umgang mit der Schrift stellt Tertullian zudem in 30,11 fest, dass Valentin die Schrift ‚korrigiere‘, was zugleich beweise, dass er nicht originär christlichen Glaubens sei, sondern vielmehr ein „Fälscher der Wahrheit“ (adulteros veritatis; 30,12). Daher habe Valentin bzw. die Häretiker als Nichtchristen keinen Anspruch auf die christlichen Schriften (37,3; auch 38,8). Schließlich habe dieser „den Inhalt seiner Lehre zur Schrift hinzuerdichtet“ (sed materiam ad scripturas excogitavit; 38,10). In 30,1 f. bietet Tertullian einen mit Marcion parallelisierten kurzen biographischen Rekurs zu Valentin (vgl. auch den Kommentar zu Adv. Val. 4,1 f.): Valentin lebte zur Regierungszeit von Antonius Pius in der römischen Gemeinde, war zunächst innerhalb der „Lehre der katholischen Kirche“ (in catholicae primo doctrinam credidisse), bis es zu einem wiederholten Ausstoß „wegen ihrer 5
8.1. Valentin und die Valentinianer im Œuvre Tertullians
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die Lehre Valentins auf die drei obersten Äonen anspielt – die Namen von Bythos und Sige sind nach den Editionen in den Handschriften auf Griechisch erhalten – oder in 23,4 auf den „Samen der Weisheit“, den „Valentin der Seele einpropft“,8 dann könnte diese Differenzierung zunächst mit einem Verweis auf ein chronologisches Argument erklärt werden. Allerdings findet sich zum einen in Praescr. 29,2 und 42,8 zugleich die (zwar polemisch gefärbte) Rede von Valentinianern9 und in Anim. 18,4 folgt als Antwort auf einen platonischen Lehrrekurs die rhetorische Frage, ob „dort nicht schon die häretischen Samen der Gnostiker und Valentinianer sichtbar werden“ sowie die definitorische Rede der trinitas valentiniana in 21,1 mit Blick auf die Anthropologie.10 Zum anderen aber kommt diese zugleich undifferenzierte Zuschreibung der ptolemäischen Lehre an Valentin auch in Schriften vor, die vermutlich nach Adv. Val. entstanden sind. So vergleicht Tertullian die Valentin zugeschriebene Vorstellung der Emanationen von dreißig Äonen mit dem Sauprodigium in Vergils Aeneis (Adv. Marc. I 5,1) oder deutet in Adv. Prax. 3,6 Valentins ‚Polytheismus‘ als „Zerstörung der Monarchie“ bzw. in 27,2 polemisch in christologischer Perspektive als Trennung von Jesus und Christus und unterstreicht in Adv. Prax. 8,1 f. als Folge der valentinischen Emanationslehre eine solche Trennung der Äonen, dass sie ihren Ursprung nicht mehr erkennen würden.11 In Carn. Christ. und Resurr. schreibt Tertullian die bekämpfte Lehrmeinung zur Christologie und Eschatologie Valentin zu12, um zugleich zu differenzieren, dass die Lehre von einem Autor „aus dem Häufchen Valentins“ stamme, bei dem – mit Namen Alexander – Tertullian auch unruhigen Wißbegierde, durch die sie auch die Brüder in die Irre führten“ (donec ob inquietam semper curiositatem, qua fratres quoque vitiabant), kam und im endgültigen Ausschluss mündete. 8 Anim 12,1 (VCS 100, 16,6 f. W ASZINK): illum Valentini Unigenitum ex patre ΒΥΘΩΙ et matre ΣΙΓΗΙ; 23,4 (31,26 f.): Examen Valentini semen Sophiae infulcit animae. 9 Praescr. 29,2 (SC 46, 125,2 f. R EFOULÉ/DE LABRIOLLE): Aliquos Marcionitas et Valentinianos liberanda veritas expectabat. 42,8 (149,19–21): Idem licuit Valentinianis quod Valentino, idem Marcionitis quod Marcioni, de arbitrio suo fidem innovare. In 33,4 konstatiert Tertullian zunächst, dass Valentin die Auferstehung leugne, bevor nach 33,7 die Valentinianer lehrten, dass die Auferstehung schon geschehen sei. 10 Anim. 18,4 (VCS 100, 24,26 f. W ASZINK): Relucentne iam haeretica semina Gnosticorum et Valentinianorum? 11 Adv. Prax. 3,6 (CChr.SL 2 1162,44 f. K ROYMANN/EVANS): secundum Valentinos [...]: tunc in monarchiae eversionem. 8,1 (1167,1f.): προβολὴν [...], id est prolatio. 27,2 (1198,13–15): Talem monarchiam apud Valentinum fortasse didicerunt, duos facere Iesum et Christum. 12 Vgl. Carn. Christ. 1,4: Valentinus über Leiblichkeit Christi; 15,1: Valentin lehre, dass Christi Fleisch pneumatisch sei; 19,2: Polemik Tertullians, dass auch Valentin selbst aus Blut und dem Willen des Fleisches und eines Mannes geboren sei; Resurr. 2,3: Irrende christologische Annahme, dass Christi menschliche Natur von ganz besonderer Beschaffenheit sei; 56,2 Polemik zur Auferstehung.
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Kapitel 8: Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung
die Psalmen Valentins gelese habe.13 Und auch in Scorp. findet sich sowohl die plakative Feststellung, dass „Gnostiker hervorgebrochen sind und Valentinianer hervorkriechen“14 als auch die polemische Zuschreibung „einzelner Himmelstreppen“ mit Namen, die als Äonennamen Valentins klassifiziert werden.15 Chronologisch lässt sich die Verwendung und Zuschreibung der ptolemäischen Lehre zur Stifterperson, von der sich diese Lehre vertretenden Valentinianer nach Adv. Val. 4 bereits entfernt haben, nicht erklären. Der Befund zeigt, dass Tertullian außer in der explizit gegen die Valentinianer gerichteten Schrift kein Interesse an einer sauber differenzierenden Zuschreibung der Lehranspielungen hat. 16 Im Fokus steht die grundlegende Verurteilung der 13 Carn. Christ. 15,3 (SC 216 274, 18 f. M AHÉ): Nam ut penes quemdam ex Valentini factiuncula legi [...]. Dass es sich bei diesem Autor (quemdam) um den in 16,1; 17,1 namentlich genannten Alexander handelt, lässt sich schwer bezweifeln, wie Mahé feststellt. Hinter der von Tertullian polemisch als factiuncula Valentini bezeichneten Gruppe stehen möglicherweise die Schüler, die nach Adv. Val. 4,3 die Lehre Valentins streng bewahren. Mahé sieht als (einziges) Indiz dafür die Hochschätzung der Psalmen Valentins bei Alexander (17,1). Allerdings fällt das Schweigen Tertullians über diesen Valentinianer (ebenso wie über Apelles) in Adv. Val. 4,2 f. auf, was möglicherweise mit einem chronologischen Argument begründet werden kann. Vgl. dazu 8.3. und 9.1.; MAHÉ, Tertullien. La Chair du Christ I, 58–68; II, 390 f. Carn. Christ. 17,1 (278,1–3): Sed remisso Alexandro cum suis Syllogismis, quos in argumentationibus torquet, etiam cum psalmis Valentini [...]; vgl. auch den polemischen Rekurs auf die Psalmen Valentins in 20,3. Zudem schreibt Tertullian auch in Carn. Christ. 24,2 von den „Genealogien der valentinianischen Äonen“ (valentinianorum aeonum genealogias) und konstatiert in Resurr. 59,6, dass die Valentinianer mit Blick auf die Auferstehungsfrage hier auf Erden „irren gelernt“ haben. 14 Scorp. 1,5 (CChr.SL 2, 1069,8 f. R EIFFERSCHEID/W ISSOWA): Gnostici erumpunt, Valentiniani proserpunt. 15 Scorp. 10,1 (CChr.SL 2, 1087,4–8 R EIFFERSCHEID/W ISSOWA): Nimirum cum animae de corporibus excesserint et per singula tabulata caelorum de receptu dispici coeperint et interrogari arcana illa haereticorum sacramenta, tunc confitendum apud veras potestates et veros homines, Teletos scilicet et Acinetos et Abascantos Valentini. Vgl. dazu auch die Polemik in Adv. Val. 30,2. In Scorp. 15,6 nennt Tertullian Valentinus neben Prodicus. 16 In Adv. Val. differenziert sich das Bild folgendermaßen: Findet sich in 2,2 noch eine polemische Verkürzung, wenn der Äon Sophia mit Bezug zu Valentin derjenigen Salomos gegenübergestellt wird, so findet sich der Name im Kontext der knappen biographischen Darstellung (4,1–3) sowie im Hinweis auf die (über deren historischen Gehalt zu diskutierenden) duae cathedrae in 11,2. In 19,2 fällt der Name in einem polemischen Vergleich mit Ptolemäus und in 32,1 spöttelt Tertullian über die eschatologische Vorstellung, nach der nur die pneumatischen Teile erlöst werden, was im Kontext des Mythos bedeutet, dass nur der spiritale examen Valentini ins Pleroma eingelassen wird. Die Nennung der Valentiniani hingegen rahmt die Schrift (1,1; 39,2), findet sich als pauschale Abgrenzung im historischen Teil (4,3) und bietet ansonsten die Folie im Kontext der Lehrdarstellung, wenn es um die Wohnstätte des Gottes der Valentinianer (7,3) oder aber auch inzestuöse Ehen valentinianischer Götter (7,8) geht; der Demiurg wird auch außerhalb der valentinianischen Lehre für seine Werke als Vater, Gott und König bezeichnet (20,3). Schließlich bildet Tertullian auch
8.2. Die Valentinianer sind Schüler des Ptolemäus
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valentinianischen Richtung, die ihren Stifter ebenso trifft wie dessen nachfolgende Generationen. Vielmehr dient Tertullian diese pauschalisierende Darstellung, indem sie auf den Wiedererkennungswert von Lehrmeinung und Grundrichtung zielt, seiner eigentlichen Intention, seine Leserschaft zu einer radikalen Ablehnung dieser Lehre herauszufordern. Damit ist dieses undifferenziert wirkende Bild in den weiteren Schriften Tertullians „als polemische Verkürzung“17 zu deuten, nicht aber als ein an der historisch differenzierten Darstellung arbeitendes Bild. Historisch wird eher die in Adv. Val. 4,3 formulierte Aussage zutreffen, nach der „nirgends mehr Valentin ist“, sondern nur noch Valentinianer und deren weiterentwickelte Lehre existieren. Auf dieser Grundlage mag es für Tertullian kein Widerspruch sein, sondern lediglich eine pragmatische Verkürzung zum Wiedererkennungswert bei seinen Lesern, diese Lehre zugleich verbunden mit dem Namen der Stifterperson und nicht immer mit den ihm folgenden, in seinen Augen sich zudem in gruppeninterne Diversität zersplitterenden Generationen (vgl. Adv. Val. 4; 33–39) zu benennen. Schließlich ist die Bezeichnung Valentiniani in dieser Hinsicht wenig konkreter als die Verkürzung der Lehrzuordnung auf Valentin. Dennoch bietet Adv. Val. Möglichkeiten eines differenzierteren Bildes der Gruppe der Valentinianer, welche die bei Irenäus überlieferten Informationen bestätigen.
8.2. Die Valentinianer in Adv. Val. sind Schüler des Ptolemäus 8.2. Die Valentinianer sind Schüler des Ptolemäus
Für die irenäische Darstellung der valentinianischen Lehre hat sich die These an verschiedenen Indizien erhärtet, dass es sich in der sogenannten grande notice in Adv. Haer. I 1,1–8,5 um die Darstellung der Lehre der Schüler des Ptolemäus handelt. Diese Menschen, mit denen Irenäus in Rom in direktem Kontakt stand, sind dieselben Personen, die sich in ihrem Selbstverständnis auf Valentin zurückbeziehen, in ihrer direkten Abstammung aber auf Ptolemäus zurückgehen.18 Dieses Ergebnis bestätigt Adv. Val. mit zusätzlichen Indizien. das Adjektiv, um nicht nur karikierend von den valentiniana Eleusinia (1,3) zu reden, sondern auch von der valentiniana factio (7,6), welche die prima quadriga aus den obersten vier Äonen bildet. 17 M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 385. 18 Zur Begrifflichkeit der grande notice vgl. Kap. 9 Die Quellengrundlage von Adv. Val. Anm. 26. Zur Autorenschaft vgl. MARKSCHIES, CHRISTOPH, New Research on Ptolemaeus Gnosticus, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 4 (2000), 225–254, 249–253; DERS., Valentinian Gnosticism, 419–421; DERS., ‚Grande notice‘, 66–68. In den praefationes zu Buch 1 und 2 seiner Widerlegung führt Irenäus „Menschen, die nach eigener Aussage Schüler Valentins sind“ als Auslöser dieser Schrift an, deren Schriften er kannte und von denen er mit einigen zusammengetroffen ist; im Moment der Abfassung ziele er auf die Widerlegung der Schule des Ptolemäus, die wiederum „ein Ableger der Schule Valentins“ ist (I praef. 2 [SC 264, 22 f.44 f. ROUSSEAU/DOUTRELAU]: τῶν περὶ Πτολεμαῖον, άπάνθισμα οὖσαν
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Kapitel 8: Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung
Zur Explikation der Nachfolger Valentins, den Valentiniani, führt Tertullian in Adv. Val. 4,2 f. verschiedene Namen weiterer Valentinianer-Persönlichkeiten an. Direkter Nachfolger Valentins sei Ptolemäus gewesen, auf den Tertullian in Adv. Val. mehrfach namentlich rekurriert; er überliefert zudem ein inhaltliches Charkteristikum der Lehrdifferenz zwischen Valentin und Ptoelmäus, nach der die dargestellte Lehre ebenfalls als ptolemäische einzuordnen ist.19 Daneben hätten Heracleon, Secundus und Marcus Magus sowie Theotimus und Axionicus als Nachfolger Valentins gewirkt, die Lehre weiterentwickelt oder das Erbe des Stifters bewahrt – so zumindest weiß Tertullian über Axionicus zu berichten.20 Anonym bleiben innerhalb der Darstellung parallel zur irenäischen Überlieferung „einige“ (quidam, 10,1), die beispielsweise über das Schicksal der Sophia einen differierenden Inhalt lehren, oder die Autoren einer „anderen Darstellung“ (alia compositio; 26,2) mit Blick auf die Christologie. Dieses Bild ergänzen die größtenteils anonym referierten Lehrvarianzen in Kap. 33–39. Wie der irenäische Text bestätigt auch Adv. Val. eine „textlich ausgewiesene Pluralität von Valentinianern“21. Die namentliche Lehrzuordnung findet sich in Adv. Val. – anders als im irenäischen Text – auch innerhalb der Lehrdarstellung. Viermal nennt τῆς Οὐαλεντίνου σχολῆς/qui sunt circa Ptolomaeum, quae est velut flosculum Valentini scolae; vgl. auch II praef. 1 [SC 294, 22,3 ROUSSEAU/DOUTRELAU]: qui sunt a Valentino). Dem entspricht die das Referat abschließende Markierung in der lateinischen Übersetzung in Adv. Haer. I 8,5 (136,189): Et ptolemaeus quidem ita. Diese Rahmung findet sich bei Epiphanius nicht und ist erst durch die Rückübersetzung aus dem Lateinischen in der Sources Chrétiennes-Ausgabe von A. ROUSSEAU und L. DOUTRELEAU ins Griechische gekommen. Dass sich hier für die literarkritische Frage wichtiges Material findet, vgl. zuletzt bei MARKSCHIES, Grande notice, 31–49. Zur Frage nach der Ursache der differierenden Selbstbezeichnung und de-facto-Schülerstand hat Markschies die These aufgestellt, dass ein Rückbezug auf Valentin in Rom Mitte des 2. Jahrhunderts für die Schülerschaft weniger verdächtig schien (vgl. aaO.). 19 Vgl. dazu den Kommentar zur Stelle. Im Œuvre Tertullians finden sich neben dem Valentinianer Ptolemäus der namensgleiche Herrscher Ptolemäus I. in Apol. 18,8, Ptolemäus II. in Apol. 18,5.7, Ptolemäus aus Mendes in Apol. 19,6 und Ptolemäus XII. in Adv. Iud. 8,10. 20 Vgl. zu diesen Valentinianern den Kommentar zur Stelle. Damit ist keine sukzessive Abhängigkeit der Valentinianer-Persönlichkeiten konstatiert, sondern ein divergierendes Nebeneinander in einer bzw. wenigen aufeinanderfolgenden Generationen möglich. 21 M ARKSCHIES, Grande notice, 66. Smith argumentiert dafür, die von Irenäus in I 11 f. angeführten Lehrerpersönlichkeiten als Vorgänger von Ptolemäus’ zu deuten (SMITH, GEOFFREY S., Irenaeus, the Will of God, and Anti-Valentinian Polemics. A Closer Look at Against the Heresies 1.12.1, in: Eduard Iricinschi u.a. [Hg.], Beyond the Gnostic Gospels. Studies Building on the Work of Elaine Pagels [Studien und Texte zu Antike und Christentum 82], Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 93–123, 120 f.); Tertullian allerdings markiert – ohne dass dies als historisch korrektes Bild gewertet werden muss – diese in Adv. Val. 33– 39 porträtierten Lehrmeinungen als Ptolemäus nachfolgende (vgl. zur differenten Reihenfolge dieser Passagen 9.2.2.2).
8.2. Die Valentinianer sind Schüler des Ptolemäus
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Tertullian Ptolemäus in je polemischen Kommentaren.22 Daneben ordnet er in der Überleitung zur abschließenden Darstellung von Lehrvarianzen in 33,1 die zuvor dargestellte Lehre als diejenige von Ptolemäus ein.23 Dass zudem allerdings – ebenfalls parallel zur irenäischen Schrift – die referierenden Teile der Lehrdarstellung, bei denen referierende Verben neben eindeutig polemischen, wertenden Verben aus Tertullians Feder stehen, pluralisch formuliert sind, markiert die Zuordnung der dargestellten Lehre zu einer Mehrzahl von Valentinianern.24 22 Fordert er seine Leser in 8,4 spöttisch auf, der familia Ptolomaei zu applaudieren, mündet seine klimaktische Reihung des ironischen Vergleichs der valentinianischen Vorstellung des Äons Christus in die fiktiven miscellanea Ptolomaei (12,4), so karikiert er in 19,2 in einem polemischen Vergleich Ptolemäus und Valentin zugleich – „ein Maulesel nach einem Esel zu malen, ist wie Ptolemäus nach Valentin zu zeichnen“ (Hoc est mulum de asino pingere et Ptolomaeum describere de Valentino.) –, erinnert in seiner Polemik in 20,3 an die grundlegende Einordnung der dargestellten Lehre als Märchen (vgl. 3,4) und fragt spöttisch, ob Ptolemäus sich bei dieser Lehrdarstellung an seine Kindheitsmärchen womöglich falsch erinnere. 23 Ab 33,1 folgt die Darstellung der „verschlimmbesserten Lehre“ der Nachfolger Ptolemäus’, die Tertullian bewusst erst nach der eigentlichen Lehrdarstellung wie ein Nachspiel aufführt, um eine Verwirrung seines Lesers zuvor zu vermeiden. (Producam denique velut epicitharisma post fabulam tantam, etiam illa quae, ne ordini obstreperent et lectoris intentionem interiectione dispargerent, hunc malui in locum distulisse, aliter atque aliter commendata ab emendatoribus Ptolemaei.) Hier besteht das literarkritische Problem, das zwar die Deutung vorliegender Fragestellung nicht tangiert und im Kontext der irenäischen Vorlage zu diskutieren ist, dass nämlich auch Irenäus die Lehrvarianzen kennt (vgl. Adv. Haer. I 11 f.), allerdings in anderer Reihenfolge anführt. Erst in Adv. Haer. I 12,1 kommt er auf diejenige von den Schülern des Ptolemäus zu sprechen, während die vorherigen (Secundus, ein anonymer, aber bekannter Lehrer sowie eine weitere Gruppe; I 11,2–5) – Valentin (I 11,1) fehlt in Adv. Val. gänzlich – nicht unter die ptolemäische Schülerschaft subsummiert werden. 24 Eindeutiger als bei Tertullian findet sich bei Irenäus die Lehre als Referat, wie bereits die Satzkonstruktion anzeigt: Der Abschnitt beginnt in Adv. Haer. I 1,1 mit λέγουσιν und wird mit AcI-Konstruktionen weitergeführt. An folgenden Stellen scheint sich Tertullian an Irenäus referierender Darstellung zu orientieren, zumeist allerdings sind die pluralischen, die Lehre darstellenden Verben bereits tertullianisch gefärbt: u.a. appellant (7,3) entspricht καλοῦσιν (Adv. Haer. I 1,1), definiunt (7,3), dant (7,5), nominant (7,5) entspricht ὀνομάζουσιν (I 1,1), accedunt (7,5), aiunt (9,1), appellant (9,3) entspricht καλοῦσιν (I 2,2), (quidam) somniaverunt (10,1) entspricht μυθολογοῦσιν (I 2,3), variant (10,3) entspricht θέλουσιν (I 2,4), adiciunt (10,3) entspricht καλοῦσιν (I 2,4), praedicant (10,4) entspricht φασι (I 2,4), discunt (11,3), constituunt (11,4), nomen miscuerunt (18,3) entspricht (bereits in polemischer Färbung) καλοῦσι (I 5,1), commendant (18,3), nuncupant (18,3), delegant (18,3), nominent (18,3), dicant (19,1) entspricht λέγουσιν (I 5,1), deputant (20,2) entspricht φασιν (I 5,2), faciunt (20,2) entspricht ὑποτίθενται (I 5,2), contulerunt (21,1), notant (22,1), adfirmant (22,2) entspricht λέγουσιν (I 5,4), appellant (22,2), defendunt (22,2), inquiunt (24,1), dicunt (25,3) entspricht λέγουσιν (I 5,6), dividunt (26,1), vocant (26,1) entspricht καλοῦσιν (I 6,1), appellant (26,1) entspricht προσαγορεύουσιν (I 6,1),
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Kapitel 8: Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung
Es ist anzunehmen, dass Tertullian historisch getreuer überliefert, indem er anders als Irenäus die dargestellte Lehre direkt mit dem Namen des ValentinNachfolgers Ptolemäus verbindet.25 Dem entspricht die singuläre Stellung des Valentinianers Ptolemäus in Tertullians Œuvre sowie die sich ebenfalls lediglich in dieser Schrift findende Differenzierung zwischen Valentin und den nachfolgenden Valentinianern. Zugleich allerdings verbleibt diese Differenzierung im Ungenauen, schließlich ‚lehren‘ diese Gedanken eine Mehrzahl an Menschen. Irenäus führt diese als „die um Ptolemäus sind“ ein26 und es ist nachgewiesen worden, dass diese Formulierung exklusiv zu verstehen ist.27 Dass sich diese Differenzierung bei Tertullian nicht findet, kann entsprechend der verkürzten Zuschreibung der eigentlich ptolemäischen Lehre zur namensgebenden Stifterperson Valentin in seinem Œuvre außer in Adv. Val. interpretiert werden. Diese These wird durch eine weitere Beobachtung gestützt: Wenn Tertullian in Adv. Val. 33,1 die folgenden dargestellten Varianzen als Lehren einführt, die von „Schülern aus seiner [d.h. Ptolemaeus’] Schule“ stammen und dabei „über den Lehrer hinausgegangen sind“, impliziert dies zugleich, dass die zuvor referierte Lehre Schülern aus dem Kreis des Ptolemäus zuzuordnen ist, die seine Lehre bewahrt haben.28 Es ist daraus zu schließen, dass die Valentiniani, deren Lehre Tertullian ausführlich in Adv. Val. 7–32 entsprechend der irenäischen Quelle referiert und mit Ironie und Polemik widerlegt, Schüler des Ptolemäus sind.
(alia compositione) volunt (26,2) [= φάσκουσιν (I 6,1)], (quidam) inserunt – infulciunt (27,1) entspricht (bereits in polemischer Färbung) εἰσι δὲ οἱ λέγοντες (I 7,2), stipant (27,2), urgent (27,3) entspricht (bereits in polemischer Färbung) λέγουσι (I 7,2), dividunt (28,1) entspricht τέμνουσι (I 7,3), iusserant (29,1), dividunt (29,1), redigunt (29,2), componunt (29,2), recondunt (29,2), discernunt (29,2), superducunt (29,3), pronuntiaverunt (29,3), existimant (30,1), observant (30,1), adfingerent (33,1), maluerunt (34,1), fortasse pronuntiant (34,1), dicunt (34,2) entspricht λέγουσι (I 11,5), defendant (35,1), constituunt (35,1), voluerunt (36,1), inquiunt (36,2) entspricht λέγοντες (I 12,3), inquit (37,1) entspricht λέγει (I 11,3), construunt (39,1), contendunt (39,1), conceperint (39,2), praesumpserint (39,2). 25 Vgl. bereits H ARNACK, A DOLF, Zur Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus, Leipzig: Hinrichs 1873, 62. 26 Adv. Haer. I praef. 2 (SC 264, 44 f. R OUSSEAU/D OUTRELAU): τῶν περὶ Πτολεμαῖον. 27 Dafür spricht neben einem chronologischen Argument auch ein philologisches. Vgl. dazu MARKSCHIES, Valentinian Gnosticism, 419 f. mit Verweis auf die philologischen Belege bei LÜDEMANN (aaO. 420, Anm. 84). 28 Adv. Val. 33,1: Exstiterunt enim de schola ipsius discipuli super magistrum […]. Da die Lehre dieser Schüler im folgenden Relativsatz expliziert wird, lässt sich nicht ausschließen, dass lediglich diese zuerst referierte Lehrvarianz in Adv. Val. 33,1 f. dieser so klassifizierten Schülergruppe zuzuordnen ist (vgl. auch die abweichende Reihenfolge der Darstellung bei Irenäus, s.u.). Dennoch ist die Abgrenzung der Einordnung des Lehrer-Schülerverhältnisses zur Lehre in Adv. Val. 7–32 markiert.
8.3. Zur historischen Situation
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8.3. Zur historischen Situation: Valentinianer in Karthago? 8.3. Zur historischen Situation
Dass es in Karthagho im Übergang vom 2. ins 3. Jahrhundert vermutlich Christen gegeben hat, die mit der valentinianischen Lehre sympathisierten, legt Tertullians literarisches Engagement nahe, wenn die Schriften, deren Anlass nach Tertullian die Lehre der Gruppe der Valentinianer sind, nicht auf lokal fernere Begebenheiten wie z.B. die Existenz von Valentinianern in Rom reagieren oder gar einzig als l’art pour l’art einzuordnen sind.29 So konstatiert er in Praescr. 1,1, Adv. Val. 1,1; 39,2 und Scorp. 1,5 die Existenz von Valentinianern als Ausgangspunkt seiner Schriften. 30 Diese korrespondieren mit inhaltlichen Auseinandersetzungen, wenn Tertullian in Anim. anthropologische Sichtweisen, in Carn. Christ. die Jungfrauen-Geburt Jesu und doketistische Lehrmeinungen, die als valentinianische gekennzeichnet werden, sowie in Resurr. die Lehre, nach der die Auferstehung des Fleisches verneint wird, diskutiert.31 In diesen Reigen reiht sich auch Adv. Val. als grundlegende Darlegung der abgelehnten Lehre, die Fredouille mit dieser Intention sogar als „unverzichtbar“ bewertet.32 Und zumindest in Carn. Christ. 15,3 rekurriert Tertullian auf die Lektüre einer Schrift eines an dieser Stelle nicht näher bezeichneten Autors aus „dem Häufchen Valentins“; diese ist vermutlich „jenem Alexander“ und seinem Syllogismus zuzuschreiben, von dem Tertullian im Folgenden zeugt und über den er auch Valentins Psalmen kennengelernt habe. 33 Mit Tertullians 29 Neben Adv. Val. ist bereits Praescr. eine gegen Marcion und Valentin gerichtete Schrift; in Scorp. 1,5 zeichnet Tertullian die vorherrschende Situation so, dass „Gnostiker hervorbrechen und Valentinianer hervorkriechen“ (Gnostici erumpunt, Valentiniani proserpunt [CChr.SL 2, 1069,8 f. REIFFERSCHEID/WISSOWA]). Und auch in Anim., Carn. Christ. und Resurr. bilden Valentin bzw. die valentinianische Lehre die Kontrastfolie der Argumentation, die beispielhaft auch in der gegen die monarchianischen Lehre gerichteten Schrift Adv. Prax. herangezogen wird. 30 Vgl. bereits Praescr. 1,1 (zum Text s.o. 4.) sowie FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 192 f. Anm. 59. 31 In Scorp. folgt die Thematisierung von differierenden Martyriums-Vorstellungen und in Adv. Prax. bietet die Emanationsvorstellung Tertullian einen weiteren Einwand gegen die monarchianische Lehre (vgl. u.a. Adv. Prax. 8,1). 32 D ERS., Contre les Valentiniens, 24 f.: „Il en est, au contraire, une pièce importante, voire indispensable, étant le seul traité à donner du systéme une presentation générale permettant d'en faire comprendre les aspects doctrinaux particuliers.“ 33 15,3 (SC 216, 274,18 f. M AHÉ): Nam ut penes quemdam ex Valentini factiuncula legi [...]; 16,1; 17,1 (278,1–3): Sed remisso Alexandro cum suis Syllogismis, quos in argumentationibus torquet, etiam cum psalmis Valentini [...]. Mahé votiert dafür, dass Tertullian nicht nur valentinianische Schriften gelesen und im vorliegenden Werk Carn. Christ. kommentiert, sondern diese auch in Rom und Karthago getroffen habe. Dabei sei eine Differenz im Kenntnisstand zwischen Praescr. und Carn. Christ. zu beobachten; zudem sei womöglich auch die Notiz in 24,2 wörtlich zu nehmen: nescio quas illas valentinianorum Aeonum genealogias (306,9 f.; vgl. DERS., Tertullian. La Chair du Christ, 68). Diese Hypothese wird
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Kapitel 8: Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung
Schaffen korrespondiert die Gebildetheit seiner Leserschaft, die zumindest eine Ahnung über die Existenz dieser Gruppe hatte.34 Diese Indizien lassen den Schluss zu, dass in der Kirche von Karthago, die im Übergang zum 3. Jahrhundert in einer disparaten Gemeindevielfalt erscheint – von Montanisten und Marcioniten zeugt Tertullian –, auch Valentinianer oder zumindest Menschen lebten, die mit valentinianischen Gedanken sympathisierten. Wieweit die Akzeptanz der valentinianischen Lehre fortgeschritten ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen und lediglich aus Tertullians Zeugnissen entnehmen, der diese Menschen in Adv. Val. etymologisch auf ihren Stifter bezogen als Valentiniani bezeichnete.35 Es lassen sich weder archäologische – wie auch für Rom oder Gallien – noch andere textbasierte, von Tertullians Werk unabhängige Beweise für diese Zeit beibringen, die die durch Tertullians Werk bezeugten Indizien bekräftigen.36 Literarisch ist die valentinianische Gegnerschaft eindeutig als „Schüler des Ptolemäus“ bestimmt (s.o.) und damit mit der Gegnerschaft, die Irenäus eine Generation zuvor bekämpft hat, gleichzusetzen. Indizien für eine Enkelgeneration dieser Gegnerschaft lassen sich lediglich für die Abfassungszeit nach Adv. Val. beibringen, wenn Tertullian zum einen in Carn. Christ. darauf verweist, selbst Schriften eines gewissen valentinianischen Alexander gelesen zu haben (s.o.). Dieser wird auffälligerweise im historischen Abriss in Adv. Val. 5,1 nicht aufgeführt, was auf unzureichende Kenntnis Tertullians (zum Zeitpunkt der Abfassung) zurückzuführen sein kann. Zum anderen kann dafür das Indiz einer zweistufigen Vorgehensweise in der Gedankenabwehr Tertullians, wie sie für die Werke von sich vermutlich nicht weiter verifizieren lassen. Vgl. allerdings bereits Fredouille, der etwas vager für eine Verbreitung in Afrika aufgrund der Widerlegungs-Strategien Tertullians plädiert (DERS., Tertullien et la conversion, 191 f. Anm. 55). 34 Vgl. auch 7. 35 Die Valentinianer ordnet er in allen Schriften als Häretiker ein (vgl. z.B. Adv. Val. 1,1.3; 4,3; 7,1 f.; Anim. 18,4; Carn. Christ. 15,1; Scorp. 1,5 usw.). Chiapparini wertet die Notiz in Adv. Val. 1,3 temporal und schließt daher auf Existenz von Valentinianern in Karthago zur Zeit Tertullians (DERS., Valentino Gnostico, 29). 36 Zudem könnte man die – ebenfalls nicht sicher zu belegende – Romreise Tertullians als Anregung für die literarischen Kämpfe deuten, wo schließlich durch Irenäus Vertreter der valentinianischen Lehre bezeugt sind. Allerdings basiert diese Annahme auf sehr vagen Indizien und es müsste auch das Interesse seiner karthagischen Leserschaft neu bewertet werden. Irenäus rekurriert in Adv. Haer. I praef. 2 auf „Schriften“ (ὑπομνήματα) der Schüler Valentins, die ihm vorlagen. (Zur Datierung der Abfassung der sogenannten grande notice als eines der ältesten Zeugnisse der valentinianischen Lehre, vgl. MARKSCHIES, Grande notice, 68–71; gegen die Vorschläge einer Frühdatierung bei CHIAPPARINI, GIULIANO, Irenaeus and the Gnostic Valentinus. Orthodoxy and Heresy in the Church of Rome around the Middle of the Second Century, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 18 [2013], 95– 119; DERS., Valentino Gnostico, 21–23. Zu einem möglichen Romaufenthalt Tertullians vgl. bereits Kap. 3 Tertullian – Konturen eines gebildeten und rhetorisch versierten Christen aus Karthago, Anm. 4).
8.3. Zur historischen Situation
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Adv. Marc. und Adv. Prax. (vgl. dazu 6.1.) nachzuweisen ist, herangezogen werden. Aufgrund dieser Quellenlage ist auch bei der vorliegenden Fragestellung mit dem von Mühlenberg im Rahmen der christologischen Streitigkeiten erhobenen Diktum zu konstatieren, dass der in Karthago literarisch vollzogene Kampf gegen die Valentinianer „einem Gespensterkampf“37 gleichkommt, bei dem die Valentinianer als solche Häretiker klassifiziert werden, „die wie böse Geister die Glaubenswahrheit totschlagen wollen“38 und daher in den verschiedenen Schriften bekämpft werden müssen. Die literarische Polemik Tertullians reagiert auf diese ‚Gespenster‘, die wie Untote durch das Land geistern, wenn sie als Häretiker bekämpft werden. Die genannten Indizien lassen keine Aussagen über die Existenz oder gar die konkrete soziale Gestalt von valentinianisch Gläubigen für die karthagische Gesellschaft Anfang des 3. Jahrhunderts zu. Möglicherweise wurden – nach der Abfassung von Adv. Val. – Schriften herumgereicht (vgl. Carn. Christ. 17,1) und möglicherweise handelt es sich um Einzelpersonen, die Tertullian polemisch als ein „Häufchen“ (Carn. Christ. 15,3) oder auch überspitzt als „zahlreichsten Kultverein unter den Häretikern“ (Adv. Val. 1,1) einordnet. Für Rom lassen sich Mitte des 2. Jahrhunderts Valentinianer nachweisen; es sind die, gegen die Irenäus sein Werk verfasst. Die Sozialgestalt der Gruppe der valentinianischen Glaubenden wird in der Struktur analog zu einer philosophischen Schule gedeutet.39 Dafür bietet auch Tertullian einen Hinweis mit der Bezeichnung schola Ptolemaei in Adv. Val. 33,1. Der Verweis auf die grundsätzliche Differenzierung des Valentinianismus in zwei Schulen in 11,2 kann historischen Anhalt haben, da auch nach Zeugnissen bei Hippolyt und den Exc. Thdt. eine solche Differenzierung in eine östliche und westliche Schule denkbar ist. In 11,2 ist dieser Hinweis allerdings in rhetorischer Perspektive von Tertullian verwendet, um die Valentinianer zu karikieren.40 Mit der Einordnung der Valentinianer als christliche, philosophische Schule korrespondiert eine literarische Beobachtung. Bereits Irenäus überliefert die valentinianische Lehre lediglich in Form eines Kunstmythos, wie es aus der platonischen Lehre bekannt ist. Markschies argumentiert dafür, diesen Kunstmythos, den auch Tertullian überliefert, als exoterische, d.h. nach außen, an 37 „Ist das Konzil von Chalkedon etwa ein Gespensterkampf?“ (M ÜHLENBERG, EKKHARD, Das Dogma von Chalkedon. Ängste und Überzeugungen, in: Johannes van Oort/Johannes Roldanus [Hg.], Chalkedon. Geschichte und Aktualität. Studien zur Rezeption der christologischen Formel von Chalkedon, Leuven: Peeters 1997, 1–23, 10). 38 D ERS., Das Dogma von Chalkedon, 10. 39 Vgl. M ARKSCHIES, Valentinian Gnosticism, 421–432. Markschies betont, dass die von Thomassen vorgebrachte Skepsis und Betonung der Einordnung als Religion im Kontext der Kaiserzeit nicht allzu stark gegensätzlich verstanden werden muss (DERS., Grande notice, 73 mit Anm. 155; THOMASSEN, Spiritual Seed, 133 mit Begründung in 133–145). 40 Vgl. dazu den Exkurs „Zwei Schulen und zwei Kathedren“ der Valentinianer (11,2)
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Kapitel 8: Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung
Menschen im ‚outer-circle‘ gerichtete Lehre einzuordnen.41 Die lediglich an den ‚inner-circle‘ gerichtete philosophische Auslegung ist weder bei Irenäus noch bei Tertullian noch bei einem anderen Autor überliefert.42 Es spricht einiges dafür, dass es diese nach diesem Schema als esoterische Lehre einzuordnende Auslegung gegeben hat, die auf mittelplatonischem Hintergrund basiert.43 Entsprechend des Geheimhaltungsdiktums war diese nicht in öffentlichen Kreisen bekannt und wurde möglicherweise auch lediglich mündlich überliefert. Daher ist es fraglich, ob Irenäus und Tertullian diese Auslegung überhaupt kannten – für Irenäus nimmt Markschies dies an. Wenn diese allerdings tatsächlich nur intern verwendet und womöglich nur mündlich tradiert wurde, dann spricht einiges dafür, dass nicht nur Tertullian diese Auslegung nicht bekannt war, sondern auch bereits Irenäus. Für Tertullian lässt sich diese Vermutung mit den Beobachtungen erhärten, dass er zum einen den Vergleich mit den eleusinischen Mysterien sehr stark macht und als Interpretationskategorie seiner Schrift voranstellt. Diese Betonung der Einordnung der Valentinianer als Mysterien-Verein könnte man auch psychologisch interpretieren und als Resultat einer Kränkung verstehen, als außenstehender Literat tatsächlich nichts über diesen Zirkel und dessen eigentliche Lehre zu erfahren. Das unterstellt allerdings zugleich ein Interesse, die Auslegung kennen zu wollen; ob diese gegeben ist oder nicht vielmehr Tertullians polemisches Interesse überwiegt, sei dahingestellt. Zum anderen aber hätte es Tertullians Naturell vermutlich entsprochen, mindestens ex negativo formuliert, seiner Leserschaft die DERS., Grande notice, 72–76. Auch in den in Nag Hammadi gefundenen valentinianischen Codices finden sich solche Erklärungen nicht, sodass bisher keine positive Evidenz für diese These anzuführen ist. 43 Markschies führt als Argument für die Existenz einer solchen Auslegung die philosophische Deutung der einen Lehrvarianz an (Iren., Adv. Haer. I 11,3), die auch Tertullian überliefert (Adv. Val. 37). Vgl. z.B. DERS., Grande notice, 74; DERS., Individualität. Danach ist die valentinianische Lehre als philosophische Interpretation der christlichen Botschaft im Kontext des kaiserzeitlichen Platonismus zu verstehen. Im Kommentar werden in Anmerkungen auf mittelplatonische Parallelen und Differenzen hingewiesen, die neben anderen z.B. Barbara Aland herausgestellt hat (vgl. dazu auch DIES., Gnosis und Philosophie; DIES., Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben; DIES, Der Demiurg und sein Wirken. Die Deutung des Valentinianismus im Vergleich zu der des Platonismus, in: Einar Thomassen/Christoph Markschies [Hg.], Valentinianism. New Studies [Nag Hammadi and Manichaean Studies 96], Leiden u.a.: Brill 2020, 272–303; sowie zum lateinischen Mittelplatonismus den gleichnamigen Artikel von Drecoll im Augustin Handbuch). Aland plädiert allerdings dafür, den valentinianischen Mythos als eine „innovative Neuschöpfung“ zu verstehen, „bei der Logos in mythischer Form ausgesagt wird, eine Art Hybrid von Logos und Mythos“ (DIES., Der gnostische Mythos, 264). Zudem beschreibt sie die Methodik der Adaption des philosophischen Gedankens als „gnostische Entlehnung gegen den Sinn des Entlehnten“ und ordnet das Wirken der valentinianischen Christen weitestgehend als apologetisches ein (vgl. DIES., Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben, Zitat: 104). 41
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8.3. Zur historischen Situation
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Auslegung mitzuteilen und diese dann argumentativ zu widerlegen, wie er es z.B. gegen Marcion oder Praxeas tut.
Kapitel 9
Die Quellengrundlage von Adv. Val. 9. Die Quellengrundlage von Adv. Val.
Um antizipatorisch dem Vorwurf zu begegnen, den im Werk Adv. Val. gebotenen Stoff – die fabula valentiniana – selbst erdichtet zu haben, widmet sich Tertullian im Exordium auch der Frage, welche Quellenschriften bereits vor ihm die valentinianische Lehre bezeugen. Dabei führt er zwei verschiedene Quellentypen an: Neben gnostischen „Originalschriften der ursprünglichen Lehrer“ (cum archetypis principalium magistrorum) rekurriert Tertullian auf seine eigenen „Vorgänger“ (antecessores), die teilweise selbst Zeitgenossen der Valentinianer waren, und auf deren „äußerst unterweisende Schriften“ (instructissimis voluminibus), in denen sie die valentinianische Lehre „sowohl überliefert als auch zurückgewiesen haben“ (et prodiderunt et retuderunt) 1. Namentlich führt Tertullian Justin, Miltiades, Irenäus sowie Proculus an. An dieser Stelle ist zu diskutieren, wie viele historische Informationen dieser Notiz in Adv. Val. 5,1 zu entnehmen sind. Lagen Tertullian in Karthago zu Beginn des 3. Jahrhunderts valentinianische Originalschriften vor? Und wenn sich die Frage positiv beantworten ließe: Finden sich Hinweise auf den Inhalt solcher Schriften? Was lässt sich aus der Zitation der Theologen und deren (verschollener) Schriften schließen? Führen die Reihenfolge, in der Tertullian diese aufführt, oder seine Charakterisierungen, mit denen er diese einführt, zu neuen Erkenntnissen?
9.1. Lagen Tertullian valentinianische Schriften vor? 9.1. Lagen Tertullian valentinianische Schriften vor?
In Adv. Val. 5,1 bezeugt Tertullian die Existenz von „Originalschriften der ursprünglichen Lehrer“ (cum archetypis principalium magistrorum) der Valentinianer, die ihm als Garant für die valentinianischen Gedanken, denen Tertullian polemisch begegnet, „die Grenzlinie“ (limes) seiner eigenen widerlegenden Darstellung markieren. Mit dieser Notiz konstatiert er zugleich, dass auch Schriften im Umlauf waren, die als valentinianische Lehre lanciert wurden, die seines Erachtens aber lediglich von „den angestrebten Anführern der überall 1 Die Korrespondenz der Verben mit dem Werktitel der irenäischen Schrift hat Fredouille als Hinweis gewertet, dass Tertullian ebenfalls einen solchen Plan der Abfassung einer umfangreichen Widerlegung verfolgt hat, die nicht beendet wurde (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 20 f. und dazu Kapitel 6 dieser Einleitung).
9.1. Lagen Tertullian valentinianische Schriften vor?
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sich befindlichen Schüler“ (cum adfectatis ducibus passivorum discipulorum) stammten und denen keine Bedeutung für sein Vorhaben zukommt. Weder expliziert Tertullian, wer zu den ursprünglichen Lehren zählt, noch um welche Schriften es sich handelt bzw. welche Schriften von welchen Autoren seines Erachtens nicht heranzuziehen sind. Es lässt sich lediglich vermuten, dass er die in Adv. Val. 4,2 f. namentlich angeführten Valentinianer zur ersteren Gruppe zählt.2 Allerdings beansprucht Tertullian nicht, dass ihm diese Schriften vorgelegen hätten oder er diese gar gelesen hätte. Vielmehr ist diese in 5,1 formulierte Notiz als ein rhetorischer Topos zu deuten. Zum einen manifestiert er mit dieser Diastase zwischen den ursprünglichen Lehrern und den ‚Möchtegern-Anführern‘ zu seiner Zeit die Diversität innerhalb der valentinianischen Gruppe, wie er sie bereits in Adv. Val. 4 herausgestellt hat. Rhetorisch impliziert er damit auch Vorwürfe wie z.B. die Unglaubwürdigkeit der Lehre, wenn diese sich über die Zeiten hinweg gewandelt hat, und er unterstellt den Valentinianern Unklarheit über ihre eigene Lehre und über ihre Wurzeln. Zum anderen verleiht dieser explizite Verweis zu Beginn der Liste auf originäre Schriften, in denen die Thematik der folgenden Darstellung bereits enthalten ist, Tertullians eigener Darstellung eine gewisse Autorität und bietet ihm eine Entlastungsfunktion, nicht selbst die fabula valentiniana erdichtet zu haben. Dass Tertullian valentinianische Originalschriften vorgelegen haben, ist durchaus möglich, allerdings nicht nachweisbar. Lediglich in Carn. Christ. 15,3; 16,1; 17,1 rekurriert er auf die Schriften eines gewissen Alexander – diesen führt er in Adv. Val. 4 gerade nicht an –, in dessen Werk er Psalmen Valentins gelesen habe. Da Carn. Christ. allerdings vermutlich nach Adv. Val. entstanden ist,3 lassen sich die (positiven) Aussagen, die sich für dieses Werk herausarbeiten lassen, nicht ohne Weiteres auf Adv. Val. anwenden.4 Methodisch ist die Frage nach der valentinianischen Bibliothek nicht von der Erforschung der Quellengrundlage von Irenäus’ Werk, das Tertullian vorgelegen hat (s.u.), zu trennen, für das zu fragen ist, ob vornehmlich ein valentinianisches Zitat, das durch einige polemische Bemerkungen durchbrochen wird, oder aber eine Paraphrase geboten wird.5 Allerdings verhilft diese Beantwortung lediglich zur Feststellung, dass Tertullian vermittelt über den irenäischen Text, dessen Darstellung und Deutung Zugang zu valentinianischem Gedankengut hatte. Die spärlichen Informationen, die Tertullian an dieser Stelle über die Schriften
2 Zu den heute erhaltenen und überlieferten valentinianischen Schriften vgl. MARKSCHIES, Valentin/Valentinianer sowie 8.3. 3 Vgl. dazu Kap. 8 Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung, Anm. 5. 4 Vgl. 17,1 (SC 216 278,1–3 M AHÉ): Sed remisso Alexandro cum suis Syllogismis, quos in argumentationibus torquet, etiam cum psalmis Valentini [...]; sowie auch den Hinweis auf das Lesen in 15,3 (274, 18 f.): Nam ut penes quemdam ex Valentini factiuncula legi [...]. 5 Vgl. M ARKSCHIES, Grande notice, z.B. 79 f.
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Kapitel 9: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
tatsächlich bietet, lässt – parallel zur Fragestellung über die Historizität einer Trennung in zwei Schulen in Adv. Val. 11,2 – den Schluss zu, dass er zwar Kenntnis davon hatte, dass Originalschriften von valentinianischen Lehrern im Umlauf waren. Ob ihm diese vorlagen, lässt sich nicht mehr verifizieren und sollte daher nur mit Vorsicht angenommen werden.6
9.2. Auf welche Schriften seiner Vorgänger rekurriert Tertullian? 9.2. Auf welche Schriften seiner Vorgänger rekurriert Tertullian?
9.2.1. Justin und sein verschollenes Syntagma Den Anfang der Aufzählung der literarisch wirkenden Vorgänger-Generationen bildet Justin. Diesen Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom wirkenden Theologen charakterisiert Tertullian als „Philosophen und Märtyrer“ (philosophus et martyr; 5,1) und bestätigt damit zwei biographische Informationen, die auch in der weiteren Tradition zu Justin überliefert sind; schließlich hat dieser nach seiner Konversion zum Christentum nicht nur weiterhin den Philosophenmantel getragen und darin gelehrt, sondern ist vermutlich auch als Märtyrer gestorben.7 Im Kontext der Häresie-Bekämpfung wird in der Forschung immer wieder versucht, das verschollene Syntagma Justins zu rekonstruieren. In 1Apol 26,8 verweist Justin selbst auf sein „Syntagma gegen alle bereits entstandenen Häresien“.8 Daneben belegt Irenäus die Existenz eines solchen Werkes, wenn
6 Anders z.B. M AHÉ, Tertullian. La Chair du Christ I, 68; vgl. dazu auch Kap. 8 Die intendierte Gegnerschaft und abgelehnte Meinung, Anm. 33. Nicht überzeugend ist das Argument von Mahé, das in Carn. Christ. 24,2 aufgeführte nescio wörtlich und nicht nur rhetorisch zu verstehen. 7 Vgl. HEID, STEFAN, Art. Justinus Martyr I., in: Reallexikon für Antike und Christentum 19 (2001), 801–847 sowie das Porträt bei LIEU, JUDITH M., Marcion and the Making of a Heretic. God and Scripture in the Second Century, Cambridge: Cambridge University Press 2015, 298– 303. Auch bei Iren., Adv. Haer. I 28,1 und Hipp., Ref. VIII 16 finden sich Notizen zum Märtyrertod Justins. Erst Eus., H.e. IV 16 überliefert eine Deutung des Martyriums aufgrund feindseliger Umtriebe des kynischen Philosophen Crescens. 8 SC 507, 200 f., 35–37 M UNIER: ἔστι δὲ ἡμῖν καὶ σύνταγμα κατὰ πασῶν τῶν γεγενημένων αἱρέσεων συντεταγμένον, ᾧ εἰ βούλεσθε ἐντυχεῖν, δώσομεν. LeBoullec erkennt darin die Entstehung des grundlegenden christlichen Häresie-Konzepts (vgl. LEBOULLUEC, ALAIN, La notion d’hérésie dans la littérature greque IIe–IIIe siècles. Bd. 1: De Justin à Irénée, Paris: Ètudes Augustiniennes 1985, 36–91).
9.2. Auf welche Schriften seiner Vorgänger rekurriert Tertullian?
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er in Adv. Haer. IV 6,2 auf ein gegen Markion gerichtetes Syntagma aus Justins Feder rekurriert.9 Zudem bezeugt Euseb dieses Werk.10 Bereits Richard Adelbert Lipsius hatte 1865 eine Rekonstruktionsthese auf Grundlage der Reihenfolge von Nennung und Behandlung der Häretiker bzw. Theologen aufgestellt. Nach dieser habe Tertullian das ebenfalls verlorene Syntagma Hippolyts genutzt, das wiederum zusammen mit Passagen aus Irenäus’ 1. Buch seiner Widerlegung das verlorene Syntagma Justins beinhaltet habe. 11 Dagegen hat Adolf Harnack 1873 in seiner Dissertationsschrift und 1874 im gleichnamigen Aufsatz argumentiert, dass die Nennung Justins in Adv. Val. 5,1 Tertullians Kenntnis von dessen Syntagma bezeuge, aber als „starkes argumentum e silentio“ gerade keine Kenntnis des Syntagmas Hippolyts nachweisbar sei.12 Harnack wiederum schließt allerdings aus Tertullians Anführung der Vorgänger-Theologen-Generation, „dass er überhaupt alle diejenigen ketzerstreitenden Werke nennen wollte, die er kannte und die er bisher etwa benutzt hatte.“13 Auf dieser Grundlage fragt auch Harnack nach den Schriften, die Tertullian vorlagen, und versucht insbesondere Justins Syntagma zu rekonsturieren, in dem er entsprechend Justins Ankündigung in 1Apol 26,6–8 Informationen über Simon, Menander und Marcion vermutet.14 Für Adv. Val. habe Tertullian daher die Informationen über das valentinianische sowie ptolemäische System nicht aus Justins Werk beziehen, sondern einzig aus Irenäus’
SC 100, 440,22 f. HEMMERDINGER u.a.: Καὶ καλῶς ὁ Ἰουστῖνος ἐν τῷ πρὸς Μαρκίωνα σθντάγματί φησιν. Es wird angenommen, dass es sich bei den beiden Werken um die identische Schrift handelt. Lieu weist auf parallele Werke in der hellenistisch-römischen Umwelt hin, welche die Evidenz einer solchen Schrift mit christlicher Ausrichtung bestätigt (vgl. DIES., Marcion, 18). 10 Eus., H.e. IV 11,8. Euseb nennt allerdings die gegen Marcion verfasste Schrift samt einem Zitat neben Justins Ankündigung des Syntagmes (Euseb zitiert 1Apol 26,8). 11 Vgl. dazu LIPSIUS, R ICHARD A., Zur Quellenkritik des Epiphanios, Wien: Wilhelm Braumüller 1865, sowie die Zusammenfassung bei HARNACK, ADOLF, Zur Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus, in: Zeitschrift für Historische Theologie 44 (1874), 143–226, 145–158. Lipsius schließt aus der Reihenfolge der erhaltenen Häretiker-Kataloge auf die Chronologie und kommt mit Blick auf die Quellenlage zum Schluss, dass Epiph., Filast. und Ps.-Tert. das Syntagma Hippolyts zur Grundlage hatten; diesem wiederum habe gemeinsam mit dem Abschnitt Iren., Adv. Haer. I 22,2–27,4 das Syntagma Justins als Quelle vorgelegen. 12 H ARNACK, Zur Quellenkritik, 1873, 57–66 (Zitat: 62); 1874, 202–210. Zur Frage der Rekonstruktion von Justins Syntagma vgl. LIEU, Marcion, 19–23 sowie dort auch weiterführende Literatur gegen eine direkte Abhängigkeit zwischen Iren., Adv. Haer. I 22,2–27,4 und Justins Syntagma (aaO., 30 n. 11). 13 H ARNACK, Zur Quellenkritik, 1873, 62. 14 Harnack versucht eine Rekonstruktion des Syntagmas aus zwei Justin-Texten (1Apol. 26,1–5 und Dial. 35,6) und schließt von dort auf die mögliche Reihenfolge behandelter häretischer Positionen im Syntagma (vgl. DERS., Zur Quellenkritik, 1873, 21; 1874, 215–219). Zur Problematik dieser Methodik und Dekonstruktion der These vgl. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 381–383. 9
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Werk erhalten können.15 Diese These stützt Irenäus’ Aussage in der praefatio zum vierten Buch seiner Widerlegung, nach der seine Vorgänger auf dem Gebiet des Kampfes gegen die Valentinianer keine angemessene Widerlegung verfasst haben, „weil sie deren Regel nicht kannten“.16 Dieses zuletzt genannte, von Irenäus angeführte Argument und Begründung seines eigenen ausführlichen Werkes, erübrigt die Rekonstruktionsversuche des justinschen Syntagmas mit Blick auf die Quellenlage für die valentinianische Lehre.17 In Verbindung mit den Beobachtungen, dass Tertullian in Adv. Val. 5,1 keine Aussage darüber trifft, schriftliche Werke seiner Vorgänger im vorliegenden Kontext verwendet zu haben, sowie der Beobachtung, dass sein Werk in den referierenden Teilen großteilig mit der irenäischen Darstellung korreliert (s.u.), lassen sich aus Adv. Val. keine neuen Informationen zum verschollenen Syntagma Justins konstatieren.18 Allerdings wird deutlich, dass Justin als Erster in der Reihung berühmter Vorfahren, denen Tertullian in ihrem Wirken nachfolgen will, als positives, bekanntes Beispiel voransteht, ohne dass vermutlich sein Syntagma konkret im vorliegenden gegen die Valentinianer gerichteten Werk Niederschlag findet.19 15 H ARNACK, Zur Quellenkritik, 1873, 65.76. Dass Valentin oder die valentinianische Lehre nicht bei Just., 1Apol 26 erwähnt wird, ließe sich inhaltlich erklären, wenn der Kontext der dort behandelten Dämonologie nicht auch die Behandlung jener Lehre evoziert, und lässt nicht unweigerlich den Schluss zu, Valentin bzw. seine Schüler würden nicht als Häretiker eingeordnet. Allerdings kann das Schweigen Justins auch so gedeutet werden, dass Valentin und Ptolemäus in Rom zur Zeit Justins noch nicht als Abgefallene der Kirche gegolten haben (so z.B. LIEU, Marcion, 305, anders MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 382). Markschies konkludiert, dass „eine Textgrundlage [fehlt], die auf ein Valentinreferat bei Justin zurückgeführt werden könnte und verläßliche Aussagen ermöglichte.“ (aaO., 383). Justin kennt zwar die Valentinianer (vgl. Dial. 35,6), allerdings ist es „nicht sehr wahrscheinlich, daß es [d.h. das Syntagma; SMK] schon ein Referat über Valentin [und man mag ergänzen: die valentinianische Lehre seiner Schüler; SMK] enthielt“, aber nicht beweisbar. (MARKSCHIES, aaO., 382; vgl. auch LIEU, aaO., 18 f.). 16 Adv. Haer. IV praef. 2 (SC 100, 384,14–20 R OUSSEAU u.a.): Quapropter hi qui ante nos fuerunt, et quidem multo nobis meliores, non tamen satis potuerunt contradicere his qui sunt a Valentino, quia ignorabant regulam ipsorum, quam nos cum omni diligentia in primo libro tibi tradidimus, in quo et ostendimus doctrinam eorum recapitulationem esse omnium haereticorum. 17 Vgl. M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 380. 18 Zum gleichen Ergbenis kommt LIEU im Kontext der Marcion-Forschung: „Therefore, what form the ‚Syntagma‘ took and what sort of material and arguments it contained must remain in the field of speculation.“ (DIES., Marcion, 22). 19 Anhand einer inhaltlich vergleichenden Analyse hat Enrico Norelli die Hypothese aufgestellt, dass Justin in 1Apol. 43, Irenäus in Adv. Haer. IV 37,6 sowie Tertullian in Adv. Marc. II das verlorene Syntagma Justins verwendet haben (vgl. NORELLI, ENRICO, Que pouvons-nous reconstituer du Syntagma contre les hérésies de Justin? Un exemple, in: Revue de théologie et de philosophie 139 [2007], 167–181). Neuerdings hinterfragt Geoffrey Smith die Annahme, ob Justin zweifelsohne als „Vater der Häresiologie“ und Verfasser jenes
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9.2.2. Irenäus’ Adv. Haer. als Vorlage Das fünfbändige Werk „Aufdeckung und Widerlegung der fälschlich so genannten Gnosis“ des Bischofs von Lyon lag Tertullian auf Griechisch vor.20 Für Adv. Val. rekurriert er in der Narratio – teilweise sehr wörtlich – auf die sogenannte grande notice21, in der die Lehre der Schüler des Ptolemäus aufgeschrieben ist (Adv. Haer. I 1–8), sowie die Kapitel I 11 f., in denen weitere Lehrvarianzen der valentinianischen Lehre gesammelt sind. 22 Harnack bemerkte dazu: Allein schon ein flüchtiger Blick auf das Buch muss lehren, dass er sich vor allem an Irenäus gehalten hat und eine genaue Vergleichung bestätigt und erweitert diesen allgemeinen Eindruck dahin, dass auch nicht e i n e andere Quelle für das Werk des Tertullian neben Irenäus angenommen zu werden braucht, indem mit geringen Umstellungen cap. 7–32 den Abschnitt im ersten Buch des Irenäus 1–7 wiederholt und cap. 33–39, wenn auch unter Veränderungen in der Reihenfolge den Abschnitt 11,2–12,3 wiedergiebt. Keine einzige sachliche Bemerkung über die Systeme lässt von cap. 7 an bei Tertullian sich nachweisen, die nicht aus Irenäus geflossen wäre, ja das ganze Buch unterscheidet sich dadurch specifisch von allen anderen ketzerbestreitenden Werken Tertullian’s, dass, während in diesen die B e k ä m p f u n g der Häresien die Hauptsache, die D a r s t e l l u n g derselben reine Nebensache ist, hier gerade umgekehrt, die aus Irenäus abgeschriebene Darstellung fast den ganzen Inhalt des Werks ausfüllt.23
Syntagmas zu gelten habe. Vielmehr finde sich in 1Apol 26,8 eine werbende Sprache, mit der Justin eine ihm bereits vorliegende Schrift bekannt mache (SMITH, GEOFFREY S., Guilt by Association. Heresy Catalogues in Early Christianity, Oxford/New York: Oxford University Press 2015, 49–86). Mit Blick auf die vorliegende Fragestellung ist lediglich festzuhalten, dass die Vorfahren-Reihung Tertullians in Adv. Val. 5,1, die gerade mit Justin beginnt, zeigt, dass dieser mit dem Thema der Häresie-Bekämpfung, wenn nicht gar der Kategorisierung der Häresiologie (vgl. dazu LIEU, Marcion, 86), mindestens eng verbunden ist. Über die Autorenschaft Justins ist damit natürlich nichts ausgesagt und es mag lohnenswert sein, diesen frischen Blick Smith’s weiterzudenken, vgl. dazu auch KATHARINA GRESCHAT, Rezension zu G. Smith, Guilt by Association. Heresy Catalogiues in Early Christianity, in: Vigiliae Christianae 70 (2016) 337–339. 20 Zur Biographie vgl. B ROX, N ORBERT, Art. Irenaeus von Lyon, in: Reallexikon für Antike und Christentum 18 (1998), 820–854. 21 Dass es sich hierbei vermutlich um eine neuzeitliche Abtrennung einer Texteinheit handelt, die in der Spätantike nicht als solche eigenständige Einheit wahrgenommen wurde, zeigt z.B. der bruchlose Übergang in Epiphanios’ Zitat der Vorrede und Beginn des ersten Buches von Irenäus Widerlegung an. Vgl. zur Begriffsprägung die Hinweise bei MARKSCHIES, Grande notice, 31 f. 22 Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 20 f. Dass Tertullian allerdings alle fünf Bände kannte, belegt u.a. sein Werk Praescr., in dem er sich dieser grundsätzlicheren, an formalen Prinzipien orientierten Widerlegung quasi einleitend widmete, bevor er mit Adv. Val. ein allein dieser Gruppe gewidmetes Buch verfasste oder in weiteren Schriften einzelne theologische Themen diskutierte. 23 D ERS., Zur Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus, 1873, 61 f.
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Tertullian charakterisiert Irenäus mit einer Apposition, die in ihrer emphatischen Steigerung auffällt. Er hebt diesen Theologen als einen, „der in besonders neugieriger Weise alle Lehren erforscht hat“ (omnium doctrinarum curiosissimus explorator), hervor und betont, dass Irenäus sich durch seine sehr sorgfältige Erarbeitung grundlegend dieses fremde Terrain der valentinianischen Lehre erobert habe, auf dem seine eigene Widerlegung basiert.24 Dem entspricht Irenäus’ Selbstaussage in der praefatio zum 4. Buch, dass er in der Widerlegung der valentinianischen Lehre keinen Vorgängern folgen kann, sondern diese grundlegend als Erster vollzieht.25 Die Textgrundlage des irenäischen Texts und insbesondere die der sogenannten grande notice muss rekonstruiert werden. Die ursprüngliche von Irenäus auf Griechisch geschriebene Fassung ist verloren. Erhalten sind eine lateinische Übersetzung, die bereits Interpolationen, Auslassungen und Textverderbnisse aufweist, sowie eine griechische Abschrift bei Epiphanius (Pan. 31,9,1–32,9), deren Textverderbnisse der lateinischen Fassung ähneln; beide stammen aus dem (späten) 4. Jahrhundert und scheinen auf denselben bereits korrumpierten griechischen Archetypen zurückzugehen. 26 Markschies und Chiapparini machen darauf aufmerksam, welche Bedeutung Tertullians Werk im Kontext der Rekonstruktion des irenäischen Texts zukommt. Notwendigerweise ist ein Perspektivwechsel angezeigt: „Für jedes Zitat aus der griechischen und lateinischen Irenaeus-Überlieferung [muss, SMK] zunächst der Befund aus Tertullian erhoben werden“.27 Eine Analyse von Tertullians Rezeption des irenäischen Texts, unter der Annahme, dass bei ihm der in lateinischer Übersetzung ursprungsgetreuere Text überliefert ist, mündet in das bereits von Harnack formulierte Ergebnis und erweist sich in Chiapparinis Studie zur vergleichenden Textanalyse der beiden Schriften (dort ausgehend von Irenäus’ Werk, wie es in der Überlieferung vorliegt). 28 Auch die vorliegende Untersuchung kommt zu keinem
24 Ironisch wendet Tertullian diesen ursprünglich militärischen Terminus explorator bereits auf Marcion (Adv. Marc. V 17,1) und Hadrian (Apol. 5,30) an; vgl. auch TLL Art. explorator V/2 1743,69–71. 25 Adv. Haer. IV praef. 2; s.o. Justin. 26 Zudem ist ein Fragment in der Ephraem Graecus zugeschriebenen Schrift De virtute überliefert. Zur komplexen Überlieferungsgeschichte vgl. neuerdings MARKSCHIES, Grande notice, 31–49. Leider enthält die frisch restaurierte Handschrift des Jenensis diesen die grande notice von Irenäus zitierenden Teil des Panarion des Epiphanius nicht, vgl. STOCKHAUSEN, ANNETTE VON, Katalog der griechischen Handschriften im Besitz der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, in: Byzantinische Zeitschrift 94 (2001), 684–701, 685–689. 27 M ARKSCHIES, Grande notice, 48 f.; vgl. auch C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 46 f. 28 Dieser Ausgangspunkt der Frageperspektive erweist sich bereits in der Darstellung und gegenüberstellenden Zählung des synoptischen Vergleichs: Wo sich keine Parallele der sogenannten grande notice bei Tertullian findet, wird diese allein zitiert. Tertullianische
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anderen Ergebnis, als dass Tertullian die griechische irenäische Fassung zur Grundlage seiner Darstellung genommen und mit polemischen Kommentaren sowie durch Einbettung in ein eigenes Argumentationskonzept zu einer eigenständigen Widerlegungsschrift weitergeführt hat.29 Tertullians Rezeption lässt sich in der Analyse der Narratio explizit nachweisen, während sich im Exordium ein indirekter Einfluss zeigt. Die Analyse belegt, dass Tertullian das irenäische Werk in Gänze kannte, allerdings lediglich die Narratio von Adv. Val. in direkter literarischer Abhängigkeit zu den Paragraphen 1–7 und 11 f. des ersten Buches von Irenäus steht. Grundlegend fällt auf, dass zum einen bei Tertullian sämtliche Passagen zur valentinianischen Bibel-Exegese fehlen, die Irenäus immer wieder in seine Darstellung einflicht und auch (polemisch) diskutiert.30 Zum anderen zeigen sich in manchen Passagen Differenzen in der Reihenfolge und Auswahl der Darstellung. Zudem sind schwer(er) verständliche Textstellen zu diskutieren, die häufig versucht worden sind, vom irenäischen Text her zu erhellen. Entsprechend der vorliegenden überlieferungsgeschichtlichen Annahmen ist dieses Vorgehen vorsichtig zu verwenden. Ein von Adv. Val. ausgehender synoptischer Textvergleich und anschließende Analyse stehen noch aus und können auch in dieser Arbeit nicht geleistet werden. An dieser Stelle soll die grundlegende Rezeption des irenäischen Texts in Adv. Val. knapp nachgezeichnet werden und bei signifikanten Differenzen, die über eine Variation der Reihenfolge des gebotenen Stoffes hinausgehen, diskutiert werden, ob sich diese als tertullianische Polemik erklären lassen, ob entsprechend des überlieferungsgeschichtlichen Vorbehalts eine getreuere Überlieferung Tertullians anzunehmen ist oder aber ob für Adv. Val. eine weitere (valentinianische oder anti-valentinianische) Quelle zu konstatieren ist. Textblöcke ohne irenäische Parallel (z.B. das gesamte Exordium) finden sich lediglich in Fußnoten. 29 Vgl. die jeweiligen textkritischen Diskussionen im Kommentar; an einigen Stellen ist es angezeigt, dem handschriftlichen Befund ohne eine Änderung, die vom irenäischen Text her inspiriert ist, zu folgen. Dass die handschriftliche Überlieferung allerdings an vielen Stellen auch problematisch zu bewerten ist, zeigen beispielhaft einige Namensvariationen, die auf die Unkenntnis der Schreiber hindeuten: So findet sich der oberste Äon Bythos in verschiedenen Variationen auch innerhalb der einzelnen Handschriften überliefert (Bythos [8,1; 35,1], bythio(n) [7,3 f.; 33,1; 34,1], bythios [7,6; 8,1], by/itthios [7,4], Bithos [8,1], Ambythion [7,3]). Eine ähnliche Varianz zeigt sich beim Namen Ptolemäus (ptholomaeus/um [4,2; 19,2], tholomaeus [4,2; 20,3], thlomeifae [8,4], tholomei/um [12,4; 19,2], pholomei [12,4], tholomaei [33,1], ptholomei/us [20,3; 33,1]) oder der unteren Weisheit Achamoth (Achamoth [14,1 f.; 16,2; 19,1; 25,1; 27,3; 30,3; 31,1], achamota [17,1; 18,2], achamata [17,1], Achamotha [17,1; 25,1], chamot(h) [19,2; 20,2; 31,1]). Die irenäische Parallele ist z.B. auch für eine Änderung des handschriftlichen fehlerhaften Befundes in 30,1 (essentia in scientia), in 36,2 (vera statt vero) und in 38 (Einfügung eorum) hilfreich. Weitere Beispiele führt auch Chiapparini an (DERS., Valentino Gnostico, 53 Anm. 15). 30 Vgl. Adv. Haer. I 1,3; 3,1–6; 8,1–5.
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9.2.2.1. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Inspirationsquelle für das Exordium Die Analyse des Exordiums zeigt, dass Irenäus’ Werk als Inspirationsquelle gedient hat, ohne dass eine direkte literarische Abhängigkeit besteht. So finden sich die Charakterisierung der valentinianischen Lehre als fabula – entsprechend 1Tim 1,4 – und Einordnung des valentinianischen Treibens als μυστήριον auch bei Irenäus.31 Allerdings führt Tertullian diesen Vergleich mit einem Mysterienkult, namentlich den von Eleusis, aus und markiert damit für seine Leserschaft nicht nur grundsätzlich die Charakterisierung der Valentinianer, sondern funktionalisiert diesen Vergleich für sein Argumentationskonzept der Schrift, während Irenäus diese Zuordnung innerhalb der Lehrdarstellung benennt. Adv. Haer. III 15,2 bietet mehrfach Inspiration: Nicht nur die als Diatribe stilisierte widerlegende imaginierte Begegnung zwischen Christen um Tertullian bzw. der Leserschaft des Werkes und den Valentinianern in Adv. Val. 1,4 benennt ähnliche Gedanken – im Kontext der Schriftauslegung finden sich zudem weitere Gedanken in Adv. Haer. IV 35,4, die auch in Adv. Val. verarbeitet sind –, sondern auch der valentinianische Vorwurf, die zur Kirche gehörenden und in Irenäus’ Augen von den Valentinianern verführten Christen seien simplices, findet sich dort. Diesen gestaltet Tertullian in Adv. Val. allerdings grundlegend aus, nutzt diesen Gedanken für eine praemunitio und spielt mit den Bedeutungsnuancen von simplex, sodass am Ende die Zuordnung der zum ‚wahren Glauben‘ gehörenden Christen, positiv gewertet wird (Adv. Val. 2 f.). Der von Tertullian herangezogene Bildvergleich mit den beiden Tieren, Schlange und Taube, findet sich bei Irenäus als einfacher Vergleich in Adv. Haer. V 19,1. Auch hier liegt also eine eigenständige Ausarbeitung Tertullians vor, der diese angelegten Ideen und Bilder für seine Widerlegung fruchtbar macht. Im weiteren Exordium finden sich keine Parallelen mehr zum irenäischen Text. Vielmehr führt Tertullian in 4,1 f. gerade Lehrdifferenzen zwischen Valentin und Ptolemäus an sowie Informationen zur Person Valentins, die bei Irenäus nicht überliefert sind. 9.2.2.2. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Varianz der Reihenfolge des Dargestellten Tertullians Narratio weist dagegen eine literarische Abhängigkeit von der ursprünglichen irenäischen Fassung auf. Ein Problem betrifft dabei die Struktur des rezipierten Texts des Bischofs von Lyon sowie die Reihenfolge und Auswahl der tertullianischen Darstellung. Irenäus selbst gliedert in der praefatio 1 31 Vgl. Adv. Haer. I praef. sowie I 4,3; in III 15,2 schwingt diese Zuordnung mit, ohne von Tertullian expliziert zu werden (SC 211, 280,42 f. ROUSSEAU/DOUTRELAU): [...] his separatim inenarrabile Plenitudinis suae enarrant mysterium.
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zum zweiten Buch seiner Widerlegung die vorliegende Passage; mit Thomassen lässt sich diese nach der heutigen Paragraphenzählung als Texteinheiten von I 1,1–9,5 sowie I 10,1–12,4 deuten.32 Hauptsächlich aus inhaltlichen Gründen wird häufig eine Zäsur nach I 8,5 bzw. 9,5 angenommen.33 Mit diesem diskutierten Problem über den Umfang des irenäischen Texts korreliert die Rezeption Tertullians. Rezipiert Tertullian zum einen in Adv. Val. 7–32 Adv. Haer. I 1,1–7,5 mit Ausnahmen der allegorischen Interpretation in I 1,3; 3,1–3,6; 8,1–5, von Irenäus’ polemischer Deutung zur Ethik in Teilen von 6,1–4 sowie von Aussagen zum Demiurgen (7,3b; 7,4a), nimmt er zum anderen in Adv. Val. 33–39 Adv. Haer. 11 f. mit Ausnahme der Lehrdarstellung Valentins (11,1) sowie der irenäischen Polemik (11,4; 12,2) auf. Letzterer Textblock differiert nicht nur in Reihenfolge und Aufbau, sondern wird auch explizit in Adv. Val. 33,1 als Lehre der Schüler des Ptolemäus eingeführt. Irenäus referiert in Adv. Haer. I 11 allerdings zunächst die Lehre Valentins – die bei Tertullian ersatzlos fehlt –, diejenige von Sekundus, der in dieser Reihung wie ein direkter Schüler Valentins wirkt, sowie diejenige eines anonymen weiteren Lehrers und einer anonymen Gruppe, während erst in I 12 Lehren der Schüler des Ptolemäus angeführt werden.34 Zwei Erklärungen für Tertullians von Irenäus abweichender Darstellung sind denkbar: (1) Entweder liegt Tertullian tatsächlich eine andere Quellengrundlage vor als diejenige, die der erhaltene irenäische Text heute liest, und er überliefert einen ursprünglicheren Text als die heute erhaltenen Fassungen von Adv. Haer., ohne dass damit eine sichere Aussage über den historischen Gehalt getroffen wäre. Dies würde erklären, warum die Lehrdarstellung zu Valentin fehlt; ein Interesse an dieser Person und Lehre bezeugt Tertullian in Adv. Val. 4. Und es würde vermutlich ein Zusammenhang mit der unbekannten Quelle bestehen, aus der Tertullian von der Lehrdifferenz zwischen Valentin Iren., Adv. Haer. II praef. 1 (SC 294, 22,2–7 ROUSSEAU/DOUTRELAU): ostendimus tibi, dilectissime, omne ab his qui sunt a Valentino per multos et contrarios modos adinventum esse falsiloquium; etiam sententias exposuimus eorum qui priores exstiterunt, discrepantes eos sibimetipsis ostendentes, multo autem prius ipsi veritati. Vgl. THOMASSEN, Spiritual Seed, 11–13. 33 Vgl. bereits oben Anm. 21 sowie zur Frage des Umfangs der sogenannten grande notice die Zusammenstellung des Befunds sowie ein Lösungsversuch bei MARKSCHIES, Grande notice, 31–49. Die Edition von Rousseau und Doutrelau deutet den Abschnitt von I 1,1–9,5 (SC 263, 116–130) und grenzt sich damit von Sagnard ab (vgl. auch aaO., 116 Anm. 1). Markschies zeigt auf, dass Epiphanius, der analog zum Beginn dieses Abschnitts des ersten Buchs, das er ohne Überleitung an die praefatio anschließt, den Abschnitt bis zum Ende des 11. Kapitels zitiert, als „indirekter Zeuge des verlorenen griechischen Originals einschlägig“ ist und wertet die lateinische Bemerkung et Ptolemaeus quidem ita in Adv. Haer. I 8,5 als nachträgliche Glosse (vgl. aaO. mit Kommentierung der eigenen Neubewertung des Befunds: 53 mit Anm. 89). 34 Vgl. dazu die Gegenüberstellung im Kommentar. 32
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und Ptolemäus berichten kann (4,2) und die in keiner weiter erhaltenen, unabhängigen Quelle bestätigt wird. Die Annahme einer eigenständigen anderen Quelle würde auch die Tatsache erklären, dass dennoch Sekundus, die Lehre eines anonymen Lehrers und einer anonymen weiteren Gruppe referiert werden. Offen bliebe allerdings, um welche der verschollenen, aber in 5,1 angeführten, oder aber ganz unbekannten Quellen es sich handelt und in welchem Verhältnis diese zum heute erhaltenen irenäischen Text steht. (2) Daher ist andererseits eher denkbar, dass Tertullian die ihm durch Irenäus’ Text bekannte Anlage bewusst anders anordnet. 35 Dafür sprechen nicht nur die in weiten Teilen textliche Parallelität zum irenäischen Text – für eine ansonsten unbekannte dritte Quelle müsste man eine zusätzliche literarische Abhängigkeit annehmen –, sondern auch inhaltliche Gründe: Denn die von Tertullian vorgenommene Differenzierung der Lehrzuschreibung in Adv. Val. 33–39 an Schüler des Ptolemäus, die dessen Lehre weiterentwickelt haben, impliziert die Zuschreibung der Lehre in Adv. Val. 7–32 an die Schüler des Ptolemäus, die seine Lehre bewahrt haben.36 Die von Tertullian vorgenommene Neuanordnung der Lehrvarianzen würde aus dieser Perspektive die irenäische Darstellung ‚korrigieren‘. Das Fehlen Valentins würde sich aus der Intention erklären, im Fortgang der Darlegung und entsprechend des argumentativen Konzepts der reductio ad absurdum37 die Lehre der Stifterperson nicht mehr in einer historisch nicht korrekten Reihenfolge zu referieren. Letztlich entspricht es Tertullians Intention einer polemisch widerlegenden Darstellung, deren Prägnanz auch in der Kürze der Darstellung liegt und der eine historisch korrekt formulierende Darlegung nachgeordnet ist, wie es sich beispielsweise auch in der verkürzenden Formulierung bei der Namensnennung Ptolemäus’ in Adv. Val. 7–32 für seine Schüler oder aber Valentin für die Valentinianer im weiteren Œuvre außer Adv. Val. zeigt.38 Auch in der Lehrdarstellung der von den Schülern bewahrend tradierten Lehre des Ptolemäus in Adv. Val. 7–32 finden sich im Vergleich mit dem 35 Auch Chiapparini kommt bei literarkritischen Überlegungen zur These, dass Tertullian das von Irenäus bekannte Material „in seiner eigenen Sensibilität reorganisiert“ (DERS., Valentino Gnostico, 30). 36 Vgl. dazu bereits 8.2. 37 Vgl. Kapitel 5. 38 Chiapparini deutet die im Vergleich mit Irenäus kürzere Darstellung auch als Orientierung Tertullians an seiner Leserschaft und als ein Vorbeugen vor zusätzlicher Verwirrung (DERS., Valentino Gnostico, 46). Dagegen ist anzuführen, dass die Gesamtstruktur von Adv. Val. eine im Verlauf ‚Fahrt aufnehmende‘, die Leserschaft in Staccato-Erzählungen herausfordernde Darstellung ist, die argumentativ in der reductio ad absurdum endet. Chiapparini betont daneben selbst, dass es Tertullians Stil entspricht, mit einer „Vielfalt an Farben und Tönen“ so manchen irenäischen Gedanken ironisch, polemisch auszumalen („La varieta di toni e colori si lega ad uno dei tratti peculiari dello stile tertullianeo, cioe l'abilita nel ricorrere ai linguaggi settoriali con effetti anche caricaturistici.“ ebd.).
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irenäischen Text Umstellungen, die insbesondere die Widergabe der christologischen Vorstellungen betreffen.39 Kleine Änderungen finden sich in der Anführung der Beinamen von Äonen. So nennt Tertullian z.B. Horos’ Charakterisierung durch seine Epitheta Crux, Lytrotes und Carpistes bereits bei der ersten Nennung in 9,3 sowie Circumductor/Metagogea und Horothetes in 10,3.40 9.2.2.3. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Personifizierung und Genealogie-Vorstellungen als Zuspitzung tertullianischer Polemik Eine prägnante inhaltliche Differenz zum irenäischen Text trägt Tertullian ein, indem er in seiner Polemik der Darstellung der mythologisch verfassten, valentinianischen Lehre die Personifizierung der handelnden Akteure bzw. göttlichen Aspekte zuspitzt. Entsprechend der Notiz in Adv. Val. 4,2, nach der die Lehrdifferenz zwischen Valentin und Ptolemäus bei Letzterem als das Verständnis der Äonen als personales substantiae außerhalb der Gottheit charakterisiert wird, führt Tertullian in 7,3 die Namensnennung des obersten Äonen, d.h. des ersten Aspekts der Gottheit sowohl substantialiter als „vollendeten Äon“ (Αἰῶνα Τέλειον) als auch personaliter mit den drei auch bei Irenäus angeführten Namen „Vorvater“ (Προπάτορ), „Voranfang“ (Προαρχή) und „Abgrund“ (Bythos) ein.41 Diese Differenzierung in substantia und persona ist lediglich bei Tertullian bezeugt. Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Entweder trägt diese Systematisierung seine Handschrift und die Historizität in der Lehrdifferenzaussage in 4,2 ist um diese Notiz zu verringern, oder aber diese Differenzierung der Bezeichnungen der Gottheit in 7,3 ist als Explikation der in 4,2 verarbeiteten Information zu werten. Denkbar wäre auch eine Mischform, dass Tertullian, von dieser Information inspiriert, diese Differenzierung selbstständig in 7,3 einträgt. Eine Formulierung in 7,5 ergänzt diesen Befund: Wenn Tertullian den zweiten Aspekt der Gottheit als „eine zweite Person in ihm und mit ihm“ einführt (secundam in ipso et cum ipso personam), klingt in in ipso et cum ipso noch die Emanationsvorstellung an, wie sie auch Irenäus formuliert,42 die allerdings mit der rahmenden, polemischen Zuspitzung in der Personifizierung verloren ginge. Diese Lesart spricht dafür, persona doch als Mittel der tertullianischen Polemik einzuordnen.43 Vgl. dazu im Einzelnen den jeweiligen Kommentar insbesondere zu Adv. Val. 24–32. Auch die Bythos zugeordneten Namen Propator und Proarche finden sich bei Irenäus in umgekehrter Reihenfolge, ohne dass diese Beobachtung für eine weitere Quelle für Tertullians Werk spricht. 41 Als polemische Bemerkung ist der Hinweis auf die exceptio personarum, also aller Äonen außer Nus in 9,1 zu werten. 42 Adv. Haer. I 1,1: δ’ αὐτῷ/cum ipso. 43 Dieser personifizierten Vorstellung entspricht die teilweise sehr reale Nachzeichnung der Sexualisierung für das im Hintergrund stehende philosophische Konzept der Emanation (vgl. dazu den Kommentar zu Adv. Val. 7–13). 39
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Dass die Personifizierung in ihrer Zuspitzung als tertullianische Polemik einzuordnen ist, stützt eine zweite Beobachtung, die teils in Differenz zum irenäischen Text steht, teils diesem entspricht: Der oberste Aspekt der valentinianischen Gottheit, als Bythos personifiziert, erhält in Adv. Val. 7,3 den weiteren Namen „Vorvater“. Erst die Emanation der obersten beiden Aspekte, das Denken (Nus), von Urgrund Bythos und Schweigen Sige, wird als eigentlicher Vater alles folgenden Werdens eingeführt (7,6).44 Allerdings fällt die Formulierung ita et ipse pater ins Auge (7,6), mit der Tertullian die Parallelität in der Bezeichnung von Nus und Bythos markiert, ohne auf die Differenzierung des Verständnisses der jeweiligen Vaterschaft einzugehen 45 – in der genealogischen Vorstellung ist Bythos Vater von Nus und Nus als „Anfang“ (initium; 7,5) derjenige der weiteren Äonen. Es fällt auf, dass in dieser Darstellung der Emanation der obersten Aspekte der Gottheit Tertullian und Irenäus in ihrer Wortwahl voneinander differieren. So spricht Tertullian in 7,5 von Nus, der „seinem Vater äußerst ähnlich und gleich ist“ (Nus est simillimum patri et parem per omnia), während Irenäus diese Passage deskriptiver als denjenigen, „der ihn emaniert hat“, formuliert; allerdings kann Irenäus im Folgenden auch schreiben, dass Nus „die Größe des Vaters“ erfasst.46 Diese Rede des Vaters von Nus entspricht einem genealogischen Verständnis auf mythologischer Ebene.47 Für Tertullian zeigt sich der Befund, dass er von Bythos konsequent auch aus Perspektive der anderen Äonen als „Vater“ spricht und das linear gedachte, genealogische Verständnis damit durchbricht; das Bild bei Irenäus, der in dieser Perspektive sowohl von „Vater“ als auch von „Vorvater“ schreibt, ist an dieser Stelle diffuser.48 Eine gewisse Verflüssigung dieser Differenzierung Vgl. Iren., Adv. Haer. I 1,1. Irenäus führt „Vater“ als Namen von Nus in der Aufzählung an (Adv. Haer. I 1,1: τὸν δὲ Νοῦν τοῦτον καὶ Μονογενῆ καλοῦσι, καὶ Πατέρα, καὶ Ἀρχὴν τῶν πάντων [...]. πατέρα πάντων τῶν μετ’ αὐτὸν ἐσομένων). 46 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 1,1 τῷ προβαλόντι sowie τὸ μέγεθος τοῦ Πατρός; dem entspricht Tert., Adv. Val. 7,6 magnitudinem patris. 47 Vgl. Adv. Val. 9,1 im Vergleich mit Adv. Haer. I 2,1 und Tertullians Formulierung in 8,1, dass die Äonen zur Verherrlichung des Vaters emaniert worden sind (in patris gloria fruticasset), korrespondiert mit der ebenfalls uneindeutig formulierten irenäischen Notiz (Adv. Haer. I 1,2: εἰς δόξαν τοῦ Πατρὸς προβεβλημένους); allerdings lässt sich Nus’ Perspektive annehmen, der seinen Vater durch Emanationen ehrt. 48 Von Propator schreibt Irenäus z.B. in I 2,1 (Τὸν μὲν οὖν Προπάτορα αὐτῶν; τοῦ προειρημένου Προπάτορος αὐτῶν ἀγαγεῖν). Tertullians Version in Adv. Val. 12,2 (hymnis patrem) entspricht ὑμνῆσαι τὸν Προπάτορα (Adv. Haer. 2,6) und Jesus gilt zwar bei Tertullian als Emanation aller Äonen „zur Ehre und Ruhm des Vaters“ (Adv. Val. 12,4), während Irenäus den Namen Bythos verwendet (Adv. Haer. 2,6: προβλήματα εἰς τιμὴν καὶ δόξαν τοῦ Βυθοῦ). Uneindeutig mit Blick auf die Identität des Vaters wird in Adv. Val. 8,1 formuliert, bei der die Äonen die Aktanten sind (gestientes et ipsi tale quid patri de suo offerre); diese entspricht der irenäischen (Adv. Haer. I 1,2: βουληθέντας καὶ αὐτοὺς διὰ τοῦ ἰδίου δοξάσαι τὸν Πατέρα) und klärt sich aus der mythosimmanenten Logik. 44
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folgt bei Irenäus besonders im Kontext der Darstellung über das Ergehens Sophias und der Restitution des Pleromas; Tertullian spricht von Bythos durchgehend vom „Vater“ der Äonen.49 Dazu kommen zwei Passagen, deren Übertragung inhaltliche Verschiebungen aufweisen: Irenäus konstatiert in Adv. Haer. I 2,1, dass Sige Nus nach Willen des Vaters zurückhält, und meint damit ein genealogisches Verständnis von Nus und Bythos, während Tertullian diese Passage auf die Gruppe der Valentinianer an sich bezieht und das Bild des Vaters – in einer sehr uneindeutigen Formulierung – dahingehend öffnet. Ähnlich verhält es sich in Adv. Val. 11,1, wenn Nus als von der Sorge um den Vater befreit wirkt; bei Irenäus findet sich hingegen die Information, dass Nus nach der Klugheit des Vaters handelt. Dieser Durchgang zeigt eine Verschiebung, die sich vom irenäischen Text hin zur Darstellung Tertullians vollzieht. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, die personifizierte Vorstellung der im Pleroma agierenden Äonen und ihre genealogische Abfolge lediglich als Polemik Tertullians zu markieren. Die Verflüssigung in Irenäus’ Fortgang der Erzählung lässt sich am ehesten so einordnen, dass diese Vorstellungen im valentinianischen Mythos selbst angelegt sind. Tertullian reizt diese mythosimmanente ‚Familien-Vorstellung‘ aus, indem er von pater sowohl strikt genealogisch mit Blick auf Nus als den direkten Sohn Bythos’ spricht. Er verwendet diese Zuschreibungskategorie allerdings auch für alle Äonen, um diese Vorstellung auch für die Gruppe der Valentinianer zu öffnen – dem entspricht die Vorstellung von Sige als „Mutter der Häretiker“ (9,1). Auf einer strukturellen Ebene schafft er mit dieser polemischen Zuspitzung Verwirrung bei seiner Leserschaft und intendiert auch damit die Ablehnung dieser Lehrvorstellungen. Dieser Zuspitzung entspricht die Kategorie der Personifizierung, die Tertullian ohne irenäische Vorlage als Deutung in den Mythos einträgt.
49 In Adv. Val. 9,2 sind alle Äonen in schweigender Begierde nach ihrem Vater, d.h. Bythos, den Irenäus als „Hervorbringer ihres Samens“ umschreibt (Adv. Haer. I 2,1: τὸν προβολέα τοῦ σπέρματος αὐτῶν). Während bei Tertullian im gleichen Abschnitt Sophia hervorstürzt, um den Vater, d.h. Bythos, zu suchen, umschreibt Irenäus diesen als „vollkommenen Vater“ und mischt dabei das Charakteristikum Bythos’ mit seinem Status als VorVater (Adv. Haer. I 2,2: τῷ Πατρὶ τῷ τελείῳ; Irenäus spricht aber auch von der Suche des Vaters als Leidenschaft [ζήτησιν τοῦ Πατρός]). Beide sprechen mit Blick auf Sophias Intention und ihrer Errettung vom Vater (Adv. Val. 9,3 f.; Adv. Haer. I 2,2) und formulieren auch bei der Wiedergabe der zweiten Variante des Sophia-Mythos parallel (die Beschreibung des Vaters als Sehnsuchtsorts Sophias in Adv. Val. 10,1 hat keine Parallele bei Irenäus). Auch Irenäus schreibt von der „Erkenntnis des Vaters“, welche die Lehre Christi den Äonen eröffnet (Adv. Haer. 2,5: τὴν τοῦ πατρὸς ἐπίγνωσιν; Adv. Val. 11,2: agnitio patris). Und auch den Inhalt der Lehre überliefern beide einheitlich (Adv. Val. 11,3 f.; Adv. Haer. I 2,5). Parallel sprechen die Zusammenfassungen in Adv. Val. 13,1 (desiderio patris) und Adv. Haer. I 3,1 vom Vater.
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Kapitel 9: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
9.2.2.4. Tertullians Rezeption des irenäischen Werkes: Zusammenfassung Im Ganzen zeigt ein Vergleich der irenäischen und der tertullianischen Darstellungen, dass sich bei Tertullian in der Narratio keine Gedanken der Lehre finden, die substantiell nicht auch von Irenäus bezeugt werden.50 Die Unterschiede betreffen Reihenfolge, Form und Stil der Darstellung. Während Irenäus scheinbar „objektiver“51 berichtet, die Lehre dabei deutlich ausführlicher darstellt und auch Bibelauslegungen diskutiert, findet sich bei Tertullian eine sehr kurzweilige und unterhaltsame Darstellung, die jeden valentinianischen angeführten Gedanken mit einer eigenen polemisch-ironischen Interpretation kommentiert;52 diesem entspricht sein argumentatives Gesamtkonzept.53 In Tertullians Darstellung wird seine rhetorische Ausbildung sichtbar, die er für die erheiternde Widerlegung der valentinianischen Lehre fruchtbar macht. Tertullian bietet ein Werk, das der „Erzählkunst“ verpflichtet schnell und kurzweilig ist und zugleich „mit didaktischem Zweck“ das Wesentliche zum Verstehen der Lehre benennt und betont.54 Auf diesem Hintergrund lässt sich auch von einer Weiterführung der irenäischen Darstellung sprechen, bei denen je verschiedene Intentionen leitend sind. 9.2.3. Miltiades und Proculus Über Miltiades und Proculus liegen historisch wenig gesicherte Informationen vor. Insbesondere finden sich keine weiteren Spuren der von Tertullian implizierten antivalentinianischen Schriften. Euseb und Hieronymus bezeugen einen Miltiades, der im 2. Jahrhundert literarisch sowohl an antimontanistischer als auch apologetischer Front gewirkt hat. 55 Beide Autoren erwähnen die von Tertullian implizierte, gegen die 50 Vgl. bereits H ARNACK, Zur Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus, 1873, 61 f.65. Anders geht Chiapparini von einer weiteren Quelle aus (DERS., Valentino Gnostico, 29). 51 Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 21. 52 Die fehlende Darlegung und Widerlegung der valentinianischen Schriftauslegung bei Tertullian deutet Fredouille als „eine systematische Beseitigung aller Entwicklungen“, um ohne allegorische Diskussionen eine lebhafte Widerlegung verfassen zu können. Schließlich erweise sich das „gewählte literarische Genre selbst als inkompatibel mit dem Respekt vor den Heiligen Schriften.“ (DERS., Contre les Valentiniens, 22 f. „Tertullien a supprimé systématiquement tous les développements relatifs aux lieux scripturaires sur lesquels s’appuyaient les valentiniens pour justifier tel ou tel aspect de leur doctrine [...]. Le genre littéraire choisi se révélait incompatible avec le respect dû aux Écritures.“). 53 Vgl. Kapitel 5. und 6. der Einleitung. 54 D ERS., Contre les Valentiniens, 23. („Plus que son devancier, le Carthaginois sait éviter longueurs ou redites, connaît l’art de donner au récit un rythme rapide et soutenu, tout en soulignant, à des fins didactiques, les articulations essentielles.“) 55 Eus., H.e. V 17,1.5; Hier., Vir. ill. 39. Hieronymus berichtet von jenem Werk gegen die Montanisten, einer Apologie sowie einer Schrift gegen Griechen und Juden. Mader
9.2. Auf welche Schriften seiner Vorgänger rekurriert Tertullian?
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valentinianische Lehre gerichtete Schrift oder auch Einstellung nicht. Allerdings führt Euseb Miltiades ebenfalls in einer Reihung angesehener Theologen neben Justin an.56 Möglicherweise ist der bei Euseb und später Hieronymus genannte Miltiades identisch mit dem bei Tertullian angeführten, schließlich widersprechen sich die Quellen in ihrer Charakterisierung und Zuschreibung nicht.57 Keine der bezeugten Schriften von Miltiades sind überliefert. Tertullian charakterisiert Miltiades als „Sophist der Kirchen“ (sophista ecclesiarum; Adv. Val. 5,1) und impliziert in einer Reihung von Theologen eine positive Würdigung und Wertschätzung Miltiades’ als rhetorisch gewandten Philosophen, der im Kontext der christlichen Gemeinden wirkte. Tertullians Nennung Militades’ an dieser Stelle impliziert zugleich den Schluss, dass dieser die Valentinianer einst zum Schutz des eigenen christlichen Glaubens bekämpft hat.58 Für Tertullian ist es kein Widerspruch, von den verschiedenen argumentiert dafür, dass Miltiades, der im Zusammenhang mit der anonymen Quelle gegen die Montanisten bei Euseb zitiert wird, als Autor der Epiphanius’ Bericht (Pan. 48,1–15) zugrunde liegenden Quelle anzunehmen ist (MADER, HEIDRUN E., Montanistische Orakel und kirchliche Opposition. Der frühe Streit zwischen den phrygischen „Neuen Propheten“ und dem Autor der Vorepiphanischen Quelle als biblische Wirkungsgeschichte des 2. Jh. n. Chr. [Novum testamentum et orbis antiquus 97], Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 142–144). Gegen die Interpretation von Eus., H.e. V 16,3, die den dort genannten Miltiades als Teil der montanistischen Gruppe bewertet, bietet Mader eine Übersetzung des griechischen Texts, die Miltiades analog zur folgenden Einführung (V 17,1–5) als antimontanistischen Autor versteht (aa.O., 116). 56 Eus., H.e. V 28,4. Zudem wäre Miltiades nach der genannten chronologischen Einordnung in die Regierungsjahre Marc Aurels (vgl. HARNACK, Geschichte der altchristlichen Literatur I/1, 256; DERS., Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius. Teil II: Die Chronologie. Band 1: Die Chronologie der Literatur bis Irenäus nebst einleitenden Untersuchungen, Leipzig: Hinrichs 21958, 361 f.), Zeitgenosse Justins – und damit auch Tatians und Valentins – gewesen und sein Werk wäre zwei Jahrzehnte vor Irenäus’ Widerlegung entstanden (vgl. auch MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 383 f.). Harnack schließt aus dieser Reihung, dass Miltiades’ antivalentinianische Schrift „nicht so umfangreich wie das Werk des Irenäus [gewesen ist; SMK] – das allein lässt sich über das verlorene Buch bemerken“ (aaO., I/1, 255). 57 Es ist zu klären, ob sich ein Zufall der Namensgleichheit vorfindet, wenn Eus., H.e. V 16,3 so zu verstehen ist, dass die phrygische Sekte sich auf ihren Anführer Miltiades beruft (so z.B. TABBERNEE, WILLIAM, Fake Prophecy and polluted Sacraments ecclesiastical and Imperial Reactions to Montanism [Supplements to Vigiliae Christianae. Texts and Studies of Early Christian Life and Language 84], Leiden/Boston: Brill 2007, 13) oder aber ob die von Mader vorgetragene Änderung der Übersetzung des griechischen Texts gilt, die Miltiades analog zur folgenden Einführung (V 17,1–5) als antimontanistischen Autor versteht (vgl. DIES., Montanistische Orakel, 116; vgl. auch Kap. 3 Tertullian – Konturen eines gebildeten und rhetorisch versierten Christen aus Karthago, Anm. 16). Mader müsste allerdings die für eine solche Übersetzung äußerst ungewöhnliche Satzstellung erklären. 58 Eindeutig pejorativ nutzt Tertullian sophista in Anim. 3,3; Idol. 9,7 und Ieun. 7,7 (vgl. bereits Tat., Orat. 25,3; 35,1; Iren., Adv. Haer. IV 1,1; 2,1; V 20,2 u.ö.). In Apol. 47,2 und Anim. 28,2 kann durchaus die Bedeutung Philosoph indiziert sein (positive Deutung bei
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Kapitel 9: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
Gemeinden im Plural zu sprechen (ecclesiae) – er schreibt auch explizit von den apostolischen Gemeinden (apostolicae ecclesiae)59 –, die in der einen Kirche, der authentica ecclesia (Adv. Val. 4,1) bzw. der catholica ecclesia (Praescr. 30,2; Adv. Marc. IV 4,3) wurzeln. Daher ist der Plural an dieser Stelle nicht primär als Hinweis auf die Gesinnungsänderung Tertullians oder gar auf einen bereits vollzogenen Abfall von der einen Kirche zu deuten,60 sondern vielmehr in theologisch-ekklesiologischer Perspektive einzuordnen.61 Schließlich kann er den zugleich gegen die Montanisten wirkenden Miltiades in dieser wertschätzenden Aufzählung seiner Vorgängergeneration nennen.62 Proculus, den allein Tertullian mit Hilfe einer Beziehungsaussage einführt, schließt die Reihung der literarisch tätigen Vorfahren ab. Historisch finden sich auch zu Proculus wenig gesicherte Informationen. 63 Tertullian erwähnt in Scap. 4,5 einen Christen Proculus mit Beinamen Torpation, der in Rom nach einem Heilungswunder im Kaiserhaus gelebt hat.64 Zudem kennt Euseb einen WASZINK, Tertulliani. De Aninma, 356 f.; negative bei GEORGES, Tertullian ‚Apologeticum‘, 663). Pall. 6,2 und Adv. Val. 5,1 zeigen positive Interpretationen des Terminus an (vgl. HUNNINK, Tertullian. De Pallio, 288 f.). Dabei meint sophista einen rhetorisch gebildeten „Weisen“, der öffentlich auftrat und Reden hielt, nicht aber den Dienst eines Rhetors verübte wie z.B. Apuleius (vgl. die Reihung in Pall. 6,2 sowie Anm. 43). Ähnlich positiv werten vorliegende Stelle Chiara O. Tommasi Moreschini und FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 212; DERS., Tertullien et la Conversion, 353 Anm. 300. Claudio Moreschini stellt die These auf, dass Tertullian – ausgehend von dieser Stelle und Pall. 6,2 – zwischen einer philosophia melior, d.h. dem Christentum als sophista Christianorum, ohne selbst wesentlich eine philosophia zu sein, und der eigentlichen philosophia differenziert (DERS., Tertullianio Christianorum Sophista, 205 f.). Sophista versteht er daher näher als jemanden, der literarisch zum Schutz des eigenen Glaubens bzw. Philosophie tätig war, sodass er Tertullian letztendlich selbst als Sophisten charakterisiert (ebd.). Barnes konkludiert, dass Tertullian möglicherweise ohne Miltiades nie Apol. verfasst hätte (DERS., Tertullian, 104). 59 Praescr. 32,8; 36,1; Adv. Marc. IV 5,3 f. 60 Vgl. z.B. H ARNACK, Geschichte der altchristlichen Literatur, I/1, 263. 61 Zur Verwendung in Praescr. vgl. auch die Einführung von SCHLEYER, D IETRICH, Tertullian. De praescriptione haereticorum. Vom Prinzipiellen Einspruch gegen die Häretiker (Fontes Christiani 42), Turnhout: Brepols 2002, 201–206. 62 Anders wertet Harnack die Tatsache, der das Epitethon negativ liest und als einen Beleg für Tertullians Kenntnis der montanistischen Einstellung Miltiades’ wertet (vgl. DERS., Geschichte der altchristlichen Literatur, I/1 255 f.) – das ist auch nicht unwahrscheinlich und soll an dieser Stelle nicht bestritten werden. Lediglich die Belastbarkeit einer eindeutigen pejorativen Lesart und Einordnung sowie Konstatierung einer damit bereits vollzogenen endgültigen Abspaltung Tertullians in eine eigenständige montanistische Gemeinde soll an dieser Stelle hinterfragt werden. 63 Diese – chronologisch älteste – Nennung bei Tertullian lässt Proculus spätestens Anfang des 3. Jahrhunderts einordnen; Harnack verortet ihn in die Zeit des Bischofs Zephyrin (vgl. DERS., Geschichte der altchristlichen Literatur, I/2, 600). 64 Gemeinhin wird der in Scap. 4,5 genannte nicht mit vorliegendem Proculus noster identifiziert, vgl. z.B. BARNES, Tertullian, 70; TABBERNEE, Fake Prophecy, 69 f., vgl. zu Proculus auch LAMPE, PETER, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden
9.2. Auf welche Schriften seiner Vorgänger rekurriert Tertullian?
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Proclus (ohne ‚u‘), der als Montanist in Rom disputiert hat und Adressat des von Gaius Romanus verfassten Werks Adversus Proclum war.65 Es lässt sich keine sichere Aussage darüber treffen, ob es sich bei beiden, in Rom lokalisierten Personen um den gleichen Proc(u)lus handelt und ob der in Adv. Val. genannte mit einem (oder beiden) identisch ist, von denen der eine die latinisierte Namensform des griechischen Proklos trägt.66 Für eine Identifizierung des bei Euseb genannten Montanisten Proclus und dem in Adv. Val. angeführten lässt sich als Indiz das von Tertullian verwendete Possessivpronomen noster werten. 67 Das Possessivpronomen der 1. Person Plural, durch dessen Setzung Tertullian seine Leserschaft zugleich miteinschließt, markiert im Lateinischen weniger eine persönliche oder gar freundschaftliche Beziehung als vielmehr eine Gruppenzugehörigkeit. 68 Es wird Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe 18), Tübingen: Mohr Siebeck 21989, 284 f. In Adv. Marc. IV 7,3 rekurriert Tertullian auf Proculus, den Livius I 16,5 f. mit der Himmelfahrt Romulus’ verbindet. 65 Eus., H.e. II 25,5 f.; III 31,4 (mit einem Zitat aus jener heute nicht erhaltenen Schrift); VI 20,3. Für eine „gewisse Wahrscheinlichkeit der Identifikation“ sprechen sich aus: BARNES, Tertullian, 44 f.70; MADER, Montanistische Orakel, 126. 66 Personennamen in der Antike führt beide Namensvarianten mit Verweis aufeinander auf (vgl. Personennamen der Antike. Ansetzungs- und Verweisformen gemäß den RAK. Erarbeitet von der Bayrischen Staatsbibliothek, Wiesbaden: Reichert 1993, 476). Zur Identifikation des Proclus bei Euseb und diesem in Adv. Val. genannten vgl. u.a. BARNES, Tertullian, 44 sowie bereits HARNACK, Geschichte der altchristlichen Literatur, I/2, 600; gegen eine solche z.B. TABBERNEE, Fake Prophecy, 69 f. Tabbernee deutet noster als Ausdruck der gemeinsamen Herkunft von Proculus und Tertullian. 67 Zur Lesart noster statt des handschriftlich belegten nostra vgl. den Kommentar zur Stelle. Zur Wertung von noster als Indiz für Tertullians Zugehörigkeit zum Montanismus vgl. u.a. BARNES, Tertullian, 44; TABBERNEE, Fake Prophecy, 69. Dass sich Tertullian ab spätestens 203 nach Christus immer entschiedener der phrygischen Erweckungsbewegung um die Prophetenpersonen Montanus, Priscilla und Maxima zuwandte, gilt als sicher. Neben Selbstaussagen z.B. in Anim. 9,4, Adv. Prax. 1,7 oder Ieiun. 1,3 f. bezeugt diese Hinwendung Hieronymus (Vir. ill. 53,4.) sowie das zeitgeschichtliche Geschehen in Karthago; auch bei der im März 203 nach Christus als Märtyrerin hingerichteten Perpetua zeigen sich montanistische Züge (vgl. BREMMER, JAN N., Art. Perpetua u. Felicitas, in: Reallexikon für Antike und Christentum 27 [2016], 178–190, 182). In Tertullians Werken lässt sich dieser Orientierungsprozess ebenfalls nachzeichen; insbesondere bei ethischen Fragestellungen findet sich eine rigorosere Einstellung (vgl. z.B. die Frage, ob ein Christ aus einem anderen Grund als zur Partizipation an spectacula die Örtlichkeit dieser aufsuchen dürfe, etwa um dort handwerklich tätig zu sein und seinen Lebensunterhalt zu verdienen, erlaubt Tertullian noch mit dieser Einschränkung der Zweckbestimmung in Spect. 8,8, während er in seiner späteren Schrift Idol. 7 f. diese eindeutig verbietet). 68 Vgl. u.a. M ENGE/B URKHARD/SCHAUER, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, § 67. Bei Cicero finden sich beispielhaft Belege für diese Verwendung von noster als betonendem Ausdruck der Zugehörigkeit, vgl. z.B. in die Philosophie noster Plato (Leg. III 5; Att. IV ep. 16,3); noster Demosthenes (Tusc. V 36,103); aber auch Philo noster (N.D. I
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Kapitel 9: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
weniger eine reale Anwesenheit oder temporale Koexistenz in diesem noster bezeugt;69 vielmehr kann das Possessivpronomen als Hinweis auf das Selbstverständnis Tertullians und der Christen um ihn herum gewertet werden, das Tertullians besondere Verbundenheit zu Proculus aufgrund der montanistischen Gesinnung – gerade auch im Vergleich mit den drei zuvor genannten Theologen dieser Reihung – aufzeigt und damit das hohe Ansehen und Proculus’ Bekanntheit im eigenen karthagischen Kreis konstatiert.70 Mit dieser Interpretation des in der Theologen-Reihung Proculus hervorhebenden Pronomens korreliert die folgende Charakterisierung. Proculus zeichne „die Würde bis ins hohe Lebensalter durchgehaltener asketischer Haltung und christlicher Redegewandtheit“ (virginis senectae et Christianae eloquentiae dignitas) aus. Der positiven Deutung (dignitas)71 der Jungfrauenschaft bis ins Greisenalter entspricht Tertullians Bewertung der Ehe, wie er sie in späteren Schriften, die sich in seine montanistische Phase einordnen lassen, darlegt.72 Neben der asketischen Lebensführung – diese stellt Tertullian rhetorisch mit Hilfe einer katachretischen Umschreibung als „greise Jungfrau“ (sencta virgo)73 dar – betont Tertullian die rednerische Kompetenz von Proculus als 59.113); Polybius noster (Rep. IV 3); Aesopus noster (Fam. VII ep. 1,2) sowie mythologische Gestalten Paris noster (Att. I ep. 18,3) oder Romulus noster (Leg. II 33). Es fällt auf, dass die Nennungen von noster im Œuvre Tertullians (insgesamt findet sich das Possessivpronomen noster 47 Mal, vgl. CLAESSON, GÖSTA, Index Tertullianeus, Bd. I– III, Paris: Études Augustiniennes 1974–1975, 1052) häufig in diesem Sinne der Gruppenzugehörigkeit, insbesondere der christlichen Gemeinschaft, verwendet werden. Vgl. z.B. deus noster in Ad Nat. I 11,5; Adv. Marc. I 19,1; II 28,1 f.; IV 14,5; Resurr. 3,1; 14,5; Cor. 5,1; Scorp. 7,7; 8,6; Adv. Prax. 13,2; Virg. Vel. 11,10 und Ieun. 11,5, dominus noster in Apol. 33,1; Praescr. 20,1; Orat. 1,1 f.; Virg. Vel. 1,2, Christus noster in Orat. 6,2; Adv. Marc II 27,5, die Gebetsanrede Pater noster (deus) in Mon. 7,9; 17,1 oder auch Spiritus noster in Adv. Marc. V 15,7. Tertullian kann das Possessivpronomen zugleich ähnlich wie an vorliegender Stelle für Personen gebrauchen, deren Bekanntheitsgrad und Ansehen bei seiner Leserschaft vorausgesetzt ist, ohne dass eine temporale oder lokale Beziehung besteht: vgl. Pater noster Abraham in Mon. 6,1 sowie Caesar noster in Apol. 33,1 und Seneca noster in Anim. 20,1. 69 Diese Deutung würde vielmehr die handschriftliche Lesart nostrae virginis senectae („die Würde unserer greisen Jungfrau“) unterstreichen. Vgl. dazu auch den Kommentar zu Adv. Val. 5,1 mit Anm. 69. 70 Das stützt die These, dass Tertullian zur Abfassung des Werkes Adv. Val. bereits einer montanistisch geprägten Glaubensrichtung zugetan war, ohne dass er seiner ursprünglichen Herkunftskirche bereits endgültig den Rücken gekehrt hat. 71 Vgl. TLL Art. dignitas V/1 1136,37.44 f. (dignitas bezeichne metonymisch den dignus status hominis). 72 In Mon. 12 argumentiert Tertullian für die Monogamie des Klerikerstandes; in der Polemik liest sich sein Ansehen dieser Lebensführung heraus. Die Schrift wirbt im Ganzen gegen die Wiederverheiratung. 73 Virgo nutzt Tertullian auch zur Beschreibung von Männern, vgl. z.B. Virg. Vel. 8,3; 10,1.
9.3. Zusammenfassung: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
113
Christen (Christianae eloquentiae) 74 . Wie bereits bei der Charakterisierung von Miltiades verbindet Tertullian rhetorische Kompetenzen mit dem christlichen Glauben, sodass er die Redegewandtheit näherhin als christliche bestimmen kann.75 Die Aufzählung und Charakterisierung der angeführten Theologen der Vorgängergeneration geben insbesondere Aufschluss über Tertullians eigenes Selbstverständnis. The Montanist Proculus (hence ‚noster’) combines the subject-matter and technique of a large part of Tertullian’s later writings: Christian eloquence obsessed with virginity. But at the start of his literary career the works of Miltiades (now lost) were probably an important influence. The sobriquet ‚sophist of the churches’ will not only describe Tertullian most aptly but will also relate him to his Carthaginian backround.76
Während in der Person des Proculus Tertullians ethischer und rhetorischer Anspruch zum Ausdruck kommen sowie sein Zugehörigkeitsgefühl zur montanistischen Gruppe unterstrichen wird, verortet Tertullian Miltiades als Sophisten innerhalb der Kirche und zeigt eine Zugetanheit zu dieser gesellschaftlichen Gruppe an, die möglicherweise auch als eine Selbstverortung Tertullians verstanden werden kann.77
9.3. Zusammenfassung: Die Quellengrundlage von Adv. Val. 9.3. Zusammenfassung: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
Der Durchgang zum historischen Aussagegehalt der Quellengrundlage von Adv. Val. mündet in ein scheinbar nüchternes Fazit. Weder lässt sich konstatieren, dass Tertullian Originalschriften der Valentinianer vorgelegen haben, oder sich diese gar konkretisieren, noch lassen sich positive Aussagen über die verlorenen Schriften seiner Vorgänger Justin, Miltiades und Proculus treffen. Dass die griechische Fassung von Irenäus’ Widerlegung grundlegend in Tertullians Schrift Eingang gefunden hat, gehört zum Grundkonsens in der Forschung. Dennoch lassen kleine Beobachtungen dieses Bild differenzieren: Zunächst fällt mit Blick auf die beiden Quellentypen auf, dass Tertullian anders als für seine vier namentlich aufgeführten theologischen Vorgänger für die gnostischen Lehrer keine Namen nennt. Dies lässt den naheliegenden Schluss zu, Eloquentia gilt als Ziel der Ausbildung eines Redners und lässt diesem rhetorische Qualität zukommen (vgl. Cic., De orat. III 55; Quint., Inst. II 20,9). Tertullian verwendet diesen Terminus, der sich nur noch in Apol. 11,15; 47,3 findet, im Gegensatz zum synonymen, eher poetischen Terminus eloquium sehr selten. Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 201. 75 Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 352 f. 76 D ERS., Tertullian the Antiquarian, 6. 77 Vgl. auch 3.2. sowie oben Anm. 67. 74
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Kapitel 9: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
dass er von den Valentinianern, die er in Adv. Val. 4,2 f. aufführt, keine Schriften gelesen oder vorliegen hat, allerdings von deren Existenz weiß.78 Der Hinweis auf diese Originalschriften suggeriert mit Perspektive auf die Quellengrundlage Vollständigkeit, indem Tertullian nicht nur auf die Gattung von Schriften rekurriert, der auch sein eigenes Werk angehört. Das rhetorische Argument, dem Vorwurf der eigenen Fiktionalität vorzubeugen, verdeutlicht auch die Formulierung, diese valentinianischen Schriften als „Grenzlinie“ (limes) der eigenen Darstellung anzusehen. Letzendlich aber entspricht es nicht seiner Intention, ein historisch abgesichertes Referat der valentinianischen Lehre zu bieten, sondern deren Gedanken zu widerlegen, indem er dieser nicht nur den Charakter einer fabula zuschreibt, sondern auch die Diversität innerhalb der Gruppe herausstellt. Daneben steht die Nennung der vier Theologen seiner Vorgänger-Generation. Diese führt Tertullian aufgrund ihrer jeweiligen gegen Häresien verfassten Niederschrift an; sie markieren für ihn quasi die Zielperspektive, mit seiner Schrift ein dem Wirken der „durch Heiligkeit und Vortrefflichkeit sich auszeichnenden Männer“ (tot iam viri sanctitate et praestantia insignes) nachzufolgen, ohne dass er konstatiert, dass ihm alle Schriften als Quelle vorgelegen haben.79 Eine vergleichende Textanalyse mit der griechischen Fassung des ersten Buches von Irenäus’ Werk Adv. Haer. zeigt auf, dass dieses grundlegend in Tertullians Werk Eingang gefunden hat. Bis in die Formulierungen hinein erweist sich Tertullians Darstellung in der Narratio als – teilweise sehr wörtliche – Widergabe des griechischen Texts von Irenäus.80 Es finden sich keine Informationen im Referat der valentinianischen Lehre, die Irenäus nicht auch kennt. Ebenfalls entsprechen die Grundlinie der Interpretation und die Stoßrichtung der polemischen Widerlegung der irenäischen Fassung. Diese lässt sich als ein Fundament des vorliegenden Werkes beschreiben, das Tertullian in seinem eigenen Stil in einer akribischen und pointierten, ironischen und polemischen Widerlegung bearbeitet und kommentiert und dazu eine eigene argumentative Strategie im Exordium grundgelegt hat.81 Tertullian nimmt die ihm vorliegende griechische Quelle dabei nicht so getreu auf, wie gerne Vgl. auch 8.3. Die Autoren verbindet allerdings das literarische Wirken in griechischer Sprache. 80 Vermutlich ist Tertullian der erste, der die valentinianische Lehre ins Lateinische überträgt und zugänglich macht, was zugleich als eine weitere Indikation seiner Intention zu werten wäre. So bereits HAUCK, ALBERT, Tertullians Leben und Schriften, Erlangen: A. Deichert 1877, 275; vgl. auch JORDAN, HERMANN, Das Alter und die Herkunft der lateinischen Übersetzung des Hauptwerks des Irenaeus, Leipzig: Hinrichs 1908, 15. 81 Aus diesem Grund ist die Frage nach dem Status der von Irenäus verwendeten Quelle in Adv. Haer. I 1–8 für die Analyse des Tertullian-Texts erst sekundär interessant. („Handelt es sich eher um ein Zitat oder Zitate aus valentinianischen Schriften mit gelegentlichen Regiebemerkungen des Irenaeus oder um eine längere Paraphrase mit gelegentlichen zitierenden Einsprengseln?“. MARKSCHIES, Grande notice, 66). 78
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9.3. Zusammenfassung: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
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angenommen wird, sondern bietet bereits eine Interpretation deren (anti-)valentinianischer Perspektive für seine eigenen Zwecke.82 Nichtsdestotrotz zeigt die Analyse, dass die Informationen im Exordium – insbesondere über die Differenz von Valentin und Ptolemäus sowie zur Biographie Valentins – in keiner anderen Quelle überliefert sind. Ob Tertullian diese aus den verschollenen Werken eines Justin, Miltiades oder Proculus übernommen hat, muss im Ungewissen bleiben. Die Frage, ob und inwieweit weitere Quellenschriften dieser Männer in Tertullians Werk eingeflossen sind, ist nach vorliegender Analyse eher zu verneinen, wenn auch nicht mit abschließender Sicherheit zu belegen. Die Gliederung und Zitation der Theologen-Namen ist kein Beweis dafür, dass sich Tertullian auf diese auch literarisch rückbezieht. Allerdings geben Tertullians Formulierungen der jeweiligen Charakterisierung der vier Männer Aufschluss über seine Wahrnehmung dieser und bestätigen Aussagen anderer Quellen zu ihrer Stellung im Kontext der antiken Häresie-Bekämpfung. Während Tertullian zu Justin zwei biographische Informationen bietet und Miltiades ähnlich funktional, allerdings mit einem Bezug zu einem Tertullian ebenfalls nicht unbekannten Kontext des sophistischen Kreises charakterisiert, zollt er Irenäus in seiner Charakterisierung hohe Wertschätzung und formuliert Proculus’ Beschreibung sehr persönlich. Die Charakterisierung scheint klimaktisch auf Proculus zuzulaufen. Dem entspricht die chronologisch aufsteigende Gliederung der Namen: Miltiades ist ein Zeitgenosse Justins und diesen folgt Irenäus knapp zwanzig Jahre später nach. Proculus wäre dann der Jüngste der Reihe.83 Mit Blick auf die Analyse der Adv. Val. vorliegenden Quellenvorlage lässt sich schließen, dass Justin auch in Tertullians Kreisen als angesehener philosophisch agierender Theologe der vorherigen Generation gilt, der grundsätzlich den Kampf gegen als häretisch klassifizierte christliche Strömungen begonnen hat. Ihm folgte Miltiades nach, der sich zugleich auch antimontanistisch hervortat. Erst mit Irenäus beginnt ein Werk, das Tertullian kennt und daher authentisch mit solch lobenden Worten bedenken kann, während der Bezug zu Proculus über die gleiche montanistische Gesinnung als verbindend gedeutet wurde.84 Tertullian trifft in Adv. Val. 5,1 also keine Aussage darüber, welche Quellen ihm tatsächlich zugrunde lagen. 85 Vielmehr findet sich auch hier ein rhetorisches Moment, um das eigene
Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 47. So deutet auch HARNACK, Geschichte der altchristlichen Literatur, II/1, 361. 84 Dass z.B. Hegesipp in dieser Reihung der Vorgänger-Theologen nicht auftaucht, lässt sich zum einen als die Bestätigung der Unkenntnis Tertullians von diesem Autor deuten und zum anderen als Hervorhebung der Wichtigkeit der anderen Autoren aus Tertullians Perspektive. 85 Dies betont auch der Konjunktiv in Harnacks Darstellung: „Darnach könnte es scheinen, als ob er [d.h. Tertullian, SMK] die Werke dieser vier Männer in gleicher Weise für seine Darstellung benutzt habe.“ (DERS., Zur Quellenkritik, 1873, 61). 82
83
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Kapitel 9: Die Quellengrundlage von Adv. Val.
Vorgehen durch die Selbsteinordnung in eine Traditonskette abzusichern und die Authentizität des eigenen Wirkens herauszustellen.
Teil B
Übersetzung von Adv. Val.
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Exordium Adv. Val. 1–6 Übersetzung (1,1) Valentiniani, frequentissimum plane Die Valentinianer – der offensichtlich zahlcollegium inter haereticos, quia plurimum ex reichste Kultverein unter den Häretikern, weil apostatis veritatis et ad fabulas facile est et er zum größten Teil aus Abgefallenen von der disciplina non terretur, nihil magis curant Wahrheit besteht, einen Hang zu erfundenen quam occultare quod praedicant; si tamen Geschichten hat und durch Moralvorstellunpraedicant qui occultant. Custodiae officium gen nicht abgeschreckt wird – sorgen sich um conscientiae officium est. Confusio prae- nichts mehr, als zu verbergen, was sie öffentdicatur, dum religio adseveratur. Nam et illa lich verkündigen; wenn sie denn überhaupt Eleusinia, haeresis et ipsa Atticae supersti- etwas verkündigen, die es verbergen. Die tionis: quod tacent pudor est. Pflicht der Geheimhaltung ist die Pflicht ihres Gewissens. Verwirrendes wird verkündigt, während es mit Nachdruck als Religion behauptet wird. Denn auch jene eleusinischen Mysterien (auch sie eine Häresie, nämlich des athenischen Aberglaubens): Was sie verschweigen, gibt Anlass zur Scham. (1,2) Idcirco et aditum prius cruciant, diutius initiant, quam consignant, cum epoptas ante quinquennium instituunt, ut opinionem suspendio cognitionis aedificent atque ita tantam maiestatem exhibere videantur, quantam praestruxerunt cupiditatem. Sequitur iam silentii officium.
Deshalb erschweren sie auch zuerst den Zugang, ziemlich lange weihen sie ein, bevor sie wirklich besiegeln, wenn sie die Epopten vorher fünf Jahre lang unterrichten, sodass sie eine bloße Meinung durch Aufschieben der Erkenntnis zementieren, und dadurch so viel an Erhabenheit darzubieten scheinen, wie sie zuvor an Begierde errichtet haben. Es folgt unmittelbar die Pflicht des Schweigens.
(1,3) Adtente custoditur quod tarde invenitur. Ceterum tota in adytis divinitas, tota suspiria epoptarum, totum signaculum linguae, simulacrum membri virilis revelatur. Sed naturae venerandum nomen allegorica dispositio praetendens patrocinio coactae figurae sacrilegium obscurat et convicium falsis simulacris excusat.
Aufmerksam wird bewacht, was langsam gefunden wird. Und doch werden die ganze, im Innersten verborgene Gottheit, die ganzen Seufzer der Epopten, das ganze Siegel der Zunge offenbart: das Abbild eines männlichen Glieds. Die allegorische Darstellung aber schützt den an sich verehrungswürdigen Begriff der Natur vor, verdunkelt dadurch unter dem Schutz eines gezwungenen Bilds den Frevel und entschuldigt die Lästerung durch falsche Abbilder.
Proinde quos nunc destinamus haereticos sanctis nominibus et titulis et argumentis verae religionis vanissima atque turpissima figmenta configurantes facili claritati, ex divinae copiae occasione, quia de multis multa succidere est, Eleusinia Valentiniana
Daher schufen sie, die wir nun entschieden als Häretiker bezeichnen, indem sie mit den heiligen Begriffen, Namen und Inhalten der wahren Religion die gehaltlosesten und schändlichsten Erdichtungen an die einfache Klarheit angleichen, aus dem vorhandenen Vorrat der göttlichen Fülle (weil von Vielem Vieles abzuschneiden ist) valentinianische
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fecerunt, lenocinia sancta silentio magno, sola taciturnitate caelestia.
Eleusinien, heilige Verführungen durch das große Schweigen, durch bloße Verschwiegenheit himmlische.
(1,4) Si bona fide quaeras, concreto vultu, suspenso supercilio „altum est“ aiunt; si subtiliter temptes, per ambiguitates bilingues communem fidem adfirmant; si scire te subostendas, negant quicquid agnoscunt; si cominus certes, tuam simplicitatem sua caede dispergunt. Ne discipulis quidem propriis ante committunt quam suos fecerint. Habent artificium quo prius persuadeant quam edoceant. Veritas autem docendo persuadet, non suadendo docet.
Wenn Du gutgläubig fragst, sagen sie mit strenger Miene und erhöhter Augenbraue „Es ist tief“; wenn Du sie scharfsinnig auf die Probe stellst, bekräftigen sie den gemeinsamen Glauben durch doppelzüngige Zweideutigkeiten; wenn Du zeigst, dass Du etwas weißt, leugnen sie, was sie da wiedererkennen; wenn Du von Angesicht zu Angesicht kämpfst, zerstreuen sie Deine Einfalt durch ihre Attacke. Nicht einmal den eigenen Schülern vertrauen sie sich an, bevor sie diese zu ihren gemacht haben. Sie haben eine Kunstfertigkeit, mit der sie zuerst überzeugen wollen, bevor sie gründlich lehren. Die Wahrheit aber überzeugt durch Belehrung, nicht lehrt sie durch bloßes Zureden.
(2,1) Ideoque simplices notamur apud illos, ut hoc tantum, non etiam sapientes; quasi statim deficere cogatur a simplicitate sapientia, domino utramque iungente: Estote prudentes ut serpentes et simplices ut columbae. Aut si nos propterea insipientes quia simplices, num ergo et illi propterea non simplices quia sapientes? Nocentissimi autem qui non simplices, sicut stultissimi qui non sapientes.
Deswegen werden wir bei jenen als Einfältige bezeichnet, nur als dieses, nicht aber auch als Weise; als ob die Weisheit dazu gezwungen würde, sofort von der Einfalt abzufallen, obwohl der Herr beide verbunden hat: „Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben.“ Oder, wenn wir deswegen unweise sind, weil wir einfältig sind, sind etwa daher auch jene deswegen nicht einfältig, weil sie weise sind? Die Schädlichsten aber sind die, die nicht einfältig sind, so wie die Törichtesten die sind, die nicht weise sind.
(2,2) Et tamen malim meam partem meliori sumi vitio, si forte praestat minus sapere quam peius, errare quam fallere. Porro facies dei spectatur in simplicitate quaerendi, ut docet ipsa Sophia, non quidem Valentini, sed Solomonis. Deinde infantes testimonium Christi sanguine litaverunt. Pueros vocem qui crucem clamant? Nec pueri erant nec infantes, id est simplices non erant.
Und dennoch würde ich für meinen Teil lieber zum kleineren Übel genommen werden, wenn es tatsächlich besser ist, weniger weise zu sein als schlechter, zu irren statt zu täuschen. Sodann wird das Angesicht Gottes in der Einfalt des Suchens geschaut, wie die Weisheit selbst lehrt, nicht jedenfalls die Valentins, sondern die Salomos. Ferner haben Kleinkinder um des Zeugnisses für Christus willen ihr Blut vergossen. Soll ich diejenigen Kinder nennen, die laut das Kreuz herbeirufen? Sie waren weder Kinder noch Kleinkinder, d.h. sie waren nicht einfältig.
(2,3) Repuerescere nos et apostolus iubet secundum dominum, ut malitia infantes per simplicitatem ita demum sapientes sensibus:
Wieder zu Kindern zu werden, befiehlt uns auch der Apostel entsprechend dem Herrn, wie kleine Kinder in der Bosheit durch
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simul dedit sapientiae ordinem de simplicitate manandi.
Einfalt, so schließlich weise an Verstand: Zugleich hat er der Weisheit die Reihenfolge gegeben, von der Einfalt her zu fließen.
(2,4) In summa Christum columba demonstrare solita est, serpens vero temptare; illa est a primordio divinae pacis praeco, ille a primordio divinae imaginis praedo. Ita facilius simplicitas sola deum et agnoscere poterit et ostendere, prudentia sola concutere potius et prodere.
Im Ganzen pflegt die Taube gewöhnlich Christus darzustellen, die Schlange aber in Versuchung zu führen; diese ist von Uranfang an Ausruferin des göttlichen Friedens, jene ist von Uranfang an Räuberin des göttlichen Bildes. So wird die Einfalt allein Gott sowohl leichter erkennen als auch zeigen können, die Klugheit allein ihn eher erschüttern und verraten können.
(3,1) Abscondat itaque se serpens, quantum potest, totamque prudentiam in latebrarum ambagibus torqueat; alte habitet, in caeca detrudat, per amfractus seriem suam evoluat, tortuose procedat nec semel totus, lucifuga bestia. Nostrae columbae etiam domus simplex, in editis semper et apertis et ad lucem. Amat figura spiritus sancti orientem, Christi figuram.
Daher möge sich die Schlange verstecken, so sehr sie kann, und die ganze Klugheit auf den Irrwegen durch ihre Verstecke verdrehen; in der Tiefe möge sie wohnen, ins Lichtlose hinabdrängen, durch Wegbiegungen ihren kettenartigen Körper hindurchwälzen, gewunden vorwärtskriechen, und niemals als Ganze, das lichtscheue Untier. Bei unserer Taube ist sogar das Haus einfach, immer in den Höhen, im Freien und zum Licht gewandt. Das Bild des Heiligen Geistes liebt die aufgehende Sonne, das ist das Bild Christi.
(3,2) Nihil veritas erubescit, nisi solummodo abscondi, quia nec pudebit ullum aures ei dedere, eum deum recognoscere, quem iam illi natura commisit, quem cotidie in operibus omnibus sentit, hoc solo minus notum, quod unicum non putavit, quod in numero nominavit, quod in aliis adoravit.
Die Wahrheit errötet vor nichts, außer allein nur verborgen zu werden, da sich niemand schämen wird, ihr sein Ohr zu leihen und diesen als Gott wiederzuerkennen, den die Natur ihm bereits anvertraut hat, den er täglich in allen Werken wahrnimmt, der ihm allein dadurch weniger bekannt ist, dass er ihn nicht für den einzigen gehalten hat, dass er ihn in einer Vielzahl benannt hat und dass er ihn in anderen Dingen verehrt hat.
(3,3) Alioquin a turba eorum et aliam frequentiam suadere, a domestico principatu ad incognitum transmovere, a manifesto ad occultum retorquere de limine fidem offendere est. Iam si et in totam fabulam initietur, nonne tale aliquid recordabitur se in infantia inter somni difficultates a nutricula audisse, “Lamiae turres” et “Pectines Solis”?
Andererseits: Aus der Menge dieser Götter noch eine andere Fülle zu erfinden, von der einheimischen Macht zu einer unbekannten überzugehen, vom Offenbaren zum Verborgenen zurückzukehren, verletzt den Glauben von Grund auf. Wenn nun auch einer in die ganze erfundene Geschichte eingeführt werden würde, wird er sich etwa nicht erinnern, dass er solches in der Kindheit bei Schwierigkeiten mit dem Einschlafen von der Amme gehört hat: „Türme der Lamia“ und „Kämme des Sol“?
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(3,4) Sed qui ex alia conscientia venerit fidei, si statim inveniat tot nomina aeonum, tot coniugia, tot genimina, tot exitus, tot eventus, felicitates infelicitates dispersae atque concisae divinitatis, dubitabitne ibidem pronuntiare has esse fabulas et genealogias indeterminatas, quas apostoli spiritus, his iam tunc pullulantibus seminibus haereticis, damnare praevenit?
Aber wenn derjenige, der aus einer anderen Glaubenshaltung gekommen ist, sofort so viele Äonen-Namen, so viele eheliche Verbindungen, so viele Sprösslinge, so viele Schicksale, so viele Ereignisse, Glücks- und Unglücksfälle einer zerstreuten und zerstückelten Gottheit anfindet, wird er etwa sofort zögern, öffentlich zu sagen, dass dies die erfundenen Geschichten und unbegrenzten Abstammungsreihen sind, die der Geist des Apostels im Vorhinein verurteilt hat, da schon damals diese häretischen Samen hervorgesprossen sind?
(3,5) Merito itaque non simplices, merito tantummodo prudentes, qui talia neque facile producunt neque exerte defendunt, sed nec omnes quos edocent perdocent; utique astute, ut pudenda, ceterum inhumane, si honesta. Et tamen simplices nos omnia scimus. Denique hunc primum cuneum congressionis armavimus detectorem et designatorem totius conscientiae illorum, primamque hanc victoriam auspicamur, quia quod tanto impendio absconditur, etiam solummodo demonstrare destruere est.
Zu Recht gelten sie daher nicht als einfältig, zu Recht gelten sie nur als spitzfindig, die solches weder bereitwillig öffentlich machen noch besonders gründlich verteidigen. Aber sie belehren auch nicht alle, die sie in der Lehre haben; dies tun sie durchaus verschlagen, wenn es mit Scham besetzt ist, im Übrigen lieblos, wenn es sich um ehrenhafte Dinge handelt. Und dennoch wissen wir, die Einfältigen alles. Schließlich haben wir diesen ersten Keil des Angriffs bewaffnet: die Darlegung und Offenbarung ihrer ganzen Glaubenshaltung, und wir beginnen diesen ersten Sieg, weil bei einer Sache, die mit so großem Aufwand verborgen wird, bereits das bloße Zeigen einer Zerstörung gleichkommt.
(4,1) Novimus, inquam, optime originem quoque ipsorum et scimus cur Valentinianos appellemus, licet non esse videantur. Abscesserunt enim a conditore, sed minime origo deletur, et si forte mutatur: testatio est ipsa mutatio.
Wir kennen, sage ich, auch sehr gut ihren Ursprung und wissen, warum wir sie ‚Valentinianer‘ nennen, auch wenn sie keine zu sein scheinen. Sie haben sich nämlich von ihrem Stifter entfernt, aber der Ursprung wird keineswegs ausgelöscht, auch wenn er vielleicht verändert wird: Denn Bezeugung als solche ist immer schon Veränderung.
Speraverat episcopatum Valentinus, quia et ingenio poterat et eloquio, sed alium ex martyrii praerogativa loci potitum indignatus de ecclesia authenticae regulae abrupit, ut solent animi pro prioratu exciti praesumptione ultionis accendi.
Valentin hatte Aussicht auf die Bischofswürde, weil er sowohl durch Begabung als auch Redegewandtheit wirkte; aber er ärgerte sich, dass ein anderer durch den Vorrang des Martyriums den Rang erlangt hatte, und trennte sich daraufhin mit Gewalt von der Kirche der wahrhaftigen Glaubensregel, wie Geister, die angestachelt sind, an erster Stelle zu stehen, in ihrer Anmaßung sich rächen zu wollen, zu entflammen pflegen.
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(4,2) Ad expugnandam conversus veritatem et cuiusdam veteris opinionis semen nactus, colubro suo viam delineavit. Eam postmodum Ptolemaeus intravit, nominibus et numeris aeonum distinctis in personales substantias, sed extra deum determinatas, quas Valentinus in ipsa summa divinitatis ut sensus et affectus, motus incluserat. Deduxit et Heracleon inde tramites quosdam et Secundus et magus Marcus.
Nachdem er sich dazu entschlossen hatte, die Wahrheit zu bekämpfen, und den Samen irgendeiner alten Meinung erlangt hatte, hat er den Weg für seine Schlange skizziert. Diesen Weg hat bald darauf Ptolemäus betreten, indem er die Namen und Zahlen der Äonen in personale Substanzen geteilt hat, die aber außerhalb von Gott festgesetzt waren, während Valentin sie in der höchsten Spitze der Gottheit selbst als Gedanken, Gefühle und (Gemüts-)Bewegungen eingeschlossen hatte. Auch Herakleon hat von da aus einige Pfade abgeleitet sowie Secundus und Markus der Magier.
(4,3) Multum circa imagines legis Theotimus operatus est. Ita nusquam iam Valentinus, et tamen Valentiniani, qui per Valentinum. Solus ad hodiernum Antiochiae Axionicus memoriam Valentini integra custodia regularum eius consolatur. Alioquin tantum se huic haeresi suadere permissum est, quantum lupae feminae formam cotidie supparare sollemne est.
Theotimus war viel im Bereich der Bilder des Gesetzes tätig. So ist nirgends mehr Valentin, und dennoch existieren Valentinianer, die von Valentin abgeleitet sind. Heutzutage hält allein Axionicus in Antiochia die Erinnerung an Valentin durch die unversehrte Bewahrung seiner Lehren in Ehren. Im Übrigen steht es dieser Häresie frei, so viel hinzuzuerfinden, wie es eine Hure gewohnt ist, täglich ihr Aussehen zu verhübschen.
(4,4) Quidni, cum spiritale illud semen suum sic in unoquoque recenseant? Si aliquid novi adstruxerint, revelationem statim appellant prasumptionem et charisma ingenium, nec unitatem sed diversitatem. Ideoque prospicimus, seposita illa sollemni dissimulatione sua, plerosque dividi quibusdam articulis, etiam bona fide dicturos „hoc ita non est“ et „hoc aliter accipio“ et „hoc non agnosco“. Varietate enim innovatur regularum facies; habet etiam colores ignorantiarum.
Warum auch nicht, da sie ja jenen geistigen Samen, ihren eigenen, so in jedem einzelnen wiedererkennen? Wenn sie irgendetwas Neues hinzufügen, nennen sie die Anmaßung sofort ‚Offenbarung‘ und ihren Erfindungsgeist eine ‚Gnadengabe‘, sie sprechen nicht von Einheit, sondern von Verschiedenheit. Deswegen sehen wir schon von Weitem, wenn wir von ihrer üblichen Verstellung absehen, dass die meisten von ihnen in einigen Lehrsätzen getrennt sind und sogar gutgläubig sagen würden „das ist so nicht“ und „das verstehe ich anders“ und „das kenne ich nicht“. Durch Buntheit wird nämlich das äußere Erscheinungsbild ihrer Lehre immer wieder erneuert; es besitzt auch Farben der Unkenntnis.
(5,1) Mihi autem cum archetypis erit limes principalium magistrorum, non cum adfectatis ducibus passivorum discipulorum. Nec undique dicemur ipsi nobis finxisse materias, quas tot iam viri sanctitate et praestantia insignes, nec solum nostri antecessores sed
Ich aber werde mit den Originalschriften der ursprünglichen Lehrer eine Grenzlinie haben, nicht mit den angestrebten Anführern der überall befindlichen Schüler. Und in keiner Hinsicht wollen wir uns sagen lassen, dass wir selbst uns diese Stoffe ausgedacht haben,
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ipsorum haeresiarcharum contemporales, instructissimis voluminibus et prodiderunt et retuderunt, ut Iustinus, philosophus et martyr, ut Miltiades, ecclesiarum sophista, ut Irenaeus, omnium doctrinarum curiosissimus explorator, ut Proculus noster, virginis senectae et Christianae eloquentiae dignitas, quos in omni opere fidei quemadmodum in isto optaverim adsequi.
die schon so viele durch Heiligkeit und Vortrefflichkeit sich auszeichnende Männer – und zwar nicht nur als unsere Vorgänger, sondern auch als Zeitgenossen der führenden Köpfe der Häresie selbst – in äußerst gelehrten Schriften sowohl überliefert als auch zurückgewiesen haben, wie Justin, der Philosoph und Märtyrer, wie Miltiades, der Sophist der Kirchen, wie Irenäus, der äußerst sorgfältige Erforscher aller Lehren, wie unser Proculus, das würdevolle Beispiel einer greisen Jungfrau und christlicher Redegewandtheit; diese möchte ich in jedem Werk des Glaubens wie in diesem hier erreichen.
(5,2) Aut si in totum haereses non sunt, ut qui eas pellunt finxisse credantur, mentietur apostolus, praedicator illarum. Porro si sunt, non aliae erunt quam quae retractantur. Nemo tam otiosus fertur, stilo ut materias habens fingat.
Oder, wenn es gar keine Häresien gibt, sodass man glauben muss, dass die, welche sie zurückdrängen, die Stoffe erdichtet haben, wird der Apostel als Lügner dastehen, der sie angekündigt hat. Nun aber, wenn es sie gibt, dürften sie keine anderen sein als die, die erneut behandelt werden. Niemand ist bekannt, der so der Muße ergeben wäre, dass er beim Schreiben die Stoffe, die er bereits hat, erdichtet.
(6,1) Igitur hoc libello, quo demonstrationem solum praemittentes sumus illius arcani, ne quem ex nominibus tam peregrinis et coactis et compactis et ambiguis caligo suffundat, quomodo eis usuri sumus, prius demandabo. Quorundam enim de Graeco interpretatio non occurrit ad expeditam proinde nominis formam, quorundam nec de sexu genera conveniunt, quorundam usitatior in Graeco notitia est.
Daher werde ich in diesem Büchlein, mit dem wir lediglich eine Darlegung jenes Geheimnisses vorausschicken, damit nicht irgendjemanden der Nebel aus so fremden, gezwungenen, erfundenen und zweideutigen Namen umhüllt, zuerst angeben, auf welche Art und Weise wir diese benutzen werden. Denn für einige Namen aus dem Griechischen fällt einem keine Übersetzung ein, um die Namensform äquivalent auszudrücken; bei anderen stimmt das grammatikalische Geschlecht nicht überein; für wieder andere ist die Schreibung auf Griechisch gebräuchlicher.
(6,2) Itaque plurimum Graeca ponemus; significentiae per paginarum limites aderunt, nec Latinis quidem deerunt Graeca, sed in lineis desuper notabuntur, ut signum hoc sit personalium nominum propter ambiguitates eorum, quae cum alia significatione communicant.
Deshalb werden wir am Häufigsten die griechischen Namen schreiben; ihre Bedeutungen werden an den Seitenrändern zu finden sein, und auch für die lateinischen Namen werden die griechischen nicht fehlen, sondern supralinear aufgeschrieben werden, damit dies ein Kennzeichen für die Personennamen ist wegen der Zweideutigkeiten dieser, die mit einer anderen Bedeutung übereinstimmen.
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Quamquam autem distulerim congressionem, solam interim professus narrationem, sicubi tamen indignitas meruerit suggillari, non erit delibatione transpunctoria expugnatio. Congressionis lusionem deputa, lector, ante pugnam; ostendam sed non imprimam vulnera.
Obwohl ich aber den Zusammenstoß aufschieben will – ich hatte fürs Erste eine bloße Erzählung angekündigt –, wird es, wo immer dennoch die unwürdigen Gedanken es verdienen verhöhnt zu werden, keine Vernichtung von durchbohrender Berührung sein. Denke an ein Spiel des Angriffs, Leser, vor dem Kampf; ich werde die Hiebe andeuten, aber keine Wunden schlagen.
(6,3) Si et ridebitur alicubi, materiis ipsis satisfiet. Multa sic digna sunt revinci, ne gravitate adornentur. Vanitati proprie festivitas cedit. Congruit et veritati ridere, quia laetans, de aemulis suis ludere, quia secura est. Curandum plane ne risus eius rideatur, si fuerit indignus; ceterum ubicumque dignus risus, officium est. Denique hoc modo incipiam.
Wenn man auch an manchen Stellen lachen wird, wird das dem Stoff selbst gerecht werden. Vieles ist würdig so widerlegt zu werden, damit es nicht mit Ernsthaftigkeit geschmückt wird. Heiterkeit tritt vorzugsweise an die Stelle des leeren Scheins. Auch der Wahrheit entspricht es zu lachen, weil sie fröhlich ist, es entspricht ihr sich über ihre Rivalen lustig zu machen, weil sie furchtlos ist. Man muss natürlich dafür sorgen, dass ihr Lachen nicht gelacht werden würde, wenn es unwürdig wäre; doch, wo auch immer Lachen würdig ist, ist es sogar eine Pflicht. Schließlich will ich so beginnen.
Narratio Adv. Val. 7–39 (7,1) Primus omnium Ennius poeta Romanus „caenacula maxima caeli“ simpliciter pronuntiavit, elati situs nomine vel quia Iovem illic epulantem legerat apud Homerum. Sed haeretici quantas supernitates supernitatum et quantas sublimitates sublimitatum in habitaculum dei sui cuiusque suspenderint extulerint expanderint, mirum est.
Als erster von allen hat der römische Dichter Ennius ganz schlicht von den „mächtigen Speisesälen des Himmels“ gesprochen, entweder wegen der hohen Lage oder weil er bei Homer gelesen hatte, dass Jupiter dort schmaust. Aber wie hohe Höhen und wie hohe Erhabenheiten die Häretiker als Wohnstätte für einen jeden ihrer Götter schweben lassen, erheben, ausbreiten, ist erstaunlich.
(7,2) Etiam creatori nostro Enniana caenacula in aedicularum disposita sint forma: aliis atque aliis pergulis superstructis et unicuique deo per totidem scalas distributis, quot haereses fuerint, meritorium factus est mundus.
Mögen die enneanischen Säle sogar für unseren Schöpfer in der Gestalt kleiner Gemächer angeordnet worden sein: Indem ein Dachzimmer über dem anderen gebaut und einem jedem Gott über ebenso viele Treppen zugeteilt worden ist, wie es wohl Häresien geben mag, ist die Welt zum Mietshaus gemacht worden.
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(7,3) Insulam Feliculam credas tanta tabulata Caelorum. Nescio ubi illic etiam Valentinianorum deus ad summas tegulas habitat.
Du könntest so viele Himmelsstockwerke für das Mietshaus Felicula halten. Ich weiß nicht, wo dort sogar noch der Gott der Valentinianer gleich unterm Dach wohnt.
Hunc substantaliter quidem Αἰῶνα Τέλειον appellant, personaliter vero Προπάτορα et Προαρχήν, etiam Bython, quod in sublimibus habitanti minime congruebat. Innatum immensum infinitum invisibilem aeternumque definiunt; quasi statim probent esse, si talem definiant qualem scimus esse debere, ut sic et ante omnia fuisse dicatur.
Sie nennen ihn jedenfalls der Substanz nach „Vollendeter Äon”, der Person nach allerdings „Vorvater” (Propator) und „Uranfang” (Proarche), sogar „Abgrund“ (Bythos), was keineswegs einem Bewohner in den Höhen entspricht. Als ungeboren, unermesslich, unbegrenzt, unsichtbar und ewig bestimmen sie ihn; als ob sie sofort seine Wesenheit beweisen würden, wenn sie ihn so bestimmen, wie er unseres Wissens nach sein muss, sodass man sagt, dass er so auch vor allen Dingen existiert hat.
(7,4) Sed ut sit expostulo, nec aliud magis in huiusmodi denoto, quam quod post omnia inveniuntur qui ante omnia fuisse dicuntur, et quidem non sua. Sit itaque Bythos iste infinitis retro aevis in maxima et altissima quiete, in otio plurimo placidae et, ut ita dixerim, stupentis divinitatis, qualem iussit Epicurus.
Aber ich setze voraus, dass er ist, und ich tadele nichts anderes mehr hieran, als dass diejenigen, die nach allem gefunden werden, angeblich vor allen Dingen existiert haben, und diese (d.h. omnia) gehören jedenfalls nicht zu ihnen. Möge deshalb dieser Bythos vor unbegrenzten Ewigkeiten in größter und tiefster Ruhe, in der ausgedehnten Muße einer friedlichen und sozusagen starren Göttlichkeit existiert haben, wie sie Epikur behauptet hat.
(7,5) Et tamen quem solum volunt, dant ei secundam in ipso et cum ipso personam, Ennonian, quam et Charin et Sigen insuper nominant. Et forte accedunt in illa commendatissima quiete movere eum de proferendo tandem initio rerum a semetipso. Hoc vice seminis in Sige sua velut in genitalibus vulvae locis collocat. Suscipit illa statim et praegnans efficitur et parit, utique silentio, Sige, quem parit Nus est simillimum patri et parem per omnia.
Und dennoch geben sie dem, von dem sie wollen, dass er allein ist, eine zweite Person, die in ihm und mit ihm ist, Denken (Ennoia), die sie darüber hinaus auch Gnade (Charis) und Schweigen (Sige) nennen. Und sie ergänzen, dass er sich zufällig in jener äußerst angenehmen Ruhe bewegt, um endlich den Anfang der Dinge aus sich selbst heraus hervorzubringen. Diesen legt er anstelle eines Samens in seine Sige gleichsam wie in die fruchtbaren Orte der Gebärmutter. Jene empfängt sofort, wird schwanger gemacht und gebiert, natürlich im Schweigen, als Sige; und es ist der Verstand (Nus), den sie gebiert, seinem Vater äußerst ähnlich und in allem gleich.
(7,6) Denique solus hic capere sufficit immensam illam et incomprehensibilem magnitudinem patris. Ita et ipse pater dicitur et initium omnium et proprie Monogenes.
Er allein schließlich vermag jene unermessliche und unbegreifliche Größe des Vaters zu erfassen. So wird auch er selbst Vater genannt, Anfang aller und im eigentlichen
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Atquin non proprie, siquidem non solus agnoscitur. Nam cum illo processit et femina, cui Veritas . Monogenes, quia prior genitus, quanto congruentius Protogenes vocaretur! Ergo Bythos et Sige, Nus et Veritas prima quadriga defenditur Valentinianae factionis, matrix et origo cunctorum. Namque ibidem Nus, simul accepit prolationis suae officium, emittit et ipse ex semetipso Sermonem et Vitam.
Sinn Einziggeborener (Monogenes). Gleichwohl aber nicht im eigentlichen Sinn, sofern er ja nicht allein erkannt wird. Denn mit jenem ist auch eine Frau hervorgegangen, die den Namen Wahrheit (Veritas) trägt. Monogenes, um wie viel passender sollte er Erstgeborener (Protogenes) gerufen werden, weil er als erster geboren worden ist! Daher werden Bythos und Sige, Nus und Veritas als das erste Viergespann der valentinianischen Mannschaft angeführt, Mutter und Ursprung aller. Denn sogleich lässt Nus, als er die Aufgabe sich fortzupflanzen aufgenommen hat, auch selbst aus sich selbst Wort (Sermo) und Leben (Vita) heraus.
(7,7) Quae si retro non erat, utique nec in Bytho. Et quale est, ut in deo vita non fuerit? Sed et haec soboles, ad initium universitatis et formati pleromatis totius emissa, facit fructum: Hominem et Ecclesiam procreat.
Wenn es dieses (sc. vita) vorher nicht gab, dann war es sicher auch nicht in Bythos. Und was ist das für ein Sachverhalt, dass es in Gott kein Leben gab? Aber auch dieser Nachwuchs, der zum Anfang der Gesamtheit der Dinge und des ganzen Pleromas, das eine Gestalt erhält, ausgeschickt worden ist, bringt Frucht hervor: Er erschafft Mensch (Homo) und Kirche (Ecclesia).
(7,8) Habes ogdoadem, tetradem duplicem ex coniugationibus masculorum et feminarum, cellas, ut ita dixerim, primordialium aeonum, fraterna conubia Valentinianorum deorum, census omnis sanctitatis et maiestatis haereticae, nescio criminum an numinum turbam, certe fontem reliquae fecunditatis.
Du hast eine Achtheit, eine doppelte Vierheit aus der Verbindung von Männern und Frauen, Kämmerchen sozusagen der uranfänglichen Äonen, inzestuöse Ehen valentinianischer Götter, Ursprung der ganzen Heiligkeit und häretischen Erhabenheit, ein Gedränge, ich weiß nicht, ob an Verbrechern oder an göttlichen Wesen, aber sicherlich die Quelle der übrigen Fruchtbarkeit.
(8,1) Ecce enim secunda tetras, Sermo et Vita, Homo et Ecclesia, quod in patris gloria fruticasset huic numero, gestientes et ipsi tale quid patri de suo offerre, alios ebulliunt fetus, proinde coniugales per copulam utriusque naturae. Hac Sermo et Vita decuriam aeonum simul fundunt, illac Homo et Ecclesia duos amplius, aequiparando parentibus, quia et ipsi duo cum illis decem tot efficient, quot ipsi procreaverunt.
Denn siehe da, die zweite Vierheit: Wort und Leben, Mensch und Kirche, da sie als Frucht zur Ehre des Vaters bis zu dieser Anzahl hervorgebracht wurden, verlangen sie nun, auch selbst so etwas für den Vater von sich darzubringen, und sprudeln andere Sprösslinge hervor, die ebenso durch die Verbindung beider Naturen ehelich sind. Hier lassen Wort und Leben zugleich eine Zehnzahl (d.h. Dekurie) an Äonen ausströmen, dort Mensch und Kirche noch zwei mehr [d.h. zwölf], um es den Eltern
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gleichzutun, weil auch diese zwei selbst (d.h. Mensch und Kirche) mit jenen zehn so viel ergeben, wie diese selbst (d.h. Mensch und Kirche) hervorgebracht haben. (8,2) Reddo nunc nomina, quos decuriam dixi: Bythios et Mixis, Ageratos et Henosis, Autophyes et Hedone, Acinetos et Syncrasis, Monogenes et Macaria. Contra duodenarius numerus hi erunt: Paracletus et Pistis, Patricos et Elpis, Metricos et Agape, Aeinus et Synesis, Ecclesiasticus et Macariotes, Theletus et Sophia. Cogor hic, quid ista nomina desiderent, proferre de pari exemplo.
Ich gebe nun die Namen derer wieder, die ich Dekurie genannt habe: der zur Tiefe Zugehörige (Bythios) und die Mischung (Mixis), der Niealternde (Ageratos) und die Vereinigung (Henosis), der Selbstwachsende (Autophyes) und die Lust (Hedone), der Unbewegliche (Acinetos) und die Vermischung (Syncrasis), der Eingeborene (Monogenes) und die Selige (Macaria). Dagegen sind die Zwölfzahl diese: der Tröster (Paracletus) und der Glaube (Pistis), der Väterliche (Patricos) und die Hoffnung (Elpis), der Mütterliche (Metricos) und die Liebe (Agape), der Stetsvernünftige (Aeinus) und die Einsicht (Synesis), der Kirchliche (Ecclesiasticus) und die Seligkeit (Macariotes), der Gewollte (Theletus) und die Weisheit (Sophia). Ich sehe mich hier gezwungen das, was diese Namen bedeuten, an einem entsprechenden Beispiel ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.
(8,3) In scholis Karthaginensibus fuit quidam frigidissimus rhetor Latinus, Phosphorus nomine. Cum virum fortem peroraret, „venio“ inquit „ad vos, optimi cives, de proelio cum victoria mea, cum felicitate vestra, ampliatus gloriosus fortunatus maximus triumphalis.“ Et scholastici statim familiae Phosphori φεῦ acclamant.
In den Schulen von Karthago unterrichtete ein gewisser, geistig äußerst fader lateinischer Rhetor, mit Namen Phosphorus. Als er versuchte, einen tapferen Mann zu mimen, sagte er: „Ich komme zu euch, beste Bürger, vom Kampf mit meinem Sieg, mit eurem Glück, vergrößert, ruhmvoll, vom Schicksal begünstigt, sehr groß, triumphierend.“ Und die Schüler rufen der Familie des Phosphorus sofort „Bravo!“ zu.
(8,4) Audisti Fortunatam et Hedonem et Acinetum et Theletum: acclama familiae Ptolomaei φεῦ. Hoc erit pleroma illud arcanum, divinitatis tricenariae plenitudo. Videamus quae sint istorum privilegia numerorum, quaternarii et octonarii et duodenarii.
Du hast Fortuna, Hedone, Acinetus und Theletus vernommen: Rufe der Familie des Ptolemaeus „Bravo!“ zu! Das wird jenes geheime Pleroma sein, die Fülle der dreißigartigen Gottheit. Lasst uns sehen, was die Vorzüge dieser Zahlen sind, der Vierheit, Achtheit und Zwölfheit.
(8,5) Interim in tricenario fecunditas tota deficit – castrata est vis et potestas et libido genitalis aeonum – quasi non et numerorum tanta adhuc coagula superessent et nulla alia de paedagogio nomina. Quare enim non et
Inzwischen versiegt die ganze Fruchtbarkeit in der Dreißigheit – Kraft, Potenz und Libido der Äonen sind kastriert – als ob nicht noch zahlreiche Zahlengerinnsel übrig wären und keine anderen Namen aus dem
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quinquaginta et centum procreantur? Quare non et Sterceiae et Syntrophi nominantur?
Pädagogium. Warum werden denn nicht auch hundertfünfzig hervorgebracht? Warum werden nicht auch noch die Namen Toilettenmädchen (Sterceia) und Mitzögling (Syntrophus) vergeben?
(9,1) Sed et hoc exceptio personarum est, quod solus ille Nus ex omnibus immensi patris fruitur notione, gaudens et exultans, illis utique maerentibus. Plane Nus, [et] quantum in ipso fuit, et voluerat et temptaverat ceteris quoque communicare quae norat, quantus et quam incomprehensibilis pater. Sed intercessit mater Sige, illa scilicet quae et ipsis haereticis suis tacere praescribit, etsi de Patris nutu aiunt factum, volentis omnes in desiderium sui accendi.
Und dies aber ist der Einspruch der Personen, dass als einziger von ihnen allein jener Nus die Kenntnis des unermesslichen Vaters genießt, sich freut und jubelt, während die anderen gewiss tief traurig sind. Sicherlich hatte Nus, soweit es in seiner Macht stand, gewollt und versucht auch mit den anderen zu teilen, was er wusste, wie groß und wie unbegreiflich der Vater ist. Aber seine Mutter, Sige ist dazwischen gegangen, jene freilich, die auch ihren Häretikern selbst vorschreibt zu schweigen, auch wenn sie sagen, dass es auf den Befehl des Vaters hin geschehen ist, der will, dass alle im Verlangen nach ihm entflammt werden.
(9,2) Itaque dum macerantur intra semetipsos, dum tacita cupidine cognoscendi patrem uruntur, paene scelus factum est. Namque ex illis duodecim aeonibus, quos Homo et Ecclesia ediderant, novissima natu Aeon – viderit soloecismus, Sophia enim nomen est – incontinentia sui, sine coniugis Phileti societate, prorumpit in patrem inquirere et genus contrahit vitii quod exorsum quidem fuerat in illis aliis qui circa Nun, in hunc autem, id est in Sophiam, derivarat, ut solent vitia in corpore alibi connata in aliud membrum perniciem suam efflare.
Während sie also zwischen sich selbst aufgezehrt werden, während sie in der schweigenden Begierde, den Vater zu erkennen, brennen, ist fast ein Verbrechen geschehen. Denn von jenen zwölf Äonen, die Mensch und Kirche hervorgebracht hatten, stürzt die von Geburt an jüngste Äonin – die falsche Verbindung der Wörter tritt deutlich hervor, Weisheit (Sophia) ist nämlich ihr Name – aus Mangel an Selbstbeherrschung her, ohne die Gesellschaft ihres Partners Geliebter (Philetus), um den Vater zu suchen, und zieht sich eine Art Fehler zu, der zwar bei jenen anderen, die zu Nus gehören, entstanden war, in diesen Äon aber, das ist in Sophia, hingeleitet worden war, wie Erkrankungen, die irgendwo anders im Körper entstanden sind, ihr Verderben auf ein weiteres Körperglied auszudehnen pflegen.
(9,3) Sed enim sub praetexto dilectionis in patrem aemulatio superabat in Nun, solum de patre gaudentem. Ut vero impossibilia contendens Sophia frustrarat et vincitur difficultate et extenditur adfectione, modico abfuit prae vi dulcedinis et laboris devorari et in reliquam substantiam dissolvi; nec alias quam pereundo cessasset, nisi bono fato in
Aber unter dem Vorwand der Liebe zum Vater nämlich siegte die Eifersucht auf Nus, der sich allein am Vater erfreute. Als aber Sophia, da sie Unmögliches verlangte, in ihrer Erwartung enttäuscht war, von der Schwierigkeit überwältigt und vor Verlangen gemartert wurde, fehlte nur wenig durch die Kraft des süßen und gewaltigen
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Horon incursasset – quaedam et huic vis: est fundamentum universitatis illius extrinsecus custos – quem et Crucem appellant et Lytroten et Carpisten.
Verlangens verzehrt zu werden und sich in die übrige Substanz aufzulösen; und nichts hätte sie aufhalten können außer ihr Umkommen, wenn sie nicht durch ein glückliches Schicksal gegen die Grenze (Horos) angerannt wäre – eine gewisse Kraft hat auch dieser: er ist das Fundament der Gesamtheit der Dinge und ihr Wächter nach außen – und diesen nennen sie auch Kreuz (Crux), Erlöser (Lytrotes) und Befreier (Carpistes).
(9,4) Ita Sophia, periculo exempta et tarde persuasa de inclinata investigatione patris, conquievit et totam Animationem (Enthymesin) cum passione, quae insuper acciderat, exposuit.
So hat sich Sophia, nachdem sie aus der Gefahr befreit und langsam davon überzeugt worden war, von der Suche nach dem Vater abzulassen, beruhigt und die ganze Aufgeregtheit (Animatio/Enthymesis) gemeinsam mit der Leidenschaft, die sich zusätzlich ereignet hatte, abgelegt.
(10,1) Sed quidam exitum Sophiae et restitutionem aliter somniaverunt: post inritos conatus et spei deiectionem, deformatam eam pallore, credo, et macie et incuria, proprie utique patrem non minus denegatum dolebat quam amissum. Dehinc in illo maerore ex semetipsa sola, nulla opera coniugii, concepit et procreat feminam. Miraris hoc? Et gallina sortita est de suo parere; sed et vultures feminas tantum aiunt.
Aber einige haben über Schicksal und Wiederherstellung der Sophia auf andere Weise phantasiert: Nach vergeblichen Bemühungen und enttäuschter Hoffnung, sei sie entstellt worden durch Blässe – glaube ich –, Magerkeit und Ungepflegtheit, eigentlich jedenfalls war sie nicht weniger betrübt darüber, dass der Vater sich entzogen hatte, als dass sie ihn verloren hatte. Daraufhin hat sie in jener Trauer aus sich selbst heraus allein, ohne Unterstützung durch ihren Partner, empfangen und bringt eine Frau hervor. Wundert Dich das? Auch eine Henne ist dazu bestimmt, aus sich selbst heraus zu gebären; aber auch von Geiern sagt man, dass es nur Weibchen gibt.
(10,2) Et tamen sine masculo mater et metuere postremo ne finis quoque insisteret, haerere de ratione casus, curare de occultatione. Remedia nusquam. Ubi enim iam tragoediae atque comoediae, a quibus forma mutuaretur exponendi quod circa pudorem erat natum? Dum in malis res est, suscipit, convertit ad patrem. Sed incassum enisa, ut vires deserebant, in preces succidit. Tota etiam propinquitas pro ea supplicat, vel maxime Nus – quidni? “Causa mali tanti”! Nullus tamen Sophiae exitus vacuit.
Und obwohl sie ohne Mann Mutter wurde, fürchtete sie schließlich, dass auch ihr das Ende bevorsteht, sie ist ratlos über den Grund des Falls, sie sorgt sich um die Verheimlichung. Nirgends gibt es ein Gegenmittel. Wo nämlich hätte es schon Tragödien und Komödien gegeben, von denen der Stoff, etwas auszusetzen, was unter Scham geboren wurde, entlehnt sein dürfte? Während die Situation schwierig ist, blickt sie auf, wendet sich zum Vater. Als sie sich aber vergeblich bemüht hatte und ihre Kräfte nachließen, sinkt sie nieder ins
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Übersetzung Gebet. Sogar die ganze Verwandtschaft hält für sie Fürsprache, vor allem Nus – warum auch nicht? „Der Grund für so viel Übel“! Sophias Schicksal war dennoch nicht unnütz.
(10,3) Omnes aerumnae eius operantur, siquidem et illa tunc conflictatio in materiae originem pervenit: ignorantia, pavor, maeror substantiae fiunt. Ibi demum pater, motus aliquando, quem supra diximus Horon, per Monogenem Nun, in haec promit in imagine sua, feminam marem, quia de patris sexu ita variant. Adiciunt autem Horon etiam Circumductorem (Metagogea) vocari et Horotheten.
All ihre Drangsal bewirkt etwas, wenn es stimmt und jene Beschwerlichkeit dann in den Ursprung der Materie überging: Unwissenheit, Angst und Trauer werden zur Substanz. Dort endlich lässt der Vater, nachdem er schließlich bewegt worden ist, Horos, den wir oben bereits erwähnt haben, durch Monogenes Nus, zu diesem Zweck hervorgehen, nach seinem Bild, mannweiblich, weil sie über das Geschlecht des Vaters so sehr variieren. Sie fügen aber hinzu, dass Horos auch Herumführer (Circumductor/Metagogeus) genannt wird und Grenzzieher (Horothetes).
(10,4) Huius praedicant opera et repressam ab inlicitis et purgatam a malis et deinceps confirmatam Sophiam et coniugio restitutam; et ipsam quidem in pleromatis censu remansisse, Enthymesin vero eius et illam appendicem passionem ab Horo relegatam et crucifixam et extra eum factam –
Sie verkündigen, dass durch seine Hilfe Sophia von den unerlaubten Taten abgebracht, von den Übeln gereinigt, daraufhin gefestigt und ihrem Partner zurückgegeben worden ist; sie selbst nun sei zwar im Ursprung des Pleromas geblieben, ihr Überlegen (Enthymesis) jedoch und jener Anhang, die Leidenschaft sei von Horos verbannt, gekreuzigt und aus diesem (d.h. census) ausgestoßen worden –
(10,5) malum, quod aiunt, foras! – spiritalem tamen substantiam illam, ut naturalem quendam impetum aeonis, sed informem et inspeciatam, quatenus nihil adprehendisset, ideoque fructum infirmum et feminam pronuntiatam.
wie man zu sagen pflegt: Hinaus mit dem Übel! –jene sei jedoch eine geistige Substanz gewesen, da sie der natürliche Trieb eines Äons war, aber doch soll sie ungeformt und ungestaltet gewesen sein, insofern hatte sie nichts erfassen können, und deswegen sei sie zur schwächlichen Frucht und Frau erklärt worden.
(11,1) Igitur post Enthymesin extorrem et matrem eius Sophiam coniugi reducem ille iterum Monogenes, ille Nus, otiosus plane de patris cura atque prospectu solidandis rebus et pleromati muniendo iamque figendo, ne qua eiusmodi rursus concussio incurreret, novam excludit copulationem: Christum et Spiritum Sanctum, turpissimam putem duorum masculorum.
Nachdem also die Enthymesis vertrieben und ihre Mutter Sophia zu ihrem Partner zurückgebracht wurde, lässt wiederum jener Monogenes, jener Nus, da er offensichtlich frei war von der Sorge und Vorsicht um den Vater, um die Situation zu befestigen, das Pleroma zu beschützen und vollends zu befestigen, damit nicht von irgendwoher erneut eine derartige Erschütterung hineingerät, eine neue Vereinigung hervorgehen:
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Christus und den Heiligen Geist, die schändlichste (d.h. der Verbindungen), würde ich sagen: zwischen zwei Männern. (11,2) Aut femina erit Spiritus Sanctus, et vulneratur a femina masculus? Munus enim his datur unum: procurare concinnationem aeonum, et ab eius officii societate duae scholae protinus, duae cathedrae, inauguratio quaedam dividendae doctrinae Valentini. Christi erat inducere aeonas naturam coniugiorum – vides quam rem plane – et innati coniectationem et idoneos efficere generandi in se agnitionem patris, quod capere eum non sit neque comprehendere, non visu denique, non auditu compotiri eius, nisi per Monogenem.
Oder soll der Heilige Geist eine Frau sein, und das männliche Geschlecht wird von einer Frau verwundet? Ihnen wird nämlich genau eine Verpflichtung gegeben: Sorge zu tragen für die Anordnung der Äonen, und aus der Gemeinschaft dieser Aufgabe entstehen sofort zwei Schulen, zwei Kathedren, gewissermaßen der Beginn für die Aufspaltung der Lehre Valentins. Es war Christi Aufgabe, die Äonen in das Wesen der ehelichen Verbindungen – du siehst deutlich, um welche Sache es geht – und in die Vorstellung vom Ungeborenen einzuführen und sie fähig zu machen, in sich die Erkenntnis des Vaters hervorzubringen, dass es nicht möglich sei, ihn zu fassen, auch nicht zu begreifen, schließlich nicht durch Sehen, nicht durch Hören seiner teilhaftig zu werden, außer durch Monogenes.
(11,3) Et tamen tolerabo quod ita discunt patrem nosse: ne nos et illud. Magis denotabo doctrinae perversitatem, quod docebantur incomprehensibile quidem patris causam esse perpetuitatis ipsorum, comprehensibile vero eius generationis illorum et formationis esse rationem. Hac enim dispositione illud, opinor, insinuatur, expedire deum non adprehendi, siquidem inadprehensibile eius perpetuitatis est causa, adprehensibile autem non perpetuitatis, sed nativitatis et formationis egentium perpetuitatis.
Und dennoch werde ich ertragen, dass sie so erlernen, den Vater zu erkennen: ja, auch wir tun dies. Eher werde ich die Verkehrtheit der Lehre tadeln, dass man sie lehrte, dass zwar das, was am Vater unbegreiflich ist, die Ursache ihrer ewigen Beständigkeit sei, dass jedoch das, was an ihm begreiflich ist, der Grund ihrer Zeugung und Gestaltung sei. Mit dieser Anordnung wird nämlich, wie ich glaube, jenes eingeflüstert, dass es förderlich sei, Gott nicht zu erfassen, weil ja seine Unfassbarkeit die Ursache ihrer ewigen Beständigkeit sei, das Fassbare aber nicht Ursache der ewigen Beständigkeit, sondern des Geborenseins und der Gestaltung derer sei, die ewige Beständigkeit nötig haben.
(11,4) Filium autem constituunt adprehensibile patris; quomodo tamen adprehendatur, tum prolatus Christus edocuit. Spiritus vero Sancti propria, ut de doctrinae studio omnes peraequati gratiarum actionem prosequi nossent et veram inducerentur quietem.
Den Sohn aber bestimmen sie als das Fassbare des Vaters; wie er jedoch erfasst werden kann, hat dann der hervorgebrachte Christus gelehrt. Die dem Heiligen Geist zugedachte Aufgabe aber war es, dass sie alle – im Eifer für die Lehre einander angeglichen – in der Lage waren, die
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Übersetzung Danksagung durchzuführen, und dass sie zur wahren Ruhe geführt wurden.
(12,1) Itaque omnes et forma et scientia peraequantur, facti omnes quod unusquisque; nemo aliud, quia alteri omnes. Refunduntur in Nus omnes, in Homines, in Philetos, aeque feminae in Sigas, in Zoas, in Ecclesias, in Fortunatas, ut Ovidius „Metamorphosis“ suas delevisset, si hodie maiorem cognovisset.
Deshalb werden alle sowohl an Gestalt als auch an Wissen völlig gleich gemacht, indem alle zu dem werden, was jeder Einzelne ist; niemand ist etwas anderes, weil alle alle sind. Alle ergießen sich in Nooi, in Homines, in Philetoi, die Frauen ebenso in Sigai, in Zoai, in Ecclesiae, in Fortunatae, sodass Ovid seine „Metamorphosen“ vernichtet hätte, wenn er heute die größere (d.h. Metamorphose) kennengelernt hätte.
(12,2) Exinde refecti sunt et constabiliti sunt et in requiem ex veritate compositi magno cum gaudii fructu hymnis patrem concinunt. Diffundebatur et ipse laetitia, [et] utique bene cantantibus filiis, nepotibus. Quidni diffunderetur omni iocunditate, pleromate liberato? Quis nauclerus non etiam cum dedecore laetatur? Videmus cotidie nauticorum lascivias gaudiorum.
Von da an sind sie wiederhergestellt und befestigt und sie besingen, sobald sie aus der Wahrheit in Ruhe versetzt worden sind, mit großem Genuss an der Freude den Vater in Hymnen. Auch er selbst ergoss sich vor Freude, sicherlich weil die Söhne, die Enkel so gut sangen. Warum sollte er sich auch nicht in aller Fröhlichkeit ergießen, nachdem das Pleroma befreit worden war? Welcher Schiffsherr hat nicht auch seine schändliche Freude? Wir sehen täglich die ungezügelten Freuden der Seeleute.
(12,3) Itaque ut nautae ad symbolam semper exultant, tale aliquid et aeones: unum iam omnes etiam forma, nedum sententia, convenientibus ipsis quoque novis fratribus et magistris Christo et Spiritu Sancto, quod optimum atque pulcherrimum unusquisque florebat conferunt in medium. Vane, opinor. Si enim unum erant omnes ex supra dicta peraequatione, vacabat symbolae ratio, quae ferme ex varietatis gratia constat: unum omnes bonum conferebant, quod omnes erant; de modo forsitan fuerit ratio aut de forma ipsius iam peraequationis.
Wie also die Seeleute bei gemeinschaftlichen Gelagen immer jubeln, so machen auch die Äonen etwas ähnliches: Eins schon sind alle sogar in der Gestalt, nicht bloß in ihrer Meinung; als sich auch ihre neuen Brüder und Lehrer dazugesellt hatten, Christus und der Heilige Geist, bringt jeder einzelne das in die Mitte, was am Besten und Schönsten blühte. Vergeblich, denke ich. Wenn nämlich alle eins waren wegen der oben erwähnten völligen Gleichmachung, fehlte der Grund für ein gemeinschaftliches Essen, das gewöhnlich auf der Annehmlichkeit der Verschiedenheit beruht: Alle trugen das eine Gute zusammen, das sie alle waren; möglicherweise bestünde der Grund in der Art und Weise oder der Gestalt dieser völligen Gleichmachung.
(12,4) Igitur ex aere collaticio, quod aiunt, in honorem et gloriam patris pulcherrimum pleromatis sidus fructumque perfectum compingunt, Iesum. Eum cognominant Soterem et Christum et Sermonem de patritis,
Daher bringen sie aus dem zusammengesammelten Geld, wie sie es nennen, zur Ehre und Ruhm des Vaters den schönsten Stern des Pleromas und die vollendete Frucht zusammen, Jesus. Diesem geben sie
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et Omnia iam, ut ex omnium defloratione constructum: gragulum Aesopi, Pandoram Hesiodi, Acci patinam, Nestoris cocetum, miscellaneam Ptolemaei.
den Beinamen Retter (Soter), Christus und – vom Vater vererbt – Wort (Sermo), und sogar das Ganze (Omnia), da er aus der Blütenlese aller zusammengebaut ist: die Dohle des Aesop, die Pandora des Hesiod, Patina des Accius, das Gemisch des Nestorius, die Mischung des Ptolemaeus.
(12,5) Quam proprius fuit de aliquibus Osciae scurris Pancapipannirapiam vocari a tam otiosis auctoribus nominum! Ut autem tantum sigillarium extrinsecus quoque inornassent, satellites ei angelos proferunt, par genus: si inter se, potest fieri, si vero Soteri consubstantivos – ambigue enim positura inveni –, quae erit eminentia eius inter satellites coaequales?
Wie viel näherliegender wäre es mit Blick auf einige Possenreißer in Oscia, dass er (d.h. Jesus) von so unbeschäftigten Namenserfindern Pancapipannirapia genannt wird! Um aber ein so großes Tonpüppchen auch äußerlich zu schmücken, bringen sie ihm Engel als Begleiter herbei, ein gleiches Geschlecht: wenn sie unter sich gleich sind, kann dies möglich sein, wenn sie aber dem Soter wesensgleich sind – ich habe nämlich die Darstellung zweideutig vorgefunden – was soll dann seine Vorrangstellung unter den gleichartigen Begleitern sein?
(13,1) Continet hic igitur ordo primam professionem pariter et nascentium et nubentium et generantium aeonum, Sophiae ex desiderio patris periculosissimum casum, Hori oportunissimum auxilium, Enthymeseos et coniunctae passionis expiatum, Christi et Spiritus Sancti paedagogatum, aeonum tutelarem reformatum, Soteris pavoninum ornatum, angelorum comparaticium antistatum.
Diese Erzählfolge enthält also zugleich die erste Darlegung über die Geburt, Hochzeit und Fortpflanzung der Äonen, den äußerst gefährlichen Fall der Sophia, der aus dem Verlangen nach dem Vater entstanden war, die genau im richtigen Moment erfolgte Hilfe des Horos, die Buße der Enthymesis und der mit ihr verbundenen Leidenschaft, die Lehrtätigkeit von Christus und dem Heiligen Geist, die schützende Wiederherstellung der Äonen, den Pfauenschmuck des Soter, den vergleichbaren Vorrang der Engel.
(13,2) Quod superest, inquis, vos valete et plaudite! Immo quod superest, inquam, vos audite et proicite! Ceterum haec intra coetum pleromatis decucurrisse dicuntur, prima tragoediae scaena, alia autem trans siparium coturnatio est, extra pleroma dico. Et tamen exitus sub sinu patris, intra ambitum Hori custodis: qualis extra iam in libero, ubi deus non erat?
Was den Rest betrifft, sagst Du: Lebt wohl und applaudiert! Keineswegs, was den Rest betrifft, sage ich: Hört zu und pfeift aus! Man sagt also, dass sich dies innerhalb der Versammlung des Pleromas ereignet habe, die erste Szene der Tragödie; die zweite tragische Vorstellung aber ist auf der anderen Seite des Vorhangs, außerhalb des Pleromas meine ich damit. Und dennoch ist das Schicksal unter dem Schoß des Vaters, innerhalb des Bereichs vom Wächter Horos: Wie soll es da erst im Freien werden, wo es keinen Gott gab?
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(14,1) Namque Enthymesis, sive iam Achamoth, quod abhinc scripta hoc solo ininterpretabili nomine, ut cum vitio individuae passionis explosa est in loca luminis aliena, quod pleromatis res est, in vacuum atque inane illud Epicuri, miserabilis etiam de loco est. Certe nec forma nec facies ulla: defectiva scilicet et abortiva genitura. Dum ita rerum habet, flectitur a superioribus Christus, deducitur per Horon, aborsum ut illud informet de suis viribus, solius substantiae non etiam scientiae forma.
Denn sobald die Enthymesis – oder jetzt bereits Achamoth, weil sie von hier an nur mit diesem unübersetzbaren Namen geschrieben wird – zusammen mit dem Makel ihrer dazugehörigen Leidenschaft an lichtlose Orte verstoßen wurde – denn ist Sache des Pleromas –, in jene Leere und Nichtigkeit Epikurs, wird sie auch über ihren Aufenthaltsort betrübt. Gewiss hat sie weder eine Form noch irgendeine Gestalt: Sie ist nunmal ein mangelhaftes und abgetriebenes Geschöpf. Während es ihr so geht, beugt sich Christus von oben her vor, wird durch Horos hindurch hinabgeführt, um jene Fehlgeburt aus seinen Kräften zu gestalten, mit der Gestalt der bloßen Substanz, nicht auch des Wissens.
(14,2) Et tamen cum aliquo peculio relinquitur, iteratur odor incorruptibilitatis, quo compos casus sui potiorum desiderio suppararetur. Hac misericordia functus, non sine Spiritus Sancti societate, recurrit Christus in pleroma. Usus est rerum ex liberalitatibus quoque nomina accedere: Enthymesis de actu fuit, Achamoth unde, adhuc quaeritur, Sophia de matre manat, Spiritus Sanctus ex angelo.
Und dennoch wird sie mit einem Vermögen zurückgelassen, der Duft der Unvergänglichkeit wird erneuert, wodurch sie in vollem Bewusstsein über ihren Fall mit einem Verlangen nach den besseren Dingen ausgestattet wurde. Nachdem Christus dieses Mitleid verrichtet hat, kehrt er, nicht ohne die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, ins Pleroma zurück. Es ist aber üblich, dass sich aus der Freigiebigkeit der Dinge auch die Namen ergeben: Enthymesis leitet sich von einer Tat her, woher Achamoth kommt, bleibt fraglich, Sophia entspringt von der Mutter, Heiliger Geist vom Engel.
(14,3) Accipit Christi, a quo derelictam se statim senserat, desiderium. Itaque prosiluit et ipsa lumen eius inquirere. Quem si omnino non noverat, ut invisibiliter operatum, quomodo lumen eius ignotum cum ipso requirebat? Tamen temptavit et fortasse adprehendisset, si non idem Horos, qui matri eius tam prospere venerat, nunc tam importune filiae occurrisset, ut etiam inclamaverit in eam „Iao!“, quasi „Porro quirites!“ aut „Fidem Caesaris!“.
Es ergreift sie ein Verlangen nach Christus, von dem sie, wie sie sofort gefühlt hatte, verlassen worden war. Deshalb ist sie aufgesprungen, um auch selbst sein Licht zu suchen. Wenn sie ihn überhaupt nicht kannte, weil er unsichtbar gewirkt hatte, auf welche Weise suchte sie sein unbekanntes Licht zugleich mit ihm? Dennoch probierte sie es und hätte ihn vielleicht erfasst, wenn nicht derselbe Horos, der so günstig zu ihrer Mutter gekommen war, nun so unpassend der Tochter entgegengetreten wäre, sodass er sogar laut zu ihr geschrien hat „Iao!“, als ob es „Weiter, Quiriten!“ oder „Für die Treue zu Caesar!“ hieße.
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(14,4) Inde invenitur Iao in scripturis. Ita depulsa quominus pergeret nec habens supervolare Crucem, id est Horon, quia nullum Catulli Laureolum fuerit exercitata, ut destituta, ut passioni illi suae intricata multiplici atque perplexae, omni genere eius coepit adfligi: maerore, quod non perpetrasset inceptum, metu ne sicut luce ita et vita orbaretur, consternatione, tum ignorantia, nec ut mater eius – illa enim aeon, at haec pro condicione deterius –, insurgente adhuc et alio fluctu, conversionis scilicet in Christum, a quo vivificata fuerat et in hanc ipsam conversionem temperata.
Deshalb wird Iao in den Schriften gefunden. Nachdem sie so davon abgebracht wurde, weiter vorzustoßen, ohne Möglichkeit, über das Kreuz, das ist Horos, hinwegzufliegen, weil sie nicht den Laureolus des Catull eingeübt hatte, als wenn sie verlassen worden wäre, als wenn sie in ihrer vielfältigen und verworrenen Leidenschaft verstrickt worden wäre, begann sie von jeder einzelnen Art derselben heimgesucht zu werden: von Trauer, weil sie das Unternehmen nicht beendet hatte, von Furcht, dass sie wie des Lichts so auch des Lebens beraubt werde, von Bestürzung, dann von Unwissenheit, aber nicht wie ihre Mutter – jene nämlich ist ein Äon, aber diese ist geringer in ihrer Beschaffenheit–; da erhob sich außerdem auch eine weitere (Gefühls)Flut, nämlich der Hinwendung zu Christus, von dem sie lebendig gemacht und in diese Hinwendung selbst gelenkt worden war.
(15,1) Age nunc discant Pythagorici, agnoscant Stoici, Plato ipse, unde materia, quam innatam volunt, et originem et substantiam traxerit in omnem hanc struem mundi; quod nec Mercurius ille Trismegistus, magister omnium physicorum, recogitavit.
Wohlan, jetzt können die Pythagoräer lernen, die Stoiker erkennen, selbst Plato, woher die Materie, die sie als ungeworden festlegen, sowohl den Ursprung als auch die Substanz zu dieser ganzen Konstruktion der Welt gezogen hat; was auch nicht Mercurius bedacht hat, jener Trismegistos, Lehrer aller Naturforscher.
(15,2) Audisti conversionem, genus aliud passionis: ex hac omnis anima huius mundi dicitur constitisse, etiam ipsius Demiurgi, id est dei nostri; audisti maerorem et timorem: ex his initiata sunt cetera. Nam ex lacrimis eius universa aquarum natura manavit.
Du hast von der Hinwendung gehört, eine weitere Art von Leidenschaft: es heißt, dass daraus die ganze Seele dieser Welt gebildet wurde, auch des Demiurgen selbst, nämlich unseres Gottes; du hast von Trauer und Furcht gehört: aus diesen haben alle übrigen Dinge ihren Anfang genommen. Aus ihren Tränen nämlich ist das ganze Element des Wassers geströmt.
(15,3) Hinc aestimandum quem exitum duxerit, quantis lacrimarum generibus inundaverit. Habuit et salsas, habuit et amaras et dulces et calidas et frigidas guttas et bituminosas et ferruginantes et sulphurantes utique et venenatas, ut et Nonacris inde sudaverit, quae Alexandrum occidit, et Lyncestarum inde defluxerit, quae ebrios efficit,
Von hier aus lässt sich abschätzen, welches Schicksal sie genommen hat, mit wie vielen Arten an Tränen sie überflutet wurde. Sie hatte salzige, sie hatte bittere und süße, heiße und kalte Tropfen, erdharz-, eisenund schwefelhaltige, sogar auch giftige, sodass auch die Quelle bei Nonarcris, die Alexander tötete, daher schwitzte, und die
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et Salmacis inde se solverit, quae masculos molles.
Quelle der Lyncestarer, die betrunken macht, daher herabgeflossen ist, und die Quelle Salmacis, die Männer verweichlicht, sich von dort loslöste.
(15,4) Etiam caelestes imbres pipiavit Achamoth et nos in cisternis alienos luctus et lacrimas servare curamus. Proinde ex consternatione et pavore corporalia elementa ducta sunt. Et tamen in tanta circumstantia solitudinis, in tanto circumspectu destitutionis ridebat interdum, qua conspecti Christi recordans: eodem gaudii risu lumen effulsit!
Sogar himmlische Regen ließ Achamoth unter Wimmern strömen und wir sorgen dafür, dass fremde Trauer und Tränen in Zisternen bewahrt wird. Ebenso wurden aus Bestürzung und Angst die körperlichen Elemente abgeleitet. Und doch lachte sie manchmal in der sie umgebenden Einsamkeit, angesichts ihrer Verlassenheit, da sie sich an Christus erinnerte, den sie erblickt hatte: mit demselben Lachen vor Freude hat ein Licht geschimmert!
(15,5) Cuius hoc providentiae beneficium, quale illam ridere cogebat, idcirco, ne semper nos in tenebris moraremur? Nec obstupescas: quin laetitia eius tam splendidum elementum radiaverit mundo, cum maestitia quoque eius tam necessarium instrumentum defuderit saeculo? O risum illuminatorem! o fletum rigatorem! Et tamen poterat remedio iam agere cum illius loci horrore. Omnem enim obscuritatem eius discussisset, quotiens ridere voluisset, vel ne cogeretur desertores suos supplicare.
Welche Vorsehung gibt ein solches Geschenk, das jene zu lachen zwang, (nur) deshalb, damit wir nicht für immer in Finsternis verbleiben? Aber du brauchst nicht in Staunen zu geraten: Warum sollte ihre Freude nicht ein so glänzendes Element in die Welt ausgestrahlt haben, wenn auch ihre Traurigkeit ein so unentbehrliches Werkzeug für unsere Welt vergossen haben soll? Oh Du erleuchtendes Lachen! Oh Du bewässerndes Weinen! Und immerhin hätte sie durch das Gegenmittel nunmehr das Entsetzen jenes Ortes umgehen können. Seine ganze Dunkelheit nämlich hätte sie vertreiben können, so oft sie hätte lachen wollen, besonders damit sie nicht gezwungen wird die anzuflehen, die sie verlassen haben.
(16,1) Convertitur enim ad preces et ipsa more materno. Sed Christus, quem iam pigebat extra pleroma proficisci, vicarium praeficit Paracletum Soterem: hic erit Iesus, largito ei Patre universorum aeonum summam potestatem subiciendis [eis] omnibus, uti in ipso secundum apostolum omnia conderentur; ad eam emittit cum officio atque comitatu coaetaneorum angelorum, credas et cum duodecim fascibus.
Sie wendet sich nämlich auch selbst mit dem mütterlichen Brauch zum Gebet. Aber Christus, den es bereits reute, nach außerhalb des Pleromas aufgebrochen zu sein, setzt als Stellvertreter den Paraclet Soter ein: dieser wird Jesus sein, dem der Vater aller Äonen die höchste Macht geschenkt hat über alle diese Dinge, die ihm unterworfen waren, sodass in ihm selbst gemäß dem Apostel alles geschaffen wurde; zu ihr entsendet er ihn unter Ehrengeleit und Begleitung der gleichaltrigen Engel und, so könntest du glauben, mit zwölf Rutenbündeln.
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(16,2) Ibidem adventu pompatico eius concussa, Achamoth protinus velamentum sibi obduxit ex officio primo venerationis et verecundiae; dehinc contemplatur eum fructiferumque suggestum. Quibus inde conceperat viribus occurit illi κύριε χαῖρε. Hic, opinor, susceptam ille confirmat atque conformat agnitione iam et ab omnibus iniuriis passionis expumicat non eadem neglegentia in exterminium discretis quam acciderat in casibus matris.
Nachdem sie sogleich von seiner pompösen Ankunft erschüttert war, hat sich Achamoth sofort mit einem Schleier bedeckt gemäß der obersten Pflicht zur Hochachtung und Ehrfurcht; dann lässt sie ihre Blicke über ihn und seine fruchtbare Gefolgschaft schweifen. Mit diesen Kräften, die sie von da an aufgenommen hatte, ging sie jenem mit den Worten „Sei gegrüßt, Herr!“ entgegen. Nachdem jener sie daraufhin, so meine ich, aufgenommen hat, festigt und gestaltet er sie schon durch die Erkenntnis und befreit sie von allen Verwundungen der Leidenschaft, die diesmal nicht mit derselben Nachlässigkeit zur Zerstörung abgetrennt werden, wie es sich beim Fall der Mutter ereignet hatte.
(16,3) Sed enim exercitata vitia et usu viriosa confudit atque ita massaliter solidata defixit seorsum, in materiae incorporalem paraturam commutans ex incorporali passione, indita habilitate atque natura, qua pervenire mox posset in aemulas aequiperantias corpulentiarum, ut duplex substantiarum conditio ordinaretur, de vitiis pessima, de conversione passionalis. Haec erit materia, quae nos commisit cum Hermogene ceterisque qui deum ex materia, non ex nihilo, operatum cuncta praesumunt.
Aber er hat nämlich die geübten und durch den Gebrauch gestärkten Fehler vermischt und, nachdem sie so in einer Masse verdichtet worden waren, gesondert gefestigt, indem er sie von einer unkörperlichen Leidenschaft in einen unkörperlichen Stoff der Materie verwandelte, nachdem er sie mit Tauglichkeit und Natur versehen hatte, mit der sie bald zu eifersüchtigen und gleichgemachten Körperlichkeiten gelangen könnte, sodass eine doppelte Beschaffenheit der Substanzen angelegt wurde, von den Fehlern das Schlechteste, von der Hinwendung das Empfindsame. Dies wird die Materie sein, die uns mit Hermogenes und den Übrigen kämpfen ließ, die anmaßend behaupten, dass Gott alles aus der Materie, nicht aus dem Nichts erschaffen hat.
(17,1) Abhinc Achamoth, expedita tandem de malis omnibus, ecce iam proficit et in opera maiora frugescit. Prae gaudio enim tanti ex infelicitate successus concalefacta simulque contemplatione ipsa angelicorum luminum, ut ita dixerim, subfermentata – pudet, sed aliter exprimere non est – quodammodo subsuriit intra et ipsa in illos et conceptu statim intumuit spiritali ad imaginem ipsam, quam vi laetantis, ex laetitia prurientis intentionis imbiberat et sibi intimarat.
Von hier an geht Achamoth, nachdem sie endlich von allen Übeln befreit ist, – gib Acht! – schon weiter und trägt Früchte in größere Werke. Weil sie nämlich vor Freude über den so glücklichen Ausweg aus ihrem Unglück hitzig erregt und zugleich durch die Anschauung selbst der engelgleichen Lichter, um es so zu sagen, etwas aufgebläht war – es beschämt mich, aber es ist nicht möglich, dies anders auszudrücken –, hat sie selbst gewissermaßen auch unmäßige sexuelle Begierde innen zu jenen gezeigt und ist sofort mit geistiger
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Übersetzung Leibesfrucht nach eben jenem Bild angeschwollen, das sie durch die Kraft der Freude, voll Freude lüsterner Anspannung eingesogen und sich einverleibt hatte.
(17,2) Peperit denique, et facta est exinde trinitas generum ex trinitate causarum, unum materiale, quod ex passione, aliud animale, quod ex conversione, tertium spiritale, quod ex imaginatione.
Schließlich gebar sie, und aus der Dreizahl der Ursachen ist von da an die Dreizahl der Gattungen geworden, eine ist materiell, die aus der Leidenschaft ist, die andere seelisch, die aus der Hinwendung stammt, die dritte geistig, die aus der Vorstellungskraft ist.
(18,1) Hac auctoritate trium scilicet liberorum agendis rebus exercitior facta, formare singula genera constituit. Sed spiritale quidem non ita potuit attingere, ut et ipsa spiritalis. Fere enim paria et consubstantiva in alterutrum valere societas naturae negavit.
Nachdem sie aufgrund des Ansehens durch ihre drei Kinder natürlich in der Erledigung der Dinge geübter war, beschloss sie die einzelnen Gattungen zu gestalten. Aber das Geistige jedenfalls konnte sie nicht so berühren, da sie selbst auch geistig war. Denn gewöhnlich verweigerte die Gemeinschaft der Natur, dass gleiche und wesensgleiche Dinge Macht übereinander ausüben.
(18,2) Eo animo se unum ad animale convertit, prolatis Soteris disciplinis. Et primum, quod cum magno horrore blasphemiae et pronuntiandum et legendum est et audiendum, deum fingit hunc nostrum et omnium praeter haereticorum, Patrem et Demiurgem et Regem universorum quae post illum. Ab illo enim, si tamen ab illo, et non ab ipsa potius Achamoth, a qua occulto nihil sentiens eius et velut sigillario extrinsecus ductu in omnem operationem movebatur.
Mit dieser Einstellung wandte sie sich einzig der seelischen Gattung zu, nachdem ihr die Lehren des Soter bekannt gemacht worden waren. Und zuerst bildet sie – was man mit großem Entsetzen angesichts der Gotteslästerung berichten, lesen und hören muss – diesen, unseren und aller außer der Häretiker Gott, den Vater, Schöpfer und König von allen Dingen, die nach ihm entstanden sind. Von ihm nämlich sind sie entstanden, wenn sie überhaupt von ihm stammen, und nicht vielmehr von Achamoth selbst, von der er im Verborgenen, während er nichts von sich fühlte, gleich einer Marionette, die von außen geführt wurde, zu dem ganzen Werk bewegt wurde.
(18,3) Denique ex hac personarum in operibus ambiguitate nomen illi Metropatoris miscuerunt, distinctis appellationibus ceteris secundum status et situs operum, ut animalium quidem substantiarum, quas ad dextram commendant, Patrem nuncupant, materialium vero, quas ad laevam delegant, Demiurgem nominent, Regem autem communiter in universitatem.
Schließlich mischten sie ihm aus dieser Uneindeutigkeit, welche Person welche Aufgabe übernommen hat, den Namen Metropator (Muttervater), wohingegen seine übrigen Bezeichnungen nach Zustand und Lage seiner Werke unterschieden wurden, sodass sie ihn in Bezug auf die seelischen Substanzen zwar, die sie der Rechten anvertrauen, Vater rufen, aber in Bezug auf die materiellen, die sie der Linken
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übertragen, Demiurg nennen, König aber gemeinsam in Bezug auf alle Dinge. (19,1) Sed nec nominum proprietas competit proprietati operum, de quibus nomina, cum deberet illa haec omnia vocitari, a qua res agebantur; nisi quod iam nec ab illa. Cum enim dicant Achamoth in honorem aeonum imagines commentatam, rursus hoc in Soterem auctorem detorquent, qui per illam sit operatus, ut ipsam quidem imaginem Patris invisibilis et incogniti daret, incognitam scilicet et invisibilem Demiurgo, eundem autem Demiurgum Nun filium effingeret, Archangeli vero, Demiurgi opus, reliquos aeonas exprimerent.
Aber die Eigenschaft der Namen entspricht nicht der Eigenschaft der Werke, von denen die Namen abgeleitet sind, weil jene (d.h. Achamoth), von der die Dinge ausgeführt wurden, es verdient hätte, mit all diesen Namen benannt zu werden; es sei denn, dass diese Dinge noch nicht einmal von ihr stammen. Wenn sie nämlich sagen, dass Achamoth zur Ehre der Äonen Bilder erdacht habe, verdrehen sie dieses wieder so, dass der Soter der Urheber ist, der durch sie gewirkt habe, sodass er sie zwar als Bild des unsichtbaren und unbekannten Vaters schuf – unbekannt und unsichtbar zumindest für den Demiurgen –, sodass er jedoch den besagten Demiurgen als Sohn Nus nachgebildet hat, und sodass die Erzengel schließlich, die das Werk des Demiurgen waren, die übrigen Äonen nachgebildet haben.
(19,2) Cum imagines audio tantas trium, quaero, non vis nunc ut imagines rideam perversissimi pictoris illorum? feminam Achamoth, imaginem patris, et ignarum matris Demiurgum, multo magis patris, imaginem non ignorantis patrem, et angelos famulos, simulacra dominorum! Hoc est mulum de asino pingere et Ptolomaeum describere de Valentino.
Wenn ich von den vielen Bildern dieser drei höre, frage ich, willst Du nun nicht, dass ich mich über die Bilder ihres völlig dilettantischen Malers lustig mache? Über die Frau Achamoth, ein Abbild des Vaters, und über den Demiurgen, der seine Mutter nicht kannte, geschweige denn seinen Vater, ein Abbild des Nus, der seinen Vater sehr wohl kannte, und über die dienenden Engel, Ebenbilder ihrer Herren! Dies ist wie einen Maulesel nach einem Esel zu malen und Ptolemäus nach Valentin zu zeichnen.
(20,1) Igitur Demiurgus, extra Pleromatis limites constitutus, in ignominiosa aeterni exilii vastitate novam provinciam condit, hunc mundum, repurgata confusione et distincta diversitate duplicis substantiae illius detrusae, animalium et materialium. Ex incorporalibus corpora aedificat, gravia levia, sublimantia atque vergentia, caelestia atque terrena. Tum ipsam caelorum septemplicem scaenam solio desuper suo finit.
Daher gründet der Demiurg, nachdem er angewiesen worden war, seine Wohnung außerhalb der Grenzen des Pleromas zu nehmen, in der schimpflichen Öde des ewigen Exils eine neue Provinz, diese Welt, nachdem er das Durcheinander gereinigt hat und die Verschiedenheit jener doppelten Substanz, die vertrieben worden war, getrennt hat, die Substanz der beseelten und der materiellen Dinge. Aus unkörperlichen Substanzen baut er Körper, schwere, leichte, sich erhebende und sich neigende, himmlische und irdische. Dann beendet er
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Übersetzung sogar das siebengeschossige Himmelstheater mit seinem Thron über allem.
(20,2) Unde et Sabbatum dictum est ab hebdomade sedis suae, ut Ogdoada mater Achamoth ab argumento ogdoadis primigenitalis. Caelos autem νοερούς deputant et interdum angelos eos faciunt, sicut et ipsum Demiurgum, sicut et Paradisum archangelum quartum, quoniam et hunc supra caelum tertium pangunt, ex cuius virtute sumpserit Adam, deversatus illic inter nubeculas et arbusculas.
Daher wurde er auch Sabbatum von der Siebenzahl (Hebdomas) seines Sitzes genannt, wie Achamoth, seine Mutter, als Achtheit (Ogdoada) bezeichnet wird, aufgrund der erstgeborenen Achtheit. Die Himmel aber bestimmen sie als mit Verstand versehen und währenddessen machen sie diese zu Engeln, so wie auch den Demiurgen selbst, wie auch das Paradies, das als vierter Erzengel gilt, weil sie es über dem dritten Himmel befestigen, aus dessen Sphäre Adam etwas genommen hat, während er sich dort zwischen Wölckchen und Bäumchen aufhielt.
(20,3) Satis meminerat Ptolomaeus puerilium dicibulorum, in mari poma nasci et in arbore pisces; sic et in caelestibus nuceta praesumpsit. Operatur Demiurgus ignorans et ideo fortasse non scit arbores in sola terra institui oportere. Plane mater sciebat. Quidni suggerebat, quae et effectum suum ministrabat? Sed tantum fastigium filio extruens per ea opera quae illum et patrem et deum et regem ante Valentinianorum ingenia testantur, cur sibi quoque ista noluit esse nota, postea quaeram.
Ptolemäus hatte sich genug an die Kindermärchen erinnert, dass im Meer Früchte geboren werden und auf dem Baum Fische; und auf dieselbe Art hat er sich in den Himmeln Nusswälder vorgestellt. Der Demiurg wirkt als Unwissender und weiß daher vielleicht nicht, dass man Bäume eigentlich nur in Erde pflanzen sollte. Sicherlich wusste seine Mutter das. Warum hat sie ihm das nicht nahegelegt, die sie sonst auch sein Tun lenkte? Aber nachdem sie für ihren Sohn eine solch hohe Stellung errichtet hatte – durch diese Werke, die ihn auch ohne die Erfindungen der Valentinianer als Vater, Gott und König bezeugen – warum sie da nicht wollte, dass sie ihm auch persönlich bekannt ist, werde ich später untersuchen.
(21,1) Interim tenendum Sophiam cognominari et Terram et Matrem quasi Matrem Terram et, quod magis rideas, etiam Spiritum Sanctum. Ita omnem illi honorem contulerunt feminae, puto et barbam, ne dixerim cetera. Alioquin Demiurgus adeo rerum non erat compos – de animalibus scilicet censu invalitudinis spiritalia accedere – ut se solum ratus contionaretur: Ego deus, et absque me non est.
Inzwischen muss festgehalten werden, dass Sophia auch Erde und Mutter genannt wird, gleichsam Mutter-Erde und, worüber Du noch mehr lachen wirst, sogar Heiliger Geist. So haben sie jener Frau alle Ehre erwiesen, ich glaube, sogar einen Bart, von anderen Dingen will ich gar nicht reden. Wie dem auch sei: Der Demiurg war so sehr im Unklaren über die Dinge – nämlich durch den Ursprung des Unvermögens, sich den geistigen Dingen zu nähern, der von der seelischen Realität herkommt –, dass er in der Meinung, der einzige zu sein, öffentlich
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vernehmen ließ: „Ich bin Gott und außer mir gibt es keinen anderen.“ (21,2) Certe tamen non fuisse se retro sciebat. Ergo et factum intellegebat et factitatorem facti esse quemcumque. Quomodo ergo solus sibi videbatur? Etsi non certus, saltim suspectus de aliquo factitore!
Sicherlich jedoch wusste er, dass er vorher nicht gewesen ist. Daher verstand er auch, dass er erschaffen worden war und dass es auch irgendeinen Hersteller der Erschaffung gab. Warum also glaubte er, allein für sich zu sein? Auch wenn er keine Gewissheit hatte, hätte er wenigstens misstrauisch sein müssen, was den anderen Hersteller angeht!
(22,1) Tolerabilior infamia est apud illos in diabolum, vel quia origo sordidior capit. Ex nequitia enim maeroris illius deputatur, ex qua angelorum et daemonum et omnium spiritalium malitiarum genituras notant.
Erträglicher ist die Verleumdung bei jenen gegen den Teufel, sei es auch nur, weil sein niederträchtigerer Ursprung es erlaubt. Man glaubt nämlich, dass er aus der Verdorbenheit jener Trauer stammt, aus der sie die Entstehung der Engel, der Dämonen und aller geistigen Bosheiten erklären.
(22,2) Et tamen diabolum quoque opus Demiurgi adfirmant et Munditenentem appellant et superiorum magis gnarum defendunt, ut spiritalem natura, quam Demiurgum, ut animalem. Meretur ab illis praelationem cui omnes haereses procurantur.
Und dennoch bekräftigen sie, dass auch der Teufel das Werk des Demiurgen ist, und nennen ihn Welterhalter und behaupten, dass er besser über die oberen Dinge Bescheid weiß, da er von Natur aus geistig ist, als der Demiurg, der seelisch ist. Er verdient von jenen den Vorrang vor dem, um den sich alle Häresien besonders sorgen.
(23,1) Singularium autem potestatum arces his finibus collocant: in summis summitatibus praesidet tricenarius pleroma, Horo signante lineam extremam. Inferius illum metatur medietatem Achamoth, filium calcans. Subest enim Demiurgus in hebdomade sua.
Innerhalb dieser Grenzen aber sind die Festungen der einzelnen Mächte aufgestellt: auf den höchsten Gipfeln hat das Pleroma der Dreißig den Vorsitz, während Horos die äußerste Grenzlinie markiert. Unter jenem bewohnt Achamoth die Mitte und tritt dabei den Sohn mit ihren Füßen. Darunter ist nämlich der Demiurg in seiner Hebdomas.
(23,2) Magis diabolus in isto nobiscum convenit mundo coelementato et concorporificato, ut supra editum est, ex Sophiae utilissimis casibus, qua nec aerem haberet, reciprocandi spiritus spatium, teneram omnium corporum vestem, colorum omnium indicem, organum temporum, si non et istum Sophiae maestitia colasset, sicut animalia metus, sicut conversio eius ipsum Demiurgum.
Näheren Umgang hat mit uns der Teufel in dieser aus denselben Urstoffen zusammengesetzten und zu einem Körper verbundenen Welt, wie oben gesagt wurde, infolge der sehr nützlichen Fehltritte der Sophia, wobei sie (d.h. mundus) keine Luft haben würde, einen Raum, um den Atem fließen zu lassen, das zarte Gewand aller Körper, Kennzeichen aller Farben, Werkzeug der Zeiten, wenn nicht auch die Traurigkeit Sophias diese (d.h. aer) hätte herausrinnen lassen, wie ihre Furcht das Beseelte, und
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Übersetzung wie ihre Hinwendung den Demiurgen selbst.
(23,3) His omnibus elementis atque corporibus ignis inflabellatus est. Cuius originalem Sophiae passionem quia nondum ediderunt, ego interim argumentabor motiunculis eius excussum. Credas enim illam in tantis vexationibus etiam febricitasse.
All diesen Elementen und Körpern ist Feuer eingehaucht worden. Weil sie für seinen (d.h. ignis) Ursprung noch keine Leidenschaft Sophias angegeben haben, werde ich inzwischen beweisen, dass sie durch leichte Fieberanfälle erschüttert worden ist. Du sollst nämlich glauben, dass jene unter so großen Qualen sogar gefiebert hat.
(24,1) Cum talia de deo vel de diis, qualia de homine figmenta? Molitus enim mundum, Demiurgus ad hominem manus confert et substantiam ei capit non ex ista, inquiunt, arida, quam nos unicam novimus terram – quasi non, etsi arida postmodum, adhuc tamen, tunc aquis ante segregatis, superstite limo, siccaverit – sed ex invisibili corpore materiae, illius scilicet philosophicae, de fluxili et fusili eius, quod unde fuerit audeo aestimare, quia nusquam est!
Wenn so etwas über Gott bzw. die Götter gesagt wird, welche Erdichtungen gibt es dann über den Menschen? Nachdem der Demiurg nämlich die Welt ins Werk gesetzt hat, legt er seine Hände an den Menschen und nimmt für ihn eine Substanz nicht von dieser trockenen Erde, sagen sie, die wir als einzige Erde kennen – als ob sie nicht, auch wenn sie später trocken wurde, dennoch bis jetzt (nachdem damals die Wasser zuvor abgetrennt worden waren und der Lehm übrig geblieben war), am Austrocknen wäre – sondern aus dem unsichtbaren Körper der Materie, nämlich jener philosophischen, aus ihrem flüssigen und geschmolzenen ; woher das (d.h. fluxilis et fusilis) kommt, darüber wage ich eine Vermutung anzustellen, weil es (eigentlich) nirgendwo vorhanden ist!
(24,2) Si enim fusile et fluxile liquoris est qualitas, liquor autem omnis de Sophiae fletibus fluxit, sequitur ut limum ex pituitis et gramis Sophiae constitisse credamus, quae lacrimarum proinde sunt faeces, sicut aquarum quod desidet limus est. Figulat ita hominem Demiurgus et de afflatu suo animat. Sic erit et choicus et animalis, ad imaginem et similitudinem factus, quadruplex res, ut imago quidem choicus deputetur, materialis scilicet, etsi non ex materia Demiurgus, similitudo autem animalis: hoc enim et Demiurgus.
Wenn nämlich das Flüssige und Geschmolzene Eigenschaften von Flüssigkeit sind, alle Flüssigkeit jedoch aus dem Weinen Sophias hervorfloss, so folgt daraus, dass, wie wir glauben, der Lehm aus Rotz und Augenschleim Sophias bestanden hat; diese sind Rückstände der Tränen, genauso wie der Lehm das ist, was sich beim Wasser absetzt. So töpfert der Demiurg den Menschen und beseelt ihn durch sein Anhauchen. Dadurch wird er sowohl aus Erde bestehend als auch seelisch, als Bild und Ähnlichkeit, ein vierfaches Ding, sodass das Bild zwar aus Erde bestehend gedacht wird, d.h. aus der Materie bestehend, auch wenn der Demiurg nicht aus Materie ist, die
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Ähnlichkeit aber als seelisch: Das ist nämlich auch der Demiurg. (24,3) Habes duos interim. Carnalem superficiem postea aiunt choico supertextam, et hanc esse pelliceam tunicam obnoxiam sensui.
Du hast inzwischen zwei. Die fleischliche Oberfläche, sagen sie, wurde der aus Erde bestehenden später übergezogen, und dieses Kleid aus Tierhaut sei der Empfindung unterworfen.
(25,1) Inerat autem in Achamoth ex substantia Sophiae matris peculium quoddam seminis spiritalis, sicut et ipsa Achamoth in filio Demiurgo sequestraverat, ne hoc quidem gnaro. Accipe industriam clandestinae providentiae huius.
Es befand sich aber in Achamoth aus der Substanz ihrer Mutter Sophia ein gewisses Vermögen des geistigen Samens, wie auch Achamoth selbst diesen in ihren Sohn, den Demiurgen zur Verwahrung gegeben hatte, und dieses ohne sein Wissen. Vernimm den Eifer ihrer heimlichen Fürsorge.
(25,2) Ad hoc enim et deposuerat et occultaverat ut, cum Demiurgus animam mox de suo afflatu in Adam communicaret, pariter et semen illud spiritale quasi per canalem animam derivaretur in choicum, atque ita feturatum in corpore materiali velut in utero et adultum illic, idoneum inveniretur suscipiendo quandoque sermoni perfecto.
Dazu hatte sie ihn (d.h. semen) nämlich auch abgelegt und verborgen, dass, wenn der Demiurg die Seele bald durch sein Anhauchen in Adam übertrüge, auf gleiche Weise auch jener geistige Samen wie durch ein Röhrchen durch die Seele in das aus Erde bestehende abgeleitet wird, und so, nachdem er im materiellen Körper wie in einer Gebärmutter befruchtet wurde und dort herangewachsen ist, für fähig befunden wird, irgendwann einmal das vollkommene Wort aufzunehmen.
(25,3) Itaque cum Demiurgus traducem animae suae committit in Adam, latuit homo spiritalis flatui eius insertus et pariter corpori inductus, quia non magis semen noverat matris Demiurgus quam ipsam. Hoc semen Ecclesiam dicunt, Ecclesiae supernae speculum et Hominis censum, proinde eum ab Achamoth deputantes, quemadmodum animalem a Demiurgo, choicum substantia ἀρχῆς, carne materialem. Habes novum, id est quadruplum Geryonem.
Als daher der Demiurg Adam den Ableger seiner Seele einpflanzte, blieb der geistige Mensch verborgen, der seinem Hauch beigefügt war und somit in den Körper hineingeleitet worden ist, weil der Demiurg noch weniger den Samen der Mutter kannte als sie selbst. Diesen Samen nennen sie Kirche (Ecclesia), Abbild der oberen Kirche und Ursprung des Menschen, daher glauben sie, dass er (d.h. Adam) geistig ist von Achamoth her, ebenso seelisch vom Demiurgen, aus Erde bestehend durch die Substanz des Ursprungs, durch das Fleisch materiell. Du hast einen neuen, nämlich vierfachen Geryon.
(26,1) Sic et exitum singulis dividunt: materiali quidem, id est carnali, quem et sinistrum vocant, indubitatum interitum; animali vero, quem et dextrum appellant, dubitatum eventum, utpote inter materialem spiritalemque
So teilen sie auch das Schicksal den einzelnen zu: Einerseits teilen sie dem Materiellen, d.h. dem Fleischlichen, den sie auch den Linken nennen, einen unbezweifelbaren Untergang zu; andererseits
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nutanti et illac debito qua plurimum adnuerit; ceterum spiritalem emitti in animalis comparationem, ut erudiri cum eo et exerceri in conversationibus potuit.
dem Seelischen, den sie auch als Rechten bezeichnen, einen zweifelhaften Ausgang, weil er nämlich zwischen dem Materiellen und dem Geistigen schwankt und dorthin bestimmt ist, wo er am meisten hinneigt; der Geistige schließlich sei zur Vorbereitung des Seelischen ausgeschickt worden, sobald er mit ihm zusammen erzogen und in der Lebensführung unterrichtet werden konnte.
(26,2) Indiguisse enim animalem etiam sensibilium disciplinarum. In hoc et paraturam mundi prospectam, in hoc et Soterem in mundo repraesentatum, in salutem scilicet animalis. Alia adhuc compositione monstruosum volunt illum prosicias earum substantiarum induisse, quarum summam saluti esset redacturus, ut spiritalem quidem susceperit ab Achamoth, animalem vero a Demiurgo, quem mox induerit Christum; ceterum corporalem, ex animali substantia sed miro et inenarrabili rationis ingenio constructam, administrationis causa interim tulisse, quo congressui et conspectui et contactui et defunctui ingratis subiaceret; materiale autem nihil in illo fuisse, utpote salutis alienum. Quasi aliis fuerit necessarius quam egentibus salute! Et totum hoc, ut carnis nostrae habitum alienando a Christo a spe etiam salutis excipiant.
Der Seelische habe nämlich auch sinnlich wahrnehmbarer Unterweisungen bedurft. Dazu sei auch die Erschaffung der Welt vorhergesehen worden, dazu sei auch der Soter in der Welt vergegenwärtigt worden, nämlich zum Heil des Seelischen. In noch einer anderen Zusammenstellung wollen sie, dass jener (sc. Soter) ganz widernatürlich Opferstücke dieser Substanzen anlegte, deren Gesamtheit er später zum Heil hinbringen sollte, sodass er zwar die geistige von Achamoth empfing, die seelische aber vom Demiurgen, den er bald als Christus anzog; schließlich habe er die körperliche Substanz, die aus der seelischen Substanz aber mit einem seltsamen und unaussprechlichen Gedankeneinfall zusammengesetzt wurde, wegen der Heilsordnung in der Zwischenzeit getragen, wodurch er der Zusammenkunft, der Erscheinung, der Berührung und dem Tod wider Willen unterworfen war; Materielles aber sei nichts an ihm gewesen, da es nämlich dem Heil fremd sei. Als ob er für andere nötig wäre als für diejenigen, die das Heil brauchen! Und all dieses, damit sie das Gewand unseres Fleisches von Christus fernhalten und es so auch von der Hoffnung auf Heil ausschließen.
(27,1) Nunc reddo de Christo in quem tanta licentia Iesum inserunt quidam quanta spiritale semen animali cum inflatu infulciunt, fartilia nescio quae commenti et hominum et deorum suorum: esse etiam Demiurgo suum Christum, filium naturalem, denique animalem, prolatum ab ipso, promulgatum prophetis, in praepositionum quaestionibus positum, id est per virginem, non ex virgine
Nun gebe ich über Christus wieder, in den einige Jesus mit der gleichen Willkür einfügen, wie sie den geistigen Samen in den seelischen Menschen mit Einhauchen hineinstopfen, wobei sie ich weiß nicht was für Stopf-Mischungen über ihre Menschen und Götter erfunden haben: dass auch der Demiurg seinen Christus hatte, einen natürlichen Sohn, somit seelisch, von ihm
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editum, quia delatus in virginem transmeatorio potius quam generatorio more processerit, per ipsam, non ex ipsa, non matrem eam sed viam passus.
selbst hervorgebracht, durch die Propheten verkündigt, an Diskussionen über die Präpositionen beteiligt, d.h. dass er durch eine Jungfrau, nicht aus einer Jungfrau geboren wurde, weil er, nachdem er in eine Jungfrau herabgekommen war, eher auf eine durchgehende als die Zeugung betreffende Weise hervorgegangen ist, durch sie, nicht aus ihr, indem er sie nicht als Mutter sondern als Weg erfuhr.
(27,2) Super hunc itaque Christum devolasse tunc in baptismatis sacramento Iesum per effigiem columbae. Fuisse autem et in Christo etiam ex Achamoth spiritalis seminis condimentum, ne marcesceret scilicet reliqua farsura. Nam in figuram principalis tetradis quattuor eum substantiis stipant, spiritali Achamothiana, animali Demiurgina, corporali inenarrativa, et illa Sotericiana, id est columbina. Et Soter quidem permansit in Christo impassibilis inlaesibilis inapprehensibilis. Denique cum ad prehensiones venitur, discessit ab illo, in cognitione Pilati.
Auf diesen Christus also sei damals in der Heilstat der Taufe durch die Gestalt der Taube Jesus herabgeflogen. Aber auch in Christus sei noch von Achamoth her die Würze des geistigen Samens gewesen, damit nämlich nicht die restliche Füllung fad wird. Denn nach dem Abbild der ursprünglichen Tetras stopfen sie ihn mit vier Substanzen voll, nämlich mit der achamothianischen geistigen Substanz, mit der demiurgischen seelischen Substanz, mit der unaussprechlichen körperlichen Substanz und jener soterianischen, d.h. taubenartigen Substanz. Und der Soter jedenfalls verblieb in Christus leidensunfähig, unverletzbar, unfassbar. Als man schließlich zu den Verhaftungen schritt, ging er von ihm weg, im Prozess des Pilatus.
(27,3) Proinde nec matris semen admisit iniurias, aeque insubditivum et ne ipsi quidem Demiurgo compertum. Patitur vero animalis et carneus Christus, in delineationem superioris Christi, qui, Achamoth formando substantivali non agnitionali forma, Cruci id est Horo fuerat innixus. Ita omnia in imagines urgent, plane et ipsi imaginarii Christiani.
Ebenso hat auch der Samen der Mutter keine Verwundungen angenommen, weil er in gleicher Weise heimlich hineingesteckt und nicht einmal dem Demiurgen selbst bekannt war. Leidensfähig aber ist der seelische und fleischliche Christus, in Nachzeichnung des oberen Christus, der, als er Achamoth mit der Gestalt der Substanz, nicht der Erkenntnis gestaltet hat, sich auf das Kreuz, d.h. Horos gestützt hat. So drängen sie alles in Bilder, offensichtlich sind sie auch selbst bloß scheinbare Christen.
(28,1) Interea Demiurgus omnium adhuc nescius, ut, si aliquid et ipse per prophetas contionabitur, ne huius quidem operis sui intelligens; dividunt enim et prophetiale patrocinium in Achamoth, semen, in Demiurgum. Ubi adventum Soteris accepit, propere et ovanter accurrit cum omnibus suis
Unterdessen ist der Demiurg noch immer über alles unwissend, sodass er, wenn er auch selbst irgendetwas durch die Propheten verkündigen wird, nicht einmal sein eigenes Werk versteht; sie verteilen nämlich auch die prophetische Autorität zwischen Achamoth, dem Samen und dem
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viribus – centurio de evangelio – et de omnibus inluminatus ab illo etiam spem suam discit quod successurus sit in locum matris.
Demiurgen. Sobald er die Ankunft des Soters vernommen hat, kommt er eilends und frohlockend mit all seinen Kräften herbei – der Zenturio vom Evangelium – und, nachdem er über alles erleuchtet ist, lernt er von ihm auch seine Hoffnung: dass er an den Ort der Mutter nachrücken wird.
(28,2) Ita exinde securus, dispensationem mundi huius, vel maxime ecclesiae protegendae nomine, quanto tempore oportuerit, insequitur.
Da er von nun an sorglos ist, verfolgt er die Verwaltung dieser Welt, besonders um die Kirche zu schützen, für so viel Zeit, wie nötig sein wird.
(29,1) Colligam nunc ex disperso ad concludendum quae de totius generis humani dispositione iusserant. Triformem naturam primordio professi et tamen inunitam in Adam, inde iam dividunt per singulares generum proprietates, nacti occasionem distinctionis huiusmodi ex posteritate ipsius Adae, moralibus quoque differentiis tripertita.
Ich will nun aus der zerstreuten abschließend zusammenstellen, was sie über die (An-)Ordnung des ganzen Menschengeschlechts behauptet hatten. Nachdem sie behauptet hatten, dass die Natur (des Menschen) vom Uranfang an dreigestaltig und dennoch in Adam vereinigt war, teilen sie diese daraus sogleich entsprechend der jeweiligen Eigenschaften der Abstammungslinien, weil sie die Gelegenheit zu einer derartigen Unterscheidung aus der Nachkommenschaft Adams selbst erlangt haben, die ebenfalls durch moralische Unterschiede dreigeteilt war.
(29,2) Cain et Abel, Seth, fontes quodammodo generis humani, in totidem derivant argumenta naturae atque sententiae: choicum, saluti degeneratum, ad Cain redigunt; animale, mediae spei deliberatum, ad Abel componunt; spiritale, certae saluti praeiudicatum, in Seth recondunt. Sic et animas ipsas duplici proprietate discernunt, bonas et malas, secundum choicum statum ex Cain et animalem ex Abel.
Kain, Abel und Seth, gewissermaßen die Quellen des Menschengeschlechts, leiten sie ab in ebenso vielen Argumenten der Natur und des Urteils: das aus Erde Bestehende, das dem Heil gegenüber entartet ist, führen sie auf Kain zurück; das Seelische, für das eine noch ungewisse Hoffnung erwogen wird, ordnen sie Abel zu; das Geistige, das für das sichere Heil vorherbestimmt ist, gründen sie in Seth. So unterscheiden sie auch die Seelen selbst mithilfe der doppelten Eigenschaft, als gute und böse, gemäß des aus Erde bestehenden Zustands, der von Kain stammt, und des seelischen von Abel.
(29,3) Spiritale enim ex Seth de obvenientia superducunt iam non naturam sed indulgentiam, ut quod Achamoth de superioribus in animas bonas depluat, id est animali censui inscriptas; choicum enim genus, id est malas animas, numquam capere salutaria. Immutabilem enim et irreformabilem naturae
Denn das Geistige aus Seth fügen sie nach dem Zufallsprinzip hinzu, nicht mehr als Natur sondern als Gnade, da Achamoth dies nämlich von oben her auf die guten Seelen herabregnen lässt, d.h. diejenigen, die in den seelischen Ursprung eingeschrieben sind; das aus Erde
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naturam pronuntiaverunt. Id ergo granum seminis spiritalis modicum et parvulum iactu, sed eruditu huius fides augetur atque provehitur, supra diximus, animaeque hoc ipso ita ceteris praeverterant ut Demiurgus tunc ignorans magni eas fecerit.
bestehende Geschlecht nämlich, d.h. die schlechten Seelen, erlangen niemals die Heilmittel. Denn sie haben eine unwandelbare und unveränderliche Natur der Natur verkündigt. Dieses Körnchen des geistigen Samens ist beim Auswerfen bescheiden und winzig, aber durch seine Unterweisung wird der Glauben vergrößert und weitergeführt, wie wir oben gesagt haben, und die Seelen erlangten hierdurch einen solchen Vorzug vor den anderen, dass der Demiurg, der damals noch nichts wusste, sie hoch schätzte.
(29,4) Ex earum ergo laterculo et in reges et in sacerdotes allegare consueverat. Quae nunc quoque, si plenam atque perfectam notitiam apprehenderint istarum neniarum, naturificatae iam spiritalis condicionis germanitate, certam obtinebunt salutem, immo omnimodo debitam.
Es war daher seine Gewohnheit, sie (d.h. animae) aus ihrem Verzeichnis in die Könige und Priester zu entsenden. Und wenn diese (d.h. animae regum et sacerdotum) jetzt auch das volle und vollständige Wissen über diesen Singsang erfasst haben, werden sie – dank ihrer natürlichen Verwandtschaft mit der geistigen Beschaffenheit – das Heil mit Sicherheit, geradezu mit zwingender Notwendigkeit erlangen.
(30,1) Ideoque nec operationes necessarias sibi existimant nec ulla disciplinae munia observant, martyrii quoque eludentes necessitatem qua volunt interpretatione. Hanc enim regulam animali semini praestitutam, ut salutem, quam non de privilegio status possidemus, de suffragio actus elaboremus. Nobis enim inscriptura huius seminis qui imperfectae scientiae sumus, quia norimus Philetum, et utique abortui deputatur, quod mater illorum.
Deshalb erachten sie weder die religiösen Werktätigkeiten für sich als notwendig noch halten sie irgendeine Aufgabe der Moralvorstellung ein, wobei sie auch der Unabwendbarkeit des Martyriums mit der Deutung, mit der sie wollen, ausweichen. Diese Regel nämlich sei dem seelischen Samen von vornherein festgeschrieben, dass wir das Heil, das wir nicht durch das Vorzugsrecht des Standes besitzen, durch die Unterstützung der Tätigkeiten erarbeiten. Denn wir tragen die Bezeichnung dieses Samens eingraviert, die wir unvollkommenes Wissen haben, weil wir Philetus nicht kennen, und er jedenfalls als Fehlgeburt gilt, was die Mutter jener war.
(30,2) Sed nobis quidem vae, si excesserimus in aliquo disciplinae iugum, si obtorpuerimus in operibus sanctitatis atque iustitiae, si confitendum alibi nescio ubi et non sub potestatibus istius saeculi apud tribunalia praesidum optaverimus.
Aber wehe uns, falls wir das Joch der Moralvorstellung in irgendetwas überschritten haben, falls wir in den Werken der Heiligkeit und Gerechtigkeit erschlafft waren, falls wir es vorgezogen haben, das Bekenntnis anderswo – ich weiß nicht wo – abzulegen und nicht vor den Mächtigen
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Übersetzung dieses Zeitalters, vor den Tribunalen der Statthalter.
(30,3) Illi vero et de passivitate vitae et diligentia delictorum generositatem suam vindicent, blandiente suis Achamoth, quoniam et ipsa delinquendo profecit. Nam et honorandorum coniugiorum supernorum gratia edicitur apud illos meditandum atque celebrandum semper sacramentum comiti, id est feminae, adhaerendi; alioquin degenerem nec legitimum veritatis qui deversatus in mundo non amaverit feminam nec se ei iunxerit. Et quid facient spadones quos videmus apud illos?
Jene aber werden ihre edle Herkunft in Anspruch nehmen, um sich von der Unbeständigkeit ihres Lebens und von der Hingabe an die Übertretungen freizusprechen, während Achamoth den Ihrigen schmeichelt, weil ja auch sie selbst etwas erreicht hat, indem sie einen Fehler begangen hat. Denn bei ihnen ist auch festgesetzt, dass, um den oberen ehelichen Verbindungen Ehre zu erweisen, immer das Geheimnis der Vereinigung mit einem Gefährten, d.h. einer Frau, eingeübt und gefeiert werden muss; überhaupt sei derjenige entartet und für die Wahrheit ungeeignet, der, während er sich in der Welt aufhielt, weder eine Frau geliebt noch sich mit ihr verbunden habe. Und was werden die Entmannten machen, die wir bei ihnen sehen?
(31,1) Superest de consummatione et dispensatione mercedis. Ubi Achamoth totam massam seminis sui presserit, dein colligere in horreum coeperit, vel cum ad molas delatum et defarinatum in consparsione salutari absconderit, donec totum confermentetur, tunc consummatio urgebit. Igitur imprimis ipsa Achamoth de regione medietatis, de tabulato secundo in summum transferetur. Restitutam pleromati statim excipit compacticius ille Soter, sponsus scilicet, ambo coniugium novum fiet; hic erit in scripturis sponsus, et sponsalis pleroma. Credas enim, ubi de loco in locum transmigratur, leges quoque Iulias intervenire.
Es bleibt aber übrig, vom Weltende und der Verteilung des Lohns . Sobald Achamoth die ganze Menge ihres Samens ausgepresst hat, wird sie daraufhin beginnen, diesen in einer Scheune zu sammeln, oder sie wird ihn, wenn sie ihn zur Mühle gebracht und zu Mehl verarbeitet hat, im heilbringenden Teig verbergen, bis er ganz durchsäuert ist, dann wird das Weltende drängen. Deshalb wird vor allem Achamoth selbst aus dem Gebiet der Mitte, vom zweiten Stock in den höheren hinübergebracht. Nachdem sie wieder ins Pleroma aufgenommen wurde, empfängt sie sofort jener zusammengefügte Soter, als Bräutigam natürlich, beide werden eine neue eheliche Verbindung eingehen; dieser wird der in den Schriften Bräutigam sein, und das Brautgemach wird das Pleroma sein. Du könntest nämlich glauben, dass, wo man von Ort zu Ort hinüberwandert, auch die Julischen Gesetze zur Anwendung kommen.
(31,2) Sicut ex scaena et Demiurgus tunc de hebdomade caelesti in superiora mutavit, in vacuum iam caenaculum matris, sciens iam
Wie auf der Bühne hat auch der Demiurg dann von der himmlischen Hebdomas in die oberen gewechselt, in den nun leeren Saal der Mutter, wobei er zwar
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nec videns illam. Nam, si ita erat, semper ignorare maluisset.
wusste, jene aber nicht sah. Denn, wenn das so gewesen wäre, hätte er es vorgezogen, für immer unwissend zu bleiben.
(32,1) Humana vero gens in hoc exitus ibit: choicae et materialis notae totum interitum, quia omnis caro foenum. Et anima mortalis apud illos nisi quae salutem fide invenerit. Iustorum animae, id est nostrae, ad Demiurgum in medietatis receptacula transmittentur: agimus gratias! Contenti erimus cum deo nostro deputari, qua census nihil animalis in pleromatis palatium admittitur, nisi spiritale examen Valentini.
Das Menschengeschlecht aber wird auf dieses Schicksal zugehen: der gänzliche Untergang für Menschen mit der zur Erde gehörenden und materiellen Markierung, „weil alles Fleisch Heu ist“ (Jes 40,6). Auch die Seele ist bei jenen sterblich, außer sie hat Rettung im Glauben gefunden. Die Seelen der Gerechten, d.h. unsere, werden zum Demiurgen an die Zufluchtsorte in der Mitte hinübergeschickt: Dankeschön! Wir werden zufrieden sein, dass man uns zu unserem Gott dazuzählt, insofern nichts seelischen Ursprungs in den Palast des Pleromas zugelassen wird, außer der geistige Haufen Valentins.
(32,2) Illic itaque primo dispoliantur homines ipsi, id est interiores – dispoliare est autem deponere animas quibus induti videbantur – easque Demiurgo suo reddent quas ab eo averterant; ipsi autem spiritus in totum fient intellectuales neque detentui neque conspectui obnoxii, atque ita invisibiliter in pleroma recipientur. Furtim, si ita est.
Dort werden die Menschen selbst daher zuerst ausgezogen, d.h. die inneren – ausgezogen zu werden meint aber die Seelen abzulegen, mit denen sie bekleidet zu sein schienen – und sie werden sie (d.h. animae) ihrem Demiurgen zurückgeben, die sie von ihm genommen hatten; die Geistigen selbst aber werden im Ganzen geistig und sind weder dem Festgehalten-Werden noch der Erscheinung unterworfen, und so werden sie unsichtbar ins Pleroma wiederaufgenommen werden. Heimlich, wenn es so ist.
(32,3) Quid deinde? Angelis distribuentur, satellitibus Soteris. In filios putas? Non unus. Sed in adparitores? Ne istud quidem. Sed in imagines? Utinam vel hoc! In quid ergo, si non pudet dicere? In sponsas. Tunc illi Sabinas raptas inter se de matrimoniis ludent. Haec erit spiritalium merces, hoc praemium credendi.
Was passiert dann? Sie werden unter den Engeln verteilt, den Begleitern des Soter. Als ihre Kinder, glaubst Du? Nicht einer. Aber als Diener? Nicht einmal dieses. Aber als Bilder? Wenn es doch das wäre! Als was dann also, wenn es nicht beschämend ist, es zu sagen? Als Bräute. Dann werden sie den Raub der Sabinerinnen mit ihren Ehen untereinander nachspielen. Dies wird der Lohn der Geistigen sein, das ist der Preis für ihren Glauben.
(32,4) Fabulae tales utiles ut Marcus aut Gaius, in hac carne barbatus et hac anima severus maritus, pater, avus, proavus, certe quod sufficit masculus, in nymphone pleromatis, ab angelo ... – tacendo iam dixi – et
Solche erfundenen Geschichten sind nützlich, dass Marcus oder Gaius, in diesem Fleisch bärtig und mit dieser Seele ein strenger Ehemann, Vater, Großvater, Urgroßvater, auf jeden Fall – was
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forsitan pariat aliquem Onesimum aeonem. His nuptiis recte deducendis, pro face et flammeo tunc, credo, ille ignis arcanus erumpet et, universam substantiam depopulatus, ipse quoque decineratis omnibus in nihilum finietur, et nulla iam fabula.
ausreicht – ein Mann, im Brautzimmer des Pleromas, von einem Engel … – durch mein Schweigen habe ich es schon gesagt – und vielleicht den Äon Onesimus hervorbringt. Während diese Hochzeiten tugendhaft gefeiert werden, wird statt der Fackel und des Brautschleiers, glaube ich, dann jenes geheimnisvolle Feuer ausbrechen und, nachdem es die gesamte Substanz verwüstet hat, selbst auch zu nichts erlöschen, wenn alles zu Asche geworden ist, und schon gibt es keine erfundene Geschichte mehr.
(32,5) Sed ne ego temerarius qui tantum sacramentum etiam inludendo prodiderim. Verendum mihi est ne Achamoth, quae se nec filio agnitam voluit, insaniat, ne Philetus irascatur, ne Fortunata acerbetur. Et tamen homo sum Demiurgi; illuc habeo devertere post excessum ubi omnino non nubitur, ubi superindui potius quam dispoliari, ubi, etsi dispolior, sexui meo deputor. Angelis non angelus, non angela. Nemo mihi quicquam faciet, quem et tunc masculum invenient.
Aber , dass ich nicht unbedacht bin, da ich ein so großes Geheimnis sogar durch Spotten enthüllt habe. Ich muss befürchten, dass Achamoth, die nicht einmal von ihrem Sohn erkannt werden wollte, toben wird, dass Philetus zornig wird, dass Fortunata verbittert wird. Und dennoch bin ich ein Mensch des Demiurgen; dorthin habe ich mich hinzuwenden nach dem Hinscheiden, wo überhaupt nicht geheiratet wird, wo eher bekleidet als ausgezogen wird, wo ich, auch wenn ich ausgezogen werde, zu meinem Geschlecht gezählt werde, für die Engel werde ich kein Engel sein und keine Engelin. Niemand wird mir irgendetwas tun, da sie mich auch dann als Mann vorfinden werden.
(33,1) Producam denique velut epicitharisma post fabulam tantam, etiam illa quae, ne ordini obstreperent et lectoris intentionem interiectione dispargerent, hunc malui in locum distulisse, aliter atque aliter commendata ab emendatoribus Ptolemaei. Exstiterunt enim de schola ipsius discipuli super magistrum, qui duplex coniugium Bytho suo adfingerent, Cogitationem et Voluntatem.
Ich will schließlich gleichsam als musikalisches Nachspiel nach einer solchen erfundenen Geschichte auch jene (sc. Lehren) vorführen, die ich, damit sie nicht in der Reihenfolge hinderlich sind und die Aufmerksamkeit des Lesers durch einen Einschub zerstreuen, lieber an diesen Ort verschieben wollte, nachdem sie von denjenigen, die die Lehre des Ptolemäus verschlimmbessert haben, immer wieder anders ausgeschmückt worden sind. Es sind nämlich aus seiner Schule noch Schüler über den Lehrer hinausgegangen, die ihrem Bythos eine doppelte eheliche Verbindung angedichtet haben, Denken (Cogitatio) und Wille (Voluntas).
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(33,2) Una enim satis non erat Cogitatio, qua nihil producere potuisset. Ex duabus facillime prolatum primum coniugium, Monogenem Veritatem, ad imaginem quidem Cogitationis feminam Veritatem, ad imaginem Voluntatis marem Monogenem. Voluntatis enim vis, uti quae effectum praestat Cogitationi, viritatis obtinet censum.
Allein war das Denken nämlich nicht genug, da es nichts hatte hervorbringen können. Aus zweien wurde ganz leicht die erste eheliche Verbindung hervorgebracht, Eingeborener (Monogenes) und Wahrheit (Veritas), als Abbild des Denkens jedenfalls die Frau Wahrheit, als Abbild des Willens der Mann Eingeborener. Denn die Kraft des Willens, die dem Denken die Wirkung verleiht, enthält den Ursprung der Männlichkeit.
(34,1) Pudiciores alii, honorem divinitatis recordati, ut etiam unius coniugis dedecus ab eo avellerent, maluerunt nullum Bytho sexum deputare, et fortasse „hoc deum“, non „hic deus“, neutro genere pronuntiant.
Andere, die sich an die Ehre der Gottheit erinnern, sind schamhafter: Um die Schande auch nur einer einzigen Gattin von ihm loszureißen, wollten sie lieber kein Geschlecht für Bythos festlegen, und vielleicht verkündigen sie „dieses Gott“, nicht „dieser Gott“, im Genus Neutrum.
(34,2) Alii contra magis et masculum et feminam dicunt, ne apud solos Lunenses hermaphroditum existimet „Annalium“ commentator Fenestella.
Wieder andere dagegen bezeichnen ihn eher sowohl als Mann als auch als Frau, damit nicht der Verfasser der „Annalen“, Fenestella, glaubt, dass es allein bei den Lunensern einen Hermaphrodit gegeben habe.
(35,1) Sunt [inquit] qui nec principatum Bytho defendant sed postumatum, ogdoadem ante omnia praemittentes, ex tetrade quidem et ipsam sed aliis nominibus derivatam. Primo enim constituunt Proarchen, secundo Anennoeton, tertio Arrheton, quarto Aoraton.
Einige gibt es, [sagt er], die nicht die erste, sondern die letzte Stelle für Bythos behaupten, indem sie die Ogdoas allen Dingen vorausschicken, die zwar selbst auch aus einer Tetrade abgeleitet wurde, jedoch unter anderen Namen. An die erste Stelle nämlich setzen sie den Voranfang (Proarche), an die zweite den Undenkbaren (Anennoetos), an die dritte den Unsagbaren (Arrhetos), an die vierte den Unsichtbaren (Aoratos).
(35,2) Ex Proarche itaque processisse primo et quinto loco Archen, ex Anennoeto secundo et sexto loco Acatalepton, ex Arrheto tertio et septimo loco Anonomaston, ex Invisibili quarto et octavo loco Agenneton. Hoc quae ratio disponat, ut singula binis locis et quidem tam intercisis nascantur, malo ignorare quam discere. Quid enim recti habent quae tam perverse proferuntur?
Aus dem Voranfang sei deshalb an erster und fünfter Stelle der Anfang (Arche) hervorgegangen, aus dem Undenkbaren an zweiter und sechster Stelle der Unbegreifliche (Acataleptos), aus dem Unsagbaren an dritter und siebter Stelle der Unnennbare (Anonomastos), aus dem Unsichtbaren an vierter und achter Stelle der Ungezeugte (Agennetos). Welche Überlegung dies so anordnet, dass einzelne an zwei und so weit voneinander entfernten Orten geboren werden, will ich lieber nicht wissen, statt es zu lernen. Was nämlich haben Dinge, die so
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Übersetzung verkehrt hervorgebracht werden, schon richtiges an sich?
(36,1) Quanto meliores qui totum hoc taedium de medio amoliti nullum aeonem voluerunt alium ex alio per gradus revera Gemonios structum, sed mappa, quod aiunt, missa semel octoiugum istam ex Propatore et Ennoea eius excusam. Ex ipso denique rerum motu nomina gerunt.
Wie viel besser sind die, die, nachdem sie diesen ganzen Ekel aus ihrer Mitte beseitigt haben, nicht wollten, dass irgendein Äon aus einem jeweils anderen stufenweise, geradezu über die Gemonische Treppe zusammengebaut ist, sondern dass, sobald, sozusagen, das Signaltuch gefallen ist, dieses Achtgespann auf einmal aus dem Vorvater (Propater) und seinem Denken (Ennoea) herausgeschleudert worden ist. Aus derselben Bewegung der Dinge haben sie folglich ihre Namen.
(36,2) „Cum“, inquiunt, „cogitavit proferre hoc Pater dictus est. Cum protulit, quia vera protulit, hoc Veritas appellata est. Cum semetipsum voluit probari, hoc Homo pronuntiatus est. Quos autem praecogitavit cum protulit, tunc Ecclesia nuncupata est. Sonuit Homo Sermonem – et hic est primogenitus filius – et Sermoni accessit Vita, et ogdoas prima conclusa est.“ Sed hoc taedium non pusillum!
„Als er“, sagen sie, „den Gedanken fasste, etwas hervorzubringen, wurde dies Vater (Pater) genannt. Als er hervorbrachte, wurde dies, weil er Wahres hervorbrachte, Wahrheit (Veritas) genannt. Als er wollte, dass er selbst erwiesen wird, wurde dies als Mensch (Homo) bezeichnet. Und als er aber die hervorbrachte, er zuvor als Gedanken gefasst hat, das wurde dann Kirche (Ecclesia) genannt. Der Mensch hat das Wort (Sermo) ertönen lassen – und dieser ist der erstgeborene Sohn – und zum Wort kam das Leben (Vita) hinzu, und die erste Ogdoas wurde abgeschlossen.“ Dieser Ekel ist jedoch nicht sehr winzig!
(37,1) Accipe alia ingenia circulatoria insignioris apud eos magistri, qui ex pontificali sua auctoritate in hunc modum censuit: „Est“, inquit, „ante omnia Proarche, inexcogitabile et inenarrabile, innominabile, quod ego nomino Monoteta. Cum hac erat alia virtus, quam et ipsam appello Henoteta.
Vernimm andere gauklerische Erfindungen eines bei ihnen ziemlich bekannten Lehrers, der sich aus seiner bischöflichen Autorität heraus auf diese Art und Weise ausgesprochen hat: „Es existierte“, sagt er, „vor allen Dingen der Uranfang (Proarche), etwas undenkbares, unsagbares und unnennbares, das ich Alleinheit (Monotes) nenne. Mit dieser zusammen existierte eine andere Kraft, dieselbe nenne ich Einheit (Henotes).
(37,2) – id est Solitas et Unitas – cum unum essent, protulerunt, non proferentes, initium omnium intellectuale, innascibile, invisibile, quod sermo vocavit; huic adest consubstantiva virtus, quam appellat Unionem.
Als Alleinheit (Monotes) und Einheit (Henotes) – das sind Einsamkeit (Solitas) und Einheit (Unitas) – eins waren, haben sie, indem sie gerade nicht hervorbrachten, den intelligiblen, ungeborenen, unsichtbaren Anfang von allem hervorgebracht, was das
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Haec igitur virtutes, Solitas, Unitas, , Unio, ceteras prolationes aeonum propagarunt.“ O differentia! Mutetur Unio et Unitas et Singularitas [et suum] et Solitas, quaqua designaveris, unum est!
Wort als Einssein (Monas) bezeichnet hat. Diesem (d.h. monas) steht die wesensgleiche Kraft bei, die es (d.h. sermo) das Eine (Unio) nennt. Diese Kräfte – Einsamkeit (Solitas), Einheit (Unitas), Einssein (Singularitas), das Eine (Unio) – haben daher die übrigen Hervorbringungen der Äonen fortgesetzt.“ Was für ein Unterschied! Es möge vertauscht werden das Eine (Unio) und Einheit (Unitas) und Einssein (Singularitas) und Einsamkeit (Solitas), wie auch immer du sie nennen willst: Es ist eins!
(38) Humanior iam Secundus ut brevior, ogdoadem in duas tetradas dividens, in dexteram et sinistram, in lumen et tenebras, tantum quod desultricem et defectricem illam virtutem non vult ab aliquo deducere aeonum, sed a fructibus de substantia veniat.
Menschenfreundlicher, weil kürzer, ist schon Secundus, der die Ogdoas in zwei Tetraden teilt, in eine rechte und eine linke, in Licht und Finsternis, insofern als er nicht jene unbeständige und mangelhafte Kraft von irgendeinem der Äonen ableiten will, sondern sie soll von den Früchten (ihrer) Substanz kommen.
(39,1) De ipso iam domino Iesu quanta diversitas scinditur! Hi ex omnium aeonum flosculis eum construunt; illi ex solis decem constitisse contendunt quos Sermo et Vita protulerunt, inde et in ipsum Sermonis et Vitae concurrerunt tituli; isti ex duodecim potius ex Hominis et Ecclesiae fetu, ideoque Filium Hominis avite pronuntiatum; alii a Christo et Spiritu Sancto constabiliendae universitati provisis confictum et inde paternae appellationis heredem.
Und dann erst bei Jesus, dem Herrn – was für eine Verschiedenheit sich da auftut! Die einen setzen ihn aus den Blüten aller Äonen zusammen; die anderen behaupten fest, dass er aus lediglich jenen zehn begründet worden ist, die Wort und Leben hervorgebracht haben, daher sind auf ihn auch die Bezeichnungen Wort und Leben übergegangen; wieder andere lassen ihn eher aus den zwölf, aus der Nachkommenschaft von Mensch und Kirche hervorgehen, deshalb werde er von seinen Stammeltern her Menschensohn genannt; und wieder andere sagen, dass er aus Christus und dem Heiligen Geist, die für die Befestigung des Universums gesorgt hatten, gefertigt wurde und daher Erbe des väterlichen Namens sei.
(39,2) Sunt qui Filium Hominis aliunde conceperint dicendum, quoniam ipsum patrem pro magno nominis sacramento Hominem appellasse praesumpserint, ut quid amplius speres de eius dei fide cui nunc adaequaris. Talia ingenia superfruticant apud illos ex materni seminis redundantia.
Und es gibt einige, die sich vorgestellt haben, dass die Bezeichnung Menschensohn von woanders her kommen müsse, weil sie gewagt haben, den Vater selbst wegen des großen Geheimnisses des Namens als Mensch zu bezeichnen, sodass du dir recht viel vom Glauben an diesen Gott erhoffen darfst, dem du nun gleichgestellt bist. So viele Erfindungen wuchern
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Übersetzung bei ihnen aus der Überfülle des mütterlichen Samens hervor.
Atque ita insolescentes doctrinae Valentinianorum in silvas iam exoleverunt Gnosticorum.
Und so haben sich die üppig wuchernden Lehren der Valentinianer schon zu Wäldern von Gnostikern ausgewachsen.
Teil C
Interpretation
Kapitel 1
Adv. Val. 1: Eleusinia Valentiniana – Tertullians Charakterisierung der Valentinianer 1.1. Funktion von Adv. Val. 1 innerhalb des Exordiums 1.1. Funktion von Adv. Val. 1
Tertullian beginnt und schließt sein Werk programmatisch: Es geht um die Valentiniani (1,1), deren Lehren bereits „zu Wäldern von Gnostikern ausgewachsen sind“ (39,2)1. Wer die Valentinianer in seinen Augen sind, vor allem aber mit welcher Einstellung seine Leserschaft das folgende Werk über diese „von der Wahrheit Abgefallenen“ (apostatae veritatis), ihr Handeln und ihre Lehren lesen soll, begründet Tertullian im ersten Kapitel. Durch einen Vergleich mit dem Mysterienkult von Eleusis ordnet er diese Gruppe nicht nur gattungsmäßig ein, sondern markiert auch den von ihm vorgebrachten Sexualisierungsvorwurf als Kern der valentinianischen Lehre. Zugleich bestimmt er positiv die Grundlage seiner eigenen Lehre, die auf der veritas christiana gründet. Veritas bildet die inhaltliche Klammer um Adv. Val. 1: Während die Valentinianer als Häretiker sich gerade von jener veritas entfernt haben (1,1), bildet diese den Maßstab für den ‚wahren Glauben‘, deren Charakteristikum Tertullian abschließend positiv bestimmt (1,4).
1.2. Analyse von Adv. Val. 1 1.2. Analyse von Adv. Val. 1
1.2.1. Adv. Val. 1,1: Die Priorität der Valentinianer liegt auf der Geheimhaltungspflicht (1,1a) Valentiniani, frequentissimum plane collegium inter haereticos, quia plurimum ex apostatis veritatis et ad fabulas facile est et disciplina non terretur, nihil magis curant quam occultare quod praedicant; si tamen praedicant qui occultant.
Unvermittelt beginnt Tertullian sein gegen die Valentinianer gerichtetes Werk mit mehreren aneinandergereihten abschätzigen Charakterisierungen der Anhänger Valentins. Mit wenigen Worten eröffnet er Kontexte, die wegweisend für sein Bild dieser gnostischen Gruppe und die Lektüre seines folgenden Werkes sind. Das komplexe Satzgefüge zu Beginn führt entsprechend der antiken 1 SC 180, 154,15 f. FREDOUILLE: Atque ita inolescentes doctrinae Valentinianorum in silvas iam exoluerunt Gnosticorum. Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 167; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 241 Anm. 1 und HOPPE, Syntax und Stil, 195.
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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Rhetorik die Unverständlichkeit der Lehre dieser Gruppe, gegen die Tertullian sich wendet, bildlich vor Augen. Obwohl die Valentinianer syntaktisch das Subjekt des Satzes sind, wird der Satzbau direkt durch eine Apposition unterbrochen, die die Verständnisfolie für alle nachfolgend beschriebenen Tätigkeiten der Valentinianer legt. Durch das zum Superlativ gesteigerte Adjektiv frequens in Verbindung mit dem bekräftigenden Adverb plane2 wirkt diese die Valentinianer quantitativ charakterisierende Apposition hyperbolisch und ironisch und bietet keine historische Lokalisierung dieser Gruppe. 3 Insbesondere die Einordnung als Kultverein (collegium) weist auf eine abwertende Charakterisierung hin. Tertullian nutzt damit einen in der römischen Amtssprache verorteten Terminus, der „entsprechend ihrer Zusammensetzung und ihren Aktivitäten in Berufs- und Militärkollegien, religiöse und andere mehr oder weniger straff organisierte, gesellige Vereine“4 beschreibt. Mit diesem von Tertullian nie zur Beschreibung seiner eigenen Gruppe von Christen verwendeten Terminus ist die Diastase zwischen den Christen, zu denen sich Tertullian zählt, und der von ihm als Häretiker bezeichneten Kultverein der Valentinianer eröffnet.5 Tertullian gebraucht an dieser Stelle den als Lehnwort ins Lateinische eingegangenen Begriff haeresis/haereticus6 pejorativ. Ursprünglich bedeutet das griechische αἵρεσις „Wahl“ oder „Entscheidung“ und kann wertfrei ein philosophisches System, eine Philosophen-
Häufig findet sich plane mit ironischer Nuance bei Tertullian (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 167); an dieser Stelle ist allerdings auch die klassische Bedeutung „bekanntermaßen, offensichtlich“ indiziert. 3 Vgl. dazu 8.3 der Einleitung. 4 A USBÜTTEL, FRANK M., Untersuchungen zu den Vereinen im Westen des Römischen Reiches, Kallmünz: Lassleben 1982, 29. Ausbüttel weist aufgrund von Inschriften nach, dass das Vereinswesen auch in Nordafrika vor allem als religiöser Verein (weniger als Berufskollegien) ausgeprägt war (aaO., 32 f.). 5 Vgl. TLL Art. collegium III 1591,70–73; 1598,13 f.; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 167 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 241 Anm. 2. Tertullian selbst nutzt die Bezeichnung collegium insgesamt 12 Mal in seinen Werken, allerdings selten im antihäretischen Kontext; am häufigsten findet sich collegium als Umschreibung für eine Gruppe von Priestern im heidnischen Kontext (z.B. Cor. 10,56; Spect. 7,8; 11,5.8; in Adv. Marc. IV 9,2 geht es um das naviculariorum collegium, aus dem Marcion stammt). Zum römischen Vereinswesen vgl. AUSBÜTTEL, Untersuchungen; HERZ, PETER, Art. Vereine, in: Der Neue Pauly 12/2 (2003), 28–32; KLOPPENBORG, JOHN S., Collegia and Thiasoi. Issues in Function, Taxonomy and Membership, in: ders./Stephen G. Wilson (Hg.), Voluntary Associations in the Graeco-Roman World, London/New York: Routledge 1996, 16–30 sowie MCCREADY, WAYNE O., Ekklesia and Voluntary Associations, in: John Kloppenborg/Stephen G. Wilson (Hg.), Voluntary Associations in the Graeco-Roman World, London/New York: Routledge 1996, 59–73. 6 Das Adjektiv haereticus findet sich zuerst bei Tertullian belegt (TLL Art. haereticus VI/III 2507,11). Das Substantiv haeresis war bereits vorher ins Lateinische übergegangen: Var., Men. 164; 562; Cic., Fam. XV ep. 16,3; Attic. XIV ep. 14,1. 2
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Kapitel 1: Adv. Val. 1: Eleusinia valentiniana
Schule oder Sekte bezeichnen.7 Erst im christlichen Gebrauch gewinnt der Begriff negative und abgrenzende Bedeutung.8 Haeresis dient nie zur Selbstbezeichnung; vielmehr benennt der Terminus eine der beiden Kategorien, mit der im Prozess der dogmatischen Herausbildung der einen christlichen Lehre (regula veritatis bzw. fidei) im 2. Jahrhundert nach Christus die gegnerische(n) Gruppe(n), die als außerhalb dieser Wahrheit stehend wahrgenommen werden, bezeichnet werden.9 Für Tertullian, der in dieser Zeit der Herausbildung der christlichen Norm, des christlichen Kanons und der kirchlichen Ämterstruktur lebt und schreibt, zeigt sich schon an der Häufigkeit der Nutzung der Begrifflichkeiten haeresis und haereticus die hohe Bedeutung in Abgrenzung und Herausarbeitung des eigenen christlichen Glaubens. Von insgesamt 313 Nennungen in seinem gesamten Œuvre finden sich 288 in seinen gegen häretisch bewertete Gruppen und Menschen verfassten Schriften.10 Dabei kennt Tertullian die etymologische Herleitung des Begriffs11 und kann haeresis auch in der traditionellen Konnotation z.B. zur Bezeichnung von Philosophenschulen12 nutzen. Häufiger findet sich aber die exkludierende Bedeutung: Häretiker-Sein und Christ-Sein schließen sich für Tertullian aus, weil Häretiker zum einen nicht die von Christus gegebene Wahrheit im Glauben besitzen, sondern von dieser abgefallen sind, weil sie zum anderen nicht in der Kontinuität der Apostel stehen und weil ihre Lehre zuletzt nicht an der Authentizität partizipiert, sondern vielmehr späteren Ursprungs ist.13
Zu dieser Gruppe der Häretiker gehören für Tertullian „zum größten Teil“ (plurimum) Menschen, die von der für ihn einen christlichen Wahrheit 7 Vgl. dazu TLL Art. haeresis VI/III 2501,35–38; LIDDLE, H ENRY G./SCOTT, ROBERT/JONES, HENRY S., A Greek-Englisch Lexicon, Oxford: Clarendon Press 91940, αἵρεσις, Sp. 41. 8 Vgl. LIEU, Heresy, 86. 9 Vgl. LIEU, Heresy, 85–87. Sie resümiert: „[...] the intertwined emergence of two formative concepts, both arising out of diversity: the idea of heresy and the idea of Christian scripture. The concept of heresy reinforces the ideal of a single shared authoritative text; the idea of a shared authoritative text identifies those who would be excluded as heretics.” (aaO., 100). Vgl. auch BROX, NORBERT, Art. Häresie, in: Reallexikon für Antike und Christentum 13 (1986), 248–297, 293–295. 10 Auf Adv. Marc. entfallen 92 Nennungen, auf Praescr. 80, auf Resurr. 27, auf Anim. 25, auf Adv. Prax. 19, auf Adv. Val. 13, auf Adv. Herm. 11, auf Carn. Christ. 11, auf Scorp. 10, auf Pud. 8, Mon. und Ieiun. je 6, auf Bapt. 3 und auf Virg. Vel. 2. Vgl. dazu CLAESSON, Index Tertullianeus, 657 f. 11 Praescr. 6,2 (SC 46, 95,8–10 R EFOULÉ/D E LABRIOLLE): Haereses dictae graeca voce ex interpretation electionis qua quis maxime sive ad instituendas sive ad suscipiendas eas utitur. 12 Z.B. Praescr. 8,8. 13 Vgl. Praescr. 37,2 (SC 46, 139,7–9 R EFOULÉ/D E LABRIOLLE): Si enim haeretici sunt, christiani esse non possunt, non a Christo habendo quod de sua electione sectati haereticorum nomine admittunt. Virg. Vel. 1,3 (SC 424, 128,12–14 MATTEI/SCHULZ-FLÜGEL): Quodcunque adversus veritatem sapit, hoc erit haeresis, etiam vetus consuetudo. Adv. Prax. 2,2 (CChr.SL 2, 1160,18–20 KROYMANN/EVANS): probabit tam ipsa posteritas omnium haereticorum quam ipsa novellitas Praxeae hesterni. Adv. Marc. IV, 5,1 (SC 456, 82,1–4 MORESCHINI/BRAUN): In summa, si constat id verius quod prius, id prius quod et ab initio, quod ab apostolos, pariter utique constabit id esse ab apostolis traditum quod apud ecclesias apostolorum fuerit sacrosanctum.
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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abgefallen sind (apostatae veritatis).14 Daneben schließt er aber scheinbar auch von der römischen Religion zu den Valentinianern Konvertierte bzw. von der valentinianischen Lehre angezogene Gläubige nicht aus. Die Charakterisierung als apostata veritatis pointiert Tertullians Referenzpunkt, an dem sich nach seinem Verständnis die Zugehörigkeit zum Christ-Sein anhand der einzig im christlichen Glauben durch Christus garantierten veritas entscheidet: Es gibt einen ‚inner-circle‘, zu dem die Christen der Gruppe um Tertullian gehören, und einen ‚outer-circle‘, den die zur Häresie von der Wahrheit Abgefallenen bilden, die Tertullian als zu seiner Zeit existierende Gegenerschaft dieses Werkes stilisiert.15 Tertullians Begründung für die scheinbare Größe und Beliebtheit der Valentinianer folgt seinem ironischen Stil, indem er zwei Charakteristika anführt, die selbstevident gegen die Beliebtheit der Valentinianer sprechen müssten und zugleich die Anziehungskraft, die von dieser Gruppe ausgeht, begründen: Der Leichtigkeit, mit der die Valentinianer Geschichten (fabula) erfinden und sich von diesen hinreißen lassen, um ihre Lehre von Gott, der Entstehung der Welt, der Schöpfung und Errettung zu tradieren, entspricht eine Leichtgläubigkeit der Anhänger, mit der diesen erfundenen Geschichten vertraut wird.16 Fabula verwendet Tertullian hier analog zu Apuleius, um die Unwahrheit und Unwahrscheinlichkeit der folgenden Erzählung (narratio) zu markieren. 17 Im
Der als Lehnwort ins Lateinische eingegangene Terminus apostata findet sich zuerst bei Tertullian (vgl. TLL Art. apostata II 252,60). 15 Vgl. z.B. Praescr. 4,5 (SC 46, 92,13–93,17 R EFOULÉ/D E LABRIOLLE): Hoc erunt haereses, non minus novarum doctrinarum perversitate ecclesiam lacessentes, quam tunc antichristus persecutionem atrocitate persequetur nisi quod persecutio et martyras facit, haeresis apostatas tantum. 16 Zur Konstruktion von facile est ad vgl. auch Quint., Inst. I 2,4 sowie weitere Parallelstellen bei FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 169. 17 Vgl. TLL Art. narratio VI/1 26,51 f. Die rhetorische Bedeutung von fabula benennt bereits Rhet. Her. I 8,13 (Fabula est, quae neque veras neque veri similes continet res, ut eae sunt, quae tragoediis traditae sunt. Historia est gesta res, sed ab aetatis nostrae memoria remota. Argumentum est ficta res, quae tamen fieri potuit, velut argumenta comoediarum.) sowie Cic., De Inv. I 27. Vgl. auch Apul., Met. I 1,1. Dazu im Kontext der Romanerzählung: TILG, STEFAN, Mythos, Fiktion, Geschichte. Ein Beitrag zum ‚Realismus‘ der antiken Romane, in: Ancient Narrative 9 (2011), 37–52. Zur strukturellen Verwendung in Adv. Val. vgl. auch 4.3.3. Tertullian selbst verwendet den Terminus häufiger, vgl. CLAESSON, Index Tertullianeus, 581: In Apol. 21,14 stellt er beispielsweise das Christus-Geschehen konkurrierenden heidnischen Fabeln als fabula gegenüber, das sich in 23,12 ironischerweise als wahr erweist. In Praescr. 7,7 findet sich der Terminus im Kontext der Bekämpfung der valentinianischen Lehre als Zitat von 1Tim 1,4 und in 33,8 zur Deutung deren Lehre als „bloßer Mythos“ (analog zu Adv. Val. 1,1). 14
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Kapitel 1: Adv. Val. 1: Eleusinia valentiniana
Gegensatz zu historia und argumentum gilt fabula als eine Erzählung unplausibler, unmöglicher und selbstevidenter Unwahrheit.18 Zudem charakterisiert die Valentinianer nach Tertullian ein laxer(er) Umgang mit ethischen Moralvorstellungen. Ex negativo formuliert er spöttisch, dass die Gnostiker von geläufigen Moralvorstellungen (disciplina), wie er sie für die Christen um sich voraussetzt, ohne diese an dieser Stelle näher zu spezifizieren, „nicht abgeschreckt werden“ (non terretur).19 Implizit attestiert er ihnen eine libertinistische Lebensweise, die sich in ihrer Lehre, nach der ihnen der pneumatische, aus dem Pleroma stammende Same natürlicherweise zukommt, manifestiert; im Gegensatz dazu sind die beseelten Menschen zu einem ethisch guten Leben verpflichtet, um an der Erlösung Anteil zu erhalten. Der Terminus disciplina umfasst dabei beide Dimensionen der eigentlichen praxisorientierten Lehre sowie der Lebensführung selbst, die den Gesetzen dieser Lehre folgt. Im Hintergrund steht zugleich auch Tertullians eigene rigorosere ethische Einstellung, die sich u.a. in seiner Hinwendung zum Montanismus begründet. Glaube und Lebensweise, fides und disciplina, bedingen sich einander nach Tertullian. Der nun auf diese appositionell vorangestellte Charakterisierung folgende Hauptsatz komplettiert das bereits genannte Subjekt Valentiniani und ironisiert diese eingeführten Charakteristika nüchtern als eine ängstliche Sorge (curare) der Valentinianer: Prioritär gilt ihnen das Verbergen (occultare) ihrer Verkündigung (praedicare).20 Durch die folgende Stilfigur der Gedankenumkehrung karikiert Tertullian diesen Gedanken einschränkend endgültig.21 Der Inhalt der Verkündigung ist zweitrangig, wenn doch zuerst zu klären ist, ob die praedicatio der Valentinianer überhaupt dem Genus der praedicatio entspricht. Denn eine Verkündigung im Geheimen widerspricht diametral Tertullians Verständnis der Weitergabe der christlichen Lehre, sodass dieses Merkmal der
18 Tertullian nimmt – wie Irenäus (Adv. Haer. I praef.) – den biblischen Vorwurf der Lehre von Mythen und endlosen Geschlechterreihen auf (1Tim 1,4). Vgl. auch die Qualifizierung als γραῶν μῦθοι des valentinianischen Mythos in Adv. Haer. I 8,1; 16,3. 19 Beispielhaft führt Marastoni Stellen an, die Tertullians Verständnis von disciplina erhellen (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 101), vgl. dazu auch 4.2. der Einleitung. 20 Vgl. eine ähnliche Formulierung in Anim. 57,5 (VCS 100, 77,4 f. W ASZINK): nihil magis curans (daemon) quam hoc ipsum excludere quod praedicamus. Braun weist nach, dass Tertullian den Begriff praedicare/praedicatio nicht allein für die Verkündigung und Unterweisung in der einen christlichen Botschaft gebraucht hat (parallel zum griechischen κηρύσσειν/κήρυγμα), sondern damit auch die Unterweisung der Häretiker und Philosophen beschreibt (vgl. DERS., Deus Christianorum, 430–434). 21 Zur Figur der Commutatio, bei der der eigentliche Gedanke umgekehrt und dem ersten gegenübergestellt wird, indem die Wortstämme unter Vertauschung ihrer syntaktischen Funktion wiederholt werden, vgl. HAMBSCH, BJÖRN, Art. Antimetabole, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 (1992), 708–713, 708 f.
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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Geheimhaltung, welches er besonders hervorhebt, einzig ein – in seiner Wertung – häretisches sein kann.22 (1,1b) Custodiae officium conscientiae officium 23 est. Confusio praedicatur, dum religio adseveratur. Nam et illa Eleusinia, haeresis et ipsa Atticae superstitionis: quod tacent pudor est.
In drei argumentativ aufeinander aufbauenden und stilistisch miteinander verbundenen Sentenzen markiert Tertullian seine Bewertung dieser vorangestellten Charakterisierung. Die als Parallelismus formulierte und aufgrund zweifacher Alliteration auffallende erste Sentenz nimmt zunächst den Gedanken der Geheimhaltung (custodia) auf, die Tertullian karikierend zur Pflicht (officium)24 der valentinianischen Anhänger steigert. Damit rekurriert er bereits an dieser Stelle auf den im Folgenden ausführlicher traktierten Kontext der 22 Diese einschränkende, ironische Formulierung si tamen nutzt Tertullian häufiger, z.B. in Adv. Val. 18,2, Adv. Marc. I 1,3; II 3,4; 27,8; IV 8,8. Opelt wertet den gesamten Abschnitt als „Bagatellisierung im Deminutivum“ (DIES., Polemik, 41 f.). 23 Parallel zum ersten Kolon lesen die Handschriften einheitlich officium; Riley folgt dieser Lesart (vgl. RILEY, MARK, Q. S. Fl. Tertulliani Adversus Valentinianos. Text, translation, and commentary, Stanford: o.V. 1971, 121 f.). Dagegen hat Scaliger mit einer Vokaländerung die Konjektur offucium vorgeschlagen, die auch Kroymann, Marastoni, Fredouille, Tommasi Moreschini und Lukas übernehmen. Nicht nur das Argument der handschriftlichen Bezeugung und die tertullianische Parallele in Paen. 12,9 (officium conscientiae) sowie einer möglichen weiteren Parallele in Adv. Herm. 1,2 lassen an dieser Lesart festhalten, sondern auch das mit der Änderung zu offucium – die Konjektur nimmt einen von Plautus geprägten Terminus auf (vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 102) – einhergehende Formproblem müsste erklärt werden. Belegt ist lediglich die feminine Form offucia, sodass die vorliegende Form im Neutrum ein Hapaxlegomenon bilden würde. Entweder müsste das Neutrum rein aus stilistischen Gründen erklärt werden, um die Parallelität des Satzes zu bewahren. Oder man müsste annehmen, dass die Kopisten der Handschriften das erste officium verändert haben (vgl. TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 241 Anm. 6). Es wäre zu klären, ob hinter offucium eine Ableitung von faux (so Fredouille) oder von fucus (so Tommasi Moreschini) steht. Bei der zweiten Deutung würde Tertullian die Pflicht zur Geheimhaltung als „Wegschminkung des Gewissens“ (conscientiae officium) regelrecht „stigmatisieren“ (TOMMASI MORESCHINI, aaO., 241 Anm. 6; vgl. dazu allerdings auch Iren., Adv. Haer. III 15,2 [SC 211, 280,46 f. ROUSSEAU/DOUTRELAU]: sine fuco autem est veritas, et propter hoc pueris credita est). Man müsste annehmen, dass Tertullian das auch an anderer Stelle verwendete fucus (Cult. Fem. I 2,4) an dieser Stelle mit dem Präfix zur Beibehaltung der Parallelität und Paronomasie prolongiert habe. Stilistisch bieten beide Lesarten mit der eindeutigen Parallelität auf der einen und dem paronomastischen Wortspiel auf der anderen Seite einen rhetorischen Aufmerksamkeitsmarker. Tertullians Freude an Wortspielen und Paronomasien, für die er auch nicht vor der Bildung von Hapaxlegomena zurückschreckt, belegen Zusammenstellungen bei FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 169 f. sowie MARASTONI, aaO., 102. Marastoni diskutiert zudem mit Verweis auf Lukrez eine nicht äquivoke Wiederholung des Terminus officium, die ebenfalls eine tertullianische Neubildung wäre. 24 Vgl. auch officium silentii (1,2).
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Kapitel 1: Adv. Val. 1: Eleusinia valentiniana
Mysterienkulte. Den dahinterliegenden Beweggrund markiert Tertullian in der Obszönität der Lehre (1,3), sodass er diese Geheimhaltungsverpflichtung polemisch als eine „verpflichtende Aufgabe ihres Gewissens“ (conscientiae officium) bestimmt. Conscientia verwendet er in 3,4 zudem im Wortsinn des „Wissens bei sich selbst“, übertragen also der „Mitwisserschaft“, der die Valentinianer unterliegen, sodass er zugleich die prioritäre Pflicht zur Geheimhaltung bei den Valentinianern als eine Pflicht, die sich aus der geteilten Mitwisserschaft ergibt, näherbestimmt. 25 Das Schweigen der Valentinianer über ihre Lehre sei reiner Selbstschutz vor der öffentlichen verurteilenden Meinung. Sie wollen nach Tertullian ihr Gewissen schützen, um nicht vor Scham rot zu werden. An diese Überlegung schließt, verbunden durch die Anapher und dem sich hier parallel vorfindenden Homoioteleuton, die zweite Sentenz an.26 Den Inhalt der Verkündigung beschreibt Tertullian zunächst als „verwirrend“ (confusio), um diese confusio näher durch beschämende Lehrinhalte zu charakterisieren. Tertullian agiert mit seiner Kritik an dieser Stelle nicht auf inhaltlicher Ebene; die valentinianische Lehre ist in seinen Augen eindeutig verwerflich. Vielmehr richtet sich sein Vorwurf gegen die von ihm stilisierte Vorstellung, dass diese Lehre „mit Nachdruck als Religion vertreten“ wird (dum religio adseveratur). Diesem solch eine Verkündigung betreibenden Verein, der nach außen hin als „eine attraktive und unbestimmte Erscheinung von Religion“27 erscheint, kann nach Tertullian der Status der religio gerade nicht zukommen. Der vorchristliche Terminus religio, wie er sich bei Cicero auf Grundlage der Annahme der Existenz der Götter findet,28 bezeichnet zunächst eine im Gewissen verortete Haltung gegenüber einer göttlichen Macht, aus der bestimmte im Kult kumulierende Verpflichtungen resultieren.29 „Religio […] ist etwas, was sich aus der 25 Zum Konjekturvorschlag Scaligers statt conscientia officium zu conscientiae offucium zu ändern, s.o. Anm. 23. Zu conscientia als „Gewissen, Wissen bei sich selbst“ vgl. auch Apol. 9,6; 15,7 sowie dazu RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 121 f. 26 Aus diesen stilistischen Gründen findet sich der Begriff confusio. Obwohl Tertullian auch die eigentliche Bedeutung kennt und nutzt (z.B. Adv. Herm. 23,1; 28,2; 30,1), ist hier auf die übertragene – parallel zum griechischen αἰσχύνη – Bedeutung ignomia, pudor, saepe etiam pudoris affectio zu verweisen; im TLL wird vorliegende Stelle mit non religione sed pudore commoti occultant doctrinam suam erklärt (Art. confusio IV 269, 23.37–40). Vgl. auch den Eintrag zu diesem Terminus bei BLAISE, ALBERT, Dictionnaire Latin-Français des Auteurs Chrétiens, Turnhout: Brepols 1954, Art. confusio 4., S. 198. 27 „Ma una attraente ed indeteminata parvenza di religione“ (M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 103). 28 Vgl. Cic., N.D. II 12: Die Existenz der Götter wird als ein „allen angeborenes und in die Seele eingeprägtes“ Wissen beschrieben; die Frage des Wesens variiere. (Itaque inter omnis omnium gentium summa constat; omnibus enim innatum est et in animo quasi insculptum esse deos. Quales sint varium est, necesse nemo negat.) 29 Cicero bestimmt religio als deorum cultu pio continetur (Cic., N.D. I 117; auch II 8) und kann vom „gesamten Kult des römischen Volkes“ sprechen (omnis populi Romani
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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Akzeptanz der Götter als Teil der sozialen Ordnung ergibt, eine menschliche Veranlagung, eine Gewohnheit, die ihren Ausdruck findet in entsprechenden Ritualen (cultus deorum).“30 Tertullian folgt dieser Grundlegung. Allerdings nutzt er den Terminus auch, um auf der einen Seite „verschiedene nichtchristliche Kultkomplexe zu einem kohärenten rel[igiösen] System (einer religio Romana) in Opposition zum Christentum zusammenzuschließen“31 und auf der anderen Seite die Zusammengehörigkeit der wahren Religion (vera religio) mit der Verehrung des einzig wahren Gottes für ihn als einzig gültig herauszustellen.32 Daher verkündigen die Valentinianer für ihn nichts mehr als eine „beschämende Karikatur“33 (confusio), die sie unter dem Deckmantel von Religion agieren lassen wollen. Diese gilt es, so setzt es sich Tertullian selbst zur Aufgabe, aufzudecken. Daher bilden nicht religio, sondern haeresis und superstitio die Beschreibungsmerkmale, die nach Tertullian auf die Valentinianer zutreffen. Mittels des Terminus superstitio brandmarkt er in der abschließenden Sentenz die Valentinianer als religiöse Abweichler, die sich einer fremden Kultgemeinschaft zugetan haben.34 Diesen neuen Kontext expliziert er durch die Einordnung der in seinen Augen gegen die christliche Wahrheit stehenden religio; III 5). Zur ciceronischen Etymologie vgl. II 72 und dazu z.B. BENVENISTE, EMILE, Indoeuropäische Institutionen. Wortschatz, Geschichte, Funktionen, Frankfurt a. M./New York: Campus-Verlag 1993, 505–518; SACHOT, MAURICE, ‚Religio/superstitio‘. Historique d’une subversion et d’un retournement, in: Revue de l’Histoire des Religions 208 (1991), 355–394, 364; GOTHÓNI, RENÉ, Religio and Superstitio Reconsidered, in: Archiv für Religionspsychologie 21 (1994), 37–46, 38. 30 R ÜPKE, JÖRG, Von Jupiter zu Christus. Religionsgeschichte in Römischer Zeit, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, 159. Vgl. auch RATSCHOW, CARL HEINZ, Art. Religion. II. Antike und Alte Kirche, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 8 (1992), 633–637, 633–635. 31 RÜPKE, JÖRG, Art. Religion. X. Rom, in: Der Neue Pauly 10 (2001), 910–917, 911. So kann Tertullian diese dem Christentum entgegenstehenden Kulte als religio Romana bezeichnen, vgl. Apol. 24,1. Weitere institutionelle Konnotationen finden sich z.B. in der Wendung Iudaicae religionis (Apol. 16,3; Ad Nat. I 11). 32 Vgl. Scap. 1,4; auch Adv. Val. 1,3. Laktanz führt diesen Gedanken weiter aus, leitet religio etymologisch von religare her und deutet dies als eine enge Verbundenheit mit Gott (vgl. Inst. IV 28,2). Beide Etymologien sind kontextuell zu verstehen. Eine endgültige Klärung der ‚korrekten Etymologie‘ wird in der Forschung breit diskutiert. Vgl. z.B. SACHOT, ‚Religio/Superstitio‘, 364–372; GOTHÓNI, Religio and Superstitio, 37–42; RÜPKE, Von Jupiter zu Christus, 157–175. 33 TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 242 Anm. 8. 34 Vgl. RÜPKE, JÖRG, Aberglauben oder Individualität? Religiöse Abweichung im Römischen Reich, Tübingen: Mohr Siebeck 2011, 9–14. Dabei verweist superstitio klassisch auch auf unanständiges und ungehöriges Verhalten, das stereotyp mit „weibisch, emotional, leichtgläubig und barbarisch“ verbunden werden konnte (aaO., 14). Vgl. auch Adv. Marc. I 5,5 (SC 365, 122,27–29 BRAUN): si ambos colerem, vererer, ne abundantia officii superstitio potius quam religio existimaretur.
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Glaubensgemeinschaft der Valentinianer in ihrem Handeln und Lehren in die Welt der Mysterien; namentlich parallelisiert er diese mit den Mysterien von Eleusis. 35 Tertullian endet mit seinem bisher impliziten Verdacht über den Grund des Schweigens: Durch die Geheimhaltung ihrer Lehre wollen die Valentinianer ihr Gewissen schützen, damit sie nicht vor Scham rot werden (pudor, vgl. auch 3,2); was sich hinter diesem schändlichen Inhalt verbirgt, will er im Folgenden aufzeigen. 1.2.2. Adv. Val. 1,2–3: Die Valentinianer und die Mysterien von Eleusis Tertullian verortet die den Valentinianern von ihm mit Vehemenz zugeschriebene Pflicht zur Geheimhaltung von Lehre und Handlung im Kontext der Mysterienkulte. Dass er dabei namentlich auf die in Eleusis der Göttin Demeter geweihten Mysterien rekurriert (vgl. 1,1.3), lässt sich mit deren Alter und Ansehen im Imperium Romanum begründen. Zugleich nutzt Tertullian das allen Mysterien-Kulten inhärente Grundmuster, das sich je nach Kult mit spezifischen Merkmalen ausgestaltet, für seinen karikierenden Vergleich. Das Wort Mysterium (μυστήριον)36 selbst benennt bereits das dahinter stehende Charakteristikum des Geheimnisses, das sich auf zwei Ebenen widerspiegelt: Zum einen handelt es sich um einen Kult von geheimem Charakter, indem das Wissen über mythischen Inhalt, die dahinter stehende religiöse Botschaft sowie deren kultische und rituelle Vergegenwärtigung nur Eingeweihten, d.h. den Epopten, die in einem Initiationsakt die besondere Schau erfahren haben, bekannt war. Zum anderen aber bringt dies eine soziologische Differenzierung zwischen denen, die nach der Einweihung dazugehören und im ‚innercircle‘ stehen, und denjenigen, denen dieses besondere Wissen versagt bleibt und die – bildlich gesprochen – außerhalb des Kultzentrums bleiben müssen. Nur folgerichtig erscheint die Pflicht der Mysterienkulte zur Geheimhaltung.37 Eleusis bildete den Ausgangspunkt und das Kultzentrum für den gleichnamigen Mysterienkult, dessen Feiern bereits im 6./5. Jahrhundert vor Christus von einem lokalen Kult zum 35 Erst in Adv. Val. 1,3 wird er sie abschließend miteinander identifizieren. Vgl. auch Apol. 7,6: Tertullian betont die allen Mysterienkulten eigene, charakteristische Schweigepflicht und nennt die eleusinischen Mysterien als Beispiel. 36 Vgl. LIDDLE/SCOTT/JONES, A Greek-Englisch Lexicon, μυστήριον, Sp. 1156. 37 Vgl. M YLONAS, G EORGE E., Eleusis and the Eleusinian Mysteries, Princeton: Princeton University Press 1961, 224–229. Plutarch überliefert aus dem Leben des Alcibiades, dass dieser zum Tode angeklagt worden sei, weil er zu Hause die Initiationsriten nachgeahmt – er selbst habe sich als Hierophant, seine Gäste aber als Mysten und Epopten bezeichnet – und diese dadurch öffentlich ausgesprochen habe (Plut., Alcib. 22). Dabei besteht notwendigerweise ein Spannungsverhältnis zwischen der Geheimhaltungspflicht und dem überlieferten Wissen über die Mysterien. „Oft wissen auch die Mitglieder nur andeutungsweise den Inhalt, kennen nur die Parolen, sehen nur die Riten, kennen aber nicht das Geheimnis, zu dem man nur stufenweise hingeführt werden kann.“ (AUFFARTH, CHRISTOPH, Art. Mysterien [Mysterienkulte], in: Reallexikon für Antike und Christentum 25 (2013), 422–471, 454).
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offiziellen attischen Staatskult avancierten und bis zur Zerstörung des Heiligtums durch den Westgoten Alarich Ende des 4. Jahrhunderts nach Christus sehr angesehen waren.38 Der hinter dem Kult stehende Mythos der Demeter und ihrer Tochter Kore (Persephone), der in verschiedenen Kulthandlungen nachvollzogen wurde, findet seine erste Erwähnung im homerischen Demeterhymnus.39 Die Feiern des Mysterienkults von Eleusis zielten auf den einmaligen in zwei Stufen vollzogenen Akt der Einweihung (μυέω/initiare)40, der in die abschließende passive „Schau“ (ἐποπτεύω) führte, die den Eingeweihten die Bezeichnung Epopten (ἐπόπτης/epoptes)41 einbrachte. Die Mysterien bestanden dabei aus vielen Riten, über die nur fragmentarische Informationen überliefert sind, die – vor allem christliche Autoren – zu abwertenden, phantasievollen Ausführungen angeregt haben: Vorbereitend auf diese großen Mysterien galten die ein halbes Jahr zuvor im Monat Anthesterion als Reinigungsritual abzuhaltenden kleinen Mysterien.42 Die großen Mysterien, die im Monat Boedromion mit einer Prozession von Athen nach Eleusis begannen, auf die weitere Rituale an mit dem Demeter-Mythos verbundenen Orten folgten, mündeten in die endgültige Einweihung in der Nacht. Die Initianden erlebten eine visuelle Offenbarung, bei der ihnen vom Hierophanten43, dem die einweihende Handlung vollziehenden Mystagogen, „etwas Heiliges gezeigt wurde“ (ἱεροφαίνω). Diese Offenbarung ließ den Epopten unvermittelt vom Dunkel in das Licht übergehen, indem der Hierophant „des Nachts in Eleusis unter viel Feuer die 38 Vgl. LEIPOLDT, JOHANNES, Art. Eleusis, in: Reallexikon für Antike und Christentum 4 (1959), 1100–1105, 1102 f.; AUFFARTH, Mysterien, 428. 39 Der nach olympischem Brauch für die Fruchtbarkeit der Erde zuständigen Göttin Demeter wurde ihre Tochter Kore (Persephone) vom Gott der Unterwelt, Hades geraubt. Wegen des Schmerzes um den Verlust ihrer Tochter kommt Demeter ihrer göttlichen Aufgabe nicht mehr nach und die Erde wird unfruchtbar. Als Zeus interveniert und seinen Bruder Hades milde stimmt, lässt dieser Kore frei, verabreicht dieser allerdings vorher einen Granatapfel mit einem Zaubertrunk. Als Folge verlebt sie von nun an 1/3 des Jahres bei Hades aus durch den Zaubertrunk hervorgerufener Liebe, und 2/3 des Jahres, der Blüte- und Reifezeit auf den Feldern, bei ihrer Mutter Demeter. Dieser Hymnus stellt bereits eine ätiologische Erzählung dar, die im Nachhinein versucht die kultischen Handlungen in Eleusis zu begründen. Vgl. dazu RICHARDSON, NICHOLAS J., The Homeric Hymn to Demeter, Oxford: Clarendon Press 1974, 12–30. 40 Μυέω lässt sich ursprünglich als kausative Form von μύω deuten, d.h. „Augen oder Mund schließen lassen“ und drückt damit eine Verpflichtung des Initianden vor der Offenbarung selbst aus (vgl. TURCAN, ROBERT, Art. Initiation, in: Reallexikon für Antike und Christentum 18 [1998], 87–159, hier 147–149; AUFFARTH, Mysteriem, 440). 41 Das Lateinische übernimmt epoptes als Lehnwort und definiert: qui ad summa mysteria Eleusina (Samothracica) admissus est (vgl. TLL Art. epoptes V/II 697,58–60; dazu FASCHER, ERICH, Art. Epoptie, in: Reallexikon für Antike und Christentum 5 [1962], 973– 983, 978–979). 42 Zu Ausführungen und Diskussionen in der Forschung vgl. M YLONAS, Eleusis, 239– 243; AUFFARTH, Mysterien, 428 f.; TURCAN, Initiation, 95–97; LEIPOLDT, Eleusis, 1100– 1102; BREMMER, JAN N., Initiation into the Eleusinian Mysteries. A ‘Thin‘ Description, in: Christian H. Bull/Liv I. Lied/John D. Turner (Hg.), Mystery and Secrecy in the Nag Hammadi Collection and other ancient Literature. Ideas and Practices. Studies for Einar Thomassen at Sixty (Nag Hammadi and Manichaeans Studies 76), Leiden/Boston: Brill 2012, 375– 397, 376–391. 43 Zum Hierophanten vgl. M YLONAS, Eleusis, 229 f.; zu allen weiteren am Kult beteiligten Personen aaO., 229–237.
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großen und unsagbaren Mysterien vollendete“ 44 . Die neueingeweihten Epopten erhielten „das große, wunderbare und vollkommenste Schau-Geheimnis im Schweigen“ zu sehen: „die geerntete Ähre“45. Ob dieses in die Vorstellungswelt des Mythos der Fruchtbarkeitsgöttin der Felder Demeter sich einfügende Symbol als das Zentrum der Schau zu werten ist,46 ob bei der Erzählung über das plötzliche Licht, das die Nacht erleuchtet, eher an die Öffnung des nur dem Hierophanten zugänglichen Allerheiligsten, des Telesterions, zu denken ist, aus dem möglicherweise eine Statue der Göttinnen-Tochter Kore gezeigt wurde,47 um die rituelle Vergegenwärtigung in der Offenbarung abschließend nachspürbar sein zu lassen, oder ob das bei Hippolyt überlieferte Wort der Geburt eines göttlichen Knaben Brimos 48 die Offenbarung darstellt, kann nicht abschließend geklärt werden.49 Wenn der von Clemens von Alexandrien überlieferte „Erkennungsspruch“ (σύνθημα) für die in die Mysterien von Eleusis Eingeweihten als eine Beschreibung des nächtlichen Ritus zu lesen ist, gibt dieser einen Hinweis auf ein mit der passiven Schau korrespondierenden heiligen Tun: „Ich fastete, ich trank den Mischtrank, ich nahm aus der Kiste, nachdem ich meine Aufgabe erfüllt hatte, legte ich es in den Korb und aus dem Korb in die Kiste.“50 Das geheime Objekt, um das es in diesem Ritus geht, bleibt auch hier unausgesprochen. In der Forschung hat dies zu verschiedenen Spekulationen geführt, ob darin ein Phallus- – diese Deutung basiert auf Tertullians Darstellung – oder Vulva-Symbol, oder aber symbolische Werkzeuge aus dem Kontext der Getreideverarbeitung enthalten waren.51 44 Hipp., Ref. V 8,40 (GCS 26, 96,16–17 W ENDLAND): νυκτὸς ἐν Ἐλευσῖνι ὑπὸ πολλῷ πυρὶ τελῶν τὰ μεγάλα καὶ ἄρρητα μυστήρια. Vgl. auch TURCAN, Initiation, 100. 45 Hipp., Ref. V 8,39 (GCS 26, 96,10–12 W ENDLAND): Ἀθηναῖοι, μυοῦντες Ἐλευσίνια καὶ ἐπιδεικνύντες τοῖς ἐποπτεύουσι τὸ μέγα καὶ θαυμαστὸν καὶ τελειóτατον ἐποπτικὸν ἐκεῖ μυστήριον ἐν σιωπῇ, τεθερισμένον στάχυν. 46 Vgl. TURCAN, Initiation, 99 f. 47 So z.B. RIEDWEG, CHRISTOPH, Mysterienterminologie bei Platon, Philon und Klemens von Alexandrien (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 26), Berlin/New York: de Gruyter 1987, 49 f.60–62. 48 Hipp., Ref. V 8,41 (GCS 26, 96,18 W ENDLAND): «ἱερὸν ἔτεκε πότνια κοῦρον Βριμὼ Βριμόν», τουτέστιν ἰσχυρὰ ἰσχυρόν. 49 Vgl. auch K LOFT, H ANS, Mysterienkulte der Antike. Götter, Menschen, Rituale, München: C.H. Beck 42010, 20 f.91. 50 Clem., Protr. II 21,2 (GCS 12, 16,18–20 STÄHLIN/TREU): «ἐνήστευσα, ἔπιον τὸν κυκεῶν, ἔλαβον ἐκ κίστης, ἐργαςάμενος ἀπεθέμην εἰς κάλαθον καὶ ἐκ καλάθου εἰς κίστην.» Καλά γε τὰ θεάματα καὶ θεᾷ πρέποντα. Die Frage nach einer möglichen persönlichen Zugehörigkeit Clemens’ zu Mysterienkulten ist obsolet geworden, seitdem belegt ist, dass für die Kapitel über die „Mysterienentblößung“ in Protr. II 12–23 ein hellenistisches Handbuch als Vorlage gedient hat. Vgl. dazu RIEDWEG, Mysterienterminologie, 117–123; LEIPOLDT, Eleusis, 1101 f.; AUFFARTH, Mysterien, 447–449; TURCAN, Initiation, 97 f.; GRAF, FRITZ, Eleusis und die Orphische Dichtung Athens in Vorhellenistischer Zeit (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 33), Berlin/New York: de Gruyter 1974, 194–199; BURKERT, WALTER, Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt, München: C.H. Beck 1990, 79. BREMMER votiert dafür, dass dieser im Synthema beschriebene kultische Vorgang nicht in die „großen Mysterien“ als vielmehr in die „kleinen“ gehöre (vgl. DERS., Initiation, 376 f.). 51 Es lässt sich festhalten, dass dieses Synthema „von einer so banalen Schlichtheit [ist], daß dem Nichteingeweihten in der Tat nichts verraten wird“ (RIEDWEG,
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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Die teils unklaren Beschreibungen der rituellen Handlungen lassen sich im Umfeld der Fruchtbarkeitsthematik lesen; allerdings ist zu beachten, dass die literarischen Informationen hauptsächlich von christlichen Schriftstellern überliefert wurden, die ein Interesse an einer polemischen, abwertenden Aufnahme der Mysterien hatten. 52 Ziel der auf die endgültige Einweihung wartenden Mystagogen war es, als Epopte die Initiation im Nacherleben des mythischen Dramas abzuschließen und die ersehnte Offenbarung zu erhalten, um mit den Göttinnen Demeter und Kore kultisch verbunden zu sein und an ihren Gaben Anteil zu erhalten: „So garantiert Demeter ihnen Nahrung in dieser Welt, wie Kore-Persephone ihnen das Glück in der anderen schenkt: Die eine gewährt das Leben, die andere das Weiterleben.“53
(1,2) Idcirco et aditum prius cruciant, diutius initiant,54 quam consignant, cum epoptas ante quinquennium instituunt, ut opinionem suspendio cognitionis aedificent atque ita tantam maiestatem exhibere videantur, quantam praestruxerunt cupiditatem. Sequitur iam silentii officium.
Tertullian zielt darauf ab, die Valentinianer mittels der Konnotation des Mysterienkultvereins, der sich prioritär durch Geheimhaltung sowie einen langen und undurchsichtigen Initiationsritus auszeichnet, abzuwerten.55 So macht das in 1,2 mit der konklusiven Konjugation eingeleitete und durch die temporalen Adverbien gegliederte (prius … diutius … quam)56 Trikolon die Erschwernis
Mysterienterminologie, 119 Anm. 11). Clemens selbst verankert das Synthema im ursprünglichen Demeter-Mythos, der „voll von Schande“ ist (αἰσχύνης ἔμπλεως ἡ περὶ τὴν Δηὼ μυθολογία [Protr. II 20,1 {GCS 12, 15,22 STÄHLIN/TREU}]) und setzt den Inhalt indirekt mit der Entblößung der weiblichen Scham der Ureinwohnerin von Eleusis, Baubo, vor der trauernden Demeter gleich, die sich daran erfreute und den ihr angebotenen Trank zu sich nahm (Protr. II 20,1–21,2). Zur Diskussion um den Inhalt der Kiste vgl. MYLONAS, Eleusis, 294–305; BAUDY, GERHARD, Art. Cista Mystica, in: Reallexikon für Antike und Christentum Supplement 2 (2004), 376–388, 382–384. 52 Vgl. Clem., Protr. II 12–22; Hipp., Ref. V 39 f.; Tert., Adv. Val. 1; Arn., Disputationes adversus nationes, 5. Hier lässt sich auch eine Wechselwirkung annehmen: Um sich vor solchen abwertenden Kommentaren zu schützen, aber auch um die Achtung vor dem Mysterium zu heben und auf dieses neugierig zu machen, konnte besonders die Geheimhaltung hohe Priorität bei den Mysterien haben. Vgl. dazu auch PERLER, OTHMAR, Art. Arkandisziplin, in: Reallexikon für Antike und Christentum 1 (1950), 667–676, 667–671. 53 TURCAN, Initiaion, 95–102, hier 102. Vgl. auch Clem., Protr. II 12,2 (GCS 12, 11,20– 22 STÄHLIN/TREU): Δηὼ δὲ καὶ Κόρη δρᾶμα ἤδη ἐγενέσθην μυστικόν, καὶ τὴν πλάνην καὶ τὴν ἁρπαγὴν καὶ τὸ πένθος αὐταῖν Ἐλευσὶς δᾳδουχεῖ. 54 Entgegen der Tilgung der Passage bei Engelbrecht und Kroymann ist mit Fredouille und Tommasi Moreschini das Trikolon zu lesen. Vgl. dazu FREDOUILLE, Valentinia, 47; DERS., Contre les Valentiniens, 172; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 242 Anm. 10. Dies belegt u.a. Apol. 8,4, wo consecratio und initiatio syndetisch verbunden genannt werden. 55 Vgl. bereits Irenäus, der die valentinianische Lehre als μυστηήριον bezeichnet, allerdings keinen konkreten Vergleich mit einem Mysterienkult unternimmt (Adv. Haer. I 4,3). 56 Dass quam als Verkürzung zu prius- oder antequam zu lesen ist, ist Tertullians verkürzten Schreibstil geschuldet (vgl. auch 1,4 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens,
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des Zugangs (aditum cruciant) zu diesem Kultverein (collegium) der Valentinianer regelrecht nachspürbar. Das zweite und dritte Glied nehmen konkret die Sprach- und Gedankenwelt der Mysterienkulte auf. Tertullian beschreibt die Akte der Einweihung (initiare) und der abschließenden Versiegelung (consignare)57 als einen längeren Vorgang (vgl. den Elativ diutius) und bestärkt dies mit der folgenden Begründung eines fünfjährigen Unterrichts, den die Epopten, d.h. diejenigen, denen die geheime Schau des Mysteriums zuteil werden wird, vor der endgültigen Aufnahme zu absolvieren haben.58 Den aus seiner Perspektive eindeutigen Grund für ein so langes Aufnahmeritual legt Tertullian im folgenden Finalsatz dar 59: Metaphorisch mit einem 172). Anders wertet Marastoni einen Fehler der Kopisten und liest quos (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 104). 57 Die Parallele von initiare und consignare findet sich zusätzlich – allerdings auf den Christen bezogen – in Apol. 8,4. Initiare nutzt Tertullian häufig zur Bezeichnung von Häretikern und ihrem Geheimwissen (vgl. Adv. Marc. I 19,4; IV 11,6; 20,10; Adv. Val. 3,3). Ob das dem griechischen σφραγίζω entsprechende consignare, das im christlichen Kontext zur Beschreibung der Versieglung des Täuflings genutzt wurde, in dieser Bedeutung vorchristlich aus den Mysterienkulten stammt – vgl. z.B. Praescr. 40,4 (SC 46, 144,7–8 REFOULÉ/DE LABRIOLLE): si adhuc memini Mithrae, signat illic in frontibus milites suos –, wird diskutiert. Vgl. dazu DÖLGER, FRANZ JOSEPH, Sphragis. Eine Altchristliche Taufbezeichnung in ihren Beziehungen zur profanen und religiösen Kultur des Altertums (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums 5), Paderborn: Schöningh 1911, 165–171; YSEBAERT, JOSEPH, Greek Baptismal Terminology. Its Origins and Early Development (Graecitas Christianorum Primaeva 1), Nijmegen: Dekker & van de Vegt 1962, 204–226; RIEDWEG, Mysterienterminologie, 157 Anm. 135. Bereits bei Clemens findet sich die christliche Taufe im Gewand von Mysterien-Sprache (Protr. XII 120,1). Am Rande sei bemerkt, dass Tertullian gerade „kein Zeuge für eine Taufe in den Mysterien von Eleusis“ ist, wie Dölger im gleichnamigen Aufsatz und der textkritischen Betrachtung der Stelle Bapt. 5 herausstellt (vgl. DÖLGER, FRANZ JOSEPH, Tertullian kein Zeuge für eine Taufe in den Mysterien von Eleusis, in: Antike und Christentum 1 [1929], 143–149). 58 Dass der Verweis auf den fünfjährigen Unterricht rhetorisch und nicht historisch zu werten ist, ergibt sich aus der argumentativen Anlage. „Das tertium comparationis ist an dieser Stelle die übertriebene Geheimhaltung, nicht die Dauer der Vorbereitungszeit.“ (SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 280 Anm. 54). Anders THOMASSEN, Spiritual Seed, 387 f. Zudem gilt die Terminologie epoptes im strengen Sinn der Mysterien erst nach Abschluss der Einweihung, d.h. im Fall der Eleusinischen Mysterien nach zwei Jahren. Auch diese etwas ungenaue Nutzung hat rhetorische Gründe, um der Leserschaft den Vergleichspunkt der Mysterien-Kulte zu verdeutlichen. Mit dem Verweis auf den erschwerten Zugang (aditum cruciant) kann Tertullian möglicherweise auch auf die vielen, der Initiation vorausgehenden Riten anspielen. Marastoni deutet darin die „kleinen Mysterien von Eleusis“ vor der großen Einweihung (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 103). Dass zudem ein Anhalt für die valentinianische Dreiteilung der Einweihung in polemischer Verkürzung und Darstellung gegeben ist, wie die Exc. Thdt. 66 beschreiben (aaO., 104), hat keinen weiteren Anhaltspunkt. 59 Syntaktisch verschachtelt Tertullian den Satz so, dass zu Beginn die valentinianische Tätigkeit (opinionem aedificent) die tertullianische Kritik einrahmt (suspendio cognitionis),
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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Bild aus dem Bereich des Baus attestiert er den Valentinianern, dass sie mit diesem ausführlichen Ritual zunächst „eine bloße Meinung“ und Schein über ihre Gruppe und Lehre „zementieren“ (opinionem aedificent)60 und „die Begierde“ der Nicht-Eingeweihten „errichten“ (praestruxerunt cupiditatem). Dieses gelinge ihnen, indem sie die eigentliche „Erkenntnis aufschieben“ (suspendio cognitionis)61 und nur „scheinbar eine göttliche Erhabenheit darbieten“ (ita tantam maiestam exhibere videantur) 62 . Was Tertullian unter der wahren christlichen Erkenntnis (cognitio) versteht, die für ihn mit der Erkenntnis über die Falschheit und Unchristlichkeit der häretischen Lehre einhergeht und von den Valentinianern mutwillig durch eine lange Initiation – nach der Initiation stelle sich die Erkenntnis durch die Offenbarung regelrecht von selbst ein – aufgeschoben werde (suspendere), markiert er deutlicher in Adv. Val. 3,2. Die gleichsam wie ein Refrain anmutende, anschließende Konstatierung schärft spöttisch und eindringlich die valentinianische Perspektive ein, dass nach außen hin kein Wissen über die Gottheit, Lehre und Ritus dringen dürfe; denn es folgt die aus den Mysterien bekannte Verpflichtung zum Stillschweigen vor Nicht-Eingeweihten (officium silentii).63 (1,3a) Adtente custoditur quod tarde invenitur. Ceterum tota in adytis divinitas, tota suspiria epoptarum, totum signaculum linguae, simulacrum membri virilis revelatur.
Tertullian führt schließlich von der charakterisierenden Einordnung der Valentinianer als Mysterien-Kult über zu seiner moralisierenden Bewertung, die er sentenzenhaft unter Aufnahme bereits bekannten Vokabulars eröffnet (z.B. custodire). Die beiden vorher benannten Momente der Geheimhaltung der während die Fortführung chiastisch die beiden Momente von maiestas und cupiditas gegenüberstellt. 60 Tertullian spielt mit der Grundbedeutung des Wortes (aedes und facere, d.h. ein Gebäude errichten), um das Stärken und Bekräftigen einer Meinung herauszustellen (vgl. TLL Art. aedificare I 926,71–75). Die in seinen Augen der Wahrheit widersprechende, falsche Ansicht (opinio) muss regelrecht wie ein Gebäude von Grund auf, mit in den Schweiß treibender Anstrengung gebaut werden. 61 Mit opinio und cognitio findet sich eine Reminiszenz an die platonische Gegenüberstellung von δόξα und ἐπιστήμη (vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 173). Anders deutet Tommasi Moreschini die vorliegende Passage mit Verweis auf die grundlegendere Auseinandersetzung in Adv. Val. 2 f. (DIES., Adversus Valentinianos, 242 Anm. 12). 62 Braun belegt in seiner Studie, dass maiestas „unter Tertullians Feder“ zu einem Synonym für divinitas wird, dieser Terminus aber nicht allein für die christliche Gottheit reserviert ist, und dass an dieser konkreten Stelle die Bedeutung „Gott“ vorliege (DERS., Deus christianorum, 44 f. Anm. 4). TLL ergänzt zum Verständnis mysterium Cereris (Art. maiestas VIII 154,46 f.); es geht also um die Gottheit der Mysterien der Ceres (d.h. Demeter), in deren Kontext Tertullian weiter argumentiert. 63 Vgl. Hippolyts Aussage zu den Eleusinischen Mysterien: die Offenbarung des Geschauten vor dem Initianden geschieht „in Schweigen“ (ἐν σιωπῇ; Ref. V 8,39 [GCS 26, 96,12 WENDLAND]). Vgl. dazu auch Tert., Ad Nat. I 7,13; Apul., Met. III 15,4.
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Lehre und der verzögerten Erkenntnis werden durch zwei Adverbien im parallel gebauten Satz nebeneinander gestellt: Die Geheimhaltung geschieht unter höchster Aufmerksamkeit (adtente), während die Einweihung ausgedehnt wird und die wahre Erkenntnis über die Inhalte und Lehren erst langsam gefunden werden kann (tarde). Abrupt (ceterum) unterbricht Tertullian diese Darstellung und setzt seine persönliche Deutung für den Grund des Geheimhaltungsgebots dagegen. Indem er den bisher nebulös dargestellten Inhalt der Lehre mit seiner Deutung füllt, konturiert er diese für seine Leserschaft und deren Lektüre des folgenden Werks. Im Trikolon, dessen einzelnen Glieder je durch totus spezifiziert sind,64 führt er typische, zu den Mysterien gehörende Handlungen an, die bei den eleusinischen Mysterien in der Nacht der endgültigen Initiation verortet sind. Er konstatiert, dass mit dem Moment der Einweihung drei Dinge offenbart werden: die „im Innersten verborgene Gottheit“ (tota in adytis divinitas)65, „die ganzen Seufzer der Epopten“ (tota suspiria epoptarum)66 sowie „das ganze Siegel der Zunge“ (totum signaculum linguae)67, mit dem Tertullian auch ein geheimes Einweihungszeichen implizieren kann.68 Die Alliteration (suspiria, signaculum, simulacrum) verbindet die Elemente mit dem für Tertullian eigentlichen, die Offenbarung der Gottheit bestimmenden obszönen, abschreckenden, für ihn eine reine Blasphemie darstellenden Inhalt der Enthüllung: als ein Abbild des männlichen Glieds (simulacrum membri virilis revelatur). Voller Polemik identifiziert Tertullian nicht nur den Inhalt der Lehre mit dem Gedanken der Sexualisierung, sondern er ordnet diesen auch ein: Hinter der auf den ersten Blick so attraktiv und anziehend wirkenden Lehre steht nicht mehr als das Phallus-Symbol.69 Damit ist die den Valentinianern bisher implizit angetragene Deutung ihrer Lehre expliziert, qua ihres Inhalts schamhaft und 64 Syntaktisch bilden die drei durch tota/totum parallelisierten Glieder das Prädikativum zum Hauptsatz simulacrum membri virilis revelatur. Anders deutete Fredouille divinitas als Subjekt zu revelatur mit zwei Appositionen (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 173). 65 In adytis verwendet Tertullian an dieser Stelle als attributives Adverbiale. Auch bei den drei weiteren Vorkommen in seinem Œuvre zielt er mit dem Terminus jeweils im polemischen Kontext auf die Abwertung seiner jeweiligen Gegner ab: vgl. Anim. 28,2; 46,13; Pall. 4,7,3 (vgl. für die Interpretation auch HUNINK, VINCENT, Tertullian. De Pallio. A Commentary, Amsterdam: Gieben 2005, 221). 66 Dieses andächtige Seufzen nutzt Tertullian lediglich ein weiteres Mal in Cult. Fem. II 3,3: suspiria adulescentium, die die Frau nach sich zieht. 67 In diesem Ausdruck klingt durch die semantische Abhängigkeit (signaculum/consignare) erneut die Versiegelung als höchste Einweihung an (vgl. Adv. Val. 1,2). 68 Fredouille votiert für ein physisches Zeichen, bei dem ein Gegenstand auf die Zunge gelegt wurde (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 173). 69 Dies hat viel Raum zur christlichen Polemik geboten. Vgl. Beispiele bei H ERTER, HANS, Art. Genitalien, in: Reallexikon für Antike und Christentum 10 (1978), 1–52, 37–40; BAUDY, Cista mystica. Um 300 nach Christus findet sich diese Deutung bei Arnobius wieder (Disputationes adversus nationes, V 25–27).
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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obszön zu sein – schließlich wird mit der Stilisierung des Initiationsritus der Lehre scheinbar viel Bedeutung beigemessen, die ihr in seinen Augen gar nicht zukommt. (1,3b) Sed naturae venerandum nomen allegorica dispositio praetendens patrocinio coactae figurae sacrilegium obscurat et convicium falsis simulacris excusat.
Im folgenden adversativen Satz bietet Tertullian seine methodische Begründung dafür, dass die Erkenntnis der wirklichen Absicht der Valentinianer, d.h. das Durchschauen der Absurdität ihrer Lehre, schwierig ist. Zunächst fehle eine begriffliche Differenzierung: Auch die Valentinianer nutzen den „an sich verehrungswürdigen“, d.h. in Tertullians Kontext positiv konnotierten Begriff ‚Natur‘ (naturae venerandum nomen). 70 Insbesondere an der allegorischen, aber als solcher nicht explizit gekennzeichneten Interpretation übt Tertullian Kritik. In seinen Augen verwenden die Valentinianer den Begriff natura lediglich als Vorwand, um ihm eine gänzlich andere Bedeutung beizumessen.71 In diesem Vorgehen sieht er einen valentinianischen Trick, bei dem mittels der begrifflichen Kontinuität der gemeinsame, christliche Glaube (communis fides, 1,4) herausgestellt und die für Tertullian bestehende grundlegende Verschiedenheit der Lehre verdeckt werden soll.72 Stilistisch greift er dabei den erhobenen Vorwurf auf und formuliert diesen ironisierend selbst allegorisch aus, um die gefährlichen Folgen einer solchen Interpretation nachzuzeichnen.73 Mittels der Stilmittel der expolitio und paronomasie (obscurat/excusat) malt Tertullian diese Folge ausführlich und wirkkräftig aus: Denn die eigentlich häretische Lehre wird verdunkelt und verschleiert, sodass der Initiand diese nicht
70 Syntaktisch wird das explikativ verwendete natura durch die Stellung zu Beginn des Satzes sowie als Element des modal konnotierten Partizipialsatzes, der in den folgenden Hauptsatz einleitet, hervorgehoben. 71 Zum Verständnis der Allegorie besonders von Status, Identifikation und Interpretation bei Tertullian vgl. FREDOUILLE, JEAN-CLAUDE, Réflexions de Tertullien sur l’Allegorie, in: Gilbert Dahan/Richard Goulet (Hg.), Allégorie des poètes, allégorie des philosophes. Études sur la poètique et l’hérméneutique de l’allégorie de l’Antiquité à la Réforme (Textes et Traditions 10), Paris: Vrin 2005, 133–148, 138–145; O’MALLEY, Tertullian, 145–158. Das Adjektiv allegoricus ist zuerst bei Tertullian belegt (vgl. TLL Art. allegoricus I 1671,36). Eine ähnliche Kritik wie im vorliegenden Kontext findet sich in Ad Nat. II 12,17, wenn Tertullian die Art und Weise der Interpretation von Mythen als allegorische ablehnt. 72 In 1,4 legt Tertullian den Valentinianern die Begründung der „doppelzüngigen Zweideutigkeiten“ in den Mund (per ambigutates bilingues). 73 Es besteht eine reale Beziehung zwischen dem konkreten Begriff membrum virilis und dem abstrakteren, euphemistisch genutzten Begriff natura. Vgl. auch TLL Art. natura IX/I 188,32–34. Zur metonymischen Bezeichnung der Geschlechtsteile in der Antike durch natura vgl. auch HERTER, Genitalien, 36. Zudem dient dieser Hinweis als Beispiel für den Vorwurf der ambiguitas (vgl. 1,4).
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sofort als Frevel (sacrilegium) erkennt.74 Das rhetorische Mittel bildet die Allegorie (allegorica dispositio)75, die Tertullian als „Schutz eines gezwungenen Bilds“ (patrocinium coactae figurae) umschreibt, d.h. als eine künstliche, gegen das Wesen des eigentlichen Bedeutungsträgers stehende Interpretation.76 Allegorisch nutzt Tertullian selbst das eigentlich den Verteidiger vor Gericht benennende patrocinium als Bezeichnung für die – aus der Perspektive der Valentinianer, wie Tertullian sie ihnen zuschreibt – sie schützende Allegorie. Seine Kritik steigert sich im letzten Teil. In seinen Augen „verdunkeln“ die Valentinianer nicht nur den wahren Gehalt ihrer Lehre. Vielmehr attestiert er ihnen eine Leichtfertigkeit, mit der sie durch die bewusste Verwendung „falscher Abbilder“ (falsis simulacris) ihre eigentliche Lehre, die für Tertullian einer „Lästerung“ gleichkommt, „entschuldigen“ (convicium excusat). Im vorliegenden Kontext rekurriert er auf den Begriff ‚Natur‘ – dieser Vorwurf gilt paradigmatisch für die gesamte Lehre –, der nichts anderes als eine „Lästerung“ sei, weil nach seiner Darstellung nichts anderes als das Phallus-Symbol offenbart wird. Tertullian konstatiert, dass die Allegorie nicht mehr als ein Schutzschild für die bittere und obszöne Wahrheit bietet. Diese überstrapazierte, allegorische Interpretation von Mythen, insbesondere des valentinianischen Mythos weist er entschlossen zurück.77
74 Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 174 f. mit Beispielen. Zum Stilmittel der affektbezogenen rhetorischen Ausmalung eines Gedankengangs vgl. JACOB, ROGER, Art. Expolitio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 3 (1996), 153–156, 153 f. 75 Vgl. TLL Art. dispositio V/1 1432,49–52. 76 Zur Bedeutung von figura bei Tertullian vgl. O’M ALLEY, Tertullian, 158–164; FREDOUILLE, Réflexions, 145; TLL Art. figura VI/I 734,8. Zudem vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 174 zur Konnotation von coacta figura als „gezwungen, willkürlich, künstlich“ sowie TLL Art. cogo III 1533,14 f.47. Es fällt die häufigere Nutzung bei Tertullian selbst auf (Adv. Val. 6,1; Orat. 15; Pud. 9,3; Pat. 16; Mon. 9,1). 77 Vgl. auch Resurr. 19,2.6; Ad Nat. II 12,17 und dazu O’M ALLEY, Tertullian, 145–158.
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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(1,3c) Proinde quos nunc destinamus haereticos sanctis nominibus et titulis et argumentis verae religionis vanissima atque turpissima figmenta configurantes facili claritate,1 ex divinae copiae occasione, quia de multis multa succidere2 est, Eleusinia Valentiniana fecerunt, lenocinia sancta silentio magno, sola taciturnitate caelestia3.
Mit dem konklusiven Adverb (proinde) führt Tertullian in die folgende diesen Argumentationsgang abschließende Bewertung ein. Das Zeitadverb nunc schlägt einen Bogen zurück zum Anfang (1,1): Die Leserschaft, der Tertullian zu Beginn noch einen kleinen Zweifel über die Kategorisierung der Valentinianer als größten Kultverein unter den Häretikern zugestanden hatte, wird nun von ihm durch die Formulierung in der 1. Person Plural endgültig mithineingenommen und zum Urteil über die Bezeichnung und Bewertung der Valentinianer als Häretiker vereinnahmt.4 Zur Absicherung führt Tertullian noch einmal den Grund für die Charakterisierung als Häretiker an: Ihre Lehre entspreche reinen „Erdichtungen“ (figmenta), denen jeder Realitätsgehalt fehle.5 Die Diese Lesart folgt dem handschriftlichen Befund. Die Deutung von claritati ist schwierig und hat zu verschiedenen Konjektur-Vorschlägen geführt (z.B. caritati bzw. caritate als sarkastische Anspielung auf 1Kor 13 [vgl. dazu z.B. RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 123 f.], celeritate, liberalitate, temeritate [vgl. dazu MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 106] oder alacritate). Fredouille schlägt gegen die im TLL präferierte Konstruktion von configurantes mit Dativ (configurantes aliquid alicui, vgl. Art. configuro IV/0212,77–79) vor, zu facilitate clara zu konjizieren und verweist auf Praescr. 39,2, wo von der „Kraft und Leichtigkeit“ oder sogar „Leichtfertigkeit“ der Häretiker die Rede ist, „sich Irrlehren auszudenken und aufzustellen“ (Et ideo habent vim et in excogitandis instruendisque erroribus facilitatem [SC 46, 142,4–5 REFOULÉ/LABRIOLLE]), vgl. dazu FREDOUILLE, Valentinia, 47; DERS., Contre les Valentiniens, 175; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 244 Anm. 20 sowie neuerdings als deutsche Übersetzung LUKAS, Tertullian. Adversus Valentinianos, 43. Vielmehr ist die handschriftliche Lesart beizubehalten; syntaktisch gehört der Dativ facili claritati in den Partizipial-Satz – entsprechend dem Konstruktionsvorschlag des TLL, schließlich konstruiert Tertullian auch in Anim. 9,8 ebenfalls mit nachgestelltem Objekt configurare mit Dativ –, während ex divinae copiae occasione Objekt im Hauptsatz bildet. 2 Die Lesart folgt der Konjektur Kroymanns, die auch Fredouille, Marastoni und Tommasi Moreschini übernehmen. Riley weist allerdings darauf hin, dass Tertullian succidere vornehmlich mit Dativ konstruiert und hält am handschriftlichen Befund succedere fest (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 124 mit Parallelstellen). 3 Zur Lesart vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 48. 4 Bereits in der vorher verfassten Schrift Praescr. charakterisiert Tertullian die Valentinianer als Häretiker (vgl. z.B. 7,3; 8,1; 16,1; 27,2), sodass das temporale Adverb an dieser Stelle nicht die primäre Deutung dieser Gruppe als Häretiker unterstreicht als vielmehr ein festlegendes Moment im Kontext dieser Schrift markiert sowie ein temporales, nach dem sich Tertullian „nun“ nach dem Exkurs über den als Häresie bewerteten Kultverein von Eleusis den ebenfalls als Häretikern einzuordnenden Valentinianern zuwendet. Die charakteristische Verwendung von destinare für Häretiker findet sich auch Adv. Marc. I 1,6. 5 Der TLL definiert figmentum als quod fictum est und führt weiter aus de falsis commentis, simulatione, fabulis, mendaciis, somniis (Art. figmentum VI/I 709,3.51). Figmentum entspricht πλάσμα (vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 244 Anm. 19). 1
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Kapitel 1: Adv. Val. 1: Eleusinia valentiniana
zu Superlativen gesteigerten Adjektive bestimmen diese als eigentlich inhaltsleer (vanus) bzw. von moralisch nicht integren, schändlichen Gedanken (turpis) durchzogen und geben wie in 1,1 (vgl. frequentissimus) mit der hyperbolischen Charakterisierung einen Hinweis auf den ironischen Ton Tertullians. Den eigentlichen Vorwurf, dass die Valentinianer die aus seiner Perspektive nicht mehr als Erdichtungen zu wertende Lehre an die „einfache“, d.h. eingängige und offensichtliche „Klarheit“ (facili claritate) der christlichen Wahrheit, „angleichen“ (configurare)6, hebt er durch das Stilmittel der figura etymologica (figmentum/configurare)7 hervor. Indem sie „mit den heiligen Begriffen, Namen und Inhalten der wahren Religion“ (sanctis nominibus et titulis et argumentis verae religionis) agieren, die Tertullian als Trikolon und mittels des Stilmittels der percursio8 kurz aufzählt, bevor diese einer eingehenderen Behandlung in der Narratio bedürfen, wirft er den Valentinianern vor, Symbole der einen der Tugend der simplicitas entsprechenden (vgl. Adv. Val. 2 f.), christlichen Religion zu verwenden, um schamlose Inhalte hinter diesen bekannten Bezeichnungen zu erfinden. Es handelt sich (1) um heilige, aus den biblischen Schriften entnommene Begriffe (sancta nomina), die in der valentinianischen Lehre als Äonennamen auftauchen, (2) um biblische, Eigenschaften des trinitarischen Gottes charakterisierende heilige Namen (tituli)9, wie z.B. Wort (sermo), Leben (vita), Eingeborener (unigenitus), sowie (3) heilige Inhalte (argumenta)10, die im valentinianischen Kontext geheime Bedeutung – als Namen für die Äonen – erhalten (z.B. ecclesia, gratia, plenitudo).11 Methodisch will Tertullian den Valentinianern nachweisen, dass sie vertraute, scheinbar – in seiner Wertung – ‚rechtgläubige‘ Terminologie aus der christlichen Verkündigung nutzen, um Gläubige an ihre geheime Lehre heranzuführen. Damit verbergen sie zugleich, wie weit sie in Wirklichkeit von diesem wahren Glauben entfernt stehen, um erst 6 Ein ähnliches Wortspiel findet sich in Resurr. 30,5 (CChr.SL 2, 959,23–25 B ORELFFS): Nam etsi figmentum veritatis in imagine est, imago ipsa in veitate est sui: necesse est esse prius sibi id quod alii configuretur. 7 Beide Lexeme gehen grundlegend auf den Stamm fing* zurück. 8 Zum Stilmittel der Percursio, das „eine kurze Aufzählung von Gegenständen oder Ereignissen [umfasst, SMK], die ausführlicher gestaltet werden könnte oder deren einzelne Glieder eingehender behandelt werden könnten, worauf jedoch im Sinne der brevitas verzichtet wird“, vgl. CZAPLA, BEATE, Art. Percursio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 (2003), 748–750, 748. 9 Fredouille übersetzt – korrelierend mit seiner Interpretation von divinae copiae – mit liber und verweist auf diese metaphorische Deutung in Adv. Marc. II 1,1; 3,2; Anim. 3,4 (DERS., Contre les Valentiniens, 175). Dagegen BRAUN, René, Notes de lecture sur une édition récente de l’Adversus Valentinianos de Tertullien, in: Revue des études augustiniennes 28 (1982), 189–200, 190 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 244 Anm. 18. 10 Fredouille übersetzt auch hier korrelierend mit seiner Interpretation von divinae copiae mit doctrina. 11 Vgl. dazu B RAUN, Notes, 190 f.
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
175
in einem zweiten Schritt in die so vorbereitete, dahinterstehende Lehre einzuweihen (vgl. 1,4). Schließlich konstatiert Tertullian spöttisch, dass die Valentinianer daher nichts anderes als „valentinianische Eleusinien“ (Eleusinia Valentiniana) fabrizieren und bildet dazu das Adjektiv valentiniana.12 Erst im abschließenden Hauptsatz fungieren die Valentinianer selbst als Subjekt des Satzes und bilden nicht mehr nur das Objekt, über die geredet wird. Der zuvor als Vergleich herangezogene Kultverein erhält nun eine neue Nuancierung. Polemisch markiert er das Fundament dieser Gründung des Untervereins in dem „vorhandenen Vorrat der göttlichen Fülle“ (ex divinae copiae occasione)13 und spielt damit auf die Aufsplitterung des Gottesbildes in dreißig Äonen an, die das Pleroma, d.h. die göttliche Fülle bilden (vgl. Adv. Val. 7 f.)14 . Diese Geheimlehre ist daher nichts anderes als die valentinianische Ausgestaltung derjenigen von Eleusis. Im parenthetischen ironischen Einschub karikiert Tertullian diese – für ihn als polytheistisch zu wertende – Ausdifferenzierung des Göttlichen mit der Begründung: „weil von Vielem vieles abzuschneiden ist“.15 Die abschließende tautologisch und chiastisch formulierte Apposition bewertet das Handeln der Valentinianer ironisch als „heilige, valentinianische Verführungen“ (lenocinium) der Gläubigen, die gerade durch „ein großes Schweigen“ (silentio magno), das mit der „Pflicht des Schweigens“ (1,2) korreliert, angezogen werden. Steigernd gestaltet Tertullian diese Verführungen als „himmlische“ (caelestia) aus, die in der „bloßen Verschwiegenheit“ (sola taciturnitate) gründen. Auf diese Weise spielt er mit der Lehre der Valentinianer und verschränkt ihr Handeln, das in seiner Zuschreibung primär durch das Verschwiegenheitsgebot gekennzeichnet ist, dem er die große Anziehungskraft dieser Gruppe zuschreibt (vgl. 1,2), mit ihrer Lehre, nach der im himmlischen Pleroma zu Beginn großes Schweigen – Sige (vgl. 7,5) – herrscht.
Vgl. dazu auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 106 f. Gegen Fredouilles Interpretation von divina copia als Hinweis auf die Heilige Schrift mit Verweis auf Praescr. 39,6 und Pud. 16,24 (erneut aufgenommen bei LUKAS) vgl. BRAUN, Notes, 189–192; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 244 Anm. 21. Der Terminus occasio ist ein von Tertullian häufig im Kontext der Abwertung des methodischen Vorgehens der Häretiker genutzter Begriff (vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 176). 14 „Cette diuina copia ne se r´fère donc pas, croyons-nous, à l’Ècriture sainte, mais à l’être même de la divinité“. (BRAUN, Notes, 190). Vgl. dazu 3,4 und die Ausführung des Mythos in der Narratio. 15 Vgl. die Andeutung als valentinianischen Polytheismus (3,3) sowie die häufigen ironischen Kommentare in der Narratio zur Hervorbringung weiterer Äonen (z.B. 10,4; 12,4; 19,2; 36,1). Die sich in Interpretationen häufiger findende Andeutung an den „Wald“ von Schriftstellen, auf die Tertullian in anderen Werken zu sprechen kommt (z.B. Adv. Prax. 20,3; Praescr. 37,3; 38,9), scheint durch das succidere („abschlagen“) implizit mitzudenken zu sein; so auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 176. 12
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176
Kapitel 1: Adv. Val. 1: Eleusinia valentiniana
1.2.3. Adv. Val. 1,4: Als Abgefallene von der Wahrheit sind die Valentinianer Häretiker (1,4a) Si bona fide quaeras, concreto uultu, suspenso supercilio „altum est" aiunt; si subtiliter temptes, per ambiguitates bilingues communem fidem adfirmant; si scire te subostendas, negant quicquid agnoscunt; si cominus certes, tuam simplicitatem16 sua caede dispergunt.
Um die Vehemenz des Schweigegebots zu unterstreichen und dessen Zweck endgültig herauszustellen, nutzt Tertullian zum Abschluss der grundlegenden Charakterisierung der Valentinianer eine dialogische Methode. In vier parallel konstruierten Konditionalsätzen erschafft er eine fiktive diatribische Auseinandersetzung zwischen der sich je individuell angesprochen fühlenden Leserschaft (2. Person Singular als Stellvertreter)17 und den Valentinianern (3. Person Plural). Dabei stellt er vier verschiedene innere Einstellungen zu den Valentinianern, die er seiner Leserschaft in den Mund legt, fiktiven valentinianischen Reaktionen gegenüber.18 Die den Fragenden zugeschriebenen Haltungen steigern sich von einer gutgläubig wohlmeinenden Einstellung über eine kritisch befragende und auf Beweisen gründenden Kontaktaufnahme bis hin zu einem Wortgefecht von Angesicht zu Angesicht. Klug führt Tertullian seine Leserschaft gefühlsmäßig zu seiner ihm eigenen Haltung, die er in seinem weiteren Werk verfolgen wird: der beim Gladiatorenspiel als Vorspiel zur Belustigung stattfindende, aber offensichtliche Kampf. Diese Kontaktaufnahmen fordern sehr verschiedene valentinianische Reaktionen heraus, die sich widersprechen und nach Tertullian nur ein einziges Ziel haben, nämlich die Bewahrung ihres Geheimnisses. Während die fragende Haltung emotional als „gutgläubig“ (bona fide)19 eingeführt wird, folgt eine Beschreibung der physischen Reaktion der Valentinianer und lässt eine klare Grenze erkennen. Asyndetisch malt Tertullian das Bild eines strengen Gesichtsausdrucks (concreto vultu) nach, das durch Es ist der von Fredouille vorgeschlagenen Lesart zu folgen, der Rhenanus Edition folgt. Die Argumentation um mögliche Konjekturvorschläge für die korrupte Lesart der Handschriften (certe statuam simplicitatem) wie z.B. certes fatua(m) simplicitate(m) oder certes astuta simplicitate findet sich bei FREDOUILLE, Valentinia, 48; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 124; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 245 Anm. 27. 17 Die 2. Person Singular sollte in der Übersetzung beigehalten werden, um dieses Gefühl bei der Leserschaft hervorzurufen. 18 Als Vorlage diente ihm dabei womöglich Irenäus (Adv. Haer. III 15,2; IV 35,4), bei dem sich ähnliche Gedanken, nicht aber in dieser stilistischen Aufarbeitung finden. Irenäus charakterisiert den Fragenden z.B. als den Hörer der valentinianischen Lehre (aliquis quidem ex his qui audiunt; Adv. Haer. III 15,2 [SC 211, 280,47 f. ROUSSEAU/DOUTRELAU]). Zur rhetorischen Funktion der Diatribe vgl. STOWERS, STANLEY KENT, Art. Diatribe, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 2 (1994), 627–633. 19 Diese Redewendung findet sich bei Tertullian häufiger, vgl. Adv. Val. 4,4; Ad Nat. I 1; II 12; Adv. Herm. 10,1; Anim. 23,5. Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 176 und TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 244 Anm. 23. 16
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
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hochgezogene Augenbrauen (suspenso supercilio) abschreckend und tadelnd wirkt.20 Die Antwort bleibt geheimnisvoll: altum est. Zum einen deutet diese Antwort darauf hin, dass Nicht-Eingeweihte kein tieferes Verständnis dieser Lehre erhalten werden können; denn die Bedeutung ist „tief“ und bleibt für Nicht-Eingeweihte ein Geheimnis. 21 Zum anderen lässt sich diese Stelle als eine ironische Anspielung auf die dahinterstehende Lehre deuten: altus als Übersetzung von βαθύς, der adjektivischen Beschreibung des Namens des obersten Äons Bythos (lat. profundum).22 Dem Versuch, durch kritisches Fragen Widersprüche aufzudecken, begegnen die Valentinianer nach Tertullian diametral, indem sie die Gemeinsamkeit im Glauben betonen (commune fidem; vgl. 1,3).23 Den von den Valentinianern angeführten Grund, die Mehrdeutigkeit und äquivoke Nutzung von Begriffen (ambiguitas), hebt Tertullian stilistisch mittels des Pleonasmus hervor. Das zur synonymen Verstärkung gebrauchte, in Tertullians Œuvre nur hier vorkommende Adjektiv bilinguis trägt zugleich eine ironische Note ein, indem die Zweideutigkeiten nicht nur als mehrsprachige, sondern auch als doppelzüngige charakterisiert sind (vgl. 1,3).24 Die dritte von Tertullian in Aussicht gestellte Verhaltensweise umfasst ein den Valentinianern gegenüber offensives Zeigen, dass Wissen über die Geheimlehre vorhanden ist. Doch auch dies wird sie nicht aus der Reserve locken. Denn eher leugnen sie vor Nicht-Eingeweihten, etwas von der eigenen Lehre wiederzuerkennen als das scheinbar vorhandene Wissen offen zu bejahen. Im Hintergrund steht hier der Obszönitäts-Gedanke, den die Valentinianer nach Tertullian nie in der Öffentlichkeit zugeben würden (vgl. 1,3).25 Diese fiktive dialogisch strukturierte Kette kumuliert in die Haltung eines verbalen Kampfes „von Angesicht zu Angesicht“ (cominus). Hier findet sich bereits ein Hinweis auf die Kampfesrhetorik, die Tertullian zur Beschreibung 20 Irenäus formuliert Adv. Haer. III 15,2 (SC 211, 280,47 f. R OUSSEAU/D OUTRELAU): et si aliquis quidem ex his qui audiunt eos querat solutiones [...]. Vgl. auch IV 35,4 obductis superciliis (SC 100, 874,101 ROUSSEAU/DOUTRELAU). Dieses Bild verwendet Tertullian auch in Adv. Herm. 27,1, vgl. dazu CHAPOT, Tertullien. Contre Hermogene, 356. 21 Dazu Iren., Adv. Haer. IV 35,4 (SC 100, 874,101–105 R OUSSEAU/D OUTRELAU): valde quidem altissime se habere sermonem dicunt, non autem omnes capere magnitudinem ejus intellectus qui ibidem continentur, et propter hoc silentium maximam rem esse apud sapientes. Vgl. auch Apul., Met. XI 11,3: alterioris religionis argumentum. 22 Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 176; TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 244 f. Anm. 24; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 107. 23 Vgl. auch hier die irenäische Vorlage Adv. Haer. III 15,2 (SC 211, 280,37–39 ROUSSEAU/DOUTRELAU): cum similia nobiscum sentiant [...] et cum eadem dicant et eandem habeant doctrinam. 24 Vgl. TLL Art. bilinguis II 1986,51.60.82. Über dieses Stichwort schlägt Tertullian bereits einen Bogen zur Schlange in Adv. Val. 2 f., vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 177. 25 Zur Neubildung von subostendere durch Tertullian vgl. W ELLSTEIN, Nova Verba, 292.
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Kapitel 1: Adv. Val. 1: Eleusinia valentiniana
seines eigenen Vorgehens anführen wird.26 Die Valentinianer reagieren, indem sie selbst in die Offensive wechseln und als letzten Ausweg die „Einfalt“ (simplicitas) des Gegenübers mit einer „Attacke“ (caedes) „zu zerstreuen“ suchen (dispergere).27 Mit dem Begriff simplicitas ist der Auftakt für die folgenden beiden Kapitel gegeben, in denen Tertullian – ausgehend von der wahren den Christen um Tertullian eigenen simplicitas – der valentinianischen Lehre ihr Fundament entziehen will (Adv. Val. 2 f.). (1,4b) Ne discipulis quidem propriis ante committunt quam suos fecerint. Habent artificium quo prius persuadeant quam edoceant. Veritas autem docendo persuadet, non suadendo docet.
Zum Abschluss konterkariert Tertullian den Geheimhaltungszwang der Valentinianer mit Blick auf den Nachwuchs. Er bewertet die valentinianische Technik und Methodik als eine „Kunstfertigkeit“ (artificium) und hebt dies mittels der Nutzung der figura etymologica hervor.28 Denn sogar den eigenen Schülern, d.h. in biblischer Tradition ihren Jüngern und Nachfolgern, vertrauen sie sich nicht an, bevor diese nicht den Initiationsritus durchlaufen haben.29 Erst wenn die Interessierten durch Überzeugungsarbeit (persuadere) zu Anhängern „gemacht worden sind“ (facere) – das aktive Moment liegt damit auf Seiten der Valentinianer und widerspricht implizit einer intrinsischen Motivation der Schüler –, erhalten sie die endgültige Unterweisung (edocere) in die valentinianische Lehre, die den Status des Schülerseins beendet. Antithetisch stellt Tertullian diese bereits benannte Differenzierung von (per)suadere und (e)docere in der abschließenden Sentenz gegenüber. Mittels
26 Vgl. die gleiche Konnotation von comminus zur Beschreibung eines Kampfes mit Worten in Adv. Marc. II 29; IV 1. Zum rhetorischen Topus der Kampfesrhetorik bei Tertullian s.u. zu Adv. Val. 3,5; 6,2 sowie 5.1. der Einleitung. 27 Als „hermeneutisches Gemetzel“ (caedes scripturarum) wertet Tertullian in Praescr. 38,8 f. Markions Umgang mit der Schrift, um danach das methodische Vorgehen Valentins zu definieren (SC 46, 141,27–142,31 REFOULÉ/DE LABRIOLLE): Valentinus autem pepercit quoniam non ad materiam scripturas sed materiam ad scripturas excogitavit. Et tamen plus abstulit et plus adiecit, auferens proprietates singulorum quoque verborum et adiciens dispositiones non comparentium rerum. Vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 107; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 177 f. 28 In Spect. bildet artificium eine der fünf Kategorien, nach denen Tertullian die idolatria der einzelnen historisch gewachsenen spectacula nachzuweisen sucht und den Christen ein aktives Partizipieren an diesen untersagt (vgl. Spect. 5–13). 29 Vgl. den Hinweis auf den fünfjährigen Unterricht der Epopten (1,2) sowie Iren., Adv. Haer. III 15,2: erst werden mögliche Anhänger durch Fragen vom eigenen Glauben abgebracht, bevor sie in die Lehre des Pleromas eingeweiht werden (et cum deiecerint aliquos a fide per quaestiones quae fiunt ab eis et non contradicentes auditores suos fecerint, his seperatim inenarrabile Plenitudinis suae enarrant mysterium [SC 211 280,40–43]). Auch Irenäus nutzt die Wendung suos facere. Im Kontext des Mythos selbst lehren Christus und der Heilige Geist die Äonen das rechte Wissen (vgl. Adv. Val. 11,2).
1.2. Analyse von Adv. Val. 1
179
des betont vorangestellten Subjekts veritas schließt er den Bogen zum Anfang (1,1). Die von ihm als Häretiker klassifizierten Valentinianer stehen in ihrem gesamten Handeln gegen die eine Wahrheit. Denn es entspricht gerade dem Wesen der Wahrheit, dass sich diese nicht verbergen lässt. In der parallel, durch die Gerundien knapp formulierten Sentenz, die mit der Stilfigur der commutatio30 die Begriffe (per)suadere und docere miteinander verschränkt, betont Tertullian die Dialektik dieser beschriebenen Akte.31 Ohne Einweihung in die dahinterstehende Lehre und das Konzept hat die Wahrheit keinen Halt. Allein aus Schmeichelei und bloßem Zureden gelangt keiner zum wahren Glauben. 32 Belehrung (docere) und Zureden (suadere) sind vielmehr dialektisch aufeinander bezogen.
Vgl. dazu bereits oben Anm. 21. Vgl. auch Anim. 2,2. Tertullian nutzt aus dem stilistischen Grund der Isosyllabie mit suadere kein Kompositum (vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 181 sowie DERS., Tertullien et la Conversion, 31 Anm. 6). Zur Konstruktion vgl. auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 125. 32 Vgl. auch den Gegensatz in Adv. Val. 3,5. 30
31
Kapitel 2
Adv. Val. 2–3: Praemunitio – Die rechtgläubige Einfalt der Taube und valentinianische Klugheit der Schlange 2.1. Funktion von Adv. Val. 2–3 innerhalb des Exordiums 2.1. Funktion von Adv. Val. 2–3
Nach der einführenden Charakterisierung der Valentinianer bietet Tertullian vor der Ausführung seiner Intention und Ankündigung seines weiteren Vorgehens eine grundlegende Widerlegung der valentinianischen Lehre. Rhetorisch nutzt er die zu den dialektischen Figuren zählende praemunitio, um die Meinung der eigenen Partei abzusichern und zugleich die Gedanken der Gegenpartei in einem kurzen der eigentlichen Widerlegung vorweggenommenen Durchgang zu destruieren.1 Dazu wertet er den von ihm stilisierten Selbstanspruch der Valentinianer, weise zu sein wie die Schlangen, aber nicht einfältig wie die Tauben, im Folgenden um; die Tauben-Einfalt bezieht Tertullian zudem auf sich und die Christen um ihn und formuliert weitere Differenzmerkmale zur Gruppenscheidung wie bereits mit Blick auf die veritas (Adv. Val. 1). Dazu zieht er biblische Argumente heran (Adv. Val. 2), um in Adv. Val. 3 sowohl das Strukturprinzip der Gotteserkenntnis gegen die Gültigkeit der valentinianischen Lehre anzuführen (3,2) als diese auch als wesenhaft polytheistisch zu werten (3,3 f.). Das Kapitel mündet in eine erste methodische Aussage zur der darzulegenden Lehre entsprechenden Argumentationsstruktur, die in Adv. Val. Anwendung findet (3,5; vgl. auch 6,2 f.).
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3 2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
2.2.1. Adv. Val. 2,1: Die Differenzen in simplices und prudentes (2,1a) Ideoque simplices notamur apud illos, ut hoc tantum, non etiam sapientes;2 quasi statim deficere cogatur a simplicitate sapientia, domino utramque iungente: Estote Vgl. Cic., De orat. III 204 f. sowie dazu BRAUN, MAXIMILIAN, Art. Prolepsis, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 7 (2005), 196–201. 2 Ut verwendet Tertullian häufig explikativ, vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 182. Die finale Bedeutung in der klassischen Konstruktion ideo – ut findet sich als Einleitung in einen elliptischen Satz ebenfalls häufiger bei Tertullian (vgl. z.B. Praescr. 4,6; 1
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
181
prudentes ut serpentes et simplices ut columbae.3 Aut si nos propterea insipientes quia simplices, num ergo et illi propterea non simplices quia sapientes?
Tertullian beginnt die grundsätzliche Widerlegung, indem er den Valentinianern eine Aussage in den Mund legt, die einerseits die Christen seiner eigenen Gruppe scheinbar diffamiert und andererseits die Valentinianer selbst im positiven Licht darstellen lässt. Die von Tertullian vorgenommene Zuordnung der simplicitas zu den Christen um ihn (1. Person Plural) impliziert diametral die valentinianische Selbstbezeichnung als „Weise“ bzw. „Kluge“ (sapientes/prudentes)4 und bietet den Ausgangspunkt für die folgende widerlegende Reaktion. Die Bezeichnung „Einfältige“ (simplices) bildet einen klassischen Topos in der christlichen Literatur.5 Die Kausaleinleitung ideoque zeigt formal den Bezug zum Vorangehenden an, der sich auch auf inhaltlicher Ebene wiederfindet: Weil die Christen um Tertullian aus der den Valentinianern zugeschriebenen Sicht durch die Verkündigung des Glaubens gegen die Geheimhaltungsmaxime verstoßen, können sie nur als simplices bezeichnet werden, nicht auch als sapientes. Für Tertullian hingegen gehören veritas (1,4) und simplicitas (2,1) konstitutiv zusammen. Diese aus Tertullians Perspektive fälschlicherweise vorgenommene Spaltung und antithetische Gegenüberstellung von simplices und sapientes spiegelt auch die Satzkonstruktion wider: simplices und sapientes stehen syntaktisch zwar innerhalb des Satzgefüges auf einer Ebene, formal allerdings entsprechend der Meinung der Valentinianer weit möglichst auseinander.6 Diese Distanz unterstreicht Tertullian durch zwei weitere Aspekte: Zum einen identifiziert er die Valentinianer nicht explizit als diejenigen, welche die Christen als Einfältige bezeichnen, sondern verweist einzig mittels des Demonstrativpronomens apud illos auf den Anfang seines Werkes zurück.7 Zum anderen nutzt er als genus verbi die passive Umschreibung, die im Gegensatz zur aktiven Aussage eine noch größere Distanz zwischen die Valentinianer (illi), die Christen um Tertullian (nos) und die den Valentinianern von Tertullian unterstellte Einstellung, diesen Christen lediglich die Eigenschaft der Einfalt zuzugestehen, einträgt. Tertullians scheinbar naive Weiterführung des Mart. 1,3 f.6), so deuten vorliegende Stelle Tommasi Moreschini und Riley. Inhaltlich zeigt sich keine gravierende Differenz zwischen beiden Interpretationen. 3 Mt 10,16. 4 Zur Differenzierung der beiden Begriffe s.u. 5 Vgl. u.a. Iren., Adv. Haer. III 15,2 (SC 211, 278–280,32–36 R OUSSEAU/D OUTRELAU): Hi enim ad multitudinem propter eos qui sunt ab Ecclesia, quos communes et ecclesiasticos ipsi dicunt, inferunt sermones, per quos capiunt simpliciores et illiciunt eos, simultant nostrum tractatum, uti saepius audiant [....]. 6 Zur Konstruktion ut hoc tantum vgl. M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 109 mit Parallelstellen bei Tertullian. 7 Vgl. den Beginn von Adv. Val. 1,1 Valentiniani, frequentissimum plane collegium inter haereticos […] und die Charakterisierung in 1,1–4.
182
Kapitel 2: Adv. Val 2–3: Praemunitio
valentinianischen Gedankens erweist sich bereits mit dem durch quasi8 eingeleiteten ironisch konnotierten konditionalen Vergleichssatz als Scheinargumentation, die sogleich in den mit dem konzessiv aufzulösenden ablativus absolutus eingeführten, biblischen und explizit zitierten Gegenbeweis mündet. Auch an dieser Stelle enthält Tertullians Formulierung wichtige Informationen zur Interpretation: Die Weisheit (sapientia) ist zwar syntaktisches, auf inhaltlicher Ebene aber nicht frei agierendes Subjekt; sie wird vielmehr „gezwungen“ (cogere) sich von der Einfalt zu lösen. Damit verweist Tertullian implizit erneut auf das eigentlich handelnde Subjekt im Hintergrund: die Valentinianer, die diese Behauptung in die Welt gesetzt haben sollen. Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit zeigt neben der alliterarischenSatzstellung von simplicitas und sapientia die Tatsache und folgende Ausführung, dass Weisheit und Einfalt sich nicht ‚freiwillig‘ voneinander trennen. Der Herr selbst (dominus) bildet die Autorität, die beide Eigenschaften ursprünglich miteinander verbunden hat und die Tertullian nun als Beweis anführt. Nicht nur die Nennung des Subjekts überwiegt die Valentinianer, die lediglich implizit als Handelnde im Hintergrund stehen, sondern vor allem die durch dominus indizierte göttliche Autorität. Zur Absicherung folgt die Zitation des biblischen Wortes Mt 10,16b; von dieser Stelle aus wird traditionell die Taube mit der Eigenschaft der Einfalt und die Schlange mit der Klugheit identifiziert und metaphorisch verwendet. Tertullian rekurriert mehrfach in seinen Werken auf diesen einzig sich beim Evangelisten Matthäus findenden und dort als Herrenwort eingeführten Spruch.9 Außer im vorliegenden Kontext funktioniert die Quasi wird „stets zur ironischen Widerlegung einer Behauptung“ genutzt (vgl. MENGE/BURKHARD/SCHAUER, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, § 571,1a). 9 Die als Vergleich formulierte Aufforderung – klug zu sein wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben (Estote ergo prudentes sicut serpentes et simplices sicut columbae [Vg]) – setzt die von den im Evangelium angesprochenen Gläubigen geforderten Verhaltensweisen mit den von den Tieren metaphorisch, in der Tradition verankerten, verkörperten Eigenschaften in ein Verhältnis: Tauben-Einfalt kann es nicht ohne die Klugheit der Schlange geben und umgekehrt; Klugheit und Einfalt gehören vielmehr dialektisch zusammen. Im Griechischen findet sich das im Gegensatz zum Bösen stehende, die Integrität betonende ἀκέραιος, das im Lateinischen mit simplex wiedergegeben wird und im vorliegenden Kontext eine interpretatorische Einordnung Tertullians erfährt (vgl. KITTEL, GERHARD, Art. Ἀκέραιος, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 1 [1957], 209 f.). Dass in Cod. D ἁπλοῦςτατοι zu lesen ist, führt bereits Hiltbrunner auf die lateinische Beeinflussung zurück, da „im Sprachgebrauch des NT ἁπλότης nicht im Gegensatz zum Intellekt“ steht (HILTBRUNNER, OTTO, Latina Graeca. Semasiologische Studien über Lateinische Wörter im Hinblick auf ihr Verhältnis zu griechischen Vorbildern, Bern: Francke 1958, 91). Vor allem leibliche und sittliche Zustände werden dadurch beschrieben (vgl. dazu BAUERNFEIND, OTTO, Art. Ἁπλόuς/ἁπλότης, in: Theologisches Wörterbuch zun Neuen Testament 1 [1957], 385 f.). Gemeinhin symbolisiert die Taube für jüdische und christliche Leser vor allem Lauterkeit, Wehrlosigkeit und Reinheit. So gilt die Taube alttestamentlich zum einen als Opfertier und damit als rein (vgl. z.B. Lev 1,14–17; 14,22; Mt 21,12; auch das 8
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
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Aufnahme der Metapher bei Tertullian allein über die Metapher der Taube, nicht aber über die der Schlange. Die Tauben-Einfalt bildet für Tertullian den Einstieg; seine Rhetorik aber ist geprägt von der Schlange und der von ihr metaphorisch dargestellten Klugheit in der Argumentation und Wortgewandtheit, sodass er auf diese Weise die mit Mt 10,16 grundgelegte Dialektik von der Einfalt der Taube und Klugheit der Schlange zu realisieren sucht. Es lassen sich vor allem zwei Anlässe ausmachen, bei denen Tertullian Mt 10,16 in seiner Argumentation heranzieht.10 Zum einen dient die Symbolik der Taube und die ihr zugeschriebenen Eigenschaften zur argumentativen Klärung seines christlichen Verständnisses und Standpunktes, wie z.B. in Bapt. 8,3 f.11. Hohelied nutzt die Taube als Symbol der Reinheit und assoziiert dazu die Schönheit, wenn die Augen der Geliebten mit Taubenaugen verglichen werden [Hhld 1,15; 4,1; 5,12] oder die Taube in einer Reihe verschiedener Epitheta für die Geliebte steht [Hhld 5,2; 6,9]). Zum anderen erscheint sie in Gen 8,8–11 als friedenverkündender Botenvogel und markiert in der Sintflut-Erzählung den Beginn der Friedenszeit. Die christliche Tradition nimmt die Symbolik der Taube auf, die bei der Taufe Jesu die Geistankunft markiert (Mk 1,10 f.). Seit Gen 3 gilt die Schlange als listiger als alle anderen Tiere der Erde und steht für Schlauheit. Gleichzeitig symbolisiert sie die Verführung zur Erkenntnis, die als Abkehr von Gott gedeutet wird (Serpens autem erat sapientior omnium bestiarum quae errant super terrem […] [Gen 3,1a VL; vgl. Vulg.: ... callidior amnium animantibus ...]. Dabei symbolisiert die Schlange im frühjüdisch-christlichen Kontext nie die Versuchung, sondern die Verführung bzw. Täuschung [vgl. z.B. Apk 12,9; 2Kor 11,3]. In späteren Schriften wird die Schlange der Sündenfallerzählung mit dem Teufel identifiziert [vgl. SapSal 2,24; Apk 12,9; 20,2]. Gen 3 bietet zudem eine Ätiologie der Lebensweise der Schlange, auf die Tertullian in seiner Argumentation von Adv. Val. 3 rekurriert.). Damit ist das Bild der Schlange ambivalent: In ihrer „trickster“-Existenz bringt sie dem Menschen die Erkenntnis über Gut und Böse, das Sehen-Können, zugleich aber auch einen Verlust, indem die Erkenntnis der eigenen Nacktheit zur Scham führt. Diese Ambivalenz von Tod- und Leben-Bringerin bezeugt auch Num 21,4–9, wenn feurige, von Gott ausgesandte Schlangen vielen Israeliten den Tod bringen, während die später christologisch gedeutete (Joh 3,14 f.), von Mose am Stab aufgerichtete, eherne Schlange das Leben und die Rettung vor dem Tod erwirkt. 10 Bei der Aufnahme ist zwischen einem direkten Zitat (wie in der vorliegenden Textstelle und Bapt. 8,4) und einer Anspielung (in Scorp. 15,1; Adv. Marc. III 24) zu differenzieren. 11 In seiner Abhandlung über die Taufe begründet Tertullian mittels einer Analogie, dass der Heilige Geist in die durch die Taufe gereinigten Körper vom Vater herabsteigt und auf dem Taufwasser ruht; denn bereits bei Jesu Taufe sei der Heilige Geist körperlich, in der Gestalt einer Taube auf ihn herabgekommen (vgl. auch die Begründung für die Körperlichkeit des Geistes in Carn. Christ. 3,8). Die Natur (natura) des Heiligen Geistes wird durch das Tier der Einfalt (simplicitas) und Unschuld (innocentia) symbolisiert und mittels einer Analogie (praecedens figura) an die Geschichte der Genesis-Erzählung rückgebunden: Tertullian eröffnet eine Analogie zwischen dem Wasser der Sintflut und dem Taufwasser und spielt damit auf zwei biblische Erzählungen an, in denen der Taube eine tragende Symbolik zukommt. So ist die Taube zum einen Ausruferin für den Frieden des göttlichen Zorns (pacem caelestis irae praeco; vgl. die Parallele in Adv. Val. 2,4); zum anderen bringt sie als Heiliger Geist (spiritalis effectus) den Frieden Gottes für den Neu-Getauften. Typologisch argumentiert Tertullian mit einer himmlischen Abbildung der irdischen Kirche durch das
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Daneben ist die scheinbar kontextlose Anspielung in Adv. Marc. III 24,11 zu nennen, die die weit verbreitete Bedeutung der Symbolik der Taube belegt, wenn Einfalt direkt mit der Taube assoziiert wird,12 sowie Mon. 8,7: Die Taube gilt als Symbol der Einfalt, weil sie „ein nicht nur unschuldiger Vogel, sondern auch schamhafter Vogel“ ist, „der allein immer nur ein Männchen annimmt“.13 Zum anderen findet sich das Zitat im anti-valentinianischen Kontext, speziell in der vorliegenden Widerlegung (Adv. Val. 2 f.), aus der allerdings nicht auf einen historischen Sachverhalt geschlossen werden kann, bei der die Valentinianer diese Differenzierung in dieser Art vorgenommen haben, sondern von einer rhetorischen Argumentation Tertullians auszugehen ist.14 Auch in Scorp. 15,1 zeichnet Tertullian eine ähnliche situative Herausforderung und fragt: „Und sind wir immerfort die einfältigen Seelen und einzig und allein Tauben, die gern irren?“15 Es folgt ein weiteres, an die vorherige Argumentation anschließendes Gegenargument; der als Ellipse und im Parallelismus konstruierte Konditionalsatz hat die Form einer rhetorischen Frage.16 Dazu entwickelt Tertullian die den Abbild der Arche, von wo aus die Taube ausgesendet wird (Bapt. 8,3 f. [CChr.SL 1, 283,12– 27 BORLEFFS]: Tunc ille sanctissimus spiritus super emundata et benedicta corpora libens a patre descendit super que baptismi aquas tanquam pristinam sedem recognoscens conquiescit columbae figura delapsus in dominum, ut natura spiritus sancti declararetur per animal simplicitatis et innocentiae, quod etiam corporaliter ipso felle careat Columba. Ideoque: estote, inquit, simplices ut columbae, ne hoc quidem sine argumento praecedentis figurae: quemadmodum enim post aquas diluvii quibus iniquitas antiqua purgata est, post baptismum ut ita dixerim mundi, pacem caelestis irae praeco columba terris adnuntiavit dimissa ex arca et cum olea reversa – quod signum etiam ad nationes pacis praetenditur –, eadem dispositione spiritalis effectus terrae id est carni nostrae emergenti de lavacro post vetera delicta columba sancti spiritus advolat pacem dei adferens emissa de caelis ubi ecclesia est arcae figura.). 12 SC 399, 212,85–89 B RAUN: Ita per illum ascensum ad caelestia regna tendentes miratur spiritus dicens: volant velut qui sunt milui, ut nubes volant et velut pulli columbarum ad me, scilicet simpliciter, ut columbae. Vgl. zudem Adv. Marc. V 15,4 und Anim. 32. 13 CChr.SL 2, 1240,47–49 D EKKERS: […] cum ad simplicitatem columbae provocat, avis non tantum innocuae, verum et pudicae, quam unam unus masculus novit […]. Vgl. auch den Vorwurf innerhalb der Polemik gegen die valentinianische Lehre (Sophia; 10,1). 14 Bei Irenäus findet sich dieses Bild nicht zur Widerlegung der Valentinianer, allerdings bietet der Bischof von Lyon eine hierarchische Interpretation in Adv. Haer. V 19,1: Die Klugheit der Schlange ist durch die Einfalt der Taube besiegt (SC 153, 250,29 f. ROUSSEAU u.a.: et serpentis prudentia devicta in columbae simplicitate). 15 CChr.SL 2, 1096,1–3 R EIFFERSCHEID/W ISSOWA: Et nos usquequaque simplices animae et solummodo columbae libenter errantes? Denn die Gnostiker zielten auf Christen ab, die simplices ac rudes seien (Scorp. 1,5). 16 In Protasis und Apodosis argumentiert Tertullian syntaktisch jeweils mit der kataphorisch verwendeten, konklusiven Konjunktion propterea, mit einem je folgenden, kausalen quin-Satz. Mittels des Stilmittels der commutatio erreicht Tertullian die Gegenüberstellung der Aussage der Protasis mit der ihr gegenteiligen Aussage der Apodosis, indem die
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Valentinianern in den Mund gelegte Behauptung konsequent weiter. Er nutzt die bisher antithetisch interpretierten Termini simplex und sapiens und ergänzt sie durch das jeweilig verneinte Gegenteil (non simplex/insapiens). Unter Annahme der Bedingung, dass die Christen um Tertullian deshalb unweise seien, weil sie Einfältige sind, müsse logisch folgen, dass der umgekehrte Sachverhalt für die Valentinianer gelte. Für Tertullian ist die Antwort offensichtlich, sodass die Frage hier als eine rhetorische gestellt wird und offenbleibt. Dass dennoch die verneinende Antwort in der Luft liegt, hat seinen Grund im Duktus seiner Argumentation, die darauf abzielt, die im Raum stehende Behauptung ad absurdum zu führen, sowie implizit im num ergo. Exkurs: Simplicitas im Œuvre Tertullians Tertullians Argumentation in Adv. Val. 2 f. dreht sich grundsätzlich um den Begriff simplicitas/simplex. Dies zeigt sich bereits an der Verteilung des Terminus über das gesamte Werk, in dem simplicitas/simplex insgesamt 15 Mal fällt, und zwar lediglich im Kontext dieser grundlegenden ersten Widerlegung innerhalb des Exordiums.17 Begriffsgeschichtlich weist simplicitas eine zunächst sehr positive Konnotation auf, die sich erst durch den christlichen Sprachgebrauch zu einem „zwielichten, durch Spott ins Negative verkehrten Begriff“ entwickelt hat.18 Problematisch erweist sich für die Begriffsbestimmung, wie sie Tertullian geprägt vorlag, dass simplicitas zum einen „ein[en] Komplex von Tugenden und Haltungen, die im einzelnen nicht leicht zu bestimmen sind“ und sich in vielfältigen Übersetzungsmöglichkeiten niedergeschlagen haben, beschreibt.19 Zum anderen aber hat sich die zunehmende Ambivalenz des Begriffs, der bereits frühchristlich mit dem Symbol der Taube verbunden wurde (Mt 10,16b), zwischen simplicitas als tugendhafter
Antithese parallel mit gleichen Wortstämmen in positiver und negativer bzw. durch non verneinten Form und zugleich chiastisch aufgebaut ist. 17 Vgl. Adv. Val. 1,4; 2,1 (sechsmal); 2,2 (zweimal); 2,3 (zweimal); 2,4; 3,1; 3,5 (zweimal); zudem erscheint simpliciter als Adverb in 7,1. 18 H ILTBRUNNER, Latina Graeca, 16. Das positive Verständnis des Begriffs simplicitas („Einfalt“) belegt das häufige Vorkommen auf nichtchristlichen und christlichen lateinischen Grab- und Ehreninschriften sowie die Verwendung als Personennamen (aaO., 19–24). Simplex habe sich zunächst vom reinen Zahlbegriff hin zum simplicitas-Ideal (romana simplicitas) zur Zeit der Republik entwickelt (19–60) und sei in der Kaiserzeit „ein richtiges Schlagwort geworden“ (71–75, hier 71), sodass es letztendlich ein „ziemlich vages Lobwort für einen guten Bürger und Staatsbeamten“ (84) gewesen sei. „Erst die christliche Latinität hat, so unerwartet diese Feststellung klingen mag, der Bedeutung simplex = ‚dumm‘ […] zu weiter Verbreitung verholfen“ (98). Dagegen verweist van der Nat darauf, dass sich in der nicht-christlichen Literatur der pejorative Sinn vergleichsweise selten finde, sodass ein Vergleich schwierig sei (vgl. VAN DER NAT, PIET G., Rezension zu Hiltbrunner, Otto, Latina Graeca. Semasiologische Studien über lateinische Wörter im Hinblick auf ihr Verhältnis zu griechischen Vorbildern, in: Vigiliae Christianae 15 [1961], 56–64, hier 61). Zur nichtchristlichen Entwicklung des Begriffs vgl. auch BACHT, HEINRICH, Art. Einfalt, in: Reallexikon für Antike und Christentum 4 (1959), 821–840, 822–824. 19 B ACHT, Einfalt, 821 sowie den Eintrag in G LARE, Oxford Latin Dictionary, Art. simplicitas, Sp. 1765.
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Haltung und als Schwäche, d.h. als Naivität und als intellektueller Mangel, gezeigt. Damit kann simplicitas zwei entgegengesetzte Haltungen bezeichnen: Zum einen wird das intellektuelle Vermögen beschrieben und impliziert dabei negativ die Beschränktheit des Geistes und Verstandes. Zum anderen meint simplicitas aber die Tugend des Herzens und Gemüts, d.h. die simplicitas des Glaubens, die sich in Vertrauen, Arglosigkeit und Natürlichkeit ausdrückt.20 Diese beiden Haltungen finden sich in Mt 10,16b noch als eine Synthese. 21 Tertullians Aufnahme des simplicitas-Begriffs spiegelt die Ambivalenz dieses Terminus und zugleich die große Bedeutung der simplicitas als christlichem Ideal im Denken und Verhalten. In der häufigen Verbindung von simplicitas und veritas findet sich die grundlegende Charakterisierung der christlichen Lehre und des Glaubens wieder: Wahrheit stellt ein Indiz sowohl für die simplicitas des christlichen Glaubens22 als auch der biblischen Schriften dar, für deren Verständnis und Exegese Tertullian deren Einfachheit (simplicitas) und wörtliche Auslegung konstatiert.23 Tertullian spricht von der göttlichen simplicitas, die vom Christen in der „Einfalt des Herzens“ (Spr 1,1) gesucht werden muss (Dominum in simplicitate cordis esse quaerendum),24 für deren Suche es aber für ihn eine Grenze gibt: „Auch muss man suchen, bis man findet, und glauben, sobald man gefunden hat, und man muss nichts weiter tun als zu bewahren, was man im Glauben hat.“25 Damit lässt sich simplicitas nicht nur als Charakteristikum der Wahrheit, sondern auch des Glaubens bestimmen, dem
20 Dass trotz der zunehmenden Ausdifferenzierung der Ambivalenz des Begriffs simplicitas, diese weiterhin „ein bevorzugte[s] Objekt der Sorge der theologischen Belehrung sind“, belegt BROX, NORBERT, Der einfache Glaube und die Theologie. Zur altkirchlichen Geschichte eines Dauerproblems, in: Kairos 14 (1972), 161–187, 173. 21 Vgl. so z.B. auch van der Nat gegen Hiltbrunner (VAN DER N AT, Rezension zu Latina Graeca). Interessant zeigt sich die begriffliche Entwicklung des biblischen simplicitas-Begriffs, bei dem sich zwei Entwicklungslinien ausmachen lassen: Während die jüdisch-alttestamentliche Tradition das hebräische ~ymt/~t als Ausdruck für die Ganzheit und Vollkommenheit zugrunde legt, kennt das Griechische sehr verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten, da keine Übersetzung die gesamte Bedeutungsnuance genügend widergibt. So nutzt das Griechische z.B. ἁπλότης/ἁπλοῦς, ἀκέραιος, ἀφελότης, καθαρός (vgl. dazu BACHT, Einfalt, 824–831 und HILTBRUNNER, Latina Graeca, 85–91). Das Lateinische hingegen nutzt den Begriff simplex/simplicitas, der anders als die griechischen Ausdrücke, die auf dem Hintergrund der jüdisch-alttestamentlichen Frömmigkeit verstanden werden müssen, zugleich die im nichtchristlichen Kontext enthaltene begriffliche Ausdehnung bewahrt hat. 22 Vgl. die thematische Verbindung im vorliegenden Kontext (Adv. Val. 1,4; 2,1), den Ausdruck simplicitas veritatis in Ad Nat. II 2,5; Apol. 23,7; 47,4; Adv. Marc. II 21,2 und V 19,8, die Parallelisierung von simplicitas und veritas in Spect. 29,4 und Anim. 18,7 sowie die Verbindung von simplicitas und doctrina in Adv. Prax. 1,6. Vgl. dazu auch O’MALLEY, Tertullian, 166; HILTBRUNNER, Latina Graeca, 46 f. und BROX, Der einfache Glaube, 166. 23 Vgl. z.B. Carn. Christ. 13,4; Adv. Prax. 13,4; Orat. 16,2; Bapt. 11,2; dazu O’M ALLEY, Tertullian, 166–172; SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 273 f. mit Anm. 22. 24 Praescr. 7,10. Vgl. auch Bapt. 2,1; Carn. Christ. 5,10; Adv. Iud. 2,12; Adv. Val. 2,2; Adv. Marc. II 22,3. 25 Praescr. 9,4 (SC 46, 102,10–12 R EFOULÉ, D E LABRIOLLE): Quaerendum et donec invenias et credendum ubi inveneris, et nihil amplius nisi custodiendum quod credidisti […].
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der glaubende Christ in der Einfalt der Herzens anhängt und einen festen Stand für sein Leben erhält. Simplicitas und religio werden letztendlich miteinander verbunden.26 Neben dieser begrifflichen Nutzung finden sich bei Tertullian Aussagen, die häufig zur sozialgeschichtlichen Einordnung herangezogen werden. Tertullian kann zum einen von den Christen positiv als von den „einfältigen Seelen“ reden, die auf der Grundlage der regula fidei und damit im Einklang der biblischen Schriften stehen und sich der simplicitas cordis hingeben.27 Mit diesem Wissen um die eigene christliche in der regula fidei definierten Identität sollen die Gläubigen den Verführungen der Häretiker, die Feinde der Wahrheit und Folterer (torquere) der simplicitas sind, widerstehen können, „nicht bewundernd staunen, sondern ablehnen und verdammen“ 28. In diesem Kontext kann Tertullian simplex zum anderen im abwertenden Sinn nutzen und die Gläubigen bezeichnen, die noch unwissend über ihren Glauben und ihre Glaubensgrundlage (simplices et rudes) und deswegen durch die Verführung der gnostischen Bibelauslegung gefährdet sind. 29 Diese kurze Übersicht zeigt, welche große Bedeutung dem Begriff simplex/simplicitas bei Tertullian zukommt. Dabei darf nicht dessen sozialgeschichtliche Tragfähigkeit überbewertet werden und Schlüsse auf die Konstellation der karthagischen oder gar reichsweiten Gemeindestruktur gezogen werden, wie bereits Schöllgen gezeigt hat.30 Vielmehr findet sich hier ein weiteres Indiz auf Tertullians rhetorische Gewandtheit und theologische Argumentation, mit der er hantiert und sich argumentativ positioniert – in Adv. Val. 2 f. nutzt er das Argument der Charakterisierung der simplicitas für den Kampf gegen die Valentinianer. Zugleich zeigt sich bei Tertullian die ambivalente Nutzung des Begriffs: Obwohl Tertullian eine moralische Interpretation des Wortes bevorzugt, nutzt er zugleich eine intellektuelle: „He does not seem to distinguish a moral simplicity, and an intellectual one; the one a virtue, the other a defect.“31
26 Bereits in den Akten der Märtyrer von Scili findet sich diese Vorstellung: PScill. 3, SEELIGER/WISCHMEYER, Märtyrerliteratur, 90,10 f.: Et nos religiose sumus, et simplex est religio nostra, et iuramus per genium domni nostri imperatoris. 27 Vgl. z.B. Test. Anim. 1,6 (CChr.SL 1, 176,44 f. W ILLEMS): te (d.h. animam) simplicem et rudem et impolitam et idioticam […]. Dazu auch Anim. 10,1; 11,1. Zur Grundlage der regula fidei vgl. u.a. Praescr. 12,5; 13,1–6, Adv. Prax. 2,2; 3,1; dazu OHME, Kanon, 78– 121. Zum Ganzen vgl. auch HIRSCHBERG, MARTIN, Studien zur Geschichte der „Simplices“t in der Alten Kirche. Ein Beitrag zum Problem der Schichtungen in der menschlichen Erkenntnis, Berlin: o.V. 1944, 96–120. 28 B ROX, Der einfache Glaube, 169. 29 Vgl. die Charakterisierung der Häretiker z.B. in Praescr. 41,3; Adv. Herm. 19,1; 27,3; Adv. Marc. IV 19,6; Anim. 8,7. Zur abwertenden Bezeichnung der Christen als simplices vgl. z.B. Resurr. 2,11; 5,1; Scorp. 1,5.7; Adv. Prax. 1,6; 3,1. Brox sieht in der trinitätstheologischen Auseinandersetzung mit Praxeas das auslösende Moment für den Wandel der Bewertung der simplicitas der Glaubenden, wenn Tertullian nun gegen den nicht hinterfragenden Glauben polemisiert. 30 Vgl. SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 270–286. Schöllgen wendet sich gegen Untersuchungen, die zu einer sozialgeschichtlichen Kategorisierung führten, wie z.B. von Brox oder Hirschberg. 31 O’M ALLEY, Tertullian, 171.
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(2,1b) Nocentissimi autem qui non simplices, sicut stultissimi qui non sapientes.
Tertullian beendet diesen ersten widerlegenden Durchgang mit einem ironischen Schlusssatz, der in Form einer sententia, die konsequent parallel (non simplices – non sapientes) 1 sowie elliptisch konstruiert ist, eine vorerst abschließende Bewertung enthält. Alle Aussagen sind negativ formuliert: Die als Superlative immens gesteigerten Adjektive nocens/stultus charakterisieren die relativisch eingeführten verneinten Näherbestimmungen; es geht also um diejenigen, welche die besagte Eigenschaft nicht besitzen. Der vorherigen Argumentation entsprechend werden damit die Valentinianer, d.h. diejenigen, die nicht einfältig sind (non simplices), als die „Schädlichsten“ (nocentissimi) bezeichnet. Parallel dazu bestimmt Tertullian diejenigen, die nicht weise sind (non sapientes), d.h. die Christen um ihn, als die „Törichtesten“ (stultissimi). Das Verständnis des Satzes hängt vom lateinischen Terminus stultus ab, das einen Gegensatz zu prudens und sapiens ausdrückt2 und damit das intellektuelle Unvermögen beschreibt – im Gegensatz zu Tertullians Verständnis von simplex in diesem Kontext. Damit expliziert Tertullian die Gleichung, die die Valentinianer aus seiner Perspektive in ihrer ursprünglichen Forderung und antithetischen Gegenüberstellung von simplex und sapiens intendiert zu haben scheinen, um diese Differenzierung im Folgenden abzuwerten. Nämlich die, die von sich meinen, nicht an der simplicitas Anteil zu haben, sind nicht nur non simplices, sed sapientes, sondern sie sind viel mehr: Sie sind schädlich, weil sie eine scheinbar christliche Geheimlehre vertreten, deren Lächerlichkeit Tertullian im Folgenden noch offensichtlich machen wird. Die aber, die non sapientes sind, müssen entsprechend der den Valentinianern in den Mund gelegten Schlussfolgerung töricht (stultus) sein, weil ihnen das intellektuelle Vermögen der sapientia fehlt. Tertullian argumentiert in zwei Richtungen: Zum einen führt er die valentinianische Differenzierung zu ihrer logischen, abschließenden Bewertung; denn die, die nicht weise sind, müssen die Törichtesten (stultissimi) sein. Tertullian korrigiert die intendierte intellektuelle Interpretation von simplicitas: Ein Mensch ohne sapientia muss ein Tor sein, beschränkt in seinem Verstand. Zum anderen aber bewertet er das Tun und Denken der Valentinianer negativ als sehr schädlich. Tertullian beendet den ersten Paragraphen damit, dass er an seiner ironischen Argumentation, der scheinbar logischen Weiterführung der valentinianischen Differenzierung, die für die Leserschaft aber als
Anders ist es im Satz zuvor: insipientes – non simplices. Vgl. GEORGES, KARL-ERNST, Der neue Georges. Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel, hg. von Thomas Baier, bearb. von Tobias Dänzer, 2 Bde., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, stultus, Bd. 2, Sp. 4524. 1
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Scheinargumentation erkennbar ist, festhält, dabei allerdings zugleich eine klare Bewertung der Valentinianer einzeichnet und ihre antithetische Gegenüberstellung mit seinem eigenen christlichen Verständnis korrigiert. 2.2.2. Adv. Val. 2,2–4: Das wahre Verständnis von simplicitas (2,2) Et tamen malim meam partem3 meliori sumi vitio4, si forte praestat5 minus sapere quam peius, errare quam fallere. Porro facies dei spectatur6 in simplicitate quaerendi, ut docet ipsa Sophia, non quidem Valentini, sed Solomonis. Deinde infantes testimonium Christi7 sanguine litaverunt. Pueros vocem qui crucem clamant? Nec pueri erant nec infantes, id est simplices non erant.
Tertullian bleibt im ironischen Argumentationsduktus. Mit dem Stilmittel der conciliatio8 wertet er die diffamierende, den Valentinianern in den Mund gelegte Zuschreibung der Christen um ihn als simplices um, indem er nun die – aus seiner Sicht – positive Interpretation der simplicitas betont: Es geht im Folgenden um die Herzenseinfalt, die Tugend der simplicitas, die gegen das den Valentinianern zugeschriebene Verständnis der intellektuellen simplicitas
Meam partem ist als adverbialer Akkusativ zu bestimmen (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 183 sowie die Übersetzung von Riley). Anders deutet Tommasi Moreschini diesen als Akkusativ-Subjekt innerhalb eines AcI. In Kombinationen mit pars handelt es sich allerdings um ursprüngliche Akkusative, die als „erstarrte Kasusformen nur noch in ganz bestimmten Funktionen verwendet“ werden, z.B. als adverbiale Bestimmung (MENGE/BURKHARD/SCHAUER, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, § 360,2). 4 Meliori sumere vitio bewertet Fredouille als eine schwierige Konstruktion mit einem Dativus finalis nach dem ciceronischen Vorbild, der mit ducere konstruiert (DERS., Contre les Valentiniens, 183; vgl. auch GEORGES, Der neue Georges, vitium B.2.a, Bd. 2, Sp. 5050): vitio ducere, zum Fehler [als Tadel] anrechnen, belegt bei Cicero [auch mit folgendem si], Caesar und Terenz; mit sumere ist vor Tertullian keine Konstruktion belegt). Ähnlich übersetzt auch Riley, der sumere allerdings mit „convicted“ widergibt, also mit der spezifischeren Bedeutung „überführen, verurteilen“. 5 Si forte wird als konditionaler Satz gedeutet (so auch Fredouille und Tommasi Moreschini) entgegen einer elliptischen Lesart, wie sie Riley interpretiert. Der „adverbial erstarrte Ablativ forte“ ist an dieser Stelle klassisch mit zweifelnden, hypothetischen Charakter verwendet, obwohl sich bei Tertullian das elliptische Vorkommen (si forte) häufiger findet (vgl. dazu MENGE/BURKHARD/SCHAUER, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, § 187,3). In Adv. Val. 4,1 und 7,5 klingt die ähnlich konnotierte hypothetische Verwendung an. Vgl. dazu den Kommentar von FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 183. 6 Die Konjektur der handschriftlichen Lesart exspectat, die das Verb mit Akkusativ konstruiert, dem zudem das Objekt fehlen würde, geht auf Engelbrecht zurück, vgl. dazu auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 126. Diejenigen, die eine aktive Form entsprechend den Handschriften lesen, ändern das Gerundium quaerendi (entgegen des handschriftlichen Befunds) zum aktiven Partizip. 7 Gegen die von Kroymann markierte Lakuna nach Christi vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 184 f. sowie RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 126. 8 Vgl. dazu FEBEL, G IESELA, Art. Conciliatio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 2 (1994), 314–317, 314 f. mit Verweisen auf die ciceronische Grundlegung. 3
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steht. Dass Tertullian diese Interpretation auch für sich gelten lässt, zeigt seine Formulierung in der 1. Person Singular.9 Zur Begründung rekurriert er auf biblische Beispiele für diese Interpretation der simplicitas als Eigenschaft des Herzens und Gemüts. Im Anschluss an die Schlusssentenz in 2,1 führt Tertullian einen Gegensatz ein, um eine qualitative und quantitative Bewertung des alleinigen Besitzes der simplicitas vorzunehmen. Wie bereits die abwertenden Superlative in 2,1 formuliert Tertullian auch an dieser Stelle negativ und entspricht damit seiner ironischen Argumentationsweise. Die Eigenschaften werden als „kleineres Übel“ (meliori vitium) beschrieben. Sie differenzieren sich unter diesem negativen Vorzeichen lediglich in eine ‚bessere‘ und damit implizit auch in eine ‚schlechtere‘ Eigenschaft, die Tertullian im folgenden Konditionalsatz in einer doppelten Antithese charakterisiert. Die erste Antithese qualifiziert sapere durch Komparative und differenziert zwischen dem besseren quantitativen Mangel an sapientia und dem schlechteren, nämlich der negativen Gesinnung. Demnach sei es besser, weniger weise und intellektuell weniger vermögend zu sein, stattdessen aber an der simplicitas Anteil zu haben. Tertullian nutzt die entgegengesetzte Bedeutung der simplicitas: Es geht nicht um die zuvor vorausgesetzte intellektuell interpretierte simplicitas, vielmehr ist die Eigenschaft des Herzens, das einfältige Gemüt gemeint, d.h. die simplicitas des Glaubens, die sich im arglosen Vertrauen auf Gott ausdrückt. So ist es besser, wie die zweite Antithese folgert, „zu irren statt zu täuschen“ (errare quam fallere) und damit der bösartigen Absicht und Gesinnung zu folgen. Wer irrt, dem fehlt sapientia, sodass mit Bezug auf 2,1 feststeht, dass die, die irren, die Törichtesten sind, weil ihnen das Vermögen der Weisheit fehlt (stultissimi qui non sapientes). Zu Täuschen hingegen ist eine aktive, Schaden zufügende Handlung, der die Tugend des Herzens, die simplicitas fehlt; diese ist demnach als malus (peius) charakterisiert. Damit markiert Tertullian das von ihm stilisierte Vorgehen der Valentinianer aus seiner Perspektive: nocentissimi autem qui non simplices. Dass simplicitas als Tugend des einfältigen Herzens zu interpretieren ist, die ein Christ besitzen sollte, belegt Tertullian nun biblisch.10 Dazu zeigt er zunächst die alttestamentlich, im weisheitlichen Kontext beheimatete Verankerung auf und spielt auf die beiden biblischen Motive des Schauens des Angesichts Gottes (facies Dei spectare)11 und des Suchens Gottes in der Einfalt (in
9 Seine vorherige Argumentation war inkludierend (1. Person Plural), nun argumentiert er von seiner Person aus. 10 Das Adverb porro zeigt das „Fortschreiten von einem Gedanken zu einem anderen, selbst zu einem entgegengesetzten“ an (GEORGES, Der neue Georges, porro B., Bd. 2, Sp. 3738; vgl. auch MENGE/BURKHARD/SCHAUER, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, § 446,3). 11 Vgl. z.B. Jes 38,11; Ps 11,7; 16,11; 17,15.
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simplicitate quaerere)12 an. Dass vor allem der Rekurs auf SapSal 1,1 im Hintergrund steht, belegt der folgende Vergleichssatz. Gott gibt sich dem zu schauen, der ihn in der Einfalt seines Herzens sucht, wie die Sophia aus dem Buch der Weisheit Salomos bereits belegt.13 In dieser antithetischen Näherbestimmungen der Sophia findet sich zugleich eine gegen die Valentinianer gerichtete Polemik. Indem Tertullian auf die Doppeldeutigkeit der Person Sophias anspielt, greift er rhetorisch bereits auf die Narratio und die Darstellung des Schicksals der valentinianischen Sophia voraus. Er stellt anhand der Sophia-Personen die von ihm wahrgenommene Distanz der valentinianischen zur biblischen Lehre heraus.14 Es folgt die neutestamentliche Begründung der simplicitas als Tugend der Einfalt, zu der Tertullian Belege aus den Evangelien und von Paulus heranzieht. Simplicitas als Eigenschaft des Herzens und Charakters besitzen bereits die Kinder, bei denen sie sich ganz rein in ihrer Natürlichkeit, Schlichtheit, Naivität und Unerfahrenheit in Bezug auf das Leben zeigt. Zum einen spricht Tertullian von „Kleinkindern“ (infantes) 15 und erinnert im konstatierenden Perfekt an die Tötung unschuldiger, kleiner Kinder auf Befehl des Herodes, von der Mt 2,16 erzählt. Tertullian interpretiert dieses Ereignis als Martyrium, bei dem die sich noch nicht verschuldeten Kinder durch das Vergießen ihres Blutes Zeugnis für Christus abgegeben haben.16 Zum anderen fragt Tertullian in einer an sich selbst gestellten rhetorischen Frage nach der Grenze des KindVgl. z.B. Am 5,4; Jer 29,13; Jes 55,6; Ps 10,4; 27,8. SapSal 1,1 VL: […] et in simplicitate cordis quaerite Deum […]. Vgl. die häufige biblische Wendung simplicitas cordis z.B. Spr 11,3; 19,1; 20,7; 28,6; Kol 3,22; Eph 6,5; 2Kor 1,12; 8,2; 9,11.13; 11,3; Röm 12,8; Apg 2,46. 14 Traditionell wurde das Buch der Weisheit Salomo zugeschrieben, vgl. K AISER, O TTO, Die Weisheit Salomos. Übersetzt, eingeleitet und durch biblische und außerbiblische Parallelen erläutert, Stuttgart: Radius-Verlag 2010, 51. Zur Bedeutung Salomos vgl. auch Praescr. 7,10 (SC 46, 98,36–38 REFOULÉ/DE LABRIOLLE): nostra institution de portico Solomonis est, qui et ipse tradiderat dominum in simplicitate cordis esse quaerendum. 15 Infans meint ursprünglich „stumm“, im Sinne von „noch nicht recht sprechen können“ und bezeichnet daher kleine, unmündige Kinder (vgl. GEORGES, Der neue Georges, infans B, Bd. 2, Sp. 2565). Zur Verwendung der Termini infans und puer vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 110. 16 Diese Deutung findet sich zwei Generationen später bei Cypr., Ep. 58,6. Für die Zeit der Abfassung von Adv. Val. findet sich kein Hinweis auf ein solches Martyrium unschuldiger Kinder in Nordafrika, obgleich die Verbindung von testimonium und sanguis auf einen solchen Hintergrund schließen ließe (so auch Fredouille und Tommasi Moreschini). Blaise belegt die vorliegende Übersetzung: „offrir (en sacrifice, à Dieu), [...] en versant leur sang“ (DERS., Dictionnaire Latin-Français, Art. lito 1, S. 499). Ähnlich konstruiert Tertullian in Pat. 10,4. Die Verbindung von Sophia und christlichem Martyrium stellt er auch in Scorp. 7,1–3 her; dort formuliert er explizit, dass die Weisheit ihre Kinder erwürge, vgl. dazu auch BUTTERWECK, CHRISTEL, ‚Martyriumssucht‘ in der Alten Kirche? Studien zur Darstellung und Deutung frühchristlicher Martyrien (Beiträge zur Historischen Theologie 87), Tübingen: Mohr Siebeck 1995, 51–56. 12
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Seins. Er verbindet den Status des Kind-Seins (puer) mit dem Besitz der Tugend der simplicitas. Inhaltlich spielt Tertullian auf die Szene an, von der Mt 27,23 berichtet: Das Jerusalemer Volk fordert von Pilatus, Barabbas freizulassen, und schreit (clamabant) danach, Jesus zu kreuzigen.17 Im Gegensatz zu den kleinen Kindern (infantes), die ihr Leben geben, macht sich diese Menschenmenge, die mit lautstarkem Rufen das Kreuz für Jesus fordert, schuldig am Tod Jesu und hat keine Anteilhabe an der Tugend der simplicitas. Die Menschenmenge hat kein einfältiges Gemüt wie die Kinder, sondern das unschuldige Wesen des Kindseins verloren, wie Tertullian in der folgenden subiectio zurückweist. Für Tertullian gilt, dass, wer den Status des Kind-Seins verloren hat, auch nicht mehr Anteil an der simplicitas als Einfalt des Herzens hat. Denn diese ist in ihrer Naivität schutzlos und vor Verführungen – etwa der sapientia, die über die Herzenswahrheit herrschen will, oder aber die situativ verankerte Kumulation des Wunsches, ein Teil der Volksmenge zu sein, die die Kreuzigungsstrafe verlangt – gefährdet, eben wie ein Kind, das auf liebevolle Anleitung zum Leben angewiesen ist. Damit schafft Tertullian einen scharfen Kontrast zum im Folgenden angeführten Apostelwort. (2,3) Repuerescere nos et apostolus iubet secundum dominum18, ut malitia infantes per simplicitatem ita demum sapientes sensibus: simul dedit19 sapientiae ordinem de simplicitate manandi.
Mit Berufung auf ein Wort des Apostel Paulus, der wiederum selbst in Kontinuität zur jesuanischen Botschaft steht (secundum dominum), wird der biblische Beweisgang fortgeführt. Allerdings führt Tertullian im Folgenden eine Botschaft mit der Autorität des Apostel Paulus an, die in den biblischen Schriften der Evangelien belegt ist; erst die Folgerung ist auch in paulinischen Worten bezeugt. 20 Mittels der auffälligen Voranstellung des Infinitivs betont
17 Mt 27,23b Vg: At illi magis clamabant dicentes: Crucifigatur. Vgl. auch Joh 19,6 f. FREDOUILLE ergänzt syntaktisch eos qui und meint damit die Menschenmenge, die in Mt 27,23 lautstark Jesu Kreuzigung verlangt. 18 Die Handschriften lesen deum für den paulinischen Rekurs auf Jesus, die Konjektur zu dominus geht auf Kroymann zurück. Dagegen hält Marastoni an der Lesart der Handschriften fest (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 111). 19 Die Lesart der Handschriften (simul dedi in sapientiae) ist zum finiten Verb dedit zu konjizieren. Zur Argumentation, insbesondere gegen den Vorschlag von Kroymann, simus, semel dedit sapientiae zu lesen, vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 49 f. 20 Zur Hochschätzung des Apostel Paulus durch Tertullian vgl. den Sammelband: STILL, TODD D., WILHITE, DAVID, Tertullian and Paul (Pauline and Patristic Scholars in Debate 1), New York: T&T Clark 2013. Die Annahme eines verlorenen Paulus-Texts, der Tertullian vorlag, ist mit dieser Stelle nicht zu belegen; vielmehr ist das Argument rhetorisch zu deuten, wenn die Anführung der Autorität des Apostels ein weiteres Gewicht in die Argumentation bringt. Mit apostolus impliziert Tertullian immer die Autorität von Paulus; um einen anderen
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Tertullian rhetorisch die als paulinisch markierte Botschaft im Kontrast zum Resümee des vorangehenden Satzes. Im Kontext der vorhergehenden Argumentation impliziert re-puerescere die Möglichkeit der Umkehr. Diejenigen, die keine Kinder im Herzen mehr sind, können diese Einfalt widererlangen, wie auch Mt 18,3 besagt, wenn Jesus seine Jünger zur Umkehr und zum Werden wie die Kleinen (parvuli) auffordert, um ins Himmelreich eingehen zu können.21 Es geht um das Kind-Sein im Herzen, das einfältige Gemüt und das volle Vertrauen auf die Gottesbeziehung. Hinter der Paulus zugeschriebenen Forderung stehen zugleich die Verse Lk 18,15–17: In der Geschichte über die Segnung der Kinder belehrt Jesus seine Jünger, dass nur diese, die das Reich Gottes annehmen wie ein Kind, angenommen sein werden.22 Hinter dem folgenden Korrelationssatz (ut – ita) steht das Apostelwort 1Kor 14,20.23 Paulus mahnt innerhalb der Diskussion um das Zungenreden in der korinthischen Gemeinde: „Brüder, seid nicht Kinder an Verstand, sondern seid kindlich in der Bosheit, an Verstand aber vollkommen.“24 In diesem Vers geht es um die moralische Dimension des Kindseins; Unverdorbenheit, die in Bezug auf böse Taten, nicht aber in Bezug auf Denken und Verstand gefordert ist. Diese stellt Paulus mit Blick auf die starke Präsenz der Glossolalie in Korinth gegenüber dem mündigen und erwachsenen Nutzen des eigenen Verstandes heraus. Tertullian begründet mit Rekurs auf diesen Vers seine argumentativ bereits dargelegte Interpretation des Verhältnisses von simplicitas und sapientia mit dem paulinischen Wort sowie das Verständnis von repuerescere und lässt seine Ausführung in die Schlusssentenz münden, welche die Zuordnung und Hierarchie von simplicitas und sapientia expliziert. Wieder-zum-KindWerden meint ein moralisch-ethisches Verständnis; die Unverdorbenheit der kleinen Kinder (infantes), ihre Unschuld in Bezug auf die Bosheit und bösartige Handlungen gilt als Maxime. Dass simplicitas nicht im intellektuellen Sinn Apostel zu bezeichnen, führt er den Namen mit an (vgl. z.B. Petro apostolo in Praescr. 33,12; Apostolus Iohannes in Adv. Marc. III 24,4). 21 Mt 18,3 Vg: Et dixit: Amen dico vobis, nisi conversi fueritis, et efficiamini sicut parvuli, non intrabitis in regnum cælorum. 22 Luk 18,15–17 Vg: Afferebant autem ad illum et infantes, ut eos tangeret. Quod cum viderent discipuli, increpabant illos. Jesus autem convocans illos, dixit: Sinite pueros venire ad me, et nolite vetare eos: talium est enim regnum Dei. Amen dico vobis, quicumque non acceperit regnum Dei sicut puer, non intrabit in illud. Inhaltlich findet sich diese Passage auch bei den Synoptikern, begriffliche Ähnlichkeit weist Adv. Val. 2,3 allerdings mit Luk 18 auf. Matthäus und Markus sprechen hingegen von parvuli. 23 Der Satz ist chiastisch gebaut. Allerdings fällt dabei auf, dass nicht wie erwartet simplicitas und sapientia chiastisch verbunden werden (vgl. 2,1 prudentia und simplicitas), sondern syntaktisch infans und sapiens auf einer Ebene stehen, wobei infans eine Näherbestimmung und Begründung erfährt (per simplicitate). 24 1Kor 14,20 Vg: Fratres nolite pueri effici sensibus, sed malitia parvuli estote sensibus autem perfecti estote. Zum tertullianischen Text vgl. auch die Einleitung bei FRÖHLICH, Epistula, 169–181.
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verstanden werden kann, schließt die zweite Näherbestimmung von repuerescere endgültig aus: Tertullian schränkt ein, dass zum Wieder-zum-KindWerden zugleich die Weisheit gehört, die im „Verstand“ (sensus) beheimatet ist. Simplicitas und sapientia stehen in keinem exklusiv wirkenden Verhältnis, sondern gehören zusammen, wie bereits Mt 10,16b ausdrückt. Allerdings ist die Zuordnung nicht gleichrangig; sapientia ergänzt das kindliche Sein und bezieht sich „nur“ (demum) auf den „Verstand“ (sensus), sodass es eine natürlich „Ordnung“ und „Reihenfolge“ gibt (ordo manare).25 (2,4) In summa Christum columba demonstrare solita est, serpens uero temptare; illa est26 a primordio diuinae pacis praeco, ille a primordio diuinae imaginis praedo. Ita facilius simplicitas sola deum et agnoscere poterit et ostendere, prudentia sola concutere potius et prodere.
Tertullian schließt dieses Kapitel mit einem resümierenden27, in drei aufeinanderfolgenden Parallelismen zusammenfassenden Rückgriff auf das einleitend genutzte Bild aus Mt 10,16b, indem er die beiden Eigenschaften der simplicitas und sapientia/prudentia mit Hilfe der Symbolisierungen durch die Taube und die Schlange antithetisch gegenüberstellt. An dieser Stelle steht im Gegensatz zur vorherigen Argumentation – allerdings wie im direkten biblischen Zitat (2,1) – der Begriff prudentia (statt sapientia).28 25 Ebenso bestimmt Tertullian die Zuordnung in Adv. Marc. IV 24,10 (SC 456, 310,85– 312,99 MORESCHINI/BRAUN): Et utique scimus salua simplicitate scripturae, nam nec et ipsae bestiae nocere poterunt, ubi fides fuerit figurate scorpios et colubros portendi spiritalia malitiae, quorum ipse quoque princeps in serpentis et draconis et eminentissimae cuiusque bestiae nomine deputetur penes creatorem, largitum hanc potestatem priori christo suo, sicut nonagesimus psalmus ad eum […]. Vgl. auch Röm 16,19 (Vulg): sed volo vos sapientes esse in bono et simplices in malo. Bereits im Hirten des Hermas finden sich ähnlich konnotierte Aussagen (vgl. Mand. II 1,7; Sim. IX 24,9; Vis. I 2,4; II 3,2; II 1,9). Vgl. dazu den Exkurs bei BROX, NORBERT, Der Hirt des Hermas (Kommentar zu den Apostolischen Vätern 7), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991, 500–502. 26 Die handschriftliche Lesart et kann durchaus als Lesefehler gewertet werden. Eine Ergänzung der elliptischen Formulierung trägt an dieser Stelle nichts aus. 27 Fredouille verweist darauf, dass Tertullian in summa in nicht klassischer Form verwendet (DERS., Contre les Valentiniens, 186). Klassisch bildet in summa eine Zusammenfassung und wird mit folgendem si konstruiert (vgl. z.B. Adv. Marc. IV 5,1 oder mit cum in Anim. 58,45). Ähnlich zu dieser Stelle formuliert Tertullian in Adv. Marc. IV 39,16 und V 16,6. 28 In Adv. Val. 3 fällt ausschließlich prudentia als Gegenbegriff zu simplicitas, sowohl innerhalb der metaphorischen Verwendung (3,1) als auch in Tertullians Übertragung (3,5). Möglicherweise findet sich in der Nutzung simplicitas in Adv. Val. 2,1–3 ein Hinweis auf weisheitliche Strömungen, die Tertullian im Blick hat, oder eine vorliegende antithetische Nutzung von simplicitas und sapientia, auf die Tertullian reagiert. Aus dem häufigen, durch eine Konjunktion verbundenen Vorkommen in den weiteren Werken Tertullians, lässt sich auf eine inhaltlich verbundene und zugleich mit eigenen Konnotationen versehene Interpretation der beiden Begriffe schließen: vgl. z.B. Anim. 6,7; Ad. Nat. I 10,13; Adv. Marc. III 6,5 f.; IV 25,1 f.6; 26,6; V 5,5 f.; 6,1. HIRSCHBERG konstatiert: „Es soll und muß prudentes
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Im ersten Parallelismus werden die mit neutestamentlichen Assoziationen verbundenen Tiere in ihren Funktionen gegenübergestellt; das Objekt, um das es geht (Christum), steht betont voran. Die Taube gilt als Sinnbild für Christus, während die Schlange die Verführung symbolisiert. Im Hintergrund stehen zum einen die Erzählung von Jesu Taufe (Mt 3,16) und das Zeugnis Johannes des Täufers von diesem Ereignis (Joh 1,32)29. Zum anderen ist auf die Erzählung über die Versuchung Jesu durch den Teufel angespielt (Mt 4,1–11).30 Dass Tertullian die Versuchungsgeschichte über das Tier der Schlange erinnert und nicht wie in Mt 4 über die Figur der Teufels, wird nicht auf eine abweichende Textgrundlage zurückzuführen sein, sondern vielmehr auf seine Intention, im gewählten Bild und Argumentationsaufbau zu bleiben.31 Damit ist nicht nur die Parallelität innerhalb der Argumentation von 2,1 ausgehend gewahrt, sondern auch in diesem Bild: In Bezug auf Jesus bezeugt die Taube die Gottessohnschaft als Symbol für den Heiligen Geist, wohingegen die Versuchungsgeschichte diese Göttlichkeit Jesu bestreitet.32 Mit dem zweiten Parallelismus weist Tertullian auf die Erzählung der Genesis über den Anfang der Welt (a primordio) zurück und führt die ebenfalls antithetisch gegenübergestellten alttestamentlichen Assoziationen der Funktionen der beiden Tiere an. Während die Taube in Anspielung auf die Erzählung von Noah und der Arche als „Ausruferin des göttlichen Friedens“ (illa est a primordio divinae pacis praeco) gilt,33 ist die Schlange diejenige, die das göttliche Bild raubt, wenn sie die nach göttlichem Ab- und Ebenbild erschaffenen (imago et similitudo) ersten beiden Menschen Adam und Eva dazu verführt, vom verbotenen Baum der Erkenntnis zu essen (Gen 1,26 f.). Tertullian deutet diese Übertretung, die zum Verlust des Ebenbilds geführt hat und damit zur menschlichen Entfremdung von Gott, als Schuld der Schlange, die sich listiger
und sapientes geben. Aber die ‚tantummodo prudentes‘ müssen genau so wie die sapientes zur Taubeneinfalt gelangen.“ (DERS., Studien zur Geschichte der „simplices“, 119). Prudentia und sapientia werden in republikanischer Zeit nahezu synonym gebraucht. 29 Mt 3,16 f. (Vg): Baptizatus autem confestim ascendit de aqua et ecce aperti sunt ei caeli et vidit Spiritum Dei descendentem sicut columbam venientem super se et ecce vox de caelis dicens hic est Filius meus dilectus in quo mihi conlacui. Joh 1,32 (Vg): […] quia vidi Spiritum descendentem quasi columbam de caelo et mansit super eum. Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 186. 30 Vgl. auch die Formulierung satan temptat in 1Kor 7,5. 31 Ebenso rekurriert er in Adv. Prax. 1,3 über das Symbol der Schlange auf die GenesisErzählung und die Versuchungs-Geschichte; in diesem Kontext liegt die diabolische Interpretation allerdings nahe, da Tertullian von Beginn an die im Folgenden zu widerlegende Häresie auf den Teufel (diabolus) zurückführt (1,1). Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 27,3. 32 Zur vorliegenden Interpretation vgl. auch D ÖLGER, Unser Taube Haus, 40 Anm. 3. 33 Vgl. die gleiche Argumentation in Bapt. 8.
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wähnt als alles andere Getier auf der Erde.34 Imago spielt bereits auf die Darstellung des Geschehens im Mythos an, nach dem die einzelnen Emanationen der Äonen „nach dem Abbild“ des obersten Äon Bythos geschaffen werden – nach der vorliegenden Argumentation „rauben“ diese Emanationen das „Bild Gottes“. Es folgt in einem scheinbar parallel aufgebauten Satz35 die Übertragung der Tiere und ihrer Funktionen auf die ursprünglich diskutierten Eigenschaften simplicitas und prudentia. Abschließend setzt Tertullian diese in Relation zu Gott. Dem Duktus seiner Argumentation folgend mündet diese Zusammenfassung in die Gegenüberstellung der beiden Tiere mit entgegengesetzter Wertung, die Tertullian zum Ausgangspunkt seiner Argumentation genommen hat. Diesen Kontrast stärken die Komparative. Die Einfalt, wie sie Tertullian im Vorangehenden biblisch expliziert hat, ist dadurch charakterisiert, dass sie Gott „leichter erkennen“ (facilius agnoscere) und „zeigen“ (ostendere) kann. Symbolisiert wird die simplicitas durch die Taube, die als göttlicher Bote die Friedenszeit anzeigt und die Ankunft des Heiligen Geistes bei der Taufe Jesu markiert. Wahre Gotteserkenntnis kann es einzig in der Einfalt des Herzens (in simplicitate cordis) geben (vgl. auch 3,2). Die Klugheit dagegen, der Tertullian die Eigenschaften der Schlange zuschreibt, zerstört diese im Herzen verankerte, in der regula fidei festgeschriebene Gotteserkenntnis. Das Verlangen danach, weiteres Wissen um Gott zu erlangen, kann nur ein zweites nach der im Herzen angesiedelten Glaubenserkenntnis sein und birgt eine Gefahr. Gott „erkennen“ (agnoscere) heißt für Tertullian, Gott mit dem Herzen zu suchen, nicht aber ihn durch Verstandesarbeit zu zerstören (vgl. auch 3,2). Denn Du musst suchen, was Christus gelehrt hat, jedenfalls solange Du nicht findest, jedenfalls bis Du findest. Du hast aber gefunden, wenn Du zum Glauben gekommen bist. […] Während Du also dieses suchst, um es zu finden und Du dieses findest, um zu glauben, hast Du, indem Du glaubst, jeder Verlängerung des Suchens und Findens begrenzt.36
34 Diese antithetische Gegenüberstellung stützt Tertullian zusätzlich zum Parallelismus durch die Paronomasie von praeco – praedo, bei denen es sich gerade nicht um innerhalb dieses biblischen Kontextes verwendete Begriffe handelt. 35 Ein Parallelismus ist insofern vorhanden, als dass die beiden Eigenschaften – parallel zu den beiden vorangehenden Sätzen – gegenübergestellt werden, beide mit dem herausstellenden sola näherbestimmt. Allerdings bricht sowohl die Stellung des jeweils näherbestimmenden komparativ gesteigerten Adverbs als auch die Differenzierung in der Aufzählung der Verben (doppeltes et, einfaches et) diesen parallelen Satzbau auf. 36 Praescr. 10,2.4 (SC 46, 103,4–10 R EFOULÉ/D E LABRIOLLE): […] quaerendum est quod Christus instituit utique quamdiu non invenis, utique donec invenias. Invenistsi autem cum credidisti. […] Ad hoc ergo quaerens ut invenias et ad hoc inveniens ut credas omnem prolationem quaerendi et inveniendi credendo finxisti. So argumentiert Tertullian in seiner prinzipiellen Widerlegung mit dem Schriftrekurs auf Mt 7,7. Vgl. dazu auch BROX, Der einfache Glaube, 168 f.
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Kumulationspunkt bildet die veritas: In Tertullians theologischem Verständnis ist die christliche Wahrheit eine einzige, die im Glauben gefunden und bewahrt wird; daher gibt es eine Grenze des Suchens, wenn diese Wahrheit gefunden wurde. Wenn die Valentinianer durch rationale Vernunft und weiteres Suchen nach der Gotteserkenntnis streben, „erschüttern“ (concutere)37 und „verraten“ (prodere)38 sie nach Tertullian Gott und die Wahrheit, weil sie diese verkennen.39 2.2.3. Adv. Val. 3,1–5: Die Darlegung der Lehre allein bedeutet ihre Widerlegung (3,1) Abscondat itaque se serpens, quantum potest, totamque prudentiam in latebrarum ambagibus torqueat; alte habitet, in caeca detrudat, per amfractus seriem suam euoluat, tortuose procedat nec semel totus, lucifuga bestia. Nostrae columbae etiam domus simplex, in editis semper et apertis et ad lucem. Amat figura spiritus sancti orientem, Christi figuram.
Mit der konklusiven Konjugation itaque leitet Tertullian in eine erste Folgerung über. Diese bleibt der verwendeten Metaphorik treu und kontrastiert die beiden zuvor eingeführten Tiere mit den ihnen zugeschriebenen Eigenschaften. Die argumentative Grundlinie folgt dabei dem bereits bekannten Kontrastmotiv von Verborgenheit und Offenbar-Sein, das im vorliegenden Abschnitt und gesamten Kapitel durch den Begriff abscondere modelliert wird. Ausgehend vom vorliegenden Gebrauch, bei dem Tertullian das Sich-Verstecken der Schlange als ein Sich-Zurückziehen40 bestimmt, überträgt er diese Eigenschaft auf die christliche Wahrheit (3,2), um den größtmöglichen Gegensatz der valentinianischen Lehre zur einen Wahrheit herauszustellen: veritas widerspricht es diametral verborgen gehalten und verheimlicht zu werden. Die argumentative Linie führt in die Identifikation der Valentinianer und ihrem Tun mit dem Wesen und Lebensvollzug der Schlange: Letztendlich bilden die Valentinianer selbst das agierende Subjekt, wenn sie nach Tertullian versuchen mit großem Aufwand ihre gesamte Lehre und Lebensführung zu verbergen und vor der richtenden Öffentlichkeit verborgen zu halten (tanto impendio absconditur; 3,5). Zunächst folgt durch wertende Beschreibung der beiden Tiere die Kontrastierung auf metaphorischer Ebene. Den Kontrast unterstreicht syntaktisch der differierende Gebrauch der Modi: Während Tertullian die Aussagen zur Schlange iussivisch formuliert und mit seiner Formulierung bereits einen Dölger übersetzt mit „verkennen“ (DERS., ‚Unser Taube Haus‘, 42 Anm. 6). In Adv. Val. 5,1 findet sich prodere im rhetorischen Sinn verwendet. 39 Im Mythos der Valentinianer geht es immer um mannweibliche Äonen-Paare, die emaniert werden. Auch columba und serpens bilden letztendlich in ihren grammatikalischen Genera ein solches Paar. 40 Vgl. TLL Art. abscondo I/0 155,35–37 mit Verweis auf die wörtliche Bedeutung (abscondo auferendo, abstrudo, removeo ex conspectu). 37
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konzessiven Sinn in die Beschreibung legt,41 folgt eine indikativische Deutung der Taube, die sich zudem durch das vorangestellte Possessivpronomen der 1. Person sowie der elliptischen Formulierung – im Gegensatz zu den zahlreichen verbalen Beschreibungen der Schlange – abhebt. Die implizite Identifikation der Schlange mit den Valentinianern bedarf keiner Explikation mehr.42 Dabei formuliert er zwar weiterhin allegorisch. Zugleich findet sich eine klare Kritik an der bisher ironisch bewerteten, scheinbar valentinianischen Antithese von Klugheit und Einfalt; hinter der metaphorischen Nutzung bildet die der Schlange zugeschriebene prudentia den zu bewertenden Sachverhalt. So dient die Anspielung auf den Lebensraum der Schlange dazu, diese antithetische Gegenüberstellung zu kritisieren. Wesen und Lebensvollzug der Schlange malt Tertullian bildreich aus.43 Er folgt der antiken Vorstellung, welche die Schlange und ihre Fähigkeiten ambivalent bewertet.44 Tertullian charakterisiert diese auf der Bildebene durch die Beschreibung ihres Lebensraums, der sich unterirdisch in versteckten und dunklen Schlupfwinkeln findet, um diesen – auf der Sachebene stellvertretend für die Valentinianer (vgl. 3,5) – abzuwerten. Das Bemühen um versteckte Wohnorte identifiziert Tertullian zunächst als das Bemühen der Valentinianer, sich mit der Klugheit zu verkriechen. Auf einer zweiten Ebene zeigt sich Tertullians Kritik, prudentia „auf den Irrwegen durch ihre Verstecke zu verdrehen“ (totamque prudentiam in latebrarum ambagibus torqueat)45. Rhetorisch
41 Vgl. dazu M ENGE/B URKHARD/SCHAUER, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik, § 113. Als ein Hinweis lässt sich zudem die Stellung des ersten Prädikats zu Beginn des Satzes werten. Diese Deutung unterstützt die qualitative Interpretation von quantum potest (vgl. so auch die Übersetzung von Tommasi Moreschini; Fredouille interpretiert dagegen quantitativ). 42 Explizit verbindet Tertullian dieses metaphorische Bild mit den Valentinianern in Scorp. 1,5: Im Kontext dieser Schrift geht es um das Moment der Verfolgungen der Christen und äußeren Bedrohung des Glaubens, dem eine innere Bedrohung entspricht, denn „dann brechen die Gnostiker hervor, dann schleichen die Valentinianer hervor“ (tunc Gnostici erumpunt, tunc Valentiniani proserpunt [CChr.SL 2, 1069,8 f. REIFFERSCHEID/WISSOWA]) und versuchen die Mitchristen, die „einfältig und unwissend sind“ (simplices ac rudes [1069,11]) und in der Gefahr stehen, schwach werden zu können, zu bekehren. 43 Zur metaphorischen Verwendung der Schlange bei Tertullian vgl. O’M ALLEY, Tertullian, 85–87. „Of all symbolic beasts, the serpent and similar creatures are the most important in Tertullian.“ (aaO., 85). Zur folgenden Nachzeichnung des Lebensvollzugs der Schlange vgl. z.B. auch die Darlegung in Pall. 3,2. 44 Konnten ihre Giftigkeit und Fähigkeit zum Häuten positiv bewertet werden, wurden ihr Erkenntnis und Wissen zugeschrieben, durch die sie im christlichen Kontext zum Symbol des niederen Widersachers wurde. Vgl. dazu BREMMER, JAN N., Art. Schlange, in: Der Neue Pauly 11 (2001), 178–184. 45 Die noch schärfere Bedeutung von torquere als „foltern“ findet sich z.B. in Apol. 2,13.18. Zudem vgl. die ähnliche Wertung bei Iren., Adv. Haer. V 19,1 (SC 153, 250,20 ROUSEEAU u.a.): serpentis prudentia devicta in columbae simplicitate.
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verweilt Tertullian im Folgenden auf der Bildebene und fordert seine Leserschaft heraus, die unterschwellige Kritik wahrzunehmen: Die als Tetrakolon pleonastisch formulierte Charakterisierung der Schlange führt klimaktisch in die für die Argumentation notwendige Wesensbeschreibung als „lichtscheues Untier“ (lucifuga bestia)46. Der fast redundant wirkende Rekurs auf Wohnort und Art der Fortbewegung der Schlange lässt den Kontrast zur folgenden Beschreibung der Taube möglichst groß wirken. Der Wohnort der Schlange liegt „in der Tiefe“ (alte habitet), was Tertullian als ein „Hinabdrängen ins Lichtlose“ (in caeca detrudat) interpretiert und damit das Verstecken (abscondere) als wesentliche Eigenschaft dieses Tiers herausstellt. Zugleich charakterisiert er das „Hindurchwälzen ihres kettenartigen Körpers“ (seriem suam evoluat) durch die Biegungen und Windungen des Weges (amfractus) und ihr „gewundenes Vorwärtskriechen“ (tortuose procedat) 47 als ein beschwerliches und langsames Vorwärtskommen. 48 Die Betonung „und niemals als ganze Schlange auf einmal“ (nec semel totus)49 spielt spöttisch auf die schlängelnde Bewegung dieses Tieres an, die nie als ganzes Tier auf einmal an einem Ort ist. Diese als Negativfolie dienende Beschreibung der Schlange kontrastiert Tertullian im Folgenden: Die steigernde Konjunktion etiam sowie das einleitend vorangestellte Possessivpronomen der 1. Person Plural heben die Bedeutung der Taube hervor. Tertullian ordnet diese explizit zur Gruppe der Christen um ihn herum zu. Konträr zum Wesen der Schlange als „lichtscheu“ (lucifugua), das sich in ihren Schlupfwinkeln widerspiegelt, beschreibt Tertullian den Wohnort der Taube schlicht mittels eines Trikolons als „in den Höhen“ (in editis), „im Freien“ (in apertis) sowie „zum Licht gewandt“ (ad lucem). Die Kontrastierung des verborgenen Wohnorts der Schlange findet ihren 46 Die Charakterisierung lucifuga bestia findet sich vor Tertullian bei Apul., Met. V 19. Tertullian nutzt lucifugus ein weiteres Mal, um gegen diejenigen, welche die christliche Botschaft ablehnen, die „richtige Paulusauslegung“ zu stellen; diejenigen, die diese Botschaft nicht annehmen „scheuten das Licht der Heiligen Schrift“ (Resurr. 47,17). Minucius Felix beschreibt die Meinung der Heiden über die Christen als latebrosa et lucifugax natio (Oct. 8,4). Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 187 f. 47 Vgl. dieses Adjektiv zur Charakterisierung des Wesens der Schlange z.B. auch in Spect. 18,3; Adv. Marc. IV 24,10. 48 Diese Beschreibung über das Vorwärtsbewegen der Schlange findet sich in gleichem Wortlaut auch bei Phoebadius, der im 4. Jahrhundert die Schlange metaphorisch zur argumentativen Stärkung in seiner Schrift gegen die Arianer herangezogen hat (Contra Arianos 6,1). Dass er Tertullian kannte, zeigen häufige Zitate und Anklänge (vgl. ULRICH, JÖRG, Phoebadius. Contra Arianos. Streitschrift gegen die Arianer [Fontes Christiani 38], Freiburg u.a.: Herder 1999, 70–73). 49 Fredouille übersetzt semel mit simul (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 187). Dagegen ist anzumerken, dass Tertullian in Adv. Val. dreimal semel sowie dreimal simul und diesen Begriff damit bewusst differenzierend nutzt. Vgl. dazu auch HOPPE, Syntax und Stil, 113.
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Höhepunkt in der Ausmalung des offenbaren, hoch gelegenen und lichtdurchfluteten Wohnorts der Taube.50 Dabei weist auch diese antithetische Beschreibung auf die dahinterstehende Sachebene hin: So wie die Schlange die prudentia verdreht, versteckt und für sich beansprucht, ist nicht nur das Wesen der Taube durch Einfachheit charakterisiert, sondern antithetisch das Haus der Taube selbst „einfach“ (simplex).51 Durch diesen weiteren mit kritischem Unterton beschriebenen Gegensatz orchestriert Tertullian das Thema der Wahrheit mit mehr Klang. Über die Bedeutung von domus simplex finden sich in der Forschung zahlreiche Diskussionen. Die Deutungen reichen von der Bedeutung eines taubenähnlichen Sakramentsgefäß zur Aufbewahrung der Eucharistie52, über eine Ausrichtung der gottesdienstlichen Räume bzw. Häuser der Christen53, bis hin zu der Interpretation des domus columbae als „ein antike[s] Taubenhaus mit seiner hohen Lage und seinem der Sonne zugekehrten Eingang“54. Dölger 50 Die Schlichtheit spiegelt sich auch rhetorisch wider: Nutzt Tertullian zur Beschreibung der Schlange ein Tetrakolon, genügt ein Trikolon, um die Einfachheit der Taube auszudrücken. Vgl. eine ähnliche Kontrastierung zwischen den Christen und den richtenden Vorsitzenden der Stadt in Apol. 1,1. 51 Diese Hervorhebung unterstreicht Tertullian syntaktisch: Indem domus das Subjekt des Satzes bildet und durch nostrae columbae näher bestimmt wird, wirkt die Qualifizierung als simplex zusätzlich zur eigentlichen Qualifizierung der Taube als Synonym für simplicitas. Nicht nur die Taube an sich sei wesentlich durch simplicitas qualifiziert; dies schlägt sich sogar in ihrer Wohnstätte nieder (vgl. zu dieser Interpretation auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 188). 52 Vgl. LECLERCQ, H ENRI, Art. Colombe Eucharistique, in: Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie 3/2 (1914), 2231–2234. Bereits Dölger bietet Gegenargumente für diese Interpretation (vgl. DERS., Die Lage des christlichen Kultbaues, 43 Anm. 11–13). 53 Kreuser schiebt in seine Übersetzung der Stelle ein: „Haus unserer Taube (oder nach jetziger Redeweise die Kirche, in welcher die Taube mit der heiligen Wegzehrung unter dem alten Ciborium und über dem alten Opfetisch aufbewahrdt ward) […]“ (KREUSER, JOHANN, Der christliche Kultbau. Seine Geschichte, Symbolik, Bildnerei, nebst Andeutungen für Neubauten, Bd. 1, Regensburg: Pustet 21860, 66). Sauer führt dagegen im Kapitel über die Symbolik der Himmelsrichtungen aus, dass mit Tertullian ein Verlangen der Christen festzuhalten ist, beim Beten „wahres Licht […] zu erblicken“ (SAUER, JOSEPH, Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters, Freiburg: Herder 21924, 89). Mothes deutet ausgehend von dieser Stelle eine Westung der Kirche (MOTHES, OSKAR, Die Basilikenform bei den Christen der ersten Jahrhunderte. Ihre Vorbilder und ihre Entwicklung, Leipzig: Arnoldische Buchhandlung 1865, 52 f.). Vgl. dazu DÖLGER, ‚Unser Taube Haus‘, 43 f. 54 D ÖLGER, ‚Unser Taube Haus‘, 45. Als Referenzen für seine Deutung zieht Dölger Beschreibungen über Wohnstätten von Tauben, vor allem aber der menschlichen Taubenhaltung bei Plinius, Varro, Palladius und Columella heran. Dennoch spielt Dölger weniger auf die in der Natur lebende Taube an, als vielmehr auf die bereits inkulturierte. Diese Deutung findet sich – im Potentialis formuliert und mit Verweis auf diese Tertullian-Stelle (diese wird allerdings als Adv. Val. 2,3 zitiert) – noch im Artikel „Haus II“ des Reallexikons für Antike und Christentum (DASSMANN, ERNST, SCHÖLLGEN, GEORG, Art. Haus II [Hausgemeinschaft], in: Reallexikon für Antike und Christentum 13 [1986], 802–905, 898).
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
201
interpretiert allerdings in Verbindung mit der folgenden übertragenen Deutung der Taube als „Sinnbild des Heiligen Geistes“ (figura spiritus sancti), dass columba „im Zusammenhang kaum etwas anderes als ‚Kirche‘“ ist und diese „unter dem Sinnbild der Taube zur Deutung gebracht“ wird.55 So sei domus columbae mit domus ecclesiae gleichzusetzen und es finde sich an dieser Stelle ein Hinweis auf einen christlichen Kultort in der Antike, insbesondere für Nordafrika zu Beginn des 3. Jahrhunderts.56 Der Deutung Dölgers ist dahingehend zuzustimmen, dass Tertullian mittels der charakteristischen Lebensweise der beiden Tiere einen Kontrast nachzeichnet, den er auf den aus seiner Perspektive bestehenden Gegensatz zwischen der Gruppe von Christen um ihn und den Valentinianern bezieht: Im Gegensatz zur Gruppe um ihn, die nach Tertullian nichts zu verbergen habe, bedürfen „die gnostischen Häretiker […] entweder gar keine ständigen Versammlungsplätze oder nur geheime Schlupfwinkel“57, weil sie ihre Lehre und ihr Tun vor der Öffentlichkeit geheim halten wollen. Dieser Kontrast wirkt bereits so ausdrucksvoll und stark und bedarf keines realen Kultgebäudes im Hintergrund, auf das Tertullian sich bezieht. Letztlich benennt Dölger das gegen ihn einzubringende Argument selbst: „Wir müssen freilich gestehen, daß bei Tertullians Sprache Vorsicht am Platze ist, da er zuweilen auch geistige Vorgänge und Dinge so realistisch plastisch zur Darstellung bringt, als ob es sich um körperliche Gegenstände handele.“58 Vielmehr finden sich bei Tertullian die Wendungen domus Dei und sehr häufig der Terminus ecclesia, sodass an dieser Stelle von einer im metaphorischen Bild der beiden Tiere bleibenden Gedankenführung auszugehen ist.59 Bereits Neander führt den hier zu bekräftigende Einwand an: „Nur aus dem Zusammenhang gerissen kann diese Stelle dunkel erscheinen und Anspielungen auf Kirchengebäude finden lassen, von denen nichts darin liegt. Offenbar sind hier bloß aus der Natur genommene Bilder, so wie dies bei dem ersten Gliede des Bildes von der Schlange der Fall war, muß dies auch bei dem zweiten von der Taube so seyn. Das Nest der Taube in der freien Luft, wo Sonnenlicht scheint, ist den verborgenen Höhlen der Schlange entgegengesetzt.“60
Abschließend durchbricht Tertullian auch für die Taube die Bildebene, indem er die bereits in 2,4 explizite Identifikation der Taube als Bild Christi wiederaufnimmt und damit seine metaphorische Darstellung entschlüsselt. Rhetorisch kunstvoll beschließt er seine kritische Antithese: Während zu Beginn von 3,1 syntaktisch das Sich-Verbergen (abscondere) der Schlange hervorgehoben 55 D ÖLGER, ‚Unser Taube Haus‘, 47. Für Dölger ist die Auflösung des „Sinnbilds“ des Heiligen Geistes als Taube nicht einfach ersichtlich, sondern bedarf des vorausgehenden Kontexts. Zudem führt er weitere Beispiele für diese metaphorische Deutung an (aaO., 46 f.). Anzufragen ist allerdings, ob aus dem Kontext, der für die metaphorische Auflösung notwendig ist, auch der Rückschluss zu ziehen ist, dass domus columbae mit domus ecclesiae zu identifizieren ist. 56 D ÖLGER, ‚Unser Taube Haus‘, 47f . Weiter argumentiert Dölger dafür, dass Tertullian eine antike Kultbauregel vorlag, die er hier heranzieht (aaO., 52–55). 57 D ÖLGER, ‚Unser Taube Haus‘, 49. 58 D ÖLGER, ‚Unser Taube Haus‘, 49. 59 Vgl. eine ähnliche Verwendung von domus Dei in Ux. II 8,2; Adv. Iud. 3,8 sowie synonym zu ecclesia in Idol. 5,1; 7,1; Pud. 7,20. 60 N EANDER, A UGUST, Antignostikus. Geist des Tertullianus und Einleitung in dessen Schriften mit archaeologischen und dogmengeschichtlichen Untersuchungen, Berlin: Dümmler 1825, 390.
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Kapitel 2: Adv. Val 2–3: Praemunitio
wurde, liegt der Ton nun auf dem Lieben (amare) der Taube. Das „Bild des Heiligen Geistes“ (figura spiritus sancti) „liebt den Sonnenaufgang“ (amat orientem), so wie zuvor auf metaphorischer Ebene die Licht-Zugewandtheit der Taube ausgemalt wurde. Zugleich findet sich – entsprechend Mal 4,2 – eine zweite metaphorische Entschlüsselung, indem die „aufgehende Sonne“ als „Bild Christi“ (Christi figura) dechiffriert wird.61 Diese doppelte Ausdeutung hebt Tertullian rhetorisch mittels des Stilmittels des Kyklos62 hervor, das diesen abschließenden Gedanken durch den Begriff figura rahmt und mit dieser Bedeutung spielt. (3,2) Nihil veritas erubescit, nisi solummodo abscondi, quia nec pudebit ullum aures ei dedere, eum deum recognoscere, quem iam illi natura commisit, quem cotidie in operibus omnibus sentit, hoc solo minus notum, quod unicum non putavit, quod in numero nominauit, quod in aliis adorauit.
Nahezu bruchlos überführt Tertullian seine bisher auf der Bildebene vorgetragene Kritik auf die Sachebene: Thema bildet die christliche veritas (vgl. 1,1– 4), verbindendes Moment findet sich im Terminus abscondere. Kristallisationspunkt bildet weiterhin das Kontrastmotiv von dem der Schlange symbolisierten und den Valentinianern zugeschriebenen abscondere (3,1) bzw. occultare (1,1 f.) und dem durch die Taube charakterisierten und für die Christen um Tertullian stehenden beim Licht-Sein. Tertullian nutzt für die folgende Charakterisierung von veritas Termini, die in den Affekt-Bereich der Scham gehören (pudor, erubescere). Auch auf diese Emotion hatte er bereits in seinem ersten die Valentinianer charakterisierenden Kapitel Bezug genommen, um an dieser Stelle nun mittels negativer Formulierung jedwede Verbindung von pudor und veritas zu bestreiten. Erubescere gilt als das nach außen wahrnehmbare Zeichen, das auf pudor einer Person hinweist. Im vorliegenden Kontext überträgt Tertullian das Erröten vor Scham (erubescere) auf die personifizierte veritas. Dabei liegt die Betonung und Abgrenzung zur menschlichen Veranlagung darin, dass die Wahrheit gerade nicht 61 Dass sich bereits die Gebetshaltung gen Osten herausgebildet hatte, belegt Tertullian selbst mit den Aussagen in Ad Nat. I 13,1 und Apol. 16,10. Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 189; GEORGES, Tertullian ‚Apologeticum‘, 274 f.; DÖLGER, FRANZ JOSEPH, Sol Salutis. Gebet und Gesang im christlichen Altertum. Mit besonderer Rücksicht auf die Ostung in Gebet und Liturgie (Liturgiegeschichtliche Forschungen 4/5), Münster: Aschendorff 1925, 136–147. Für die Übersetzung, die Christi figuram als Apposition zu figura spiritus sancti verstehen möchte, wäre ein Nominativ (figura) notwendig. Als Akkusativ ist eine eindeutige Apposition zu oriens gegeben. Riley umgeht diese Fragestellung, indem er Orientem als Eigennamen aus dem Hebräischen herleitet (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 127; ebenfalls MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 113). Tommasi Moreschini verweist auf die zahlreichen traditionellen Bilder (DIES., Adversus Valentinianos, 248 Anm. 39). 62 Vgl. dazu SCHÖPSDAU, K LAUS, Art. Kyklos, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 4 (1998), 1550–1552, 1550.
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
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schamrot werden kann.63 Einzig das ihrem Wesen diametral widersprechende Verborgen-Werden (abscondi) konnotiert Tertullian mit dem Gefühl der Scham.64 Dem entspricht die folgende Begründung, dass niemand (nec ullus) – gerade weil Scham dem Wesen der Wahrheit genuin widerspricht – sich ihretwegen schämen wird (pudere).65 Vielmehr führt eine Begegnung mit veritas, die hier auditiv vorgestellt wird, weiter: Scham kann es in Begegnung mit der Wahrheit nach Tertullian gerade deshalb nicht geben, weil letztere zur Gotteserkenntnis führt (deum recognoscere). An dieser Stelle findet sich ein wichtiger Hinweis auf Tertullians, dem stoischen Konzept verpflichteter Vorstellung der Erkenntnis Gottes. Die Relativsätze bestimmen den zu erkennenden Gott näher als den, der bereits aus der Natur (natura) heraus erkannt und täglich in allen Werken (opera omnia) wahrgenommen wird. Es lässt sich hier eine ‚natürliche Gotteserkenntnis‘ für Tertullian konstatieren, wie er sie auch an anderer Stelle anzeigt. Zugleich verweist die Formulierung deum recognoscere auf eine höhere Erkenntnis Gottes, die durch die christliche veritas und doctrina garantiert ist und durch Offenbarung dem Menschen zugänglich wird. Tertullian verficht zum einen eine ‚natürliche Gotteserkenntnis‘, die sich kosmologisch aus der sichtbaren Schöpfung und anthropologisch der menschlichen Seele erschließt. Dabei folgt Tertullian dem stoischen Konzept, das den Ausgangspunkt der Erkenntnistätigkeit des Menschen bei der sinnlich wahrnehmbaren, sichtbaren Schöpfung sieht.66 Gott ist erkennbar
63 Eine ähnliche Argumentation bietet Tertullian in der Verteidigung des christlichen Glaubens, die er an die Statthalter Karthagos richtet und ebenfalls mit dem Kontrastmotiv verborgen/offenbar spielt. Die Statthalter, die bei Gericht die Wahrheit eruieren sollen, sind durch ihren Sitz an „offen sichtbarer und hervorgehobener Stelle“ (in aperto et edito; vgl. die Parallele zu Adv. Val. 3,1) charakterisiert. Diesen richtenden Autoritäten wirft Tertullian in diesem Kasus Furcht und Scham (erubescere) vor einer öffentlichen Untersuchung vor (Apol. 1,1 mit dem Kommentar von GEORGES, Tertullian ‚Apologeticum‘, 55–59). 64 In der Antike zählt pudor zu den Affekten, die Teil des römischen Wertekanons bilden. Cicero subsummiert das Schamgefühl unter die Furcht (metus) (vgl. Tusc. IV 16; dazu auch TLL Art. pudor X/2 2492,39–62) und basiert dabei auf Aristoteles Grundlegung; vgl. dazu die Übernahme bei Plaut., Epid. 166. Pudor beschreibt Scham als eine soziale Kategorie, indem Scham immer relational verstanden wird und damit zu einer moralischen Kontrollinstanz werden konnte (vgl. z.B. Cic., Verr. II 5,39; I 35; Catil. I 22). 65 Vgl. dazu bereits Adv. Val. 1,1. Zur Verwendung von pudere s.u. zu 3,5. Das Motiv der sich ihren Weg zu den Ohren der Menschen findenden Wahrheit nutzt Tertullian auch in Apol. 1,1: Die Wahrheit ist die Autorität, die sich vor Gericht Verhör schaffen bzw. jede Seele zur wahren Gotteserkenntnis führen wird. 66 Tertullian begründet dieses Konzept in Anim. 18, vgl. dazu SPANNEUT, Le stoïcisme de Pères I, 210–216. Zur Gotteserkenntnis in der Stoa vgl. Cic., N.D. II 97; Tusc. I 68–70 und biblischen Begründung in Röm 1,20; 11,9 sowie Tertullians Aufnahme vgl. SPANNEUT, aaO., 274–285; POHLENZ, Die Stoa, 54–63; COLISH, MARCIA L., The Stoic Tradition from Antiquity to the Early Middle Ages. Bd. 2: Stoicism in Christian Latin Thought through the Sixth Century, Leiden/New York: Brill 1990, 9–29, besonders 17–19; OTTO, STEPHAN,
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Kapitel 2: Adv. Val 2–3: Praemunitio
aus der Welt, die er „zum Schmuck seiner Herrlichkeit“ „aus dem Nichts“ erschaffen hat; dies impliziert auch der Begriff „Kosmos“.67 Zugleich kann Tertullian den Zweck der Schöpfung diametral zur Erkenntnisfähigkeit in der Erkenntnismöglichkeit Gottes bestimmen.68 Dabei muss Gott, der „unermesslich“ ist, in der Erkenntnis dennoch „unsichtbar“, „unfassbar“ und „unbegreiflich“ bleiben; denn „daher ist er der Wahre und ist so groß“. 69 Im Zuge der Gotteserkenntnis aus den Gesetzlichkeiten der Natur spricht Tertullian auch von einem der Seele inhärenten Bewusstsein von Gott, das jeder menschlichen Seele – unabhängig davon, ob sie zu der den römischen Göttern anhängenden oder der den christlichen Gott verehrenden Gruppe zu zählen ist – zu eigen ist, sodass er auch von der anima naturaliter christiana sprechen kann.70 Die Seele erkennt den wahren Gott, der für Tertullian nur der eine (unus/unicus) christliche sein kann, aus seinen geschaffenen Werken, die Gott fortwährend erhält. Hiermit beschreibt Tertullian eine „gewisse Kenntnis“, die auf dem einfachen Erkennen des Dasein Gottes basiert (cognoscere).71 „Natura” und “Dispositio”. Untersuchungen zum Naturbegriff und zur Denkform Tertullians (Münchner Theologische Studien 19), München: Huber 1960. 67 Apol. 17,1 (CChr.SL 1, 117,1–5 D EKKERS): Quod colimus, Deus unus est, qui totam molem istam cum omni instrumento elementorum, corporum, spirituum, verbo quo iussit, ratione qua disposuit, virtute qua potuit, de nihilo expressit in ornamentum maiestatis suae, unde et Graeci nomen mundo κόσμον accommodaverunt. Anim. 16, 2 (VCS 100, 20,21 f. WASZINK): quia naturae deus auctor est. Vgl. auch Spect. 2,3; Adv. Marc. I 11; 13; IV 25,1; Resurr. 2,8. 68 Adv. Marc. I 10,1 (SC 365, 144,1–3 B RAUN): Siquidem a primordio rerum conditor earum cum ipsis pariter compertus est, ipsis ad hoc prolatis, ut deus cognosceretur. 69 Apol. 17,2 (CChr.SL 1, 117,6–12 D EKKERS): Invisibilis est, etsi videatur; incomprehensibilis, etsi per gratiam repraesentetur; inaestimabilis, etsi humanis sensibus aestimetur; ideo verus et tantus! Ceterum quod videri, quod comprehendi, quod aestimari potest, minus est et oculis quibus occupatur, et manibus quibus contaminatur, et sensibus quibus invenitur; quod vero immensum est, soli sibi notum est. Vgl. auch Apol. 17,3. 70 Adv. Marc. I 10,3 (SC 365, 144,16–145,17 BRAUN): Animae enim a primorido conscientia Dei dos est. Apol. 17,6 (CChr.SL 1, 117,27 DEKKERS): O testimonium animae naturaliter Christianae! Vgl. auch Anim. 2,1. Zur Diskussion und weitere Literatur vgl. GEORGES, Tertullian ‚Apologeticum‘, 290 f. Anm. 617. Zur Frage der Anschlussfähigkeit an die stoische Lehre vgl. COLISH, The Stoic Tradition Bd. 2, 18. Strutwolf hingegen differenziert zwischen einer platonischen, natürlichen Gotteserkenntnis im Frühwerk Tertullians und einer stoisch, biblisch und platonisch geprägten Synthese einer christlichen Seelenlehre in Anim. zu einer „traduzianistischen Seelentheorie“ (STRUTWOLF, HOLGER, Anima Naturaliter Christiana – Beobachtungen zum philosophischen und theologischen Hintergrund der Seelenlehre Tertullians, in: Daniel M. Gurtner, Juan Hernández, Paul Foster [Hg.], Studies on the Text of the New Testament and Early Christianity. Essays in Honor of Michael W. Holmes, Leiden/Boston: Brill 2015, 594–614, 612). Vgl. dazu auch MORESCHINI, CLAUDIO, Tertulliano tra Stoicismo e Platonismo, in: Adolf Martin Ritter (Hg.), Kerygma und Logos. Beiträge zu den geistesgeschichtlichen Beziehungen zwischen Antike und Christentum. Festschrift für Carl Andresen zum 70. Geburtstag, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1979, 367–379, 370–372. 71 „Das unmittelbare, ahnende Gotteszeugnis der Seele ist 1. getragen von einer allgemeinen, menschlichen, ‚natürlichen‘ Überzeugung, die 2. näherhin als Ausdruck eines nicht weiter zu zergliedernden Wissens um den Schöpfungsakt charakterisiert werden kann.“ (OTTO, ‚Natura‘ und ‚dispositio‘, 120).
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
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Zugleich gibt es nach Tertullian eine tiefergehende, supranaturale Erkenntnis.72 Diese ist denjenigen vorbehalten, die durch die Offenbarung eine größere Klarheit und Gewissheit über den Gott der Schöpfung erlangen. Re-cognoscere beschreibt zunächst ein reflexives Moment. Der aus den Werken erkannte Gott wird in einem zweiten Schritt als der eine wahre, christliche Gott und unendlich gute Schöpfer wahrgenommen. „Wir legen fest, dass Gott zuerst aus der Natur erkannt werden muss, danach auch durch die Lehre neu erkannt werden soll; aus der Natur heißt aus den Werken, durch die Lehre heißt aus den Verkündigungen.“73 Hieraus wird deutlich, dass Tertullian nicht zwei Götter mit zwei verschiedenen Erkenntniswegen postuliert. Vielmehr beschreibt er zwei Wege, diesen einen Gott zu erkennen.74 Recognoscere hat für Tertullians Vorstellung direkte Auswirkung auf die Lebensführung und lässt sich auch als „Erkenntnis des göttlichen Willens bezüglich der praktischen Lebensführung“ wiedergeben.75 Hier schlägt sich Tertullians Grundkonzept nieder, das eine Verbindung von christlicher Wahrheit, wie sie in der Lehre erscheint (doctrina), und ethischer Lebensführung (disciplina) zieht. Allerdings konstatiert Tertullian, dass der negative Willensakt des Menschen diese weiterführende Erkenntnis und die Anwendung auf das eigene Leben häufig verhindert.76
Es zeigt sich für Tertullian eine Zweistufigkeit der Gotteserkenntnis, wie sie auch in Adv. Val. 3,2 Eingang gefunden hat. Jeder Seele ist der Zugang zur Gotteserkenntnis über die sinnlich wahrnehmbaren Werke und Schöpfung inhärent, die den Gesetzmäßigkeiten der Natur (natura) folgt. Dabei nutzt Tertullian an dieser Stelle das stoische Konzept, das er im Folgenden weiter ausführt, zugleich als Kontrastfolie, um sich gegen die valentinianische Vorstellung zu wenden.77 Das umschreibende nec ullum (statt nullum) wirkt verstärkend: Jede Seele hat dieses Vermögen qua ihrer Wesenheit in sich, keine kann sich diesem entziehen. Die weiterführende reflexive Erkenntnis (deum recognoscere), von der Tertullian in diesem Werk nur an vorliegender Stelle schreibt, lässt den Menschen im Schöpfer den einen christlichen Gott erkennen. Folge des „Findens Gottes“ aufgrund der göttlichen Offenbarung ist der christliche Glaube.78 Die Vgl. dazu SPANNEUT, Le stoïcisme de Pères I, 285–288. Adv. Marc. I 18,2 (SC 365, 182,9–11 BRAUN): Nos definimus Deum primo natura cognoscendum, dehinc doctrinam recognoscendum, natura ex operibus, doctrina ex praedicationisbus. 74 Vgl. Virg. Vel. 11,10; 16,2. 75 So übersetzt FUETSCHER, LORENZ, Die natürliche Gotteserkenntnis bei Tertullian, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 51 (1927), 1–34.217–251, 25; vgl. auch OTTO, ‚Natura‘ und ‚dispositio‘, 101 und zum dahinterstehenden Konzept POHLENZ, Die Stoa, 114–118. 76 Adv. Marc. I 18,3 (SC 365, 184,23–25 B RAUN): cum humana mediocritas facilius deos fingere sibi norit secundum totius aevi experimenta quam verum sectari, quem natura iam intellegunt. Vgl. dazu auch OTTO, ‚Natura‘ und ‚dispositio‘, 101; HAMMERSCHMIDT, ERNST, Die Philosophische Begründung der Gotteserkenntnis bei Tertullian, in: Internationale theologische Zeitschrift. Neue Folge 49 (1959), 69–102.161–240, 88. 77 Vgl. auch C OLISH, The Stoic Tradition Bd. 2, 18 f. Anm. 31. 78 Apol. 18,1 (CChr.SL 1, 118,1–4 D EKKERS): Sed quo plenius et impressius tam ipsum quam dispositiones eius et voluntates adiremus, adiecit instrumentum litteraturae, si qui 72
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natürliche, auch den Nicht-Christen zugängliche Gotteserkenntnis ist für Tertullian streng auf den Glauben an denjenigen, der aus dem Nichts die Welt erschaffen hat und sich in dieser offenbart hat, hin geordnet. Erst im Durchdringen der Wahrheit mit ratio und fides ist nach seinem Verständnis die wahre Gotteserkenntnis des Christen erlangt.79 Es ist zu betonen, dass für Tertullian die Frage der natürlichen Gotteserkenntnis im Kontext der Frage nach der christlichen Wahrheit steht. Den Schöpfer als den christlichen Gott und Garanten der Wahrheit wiederzuerkennen (recognoscere), ist dem möglich, der diesen Gott bereits aus der Wohlordnung und Erhaltung der Natur erkannt hat. Diesen Gedanken schärft Tertullian im Folgenden eindringlich ein. Der Einwand richtet sich gegen den polytheistisch veranlagten Glauben von Tertullians römischer Umwelt, bekräftigt die von ihm aufgestellte These der natürlichen Gotteserkenntnis jeder Seele und führt zugleich – wie die negativ formulierte Aussage pointiert (minus notum)80 – in die für Tertullian einzig wahre Erkenntnis, dass hinter allem der eine christliche Gott steht und waltet. In einem klimaktisch aufgebauten, mittels der Anapher eindringlich wirkenden Trikolon führt er drei Charakteristika der natürlichen Gotteserkenntnis an, wie er sie dem Polytheismus der römischen Religion zuschreibt, um sie aus seiner eigenen, christlichen Perspektive zu interpretieren. Tertullian konstatiert, dass jede Seele Gott erkennt und eine Ahnung von ihm hat. Doch das christliche Bekenntnis, dass Gott „ein einziger“ (unicus)81 ist, bedarf der weiteren Offenbarung, weil das Wissen über den Monotheismus unter Vorbehalt steht (quod unicum non putavit). Folglich interpretiert er den römischen Polytheismus als eine Vielzahl an Namen für den einen Gott (quod in numero nominavit). Mit der Verdopplung der Anfangskonsonanten num/nom- wird dieser Gedankengang rhetorisch verstärkt. Entsprechend der Benennung analysiert Tertullian ebenfalls eine Vielzahl von Arten der Verehrung (quod in aliis adoravit) 82 . Auch diesen Gedanken hebt er stilistisch mittels
velit de deo inquirere, et inquisito invenire, et invento credere, et credito deseruire. Dabei bildet recognoscere keinen feststehenden Terminus, überwiegt aber im Werk Tertullians zur Beschreibung dieses Akts. Vgl. dazu OTTO, ‚Natura‘ und ‚dispositio‘, 121 f. 79 Vgl. dazu O TTO, ‚Natura‘ und ‚dispositio‘, 119–135. Die natürliche Gotteserkenntnis kann für Christen – im Gegensatz zu Nichtchristen – nur eine vorläufige sein; aber erst durch die Offenbarung und vom Standpunkt des Glaubens aus wird dieser vorläufige Status ersichtlich. 80 Es fällt die Paronomasie von recognoscere und notum (noscere) auf, die auf sprachlicher Ebene den nicht vorhandenen Zugang der römischen Umwelt zur endgültigen, wahren Gotteserkenntnis beinhaltet (recognoscere). 81 Diese unus und solus verstärkende Charakterisierung Gottes findet sich häufiger bei Tertullian: vgl. z.B. Adv. Prax. 1,1; 2,1; 3,1; Apol. 18,2; Adv. Marc. I 3,2.5. Vgl. dazu auch BRAUN, der eine Entwicklung der Gottesprädikate von unus zu unicus bei Tertullian herausarbeitet (DERS., Deus christianorum, 67 f.) sowie zu numero (aaO., 30 f.692 f.). 82 Zu adorare vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 191 f.
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einer Alliteration hervor. Es finden sich ähnliche Gedanken bei Minucius Felix, der summiert, gezeigt zu haben, dass die Philosophen „trotz mannigfaltigster Benennungen doch nur einen Gott gekannt haben“.83 Tertullian markiert damit in 3,2 die apologetische Grundidee, dass veritas von allen Menschen erkannt wird; lediglich die Verehrungsformen differieren, von denen diejenige im Pantheon aus Tertullians Perspektive falsch ist. Die Valentinianer charakterisiert er so übertragen nicht nur als ‚sexsüchtig‘ und verschlagen (1,4), sondern auch als Polytheisten. (3,3) Alioquin a turba eorum et aliam frequentiam suadere, a domestico principatu ad incognitum transmouere, a manifesto ad occultum retorquere de limine fidem offendere est. Iam si et in totam fabulam initietur, nonne tale aliquid recordabitur se in infantia inter somni difficultates a nutricula audisse, “Lamiae turres” et “Pectines Solis”?
Tertullian schließt adversativ steigernd an seine vorhergehende Argumentation an. Die Valentinianer pervertieren aus seiner Perspektive die natürliche Gotteserkenntnis, indem sie eine Äonen-Vielfalt erfinden und lehren und den heidnischen Polytheismus damit weiterentwickeln. In drei parallel konstruierten Kola84 führt er Charakteristika auf, die den aus seiner Perspektive polytheistischen Glauben seiner Umwelt ausmachen, um sie in einen dynamischen Prozess eintreten zu lassen (suadere – transmovere – retorquere), bei dem er den valentinianischen Polytheismus in negativer Weise vom heidnischen wegentwickeln lässt. Stilistisch führt diese antithetische Charakterisierung in eine grundlegende Bewertung. Aufgrund der für Tertullian eindeutigen Qualifizierung in einen besseren heidnischen und schlechteren valentinianischen Polytheismus beurteilt er den valentinianischen Glauben als einen Verstoß gegen den christlichen Glauben von Grund auf (de limine)85 – im Gegensatz zum heidnischen Polytheismus, dessen Glaube auf Grundlage der Gotteserkenntnis aus der Schöpfung und natürlichen Anordnung der Welt positiv grundgelegt ist.86 Es sind drei Beschreibungen, mittels denen Tertullian den valentinianischen, ‚falschen Glauben‘ charakterisiert. Zum einen beruft er sich auf die Menge und Anzahl der Götter, die dem einen im monotheistischen System 83 Oct. 20,1 [18,6 f. Kytzler]: Exposui opiniones omnium ferme philosophorum, quibus inlustrior gloria est, deum unum multis licet designasse nominibus […]. 84 Vgl. die antithetische Struktur mit a + Ablativ zur Beschreibung des heidnischen Polytheismus, (ad +) Akkusativ als Zielangabe der Bewegung des „polytheistischen Valentinianismus“ und drei Verben mit Endstellung, die eine Bewegung darstellen (suadere – transmovere – retorquere). 85 De limine ist als sprichwörtliche Redensart zu werten, vgl. O TTO, A UGUST, Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Hildesheim: Olms 1988 (= 2. ND Leipzig: Teubner 1890), 193. Zur Übersetzung vgl. auch BLAISE, Dictionnaire LatinFrançais, Art. limen 1, S. 496. 86 Dass er genauso scharf mit der nicht-christlichen römischen Religion ins Gericht gehen kann, zeigt z.B. Apol. 24.
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grundgelegten christlichen Gott widerspricht.87 Tertullian konstatiert, dass neben dem Götterpantheon (turba eorum) zusätzlich die Äonenfülle (alia frequentia) erfunden wird. Die begriffliche Differenzierung (turba/frequentia) markiert die Differenz zwischen den beiden ‚Polytheismen‘.88 Mittels der zweiten Charakterisierung beschreibt Tertullian die Gottheit der Nicht-Christen als eine „einheimische“ (domesticus) 89 und damit zuallererst bekannte und wohl vertraute „Macht“ (principatus). Die jeweils zu verehrende Gottheit ist nicht fremd. Die Gottheit der Valentinianer deutet er dagegen als „unbekannt“ (incognitus) im doppelten Sinne: Zum einen erinnert Tertullian seine Leserschaft spöttisch daran, dass die Valentinianer ihre Gottheit geheim halten. Zum anderen aber findet sich hier ein Hinweis auf die valentinianische Lehre selbst, nach der schließlich der oberste Gedanke der Gottheit (Äon Bythos) als „ungeboren“ (innatus), „unermesslich“ (inmensus), „unbegrenzt“ (infinitus), „unsichtbar“ (invisibile) und „ewig“ (aeternus) und damit – konträr zu domesticus – als „unbekannt“ (incognitus) gilt (vgl. 7,3).90 So kann er knapp resümieren, dass dieser Übergang einer nahezu gewaltsam durchgesetzten Rückkehr (retorquere) von einer bereits offenbaren (manifestus), zu verehrenden, göttlichen Macht zu einer verborgenen (occultus) gleichkommt. Terminologisch rekurriert Tertullian hier auf sein wie ein Grundton das Exordium durchziehendes Kontrastmotiv verborgen/offenbar. Mit einer rhetorischen Frage qualifiziert er daher anschließend die mythologische Konstruktion der Valentinianer lediglich als „Kindermärchen“ (fabula) ab. Tertullian adressiert seine Leserschaft direkt – allerdings mittels der Formulierung in der 3. Person nicht aufdringlich, sondern implizit – und rekurriert auf die persönliche Erinnerung (recordari).91 Damit zielt er auf eine Erfahrung in der jeweils eigenen Kindheit (in infantia), als die Amme (nutricula) „bei Schwierigkeiten mit dem Einschlafen“ (inter somni difficultates) Märchen erzählt hat. Diese als bekannt vorausgesetzte Erfahrung nutzt Tertullian als Dieses Argument findet sich häufiger in Tertullians Werken: vgl. z.B. Adv. Prax. 3,6; Adv. Marc I 5,1. 88 In Adv. Val. 7,8 bezeichnet Tertullian hingegen den valentinianischen Polytheismus mit turba. Vgl. den Verweis auf die häufig synonyme Nutzung (TLL Art. frequentia VI/1 1307,15). 89 Vgl. auch TLL Art. domesticus V/1 1868,73 f. mit Verweis auf die bewusste metaphorische Nutzung an dieser Stelle. 90 Vgl. aber auch Tertullians Charakterisierung der Äonen-Namen als „fremd“ (peregrinus) in 6,1. 91 Dass in der Antike das Ritual des Einschlafens durch das Erzählen von Geschichten, meist durch weibliche Erzählerinnen, geprägt war, belegt HELDMANN, GEORG, Märchen und Mythos in der Antike? Versuch einer Standortbestimmung (Beiträge zur Altertumskunde 137), München 2000, 129–132. Dabei ist die soziale Einbettung noch nicht geklärt. Heldmanns Untersuchung geht von literarischen Zeugnissen aus, um „Erzählgelegenheiten“ zu eruieren, bei denen Geschichten – den Terminus Märchen weist er für diese Zeit ausdrücklich zurück – weitergegeben wurden. 87
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
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amplifizierendes tertium comparationis, um die folgenden beiden Märchen für seine Argumentation zu nutzen.92 Um die Gestalt der Lamia ranken sich Legenden. Sie entstammt der griechischen Mythologie und als Geliebte von Zeus erregte sie Heras Eifersucht. Sie konnte sich in einen Schlangenkopf verwandeln, behielt dabei ihren anziehenden Reiz, raubte die Kinder anderer Mütter und tötete sie, indem sie ihnen das Blut aussaugte und sie anschließend verspeiste. 93 Lamia war damit eine Figur in Erzählungen, die sich als „Kinderscheckgeschichten“ klassifizieren lassen.94 Über die Geschichte „Türme der Lamia“ findet sich keine weitere Erwähnung neben Adv. Val. 3,3, sodass über den genauen Inhalt nur spekuliert werden kann.95 Auch über die Verbindung pectines Solis („Kämme des Sol“) lässt sich keine gesicherte Aussage treffen. Der Webkamm (pecten) ist das Epitheton der Tochter des Sonnengottes Sol, Circe. Das siebte Buch der vergilischen Aeneis beginnt mit einer Anrede des Sprechers an Aeneas’ verstorbene Amme Caieta, deren Erinnerung an jener Küstenregion, ihrem Bestattungsort, geblieben ist, von der Aeneas zu Beginn des siebten Buchs abfährt. Aeneas’ Abfahrt führt vorbei an „Circes Land“, der „Tochter des Sol“ (filia Solis), die in der Nacht „mit schwirrendem Kamm (pecten) durch feines Gewebe fährt“.96 Dass Tertullian diese mythischen Verwandtschaftsbeziehungen kennt, belegt Spect. 8,1, wenn er feststellt, dass der Begriff Zirkus von Circe, der Tochter des Sonnengottes Sol, dem diese Spiele geweiht sind, abgeleitet sei.97 Wenn das angespielte Märchen „Kämme der Sol“ diesem u.a. bei Vergil zu findenden mythologischen Thema verbunden war, ließe sich die nicht detailgenau korrekte Wiedergabe durch den Titel pectines Solis als Hinweis auf den tatsächlichen historischen Umlauf eines solchen Märchens werten, das im 2. Jahrhundert bereits so durch die mündliche Tradition umgeformt war, dass der eigentliche mythologische Hintergrund nicht mehr korrekt wiedergegeben wurde. Thematisch würde Tertullian mit Rekurs auf diese mythologische Geschichte die Opposition Dunkelheit und Licht wiederaufnehmen.98 Des Weiteren ist auf ein von Laktanz überliefertes Zitat des Satirikers Lucilius hinzuweisen, der gegen die Märchen-Gläubigkeit der Römer polemisiert und dabei auf Lamiae 92 Stilistisch nutzt Tertullian den erweiterten Vergleich der similitudo, vgl. dazu HEININGER, BERND, Art. Gleichnis, Gleichnisrede, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 3 (1996), 1000–1009. 93 Vgl. C APONE, Osservazioni sull’ironia di Tertulliano, 231 f.; H ELDMANN, Märchen und Mythos, 93–95.103. 94 Zur Frage nach Märchen und ihrem Sitz im Leben in der Antike, vgl. H ELDMANN, Märchen und Mythos. 95 Vgl. eine Zusammenfassung bei H ELDMANN, Märchen und Mythos, 103 Anm. 65. Fredouille spekuliert, ob die Türme der Rettungsort vor der Menschenfressenden Lamia gewesen sind (DERS., Contre les Valentiniens, 193). Vgl. auch CAPONE, Osservazioni sull’ironia di Tertulliano, 232 Anm. 13 sowie MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 114 mit Parallelstellen in der Antike. 96 Verg., Aen. VII 9–14: Proxima Circaeae raduntur litora terrae, / dives inaccssos ubi olis filia lucos / adsidu resonat cantu, tectisque superbis / urit odoratam nocturna in lumina cedrum / arguto tenuis percurrens pectine telas. Vgl. HORSFALL, NICHOLAS, Virgil. Aeneid 7. A Commentary (Mnemosyne Supplement 198), Leiden/Boston: Brill 2000, 56 f.; CAPONE, Osservazioni sull’ironia di Tertulliano, 232 f., TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 250 Anm. 46. 97 Vgl. dazu auch C APONE, Osservazioni sull’ironia di Tertulliano, 233 Anm. 17. 98 Vgl. dazu auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 114 f.
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rekurriert.99 In diesem Kontext findet sich auch die mythologische Figur des Faunus, den Vergil wiederum in Aen. VII 45–49 als göttlichen Vater des ersten Königs von Latium kennt.100 Auf diesem Hintergrund wertet Capone, der damit eindeutig eine Anspielung auf die vergilische Aeneis sieht, diese Passage als ein textliches Gewebe mit drei Strängen: (1) Der valentinianische Mythos wird mit abschreckenden Kindermärchen verglichen, in denen (2) die Hexe Lamia Kinder entführt und (3) Circe Menschen in Tiere verwandeln vermag. Auf der Hintergrundfolie des auf Vergils Fassung basierenden mythologischen Stoffs werden diese beiden Stränge karikiert, wobei der poetische Text eindeutig dekontextualisiert wird und Tertullian mittels der drei Stränge, die er zusammenführt, eine Parodie bietet. 101
Es bleibt zu fragen, ob die Erklärungen zu Lamiae turres und Pectines Solis als infame Technik von ‚Kinderschreckgeschichten‘, wie sie in der Forschung über die stichwortartigen Anspielungen auf die bei Vergil in Analogie zur homerischen Odyssee und Ilias überlieferten Gründungsgeschichte Latiums mit Mittelpunkt in Rom herausgearbeitet wurden, nicht womöglich bessere Erklärungen bieten, als der Autor selbst wusste.102 Der Vergleich der valentinianischen Lehre mit Kindermärchen zielt offensichtlich auf die Abwertung dieser Lehre als lediglich erfundene Geschichten, die – so ließe sich polemisch konstatieren – bei Einfältigen ebenso anziehend wirkt wie bei Kindern. (3,4) Sed qui ex alia conscientia uenerit fidei, si statim inueniat tot nomina aeonum, tot coniugia, tot genimina, tot exitus, tot euentus, felicitates infelicitates dispersae atque concisae diuinitatis, dubitabitne ibidem pronuntiare has esse fabulas et genealogias indeterminatas, quas apostoli spiritus,103 his iam tunc pullulantibus seminibus haereticis, damnare praeuenit?
Tertullian unternimmt einen dritten Anlauf, bei dem er erneut die Autorität des Apostel Paulus ins Feld führt (vgl. 2,3), um vorerst abschließend mittels des Schrift- und Altersargument die valentinianische Lehre belächelnd als häretischen gegen die Wahrheit stehenden Glauben abzuqualifizieren. Die „andere Glaubenshaltung“ (alia conscientia) markiert zunächst die Abgrenzung zum valentinianischen Glauben. Im Kontext der vorher andeutungsweise thematisierten natürlichen Gotteserkenntnis der Seele (3,2) lässt sich sowohl an den in Lakt., Inst. I 22,13. Vgl. dazu auch CAPONE, Osservazioni sull’ironia di Tertulliano, 233 f. Capone zielt auf ein nordafrikanisches Wissen, das auch Tertullian bekannt gewesen sei. 101 Vgl. C APONE, Osservazioni sull’ironia di Tertulliano, 231–234. Freund dagegen thematisiert in seiner Untersuchung zu Vergil im frühen Christentum diese Stelle aus Adv. Val. 3,3 nicht; allerdings untersucht er nur direkte Zitate Vergils bei den Kirchenvätern. Diese Untersuchung wäre also um eine Untersuchung der indirekten Zitate und Anspielungen zu ergänzen. 102 Man könnte weiter argumentieren, dass Tertullian damit auch implizit den römischen Polytheismus abwertet, den er zuvor als Gegenpol zum valentinianischen als weniger verwerflich dargestellt hatte. Mit der intendierten Abwertung der vergilischen Gründungslegende, die als Karikatur der valentinianischen Fabel (fabula) dient, entzieht er den Römern ihre mythologisch verankerte identitätsbildende Erzählung. 103 1Tim 1,4; Tit 3,9. 99
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der römischen Religion verwurzelten Glauben denken als auch an den für Tertullian durch Paulus repräsentierten autoritativen biblischen, christlichen Glauben.104 Damit schafft er zur vorherigen Abwertung der valentinianischen Lehre als Kindermärchen eine zweite Deutung, die auf der paulinischen Warnung vor Irrlehren beruht.105 Der Konditionalsatz beschreibt diese Erstbegegnung mit dem valentinianischen, in Tertullians Wertung polytheistischen Glauben, und mündet in eine rhetorische Frage, die den ironischen Unterton offenlegt. Tertullian „seziert“106 den die valentinianische Lehre wiedergebenden Mythos geradezu. Das anaphorisch verwendete tot lässt die asyndetische Reihe zunächst atemlos wirken und nimmt die Leserschaft in den Mythos hinein.107 Zum ersten Mal fällt der für die valentinianische Gotteslehre bezeichnende Terminus aeon.108 Der in 3,2 bereits angeklungene Vorwurf der vielfachen Namensgebung erhält hier seine Kontur: Es geht um die vielzähligen Äonen-Namen (nomina aeonum), die Tertullian in der Systemdarstellung näher ausführen wird. Die göttlichen Entitäten treten in der valentinianischen Lehre paarweise auf, sodass coniugia als „eheliche Verbindungen“ wiedergegeben werden kann, 109 und sind hierarchisch, der Vorstellung der Emanation folgend, in der Sprache des Mythos als „Sprösslinge“ angeordnet, wie der von Tertullian geprägte Terminus genimen widergibt, der sich zum ersten Mal in der lateinischen Literatur an dieser Stelle 104 Vgl. z.B. Apol. 39,3. Zu dieser Interpretation vgl. auch R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 127; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 193 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 250 Anm. 47. Dabei gilt die in den Handschriften übereinstimmende Lesart von alia; lediglich Kroymann hat die inhaltlich nicht notwendige Konjektur zu aliqua eingeführt. Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Valentiniana, 51. Zur Wiedergabe des Terminus conscientia vgl. auch TLL Art. conscientia IV/0 364,61 f.: is animi status quo quis alicuius rei sibi ipse conscius est (mit Stellennennung in IV/0 365,11). 105 Pilhofer markiert an dem von Tertullian genutzten „innerkirchlichen Altersbeweis“ die Intention, die Valentinianer nicht nur als solche darzustellen, „denen die Verbindung zu den Ursprüngen der Kirche fehlt“, sondern auch als abhängig „von den Heiden“, sodass deutlich wird, dass „die Lehre der Häretiker [...] nicht aus der kirchlichen Tradition, sondern aus heidnischen Quellen gespeist ist“ (PILHOFER, PETER, Presbyteron Kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte [Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe 39], Tübingen: Mohr Siebeck 1990, 290). 106 Vgl. TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 250 Anm. 48. 107 Die Atemlosigkeit ist dem Stilmittel der percursio geschuldet: Zunächst bietet Tertullian an dieser Stelle einen knappen Durchgang, indem er Momente der valentinianischen Lehre aneinandergereiht aufzählt, die jeweils eine eigenständige Ausführung bedürfen und in der Narratio erhalten werden. An dieser Stelle geht es um die gefühlsmäßige Beeinflussung der Leserschaft. Vgl. dazu auch CZAPLA, Percursio, 748–750. 108 Vgl. den Kommentar zu Adv. Val. 7,3b. 109 Coniuga bildet dabei als Nebenform zu coniux die Übersetzung des griechischen Fachterminus σύζυγος (vgl. zuerst bei Apul., Met.VI 4; VIII 22; IX 14; dazu TLL Art. coniugia IV/0 321,71–77).
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findet. 110 Dabei erzählt der valentinianische Mythos eine Geschichte vom ‚Fall‘ des jüngsten Äons und seine spektakuläre Rettung; aus den negativ bewerteten Emotionen dieses Äons entsteht letztendlich die Welt. Darauf spielt Tertullian mit den Stichworten „Schicksale“ (exitus)111, „Ereignisse“ (eventus)112 und dem wertenden, asyndetisch anschließenden, paronomastisch hervorhebenden und diese Aufzählung vorerst abschließende „Glück- und Unglücksfälle“ (felicitates infelicitates)113 an. Die Charakterisierung der Gottheit (divinitas) als „zerstreut und zerstückelt“ (dispersae atque conscisae)114 – schließlich emaniert sie in der mythologischen Vorstellung in eigenständige Entitäten – lässt den polemischen Unterton Tertullians deutlich vernehmen. Damit prägt er weiter die Verständnisfolie für seine Leserschaft: Die Valentinianer haben nicht einen Gott, sondern ‚zerstückeln‘ diesen in 30 eigenständig agierende Entitäten.115 Die folgende rhetorische Frage gibt die Färbung vor, welche den Argumentationsstrang bestimmt. Weil jemand mit einer biblisch fundierten christlichen Prägung zum Glauben gekommen ist – so wie Tertullian es für sich beansprucht –, kann er gar nicht anders auf eine Begegnung mit solch einer Lehre reagieren, als das paulinische Wort anzuführen. Tertullian instrumentalisiert seine Leserschaft indirekt für seine eigene Position, indem er sein eigenes Verhalten als allgemeingültiges und richtiges Verhalten in Reaktion auf die skizzierte Lehre unterstellt. Als Autorität dient Tertullian „der Geist des Apostels“ (apostoli spiritus). Nicht allein Paulus, sondern der in ihm wirksame Geist bildet die Autorität, die zudem entsprechend dem Prioritäts- und Altersargument
110 Genimen findet sich als Übersetzung von γεννήματα in Mt 3,7 (VL) sowie insgesamt sieben Mal bei Tertullian mit pejorativem Sinn (vgl. neben vorliegender Stelle Anim. 21,4 und Adv. Herm. 12,2). Vgl. dazu auch WELLSTEIN, Nova Verba, 69 f.; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 194 und TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 250 Anm. 48. 111 Vgl. Adv. Val. 10,2; 32,1. 112 Vgl. Adv. Val. 26,1. 113 Den Charakter der Apposition verstärkt das fehlende tot, sowie die längere Ausführung im Gegensatz zur knappen Aufzählung vorher. Dabei ist der Plural von felicitas/infelicitas ungewöhnlich, vgl. TLL Art. felicitas VI/1 428,59; Art. infelicitas VII/1 1360,5. 114 Vgl. bereits die Polemik in Adv. Val. 1,3: quia de multis multa succidere est. 115 Vgl. Adv. Val. 8,4; 23,1; Adv. Marc. I 5,1 sowie die Formulierung mit dispergere in Adv. Val. 1,4 in Bezug auf die valentinianische Argumentationstechnik und die ebenfalls ironische Formulierung in 29,1. Concidere findet sich in diesem Werk nur an dieser Stelle; TOMMASI MORESCHINI deutet darin eine Anspielung auf die Zerstückelung von Dionyus in Eluesis (vgl. DIES., Adversus Valentinianos, 250 Anm. 49).
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als Erster (praevenire)116 die häretischen Lehren als solche erkannt und verurteilt hat.117 Die Phrase fabulae et genealogiae indeterminatae verweist auf 1Tim 1,4a. Tertullian zitiert diesen Halbvers und prägt dabei seine eigene Deutung der Pastoralbriefe. Diese gelten für ihn genuin als authentische Werke von Paulus, sodass er sie häufig in seinem Œuvre zur Verstärkung seiner Argumentation heranzieht. 118 Die Zitation von 1Tim 1,4 bietet einen indirekten Hinweis auf den Tertullian vorliegenden biblischen Text. Insgesamt zitiert er diese Stelle mit variierendem Wortlaut fünfmal in seinen Werken. Das sich an dieser Stelle vorfindende indeterminatus geht dabei als Neologismus auf Tertullian selbst zurück und hat in die Bibelübersetzung der Vetus Latina Eingang gefunden.119 Möglicherweise lässt sich die Varianz an Übersetzungen sowie die terminologische Neuprägung als ein Hinweis auf eine griechische Vorlage und noch keine frühe lateinische Übersetzung des biblischen Texts, die Tertullian vorlag, werten. Aus dieser Anlehnung an die als paulinisch gewerteten Verse in 1Tim 1,4 lässt sich die konsequente Nutzung des bereits geprägten Begriffs fabula zur Bezeichnung der valentinianischen Lehre (vgl. 1,1) erklären.
Tertullian nutzt die Autorität des „Geist des Apostels“ für seinen argumentativen Zweck: Er identifiziert die Gegner, die in 1Tim thematisiert sind, mit seinen eigenen, um die Worte des Apostels als ein eindeutiges Urteil gegen die Valentinianer und ihre Lehre darzustellen. Spricht er in Praescr. 33,8 noch von einem „Erkennen Valentins“ in diesen Worten, in dessen Lehre eine „endlose
Mittels des Verbums venire ist der Bogen zum Beginn der Argumentationslinie gezogen (fidei venerit/praevenit), sodass die „andere Glaubenshaltung“ aus dieser Perspektive als ein in paulinischer Tradition stehender Glaube bestimmt werden muss. Zur Konstruktion von praevenire + Akkusativ vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 196, dort auch weitere Literatur. 117 Die Verbindung spiritus apostoli ist für Tertullian einzigartig. Vgl. auch B ENDER, WOLFGANG, Die Lehre über den Heiligen Geist bei Tertullian (Münchener Theologische Studien 18), München: Max Hueber Verlag 1961, 115–117. 118 Vgl. dazu die Untersuchung von FRISIUS, M ARK A., Tertullian’s Use of the Pastoral Epistles, Hebrews, James, 1 and 2 Peter, and Jude (Studies in Biblical Literature 143), New York: P. Lang 2011. 119 Version X der Vetus Latina speist sich aus Zitaten Tertullians. Für μύθοις καὶ γενεαλογίας ἀπέραντος findet sich fabulis et genealogiis indeterminatis (Adv. Val. 3,4) bzw. indeterminabilis (Praescr. 7,7) und infinits (Anim. 2,7). Für die Zitation von 1Tim 6,4 in Adv. Marc. I 9,7 prägt Tertullian das Adjektiv indeterminabilis. Die Vulgata übersetzt stattdessen mit interminatus. Vgl. zu Tertullians selbstständigen Übersetzung der Pastoralbriefe auch FREDE, Epistulae, 143 f.; FRISIUS, Tertullian’s use of the Pastoral Epistles, 22–30; TLL Art. indeterminatus VII/1 1138,78–1139,19; zur Neuprägung des Begriffs WELLSTEIN, Nova Verba, 94, sowie für weitere Literatur FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 195. Die Heranziehung von 1Tim 1,4 zur literarischen Bekämpfung der Häretiker ist bereits von Irenäus her bekannt: Adv. Haer. I praef. 1. Zur altkirchlichen Deutung der Pastoralbriefe vgl. die Literatur bei SIEBEN, HERMANN JOSEF, Exegesis Patrum. Saggio bibliografico sull’esegesi biblica dei padri della Chiesa (Sussidi Patristici 2), Rom: Istituto patristico Augustinianum 1983, 114. 116
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Genealogie“ an Äonen besteht,120 versteht er an vorliegender Stelle in den biblischen Worte die valentinianische Lehre präfiguriert und die Emanation der Äonen als „endlosen Genealogien“ und die dahinterstehende Lehre als Fabel bereits antizipatorisch verworfen. Dabei bleibt er seiner eigenen Metapher treu, wenn er vom „häretischen Samen“ spricht, der sprießt und wächst (pullulare; vgl. 39,2).121 (3,5a) Merito itaque non simplices, merito tantummodo prudentes, qui talia neque facile producunt neque exerte defendunt, sed nec omnes quos edocent perdocent; utique astute, ut pudenda, ceterum inhumane, si honesta. Et tamen simplices nos omnia scimus.
In seinem die praemunitio abschließenden Resümee agiert Tertullian höchst ironisch und rekurriert dabei auf Termini, die in der bisherigen Argumentation bestimmend waren. In einer als Parallelismus formulierten Konklusion nimmt er die den Valentinianern für seine Argumentation in den Mund gelegte Differenzierung in die Christen um ihn als simplices und sich selbst als prudentes wieder auf.122 Verlief die bisherige Argumentation so, die angenommene, valentinianische Perspektive der Differenzierung zwischen einem als besser bewerteten Teil (prudentes zu sein) und einem qualitativ geringer geschätzten Teil (als simplices zu gelten) als einen tragbaren Zustand anzunehmen, dreht Tertullian diese Wertung nun um. Der adverbial genutzte ablativus modi markiert – in dialektischer Umkehrung zu 2,1 –123 Tertullians eigene Wertung: Die Valentinianer gelten „zu Recht“ (merito) nicht als simplices, weil sie qualitativ mehr sind als Einfältige (2,1). Sie sind vielmehr „nur“ (tantummodo) als „spitzfindig“ (prudentes) zu charakterisieren und stehen aus Tertullians Perspektive vom qualitativ höherstehenden Sein als simplices weit entfernt.124 Stattdessen teilen sie ihr spitzfindiges, überlistendes Wesen mit der Schlange (3,1). 120 Praescr. 33,8, (SC 46, 133,8–134,23 R EFOULÉ/D E LABRIOLLE): Sed et cum genealogias indeterminatas nominat, Valentinus agnoscitur, apud quem Aeon ille nescio qui novi et non unius nominis generat ex sua Charite Sensum et Veritatem; et hi aeque procreant ex se Sermonem et Vitam, dehinc et isti generant Hominem et Ecclesiam de qua prima ogdoade Aeonum exinde decem alii et duodecim reliqui Aeones miris nominibus oriuntur in meram fabulam triginta Aeonum. 121 Auch in Anim. 18,4 findet sich dieses Bild, hinter dem vermutlich das bei Mt 13,24– 30 überlieferte Gleichnis des guten und schlechten Samens steht (vgl. bereits Adv. Prax. 1,6 f.). Dazu vgl. auch O’MALLEY, Tertullien, 69 f. 122 Itaque weist auf eine folgende Konklusion, die sich aus den vorher angeführten Argumenten und Faktoren ergibt. 123 Es fällt die Verbindung zu Adv. Val. 2,1 auf: Wurde dort mit der Formulierung hoc (= simplices) tantum die valentinianische Abwertung der Christen um Tertullian hervorgehoben, findet sich nun in dialektischer Umkehrung, in verstärkter Form (tantum-modo) die tertullianische Wertung der Valentinianer (tantummodo prudentes). 124 Vgl. bereits Tertullians Charakterisierung eines Christen in Adv. Marc. V 19,8 (SC 483, 354,76–81 MORESCHINI/BRAUN): ‘Stulta enim mundi elegit Deus, ut confundat
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Dieses Wesen ist charakterisiert durch zwei Momente, die Tertullian bereits ausführlich traktiert hat. Das qualitative talia rekurriert auf die von ihm als fabula eingeordnete Lehre der Valentinianer. Schließlich „machen sie diese nicht bereitwillig öffentlich“ (qui talia neque facile producunt) – das Stichwort facilis erinnert an den Kontext aus 1,1. Wenn dennoch etwas ihrer Lehre bekannt wird, fehle der Stolz und Mut, diese Lehre „besonders gründlich zu verteidigen“ (neque exerte defendunt), was Tertullian seiner Leserschaft bereits in 1,4 vor Augen geführt hat.125 Auch mit Blick auf die Lehre kann Tertullian abschließend konstatieren, dass nicht nur der Zeitpunkt der Unterweisung – aus seiner Perspektive kann der Akt des Unterweisens (docere), der für ihn wesenhaft zur veritas gehörenden Lehre (doctrina) nicht als zweitrangig gelten (vgl. 1,4) –, sondern auch die Qualität der Unterweisung selbst zu kritisieren gilt, die er mit der Paronomasie von e-/perdocere karikiert.126 Tertullian konstatiert, dass die Valentinianer gar nicht „alle, die sie in der Lehre haben“ (omnes quos edocent) wirklich „belehren“ (nec perdocent). Vielmehr unterstellt er ihnen eine scheinbare Unterweisung in die eigenen Lehrinhalte. Die Art der Unterweisung differiert im Inhalt, wie Tertullian in der im folgenden parallelen, durch ihre elliptische Struktur auffallenden Sentenz polemisch festhält und auch lautmalerisch nachzeichnet – im vorderen Teil erklingt der Vokal „u“, während im adversativen Teil die Vokale „e/i“ überwiegen. „Durchaus verschlagen“ (utique astute) ist ihre Lehre, sofern es sich um
sapientes‘ – ille sine dubio qui ex respectu huius suae dispositionis perditurum se sapientiam sapientium praeminabatur. Hac simplicitate veritatis contraria subtililoquentiae et philosophiae nihil perversi sapere. Vgl. auch SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 274. 125 Producere und defendere weisen terminologisch beide auf die weitere Schrift voraus: Während producere in 33,1 f. diese fabula als Objekt – im Rahmen des Theaters – der Vorführung deklariert, weist defendere hingegen auf die Kampfesrhetorik hin. 126 Dabei ist der Bedeutungsgehalt nur nuanciert unterschieden: Als älteres und aus dem Griechischen entwickeltes Kompositum verstärkt edocere das gewöhnliche Unterrichten (docere) zu einem „gewissenhaften Unterweisen“ (diligenter docere). Nach dem TLL gilt perdocere als Wechselbegriff. Für dieses Kompositum findet sich der Hinweis auf die häufige Verwechslung mit anderen Komposita sowie der Vorliebe im kirchlichen Kontext. Die Bedeutung wird als „gewissenhaftes oder vollständiges Unterweisen, meist durch irgendeine Autorität“ (diligenter vel plene docere, fere quadam auctoritate) angegeben (vgl. hierzu die Einträge im TLL Art. edocere V/2 106,24–32; 109,41; Art. perdocere X/1 1277,63–67; 1278,42 f.). Auch bei Tertullian findet sich perdocere im gesamten Œuvre nur an dieser Stelle. Dies stärkt die These des bewussten klangmalerischen Wortspiels; edocere (mit 22 Vorkommen im gesamtem Œuvre Tertullians) umschreibt in seiner dreifachen Verwendung in Adv. Val. (1,4; 3,5; 11,4) das valentinianische Agieren. Fredouille argumentiert dagegen aus Gründen der Isosyllabie edocere statt docere zu interpretieren. Allerdings muss Fredouille dann die erkennbar differente Nutzung der Komposita begründen (DERS., Contre les Valentiniens, 196).
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Kapitel 2: Adv. Val 2–3: Praemunitio
„Scham besetzte Inhalte“ (pudenda) 127 handelt. Er wirft der gnostischen Gruppe vor, darum zu wissen, dass ihre Lehre nicht mehr als pudenda sei.128 Dass sie zugleich potentiellen Anhängern vorgaukelten, dass ihre Lehre Sinn ergebe, der nach der Einweihung verständlich würde (vgl. 1,1–4), offenbare ihren verschlagenen, gewissenslosen Charakter. Eine Verzögerung der Einweihung in die Lehre wäre aber – sollte es sich bei der Lehre nicht um pudenda, sondern vielmehr um „ehrenhafte Dinge“ (honesta) handeln – aus Tertullians Perspektive „lieblos“ (ceterum inhumane)129. Mit dieser moralischen Wertung zielt er auf eine Abwertung der Art der Unterweisung, die er mit dem Inhalt der Lehre korrelieren lässt, in jeglicher Dimension. So schließt Tertullian diesen ersten Argumentationsgang ab und konstatiert spöttisch, dass trotz aller valentinianischen Geheimhaltungstaten und Verschwiegenheit dennoch alles evident und ersichtlich ist. Schließlich „wissen wir, die Einfältigen, alles“ (et tamen simplices nos omnia scimus). Der erneute Wechsel in die 1. Person Plural sowie die Herausstellung des Subjekts (nos), betont Tertullians Anspruch für sich und die Christen um ihn, simplices und sapientes zugleich zu sein.130 Diesen pointiert er auch an dieser Stelle mit einer gewissen Ironie, wenn zum Status der simplices Wissen (scire)131 unabdingbar dazugehört. (3,5b) Denique hunc primum cuneum congressionis armavimus detectorem et designatorem totius conscientiae illorum, primamque hanc victoriam auspicamur, quia quod tanto impendio absconditur, etiam solummodo demonstrare destruere est.
Diesen argumentativen Durchgang der praemunitio schließt Tertullian vorerst mit einem Verweis auf sein weiteres Vorgehen ab.132 Dabei wechselt er nun in 127 Im TLL wird die Bedeutung von pudendus,-a,-um als notione originaria significatur qualitas fere inhaerens, habitus sim. rei vel personae, qua pudor movetur, sc. fere i. q. turpis, inhonestus, ignominiosus sim bestimmt (Art. pudendus X/0 2480, 54–56). Damit wird inhonestus als Wechselbegriff angegeben und honestus gilt als antithetischer Terminus. Dass Tertullian nicht mit dem gleichen Wortstamm (honestus) arbeitet, liegt an der werkimmanenten Bedeutung, die pud* zukommt. 128 Pudenda verweist sowohl auf die mit Hilfe des Vergleichs mit den Mysterien von Eleusis von Beginn an hervorgerufene Abwertung der valentinianischen Lehre (Adv. Val. 1,1) als auch auf die Erkenntnis der Wahrheit, vor der sich niemand schämen wird (3,2). 129 Inhumane nutzt Tertullian nur achtmal in seinem gesamten Œuvre (davon fünfmal in Adv. Marc.). Vor allem die Formulierung in Virg. Vel. 10,1 ähnelt der vorliegenden Argumentation. 130 Vgl. bereits den Hinweis in Adv. Val. 2,2, mit der Formulierung im Potentialis (et tamen malim meam partem meliori sumi vitio, si forte praestat minus sapere quam peius, errare quam fallere). 131 Im vorliegenden Werk verwendet Tertullian scire lediglich zur Beschreibung des Wissens seiner eigenen Partei (vgl. 1,4; 4,1; 7,3; sowie mythosimmanent 20,3; 21,2; 33,2). 132 Denique verweist darauf, dass nun das vorerst letzte Argument einer Argumentation folgt (vgl. MENGE/BURKHARD/SCHAUER, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik,
2.2. Analyse von Adv. Val. 2–3
217
den Kampfmodus und nutzt spezifisch die Sprache der Kampfesrhetorik. Im resultativen Perfekt konstatiert er die bereits begonnene Bewaffnung und Ausrüstung „des ersten Keils des Angriffs“ (primus cuneus congressionis),133 während „der erste Sieg“ präsentisch formuliert wird und im Moment der literarischen Abfassung dieser Worte „beginnt“ (prima victoria auspicari)134. Die Ordinalzahlen primus/prima evozieren eine Parallelität, die auch durch die anaphorische Vokalgleichheit der Verben betont und zugleich durch die chiastische Stellung mit dem jeweiligen Demonstrativpronomen durchbrochen wird. Im Kontext der militärischen Sprache beschreibt cuneus die Kampfaufstellung in Keilform für den Frontalangriff.135 Tertullian nutzt diesen Terminus mehrfach metaphorisch für den angestrebten literarischen Kampf in seinen gegen Häretiker verfassten Werken, sodass er bildlich auch vom „Keil der Wahrheit“ sprechen kann, mit dem die ganze Häresie verdrängt wird.136 Cuneus congressionis stellt eine einzigartige Verbindung dar. Tertullian nutzt als erster Literat auch congressio mit bildlichem Sinn. Während an vorliegender Stelle der sprachlich mittels der Kampfesrhetorik versinnbildlichte kriegerische Kontext mitzudenken ist (vgl. auch 6,2), findet sich häufiger die Ankündigung einer literarischen Auseinandersetzung.137 Die Explikation als „Darlegung und Offenbarung ihrer ganzen Glaubenshaltung“ (detectorem et designatorem totius conscientiae illorum)138 markiert Tertullians Methodik, der sich selbst als § 162,3). Fredouille übersetzt denique simultan mit itaque. Tommasi Moreschini betont hingegen auch diesen letzten Neueinsatz und übersetzt denique mit „infine“. 133 Die in den Handschriften belegte Lesart im Perfekt ist der Konjektur Kroymanns (armabimus) vorzuziehen. 134 Auspicari wird im nicht religiösen Sinn verwendet, vgl. dazu TLL Art. auspicari II/0 1550,64: incipere, initium facere sowie z.B. die Nutzung in Adv. Marc. IV 21,11; Bapt. 9,4. Dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 197. Victoria nimmt erneut die Sprache der Kampfesrhetorik auf. 135 Vgl. dazu TLL Art. cuneus IV/0 1404,37–1406,25; TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 251 Anm. 52. Eine andere Bedeutungsnuance, im Sinne von „einen ersten Keil einschlagen“, favorisiert BLAISE „nous avons enfoncé ce premier coin (fait cette première objection)“ (DERS., Dictionnaire Latin-Français, armo, S. 97). 136 Adv. Marc. I 21,6 (SC 365, 200,41 f. B RAUN): Hoc enim cuneo ueritatis omnis extruditur haeresis […]. Vgl. auch Resurr. 2,11 und Pud. 5,9 und dazu O’MALLEY, Tertullien, 109. 137 Vgl. dazu TLL Art. congressio IV/0 295,44–57 mit einigen Stellenangaben bei Tertullian. Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 197. 138 Häufig finden sich Neologismen bei Tertullian, die auf -or gebildet sind, mit einer unpersönlichen Übersetzung. In seiner Auseinandersetzung mit Marcion (Adv. Marc. IV 36,10) nutzt Tertullian detector, um im Kontext der Auslegung von Luk 18,35–40 Jesu Christi Rolle näher als Offenbarer des Schöpfergottes zu bezeichnen. Die Wertung Wellsteins, dass dieses Epitheton Jesu „eine Rolle zu[weise], die in der Auseinandersetzung mit einer markionitischen Position entwickelt“ worden ist, muss aufgrund vorliegender Stelle kritisch befragt werden, wenn Adv. Val. – wie gemeinhin datiert – vor der Weiterführung von Adv. Marc., d.h. Buch IV und V, entstanden ist (vgl. DERS., Nova Verba, 184 f., hier
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Kapitel 2: Adv. Val 2–3: Praemunitio
moralische Instanz einspielt und im Folgenden im Modus des Angriffs dieser frontalen Kampfformation agieren will; der Verweis auf conscientia rekurriert auf die Glaubenshaltung und Lehre der Valentinianer aus 1,1 und 3,4. Tertullian argumentiert, dass im Folgenden die erste Reihe der Kampfformation ausreichen wird, um die valentinianische Lehre zu „zerstören“ (destruere). Literarisch genügt ihm daher einzig eine ausführliche Narratio (vgl. auch 6,1–3), in der er die valentinianische Lehre allein „zeigen“ (demonstrare, vgl. demonstratio in 6,1) wird, indem er sie nacherzählt und enthüllt. Darin liegt aus seiner Perspektive die unwiderrufliche Destruktion der Lehre, deren „Sieg“ für ihn in diesem Moment der Abfassung des Werkes und der Rezeption durch seine Leserschaft beginnt. Schließlich enthüllt er die Lehre, „die mit so großem Aufwand verborgen und geheim gehalten wird“ (quod tanto impendio absconditur), weil sie aus seiner Perspektive nichts anderes als eine fabula ist, deren Inhalt voller sexueller Anzüglichkeiten und christlich stilisierte polytheistischer Gedanken ist. Für ihn kann die öffentliche Darstellung der Lehre nichts anderes als deren märchenhafte Haltlosigkeit erweisen. Daher folgt in Adv. Val. 7–39 keine klassische Narratio, sondern vielmehr eine Mischform aus erzählender Darstellung und tertullianischer widerlegender Polemik, was er in der Metaphorik der Kampfesrhetorik benennt: destruere markiert das rhetorische Moment des refutare auf literarischer Ebene;139 die Alliteration von demonstrare und destruere verdeutlicht diese vorliegende literarisch synonyme Bedeutung.
192). Vgl. dazu auch TLL Art. detector V/1 792,55–59 sowie zur Datierung TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus, 466 f. Wellstein führt die vorliegende Stelle gar nicht auf. Das ebenfalls als Neologismus zu wertende Verbalsubstantiv designator findet sich dagegen lediglich an dieser Stelle in Tertullians Œuvre. Zu diesem Terminus, den Wellstein in seiner Untersuchung nicht behandelt, vgl. TLL Art. designator V/1 714,64–70. 139 Dass sich refutare nicht in Adv. Val., allerdings zahlreich in den anderen Werken Tertullians findet, bestätigt diese terminologisch bewusste Setzung. Zur rhetorischen Bedeutung im Sinne von refutare seit Quint. und häufiger bei Tert. vgl. TLL Art. destruere V/1 774,53.58–81; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 197 f.
3.1. Funktion von Adv. Val. 4–5
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Kapitel 3
Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer in ihrer gruppeninternen Diversität und Absicherung der Quellengrundlage 3.1. Funktion von Adv. Val. 4–5 innerhalb des Exordiums 3.1. Funktion von Adv. Val. 4–5
Tertullian nutzt eine kurze Skizze zur Geschichte der Valentinianer, soweit sie ihm bekannt ist, um sowohl die Differenz zwischen dem Namensgeber Valentin, zu dem er Informationen bietet, die in keiner anderen Quelle belegt sind (4,1), und Ptolmäus als Autor der vorliegenden Lehre (4,1 f.; vgl. Adv. Val. 7– 32) herauszustellen1 als auch die Transformation dieser Lehre und Varianz der vielen Lehrmeinungen zu begründen (4,2–4; vgl. 33–39). Tertullian führt weitere Valentinianerpersönlichkeiten namentlich an (4,2 f.), die nicht mit den Autoren der in 33–39 tradierten Lehrvarianzen verbunden werden. 2 Belegt die kurze historische Skizze die Existenz der Valentinianer, begründet Tertullian in Adv. Val. 5 seine Verpflichtung, diese von ihm vorgefundene Lehre wahrheitsgemäß zu tradieren. Dazu rekurriert er auf die ihm vorliegenden Quellen; neben den Hinweis auf valentinianische Schriften führt er vier Theologen, die sich literarisch gegen die Valentinianer und ihre Lehre gewandet haben, namentlich an (5,1) und befreit sich präventiv vom Fiktionalitätsvorwurf (5,2).
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5 3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
3.2.1. Adv. Val. 4: Valentin und die Valentinianer (4,1a) Novimus, inquam, optime originem quoque ipsorum et scimus cur Valentinianos appellemus, licet non esse videantur. Abscesserunt enim a conditore, sed minime origo deletur, et si forte mutatur: testatio est ipsa mutatio.
1 Dass es sich dabei um die Lehre der Schüler des Ptolemäus handelt, auf die diese Lehre zurückgeht, stellt Tertullian in Adv.Val. 33,1 heraus; vgl. dazu auch 8.2. 2 Die in 33–39 tradierten Lehren finden sich ebenfalls bei Irenäus, während dieser die vorliegende Zusammenfassung so nicht überliefert.
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
Tertullian skizziert im Folgenden knapp die Geschichte der Valentinianer, um sie für seine argumentativen Zwecke fruchtbar zu machen.3 Mit der Formulierung in der 1. Person Plural vereinnahmt er seine Leserschaft in sein Wissen um diese Gruppe, das er rhetorisch mit inquam bekräftigend unterstreicht, und konstatiert eine allgemeine Kenntnis über den Ursprung (origo) der Valentinianer, der sich in der Bezeichnung widerspiegelt, die Tertullian verwendet (Valentiniani). Damit konterkariert er zugleich auch den Anspruch auf Geheimhaltung, den er den Valentinianern unterstellt (vgl. Adv. Val. 1). Ohne den Inhalt seines Wissens sofort offenzulegen,4 spielt Tertullian mit diesem Hinweis und baut eine Spannung auf. Sarkastisch konkludiert er, dass die von ihm und den Christen um ihn verwendete Bezeichnung Valentiniani eigentlich unrechtmäßig sei, weil diese trotz ihres Namens „keine zu sein scheinen“ (licet non esse videantur). Damit markiert er eine Differenz zwischen der Gruppe der Valentinianer zu seiner Zeit, deren Bewegung in eine Pluralisierung der Lehre geführt habe (vgl. 4,2–4 sowie die folgende Darstellung in der Narratio 7–32.33–39), und ihrer ursprünglichen Stifterperson Valentin (conditor), von dem her die Valentiniani ihren Namen tragen; zu ihm bietet Tertullian im Folgenden weitere biographische Informationen (4,1b). Einschränkend weist er zwar darauf hin, dass trotz großer Entfernung (abcesserunt) der Ursprung und damit der eigentliche Kern der Lehre niemals gänzlich ausgelöscht wird (minime origo deletur), wohl aber Veränderungen erfährt (et sie forte mutatur), die er insbesondere in Adv. Val 33–39 darstellt. Das im Hintergrund stehende methodische Grundprinzip markiert die Sentenz, nach der „Bezeugung selbst auch immer schon Veränderung“ sei (testatio est ipsa mutatio).5 (4,1b) Speraverat episcopatum Valentinus, quia et ingenio poterat et eloquio, sed alium ex martyrii praerogativa loci potitum indignatus de ecclesia authenticae regulae abrupit, ut solent6 animi pro prioratu exciti praesumptione ultionis accendi.
Tertullian bietet Doxographisches zur Person Valentins, das über seine Zeit in der römischen Kirche und von der Abkehr von dieser berichtet.7 Das durch das
3 Zu Namen, Selbstverständnis und Bezeichnung der Valentinianer sowie Frage der Historizität vgl. Kapitel 8. der Einleitung. 4 Novi konstatiert das Moment des Wissen-Erlangt-Habens. Zu dem von Tertullian bewusst gewählten scire vgl. bereits den Kommentar zu Adv. Val. 3,5 mit Anm. 162. 5 Rhetorisch hebt Tertullian den sentenzenhaften Charakter dieser letzten Äußerung (testatio est ipsa mutatio) auch durch das Homoioteleuton (testatio/mutatio) hervor. Zur im Hintergrund stehenden aristotelischen Idee, die Tertullian auch in anderen Kontexten rezipiert, vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 200. 6 Ut solent wird inhaltlich mit fieri ergänzt (so häufig bei Cicero vgl. G EORGES, Der neue Georges, soleo I, Bd. 2, Sp. 4431). 7 Hier liegt Detailwissen vor, das kein anderer Schriftsteller so überliefert. Vgl. dazu die Untersuchung von MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 303–311.
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
221
Plusquamperfekt die historische Distanz betonende vorangestellte speraverat schildert Valentins einstige Aussicht auf die römische Bischofswürde (episcopatum); sperare impliziert zugleich die Hoffnung auf dieses Amt, die dann enttäuscht wurde. Ursprünglich gehörte Valentin zur Kirche, die Tertullian näherhin als diejenige „der wahrhaftigen Glaubensregel“ (ecclesia authenticae regulae) bezeichnet und damit in seinen Augen als rechtgläubig bewertet. Die Umschreibung ecclesia authenticae regulae verhilft ihm ein Differenzmerkmal zwischen der christlichen Gruppe, zu der er sich selbst zählt, die er als der Wahrheit verpflichtet charakterisiert und deren Lehre er in der regula veritatis bzw. regula fidei zusammengefasst sieht, und denjenigen, die außerhalb dieser Kirche stehen, zu benennen. Zudem steht das chronologische Argument der ursprünglichen, in der Kirche gelebten christlichen Lehre (authentica) im Gegensatz zur später entstandenen, dieser einen Wahrheit widersprechenden, häretischen Lehre im Hintergrund.8Als positive Begründung führt Tertullian Valentins „Begabung und Redegewandtheit“ (ingenium, eloquium) 9 an. Markschies argumentiert dafür, dass diese rhetorische Hochschätzung des eloquium Valentins und Herausstellung seines ingenium historisch wahrscheinlich ist.10 Grund für Valentins aktive Abwendung von der ecclesia authenticae regulae, die Tertullian als eine „gewaltsame Trennung“ (abrupit) beschreibt, soll der Vorzug eines anderen für dieses Amt gewesen sein, der „durch den Vorrang des Martyriums diesen Rang erlangt hatte“ (alium ex martyrii praerogativa loci potitum)11. Diese für Tertullian ungewöhnliche Verwendung des Terminus martyrium meint einen confessor, der aufgrund seines Glaubens schmerzhafte Verfolgungen überlebt hat.12 Die chronologische Einordnung und namentliche Fixierung dieses Valentin vorgezogenen confessor muss offenbleiben.13
8 Vgl. z.B. auch Adv. Marc. V 19,1; Apol. 47,10. Authentica stammt ursprünglich aus der juristischen Sprache und wird von Tertullian auch in anderen Kontexten zur Charakterisierung der wahren Lehre oder ihrer Stellvertreter verwendet, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 201; TLL Art. authenticus II/0 1598,49 f. 9 Anders charakterisiert Tertullian in Adv. Val. 5,1 den Montanisten Proculus mit dem synonymen eloquentia (vgl. dazu TLL Art. eloquentia V/2 412,46), das deutlich seltener verwendet wird und die Besonderheit des Proculus und seiner Redegewandtheit hervorhebt. 10 Vgl. DERS., Valentinus Gnosticus?, 306 f. (mit Verweis auf eine auf Historizität hinweisende Diskrepanz in Tertullians Aussagen zum Abfall aus der Kirche in Praescr. 3,2 f. und an vorliegender Stelle). 11 Zur Bedeutung von locus als Rang „in der Reihung der christlichen Kleriker“ (in ordine clericorum christanorum) vgl. TLL Art. locus VII/2 1590,44 f. 12 Zum Terminus bei Tertullian vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 201, die Studie von BUTTERWECK, ‚Martyriumssehnsucht‘ sowie MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 308 Anm. 104. 13 Weitere Argumenten zur historischen Belastbarkeit bei M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 307–309. Zum einen muss sozialgeschichtlich geklärt werden, ab wann ein solches gemeindeübergreifendes monarchisches Bischofsamt für Rom anzusetzen ist. Zum
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
Tertullian berichtet, dass dieser Vorzug in eine tiefe Verärgerung Valentins mündete (indignatus), und charakterisiert Valentin implizit „als äußerst ehrgeizigen und ‚karrierebewussten‘ Theologen“ 14 . Mit indignor und abrumpo skizziert Tertullian ein Valentin-Bild, das sich durch beleidigte Erzürnung und verletzten Narzissmus in der Verärgerung über die Anerkenntnis des Vorzugs eines anderen Theologen sowie impulsiver Vehemenz in der gewaltsamen Trennung von der ursprünglich eigenen Gemeinschaft auszeichnet. Historisch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, zu bezweifeln, dass Valentin ursprünglich zur ecclesia authenticae regulae gehört und dort seine Lehre vertreten hat. Schließlich findet sich keine Quellennotiz über einen Ausschluss Valentins aus der römischen Kirche und auch vorliegende Information beschreibt ein aktives Abwenden Valentins selbst, sodass davon auszugehen ist, dass seine Lehre nicht der regula veritatis widersprach.15 Die Bischofsnotiz hingegen wird eher als antihäretischer Topos zu werten und rhetorisch als Verleumdungstechnik einzuordnen sein.16 Diese tertullianische Notiz schwebt zwischen der „Beschreibung eines historischen Vorgangs“, deren Wahrheitsgehalt leider kaum zu verifizieren ist, und „eine[r] zu aller Zeit von bedeutenden Personen erzählte[n] Klatsch- und Skandalgeschichte“17, die ihren Kern möglicherweise gerade in der Zugehörigkeit Valentins zur ecclesia authenticae regulae hat, in der er Autorität als Lehrer besaß und mit einer realen Chance auf das leitende Bischofsamt eine Wahlniederlage erlitten hat.18 Polemisch schließt Tertullian diese doxographische Notiz vorerst mit einem verallgemeinernden Vergleich (ut solent animi) ab.19 Animi symbolisieren pars pro toto Persönlichkeiten, auf welche die Valentin anderen finden sich sehr verschiedene chronologische Angaben zum historischen Gegenkandidaten. 14 M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 306. 15 So auch die These von M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 307. 16 Barnes verbindet diese Verleumdungstechnik mit Strategien in der Zweite SophistikBewegung, die Tertullian auch auf Praxeas anwendet (vgl. Adv. Prax. 1,4 f.; BARNES, Tertullien, 216). Zur auffällig parallelen Konstruktion Valentins und Markions vgl. Praescr. 30,1 f., wonach Valentin zur Regierungszeit von Antonius Pius in der römischen Gemeinde, zunächst innerhalb der „Lehre der katholischen Kirche“ (in catholicae primo doctrinam credidisse) lebte, bis es zu einem wiederholten Ausstoß „wegen ihrer [Marcions und Valentins] unruhigen Wißbegierde, durch die sie auch die Brüder in die Irre führten“ (donec ob inquietam semper curiositatem, qua fratres quoque vitiabant), kam und im endgültigen Ausschluss mündete. Dazu auch LIEU, Marcion, 57. 17 M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 307 f. 18 M ARKSCHIES führt als Indizien dafür, dass Valentin möglicherweise bereits als Prediger Vorsteher einer römischen Gemeinde war und die Leitung der Gesamtgemeinde anstrebte, die Entstehung einiger Fragmente Valentins in Rom an (vgl. DERS., Valentinus Gnosticus?, 310 Anm. 112 f.). 19 Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 201 f.; TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 252 Anm. 57.
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
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zugeschriebene Charakterisierung zutrifft: Ein gewisser Narzissmus lässt sie „den führenden Platz“ (pro prioratu exciti)20 einnehmen wollen, während eine Ablehnung dieser anmaßenden Selbstzuschreibung (praesumptio) sogleich in „entflammende Rachsucht“ (ultionis accendi)21 umschlägt.
20 Prioratus kommt im Ganzen sehr selten vor, zuerst bei Tertullian an dieser Stelle (vgl. TLL Art. prioratus X/2 1372,10–19; WELLSTEIN, Nova Verba, 303). Excire, das im übertragenen Sinn accendere, incitare und sollicitare nahe kommt (vgl. TLL Art. excire V/2 1247,7–35 mit Stellenangabe 24 f.), findet sich ebenfalls lediglich hier in Tertullians Werk (vgl. CLAESSON, Index Tertullianeus, 555). 21 Die Verbindung praesumptio und ultio findet sich nur an vorliegender Stelle (vgl. dazu die Deutung im TLL Art. praesumptio X/2 969,25, praesumptio als de praesensione vel expectione futurorum; so auch in Cult. Fem. II 2,15). Markschies interpretiert dies als „Hartnäckigkeit“ (vgl. dazu auch GEORGES, Der neue Georges, praesumptio II.d, Bd. 2, Sp. 3814).
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
(4,2a) Ad expugnandum conversus veritatem et cuiusdam veteris opinionis semen nactus, colubro suo22 viam delineavit. 22 Vorliegende Stelle ist schwierig und vermutlich korrupt überliefert, möglicherweise liegt sogar eine Lacuna vor. In der Textgeschichte finden sich verschiedene Konjekturvorschläge. Die Handschriften lesen semini nactus sowie das Hapaxlegomenon colubroso (vgl. TLL Art. coluber III 1729,31–33) und bezeugen damit einen „schlangenartigen Samen“. Gegen diese sonst nicht belegte Konstruktion ist der Konjektur des Latinius (von 1584) zu folgen (so auch Kroymann, Fredouille, Marastoni, Tommasi Moreschini und Markschies), der statt eines Dativs zum Nominativ konjiziert und damit die syntaktische Verbindung zu colubroso aufsprengt. Der Vorschlag Oehlers (und in seiner Folge Rileys [vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 128]) ist mit Verweis auf einen stärkeren Eingriff in den Textbestand (semitam nactus) abzulehnen; Bulhart vertritt zudem die Konjektur semini inactus: vgl. zu beiden FREDOUILLE, Valentiniana, 51 f. Anm. 5. Allerdings ist auch die Überlieferung colubroso zu diskutieren: Anstelle dieser singulären Namensform ist mit Marastoni und Markschies dem Konjektur-Vorschlag Kroymanns zu folgen, der mit wenig Eingriff und Veränderung des Wortbestands zu colubro suo ändert (vgl. auch QUISPEL, GILLES, Valentinus and the Gnostikoi, in: Vigiliae Christianae 50 [1996], 1–4, 3). Damit nimmt Tertullian das bereits bekannte Bild der Schlange wieder auf (vgl. Adv. Val. 2,1.4; 3,1 serpens für die Valentinianer), variiert aber seinen Sprachgebrauch (so auch Markschies), was nicht ungewöhnlich ist (vgl. z.B. die insgesamt 36 Vorkommen von serpens und 11 für coluber, die mehrfach beide im selben Werk vorkommen, dazu CLAESSON, Index Tertullianeus, 238.1477). Zugleich wird auch auf dieser bildlichen Ebene zwischen Valentin als „erste, den Weg bereitende Schlange“ (coluber) und den Valentinianern differenziert, die als Schlangen ihrem Gründer folgen (serpens). Zuletzt kann im Hintergrund auch die irenäisch Stelle stehen, der die valentinianische Schule als Hydra bezeichnet (vgl. Adv. Haer. I 30,15). Gegen den von Fredouille aufgenommenen Konjekturvorschlag des Latinius (vgl. auch RILEY, aaO., 128 f. und TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 227 Anm. 74), der den Namen Colorbaso liest, sind mehrere Argumente einzuwenden – kurz sei darauf hingewiesen, dass sich für Harnack diese Frage gar nicht stellt (vgl. DERS., Zur Quellenkritik, 1873, 66 Anm. 2; 1874, 204 f.): Bildet diese Lesart eine Konjektur gegen die gute Bezeugung der Handschriften, greift deutlich stärker in den Textbestand ein und steht gegen das Argument der lectio brevior, ist vor allem die inhaltliche Begründung, die Fredouille maßgeblich anführt (vgl. DERS., Valentiniana, 51–53), zu befragen. Als Grundlage gilt die Irenäus-Notiz zu Marcus Magus (Adv. Haer. I 14,1), in der er von der „Sige des Colorbasus“ spricht. Förster hat nachgewiesen, dass es sich bei diesem Colorbasus, der sich noch in deutlich späteren Quellen (z.B. Ps.-Tert., Adv. Haer. 5,2; Epiph., Pan. 35) findet, vermutlich nicht um einen Gnostiker und Valentinianer handelt, als vielmehr möglicherweise (!) um einen namentlich bekannten Erfinder des Zukunftsweisungsverfahrens der Gematrie. Ob diese These, die Förster auf einer Notiz Hippolyts basiert, haltbar ist, bleibt an anderer Stelle zu klären. Warum sollte die Gnostiker-Zuschreibung, die auch Hippolyt vornimmt, nicht belastbar, die zur Gematrie allerdings sehr wohl wahr sein? Zudem zieht Förster die mögliche Lesart von vorliegender Tertullian-Stelle in seiner Diskussion nicht heran. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Lesart Colorbasus neben philologischen Einwänden auch aus inhaltlichen Gründen äußerst unwahrscheinlich ist; schließlich gilt Colorbasus in allen anderen Quellen als Nachfolger des Ptolemäus, wird in einem Atemzug mit Marcus Magus und Secundus genannt und ist kein direkt auf Valentin folgender Gnostiker (vgl. FÖRSTER, NICLAS, Marcus Magus. Kult, Lehre und Gemeindeleben einer valentinianischen
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
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Tertullian widmet sich nun in einer kurzen Beschreibung der Fortführung und Sukzession der Lehrerpersönlichkeiten, von denen er einige namentlich anführt, und bietet damit zugleich eine polemische Deutung seiner Sentenz testatio est ipsa mutatio (4,1). Als Subjekt agiert weiterhin Valentin, der allerdings nicht mehr namentlich genannt wird. Sarkastisch konstatiert Tertullian zunächst, dass Valentin sich „dazu entschlossen habe, die Wahrheit zu bekämpfen“ (ad expugnandum conversus veritatem). Damit konstatiert er nicht nur die Entfernung Valentins von der einen christlichen Wahrheit, sondern unterstellt ihm mit Hilfe der verbalen Formulierung eine aktive Komponente, mit der er die veritas christiana, die Tertullian für sich und die Christen um ihn beansprucht, mit häretischem Gedankengut überwinden und bekämpfen wollte, und stilisiert diesen zum klar konturierten Feindbild.23 Über Ursprung und Inhalt der Lehre weiß Tertullian nur zu berichten, dass Valentin „den Samen irgendeiner alten Meinung erlangt habe“ (cuiusdam veteris opinionis semen nactus) 24 . Diese Notiz entspricht der Information bei Irenäus, der über Valentin schreibt, dass er „der erste von der sogenannten gnostischen Häresie ist, der die Prinzipien (lat.: alten Lehren) in eine eigene Gestalt der Schule transferierte“25. Dass die von Valentin aufgenommene „alte Meinung“ für Tertullians Sicht diametral zur Wahrheit steht, belegt auch Ad Nat. I 5,6: Schließlich bestehe „ein großer Unterschied zwischen einer bloßen Meinung und der Wahrheit“26 (vgl. auch Adv. Val. 1,2). In der Forschung finden sich konträre Deutungen darüber, was unter semen veteris opinionis zu Gnostikergruppe. Sammlung der Quellen und Kommentar, Tübingen: Mohr Siebeck 1999, 168–173, dort auch mit weiterer Literatur; seine These bestätigt THOMASSEN, Spiritual Seed, 241). Das Argument, dass sich an dieser Stelle Tertullians (bzw. der Kopisten) Unwissenheit über die Gnostiker zeige (so z.B. RILEY, aaO., 129), wäre ebenso umgekehrt auf die Lesart Colorbasus anwendbar. Gegen weitere vorgeschlagene Lesarten vgl. die Diskussion bei FREDOUILLE, Valentiniana, 51–53 sowie MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 304 Anm. 74. 23 Vgl. die gleiche Formulierung in Anim. 34,2 (VCS 100, 49,14–17 W ASZINK): Simon Samarites [...] conversus ad veritatis expugnationem; sowie das gleiche Motiv in Praescr. 41,4 (SC 46, 147,10–12 REFOULÉ/DE LABRIOLLE): Nihil enim interest illis, licet diversa tractantibus, dum ad unius veritatis expugnationem conspirent. Bereits Quint., Inst. XII 1,33: nisi aliquando vis ac facultas dicendi expugnat ipsam veritatem? 24 Zur Lesart vgl. den textkritischen Kommentar Anm. 22. Von Marcion schreibt Tertullian, dass er „den Brief des Paulus an die Galater vorgefunden habe“ (Adv. Marc. IV 3,2 [SC 456, 72,6 MORESCHINI/BRAUN]: sed enim Marcion nactus epistolam Pauli ad Galatas). 25 Iren., Adv. Haer. I 11,1 (SC 264, 167,1197–1199/166,4–6 R OUSSEAU/D OUTRELAU): Ὁ μὲν γὰρ πρῶτος, ἀπὸ τῆς λεγομένης Γνωστικῆς αἱρέσεως τὰς ἀρχὰς εἰς ἲδιον χαρακτῆρα διδασκαλείου μεθαρμόσας, Οὐαλεντῖνος, ὅυτως ὡρίσατο./Qui enim est primus ab ea quae dicitur gnostica haeresis antiquas in suum characterem doctrines transferens Valentinus. 26 CChr.SL 1 16,27 f. B ORLEFFS: Multum distantiae inter crimen et nomen, inter opinionem et veritatem.
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
verstehen sei. Während auf der einen Seite von einer Anspielung auf eine vorvalentinianische gnostische Lehre ausgegangen wird, die Valentin aufgenommen und zur Grundlage seiner Schulbildung gemacht hat,27 wird auf der anderen Seite eine Anspielung auf den Platonismus gedeutet, in dem Valentin zu verorten ist.28 Markschis hat in seiner Studie Valentinus Gnosticus? das herkömmliche Valentin-Bild auf den Prüfstand gestellt und argumentiert, dass „der Valentin der Fragmente [...] kein Valentinianer“29 war. Weder kann geklärt werden, in welche Schaffensphase Valentins diese Fragmente fallen, ob also ein späterer Bruch z.B. im Zusammenhang mit seinem Wirken in Rom anzunehmen ist, in dessen Folge Valentin sich inhaltlich anders als in den erhaltenen Fragmenten positioniert hat, daraus ‚die valentinianische Schule‘ stiften konnte und dabei möglicherweise bereits vorliegendes gnostisches Gedankengut aufnahm – Markschies lehnt dies mit den aus Adv. Val. 4,1 erarbeiteten Argumenten zu Recht ab.30 Noch lässt sich der geistige Hintergrund Valentins klar fixieren. Allerdings zeigt Markschies die philosophische Bildung und Fertigkeit Valentins auf, die neben platonischer Kenntnis mittelplatonische Gedanken annehmen lasse, und spricht von einem „verwässerten Platonismus“ Valentins, wie er sich auch bei zeitgenössischen Theologen finde.31 Es lässt sich festhalten, dass auch bei dieser Aussage ein Ineinander aus historischem Faktum und polemischen Vorgehen Tertullians zu beobachten ist. Allerdings fällt auf, dass er seine plakative Zuordnung Marcions zur Schule der Stoa und Valentins zu der des Platonismus (vgl. Praescr. 7,3; 30,1) nicht wiederholt. Die Ausführungen münden in Tertullians Wertung, Valentin habe „seiner Schlange“ (colubro suo)32 „den Weg skizziert“ (viam delineavit). Damit rekurriert er auf ein bereits bekanntes Bild, wenn in Adv. Val. 2 f. die Schlange die Gruppe der Valentinianer symbolisiert, die sich von den metaphorisch als Taube gedeuteten Christen um Tertullian unterscheiden. Dass die lateinischen Termini für Schlange differieren, lässt sich neben einer stilistisch begründeten terminologischen Varianz als feine Differenzierung zwischen der von Valentin 27 Vgl. TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 252 Anm. 58 oder auch QUISPEL, Valentinus and the Gnostikoi, 4. Allerdings fehlt bislang jeder Quellenbeweis, der die Evidenz einer vorvalentinianischen Gnosis bestärkt. Und alle Informationen über eine solche Früh-Phase stammen von Autoren, deren Intention die Bekämpfung gnostischen Gedankenguts war und für deren Argumentation z.B. eine Offenlegung einer lückenlosen Sukzessionskette dieser Gedanken und Vertreter notwendig war, um die Differenz zur eigenen Lehre herauszustellen. 28 Vgl. z.B. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 203 f.; M ARKSCHIES, Nochmals: Valentinus und die Gnostikoi, 183–185. 29 D ERS., Valentinus Gnosticus?, 405. 30 Vgl. M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 366 Anm. 226. 31 Zur Begründung vgl. M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 157–164.310 f.324–331, hier 329. 32 Zur Lesart vgl. Anm. 22.
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
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gestifteten Lehre (personifiziert als coluber) und den ihm in ihrer Lehre divergierenden Valentinianern (als serpentes) erklären. 33 Diese Deutung unterstreicht die Metapher der „Wegskizze“ (viam delineavit)34. Valentin habe eine Skizze oder Vorzeichnung des Weges angefertigt, sei diesen ‚Schlangen-Weg‘ aber nicht selbst gegangen. Vielmehr betreten diesen die Valentinianer, denen diese Skizze als Grundlage ihres ‚Gemäldes‘ dient. Auch diese Metapher betont die Kontinuität der Nachfolger vom ursprünglichen Stifter bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung und Entfernung von der Lehre (vgl. 4,1).35 (4,2b) Eam postmodum Ptolemaeus intravit, nominibus et numeris aeonum distinctis in personales substantias, sed extra deum determinatas, quas Valentinus in ipsa summa divinitatis ut sensus et affectus, motus incluserat. Deduxit et Heracleon inde tramites quosdam et Secundus et magus Marcus.
Tertullian verbleibt in der Metapher der Wegbereitung; schließlich hätten weitere Protagonisten diesen bereits skizzierten Weg beschritten, die er nun namentlich vorstellt. Ptolemäus 36 hat in zeitlicher Kontinuität „bald darauf“ (postmodum) diesen Weg Valentins „betreten“ (intravit) und Heracleon37 ist „von da aus gewisse Pfade hinabgezogen“ (deduxit et Heracleon inde tramites quosdam) – auch hier bleibt Tertullian seiner Metaphorik treu. Lediglich
Vgl. auch Scorp. 1,5 (CChr.SL 2, 1069,8 f. REIFFERSCHEID/WISSOWA): Valentiniani proserpunt. Quispel verweist zudem auf die Bedeutungsnuance der Hydra von Lerna (DERS., Valentinus and the Gnostikoi, 3). 34 Zur Bedeutung von delineare gibt der TLL describere und adumbrare an (Art. delineare V/1 458,13). 35 Vgl. auch M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 305. 36 Von Ptolemäus ist der „Brief an Flora” enthalten, überliefert bei Epiph., Pan. 33,3–7. Über seine Person und Vita ist nichts bekannt außer seiner Wirkungszeit in Rom. Es wird diskutiert, ob der Valentinianer identisch mit dem bei Justin erwähnten christlichen Lehrer ist, der unter der Präfektur von Urbicus den Märtyrertod erlitten hat (vgl. 2Apol. 2,1–10). Dieser Ptolemäus wird weder mit dem Valentinianer identifiziert noch abgewertet; da Justin sich in Dial. 35 gegen die valentinianische Lehre positioniert, ist diese Identifizierung lediglich unter dem Vorbehalt möglich, dass die früher abgefasste Schrift 2Apol in eine Zeit fällt, in der Justin weder die valentinianische Lehre noch die Zugehörigkeit des Ptolemäus zu dieser Gruppe bekannt war (vgl. unter starkem Vorbehalt MARKSCHIES, Valentinian Gnosticism, 425 Anm. 100). Dass das bei Irenäus porträtierte (Adv. Haer. I 1,1–8,5) und sich bei Tertullian (Adv. Val.) erneut findende valentinianische System auf die Schüler der Ptolemäus zurückgeht und eine Weiterentwicklung in Bezug auf den „Brief an Flora“ darstellt, ist unumstritten (vgl. dazu 7.2. der Einleitung). 37 Herakleon gilt als Schüler Valentins (Orig., Comm. in Joh. II 14,100), Fragmente seiner Lehre überliefern Origenes und Clemens. Hippolyt führt Heracleon gemeinsam mit Ptolemäus als führenden Vertreter der italischen Schule an (Ref. VI 35,5–7); zugleich entspricht seine Lehre nach dem von Thomassen aufgestellten Schulschema eher der ‚östlichen Lehre‘ (vgl. DERS., Spiritual Seed, 495). 33
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syndetisch mit et angebunden, ohne eine nähere Charakterisierung folgen die Nennungen von Secundus38 und Marcus, den Magier39. Einzig zu Ptolemäus bietet Tertullian ein inhaltliches Merkmal seiner Lehre in Differenz zu Valentin; diese Notiz ist singulär in den erhaltenen Quellenschriften. Interessant ist an dieser Stelle ein argumentum ex silentio: Im vorliegenden Exordium findet sich keine Aussage zur möglichen Ausdifferenzierung der Valentinianer in „zwei Schulen und zwei Kathedren“, die Tertullian innerhalb der Narratio im Kontext der Lehrdarstellung und dem Bericht von der Emanation von Christus und dem Heiligen Geist einzeichnet. Der fehlende Hinweis an dieser Stelle bildet ein gewichtiges Argument für eine wenig historisch belastbare Information, die sich in 11,2 findet. 40 Dies entspricht der These, dass das vorliegende Werk rhetorisch klar strukturiert und angelegt ist, bei dem Tertullian die wenigen sicheren Informationen, die ihm vorlagen, mit einem Plan eingearbeitet hat. Es wäre zu plausibilisieren, warum diese Information an dieser Stelle fehlt, wenn davon auszugehen ist, dass die vorliegende Argumentationsstruktur der Diversität und Pluralität durch diese historische Verankerung eher gestärkt als geschwächt worden wäre und Tertullian sein Werk planvoll erarbeitet hat. Schließlich weiß Tertullian von einer theologischen Lehrdifferenz zwischen Valentin und Ptolemäus zu berichten, die sich in der Äonen-Vorstellung findet. Bei beiden Theologen konstituieren die Äonen41 die göttliche Fülle, das Pleroma (summa divinitatis). Während Ptolemäus eine Mehrzahl an Äonen personifiziert als separate Entitäten und außerhalb von Gott existierend lehre (nominibus et numeris aeonum distinctis in personales substantias, sed extra deum determinatas), habe Valentin diese Äonen „in der höchsten Spitze der Gottheit selbst als Gedanken, Gefühle und (Gemüts-)Bewegungen eingeschlossen“ (quas Valentinus in ipsa summa divinitatis ut sensus et affectus, motus incluserat). Das eher monohypostatisch verstandene System Valentins pluralisiert sich bei den Schülern um Ptolemäus. Valentins Ideen stehen dabei eher in Analogie zum platonischen Modell, bei dem die Äonen wie die intelligiblen Ideen Platons in Gott gefasst sind, während diese im ptolemäischen System eher entsprechend mittelplatonischer Vorstellungen als sich entfaltende, hierarchisch angeordnete Entitäten vorgestellt werden.42 38 Auch Secundus ist bei weiteren christlichen Autoren bekannt. Die bei Irenäus überlieferten Informationen zu seiner Lehre führt auch Tertullian auf (vgl. Adv. Val. 38). 39 Über Marcus, den Magier (Tertullian überliefert an dieser Stelle bereits den Beinamen magus) und die ihm zugeschriebene Zahlenmystik überliefert Irenäus ausführlich (Adv. Haer. I 13–16). Tertullian erwähnt in Adv. Val. 32,4 einen Marcus, der allerdings nicht mit dem Valentinianer zu identifizieren ist (vgl. den Kommentar zur Stelle). 40 Vgl. dazu den Exkurs „Zwei Schulen und zwei Kathedren“ der Valentinianer. 41 Vgl. dazu den Kommentar zu Adv. Val. 7,3b mit Anm. 22. 42 Zur Interpretation der Explikation der Äonenvorstellung bei Valentin (sensus et affectus, motus – zur Konstruktion vgl. auch Adv. Val. 37,1 sowie FREDOUILLE, Valentiniana, 53
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
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Deutlich denkt und formuliert Tertullian die Lehrdifferenz von Ptolemäus her, was nicht allein die Formulierung anzeigt, die Valentins Lehre lediglich als eine differierende Qualifizierung einführt, sowie im abrupt wirkenden Übergang zu Adv. Val. 4,3, sondern sich auch in der Annahme einer Pluralität an Äonen widerspiegelt, die sich in den erhaltenen Fragmenten Valentins nicht findet. Die hier vorliegende Differenz zur für Valentin bezeugten Rede vom „lebendigen Äon“ (ζῷον αἰώνιον), lässt sich am ehesten als eine solche von den Schülern her gedachte und formulierte Lehrdifferenz verstehen.43 Die singuläre Verbindung personales substantias charakterisiert die ptolemäische Lehre in Gegenüberstellung zu derjenigen Valentins; die Äonen existieren als je eigenständige Entitäten innerhalb der göttlichen Substanz44, die in Anm. 8) vgl. MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus, 158 f., FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 203 f. und MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 118 f. Marastoni bietet den Versuch einer Herleitung der Termini und wehrt dabei eine stoische Zuordnung ab, sensus stellt er als Äquivalent zu νοῦς heraus (vgl. auch Praescr. 33,8 sensum et veritatem). 43 Vgl. Val., Frg. 5 (Clem., Str. IV 89,6 = M ARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 153,3– 5). Zur Interpretation des Fragments vgl. MARKSCHIES, aaO., 157–164. Im Hintergrund steht möglicherweise eine valentinische, biblisch geleitete Interpretation des platonischen Timaios, aus der heraus sich die Prägung „lebendiger Äon“ erklären ließe, allerdings aufgrund der mangelnden Quellenlage nicht sicher zu bestimmen. 44 Zur Diskussion zu Bedeutung und Herkunft des Terminus substantia, den Tertullian ohne nähere Bestimmung übernimmt, ohne dass οὑσία oder ὑποστασις genau wiedergegeben ist, vgl. die forschungsgeschichtlicher Perspektive bei MOINGT, Théologie trinitaire II, 36–40 und HILBERATH, BERND J., Der Personbegriff der Trinitätstheologie in Rückfrage von Karl Rahner zu Tertullians ‚Adversus Praxean‘ (Innsbrucker Theologische Studien 17), Innsbruck/Wien: Tyrolia 1986, 231–238 sowie die Untersuchung von von Ostheim, der allerdings davon ausgeht, dass Gnosis eine eigenstände Religion ist (vgl. OSTHEIM, MARTIN R. VON, Ousia und Substantia. Untersuchungen zum Substanzbegriff bei den vornizäischen Kirchenvätern [Zürcher Arbeiten zur Philosophie 1], Basel: Schwabe 2008); grundlegend in philosophischer Perspektive vgl. STEAD, CHRISTOPHER, Divine Substance, Oxford/New York: Oxford University Press 1977, 190–204 sowie DERS., Divine Substance in Tertullian, in: Journal of Theological Studies 14 (1963), 46–66, 60 f. Es wird diskutiert, ob die juristische Bedeutung (Besitz eines gemeinsamen Guts durch mehrerer Subjekte, substantia als gemeinsames Gut) oder eine philosophische dominiert und ob dabei eher die aristotelische Vorstellung als „konkretes Einzelding“ (οὑσία πρώτη; so Evans und Stead) oder als „allgemeine Substanz“ (οὑσία δεύτερα; so ebenfalls Stead; Marastoni) vorliegt oder aber eine stoische Bedeutung im Sinn des „wirklichen Seins“, das „Zugrundliegende“ (ὑποκείμενον; zuletzt Braun; Moingt; Osborn; von Ostheim). Stead weist Tertullians Beeinflussung von Aristoteles Kategorien nach und zeigt auf, dass dieser den Substanzbegriff „sehr elastisch verwendet“; grundlegend sei zwischen dem kopulativen Sinn („Dinge ‚haben‘ eine Substanz“, vgl. z.B. auch Adv. Val. 9,3: in reliquiam substantiam dissolvi) und dem existentiellen Sinn (vgl. vorliegende Stelle sowie 15,1: substantiam trahere) zu differenzieren; zudem deutet Stead den Terminus ebenfalls im Kontext der Darstellung valentinianischer Lehre zur Bezeichnung eines individuellen Dings in Adv. Prax. 8,5 (CChr.SL 2 1167 f.,28 f. KROYMANN/EVANS): istae species προβολὰι sunt earum substantiarum ex quibus prodeunt). Ob die theologische Rezeption dieses Terminus ihren Ausgangspunkt in der
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der personifizierten Vorstellung Namen tragen und zählbar sind. Insbesondere die Zuschreibungen nominibus und numeris aeonum markieren eine polytheistischer wirkende Vorstellung der Theogonie als sie Valentin lehrt, der – so wie Tertullian es hier benennt – mehr um die Einheit der Gottheit (in ipsa summa divinitatis) bemüht ist. Mit persona/personales (vgl. Adv. Val. 4,2; 6,2; 7,3.5) verwendet Tertullian einen Terminus, der nicht in der irenäischen Darstellung vorkommt und später in der gegen Praxeas gerichteten Schrift und Ausarbeitung von Tertullians trinitätstheologischer Konzeption tragende Bedeutung erhalten wird. Im vorliegenden Kontext bildet die konsequente und explizite Personifizierung der Äonen in ihrer Zuspitzung ein Mittel tertullianischer Polemik.45 (4,3) Multum circa imagines legis Theotimus operatus est. Ita nusquam iam Valentinus, et tamen Valentiniani, qui per Valentinum. Solus ad hodiernum Antiochiae Axionicus memoriam Valentini integra custodia regularum eius consolatur. Alioquin tantum se huic haeresi suadere permissum est, quantum lupae feminae46 formam cotidie supparare sollemne est.
Tertullian kennt weitere valentinianische Lehrer, deren Namen in keiner anderen Quelle genannt werden. Mit Theotimus verbindet Tertullian eine allegorische Auslegung des Gesetzes, d.h. des Pentateuchs (circa imagines legis).47 Origenes bezeugt den Valentinianer Heracleon als den „Vater“ der figurativen biblischen Exegese.48 Entweder spiegeln Heracleon und Theotimus zwei verschiedene, der östlichen und der westlichen Reichshälfte zuzuordnende Stränge der valentinianischen Lehrbildung, von denen die beiden Autoren bzw. deren im Hintergrund stehenden Traditionen jeweils nur den einen Lehrer kannten, oder aber es liegt ein rhetorischer Topos vor, der diese Auslegungsrichtung mit je einem Namen verbindet. Schließlich bezieht Tertullian auf Theotimus nicht die geistige Urheberschaft dieser Auslegungsmethode und inhaltlichen Fixierung, sondern führt diesen lediglich als beispielhaften Namen an.49
gnostischen Lehre hat (vgl. z.B. VON OSTHEIM, aaO., 341–353), ist nicht abschließend zu klären. Biblisch ist die Vorstellung der οὑσία θεοῦ nicht belegt. 45 Vgl. zur ausführlichen Begründung 9.2.2.3. 46 Feminae lesen die Handschriften; lediglich Fredouille eliminiert den Begriff. Schon aufgrund der lectio difficilior (neben dem äußeren Argument der Bezeugung in den Handschriften) ist an feminae festzuhalten. 47 Die Formulierung operari mit circa ist ungewöhnlich, vgl. dazu auch TLL Art. circa III/0 1090,17 f.60 f. 48 Vgl. Comm. in Joh. 13, 19,114–118. 49 Marastoni deutet die allegorische Bibelauslegung als ein weit verbreitetes Phänomen im gnostischen Kontext, das durch zwei unabhängige Zeugen bestätigt ist (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 120). Inwieweit der Brief Ptolemäus’ an Flora in diese Kategorie fällt, dazu vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 205; THOMASSEN, Spiritual Seed, 501 f.
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
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An dieser Stelle resümiert Tertullian scheinbar resignierend (eingeleitet mit ita) und legt seine bisher mitschwingende These über das von ihm als paradox gezeichnete Phänomen offen, dass es zu seiner eigenen Zeit Valentinianer gibt, die nichts mehr mit ihrem Namensgeber gemein haben. Von Valentins ursprünglicher Lehre sei nirgends mehr etwas vorhanden (nusquam iam Valentinus), obwohl Valentinianer existierten (et tamen Valentiniani), „die von Valentin abgeleitet sind“ (qui per Valentinum). Mit dieser kurzen elliptischen Sequenz, in der die dreimalige Namensnennung hervorsticht, verdeutlicht Tertullian die paradoxe Verbindung von mittelbarer Abhängigkeit auf der einen und eigenständigem Sein auf der anderen Seite.50 Den folgenden inhaltlichen Bruch markiert die Exklusiv-Partikel solus: Allein Axionicus steht zur Zeit Tertullians (ad hodiernum) noch in bewahrender Traditionslinie Valentins und „hält die Erinnerung an ihn in Ehren“ (memoriam consolatur)51, indem er die „Lehren Valentins unversehrt bewache“ (integra custodia regularum eius)52. Mit custodia rekurriert Tertullian auf die in Adv. Val. 1 den Valentinianern unterstellte Geheimhaltungspflicht, die er hier als eine – ebenfalls gesteigerte (integer) – innervalentinianische Bewahrung der Sukzession der Lehrinhalte interpretiert. Einzig Hippolyt kennt Axionicus auch als eine führende Person des östlichen Valentinianismus.53 Die Lokalisierung in Antiochia überliefert nur Tertullian. Ironisch und mit einer sarkastischen Färbung schließt er diesen Durchgang ab und vergleicht die Gruppe der bisher namentlich angeführten Valentinianer, auf die er an dieser Stelle mit dem klassifizierenden hier metonymisch verwendeten huic haeresi rekurriert, mit einer Prostituierten (lupa femina)54. Dieser 50 Die Abhängigkeit verdeutlicht Tertullian mit per, das die mittelbar wirkende Person benennt, sowie der Herausstellung der offensichtlichen Namensabhängigkeit; Fredouille und Tommasi Moreschini deuten diese Verbindung in ihrer Übersetzung als „Avatar“. Die Differenz zeigt sich z.B. in der Lehre. 51 Zu dieser etwas ungewöhnlichen Formulierung vgl. H OPPE, Syntax und Stil, 128. Consolari kann bei Tertullian im Sinn von ornare genutzt werden (vgl. TLL Art. consolari IV/0 480,83) bzw. memoria mit Verben im Sinn von colere verbunden werden (memoria VIII/0 678,62). 52 Zur Verwendung von regula bei Tertullian zur Beschreibung der Lehrsysteme seiner Gegner (der Gnostiker und Philosophen) mit auffälliger Nähe zu doctrina (entsprechend dem irenäischen ὑπόθεσις) vgl. OHME, Kanon, 99–101. 53 Hipp., Ref. VI 35,7. 54 Lupa beschreibt bereits seit dem klassischen Latein eine Prostituierte (meretrix), vgl. dazu auch TLL Art. lupus VII/2 1859, 11 f.66 f. Kroymann eliminiert femina in dieser außergewöhnlichen Kombination – Tertullian formuliert in Pall. 4,9; Apol. 25,9 ohne femina – als Glosse (vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 206 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 252 f. Anm. 63). Marastoni argumentiert für die kompliziertere Lesart der Handschriften, da femina zum einen das Bild einer käuflichen Frau eindeutig verstehen lässt und zum anderen rhetorisch auf den komplizierten Prozess des täglichen Schminkens anspielt (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 120 f.).
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
Vergleich expliziert die zuvor gezeichnete Charakterisierung der Valentinianer, wie Tertullian sie stilisiert, mit ihren eigenen Mitteln: schamlos, als eine sexversessene Gruppe. Die Entwicklung der Häresie, deren Diversität Tertullian knapp skizziert hat, sei nichts anderes als immer wieder neu aufgetragene Farben zur Schminke des eigentlichen Ursprungs. Schließlich verhalte sich „diese Häresie“ in Tertullians Augen nicht anders als eine „Hure, die es gewohnt ist, täglich ihr Aussehen zu verhübschen“ (quantum lupae feminae formam cotidie supparare sollemne est)55, um ihre Hässlichkeit zu verbergen und verführend zu wirken. Bei den Valentinianern darf in diesem Maße jeder etwas „hinzuerfinden“ (tantum se huic haeresi suadere permissum est) 56 und das Aussehen „ergänzen“ (supparare), um das eigentliche Sein mit einem geschminkten Schein zu verbergen und anziehend auf andere Menschen zu wirken. Die Häresie sei anpassungsfähig wie eine Prostituierte. Zugleich aber bedürfe es der Schminke, um den Zusammenhang mit dem ursprünglichen Stifter zu erkennen, dem gegenüber die in Diversität verstreuten Valentinianer nach Tertullian treulos handelten und dessen Lehre verfälschten. (4,4) Quidni, cum spiritale illud semen suum sic in unoquoque recenseant? Si aliquid novi adstruxerint, revelationem statim appellant praesumptionem et charisma ingenium, nec unitatem sed diversitatem. Ideoque prospicimus, seposita illa sollemni dissimulatione sua, plerosque dividi quibusdam articulis, etiam bona fide dicturos "hoc ita non est" et "hoc aliter accipio" et "hoc non agnosco". Varietate enim innovatur regularum facies; habet etiam colores ignorantiarum57.
Tertullian schließt die vorliegende Ausführung über Valentinianer-Persönlichkeiten, ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen, Abhängigkeiten und individuellen Entwicklungen mit konkludierenden ironischen Gedanken ab. Spöttisch 55 Supparare bildet einen Neologismus Tertullians (vgl. auch Adv. Val. 14,2), der sich ansonsten selten findet; Wellstein votiert für ein weites Bedeutungsspektrum des Begriffs (DERS., Nova Verba, 170; anders hält Lukas an der handschriftlichen Überlieferung superare fest). Forma kann Tertullian auch in anderen Texten für die physische Schönheit anwenden (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 207). 56 Diese Konstruktion bleibt schwierig. Auch in 3,3 findet sich die Bedeutung „erfinden“ für suadere, das hier allerdings reflexiv konstruiert ist; vgl. zur sehr speziellen Bedeutung auch BLAISE, Dictionnaire Latin-Français, suadere, S. 779. Hoppe deutet se suadere mit Dativ als „sich in dem Maße zu dieser Häresie zu bekennen, wie sich eine Hure schminkt“, Fredouille hingegen übersetzt als AcI „bewirken, dass man glaubt“. 57 Kroymann ändert innovatur zu innovata und trennt nicht zwischen facies und habet. Allerdings ist die Textveränderung mit vorliegender Interpunktion nicht notwendig. Für das schwerer zu übersetzende, in den Handschriften und meisten Editionen überlieferte ignorantiarum schlagen einige Editionen eine Änderung zu ignorantia earum bzw. ignorantiae eorum vor, das den Kontrast zum mihi autem in 5,1 stärker herausstellen würde (vgl. auch FREDOUILLE, Valentiniana, 54 f.; DERS., Contre les Valentiniens, 209 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 254 Anm. 70). Allerdings ist die Pluralform auch in der VL belegt (vgl. TLL Art. ignotantia VII/1 308,75–82) und an dieser handschriftlich belegten Form festzuhalten.
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
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rekurriert er auf seinen vorher eingeführten Vergleich mit einer Prostituierten, um diesen in einer rhetorischen Frage (quidni) zu bestärken. Dass die Valentinianer ihr äußeres Erscheinungsbild beliebig ändern und anpassen, sei für diese unproblematisch, da die Wiedererkennbarkeit (recenseo) untereinander aufgrund des Besitzes des „geistigen Samens“ (spiritale semen) gegeben bleibt. Tertullian spielt mit der Spaltung in die ‚ingroup‘ der Valentinianer und ‚outgroup‘ der Christen um ihn herum, indem in seiner eigenen Wertung die Zugehörigkeit zur ‚outgroup‘ erstrebenswert ist. Diese einseitige Erkennbarkeit der Valentinianer untereinander durch den Besitz des geistigen Samens hebt er zudem paronomastisch hervor (spiritale semen suum sic). Beispielhaft führt er diese den Valentinianern unterstellte anmaßende Überheblichkeit aus. Was in Tertullians Augen als von Menschen ersonnene Neuheiten sind, die zur ursprünglichen Lehre Valentins hinzugefügt werden (novi adstruxerint), werde von diesen als göttlichen Ursprungs verkündigt. Er wirft ihnen vor, göttliches und menschliches Handeln miteinander zu vermischen und damit bei gleichzeitiger anziehender Wirkung Verwirrung bei Außenstehenden zu stiften, indem menschliche „Anmaßung“ (praesumptio) als göttliche „Offenbarung“ (revelatio) und zutiefst menschlicher „Erfindungsgeist“ (ingenium)58 als göttliche „Gnadengabe“ (charisma)59 gedeutete würde. Den Vorwurf steigert Tertullian, indem aktiver Part der Zuschreibung die Valentinianer selbst sind (appellant). Diese Feststellung lässt Tertullian in die elliptisch formulierte Antithese münden, dass die Valentinianer daher gerade „nicht von Einheit, sondern von Verschiedenheit“ (nec unitatem sed diversitatem) sprechen.60 Polemisch impliziert er damit ein Wissen um Pluralisierung und Fortentwicklung der valentinianischen Lehre bei den Valentinianern selbst. Für ihn bildet dies bereits das wichtigste Argument gegen den Anspruch auf die Zugehörigkeit zur christlichen Wahrheit, die für Tertullian durch Einheit gekennzeichnet ist. Diversität bildet für ihn dagegen ein Grundcharakteristikum und Erkennungsmerkmal jedweder, gegen die eine christliche Wahrheit stehender häretischen
58 Ingenium verwendet Tertullian in Adv. Val. durchgehend im pejorativen Sinn auf die Valentinianer bezogen (vgl. 4,1 Valentin; 4,4; 20,3 ingenia Valentinianorum; 26,2; 37,1; 39,2). 59 Charisma begegnet in Adv. Val. nur an vorliegender Stelle. Tertullian nutzt den Terminus häufiger, vor allem in seiner montanistischen Phase, um die prophetische Gabe zu bezeichnen (vgl. z.B. Anim. 9,3 spiritalia charismata; 9,4 charismata revelationem oder auch Praescr. 29,3). Vgl. zum Ganzen auch mit weiteren Beispielen BRAUN, Deus christianorum, 416. 60 Zur Ergänzung der Ellipse finden sich verschiedene Vorschläge mit teils gegensätzlichen Interpretationen: Während Kroymann vorschlägt negant oder dissimulant zu ergänzen, deutet Fredouille adsequuntur oder venerantur. Die vorliegende Interpretation folgt Marastonis Deutung, der profitentur oder adseverant ergänzt.
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
Gedankenführung.61 Mit dem Wechsel in die 1. Person Plural, mit dem Tertullian erneut seine Leserschaft inkludiert, markiert er geradezu überschwänglich die Erkennbarkeit der Valentinianer bereits von Ferne (prospicimus) und nimmt einen Perspektivwechsel vor, indem nun seine eigene Gruppe als ‚ingroup‘ gilt, in Bezug auf die die Valentinianer eine ‚outgroup‘ bilden.62 Die Erkennbarkeit der Diversität der Valentinianer markiert Tertullian in zwei Momenten: Neben dem Verweis auf divergierende Lehrsätze (plerosque dividi quibusdam articulis), die Tertullian in seiner widerlegenden Darlegung auch anführen wird, deutet er die Diversität als von den Valentinianern auch in Aussagen belegt, die er im Folgenden als Zitate stilisiert, ohne dass damit etwas zur Historizität dieser Zitate ausgesagt wird. Von einem negativen Konstatieren (hoc ita non est) führen die Aussprüche über ein Unverständnis (hoc aliter accipio) hin zu einer – valentinianischem Anspruch diametral widersprechenden – Unkenntnis der eigenen Lehre (hoc non agnosco). Von der „üblichen Verstellung“ bzw. „Heuchelei“ sei dabei ganz abgesehen (seposita illa sollemni dissimulatione sua), wie Tertullian scheinbar großzügig konstatiert. Die metaphorische Beschreibung der „Demaskierung“ (dissimulatio) verbindet diesen Gedanken nun explizit mit dem in 4,3 angelegten Vergleich der Valentinianer mit einer Prostituierten.63 Ohne Schminke sind die Valentinianer nicht nur leicht als solche zu erkennen, sondern auch ihre Diversität untereinander (articulis dividi)64 liegt offen zutage. Resümierend schließt Tertullian diesen Durchgang daher mit dem Gedanken ab, dass gerade diese „Buntheit“ (varietas) einen Beweis für die Diskontinuität der Gruppe der Valentinianer und der ständigen Veränderung (innovatur) des „äußeren Erscheinungsbilds ihrer Lehre“ (regularum facies) bietet.65 Und spöttisch setzt er nach, dass sich in diesem Erscheinungsbild „auch Farben der Unkenntnis“ (etiam colores ignorantiarum)66 befinden. Voll Ironie spielt er mit den Worten varietas und color: Das bunte Erscheinungsbild der Valentinianer enthält „Farben der Unkenntnis“ des Wissens der Valentinianer untereinander. 61 Diese Argumentation findet sich bereits in Praescr.: Dem Abweichen der Valentinianer und Gnostiker von den Aposteln als Garanten der christlichen Wahrheit (37,7) entspricht ein Bekämpfen der einen christlichen Wahrheit (41,4: expugnationem ad unius veritatis; vgl. dazu Adv. Val. 3,5). Schließlich variierten die Lehren (42,7: a regulis suis variant), sodass Tertullian summiert: scisma est enim unitas ipsa (42,6). Vgl. auch Iren., Adv. Haer. III 12,7. 62 Auch die Konstruktion markiert einen Gegensatz zum Vorherigen. 63 Vgl. die Nutzung von sollemnis in beiden Fällen. 64 Articulus findet sich hier im übertragenen Sinn, wie z.B. auch in Adv. Herm. 16,1; 33,2. 65 Vgl. den ähnlichen Vorwurf in Praescr. 42,8, „nach ihrem Gutdünken in Glaubensdingen Neuerungen eingeführt“ zu haben ([...] de arbitrio suo fidem innovare; SC 46, 149,20 f. REFOULÉ/DE LABRIOLLE). 66 Nach TLL Art. ignorantia VII/1 307,28 ist vorliegende Stelle korrupt. Fredouille führt Parallelstellen als Beweis für eine Vorliebe Tertullians für abstrakte Nomina im Plural an (DERS., Contre les Valentiniens, 210).
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
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Zugleich aber wertet Tertullian polemisch entsprechend dem vorherigen Bild der sich täglich aufhübschenden Prostituierten, dass die Valentinianer sich mit Make-Up (colores) ihr äußeres Erscheinungsbild (facies) schminken, um nicht als Valentinianer – als solche ‚entlarvt‘ sie Tertullian – erkannt zu werden, die zudem über eine rhetorische Kunstfertigkeit verfügen (colores), um ihre Lehre anziehend darzustellen.67 3.2.2. Adv. Val. 5: Zur Quellengrundlage (5,1) Mihi autem cum archetypis erit limes principalium magistrorum, non cum adfectatis ducibus passivorum discipulorum. Nec undique68 dicemur ipsi nobis finxisse materias, quas tot iam viri sanctitate et praestantia insignes, nec solum nostri antecessores sed ipsorum haeresiarcharum contemporales, instructissimis voluminibus et prodiderunt et retuderunt, ut Iustinus, philosophus et martyr, ut Miltiades, ecclesiarum sophista, ut Irenaeus, omnium doctrinarum curiosissimus explorator, ut Proculus noster69, virginis senectae et Christianae eloquentiae dignitas, quos in omni opere fidei quemadmodum in isto optaverim adsequi.
Im folgenden Kapitel äußert sich Tertullian zu den Quellenschriften, die den darzustellenden Stoff der valentinianischen Lehre bezeugen. 70 Methodisch dient ihm dieses Kapitel auch dazu, seine eigene Glaubwürdigkeit zu manifestieren und den implizierten Verdacht, selbst Urheber und Autor einer solchen 67 In colores können beide Nuancen der Gesichts-Farbe sowie der rhetorischen Färbung enthalten sein, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 209 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 254 Anm. 70; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 130. Vgl. den ähnlichen Vorwurf gegen Hermogenes (Adv. Herm. 33,1). Sollte in Adv. Val. 1,1 die in diesem Kommentar nicht favorisierte Konjektur conscientiae offucium gelesen werden, würde sich hier eine interpretatorische Brücke finden. Vgl. auch Iren., Adv. Haer. III 15,2 (SC 211, 278–280,32–47 ROUSSEAU/DOUTRELAU): Hi enim ad multitudinem propter eos qui sunt ab Εcclesia, quos communes et ecclesiasticos ipsi dicunt, inferunt sermones, per quos capiunt simpliciores et illiciunt eos, simulantes nostrum tractatum, uti saepius audiant; [...]. Decipiuntur autem omnes qui quod est in verbis verisimile se putant posse discernere a veritate. Suasorius enim et verisimilis est et exquirens fucos error; sine fuco autem est veritas, et propter hoc pueris credita est. 68 Gegen die Emendation (utique) von Kroymann (und in seiner Folge Fredouille und Tommasi Moreschini) ist der Handschriftenbefund zu stellen, der einheitlich undique liest; auch inhaltlich ist diese Änderung nicht notwendig (vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 123). 69 Diese von den meisten Editionen übernommene Konjektur Scaligers ist gegen die handschriftliche Lesart (nostrae) zu bevorzugen (gegen MADER, Montanistische Orakel, 127 Anm. 97). Nostrae bezieht sich – anders als Mader deutet – als Genitiv Singular auf senectae virginis und verschiebt damit den Aussagegehalt dahingehend, dass ein Bezug zu Tertullians Alter hergestellt wird: „Proculus, die Würde der bis in unser hohes Altes hindurch durchgehaltenen asketischen Haltung“. Der Handschriften-Fehler ließe sich leicht erklären, indem das Pronomen möglicherweise in Bezug auf die feststehende Formel viginis senectae angeglichen wurde. 70 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 9. der Einleitung.
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
Lehre zu sein, von vornherein abzuwehren. Als Grundlage seines Quellenwissens führt Tertullian zum einen Originalschriften ursprünglicher valentinianischer Lehrer an. Diesen Rekurs begründet er damit, dass ihm diese Schriften „eine Grenzlinie“ (limes esse)71 markieren; gleichzeitig begrenzt er selbst diese Aussage dahingehend, dass lediglich „die ursprünglichen Lehrer“ (principalium magistrorum), nicht aber „die angestrebten Anführer der überall befindlichen Schüler“ (cum adfectatis ducibus passivorum discipulorum)72 seinen Referenzpunkt bilden. Vielmehr stellt er – entsprechend der Sentenz testatio est ipsa mutatio (4,1) – als Grundmaxime die Originalität (cum archetypis)73 der Lehre auf, um zugleich innerhalb der valentinianischen Entwicklung das Argument der Posteriorität und Diversität angesichts der Pluralisierung der valentinianischen Schüler anzuwenden. 74 Wer zu den „ursprünglichen Lehrern“ zählt und wo die Grenzlinie zu den „angestrebten ‚Möchtegern‘-Anführen“ verläuft, benennt er nicht. Es lässt sich lediglich vermuten, dass er die zuvor namentlich angeführten Valentinianer (4,2 f.) zur ersteren Gruppe zählt. Entschieden weist er (eingeleitet mit nec undique) den seiner Leserschaft implizit unterstellten Gedanken zurück, der sich häufig in Schriften findet, die sich gegen als häretisch klassifizierte Lehren wenden, die in der Narratio 71 FREDOUILLE weist auf die Konnotation als limes refutationis hin (DERS., Contre les Valentiniens, 210; TLL Art. limes VII/2 1411,81 benennt die Nutzung in imagine). Dass dabei in den Übersetzungen häufig fälschlich die Konnotation „Weg“ angenommen wird, beweist die unreflektierte Aufnahme der Übersetzung von Kellner durch MADER, Montanistische Orakel, 125. Vgl. zur Übersetzung von limes auch BLAISE, Dictionnaire LatinFrançais, limes 2, S. 496. Die im Lateinischen geläufige Konstruktion mit Dativ + esse (mihi limes erit) stellt bereits syntaktisch heraus, dass nicht Tertullian Urheber dieses Wissens ist, sondern die darzustellende Lehre von diesen Lehrern selbst stamme. 72 Passivus leitet sich von pandere her und ist seit dem 2. Jahrhundert durch Apuleius und Tertullian belegt (vgl. TLL Art. passivus X/1 624,17). Diese apuleische Neuschöpfung hat Tertullian zu passivitas inspiriert (so auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 254 Anm. 71; zu weiteren Vorkommen bei Tertullian vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 123). Adfectatus kann entweder in passivischer Bedeutung „affektiert, erheuchelt“ meinen, oder aber – so findet es sich in der vorliegenden Übersetzung – mit aktivem Sinn verwendet sein, vgl. auch Tertullians Zurückweisen von scheinbar religiösen Bräuchen, die allerdings der Apostelautorität entbehren (Orat. 15,1 [CChr.SL 1, 265,4 f. DIERCKS]: Huiusmodi enim non religioni, sed superstitioni deputantur, affectata et coacta [...]). 73 Zum aus dem Griechischen übernommenen Terminus, den Tertullian lediglich hier verwendet, vgl. TLL Art. archetypus II/0, 460, 13–47. 74 Vgl. bereits den hermeneutischen Grundsatz in Adv. Prax. 2,2 (CChr.SL 2 1160,21 f. KROYMANN/EVANS): […] id esse verum quod-cumque primum, id esse adulterum quodcumque posterius. In Praescr. 30 findet sich eine ähnliche Argumentation, wenn Tertullian Namen gnostischer Theologen anführt, die Zeitgenossen für ihn sind (Nigidius, Hermogenes, und nicht näher benannte andere; vgl. Praescr. 30,13). Ziel der Argumentation dient dem Aufweis der Posteriorität der Häresie gegenüber der Priorität der Wahrheit (vgl. Praescr. 31,1).
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
237
dargestellten „Stoffe“ (materia; vgl. 6,3) „selbst erdichtet zu haben“ (ipsi nobis finxisse).75 Mit dem Wechsel in den Plural stellt sich Tertullian in eine Reihe mit seinen im Folgenden mit höchst lobenden Worten eingeführten theologischen Vorgängern – nämlich „so viele durch Heiligkeit und Vortrefflichkeit sich auszeichnende Männer“ (tot iam viri sanctitate et praestantia insignes)76 – und deren „äußerst gelehrten Schriften“ (instructissimis voluminibus) gegen die Valentinianer, in denen sie deren Lehre „sowohl überliefert als auch zurückgewiesen haben“ (et prodiderunt et retuderunt). Die Amplifikation sowie die Charakterisierung dieser Männer mit den beiden Tugenden sanctitas und praestantia lassen das Lob auf Tertullians Vorgänger auch rhetorisch hervorstechen.77 Dabei korrespondiert die Wahl der Verben Tertullians (prodere und retundere) mit dem irenäischen Werktitel Ἔλεγχος καὶ ἀνατροπὴ τῆς ψευδώνυμου γνώσεως und dient als Hintergrundfolie seines Vorgehens. Gegen Fredouilles Annahme findet sich in dieser bewussten Zitation allerdings kein Hinweis darauf, dass Tertullian – mit Verweis auf dieses binitarische Schema – wie Irenäus selbst ein fünfbändiges, die einzelnen rhetorischen Schritte sukzessiv abarbeitendes Werk verfassen wird. Tertullians Vorgehen entspricht seiner These, dass die Enthüllung (prodere/ἔλεγχος bzw. demonstratio, narratio) der Lehre zugleich bereits der Widerlegung derselben gleichkomme (retundere/ἀνατροπή bzw. refutatio, destruere). Diese Interpretation stützt die Formulierung im Perfekt, die im vorliegenden Kontext eindeutig auf die bereits bestehenden Werke seiner Vorgänger verweist und keinen versteckten Hinweis auf Tertullians eigene Strategie bietet.78 Die theologischen „Vorgänger“ (nostri antecessores) 79 zeichnet aus, als „Zeitgenossen der führenden Köpfe der Häresie“ (ipsorum haeresiarcharum contemporales) die Möglichkeit eines unmittelbareren Wissens dieser Lehre Vgl. den Vorwurf gegen die Häretiker, ihre Stoffe mit Hilfe der biblischen Schriften erdichtet zu haben, z.B. in Pud. 8,12–9,1; Praescr. 38,10; 39,7. Fredouille übersetzt als potentiell zu wertenden Konjunktiv. Die Veränderung ist nicht notwendig. 76 Das Adjektiv insignis begegnet häufig bei Tertullian. Er kann es genauso für die gnostischen Lehrer anwenden (vgl. z.B. Praescr. 30,12). 77 Sanctitas bildet einen häufig bei Tertullian begegnenden Terminus, der zunächst die mit der Taufe erhaltene Qualität des Christen, der den „Geist der Heiligkeit“ erhält, umfasst (vgl. dazu Bapt. 4,1–4; Apol. 39,9) und weiterhin die christliche Tugend meint. Zum weiteren Begriff bei Tertullian vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 211. Mit praestantia beschreibt Tertullian häufig die überragende Qualität einer Person (vgl. dazu TLL Art. praestantia X/2 898,64–899,15). 78 Vgl. dazu auch 5.1. 79 Antecessor ist ursprünglich im militärischen und magistralen Bereich verortet (vgl. TLL Art. antecessor II/0 146,75–83). Vorliegend nutzt Tertullian den Terminus übertragen, um die Kontinuität und Authentizität der theologischen Vorgänger herauszustellen. Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 211 f. 75
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Kapitel 3: Adv. Val. 4–5: Eine kurze Geschichte der Valentinianer
vermocht zu haben. Dass Tertullian die Valentinianer hier nicht konkret nennt, sondern mit dem sich zuerst an dieser Stelle in der lateinischen Literatur begegnenden Lehnwort haeresiarchus80 impliziert, entspricht der seit Beginn des Werks gesetzten Deutung der Valentinianer als Häretiker (Valentiniani, frequentissimum plane collegium inter haereticos; 1,1) und markiert zugleich das Autoritätsargument für die im Folgenden herangezogenen theologischen Vorgänger. Diese führt Tertullian nicht nur namentlich an, sondern charakterisiert und expliziert jeden auch mittels einer Apposition, die sich in ihrer lobenden Intensität von Justin und Miltiades über Irenäus zu Proculus steigern. Dabei verbindet diese theologischen Schriftsteller in Tertullians Kategorisierung ihre gemeinsame Frontstellung als gegen die Valentinianer agierende Literaten.81 Die abschließende Aussage zur eigenen Intention des Werkes beweist, dass Tertullian die genannten Werke zwar kannte, allerdings keine (explizite) Aussage darüber trifft, diese Schriften sowie die valentinianischen Originalwerke tatsächlich in sein eigenes Werk einfließen zu lassen oder als Grundlage zu nehmen.82 Schließlich zielt Tertullian darauf, diese aufgeführten und charakterisierten Vorgänger „in jedem Werk des Glaubens“ (in omni opere fidei), beispielhaft gilt ihm vorliegendes Büchlein (quemadmodum in isto), „erreichen zu wollen“ (optaverim adsequi).83 (5,2) Aut si in totum haereses non sunt, ut qui eas pellunt finxisse credantur, mentietur apostolus, praedicator illarum. Porro si sunt, non aliae erunt quam quae retractantur. Nemo tam otiosus fertur, stilo84 ut materias habens fingat.
Als abschließendes Argument für die Existenz der Valentinianer und ihrer Lehre sowie zur Absicherung seiner eigenen Tätigkeit, die thematisch die Arbeit früherer Theologen aufnimmt und eine eigene Widerlegung dieser bereits bekannten valentinianischen Gedanken bieten will, rekurriert Tertullian auf die Autorität des Paulus. In zwei Argumenten stellt er die Evidenz der Existenz von Häresien an sich heraus und impliziert damit diejenige der Valentinianer im Besonderen, um jeden Verdacht bei seiner Leserschaft, selbst etwas zu diesem als fabula klassifizierten Lehrstoff (vgl. z.B. 1,1) der Valentinianer hinzuerdichtet zu haben, abzuwenden (vgl. bereits 5,1 sowie 6,1–3). Für das erste Argument stellt er die These auf, dass eine eigenständige Erdichtung (fingere; vgl. 5,1) der valentinianischen Lehre von denjenigen Autoren, „welche die Häresien zurückdrängen“ (qui eas pellunt), lediglich dann Vgl. dazu auch TLL Art. haeresiarchus VI/3 2501,53–59. Vgl. eine ausführliche Diskussion zu den Theologen in 9.2. 82 Vgl. dazu auch 9.1. 83 Fredouille deutet hier einen impliziten Rekurs auf paulinische Gedanken (DERS., Contre les Valentiniens, 213). 84 Stilistisch betont Tertullian durch die Voranstellung von stilo den Akt des Schreibens als Moment der Erdichtung solcher Fabeln und verweist damit indirekt auf das Paradox einer solchen Annahme. 80
81
3.2. Analyse von Adv. Val. 4–5
239
wahr sein könne, wenn zugleich die Nicht-Existenz solcher Häresien anzunehmen sei (si in totum haereses non sunt). Als Gegenthese allerdings gilt ein Wort des Apostel Paulus – apostolus allein reicht Tertullian aus, um die Autorität des Paulus zu evozieren (vgl. 2,3). Schließlich müsste dieser, der in der Korinthischen Gemeinde Häresien (haereses) angekündigt hat (praedicator),85 dann der Lüge bezichtigt werden (mentietur apostolus). Die Autorität des Paulus ist dabei für Tertullian als normativ gesetzt. Das zweite Argument baut auf dem ersten auf, indem es – in Annahme der Richtigkeit der paulinischen Worte – von der positiven Annahme der Existenz von Häresien ausgeht (porro si sunt), die bereits von Theologen der Vorgängergeneration literarisch bekämpft wurden (vgl. 5,1). Das Argument manifestiert eine Kontinuität der einst bereits im Mittelpunkt theologischer Schriften bearbeiteten Gruppe und derjenigen, die Tertullian nun „erneut behandeln wird“ (quae retractantur). Mit diesen beiden Argumenten sieht Tertullian seine eigene Rolle als Autor dieses widerlegenden Werkes, nicht aber als Urheber der darin verhandelten Lehre begründet. Abschließend untermalt er dies mit einer Sentenz, welche als allgemeingültige Wahrheit aufstellt, dass „niemand bekannt ist, der so der schriftstellerischen Muße ergeben wäre, dass er beim Schreiben selbst die Stoffe, die ihm bereits vorliegen, erdichtet“ (Nemo tam otiosus fertur, stilo ut materias habens fingat)86. Damit impliziert Tertullian nicht nur, dass die darzustellende Lehre in seiner Perspektive märchenhafte Züge trägt, sondern distanziert sich von jedem Verdacht der Hinzufügung eigener Gedanken zu dieser Lehre (vgl. auch 6,3).
Praedicator bildet auch eine Reminiszenz an Adv. Val. 1,1. Tertullian spielt auf 1Kor 11,19 an. Dass in diesem Briefvers Häresien generell (und nicht die Valentinianer im Speziellen) genannt werden und zudem eine Lokalisierung dieser in Korinth stattfindet, hindert Tertullian nicht daran, dieses Argument als unwiderlegbares autoritatives Apostelwort einzubringen und damit die Notwendigkeit der Häresien zu begründen (z.B. auch Praescr. 4,6; 30,4; 39,1.7). 86 Die metonymische Verwendung der eigentlichen Bedeutung „Griffel“ findet sich häufig bei Tertullian. 85
Kapitel 4
Adv. Val. 6: Die rhetorische Strategie von Adv. Val. – Officium ridendi 4.1. Funktion von Adv. Val. 6 innerhalb des Exordiums 4.1. Funktion von Adv. Val. 6
Mit Adv. Val. 6 beendet Tertullian das Exordium und benennt abschließend seine rhetorische Strategie. Die konklusive Konjunktion igitur markiert den Abschnittswechsel. Der Übergang zur folgenden Narratio wird ausdrücklich als Beginn dieser Darstellung der Lehre anmoderiert. Die Grundlegung der folgenden Strategie gliedert sich dabei in zwei Teile. Zunächst erklärt Tertullian sein literarisches Vorgehen (6,1–2a), das parallel zu 3,5 mit einer paraphrasierenden Aufnahme der dort bereits benannten Gedanken beginnt, erneut in Worten der Kampfesmetaphorik formuliert und die lateinische Schriftfassung einer bisher auf Griechisch dargestellten Lehre thematisiert. In einem zweiten Teil (6,2b–3) klärt Tertullian seine rhetorische Strategie, die mit den Themen officium und veritas einen Bogen zu Adv. Val. 1 schlägt und angesichtes derer er keine Wahl habe.
4.2. Analyse von Adv. Val. 6 4.2. Analyse von Adv. Val. 6
4.2.1. Adv. Val. 6,1–2a: Methodische Bemerkungen (6,1) Igitur hoc libello, quo demonstrationem solum praemittentes sumus illius arcani, ne quem ex nominibus tam peregrinis et coactis et compactis et ambiguis caligo suffundat, quomodo eis usuri sumus, prius demandabo. Quorundam enim de Graeco interpretatio non occurrit ad expeditam proinde nominis formam, quorundam nec de sexu genera convenient, quorundam usitatior in Graeco notitia est.
Für die folgende Erklärung seines literarischen Vorgehens in Adv. Val. rekurriert Tertullian auf die gewählte rhetorische Strategie, die in seiner Perspektive auf Inhalt und Art der Lehre der Valentinianer reagiert: Allein eine Darstellung (demonstratio sola)1 der Lehre, die er an dieser Stelle variierend als Geheimnis 1 Demonstratio, das zuallererst ein gestikulierendes Hinweisen auf einen Gegenstand beschreibt, kann im übertragenen Sinn sowohl ἀπόδειξις als auch ἐπίδειξις wiedergeben. Tertullian kennt beide Bedeutungen: Des Öfteren nutzt er demonstratio als apodiktischen
4.2. Analyse von Adv. Val. 6
241
(arcanum)2 charakterisiert, entspreche bereits deren Widerlegung (vgl. 3,5 solummodo demonstrare). Auffällig erscheint die wechselnde Formulierung in der 1. Person Singular und Plural, bei der Tertullian seine Leserschaft in sein Vorhaben inkludiert, während er als erkennbarer Autor in den Hintergrund tritt. Das Diminutivum libellum verwundert an dieser Stelle weniger, da Tertullian dieses auch zur Bezeichnung deutlich umfangreicherer Werke aus seiner Feder nutzt. Daher sollte dieser Terminus an dieser Stelle nicht herangezogen werden, um für eine separat geplante Refutatio zu argumentieren.3 Das Ziel seiner Darlegung sieht Tertullian darin, einer Verwirrung seiner Leserschaft, was er metaphorisch als „bedeckenden Nebel“ ausmalt, entgegenzuwirken (ne caligo suffundat) und damit seinem Leser den ‚rechten GlaubensWeg‘ zu weisen.4 Als Grund führt er die vielen differierenden Äonen-Namen an, die in der als Mythos überlieferten Lehre die valentinianische Gotteslehre konstituieren, 5 und charakterisiert diese vierfach: Aufgrund ihrer Fremdheit (peregrinus) bedürfe es einer folgenden Erklärung. Die Begriffe seien in ihrer vorliegenden Verwendung „gezwungen“ (coactus) 6 und daher schwer verständlich, in ihrem Wahrheitsgehalt sind sie als „erfundene“ (compactus) 7
Terminus für einen (argumentativen) Beweis eines Sachverhalts (vgl. z.B. Adv. Marc. I 17,4; II 29,2; Adv. Prax. 11,4; 25,4; dazu TLL Art. demonstratio V/1 500,47–75). Zugleich kann er den Terminus aber auch in rhetorischem Sinn gebrauchen und eine „auf lebhaft-detaillierte Präsentation eines Gegenstandes“ und Sachverhalts zielende Darstellung bezeichnen, wie er ihn im vorliegenden Kontext nutzt (SARCINELLI, ULRICH/KNAUT, ANNETTE, Art. Demonstration, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 10 [2012], 204–216, 204; vgl. dazu Rhet. Her. IV 55,68: Demonstratio est cum ita verbis res exprimitur, ut geri negotium et res ante oculos esse videatur. Für den anonymen Autor der Schrift hat demonstratio auch die Funktion der evidentia; vgl. TLL ebd., 76–501,28; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 214 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 256 Anm. 80). 2 Vgl. dazu in Adv. Val. 1,1 die Betonung des Geheimhaltens und Schweigens sowie des Verbergens in Adv. Val. 3. Arcanum ist ein von Tertullian häufig zur Bezeichnung der gnostischen Lehre herangezogener Terminus (vgl. auch 8,1; 32,4 sowie z.B. Carn. Christ. 19,1 oder Resurr. 19,6; 63,6), findet sich aber auch in anderen Kontexten. Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 215; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 256 Anm. 81. 3 Vgl. zur Diskussion auch 6.1. 4 Lediglich bei Plinius findet sich erneut diese Verbindung caligo suffundere zur Bezeichnung des Vorzugs der Galle eines Adlers bei „Verdunkelung der Augen“ (Nat. hist. XXIX 123). 5 Dieses Argument begegnet häufiger in Adv. Val.: vgl. z.B. 3,2.4; 4,2; 6,2; 8,2; 9,2; 12,5; 14,1. 6 Vgl. bereits in 1,3 coactae figurae und dazu auch TLL Art. cogo III/0 1533, 14 f.47 f. 7 Hier findet sich der linguistische Sinn von compingo wie auch in 31,1 (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 215; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 256 Anm. 82). In 12,1 nutzt Tertullian compingo hingegen in seiner ursprünglichen Bedeutung („zusammenfügen“). Anders TLL Art. compingo III/0 2073,69–72.82–84.
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Kapitel 4: Adv. Val. 6: Die rhetorische Strategie
einzuordnen und in ihrer Bedeutung als „zweideutige“ (ambiguus)8 Äonen-Namen. Mit diesem Hinweis zielt er darauf, diesen Namen bereits vor Einführung und mythosimmanenter Erklärung jedweden sinnvollen Verständniswert zu nehmen. Zugleich rekurriert er, indem er die Namen der Äonen an dieser Stelle als prioritären lehrimmanenten Grund für seine eigene Darstellung anführt – neben dem bereits evozierten Grund der notwendigen Aufdeckung wegen der Geheimhaltung einer schamlosen sexuell unzüchtigen Lehre – auf das Element, das mit der Aufnahme wichtiger christlicher Termini den Anschluss an die eigene christliche Lehre offensichtlich macht. Zunächst allerdings erklärt Tertullian seine schriftliche Vorgehensweise. Er durchbricht seine Ankündigung über die rhetorisch argumentative Anlage dieses Werkes und führt knappe Bemerkungen zur lexikalischen und grammatikalischen Schwierigkeit sowie seinen Umgang im Gebrauch der griechischen Äonen-Namen in der lateinischen Schrift an. Die folgende Reflektion (6,1b– 6,2a) dient ihm dazu, seiner Leserschaft zu verdeutlichen, wie sehr die Valentinianer mit Zweideutigkeiten (ambiguitas; 1,4; 6,2) arbeiten und welche reflexive Anstrengung es ihn kostet, zu verdeutlichen, an welchen Stellen die Termini als Eigennamen der Äonen genutzt werden.9 Nicht nur der Inhalt der Lehre, sondern auch die sprachliche Darstellung sei abständig. Dazu stellt Tertullian eine dreifache Differenzierung der Terminologie dieser Äonen-Namen voran, die durch die anaphorische Wiederholung des Indefinitpronomens verbunden wird: Zum einen handelt es sich um Begriffe, für die keine äquivalente lateinische Übersetzung (interpretatio) entsprechend der griechischen Vorlage (forma) existiert; in diese Gruppe fällt z.B. der Name des obersten Äons Bythos, aber auch Henotes, Hedone usw.10 Zum anderen korrespondiert bei einigen Namen nicht das originale Genus im Griechischen mit dem grammatikalischen Geschlecht im Lateinischen wie z.B. bei der femininen Form Sige, die im Lateinischen mit dem Begriff silentium, das dem Genus Neutrum angehört, widergegeben wird.11 Zuletzt begegnen Begriffe, bei denen
Vgl. bereits in 1,4 sowie 6,2; 12,5 und 18,3. Schon die Rhetorica ad Herennium hat vor der verdunkelnden Gefahr von ambiguitas gewarnt (Rhet. Her. IV 54,67). 9 Tertullian folgt damit einem üblichen Topos in der Spätantike, die Herausforderung für den Autor angesichts lexikalischer Neubildungen zu benennen, vgl. dazu auch WELLSTEIN, Nova Verba, 56. 10 Die Übersetzung von Tertullians sehr verknappt formulierten Text bleibt sperrig. Das Adverb proinde wird in adjektivischer Funktion verwendet. Vgl. dazu RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 131 mit Parallelstellen; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 256 Anm. 83 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 215. Forma ist hier mit grammatikalischem Sinn aufzufassen (vgl. TLL Art. forma VI/1 1079,53.80). Zur speziellen Bedeutung von interpretatio vgl. TLL Art. interpretatio VII/1 2256,79–81. 11 Auch genus ist im grammatikalischen Sinn zu verstehen, vgl. TLL Art. genus VI/2 1901,10.29 f. 8
4.2. Analyse von Adv. Val. 6
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der griechische Terminus auch im Lateinischen geläufiger ist und von Tertullian daher genutzt wird; zu dieser Gruppe zählen z.B. Nus oder Sophia. (6,2a) Itaque plurimum Graeca ponemus; significentiae per paginarum limites aderunt, nec Latinis quidem deerunt Graeca, sed in lineis desuper notabuntur, ut signum hoc sit personalium nominum propter ambiguitates eorum, quae cum alia significatione communicant.
Aus diesen Beobachtungen folgert Tertullian sein konkretes Vorgehen, das er zunächst futurisch erneut in der 1. Person Plural formuliert und dem „Prinzip der größtmöglichen Genauigkeit“ folgt.12 Dabei differenziert er zwei Vorgehensweisen, die er anzuwenden plant. Zum einen wird er die Äonen-Namen „am Häufigsten“ (plurimum) in griechischer Sprache in lateinischer Umschrift anführen (ponere) und zugleich die jeweiligen lateinischen Bedeutungen am Seitenrand (per paginarum limites) als Randglosse bieten.13 In späteren Editionen wurden griechische Termini teilweise zurückübertragen. Zum anderen plant er auch den Gebrauch lateinischer Namen, sofern ihm dies als sinnvoll erscheint. In diesem Fall will er die griechischen Begriffe interlinear glossieren.14 Dieses stellt er als ein „Kennzeichen“ (signum) heraus, das seine Leserschaft notwendigerweise bedarf, um den spezifischen Gebrauch des Terminus als Äonen-Namen (personalium nominum) zu erkennen und nicht die eigentlich gebräuchliche Bedeutung (alia significatio) des Begriffs im Sinn zu haben. Für Tertullian begründen diese Namen daher die Zweideutigkeit (ambiguitas) von Begriffen, die strikt getrennt und erkannt werden muss. 4.2.2. Adv. Val. 6,2b–3: Die rhetorische Konzeption (6,2b) Quamquam autem distulerim congressionem15, solam interim professus narrationem, sicubi tamen indignitas meruerit suggillari, non erit delibatione transpunctoria16 WELLSTEIN, Nova Verba, 56. Der Plural ist als pluralis modestiae einzuordnen. Hier findet sich ein Hinweis auf den Bildungsstand des Autors und seine intendierte Leserschaft. Zu dieser Technik vgl. bereits Quint., Inst. X 3,32 f. Zur Diskussion um den Umgang mit griechischen Begriffen in der Antike vgl. die Hinweise bei FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 216. 14 Fredouille weist darauf hin, dass sich mögliche Spuren davon noch in 9,4; 10,3; 35,2 finden lassen (DERS., Contre les Valentiniens, 216 f.). 15 Riley hält an der handschriftlichen Lesung congestionem fest, interpretiert dies mit Verweis auf die verbale Bedeutung von congestare bei Tac. und Sen. mit der Sonderbedeutung „total attack“ und liest dazu transpunctatoria (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 131). Die vorgeschlagene Konjektur der Lesart zu congressio ist unter Annahme einer fehlerhaften Überlieferung und der parallelen Stelle in Z. 16 zu bevorzugen. 16 Diese Ablativ-Verbindung bleibt schwierig: Die handschriftliche Lesart des Hapaxlegomenons transpunctoria (von transpungo; vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 126, sowie RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 132, der allerdings zu transpunctatoria ändert) hat bereits in der editio princeps zum Konjekturvorschlag mit einer minimalen Veränderung zu transfunctoria (von transfungo) geführt. Diese Lesart unterstützt 12
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Kapitel 4: Adv. Val. 6: Die rhetorische Strategie
expugnatio. Congressionis lusionem deputa, lector, ante pugnam; ostendam sed non imprimam vulnera.
Im Folgenden kehrt Tertullian zur Reflexion über die Anlage seiner literarischen Auseinandersetzung mit den Valentinianern zurück und nimmt erneut den Modus der Kampfesrhetorik auf. Entsprechend seiner Ansage in 3,5 hat er diesen „ersten Keil des Angriffs“ (primus cuneus congressionis) zwar bereits bewaffnet (vgl. armavimus im Perfekt), zielt allerdings darauf, diesen Angriff vorerst zu verzögern (distulerim congressionem). Eine scharfe, vernichtende und in der antiken Rhetorik den Hauptteil eines Werkes einnehmende Refutatio bleibt aus. Den in der Struktur einer antiken Rede folgenden Teil (Adv. Val. 7– 39) bezeichnet auch Tertullian vorliegend als Narratio. Sein eigenes argumentatives Vorgehen beschreibt er mit dem nahezu synonymen und von ihm deutlich häufiger verwendeten Terminus demonstratio.17 Das mit exkludierender Bedeutung adjektivisch sowie attributiv genutzte sola/solum verbindet die beiden Termini demonstratio und narratio im vorliegenden Werk. Narratio lässt sich an dieser Stelle als ein Schlüsselbegriff für die rhetorische Anlage des Werkes deuten, mit dessen Ankündigung im Folgenden die narrative Entfaltung der Lehre (fabula) der Valentinianer zu erwarten ist. Allerdings formuliert Tertullian einen Vorbehalt (quamquam autem – sicubi tamen). Einschränkend (sicubi) deutet er im Potentialis an, dass zugleich mehr als eine reine Narratio folgen kann, und rechtfertigt sich für die mögliche Wahrnehmung und Wirkung dieser bei seiner Leserschaft. Bereits die Syntax gibt Aufschluss über die Passivität, der Tertullian sich stilisiert, ausgesetzt zu sein, und die er als Entlastungsfunktion anführt: Grund liegt in der res, d.h. der valentinianischen Lehre selbst und nicht in den von Tertullian gewählten verba. Der zu thematisierende Stoff (materia ipsa; 6,3) bestimme die folgende zur Widerlegung gewählte Form. Weil der Inhalt dieser Lehre aber als „unwürdige Gedanken“ (indignitas) wahrgenommen werden kann (vgl. dignus; 6,3) das zusätzliche Vorkommen in Adv. Marc. I 27,1. Allerdings darf dieses Argument (so z.B. bei WELLSTEIN, Nova Verba, 291 f.) nicht zu stark bei einem Autor gewichtet werden, der so prägend für die christliche lateinische Sprache gewirkt hat, dass er unzählige Termini neu gebildet hat, die auch häufig den Status eines Hapaxlegomenons behalten haben. Auch delibatio wird von Tertullian an vorliegender Stelle in einer Sonderbedeutung verwendet, während er den Terminus in seiner ursprünglich juristischen Bedeutung in Pat. 8,1; Adv. Marc. I 22,8 sowie Resurr. 7,2 nutzt, vgl. bereits TLL Art. delibatio V/1 437,68 f. (de re leviter attingenda). 17 Während narratio in dieser Schrift lediglich an dieser Stelle und insgesamt in Tertullians Œuvre selten vorkommt, nutzt er demonstratio/demonstrare sehr viel häufiger. Zu demonstrare vgl. bereits den Kommentar zu Adv. Val. 3,5. Neben insgesamt 163 Vorkommen von demonstratio/demonstrare im gesamten Œuvre stehen 10 Nennungen von narratio/narrare (vgl. CLAESSON, Index Tertullianeus, 990). Ein ebenfalls reflexiver Einschub (wie Adv. Val. 6,1 f.) – in diesem Fall zur narratio – findet sich in Adv. Herm. 26,1 (SC 439 148,12– 14 CHAPOT): Et utique sic decet narrationem inire: primo praefari, postea prosequi, nominare, deinde scribere.
4.2. Analyse von Adv. Val. 6
245
und als solcher es „verdient, verhöhnt zu werden“ (meret suggilari), postuliert er nicht nur einen lachenden Leser (6,3), sondern auch seine eigene Schuldlosigkeit für die Wahl dieser ‚Waffe‘, wenn die Narratio immer wieder mit polemischen Herabsetzungen durchmischt sein wird (vgl. auch 5,2). Es bleibt die Metaphorik der Kampfesrhetorik, mit Hilfe derer Tertullian sich im Vorhinein absichert: Sein Ziel ist kein vernichtender Zusammenstoß (quamquam autem distulerim congressionem), als vielmehr das Scharmützel vor dem eigentlichen Kampf (congressionis lusionem ante pugnam). Ihm geht es nicht darum, vernichtende „Wunden zu schlagen“ (imprimere vulnera)18 als vielmehr die „Hiebe anzudeuten“ (vulnus ostendere)19. Zugleich aber werden Herabsetzungen der Lehre und polemische Verhöhnung mancher Inhalte nicht ausbleiben, deren „endgültige Vernichtung“ (expugnatio)20 von Tertullian allerdings nicht mit „durchbohrender Berührung“ (non erit delibatione transpunctoria) geschehen wird. Tertullian ergänzt das militärische Bild mit dem Terminus transpunctorius, der sich lediglich an dieser Stelle in seinem Œuvre findet. Verbunden mit dem hier in singulärer Bedeutung verwendeten Terminus delibatio21 unterstreicht der ablativus qualitatis klangmalerisch die Art des erobernden Angriffs. Neben die militärische Metaphorik tritt die Bildlichkeit aus dem Gladiatorenkampf. Marastoni deutet transpunctorius delibatio in Verbindung mit dem folgenden lusio congressionis – auch lusio bildet ein Hapaxlegomenon in Tertullians Œuvre und verweist auf die mit Holzwaffen geführten Schaukämpfe direkt vor den eigentlichen Gladiatorenkämpfen 22 – als eine spielerische Fechtübung Vgl. TLL Art. imprimere VII/1 681,57 f.; 682,6. Zur allegorischen Deutung vgl. TLL Art. vulnus IX/2 1126.75; 1127.70. 20 Anders interpretiert Fredouille expugnatio als oppugnatio und die Entscheidung über den Ausgang des Angriffs als noch offen. Unabhängig davon, dass sich oppugnatio bei Tertullian nicht findet, beschreibt expugnatio bereits das Moment nach dem Kampf mit einem klaren Ergebnis, also dem Sieg. Zwar findet sich inhaltlich eine zeitliche Differenz zwischen der Bewaffnung und dem noch ausstehenden Sieg, dessen Ausgang allerdings für Tertullian unabdingbar feststeht. Vgl. dazu z.B. die Formulierungen in 3,5 (Bewaffnung im Perfekt, Beginnen des Siegs im Präsens), die Fortführung in 6,2 mit der Differenzierung zwischen lusio congressionis und pugna und der vorliegenden Formulierung im Futur. 21 Vgl. zur Übersetzung TLL Art. delibatio V/1 437,68 f. (de re leviter attingenda) sowie WELLSTEIN, Nova Verba, 291 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 257 Anm. 86; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 217. 22 Vgl. dazu M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 126 mit Rekurs auf den allerdings erst im 4. Jahrhundert zu datierenden Beleg bei dem Kriegstheoretiker Vegetius Renatus (Mil. I 13,3: milites, qui parum in illa prolusione profecerant) sowie FREDOUILLE, Tertullien et la Conversion, 155 f. Anm. 53, der auf Ciceros Beispiel in De orat. II 325 verweist, der polemisch Kämpfer anführt, die während der prolusio Waffen nutzen, die sie bei der eigentlichen pugna nicht verwenden sowie in II 317 als Analogie für das Exordium auf den Gladiatorenkampf rekurriert, „in dem mit dem Eisen gestritten wird“; vor diesem Zusammenstoß allerdings würde vieles geschehen, das „nicht auf die Verwundung zielt, 18
19
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Kapitel 4: Adv. Val. 6: Die rhetorische Strategie
gegen den als Feind betrachteten Pfahl und nimmt an, dass das erst spät belegte transpungo im militärischen Kontext erweitert wurde, um das durchzubohrende Material sowie das genaue Ziel bei der Waffenausübung zu bezeichnen.23 Schließlich handelt es sich nach Tertullian lediglich um ein „Spiel des Angriffs“ (lusio congressionis)24, das vor dem eigentlichen „Kampf“ (pugna) – auf literarischer Ebene der Refutatio – stattfindet.25 Er postuliert, dass nach einer offensichtlichen, in der narrativen Darlegung erfolgten Andeutung der Lächerlichkeit und Unwürdigkeit dieser Lehre kaum mehr ‚Geschütz‘ zur angreifenden Widerlegung aufzufahren ist, weil diese „mit dem Stock und nicht mit dem Schwert“26 spielerisch zugefügten Wunden bereits schwer genug für seinen endgültigen Sieg sind.27 An dieser Stelle findet sich ein weiteres Argument gegen die These, dass diese rhetorisch in der Sprache des Kampfes ausgedrückte Warnung (3,5; 6,2) – das „Vorspiel“ vor dem realen Kampf – auf die eigentliche noch ausstehende Widerlegung der Lehre der Valentinianer hinweise und sich vorliegend lediglich die ausführliche Hinführung finde.28 Rhetorisch spielt Tertullian mit einem Paradox. Auf der einen Seite formuliert er seine Intention mit Begrifflichkeiten aus dem militärischen Bereich, die auf Vernichtung der Lehre zielen, um seine eigene Tätigkeit im Vorhinein als eine solche abzusichern, die auf der anderen Seite gerade nicht zur schmerzhaften, endgültigen Vernichtung führen will. Dieses paradox wirkende Vorgehen bietet Tertullian eine entlastende Funktion: Dass sein Werk von seiner Leserschaft letztlich doch als vernichtend wahrgenommen werden kann (und soll), liegt im Stoff der valentinianischen Lehre selbst begründet, nicht aber in seinem verfassten Werk mit der beschriebenen Intention. Zugleich bleibt die Rückkehroption für Menschen, die mit der valentinianischen Lehre kurzzeitig
sondern zur Schau stattzufinden scheint“ (sed si in ipso illo gladiatorio vitae certamine, quo ferro decernitur, tamen ante congressum multa fiunt, quae non ad volnus, sed ad speciem valere videantur). Vgl. zu dieser Metaphorik auch Kapitel 6.1 der Einleitung. 23 Vgl. M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 126. 24 Vgl. auch in Adv. Val. 6,3 die Aussage, es entspreche der Wahrheit, ein solches spielerisches Scharmützel mit ihren Rivalen abzuhalten (congruit et veritati [...] de aemulis suis ludere, quia secura est). 25 Die antithetische Gegenüberstellung von lusio congressionis und pugna wird auch syntaktisch nachgezeichnet, um einen möglichst großen Gegensatz dieser beiden Arten und Wertungen der Gefechtsführung darzustellen. Tertullian nutzt gerne dieses Bild des Kampfes, vgl. z.B. Praescr. 2,7. 26 M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 126: „Un bastone in luogo della spada.“ 27 Bereits Cicero hatte diese Metapher genutzt, um dem Redner zu raten, den Beginn einer Rede nicht „zu kämpferisch“ zu formulieren (Cic., Orat. II 316 f.325), vgl. dazu 5.1. der Einleitung. 28 FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 11 f.14; DERS., Valentiniana, 155 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 221.228 f. Vgl. dazu 6.1.
4.2. Analyse von Adv. Val. 6
247
sympathisieren, offen. Mit der direkten Anrede seines Lesers (lector)29 durchbricht Tertullian die argumentative Linie und vereinnahmt ihn in seine Gedankengänge. Der Leser wird selbst zum Akteur. Auch hier findet sich ein entlastendes Moment für den Autor. (6,3) Si et ridebitur alicubi, materiis ipsis satisfiet. Multa sic digna sunt revinci, ne gravitate adornentur. Vanitati proprie festiuitas cedit. Congruit et veritati ridere, quia laetans, de aemulis suis ludere, quia secura est. Curandum plane ne risus eius rideatur, si fuerit indignus; ceterum ubicumque dignus risus, officium est. Denique hoc modo incipiam.
Methodische Begründung und Absicherung für sein ironisches Vorgehen bietet Tertullian zum Abschluss seines Exordiums als grundlegende Verständnisfolie für die folgende widerlegende Narratio. Mit dem Hinweis auf eine dem Leser auferlegte „Pflicht zu lachen“ (officium ridendi), sofern es ein dem Inhalt angemessenes Lachen ist (dignus), steht Tertullian in der antiken rhetorischen Tradition und interpretiert diese mit Blick auf seine eigene Situation.30 Gelächter als literarische und rhetorische Strategie verhilft Tertullian die genuine Lächerlichkeit des Gegenstandes, den die Schrift thematisiert, herauszustellen und bildet zugleich seine schärfste Waffe gegen die Glaubwürdigkeit der valentinianischen Lehre. Dabei kommt dem seinem Leser auferlegten Lachen eine grundlegende textimmanente Funktion zu, wirkt gruppenbildend bzw. -scheidend, dem zugleich ein selbstvergewisserndes Moment derjenigen, die sich der Wahrheit und dem nach Tertullian ‚wahren Glauben‘ zugehörig fühlen, inhäriert. Lachen stilisiert Tertullian als die einzig korrekte Reaktion seiner Leserschaft, die mit der valentinianischen Lehre konfrontiert wird. Der Qualität des Inhalts der valentinianischen Lehre (materia ipsa), d.h. dem gelehrten Mythos entspreche lediglich eine Begegnungsform: Der Leser wird lachen, weil das Thema genuin lächerlich ist (vgl. indignitas; 6,2).31 Implizit distanziert sich Tertullian davon, selbst die Waffe des ridiculum durch seine rhetorische Darstellung verwendet zu haben. Schließlich bietet der Stoff selbst einen komischen Gegenstand, für dessen evozierte Reaktion Tertullian seine eigene Passivität betonen kann, die er sprachlich mit der passiven, indefiniten und futurischen Formulierung hervorhebt. Im Hintergrund steht auch die in der Rhetorik üblicherweise vollzogene Trennung in res und verbum.32
Vgl. auch Adv. Marc. III 6,1; IV 6,4 sowie den diatribischen Stil in Adv. Val. 1,4. Vgl. dazu 6.3.1. 31 Materiis ipsis wird vorliegend als Dativ interpretiert; möglich wäre auch die Übersetzung als Ablativ: „... wird das durch den Stoff selbst gerechtfertigt werden“. 32 Die als Mythos gebotene Lehre der Valentinianer selbst (res, materia) ist für Tertullian von Unglaubwürdigkeit und Humor gekennzeichnet, nicht der von ihm gebotene Wortwitz (verbum). Vgl. Cic., De orat. II 219.240–244.248.264–289. 29
30
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Kapitel 4: Adv. Val. 6: Die rhetorische Strategie
Tertullian bietet im Folgenden in Form von Sentenzen verschiedene in der Lehre der antiken Rhetorik verankerte Erklärungen für sein Vorgehen mit dem valentinianischen Stoff. Die erste Sentenz betont die Angemessenheit (dignus) dieser Widerlegungsmethode, damit die valentinianische Darstellung, die in Tertullians Augen der ‚wahren‘ christlichen Lehre widerspricht, entsprechend der ciceronischen Grundlegung keine Bedeutung – weder auf inhaltlicher noch rhetorischer Ebene wie er mit dem ornatus der Rede impliziert – auch nur durch einen Anschein von Ernsthaftigkeit (ne gravitate adornentur) erhalte. Tertullian bleibt metaphorisch in der Sprache des Kampfes und Sieges (revincere) und impliziert die folgende widerlegende Darstellung, die den Charakter des ridiculum der Lehre offensichtlich werden lässt, als einen Sieg über die valentinianische Lehre.33 Zugleich spielt er mit der vorherigen Argumentation: Wenn unwürdige Inhalte (indignitas) es verdienen, verhöhnt zu werden, ist sein eigenes Vorgehen als angemessen zu bewerten. Mit dem Begriff „verhöhnen“ (suggillari; 6,2) bewegt sich Tertullian nahe der Grenze in die Possenreißerei, wie sie Cicero bestimmt hat,34 und sichert sich selbst mehrfach durch die Betonung seiner ihm passiv aufgezwungenen Widerlegung durch die Inhalte der Lehre, die ihm vorgegeben sind, ab (vgl. 6,2). Hinsichtlich der Frage des Redeschmucks (adorare) bildet gravitas im rhetorischen Kontext den Gegenbegriff zur Darstellung mit „feinem Witz“ (festivitas), auf den Tertullian hier anspielt. Für Cicero zielt gravitas vielmehr auf „ehrenhafte und ernste Dinge“, während Scherz und Humor (iocus) auf „hässliche und missgestaltete“ Sachverhalte angewendet wird.35 33 Revincere findet sich in Adv. Val. einzig an dieser Stelle. Dass revincere im rhetorischen Sinn (refutare) zu interpretieren ist, belegt z.B. auch Praescr. 35,1 f. (SC 46, 136,1– 10 REFOULÉ/DE LABRIOLLE): His definitionibus provocatae a nobis et revictae haereses omnes […]. Si enim negant veritatem eius, debent probare illam quoque haeresin esse, eadem forma revictam qua ipsae revincuntur, et ostendere simul ubinam quaerenda sit veritas quam apud illas non esse iam constat. Dabei steht Tertullian in der nordafrikanischen Tradition: Nachdem sich bei Cicero revincere lediglich einmal in seinem gesamten bekannten Œuvre findet und zwar als gerichtlicher Terminus im Sinne vom rhetorischen refutare in Arch. 11 (revincere gilt generell als seltener Terminus, vgl. den Kommentar zur Stelle VRETSKA, HELMUTH/VRETSKA, KARL, Marcus Tullius Cicero. Pro Archia poeta. Ein Zeugnis für den Kampf des Geistes um seine Anerkennung [Texte zur Forschung 31], Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1979, 111), weist Apuleius ein gehäuftes Vorkommen in rhetorischer Bedeutung von revincere auf, vgl. z.B. Apol. 41; 53; 55. Vgl. dazu auch GLARE, Oxford Latin Dictionary, revinco 3, Sp. 1647; TOMMASI MORESCHINI weist darauf hin, dass revincere im Sinne des ebenfalls im antihäretischen Kontext widerlegend gebrauchten ἐλέγχω genutzt wird (vgl. DIES., Adversus Valentinianos, 258 Anm. 89 sowie LIDDLE/SCOTT/JONES, A Greek-Englisch Lexicon, ἐλέγχω, Sp. 531). 34 Vgl. 6.3.1 der Einleitung. 35 Vgl. Cic., De orat. II 219; 248: Tantum interest, quod gravitas honestis in rebus et severis, iocus in turpiculis et quasi deformibus ponitur. Der Terminus festivitas begegnet in
4.2. Analyse von Adv. Val. 6
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Indem Tertullian bezweckt, diese Darstellung nicht durch gravitas aufzuwerten, impliziert er erneut seine Wertung und Haltung zur valentinianischen Lehre, wie die zweite Sentenz betont: Parallel zum Vorherigen eröffnet er einen rhetorischen Gegensatz, indem er gravitas mit der in seinem Werk lediglich hier vorkommenden festivitas36 kontrastiert. Die widerlegende Darstellung soll nicht „mit Ernsthaftigkeit geschmückt werden“ (ne gravitate adornentur); vielmehr „tritt vorzugsweise Heiterkeit an die Stelle des leeren Scheins“ (vanitati proprie festivitas cedit). Schließlich werde sich zeigen, dass der Gegenstand, über den gelacht werden wird, die materia ipsa der valentinianischen Lehre, nichts mehr ist als „leerer Schein“ (vanitas).37 Diese rhetorisch grundlegende Vorüberlegung überträgt Tertullian im Folgenden auf sein bestimmendes Thema: die christliche Wahrheit. Die kopulative Konjugation sowie die Wiederholung des Terminus ridere/risus verbindet beide Gedanken miteinander. Waren die Überlegungen zunächst allgemeiner rhetorischer Natur, schlägt die Übertragung den Bogen zurück zum Beginn des Exordiums (1,1.4). Als Parallelismus formuliert Tertullian abschließend zwei weitere Charakteristika der personifizierten Wahrheit: Sowohl „zu lachen“ (ridere), „weil sie fröhlich ist“ (quia laetans), als auch „ein furchtloses Sein“ (quia secura est) – dieses drückt er erneut mit der Metaphorik des spielenden Kampfes aus (de aemulis suis ludere; vgl. 6,2)38 – gehören genuin zur Wahrheit.39 Mittels einer Anapher (congruit, curandum, ceterum) schließt Tertullian die doppelte Schlussfolgerung an. Strukturell argumentiert er mit einem ironischen De orat. nur außerhalb der Abhandlung über das Lachen und wird von Cicero besonders zur Bezeichnung einer humorvollen Rede genutzt (vgl. dazu LEEMAN, M. Tullius Cicero, De oratore libri III, 184). In Praescr. 41,1 beschreibt Tertullian den Lebenswandel der Häretiker als Aufweis, dass ihnen keine gravitas zukomme. 36 Zu festivitas bei Cicero vgl. 6.3.1. der Einleitung sowie TLL Art. festivitas VI/1 623,52–63. Die Rhetorica ad Herennium beschreibt festivitas als einen Begriff der Rhetorik mit Eigenschaft der elocutio, dessen Gegenteil gravitas darstelle (vgl. Rhet. Her. IV 45,3). Entweder wird die Rede ausgeschmückt durch „feinen Witz“ (festivitas) oder durch „Ernsthaftigkeit“ (gravitas). Bei Quintilian findet sich diese Gegenüberstellung nicht. 37 Dass Tertullian dabei seine eigene Terminologie im Aufzeigen einer notwendigen Folge eines Sachverhalts variiert (congruit, dignus/indignus, proprie cedit), dazu vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 155 Anm. 50. Im Hintergrund steht auch hier die ciceronische Differenzierung in ein Lachen aufgrund der Sache (res) und infolge des Wortwitzes (verbum). Riley interpretiert hingegen, dass die valentinianische Lehre von den Valentinianern mit scheinbarer Ernsthaftigkeit ausgeschmückt werde und Tertullian seine Leser warne, nicht denselben Fehler zu begehen (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 132). 38 Diese Konstruktion von ludere + de findet sich bei Tertullian häufiger (entgegen der klassischen Konstruktion mit Akkusativ): vgl. Pall. 3,3; Ad Nat. I 10,37; Apol. 29,4; Pud. 1,1; 10,7; Adv. Herm. 11,3. 39 Ähnlich formuliert Tertullian in Ad Nat. II 1,5. Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 219.
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Kapitel 4: Adv. Val. 6: Die rhetorische Strategie
Irrealis als Vordersatz, dem ein als Realis formulierter Nachsatz folgt. Das elliptische einleitende Gerundiv (curandum)40 spielt auf die Notwendigkeit an – die Ironie wird durch das Adverb plane verstärkt –, der lachenden Wahrheit Einhalt zu gebieten, sofern ihr Lachen als ein unwürdiges (indignus) gekennzeichnet ist, weil es nicht der Wahrheit entspricht und für sie agiert. Sofern der Stoff und Inhalt allerdings als gegen die Wahrheit stehend und als unwürdig charakterisiert wird, verdient er es, ausgelacht und verspottet zu werden (vgl. 6,2). Die figura etymologica (risus rideatur) betont die ironische Komponente, indem das Lachen der Wahrheit nachdrücklich als ihr substantiell und wesenhaft handlungsorientiert herausgestellt wird. 41 Der chiastisch gegenüberstehende Realis klärt die vorherige Ironie auf, indem „würdiges Lachen“ (dignus risus) zur verpflichtenden Aufgabe (officium) gesteigert wird, genauso wie Tertullian zuvor „das Auslachen des Unwürdigen“ (indignitas suggillari) als notwendige Folge herausgestellt hat. Damit ist der Bogen zum Beginn des Exordiums geschlagen und die jeweiligen Charakterisierungen sind von Tertullian spielerisch gegenübergestellt worden.42 War officium zunächst Gegenstand des ironischen Angriffs Tertullians, weil die Valentinianer ihre Anhänger zur Geheimhaltung über ihre Lehre und Lebenswandel verpflichtet hatten (custodiae officium, officium silentii), macht er sich dieses Argument nun zu eigen. Mit dem Oxymoron der „Pflicht zu lachen“ (officium ridendi) hat der Theologe parallel zur Stilisierung seiner literarischen Gegner auch für seine eigene Position ein officium entwickelt, das der Verpflichtung zum Schweigen der Valentinianer diametral gegenübersteht. Weil Tertullian in seinem Werk die Prämisse setzt, dass die Valentinianer diese verpflichtende Aufgabe von ihren Anhängern erwarten, entwickelt er auch für seine Gruppe eine solche Handlungsanweisung, die auf die Geheimhaltungspflicht reagiert, die Tertullian einseitig als schamvolles Verbergen unziemlicher Inhalte interpretiert.43 Mit diesem Lachen über diese Lehre, die verborgen gehalten wird, kommt der literarischen Lach-Aufforderung sozial exkludierende und ächtende Bedeutung zu. Der Widerspruch in der Verbindung von einem Zwangsverhalten (officium) und einer intrinsischen Emotion (ridere) 40 Curare erinnert an die große Sorge der Valentinianer, ihre Lehre verborgen und geheim zu halten (Adv. Val. 1,1). 41 Anders interpretieren FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 219; DERS., Valentiniana, 155 und TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 258 Anm. 91, die ridere als Verkürzung des Kompositums deridere lesen. Zur Gefahr der leichten Steigerung vom Lachen zum Auslachen vgl. z.B. auch Quint., Inst. VI 3,7: a derisu non procul abest risus. Allerdings argumentiert Tertullian hier für die Angemessenheit der gewählten Methode, in deren Funktion das Lachen des Lesers tritt. 42 Terminologisch zeigt sich dies auch z.B. mit den Termini curare in 1,1; 6,3; officium in 1,1 f.; 6,3 und veritas in 1,1.4; 6,3. 43 Zur rituellen Funktion von Gelächter im eleusinischen Mysterienkult vgl. H ALLIWELL, Greek laughter, 155–214, bes. 160–166.
4.2. Analyse von Adv. Val. 6
251
bildet den Höhepunkt der ironischen Paradoxie, mit deren Hilfe Tertullian eine Lachgemeinschaft entworfen und einen Lachanlass inszeniert hat. In seinem Verständnis bildet die valentinianische Lehre das Material, auf das es zu reagieren gilt, was gerade nicht in einem Lächerlichmachen besteht als vielmehr in einem klärenden Herausstellen der genuinen Lächerlichkeit selbst. Es entspricht der Würde des Redners und ist daher seine Aufgabe im ciceronischen Sinn, die sich für ihn aufdrängende Lächerlichkeit des valentinianischen Systems herauszuarbeiten und darzulegen.44 Mit diesen Gedanken schließt Tertullian sein Exordium ab und leitet in die folgende widerlegende Narratio – den spielerischen Kampf gegen die Valentinianer durch Offenlegung ihrer Lehre – über.
44
Vgl. ähnlich FREDOUILLE, Tertullien et la conversion, 155 Anm. 52.
Kapitel 5
Adv. Val. 7–13: „Die erste Szene der Tragödie“ (13,2): Die Fülle der valentinianischen Gottheit – Das Pleroma 5.1 Gliederung von Adv. Val. 7–13 5.1. Gliederung von Adv. Val. 7–13
Als ersten Akt eines auf der Bühne zur Aufführung kommenden Theaterstückes (13,2) deutet Tertullian die Darstellung der valentinianischen Gottheit und ihrer Lehre vom Pleroma. Bevor er zur Darstellung einsetzt (7,3b), die dem griechischen irenäischen Text entspricht, bietet Tertullian seiner Leserschaft ein Bild zur Deutung dieser Gottheit. Diese entspreche in ihrer Differenzierung einer Mietshauskaserne der ärmeren römischen Bevölkerung (7,1–3a). In seiner Vorüberlegung charakterisiert er die darzustellende Gottheit als polytheistisch und instabil. Die Darlegung der Entstehung des valentinianischen Pleromas (7,3b–8,2) karikiert er abschließend in einem Beispiel (8,3–5). Es folgt das in der valentinianischen Lehre als Fall der Sophia beschriebene Ereignis, das Tertullian ebenfalls wie Irenäus in zwei Versionen schildert (9,1–4; 10,1– 5). In Adv. Val. 11 überliefert er die Lehre zur Befestigung des Pleromas, die in der Gleichwerdung aller Äonen und der gemeinsamen Hervorbringung Jesu mündet (Adv. Val. 12). Die Geschehnisse, die sich nach valentinianischer Lehre innerhalb des Pleromas ereignet haben, resümiert Tertullian in 13,1 und ordnet diese innerhalb seines Theatervergleichs ein (13,2).
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13 5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
5.2.1. Adv. Val. 7,1–3a: Tertullians Vorüberlegung: Die valentinianische Gottheit ist polytheistisch und instabil (7,1) Primus omnium Ennius1 poeta Romanus "caenacula maxima caeli" simpliciter pronuntiavit, elati situs nomine vel quia Iovem. illic epulantem legerat apud Homerum. Sed haeretici quantas supernitates supernitatum et quantas sublimitates sublimitatum in habitaculum dei sui cuiusque suspenderint extulerint expanderint, mirum est.
Tertullians widerlegende Darstellung der valentinianischen Lehre beginnt mit einem Zitat aus dem lediglich fragmentarisch überlieferten Epos Annales des 1
56.
Kroymann wertet Ennius als Interpolation, dagegen bereits FREDOUILLE, Valentiniana,
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
253
römischen Schriftstellers Ennius. Analog zu seiner Deutung im Exordium (vgl. 3,2–4) verortet Tertullian die folgende darzustellende Lehre durch die Voranstellung des Zitats in der polytheistischen Vorstellungswelt der römischen Umwelt. Er betont Originalität und Autorität des Ennius (primus omnium)2 und tradiert ein direktes Zitat (caenacula maxima caeli), auf dessen Sinngehalt er auch im folgenden Abschnitt rekurriert (7,2). 3 Mit zwei interpretatorischen Hinweisen nutzt Tertullian dieses Zitat für seine eigene Argumentation. Caelum meint metaphorisch den Himmel, für den Ennius in seinen Werken auch andere Metaphern kennt.4 Caenaculum bezeichnet ursprünglich das römische Speisezimmer und ist zudem ein Ausdruck für das Obergeschoss. Varro fasst die Etymologie zusammen: „Wo sie [d.h. die Römer, SMK] speisten 2
Das betont vorangestellte primus ist ein gängiger rhetorischer Topus im Enkomium (vgl. THRAEDE, KLAUS, Art. Erfinder II [geistesgeschichtlich], in: Reallexikon für Antike und Christentum 5 [1962], 1191–1278, 1201–1204; zu Parallelen FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 220).
Die überlieferungsgeschichtliche Bedeutung innerhalb der Rekonstruktion der Fragmente des Epos des Ennius ist ebenso wie die Frage nach der Vorlage Tertullians umstritten. In Anim. 33,8 rekurriert er ohne direkte Zitation auf den Poeten, ebenfalls mit Rekurs auf Homer (vgl. WASZINK, Tertulliani. De Anima, 398 f. Der Rekurs auf Homer ist sicherlich als in der Ennius-Tradition fundiert anzunehmen; schließlich stilisierte dieser sich selbst als Homerus redivivus [Ann. 1], sowie Hor., Epist. II 1,50 f.: alter Homerus, ut critici dicunt). Hinter der Anspielung auf den „Raub der Sabinerinnen“ in Adv. Val. 32,3 steht vermutlich auch der Epiker; Fredouille sieht auch eine Anspielung in Apol. 9,13, schränkt allerdings ein, dass sich keine direkte Abhängigkeit konstatieren lässt (DERS., Contre les Valentiniens, 220 f.; der Kommentar von GEORGES diskutiert diese Möglichkeit nicht, vgl. DERS., Tertullian ‚Apologeticum‘, 178 f.). Zum Ennius-Fragment Ann. 51, das sich lediglich noch in den auf das 5. Jahrhundert nach Christus zu datierenden Scholien zur Aeneis Vergils findet, vgl. SKUTSCH, OTTO, The Annals of Q. Ennius, Oxford/New York: Oxford University Press 1985, 203; FLORES, ENRICO, Quinto Ennio Annali. Bd. 2: Libri I–VIII. Commentari (Forme, materiali e ideologie del mondo antico 34), Neapel: Liguori 2002, 42–44; ELLIOTT, JACKIE, Ennius and the Architecture of the Annales, Cambridge/New York: Cambridge University Press 2013, 258 f.445. Vahlen zählt in seiner Edition dieses Fragment als Nr. 43 in Buch I (vgl. VAHLEN, JOHANNES, Ennianae Poesis Reliquiae, Leipzig: Teubner 1854, 12), Warmington als Nr. 57 (WARMINGTON, ERIC H., Remains of old Latin. Bd. 1: Ennius and Caecilius [Loeb Classical Library 294], Cambridge: Harvard University Press 2006, 20. Zur Datierung vgl. die Einleitung von CORNELL, TIM (Hg.), The Fragments of the Roman Historians, Oxford: Oxford University Press 2013, 117 f. Auch das Schol. Ver. ad Aen. X 1 verweist auf Homer (s.u.). Das Epitheton magnus/maximus fehlt allerdings und abweichend zur tertullianischen Überlieferung überliefert das Scholion cenaculum caeli im Singular. Cicero tradiert das Ennius zugeschriebene Zitat „ungeheure Bögen des Himmels“ (caeli ingentes fornices), bemängelt allerdings den Terminus fornix für die Himmelssphäre und favorisiert sphaera (vgl. Orat. III 162: Quo in genere primum est fugienda dissimilitudo: ‚caeli ingentes fornices‘; quamvis sphaeram in scaenam, ut dicitur, attulerit Ennius, tamen in sphaera fornicis similitudo inesse non potest.). 4 Zum metaphorischen Gebrauch bei Ennius vgl. den Kommentar zur Stelle von SKUTSCH, The Annals of Q. Ennius, 203; FLORES, Annali. Bd. 2, 44; ELLIOTT, Ennius, 258. 3
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
(cenabant), das nannten sie Speisezimmer (cenaculum) […]. Nachdem sie oft im oberen Teil des Hauses zu speisen (cenitare) begannen, wurde das Ganze des oberen Hauses cenacula genannt […].“ 5 Auch wenn Varro damit einen Hinweis auf die pluralische Verwendung von cenaculum bietet, lässt sich an dieser Stelle in der pluralischen Formulierung der ironische Ton Tertullians vernehmen. Dieser rekurriert in seiner Interpretation des Fragments zum einen mit dem Verweis auf die „hohe Lage“ (elati situs nomine) auf die Deutung von caenaculum als oberes Stockwerk des Hauses.6 Die zweite Begründung spielt zum anderen auf ein göttliches Himmels-Bankett an, das bereits Homer überliefert habe.7 Diese von Ennius nach Tertullian „ganz schlicht“ (simpliciter), lediglich auf den Gott Jupiter angewandte Vorstellung überträgt er im Folgenden auf die valentinianische Gotteslehre. Die Voranstellung des Subjekts haeretici betont die Gegenüberstellung. Thematisch verwendet Tertullian das Zitat zur Lokalisierung der valentinianischen Gottheit (habitaculum)8. Er polemisiert gegen
Var., L. V 30,162: Ubi cenabant cenaculum vocitabant […]. Posteaquam in superior parte cenitare coeperunt, superioris domus universa cenacula dicta […]. Varro führt die Etymologie der Termini an, die zum domus gehören, und gibt damit die etymologische Deutung zu cenaculum (V 30,160–163; vgl. auch TLL Art. cenaculum III/0 780,37–41). 6 Die Konstruktion nomine + Genitiv findet sich häufiger bei Tertullian vgl. R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 132 f.; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 221. 7 Die homerische Passage ist nicht genau zu identifizieren, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 220 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 258 f. Anm. 95 sowie SKUTSCH, The Annals of Q. Ennius, 203. Möglicherweise steht auch die bei Ovid überlieferte Vorstellung über die Götterversammlung, die über das Schicksal von Romulus entscheidet, im Hintergrund (Met. XIV 805–815, vgl. so auch WARMINGTON, Remains of Old Latin, 20). Nach Plautus (Am. 861–864) wohnt Jupiter im oberen, himmlischen Bereich (vgl. dazu auch die Anspielung auf Ennius, die Horaz Lucilius in den Mund legt [Sat. I 10,54]. Diese Vorstellung der im Himmel wohnenden Götter findet sich sowohl in der griechischen Vorstellung wie z.B. bei Homer [Il. I 426] als auch bei römischen Schriftstellern, vgl. z.B. Vergil, der vom „doppeltgeöffneten Saal“ [tectis bipatentibus; Aen. X 5] schreibt, in dem sich die Götter niederlassen. Dabei spricht er zwar von tectum [cenaculi], allerdings findet sich der Terminus bipatens zuerst bei Ennius [vgl. TLL Art. bipatens II/0 2000,4–26], auf den Vergil also auch terminologisch rekurriert.). Vgl. auch Ov., Met. I 175 f.: Hic locus est, quem, si verbis audacia detur, haud timeam magnis dixisse Palatia caeli. Innerhalb der Beschreibung wird dieser himmlische Wohnort mit den Worten arduum aether (151), caeleste regnum (152), summa arce (163), manifesta caela (168) oder atria nobilium deorum (171 f.) beschrieben. Auch Ovid nutzt das Adjektiv magnus, das im Fragment des Ennius zum Superlativ gesteigert ist und das traditionell als Epitheton zu caelum gehört und zugleich speziell Jupiter und seinen Bereich im poetischen Kontext beschreibt (vgl. dazu auch den Kommentar von BÖMER, FRANZ, P. Ovidius Naso. Metamorphosen. Kommentar, Heidelberg: Winter 1969, 76–81). 8 Vgl. zuerst bei Aul. Gell., Noct. V 14,21; dazu TLL Art. habitaculum VI/3 2466,25; habitaculum wurde im übertragenen Sinn auf den Himmel als Wohnort der Götter 5
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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eine Pluralisierung der Gottheit, wie er sie der valentinianischen Lehre unterstellt, für die im Bild des Obergeschosses eines Hauses jeweils neue Zimmer angebaut werden müssen (vgl. auch 7,2 f.). Seinen polemischen Ton verstärkt die zweifache parallele Formulierung mit Hilfe des „paronomastische[n] Genitivus intensitivus” (quantas supernitates supernitatum et quantas sublimitates sublimitatum) 9 sowie die pleonastische, asyndetische Synonymenverbindung (suspenderint extulerint expanderint). Das Substantiv supernitas hat Tertullian analog zu sublimitas neu gebildet, um seinen anvisierten Ausdruck über die unzähligen und unermesslichen Höhen (quantas supernitates supernitatum)10 sowie eine unermessliche Erhabenheit (quantas sublimitates sublimitatum) der Wohnstätte der valentinianischen Gottheit größtmöglich nicht nur durch die paronomastische Wortverbindung, sondern auch durch die pleonastischen Komparation zu steigern. In sublimitas klingt dabei nicht nur eine lokale Position an, sondern auch eine qualitative Deutung.11 Den Vorwurf des Polytheismus expliziert Tertullian, indem er die angewandt wurde (aaO., 2467,30–51). In ist final zu deuten (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 221). 9 Formal wird die zuerst im Ägyptischen belegte und als „hebräischer Superlativ“ bekannte Ausdrucksverstärkung eines Terminus durch eine paronomastische Genitivkonstruktion mit seinem eigenen Plural-Genitiv gebildet (figura etymologica), sodass das nomens regens „in der ihm eigentümlichen Qualität intensiviert“ wird (vgl. dazu SCHÄFER, GERD, König der Könige, Lied der Lieder. Studien zum Paronomastischen Intensitätsgenitiv [Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 2], Heidelberg: Winter 1974, Zitat: 151). Dass Tertullian im vorliegenden Kontext auch das nomens regens pluralisch formuliert und je mit quantas einführt, weist auf eine Verbindung von qualitativer und quantitativer Ausdruckssteigerung der Begriffe supernitas und sublimitas hin (vgl. SCHÄFER, aaO., 151 f., zur Entwicklung im Hebräischen 92–94, seit Plautus findet sich diese Ausdrucksverstärkung mit Hilfe eines zweiten, partitiv zu deutenden Genitivs, dazu WELLSTEIN, Nova Verba, 315). Eine ähnlich ironische Verwendung belegt Tertullian in Pud. 1,6, wenn er einen Bischof, der geschlechtliche Unzucht bei angemessener Buße vergibt, höhnisch als pontifex maximus und als episcopus episcoporum betitelt. (Diese Wendung findet sich bereits griechisch in Epist. Clem 1,1. Schäfer argumentiert für eine gegen den Kaiser Elagabal gerichtete Spitze, der sich als oberster Priester des syrischen Sonnengottes verstand. Dabei sieht er die Verehrung des Obersten im Mithraskult als pater patrum in der tertullianischen Polemik mitschwingen. Ob dabei die Bildung episcopus episcoporum aus der judenchristlichen Terminologie stammt oder eine Neubildung in Analogie zum Mithraskult darstellt, lässt er offen, vgl. aaO., 85–87). 10 Die Formulierung lässt sich sowohl quantitativ als auch qualitativ werten. Wellstein deutet den neugebildeten Terminus supernitas in der Verbindung supernitates supernitatum als Parodie eines gnostischen Ausdrucks. Die paronomastische Verbindung im Plural wirke dem Lateinischen unangemessen (vgl. DERS., Nova Verba, 315). 11 Vgl. G LARE, Oxford Latin Dictionary, sublimitas, Sp. 1843. Sublimitas findet sich häufig bei Tertullian und das verwandte Adjektiv sublimen in Adv. Val. 7,3 als terminus technicus sowie das Verb sublimare in 20,1. Wie nah sich die Termini sublimitas und supernitas in ihrer Bedeutung stehen, legt auch der jeweilige Eintrag im Blaise nah, der für beide
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valentinianische Deutung der Gottheit in ihren einzelnen Aspekten, die entsprechend der Vorstellung der Emanation als einzelne Äonen hervorgebracht werden (vgl. Adv. Val. 7,3 ff.), individualisiert als einzelne Götter darstellt (dei sui cuiusque); mit diesem Vorwurf korrespondiert der pleonastisch gesteigerte Plural von supernitas und sublimen. Mit einem Trikolon charaktersiert Tertullian abschließend spöttisch, dass diese Wohung der valentinianischen Gottheit „schwebe“ (suspenderint), „sich erhebe“ (extulerint) und „ausbreite“ (expanderint) und nimmt damit die römische Perspektive des Bauens von oben nach unten auf, was sich architektonisch in einer Stützkonstruktion niederschlägt, auf der das Haus erbaut ist.12 Cicero attestiert Rom, aufgehängt zu sein und zu schweben.13 Zugleich unterstellt Tertullian den Valentinianern damit ironisch, dass ihr ‚Gotteshaus‘, also ihre Lehre der Gottheit, instabil und in der Entwicklung des Lehrgebäudes unkontrollierbar konstruiert worden sei. (7,2) Etiam creatori nostro Enniana caenacula in aedicularum disposita sint forma: aliis atque aliis pergulis superstructis et unicuique deo per totidem scalas distributis, quot haereses fuerint, meritorium factus est mundus.
Tertullian verbleibt in der Metaphorik und bezieht das Bild der „enneanischen Säle“ (Enniana caenacula) ironisch auch auf den christlichen Schöpfergott, den er durch das Possessivprononem nostro betont der valentinianischen Gottheit antithetisch gegenüberstellt. Creator gebraucht Tertullian wie einen Eigennamen ausschließlich zur Bezeichnung des eigenen christlichen Gottes.14 Die Antithese von dem einzigen durch das Possessivprononem charakterisierten Schöpfergott auf der eigenen christlichen Seite, wie Tertullian sie vertritt, und der Vielzahl an Göttern auf der valentinianischen Seite (unicuique deo) unterstreicht die lokale Gegenüberstellung der großen Säle (caenacula) und der vielen kleinen, ärmlichen Zimmerchen (in aedicularum).15 Tertullian zielt darauf, die Absurdität der valentinianischen Theologie herauszustellen, verbindet diese entsprechend seiner Metaphorik mit einem kosmologischen Vergleich und weitet die Perspektive damit überspitzend, indem er das ganze Begriffen „hauteur“ als Übersetzung angibt (DERS., Dictionnaire Latin-Français, sublimitas 1, S. 783; supernitas, S. 798). 12 Vgl. auch Vitr. II 8,17. 13 Cic., Agr. II 96: Romam [...] cenaculis sublatam atque suspensam. 14 Vgl. ausführlich zum Begriff creator bei Tertullian B RAUN, Deus christianorum, 372– 378; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 222 und TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 259 Anm. 98. 15 Aedicula wird auch als domucula („kleines Häuschen“) näher definiert (TLL Art. aedicula I/0 916,25) und gilt als Charakteristikum für insulae (vgl. 7,3) bei Pl., Epid. 402 und Cic., Cael. 17. Tertullian selbst nutzt aedicula lediglich ein weiteres Mal mit der Bedeutung „Altar“ (Idol. 8,1). Disponere und distribuere können ebenfalls spezifische architektonische Bedeutung tragen (TLL Art. disponere V/1 1422,44–60; distribuere V/1 1545,24–32 mit Verweis auf Vitruv). Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 222.
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„Weltengebäude“ (mundus) in den Blick nimmt. Schließlich führe die valentinianische Vorstellung dazu, dass die Welt einem Mietshaus (meritorium) gleichkomme. Entsprechend seiner Metaphorik skizziert er ein Weltenhaus, in dem so viele Dachzimmer übereinander gebaut sind (aliis atque aliis pergulis superstructis) und über Treppen einem jeden Gott zugänglich sind (et unicuique deo per totidem scalas distributis), wie es Häresien gibt. Die Treppen münden im Chaos. Tertullian verwendet erneut die explizit polytheistische Formulierung und weitet seine Polemik aus, indem er die Zahl der Götter mit der Zahl der Häresien korrelieren lässt (per totidem scalas, quot haereses fuerint).16 Den Vorwurf der Pluralisierung der Lehre und des Variantenreichtums der valentinianischen Lehre hat Tertullian bereits in Adv. Val. 4 erhoben und wird er in der Darstellung, besonders in Adv. Val. 33–39 weiter ausführen.17 (7,3a) Insulam Feliculam credas tanta tabulata Caelorum. Nescio ubi illic etiam Valentinianorum deus ad summas tegulas habitat.
Die eingeführte Metapher des Weltenhaus für die valentinianische Gottheit überträgt Tertullian im Folgenden auf ein konkretes, historisch zu lokalisierendes und seiner Leserschaft bekanntes Gebäude. Insula Feliculan korrespondiert als historisches Gebäude zu Satzbeginn mit der an Ennius Zitat angelehnten Metapher der Vielzahl an himmlischen Stockwerken (tanta tabulata Caelorum) am Satzende.18 Zusammengehalten werden diese durch das Verb (credas), mit dem im potentialen Konjunktiv die Leserschaft direkt angeredet wird; Tertullian zielt auf deren Kenntnis und Wertung des wegen seiner Höhe berühmten Mietshauses Feliculan in Rom.19 In der IX. Region ist in Rom die im 2. Jahrhundert erbaute und im 4. Jahrhundert noch als Attraktion belegte Insula Feliculan lokalisiert, die wie ein ‚Wolkenkratzer‘ aus dem Stadtbild hervorschoss, sodass Juvenal spotten kann, dass im 3. Stock Feuer ausbricht und „als
16 Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 222 mit Verweis auf Festus: cenacula dicuntur ad quae scalis ascenditur. 17 Facere inhäriert ein aktives Moment auf Seiten der Häresien, dem ein passives Moment auf Seiten Tertullians entspricht. 18 Das Bild der vielen einzelnen Stockwerke der Himmel verwendet Tertullian auch in Scorp. 10,1 im Kontext der Erlösungsvorstellung. Tertullian polemisiert gegen die valentinianische Ablehnung des Martyriums und der Vorstellung, dass das wahre Bekenntnis erst vor den himmlischen Mächten abzulegen sei. Vgl. dazu auch Adv. Val. 30,1 f. 19 Aus Platzmangel entstand in spätrepublikanischer und augusteischer Zeit der unabhängige, blockförmige, mehrgeschossige insula-Bautyp von Häusern, die statt mit Nebengebäuden und Höfen (domus) in die Höhe errichtet wurden. Einzelne Geschosse wurden als coenacula bezeichnet und differenzierten sich wiederum in einzelne Räume. Archäologisch lässt sich in Rom dieser Bautyp in der Region beim Marsfeld nachweisen. Vgl. dazu LAMPE, Die stadtrömischen Christen, 49–52.
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letzter derjenige verbrennen wird, den allein ein Dach vor Regen schützt“, weil er von nichts weiß.20 In Tertullians Wertung ist die valentinianische Gottheit nicht nur in eine Vielzahl gespalten; während es sich bei Ennius lediglich um den einen Himmel, der Jupiter zugeordnet ist, handelt (7,1), differenzieren sich bei den Valentinianern viele Himmel aus (caelorum). In diesem Vergleich lokalisiert Tertullian die valentinianische Gottheit nicht nur in einem unübersichtlichen Gebäude (habitat, vgl. habitaculum 7,1), sondern diese haust auch in den obersten den Ärmsten der römischen Bevölkerung vorbehaltenen Stockwerken (ad summas tegulas). Polemisch charakterisiert Tertullian den Gott der Valentinianer nicht nur in seiner Vielzahl, sondern verbindet ihn auch mit der mittellosen Bevölkerung Roms. Ironisch spielt er mit der Unübersichtlichkeit des ‚Wolkenkratzers‘ und hebt in seinem Kommentar zur Lokalisierung des valentinianischen Gottes (deus Valentiniani) die eigene Unwissenheit hervor (nescio ubi). 5.2.2. Adv. Val. 7,3b–8: Die valentinianische Gottheit: Die Ogdoas (7,3b) Hunc substantaliter quidem Αἰῶνα Τέλειον appellant, personaliter vero Προπάτορα et Προαρχήν, etiam Bython, quod in sublimibus habitanti minime congruebat. Innatum immensum infinitum invisibilem aeternumque definiunt; quasi statim probent esse, si talem definiant qualem scimus esse debere, ut sic et21 ante omnia fuisse dicatur.
Im Folgenden referiert Tertullian die valentinianische Vorstellung von Gott (3. Person Plural), die er zugleich mit deutenden und wertenden Kommentaren durchwebt; den Einschnitt markiert er syntaktisch durch die betonte Voranstellung (hunc). Tertullian benennt eine Differenzierung innerhalb der valentinianischen Lehre zwischen der göttlichen Substanz (substantialiter quidem) und den Namen, die den personifiziert vorgestellten Eigenschaften der Gottheit, den verschiedenen, als Äonen bezeichneten Entitäten22 zugeschrieben werden 20 Juv., Sat. III 190–202 (hier: 201 f.: […] ultimus ardebit quem tegula sola tuetur a pluvial […]). Weitere Literatur zum insula-Bautyp vgl. SCHOLLMEYER, PATRICK, Handbuch der antiken Architektur, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, 157 f. und GROS, PIERRE, L’architecture Romaine. Du Début du IIIe Siècle av. J.-C. à la Fin du HautEmpire (Les Manuels d’Art et d’Archéologie Antiques), Bd. 2, Paris: Picard 1996, 111–118. Hinweise auf insula-Bauten in Nordafrika gibt es bisher für Volubilis (nach pompejischen Baustil), vgl. dazu HALES, SHELLEY, The Roman House and Social Identity, Cambridge/New York: Cambridge University Press 2003, 195–204 (gegen FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 222 f.). 21 Zur vorliegenden Lesart, die et adverbial deutet und den Paragraphenbeginn von 7,4 verschiebt, vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 56 f.; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 64 Anm. 5. 22 Mit dem Terminus Äon wird als „ewiger Entität“ die größtmögliche Distanz zwischen dem obersten Prinzip und den vergänglichen Abbildern markiert. Markschies deutet diese ‚Ewigkeiten‘ in musikwissenschaftlicher Metaphorik als „erkennbar christlich-gnostische
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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(personaliter vero), die keine andere Quelle bezeugt.23 Die Termini und Eigennamen überliefert er (außer Bythos) auf Griechisch.24 Dem obersten Äon der Gottheit werden die Namen „Voranfang“ (Proarche), „Vorvater“ (Propater) und „Abgrund“ (Bythos) beigegeben. Die Polynome markieren die vollkommene Differenz dieses transzendenten Prinzips und obersten Äons von allen weiteren zu emanierenden Äonen sowie der geschaffenen Materie. Im Hintergrund der Lehre lässt sich ein mittelplatonisches Verständnis deuten, bei dem Bythos als nicht hervorgebrachter, transzendenter Ursprung auf einer Strukturebene dem ersten Gott und Nus des Numenios entspricht.25 ‚Kontrafakturen‘ der platonischen Idee, die nach einer verbreiteten mittelplatonischen Vorstellung die Gedanken Gottes sind“ (MARKSCHIES, CHRISTOPH, Individualität bei einigen gnostischen Autoren, in: Wilhelm Gräb/Lars Charbonnier [Hg.], Individualität. Genese und Konzeption einer Leitkategorie humaner Selbstdeutung, Berlin: Berlin University Press 2012, 50–73, 54 f.). 23 In Adv. Val. 4,2 schreibt Tertullian von personales substantias. Die Personifizierung ist als Zuspitzung tertullianischer Polemik einzuordnen. Dass diese philosophische Deutungskategorie auch nicht zu eng mit dem valentinianischen Gedankengut verbunden sein kann, belegt, dass Tertullian selbst in seiner später gegen Praxeas gerichteten Schrift diese Differenzierung substantia Dei und persona für seine eigenen innergöttlichen Spekulationen und trinitätstheologische Differenzierung nutzen kann. Substantialis bildet Tertullian analog zu personales. 24 Vgl. 9.2.2. zum Hinweis auf die griechische Fassung von Irenäus’ Werk als Vorlage. Allerdings liegt bei der Wiedergabe der griechischen Termini ein Zirkelschluss vor. Tertullians Überlieferung ist nicht eindeutig und wird im Editionstext mit der irenäischen Parallele korrigiert und setzt damit eine Übernahme aus dem Text voraus. Der erste bei Tertullian überlieferte Begriff lässt sich dabei leichter zu Προπάτορα konjizieren, sodass daraus die Änderung der Reihenfolge im tertullianischen Text folgt. 25 Die Strukturparallelen des valentinianischen Mythos zum mittelplatonischen Modell z.B. des Numenios stellt ausführlich dar ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 274–282. Nach Numenios ist „der erste Gott einfach, während er in sich selbst ist, wobei er niemals teilbar ist, weil er ganz auf sich selbst gerichtet ist.“ (ὁ θεὸς ὁ μὲν πρῶτος ἐν ἑαυτοῦ ὤν ἐστιν ἁπλοῦς, διὰ τὸ ἑαυτῷ συγγιγνόμενος διόλου μή ποτε εἶναι διαιρετός; Eus., P.E. XI 18,3 [GCS 43/2, 40,19 f. MRAS] = frg. 11 DES PLACES). Er ist „feststehend“ und auf die intelligiblen Dinge bezogen; zugleich ist die ihm „zugehörige Unbewegtheit, anstelle der Bewegung, die bei dem Zweiten ist, eine mit ihm mitgewachsene Bewegung, von der die Ordnung der Welt, ihr ewiger Bestand und ihr Heil auf alles ausgegossen wird“ (δηλονότι ὁ μὲν πρῶτος θεὸς ἒσται ἑστώς, [...]. ὁ μὲν οὖν πρῶτος περὶ τὰ νοητά [...]. μὴ θαυμάσῃς δ’ εἰ τοῦτ’ ἔφην’. πολὺ γὰρ ἔτι θαυμαστότερον ἀκούςῃ. ἀντὶ γὰρ τῆς προσούσης τὴν προσοῦσαν τῷ πρώτῳ στάσιν φημι εἶναι κίνησιν σύμφυτον, ἀφ’ ἧς ἣ τε τάξις τοῦ κόσμου καὶ ἡ μονὴ ἡ ἀΐδιος καὶ ἡ σωτηρία ἀναχεῖται εἰς τἀ ὃλα; Eus., P.E. XI 18,20 f. [43,15–21] = frg. 15; vgl. die Rede von der „starren Gottheit“ in Adv. Val. 7,4). Er ist „das Gute an sich“ (αὐτοἀγαθός; Eus., P.E. XI 22,5 [50,6] = frg. 16). Zur Chakaterisieirung des ersten Gottes bei Alkinoos vgl. Did. X 3 sowie KÖCKERT, CHARLOTTE, Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie. Die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher
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Allein Bythos verwendet Tertullian in der folgenden Darstellung zur Bezeichnung dieses Äons und karikiert diesen Namen in seiner Bedeutung entsprechend der zuvor genutzten Metaphorik (vgl. 7,1–3); schließlich würde dieser Name „keineswegs einem Bewohner in den Höhen entsprechen“ (quod in sublimibus habitanti minime congruenbat). Die konative Nuance des Imperfekts, die den Valentinianern implizit vorwirft, nicht zu versuchen, einen dem Wohnort angemessenen Namen zu kreieren, sowie die offensichtlich inkongruente Verbindung disparater Elemente (‚Tiefe‘ und ‚Wohnen in der Höhe‘) tragen eine polemische Bedeutung ein. Asyndetisch referiert Tertullian – das im Plural formulierte Verb (definiunt) verweist wieder auf eine Wiedergabe valentinianischer Gedanken – fünf Prädikate, die entsprechend der Bewertung ex negativo den obersten Aspekt der valentinianischen Gottheit charakterisieren. Tertullian kritisiert subtil: Die Valentinianer, die ihren Gott gerade als „unbegrenzt“ (in-finitum) beschreiben, begrenzen ihn (de-finire) mit dieser Charakterisierung, indem sie das göttliche Wesen in Worte bringen. Tertullian referiert in der vorliegenden Reihung die valentinianischen Gottescharakteristika,26 um im Nachsatz die mit diesen Begriffen evozierte Wesenheit der Gottheit zu attackieren. Quasi statim markiert den ironischen Ton der folgenden Kritik. Tertullian bestreitet, dass durch die Zuschreibung der Gottescharakteristika, die auch für seine Gottesvorstellung Gültigkeit haben (qualem scimus esse debere)27, zugleich das Wesen Gottes bestimmt wird (quasi statim probent esse, si talem Timaeus-Interpretationen (Studien und Texte zu Antike und Christentum 56), Tübingen: Mohr Siebeck 2009, 148–164. 26 Der valentinianische Gott ist „ungeboren“ (innatus); der Neologismus gibt das irenäische ἀγέννητος/ingenitus wieder (vgl. auch Adv. Val. 11,2; 15,1; dazu TLL Art. innatus VII/1 1694,31–63; BRAUN, Deus christianorum, 48–51). Er ist „unermesslich“ (immensum) und „unbegrenzt“ (infinitum), vgl. auch Adv. Val. 7,4.6; 9,1. Während Irenäus’ griechische Version ἀχώρητος formuliert, umschreibt die lateinische Fassung mit Et quem nulla res capere possit. In Apol. 17,2 nutzt Tertullian immensus auch für die Beschreibung der Erkennbarkeit des christlichen Gottes, nicht aber als Gottesattribut (vgl. dazu BRAUN, aaO., 52; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 223). Er ist invisibilis; dieses findet sich später auch in der lateinischen Fassung von Irenäus’ Werk zur Wiedergabe von ἀόρατος und bezeichnet bei Tertullian auch die Erkennbarkeit seines eigenen christlichen Gottes in Apol. 17,2 (CChr.SL 1, 117,6 DEKKERS): Invisibilis est, etsi videatur; vgl. dazu BRAUN, aaO., 53– 56 sowie Adv. Val. 35,2. Die asyndetische Aufzählung mündet klimaktisch in das mit nachgestelltem -que angehängte aeternus (zur Wiedergabe von ἀΐδιόν), das sich in der lateinischen Fassung von Irenäus als sempiternus findet. In Anim. 24,7 ist dieser philosophische Gedankengang bereits ausformuliert (VCS 100, 33,23–25 WASZINK): Quod enim aeternum est, eo quia et innatum est, neque initium neque finem temporis admittendo nullum modum temporis patitur. Selten findet sich bei Tertullian allerdings die Verbindung Deus aeternus (vgl. dazu BRAUN, aaO., 79 f.). 27 Vgl. z.B. Adv. Marc. I 7,2 f., dort nutzt Tertullian das gleiche Argument wie im vorliegenden Kontext.
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definiant). Er wehrt ein – in der Stoa vertretenes – Verständnis ab, dass Dingen von Natur aus Namen zukommen.28 Dagegen vertritt er ein sophistisch-aristotelisches Verständnis, dass Namen unabhängig der Wesenheit und Beschaffenheit eines Dings menschengemacht sind; Eigenschaften kommen einem Ding kraft seiner Wesenheit zu. 29 Im finalen Schlusssatz steigert Tertullian seine Kritik dahingehend, dass die Valentininer nicht nur die Existenz ihrer Gottheit entsprechend dieser Namensgebung als „Vorvater“, „Voranfang“ und „Abgrund“ sowie der Zuordnung der Charakteristika „auf diese Art und Weise“, d.h. in dieser Wesenheit, lehrten, sondern auch seine Präexistenz „vor allen Dingen“ (ut sic et ante omnia fuisse dicatur) annähmen.30 (7,4) Sed ut sit expostulo, nec aliud magis in huiusmodi denoto, quam quod post omnia inveniuntur qui ante omnia fuisse dicuntur, et quidem non sua. Sit itaque Bythos iste infinitis retro aevis in maxima et altissima quiete, in otio plurimo placidae et, ut ita dixerim, stupentis divinitatis, qualem iussit Epicurus.
Seinen zweiten Kritikpunkt (et ante omnia fuisse; 7,3) konkretisiert Tertullian im Folgenden, der mit der Formulierung in der 1. Person Singular als Person deutlich erkennbar bleibt. Die Existenzaussage bildet für ihn keinen Streitpunkt (sed ut sit expostulo). Vielmehr nutzt er das Chronologie-Argument, um einen logischen Denkfehler in der valentinianischen Gotteslehre zu markieren.31 Schließlich sollen diejenigen, „die nach allem gefunden werden“ (post omnia inveniuntur), also die Äonen, die in der Zeitlichkeit des mythtologischen Geschehens nach Bythos emaniert werden (vgl. 7,5–8,2), „vor allem gewesen sein“ (qui ante omnia fuisse). Obwohl die Valentinianer einen präexistenten Schöpfergott postulierten, könnten doch „alle Dinge jedenfalls nicht zu ihnen [bzw. den Äonen] gehören“ (et quidem non sua), wie Tertullian polemisch konstatiert.32 Tertullian führt die valentinianische Vorstellung der Existenz von Bythos weiter aus, um gleichzeitig gegen diese zu polemisieren. Sprachlich formuliert er distanzierter mit Bythos iste; dies unterstreicht die Formulierung im Konjunktiv. Die valentinianische Lehre von Bythos’ Sein „vor unbegrenzten Ewigkeiten in größter und tiefster Ruhe“ (infinitis retro aevis in maxima et altissima quiete) ironisiert Tertullian bereits in der Darstellung, indem er mit der Etymologie von aeon und aevum spielt sowie mit dem Hendiadyoin der beiden 28 Vgl. Adv. Marc. I 7,3 (SC 365, 130,19 f. B RAUN): [...] non nomini, sed statui, nec appellationi, sed condicioni eius summum magnum et adscribo et vindico. 29 Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 224 sowie B RAUN, Tertullien. Contre Marcion I, 130 f. Anm. 1. 30 Ante omnia fuisse kann durch das irenäische προόντα (Adv. Haer. I 1,1) inspiriert sein. 31 Den Topos des chronologischen Arguments nutzt Tertullian häufiger, vgl. u.a. Adv. Marc. V 19,1; Apol. 47,10. 32 Sua bezieht sich syntaktisch auf omnia; auf einen stoischen Hintergrund verweist MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 131.
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Superlative die Aussage amplifiziert.33 Die folgende Deutung der Existenz Bythos’ als „ausgedehnte Muße einer friedlichen und sozusagen starren Göttlichkeit“ (in otio plurimo placidae et, ut ita dixerim, stupentis divinitatis)34 spitzt er im Vergleich mit der Lehre des Naturphilosophen Epikurs zu. Der valentinianische Gott gleiche dem epikureischen, der über allem passiv ruht.35 Dies widerspricht der im Folgenden referierten Lehre der Valentinianer, die in Bythos den Anfang der Emanation aller weiteren Äonen deuten. (7,5) Et tamen quem solum volunt, dant ei secundam in ipso et cum ipso personam, Ennonian, quam et Charin et Sigen insuper nominant. Et forte accedunt in illa commendatissima quiete movere36 eum de proferendo tandem initio rerum a semetipso. Hoc
33 Infiniti aevi kann vom irenaeischen ἐν ἀπείροις αἰῶσι inspiriert sein, während in maxima et altissima quiete die bei Irenäus als ἐν ἡσυχίᾳ καὶ ἠρεμίᾳ πολλῇ widergegebene Beschreibung (Adv. Haer. I 1,1) amplizierend darstellt. 34 Numenios verweist darauf, dass die Unbewegtheit des ersten Gottes eine latente Bewegung in sich trägt (vgl. Eus., P.E. XI 18,20 f. = frg. 15 DES PLACES). 35 Das moderierende ut ita dixerim zeigt Tertullians polemischen Einschub innerhalb der Lehrdarstellung an; stupentis kommt über die Epikur-Polemik in den Text (vgl. auch Adv. Val. 14,1). Im Kontext der Auseinandersetzung mit verschiedenen philosophischen Gottesvorstellungen verwirft auch er in Apol. 47,6 den epikureischen Gedanken (Epicurei otiosum et inexercitum [CChr.SL 1, 163,25 DEKKERS]. Epikur dient ebenfalls als polemische Deutung in der Auseinandersetzung mit Markion (Adv. Marc. I 25,5 [SC 365, 224,31 BRAUN]: Epicuro [...] consiliario Marcionis; V 19,7). Auch Plotin führt einen komparativischen Vergleich zwischen den Gnostikern und Epikur, der als Vertreter der Lustlehre eingeführt wird, an (Enn. II 9,15). Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 225; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 261 Anm. 08; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 132. 36 Es ist an der Lesart der Handschriften festzuhalten, die accedunt [...] movere lesen. Analog zum vorherigen nominant bilden die Valentinianer auch zu accedunt das Subjekt. Vom irenäischen Text her schlägt Kroymann vor, accedit zu lesen (ihm folgt Marastoni) sowie Fredouille accidit (so auch Tommasi Moreschini und neuerdings Lukas). Für die Zeit Tertullians ist keine Differenzierung zwischen accidere und accedere auszumachen (BRAUN, Deus christianorum, 185 f.; DERS., Notes 192 f. sowie TLL Art. accido I/0 290,29– 31; Art. accedo I/0 253,65–67). Auch movere bietet die lectio difficilior, vgl. dazu den Kommentar sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 226; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 262 Anm. 111; BRAUN, Notes, 192 f. sowie CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 65 Anm. 4. Die Konstruktion mit de ist ungewöhnlich, allerdings von Tertullian häufiger gebraucht (vgl. RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 134). Die Lesart im Singular (acci/edit) würde – grammatikalisch mit movere + de weiterhin herausfordernd – das mythologische Geschehen, so wie es Irenäus beschreibt, bezeichnen: „Und zufällig ereignet es sich in jener äußerst angenehmen Ruhe, dass er (d.h. Bythos) über die Hervorbringung des Anfangs der Dinge aus sich selbst heraus nachdachte (bzw. bewegt wurde).“ Die vorliegende Lesart (accedunt [...] movere) behält drei Schwierigkeiten: 1) Die Parallele zum irenäischen Text ist nicht gegeben, kann allerdings entweder von der tertullianischen Polemik indiziert sein oder mit den Handschriften korrumpiert worden sein. 2) forte ist in der Übersetzung in
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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vice seminis in Sige sua velut in genitalibus vulvae locis collocat. Suscipit illa statim et praegnans efficitur et parit, utique silentio, Sige, quem parit Nus est simillimum37 patri et parem per omnia.
In der Fortsetzung des Referats der valentinianischen Lehre (vgl. 3. Person Plural) markiert Tertullian das Paradox, das er wahrnimmt, bereits einleitend (et tamen). Dem Äon, der nach ihrer Lehre „allein sein soll“ (quem solum volunt)38, wird gleichzeitig „eine zweite Person“ an seine Seite gegeben (dant ei secundam personam). Zum göttlichen obersten Prinzip tritt das „Denken“ (Ennoia). In der von Tertullian unkommentierten Näherbestimmung des Seins der zweiten Person in Relation zu Bythos, nämlich „in ihm und mit ihm“ (in ipso et cum ipso) zu sein, klingt noch die valentinianische Vorstellung an, dass es sich um einen Aspekt der Gottheit handelt, der neben Bythos tritt. Erst Tertullians Polemik und konsequente Personalisierung der Äonen verschleiert dieses Verständnis. 39 In der Annahme eines mittelplatonischen Verständnisses lässt sich die gnostische Vorstellung als selbstreflexive Erkenntnis des Göttlichen, wie es in der relationalen Beziehung in ipso et cum ipso und den ÄonenNamen noch anklingt, verstehen. Erst im Akt des Denkens ist etwas Zweites beim obersten Äon, dem Abgrund, Vorvater und Voranfang, ohne von diesem getrennt zu sein. Auch die zweite Person symbolisiert verschiedene Aspekte der Gottheit, die ihr durch Polynome auf mythologischer Ebene zukommen: Das Denken ist bei Bythos im „Schweigen“ (Sige) und als „Gnade“ (Charis). Die Aspekte Bythos und Ennoia stehen für die göttliche Transzendenz und bilden den Anfangspunkt für die Entstehung alles Weiteren. Entsprechend der Emanationsvorstellung40 folgt aus der Selbstexplikation Gottes im sich selbst den AcI hineinzuziehen, was zumindest eine ungewöhnliche Satzstellung aufweist. 3) Die Konstruktion movere + de bleibt ungewöhnlich. 37 Als lectio difficilior und Tertullians ironischem Stil entsprechend ist diese Lesart und Wortreihenfolge der Handschriften beizubehalten. Ob die Kasusangleichung (Nus im Nominativ statt Akktusativ) bereits bei Tertullian oder erst im Zuge der Überlieferung verkehrt wurde, bleibt offen. Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 262 Anm. 115 (entsprechend der Editionen von Kroymann, Marastoni und Riley), gegen FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 227. 38 Dieses die Motivation seiner Gegner beschreibende, etwas unmotiviert wirkende volunt findet sich auch in 15,1. 39 Vgl. dazu 9.2.2.3. 40 Emanation (ἀπόρροια, προβολή, emanatio, emissio) beschreibt das Moment des „seinsmäßigen Hervorgehens niedriger Wesenheiten aus höheren“, und zwar „derart, daß dies Hervorgehen ein stufenmäßiges Absteigen u. eine fortschreitende Verminderung an Sein u. Wert mit einschließt“ (RATZINGER, JOSEPH, Art. Emanation, in: Reallexikon für Antike und Christentum 4 [1959], 1219–1228, 1220). Vgl. auch die Definition bei Tertullian selbst: Adv. Prax. 8,1 (CChr.SL 2 1167,2 f. KROYMANN/EVANS): [...] prolationem rei alterius ex altere quod facit Valentinus, sowie bei Iren., Adv. Haer. II 13,6 (SC 294, 118,109 f. ROUSSEAU/DOUTRELAU): Emissio enim est eius quod emittitur extra emittentem manifestatio. Zum Terminus vgl. auch TLL Art. profero X/2 1683,61–1684,5. Dörrie hat zudem die antiken Vorstellungen, die im Emanationsbegriffs kumulieren, herausgearbeitet und
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erfassenden Denkakt als drittes Externalisiertes bzw. Aspekt der Gottheit die Vernunft (Nus). Dieses Moment referiert Tertullian (accedunt)41 und ironisiert es zugleich auf dem Hintergrund seiner vorherigen Deutung von Bythos als „starrer Göttlichkeit“ (stupentis divinitatis; 7,4), die nun „in jener äußerst angenehmen Ruhe“ (in illa commendatissima quiete)42 in Bewegung (movere) gerät; diese Bewegung interpretiert Tertullian zugleich als kontingent (forte).43 Ergebnis dieser Bewegung von Bythos ist die „Hervorbringung des Anfangs der Dinge aus sich selbst“ (de proferendo tandem initio rerum a semetipso).44 Tertullian kritisiert zudem auf einer zweiten plastischeren Ebene: Entsprechend der mythologischen Vorstellung der Emanation als Zeugungs- und Geburtsakt deutet Tertullian diesen in seiner Polemik als eine wirkliche Hervorbringung (movere), die er sich – entsprechend seiner Sexualisierungsvorwürfe gegenüber der valentinianischen Lehre im Exordium – als realen Zeugungsakt vorstellt. Irenäus tradiert den Akt noch als denkende Selbstexplikation der valentinianischen Gottheit.45 Auf diesem Hintergrund erhält auch die gesteigerte Aussage in illa commendatissima quiete eine ironische Färbung, indem Tertullian mit dieser Übertreibung darauf hinweist, dass bei einem solchen Zeugungsakt gar kein Schweigen bzw. Ruhe geherrscht haben könne. Diese Annahme unterstützt die Beschreibung des weiteren mythologischen Geschehens: Bythos, der den maskulinen Teil des Zeugungsaktes einnimmt, legt den zu zeugenden Anfang „anstelle eines Samens“ (vice seminis) in das weibliche Pendant, Sige; dies konkretisiert Tertullian in Analogie zu einer Schwangerschaft mit der Explikation „wie in die fruchtbaren Orte der Gebärmutter“ (velut in genitalibus vulvae locis). Als Trikolon konstatiert Tertullian die sofortige Empfängnis (suscipit), das Ergebnis der Schwangerschaft (praegnans efficitur) und die Geburt (parit).46 Ironisch deutet er auch an dieser
aufgezeigt, dass die gnostischen Systeme sich dieser Vorstellungswelt bedienen (vgl. DÖRRIE, HEINRICH, Emanation. Ein unphilosophisches Wort im spätantiken Denken, in: Kurt Flasch [Hg.], Parusia. Studien zur Philosophie Platons und zur Problemgeschichte des Platonismus, Festgabe für Johannes Hirschberger, Frankfurt a.M.: Minerva 1965, 119–141). 41 Zu dieser Lesart vgl. Anm. 36. 42 Erneut formuliert Tertullian übertreibend mit einem Elativ, der auf seine Ironie hindeutet. 43 Forte lässt sich schwerlich für das bei Irenäus überlieferte καὶ ἐννοηθῆναί ποτε deuten, sondern markiert den kontingenten Charakter des Geschehens als „zufällig“ oder „plötzlich“. Auch tandem weist auf den polemischen Unterton der Phrase hin. 44 Auch Numenios weist auf ein scheinbares Paradox hin, vgl. Eus., P.E. XI 18,21 = frg. 15 DES PLACES). Vgl. zudem Epiph., Pan. 31,5,3; Hipp., Ref. VI 29,5. 45 Vgl. Adv. Haer. I 1,1 (SC 264 29,80–82 R OUSSEAU/D OUTRELAU): καὶ ποτὲ ἐννοηθῆναί ἀφ’ ἑαυτοῦ προβαλέσθαι τὸν Βυθὸν τοῦτον Ἀρχην τῶν πἀντων. 46 Die Sexualisierungsvorstellung findet sich auch bei Iren., Adv. Haer. I 1,1 (29,82– 30,86): καὶ καθάπερ σπέρμα [...] καὶ καθέσθαι ὡς ἐν μήτρᾳ τῆς συνυπαρχούσης
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Stelle und spielt mit der Etymologie, dass diese Befruchtung und Schwangerschaft natürlich „durchaus stillschweigend“ (utique silentio) geschehe, weil es sich um das Schweigen handelt, das schwanger wird und gebiert. Der „Anfang der Dinge“, den Bythos in Sige einpflanzt und „aus sich selbst hervorbringt“, ist der „Verstand“ (Nus). Als solcher ist er „seinem Vater äußerst ähnlich und in allem gleich“ (simillimum patri et parem per omnia).47 Erst mit Nus ist die Potentialität für die Erschaffung des Seins gegeben. Die Begründung dazu führt Tertullian in Adv. Val. 7,6 an. (7,6a) Denique solus hic capere sufficit immensam illam et incomprehensibilem magnitudinem patris. Ita et ipse pater dicitur et initium omnium et proprie Monogenes. Atquin non proprie, siquidem non solus agnoscitur48. Nam cum illo processit et femina, cui Veritas . Monogenes, quia prior genitus, quanto congruentius Protogenes vocaretur!
Aufgrund seiner Ähnlichkeit zum Vater (vgl. 7,5) vermag „allein Nus jene unermessliche und unbegreifliche Größe des Vaters zu erfassen“ (solus hic capere sufficit immensam illam et incomprehensibilem magnitudinem patris)49. Als der den Verstand repräsentierenden Aspekt der Gottheit bringt er die Möglichkeit zur reflexiven Selbsterkenntnis. Eine Parallelisierung mit dem mittelplatonischen System lässt Nus strukturell mit dem zweiten Gott bzw. Nus des Numenios korrelieren.50 Die genealogische Formulierung, die Bythos aus Nus ἑαυτῷ Σιγῆς· ταύτην δὲ ὑποδεξαμένην τὸ σπέρμα τοῦτο καὶ ἐγκύμονα γενομένην ἀποκυῆσαι Νοῦν. 47 Die parallele Stelle bei Irenäus formuliert die Ähnlichkeit demjenigen gegenüber, der Nus „hervorgebracht hat“ (Adv. Haer. I 1,1 [30,86 f.]: ὅμοιόν τε καὶ ἶσον τῷ προβαλόντι), sodass die konsequente Genealogisierung sowie Steigerung (simillimum) auf Tertullians Eingriff zurückgeht. 48 Zur Beibehaltung der handschriftlichen Lesart (agnoscitur lässt sich als Anspielung auf die Zeremonie der Erkenntnis des Kindes und den dies lustricus lesen) vgl. FREDOUILLE, Valentinina, 57 f.; DERS., Contre les Valentiniens, 228; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 263 Anm. 118; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 135. Anders lesen Kroymann, Marastoni und Chiapparini, die der Konjektur zu agnascitur folgen, das inhaltlich auf die Frucht des Pleromas anspielen (vgl. 7,7), die folgende Ironie Tertullians vorbereiten würde und zugleich ein botanischer und juristischer terminus technicus ist. 49 Magnitudo lässt die göttliche Transzendenz in Worte fassen, vgl. B RAUN, Deus christianorum, 40–42. Mit immensus nimmt Tertullian ein Charakteristikum auf, das er bereits in 7,3 zur Beschreibung der valentinianischen Gottheit angeführt hat und ergänzt die Unbegreiflichkeit (incomprehensibilis; vgl. dazu aaO., 54 f.). Es findet sich eine Aussage über die Erkennbarkeit Gottes (vgl. auch Apol. 17,2 bzw. auf die Kosmologie bezogen 48,11); anders TLL Art. immensus VII/1 996,22. 50 Der zweite Nus des Numenios unterscheidet sich in seiner Weise zu existieren und zu wirken; er ist bewegt und auf die intelligiblen und wahrnehmbaren Dinge bezogen (ὁ δὲ δεύτερος ἔμπαλίν ἐστι κινούμενος [...] ὁ δὲ δεύτερος περὶ τὰ νοητὰ καὶ αἰσθητά; Eus., P.E. XI 18,20 [GCS 8/2, 43,16 f. MRAS] = frg. 15 DES PLACES). Diese zweifache Ausrichtung des zweiten Nus, als „teilbare Einheit“ differenziert Numenios begrifflich als
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Perspektive als pater bezeichnet, steht unverbunden neben der im Mythos fundierten Namenszuschreibung, nach der ein Eigenname von Nus selbst „Vater“ (pater) lautet.51 Zugleich heiße er „Anfang aller Dinge“ (initium omnium) entsprechend seiner ihm zukommenden demiurgischen Aufgabe. Erst durch seine Emanation entfaltet sich aus der Einheit die Vielheit als vermittelnde Instanz für die folgenden Äonen.52 Zuletzt heißt er „im eigentlichen Sinn Einziggeborener“ (proprie Monogenes)53, was Tertullian sofort polemisch einschränkt, da dieser Name auf der logischen Ebene falsch sei. Schließlich könne ihm dieser Name nicht „im eigentlichen Sinne“ (proprie) zukommen, da Nus nicht alleine ist. An seine Seite gehört sein weibliches Pendant, die feminine Wahrheit (veritas), die gemeinsam mit ihm emaniert wurde (cum illo processit et femina). 54 Nus werde zweiten und dritten Gott (KÖCKERT, Christliche Kosmologie, 92). „Der zweite und dritte Gott ist einer. Wenn er mit der zweifachseienden Materie mitgenommen wird, dann eint er sie. Er wird aber von ihr geteilt, wenn sie ein begehrliches Verhalten hat und in Fluß kommt.“ (ὁ θεὀς μέντοι ὁ δεύτερος καὶ τρίτος ἐστὶν εἷς· συμφερόμενος δὲ τῇ ὕλῃ δυάδι οὔσῃ ἑνοῖ μὲν αὐτήν, σχίζεται δὲ ὑπ’ αὐτῆς, επιθυμητικὸν ἦθος ἐχούσης καὶ ῥεούσης; Eus., P.E. XI 18,3 [40,21–41,2] = frg. 11, vgl. auch Eus., P.E. XI 22,3–5 = frg. 16). Zur Differenzierung zwischen ersten und zweiten Gott bei Numenios, der Frage einer Dreigötterlehre sowie dem Wirken des Demiurgen vgl. ZIEBRITZKI, HENNING, Heiliger Geist und Weltseele. Das Problem der dritten Hypostase bei Origenes, Plotin und ihren Vorläufern (Beiträge zur historischen Theologie 84), Tübingen: Mohr Siebeck 1994, 67–89; KÖCKERT, aaO., 90–104. 51 Die Hinführung ita et ipse markiert Tertullians Polemik. 52 Letztendlich lässt sich auf Nus das gesamte demiurgische Geschehen zurückführen: Als Demiurg gilt er in Bezug auf alle 27 Äonen nach ihm, vermittelt durch den von ihm emanierten Sermo (Adv. Val. 7,6); vermittelt durch Christus festigt er die Äonen in ihrer endgültigen Gestaltung (11,1); vermittelt durch den Soter schafft er aus den unkörperlichen Leiden der Enthymesis die Materie (16,3) und gilt als Vorbild für den wirkenden Demiurgen der Welt, vermittelt durch Soter und Achamoth (19,1). Vgl. auch ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 275. 53 Dieser durch die johanneische Theologie christologisch geprägte Terminus (Joh 1,18) drückt auch im gnostischen Mythos die einzigartige Nähe des Nus zum Urgrund aus. Zum Begriff vgl. z.B. BRAUN, Deus christianorum, 247. Dass der Terminus im 2. Jahrhundert problematisch wurde, zeigt exemplarisch das Vorkommen bei Tertullian: Alle acht Vorkommen von monogenes finden sich in Adv. Val. im Kontext der valentinianischen Lehre. Den griechischen Terminus nutzt Tertullian nie zur Bezeichnung der eigenen christologischen Position. Die lateinische Übersetzung unigenitus hingegen verzeichnet sechs Vorkommen (Adv. Prax. 7,1; 15,6 [zweimal] zur Darstellung der eigenen christlichen Lehre; Adv. Herm. 18,3; Scorp. 7,4 und Anim. 12,2 zur Beschreibung valentinianischer Gedanken). Vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 133. 54 An dieser Stelle nutzt Tertullian entsprechend der griechischen Version von Irenäus (συμπροβεβλῆσθαι) mit procedere einen Terminus zur Bezeichnung der Emanation, der auch das Hervorgehen des Logos in seiner trinitarischen Darlegung Adv. Prax. bezeichnet (2,1.4; 7,1.6). Vgl. zur Terminologie der Emanation bei Tertullian BRAUN, Deus christianorum, 294–297.
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folglich gar „nicht alleine erkannt“ (non solus agnoscitur). Tertullians Kritik kumuliert in den spöttischen Ausruf des Namens Monogenes, um komparativisch anzufügen, dass Erstgeborener (Protogenes) ein viel passenderer Name sei, weil Nus früher – und nicht als einziger – geboren sei (prior genitus).55 (7,6b) Ergo Bythos et Sige, Nus et Veritas prima quadriga defenditur Valentinianae factionis, matrix et origo cunctorum. Namque ibidem Nus, simul accepit prolationis suae officium, emittit et ipse ex semetipso Sermonem et Vitam.
Es folgt eine erste Zusammenfassung (ergo) und tertullianische Wertung der innergöttlichen wesenhaften Differenzierung in der valentinianischen Lehre. Die beiden ersten „Verbindungen aus Männern und Frauen“ (coniugationes masculorum et feminarum, 7,8), Bythos und Sige, Nus und Veritas, bilden nach Tertullian das „erste Viergespann der valentinianischen Mannschaft“ (prima quadriga Valentinianae factionis). Anders als Irenäus, der die ersten vier Äonen der valentinianischen Gottheit in griechischer Tradition als „pythagoreische Vierheit“ versteht,56 interpretiert Tertullian mit einer Metaphorik aus den spectacula und nutzt das in der römischen mythologischen Tradition verankerte Bild der quadriga.57 Damit nimmt er seine in Adv. Val. 3 bereits benannte Deutung einer Konvergenz zwischen der polytheistisch verfassten römischen Religion und der valentinianischen Lehre auf, was sich auch im Terminus factio zeigt. Factio kann gerade nicht für die eigene christliche Gemeinschaft herangezogen werden, sondern bezeichnet rechtlich nicht legitimierte Gruppierungen (illicitae facitiones; Apol. 38,1) im römischen Reich (vgl. auch collegia; Adv. Val. 1,1).58 Damit unterstellt Tertullian den Valentinianern nicht nur innerchristlich, sondern auch reichsrechtlich einen illegitimen Status. Attributiv fügt Tertullian zwei Funktionen dieser ersten vier Äonen an; die Bestimmung als „Mutter“ (matrix) verweist erneut auf das metaphorisch genutzte Bild der Emanation. Die erste Vierheit gilt daher als „Ursprung aller“ (origo cunctorum), aus dem nicht nur die folgenden Äonen, sondern auch die Materie sowie die Erschaffung der Welt und des Menschen hervorgehen werden. In der Fortführung des mythologischen Geschehens, nach dem Nus „sogleich“ (ibidem) zwei weitere Äonen emaniert, findet sich die Begründung (namque) dafür, dass Nus initium omnium ist. Schließlich sei er hervorgebracht
55 Zur exklamatorischen Bewegung mit ähnlicher Konstruktion (quanto + Komparativ) vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 58 (auch gegen Tilgung dieser Passage bei Kroymann). 56 Dazu vgl. den Kommentar zu Adv. Val. 8,4. 57 Die Leserschaft wird an den von vier Pferden gezogenene Wagen des Sonnengottes erinnert. In Spect. 9 nennt Tertullian weitere römische Traditionen der quadriga und konkludiert, dass der Lenker der quadriga Götzendienst vollbringt. Chiapparini sieht in der quadriga auch das bei Irenäus tradierte Bild ohne einen philosophischen Bezug durchschimmern (DERS., Valentino gnostico, 67 Anm. 9). 58 Vgl. ausführlich Tertullians Abhandlung in Apol. 38–40.
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worden, um sich fortzupflanzen (simul accepit prolationis suae officium)59. Die doppelte Benennung des selbstreflexiven Prozesses im Emanationsakt (et ipse ex semetipso) markiert Tertullians Polemik. Ergebnis dieser Hervorbringung bildet das Äonenpaar „Wort“ (Sermo) und „Leben“ (Vita).60 Mit diesen beiden Äonen beginnt die Folge von Emanationen, die sich darin ähneln, dass sie alle kein direktes Wissen um die obersten Aspekte der Gottheit besitzen. Im Unterschied zur obersten Vierheit kann sich dieser im Wort externalisierte Aspekt Gottes nicht denkend selbst erfassen, strebt aber nach der Erkenntnis.61 (7,7) Quae si retro non erat, utique nec in Bytho. Et quale est, ut in deo vita non fuerit? Sed et haec soboles, ad initium universitatis et formati62 pleromatis totius emissa, facit fructum: Hominem et Ecclesiam procreat.
Es folgt ein kurzes ironisches Intermezzo Tertullians. Dabei bezieht er sich polemisch nur auf den emanierten Äon „Leben“ (Vita), nicht aber das Wort (Sermo).63 Er spielt mit dem Terminus vita sowie der chronologischen Abfolge des mythologischen Geschehens. Da das Leben erst in diesem Emanationsschritt entstanden ist, folgert Tertullian, dass solches nicht in Bythos gewesen
59 Officium erinnert an einen zentralen Terminus im Exordium (vgl. 1,1 f.; 6,3); der vorliegende Gedanke findet sich allerdings auch bei Irenäus umschrieben (vgl. Adv. Haer. I 1,1 [30,93]: Αἰσθόμενον δὲ τὸν Μονογενῆ τοῦτον ἐφ’ οἷς προεβλήθη). 60 Wie bereits bei Veritas verwendet Tertullian nun lateinische Begriffe zur Bezeichnung der Äonen (vgl. dazu Adv. Val. 6,2). 61 Aland deutet die bei Numenios angelegte begriffliche (!) Differenzierung in einen zweiten und dritten Nus (vgl. dazu oben Anm. 50) in der valentinianischen Lehre als eine stärkere Ausdifferenzierung. Die von Nus hervorgebrachten Äonen, Sermo bis Sophia sind auf der Strukturebene parallel zum dritten Nus des Numenios zu verstehen. Dazu und zu den gleichzeitigen und grundsätzlichen Differenzen der Systeme vgl. DIES., Der Demiurg und sein Wirken, 274–278. Zugleich ist wahrzunehmen, dass Tertullian den polytheistischen Anschein der Aufsplitterung der Gottheit betont, wohingegen die valentinianische Lehre – stärker als die mittelplatonische Lehre – daran interessiert ist, die Einheit herauszustellen, was sich z.B. an der Bezeinung von Nus als Vater abzeichnet (vgl. dazu auch 9.2.2.3 der Einleitung). 62 Es ist der Lesart der Handschriften als lectio difficilior zu folgen. Der Konjekturvorschlag, der parallel zu initium und entsprechend der irenäischen Parallele zu formationem ändert – die Präposition ad wäre allerdings nicht wiederholt worden –, verschiebt die syntaktische Parallelität des Satzes, versucht aber die Logik des Mythos klarer auszudrücken, nach der dem Pleroma erst formatio zukommt und dieses nicht bereits „geformt“ ist. Vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 134. 63 Das überrascht insofern, als dass Sermo als christologischer Äon Angriffsfläche geboten hätte. Vgl. z.B. Plotins Kritik, dass der Logos als Hypostase zwischen Nous und Seele angesiedelt sei und daher keine unmittelbare Gotteserkenntnis habe (Enn. II 9 [33] 1,57–63); dazu z.B. ALAND, Der gnostische Mythos, 269 oder entgegengesetzt ALT, KARIN, Philosophie gegen Gnosis. Plotins Polemik in seiner Schrift II 9 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Geistes- und Sozialwissenschaftliche Klasse 7), Stuttgart: Steiner 1990, 16 f.
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sein könne (Quae si retro non erat, utique nec in Bytho), was er in einer rhetorischen Frage kritisiert: In dieser Deutung spricht er dem Äon mit Namen Vita die Qualität von Leben ab, wenn in Gott – an dieser Stelle setzt er Bythos, der in der valentinianischen Lehre den obersten Aspekt der Gottheit darstellt, mit dem Äon Vita gleich und bestätigt seinen Vorwurf der Vielgötterei an die Valentinianer – nicht von Beginn an Leben war (Et quale est, ut in deo vita non fuerit?). Adversativ (sed) führt Tertullian in die weitere Darstellung des Mythos über, das von neuen Hervorbringungen erneut mit Metaphern der Zeugung berichtet. Die Folge der Emanation dieses „Nachwuchses“ (soboles) besteht darin, dass diese selbst eine „Frucht hervorbringen“ (fructum facit) und „Mensch“ (Homo) und „Kirche“ (Ecclesia) emanieren (procreare). An dieser Stelle wird Tertullians Inzest-Vorwurf an die valentinianische Lehre manifest, indem das emanierte Geschwisterpaar als Partner gemeinsam neue Nachkommen hervorbringt. Die Funktion von Sermo und Vita umfasst dabei, der „Anfang der Gesamheit der Dinge“ (ad initium universitatis) zu sein;64 schließlich stammen sie von dem Äon ab, dessen Name auch „Anfang“ lautet (initium, Nus). Auch das ganze Pleroma, das mit den weiteren Emanationen (vgl. 8,1 f.) sowie dem mythologischen Geschehen (vgl. Adv. Val. 9–12) „Gestalt erhält“ (formati pleromatis totius)65, gründet in der Emanation dieser beiden Äonen. (7,8) Habes ogdoadem, tetradem duplicem, ex coniugationibus masculorum et feminarum, cellas, ut ita dixerim, primordialium aeonum, fraterna conubia Valentinianorum deorum, census omnis sanctitatis et maiestatis haereticae, nescio criminum an numinum turbam, certe fontem reliquae fecunditatis.
Nach Emanation der obersten acht Äonen formuliert Tertullian ein kurzes Zwischenresümee aus Perspektive seiner Leserschaft (vgl. die Formulierung in der 2. Person Singular) und bietet zugleich verschiedene appositionell formulierte Deutungen für das vorgestellte mythologische Konstrukt. In arithmetischer Perspektive „habe“ der Leser nun „eine Acht“ (habes ogdoadem), was mathematisch auch als „doppelte Vierheit“ bezeichnet werden kann und sich in der Emanationslogik in der Differenzierung von zwei Vierheiten widerspiegelt.66 Die doppelte Vierheit ließe sich zudem als eine „christliche Variation des
64 Riley deutet universitas mit juristischem Hintergrund als „corporation“ (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 135). 65 Zur Vorstellung der formatio bei Tertullian mit stoischem Hintergrund vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 231; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 264 Anm. 122. Den aus dem Griechischen übernommenen Terminus pleroma führt Tertullian in 8,4 mit der Definition „die Fülle der dreißigartigen Gottheit“ (divinitatis tricenanae plenitudo) an. 66 Ogdoada bildet die tertullianische Transkription des griechischen Begriffs bei Iren., Adv. Haer. I 1,1: Ὀγδοάδα.
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mittelplatonischen Systems“67 interpretieren. Gilt Nus als Hinweis auf den präexistenten Sohn, der beim Vater ist, sind die beiden Äonen Sermo und Homo ebenfalls als Verweise auf Christus zu verstehen; darin unterscheiden sie sich von den folgenden, von ihnen emanierten Äonen (vgl. 8,1) und bilden die „zweite Vierheit“. Jenseits dieser Differenzierung entsprechen diese nach Bythos emanierten Äonen dem sich der Materie zuwendenden Prinzip.68 In der Struktur des mytholgischen Geschehens existieren die Äonen in gegengeschlechtlichen Paaren. Die femininen Teile lassen sich jeweils als Wirkkraft der als jeweils männlicher Äonenteil personifizerten göttlichen Wesenheit deuten.69 Mit der Betonung der „Verbindungen von Männern und Frauen“ (ex coniugationibus masculorum et feminorum)70 hebt Tertullian das mit der Fortpflanzungsmetaphorik thematisierte Charakteristikum hervor und sieht darin den von ihm erhobenen Sexualisierungs- und Inzestvorwurf bestätigt (vgl. 3,4), was er auch als „inzestuöse Ehen valentinianischer Götter“ (fraterna conubia Valentinianorum deorum) expliziert. Dabei deutet er in der Gleichsetzung von aeon und deus auch an dieser Stelle die valentinianische Lehre ohne weitere Differenzierung als polytheistisch (vgl. 3,2 f.). Mit der Lokalisierung einzelner „Dachkämmerchen“ (cellae)71, die von Aspekten der valentinianischen Gottheit, den „uranfänglichen Äonen“ (primordialium aeonum) bewohnt sind, rekurriert Tertullian auf seinen Vergleich der valentinianischen Gotteslehre mit einem ‚Wolkenkratzer der Armen‘ (vgl. insula in 7,1 f.).72 Ironisch und polemisch charakterisiert Tertullian diese acht Äonen als „Ursprung der ganzen Heiligkeit und häretischen Erhabenheit“ (census omnis sanctitatis et maiestatis haereticis)73. Anders als seine Theologen-Vorgängergeneration, die sich durch Heiligkeit auszeichnete (vgl. 5,1), gründet die „ganze Heiligkeit“ nur scheinbar in den valentinianischen Äonen, die nicht ALAND, Der gnostische Mythos, 270. Vgl. die Auslegung bei ALAND, Der gnostische Mythos, 269 f. 69 Vgl. dazu A LAND, Der Demiurg und sein Wirken, 276 f. 70 Bereits Cic. (Top. 12) hatte coniugatio (rhetorisch) für συζυγία geprägt, das sich bei Apul. (Flor. 18,11) wiederfindet. Unabhänging von der irenäischen Vorlage hat Tertullian in 3,4 allerdings zum polemischen Vorweggriff dieser Äonen-Ehe den geläufigeren Terminus coniugium gebraucht und nutzt diesen im weiteren Verlauf der Narratio. Vgl. auch TLL Art. coniugium IV/0, 7–12. 71 Hier zeigt sich die bewusste begriffliche Varianz Tertullians; in 7,2 schreibt er von aedicula und pergula. In Resurr. 27,4 bezeichnet cella metaphorisch den Zwischenraum des Körpers zwischen Tod und Aufersteheung (die „Vorratskammer“). Zur vorliegenden Verwendung in der tertullianischen insula-Metaphorik vgl. TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 264 Anm. 125. Zugleich bildet primordialis einen Neologismus Tertullians (vgl. TLL Art. primordialis X/2, 1268,69 f.). 72 Das moderierende ut ita dixerim weist erneut auf tertullianische Polemik hin. 73 Tertullian nutzt census im abgeleiteten Sinn, vermutlich um das irenäische ῥίζαν wiederzugeben (vgl. TLL Art. census III/0, 808,81 sowie die ähnliche Verwendung in Adv. Val. 10,4; 21,1; 25,3; 29,3; 32,1; 33,2). 67
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5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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mehr als eine „häretische Erhabenheit“ ist.74 Schließlich seien die Äonen ein „Gedränge, ich weiß nicht, ob an Verbrechern oder an göttlichen Wesen“ (nescio criminum an numinum turbam). Die von Tertullian bewusst als unentscheidbar stilisierte Charakterisierung verbindet zwei diametrale Identitäten, den irdischen Verbrecher und das numinose Wesen, und zwei diametrale ethisch bewertete Handlungen miteinander. Das unrechte, gegen Gottes Schöpfung stehende und Böses evozierende Handeln, wie es im Mythos dem Äon Sophia zukommen wird (vgl. Adv. Val. 9 f.), und das göttliche, schöpferische Handeln verbindet Tertullian zudem sprachlich mit der paronomastischen Verbindung zwischen criminum und numinum. Auch hier nimmt Tertullian ein einleitend bereits genutztes Bild auf und bezeichnet die Äonen als ein nicht näher definierbares Gedränge an personifizierten Äonen (turba, vgl. 3,3). Während diese Differenzierung und Konkretisierung unsicher ist (nescio), bilden die acht obersten Äonen „sicherlich die Quelle der übrigen Fruchtbarkeit“ (certe fontem reliquae fecunditatis) im mythologischen Geschehen. 5.2.3. Adv. Val. 8: Die valentinianische Gottheit: Das Pleroma (8,1) Ecce enim secunda tetras, Sermo et Vita, Homo et Ecclesia, quod in patris gloria fruticasset huic numero, gestientes et ipsi tale quid patri de suo offerre, alios ebulliunt fetus, proinde coniugales per copulam utriusque naturae. Hac Sermo et Vita decuriam aeonum simul fundunt, illac Homo et Ecclesia duos amplius, aequiparando parentibus, quia et ipsi duo cum illis decem tot efficient, quot ipsi procreaverunt.
Im folgenden Kapitel stellt Tertullian die Emanation der weiteren 22 Äonen dar, mit denen das valentinianische Pleroma komplettiert wird. Damit begründet er zugleich die Deutung der ersten acht Äonen als „Quelle der übrigen Fruchtbarkeit“ (vgl. 7,8). Das Geschehen basiert zunächst auf Handlungen der zweiten Vierheit (secunda tetras), der beiden Äonenpaare Wort und Leben sowie Mensch und Kirche, auf die Tertullian die Aufmerksamkeit seiner Leserschaft mit der deiktischen Interjektion ecce hinlenkt. Die Hervorbringung der Vierheit gründet in der bereits für Nus bezeichneten Funktion; sie wurden „bis zu dieser Anzahl als Frucht zur Ehre des Vaters hervorgebracht“ (in patris gloria fructicasset huic numero).75 Ähnliches „verlangen“ diese Äonen nun auch selbst und wollen „so etwas für den Vater von sich darbringen“ (gestientes et ipsi tale quid patri de suo offerre). Tertullian lässt in der Formulierung bereits leicht spöttisch den Neid anklingen, den die Äonen unterhalb der obersten Vierheit auf Nus verspüren werden.
Maiestas findet sich in diesem Werk nur als Synonym für die valentinianische Gottheit; haereticus führt Tertullian bereits in 1,2 als Charakteristikum der Valentinianer ein. 75 Zur Konstruktion vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 233. In In 7,7 spricht Tertullian von fructum facere; fructico ist Wiedergabe des irenäischen καρποφέρω, vgl. TLL Art. fructio VI/1, 1368,12 f. 74
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Das Ergebnis ihres Wunsches bildet die Emanation von zehn weiteren Äonen durch das Äonenpaar Wort und Leben (Dekurie), sowie von zwölf weiteren Äonen durch Mensch und Kirche (Dodekas). Tertullian erzählt dieses Ereignis erneut mit der Metaphorik der ehelichen Vereinigung und Fruchbarkeit. Schließlich würden die vier Äonen „andere Sprösslinge hervorsprudeln“ (alios ebulliunt fetus)76 , die entsprechend ihres eigenen Seins gegengeschlechtlich verbundene, eheliche Paare sind (coniugales per copulam utriusque naturae)77. Rhetorisch markiert Tertullian sowohl die Parallelität, die in den Emanationen zwischen den beiden Äonenpaaren vorhanden ist, als auch die strukturelle Verschiedenheit. In einer syntaktisch korrespondierenden Konstruktion (hac – illic) zielt er darauf ab, eine Symmetrie der sowohl zahlenmäßig nicht parallelen Emanationen durch Wort und Leben sowie Mensch und Kirche als auch der genealogisch verbundenen Paare – als Eltern- (Wort und Leben) und Kinderpaar (Mensch und Kirche) – zu imaginieren. Diese durchbricht die Struktur der mythologischen Vorstellung, nach der Wort und Leben zwar „eine Dekurie an Äonen ausströmen lassen“ (decuriam aeonum simul fundunt)78, Mensch und Kirche allerdings noch zwei weitere und damit insgesamt 12 Äonen emanieren.79 Tertullian deutet dahinter den Wunsch – auch hier klingt bereits der Neid an –, „es den Eltern gleichzutun“ (aequiperando parentibus)80; schließlich hätten auch Wort und Leben mit der Emanation des Paares Mensch und Kirche und der Dekurie insgesamt 12 Äonen hervorgebracht. (8,2) Reddo nunc nomina, quos decuriam dixi: Bythios et Mixis, Ageratos et Henosis, Autophyes81 et Hedone, Acinetos et Syncrasis, Monogenes et Macaria. Contra duodenarius numerus hi erunt: Paracletus et Pistis, Patricos et Elpis, Metricos et Agape, Aeinus et Synesis, Ecclesiasticus et Macariotes, Theletus et Sophia. Cogor hic, quid ista nomina desiderent, proferre de pari exemplo.
76 Fredouille sieht in ebullire einen terminus technicus der gnostischen Lehre (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 233; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 264 Anm. 129). Tertullian nutzt diesen Terminus auch in anderen Kontexten mit einer satirischen Note (vgl. Adv. Marc. I 27,5; Idol. 3,1; Scorp. 1,5) sowie realistisch in Scap. 3,4; Adv. Herm. 41,1. 77 Zu copula als matrimonium vgl. TLL Art. copula IV/0 918,7. Natura meint an dieser Stelle die beiden Geschlechter. 78 Decuria ist hier mit einem ironischen Unterton zu verstehen. Anders als Irenäus, der von „zehn Äonen“ (δέκα Αἰῶνας) schreibt, verwendet Tertullian diesen Terminus (vgl. auch 8,2: quos decuriam dixi), der auch einen terminus technicus in anderen Kontexten zur Bezeichnung einer Zehner-Einheit darstellt. 79 Zur Terminologie procreare und efficere vgl. 7,5.7 sowie M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 135 f. 80 Zu aequipero vgl. den Kommentar zu 16,3. Hier liegt die seltene Konstruktion mit Dativ vor, vgl. TLL Art. aequipero I/0 1012,41. 81 Ageratos bis Autophyses fehlt im handschriftlichen Befund und ist in den Editionen anhand der irenäischen Darstellung ergänzt worden.
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Im Folgenden zitiert Tertullian aneinandergereiht, ausnahmslos wie bei Irenäus auf Griechisch, hier allerdings transkribiert, die Namen der zehn Äonen, die von Wort und Leben emaniert wurden, sowie die der zwölf Äonen, die Mensch und Kirche hervorgebracht haben82. Für diese stellt er die interpretatorische Einordnung als eine notwendige Herausforderung dar (cogor hic); dem Anspruch, den er diesen Äonennamen beimisst (quid ista nomina desiderent), würde es – seinem Grundkonzept entsprechend – genügen, diese in einem geeigneten Beispiel öffentlich zu machen (proferre de pari exemplo). Dies folgt in 8,3–5 als ausführliche tertullianische Polemik. (8,3) In scholis Karthaginensibus fuit quidam frigidissimus83 rhetor Latinus, Phosphorus nomine. Cum virum fortem peroraret, „venio” inquit „ad vos, optimi cives, de proelio cum victoria mea, cum felicitate vestra, ampliatus gloriosus fortunatus maximus triumphalis." Et scholastici statim familiae Phosphori φεῦ acclamant.
Tertullian nutzt eine Anekdote, die er im Karthargischen Schulleben verortet, um jedweden Verdacht von sich selbst abzuwenden, bei dieser valentinianischen Pleroma-Vorstellung selbst erfinderisch tätig gewesen zu sein (vgl. bereits 5,2; 6,3). Leitendes Interesse bildet auch an dieser Stelle die polemische Widerlegung der Lehre. Dazu rekurriert er auf einen gewissen Phosphorus, der als Lehrer in den Schulen Karthagos gewirkt habe und evoziert eine Identifikationsmöglichkeit für seine Leserschaft mit einem lokal verorteten Beispiel, ohne dass sich für diesen Rhetoriklehrer historische Infomationen ableiten lassen.84 Die Tempora verorten die Erzählung in jüngster Vergangenheit und mit 82 Über die Bedeutung der Namen lässt sich spekulieren, Tertullian bietet keine Interpretationshinweise. Bedeutung lässt sich den Namen in der jeweiligen Relation zu ihren Erzeugern zuordnen: So sind die von Sermo ausgehenden maskulinen Äonen der Dekurie eher mit statischen Akzenten versehen, während die femininen durch das Leben ein dynamisches Prinzip in sich tragen. Und während die dem Menschen zugeordneten maskulinen Äonen der Dodeka den Idealmenschen zeichnen, tragen die feminen Äonen der Kirche entsprechende Aspekte in ihren Namen. Aland deutet die männlichen Äonennamen insgesamt als Attribute von Bythos und Nus, die weiblichen Namen hingegen als Momente der „Qualitätsminderung und Gefährdung“ des Pleromas (DIES., Der gnostische Mythos, 270). 83 Einige Handschriften lesen rigidissimus und charakterisieren Phosphorus damit als einen sehr strengen Lehrer. Allerdings überliefert die sehr wichtige Handschrift des Montepessulanus vor der Korrektur frigdissimus; als lectio difficilior – ein Lehrer ist eher rigidissimus als frigidissimus – und Tertullians Stil entsprechend ist diese ursprüngliche Lesart zu bevorzugen. 84 Weitere historische Informationen zu jenem Phosphorus finden sich nicht. Er wäre neben Cyprian der einzige namentlich bekannte Lehrer aus Karthago in vorkonstantinischer Zeit (vgl. dazu GEMEINHARDT, Das lateinische Christentum, 116 Anm. 276). Ob sich hinter Phosphorus eine fiktive oder historische Person befindet, ist für die weitere Interpretation unerheblich und kann daher offengelassen werden. Dölger interpretiert den Namen als Spitznamen („Lichtbringer“) für einen Lehrer aufgrund seiner Lehrmethode (DERS., Der Rhetor Phosphorus, 274). Der griechische Name war auch in der westlichen Welt üblich, vgl. dazu SOLIN, HEIKKI, Die griechischen Personennamen in Rom. Ein Namenbuch (Corpus
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der rhetorischen Figur der sermocinatio scheint der Redner Phosphorus auf dem Forum Karthagos selbst anwesend zu sein. Tertullian karikiert den lateinischen Rhetoriklehrer in seiner Person sowie in seinem Wirken. Seinem Namen nach ist Phosphorus der „Lichtbringer“, was Tertullian mit der ironischen Charakterisierung als „geistig äußerst faden“ (frigidissimus) Lehrer korrelieren lässt. In der geschilderten Situation mimt der Rhetoriklehrer die Rolle des vir fortis, aus dessen Mund Tertullian eine direkte Rede anführt.85 Dieses Zitat aus der Perspektive des tapferen Mannes, der vom Kampf siegreich zurückkehrt, weist rhetorische Gepflogenheiten des 2. Jahrhunderts nach Christus auf86 und besteht aus einer Aneinanderreihung von Termini, die im Lateinischen zugleich als Personennamen fungieren (Victoria, Felicitas, Ampliatus, Gloriosus, Forunatus, Maximus). Diese unstrukturierte Häufung an Begriffen begründet zugleich Tertullians eingangs getroffene Charakterisierung dieses Lehres als „äußerst fad“, indem dieser gerade nicht den klassischen Rhetorik-Regeln folgt, wie sie z.B. Cicero begründet hat. Dennoch reagieren seine Schüler „sofort“ und „rufen der Familie des Phosphorus ‚Bravo!‘ zu“ (Et scholastici statim familiae Phosphori φεῦ acclamant)87. Spöttisch karikiert Tertullian die Zweideutigkeit der lateinischen Termini, die er im vorliegenden Kontext bewusst als Personennamen einordnet (familia Phosphori). Zugleich aber kritisiert er implizit: Wenn nur die Schüler ‚Bravo!‘ rufen, würde der Lehrer gar nicht wahrnehmen, dass er verlacht wird. Diesen ursprünglich im Drama beheimateten, akklamatorischen Ruf φεῦ nutzt auch Inscriptionum Latinarum. Series Nova 2), Bd. 1, Berlin/New York: de Gruyter 22003, 416 f. mit Verweis auf Inschriften. Braun deutet den Namen als Spitznamen mit einer Anspielung auf den Stern der Liebe (DERS., Notes, 194 f.; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 72 Anm. 6). Diese Interpretation hat keine weiteren Anhaltspunkte, vgl. auch die Zusammenstellung der Argumente bei VÖSSING, Schule und Bildung, 269 f. Anm. 1008. 85 Perorare ist prosopopoietisch zu deuten kann. Dass vir fortis eine häufig verwendete Figur in Deklamationsübungen in Karthago war, weist Vössing nach (vgl. DERS., Schule und Bildung, 381 f.). 86 Findet sich die betont vorangestelle Wendung venio ad vos auch bei Plautus und Terenz, erinnert die Anrede optimi cives an Ansprachen vor Gericht und die Aneinanderreihung dieser überschwänglichen Nomina und Adverbien an eine declamatio von Calpurnius Flaccus. So deutet Capone Anspielungen im Beispiel (vgl. DERS., Osservazioni, 235). 87 Familiae ist als Dativ zu interpretieren, vgl. D ÖLGER, Der Rhetor Phosphorus, 272– 274; BRAUN, Notes, 193 f.; etwas anders in der Konstruktion FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 235 f.; VÖSSING, Schule, 269 Anm. 1008. Braun interpretiert familia als Dienerschaft, die gemeinsam mit dem Herrn im Haus wohnt (aaO., 194). Die genannten Namen sind alle – bis auf Gloriosus – auch für Sklaven belegt. Barnes korrigiert seine Deutung eines anerkennenden Rufes der Schüler (vgl. so DERS., Tertullian, 196) ebenfalls zu einer verspottenden Deutung (DERS., Tertullian the Antiquarian, 6). Der Akklamationsruf φεῦ lässt sich ebenesowenig wie der griechische Name des Rhetors als Beweis für die Griechischkenntnisse der Schüler werten, so FREDOUILLE, aaO., 236; SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 144 Anm 314.
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Irenäus, um die Lächerlichkeit der valentinianischen Lehre bei weiteren nicht benannten Lehrern zu beklagen.88 Zugleich lässt sich eine Assonanz an den Namen des griechischen Redners Phosphorus nicht absprechen. Bevor Tertullian im Folgenden diesen Rhetor explizit mit Ptolemäus vergleicht, klingt bereits implizit eine solche Parallelisierung mit den Äonennamen der valentinianischen Lehre an. Terminologisch erinnert ampliatus an die Äonen, die von Mensch und Kirche abstammen, die beide „zwei mehr“ (duos amplius) hervorgebracht haben; gloriosus weist indirekt auf den Zweck der Hervorbringung der Äonen hin, die „zur Ehre des Vaters“ (in patris gloriam) emaniert werden; und fortunatus lässt den Namen des Äon Macaria erinnern. (8,4) Audisti Fortunatam et Hedonen et Acinetum et Theletum: acclama familiae Ptoloaei „φεῦ ”. Hoc erit pleroma illud arcanum, divinitatis tricenariae plenitudo. Videamus quae sint istorum privilegia numerorum, quaternarii et octonarii89 et duodenarii.
Tertullian korreliert das Beispiel explizit mit der valentinianischen Lehre. Dazu wechselt er die Perspektive und spricht seine Leserschaft direkt an.90 Nach der Aufzählung von vier Termini aus dem zuvor zitierten Beispiel – fortuna auf Latein, die drei weiteren auf Griechisch –, die zugleich valentinianischen Äonennamen entsprechen, befördert er seine Leserschaft ironisch in die Rolle der jubelnden Schülerschaft des Ptolemäus (acclama familiae Ptolomaei „φεῦ”). Sarkastisch bezieht er diese Termini, die entsprechend des Phosphorus in den Mund gelegten Beispiels nicht allein Personennamen sind, auf die valentinianische Lehre, nach der die dreißig emanierten Äonen das gesamte Pleroma ausmachen. Das Fehlen einer erklärenden Definition des Pleromas markiert Tertullians polemischen Ton; sowohl das Demonstrativpronomen als auch das charakterisierende arcanus lassen die Ironie anklingen. Tertullian bietet lediglich einen Zirkelschluss, indem er „jenes geheime Pleroma“ (Hoc erit pleroma illud arcanum) als „Fülle der dreißigartigen Gottheit“ (divinitatis tricenariae plenitudo)91 näherbestimmt. Plenitudo ist dabei die lateinische Übersetzung des aus dem Griechischen übernommenen Terminus pleroma. Polemisch spricht Tertullian eine pluralische, seine Leserschaft vereinnahmende Aufforderung in der 1. Person Plural aus, die tiefere Bedeutung und „Vorzüge der Zahlen“ zu verstehen (videamus quae sind istorum privilega numerorum)92. Er führt die Zahlen Vier, Acht und Zwölf an und rekurriert damit 88 Vgl. Adv. Haer. I 11,4. Irenäus verweist selbst auf die Herkunft dieses Rufs aus der Tragödie. Tertullian kann von Irenäus inspiriert worden sein. 89 Gegen die an Irenäus’ Text orientierte Einfügung von et denarii vgl. bereits FREDOUILLE, Valentiniana, 58. 90 Die Metaphorik des Hörens lässt sich auch sinnlich verstehen: Der Leser partizipiert an der evozierten Szene auf dem Marktplatz und übernimmt die Rolle der Schülerschaft. 91 Vgl. dazu TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 266 Anm. 139. 92 Vgl. bereits die ironische Nutzung von privilegia in Carn. Christ. 15,1 (SC 216, 272,1 MAHÉ): Valentino ex privilegio haeretico.
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auf wichtige Zahlen des valentinianischen Mythos, von der Ur-Tetras bis zur größten Emanation eines Äonenpaares (Duodecem), die alle ein Vierfaches von Vier entsprechen.93 (8,5) Interim in tricenario fecunditas tota deficit – castrata est vis et potestas et libido genitalis aeonum – quasi non et numerorum tanta adhuc coagula superessent et nulla alia de paedagogio nomina. Quare enim non et quinquaginta et centum procreantur? Quare non et Sterceiae et Syntrophi nominantur?
Voll Polemik schließt Tertullian diese Darstellung der valentinianischen Gottheit. Die Entstehung des Pleromas mit der Emanation der dreißig Äonen deutet er abschließend erneut mit der Fruchtbarkeitsmetaphorik. „Die ganze Fruchtbarkeit sei in der Dreißigheit versiegt“ (interim in tricenario fecunditas tota deficit). Schärfer noch formuliert er das parenthetisch formulierte Bild; als Trikolon reiht er „Kraft, Potenz und Libido der Äonen“ aneinander, denen die Zeugungskraft genommen sei (castrata est vis et potestas et libido genitalis aeonum).94 Ironisch fragt er daher, warum die Emanationen nicht fortgeführt würden, schließlich „wären noch zahlreiche Zahlengerinnsel übrig“ (quasi non et numerorum tanta adhuc coagucla superessent). Die Hervorhebung der mathematischen Anordnung des Pleromas zeigt Tertullians Unverständnis (vgl. z.B. bereits 8,1); er deutet diese als verrückte Spielereien ohne erkennbaren Grund. Zugleich kann coagula neben der Entstehung neuer Zahlenpaare auch das bei Aulius Gellius benannte Bild der im Uterus verdichteten Flüssigkeit bezeichnen. Mit der Bemerkung, dass „das Pädagogium auch weitere Namen“ (et nulla alia de paedagogio nomina) kennen würde, verspottet Tertullian die valentinianische Lehre als intellektuell unanspruchsvoll; das Pädagogium bietet die niedere Schulbildung insbesondere für Sklaven. 95 Damit spielt
93 Irenäus deutet die Dreiteilung des Pleromas in die Acht-, Zehn- und Zwölfheit (Adv. Haer. I 1,3). Dass die Zahl Zehn in dieser von Tertullian gebotenen Reihung der valentinianischen Äonen fehlt, begründen Riley und Marastoni durch die Multiplikation der Zahlen bei gleichzeitigem Beibehalten der Dreiheit; Tertullian nehme die wichtigsten Zahlen des valentinianischen Systems auf (vgl. RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 136 f.; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 137). Zugleich ließe sich auch eine indirekte Kritik Tertullians lesen, wenn er die nach Rezeption der pythagoreischen Gedanken Vollkommenheit symbolisierende Zahl in dieser polemisch genutzten Reihung ausließe. Zur pythagoreischen Vorstellung im Hintergrund der valentinianischen Lehre, nach der die Tetraktys „Ursprung und Wurzel der ewig fließenden Natur“ ist (οὐ μὰ τὸν ἁμετέρα κεφαλᾷ παραδόντα τετρακτύν, πηγὴν ἀενάου φύσεως ῥιζώματ‘ ἔχουσαν; Sext. Emp., Adv. Math. 7,94); vgl. THOMASSEN, Spiritual Seed, 198. 94 Marastoni deutet in den drei Termini ebenfalls Begrifflichkeiten der valentinianischen Lehre, die Tertullian in diesem Kommentar ironisiert, und sieht eine weitere, vorliegende Quelle neben Irenäus bestätigt (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 137). 95 Vgl. TLL Art. paedagogium X/1 30,57 f.; TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 267 Anm. 141.
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Tertullian implizit auch mit seinem eigenen Beispiel, in dem Phosphorus die gehobenere Rhetoren-Ausbildung vertritt. In zwei abschließenden rhetorischen Fragen rundet Tertullian seine Zahlenund Namenspolemik ab. So fragt er, „warum nicht auch hundertfünfzig Äonen hervorgebracht werden“ (Quare enim non et quinquaginta et centum procreantur?) und bietet mit „Toilettenmädchen“ (Sterceia)96 und „Mitzögling“ (Syntrophi) beispielhaft zwei Namen, die eine abstoßende Reaktion bei seiner Leserschaft evozieren sollen, um auch die Äonen-Bezeichnungen abschließend ad absurdum zu führen. 5.2.4. Adv. Val. 9: Eine Version über das Schicksal des jüngsten Äon Sophias (9,1) Sed et hoc exceptio personarum est, quod solus ille Nus ex omnibus immensi patris fruitur notione, gaudens et exultans, illis utique maerentibus. Plane Nus, [et]97 quantum in ipso fuit, et voluerat et temptaverat ceteris quoque communicare quae norat, quantus et quam incomprehensibilis pater. Sed intercessit mater Sige, illa scilicet quae et ipsis haereticis suis tacere praescribit, etsi de Patris nutu aiunt factum, volentis omnes in desiderium sui accendi.
Die Fortführung des mythologischen Geschehens schildert Tertullian zunächst aus der Perspektive der nach Nus emanierten Äonen. Mit dem juristischen Instrument der Einrede (exceptio) deutet er das ungleiche Hierarchie-Gefüge, das sich in der Nähe zum Vater niederschlägt, innerhalb der Äonen und das daraus folgende Geschehen als „Einspruch der Personen“ (exceptio personarum)98. Schließlich „genießt als einziger von ihnen allein jener Nus die Kenntnis des unermesslichen Vaters“ (solus ille Nus ex omnibus immensi patris fruitur
96 Vgl. G LARE, Oxford Latin Dictionary, stercoreus, Sp. 1817: „having the nature of dung“; LEWIS, CHARLTON T./SHORT, CHARLES, A Latin Dictionary. Founded on Andres’ Edition of Freund’s Latin Dictionary, Revised, enlarged, and in great part rewritten, Oxford: Clarendon Press 1966, sterceia, S. 1757: „a maidservant who cleans the excrements from children“. Zu Übersetzungsvorschlägen dieser sarkastisch angeführten Phantasie-ÄonenNamen vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 72 Anm. 10. In Apol. 25,3 rekurriert Tertullian zudem voller Ironie auf den römischen Düngergott Sterculus, vgl. auch Ad Nat. II 17,3. 97 Die Handschriften lesen et quantum. Möglicherweise ist dieses et analog zu den folgenden Konjunktionen in den Text aufgenommen worden; die auf Kroymann zurückgehende Streichung ist sinnvoll. 98 Vgl. B RAUN, Deus christianorum, 211 f.; TLL Art. exceptio V/2 1224,49 f. Anders deutet Fredouille eine an die biblische Vorstellung der Annahme bei Gott angelehnte Interpretation (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 239 f. sowie wieder aufgenommen bei LUKAS). Vgl. allerdings den juristischen Kontext in Apol. 36,3 (CChr.SL 1, 147,10 f. DEKKERS): nullum bonum sub exceptione personarum administramus. Exceptio ist im juristischen Kontext ein prozessuales Verteidigungsmittel; war dies zuerst eine „Ausnahme“ von Verurteilungsbedingungen, wird darunter in nachklassischer Zeit jede Art von Verteidigung des Beklagten verstanden (vgl. dazu KASER, MAX/KNÜTEL, ROLF, Römisches Privatrecht. Ein Studienbuch, München: C.H. Beck 202014, § 4.10; § 87.8; § 88.8).
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notione; vgl. 7,6). Tertullian stilisiert einen emotionalen Gegensatz zwischen Nus und den anderen Äonen. Während Nus „die Kenntnis des Vaters genießt“ (fruitur notione), „sich freut und jubelt“ (gaudens et ex-ultans), sind die anderen Äonen „tieftraurig“ (illis maerentibus) darüber, ohne diese Erkenntnis zu sein. Auf syntaktischer Ebene untermalt die Parallelität der Partizipien die Gleichzeitigkeit der Emotionen; utique bietet einen Hinweis auf Tertullians spöttischen Tonfall. Mit der Herausstellung dieses Gegensatzes – auf struktureller und, indem die Äonen personal gedacht werden, auf emotionaler Ebene – hebt Tertullian das Proprium hervor, um das es im Kern in der Lehre der Valentinianer geht: Erkenntnis. Ironisch führt Tertullian fort, dass hinter Nus eine weitere Kraft agiert. „Sicherlich“ habe Nus „gewollt und versucht auch mit den anderen zu teilen, was er wusste, wie groß und wie unbegreiflich der Vater ist“ (plane Nus [...] et voluerat et temptaverat ceteris quoque communicare quae norat, quantus et quam incomprehensibilis pater); aber es „stand nicht in seiner Macht“ (quantum in ipso fuit). Sige hat ihn daran gehindert und „ist dazwischengegangen“ (sed interecessit mater Sige). Tertullian spottet, dass Nus zum einen trotz des Erkenntnisvorsprungs vor den anderen Äonen die Macht zur Erkenntnisweitergabe fehlt. Zum anderen deutet er den valentinianischen Mythos gegen die Valentinianer selbst, wenn das Schweigen, personifiziert als Äon Sige, ethisch im Schweigebot ausgedrückt (illa scilicet quae et ipsis haereticis suis tacere praescribit; vgl. z.B. 1,1), eine Wissensweitergabe verhindert. Dass allerdings auch Sige nicht die eigentlich agierende Kraft im Hintergrund ist, stellt Tertullian ironisch (etsi de Patris nutu aiunt) abschließend fest. Polemisch führt er den „Befehl des Vaters“ an und lässt seine Leserschaft im Unklaren darüber, ob damit Bythos – pater wäre genealogisch aus Nus’ Perspektive zu verstehen – oder Nus, dem pater als Name zukommt (vgl. 7,6), gemeint sind.99 Erst die Explikation der Motivation des Vaters lässt Bythos als denjenigen verifizieren, „der will, dass alle im Verlangen nach ihm entflammt werden“ (volentis omnes in desiderium sui accendi)100. (9,2) Itaque dum macerantur intra semetipsos, dum tacita cupidine cognoscendi patrem uruntur, paene scelus factum est. Namque ex illis duodecim aeonibus, quos Homo et Ecclesia ediderant, novissima natu Aeon – viderit soloecismus, Sophia enim nomen est – incontinentia sui, sine coniugis Phileti societate, prorumpit in patrem inquirere et genus contrahit vitii quod exorsum quidem fuerat in illis aliis qui circa Nun, in hunc autem, id est in Sophiam, derivarat, ut solent vitia in corpore alibi connata in aliud membrum perniciem suam efflare. Irenäus differenziert zwischen πατήρ und προπάτορ (Adv. Haer. I 2,1 [37,148–151]): κατέσχεν δὲ αὐτὸν ἡ Σιγὴ βουλήσει τοῦ Πατρὸς διὰ τὸ θέλειν πάντας αὐτοὺς εἰς ἔννοιαν καὶ πόθον ζητήσεως τοῦ προειρημένου Προπάτορος αὐτῶν ἀναγαγεῖν. 100 Desiderium findet sich zur emotionalen Beschreibung des Verlangens nach dem Wissen des eigenen Ursprungs innerhalb des Mythos auch in 13,1; 14,2 f. 99
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Tertullian nimmt erneut das Ergehen der Nus nachfolgenden Äonen in den Blick. Ihre ungestillte Sehnsucht nach Erkenntnis des obersten Äons intensiviert er in zwei parallelen temporalen Gliedsätzen mit einer metaphorischen Sprache, in der die Leidenschaft mit dem Element des Feuers nachgezeichnet wird. Die Äonen werden „zwischen sich selbst aufgezehrt“ (dum macerantur intra semetipsos) und „brennen in der schweigenden Begierde, den Vater zu erkennen“ (dum tacita cupidine cognoscendi patrem uruntur). Tacita cupidinis rekurriert erneut auf das Wirken Siges auf Ebene des Mythos sowie auf die den Valentinianern von Tertullian attestierte Schweigepflicht. 101 Tertullian malt das dem Wesen der emanierten Äonen entsprechende, von Nus und Veritas an „eingewurzelte Verlangen nach einer ihrem So-Sein angemessenen Erkenntnis ihres Ursprungs, ein Verlangen nach Rückwendung (ἐπιστροφή), das noch nicht befriedigt ist“102, plastisch aus. Nach der valentinianischen Lehre gehört Verlangen nach Erkenntnis wesenhaft zu den Äonen; diesem kommen sie mit ihrer „Fähigkeit zur Eigenbewegung“ nach.103 Die ungestillte Sehnsucht der Äonen, die Tertullian im juristischen Bild als verteidigenden Einspruch gedeutet hat (vgl. 9,1), mündet „fast in ein Verbrechen“ (paene scelus factum est), das er im Folgenden nacherzählt. Die jüngste Äonin (novissima natu aeon), die Tertullian entsprechend ihrer Genealogie vorstellt (namque ex illis duodecim aeonibus, quos Homo et Ecclesia ediderant), folgt ihrem Verlangen.104 Sie „stürzt her“, was Tertullian als „Mangel an Selbstbeherrschung“105 deutet, indem sie alleine, „ohne die Gesellschaft ihres Partners“ ist, „um den Vater zu suchen“ (incontinentia sui, sine coniugis Phileti societate, prorumpit in patrem inquirere). Dies Geschehen kommentiert er in verschiedenen Facetten: Zunächst karikiert er in einer Parenthese den Vgl. auch im irenäischen Text ἡσυχῇ (Adv. Haer. I 2,1). ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 284. Aland argumentiert dafür, die valentinianische Lösung als eine ernst zu nehmende Diskussionsgrundlage innerhalb der mittelplatonischen Diskussion zu nehmen. 103 Entsprechend Tertullians Verwendung des Terminus cognoscere in 3,2 meint dieser auch hier eine „einfache, natürliche Erkenntnis“, die den Äonen auf mythologischer Ebene als Verlangen zueigen ist. 104 Sophias Fall ist vollkommen unplatonisch und Ausgangspunkt der plotinischen Kritik, der die Valentinianer als Platoniker einordnet und ihnen an dieser Stelle ein systematisches Abweichen vorwirft (vgl. Enn. II 9 [33] 4 f.; dazu ALT, Philosophie gegen Gnosis, 21 f.; ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 285). 105 Gerade in seinen ethisch rigideren Schriften moralisiert Tertullian continentia (vgl. Ux. I 1,4) bzw. als Gegenteil die Verwerflichkeit von incontinentia. Es findet sich neben dem moralischen Sinn häufig auch eine sexuelle Konnotation (vgl. z.B. Apol. 46,11: Anprangerung der Zügellosigkeit [incontinentia] Demokrits, der Frauen nicht ohne Begierde [concupiscentia] anschauen konnte). Vgl. auch TLL Art. incontinentia VII/1, 1018,1–37 (vorliegende Stelle wird allerdings lediglich unter 1.a) generatim eingeordnet, es klingt aber zugleich die sexuelle Note an: b) intemperantia libidinis impurae). Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 241. 101
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Namen des jüngsten Äon Sophia und ordnet die Wortverbindung novissima aeon als Soloecismus ein. Syntaktisch wird fälschlicherweise ein feminines, zum Superlativ gesteigertes Adjektiv mit einem maskulinen Substantiv verbunden („die jüngste geborene Äon“), etymologisch verhält sich die Weisheit (Sophia) sehr unweise.106 Zudem handelt die weibliche, jüngste Äonin allein, ohne Gesellschaft ihres Partners. Dessen Namen karikiert Tertullian ebenfalls, indem er diesen zu „Geliebter“ (Philetus) ändert, während in 8,2 „Gewollter“ (Theletus) als Paargenosse Sophias emaniert wurde.107 Tertullian kommentiert subtil das Verlangen Sophias, die „Liebe zum Vater“ (dilectio in patrem; 9,3), mit dem Namen des Paargenossen, ohne den sie handelt, und damit – in der Metaphorik der Fruchtbarkeit und Ehe – Ehebruch begeht. Ergebnis ist eine „Art des Fehlers“ (genus vitii, vgl. 9,3)108, der in Sophia kumuliert, in der Hierarchie-Vorstellung der Äonen aber bereits oberhalb von ihr zu verorten ist. Von den Äonen ausgehend, „die zu Nus gehören“ und bei denen dieser Fehler „entstanden ist“ (quod exorsum quidem fuerat in illis aliis qui circa Nun), wurde dieser „in diesen Äon, Sophia hineingeleitet“ (in hunc autem, id est in Sophiam, derivarat). Die exklusive Formulierung „um Nus herum“, markiert eine Sonderstellung Sophias, die zwar auch zu den emanierten Äonen gehört, zugleich aber als letzte Äonin am Weitesten von ihm entfernt ist. Diesen Vorgang vergleicht Tertullian mit körperlichen Erkrankungen; so wie diese irgendwo im Körper ihren Ursprung haben, aber als Schmerz an ganz anderen Stellen des Körpers manifest werden (ut solent vitia in corpore alibi connata in aliud membrum perniciem suam efflare).109 Mit dieser Parallelisierung deutet er die im Mythos entstandenen „Fehler“ nicht nur moralisch als verwerfliche Verbrechen, sondern auch als damit dem Zerfall hingegebene Verderben. (9,3) Sed enim sub praetexto dilectionis in patrem aemulatio superabat in Nun, solum de patre gaudentem. Ut vero impossibilia contendens Sophia frustrarat110 et vincitur
106 Vgl. R EISIGEL, M ARTIN, Art. Solözismus, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 8 (2007), 959–990, 959 f. 107 Auch in 12,1; 30,1 und 32,5 nutzt Tertullian diesen karikierenden Namen in seiner Polemik; lediglich in 8,4 findet sich Theletus erneut. Vgl. dazu TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 268 Anm. 149; BRAUN, Deus christianorum, 580; anders deuten hingegen Riley und Marastoni als Namen aus 8,2 Theletus (vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 139). 108 Tertullian verwendet vitium im Kontext der valentinianischen Lehre gerne anstelle von passio, um die Differenz zur passio Christi so groß wie möglich auch terminologisch zu zeichnen (vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 80 Anm. 9). 109 Zum medizinischen Vergleich vgl. auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 139. 110 Die Handschriften lesen einheitlich frustrarat; die Editionen konjizieren zu frustra erat. Allerdings ist bei Tertullian selbst frustrare in der aktiven Form belegt (vgl. Ad Nat. II
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difficultate et extenditur adfectione, modico abfuit prae vi dulcedinis et laboris devorari et in reliquam substantiam dissolvi; nec alias quam pereundo cessasset, nisi bono fato 111 in Horon incursasset – quaedam et huic vis: est fundamentum universitatis 112 illius extrinsecus custos – et quem113 Crucem appellant et Lytroten et Carpisten.
Tertullian klärt nun über die „Art des Fehlers“ auf, der „in Sophia hineingeleitet worden ist“ (vgl. 9,2). Handlungsleitend für Sophia ist die Emotion des Neides. Zwar agiere sie „unter dem Vorwand der Liebe zum Vater“ (sub praetexto dilectionis in patrem), doch ihre eigentliche Motivik sei „Eifersucht auf Nus, der sich allein am Vater erfreute“ (aemulatio superabat in Nun, solum de patre gaudentem)114. Neben Begierde (cupido), Begehrlichkeit (incontinentia) und Liebe (dilectio) tritt die Eifersucht (aemulatio) auf Nus.115 Dass ihr Vorhaben – entsprechend der zuvor beschriebenen Struktur des Pleromas – „unmöglich zu erlangen war“ (ut vero impossibilia contendens)116, konstatiert Tertullian unaufgeregt. Vielmehr schildert er ihr emotionales Ergehen, den großen Sog, dem Sophia fast unterlegen wäre (paene scelus, vgl. 9,2), und ihre glückliche Rettung in der mythologischen Dramatik und nutzt stilistisch dazu knapp aufeinanderfolgende, ausdrucksstarke Verben. Die Enttäuschung von Sophias Erwartung, den Vater zu erreichen (Sophia frustrarat), gründet in der Schwierigkeit ihres Unternehmens (vincitur difficultate), das weiterhin von ungestillter Sehnsucht nach dem Vater angetrieben wird; Tertullian zeichnet diese mit einem Bild der körperlichen Folterung als „vor Verlangen gemartert“ (extenditur 17,12; dazu CLAESSON, Index Tertullianeus, 628), sodass die Konjektur dieses Wortes, das häufiger als Deponens vorkommt, nicht notwendig ist. 111 Die Lesart der Handschriften (bono facto) wäre inhaltlich auch möglich. Allerdings ist aufgrund der Redewendung, sowie der inhaltlich pointierteren Aussage, dass Horos als „gutes Schicksal“ bzw. „glücklicher Zufall“ Sophia begegnet ist und dadurch eine „gute Tat“ an ihr vollbracht hat, an der Konjektur der Editionen festzuhalten. 112 Die asyndetische Lesart der Handschriften erleichtert das von Kroymann vor illius eingefügte et; die Einfügung nach illius von Oehler und Marastoni durchbricht den chiastischen Gedankengang und ist daher abzulehnen. Chiapparini hingegen schlägt vor, fundamentum et universitatis illius zu lesen (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 81 Anm. 5) und führt dazu den irenäischen Text an; allerdings ist weder eine genaue Parallelität gegeben noch ist die Aussageverschiebung sehr groß. Vielmehr impliziert die hier mit Kroymann, Fredouille u.a. favorisierte Lesart den doppelten Bezug von universitas auf fundamentum sowie implizit auch über illius auf extrinsecus custos (vgl. dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 58). 113 Es ist an der Lesart der Handschriften die Reihenfolge et quem festzuhalten. 114 Gegen die Übersetzung von Kellner ist in Nun nicht als abl. loc. zu verstehen („Nus’ Eifersucht“), sondern Sophias Eifersucht, deren Objekt Nus ist. Anders berichtet Irenäus lediglich von der Tollkühnheit Sophias. 115 Aemulatio verwendet Tertullian häufig zur Klärung emotionaler Motivik seiner Gegner, vgl. Apol. 7,3 (Juden als Feinde der Wahrheit aus Rivalität) oder der Beginn von Adv. Prax.: Varie diabolus aemulatus est veritatem (1,1 [CChr.SL 2 1159,1 KROYMANN/EVANS]). Vgl. auch TLL Art. aemulatio I/0 972,3–19. 116 Zu impossibilia vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 243.
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adfectione)117. Knapp (modico abfuit) entkommt Sophia der Selbstauflösung (in reliquam substantiam dissolvi), dem sie nur durch den Tod (perire) hätte entrinnen können.118 Zwei diametrale Kräfte wirken auf sie ein. Wird sie fast „durch die Kraft des süßen und gewaltigen Verlangens verzehrt“ (prae vi dulcedinis et laboris devorari),119 errettet sie eine begrenzende Kraft (et huic vis), die Tertullian ironisch auch als ein „glückliches Schicksal“ (bonum fatum)120 stilisiert. Die „Grenze“ (Horos), gegen die Sophia „anrennt“ (incursasset), hält sie rettend auf (cessasset); Tertullian betont den Zusammenhang durch die Assonanz der Verben. Horos, der nicht als Äon, sondern als eine pleromatische Kraft (vis) bezeichnet wird, markiert „als Wächter“ im mythologischen Geschehen die Grenze zwischen dem Inneren des Pleromas als „das Fundament der Gesamtheit der Dinge“ und dem Außen (est fundamentum universitatis illius extrinsecus custos). Horos steht bildlich als Grenze zwischen dem Inneren des Pleromas, das er als Einheit befestigt, und dem Außerhalb, wo mythologisch die Erschaffung der Materie und des Menschen verortet ist (vgl. Adv. Val. 14 ff.).121 Horos zusätzliche Namen als „Kreuz“ (Crux), „Erlöser“ (Lytrotes) und „Befreier“ (Carpistes) weisen Anklänge an Christus auf.122
117 Zu extendere vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 243; TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 269 Anm. 152; TLL deutet vorliegende Stelle als studio et cupiditate adniti (vgl. Art. extendere V/2 1976,70), die Übersetzung folgt der Deutung als accedi vi distendendi. 118 Vgl. eine ähnliche Formulierung in Adv. Prax. 8,2 (CChr.SL 2 1167,11–14 KROYMANN/EVANS): Valentinus προβολὰς suas discernit et separat ab auctore et ita longe ab eo ponit ut Aeon patrem nesciat. Denique desiderat nosse nec potest, immo et paene devoratur et dissolvitur in reliquam substantiam. Ob die übrige Substanz als substantia pleromatis oder gößer zu denken als universa substantia (so Iren., Adv. Haer. I 2,2) aufzufassen ist, bleibt ungeklärt. Vgl. dazu STEAD, Divine Substance, 59 f. 119 Vgl. zu dulcis und valentinianischen Parallelen auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 243. 120 Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 243 f. sowie TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 269 Anm. 155. 121 Zur Funktion von Horos vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 244 f.; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos 57; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 64. Zur attributiven Verwendung von extrinsecus vgl. TLL Art. extrinsecus V/2 2084,58 f. 122 Chiapparini deutet crux als eine mögliche Reinterpretation vom kosmischen Kreuz im platonischen Timaios (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 89 Anm. 2). Im irenäischen Text werden die weiteren Namen von Horos erst in der zweiten Überlieferung angeführt (Adv. Haer. I 2,4), der Adv. Val. 10,3 entspricht.
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(9,4) Ita Sophia, periculo exempta et tarde persuasa de inclinata123 investigatione patris, conquievit et totam Animationem (Enthymesin) cum passione, quae insuper acciderat, exposuit.
Tertullian zeichnet weitere Emotionen nach: Ironisch konstatiert er zum Abschluss dieser Sequenz des Mythos, dass Sophia sich „beruhigt“ habe (conquievit). Das Ergebnis des vorherigen Geschehens resümiert Tertullian auch in einer verbalen Nachzeichnung: Sophia wurde „aus der Gefahr befreit“ (periculo exempta) und „langsam überzeugt“ (tarde persuasa), an der vom Verlangen getriebenen Suche nach dem Vater zu scheitern (de inclinata investigatione patris). Er parallelisiert den jüngsten Äon, der im Mythos nach Erkenntnis des Vaters strebt und dazu einen gefahrvollen Weg auf sich nimmt, und die an der valentinianischen Lehre Interessierten, die darauf warten nach einem langen Initiationsprozess vollständig in die valentinianische Lehre eingeführt zu werden; Stichwort-Wiederholungen verdeutlichen die parallele Stilisierung (tarde, persuadere; vgl. Adv. Val. 1). Die Beruhigung Sophias zeigt sich darin, dass „die ganze Aufgeregtheit“ (tota animatio) „gemeinsam mit ihrer Leidenschaft“ (passio), „die sich zusätzlich ereignete, abgelegt ist“ (quae insuper accidert, exposuit). Sophia ist wieder an ihrem Platz innerhalb der Äonen im Pleroma, während ihre Leidenschaft von ihr abgetrennt außerhalb des Pleormas ist (vgl. Adv. Val. 14 ff.).124 5.2.5. Adv. Val. 10: Eine andere Version über das Schicksal des jüngsten Äon Sophias (10,1) Sed quidam exitum Sophiae et restitutionem aliter somniaverunt: post inritos conatus et spei deiectionem, deformatam eam pallore, credo, et macie et incuria, proprie utique125 patrem non minus denegatum dolebat quam amissum. Dehinc in illo
123 Entgegen der Konjektur Kroymanns (de declinata) ist an der handschriftlichen Überlieferung (de inclinata) festzuhalten, vgl. auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 138. 124 Zu animatio vgl. TLL Art. animatio II/0 86,2 als Übersetzung für προθύμια; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 270 Anm. 158; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 138. Passio verwendet Tertullian an vorliegender Stelle zum ersten Mal (vorher adfectio); Riley sieht die stoische Idee von passio „as excessive or irrational impulses verging on disease“ im Hintergrund (DERS., aaO., 139; vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, aaO., 270 Anm. 159). Vgl. TLL Art. exponere V/2 1760,9 f. (im Sinne von amittere, abicere) sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 245. 125 Die handschriftliche Überlieferung ist uneindeutig. Während der Montepessulanus und Luxemburgensis proprie utique lesen, überliefert der Florentinus proprie ut sowie der Paterniacensis prope utique. Damit ist von der Lesung proprie ut(ique) auszugehen (die Lesart des Paterniacensis ließe sich auch als fehlerhafte Auslassung des i deuten). So deuten auch Kroymann, Marastoni und Riley den handschriftlichen Befund. Dagegen schlägt Fredouille vor (Tommasi Moreschini folgt ihm), mit Hilfe einer Interpolation die Passage als einen vergleichenden Relativsatz zu lesen (proprie uti quae). Vgl. FREDOUILLE,
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maerore ex semetipsa sola, nulla opera coniugii, concepit et procreat feminam. Miraris hoc? Et gallina sortita est de suo parere; sed et vultures feminas tantum aiunt.126
Entsprechend der irenäischen Überlieferung bietet auch Tertullian eine zweite Erklärung über das Ergehen, „Schicksal und Wiederherstellung“ (exitum Sophiae et restitutionem)127 des jüngsten Äons, das nicht näher bezeichnete andere Valentinianer (quidam) lehren. Karikierend führt Tertullian diese Variante als Phantasiegebilde jener Autoren ein (somniaverunt)128. Auch diese erzählt von Sophias Suche nach dem Vater; die Erfolglosigkeit macht sie traurig und mündet in eine eigene Hervorbringung. Wie im Staccato zählt Tertullian die Ereignisse auf und kommentiert sie. Ihre „vergeblichen Bemühungen“ (post inritos conatus) der Suche nach dem Vater und die darauffolgende „Enttäuschung der Hoffnung“ (spei deiectionem), diesen jemals zu finden, lässt Tertullian in einer Schilderung von Sophias Aussehen münden. Als Trikolon, unterbrochen durch eine moderierende Parenthese (credo), die Tertullian als Autor dieses polemischen Kommentars explizit erkennbar machen, zeichnet er Sophia als „durch Blässe, Magerkeit und Ungepflegtheit entstellt“ (deformatam eam pallore, credo, et macie et incuria)129. Von der mangelnden Gesichtsfarbe, die gerade dem den Valentinianern unterstellten Schamesrot widerspricht (vgl. erubesco; 3,1), über körperliche Schwäche bis hin zur fehlenden Selbstsorgsamkeit steigert Tertullian die Nachzeichnung der Erscheinung Sophias und charakterisiert die Auswirkungen des Übels, das ihr widerfährt (malum; 10,2), mit Hilfe von physischen Leiden. Dabei bildet diese Akzentuierung des dramatischen Geschehens in der Zeichnung des Äußeren Sophias eine ironische Parallelisierung mit der römischen Göttin der Missgunst und des Neides. Ovid charakterisiert die Göttin Invidia in ihrer äußeren Erscheinung: „Blässe wohnt in ihrem Gesicht, Dürre am ganzen Körper.“130 Mit Valentiniana, 59; DERS., Contre les Valentiniens, 246; dagegen MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 142. 126 Keine Paragraphen-Untergliederung findet sich bei Kroymann und Marastoni. 127 Mit dem Stichwort exitum hatte Tertullian bereits im Exordium (3,4) spöttisch auf dieses dramatische Geschehen im Pleroma hingewiesen. In restitutio ist bereits eschatologische Bedeutung angelegt, vgl. dazu auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 270 Anm. 160. 128 Vgl. dazu Iren., Adv. Haer. I 2,3: μυθολογοῦσιν. 129 Die Termini finden sich nicht häufig bei Tertullian: pallor auch in Anim. 5,5 (pudorem et pavorem rubore atque pallore testetur [VCS 100, 6,24 f. WASZINK]); macies zudem zweimal in Ieun. 17,6.9 und incuria in Paen. 12,7; Cult. Fem. II 2,5; Adv. Marc. IV 15,6; Pud. 13,14. Zu deformata vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 246. 130 Ov., Met. II 775: Pallor in ore sedet, macies in corpore toto. Vgl. dazu auch C APONE, Osservazioni, 237 f. Weiterhin findet sich diese Beschreibung auch in VII 290 (Medea bewirkt die Metamorphose des Aeson) sowie XIV 578–80 (der Vogel verkündet den Ausgang der Aeneis). Allerdings weichen diese beiden Stellen nicht nur in Reihenfolge der Beschreibung, sondern auch in der Dramatik von der ersten ab. Auch Livius beschreibt die Erfahrung des Neides der Plebejer auf die Patrizier nach sieghaften Kampfhandlungen beispielhaft am
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dieser Parallelisierung der beiden göttlichen Personen durch die Nachzeichnung ihrer äußeren Erscheinung karikiert Tertullian Sophias Neid auf Nus. Den Grund von Sophias Traurigkeit benennt Tertullian anschließend aus zwei Perspektiven, die er verharmlosend nicht als maeror, sondern als Betrübtsein (dolere) bezeichnet und mit einem erklärenden proprie utique einführt. „Eigentlich jedenfalls war sie nicht weniger betrübt darüber, dass der Vater sich entzogen, als dass sie ihn verloren hatte“ (proprie utique patrem non minus denegatum dolebat quam amissum). Die anfängliche Sehnsucht nach dem Vater und die Enttäuschung nach dem vergeblichen Versuch, diesen zu erreichen, stellt Tertullian miteinander in Beziehung; Kumulationspunkt ist pater. Resultat dieser doppelten Emotion bildet – ganz in der Metaphorik der Fruchtbarkeit – die Empfängnis und eigene Hervorbringung „aus sich selbst heraus“ (ex semetipsa), die sich dadurch auszeichnet, dass Sophia „allein, ohne Unterstützung durch ihren Partner“ (sola, nulla opera coniugii)131 schwanger wird und „eine Frau hervorbringt“ (procreat feminam). Mit einer rhetorischen Frage durchbricht Tertullian die Darstellung, spricht seine Leserschaft direkt an (miraris hoc?) und zieht einen Vergleich zur Tierwelt; möglicherweise ist er von Irenäus’ Polemik inspiriert.132 Als Beispiele für die Parthenogenese rekurriert er auf die Henne, die dazu „bestimmt ist, aus sich selbst heraus zu gebären“ (gallina sortita est de suo parere). Auch Geiern würde nachgesagt, „dass es nur Weibchen gibt“ (sed et vultures feminas tantum aiunt)133. Aussehen eines ehemaligen Kämpfers auf dem Forum durch „seinen blassen, bis auf die Knochen ausgemergelten Körper“ (corporis habitus pallore ac macie perempti; Liv. II 23,2 f.). 131 Opus hat einen erotischen Sinn. Einen Vergleich zur christlichen parthenogenetischen Vorstellung zieht Tertullian an dieser Stelle nicht. 132 Vgl. Iren., Adv. Haer. II 12,4 (SC 294, 102,79–81 R OUSSEAU/D OUTRELAU): […] uti et patiantur et generent sine alterius complexu, quemadmodum gallinae sine caponibus? 133 Femina (wie der Gegenbegriff mas) kommt allgemein in lateinischer Literatur zur Bestimmung des Geschlechts vor; an dieser Stelle allerdings mit polemischer Nuance (vgl. TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 271 Anm. 165). Des Öfteren findet sich die Deutung der Vorstellung der Befruchtung durch den Wind als Bild für die Empfängnis Marias. In der Antike gilt die Vorstellung, dass „unbefruchtete Eier“ (inrita ova) durch „gegenseitige eingebildete Begattung der Weibchen unter sich oder durch Staub“ ohne Mitwirken des männlichen Geschlechts entstehen und zwar vor allem bei Tauben, Hühnern, Pfauen und Gänsen (vgl. Plin., Nat. hist. X 80: Inrita ova, quae hypenemia diximus, aut mutua feminae inter se libidinis imaginatione concipiunt aut pulvere, nec columbae tantum, sed et gallinae, perdices, pavones, anseres, chenalopeces). Capone deutet zudem die inrita ova der Hühner mittels impliziter Stichwortassoziation als Anspielung auf die inritos conatus Sophias (DERS., Osservazini, 238). Neben der terminologischen Parallelität handelt es sich allerdings um zwei verschiedene Ebenen: Während in der Tierwelt die Begattung ergebnislos in ein unbefruchtetes Ei mündet, bringt Sophia eine „Frucht“, eine formlose Frau, hervor, der im weiteren Mythos auch eine Funktion zukommt. Ergebnislos ist für sie vielmehr vorher, vor dem Akt der „Begattung“, mit Blick auf die Erkenntnis des Vaters. Zur Rezeption von Plinius bei Tertullian vgl. CAPONE, ALESSANDRO, Plinio il Vecchio e Tertulliano.
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(10,2) Et tamen sine masculo mater et metuere postremo ne finis quoque insisteret, haerere de ratione casus, curare de occultatione. Remedia nusquam. Ubi enim iam tragoediae atque comoediae, a quibus forma mutuaretur exponendi quod circa134 pudorem erat natum? Dum in malis res est, suspicit, convertit ad patrem. Sed incassum enisa, ut vires deserebant, in preces succidit. Tota etiam propinquitas pro ea supplicat, vel maxime Nus – quidni? “Causa mali tanti”! Nullus tamen Sophiae exitus vacuit.
Trotz der überwundenen Trauer durch die Zeugung einer eigenen Hervorbringung, durch die Sophia „ohne Mann Mutter werden konnte“ (sine masculo mater), wie Tertullian zu Beginn betont, durchlebt diese weitere, negative Emotionen. Sie gerät in „Furcht“ darüber, nach der Geburt des parthenogenetisch gezeugten Kindes nicht gerettet zu sein (metuere postremo ne finis quoque insisteret), bleibt gedanklich an der Frage nach dem Grund des Falls hängen (haerere de ratione casus)135 – die parthenogenetische Geburt wird, parallel zur irenäischen Darstellung als „Fallen der Sophia“ gedeutet –, und sorgt sich um nichts anderes, als das Geborene zu verheimlichen (curare de occultatione). Während Irenäus das Objekt der Verheimlichung, „das, was geboren wurde“,136 expliziert, bleibt dies bei Tertullian offen und eröffnet der Leserschaft zugleich eine Assoziation an das im Exordium stilisierte Verhalten der Valentinianer, die „sich um nichts mehr sorgen als zu verheimlichen, was sie öffentlich verkündigen“ (nihil magis curant quam occultare quod praedicant; 1,1).137 Sarkastisch pointiert Tertullian, dass „nirgends ein Gegenmittel existiert“ (Remedia nusquam), das Sophia aus ihrer Situation heraushelfen könnte, und ironisiert das geschilderte Schicksal mit einer Analogie zum römischen Dramastoff. 138 In einer rhetorischen Frage verweist er zum einen auf die Scrittura e Riscrittura, in: Auctores Nostri. Studi e Testi di Letteratura Cristiana Antica. 4. Interpretare e communicare. Tradizioni di scuola nella letteratura latina tra III e VI secolo, Bari: Edipuglia 2006, 147–165. 134 Es ist an der handschriftlichen Lesung circa festzuhalten, die eine Geburt „unter Scham“ beschreibt (entgegen der Konjektur citra der Editionen seit Pamelius, was auf eine Zeugung „ohne Scham“ anspielen würde). 135 Irenäus (Adv. Haer. I 1,3) malt drastischer nach, dass Sophia „außer sich und in Ratlosigkeit geriet, weil sie nach der Ursache suchte“ (εἶτα ἐκστῆναι καὶ ἀπορῆσαι). Dass haerere de äquivalent zu ἀπορῆσαι genutzt wird, vgl. TLL Art. haerere VI/3 2498,66 f. Anders interpretiert Chiapparini, der haerere äquivalent zu ζητειν und daher als Abschwächung Tertullians gegenüber dem irenäischen Text deutet (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 86 Anm. 10). 136 Vgl. Adv. Haer. I 2,3 (41,178–183). Tertullian verkürzt zudem die fünf bei Irenäus gebotenen emotionalen Momente Sophias auf drei: ἣν καὶ κατανοήσασαν πρῶτον μὲν λυπηθῆναι διὰ τὸ ἀτελὲς τῆς γενέσεως, ἔπειτα φοβηθῆναι μήτι καὶ αὐτὸ τοῦτο τέλος ἔχῃ, εἶτα ἐκστῆναι καὶ ἀπορῆσαι, ζητοῦσαν τὴν αἰτίαν καὶ ὅντινα τρόπον ἀποκρύψῃ τὸ γεγονός. ἐγκαταγενομένην δὲ τοῖς πάθεσι λαβεῖν ἐπιστροφὴν. 137 In curare steckt der aktive Akt der Sophia, was die italienische Übersetzung Tommasi Moreschinis deutlich markiert. 138 Vgl. dazu auch 13,2 sowie 6.4. der Einleitung.
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Vergleichbarkeit, die er zwischen dem Ergehen der valentinianischen Sophia und den in Tragödien und Komödien auf die Bühne gebrachten Stoffen ausmacht (Ubi iam tragoediae atque comoediae, a quibus forma mutuaretur). Im Hintergrund steht die Komödienform der Atellane, deren Aufführungspraxis Tertullian in seiner Schauspiel-Schrift für Karthago bezeugt. Diese sei obszönen Inhalts, sodass die Idee der Aussetzung eines Kindes nicht ungewöhnlich ist; zudem würde „der Mimen-Schauspieler“ nicht nur „durch Frauenkleider dargestellt “, sondern auch „das Gefühl für Geschlecht und Scham vollkommen aufgehoben“.139 Mit diesem Vergleich klassifiziert Tertullian den gebotenen Stoff als einen, der lediglich der Komödien- und Tragödienliteratur entlehnt sein kann (vgl. die Einordnung als fabula; 1,1). Die inhaltliche Zuspitzung der Aussetzung eines parthenogenetisch, „unter Scham geborenen“ (quod circa pudorem natum)140 Kindes allerdings ist so obszön, dass sie nicht einmal ein Vorbild in der Tragödien- oder Komödienliteratur habe. Vielmehr ist diese valentinianische Erzählung über das Schicksal der Sophia der schlechteste Dramastoff, den Tertullian sich erdenken kann. Tertullian leitet erneut in das Geschehen des Mythos über. Trocken konstatiert er, dass die bereits geschilderte Situation für Sophia „schwierig ist“ (in malis est)141. Diese mündet in den erneuten Versuch der Hinwendung zum Vater (suspicit, convertit ad patrem), der auch vergeblich bleibt (incassum enisa), sodass ihre „Käfte“ schwinden und „sie ins Gebet niedersinkt“ (ut vires deserebant, in preces succidit). Ihre geschilderte Körperbewegung ist letztlich dem Versuch der Zuwendung zum Vater in die Höhe entgegengesetzt. Die Bezeichnung pater ohne nähere Deutung verwendet Tertullian hier analog zu Irenäus. Sophia erhält Unterstützung von den anderen Äonen, wie Tertullian mit Worten aus der Familienmetaphorik beschreibt (tota etiam propinquitas pro ea 139 Spect. 17,2 (SC 332, 238,4–242,9 TURCAN): Ita summa gratia eius de spurcitia plurimum concinnata est, quam Atellanus gesticulator, quam mimus etiam per mulieres repraesentat, sexum pudoris exterminans ut facilius domi quam scaenae erubescant, quam deique pantomimus a pueritia patitur in corpore ut artifex esse possit. 140 Zur Funktion von exponere in Tragödien und Komödien vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 248 f. Die vorliegende Interpretation stimmt nicht Fredouille zu, der an dieser Stelle eine bewusste gegenteilige Akzentuierung zu 9,2 sieht und die Zeugung „ohne dass das Schamgefühl verletzt würde“ (so auch Kellner: „Kinder, die mit Verletzung der guten Sitte geboren wurden“) liest und übersetzt und damit eine ironische Anspielung auf „wundersame Schwangerschaften“ in Komödien sieht. Hingegen interpretiert Tommasi Moreschini, dass „außerhalb von Scham“ eine Zeugung stattgefunden hat, was bildlich „außerhalb der ehelichen Vereinigung“ meint (DIES., Adversus Valentinianos, 271 Anm. 167). Pudor bietet zudem eine Stichwortassonanz an 1,1, sodass der Sophia-Mythos auch an dieser Stelle für Tertullian übergreifende Funktion in einer indirekten Parallelisierung mit den Valentinianern hat. 141 Zu in malis est als Ausdruck der volkstümlichen Sprache vgl. TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 271 Anm. 168.
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supplicat). Von diesen würde sich „besonders Nus“ engagieren (vel maxime Nus), was Tertullian zum polemischen Kommentar über diesen Äon, der als erste Emanation von Bythos und Sige die Erkenntnis des Vaters hat, herausfordert.142 Ironisch fragt er, warum Nus nicht auch Fürbitte für diese halten sollte (quidni?). Schließlich habe dieser, „der Grund für so viel Übel!“ den Neid Sophias ursprünglich ausgelöst, worauf Tertullian mit einem Zitat aus Vergils Aeneis anspielt (Causa mali tanti!) und implizit Sophia mit der Aeneas versprochenen Königstocher Lavinia parallelisiert. 143 Beide jungen, weiblichen Protagonistinnen lösen unabsichtlich im Laufe der Geschichte und Ereigniskette eine Reihe negativer Ereignisse aus. Zudem ist das Zitat nicht als Apposition zu pro ea (causa als Ablativ) und Begründung der Ursächlichkeit des Übels bei Sophia zu deuten.144 Causa ist vielmehr wie in der vergilschen Version als Nominativ zu werten, der in Verbindung mit quidni als Ausruf parenthetisch auf Nus bezogen ist, dem Ursprung des folgenden Geschehens. 145 Überleitend zur weiteren Wiedergabe des mythologischen Geschehens konstatiert Tertullian, dass an Sophias Ergehen trotz allem ein weiterführendes Moment steckt; ihr „Schicksal war dennoch nicht unnütz“ (Nullus tamen Sophia exitus vacuit). (10,3) Omnes aerumnae eius operantur, siquidem et illa tunc conflictatio in materiae originem pervenit: ignorantia, pavor, maeror substantiae fiunt. Ibi demum pater, motus aliquando, quem supra diximus Horon, per Monogenem Nun, in haec promit in imagine sua, feminam marem, quia de patris sexu ita variant. Adiciunt autem Horon etiam Circumductorem (Metagogea)146 vocari et Horotheten.
142 Bereits in der ersten Schilderung des Falls der Sophia (9,1–4) fiel auf, dass Tertullian insbesondere Nus als Aktanten anführt, von dem das Übel ausgeht, indem er abweichend von der irenäischen Vorlage z.B. lediglich Nus ohne seine Partnerin als Ursprung des Fehlers bezeichnet (9,2) oder als Objekt der Eifersucht Sophias anführt (9,3). 143 Innerhalb der Sybillenprophezeiung nach der Landung Aeneas’ an der Westküste Italiens ergeht ihm die Vorhersage, dass „Grund für so viel Übel wieder die Ehefrau (d.h. die Italikerin Lavinia) aus der Fremde den Teukrern“ sein wird (Aen. VI 93: causa mali tanti coniunx iterum hospital Teucris). Und im erneuten Kampf nach dem Waffenstillstand beschreibt Vergil, wie die „Jungfrau Lavinina, Grund für so viel Übel“ an der Seite ihrer Mutter, der Königin sitzt (XI 479 f.: Lavinia virgo, causa mali tanti, oculos deiecta decoros). 144 Ausschlaggebendes Argument für diese Interpretation bildet die Parallelisierung mit Lavinia, vgl. z.B. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 249 f. oder FREUND, Vergil, 59 f. Bei beiden Protagonistinnen spielt die Beziehung zum Vater eine wichtige Rolle sowie das Thema pudor, sodass zumindest eine „alludierende Annäherung der Figuren Lavinia und Sophia in polemisch-ironischer Absicht“ (aaO., 60) vorliegt. 145 So B RAUN, Notes, 195 f. und TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 272 Anm. 169. Riley und Kroymann fassen diesen Einwurf elliptisch auf; Riley lässt unglaubwürdig fragen „Nus? Pray for someone so evil?“. 146 Die Umstellung der lateinischen Übersetzung und griechischen Transposition geht auf Fredouille zurück. Allerdings lässt sich nach Tertullians Selbstauskunft zum Umgang mit
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Entsprechend dem Vergleich mit einem Drama (vgl. 10,2) deutet Tertullian dieses Schicksal Sophias mit dem in Tragödien- und Komödienkontext beheimateten Terminus aerumna147; Sophias „Drangsal“ hätte eine weiterführende Wirkung (omnes aerumnae eius operantur), die Tertullian zweifelnd (siquidem) anführt. Jene von Sophia erlebte „Beschwerlichkeit“ (illa conflictatio)148 – Tertullian nutzt erneut ein Diminuitv, um Sophias dramatisches Erleben ironisch zu bezeichnen – bewirke den „Ursprung der Materie“ (in materiae originem), von dem Tertullians widerlegende Darstellung in Adv. Val. 15 f. ausführlich handeln wird. Aus Sophias Emotionen der Unwissenheit (ignorantia), Angst (pavor) und Trauer (maeror) wird alle Substanz entstehen.149 In dieser Situation markiert Tertullian eine Bewegung im mythologischen Geschehen (ibi demum); der ersehnte Vater emaniert einen weiteren Äon (pater, motus aliquando, [...] promit). „Durch Monogenes Nus“ (per Monogenem Nun) – hier deutet sich im Gedanken des Mit-Emanierens die Schöpfungsmittlerschaft des Logos (Nus) an – entsteht Horos. Tertullian verweist moderierend auf dessen erste Nennung in 9,3 (quem supra diximus Horon). Allerdings findet sich erst in dieser zweiten Variante eine Überlieferung von Horos’ Ursprung sowie eine Näherbestimmung seines Wesens. Dieser sei „nach seinem Bilde“ (in imagine sua), d.h. dem Bilde des Vaters, erschaffen, an dessen göttlichen Wesen er damit partizipiert, sodass er ebenfalls „mannweiblich“ (feminam marem)150 im Geschlecht ist. Dies kommentiert Tertullian sarkastisch mit einem Verweis auf die Varianz und Widersprüchlichkeit innerhalb der
den Eigennamen in Adv. Val. 6,2 auch genau für die umgekehrte Variante votieren, nach der die lateinische Bedeutung des griechischen Eigennamens am Seitenrand glossiert wird. 147 Der Terminus gehört vornehmlich in poetische Werke, vgl. TLL Art. aerumna I/0 1068,81 f.; in diesem Kontext nutzt Tertullian diesen auch bei den beiden weiteren Verwendungen in Apol. 14,6 (CChr.SL 1, 113,26 f. DEKKERS: Nec tragici quidem aut comici parcunt, ut non aerumnas vel errores domus alicuis dei praefarentur.) und Ad Nat. I 10,40. 148 Vgl. TLL Art. conflictatio IV/0 236,2.9 im Sinne von vexatio. Vgl. dazu z.B. auch Adv. Marc. IV 39,17 (SC 456, 490,150 f. MORESCHINI/BRAUN): conflictationes signa sunt regni. 149 Irenäus führt an dieser Stelle eine Vierzahl an Emotionen auf (Adv. Haer. I 2,3): ἐκ τῆς ἀγνοίας, καὶ τῆς λύπης, καὶ τοῦ φόβου, καὶ τῆς ἐκπλήξεως. Bei Tertullian findet sich eine geänderte Reihenfolge und Terminologie, aber auch die Anlage des Rekurses differiert. Chiapparini schlägt vor, dass in conflictatio die Bestürzung mitzudenken ist (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 87 Anm. 4). 150 Irenäus überliefert im Griechischen lediglich negativ formuliert „nicht weibisch“ (ἀθήλυντον), während die lateinische Fassung als masculofemina umschreibt. An dieser Differenz lässt sich die Frage der Vorlage Tertullians diskutieren, vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 250–252.368 f.
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valentinianischen Lehre in Bezug auf das Geschlecht von Bythos, der hier erneut mit der genealogischen Bezeichnung pater genannt wird.151 Abschließend referiert Tertullian die weiteren Namen von Horos und überliefert zwei griechische Termini, von denen er einen selbst ins Lateinische überführt. Circumductor („Herumführer“) bildet einen Neologismus für Metagogeus.152 Dass gerade diese Funktion des Führens durch die Latinisierung hervorgehoben wird, mag an diesem vorliegenden Erklärungsansatz liegen; die Funktion des „Grenzziehers“ (Horothetes) markiert eher die Darstellung aus Adv. Val. 9,1–4. (10,4f.) Huius praedicant opera et repressam ab inlicitis et purgatam a malis et deinceps confirmatam Sophiam et coniugio restitutam; et ipsam quidem in pleromatis censu remansisse, Enthymesin vero eius et illam appendicem passionem ab Horo relegatam et crucifixam et extra eum factam – malum, quod aiunt, foras! – spiritalem tamen substantiam illam, ut naturalem quendam impetum aeonis, sed informem et inspeciatam, quatenus nihil adprehendisset, ideoque fructum infirmum et feminam pronuntiatam.
Referierend fährt Tertullian fort; das die Valentinianer als Subjekt implizierende Verb praedicant erinnert an seinen polemischen Vorwurf in Adv. Val. 1,1. Die Wiederholung an dieser Stelle der mythologischen Wiedergabe gleicht einem leisen Triumph Tertullians, die stilisierte Geheimhaltungspflicht der Valentinianer mit dieser widerlegenden Darstellung zu durchbrechen und zugleich seinen Vorwurf zu bekräftigen, dass es sich bei dieser Lehre nicht um prae-dicatio handeln kann. Es ist Horos’ Werk (opera huius), dass Sophia – Tertullian formuliert in einem als syndetisch verbundenen partizipalen Tetrakolon, das in dessen letztes Glied mit umgekehrter Wortstellung kumuliert – „von den unerlaubten Taten abgebracht“ (et repressam ab inlicitis), „von den Übeln gereinigt“ (et purgatam a malis), „daraufhin gefestigt“ (confirmatam Sophia) und schließlich „ihrem Partner zurückgegeben wurde“ (coniugio restitutam).153 Dazu habe eine Trennung stattgefunden. Während Sophia in ihrem „Ursprung des Pleromas geblieben ist“ (et ipsam quidem in pleromatis censu remansisse) 154 , wurden ihre Emotionen, ihr „Überlegen“ (Enthymesis vero eius) 155 und deren „Anhang, die Leidenschaft“ (et illam appendicem
151 Vgl. Adv. Val. 34,1 sowie Iren., Adv. Haer. I 2,4 (42,192–194): Τὸν γὰρ Πατέρα ποτὲ μὲν μετὰ συζύγου τῆς Σιγῆς, ποτὲ δὲ καὶ ὑπὲρ ἄρρεν καὶ ὑπέρ θῆλυ εἶναι θέλουσι. 152 Es finden sich sehr selten Neologismen oder lateinische Transpositionen zur Widergabe von Namen aus dem valentinianischen Mythos (vgl. dazu auch WELLSTEIN, Nova Verba, 121). 153 Bei Irenäus findet sich nur ein Trikolon, es gibt keinen Gegenbegriff zu repressam. 154 Tertullian nutzt auch an dieser Stelle census im abgeleiteten Sinn (entsprechend 7,8, vgl. den Kommentar zur Stelle sowie TLL Art. census III/0 808,81; 809,9). 155 Enthymesis bildet die Transkription aus dem Griechischen, vgl. z.B. Iren., Adv. Haer. I 2,4.
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passionem)156 abgetrennt und aus dem Pleroma beseitigt. Auch dies sei Horos’ Werk, der diese nicht nur „verbannt“, sondern entsprechend seines Beinamens „gekreuzigt“ habe,157 damit diese „ausgestoßen“ werden konnte (ab Horo relegatam et cruxifixam et extra eum factam). Mit der Abspaltung der Enthymesis ist die Reinigung der Sophia vollzogen. Parenthetisch kommentiert Tertullian dieses Ereignis knapp mit dem Zitat des Sprichworts „Hinaus mit dem Übel!“ (malum, quod aiunt, foras!)158. Außerhalb des Pleromas verbleibe nun der von der Sophia abgetrennte Teil als „geistige Substanz“ (spiritalis substantia) – aus dieser wird später im mythologischen Geschehen die Materie entstehen –, weil sie ein „natürlicher Trieb des Äons“ (ut naturalem quendam impetum aeonis)159 ist, der in der intelligiblen Welt des Pleromas beheimatet ist. Diese von Sophia abgetrennte substantia spiritalis ist ohne Form (forma), „ungeformt und ungestaltet“ (sed informem et inspeciatam), weil sie allein von einer Frau hervorbracht wurde (vgl. 10,1 f.); nach valentinianischer Vorstellung bringt das Weibliche das Substanzhafte hervor, während das Männliche diese Substanz formt.160 Aufgrund ihrer fehlenden forma habe sie „nichts erfassen können“ (quatenus nihil adprehendisset)161. Spitz konkludiert Tertullian, dass die vom Pleroma abgetrennte Leidenschaft daher zu einer „schwächlichen Frucht und Frau erklärt worden sei“ (ideoque fructum infirmum et feminam pronuntiatam). 5.2.6. Adv. Val. 11: Die Befestigung des Pleromas (11,1) Igitur post Enthymesin extorrem et matrem eius Sophiam coniugi reducem ille iterum Monogenes, ille Nus, otiosus plane de patris cura atque prospectu solidandis rebus et pleromati muniendo iamque figendo, ne qua eiusmodi rursus concussio incurreret, novam excludit copulationem: Christum et Spiritum Sanctum, turpissimam putem duorum masculorum.
Es folgt die Festigung des Pleromas zum Schutz vor zukünftigen Erschütterungen. In einer temporalen Aufzählung resümmiert Tertullian zunächst die 156 Der Befund des irenäischen Texts lässt Fragen der Überlieferung offen; während die griechische Parallele bei Irenäus sowohl zu 9,4 als auch an vorliegender Stelle σὺν τῷ ἐπιγινομένῳ πάθει liest, finden sich in der lateinischen Fassung ebenfalls die Termini appendix und passio. Für eine unabhängige Aufnahme dieses medizinischen Terminus appendix votiert RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 140; vgl. zur Diskussion auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 252–254. 157 Im Hintergrund könnte eine Anspielung auf Gal 5,24 gedeutet werden. 158 Vgl. dazu O TTO, Sprichwörter, 208; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 255. 159 Riley weist darauf hin, dass impetum auch als medizinischer terminus technicus gedeutet werden kann; damit klingt ironisch zugleich das Bild einer körperlichen „Entzündung“ Sophias an, die von ihr abgetrennt wird (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 141). 160 Vgl. Hipp., Ref. VI 30,9. 161 Zur geistigen Dimension von apprehendo vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 255; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 273 Anm. 177.
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Geschehnisse zuvor:162 Die personifizierte Begierde (Enthymesis) wurde „vertrieben“ (extorris) 163 und „ihre Mutter Sophia zu ihrem Partner zurückgebracht“ (et matrem eius Sophiam coniugi reducem; vgl. bereits 10,4: coniugi restitutam). Im Folgenden handelt erneut Monogenes-Nus; die Wiederholung von ille sowie der Hinweis auf die wiederholte Handlung (iterum) von Nus markieren Tertullians ironischen Ton. Nus ist es gewesen, der sein Wissen über den Vater teilen wollte (9,1) und eine Sehnsucht bei den anderen Äonen, insbesondere dem Jüngsten, auslöste; er ist es, durch den Horos emaniert wurde (10,3), und er ist es, durch den das Pleroma befestigt werden wird. Polemisch charakterisiert Tertullian diesen als „offensichtlich frei von der Sorge und Vorsicht um den Vater “ (otiosus plane de patris cura atque prospectu),164 sodass er zur festigenden Handlung fähig ist; mit dem Hendiadyoin cura atque prospectu verstärkt Tertullian seine feinsinnige Polemik. Die Freiheit von der Sorge des göttlichen Äons um den Vater innerhalb des Mythos steht dabei der den Valentinianern als überzogen vorgeworfenen Sorge der Verheimlichung ihrer Lehre (vgl. 1,1) diametral gegenüber; Tertullian spielt erneut mit der Verschränkung von widerlegender Lehrdarstellung und Charakterisierung derjenigen, die diese Lehre vertreten. Tertullian benennt Ziel und Folge von Nus’ Handeln, bevor er auf das Mittel der Festigung zu sprechen kommt.165 Die „Situation wird befestigt“ (solidandis rebus), „das Pleroma beschützt“ (pleromati muniendo) und damit „vollends befestigt“ (iamque figendo), damit in der Folge „nicht von irgendwoher erneut eine derartige Erschütterung hineingerät“ (ne qua eiusmodi rursus concussio incurreret).166 Die Festigung führt zur Emanation des Äonen-Paares Christus 162 Zur Konstruktion (post mit zwei Adjektiven bzw. substantivierten Verben, ähnlich in 10,1) vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 257; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 273 Anm. 178. 163 Insgesamt findet sich dieser Terminus achtmal bei Tertullian. Die Heimatlosigkeit attestiert Tertullian sowohl den Häretikern (vgl. z.B. Praescr. 42,10) als auch den Juden, die Christus nicht erkennen (Apol. 21,5). In vorliegender Formulierung schimmert Tertullians Ironie durch, während Irenäus (Adv. Haer. I 2,5) technischer den Ausschluss (ἀφορισθῆναι) fomuliert. 164 Zum ironisierenden Ton von plane vgl. bereits 1,1. Marastoni wertet otiosus als eine Imitation des Vaters durch Nus, dem in 7,4 ein Sein in otio plurimo zugeschrieben wird (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 147). Während cura von Tertullian eingetragen ist, wird prospectu auf der irenäischen Vorlage basieren (Adv. Haer. I 2,5: κατὰ προμήθειαν τοῦ Πατρὸς). In Spect. 1,5 stellt Tertullian die „menschliche Vorsicht“ (humano prospectu) der „göttlichen Vorschrift“ (divino praescriptio) gegenüber. 165 Zur Konstruktion der Gerundiva mit finalem Sinn vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 257; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 273 Anm. 178. 166 Vgl. TLL Art. concussio IV/0 117,60–78; D’A LÉS, A DHEMAR, Tertullianea. ‚Concutere, Concussio, Concussura, Concussor‘, in: Recherches de science religeuse 27 (1937), 97–99: Tertullian verwendet concussio als erster metaphorisch mit dem Sinn von perturbatio (vgl. z.B. auch Spect. 15,3; Apol. 7,3).
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und Heiliger Geist, die Nus „herausgehen lässt“ (excludere)167. Tertullian bezeichnet dieses Paar als „neue Vereinigung“ (nova copulatio); in diesem in seinem Œuvre einmalig verwendeten Terminus copulatio168 klingt ein obszöner Unterton und eine sexuelle Konnotation mit, sich Christus und den Heiligen Geist als Paar vorzustellen. So schließt er mit einer persönlichen, abschließenden Wertung (putem). Unter allen vorgestellten Äonen-Verbindungen müsse diese doch als „die schändlichste“ (turpissima) gelten, weil sie „zwischen zwei Männern“ (duorum masculorum) bestehe; Tertullian rekurriert sarkastisch auf das grammatikalische Geschlecht von Christus und Spiritus sanctus. Bereits in 1,3 hatte er auf die „schändlichsten Erdichtungen“ (turpissima figmenta) der Valentinianer hingewiesen; was sich dahinter für unsittliche und obszöne Vorstellungen verbergen, zeigt sich beispielhaft an vorliegender Stelle. (11,2) Aut femina erit Spiritus Sanctus, et vulneratur a femina masculus? Munus enim his datur unum: procurare concinnationem aeonum, et ab eius officii societate duae scholae protinus, duae cathedrae, inauguratio quaedam dividendae doctrinae Valentini. Christi erat inducere aeonas naturam coniugiorum – vides quam rem plane – et innati coniectationem et idoneos efficere generandi in se agnitionem patris, quod capere eum non sit neque comprehendere, non visu denique, non auditu compotiri eius, nisi per Monogenem.
In einer rhetorischen Frage zieht Tertullian die geschlechtliche Zuordnung der Äonenverbindung von Christus und dem Heiligen Geist kurzzeitig in Zweifel und fragt, ob der Heilige Geist etwa analog zu den anderen Äonen-Paaren „eine Frau sein soll“ (aut femina erit Spiritus Sanctus).169 Diese Vorstellung kommentiert er mit dem auf körperliche Verwundung zielenden Bild, nach dem „das männliche Geschlecht“ – die maskuline Form spiritus sanctus – „von einer Frau“ entmannt würde (vulneratur a femina masculus).170 167 An dieser Stelle dürfte in excludere auch die Bedeutung „ausbrüten, ausschlüpfen“ mitschwingen; Tertullian rekurriert implizit auf das Bild der Hennen und Raubvögel in Adv. Val. 10,1. Vgl. TLL Art. excludere V/2 1272,16–25 mit Verweisstellen sowie RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 141. 168 Tertullian weicht auch an dieser Stelle von der irenäischen Textgrundlage ab, die parallel zu den vorherigen Aussagen ἑτέραν προβαλέσθαι συζυγίαν (Adv. Haer. I 2,5) formuliert. 169 Zwar sind der hebräische und syrische Terminus feminin, allerdings hat Tertullian davon vermutlich keine Kenntnis. Eine ähnliche Geschlechter-Polemik findet sich zu Achamoth (vgl. 14,1) sowie im Kontext der valentinianischen Eschatologie (vgl. 32,4). Zur Diskussion vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 258; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 274 f. Anm. 182; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 141. 170 Vgl. die polemische Notiz in Pall. 4,4 über den griechischen Boxer Cleomachus, der „erschlaffte“ (mutatu de masculo fluxisset [SC 513, 160,2 f. TURCAN]) und sich selbst degradierte, weil er sich in einen Lustknaben verliebte (so Strabo XIV 1,41). Vgl. dazu auch den Kommentar von HUNNINK, Tertullian. De Pallio, 204 f. sowie weitere Parallelen bei MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 148. Riley schlägt vor, vorliegend zudem
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Auch die folgende Beschreibung der den beiden Äonen zugeteilten Aufgaben trägt Tertullians ironisierenden Ton, die schon die als Hyperbaton formulierte Einführung abspüren lässt. Es handelt sich um genau „eine Verpflichtung“ (munus […] unum), der die beiden Äonen nachzukommen haben. Sie hätten „Sorge zu tragen für die Anordnung der Äonen“ (procurare concinnationem aeonum), was Tertullian mit dem Hapaxlegomenon concinnatio ausdrückt.171 Letztlich zielt diese Anordnung auf die Festigung der bereits mit den Emanationen angelegenten harmonischen Ordnung des Pleromas. Spöttisch konkludiert Tertullian, dass aus der „Gemeinschaft dieser Aufgabe“ für beide Äonen zugleich „zwei Schulen, zwei Kathedren“ (ab eius officii societate duae scholae protinus, duae cathedrae) entstehen. Tertullian führt diese Polemik sogar dahingehend weiter, dass er diese innermythologisch attestierte Aufsplittung bruchlos auf die Gegenwart der Valentinianer überträgt und als „Beginn für die Aufspaltung der Lehre Valentins“ (inauguratio quaedam dividendae doctrinae Valentini) deutet.172 Es ist zu diskutieren, inwieweit in dieser eindeutig polemischen Notiz ein historischer Sachverhalt Eingang gefunden hat.173 Tertullians Polemik zielt im Kontext der Darstellung des mythologischen Geschehens darauf, dass den zwei Emanationen gemeinsam zwar eine Aufgabe (munus unum) zugeteilt wurde, der sie aber in zwei Facetten nachkommen, was er mit dem Bild von „zwei Lehrstühlen“ (duae cathedrae) karikiert. Während Christus die Wissensvermittlung und damit die Vermittlung der Gotteserkenntnis zukommt (11,1–3), ist der Heilige Geist der Ruhebringer (11,4). Christus soll den Äonen das Wissen um ihr paarweises Sein vermitteln und „in die Vorstellung vom Ungeborenen einführen“ (Christi erat inducere aeonas naturam coniugiorum […] et innati coniectationem) 174 . Tertullian eine christologisch inspirierte Polemik Tertullians zu deuten, wenn der Geist den Gekreuzigten verlässt (Joh 19,30; DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 141). 171 Marastoni macht auf den juristischen Kontext des Terminus procurare aufmerksam sowie die inhaltliche Parallele zu 13,1 (tutelarem reformatum; vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 148). Zu concinnatio vgl. TLL Art. concinnatio IV/0 49,40 im Sinne von compositio. Tertullian gibt in seinen Worten den bei Irenäus als „Wiederherstellung“ (καταρτισθῆναι τοὺς Αἰῶνας) formulierten Gedanken wieder (Adv. Haer. I 2,5). 172 Der Terminus inauguratio, der sich lediglich zwei weitere Male findet (vgl. TLL Art. inauguratio VII/1 839,22–28, zur Diskussion um die Abhängigkeit der Prägung des Terminus vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 259; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 275 Anm. 183 und WELLSTEIN, Nove Verba, 316), hebt zusätzlich Tertullians ironischen Ton hervor, mit dem er den Anfangspunkt einer diffusen Entwicklung des valentinianischen Lehrsystems bestimmen will. 173 Vgl. dazu den folgenden Exkurs. 174 Coniectatio verwendet Tertullian lediglich zweimal in seinem Œuvre (neben vorliegender Stelle auch in Anim. 46,3 im Sinne einer Traumdeutung). Vgl. auch TLL Art. coniectatio IV/0 311,64 f. Allerdings weicht Tertullian in seiner Formulierung deutlich von der irenäischen Version ab, der klarer die Bedingung formuliert: Die Erkenntnis des eigenen
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erinnert seine Leserschaft in direkter Anrede an das zuvor geschilderte Geschehen (vgl. Adv. Val. 7 f.) und seiner mit Worten der Fruchtbarkeitsmetaphorik hervorgehobenen Deutung dessen als obszön (vides quam rem plane), sodass er an dieser Stelle keine weiteren deutenden Einordnungen als nötig ansieht. Mit Christus werden die Äonen „fähig, in sich die Erkenntnis des Vaters hervorzubringen“ (et idoneos efficere generandi in se agnitionem patris)175. Christus führt die Aufgabe des Monogenes (officium; 7,6) zu Ende und vermittelt den Äonen die „Erkenntnis“, dass „es nicht möglich sei, den Vater zu fassen, auch nicht zu begreifen“ (quod capere eum non sit neque comprehendere)176. Weder durch kognitives noch durch ein sinnliches Erfassen im Sehen oder Hören werden die Äonen „des Vaters teilhaftig, außer durch den Monogenes“ (non visu denique, non auditu compotiri eius, nisi per Monogenem)177. Das durch Christus vermittelte Wissen besteht im Wissen um die Unkenntnis über den Urgrund und das Ungezeugte (innati coniectationem) und darin, dass die Äonen mit dem Wissen um ihre paarhafte Entstehung den Urgrund hinreichend erfassen (Christi erat inducere aeonas naturam coniugiorum).178 Die Exklusivaussage, dass der Zugang zur Erkenntnis allein durch den Monogenes eröffnet wird, lässt bereits die Durchdringung der mythologischen Differenzierung der Christus versinnbildlichenden Äonen anzeigen.179 Exkurs: „Zwei Schulen und zwei Kathedren“ der Valentinianer (11,2) Die tertullianische Notiz wirft die Frage nach der Historizität auf. Dass an dieser formulierten Vorstellung mehr als Tertullians Polemik enthalten sein kann, belegen zwei weitere – allerdings ebenfalls aus einer widerlegenden Haltung gegenüber den Valentinianern heraus verfasste – Quellen. Es gilt zunächst zu analysieren, was Tertullian an vorliegender Stelle mitteilt, um dann einen Blick auf die beiden Notizen bei Clemens und Hippolyt zu werfen und anschließend die Argumente zu einem Gesamtbild zusammenzuführen. (1) Tertullians Notiz von „zwei Schulen und zwei Kathedren“ (duae scholae, duae cathedrae) der Valentinianer fällt inmitten der Polemik gegen die valentinianische Gotteslehre, die sich in einem in 30 Äonen sich ausdifferenzierten Pleroma entfaltet, das nach dem Wesens der Äonen als paarhaften Verbindungen bildet die Erkenntis des ungeborenen Vaters. Vgl. Adv. Haer. I 2,5 (44,212–45,218): Τὸν μὲν γὰρ Χριστὸν διδάξαι αὐτοὺς συζυγίας φύσιν, † ἀγεννήτου κατάληψιν γινώσκοντας ἱκανοὺς εἶναι † ἀναγορεῦσαί τε ἐν αὐτοῖς τὴν τοῦ Πατρὸς ἐπίγνωσιν, ὅτι τε ἀχώρητός ἐστι καὶ ἀκατάληπτος καὶ οὐκ ἔστιν οὔτε ἰδεῖν οὔτε ἀκοῦσαι αὐτὸν ἢ διὰ μόνου τοῦ Μονογενοῦς [γινώσκεται]· 175 Auch an dieser Stelle weicht Tertullian von Irenäus ab. Zur Konstruktion von idoneus mit Dativ-Gerundiv vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 260. 176 Vgl. bereits capere in 7,3.6; 9,1. 177 Auch der in der lateinischen Literatur seltene Terminus comporto findet sich nur hier in Tertullians Œuvre (vgl. dazu TLL Art. comporto III/0 2143,76–88). 178 Vgl. dazu auch ALAND, BARBARA, Die Gnosis (Reclams Universal-Bibliothek 19210), Stuttgart: Reclam 2014, 106 f. 179 Vgl. Joh 1,18.
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
Fall der Sophia aus dem Verlangen nach Erkenntnis des obersten Vaters von zwei weiteren hervorgebrachten Äonen, Christus und Heiliger Geist gefestigt wird. Nach der Emanation dieser beiden Äonen kommt Tertullian auf die Aufspaltung der valentinianischen Lehre (inauguratio quaedam dividendae doctrinae Valentini) zu sprechen. Die erneute Emanation zweier Äonen, die zugleich die Namen zweier göttlicher Personen tragen, aber nur einer Aufgabe nachzukommen haben, hat Tertullian zur Polemik inspiriert, die seiner Strategie entspricht, aus der Darlegung und Interpretation der valentinianischen Lehre heraus, mit Hilfe eines Analogieschlusses durch eine bruchlose Übertragung konkrete Aussagen über die soziale Gemeinschaft der Valentinianer treffen zu können. Die Termini schola und cathedra nutzt Tertullian lediglich in dieser Schrift zur Bezeichnung der Häretiker. Gemeinhin achtet er sehr auf die Differenzierung zwischen Termini, die er als Ausdruck für Lehren, die in seinen Augen als häretisch einzuordnen sind, sowie für seine eigene christliche Gemeinschaft verwendet.180 Bereits in 8,3 spricht Tertullian von einer Rhetorikschule in Karthago (scholae Karthaginenses),181 während er in 33,1 die schola Ptolemaei erwähnt.182 Letztere Verwendung inhäriert schon die Bedeutung im philosophischen Sinn, die auch christlich konnotiert sein kann. 183 Ähnlich verhält es sich mit dem Terminus cathedra, den Tertullian einzig an dieser Stelle auf die Valentinianer anwendet.184 Zugleich fällt auf, dass die Zweiteilung mit der Person Valentins sowie der Abtrünnigkeit seiner Schüler von ihm begründet wird. Diesen Zusammenhang hatte Tertullian bereits in Adv. Val. 4 berichtet. Die Spaltung, von der Tertullian weiß, findet sich nicht horizontal zwischen den Schülergruppen, sondern vertikal zwischen dem Lehrer und Namensgeber Valentin und seinen Schülern (vgl. 4,2–4). Nur Axionicus weiche nicht von Valentins Lehre ab, sodass diese Spaltung nach Tertullians Verständnis – übertragen auf die Schülerebene – auch in seiner Zeit als eine sekundäre Lehrer-Schüler-Spaltung mit Axionicus als Valentins Stellvertreter zu finden ist. Inhaltlich hätten sich allerdings nicht zwei neue Richtungen gebildet, sondern die eine sei ihrem Ursprung treuer als die andere. Letztendlich ist davon auszugehen, dass Tertullian nur wenige historisch belastbare Informationen vorlagen, die er tradieren kann und will. So lassen sich die vielen offenen Fragen erklären: Worin unterscheiden sich die beiden Schulen? Wie lassen sich diese differenzieren: nach Schulhäupter und welche wären dies oder geographisch? Beide Abschnitte mit vermeintlich historischen Informationen stehen primär unter einer polemischen Perspektive. Und gerade an dieser Stelle wirkt der bruchlose Übergang zwischen der Darstellung des Mythos und historischen Informationen konstruiert, obwohl eine solche Mitteilung nicht auszuschließen ist. Zudem bliebe zu fragen, warum sich diese Information dann nicht in Adv. 180 Vgl. z.B. den Terminus collegium in 1,1 oder (in)adprehensibilis in 11,3 mit dem jeweiligen Kommentar zu den Stellen. 181 Vgl. auch Test. Anim. 1,6; Idol. 10,3.7. 182 Vgl. dazu auch 7. in der Einleitung. 183 Vgl. philosophische Schule in Apol. 46,10; Praescr. 7,4; Adv. Marc. I 25,3; V 19,7; Anim. 54,3 sowie christlich in Scorp. 9,1; 12,1. Auch metaphorische Verwendung findet der Terminus z.B. in Pall. 4,2; Apol. 35,6 und Anim. 1,6. 184 Einen gewöhnlichen Stuhl bzw. Sitz bezeichnet cathedra in Spect. 3,6 und Orat. 16,4; als Auslegung von Ps 1,1 nutzt Tertullian cathedra in Spect. 3,3.7; 27,4; Adv. Marc. II 19,2; IV 42,8 sowie Pud. 18,4 und im Kontext der Auslegung von Mt 23,2 in Mon. 8,7. Zuletzt ist cathedrae apostolorum in Praescr. 36,1 entweder als reale „Lehrstühle der Apostel“ oder aber symbolisch als Bezeichnung des apostolischen Ursprungs der Gemeinden (vgl. auch Iren., Epid. 2) verwendet.Vgl. zur Bedeutungsvielfalt auch TLL Art. cathedra III/0 611,78– 614,5.
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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Val. 4 findet; auf diese hätte Tertullian im vorliegenden Kontext in seiner polemischen Art rekurrieren können. (2) Allerdings finden sich zwei weitere Notizen, deren Verhältnis zur Bemerkung Tertullians befragt werden müssen. Die Sammlung der Aussprüche des Valentinianer Theodots aus der Feder des Alexandriner Clemens ist in der griechischen Fassung mit „Auszüge aus den Werken Theodots und der sogenannten östlichen Lehre zur Zeit Valentins“ (ἐκ τῶν Θεοδότου καὶ τῆς ἀνατολικῆς καλουμένης διδασκαλίας κατὰ τοὺς Οὐαλεντίνου χρόνους ἐπιτομαί) überschrieben.185 Der Titel impliziert eine Sammlung von Worten Theodots und weiteren Werken der sogenannten östlichen Lehre. Es fällt auf, dass in der Überschrift die Rede von „Lehre“ (διδασκαλία) und nicht von Schule ist.186 Ein ähnlicher Sachverhalt weist die Notiz über die Spaltung der Valentinianer in eine „östliche und italische Lehre“ (καὶ καλεῖται ἡ μὲν ἀνατολική τις διδασκαλία κατ’ αὐτούς, ἡ δὲ Ἰταλιωτική)187 aufgrund von Lehrunterscheidungen in Bezug auf den Leib Jesu Christi auf, die Hippolyt in seiner Widerlegung der Häresien konstatiert. Es geht um die Frage, ob Jesu Leib von Geburt an oder erst nach der Geistverleihung pneumatisch ist. Auch Hippolyt spricht von διδασκαλία.188 Damit findet sich eine gemeinsame terminologische Differenz gegenüber der tertullianischen Notiz. Mit Blick auf die bei Clemens überlieferte Quelle ist zu fragen, ob der Titel tatsächlich authentisch ist oder aber von einem späteren Verfasser eingetragen wurde und inwiefern dieser das Werk gekannt hat.189 Diese Problematisierung stützen verschiedenen Beobachtungen: Die antike Gattung Epitome besteht gewöhnlich aus einem Extrakt eines längeren Werkes zur kurzen Einführung ohne Gegenargumentation, allerdings eigenständigen Clem., Exc. Thdot. (SC 23, 52,1–3 SAGNARD = GCS 3, 105,1–4 STÄHLIN u.a.). So die häufige Übersetzung vgl. z.B. THOMASSEN, Spiritual Seed, 28. Clemens berichtet durchaus von der „Schule Valentins” (in Bezug auf Julius Cassian: Clem., Strom. III 92,1; in Bezug auf Heracleon: IV 71,1) 187 Hipp., Ref. VI 35,5–7 (GCS 26, 165,2–17 W ENDLAND): Περὶ τούτου ζήτησις μεγάλη ἐστὶν αὐτοῖς καὶ σχισμάτων καὶ διαφορᾶς ἀφορμή· καὶ γέγονεν ἐντεῦθεν ἡ διδασκαλία αὐτῶν διῃρημένη, καὶ καλεῖται ἡ μὲν ἀνατολική τις διδασκαλία κατ’ αὐτούς, ἡ δὲ Ἰταλιωτική. οἱ μὲν ἀπὸ τῆς Ἰταλίας, ὧν ἐστιν Ἡρακλέων καὶ Πτολεμαῖος, ψυχικόν φασι τὸ σῶμα τοῦ Ἰησοῦ γεγονέαι, καὶ διὰ τοῦτο ἐπὶ τοῦ βαπτίσματος τὸ πνεῦμα ὡς περιστερὰ κατελήλυθε, τουτέστιν ὁ λόγος ὁ τῆς μητρὸς ἄνωθεν τῆς Σοφία, καὶ [ἐγ]γέγονε τῷ ψυχικῷ, καὶ ἐγήγερκεν αὐτὸν ἐκ νεκρῶν. τοῦτό ἐστι, φησί, τὸ εἰρημένον· «ὁ ἐγείρας Χριστὸν ἐκ νεκρῶν ζωοποιήσει καὶ τὰ θνητὰ σώματα ὑμῶν», ἢτοι ψυχικά. ὁ χοῦς γὰρ ὑπὸ κατάραν ἐλήλυθε· «γῆ γάρ», φησίν, «εἶ, καὶ εἰς γῆν ἀπελεύσῃ». οἱ δ’ αὖ ἀπὸ τῆς ἀνατολῆς λέγουσιν, ὧν ἐστιν Ἀξιόνικος καὶ ᾽Αρδησιάνης, ὅτι πνευματικὸν ἦν τὸ σῶμα τοῦ σωτῆρος· Πνεῦμα γὰρ ἅγιον ἦλθεν ἐπὶ τὴν Μαρίαν, τουτέστιν ἡ Σοφία, καὶ ἡ δύναμις τοῦ ὑψίστου, ἡ δημιουργικὴ τέχν, ἵνα διαπλασθῇ τὸ ὑπὸ τοῦ Πνεύματος τῇ Μαρίᾳ δοθέν. 188 Markschies versteht den Terminus als pars pro toto für „Schule“ (vgl. DERS., Valentinian Gnosticism, 432). 189 Vgl. dazu vor allem M ARKSCHIES, Valentinian Gnosticism, 433–435 sowie KALVESMAKI, JOEL, Italian versus Eastern Valentinianism?, in: Vigiliae Chrristianae 62 (2008), 79–89, 79–84. Auch Thomassen fragt dies, konstatiert aber, dass die Herkunft des Titels wenig bedeutsam für die Frage nach der Beurteilung der Glaubwürdigkeit ist (vgl. DERS., Spiritual Seed, 28 Anm. 3). Allerdings stimmt dies nicht ganz: Denn abhängig davon, von wem, wann, mit welchem Wissensstand und mit welcher Intention dieser Titel eingetragen wurde, ist die historische Belastbarkeit einzuschätzen. 185
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
redaktionellen Maßnahmen; die Excerpta ex Theodotou lassen sich allerdings eher als „critical refutation“ einordnen.190 Zugleich lassen sich innere Differenzen zwischen dem gebotenen Text und der Überschrift ausmachen, indem der Text weder eine nähere geographische Spezifizierung der dargelegten valentinianischen Lehre bietet noch von Valentin selbst spricht; während die Überschrift die östliche Lehre zur Zeit der Person Valentins verortet.191 Zuletzt gelten die Exc. Thdt. als einzige Quelle für Informationen über den Lehrinhalt der östlich geprägten Lehre.192 Damit kann die Überschrift der Exc. Thdt. nicht mehr als ein vorsichtiges Indiz für eine solche valentinianische Lehrsplittung sein; die Beweiskraft für die Existenz einer nicht näher zu qualifizierenden östlichen Lehre ist nicht gegeben.193 Letztendlich ist nicht auszuschließen, dass der Titel polemisch „Lehrer aus dem Osten“ formuliert. Mit Blick auf Hippolyts Notiz ist zu fragen, wie belastbar die Informationen über eine östliche und italische Lehre sind. Es ist zunächst mit Markschies zu konstatieren: „I see no reason for doubting the correctness of this statement.“194 Hippolyt wusste von einer Differenzierung der valentinianischen Lehre zu seiner Zeit, die sich in einer geographischen Spaltung entsprechend der beiden sprachlich getrennten Reichshälften niedergeschlagen hat und inhaltlich mit der Deutung von Jesu Körper verbunden war. Zugleich scheint Hippolyt lediglich ein rudimentäres Wissen über die östliche Lehre vorgelegen zu haben. 195 Dies 190 M ARKSCHIES, Valentinian Gnosticism, 434. Vgl. auch O PELT, ILONA, Art. Epitome, in: Reallexikon für Antike und Christentum 5 (1962), 944–973; RAHN, HELMUT, Art. Epitome, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 2 (1994), 1316–1319 und KALVESMAKI, Italian versus Eastern Valentinianism?, 80 f. Als weitere Argumente lassen sich anführen: Der Autor wird nicht explizit genannt, ein wesentliches Merkmal der Gattung, die Vorrede über die Methode, fehlt und auch die handschriftliche Überlieferung ist nicht für eine in die Antike zurückreichende Kontinuität belastbar. Zudem ist der Plural ἐπιτομάι ungewöhnlich. Die Überschrift impliziert die Verwendung von zwei bzw. einer Quelle – je nach Verständnis von κάι; die Exc. Thdt. aber verwenden vier Quellen, von denen eine der irenäischen, der von Thomassen dem „westlichen Valentinianismus“ zugeordnete Fassung entspricht (vgl. DERS., Spiritual Seed, 29). Dies belegt zunächst, dass der Titel nicht von Clemens stammt und der anonyme Verfasser nur geringe Kenntnisse des eigentlichen Werks hat. 191 Gegen eine direkte Schülerschaft argumentiert M ARKSCHIES, Valentinian Gnosticism, 393; vgl. auch KALVESMAKI, Italian versus Eastern Valentinianism?, 82–84. Dies lässt zwei Schlüsse zu: Entweder hat der Autor der Überschrift keine Kenntnis der Schrift oder er hat sekundär, ihm wichtig erscheinende Informationen eingefügt. Ersteres stützen die formalen Gründe. 192 Vgl. THOMASSEN, Spiritual Seed, 28–38. 193 Kalvesmaki plädiert dafür, dass Valentin und die sogenannte östliche Lehre als zeitlich parallele Entwicklungen zu werten sind und diese Lehre daher gerade nicht von Valentin herkommt (DERS., Italian versus Eastern Valentinianism?, 82 f.). Allerdings bleibt dieser Schluss recht fragwürdig: Warum sollte der Referenzpunkt für die Verortung der östlichen Lehre, von der der Verfasser irgendwie gehört hat, in der Zeit Valentins liegen, wenn dies keinen Anhaltspunkt hat? Eine gewisse Verbindung wird anzunehmen sein, die mindestens in der Zeitgleichheit liegt; von einer Spaltung ist keine Rede. Vgl. auch MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus?, 301. 194 M ARKSCHIES, Valentinian Gnosticism, 432. 195 Vgl. dazu THOMASSEN, Spiritual Seed, 43–45; K ALVESMAKI, Italian versus Eastern Valentinianism?, 84–87. In Bezug auf die östliche Lehre spricht Hippolyt vom pneumatischen Leib Jesu, der allerdings zugleich „gestaltet“ wird (διαπλασθῇ), was eigentlich nur
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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belegen die angeführten Vertreter der beiden Teile: Während Herakleon und Ptolemäus auch in anderen Quellen als im Westen wirkende Autoren und Valentinianer bezeugt sind,196 fehlen über Axionikus und Bardesanes belastbare Informationen. Führt Hippolyt Axionikus als führenden Vertreter der östlichen, valentinianischen Lehrrichtung an, bezeugt Tertullian diesen als eine isolierte Person, die sich zu seiner eigenen Zeit in Antiochia aufhielt und „allein die Erinnerung an Valentin durch die unversehrte Bewahrung seiner Lehren in Ehren“ hielt.197 Damit ist Hippolyts Zuordnung zur östlichen Reichshälfte durch Tertullians Zeugnis abgesichert. Den von Tertullian auch an anderer Stelle konstatierten Bruch zwischen Valentin und seinen Schülern, der auch zur Person des Axionicus passen würde, ist allerdings als glaubwürdiger einzuschätzen als Hippolyts Notiz. Das unterstützt schon allein die Stellung der Notiz innerhalb von Adv. Val., wenn Tertullian diese Informationen im dafür konzipierten Kapitel über die Genese der Valentinianer anbringt. Zudem kennt Tertullian lediglich für Axionicus eine geographische Kontextualisierung, die ebenfalls historisches Quellenwissen vermuten lässt. Anders verhält es sich mit der Notiz über die Spaltung in „zwei Schulen und zwei Kathedren“, die – wie Hippolyts Bericht – inmitten der widerlegenden Darstellung des valentinianischen Systems platziert ist und rhetorisch für die widerlegende Polemik gezielt genutzt ist.198 Zudem müsste erklärt werden, warum Tertullian diese Information weder im Kontext der widerlegenden Darstellung der christologisch differenten Lehre der Valentinianer in Adv. Val. 26,2; 39,1 f. noch in Carn. Christ., wo er sich der Frage nach der Beschaffenheit des Leibes Jesu auch in Auseinandersetzung mit den Valentinianern ausführlich stellt, anbringt. Das Schweigen über eine solche Lehrspaltung lässt sich sowohl als fehlendes Wissen Tertullians als auch als nicht historisch gesicherte Informationen interpretieren; auch dort gilt die polemische Perspektive als bestimmende vor allen anderen. 199
nicht-pneumatischer Substanz zukommt. Und die valentinianische Lehre, die Hippolyt bietet, ist vornehmlich westlich; lediglich in Bezug auf den Körper Jesu östlich. Thomassen konkludiert, dass Hippolyt Auseinandersetzungen innerhalb der westlichen Lehre tradiert, weil ihm entweder die Informationen über die östliche Lehre fehlten oder er diese absichtlich verzerrt darstellen wollte. 196 Zu Herakleon und Ptolemäus vgl. den Kommentar zu 4,2. 197 (86,19 f.): Solus ad hodiernum Antiochiae Axionicus memoriam Valentini integra custodia regularum eius consolatur. 198 Weniger gesicherte Informationen lassen sich über Bardesanes treffen, nach Eusebs Notiz begann Bardesanes seinen Weg als Valentinianer, bevor er diesen wieder verließ (H.e. IV 30), während Epiphanius keine Verbindung zum Valentiniansmus herstellt (Pan. 56). THOMASSEN verweist angesichts des Befunds auf eine textkritische Variante und liest Ardesanes (vgl. DERS., Spiritual Seed, 503). Vgl. auch KALVESMAKI, Italian versus Eastern Valentinianism?, 86. 199 Dass Irenäus über eine solche Differenzierung der Valentinainer in zwei Schulen schweigt, könnte als terminus post quem herangezogen werden. Die Information der Exc. Thdt. wäre mit noch geringerer Wahrscheinlichkeit wahr; denn wenn bereits „zur Zeit Valentins“ eine solche Differenzierung geherrscht habe, verwundert es, warum sein Zeitgenosse, der ebenfalls in Rom weilte, diese Informationen nicht vorlagen. Hätte er sie gehabt, hätte er sie mit großer Sicherheit verwendet, wie sich z.B. die Notiz über die geographische Differenzierung von Saturninuns und Basilides als Nachfolger Menanders findet (Adv. Haer. I 24,1). Die These, dass die östliche Lehre gar vor-valentinisch sei, ist nicht haltbar (vgl. KALVESMAKI, Italian versus Eastern Valentinianism, 89) – warum sollte die Bewegung sich dann nicht namentlich auf diesen Stifter berufen, wäre nur eine offene Frage.
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
(11,3) Et tamen tolerabo quod ita discunt patrem nosse: ne nos et illud. Magis denotabo doctrinae perversitatem, quod docebantur incomprehensibile quidem patris causam esse perpetuitatis ipsorum, comprehensibile vero eius generationis illorum et formationis esse rationem. Hac enim dispositione illud, opinor, insinuator, expedire deum non adprehendi, siquidem inadprehensibile eius perpetuitatis est causa, adprehensibile autem non perpetuitatis, sed nativitatis et formationis, egentium perpetuitatis.
Tertullians folgende Polemik richtet sich gegen den Inhalt der Gotteserkenntnis (magis denotabo doctrinae perversitatem)200. Dem Modus der Erkenntnis stimmt er zu: „ja auch wir tun dies“ (ne nos et illud). So will er „ertragen, dass sie so erlernen, den Vater zu erkennen“ (et tamen tolerabo quod ita discunt patrem nosse). Im Hintergrund des emphatischen Ausrufs steht zugleich das durch das Chronologieargument gestützte Autoritätsargument, mit dem Tertullian seine eigene Position gegen die dargestellte valentinianische legitimiert.201 Den zweifachen Inhalt der in Tertullians Augen verkehrten Lehre (doctrinae perversitatem) formuliert er in einem Parallelismus (incomprehensibile/comprehensibile), innerhalb dessen die Näherbestimmung dieser beiden Adjektive chiastisch gegenübergestellt wird. Nach valentinianischer Vorstellung sei „das, was am Vater unbegreiflich ist, die Ursache der ewigen Beständigkeit“ der Äonen (incomprehensibile quidem patris causam esse perpetuitatis ipsorum)202, während „das, was an ihm begreiflich ist, Grund ihrer Zeugung und Gestaltung sei“ (comprehensibile vero eius generationis illorum et formationis esse rationem) 203 . Die beiden obersten Aspekte der Gottheit, der Urgrund und sein Schweigen gründen das Sein der Äonen, in deren Namen die Ewigkeit bereits angelegt ist. Nus hingegen, der als einziger Kenntnis seines Ursprungs hat, ist Denotare verwendet Tertullian häufiger. Diesen Vorwurf der Anprangerung der gegnerischen Partei legt Tertullian selbst den Nicht-Christen Karthagos bei und kontrastiert mit Hilfe eines rhetorischen Arguments denotare mit laudare in Verbindung mit dem chronologischen Argument (vgl. Apol. 3,3). Ebenfalls polemisch ist das Lob an die Prinicpes Africae, viri Carthaginienses, zu lesen, mit dem Tertullian seine Schrift Pall. 1,1 eröffnet, dass sie die „Kleidung tadeln“ würden (habitus denotare). In vorliegendem Kontext beansprucht Tertullian dieses Mittel der öffentlichen Anprangerung für sich. 201 Vgl. dazu bereits Adv. Val. 1,4 mit dem Vorwurf, dass die Valentinianer „den gemeinsamen Glauben unter dem Vorwand der doppelzüngigen Zweideutigkeiten bekräftigen“ (per ambiguitates bilingues communem fidem affirmant [80,27 f.]). Zur Konstruktion vgl. RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos 142; FREDOUILLE, Valentiniana, 60 f. Zum Modus der Gotteserkenntnis äußerst sich Tertullian bereits z.B. in Apol. 21,28 (CChr.SL 1, 127,140– 143 DEKKERS): Dicimus et palam dicimus et vobis torquentibus lacerati et cruentati vociferamur: „Deum colimus per Christum“. Illum hominem putate, per eum se cognosci et coli Deus voluit. Vgl. auch 48,11. 202 Perpetuitas ist ein seltener Terminus bei Tertullian; alle vier Vorkommen in Adv. Val. sind in vorliegendem Kapitel. In Apol. 48,12 bezeichnet perpetuitas im Kontext eschatologischer Thematik die „unermessliche Fortdauer der Ewigkeit“ (in immensam aeternitatis perpetuitatem). 203 Zur die creatio betonenden formatio vgl. TLL Art. formatio VI/1 1089,3 f.13 sowie im Gegensatz zu perpetuitas auch BRAUN, Deus christianorum, 318 f. 200
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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durch sein demiurgisches Wirken Ursache der Entstehung der weiteren Äonen sowie der Wissensvermittlung, indem er Christus emaniert; damit verkörpert er die „Begreifbarkeit“ (comprehensibile) bzw. „Fassbarkeit“ (adprehensibile) des Vaters bzw. Gottes (vgl. auch 11,4).204 In seiner Polemik, die Tertullian einzig gegen die Vorstellung dessen, was an Gott unbegreifbar ist, richtet, ändert er an entscheidenen Stellen die Terminologie. Für incomprehensibile/comprehensibile205 bildet er die Begriffe inadprehensibilis/adprehensibilis206 und anstelle von pater geht es um deus; terminologisch differenziert Tertullian zwischen der Wiedergabe valentinianischer Gedanken und der christlichen Lehre, wie er sie vertritt. Damit korreliert er die valentinianische Vorstellung – von Gott wird als pater gesprochen – indirekt mit seiner eigenen christlichen Lehre. Tertullian führt die valentinianische innere Anordnung (dispositio), die er als einschmeichelnde Behauptung (insinuatur)207 der Valentinianer karikiert, polemisch zu einer Konklusio, nach der den Äonen keine ewige Beständigkeit (perpetuitas) mehr zukommen würde, sollten sie Gott erkennen. Ironisch fasst er daher zusammen, dass es unter dieser Bestimmung, dass Gottes „Unfassbarkeit die Ursache der ewigen Beständigkeit der Äonen“ (siquidem inadprehensibile eius perpetuitatis est causa), „das Fassbare aber nicht Ursache der ewigen Beständigkeit ist“ (adprehensibile autem non perpetuitatis), für die Äonen in valentinianischer Perspektive „förderlich sei, Gott nicht zu erfassen“ (expedire deum non adprehendi). Schließlich seien sie diejenigen, „die ewige Beständigkeit nötig haben“ (egentium perpetuitatis)208; wären sie aus dem Fassbaren geboren, wären sie nicht ewig. Das Fassbare sei daher vielmehr „Ursache des Geborenseins 204 Die demiurgische Tätigkeit findet sich auf zwei Ebenen: Nus/Monogenes schafft Christus zum Zweck der Festigung und Rückwendung der in Sehnsucht nach dem Vater verstrickten Äonen in die „wahre Ruhe“ (11,4). Christus wiederum ist demiurgisch tätig, indem er sich den Äonen zuwendet und das notwendige Wissen vermittelt. Vgl. auch ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 287 f. 205 Tertullian verwendet incomprehensibilis lediglich in Apol. 17,2 zur Beschreibung des christlichen Gottes. Dort lässt sich seine eigene stoische Prägung herauslesen. Die mit den Sinnesorgangen aufgenommenen Sinneseindrücke sind Vorstellungen in der Seele und damit entweder erkennende (comprehensibilis) oder nicht-erkennende (incomprehensibilis) und bilden das Material für den Logos. Vgl. auch BRAUN, Deus christianorum, 54 f. 206 Zur Neubildung dieser Termini vgl. TLL Art. apprehensibilis II/0 308,17–14; TLL Art. inapprehensibilis VII/1 831,73–83 sowie WELLSTEIN, Nova Verba, 119–121. Erneut stellt Tertullian beide Termini in Adv. Val. 27,2 gegenüber. Tertullian nutzt die Adjektive hier als Erster in substantivierter Form, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 261; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 275 Anm. 188. Keine Differenzierung zwischen den beiden Bedeutungen der Komposita wertet FREDOUILLE, aaO., 262. 207 Vgl. zur Bedeutungsnuance TLL Art. insinuator VII/1 1916,81 f. docendo, suadendo sim. ingerere, suggere. 208 Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 262 sowie M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 152.
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und ihrer Gestaltung“ (sed nativitatis et formationis), wie Tertullian mit kleiner begrifflicher Varianz abschließend feststellt und in der Änderung von generatio zu nativitas die Fruchtbarkeitsmetaphorik erneut anklingen lässt. (11,4) Filium autem constituunt adprehensibile patris; quomodo tamen adprehendatur, tum prolatus Christus edocuit. Spiritus vero Sancti propria209, ut de doctrinae studio omnes peraequati gratiarum actionem prosequi nossent et veram inducerentur quietem.
Am Satzanfang betont löst Tertullian auf, wer hinter „der Faßbarkeit des Vaters“ (adprehensibile patris) gedacht wird: der Sohn (filium). Von diesem war zuvor nicht die Rede. Die genealogische Wortwahl, die relational innerhalb der valentinianischen Vorstellung zum Vater (11,3) formuliert, zielt auf den Äon Nus.210 Christus hingegen lehre – Tertullian verbleibt in seinem Bild der Lehrer-Schüler-Beziehung –211 den Modus der Erkenntnis (quomodo tamen adprehendatur, tum prolatus Christus edocuit). Abschließend benennt Tertullian knapp die Facette der einen Aufgabe des Äonenpaares (vgl. 11,2), die dem Heiligen Geist zukommt. Wenn Christi Aufgabe erledigt ist, die Äonen „alle im Eifer für die Lehre einander angeglichen sind“ (de doctrinae studio omnes peraequati)212 und ihre Heterogenität einer Homogenität gewichen ist, versetzt der Heilige Geist sie „in die Lage, die Danksagung durchzuführen“ (gratiarum actionem prosequui nossent) – Adressat und Objekt der Danksagung sind lediglich indirekt benannt –213 und „führt sie zur wahren Ruhe“ (veram inducerentur quietem). Damit schließt sich ein Bogen von der Entstehung des Pleromas, bei der die im weiblichen Äon Sige personifizierte vollkommene Ruhe beim Vater und Urgrund manifestiert war, bis zur gefestigten Situation nach den emotional ausgelösten Turbulenzen im Pleroma. 5.2.7. Adv. Val. 12: Die Gleichwerdung aller Äonen und Jesu Emanation (12,1) Itaque omnes et forma et scientia peraequantur, facti omnes quod unusquisque; nemo aliud, quia alteri omnes. Refunduntur in Nus omnes, in Homines, in Philetos, aeque feminae in Sigas, in Zoas, in Ecclesias, in Fortunatas, ut Ovidius “Metamorphosis” suas delevisset, si hodie maiorem cognovisset.
Aus dem Wirken des Äonenpaares Christus und Heiliger Geist (11,1–4) erwächst die Homogenisierung aller Äonen durch die Gleichwerdung in Bezug auf Gestalt (forma) und Wissen (scientia). Die jeweilige Verschiedenheit der 209 Die von Kroymann und Marastoni vorgenommene Veränderung zu provincia ist nicht notwendig; zudem stellt der handschriftliche Befund die lectio difficilior dar. Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 262; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 99 Anm. 4. 210 Deutlicher ist die genealogische Formulierung bei Irenäus, der keine Polemik einschiebt (Adv. Haer. I 2,5). 211 Bei Irenäus findet sich das Verb ἐδημιούργησε (Adv. Haer. I 2,5). 212 Peraequari ist ein seltener Terminus; die Substantivierung bildet zudem einen tertullianeischen Neologismus (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 262). 213 Ähnlich allerdings auch Irenäus’ Wiedergabe (Adv. Haer. I 2,6).
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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Äonen in ihrem paarhaften Sein wird nicht benannt. Tertullian allerdings karikiert diesen Prozess als Entindividualisierung der Äonen, eine „völlige Gleichmachung“ (peraequaro)214 ohne Unterschied. Die beiden folgenden Sequenzen beschreiben positiv die Gleichwerdung aller Äonen durch Annahme aller Eigenschaften von allen Äonen sowie negativ die vollkommene Aufhebung der Unterschiedlichkeit (facti omnes quod unusquisque; nemo aliud, quia alteri omnes). Durch die Setzung der Genera hebt Tertullian hervor, dass keine natürliche Differenz mehr zwischen den Äonen bestehe (aliud); kein Äon ist mehr anders, weil die anderen Äonen immer alle und lediglich reziprok zu denken sind (alteri).215 Die Entindividualisierung wendet Tertullian auch auf die Namen der Äonen an; demnach gilt die völlige Gleichheit geschlechtsspezifisch, indem die paarweise Differenzierung bestehen bleibt. Diese Fortführung findet sich zwar auch bei Irenäus; allerdings differiert Tertullian in Auswahl und Anordnung der Äonennamen.216 Mit der rhetorischen Amplifikation führt er drei männliche und vier weibliche Äonennamen an und stilisiert den Prozess der Gleichmachung ironisch mit dem seltenen Terminus refundo als ein „Sich-Ergießen“ aller Äonen in die jeweils anderen.217 Damit ist nicht nur ein passives Moment ausgedrückt, das den Äonen der Lehre entsprechend widerfährt, sondern auch der Aspekt der Entindividualisierung plastisch nachgezeichnet.218 Im Gegensatz zur irenäischen Darstellung wählt Tertullian Namen aus, die – außer Homo und Ecclesia – keine gemeinsamen Paare nach der valentinianischen Lehre bilden. Während Nus die Wahrheit fehlt, bleibt Zoe ohne ihren Parter das Wort; und auch Sige findet sich hier ohne ihren Paargenossen. Vor allem aber rekurriert Tertullian mit den jeweils letzten in der Reihe – Philetos und Fortunata – auf zwei Äonen, die seiner polemischen Reflexion entspringt (vgl. 8,2–4; 9,2).219
Iren., Adv. Haer. I 2,6 liest ἴσους κατασταθῆναι. Vgl. auch MARKSCHIES, Individualität, 52–56. 216 Entgegen der tertullianeischen findet sich in der irenäischen Darstellung die parallele Anordnung an männlichen und weiblichen Äonen (in der Zahl sowie in den Paar-Zuordnungen; lediglich das dritte und vierte Paar sind chiastisch angeordnet): πάντας γενομένους Νόας καὶ πάντας Λόγους καὶ πάντας Ἀνθρώπους καὶ πάντας Χριστούς, καὶ τὰς θηλείας ὁμοίως πάσας Ἀληθείας καὶ πάσας Ζωὰς καὶ Πνεύματα καὶ Ἐκκλησίας. (Adv. Haer. I 2,6 [46,226–47,229]). 217 Einzig in Anim. 33,2 nutzt Tertullian diesen Terminus erneut (VCS 100, 47,3–5 WASZINK): Aeque si perseveraverint in iudicium, quod et Mercurius Aegyptius novit, dicens animam digressam a corpore non refundi in animam uniuersi [...]. 218 Irenäus hingegen beschreibt nüchterner identifizierend als γενομένους. 219 In 8,2 wird der Äon, der als Glückseligkeit personifiziert ist, unter dem Namen Macaria, hier aber als Fortuna geführt. Nur in 8,3 f. und mit Hilfe der Polemik über den Lehrer Phosphorus identifiziert Tertullian diese Termini implizit miteinander. 214
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
Tertullians Polemik mündet in den Vergleich dieser Äonen-Deutung mit den Metamorphosen Ovids. Die Entwicklung des Pleormas mit der Emanation der Äonen sei nichts anderes als eine große Verwandlungsgeschichte. Der quantitativ zu wertende Komparativ deutet den valentinianischen Mythos sogar als noch abständiger als Ovids Erzählung in 15 Bücher über die Entstehung und Geschichte der Welt, die vornehmlich Geschichten von Verwandlungen einzelner Gottheiten oder Menschen enthalten. Spöttisch konstatiert Tertullian zum Schluss, dass Ovid sogar „sein Werk vernichtet hätte, wenn er heute diese größere Metamorphose“ (Ovidius „Metamorphoses” suas delevisset, si hodie maiorem cognovisset) der Äonen kennengelernt hätte. (12,2) Exinde refecti sunt et constabiliti sunt et in requiem ex veritate compositi magno cum gaudii fructu hymnis patrem concinunt. Diffundebatur et ipse laetitia, [et] utique220 bene cantantibus filiis, nepotibus. Quidni diffunderetur omni iocunditate, pleromate liberato?221 Quis nauclerus non etiam cum dedecore laetatur? Videmus cotidie nauticorum lascivias gaudiorum.
Temporal (exinde)222 schließt Tertullian die vorerst abschließende Erzählung über die Restitution der Äonen im Pleroma an, die sich dadurch auszeichnet, dass die gleichgemachten Äonen alle „wiederhergestellt“ (refecti sunt), „befestigt“ (constabiliti sunt)223 und „aus der Wahrheit in Ruhe versetzt“ (in requiem ex veritate compositi) worden sind. Die Äonen haben einen neuen Status erreicht: Diese nun erreichte Ruhe hat ihren Ursprung in der Wahrheit, dem weiblichen Pendant zu Nus.224 Die Äonen reagieren, indem sie „mit großem Genuss an der Freude den Vater in Hymnen besingen“ (magno cum gaudii fructu hymnis patrem concinunt). 225 Auch die gewählten Tempora (Präsens concinunt, Partizipien im Perfekt) zeigen an, dass der beschriebene Zustand auf Ebene des Mythos erreicht ist und anhält. Die Formulierung magno cum gaudii fructu ist syntaktisch umständlich formuliert; fructus spielt auf die
Vgl. zu et utique FREDOUILLE, Valentiniana, 61. Zur Zeichensetzung vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 61 f. 222 Fredouille deutet exinde mit Verweis auf Irenäus’ Überlieferung als in hoc (DERS., Contre les Valentiniens, 263 f.), es sollte allerdings an der temporalen Deutung festgehalten werden. 223 Constabilio ist ein seltener Terminus, den Tertullian für eine ähnliche Aussage auch in 39,1 verwendet sowie in Adv. Marc. V 3,1 und Resurr. 2,11; vgl. auch TLL Art. constabilio IV/0 503,48–55. 224 Bei Irenäus findet sich die Näherbestimmung der requies nicht. Fredouille interpretiert daher an dieser Stelle mit einer Textänderung des Substantivs veritas zum kongruenten Adjektiv requiem veram (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 264; auch CHIAPPARINI, Valentino, 101 Anm. 5). 225 Hier zeigt sich erneut Tertullians polemischer Eingriff, indem er lediglich vom Vater schreibt; bei Irenäus findet sich der Beiname von Bythos: φασιν ὑμνῆσαι τὸν Προπάτορα (Adv. Haer. I 2,6 [47,231]). 220
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5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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metaphorische Deutung der Emanationsvorstellung als Fruchtbringen an. 226 Auf die Hymnen reagiert der Vater nun selbst emotional, indem er „selbst sich vor Freude ergoss“ (diffundebatur et ipse laetitia).227 Spöttisch fügt Tertullian erneut mit genealogischer Terminologie hinzu, dass der Grund „sicherlich im guten Gesang seiner Söhne und Enkel“ ([et] utique bene cantantibus filiis, nepotibus) lag. In zwei rhetorischen Fragen karikiert Tertullian schließlich diese mythologische Deutung. Auf Ebene des Mythos fragt er scheinbar naiv, „warum sich der Vater auch nicht in aller Fröhlichkeit ergießen sollte“ (quidni diffunderetur omni iocunditate), schließlich „sei das Pleroma befreit worden“ (pleromate liberato) von der Sehnsucht der Äonen, die den Vater nun ehrten. Zugleich allerdings deutet Tertullian die Lieder der Äonen als unanständig, die damit auch diametral zur Wahrheit stünden, aus der die Äonen in die Ruhe versetzt worden sind. Mit der zweiten Frage eröffnet er ein weiteres metaphorisches Feld, das er auch in 12,3 ausmalen wird, um die Freude des Vaters als eine abzuqualifizieren, die lasterhaft und entehrend ist. Angeregt durch die Doppeldeutigkeit von pleroma, das zugleich die Matrosen-Mannschaft bezeichnen kann,228 vergleicht Tertullian voll Polemik die sich lasziven Freuden hingebenden Matrosen mit den Äonen des valentinianischen Pleromas. Dieses Bild zügelloser Seeleute evoziert Tertullian als täglichen Anblick für sich und seine Leserschaft (Videmus cotidie nauticorum lascivias gaudiorum). 229 Entsprechend des Vergleichs der Äonen mit der Matrosenmannschaft vergleicht er den 226 Vgl. z.B. Adv. Val. 7,7; 10,5; 12,4, insgesamt verwendet Tertullian diesen Terminus sehr häufig, vornehmlich in seinen antihäretischen Werken. Zu hymnus vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 264. Tertullian verwendet diesen ebenfalls im liturgischen Kontext, vgl. Orat. 28,1: inter psalmos et hymnos; Ux. II 8,8; Adv. Marc. III 22,6; V 18,7; sowie polemisch im valentinianischen Kontext: Scorp. 7,2. 227 Zur Formulierung vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 264. TLL Art. diffundo V/1 1111,34.40 deutet diesen Terminus an dieser Stelle als recreare, remittere animum. Allerdings kann auch hier erneut ein von Ovid geprägtes mythologisches Bild im Hintergrund stehen, der in Met. III 318–320 schreibt: „Jupiter habe zufällig, nachdem er vom Nektar erheitert war, die schweren Sorgen abgelegt und mit der müßigen Iuno lockere Späße getrieben“ (forte Iovem […] diffusum nectare curas seposuisse graves vacuaque agitasse remissos cum Iunone iocos). Vgl. dazu auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 154 f. 228 Vgl. dazu TLL Art. pleroma X/1 2427,5 f. usu sollemni de hominibus in eadem nave servientibus sowie 2427,18–46 zur Bedeutung im gnostischen Kontext; vgl. auch MARKUS, ROBERT A., Pleroma and Fulfilment. The Significance of History in St. Irenaeus’ Opposition to Gnosticism, in: Vigiliae Christianae 8 (1954), 193–224, 199. Möglicherweise verbindet Tertullian an dieser Stelle auch sein Wissen um Markion, den er mehrfach in Bezug auf seinen Berufsstand als naucleus bezeichnet (vgl. z.B. Adv. Marc. I 18,4; V 1,2; Praescr. 30,1), mit der Charakterisierung der Valentinianer. Daher ist FREDOUILLE zuzustimmen, dass in naucleus eher als ‚Kapitän‘ der Berufsstand als ‚Reeder‘ mitschwingt (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 264). 229 Vgl. dazu auch SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 78.
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
Vater des Mythos mit einem Schiffsherrn und fragt, „welcher Schiffsherr nicht auch seine schändliche Freude hat“ (Quis nauclerus non etiam cum dedecore laetatur?). (12,3) Itaque ut nautae ad symbolam semper exultant, tale aliquid et aeones: unum iam omnes etiam forma, nedum sententia, convenientibus ipsis quoque novis fratribus et magistris Christo et Spiritu Sancto, quod optimum atque pulcherrimum unusquisque florebat conferunt in medium. Vane, opinor. Si enim unum erant omnes ex supra dicta peraequatione, vacabat symbolae ratio, quae ferme ex varietatis gratia constat: unum omnes bonum conferebant, quod omnes erant; de modo forsitan fuerit ratio aut de forma ipsius iam peraequationis.
Die nautische Metaphorik bezieht Tertullian im Folgenden auch auf die Äonen, um ihr entindividualisiertes Sein polemisch zu präzisieren (vgl. 12,1), und assoziiert einen Vergleich zwischen ihnen und den Seeleuten (nauticae). Tertullian rekurriert auf das Bild von „gemeinschaftlichem Gelage der Seeleute“ (symbolae)230. Den Jubel, den er den Seeleuten dabei unterstellt, lässt er mit dem der Äonen korrelieren (Itaque ut nautae ad symbolam semper exultant, tale aliquid et aeones); bereits in 9,1 „jubelte Nus“ über seine Kenntnis des Vaters. Tertullian spielt paronomastisch mit den Termini, die im Hintergrund stehen: Wurden die Äonen zunächst gemäß der προβολή hervorgebracht, werden sie jetzt im Pleroma gefestigt und „treffen dort wieder zusammen“, die συμβολή.231 Tertullian thematisiert erneut die Gleichmachung der Äonen, die „alle schon eins sind“ (unum iam omnes), und konkretisiert diese nun auch in Bezug auf ihre „Gestalt“ (etiam forma), nicht nur in ihrer „Meinung“ (nedum sententia). Christus und der Heilige Geist, die zuvor diese Homogenisierung bewirkt haben (11,2–4), „gesellen sich als ihre neuen Brüder und Lehrer dazu“ (convenientibus ipsis quoque novis fratribus et magistris Christo et Spiritu Sancto), wie Tertullian polemisch bemerkt, indem er die einstigen zur Festigung der Äonen hervorgebrachten Wissensvermittler nun auch in genealogischem Verhältnis einordnet. Das Ergebnis dieses gemeinschaftlichen Seins besteht in einer letzten Hervorbringung: „jeder einzelne bringt das in die Mitte, was am Besten und Schönsten blühte“ (quod optimum atque pulcherrimum unusquisque
Symbolae nutzt Tertullian an vorliegender Stelle als Bezeichnung des Beitrags zum gemeinschaftlichen Essen sowie dieses Picknick selbst (vgl. zur antiken Verwendung in diesem speziellen Sinn z.B. Plaut., Curcul. 474; Ter., Eun. 540). Vgl. dazu D’ALÉS, ADHEMAR, ‚Symbola‘ (Tertullien, ‚Adv. Valentinianos‘ 12), in: Recherches de science religeuse 25 (1935), 496; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 265; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 277 Anm. 196. 231 Zur Emanation in Adv. Val. s.o. Anm. 40 sowie προβολή in Adv. Prax. 8; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 155. 230
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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florebat conferunt in medium).232 Die Darlegung unterbricht Tertullian moderierend – „Vergeblich, denke ich.“ (Vane, opinor) – und ordnet diese mythologische Fortfühung in seinen anfangs genannten Nautik-Vergleich ein. Unter der in 12,1 entfalteten Bedingung der völligen Gleichmachung aller Äonen, durch die „alle eins sind“ (si enim unum erant omnes ex supra dicta peraequatione), würde der „Grund für ein solches Picknick fehlen“ (vacabat symbolae ratio). Indem alle das Gleiche einbringen, sei die Logik eines gemeinschaftlichen Essens, zu dem jeder etwas beisteuere, verloren. Schließlich würde die ratio eines solchen Essens „auf der Annehmlichkeit der Verschiedenheit beruhen“ (quae ferme ex varietatis gratia constat). Dieses Axiom karikiert er, indem er es aus der im Mythos vorliegenden Situation heraus neu formuliert: Da „alle das eine Gute zusammentrugen, das sie alle waren“ (unum omnes bonum conferebant, quod omnes erant), könnte die ratio lediglich in Bezug auf die „Art und Weise oder Gestalt dieser völligen Gleichmachung“ (de modo forsitan fuerit ratio aut de forma ipsius iam peraequationis) bestehen. (12,4) Igitur ex aere collaticio, quod aiunt, in honorem et gloriam patris pulcherrimum pleromatis sidus fructumque perfectum compingunt, Iesum. Eum cognominant Soterem et Christum et Sermonem de patritis, et Omnia iam, ut ex omnium defloratione constructum: gragulum Aesopi, Pandoram Hesiodi, Acci patinam, Nestoris cocetum, miscellaneam Ptolemaei.
Das eine Gute, das alle Äonen gemeinsam hervorbringen (vgl. 12,3), benennt Tertullian voll Polemik und aus dem Kontext seines vorherigen Vergleichs mit einem gemeinschaftlichen Picknick als „zusammengesammelte Kollekte“ (ex aere collaticio)233. Die Valentinianer würden dies zwar in zwei verschiedenen metaphorischen Bereichen verortet „als schönsten Stern des Pleromas und die vollendete Frucht“ (quod aiunt, [...] pulcherrimum pleromatis sidus fructumque perfectum) bezeichnen;234 Tertullian allerdings stellt einen Bezug zu den symbolae (12,3) her und deutet mit tiefem Spott diese neue Hervorbringung aller Äonen als aus Geldspenden zur Ehre des Vaters zusammengetragen. Diese „zur Ehre und Ruhm des Vaters“ (in honorem et gloriam patris) hervorgebrachte Frucht sei niemand anders als Jesus. Auch er erhält auf mythologischer Ebene weitere Namen, die Aspekte seines Wirkens symbolisieren; er 232 Bei Irenäus findet sich stattdessen die Wiederholung der Homogenisierung der Äonen in Bezug auf die neue Hervorbringung: Καὶ ὑπὲρ τῆς εὐποιΐας ταύτης βουλῇ μιᾷ καὶ γνώμῃ τὸ πᾶν Πλήρωμα τῶν Αἰώνων (Adv. Haer. I 2,6 [47,232 f.]). 233 Möglicherweise ist Tertullian dazu durch das irenäische συνερανισαμένους (Adv. Haer. I 2,6) inspiriert worden. Collaticius ist zu verstehen als quod confert, in commune datur (TLL Art. collaticius III/0 1577,32). Vgl. dazu auch OTTO, Sprichwörter, 7; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 265; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 279 Anm. 198. 234 Zu sidus vgl. M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 156 mit Hinweis auf 1Kor 15,41. Vgl. bereits Iren., Adv. Haer. I 2,6 (48,239–241): τελειότατον κάλλος τε καὶ ἄστρον τοῦ Πληρώματος, τέλειον καρπὸν τὸν Ἰησοῦν.
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heißt auch Retter (Soter), Christus und trägt den „vom Vater vererbten Beinamen Wort“ (Sermonem de patritis).235 Erneut verwendet Tertullian die genealogische Sprache, ohne den Vater näher zu bestimmen; damit folgt er seiner Vorlage. In 7,6 emaniert Nus gemeinsam mit der Wahrheit das Wort (sermo und vita); das Wort bildet damit einen Aspekt der valentinianischen Gottheit, die Tertullian häufiger als Vater bezeichnet. Zuletzt kommt Jesus auch der Name „das Ganze“ (Omnia) zu; schließlich entstammt er aus dem Ganzen des Pleromas mit allen Äonen, was Tertullian ironisch als „Zusammenbau aus der Blütenlese aller“ (ut ex omnium defloratione constructum) bezeichnet. Er führt im Folgenden fünf Figuren aus Fabel- oder mythologischer Literatur an, die er lediglich durch Schlagwort- und Autorennennung bei seiner Leserschaft in Erinnerung ruft, um die Entstehung Jesu als Konstrukt darzustellen, das sich bereits in verschiedenen literarischen Deutungen findet. Die Reihung mündet klimaktisch in die Nennung der „Mischung des Ptolemäus“ (miscellaneam Ptolemaei), mit der Tertullian den im Hintergrund stehenden Autor dieser valentinianischen Lehre karikiert. Die Fabel ‚Die Dohlen‘ des Dichters Äsop (gragulum Aesop) lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Von den sieben Fabeln, in denen der Dohle eine Rolle zukommt, hat Tertullian, der vermutlich die lateinische Übertragung der Fabeln Äsops von Phaedrus kannte, sich auf die Fabel „Die hochmütige Dohle und der Pfau“ bezogen.236 Die Fabel ermahnt dazu, sich nicht mit fremden Federn zu schmücken, sondern mit dem zu begnügen, was einem die Natur gegeben hat. Diesen Sachverhalt wertet Tertullian implizit polemisch, für den valentinianischen Mythos und die Hervorbringung Jesu als Frucht des jeweils Schönsten und Besten jeden Äons. Der Dichter Hesiod erzählt in seiner Theogonie über die Entstehung der Welt und der Götter den Mythos über die Erschaffung der ersten Frau als Werk der Götter. Ihr Name Pandora weist etymologisch auf diesen Sachverhalt hin, den Tertullian parallelisierend kritisieren will: Als „Allgeschenk“ (πᾶν δῶρον) wird sie bezeichnet, weil von allen
235 Patritus ist ein sehr selten vorkommender Terminus, den Tertullian inspiriert durch die irenäische Vorlage verwendet hat (vgl. Iren., Adv. Haer. I 2,6: πατρωνυμικῶς). Zum Vorkommen vgl. TLL Art. patritus X/1 757,23–54. Vor Tertullian lassen sich je singuläre Verwendungen bei Plautus und Terenz, Cicero und Fronto verzeichnen. 236 Phaedr. I 3: Graculus superbus et Pavo. Dafür spricht auch das polemisch genutzte Stichwort pavonius in Adv. Val. 13,1. Diese Fabel bildet eine Mischung der äsopischen Fabeln „Die Dohle und die anderen Vögel“ (Κολοιὸς καὶ ὄρνεα, Fab. 101; Nachdem die Dohle sich mit den Federn fremder Vögel schmückte und von Zeus als Königin der Vögel eingesetzt wurde, entrissen ihr die anderen Vögel die fremden Federn wieder und sie wurde wieder eine Dohle. Als Quintessenz mahnt die Fabel dazu: „So ist es auch bei den Menschen: Solange die Schuldner fremdes Geld besitzen, scheinen sie bedeutend zu sein. Sobald sie es zurückgeben, finden sie sich so wieder, wie sie ursprünglich waren.“ οὕτω καὶ τῶν ἀνθρώπων οἱ χρεωφειλέται μέχρι μὲν τὰ οὕτω καὶ τῶν ἀνθρώπων οἱ χρεωφειλέται μέχρι μὲν τὰ ἀλλότρια ἔχουσι χρήματα, δοκοῦσί τινες εἶναι, ἐπειδὰν δὲ αὐτὰ ἀποδώσωσιν, ὁποῖοι ἐξ ἀρχῆς ἦσαν εὑρίσκονται.) und „Der Pfau und die Dohle“ (Ταώς καὶ κολοιός, Fab. 219; Der Streit zwischen Pfau und Dohle stellt Schönheit und Vernunft gegenüber). Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 266.
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Göttern das je Beste als Geschenk zu ihr beigetragen wurde.237 Wenn Tertullian ‚Die Patina des Accius‘ (Acci patinam) anführt, rekurriert er auf ein nicht mehr verifizierbares Werk, hinter dem sich die nicht erhaltene Satire Patina („Schüssel“) des Tragödiendichters Lucius Accius aus dem 2. Jahrhundert vor Christus verbergen kann. 238 ‚Das Gemisch des Nestorius‘ (Nestorius cocetum) basiert möglicherweise auf einer freieren Übersetzung von κύκων, das Homer in seiner Ilias beschreibt, und bezeichnet einen Zaubertrank, den Hekamede Nestor mischt.239 Cocetum findet sich lediglich als anspielende Glosse, sodass an dieser Stelle möglicherweise eine Anspielung Tertullians auf das Mischgetränk der Ilias vorliegt, das auch in den Aufnahmeriten der Mysterien von Eleusis eine Rolle spielte.240 Über die ‚Mischungen des Ptolemäus‘ (Miscellania Ptolemaei) herrscht Schweigen. Der Versuch Oehlers, diesen Verweis mit der Καινὴ ἱστορία des Ptolemäus Chennos zusammenzubringen, gilt als abgewiesen.241 Petron und Apuleius verwenden den Terminus miscellaneus nicht in literarischer Bedeutung und Juvenal deutet ihn als „nahrhaftes, aber derbes und ordinäres Mischgericht“242. Auch wenn Tertullian der erste wäre, der miscellaneus als literarischen Terminus verwenden würde, ist die Gattung der Miszellen im 2. Jahrhundert bereits – und zwar gerade in Nordafrika – bekannt.243 Zugleich ist zu fragen, ob es sich bei Ptolemäus tatsächlich um Vgl. z.B. Hes., Op. 80–82 sowie bereits die Aufnahme bei Iren., Adv. Haer. II 21,2 (SC 294, 210,35–37 ROUSSEAU/DOUTRELAU): Pandoram, id est Omnium munus, nominans eum, ob hoc quod ex omnibus optimum munus in eo sit collatum. Auch Irenäus wendet dieses Argument polemisch gegen den Soter der valentinianischen Lehre (II 14,5). Tertullian verwendet Hesiods Pandora zudem an anderer Stelle zur abgrenzenden Argumentation (Cor. 7,3). Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 266; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 278 Anm. 202. 238 Vgl. zudem den Hinweis bei Cic., Fam. IX ep. 16,7. Pfligerdorffer schlägt vor, Accius zu Arrius zu korrigieren; er deutet dahinter den Vater des zu Ciceros Zeiten bekannten Schauspielers Äsop, von dem Horaz zeugt (Sat. II 3,86.239–246). Als weiteres Argument wird Pall. 5,6,3 herangezogen, wenn Tertullian selbst auf jenen Äsop und seine patina rekurriert. Vgl. PFLIGERSDORFFER, GEORG, Zu Miscellaneus, in: Robertas Muth/Johannes Knobloch, Natalicium Carolo Jax Septuagenario A.d. VII. Kal. Dec. MCMLV Oblatum, Pars I (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 3), Innsbruck: Selbstverlag des Sprachwissenschaftlichen Seminars der Universität Innsbruck 1955, 217–220, 218 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 266 f. Diese Änderung hat allerdings keinen Anhaltspunkt im Textbefund und gilt daher als unwahrscheinliche Interpretation; vgl. so auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 278 Anm. 203. Anders schlägt Jürgens vor, anstelle des Tragödiendichters Accius eher an eine Speise zu denken, die „nach irgendeinem Acc(i)us benannt worden ist“ (DERS., Pompa Diaboli, 49 Anm. 1). 239 Hom., Il. XI 624–637; der Becher, aus dem Nestor dieses stärkende Gemisch trinkt, geht als „Nestorbecher“ in die Geschichtsbücher ein. Und auch in den Mysterien von Eleusis gilt der Kykeon als stärkender Trank für die Initianden. 240 Vgl. TLL Art. cocetum III/0 1396,4–9; TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 278 f. Anm. 204; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 267. 241 Vgl. dazu PFLIGERSDORFFER, Zu Miscellaneus, 218 f.; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 267; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 279 Anm. 205. 242 PFLIGERSDORFFER, Zu Miscellaneus, 218 sowie TLL Art. miscellaneus VIII/0 1078,23–40 mit weiteren Belegstellen. 243 Vgl. K REMER, R OMAN B., Art. Miszellen, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 10 (2012), 711–716. „Das Bedürfnis nach schnellem und unkompliziertem Zugang zu Bildungsinhalten lässt eine Reihe von Werken entstehen, die in meist anekdotenhafter Form 237
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einen unbekannten Autor der Antike handelt, dessen Miszellen sich nicht erhalten haben. Viel eher lässt sich Tertullians scharfe Polemik vermuten, der den im Hintergrund stehenden Autor der widerlegend dargestellten valentinianischen Lehre in dieser Reihung literarischer Autoren und Werke gleichsam als Höhepunkt der Klimax verspottend nennt. Er wertet alles Geschriebene als „bunte Mischungen“ ab.244 Zudem wird der Äon Jesus als Gesamtheit aller Eigenschaften der Äonen als nicht mehr als eine fingierte Miszelle des Ptolemäus gedeutet.245
(12,5) Quam proprius fuit de aliquibus Osciae scurris Pancapipannirapiam vocari a tam otiosis auctoribus nominum! Ut autem tantum sigillarium extrinsecus quoque inornassent, satellites ei angelos proferunt, par genus: si inter se, potest fieri, si vero Soteri consubstantivos – ambigue enim positura inveni –, quae erit eminentia eius inter satellites coaequales?
Sarkastisch kommentiert Tertullian die Beinamen Jesu (cognominant; 12,4) und spielt auf die Komödienform der bäuerlichen Posse, der im oskischen Sprachgebiet aus der kampanischen Stadt Atella bekannten Atellana fabula an.246 Im Vergleich mit „einigen Possenreißern in Oscia“ wäre es „näherliegender“, Jesus Pancapipannirapia zu nennen (Quam proprius fuit de aliquibus Osciae scurris Pancapipannirapiam vocari). Dieser nicht eindeutig zu übersetzende Name – es ließe sich eine Anspielung auf die verlorene Atellane des Pomponius deuten, die allgemein als Flickenstück eingeordnet würde – wirkt schon aufgrund seiner zungenbrecherischen Aussprache lächerlich.247 Die im Bildungsgut kolportieren.“ (aaO., 712). Als Beispiel für diese enzyklopädische Bedeutung gelten Aulus Gellius’ Noctes Atticae. Und auch die poetologische Bedeutung als antike Gedichtsammlungen ist in dieser Zeit belegt. 244 Inwiefern die Deutung als „Ausruf ‚da hast du nun den Eintopf des Ptolemäus!‘“ einem bissigeren Angriff gleichkommt, müsste Pfligersdorffer begründen (DERS., Zu Miscellaneus, 218). 245 Vgl. ähnlich TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 279 Anm. 205; als parallele Taktik verweist sie auf die Verwendung des Beispiels des Rhetors Phosphorus in 8,3. 246 Der meist obszöne Inhalt der Atellana fabula wird von lediglich vier stereotypen Protagonisten zur Darstellung gebracht. Dabei wurden auch Frauenrollen von Männern mit Masken gespielt (vgl. RIEKS, RUDOLF, Mimus und Atellane, in: Eckard Lefèvre [Hg.], Das römische Drama, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1978, 348–377, 351–361; NESSELRATH, HEINZ-GÜNTHER, Art. Komödie, in: Reallexikon für Antike und Christentum 21 [2006], 330–354, 341 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 280 Anm. 207). Tertullian rekurriert auf diese Form auch in Spect. 17,2 und beschreibt deren obszönen Inhalt auf seine sarkastische Art und Weise (vgl. Spect. 17,5; Pall. 4,8,4); vgl. die Rezeption bereits in Adv. Val. 10,2, die grundlegende Stilisierung der valentinianischen Lehre als Bühnenstück in 13,2 und dazu 5.4. der Einleitung. 247 Vgl. so M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 157. Panca(r)pipannirapiam, der als einer der „ellenlangen Wörter“ (sesquipedalia verba; vgl. Hor., Ars. 97, vgl. auch scytalosagittipelliger als Tertullians Umschreibung für Hercules in Pall. 4,3,1) einzustufen ist, ist in keiner anderen Quelle belegt. Zur Etymologie finden sich verschiedene Vorschläge: Kroymann leitet den Terminus im Anschluss an HOPPE von den vier zusammengesetzten Teilbegriffen aus dem Griechischen πᾶν-κάρπος-πάννος-ῥαφή („ganze-Frucht-
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Satzgefüge nachgestellte Zuordnung der Autorenschaft von „so unbeschäftigten Namenserfindern“ (a tam otiosis auctoribus) impliziert die Identifizierung der Komödiendichter und der Valentinianer, auf die diese Lehre zurückgeht. Nicht nur der erdichtete Stoff ähnelt antiken Komödien, sondern die Erfinder selbst sind als solche Dichter zu klassifizieren. Weiter karikiert Tertullian den emanierten Jesus als ein „großes Tonpüppchen“ (tantum sigillarium). Siggilarii waren kleine Götterfigürchen aus Ton, die in Rom zum Fest der Saturnalia untereinander getauscht wurden.248 Tertullian deutet den Jesus des valentinianischen Mythos als einen, dem nicht nur unerklärliche Namen zukommen, sondern der auch nichts anderes als eines der vielen kleinen Götterfigürchen ist, die auf dem Markt zu kaufen sind. Polemisch stilisiert er diesen Jesus augmentativ als „großes Tonpüppchen“. Zudem sei Jesus ohne Paargenossin unvollständig, sodass ihm zum „äußerlichen Schmuck“ (extrinsecus quoque inornasset)249 „Engel als Begleiter“ (satellites ei angelos proferunt) hervorgebracht wurden. Die folgende Apposition – „gleich im Geschlecht“ (par genus) – nutzt Tertullian für seinen nächsten polemischen Kommentar. Der Syntax entsprechend bezieht sich die Aussage – wie auch z.B. im irenäischen Text – auf die zuletzt emanierten Engel; dies expliziert Tertullian in seiner ersten Deutungsmöglichkeit: „Wenn sie unter sich gleich sind, kann dies möglich sein“ (si inter se, potest fieri). Nicht nur die Anführung als erstes Argument, sondern auch die Formulierung als Potentialis (potest) sät einen Zweifel. Diesen bestärkt Tertullian in der zweiten Deutung, die er mit einem Verweis auf die Uneindeutigkeit der ihm vorliegenden Quellen begründet (ambigue enim positura inveni)250.
Fetzen-Flickwerk“) her und deutet darin eine Anspielung auf eine nieder Theaterform der Possenreißerei; für diese Lösung plädiert auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 279 Anm. 206. Fredouille latinisiert die Termini – möglicherweise führt die Silbe πᾶν fälschlicherweise ins Griechische – und deutet eine Zusammensetzung aus πᾶν-caperepannus-rapere, von denen er den ersten Teil als Anspielung auf eine Komödie in der Form der Atellana des Pomponius (‚Pannuceati‘) und den zweiten Teil entweder als panniculus („Stücken, Fetzen“) als Kleidung des Mimen oder aber pinnirapus als Helmschmuck mit Juv., Sat. III 158 wertet (vgl. DERS., Valentiniana, 62 f.; Contre les Valentiniens, 268; BRAUN, Tertullien et les poètes latins, 33 Anm. 61). Quispel leitet den Namen dagegen von Pancarpi und panniraphiam her („Fruit-salad – Rag-baby“, vgl. QUISPEL, GILLES, Review Fredouille, Tertullian. Contre les Valentiniens, in: Vigiliae Christiane 36 [1982], 95–97, 95). 248 Vgl. C HIAPPRINI, Valentino Gnostico, 103 f. Anm. 6. Vgl. auch Adv. Val. 18,2. 249 Tertullian verwendet auch an dieser Stelle einen Neologismus, der noch in Resurr. 16,8 sowie Anim. 19,3 belegt ist. Vgl. TLL Art. inornare VII/1 1763,15–20. Möglicherweise ist Tertullian (fälschlicherweise) vom irenäischen εἰς τιμὴν καὶ δόξαν τοῦ Βυθοῦ inspiriert (Adv. Haer. I 2,6). 250 Auch Irenäus’ Ausführungen an dieser Stelle sind syntaktisch uneindeutig (Adv. Haer. I 2,6), sodass diese Stelle nicht zwangsläufig zur Annahme einer weiteren Quellengrundlage führen muss. Vielmehr zerpflückt Tertullian den bei Irenäus nicht eindeutig formulierten
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
Wenn die Apposition par genus als Wesensgleichheit zwischen Soter und Engeln (si vero Soteri consubstantivos)251 aufzufassen ist, lässt Tertullian ironisch fragen, worin dann noch die „Vorrangstellung des Soters unter den gleichartigen Begleitern“ (quae erit eminentia eius inter satellites coaequales?)252 bestehen soll. 5.2.8. Adv. Val. 13: Zwischenresümee: Die Theaterbühne (13,1) Continet hic igitur ordo primam professionem pariter et nascentium et nubentium et generantium aeonum, Sophiae ex desiderio patris periculosissimum casum, Hori oportunissimum auxilium, Enthymeseos et coniunctae passionis expiatum, Christi et Spiritus Sancti paedagogatum, aeonum tutelarem reformatum, Soteris pavoninum ornatum, angelorum comparaticium antistatum.
Der erste Erzählakt des Mythos endet mit diesem als Zwischenspiel inszenierten Zwischenfazit Tertullians. Rekapituliert er zunächst den erzählten Stoff (13,1), folgt ein an die Komödiendichtung angelehntes Zwischenspiel in einem fingierten kurzen Dialog mit seiner Leserschaft (13,2).253 In einer Aufzählung summiert Tertullian das bisher erzählte Geschehen (ordo). Die Betonung, dass es sich um eine „erste Darlegung“ (prima professio) handelt, verweist erneut auf seine Taktik, die valentinianische Lehre allein durch öffentliches Nacherzählen zu widerlegen (vgl. 3,5; 6,1.3). Die folgende Aufzählung synthetisiert das mythologische Geschehen und parallelisiert es stilistisch mit Hilfe von Homoioteleuta, bei denen diese kunstvolle Konzeption – bis auf das erste Glied – aus sieben abstrakten Nomina besteht (Aeonum, casum, auxilium, expiatum, paegagogatum, reformatum, ornatum, antistatum) und dem inhaltlichen Geschehen entsprechend konstruiert wird.254 Die Häufung von Neologismen fällt auf. Text polemisch. Vgl. zudem die Wiederaufnahme des Vorwurfs der Doppeldeutigkeit der valentinianischen Lehre (Adv. Val. 1,4). 251 Consubstantivus ist eine Neubildung Tertullians in Analogie zu ὁμοούσιος; der Terminus findet sich auch in 18,1 und 37,2. Vgl. dazu TLL Art. consubstantivus IV/0, 549,41– 47; BRAUN, Deus christianorum, 198 f.; WELLSTEIN, Nova Verba, 111 f. 252 Zum seltenen Terminus coaequalis bei Tertullian (vgl. Apol. 11,14; Adv. Herm. 8,3; 9,1; 40,1; Anim. 33,4) vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 268 f. 253 Auch in Irenäus’ Darstellung folgt ein „Zwischenspiel“, bei dem er nach einer kurzen Summierung der bisherigen Lehre mit Hilfe exegetischer Auslegung die gnostischen Gedanken ironisierend zu widerlegen sucht (vgl. Adv. Haer. I 3,1–6). 254 Die auf das Widerfahrnis der Sophia rekurrierenden Abstrakta casus und auxilium werden jeweils mit einem gesteigerten Adjektiv und Attribut im Genitiv konstruiert, die auf die Geschehnisse zur Festigung des Pleromas bezogenen Abstrakta expiatus und paedagogatus jeweils durch ein Attribut im Genitiv, und die auf Wiederherstellung des Pleromas rekurrierenden reformatus, ornatus und antistatus jeweils mit einem Adjektiv und davon abhängigen Genitiv. Zur bewussten Neubildung und Herausstellung der Reihung mit Hilfe der Homoiteleuta vgl. WELLSTEIN, Nova Verba, 317 Anm. 984. Tertullian hätte für jeden Neologismus ein bereits gebildeter Terminus zur Verfügung gestanden, die allerdings die
5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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Das erste Trikolon rekurriert auf die Erzählung in Adv. Val. 7 f., in der Tertullian die valentinianische Gotteslehre mit der Emanation der 30 Äonen skizziert, die gemeinsam in ihrem je paarhaften Sein das Pleroma bilden. Mit den drei Momenten „Geburt, Hochzeit und Fortpflanzung der Äonen“ (et nascentium et nubentium et generantium aeonum) erinnert er an die – von ihm als sexuell anrüchig dargestellte – Deutung der Entstehung des Pleromas als Zeugungs- und Familiengeschichte der personifizierten Äonen. Es folgt in Adv. Val. 9 f. das Fehlverhalten des jüngsten Äons, „der äußerst gefährliche Fall der Sophia, der aus dem Verlangen nach dem Vater entstanden war“ (Sophiae ex desiderio patris periculosissimum casum). Der den Fall näher bewertende Elativ lässt auch an dieser Stelle Tertullians Ironie und Spott anklingen. Und auch die Rettung Sophias durch Horos (vgl. 9,3; 10,3 f.) wird durch den Elativ oportunissimum zutiefst ironisch bewertet. Schließlich sei diese „genau im richtigen Moment“ (Hori oportunissimum auxilium) erfolgt und habe damit erst das weitere mythologische Geschehen eröffnet, wie Tertullian impliziert. Die Erinnerung an die Abspaltung des Verlangens, das Sophia zum Verhängnis geworden war, stilisiert Tertullian als „Buße der Enthymesis und der mit ihr verbundenen Leidenschaft“ (Enthymeseos et coniunctae passionis expiatum; vgl. 9,4; 10,4 f.). Der selten verwendete Neologismus expiatus stellt die Reinigung Sophias polemisch in den Kontext der Opfersakralität.255 Mit der Abspaltung korreliert die Festigung des Pleromas (Adv. Val. 11) durch „die Lehrtätigkeit von Christus und dem Heiligen Geist“ (Christi et Spiritus Sancti paedagogatum); auch das Hapaxlegomenon paedagogatum lässt Tertullians polemischen Ton anklingen.256 Die endgültige Wiederherstellung des Pleormas resümmiert Tertullian abschließend in einer dreigliedrigen Aufzählung: „Die schützende Wiederherstellung der Äonen“ (aeonum tutelarem reformatum) konstatiert das Ergebnis der Belehrung und Festigung durch Christus und den Heiligen Geist (11,4; 12,2).257 „Der Pfauenschmuck des Soters“ (Soteris pavoninum ornatum) rekurriert nicht nur auf die gemeinsame Emanation des Soters Jesus durch alle Äonen in 12,4, sondern spielt zugleich auf den von Tertullian eingezeichneten Vergleich mit der Fabel des Äsop über die sich mit
Endsilben-Reimung teilweise durchbrochen hätten. Vgl. dazu auch UGLIONE, RENATO, Note sul Lessico Polemico e Parodico di Tertulliano. I Neologismi di Matrice Fonica, in: Clementina Mazzucco (Hg.), Riso e Comicità nel Cristianesimo Antico, Alessandria: Ed. Dell’Orso 2007, 609–616, 616. 255 Vgl. TLL Art. expiatus V/2 1702,4–12; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 269; WELLSTEIN, Nova Verba, 322. 256 Vgl. TLL Art. paedagogatum X/1 30,27–32 mit der Bedeutung munus paedagogi, officium instruendi; WELLSTEIN, Nova Verba, 317. 257 Anders bezieht Wellstein diesen Rekurs auf 10,1 als Wiederherstellung der Sophia; das würde allerdings den von Tertullian bereits angekündigten geordneten Durchgang (ordo) unnötig durchbrechen (vgl. DERS., Nova Verba, 317).
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
Pfauenfedern schmückende Dohle an.258 In 12,5 ist ornare zudem mit sigillarium verbunden und bezeichnet die Engel, die „als Schmuck“ Jesu erschaffen wurde. An diese erinnert Tertullian mit dem letzten Rekurs auf „den vergleichbaren Vorrang der Engel“ (angelorum comparaticium antistatum); erneut impliziert er seine Polemik aus 12,5, die hervorhebt, dass aufgrund der Wesensgleichheit der Engel mit dem Soter diesem gerade keine Vorrangstellung zukommen könne.259 (13,2) Quod superest, inquis, vos valete et plaudite! Immo quod superest, inquam, vos audite et proicite! Ceterum haec intra coetum pleromatis decucurrisse dicuntur, prima tragoediae scaena, alia autem trans siparium coturnatio est, extra pleroma dico. Et tamen exitus sub sinu260 patris, intra ambitum Hori custodis: qualis extra iam in libero, ubi deus non erat?
Abschließend expliziert Tertullian die bisher indirekte Bewertung des valentinianischen Mythos als tragischen Inhalts entsprechend seiner literarischen Strategie.261 Er fingiert einen Dialog zwischen seiner Leserschaft (2. Person Singular) und sich selbst (1. Person Singular); dieser wendet sich zugleich an ein unbekanntes Publikum, das sich im Folgenden als Publikum der ‚valentinianischen Tragödie‘ herausstellt.262 Die Anlage des Dialogs weist die Fülle an Ironie auf: Seiner Leserschaft legt Tertullian als Reaktion auf die bisherige Darstellung des Mythos die Aufforderung „Was den Rest betrifft: Lebt wohl und applaudiert!“ (Quod superest, inquis, vos valete et plaudite!) in den Mund, die historisch in der KomödienVgl. dazu den Kommentar zu 12,4. Vgl. anders FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 269 sowie TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 280 f. Anm. 211, die eine Enallage annehmen und „den Vorrang der vergleichbaren Engel“ interpretieren. Zugleich bleibt eine gewisse Unklarheit, wie comparaticum an dieser Tertullianstelle zu deuten ist, vgl. TLL Art. comparaticum III/0 2005,47–59. Zwar ist comparaticum etymologisch a comparare herzuleiten; allerdings dubitari potest, utrum coemptus an is qui, comparari potest, weil in Cod. Theodosius VII 6,3 der Terminus mit Bedeutung coemptus bezeugt ist. WELLSTEIN nimmt diese Bedeutung auch für vorliegende Stelle an (DERS., Nova Verba, 317); das ist allerdings wenig wahrscheinlich. 260 Gegen Fredouilles Konjektur (visu) ist an der Lesart der Handschriften festzuhalten, auch wenn die Konstruktion mit sub ungewöhnlich ist; so auch Chiapparini. Vgl. zudem TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 281 Anm. 216 und MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 159. In Cult. Fem. I 7,2 findet sich die Formulierung erneut, meint aber ein Schwert, das unter dem Herzen in die Scheide gesteckt wird. 261 Vgl. dazu ausführlich 6.4. der Einleitung. 262 Tertullian nutzt das rhetorische Stilmittel der permissio, bei dem der Autor seinem Leser „in Form einer Aufforderung anheimstellt, nach seinem Gutdünken zu handeln, obwohl dies [seiner] Intention […] zuwiderläuft“ und das auch als „Ironie des falschen Rats“ bezeichnet wird (CZAPLA, BEATE, Art. Permissio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 [2003], 771 f.), sowie der subiectio, einem fingierten Dialog mit dem einzigen Ziel der Widerlegung (vgl. BONS, JOHN, Art. Anthypophora, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 [1992], 685 f.). 258
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5.2. Analyse von Adv. Val. 7–13
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und Tragödiendichtung verortet ist.263 Tertullian rekurriert auf eine bekannte Situation im Alltag seiner Leserschaft264 und impliziert damit zugleich, dass diese nach dieser widerlegenden Darstellung des Mythos bereits einen ausreichenden Eindruck von der Lächerlichkeit und Haltlosgkeit der Lehre der Valentinianer erhalten habe. Doch Tertullian korrigiert diese von der Theaterbühne her bekannte Reaktion und kehrt sie in einer parallelen Formulierung um, um spöttisch darauf hinzuweisen, dass weiterer, lächerlicher, ‚mythologischer Stoff‘ der valentinianischen Lehre existiere, deren widerlegende Darstellung er seiner Leserschaft nicht vorenthalten will. Er fordert stattdessen: „Keineswegs, was den Rest betrifft, sage ich: Hört zu und pfeift sie aus!“ (Immo quod superest, inquam, vos audite et proicite!).265 Daher verortet Tertullian im Folgenden das weitere Geschehen im Kontext einer Theaterbühne. Als „erste Szene der Tragödie“ (prima tragoediae scaena)266 charakterisiert er diese in 13,1 zusammengefasste Darstellung der Geschehnisse, die „sich innerhalb der Versammlung des Pleromas ereignet“ (haec intra coetum pleromatis decucurrisse) haben.267 Entsprechend dem Genus der Tragödie charakterisiert Tertullian den bisher erzählten Teil des valentinianischen Mythos als eine dramatische Struktur, die sich durch das Zutun der Sophia selbst und der anderen Äonen zugespitzt hat (vgl. 13,1). Der folgende zweite Teil bzw. Akt, die in Adv. Val. 14–23 und 24–32 dargestellten Ereignisse des Mythos, finden „außerhalb des Pleromas“ (extra pleroma) statt. Tertullian deutet diese als „zweite tragische Vorstellung auf der anderen Seite des Vorhangs“ (alia autem trans siparium coturnatio est), welche die Zuschauer ironischerweise also gar nicht direkt miterleben können.268 Coturnatio rekurriert auf das griechische κόθορνος, das den Bühnenschuh tragischer
263 Vgl. Pl., Am. 1146; As. 906; Curcul. 729; Epid. 733: plaudit et valete; Men., 1162: Nunc spectatores valete et nobis clare plaudite; Mil. 1437; Per. 857; Poen. 1422; St. 775; Trin. 1189; Truc. 968; Ter., Ad. 997; An. 981; Eu. 1094: valete et plaudite; Hau. 1067: valete et plaudite; Hec. 880; Ph. 1055: valete et plaudite. 264 Vgl. z.B. auch den Vergleich der zu Gott erhobenen Hände mit denjenigen, die man „bald darauf durch Beifallklatschen für einen Schauspieler ermüden lässt“ (Illas manus quas ad Deum extuleris postmodum laudando histrioni fatigare?) in Spect. 25,5 (SC 332, 290,18 f. TURCAN) oder auch die Anspielungen in Apol. 15,2 f. 265 Vgl. zur Bedeutung von proicere FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 270; DERS., Valentiniana, 63; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 281 Anm. 214. Lukas ändert ohne äußere Evidenz „in das sinnhafte prospicite“ (vgl. DERS., Tertullian. Adversus Valentinianos, 75 mit Anm. 91). 266 Auch Irenäus charakterisiert die Lehre polemisch als Tragödie (Adv. Haer. I 4,3; 9,5). 267 Vgl. TLL Art. coetum III/0 1443,80; 1444,26 translate de rebus incorporeis, i.q. coitio, congressus, turba; Art. decurro V/1 231,49 f. i.q. fieri, esse, evenire. 268 Zur Vorstellung von trans siparium mit Belegstellen aus der römischen Literatur sowie architektonischen Hinweisen zum Theater in Karthago vgl. ausführlich 6.4. der Einleitung.
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Kapitel 5: Adv. Val. 7–13: Die Fülle der valentinianischen Gottheit
Schauspieler bezeichnet.269 Von dort ausgehend ist es eine metonymische Bezeichnung der Tragödie geworden, die Tertullian hier nicht nur zur stilistischen Abwechslung heranzieht, um den folgenden ‚Akt‘ der valentinianischen Lehre einzuführen, sondern auch um diesen plastisch als eine getanzte Aufführung zu karikieren. Dass dieses „außerhalb des Pleromas“ verortete, im Folgenden zu berichtende „Schicksal“ (hic exitus)270 der abgetrennten Begierde Sophias dennoch in Verbindung mit dem obersten Äon steht, benennt Tertullian mit einer impliziten Anspielung auf Joh 1,18. Das Geschehen sei trotzdem, obwohl es nicht mehr innerhalb des Pleromas stattfindet, „unter dem Schoß des Vaters“ (sub sinu patris), was sich zugleich auch „innerhalb des Bereichs vom Wächter Horos“ (intra ambitum Hori custodis) abspielt. Polemisch fragt Tertullian abschließend, wie er sich dann einen Ort „im Freien“, „ohne Gott“ vorstellen soll, und welche Geschehnisse dort zu erwarten seien (qualis extra iam in libero, ubi deus non erat?).271
Vgl. TLL Art. cothurno IV/0 1086,73; Art. cothurnatio IV/0 1086,32–34 mit dem Hinweis auf die metonymische Bedeutung sowie WELLSTEIN, Nova Verba, 318. 270 Exitus rekurriert indirekt auch auf das Geschehen, das Sophia widerfährt (vgl. 10,1 f.), sodass diese Übersetzung hier mit „Schicksal“ wiedergegeben wird. Vgl. aber TLL Art. exitus V/2 1537,5–9 i.q. scaena, exodum. 271 In libero erinnert an Tertullians Polemik in 3,1, wo er mit Hilfe der beiden Tiere Taube und Schlange die Gegensätzlichkeit der Valentinianer und Christen um ihn herum herausgearbeitet hat. 269
Kapitel 6
Adv. Val. 14–23: Außerhalb des Pleromas – Achamoth und das Wirken des Demiurgen 6.1. Gliederung von Adv. Val. 14–23 6.1. Gliederung von Adv. Val. 14–23
Tertullian entspricht der Reihenfolge der Darstellung im irenäischen Text und skizziert im Folgenden das Geschehen außerhalb des Pleromas. Aktantin außerhalb des Pleromas ist die von der im Pleroma verbliebenen Sophia abgetrennte Leidenschaft, die als Achamoth bezeichnet wird. Auf die Schilderung ihres Ergehens und Wirkens (Adv. Val. 14) folgt die Entstehung der Elemente der Welt (Adv. Val. 15) sowie der Materie (Adv. Val. 16 f.), die in drei Gattungen gestaltet wird. Für die weitere Entstehung von Welt und Mensch ist der Demiurg zuständig; die Darstellung seiner Entstehung und seiner Fähigkeiten folgt in Adv. Val. 18 f.; 20 f. Und auch auf seinen Gegenspieler, den Teufel geht Tertullian eigens ein (Adv. Val. 22), bevor er in Adv. Val. 23 ein Zwischenresümee zieht und die einzelnen Aktanten außerhalb des Pleromas zueinander in Beziehung setzt.
6.2. Analyse von Adv. Val. 14–23 6.2. Analyse von Adv. Val. 14–23
6.2.1. Adv. Val. 14: Achamoths Wirken (14,1) Namque Enthymesis, sive iam Achamoth, quod abhinc scripta1 hoc solo ininterpretabili nomine, ut cum vitio individuae passionis explosa est in loca luminis aliena, quod pleromatis res est, in vacuum atque inane illud Epicuri, miserabilis etiam de loco est. Certe nec forma nec facies ulla: defectiva scilicet et abortiva genitura. Dum ita rerum habet, flectitur a superioribus Christus, deducitur per Horon, aborsum ut illud informet de suis viribus, solius substantiae non etiam scientiae forma.
1 Scripta bildet eine Konjektur Fredouilles (vgl. auch Marastoni, Riley, Tommasi Moreschini und Chiapparini). Die Handschriften lesen das Partizip entweder als feminine Akkusativ-Form oder im Neutrum bzw. als Partizip Futur; quod scriptum ist grammatikalisch zwar auch möglich, allerdings bietet sich der Bezug auf das feminine, zuvor genannte Subjekt (Enthymesis, Achamoth) an. Kroymann konjiziert zu scribam. Vgl. dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 63 sowie mit weiteren Parallelstellen zur Konstruktion bei Tertullian RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 144 f.
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Kapitel 6: Adv. Val. 14–23: Außerhalb des Pleromas
Im nächsten Teil widmet sich Tertullian der Schilderung des Ergehens der von Sophia abgetrennten und aus dem Pleroma entfernten Enthymesis und der mit ihr verbundenen Leidenschaft.2 Bevor er das Ergebnis der in Adv. Val. 9 f. geschilderten Ereignisse karikierend zusammenfasst, führt Tertullian auch für diesen „ungeformten und ungestalteten Trieb“ Sophias (impetum aeonis, sed informem et inspeciatam; 10,5) den von nun an genutzten Namen ein; die Enthymesis werde von nun an Achamoth heißen.3 Anstelle einer etymologischen Begründung legt Tertullian im Kausalsatz4 Rechenschaft über die Anführung dieses „unübersetzbaren“ (ininterpretabilis)5 Zweitnamens an dieser Stelle ab. Den Ort außerhalb des Pleromas (extra pleroma; 13,1), an den Sophias Enthymesis „zusammen mit dem Makel ihrer dazugehörigen Leidenschaft“ (cum vitio individuae passionis)6 hin „verstoßen werde“ (explosa est), ist als „lichtloser Ort“ (in loca luminis aliena) charakterisiert; Tertullian klärt seine Leserschaft sofort auf, dass das Licht nämlich vielmehr „eine Sache des Pleromas ist“ (quod pleromatis res est).7 Sowohl die Formulierung vitium passionis8 Strukturell thematisiert der valentinianische Mythos im Folgenden ein zu den Ereignissen im Pleroma paralleles Geschehen. Zur Parallelisierung der Gestaltwerdung von den Äonen und Achamoth der Substanz nach, dem Aufschub der Erkenntnis (durch Hinderung von Nus bzw. durch das Zurückziehen Christi) sowie dem Erhalten der Erkenntnis nach einer Leidenszeit und Suche durch Christus bzw. den Soter sowie Annahme der jeweiligen Überreste (die Leidenschaft und Enthymesis der Sophia sowie der Erschaffung der unkörperlichen Materie) vgl. ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 288–290. 3 Achamoth lässt sich als „verballhornte Form“ des hebräischen Terminus für Weisheit deuten (ALAND, Der gnostische Mythos, 272 Anm. 42); dieses Namensäquivalent markiert die Kontinuität zwischen der gefallenen und geretteten Sophia, die weiterhin im göttlichen Pleroma verbleibt, sowie der von ihr abgetrennten Begierde und Leidenschaft, die von dort an außerhalb des Pleromas verortet ist. Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 282 Anm. 218. Die Einführung des zweiten Namens mit sive ist an die traditionelle Zuschreibung von mehreren Bezeichnungen derselben Gottheit angelehnt, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 271. 4 Wellstein argumentiert, quod als Relativpronomen im Neutrum zu deuten, mit dem Tertullian auch auf grammatikalischer Ebene eine lächerliche Inkongruenz der Namen aufzeigen wollte; dazu folgt er allerdings Kroymanns Konjektur zu scribam (vgl. DERS., Nova Verba, 319). 5 Vgl. zum durch Tertullian geprägten sowie insgesamt seltenen Terminus ininterpretabilis in der lateinischen Literatur TLL Art. ininterpretabilis VII/1 1635,71 f.; WELLSTEIN, Nova Verba, 319. 6 Vgl. vitium in 9,2, individua findet sich in Adv. Val. nur an vorliegender Stelle (vgl. auch Pat. 5,7; 15,7). 7 Explizit formuliert diesen Dualismus Iren., Adv. Haer. I 4,1 (62,356–358): [...] ἐν σκιαῖς καὶ κενώματος τόποις ἐκβεβράσθαι κατὰ ἀνάγκην· ἔξω γὰρ φωτὸς ἐγένετο καὶ Πληρώματος. Vgl. auch Exc. Thdt. 31,3 f. 8 Irenäus formuliert lediglich σὺν τῷ πάθει (Adv. Haer. I 4,1). Vgl. eine ähnlich steigernde Formulierung bei Tert., Adv. Val. 12,2: magno cum gaudii fructu. 2
6.2. Analyse von Adv. Val. 14–23
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als auch das gewählte Verb zeigen Tertullians polemischen Ton in der Darstellung an. Mit explodere rekurriert er erneut implizit auf seinen Theatervergleich; so wie im Theater das Publikum einen schlechten Schauspieler durch Ausbuhen von der Bühne jagt, ist Achamoth qua ihrer mangelhaften Existenz aus dem Pleroma ausgeschlossen worden.9 Die ex negativo formulierte Charakterisierung des Ortes außerhalb des Pleromas „fernab vom Licht“ assoziiert Tertullian erneut mit Epikurs Lehre.10 Im lateinischen Werk des Epikureischen Philosophen Lukrez findet sich das Hendiadyoin vacuum atque inane bereits zur Darlegung der epikureischen These, dass Nichts aus dem Nichts entstehe und es einen Raum gebe, der „leer“ (inane vacansque) sei, der die Existenz von Körpern erst garantiere.11 Tertullian emotionalisiert Achamoths Sein „in jener Leere und Nichtigkeit Epikurs“ fernab des Lichts, schließlich würde sie „über ihren Aufenthaltsort betrübt“ (miserabilis etiam de loco est). Die nachgestellte, erneute Betonung der Lokalisierung wirkt karikierend. Zugleich räumt Tertullian mit dem einschränkend bekräftigenden, vorangestellten Adverb certe implizit ein, dass Achamoth in gewisser Weise zu bemitleiden sei; schließlich habe sie „weder eine Form noch irgendeine Gestalt“ (nec forma nec facies ulla).12 Sarkastisch wendet Tertullian die Fruchtbarkeitsmetaphorik erneut an und bezeichnet Achamoth, die aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte parthenogenetisch von ihrer Mutter „ohne ihren Partner“ (sine coniugis Phileti societate; 9,2; vgl. 10,1) gezeugt ist, als ein „mangelhaftes und abgetriebenes Geschöpf“ (defectiva et abortiva genitura).13 Achamoth ist eine fehlerhafte und daher nicht lebensfähige Frühgeburt. Tertullian markiert das Paradox, wie in einem Bereich
Vgl. GEORGES, Der neue Georges, explodo II.A, Bd. 1, Sp. 1996. Im Griechischen zeigt sich der von Tertullian aufgemachte Dualismus deutlich: Der Epikureische Terminus κενός, das mit dem lateinischen inane widergegeben ist (vgl. TLL Art. inane VII/1 827,23–30), bildet das Gegenteil zur Fülle (πληρώμα). Zur Parallelisierung der valentinianischen Lehre mit derjenigen Epikurs vgl. bereits 7,4. 11 Vgl. Lucr. I 439 sowie bereits vorher I 330–334 und dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 273. Tertullian verwendet diese Adjektiv-Kombination auch in Adv. Prax. 7,6 f., wenn er gegen imaginierte Einwände von Praxeas für die Macht des Schöpferwortes Gottes argumentiert, sowie Adv. Marc. III 8,4 und Anim. 9,4. 12 Vgl. bereits Adv. Val. 10,5; dort schreibt Tertullian allerdings von inspeciata (statt non facies). Auf einer rhetorischen Ebene ließe sich die Änderung in einer jeweils alliterarischen Formulierung deuten (informa et inspeciata sowie nec forma nec facies ulla). Zur traditionsgeschlichtlichen Begründung vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 273. 13 Die Änderung zu defectiva kommt mit dem wenigsten Eingriff in den Vokalbestand aus und wahrt das vermutlich auf Tertullian zurückgehende Homoioteleuton mit abortiva. Vgl. dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 63 f.; DERS., Contre les Valentiniens, 273. Dieser Terminus findet sich erst bei Augustin wieder; zudem rekurriert Tertullian in Adv. Val. 38 mit dem Hapaxlegomenon defectrix darauf. 9
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jenseits des existentiell notwendigen Lichts eine unvollständig entwickelte Kreatur überleben können solle.14 Achamoth aber erfährt Rettung, wie Tertullian im Folgenden darstellt: In diese scheinbar ausweglose Situation (dum ita rerum habet) 15 „beugt sich Christus von oben“, vom Pleroma her herab (flectitur a superioribus Christus) und „wird durch Horos hindurch hinabgeführt“ (deducitur per Horon),16 um Achamoth – Tertullian schreibt lediglich von „jener Fehlgeburt“, um Makel und Mangelhaftigkeit des Wesens deutlich herauszustellen – „aus seinen Kräften zu gestalten“ (informet de suis viribus). Erst durch Christi schöpferisches Handeln erhält Achamoth die „Gestalt der Substanz“ (forma solius substantiae), allerdings „nicht auch des Wissens“ (non etiam scientiae forma), wie Tertullian deutlich betont; diese wird sie erst durch das Wirken des Parakleten erhalten (16,2).17 Durch Christi Zuwendung, der sich in der lokalen Vorstellung des Mythos vom oberen Pleroma zum Ort außerhalb dessen hinabwendet, indem er sich über die Grenze (Horos), die das Pleroma zur Festigung und Sicherung umgibt (vgl. 9,3; 10,3), hinausstreckt, was sich bildlich im valentinianischen Mythos auch als Hinabführung über das Kreuz darstellt (Horos als Crux; 9,3) 18 , erhält Sophia ihre körperliche Form (forma substantiae). Die
14 Zur Parallelisierung mit der mittelplatonischen Lehre und Herausstellung der entscheidenden Differenz, dass die Trennung der Gottheit im valentinianischen Mythos nicht temporär, sondern „radikal und total“ zu denken ist, vgl. ALAND, Die Gnosis 103 f. (Zitat: 104), mit Verweis auf Plotins Kritik (vgl. Enn. II 9, 421–24; 10, 17–23). Aland markiert zugleich als paralleles Moment die Spaltung des zweiten Gottes des Numenios sowie die Abspaltung Achamoths von der oberen Sophia (aaO., 129). 15 Zu dieser an die griechische Vorlage angepassten Wendung vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 274. 16 Tertullian verwendet die passive Form für den medialen Ausdruck, vgl. TLL Art. deducere VI/1 894,78. A superioribus findet sich als pluraler Ausdruck für die obere Sphäre erneut in 29,3: Tertullian bietet an dieser Stelle zwar eine sehr parallele Darstellung zum irenäischen Text, die Angabe a superioribus fehlt allerdings in der griechischen IrenäusVersion (Adv. Haer. I 4,1) bzw. findet sich in der lateinischen Fassung im Singular (superiorem sowie per Crucem extensum statt per Horon [in 14,4 allerdings schreibt Tertullian definitorisch Crucem, id est Horon, vgl. auch 27,3 während der irenäische Text an der Stelle lediglich ὃρον in I 4,1 bzw. τῷ σταυρῷ in I 7,2 überliefert]). Chiapparini stellt die Hypothese auf, dass diese Angabe a superioribus möglicherweise durch den tertullianischen Text in die lateinische Version von Irenäus Darstellung eingegangen ist (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 124 Anm. 1). 17 Die Differenzierung zwischen einer Gestalt der Substanz und einer Gestalt des Wissens gründet im Ursprung der Entstehung von Achamoth aus dem Nicht-Wissen und Verlangen nach Wissen ihrer Mutter Sophia (vgl. 9,1; 10,1). Vgl. auch die deutliche Formulierung bei Iren., Adv. Haer. I 4,1 (62,360–63,362): τῇ ἰδίᾳ δυνάμει μορφῶσαι μόρφωσιν τὴν κατ’ οὐσίαν μόνον, ἀλλ’ οὐ τὴν κατὰ γνῶσιν. 18 Explizit findet sich dies bei Irenäus: διὰ τοῦ Σταυροῦ ἐπεκταθέντα (Adv. Haer. I 4,1 [62,360]).
6.2. Analyse von Adv. Val. 14–23
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beiden Verben flectitur und deducitur zeigen an, dass Christus seinen Ort nicht verlässt; vielmehr dehnt er sich von dort grenzenweitend aus. (14,2) Et tamen cum aliquo peculio relinquitur, iteratur19 odor incorruptibilitatis, quo compos casus sui potiorum desiderio suppararetur. Hac misericordia functus, non sine Spiritus Sancti societate, recurrit Christus in pleroma. Usus est rerum ex liberalitatibus quoque nomine accedere: Enthymesis de actu fuit, Achamoth unde, adhuc quaeritur, Sophia de matre manat, Spiritus Sanctus ex angelo.
Ironisch fügt Tertullian an, dass Achamoth „dennoch mit einem Vermögen zurückgelassen wird“ (tamen cum aliquo peculio relinquitur), das er an dieser Stelle näher als „Duft der Unvergänglichkeit“ (odor incorruptibilitatis)20 bestimmt, während es in 25,1 als „Vermögen des geistigen Samens“ (peculium seminis spiritalis) konkretisiert wird, das sich in Achamoth „aus der Substanz ihrer Mutter Sophia“ (inerat autem in Achamoth ex substantia Sophiae matris) befand. 21 Auf dem Hintergrund dieser Näherbestimmung an späterer Stelle bleibt zu fragen, ob die textkritische Konjektur Kroymanns (id erat statt der handschriftlichen Überlieferung iteratur) notwendig ist. Weniger würde sich eine Explikation des peculium durch das definitorische id erat odor incorruptibilitatis finden, als vielmehr die Beschreibung der Möglichkeit der Wahrnehmbarkeit des peculium für Achamoth; dieses muss allerdings lediglich „erneuert werden“ (iteratur), da sie den „Duft der Unvergänglichkeit“ bereits qua ihrer Abstammung von ihrer Mutter Sophia als Samen unerkannt in sich trägt, der erst jetzt in ihr Bewusstsein treten kann.22 Als Folge ist Achamoth nicht nur „in vollem Bewusstsein über ihren Fall“ (compos casus sui)23, sondern in ihr ist auch „ein Verlangen nach den besseren Dingen“ (potiorum desiderio suppararetur) 24 freigesetzt. Der qualitative 19 So lesen die Handschriften, während Kroymann zu id erat konjiziert (vgl. auch Riley, Marastoni, Fredouille, Tommasi Moreschini und Chiapparini). Diese konjizierte, definitorische Vergangheitsform durchbricht jedoch die sonst einheitlich präsentische Konstruktion (zudem verwendet Tertullian in seinem Œuvre immer die präsentisch formulierte Definitionsformel id est, außer in Carn. Christ. 2,5), die zugleich stilistisch mit einem Chiasmus dieses Achamoth eigene peculium herausstellt. 20 Incorruptibilitas bildet eine tertullianische Neubildung zur Widergabe von ἀφθαρσία (Iren., Adv. Haer. I 4,1; auf Latein allerdings der „Geruch der Unsterblichkeit“, odor immortalitatis). Zur Entstehung und Bedeutungsnuance vgl. TLL Art. incorruptibilitas VII/1, 1031,73 f. sowie BRAUN, Deus christianorum, 59–62. Zur Konstruktion mit odor vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 275. 21 Peculium kann Tertullian auch für eine Gabe der Christen um ihn herum nutzen, um das mit der Taufe eingetretene „Vermögen der Gnade“ zu bezeichnen (Bapt. 20,5). 22 Vgl. dazu auch die textkritische Anm. 19. 23 Vgl. TLL Art. compos III/0 2137,20 f.; an dieser Stelle schwingt bereits ein Hinweis auf das Wissen mit (conscia). Casus weist erneut auf das in 10,2 geschilderte Geschehen zurück. 24 Zum von Tertullian geprägten Terminus supparo (bereits Adv. Val. 4,3) vgl. WELLSTEIN, Nova Verba, 169 f.; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 275.
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Komparativ korreliert mit der Lokalisierung Christi, der „von oben her“ (a superioribus; 14,1) sich hintunter geneigt hat. Das Verlangen, das ursprünglich der im Pleroma verbliebenen Sophia gehörte, als Enthymesis aber ausgegrenzt wurde, wird sich durch Christi Zuwendung der ungestillten Sehnsucht nach dem nicht näher definierten Höheren bewusst, das Tertullian als Besseres charakterisiert. Auch diese Handlung deutet Tertullian emotional als eine durch Mitleid motivierte (hac misericordia functus), nach der Christus ins Pleroma zurückkehrt (recurrit Christus in pleroma). Mit der ironischen Hervorhebung, dass sogar Christus diese Handlung nicht ohne seinen Paargenossen und die „Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ (non sine Spiritus Sancti societate) vollzieht, spielt Tertullian auch auf das auslösende Geschehen an, als Sophia ohne ihren Paargenossen Philetus ihrem Verlangen nachgab und daher die vorliegende Situation entstand (vgl. 9,2).25 Es folgt eine begründende Überleitung zur Anführung der Namen, die Achamoth weiterhin beigelegt sind. Während Irenäus zwei Namen anführt und über den mit Christus verbundenen Heiligen Geist die Namensvarianten begründend einführt,26 ordnet Tertullian die vier Namen für Achamoth axiomatisch als „übliches Faktum“ (usus est) ein, dass „aus der Freigiebigkeit der Dinge sich auch die Namen ergeben“ (rerum ex liberalitatibus quoque nomine accedere).27 Indirekt findet sich hier eine Generalabrechnung mit der Namensvielfalt der einzelnen mythologischen Akteure innerhalb der valentinianischen Lehre. Die vier Namenserklärungen resultieren aus dem mythologischen Geschehen: Enthymesis „leitet sich von einer Tat her“ (Enthymesis de actu fuit) und rekurriert auf das pleromatische und den Fall auslösende Geschehen (vgl. 9,4; 10,4). Über den Namen Achamoth kennt Tertullian weiterhin keine etymologische Schlussfolgerung (Achamoth unde, adhuc quaeritur; vgl. 14,1). Der Name Sophia „entspringt von der Mutter“ (Sophia de matre manat)28; Tertullian spielt auf den im Pleroma verbliebenen Äon Sophia an. Als vierter Name folgt der „Heilige Geist vom Engel“. Entgegen Kroymanns Vorschlag, diese Phrase mit dem Beginn des folgenden Paragraphen zu verschränken, ist vorliegende Lesart beizubehalten und angelus als einen Kollektiv-Hinweis auf die mit Jesus
25 Im irenäischen Text findet sich lediglich die Anfügung: ἐγκαταλειφθεῖσαν αὐτῇ τοῦ Χριστοῦ καὶ τοῦ ἁγίου Πνεύματος (Adv. Haer. I 4,1 [64,366 f.]). 26 Adv. Haer. I 4,1 (64,367–370): Διὸ καὶ αὐτὴν τοῖς ἀμφοτέροις ὀνόμασι καλεῖσθαι, Σοφίαν τε πατρωνυμικῶς – ὁ γὰρ πατὴρ αὐτῆς Σοφία κλῇζεται – καὶ Πνεῦμα ἅγιον ἀπὸ τοῦ περὶ τὸν Χριστὸν Πνεύματος. 27 Zur Übersetzung als genitivus subjectivus vgl. z.B. sowohl Tert., Anim. 47,2 als auch Sall., Cat. 2,9: Sed in magna copia rerum aliud alii natura iter ostendit. Zur grammatikalischen Disposition des Satzes und Übersetzung vgl. BRAUN, Notes, 196 f. Der Plural von liberalitas findet sich lediglich an vorliegender Stelle. 28 Vgl. auch die verschärfte Polemik bei Irenäus, der diesen Namen als „vom Vater vererbt“ deutet (Adv. Haer. I 4,1): Σοφίαν τε πατρωνυμικῶς.
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gemeinsam hervorgebrachten Engel zu deuten (vgl. 12,5) und weniger auf den mit Christus gemeinsam emaniertem Heiligen Geist (vgl. 11,1).29 (14,3) Accipit Christi, a quo derelictam se statim senserat, desiderium. Itaque prosiluit et ipsa lumen eius inquirere. Quem si omnino non noverat, ut invisibiliter operatum, quomodo lumen eius ignotum cum ipso requirebat? Tamen temptavit et fortasse adprehendisset, si non idem Horos, qui matri eius tam prospere venerat, nunc tam importune filiae occurrisset, ut etiam inclamaverit in eam "Iao!", quasi "Porro quirites!" aut "Fidem Caesaris!".
Tertullian wendet sich wieder dem mythologischen Geschehen zu. Das „Verlangen nach den besseren Dingen“ (potiorum desiderio; 14,2) konkretisiert er als „ein Verlangen nach Christus“, das Achamoth „ergreift“ (accipit Christi desiderium), nachdem sie von Christus wieder „verlassen worden war“ (a quo derelictam). Trocken kommentiert Tertullian dieses Faktum mit einem temporalen Bezug, „wie sie sofort gefühlt hatte“ (se statim senserat). Sowohl die alliterarische Formulierung als auch die zweifache emotionale Hervorhebung (senserat, desiderium) markieren Tertullians Ironie. Die emotionale Bewegung Achamoths resultiert in handelnde Aktivität. Das Verlangen lässt Achamoth „aufspringen, um auch selbst sein Licht zu suchen“ (Itaque prosiluit et ipsa lumen eius inquirere). Das zuvor mit dem Pleroma identifizierte Licht (14,1) wird jetzt Christus zugeschrieben.30 Scheinbar naiv befragt Tertullian in einer rhetorischen Frage den Realitätsgehalt dieser Handlung und antizipiert bereits das Ergebnis von Achamoths Versuch, Christi Licht zu finden. Unter der Bedingung, dass sie kein Wissen von Christus habe, weil er für sie „unsichtbar gearbeitet habe“ (quem si omnino non noverat, ut invisibiliter operatum)31, und ihr nicht die „Gestalt des Wissens“ (forma scientiae; 14,1) verliehen habe, bezweifelt Tertullian das Achamoth zugeschriebene Verlangen nach Christus und seinem Licht und befragt den Modus einer solchen Suche (quomodo lumen eius ignotum cum ipso requirebat).32
29 Kroymanns Deutung beruft sich auf Irenäus, der formuliert, dass Achamoth „heiliger Geist nach dem Geist, der bei Christus ist“ genannt würde (καὶ Πνεῦμα ἅγιον ἀπὸ τοῦ περὶ τὸν Χριστὸν Πνεύματος; Adv. Haer. I 4,1). Allerdings würde es sich weiterhin um eine fehlerhafte Version handeln, der Phrasenbeginn in 14,3 entspricht der folgenden Logik und Tertullian müsste die Termini angelus und spiritus an dieser Stelle synonym verwenden. Zudem fehlt im irenäischen Text die Präzisierung durch das Adjektiv ἅγιος, vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 128 Anm. 4; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 162. 30 Anders überliefert Irenäus vom „Licht, das ihr entschwunden war“ (ἐπὶ ζήτησιν ὁρμῆσαι τοῦ καταλιπόντος αὐτὴν φωτὸς; Adv. Haer. I 4,1 [65,373]). 31 Auch Irenäus überliefert die Notiz, dass Christus „unsichtbar“ gewirkt habe (Adv. Haer. I 4,1); Tertullian verbindet diese Information mit der ironischen, widerlegenden Frage. 32 Eine solche Aporie – etwas zu suchen, was man nicht kennt – findet sich auch in der Dramadichtung, vgl. dazu CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 129 Anm. 6.
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Im weiteren Verlauf unternimmt Achamoth dennoch einen vergeblichen Versuch (tamen temptavit fortasse adprehendisset), dessen positives Resultat allerdings erneut durch Horos unterbunden wird. Sein rettendes Grenzwirken korreliert Tertullian mit demjenigen gegenüber „ihrer Mutter“ Sophia (matri eius). Spöttisch stellt er das „so günstige Kommen zu ihrer Mutter“ dem „so unpassenden Entgegentreteten der Tochter“ gegenüber (qui matri eius tam prospere venerat, nunc tam importune filiae occurrisset). Die antithetische, ironische Deutung unterstreicht er mit der chiastischen Formulierung und jeweiligen Verstärkung durch tam. Die Rettungsaktion für Achamoth begleitet Horos mit einem lauten Schrei (ut etiam inclamaverit in eam ‚Iao!‘). Wie auch bei Irenäus findet sich keine weitere Erklärung zu diesem Namen (vgl. auch 14,4). Vielmehr schließt Tertullian polemisch zwei eigene Interpretationen an und parallelisiert den Ruf mit zwei Zitaten aus der römischen Alltagswelt. Als ob der von Horos ausgestoßene Ruf dem Ruf „Weiter, Quiriten!“ (Porro Quirites!)33 entspreche oder „Für die Treue zu Caesar!“ (Fidem Caesaris!). (14,4) Inde invenitur Iao in scripturis. Ita depulsa quominus pergeret nec habens supervolare Crucem, id est Horon, quia nullum Catulli Laureolum fuerit exercitata, ut destituta, ut passioni illi suae intricata multiplici atque perplexae, omni genere eius coepit adfligi: maerore, quod non perpetrasset inceptum, metu ne sicut luce ita et vita orbaretur, consternatione, tum ignorantia, nec ut mater eius – illa enim aeon, at haec pro condicione deterius –, insurgente adhuc et alio fluctu, conversionis scilicet in Christum, a quo vivificata fuerat et in hanc ipsam conversionem temperata.
Horos’ Ruf begründet nach Tertullian die Existenz dieses Namens Iao „in den Schriften“ (in scripturis).34 Irenäus berichtet lediglich davon, dass nach den Valentinianern dieser Ruf die Existenz des Namens erkläre. 35 Es ist daher 33 Quiriten gilt als Eigebezeichnung römischer Büger. Der Gründungslegende nach wurde dieser Name, der auf die sabinische Stadt Cures anspielt, den Einwohnern der neuen Stadt Rom beigelegt und bildet einen Kompromiss, um die Doppelstaatlichkeit der Sabiner und Römer in dieser neuen Stadt, die lokal das ursprüngliche Rom bleibt, zu wahren (vgl. Liv. I 13,4 f.). 34 Iao (Ἰαώ) bildet die griechische Transkription des vermutlich ursprünglichen Konsonantenbestands des hebräischen Gottesnamens (vgl. dazu AUNE, DAVID E., Art. Iao, in: Reallexikon für Antike und Christentum 17 [1996], 1–12, 3). Vor allem in magischen Texten (Zauberpapyri und Amuletten) findet sich häufig dieser Name in Verbindung mit anderen Gottesnamen jüdischer Herkunft, der auch Eingang in gnostische Literatur gefunden hat. In der Schrift Pistis Sophia singt Jesus dreimal den Namen Iao und deutet die drei griechischen Buchstaben, aus denen der Name besteht: „Jota, weil das All herausgegangen ist, – Alpha, weil es sich wieder zurückwenden wird, – Omega, weil die Vollendung aller Vollendungen stattfinden wird.“ (Pist. Soph. 136 [Koptisch-Gnostische Schriften 1, 232,24–26 SCHMIDT]). Das Apokryphon des Johannes kennt Iao als einen der sieben Archonten, die die Tore zur Himmelssphäre bewachen (NHC II,1 12,20). Nach Iren., Adv. Haer. I 30,5 gilt Iao als Sohn Ialdabaoths, der wiederum über fünf weiteren Archonten steht, und bildet einen Bezugspunkt der Lehre der Ophiten oder Sethianer. 35 Adv. Haer. I 4,1 (65,376 f.): ὅθεν τὸ Ἰαὼ ὄνομα γεγενῆσθαι φάσκουσι.
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wenig wahrscheinlich, dass in scripturis tatsächlich valentinianisches Schriftgut meint, das Tertullian kannte und hiermit bezeugt.36 Vielmehr wird es sich um eine undifferenzierte, polemisch motivierte Modifikation der irenäischen Vorlage handeln, ohne dass konkret das Schriftgut gemeint ist, das auch Tertullian zum Grundbestand der christlichen Schriften zählt.37 Es folgt die weitere Darstellung des mythologischen Geschens. Achamoths Versuch ist durch Horos Einschreiten beendet worden (ita depulsa, quominus pergeret). Schließlich habe sie „keine Möglichkeit über das Kreuz, also Horos, hinwegzufliegen“ (nec habens supervolare Crucem, id est Horon). Bereits mit der Bezeichnung der Handlung karikiert Tertullian das Geschehen und kommentiert es zugleich in einem weiteren Vergleich mit einem bekannten Mimus. Assoziationspunkt bildet das Kreuz, das eines der Polynome von Horos ist (vgl. 9,3). Achamoth könne diese im Kreuz symbolisierte Grenze nicht überfliegen, „weil sie den Laureolus des Catull nicht eingeübt hatte“ (quia nullum Catulli Laureolum fuerit exercitata).38 Die Geschichte des Räuberhauptmanns Laureolus, der seinen Tod am Kreuz gefunden hat und die damnatio ad bestias erlitt, wurde in einem Mimus von einem weiter unbekannten Dichter Catull niedergeschrieben und im Amphitheater aufgeführt.39 Martial betont, dass „Laureolus nicht an einem falschen Kreuz hing“40 und diese auf der Bühne gespielte Hinrichtung eine reale Exekution war. Auch Juvenal weist darauf hin, dass die Bühne vor Blut glänzte.41 Diese Parallelisierung spricht Achamoth zugleich ab, diese Rolle „einzuüben“ und sich wissentlich dem grausamen Spiel zu stellen. Juvenal deutet gerade das freiwillige Übernehmen dieser Rolle als Standesmissachtung. Tertullian wendet diese Deutung und ironisiert Achamoths Verbleiben jenseits der im Kreuz symbolisierten Grenze als Schwäche und Mutlosigkeit. Ihre Situation zeichnet Tertullian erneut emotional nach und zielt ironisch auf den Zeitpunkt der geschilderten Wahrnehmungen Achamoths. So allerdings FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 277. Vgl. dazu auch 9.1 der Einleitung sowie QUISPEL, Rev. Fredouille. Tertullian. Contre les Valentiniens, 95. 37 Braun zeigt auf, dass zu scriptura zu Tertullians Zeit fluide ein großer Kanon an Texten zählen konnte (vgl. z.B. Henoch-Buch in Cult. Fem. I 3,3; Hirt des Hermas in Pud. 10,12, Acta Pauli in Bapt. 17,5), sodass keine Exklusivaussage über gnostisches Schriftgut getroffen zu werden scheint (DERS., Notes, 198 f.; DERS., Deus christianorum, 455–458, vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 284 Anm. 227). Die Aussage in Adv. Val. 31,1 lässt sich inklusiv für ein christliches Schriftgut deuten, das auch Tertullian teilt. 38 Zur Konstruktion vgl. TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 284 Anm. 228; TLL Art. exercitare, V/2 1387,34–37. 39 Der Dichter Catull (nicht zu verwechseln mit Gaius Valerius Catull) wird heute in die Zeit Gaius Caligulas datiert; zumindest lässt sich die Aufführung seines Mimus 41 vor Christus als terminus ante quem heranziehen (vgl. Suet., Cal. 57,3 f.). Weiterhin ist bekannt, dass er einen Mimus Phasma verfasst hat (Juv. VIII 186). 40 Mart., Sp. 7,4: non falsa pendens in cruce Laureolus. 41 Juv. VIII 187. 36
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Hypothetisch formuliert er, dass sie sich nach dem vergeblichen Versuch und Christi Rückkehr ins Pleroma (vgl. 14,1) fühlt, „als wenn sie verlassen worden wäre“ (ut destituta) und „als wenn sie in ihrer vielfältigen und verworrenen Leidenschaft verstrickt worden wäre“ (ut passioni illi suae intricata42 multiplici atque perpexlae). In deren Folge werden diese Leiden Realität für sie, die sie bereits die „Gestalt der Substanz“ erhalten hat; „sie begann von jeder einzelnen Art derselben heimgesucht zu werden“ (omni genere eius coepit adfligi).43 Während ihre Mutter Sophia drei Leiden durchlebte (ignorantia, pavor, maeror; 10,3), ereilen Achamoth vier Emotionen, von denen die beiden ersten näher bestimmt werden und das zweite Paar lediglich benannt wird.44 Trauer (maeror) verspürt Achamoth, „weil sie das Unternehmen nicht beendet hatte“ (quod non perpetrasset inceptum) und ihr Verlangen, den Lichtort zu finden, nicht erreicht hat. Furcht (metus) umgibt sie darum, außerhalb des Pleromas nicht nur vom Licht verlassen zu sein (vgl. 14,3, allerdings lumen), sondern auch vom Leben, das mit dem lebensspendenden Äon im Pleroma assoziiert wird (ne sicut luce ita et vita orbaretur).45 Desweiteren umgibt sie Bestürzung (consternatio) über diesen Zustand und Unwissenheit (ignorantia). Ignorantia bildet den Ausgangspunkt aller Leidenschaften und Grund der Existenz Achamoths (vgl. 10,3). Die Assoziation mit dem Ergehen ihrer Mutter durchbricht Tertullian durch Spezifizierung der Wesenheit von Sophia und Achamoth. Während „jene nämlich ein Äon ist“ (illa enim aeon), wird das Wesen Achamoths nicht konkret, sondern entsprechend ihrem defizitären Sein (vgl. 14,1) in Differenz zur Mutter bestimmt: „diese ist geringer in ihrer Beschaffenheit“ (at haec pro condicione deterius).46 Zuletzt „erhob sich außerdem auch eine weitere (Gefühls-)Flut“ (insurgente adhuc et alio fluctu) über Achamoth. Die Wassermetaphorik drückt die Unausweichlichkeit und energiegeladene Anziehungskraft aus, die Achamoth überkommt, nämlich die „Hinwendung zu Christus“ (conversionis scilicet in 42 Intrico deutet TLL an dieser Stelle als inutiliter occupare, detinere, impedire quominus perficiatur opus (Art. intrico VII/2 51,21–25). 43 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 4,1 (65,377–381): Μὴ δυνηθεῖσαν δὲ διοδεῦσαι τὸν Ὅρον διὰ τὸ συμπεπλέχθαι τῷ πάθει καὶ μόνην ἀπολειφθεῖσαν ἔξω, παντὶ μέρει τοῦ πάθους ὑποπεσεῖν, πολυμεροῦς καὶ πολυποικίλου ὑπάρχοντος, καὶ παθεῖν. 44 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 4,1 (65,381–66,383): λύπην μὲν, ὅτι οὐ κατέλαβεν, φόβον δὲ, μὴ καθάπερ αὐτὴν τὸ φῶς οὕτω καὶ τὸ ζῆν ἐπιλίπῃ, ἀπορίαν τε ἐπὶ τούτοις, ἐν ἀγνοίᾳ δὲ τὰ πάντα. 45 Ähnlich ergeht es ihrer Mutter mit Furcht vor ihrem eigenen Ende (10,2). 46 Vgl. dazu R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 146 f. Condicio mit ontologischer Bedeutung findet sich erneut in 16,3. Irenäus überliefert neben dem Verweis auf das Wesen der Mutter zudem auf eine Gegensätzlichkeit in Achamoths Ergehen der Leidenschaften (Adv. Haer. I 4,1 [66,383–385]: Καὶ οὐ καθάπερ ἡ μήτηρ αὐτῆς, ἡ πρώτη Σοφία καὶ Αἰὼν, ἑτεροίωσιν ἐν τοῖς πάθεσιν εἶχεν, ἀλλὰ ἐναντιότητα).
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Christum), die ursächlich von Christus selbst ausgeht, indem er sie „lebendig gemacht hat“ (a quo vivificata fuerat)47 durch die Gestaltung der Substanz nach (forma substantiae; 14,1) und dadurch „selbst in diese Hinwendung gelenkt hat“ (in hanc ipsam conversionem temperata). Ohne Christi gestaltgebende Wirkung bleibt Achamoth formlos und lebensunfähig (vgl. abortiva; 14,1). 6.2.2. Adv. Val. 15: Die Elemente der Welt (15,1) Age nunc discant Pythagorici, agnoscant Stoici, Plato ipse, unde materia, quam innatam volunt, et originem et substantiam traxerit in omnem hanc struem mundi; quod nec Mercurius ille Trismegistus, magister omnium physicorum, recogitavit.
Voll Ironie kommentiert Tertullian die gedankliche Fortführung des valentinianischen Mythos und die Begründung der Herkunft der Materie (vgl. 15,2). Er parallelisiert die valentinianische Lehre beispielhaft mit philosophischen Schulen der Antike. Nicht nur die Pythagoräer könnten jetzt „lernen“ (discant), sondern auch die Stoiker „erkennen“ (agnoscant) und sogar Platon, wie Tertullian ironisch betont – die Nähe der valentinianischen Lehre zum Platonismus stellt er häufig heraus –, „woher die Materie ihren Ursprung und ihre Substanz zu dieser ganzen Konstruktion der Welt gezogen hat“ (unde materiam, et originem et substantiam traxerit in omnem hanc struem mundi)48. Tertullian spielt mit dem Chronologie-Argument, wenn eine offensichtlich jüngere Gedankenentwicklung den etablierten philosophischen Schulen neue Erkenntnisse bringen könnte. Schließlich würden auch die Valentinianer die Materie als „ungeworden“ lehren (quam innatam volunt).49 Tertullian amplifiziert seine Polemik noch, indem er die Reihung mit Verweis auf „Mercurius, jenen Trismegistos, den Lehrer aller Naturforscher“ (Mercurius ille Trismegistus, magister omnium physicorum) abschließt. Hinter Mercurius mit Beinamen Trismegistos, d.h. „der Dreifachgroße“, steht die mythische Figur des Hermes Trismegistos, den Tertullian hier neben die drei philosophischen Richtungen einreiht. Mercurius ist dabei die lateinische Form der griechischen Gottheit Hermes, der mit der ägyptischen Mond- und Weisheitsgottheit Thot(h) gleichgesetzt wurde. Die mit dieser Figur verbundene Hermetik findet sich ursprünglich in Ägypten. Indem Tertullian den römischen Namen anführt, allerdings den griechischen Beinamen in latinisierter Form betont mit Hilfe des Pronomens ille zitiert50, steht er in dieser ägyptisch-griechischen Vgl. Iren., Adv. Haer. I 4,1 (66,386): τὴν τῆς ἐπιστροφῆς ἐπὶ τὸν ζωοποιήσαντα. Vgl. Iren., Adv. Haer. I 4,2 (66,387 f.): Ταύτην σύστασιν καὶ οὐσίαν τῆς ὕλης γεγενῆσθαι λέγουσιν, ἐξ ἧς ὅδε ὁ κόσμος συνέστηκεν. Zur Formulierung vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 280 f. 49 Ausführlich begegnet Tertullian der Thematik in Adv. Herm. Für Belegstellen zur Interpretation für die Lehre ungewordener Materie bei den Pythagoräern, Stoikern und Platonikern vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 280. 50 An dieser Stelle findet sich zum ersten Mal der griechische Name Trismegistus in latinisierter Form. Vgl. auch Cypr., Idol. 6 (allerdings in der Form Hermes Trismegistus) sowie 47
48
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Tradition und setzt die Kenntnis bei seiner Leserschaft voraus.51 Mit der Apposition „Lehrer aller Naturforscher“ (magister omnium physicorum) assoziiert Tertullian die hermetischen Grundlegungen in mythischen und alchemistischen, aber auch philosophischen Schriften und deutet Hermes Trismegistos als Vorgänger paganer philosophischer Spekulationen. 52 Zugleich lässt sich der Versuch erkennen, die valentinianische Lehre mit den hermetischen Gedanken bzw. naturphilosophischen Spekulationen in Verbindung zu bringen.53 (15,2) Audisti conversionem, genus aliud passionis: ex hac omnis anima huius mundi dicitur constitisse, etiam ipsius Demiurgi, id est dei nostri; audisti maerorem et timorem: ex his initiata sunt cetera. Nam ex lacrimis eius universa aquarum natura manavit.
In direkter Anrede an seine Leserschaft führt Tertullian zurück zur Darstellung des mythologischen Geschehens. Von der „Hinwendung, einer weiteren Art von Leidenschaft“ (conversio, genus aliud passionis) von Achamoth, habe der Leser gehört (audisti; vgl. 14,4). Aus ihr entsteht nach valentinianischer Lehre alle psychische Substanz, nämlich die „Weltseele“ (ex hac omnis anima huius mundi dicitur constitisse), „sogar des Demiurgen selbst“ (etiam ipsius Demiurgi). Tertullian identifiziert den valentinianischen Demiurgen mit dem Schöpfergott der Christen und seiner intendierten Leserschaft (id est dei nostri) und rekurriert damit auf den klassischen Gebrauch des Terminus im 2. Jahrhundert.54 Mit einer erneuten Wiederholung der Anrede seiner Leserschaft (audisti) nimmt Tertullian auf die ersten beiden Leidenschaften Achamoths Bezug (vgl. 14,4). Aus Trauer und Furcht (maeror et timor; 14,4: maeror et metus) sei alles Weitere enstanden. Im irenäischen Text wird dieses als die körperlichen Elemente näherbestimmt (vgl. 16,3). 55 Achamoths Tränen schließlich häufiger bei Laktanz; dieser kennt auch die römische Form Mercurius Termaximus (z.B. Inst. I 7,2). 51 Weitere Anspielungen auf die Hermetik, ihre ägyptische Verankerung sowie Prägung der platonischen Lehre finden sich bei Tertullian u.a. in Anim. 2,3 (Mercurium Aegyptium, cui praecipue Plato adsuevit [VCS 100, 3,19 f. WASZINK]); in 28,1 führt er die Grundlage der platonischen Seelenwanderungslehre (mit Rekurs auf Albinus) auf Mercurii Aegyptii zurück und in 33,2 führt er ein hermetisches Zitat auf Latein an. Vgl. dazu MORESCHINI, CLAUDIO, Hermes Christianus. The Intermingling of Hermetic Piety and Christian Thought, translated by P. Baker (Cursor Mundi 8), Turnhout: Brepols 2011, 27–31; QUISPEL, GILLES, Hermes Trismegistus and Tertullian, in: Vigiliae Christiane 43 (1989), 188–190; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 166. 52 Eine knappe Einführung in die Grundzüge der hermetischen Literatur sowie Diskussion des Forschungsstandes bietet MORESCHINI, Hermes Christianus, 1–26. Tertullian selbst charakerisiert ähnlich Thales in Apol. 46,8; weitere Parallelen führt FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 281 an. Zu physicus vgl. TLL Art. physicus X/1 2063, 26. 53 Vgl. dazu mit Beispielen auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 165. 54 Vgl. B RAUN, Deus Christianorum, 380 f. 55 Iren., Adv. Haer. I 4,2 (67,393 f.): ἀπὸ δὲ τῆς λύπης καὶ τῆς ἐκπλήξεως τὰ σωματικὰ τοῦ κόσμου στοιχεῖα.
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seien Ursprung für „das ganze Element des Wassers“ (Nam ex lacrimis eius universa aquarum natura manavit). (15,3) Hinc aestimandum quem exitum duxerit, quantis lacrimarum generibus inundaverit. Habuit et salsas, habuit et amaras et dulces et calidas et frigidas guttas et bituminosas et ferruginantes et sulphurantes utique et venenatas, ut et Nonacris inde sudaverit, quae Alexandrum occidit, et Lyncestarum inde defluxerit, quae ebrios efficit, et Salmacis inde se solverit, quae masculos molles.
Die Vorstellung, dass aus Achamoths Tränen alle flüssige Substanz entstanden sein soll, inspiriert Tertullian zu einer ausführlichen Polemik.56 Aus der Existenz an Wasser schließt er zurück auf die Schwere des Schicksals, das Achamoth ereilt habe, und die Vielfalt an Tränen, die sie deshalb geweint haben müsse (Hinc aestimandum quem exitum duxerit, quantis lacrimarum generibus inundaverit). In der folgenden syndetischen Aufzählung karikiert er die verschiedenen Tränenarten. Das inhaltliche Trikolon aus „salzigen“ (salsa), „bitteren“ (amara) und „süßen Tropfen“ (dulcis gutta)57 entspricht den Wahrnehmungsmöglichkeiten der Geschmacksknospen und ist lediglich durch die bremsend wirkende Wiederholung von habuit durchbrochen. Es folgt das Gegensatz-Paar heiß und kalt (calida et frigida gutta). An diese schließen drei Termini an, die sich auf die Elemente der Natur beziehen: „erdharzhaltige“ (bituminosa), „eisenhaltige“ (ferruginans) und „schwefelhaltige“ (sulphurans) Tropfen. Während sich ersterer Terminus bereits bei Vitruv findet, bildet Tertullian ferruginans und sulphurans neu, wobei ferruginans der Status eines Hapaxlegomenons zukommt.58 Die Bildung von Neologismen, die sicher auch euphonischen Grund hatten, verhilft der Aufzählung zu weiterer Komik.59 Klimaktisch steigert sich diese Aufzählung in das mit utique angeführte Adjektiv: Die Tropfen sind „sogar auch giftige“ (utique venenata). Dieser Abschluss bildet für Tertullian die Überleitung zu seinen polemischen, konkreten Beispielen für gefährliche Wasser in der (mythologischen) Geschichte der hellenistischen und römischen Antike. Als Trikolon zählt er drei Wasserquellen auf und
Auch bei Irenäus findet sich eine kurze ironische Passage über Achamoths Tränen (vgl. Adv. Haer. I 4,4). 57 Gutta bildet dabei einen ursprünglich in poetischer Sprache beheimateten Terminus, vgl. TLL Art. gutta VI/2 2371,20–22. 58 Zu bituminosus vgl. Vitr. VIII 2 f.; TLL Art. bituminosus II/0 2022,65–71. 59 Vgl. TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 186 Anm. 237; W ELLSTEIN, Nova Verba, 320. Capone deutet an dieser Stelle zudem eine Allusion an Vergils Charakterisierung der Erde in seiner Georgica und markiert diese selbst als einen „gewagten Vergleich“ (Georg. 2,238–247). Zudem deutet er die beiden hyperbolisch verwendeten Adjektive zur Bezeichnung von Achamoths Tränen (ferruginantes et sulphurantes) mit Ovid, Met. V 402–406 und verbindet die beiden narrativen Kontexte – die Traurigkeit Proserpinas und Achamoths Weinen – miteinander (vgl. DERS., Osservazioni sull’ironia di Tertulliano, 238– 240). 56
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erinnert in je einer relativen Näherbestimmung an in der Mythologie niedergeschriebene Folgen, die sich aus diesen Arten an Tropfen ergeben. Die Quelle bei der Stadt Nonarcis, die am Hang eines Berges in der griechischen Region Arcadia auf der Peleponnes lokalisiert war, galt in der Antike als Quelle des Flusses der Unterwelt Styx. Nach einer Tradition soll Alexander der Große gestorben sein, nachdem er das eiskalte, giftige Wasser nahe Nonarcis getrunken hatte.60 Auf diese Tradition spielt Tertullian hier an, wenn er ganz plastisch die vor Gift „schwitzende Quelle“ (sudaverit) vor Augen führt. Die Einwohner der Region Lyncestis im antiken Makedonien sollen eine Quelle gehabt haben, deren Wirkung Trunkenheit auslöse.61 Als drittes Beispiel rekurriert Tertullian auf die Quelle Salmakis, in der die gleichnamige Nymphe wohnte, von der Ovid berichtet. Mit Salmakis verbunden ist die Metamorphose eines Jungen Hermaphroditos, der von dort an die Verbindung der Namen seiner Eltern Hermes und Aphrodite trägt und ein weiblich-männliches Wesen ist. Grund seines Schicksals ist ein Bad in der Quelle Salmakis, zu dem die Nymphe zur gemeinsamen Vereinigung in ihrem Wasser einlädt.62 Tertullian nimmt diese mythologische Deutung der Figur des Hermaphroditos auf, indem er süffisant umschreibt, dass diese Quelle, die sich „von dort“, also Achamoths Tränen, als Nebenarm „loslöste“ (se solverit), „Männer verweichlicht“ (quae masculos molles)63, indem diese neben ihrem männlichen Geschlecht auch weibliche Körperteile besitzen. (15,4) Etiam64 caelestes imbres pipiavit Achamoth et nos in cisternis alienos luctus et lacrimas servare curamus. Proinde ex consternatione et pavore corporalia elementa ducta sunt. Et tamen in tanta circumstantia solitudinis, in tanto circumspectu
60 Vgl. Plut., Alex. 77,2. Dass das Wasser als eiskalt hervorgehoben wird, entspricht auch der Stilisierung Plutarchs, der Alexanders Natur als feurig beschreibt und mit Hitze assoziiert (Alex. 4,3 f.). Zur Lokalisierung und todbringenden Wirkung der Quelle bei Nonarcis sowie Identifizierung mit dem Styx vgl. Plin., Nat. hist. II 231. Tertullian rekurriert auch in Anim. 50,3 auf dieses mit dieser Quelle verbundene Ereignis. 61 Vgl. auch dazu Plin., Nat. hist. II 230; Ov., Met. XV 329; Sen., Nat III 20,6. Tertullian rekurriert darauf auch in Anim. 50,3. 62 Vgl. Ov., Met. IV 271–288. Dagegen verneint Vitruv, dass diese Quelle Auswirkungen auf die Geschlechtlichkeit habe (II 8,12). 63 Vgl. Ov., Met. IV 285–287: quare [...] Salmacis enervet tactosque remolliat artus, discite; 385 f. 64 Die Stellung etiam caelestes imbres geht auf Kroymann zurück, dem Marastoni, Fredouille und Tommasi Moreschini folgen. In der Tat ist ein Anschluss zu Satzbeginn zum Verständnis des Inhalts hilfreich. Zugleich betont die eigentlich tradierte Stellung von etiam (et nos in cisternis etiam ...) die Polemik Tertullians, die den mythologischen Sachverhält auf die eigene Welt der Leser überträgt (so auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 133 Anm. 7).
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destitutionis ridebat interdum, qua conspecti65 Christi recordans: eodem gaudii risu lumen effulsit!
Die Polemik zur Vielfalt der Tränen Achamoths (15,3) steigert Tertullian. Lautmalerisch lässt er anklingen, dass sie „sogar himmlische Regen unter Wimmern strömen ließ“ (etiam caelestes imbres pipiavit Achamoth),66 die Tertullian ironisch mit dem in Zisternen gesammelten Wasser identifiziert. So kann er in der 1. Person Plural inklusiv konkludieren, dass in den Zisternen nichts anderes als „fremde Trauer und Tränen“ (alienos luctus et lacrimas) – die Alliteration verstärkt die Emotionen – aufbewaht werden (in cisternis servare).67 Analog zur flüssigen Substanz würden die Valentinianer die „körperlichen Elemente“ (corporalia elementa) 68 aus Achamoths Emotionen der „Bestürzung“ (ex consternatio; vgl. 14,4) und „Angst“ (pavorer; vgl. 10,3) „ableiten“ (ducere). Im Lateinischen bilden die beiden Termini consternatio und pavor ein Hendiadyoin. 69 Dass Achamoth neben Tränen und traurigen Emotionen dennoch auch lachte, betont Tertullian abschließend (et tamen) polemisch. Paradox stilisiert er Achamoths Lachen durch die betonende Ausmalung der Umstände „in der sie umgebenden Einsamkeit“ (in tanta circumstantia solitudinis) „angesichts ihrer Verlassenheit“ (in tanto circumspectu destitutionis) nicht als ein freudiges Lachen. Die Gleichheit der Präfixe (circumstantia, circumspectu) steigert dies sprachlich. Allerdings lachte Achamoth nur „manchmal“ (interdum), wie Tertullian feinsinnig betont.70 Ausgelöst wird dieses durch die Erinnerung an Christus, „den sie erblickt hatte“ (qua conspecti Christi recordans). 71 Übertragen deutet Tertullian dieses Verlangen Achamoths nach 65 Conspecti findet sich in der handschriftlichen Überlieferung (CSEL 47, 195,4 KROYMANN = CChr.SL 2, 766,4). Fredouille tilgt den Terminus mit Verweis auf logische Gründe sowie eine Dittographie zu circumspectu (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 284 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 287 Anm. 242). Zur Argumentation s.u. den Kommentar. 66 Pipiare findet sich je nach Bewertung der handschriftlichen Überlieferung noch in Mon. 16,5 sowie bei Catul. 3,10. Vgl. dazu TLL Art. pipiare X/1 2189,54–61 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 284; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 287 Anm. 240. 67 Zum archäologischen Nachweis von Zisternen im gesamten Stadtgebiet Karthagos vgl. SCHÖLLGEN, Ecclesia sordida?, 64. 68 Vgl. τὰ σωματικὰ στοιχεῖα bei Irenäus (Adv. Haer. I 4,2); die erste lateinische Übersetzung dieses terminus technicus findet sich an dieser Stelle. 69 Vgl. TLL Art. pavor X/1 839,5–8; 840,54–57; Art. consternatio IV/0 508,1 f. 70 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 4,2: ἀπὸ δὲ τοῦ γέλωτος, τὴν φωτεινήν· 71 Mit Verweis auf logische Gründe sowie eine Dittographie (mit circumspectu) tilgen Fredouille und Tommasi Moreschini das Genitiv Partizip conspecti (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 284 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 287 Anm. 242). Allerdings spricht dagegen nicht nur der handschriftliche Befund, sondern auch die auf logischer und stilistischer Ebene vorgebrachten Gründe lassen sich anders deuten.
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Christus, der für sie bisher unsichtbar gewirkt hat (vgl. 14,3) und dessen sie dennoch gewahr wird, mit dem Sinnesorgan des Auges. Nicht Christus, aber das ihn umgebende Licht des Pleromas hat sie erblickt und reagiert mit Lachen, sodass Tertullian ausmalt, dass „mit demselben Lachen vor Freude ein Licht geschimmert hat“ (eodem gaudii risu lumen effulsit).72 (15,5) Cuius hoc providentiae beneficium, quale 73 illam ridere cogebat, idcirco, ne semper nos in tenebris moraremur? Nec obstupescas: quin laetitia eius tam splendidum elementum radiaverit mundo, cum maestitia quoque eius tam necessarium instrumentum defuderit saeculo? O risum illuminatorem! o fletum rigatorem! Et tamen poterat remedio iam agere cum illius loci horrore. Omnem enim obscuritatem eius discussisset, quotiens ridere voluisset, vel ne74 cogeretur desertores suos supplicare.
Abschließend fragt Tertullian polemisch und formuliert mit einem Hyperbaton, um seine Aussage größtmöglichst auch rhetorisch zu karikieren, „welche Vorsehung ein solches Geschenk gibt, das jene zu lachen zwang“ (cuius hoc providentiae beneficium, quale ilam ridere cogebat)75. Mit einem terminus technicus der stoischen Philosophie verbindet er die Kausalvorstellung des geordneten Kosmos durch die Vorsehung Gottes mit dem Lachen Achamoths im valentinianischen Mythos. Damit parallelisiert Tertullian auch Achamoths Lachen angesichts ihrer Umstände (15,4), die Tertullian als beneficium der providentia deutet; dieses Lachen unterliegt einer ähnlichen Restriktion, wie dasjenige, das Tertullian seiner Leserschaft als Reaktion auf die Lektüre des dargebotenen, valentinianischen Stoffes vorhersagt. Die folgende finale Weiterführung des Gedankens karikiert die Deutung vollends, indem Tertullian das Lachen Achamoths, das er als durch Vorsehung existent bestimmt, lediglich in einer einzigen Zweckbestimmung engführt (idcirco). Tertullian führt die ätiologische Erklärung der Valentinianer zur Entstehung des Lichts – „damit wir nicht für immer in Finsternis verbleiben?“ (ne semper nos in tenebris moraremur) – ad absurdum, indem er diese Deutung erneut auf seine eigene Realität
Vgl. auch die Interpretation von CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 135 Anm. 9. Die Interpunktion ist strittig: Kroymann liest: Cuius hoc? Providentiae? Beneficium quale! Der Paterniacensis und in seiner Folge einige Editionen (Riley, Fredouille, Tommasi Moreschini, Chiapparini und Lukas) lesen quae. Allerdings belegt der weitere handschriftliche Befund das qualitative Relativprononem, das beibehalten wird und sich auf beneficium rückbezieht (während sich quae auf providentiae beziehen würde). Fredouille interpunktiert dagegen: Cuius hoc providentiae beneficium, quae illam ridere cogebat? Idcirco ne semper nos in tenebri moraremus? Nec obstupercas [...] (vgl. DERS., Valentiniana, 65; DERS., Contre les Valentiniens, 285). Dagegen ist vorliegende Interpunktion vorzuschlagen, die den Satz nec obstupercas [...] als direkte Antwort im tertullianischen Stil deutet, indem er seine Leserschaft rhetorisch miteinbezieht, ohne dass er zuvor selbst eine Antwort gegeben hat. 74 Zur Interpunktion vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 65. 75 Mit providentia greift Tertullian einen terminus technicus der stoischen Philosophie auf, vgl. zu Tertullians Rezeption des Terminus FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 285 sowie BRAUN, Deus christianorum, 136 f. 72
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überträgt (1. Person Plural) und ex negativo von der ihn und die Christen um ihn umgebenden Dunkelheit ausgeht und damit das mit dem Licht verbundene Sein im Pleroma gegenüber dem Sein in Finsternis außerhalb dessen aufnimmt. Auch die folgende Antwort auf die rhetorische Frage verdeutlicht Tertullians Ironie, indem er seiner Leserschaft in direkter Anrede rät, nicht ins Staunen zu geraten (nec obstupescas)76. Um dies zu unterstreichen, malt er in einer weiteren rhetorischen Frage, die den Fokus auf die Glaubwürdigkeit legt, diese beiden valentinianischen Erklärungen zur Entstehung des Lichts und des Wassers parallelisierend, versinnbildlichend nach und mündet in zwei Ausrufe: Unter Bedingung, der Tertullian in 15,3 f. ausführlich polemisch nachgegangen ist, dass Achamoths Tränen die Existenz der Vielfalt an Wasser in der Welt begründet, dass also „ihre Traurigkeit ein so unentbehrliches Werkzeug für unsere Welt vergossen haben soll“ (cum maestitia quoque eius tam necessarium instrumentum defuderit saeculo), könne die Deutung, dass Achamoths Lachen die Existenz des Lichts begründet, nicht weniger glaubwürdig sein. Denn „warum sollte ihre Freude nicht ein so glänzendes Element in die Welt ausgestrahlt haben“ (quin laetitia eius tam splendidum elementum radiaverit mundo)? 77 Diese Frage mündet in die beiden parallel gestalteten Ausrufe: „Oh, Du erleuchtendes Lachen! Oh, Du bewässerndes Weinen!“ (O risum illuminatorem! o fletum rigatorem!). Mit den beiden Neubildungen illuminator78 und rigator79 unterstreicht Tertullian seinen sarkastischen Tonfall. Vgl. auch die drei weiteren Verwendungen, jeweils mit ironischem Tonfall (Carn. Christ. 9,5; Adv. Marc. IV 13,1; 39,9). 77 Maestitia und laetita bilden ein Gegensatzpaar, mundo und saeculo sind hier synonym zu verstehen, elementum verweist auf das Licht (vgl. TLL Art. elementum V/2 347,8; die Zuordnung von lumen zu den Elementen ist ungewöhnlich; Tertullian kennt die gewöhnliche Zuodnung von ignis in Adv. Marc. IV 29,13, ordnet allerdings auch terra als elementum ein in Resurr. 6,5; 26,6; Adv. Herm. 25,5 oder aqua in Bapt. 3,1), während instrumentum an dieser Stelle weniger „Schmuck“ bedeutet, sondern vielmehr als „Werkzeug“ auf das Wasser als Lebenselement hinweist (vgl. allerdings zur Bezeichnung des „Schmucks der Erde“ durch Gottes Schöpfung in Spect. 2,2 auch BRAUN, Deus christianorum, 463–472). 78 Illuminator bildet Tertullian bereits in Apol. 21,7 im Kontext des heilsgeschichtlichen Abrisses: Christus ist auch als „Erleuchter des Menschengeschlechts“ (illuminator generis humani) gekommen. Diese Deutung findet sich später in Adv. Marc. wieder. Neben seiner Funktion als Heilsbringer für die Nichtchristen (IV 7,4; 25,5) ist Jesus als illuminator antiquitatum der Ausleger der alttestamentlichen Schriften, wie Tertullian mit einer Anspielung auf Jer 11,19 gegen Markions Interpretation anführt (IV 40,4). Allerdings verwendet Tertullian diesen Terminus auch polemisch wie im vorliegenden Kontext: Er kann Markions Gott als illuminator novae tantaeque religionis (IV 17,13) bezeichnen, pagane Autoren gerade ironisch attackieren als illuminatores rei, weil sie Dinge verdunkeln (Cor. 7,4), oder auch Paulus als Lehrer des Lukas so bezeichnen (Adv. Marc. IV 2,5). Zur Begriffsgeschiche vgl. WELLSTEIN, Nova Verba, 183 f.; TLL Art. illuminator VII/1 390,78–391,17. 79 Rigator findet sich zuerst an dieser Stelle. Wellstein argumentiert dafür, dass der Terminus, der bei weiterem Vorkommen vornehmlich den gießenden Gärtner meint, ursprünglich in der Landwirtschaft beheimatet war (vgl. DERS., Nova Verba, 320). 76
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Unter Annahme dieser beiden valentinianischen Erklärungen polemisiert Tertullian erneut, indem er Achamoths Emotionen mit ihrem Ergehen korrelieren lässt und ihr eine gewisse Handlungsfähigkeit zuschreibt. Ihre emotionale Fähigkeit deutet er als „Gegenmittel“ (remedium), mit dem sie das „Entsetzen jenes Ortes hätte umgehen können“ (poterat agere cum illius loci horrore). Auf dem Hintergrund des impliziten Vergleichs mit der Menge und Vielfalt an Tränen der Trauer nimmt Tertullian eine ähnliche Fähigkeit zur Freude an. Indem er ein voluntatives Moment einzeichnet (quotiens ridere voluisset), schreibt er Achamoth die Möglichkeit zu, mit ihrem Lachen „die ganze Dunkelheit vertreiben zu können“ (omnem enim obscuritatem eius discussisset)80. Dann hätte sie auch keiner Hilfe anderer bedurft, denen sie sich im folgenden mythologischen Geschehen zuwendet. Nicht nur die Formulierung, dass Achamoth sich denen zuwendet, „die sie verlassen haben“ (vel ne cogeretur desertores suos supplicare), markiert das von Tertullian wahrgenommene Paradox, sondern auch die stilisierte Hilflosigkeit, derer Tertullian sie angesichts ihres Vermögens zu lachen zuvor scheinbar überführt. 6.2.3. Adv. Val. 16–17: Die Entstehung von Materie (16,1) Convertitur enim ad preces et ipsa more materno. Sed Christus, quem iam pigebat extra pleroma proficisci, vicarium praeficit Paracletum Soterem: hic erit Iesus, largito ei patre universorum aeonum summam potestatem subiciendis eis81 omnibus, uti in ipso secundum apostolum omnia conderentur; ad eam emittit cum officio atque comitatu coaetaneorum angelorum, credas et cum duodecim fascibus.
Es folgt die Ausdeutung des dritten Vermögens Achamoths, nämlich „die Hinwendung zu Christus“ (conversio in Christum; 14,4). „Sie wendet sich auch selbst zum Gebet“ (convertitur enim ad preces et ipsa) und nimmt damit den „mütterlichen Brauch“ (more materno) auf, wie Tertullian polemisch konstatiert und rhetorisch paronomastisch hervorhebt und damit auf das Handeln Sophias im Pleroma anspielt (vgl. 10,2).82 Der Adressat ihrer Hinwendung Christus „setzt als Stellvertreter den Paraklet Soter ein“ (vicarium praeficit
Tertullian wechselt den Terminus für Finsternis: Beide Termini kommen nur an dieser Stelle in der Schrift vor. Während tenebrae für Tertullian gemeinhin der geläufige Terminus ist (vgl. CLAESSON, Index Tertullianeus, 1626), findet sich obscuritas fünfmal in seinem Werk: Apol. 22,6; Praescr. 14,1; Adv. Marc. IV 25,3; Resurr. 63,7. 81 So überliefern die Handschriften; eine Tilgung aus inhaltlichen Gründen befürworten Fredouille und Tommasi Moreschini, während Chiapparini – allerdings mit Verweis auf den irenäischen Text – eine adjektivische Interpretation von eis in Bezug auf omnibus präferiert, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 287 f.; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 140 Anm. 8; Lukas argumentiert für eine Änderung zu ei (d.h. Jesus). 82 Irenäus überliefert bereits an dieser Stelle die Bezeichnung Mutter für Achamoth (Adv. Haer. I 4,5). Tertullian nutzt erst in 21,2 diese Bezeichnung für Achamoth, die zugleich auch Sophia heißt, vgl. dazu den Kommentar zur Stelle sowie auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 169. 80
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Paracletum Soterem). Tertullian übernimmt Irenäus’ Deutung und begründet diesen Vorgang mit Kenntnis des emotionalen Ergehens Christi selbst: Diesen würde es „bereits reuen, nach außerhalb des Pleromas aufgebrochen zu sein“ (quem iam pigebat extra pleroma proficisci) und alle Entwicklungen in Gang gesetzt zu haben (vgl. 14,1).83 Der Paraklet-Soter ist niemand anderes als Jesus (hic erit Iesus), der bereits im Kontext seiner Emanation im Pleroma den Beinamen Soter trägt (vgl. 12,4). Auch Christus wird Jesus in 12,4 als Beinamen gegeben; christologisch deutet Tertullian diese Doppelheit im vicarius-Gedanken.84 Jesus ist derjenige, „dem der Vater aller Äonen die höchste Macht geschenkt hat über alle diese Dinge, die ihm unterworfen wurden, sodass in ihm selbst gemäß dem Apostel alles geschaffen wurde“ (largito ei Patre universorum aeonum summam potestatem subiciendis eis omnibus, uti in ipso secundum apostolum omnia conderentur).85 Wird der Vater mit Blick auf alle Äonen näherbestimmt, findet sich an dieser Stelle die mythologische Erklärung zur Schöpfungsmittlerschaft Christi, dem der Machtbereich außerhalb des Pleromas übertragen wird. Er ist die demiurgisch wirkende Kraft. Dies wird mit einem Rekurs auf ein Zitat von Paulus (vgl. bereits 2,3) – dahinter steht Kol 1,16, das bei Irenäus zitiert wird – belegt.86 Jesus wird nicht allein zu Achamoth gesandt, sondern „unter Ehrengeleit und Begleitung der gleichaltrigen Engel zu ihr entsandt“ (ad eam emittit cum officio atque comitatu coaetaneorum angelorum). Wie im Pleroma begleiten Jesus die zeitgleich emanierten Engel (vgl. 12,5), die daher „gleichaltrig“ Vgl. die Formulierung im Konjunktiv bei Irenäus, die eine eigene Polemik seinerseits vermuten lässt (Adv. Haer. I 4,5). 84 Vicarius nutzt Tertullian auch im trinitarischen Kontext; Jesus und Christus können nicht getrennt werden. Vgl. z.B. Adv. Marc. III 6,7 (SC 399, 82,58 f. BRAUN): Christum dominum, qui ab initio vicarius patris in dei nomine. Terminologisch differenziert er nicht zwischen abgelehnter häretischer und eigener christlicher Lehre. Vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 169. 85 Vgl. die irenäische Überlieferung in Adv. Haer. I 4,5 (72,441–73,444): τουτέστι τὸν Σωτῆρα, ἐνδόντος αὐτῷ πᾶσαν τὴν δύναμιν τοῦ Πατρὸς καὶ πάντα ὑπ’ ἐξουσίαν παραδόντος καὶ τῶν Αἰώνων δὲ ὁμοίως, ὅπως «ἐν αὐτῷ τὰ πάντα κτισθῇ [...]». Zur Interpretation des tertullianischen Texts vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 140 Anm. 8. 86 Vgl. auch die Rezeption von Kol 1,16 in Clem., Exc. Thdt. 43,2. Tertullian zitiert den Vers als Beleg für Christi Präexistenz (z.B. Apol. 21,17; Prax. 7,1) sowie die christologische Interpretation der alttestamentlich fundierten Vorstellung der Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft Sophias (vgl. Spr 8,22–30 mit Aufnahme z.B. in Adv. Prax. 6,1.3, um diese in 7,1 christologisch zu deuten, oder in Adv. Herm. 18). Schöpfer (conditor) des gesamten Universums ist Gott, der diese Schöpfung durch seinen Sohn gewirkt hat (vgl. die regula fidei in Praescr. 13; Virg. Vel. 1; Adv. Prax. 2,1; sowie z.B. Apol. 18,2; Spect. 2,4; Adv. Marc. II 2,1; IV 17,5; V 18,3 und zur Verwendung von condere vgl. auch BRAUN, Deus christianorum, 350–352). 83
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(coaetaneus)87 sind. Den Terminus sagellites aus 12,5 umschreibt Tertullian an dieser Stelle mit dem Hendiadyoin cum officio atque comitatu.88 Dies mündet in ein tertullianisches Bild, das die Erscheinung Jesu unter Ehrengeleit der Engel in direkter Anrede in die Lebenswelt seiner Leserschaft überträgt und ein Herrschaftssymbol assoziiert. Tertullian evoziert – „du könntest glauben, mit zwölf Rutenbündeln“ (credas et cum duodecim fascibus) – bei seiner Leserschaft die Assoziation an die römische Magistralgewalt; Liktoren trugen das Rutenbündel als Zeichen der römischen Magistralgewalt, in dem ein Beil steckte, ihren Machthabern voran.89 (16,2) Ibidem adventu pompatico eius concussa, Achamoth protinus velamentum sibi obduxit ex officio primo venerationis et verecundiae; dehinc contemplatur eum fructiferumque suggestum. Quibus inde conceperat viribus occurit illi κύριε χαῖρε90. Hic, opinor, susceptam ille confirmat atque conformat agnitione iam et ab omnibus iniuriis passionis expumicat non eadem neglegentia in exterminium discretis quam acciderat in casibus matris.
Entsprechend der herrschaftlichen Insignien, die Tertullian evoziert, inszeniert er Jesu Ankunft mit der Gefolgschaft seiner Engel außerhalb des Pleromas bei Achamoth als „pompös“ (pompatico adventu)91, die Achamoth regelrecht „erschüttert“ (concutere). Diese „bedeckt sich sofort mit einem Schleier“ (Achamoth protinus velamentum sibi obduxit). Im Hintergrund der valentinianischen Lehre lässt sich die paulinische Mahnung annehmen, nach der sich die Frau in der Gemeinde mit einem Schleier wegen der Engel bedecken soll (1Kor 11,10).92 Daran anschließend fügt Tertullian Scham als Grund der Verschleierung an und verstärkt rhetorisch mit der Alliteration das Hendiadyoin zum Ausdruck der „obersten Pflicht“, die in hochachtender Ehrfurcht vor der Erscheinung Jesu und seiner Gefolgschaft besteht (ex officio primo venerationis et verecundiae).93 In ihrer Verschleierung betrachtet Achamoth Jesus ungeniert, „lässt ihre Blicke über ihn und seine fruchtbare Gefolgschaft schweifen“ (dehinc Eine ähnliche Notiz macht auch Iren., Adv. Haer. I 4,5. Zu officium vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 288. 89 Vgl. TLL Art. fasces VI/1 302,76. Tertullian rekurriert häufiger auf dieses Insignium (z.B. Idol. 18,3.7; Ieun. 16,5; Ad Nat. II 17,5; Apol. 25,7). 90 Die Handschriften überliefern quiriae chaere. Zur Rückübersetzung ins Griechische vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 142 Anm. 10. 91 Vgl. dazu auch TLL Art. pompaticus X/1 2598,16–18 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 288. 92 Irenäus’ Wiedergabe der valentinianischen Bibelexegese verweist zudem auf Moses, der sein Haupt bedeckte, wenn er mit den Israeliten redete, damit sie den Glanz seines Gesichtes nach seiner Gottesbegegnung im Bundeszelt nicht sahen (Ex 34,33–35; 2Kor 3,13), als eine Motivation Achamoths, sich mit dem Schleier aus Scham zu bedecken (Adv. Haer. I 8,2). Die Exc. Thdt. rekurrieren auf das paulinische Gebot 1Kor 11,10 (vgl. Exc. Thd. 44,2). 93 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 4,5. 87
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contemplatur eum fructiferumque suggestum). Ironisch bezieht Tertullian das Adjektiv fructifer auf die Vielzahl der Engelschar, die Jesu Gefolgschaft (suggestum)94 bilden,95 und deren Fruchtbarkeit Achamoth in ihrem Anblick Kräfte verleiht (quibus inde conceperat viribus). Daraus entsteht eine Begegnung. Achamoth geht Jesus entgegen und begrüßt ihn mit den Worten „Sei gegrüßt, Herr!“ (κύριε χαῖρε). Diese plastische Ausmalung und Zitation des griechischen Grußformulars geht auf Tertullians Kreativität zurück.96 Die Begegnung und erste Kraft-Verleihung allein durch den Anblick Jesu festigt Achamoth, die sich in der Verleihung der Gestalt der Erkenntnis niederschlägt (vgl. bereits forma substantiae in 14,1).97 Tertullian beschreibt das Ergebnis als „Aufnahme Achamoths“ durch Jesus (susceptam ille). Paronomastisch unterstreicht er die Gestaltwerdung der Erkenntnis nach als „Festigung und Gestaltung“ (confirmat atque conformat agnitione).98 Damit wird Achamoth von „allen Verwundungen der Leidenschaft befreit“ (et ab omnibus iniuriis passionis expumicat) und befähigt, um ihr folgendes Handeln zu wissen. Erneut markiert Tertullian plastisch die körperliche Verwundung, die Achamoth durch ihre Emotionen widerfahren sind und malt mit dem Neologismus expumicare diese Reinigung Achamoths von ihren Leidenschaften nach; diese werden mit einem Bimsstein (pumex), wie in der Körperpflege üblich, regelrecht abgeschrubbt.99 Abschließend lässt Tertullian erneut Achamoths Ergehen mit demjenigen ihrer Mutter Sophia korrelieren. Die Leidenschaften werden in dieser Aktion „nicht mit derselben Nachlässigkeit zur Zerstörung abgetrennt, wie es sich beim Fall der Mutter ereignet hatte“ (non eadem neglegentia in exterminium
94 Suggestum ist ein bei Tertullian sehr frei verwendeter Terminus, vgl. dazu R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 149; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 289; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 289 Anm. 251. 95 Irenäus hingegen berichtet davon, wie Achamoth Jesus „in seiner ganzen Fruchtbarkeit erblickt“ (Adv. Haer. I 4,5). 96 Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 289; TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 289 Anm. 252. Ob im Hintergrund eine biblische Anspielung, z.B. an Mt 26,49 oder mit politischem Titel Joh 12,21 steht, bleibt zu vermuten. 97 Als zweiter Schritt in der Errettung Achamoths erhält sie nun durch den von Christus geschickten Beistand die Gestalt der Erkenntnis, nachdem sie bereits durch Christus die „Gestalt der Substanz“ erhalten hat (14,1), die sie die Sehnsucht nach der Hinwendung zum Pleroma empfinden lässt (14,3), ohne dass sie diese stillen kann und dadurch in Emotionen von Trauer, Furcht, Bestürzung und Unwissenheit gerät (14,4). 98 Irenäus formuliert mit einer figura etymologica (Adv. Haer. I 4,5 [73,450 f.]): Κἀκεῖνον μορφῶσαι αὐτὴν μόρφωσιν τὴν κατὰ γνῶσιν. 99 Expumicare bildet ein Hapaxlegomenon, vgl. TLL Art. expumicare V/2 1813,7–10 und WELLSTEIN, Nova Verba, 113 f. Bei Irenäus findet sich die körperliche Deutung der Heilung von Leiden (Adv. Haer. I 4,5 [73,450–74,452]): καὶ ἴασιν τῶν παθῶν ποιήσασθαι αὐτῆς.
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discretis quam acciderat in casibus matris)100. Horos verbannte Sophias Leidenschaften lediglich außerhalb des Pleromas (10,4), sodass sich das weitere Geschehen und Ergehen Achamoths außerhalb des Wirkbereichs des Pleromas ereignen konnte. Mit in exterminium intendiert Tertullian nicht eine vollständige Zerstörung der Leidenschaften; diese erfahren vielmehr eine Transmutation durch das Wirken des Parakleten.101 (16,3) Sed enim exercitata vitia et usu viriosa confudit atque ita massaliter solidata defixit seorsum, in materiae incorporalem102 paraturam commutans ex incorporali passione, indita habilitate atque natura, qua pervenire mox posset in aemulas aequiperantias corpulentiarum, ut duplex substantiarum conditio ordinaretur, de vitiis pessima, de conversione passionalis. Haec erit materia, quae nos commisit cum Hermogene ceterisque qui deum ex materia, non ex nihilo, operatum cuncta praesumunt.
Aus Achamoths negativ beurteilten, von ihr abgetrennten Leidenschaften entsteht die „unkörperliche Materie“, die der Paraklet erst durch sein Wirken zu dieser „verwandelt“ (in materiae incorporalem paraturam).103 Ironisch charakterisiert Tertullian die abgetrennten Leidenschaften eindeutig pejorativ als „geübte und durch den Gebrauch gestärkte Fehler“ Achamoths (exercitata vitia et usu viriosa)104 und verweist auf ihre Empfindungen und emotionale Verstrickungen. Diese „vermischt“ der Paraklet nun „und hat sie, nachdem sie so in einer Masse verdichtet worden waren, gesondert gefestigt“ (confudit atque ita massaliter solidata defixit seorsum). Mit dieser „zur Masse verdichteten“ (massaliter solidata) Leidenschaft entsteht die ‚Masse‘ des noch unkörperlichen ‚Materials‘ der Welt; der neu gebildete Terminus massaliter zeichnet diese Verdichtung geradezu lautmalerisch nach.105 100 Exterminium ist ein Neologismus Tertullians, der diesen möglicherweise auf biblischer Grundlage bildet, vgl. TLL Art. exterminium V/2 2012,22. 101 Irenäus schreibt davon, dass der Paraklet die Leidenschaften „nicht aus seinen Augen verlor“ (Adv. Haer. I 4,5 [74,452]: μὴ ἀμελήσαντα δὲ αὐτῶν). 102 Die Handschriften lesen corporalem; Fredouille, Riley und Tommasi Moreschini ändern aufgrund der Logik des Mythos zu incorporalem. Die Lesart der Handschriften lässt sich leicht als Lese- bzw. Verständnisfehler deuten. Vgl. dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 66 (gegen MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 171 f.). 103 Zur Differenz zum mittelplatonischen Modell vgl. A LAND, Der gnostische Mythos, 272 f.; zu neupythagoreischen Parallelen der valentinianischen Lehre vgl. THOMASSEN, EINAR, The Derivation of Matter in Monistic Gnosticism, in: John D. Turner/Ruth Majercik (Hg.), Gnosticism and Later Platonism. Themes, Figures, and Texts (SBL. Symposium Series 12), Atlanta: Society of Biblical Literature 2000, 1–17. 104 Viriosa bildet einen sehr seltenen Terminus, den vor Tertullian, der ihn ein zweites Mal in Anim. 19,4 verwendet, lediglich Apuleius gebraucht (Met. VII 18; IX 14). Vgl. Iren., Adv. Haer. I 4,5 (74,453 f.): οὐ γὰρ ἦν δυνατὸν ἀφανισθῆναι ὡς τὰ τῆς προτέρας, διὰ τὸ ἑκτικὰ ἤδη καὶ δυνατὰ εἶναι· 105 Das Adverb massaliter bildet einen Neologismus Tertullians, den er lediglich ein zweites Mal in Fug. 13,3 zum steigernden Ausdruck für „Massen an Gemeinden“ verwendet (massaliter totae ecclesiae tributum sibi irrogaverunt. [CChr.SL 2, 1154,37 THIERRY]); vgl.
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Den Prozess der Verdichtung der „unkörperlichen Leidenschaft“ zum „unkörperlichen Stoff der Materie“ (in materiae incorporalem paraturam commutans ex incorporali passione)106 karikiert Tertullian, indem er erneut eine Emotionalität einträgt und implizit an den Urspung dieser Materie aus den Leidenschaften Achamoths erinnert: Der Paraklet verleihe dieser unkörperlichen Leidenschaft „Tauglichkeit und Natur“ (habilitate atque natura)107, durch die sie nach Tertullian „bald zu eifersüchtigen und gleichgemachten Körperlichkeiten gelangen könnte“ (pervenire mox posset in aemulas aequiperantias corpulentiarum).108 Rhetorisch verdeutlicht er diesen Übergang der Materie in die Körperlichkeit sowohl mit der Alliteration (aemulas aequiperantias) als auch mit dem Hapaxlegomenon aequiperantias sowie mit der ungewöhnlicheren Konstruktion, die mit einem abstrakten Substantiv anstelle des Adjektivs (aequiperantias) formuliert.109 Resultat bildet die Anlage einer „doppelten Beschaffenheit der Substanzen“ (ut duplex substantiarum conditio ordinaretur). Der ontologische Status der Substanz ist zweifach, insofern nach valentinianischer Vorstellung „von den Fehlern das Schlechteste“ (de vitiis pessima), also aus den Leidenschaften Achamoths die schlechte Materie (vgl. 14,4), und „von der Hinwendung das Empfindsame“ (de conversione passionalis)110, also aus der Sehnsucht nach Christus die seelische Materie stamme (vgl. 15,2). Tertullian kommentiert dies polemisch mit einem Verweis auf Hermogenes.111 Ausgehend vom Terminus materia, mit dem er hier spielt, parallelisiert TLL Art. massaliter VIII/0 431,55–59. Auch das Adjektiv massalis bildet Tertullian mit lediglich zwei Vorkommen neu (Adv. Herm. 30,1; Adv. Marc. IV 18,4). Vgl. dazu auch WELLSTEIN, Nova Verba, 114. 106 Zur Konstruktion von commutare + ex + in, vgl. Cic., Fat. 17. Paratura bildet einen gern verwendeten Neologismus Tertullians, vgl. TLL Art. paratura X/1 320,55–60. Vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 143 f. Anm. 3 zur irenäischen Darstellung. 107 Zu habilitas vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 290. 108 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 4,5 (74,457 f.): εἶθ’ οὕτως ἐπιτηδειότητα καὶ φύσιν ἐμπεποιηκέναι αὐτοῖς, ὥστε εἰς συγκρίματα καὶ σώματα ἐλθεῖν. 109 Vgl. TLL Art. aequiperantia I/0 1011,57 f. sowie bereits die Bildung und Nutzung von aequipero in Adv. Val. 8,1. Corpulentia nutzt Tertullian vornehmlich äquivalent zu corporalitas (vgl. TLL Art. corpulentia IV/0 998,21). Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 290 Anm. 257; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 290 f. sowie in vergleichender Perspektive mit Irenäus WELLSTEIN, Nova Verba, 114. 110 Passionalis bildet einen Neologismus Tertullians, den er bereits im Kontext seiner Schrift Test. Anim. gebildet hat (vgl. 4,1 in Verbindung mit caro als notwendiges Komplement zur Seele sowie 2,3), vgl. TLL Art. passionalis X/1 622,19 f. Wellstein deutet die Neubildung als Möglichkeit, die Bedeutungsnuance der Leidensfähigkeit im eigentlich gebräuchlichen Terminus passibilis zu vermeiden (vgl. DERS., Nova Verba, 114 f.). 111 Irenäus referiert an dieser Stelle konkludierend die demiurgische Tätigkeit des Parakleten (Adv. Haer. I 4,5 [74,460–75,461]): καὶ διὰ τοῦτο δυνάμει τὸν Σωτῆρα δεδημιουργηκέναι φάσκουσι.
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er die vorliegende Lehre mit derjenigen des Hermogenes, indem er die Deutungen von Materie miteinander identifiziert. Tertullians Schrift gegen den Maler Hermogenes und seine Lehre ist vermutlich bereits verfasst, wenn Tertullian nicht auf eine andere Begebenheit anspielt (quae nos commisit cum Hermogene ceterisque).112 Tertullian wirft Hermogenes die Lehre einer ungeschaffenen, präexistenten Materie vor, die mit Gott identifiziert würde und gegen eine creatio ex nihilo stünde; schließlich würden Hermogenes und seine Anhänger „anmaßend behaupten, dass Gott alles aus der Materie, nicht aus dem Nichts erschaffen habe“ (qui deum ex materia, non ex nihilo, operatum cuncta praesumunt).113 (17,1) Abhinc Achamoth, expedita tandem de malis omnibus, ecce iam proficit et in opera maiora frugescit. Prae gaudio enim tanti ex infelicitate successus concalefacta simulque contemplatione ipsa angelicorum luminum, ut ita dixerim, subfermentata – pudet, sed aliter exprimere non est – quodammodo subsuriit intra et ipsa in illos et conceptu statim intumuit spiritali ad imaginem ipsam, quam vi laetantis, ex laetitia prurientis intentionis imbiberat et sibi intimarat.
Achamoth, die nun die Gestalt nach der Substanz (14,1) und nach der Erkenntnis (16,2) erlangt hat und in diesem Zustand „endlich von allen Übeln befreit ist“ (expedita tandem de malis omnibus), ist zu eigenen Handlungen befähigt. Tertullian beschreibt dies als eine von ihr ausgehende Bewegung, zu der sie freigesetzt ist (abhinc ecce iam proficit)114 und auf die er seine Leserschaft besonders aufmerksam macht (ecce). Im mythologischen Geschehen „trägt“ auch
Über den Maler Hermogenes (vgl. Adv. Herm. 1,2: pingit; 2,1: pessimus pictor) liegen wenige Informationen vor; diese lassen sich nur aus gegen ihn verfassten Werken eruieren. Zur Datierung vgl. CHAPOT, Tertullien. Contre Hermogène, 11–13 (terminus ante quem bildet vorliegende Notiz) sowie GRESCHAT, KATHARINA, Apelles und Hermogenes. Zwei theologische Lehrer des zweiten Jahrhunderts (Supplements to Vigiliae Christianae 48), Leiden/Boston/Köln: Brill 2000, 137–286. 113 In Adv. Herm. 23–25 setzt sich Tertullian intensiv mit Hermorgenes’ Vorstellungen zur materia im Kontext der Auslegung von Gen 1,2 auseinander. Hermogenes lehrt über die Erde: ‚invisibilis‘ autem et ‚rudis‘, quia informem et confusam et inconditam vult fuisse materiam (Adv. Herm. 23,1 [SC 439, 142,5–7 CHAPOT]). Dagegen gesteht Tertullian ein, dass die Materie existiert haben mag, aber Gott nichts aus dieser geschaffen habe (23,2). Hermogenes hingegen argumentiert, dass terra auch den Terminus materia impliziere, ohne dass die Heilige Schrift davon berichte (24); vielmehr lehre die Heilige Schrift duas terras: unam quam in principio deus facit [d.h. terra], aliam materiam ex qua fecit [d.h. materia als invisibilis et rudis terra; 25,1 {144,1–3}]. Die Bezeichnungen würden differieren: hanc quae facta sit ex illa ex qua facta est vocaulum derivasse (144,5 f.). Tertullian hingegen betont die Identität der gewordenen Materie mit dieser Erde (‚sed materia facta, id est haec terra, habuit cum sua origine consortium nominis, sicut et generis.‘; 25,3 [146,20 f.]). Zur Lehre des Hermogenes über die ungewordene Materie, wie sie Tertullian überliefert, vgl. CHAPOT, Tertullien. Contre Hermogène, 25–31 sowie GRESCHAT, Apelles und Hermogenes, 138–143. 114 Vgl. R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 150 mit Verweis auf 2Tim 3,13. 112
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Achamoth nun „Früchte in größere Werke“ (in opera maiora frugescit)115, was erneut mit der Fruchtbarkeitsmetaphorik beschrieben wird. Karikierend zeichnet Tertullian diesen Prozess überschwänglich mit erotisch-sexueller Semantik nach. Die Darstellung, die Irenäus – ebenfalls im Bild der Fruchtbarkeit und Geburt – überliefert, 116 stellt Tertullian in obszönes Licht, indem er die sexuelle Lüsternheit betont. In zwei parallel konstruierten Partizipien benennt Tertullian zwei Momente, die Achamoths Fortpflanzungstrieb erklären sollen. Auf der einen Seite deutet er Achamoths Errettung durch den Parakleten (vgl. 16,1 f.), die er emotional als ihre „Freude über den so glücklichen Ausweg aus ihrem Unglück“ (prae gaudio enim tanti ex infelicitate successus) ausdrückt, als „hitzige Erregung“ (concalefacta)117. Achamoths Errettung löst dann jedoch eine neue Emotion in ihr aus. Diese Freude karikiert Tertullian auf der anderen Seite degradierend lediglich als eine lustvolle Erregung, die zur Befruchtung allein „durch die Anschauung der engelgleichen Lichter“ (simulque contemplatione ipsa angelicorum luminum) 118 führt. Dadurch sei Achamoth „etwas aufgebläht“ (subfermentata)119, wie Tertullian mit dem Hapaxlegomenon und der einschränkenden Formel ut ita dixerim skizziert. Vor dem eigentlichen Hauptsatz und Ausmalung der Schwangerschaft nutzt Tertullian eine Parenthese für einen zweiten entschuldigenden Einschub für diese drastische Ausdrucksweise (pudet, sed aliter exprimere non est)120 und löst damit explizit die Ankündigung des Exordiums ein, dass die Inhalte der Lehre beschämend sein werden (vgl. z.B. 1,1). Ohne einen sexuellen Akt anzunehmen, umschreibt Tertullian eine ‚innerliche‘, pneumatische Befruchtung Achamoths; Achamoth „hat selbst gewissermaßen auch unmäßige sexuelle Begierde innen zu jenen gezeigt und ist sofort mit geistiger Leibesfrucht angeschwollen“ (quodammodo subsuriit intra et ipsa in illos et conceptu statim intumuit spiritali). Achamoths sexuelles Hingezogensein zu den Jesus begleitenden Engeln (illos) malt Tertullian sprachlich mit der Verwendung seltener Termini in der für ihn widernatürlichen Verwerflichkeit plastisch aus. 121 Mit dem Hapaxlegomenon subsuriit steigert Frugesco bildet einen Neologismus und äußerst selten verwendeten Terminus Tertullians, vgl. TLL Art. frugesco VI/1 1403,17–20 sowie WELLSTEIN, Nova Verba, 115. 116 Vgl. Adv. Haer. I 4,5 (75,464 f.): καὶ ἐγκισσήσασαν αὐτοὺς, κεκυηκέναι καρποὺς κατὰ τὴν εἰκόνα διδάσκουσι. 117 Vgl. TLL Art. concalefacta IV/0 3,83 f. Der hier verwendete metaphorische Sinn findet sich auch bei Irenäus in der Darstellung der Lehre der Markosier, Adv. Haer. I 13,3. 118 Licht gilt auch biblisch als Epitheton der Engel (Apg 12,7; 2Kor 11,4) und ist im valentinianischen Mythos mit dem Pleroma verbunden (vgl. Adv. Val. 14,1). 119 Vgl. TLL Art. fermento VI/1 525,74 f.; W ELLSTEIN, Nova Verba, 116; M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 173 f. 120 Irenäus verweist an dieser Stelle nüchtern darauf, dass „sie lehren“ (Adv. Haer. I 4,5). 121 Ähnlich agiert z.B. Epiphanius, der in der Darstellung und Widerlegung der Borboriten den seiner Meinung nach obszönen Teil ihrer Lehre und ihres Handelns äußerst 115
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Tertullian das Moment des Schwanger-Werdens in die Obszönität hinein.122 Die Sichtbarkeit der „geistigen Leibesfrucht“ (spiritali conceptu)123, die Achamoth „sofort“ (statim) ohne Unsicherheit empfängt, deutet er als ein körperliches „Anschwellen“ (intumuit)124. Die Leibesfrucht wird nach valentinianischer Lehre näherbestimmt als „nach jenem Bild, das sie durch die Kraft der Freude, voll Freude lüsterner Anspannung eingesogen und sich einverleibt hat“ (ad imaginem ipsam, quam vi laetantis, ex laetitia prurientis intentionis imbiberat et sibi intimarat). Die pneumatische Leibesfrucht ist „nach dem Bild der Engel“ enstanden. Karikierend bestimmt Tertullian den Zeugungsakt selbst und die sexuelle, lüsterne Anziehungskraft näher. Mit der konkretisierenden Wiederholung des Wortstamms (laeta*), das zum einen die aktive Komponente der Freude ausdrückt und zum anderen diese Freude näher bestimmt als „Freude lüsterner Anspannung“, nutzt Tertullian das gleiche Vorgehen wie im vorderen Satz, wenn die Freude (gaudium) erst auf den zweiten Blick auf die sexuelle Begierde eng geführt wird. Tertullian mündet in tiefen Spott, was auf rhetorischer Ebene die Paronomasie von imbiberat und intimarat und semantisch die synonyme Verwendung anzeigt. (17,2) Peperit denique, et facta est exinde trinitas generum ex trinitate causarum, unum materiale, quod ex passione, aliud animale, quod ex conversione, tertium spiritale, quod ex imaginatione.
Achamoths Schwangerschaft mündet in die Geburtserzählung (peperit denique). Nach valentinianischer Vorstellung entstehen aus der dreifachen Ursache, die Achamoths Ergehen entspricht, drei Gattungen (et facta est exinde trinitas generum ex trinitate causarum).125 Aus Achamoths Leidenschaft, von detailreich schildert (Epiph., Pan. 26); vgl. dazu KINGREEN, SARAH-MAGDALENA, Art. Borboriani, in: David G. Hunter/Paul J. J. van Geest/Bert J. L. Peerbolte (Hg.), Brill Encyclopedia of Early Christianity Online, http://dx.doi.org/10.1163/25897993_eeco_SIM_00000477>. 122 Irenäus spielt mit dem Terminus ἐγκισσήσασαν auf Gen 30,38 f. an, wo die Schafe bereits durch den Anblick des Futters trächtig werden. Surire wiederum kann die sexuelle Erregnung bezeichnen, die Tertullian mit dem Präfix steigert. Letztendlich verbindet Tertullian beide Momente im neu gebildeten Terminus. Vgl. etwas anders WELLSTEIN, Nova Verba, 116. 123 Zur vorliegenden metaphorischen Bedeutung vgl. TLL Art. concipere IV/0 23,64 f. 124 Vgl. zur Bedeutung „schwanger werden“ TLL Art. intimuo VII/7 99,16. 125 Trinitas ist zuerst bei Tertullian belegt und zählt 18 Belege in seinem Œuvre. Dieser lateinisch selbstexplikative Terminus konnte ohne weitere Ausführungen eingeführt werden (anders agiert Tertullian z.B. beim Terminus monarchia in Adv. Prax. 3,2, den er sehr ausführlich erläutert). Die Nutzung des Terminus trinitas lässt sich bei Tertullian wie folgt nachzeichnen: Zum ersten Mal taucht trinitas um 203 nach Christus in Praescr. 7,3 in eindeutig valentinianischen Kontext auf, dies bestätigen die Vorkommen in Adv. Val. 17,2 sowie Anim. 21,4. In Anim. 16,4 kann Tertullian mit trinitas die „Dreiteilung“ der platonischen
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der sie durch den Parakleten befreit wurde (16,2), entsteht die materielle Gattung (unum materiale, quod ex passione). Achamoths Hinwendung zu Christus aus ihrer Sehnsucht (14,4) bildet die seelische Gattung (aliud animale, quod ex conversione). Die geistige Gattung entsteht aus der Vorstellungskraft (tertium spiritale, quod ex imaginatione), wie Tertullian parallel systematisiert und auf die durch den Anblick der Engel gezeugte Leibesfrucht anspielt (17,1).126 6.2.4. Adv. Val. 18–19: Die Gestaltung der drei Gattungen von Materie und des Demiurgen (18,1) Hac auctoritate trium scilicet liberorum agendis rebus exercitior facta, formare singula genera constituit. Sed spiritale quidem non ita potuit attingere, ut et ipsa spiritalis. Fere enim paria et consubstantiva in alterutrum valere societas naturae negavit.
Es folgt die Gestaltung der drei entstandenen Gattungen der Materie. Karikierend verbindet Tertullian die Entstehung der drei Gattungen des Irdisch-Materiellen, des Seelischen und des Geistigen, die in mythologischer Vorstellung Kinder Achamoths sind, mit dem unter Augustus erlassenen römischen Ehegesetz lex Iulia de maritandis ordinibus. Zur Förderung der Geburtenzahlen wurde die Ehepflicht nach dem ius (trium) liberorum an den Nachweis ehelich gezeugter Kinder gebunden und lediglich den verwitweten oder geschiedenen Männern und Frauen erlassen, die mindestens drei eheliche Kinder hatten.127 Tertullian stilisiert Achamoth als eine solche Mutter, deren „Ansehen durch ihre drei Kinder“ (hac auctoritate trium scilicet liberorum) begründet ist und der das Privileg der Ehefreiheit zukommen müsste. 128 Ironisch deutet Seelenlehre bezeichnen. Zudem nutzt er den Terminus zur Entwicklung seiner eigenen trinitätstheologischen Gedankenentwicklung, vgl. z.B. die systematische Kurzfassung seiner These der unitas in trinitatem in Adv. Prax. 2,4. Auch im zu einer ähnlichen Zeit anzusetzenden Werk Pud. verwendet Tertullian den Terminus in der theologischen Bedeutung für die innergöttliche Dreiheit (Pud. 21,16). Dieser Befund bestätigt, dass er trinitas als bereits geprägten Begriff im valentinianischen Lehr-Kontext vorgefunden und ins Lateinische übertragen hat und aus diesem Kontext rauslösen konnte, um diesen für seine eigene christliche Lehre fruchtbar zu machen (vgl. so auch BRAUN, Deus christianorum, 151–157; MOINGT, Théologie trinitaire III, 746; Wellsteins Argument, der mit Anim. 16,4 begründet, dass der Terminus nicht aus valentinianischer Prägung in Tertullians Sprache gekommen ist, bleibt unscharf [vgl. DERS., Nova Verba, 219 f.]). 126 Irenäus rekurriert deutlicher auf die mythologischen Ereignisse, die Tertullian hier parallel systematisiert (Adv. Haer. I 5,1 [76,468–471]): Τριῶν οὖν ἤδη τούτων ὑποκειμένων κατ’ αὐτοὺς, τοῦ μὲν ἐκ τοῦ πάθους, ὃ ἦν ὕλη, τοῦ δὲ ἐκ τῆς ἐπιστροφῆς, ὃ ἦν τὸ ψυχικόν, τοῦ δὲ ὃ ἀπεκύησεν, τουτέστιν τὸ πνευματικὸν. 127 Vgl. dazu M ANTHE, U LRICH, Lex Iulia et Papia, in: Der Neue Pauly 7 (1999), 121; KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 58.8, 337–339 sowie den Kommentar bei TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 292 Anm. 268; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 294; in Adv. Val. 31,1 rekurriert Tertullian direkt auf diesen Gesetzestext. 128 Vorliegende Übersetzung interpretiert den Genitiv trium liberorum als genitivus subjectivus und nimmt den politischen Sinn von auctoritas an; drei Kinder geben Achamoth das
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Tertullian die Zeugungs- und Geburtsvorstellung der drei Kinder als Vorübung (agendibus rebus exercitior facta) für die nun folgende Gestaltung der einzelnen Gattungen (formare singula genera constituit). Einschränkend formuliert er allerdings, dass Achamoth nicht die Fähigkeit besitze, die ihr wesensgleiche (consubstantiva)129 Materie, das Geistige weiter gestaltend zu „berühren“ (sed spiritale quidem non ita potuit attingere). Im Hintergrund deutet er das Prinzip, nach dem „gewöhnlich die Gemeinschaft der Natur verweigerte, dass gleiche und wesensgleiche Dinge Macht übereinander ausüben“ (Fere enim paria et consubstantiva in alterutrum valere societas naturae negavit). Dieses Prinzip schwingt bereits im polemischen, gegen Hermogenes gerichteten Kommentar mit (vgl. 16,3); schließlich kann Gott nach Tertullian nicht mit der Substanz identisch sein, die er schafft.130 (18,2) Eo animo se unum ad animale convertit, prolatis Soteris disciplinis. Et primum, quod cum magno horrore blasphemiae et pronuntiandum et legendum est et audiendum, deum fingit hunc nostrum et omnium praeter haereticorum, Patrem et Demiurgem et Regem universorum quae post illum. Ab illo enim, si tamen ab illo, et non ab ipsa potius Achamoth, a qua occulto nihil sentiens eius et velut sigillario extrinsecus ductu in omnem operationem movebatur.
Nachdem die weitere Gestaltung der geistigen Materie ausgeschlossen ist, „wandte sich Achamoth einzig der seelischen Gattung zu“ (se unum ad animal convertit), die ihren Ursprung in Achamoths Hinwendung zu Christus und seiner rettenden Zuwendung zu ihr in der Sendung des Parakleten hat (16,2). Tertullian hebt dies auch auf einer sprachlichen Ebene mit der Voranstellung der Redewendung eo animo, die den Terminus zur Bezeichnung der Seele in übertragener Bedeutung nutzt, hervor. Inhaltlich bezieht sich diese auf die Maxime, lediglich Gleiches mit Gleichem gestalten zu können (18,1); zugleich ist es Achamoths innerliche Erkenntnis (eo animo), die gerade seelischer Natur (animalis) ist. Die Gestaltung der seelischen Materie führt Achamoth einzig auf Ansehen und die Befähigung zu den folgenden Ereignissen. Wenn der Genitiv als genitivus objectivus interpretiert wird, könnte die Bedeutung auctoritas vom Wortstamm augere/auctor hergeleitet werden und „die Hervorbringung dreier Kinder“ bezeichnen. Der TLL belegt diese Bedeutung für auctoritas nicht. 129 Diese Neubildung geht auf Tertullian zurück. Chiapparini hat das griechische ὁμοούσιος bei Irenäus als Hinweis auf eine Verankerung der Lehre in trinitätstheologischen Diskussionen des 4. Jahrhunderts gedeutet (DERS., Valentino Gnostico, 47 mit 54 Anm. 26). Dagegen spricht die vorliegende Stelle bei Tertullian, die bereits vor den trinitätstheologischen Streitigkeiten diesen Terminus in der valentinianischen Lehre verwendet. Stead und Braun werten consubstantivus als einen gnostischen Terminus, der über Tertullians Rezeption in die weitere Tradition eingegangen ist (vgl. STEAD, Divine substance, 202–204; BRAUN, Deus christianorum, 199). Aufgrund dieser gnostischen Verwendung war die Verankerung dieses Terminus zur Klärung der trinitätstheologischen Fragen schwierig. 130 Hier findet sich bereits ein bei den Vorsokratikern belegter Gedanke, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 294.
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Grundlage der „Lehre des Soters“ (Soteris disciplinis) aus, nachdem diese ihr „bekannt gemacht worden war“ (prolatis).131 Akteur im Hintergrund ist der Soter, Achamoth führt das Vorgegebene aus (vgl. auch 19,1). Achamoth „bildet zuerst den Schöpfergott“ (et primum [...] deum fingit). Die Blasphemie, die für Tertullian in diesen Worten steckt – die Vorstellung der Erschaffung des präexistenten Schöpfers der Welt ist nicht nur auf einer sachlogischen Ebene unmöglich für ihn, theologisch markiert Tertullian dies auch in der Wahl seines Verbums –132 kommentiert er zunächst parenthetisch. Sowohl aus der rezipierenden Perspektive als auch aus derjenigen der aufklärenden Darstellung (pronuntiandum et legendum est et audiendum)133 ruft die valentinianische Vorstellung der Entstehung des Schöpfergottes „großes Entsetzen angesichts der Gotteslästerung“ (cum magno horrore blasphemiae) hervor. 134 Seinem Entsetzen verleiht Tertullian Nachdruck durch die folgende Identifizierung von deus. Es ist nämlich „dieser, unserer und aller außer der Häretiker Gott“ (deum [...] hunc nostrum et omnium praeter haereticorum). Tertullian überträgt erneut die Darstellung der Lehre auf die eigene Realität, in der er den Valentinianern eine Verbindung zum Schöpfergott, „unseren und aller Gott“ abspricht – ohne die Konsequenz weiterzuführen, wie die Existenz der Häretiker dann zu begründen ist.135 Die Identifikation fährt fort mit der 131 Bei Irenäus findet sich stattdessen der auf Achamoth bezogene terminus technicus der Hervorbringung (Adv. Haer. I 5,1): προβαλεῖν τε τὰ παρὰ τοῦ Σωτῆρος μαθήματα. Die Formulierung als ablativus absolutus mit Bezug auf Soteris disciplinis bei Tertullian lässt sich am ehesten temporal deuten. Vgl. mit weiteren valentinianischen Parallelen auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 177 sowie CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 149 Anm. 8. 132 Fingere ist synonym zu formare geprägt und von Tertullian als terminus technicus zur Schöpfung des Menschen verwendet (vgl. BRAUN, Deus christianorum, 399 f.). Im Kontext der valentinianischen Lehre schreibt Tertullian immer von formare/forma (entsprechend des griechischen μορφώ/μορφή), vgl. 7,7; 11,3; 12,2 f.; 14,1; 18,1; 27,3. Wenn Tertullian an dieser Stelle fingere in der Wiedergabe des Mythos verwendet, versinnbildlicht er auf theologischer Ebene das Entsetzen, das sich bei ihm einstellt, wenn berichtet wird, dass der Schöpfer der Welt selbst geschaffen oder gebildet wird. 133 Chiapparini deutet in dieser Dreistufigkeit den Beweis dafür, dass Tertullian mit Valentinianern in Karthago in direktem Kontakt gestanden hat (audiendum), ihre Lehre zugleich schriftlich vorliegen hatte (legendum), um diese schriftlich zu bekämpfen (pronuntiandum). Vgl. DERS., Valentino Gnostico, 151 Anm. 12. Diese Argumentation muss sehr vage bleiben und primär unter rhetorischer und weniger historischer Perspektive betrachtet werden. 134 Vgl. bereits die lokale Vorstellung von horror in Adv. Val. 15,5. 135 Fredouille sieht zugleich eine indirekte Abwertung der als häretisch klassifizierten Gottesvorstellung im Gegensatz zur römischen Gottesvorstellung des Pantheons. Denn „die Heiden glauben, indem sie nicht glauben“, und partizipieren an der natürlichen Gotteserkenntnis, „die Häretiker aber glauben nicht, indem sie glauben.“ (Carn. Christ. 15,4 [SC 216 274,31–33 MAHÉ]: Numquid enim inter illos distat nisi quod ethnici non credendo credunt, at haeretici credendo non credunt?). Vgl. bereits Adv. Val. 3,2. In den Gottesepitheta, die
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Näherbestimmung des Schöpfergottes als „Vater, Schöpfer und König von allen Dingen, die nach ihm entstanden sind“ (Patrem et Demiurgem et Regem universorum quae post illum). Tertullian formuliert mit der chronologischen Einordnung, während Irenäus eine Wesensaussage überliefert.136 Polemisch kommentiert Tertullian die Urheberschaft der Dinge und bezweifelt diese im gleichen Atemzug (ab illo enim, si tamen ab illo). Die elliptische Formulierung sowie der Einschub si tamen (vgl. auch Adv. Val. 1,1) markieren seine Ironie. Er zweifelt den Schöpfungsakt als Tat des Demiurgen an und spricht ihm damit die Legitimität als Demiurgen überhaupt ab. Vielmehr würde der Demiurg einer „Marionette gleichen, die von außen geführt und zu dem ganzen Werk bewegt wurde“ (et velut sigillario extrinsecus ductu in omnem operationem movebatur). Aktantin der extern ausgelösten Bewegung sei Achamoth selbst, die im Verborgenen für ihn nicht wahrnehmbar diese Bewegung ausführe (et non ab ipsa potius Achamoth, a qua occulto nihil sentiens eius).137 Tertullian zieht ein Bild heran, das im stoischen Kontext zur Veranschaulichung der Belebung des Körpers durch die Seele verwendet wird,138 um die Wirkweise des Demiurgen pejorativ als unselbstständiges ‚Handwerken‘ in Unwissenheit zu karikieren. (18,3) Denique ex hac personarum in operibus ambiguitate nomen illi Metropatoris miscuerunt, distinctis appellationibus ceteris secundum status et situs operum, ut animalium quidem substantiarum, quas ad dextram commendant, Patrem nuncupant, materialium vero, quas ad laevam delegant, Demiurgem nominent, Regem autem communiter in universitatem.
Tertullian wechselt die Form seiner Darstellung und führt – entsprechend der irenäischen Parallele – als Referat weitere Benennungen des Demiurgen an.
zum einen als Bestand des valentinianischen Mythos zu werten sind, kommen zum anderen aber auch Reminiszenzen an stoische und platonische Vorstellungen zum Tragen. Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 295; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 292 f. Anm. 270; lediglich als innerkirchlich abgefallene Häretiker interpretiert CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 151 Anm. 13. 136 Irenäus überliefert ohne polemische Kommentare; zudem findet sich die Identifikation mit deus nicht bei ihm (Adv. Haer. I 5,1 [76,476–478]): Καὶ πρῶτον μεμορφωκέναι αὐτὴν ἐκ τῆς ψυχικῆς οὐσίας λέγουσι τὸν Πατέρα καὶ Βασιλέα πάντων, τῶν τε ὁμοουσίων αὐτῷ. Die Benennung des Demiurgen als „Vater, Schöpfer und König“ markiert in der valentinianischen Lehre die Nähe zum Seelischen und steht gegen eine radikale Abwertung dieses Schöpfergottes (vgl. dazu ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 290 f.). 137 Vgl. auch den irenäischen Text (Adv. Haer. I 5,1 [76,480–77,482]): πάντα γὰρ τὰ μετ’ αὐτὸν φάσκουσιν μεμορφωκέναι, λεληθότως κινούμενον ὑπὸ τῆς Μητρός· 138 Vgl. Anim. 6,3 (VCS 100, 7,23 f. W ASZINK): velut sigillario motu superficiem intus agitante. Vgl. auch den Kommentar zur Stelle mit Parallelen in der Philosophie (WASZINK, Tertulliani. De Anima, 136 f.) sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 296; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 293 Anm. 271.
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Allerdings markieren die Wahl des Verbs (miscuerunt) 139 sowie die Erklärungsversuche Tertullians Polemik.140 Zum einen würde sich der Name „Muttervater“ (nomen Metropatoris) 141 aus der „Uneindeutigkeit, welche Person welche Aufgabe übernommen hat“ (ex hac personarum in operibus ambiguitate), erklären. Ambiguitas hat Tertullian bereits im Exordium als verwirrungsstiftenden Gefahrenpunkt für seine Leserschaft herausgestellt (vgl. 1,4; 6,1) und impliziert diese Warnung beispielhaft als erfüllt. Auf Ebene des valentinianischen Lehrmythos versinnbildlicht dieser Name die Doppelheit des Ursprungs der Materie, die durch Achamoths Erfahrungen, als Mutter gedeutet, entstanden ist und durch das Wirken des Demiurgen, das mit väterlicher Funktion versehen wird, vollendet werden wird.142 Zuletzt kann auch hier eine implizite theatrale Anspielung vorliegen, nach der eine Person auf der Bühne sowohl in eine weibliche als auch eine männliche Rolle schlüpfen kann.143 Zum anderen würden die dem Demiurgen zukommenden „Bezeichnungen nach Zustand und Lage seiner Werke unterschieden“ (distinctis appellationibus ceteris secundum status et situs operum).144 Tertullian formuliert eine Erklärung dafür, dass der Demiurg „in Bezug auf die seelischen Substanzen zwar, die sie der Rechten anvertrauen, Vater gerufen wird, aber in Bezug auf die materiellen, die sie der Linken übertragen, Demiurg genannt wird“ (ut animalium quidem substantiarum, quas ad dextram commendant, Patrem nuncupant, materialium vero, quas ad laevam delegant, Demiurgem nominent). Die Bezeichnung „König“ gründe „gemeinsam in Bezug auf alle Dinge“ (Regem autem communiter in universitatem). (19,1) Sed nec nominum proprietas competit proprietati operum, de quibus nomina, cum deberet illa haec omnia vocitari, a qua res agebantur; nisi quod iam nec ab illa. Cum enim dicant Achamoth in honorem aeonum imagines commentatam, rursus hoc in Soterem auctorem detorquent, qui per illam sit operatus, ut ipsam quidem imaginem
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Vgl. Parallelen zu dieser Formulierung bei FREDOUILLE, Contre les Valentiniens,
296 f. Im Hintergrund steht die Differenzierung der Grammatiker in nomen (auf eine konkrete Person bezogen) sowie appellatio, das sich wie ein gattungsspezifischer Terminus auf eine Vielzahl bezieht, vgl. mit Parallelen BRAUN, Deus christianorum, 692 f. 141 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 5,1 sowie dazu TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 293 Anm. 272. 142 Ohne die philosophische Diskrepanz deutlich herauszustellen, zeigt sich die Differenz zur platonischen Lehre: Der Demiurg ist als Unwissender von der Idee des zu schaffenden Abbilds getrennt. Vgl. dazu auch ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 290. 143 Vgl. C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 153 Anm. 6 sowie zum Theatervergleich in Adv. Val. 5.4. der Einleitung 144 Zur philosophischen Differenzierung im Hintergrund, nach der status die seelische oder materielle Konstitution umfasst und situs die lokale Gebundenheit, vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 178. 140
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Patris invisibilis et incogniti daret, incognitam scilicet145 et invisibilem Demiurgo, eundem autem Demiurgum Nun filium effingeret, Archangeli vero, Demiurgi opus, reliquos aeonas exprimerent.
Im Folgenden polemisiert Tertullian gegen die Zuschreibung der Namen Pater, Demiurgus und Rex zum Demiurgen und der eigentlichen Handlungsurheberschaft. Er wendet das in der Stoa belegte Konzept, nach dem Name und Realität, die der bezeichnete Gegenstand ausdrückt, in einem Bezugsverhältnis stehen,146 an und konstatiert im vorliegenden Fall eine Differenz zwischen der „Eigenschaft der Namen“ (proprietas nominum) und der „Eigenschaft der Werke, von denen die Namen abgeleitet sind“ (proprietas operum, de quibus nomina). Schließlich wirke Achamoth, „von der die Dinge ausgeführt wurden“ (a qua res agebantur). Und Tertullian konkludiert, dass sie es daher „verdient hätte, mit all diesen Namen benannt zu werden“ (cum deberet illa haec omnia vocitari) und Vater, Demiurg und König zu heißen. Doch dass nicht nur dem Demiurgen diese Namen und Zuschreibung der Handlungsurheberschaft fälschlicherweise zukommen (vgl. bereits 18,2), sondern im eigentlichen Sinn auch Achamoth, betont Tertullians folgende Einschränkung, wenn er im ironischen Ton scheinbar hinterfragt: „es sei denn, dass diese Dinge noch nicht einmal von ihr stammen“ (nisi quod iam nec ab illa), 147 sondern ein anderer Aktant im Hintergrund wirkt. Tertullian wechselt erneut in den Modus des Referats, das er mit konzessiver Bedeutung anführt (cum dicant), um die referierte Lehre zugleich als Fälschung zu entlarven. Nach valentinianischer Vorstellung habe Achamoth „zur Ehre der Äonen Bilder erdacht“ (Achamoth in honorem aeonum imagines commentatam). Die pneumatische Achamoth agiert im Modus des intelligiblen Werkens (commentari) und schafft – entsprechend der platonischen Vorstellung – Bilder der Dinge, die zu erschaffen sind. 148 Tertullian wirft den
145 Während die Handschriften sowie Kroymann, Riley, Marastoni und Chiapparini das einschränkende licet lesen, betont die Änderung zum eher bestätigenden scilicet Tertullians Ironie, vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 299; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 295 Anm. 277. 146 Vgl. bei Tertullian auch in Adv. Herm. 19,2; Carn. Christ. 13,1–4; Adv. Prax. 9,4 und dazu TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 294 Anm. 275; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 180. 147 Tertullian formuliert im gleichen ironischen Ton wie 18,2: si tamen ab illo. 148 Vgl. dazu auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 181. Marastoni deutet das irenäische ποιῆσαι auf der intelligiblen Ebene. Allerdings formuliert Irenäus eindeutiger und benennt beide Prozesse: Achamoth (Enthymesis) möchte alle Dinge zur Ehre der Äonen schaffen und hat daher Bilder von ihnen (!) gemacht (Adv. Haer. I 5,1: Τὴν γὰρ Ἐνθύμησιν ταύτην βουληθεῖσαν εἰς τιμὴν τῶν Αἰώνων τὰ πάντα ποιῆσαι, εἰκόνας λέγουσι πεποιηκέναι αὐτῶν). Zur Verwendung von commentari synonym zu fingere sowie mit Parallelen bei Tertullian vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 298 f.
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Valentinianern vor, diese Vorstellung „zu verdrehen“ (detorquent)149, und den Soter als eigentlichen Urheber anzuführen, weil dieser „durch sie gewirkt habe“ (rursus hoc in Soterem auctorem detorquent, qui per illam sit operatus). In 18,2 war bereits von der Befähigung Achamoths durch die Lehren des Soters berichtet worden.150 Die valentinianische Lehre konstatiert ein dreigliedriges Ergebnis, das die platonische Idee-Abbild-Struktur an dieser Stelle explizit auf Achamoth, den Demiurgen und die Erzengel überträgt. Der Soter habe Achamoth „als Bild des unsichtbaren und unbekannten Vaters geschaffen“ (ut ipsam quidem imaginem Patris invisibilis et incogniti daret)151; Tertullian kommentiert trocken in einer Parenthese, dass die Unbekanntheit und Unsichtbarkeit zumindest mit Blick auf den Demiurgen korrekt sei (incognitam scilicet et invisibilem Demiurgo).152 Der „besagte Demiurg“ würde „als Sohn Nus nachbilden“ (eundem autem Demiurgum Nun filium effingeret).153 Die Erzengel, die ein „Werk des Demiurgen“ (Demiurgi opus) sind, würden schließlich „die übrigen Äonen nachbilden“ (Archangeli reliquos aeonas experimerent). Achamoth, der Demiurg und die Erzengel bilden – nach 19,2 deformierte – Abbilder vom Vater, von Nus und von den Äonen. (19,2) Cum imagines audio tantas trium, quaero, non vis nunc ut imagines rideam perversissimi pictoris illorum? feminam Achamoth, imaginem patris, et ignarum matris Demiurgum, multo magis patris, imaginem non154 ignorantis patrem, et angelos famulos, simulacra dominorum! Hoc est mulum de asino pingere et Ptolomaeum describere de Valentino.
149 Bereits im Exordium spielt Tertullian mit weiteren Komposita des Verbums torquere. Während sich in 3,1 die Schlange, die die Valentinianer versinnbildlicht, durch ihre Verstecke windet und verdreht (torquere), bildet retorquere in 3,3 einen Grundsatzangriff gegen die Valentinianer, die „vom Offenbaren zum Verborgenen zurückkehren“ und sich vom wahren christlichen Glauben in Tertullians Wertung abkehren. 150 Zur demiurgischen ‚Urheber-Kette‘ in der valentinianischen Vorstellung vgl. auch ALAND, Der Demiurg und sein Wirken, 286–295. Vgl. zudem die eindeutige, komparativisch eingeführte Darstellung bei Iren., Adv. Haer. I 5,1 (78,488 f.): μᾶλλον δὲ τὸν Σωτῆρα δι’ αὐτῆς· 151 Die Charakteristika werden dem Ur-Vater Bythos bereits von Beginn an im Mythos zugeschrieben (vgl. z.B. Adv. Val. 7,3). 152 Deskriptiver formuliert Irenäus (Adv. Haer. I 5,1 [78,489–491]): Καὶ αὐτὴν μὲν τὴν εἰκόνα τοῦ ἀοράτου Πατρὸς τετηρηκέναι μὴ γινωσκομένην ὑπὸ τοῦ Δημιουργοῦ· 153 Im irenäischen Text heißt es in verkürzter Formulierung, parallel zu Achamoth, dass der Demiurg „das Bild des eingeborenen Sohnes bewahrt habe“ (Adv. Haer. I 5,1 [78,491]: τοῦτον δὲ τοῦ Μονογενοῦς Υἱοῦ). 154 Die Einfügung des griechischen Genitivs Nu geht auf Kroymann aus inhaltlichen Verständnisgründen zurück. Zudem lässt sich die Auslassung als Dittographie-Fehler deuten, da die Editoren vor Kroymann statt non Nu bzw. Nus gelesen haben. Vgl. auch FREDOUILLE, Valentiniana, 67 Anm. 17.
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Abschließend karikiert Tertullian diese Bildervorstellungen mit seiner Polemik und skizziert eine paradoxe Bild-Abbild-Beziehung. Er wird als Autor-Ich erkennbar (audio, quaero, rideam), vereinnahmt seine Leserschaft in direkter Anrede in seine Wertung (non vis) und spielt mit der Bedeutung des Begriffs imago. Jenseits der philosophischen Verwendung rekurriert er auf den konkreten Sinn von imago. Inspiriert von den „vielen Bilder dieser drei“ (imagines tantae trium), also den in 19,1 geschilderten Abbild-Beziehungen von Achamoth, dem Demiurgen und den Erzengeln, evoziert Tertullian Gemälde. In einer rhetorischen Frage spielt er mit dem voluntativen Moment seiner Leserschaft und impliziert das Plazet dieser zur folgenden Polemik (non vis ut [...] rideam?). Den jeweiligen Urheber dieser Bilder karikiert er als „völlig dilettantischen Maler“ (perversissimus pictor); mythosimmanent zielt die Kritik auf den Soter, auf Achamoth sowie den Demiurgen, übertragen allerdings auf den Autor der Lehre, Ptolemäus.155 In einer asyndetischen Aufzählung reiht Tertullian die konkreten „Bilder“ als Objekte der Belustigung aneinander und zeigt die jeweiligen wahrgenommenen Paradoxa auf, die lediglich deformierte Abbilder schaffen konnten:156 „Die Frau Achamoth“ (feminam Achamoth) soll ein „Abbild des Vaters“ (imaginem patris) sein; die zusätzliche Bestimmung feminam verweist auf das Paradox, das Tertullian darin sieht, wenn eine Frau einen Mann abbildet.157 Die nächste paradoxe Verbindung identifiziert Tertullian im Hinblick auf die (Un)Wissenheit. Der Demiurg, der weder seine Mutter und noch viel weniger seinen Vater kannte (ignarum matris Demiurgum, multo magis patris), soll „ein Abbild des Nus sein, der seinen Vater sehr wohl kannte“ (imaginem non ignorantis patrem). Tertullian stellt die für ihn paradoxe Bedeutung heraus, dass der ohne Vernunft waltende Demiurg das Abbild der im Pleroma emanierten Vernunft ist. Die „dienenden Engel“ (angelos famulos) karikiert er als „Ebenbilder des Herrn“ (simulacra dominorum) und zeichnet auch ein Paradox auf sozialer Ebene ein, indem einem Herrn die Funktion des Führens und Gedient-Werdens zukommt. Zuletzt karikiert Tertullian die Technik des dilettantischen Malers in einem Vergleich. Diese skizzierten Bilder seien nichts anderes als „einen Maulesel nach einem Esel zu malen und Ptolemäus nach Valentin zu zeichnen“ (mulum de asino pingere et Ptolomaeum describere de Valentino). Möglicherweise steht hinter dem ersten Teil des Vergleichs ein nicht mehr näher bekanntes
155 Illorum lässt sich sowohl konkret auf die drei Bilder (trium) beziehen als auch auf die Valentinianer selbst. Die mythosübergreifende Deutung unterstützt die Charakterisierung Hermogenes’ als Maler (vgl. Adv. Herm. 1,2: pingit inlicite); vgl. dazu Anm. 112. Marastoni wertet zudem das Adjektiv perversus als gegen einen Menschen, weniger gegen einen göttlichen Äon gerichtet (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 181). 156 In der Konstruktion wird der vorherige Satz weitergeführt (rideam ...). 157 Vgl. auch Adv. Val. 21,1; 33,2.
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Sprichwort, auf das Tertullian rekurriert. 158 Der Maulesel gilt als eine Mischung aus einem Esel und einem Pferd, sodass auf diese Weise nur ein sehr unvollkommenes Abbild zustande kommen kann; beide Tiere symbolisieren Dummheit. Eine gewisse Ähnlichkeit ist mit der Vorlage gegeben, wobei die Veränderung überwiegt. Ebenso bildet Ptolemäus kein wirklichkeitsgetreues Abbild Valentins; vielmehr hat er dessen Lehre fortgeführt, ohne mit Valentins Lehre noch identisch zu sein. In diesen Prozess, der von Abhängigkeit auf der einen und der inhaltlichen Fortentwicklung auf der anderen bestimmt ist, ist eine Transformation der Lehre genuin eingeschrieben (vgl. 4,1).159 6.2.5. Adv. Val. 20–21: Das Wirken des Demiurgen (20,1) Igitur Demiurgus, extra Pleromatis limites constitutus, in ignominiosa aeterni exilii vastitate novam provinciam condit, hunc mundum, repurgata confusione et distincta diversitate duplicis substantiae illius detrusae, animalium et materialium. Ex incorporalibus corpora aedificat, gravia levia, sublimantia atque vergentia, caelestia atque terrena. Tum ipsam caelorum septemplicem scaenam solio desuper suo finit.
Der von Achamoth erschaffene Demiurg ist Akteur der Weltgründung. Sein Handlungsbereich liegt außerhalb des Pleromas; Tertullians Formulierung erinnert an die Begrenzung des Pleromas durch die Grenze Horos (extra Pleromatis limites constitutus). Die Weltschöpfung deutet Tertullian als einen Prozess der Sesshaftwerdung (constituere) 160 und lokalisiert das demiurgische Wirken außerhalb des Pleromas „in der schimpflichen Öde des ewigen Exils“ (in ignominiosa aeterni exilii vastitate); diese Charakterisierung spitzt die Assoziation des Ortes jenseits des Pleromas mit Dunkelheit und Leere (vgl. 14,1) für den lediglich an der seelischen Materie partizipierenden Demiurgen als einzige auswegslose Wohnstätte zu. Dort „gründet“ er als „neue Provinz“ (novam provinciam condit) „diese Welt“ (hunc mundum). Tertullian spielt mit der Vorstellung einer institutionell verfassten Gründung einer neuen Stadt bzw. Provinz, in der zugleich durch die appositionelle Näherbestimmung die philosophische Bedeutung der Schöpfung mitschwingt.161 Den Vorgang der Schöpfung zeichnet Tertullian als Chaosbeseitigung nach und fomuliert in zwei parallelen Partizipien: Zuerst „reinigt“ der Demiurg „das Vgl. OTTO, Sprichwörter, 42. Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 295 Anm. 279 sowie CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 157 Anm. 10. Fredouille hingegen versteht dieses Wort dahingehend, dass Gleiches mit Gleichem verglichen und der beschriebene Prozess als falsche Verdoppelung des Gleichen und Vermischung verschiedener Entitäten verschiedener Ebenen des Mythos gedeutet wird (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 299 f.). So deutet auch TLL Art. mulus VIII/0 1620,10–13. 160 Vgl. G EORGES, Der neue Georges, constituo II.1.a, Bd. 1, Sp. 1202: „jemanden anweisen, wo seinen Wohnsitz zu nehmen“. 161 Vgl. TLL Art. condere IV/0, 152,66 f. (urbes condere) sowie 154,30 (creare), in dieser zweiten Bedeutung bereits 16,1, sowie BRAUN, Deus christianorum, 352. 158
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Durcheinander“ (repurgata confusione); sarkastisch erinnert Tertullian implizit (in der Setzung des Präfix re-) daran, dass die folgende Substanz im mythologischen Geschehen ihren Ursprung in einer ersten Reinigungsaktion im Kontext der Errettung der oberen Sophia im Pleroma hatte (purgatam a malis; 10,4). Sodann wird die „Verschiedenheit jener doppelten Substanz“ endgültig voneinander „getrennt“ (distincta diversitate duplicis substantiae illius) 162 , nämlich status und situs der seelischen und materiellen Substanz (vgl. 18,3), die im Verlauf des mythologischen Geschehens „vertrieben worden war“ (detrusae).163 Von nun an existiert die Substanz der beseelten und der materiellen Dinge (animalium et materialium). Aus diesen noch „unkörperlichen Substanzen baut der Demiurg Körper“ (ex incorporalibus corpora aedificat). Tertullian unterstreicht terminologisch erneut die handwerkliche Tätigkeit des Aktes (aedificare)164 und charakterisiert in drei Gegensatzpaaren diese aus seelischer und materieller Substanz erschaffenen Körper näher in Hinblick auf Gewicht (gravia levia), ihre Ausrichtung (sublimantia atque vergentia) und ihre kosmologische Verortung (caelestia atque terrena).165 Zum Abschluss nimmt der Demiurg seinen Platz ein. Die Lokalisierung korrespondiert mit dem Beginn des Paragraphen. In der neu erschaffenen Provinz thront der Demiurg „mit seinem Thron über allem“ (solio desuper suo) und herrscht über diesen Weltenkosmos. Tertullian ironisiert die Vorstellung des siebenfach gestuften Himmels erneut mit einem Theater-Vergleich als „siebengeschossiges Himmelstheater“ (ipsam caelorum septemplicem scaenam), das der Demiurg nun beendet hat (vgl. 31,2).166
162 Riley und Chiapparini argumentieren dafür, die handschriftliche Lesart (duplici bzw. duplici) zur Grundlage zu nehmen. Duplici bezieht sich auf diversitate und würde nach Riley eindeutiger die zwei status der von Achamoth erschaffenen Substanz bezeichnen (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 154). Allerdings kann das fehlende ‚s‘ aufgrund des Beginns des folgenden Wortes (substantiae) entfallen sein; dafür sprechen sich häufende Lesefehler in diesem Abschnitt (detrusae; materialium). Vgl. dagegen TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 296 Anm. 281 und zudem den irenäischen Text (Adv. Haer. I 5,2 [79,496 f.]): Διακρίναντα γὰρ τὰς δύο οὐσίας συγκεχυμένας. 163 Vgl. 16,3: duplex substantiarum conditio ordinaretur, de vitiis pessima, de conversione passionalis. 164 Vgl. B RAUN, Deus christianorum, 387; ebenso genutzt in Adv. Marc. III 9,3. Irenäus formuliert (Adv. Haer. I 5,2 [79,497]): καὶ ἐξ ἀσωμάτων σωματοποιήσαντα. 165 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 5,2 (79,497–80,500): δεδημιουργηκέναι τά τε οὐράνια καὶ τὰ γήϊνα, καὶ γεγονέναι ὑλικῶν καὶ ψυχικῶν, δεξιῶν καὶ ἀριστερῶν Δημιουργὸν, κούφων καὶ βαρέων, ἀνωφερῶν καὶ κατωφερῶν. 166 Vgl. z.B. Iren., Adv. Haer. I 5,2 (80,500 f.): Ἑπτὰ γὰρ οὐρανοὺς κατεσκευακέναι, ὧν ἐπάνω τὸν Δημιουργὸν εἶναι λέγουσιν. Chiapparini deutet in scaena auch eine Anspielung auf den Tempelvohang in Hbr 9,3; Lev 16,12 f. (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 157 Anm. 12).
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(20,2) Unde et Sabbatum dictum est ab hebdomade sedis suae, ut Ogdoada mater Achamoth ab argumento ogdoadis primigenitalis. Caelos autem νοερούς167 deputant et interdum angelos eos faciunt, sicut et ipsum Demiurgum, sicut et Paradisum archangelum quartum, quoniam et hunc supra caelum tertium pangunt, ex cuius virtute sumpserit Adam, deversatus illic inter nubeculas et arbusculas.
Aufgrund der vorherigen Hinführung sieht Tertullian auch die weiteren Namen des Demiurgen begründet, die er nun anführt. Die „Siebenzahl seines Sitzes“ (ab hebdomade sedis suae; vgl. 20,1) begründe den Namen Sabbatum, den Tertullian analog zur folgenden Achamoth zugeschriebenen Benennung als „Achtheit“ (Ogdoada mater Achamoth) bildet. Sabbatum latinisiert die Bedeutung des griechischen Lehnworts hebdomas und rekurriert mit dem ins Lateinische ebenfalls als Lehnwort aufgenommenen hebräischen Terminus auf den siebten Tag und Ruhetag der Woche.168 Das von Tertullian ebenfalls als Lehnwort neu gebildete ogdoada grenzt Achamoth von der oberen Ogdoas (vgl. 7,8) ab.169 Dieser komme der Name „aufgrund der erstgeborenen Achtheit“ (ab argumento ogdoadis primigenitalis) zu; mit dem ebenfalls neu gebildeten und in seinem Œuvre nur hier verwendeten Terminus primigenitalis170 spielt Tertullian indirekt auf Nus, den Erstgeborenen der Äonen (protogenitus), an (vgl. 7,6). Nach der Lehre der Valentinianer gelten die „Himmel als mit Verstand versehen“ (caelos autem νοερούς deputant), was Tertullian mit der Verwendung des griechischen Terminus in Verbindung zu Nus deutlich herausstellt. Die Himmel sind ‚von Nus durchzogen‘ 171 und von den Valentinianern 167 Die griechische Schreibweise geht auf Engelbrecht zurück, die Handschriften lesen noeros. Nach Tertullians methodischen Bemerkungen ist die griechische Schreibweise an dieser Stelle durchaus möglich (vgl. 6,1 f.) Chiapparini schlägt dagegen vor (mit Blick auf die irenäische Parallelstelle) noetos zu lesen (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 158 f. Anm. 3.7). 168 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 5,2 (80,502): Καὶ διὰ τοῦτο Ἑβδομάδα καλοῦσιν αὐτὸν. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 301; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 159 Anm. 8; anders deutet Riley dies als valentinianische Prägung aus dem Hebräischen (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 154). Tertullian nutzt sabbatum auch an anderer Stelle in seinem Werk zur Bezeichnung einer Dauer von sieben Tagen oder Jahren (vgl. z.B. die Diskussion in Adv. Marc IV 12; sowie z.B. Anim. 37,4; Ieun. 14,2 f.; 15,2 und dazu auch TLL Art. sabbatum VI/3 2577,14 f.). 169 Vgl. TLL Art. ogdoada IX/2 534,56 f.; Tertullian vewendet den Terminus nur im Kontext der valentinianischen Lehrdarstellung (vgl. auch Praescr. 33,8; Adv. Val. 7,8; 35,1; 36,2; 38; Anim. 37,4). 170 Vgl. dazu TLL Art. primigenitalis X/2 1261,73–1626,5. 171 νοερός gilt eigentlich als Kennzeichne der pneumatischen Dinge. In 32,2 und 37,1 gibt Tertullian diesen griechischen Terminus mit dem lateinischen Begriff intellectualis wieder (vgl. dazu auch Kap. 7 Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung, Anm. 243). Ob sich hier eine Vorstufe der Bildung der Terminologie Tertullians findet (so WELLSTEIN, Nova Verba, 103) oder aber die Anspielung auf Nus sichtbar herausgestellt werden sollte, muss offenbleiben. Eindeutig ist, dass diese Anspielung vorliegt.
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Kapitel 6: Adv. Val. 14–23: Außerhalb des Pleromas
„währenddessen zu Engeln gemacht“ (interdum angelos eos faciunt)172 ebenso wie der Demiurg zum Engel (sicut et ipsum Demiurgum) sowie das Paradies, das als „vierter Erzengel gilt“ (sicut et Paradisum archangelum quartum)173, weil die Valentinianer dieses Paradies in ihrer Vorstellung „über dem dritten Himmel befestigen“ (quoniam et hunc supra caelum tertium pangunt).174 In diesem himmlischen Paradies ist nach valentinianischer Vorstellung kurzzeitig Adam lokalisiert. Tertullian karikiert Adams Sein mit der bildlichen Vorstellung, dass dieser „sich dort zwischen Wölkchen und Bäumchen aufhielt“ (deversatus illic inter nubeculas et arbusculas), und lässt eine Differenzierung in ein himmlisches und ein irdisches Paradies lächerlich wirken; die Diminutiva markieren seinen spöttischen Tonfall.175 Währenddessen habe Adam „aus der Sphäre des Paradieses etwas mitgenommen“ (ex cuius virtute sumpserit Adam).176 (20,3) Satis meminerat Ptolomaeus puerilium dicibulorum, in mari poma nasci et in arbore pisces; sic et in caelestibus nuceta praesumpsit. Operatur Demiurgus ignorans et ideo fortasse non scit arbores in sola terra institui oportere. Plane mater sciebat. Quidni suggerebat, quae et effectum suum ministrabat? Sed tantum fastigium filio extruens per ea opera quae illum et patrem et deum et regem ante Valentinianorum ingenia testantur, cur sibi quoque ista noluit esse nota177, postea quaeram.
Tertullian schließt auch diese Darstellung mit einem polemischen Kommentar und rekurriert namentlich auf den Urheber der widerlegend dargestellten Lehre Ptolemäus (vgl. 4,2). Sarkastisch unterstellt Tertullian ihm, „sich genug an die Kindermärchen erinnert zu haben“ (satis meminerat Ptolemaeus puerilium Vgl. Iren., Adv. Haer. I 5,2 (80,504–506): Τοὺς δὲ ἑπτὰ οὐρανοὺς [οὐκ] εἶναι νοερούς φασιν, Ἀγγέλους δὲ αὐτοὺς ὑποτίθενται. 173 Vgl. die Erzengel in 19,1. 174 Diese Vorstellung findet sich auch bei Irenäus (Adv. Haer. I 5,2 [80,507–81,509]): ὡς καὶ τὸν Παράδεισον, ὑπὲρ τρίτον οὐρανὸν ὄντα, τέταρτον Ἀρχάγγελον λέγουσι δυνάμει ὑπάρχειν. Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 297 Anm. 287 mit Verweis auf die paulinische Vorstellung einer Erscheinung und Entrückung in den dritten Himmel und in das Paradies (2Kor 12,2–4). 175 Arbuscula verwendet Tertullian auch in polemischer Argumenation z.B. in Adv. Marc. I 22,8 (SC 365, 204 f.,50–53 BRAUN: Homo damnatur in mortem ob unius arbusculae delibationem, et exinde proficiunt delicta cum poenis, et pereunt iam omnes, qui paradisi nullum caespitem norant.); IV 39,16; V 18,13; Anim 19,3; Scorp. 5,11; Virg. Vel. 1,9; Ieun. 3,2. Nubecula findet sich lediglich hier. 176 Zur intransitiven Nutzung von sumere hier vgl. M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 183. 177 Die vorliegende Lesart überliefert der Paterniacensis gegen die anderen Handschriften, die cur se quoque istam noluit et notam lesen (diese Lesart übernimmt u.a. Marastoni). Weitere Konjekturen bieten Kroymann (cur se ipsam noluit ei notam), Riley (cur sibi quoque ipsa noluit esse nota) sowie Chiapparini (cur se ista noluit ei notam; mit Kommentar DERS., Valentino Gnostico, 160 Anm. 5). Vgl. zur vorliegenden Lesart auch FREDOUILLE, Valentiniana, 68; DERS., Contre les Valentiniens, 303 f. 172
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dicibulorum)178, und expliziert an dieser Stelle die im Exordium bereits angedeutete Analogie mit Ammenmärchen (vgl. 3,3), mit dem er diese Gedanken als Phantasiegebilde deklassifiziert.179 In zwei konkreten Bildern führt Tertullian die Ptolemäus unterstellte Erinnerung aus und unterstreicht die Unglaubwürdigkeit aufgrund der gegen Naturgesetze verstoßenden Vorstellung, „dass im Meer Früchte geboren werden und auf dem Baum Fische“ (in mari poma nasci et in arbore pisces). Analog zu dieser Vorstellung habe sich Ptolemäus „in den Himmeln Nusswälder vorgestellt“ (sic et in caelestibus nuceta praesumpsit). Tertullian verbindet die irdischen Schöpfungsvorstellungen mit dem himmlischen, in der geistigen Welt verankerten Paradies der valentinianischen Lehre und verwischt bewusst die Grenze zwischen beiden. Für seine Leserschaft malt er widergesetzliche Widersprüche aus, um die Unglaubwürdigkeit im Kontext der Schöpfungslehre zu unterstreichen.180 Ironisch nimmt er im Folgenden den in der Lehre handelnden Demiurgen in den Blick. Weil dieser als Unwissender wirke, könne er nicht wissen, „dass man Bäume eigentlich nur in Erde pflanzen sollte“ (operatur Demiurgus ignorans et ideo fortasse non scit arbores in sola terra institui oportere), damit sie überlebensfähig sind.181 Allerdings hätte seine Mutter dieses Wissen vermocht. Tertullian lässt die Unwissenheit des Demiurgen spöttisch mit dem Wissen der Mutter Achamoth korrelieren (plane mater sciebat) und befragt ihre Verantwortung: „Warum hat sie ihm das nicht nahegelegt, die sie sonst auch sein Tun lenkte?“ (quidni suggerebat, quae et effectum suum ministrabat). Tertullian spielt erneut mit der valentinianischen Vorstellung, nach der die Handlungsurheberschaft vom ausführenden Aktanten differiert, und verbindet diese mit der
178 Dicibula ist lediglich ein weiteres Mal in der lateinischen Literatur belegt, vgl. auch TLL Art. dicibula V/1 957,51 f. 179 Der Vergleich mit den Kindermärchen zielt auf die beschriebene Wirkung; mit einem ähnlichen Vergleich agiert Ov., Met. XIV 37–39. Vgl. auch HELDMANN, Märchen, 105 f. sowie mit weiteren Parallelen FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 302 f. 180 Der Terminus nucetum findet sich vorher lediglich bei Statius (vgl. Silv. I 6,12; Statius kennt Nussbäume, nuceta, in der Region Pontus); es lässt sich nicht mehr klären, ob Tertullian tatsächlich auf eine geprägte Vorstellung zurückgreift. Tommasi Moreschini schlägt vor, eine Anspielung auf die Verwendung von Walnüssen als ein positives Geschenk zu sehen (DIES., Adversus Valentinianos, 297 Anm. 289). Möglicherweise lässt sich aber auch ein Hinweis auf den übertragenen Sinn der Nuss lesen, die als Kinderspielzeug galt (vgl. GEORGES, Der neue Georges, nucetum Bd. 2, Sp. 3300). Tertullian unterstellt Ptolemäus nicht nur in der Gattung von Kindermärchen zu agieren, sondern wertet auch mit Blick auf den konkreten Sachverhalt, dass es sich bei der Vorstellung eines himmlischen, vom Demiurgen geschaffenen Paradieses, um wertlose Kindergedanken handelt, denen das Wissen um die Realität fehlt (vgl. auch Adv. Val. 3,3). Vgl. zudem MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 184 mit Verweis auf eine ähnliche Polemik bei Lukrez. 181 Zum Wortspiel mit instituere vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 303; B RAUN, Deus christianorum, 392.
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Frage nach der Verantwortungszuschreibung der jeweiligen Handlung (vgl. z.B. 19,1).182 In einer abschließenden polemischen Frage thematisiert Tertullian erneut das Thema der Unkennntis des Demiurgen seiner eigenen Mutter und deutet dieses als bewusst voluntativ verankerten Akt Achamoths, diese Kenntnis zu verweigern. Tertullian suggeriert Unverständnis dafür und rekurriert auf Achamoths Werk, das sie für ihren Sohn geschaffen habe; schließlich habe „sie für ihren Sohn eine solch hohe Stellung errichtet“ (sed tantum fastigium filio extruens), dass diesem als „Vater Gott und König“ (per ea opera quae illum et patrem et deum et regem; vgl. 18,2) auch außerhalb der valentinianischen Lehre – Tertullian stigmatisiert diese erneut als „Erfindungen der Valentinianer“ (ante Valentinianorum ingenia testantur; vgl. 4,4; 37,1; 39,2) – das demiurgische Ansehen zukomme. Wie bereits in 18,2 identifiziert Tertullian die valentinianische Vorstellung des Schöpfergottes bruchlos mit seiner eigenen christlichen Lehre. Die Antwort auf die für ihn offensichtlich zu beantwortende Frage, „warum sie da nicht wollte, dass sie ihm auch persönlich bekannt ist“ (cur sibi quoque ista noluit esse nota), verschiebt er zunächst (postea quaeram). Implizit verweist er bereits an dieser Stelle auf die Schwierigkeit, dass dem Demiurgen qua seiner seelischen Natur weder ein Wissen um das Geistige noch eine Erkenntnis dessen zukommen kann, zum anderen aber auch ihm durch den Retter die „seelische Erkenntnis“ zuteil wird.183 (21,1) Interim tenendum Sophiam cognominari et Terram et Matrem quasi matrem terram 184 et, quod magis rideas, etiam Spiritum Sanctum. Ita omnem illi honorem contulerunt feminae, puto et barbam, ne dixerim cetera. Alioquin Demiurgus adeo rerum non erat compos – de animalibus185 scilicet censu invalitudinis spiritalia accedere – ut se solum ratus contionaretur: Ego deus, et absque me non est.
Vgl. auch die eigenständige Polemik bei Iren., Adv. Haer. I 5,3. Vgl. auch FREODUILLE, Contre les Valentiniens, 304. 184 Die Handschriften überliefern die vorliegende Fassung (vgl. auch C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 164 Anm. 5). Während sich zum einen die editorische Änderung mit wenig Eingriff in den Textbestand findet, die das Verb rideas zu ridens ändert, geht zum anderen die Konjektur von matrem zu marem auf Kroymann zurück, um die scheinbare Dittographie zu vermeiden; daher ändert er die Satzstellung und fügt die Notiz quasi marem (terram wird getilgt) an das Satzende, sodass die Bezeichnung als Heiliger Geist zusätzlich karikiert wird (vgl. auch Fredouille, Riley und Tommasi Moreschini). Marastoni tilgt die scheinbare Dittographie ganz. Es ist an der handschriftlichen Lesart festzuhalten, da auch diese bereits Tertullians Sarkasmus birgt und der folgende Satz die geschlechtliche Komponente eingeleitet durch das steigernde rideas ausmalt, ohne dass die Notiz vorher notwendig ist. 185 Der Konjekturvorschlag Kroymanns (de animalis scilicet census invalitudine spiritalia accedere) – ihm folgen Marastoni, Riley, Fredouille und Tommasi Moreschini – vereinfacht die vorliegende Lesart der Handschriften leicht (vgl. zu dieser auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 166 Anm. 3). Vorliegende Lesart präferiert auch LUKAS, Tertullian. Adversus Valentinianos. 182
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Als Einschub (interim) markiert Tertullian die Anführung und Ironisierung weiterer Namen Achamoths.186 Achamoth trägt den mütterlichen Namen (Sophia de matre manat; 14,2)187 und wird zugleich in Hinsicht auf ihre Funktion bei der Welt- und Menschenschöpfung „Erde und Mutter genannt“ (Terram et Matrem), was Tertullian in seinen Bedeutungen ironisierend „gleichsam“ zum Namen „Mutter-Erde“ (quasi matrem terram) zusammenzieht. Moderierend verweist er seine Leserschaft vorweg auf die Steigerung der Lächerlichkeit der Namen Achamoths (quod magis rideas), die in der Benennung „Heiliger Geist“ (Spiritus Sanctus) mündet (vgl. auch 14,2). Spöttisch konstatiert Tertullian mit Blick auf den zuletzt genannten Namen, dass die Valentinianer mit dieser maskulinen Namensgebung „so jener Frau alle Ehre erwiesen haben“ (ita omnem illi honorem contulerunt feminae)188; erneut zielt er auf die Geschlechterpolemik (vgl. bereits 11,2) und verschachtelt den Satz stilistisch (omnem honorem/illi feminae). Erklärend führt er die Polemik auf einer bildlichen Ebene weiter, indem er – eingeführt als Wahrscheinlichkeitsaussage (puto) – Achamoth mit einem Bart skizziert (puto et barbam), um mit Hinweis auf sein Schweigen andere maskulin konnotierte Epitheta Achamoths zu evozieren (ne dixerim cetera). Diese Methodik, lediglich harmlosere Dinge anzführen und über die beschämenderen zu schweigen, hat Tertullian bereits im Exordium (vgl. 6,2) angekündigt. Von der gegen Achamoth gerichteten Namenspolemik wendet sich Tertullian zurück zum vorherigen mythologischen Geschehen und der Unwissenheit des Demiurgen (alioquin deutet den Themenwechsel an). Narratologisch spielt Tertullian mit dem mehrwissenden Erzähler und damit auch einer mehrwissenden Leserschaft, die dem Akteur der folgenden beschriebenen Handlung dadurch überlegen ist. Den Grund der demiurgischen Unwissenheit klärt Tertullian als Parenthese: Die Unwissenheit wird näher qualifiziert im Hinblick auf geistige Dinge und Vorgänge; „der Ursprung des Unvermögens, sich den geistigen Dingen zu nähern, komme von seiner seelischen Realität her“ (de animalibus scilicet censu invalitudinis spiritalia accedere) und ist daher genuin mit seinem Wesen verbunden. 189 In Folge dieser Unwissenheit 186 Er folgt damit der irenäischen Vorlage, in deren Darlegung auch in diesem Verlauf der Lehrdarstellung die Anführung weiterer (teils zusätzlicher) Namen Achamoths folgen (vgl. Adv. Haer. I 5,3). Neben Ogdoada (bei Tertullian bereits in Adv. Val. 20,2) überliefert Irenäus auch Jerusalem und Herr als Achamoths Namen. 187 Im irenäischen Text wird Sophia an dieser Stelle als ein weiterer Name eingeführt (vgl. Adv. Haer. I 5,3). 188 Illi lässt sich vielfältig beziehen (als Nominativ Plural auf die Valentinianer, als Dativ Singular auf femina sowie auf Spiritus Sanctus); die Apposition zu feminae ist hier bevorzugt. Anders bezieht Riley illi als pronominalen Verweis auf Spiritus Sanctus (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 154). Vgl. auch FREDOUILLE, Valentiniana, 68. 189 Invalitudo findet sich hier zum ersten Mal im Lateinischen, vgl. TLL Art. invalitudo VII/2 117,83 f. Zur Konstruktion vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus
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(Demiurgus adeo rerum non erat compos) wähnt sich der Demiurg so alleine, dass er öffentlich von sich selbst proklamiert: „Ich bin Gott und außer mit gibt es keinen anderen!“ (ut se solum ratus contionaretur: Ego deus, et absque me non est). Im Hintergrund des Rufs des Demiurgen steht Jes 45,5 und impliziert eine Identifikation des alttestamentlichen Schöpfergottes mit dem valentinianischen Demiurgen. (21,2) Certe tamen non fuisse se retro sciebat. Ergo et factum intellegebat et factitatorem facti esse quemcumque. Quomodo ergo solus sibi videbatur? Etsi non certus, saltim suspectus de aliquo factitore!
Erneut schließt Tertullian eine polemische Kommentierung des gerade Dargelegten an und argumentiert mit der aristotelischen Kausallogik. Auch wenn die Unwissenheit des Demiurgen auf alle geschaffenen Dinge zu beziehen sei, müsste er ein Wissen über den Status seiner eigenen Geschaffenheit haben. Tertullian unterstellt ihm das Wissen darüber, „dass er vorher nicht gewesen ist“ (certe tamen non fuisse se retro sciebat). Aus diesem Wissen resultiert für Tertullian die Erkenntnis (intellegebat), dass er selbst „erschaffen war“ (factum) und dass es daher auch notwendigerweise „irgendeinen Hersteller der Erschaffung gab“ (factitatorem facti esse quemcumque). Die figura etymologica unterstreicht diesen Sachverhalt rhetorisch. Dies markiert auch der von ihm neu gebildete Terminus factitator. In allen Vorkommen bezeichnet factitator die Schöpfung in einer gegnerischen Lehre. Während Tertullian in Adv. Prax. 18,3 in der Refutatio den biblischen Rekurs der Monarchianer auf Jes 45,5 zurückweist (vgl. Adv. Val. 21,1), findet sich der Terminus zweimal mit Bezug auf philosophische Gegner in Apol. 21,10 und 46,9.190 Mit der vorliegenden polemischen Ausführung stellt Tertullian heraus, dass dieser von den Valentinianern gelehrte Schöpfergott nicht Schöpfer im tertullianischen, christlichen Sinne sein kann; schließlich ist er selbst mit einem zeitlichen Anfang geschaffen. Auf Grundlage dieses Arguments führt Tertullian die Argumentation weiter und fragt nach dem Grund, dass der Dermiurg „glaubte, für sich allein zu sein“ (Quomodo ergo solus sibi videbatur?). Als geschaffenes Wesen, das einen Urheber haben muss, kann er nicht alleine sein. So konkludiert Tertullian und differenziert graduell die Gewissheit des (Nicht-)Wissens. Auch ohne Gewissheit (etsi non certus) hätte der Demiurg „wenigstens misstrauisch sein müssen, was den anderen Hersteller angeht“ (saltim suspectus de aliquo factitore). In Valentinianos, 185 f.; zudem Iren., Adv. Haer. I 5,4 (83,533 f.): διὰ τοῦτο ἀτονώτερον αὐτὸν ὑπάρχοντα πρὸς τὸ γινώσκειν τὰ πνευματικὰ. 190 In Apol. 21,10 nutzt Tertullian den Terminus für einen Rekurs auf die Lehre Zenons, der auch den Logos als Schöpfer (factitator) anerkennt und in 46,9 formuliert Tertullian eine polemische Spitze gegen Platon, der feststelle, dass der Schöpfer (factitator) der Welt nicht leicht zu finden sei. Vgl. auch TLL Art. factitator VI/1 138,82–139,3; BRAUN, Deus christianorum, 337–339.
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der antithetischen Gegenüberstellung certus/suspectus verdeutlicht Tertullian seine Schlussfolgerung. Nach dieser ist die Formulierung des Selbstanspruchs des Demiurgen (vgl. 21,1) falsch; es zeigt vielmehr das törichte und naive Wesen des Demiurgen auf, das in seiner – von Tertullian als scheinbar aufgewiesenen – Unwissenheit gründet.191 6.2.6. Adv. Val. 22: Der Teufel (22,1) Tolerabilior infamia est apud illos in diabolum, vel quia origo sordidior capit. Ex nequitia enim maeroris illius deputatur, ex qua angelorum et daemonum et omnium spiritalium malitiarum genituras notant.
Neben dem Demiurgen gibt es einen zweiten Spieler, auf den Tertullian in den folgenden beiden Kapiteln eingeht: den Teufel (diabolum). Mit einem konzessiven Komparativ gesteht Tertullian ein, dass dieser Sachverhalt für ihn „erträglicher“ (tolerabilior) sei und suggeriert diese Einstellung damit auch bei seiner Leserschaft. 192 Dennoch charakterisiert er die valentinianische Lehre vom Teufel als „Verleumdung“ (infamia), die lediglich daher erträglicher für ihn sei, „weil sein niederträchtigerer Ursprung es erlaubt“ (vel quia origo sordidior capit).193 Bezüglich des Ursprungs des Teufels würde nämlich angenommen (deputatur), dass er „aus der Verdorbenheit jener Trauer stammt, aus der die Entstehung der Engel, der Dämonen und aller geistigen Bosheiten“ von den Valentinianern erklärt würde (Ex nequitia enim maeroris illius deputantur, ex qua angelorum et daemonum et omnium spiritalium malitiarum genituras notant).194 Der Teufel entstammt also der pejorativ gewerteten Trauer Achamoths, die an dieser Stelle weniger im ethisch-moralischen als vielmehr im ontologischen Sinn zu deuten ist, aus der auch alle spirituellen Dinge, die mit dem Bösen assoziiert sind, abstammen.195 Damit symbolisiert der Teufel das von Grund auf Böse. Zugleich hat er damit im Gegensatz zum Demiurgen Anteil an pneumatischer Substanz. (22,2) Et tamen diabolum quoque opus Demiurgi adfirmant et Munditenentem appellant et superiorum magis gnarum defendunt, ut spiritalem natura, quam Demiurgum, ut animalem. Meretur ab illis praelationem cui omnes haereses procurantur.
Trotz seines Ursprungs aus der Trauer (22,1) gilt der „Teufel als Werk des Demiurgen“ (diabolum quoque opus Demiurgi). Die Valentinianer würden Vgl. zu dieser Deutung ALAND, Die Gnosis, 110 f. Vgl. z.B. auch Adv. Val. 34,1; 36,1; 38; Adv. Marc. I 5,1 (SC 365, 120,4 BRAUN): Honestior et liberalior Valentinus [...]. 193 Zum Wortspiel diabolum – infamia vgl. TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 298 Anm. 297. 194 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 5,4 (84,536–538): Ἐκ δὲ τῆς λύπης τὰ πνευματικὰ τῆς πονηρίας διδάσκουσι γεγονέναι· ὅθεν τὸν διάβολον τὴν γένεσιν ἐσχηκέναι. 195 Vgl. dazu mit biblischen Parallelen C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 168 f. Anm. 7. 191
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diesen auch „Welterhalter“ (Munditens) nennen; mit diesem Hapaxlegomenon bezeichnet Tertullian einzig die kosmokratische Funktion des Teufels.196 Aufgrund seiner „geistigen Beschaffenheit“ allerdings weiß der Teufel trotz seiner Werdung durch den seelischen Demiurgen „besser über die oberen Dinge Bescheid“ (superiorum magis gnarum defendunt, ut spiritalem natura, quam Demiurgum, ut animalem). An dieser Stelle bricht die Mythoslogik, nach der dem Teufel in seiner Wesenheit eine Beschaffenheit zukommt (spiritalis natura), an der sein Schöpfer, der Demiurg, mit einer animalis natura nicht partizipiert. Diese Zuspitzung geht auf Tertullians Eingriff zurück, der die beiden Aktanten vergleichend gegenüberstellt und das Paradox betont, nach dem der Teufel zwar seinem Wesen entsprechend Wissen zukomme, dem Demiurgen aber die schöpferische Leistung.197 Dennoch würde jener „von jenen“, also den Valentinianern, „den Vorrang vor dem, um den sich alle Häresien besonders sorgen, verdienen“ (Meretur ab illis praelationem cui omnes haereses procurantur), wie Tertullian zuspitzend ironisch konkludiert. Übergreifend unterstellt er den Valentinianern in Gemeinschaft mit allen häretischen Strömungen, dass sie gerade durch das diabolische Wirken in ihrem Sein gefördert würden, sodass sie sich um dieses „besonders sorgten“ (procurare, vgl. die Verstärkung mit einem Präfix des auch sonst den Valentinianern zugeordneten Verbums z.B. in 1,1).198 Tertullian entspricht seiner Deutung, indem er der widerlegenden Darstellung des Teufels anders als Irenäus ein eigenes Kapitel einräumt. 6.2.7. Adv. Val. 23: Zwischenresümee: Die Struktur des Ortes außerhalb des Pleromas und die Elemente (23,1) Singularium autem potestatum arces his finibus collocant: in summis summitatibus praesidet tricenarius pleroma, Horo signante lineam extremam. Inferius illum metatur medietatem Achamoth, filium calcans. Subest enim Demiurgus in hebdomade sua.
In Adv. Val. 23 bietet Tertullian eine kurze polemisch dargestellte Zusammenfassung des bisherigen Geschehens außerhalb des Pleromas. Dieses zeichnet er Irenäus überliefert κοσμοκράτορ (Adv. Haer. I 5,4), auf den auch Tertullian hier anspielt. Bei Tertullian findet sich dieser Terminus außerdem in der Polemik in Adv. Marc. V 18,11 f. Vgl. dazu auch TLL Art. munditens VIII/0 1626,7–21. Im Hintergrund der gnostischen Lehre kann eine Anspielung auf Eph 6,12 stehen; Tertullian schreibt bei Rekursen auf diese Bibelstelle an anderer Stelle allerding mundipotens (Resurr. 22,11; Anim. 23,2). 197 Inspiriert ist er von der irenäischen Notiz, wonach der Teufel als „Geist der Bosheit“ erkennen kann, „was über ihm ist“ (Adv. Haer. I 5,4 [84,543 f.]: καὶ τὸν μὲν Κοσμοκράτορα γινώσκειν τὰ ὑπὲρ αὐτὸν, ὅτι πνεῦμά ἐστι τῆς πονηρίας). Fredouille wertet die Änderung als Fehler Tertullians, vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 307 sowie TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 299 Anm. 301. Vgl. Marastoni mit Parallelstellen bei Tertullian (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 188). 198 Vgl. eine ähnliche Argumentation der Vermehrung der Häresien durch das diabolische Wirken in Praescr. 31,1; 34,5; 40,2.8. 196
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in seiner Struktur und der Verortung der einzelnen Akteure des Mythos in diesem Raum außerhalb des Pleromas nach. Metaphorisch charakterisiert er deren Lokalisierungen als „Festungen der einzelnen Mächte“ (arces potestatum singularium), die sich „innerhalb dieser Grenzen“ (his finibus), über die der Mythos bisher berichtet hat – dem Pleroma und dem Außerhalb des Pleromas – bewegen. Analog zur polemischen Beschreibung der Strukturierung des Pleromas in 7,1 nutzt Tertullian auch hier die paronomastische Wortverbindung der figura etymologica im Plural zur größtmöglichen Ausdruckssteigerung: „auf den höchsten Gipfeln hat das Pleroma der Dreißig den Vorsitz“ (in summis summitatibus praesidet tricenarius pleroma). 199 Als Heimat der 30 Äonen, deren Emanations-Geschichte in Adv. Val. 7 f. geschildert wird, bildet dieses den aus Perspektive der Welthierarchie höchsten Ort, an dessen Spitze Bythos, Gott bzw. Ur-Vater, weilt (7,3). Mit der inkongruenten Kasus-Nutzung von tricenarius und pleroma intendiert Tertullian, die Aufmerksamkeit seiner Leserschaft auf Inkongruenzen und Ungereimtheiten zu lenken.200 Die „äußerste Grenzlinie“ (linea extrema) des Pleromas „markiert Horos“ (Horo signante) entsprechend seinem Namen (vgl. 9,3; 10,3). Unter dem durch Horos begrenzten Pleroma, aber oberhalb des aus den geformten Gattungen entstandenen Demiurgen „bewohnt Achamoth die Mitte“ (inferius illum metatur medietatem Achamoth).201 Dass unter Achamoth der von ihr stammende „Demiurg in seiner Hebdomas“ (subest enim Demiurgus in hebdomade sua) wohnt (vgl. 20,1 f.), karikiert Tertullian mit der plastischen
199 Vgl. auch B RAUN, Deus christianorum, 44 Anm. 4. Mit praesidere verwendet Tertullian magistrale Sprache (vgl. z.B. Apol. 1,1), vgl. TLL Art. praesido X/2 878,74 f. 200 Fredouille interpretiert ein Wortspiel Tertullians und deutet trecenarius als eine Anspielung auf eine prätorische Zenturie mit 3000 Spähern. Allerdings bleibt die Inkongruenz mit Pleroma bestehen (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 308). Tommasi Moreschini deutet diese Inkongruenz eher als einen Hinweis auf die geschlechtliche Durchmischung des Pleromas mit maskulinen und femininen Entitäten. Die Deutung gewinnt an Kraft, wenn pleroma eindeutig als feminin zu werten ist; jedoch ist es zunächst ein Neutrum und kann von dort abgeleitet auch als feminine Form verwendet werden (vgl. TLL Art. pleroma X/1 2427,1; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 300 Anm. 303). Tommasi Moreschini führt ebenfalls die mögliche Deutung einer Anspielung auf die Herrschaft der 30 in Athen im 5. Jahrhundert vor Christus an. 201 Zu mediates als Terminus zur lokalisierenden Verortung Achamoths vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 5,4; TLL Art. mediates VIII/0 554,50, sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 308; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 300 Anm. 306. Zur im Hintergrund stehenden platonischen Lehre vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 189 f. In Bapt. 3,3 zeichnet Tertullian im Kontext seiner eigenen christlichen Lehre das Weltbild (CChr.SL 1, 278,20 f. BORLEFFS): ut firmamentum caeleste suspenderet in mediate [...]. Metor findet sich zuerst bei Tertullian mit der Bedeutung von habitare (vgl. TLL Art. metor VIII/0 893,74).
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Kapitel 6: Adv. Val. 14–23: Außerhalb des Pleromas
Vorstellung, nach der „Achamoth den Sohn mit ihren Füßen tritt“ (filium calcans). (23,2) Magis diabolus in isto nobiscum convenit mundo coelementato et concorporificato, ut supra editum est, ex Sophiae utilissimis casibus, qua nec aerem haberet, reciprocandi spiritus spatium, teneram omnium corporum vestem, colorum omnium indicem, organum temporum, si non et istum Sophiae maestitia colasset, sicut animalia metus, sicut conversio eius ipsum Demiurgum.
In der Struktur des Ortes außerhalb des Pleromas kommt dem zuletzt eingeführten Teufel (vgl. 22,1 f.) die nächste lokale Nähe zur menschlichen Gattung und der von ihr bewohnten Welt zu, über die Tertullian in Selbstidentifikation (1. Person Plural) spricht (magis diabolus in isto nobicsum convenit mundo); erneut fällt die komparativische, vergleichende und zugleich einschränkende Einführung des Teufels auf (vgl. 22,1). Die lokale Nähe begründet die identische Zusammensetzung der Welt und des Teufels, die „aus denselben Urstoffen zusammengesetzt und zu einem Körper verbunden“ (coelementato et concorporificato) sind; Tertullian verweist auf die Darstellung (ut supra editum est) der Entstehung der Materie aus der Trauer Achamoths, die er als Folge der „sehr nützlichen Fehltritte Sophias“ (ex Sophiae utilissimis casibus; vgl. Adv. Val. 9 f. zur oberen Sophia sowie 14 f. zu Achamoth) einordnet, und amplifiziert seinen sarkastischen, durch die Nennung Sophias uneindeutigen Rückverweis an dieser Stelle durch die beiden lediglich an dieser Stelle belegten Neubildungen coelementato und concorporificato.202 Zwar sei aus Achamoths Tränen, die pars pro toto für die gesamten Emotionen stehen, die aus den Fehltritten der Sophia rühren, das gesamte Element des Wassers entstanden (vgl. 15,2), doch würde das Element Luft (aer) der Welt fehlen (qua nec aerem haberet), „wenn die Traurigkeit Sophias nicht auch diese hätte herausrinnen lassen“ (si non et istum Sophiae maestitia colasset). Irenäus überliefert die Entstehung der Luft als Festwerdung der Trauer Achamoths; Tertullian rekurriert auf diesen Prozess mit dem Verb colare.203 In 15,2 waren maeror und timor Grundlage aller weiteren Dinge. Neben der Traurigkeit erinnert Tertullian an Achamoths Furcht (metus) und Hinwendung
202 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 5,4: Ἐκ δὲ τῆς ἐκπλήξεως καὶ τῆς ἀμηχανίας [l. ἀπορίας], ὡς ἐκ τοῦ ἀσημοτέρου τὰ σωματικὰ, καθὼς προείπαμεν, τοῦ κόσμου στοιχεῖα γεγονέναι. 203 Vgl. TLL Art. colo I III/0 1669,24: secernere, crassiorem materiam a tenui vel liquida. Irenäus referiert nacheinander den Ursprung der Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer – vom Feuer handelt Tertullian in Adv. Val. 23,3 – in der valentinianischen Vorstellung (Adv. Haer. I 5,4 [86,552–556]): γῆν μὲν κατὰ τῆς ἐκπλήξεως στάσιν, ὕδωρ δὲ κατὰ τὴν φόβου κίνησιν, ἀέρα δὲ κατὰ τὴν λύπης πῆξιν· τὸ δὲ πῦρ ἅπασιν αὐτοῖς ἐκπεφυκέναι θάνατον καὶ φθορὰν, ὡς καὶ τὴν ἄγνοιαν τοῖς τρισὶ πάθεσιν ἐγκεκρύφθαι διδάσκουσι.
6.2. Analyse von Adv. Val. 14–23
363
(conversio; vgl. 14,4; 15,2), aus der das Beseelte sowie der Demiurg stammen.204 Das lebensnotwendige Element der Luft malt Tertullian in vier Deutungen nahezu wie eine „Elogie der Luft“205 nach: In lokaler Vorstellung sei diese ein „Raum, um den Atem fließen zu lassen“ (reciprocandi spiritus spatium)206. Luft umgebe zudem alles als „zartes Gewand aller Körper“ (teneram omnium corporum vestem), ist das „Kennzeichen aller Farben“ (colorum omnium indicem) und in kosmologischer Perspektive „Werkzeug der Jahreszeiten“ (organum temporum)207. (23,3) His omnibus elementis atque corporibus ignis inflabellatus est. Cuius originalem Sophiae passionem quia nondum ediderunt, ego interim argumentabor motiunculis eius excussum. Credas enim illam in tantis vexationibus etiam febricitasse.
Zuletzt geht es um das Element „Feuer“ (ignis), das „all diesen Elementen und Körpern eingehaucht worden ist“ (his omnibus elementis atque corporibus inflabellatus est). Mit dem Hapaxlegomenon inflabellare verharmlost Tertullian scheinbar die zerstörerische Macht dieses Elements. 208 Ironisch erdichtet er selbst den Ursprung dieses Feuers, weil die Valentinianer „noch keine Leidenschaft Sophias angegeben haben“ (Cuius originalem Sophiae passionem quia nondum ediderunt).209 Tertullian evoziert daher (argumentabor)210, „dass Sophia durch leichte Fieberanfälle erschüttert worden ist“ (motiunculis eius excussam). Spöttisch dichtet er Sophia eine brennende Leidenschaft an und schließt in direkter Anrede an seine Leserschaft, „zu glauben, dass jene unter so großen Qualen sogar gefiebert hat“ (credas enim illam in tantis vexationibus etiam febricitasse). Tertullian steigert die Zeichnung der Leidenschaften Sophias, die sie nach Schilderung des Mythos qualvoll erlebte (vgl. Adv. Val. 14 f.), karikierend als Fieberanfälle und impliziert ihre subjektive – stellvertretend in den Urhebern der Lehre verkörperte – Unzurechnungsfähigkeit, die
Möglicherweise dient die erneute Anführung dieser beiden Momente zur Verwirrung der Leserschaft (vgl. CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 173 Anm. 7). 205 FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 309; dort auch Parallelen aus der stoischen Umwelt. 206 Vgl. auch in eschatologischer Vorstellung die Formulierung in Apol. 48,2 nach der Handschrift des Fuldensis (CChr.SL 1, 165,11–14 DEKKERS): quaecumque ratio praeest animarum humanarum in corpora reciprocandarum. 207 Anders übersetzt Marastoni: „nel senso di ‚armonia‘“ mit Verweis auf Bapt. 8,1; Anim. 14,4 (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 191). 208 Die zerstörerische Wirkung betont Iren., Adv. Haer. I 5,4. Marastoni deutet inflabellare als durch die in den Exc. Thdt. 48,4 überlieferte Lehre angeregt (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 191), anders CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 174 Anm. 2. 209 Der irenäische Text lässt sich allerdings auch so deuten, dass Feuer „in allen Leidenschaften“ steckt, aus denen die Elemente und Körper entstehen (vgl. den Text in Anm. 203). 210 Zum kompetitiven Sinn, den Tertullian gegenüber dem Wissen der Valentinianer einträgt, vgl. RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 157. 204
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Kapitel 6: Adv. Val. 14–23: Außerhalb des Pleromas
solche Erfahrungen als „so große Qualen“ wahrnimmt. Antithetisch stellt er dem Diminutiv motiunculis211 die Amplifikation in tantis vexationibus gegenüber.
211 Vgl. dazu auch TLL Art. motiunculis VIII/0 1531,60 f. sowie R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 157.
Kapitel 7
Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung 7.1. Gliederung von Adv. Val. 24–32 7.1. Gliederung von Adv. Val. 24–32
Im dritten Teil der Darstellung der Lehre des Ptolemäus kommt Tertullian auf die anthropologischen, soteriologischen und eschatologischen Vorstellungen der Valentinianer zu sprechen. Entsprechend einem heilsgeschichtlichen Aufbau, den Tertullian in einem kurzen Exkurs zu christologischen Vorstellungen durchbricht, differiert die Reihenfolge der Darstellung von der irenäischen.1 In Adv. Val. 24–26 skizziert Tertullian die valentinianische Schöpfungslehre, die in der Menschenschöpfung mündet. Die Valentinianer lehren eine trichotomische Anthropologie, zu der als viertes Element das den Menschen umhüllende Fleisch zählt. In Adv. Val. 26 deutet Tertullian bereits die Zuordnung der einzelnen Elemente des Menschen und ihrer soteriologischen Bestimmung an, um aber zunächst verschiedene christologische Vorstellungen der Valentinianer zu referieren (Adv. Val. 26,2b; 27 f.). In Adv. Val. 29 folgt die Darstellung der Determination der einzelnen Elemente des Menschen; diese verzerrt Tertullian ähnlich wie Irenäus in seiner Darstellung dergestalt, dass die einzelnen Elemente abstrakt und singulär gedeutet werden und eine sogenannte Menschenklassenlehre evozieren. Erst in 32,2 weist Tertullian auf die Vorstellung des „inneren Menschen“ hin. Der anthropologischen Verortung der Elemente
1 Vgl. zu den Differenzen im Einzelnen den jeweiligen Kommentar zur Stelle. Adv. Val. 24–26 folgt Adv. Haer. 5,5 f.; 6,1. Im irenäischen Text führt die Darstellung der Schöpfungslehre und Anthropologie in die ethischen Bestimmungen über (Adv. Haer. 6,2a entspricht Adv. Val. 29,4b; der weitere Text von Adv. Haer. 6,2 sowie 6,3 findet sich bei Tertullian nicht; Adv. Haer. 6,4b entspricht Adv. Val. 30,3). Die christologische Varianz sowie das Wirken des Demiurgen (Adv. Val. 27 f.) findet sich bei Irenäus im Anschluss an die eschatologische Deutung (Adv. Val. 27 entspricht Adv. Haer. 7,2 und Adv. Val. 28 Adv. Haer. 7,3 f. mit einigen Auslassungen des irenäischen Texts). Das bei Tertullian als Adv. Val. 29 zusammengefasste Kapitel ist bei Irenäus aufgeteilt (Adv. Val. 29,1–3 in Adv. Haer. 7,5; Adv. Val. 29,3–4a in Adv. Haer. 7,3 sowie Adv. Val. 29,4b bereits in Adv. Haer. 6,2a). In Adv. Val. 30,1 f. bietet Tertullian einen Text, der ohne Parallele bei Irenäus ist, und die eschatologischen Vorstellungen (Adv. Val. 31 f.) stehen vornehmlich in Adv. Haer. 7,1, differieren allerdings in der Reihenfolge (vgl. dazu den Kommentar); Tertullian überliefert zudem in Adv. Val. 32,3b.4a einen Text ohne Parallele bei Irenäus.
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
entsprechen die ethischen Vorstellungen (Adv. Val. 30) sowie die valentinianische Eschatologie (Adv. Val. 31 f.).
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32 7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
7.2.1. Adv. Val. 24–26: Valentinianische Schöpfungslehre (24,1) Cum talia de deo vel de diis, qualia de homine figmenta? Molitus enim mundum, Demiurgus ad hominem manus confert et substantiam ei capit non ex ista, inquiunt, arida, quam nos unicam novimus terram – quasi non2, etsi arida postmodum, adhuc tamen, tunc aquis ante segregatis, superstite limo, siccaverit – sed ex invisibili corpore materiae, illius scilicet philosophicae, de fluxili et fusili eius, quod unde fuerit audeo aestimare, quia nusquam est!
Steigernd (talia-qualia) und mit stichelnder Polemik versehen, die den Polytheismus-Vorwurf gegen die valentinianische Lehre explizit benennt, 3 leitet Tertullian in den Teil der valentinianischen Lehre über, der von der Erschaffung des Menschen berichtet; diesen charakterisiert er explizit als „Erdichtung“ (figmentum). Auch diese Tat ist wie die zuvor entstandene Welt (mundus; vgl. 20,1) ein Werk des Demiurgen. Die gewählte Terminologie der Verben malt die Tätigkeit des Handwerkers (δημιουϱγός) plastisch aus. Der Demiurg hat zunächst die Welt „ins Werk gesetzt“ (moliri)4, um nun „seine Hände an den Menschen anzulegen“ (ad hominem manus confert)5. Diesen erschafft er aus der Substanz (substantia)6, deren Materialität (vgl. 20,1) noch unsichtbar ist (ex invisibili corpore materiae). Tertullian gibt im Folgenden (24,1–3) eine valentinianische Auslegung der Menschenerschaffung wieder, die eine sukzessive Lesung von Gen 1–3 2 Fredouille streicht non entgegen dem handschriftlichen Befund (vgl. DERS., Valentiniana, 69; DERS., Contre les Valentiniens, 311). Zur Interpretation s.u. 3 Mit der knappen Charakterisierung deutet Tertullian das zuvor Dargestelle pauschal als Gotteslehre ohne nähere Differenzierung z.B. hinsichtlich der Entstehung der Materie. Die sarkastische Färbung dieser Sequenz markiert auch die elliptische Formulierung (cum talia de deo vel de diis). 4 Zum einen gibt Tertullian mit diesem Terminus die bei Irenäus beschriebene handwerkliche Tätigkeit (Δημιουργήσαντα; Adv. Haer. I 5,5) wieder; zum anderen bezeichnet er auch selbst die schöpferische Tätigkeit Gottes als moliri (vgl. z.B. Apol. 21,10 f.; Adv. Herm. 9,5; 45,1; Resurr. 11,9; dazu BRAUN, Deus christianorum, 387–389); zur besonderen Bedeutung von moliri als exstruere, fundare, facere, condere, creare aliquid, vgl. TLL Art. moliri VIII/0 1361,23 f. 5 Tertullian spitzt die irenäische Terminologie (πεποιηκέναι; Adv. Haer. I 5,5) polemisch zu, um „das Demiurgische“, das Handwerkliche am Werk des Demiurgen stärker hervozurheben. Er kennt auch einen gewaltsamen Unterton in der Zuwendung der Hände, vgl. Praescr. 38,8 (SC 46, 141,24 f. REFOULÉ/DE LABRIOLLE): Marcion manus intulit veritati; Adv. Marc. IV 5,6. 6 Zum stofflichen Verständnis der substantia vgl. B RAUN, Deus christianourm, 182 f.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
367
vornimmt. Die Substanz, die der Demiurg zur Erschaffung des Menschen formt – bei Irenäus geht es an dieser Stelle explizit nur um den choischen Menschen –7, wird zunächst mit Rekurs auf den Beginn des ersten Schöpfungsberichts negativ charakterisiert. Wie im irenäischen Referat ist die Substanz „nicht von dieser trockenen Erde“ (non ex ista arida).8 Diesem Referat (inquiunt) stellt Tertullian polemisch die Näherbestimmung der arida gegenüber, die er inklusiv auf ein Wissen der Christen um ihn bezieht. Es geht um die Erde, „die wir als einzige Erde kennen“ (quam nos unicam novimus terram). Tertullian rekurriert mit seinem Kommentar auf Gen 1,9 f.: Gott schied die Wasser und sammelte den einen Teil unter dem Himmel, sodass „das Trockene“ (VL: arida) zum Vorschein kam; dieses Trockene nannte er „Erde“ (VL: terra), das Wasser aber nannte er „Meer“ (mare).9 Die valentinianische Verneinung der Herkunft der Substanz aus arida deutet er für sich und die Christen um ihn als nichtexistente Substanz10. Diesen Gedanken ironisiert er in der folgenden Parenthese (quasi non11 bestätigt seinen polemischen Ton) und thematisiert den Trocknungsprozess als zeitliches Moment (etsi arida postmodum). Dieser Auslegung entspricht Tertullians eigene Exegese der Genesis-Erzählung, in der er ebenfalls die Menschenerschaffung nicht aus arida terra sondern aus limus (Gen 2,7) annimmt. Sein Argument basiert auf dem zeitlichen Moment der Schöpfungsgeschichte: Nachdem die Wasser von Gott im Schöpfungsakt geschieden wurden (Gen 1,6), befindet sich die Erde zum Zeitpunkt der Menschenerschaffung im Prozess der Austrocknung (adhuc tamen [...] siccaverit12). Deutlicher noch benennt er dieses Moment in Bapt. 3,5: Denn ist nicht die Erschaffung und Bildung auch des Menschen selbst durch Verbindung mit dem Wasser vollzogen worden? Genommen wurde der Stoff von der Erde; jedoch war er nur geschmeidig, wenn er feucht und durchnäßt war; dieser war natürlich vier Tage zuvor durch
Vgl. Adv. Haer. I 5,5 (86,557 f.): Δημιουργήσαντα δὴ τὸν κόσμον, πεποιηκέναι καὶ τὸν ἄνθρωπον τὸν χοϊκόν. 8 Vgl. Adv. Haer. I 5,5 (86,667 f.): οὐκ ἀπὸ ταύτης δὲ τῆς ξηρᾶς γῆς, ἀλλ’ ἀπὸ τῆς ἀοράτου οὐσίας. 9 Zum Terminus arida (als Gegenbegriff zu mare) vgl. auch TLL Art. arida II/0 569,38 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 310 f. 10 Vgl. z.B. seine Auslegung in Adv. Herm. 29,2 (SC 439, 156,25–27 C HAPOT): ‚arida‘ autem [...], tamen terra: Et vocavit deus aridam terram. 11 Vgl. auch Anm. 1302. Non ist nicht nur handschriftlich sehr gut bezeugt, sondern in dieser Interpretation auch sinnvoll (vgl. auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 158; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 302 Anm. 316 sowie LUKAS, Tertullian. Adversus Valentinianos). 12 Adhuc lässt sich in der vorliegenden Interpretation im eigentlichen Sinn übersetzen (anders FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 312); zur intransitiven Nutzung von siccare vgl. ebd. sowie DERS., Valentiniana, 69 Anm. 19. Eine ähnliche Verwendung von ante vgl. z.B. auch in Apol. 15,8; Resurr. 48,1. 7
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
die Wasser, als sie zu ihrem Standort hin abgesondert worden waren, infolge der noch übrig gebliebenen Feuchtigkeit zu Lehm geworden.13
Zwar wird es den Moment geben, da die Erde trocken sein wird (etsi arida postmodum); aber die Erde, mit der Gott den Menschen erschafft, ist matschiger Konsistenz. Der Mensch wird aus dem „Lehm der Erde“ (VL 2,7: de limo terrae), der nach der Spaltung der Wasser sichtbar wurde (superstite limo), aus wasserhafter Materie erschaffen.14 Tertullian kritisiert nicht die Ablehung der Vorstellung der Menschenerschaffung aus „trockener Erde“ (arida terra). Er wendet sich gegen die im Folgenden – wie bei Irenäus angeführte – positive Bestimmung der Erschaffung des Menschen „aus dem unsichtbaren Körper der Materie“ (ex invisibili corpore materiae), und zwar aus ihrem „flüssigen und geschmolzenen“ Aggregatzustand (de fluxili et fusili eius).15 Die Qualifizierung des Zustands der Materie hebt Tertullian durch die beiden alliterarisch gebildeten Termini hervor, von denen fluxilis ein Hapaxlegomenon und fusilis einen seltener verwendeten Terminus bilden,16 und bestimmt diesen näherhin als „jene philosophische“ Materie (illius scilicet philosophicae), auf die er bereits in 15,1 ironisch Bezug nahm.17 Tertullian endet mit einer Vemutung über den Ursprung (quod unde fuerit) dieser Aggregatzustände innerhalb der valentinianischen Mythoserzählung. In die fabula valentiniana trägt er selbst fiktive Elemente ein (audeo aestimare), schließlich sei eine Begründung innerhalb der valentinianischen Lehre nicht gegeben (quia nusquam est).18 Implizit schließt Tertullian, dass die Materie,
Non enim ipsius quoque hominis figulandi opus sociantibus aquis absolutum est? Adsumpta est de terra materia [convenit], non tamen habilis nisi humecta et succida quam scilicet ante quartum diem segregatae aquae in stationem suam superstite humore limo tempera[ra]nt. (CChr.SL 1, 279,25–30 BORLEFFS; Übersetzung von SCHLEYER, DIETRICH, Tertullian. De Baptismo. Von der Taufe. De Oratione. Vom Gebet [Fontes Christiani 76], Turnhout: Brepols 2006, 167). 14 Vgl. auch Bapt. 3,5. In Anim. 27,7 charakterisiert Tertullian Lehm im Zuge der Erschaffung des Menschen als nichts anderes als „fruchtbare Flüssigkeit“ (liquor opimus). Limus wird nicht nur ein wichtiger Terminus in der christlichen Schöpfungsgeschichte (vgl. z.B. Tertullians Auslegung zu Gen 2,7 VL in Adv. Herm. 26,1; Bapt. 3,5; Adv. Val. 24); sondern auch für die römische Darstellung der Prometheus-Legende in Hor., Carm. I 16,13; dazu TLL Art. limus VII/2 1428,75–1429,34. 15 Vgl. Adv. Haer. I 5,5 (86,559 f.): ἀπὸ τοῦ κεχυμένου καὶ ῥευστοῦ τῆς ὕλης λαβόντα. Zur Auslegung vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 193. 16 Etymologisch stammt fluxilis von fluere, fluxus, vgl. TLL Art. fluxilis VI/1 982,47–51; Art. fusilis VI/1 1654,79–1655,35. Tertullian selbst verwendet diesen Terminus lediglich noch zweimal in Scorp. 2,12. Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 313. 17 Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 313. 18 Vgl. auch die Spekulation über das Fiebern Achamoths in 23,3; dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 313; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 302 Anm. 319. 13
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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von der die Valentinianer die Menschenerschaffung postulieren, Nichts ist; Tertullian belegt dies mit der fehlenden Evidenz in der Quellengrundlage. (24,2) Si enim fusili et fluxile liquoris est qualitas, liquor autem omnis de Sophiae fletibus fluxit, sequitur ut limum ex pituitis et gramis Sophiae constitisse credamus, quae lacrimarum proinde sunt faeces, sicut aquarum quod desidet limus est. Figulat ita hominem Demiurgus et de afflatu suo animat. Sic erit et choicus et animalis, ad imaginem et similitudinem factus, quadruplex res, ut imago quidem choicus deputetur, materialis scilicet, etsi non ex materia Demiurgus, similitudo autem animalis: hoc enim et Demiurgus.
Mit einem Syllogismus führt Tertullian seine Vermutung bezüglich des Ursprungs der flüssigen und geschmolzenen Materie in der valentinianischen Lehre weiter aus. Mit der ersten Annahme klassifiziert er die Aggregatzustände als „Eigenschaften von Flüssigkeit“ (si enim fusili et fluxile liquoris est qualitas)19 und folgt damit der in der Stoa rezipierten aristotelischen Lehre.20 Daneben identifiziert er liquor mit der valentinianischen Deutung der Entstehung von Flüssigkeit (vgl. 15,2), die „aus dem Weinen Sophias herausfloss“ (liquor autem omnis de Sophiae fletibus fluxit).21 Die einstige mythologisch begründete existente flüssige Konsistenz (omnis liquor) hebt Tertullian auch mit der figura ethymologica (fletibus fluxit) hervor. Aus diesen beiden Annahmen folgert er sarkastisch (sequitur ut credamus) und verbindet die mythologische Ebene mit der Vorstellung der Erschaffung des Menschen; sowohl die Übertragung der Deutung auf die Konsistenz des limus als auch die inklusive Formulierung im pluralis modestiae fallen auf. Mit der als Konklusion stilisierten Deutung, dass der zur Schöpfung des Menschen verwendete Lehm (limus) in seiner Konsistenz „aus Rotz und Augenschleim Sophias bestanden habe“ (ex pituitis et gramis Sophiae constitisse)22, evoziert Tertullian neben der Erkenntnis der Absurdität der Lehre, eine Abwendung seiner Leserschaft aufgrund von Ekel. 23 Abschließend parallelisiert er beide in einem Vergleich: So wie die Ausscheidungen Sophias „Rückstände der Tränen sind“ (quae lacrimarum Es fällt die Varianz in der Aufzählung der Eigenschaften gegenüber 24,1 auf. Tertullians Polemik entspricht der stoischen Vorstellung, dass zum Wesen des einzelnen Dings die sekundär zum Substrat der Materie hinzutretende Eigenschaft (ποῖον/qualitas) gehört (vgl. auch POHLENZ, Die Stoa, 69). Die Qualität „feucht“ ist dem Element „Wasser“ zugeordnet (aaO., 71). Tertullian entspricht dieser Deutung in seiner Schöpfungslehre, indem der zur Menschenerschaffung verwendete Lehm (limus) aus Feuchtigkeit (liquor) besteht, vgl. Anim. 27,7. 21 Während Tertullian in 15,2 den Ursprung der universa aquarum natura „aus Sophias Tränen“ thematisiert (ex lacrimis manavit), wird hier der Akt des Weinens benannt (ex fletibus fluxit), bevor er im Folgenden polemisch auf die Ausflüsse zu sprechen kommt. 22 Die Termini grama und pituita finden sich in Tertullians Œuvre lediglich an dieser Stelle. Im Ganzen bildet grama einen sehr seltenen Terminus in der lateinischen Literatur, vgl. TLL Art. grama VI/2 2165,38–54. 23 Vgl. explizit z.B. in Adv. Val. 36,1 f. (taedium). 19
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
proinde sunt faeces)24, ist der Lehm der Überrest nach dem Trocknungsprozess und dasjenige, „was sich beim Wasser absetzt“ (sicut aquarum quod desidet limus est)25. Nach dieser Polemik wendet sich Tertullian erneut der Darstellung der valentinianischen Lehre zu. Der Mythos liest die Erzählung der Erschaffung des Menschen nach Gen 1–3 als eine durchlaufende Erzählung auf einer Ebene. Zunächst ist der Mensch aus der unsichtbaren Materialität geschaffen – „so töpfert der Demiurg den Menschen“ (figulat ita hominem Demiurgus)26 –, den der Schöpfergott anschließend „durch seine Anhauchung beseelt“ (de afflatu suo animat)27. Im Hintergrund stehen Gen 2,7 und Gen 1,26 f., deren Vorstellungen in der valentinianischen Lehre miteinander verbunden werden. Der Mensch ist zunächst als ein „aus Erde bestehender“ (choicus) geschaffen; dies rekurriert auf die Vorstellung der Erschaffung des Menschen „aus dem Lehm der Erde“ (de limo terrae; VL 2,7). Zudem ist er „beseelt“ (animalis), was den Gedanken des göttlichen Anhauchens in das menschliche Gesicht aufnimmt.28 Die folgende Qualifizierung „als Bild und Ähnlichkeit“ (ad imaginem et similitudinem factum) greift den Gedanken der Menschenschöpfung als Krone der Schöpfung auf und deutet ihn um: Das „Bild“ (imago) wird als „aus Erde“ (choicus)29 und damit „aus Materie bestehend“ (materialis scilicet) verstanden, wohingegen die „Ähnlichkeit“ (similitudo) des Menschen mit Gott als „beseelt“ (animalis) gedeutet wird. Beide Eigenschaften werden zusätzlich Faex bestimmt das Unterste einer Flüssigkeit näher, das nach der Absonderung übrigbleibt (zumeist von Wein): ima atque ultima, quae ex rebus liquidis vel solidis secerni solent; vgl. TLL Art. faex VI/1 169,41–44. 25 Vgl. bereits 24,1 sowie z.B. Tertullians Auslegung von Gen 1,6.9 f. in Bapt. 3,5. 26 Figulare bildet eine tertullianische Prägung (abgeleitet von fingere bzw. figulus), die sich lediglich in seinem Œuvre in ähnlichem Kontext findet (vgl. Carn. Christ. 9,2; Castit. 5,1; Bapt. 3,5). Auf Tertullian geht ebenfalls das Substantiv figulatio im Kontext der Auslegung von Gen 2,7 zurück (vgl. Resurr. 5,4; Anim. 25,2). Vgl. dazu auch TLL Art. figulo VI/1 721,30–33; WELLSTEIN, Nova Verba, 162; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 314; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 302 f. Anm. 322; BRAUN, Deus christianorum, 399–406. Ita korreliert mit sic erit der folgenden ersten Zusammenführung der Gedanken (vgl. auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 159). 27 Vgl. dazu TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 303 Anm. 323 sowie CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 176 Anm. 2. 28 In Adv. Marc. II 9,1 f. diskutiert Tertullian die Übersetzung und Auslegung von Gen 2,7 und klärt explizit, dass er den griechischen Bibeltext in seiner Übersetzung mit adflatus (adflatus Dei, id est anima [SC 368, 62,2 BRAUN]) wiedergibt. Zur Deutung der inkonsequenten Verwendung von adflatus und flatus zur Wiedergabe von Gen 2,7 vgl. auch O’MALLEY, Tertullian, 11–13; WELLSTEIN, Nova Verba, 48–50. 29 Tertullian verwendet als erster Autor diesen griechischen Terminus im valentinianischen Kontext in latinisierter Form (vgl. allerdings auch Anim. 40,3 als synonym zu caro bzw. Resurr. 49 als Zitat von 1Kor 15,47–49). Vgl. TLL Art. choicus III/0 1014,24–48; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 314; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 303 Anm. 326. 24
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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zum schöpferisch tätigen Demiurgen in Bezug gesetzt: Der Mensch wird vom Demiurgen mit einer zunächst unsichtbaren materiellen Substanz geschaffen, obwohl der Schöpfergott selbst „nicht aus Materie besteht“. Dagegen ist die seelische Eigenschaft, welche der Mensch erhält, „auch der Demiurg“ (hoc enim et Demiurgus).30 Polemisch hat Tertullian bereits an dieser Stelle (vgl. erneut 25,3) den Terminus quadruplex eingeflochten, um den entstehenden Menschen als „ein vierfaches Ding“ zu charakterisieren.31 Bevor in 25,3 diese Vorstellung der Vierteilung des Menschen expliziert wird, leitet Tertullian seine Leserschaft hier zunächst zur Deutung an, nach der die vier Momente choicus, animalis, imago und similitudo „das vierfache Ding“ ausmachen und die Valentinianer in ihrer Lehre der Menschenschöpfung neben der unsichtbaren materiellen sowie der psychischen Eigenschaft ebenfalls die aus Gen 1,26 f. bedeutungsträchtigen Termini geschaffene Momente im Menschen bezeichnen. Erst nach den folgenden Kapiteln löst sich diese missverständlich eingetragene Deutung auf. (24,3) Habes duos interim. Carnalem superficiem postea aiunt choico supertextam, et hanc esse pelliceam tunicam obnoxiam sensui.
Bereits mit Beginn des folgenden Paragraphen löst sich die zuvor mit dem Begriff quadruplex gestiftete Verwirrung auf. Zugleich plausibilisiert diese einleitende, in direkter Ansprache an die Leserschaft gerichtete, konstatierende Bemerkung „Du hast inzwischen zwei“ (Habes duos interim) die vorgeschlagene Deutung (24,2).32 Es folgt ein weiteres Referat.33 Das Adverb postea betont die sukzessive valentinianische Auslegung der Genesis-Erzählung als ein sich summierendes Geschehen. Der bisher aus unsichtbarer Materialität mit psychischer Eigenschaft geschaffene Mensch wird nun sichtbar. „Die fleischliche Oberfläche“ (carnalis superficies) des Menschen wird wie ein Mantel „der aus Erde bestehenden übergezogen“ (choico supertexta). Entsprechend Gen 3,21 wird diese mit dem „Kleid aus Tierhaut“ (pellicea tunica) identifiziert, mit dem Gott den Menschen „bedeckt“ (induit; Gen 3,21 VL). Erst mit diesen Fellkleidern, die der Mensch mit der Vertreibung aus dem Paradies erhält, wird der Mensch sichtbar. Der Mensch wird wahrnehmbar, sodass die 30 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 5,5 (86,560–87,566): καὶ εἰς τοῦτον ἐμφυσῆσαι τὸν ψυχικὸν διορίζονται. Καὶ τοῦτον εἶναι τὸν κατ’ εἰκόνα καὶ ὁμοίωσιν γεγονότα, καὶ κατ’ εἰκόνα μὲν τὸν ὑλικὸν ὑπάρχειν, παραπλήσιον μὲν, ἀλλ’ οὐχ ὁμοούσιον ὄντα τῷ Θεῷ, καθ’ ὁμοίωσιν δὲ τὸν ψυχικὸν, ὅθεν καὶ πνεῦμα ζωῆς τὴν οὐσίαν αὐτοῦ εἰρῆσθαι, ἐκ πνευματικῆς ἀπορροίας οὖσαν. FREDOUILLE deutet imago als Ausdruck der Nähe und Identifikation, similitudo als Distanz und Vermittlung. 31 Diese polemische Wertung bietet erneut tertullianisches Gut. 32 Vgl. eine ähnliche in direkter Ansprache innerhalb der Lehre die Unglaubwürdigkeit evozierende Formulierung in 7,8; 25,3. 33 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 5,5 (87,566–88,568): Ὕστερον δὲ περιτεθεῖσθαι λέγουσιν αὐτῷ τὸν δερμάτινον χιτῶνα· τοῦτο δὲ τὸ αἰσθητὸν σαρκίον εἶναι θέλουσι.
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pellicea tunica „der Empfindung unterworfen sind“ (obnoxia sensui).34 Die valentinianische Exegese bietet eine allegorische Umdeutung der pellicea tunica: Caro bildet als sichtbare Körperlichkeit und „Oberfläche“ (superficies) den materiellen Teil des Menschen.35 (25,1) Inerat autem in Achamoth ex substantia Sophiae matris peculium quoddam seminis spiritalis, sicut et ipsa Achamoth in filio Demiurgo sequestraverat, ne hoc quidem gnaro. Accipe industriam clandestinae providentiae huius.
Der geschaffene Mensch, der zunächst aus einer materiellen und seelischen Natur besteht (24,1 f.), die durch die fleischliche Hülle sichtbar geworden sind (24,3), erhält im valentinianischen Mythos als dritten Teil die geistige Natur. Tertullian erinnert daran, dass sich in Achamoth bereits „ein gewisses Vermögen des geistige Samens“ (peculium quoddam seminis spiritalis) befand, das sie „aus der Substanz ihrer Mutter Sophia“ (ex substantia Sophiae matris) erhalten hatte, und rekurriert auf die lokale Verortung dieses Vermögens innerhalb des mythologischen Geschehens im Kontext der Darstellung des Geschehens außerhalb des Pleromas (vgl. 14,2: peculium, id erat odor incorruptibilitatis).36 Ebenso wie Achamoth diesen geistigen Samen als Vermögen von ihrer Mutter ererebt hat, gibt sie diesen an den Demiurgen – allerdings lediglich „zur Verwahrung“, wie Tertullian betont – weiter (sicut et ipsa Achamoth in filio Demiurgo sequestraverat); schließlich sei dieser „unwissend“ über dieses Vermögen (ne hoc quidem gnaro; vgl. 18,2; 20,3).37 In der abschließenden Aufforderung an seine Leserschaft spielt Tertullian auf Achamoths folgendes Vgl. τὸ αἰσθητόν σαρκίον bei Irenäus (Adv. Haer. I 5,5). In 26,1 verbindet Tertullian die materielle Substanz des Menschen mit seiner fleischlichen: materiali, id est carnali. Vgl. auch die tertullianische Auslegung z.B. in Resurr. 7,2 (CChr.SL 2, 929,4–12 BORELFFS): Sed adhuc velim discas, quando et quomodo caro floruerit ex limo. Neque enim, ut quidam volunt, illae pelliciae tunicae, quas Adam et Eva paradisum exuti induerunt, ipsae erunt carnis ex limo reformatio, cum aliquanto prius et Adam substantiae suae traducem in feminae iam carne recognoverit – Hoc nunc os ex ossibus meis et caro ex carne mea – et ipsa delibatio masculi in feminam carne subpleta sit, limo, opinor, supplenda, si Adam adhuc limus. 36 Eine andere Herleitung dieses geistigen Samens bietet Irenäus, der den nun in den Menschen einzufügenden semen spiritalis mit Rekurs auf seine durch den Anblick der Engel hervorgerufene Entstehung als Frucht Achamoths einführt (vgl. Adv. Haer. I 5,6; Tert., Adv. Val. 17,1 f.). Der Terminus peculium deutet auf Tertullians ironischen Ton hin; in Bapt. 20,5 bezeichnet peculium mit Anspielung auf 1Kor 12,4 das „besondere göttliche Gut“ im Menschen, das er nach der Taufe erhält (petite de domino peculia gratiae distributiones charismatum subiacere; CChr.SL 1, 295,30–32 BORLEFFS). Die Bedeutung des geistigen Samens hebt Tertullian auch in Carn. Christ. 19,1 hervor (SC 216 286,7 f. MAHÉ): semen illud arcanum electorum et spiritalium quod sibi imbuunt. 37 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 5,6 (88,569–573): Τὸ δὲ κύημα τῆς Μητρὸς αὐτῶν τῆς Ἀχαμὼθ, [...] ὁμοούσιον ὑπάρχον τῇ Μητρὶ, πνευματικὸν, καὶ αὐτὸν ἠγνοηκέναι τὸν Δημιουργὸν λέγουσι, καὶ λεληθότως κατατεθεῖσθαι εἰς αὐτὸν μὴ εἰδότος αὐτοῦ. Sowie Clem., Exc. Thdt. 53,2. 34
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7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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Handeln an, dem er sich in 25,2 ausführlicher widmet. Sarkastisch fordert er seine Leserschaft auf, in dieser Handlung „den Eifer ihrer heimlichen Fürsorge zu vernehmen“ (Accipe industriam clandestinae providentiae huius). 38 Die Unkenntnis des Demiurgen korreliert Tertullian mit einer absichtlich heimlichen, aus Fürsorge motivierten Handlung. (25,2) Ad hoc enim et deposuerat et occultaverat ut, cum Demiurgus animam mox de suo afflatu in Adam communicaret, pariter et semen illud spiritale quasi per canalem animam derivaretur in choicum, atque ita feturatum in corpore materiali velut in utero et adultum illic, idoneum inveniretur suscipiendo quandoque sermoni perfecto.
Erst in diesem Paragraphen liefert Tertullian die schöpfungstheologische Begründung mit implizitem Rekurs auf Gen 2,7, wie sie sich auch bei Irenäus findet.39 Der Zweck (ad hoc) Achamoths heimlicher Ablegung (deposuerat et occultaverat) des semen spiritale im Demiurgen wird im valentinianischen Mythos mit der göttlichen Anhauchung Adams in Verbindung gebracht. Im Moment dieser Anhauchung durch den Schöpfergott, in dem der Demiurg „die Seele in Adam überträgt“ (cum Demiurgus animam mox de suo afflatu in Adam communicaret), gelangt zugleich – vom schaffenden Demiurgen unbemerkt – der pneumatische Samen in den Menschen.40 Tertullian bietet einen Vergleich, um diesen Vorgang zu verdeutlichen: Der geistige Samen wird „wie durch ein Röhrchen durch die Seele in das aus Erde bestehende abgeleitet“ (quasi per canalem animam derivaretur in choicum)41. Weder die Seele noch der Urheber dieser Ableitung werden dadurch verändert; die Seele wird instrumentell verstanden und als Eingang in den Menschen gedeutet.42 Durch diese unbemerkte Einleitung in den „materiellen Körper“ wird der Samen „wie in einer Gebärmutter befruchtet und wächst dort heran“ (ita feturatum in corpore materiali velut in utero et adultum illic). Mit der Wiederaufnahme der Fruchtbarkeitsmetaphorik folgt Tertullian der irenäischen Angeregt kann Tertullian die irenäische Formulierung ἀρρήτῳ προνοίᾳ in Adv. Haer. I 5,6 haben. 39 Adv. Haer. I 5,6 (88,573–89,577): ἵνα δι’ αὐτοῦ εἰς τὴν ἀπ’ αὐτοῦ ψυχὴν σπαρὲν καὶ εἰς τὸ ὑλικὸν τοῦτο σῶμα, κυοφορηθὲν ἐν τούτοις καὶ αὐξηθὲν, ἕτοιμον γένηται πρὸς ὑποδοχὴν τοῦ τελείου . 40 Vgl. auch Anim. 27,7 (VCS 100, 39,10 f. W ASZINK): Ex afflatu dei anima. Quid aliud afflatus dei quam vapor spiritus? Nach Gen 2,7 VL wird auch die anima vitae durch die Anhauchung in Adam gesät und afflatus psychisch gedeutet. Allerdings findet sich auch eine Handschrift, die den spiritus vitae im afflatus überträgt, und „der Mensch zu einer lebendigen Seele gemacht wird“ (et factus est homo in animam vivantem). 41 Zur Konstruktion per canalem animan vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 315. 42 Möglicherweise steht im Hintergrund auch das plastische Bild der Luftröhre (canalis animae), wie Plinius es anführt (vgl. Nat. hist. VIII 29). Vgl. zudem das irenäische Bild im Kontext der christologischen Diskussion, nach dem Christus durch Maria hindurchgeht „wie Wasser durch die Kanalröhre“ (Adv. Haer. I 7,2 [103,698]): καθάπερ ὕδωρ διὰ σωλῆνος ὁδεύει. 38
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Deutung, die den geistigen Samen in seiner Herkunft als „Leibesfrucht der Mutter“ thematisiert.43 Tertullian parallelisiert das Geschehen im Pleroma, die Ausdifferenzierung des Göttlichen in 30 Äonen (vgl. 7 f.) mit der Entstehung des Menschen und bildet dazu das Hapaxlegomenon feturatum.44 Ziel und Aufgabe des pneumatischen Samens ist es, „für fähig befunden zu werden, irgendwann einmal das vollkommene Wort aufzunehmen“ (idoneum inveniretur suscipiendo quandoque sermoni perfecto). 45 Es klingt an dieser Stelle bereits die eschatologische Perspektive an (vgl. 29,3). Der pneumatische Samen im Menschen wird am Ende für die Aufnahme des Göttlichen bereit sein. Zum jetzigen Zeitpunkt des mythologischen Geschehens ist dieses Ende unbestimmt (quandoque). Sermo perfectus erinnert zum einen an den von Nus emanierten Äon des Pleromas (vgl. 7,6). Zugleich ist Sermo auch der Beiname Jesu (vgl. 12,4; 39,1), der „vollkommenen Frucht“ (perfectum fructum) des Pleromas. (25,3) Itaque cum Demiurgus traducem animae suae committit in Adam, latuit homo spiritalis flatui eius insertus et pariter corpori inductus, quia non magis semen noverat matris Demiurgus quam ipsam. Hoc semen Ecclesiam dicunt, Ecclesiae supernae speculum et Hominis censum, proinde eum 46 ab Achamoth deputantes, quemadmodum animalem a Demiurgo, choicum substantia ἀρχῆς, carne materialem47. Habes novum, id est quadruplum Geryonem.
Den schöpferischen Akt der Seeleneinhauchung in Adam durch den Demiurgen deutet Tertullian mit einem Bild aus der Botanik, das sich nicht in der irenäischen Vorlage findet; der Demiurg habe Adam „den Ableger seiner Seele eingepflanzt“ (cum Demiurgus traducem animae suae committit in Adam). Tradux stammt ursprünglich aus der Weinkultur und bezeichnet die Weinranke, die hinüber-gezogen wird (trans-ducere), um bei möglichst guter Sonneneinstrahlung zu reifen.48 Auch in Anim. kann Tertullian von der Seele als „ein Hauch und ein Ableger des göttlichen Geists“ bzw. als „eine Weitergabe
Vgl. Adv. Haer. I 5,6 mit Text in Anm. 39. Das Verb feturo findet sich ebenfalls lediglich einmal im Sinn von procreare, vgl. TLL Art. feturo VI/1 636,16–21. 45 Vgl. hier die genaue Parallele zum irenäischen Text Adv. Haer. I 5,6 (mit Text in Anm. 39). 46 Diese Ergänzung geht auf Fredouille zurück (vgl. DERS., Valentiniana, 70). 47 Die Handschriften lesen materia bzw. materie. Es ist Kroymanns Konjektur zu folgen, die zudem in einen Chiasmus (choicus – materialis/substantia ἀρχῆς – carne) führt. Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 317; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 304 Anm. 336. 48 Vgl. O’M ALLEY, Tertullian, 70 f. sowie Col. V 7,3: ut novi tradues omnibus annis inter se ex arboribus proximus comittantur et veteres decidantur. 43
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7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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in die Frau von Adam aus“ schreiben und rekurriert damit auf den dynamischen und organischen Aspekt dieser Metapher.49 Im Moment der Seeleneinhauchung durch den Demiurgen erhält Adam auch den von Achamoth heimlich im Demiurgen abgelegten geistigen Samen. Metonymisch formuliert der Mythos, dass „der geistige Mensch“ in diesem Prozess wie beim ausführenden Demiurgen selbst „verborgen blieb“ (latuit homo spiritalis)50; dieser war „dem Hauch des Demiurgen beigefügt“ (flatui eius insertus)51, sodass er auf diesem Wege „in den Körper hineingeleitet worden ist“ (et pariter corpori inductus). Komparativisch betont Tertullian die Unwissenheit des Demiurgen und unbewusste Vermittlung des semen spiritalis; schließlich begründe die Unkenntnis der Mutter noch viel eher die Unkennntis ihres Samens (quia non magis semen noverat matris Demiurgus quam ipsam). Diesen Samen identifiziert der valentinianische Mythos mit der Kirche (Ecclesia), die „das Abbild der oberen Kirche“ (Ecclesiae supernae speculum)52 ist und damit Abbild des achten Äons im Pleroma (7,7). In Verbindung mit der Identifizierung des semen spiritale mit der Kirche (ecclesia), rekurriert Tertullian indirekt auf ihren männlichen Paargenossen, den an siebter Stelle hervorgebrachten Äon Mensch (Homo), der neben der Kirche „Ursprung des Menschen“ (Hominis censum) ist. Das Referat mündet in die Zusammenfassung der Zusammensetzung des Menschen und des Ursprungs dieser Teile, die Tertullian in wertend
49 Anim. 9,6 (VCS 100, 12,3 W ASZINK): flatus et spiritus tradux bzw. 36,4 (52,33 f.): et animae ex Adam tradux fuisset in femina. 50 Tertullian folgt der irenäischen Vorlage; die Rede vom πνευματικὸν ἄνθρωπον (Adv. Haer. I 5,6) steht der Rede von τριῶν ὄντων (I 6,1) gegenüber. Diese hat die Deutung der sogenannten valentinianischen Menschenklassenlehre unterstützt und den polemischen Vorwurf befruchtet. Vgl. allerdings z.B. die Rede von τὸ σπέρμα τὸ πνευματικόν in Clem., Exc. Thdt. 53,2. Zur Diskussion um die sogenannte Menschenklassenlehre der Valentinianer vgl. ALAND, BARBARA, Erwählungstheologie und Menschenklassenlehre. Die Theologie des Herakleon als Schlüssel zum Verständnis der christlichen Gnosis?, in: Martin Krause (Hg.), Gnosis and Gnosticism. Papers read at the Seventh International Conference on Patristic Studies 1975 (Nag Hammadi Studies 8), Leiden: Brill 1977, 148–181; MARKSCHIES, CHRISTOPH, Extra ecclesiam nulla salus? Oder: Wer wird gerettet?, in: Dorothea Sattler/Volker Leppin (Hg.), Heil für alle? Ökumenische Reflexionen (Dialog der Kirchen 15), Freiburg: Herder/Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 295–314, 295–302 sowie den Kommentar zum „inneren Menschen“ in Adv. Val. 32,2. 51 Irenäus überliefert an dieser Stelle σπαρέν und verwendet damit ein Verb der Botanik. Im Lateinischen gleichen sich zwar die Verben im Indikativ (inserere), allerdings differieren die Partizip-Formen (insertus bzw. insitus). Die Handschriften überliefern einheitlich insertus. Die Form insitus würde mit der tertullianischen Metapher tradux sehr gut korrelieren. Ob erst mit den Handschriften ein Fehler in die Überlieferung getreten ist, lässt sich nicht mit Sicherheit belegen. 52 Zu supernus vgl. B RAUN, Deus christianorum, 44 mit Anm. 4.
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
absteigender Reihenfolge anführt: 53 Adam ist „geistig von Achamoth her“ (proinde eum ab Achamoth deputantes), „ebenso seelisch vom Demiurgen“ (quemadmodum animalem a Demiurgo), „aus Erde bestehend durch die Substanz des Ursprungs“ (choicum substantia ἀρχῆς)54 „durch das Fleisch stofflich“ (carne materialem). In direkter Ansprache seiner Leserschaft deutet Tertullian diese vierfache Beschaffenheit des Menschen mit einem Vergleich aus der griechischen Mythologie, indem er diesen Menschen mit Geryon, einer aus drei Köpfen und drei Leibern an der Hüfte zusammengewachsenen Figur identifiziert. 55 Tertullian karikiert den valentinianischen Adam auf doppelte Weise: Nicht allein die Identifizierung mit einer mythologischen Figur, sondern auch die Erweiterung dieser zu einem „viergliedrigen Wesen“ als „einen neuen, nämlich vierfachen Geryon“ (Habes novum, id est quadruplum Geryonem) zeigt Tertullians Sarkasmus an.56 Quadruplex weist zurück auf 24,2 und erklärt sich von hier ausgehend als Einheit der vier Elemente: Fleisch, Substanz, Seele und Geist des Menschen. Analog zu biblischer Tradition schlägt sich hier die trichotomische Vorstellung des Menschen als eine Einheit aus Leib, Seele und Geist nieder; dieser wird durch sein wahrnehmbares Fleisch sichtbar. In valentinianischer Vorstellung sind die vier Elemente je unvollendet und bedürfen in eschatologischer Perspektive ihre je endgültige Gestaltung. (26,1) Sic et exitum singulis dividunt: materiali quidem, id est carnali, quem et sinistrum vocant, indubitatum interitum; animali vero, quem et dextrum appellant, dubitatum eventum, utpote inter materialem spiritalemque nutanti et illac debito qua plurimum adnuerit; ceterum spiritalem emitti in animalis comparationem, ut erudiri cum eo et exerceri in conversationibus potuit57. 53 Anders Irenäus, der den pneumatischen Teil zuletzt anführt (Adv. Haer. I 5,6 [89,583– 90,586]): ὥστε ἔχειν αὐτοὺς τὴν μὲν ψυχὴν ἀπὸ τοῦ Δημιουργοῦ, τὸ δὲ σῶμα ἀπὸ τοῦ χοὸς, καὶ τὸ σαρκικὸν ἀπὸ τῆς ὕλης, τὸν δὲ πνευματικὸν ἄνθρωπον ἀπὸ τῆς Μητρὸς τῆς Ἀχαμώθ. 54 Fredouille deutet den griechischen Terminus als eine ironische Referenz auf die materia philosophica (24,1) und damit auf den platonischen Terminus des „Ursprungs“, sowie zugleich das stoische Prinzip des unkörperlichen und formlosen Ursprungs im Hintergrund (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 317 mit Parallelen). Riley hingegen argumentiert mythosimmanent und wertet ἀρχῆς als Rekurs auf die in Adv. Val. 16,3 berichtete Separierung der incorporalis paratura (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 160). 55 Zur Anrede mit habes vgl. bereits 7,8; 24,3. 56 In Pall. 4,3,3 kennt Tertullian Geryon als die dreigliedrige mythologische Figur (Ubi Geryon ter unus?). Vgl. zu antiken Parallelen den Kommentar von HUNINK, Tertullian. De Pallio, 198. Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 305 Anm. 337. 57 Die Handschriften lesen im Perfekt potuit; der Satz erhält damit einen temporalen Sinn („sobald er [d.h. der Geistige] mit ihm [d.h. dem Seelischen] in der Lebensführung unterrichtet werden konnte“). Inhaltlich eindeutiger ist zwar die Konjektur der Editionen, die zum Präsens ändern und dem Satz damit einen finalen Sinn verleihen; allerdings ist der aus Irenäus Text abgeleitete finale Sinn bereits in in animalis comparationem enthalten (vgl.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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Auf die Darstellung der valentinianischen Anthropologie folgt die Thematisierung soteriologischer Fragen, die miteinander korrelieren (sic). Tertullian folgt der irenäischen Vorlage, aus der heraus sich die Annahme einer valentinianischen Menschenklassenlehre begründet. Während Irenäus diesen Sachverhalt allerdings generisch im Neutrum formuliert und vom materiellen, psychischen und pneumatischen Anteil im Menschen ausgeht, schreibt Tertullian an dieser Stelle eindeutig maskulin.58 Diese Deutung bestätigt die Notiz in Praescr. 7,3, wenn Tertullian die valentinianische Lehre qua der „Dreiteilung der Menschen“ (trinitas homonis apud Valentinum) charakterisiert und als platonisch einordnet.59 Tertullian spitzt polemisch zu; dies markiert auch die referierende Formulierung dividunt, die zugleich inhaltlich Tertullians Ton vernehmen lässt: „So teilen sie auch das Schicksal den einzelnen Menschen zu“ (sic et exitum singulis dividunt). Die metaphorisch dargestellte valentinianische Vorstellung des ‚Menschen im Menschen‘ verzerrt die polemische Darstellung zu einer dreigeteilten Menschen-Gattung. Es folgt die dreigeteilte Aufzählung (quidem, vero, ceterum), bei der Tertullian entsprechend dem irenäischen Text steigernd vom Materiellen, über den Seelischen zum Geistigen formuliert:60 Der stoffliche Mensch, d.h. das Materielle am Menschen, wird „einen unbezweifelbaren Untergang“ (indubitatum interitum) ereilen; die Auswegslosigkeit betont Tertullian paronomastisch. Die irenäische Begründung, die auf die Unfähigkeit der Aufnahmemöglichkeit von Unvergänglichem zielt, nimmt Tertullian erst später auf, wenn er in 29,2 zuspitzt, dass das „zur Erde gehörende dem Heil gegenüber entartet ist“ (saluti degeneratum), sowie in 32,1 mit Rekurs auf Jes 40,6 den Untergang mit der fleischlichen Existenz begründet. In diesem Kontext identifiziert er den stofflichen Menschen mit seiner fleischlichen Existenz (materiali quidem, id est carnali). Fredouille deutet diese Eintragung Tertullians als „ironische Glosse“, angeregt durch die Formulierung carne materialem (25,3) zur Reduktion der
auch den Kommentar mit Anm. 63), sodass an der handschriftlichen Lesart als lectio difficilior festgehalten wird. 58 Zwar ließe sich singulis sowohl als Neutrum (singula, und damit einzelne Elemente), als auch als Maskulin (singuli, und damit homines und einzelne Gattungen) deuten. Allerdings formuliert die folgende Explikation eindeutig maskulin, sodass homo zu ergänzen ist. Zur polemischen Verschiebung gegenüber der valentinianischen Lehre vgl. Anm. 50. 59 Dazu, dass Tertullian an dieser Stelle nicht zwischen den Valentinianern und Valentin differenziert vgl. 7.1. der Einleitung. 60 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 6,1 (90,587–91,595): Τριῶν οὖν ὄντων, τὸ μὲν ὑλικὸν, ὃ καὶ ἀριστερὸν καλοῦσι, κατὰ ἀνάγκην ἀπόλλυσθαι λέγουσιν, ἅτε μηδεμίαν ἐπιδέξασθαι πνοὴν ἀφθαρσίας δυνάμενον· τὸ δὲ ψυχικὸν, ὃ καὶ δεξιὸν προσαγορεύουσιν, ἅτε μέσον ὂν τοῦ τε πνευματικοῦ καὶ ὑλικοῦ, ἐκεῖσε χωρεῖν, ὅπου ἂν καὶ τὴν πρόσκλισιν ποιήσηται· τὸ δὲ πνευματικὸν ἐκπεπέμφθαι, ὅπως ἐνθάδε τῷ ψυχικῷ συζυγὲν μορφωθῇ, συμπαιδευθὲν αὐτῷ ἐν τῇ ἀναστροφῇ. Καὶ τοῦτ’ εἶναι λέγουσι τὸ ἅλας καὶ τὸ φῶς τοῦ κόσμου.
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zuvor als quadruplex stilisierten vier Elemente auf die drei materialis – animalis – spiritalis.61 Wie bereits die materielle Substanz in 18,3, wird der materielle Mensch nach valentinianischer Lehre dem Linken zugeordnet und „der Linke genannt“ (quem et sinistrum vocant). Den seelischen Menschen hingegen „bezeichnen sie auch als Rechtes“ (animali vero, quem et dextrum appellant), entsprechend der psychischen Substanz in 18,3. Ihm kommt ein „zweifelhafter Ausgang“ (dubitatum eventum) zu, wie Tertullian mit dem gleichen Adjektiv wie im Kontext des Materiellen in positiver Bedeutung formuliert (indubitatum – dubitatum). Der seelische Mensch hat die freie Entscheidungsmöglichkeit: „Weil er nämlich zwischen dem Materiellen und dem Geistigen schwankt und dorthin bestimmt ist, wo er am Meisten hinneigt“ (utpote inter materialem spiritalemque nutanti et illac debito qua plurimum adnuerit); den ethischen Zusammenhang klärt Tertullian in 30,1 f. Zugleich markiert adnui einen Moment der freien Entscheidung. Wenn das Seelische sich von der reinen Materialität abwendet und zum Geistigen „hinneigt“, kann es mit diesem gemeinsam errettet werden. Die Befähigung der Errettung wird ihm durch das pneumatische Element zuteil. Daher sei der geistige Mensch mit der Zweckbestimmung „zur Vorbereitung des Seelischen ausgeschickt worden“ (ceterum spiritalem emitti in animalis comparationem). In comparatio schwingt auch eine Anspielung auf das paarweise Sein als Syzygie mit; es bedarf in soteriologischer Perspektive notwendigerweise der Verbindung des geistigen und des seelischen Elements.62 Dieses Moment der Vereinigung unterstreicht die temporal zu deutende Fortführung des Satzes.63 Die Vorbereitung beginnt, „sobald das Geistige mit dem Seelischen zusammen erzogen und in der Lebensführung unterrichtet werden konnte“ (ut erudiri cum eo et exerceri in conversationibus potuit). Die paarweise Vereinigung des psychischen und pneumatischen Elements, die erst im Moment beginnt, wenn das pneumatische Element ausgeschickt worden ist,
61 FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 319; vgl. dazu C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 187 Anm. 7. 62 Vgl. die Formulierung bei Iren., Adv. Haer. I 6,1. Dort folgt eine allegorische Auslegung von Mt 5,13 f. mit Blick auf die Erziehung des pneumatischen und psychischen Elements in Verbindung auf der Welt als „Salz und Licht der Erde“. Eine solche biblische Anspielung fehlt bei Tertullian; über mögliche Gründe spekuliert CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 190 Anm. 6. 63 Vgl. auch Anm. 57. Eine Änderung der handschriftlichen Überlieferung zu possit verleiht dem Satz einen finalen Sinn, der vornehmlich aus dem irenäischen Text abgeleitet ist; dieser ist auch in Tertullians Darstellung erhalten (in animalis comparationem), sodass an dieser Stelle die temporale Lesart einen zweiten Aspekt beleuchtet; vgl. dazu auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 188 Anm. 3.
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führt zunächst in die ethische Unterweisung als Vorbereitung der endgültigen Errettung.64 (26,2) Indiguisse enim animalem etiam sensibilium disciplinarum. In hoc et paraturam mundi prospectam, in hoc et Soterem in mundo repraesentatum, in salutem scilicet animalis. Alia adhuc compositione monstruosum volunt illum prosicias earum substantiarum induisse, quarum summam saluti esset redacturus, ut spiritalem quidem susceperit ab Achamoth, animalem vero a Demiurgo, quem mox induerit Christum; ceterum corporalem, ex animali substantia sed miro et inenarrabili rationis ingenio constructam, administrationis causa interim tulisse, quo congressui et conspectui et contactui et defunctui ingratis subiaceret65; materiale autem nihil in illo fuisse, utpote salutis alienum. Quasi aliis fuerit necessarius quam egentibus salute! Et totum hoc, ut carnis nostrae habitum alienando a Christo a spe etiam salutis excipiant66.
Es folgt die Explikation der vorherigen Darstellung, die auch syntaktisch die Konstruktion fortführt, und speziell den psychischen Menschen thematisiert. Während das pneumatische Element im Menschen unterwiesen werden muss, „habe der Seelische auch sinnlich wahrnehmbarer Unterweisungen bedurft“ (indiguisse enim animalem etiam sensibilium disciplinarum) und ist daher auf die Welt und die sichtbare Offenbarung zur Erziehung angewiesen (vgl. auch 30,1 f.).67 Zu diesem Zweck, „nämlich zum Heil des Seelischen“ (in salutem 64 Conversatio entspricht dem irenäischen ἐν τῇ ἀναστροφῇ. Vgl. dazu auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 188 Anm. 1 mit Verweis auf biblische Parallelen. 65 Gegen die handschriftliche Lesung subiacent, für die Valentiniani das Subjekt wäre und transitiv konstruiert wäre (ohne Parallelen in der lateinischen Sprache), vgl. RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 161. 66 Die handschriftliche Überlieferung ist nicht eindeutig: Während die erste Fassung des Montepessulanus sowie der Luxemburgensis und Florentinus expectant lesen, ändert die zweite Fassung zu expellant. Der Paterniacensis liest dagegen excipiant, was auch die editio princeps übernimmt. Die Konstruktion expellere + a findet sich lediglich noch bei Tertullian in Adv. Marc. V 1,6; häufiger ist diejenige + de. Auch excipere würde eine seltene Verwendung in diesem Kontext darstellen; in dieser Bedeutung „ausnehmen, ausschließen“ findet sich der Terminus bei Tertullian noch in Pud. 5,15 sowie Adv. Marc. IV 16,12. Aufgrund äußerer und innerer Argumente ist es wahrscheinlicher, die Lesart des Paterniacensis zu übernehmen: als einzige von den Lesarten bildet diese ein Zeugnis ohne vorherige Korruptela; und auch die semantische Parallelisierung in Tertullians Œuvre lässt diese Lesart wahrscheinlich sein. So entscheiden auch Riley mit Verweis auf den juridischen Terminus „to exclude or except from a law“ (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 161) sowie CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 194 Anm. 3. Für expellere votieren Fredouille sowie Tommasi Moreschini. 67 Zur Diskussion, ob Tertullian an dieser Stelle der irenäischen Vorlage widerspricht, vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 320 f.; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 189 Anm. 1. Die Entscheidung hängt davon ab, ob ψυχικῳ in der griechischen Variante des irenäischen Texts im Dativ Singular oder im Genitiv Plural zu lesen ist und ob dementsprechend καί als Konjunktion oder als Adverb zu deuten ist. Entgegen dem handschriftlichen Befund des Vaticanus aus dem 9. Jahrhundert sowie des Marcianus von 1057 nach Christus wird für die Überlieferung bei Epiphanius eine Angleichung an die lateinische (animali)
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scilicet animalis), lehre die valentinianische Kosmogonie einerseits die „Erschaffung der Welt“ (in hoc et paraturam mundi prospectam); die conditio mundi wird anthropologisch begründet.68 Andererseits wird die soteriologische Präsenz des göttlichen Retters allein mit dieser auf den seelischen Menschen bezogenen Zweckbestimmung, zu der er „in der Welt vergegenwärtigt worden ist“ (in hoc et Soterem in mundo repraesentatum), enggeführt. Zielpunkt bildet das Heil (salus) für die psychischen Anteile im Menschen.69 Diese Deutung des Soters inspiriert Tertullian zu einem kurzen Referat einer weiteren valentinianischen Lehre über den Soter (vgl. auch Adv. Val. 27). An dieser Stelle findet sich ein Neueinsatz in der Darstellung, der sowohl durch das allerdings tendenziös verwendete Verb volunt70 als auch den Verweis auf „eine andere Zusammenstellung“ markiert wird, auf die sich Tertullian nach seiner Darstellung bezieht (alia adhuc compositio).71 Ob hinter alia compositio eine nicht mehr zu identifizierende Quelle steht, bleibt fraglich. Der Kern der folgenden Darstellung der vier Wesen, die der Soter annimmt, um seiner Funktion, Heil zu wirken, nachkommen zu können, findet sich auch bei Irenäus, der dies allerdings nicht als Lehrvarianz einführt.72 Die einführende Deutung der Lehrdarstellung steht unter dem Vorbehalt der tertullianischen Fiktion. Mit dem den Soter qualifizierenden monstruosum spielt Tertullian auf seine karikierende Wertung der Entstehung von Jesus-Soter in 12,4 an, die er mit einer Almosengabe verglichen hatte (ex aere collaticio). So charakterisiert er die gebotene valentinianische Lehre als eine dem Soter widernatürliche (monstruosus) Lehre, nach der dieser „Opferstücke dieser Substanzen anlegte, deren sowie tertullianische Fasssung präferiert (GCS NF 10/1 416,19 HOLL u.a.). Dem entspricht die Baugleichheit des Satzes von Tertullian, dem an dieser Stelle mit großer Wahrscheinlichkeit die ursprüngliche Version des griechischen Texts von Irenäus schriftlich vorgelegen haben wird. 68 Zum Vergleich mit der mittelplatonischen Vorstellung vgl. A LAND, Der gnostische Mythos, 273. 69 Dabei entfällt die bei Irenäus angefügte Begründung, die Tertullian bereits in 26,1 benannt hatte. Es fällt auf, wie häufig der Terminus salus in diesem Kontext vorkommt, vgl. in 26,2 fünfmal und davon mindestens dreimal in Tertullians Polemik, der die Darstellung des Mythos damit auch auf diese Thematik hin zuspitzt. Zum tertullianischen Gebrauch von salus vgl. BRAUN, Deus christianorum, 478–483. 70 Insbesondere im Vergleich mit dem irenäischen φάσκουσιν. 71 Es wäre sinnvoller, an dieser Stelle den Einschnitt in der Paragraphengliederung zu setzen. Im irenäschen Text findet sich zudem keine Untergliederung zwischen den parallelen Stücken Adv. Val. 26,1 und 26,2 (vgl. Adv. Haer. I 6,1), das Verb (φάσκουσιν) ist parallel zum vorherigen λέγουσιν gebildet und es gibt keinen Hinweis auf die andere Quelle. 72 Vgl. Adv. Haer. I 6,1 (92,600–606): ἀπὸ μὲν τῆς Ἀχαμὼθ τὸ πνευματικὸν, ἀπὸ δὲ τοῦ Δημιουργοῦ ἐνδεδύσθαι τὸν ψυχικὸν Χριστὸν, ἀπὸ δὲ τῆς οἰκονομίας περιτεθεῖσθαι σῶμα, ψυχικὴν ἔχον οὐσίαν, κατεσκευασμένον δὲ ἀρρήτῳ τέχνῃ, πρὸς τὸ καὶ ἀόρατον καὶ ψηλαφητὸν καὶ παθητὸν γεγενῆσθαι· καὶ ὑλικὸν δὲ οὐδ’ ὁτιοῦν εἰληφέναι λέγουσιν αὐτόν· μὴ γὰρ εἶναι τὴν ὕλην δεκτικὴν σωτηρίας.
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Gesamtheit er später zum Heil bringen sollte“ (illum prosicias earum substantiarum induisse, quarum summam saluti esset redacturus). 73 Analog zur im Mythos vorgetragenen Entstehung des Soters, der „als Frucht des ganzen Pleromas“ die Eigenschaften der einzelnen Äonen in sich vereinigt (12,3–5)74, erhält der Soter temporär verschiedene Existenzweisen zum Heilswirken in der Welt. Im Unterschied zu Irenäus, der ein voluntatives Moment betont, spricht Tertullian von der „Gesamtheit“ (summa), die zum Heil geführt werden soll. Wie sich die Gesamtheit zur vorherigen Äußerung der Differenzierung in den sicheren Untergang für alles Materielle, den zweifelbaren Ausgang für alles Psychische sowie die Notwendigkeit der gemeinsamen Erziehung mit dem Pneumatischen verhält (26,1), führt er nicht weiter aus. Der Soter hat „die geistige Substanz von Achamoth empfangen“ (ut spiritalem quidem susceperit ab Achamoth), sowie vom Demiurgen die psychische Existenzweise (vgl. auch 27,1), den er mit der Inkarnation „als Christus anzieht“ (animalem vero a Demiurgo, quem mox induerit Christum)75. Die Inkarnation wird seelisch verstanden. Daher trage der Soter auch „körperliche Substanz“ (ceterum corporalem), die allerdings „aus der seelischer Substanz“ (ex animali substantia) so verfasst war und „mit einem seltsamen und unaussprechlichen Gedankeneinfall so zusammengesetzt wurde“ (sed miro et inenarrabili rationis ingenio constructam)76, dass er für die irdische Existenzzeit körperlich wahrnehmbar war. Mit der Amplifikation – neben miro (inenarrabili für ἀῤῥήτῳ) fügt er auch ingenio (rationis für τέχνῃ) ein – steigert Tertullian die irenäische Polemik. Schließlich habe der Soter diese seelische Inkarnation temporär „wegen der Heilsordnung getragen“ (administrationis causa interim tulisse).77 Für die Zeit seiner Inkarnation folgt, dass der Soter „der Zusammenkunft, der Erscheinung, der Berührung und dem Tod wider Willen unterworfen war“ 73 Zudem kann Tertullian vom irenäischen τὰς ἀπαρχὰς αὐτῶν inspiriert sein (Adv. Haer. I 6,1); dort mit Anspielung auf Röm 11,16 (ausführlicher in Adv. Haer. I 8,3) ebenso wie in Clem., Exc. Thdt. 58,2 und TestVer (NHC IX,3, 32,22–25). 74 Vgl. zu prosiciae, für das die Dimension der Opfergabe für die Götter häufig belegt ist, auch TLL Art. prosicia X/2 2195,53–2196,6 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 321; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 306 Anm. 341; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 203; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 191 Anm. 3. 75 Zur tertullianischen Nutzung der Phrase carnem induere vgl. B RAUN, Deus christianorum, 310–317. 76 Irenäus schreibt von einer „unsagbaren Kunst“ (ἀρρήτῳ τέχνῃ; Adv. Haer. I 6,1). Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 322 sowie WELLSTEIN, Nova Verba, 112 f. 77 Administratio entspricht an dieser Stelle der irenäischen οἰκονομία bzw. der „göttlichen Vorbereitung“, von denen die Exc. Thdt. zeugen. Vgl. auch TLL Art. administratio I/0 729,46 f. Exc. Thdt. 59,4: Christi Körper aus unsichtbarer, psychischer Substanz erscheint in der Welt durch die δύναμις der göttlichen Vorbereitung als wahrnehmbar. In der lateinischen Version des Irenäus wird dies mit dispositio widergegeben, ebenfalls einem Wechselbegriff für oikonomia (vgl. TLL Art. dispositio V/1 1430,55 f.).
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(quo congressui et conspectui et contactui et defunctui ingratis subiaceret). Tertullian amplifiziert das bei Irenäus überlieferte Trikolon – Christus ist sichtbar, betastbar und leidensfähig78 –, mit einem viergliedrigen Homoioteleuton, von dem die ersten drei Glieder auch anaphorisch formuliert sind; an erster Stelle fügt er die Zusammenkunft als solche ein. Das die Reihe abschließende Hapaxlegomenon defunctus 79 karikiert die valentinianische Vorstellung der doketistischen Natur des irdischen Christus; Tertullians adverbieller Zusatz „wider Willen“ (ingratis) lässt sich sarkastisch mit einer doppelten Spitze sowohl mit Blick auf den irdischen Christus und dessen temporär begrenzte Inkarnationszeit als auch mit Blick auf die valentinianische Lehre lesen; schließlich stirbt nach Tertullians Auffassung wider deren Willen Christus tatsächlich und nicht nur scheinbar.80 Zuletzt wird die fehlende dritte Grundqualität von Materialität, das Materielle an sich, thematisiert (materiale autem nihil in illo fuisse). Dass diese dem Soter fehlt, liegt an der bereits in 26,1 benannten Tatsache, dass das choische bzw. materielle Element im Menschen notwendigerweise untergeht und damit „dem Heil fremd ist“ (utpote salutis alienum), weil Materie das Heil nicht empfangen kann. In zwei polemischen Sätzen karikiert Tertullian dieses zuletzt referierte Moment und beendet damit den ersten Abschnitt über den inkarnierten Soter-Christus. Voll Ironie wirft er den Valentinianern vor, dass der Soter, wenn er keine materielle Substanz auf der Erde angenommen hat und lediglich „scheinbar“ körperlich – nämlich mit dem seelischen Körper – auf Erden war, gerade nicht für diejenigen Menschen kommt, die der Rettung bedürfen, weil sie an der Materialität Anteil haben. Nach dieser Lehre würde der Soter scheinbar „für andere nötig sein“, nämlich für die geistigen und seelischen Menschen (Quasi aliis fuerit necessarius quam egentibus salute!), an deren Substanz er temporär partizipiert. Doch nach der vorherigen Darstellung würde der materielle Teil Heil bedürfen, schließlich sei dieser dem Untergang geweiht. Die folgende Erklärung deutet den vorherigen polemischen Ausruf: Ziel der referierten Lehre (et totum hoc) sieht Tertullian darin, dass die Valentinianer „das Gewand unseres Fleisches von Christus fernhalten und es so auch von der Hoffnung auf Heil ausschließen“ (ut carnis nostrae habitum alienando a Christo a spe etiam salutis excipiant). Mit dem Possessivpronomen wendet sich Tertullian – wie sehr häufig in seinen polemischen Abschlüssen eines Argumentationsgangs – direkt an seine Leserschaft. Er entlarvt diese Lehrvarianz als eine große Konstruktion, die mit Aufwand nur ein Ziel verfolgen kann: den Adv. Haer. I 6,1 (Text Anm. 72), sowie auch Exc. Thdt. 59,3. Vgl. TLL Art. defunctus V/1 376,18 f. sowie zur Neubildung WELLSTEIN, Nova Verba, 100 Anm. 303.112 f. Zum Ganzen vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 193 f. Anm. 4. 80 Vgl. zudem den philosophischen Deutungsvorschlag bei M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 204. 78
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fleischlichen Teil des Menschen, mit dem Tertullian sich und seine Leserschaft identifziert, von der Hoffnung auf Erlösung auszuschließen.81 7.2.2. Adv. Val. 27–28: Valentinianische Lehren zur Christologie und das Wirken des Demiurgen (27,1) Nunc reddo de Christo in quem tanta licentia Iesum inserunt quidam quanta spiritale semen animali cum inflatu infulciunt, fartilia nescio quae commenti et hominum et deorum suorum: esse etiam Demiurgo suum Christum, filium naturalem, denique animalem, prolatum ab ipso, promulgatum prophetis, in praepositionum quaestionibus positum, id est per virginem, non ex virgine editum, quia delatus in virginem transmeatorio potius quam generatorio more processerit, per ipsam, non ex ipsa, non matrem eam sed viam passus.
Mit einem Neueinsatz (nunc)82 leitet Tertullian zur Darstellung verschiedener valentinianischer Lehrvarianten (quidam) über den inkarnierten Christus der Evangelien über; dies schließt inhaltlich an die vorher gebotenen Lehrvariante an. Die bei Irenäus überlieferte Reihenfolge der Darstellung ändert Tertullian.83 Als Hinführung lässt Tertullian die valentinianische Vorstellung zur Christologie mit ihrer Anthropologie korrelieren. In Christus würden einige Valentinianer „mit der gleichen Willkür Jesus einfügen, wie sie den geistigen Samen in den seelischen Menschen mit Einhauchung hineinstopfen“ (in quem tanta licentia Iesum inserunt quidam quanta spiritale semen animali cum inflatu infulciunt)84. Licentia und infulciunt markieren bereits Tertullians Wertung, die er noch steigert, indem er diese aus seiner Perspektive völlig abwegigen Erfindungen und Vorstellungen „über ihre Menschen und Götter“ (nescio quae commenti et hominum et deorum suorum) mit dem in der Kulinarik beheimateten, seltenen Terminus fartilia als „Stopfmischungen“ karikiert.85 81 Dieser Thematik widmet sich Tertullian ausfühlich in seiner Schrift über die Auferstehung, vgl. z.B. Resurr. 4,2; 19,6; 24,3. 82 Diese Überleitung verwendet Tertullian häufig, vgl. z.B. in dieser Schrift auch 8,2; 29,1. 83 Bei Irenäus findet sich die Parallele dieser Passage in Adv. Haer. I 7,2. 84 Animali kann entweder als „seelischer Mensch“ gedeutet werden oder aber animali cum inflatu gelesen werden, dann würde der geistige Samen „mit dem seelischen Hauch“ eingeflößt werden. Beide Varianten sind denkbar; erstere entspricht der Verwendung in 26,1. 85 Vgl. neben dieser Stelle Plin., Nat. Hist. X 52 über die Gänseleber sowie Apul., Met. VI 31,6; dazu TLL Art. fartilia VI/1 286,72–81. Ähnlich kommentiert Tertullian in der zuvor entstandenen Schrift Anim. die valentinianische Anthropologie (Anim. 11,3 [VCS 100, 15,3– 7 WASZINK]): [....] haereticos, qui nescio quod spiritale semen infulciunt animae de Sophiae matris occulta liberalitate conlatum ignorante factore, cum scriptura factoris magis dei sui conscia nihil amplius promulgaverit quam deum flantem / in faciem hominis flatum vitae et hominem factum in animam vivam, per quam exinde et vivat et spiret. Ebenso 23,4 (31,27– 29): Examen Valentini semen Sophiae infulcit animae, per quod historias atque milesias aeonum suorum ex imaginibus visibilium recognoscunt.
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Es folgt die konkrete Nacherzählung über die Vorstellung dieses „StopfChristus“; stilistisch bietet Tertullian eine parallelisierende Aufzählung. Dieser irdische Christus gehört zum Demiurgen als „sein natürlicher Sohn“ (filium naturalem); trocken kommentiert Tertullian, dass „auch der Demiurg seinen Christus hatte“ (esse etiam Demiurgo suum Christum). Als vom Demiurgen „hervorgebracht“ (prolatum ab ipso) ist dieser Christus seelischer Natur (animalis).86 Als „durch die Propheten verkündigt“ (promulgatum prophetis) steht dieser Christus in Kontinuität zur Ankündigung der alttestamentlichen Erzählungen.87 Tertullian stilisiert die Momente prolatum, promulgatum und das folgende positum als Trikolon, die sich anaphorisch aufeinander beziehen; zugleich schließt er das dritte Element allerdings chiastisch an und markiert seine eigene Polemik. Einleitend in die folgende Diskussion stellt Tertullian eine Beziehung zu elementargrammatikalischen Diskussionen her, nämlich der „Beteiligung Christi an Diskussionen über die Präpositionen“ (in praepositionum quaestionibus positum). Stilistisch untermalt er dieses zudem durch eine figura etymologica.88 Diesen ironisch hergestellten grammatikalischen Bezug expliziert (id est) Tertullian mit der Frage nach Marias Rolle bei der Geburt ihres Sohnes. Der seelische Christus der Valentinianer sei „durch eine Jungfrau“ (per virginem), „nicht aus einer Jungfrau geboren“ (non ex virgine editum).89 Diese Diskussion findet sich lediglich bei Tertullian, der diese ausführlich in Carn. Christ. 20 f. vertieft.90 Tertullian genügt der knappe Hinweis auf die Präpositionen per und ex, um aufzuzeigen, dass nach valentinianischer Lehre Christus in dem Moment, „nachdem er in eine Jungfrau herabgekommen war“ (delatus in virginem), „eher auf eine durchgehende als die Zeugung betreffende Weise hervorgegangen ist“ (transmeatorio potius quam generatorio more processerit); in der grammatikalischen Sprache bedeutet dies „durch sie, nicht aus ihr“ (per ipsam, non ex ipsa). Tertullian karikiert mit Hilfe der beiden begrifflichen Neubildungen transmeatorius und generatorius die Vorstellung einer körperlosen 86 Vgl. Iren., Haer. I 7,2 (103,695 f.): Εἰσὶ δὲ οἱ λέγοντες προβαλέσθαι αὐτὸν καὶ Χριστὸν υἱὸν ἴδιον, ἀλλὰ καὶ ψυχικόν. Proferre als terminus technicus der Emanation findet sich bereits in Adv. Val. 7,5. Vgl. auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 161 f. 87 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 7,2 (103,696 f.): περὶ τούτου διὰ τῶν προφητῶν λελαληκέναι. Chiapparini verweist zudem auf Exc. Thdt. 59,2 (vgl. DERS., Valentino Gnostico, 221 Anm. 3). 88 Zur Stilistik vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 324. 89 Fredouille argumentiert dafür, edere eher im emanatorischen Sinne wie proferre zu verstehen. 90 In Carn. Christ. 19 ff. widmet sich Tertullian in Auslegung von Joh 1,13 der valentinianischen Interpretation eines rein pneumatischen Leibes Jesu Christi. Dazu rekurriert er im Kontext seiner widerlegenden Argumentation auch auf die Jungfrauengeburt (carnis in Christo et ex virgine natae; Carn. Christ. 25,1 [SC 216, 308,2 f. MAHÉ]).
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Existenz Christi auf Erden.91 Seine seelische Existenzweise wird als unkörperliche, feinstoffliche Materialität verstanden. Indem Christus lediglich per virginem in die Welt inkarniert wurde, was Tertullian mit dem Hapaxlegomenon transmeatorius mos umschreibt, gilt die Jungfrau ihm als „Kanal“ und Mittel für sein Kommen in die Welt, ohne dass diese ihm ihre hylische Existenz weitergeben würde (wie es ex virgine und generatorius mos nach Tertullians Logik geschehen würde). Alles Sichtbare an Christus ist nach valentinianischer Lehre psychisch.92 So schließt Tertullian vorerst mit dem kontrastierenden Bild, dass Christus Maria „nicht als (leibliche) Mutter erfuhr, sondern als Weg“ (non matrem eam sed viam passus) in seine temporäre Existenz in der Welt.93 (27,2) Super hunc itaque Christum devolasse tunc in baptismatis sacramento Iesum per effigiem columbae. Fuisse autem et in Christo etiam ex Achamoth spiritalis seminis condimentum, ne marcesceret scilicet reliqua farsura. Nam in figuram principalis tetradis quattuor eum substantiis stipant, spiritali Achamothiana, animali Demiurgina, corporali inenarrativa, et illa Sotericiana, id est columbina. Et Soter quidem permansit in Christo impassibilis inlaesibilis inapprehensibilis. Denique cum ad prehensiones venitur, discessit ab illo, in cognitione Pilati.
Auf welche Art und Weise und zu welchem Zeitpunkt in diesen in psychische Existenz inkarnierten Christus Jesus hineinkommt (vgl. die Polemik zu Beginn von 27,1), zeichnet die folgende Darstellung nach.94 Im Moment der Taufe – die nähere Charakterisierung als sacramentum bestimmt diese als „Heilstat“95
91 Vgl. TLL Art. generatorius VI/2 1789,63–71. Während transmeatorius (von transmeo, „hindurchgehen“) ein Hapaxlegomenon bleibt, wird generatorius später zweimal von Ambrosius wiederaufgenommen. Das irenäische Bild des Kanals sowie die Vorstellung, dass Christus „durch Maria hindurchgegangen ist“, kann Tertullian zur Bildung der Termini angeregt haben (Adv. Haer. I 7,2 [103,697 f.]): Εἶναι δὲ τοῦτον τὸν διὰ Μαρίας διοδεύσαντα, καθάπερ ὕδωρ διὰ σωλῆνος ὁδεύει. Vgl. auch Carn. Christ. 20,5. 92 Nach Tertullian deuten die Valentinianer die biblische Geschichte der Geburt Jesu entsprechend dieser Lehre; nirgends sei von einer blutigen Geburt die Rede, in der die Fleischlichkeit des Gottessohnes betont würde (vgl. z.B. Carn. Christ. 2). Dieses wird zur Argumentation für die psychische Existenzweise herangezogen. 93 Auch das Bild des Weges ist im irenäischen Text vorgeprägt (vgl. Anm. 91). Tertullian gibt diese Gedanken an dieser Stelle in anderer rhetorischer Form wieder (es fällt die mehrfache Zweigliedrigkeit auf, die einer negativen Bestimmung die positive gegenüberstellt: per virginem, non ex virgine; per ipsam, non ex ipsa; komparativisch transmeatorio potius quam generatorio more; und an dieser Stelle umgekehrt: non matrem, sed viam). 94 Dass es um diesen konkreten Christus geht, dessen Art und Weise des In-die-WeltKommens zuvor beschrieben wurde, markiert das betonende hunc Christum. 95 Zur Diskussion um den Sakraments-Begriff vgl. C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 223 Anm. 6; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 324 f. Beide wenden sich – zu Recht – von der von Michaélidès vorgeschlagenen Deutung ab, bereits an dieser Stelle ein „TaufZeichen“ zu verstehen (vgl. MICHAÉLIDÈS, DIMITRI, Sacramentum chez Tertullien, Paris: Études Augustiniennes 1970, 305–307). Eher scheint hier das „Geheimnis“ der Taufe im Terminus sacramentum im Vordergrund zu stehen, vgl. auch Adv. Val. 30,3; 32,5.
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– sei Jesus „durch die Gestalt der Taube auf Christus herabgeflogen“ (Super hunc itaque Christum devolasse tunc in baptismatis sacramento Iesum per effigiem columbae). Nach valentinianischer Vorstellung wird Christus während der Taufe nicht der Heilige Geist in Gestalt der Taube verliehen (vgl. Mt 3,16), sondern Jesus. Nach Irenäus’ Darstellung ist es der Soter, der als Taube auf Christus herunterkommt; und auch Tertullian spricht im Folgenden vom Soter, sodass an dieser Stelle die Wiederaufnahme von Jesus auch der tertullianischen Polemik zu Beginn von 27,1 geschuldet sein kann. Soter bildet dabei – ebenso wie Christus – den Beinamen Jesu (12,4). Es handelt sich also um das zum Pleroma gehörige Urbild des Retters und Heilands, der in Gestalt der Taube auf den inkarnierten Christus hinabkommt. Den Gedanken, dass Christus dennoch Anteil am pneumatischen Samen hat, führt Tertullian voll Sarkasmus ein, indem er die folgende darstellende Zusammenfassung der verschiedenen Substanzen Christi mit eigener Polemik, die erneut das kulinarische Bild aus 27,1 aufnimmt, verbindet. Denn in Christus sei „noch von Achamoth her die Würze des geistigen Samens gewesen“ (fuisse autem et in Christo etiam ex Achamoth spiritalis seminis condimentum).96 Die Zweckbestimmung dieser ureigenen achamothianischen Würze karikiert den Gedanken letztendlich: „damit nämlich nicht die restliche Füllung fad wird“ (ne marcesceret scilicet reliqua farsura). Farsura, das in dieser Konsonantenfolge lediglich an dieser Stelle vorkommt, 97 rekurriert auch sprachklanglich auf das in 27,1 verwendete fartilia und verspottet den für die valentinianische Lehre qualitativ hoch eingeschätzten pneumatischen Samen Achamoths lediglich als ein würzendes Beiwerk für den aus verschiedenen Substanzen gefüllten Christus. Denn diesen „Stopf-Christus“ (vgl. 27,1) „stopfen“ (stipant) die Valentinianer „mit vier Substanzen voll“ (quattuor eum substantiis), die sie als „Abbild der ursprünglichen Tetras“ (in figuram principalis tetradis) deuten.98 Die viergliedrige, mit einem Homoioteleuton verbundene Aufzählung folgt dabei zunächst einem parallelen Schema (Trikolon), um klimaktisch in das vierte Element zu münden, das sich nicht nur sprachlich unterscheidet, sondern auch 96 Condimentum nutzt Tertullian im polemischen Kontext ebenfalls in Anim. 33,4 zur Ausmalung des Ergehens der Seele, die „in von Apicius und Lucros kreierten Gewürzen begraben wird“ ([...] nonne illa anima plus solacii quam supplicii relatura est, [...] quod condimentis Apicianis et Lurconianis humatur, [...]? [VCS 100, 47,15–17 WASZINK]). Vgl. auch Resurr. 27,5; Ieun. 16,8 sowie TLL Art. condimentum IV/0,142,22–24 zum für seit Plautus belegten Terminus. 97 Vgl. TLL Art. farsura VI/1 286,59–62; es findet sich der Terminus fartura u.a. bei Var., L. V 22 für „tierische Eingeweide“, der Tertullian als Inspiration gedient haben kann (vgl. TLL Art. fartura VI/1 35–46). 98 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 7,2 (104,702–704): Τὸν οὖν Κύριον ἡμῶν ἐκ τεσσάρων τούτων σύνθετον γεγονέναι φάσκουσιν, ἀποσῴζοντα τὸν τύπον τῆς ἀρχεγόνου καὶ πρώτης Τετρακτύος.
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inhaltlich den Zielpunkt markiert. Um die einzelnen Substanzen näher zu klassifizieren, hat Tertullian eigens Adjektive der Namen bzw. Urheber der Substanzen gebildet: So handelt es sich um die „achamothianische geistige “ (spiritali Achamothiana) und die „demiurgische seelische Substanz“ (animali Demiurgina). Die „körperliche Substanz“ Christi stilisiert er ironisch als „unaussprechlich“ (corporali inenarrativa). Die in der Lehre angenommene psychische Existenzweise Christi widerspricht der sprachlichen Logik, indem ihr keine körperlich-leibliche und materielle Realität zukommt. 99 Zuletzt ist in Christus eben jene bereits benannte „soterianische, d.h. taubenartige Substanz“ (et illa Sotericiana, id est columbina),100 die nur temporär in Christus anwesend ist. Die temporäre Anwesenheit von der Taufe bis zum Beginn der Passion rahmt Tertullian auch stilistisch in diesem Paragraphen: baptisma – Pilatus. Der Soter verblieb in der Zeit seiner irdischen Existenz in Christus „leidensunfähig, unverletzbar, unfassbar“ (et Soter quidem permansit in Christo impassibilis inlaesibilis inapprehensibilis). 101 In der asyndetischen anaphorischen Reihe karikiert Tertullian mit nahezu synonymen Adjektiven den valentinianischen Versuch, die zwei Naturen des inkarnierten Christus zu deuten. Von der Taufe bis zur Passion ist die göttliche Seite in dem nicht-körperlich, mit psychischer und pneumatischer Existenz inkarnierten Christus vorhanden.102 Die Nacherzählung des Moments und der konkreten Modalitäten, unter denen die göttliche, durch den Soter repräsentierte Seite Christus wieder verlässt, stilisiert Tertullian erneut mit einem dreigliedrigen Satz. Es ist der Moment, „als man schließlich zu den Verhaftungen schritt“ (denique cum ad
99 Inenarrativa bildet ebenfalls ein Hapaxlegomenon Tertullians, das er vermutlich für die parallele Homoioteleuton-Reihung gebildet hat (vgl. TLL Art. inenarrativa VII/1 1294,32 f.) und rekurriert auch auf 26,2: inenarrabili rationis ingenio constructam. 100 An dieser Stelle findet sich die inhaltlich korrekte synonyme Verwendung der beiden Namen Jesus (27,1 f.) und Soter. 101 Die Termini sind vornehmlich tertullianische Schöpfungen: Impassibilis bildet vermutlich einen philosophischen Terminus, der bei Tertullian ebenso als Gottesprädikat genutzt werden konnte (vgl. Adv. Prax. 29,5 f.; 30,2; dazu auch WELLSTEIN, Nova Verba, 225 f.) sowie im Kontext gnostischer oder philosophischer Lehre (vgl. neben vorliegender Passage Anim. 12,3), vgl. dazu BRAUN, Deus christianorum, 64; TLL Art. impassibilis VII/1 522,43–523,23. Inlaesibilis findet sich lediglich an vorliegender Stelle sowie einmal bei Laktanz (Ir. 17,14) und inadprehensibilis nutzt Tertullian bereits im Kontext der Diskussion um die Erkenntnis des obersten Äons in 11,3. Der erste und dritte Terminus umschreiben Momente, die sich auch im irenäischen Text (Adv. Haer. I 7,2) in deskriptiver Form wiederfinden. Allerdings findet sich dort statt dem Verweis auf die Unverletzbarkeit – diese ließe sich eher in der doppelten Unterstreichung der Leidensunfähigkeit Christi deuten – das Unwiderstehliche an Christus (ἂκρατητον). 102 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 7,2 (105,708–710): Καὶ τοῦτον μὲν ἀπαθῆ διαμεμενηκέναι – οὐ γὰρ ἐνεδέχετο παθεῖν αὐτὸν, ἀκράτητον καὶ ἀόρατον ὑπάρχοντα.
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
prehensiones venitur)103, dass der Soter von Christus „wegging“ (discessit ab illo). Es fällt die chiastisch miteinander verschränkte doppelte Hervorhebung der Bewegung auf: Während dem psychischen Christus die Verhaftungen widerfahren (venire), verlässt ihn die göttliche Seite (discedere); dies ist der „Prozess des Pilatus“ (in cognitione Pilati). (27,3) Proinde nec matris semen admisit iniurias, aeque insubditivum et ne ipsi quidem Demiurgo compertum. Patitur vero animalis et carneus Christus, in delineationem superioris Christi, qui, Achamoth formando substantivali non agnitionali forma, Cruci id est Horo fuerat innixus. Ita omnia in imagines urgent104, plane et ipsi imaginarii Christiani.
In der valentinianischen Erzählung des Mythos gilt die Unversehrtheit, die der Soter durch seine lediglich temporäre Anwesenheit erfährt, ebenso (proinde) der pneumatischen Substanz Christi, d.h. „dem Samen der Mutter“ Achamoth. Auch die geistige Substanz „hat keine Verwundungen angenommen“ (nec matris semen admisit iniurias) – Tertullian verwendet erneut das metaphorische Bild der Verletzung; in 16,2 wird Achamoth selbst von den „Verwundungen der Leidenschaft“ befreit. Den Grund der Unversehrtheit des pneumatischen Samens in Christus benennt Tertullian mit der Neubildung insubditivum, das häufig mit der Parallele zum irenäischen Text als „leidensunfähig“ gedeutet wird.105 Subdere markiert das Moment des Hineinlegens, dessen Bewegung durch das Präfix verstärkt wird. Der pneumatische Samen wurde heimlich in Christus hineingesteckt und „war nicht einmal dem Demiurgen selbst bekannt“ (aeque insubditivum et ne Die archaische Formulierung (prehensio) findet sich sehr selten und hat hier einen hyperbolischen Ton, vgl. TLL Art. prehensio X/2 1165,55–58. 104 Die Handschriten lesen einheitlich in imagine surgent: „So wird alles im Bild auferstehen, sicher auch sie selbst, die eingebildeten Christen.“ Damit würde Tertullian bereits an dieser Stelle auf die Auferstehung anspielen, um sarkastisch zu konkludieren, dass bei den Valentinianern sogar das Leben nach dem Tod metaphorisch zu verstehen ist. Möglich ist diese Deutung, auch wenn sie eher im eschatologischen Kontext (vgl. 31 f.) zu erwarten wäre. Zudem bildet für Tertullian das Kompositum resurgere den terminus technicus für die Auferstehung (vgl. die ausführliche Diskussion in Adv. Marc. V 9); diesen kann er allerdings auch erst im Laufe der Abfassung des fünften Buches gegen Marcion in dieser Weise gefestigt haben. Für diese Lesart, die den handschriftlichen einheitlichen Befund auf ihrer Seite hat, plädiert Riley. Dennoch wird der Deutung gefolgt, die die Worte anders trennt (in imagines urgent); Tertullian assoziiert damit kein neues thematisches Feld, das er noch in einem späteren Kapitel behandeln wird, sondern drückt – wie so häufig im letzten Satz eines Paragraphen – seine polemische Wertung sentenzenhaft aus, die sich hier abschließend gegen die Konstitution des Menschen in valentinianischer Vorstellung richtet. Dazu vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 326 f.; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 227 Anm. 9. 105 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 7,2 (105,713–715): ἀπαθὲς γὰρ καὶ αὐτὸ, ἅτε πνευματικὸν καὶ ἀόρατον καὶ αὐτῷ τῷ Δημιουργῷ. Vgl. TLL Art. insubditivus VII/1 2026,70–74; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 227 Anm. 10. 103
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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ipsi quidem Demiurgo compertum), der Christus erschaffen hat (vgl. auch 18,2; 19,1; 25,1). Weder die geistige noch die mit Jesus-Soter verbundene göttliche Seite an Christus sind leidensfähig; diese Eigenschaft kommt „dem seelischen und fleischlichen Christus“ zu (patitur vero animalis et carneus Christus), wie Tertullian auch durch die Voranstellung des Verbs betont. Carneus fügt Tertullian an dieser Stelle ein und widerspricht damit der vorher referierten Lehre, nach der Christus körperlos in psychischer Weise „von unaussprechlicher Körperlichkeit“ (vgl. 27,2) existiert.106 Diese Deutung Christi entspricht der valentinianischen Vorstellung, dass der inkarnierte Christus ein Abbild „in Nachzeichnung des oberen Christus“ (in delineationem superioris Christi) 107 des Pleromas ist, der ursprünglich Achamoth die „Gestalt der Substanz, nicht der Erkenntnis“ (Achamoth formando substantivali non agnitionali forma) verliehen hat, indem er „sich auf das Kreuz, d.h. die Grenze Horos gestützt hat“ (Cruci id est Horo fuerat innixus). Mit diesem Rekurs auf die Erzählung der Geschehnisse in der intelligiblen Welt außerhalb des Pleromas (vgl. 14,1 ff.) verbindet die Darstellung die verschiedenen Ebenen des Mythos. Der „obere Christus“ hat sich einst über das Kreuz hinausgebeugt, um Achamoth die Gestalt der Substanz zu verleihen (14,1) – es fällt an dieser Stelle die kunstvolle, chiastische Formulierung auf, die sich besonders durch die beiden Hapaxlegomena substantivalis und agnitionalis hevorheben.108 Damit hat auch der „höhere Christus“ ein gewisses Leiden erlitten, indem er sich mit dem ‚Außen‘ befassen musste und der Weg dorthin über das Kreuz ging.109 Tertullian endet – wie so häufig mit einer Sentenz im Plural – mit dem Gedanken, dass die Valentinianer nach dieser Art „alles in Bilder drängen“ (ita omnia in imagines urgent) und impliziert damit den Vorwurf des Doketismus.110 Spöttisch schlussfolgert er daraus für ihre Existenz, dass sie „fast selbst bloß scheinbare Christen sind“ (plane et ipsi imaginarii Christiani). Es fällt die Bezeichnung Christiani an dieser Stelle auf, mit denen das Kapitel über Christus endet. Christiani sind demnach diejenigen, die zu Christus gehören; der valentinianische Christus aber, der als Abbild temporär existiert, verleiht 106
Bei Irenäus findet sich der Hinweis auf den fleischlichen Christus an dieser Stelle
nicht. 107 Delineatio findet sich lediglich noch in Adv. Marc. V 4,8 – dort für eine figürliche Auslegung der alttestamentlichen Vorhersage –, sodass von einer tertullianischen Prägung auszugehen ist. 108 Vgl. dazu B RAUN, Deus christianorum, 195. Erst der Soter verleiht Achamoth die forma agnitionis (16,2). 109 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 7,2 (106,717–719): ἵν’ ἐπιδείξῃ αὐτοῦ ἡ Μήτηρ τὸν τύπον τοῦ ἄνω Χριστοῦ, ἐκείνου τοῦ ἐπεκταθέντος τῷ Σταυρῷ καὶ μορφώσαντος τὴν Ἀχαμὼθ μόρφωσιν τὴν κατ’ οὐσίαν. 110 Vgl. auch das Referat Irenäus’, das Tertullian an dieser Stelle polemisch wendet (Adv. Haer. I 7,2 [106,720]): πάντα γὰρ ταῦτα τύπους ἐκείνων εἶναι λέγουσι.
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
diesen keine christliche Existenz. Valentinianer sind für ihn gewissermaßen nur Fake-Christen. Die Polemik wird im Lateinischen noch deutlicher stilisiert: Indem die Valentinianer alles – Tertullian verallgemeinert amplifizierend – in Bildern (imagines), also in der platonischen Vorstellung der Ur- und Abbilder deuten, komme ihnen selbst lediglich der Status von „eingebildeteten“, also lediglich dem Schein nach bestehenden (imaginarii)111 Christen zu. (28,1) Interea Demiurgus omnium adhuc nescius, ut, si112 aliquid et ipse per prophetas contionabitur, ne huius quidem operis sui intelligens; dividunt enim et prophetiale patrocinium in Achamoth, semen, in Demiurgum. Ubi adventum Soteris accepit, propere et ovanter accurrit cum omnibus suis viribus – centurio de evangelio – et de omnibus inluminatus ab illo etiam spem suam discit quod successurus sit in locum matris.
Tertullian schwenkt die Perspektive erneut zum Demiurgen, über den er sarkastisch feststellt, „unterdessen noch immer über alles unwissend“ zu sein (interea Demiurgus omnium adhuc nescius). Anders als im irenäischen Text thematisiert Tertullian an dieser Stelle ausgehend vom fehlenden Wissen des Demiurgen die alttestamentliche Prophetie.113 Ironisch spricht Tertullian potential von der Möglichkeit der Verkündigung des Demiurgen durch die Propheten (si aliquid et ipse per prophetas contionabitur) 114 ; allerdings würde er „nicht
111 Zu imaginarius gibt der TLL die Bedeutung mit Verweis auf vorliegende Stelle sowie Adv. Marc. I 27,1; III 8,4 und 11,4 inanis, simulatus, fictus an (Art. imaginarius VII/1 402,15–33). Allegorisch verwendet Tertullian den Terminus in Resurr. 19,2. 112 Die Handschriften lesen ut si sowie das Verb im Futur (contionabitur). Ut verleiht intelligens, das elliptisch zu deuten wäre, einen finalen Sinn. Die Konstruktion ist schwierig. Riley und Fredouille folgen dem Vorschlag der Edition von Gelenius, konjizieren zu etsi und verleihen der Phrase einen konzessiven Sinn (vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 71), während Kroymann und Marastoni zu aut si ändern und das Verb ins Imperfekt ändern (contionabatur); damit bleibt in beiden Fällen das Partizip gewahrt. Die handschriftliche Lesart gilt als lectio difficilior (vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 232 Anm. 5). 113 Bei Irenäus folgt nach dem Exkurs über Christus (Adv. Haer. I 7,2) zunächst eine kompetetive Beschreibung der Liebe des Demiurgen zu den Seelen, die Achamoth geschaffen hat, vor denjenigen, die er selbst geschaffen hat – natürlich, ohne den Grund darüber zu ahnen (I 7,3; vgl. dazu Tert., Adv. Val. 29,3 f.). Von dort aus findet sich die Überleitung zur Vorhersage durch die Propheten, was in Analogie zu Jesu Worten gesetzt wird und auf eine spätere Beweisführung (I 8,2–4) vorausweist. Die irenäische Darstellung ist deutlich ausführlicher als der Text Tertullians an dieser Stelle. Vgl. dazu auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 231 Anm. 2 f. 114 Zur Konstruktion wird an der handschriftlichen Überlieferung festgehalten (vgl. Anm. 112). Das Verb im Indikativ Futur kann dabei die potentiale Funktion im Konditionalgefüge einnehmen (vgl. RUBENBAUER, HANS/HOFMANN, JOHANN B., Lateinische Grammatik, neubearbeitet von Rolf Heine, Bamberg/München: Oldenbourg 121995, § 259,2; vgl. dazu auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 162 f. mit Beispielen im klassischen Latein sowie bei Tertullian). Es ist zudem esse im ut-Satz zu ergänzen. Vgl. dazu auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 232 Anm. 5f. – Die bei Chiapparini vorgenommene und
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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einmal sein eigenes Werk verstehen“ (ut [...] ne huius quidem operis sui intelligens), was Tertullian im unbestimmten Objekt aliquid ironisch hervorhebt. Eine solche prophetische Verkündigung des schöpferisch tätigen Demiurgen ist aufgrund seiner Unwissenheit nichts anderes als „leere Rede“.115 Die „prophetische Autorität“ allerdings sei nach Lehrmeinung der Valentinianer aufgeteilt „zwischen Achamoth, dem Samen und dem Demiurgen“ (dividunt enim et prophetiale patrocinium in Achamoth, semen, in Demiurgum).116 Semen wird in diesem Kontext unvermittelt angeführt und war zuvor als pneumatischer Samen mit Achamoth verbunden (vgl. z.B. 27,3). In dieser Dreigliedrigkeit – die Präposition in wird erst in Angleichung an den irenäischen Text und Wahrung der Parallelität im 16. Jahrhundert ergänzt –117 werden Achamoths Gabe vom Samen sowie dem demiurgischen Wirken differenziert. Die Stelle bleibt in dieser verkürzten Form bei Tertullian kryptisch; eine mögliche Erhellung – unter Annahme, dass dies methodisch lediglich eine, aber sehr wahrscheinliche Deutung ist – bietet die irenäische Ausführung, der auch vom „prophetischen Pneuma“ (τὸ πνεῦμα τὸ προφητεῦον)118 schreibt, das der Demiurg als Ursache für seine Angezogenheit auf die ihm unbekannten Dinge oberhalb von ihm vermutet. Die prophetische Ankündigung in Achamoth wird als unmittelbare geistige Inspiration verstanden, diejenige im pneumatischen Samen als eine mittelbare, durch die Propheten vermittelte geistige Gabe sowie die seelische Gabe vermittelt durch den Demiurgen.119 Die Deutung als „prophetische Autorität“ bildet eine tertullianische Polemik mit dem Hapaxlegomenon prophetialis.120 nicht kommentierte Änderung der Lesart intelligens der Handschriften zu intellegens ist dabei nicht notwendig. 115 Vgl. auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 208. Im Hintergrund steht das Verständnis der Kontinuität zwischen den alttestamentlichen Verkündigungen und dem christlichen Geschehen; ausführlich handelt im valentinianischen Kontext davon der erhaltene Brief des Ptolemäus an die römische Christin Flora (vgl. Epiph., Pan. 33,3,1–7,10). 116 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 7,3 (107,731–108,733): Καὶ λοιπὸν τέμνουσι τὰς προφητείας, τὸ μέν τι ἀπὸ τῆς Μητρὸς εἰρῆσθαι θέλοντες, τὸ δέ τι ἀπὸ τοῦ σπέρματος, τὸ δέ τι ἀπὸ τοῦ Δημιουργοῦ. Die Aufteilung erklärt sich durch die vorherige Passage bei Irenäus (107,726–730): Καὶ πολλὰ ὑπὸ τοῦ σπέρματος τούτου εἰρῆσθαι διὰ τῶν προφητῶν ἐξηγοῦνται, ἅτε ὑψηλοτέρας φύσεως ὑπαρχούσας, πολλὰ δὲ καὶ τὴν Μητέρα περὶ τῶν ἀνωτέρω εἰρηκέναι λέγουσιν, ἀλλὰ καὶ διὰ τούτου καὶ τῶν ὑπὸ τούτου γενομένων ψυχῶν. 117 Dieser Lesart folgen die meisten Editionen (vgl. dazu C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 232 Anm. 8). 118 Vgl. Adv. Haer. I 7,4 (108,737–741): Τὸν δὲ Δημιουργὸν, ἅτε ἀγνοοῦντα τὰ ὑπὲρ αὐτὸν, κινεῖσθαι μὲν ἐπὶ τοῖς λεγομένοις, καταπεφρονηκέναι δὲ αὐτῶν, ἄλλοτε ἄλλην αἰτίαν νομίσαντα, ἢ τὸ πνεῦμα τὸ προφητεῦον, ἔχον καὶ αὐτὸ ἰδίαν τινὰ κίνησιν. 119 Vgl. auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 208 f. 120 Vgl. TLL Art. prophetialis X/2 2000,33–37: ad prophetam pertinens.
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Erst die Begegnung mit dem Soter eröffnet dem Demiurgen die Möglichkeit einer gewissen Erkenntnis. Narrativ zeichnet Tertullian die Wahrnehmung der Ankunft des Soters durch den Demiurgen nach; mit dem Hapaxlegomenon ovanter steigert er das Adverb propere, um das Glücksgefühl des Demiurgen hervorzuheben121: Denn der Demiurg „kommt eilends und frohlockend mit all seinen Kräften herbei“ (propere et ovanter accurrit cum omnibus suis viribus).122 Parenthetisch schiebt Tertullian im ihm eigentümlich verkürzten, anspielenden Stil eine Apposition ein, die den Demiurgen als „Zenturio vom Evangelium“ (centurio de evangelio) charakterisiert. Verknappt spielt er auf den Hauptmann von Kapernaum an, mit dem er den Demiurgen wie im irenäischen Text identifiziert.123 Irenäus zitiert anschließend einen Satz des Hauptmanns, der sein Sein mit dem des Soters parallelisiert und auf den Gehorsam der Untergebenen zielt (Mt 8,9); in der Identifikation des Hauptmanns wird das Wissen des Demiurgen um seine Untergebenheit unter den Soter markiert, während er sich zugleich bewusst über seine eigene Stellung über andere Untergebene, also das Seelische und Materielle, ist. Tertullians Einschub entspricht seinem polemisch widerlegenden Stil.124 Diese Begegnung führt dazu, dass der Demiurg nun „über alles erleuchtet ist“ (de omnibus inluminatus) und sogar „seine Hoffnung lernt“ (ab illo etiam spem suam discit). Spöttisch deutet Tertullian die Lehre des Soters für den Demiurgen als Hoffnung. Diese besteht in einer lokalen Änderung, nach der der Demiurg „an den Ort der Mutter nachrücken wird“ (quod successurus sit in locum matris), den „Ort der Mitte“ (23,1), zu dem der Demiurg aus seiner Hebdomas aufsteigen wird. (28,2) Ita exinde securus, dispensationem mundi huius, vel maxime ecclesiae protegendae nomine, quanto tempore oportuerit, insequitur.
Die neu verliehene Hoffnung karikiert Tertullian als „sorglosen“ Zustand (ita exinde securus), der ihm ein neues Aufgabenfeld eröffnet: Der Demiurg
ἄσμενον im irenäischen Text (Adv. Haer. I 7,4) hebt Tertullian hier mit zwei Termini und einer Neubildung hervor. 122 Auch bei Irenäus findet sich die Wendung μετὰ πάσης τῆς δυνάμεως αὐτοῦ (Adv. Haer. I 7,4), allerdings im Singular formuliert. Es ist zu diskutieren, was der Text genau meint: Zum einen kann der Demiurg sich „mit all seinen Kräften“, d.h. seiner gesamten Energie und Konzentration zum Soter hinwenden. Zum anderen können aber auch die ihm als Begleiter emanierten Engel (vgl. 20,2) impliziert sein. Zuletzt lässt sich bei Irenäus eine direkte Anspielung auf das folgende Bibelzitat vermuten (Mt 8,9), das Tertullian lediglich impliziert. 123 Vgl. Adv. Haer. I 7,4 (109,745 f.): καὶ αὐτὸν εἶναι τὸν ἐν τῷ Εὐαγγελίῳ ἑκατόνταρχον, λέγοντα τῷ Σωτῆρι. 124 Auch die identifikatorische Formulierung im irenäischen Text lässt sich als Polemik einordnen. 121
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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widmet sich nun, ausgestattet mit dem Wissen, das der Soter ihm vermittelt hat, „der Verwaltung dieser Welt“ (dispensationem mundi huius).125 Wie im irenäischen Text deutet Tertullian diesen Vorgang „besonders“ als „Schutz der Kirche“ (vel maxime ecclesiae protegendae nomine);126 der Auftrag des Demiurgen ist dabei zeitlich begrenzt (quanto tempore oportuerit). 7.2.3. Adv. Val. 29: Valentinianische Anthropologie (29,1) Colligam nunc ex disperso ad concludendum quae de totius generis humani dispositione iusserant. Triformem naturam primordio professi et tamen inunitam in Adam, inde iam dividunt per singulares generum proprietates, nacti occasionem distinctionis huiusmodi ex posteritate ipsius Adae, moralibus quoque differentiis tripertita.
In Adv. Val. 29 folgt die Thematik der valentinianischen Anthropologie und Erlösungsvorstellung. Der Einsatz mit dem vorangestellten Verb, das in der 1. Person Singular in die Absicht des folgenden Paragraphen einführt, markiert gemeinsam mit dem temporalen Adverb (vgl. auch 27,1) den Einschnitt zum Vorherigen. Methodisch gibt Tertullian zunächst darüber Aufschluss, dass er „aus der zerstreuten Lehre“ (ex disperso) „abschließend“ (ad concludendum) „zusammenstellen will, was sie über die (An-)Ordnung des ganzen Menschengeschlechts behauptet hatten“ (colligam […] quae de totius generis humani dispositione iusserant127). Das vorliegende Kapitel hat keine direkte Parallele im irenäischen Werk. Chiapparini hat in seinem Kommentar Tertullians Passage von Irenäus’ Text her parallelisiert, sodass sich nach seiner Zählung ergibt: Adv. Haer. I 7,5a entspricht Adv. Val. 29,1.2a, Adv. Haer. I 7,5b Adv. Val. 29,2b.3a, Adv. Haer. I 7,5d Adv. Val. 29,2c.3b sowie Adv. Haer. I 7,3a Adv. Val. 29,3c.4a. Adv. Haer. I 7,5c hat keine Parallele bei Tertullian; ebenfalls singulär bleibt die abschließende Polemik in Adv. Val. 29,4b. In dieser Gegenüberstellung fällt zum einen auf, dass Tertullian zwei Passagen in Adv. Val. 29 bearbeitet, die im irenäischen Text nicht direkt miteinander verbunden sind – in Adv. Haer. I 7,3b und 7,4 folgen die Themen, die Tertullian bereits in Adv. Val. 28 traktiert. Zum anderen bietet die Wiedergabe Tertullians in der vorliegenden Paragraphenzählung eine eigene Reihenfolge der Darstellung, die von Irenäus’ Text abweicht. Chiapparini deutet dies – auch aufgrund Tertullians Hinweis des „Zusammenstellens“ (colligere) – als eine Sammlung verschiedener Elemente von verschiedenen Orten der sogenannten grande notice.128 Diese Deutung ist möglich und passt zu Tertullians Anspruch der selbstständigen Form der widerlegenden Darstellung. Zwar ließe sich der methodische Hinweis der „zusammenfassenden“ Sammlung „der zerstreuten Lehre“ auch im Kontext von Tertullians einführenden Worten zur Quellengrundlage lesen (vgl. Adv. Val. 5)
Zum Terminus dispensatio bei Tertullian vgl. BRAUN, Deus christianorum, 160–167. Vgl. Adv. Haer. I 7,4 (109,748–110,751): Τελέσειν δὲ αὐτὸν τὴν κατὰ τὸν κόσμον οἰκονομίαν μέχρι τοῦ δέοντος καιροῦ, μάλιστα δὲ διὰ τὴν τῆς Ἐκκλησίας ἐπιμέλειαν. 127 Das Verb iubere legt Tertullian auch Epikur (7,4) in den Mund; es lässt sich ein spöttischer Unterton vernehmen, der den Selbstanspruch der Valentinianer (und Epikurs), mit einer gewissen Autotität zu sprechen, gerade allein durch Aufzeigen desselben karikiert. 128 Vgl. DERS., Valentino Gnostico, 237 Anm. 9. 125
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und an dieser Stelle sich eine aus Tertullians Feder stammende Zusammenführung verschiedener antivalentinianischer Darstellungen (oder gar valentinianischer Originalschriften) manifestieren; allerdings lässt sich weder die Quellenscheidung klar benennen noch deuten inhaltliche Informationen auf eine weitere Quelle hin. Die differierende Anordnung allein muss daher als Hinweis auf Tertullians eigene Komposition auf Grundlage des irenäischen Texts gewertet werden, die er in diesem Paragraphen für seine Leserschaft „abschließend zusammenstellt“.
Das Thema des Kapitels bildet die „Anordnung des Menschengeschlechts“ (dispositio humani generis). 129 Nach der valentinianischen Lehre existieren vom Uranfang an drei menschliche Naturen, die der Dreizahl der materiellen, seelischen und geistigen Gattung ensprechen (vgl. 17,2), die zugleich im Prototyp des Menschen, im Urmenschen Adam, vereint sind (triformem naturam primordio professi et tamen inunitam in Adam) und deren endgültige Gestaltung noch aussteht.130 Stilistisch hebt Tertullian die Dreiteilung an dieser Stelle hervor, indem die beiden Termini triformis und tripertita den Satz rahmen. Die Frage, wie die valentinianische Lehre zu verstehen sei – als eine Dreiteilung nach Menschenklassen oder aber eine innere Trennung des Menschen entsprechend der anthropologischen Trichotomie –, war bereits mit Blick auf das Thema der Erlösung provoziert worden (vgl. 26,1). Dem entspricht Tertullians in Anim. 21,1 formulierte Polemik, wenn er von der „eingestaltigen Natur der Seele von Anfang an in Adam“ handelt und gegen eine „vielgestaltige“ und insbesondere auch eine „dreigestaltige“, die mit der „valentinianischen Dreiheit“ korrespondiert, abgrenzt.131 Zugleich gilt diese dreigestaltige menschliche Natur als in Adam vereint (inunitas),132 die zugleich unvereinbar wirkend Diese Hinführung findet sich bei Irenäus so nicht. Korrelierend zur vorliegenden Stelle benennt Tertullian in 28,2 die Aufgabe des Schöpfers als dispensatio huius mundi. 130 Der Terminus primordio verweist auf das Geschehen nach der Genesis-Erzählung, vgl. bereits Adv. Val. 2,4. In Anim 21,1 rekurriert Tertullian mit der Umschreibung ab initio auf diesen Zeitpunkt. 131 Anim. 21,1 (VCS 100, 29,21–24 W ASZINK): Quodsi uniformis natura animae ab initio in Adam ante tot ingenia, ergo non multiformis, quia uniformis, per tot ingenia, nec triformis, ut adhuc trinitas Valentiniana caedatur, quae nec ipsa in Adam recognoscitur. 132 Vgl. TLL Art. inunire VII/2 252,56–62. Möglicherweise liegt hier eine nordafrikanische Prägung durch Apuleius vor; Tertullian kann für den Terminus durch die irenäische Betonung des Einzelmenschen (καθ’ ἓν; I 7,5) inspiriert worden sein. Irenäus überliefert ein etwas anderes Bild, wenn er referiert, dass die „drei Naturen nicht im Einzelmenschen, sondern im ganzen Menschengeschlecht“ angeordnet sind (καὶ ἐκ τούτων τὰς τρεῖς φύσεις, οὐκέτι καθ’ ἓνα, ἀλλὰ κατὰ γένος; I 7,5 [110,755 f.]). In den Exc. Thdt. heißt es, dass „von Adam drei Naturen hervorgebracht sind“ (Exc. Thdt. 54,1: Ἀπὸ δὲ τοῦ Ἀδαμ τρεῖς φύσεις γεννῶνται. [SC 23, 170,1 SAGNARD]); es folgt die Zuschreibung der Eigenschaften der Gattungen zu den drei Kindern Kain, Abel und Seth, auf die hier angespielt wird. Damit lässt sich in den Exc. Thdt. keine eindeutige Aussage über eine Dreiteilung des Menschengeschlechts annehmen; vielmehr bietet der Adam-Bezug einen Anklang an die Hervorhebung der Einheit der aus ihm hervorgehenden drei Naturen, die mythologisch jeweils einem Kind zugeordnet werden (vgl. diese Zuordnung in Adv. Val. 29,2). 129
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der Aufeilung in drei Abstammungslinien (dividere) gegenübersteht. Die Dreiteilung entspricht „einzelnen Eigenschaften der Abstammungslinien“ (per singulares generum proprietates), wie auch die Exc. Thdt. belegen: Die valentinianische Lehre begründet ihre anthropologische Aufteilung der menschlichen Natur allegorisch mit Adams Zeugung seiner drei Söhne Abel, Kain und Seth (Gen 4,1 f.25). Tertullian impliziert diese drei Söhne zunächst, bevor er sie namentlich in 29,2 anführt. In einer begründenden Deutung legt er das Prinzip, das er hinter der valentinianischen Lehre ausmacht, offen: Indem die Valentinianer auch den Fortgang der Schöpfungserzählung allegorisch auslegen und daraus „die Gelegenheit zu einer derartigen Unterscheidung aus der Nachkommenschaft Adams selbst erlangt haben“ (nacti occasionem distinctionis huiusmodi ex posteritate ipsius Adae), bieten sie eine Begründung für die Lehre der triformis natura humana. Dabei macht sich Tertullian die den Valentinianern vorgeworfene Methodik selbst zueigen und stellt die kausale Begründung, die in einer bestimmten Auslegung des biblischen Texts besteht, bewusst nach und impliziert damit den Vorwurf, dass die Valentinianer ihre – aus seiner Perspektive – nicht haltbaren, fabulösen Ideen erst retrospektiv mit biblischen Gedanken verbinden und zu autorisieren versuchen.133 Abschließend fügt Tertullian wie eine Parenthese an, dass die Differenzierung des Menschengeschlechts nicht allein auf die jeweiligen mit der Abstammungslinie verbundenen Eigenschaften zu beziehen sei (vgl. dazu 29,2), sondern auch „durch moralische Unterschiede dreigeteilt“ (moralibus quoque differentiis tripertita) sei. Tertullian differenziert zwischen einer moralischen und einer naturgemäßen Dreiteilung, dem Handeln und dem Wesen des Menschen. Das widerspricht charakteristisch seiner eigenen von stoischen Vorstellungen geprägten Lehre, nach der eine Teilung des Menschen – wie sie z.B. Paulus mit dem alten und neuen Menschen lehrt (Eph 4,22–24 diskutiert in Resurr. 45) – sich lediglich auf den moralischen, nicht aber den substantiellen Unterschied im Menschen bezieht; für Tertullian gibt es keinen moralischen Determinismus.134 (29,2) Cain et Abel, Seth, fontes quodammodo generis humani, in totidem derivant argumenta naturae atque sententiae: choicum, saluti degeneratum, ad Cain redigunt; 133 Occasio bildet einen Terminus, den Tertullian häufig mit diesem Argument abstruser Lehrmeinungen aufgrund beliebiger (biblischer) Interpretationen gegen seine Gegner, insbesondere die Häretiker richtet, vgl. z.B. bereits Adv. Val. 1,3; Resurr. 63,8; Prax. 22,6; Adv. Herm. 14,1; 19,1. Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 310 Anm. 369. 134 Resurr. 45,15 (CChr.SL 2, 982,44–50 B ORLEFFS): Nos enim [...] tam vetustatem hominis quam novitatem ad moralem, non ad substantialem, differentiam pertinere defendimus. Vgl. dazu MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 200; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 330.
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
animale, mediae spei deliberatum, ad Abel componunt; spiritale, certae saluti praeiudicatum, in Seth recondunt. Sic et animas ipsas duplici proprietate discernunt, bonas et malas, secundum choicum statum ex Cain et animalem ex Abel.
Mit der Nennung der Namen der Söhne Adams – Kain, Abel und Seth –135 präzisiert Tertullian die zuvor benannte Lehre der Valentinianer, die er knapp und mit seiner evozierten Totalität in polemischen Ton „gewissermaßen als Quellen des Menschengeschlechts“ (Cain et Abel, Seth, fontes quodammodo generis humani) identifiziert.136 Mit der Metapher fons korrespondiert das gewählte Verb derivare; Tertullian resümiert die Funktion der drei Söhne Adams, von denen die Valentinianer „in ebenso vielen Argumenten der Natur und des Urteils“ sowohl die drei Gattungen als auch deren eschatologisches Ergehen „ableiten“ (in totidem derivant argumenta naturae atque sententiae).137 Die folgende Aufzählung expliziert diese verknappt vorangestellte Deutung, nach der zum einen auf die Dreigestaltigkeit des Menschengeschlechts nach der Natur (triformis natura) angespielt wird, also die choische-irdische, seelische und geistige Disposition des Indiviuums. Zum anderen würde aus diesen drei Personen die ethische Dreigestaltigkeit (moralibus tripertita) erklärt, nach dem das Handeln des Indiviuums in unmittelbarer Wechselwirkung mit dem jeweiligen eschatologischen Ergehen steht. Diesen Zusammenhang referiert er anschließend in einer parallel komponierten Aufzählung der drei Gattungen (natura), deren eschatologischer Perspektive (sententia; vgl. bereits 26,1 f.) sowie deren jeweiliger Zuordnung zu den Kindern Adams. Die Partizipien entsprechen stilistisch der anfänglichen Gliederung der Namen, indem die Kain und Abel zugeordneten Termini sich
135 Zur Stilistik der Punktuation in der Form A et B, C, vgl. bereits 4,2, dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 71. Zum einen hebt die Verbindung Cain et Abel die enge geschwisterliche Beziehung der beiden Brüder hervor (Gen 4,1 f.), die im Brudermord des Jüngeren durch den Älteren endet. Zugleich wird Seth, der dritte Sohn Adams und Evas (Gen 4,25), in dieser Konstruktion besonders hervorgehoben; dies entspricht der valentinianischen Deutung, nach der Seth für den pneumatischen Samen im Menschen steht. Zur umstrittenen Gruppe der sogenannten Sethianer, die auf Seth als Namensgeber zurückgehen würde, vgl. die Zusammenstellung von weiterführender Literatur bei MARKSCHIES, CHRISTOPH, Offene Fragen zur historischen und literaturgeschichtlichen Einordnung der Nag-Hammadi-Schriften, in: Jens Schröter/Konrad Schwarz (Hg.), Die Nag-Hammadi-Schriften in der Literatur- und Theologiegeschichte des frühen Christentums (Studien und Texte zu Antike und Christentum 106), Tübingen: Mohr Siebeck 2017, 15–35, 33 Anm. 55 sowie TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 310 f. Anm. 370). 136 Zur Flussmetaphorik vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 331; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 311 Anm. 371 mit Verweis auf Anim. 20,6; 43,9. 137 Bei Irenäus findet sich diese Deutung nicht, vgl. stattdessen Adv. Haer. I 7,5 (Text in Anm. 141). Das Moment der Ableitung verschiedener Flussarme von einer Quelle birgt bereits Veränderung in sich. Den ähnlichen Vorwurf skizziert Tertullian bereits in 4,2. Zur Metaphorik vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 212.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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anaphorisch aufeinander beziehen, während das Seth zugeordnete Partizip diese Reihung durch Verwendung eines anderen Präfixes durchbricht. Das aus Erde Bestehende (vgl. materialis in 26,1) führen sie auf den Erstgeborenen Kain zurück (ad Cain redigunt), der nach der Genesiserzählung zum Brudermörder geworden ist. Entsprechend dieser Parallelisierung ist das choische Element „dem Heil gegenüber entartet“ (choicum, saluti degeneratum). Degenerare drückt die Endgültigkeit aus; das choische Element ist für das Heil nicht nur unempfänglich, sondern regelrecht abgekehrt. Dem von Kain getöteten Bruder Abel „ordnen sie das Seelische zu“ (animale […] ad Abel componunt). Ihm ist die Potentialität zueigen, dass „noch eine ungewisse Hoffnung erworgen wird“ (mediae spei deliberatum). Markiert media zum einen das Moment des „zweifelhaften Ausgangs“ (26,1) aus der mittleren Position heraus, sich in eine Richtung zu entscheiden – diese Deutung wird vom Verb deliberare gestützt, sowie vom Bild, das das Seelische zwischen dem Choischen und Pneumatischen und Abel als Zweitgeborenen zwischen seinen Brüdern Kain und Seth anordnet –, lässt sich in media auch eine Anspielung auf den mythologischen „Ort der Mitte“ lesen, den zunächst Achamoth bewohnt (23,1), an dem dann der Demiurg weilen wird (28,1) und zu dem die „Seelen der Gerechten“ wechseln werden (32,1). 138 Zuletzt „gründen sie das Geistige in Seth“ (spiritale […] in Seth recondunt); dieses ist „für das sichere Heil vorherbestimmt“ (certae saluti prae-iudicatum).139 Im Entscheidungsprozess zwischen dem Guten und Bösen befinden sich zum Zeitpunkt der mythologischen Darstellung noch die Seelen, denen diese doppelte Eigenschaft zukommt (sic et animas ipsas duplici proprietate discernunt, bonas et malas). Chiastisch ordnet Tertullian die wiederholende Zuordnung an, nach der sie böse „gemäß des aus Erde bestehenden Zustands, der von Kain stammt“, gut aber „gemäß des seelischen von Abel“ (bonas et malas, secundum choicum statum ex Cain et animalem ex Abel) sind. An dieser Stelle wird eindeutig die Vorstellung einer dreifachen Differenzierung im Inneren des Menschen vorausgesetzt (status)140 und keine Dreiteilung der Menschengattungen (vgl. 26,1; 29,1). Zugleich wird ein gewisser Determinismus für die Seelenanteile im Menschen akzentuiert.141 138 Irenäus referiert an dieser Stelle eindeutig die zweite Interpretationsweise und spricht vom „Ort der Mitte“, zu dem die Seelen unter der Bedingung, dass sie „das Bessere wählen“, aufsteigen werden (vgl. Adv. Haer. I 7,5 [110,757 f.]: καὶ τὸ ψυχικὸν, ἐὰν τὰ βελτίονα ἕληται, ἐν τῷ τῆς Μεσότητος τόπῳ ἀναπαύσεσθαι.). 139 Irenäus referiert hier den Bezug zu Achamoth sowie die Notwendigkeit der Erziehung und Ernährung des pneumatischen Elements auf Erden, vgl. dazu bereits Adv. Val. 26,1. 140 Zum ontologischen Sinn von status vgl. B RAUN, Deus christianorum, 200 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 311 Anm. 373. 141 Vgl. so C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 239 Anm. 10. Irenäus referiert eine Differenzierung zwischen der guten bzw. bösen Natur der Seelen, die bereits die Heilsaussage determiniert: Diejenigen, „die von Natur aus gut sind“, gelten als „aufnahmebereit für den
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
(29,3) Spiritale enim ex Seth de obvenientia superducunt iam non naturam sed indulgentiam, ut quod Achamoth de superioribus in animas bonas depluat, id est animali censui inscriptas; choicum enim genus, id est malas animas, numquam capere salutaria. Immutabilem enim et irreformabilem naturae naturam pronuntiaverunt. Id ergo granum seminis spiritalis modicum et parvulum iactu142, sed eruditu huius fides augetur atque provehitur, 143 supra diximus, animaeque hoc ipso ita ceteris praeverterant ut Demiurgus tunc ignorans magni eas fecerit.
Die Gabe des Seth zugeordneten Geistigen bildet nach valentinianischer Lehre ein Gnadengeschenk (indulgentia) 144 . Tertullian stilisiert den Besitz dieses nicht naturgegebenen Zustands ironisch mit dem Hapaxlegomenon obvenientia145 als „Zufallsprinzip“ (spiritale enim ex Seth de obvenientia superducunt iam non naturam sed indulgentiam).146 Mythosimmanenter Grund dieser Gabe des pneumatischen Samens an die ausgewählten, guten Seelen bildet Achamoths Handlung, die diesen „nämlich von oben her auf die guten Seelen herabregnen lässt“ (ut quod 147 Achamoth de superioribus in animas bonas depluat). Tertullian rekurriert mit dem gewählten Bild karikierend auf die Vorstellung, dass Achamoths Tränen (vgl. 15,2) als „himmlische Regen“ (15,4) ausströmten und das Element des Wassers begründen.148 Damit korrespondiert die lokale Bezugnahme von de superioribus zur „himmlischen Gabe“, die diese
Samen“, diejenigen, die „von Natur aus böse sind“, als „niemals für den Samen empfänglich“ (vgl. Adv. Haer. I 7,5 [111,765–112,769]): Καὶ αὐτὰς δὲ τὰς ψυχὰς πάλιν ὑπομερίζοντες λέγουσιν ἃς μὲν φύσει ἀγαθὰς, ἃς δὲ φύσει πονηράς· καὶ τὰς μὲν ἀγαθὰς ταύτας εἶναι τὰς δεκτικὰς τοῦ σπέρματος γινομένας, τὰς δὲ φύσει πονηρὰς μηδέποτε ἂν ἐπιδέξασθαι ἐκεῖνο τὸ σπέρμα. Zur Frage, ob der Dativ kausal (so ROUSSEAU/DOUTRELEAU) oder limitativ zu verstehen ist, vgl. CHIAPPARINI, aaO., 241 Anm. 2. 142 So lesen die Handschriften (vgl. auch C HIAPPARINI, Valentino Gnostico, 229 Anm. 6 sowie MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 214); die Editionen ändern zu einem finiten Verb iacitur. Die handschriftliche Lesart gilt als lectio difficilior. 143 Ohne ut (so lesen die Handschriften) bildet der Einschub eine Parenthese (vgl. zur parenthetischen Deutung auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 229 Anm. 8). 144 Auch in Adv. Marc. IV 29,4 findet sich indulgentia im Sinn von donum. 145 Inhaltlich bildet er die Opposition zu natura; der erste Beleg in der erhaltenen lateinischen Literatur findet sich in Adv. Marc. I 22,3; II 3,3.5; 12,3. Vgl. TLL Art. obvenientia IX/2 309,67–69. sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 332; WELLSTEIN, Nova Verba, 321; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 213. 146 Zur Konstruktion vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 332. 147 Die Handschriften lesen das Pronomen im Akkusativ Plural Maskulinum (quos wäre durch spiritales status zu explizieren und möglicherweise durch die irenäische Darstellung inspiriert, dessen Text Tertullian allerdings in diesen Kapiteln sehr frei verwendet). Vgl. dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 71 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 311 Anm. 374 sowie mit Argumenten für quos MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 213 f.; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 165; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 239 Anm. 7. 148 Zur seltenen transitiven Formulierung vgl. TLL Art. depluo V/1 575,61–64.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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implizit mit dem intelligiblen Pleroma verbindet.149 Zuletzt identifiziert Tertullian die guten Seelen näher als diejenigen, „die in den seelischen Ursprung eingeschrieben sind“ (id est animali censui inscriptas).150 Mit dieser expliziten, polemisch betonten Zuordnung zur Gattung des Seelischen (animalis) korrespondiert die antithetisch angeschlossene Herausstellung, dass das Gnadengeschenk des pneumatischen Samens dem „aus Erde bestehenden Geschlecht, also den schlechten Seelen“ (choicum enim genus, id est malas animas) verwehrt wird; sie werden „das Heilmittel niemals erlangen“ (numquam capere salutaria).151 Als Grund für die Unausweichlichkeit des bevorstehenden Endes für die einzelnen geschaffenen Elemente führt Tertullian das valentinianische Diktum der Unveränderlichkeit der Natur an. Ironisch kommentiert er damit die Unausweichlichkeit der eschatologischen Bestimmungen der einzelnen Gattungen in der valentinianischen Lehre. Schließlich hätten die Valentinianer „eine unwandelbare und unveränderliche Natur der Natur verkündigt“ (Immutabilem enim et irreformabilem naturae naturam pronuntiaverunt). Sowohl das Hendiadyoin immutabilis und irreformabilis – irreformabilis ist zuerst bei Tertullian in der lateinischen Literatur belegt – als auch die figura etymologica (natura naturae) bekräftigen den ironischen Ton Tertullians, insbesondere mit Blick auf die Unumkehrbarkeit für das choische Geschlecht. 152 Bereits in Anim. 21,4–6 expliziert Tertullian seine eigene Vorstellung in Verbindung mit der Lehre vom freien Willen. Dort gilt die „Kraft der göttlichen Gnade“ als
149 Fredouille plädiert für eine temporale Interpretation, die er im Vergleich mit dem irenäischen Text entwickelt (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 333 mit Iren., Adv. Haer. I 7,5 (111,759 f.): τὰ δὲ πνευματικὰ, ἃ ἐγκατασπείρει ἡ Ἀχαμὼθ ἔκτοτε ἕως τοῦ νῦν δικαίαις ψυχαῖς). Allerdings verwendet Irenäus auch nicht die Metaphorik des Regens, sondern das Bild des Säens, sodass an dieser Stelle von tertullianischer Polemik auszugehen ist. 150 Vgl. TLL Art. census III/0 808,70–80 sowie die Verwendung in Adv. Val. 7,8; 10,4; 21,1; 25,3; 33,2 mit dem jeweiligen Kommentar zur Stelle. Vgl. auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 165. 151 Zu salutaria vgl. B RAUN, Deus christianorum, 483–487. Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 7,5. 152 Immutabilis bildet einen philosophischen Terminus über das Prinzip der Welt und rerum natura (vgl. dazu TLL Art. immutabilis VII/1 510,42), den auch Tertullian häufiger nutzt (vgl. Adv. Herm. 39,1; Idol. 9,1; Adv. Prax. 27,6). Irreformabilis findet sich neben vorliegender Stelle noch in Resurr. 5,5 zur Bezeichnung der Unveränderlichkeit des Kosmos; Virg. Vel. 1,4 zur Charakterisierung der regula fidei; Adv. Prax. 27,6; vgl. dazu TLL Art. irreformabilis VII/2 394,9–16; BRAUN, Deus christianorum, 57–59. Vgl. zudem ähnlich konstruierte Genitiv-Verbindungen mit augmentierender Intention z.B. auch in Carn. Christ. 12,2 (anima animae); Resurr. 51,6 (mors mortis).
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„mächtiger als die Natur“, die im Menschen als αὐτεξούσιον, als „freies Wahlvermögen“, vorhanden ist.153 Tertullian expliziert das Wirken des geistigen Samens in den Seelen, die diesen aufnehmen können, mit der Metaphorik der Botanik. „Das Körnchen des geistigen Samens ist beim Auswerfen bescheiden und winzig“ (Id ergo granum seminis spiritalis modicum et parvulum iactu). Antithetisch stellt er diesen im Wachstumsprozess befindlichen Samenkörnchen amplifizierend die „Vergrößerung und Weiterführung des Glaubens“ (sed eruditu huius fides augetur atque provehitur)154 gegenüber, der allein durch Erziehung und Unterweisung des semen spiritale wachsen kann.155 Dieses Bild erinnert an das biblische Gleichnis vom guten Samen, der unter Unkraut wächst (Mt 13,24–30), sowie vom Senfkorn, das klein gesät wird und im ausgewachsenen Zustand größer als alle Mitgewächse ist (Mt 13,31 f.).156 Tertullian spielt auf seine eigene Darstellung an ( supra diximus; vgl. 26,1), wonach das Geistige auf Erden Erziehung bedarf.157 An vorliegender Stelle verbindet er den geistigen Samen mit fides. Das Ergebnis bildet die Hochschätzung des Demiurgen dieser Seelen, „die hierdurch einen solchen Vorzug vor den anderen erlangten“ (animaeque hoc ipso ita ceteris praeverterant ut Demiurgus tunc ignorans magni eas fecerit), ohne dass er den Grund für diese Anziehung kennt.158
153 Anim. 21,6 (VCS 100 30,21–24 W ASZINK): Haec erit vis divinae gratiae, potentior utique natura, habens in nobis subiacentem sibi liberam arbitrii potestatem quod αὐτεξούσιον dicitur, quae cum sit et ipsa naturalis atque mutabilis, quoquo vertitur, natura convertitur. 154 Zur Schwierigkeit von eruditus vgl. TLL Art. eruditus V/2 835,28–31; FREDOUILLE, Valentiniana, 72; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 165. 155 Der systemimmanente Verweis Tertullians rekurriert explizit auf die Notwendigkeit der Erziehung des geistigen Elements in Verbindung mit dem psychischen (vgl. 26,1) sowie implizit auf die gesamte vorher dargestellte Lehre zur Erlösung. 156 Vgl. auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 214. 157 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 7,5 (111,759–762): τὰ δὲ πνευματικὰ, [...] παιδευθέντα ἐνθάδε καὶ ἐκτραφέντα, διὰ τὸ νήπια ἐκπεπέμφθαι, ὕστερον τελειότητος ἀξιωθέντα. 158 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 7,3 (106,721–107,725): Τὰς δὲ ἐσχηκυίας τὸ σπέρμα τῆς Ἀχαμὼθ ψυχὰς ἀμείνους λέγουσι γεγονέναι τῶν λοιπῶν· διὸ καὶ πλέον τῶν ἄλλων ἠγαπῆσθαι ὑπὸ τοῦ Δημιουργοῦ, μὴ εἰδότος τὴν αἰτίαν, ἀλλὰ παρ’ αὑτοῦ λογιζομένου εἶναι τοιαύτας.
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(29,4) Ex earum ergo laterculo 159 et in reges et in sacerdotes allegare 160 consueverat. Quae nunc quoque, si plenam atque perfectam notitiam apprehenderint istarum neniarum, naturificatae iam spiritalis condicionis germanitate, certam obtinebunt salutem, immo omnimodo debitam.
Sarkastisch stellt Tertullian einen Bezug zu den geistigen und juristischen Führungspersonen der römischen Welt her. Der Demiurg sei es daher gewohnt – ohne sein Handeln reflexiv zu verstehen (vgl. 29,3) – diese Seelen „aus ihrem Verzeichnis in die Könige und Prister zu entsenden“ (Ex earum ergo laterculo et in reges et in sacerdotes allegare). Inspiriert vom irenäischen Text ironisiert Tertullian diese valentinianische Vorstellung zugleich.161 Tertullian nutzt das bürokratische Instrument des Ämterverzeichnisses (laterculum)162, das er mit dem geistigen Priesteramt und dem staatlichen Königsamt verbindet. Die irenäische, alttestamentlich inspirierte, dreigliedrige Aufzählung der Personengruppen von Propehten, Königen und Priestern verkürzt Tertullian in seiner übertragenden Deutung.163 Sarkastisch führt Tertullian die Folge dieser beispielhaften Entsendung (allegare) der mit dem pneumatischen Samen versehenen Seelen in diese Persönlichkeiten durch den Demiurgen aus. Denn „jetzt würden sie auch das volle und vollständige Wissen über diesen Singsang erfassen“ (si plenam atque perfectam notitiam apprehenderint istarum neniarum). Tertullian charakterisiert den Inhalt dieser vollkommenen Gnosis abwertend als „Singsang“ und hebt die Phrase zugleich mit Hilfe des Hendyadyoins plena atque perfecta hervor. 159 Fredouille fügt an dieser Stelle in prophetas in Anlehnung an den irenäischen Text (Adv. Haer. I 7,3) ein (vgl. DERS., Valentiniana, 73). Allerdings geht dies von der Annahme aus, dass Tertullian der irenäischen Vorlage strikt folgt und ein Auslagssungsfehler in der Überlieferung der Handschriften vorliegt. Chiapparini lässt die Einfügung ohne Begründung aus (DERS., Valentino Gnostico, 229 Anm. 11). 160 So überliefern die Handschriften, während bereits die dritte Fassung der editio princeps zu allegere ändert. Nach TLL Art. allegare I/0 1666,67 f. findet eine häufige Verwechslung beider Termini statt. Allegere entspricht die vorliegende Konstruktion mit ex + in + Akkusativ-Objekt; als terminus technicus ist allegere z.B. bei Suet., Aug. 10,3 belegt. Das Hinzu-Wählen (ad-legere) hat dabei einen additiven Sinn ohne eine Vermischung, d.h. die Seelen werden „unter die Könige und Priester gewählt“, sodass sie dort als eigenständige Entitäten „unter ihnen“ leben. Vgl. dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 73 sowie RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 166. Allegare hingegen findet sich häufig bei Tertullian, wird allerdings meistens nicht mit in konstruiert; es finden sich aber zwei Parallelstellen: Ad Nat. II 13,2; Apol. 11,9; die absolute Verwendung ohne Objekt ist zudem drei weitere Male in der klassischen Literatur bezeugt (vgl. TLL Art. allegare I/0 1666,71), sodass an der Lesart der Handschriften festgehalten wird. Vgl. dazu auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 229 Anm. 12. 161 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 7,3 (107,725 f.): Διὸ καὶ εἰς προφήτας, φασὶν, ἔτασσεν αὐτὰς καὶ ἱερεῖς καὶ βασιλεῖς. 162 Tertullian verwendet den Terminus speziell für das Verzeichnis der Würdenträger tropisch (TLL Art. laterculum VII/2 1001,83 f.; 1002,4); vgl. Ad Nat. I 13,3. 163 Anders deutet Fredouille die Stelle, s.o. Anm. 159.
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Schließlich hätten die Seelen der Könige und Priester „dank ihrer natürlichen Verwandtschaft mit der geistigen Beschaffenheit“ (naturificatae iam spiritalis condicionis germanitate)164 Anteil an dieser Gnosis, wie Tertullian spitz konkludiert und stilistisch das Hapaxlegomenon naturificata mit germanitate die Phrase rahmen lässt. In soteriologischer Perspektive erfolgt „mit Sicherheit, geradezu mit zwingender Notwendigkeit“ (certam obtinebunt salutem, immo omnimodo debitam) die Erlangung des Heils für diese Seelen.165 Die chiastische Formulierung markiert Tertullians Ironie, nach der er die Errettung dieser Seelen als Unausweichlichkeit des Heils stilisiert. 7.2.4. Adv. Val. 30: Valentinianische Ethik (30,1) Ideoque nec operationes necessarias sibi existimant nec ulla disciplinae munia observant, martyrii quoque eludentes necessitatem qua volunt interpretatione. Hanc enim regulam animali semini praestitutam, ut salutem, quam non de privilegio status possidemus, de suffragio actus elaboremus. Nobis enim inscriptura huius seminis qui imperfectae scientiae166 sumus, quia norimus Philetum, et utique abortui deputatur167, quod mater illorum.
164 Wellstein deutet die Bildung naturificata als inspiriert durch das irenäische διὰ τὸ φύσει πνευματικοὺς (Adv. Haer. I 6,2), vgl. DERS., Nova Verba, 120 f. Vgl. auch TLL Art. naturificata IX/1 205,40–43: i. qui factus est proprietas naturalis. 165 An dieser Stelle zeigt sich die Bedeutung von natura (φύσις) als „eine wesenhafte Einheit durch ein genealogisches Herkunftsverhältnis. Damit ist an den ursprünglichen Wortsinn, die Einheit von Wesen u. Ursprung, angeknüpft, jedoch mit einem spezifischen Akzent auf dem genealogischen Zusammenhang.“ (ZACHHUBER, JOHANNES, Art. Physis, in: Reallexikon für Antike und Christentum 27 [2016], 744–781, 761). 166 Scientiae bildet eine Konjektur der Editionen (vgl. den Exkurs bei B RAUN, Deus christianorum, 579–583); die Handschriften lesen essentiae. Allerdigs verwendet Tertullian gewöhnlicherweise zur Widergabe von οὐσία substantia, insbesondere im Kontext der Formung von Achamoth in Adv. Val. 14,1. Es ist Brauns Argumentation zu folgen, der zu scientiae ändert – im Hintergrund steht auch die negative Aussage bei Irenäus, dass „die Psychiker keinen Anteil an der vollendeten Gnosis haben“ (Adv. Haer. I 6,2); alternativ dazu diskutiert Braun die Möglichkeit mit synonymer Bedeutung sententiae zu lesen (vgl. aaO., 581 f. mit 581 Anm. 2); diese Deutung findet sich auch bei RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 166 und FREDOUILLE, Valentiniana, 73; ähnlich argumentiert allerdings mit anderem Ergebnis MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 217. 167 Es ist an der handschriftlichen Lesart im Singular festzuhalten – lediglich die zweite Fassung des Montepessulanus korrigiert zu deputatum; Subjekt bildet inscriptura huis seminis (zur Konstruktion vgl. RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 167). Die Änderung in den Plural einiger Editionen,die das Verb auf nobis beziehen, ist nicht notwendig (Fredouille gewichtet gegen die theoretische Möglichkeit der Konstruktion das inhaltliche Argument, dass im folgenden Vergleich mit Achamoths Ursprung ebenfalls Individuen impliziert sein müssen, eher als der in ihnen wirkende Same; vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 336 f.; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 314 Anm. 385; dagegen BRAUN, Deus christianorum, 580 sowie MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 218).
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Anschließend an die beispielhafte Betrachtung der Könige und Priester (vgl. 29,1) folgt nun die kritische Darstellung der Konsequenzen der valentinianischen Lehre in konkreter Anwendung für die Existenz der Menschen in der Welt, insbesondere in ethischer Pespektive. Diesen Ebenenwechsel macht Tertullian nicht explizit deutlich; vielmehr führt er den Gedanken konklusiv (ideoque) fort.168 Zwei Gruppen werden im Folgenden identifiziert: Den Valentinianern, die im Besitz des geistigen Samens sind (ideoque), steht die Gruppe gegenüber, die den „seelischen Samen“ (animalis semen) besitzt. Die Ausführung des Ergehens dieser zweiten Gruppe formuliert Tertullian in der 1. Person Plural und identifiziert somit sich und die Christen um ihn als zur Gruppe mit dem seelischen Samen gehörend. Die Gruppenzugehörigkeit differenziert sich also nach Tertullians Referat der valentinianischen Lehre entsprechend der Wesensbeschaffenheit (natura); damit hängen unmittelbar die Handlungsmaximen zusammen. Dass die Valentinianer dabei „für sich weder die religiösen Werktätigkeiten als notwendig erachten noch irgendeine Aufgabe der Moralvorstellung einhalten“ (nec operationes necessarias sibi existimant nec ulla disciplinae munia observant), erscheint in Tertullians Augen maßlos. Hier liegt einer der Hauptvorwürfe Tertullians gegen die Gruppe der Valentinianer (vgl. 1,1).169 Allumfassend kritisiert er die Moraleinstellungen und Handlungen der Valentinianer im Lebensbereich sowie im religiösen Handeln, so wie er sie stilisiert.170 Die Folge dieser in Tertullians Augen unmoralischen, dem christlichen Glauben widersprechenden Lebensführung zeigt sich darin, dass die Valentinianer „auch der Unabwendbarkeit des Martyriums mit der Deutung, mit der sie wollen, ausweichen“ (martyrii quoque eludentes necessitatem qua volunt interpretatione). Zum Martyrium hat Tertullian bereits in seiner vormontanistischen Zeit einen positiven Bezug entwickelt; für ihn fordere die Kirche unabdingbar zum Martyrium auf.171 Den wahren Christen zeichne die Sehnsucht nach dem Martyrium geradezu aus und sei Teil des göttlichen Heilsplans.172 Das Martyrium als Bedrohung des christlichen Glaubens bildet insbesondere ein Thema in den Schriften, die Tertullian gegen die Valentinianer als Bedrohung innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft richtet. Dabei erhebt er einen doppelten Vorwurf: Das Ausweichen vor dem Martyrium gilt ihm als moralisch verwerflich, wie bereits der Terminus necessitas anzeigt, und als Beweis dafür, Irenäus expliziert diesen Übertrag, vgl. Adv. Haer. I 6,1 f. Vgl. auch Praescr. 41,1 über den „Lebenswandel der Häretiker“ mit Blick auf das Leben in der Gemeinde (SC 46, 146,2–4 REFOULÉ/DE LABRIOLLE): [...] quam futilis, quam terrena, quam humana sit, sine gravitate, sine auctoritate, sine disciplina ut fidei suae congruens. 170 Munus ist im vorliegenden Kontext auf das religiöse Leben bezogen, vgl. TLL Art. munus VIII/0 1644,25–35. 171 Vgl. Praescr. 36,5. 172 Vgl. z.B. Scap. 1,2 f.; Apol. 1,2; Scorp. 3,2; 4,1; 5,13; 6,1 f.7; 8,1. 168
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kein wahrer Christ zu sein. Die Gefahr besteht aber vor allem in der biblischen Begründung, mit der die Valentinianer argumentieren. Butterweck hat aufgezeigt, dass vornehmlich auf Bibelstellen rekurriert wird, welche die freie Gnade für den sündigen Menschen verkündigen, sodass jedes Werk – und so auch das Martyrium – als falsche, sogar heilsgefährdende Leistung gedeutet wird. 173 Auf diese interpretatorische Deutungsbeliebigkeit spielt Tertullian auch hier an (qua volunt interpretatione); dagegen steht sein eigenes Schriftprinzip.174 Operationes und disciplina gelte bei den Valentinianern daher lediglich für die Christen, zu deren Gruppe sich Tertullian zählt. Denn „dem seelischen Samen sei von vornherein diese Regel festgeschrieben worden“ (hanc enim regulam animali semini praestitutam). Danach müssen die dazugehörigen Menschen (vgl. 1. Person Plural), „das Heil durch die Unterstüzung der Tätigkeiten erarbeiten“ (ut salutem de suffragio actus elaboremus). Denn dieses „besitzen“ diese Seelen „nicht durch das Vorzugsrecht des Standes“ (quam non de privilegio status possidemus). Antithetisch stellt Tertullian status den geforderten actus der seelischen Menschen gegenüber.175 Als Begründung für die Notwendigkeit des ethisch guten Lebens fügt Tertullian an, dass „wir die Bezeichnung dieses Samens eingraviert tragen“ (nobis enim inscriptura huius seminis); wie ein offizieller Marker176 ist den Trägern der Seelen dieser geistige Samen eingeschrieben, aber noch unausgebildet. Ironisch expliziert Tertullian daher weiterhin, dass er und die Christen um ihn, die markierten Seelen, „noch unvollkommenes Wissen haben“ (qui imperfectae scientiae sumus) 177 . Schließlich würden „wir Philetus nicht kennen“ (quia norimus Philetum). Den Grund deutet Tertullian nun mythosimmanent, rekurriert in wenigen Worten auf das Geschehen um Sophia im Pleroma und ironisiert das valentinianische Konstrukt zur Ethik auf zwei Ebenen: Zum einen spielt er auf ein scheinbares Nicht-Wissen an, dessen Inhalt aber sowohl
173 Vgl. z.B. Scorp. 1,7 f.13; die Auslegung von Mt 10,32 f. z.B. in Scorp. 9,8–13, dazu BUTTERWECK, ‚Martyriumssucht‘, 53. 174 Zum Martyriumsverständnis Tertullians vgl. B UTTERWECK, ‚Martyriumssucht‘, 46– 62. 175 Der dynamischen Bewegung (actus) steht der feststehende Zustand (status) gegenüber, vgl. z.B. auch Anim. 11,1 und dazu BRAUN, Deus christianorum, 202. 176 Inscriptura bildet einen sehr seltenen Terminus, der lediglich noch bei Hyg. Gr. vorkommt, vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 336. Nach TLL Art. inscriptura VII/1 1850,55–63 ist der Terminus von inscribere abzuleiten (nicht von inscriptus), was Tertullian hier metaphorisch aufnimmt und damit auf die Wendung id est censui inscriptae (29,3) rekurriert. Vgl. auch BRAUN, Deus christianorum, 580 Anm. 2. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit bietet Marastoni, der als Überschrift und Titel der Seelen das Korrelativ zum Siegel der pneumatischen Samen deutet (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 216). 177 Zur Überlieferung des Texts vgl. Anm. 166.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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ihm als Autor als auch seiner Leserschaft nach der Lektüre dieses Werkes gerade nicht unbekannt ist. Zum anderen lässt er im Namen Philetus seine eigene Polemik anklingen; der Partner Sophias heißt im valentinianischen Mythos Theletus.178 Steigernd mündet seine Kritik in die polemische Verhöhnung der Valentinianer; damit wirft er die scheinbar negative Zuordnung der Christen um Tertullian, wie dieser sie herausstilisert, wie einen Bumerang auf die Valentinianer selbst zurück: Wird Philetus aufgrund seiner innermythologischen Zuordnung bei der Hervorbringung Achamoths als untätiger männlicher Paargenosse „zur Fehlgeburt gezählt“ (et utique abortui deputatur), weist Tertullian trocken drauf hin, dass gerade Achamoth, „die Mutter jener“ (quod mater illorum), eine solche Fehlgeburt ist (vgl. 10,5; 14,1).179 In ihrer genealogischen Linie, wie sie der Mythos tradiert, müssten sich die Valentinianer ebenfalls in minderer Qualität verstehen; diesen Gedanken unterstreicht Tertullian stilistisch durch die den Satz rahmenden und damit auf einer Ebene stehenden Pronomina nobis und illorum. (30,2) Sed nobis quidem vae, si excesserimus in aliquo disciplinae iugum, si obtorpuerimus in operibus sanctitatis atque iustitiae, si confitendum alibi nescio ubi et non sub potestatibus istius saeculi apud tribunalia praesidum optaverimus.
Der folgende gegen Tertullians Gruppe gerichtete Weheruf (vgl. die Interjektion vae), den er in drei Konditionalsätzen näher expliziert,180 wirkt daher zutiefst ironisch. Er imitiert den moralisch erhobenen Zeigefinger der Valentinianer. Die beiden ersten Konditionalsätze sind parallel konstruiert und benennen die an die Seelen gerichteten Anforderungen im drohenden Tonfall mit Blick auf die Lebensführung und das religiöse Handeln; diese führen in die Amplifikation des dritten Teilsatzes, der sich dem Bekenntnis des christlichen Glaubens und damit der Frage nach der Erkennbarkeit des Christ-Seins widmet. Der erste Weheruf richtet sich gegen die Christen, zu denen sich auch Tertullian zählt, die „das Joch der Moralvorstellung in irgendetwas überschritten haben“ (si excesserimus in aliquo disciplinae iugum). Bereits der Terminus disciplina stellt den Gegensatz zwischen den Valentinianern als Träger des pneumatischen Samens und diesen Seelen heraus (vgl. 1,1; 30,1).181 Während 178 Theletus wird als Partner Sophias in 8,2 eingeführt (vgl. eine Polemik dazu in 8,4); innerhalb der Geschichte vom Fall der Sophia bezeichnet Tertullian diesen ironisch als Philetus (9,2) mit Polemik in 12,1. 179 Das dahinterstehende Argumentationsprinzip hat Tertullian bereits in der Praemunitio angewendet (vgl. Adv. Val. 2 f.): Scheinbar eindeutige Aussagen werden in ihrer Wertung umgedreht und auf die Urheber zurückgeworfen. 180 Einen Weheruf konstruiert Tertullian häufiger, vgl. z.B. Adv. Marc. IV 14,6; 15; Carn. Christ. 24,1; Resurr. 19,6; Scorp. 1,13. 181 Möglicherweise findet sich Tertullian durch den Text bei Irenäus inspiriert, der der eigenen Gruppe der Christen zuschreibt, „sich aus Furcht vor Gott zu hüten, auch nur in
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die einen mit einer laxen Moralvorstellung ihr Leben bestreiten, gilt den anderen das Wehe bei einer Überschreitung in nur „irgendeiner“ Hinsicht – das Indefinitpronomen bestärkt den Gegensatz, auf den Tertullian abhebt. Was sich konkret hinter solchen Moralvorstellungen und ethisch korrekten Lebenswandel verbirgt, benennt Tertullian auch an dieser Stelle nicht.182 Im zweiten Weheruf spielt er konkret auf das religiöse Leben an. Wehe den Christen, „die in den Werken der Heiligkeit und Gerechtigkeit erschlafft waren“ (si obtorpuerimus in operibus sanctitatis atque iustitiae); das sich lediglich an dieser Stelle in seinem Œuvre findende obtorpescere zeichnet geradewegs eine den ganzen Menschen, körperlich und geistig umfassende Erschlaffung nach.183 Der dritte Weheruf thematisiert in Tertullians Augen das Proprium der christlichen Existenz, zu der das Bekenntnis unabdingbar dazugehört. Der Weheruf richtet sich gegen die Möglichkeit, „falls wir es vorgezogen haben, das Bekenntnis anderswo – ich weiß nicht wo – abzulegen und nicht vor den Mächtigen dieses Zeitalters, vor den Tribunalen der Statthalter“ (si confitendum alibi nesico ubi et non sub potestatibus istius saeculi apud tribunalia praesidum optaverimus)184. Tertullian thematisiert die Frage nach dem Ort des Bekenntnisses und verbindet diesen Gedanken mit der Frage nach der Autorität. Für Tertullian gehört zur Existenz des Christen, in der Welt standfest seinen Glauben zu bekennen. Adressat dafür sind – entsprechend seiner apologetischen Haltung – die weltlich eingesetzten Herrscher, die in den Tribunalen der Statthalter verkörpert sind; sicherlich gehört diesen die Macht lediglich bis zur Parusie.185 Tertullian polemisiert gegen eine von den Valentinianern gelebte Abspaltung von der Gerichtlichkeit dieser Welt; implizit rekurriert er damit erneut Gedanken und Worten zu sündigen“ (vgl. Adv. Haer. I 6,4). Zudem kann auch eine biblische Assonanz im Hintergrund stehen, auf die Tertullian implizit rekurriert, wenn in Mt 11,29 Jesus nach dem Weheruf und Zusage an die Menschen von „seinem Joch“ spricht, das die Menschen auf sich nehmen sollen (vgl. auch Cult. Fem. II 13,7 das wie das Haar auf den Nacken gebundene iugum Christi als Bild für das einer Frau geziemende, christliche Leben). Vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 218. 182 Zum einen wird er Beispiele implizieren, wie sie Irenäus in Adv. Haer. I 6,3 anführt – dort gelten die Beispiele allerdings jeweils immer nur für einzelne Teilgruppen, es findet sich keine Allgemeinaussage über die Großgruppe der Valentininaer: z.B. der Verzehr von Götzenopferfleisch, aber auch maßloser Fleischkonsum, sexuelle Unzucht, Inzest, Teilnahme an den spectacula usw. Viele dieser Themen bearbeitet Tertullian zum anderen in eigenen Schriften, sodass ihm an dieser Stelle eine Anspielung genügt (vgl. Spect.; Ieun.; Idol.; Castit.). 183 Vgl. TLL Art. obtorpescere IX/2 291,40.47 f. Die Wendung opera sanctitatis atque iustitiae ist hier einzigartig (vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 337); allerdings findet sich bei Tertullian häufiger der Hinweis auf sanctitas (vgl. z.B. 5,1) oder auch die „Werke der Gerechtigkeit“. 184 Zur Konstruktion vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 337. 185 An diese richtet Tertullian z.B. auch Apol. oder Scap. sowie zur temporären Gültigkeit z.B. Spect. 28–30.
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auf das Thema des Martyriums (vgl. 30,1), anhand dessen die differente Deutung der Haltung gegenüber der Welt deutlich wird. Dieses gilt für Tertullian in gefahrvollen Zeiten als unausweichlich; das Bekenntnis des christlichen Glaubens vor der Gerichtbarkeit dieser Welt führt notwendigerweise ins Martyrium.186 In der 212 nach Christus187 aus Anlass von Verfolgungen gegen die christliche Gemeinschaft entstandenen Schrift Scorp., in der sich Tertullian mit der valentinianischen Ablehnung des Martyriums ausführlich befasst, führt er auch diesen Gedanken argumentativ weiter aus. Er wehrt die valentinianische Forderung ab, dass das im Martyriums-Prozess verlangte Bekenntnis „weder innerhalb dieses Umkreises der Erde noch bei dieser Durchreise durch das Leben und auch nicht vor Menschen dieser üblichen Natur“ abzulegen sei. Polemisch legt er den Valentinianern ihre Vorstellung in den Mund und rekurriert dabei auf die mythologische Darstellung: „Ohne Zweifel, wenn die Seelen aus den Körpern herausgegangen sind und sie beginnen durch die einzelnen Stockwerke des Himmels hindurch mit Blick auf die Zuflucht bedacht zu werden, und jene geheimen Sakramente der Häretiker befragt werden, dann erst muss man bekennen, und zwar vor den wahren Mächten und den wahren Menschen, nämlich den Vollkommenen (Theletos) und den Unwandelbaren (Acinetos) und den Unbescholtenen (Abascantos) Valentins.“188 Es folgt eine Argumentation, in der Tertullian ex negativo aus der fehlenden, nicht in den Heiligen Schriften autorisiert niedergeschriebenen Lokalisierung des Bekenntnisses folgert, dass, wenn der Herr (dominus) ihn als Christen nicht vor einem Bekenntnis auf Erden durch eine klare Vorschrift abgehalten habe, dieses nicht erst im Himmel und erst recht nicht als Bedingung zum Einlass erhoben werden könne, wie die Valentinianer behaupten.189 Die Diskussion mündet in die Feststellung, dass Bekenntnis und Verfolgung miteinander in direkter Abhängigkeit stehen: „Weil ja das Bekenntnis von der Verfolgung abgeleitet wird, und die Verfolgung im Bekenntnis erlischt, können aber nicht die beiden Dinge nicht gemeinsam erfolgen, die Eingang und Ausgang, d.h. Anfang und Ende ausmachen.“ Wenn aber Verfolgung und Martyrium gerade hier (hic) auf Erden, vor dem irdischen Tribunal stattfinden, „wird auch das Bekenntnis nicht anderswo (alibi) stattfinden; wenn das Bekenntnis anderswo (alibi) ist, finden auch die übrigen Dinge nicht hier (hic) statt.“ 190 Tertullian führt an dieser Stelle Argumente gegen die
S.u. die Auslegung von Scorp. 10,14 f. zum unlösbaren Zusammenhang von Bekenntnis und Verfolgung. 187 Zur Datierung vgl. die verschiedenen Forschungspositionen und Plausibilisierung für 212 nach Christus bei TRÄNKLE, Q. Septimius Florens Tertullianus, 493, Lit. 55. 188 Scorp. 10,1 (CChr.SL 2, 1087,29–8 R EIFFERSCHEID/W ISSOWA): Qui vero non hic, id est non intra hunc ambitum terrae nec per hunc commeatum vitae nec apud homines huius communis naturae confessionem putant constitutam, quanta praesumptio est adversus omnem ordinem rerum in terris istis et in vita ista et sub humanis potestatibus experiundarum? Nimirum cum animae de corporibus excesserint et per singula tabulata caelorum de receptu dispici coeperint et interrogari arcana illa haereticorum sacramenta, tunc confitendum apud veras potestates et veros homines, Teletos scilicet et Acinetos et Abascantos Valentini. 189 Vgl. Scorp. 10,4–6. 190 Scorp. 10,14 f. (CChr.SL 2, 1089,3–14 R EIFFERSCHEID/W ISSOWA): Siquidem confessio a persecutione deducitur et persecutio in confessione finitur nec possunt non una sequi quae et aditum et exitum, id est initium finemque disponunt. Porro et odium nominis hic erit 186
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valentinianische Abwertung der irdischen Gerichtsbarkeit an, auf die er bereits in Adv. Val. 30,2 anspielt und in deren Kontext keine nähere Argumentation aufgrund der Intention der Schrift notwendig ist; die terminologische Überschneidung fällt auf.
Die von den Valentinianern implizierte Abwertung des weltlichen Tribunals korreliert mit der Vorstellung, bereits aufgrund des pneumatischen Samens zum jetzigen Zeitpunkt zur oberen Welt, dem Pleroma, hinzuzugehören, welches dann als geistiges oder himmlisches Tribunal als Einziges Geltung hat. Tertullian expliziert diese mythosimmanente Logik nicht, sondern betont voll Spott, dass das Bekenntnis „anderswo – ich weiß nicht wo“ (alibi nescio ubi) abgelegt werden solle.191 Damit stilisiert er sich entsprechend demjenigen, der an der mit dem pneumatischen Samen verbundenen Erkenntnis keinen Anteil hat, als unwissend und ironisiert diesen Gedanken gerade darin, dass sein Wissen sichtbar ist. (30,3) Illi vero et de passivitate vitae et diligentia delictorum generositatem suam vindicent, blandiente suis Achamoth, quoniam et ipsa delinquendo profecit. Nam et honorandorum coniugiorum supernorum gratia edicitur apud illos meditandum atque celebrandum semper sacramentum comiti, id est feminae, adhaerendi; alioquin degenerem nec legitimum veritatis qui deversatus in mundo non amaverit feminam nec se ei iunxerit. Et quid facient spadones quos videmus apud illos?
Im Gegensatz zu den Christen um Tertullian ergeht es den Valentinianern als Träger des pneumatischen Samens anders.192 Die beiden parallel gestalteten Anfänge der Paragraphen mit dem Personalpronomen nobis quidem (30,2) sowie dem Demonstrativpronomen illi vero (ohne nähere Bezeichnung) weisen die Distanz auf. Futurisch formuliert Tertullian mit spöttelndem Unterton, dass die Valentinianer „ihre edle Herkunft in Anspruch nehmen werden“ (generositatem suam vindicent) 193 , schließlich stammen die pneumatischen Samen
et persecutio hic erumpit et traditio hic producit et interrogatio hic compellit et carnificina hic desaevit; at totum hunc ordinem in terris confessio vel negatio expungit. Igitur si cetera hic, nec confessio alibi; si confessio alibi, nec cetera hic. Enimuero non alibi cetera, itaque nec confessio in caelo. Aut si aliam volunt esse rationem interrogationis et confessionis caelestis, utique et ordinem suum illi struere debebunt alium longe et ab ista dispositione diversum, quae scripturis notatur. 191 Vgl. diese Wendung bereits in 7,3, ebenfalls im ironischen Kontext über den Wohnort des valentinianischen Gottes. 192 Aland macht auf die polemische Karikatur in der irenäischen Darstellung aufmerksam, die eine determiniert defizitäre Existenzweise von Pneumatikern und Psychikern evoziert; dagegen stellt sie eine lediglich faktisch defizitäre Existenzweise, indem den zu den Psychikern gezählten Menschen lediglich nach valentinianischer Vorstellung die richtige Unterweisung fehle (vgl. DIES., Der Demiurg und sein Wirken, 291–293). 193 Tertullian kann an dieser Stelle auch auf die bei Irenäus überlieferte Deutung anspielen, dass die Träger des pneumatischen Samens „diese Gnade als festes Eigentum“ besitzen (Adv. Haer., I 6,4 [98,658–660]: αὐτοὺς δὲ ἰδιόκτητον ἄνωθεν ἀπὸ τῆς ἀρρήτου καὶ ἀνονομάστου συζυγίας κατεληλυθυῖαν ἔχειν τὴν χάριν).
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direkt von Achamoth ab, „um sich von der Unbeständigkeit ihres Lebens und von der Hingabe an die Übertretungen freizusprechen“ (et de passivitate vitae et diligentia delictorum).194 Tertullian kritisiert die valentinianische Haltung, die den Hinweis auf ihre Herkunft wie ein Schutzschild vor disciplina tragen (vgl. 1,1; 30,1), derer sie in seinen Augen meinen, sich nicht beugen zu müssen. Voll Ironie parallelisiert Tertullian die valentinianische Lebensweise mit derjenigen Achamoths; schließlich habe diese „den Ihrigen geschmeichelt, weil ja auch sie selbst etwas erreicht hat, indem sie einen Fehler begangen hat“ (blandiente suis Achamoth, quoniam et ipsa delinquendo profecit). Achamoths Handeln (und das ihrer Mutter Sophia) hat Tertullian detailreich geschildert; in Analogie dazu stilisiert er entsprechend ihrer Herkunft auch das Leben der Valentinianer als unmoralisch und sexuell unzüchtig. Sarkastisch erinnert Tertullian implizit an die ursprüngliche Entstehung der drei Gattungen, die Achamoth geboren hat, nachdem sie vom Bild der Engel schwanger geworden war (17,1).195 Die Valentinianer, die sich auf den pneumatischen Samen berufen, sind demnach für Tertullian nach diesem Mythos nichts anderes als eine Frucht dieser Verbindung, die gerade nicht aus einem sexuellen Akt zwischen einer männlichen und einer weiblichen Person entstanden sind. Mit der kausalen Konjunktion nam leitet Tertullian zur Verbindung dieser beiden Anspielungen, der mythosimmanenten und der von ihm skizzierten Situation der Valentinianer (apud illos), über. In Analogie zur Vorstellung, dass im mythologischen Pleroma alle Personen in mannweiblichen „ehelichen Verbindungen“ (coniugium, vgl. 3,4; 11,2; 31,1; 33,1) existieren, gelte den Valentinianern selbst – äquivalent zu ihrer Lehre – als ungeschriebenes Gesetz (edicitur), dass in ihrem Lebensvollzug, „um den oberen ehelichen Verbindungen Ehre zu erweisen“ (honorandorum coniugiorum supernorum gratia), ebenfalls „immer das Geheimnis der Vereinigung mit einem Gefährten eingeübt und gefeiert werden muss“ (meditandum atque celebrandum semper sacramentum comiti […] adhaerendi).196 Polemisch karikiert Tertullian den Gefährten als 194 Diligentia verwendet Tertullian nicht im klassischen Sinn (vgl. auch Fug. 1,7 [TLL Art. diligentia V/1 1176,7 i.q. amor]). Passivitas leitet sich von passivus (vgl. bereits 5,1) und findet sich zuerst bei Tertulllian, vgl. TLL Art. passivitas X/1 622,57 f. Vgl. dazu auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 337 f. 195 In 17,1 formuliert Tertullian zur Kennzeichnung des Moments, dass Achamoth befreit von den Übeln vorangeht, um Früchte in größere Werke zu tragen, auch mit dem Verb proficit. 196 Vgl. im Hintergrund Iren., Adv. Haer. I 6,4 (98,658–662): αὐτοὺς δὲ ἰδιόκτητον ἄνωθεν ἀπὸ τῆς ἀρρήτου καὶ ἀνονομάστου συζυγίας κατεληλυθυῖαν ἔχειν τὴν χάριν, καὶ διὰ τοῦτο προστεθήσεσθαι αὐτοῖς. Διὸ καὶ ἐκ παντὸς τρόπου δεῖν αὐτοὺς ἀεὶ τὸ τῆς συζυγίας μελετᾷν μυστήριον. Vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 205 Anm. 7; 206 Anm. 13. Meditari kann beide Momente bezeichnen: das Nachdenken und die unermüdliche Praxis. Nach TLL liegt an dieser Stelle der Sinn reputare, animo proponere vor (Art. meditari VIII/0 575,6 f.32–35). Dagegen führt Fredouille die weiteren
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eine Frau (id est feminae).197 Das Hendiadyoin meditari und celebrare unterstreicht die praktische Dimension des Geheimnisses.198 Folglich gilt derjenige bei ihnen als „entartet und für die Wahrheit ungeeignet“ (alioquin degenerem nec legitimum veritatis), der während seiner Existenzzeit in der Welt (deversatus in mundo) „weder eine Frau geliebt noch sich mit ihr verbunden habe“ (qui […] non amaverit feminam nec se ei iunxerit). Der Status des Pneumatikers in der Welt ist ein Zustand der Durchreise, wie Tertullian mit dem Verb deversari hervorhebt. Während dieser Zeit gilt die Verbindung mit einer Partnerin entsprechend dem Geschehen und Bild im Pleroma (vgl. coniugium) als konstitutiv, um zur Wahrheit zu gelangen.199 Sarkastisch schließt Tertullian diesen Gedankengang mit der rhetorischen Frage ab, was bei einer solchen Lehre eigentlich „die Entmannten machen, die wir bei ihnen sehen“ (Et quid facient spadones quos videmus apud illos?). Dass es trotz einer solchen Lehre bei den Valentinianern ihrer im vereinigenden
Vorkommen des Terminus in Tertullians Werk an, bei denen die praktische Dimension gemeint ist. Diese These stützt der Vergleich mit dem irenäischen Text (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 338). 197 Vgl. auch die feminine Deutung in Iren., Adv. Haer. I 6,4. 198 Sacramentum verweist auch in diesem Kontext auf den Geheimnischarakter der syzygienhaften Verbindung. Im Mythos ist damit auf die „Hochzeit der oberen Äonen“ angespielt, von der Irenäus berichtet (vgl. Adv. Haer. I 6,3). Es finden sich zudem Hinweise in valentinianischen Texten auf ein Ritual des Brautgemachs. In Adv. Haer. I 21,3 berichtet Irenäus von einigen (!) Valentinianern, die „nach der Ähnlichkeit der Syzygien der oberen Welt“ eine „pneumatische Hochzeit“ feiern, nämlich das „Brautgemach“. Thomassen wertet diese Information aufgrund ihrer ungenauen Detailiertheit als keinen eigenen Ritus der Valentinianer; vielmehr sei dieser in anderen Quellen integraler Bestandteil des Initiationsritus (vgl. DERS., Spiritual Seed, 360–365). Das EvPhil berichtet ausführlich von einem solchen Ritus (NHC II,3 69,14–71,10; vgl. dazu THOMASSEN, aaO., 341 ff.). Inwiefern Tertullian auf einen belegten Ritus mit einem festen Formular anspielt (vgl. zu diesem Verständnis von „Sakrament“ als repräsentierendes Abbild der „oberen Hochzeit“: MICHAÉLIDÈS, Sacramentum chez Tertullien, 307), muss offenbleiben (vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 338 f.). 199 Vgl. dazu das bei Irenäus überlieferte Zitat, das valentinianische Johannes-Exegese überliefert und in der Weiterführung antithetisch die Motivation der sexuellen Verbindung und das Ergehen desjenigen, der pneumatisch, und desjenigen, der psychisch ist, gegenüberstellt; schließlich stünde der Nachahmung der pleromatischen Verbindung bei den Pneumatikern die reine sexuelle Lustbefriedigung bei den Psychikern gegenüber (vgl. Adv. Haer. I 6,4 [98,662–100,668]): Καὶ τοῦτο πείθουσι τοὺς ἀνοήτους, αὐταῖς λέξεσι λέγοντες οὕτως· ὃς ἂν ἐν κόσμῳ γενόμενος γυναῖκα οὐκ ἐφίλησεν, ὥστε αὐτῇ κρατηθῆναι, οὐκ ἔστιν ἐξ ἀληθείας καὶ οὐ χωρήσει εἰς ἀλήθειαν· ὁ δὲ ἀπὸ κόσμου ὤν, [μὴ] κραθεὶς γυναικί, οὐ χωρήσει εἰς ἀλήθειαν, διὰ τὸ ἐν ἐπιθυμίᾳ κρατηθῆναι γυναικί. Ei iunxerit gibt dabei ὥστε αὐτὴν κρατηθῆναι wieder, vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 206 f. Anm. 2; 207 Anm. 4 und dazu TLL Art. iungo VII/2 658,60: iungo im Kontext de matrimonie, amore, coitu.
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Geschlechtsakt zu vollziehenden Zeugungskraft beraubte Menschen gibt, 200 versucht Tertullian durch die doppelte Autorisation zu bekräftigen, indem er sich selbst als Zeuge anführt und dabei durch die Formulierung im Plural auf weitere Zeugen anspielt. Das Verb videre verstärkt den gegenwärtigen Eindruck zur Situation, die Tertullian postuliert. Er polemisiert damit gegen die Zugehörigkeit von Menschen zur Gruppe der Valentinianer, die qua ihrer Natur der Forderung der Lehre, wie Tertullian sie interpretiert wissen will, nicht entsprechen können. 7.2.5. Adv. Val. 31–32: Valentinianische Eschatologie (31,1) Superest de consummatione et dispensatione mercedis. Ubi Achamoth totam massam seminis sui presserit, dein colligere in horreum coeperit, vel cum ad molas delatum et defarinatum in consparsione salutari absconderit, donec totum confermentetur201, tunc consummatio urgebit. Igitur imprimis ipsa Achamoth de regione medietatis, de tabulato secundo in summum transferetur. Restitutam pleromati202 statim excipit compacticius203 ille Soter, sponsus scilicet, ambo coniugium novum fiet; hic erit in scripturis sponsus, et sponsalis pleroma. Credas enim, ubi de loco in locum transmigratur, leges quoque Iulias intervenire.
Zum Abschluss der widerlegenden Darstellung der Lehre der Schüler des Ptolemäus thematisiert Tertullian die valentinianische Lehre der Eschatologie (superest). Mit Bezug auf die mythologische Vorstellung geht es um „das Weltende und die Verteilung des Lohns“ (de consummatione et dispensatione mercedis).204 Mit merces impliziert Tertullian eine Leistung, die belohnt wird; 200 Zur Diskussion, ob es sich von Geburt an zeugunsunfähige oder erst im Laufe des Lebens kastrierte Männer handelt, vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 339; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 314 f. Anm. 388 mit weiterer Literatur. 201 Confermentetur bildet einen Konjekturvorschlag der dritten Fassung der editio princeps, der die Metaphorik herausstellt (vgl. auch FREDOUILLE, Valentiniana, 75), die Handschriften lesen confrequentetur bzw. der Florentinus cofrequenter („bis der Teig sich ganz vermehrt hat“; dazu CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 211 Anm. 5; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 223). 202 Die Handschiften lesen restituta sowie korrupt pleromati(a)e. Chiapparini hält an der Lesart restituta fest mit einer anderen Punktuation als Kroymann und Fredouille (vgl. CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 211 Anm. 6 f.). Syntaktisch ist diese Konstruktion möglich; der Logik des Mythos entspricht das zuvor geschilderte Aufsteigen Achamoths vom „Ort der Mitte“ ins Pleroma dem Prozess des als Partizip nachgestellt formulierten restituere, das sich inhaltlich eher als Auftakt zur folgenden Zusammenführung mit dem Soter verstehen lässt. Die Konjektur ist eleganter, sodass die handschriftliche Lesart auch als lectio difficilior eingeschätzt werden könnte. 203 Die Handschriften überliefern comparcinus (auch hier würde es sich um ein Hapaxlegomenon handeln) bzw. der Luxemburgensis comparemus. Die Konjektur basiert inhaltlich auf 12,4 (compingo) sowie den ebenfalls schwierig zu interpretierenden Terminus comparaticium in 13,1. 204 Consummatio nutzt Tertullian auch in Spect. 29,3 im Kontext der Eschatologie (dort als Klimax, nach der die wahren voluptates, die spectacula Christianorum im Jüngsten
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
im irenäischen Text wird diese als erfolgreiche Erziehung des pneumatischen Samens näher bestimmt, allerdings folgt dort die Thematisierung der valentinianischen Eschatologie direkt im Anschluss an die der Anthropologie und Ethik und vor der Darstellung der Soteriologie und deren Folgen insbesondere für die Seelen.205 Der Zeitpunkt des Weltendes hängt von der Beendigung des Wirkens Achamoths ab. Sobald sie alle Samen verteilt hat, „dann wird das Weltende drängen“ (tunc consummatio urgebit). Der pneumatische Same und damit die Anzahl der durch Gnosis erlösten Menschen ist nach valentinianischer Vorstellung begrenzt. Und die Existenz der Welt gilt nach valentinianischer Deutung als Mittel zum Zweck: als Ort der Erziehung des Menschen und Vorbereitung der Erlösung. Tertullian verwendet zwei metaphorische Felder, um die Vollendung des Samens Achamoths darzustellen, die er mit einer stilistischen variatio syntaktisch mit ubi bzw. vel cum einleitet.206 Beide von Tertullian miteinander verbundenen metaphorischen Bilder spielen letztendlich auf die drei Grundnahrungsmittel der Römer an (Wein, Öl und Getreide) und unterstreichen die lebenskonstitutive bzw. erlösungskonstitutive Bedeutung des pneumatischen Samens, um dessen Vorbereitung und Weiterverarbeitung für die endgültige Errettung und Erlösung es geht. Tertullian scheint die von den Valentinianern verwendete Metaphorik der Getreide-Verarbeitung um die anderen Dimensionen erweitert zu haben. Im ersten Bild nutzt Tertullian zwei termini technici aus dem Arbeitsprozess der Öl- bzw. Weinherstellung.207 Sobald Achamoth „die ganze Menge ihres Gericht zu erleben sind). Irenäus schreibt in der Darstellung der valentinianischen Lehre von συντέλεια (Adv. Haer. I 6,1 [92,607–93,610]) für den Moment des Weltendes, der eintritt, „sobald alles Pneumatische durch Erkenntnis geformt und vollendet ist“ (Τὴν δὲ συντέλειαν ἔσεσθαι, ὅταν μορφωθῇ καὶ τελειωθῇ γνώσει πᾶν τὸ πνευματικὸν, τουτέστιν οἱ πνευματικοὶ ἄνθρωποι οἱ τὴν τελείαν γνῶσιν ἔχοντες περὶ Θεοῦ καὶ τῆς Ἀχαμὼθ μεμυημένοι μυστήρια.). 205 Adv. Val. 31 f. entspricht Iren., Adv. Haer. I 7,1, allerdings in teils differierender Reihenfolge; so findet sich zwischen der Entsprechung zu Adv. Val. 31,1 und 31,2 bei Irenäus die Thematik aus 32,2 f. eingeschoben. Die Passage zur Ethik ist bei Irenäus deutlich ausführlicher als bei Tertullian, vgl. auch den Kommentar zu Adv. Val. 30. Zu Iren., Adv. Haer. I 6,2–4 finden sich eher summierende Bemerkungen bei Tertullian als parallele Darstellungen. 206 Vgl. dazu und zur Bedeutung von vel: R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 167; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 211 Anm. 9; gegen MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 222 f. und FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 340, die auch im ersten Teil bereits die Metaphorik des Getreide-Samens deuten. 207 Vgl. z.B. Col. XII 52,11; Hor., Carm. III 29,4 (Auspressen von Balsam). Dass in einer amphora aufbewahrter Wein in horreum gesammelt wurde, belegt ebenfalls Horaz (Carm. III 28,7 f.). Horreum verweist dabei auch schon auf die zweite Metapher der Getreideverarbeitung; Tertullian verwendet horreum auch im Kontext der Auslegung von Mt 13,24–30 (Praescr. 3,9). Fredouille argumentiert für die biblische Anspielung von in horreum
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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Samens ausgepresst hat“ (ubi Achamoth totam massam seminis sui presserit) und damit das gesamte pneumatische Element verteilt hat, wird sie „beginnen, diesen im Lager zu sammeln“ (dein colligere in horreum coeperit). Tertullian deutet den pneumatischen Samen Achamoths in Analogie zu den Samen, die in ihrer Reife zu Öl gepresst und bis zum Verzehr gelagert werden. Im zweiten Bild (vel) rekurriert er auf den auch biblisch häufig verwendeten Vergleich mit der Getreideverarbeitung, der auch im valentinianischen Kontext geprägt ist. Die detaillierte Nachzeichnung mit zwei parallel konstruierten Verben verrät Tertullians ironische Verarbeitung. Alternativ bringt Achamoth ihren Samen zur Mühle und verarbeitet diesen zu Mehl (vel cum ad molas delatum et defarinatum)208, um diesen dann „im heilbringenden Teig zu verbergen, bis er ganz durchgesäuert ist“ (in consparsione salutari absconderit, donec totum confermentetur) 209 . Entsprechend des paulinischen Aufrufs an die Christen, als „neuer Teig“ (nova consparsio) ungesäuert zu sein und sich darin vom alten Sauerteig zu unterscheiden, 210 deutet Tertullian die „häretische Säure“ als Grund für die Wandlung des eigentlich guten Teigs zum Sauerteig.211 Subtil verkehrt Tertullian damit das von den Valentinianern postulierte Bild, indem er den zum Teig verarbeiteten pneumatischen Samen Achamoths als „Sauerteig“ stilisiert und damit nach dem biblischen Bild diesen Menschen, die Anteil an diesem Teig haben, die Erlösung und Vollendung gerade abspricht.212 Im Folgenden beschreibt Tertullian, spöttisch mit der Alliteration igitur imprimis ipsa zu Beginn eingeführt, die Auswirkungen auf die Konstruktion und folgenreiche Umbildung der mythologischen Welt-Anordnung. Achamoth wechselt ihren Ort „aus dem Gebiet der Mitte“ (de regione medietatis; vgl. bereits 23,1) in die höhere Sphäre. Dazu rekurriert Tertullian auf sein polemisches Bild, nach dem das valentinianische Universum einem Mietshaus gleicht (vgl. 7,2 f.); in dieser Metaphorik „wird Achamoth vom zweiten Stock in den höheren hinübergebracht“ (de tabulato secundo in summum transferetur). In Erinnerung an die unermessliche Höhe dieses Mietshauses wirkt auch die konkrete Nennung des zweiten Stocks als lächerlich niedrig und weit entfernt vom colligere auf Mt 3,12; 13,30 (vgl. ID, Contre les Valentiniens, 340; WELLSTEIN, Nova Verba, 117). 208 Defarinatum ist ein Hapaxlegomenon, vgl. TLL Art. defarinatum V/1 285,75 f.; Tertullian hat dieses in anaphorischer Verbindung zu delatum gebildet und in Assonanz an farina (vgl. dazu auch WELLSTEIN, Nova Verba, 117). 209 Zu salutaris und weiteren semantischen Parallelen bei Tertullian vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 340 f. 210 1Kor 5,7 (Vulg.) 211 Vgl. Pud. 13,25; 18,8 Adv. Marc. I 2,3 (fermento als häretische Säure); V 7,3. 212 Anders interpretiert Wellstein, der „die gemeinsame Entstehung der Menschen aus dem Sauerteig betont“ sehen will; er liest allerdings auch die Konjektur Kroymanns in conspersioneis alutacia absconderit (vgl. DERS., Nova Verba, 117 sowie MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 223).
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
scheinbaren Ziel, dem Sitz der Gottheit „gleich unterm Dach“ (7,3). Achamoth rückt nun in der valentinianischen Kosmogonie auch in den Bereich des Pleromas auf und überlässt ihren einstigen Ort dem Demiurgen (vgl. 31,2). Dass dieses Aufrücken in valentinianischer Vorstellung ein Wiederkommen ist, betont die folgende Phrase: „Achamoth ist wieder ins Pleroma aufgenommen worden“ (restituta[m] pleromati). Das Präfix re erinnert an ihr ursprüngliches Sein und ihre Herkunft aus diesem Bereich als Emotionen und unehelicher Geburt der Sophia (vgl. Adv. Val. 9 f.14). Auch Achamoth gelangt damit zum Ort ihrer Vollendung und ewigen Ruhe. Da die Vollendung nach dem valentinianischen Mythos in der Erkenntnis des paarweisen Seins besteht, erhält auch Achamoth ihren Partner. Mit ihrem Eintritt ins Pleroma „empfängt sie sofort jener zusammengefügte Soter“ (statim excipit compacticius ille Soter). Mit dem Hapaxlegomenon compaticius erinnert Tertullian ironisch an den Ursprung des Soters (vgl. 12,4).213 Achamoth und Jesus begegnen sich als Braut und Bräutigam (sponsus scilicet), um „eine neue Verbindung“ (ambo coniugium novum fiet) des Pleromas zu sein. Die Metaphorik der Hochzeit hebt Tertullian hervor, indem er die folgende Identifizierung des Soters als den in den Schriften angekündigten Bräutigam sowie des Pleromas als Brautgemach chiastisch formuliert (hic erit in scripturis sponsus, et sponsalis pleroma).214 Hier wird das valentinianische Bild expliziert, das Tertullian bereits in 30,3 sarkastisch anklingen lässt.215 Diese Passage schließt Tertullian vorerst polemisch ab und spricht seine Leserschaft erneut direkt an, indem er einen Bezug zwischen der im Mythos postulierten „Wanderung“ (transmigrare) sowie Wechsel der Loki der einzelnen Personen und dem römischen Gesetz Lex Iulia de maritandis ordinibus, auf dessen Erlass des ius trium liberorum er bereits in 18,1 rekurriert, herstellt.216 Nach dem Lex Iulia sowie der neun Jahre späteren Ergänzung der Lex Papia Poppaea werden kinderlose Ehen insbesondere durch erbrechtliche Sanktionen
213 Vgl. TLL Art. compaticius III/0 1996,55–58 sowie Iren., Adv. Haer. I 7,1: τὸν ἐκ πάντων γεγονότα (I 7,1). Der Neue Georges leitet den Terminus dagegen von compaciscor her (vgl. GEORGES, Der neue Georges, Bd. 1, Sp. 1030); dies widerspricht der Logik des vorliegenden Texts. 214 Bei Irenäus findet sich die Kombination von νυμφίον καὶ νύμφην (Adv. Haer. I 7,1) wie in Joh 3,29. Tertullian rekurriert lediglich auf die maskuline Funktion (vgl. bereits Adv. Val. 30,3 das Bild des Entmannten). Gegen eine solche von Engelbrecht vorgeschlagene Einfügung vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 224; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 341. 215 Vgl. auch in als valentinianisch einzuordnenden Quellentexten aus Nag Hammadi, z.B. EvPhil (NHC II,3 67,16; 85,33); TractTrip (NHC I,5 122,21; 128,33; 135,31), zudem bei Clem., Exc. Thdt. 64; 65,1; 68; vgl. auch eine Anspielung auf einen solchen Initiationsritus bei den Valentinianern bei Iren., Adv. Haer. I 21,3. 216 Vgl. z.B. auch explizit in Apol. 4,8 sowie als Anspielung in Mon. 16,4; Ux. I 5,2; Castit. 12,5.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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benachteiligt und zugleich Eheverbote erlassen: Freigeborenen ist die Ehe mit Prostituierten oder Schauspielerinnen untersagt, Senatoren erhielten weitere Einschränkungen. 217 Tertullian vergleicht mit diesem Rekurs das paarhafte, ehelich Sein der Protagonisten des valentinianischen Mythos spöttisch mit den gesetzlich übervorteilten Ehen im Römischen Reich. Zugleich karikiert er diese Ehen dort, indem er implizit auch seinen Sexualisierungsvorwurf erneuert; in seinen Augen – nach den zitierten leges – dürften gar keine Ehen eingegangen werden, weil es sich nicht nur um Inzest, sondern sogar um Vielpartnerei (Prostitution im weiteren Sinne) handele. Damit verwischt er die eigentliche Motivation, die der Mythos tradiert, und verlagert die Frage der Gnosis der eigenen Existenz. (31,2) Sicut ex scaena et Demiurgus tunc de hebdomade caelesti in superiora mutavit, in vacuum iam caenaculum matris, sciens iam nec videns illam. Nam, si ita erat, semper ignorare maluisset.
Es folgt die abschließende Schilderung, dass in Folge des Ortswechsel der Mutter Achamoth dann auch der Demiurg von seinem ursprünglichen Ort, „der himmlischen Hebdomas“ (de hebdomade caelesti), das Tertullian auch als „siebengeschossiges Himmelstheater“ (septemplicem scaenam; 20,1) karikiert, „in die oberen Regionen gewechselt ist“ (in superiora mutavit). Auch an dieser Stelle vergleicht Tertullian diese plastische Lokalisierungs-Vorstellung mit einer Theaterbühne (sicut ex scaena). In Anlehung an seine Deutung des Pleromas als Mietshaus mit einzelnen Himmelsstockwerke (vgl. Adv. Val. 7,1–3) rekurriert er erneut auf den dort bereits sarkastisch verzerrten Terminus caenaculum. Der von der Mutter an höhere Orte verlassene „Saal“, an den der Demiurg wechselt, ist offensichtlich „leer“ (in vacuum iam caenaculum matris).218 Der Wechsel ist davon begleitet, dass der Demiurg „zwar von Achamoth wusste, jene aber nicht sah“ (sciens iam nec videns illam). Im Gegensatz zu den häufigen Notizen über die Unwissenheit des Demiurgen (vgl. z.B. 20,3; 25,1; 28,1) fällt diese Differenzierung ins Auge: Sein (neues) Wissen über seine Mutter Achamoth korreliert nicht mit der Sinneswahrnehmung des Sehens, schließlich ist Achamoth weiterhin ein pneumatisches Wesen. Zudem spielt Tertullian voll Ironie auf den leeren Raum an, der noch den Hauch der Anwesenheit Achamoths in sich trägt, aber längst von ihr in höhere Sphären verlassen wurde. Sarkastisch fügt Tertullian an, dass der Demiurg ansonsten „vorgezogen hätte, für immer unwissend zu bleiben“ (Nam, si ita erat, semper ignorare maluisset). Nach einer solch langen Wartezeit des Nicht-Wissens,
Vgl. dazu KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 58.8. Der Ort, an dem sich Achamoth außerhalb des Pleromas wiederfand, wurde ebenfalls als vaccum gekennzeichnet (vgl. 14,1). 217
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plötzlich um die eigene Mutter zu wissen, sie aber nicht sehen zu können, sei „keine Freude, sondern eine Qual“219. (32,1) Humana vero gens in hoc exitus ibit: choicae et materialis notae totum interitum, quia omnis caro foenum. Et anima mortalis apud illos nisi quae salutem fide invenerit. Iustorum animae, id est nostrae, ad Demiurgum in medietatis receptacula transmittentur: agimus gratias! Contenti erimus cum deo nostro deputari, qua census nihil animalis in pleromatis220 palatium admittitur, nisi spiritale examen Valentini.
Zum Abschluss der widerlegenden Widergabe der valentinianischen Lehre referiert Tertullian die eschatologischen Vorstellungen für die menschliche Gattung selbst. Es geht um das „Schicksal“, auf das nach valentinianischer Lehre „das Menschengeschlecht zugehen wird“ (humana vero gens in hoc exitus ibit). Die betont adversativ eingeleitete Voranstellung von humana markiert den Einschnitt zum vorherigen Abschnitt. Die einzelnen Elemente im Menschen haben unterschiedliche Aussichten auf Errettung, die Tertullian bereits in 26,1 angedeutet hat. „Menschen mit der zur Erde gehörenden und materiellen Markierung“ werden gänzlich untergehen (choicae et materialis notae totum interitum). Der irdische, mit einer fleischlichen Hülle überzogene Mensch (24,2 f.; 25,3)221 wird vergehen, „weil alles Fleisch Heu ist“ (quia omnis caro foenum). Dieses explizite Zitat aus dem Jesajabuch findet sich nicht im irenäischen Text.222 In seiner später ausführlicher argumentierenden Schrift Resurr. rekurriert Tertullian ausführlicher auf diesen Jesaja-Text. Es ist möglich, dass er diesen biblischen Beleg aus der valentinianischen Argumentation aufnahm und für seine eigene Deutung weiterführte.
MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 225. Zu der in den Handschriften bewahrten Reihenfolge vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 217 Anm. 6 gegen Kroymann, Riley, Fredouille (vgl. DERS., Valentiniana, 75 f.) und Tommasi Moreschini. Das in den Handschriften überlieferte animale ist mit Bezug auf census zu deuten und daher zu animalis zu ändern (vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 227). 221 Tertullian verwendet choicus und materialis häufig als Wechselbegriffe, ohne eine klare Differenzierung zu markieren. In 24,2 wird choicum als materialis scilicet näherbestimmt. Häufig ist materialis auf den bildlich assoziierten fleischlichen Körper bezogen (materiali corpore, 25,2; carne materialis, 25,3; materiale, id est carnali, 26,1 sowie die Näherbestimmung des Choischen in 24,3). Im Kontext der Polemik, dass Adam aus vier Teilen erschaffen sei, werden choicus und materialis entsprechend dem Verweis auf die uranfängliche Substanz, aus der in der Genesis-Erzählung der Mensch erschaffen wird, sowie der hinzukommenden fleischlichen Hülle differenziert (25,3). Im Kontext der mythologischen Übertragung der Namen Kains, Abels und Seths auf die Elemente verwendet Tertullian lediglich choicus (29,2 f.). 222 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 6,1; 7,1.5 219
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7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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In Resurr. 10,2 stellt Tertullian zunächst neben Bibelzitate über das „verderbte Fleisch“ solche, in denen das Fleisch „gerühmt“ wird.223 So habe Jesaja nicht nur geschrieben: „Alles Fleisch ist Heu“, sondern im gleichen Atemzug angesagt: „Alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.“224 Am Ende der Schrift legt Tertullian diese Verse gegen die valentinianische Interpretation aus. 225 Tertullian versteht an dieser Stelle keine Differenzierung zwischen zwei Substanzen des Fleisches, sondern zwischen zwei eschatologischen Schicksalen, die dem Fleisch wiederfahren können, nämlich das Heil und die Strafe Gottes.226 „Alles Fleisch ist also Heu, insofern es für das Feuer bestimmt ist, und alles Fleisch wird das Heil des Herrn sehen, insofern es für das Heil bestimmt ist.“ 227 Es bleibt die eine Substanz caro, die nicht nach ihrer Materie, sondern ihrem Lohn unterschieden wird.228 Tertullian positioniert gegen die häretische Auffassung, dass lediglich die Seele auferstehen wird, seine eigene, dass der Leib selbst auferstehen wird.229 Dabei findet sich auch bei Tertullian ein gewisser, allerdings im irdischen Leben verankerter Determinismus, mit dem seine rigorosen Ethikvorstellungen korrespondieren.230
Mit der Zitation dieses Jesaja-Verses231 begründet Tertullian die ausnahmslose Vergänglichkeit des gesamten irdischen und materiellen Teils des Menschen;
Resurr. 10,1 (CChr.SL 2, 932 f.,1–3 BORLEFFS): Tenes scripturas, quibus caro infuscatur: tene etiam quibus inlustratur; legis cum quando deprimitur, adige oculos et cum quando relevatur. 224 Jes 40,6 in Resurr. 10,2; 59,2: Omnis caro foenum. (die sogenannte altafrikanische Handschrift K der VL liest: Omnis caro faenum.) Jes 40,5 in Resurr. 10,5: Omnis caro videbit salutare dei. (VL: et videbit omnis caro salutare dei). Zum Text vgl. Gryson, der darauf aufmerksam macht, dass Tertullian eine vorherrschende lateinische Übersetzung gekannt habe (GRYSON, Esaias, 12). 225 Dass es sich um valentinianische Gegner handelt, gegen die Tertullian diese Auslegung verfasst, lässt der beispielhafte Rekurs auf diese Gruppe in Resurr. 59,6 vermuten. 226 Resurr. 59,2 (CChr.SL 2, 1007,8 f. B ORLEFFS): [...] exitus, non substantias, distinxit. 59,3 (1007,9 f. BORLEFFS): Quis enim iudicium dei non in sententia duplici statuit salutis et poenae? 227 Resurr. 59,3 (CChr.SL 2, 1007,10–12 B ORLEFFS): Omnis igitur caro foenum, quae igni destinatur, et omnis caro videbit salutare dei, quae saluti ordinatur. 228 Resurr. 59,7 (CChr.SL 2, 1008,26–28 B ORLEFFS): ita et carnes, quae in ipsis nationibus una substantia est, non materia sed mercede disiungit. 229 Vgl. auch die Auslegung von 1Kor 15 in Adv. Marc. V 10,7; Resurr. 42,8 (Adv. Marc. V 9,3 [SC 483, 196,19 MORESCHINI/BRAUN]: corporis erit resurrectio). 230 Vgl. dazu OSBORN, ERIC F., Tertullian. First Theologian of the West, Cambridge/New York: Cambridge University Press 1997, 221–224.236–238. Zur Diskussion um die Probleme der Auferstehung des Leibes und der Seele am Angang des Christentums, insbesondere bei Markion und seinen Gegnern wie z.B. Tertullian vgl. z.B. VINZENT, MARKUS, Christ’s Resurrection in Early Christianity and the Making of the New Testament, Farnham: Ashgate 2011 (auf Deutsch drei Jahre später erschienen als: DERS., Die Auferstehung Christi im frühen Christentum, Freiburg: Herder 2014) sowie die daran anschließende Diskussion, auf die Vinzent selbst jüngst reagiert: DERS., Offener Anfang. Die Entstehung des Christentums im 2. Jahrhundert, Freiburg: Herder 2019. 231 Vgl. auch Ps 102,15 (Vulg.): homo sicut faenum dies eius. 223
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das metaphorisch als Heu identifizierte Fleisch ist bereit, abgemäht und endgültig vernichtet zu werden. Es folgt die Perspektive auf das Schicksal der Seele, die „bei jenen sterblich ist“ (anima mortalis apud illos). Die einzige Ausnahme nach valentinianischer Lehre zur Errettung der Seele besteht darin, dass sie „Rettung im Glauben gefunden hat“ (nisi quae salutem fide invenerit). Schließlich eröffnet die Aussaat des pneumatischen Samens die Möglichkeit, dass der Glaube der Seelen vergrößert wird (vgl. 29,3). Diese Bedingung ist für Tertullian paradox; nach seiner Auffassung gilt die Seele qua ihres Wesens als unsterblich232. In Anim. schildert er den Gang, den die Seele nach dem Tod nimmt, wenn sie „aus der Hülle des Körpers ausbricht“ und „ins Freie zum reinen, schuldlosen und ihr eigenen Licht“ gelangt.233 Ohne nähere Differenzierung folgt eine Qualifizierung einiger Seelen als die „Seelen der Gerechten“, die Tertullian sogleich mit der seinigen und denjenigen der Christen um ihn herum identifiziert (iustorum animae, id est nostrae).234 Das Schicksal dieser Seelen folgt dem des Demiurgen, von dem die Seelen nach der mythologischen Lehre auch abstammen; zu ihm werden sie „an die Zufluchtsorte in der Mitte hinübergeschickt“ (ad Demiurgum in medietatis receptacula transmittentur).235 Als Parenthese eingeschoben lässt Tertullian seine eigene, spöttische Wertung vernehmen, die er im Plural formuliert und damit alle, die zu den „Seelen der Gerechten“ gezählt werden, inkludiert. Sarkastisch dankt er den Valentinianern für ihre Gnade, in ihrer Lehre den Christen um ihn die Verbindung zu ihrem eigentlichen Gott zuzugestehen (agimus gratias, contenti erimus cum deo nostro deputari). Deo nostro ist für Tertullian der eine Gott, von dem als demiurgisch tätiger Gott im Alten Testament berichtet wird und der mit dem einen Gott-Vater, von dem das Neue Testament berichtet, identisch ist. Allein die Annahme, diese Gottes-Identifikation zu bestreiten, stellt Tertullian mit
Vgl. z.B. Anim. 53,2 (VCS 100, 71,12 WASZINK): [...] immortalitatem animae [...]. Anim. 53,6 (VCS 100, 72,18–25 WASZINK): Procul dubio cum vi mortis exprimitur de concretione carnis et ipsa expressione colatur, certe de oppanso corporis erumpit in apertum ad meram et puram et suam lucem, statim semetipsam in expeditione substantiae recognoscit et in divinitatem ipsa libertate resipiscit, ut de somnio emergens ab imaginibus ad veritates. Tunc et enuntiat et videt, tunc exultat aut trepidat, prout paraturam devorsorii sui sentit, de ipsius statim angeli facie, evocatoris animarum, Mercurii poetarum. In den folgenden Kapiteln beschreibt Tertullian plastisch den Gang der Seele über die Unterwelt hin zu Gott, zu dem sie inkorporiert in den auferstandenen Körper zurückkehrt (vgl. Anim. 53– 58). 234 Ebenso unvermittelt findet sich der Übergang bei Iren., Adv. Haer. 7,1: Im Kontext der lokalen Neuverortung von Demiurg und Sophia werden auch die Seelen der Gerechten an diesen Ort der Mitte gelangen. 235 Receptaculum für den Ort, an dem sich die verstorbenene Seelen aufhalten, nutzt Tertullian auch in Adv. Marc. IV 34,14. 232 233
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dem polemischen Ausruf als nicht haltbare Anmaßung heraus. Und polemisch begründet er seine scheinbar dankbare Haltung, „zu unserem Gott dazugezählt zu werden“ (cum deo nostro deputari), weiterhin darin, dass nach valentinianischer Lehre „nichts seelischen Ursprungs in den Palast des Pleromas zugelassen wird, außer der geistige Haufen Valentins“ (qua census animalis nihil in pleromatis palatium admittitur, nisi spiritale examen Valentini).236 Die Metaphorik des imperialen Palastes charakterisiert das Pleroma als ein prunkvolles, aber irdisches Gebäude; ähnlich hatte Tertullian zu Beginn der Darstellung der valentinianischen Kosmologie mit Rekurs auf ein Ennius-Zitat das Pleroma als „himmlische Speisesäle“ eingeführt (vgl. 7,1–3), um dieses dann allerdings weiterführend mit dem Hochhaus der Armen, der Insula Feliculan zu identifizieren. Die Türen dieses scheinbar prunkvollen Ortes stehen lediglich exklusiv dem „geistigen Samen Valentins“ (spiritale examen Valentini)237 auf. Es fällt auf, dass Tertullian an dieser Stelle – zum ersten Mal innerhalb der Narratio – auf den Namensstifter der bekämpften Lehre rekurriert und nicht auf die Gruppe seiner Anhänger. Tertullian betont die Exklusivität des pneumatischen Samens, der nach valentinianischer Lehre lediglich den Menschen zukomme, die mit der besonderen Gnosis, also der Erkenntnis der nach dem Mythos gelehrten Weltzusammenhänge, beschenkt sind; die seelische Existenz verbleibt unterhalb des Pleromas beim Demiurgen. (32,2) Illic itaque primo dispoliantur homines ipsi, id est interiores – dispoliare est autem deponere animas quibus induti videbantur – easque Demiurgo suo reddent quas ab eo averterant; ipsi autem spiritus in totum fient intellectuales neque detentui neque conspectui obnoxii, atque ita invisibiliter in pleroma recipientur. Furtim, si ita est.
Im Folgenden referiert Tertullian die konkrete Abfolge des Ergehens dieses geistigen Samens; Tertullian spricht entsprechend dem irenäischen Text in diesem Kontext von den Menschen (homines) und impliziert sprachlich die Klasse der geistigen Menschen.238 Die folgende Näherbestimmung mit der paulinischen Vorstellung als „innerer Mensch“ (interiores) expliziert, dass nicht das geistige Element im Menschen mit dem „inneren Menschen“ als eine eigene
236 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 7,1 (102,688 f.): μηδὲν γὰρ ψυχικὸν ἐντὸς Πληρώματος χωρεῖν. 237 Den Terminus examen adressiert Tertullian häufiger an Menschen, die in seinen Augen Häretiker sind: vgl. Adv. Marc. I 5,1: im Kontext der Anspielung auf die dreißig Äonen des Pleromas: Valentinus [...] examen divinitatis effudit; IV 5,3 de Marcionis examen; Anim. 23,4 examen Valentini; Apol. 10,11; 40,7. 238 Vgl. Adv. Haer. I 7,1 (101,681–102,683): Τοὺς δὲ πνευματικοὺς ἀποδυσαμένους τὰς ψυχὰς καὶ πνεύματα νοερὰ γενομένους, ἀκρατήτως καὶ ἀοράτως ἐντὸς Πληρώματος εἰσελθόντας.
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‚Menschenklasse‘ identifiziert wird, 239 sondern dass im Folgenden die Zugangsbedingungen zur endgültigen Erlösung thematisiert werden. Wenn die Menschen „dort“ (illic), vor dem Eingang in den Palast des Pleromas (32,1) stehen, „werden sie zuerst ausgezogen“ (itaque primo dispoliantur homines ipsi), indem sie „die Seelen ablegen, mit denen sie bekleidet zu sein schienen“ (dispoliare est autem deponere animas quibus induti videbantur). Diese von ihrer Seele befreiten, körperlosen, geistigen Menschen werden auch als „innere Menschen“ (interiores) bezeichnet.240 Im Hintergrund steht die paulinische Prägung der Vorstellung des „inneren Menschen“.241 Der innere Mensch ist Gegenstand der Erlösung und erhält Zugang in den göttlichen Bereich des Pleromas.242 Nach dem Mythos geben die „inneren Menschen“ ihre abgelegten Seelen „ihrem Demiurgen zurück“ (easque Demiurgo suo reddent). Im Gegensatz zur Hervorhebung deo nostro in 32,1 rekurriert Tertullian hier konkret auf den Demiurgen der Valentinianer, der nicht identisch mit dem einen Gott-Vater ist. Im Nachtrag charakterisiert Tertullian mit der Wahl der Verben den temporären Besitz der Seelen in den Menschen als einen unrechtmäßigen Zustand (avertere). Im Gegensatz zur mythologischen Darstellung, nach der der Demiurg ohne sein Wissen den Samen Achamoths mit der Einhauchung der Seele in den geschaffenen Menschen weitergibt (vgl. 24,2), stilisiert Tertullian für die mit dem geistigen Samen ausgestatteten Menschen den Besitz der Seele als unrechtmäßige Entwendung. Der Zustand der Geistigen (ipsi spiritus) wird „im Ganzen geistig werden“ (in totum fient intellectuales), gehört von da an allein zum Bereich der 239 Vgl. z.B. Clem., Exc. Thdt. 51,1 (SC 23, 164,7 SAGNARD): Ἄνθρωπος γοῦν ἐστιν ἐν ἀνθρώποῳ sowie MARKSCHIES, CHRISTOPh, Art. Innerer Mensch, in: Reallexikon für Antike und Christentum 18 (1998), 266–312, 286. 240 Tertullian selbst spricht auch im Kontext der positiven Darestellung seiner christlichen Theologie vom homo interior, der für ihn die zum Körper verdichtete Seele bedeutet (Anim. 9,8 [VCS 100, 12,12–14 WASZINK]: Inde igitur et corpulentia animae ex densatione solidata est et effigies ex impressione formata. Hic erit homo interior, [...]). In Resurr. 40 widmet er sich in einer ausführlichen Widerlegung gnostischer Gedanken der Darstellung seiner eigenen Deutung. Vgl. dazu auch MARKSCHIES, Innerer Mensch, 287 f. 241 Im Unterschied zur platonischen und philonischen Tradition wird der innere Mensch nicht mit dem vernunftbegabten Teil identifiziert, vielmehr findet als innerer Mensch „das durch das πνεῦμα verwandelte Ich“ (2Kor 4,16) bzw. der Mensch, wie Gott ihn im Gegensatz zu seiner realen Vorfindlichkeit (Röm 7,22) geschaffen hat, Eingang in der valentinianischen Lehre. Zu den Interpretationen vgl. MARKSCHIES, Innerer Mensch, 279–282. Vgl. dazu die Belege im Referat des Irenäus, die im Zusammenhang mit paulinischer Exegese stehen, aaO., 285 f. 242 Irenäus (vgl. Adv. Haer. I 21,4 f.) berichtet von zwei valentinianischen Ritualen der (Toten-)Salbung zur Erlösung des inneren Menschen, während die Seele, die lediglich „Wohnung für das Pneuma ist“, dem Demiurgen zurückgegegeben wird und der materielle Leib vergeht.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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geistigen Welt und ist nur noch geistig wahrnehmbar. 243 Daher sind sie – negativ formuliert – „weder dem Festgehalten-Werden noch der Erscheinung unterworfen“ (neque detentui neque conspectui obnoxii).244 Vielmehr „werden sie unsichtbar ins Pleroma wiederaufgenommen“ (atque ita invisibiliter in pleroma recipientur). Den Rekurs auf die Heimkehr nach einem Aufenthalt in der Welt (re-cipere) markiert Tertullian durch das Präfix re für die geistigen Elemente. Diese Charakterisierung ironisiert Tertullian in seiner kurzen Schlusssentenz, indem er den zuvor charakterisierten lediglich geistig wahrnehmbaren Aufstieg des pneumatischen Menschen – si ita est lässt einen zweifelnden Tonfall anklingen – als heimlich bewertet (Furtim, si ita est). (32,3) Quid deinde? Angelis distribuentur, satellitibus Soteris. In filios putas? Non unus. Sed in adparitores? Ne istud quidem. Sed in imagines? Utinam vel hoc! In quid ergo, si non pudet dicere? In sponsas. Tunc illi Sabinas raptas inter se de matrimoniis ludent. Haec erit spiritalium merces, hoc praemium credendi.
Tertullian führt die narrative Fortführung mit einer rhetorischen Frage ein (Quid deinde?; korrelierend zu primo 32,2), die er knapp beantwortet. Mit diesem Schema spielt er und reiht verschiedene rhetorische Fragen aneinander, um den mythologischen Sachverhalt nach und nach zu ‚entpuzzeln‘.245 Nachdem die geistigen, inneren Menschen ihre Seelen abgelegt haben und ins Pleroma aufgenommen worden sind, gehen auch sie je paarweise Intellectualis entspricht νοερός der irenäischen Darstellung. In 20,2 verwendet Tertullian νοερούς als griechisches Fremdwort, ohne es ins Lateinische zu übertragen. Erst an vorliegender Stelle sowie 37,1 findet sich zur Wiedergabe dieses Terminus intellectualis. Häufiger verwendet Tertullian diesen Terminus in Anim. (dort findet sich auch das Hapaxlegomenon intellectualitas; Anim. 38,6). Wellstein schließt daraus auf die Priorität von Adv. Val. vor Anim. sowie einen Hinweis darauf, dass Tertullian erst sukzessive mit Fortschreiten der Schrift eine einheitliche Terminologie entwickelt – dazu wären sicherlich weitere Beispiele anzubringen (vgl. DERS., Nova Verba, 102 f.). Intellectualis bezeichnet zum einen den Bereich der intelligiblen Welt und die Zugehörigkeit zu diesem (Adv. Val. [20,2;] 32,2; 37,1; Anim. 24,1; 9,2; 18,5) und folgt damit der platonischen Lehre der Ideenwelt. Tertullian kann damit aber auch die rein „geistige Wahrnehmung“ (sensus intellectuales) im Gegensatz zur körperlichen bezeichnen (Anim. 6,4); dass entgegen Wellsteins Argumentation (mit TLL Art. intellectualis VII/1 2090,14–17) auch dieser Sinngehalt an dieser Stelle mitschwingt, belegt die Fortführung des valentinianischen Gedankens (neque detentui neque conspectui obnoxii). Vermutlich hat Tertullian einen bereits geprägten Terminus aufgenommen; vgl. TLL ebd. 2089,67–74 sowie WELLSTEIN, aaO., 96–103. 244 Auch in 24,3 bezeichnet Tertullian mit obnoxius die Möglichkeit des Menschen, Empfindungen zu spüren. Detentus bildet ein Hapaxlegomenon und meint die Handlung, jemanden abzuhalten, vgl. TLL Art. detentus V/1 796,33–35; Tertullian hat es vermutlich zur Wiedergabe des irenäischen ἀκρατήτως (Adv. Haer. I 7,1) gebildet (vgl. CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 215 Anm. 2). 245 Tertullian beschreibt dabei nicht einfach den mythologischen Vorgang, wie er sich in knapper Form z.B. bei Irenäus findet (vgl. Adv. Haer. I 7,1 [102,684]: νύμφας ἀποδοθήσεσθαι τοῖς περὶ τὸν Σωτῆρα Ἀγγέλοις). 243
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Vereinigungen ein. Ihre Partner sind die Engel, die einst den Soter in seinem Wirken begleitet haben (angelis distribuentur, satellitibus Soteris; vgl. 12,5). Das gewählte Verb lässt den sarkastischen Ton Tertullians durchschimmern; die ins Pleroma aufgenommenen geistigen Menschen werden unter den Engeln „verteilt“ (distribuentur). In welcher Qualität der Beziehung die geistigen Menschen zu den Engelen stehen, thematisiert Tertullian ironisch in den folgenden drei rhetorischen Fragen. Drei Antwortmöglichkeiten legt er seiner Leserschaft in den Mund: Weder als Kinder (In filios putas? Non unus.) noch als Diener (Sed in adparitores? Ne istud quidem.)246 oder auch als Bilder (Sed in imagines?247 Utinam vel hoc!) gehen die geistigen Menschen eine Verbindung mit den Engeln ein. Die Antworten steigern sich von einer einfachen Verneinung, über eine komparativisch, abwehrende Verneinung hin zu einem irrealen Wunsch248, um auf diese Klimax hin die eigentliche Antwort zu präsentieren. Die in die endgütige Antwort einleitende Frage stellt Tertullian unter den Vorbehalt der Beschämung, diese Antwort zu geben (In quid ergo, si non pudet dicere?; vgl. den Topos der Scham bereits 1,1). Schließlich gingen die geistigen Menschen als „Bräute“ (in sponsas) der Engel ins Pleroma ein.249 Um diesen geschilderten Sachverhalt seinen Lesern möglichst karikierend zu verdeutlichen, stellt Tertullian einen Vergleich mit der Gründungslegende Roms an. Dabei nennt er lediglich zwei Stichworte – Sabinas raptas –, die möglicherweise auf das gleichnamige Werk des Dichters Ennius anspielen.250 Nachdem Romulus keine diplomatische Lösung für sein Dilemma erzielen konnte, den römischen Männern zur Existenzsicherung der neu gegründeten Stadt Rom Frauen vermitteln zu können, provoziert er unter dem Deckmantel der Einladung der umliegenden Stadteinwohner zu einem spectaculum einen Kampf, währenddessen die römischen Männer den Sabinern ihre Frauen 246 Apparitor meint einen einfachen Beamten des öffentlichen Diensts, der einer Magistratsperson als Gehilfe zuarbeitete (vgl. GEORGES, Der neue Georges, Bd. 1, Sp. 390). 247 Vgl. bereits die Polemik in 19,2 und 27,3. 248 Zu utinam vel als – in diesem Fall polemische – Beschränkung, vgl. RUBENBAUER/HOFMANN, Lateinische Grammatik, § 224b. 249 Zur Vorstellung des Brautgemachs im Pleroma vgl. bereits Adv. Val. 31,1 (auch 30,3). Die valentinianische Vorstellung ist dabei in der „so bunten Bildwelt der Eschatologie der jüdischen Apokalyptik“ zu verorten (MARKSCHIES, Individualität, 67 mit Textverweisen in Anm. 33). 250 Iulius Victor überliefert den Titel des nur knapp fragmentarisch erhaltenen Werks von Ennius (BiTeu 42,14 GIOMINI/CELENTANO): ab eventu in qualitate ... ut Sabinis Ennius dixit: cum spolia generi detraxeritis, quam inscriptionem dabitis.). Zugleich bietet dieser Rekurs einen erneuten Hinweis auf Tertullians Versuch, die valentinianische Lehre einer Theateraufführung gleich zu stellen, wenn im Folgenden (32,4) die Geschlechter-Vertauschung karikiert wird, indem im römischen Leben männliche Gnostiker zu Bräuten der maskulin vorgestellten Engel werden und damit auch eine Anspielung auf die Theaterpraxis antiker Dramen vorliegt, bei der auch Frauenrollen selbstverständlich von Männern gespielt wurden.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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rauben. Diese werden der Legende nach römische Ehefrauen und garantieren das Fortbestehen der jungen Stadt. Beim Versuch der Sabiner, im Kampf ihre Frauen zurückzuerobern, schlichten diese; kämpfen doch deren Väter und Brüder gegen ihre Männer und Söhne.251 Diese Selbstlosigkeit der Sabinerinnen, denen Unrecht angetan wurde, evoziert Tertullian und bezieht sie auf das Geschehen im Pleroma: Mehr noch, er stilisiert – auch durch die erneut implizierte Theater-Metaphorik – dieses Moment der Lehre so, dass Engel dieses Stück Sabinas raptas selbst „mit ihren Ehen untereinander“ mit den geistigen Menschen „nachspielen“ (Tunc illi Sabinas raptas inter se de matrimoniis ludent); die Raub-Assoziation klassifiziert diese Ehen als unrechtmäßig. 252 Zugleich impliziert Tertullian eine zweite Identifikation: Indem er illi nicht näher spezifiziert, können auch die Valentinianer selbst als Subjekt fungieren, gegen die er spöttisch den Vorwurf erhebt, in ihrer Lehre himmlische Ehen zu postulieren, denen ein rituelles Nachspielen entspricht.253 So konkludiert Tertullian abschließend mit spöttischem Ton, dass „dies der Lohn der Geistigen sei, das ist der Preis für ihren Glauben“ (Haec erit spiritalium merces, hoc praemium credendi). Dieses Fazit weitet die Perspektive und bestätigt die mindestens implizite Identifikation von illi mit den Valentinianern, die einzig sich selbst als Besitzer des geistigen Samens bezeichnen.254 (32,4) Fabulae tales utiles ut Marcus aut Gaius, in hac carne barbatus et hac anima severus maritus, pater, avus, proavus, certe quod sufficit masculus, in nymphone pleromatis, ab angelo ... – tacendo iam dixi – et forsitan pariat aliquem Onesimum aeonem255. His nuptiis recte deducendis, pro face et flammeo tunc, credo, ille ignis arcanus erumpet et, universam substantiam depopulatus, ipse quoque decineratis omnibus in nihilum finietur, et nulla iam fabula.
Weiterhin verbleibt Tertullian im Kontext der Theater-Metaphorik. Den Paragraphen rahmt der Terminus fabula, mit dem er den zur Aufführung Vgl. z.B. die Darstellung bei Liv. I 9.13. Ludere als spezieller Terminus auch des Theaters vgl. TLL Art. ludere VII/2 1781,29 f. (spectat ad actum histrionis vel cuius libet aliquas partes seu fabulam agentis), zur vorliegenden Stelle 1781,41–46. Auch in Spect. 5,5 spielt Tertullian auf diesen Teil des Gründungsmythos Roms an. 253 Fredouille lässt beide Interpretationen offen (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 344 f.); Tommasi Moreschini entscheidet sich eher für die spezifische Bedeutung der Engel. 254 Den Verdienstcharakter markiert Tertullian bereits in 31,1. 255 An der Lesart der Handschriften ist festzuhalten, vgl. den Kommentar. Bereits die dritte Fassung der editio princeps hat vorgeschlagen zu novissimum aeonem zu ändern, um den Namen Onesimus zu tilgen (vgl. dazu auch RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 168). Oehler schlägt vor, zu unum et tricesimum zu konjezieren (gegen diese Konstruktion mit aliquem vgl. RILEY, aaO.). Auf Fredouille geht der Konjekturvorschlag aeonesimum zurück, der aeonum als Glosse streicht und zum „Äonischen“ personifiziert. Inhaltlich ist dies möglich, auch ist der Eingriff in den Textbestand gering. Es spricht allerdings nichts dagegen, an der ursprünglichen Lesart der Handschriften festzuhalten (vgl. auch CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 215 Anm. 4). 251
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kommenden Stoff als eine unplausible, qua ihrer Gattung selbstevident unwahre, zur Erheiterung des Publikums verfasste und aufgeführte Geschichte charakterisiert (vgl. 1,1). In einem zweiten Vergleich führt Tertullian in die Welt des römischen Alltags, um die valentinianische Vorstellung der himmlischen Hochzeiten zu karikieren. Beispielhaft nennt er stellvertretend für zunächst gewöhnliche, in der Welt lebende Menschen zwei typisch römische Namen, Marcus und Gaius. 256 Spitzfindig charakterisiert er deren irdisches, männliches Dasein. Körperlich sind diese „in diesem Fleisch bärtig“ (in hac caren barbartus), die Seele (anima) korreliert mit den verschiedenen Rollen als „strenger Ehemann, Vater, Großvater, Urgroßvater“ (et hac anima severus maritus, pater, avus, proavus), um abschließend zu werten, dass Marcus und Gaius unzweifelhaft maskulin sind (certe quod sufficit masculus); nähere Ausführungen sieht Tertullian für vorliegende Argumentation als nicht notwendig an. Er hebt die Klassifizierung der Männlichkeit hervor. Unter der Annahme, dass auch Marcus und Gaius den geistigen Samen in sich tragen, führt Tertullian bruchlos – stilistisch weiterhin mit der asyndetischen Aneinanderreihung – den Gedanken fort, um den Satz abrupt abbrechen zu lassen.257 Ohne ein Verb assoziiert Tertullian lokal die Ankunft dieser beiden Männer „im Brautzimmer des Pleromas“ (in nymphone pleromatis)258 sowie die Begegnung mit einem Engel (ab angelo ...). Seinen Abbruch der Schilderung kommentiert Tertullian selbst als notwendig. Damit impliziert er die im Exordium grundgelegte Hypothese, dass alles, worüber die Valentinianer schweigen, Anlass zur Scham gibt (vgl. 1,1), und nutzt diese an dieser Stelle selbst: Das Schweigen selbst ist Aussage genug (tacendo iam dixi). Um die verschwiegene Passage seiner Leserschaft dennoch nicht gänzlich vorzuenthalten und damit vielmehr deren Phantasie anzuregen, benennt er abschließend die Folge dieser Ehe; abschwächend – schließlich kann sich auch Tertullian lediglich auf hypothetisches Wissen berufen, wie er damit anzeigt – und um den hypothetischen Charakter seiner eigenen Hinzudichtung zur mythologischen Lehre zu markieren, legt er ihr einen potentiellen Sinn bei: „Vielleicht
256 Ein exemplarischer Gebrauch römischer Männernamen findet sich bei Tertullian auch in Apol. 3,1; 48,1. Vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 345 mit weiteren Parallelstellen und Literatur. Förster hingegen deutet die Nennung von Marcus an dieser Stelle parallel zur Nennung von Marcus magus in 4,2 und sieht daher auch hier eine Anspielung auf die Lehre des Markosiers (DERS., Marcus Magus, 36 f.). Es fehlt allerdings nicht nur zur eindeutigen Identifizierung das Epitheton, sondern es müsste auch erklärt werden, wer Gaius in dieser Verbindung ist. 257 Vgl. das Stilmittel der Aposiopese und dazu D REWS, LYDIA, Art. Aposiopese, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 (1992), 828–830. 258 Dieser aus dem Griechischen übernommene Terminus findet sich lediglich hier in der lateinischen Literatur sowie bei Irenäus, vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 345.
7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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bringt er einen anderen Äon Onesimus hervor“ (et forsitan pariat aliquem Onesimum aeonem). Tertullian verwendet dieses Beispiel, das er durch die Namen in die römische Alltagswelt seiner Leserschaft transferiert hat, um zum einen die Vorstellung der himmlischen Ehe zu verspotten, die für ihn schon nach den vorherigen Paragraphen nichts anderes als Komödienstoff sein kann; zum anderen ironisiert er die Emanationsvorstellung und Vervielfachung der Äonen. Der hinzugedichtete neue Äon Onesimus – nirgends in der valentinianischen Lehre ist davon zu lesen, dass die Vereinigung von geistigen Menschen und Engeln neue Äonen hervorbringt – denkt die einzugehende Ehe konsequent zu Ende. 259 Onesimus bildet einen verbreiteten Namen in Rom und findet sich zudem als komödiante Persönlichkeit eines Sklaven wieder, sodass Tertullian auch mit diesem Vergleich auf seine Theater-Assoziation anspielt.260 Von dort führt Tertullian den Gedanken in die mythologische Vorstellung über den Abschluss der pleromatischen Hochzeit des geistigen Samens über. Voll Ironie kommentiert er – entsprechend seiner vorherigen nachzeichnenden Verbindung des Geschehens mit einem Beispiel aus der römischen Alltagswelt seiner Leser – diese Hochzeiten als „tugendhaft“ (his nuptiis recte deducendis). Nach der mythologischen Vorstellung ist dies der Moment, an dem das endgültige Feuer ausbrechen wird, das die „gesamte Substanz“, also die gesamte irdische Materie, „verwüsten wird“ (universam substantiam depopulatus), und am Ende der Vernichtung aller Materie, „wenn alles zu Asche geworden ist“, auch selbst endgültig erlöschen wird (ipse quoque decineratis omnibus in nihilum finietur).261 259 Es bleibt natürlich zu fragen, wie männlich vorgestellte Engel, denen Bräute zugeführt werden [32,3], mit männlichen Römern Kinder zeugen können. Auch dies ist ein Hinweis Tertullians auf die sexuelle Inkonsequenz und Unplausibilität der Lehre wie bereits in 11,1 f. Die in der Welt als maskulin angesehenen Personen, beispielhaft Marcus und Gaius werden in der himmlischen Vorstellung der Äonen-Welt zu weiblichen Bräuten der maskulinen Engel. 260 Vgl. Men., Epitr.; Suet., Gal. 13,1. Die Bibel kennt Onesimus als Namen des Sklaven des Christen Philemon (vgl. Phlm). Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 318 Anm. 405; CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 215 Anm. 4. Marastoni verweist auf die ähnliche Verwendung von Abascontos Valentini in Scorp. 10,1 (DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 228). 261 Von diesem endgültigen, eschatologischen Feuer, dessen mythologischer Ursprung in 23,3 berichtet wird, zeugt auch Irenäus (Adv. Haer. I 7,1 [103,689–692]: Τούτων δὲ γενομένων οὕτως, τὸ ἐμφωλεῦον τῷ κόσμῳ πῦρ ἐκλάμψαν καὶ ἐξαφθὲν καὶ κατεργασάμενον πᾶσαν ὕλην συναναλωθήσεσθαι αὐτῇ καὶ εἰς τὸ μηκέτ’ εἶναι χωρήσειν διδάσκουσι.). Decinerare bildet dabei ein Hapaxlegomenon, vgl. TLL Art. decinerare V/1 174,54–56. Tertullian selbst malt in seiner eschatologischen Darstellung in Spect. 30,3–5 eine Endzeitvision gegen die Nicht-Christen aus, die von Feuer-Metaphorik und Vernichtungsvorstellung geprägt ist. In Bapt. 8,5 spricht er vom für die Welt bestimmten Feuer sowie in 10,7 von der Feuertaufe des Johannes. Feuer als schöpferisches Urelement
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Dieses „geheimnisvolle Feuer“ (ille ignis arcanus) – schließlich ist dieses alles ins Nichts auflösende Feuer in der Welt verborgen, sodass Tertullian ein credo absichernd einschiebt – parallelisiert er noch aus dem vorherigen Vergleich heraus mit der römischen Hochzeitszeremonie, auf die er mit den Termini „Fackel und Brautschleier“ (pro face et flammeo) anspielt. Während die Braut nach römischer Vorstellung bereits am Vorabend für ihre Hochzeit in eine weiße von einem wollenen Gürtel zusammengehaltene Tunika (tunica recta) gekleidet wird und zudem einen roten Brautschleier (flammeum) als Schmuck erhält, wird sie am Ende des folgenden Hochzeitstages unter dem Licht von Hochzeitsfackeln zum Haus ihres Ehemannes geleitet. Tertullian rekurriert auf zwei Elemente dieser Zeremonie, auf die die Hochzeitsnacht folgt.262 In seiner Parallelisierung wird in dieser im Pleroma sich abspielenden Hochzeitsnacht jenes geheimnisvolle Feuer ausbrechen, das gerade kein neues Leben schenken, sondern alle übrige Substanz vernichten wird. Sarkastisch konkludiert er daher, dass nach dem Vernichtungszug des Feuers auch keine fabula der Valentinianer mehr existieren wird und treibt seine Ironie auf die Spitze. Die valentinianische Lehre kann nicht mehr als ein für die Theateraufführung geeignetes Stück reiner Erfindung ohne Evidenz für die Realität sein, insbesondere für die christliche auf eschatologisches Heil angelegte GlaubensRealität. (32,5) Sed ne ego temerarius qui tantum sacramentum etiam inludendo prodiderim. Verendum mihi est ne Achamoth, quae se nec filio agnitam voluit, insaniat, ne Philetus263 irascatur, ne Fortunata acerbetur. Et tamen homo sum Demiurgi; illuc habeo devertere post excessum ubi264 omnino non nubitur, ubi superindui potius quam dispoliari, ubi, etsi265 dispolior, sexui meo deputor. Angelis266, non angelus, non angela. Nemo mihi quicquam faciet, quem et tunc masculum invenient. und „‚Same‘ der Welt“, wie es die Stoa lehrt (vgl. POHLENZ, Stoa, 71–73, Zitat 78), vertritt Tertullian nirgends (vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 228). 262 Vgl. O SWALD, R ENATE, Art. Hochzeitsbräuche und -ritual, in: Der Neue Pauly 5 (1998), 649–656; Tommasi Moreschini interpretiert Flamme und Fackel gemeinsam als schmückendes Element der Braut, indem das Feuer metonymisch für die rote Farbe des Schleiers stehen soll (DIES., Adversus Valentinianos, 318 Anm. 406). 263 So lesen die Handschriften, während einige Editionen und Ausleger zu Theletus in Analogie zu 8,4 ändern (vgl. Oehler, Kroymann, Marastoni, Riley, Chiapparini); diese Änderung ist nicht nötig, vgl. dazu den Kommentar. Die Angleichung der handschriftlichen Lesart Fortuna an den in 8,4 erwähnten Äon ist hingegen sinnvoll und kann als Schreibfehler gewertet werden, wie die folgende fehlerhafte Überlieferung des konjezierten Verbs arcebitur bestätigt. 264 Die Handschriften lesen ubi post excessum (dafür votiert M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 228 f.); auf Kroymann geht die Umstellung zu post excessum ubi zurück. 265 Fredouille fügt an dieser Stelle non ein. 266 Kroymann und Marastoni tilgen die Phrase sexui meo deputor, angelis. Die vorliegende Punktation folgt Chiapparini.
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Zum Abschluss der Darstellung des mythologischen Geschehens zeigt Tertullian seinen spöttischen Ton ganz offen. Tertullian gibt scheinbar vor, sich selbstkritisch zu fragen (sed ne ego temerarius), ob seine Enthüllungsart über die eschatologischen Vorstellungen angemessen sei oder ob er eine leichtsinnige Tat begangen habe. Seine Worte zielen darauf, bis zum letzten Ende hin die valentinianische Lehre „durch Spotten zu enthüllen“ (etiam inludendo prodiderim). Damit wird der Bogen zum Exordium geschlagen: Legen es die Valentinianer in Tertullians Charakterisierung um nichts mehr darauf an, ihre Lehre geheim zu halten (vgl. 1,1), hat er in diesem Werk ihr „so großes Geheimnis“ (tantum sacramentum)267, die valentinianische Lehre zur Erlangung des Heils, bloß gestellt und in dieser Enthüllung nicht nur die Widersprüchlichkeiten und Anzüglichkeiten offengelegt, sondern bereits widerlegt. Wie subtil Tertullian dabei vorgeht, zeigen seine folgenden Bemerkungen: In einem Trikolon führt er ebenfalls ironisch seine scheinbare Befürchtung an (verendum mihi est), die unter dem Vorbehalt steht, dass er der mythologischen Lehre im Zuge dieses Arguments Wahrheit zuerkennt. Auf drei Personen aus dem Mythos rekurriert er dazu. (1) Achamoth, die den pneumatischen Samen verleiht, als deren exklusive Besitzer sich die Valentinianer verstehen, steht zugleich stellvertretend für diese Gruppe. Das Geheimhalten ihrer Lehre gilt den Valentinianern genauso als oberste Priorität, wie im Mythos selbst Achamoth ihrem eigenen Sohn, dem Demiurgen, ihr Wissen um das Pleroma und den Zugang schenkenden Samen vorenthält (vgl. 18,2; 19,1; 25,3; 31,2). Tertullian kommentiert dies spöttisch damit, dass Achamoth daher aufgrund seiner Offenlegung der geheimen Lehre über das Pleroma „toben könnte“ (ne Achamoth, quae se nec filio agnitam voluit, insaniat). Damit wäre ihre Vorsichtsmaßnahme umsonst gewesen: Auf mythologischer Ebene erhielte der Demiurg umfängliches Wissen durch den zu ihm im Eschaton stoßenden Tertullian, sowie im realen Leben alle Menschen, die Tertullians Werk studieren und miteinander teilen. (2) Philetus könnte zornig auf ihn werden (ne Philetus irascatur). Tertullian rekurriert auf den Paargenossen Sophias (vgl. 9,2; 12,1; 30,1) nicht nur mit dem von ihm verliehenen sarkastisch geprägten Namen „Geliebter“ – nach dem Referat der valentinianischen Lehre heißt dieser Theletus (vgl. 8,2.4) –, sondern impliziert auch einen in der Komödie häufig verwendeten
267 Vgl. dazu M ICHAÉLIDÈS, Sacramentum, 302–305. Michaélidès votiert für eine Übersetzung als „vérité salutaire“ im Sinn von „un enseignement salutaire aussi auguste“ (aaO., 304 f.) und grenzt sich von der Übersetzung als „mystère“ ab, um die Differenz zu arcanum (vgl. 32,4) hervorzuheben. Inhaltlich stimmt vorliegende Interpretation mit seiner überein; die Differenz schlägt sich eher in der Wiedergabe der Begrifflichkeit wieder. Vgl. auch MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 228. Dagegen schlägt Fredouille mit Rekurs auf EvPhil vor, unter sacramentum die Vermählung der geistigen Menschen mit den Engeln als ein Bild für das Sakrament der Ehe zu verstehen (vgl. DERS., Contre les Valentiniens, 347).
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Topos, bei dem in die Geschichte involvierte Personen zornig werden.268 (3) Und Fortunata (vgl. 8,4; 12,1), die lateinische, von Tertullian ebenfalls nur in polemischen Zusammenhängen verwendete Bezeichnung des Äons Macaria (vgl. 8,2), könnte ihm gegenüber verbittern (ne Fortunata acerbetur). Dann würde sich das „Schicksal“ (Fortuna) gegen ihn wenden. Tertullian weiß um seine eigene Existenzweise; als „ein Mensch des Demiurgen“ (et tamen homo sum Demiurgi) hat er Kenntnis von seinem Geschaffensein. Für die abschließende Explikation der valentinianischen Deutung ordnet er sich selbst in die valentinianische Schöpfungsvorstellung ein. Als vom Demiurgen abstammend ist er ein mit Fleisch und Seele geschaffener Mensch, dem der geistige Samen Achamoths fehlt (vgl. 30,1 f.). Nach valentinianischer Lehre kann Tertullian nie den Wissensstand erreichen, mit dem er diese Lehre, das totum sacramentum, offenbaren könnte. Am Ende der Zeiten, also „nach dem Hinscheiden“ (post excessum) habe er sich daher „dorthin“, zum Ort des Demiurgen „hinzuwenden“ (illuc habeo devertere)269. Mit einem Trikolon bestimmt Tertullian diesen Ort amplifizierend näher und kehrt karikierend die valentinianische Deutung um, nach der es besser sei, den pneumatischen Samen zu tragen (vgl. bereits die Argumentationsstruktur in Val. 2 f.). Tertullian postuliert, am Ende der Zeiten – sogar nach dieser valentinianischen Lehre – ein besseres Schicksal (vgl. bereits 2,2) getroffen zu haben als dasjenige, das den mit dem pneumatischen Samen versehenen Menschen im Pleroma erwarten wird. Der Ort, an dem er zum Demiurgen eingehen wird, ist dadurch gekennzeichnet, dass dort „überhaupt nicht geheiratet wird“ (ubi omnino non nubitur) wie im Pleroma, in dem ein paarhaftes Sein für das ewige Heil vorausgesetzt ist (vgl. 32,3 f.). Für Tertullian erfüllt sich die im Neuen Testament bezeugte Ansage Jesu: „In der Auferstehung werden sie weder heiraten noch verheiratet werden“. 270 Anders als im Pleroma wird an diesem Ort „eher bekleidet als
Vgl. CHIAPPARINI, Valentino Gnostico, 220 Anm. 8. Im eschatologischen Kontext vgl. auch Anim. 53,1 (VCS 100, 71,7 WASZINK): Sed quo deinde anima nuda et exploa devertit ...; sowie Resurr. 43,4. 270 Mt 22,30 (Vulg): in resurrectione enim neque nubent neque nubentur sed sunt sicut angeli Dei in caelo. Freilich wird sich Tertullian gegen den zweiten Teil des Satzes zumindest in diesem antivalentinianischen Kontext und deren Verständnis des Zu-Engeln-Werdens wenden. Anders verhält es sich in Mon. 10,5, wenn er den ganzen Vers im Kontext der Frage der Auferstehung zitiert; als deren Folge „werden wir erkannt wie wir selbst sind und die unsrigen“ (agnituri quam nosmetipsos quam et nostros; Mon. 10,6 [SC 343 176,40 MATTEI). Vgl. auch die Zeichnung der eschatologischen Vorbereitung in Castit. 13,4: die, die Gott am Ende der Zeiten nicht heiraten wollen, sind weiterhin der Begierde der Libido verfallen (qui deo nubere maluerunt, qui carnis suae honorem restituere, quique se iam illius aevi filios dicaverunt, occidentes in se concupiscentiam libidinis [SC 319 116,35–38 MORESCHINI/FREDOUILLE]). 268
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7.2. Analyse von Adv. Val. 24–32
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ausgezogen“ (ubi superindui potius quam dispoliari; vgl. 32,2).271 Auch hier kann Tertullian sich implizit auf die Autorität der Schrift berufen, wenn Paulus die eschatologische Sehnsucht beschreibt, „mit der Behausung des Himmels überkleidet zu werden, um dann bekleidet und nicht nackt vorgefunden zu werden“; Tertullian rekurriert auf die biblische Metapher, nach der das Fleisch den Körper kleidet (vgl. auch 24,3; 32,2).272 Zuletzt wird der Mensch – Tertullian formuliert persönlich in der 1. Person und führt die Möglichkeit der Entkleidung auf (etsi dispolior) – daher weiterhin zu seinem irdischen Geschlecht gezählt (ubi, etsi dispolior, sexui meo deputor). Gegen diese bereits in 32,4 traktierte Gender-Polemik wendet sich Tertullian nachdrücklich. Nahezu erleichtert resümiert er, dass er „für die Engel kein Engel, und keine Engelin“ sein wird (angelis, non angelus, non angela). Das paronomastische Zusammenspiel der Termini, für die Tertullian das Hapaxlegomenon angela gebildet hat, unterstreicht polemisch seine Intention. Schließlich sagt der biblische Text auch an (Mt 22,30), dass der Mensch „wie“ (sicut) ein Engel wird, aber seine eigene Substanz nicht abgibt, wie Tertullian in Resurr. 62,1–4 argumentiert.273 Selig konkludiert er, dass er, so wie er als Mann auf Erden gelebt hat, in seinem männlichen Geschlecht ins Eschaton eingehen werden wird: „Niemand wird mir irgendetwas tun, da sie mich auch dann als Mann vorfinden werden.“ (Nemo mihi quicquam faciet, quem et tunc masculum invenient.) Letztendlich nutzt Tertullian dieses Kapitel und die Thematik der Eschatologie, um den ganzen von den Valentinianern mühsam aufgebauten Lehrinhalt zu verkehren. Dem endgültigen Anspruch auf Errettung und Heil, das bei ihnen lediglich den mit dem pneumatischen Samen versehenen Menschen zusteht, stellt er sein eigenes Schicksal gegenüber. Als ein mit Körper und Seele geschaffener Mensch wird ihm im Eschaton besseres widerfahren als wenn er pneumatisch wäre. Tertullian zeichnet eine Kontinuität zwischen seiner ihm irdisch bereits zugedachten Geschlechtlichkeit und sexuellen Bestimmung, die er auch im Eschaton behalten werden wird.
Zur bei Tertullian häufig verwendeten Metapher der Bekleidung vgl. O’MALLEY, Tertullien and the Bible, 89–98. Superinduere verwendet Tertullian als terminus technicus lediglich im Kontext der Auferstehung (aaO., 96–98), vgl. Apol. 48,13; Cult. Fem. II 6,4; Adv. Marc. V 12,1–3; Resurr. 41,5; 42,2 f.13. 272 2Kor 5,2 f. (Vulg): nam et in hoc ingemescimus habitationem nostram quae de caelo est superindui cupientes si tamen vestiti non nudi inveniamur. Vgl. auch 1Kor 15,53 (Vulg): oportet enim corruptibile hoc induere incorruptelam et mortale hoc induere immortalitatem. Tertullian zitiert diesen Bibelvers in Resurr. 42,2 (CChr.SL 2, 976,7 f. BORLEFFS; vgl. auch 54,2): Oportet [et]enim corruptivum istud induere incorruptelam et mortale istud induere immortalitatem. 273 Tertullian argumentiert, dass Menschen „wie“ Engel sein werden (sicut angeli Dei in caelo; Mt 22,30); vgl. auch Orat. 3,3. Zur Interpretation vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 348 f. 271
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Kapitel 7: Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung
Damit bildet die Lehre, die für die Valentinianer ein arcanum und für das ewige Heil notwendiges sacramentum bedeutet, nach Tertullian nichts anderes als eine bloße fabula (1,1), die sogar selbst im eschatologischen Feuer verbrennen werden wird (vgl. 32,4). Das von den Valentinianern verkündigte Heil ist nur scheinbar vorhanden, ihre Lehre unhaltbar, die sich nicht nur mythosimmanent selbst auflöst, sondern auch in der realen Welt einzig und allein als ausgedachte Spinnerei entlarvt werden kann, wie er intendiert, in seinem Werk zu zeigen. Entsprechend dieser Gleichsetzung hat er seinen widerlegenden Stil gewählt, mit dem er die Narratio immer wieder sarkastisch, ironisch und polemisch kommentiert hat. Letztendlich bildet alles eine große Ironie: Die valentinianische Lehre ist eine ‚Schein-Lehre‘.
Kapitel 8
Adv. Val. 33–39: Wie ein Nachspiel: Einige Lehrvarianten der Schüler des Ptolemäus 8.1. Abgrenzung, Funktion und Gliederung der Texteinheit 8.1. Abgrenzung, Funktion und Gliederung der Texteinheit
Im letzten Abschnitt seines Werks Adv. Val. nimmt Tertullian verschiedene Lehrvarianten der Schüler des Ptolemäus in den Blick. Diese Lehrvarianten charakterisiert er gleichsam erneut in der Metaphorik des Theaters als ertönende Schlussmusik (33,1) und markiert so das Ende der Szene (denique). In ihrem Gehalt entsprechen sie weitestgehend den je bei Irenäus dargestellten Lehrvarianten Adv. Haer. I 11 f. Allerdings differieren beide Gliederungen erheblich, wie die folgende schematische Aufstellung zeigt: Adv. Val. 33,1 f. bietet eine verknappte Variante von Adv. Haer. 12,1 Adv. Val. 34,1 f. gibt verknappt Adv. Haer. 11,5 wieder Adv. Val. 35,1 f. ist eine ausführliche Fassung zu Adv. Haer. 11,5 Adv. Val. 36,1 f. bietet eine ausführliche Fassung zu Adv. Haer. 12,3 Adv. Val. 37,1 f. ist eine ausführlichere Darstellung mit anderen Informationen zu Adv. Haer. 11,3 Adv. Val. 38 bietet in knapper Form Adv. Haer. 11,2 Adv. Val. 39,1–2a gibt verknappt Adv. Haer. 12,4 wieder
Während Irenäus zum einen die Lehrvarianzen deskriptiver darstellt, bietet er zum anderen längere Passagen der Polemik, die in dieser Art bei Tertullian fehlen (vgl. Adv. Haer. 11,4; 12,2). Vor allem aber führt Tertullian die in Adv. Val. 33–39 dargestellten Lehrvarianten als Lehren der Schüler des Ptolemäus an (33,1). Dem entspricht das völlige Fehlen der bei Irenäus als erste Lehrvarianz aufgeführten Lehre Valentins selbst (Adv. Haer. 11,1). Irenäus hingegen differenziert zwei Gruppen: In Adv. Haer. 11 resümiert er die Lehre des Namensgebers Valentins sowie des Secundus (11,2 entspricht Adv. Val. 38) und weiterer namentlich nicht näher bezeichneter Lehrer (11,3 entspricht Adv. Val. 37). Adv. Haer. 12 hingegen führt Lehren auf, die auf Schüler des Ptolemäus zurückgehen.
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Kapitel 8: Adv. Val. 33–39: Wie ein Nachspiel: Einige Lehrvarianten
Zur Frage der Bewertung dieser Veränderung ist das Verhältnis insgesamt von Tertullians Werk zu Irenäus’ Schrift zu betrachten.1 Tertullians Intention lässt sich auf dem Hintergrund der Annahme einer bewussten Umstellung der irenäischen Vorlage so deuten: Zum einen liegt sein Interesse auch zum Abschluss des Werks auf der polemischen und sarkastischen Widerlegung. Dazu verwendet er das Bild des musikalischen Nachspiels, das die widerlegend dargestellte valentinianische fabula in Tönen, die in Tertullians Vorstellung dieser fabula entsprechen und konkret in der Varianz und der mythologisierenden Hinzudichtung weiterer Valentinianer bestehen, ausklingen lässt. Die innere Systematik von Adv. Val. 33–39 ist dabei thematisch geordnet. Finden sich zunächst verschiedene Lehrvarianzen über Bythos’ Paargenossin sowie Diskussionen über die Geschlechtszuordnung von Bythos, folgen Varianzen über die Vorstellung vom Pleroma und der Emanationsvorstellung. Auf die zwei Autoren – einem anonymen Lehrer sowie Secundus – zugeordneten Lehrausprägungen folgen erneut differierende Vorstellungen in der valentinianischen Christologie. Zum anderen lässt sich die bewusste Reduktion des darzustellenden Stoffes – im Vergleich mit dem irenäischen Text – auch als eine rezipientenorientierte Entscheidung interpretieren.2
8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39 8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39
8.2.1. Adv. Val. 33–34: Lehrvarianten über Bythos’ Paargenossin und sein Geschlecht (33,1) Producam denique velut epicitharisma post fabulam tantam, etiam illa quae, ne ordini obstreperent et lectoris intentionem interiectione dispargerent, hunc malui in locum distulisse, aliter atque aliter commendata ab emendatoribus Ptolemaei. Exstiterunt enim de schola ipsius discipuli super magistrum, qui duplex coniugium Bytho suo adfingerent, Cogitationem et Voluntatem.
Den letzten Abschnitt seines Werkes markiert Tertullian als Abschluss der vorgelegten Darstellung der fabula valentiniana. Das Lehnwort epicitharisma bezeichnet den musikalischen Abschluss eines Akts bzw. der Aufführung eines Theaterstücks.3 Damit arbeitet Tertullian erneut mit der Metaphorik des Theaters (vgl. 13,1 f.), entsprechend dessen Dramaturgie an dieser Stelle das Nachspiel beginnt. Zugleich lässt sich der folgende Teil als Finale deuten; analog zur Argumentationsstruktur der reductio ad absurdum folgt nun nach der Darlegung der Verwerflichkeit des valentinianischen Lehrsystems und dessen Vgl. dazu ausführlich 9.2.2. der Einleitung. Vgl. MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 230 f. 3 Der Terminus bleibt ein Hapaxlegomenon, vgl. dazu TLL Art. epicitharisma V/2 662,78–81 sowie FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 349. Vgl. zudem auch Iren., Adv. Haer. I 9,5. 1
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8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39
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Unvereinbarkeit mit dem christlichen Glauben, wie Tertullian ihn deutet, der Beweis der bereits angekündigten Varianz und Vervielfältigung dieser Lehre im Fortgang ihrer Entwicklung (vgl. Adv. Val. 4). Als Gründe, diese Lehrvarianten erst an dieser Stelle anzuführen (hunc malui in locum distulisse), nennt Tertullian zunächst die Fürsorge für seine Leserschaft, für die diese Ausführungen „nicht in der Reihenfolge“ der Darstellung der ptolemäischen Lehre „hinderlich sein“ sollten (ne ordini obstreperent et lectoris intentionem interiectione dispargerent)4. Dieses verbindet er mit einem strukturellen Moment. Schließlich sei die in Adv. Val. 7–32 dargestellte Lehre inkonsistent weiterentwickelt worden und von den Urhebern, die Tertullian abschätzig als „diejenigen, die die Lehre des Ptolemäus verschlimmbessert haben“ (ab emendatoribus Ptolemaei), bezeichnet, vielmehr „immer wieder anders ausgeschmückt worden sind“ (aliter atque aliter commendata).5 Tertullian ironisiert die standesgesellschaftliche Hierarchievorstellung, wenn er feststellt, dass diese Schüler „aus seiner (d.h. Ptolemäus’) Schule“ (de schola ipsius) stammen und dabei „über ihren Lehrer hervorragen“ (discipuli super magistrum).6 Im Hintergrund steht die Vorstellung, wie sie sich in Mt 10,24 findet, nach der es keinen Schüler gibt, der über seinem Lehrer, und keinen Sklaven, der über seinem Herrn steht.7 Die Lehrvariante dieser anonymen Schüler betrifft die Konstitution der Ogdoas, insbesondere die Vorstellung von Bythos. Tertullians Darstellung ist gefärbt von Ironie und Sarkasmus. Indem er mit Possessivpronomen von „seinem (d.h. Ptolemäus’) Bythos“ (Bytho suo) spricht, eröffnet er eine Differenz zwischen diesem anfänglichen glaubwürdigeren Bythos in der ptolemäischen Lehre, der nun in der Weiterentwicklung „durch Erdichtungen“ (adfingent) entstellt wird. In dieser Lehrvariante wird diesem „eine doppelte eheliche Verbindung angedichtet“ (duplex coniugium adfingent), die Denken (Cogitatio) und Wille (Voluntas) heißen. Der oberste Äon führt damit neben seinem Auf die intentio lectoris zielt Tertullian auch in Adv. Marc. III 5,1. Interiectio bildet einen rhetorischen terminus technicus (vgl. TLL Art. interiectio VII/1 2200,82 f.: fere i.q. interpositio, in oratione, scriptis; Quint., Inst. IV 2,121). Zur Differenz der Verwendung des Terminus in Ux. II 6,2; Castit. 4,2 und vorliegender Stelle vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 350; nach dem TLL liegt an den Stellen die gleiche Verwendung vor (ebd. 2201,3–5). 5 Marcion gilt in Adv. Marc. IV 4,5 als emendator des reinen Evangeliums und in 17,11 Appelles als Marcionins de discipulo emendator. Nach dem TLL bedeutet commendare an dieser Stelle amplifizierend i.q. nimis efferre, laudare, ornare, augere (Art. commendare III/0 1851,11 f.25); häufig verwendet Tertullian den Terminus im Sinn von declarare, explanare, significare, explicare, probare, demonstrare, ostendere (1851,73 f. mit Belegen bei Tertullian 1851,78–1852,20; dafür votiert auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 350). 6 Zur Formulierung mit de zur Anzeige des Ursprungs vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 350. 7 Non est discipulus super magistrum, nec servus super dominum suum. (Vulg.) Vgl. z.B. auch Adv. Marc. IV 17,11; Anim. 55,2. 4
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Kapitel 8: Adv. Val. 33–39: Wie ein Nachspiel: Einige Lehrvarianten
weiblichen Pendant – in der Darstellung der ptolemäischen Lehre verwendet Tertullian das griechische Lehnwort Ennoia bzw. den Zweitnamen Sige (vgl. 7,5 f.; 9,1), während er hier ins Lateinische übersetzt –8 eine zweite Partnerschaft, auf dessen maskulines Geschlecht Tertullian im Folgenden eingeht. (33,2) Una enim satis non erat Cogitatio, qua nihil producere potuisset. Ex duabus facillime prolatum, primum9 coniugium Monogenem et Veritatem, ad imaginem quidem Cogitationis feminam Veritatem, ad imaginem Voluntatis marem Monogenem. Voluntatis enim vis, uti quae effectum praestat Cogitationi, viritatis10 obtinet censum.
Ohne nähere Details der Lehrvariante zu berichten, karikiert Tertullian diese in der knappen weiteren Darstellung. Das Vorangestellte una spezifiziert diesen Tonfall. Den Schülern sei „das Denken alleine nämlich nicht genug“ (una enim satis non erat Cogitatio) gewesen, weil dieses nach der Logik der Lehre „nichts hätte hervorbringen können“ (qua nihil producere potuisset). Daher wäre der Wille bereits ebenfalls als Paargenosse des obersten Äons eingeführt worden. Spöttisch stellt Tertullian fest, dass „aus zweien sehr leicht etwas hervorzubringen“ sei (ex duabus facillime prolatum). Die Voranstellung ex duabus betont den Gegensatz zur Vorstellung der paarweisen Emanation innerhalb der ptolemäischen Lehre.11 Erst aus dieser Hervorbringung (prolatum) entstehe die „erste eheliche Verbindung“ (primum coniugium), die in ihrem paarweisen Sein als solche Verbindung aus einem maskulinen und einem femininen Äon einzuordnen ist. Namentlich werden die Äonen Eingeborener (Monogenes) und Wahrheit (Veritas) emaniert; im Unterschied zum ptolemäischen System gilt allerdings erst dieses hervorgebrachte Paar als coniugium im eigentlichen Sinn, was Tertullian durch das Adjektiv primum hervorhebt.12 8 Cogitatio und Voluntas bilden dabei die lateinischen Übersetzungen der bei Irenäus angeführten Termini Ἒννοια und Θέλησις (Adv. Haer. I 12,1). 9 Die Handschriften überliefern primum. Die Änderung zu secundum geht auf Engelbrecht zurück. S.u. Anm. 12. 10 Viritatis bildet eine Konjektur Engelbrechts. Die Handschriften lesen veritatis. Bereits die dritte Auflage der editio princeps hat stattdessen zu maris konjiziert. Die Konjektur Engelbrechts, die diesem Sinngehalt entspricht und zugleich die stilistische Anspielung auf veritas verdeutlicht, bildet ein Hapaxlegomenon; vgl. auch die ebenfalls singulär gebliebene Wortbildung mulieritas in Virg. Vel. 12,3.5; 14,5; dazu FREDOUILLE, Valentiniana, 77; DERS., Contre les Valentiniens, 351; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 169; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 320 f. Anm. 420. 11 Tertullian differenziert zwischen producere und proferre. Zweiteren Terminus verwendet er häufig zur Widergabe von προβάλλειν (vgl. Iren., Adv. Haer. I 12,1; sowie z.B. Adv. Val. 7,5 f.; 11,4; 12,5). Producere lässt sich möglicherweise in diesem Kontext als variatio deuten, der an dieser Stelle auch den Sinn der Emanation einnimmt; zugleich fungiert dieser Terminus als Schöpfungsterminus im Werk Tertullians (vgl. BRAUN, Deus christianorum, 389 f.; FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 351). 12 Die von Engelbrecht vorgeschlagene Konjektur von primum zur Präposition secundum hat zwar Anhalt in der irenäischen Vorlage (κατὰ σύζυγον; diesem Vorschlag folgen Riley, Fredouille, Tommasi Moreschini). Riley deutet primum als fälschlicherweise adjektivische
8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39
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Die beiden Emanationen gelten als „Abbilder“ der mit Bythos gemeinsam emanierenden Cogitatio und Voluntas, was Tertullian in einer parallelen Konstruktion hervorhebt: Das weibliche Pendant Veritas gilt als „Abbild des Denkens“ (ad imaginem quidem Cogitationis feminam Veritatem) und der männliche Monogenes als „Abbild des Willens“ (ad imaginem Voluntatis marem Monogenem). Erst in dieser ersten Emanation wird Bythos’ Disposition mit seinem Denken und seinem Willen sichtbar. Die Wahrheit manifestiert das Denken, der Eingeborene die Willenskraft des Urgrunds. Im Hintergrund steht die Vorstellung, über die Tertullian abschließend aufklärt, dass dem femininen Denken erst aus der „Kraft des Willens“, der wiederum „den Ursprung der Männlichkeit innehat“ (Voluntatis enim vis […] viritatis obtinet censum), die Fähigkeit zur Emanation zukomme (uti quae effectum praestat Cogitationi). Er betont mit der rahmenden Satzstellung von voluntas und viritas die maskuline Wirkkraft der voluntas, die das Denken zur Emanation bedarf. Im Hapaxlegomenon viritatis klingt zugleich eine Assonanz an veritas, der femininen Emanation, an.13 (34,1) Pudiciores alii, honorem divinitatis recordati, ut etiam unius coniugis dedecus ab eo avellerent, maluerunt nullum Bytho sexum deputare, et fortasse ‚hoc deum‘, non ‚hic deus‘, neutro genere pronuntiant.
Tertullian weiß auch andere valentinianische Lehren über Bythos zu referieren und führt im Folgenden zwei weitere Varianten an (34,1 alii; 34,2 alii).14 Den Unterschied markiert er wertend mit Hilfe des Komparativs, durch den er die Urheber dieser referierten Lehre (34,1) als „schamhafter“ (pudiciores) charakterisiert. Dass diese Valentinianer sich in seiner Wertung „an die Ehre der Gottheit erinnern“ (honorem divinitatis recordati), deutet er positiv als ein Interpretation von secundum durch die Schreiber der Handschriften, die daraufhin aus logischen Gründen zu primum änderten (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 169). Dagegen ist einzuwenden, dass die Überlieferungskette genauso in umgekehrter Reihenfolge verlaufen sein kann: In der Logik das erste emanierte Paar, schrieb Tertullian zur Charakterisierung von Monogenes und Veritas primum coniugum, was die Handschriften bewahrten. Auf dem Hintergrund des ptolemäischen Systems, nach dem Monogenes und Veritas als das zweite Paar nach Bythos und Ennoia gelten und der vorliegenden Darstellung, nach der das „erste Paar“ nicht emaniert wurde bzw. kein Paar, sondern eine Dreier-Beziehung darstellt, wurde aus primum – mit Blick auf den irenäischen Text – in der Annahme einer Verwechselung mit der Zahl zur Präposition secundum verändert. Diese Deutung setzt einen freien Umgang Tertullians mit seiner (irenäischen) Vorlage um, wie sie auch an anderen Stellen zu konstatieren ist (vgl. dazu 8.2.2. der Einleitung sowie MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 231). 13 Das Hapaxlegomenon viritas kann von virilitas abgeleitet sein (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 351). 14 Im irenäischen Text folgen an dieser Stelle drei Lehrmeinungen über Bythos (Adv. Haer. I 11,5). Diese Lehre folgt direkt auf die von Tertullian im folgenden Kapitel als eigenständige Lehre referierte Variante.
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Kapitel 8: Adv. Val. 33–39: Wie ein Nachspiel: Einige Lehrvarianten
Fernhalten des für ihn obszönen Sexualitäts-Gedankens vom obersten Äon bzw. der Gottheit. Indem sie keine Partnerin für Bythos annehmen, „reißen sie“ im Gegensatz zur referierten Doppelehe in 33,2 „von Bythos die Schande auch nur einer einzigen Gattin los“ (ut etiam unius coniugis dedecus ab eo avellerent). Als Lösung deuten sie Bythos geschlechtslos (maluerunt nullum Bytho sexum deputare).15 Sarkastisch hypothetisiert Tertullian an diesen Gedanken anschließend, dass diese Valentinianer damit vielleicht auch das grammatikalische Geschlecht anpassten und „im neutralen Genus ‚dieses Gott‘ und nicht ‚dieser Gott‘ verkündigen“ (et fortasse ‚hoc deum‘, non ‚hic deus‘, neutro genere pronuntiant).16 (34,2) Alii contra magis et masculum et feminam dicunt, ne apud solos Lunenses hermaphroditum existimet ‚Annalium‘ commentator Fenestella.
Wieder andere hätten Bythos hingegen nicht geschlechtslos, sondern mannweiblich bestimmt (alii contra magis et masculum et feminam dicunt).17 Spöttisch kommentiert Tertullian diese Variante mit einem Rekurs auf den römischen Historiker aus der frühen Kaiserzeit, Fenestella, und dessen nur fragmentarisch erhaltenes Werk Annalen.18 Dieser solle nicht glauben, dass es allein bei den Einwohnern von Luna, einer Stadt an der Grenze Liguriens und Etruriens, einen Hermaphroditen gebe.19 Aus dem 4. Jahrhundert nach Christus findet sich eine Notiz zum Konsulatsjahr von L. Metellus und Q. Fabius Maximus (142 vor Christus), nach der „ein Heramphrodit, der in Luna zur Welt gekommen war, auf Anordnung der Haruspices im Meer versenkt wurde.“20 8.2.2. Adv. Val. 35–36: Lehrvarianten zum Pleroma und zu Emanationsvorstellungen (35,1) Sunt [inquit]21 qui nec principatum Bytho defendant sed postumatum, ogdoadem ante omnia praemittentes, ex tetrade quidem et ipsam sed aliis nominibus derivatam. Primo enim constituunt Proarchen, secundo Anennoeton, tertio Arrheton, quarto Aoraton.
Eine weitere Lehre, die Tertullian referiert, betrifft die Organisation des valentinianischen Pleromas. Wie im ptolemäischen System ist das Pleroma durch 15 Dies entspricht der ersten der drei bei Irenäus dargestellten Varianten: Bythos hat keine Partnerin und ist weder männlich noch weiblich (Adv. Haer. I 11,5). 16 Diese Form von deus im Neutrum findet sich lediglich in dieser tertullianischen Polemik, vgl. auch BRAUN, Deus christianorum, 33 Anm. 2. Vgl. die vergleichbare Bildung angela in 32,5 sowie den Vokativ dee (Adv. Marc. I 29,8: o dee haeretice). 17 Dies entspricht der zweiten bei Irenäus dargestellten Variante (Adv. Haer. I 11,5). 18 Vgl. K IERDORF, W ILHLEM, Art. Fenestella, in: Der Neue Pauly 4 (1998), 465 f. 19 Zur römischen Hafenstadt Luna vgl. A NGELI B ERTINELLI, M ARIA G ABRIELLA, Art. Luna (3) Hafenstadt, in: Der Neue Pauly 7 (1999), 508. 20 Luna androgynus natus praecepto haruspicem in mare deportatus. (Iulius Obsequens, Prod. 22). Vgl. auch FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 352. 21 Den Einschub inquit lesen die Handschriften.
8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39
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eine obere Ogdoas strukturiert, die wiederum aus der ersten Tetrade entstanden ist. Allerdings beginnt die Emanationskette bei diesen anonymen Valentinianern nicht mit dem Äon Bythos, was Tertullian polemisch mit Hilfe des zu principatum antithetisch gebildeten Hapaxlegomenons postumatum kommentiert. Bythos komme in dieser Lehre gerade „nicht die erste, sondern die letzte Stelle“ im System zu (qui nec principatum Bytho defendant sed postumatum).22 Tertullian konterkariert die temporale Vorstellung von Bythos’ Zuordnung innerhalb des Pleromas, indem er eine lokale Anordnung entsprechend der Emanationslogik impliziert, ohne Bythos’ Stellung näher zu bestimmen.23 Anders als im ptolemäischen System variieren auch die Namen der Äonen bzw. Emanationsprinzipien der Tetrade sowie der Ogdoas (ogdoadem ante omnia praemittentes, ex tetrade quidem et ipsam sed aliis nominibus derivatam). Während in der ptolemäischen Lehre die erste Tetrade mit den ersten vier Äonen der Ogdoas identisch ist, differieren diese hier; zudem ist diese Ogdoas hingegen spiegelbildlich strukturiert (vgl. 35,1). Tertullian zählt die Namen der Vierheit, aus der alles Weitere entsteht, auf (primo, secundo, tertio, quarto) und zitiert dabei (parallel zum irenäischen Text)24 ausschließlich griechische Termini (mit lediglich einer Ausnahme in 35,2).25 (35,2) Ex Proarche itaque processisse primo et quinto loco Archen, ex Anennoeto secundo et sexto loco Acatalepton, ex Arrheto tertio et septimo loco Anonomaston, ex Invisibili quarto et octavo loco Agenneton. Hoc quae ratio disponat, ut singula binis locis et quidem tam intercisis nascantur, malo ignorare quam discere. Quid enim recti habent quae tam perverse proferuntur?
Das Besondere an der nun vorgestellten Ogdoas der anonymen Valentinianer bildet das Urbild-Abbild-Prinzip der ersten und zweiten Vierheit der Ogdoas, das sich in der Namensgleichheit niederschlägt.26 Aus dem Voranfang geht der 22 Vgl. TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 321 Anm. 423; W ELLSTEIN, Nova Verba, 302 f. 23 Vgl. auch Iren., Adv. Haer. I 11,5. Im ptolemäischen System bildet der hier als erster Äon angeführte Proarche vielmehr einen der Personennamen für Bythos (Adv. Val. 7,3). 24 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 11,5. 25 Für anennoetos findet sich in 37,1 inexcogitabilis (vgl. Anm. 45); für arrhetios in 26,2 sowie 37,1 inenarrabilis; für aoratos in 7,3 sowie 35,2 invisibilis (vgl. BRAUN, Deus christianorum, 53 sowie s.o. im Kommentar zu Adv. Val. 7,3b Anm. 26). Auch die Namen der Ogdoas haben teils lateinische Äquivalente in Adv. Val.: für acateleptos findet sich in 7,6; 9,1; 11,3 incomprehensibilis (vgl. BRAUN, aaO., 54 f.); für anonomastos in 37,1 innominabilis; für agennetos in 7,3; 11,2; 15,2 innatus sowie in 37,2 innascibilis (vgl. BRAUN, aaO., 46–51 sowie s.o. im Kommentar zu Adv. Val. 7,3b Anm. 26). Das lateinische Äquivalent zu arche (principium), das in der christlichen Lehre nach der Genesisauslegung mit dem Logos identifiziert wird, findet sich nicht bei Tertullian zur Bezeichnung des Wort Gottes; Braun vermutet eine frühe gnostische Identifikation, wie sie sich in vorliegender Lehre niederschlägt, die eine solche Übertragung verhindert hat (vgl. aaO., 273–275). 26 Vgl. R ILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 170 sowie M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 234. Marastoni deutet die Verflechtung der ersten Tetras, aus der
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Anfang (Arche) hervor, der an erster und fünfter Stelle der Ogdoas steht. Diesem Prinzip entsprechend folgen die weiteren Äonen. 27 Abschließend kommentiert Tertullian diese Lehre mit zwei kurzen Gedanken: Zum einen will er das Verständnis des hinter dieser Anordnung stehenden Beweggrundes von seiner Person fernhalten und markiert dieses Prinzip, das eine namensgleiche Entität an zwei Stellen emaniert sein lässt, als irrational (Hoc quae ratio disponat, ut singula binis locis et quidem tam intercisis nascantur, malo ignorare quam discere). Metaphorisch rekurriert er für die Emanationsvorstellung erneut auf die Fortpflanzungs- und Geburtsmetaphorik. Zum anderen markiert er zutiefst polemisch eine weitere Differenz zwischen sich und den Valentinianern, die entsprechend seiner Charakterisierung immer mehr lernen wollen (vgl. 1,4). In einer rhetorischen Frage stellt Tertullian auch auf einer formalen Ebene die Gültigkeit dieser Lehre in Frage (Quid enim recti habent quae tam perverse proferuntur?).28 (36,1) Quanto meliores qui totum hoc taedium de medio amoliti nullum aeonem voluerunt alium ex alio per gradus revera Gemonios structum, sed mappa, quod aiunt, missa semel octoiugum istam ex Propatore et Ennoea eius excusam29. Ex ipso denique rerum motu nomina gerunt.
Es folgt eine weitere Lehrvariante ebenfalls anonymer Valentinianer über die Entstehung der Ogdoas. Diese führt Tertullian wertend als „bessere“ (meliores) als die zuvor genannten Valentinianer ein. Weil sie keine stufenweise Emanation der einzelnen Äonenpaare, sondern eine einmalige Emanation der Ogdoas aus dem obersten Prinzip, nämlich dem Vorvater und seinem Denken lehren, würden sie „diesen ganzen Ekel aus ihrer Mitte beseitigen“ (qui totum hoc taedium de medio amoliti), wie Tertullian urteilt.30 Mit zwei Bildvergleichen deutet er dieses Prinzip sarkastisch. Die Emanation (alium ex alio) der einzelnen Äonen interpretiert er als „eine stufenweise Erbauung“, die er mit den Gemonischen Treppen in Rom assoziiert (per gradus
die Ogdoas in zwei gleichen Vierheiten hervorgeht, als einen „intuitiven Prozess und dessen logischer Vermittlung“, die sich in der doppelten Anordnung der Ogdoas niederschlägt. Vager bleibt Tommasi Moreschini in ihrer Deutung, die entweder den besagten Kontrapunkt der zweiten zur ersten Vierheit innerhalb der Ogdoas sieht oder aber die bewusste gleichzeitige Anordnung beider Tetraden (vgl. DIES., Adversus Valentinianos, 322 Anm. 424). 27 Dabei geht aus dem Undenkbaren der Unbegreifliche (Acataleptos), aus dem Unsagbaren der Unnennbare (Anonomastos) und aus dem Unsichtbaren – an dieser Stelle verwendet Tertullian die lateinische Übersetzung invisibilis für den griechischen Terminus Aoratos in 35,1 – der Ungezeugte (Agennetos) hervor. Zu den Termini vgl. Anm. 25. 28 Anders M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 235. 29 Die Handschriften lesen ex causa bzw. ex causam; vorliegende Lesart bildet einen Konjekturvorschlag Engelbrechts. Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 354. 30 Vgl. eine ähnliche Wendung in Pall. 5,1,3. Mit dem Komparativ beginnt auch Iren., Adv. Haer. I 12,3.
8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39
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revera Gemonios structum)31. Die Gemoniae scalae führten als Freitreppe am nordwestlichen Abhang des Kapitols zum Tiber und dienten als Transportweg der Leichname der Hingerichteten.32 Durch diese Assoziation deutet Tertullian die Emanationsvorstellung der valentinianischen Lehre als funktionales, aber würdeloses Prinzip, das jenseits des Bereichs des Göttlichen lokalisiert ist. Das zweite Bild stammt aus dem Bereich der spectacula. Tertullian bezeichnet die oberste Ogdoas parallel zur quadriga in 7,6 als „Achtspanner“ (octoiugum istam) und ironisiert diese fiktive Einheit mit diesem lediglich noch bei Livius bezeugten polemischen Bild.33 Die einmalige gerade nicht stufenweise Emanation aller sechs Äonen der Ogdoas,34 die aus dem Vorvater und seinem Denken „herausgeschleudert werden“ (ex Propatore et Ennoea eius excusam), werden mit dem Startpunkt eines Rennens verglichen, das durch das Wehen des Signaltuchs eröffnet wird (mappa missa)35. Bevor Tertullian im Folgenden die Namen der weiteren sechs Äonen referiert, die emaniert werden, pointiert er die Aussage, die er mit dem Bild des gemeinsamen Starts des Achtspanners bereits angelegt hat. Es ist ein und dieselbe „Bewegung der Dinge“, von der her die Äonen entstehen und ihre Namen tragen (Ex ipso denique rerum motu nomina gerunt),36 nämlich die Bewegung, die Propator und Ennoea gemeinsam initiieren. (36,2) „Cum, inquiunt, cogitavit proferre hoc Pater dictus est. Cum protulit, quia vera protulit, hoc Veritas appellata est. Cum semetipsum voluit probari, hoc Homo pronuntiatus est. Quos autem praecogitavit cum protulit, tunc Ecclesia nuncupata est. Sonuit Homo Sermonem – et hic est primogenitus filius – et Sermoni accessit Vita, et ogdoas prima conclusa est.“ Sed hoc taedium non37 pusillum!
Das Referat, das mit inquint eingeleitet wird, entspricht der irenäischen Darstellung und führt nun die teleologisch strukturierte, zeitlos vorgestellte
Auch das Verb verweist auf den metaphorischen Kontext des Baus von Stufen, vgl. auch Tertullians Polemik in 7,2 und 12,4. 32 Vgl. z.B. Plin., Nat. hist. VIII 145; Tac., Hist. 3,74.85; dazu TOMMASI M ORESCHINI, Adversus Valentinianos, 322 Anm. 426. 33 Liv. V 2,10. Vgl. aber den Inschriftenfund, den Fredouille dokumentiert (DERS., Contre les Valentiniens, 354; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 323 Anm. 428). 34 Tertullian expliziert die Logik der Zahlen nicht, die sich allerdings aus der Aufzählung der einzelnen Emanationen in 36,2 ergibt. Anders benennt Irenäus diese Zahl konkret (Adv. Haer. I 12,3). 35 Vgl. zu dieser Wendung zur Eröffnung der Spiele TLL Art. mappa VIII/0371,7; Tertullian selbst rekurriert darauf erneut polemisch in Spect. 16,2 f. Weitere Parallelstellen bei FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 354; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 322 f. Anm. 427; OTTO, Sprichwörter, 213. 36 Vgl. dazu auch M ARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 237. 37 Für die Beibehaltung der handschriftlichen Lesart non als „ironischen Angriff“ Tertullians vgl. FREDOUILLE, Valentiniana, 78. 31
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Emanationskette an.38 Tertullian konstruiert diese ganz parallel (cum); erst mit Beginn der Pluralität ändert er den Satzbau.39 Die erste Bewegung (motus; 36,1) bildet das Moment des Denkens des Vorvaters, etwas hervorzubringen (cogitavit proferre); es entsteht als neue Entität (hoc) der Vater (Pater). Weil in dieser Bewegung „Wahres hervorgebracht wird“ (quia vera protulit), entsteht zugleich die Wahrheit (Veritas). Um die eigene Existenz als wahr zu erweisen (cum semetipsum voluit probari)40, wird der Mensch (Homo) emaniert. Es folgt die Emanation der Kirche (Ecclesia), die aus den zuvor gedachten Entitäten, die nun hervorgebracht sind, besteht (Quos autem praecogitavit cum protulit, tunc Ecclesia nuncupata est); der Wechsel in den Plural findet sich auch in der irenäischen Darstellung. Mit dem Menschen ist entsprechend der christologischen Vorstellung das Wort verbunden, das er ertönen lässt (Sonuit Homo Sermonem) und das als „erstgeborener Sohn“ (et hic est primogenitus filius) identifiziert wird (vgl. bereits 7,6). Aus diesem Wort entsteht das Leben (et Sermoni accessit Vita). Damit ist die erste Ogdoas abgeschlossen (et ogdoas prima conclusa est). Im Unterschied zur ptolemäischen Ogdoas differiert die Reihenfolge der emanierten Äonen; Sermo und Vita folgen auf Homo und Ecclesia. Dieses Zitat schließt Tertullian mit einem einzigen sarkastischen Kommentar ab, der zugleich das gesamte Kapitel rahmt. Diametral zu seiner Deutung eingangs wertet er die dargestellte Lehrvariante abschließend diminutiv als „nicht sehr winzigen Ekel“ (Sed hoc taedium non pusillum!). 8.2.3. Adv. Val. 37–38: Lehrvarianten eines anonymen Bischofs und von Secundus (37,1) Accipe alia ingenia circulatoria41 insignioris apud eos magistri, qui ex pontificali sua auctoritate in hunc modum censuit: „Est, inquit, ante omnia Proarche,
Irenäus benennt zugleich die Differenzen, die sich in der Reihenfolge der Emanation ergeben (Adv. Haer. I 12,3). 39 Die Konstruktion mit cum entspricht der irenäischen mit ὅτε; bei diesem findet sich diese Parallelität allerdings nicht in dieser Form. 40 Vgl. zur Formulierung auch Apol. 21,14 (CChr.SL 1, 125,68 f. D EKKERS): [...] dum ostendimus, quomodo Christus probetur [...]. 41 Die Handschriften überliefern cicurianiana bzw. circur iamana/inaniana, was zu verschiedenen Konjektur-Vorschlägen geführt hat. Während Rigaltius zu currucae Enniani konjiziert, geht das hier mit Riley, Fredouille und Tommasi Moreschini favorisierte circulatoria auf Oehler zurück (vgl. auch Quin., Inst. II 4,16 circulatoria iactatio und Parallelstellen bei Tertullian selbst: In Praescr. 43,1 führt Tertullian seine Beobachtung des Umgangs der Häretiker mit Gauklern und anderen „Leuten, die der Neugierde hingegeben sind“ [curiositati scilicet deditis] an; sowie Apol. 23,1; Carn. Christ. 5,10; Idol. 9,6). Gegen Kroymanns Vorschlag (cicuri anima) sowie zur textkritischen Diskussion vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 355 f.; DERS., Valentiniana, 78; RILEY, Tertulliani Adversus Valentinianos, 171; MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 238 (Marastoni ändert 38
8.2. Analyse von Adv. Val. 33–39
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inexcogitabile et inenarrabile, innominabile, quod ego nomino Monoteta. Cum hac erat alia virtus, quam et ipsam appello Henoteta.
Tertullian kennt ein weiteres valentinianisches Lehrsystem, das in der kosmologischen Konstruktion von den bisher bekannten abweicht.42 Diese Monadenlehre wird ebenfalls einem anonymen Valentinianer zugeschrieben, der nach Tertullian in valentinianischen Kreisen ein sehr bekannter Lehrer war (insignioris apud eos magistri) und „mit bischöflicher Autorität“ lehrte (qui ex pontificali sua auctoritate in hunc modum censuit). Pontificalis bildet vermutlich eine polemische Überzeichnung und sarkastische Amplifikation aus Tertullians Feder. Irenäus weiß lediglich vom Lehrerdasein dieser Person.43 Mit Hilfe des Komparativs insignioris setzt Tertullian diesen Lehrer in Bezug zum anonymen Valentinianer, dessen Lehre er zuvor in 36,1 f. zitiert hat. Vor der eigentlichen Darstellung charakterisiert Tertullian diese Lehrvariante als „gauklerische Erfindungen“ (ingenia circulatoria)44. Damit lokalisiert er sie nicht in der Schule, sondern auf dem Marktplatz und karikiert den als Lehrer titulierten valentinianischen Bischof als clowneske Person. Von dieser führt er (wie auch die irenäische Darstellung) zur Lehrwidergabe ein Zitat an. Darnach bezeichnet der anonyme Lehrer die Existenz des Uranfangs (Proarche), der durch die drei lateinischen Adjektive inexcogitabile, inenarrabile und innominabile näher charakterisiert ist45, als „Alleinheit“ (Monotes). Mit dieser existiere als zweite „Kraft“ (alia virtus) die „Einheit“ (Henotes). Tertullian verwendet auch hier (vgl. 36,1 f.) die griechischen Termini, die er erst in der mit Verweis auf Varro zu cicuria iam) sowie TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 324 Anm. 432. Möglicherweise lässt sich aus circurianiana ein sarkastischer Hinweis auf den bei Irenäus polemisch verwendeten Terminus cucurbita (Gurke, Kürbis) finden (Adv. Haer. I 11,4). 42 Vgl. Iren., Adv. Haer. I 11,3. Zur Diskussion um die Identität dieses Lehrers vgl. auch MARKSCHIES, CHRISTOPH, Die valentinianische Gnosis und Marcion – einige neue Perspektiven, in: Gerhard May/Katharina Greschat (Hg.), Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 150), Berlin/New York: de Gruyter 2013, 159–176, 169 f. sowie THOMASSEN, Spiritual Seed, 206 f. mit Anm. 15. 43 Auch in Pud. 1,6 verwendet Tertullian pontifex in sarkastischer Absicht. Vgl. zur lediglich ironischen Wertung der Bischofsnotiz TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 324 f. Anm. 433 sowie zur Diskussion der Identität dieses anonymen Lehrers FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 356. 44 Zu Circulator vgl. Anm. 41, zu ingenium mit sarkastischem Unterton vgl. auch Adv. Val. 4,4 und 39,2. 45 Zur Konstruktion vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 356. Tertullian folgt dem irenäischen System, ändert allerdings mit der Übersetzung der drei Termini deren feminine Form zum definitorischen Neutrum. Die Neubildung von inexcogitabilis (vgl. den griechischen Terminus in 35,1 mit Anm. 25; dazu BRAUN, Deus christianorum, 55 Anm. 6) ergänzt die Alliteration und das Homoioteleuton des Trikolons. Zu inenarrabilis vgl. 27,2; 35,1, innominabilis findet sich vor Tertullian einmal bei Apul., Plat. I 5 (vgl. TLL Art. innominabilis VII/1 1710,67–79).
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folgenden Wiederaufnahme mit lateinischen Übersetzungen identifiziert (37,2). (37,2) 46 – id est Solitas et Unitas – cum unum essent, protulerunt, non proferentes, initium omnium intellectuale, innascibile, invisibile, quod sermo vocavit; huic adest consubstantiva47 virtus, quam appellat Unionem. Haec igitur virtutes, Solitas, Unitas, , Unio, ceteras prolationes aeonum propagarunt.“ O differentia! Mutetur Unio et Unitas et Singularitas [et suum]48 et Solitas, quaqua designaveris, unum est!
Aus diesem ersten Paar von Monotes und Henotes, die Tertullian mit „Einsamkeit“ (Solitas) und „Einheit“ (Unitas) übersetzt, entsteht der „geistige, ungeborene, unsichtbare Anfang von allem“ (initium omnium intellectuale49, innascibile 50 , invisibile). Die Verbindung von Monotes und Henotes zeichnet das „Eins-Sein“ (cum unum essent) aus, was Tertullian mit den synonym verwendeten lateinischen Termini solitas und unitas unterstreicht; 51 als Emanation entsteht das Eine, was als Monade (monas) bezeichnet wird. Das Zitat benennt das scheinbare Paradox, dass im Prozess der Hervorbringung des Anfangs (monas) die Alleinheit und die Einheit diesen „hervorgebracht haben, indem sie ihn gerade nicht hervorbrachten“ (protulerunt, non proferentes). Gegen die scheinbare Zweiheit der Gemeinschaft dieses Paares wird das Prinzip der 46 Die Handschriften überliefern die Wiederholung der beiden Termini sowie monada und singularitas nicht. 47 Die Handschriften überliefern stattdessen fehlerhaft (wie in 12,5) cum substantia. 48 Die Handschriften lesen et suum et solitas, während auf Kroymann die vorliegende Streichung von et suum zurückgeht. 49 Vgl. dazu auch in Kap. 6 Adv. Val. 14–23: Außerhalb des Pleromas – Achamoth und das Wirken des Demiurgen, Anm. 171 sowie in Kap. 7 Adv. Val. 24–32: Das menschliche Geschlecht und die Erlösung, Anm. 243. 50 Dabei bildet innascibilis eine Neubildung, deren erster Beleg sich bei Tertullian findet; während Braun diese statt dem bekannten innatus verwendete Bildung als „bizarr“ deutet, mit der Tertullian seinen Leser durch den ungewöhnlichen Ausdruck aufmerksam machen will (vgl. DERS., Deus christianorum, 48), sieht Wellstein vornehmlich einen stilistischen Grund dieser Bildung (DERS., Nova Verba, 111). Allerdings fügen sich sowohl innatus als auch innascibilis in die alliterarische und homoioteleutische Anordnung des Trikolons ein, sodass der Deutung der Vorzug zu geben ist, dass Tertullian bewusst verstörend formulieren wollte und zudem einen Terminus gewählt hat, den er nicht im Kontext seiner eigenen Theologie verwendet (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 357). 51 Vgl. M OINGT, Théologie trinitaire III, 735. Moingt deutet unitas als Übersetzung des stoischen ἑνότης und damit als Ausdruck für die Unteilbarkeit der Substanz (aaO., 733 f.; BRAUN, Deus christianorum, 142–151 zur philosophischen und christlichen Prägung sowie Tertullians Übertragung in Adv. Prax. auf sein eigenes trinitarisches Konzept); zu solitas vgl. MOINGT, aaO., 732 f. sowie BRAUN, aaO., 68–71 mit der Diskussion über die Herkunft der lateinischen Termini im Kontext der valentinianischen Diskussion. Moingt und Braun unterscheiden sich allerdings in der Differenzierung von unio und unitas (zur Diskussion vgl. MOINGT, aaO., 733–736 sowie BRAUN, aaO., 701, der unio als numerische Einheit und unitas als organisch-strukturelle Einheit deutet).
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Einheit herausgestellt; in die Einheit kommt das Eine hinzu. Die ursprünglich monadische Substanz breitet sich aus, ohne über sich selbst hinauszugehen; die einzelnen Namen der Entitäten sind nichts anderes als multiple Erscheinungen der einen vollkommenen Substanz.52 Auch dem Anfang entspricht eine „wesensgleiche Kraft“ (consubstantiva virtus)53 , die Tertullian mit dem lateinischen Terminus Unio (das Eine) wiedergibt.54 Alle vier Namen bezeichnen die gleiche Seinsstufe. Das Zitat endet mit der Konklusion, dass diese virtutes55 in der Reihenfolge Solitas, Unitas, Singularitas und Unio Ursprung der Emanationen der weiteren Äonen sind. An dieser Stelle wechselt Tertullian vom vorher auf Griechisch zitierten Terminus monas zur lateinischen Übersetzung singularitas. Tertullian kommentiert anschließend polemisch die „Verschiedenheit“ (o differentia!) dieser Konzeption des kosmologischen Systems, das auf nichts anderes als Einheit und Einssein zielt, sodass die einzelnen Namen der Emanationen gerade Synonyme darstellen und austauschbar sind. Er betont, dass die Tetrade keine wirkliche Pluralität abbildet, sondern als monadisches System einzuordnen ist. Spöttisch weist er auf die Austauschbarkeit der Namen für jede einzelne Entität hin und damit auch auf die Vertauschbarkeit. In direkter Anrede an seine Leserschaft spielt er abschließend mit dem Terminus unum der dargestellten Monadenlehre: Unabhängig davon, welche Bezeichnung gewählt würde, würde das Eine (unum) bezeichnet (quaqua designaveris, unum est!).56 Schließlich bedeuten die vier Namen einzeln und zusammen das gleiche, nämlich unum, und sind daher „eins“. (38) Humanior iam Secundus ut brevior, ogdoadem in duas tetradas dividens, in dexteram et sinistram, in lumen et tenebras, tantum quod desultricem et defectricem illam virtutem non vult ab aliquo deducere aeonum, sed a fructibus de 57 substantia veniat.
Es folgt die Lehre des Valentinianers Sekundus, den Tertullian in Adv. Val. 4,2 namentlich als Nachfolger von Ptolemäus erwähnt. Die Kürze der Darstellung korrespondiert mit Tertullians komparativischer Wertung zu Beginn:58 Diese Riley deutet diese Lehre als Anfang der trinitarischen Spekulationen (vgl. DERS., Tertulliani Adversus Valentinianos, 171). Vgl. auch TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 325 Anm. 434; MOINGT, Théologie trinitaire II, 658; III, 734–736. 53 Zur Neubildung consubstantivus vgl. bereits den Kommentar zu 12,5 (mit Anm. 251) sowie zu 18,1 (mit Anm. 129). 54 Unio gibt τὸ ἕν wieder; vgl. zu diesem sehr seltenen Terminus, der die numerische Einheit bezeichnet, auch MOINGT, Théologie trinitaire III, 732 f. sowie BRAUN, Deus christianorum, 69 f. 55 Zur archaischen Form haec vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 357. 56 Bei Irenäus findet sich an dieser Stelle eine ausführlichere Polemik, vgl. Haer. I 11,4. 57 Diese Einfügung geht auf Fredouille in Anlehnung an den irenäischen Text, in dem allerdings keine substantia thematisiert wird, zurück. 58 Die Kürze entspricht der parallelen Stelle bei Iren., Adv. Haer. I 11,2. 52
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sei aufgrund ihrer Kürze „menschenfreundlicher“ (humanior ut brevior), was sich im Kontext der anderen dargestellten Lehren auch als „erträglicher“ mit Blick auf den gelehrten „Ekel“ (taedium; 36,1 f.) deuten lässt. Sekundus lehrt ebenfalls eine in zwei Tetraden geteilte Ogdoas (ogdoadem in duas tetradas dividens); über die Bezeichnung dieser Entitäten sowie über das Prinzip ihrer Strukturierung bietet Tertullian keine Informationen. Allerdings sind die beiden Tetraden „in eine rechte und eine linke“ geteilt, die auch „Licht und Finsternis“ entsprechen (in dexteram et sinistram, in lumen et tenebras). Damit deutet sich kosmologisch eine Strukturierung auf zwei Ebenen an, deren eine – nach ptolemäischer Vorstellung – innerhalb des Pleromas und deren andere außerhalb des Pleromas liegt.59 Die Scheidung der göttlichen Äonenwelt und der geschaffenen Welt, in der „jene unbeständige und mangelhafte Kraft“ (desultricem et defectricem illam virtutem) wirkt,60 markiert Tertullian mit den zwei durch Alliteration verbundenen Hapaxlegomena desultrix und defectrix.61 Diese Scheidung manifestiert sich auch in der Herkunft dieser virtus nach der Lehre des Sekundus. Negativ formuliert sei diese „nicht von irgendeinem der Äonen abgeleitet“ (non vult ab aliquo deducere aeonum) und damit mit der göttlichen Äonenwelt verbunden, sondern stamme „von den Früchten ihrer Substanz“ (sed a fructibus de substantia veniat). 8.2.4. Adv. Val. 39,1–2a: Lehrvarianten innerhalb der valentinianischen Christologie (39,1) De ipso iam domino Iesu quanta diversitas scinditur! Hi ex omnium aeonum flosculis eum construunt; illi ex solis decem constitisse contendunt quos Sermo et Vita protulerunt, inde et in ipsum Sermonis et Vitae concurrerunt tituli; isti ex duodecim potius ex Hominis et Ecclesiae fetu, ideoque Filium Hominis avite pronuntiatum; alii a Christo et Spiritu Sancto constabiliendae universitati provisis confictum et inde paternae appellationis heredem.
Zum Abschluss seines Werkes kommt Tertullian erneut auf christologische Lehrdifferenzen zu sprechen und zählt verschiedene Lehren über „den Herrn Jesus“ (dominus Iesus) auf (hi, illi, isti, alii), die er ohne ausschweifende Kommentare, aber mit impliziter Polemik aneinanderreiht.62 Diese Aufzählung soll der Leserschaft den Eindruck der Abständigkeit und Inkonsistenz der valentinianischen Lehre mit Blick auf Jesu Person vermitteln. Die Pluralität der Vgl. die Zuordnung von Licht zum Pleroma im ptolemäischen System (Adv. Val. 14,1). In 9,3 ist es die vis dulcedinis et laboris, die Sophia fast verschlingt und in die Substanz aufgehen lässt, und in 14,1 wird Achamoth als defectiva et abortiva genitura bezeichnet. 61 Vgl. W ELLSTEIN, Nova Verba, 236 f. und TLL Art. desultor V/1 778,26–28. 62 Bei Irenäus (Adv. Haer. I 12,4) findet sich eine ähnliche Aufzählung, die allerdings vom Soter handelt und auch bezüglich der ersten Lehrvariante einen Namensbezug zu diesem herstellt (– dieser von allen Äonen emanierte heiße Eudoketos, „weil das ganze Pleroma Gefallen daran fand, durch ihn den Vater zu ehren“ [ὅτι πᾶν τὸ Πλήρωμα ηὐδόκησεν δι’ αὐτοῦ δοξάσαι τὸν Πατέρα]; SC 264, 187,19 f. ROUSSEAU/DOUTRELAU). 59
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Lehrmöglichkeiten, wie sie Tertullian (und auch Irenäus) zum Abschluss der gesammelten Lehrvarianten aufführen, widerspricht dem grundlegenden monotheistischen Glaubensverständnis Tertullians. Mit der dargestellten Multiplikation der valentinianischen, christologischen Lehrvarianten impliziert er den bereits im Exordium konstatierten Bezug der Valentinianer zum Heidentum und dessen Polytheismus. Während die einen Jesus „aus den Blüten aller Äonen zusammenbauen“ (Hi ex omnium aeonum flosculis eum construunt) – diese Lehre erinnert auch in ihrer Metaphorik an die von Ptolemäus’ Schülern referierte Variante in Adv. Val. 12,3 f., die Tertullian polemisch als „Blütenlese aller Äonen“ (ex omnium defloratione constructum) bezeichnet hatte63 –, deuten andere Jesus als Emanation der von Wort und Leben ausgegangenen Dekurie (vgl. 8,1 f.; illi ex solis decem constitisse contendunt quos Sermo et Vita protulerunt). Aufgrund dieser Herkunft seien auch die Namen sermo und vita auf Jesus übergegangen (inde et in ipsum Sermonis et Vitae concurrerunt tituli). Statt aus der Dekurie lehren wiederum andere Jesu Hervorgang aus der Zwölfheit (Dodekas, vgl. 8,1 f.), sodass er ein „Sprössling von Mensch und Kirche“ sei (isti ex duodecim potius ex Hominis et Ecclesiae fetu).64 Ätiologisch finde sich in dieser Abstammung die Begründung für den „von seinen Stammeltern ererbten“ Namen „Menschensohn“ (ideoque Filium Hominis avite pronuntiatum).65 Als vierte Variante führt Tertullian die Lehre an, dass Jesus vielmehr aus der Vereinigung von Christus und dem Heiligen Geist abstamme, die ursprünglich „für die Befestigung des Universums gesorgt haben“ (vgl. 12,2, ebenfalls constabilire); daher trage er als Erbe auch den väterlichen Namen und heiße Jesus Christus (alii a Christo et Spiritu Sancto constabiliendae universitati provisis confictum et inde paternae appellationis heredem). Es fallen die Konvergenzen mit der den Schülern von Ptolemäus zugeschriebenen Lehre auf, die Tertullian auch terminologisch herausstellt. (39,2a) Sunt qui Filium Hominis aliunde conceperint dicendum, quoniam ipsum patrem pro magno nominis sacramento Hominem appellasse praesumpserit, ut quid amplius speres de eius dei fide cui nunc adaequaris. Talia ingenia superfruticant apud illos ex materni seminis redundantia.
Nach der Auffassung der Meinung der letzten referierten valentinianischen Gruppe habe „der Vater selbst“ den Namen Mensch getragen (quoniam ipsum Es fällt die parallele Wortwahl Tertullians auf (defloratio/flosculus sowie construere). Fetus stellt einen werkimmanenten Rekurs Tertullians auf 8,1 dar: Die Äonen Wort und Leben, Mensch und Kirche „sprudeln selbst Sprösslinge hervor“ (alios ebulliunt fetus), nachdem sie emaniert worden sind. Dagegen votiert Braun, an dieser Stelle – fetus finde sich hier im Singular und einer Genitiv-Verbindung – eher den Akt der Zeugung selbst angesprochen zu sehen (vgl. dazu und weitere Parallelstellen bei Tertullian: DERS., Notes, 199 f.). 65 Das Adverb avite bildet ein Hapaxlegomenon (vgl. FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 359; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 326 Anm. 441). 63
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patrem [...] Hominem appellasse praesumpserit), sodass dieser Christus zugeordnet wurde. Ohne näher zu spezifizieren, wer sich hinter Pater verbirgt, erinnert sich die Leserschaft an die genealogische Näherbestimmung des obersten Äons Bythos als Vater von Nus im ptolemäischen System (vgl. 7,5 f.).66 Als Grund für diese Identifikation des obersten transzendenten Äons mit dem Menschen führt Tertullian geheimnisvoll „das große Geheimnis des Namens“ (pro magno nominis sacramento) an.67 Polemisch bezieht er diese Lehrmeinung im abschließenden Kommentar auf die Leserschaft und redet diese auch an (2. Person Singular). Durch diese vorgestellte Verbindung von Gott und Mensch könnte, so schlussfolgert Tertullian, jeder Mensch unabhängig seines Status als Christ, vielmehr allein durch die Gleichstellung dem Namen nach (cui nomine adaequaris), diesem valentinianischen Gott anhängen und sogar „im Glauben an ihn mehr erhoffen“ (ut quid amplius speres de eius dei fide). Tertullian konstatiert ironischerweise eine Erreichbarkeit dieses valentinianischen Gottes qua der vorgestellten Lehre seines Menschseins, dessen Existenz er eigentlich negiert, wie auch die folgende Deutung markiert. Abschließend ordnet Tertullian den Ursprung der christologischen Lehrvarianten als Exklusiv-Besitz der Valentinianer ein und deutet diesen innerhalb der mythologischen Vorstellungswelt als Besitz des geistigen, von Achamoth – Tertullian rekurriert auf sie in genealogischer Vorstellung als Mutter (vgl. 27,3) – vermittelten Samens; denn „so viele Erfindungen wuchern bei ihnen aus der Überfülle des mütterlichen Samens hervor“ (Talia ingenia superfruticant apud illos ex materni seminis redundantia). Die Charakterisierung dieser exklusiven Gabe als Überfülle korrespondiert mit den ingenia zu Satzbeginn: Aus der Überfülle an scheinbar exklusivem Besitz folgen nach Tertullian die irrwitzigsten Erfindungen. Mit dem Hapaxlegomenon superfruticare spielt Tertullian auf die mythologische Vorstellung der „fruchtbringenden Emanationen“ an (vgl. fruticare in 8,1), was er mit dem Präfix hier karikiert, und bezichtigt zugleich die Valentinianer selbst mit der vegetativen Metaphorik ziellos zu wachsen (vgl. auch semen); 68 damit leitet Tertullian bereits in seine Schlusssentenz über.
66 Eindeutiger überliefert Irenäus diese Lehre, indem er die drei Namen Propator, Proarche und Proanennoetos nennt (Adv. Haer. I 12,4), die im valentinianischen System mit dem obersten Äon assoziiert sind. 67 Diese Übersetzung entspricht der irenäischen Intention. Anders legt Michaélidès diese Stelle aus und deutet die Formel pro magno nominis sacramento als Motiv-Angabe für die Namenszuschreibung Homo an Pater; sacramentum sei daher mit „signe, symbole“ zu übersetzen und der Genitiv als Genitiv der Identität zu bestimmen (vgl. DERS., Sacramentum chez Tertullien, 308 f. sowie dazu MARASTONI, Tertulliani Adversus Valentinianos, 242 f.). 68 Vgl. dazu FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 360 f.; W ELLSTEIN, Nova Verba, 321 f.
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8.2.5. Adv. Val. 39,2b: Abschluss (39,2b) Atque ita insolescentes69 doctrinae Valentinianorum in silvas iam exoleverunt Gnosticorum.
Sein Werk Adv. Val. beendet Tertullian mit einem einzigen Kommentar, in dem er die vegetative Metaphorik weiterführt. Im Anschluss an diese bunte Zusammenstellung von Lehrvarianten, die er spöttisch in der Überfülle des geistigen Samens begründet sieht (s.o.), skizziert er ein knappes Szenario, das mit dem Beginn des Werkes korrespondiert. Diese Valentinianer, die „der offensichtlich zahlreichste Kultverein unter den Häretikern sind“ (frequentissimum plane collegium inter haereticos; 1,1), vertreten nicht nur eine Lehre, die nicht anders als eine fabula zu charakterisieren ist, sondern sie bieten vor allem eine Pluralität an Lehren – an dieser Stelle fällt der Plural doctrinae auf. Im Kontext der vorliegenden Metaphorik sind die „üppig wuchernden Lehren der Valentinianer bereits zu Wäldern von Gnostikern ausgewachsen“ (Atque ita insolescente doctrinae Valentinianorum in silvas iam exoleverunt Gnosticorum). Kann silva im klassisch-rhetorischen Kontext metaphorisch den Überfluss an Materialfülle bedeuten, aus dem der Redner seinen Redestoff auswählen muss, assoziiert Tertullian dieses vegetative Bild auch hier.70 Allerdings intendiert er sarkastisch keine Auswahl oder Beschränkung auf die eine valentinianische Lehre, sondern bestätigt vielmehr das „Auswachsen“71 zu Wäldern, in denen ein Baum neben dem anderen steht und diejenigen, die zu tief in den Wald hineingeraten, bis hin zur Orientierungslosigkeit geführt werden. Ob Tertullian ein rahmendes Wortspiel kreiert hat, das die „üppig wachsenden Lehren“ (inolescentes doctrinae) in die „ausgewachsenen Wälder“ (in silva exoleverunt) münden lässt, bleibt offen. Die in den Handschriften überlieferte Lesart der „üppig wuchernden Lehren“ (insolescentes doctrinae) ist ebenso sinnvoll und entspricht Tertullians Intention und Stil.72 Erst an dieser So lesen die Handschriften (sowie Riley und Tommasi Moreschini), während die meisten Editionen in Korrelation zum Hauptverb exoleverunt zu inolescentes ändern (vgl. auch den Kommentar). 70 Vgl. zur Metapher O’M ALLEY, Tertullien, 68–71. Tertullian assoziiert mit silva z.B. positiv den Überfluss in Adv. Marc. IV 14,3 oder Adv. Prax. 20,3, eine negative Konnotation findet sich hingegen z.B. in Anim. 2,5; 24,11 oder Apol. 4,7; zudem finden sich auch biblisch beeinflusste Verwendungen z.B. in Pud. 4,3; 16,12; Adv. Marc. I 29,5 oder Castit. 6,3. 71 Vgl. zu diesem Terminus FREDOUILLE, Contre les Valentiniens, 361; TOMMASI MORESCHINI, Adversus Valentinianos, 326 Anm. 443. 72 Vgl. dazu Anm. 69. Tertullian verwendet beide Termini, die zudem der Verwechslungsgefahr unterliegen (vgl. TLL Art. inolescere VII/1 1738,23 f. sowie Art. insolescere VII/1 1932,9): inolescere findet sich bei Tertullian zumeist in der übertragenen Bedeutung „zur Gewohnheit werden“ (vgl. TLL Art. inolescere VII/1 1738,63–65) in Ad Nat. II 12,32; Apol. 40,10; Pat. 13,2; Virg. Vel. 10,4; Anim. 16,1 sodass die vorliegende Stelle einzigartig in der ursprünglichen Bedeutungsverwendung wäre. insolescere nutzt Tertullian in Ad Nat. II 12,7; Anim. 30,4; Carn. Christ. 4,1 mit der auch im vorliegenden Kontext verwendeten 69
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Kapitel 8: Adv. Val. 33–39: Wie ein Nachspiel: Einige Lehrvarianten
Stelle – rahmend mit dem Beginn des Exordiums – bezeichnet Tertullian die Valentinianer als Gnostiker. Valentinianer bilden für Tertullian die Gnostiker par excellence, wie auch die Parallelisierung in Anim. 18,4 und Scorp. 1,5 bestätigt. Eine nähere Aussage über die Identität der Gnostiker findet sich in Tertullians Œuvre nicht.73
Bedeutung nimis crescere (vgl. TLL Art. insolescere VII/1 1932,54 f.), in Bezug auf Unkörperliches auch in Pat. 2,3 und Cult. Fem. II 11,1. 73 Irenäus bezeichnet die Anhänger des Barbelo-Kults als Gnostiker (vgl. Adv. Haer. I 29 f.), vgl. auch die Differenzierung bei Epiphanius, der die Gnostiker separat in Pan. 25 darstellt. Harnack sieht bei Tertullian eine Differenzierung zwischen den Valentinianern und Gnostikern, die er „für schlimmer als die Valentinianer [hält], weil ihre Lehren noch exotischer sind“; gleichwohl ohne auf diese näherhin einzugehen (DERS., Tertullians Bibliothek, 327).
Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Die Abkürzungen der Quellentexte folgen den Verzeichnissen der aufgeführten Lexika. Artikel des Thesaurus Linguae Latinae (Online) werden als TLL abgekürzt.
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Register Stellen Stellenregister Altes Testament Genesis 1–3 1,2 1,6–10 1,6 1,9 f. 1,26 f. 1,26 2,7 3 3,1a 3,21 4,1 f. 4,25 8,8–11 8,8 f. 30,38 f.
366, 370 19, 340 19 370 367, 370 370 f. 19 19, 368, 370, 373 183 183 19, 371 395 f. 395 f. 183 19 342
Exodus 34,33–35
336
Levitikus 1,14–17 14,22 16,12 f.
182 182 352
Numeri 21,4–9
183
Jesaja 38,11 40,5 40,6 45,5 53,2 f.
190 417 19, 149, 377, 417 19, 358 19
55,6
191
Jeremia 11,19 29,13
333 191
Amos 5,4
191
Maleachi 4,2
202
Psalmen 1,1 10,4 11,7 16,11 17,15 27,8 102,15
296 191 190 190 190 191 417
Proverbia 1,1 8,22–30 11,3 19,1 20,7 28,6
186 335 191 191 191 191
Hohelied 1,15 4,1 5,2 5,12 6,9
183 183 183 183 183
470
Register
Sapientia Salomonis 1,1 19, 39, 191 2,24 183 Sirach 21,20
72
Neues Testament Matthäus 2,16 3,7 3,12 3,16 f. 3,16 4 4,1–11 4,1 5,13 f. 7,7 8,5 f. 8,9 10,16 10,16b 10,24 10,32 f. 11,29 13,24–30 13,30 13,31 f. 18,3 21,12 22,30 23,2 25,6 26,49 27,11 f. 27,22 f. 27,23 27,23b
19, 191 212 413 195 19, 195, 386 195 195 19 378 82, 196 19 392 19, 39, 181, 183 182, 185 f., 194 19, 433 404 406 214, 400, 412 413 400 19, 193 183 19, 428 f. 296 19 337 19 19 192 192
Markus 1,10 f.
183
Lukas 6,23 18 18,15–17 18,35–40
65 193 193 217
Johannes 1,13 1,18 1,32 3,14 f. 3,29 12,21 19,6 f. 19,30
384 266, 295, 316 195 183 414 337 192 294
Apostelgeschichte 2,46 191 12,7 341 Römer 1,20 7,22 11,9 11,16 12,8 16,19
203 19, 420 203 381 191 194
1Korinther 5,6–8 5,7 7,5 11,10 11,19 12,4 13 14, 20 15 15,37 15,41 15,44 15,47–49 15,53
19 413 195 336 19, 239 372 173 19, 193 417 19 307 19 370 429
2Korinther 1,12 3,13 4,16 5,2 5,2 f. 5,4 8,2 9,11 9,13 11,3
191 336 420 19 429 19 191 191 191 183, 191
471
Stellen 11,4 12,2–4
341 354
Galater 5,24
291
Epheser 3,16 4,22–24 6,5 6,12
360 395 191 360
Kolosser 1,16 3,22
19, 335 191
1Timotheus 1,4 1,4a 6,4
19, 102, 210, 213 213 213
2Timotheus 2,13
340
Titus 3,9
19, 210
Hebräer 9,3
352
Apokalypse 12,9 20,2
183 183
Christliche Autoren der Spätantike Apostolische Väter Epistula Clementis ad Corinthios 1,1 255 Hermas Mandata pastoris II 1,7 194 Similitudines IX 24,9
194
Visiones pastoris I 2,4 194 II 1,9 194
II 3,2
194
Arnobius Disputationes adversus nationes V 167 V 25–27 170 Augustinus Epistolae 118,2 118,34
25, 33 25, 33
Clemens Alexandrinus Excerpta ex Theodoto Titel 297 31,3 f. 318 43,2 335 44,2 336 48,4 363 51,1 420 53,2 372, 375 54,1 394 58,2 381 59,2 384 59,3 382 59,4 381 64 414 65,1 414 66 168 68 414 Paedagogus II 2, 22,4 II 5, 45,1 f. II 5, 46,1 II 5, 46,2 II 5, 46,3 f. II 5, 47,3 II 7, 57,1 f.
72 72 72 72 72 72 72
Protrepticus II 12–23 II 12–22 II 12,2 II 20,1–21,2 II 20,1 II 21,2 XII 120,1
166 167 167 167 167 166 168
472
Register
Stromata III 92,1 IV 71,1 IV 89,6
297 297 229
25
Cyprian Epistolae 58,6
191
Quod Idola dii non sint 6 327 Epiphanius von Salamis Panarion 25 448 26 342 31,5,3 264 31,9,1–32,9 100 33,3–7 227 33,3,1–7,10 391 35 224 48,1–15 109 56 299 Eusebius Historia Ecclesiastica II 2,4 25 II 25,5 f. 111 III 31,4 111 IV 11,8 97 IV 16 96 IV 30 299 V 16,3 109 V 17,1–5 109 V 17,1 108 V 17,5 108 V 28,4 109 VI 20,3 111 Praeparatio Evangelica XI 18,3 259, 266 XI 18,20 265 XI 18,20 f. 259, 262 XI 18,21 264 XI 22,3–5 266 XI 22,5 259 Hieronymus Chronicon
11
De Viris Illustribus 39 108 53,1 26 53,4 111 Hippolyt Refutatio omnium haeresium V 8,39 166, 169 V 39 f. 167 V 8,40 166 V 8,41 166 VI 29,5 264 VI 30,9 291 VI 35,5–7 227, 297 VI 35,7 231 VIII 16 96 Irenaeus Adversus haereses I praef. I praef. 1 I praef. 1 f. I praef. 2 I 1–7 I 1–8 I 1,1 I 1,1–9,5 I 1,1–8,5 I 1,1–7,5 I 1,2 I 1,3 I 2,1 I 2,2 I 2,3 I 2,4 I 2,5 I 2,6 I 3,1–3,6 I 3,1 I 4,1 I 4,2 I 4,3 I 4,4 I 4,5
102, 160 43, 213 6 88, 90 101 9, 99, 114 87, 105 f., 261 f., 264 f., 268 f. 103 85, 227 103 106 101, 103, 276, 286 106, 107, 278 f. 87, 107, 282 284, 286, 289 87, 282, 290 6, 107, 292– 295, 302 106, 302–304, 307 f., 311 101, 103, 312 107 318, 320–324, 326 f. 327 f., 331 43, 102, 167, 315 329 6, 334–339, 341
473
Stellen I 5,1 I 5,2 I 5,3 I 5,4 I 5,5 I 5,5 f. I 5,6 I 6,1–4 I 6,1 I 6,1 f. I 6,2–4 I 6,2 I 6,2a I 6,3 I 6,4 I 6,4b I 7,1 I 7,2 I 7,3 I 7,3a I 7,3b I 7,3 f. I 7,4 I 7,4a I 7,5 I 7,5a I 7,5b I 7,5c I 7,5d I 8,1–5 I 8,1 I 8,2–4 I 8,2 I 8,3 I 8,5 I 9,5 I 10,1–12,4 I 11 f. I 11 I 11,1 I 11,2–5 I 11,2 I 11,3 I 11,4
87, 343–349 87, 352–354 356 f. 87, 358–363 366–368, 371 f. 365 6, 87, 372–376 103 6, 87, 365, 377 f., 380, 381 f., 412, 416 403 412 365, 402 365 365, 406, 410 406, 408–410 365 365, 412, 414, 416, 418 f., 421, 425 88, 320, 365, 373, 383–390 88, 365, 390 f., 400 f. 393 103, 393 365 391–393 103 365, 396–400, 416 393 393 393 393 101, 103 160, 381 390 336 381 86, 103 103, 315, 432 103 87, 99, 101, 103, 431 103, 431 87, 103, 225, 431 87 431, 443 88, 92, 431, 441 104, 275, 431, 441
I 11,5 I 12 I 12,1 I 12,2 I 12,3 I 12,4 I 13–16 I 13,3 I 14,1 I 16,3 I 21,3 I 21,4 f. I 22,2–27,4 I 24,1 I 25,6 I 27,3 I 28,1 I 29f. I 30,5 I 30,15 I 31,3 II praef. 1 II 12,4 II 13,6 II 14,5 II 21,2 III 12,7 III 15,2 IV praef. 2 IV 1,1 IV 2,1 IV 6,2 IV 35,4 IV 37,6 V 19,1 V 20,2
88, 431, 435–437 103, 431 87, 431, 434 103, 431 88, 431, 438–440 431, 444, 446 228 341 224 160 410, 414 420 97 299 6 195 96 448 324 224 39 102 f. 285 263 309 309 234 102, 161, 176–178, 181, 235 98, 100 109 109 97 102, 176 f. 98 102, 184, 198 109
Epideixis 2
296
Justin Apologia 26 26,1–5 26,6–8 26,8 43
98 97 97 96 f., 99 98
474
Register
Apologia secunda 2,1–10 227 Dialogus cum Tryphone Judaeo 35 227 35,1 f. 6 35,2 81 35,6 6, 97 f. Lactanz Divinae Institutiones I 7,2 328 I 22,13 210 IV 28,2 163 V 1,23 22 De ira dei 17,14
387
Minucius Felix Octavius 8,4 20,1
199 207
Origenes Commentarii in Johannem 2 14,100 227 13, 19,114–118 230 Passio Scillitanorum 3 187 Phoebadius Contra Arianos 6,1
199
Tatian Oratio ad Graecos 25,3 109 35,1 109 Tertullian Ad Martyras 1,3 f. 1,6
181 181
Ad Nationes I1 I 5,6
176 225
I 7,13 I 10,13 I 10,37 I 10,40 I 10,47 I 11 I 11,5 I 13,1 I 13,3 I 16 I 19 I 20,14 II 1,5 II 2,5 II 12 II 12,7 II 12,17 II 12,32 II 13,2 II 17,3 II 17,5 II 17,12
169 194 249 289 66 163 112 202 401 66 66 52 249 186 176 447 171 f. 447 401 277 336 280 f.
Ad Scapulam 1,2 f. 1,4 3,4 4,5
403 163 272 110
Ad Uxorem I 1,4 I 5,2 II 6,2 II 8,2 II 8,8
279 414 433 201 305
Adversus Hermogenem 1,1 3 1,2 43, 161, 340, 350 2,1 340 8,3 312 9,1 312 9,5 366 10,1 176 10,2 3 11,3 249 12,2 212 14,1 395 16,1 3, 234
475
Stellen 18 18,3 19,1 19,2 23–25 23,1 23,2 24 25,1 25,3 25,5 26,1 27,1 27,3 28,2 29,2 30,1 33,1 33,2 39,1 40,1 41,1 45,1
335 266 187, 395 348 340 162, 340 340 340 340 340 333 244, 368 177 187 162 367 162, 339 235 234 399 312 272 366
Adversus Iudaeos 2,12 186 3,8 201 8,10 86 Adversus Marcionem I 53 I 1,1 f. 53 I 1,3 161 I 1,6 173 I 1,7 51 I 2,3 413 I 3,2 206 I 3,5 206 I 5,1 20, 83, 212, 359 I 5,5 163 I 7,2 f. 260 I 7,3 261 I 9,7 213 I 10,1 204 I 10,3 204 I 11 204 I 13 204 I 15,1 53 I 17,4 241
I 18,2 I 18,3 I 18,4 I 19,1 I 19,4 I 21,6 I 22,3 I 22,8 I 25,3 I 25,5 I 27,1 I 27,5 I 29,5 I 29,8 I 29,9 II II 1,1 II 2,1 II 3,2 II 3,3 II 3,4 II 3,5 II 9,1 f. II 12,3 II 19,2 II 21,2 II 22,3 II 27,5 II 27,8 II 28,1 f. II 29 II 29,2 III III 5,1 III 6,1 III 6,5 f. III 6,7 III 8,4 III 9,3 III 11,4 III 22,6 III 24 III 24,4 III 24,11 IV IV 1 IV 2,5 IV 3,2 IV 4,3
205 205 305 112 168 217 398 244, 354 296 262 244, 390 272 447 436 53 53, 98 52, 174 335 174 398 161 398 18, 370 398 296 186 186 112 51, 161 112 178 241 53 55 70, 247 194 335 319, 390 352 390 305 183 193 184 53, 217 178 333 225 110
476 IV 4,5 IV 5,1 IV 5,3 IV 5,3 f. IV 5,6 IV 6,4 IV 7,3 IV 7,4 IV 8,8 IV 9,2 IV 11,6 IV 12 IV 13,1 IV 14 f. IV 14,3 IV 14,5 IV 14,6 IV 15 IV 15,6 IV 16,12 IV 17,5 IV 17,11 IV 17,13 IV 18,4 IV 19,6 IV 20,10 IV 21,11 IV 24,10 IV 25,1 f. IV, 25,1 IV 25,3 IV 25,5 IV 25,6 IV 26,6 IV 29,4 IV 29,13 IV 34,14 IV 36,10 IV 39,9 IV 39,16 IV 39,17 IV 40,4 IV 42,8 V V 1,2 V 1,6 V 3,1 V 4,8 V 5,5 f.
Register 433 158, 194 419 110 366 70, 247 111 333 161 157 168 353 333 65 447 112 405 405 284 379 335 433 333 339 187 168 217 194, 199 194 204 334 333 194 194 398 333 418 217 333 194, 354 289 333 296 53, 217 305 379 304 389 194
V 6,1 V 7,3 V9 V 9,3 V 10,7 V 12,1–3 V 15,4 V 15,7 V 16,6 V 17,1 V 18,3 V 18,7 V 18,11 f. V 18,13 V 19,1 V 19,7 V 19,8
194 413 388 417 417 429 184 112 194 100 335 305 360 354 221, 261 262, 296 186, 214
Adversus Praxean 1,1–3 1,1 1,3 1,4 f. 1,6 f. 1,6 1,7 2 2,1 2,2 2,4 3,1 3,2 3,6 5,2 f. 6,1 6,3 7,1 7,6 f. 7,6 8 8,1 f. 8,1 8,2 8,5 9,4 11,4 13,2 13,4 15,6
38 195, 206, 281 195 222 214 53, 186 f. 111 37 206, 266, 335 158, 187, 236 266, 343 15, 187, 206 342 83, 208 18 335 335 266, 335 319 266 306 83 83, 89, 263 282 229 348 241 112 186 266
477
Stellen 18,3 20,3 22,6 25,4 27,2 27,6 29,5 f. 30,2
358 175, 447 395 241 83 399 387 387
Adversus Valentinianos 1 156, 167, 180, 220, 231, 240, 283 1–6 33, 50 1,1–1,4 181, 202, 216 1,1 f. 37, 202, 250 1,1 29, 37–39, 41 f., 54 f., 58, 74, 81, 84, 89–91, 156, 159, 164, 173 f., 179, 181, 203, 213, 215 f., 218, 235, 238 f., 241, 249 f., 267, 278, 286, 290, 292, 341, 346, 360, 401, 405, 409, 422, 424, 427, 430, 447 1,2 39, 167, 170, 175, 225 1,3 3, 37, 85, 90, 162– 164, 177, 212, 241, 293, 395 1,4 31, 37 f., 42, 102, 156, 171, 175, 181, 185 f., 207, 212, 215 f., 242, 247, 249 f., 300, 312, 347, 438 2 f. 19, 37–39, 102, 169, 174, 177 f., 184 f., 187, 226, 405, 428 2 19, 180 2,1–3 194 2,1 181, 185 f., 190, 194 f., 214, 224 2,2 15, 19, 84, 185 f., 216, 428 2,3 19, 185, 193, 200, 210, 239, 335
2,4 3 3,1 3,2–4 3,2 f. 3,2
3,3 f. 3,3 3,4 3,5
4 4,1–3 4,1 f. 4,1
4,1b 4,2–4 4,2 f. 4,2 4,3 4,4 5 5,1
5,2 6 6,1–3 6,1 f. 6,1–2a
19, 40, 183, 185, 201, 224, 394 19, 180, 183, 194, 241, 267 185, 201–203, 214, 224, 284 253 270 24, 31, 37, 42, 164, 169, 180, 196 f., 205, 207, 210 f., 216, 241, 345 37, 74, 180 37, 56, 58, 168, 209 f., 271, 355 19, 162, 213, 218, 241, 270, 409 35, 37 f., 50, 52, 55, 178–180, 185, 197 f., 203, 215, 220, 234, 240 f., 244, 246, 312 40, 84, 85, 95, 103, 257, 296 f., 433 84 52, 82, 102, 219 6, 38, 81, 110, 189, 216, 219, 225–227, 233, 236, 351 220 219 f., 296 81, 84, 86, 95, 114, 219, 236 104 f., 230, 241, 259, 354, 443 40, 84 f., 90, 229, 234, 321 176, 233, 356, 441 40, 219, 393 3, 24, 51, 79, 90, 94 f., 97–99, 104, 109 f., 112, 115, 197, 219, 221, 238, 270 19, 219, 245, 273 240 50, 52, 218, 238 244 240
478 6,1 6,1b–6,2a 6,2 f. 6,2
6,2b–3 6,3
7–39 7–32 7–13 7 f. 7,1–3 7,1–3a 7,1 f. 7,1 7,2 f. 7,2 7,3 ff. 7,3
7,3b–8,2 7,3b 7,4 7,5–8,2 7,5 f. 7,5 7,6
7,7 7,8 8,1 f. 8,1 8,2–4 8,2 8,3–5
Register 51 f., 172, 218, 312, 347 242 35, 37 f., 49, 55, 60, 62, 180 38, 47, 49, 51 f., 55, 70, 78, 178, 217, 230, 241 f., 246– 250, 268 f., 357 240 22, 24 f., 31, 38, 42, 47, 54 f., 62, 65, 70, 236, 239, 244–246, 250, 273, 312 33, 47, 218, 244 9 f., 33, 50, 74, 88, 103 f., 219 f., 433 48, 74 f., 105 56, 175, 295, 313, 361, 374 260, 415, 419 252 90, 270 21, 185, 258, 361 255, 413 253, 349 256 12, 84, 87, 105 f., 208, 216, 230, 255, 261, 361, 414, 437 252 211, 224, 252, 437 24, 259 f., 264 261 433 f., 446 87, 105 f., 175, 189, 230, 265, 384 85, 106, 260, 265 f., 278, 295, 308, 353, 374, 437, 439, 440 305, 375 84, 208, 267, 271, 353, 399 445 106, 241, 270, 339, 446 303 241, 280, 427 f. 252, 273
8,3 8,4 9–12 9 f. 9,1–4 9,1 9,2 9,3 f. 9,3
9,4 10,1–5 10,1 f. 10,1 10,2 10,3 f. 10,3 10,4 f. 10,4 10,5 11 11,1–4 11,1–3 11,1 11,2–4 11,2
11,3 f. 11,3 11,4 12 12,1 12,2 12,3–5 12,3 f. 12,3 12,4
14, 24, 296 212, 267, 427 f. 269 271, 313, 318, 362, 414 252, 290 87, 106 f., 260, 279, 292, 306, 433, 437 107, 241, 281, 303, 319, 322 107 87, 105, 229, 280, 289, 313, 320, 325, 361 313, 322 252 291 86, 87, 107, 284, 293, 319 76, 212, 289, 310, 334 313 87, 105, 282, 292, 320, 326, 331, 361 313 87, 270, 292, 322, 338, 352, 399 305, 318 f., 405 252, 313 302 294 107, 266, 323 306 84, 91, 96, 107, 178, 228, 260, 302, 357, 409, 437 107 87, 302, 437 87, 215, 294, 301, 313, 434 252 306 f., 427, 428 106, 313, 318, 445 381 445 305, 307 22, 106, 305, 310, 313, 335, 374, 380, 386, 414
479
Stellen 12,5 13,1 f. 13,1 13,2 14–23 14 ff. 14 f. 14 14,1 ff. 14,1
14,2 f. 14,2 14,3 14,4
15 f. 15 15,1 15,2 15,3 f. 15,3 15,4 f. 15,4 15,5 16 f. 16,1 f. 16,1 16,2 16,3 17,1 f. 17,1 17,2 18 f. 18,1 18,2 18,3 19,1 19,2
21, 76, 241, 314, 323, 335 f., 422, 434 432 107, 252, 278, 308, 312, 315, 318 22, 74, 252, 310, 312 48, 74, 315 282 f. 362 f. 317, 414 389 19, 77, 241, 262, 322 f., 326 f., 335, 337, 340 f., 351, 389, 402, 405, 444 278 232, 323, 357, 372 326, 332 21, 77, 324, 328, 331, 334, 339, 343, 363 289 317 24, 229, 260, 368 327, 339, 362 f., 369, 398, 437 333 331 65 332, 398 345 317 341 19 320, 340, 343 f., 388 3, 266, 328, 344, 376 372 343, 409 342, 394 317 344, 414 161, 311, 348 f., 356, 372, 389, 427 87, 352, 378 87, 266, 345, 350, 356, 389 65, 84, 349
20 f. 20,1 f. 20,1 20,2 20,3 21,1 21,2 22 22,1 f. 22,1 22,2 23 23,1 23,3 24–32 24–26 24 24,1–3 24,1 f. 24,1 24,2 f. 24,2 24,3 25,1 25,2 25,3 26 26,1 f. 26,1 26,2 26,2b 27 f. 27 27,1 27,2 27,3 28 28,1 29 29,1–3 29,1 29,2 29,2a
317 361 77, 255, 353, 366, 415 87, 357, 421 84, 216, 233, 372, 415 19, 65, 87, 270, 350, 358 f., 399 216, 317 362 359, 362 87 317, 360 212, 392, 397, 413 362 74, 105, 315 365 368 19, 366 372 87 416 371, 376, 420 372, 429 321, 389, 415 373 87, 270, 371, 377, 399, 416 365 396 87, 212, 380–382, 394, 397, 400, 416 43, 56, 86, 88, 233, 299, 380, 437 365 365 56, 365, 380 88, 381, 385 f., 393 19, 88, 301, 389 6, 88, 391, 446 365, 393 19, 88, 397, 415 365, 393 365 88, 393, 397, 401 88, 377, 394 f. 393
480 29,2b 29,2c 29,3 f. 29,3–4a 29,3 29,3a 29,3b 29,3c 29,4 29,4a 29,4b 30 30,1 f. 30,1 30,2 30,3 31 f. 31,1 31,2 32,1 32,2 f. 32,2 32,3 f. 32,3 32,3b 32,4 32,4a 32,5 33–39
33,1 f. 33,1 33,2 34,1 f. 34,1 34,2 35,1 f. 35,1 35,2
Register 393 393 390 365 19, 88, 74, 270, 401, 418 393 393 393 39 393 365, 393 366, 412 257, 365, 378 f., 428 39, 88, 405, 407, 409, 427 84, 408 39, 365, 385, 414, 422 365 f., 412 19, 241, 325, 343, 409, 412, 422 352, 412, 414 19, 84, 212, 270, 377, 397, 420 412 19, 365, 375, 421, 429 428 21, 253 365 74, 77, 228, 241, 429 f. 365 19, 385 33, 50, 56, 74, 85 f., 103 f., 219 f., 257, 431 f. 88, 431 19, 74, 87 f., 91, 103, 296, 409, 431 22, 216, 270, 350, 399, 436 431 88, 290, 359, 435 22, 88, 435 431 88, 353, 437 260, 437
36,1 f. 36,1 36,2 37 37,1 f. 37,1 37,2 38 39,1 f. 39,1–2a 39,1 39,2
Apologeticum 1 1,1 1,2 2,13 2,14 2,17 2,18 3,1 3,3 4,7 4,8 5,30 7–9 7,3 7,6 8,4 9,6 9,13 9,16 10–45 10,11 11,9 11,14 11,15 13,11 14,6 15,1 15,2 f. 15,5 15,7 15,8 16,10
369, 431, 441, 444 88, 359, 440 88, 353 92, 431 431 88, 224, 233, 356, 421, 437 437, 442 228, 319, 353, 359, 431 299 431 88, 374 6, 81, 84, 88 f., 214, 233, 356, 441
42 31, 200, 203, 361 31, 403 198 31 66 198 424 300 447 414 100 31 281, 292 164 167 f. 162 253 66 31 419 401 312 113 66 289 67 315 66 162 367 202
481
Stellen 16,12 16,3 17,1 17,2 17,3 17,6 18,1 18,2 18,4 18,5 18,7 18,8 19,6 21,5 21,7 21,10 f. 21,10 21,14 21,17 21,28 22,6 23,1 23,7 23,11–16 23,12 23,13 24 24,1 25,3 25,7 25,9 27,4 29,4 33,1 35,6 36,3 38–40 38,1 39,3 39,9 40,7 40,10 46–49 46,2 46,8 46,9 46,10 46,11 47,2
66 163 204 204, 260, 265, 301 204 204 205 206, 335 66 86 86 86 86 292 333 366 358 159, 440 335 300 334 440 186 66 159 66 207 163 277 336 231 31 249 112 296 277 267 267 211 237 419 447 23 31 328 358 296 279 109
47,3 47,6 47,4 47,10 47,12 48,1 48,2 48,11 48,12 48,13
113 262 186 221, 261 66 424 363 265, 300 300 429
De Anima 1,6 2,1 2,2 2,3 2,5 2,7 3,3 3,4 5,5 6,3 6,4 6,7 8,7 9,2 9,3 9,4 9,6 9,8 10,1 11,1 11,3 12,1 12,2 12,3 14,4 16,1 16,2 16,4 18 18,3 18,4 18,5 18,7 19,3 19,4 20,1 20,6
187, 296 204 179 328 447 213 109 174 284 346 421 194 187 421 233 26, 111, 233, 319 375 173, 420 187 187, 404 383 82 266 387 363 447 204 342 f. 203 41 6, 83, 90, 214, 448 421 186 311 338 24, 112 396
482 21,1 21,3 21,4–6 21,4 21,6 23,2 23,4 23,5 24,1 24,7 24,11 25,2 27,7 28,1 28,2 30,4 32 33,2 33,4 33,8 34,2 36,4 37,4 38,6 40,3 43,9 46,3 46,10 46,13 47,2 50,3 53–58 53,1 53,2 53,6 54,3 55,2 55,5 57,5 58,45 De Baptismo 2,1 3,1 3,3 3,5 4,1–4 5 8
Register 83, 394 3 399 212, 342 400 360 383, 419 176 421 260 447 370 368 f., 373 328 109, 170 447 184 303, 328 312, 386 253 225 375 353 421 370 396 294 67 170 322 330 418 428 418 418 296 433 51 160 194
186 333 361 367 f., 370 237 168 195
8,1 8,3 f. 8,4 8,5 9,4 10,7 11,2 17,5 20,5
363 183 f. 183 425 217 425 186 325 11, 321, 372
De Carne Christi 1,4 2 2,5 3,8 4,1 5,10 7,1 8,3 9,2 9,5 12,2 13,1–4 13,4 15,1 15,3 15,4 16,1 17,1 19 ff. 19,1 19,2 20 f. 20,3 20,5 24,1 24,2 25,1
83 385 321 183 447 186, 440 51 51 370 333 399 348 186 83, 90, 275 84, 89, 91, 95 345 84, 95 84, 91, 95 384 241, 372 83 384 84 385 405 84, 96 384
De Corona Militis 5,1 7,3 7,4 10,56
112 309 333 157
De Cultu Feminarum I 2,4 161 I 3,3 325 I 7,2 12, 314
483
Stellen II 2,5 II 2,15 II 3,3 II 6,4 II 11,1 II 13,7
284 223 170 429 448 406
De Exhortatione Castitatis 4,2 433 5,1 370 6,3 447 7,3 26 12,5 414 13,4 428 De Fuga in Persecutione 1,7 409 13,3 338 De Idololatria 3,1 5,1 7 f. 7,1 8,1 9,1 9,6 9,7 10 10,3 10,4 f. 10,7 18,3 18,7
272 201 111 201 256 399 440 109 16, 26 296 15 296 336 336
De Ieunio Adversus Psychicos 3,2 354 7,7 109 11,5 112 14,2 f. 353 15,2 353 16,5 336 16,8 386 17,6.9 284 De Monogamia 6,1 7,9 8,7
112 112 184, 296
9,1 10,5 10,6 12 12,2 16,1 16,4 16,5 17,1
172 428 428 112 26 67 414 331 112
De Oratione 1,1 f. 3,3 6,2 15 15,1 16,2 16,4 28,1
112 429 112 172 236 186 296 305
De Paenitentia 12,7 12,9
284 161
De Pallio 1,1 3,2 3,2,2 3,3 4,2 4,3,1 4,3,3 4,4 4,7,3 4,8,4 4,9 5,1,3 5,6,3 6,2
300 198 70 249 296 310 376 293 170 310 231 438 309 110
De Patientia 2,3 5,7 8,1 10,4 13,2 15,7 16
448 318 244 191 447 318 172
484 De Praescriptione Haereticorum 1,1 28, 30, 89 2,7 246 3,2 f. 221 3,9 412 4,5 159 4,6 180, 239 6,2 158 6,4 43 7,3 23, 82, 173, 226, 342, 377 7,4 296 7,5 82 7,7 159, 213 7,9 23 7,9–11 13 7,10 186, 191 8,1 173 8,8 158 9,4 186 10,2 196 10,4 196 10,7 f. 82 12,1 41 12,5 187 13 37, 335 13,1–6 187 14,1 334 16,1 173 19,2 43 20,1 112 27,2 173 29,2 83 29,3 233 30 236 30,1 f. 82, 222 30,1 226, 305 30,2 110 30,4 239 30,11 82 30,12 82, 237 30,13 236 31,1 236, 360 32,8 110 33,4 83 33,7 83 33,8 82, 159, 213 f., 229, 353 33,12 193
Register 34,4 34,5 35,1 f. 36,1 36,5 37,1 37,2 37,3 37,3 38,8 38,8 f. 38,9 38,10 39,1 39,2 39,4 39,6 39,7 40,2 40,4 40,8 41–44 41,1 41,3 41,4 42,6 42,7 42,8 42,10 43,1 43,2
82 360 248 110, 296 403 42 158 175 82, 234 82, 366 178 175 82, 237 239 173 13 175 237, 239 360 168 360 43 43, 249, 403 43, 187 225, 234 234 234 83, 234 292 440 43
De Pudicitia 1,1 1,6 4,3 5,9 5,15 6,1 7,20 8,12–9,1 9,3 10,7 10,12 13,14 13,25 16,12 16,24 18,4
249 255, 441 447 217 379 55 201 237 172 249 325 284 413 447 175 296
485
Stellen 18,8 21,16
413 343
De Resurrectione Mortuorum 1,1 42 2,3 83 2,8 204 2,11 187, 217, 304 3,1 112 4,2 383 5,1 16, 187 5,4 370 5,5 399 6,5 333 7,2 244, 372 10,1 417 10,2 417 10,5 417 11,9 366 14,5 112 16,8 311 19,2 172, 390 19,6 172, 241, 383, 405 22,11 360 24,3 383 26,6 333 27,4 270 27,5 386 30,5 174 40 420 41,5 429 42,2 f. 429 42,2 429 42,8 417 42,13 429 43,4 428 45,15 395 47,17 199 48,1 367 49 370 51,6 399 54,2 429 56,2 83 59,2 417 59,3 417 59,6 84, 417 59,7 417 62,1–4 429 63,6 241
63,7 63,8
334 395
De Spectaculis 1,5 2,2 2,3 2,4 3,3 3,7 3,6 5–13 5,5 7,8 8,1 8,8 9 11,5 11,8 15,3–8 15,3 16,2 f. 17 17,2 17,5 18,3 23,4 25,5 27,4 28–30 29,3 29,4 30,3–5
292 333 204 335 296 296 296 178 423 157 209 111 267 157 157 16 292 439 76 76, 287, 310 310 199 74 315 296 406 411 186 425
De Testimonio Animae 1,6 187, 296 2,3 339 4,1 339 De Virginibus Velandis 1 37, 335 1,2 112 1,3 158 1,4 399 1,9 354 8,3 112 10,1 112, 216 10,4 447 11,10 112, 205
486 12,3 12,5 14,5 16,2 17,9 Scorpiace 1,3 1,5 1,7 f. 1,7 1,13 2,12 3,2 4,1 4,3 5,11 5,13 6,1 f. 6,7 7,1–3 7,2 7,4 7,7 8,1 8,6 9,1 9,8–13 10,1 10,4–6 10,14 f. 12,1 15,1 15,6
Register 434 434 434 205 11
3 6, 84, 89 f. 187, 198, 227, 272, 448 404 187 404 f. 368 403 403 55 354 403 403 403 191 305 266 112 403 112 296 404 84, 257, 407, 425 407 407 296 183, 184 84
Ps.-Tertullian Adversus omnes haereses 5,2 224 Theodosius Codex Theodosianus VII 6,3 314 Schriften aus Nag Hammadi und gnostische Schriften Apokryphon des Johannes (NHC II,1)
12,20
324
Philippusevangelium (NHC II,3) 67,16 414 69,14–71,10 410 85,33 414 Tractatus Tripartitus (NHC I,5) 122,21 414 128,33 414 135,31 414 Testimonium Veritatis (NHC IX,3) 32,22–25 381 Pistis Sophia 136
324
Nicht-christliche griechische und lateinische Autoren Alkinoos Didaskalikos X3
259
Anaximenes Rhetorica ad Alexandrum 21,1 57 Anonymus Rhetorica ad Herennium I 3,4 44 I 12 f. 45 I 8,13 45, 48, 159 III 13,23 44 IV 45,3 249 IV 54,67 242 IV 55,68 241 Apuleius Apologia 41 53 55 72,2 f.
248 248 248 13
487
Stellen De Platone et dogmate eius I5 441 Florida 18 18,8 18,11
75 13 270
Metamorphoses I1 I 1,1 I 8,5 III 15,4 V 19 VI 4 VI 31,6 VII 18 VIII 22 IX 14 IX 30,1 X 2,4 X 29,5 XI 11,3 XI 23,5
67 67, 159 75 169 199 211 383 338 211 211, 338 68 68 75 177 68
Aquila Romanus Rhetores latini minores §7 57 Aristoteles Poetica 1449a
69
Ethica Nikomacheia IV 14,1127b–1128a Äsop Fabulae 101 219
308 308
Aulus Gellius Noctes Atticae V 14,21
254
Catull Carmina 3,10
331
69
Cicero De Inventione I 20 I 20–25 I 22 I 27 I 28 I 30
35 35 37 44–46, 159 44 44
De Oratore II 115 II 116 f. II 178 II 216 II 217 II 219 II 227 II 229 II 236 II 237 f. II 238 II 239 II 240–243 II 244 II 247 II 248 II 250 II 253–256 II 256 f. II 256 II 258–263 II 260 II 264–289 II 269 II 271 II 289 II 307 II 315 II 316 II 317 II 318 II 320 II 321 II 322 II 325 II 328 II 330 III 55 III 204 f.
5 46 47 62 62 64 62 63 62 f. 63 63 63 64 64 63 63 f. 64 64 64 63 64 63 64 61 64 64 33 35 35 35 36 36 36 f. 37 36 45 44 113 180
488 Orator II 316 f. II 325 III 162
Register
246 246 253
Partitionis oratoriae 9,31 44 De finibus bonorum et malorum 4,13 44 De fato 17
339
De provinciis consularibus 14 75 De legibus II 33 III 5
112 111
Epistulae ad Atticum I ep. 18,3 112 IV ep. 16,3 111 XIV ep. 14,1 157 Tusculanae disputationes I 68–70 203 IV 16 203 V 36,103 111 De natura deorum I 59 I 113 I 117 II 8 II 12 II 72 II 97 III 5
111 f. 111 f. 162 162 162 163 203 163
Topica 12
270
De re publica IV 3
112
De lege agraria II 96
256
Pro M. Caelio 17
256
Pro Archia 11
248
Epistulae ad Familares VII ep. 1,2 112 IX ep. 16,7 309 XV ep. 16,3 157 In Verrem I 35 II 5,39
203 203
In Catilinam I 22
203
Columella De re rustica V 7,3 XII 52,11
374 412
Ennius Annales 1 51
253 253
Hesiod Opera et dies 80–82
309
Homer Ilias I 426 XI 624–637
254 309
Horaz Epistel II 1,50 f.
253
Satirae I 10,54 II 3,86 II 3,239–246
254 309 309
Carmen saeculare I 16,13 368 III 1,2 69
489
Stellen III 28,7 f. III 29,4
412 412
Ars Poetica 97
310
Iulius Obsequens Liber Prodigiorium 22 436 Juvenal Satirae III 158 III 190–202 VIII 186 VIII 187
311 258 325 325
Livius Ab urbe condita libri I 9.13 423 I 13,4 f. 324 I 16,5 f. 111 II 23,2 f. 285 V 2,10 439 Lucrez De rerum natura I 330–334 I 439
319 319
Martial Liber Spectaculorum 7,4 325 Numenios Fragmenta (des Places) frg. 11 259, 266 frg. 15 259, 262, 264 f. frg. 16 259, 266 Ovid Metarmorphoses I 151 I 152 I 163 I 168 I 171 f. I 175 f. II 775
254 254 254 254 254 254 21, 284
III 318–320 IV 271–288 IV 285–287 V 402–406 VII 290 XIV 37–39 XIV 578–80 XIV 805–815 XV 329
305 330 330 329 284 355 284 254 330
Phaedrus Fabulae Prol. I3
70 308
Platon Parmenides 130cd
69
Philebus 48c
69
Politicus 606c
69
Plautus Amphitruo 15 f. 59 63 861–864 1146
68 76 76 254 315
Asinaria 13 f. 906
68 315
Captivi 54
68
Casina 21 f.
68
Curculio 474 729
306 315
Epidicus 166
203
490 402 733 Menaechimi 4 86b 1 1162
Register 256 315
68 41 315
Miles Gloriosus 1437
315
Persa 857
315
Poenulus 126 1422
68 315
Stichus 775
315
Trinummus 22 1189
68 315
Truculentus 968
315
Plinius der Ältere Naturalis historia II 230 II 231 VIII 29 VIII 145 X 52 X 80 XXIX, 123
330 330 373 439 383 285 241
Plotin Enneaden II 9,15 II 9 [33] 1,57–63 II 9 [33] 4 f. II 9, 421–24 II 10, 17–23
262 268 279 320 320
Plutarch De fortuna Alexandri 4,3 f. 330
77,2
330
Alcibiades 22
164
Quintilian Institutio Oratoria I 2,4 II 4,16 II 20,9 III 5,2 IV 2,31 IV 2,82 IV 2,121 V 1,1 f. V 1,1 V 8–12 V 13,1 V 13,23 VI 1,32 VI 1,48 VI 3,7 VI 3,11–14 VI 3,22–28 VI 3,23 VI 3,35–46 VI 3,72 VI 3,85 VII, 10,5–7 VIII 6,54 IX 2,44 X 3,32 f. XII 1,33
159 440 113 35 44 49 433 46 46 47 46 47 75 63 64, 250 62 64 47 63 75 64 33 58 57 243 225
Sallust De coniuratione Catilinae 2,9 322 Seneca Naturales quaestiones III 20,6 330 De tranquillitate animi 11,8 75 Sextus Empiricus Adversus Mathematicus 7,94 276
491
Stellen Statius Silvae I 6,12 Strabo Geographica XIV 1,41
355
315
Eunuchus 44 540 1094
68 306 315
293
Sueton Augustus 10,3
401
Caligula 57,3 f.
325
Galba 13,1
425
Tacitus Historiae 3,74 3,85
880
Varro Saturae Menippaea 164 157 562 157 De lingua Latina V 22 V 30,160–163 V 30,162
386 254 254
Vegetius Renatus De re militari I 13,3 245 439 439
Terenz Adelphoe 24 f. 997
68 315
Andria 24 981
68 315
Heautontimoroumenos 35 f. 68 1067 315 Phormio 30 1055
68 315
Hecyra 55
68
Vergil Aeneis III 390–393 V 71 VI 93 VII 9–14 VII 45–49 VIII 42–45 X5 XI 479 f.
20 69 20, 288 209 210 20 254 20, 288
Georgica 2,238–247
329
Vitruv De architectura II 8,12 II 8,17 VIII 2 f.
330 256 329
492
Register
Sachen, antike Namen, Orte Sach-, antike Namen- und Ortsregister Abel 146, 394–397, 416 Commutatio 160, 179, 184 Achtspanner 439 Conciliatio 189 Adam 140, 143, 146, 195, 354, 373– Confutatio 46, 53 376, 394–396, 416 Aeneas 209, 288 Dämonen 31, 66, 141, 359 Affekt 5, 36, 38, 47, 49, 59 f, 62, 70, Demeter 164–167, 169 203 Demiurg 19, 77, 84, 103, 135, 138–147, Äsop 308 f., 313 149 f., 266, 317, 328, 346–361, 363, Alarich 165 365–367, 370–376, 381, 384, 388, Allegorie 171 f. 390–393, 397, 400 f., 414 f., 418– Alliteration 161, 170, 207, 218, 331, 420, 427 f. 336, 339, 413, 441, 444 Diatribe 38, 102, 176 Anapher 162, 206, 249 Doketismus 389 Anthropologie 52, 83, 365, 377, 383, 393, 412 Einfalt 119 f., 178, 180, 182–185, – trichotomische A. 365, 393 190 f., 193, 196, 198 Antiochia 122, 231, 299 – Herzenseinfalt 39, 186 f., 189, 191 f., Apelles 51, 84 196 Apologetik 29 f. – Tauben-Einfalt 180, 182–184, 195 Apologie 29, 30, 64, 108 Eleusis 39, 102, 156, 164–168, 173, Apuleius 9, 12–15, 26, 67 f., 75, 110, 175, 216, 309 159, 236, 248, 309, 338, 394 Emanation 83, 105 f., 196, 211, 214, Archonten 324 228, 256, 262–264, 266–269, 271 f., Argumentatio 46, 49, 54 276, 288, 292, 294, 296, 304 f., 313, Atellanae 76, 287, 310 f. 335, 384, 434 f., 438–440, 442 f., Auferstehung 3, 54, 66, 83, 383, 388, 445 f. 417, 428 f. Engel 133 f., 139–141, 149 f., 311 f., – Auferstehung des Fleisches 89 314, 322 f., 335 f., 341–343, 350, Augustin 9, 12, 15, 25, 33, 319 359, 372, 392, 409, 422–425, 427, Autoritätsargument 19, 238, 300 429 Axionicus 86, 122, 231, 296, 299 – Ehrengeleit der E. 136, 335 f. – Engelin 150, 429 Bardesanes 299 – Engelgleich 137, 341 Byrsa-Hügel 31 – Engelschar 337 Bythos 83, 101, 105–107, 125, 150 f., – Erzengel 139 f., 349 f., 354 177, 196, 208, 242, 259–265, 267– Ennius 15, 21, 124, 252–254, 257 f., 270, 273, 278, 288, 290, 304, 349, 422 361, 432 f., 435–437, 446 Ennoia 125, 263, 434 f. Epikur 24, 125, 134, 262, 319, 393 Catull 21, 77, 135, 325 Epiphanius 86, 100, 103, 109, 299, 341, Cicero 5, 15, 20, 24 f., 33–37, 45, 47, 379, 448 55, 57, 61–64, 69, 71, 111, 162, 189, Epitheton 105, 183, 209, 217, 253 f., 203, 220, 245 f., 248 f., 253, 256, 341, 357, 424 274, 308 f. Eschatologie 52, 83, 293, 366, 411 f., Clemens Alexandrinus 71 f., 166–168, 422, 429 227, 295, 297 f. Ethik 52, 54, 103, 404, 412
Sachen, antike Namen und Orte Etymologie 163, 253 f., 261, 265, 310 Euseb 12, 25, 97, 108–111, 299 Evangelium 2, 19, 48, 146, 182, 392, 433 Exordium 5, 9 f., 31, 33–38, 44, 50–52, 55 f., 60, 65, 71, 94, 101 f., 114 f., 185, 208, 228, 240, 245, 247, 249– 251, 253, 264, 268, 284, 286, 341, 347, 349, 355, 357, 424, 427, 445, 448 Fabula 45, 47–49, 54–56, 68, 74, 76, 94, 102, 114, 159 f., 208, 210, 213, 215, 218, 238, 244, 287, 310, 368, 423, 426, 430, 432, 447 Fenestella 22, 151, 436 figura etymologica 174, 178, 250, 255, 337, 358, 361, 384, 399 Forensik 15, 25 Frucht 265, 285, 291, 307 f., 372, 374, 381, 409 – Leibesfrucht 341–343, 374 – F. (hervor)bringen 269, 271, 305 Fruchtbarkeit 126 f., 165, 271, 276, 280, 285, 337, 341 Gaius Romanus 111 Gallien 90 Geheimhaltung 54, 118, 161 f., 164, 167–170, 220, 242, 250 Geryon 21, 143, 376 Gladiatorenkampf 35, 55, 245 Gott 31, 40–42, 66, 119, 122, 126, 131, 133, 135, 137 f., 142, 149, 159, 163, 190 f., 204, 207, 301, 316, 340, 344, 366–368, 405, 417–420, 428, 437, 446 – Gott der Valentinianer/ Gottheit 42, 105 f., 124 f., 153, 169 f., 208, 212, 228, 230, 252, 254–265, 267–270, 275 f., 300 f., 308, 332, 340, 345, 361, 408, 414, 420, 435 f. – Schöpfergott 82, 204–206, 256, 261, 328, 345 f., 356, 358, 370 f., 373 – Sonnengott 209, 255, 267 – Zweiter Gott 82, 265 Gotteserkenntnis 24, 40, 180, 196 f., 203–207, 210, 268, 294, 300, 345
493
Gotteslehre 52, 56, 74, 211, 241, 254, 261, 295, 313, 366 Hapaxlegomenon 74, 161, 224, 243– 245, 294, 313, 319, 329, 337, 339, 341, 360, 363, 368, 374, 382, 385, 387, 389, 391 f., 398, 402, 411, 413 f., 421, 425, 429, 432, 434 f., 437, 444–446 Hendiadyoin 261, 292, 319, 331, 336, 399, 410 Heracleon 86, 122, 227, 230, 297 Hermes 327 f., 330 Hermogenes 34, 137, 235 f., 339 f., 344, 350 Hesiod 21, 133, 308 f. Hieronymus 11, 26, 108 f., 111 Hippolyt 91, 97, 166, 169, 224, 227, 231, 295, 297–299 Homer 15, 21, 124, 253, 254, 309 Hyperbaton 294, 332 Iao 134 f., 324 Inner-circle 39, 92, 159, 164 Insula Feliculan 12, 257, 419 Invektive 59 f. Invidia 21, 284 Ironie 3, 23, 49, 55, 56–58, 61, 64, 72 f., 88, 216, 234, 250, 264 f., 275, 277, 292, 313 f., 323, 327, 346, 348, 382, 402, 409, 415, 425 f., 430, 433 Jesus 83, 106, 132, 136, 144 f., 153, 192 f., 195, 307 f., 310 f., 322, 324, 333–337, 341, 383–386, 406, 414, 444 f. – Jesus-Soter 313, 380, 389 Jupiter 124, 254, 258, 305 Jurist 25 f. Justin 81, 94, 96–100, 109, 113, 115, 123, 227, 238 Kain 146, 394–397 Kampf 4, 23, 35 f., 39, 51, 55 f., 91, 98, 115, 124, 127, 176, 178, 187, 217, 245 f., 248 f., 251, 274, 288, 422 f. Kampfesrhetorik 3, 55, 178, 215, 217 f., 244 f.
494 Karthago 2, 3, 9, 11–15, 17, 22, 25 f., 31, 33, 75 f., 89–91, 94, 111, 127, 203, 273 f., 287, 296, 300, 315, 331, 345 Klimax 6, 310, 411, 422 Komödie 62, 68–70, 73, 75 f. 129, 287, 311, 427 Kore (Persephone) 165–167 Korinth 193, 239 Kosmos 204, 332, 399 – Weltenkosmos 352 Kosmologie 265, 52, 419 Kunstmythos 79, 91 Kyklos 202 L. Metellus (Konsul) 436 Lamia 20, 58, 120, 209 f. Laureol 77, 135, 325 Lavinia 20, 288 (Lehr-)Topoi 35, 56 Lex Iulia de maritandis ordinibus 343, 414 Lex Papia Poppaea 414 Lucilius 209, 254 Lucius Accius 22, 309 Luna 436 Marcioniten 90 Marcus Magus 86, 122, 224, 228, 424 Markion 2, 3, 23, 53, 97, 178, 222, 262, 305, 333, 417 Martyrium 6, 9, 96, 121, 147, 191, 221, 257, 403 f., 407 Materie 130, 135, 137, 142, 259, 266, 267, 270, 282, 289, 291, 317 f., 327, 338–340, 343 f., 347, 351, 362, 366, 368–371, 382, 417, 425 Menander 77, 97, 299 Mensch 21, 42, 47, 63, 85, 88, 90, 92, 142, 146, 150, 158, 188, 195, 203, 205, 207, 210, 232 f., 246, 304, 365, 371, 373, 374, 376, 394 f., 397, 400, 404, 407, 411 f., 416, 419 f., 424, 428 f. – Menschenschöpfung 345, 357, 365, 369–371 – Menschenerschaffung 267, 282, 366– 370
Register – Menschenklassen(lehre) 365, 375, 377, 394, 420 – choischer/materieller/stofflicher M. (Choiker) 149, 367, 370, 377 f., 382 – beseelter/seelischer/psychischer M. (animalis) 43, 144, 160, 370 f., 378– 380, 382 f., 404 – geistiger/pneumatischer M. 375, 378 f., 419–423, 425, 427 – Äon M. (Homo) 126–128, 152 f., 269, 271–273, 275, 375, 440, 445 f. – Innerer M. 149, 365, 375, 419–421 Miltiades 94, 108–110, 113, 115, 123, 238 Mimus 21, 76 f., 325 Monade 442 Monarchianer 358 Monogenes 125–127, 130 f., 151, 266 f., 289, 292, 295, 301, 435 Montanisten 90, 108–111, 221 Mysterienkult 102, 156, 162, 164–168, 250 Mysterium 164, 167 f. Mythos 43, 49, 61, 65, 72, 77, 84, 92, 107, 159 f., 165 f., 172, 175, 178, 196 f., 210–212, 241, 247, 259, 266, 268 f., 271, 276, 278–280, 283, 285, 287, 290, 292, 296, 304–308, 311 f., 314 f., 318, 320, 327, 332, 338, 341, 345 f., 349, 351, 361, 363, 370, 372 f., 375, 380 f., 389, 405, 409– 411, 414 f., 419 f., 427 Nachspiel 74, 150, 432 Narratio 5, 17, 21, 33 f., 38, 40, 43–50, 52, 54, 56, 65, 72, 74, 99, 101 f., 108, 114, 174 f., 191, 211, 218, 220, 228, 236, 240, 244 f., 247, 251, 270, 419, 430 Nordafrika 12, 13, 25, 53, 157, 191, 201, 258, 309 Offenbarung 24, 42, 55, 121 f., 165– 167, 169 f., 203, 205 f., 217, 233, 379 Ogdoas 151–153, 353, 433, 437–440, 444 Onesmius 77, 150, 423, 425 Origenes 227, 230, 259
Sachen, antike Namen und Orte Outer-circle 32, 39, 92, 159 Ovid 20 f., 132, 254, 284, 304 f., 330 Oxymoron 250 Pandora 21, 133, 308 f. Parallelismus 29, 161, 184, 195 f., 214, 249, 300 Paulus 6, 18, 39, 82, 191–193, 210–213, 225, 238 f., 333, 335, 395, 429 Personifizierung 105–107, 230, 259 Pflicht 118, 124, 137, 161 f., 164, 175, 247, 250, 336 Phaedrus 70, 308 Philetus 128, 147, 150, 280, 303, 322, 405, 427 Phosphorus 127, 273–275, 277, 303, 310 Platon 6, 15, 24, 69, 166, 228, 327, 358 Platonismus 92, 226, 327 Plautus 15, 68, 75 f., 161, 254 f., 274, 308, 386 Plinius 15, 20 f., 200, 241, 285, 373 Pneumatiker 408, 410 Polynome 259, 263, 325 Praemunitio 19, 38, 39, 102, 180, 214, 216, 405 Praxeas 2, 53, 93, 187, 222, 230, 259, 319 Proclus 111 Proculus 3, 78 f., 94, 108, 110–113, 115, 123, 221, 235, 238 Proklos 111 Prolog 67 f., 70 Psychiker 402, 408, 410 Ptolemäus 20, 33, 74, 81, 84–88, 90, 98 f., 101–105, 115, 122, 139 f., 150, 219, 224, 227–230, 275, 299, 308– 310, 350 f., 354 f., 365, 391, 411, 431, 433, 443, 445 Q. Fabius Maximus (Konsul) 436 Quintilian 44, 49, 57, 62–64, 249 reductio ad absurdum 33, 56, 74,104, 432 Refutatio 33, 46, 49, 51–54, 56, 237, 241, 244, 246, 358 regula fidei 3, 37, 41 f., 80, 158, 187, 196, 221, 355, 399
495
Rhetorica ad Herrenium 34, 45, 242, 249 Rhetorik 24 f., 45, 48, 58, 61 f., 183, 247 – antike Rhetorik 4, 12, 34, 43 f., 50, 56, 58 f., 156f., 244, 248 – christliche Rhetorik 11, 31 – Rhetoriklehrer 15, 24, 26, 273 f. – Rhetorikschule 14, 24, 296 Rhetorische Frage 65, 76, 83, 184, 191, 211, 233, 269, 277, 285 f.,, 293, 305, 333, 350, 410, 421, 422, 438 Rom 12, 17, 20, 25, 85, 89–91, 96, 110 f., 210, 226, 256–258, 311, 422, 425, 438 Satire 60, 67, 70, 309 Same 6, 43, 83, 107, 121 f., 125, 145, 147 f., 154, 214, 224 f., 264, 321, 404, 412 f., 426, 446 – Pneumatischer S. 39, 143 f., 160, 233, 321, 372–375, 383, 386, 391, 398, 400–405, 408 f., 412 f., 418, 420, 423–425, 428 f., 447 Schöpfung 159, 203–205, 207, 271, 333, 335, 351, 355, 358, 369, 370 – Schöpfungsgeschichte 367 f. – Menschenschöpfung 345, 365, 370 f. – Schöpfungsakt 204, 346, 367 – Schöpfungsmittlerschaft 289, 335 – Valentinianische Schöpfungslehre 355, 365 Secundus 86 f., 122, 153, 224, 228, 431 f. Seele 146 f., 149, 162, 184, 187, 203– 206, 210, 268, 301, 339, 344, 346, 373 f., 376, 386, 390, 394, 397, 400– 402, 404 f., 407, 412, 417 f., 420 f., 424, 428 f. – Seeleneinhauchung 374 f., 420 – gute S. 146, 397–399 – schlechte S. 147, 397, 399 Seth 146, 394–398, 416 Sige 83, 106 f., 125 f., 128, 175, 224, 242, 263–265, 267, 278 f., 288, 302, 434 Simon 97, 225 Sophist 13, 15, 26, 109 f., 113, 123
496 Soter 132 f., 136, 138 f., 144–146, 148 f., 266, 308 f., 312–314, 318, 334 f., 345, 349 f., 380–382, 386– 389, 392 f., 411, 414, 422, 444 Soteriologie 52, 412 Stoa 23, 31, 203, 226, 261, 348, 369, 426 Syllogismus 46, 89, 369 Syntagma 96–99 Terenz 20, 68, 75, 189, 274, 308 Tetrade 151, 153, 437 f., 443 f. Teufel 38, 141, 183, 195, 317, 359 f., 362 Theater 22, 73–75, 77 f., 215, 315, 319, 352, 423, 425, 431 f. – Theaterstück 77f., 252, 432 – Theateraufführung 70, 422, 426 – Theaterbühne 22, 74 f., 315, 415 Theletus 127, 280, 405, 427 Theotimus 86, 122, 230 (Lehr-)Topoi 35, 56
Register Tragödie 21 f., 45, 74–76, 129, 133, 252, 275, 287, 314–316 – Tragödienaufführung 74 – Tragödiendichter 22, 309 – Tragödiendichtung 315 – Tragödienliteratur 76, 287 – Tragödienschauspieler 74 – Tragödienstoff 48 Trikolon 167, 170, 174, 199 f., 206, 256, 276, 284, 290, 313, 329, 382, 384, 386, 427 f., 441 f. Valentin 10, 23, 40, 42, 81–90, 95, 98, 102–105, 109, 115, 119, 121 f., 131, 139, 149, 156, 178, 213 f., 219–222, 224–231, 233, 263, 275, 282, 294, 296–299, 350, 351, 359, 377, 383, 407, 419, 432 Varro 200, 253, 441 Vergil 20, 70, 210, 253, 329 Zweite Sophistik 13, 26, 222