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German Pages 324 Year 2017
Maria Grewe Teilen, Reparieren, Mülltauchen
Kultur und soziale Praxis
2017-03-01 10-31-59 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 024f454727219776|(S.
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4) TIT3858.p 454727219784
Maria Grewe, geb. 1987, Kulturanthropologin, promovierte zu alternativen Wirtschafts- und Konsumpraktiken. Sie war Stipendiatin des Projektkollegs »Erfahrung und Umgang mit Endlichkeit« des Collegium Philosophicum der Universität Kiel und lehrte am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Freiburg.
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Maria Grewe
Teilen, Reparieren, Mülltauchen Kulturelle Strategien im Umgang mit Knappheit und Überfluss
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Die vorliegende Arbeit wurde am 22.07.2016 vom Dekan der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel als Dissertation mit dem Titel »Teilen, Reparieren, Mülltauchen. Eine Ethnographie des Umgangs mit Knappheit und Überfluss« angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
1. Einführung | 7 2. Wirtschaften mit Knappheit und Überfluss als (kultur-)wissenschaftliches Forschungsfeld | 17
2.1 Wirtschaft und Konsum im (kultur-)wissenschaftlichen Diskurs | 22 2.2 Dinge und Waren in der Kulturanalyse | 39 2.3 Theorien sozialer Praxis: Lebensstil – Agency – communities of practice | 49 3. Die Forschungsfelder: Stand der Forschung | 59
3.1 Secondhand-Kleidung | 59 3.2 Reparieren – Flicken − Umnutzen | 63 3.3 Das Mülltauchen | 72 4. Zum Forschungsdesign | 81
4.1 Zugang, Quellen, Methoden | 84 4.2 Auswertung der Daten | 89 4.3 Potentiale und Grenzen komparativer Forschung | 91 5. Das Kleidertauschen: Tauschobjekte − Konsum − Raum | 95
5.1 Kleidung als Tauschobjekt | 102 5.2 Tauschen als Gegenkonsum | 120 5.3 Tauschpartys als Events | 130
6. Repair Cafés: Infrastruktur − Raum − Akteure | 145
6.1 Das Handbuch als Materialisierung von Infrastruktur | 149 6.2 Reparieren als Protestpraxis | 157 6.3 Repair Cafés als soziale Orte | 172 6.4 Repair Café als ökologische Praxis | 185 7. Das Lebensmittelretten: Netzwerke − Protest − Raum | 193
7.1 Mülltauchen als soziale Praxis | 204 7.2 Mülltauchen als Protestpraxis | 222 7.3 Lebensmittel und die Materialisierung von Überfluss | 234 8. Der vergleichende Blick – Infrastrukturen der Nachhaltigkeit | 251 9. Fazit | 277 10. Literatur | 285 11. Quellenverzeichnis | 311 12. Danksagung | 321
1. Einführung Kulturelle Strategien im Umgang mit Überfluss und Knappheit Das 21. Jahrhundert stellt die Menschen vor diverse Herausforderungen: Das „Jahrhundert der Dinge“ 1 , das „Jahrhundert der Ökologie“ 2 und überall „Krisen“3. Wir seien den Dingen, die uns in immer größerer Zahl umgeben, rettungslos ausgeliefert, so der Ethnologe Hans Peter Hahn.4 Dabei werden die Auswirkungen des wachsenden Sachbesitzes auf das menschliche Befinden bisher nur unzureichend untersucht, so die Diagnose von Hahn – ebenso unzureichend, wie die Frage nach dem, was nach der Nutzung von den Dingen übrig bleibt, so könnte man hinzufügen. Dinge als „Materialisierung von Kultur“5 stehen heute angesichts von Konsum- und Wegwerfgesellschaften in dreierlei Hinsicht im Zentrum sozialer Aushandlungsprozesse: Erstens im Rahmen der Wahrnehmung von Überfluss, zweitens im Kontext der Wahrnehmung von Knappheit und begrenzten Ressourcen sowie drittens im Kontext der kulturellen Konstruktion von Krisen. Moden und technische Innovationen regen zum ständigen Konsum von immer neuen Dingen an. Die sogenannte Konsumgesellschaft ist, so meinen Kritiker, eine „müllgenerierende Gesellschaft“6: „Der modernste Müll ist nicht der, der auf den Deponien lagert, sondern der, der in den Kaufhäusern im Angebot ist, als Müll unkenntlich und deshalb durchaus Objekt der Begierde.“7 Das, was wir als Fortschritt bezeichnen, so konstatiert die Sozialwissenschaftlerin Marianne Gronemeyer, sei die rasant beschleunigte Umwandlung unserer Welt in Müll, der dann seinerseits 1
Hahn 2013, S. 13.
2
Gerndt 2002, S. 264.
3
Siehe aus kulturanthropologischer Perspektive Poehls 2015; vgl. auch Mergel 2012; siehe zur Eurokrise Schuppan 2014; zur Krise als Erzählung siehe Fenske et al. 2013.
4
Hahn 2013, S. 13.
5
Vgl. Braun et al. 2015.
6
Gronemeyer 2012, S. 26.
7
Gronemeyer 2012, S. 28.
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das einzig Beständige sei.8 Die Gesellschaft lebe in geordneten Verhältnissen im Müll, „inmitten von Dingen, Ideen, Erfahrungen und Fähigkeiten, die kaum, dass das Licht der Welt sie gesehen hat, schon zum alten Eisen gehören“9. Die Definition und Bedeutungszuschreibung von Abfall sei ein Prozess der gesellschaftlichen Konstruktion von Wert, so der Soziologe Reiner Keller, der auf die Beziehung verweise, in der Gesellschaft, materielle Kultur und Natur stehen.10 Wachstum, Überfluss, Konsum und Müll auf der einen Seite, „Endlichkeit“ 11 , das „Jahrhundert der Ökologie“ 12 und Krisen auf der anderen Seite? Schon in den 1970er Jahren haben Wissenschaftler_innen13 und Politiker_innen auf die „Grenzen des Wachstums“14 angesichts der Endlichkeit von Ressourcen hingewiesen. „Die in der Gesellschaft konstatierte, durch anthropogene Prozesse generierte ökologische Krise wird als eine zunehmende Gefährdung der menschlichen Zivilisation eingeschätzt, auf die die Gesellschaft reagieren muss, um ihren eigenen Fortbestand nicht aufs Spiel zu setzen.“15
Die Wahrnehmung einer ökologischen Krise hat zur Entstehung der Umweltbewegung und dem Erfolg ökologischer Partein beigetragen. Die Etablierung des politischen Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung stellt eine Reaktion auf einen verschärften Problemdruck dar.16 Den Begriff „Nachhaltigkeit“17 etablierte Hans Carl von Carlowitz innerhalb der Forstwirtschaft im 18. Jahrhundert und beschrieb in der „Sylvicultura Oeconomica“18 von 1713 damit eine Wirtschaftsweise, die auf eine Mangelsitua8
Gronemeyer 2012, S. 26.
9
Gronemeyer 2012, S. 27.
10 Keller 1998, S. 307. 11 Vgl. Bihrer et al. 2016b. 12 Gerndt 2002, S. 264. 13 Der Gendergab ist ein Versuch, gendersensibel zu formulieren. Die Leerstelle steht symbolisch für Menschen, die sich nicht in ein bipolares Geschlechtersystem einfügen. Gleichwohl bleibt es eine semantische Lösung, um Gendergerechtigkeit anzustreben. 14 Vgl. Meadows et al. 1972. 15 Dingler 2003, S. 196–197. 16 Vgl. Dingler 2003. 17 Vgl. Grober 2010 sowie Grunwald und Kopfmüller 2012. 18 Das Werk wurde anlässlich des 300jährigen Jubiläums neu aufgelegt (vgl. Carlowitz 2012).
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tion reagierte, denn Holz für den Bergbau stellte damals ein knappes Gut dar. Das planvolle Wirtschaften mit Holz als nachwachsender Rohstoff benötigt damals wie heute vor allem eines: Zeit. Der generationsübergreifende Blick ist daher grundlegend für die Forstwirtschaft, sodass Carlowitz mit dem Begriff der Nachhaltigkeit beschrieb, dass nur so viel abgeholzt werden dürfe, wie auch nachwachse. Dieses Prinzip eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen hat sich seit dem 1987 veröffentlichten als Brundtland-Report bekannt gewordenen Zukunftsbericht „Our Common Future“ 19 unter dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung in politischen Institutionen etabliert. Nachhaltige Entwicklung stellt als ständige Verbesserung der Lebensqualität und Steigerung des Wohlstandes für die heutige Generation und für zukünftige Generationen ein zentrales europa-politisches Ziel dar. Was Wohlstand und Lebensqualität bedeutet, ist angesichts von Naturkatastrophen verbunden mit Atomunfällen wie in Japan 2011, dem Schmelzen der Polarkappen und der Permafrostböden oder der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2007 dabei Kern gesellschaftlicher Aushandlungen. Die ökologische Krise und damit auch die Klimakrise, so der Umweltethiker Ludger Heidbrink, seien kulturell verursacht: „Die Gründe für die Ausbreitung der energieintensiven Industriegesellschaft und für ihren beispiellosen Raubbau an der natürlichen Umwelt sind […] vor allem kultureller Art.“20 Der Politikwissenschaftler Klaus Leggewie und der Sozialpsychologe Harald Welzer argumentieren, dass kulturelle Selbstverständlichkeiten heute an Grenzen stoßen: „an die Endlichkeit der Energievorräte, der Umweltbelastbarkeit, der biologischen Ressourcen, des wirtschaftlichen Wachstums, der Traglast des Planeten.“ 21 Dabei scheine es, so Welzer et al., grundsätzlich wider unserer Vorstellung, dass ein naturwissenschaftlich beschriebenes Phänomen wie die Klimaerwärmung soziale Katastrophen, Systemzusammenbrüche, Bürgerkriege und Völkermorde einschließe.22 Die Wahrnehmung von Krisen – seien es soziale, ökologische oder wirtschaftliche − findet in kulturellen Referenzrahmen statt. Krisen sind eingebettet in Sinnkontexte, sie materialisieren sich und drücken sich in Praktiken performa-
19 Vgl. World Commission on Environment and Development 1987. 20 Heidbrink 2010, S. 51. 21 Leggewie und Welzer 2009, S. 52. 22 Welzer et al. 2010, S. 9; Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen hat sich im Forschungsschwerpunkt „KlimaKulturen“ mit der Frage beschäftigt, inwiefern der Klimawandel als naturwissenschaftliches Phänomen auch soziale Dimensionen hat (vgl. Welzer et al. 2010).
10 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM UMGANG MIT Ü BERFLUSS UND K NAPPHEIT
tiv aus.23 Sie destabilisieren soziale Figurationen24 und bringen Diskurse und soziale Praktiken hervor 25: etwa neue Formen von Gemeinschaft und des Wirtschaftens. „Nutzen statt Besitzen“26, Commons27 und „Shareconomy“ 28 gewinnen als semantische Felder und als Strategien im Umgang mit Überfluss, mit Knappheit und den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Krisen an gesellschaftlicher Bedeutung. Ressourcen, als „Hilfs-, Rohstoffquellen, Bestand an Naturprodukten, Geldmittel, Reserven“29, werden zunehmend recycelt, gemeinschaftlich genutzt, geteilt und getauscht und zirkulieren in sozialen Netzwerken. Dinge als Akteure30 agieren in interdependenten Beziehungen bzw. in sozialen Figurationen. Drei dieser Netzwerke stellen die Forschungsfelder dieser Arbeit dar: Kleidertauschevents, Reparaturcafés und das Mülltauchen. Kleidertauschevents beruhen auf dem Weitergeben von Secondhand-Kleidung. „Mit Stil gegen die Verschwendung“, so titelt eine entsprechende OnlineTauschbörse.31 Ergänzend zu den virtuellen Marktplätzen verabreden sich auch privat Menschen zu Tauschpartys in heimischen Wohnzimmern. Neben kommerziellen Tauschveranstaltungen, die vor allem als Werbeplattform für Kosmetik- und Modefirmen dienen, bei denen die hauptsächlich weiblichen Teilnehmerinnen Eintritt bezahlen und dafür „Goodie bags“ mit Werbeartikeln geschenkt bekommen, gibt es auch Kollektive, die in ihrer Freizeit nicht-kommerzielle Tauschpartys veranstalten. In Parks, Clubs oder Stadtteilzentren organisieren die Gruppen öffentliche Tauschbörsen, bei denen die Teilnehmer_innen ihre gebrauchte Kleidung teilen und sie gegen die Shirts, Pullover und Röcke der anderen ertauschen können.32 Dazu gibt es ein Rahmenprogramm: Musik, Essen und
23 Vgl. Beck und Knecht 2012; siehe auch Fenske et al. 2013. 24 Siehe zum Figurationsbegriff Elias 2014. 25 Bihrer et al. 2016a, S. 26–28. 26 Vgl. Kramp 1996 und Leismann et al. 2012. 27 Vgl. Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung 2012, Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung 2009 sowie Ostrom 1999; siehe auch Groth 2013. 28 Vgl. Heinrichs 2013. 29 Vgl. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache. 30 Vgl. zur Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie Belliger und Krieger 2006a. 31 Siehe kleiderkreisel.de. 32 Teilen und Tauschen werden im Folgenden, wenn nicht aus dem Kontext heraus anders gekennzeichnet, sprachlich synonym verwendet. Gleichwohl kritisch angemerkt werden muss, dass der Begriff Teilen semantisch und theoretisch stärker an den Commons-Gedanken (vgl. Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung 2012) und Tauschen an das Gaben-System (vgl. Mauss 1968) anknüpft.
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Trinken, aber auch konsumkritisches Informationsmaterial oder kleine Workshops zum Nähen oder zum Upcycling. Auch Reparaturcafés sind ehrenamtlich organisiert. Die Idee der Repair Cafés stammt aus den Niederlanden. Dort veranstaltete die Journalistin Martine Postma 2009 das erste Repair Café in Amsterdam. Kern der Idee ist die Hilfe zur Selbsthilfe: Ehrenamtliche bieten kostenlos ihre Hilfe bei der Reparatur von Dingen an, sei es von Elektrogeräten, Möbeln, Spielzeug, Kleidung oder Fahrrädern. 2011 gründete Postma die Stiftung Stichting Repair Café und entwickelte ein Handbuch, durch das andere Menschen befähigt werden sollen, die Idee des Reparaturcafés in ihrer eigenen Nachbarschaft umzusetzen. 2012 fand das erste Repair Café in der Dingfabrik in Köln statt. Ende 2014 waren 170 Initiativen unter dem Label „Repair Café“ verzeichnet, im Juli 2015 waren es bereits 241.33 Seit 2010 haben sich über 700 Cafés in 17 Ländern gegründet. Weitere Cafés etablierten sich in den letzten Jahren in ganz Deutschland unter Namen wie „Reparaturklinik“, „Café kaputt“ oder „Der kleine Reparaturkeller“. Containern, Dumpster Diving, Dumpstering, Mülltauchen, Skip Dipping: Dies alles sind verschiedene Bezeichnungen für eine Praxis, bei der verwertbare Dinge wie noch genießbare Lebensmittel aus Mülltonnen entnommen werden. Mülltaucher_innen sind Menschen, die nachts nach Ladenschluss in den Mülltonnen des Handels nach noch genießbaren Lebensmitteln suchen, nicht nur aus ökonomischer Notwendigkeit, sondern auch aus Protest. Das Phänomen ist weitestgehend unsichtbar und bleibt im Verborgenen, hat aber in den letzten Jahren an gesellschaftlicher Sichtbarkeit gewonnen: Durch Gerichtsverhandlungen, bei denen Aktivisten_innen gegen die Bestrafung von Diebstahl im Wert von null Euro und gegen Lebensmittelverschwendung protestieren oder in Reportagen, in denen Mülltaucher_innen von ihrem Leben und ihren Funden berichten. Das Mülltauchen steht im Kontext der gesellschaftlichen Debatte über Lebensmittelabfall, die in den letzten Jahren zugenommen hat: Filme wie „Taste the Waste“ 34 , kollektive Kochevents wie sogenannte „Schnippeldiscos“ 35 , digitale Foodsharing-Netzwerke, ehrenamtliche Lebensmittelretter36 und politische Aufklärungskampagnen wie „Zu gut für die Tonne!“ machen dabei auf Lebensmittelverschwendung und den Wert von Nahrungsmitteln aufmerksam. Die Vorstellung und Wahrnehmung von Knappheit in Form von begrenzten Ressourcen – natürliche, wie etwa Wasser, Boden oder Seltene Erden ebenso wie finanzielle − und Überfluss, so die These, verschränken sich in diesen For33 Siehe repaircafé.org: Standorte. 34 Siehe Thurn 2010. 35 Vgl. Betz 2016. 36 Siehe foodsharing.de.
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schungsfeldern exemplarisch. Erstens verändern Akteure ausgehend von diesen Sinnkontexten die Bedeutung von Konsum, der in den Feldern nicht marktförmig organisiert ist: Nicht Kaufen, sondern Teilen, Tauschen, Reparieren und Retten als „sozial-innovativ[e]“ 37 und alltägliche Konsumpraktiken stehen im Mittelpunkt. Zweitens zeigt sich eine gesellschaftliche Entwicklung, durch die sich die Bedeutung von Dingen verändert: Secondhand-Mode und Elektroaltgeräte werden zunehmend zu wertvollen Ressourcen und Waren, die von global agierenden Unternehmen vertrieben werden; der wachsende Markt für Bio- und Fairtrade-Lebensmittel 38 , die stärkere Etablierung von veganen und vegetarischen Ernährungsformen sowie verpackungsfreie Supermärkte verweisen auf ein verändertes Konsumentenverhalten. Das zunehmende Wissen über die sozialen und ökologischen Auswirkungen des westlichen Konsummodells, über knappe Ressourcen und die Müllproblematik legitimiert neue Formen des Umgangs mit materieller Kultur. Die forschungsleitenden Fragen dieser Arbeit sind deshalb: Inwiefern übersetzen die Akteure in den drei exemplarischen Feldern – Kleidertauschevents, Repair Cafés und Mülltauchen39 − Konzepte von Knappheit und Überfluss in Praxen? Wie nehmen Akteure und Akteursgruppen Knappheit und Überfluss wahr? Wie konstruieren die Akteure in den Feldern auch strategisch knappe Ressourcen und Überfluss? Welche Rolle spielt spezifisches Wissen, etwa über globale Zusammenhänge – Nahrungsmittelüberfluss, Klimawandel, Ausbeutung von Arbeiter_innen etc. – oder über politische und wirtschaftliche Systeme und Strukturen sowie über Produktionsmodi? Welche normativen Deutungsmuster verhandeln die Akteure dabei? Welche Bedeutungsgewebe produzieren und bearbeiten die untersuchten Akteure kognitiv wie performativ? Die Beantwortung dieser Fragen mithilfe einer vergleichend angelegten Ethnographie der drei Felder sehe ich disziplinär und fächerübergreifend als wichtigen exemplarischen Beitrag zum Verständnis der alltagskulturellen Bearbeitung von Konzepten wie Überfluss, Knappheit oder Nachhaltigkeit. Der kulturanthropologische Diskurs zu den aufkeimenden urbanen Initiativen und Praxen der ressourcenschonenden Nutzung von Dingen befindet sich gerade
37 Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013. 38 Vgl. Barlösius 2011, S. 296–305. 39 Die Beschreibungen „Kleidertauschevent“, „Repair Café“ und „Mülltauchen“ als Feld verweisen auf zwei Ebenen: Mit Events und Cafés sind konkrete Orte impliziert, während Mülltauchen eine Praxis meint. Ich verstehe den Feldbegriff jedoch nicht in Hinblick auf diese Engführung, sondern nutze die Feldbeschreibungen vielmehr allgemein, um die Phänomene zu beschreiben mit dem Verweis auf die dahinterliegenden Akteur-Netzwerke.
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erst im Aufschwung.40 Neben dem Verständnis der alltäglichen Praxen und soziopolitischen Diskurse ist ein Ziel deshalb, innerhalb der Kulturanthropologie ein bisher wenig bearbeitetes Forschungsfeld theoretisch und empirisch einzugrenzen. Die Arbeit soll des Weiteren einen Beitrag zur Methodendebatte bezüglich der heuristischen Potentiale und Grenzen komparativer ethnographischer Forschung leisten. In der interdisziplinären Debatte zur Nachhaltigkeit fordern verschiedene Autoren eine Kultur der Nachhaltigkeit und damit eine gesellschaftliche Transformation mit einem alltagskulturellen Werte- und Praxiswandel.41 Bislang beteiligen sich die empirischen Kulturwissenschaften kaum an den politischen und wissenschaftlichen Debatten. Dabei können die dekonstruierende, kulturanthropologische Perspektive und lebensweltnahe, ethnographische Mikrostudien jene Kultur der Nachhaltigkeit als Praxis und Bedeutungsgewebe analysieren, welche etwa die sozial- oder politikwissenschaftliche Literatur fordert. Diese Lücke an exemplarischen Fallstudien zu füllen, ist ein weiteres Ziel, welches auch eine gesellschaftspolitische Dimension besitzt, denn eine „kultur- und sozialwissenschaftlich profilierte Analyse des diskursiven wie praxeologischen Umgangs mit Begrenztheit oder Knappheit kann […] auch als Gesellschafts- und Zeitdiagnose dienen“42. Da die Arbeit neben den Bedeutungszuschreibungen auch die konkreten Praktiken untersucht, kommt der in der Kulturanthropologie zum Standard gewordene Methodenplural43 zur Anwendung: Protokolle von Teilnehmenden Be-
40 Vgl. Kramer 2013, 167 und 180f; vgl. Meyer und Lemberge 2012 sowie Klein und Windmüller 2014; siehe zu urbanen Sparzwängen Färber 2014; siehe auch die Tagung „Strategien der Subsistenz. Neue prekäre, subversive und moralische Ökonomien.“ der Gesellschaft für Ethnographie e.V. in Kooperation mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin vom 23.01. bis 24.01.2015; siehe Call for Papers „Teilen − Praktiken der Kollektivnutzung zwischen Subsistenz, Subversion und Solidarität“ der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde vom April 2014; siehe auch Kuckkuck. Notizen zur Alltagskultur 2015 sowie Tauschek und Grewe 2015; zum DIY siehe Langreiter und Löffler 2016. 41 Vgl. Kurt und Wehrspaun 2001, Brocchi 2008, Leggewie und Welzer 2009 oder Parodi 2010. 42 Tauschek 2015, S. 18. 43 Vgl. Bischoff et al. 2014, Göttsch und Lehmann 2001, Hess et al. 2013 sowie Kardorff et al. 2008.
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obachtungen44, Interviews45 und informelle Gespräche46 stellen das Quellenmaterial dar. Neben diesen Daten wurden verschiedenste (un-)publizierte Materialien einer qualitativen Inhaltsanalyse47 unterzogen und diese mit den Selbstdeutungen der beforschten Akteure sowie den Erkenntnissen aus den Beobachtungen kontextualisiert und ergänzt. Wie in kulturanthropologischer Forschung bevorzugt, verfolgt die Arbeit im Sinne der Grounded Theory einen induktiven Forschungsstil.48 Drei Leitlinien strukturieren die Arbeit: Erstens die Annahme, dass die Wahrnehmung und Deutung von Knappheit und Überfluss situiert und sozial konstruiert ist.49 Besonders im alltäglichen Wirtschaften und Konsumieren, im alltäglichen Umgang mit Dingen stellen Akteure in den jeweiligen konkreten sozialen Kontexten Knappheit und Überfluss her. Der Konsum von Waren ist dabei geprägt durch soziale, ökologische, wirtschaftliche und politische Rahmen sowie durch die Funktion von Dingen, die neben der lebensnotwendigen Versorgung auch Distinktion und Statusmarkierung sind.50 Zweitens eröffnet die Situiertheit der Dinge den Blick auf den konkreten Umgang mit Dingen. Die Beziehung zwischen Akteuren und Objekten ist bestimmt durch die Deutung von Knappheit und Überfluss. Dabei bieten die Zugänge der Akteur-Netzwerk-Theorie51 und der science and technology studies52 theoretische Perspektiven, um sich dieser Beziehung kulturanalytisch zu nähern. Drittens konstituieren sich soziale Netzwerke aus der gemeinsamen Wahrnehmung von Knappheit und Überfluss, sei es ein ehrenamtliches Netzwerk, eine Internetcommunity, politische Gruppen oder fluide soziale Gemeinschaften, die eben jene Deutungsmuster auch strategisch einsetzen, etwa um politische Ziele zu formulieren oder sich sozial zu positionieren. Die theoretischen Ansätze zu sozialer Praxis bieten Anknüpfungspunkte, um die Beziehung zwischen dem
44 Vgl. Horner 2008; siehe zur Methode der Teilnehmenden Beobachtung auch Cohn 2014 und Hauser-Schäublin 2008. 45 Vgl. Schmidt-Lauber 2001. 46 Siehe Gajek 2014. 47 Zur Inhaltsanalyse siehe Mayring 2007; zur Diskussion und zum Unterschied von Diskurs- und Inhaltsanalyse siehe Wedl et al. 2014. 48 Vgl. Glaser und Strauss 2005. 49 Vgl. Groth 2015 sowie Berger und Luckmann 1997. 50 Siehe zu Konsum als Distinktionsmittel Bourdieu 1984. 51 Siehe dazu Belliger und Krieger 2006a, Latour 2001 sowie Belliger und Krieger 2014. 52 Siehe dazu Beck et al. 2012.
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individuellem alltäglichen Handeln und der gesellschaftlichen Struktur zu beschreiben und dabei auch die Verhandlung von Macht herauszuarbeiten.53 Die Arbeit ist in vier Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt gibt die theoretische Einordnung und den kulturanthropologischen Rahmen wieder. In dem darauf folgenden Abschnitt werden die Forschungsstände zu den drei Forschungsfeldern vorgestellt. Dann folgen die Beschreibung und Reflexion des Forschungsdesigns, der Methoden und der Zugänge. Der dritte Abschnitt ist in drei Unterkapitel gegliedert, die die Ergebnisse der einzelnen Forschungsfelder darstellen. Der vierte Abschnitt gibt den vergleichenden Blick wieder. Gleichwohl die vergleichende Perspektive als „elementare Erkenntnishilfe“54 implizit auch in die Auswertung der einzelnen Felder eingegangen ist, wird sie in diesem Kapitel explizit in Hinblick auf die Infrastrukturen dargestellt. Abschließend fasst das Fazit die Abschnitte zusammen.
53 Vgl. Ortner 2006, Bourdieu 1989 und Bourdieu 1984. 54 Gerndt 1977/78, S. 13.
2. Wirtschaften mit Knappheit und Überfluss als (kultur-)wissenschaftliches Forschungsfeld Wirtschaften mit Knappheit und Überfluss Das essentialistische Konzept von knappen Ressourcen sei grundlegend für die Theoriebildung in den Wirtschaftswissenschaften, so der Kulturanthropologe Markus Tauschek.1 Auch der Soziologe Bélint Balla stellt heraus, dass Knappheit der zentrale Begriff bei der Definierung wirtschaftlichen Handelns und bei der Gegenstandsbestimmung der Wirtschaftswissenschaft selbst sei.2 Knappheit habe als elementares Problem der Subsistenzsicherung den ganzen bisherigen Verlauf der Geschichte der Menschheit entscheidend geprägt, wobei das Missverhältnis zwischen Bedürfnissen auf der einen Seite und Vorräten auf der anderen Seite den Rahmen menschlichen Handelns darstelle, so Balla. 3 Dieses Knappheitsparadigma habe sich laut der Geschichtswissenschaftlerin Monika Dommann in den 1930er Jahren in den Wirtschaftswissenschaften durchgesetzt, seitdem der Ökonom Lionel Robbins wirtschaftliches Handeln als den Umgang mit knappen Mitteln zur Kernfrage der ökonomischen Wissenschaft erhob. 4 Knappheit in dieser wirtschaftswissenschaftlichen Lesart ist Grundstein für Ballas Knappheitskonzept, gleichwohl er es erweitert, indem er die materielle und die immaterielle Dimension von Knappheit herausstellt: Knapp seien auch soziale Bindungen und Beziehungen ebenso wie Zeit und Wissen. Wirtschaften
1
Tauschek 2015, S. 15.
2
Vgl. Balla 1978.
3
Siehe dazu auch Balla 2005.
4
Dommann fordert die Historisierung des Knappheitsparadigmas (vgl. Dommann 2011). Einen kursorischen Abriß zur Bedeutung von Knappheitskonzepten in der Ökonomie besonders in Hinblick auf den Liberalismus hat Ute Tellman erarbeitet (vgl. Tellman 2015).
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ist für Balla eine individuelle und gesellschaftliche Strategie, um Knappheit zu bekämpfen und verschiedene Mängel und Defizite zu bewältigen. Dabei könne aber Knappheit nicht überwunden werden, sondern helfe vielmehr „bei der Mobilisierung individueller und gesellschaftlicher Kräfte für neue Maßnahmen der Knappheitsbekämpfung“5. Der Umgang mit Knappheit als „menschlicher Grundtatbestand“6 erscheint als Kampf gegen das „Zuwenig“, der auch kreatives Potential hat: Die Knappheitsbekämpfung führe zu „Fortschritt und Hinausschieben der Existenzgrenzen, Neuerungen, Erfindungen und schöpferische[n] Leistungen“7, so Balla. „[I]n und durch Kultur widersetzt sich der Mensch erstens seinen natürlichen, konstitutiven Mangelhaftigkeiten, zweitens den durch die UmweltNatur in der Gestalt materieller Ressourcen-Knappheit gesetzten Barrieren.“8 In dieser Lesart steht der Mensch im ständigen Kampf gegen sich selbst und gegen die Natur. Ballas Soziologie der Knappheit erscheint in einer Zeit, die durch die Ölkrisen 1973 und 1979 sowie einem zunehmenden ökologischen, politischen Denken geprägt war: Der Club of Rome veröffentlichte 1972 „Die Grenzen des Wachstums“9, die Umweltbewegung organisierte sich zunehmend.10 Ohne hier einen Zusammenhang detailliert nachzuweisen, ist doch auffällig, dass knapp vierzig Jahre später im Zuge der Erfahrungen von Wirtschafts- und Finanzkrisen in Europa und Nordamerika die Sozial- und Kulturwissenschaften zunehmend das Knappheitsparadigma als Thema aufgreifen. Sie kritisieren und dekonstruieren die „Universalisierung und Anthropologisierung“ 11 von Knappheit und stellen die Frage nach der sozialen Konstruktion von Knappheit in den Mittelpunkt.12 Wenn Knappheit eine soziale Konstruktion ist, welche Akteure haben dann die Definitionsmacht über die Grenzen, die das „Zuwenig“, das „Genug“ und das „Zuviel“ konstituieren? Gibt es Infrastrukturen, die diese Übergänge kontrollieren?
5
Balla 1978, S. 8.
6
Balla 1978, S. 1.
7
Balla 1978, S. 5.
8
Balla 1987, S. 245.
9
Vgl. Meadows et al. 1972.
10 Vgl. Stein 2016; Der Medienwissenschaftler Werner Faulstich begreift „Nachhaltigkeit“ und „Ölkrise“ als Schlüsselbegriffe der 1970er Jahre. Dabei stellt er heraus, dass besonders die Ölkrisen und darauf folgende Weltwirtschaftskrisen weitreichende politische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen hatten (vgl. Faulstich 2004). 11 Möhring et al. 2011b, S. 7. 12 Vgl. Möhring et al. 2011a.
W IRTSCHAFTEN
MIT
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UND
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Der Frage nach der Grenze zwischen Überfluss und Knappheit gehen die Wirtschaftswissenschaftlerin Barbara Czarniawska-Joerges und der Europäische Ethnologe Orvar Löfgren nach.13 Überfluss, so ihre These, ist eine spezifische Wahrnehmung und sozial konstruiert, sodass Akteure Mechanismen entwickeln, um Überfluss zu managen.14 Das „Zuviel“, der Überfluss etwa von Informationen, von Konsum und Auswahl, werde von Akteuren situativ als Problem oder als Lösung wahrgenommen und verhandelt. Wo ist die Grenze zwischen Überfluss und Knappheit? Wie wird etwas zu viel? Wann, wo und für wen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses von CzarniawskaJoerges und Löfgren. „The term overflow or its synonyms (excess, surplus, overspill, etc.) is used as a label, as a classifying device, and such application has strongly normative consequences: a phenomenon thus classified must be ,managedʻ. The very application of this label is the first of many strategies subsequently devised to frame or to control it.“15
Die Markierung als Überfluss werde als kulturelle Klassifizierung verwendet, die normative Auswirkungen habe. Phänomene, die als Überfluss markiert und gelabelt seien, müssten geordnet, geregelt, kurz: gemanagt werden. Die Klassifizierung könne bereits als eine Strategie im Umgang mit Überfluss verstanden werden, so Czarniawska-Joerges und Löfgren. Managen meint, den Überfluss zu kontrollieren, aber auch zu bewältigen: „The ways of dealing with overflow can therefore be roughly divided into learning to live with overflow and controlling (handling) overflow [Hervor. i. O.].“16 13 Vgl. Czarniawska-Joerges und Löfgren 2012. 14 Dieser These geht auch der Anthropologe Jerome Lewis am Beispiel der Yaka nach (vgl. Lewis 2008). Er zeigt, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen der Knappheit und des Überflusses von der Ressource Wald gibt. Während eine euro-amerikanische Deutung den afrikanischen Tropenwald als knappe Ressourcen deute und spezifische Schutzmaßnahmen umsetzen wolle, nähmen die Yoka Wald als im Übermaß vorhanden wahr. Lewis stellt dabei heraus, dass Teilen als Mechanismus im Umgang mit Überfluss verstanden werden kann. Teilen sei bei den Yaka ein moralisches Leitprinzip, das zu einer großen ökonomischen und sozialen Gleichheit führe. „Seeing, that there is enough for everybody, but it just needs to be shared property, is the lesson that we can learn form the Yaka and ekila [Hervor. i. O.].“ (Lewis 2008, S. 18) Ekila regele dabei das Verhältnis zur Natur, indem es Regeln zum angemessenen Teilen konstituiert. 15 Löfgren und Czarniawska-Joerges 2012, S. 1. 16 Löfgren und Czarniawska-Joerges 2012, S. 7.
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Der Soziologe Andrew Abbot kritisiert, dass die meisten Sozialtheorien auf der Annahme von Knappheit basieren und wendet ebenso wie CzarniawskaJoerges und Löfgren den Blick auf den Überfluss. Er entwickelt eine Sozialtheorie, in der er die These entwickelt, dass das Handeln von Menschen nicht durch Knappheit, sondern durch Überfluss geprägt sei.17 Er zeigt, dass Überfluss spezifische Probleme auf individueller und auf sozialer Ebene verursache und zu spezifischen Umgangsweisen führe. Abbot unterscheidet zwei grundlegende Strategien im Umgang mit Überfluss: erstens Reduktion und zweitens Reskalierung. Reduktion unterteilt er in das Ignorieren und das Vereinfachen. Überfluss wird dabei auf eine defensive und auf eine aktive Weise begrenzt, beispielsweise durch Abstraktion, Hierarchisierung, Prioritätensetzung und Konzentration. Reskalierung meint die Umdeutung von Gewünschtem. In den daraus entwickelten vier Handlungsmustern – Abwehr und Reaktion, Kreativität und Adaption − sieht Abbott ein komplettes Kategoriensystem, um menschliches Handeln auf individueller und kollektiver Ebene zu erfassen. Die Deutungen und Zuschreibungen, ob Dinge im Überfluss vorhanden oder knapp sind, finden aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive in konkreten Alltagen und sozialen Kontexten statt.18 So beschreibt Stefan Groth, dass Dinge aus der Mikroperspektive der empirischen Kulturwissenschaft situiert seien. 19 Der ethnographische Blick folge den Objekten in den konkreten sozialen Beziehungen, sie seien dabei nicht unendlich, sondern begrenzt und situiert. Dinge seien zwar als „konzeptuell begrenzte Instanzen“ 20 knapp, Knappheit sei aber nicht Ausgangspunkt für die kulturwissenschaftliche Betrachtung, so Groth weiter. Nicht die Frage, ob Dinge knapp oder begrenzt sind, sei von kulturwissenschaftlichem Forschungsinteresse, sondern die soziale Konstruktion von Mangel und Knappheit und die Betrachtung der auch normativ hergeleiteten Koordinationsmechanismen der Ökonomie und deren gesellschaftliche Reproduktion.21 Knappheit und Überfluss als soziale Konstruktionen und situierte Markierungen deuten einmal auf normative Vorstellungen von Verteilung und Koordination hin. Als Vorstellungen von Mangel und Verschwendung sind sie auch in der Lage, „soziale Akteure signifikant zu mobilisieren“22. Die Kategorien von 17 Vgl. Abbott 2014. 18 Dieser Perspektive ging die Tagung „Zum Umgang mit begrenzten Ressourcen. Kulturwissenschaftliche Positionen“ vom 13.11. bis 15.11.2014 in Kiel nach (siehe dazu Tauschek und Grewe 2015). 19 Siehe zur Situiertheit von Knappheit Groth 2015. 20 Groth 2015, S. 60. 21 Groth 2015, S. 62. 22 Welz 2015, S. 45.
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Knappheit und Überfluss werden im alltäglichen Handeln hergestellt und sind moralisch aufgeladen, wie Gisela Welz in ihren Überlegungen zur Knappheit als anthropologische Kategorie anhand ethnographischer Fallstudien zeigt. Diese moralische Aufladung zeigt sich dann etwa in sozialen Protestformen, wie sie Regina F. Bendix beschreibt.23 Der verschwenderische Umgang mit Ressourcen motiviert in ihren Beispielen Protesthandeln und zeigt sich auch in der Entwicklung und Umdeutung von Vokabularien. Der Umgang mit Überfluss findet dabei auch auf einer diskursiven Ebene statt. Die Wahrnehmung von Knappheit und Begrenzung, so kann Gordula Endter anhand ihres ethnographischen Materials über die Etablierung einer ehrenamtlich geführten Buslinie in Brandenburg verdeutlichen, materialisiert sich nicht nur, in ihrem Beispiel etwa in Form des Busses und der Haltestellen, sondern bringt auch soziale Strukturen hervor. 24 Dabei übersetzen Akteure und Akteursgruppen die Wahrnehmung und Deutung von Knappheit oder Überfluss in strategische Praktiken, vernetzen sich, teilen Wissen und schaffen Infrastrukturen, um spezifische Ziele − etwa Mobilität im ländlichen Raum − zu verfolgen. Drei Leitlinien und Thesen sind zusammenfassend für die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit Knappheit und Überfluss hier von Bedeutung: Erstens ist die Wahrnehmung und Deutung von Knappheit und Überfluss situiert und sozial konstruiert. Akteure stellen im alltäglichen Wirtschaften und Konsumieren, im alltäglichen Umgang mit Dingen in den konkreten, sozialen Kontexten Knappheit und Überfluss her. Der Konsum von Waren ist dabei geprägt von sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und politischen diskursiven Rahmen. „Gebrauchsdinge“25 sind in Form von Nahrung und Kleidung nicht nur überlebensnotwendiger Schutz vor Hunger und Kälte, sondern sind auch Distinktionsmittel oder Statusmarkierung.26 Zweitens eröffnet die Situiertheit der Dinge den Blick auf den konkreten Umgang mit Dingen. Die Beziehung zwischen Akteuren und Objekten, die Interaktion von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren in Netzwerken ist durch Knappheit und Überfluss bestimmt. Mit Hilfe der theoretischen Perspektiven der Akteur-Netzwerk-Theorie und der science and technology studies kann das Beziehungsnetz und die Akteure kulturanalytisch betrachtet werden. Drittens entstehen im Kontext der Wahrnehmung von und dem Umgang mit Knappheit und Überfluss soziale Figurationen, etwa ein ehrenamtliches Netzwerk, eine Internetcommunity, politische Gruppen oder fluide soziale Gemein23 Vgl. Bendix 2015. 24 Vgl. Endter 2015. 25 Fischer-Lichte 2011, S. 165. 26 Siehe zu Konsum als Distinktionsmittel Bourdieu 1984.
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schaften. Die theoretischen Ansätze zu sozialen Praktiken, zu Lebensstil, zu Agency und zu communities of pratice bieten Perspektiven auf die Beziehung zwischen individuellem, alltäglichem Handeln und gesellschaftlicher Struktur, auf die Positionierung von Akteuren in sozialen Feldern, auf das Hervorbringen von sozialen Praktiken und auf das Erschließen von Handlungshorizonten. Ausgehend von diesen drei Ebenen sollen im Folgenden drei heuristische Rahmen unterschieden werden, die den Umgang mit Knappheit und Überfluss auf diesen verschiedenen Ebenen beleuchten. Auf der ersten Ebene geht es um die Frage, wie Konsum und Wirtschaft als Kategorien zur Kulturanalyse genutzt werden können. Welche Positionen in der Wirtschaftsanthropologie können für die Analyse der Forschungsfelder produktiv gemacht werden? Wie werden Konsum und Wirtschaft angesichts der Konzepte von Überfluss und Knappheit wissenschaftlich verhandelt? Welche Rolle spielen Wirtschaft und Konsum in gesellschaftlichen Aushandlungen? Ziel ist die historische Kontextualisierung der in dieser Arbeit untersuchten Fallbeispiele und der dabei artikulierten Konsumkritik. Auf der zweiten Ebene geht es um den konkreten Blick auf die Dinge. Welche Konzepte der Erforschung materieller Kultur können für den Umgang mit Knappheit und Überfluss produktiv gemacht werden? Ziel ist, theoretische Zugänge zum Umgang mit Dingen bezogen auf die Fallbeispiele zu diskutieren. Auf der dritten Ebene geht es um soziale Strukturen und soziale Praktiken. Wie lassen sich die Etablierung von alternativen Wirtschafts- und Konsumpraktiken praxistheoretisch deuten? Wie entstehen Praxen? Wie materialisieren sich dabei gesellschaftliche Transformationsprozesse? Zunächst liegt nun der Schwerpunkt auf einer wirtschaftsanthropologischen Perspektive, dann stehen Dinge und Waren als Materialisierung von Kultur im Mittelpunkt. Abgeschlossen wird der erste Abschnitt der Arbeit mit dem theoretischen Schwerpunkt auf Praxistheorie und soziale Strukturen.
2.1 W IRTSCHAFT UND K ONSUM IM ( KULTUR -) WISSENSCHAFTLICHEN D ISKURS Menschen wirtschaften und konsumieren, um sich mit lebensnotwendigen Dingen zu versorgen: Nahrung, Kleidung, Energie, etwa in Form von Wärme. Neben diesen Grundbedürfnissen lassen sich unterschiedlichste weitere kulturelle und soziale Bedürfnisse unterscheiden, die lebensnotwendig sein können: etwa Musik, Gemeinschaft, aber auch Naturerfahrungen, Selbstbestimmung oder
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Freiheit. Deutlich wird in dieser Aufzählung bereits, dass sich Bedürfnisse und darauf folgende Konsumpraktiken in sozialen, historischen und regionalen Kontexten unterscheiden.27 Welche Bedeutung hat die jeweilige Form von Wirtschaft und Konsum für die Gesellschaft? Wie organisieren und gestalten Menschen wirtschaftliche Strukturen? Welche Rolle spielt die Beziehung zwischen Wirtschaft, Konsum und Gesellschaft im (kultur-)wissenschaftlichen Diskurs? Grundlegende Praxis zur Befriedigung von Konsumbedürfnissen ist der Tausch. In industrialisierten Gesellschaften ist der Tausch von Gütern weitestgehend marktförmig organisiert. Das moderne, westliche Wirtschaftssystem ist auf Wachstum, Gewinn- und Nutzenmaximierung ausgerichtet und wird in spezifischen Diskursen als kapitalistisch bezeichnet. Wie Menschen wirtschaften und konsumieren, hat sich seit der Industrialisierung verändert, gleichwohl je nach regionalem Kontext unterschiedlich. Die Veränderungen von Lebenswelten durch wirtschaftliche Umbrüche waren dabei auch immer Thema gesellschaftlicher Aushandlungen. Wirtschaft ist ein elementarer Teil der gesellschaftlichen Ordnung: „Ohne Wirtschaft in irgendeiner Form kann ein Mensch […] nicht leben.“28 Aber wie lässt sich wirtschaftliches Handeln von anderem Handeln definitorisch trennen? Der Ethnologe Martin Rössler stellt in seinem Einführungswerk zur Wirtschaftsethnologie folgende Kategorien auf, die Wirtschaften definieren: Wirtschaft ist mit einer Basiszielsetzung verbunden, es soll also ein Ergebnis vorliegen und es handelt sich um eine soziale Aktivität, in der Menschen kommunizieren.29 Gleichwohl diese Definition wenig konkret ist, so macht sie indes deutlich, dass es „keine klare Abgrenzung von Wirtschaft gegenüber anderen gesellschaftlichen Aspekten“30 geben kann. Der Brockhaus definiert Wirtschaft als den Bereich menschlichen Handelns, der sich im weitesten Sinne auf die Produktion knapper Güter und deren Konsum bezieht. „Im eigentlichen Sinne bezieht sich der Begriff ,Wirtschaftʻ (Ökonomie) auf denjenigen Teil menschlichen Handelns, der in Verfügung (Entscheidung) über knappe Mittel zur (inbes. arbeitsteiligen) Produktion von Gütern für den Konsum besteht; dabei sind alle Mittel, die mittelbar oder unmittelbar dem Konsum dienen, wirtschaftliche Güter.“31
27 Einführung und Überblick zur ökonomischen Anthropologie bieten Gudeman 2001, Hann und Hart 2011, Wilk und Cliggett 2007 und Rössler 2005; siehe auch Seiser 2009 sowie Klein und Windmüller 2014. 28 Rössler 2005, S. 15. 29 Rössler 2005, S. 15. 30 Rössler 2005, S. 16. 31 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie 2006.
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Die Definition aus dem Brockhaus argumentiert mit knappen Gütern und unterscheidet wirtschaftliches Handeln in Produktion und Konsumtion. Die analytische Unterscheidung zwischen Produktion und Konsumtion geht vor allem auf Karl Marx zurück, gleichwohl Marx die enge Wechselbeziehung zwischen beiden betont: „Der Akt der Produktion selbst ist daher in allen seinen Momenten auch ein Akt der Konsumtion.“32 Konsum − vom lateinischen consumere, „verbrauchen“, „verzehren“ − definiert der Brockhaus als den Verbrauch von Sachgütern und Dienstleistungen zur Steigerung des menschlichen Wohlergehens: „Konsum in diesem weiten Sinne gilt als letzter Zweck allen Wirtschaftens. Im engeren Sinne wird unter Konsum nur die Verwendung des Einkommens von Konsumenten für den Erwerb von Konsum-Gütern auf dem Markt verstanden.“33 Auch der Technikwissenschaftler Wolfgang König, der zur Konsumgeschichte gearbeitet hat, sieht im Konsum den Zweck allen Wirtschaftens: „Konsum steht − als komplementärer Begriff zur Produktion − für den Zweck wirtschaftlichen Schaffens, gleichzeitig aber auch für die ganze Fülle von Alltags- und Freizeithandlungen, welche die Lebensform der Moderne ausmachen.“34 Ziel von wirtschaftlichen Handlungen ist in diesem Sinne die Produktion von Gütern, die konsumiert werden können. Gleichwohl Wirtschafts- und Konsumpraktiken Rössler folgend nur begrenzt von anderen Praktiken differenziert werden können, so stellen sie doch wichtige Elemente für die Erforschung von Alltagen und Lebenswelten dar. Wie nutzt die Kulturwissenschaft die Kategorien Wirtschaft und Konsum, um Lebenswelten zu beschreiben und zu analysieren? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Ziel ist, den Forschungsstand zu den Themen Wirtschaft und Konsum in der Kulturanthropologie mit Blick auf die Forschungsfelder darzustellen. Darauf folgt ein kurzer Abriss zur historischen Entwicklung der Konsumgesellschaft und der Konsumkritik sowie zu den entwickelten Strategien gegen knappe Ressourcen. Die Ethnologie beschäftigt sich seit ihren Anfängen mit dem Tauschen als grundlegende wirtschaftliche Praxis, denn: „[E]xamining gift giving is a good way to see all the various aspects of human nature in action at one time because gifts can be simultaneously understood as rational exchange, as a way to build political and social relations, and as expressions of moral ideas and cultural meanings.“35 32 Marx 1971, S. 235. 33 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie 2006, S. 474. 34 König 2000, S. 7. 35 Wilk und Cliggett 2007, S. 155.
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Klassische Studien zur Gabe lieferten Bronislaw Malinowski36 zum Kula-Ring oder Marcel Mauss.37 Der französische Soziologe Marcel Mauss entwickelte ein theoretisches Konzept zum Gabentausch, das sich auf ethnologische Theorien zum Tausch bis heute auswirkt. Mauss sieht in der Gabe ein „System der totalen Leistungen“, wobei sich nicht Individuen, sondern Kollektive zum Tausch verpflichten. Die dabei beteiligten Personen sind für Mauss moralische Personen, weil das Geben, das Annehmen und das Erwidern eines Objektes in einem normativen System zusammenhängen und nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können: Das System der Gabe ist nicht freiwillig, sondern durch Zwang strukturiert. Durch das Gabensystem entsteht ein kollektiver Vertrag zwischen Clans oder Familien, das auf Reziprozität basiert.38 Die von Mauss verfolgte Reziprozität des Tausches entwickelte Marshall Sahlins weiter. Er unterscheidet drei Formen der Reziprozität: solidarisch, ausgeglichen und negativ. Die solidarische und negative Reziprozität sieht er als zwei Extrempole. „,Generalized reciprocityʻ refers to transactions that are putatively altruistic, transactions on the line of assistance given and, if possible and necessary, assistance returned.“39 Die ausgeglichene Position meint einen gleichzeitigen Austausch von der gleichen Anzahl von Dingen. Als anderen Extrempol unterscheidet er die negative Reziprozität: „,Negative reciprocityʻ is the attempt to get something for nothing with impunity, the several forms of appropriation, transactions opened and conducted toward net utilitarian advantage.“ 40 Diese Form ist die unpersönlichste, die Akteure sind sehr distanziert zueinander. Sahlins versteht die meisten ökonomischen Beziehungen als negative Reziprozität, weil sich die Akteure mit unterschiedlichen Interessen gegenüberstehen und beide ihren eigenen Nutzen auf Kosten des anderen erhöhen wollen. Auch Georg Simmel betont die soziale Bedeutung des Tausches aus einer soziologischen Perspektive: „Man muß sich hier klar machen, daß die Mehrzahl der Beziehungen von Menschen untereinander als Tausch gelten kann; er ist die zugleich reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrerseits das menschliche Leben ausmacht, sobald es einen Stoff und Inhalt gewinnen will.“41
36 Vgl. Malinowski 1999. 37 Vgl. Mauss 1968. 38 Mauss 1968, 22f. 39 Sahlins 1972, S. 194. 40 Sahlins 1972, S. 195. 41 Simmel 1989, S. 59.
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Der Tausch stellt komplexe soziale Beziehungen her, in denen auch der Wert von Objekten verhandelt wird. Dabei lassen sich Waren und Gaben unterscheiden. Karl Marx hat sich besonders mit dem Austausch von Waren in kapitalistischen Systemen beschäftigt und die Bedeutung von Dingen durch ihren Gebrauchs- und Tauschwert bestimmt.42 Der Gebrauchswert wird nach der Nützlichkeit bemessen und damit nach der Eigenschaft, ein Bedürfnis zu stillen. Der Tauschwert ist für ihn eine Abstraktion, mit der verschiedene Waren auf ein Drittes, nämlich die für die Herstellung investierte Zeit, bezogen sind.43 Objekte werden zu Waren, die einen bestimmten Wert haben. Dinge werden dadurch vergleichbar und austauschbar. Neuere Ansätze in der Wirtschaftsanthropologie überwinden eine stabile Vorstellung von Ware und Gabe. Der Anthropologe Arjun Appadurai etwa argumentiert stärker aus der Perspektive des „social life of things“ 44 und zeigt, dass ein Objekt je nach sozialem Kontext mal das eine, mal das andere sein kann. Im Zentrum von Appadurais Überlegungen stehen die Fragen, wie Wert entsteht und wer über den Wert bestimmt. Objekte werden zu Waren durch den Austausch, so Arjun Appadurai. „Economic exchange creates value. Value is embodied in commodities that are exchanged. Focusing on the things that are exchanged, rather than simply on the forms or functions of exchange, makes it possible to argue that what creates the link between exchange and value is politics [Hervor. i. O.], constructed broadly.“45
„Politics“ sind die sozialen und kulturellen Regeln, die bestimmen, wer was wie tauschen darf. Diese Regeln sind in den „regimes of value“ durch soziale Hierarchien gekennzeichnet und durch soziale Kontrolle überwacht. Die Wirtschaftsethnologie hat die Wirtschaft, anders als die Wirtschaftswissenschaften, in den jeweiligen sozialen und kulturellen Kontexten untersucht und dabei die moralischen, politischen oder sozialen Implikationen herausgearbeitet. Dabei unterscheiden sich die beiden Wissenschaftsrichtungen vornehmlich durch ihr methodisches Vorgehen sowie der induktiven und deduktiven Orientierung.46 Dieses unterschiedliche methodische Vorgehen und die daraus entwickelten Positionen sind bis in die 1970er Jahre als die „Formalismus-Substantivismus42 Siehe zur ökonomischen Anthropologie von Marx Hann und Hart 2011, 27f.; siehe zur Einführung in die politische Ökonomie von Marx Wilk und Cliggett 2007, S. 94f. 43 Vgl. auch Quadflieg 2014, S. 120. 44 Vgl. Appadurai 2010. 45 Appadurai 2010, S. 3. 46 Vgl. Rössler 2005.
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Debatte“47 von Anthropologen_innen und Wirtschaftswissenschaftler_innen diskutiert worden. Die volkskundliche Forschung, die lange vornehmlich ländliche und bäuerliche Kontexte betrachtete, fokussiert weniger „die“ Wirtschaft als vielmehr das alltägliche Wirtschaften als Praxis. Im „Grundriß der Volkskunde“, der 1988 das erste Mal erschien, beschäftigt sich Ruth-E. Mohrmann etwa mit „Wohnen und Wirtschaften“48. Deutlich wird dabei, dass die volkskundliche Forschung Wirtschaften als elementaren Bestandteil von Alltagskultur und Hausforschung versteht. Mohrmann definiert zwar Wohnen explizit mit Marcel Mauss als soziales Totalphänomen, nicht aber Wirtschaften. Im bäuerlichen und ländlichen Kontext erscheint Wirtschaften als fließender Übergang von Haus- und Erwerbsarbeit. Trotzdem der Grundriß bis 2001 bereits in der dritten Auflage erschien, zitiert der Aufsatz von Mohrmann vornehmlich Literatur aus den 1980er Jahren. Wirtschaftskultur auch im industriellen und marktförmigen Sinne findet dabei nicht explizit Eingang in das Einführungswerk zu den Forschungsfeldern der Europäischen Ethnologie. Andere Einführungswerke thematisieren Konsum und Wirtschaft in jeweils spezifischen sozialen Kontexten oder im Hinblick auf spezifische Kategorien. Gudrun König widmet sich dem Thema Konsum etwa anhand von Geschlechtsdiskursen und Konsumkritik um 1900.49 Helge Gerndt setzt sich mit der Zirkulation von Waren auseinander und deren sich verändernde Wahrnehmung im Kontext der Globalisierung. Auf Konsum- und Wirtschaftspraktiken geht er nicht explizit ein.50 Dem spezifischen Fachverständnis folgend werden kulturelle Phänomene problemgeleitet untersucht und stärker mikroperspektivisch argumentiert. Nicht die Erforschung einer gesamtgesellschaftlichen Wirtschafts- und Konsumkultur ist damit zielgebend für kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen, sondern Konsum- und Wirtschaftspraxen in ihren jeweiligen sozialen, regionalen und kulturellen Kontexten und Ausformungen.
47 Siehe zur Debatte Hann und Hart 2011 sowie Wilk und Cliggett 2007; einen Überblick bietet auch Seiser 2009. 48 Vgl. Mohrmann 2001. 49 Vgl. König 2008a. 50 Gerndt beschreibt Globalisierung vor allem als ein Bewußtseinsphänomen: „Sie findet in unseren Köpfen statt, wenn nämlich die Dinge des Alltagsgebrauchs im Hier und Jetzt als Produkte der globalen Welt wahrgenommen werden und der Globus von nun an unablässig den Reflexionshorizont unseres alltäglichen Handelns darstellt.“ (Gerndt 2002, 261f). Er verweist dabei auf den den Dingen inhärenten Produkt- und Warenstatus und deren globale Zikulation.
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Angesichts der Ökonomisierung vieler Lebensbereiche und der wachsenden gesellschaftlichen Thematisierung von und Kritik am Konsum finden in jüngster Zeit zunehmend Forschungstätigkeit in diesen Bereichen statt.51 Im Zentrum der Tagung „Kultur der Ökonomie. Materialisierungen und Performanzen des Wirtschaftlichen in kulturwissenschaftlicher Perspektive“ stand 2012 die Frage, wie Ökonomie in anderen gesellschaftlichen Bereichen verhandelt wird.52 Den Phänomenen des Anti-Konsums in Form von Sparen und sparsamen Alltagspraxen in urbanen Kontexten widmet sich etwa das Forschungsnetzwerk „Low-Budget Urbanity“53 der Hafen-City Universität Hamburg. Zielgebende Forschungsfrage ist dabei, wie sich Urbanität und das Leben in der Stadt unter dem Zwang des Sparens verändert.54 Knappe Ressourcen im Sinne von knappen städtischen Kassen und deren Wirkung auf städtische Akteure steht dabei im Forschungsfokus. Der 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V. 2013 in Nürnberg mit dem Thema „Materialisierung von Kultur. Diskurse Dinge Praktiken“ widmete der Alltagsökonomie das Panel „Krise begreifen. Über Europäisierung, Alltagsökonomie und den Umgang mit Dingen“, welches die Beziehung von wirtschaftlichen und politischen Aushandlungsprozessen sowie alltäglichen Lebenswelten untersuchte und dabei vor allem knappe ökonomische Ressourcen in den Blick nahm.55 Die Gesellschaft für Ethnographie e.V. in Kooperation mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin veranstaltete 2015 die Tagung „Strategien der Subsistenz. Neue prekäre, subversive und moralische Ökonomien“. Ziel war die Erkundung von alternativen lokalen und regionalen Handlungsstrategien unterschiedlicher Akteure und Akteursgruppen im Umgang 51 Siehe Kramer 2013, 167 und 180f. 52 Vgl. Meyer und Lemberge 2012 sowie Klein und Windmüller 2014. 53 Siehe dazu low-budget-urbanity.de; Das Netzwerk veranstaltete vom 25.03. bis 28.03.2013 das Early Career Research Lab „What’s the value of saving costs? The Urban Economics and Politics of Everyday Saving Practices“, siehe dazu Bialski et al. 2015; Alexa Färber entwickelt konzeptionelle Rahmungen für alltagsökonomische Praktiken im Kontext von urbanen Sparzwängen (vgl. Färber 2014). 54 Das Projekt nutzte verschiedene Medien zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und zur Vermittlung wissenschaftlichen Wissens. So haben Studierende die Ausstellung „SPARSTADT – zwischen Aushalten und Haushalten“ vom 29.08. bis 26.10.2014 im Hamburg Museum mit weiteren begleitenden Veranstaltungen durchgeführt. Im Zuge des vorbereitenden und begleitenden Seminars ist ein Blog mit reicher Materialsammlung entstanden, der Räume des Sparens untersucht (siehe usseonline.wordpress.com). 55 Vgl. Grewe und Kühne 2014.
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mit Finanzkrise, Wachstumsparadigma, globalen Warenflows und der Entwicklung widerständiger Subsistenzformen.56 Praktiken des Do-It-Yourself (DIY) schließen an Praktiken von Subsistenzwirtschaften an. Dabei produzieren und konsumieren Akteure gleichzeitig. Die Veranstalter der 2105 in Wien stattgefundenen Tagung „Do it! Yourself? (Forschungs-)Praktiken des Selbstmachens“, Klara Löffler und Nicola Langreiter, kritisieren, dass die ökonomische Dimension von DIY in der Kulturwissenschaft bisher vernachlässigt werde. 57 Eine kulturwissenschaftliche Perspektive kann anhand von DIY deutlich machen, dass sich Konsum und Produktion als Begriffe der Alltagsökonomie weniger scharf abgrenzen lassen, wie das in der theoretischen Konzeption der Begriffe gedacht ist, vielmehr scheint es, dass auf einer lebensweltlichen Ebene die Beziehung weniger komplementär als vielmehr ergänzend gedacht werden muss. Die Frage ist, inwiefern bei DIY-Praxen und den rahmenden Diskursen knappe Ressourcen und Überfluss verhandelt werden. Als Zwischenfazit soll hier festgehalten werden, dass zu Wirtschaft und Konsum als kulturwissenschaftliche Kategorien aktuell eine breite Forschungstätigkeit sichtbar wird, die ökonomische Alltagspraktiken und Alltagsökonomien untersucht. Zwar geht es dabei auch um den Umgang mit knappen Ressourcen, etwa in Form von städtischen Sparzwängen oder der europäischen Finanzkrise, die dialektische Beziehung zwischen Überfluss und Knappheit, wie sie in der vorliegenden Arbeit zum Thema gemacht werden soll, stellt dabei ein Desiderat dar. Das erst in den letzten Jahren erstarkte kulturwissenschaftliche Interesse an ökonomischen Kulturen muss im Kontext gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen gesehen werden, durch die etwa Formen von Subsistenz und DIY an Bedeutung gewinnen. So ließe sich ein gesamtgesellschaftlicher Wandel mit Hilfe der Kategorien Konsum und Wirtschaft beschreiben, etwa mit den Begriffen Wohlstandsgesellschaft, Überflussgesellschaft, Konsumgesellschaft, Freizeit- oder Erlebnisgesellschaft. 58 Auch die Geschichtswissenschaftler HeinzGerhard Torp und Claudius Haupt stellen im Handbuch zur Konsumgesellschaft die Stärke des Konsumbegriffs als analytische Kategorie heraus. Konsum eigne sich, um gesellschaftlichen Wandel zu erforschen, weil er als Phänomen multidimensional sei und verschiedene Ebenen sozialer Wirklichkeit durchdringe: 56 2006 wurde am Institut für Ethnologie in Hamburg der Begriff der urbanen Subsistenz diskutiert, vordergründig mit dem Kriterium der Unsicherheit. Dabei standen Akteure im Mittelpunkt, die unter unsicheren Lebensbedingungen Handlungsstrategien und kulturelles Wissen produzieren (vgl. Ethnoscripts 2006). 57 Vgl. Langreiter und Löffler 2016. 58 Vgl. König 2000.
30 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM UMGANG MIT Ü BERFLUSS UND K NAPPHEIT „Konsum beruht erstens auf Produktionsleistungen und ist selbst eine wirtschaftliche Praxis; zweitens fungiert er als Mittel von Identitätsbildung und Distinktion; drittens wird er immer wieder zum Gegenstand politischer Debatten und Interventionen; viertens ist er nach kulturellen Leitbildern gerichtet; und fünftens ist er, verstärkt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, zum Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung geworden.“59
Um die historische Entwicklung und die Fragen, was Konsumgesellschaften kennzeichnet, soll es im Folgenden besonders aus einer sozialhistorischen Sicht gehen.60 Ziel ist herauszuarbeiten, dass Konsumgesellschaften durch Knappheiten und Überflüsse gekennzeichnet sind. Dabei gibt es unterschiedliche Positionen zu der Frage, ab wann von einer Konsumgesellschaft gesprochen werden kann. Während die eine Position den Beginn einer Konsumgesellschaft im Zuge der zunehmenden Technisierung datiert, bestimmt der Historiker Aren Andersen ebenso wie Wolfgang König den Beginn der Konsumgesellschaft in der Nachkriegszeit im Zuge des „Wirtschaftswunders“ der 1950er Jahre.61 Andersen sieht den Einstieg in die Konsumgesellschaft und den damit einhergehenden Mentalitätswechsel begründet in den wachsenden finanziellen Möglichkeiten der Bevölkerung. Steigende Löhne und sinkende Gesamtausgaben für Grundbedürfnisse ermöglichten ab den 1950er Jahren zunehmend Ausgaben für andere Dinge.62 Zygmunt Baumann stellt den Wandel von einer produzierenden zu einer konsumierenden Gesellschaft dagegen bereits ab den 1920er Jahren fest.63 Dabei geht er von der These aus, dass das wichtigste Kennzeichen einer Konsumgesellschaft die Verwandlung von Konsumenten in Waren sei und Menschen selbst zum Konsumobjekt würden. Er begründet, warum Konsumgüter immer schneller zu Müllgütern werden, wie folgt: „Die wichtigste Form des Umgangs mit der Unzufriedenheit ist im Konsumzeitalter die Beseitigung der Objekte, die Gefühle der Unzufriedenheit auslösen. Langlebigkeit wird in der Konsumgesellschaft abgewertet, ,altʻ wird gleichgesetzt mit ,veralteteʻ, nicht mehr zu gebrauchen und für die Müllhalde bestimmt.“64
59 Haupt und Torp 2009, S. 10. 60 Zur historischen Entwicklung der Begriffe Konsum und Konsumgesellschaft und deren Bedeutungswandel siehe Wyrwa 1997. 61 Zur Kritik an der Identifizierung von Konsumgesellschaft als Phänomen der Nachkriegszeit siehe Haupt und Torp 2009, S. 11. 62 Andersen 1997, 766f. 63 Vgl. Bauman 2009. 64 Bauman 2009, S. 32.
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Eine Konsumgesellschaft sei deshalb durch die gut entwickelte Abfallbeseitigungsindustrie gekennzeichnet. Konsumgesellschaften produzieren in dieser Lesart Gefühle der Unzufriedenheit, die zu Überfluss, materialisiert in Form von Müllhalden, führen: Die Dinge werden überflüssig und müssen entsorgt werden. Wolfgang König sieht den Beginn der Konsumgesellschaft in Deutschland dagegen in der Nachkriegszeit. Grundlage für die Entwicklung einer an Konsum orientierten Gesellschaft sei die Steigerung der Massenproduktion, die Güter und Dienstleistungen verbilligten, etwa durch fertigungsfreundliches Konstruieren, Standardisierung, Steigerung des Material-, Energie- und Informationsflusses, Sparsamkeit, Maschinisierung und Automatisierung. Aber auch verkehrstechnische Innovationen seien nötig gewesen, um die produzierte Ware zum Kunden zu bewegen, sowie die Entwicklung von Werbung und Marken. Teil dieser Prozesse seien steigende Reallöhne und sinkende Arbeitszeit, sodass Freizeit zum Konsumieren frei wurde. König macht diese Entwicklungen in den unterschiedlichen Konsumbereichen durch folgende Begriffe deutlich: „Kommerzialisierung, Industrialisierung und Technisierung, Vermehrung in quantitativer und qualitativer Hinsicht sowie Industrialisierung“ 65 . Er beschreibt, dass die Konsumgesellschaft im 20. Jahrhundert global wurde und die Globalisierung Rohstoffe, Halbfertigprodukte und Konsumgüter, aber auch Mobilität günstig gemacht habe und global zirkulieren ließ. Konsum bedeute für den größten Bevölkerungsteil nicht mehr nur, Grundbedürfnisse, wie Ernährung, Kleidung und Wohnen, ausreichend zu decken, sondern die meisten Konsumhandlungen zielten auf die Erfüllung von Luxus- und Kulturbedürfnissen.66 Nicht mehr die Deckung von Mangel oder Notwendigkeit verursacht in dieser Lesart Konsum, sondern Konsumbedürfnisse verursachen Überfluss.67 Auf die Bedeutung des Internets und des Finanzmarktes für die Konsumgesellschaft geht König 2000 noch nicht ein. Dabei kennzeichnen diese technologischen und sozialen Entwicklungen die jüngste Vergangenheit des Wirtschaftssystems wesentlich. Der Finanzmarkt und damit die globalen Geldströme stellen den monetären Part der Gesamtwirtschaft dar. 2008 setzte die von den USA aus65 König 2000, S. 9–10. 66 König 2000, S. 32. 67 Der Wirtschaftswissenschaftler Till Johannes Hoffmann geht davon aus, dass Schmuck und Prunk Verschwendung und damit Ausdruck von Überfluss sei (vgl. Hoffmann 2009). Diese Perspektive beachtet nicht, dass sich soziale Strukturen in Dingen materialisieren. Arjun Appadurai hat darauf hingewiesen, dass die Bewertung von Dingen und Waren Ausdruck von sozialen Hierarchien ist (vgl. Appadurai 2010). Des Weiteren sind die Ausführungen von Hoffmann normativ geprägt und bieten wenig Anschluss für eine kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit Überfluss.
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gehende Finanzkrise in der Europäischen Währungsunion ein. Der Wirtschaftswissenschaftler Norbert Schuppan zeichnet die Gründe und den Verlauf der europäischen Finanzkrise nach und beschreibt, dass die mögliche Überschuldung von Banken staatliche Finanzierungen notwendig machte, was wiederrum zur Staatenverschuldung in verschiedenen europäischen Ländern führte. Dabei stellt er die zunehmende Interdependenz von Realwirtschaft, Bankensystem und Staatsverschuldungen in der EU heraus. Die Einbrüche des Privatkonsums in den USA hätten nach der Bankenkrise zur Reduzierung der amerikanischen Wirtschaftsleistung und zu abnehmenden Importen geführt. „Die Krise der globalen Realwirtschaft war durch [einen] starken [einen, sic!] Einbruch des weltweiten Wirtschaftswachstums gekennzeichnet.“68 Die globale Finanzkrise und die globale Wirtschafskrise hätten aber starke Auswirkungen auf die Europäische Währungsunion gehabt und zur Eurokrise geführt. Die Eurokrise habe mit der Staatsschuldenkrise Griechenlands, Portugals, Irlands, Spaniens und Italiens eingesetzt. Kern dieser Krise sei die Staatsschuldenkrise Griechenlands, so Schuppan. 69 Er diagnostiziert ab 2010 die Überwindung der Krise u.a. in Deutschland und dem Wiedererstarken der Weltkonjunktur.70 Seit der globalen Wirtschafts-, Finanz-, und Schuldenkrise stehe der Begriff des Kapitalismus wieder vermehrt in der Kritik, so der Sozialhistoriker Jürgen Kocka. „Der Begriff ist […] in Europa so aktuell wie schon lange nicht, wenn auch mehr bei Publizisten, Sozial- und Kulturwissenschaftlern als bei Ökonomen.“71 Der Brockhaus spricht beim Kapitalismus von einem unpräzisen Begriff „für ein modernes Wirtschaftssystem, das auf Privateigentum an Produktionsmitteln, mithin privatem Unternehmertum, Steuerung der dezentralen einzelwirtschaftlichen Entscheidungen über das Preissystem des Marktes sowie dem Prinzip der Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung beruht und somit eine Marktwirtschaft darstellt.“72
Der Sozialhistoriker Jürgen Kocka hat jüngst die „Geschichte des Kapitalismus“ aufgearbeitet und beschreibt, dass zahlreiche Intellektuelle, Sozial- und Kulturwissenschaftler im späten 19. und 20. Jahrhundert den Kapitalismus als wich-
68 Schuppan 2014, S. 101. 69 Schuppan 2014, S. 119. 70 Der gesamte Krisenprozess, deren Auswirkungen und Lösungen seien aber bis zu seiner Datenerhebung 2013 noch nicht abgeschlossen, so Schuppan (Schuppan 2014, S. 102). 71 Kocka 2013, S. 6. 72 Brockhaus Enzyklopädie 2006.
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tigstes Epochenmerkmal ihrer Gegenwart begriffen haben.73 Die frühe wissenschaftliche Auseinandersetzung zeige sich vor allem als deutsche, weniger als englische oder französische, wobei der Begriff weniger als politischer, sondern als analytischer Systembegriff Verwendung gefunden habe, wie Kocka darstellt. Er definiert Kapitalismus wie folgt: „Erstens beruht Kapitalismus auf individuellen Eigentumsrechten und dezentralen Entscheidungen. Diese Entscheidungen führen zu Resultaten, sowohl Gewinnen als auch Verlusten, die Individuen zugeschrieben werden. Mit ‚Individuen‘ sind nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Gruppen, Firmen oder Firmenzusammenschlüsse gemeint. Zweitens findet im Kapitalismus die Koordination der verschiedenen wirtschaftlichen Akteure vor allem über Märkte und Preise, durch Wettbewerb und Zusammenarbeit, über Nachfrage und Angebot, durch Verkauf und Kauf von Waren statt. Das ‚zur Ware werden‘, die Kommodifizierung von Ressourcen, Produkten, Funktionen und Chancen ist zentral. Es setzt Arbeitsteilung und Geldwirtschaft voraus. Drittens ist Kapital grundlegend für diese Art des Wirtschaftens. Das impliziert die Investition und Reinvestition von Ersparnissen und Erträgen in der Gegenwart im Streben nach Vorteilen in der Zukunft [alle Hervor. i. O.]. Dazu gehören die Gewährung und die Aufnahme von Krediten, die Akzeptanz von Profit als Maßstab sowie die Akkumulation mit den Perspektiven Wandel, Wachstum und dynamische Expansion. Dazu gehören der Umgang mit Unsicherheit und Risiko sowie die Kontrolle der Rentabilität im Zeitverlauf.“74
Kocka vertritt die These, dass ohne den Kapitalismus der Fortschritt der letzten Jahrhunderte kaum möglich gewesen sei, auch habe bisher keine Alternative zum Kapitalismus gleichwertig viel Wohlstand und Freiheit gebracht. Er betont, dass der Kapitalismusbegriff aus der Kritik entstanden und seit der Finanz- und Schuldenkrise 2008 das Interesse an Kapitalismuskritik wieder gestiegen sei. Materialisiert und damit sichtbar wurde diese Kritik etwa durch die OccupyBewegung und deren Protestcamps, welche im Zuge der Krisenereignisse u.a. 73 Er hebt drei Klassiker heraus, die den Kapitalismusbegriff prägten: Erstens Karl Marx, der sich mit der kapitalistischen Produktionsweise auseinandersetzte und deren prägende Kraft für Gesellschaft, Kultur und Politik beschrieb; zweitens Max Weber, dessen Arbeit historisch weiter zurückgreift als die von Marx. Weber definierte Kapitalismus durch die Orientierung am Tausch, durch die durch Marktkämpfe und – kompromisse entstehenden Marktpreise (vgl. Weber 1972); Drittens Joseph A. Schumpeter, der den Begriff als Form der privaten Eigentumswirtschaft definierte, in der durch geliehenes Geld Innovationen durchgeführt werden. Schumpeter betonte damit die Bedeutung des Kredits und der Spekulation (vgl. Schumpeter 1946). 74 Kocka 2013, S. 20.
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mit dem Begriff des Kapitalismus die neoliberale Wirtschaftsordnung und den Kapitalmarkt kritisierten.75 Die Kritik am Kapitalismus unterscheidet Kocka in verschiedene Themenschwerpunkte: Die grundsätzliche Kritik aus der römisch-katholischen Kirche habe abgenommen. Die rechtsradikale-völkische Kapitalismuskritik habe keine Konjunktur mehr. „Die Verelendung der Arbeiterklasse wirft man hierzulande dem Kapitalismus auch aus der politischen Linken nicht mehr vor.“76 Auch die Kritik an der Entfremdung der Arbeit werde heute kaum mehr aufgegriffen. Kocka stellt dabei heraus, dass der Kapitalismus in der Lage sei, die Kritik durch Anpassung zu unterwandern und zu inkorporieren. Aktuelle Kritikthemen sieht Kocka im Finanzsektor, gegen zunehmende Ungleichheit und ungenügende Gerechtigkeit. „Beklagt werden des Weiteren die dauernde Unsicherheit, der unablässige Beschleunigungsdruck und die extreme Individualisierung, die dem Kapitalismus inhärent sind und die, ohne Gegensteuerung, zur Erosion des Sozialen und zur Vernachlässigung des Gemeinwohls führen.“77
Besonders auf die sozialen Auswirkungen und die veränderten Arbeitsverhältnisse geht der Soziologe und Geschichtswissenschaftler Richard Sennett in seinem Buch zur neuen Kultur des Kapitalismus ein. Er diskutiert dabei kritisch die zunehmende Forderung nach Flexibilität, die in die Lebens-, Arbeits- und Gefühlswelt von Menschen eingreife: „Um den Fluch vom Begriff ‚Kapitalismusʻ zu nehmen, wurden im letzten Jahrhundert viele Umschreibungen kreiert, wie ‚freies Unternehmertumʻ oder ‚marktwirtschaftliches Systemʻ. Heute wird der Begriff Flexibilität in diesem Sinne gebraucht. Mit dem Angriff auf starre Bürokratien und mit der Betonung des Risikos beansprucht der flexible Kapitalismus, den Menschen, die kurzfristige Arbeitsverhältnisse eingehen, statt der geraden Linie einer Laufbahn im alten Sinne zu folgen, mehr Freiheit zu geben, ihr Leben zu gestalten.“78 75 Siehe zur Occupy-Bewegung Jackson 2013 sowie aus politischer Perspektive Geiges 2014; aus kulturwissenschaftlicher Perspektive siehe den Essay von Mörtenböck und Mooshammer 2012; zur Kritik am ökonomischen Neoliberalismus siehe Kern 2008, 100f. 76 Kocka 2013, S. 125. 77 Kocka 2013, S. 127; siehe zur Erosion des Sozialen bzw. der „Entbettung“ des Wirtschaftssystems aus der Gesellschaft auch Polanyi 1978. 78 Sennett 2010, S. 11.
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Die kulturpessimistische Haltung und die Thesen der Flexibilität und der flüchtigen Moderne verfolgt auch Zygmund Baumann. Er kritisiert, dass ein Effekt der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die Produktion „nutzloser Menschen“79 sei, die in der neoliberalen Logik nicht gebraucht würden. Neben den sozialen Auswirkungen könne als weitere Dimension der Kapitalismuskritik die Abhängigkeit des Kapitalismus von Wachstum und Expansion gesehen werden. 80 Daran schließt sich, so Kocka, die Frage an, wo die Grenzen von Märkten liegen sollten. Die von Kocka als Kapitalismuskritik diagnostizierte Wachstumskritik hat in den letzten Jahren an wissenschaftlichem und öffentlichem Interesse gewonnen. Unter den Stichwörtern Degrowth, reduktive Moderne und Postwachstums, wie sie etwa von Niko Paech und Harald Welzer populär gemacht werden, werden den Fragen nach alternativen Wirtschafts- und Konsumformen nachgegangen. Konsumkritik, so stellt die Kulturwissenschaftlerin Gudrun König heraus, ist ebenso mental und habituell gelernt wie das Konsumieren.81 Um 1900 begann sich die Kritik am Konsum zu institutionalisieren und hat auch ökologische Argumente hervorgebracht, die noch heute aktuell seien, so König. Auch der Konsumforscher Wolfgang König meint, dass die Entwicklung der Konsumgesellschaft von Beginn an von Kritik begleitet gewesen sei: „Die kritischen Stimmen thematisierten drei mit Konsum in Zusammenhang stehende Komplexe: Kultur, Herrschaft, Natur.“82 Erstens kritisiere die kulturkritische Position, dass mit steigenden Konsummöglichkeiten eine Vermassung und damit Kulturzerfall einhergehe. Konsumkritik als Herrschaftskritik sehe zweitens im Konsum ein Medium zur Herrschaftsstabilisierung. Diese Position meint, dass Menschen die Verwertungsinteressen oder politischen Verhältnisse durch steigenden Konsum nicht mehr in Frage stellen. Drittens stehen die Auswirkungen von Konsum auf die Natur im Fokus der Kritik, deren Verbrauch und deren Zerstörung dann problematisiert werden. Alle drei Formen der Kritik – Kultur, Herrschaft, Natur − seien im 19. und 20. Jahrhundert vertreten, wobei sich die Begründungen modifiziert hätten, so König. „Im Verlauf der Industrialisierungsperiode verlagerte sich der Schwerpunkt der Konsumkritik von kulturkritischen über herrschaftskritischen zu umweltkritischen Argumenten.“83 Diese umweltkritischen Argumente gegen Konsum fanden im Zuge der Umweltdiskussion und den sozialen Bewegungen in den 1960er und 1970er Jah79 Bauman 2005, S. 12. 80 Vgl. Kocka 2013. 81 König 2009, S. 26. 82 König 2000, S. 439. 83 König 2000, S. 440.
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ren breite öffentliche Resonanz. So stellt König dar, dass etwa Bücher wie „Silent Spring“84 von Rachel Carson und „The Limits of Growth“85 des Club of Rome zur öffentlichen Debatte über Umweltzerstörung und knappe Ressourcen beigetragen hätten. Besonders Anfang der 1970er erschien eine Fülle von konsumkritischer Literatur, die, wie die Politikwissenschaftlerin Tine Stein verdeutlicht, zur Etablierung eines „ökologischen politischen Denkens“ 86 beigetragen hat.87 In dieser Zeit habe eine breite Implementierung von Umweltbewusstsein stattgefunden, sodass sich Umweltschutz dauerhaft auf der politischen Agenda etablierte.88 Aus dieser umweltethischen Perspektive werden Konsum auf Grund seiner Umweltauswirkungen und knappe ökologische Ressourcen zu einem wirtschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und moralischen Handlungsfeld.89 Die Argumentation gegen Konsum hat sich, wie Wolfgang König und Gudrun König zeigen, auf Grund der ökologischen Probleme in den letzten Jahrzehnten zugespitzt. Ausgehend von ökologischen und wirtschaftlichen Krisenerfahrungen entwickeln Akteure Strategien, die zur Lösung von Umweltzerstörung 84 Vgl. Carson 1962. 85 Vgl. Meadows et al. 1972. 86 Stein 2016, S. 203. 87 Siehe dazu König 2009, S. 446; Der Psychotherapeut und Sozialwissenschaftler Erich Fromm entwarf eine Gesellschafstheorie als Kritik an der „Domestizierung der inneren Natur“ (Stengel 2011, S. 17) im Kapitalismus. Der Kapitalismuskritiker wurde besonders ab den 1970er Jahren eine der Leitfiguren in alternativen Bewegungen in Europa. Auch in meiner Feldforschung verwiesen verschiedene Akteure auf seine Werke. So beschreibt etwa auch die Homepage KarmaKonsum als „führende Trendforschungs- und Beratungsgesellschaften zu den Themen gesunde und nachhaltige Lebensstile (LOHAS) und neues Wirtschaften (CSR)“ in ihrem Manifest: „SEIN ist für uns wichtiger als HABEN. Persönlichkeitsentwicklung und Erfahrung wiegt für uns mehr als materieller Überfluß. Zum Glücklichsein schauen wir nach Innen und auf unsere sozialen Beziehungen.“ (siehe KarmaKonsum.de). Diese Unterscheidung von Haben und Sein kann als Hinweis auf die Theorie von Erich Fromm gedeutet werden (vgl. Fromm 2001). 88 König 2000, S. 446. 89 Dass diese moralische Dimension von Konsumkritik keine neue ist, verdeutlicht der Geschichtswissenschaftler Detlef Briesen anhand des Warenhauses. Er fragt, wie sich durch den Massenkonsum die Vorstellung von sozialer Moral in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verändert habe. Menschen stünden seit Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts durch die Entstehung von Massenkonsum vor der Wahl, ob sie „‚konsumfreudigeʻ oder eher ‚asketischeʻ Entscheidungen“ treffen, so Briesen (Briesen 2001, S. 25).
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und Ressourcenverknappung beitragen sollen. Auf einer politischen Ebene ist hier etwa die Etablierung des Konzeptes der Nachhaltigkeit zu nennen. Auch die zunehmende wissenschaftliche Beschäftigung mit Allmende, Commons oder Resilienz weist in diese Richtung.90 Wege, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, sind der Umbau von ressourcenschonenden Produktions- und Distributionswegen sowie der Etablierung von nachhaltigen Produkten: Strategien, die unter „Green Growth“91 zusammengefasst werden können. Die Umstellung auf „grüne“ Wirtschafts- und Konsumgüter soll zur effektiveren und schonenderen Nutzung von Ressourcen führen. Dabei wird in der kritischen Fachdiskussion herausgestellt, dass eine steigende Effizienz zu einer steigenden Produktivität führe und damit zu steigendem Ressourcenverbrauch. Es würden zwar auf der einen Seite Ressourcen eingespart, aber mit dem Konzept von Wachstum und Entwicklung dennoch mehr Ressourcen verbraucht. Dieser Effekt wird Reboundeffekt genannt.92 Kritiker wie Tilman Santarius gehen davon aus, dass die Idee von grünem Wachstum der Idee einer Großen Transformation Richtung Nachhaltigkeit entgegen stehe, da wirtschaftliches Wachstum immer mit einem steigenden Ressourcenverbauch verbunden sei. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive lässt sich hier zeigen, wie der Begriff „grün“ dazu beiträgt, umweltschonende Prakti-
90 Siehe Ostrom 1999, Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung 2009 sowie Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung 2012; siehe auch die Arbeit des Begründers der Transitiontown-Bewegung Hopkins 2012 und Hopkins 2011. 91 Die OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development − definiert Green Growth als „fostering economic growth and development while ensuring that the natural assets continue to provide the resources and environmental services on which our well-being relies. To do this it must catalyse investment and innovation which will underpin sustained growth and give rise to new economic opportunities.“ (OECD 2011, S. 9). Als Teil von Green Growth-Strategien sieht die Organisation die Steigerung der Umwelt- und Ressourcenproduktivität. Ressourcen sollten also effizient genutzt werden und eine Effektivitätssteigerung Ressourcen einsparen, sodass sich eine ressourcen- und umweltschonende Wirtschaftsweise etabliere. 92 Siehe dazu die Studie von Santarius 2012; Santarius unterscheidet verschiedene Reboundeffekte, deren Entstehungsgründe und diskutiert mögliche politische Konsequenzen, diese Effekte einzugrenzen. Er stellt dabei heraus, dass grünes Wachstum immer mit steigender Nachfrage und damit mit steigendem Ressourcenverbrauch verbunden sei und damit einer nachhaltigen Gesellschaft entgegenstehe.
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ken und Konzepte zu markieren. Wie bei dem Begriff der „Green Economy“93 werden beim „Green Growth“ Konzepte durch den Zusatz „grün“ symbolisch aufgeladen. An dieser Stelle kann keine Diskursanalyse zur Etablierung dieser „grünen“ Begriffe durchgeführt werden. Das Aufkommen soll aber als Hinweis dienen, dass innerhalb der wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit Klimawandel und Umweltschutz nach Lösungen und Strategien gesucht wird. Die Prognosen, wann wirtschaftlich bedeutende Ressourcen, wie Erdöl und Kohle, zu Ende gehen, unterscheiden sich so wie die Lösungsvorschläge, die dann gemacht werden. Dabei deuten sich hier Knappheitsvorstellungen an, die durch Effizienz und Produktivität als Teil des „grünen Wachstums“ überwunden werden sollen. Das Wachstumsparadigma ist besonders in den Wirtschaftswissenschaften und politischen Argumentationen zu finden. Das Wachstumsparadigma und Konzepte von Knappheit befinden sich jedoch in einem Konkurrenz- und Konfliktverhältnis. So verfolgen Kritiker des Wachstumsparadigmas Ideen des Degrowth94 und Postwachstums95. Die Idee der Postwachstumsökonomie wird besonders von dem Ökonom Niko Paech vertreten. Seine Forderungen nach Konsumreduktion finden sich auch bei Harald Welzer, der von einer reduktiven Moderne spricht.96 Paech betont dabei, dass seine Idee von Postwachstum das Schrumpfen beinhalte, aber kein Verzicht bedeute. Im Gegenteil verweist er darauf, dass weniger Konsum ein Autonomiegewinn bedeute und damit positiv konnotiert werden könne.97 Diese Perspektive fokussiert das Individuum und individuellen Konsum, sodass Konsu-
93 Der Begriff der Green Economy ist durch die UNEP, das UN-Umweltprogramm, das nach der Stockholmer UN-Versammlung 1972 gegründet wurde, geprägt (siehe nachhaltigkeit.info). 94 Die 4. Internationale Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit fand vom 02.09. bis 06.09.2014 in Leipzig statt (siehe degrowthkonferenz.de). 95 In Jena untersuchte die DFG-KollegforscherInnengruppe „Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. Dynamik und (De-)Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften“ aus soziologischer Perspektive Umbruch- und Krisenphänomene und begleitete u.a. die Degrowth in Leipzig wissenschaftlich, siehe dazu die Teilnehmer_innenbefragung in Eversberg 2015. 96 Vgl. Welzer 2013. 97 Vgl. Paech 2012 sowie Paech 2014.
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menten verantwortlich für die Lösung von Klimaveränderungen und sozialer Ungerechtigkeit werden.98 Wie gezeigt werden sollte, können Konsum und Wirtschaft als Kategorien für die Kulturanalyse genutzt werden. Aus wirtschaftlicher, politischer und normativer Perspektive wird Konsum im Zuge von Umweltdebatten zum Konfliktfeld, in dem knappe Ressourcen diskursiv hergestellt und der „richtige“ Umgang mit knappen Ressourcen ausgehandelt wird. Ethischer, fairer, alternativer, nachhaltiger, grüner Konsum und Konsumverzicht sollen zur Schonung von Ressourcen und zur sozialen und intergenerationalen Gerechtigkeit beitragen.99 Die Kritik kann als Überflussmanagement gelesen werden: Sie arbeitet sich an dem „Zuviel“, an der Verschwendung und dem Abfall, normativ ab. Kritiker deuten Konsum um, um ein Wertesystem zu etablieren, das knappe Ressourcen schützt. Materieller Überfluss in Form von Konsumgütern und Müll wird zunehmend auf Grund der ökologischen und sozialen Auswirkungen (kultur-)wissenschaftlich verhandelt. Kapitalismuskritik und Konsumkritik können dabei als diskursive Strategien im Umgang mit dem „Zuviel“ gedeutet werden. Konsum ist − neben den symbolischen und diskursiven Dimensionen − auch ein Akt der Aneignung von konkreten Dingen, die als „Kristallisationen unserer kulturellen Praxis“100 verstanden werden können. Konsumpraxen und Konsumgüter werden innerhalb ihrer kulturellen Kontexte zum Thema kulturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Zum Umgang mit Dingen und Waren haben sich verschiedene theoretische Ansätze entwickelt, deren mögliche Anwendung auf die drei Forschungsfelder im Folgenden diskutiert werden sollen.
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Menschen sind täglich mit einer Vielzahl von Dingen umgeben, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. In den drei untersuchten Forschungsfeldern zeigt sich
98 Siehe kritisch zum Diskurs der Konsumentenverantwortung Heidbrink et al. 2011; siehe dazu auch Becks These der Individualisierung globaler Risiken: „In Verbindung mit dem Neoliberalismus wird der Einzelne zum ‚moralischen Unternehmer seiner Selbstʽ und damit verantwortlich für das zivilisatorische Schicksal.“ (Beck 2007, S. 302). 99 Siehe zur moralischen Dimension von alltäglichen Konsumpraktiken Gullestad 1995; zum Fairen Handel siehe Winterberg 2015. 100 Kaschuba 2003b, S. 224.
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ein spezifischer Umgang mit Dingen: Nicht mehr genutzte Kleidung wird geteilt und getauscht; Lebensmittel, ursprünglich entsorgt, werden „gerettet“; Elektrogeräte wieder instandgesetzt. Wie können Dinge, der Umgang und die Bedeutungszuschreibung von Dingen zur Kulturanalyse genutzt werden? Wie drücken sich durch diese spezifischen Praxen Lebensstile, Welt- und Selbstentwürfe aus? Im Zuge des material turns in den Kulturwissenschaften ist der Umgang mit Dingen ein breit aufgestellter Forschungsbereich, der eine kaum zu überschauende Literatur hervorgebracht hat. Das folgende Kapitel kann deshalb den Forschungsstand zur materiellen Kultur nur kursorisch diskutieren, ausgewählte Ansätze darstellen und ihre Perspektiven bezogen auf die Forschungsfelder prüfen. Der Begriff der materiellen Kultur impliziert eine Trennung zwischen materiell − als greifbares Objekt − und immateriell − als Sprache, Deutungen, Wissen. Diese Trennung ist jedoch unzulässig, wenn es um das Verstehen von Alltag geht, so der Kulturanthropologe Hans Peter Hahn:101 „Gesellschaftlicher Alltag wird nicht nur von materiellen Dingen geprägt, aber auch nicht allein vom Handeln und Wissen. Erst in der Verbindung der beiden Dimensionen ergibt sich ein Zugang zum Verstehen des Alltags. Die Verbindung von Materiellem und Immateriellem ist dabei als etwas Gleichzeitiges aufzufassen. Weder ist das Immaterielle dem Materiellen nachgeordnet, noch sind die Denkweisen als vorgängig, d.h. als Ursprung und Quelle der Dinge aufzufassen.“102
Die Volkskunde beschäftigte sich seit ihren Anfängen mit den Objekten bestimmter sozialer Gruppen, vornehmlich im bäuerlichen Kontext.103 Erst ab den 1960er und 70er Jahren zeigt sich ein Paradigmenwechsel von einer objekt- zur kontextorientierten Sachkulturforschung. 104 „Die Objekte konnten nun als Objektivationen verstanden und Innovationsphasen hinsichtlich des zugrundeliegenden sozialen und kulturellen Wandels interpretiert werden.“105 Damit trat die Beziehung zwischen Mensch und Ding in den Fokus. Aus einer ethnologischen und kulturanthropologischen Perspektive argumentiert Hans Peter Hahn, der drei theoretische Perspektiven unterscheidet: erstens die Wahrnehmung, zweitens die Bedeutungen von und drittens der Umgang mit Dingen bzw. deren Konsum. Hahn nutzt den Begriff der Bedeutungen in der Mehrzahl, weil Dinge Medien der nichtsprachlichen Kommunikation seien und 101 Zur frühen Kritik der Unterscheidung siehe auch Wiegelmann 1970. 102 Hahn 2014, S. 9. 103 Vgl. Neumann 1922. 104 Weber-Kellermann 2003, S. 145. 105 Weber-Kellermann 2003, S. 144.
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damit verschiedene Bedeutungen und Botschaften übermitteln könnten. „Die fundamentale Differenz zwischen der Bedeutung der Dinge aus der Perspektive des Subjekts und der Erklärung von Objekten aus ihren Bedeutungen für die soziale Gruppe heraus“106 unterscheide zwischen „Relevanz und Wahrnehmung“ und Sinnzusammenhängen als zwei sich komplementär gegenüberstehende Aspekte. Zur Bedeutungsanalyse hat Karl Sigismund Kramer mit dem theoretischen Konzept der „Dingbedeutsamkeit“107 beigetragen. Ein Ding ist Kramer folgend durch Stoff, Gestalt und Funktion gekennzeichnet. Erst durch den Umgang mit dem Objekt wird das Ding mit Bedeutung aufgeladen, die Bedeutung von Dingen reicht damit weit über ihre Funktionalität hinaus. Gottfried Korff würdigt die Arbeit von Kramer und die Zentralität der Dingbedeutsamkeit in der Kramer'schen Sachkulturforschung. Er plädiert jedoch wie Hahn für die Verwendung des Plurals, also von Bedeutsamkeiten zu sprechen. Dingbedeutsamkeit heißt für ihn, dass „in den Umgang mit Dingen […] kollektive, kulturell codierte Bedeutsamkeiten eingetragen“108 seien. Bedeutungen seien dadurch von individuellen Verwendungsformen unabhängig, also auch von subjektiven Zuschreibungen alltagspraktischer und emotionaler Art. Gudrun König kritisiert den Begriff der Dingbedeutsamkeit, weil sie die Steigerung der Bedeutungsdimension tendenziell für essentialistisch und neoromantisch hält. „Um prozessorientierte Zuschreibungen zu erfassen, ist der Begriff der Dingbedeutung treffender“, so König.109 Die Bedeutungszuschreibung zeigt sich besonders deutlich an den Rändern, dann wenn Dinge zu Müll werden. Die Beschäftigung mit den Resten, mit Abfall und Müll stellt dabei die Frage nach dem Wert ins Zentrum: Wie verändert sich der Status von Dingen? Wer bestimmt über den Wert von Dingen? Die museumstheoretischen Überlegungen des Historikers Krzysztof Pomian zu „Abfallprodukten“ und zur Entwicklung von kulturellem Erbe stellen heraus, dass durch Brüche, wie die Änderung kollektiver Glaubenshaltungen, Lebensarten, aber auch durch technische Umwälzungen und durch die Propagierung neuer Lebensstile, Dinge ihre Funktion verlieren, sodass Abfallprodukte entstünden.110 Dabei bestimmt das kulturell codierte Ordnungssystem je nach sozialem und historischem Kontext die Grenze zwischen wertvollem Objekt und Müll, wie
106 Hahn 2014, S. 14. 107 Vgl. Kramer 1962. 108 Korff 2000, S. 31. 109 König 2013, S. 31. 110 Vgl. Pomian 1990.
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Sonja Windmüller zeigt. 111 Dinge werden unterschiedlich lange verwendet, in unterschiedlichen Kontexten, werden zu Abfall, thermisch entsorgt, zwischengelagert, recycelt und weiter verwendet oder musealisiert. Dabei verändert sich in diesen Kontexten die Wertzuschreibung von Dingen: Dinge werden etwa zu Waren oder Waren zu Abfall. Arjun Appadurai fokussiert die Zirkulation von Waren und das soziale Leben von Dingen.112 In „regimes of value“ als kulturelle Rahmen bestimmen die sozialen Hierarchien − „politics“ − über den Wert von Dingen. Objekte werden durch den Tausch zu Waren, weil sie einen ökonomischen Wert bekommen, der sich in Raum und Zeit verändert. Arjun Appadurai definiert Waren wie folgt: „Commodities are things with a particular type of social potential, that they are distinguishable from ,productsʻ, ,objectsʻ, ,goodsʻ, ,artifactsʻ and other sorts of things – but only in certain respects and from certain point of view.“113
Die Statusveränderungen von Dingen und Waren zu analysieren, fordert Igor Kopytoff mit dem Konzept der „Objektbiographie“114. Der Anthropologe stellt die These auf, dass Objekte Prozesse der „commoditization“, der „decommoditization“ und der „recommoditization“ durchlaufen, in denen sich die Wertzuschreibung von Objekten und ihr Warencharakter je nach sozialem Kontext verändert.115 Er differenziert damit zwischen Objekten und Waren, wobei ein Objekt durch den Tausch zur Ware wird. „From a cultural perspective, the production of commodities is also a cultural and cognitive process: commodities must be not only produced materially as things, but also culturally marked as being a certain kind of thing.“116 Waren sind für Kopytoff austauschbar, wenn sie den gleichen Wert haben. Sowohl Individuen als auch Kollektive bestimmen über den Wert von Waren durch kulturelle Bedeutungszuschreibungen und kulturelle Klassifikationen, also über kulturelle Codes und geteilte, moralische Vorstellungen. Die Prozesse der de- und re-commoditization sind durch zwei Extrempole gekennzeichnet: singularization und commoditization. Bei Ersterem sind alle Objekte einzigartig. Weil sie dadurch keinen gleichen Gegenwert haben, können sie nicht getauscht werden. Bei dem Zweiten kann alles zur Ware werden, sodass 111 Siehe dazu auch Windmüller 2004, Keller 2009 sowie Thompson 1981. 112 Siehe Appadurai 2010. 113 Appadurai 2010, S. 6. 114 Vgl. Kopytoff 2010. 115 Kopytoff 2010, S. 65. 116 Kopytoff 2010, S. 64.
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perfekte Waren entstehen, die gegen alles getauscht werden können. Diese beiden Extrempole seien kulturell und sozial nicht möglich, wie Kopytoff darstellt. Zwischen diesen Polen finde jedoch ökonomisches Handeln statt. „Most of the time, when the commodity is effectively out of the commodity sphere, its status is inevitably ambiguous and open to the push and pull of events and desires, as it is shuffled about in the flux of social life.“117 Als Zugang zu den Statusveränderungen von Objekten im Zeitverlauf entwickelt er einen biographischen Zugang. Als forschungsleitende Fragen für die Analyse von Objektbiographien formuliert er dann: „What, sociologically, are the biographical possibilities inherent in its ‚statusʻ and in the period and culture, and how are these possibilities realized? Where does the thing come from and who made it? What has been its career so far, and what do people consider to be an ideal career for such things? What are the recognized ‚agesʻ or period in the thingsʼs ‚lifeʻ, and what are the cultural markers for them? How does the thingʼs use change with its age, and what happens to it when it reaches the end if its usefulness?“118
Die Objektbiographie solle dabei nicht auschließlich „in terms of owenership“ betrachtet werden, sondern unter vielen Aspekten.119 Insofern gilt es, der „Karriere“ von Dingen zu folgen, sowohl die gesellschaftlichen als auch individuellen Bedeutungszuschreibungen mitzudenken und einzubeziehen, woher die Dinge kommen, wer sie gemacht hat und was mit ihnen passiert, wenn sie zu Müll werden. Zur Beschreibung des Lebenslaufs von Objekten in bäuerlich geprägten Lebensweisen nutzt die ethnographische Studie von Edith Fél und Tamás Hofer nicht den Begriff der Biographie, sondern des Stoffwechsels: Im „Stoffwechsel der Ausrüstung“ 120 der Bauern in Átany zeigt sich der sich ändernde Status von Dingen. Als Instrument chemiehistorischer Forschungen und mit dem Ziel, den Stoffen und Dingen folgend die Netzwerke menschlicher konfliktreicher Interaktion nachzuzeichnen, beschäftigen sich Jens Soentgen und Armin Reller mit den „Stoffgeschichten“. Sie erzählen die Geschichte von Stoffen und Materialien aus systemischer und kulturhistorischer Perspektive, z.B. von Holz121 und Aluminium122. Welche Stadien ein Objekt bzw. Stoff in seiner Biographie durchläuft, ist 117 Kopytoff 2010, S. 83. 118 Kopytoff 2010, S. 66–67. 119 Kopytoff 2010, S. 66. 120 Fél und Hofer 1974, S. 349; vgl. auch Fél und Hofer 1972. 121 Vgl. Radkau 2007. 122 Siehe Marschall 2008.
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durch den Umgang mit ihm geprägt. Dabei fordert Hans Peter Hahn, dass Objektbiographien die mit dem Gegenstand befassten Personen ebenso wie die Geschichte des Gegenstandes berücksichtigen müssten. „Dinge und Menschen werden mit dem Durchleben ihrer jeweils eigenen Lebensgeschichten miteinander ‚zusammengebundenʻ, und die Dinge werden dadurch zu einem Teil der Biographie von Menschen, auch wenn ihre Geschichte sich mitunter nur in kurzen Abschnitten berühren.“123
Dabei stehen Menschen heute täglich im Kontakt mit unterschiedlichsten Dingen und Waren. Im Zusammenhang mit der Ausweitung des Warenangebots und den globalen Warenströmen konstatiert Gudrun König ein gestiegenes Interesse an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Dingen. „Die wissenschaftliche Hinwendung zu den Dingen als Indikatoren, Instrumente, Wissensgeneratoren, Zeugen, Produkte und künstlerische Inszenierungen hat sich in den letzten Jahren in zahlreichen Disziplinen erneut verdichtet.“124 Erneut, weil in Folge der Auseinandersetzung mit der Akteur-Netzwerk-Theorie die Dinge in den Mittelpunkt rückten. „Dinge treten als Indikatoren, als Zeichen, als Akteure, als materielle und mediale Botschafter der Kultur auf.“125 Für eine qualitative Dinganalyse fordert sie, Dinge als Konzentrate gesellschaftlicher Verhältnisse zu verstehen, deren Beziehung zwischen Material, Funktion und Form Bedeutung produziert, deren kultureller Sinn in Situationen und Kontexten verankert sei. Kennzeichnend für die Diskussion um materielle Kultur ist dabei die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt. Ein Ansatz, um diese Dichotomie zu überwinden, ist die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT). Die Auseinandersetzung mit technischen Artefakten, denen Handlungsmacht und -kompetenz zugesprochen wird, hat wichtige Impulse gegeben. Vertreter der Akteur-Netzwerk-Theorie sind besonders Michel Callon, John Law und Bruno Latour innerhalb der soziologischen Wissenschafts- und Technikforschung.126 Bruno Latours Konzeption der Dinge als nicht-menschliche Akteure hat seit den 1990er Jahren die Auseinandersetzung mit materieller Kultur wesentlich geprägt.127 Er entwickelte eine symmetrische Anthropologie, um die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt aufzulösen. Er kritisiert Begriffe wie „objektiviert“, „verdinglicht“, „materialisiert“ und „eingeschrieben“, weil sie den Men123 Hahn 2014, S. 45. 124 König 2013, S. 28. 125 König 2013, S. 33. 126 Siehe zur Einführung Belliger und Krieger 2014. 127 Zur Einführung und als Überblick zur Arbeit von Latour siehe Ruffing 2009.
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schen als einzig Handelnden zu stark betonten. Auch die nicht-menschlichen Akteure handelten, verschiebten Ziele und trügen zu deren Definition bei, so Latour.128 Besonders in Hinblick auf die technische Entwicklung ist die Trennung zwischen Subjekt und Objekt zunehmend uneindeutig. Heute werden immer mehr Dinge hergestellt, die ein Eigenleben entwickeln, die nicht mehr der Natur oder der Gesellschaft zu zuordnen sind, sondern die sich netzwerkartig ausbreiten. Die seit den 1980er Jahren von Latour entwickelte Akteur-NetzwerkTheorie geht davon aus, dass sich das Soziale, die Technik und die Natur beeinflussen.129 Dabei lege die ANT ihren Schwerpunkt darauf, die Operationsketten in den Netzwerken zu beschreiben und nicht zu erklären.130 Der ANT folgend konstruieren Akteure Netzwerke durch Übersetzung. Netzwerke entstehen mittels Interaktionen, Transaktionen, Aushandlungen und Vermittlungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Im Laufe dieser Prozesse werden Rollen und Funktionen angenommen und ausgeführt. Das kommunikative Handeln zwischen den Akteuren folgt Handlungsprogrammen, die sich entgegenstehen können. Übersetzung meint dann den Versuch, Akteure in ein Netzwerk einzubinden, ihre Interessen anzugleichen.131 Die Übersetzung als Kommunikationsprozess ist strukturiert in erstens Problematisierung, zweitens Interessement, drittens Enrolment und viertens Mobilisierung.132 Diese Begriffe beschreiben die Dynamik des Netzwerkbildens. Andréa Belliger und David J. Krieger haben diese Kommunikationsprozesse in den vier Phasen wie folgt beschrieben: Die Problematisierung ist der erste Moment, durch den die Akteure im Netzwerk ein Problem erkennen und gemeinsame Definitionen und Deutung konstruieren, „indem der übersetzende Akteur ein Problem so definiert, dass andere es als ihr [Hervor. i. O.] Problem erkennen“133. In den hier im Zentrum stehenden Forschungsfeldern können das die Problematisierung von Knappheit, in Form von natürlichen Ressourcen, und von Überfluss, etwa als Ausdruck von Lebensmittelverschwendung oder wachsendem Elektroschrott, sein. In der zweiten Phase des Interessement werden Identitäten und Rollen auf Akteure übertragen. Akteure verbünden sich, organisieren sich und passen sich an Rollen und Funktionen an. Es findet eine Auflösung existierender Netzwerke statt und neue Akteure werden in Netzwerke integriert. Mit Enrolement ist gemeint, dass die Akteure die Zuweisung einer Rolle akzeptieren. „Wenn dieses 128 Latour 2002, S. 227. 129 Vgl. Latour 2001. 130 Ruffing 2009, S. 30. 131 Belliger und Krieger 2006b, 38f. 132 Belliger und Krieger 2006b, S. 39. 133 Belliger und Krieger 2014, S. 93.
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Moment der Übersetzung erfolgreich verläuft, werden die anderen Akteure von Opponenten zu Verbündeten.“134 Mobilisierung meint nach Belliger und Krieger, dass immer mehr Akteure in das Netzwerk eingebunden werden. Die Übersetzungsbemühung eines Akteurs macht das Handlungsprogramm aus bzw. bildet dieses heraus. Es verändert die Akteure, sie werden zu hybriden Akteuren.135 Hans Peter Hahn kritisiert die Idee, dass Menschen und Dinge in einem Netzwerk verbunden sind und Dinge handeln. Wenn Dinge Handlungen erzwingen, sei es doch immer wieder ein Mensch, der eine bestimmte Ordnung erdacht oder durchgesetzt habe, so Hahn. Die von Latour geforderte Symmetrie von Menschen und Dingen gebe es nicht.136 Hahn entwickelt den Begriff des „Eigensinns“ von Dingen. „Das Anliegen des hier vorgeschlagenen Begriffes ‚Eigensinnʻ ist es nicht nur, die Defizite zu überwinden, sondern auch für eine größere Präzision in der Beschreibung von Nähe und Distanz, für eine differenzierte Darstellung von Bedeutungen, aber auch Bedeutungslosigkeit, zu werben.“137
Was Hahn als Eigensinn bezeichnet, erfasst König als etwas, was in der Forschung über und mit Dingen vielfältige Kontextualisierungen erfordert. „Das Veto, die Einsprüche und Widerworte charakterisieren die Dinge als Protagonisten der Kulturanalyse.“138 Die Idee der „objectification“ von Daniel Miller schließt an die ANT an. Er kritisiert, dass Latours Überlegungen zur dialektischen Theorie die Unterscheidung zwischen Mensch und Ding eher wiederbelebe, wohingegen seine Überlegung diese eher transzendieren könne und die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt auflöse.139 An „Selbstentfremdung“ von Georg Wilhelm Friedrich Hegel anschließend meint Miller, dass Menschen ihre Kapazität als Mensch erweitern würden, aber damit auch etwas erschaffen, das sie unterdrücke oder ihnen schade, wenn Dinge eigene autonome Interessen entwickelten.140 Miller arbeitet an einer „theory of stuff“, in deren Mittelpunkt der Begriff der „objectification“ als dialektischer Prozess zwischen Menschen und Dingen steht.
134 Belliger und Krieger 2014, S. 93. 135 Belliger und Krieger 2006b, S. 42. 136 Hahn 2013, S. 21. 137 Hahn 2013, S. 22. 138 König 2013, S. 33. 139 Miller 2010, S. 60. 140 Miller 2010, S. 59.
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„The intention here is to replace a theory of stuff as representation with stuff as one part of a process of objectification, or self-alienation. It is the theory that will give theoretical shape to the idea that objects make us, as part of the very same process by which we make them.“141
Seiner Argumentation folgend entwickeln Menschen immer mehr Dinge, weil sie sich damit selbst weiterentwickeln. Dinge werden dann zum Teil des Menschens und wirken auf ihn zurück. Der Kritik an dem Konzept von Dingen als handelnde Akteure folgend sollen Dinge in der vorliegenden Arbeit nicht als handelnde Akteure im Sinne von Latour, sondern als wirkmächtig begriffen werden. Sie handeln nicht selbst, sondern sie wirken auf die Konstituierung der Akteur-Netzwerke.142 Die science and technology studies (STS) erweitern den Fokus auf die Erforschung von materieller Kultur auf die Zusammenhängen von Materialität, Wissen und Praxis. „Es ist eine zentrale Aufgabe [...] diese Verschränkungen von Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft im Alltag zu untersuchen und damit unter anderem auch die Rolle von Wissen und Technologie in gesellschaftlichen Ordnungsprozessen näher zu bestimmen.“143
Der Kulturanthropologe Stefan Beck vertritt dabei die These, dass Dinge nicht als isolierte technische Artefakte untersucht werden sollten, sondern das im Artefakt Abwesende, also die komplexe Infrastruktur und die moralischen Ökonomien. Infrastruktur sei nur Infrastruktur in Bezug auf konkrete, organisierte Praxisformen. Sie sei in soziale Arrangements und Routinen eingebettet und für den Handelnden transparent, indem sie verborgene Hilfestellung leiste. Ihre Selbstverständlichkeit ist in communities of practice erlernt und Infrastrukturen überschreiten die lokalen Kontexte der Praxis in ihrer Reichweite, so Beck.144 Der Begriff der Infrastruktur ermögliche dabei den Blick aus einer praxistheoretischen und performanztheoretischen Perspektive auf Handeln und Deuten in Netzwerken, an denen verschiedene Akteure, Institutionen, Gesetze, Normen und Wissensordnungen beteiligt seien und unterscheide sich damit auch deutlich etwa von dem Konzept des Dispositifs oder dem Plattform-Konzept.145 Für Jörg 141 Miller 2010, S. 60. 142 Vgl. Lindemann 2009. 143 Niewöhner et al. 2012, S. 9. 144 Beck 2012, S. 314. 145 Siehe zum Dispositif und zur Plattform Beck 2012, S. 311–316.
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Niewöhner meint Infrastruktur nicht nur klassische technische Strukturen, sondern auch technologische Innovationen, Verwaltungs- und Regulierungsinstrumente, wie Gesetze, Verordnungen oder „unscheinbare Alltagskniffe“146. Die technischen bzw. technologischen Beispiele, etwa die zypriotische Knochenmark-Spender-Datenbank, die Stefan Beck mit Hilfe des Begriffs der Infrastruktur kulturwissenschaftlich analysiert, unterscheidet sich deutlich von den hier untersuchten Forschungsfeldern. Dennoch ermöglicht das Konzept der Infrastruktur einen spezifischen Blick auf das Handeln und Deuten der Akteure: In den Praxisfeldern institutionalisieren sich Strukturen, die einen ressourcenschonenden Umgang mit Dingen ermöglichen und etablieren. Dadurch bilden sich Infrastrukturen, die sich etwa in Form der Repair Cafés oder digitalen Kleidertauschplattformen verselbstständigen. Alltagswissen ebenso wie wissenschaftliches Wissen, Gesetze, Technologien und moralische Ökonomien formen diese Akteur-Netzwerke. Der analytische Blick auf Infrastrukturen ermöglicht die Rekonstruktion der materiellen Bedingungen von Wissensproduktion und Wissenstransfer. Mit dem Blick auf die Praxen geht die vorliegende Arbeit von einer Perspektive aus, die Niewöhner im Kontext der STS entwickelt, welche „auf individuelle, gleichsam habituelle Konfigurationen schaut, ohne eine deterministische Wirkweise dieser Konfigurationen im Sinne von Strukturen oder Gesetzmäßigkeiten zu postulieren; die materielle und soziale Elemente symmetrisch berücksichtigt, statt die einen zu Vorbedingungen für die anderen zu machen; und die zwar Muster und Netzwerke rekonstruieren, aber immer noch größeres analytisches Interesse an ihren Dynamiken und Kontingenzen entwickeln.“147
Ausgehend von dieser dynamischen Perspektive soll es im Folgenden um den Praxisbegriff in der Sozial- und Kulturanthropologie sowie um die Fragen gehen, wie neue Praxen entstehen und wie sich soziale Transformationsprozesse entwickeln.
146 Niewöhner 2015, 491f. 147 Niewöhner et al. 2012, S. 33.
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2.3 T HEORIEN SOZIALER P RAXIS : L EBENSSTIL – AGENCY – COMMUNITIES OF PRACTICE Die Wahrnehmung von Knappheit und Überfluss, so die These, wird von Akteuren in spezifische Handlungen übersetzt. Dadurch entstehen Infrastrukturen und soziale Netzwerke, in denen Wissen zirkuliert und Normativität verhandelt wird, etwa in Form von Nachhaltigkeit. Reparaturcafés, Kleidertauschpartys und Mülltauchen als soziale Praxen können als Teil von nachhaltigen Lebensstilen gedeutet werden. Für die soziologische Lebensstil- und Milieuforschung ist Konsum und die Einstellung zu Konsum wesentliches Kennzeichen zur Unterscheidung von sozialen Gruppen.148 Mit Bezug auf soziale Praxistheorie stehen aus einer kulturanthropologischen Perspektive die Fragen nach dem „Wie“ im Mittelpunkt: Wie produzieren Akteure Vorstellungen vom „guten“ Leben und wie drücken sie diese performativ bzw. praxeologisch aus? Wie entstehen daraus spezifische soziale Gruppen und Infrastrukturen? Wie entwickeln, stabilisieren und transformieren sich soziale Praktiken? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. Zunächst gilt es, Praxen und Praktiken zu definieren. Der Kultursoziologe Andreas Reckwitz unterscheidet Praxis als „the whole of human action“149 und Praktiken in der Mehrzahl als „a routinized type of behaviour which consists of serveral elements, interconnected to one other: forms of bodily activities, forms of mental activities, ‚thingsʻ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotions and motivation knowledge.“150
Praktiken sind in seinem Verständnis routinierte Handlungsweisen, wie Körper bewegt, Objekte gehandhabt, Subjekte behandelt, Dinge beschrieben und die Welt verstanden werden. Praktiken werden von Trägern ausgeführt: „The single individual – as a bodily and mental agent – then acts as the ‚carrierʻ (Träger) of a practice“151, wobei die Agenten dabei viele verschiedene Praktiken koordinieren müssten. Die Soziologin Elisabeth Shove definiert, dass sich Praktiken aus drei Elementen zusammensetzen. Sie unterscheidet dabei erstens in Material: „including things, technologies, tangible physical entities, and the stuff of which
148 Vgl. Rink 2002. 149 Reckwitz 2002, S. 249. 150 Reckwitz 2002, S. 249. 151 Reckwitz 2002, S. 250.
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objects are made“152; zweitens Kompetenzen, die Techniken, Wissen und Kenntnisse beinhalten; drittens Bedeutungen, also die symbolischen Bedeutungen, Ideen und Hoffnungen. Sie argumentiert: „practices emerge, persist, shift and disappear when connections [Hervor. i. O.] between elements of these three types are made, sustained or broken.“153 Jörg Niewöhner, Stefan Beck und Estrid Sørensen kritisieren, dass die Begriffe Praxis und Praktik sich nur unscharf voneinander trennen lassen. Sie verweisen darauf, dass es Tendenzen gebe, die die beiden Begriffe abgrenzen: Praktik werde eher in Bezug auf ein klar umrissenes Handlungsgefüge verwendet und stehe in Verbindung mit individuellen Fähigkeiten. Die Praxis stelle dann einen größeren Kontext dar, in dem unterschiedliche Akteure handeln.154 Die vorliegende Arbeit folgt diesem Abgrenzungsversuch: Praxis wird hier verstanden als ein größerer Kontext. Praktiken sind dann die Elemente, aus denen sich die Praxis zusammensetzt.155 Die Theorie über Praxen und Verhaltensweisen ist in der Sozialwissenschaft bis in die 1970er Jahre durch drei Paradigmen geprägt, wie die Anthropologin Sherry B. Ortner beschreibt: durch die interpretative Anthropologie, durch die politische Ökonomie und durch den Strukturalismus. Reckwitz unterscheidet zwei klassische sich oppositionär gegenüberstehende Positionen in der Sozialtheorie: eine zweckorientierte Theorie und eine normorientierte Theorie, die er mit den Begriffen des homo economicus156 und des homo sociologicus erfasst. 152 Shove et al. 2012, S. 14. 153 Shove et al. 2012, 14f. 154 Vgl. Niewöhner et al. 2012, S. 32. 155 Dennoch ist die Abgrenzung vor allem ein heuristisches Mittel. Sie dient dazu, innerhalb der Forschungsfelder zwischen Praxen – als dem Gesamtkomplex einer Tauschparty, eines Repair Cafés und des Mülltauchens – und Praktiken – etwa das Verfassen von Newslettern oder Facebook-Posts oder dem Reinigen von Lebensmitteln – zu unterscheiden. Da in der Forschungsliteratur beide Begriffe verwendet werden, werden die Begriffe auch je nach Position mit dem jeweiligen Verständnis der entsprechenden Autoren benutzt, ohne dies immer explizit zu machen. 156 Die Idee des homo oeconomicus stehe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für ein rationales, eigeninteressiertes und Nutzen maximierendes Individuum, so Eike Bohlken. In Adam Smiths „Wohlstand der Nation“ werde Wirtschaft nicht mehr nur als Institution der Bedürfnisbefriedigung verstanden, sondern als ein System, welches dem Individuum freiheitlich die Auslebung von Neigungen und Fähigkeiten ermögliche. Damit habe sich die Orientierung der Wirtschaft von der Gemeinschaft hin zum individuellen Interesse verschoben, so Bohlken (Bohlken 2009, S. 345). Siehe dazu auch Seiser 2009, S. 161.
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Als dritte, aus dem cultural turn in den Sozialwissenschaften entstandene Traditionen stellen Kulturtheorien verwurzelt im Strukturalismus, der Semiotik, der Phänomenologie und der Hermeneutik, die beiden klassischen Positionen infrage, so Reckwitz.157 Kulturwissenschaftliche Ansätze in Form der STS und die ANT denken die materielle Dimension und die Bedeutung von Dingen und Infrastrukturen mit. Die Praxen in den Forschungsfeldern beruhen, so die These, auf der Wahrnehmung und Deutung von Überfluss und Knappheit. Diese übersetzen die Akteure in Handlungen: Sie organisieren Kleidertauschpartys oder Repair Cafés oder sie retten Lebensmittel aus den Müllcontainern. Im Folgenden sollen drei theoretische Ansätze dazu genutzt werden, sich den sozialen Gruppen und Netzwerken zu nähern: mit der Praxistheorie von Pierre Bourdieu, dem Konzept von „Agency“ von Sherry B. Ortner und dem Konzept der community of practice von Etienne Wengner. Bourdieus Überlegungen zu Habitus und Lebensstil ermöglichen, die Praxen als Distinktionsmittel zu interpretieren. Das theoretische Konzept von Agency soll den Blick auf die Machtaushandlungen in den Feldern lenken und deutlich machen, dass die Akteure in den Feldern spezifische Ziele verfolgen und durch die Praxis Machtpositionen verhandeln. Mit dem Konzept der community of practice ist die Wissenszirkulation in den sozialen Feldern fokussiert, wobei das gemeinsame Handeln konstitutiv für die lokale Gemeinschaft ist. Der Soziologe Pierre Bourdieu versteht den Habitus als strukturierte und strukturierende Struktur. 158 Habitus sei ein „System dauerhafter Dispositionen“159. Dispositionen seien Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungsschemata, welche durch die Sozialisation der Akteure entstünden. Habitusformen versteht Bourdieu als „Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen, die objektiv ‚geregeltʻ und ‚regelmäßigʻ sein können, ohne im geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein“160. Der Habitus klassifiziere und erzeuge Praktiken in sozialen Feldern. Mit dem Begriff der Felder meint Bourdieu die institutionellen Zwänge durch die äußeren Strukturen, also den Handlungen anderer Akteure. Die Gesellschaft bzw. der soziale Raum zerfalle in funktionsspezifische Felder.161 Soziale Gebilde wie Organisationen erhielten sich durch ständige Praxisformen von Kampf, Konkurrenz oder Austausch.162 157 Vgl. Reckwitz 2002. 158 Vgl. Bourdieu 1984; siehe zur Einführung Fuchs-Heinritz und König 2005. 159 Bourdieu 1989, S. 165. 160 Bourdieu 1989, S. 165. 161 Dirksmeier 2009, S. 103. 162 Fuchs-Heinritz und König 2005, S. 141.
52 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM UMGANG MIT Ü BERFLUSS UND K NAPPHEIT „Felder sind als eine besondere Konstellation von Akteuren zu begreifen, die mit spezifischen Interessen, Strategien und Kapitalstrukturen ausgestattet auf einem komplementären Markt mit spezifischer institutionalisierter Infrastruktur in diverse Konkurrenzbeziehungen eintreten.“163
Die Dispositionen ermöglichen also den Akteuren, auf eine bestimmte Weise zu handeln und schließen gleichzeitig andere Verhaltensweisen aus. Daran schließt Bourdieu seine Überlegungen zum Geschmack an. Seiner These nach gebe es Klassifizierungsprinzipien, die Güter einteilen. Geschmack definiert er als die Materialisierung des Prinzips der Wahl von „Praktiken (Sport, Freizeitgestaltung usw.) und Besitztümern (Möbel, Krawatten, Hüte, Bücher, Bilder, Ehepartner usw.)“164. Die Auswahl von Gütern diene den sozialen Akteuren als Distinktionsmittel, durch welche soziale Unterschiede ausgedrückt bzw. materialisiert würden. „Der Geschmack, die Neigung und Fähigkeit zur (materiellen und/oder symbolischen) Aneignung einer bestimmten Klasse klassifizierter und klassifizierender Gegenstände und Praktiken, ist die Erzeugungsformel, die dem Lebensstil zugrunde liegt, anders gesagt, dem einheitlichen Gesamtkomplex distinktiver Präferenzen, in dem sich in der jeweiligen Logik eines spezifischen symbolischen Teil-Raums – des Mobiliars und der Kleidung so gut wie der Sprache oder der körperlichen Hexis – ein und dieselbe Ausdrucksintention niederschlägt.“165
Damit lassen sich Konsumentscheidungen als Strategie zur Distinktion und Konsumobjekte als Symbol für Wahrnehmungs- und Deutungsschemata analysieren. Spezifische Konsum- und Wirtschaftsformen dienen den Akteuren zur sozialen Abgrenzung. Mit dem Konzept von Habitus und Kapitalien 166 strukturiert Bourdieu den sozialen Raum. Da die Kapitalien ungleich verteilt und knapp seien, stünden die Akteure im Konkurrenzverhältnis und befänden sich in „Positionskämpfen“167. „Die Partizipationschancen von Akteuren an bestimmten Praxisformen sind abhängig von ihrer jeweiligen Kapitalausstattung.“168 Dabei kritisiert der Soziologe 163 Dirksmeier 2009, S. 103. 164 Bourdieu und Schultheis 2011, S. 497. 165 Bourdieu 1984, S. 282. 166 Siehe zur Unterscheidung von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital Bourdieu 1983. 167 Ebrecht und Hillebrandt 2004, S. 11. 168 Ebrecht und Hillebrandt 2004, S. 11.
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Jörg Ebrecht, dass mit dem Habituskonzept das inkorporierte Dispositionssystem von Akteuren weitestgehend determiniert sei und der Habitus in der Konzeption von Bourdieu dazu neige, sich zu stabilisieren und zu reproduzieren. Durch die materielle und immaterielle Ausstattung von Akteuren mit Kapitalien ließen sich soziale Gruppen differenzieren. Bourdieu unterscheidet dazu ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital. Diese Kapitalien würden auf Märkten getauscht. Soziale Akteure könnten Investitionen zu einem bestimmten Preis tätigen, um ihr Kapital zu erhöhen und damit in der gesellschaftlichen Hierarchie aufzusteigen. Den Geschmack sieht Bourdieu vornehmlich durch ökonomische Kapitalien bestimmt, der durch Luxus bzw. Überfluss und Not bzw. Mangel gekennzeichnet sei: „Als zentraler Gegensatz erweist sich hier, unter Zugrundelegung des jeweiligen Gesamtumfangs an Kapital, der aufgrund seines Seltenheitswertes als distinguiert apostrophierte Konsum der ökonomisch wie kulturell wohlhabendsten Kreise zum einen, der wegen seines oberflächlichen und gewöhnlichen Charakters als vulgär bezeichneten Konsum der ökonomisch und kulturell Mittellosesten zum anderen; dazwischen liegen jene Praktiken, die sich infolge des Auseinanderklaffens von Anspruch und manifesten Möglichkeiten zwangläufig als prätentiös entlarven.“169
Wie verändern sich aber Praktiken, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata sozialer Gruppen und Gesellschaften? Wie verändern sich Lebensstile? Wie kann die Entwicklung von nachhaltigen bzw. ökologischen Lebensstilen erklärt werden? Wie verändern sich Konsum- und Wirtschaftspraxen? Bourdieu zufolge liegen die Transformationsmöglichkeiten des Habitus in der Veränderung von sozialen Feldern. Jörg Ebrecht und Frank Hillebrandt heben hervor, dass eine stärkere Entkopplung von Wissensordnungen und Akteuren „Konstellationen konkurrierender und kombinierbarer Schemata wahrscheinlicher“ 170 erscheinen lasse und damit Transformation erklärbar werde. „Ob Akteure als kulturelle Innovateure überhaupt in Frage kommen, hängt neben ihrer habituellen Dispositionen maßgeblich von ihrer jeweiligen Kapitalausstattung ab, so wie die Möglichkeit einer Überkreuzung kollektiver Sinnsysteme von den verborgenen Mechanismen der Macht, den Strukturen und Spielregeln der sozialen Felder abhängt.“171
Ob Wandel also möglich ist, sei eine Frage von Macht, zu der Bourdieu mit dem Konzept der symbolischen Macht eine theoretische Vorlage liefere, so Ebrecht. 169 Bourdieu 1984, S. 286. 170 Ebrecht und Hillebrandt 2004, S. 15. 171 Ebrecht 2004, S. 239.
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Die Soziologin Elisabeth Shove kritisiert, dass die Praxistheorie bisher das Potential verkannt habe, Veränderungen und Transformation zu erklären. „[U]nderstanding their emergence, persistence and disappearance is of the essence“172, um Verhaltensänderungen auch in Hinblick auf Klimaveränderungen zu bewirken, so ihre Deutung. „It also seems obvious that the reproduction and transformation of social practices has implications for patters of consumption and for institutions and infrastructures associated with them.“173 Auch die Anthropologin Sherry B. Ortner kritisiert, dass Fragen der Macht lange nicht im Mittelpunkt der theoretischen Auseinandersetzungen mit Praxis standen. Grundlage ihrer theoretischen Positionierung ist „the power shift“174, verbunden mit den Arbeiten von James Scott, Michel Foucault und Roymond Williams, sowie die breite Bemühung zur Historisierung der Sozialwissenschaften und die Kritik am Kulturbegriff. Sie will den Kulturbegriff innerhalb der sozialen Praxistheorie stärken: „The fundamental assumption of pratice theory is that culture (in a very broad sense) constructs people as particular kinds of social actors, but social actors, through their living, on-the-ground, variable practices, reproduce or transform- and usually some of each- the culture that made them.“175
Ortner folgt der These, dass Akteure innerhalb von Struktur handeln und diese verändern. Akteure wirken auf die sie umgebenden Strukturen ein. Dies nennt sie „Agency“176. Sie unterscheidet zwischen „Agency as projects“ und „Agency as power“. Ersteres meint, dass Akteure kulturell konstruierte Wünsche und Sehnsüchte umsetzen wollten, sie sich also Ziele setzen würden. Weil dies in sozialer Interaktion stattfinde, werde der Machtbegriff hier wichtig, denn Ziele würden durch Unterdrückung oder Widerstand umgesetzt. Widerstand sei auch „power-Agency“177. 172 Shove et al. 2012, S. 2. 173 Shove et al. 2012, S. 2; Die Sozialanthropologen Sahakian und Wilhite hingegen konstatiert ein steigendes Interesse an social practice theory im Bezug auf den theoretischen Zugang zur Konsumtion, besonders bezogen auf die Transformation von Handlung mit problematischen Umweltauswirkungen (Sahakian und Wilhite 2014, S. 1). 174 Ortner 2006, S. 3. 175 Ortner 2006, S. 129. 176 Siehe zu Agency in der qualitativen Sozialforschung und Gesellschaftstheorie auch Bethmann et al. 2012. 177 Ortner 2006, S. 129–153.
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„The Agency of (unequal) power, of both domination and resistance, may be contrasted with the second major mode of Agency noted earlier, that of intentions, purposes, and desires formulated in terms of culturally established ‚projectsʻ. The Agency of projects is from certain points of view the most fundamental dimension of the idea of Agency.“178
„Agency of power“ organisiere sich um Dominanz und Widerstand, während „Agency of projects“ durch lokale Logiken des Guten und Gewünschten, also kulturell geprägte Deutungen, definiert würden. Ortner unterscheidet zwischen „Agency as a form of power (including issues of the empowerment of the subject, the domination of other, the resistance to domination and so forth) and Agency as a form of intension and desire, as the pursuit of goals and the enactment of projects.“179
Agency meint damit nicht nur die Macht, „große“ gesellschaftliche Transformationen umzusetzen, sondern auch in lokalen, in alltäglichen und kulturell verschiedenen Rahmen, in denen Akteure den Dingen bzw. Projekten einen spezifischen Wert zuschreiben: „Rather it is about projects (relatively ordinary) life socially organized in terms of culturally constituted projects that infuse life with meaning and purpose. People seek to accomplish valued things within a framework of their own categories of value.“180
Agency ist dabei immer eine interaktive Aushandlung. Es ist nichts, was man hat, sondern was Subjekte auf Grund der Beziehungsnetze aushandeln. Agency will Ortner verstehen als die Einstellung zu der Aufführung und Darstellung von Projekten. Agency kann selbst als eine Art von Macht verstanden werden, Akteure seien dann „empowered subjects“181. Zusammenfassend soll Agency hier verstanden werden als die Ermächtigung von Akteuren, die in Anlehnung an Latour menschlich und nicht-menschlich sein können. Subjekte und Objekte werden wirkmächtig bzw. wirksam. Dies ist abhängig von den sozialen und historischen Kontexten. Die Akteure werden durch Aushandlungsprozesse wirksam und Agency als „the capacity or power to be the source and originator of acts“182 ermöglicht dann Praxen.183
178 Ortner 2006, S. 144. 179 Ortner 2006, 152f. 180 Ortner 2006, S. 145. 181 Ortner 2006, S. 151. 182 Sahakian und Wilhite 2014, S. 28.
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Ortner kritisiert die Praxistheorie von Bourdieu auf Grund der fehlenden historischen Tiefe und der unzureichenden Betrachtung des „play of power in social life“ 184 . Ortner legt ihren Fokus stärker auf die Transformation von sozialen Strukturen, während Bourdieu deren Reproduktion fokussiert. Sie betont dabei die kulturellen Einbettungen und die Bedeutung von Kultur, da für sie soziale Transformation auch kulturelle Transformation bedeutet. Der Begriff des Lebensstils von Bourdieu ermöglicht jedoch einen analytischen Blick auf die Praxisfelder, durch den deutlich wird, dass die Akteure in den Feldern Lebensstile performativ ausdrücken und durch Objekte materialisieren. Indem sie etwa Kleider tauschen und ihnen eine spezifische Bedeutung zuschreiben, entstehen soziale Gruppen, die sich als ökologisch handelnd verstehen. Die Konsumobjekte werden zur Distinktion genutzt, worüber sich soziale Felder unterscheiden lassen. Verschiedene politische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Akteure verhandeln einen nachhaltigen Umgang mit knappen Ressourcen diskursiv und produzieren damit Wahrnehmungs- und Deutungsschemata, die die Akteure in den Feldern in Handlungen übersetzen. Durch die Beziehungsnetze wird Macht verhandelt. Durch die Etablierung und innerhalb von Gemeinschaften können Akteure wirk- und handlungsmächtig werden, Repair Cafés oder Kleidertauschpartys organisieren und soziale Strukturen transformieren, in denen sie hegemoniale Konsum- und Wirtschaftsformen unterwandern und neue bzw. veränderte Konsumformen etablieren.185 Dies ließe sich im Sinne von Ortner als Agency deuten. Die Praxen existieren, weil sie zur Aufführung gebracht werden. Sie setzen sich aus Elementen zusammen, die sich nach Shove über Materialien, Kompetenzen und Bedeutungen differenzieren lassen.186 Besonders die Kompetenzen und das Wissen spielen in der Etablierung von Gemeinschaften im Sinne von communities of practice eine wichtige Rolle. Ausgehend von den bisherigen Überlegungen entstehen in den Feldern soziale Gruppen durch gleiche Deutungs- und Wahrnehmungsschemata, durch Partizipation und Wissenszirkulation. Der Sozialwissenschaftler Etienne Wenger hat in seiner Lerntheorie den Begriff der communities of practice eingeführt. „Communities of practice are groups of people who share a concern or a passion
183 Silke Meyer fragt im Kontext von ökonomischer Knappheit nach der Art und Weise, durch die Akteure Agency narrativ im Reden über Schulden herstellen (vgl. Meyer 2015). 184 Ortner 2006, S. 17. 185 Siehe zu Agency im Kontext der Etablierung von neuer Energienutzung Tauschek 2016. 186 Vgl. Shove et al. 2012.
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for something they do and learn how to do it better as they interact regularly.“187 Nicht jede Gemeinschaft könne als community of practice betrachtet werden, wichtig seien drei Elemente: „domain“, „community“ und „practice“. Die soziale Gruppe müsse einen gemeinsamen Interessenbereich teilen, bezogen auf die Forschungsfelder etwa das Basteln an und Reparieren von Dingen, das Interesse an Mode oder die Kritik an Lebensmittelverschwendung. In der Gemeinschaft werde Wissen geteilt und sie sind an gemeinsamen Aktionen beteiligt. „They develop a shared repertoire of resources: experiences, stories, tools, ways of addressing recurring problems — in short a shared practice.“188 Communities of practice können dabei ganz verschiedene Formen annehmen: „Some are quite small; some are very large, often with a core group and many peripheral members. Some are local and some cover the globe. Some meet mainly face-to-face, some mostly online. Some are within an organization and some include members from various organizations. Some are formally recognized, often supported with a budget; and some are completely informal and even invisible.“189
Der Begriff der community of pratice ist innerhalb der sozialen Lerntheorie etabliert, wobei Wenger argumentiert, dass Lernen durch soziale Teilnahme stattfinde. „Participation here refers not just to local events of engagement in certain activities with certain people, but to a more encompassing process of being active participants in the practices of social communities and constructing identities [Hervor. i. O.] in relation to these communities.“190
Die Komponenten des Lernens bestehen Wenger zufolge aus einer Gemeinschaft – „learning as belonging“ − , aus der Identität – „learning as becoming“ − , aus der Bedeutung – „learning as experience“ − und dem Handeln – „learning as doing“. Die Bedeutung meint, „a way of talking about our (changing)ability − individually and collectively − to experience our life and the world as meaningfull“191. Unter Praktiken versteht Wenger „a way of talking about the shared historical and social resources, frameworks, and perspectives that can sustain mu-
187 Wenger 2011, S. 1. 188 Wenger 2011, S. 2. 189 Wenger 2011, S. 2. 190 Wenger 1998, S. 4. 191 Wenger 1998, 4f.
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tual engagement in action.“192 Durch das lokale Handeln und der sozialen Interaktion reproduziere und verändere Lernen die soziale Struktur, in der es stattfindet.193 Damit stellt Wenger die Bedeutung von Kollektiven und Lernprozessen für soziale Transformation heraus. Ebendiese Komponenten kennzeichnen auch die Akteursgruppen und die sozialen Praxen der vorliegenden Arbeit. Wie anhand des empirischen Materials zu zeigen sein wird, sind die Felder durch communities of practice gekennzeichnet, in denen Wissen zirkuliert und soziale Rollen in der Aushandlung von Agency produziert und reproduziert werden. Mit den bis hier entwickelten theoretischen Rahmen analysiert die vorliegende Arbeit die drei Forschungsfelder, in denen Akteure Kleidung tauschen, Dinge reparieren und Lebensmittel retten. Menschen wirtschaften dabei in ihren konkreten Lebenswelten mit vorhandenen Ressourcen. Angesichts der gesellschaftlichen Konstruktion von knappen Ressourcen und Überfluss lassen sich die Praxen als Konsumkritik deuten. Sie unterwandern herrschende Konsum- und Wirtschaftsmuster und schließen an die aktuellen Debatten über alternatives Wirtschaften an.194 Sie verhandeln dabei die Bedeutung von Dingen und Waren, die als Teil des Habitus zur sozialen Positionierung genutzt werden. Aber nicht nur über den Konsum von Objekten, sondern auch über die dazugehörigen Praxen verorten sich die Akteure. So macht es einen Unterschied in der subjektiven Bewertung, ob man den Pullover auf einer Kleidertauschparty ertauscht oder ihn in einem Secondhand-Markt gekauft hat. Die Bedeutungszuschreibung von Waren und spezifische Praxen markieren Lebensstile. Über das gemeinsame Handeln in den Feldern, etwa während Kleidertauschevents oder beim gemeinschaftlichen Reparieren, entstehen Gemeinschaften bzw. communities of practice, in denen Wissen geteilt wird. Dieses Wissen bezieht sich auch auf die Deutung von knappen Ressourcen und Überfluss. Aber sie produzieren auch spezifisches Wissen, über das sie Agency herstellen, beispielsweise wenn in Repair Cafés Wissen über häufige Verschleißteile produziert wird. Wie u.a. die Akteure in den konkreten Feldern Handlungshorizonte erschließen, soll an dem empirischen Material gezeigt werden. Davor gilt es aber, in den nächsten beiden Abschnitten den Forschungsstand zu den Feldern innerhalb der Kulturanthropologie und das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit darzustellen.
192 Wenger 1998, 4f. 193 Wenger 1998, S. 13. 194 Siehe zu Commons Baier et al. 2013 sowie Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung 2012; siehe zum kollaborativen Konsum Botsman und Rogers 2010; siehe zum Postwachstum Paech 2012.
3. Die Forschungsfelder: Stand der Forschung Die Forschungsfelder Ausgehend von den entwickelten theoretischen Positionen soll im Folgenden der Forschungsstand zu den Forschungsfeldern dargestellt werden. Das Tauschen von Gütern ist eine der grundlegendsten Kulturpraktiken und breit wissenschaftlich bearbeitet. Besonders ethnologische Arbeiten haben sich mit dem Tausch auch außerhalb von marktförmig organisierten Wirtschaftssystemen beschäftigt. Im Folgenden sollen der kulturwissenschaftliche Forschungsstand zum Teilen und Tauschen von Kleidung als ein Umgang mit Secondhand-Kleidung vorgestellt werden.
3.1 S ECONDHAND -K LEIDUNG Inwiefern setzt sich die Kulturanthropologie mit gebrauchter Kleidung sowie dem Teilen und Tauschen von Kleidung als eine kulturelle Strategie im Umgang mit Mode auseinander? Wie ist der kulturelle und soziale Umgang mit gebrauchter Kleidung erforscht? Welche Bedeutung hat bereits getragene Kleidung? Historisch argumentierende Arbeiten können zeigen, dass sich der Umgang mit Kleidung und die Bedeutung von gebrauchter Kleidung im Laufe der Zeit verändert haben und dass sich die Forschungsthemen zur Entwicklung sowie zum Umgang mit Mode für die Kulturanalyse eignen. Als Mode und Tracht ist Kleidung eine spezifische Objektgruppe in der volkskundlichen Auseinandersetzung. Die Kleidungsforschung bezeichnete Gitta Böth 2001 noch als „Stiefkind“1 volkskundlicher Forschung. Während sich die das bäuerliche Leben erforschende Volkskunde eher mit Trachten auseinander1
Böth 2001, S. 221.
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setze, würde die Soziologie ermöglichen, die Funktion von Mode als soziales Regulativ und als Mittel ökonomischer Steuerung zu verstehen, so Böth.2 Die sozialwissenschaftliche Kleidungsforschung greife Aspekte der vielen Realitäten von Kleidung auf: Fragen ihrer Herstellung, des Handelns, des Tragens, der Weitergabe, des Flickens und des Verbrauchens. Die kulturwissenschaftliche Kleiderforschung vernachlässigte lange die Fragen nach wirtschaftlichen und technischen Aspekten, so Böth.3 In Mangel- und Notzeiten wurde Kleidung repariert, geflickt, umgenäht und am Ende als Putzlampen verwendet.4 Wie in der Studie von Fél und Hofer für ein ungarisches Dorf beschrieben, galt in bäuerlich geprägten Lebensformen, Kleidung möglichst für viele Verwendungen bis zum endgültigen Verschleiß zu gebrauchen, als sparsam. Flicken und Auftragen waren angesichts begrenzter Ressourcen notwendige Praktiken. Christine Burckhardt-Seebass konstatiert, dass gerade für eine theoriegeleitete Forschung mit historischer Tiefe die Quellenlage dünn sei, um historische Praktiken wie das Flicken und Umnähen von Kleidung nachzuweisen und zu analysieren, dabei sei noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts das Auftragen und Umnutzen von Kleidung alltäglich gewesen.5 Ingeborg Weber-Kellermann konstatiert, dass gerade Kinderbekleidung lange aus Gebrauchtem bestand: „Die Armen mußten ihre Armut auch in der Bekleidung ihrer Kinder offenbaren: Ausgewachsenes und ebenso unpassend zu Großes, von Erwachsenen und älteren Geschwistern Ererbtes, verwaschen und verschossen, geflickt und ausgebessert war die Kleidung, wobei besonders der Besitz oder Nichtbesitz von Schuhen eine große Rolle spielte.“6
Ökonomischer Zwang oder Sparsamkeit führten dazu, dass das Auftragen von Kleidung innerhalb von Familien alltäglich war. Mit der Entwicklung der Konfektion stiegen die Möglichkeiten für Kinderbekleidung auch in einkommensschwachen Familien, wie Weber-Kellermann zeigt. Vor allem der weibliche Umgang mit Kleidung habe sich durch die Etablierung von Konfektion wesentlich verändert, so Burckhardt-Seebass. Sie sieht in der Entwicklung von günstiger und massenhafter modischer Kleidung und den sich schnell ablösenden Modezyklen auch normative Zwänge, die zur „Pflicht zum Kleiderwechsel“7 führ2
Böth 2001, S. 223.
3
Böth 2001, S. 232.
4
Siehe zum Umnutzen von Kleiderung in der Nachkriegszeit Segschneider und
5
Vgl. Burckhardt-Seebass 2011.
6
Weber-Kellermann 1985, S. 10.
7
Burckhardt-Seebass 2011, S. 178.
Westphal 1989, S. 22–26.
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ten: „Die Gesellschaft, im engeren Sinne die verschiedenen beruflichen Milieus verlangen ein Gehen mit der Zeit und Mode, und die Wirtschaft fordert in Krisenzeiten die Belebung des Konsums, sodass Kleiderwechsel Pflicht ist.“8 Wer dieser „Pflicht“ aus ökonomischen Zwängen nicht nachkommen kann, sucht nach günstigen Alternativen. So alltäglich wie das historische Flicken und Auftragen, aber ebenso spärlich dokumentiert ist das Teilen von Kleidung unter Frauen. So kann Weber-Kellermann die Erweiterung der eigenen Garderobe am Ende der 1940er bis Anfang der 50er Jahre im Kontext von Internaten nachweisen und zeigt Strategien, um die noch wenig abwechslungsreiche Kleiderauswahl zu erweitern: „Die Internatsuniformierung versuchten die Mädchen durch Pullover- und Blusentausch zu umgehen.“9 Diese Strategien, durch die sich angesichts knapper Ressourcen Akteurinnen kreativ mit Kleidung versorgen und sich damit Freiräume innerhalb der „Unifomierung“ suchen, lassen sich mit dem Agency-Begriff von Ortner handlungstheoretisch beschreiben.10 Die Akteurinnen überwinden die begrenzte Kleiderwahl und werden durch das Tauschen handlungsmächtig. Die Versorgung mit Kleidung aus Secondhand-Läden oder Flohmärkten sieht Burckhardt-Seebass als „flüchtiges Spiel“11. Erst durch das differenzierte Angebot von Kleidung sei das Auftragen von gebrauchter Kleidung im Zuge von konsumkritischen, antibürgerlichen Einstellungen der 1968er trendy geworden.12 „In Secondhandläden, Flohmärkten, Brockenstuben kaufte man nicht mehr Trödel, sondern vintage, Dinge mit Vergangenheit, chic und kultig [Hervor. i. O.], und nicht um sparsam ihre Lebensdauer zu verlängern, sondern als flüchtiges Spiel.“13 Nadine Wagener-Böck verweist darauf, dass der Handel mit gebrauchter Kleidung institutionalisiert und in professionalisierten Netzwerken stattfindet.14 Sie zeigt, dass Kleiderspenden und das Weitergeben von Kleidung dabei auch durch normative Dimensionen gekennzeichnet sind. Karin M. Ekström et al. gehen der Frage nach, inwiefern sich aktuell Generationsunterschiede im Umgang mit Secondhand-Kleidung zeigen. Sie verweisen darauf, dass Secondhand-Kleidung etwa mit Hygenievorstellungen und Umweltbewusstsein verbunden sei. 8
Burckhardt-Seebass 2011, S. 178.
9
Weber-Kellermann 1985, S. 242.
10 Vgl. Ortner 2006. 11 Burckhardt-Seebass 2011, S. 171. 12 Zur Bedeutung von Secondhand-Mode siehe Palmer und Clark 2005; siehe auch Hansen 2004, 385f. 13 Burckhardt-Seebass 2011, S. 171. 14 Siehe dazu Wagener-Böck 2015.
62 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM UMGANG MIT Ü BERFLUSS UND K NAPPHEIT „The attitude towards second-hand in society has changed over time and become more acceptable during recent decades. Generation Y has learnt during primary socialization that second-hand can be associated with unique clothing and environmental concerns.“15
Ulrike Langbein beschreibt die Bedeutung von gebrauchter Kleidung als Teil von Erbe.16 Sie versteht die vererbten Objekte als „polysemische Zeichen“, die kulturelle Bedeutungen repräsentieren. So symbolisieren geerbte Dinge und Kleidungsstücke die vormaligen Besitzer, lebensgeschichtliche Ereignisse und Erfahrungen mit den Dingen und biographisch relevante Ideen und Ideale.17 Nadine Wagenger-Böck folgt der Kleidung als vestimentäre Netzwerke in Familien. Sie untersucht das Weitergeben von Kleidung als Teil von Mutter-TochterBeziehungen und zeigt dabei, wie sich über Kleidung Verwandtschaft konstituiert. Kleidungstransfer werde dabei zum „doing kindship“18. Der Umgang mit Kleidung als Konsumgut gibt Rückschlüsse auf gesellschaftliche und ökonomische Strukturen. Kleidung ist in Normativität eingebunden und kann als Element von Beziehungsarbeit untersucht werden. Das Teilen und Tauschen als spezifische Umgangsformen mit Kleidung wurde bisher wenig kulturwissenschaftlich untersucht. Heike Derwanz analysiert das Teilen von Kleidung anhand des Fallbeispiels der „Kleiderei“. Die Kleiderei ist ein Unternehmen, dessen Konzept an den kollaborativen Konsum anschließt und als Form von Verleih funktioniert. Kunden_innen können dort Kleidung für eine begrenzte Zeit ausleihen. Die dort geteilte Kleidung stammt zum Teil aus den privaten Kleiderschränken der Teilnehmer_innen und soll kollektiv genutzt werden.19 Das Tauschen von Kleidung als Event in Form von Kleidertauschpartys stellt bisher eine Forschungslücke dar.20 Anders als bei dem Leihprinzp, bei Secondhand-Shops oder bei Flohmärkten versorgen sich auf Kleidertauschpartys vorwiegend junge Frauen weitestgehend geldlos durch Teilen und Tauschen mit Fremden mit Kleidung. Dabei verweisen Tauschpartyorganisatoren_innen nicht nur auf die ökonomischen, sondern auch auf die ökologischen Vorteile, die Tauschen statt Kaufen hat. Kleidertauschevents sind – so gilt es noch zu zeigen – 15 Ekström et al. 2015, S. 157; Die Generation Y, die von 1980 bis 1995 Geborenen, stellte auch die Generation dar, die hauptsächlich an den von mir besuchten Kleidertauschbörsen beteiligt war, sei es als Organisatoren_innen oder als Besucher_innen. 16 Langbein 2002, S. 73. 17 Langbein 2002, S. 218. 18 Wagener-Böck 2013, S. 62. 19 Vgl. Derwanz 2015. 20 Ekström et al. verweisen darauf, dass Kleidertauschpartys eine umweltschonende, nachhaltige Konsumpraxis sei (vgl. Ekström et al. 2015).
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symbolisch aufgeladen und durch vieldeutige Motive gekennzeichnet. Nicht marktförmig im Sinne wirtschaftswissenschaftlicher Definitionen, aber durch Regeln und Normen geprägt, sind Kleidertauschpartys informelle Tauschanlässe, die gängige Konsummuster gleichzeitig unterlaufen und notwendigerweise auf ihnen beruhen. Sie lassen sich dadurch mit Hilfe der Konzepte von Struktur und Agency analysieren. Die Tauschpraktiken sind in vieldeutige Sinnsysteme eingebunden. Sie unterliegen kulturellen, sozialen, politischen und ökologischen Rahmen, in denen die Akteure spielerisch mit Kleidung, Mode und Konsum umgehen. Der Forschungstand zeigt, dass das Weitergeben von gebrauchter Kleidung innerhalb familiärer und freundschaftlicher Netzwerke oder in Form von Kleiderspenden bereits kulturwissenschaftliches Thema ist. Kleidertausch, wie er sich in dem untersuchten Forschungsfeld zeigt, stellt ein kulturwissenschaftliches Desiterat dar. Kleidertauschpartys befinden sich im Zwischenraum von privat und öffentlich bzw. an der Schnittstelle zwischen privatem Teilen und Tauschen und öffentlicher Veranstaltung, sodass diese Kategorien auch verhandelt werden. Die Aushandlung dieser Zwischenräume kennzeichnet auch das gemeinschaftliche Reparieren in Repair Cafés. Das Reparieren als Alltagspraktik, die weitestgehend in den privaten Hobbyräumen und Werkstätten der Reparierenden stattfindet, wird zu einem öffentlichen und kollektiven Event, dessen Charakter ebenso wie bei den Tauschevents gerade durch die community of practice gekennzeichnet ist. Zunächst soll nun der Forschungsstand zum Reparieren in der Kulturwissenschaft dargestellt werden.
3.2 R EPARIEREN – F LICKEN − U MNUTZEN Angesichts der veränderten Dingwelt – etwa durch die Expansion und Technisierung von Objekten – und den Diskursen zu knappen Ressourcen verstehen immer mehr Akteursgruppen Reparieren als nachhaltige Praxis. Im Folgenden soll der Forschungsstand zur kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Reparieren diese veränderte Bedeutungszuschreibung historisch kontextualisieren. Inwiefern beschäftigt sich die Kulturwissenschaft mit Reparieren? Wie hat sich der Umgang mit kaputten Dingen verändert? Welche Bedeutung hat das Reparieren in der aktuellen Forschungsliteratur? Der reparierende Umgang mit Dingen unterscheidet sich maßgeblich in vorindustriellen und modernen Gesellschaften ferner steht er in enger Verbindung zum Umnutzen, Flicken und Wegwerfen. Gottfried Korff kritisiert, dass in der
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volkskundlichen Sachkulturforschung Detailanalysen und theoretische Entwürfe zum Flicken und Reparieren fehlen und die Fachdebatte den Gebrauch und damit das Reparieren lange vernachlässigte.21 Insbesondere kulturhistorische Ausstellungen machen das Thema Reparieren immer wieder zum Gegenstand musealer Repräsentation: So beschäftigte sich etwa die Sonderausstellung zum 40-jährigen Jubiläum des Landwirtschaftsmuseums Brunneburg Ende 2014 mit dem Flick-Werk im historischen Tirol. 22 Vorindustriellen und bäuerlichen Wirtschaftsformen wird – so auch in der Begleitpublikation der Brunneburger Ausstellung – in vielen Arbeiten die Notwendigkeit von Reparaturkenntnissen diagnostiziert, weil ein umsichtiger und schonender Umgang mit vorhandenen Ressourcen sowie mit seltenen und wertvollen Stoffen überlebensnotwendig war.23 Vormoderne Gesellschaften zeichnen sich vor diesem Hintergrund durch die Verwaltung von Mangel und Knappheit aus: „Das bäuerliche Leben in Tirol wie in vielen anderen Regionen ist seit jeher durch Not und Knappheit von Ressourcen bestimmt. Das Reparieren, Wiederverwerten und Umfunktionieren von Alltagsgegenständen spielte daher stets eine wichtige Rolle im Alltag der bäuerlichen Bevölkerung“, so argumentiert etwa Wolfgang M. Heckl anlässlich der Tiroler Ausstellung. 24 Dabei vernachlässigt diese Perspektive, dass das durch Landwirtschaft geprägte Leben auch spezifische Umgangsweisen mit Überfluss, beispielsweise zur Ernte, notwendig machte.
21 Korff 1983, S. 14. 22 Die Sonderausstellung zum 40-jährigen Jubiläum des Landwirtschaftsmuseums Brunneburg beschäftige sich vom 29.09. bis 31.10.2014 mit dem Flick-Werk im historischen Tirol (siehe Sonderausstellung www.flick-werk.net sowie flick-werk.de). Das LVR-Industriemuseum zeigte von 20.03.2010 bis 30.04.2011 die Sonderausstellung „erfindungsreich – Eigenbau und Flickwerk“ und präsentierte kreative „Tüfteleien von Amateuren“, die im Arbeitsalltag, Haushalt oder in Kriegs- und Notzeiten entstanden sind (siehe industriemuseum.lvr.de). Die Ausstellung zum „Flick gut“ vom 09.05. bis 03.10.2004 im Gewerbemuseum in Winterthur veranschaulichte den „(emotionalen) Mehrwert“ und das „ästhetische Konzept“ hinter dem Flicken und Reparieren (siehe gewerbemuseum.ch sowie Stirnemann und Vogel 2004). 23 Vgl. Kramer 1986. 24 Vgl. Heckl 2014; Es verwundert nicht, dass der Biophysiker und Nanowissenschaftler Heckl das Vorwort zum Begleitband liefert, ist er doch ein wichtiger Akteur innerhalb der Reparaturbewegung. Der Generaldirektor des Deutschen Museums in München veröffentlichte „Die Kultur der Reparatur“ (vgl. Heckl 2013) und war Gastgeber und Diskutant bei dem ersten bundesweiten Vernetzungstreffen der Repair-Initiativen in München.
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Auch die ethnographische Studie von Edit Fél und Tamás Hofer zur ungarischen Gemeinde und den Geräten der Átányer Bauern erkundet die Formen von Umnutzen und Reparieren im ländlichen Kontext der 1950er und 1960er Jahre.25 Fél und Hofer beschreiben dabei, dass der Umgang der Bauern mit Geräten von „liebevolle[r] Sorge“ 26 und Sparsamkeit geprägt sei. Die untersuchten Bauern mussten sorgsam mit ihren Geräten umgehen, weil die an den Körper und die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Arbeit angepassten Geräte die Arbeit erleichterten und deshalb wertvoll, aber auch teuer in der Neuanschaffung waren. Sparsamkeit definieren Fél und Hofer damit, dass keine Materialien verschwendet und Holz sowie Metall weiter genutzt wurden. Die Materialien fanden je nach Möglichkeit anderweitig Verwendung. In den von Fél und Hofer zitierten Aussagen von Átányer Bauern verweisen sie auf den mitschwingenden Stolz der Átányer, wenn sie für alles eine Verwendung fanden: „Wir holen aus allem alles heraus, aus unseren Kleidern genauso wie aus den Geräten“, zitieren die beiden Volkskundler mehrmals ihre Interviewpartner_innen.27 Sie beschreiben in ihrer ethnographischen Studie, dass in der bäuerlichen Lebensweise der Átányer ein „Stoffwechsel“ der Ausrüstung stattfand. Beschädigte oder abgenutzte Geräte wurden repariert oder ersetzt. Das alte Gerät als Reserve bildete die sogenannte zweite Front, die für Notfälle, Ausbesserungen oder Reparaturen Verwendung fand. „Dadurch daß Ausrüstungsgegenstände ohne Reste und Abfälle vollständig aufgebraucht werden, bleibt in Átány naturgemäß von dem Gerätebestand nichts übrig. Aus den Geräten wird kein Abfall, kein Mist, den der Archäologe einer kommenden Zeit finden könnte. Man darf behaupten, erhalten bleibe nur das, was zufällig verloren ging oder auf andere Weise von dem normalen Lebensweg abkam.“28
Sowohl anhand historischer als auch moderner Beispiele zeichnet der Begleitband zu der im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart vom 15.10. bis 15.12.1983 stattgefundenen Ausstellung „Flick-Werk“ den Wandel des Reparierens, Flickens und Umnutzens nach.29 Gottfried Korff, „der angesehenste deutsche Museologe“30, und Hans-Ulrich Roller, Mitarbeiter des Landesmuseums, 25 Vgl. Fél und Hofer 1972. 26 Fél und Hofer 1974, S. 342. 27 Fél und Hofer 1974, S. 348. 28 Fél und Hofer 1974, S. 349. 29 Vgl. Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft (Tübingen) und Württembergisches Landesmuseum Stuttgart 1983. 30 Jeggle 2001, S. 71.
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beschreiben, dass die Idee der Ausstellung aus dem Bemühen heraus entstanden sei, bei der volkskundlichen Sammlung des Württembergischen Landesmuseums möglichst nahe an das Alltagsleben der „unteren Schichten heranzukommen“31. Mit Mitteln der musealen Darstellung wollten sie Einblicke in die Bereiche der „Alltagsökonomie“ 32 geben. In dieser Deutung erscheint Reparieren als eine Wirtschaftspraxis, die vor allem durch begrenzte ökonomische Ressourcen motiviert ist und von einer spezifischen sozialen Gruppe ausgeübt wird. Der damalige Direkter des Museums, Claus Zoege von Manteuffel, beschreibt in seinem Vorwort: „Wer in der Zeit aufgewachsen ist, da man alles, was noch irgend reparierbar war, wieder instand setzt, und wer selbst oftmals das stolze Gefühl hatte, etwas Defektes wieder brauchbar gemacht zu haben, empfindet noch heute auf dem Höhepunkt der ‚Wegwerfkultur‘ einen inneren Widerstand dagegen, Reparierbares zu vernichten […]. Der Unterschied in der Haltung der ‚Reparierer‘ und der ‚Wegwerfer‘ hat natürlich wirtschaftliche Ursachen.“33
Man habe sich die amerikanische Wegwerfmentalität inzwischen voll angeeignet, so die Zeitdiagnose von Zoege von Manteuffel weiter, der hier zwischen zwei sozialen Gruppen unterscheidet: Dem, der repariert und dem, der wegwirft. Diese dichotome Unterscheidung vereinfacht jedoch die alltägliche Handlungslogik von Akteuren, denn Reparieren und Wegwerfen findet in unterschiedlichen Kontexten statt: Zwar mag der eine den kaputten Toaster wegwerfen, die vererbte Armbanduhr wird aber repariert. Welche Bedeutung Akteure Dingen zuschreiben und welche Praktik daraus folgt, ist in komplexe Bedeutungsgewebe eingesponnen. Die soziale Einordnung anhand der Praktik in „Wegwerfer“ und „Reparierer“ erscheint dabei verkürzt. Auch der von Zoege von Manteuffel 1983 diagnostizierte „Höhepunkt der Wegwerfkultur“ muss heute angesichts der aktuellen Wegwerfraten kritisch befragt werden. Der Ausstellungsband beschreibt nicht nur das Reparieren anhand historischer Beispiele, sondern kann selbst als Zeitzeugnis dienen, spiegelt er doch einen spezifischen Zugang und Umgang mit Konsumgütern wider. So stellt HansUlrich Roller im Band fest: „Ein Umdenken hin auf Bewahren, Wiederherstellen, Wiedernutzen (recycling) bricht sich zwar immer mehr Bahn, ist aber noch zu schwach, um sich gesamtgesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich auszu-
31 Korff und Roller 1983, S. 4. 32 Korff und Roller 1983, S. 4. 33 Zoege von Manteuffel 1983, S. 5.
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wirken.“34 Dabei gab es seit 1983 im Bereich Umweltschutz und Nachhaltigkeit sowohl politische als auch wirtschaftliche Entwicklungen. 35 Angesichts der durch die industrielle Massenproduktion entstandenen, im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs oft verhandelten Konsum-, Überfluss- oder Wegwerfgesellschaft ist Konsum zunehmend zum Ausdruck von Persönlichkeit und Lebensstil geworden36, sodass sich der – auch reparierende, flickende, verwertende − Umgang mit Dingen wesentlich verändert hat. Konnten etwa die Bauern in Átány ihre Geräte aus Holz und Metall noch weitestgehend verwerten, sodass scheinbar kein Abfall entstand, ist das Dinguniversum heute durch Plastik, Einmalprodukte und Elektronikgeräte gekennzeichnet. Hermann Bausinger deutet die Entwicklung der Konsumgesellschaft als tiefgreifend, denn: „Die Kultur des Reparierens ist der krasse Gegensatz zur Wegwerfkultur, zur Kultur des Konsumierens.“37 Die Kultur des Reparierens liegt für ihn in einer Zeit, in der Reparieren noch Ausdruck von Not und Notwendigkeit war: „Danach begann jenes extensive Wachstum, dessen Grenzen inzwischen sichtbar geworden sind. Die Grenzen des Wachstums sind nicht nur ein ökonomisches Problem. Die Einsicht wächst, daß der seelische Haushalt in Schwierigkeiten gerät, wenn alles Äußerliche durch Kauf geregelt wird, während der Mensch selber in seiner Beziehungswelt, seinem Charakter, seinem Sein notgedrungen immer nur geflickt werden kann.“38
Bausinger problematisiert zwar die sozialen und individuellen Auswirkungen von wirtschaftlichen Entwicklungen, wie der von ihm benannten Entfaltung und Erweiterung von Bedürfnissen und Konsumgütern. Auf die ökologischen Probleme, die eine Wegwerfkultur verursacht, geht Bausinger 1983 noch nicht ein. Der Konsumhistoriker Wolfgang König konstatiert, dass gerade die Herausbildung einer Konsumgesellschaft impliziert, dass Mangel nicht mehr alltagsbestimmend sei.39 Nicht mehr die Notwendigkeit auf Grund von Mangelerfahrungen, sondern der kreative Umgang mit Material stand für den Kulturwissenschaftler Gottfried Korff im Mittelpunkt seiner Zeitdiagnose, als er den 1980er Jahren eine Aufwertung von handwerklichen Tätigkeiten bescheinigt, wie etwa das Reparieren von Dingen, mit dem Verweis auf die damalige allgemeine wirt34 Roller 1983, S. 12. 35 Siehe etwa zum veränderten Umgang mit Müll Windmüller 2004 und zur Geschichte des Recyclings Schrutka-Rechtenstamm 2000. 36 Vgl. König 2008c. 37 Bausinger 1983, S. 7. 38 Bausinger 1983, S. 7. 39 König 2008c, S. 21.
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schaftliche Situation, die nicht durch Konsumorientierung und Wachstumsoptimismus, sondern durch Skepsis, Ängstlichkeit und Wachstumspessimismus geprägt sei.40 Flickkünste erschienen ihm 1983 damit wieder „salonfähig“: „Mit schlechtem Gewissen, weil man ihnen lange untreu war, lobt man die Flickkünste von ehedem. Man verweist auf die Appelle, die Bescheidenheit und Sparsamkeit als neue ökonomische Tugenden propagieren, und man verweist auf die Programme und Modelle, wie sie im Rahmen alternativer Lebensformen vorexerziert werden.“41
Auf Bescheidenheit und Sparsamkeit als ökologische Tugend geht Korff noch nicht ein. Die Einschätzung Korffs, dass sich die Reparaturfähigkeit als objektive Eigenschaft der Dinge und der subjektiven Fähigkeit des Reparateurs in starkem Masse reduziert habe, wird heute auch vom Verbraucherschützer Stefan Schridde, zentraler Akteur in der heutigen Reparaturbewegung, geteilt.42 Nicht als Gegensatz zur Konsumgesellschaft wie Bausinger, sondern als Teil von Alltagspraktiken sieht Korff das Reparieren, dessen Bedeutung sich verändert habe. Das Reparieren sei zu einer kreativen Freizeitbeschäftigung geworden, so Korff, die zum einen mit Scham besetzt sei, weil Reparieren mit Sparsamkeit und ökonomischen Zwang verbunden sei, sodass das Haushaltsbudget als begrenzte und begrenzende Ressource wirksam wird. Korff argumentiert weiter, dass Reparieren zum anderen gleichzeitig ein Gefühl des Stolzes, kreativ ein Problem gelöst zu haben, auslöse. Damit verweist er auf die Verbindung von Praktiken und Emotionen – und dies scheint gerade für eine Analyse der gegenwärtigen Reparaturbewegungen eine wichtige und bislang kaum erforschte Dimension zu sein. 43 Korff beschreibt das Reparieren in den 1980er Jahren als Freizeitbeschäftigung mit „entlastend-kompensatorischen“ Effekten. 44 Flicken und Reparieren ist in seiner Zeitdiagnose ein Umgang mit Sachen zwischen Scham und Stolz. Zum einen gelte Reparieren als „Signum der Armut“, zum anderen als „eines der wenigen Felder [war], wo Kreativität gezeigt werden“ 45 40 Korff definiert die wirtschaftliche Situation nicht weiter und schöpft seine Einschätzung aus den für die Ausstellung zum „Flickwerk“ von ihm geführten Erkundungsgesprächen (vgl. Korff 1983). 41 Korff 1983, S. 16. 42 Siehe Schridde 2012. 43 Zum Imperativ der Kreativität siehe Reckwitz 2014; zur Bedeutung von handwerklichen Tätigkeiten und Emotionen siehe Sennett 2008; siehe aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zu Emotionspraktiken Scheer 2016. 44 Korff 1983, S. 15. 45 Korff 1983, S. 16.
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könne. Korff wendet den Begriff der „Ökonomie des Notbehelfs“46 − ein Begriff von Olwen H. Hufton, der damit die Wirtschaftsweise der ländlichen Bevölkerung des 18. Jahrhunderts in Frankreich beschreibt − angesichts der Konsumgesellschaft der 1980er Jahre in die „Kreativität des Notbehelfs“ um. Korff betont damit, dass zum Reparieren und Flicken Kombination und Improvisation gehörten.47 Auch M. Vänci Stirnemann und Fritz Franz Vogel stellen die Bedeutung von Kreativität und Wissen heraus: „Als Reaktion auf die Abnutzung ist es unbestritten, dass trotz aller neuen Waren das Geschick des Flickens und Reparierens nur mit Kreativität, mit Improvisation und geschickter Kombination, mit dem Bewusstsein für Machbares und unter dem Diktat der vorhandenen Ressourcen, erreicht werden kann. Erst die Erfahrung ermöglicht es, das technische Know-how fürs Reparieren zu verwenden.“48
Auf die kreative Umnutzung von Dingen geht auch Ursula Brunold-Bigler ein. Sie sieht die Techniken von Schonen, Flicken und Umnutzen als Zeichen von Sparsamkeit. Sie fragt, wie sich die Langzeitdisziplinierung in der Tugend der Sparsamkeit auf den täglichen Umgang mit Kleidung, Hausrat und Arbeitsgeräten ausgewirkt hat. Ihre Quellen sind „ökonomische[n] Ratgeber[n] für Bauern, Bürger, Heim- und Fabrikarbeiter und deren Frauen“49. Des Weiteren sieht sie in Autobiographien, in realitätsnahen Romanen und in in Museen gesammelten Gegenständen den sparsamen Dinggebrauch verwirklicht. Gleichwohl die Reichweite der Aussagekraft dieser Quellen über die tatsächliche Alltagspraxis quellenkritisch betrachtet werden muss, so machen ihre Ausführungen indes deutlich, dass Umnutzen und Flicken normativ aufgeladen ist. In der von ihr diagnostizierten, zeitlich aber nicht deutlich markierten „Spargesellschaft“ sei der langsame Dingverbrauch mit „bürgerliche[n] Werte[n] wie Charakterfestigkeit, Fleiß, Ordnungsliebe und Genügsamkeit propagiert oder gar soziales Elend mit 46 Vgl. Hufton 1974. 47 Korff 1983, S. 15. 48 Stirnemann und Vogel 2004, ffv 13022003; Die Darstellung des Flickens und Reparierens in Form der Enzyklopädie von Stirnemann und Vogel bricht mit Sehgewohnheiten. Dadurch macht das Werk sichtbar, dass kulturelle Phänomen nur dem Anschein nach konsistent sowie strukturiert sind und doch immer nur als Momentaufnahmen festgehalten werden können. Der Ausstellungsband verdeutlich, dass kulturelle Aushandlungen durch Brüche und Widersprüche gekennzeichnet sind. Damit verweisen die Autoren auf das Bedürfnis, Oberflächen und Geschichten schließen zu wollen und damit Sinn zu produzieren. 49 Brunold-Bigler 1987, S. 50.
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mangelnder Sparsamkeit der Unterschichten begründet“50. Im Jahr 1987 vermittle ein die Sachen verlängernder Umgang ein Gefühl von Umweltbewusstsein, weil damit der private Abfall verringert werde, so Brunold-Bigler. Während sich Wolfgang König in der Beschäftigung mit der Konsumkultur auf die Geschichte der Bundesrepublik reduziert und die bisher vorgestellte Forschungsliteratur zum Reparieren aus der Perspektive vornehmlich einer westdeutschen Konsumgesellschaft argumentiert, setzt sich die Kulturwissenschaftlerin Ina Merkel explizit mit der Konsumkultur in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) auseinander.51 Sie verweist dabei auf die Gleichzeitigkeit von Mangelerfahrungen und Überfluss als Teil der DDR-Konsumkultur und liefert so Einblicke in den alltäglichen Umgang mit begrenzten Ressourcen. Merkel zitiert aus dem von ihr analysierten Archivmaterial eine Empfehlung des Politbüros an die Nationale Front, „einen Aufruf [zu] erlassen, um fachlich gebildete Rentner und Werktätige zu gewinnen, die dazu bereit sind, nach ihrer Arbeitszeit zusätzliche Reparaturen und Dienstleistungen [...] auszuführen“52. Des Weiteren solle die „Selbsthilfe-Bewegung zur Ausführung von Reparaturen unter der Bevölkerung“53 gefördert werden. Merkel weist nach, dass im spezifischen Kontext der DDR das Reparieren schon in den 1960er Jahren von politischen Institutionen verfolgt und gefördert werden sollte. Inwiefern sich diese politischen Forderungen tatsächlich im Alltag der DDR-Bürger niedergeschlagen haben, beschreibt Merkel nicht. Ihre Quellen deuten aber darauf hin, dass es auf Grund politischer und wirtschaftlicher Rahmen Unterschiede im reparierenden Umgang mit Dingen zwischen der DDR und der westdeutchen Bundesrepublik gab.54 Die problematische Rohstoffsituation und die mangelhafte Produktionskapazität in der DDR hätten dazu geführt, dass es „zum guten Ton gehörte, schonend und vernünftig mit Ressourcen umzugehen“55, so Merkel. Die Mangelsituation wurde 50 Brunold-Bigler 1987, S. 59. 51 Siehe etwa König 2000; Auch Merl kritisiert, dass Osteuropa in den Debatten zur Konsumkultur vernachlässigt werde, weil diese Länder als durch Mangel geprägt gelten. Dabei übersähen solche Studien, dass etwa die DDR nach dem Zweiten Weltkrieg eine „Konsumrevolution“ erlebt habe (Merl 1997, S. 206). 52 SAPMO BA, Dy 30/IV 2/608/27, unpag., Vorlage für das Politbüro vom 13.1.1960, in: Merkel 1999, S. 128. 53 Vgl. Merkel 1999. 54 Auf Grund fehlender empirischer Daten muss hier die Frage unbeantwortet bleiben, ob frühere Knappheitserfahrungen und ein spezifischer Umgang mit Dingen eine Begründung dafür sein könnten, dass sich bisher die meisten Repair Cafés in den alten Bundesländern gegründet haben (siehe repaircafé.org: Standorte). 55 Merkel 1999, S. 10.
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hier also in moralische, habitualisierte Deutungsmuster übersetzt. Der Mangel auf der einen Seite und der gleichzeitige Überfluss von spezifischen Produkten führten laut Merkel zu spezifischen Alltagspraktiken, wie dem Selbermachen, der Vorratswirtschaft und dem Tauschen. Diese Praktiken werden heute unter den Begriffen „Do-It-Yourself“56 und „Shareconomy“57 wieder diskutiert. Dabei können kulturwissenschaftliche Arbeiten wie jene von Merkel zeigen, dass die Konzepte nicht neu sind, sondern in verschiedenen kulturellen und historischen Kontexten mit je spezifischen Bedeutungsinhalten alltagswirksam waren.58 Folgt man der bisherigen Forschungsliteratur, scheint Reparieren also immer dann notwendig und moralisch aufgeladen, wenn ein Mangel diskursiv festgestellt wird, der sich einmal auf die Knappheit von Rohstoffen und Materialien bezieht und einmal im Sinne von Sparsamkeitszwängen – sei es aus tatsächlicher Geldknappheit oder aus Normativität − zeigt. Zusammenfassend reduziert sich die kulturwissenschaftliche Bearbeitung vom Reparieren als kulturelle Praktik bisher auf ökonomische Notwirtschaften und wird in Konsumgesellschaften als kreative Freizeitbeschäftigung konzipiert. Werden Dinge und für deren Produktion benötigte Materialien knapp, werden sie gepflegt, repariert, umgenutzt und geflickt, so der Kanon. Besonders Arbeiten zu vorindustriellen Wirtschaftsformen diagnostizieren die Notwendigkeit von Reparaturkenntnissen und die Alltäglichkeit von Reparaturen, während in industriellen Überflussgesellschaften die Bereitschaft und Fähigkeit zur Reparatur sinke, wie etwa Ahrens diagnostiziert.59 Denn Reparieren erscheint auf Grund der massenhaften, günstigen, industriellen Produktion von Waren heute nicht mehr notwendig, sodass Reparieren als Freizeitgestaltung und Hobby vor allem Spass machen soll. Angesichts der Diskurse zu knappen Ressourcen hat Reparieren heute vielfältige Bedeutungsinhalte, die es zu rekonstruieren gilt. Neben den ökonomischen Gründen sowie den sozialen und individuellen Motiven, die Menschen zum Reparieren von Dingen veranlassen, hat das Reparieren auch eine ökologische und politische Dimension. Diese in sich verschränkten Dimensionen gilt es im Aushandlungsprozess zwischen Überfluss und Knappheit zu differenzieren. Der Mangel an Rohstoffen oder die Verknappung von natürlichen Ressourcen wird, so die These, in Ländern des globalen Nordens vor allem als Diskurs erfahrbar und von verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen verhandelt. Nicht Mangel, sondern materieller Überfluss ist die alltägliche Erfahrung, die für die meisten Menschen im Supermarkt und im Shoppingcenter wirk56 Vgl. Baier et al. 2013. 57 Siehe Leismann et al. 2012. 58 Siehe dazu auch Kramer 2012. 59 Vgl. Ahrens 1983.
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sam wird, gleichwohl hier wiederum auch wirtschaftliche Budgetbegrenzungen über Teilhabe und Exklusion entscheiden.60 In diesem Sinne stellt das Reparieren als Strategie im Umgang mit Knappheit und Überfluss ein kulturanthropologisches Forschungsdesiderat dar. Dass gerade die Wahrnehmung von Überfluss Akteure motiviert, einen spezifischen Umgang mit Dingen zu entwickeln, kann das Fallbeispiel des Mülltauchens verdeutlichen.61 Im Folgenden soll der Forschungsstand zum Mülltauchen dargestellt werden.
3.3 D AS M ÜLLTAUCHEN Containern, Dumpster Diving, Dumpstering, Mülltauchen, Skip Dipping: Dies alles sind verschiedene Bezeichnungen für eine Praxis, bei der verwertbare Dinge wie noch genießbare Lebensmittel aus Mülltonnen entnommen werden. In den USA wird unter Dumpster Diving auch der Diebstahl von sensiblen Daten und Informationen aus Mülleimern verstanden. Inwiefern beschäftigt sich die Kulturanthropologie bisher mit dem Mülltauchen? Aus welchen Perspektiven wird die Praxis interdisziplinär analysiert? Welche Bedeutung wird dem Mülltauchen dabei zugeschrieben? Aus einer ernährungswissenschaftlichen Perspektive untersuchen Nicole Eikenberry und Chery Smith Mülltauchen als ein Phänomen von Bedürftigkeit und Not im Kontext einer Studie über die Nahrungssicherheit und den Zugang zu Nahrung in vier urbanen und ländlichen U.S.-amerikanischen Gemeinden, welche mit qualitativen und quantitativen Methoden arbeitete. 62 18,9 Prozent der 396 im urbanen Kontext zu ihrem Ernährungsverhalten befragten Personen gaben an, mindestens einmal Nahrungsmittel aus einer Mülltonne gegessen zu haben. 42,8 Prozent der Befragten kannten jemanden, der einmal oder mehrmals Lebensmittel aus Mülltonnen zu sich genommen habe. Die quantitativen Daten zeigen, dass das Phänomen Mülltauchen in urbanen Kontexten bekannter war und dort häufiger stattfand als in ländlichen sowie eher ein männliches Phänomen war: „We found that men were more likely to dumpster dive than women, and divers were more likely to have the lowest income, but there were no differences based on race/ethnicity or education.“63 Die Hälfte ihrer insgesamt
60 Vgl. Lamla 2016. 61 Vgl. Welz 2015, S. 45. 62 Vgl. Eikenberry und Smith 2005. 63 Eikenberry und Smith 2005, S. 198.
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17 Interviewpartner_innen war ohne festen Wohnsitz. Die in Gruppeninterviews diskutierten Themen unterschieden die Autoren in: „(a) who is doing it; (b) what foods are eaten from dumpsters; (c) why, when, where, and how foods are obtained from dumpsters; (d) perceived acceptability of the behavior; and (e) perceived safety of the food“64. Der Studie zufolge sei Mülltauchen eine Strategie der Nahrungsmittelbeschaffung, wenn finanzielle Möglichkeiten für eine andere Ernährungsweise begrenzt seien. Das stärkste Motiv sei dabei Hunger. Auf ideologische Deutungsmuster und die dadurch erfolgende soziale Selbstpositionierung der untersuchten Akteure gehen Eikenberry und Smith nicht ein. Deutlich wird mit Blick auf andere Studien, dass sich sowohl die Motive, als auch die Praktiken zwischen Notwendigkeit und Freiwilligkeit unterscheiden. So schildert die Studie von Eikenberry und Smith etwa, dass die Mülltaucher_innen weniger Früchte und Gemüse aus den Mülltonnen nahmen, sondern eher auf verpackte und verarbeitete Lebensmittel zurückgegriffen haben. Dies kann, so eine Interpretation, auf die fehlende Möglichkeit der Wohnungslosen zurückgeführt werden, die Funde zu reinigen und zuzubereiten. Ethnographische Ergebnisse anderer Studien wie von Maxi Heyenbruch zeigen, dass Gemüse und Früchte bei Mülltauchern_innen, die sich auch anders ernähren könnten, besonders oft mitgenommen werden.65 Je nach Motiv unterscheidet sich demnach, wie sich die Akteure ernähren und welche Nahrungsauswahl sie treffen. Zwar stellen besonders kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, die mit empirischen Methoden arbeiten, heraus, dass Mülltauchen auch ökonomisch motiviert sei, stärkere Beachtung finden aber die politischen und ethischen Motive. Gerade in englischsprachigen Arbeiten wird Containern dabei als Teil von Freeganismus kontextualisiert.66 Freeganismus als Lebensstil ist politisch motiviert und sowohl globalisierungs- als auch kapitalismuskritisch.67 Durch alternative Versorgungspraktiken wollen Freeganer vorhandene Strukturen unterlaufen und kritisieren: „Freegans effectively introduce an extra step before the final stage of ‚wasteʻ, forming a space where new values, identities and social categorizations are drawn.“68 Ein freeganer Lebensstil, zu dem auch Mülltauchen gehört, ist in komplexe Deutungssysteme eingebunden und durchwirkt den Alltag der Akteure − von der Wahl der Nahrung über den Umgang mit Dingen bis zu den Formen von Mobili64 Eikenberry und Smith 2005, S. 194. 65 Vgl. Heyenbruch 2013. 66 Siehe etwa Edwards und Mercer 2007, Edwards und Mercer 2012, Coyne 2009 oder Moré 2011. 67 Siehe freegan.info. 68 Edwards und Mercer 2012, S. 185
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tät und Wohnen. Politischer Protest schreibt sich damit tief in verschiedene Alltagspraktiken ein. Eine organisierte Form von Freeganismus ist die „Food not Bombs“Bewegung, die 1980 von einer Gruppe in Boston gegründet wurde. Das Kernziel dieser Bewegung ist das Sammeln von Nahrungsmitteln über Spenden oder durch Mülltauchen, um diese zuzubereiten und die veganen Gerichte an Obdachlose oder Bedürftige zu verteilen. 69 Es gibt weltweit „Food not Bombs“Gruppen.70 „Freegans challenge our hegemonic ‚throw awayʻ culture by interchanging the meaning of waste and food, insisting that found items are in fact still pure.“71 Die Freeganer seien Experten_innen im kreativen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen und dem, was andere als unbrauchbar betrachten und wollen, so die Anthropologin Victoria C. Moré, die Lebensdauer von Dingen verlängern. Sie verfolgten dabei das Prinzip: „Use it up, wear it out, make it do or do without“72. Moré fragt, wo und warum Freeganismus existiert und untersuchte „the symbolic transformation of garbage into groceries“73, indem sie teilnehmend beobachtete und Interviews mit drei sich selbst als Freeganer bezeichnenden Akteurinnen im U.S.-amerikanischen Kontext durchführte. Ziele des freeganen Dumpster Divings seien, so ihr Ergebnis, ohne Geld zu leben, „to reduce waste and [to] protest overconsumption“74 . Ferne Edwards und David Mercer untersuchen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive die freeganSzene, allerdings in Australien. Sie beschreiben das Phänomen Mülltauchen als alternative, nachhaltige Konsumpraktik, der eine politische Bedeutung zugeschrieben werde: „[G]leaning food as a symbolic, political act against capitalist overproduction and waste“.75 Der Sozialwissenschaftler Mike Foden verweist im Kontext von „reuse groups“, zu denen er auch Mülltaucher_innen zählt, darauf, dass alltägliche Praktiken an politischer Bedeutung gewinnen würden, weil sie als Praxisbeispiele dienten: „These alternatives then, it is argued, function as working examples, demonstrating to others that change is possible, winning support from the ground up and gradually becoming more widerspread.“76 Regina F. Bendix konstatiert,
69 Siehe dazu auch Shantz 2005. 70 Siehe foodnotbombs.net. 71 Moré 2011, S. 49. 72 Moré 2011, S. 52. 73 Moré 2011, S. 44. 74 Moré 2011, S. 45. 75 Edwards und Mercer 2007, S. 282. 76 Vgl. Foden 2012.
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dass Containern als Protestform gegen die Wegwerfgesellschaft „in“ sei.77 Aktivisten_innen handelten aus ideologischen und politischen Motiven heraus, „die jeweils unterschiedlichen und stagnierenden ebenso wie sich beständig justierenden politischen Rahmenbedingungen entspringen“78. Auch die Kulturwissenschaftlerin Maxi Heyenbruch stellt heraus, dass die Praxis mehrdeutig sei. Deshalb könne sie nicht ausschließlich als Protestbewegung interpretiert, aber als Protest-Handlung verstanden werden.79 So beschreibt etwa der politische Aktivist und Kriminologe Jeff Shantz Dumpster Diving als „anarchist political praxis“80. Konsumpraktiken seien „key areas of struggle“81, deren schärfste Kritik er innerhalb der anarchistischen Szene sieht. Shantz meint, dass Anarchisten im Gegensatz zu anderen Gruppen nicht aus Notwendigkeit, sondern auf Grund spezifischer Überzeugungen containerten, wobei für sie Massenkonsum und der daraus entstehende Müll einen Missbrauch von sozialen und natürlichen Ressourcen repräsentiere. Mülltauchen versteht er deshalb als „propaganda of deed“, ein Konzept innerhalb der anarchistischen Szene, durch welches Werte und Prinzipien durch Taten, nicht durch Worte verbreitet werden sollen. Bendix argumentiert, dass Wortneuschöpfungen wie „Mülltauchen“ mit dem Problembewusstsein um Nahrungsmittelüberschuss arbeiteten. Sie sieht im Containern nicht nur eine Protestform, sondern im Vokabular und deren diskursiven Einbettung Hinweise auf Lebensstile – wie etwa dem Freeganismus −, Individualismus und Abenteuer. Sie argumentiert anhand der medialen Narrative, dass Mülltauchen durch vielfältige Bedeutungsinhalte gekennzeichnet sei und zur Umdeutung von vermeintlichem Nahrungsabfall in Nahrungsmittel beitrage. Deutlich wird in der Forschungsliteratur die Aufmerksamkeit auf diese Umdeutung, durch die Mülltaucher_innen die Bedeutung von essbar und nichtessbar, von Müll und Nahrung verändern: „Both freegans and formal foodrescue organizations, through their processes of respatialization and revaluing, redefine what society considers as ‚wasteʻ.“82 Auch die Anthropologin Rachel Black verweist darauf, dass die Kategorien von essbar und nicht-essbar sozial konstruiert seien: „the lines drawn between food and non-food are subjective and mutable“83. 77 Vgl. Bendix 2014. 78 Bendix 2014, S. 139. 79 Heyenbruch 2013, S. 67. 80 Shantz 2005, S. 9. 81 Shantz 2005, S. 9. 82 Edwards und Mercer 2007, S. 187; siehe dazu auch Moré 2011, S. 44. 83 Black 2007, S. 149; siehe zu Nahrungstabus aus soziologischer Perspektive auch Barlösius 2011 und Setzwein 1997.
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Nicht vom Abfall ausgehend, sondern vom Konsum aus argumentieren die Sozialwissenschaftlerinnen Karen V. Fernandez, Amanda J. Brittain und Sandra D. Bennett und gehen der These nach, dass Mülltauchen „a form auf resistance“84 sei, die aufmerksam auf die Auswirkungen von Konsumgesellschaften mache: „Diversʼ acts of resistance (and resultant arrests and media coverage) are designed to draw attention to the excesses of a consumer society.“85 Die Autoren unterscheiden zwischen ideologischen, ökonomischen und psychologischen Motiven, die sie in Wechselwirkung und konfliktvoller Beziehung zueinander sehen. „However, over time, most economically-motivated or psychologically-motivated divers appear to adopt ideological motivations. [...] Diversʼ adoption of a hero identity permits them to resolve the tensions inherent in resisting while consuming.“86
Fernadez et al. folgen dem theoretischen Konzept von Helene Cherrier, welches zwei Typen von „resistant identity“ 87 unterscheidet: eine „hero identity“ als Kämpferidentität und eine „project identity“ als Projektidentität. Die „hero identity“ sei Cherrier folgend verbunden mit politischem Konsum und habe einen gesellschaftlichen Wandel als Ziel, sei also nach außen gerichtet. Die „project identity“ sei mit kreativem Konsum verbunden und habe einen inneren Wandel zum Ziel. Fernandez et al. arbeiten heraus, dass „economically disadventaged divers are able to view themselvesʼ positivly by adopting an ideologically-consistent hero identity that resists consumerism by consuming discarded waste.“88 Dabei reflektieren die Sozialwissenschaftlerinnen den Begriff von Identität und Konsum nicht, ebenso fehlt eine kulturelle Kontextualisierung, warum eine Kämpferidentität positiv konnotiert ist. Die Autoren beschreiben: „Instead of choosing particular branded products from retailers to construct identity, divers choose to construct a hero identity by rejecting choice.“89 Dabei muss kritisch hinterfragt werden, ob diese These mit der Selbstdeutung der Akteure übereinstimmt oder ob hier eine normative Deutung der Autoren sichtbar wird. Denn die Diver treffen, so zeigte sich während der Feldforschung, durchaus eine Auswahl, die kulturell relevant ist, z.B. welche Lebensmittel sie mitnehmen und wie sie diese zubereiten. 84 Fernandez et al. 2011, S. 1779. 85 Fernandez et al. 2011, S. 1787. 86 Fernandez et al. 2011, S. 1786. 87 Vgl. Cherrier 2009. 88 Fernandez et al. 2011, S. 1783. 89 Fernandez et al. 2011, S. 1786.
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Die Diver müssten, so die Autoren weiter, den Widerspruch verhandeln, auf der einen Seite nicht an der Konsumgesellschaft teilhaben zu wollen und sich auf der anderen Seite durch deren Reste zu ernähren. Dabei marginalisiere die Gesellschaft die Mülltaucher_innen. Deshalb meinen Fernadez et al., dass Diver eine positive Identität durch Gemeinschaft entwickelten. Dass die Gesellschaft Mülltaucher_innen als die marginalisierten Anderen betrachte, rufe bei den Divern ein Bedürfnis nach einem Kollektiv mit geteilten Werten hervor. Diver entwickelten deshalb neue Konsumgemeinschaften durch „identifying an alternative means of consumption“90. Was diese alternative Bedeutung von Konsum umfassen soll, bleibt in dem Beitrag undifferenziert. Die sozialen Systeme entstehen laut Fernandez et al. durch das Teilen der Nahrungsmittel und durch die Praxis an sich. Dass sich über den Umgang mit Lebensmittels Gruppen etablieren, zeichnen auch die Kulturwissenschaftlerinnen Alrun Lunger und Karin Moser anhand zweier Fallbeispiele nach: Erstens in einer selbstverwalteten Projektwerkstatt in Hessen und zweitens im „GeObKollektive“, einer lose organisierten Gruppe in Wien, in der Lebensmittel über unterschiedliche Wege u.a. über das Containern erworben und geteilt werden. Sie stellen dar, wie sich die Akteure einen „radikal anderen Lebensstil“91 wählen und alternative Versorgungswege mit Konsumgütern probieren. In ihrem Beitrag fragen sie nach den Umdeutungen und alltäglichen Verhaltensweisen, durch die Abfälle eine negative Müll-Konnotation verlieren. Durch welche konkreten Praktiken die Akteure Abfälle umdeuten, zeigen die Autorinnen nicht. Auf die Rolle von Räumen im Nahrungsmittelkonsum geht die Anthropologin Rachel Black ein. Sie vergleicht „market foraging“ mit Dumpster Diving. Im Zuge ihrer Feldforschung auf zwei Wochenmärkten in Italien und Frankreich setzt sie sich mit marginalen Praktiken auseinander, bei denen Akteure am Ende eines Markttages nach noch verwert- und genießbaren Lebensmitteln suchen. Urban foraging definiert sie als „the act of searching for and gathering food in the city without exchanging goods or money“92. Während sie in Frankreich vorwiegend junge Menschen beim „récupe“ beobachtete, waren es in Italien ältere Menschen und Pensionierte. Black stellt heraus, dass in Frankreich récupe ein Ausdruck von Ressourcenbewusstsein und sozialer Identität sei, während in Italien die Akteure aus Notwendigkeit und Hunger nach genießbaren Lebensmitteln suchten. Auch die Geographin Michelle Coyne betont die Bedeutung von urbanen Räumen zur Lebensmittelbeschaffung. Nicht die Überreste von Wochenmärkten wie bei Black, sondern die Mülltonnen des Einzelhandels werden durch 90 Fernandez et al. 2011, S. 1787. 91 Lunger und Moser 2004, S. 86. 92 Black 2007, S. 141.
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die Umdeutung von Akteuren zum Ort, um sich mit Nahrungsmitteln einzudecken. Coyne fragt, wie sich die Bedeutung von Raum durch Praktiken verändert. „The spatial physicality of food – its location in a supermarket, en route, in a dumpster, or on the home dining table is already structured through global processes of transport and symbolic meaning making, but these meanings are not necessarily permanent.“93
Mülltauchen führt in ihrer Analyse zur Umdeutung von urbanen Räumen, sodass Mülltonnen von Divern als Orte für Lebensmittelbeschaffung markiert werden. Wie sich anhand des bisherigen Forschungsstandes zeigt, ist die Frage, wie durch die Praxis des Containerns die feine Linie zwischen Müll und Nahrung ausgehandelt und verschoben wird, eine wichtige Perspektive in der Beforschung des Phänomens. Deutlich wird, dass im englischsprachigen Raum Mülltauchen als eine Praktik der Freeganismus-Bewegung verstanden wird. In der internationalen wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden unter Freeganismus unterschiedliche, alternative Bewegungen eingeschlossen, die Mülltauchen dazu nutzen, sich kostenlos mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Der Begriff Freeganismus ist in Deutschland weniger verbreitet. Nichtsdestotrotz lassen sich auch im deutschen Kontext die gleichen Praktiken, Phänomene und Lebensstile beobachten, wie etwa im Kontext von „Food not Bombs“-Initiativen, Umsonstläden oder Volksküchen – die entsprechenden Vokabeln und Sinnsysteme unterscheiden sich jedoch.94 Das Phänomen wurde bisher als ein spezifischer Lebensstil untersucht, bei dem die Akteure widerständige und alternative Konsum- und Wirtschaftsmuster entwickeln und sich dadurch sozial ebenso wie politisch positionieren. Als eine Strategie im Umgang mit Mangel und dem überlebensnotwendigen Nahrungsmittelkonsum konnten etwa die Arbeiten von Black sowie von Eikenberry und Smith das Phänomen Mülltauchen kontextualisieren. Mülltauchen zeigt sich als ein junges und international beobachtetes Forschungsfeld, das besonders durch studentische Arbeiten erschlossen ist − nur wenige davon sind allerdings veröffentlicht.95 Es gibt kaum Arbeiten, die näher darauf einge93 Coyne 2009, S. 8. 94 Regina F. Bendix analysierte Begriffe und deren Bedeutungsdimensionen angesichts von Überfluss und Verknappung, u.a. auch den Begriff des Mülltauchens (vgl. Bendix 2015). 95 Am Frankfurter Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie führten Studierende im Zuge des Lehrforschungsprojektes „food / waste / share: Lebensmittelver- und entsorgung in Städten“ innerhalb von drei Semestern eigene ethnographische Erkundungen zum Mülltauchen durch. Eine Dokumentation dazu ist nicht veröffentlicht, siehe aber Welz 2015. Auch die Kulturwissenschaftlerin Frederike
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hen, wie sich Mülltauchen in den Alltag der Akteure einschreibt, wie etwa Routinen entwickelt werden und welche Auswirkungen Containern auf die Ernährung und das Kochverhalten hat.96 Es gilt hier also, die komplexen Sinnsysteme im Umgang mit Nahrung sowohl auf einer diskursiven und narrativen Ebene als auch in den konkreten Lebenswelten zu rekonstruieren. Zwar haben die bisherigen Arbeiten zum Mülltauchen darauf verwiesen, dass hier die Kategorie Müll und Nahrungsmittel verhandelt werden, wie dies aber in konkrete Praktiken übersetzt wird, welche Strategien die Akteure also entwickeln, um Essbares von Ungenießbarem zu unterscheiden und welche Bedeutung damit auch den Sinnen zukommen, ist bisher kaum untersucht worden. Ziel der vorliegenden Arbeit ist damit, sowohl die bisherigen Erkenntnisse bezogen auf Lebensstilkonzepte und politische Motive zu überprüfen, als auch die Perspektive auf die konkreten Praktiken zu lenken und den alltäglichen Umgang mit Nahrungsmitteln als Umgang mit Knappheit und Überfluss zu analysieren. Wie sich zeigte, stellen Kleidertauschevents und Repair Cafés ein Forschungsdesiderat in der Kulturanthropologie dar. Der Umgang mit SecondhandMode wird gerade erst kulturanthropologisch erschlossen. Das Reparieren ist zwar immer wieder Thema kulturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen, ethnographische Forschungen zu Repair Cafés fehlen aber bisher. Im internationalen Kontext ist das Containern bereits interdisziplinär beforscht. Die Alltagswirksamkeit der Praxis und die Frage nach dem „wie“ der Umdeutung von Abfall und Lebensmitteln stellen in Hinblick auf die Konstituierung von Knappheit und Überfluss ein Desiderat dar. Ausgehend von den bisherigen Forschungsergebnissen zum Umgang mit Secondhand-Kleidung, dem Reparieren und dem Mülltauchen soll nun der Forschungsverlauf der vorliegenden Arbeit dargestellt werden. Der Fokus auf die Praxen nicht nur als Umgang mit Knappheit, sondern auch als Überflussmanagement hat sich im Forschungsverlauf konkretisiert. Auf welche Methoden und welche Quellen diese Analyse beruht und welche Potentiale und Grenzen eine vergleichend angelegte Ethnographie hat, steht im folgenden Abschnitt im Zentrum.
Müller-Späth hat eine unveröffentlichte Bachelor-Arbeit über „Containern als soziales Phänomen im städtischen Raum“ geschrieben (siehe Müller-Späth 2015). 96 Zu den spezifischen Routinen siehe Heyenbruch 2013; Gleichwohl kritisch angemerkt werden muss, dass dem Erforschen alltäglicher Routinen immer auch forschungspraktische Grenzen gesetzt sind.
4. Zum Forschungsdesign
Im folgenden Abschnitt wird der Forschungsverlauf dargestellt. Dazu sollen zunächst die Ausgangspunkte und Vorannahmen sowie die Ziele der Arbeit reflektiert werden. Nachdem die Entwicklung der Forschungsperspektive und die Eingrenzung der Forschungsfelder begründet wurden, soll die Entwicklung der analytischen Perspektive thematisiert werden. Darauf folgen die Reflexion der Zugänge, Quellen und Methoden sowie der Auswertungsmethoden. Abschließend soll der Vergleich als heuristische Methode kritisch betrachtet werden. Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die Wahrnehmung, dass für immer breitere Gesellschaftsgruppen das Konzept von Konsum und Konsumgesellschaft in der Kritik steht. Die Medien gehen in Reportagen, Berichten und Artikeln vermehrt der Frage nach, wie viel Konsum für ein „gutes Leben“ notwendig sei. Die „Geo“ vom Juli 2013 greift das Titelthema „Einfach besser leben“ auf, „Der Spiegel Wissen“ steht im Januar 2013 unter dem Thema „Einfach leben“ und titelt auch im Novemer 2015 „Weniger ist mehr. Wege aus Überfluss und Überforderung“. Das Magazin „Psychologie heute compact“ fragt im Heft 09/2015 nach dem „anderen Leben: Runterschalten, den Alltag vereinfachen, weniger wollen“. Der „Megatrend“1 Sharing materialisiert sich in einer eigenen Zeitschrift, der „Share“. Die Semantik in diesen Berichten ähnelt sich: Den Konsum reduzieren und teilen statt besitzen ist befreiend, entschleunigt, steigert die Lebensqualität, fördert soziales Miteinander, außerdem sei endloses Wachstum nicht mit endlichen Ressourcen zu vereinen. Dabei zeigen die Berichte Menschen und Initiativen, die ein anderes Leben ausprobieren, die anders wirtschaften, Alternativen zum marktförmigen Konsum entwickeln und sich kollektiv organisieren. Das Reparieren von defekten Gegenständen, das Umnutzen und Umdeuten von Abfall sowie das Weitergeben von Kleidung werden in den Repräsentationen erzählenswerte und relevante Beispiele für eine gesellschaftliche
1
Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013.
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Transformation. Wie verändern sich Konsumpraxen, wenn sie nicht marktförmig organisiert sind? Welche gesellschaftliche Bedeutung hat es, wenn Medien kulturhistorisch vorgeformte Praxen wie das Reparieren und Umnutzen, die in Notund Mangelzeiten alltäglich waren, als „sozial-innovativ“ 2 bezeichnen? Wie werden Deutungsmuster hier popularisiert und welche Rolle spielt dabei die Wahrnehmung von Überfluss und Knappheit? Deutlich wird gerade im Kontext von Klimaveränderungen und Konsumkritik ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess, durch den die Bedeutung von alltäglichen Handlungen und Dingen zur Disposition stehen. Die Aufarbeitung anhand einer vergleichend angelegten Ethnographie ist disziplinär und fächerübergreifend ein exemplarischer Beitrag zum Verständnis der alltagskulturellen Bearbeitung von Konzepten wie Konsum, Nachhaltigkeit, Knappheit und Überfluss. Kulturanthropologische Forschung beschäftigt sich zunehmend mit den aufkeimenden urbanen Initiativen und Praxen einer ressourcenschonenden Nutzung von Dingen. 3 Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist deshalb, innerhalb der empirisch arbeitenden Kulturwissenschaften das Forschungsfeld theoretisch einzugrenzen und empirisch zu beleuchten. In der interdisziplinären Debatte zur Nachhaltigkeit diskutieren verschiedene Autoren eine „Kultur der Nachhaltigkeit“. Ziel dabei ist eine gesellschaftliche Transformation mit einem alltagskulturellen Werte- und Praxiswandel.4 Bislang beteiligen sich die empirischen Kulturwissenschaften wenig an dieser politischen und wissenschaftlichen Debatte, obwohl die lebensweltnahe Mikroperspektive eine Stärke der Kulturwissenschaft ist.5 Die dekonstruierende Perspektive und ethnographische Mikrostudien wie die vorliegende Arbeit können jene Kultur der Nachhaltigkeit tiefenscharf als Praxis und Bedeutungsgewebe analysieren, welche im Diskurs zur Nachhaltigkeit fordert wird. Dem induktiven Ansatz in der Kulturanthropologie folgend hat sich die Forschungsperspektive während des Forschungsprozesses konkretisiert. Zu Beginn 2
Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013.
3
Siehe dazu etwa die Tagung „Strategien der Subsistenz. Neue prekäre, subversive und moralische Ökonomien.“ der Gesellschaft für Ethnographie e.V. in Kooperation mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin am 23.01. bis 24.01.2015; siehe Langreiter und Löffler 2016; siehe Call for Papers „Teilen−Praktiken der Kollektivnutzung zwischen Subsistenz, Subversion und Solidarität“ der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde vom April 2014; siehe auch Kuckkuck. Notizen zur Alltagskultur 2015 sowie Tauschek und Grewe 2015.
4
Vgl. Kurt und Wehrspaun 2001, Brocchi 2008, Leggewie und Welzer 2009 und
5
Vgl. Kuhn 2006, S. 33.
Parodi 2010.
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waren es nicht Repair Cafés, sondern etablierte Offene Werkstätten, in denen das Instandsetzen von Alltagsgegenständen untersucht werden sollte. Im Untersuchungszeitraum entstanden jedoch immer mehr Reparaturcafés, welche als Bottom-Up Bewegung für den Vergleich geeigneter erschienen. Als übergeordneter Kontext geht es in den drei ausgewählten Feldern um Wirtschafts- und Konsumpraxen. Menschen wirtschaften dabei mit Ressourcen – Zeit, Raum, Geld, soziale Netzwerke, Macht usw. −, um ihren Alltag zu gestalten. Sie setzen diese Mittel ein, um spezifische Ziele – etwa Lohn, Anerkennung, Lebensmittel − zu verfolgen. Das Handeln ist von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmen abhängig. Ausgehend von der gesellschaftlichen und der kulturanthropologischen Relevanz des Themas und der bestehenden Forschungsliteratur konkretisierte sich der analytische Blick im Forschungsverlauf auf den Umgang mit Knappheit und Überfluss als Thema, welches bisher wenig kulturwissenschaftlich und empirisch bearbeitet wurde.6 Die analytische Forschungsperspektive ist damit die kulturelle Aushandlung von Knappheit und Überfluss. Inwiefern lassen sich die Felder als kulturelle Strategien im Umgang mit Knappheit und Überfluss deuten? Wie nehmen Akteure und Akteursgruppen Knappheit und Überfluss wahr? Wie übersetzen sie diese Deutungen in konkrete Alltagspraktiken?7 Inwiefern unterscheiden sich die Deutungen und die Praktiken in den drei Feldern? Produzieren und reproduzieren die Akteure beim Reparieren, beim Kleidertausch und beim Mülltauchen unterschiedliche Konzepte von knappen Ressourcen und Überfluss? Die Akteure, so die These, greifen auf Wissen zurück − etwa über die Umweltauswirkungen von Produktionsprozessen oder über die Bedeutung von Müll −, das in spezifischen Diskursen produziert und reproduziert wird. Wissen zirkuliert dabei zwischen unterschiedlichen Akteuren. 8 Welche normativen Deutungsmuster, welche Vorstellungen vom „guten“ Leben verhandeln die Akteure dabei? Die Forschungsfelder sind durch fluide soziale 6
Zur Entwicklung und Modifizierung von Fragestellungen siehe Bischoff und Oehme-
7
Der Begriff der Praktiken denkt hier Foucault folgend mit, dass Diskurse „als Prakti-
Jüngling 2014. ken zu behandeln [sind], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (vgl. Foucault 1981). 8
Der hier verwendete Wissensbegriff greift auf die Cultural Studies zurück. Er bezieht sich akteurszentriert auf die Bedeutungszirkulation, umfasst Praktiken als Handlungswissen, als Art und Weise des Tuns, die Kultur zu (re-)produzieren und zu transformieren. Der Wissensbegriff fokussiert die Prozesse des Erzeugens, Verhandelns, Transformierens und Aneignens von Bedeutungen und die Bedeutung von Macht in diesen Prozessen (vgl. Keller 2005). Siehe zu den Cultural Studies auch Hörning und Winter 1999.
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Netzwerke und sich etablierende Infrastrukturen geprägt. Wie stabilisieren sich solche sozialen Netzwerke und Infrastrukturen? Wie regeln die Akteure den Zugang? Um diesen Fragen nachzugehen, war sowohl ein Methodenmix als auch eine Eingrenzung der Forschungsfelder notwendig, um eine auswertbare Datenmenge zu generieren. Eine erste Eingrenzung stellt die Fokussierung auf die drei Forschungsfelder dar. Die Felder sind durch soziale Netzwerke, Infrastrukturen und Praktiken gekennzeichnet, die sich um drei übergeordnete Themen bewegen: Der Umgang mit Nahrung, der Umgang mit Kleidung und der Umgang mit „Gebrauchsdingen“9. Da jedes Feld bereits für sich betrachtet durch vielfältige Akteure und spezifische Diskurse bestimmt ist, hat auch aus forschungspraktischen Erwägungen die Feldforschung in Hamburg und Berlin stattgefunden. Beides sind die bevölkerungsreichsten Großstädte in Deutschland und durch eine differenzierte Sozialstruktur geprägt. Eine Vorannahme war, dass der urbane Kontext, ein urbaner Habitus und spezifische urbane soziale Figurationen die Praxen prägen. Gleichwohl muss hier kritisch angemerkt werden, dass die Felder nicht spezifisch urban sind und auch der Begriff von Urbanität kritisch reflektiert werden muss. In der vorliegenden Arbeit beruht der Urbanitätsbegriff auf der Annahme von sozialer Dichte und einer Kultur der Interaktion, welche das Etablieren von sozialen und kulturellen Phänomenen beeinflussen.10
4.1 Z UGANG , Q UELLEN , M ETHODEN Um sowohl die Deutungen der an den konkreten Praxen beteiligten Akteure als auch die diskursiven Felder zu analysieren, war ein Methodenmix und die reflexiven Schritte notwendig, welche kennzeichnend für die ethnographische Feldforschung sind.11 Erste explorative Feldzugänge fanden in Hamburg im Dezember und Januar 2012/13 statt, um Interview- und Beobachtungsleitfäden zu testen und zu modifizieren. Es schloss sich ein sechswöchiger Feldaufenthalt in Berlin
9
Fischer-Lichte 2011, S. 165.
10 Dirksmeier 2009, S. 21. 11 Siehe zu den Standardwerken zur Methodik des Faches Göttsch und Lehmann 2001, Hess et al. 2013 sowie Bischoff et al. 2014; siehe zu den Methoden ethnologischen Feldforschens Beer 2008; siehe zur Bedeutung der Selbstreflexion im Forschungsprozess Linska 2012; zur qualitativen Sozialforschung siehe auch Atteslander und Cromm 1995.
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im Februar und März 2013 an. Ethnographische Lebensweltanalyse als die Verbindung von Teilnahme und Beobachtung bedeutet, möglichst viele und vielfältige Äußerungs- und Vollzugsformen zu erfassen sowie interpretativ verfügbar zu machen ebenso die „Innensicht“12 annäherungsweise zu verstehen und nachzuvollziehen, so die Soziologin Anne Horner. Den Prämissen der gegenstandsnahen Theoriebildung folgend, die einen flexiblen Forschungsverlauf aus Analyse und Erhebung vorsieht, folgten parallel zur Transkription und der Sichtung des gewonnenen Materials mehrere Kurzaufenthalte in Hamburg. In der hohen Dynamik der Felder, der wechselnden Akteure, stetig neuen Veranstaltungen sowie der Entwicklung und der zunehmenden Institutionalisierung in den Feldern liegt begründet, dass neben der Analyse der erhobenen empirischen Daten kontinuierlich weitere Feldaufenthalte und Erhebungen notwendig waren.13 Gerade im Bereich der Repair Cafés sind neue Initiativen entstanden, die ich bei ihrem Start begleiten konnte. So habe ich bei Repair Cafés in Hamburg teilnehmend beobachtet und dabei weitere Interviewpartner_innen gewinnen können. Außerdem fand am 15.03.2014 das erste Info-Treffen für Initiatoren_innen von Repair Cafés in Hamburg statt sowie ein Vernetzungstreffen der Initiativen in Berlin und Brandenburg, an denen ich teilnahm.14 Neben dem ersten bundesweiten Freiwilligentreffen von Foodsharing e.V. im Sommer 2013 habe ich auch am zweiten Treffen im März in Hamburg teilgenommen. Dort konnte ich im Feld des Mülltauchens teilnehmend beobachten, Forschungsgespräche führen sowie weitere Interviewpartner_innen gewinnen. Aus forschungsethischer Perspektive muss dabei kritisch reflektiert werden, inwiefern sich Wissenschaft an strafrechtlich verfolgbaren Praktiken beteiligen darf. In sozialen Netzwerken gibt es viele Videos, in denen Mülltaucher_innen ihre Erfahrungen dokumentieren, sodass diese als weiteres Quellenmaterial genutzt wurden. Ich besuchte des Weiteren Kleidertauschläden und -events während der Aufenthalte in Berlin und in Hamburg. Die Datenerhebung erfolgte auf mehreren Ebenen: Neben der teilnehmenden Beobachtung und der Sammlung von Quellenmaterial zur Medienanalyse führte 12 Horner 2008, 201f; siehe zur Methode der teilnehmenden Beobachtung auch Cohn 2014. 13 Welz konstatiert, dass es in der Volkskunde die Tendenz zu temporalisierten, in kürzeren Abschnitten stattfindende Feldforschungen gebe und führt dabei Dissertationen des Frankfurter Instituts an. Welz kritisiert dabei, dass bisher methodisch nicht reflektiert wurde, dass sequenzielle Aufenthalte in Dissertationen zunehmen, wenn die Arbeiten durch Stipendien oder der Mitarbeit in Drittmittelprojekten finanziert wird (siehe Welz 2013). 14 Siehe zur teilnehmenden Beobachtung auch Hauser-Schäublin 2008 und Girtler 2001.
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ich Interviews mit zentralen Akteuren. Die politikwissenschaftliche Debatte beschreibt diese Akteure als social entrepreneurs: Diese machen ein gesellschaftliches Problem aus und entwickeln selbstständig ein Angebot, das einen sozialen Mehrwert hat. 15 „Bei der Realisierung setzt er [der social entrepreneur, Anm. MG] seine persönlichen Fähigkeiten ein: Ideenpotential, Kreativität, Risikobereitschaft, Wissen und Engagement.“16 Ziel des social entrepreneurs sei der Politikwissenschaftlerin Tine Stein zufolge, dass sich seine Idee gesellschaftlich verbreite und Nachahmung finde, sodass ein als gerechter wahrgenommener gesellschaftlicher Zustand erreicht werde. Den Unterschied zum ökonomischen Unternehmer sieht Stein in der Wertschöpfung, die auf den sozialen Mehrwert ausgerichtet sei. Dieses Konzept konstruiert eine soziale Rolle, durch die und in der Akteure gesellschaftliche Strukturen verändern. Bezogen auf die sozialen Rollen, die sich in den drei Feldern unterscheiden lassen, wählte ich für die Interviews die zentralen Akteure aus. Bei den Repair Cafés und den Tauschveranstaltungen grenzte ich die Interviewpartner_innen auf die Initiatoren_innen von Projekten und die Organisatoren_innen von Veranstaltungen ein. Bei der Praxis des Containerns sprach ich mit Initiatoren_innen von Projekten und regelmäßigen Divern. Gleichwohl es sich beim Mülltauchen um ein weitestgehend unorganisiertes Phänomen handelt, verstehe ich auch diese Akteure auf Grund ihrer politischen Motivation und den sozialen Implikationen als social entrepreneurs. 17 Die Begrenzung auf zentrale Akteure sollte eine „räumliche, zeitliche und soziale ‚Nahaufnahmeʻ mit hoher Tiefenschärfe“18 ermöglichen. Während sich der Zugang zu Interviewpartnern_innen in den stärker organisierten Feldern der Repair Cafés und Kleidertauschevents leichter gestaltete, war der Zugang zu Mülltauchern_innen erwartungsgemäß schwieriger. Ich habe nicht versucht, Interviewpartner_innen über entsprechende Foren zu suchen, weil ich vermutete, dass sich die Akteure auf entsprechende Suchanfragen in anonymen Netzwerken nicht melden, gleichwohl in diesen Foren einige Suchan15 Vgl. Stein 2015; Gisela Welz und Regina Bendix bezeichnen die Figur des Machers im Kontext von deutsch-amerikanischen Austauschprozessen bzw. in der Kulturvermittlung als „Cultural Broker“, welche spezifische Erfahrungen, Deutungen und Wissen in Umgangsformen übersetzen. Diese Broker würden Veränderungen voranbringen, übernähmen Führungsaufgaben und verfügten über Expertenwissen (vgl. Welz und Bendix 1999). 16 Stein 2015, S. 111. 17 Auch Administratoren_innen von Facebook-Gruppen und Foren können als zentrale Akteure gedeutet werden. Deren mögliche Bedeutung in Hinblick auf Infrastrukturierungsprozesse kann in der vorliegenden Arbeit nicht geklärt werden. 18 Kaschuba 2003b, S. 214.
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zeigen sowohl für wissenschaftliche Arbeiten als auch von Medien zu finden sind. In Berlin habe ich den Zugang zu Interviewpartner_innen über die Foodsharing-Bewegung gewonnen, weil sich zeigte, dass die dort Aktiven über Container-Erfahrungen verfügen. Über den Verteiler eines Netzwerks von Bildungsarbeiter_innen, Nachwuchswissenschaftler_innen sowie Studierenden habe ich eine Suchanzeige gestartet.19 Auf meine Anfrage antworteten zwei Interessierte. Mit einem traf ich mich zu einem Gruppeninterview20, mit einer konnte ich ein Interview per E-Mail durchführen. Der Zugang zu Repair Cafés erfolgte über die Anfrage von entsprechenden Gruppen. Reparaturcafés verfügen über eine Infrastruktur, die Ansprechpartner_innen notwendig macht. Diese waren schnell bereit, sich mit mir zu treffen. Zugang zu den Veranstaltern_innen von Kleidertauschbörsen ist über entsprechende Eventankündigungen möglich. Eine kommerzielle Tauschparty antwortete auf meine Anfrage, ob ich bei der Veranstaltung teilnehmend beobachten könne, dass sie meine Anfrage weiter prüfen müssten. Gerne würden sie Studienprojekte, die sich mit nachhaltigem Konsum beschäftigen, unterstützen, sie müssten aber auch die Interessen der Besucher_innen, Sponsoren und die eigene öffentliche Kommunikation berücksichtigen. Nachdem ich mein Forschungsinteresse und meine Methode in einer Mail dargestellt hatte, kam keine Rückmeldung mehr, sodass ich mir diese kommerzielle Form des Kleidertausches über Videos erschloss. Die durchgeführten Interviews waren durch Interviewleitfäden strukturiert.21 Ich verstehe sowohl leitfadengestützte Interviews als auch informelle Gespräche und Kurzinterviews als Forschungsgespräche: „Im Gegensatz zu ‚Interviewʻ meint der Terminus ‚Forschungsgesprächʻ eine Kommunikation innerhalb eines wissenschaftlichen Prozesses, die alle Beteiligten auf der gleichen Ebene sieht. Weder sind Fragen vorher festgelegt, noch gibt es eine (absichtlich herbeigeführte) Hierarchie des Wissens. Alle Interaktionspartnerinnen und -partner tauschen sich miteinander aus, erzählen von sich und ihrem Wissen und lernen dadurch voneinander. Den Forschungsgesprächen gehen im Idealfall längere Beobachtungen des gemeinsamen Handelns voraus, die zum Sprechen und Fragen anregen. Diese besondere Form der
19 Über diesen Verteiler werden auch Wohnungsangebote versendet. Eine Wohngemeinschaft beschrieb dabei in ihrer Suche für einen neuen Mitbewohner, wie fest das Mülltauchen in ihren WG-Alltag integriert sei, was mich vermuten ließ, dass sich hier eine entsprechende Szene, die Zugang zum Mülltauchen hat, zeigt. 20 Zur Gruppendiskussion als Methode in der Sozialforschung siehe Bohnsack 2008. 21 Vgl. Kardorff et al. 2008 sowie Flick 2005.
88 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM UMGANG MIT Ü BERFLUSS UND K NAPPHEIT Kommunikation ist getragen von Empathie und einem Wunsch, das Gegenüber und dessen Sichtweise wirklich verstehen zu wollen.“22
Das Forschungsgespräch ist eine weiche, der Forschungssituation angepasste Fragemethode, die die bisherigen Konzepte des research up 23 oder research down konterkariert. In vielen Forschungssituationen erlebte ich so Forschungsgespräche, die von wenig Hierarchie geprägt waren, weil meine Interviewpartner_innen oft gleichaltrig waren. Nur in einer Interviewsituation reflektierte und kritisierte mein Gesprächspartner meine Art der Interviewführung, mit dem Hinweis, ich müsse mich für ein Folgeinterview mit einer von ihm empfohlenen Expertin besser vorbereiten. Meine der Situation angepassten Fragen und der Raum, den ich ihm für eigene Einschätzungen und Erzählungen gab, hinterließen bei ihm den Eindruck von Unstrukturiertheit und sein Kommentar bei mir das Gefühl, als Forscherin infrage gestellt worden zu sein. 24 Der oder die Forscher_in muss während ethnographischer Arbeit immer wieder eigene „Ängste vor dem Feld“25, Hemmnisse und Barrieren überwinden, nicht alle davon gelingen. Nicht nur gewonnene Daten, sondern auch die dadurch nicht gewonnenen Daten wirken sich auf die Ergebnisse aus und machen einmal mehr deutlich, wie wichtig die offene Selbstreflexion für Forschungsprozesse in qualitativen Forschungen ist.26 Die Selbstreflexion ist für den eigenen Entwicklungsprozess als Forscher_in und für den Forschungsverlauf hilfreich und notwendig. Der Methodenplural, durch den eine Vielzahl von Quellen erschlossen und Daten generiert werden, kann dann das Forschungsfeld auf unterschiedlichen Ebenen erschließen und zur Datensättigung beitragen. Da sich während der Feldforschung die Bedeutung der Berichterstattung für die Selbstdeutung der Akteure herausstellte, sammelte ich spezifisches Quellenmaterial. Neben den Interviewtranskribten und den Beobachtungsprotokollen wurden damit Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften, Radio- und Fernsehberichte sowie Blogs und Filme in die Analyse einbezogen. Zu unterscheiden ist hier das Material über die von mir fokussierten zentralen Akteure und das Material von den Akteuren. Die prozessgenerierten Daten entstehen „in der konkreten kulturellen Praxis durch die Lebens-, Arbeits- und Umgangsweisen der Mitglieder einer Gesellschaft“27 und können materielle Gegenstände und symbolische 22 Gajek 2014, S. 57. 23 Vgl. Kaschuba 2003b, S. 202–204. 24 Vgl. zu sozialer Asymmetrie in der Feldforschung auch Kaschuba 2003b, S. 204. 25 Vgl. Lindner 1981. 26 Siehe zur Bedeutung der Selbstreflexion im Forschungsprozess Linska 2012. 27 Bauernschmidt 2014, S. 418
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Repräsentationen von Ideen, Verhaltensweisen und Ereignissen sein. Zunehmende Bedeutung haben dabei Repräsentationen im Internet: etwa Videos und Filme bei Youtube, Blogs, soziale Netzwerke, wie Facebook, Foren, Newsletter, Onlinezeitschriften. Da die Akteure selbst das Internet nutzen, um sich zu vernetzen, sich auszutauschen und Informationen zu sammeln, wurden auch diese Daten gesammelt und ausgewertet. Quellen aus dem Internet bedürfen dabei einer besonderen Quellenkritik, weil die Autorenschaft nicht immer eindeutig ist. Die Archivierung dieser Quellen, etwa auch Facebook-Profile und Kommentaren, ist dabei von besonderer Bedeutung, denn Inhalte im Netz sind flüchtig und so schnell, wie sie online sind, können sie auch gelöscht werden.28
4.2 AUSWERTUNG DER D ATEN Für die Auswertung habe ich die auf Tonband aufgenommenen Interviews transkribiert. Außerdem fertigte ich Beobachtungsprotokolle von Veranstaltungen an und führte ein Feldtagebuch, um Reflexionen festzuhalten. Die Daten wurden inhalts- und diskursanalytisch ausgewertet gemäß des Forschungsstils der Grounded Theory nach Glaser und Strauss.29 Die einzelnen Ausformungen der Felder wurden auf minimale und maximale Abweichungen hin verglichen und in einem mehrphasigen Theoriebildungsprozess codiert und kategorisiert. Ziel der Auswertung war die komparative Untersuchung der Felder. Zunächst habe ich die drei Felder einzeln codiert und Kategorien gebildet. Im Stil der Grounded Theory werden drei Formen des Kodierens unterschieden: das offene, axiale und selektive Kodieren.30 Der Auswertungsprozess besteht dabei aus dem Vergleichen, der Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden. Codieren ist das Verschlüsseln oder Übersetzen, meint also die Benennung von Konzepten und ihre nähere Erläuterung. Im Laufe des Auswertungsprozesses werden diese Codes ausdifferenzierter, abstrakter und dann Kategorien ge-
28 Zur Ethnographie im Internet siehe Koch 2014; Dabei kritisiert Koch, dass das Internet bisher noch zu wenig als eigenständiger Gegenstand, aber auch dessen Einwirkung auf die zu untersuchenden Forschungsfelder zu selten beachtet werden. 29 Glaser und Strauss 2005; zur Inhaltsanalyse siehe Mayring 2007; zur Diskussion und dem Unterschied von Diskurs- und Inhaltsanalyse siehe Wedl et al. 2014. 30 Vgl. Götzö 2014; siehe auch Flick 2005, S. 257–278.
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nannt.31 Monika Götzö konstatiert, dass ein offenes Kodieren nicht ausreiche, es müsse zumindest auch axial kodiert werden. Beim axialen Kodieren gehe es um „das Bestimmen der thematischen Beziehungen zwischen den bisher erarbeiteten Kategorien. Die Kategorien werden nun rund um eine zentrale Kategorie bzw. rund um ein aus dem offenen Kodieren sowie aus der Fragestellung heraus erarbeitetes zentrales Phänomen angeordnet.“32
Gleichwohl das eigentliche Ziel der Grounded Theory die Theoriebildung ist, welches hier nicht zielführend sein sollte, so ermöglicht doch der Auswertungsstil ein systematisches und vergleichendes Vorgehen innerhalb der drei Forschungsfelder, sodass Knappheit und Überfluss als zentrale Kategorien durch die Auswertung erarbeitet werden konnte. In der intensiven Auseinandersetzung mit dem gewonnenen analytischen Material und der Literatur wurden in den Auswertungsstufen die Kategorien verglichen und in ihren Ausformungen in den einzelnen Feldern analysiert. Ziel der Inhaltsanalyse ist, die vielfältigen Bedeutungen in ihren jeweiligen Kontexten interpretativ zu erschließen und zu bestimmen, warum welche Bedeutungen dominieren und damit die kollektiven Deutungsmuster zu rekonstruieren.33 Wie Stefan Bauernschmidt darstellt, liegen die Unterschiede der Inhaltsanalyse, wie sie Philipp Mayring vorschlägt, zu einer kulturwissenschaftlichen Inhaltsanalyse darin, dass letztere bemüht sei, „die Konstruktion erster Ordnung – beispielsweise normative Vorstellungen, Werte, Weltanschauungen, Wissensformen und -bestände – in einem Text nachvollziehbar zu machen und die analytischen Kategorien der Forschenden weitmöglich zurück zu nehmen.“34
Des Weiteren würden die multiplen Bedeutungen zum Gegenstand der Reflexion gemacht. Wichtig sei die Bestimmung der sozialen Funktion des Textes innerhalb der Gesellschaft, so Bauernschmidt. Wichtige Fragen, die im Zuge der diskursanalytischen Herangehensweise an das Material zu stellen sind, differenziert Oliver Kiefl wie folgt: „Wer ist legitimer Sprecher oder legitime Sprecherin? Wer darf anhand der vorhandenen Diskursregeln als Sprecher_in teilnehmen? Welches Wissen wird worüber vermittelt und als wahr behauptet? Aus welchen Bestandteilen, Deutungen besteht dieses Wissen? Wel31 Böhm 2008, S. 476–477. 32 Götzö 2014, S. 451. 33 Bauernschmidt 2014, S. 423. 34 Bauernschmidt 2014, S. 424.
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che Phänomene werden konstituiert? Wie plausibilisiert sich das zur Verhandlung stehende Wissen?“35
Dazu stelle die wissenssoziologische Diskursanalyse Bausteine bereit: Diskurse können über Deutungsmuster rekonstruiert werden. Deutungsmuster meinen sinnstiftende Schemata. Klassifikationen dienen als kognitive Strukturen eines Diskurses und sind die Bewertungen von Sachverhalten, worunter Bewertungen wie gut und schlecht, oder nachhaltig und unnachhaltig fallen. Die Phänomenstruktur meint Verantwortlichkeiten, Handlungsmöglichkeiten, Folgen und Bewertungen, die im Diskurs verhandelt werden sowie Narrative, die die Elemente zu einem erzählbaren Gebilde verbinden.36 Das erhobene Material wurde mit diesen methodischen Perspektiven inhalts- und diskursanalytisch ausgewertet, sodass hier besonders die einzelnen Felder analysiert wurden. Das heuristische Vorgehen der Grounded Theory ermöglichte dabei den ständigen Vergleich der Felder und die Entwicklung zentraler Kategorien felderübergreifend. Welchen Potentiale und welche Grenzen hat eine vergleichend angelegte Ethnographie?
4.3 P OTENTIALE
UND G RENZEN KOMPARATIVER F ORSCHUNG
Der Vergleich als Methode ist besonders in der Geschichtswissenschaft etabliert und diskutiert.37 Auf den ersten Blick werden mit Kleidertausch, Repair Cafés und Mülltauchen ganz unterschiedliche Themen, Orte und Praxen verglichen: Der Umgang mit Nahrung, mit Kleidung und mit einem weiten Feld von Alltagsgegenständen, die sich in drei differenzierbare kulturanthropologische Forschungsfelder einordnen lassen: Nahrungsforschung, Kleidungsforschung und Technikforschung. Durch die Auswahl der drei Felder ist ein breiter Bereich materieller Kultur abgedeckt. Jedes Feld für sich bietet dabei vielfältige Forschungsperspektiven, warum sollten die Felder also komparativ ausgewertet und nicht jedes Feld für sich Thema einer Untersuchung werden?
35 Kiefl 2014, S. 437; siehe auch Keller 2005. 36 Vgl. Kiefl 2014, S. 438 in Anlehung an Keller 2005. 37 Siehe dazu Haupt und Kocka 1996; siehe zu komparatistischen Wissenschaften im Vergleich auch Casasus und Haupt 2011.
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In den methodischen Leitlinien der Grounded Theory ist mitgedacht, dass Forscher_innen ständig Daten vergleichen. Schon Helge Gerndt betont die Bedeutung des Vergleichs für volkskundliches Arbeiten, gleichwohl er kritisiert, dass der Volkskunde lange das „Methodenbewußtsein“ 38 fehlte. „Die vergleichende Methode stellt sich unserer Ansicht nach als eine spezifische Vorgehensweise des vergleichend-beziehenden Denkens dar.“39 Gerndt kritisiert, dass die „Grenze zwischen der Anwendung einer vergleichenden Methode oder dem Befolgen eines vergleichenden Programms einerseits und dem elementaren Vergleichen, das ausnahmslos jeder Wissenschaftler vollzieht, andererseits“40, nicht klar zu ziehen sei und eine wissenschaftliche Reflexion und Abgrenzung vergleichender Forschung notwendig mache. „Vergleichen ist elementare Erkenntnishilfe“41 und der methodische Vergleich ein „Interpretationsverfahren“42. Dabei fordert Gerndt Vergleichen als Denkweise und als wissenschaftliche Methode strikt zu unterscheiden. Vergleichen ist für ihn ein systematisches Inbeziehungsetzen. Der methodische Anwendungsbereich sei auf konkrete Objektivationen und auf anschaulich erarbeitete Strukturen zu beschränken, so Gerndt.43 Dabei betont er, dass Vergleichen gestaltverhaftet sei, also nur Geformtes und Materialisierbares verglichen werden könne. Die vergleichende Methode ist für ihn vier „Reflexionsregeln“ unterworfen und lässt sich in drei Arten − historisch, typologisch und symbolisch – untergliedern, wobei der symbolische Vergleich meint, dass unterschiedliche Erscheinungen in gleichen Zusammenhängen verglichen werden. Die Grenzen der vergleichenden Methode liegen für Gerndt in der Möglichkeit des Vergleichens begründet. Inwiefern sind also Phänomene vergleichbar? Wie kann man dabei Phänomene, die immer in kulturelle Kontexte eingebunden sind, abgrenzen, um sie zu vergleichen?44 Grenzen der vergleichenden Methode sieht Gerndt in der Zielsetzung der Forschung begründet: Warum sollen Phänomene verglichen werden? Welche Erkenntnisse bezogen auf die Forschungsfrage sind so und nicht mit anderen Methoden zu generieren? Gerndt diskutiert drei Hauptschritte, die für ein methodisches Vergleichen notwendig seien: Erstens die Fixierung der Ausgangslage, zweitens der Akt der
38 Gerndt 1972, S. 195. 39 Gerndt 1972, S. 193. 40 Gerndt 1977/78, S. 8. 41 Gerndt 1977/78, S. 13. 42 Gerndt 1977/78, S. 18. 43 Gerndt 1972, S. 189–193. 44 Gerndt 1977/78, S. 13–17.
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Vergleichung und drittens die Kriterienabwägung und Schlussfolgerung.45 Während Gerndt in den 1970er Jahren damit einen Grundstein zur methodischen Reflexion des Vergleichs legt, kritisiert Kaschuba auch 2000 auf dem Symposium zum Thema der Einheit und Vielfalt sozialwissenschaftlicher Komparatistik in Berlin noch, dass der Vergleich zwar eng an die Fachgeschichte geknüpft, theoretisch und methodisch aber unterkonzeptionalisiert sei. 46 Komparative Forschung finde in der Kulturwissenschaft besonders in Form des Kulturvergleichs statt. Der Vergleich gehöre dabei implizit und explizit zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen.47 Kaschuba fordert aber eine stärkere theoretische und methodologische Reflexion. Er kritisiert Kulturvergleiche und explizite Vergleiche von Gegenständen, wie klassische Area Studies, deren heuristischen Wert er kritisch sieht. Er diagnostiziert, dass es den Ethnowissenschaften weniger darum gehe, einen pauschalen Vergleich von Kulturen oder Gesellschaften anzustreben, sondern den Blick auf die Prozesse und Konflikte in Aushandlungen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von sozialen Klein- und Großgruppen zu legen.48 Die Problematik von Kulturbegriff und Kulturvergleich, bei dem Kultur auch begriffen wird als symbolisch geformte Praxis gesellschaftlicher Existenzführung und Identitätsbildung von Menschen sowie der Konstruktionsmechanismen bei der Erforschung von Kultur, mache deutlich, „dass der Forschende und Interpretierende in den [Hervor. i. O.] Vergleich einbezogen ist, dass der Zusammenhang von Forscherkultur und Untersuchungsgegenstand bzw. Untersuchungskonzept reflektiert werden muss, um Anliegen wie Ergebnisse des Vergleichs transparent und validierbar zu machen.“49
Warum wurden also für die vorliegende Arbeit drei verschiedene Praxisfelder ausgewählt? Ausgangspunkt ist die Materialisierung von Kultur, welche meint, wie Menschen angesichts sozialer, ökologischer und historischer Bedingungen ihre Lebenswelt gestalten. 50 Eine Vorannahme war, dass sich diese Bedingungen, also der kulturelle Kontext, in denen Akteure, Objekte und Handlungen eingebettet sind, auf einer Metaebene nicht unterscheiden. Was haben die Felder also gemein? Warum lassen sie sich vergleichen? Sie sind in Diskurse eingebun45 Gerndt 1977/78, S. 22–27. 46 Vgl. Kaschuba 2003a. 47 Siehe zur Bedeutung einer komparativen Perspektive in anthropologischer Forschung und der Forscher_innenbiographie Gottlieb 2012. 48 Vgl. Kaschuba 2003a. 49 Kaschuba 2003a, S. 345–347. 50 Siehe dazu auch Braun et al. 2015.
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den, zu denen noch weitere Praxisfelder gehören. Die Felder stehen dabei im Widerspruch zwischen dem vor allem medial vermittelten Wissen über knappe bzw. begrenzte natürliche Ressourcen auf der einen Seite und der alltäglichen Erfahrung von Überfluss sowie der gesellschaftlichen Problematisierung von Wegwerfen und Müll auf der anderen Seite. In den drei Feldern werden die Diskurse über knappe Ressourcen in alternative Wirtschaftsweisen übersetzt. Die Felder unterscheiden sich jedoch in einzelnen Elementen. In jedem Feld steht grob dargestellt ein spezifisches Problem im Mittelpunkt. Beim Mülltauchen ist es die Lebensmittelverschwendung, beim Repair Café die geplante Obsoleszens bzw. der Umgang mit Elektrogeräten, beim Kleidertausch die Produktionsbedingungen der Kleidungsindustrie. Dabei treffen Individuen als Konsumenten mit ihren spezifischen Interessen auf die Interessen von Unternehmen, die innerhalb des Wirtschaftssystems und im Rahmen von politisch entwickelten Richtlinien und Gesetzen Produkte oder Dienstleistungen produzieren und vertreiben. Aus diesen unterschiedlichen Interessen entstehen Konflikte. Die untersuchten Praxen sind Strategien im Umgang mit diesen Konflikten. Sie werden in dieser Arbeit als Gegenstrategien verstanden, die auf eine Problemlage reagieren. Auf einer lebensweltlichen Ebene versuchen die Akteursgruppen ihre Interessen zu artikulieren, indem sie ihre Forderungen performativ bzw. praktisch umsetzen. Diese performative Kritik an bestehenden Problemlagen verbindet die drei Felder auf einer strukturellen Ebene. Die jeweiligen „Frames“51 als inszenierte Protestthemen allerdings unterscheiden sich. Inwiefern sich die Elemente, aus denen die Praxen bestehen, differenzieren, steht im Folgenden im Mittelpunkt. Dazu gilt es, die verhandelten Diskurse, die Akteure sowie deren Deutungen und Praxen in den jeweiligen Feldern zu beschreiben und zu analysieren.
51 Hellmann 1998, S. 20.
5. Das Kleidertauschen: Tauschobjekte − Konsum − Raum Das Kleidertauschen: Tauschobjekte – Konsum – Raum Das vermehrte Aufkommen von Kleidertauschevents muss eng mit der aktuellen Entwicklung der Modeindustrie gedacht werden. Denn das Tauschen von gebrauchter Kleidung hat nicht nur aus ökonomischen Sparzwängen an Relevanz gewonnen. Das Tauschen als Konsumstrategie erscheint maßgeblich im Kontext der derzeitigen Produktionswege sinnstiftend und nachhaltig. Deshalb soll zunächst die Modeindustrie und die Produktion von Kleidung auch aus historischer Perspektive Thema sein, um zu Beginn das Forschungsfeld der Kleidertauschpartys zu kontextualisieren. Mode ist „strukturierendes Element unseres Lebens“1: Sie „bietet Möglichkeit zur Selbstdarstellung, sie ist Ausdruck sowohl von Individualität als auch Gruppenzugehörigkeit, Mittel zur sozialen Anerkennung oder Abgrenzung, zur künstlerischen Gestaltung und Kommunikation.“2 Mode lässt sich dabei unterscheiden als materielles Artefakt, als Kunstwerk, als System und als kulturelle Praxis.3 Kleidermode als Artefaket definiert die Modetheoretikerin Gudrun Lehnert Roland Barthes folgend als vestimentäre Objekte. Diese Objekte, zu denen die vorliegende Arbeit neben Kleidung auch Taschen, Schuhe und Schmuck zählt, werden durch die Inszenierung durch den und von dem Körper zur Mode. Mode realisiere sich also erst durch die Praxis, durch die performative Inszenierung, so Lehnert und scheibt dabei Kleidung eine aktive Rolle zu: Kleidung sei in unterschiedlichen Kontexten aktiv und sorge dafür, dass der Mensch etwas mit ihr machen wolle.
1
Lehnert 2005, S. 252.
2
Grundmeier 2005, S. 225.
3
Vgl. Lehnert 2014, S. 11.
96 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM UMGANG MIT Ü BERFLUSS UND K NAPPHEIT „Mode funktioniert als soziales Zeichensystem und entzieht sich zugleich als Spiel mit ästhetischen Möglichkeiten der Festschreibung von Bedeutung. Sie ist unabdingbar für die Konstitution von kulturellen und individuellen Identitäten und insofern alles andere als eine Oberflächlichkeit.“4
In vorindustriellen Gesellschaften war es nur einer begrenzten Gruppe möglich, Kleidung nach modischen Kriterien auszuwählen. Die Alltagskleidung der Bevölkerungsmehrheit war funktional, aus regionalen Materialien und lokaler Herstellung. Wertvolle und seltene Stoffe waren Statussymbol und damit auch Ausdruck von Macht und gesellschaftlichen Hierarchien. Die Entwicklung von Mode und die Modeindustrie sind besonders durch technische Entwicklungen, die Etablierung von Konfektion und die Ausweitung globaler Handelswege geprägt.5 Mode entstand im Zuge der Entwicklung von kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen und der sozialen Ausdifferenzierung.6 Historische Vorbedingungen für die moderne Modeindustrie waren die Industrialisierung, die Individualisierung und die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft ebenso wie technologische Entwicklungen, die nicht nur die Produktionsund Distrubationswege, sondern auch die Kommunikation wesentlich beschleunigten.7 Gleichwohl die Textilproduktion und der Handel mit Textilien schon früh durch globale Stoffströme gekennzeichnet waren, sind heute die Netzwerke der an Textilproduktion und -vermarktung beteiligten Akteure durch die zunehmende Globalisierung dichter und komplexer. Die Modeindustrie ist heute durch vielfältige Akteure gekennzeichnet: u.a. Modedesigner_innen, Modeblogger_innen, Modezeitschriften, Modeproduzent_innen, Näher_innen, Models, Fotografen_innen und Modehäuser. Eine textile Biographie aus wirtschaftlicher Perspektive beginnt dabei bei der Produktion der Chemiefasern, zu der die Gewinnung der Grundchemikalien und die Herstellung von Monomere sowie Polymere dazugehören.8 Darauf folgt die Rohstoffgewinnung der Naturfasern mit Anbau und Ernte. Notwendig ist des Weiteren die Produktion von Fasern, Garnen und Flächengebinden. Dann werden die Stoffe durch Vorbehandlung, Färben, Drucken und Ausrüstung veredelt, um anschließend in die Konfektionierung zu ge4
Lehnert 2012, S. 8.
5
Siehe zur Industriegeschichte des Textilen mit Schwerpunkt auf England Föhl und Hamm 1988; als kurze Einführung in die technische Entwicklung, die für die Konfektionsmode notwendig war, siehe Arnold 2009, 51f.
6
Lehnert 2005, S. 252.
7
Vgl. Lehnert 2015.
8
Vgl. Tobler-Rohr 2010, S. 260.
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hen. Darauf folgen der Gebrauch und die Entsorgung in den Privathaushalten. Laut des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie e.V., der rund 1400 Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie in Deutschland vertritt, durchläuft z.B. ein Herrenhemd von der Rohstoffproduktion bis zum Verkauf 140 Stationen.9 Neben chemischen und pflanzlichen Rohstoffen, die für die Produktion von Kleidung benötigt werden, ist auch die Nachfrage nach Stoffen tierischen Ursprungs in der Kleidungsindustrie gewachsen. Die Kulturanthropologin Gabriele Mentges stellt heraus, dass es bisher keine systematischen Untersuchungen darüber gebe, wie die Modegeschichte die Beziehung Mensch-Tier sozialgeschichtlich beeinflusst habe. Jeher wurden Teile von Tieren zur Kleidungsproduktion genutzt, wie etwa Wolle für Bekleidung, Walknochen für die Fischbeinkorsetts oder die Purpurschnecken für die Gewinnung des Purpurs. Der Pelzkonsum der europäischen Aristokratie habe im Spätmittelalter dazu geführt, dass durch die gezielte Kolonisierung von Kanada und Sibirien viele Tierarten ausgerottet wurden, so Mentges.10 „Im mittelalterlichen Pelzluxus, der in zahlreichen Rechnungsbüchern bis 1450 gut nachweisbar ist, komme zugleich eine neue Mensch-Tier-Naturbeziehung zum Ausdruck, in der der Mensch zunehmend auf eine oppositionelle Distanz zur Natur geht und sie mehr und mehr als reine ökonomische Ressource nutzt.“11
Heute ist neben Pelz Leder eines der wichtigsten tierischen Stoffe für die Kleidungsproduktion. Verschiedene Umwelt- und Tierschutzaktivisten haben auf die Abläufe in der Lederproduktion hingewiesen und das evidente MenschTierverhältnis kritisiert. Beispiel dafür ist die Dokumentation des Regisseurs Shaun Monson „Earthlings“ von 2005, die etwa die Produktion von Leder und die Nutzung von Tieren in eindringlichen Bildern zeigt.12 Die Tierrechtsorganisation Peta e.V. informiert immer wieder über die Lederindustrie und setzt sich für tierfreie Kleidung sowie die Einhaltung und Etablierung von Tierschutzgesetzen ein.13 Die Dokumentation „Gift auf unserer Haut“ geht den gesundheitlichen Auswirkungen und Bedingungen der Lederproduktion nach.14 9
Der Verband hat ein Video erstellt, in dem die Lieferkette eines Herrenhemdes beschrieben wird (siehe textil-mode.de).
10 Mentges 2005, S. 36. 11 Mentges 2005, S. 36. 12 Siehe Monson 2005. 13 Siehe peta.de. 14 Siehe ZDF 37 Grad 2013.
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In der Modegeschichte spiegelt sich nicht nur die Beziehung zwischen Mensch und Tier sowie Mensch und Natur, sondern auch soziale Systeme und soziale Werte wider. Die frühe Baumwollproduktion und deren Handel basierten etwa in den Südstaaten der USA wesentlich auf Sklavenhandel. Heute diskutieren unterschiedliche Akteure besonders die sozialen Auswirkungen der Textilindustrie in Form von niedrigen Lohnniveaus in den Schwellen- und Drittländern.15 Vereine und Verbände, Tierschutzorganisationen und Medienakteure, so deutet sich hier an, thematisieren bzw. problematisieren die Biographie von vestimentären Objekten sowie die zunehmende commoditization16 von Pflanzen und Tieren ferner die sozialen Folgen der Modeindustrie. Mentges hat darauf hingewiesen, dass auch die Frage der Entsorgung von Kleidung an Brisanz gewinne, da Altkleider in ihrer Fülle umweltbelastend seien und ökonomische sowie kulturelle Entwicklungspotentiale in anderen Ländern störten und behinderten. 17 Gerade der Import von Secondhand-Ware in Afrika stand in den letzten Jahren immer wieder in der Kritik der Öffentlichkeit und wurde von den Medien aufgegriffen.18 Aber auch in Deutschland erscheint Kleidung als Kleiderspende in der Fülle problematisch und erzeugt Strategien im Umgang mit der „Kleiderschwemme“ 19 . Es hat sich ein großer Markt im Umgang mit SecondhandKleidung etabliert. Nichtregierungsorganisationen wie oxfarm 20 , Sozialunternehmen wie humana21, ebenso karitative Einrichtungen wie das Deutsche Rote Kreuz verkaufen Kleidung, die sie als Spende in der Regel von Privatpersonen erhalten. Sie stellen damit formelle und institutionalisierte Strategien der Weitergabe von gebrauchter Kleidung dar. Barbara Schmidt konstatiert: „Diverse Organisationen fordern uns auf, unsere abgelegten Kleider, Textilobjekte und Schuhe in Altkleidersammlungen abzugeben, wenn nicht auch dafür schon Container aufgestellt sind. All diese Dinge haben ihre ursprüngliche Funktion erfüllt und werden von uns als wertlos entsorgt und vernichtet, von Unternehmen einem neuen Gebrauchszyklus zugeführt, etwa durch Altkleidermärkte oder Export in Eine-Welt-Länder.“22
15 Mentges 2005, S. 37. 16 Siehe zu den Konzepten das Kapitel 2.2 zu Dingen und Waren in der Kulturanalyse. 17 Mentges 2005, S. 37. 18 Siehe beispielhaft Süddeutsche Zeitung 2013b. 19 Wagener-Böck 2015, S. 207. 20 Siehe oxfarm.de. 21 Siehe humana-kleidersammlung.de. 22 Schmidt 2005, S. 98.
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Schmidt sieht hinter dieser Sammeltätigkeit ökologische, ökonomische und soziale Motive. Altkleider bzw. Secondhand-Kleidung werden dadurch zunehmend zu bedeutsamen Wirtschaftsgütern. Der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. (bvse) und der Fachverband Textilrecycling (FTR) haben 2008 die Umfrage „Textilrecycling in Deutschland“23 in Auftrag gegeben. Gewerbliche Betriebe, Kommunen und karitative Einrichtungen haben laut der Umfrage im Jahr 2007 rund 750.000 Tonnen Altkleidung eingesammelt. 43 Prozent der Kleidung wurden davon einer Wiederverwertung zugeführt und als SecondhandKleidung weiterverkauft. Auf Grund der gesellschaftlichen Debatten über die negativen Auswirkungen von Altkleiderverkäufen ins Ausland hat der bvse 2013 die „Repräsentative Verbraucherumfrage zum Umgang mit Altkleidern“ 24 in Auftrag gegeben. Laut dieser Studie geben 94 Prozent der Bürger noch tragbare Kleidung zur Kleidersammlung. 88 Prozent der Befragten geben an, dass sie damit hilfsbedürftige Menschen oder karitative Organisationen unterstützen möchten. 85 Prozent möchten, dass die Kleidung weiter getragen wird, weil sie zum Wegwerfen zu schade sei. 54 Prozent der Befragten geben an, dass sie damit zum Umweltschutz beitragen und 13 Prozent, dass sie die Sachen loswerden wollen. Die Mehrheit vergleicht laut Umfrage den Gang zum Altkleidercontainer mit dem Gang zur Kleiderkammer, wo Menschen die Kleidung weiternutzen können. Bei dieser Umfrage wird deutlich, dass die meisten Befragten Altkleider abgeben, die ihre ursprüngliche Funktion als Kleidungsstück noch erfüllen würden, die aber auf Grund anderer Kriterien entsorgt werden. Die Weitergabe von Kleidung ist dabei an Deutungsmuster, wie Umweltschutz, Hilfsbereitschaft und soziales Engagement geknüpft. Neben den etablierten Annahmestellen, wie das Deutsche Rote Kreuz oder die Caritas25, die Altkleidercontainer und Kleiderkammern für soziale Zwecke betreiben, gibt es zunehmend Wirtschaftsunternehmen im Umgang mit Secondhand-Kleidung. Sie entwickeln Strukturen, durch die Altkleider gesammelt und weiterverwertet werden. So hat etwa die Modekette H&M26 oder Adler Modemarkt27 eigene Rücknahmesysteme entwickelt. Die Kunden erhalten für die Abgabe von Altkleidern Gutscheine, mit denen sie in den Geschäften neue Kleidung kaufen können. Auf dem Grundsatz der Produktverantwortung beruhend sieht der bvse diese Systeme als Konkurrenz zu der Abfallentsorgung durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und die gewerblichen und gemeinnüt23 Siehe bvse 2008. 24 Siehe bvse 2013. 25 Vgl. dazu etwa die Studie von Wagener-Böck 2015. 26 Siehe H&M.de. 27 Siehe adler-modemarkt.de.
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zigen Sammler. Der bvse spricht von „Goldgräberstimmung“28 der Kommunen, die zunehmend auf den Altkleidermarkt drängten, was ein „großes Problem“29 darstelle, sodass der „Kampf gegen Illegale und Kommunalisierung“30 zentrale Themen auf dem vierten Internationalen Alttextiltag waren. Deutlich wird in der Darstellung des bvse, dass die Akteure in der Altkleiderwirtschaft im Wettbewerb um gebrauchte Kleidung stehen. Altkleider werden zu wertvoller Ware, um die die Akteure konkurrieren. Die vestimentären Objekte durchlaufen dabei Prozesse der re-commoditization31, wenn Verwertungsunternehmen der gebrauchten Kleidung Wert zuschreiben, sie zur Ware machen und weiterverkaufen: Altkleider werden dabei zu wertvollen Ressourcen auf einem globalen Markt. Die Expansion von Kleidung und die Beschleunigung von Modezyklen, die Wegwerfmentalität und der Überfluss auf der einen Seite stehen endlichen Ressourcen und der Idee von Nachhaltigkeit als normatives Ordnungsmuster entgegen. Die ökologischen und sozialen Folgen der Produktion von vestimentären Objekten und der Umgang mit der für den vorherigen Besitzer funktionslos und zu Müll gewordenen Kleidung werden zunehmend gesellschaftlich verhandelt. Sich durch Secondhand-Kleidung mit neuen Kleidern zu versorgen, gewinnt an gesellschaftlicher Relevanz eben weil diese auch als ressourcenschonende und umweltfreundliche Konsumgüter gelten.32 In diesem Kontext muss man die zunehmende Etablierung von Kleidertausch-Konzepten sehen. Eine Möglichkeit, bei der der Einzelne unliebsame Kleidungsstücke loswerden, umweltbewusst konsumieren und Spaß haben kann, stellen daher Kleidertauschpartys dar. Kleidertauschveranstaltungen können sowohl im privaten Wohnzimmer stattfinden als auch im öffentlichen Raum. Öffentlich veranstaltet werden sie etwa von Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder dem Bund für Umwelt und Natur e.V. (BUND), aber auch von Eventunternehmen wie „Swap in the City“. Neben diesen Akteuren veranstalten und organisieren auch Privatpersonen in ihrer Freizeit öffentliche, nicht kommerzielle Tauschveranstaltungen. Sie suchen nach Räumen, kümmern sich um ein Rahmenprogramm, vernetzen sich mit anderen Akteuren, machen Werbung, erstellen Blogs und FacebookSeiten, stellen Fotos der Veranstaltung online und organisieren die Weitergabe von am Ende der Veranstaltung übrig gebliebenen Kleidungsstücke. Genau diese ehrenamtlich organisierten Partys stehen hier im Mittelpunkt, genauer: die Handlungs- und Deutungsmuster von Tauschparty-Organisatoren_innen. Wieso ver28 Siehe bvse.de. 29 Siehe bvse.de-Alttextiltag. 30 Siehe bvse.de-Alttextiltag. 31 Vgl. Kopytoff 2010. 32 Vgl. Ekström et al. 2015.
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bringen sie ihre Zeit, Tauschevents für Secondhand-Kleidung zu veranstalten? Wie sind solche Events konkret gestaltet? Wo finden sie statt? Welche normativen Vorstellungen verhandeln die Organisatoren_innen? Inwiefern konstruieren die Veranstalter_innen Tauschen als Konsumpraxis? Wie verändert sich der Status von Kleidung durch das Tauschen bzw. welche Kleidung eignet sich zum Tauschen und welche nicht? Und übergeordnet: Inwiefern entsteht hier aus der Wahrnehmung von Überfluss und Knappheit das soziale Phänomen der Kleidertauschparty? Ausgehend von diesen Fragen begleiten zwei Thesen das folgende Kapitel: Erstens sind Kleidertauschpartys performative Praxen des Umgangs mit knappen natürlichen und ökonomischen Ressourcen und zweitens stellen Kleidertauschpartys Praxen des Überflussmanagements dar. Diesen Fragen und Thesen soll aus drei Perspektiven nachgegangen werden. Zu Beginn stehen die konkreten Dinge im Fokus. Es soll herausgearbeitet werden, wie vormals private Kleidungsstücke zu Tauschobjekten werden. Kleidung wird dabei aus einer kulturanthropologischen Perspektive als Akteur gedeutet, der auf die Konstituierung von Netzwerken wirkt. Das Tauschen kann dabei die etablierte wirtschaftliche Vorstellung von Objektbiographien durch das Weitergeben erweitern, weil es Zwischennutzungen ermöglicht.33 Dann steht die Praxis des Teilens und Tauschens als Konsumstrategie im Fokus. Tauschpartys werden als Ausdruck von Agency gedeutet, um dadurch hegemoniale Konsummuster aufzudecken. Abschließend sollen die Kleidertauschevents in Hinblick auf Inszenierung und Performativität betrachtet werden. Im Mittelpunkt stehen die Strategien der Eventisierung, durch die das Tauschen mit Bedeutung aufgeladen wird. Zunächst sollen drei von mir interviewte Gruppen, die Tauschveranstaltungen ehrenamtlich organisierten, kurz vorgestellt werden34: Tine, Jule und Britta waren zum Interviewtermin Mitte Dreizig. Jule und Britta sind studierte Sozialpädagoginnen, Tina ist gelernte Eventmanagerin. Die drei haben sich über gemeinsame Freunde kennen gelernt und von 2011 bis 2015 Tauschevents organisiert. Auch Laura war Mitte Dreißig und hat neben dem Aufbau einer Internet33 Kopytoff merkt an, dass die Objektbiographie nicht auschließlich „in terms of owenership“ betrachtet werden solle, sondern unter vielen Aspekten (Kopytoff 2010, S. 66). Insofern müsste den Dingen gefolgt werden, sowohl die gesellschaftlichen als auch individuellen Bedeutungszuschreibungen mitgedacht und einbezogen werden, woher die Kleidungsstücke kommen, wer sie gemacht hat und was mit ihnen passiert, wenn sie als funktionslos betrachtet werden. Auf Grund der in der Arbeit verfolgten Forschungsperspektive wird dies nur begrenzt geleistet, kann aber für weiterführende Forschungen fruchtbar gemacht werden. 34 Alle Namen meiner Interviewpartner_innen sind mit einer Ausnahme Pseudonyme.
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plattform, auf der Secondhand-Kleidung verkauft werden soll, seit 2010 zusammen mit anderen Helfern_innen Kleidertauschpartys durchgeführt. Sie ist gelernte Schneiderin und hat ein Modedesignstudium abgeschlossen. Fabian war zum Interviewzeitpunkt Ende Zwanzig. Er war im Rahmen eines Freiwilligendienstes in Indien und führte in diesem Kontext mit Thomas, der auch aus dem Freiwilligenprogramm stammte, 2010 als Abschlussprojekt eine Tauschparty durch. Um die beiden bildete sich eine Gruppe von Freunden, die dann drei Jahre lang weitere Tauschpartys organisierte. Deutlich wird hier bereits, dass nicht einzelne Akteure, sondern Kollektive öffentliche Tauschveranstaltungen planen und durchführen.35 Ausgehend von diesen Kollektiven soll der Blick nun von vestimentären Objekten aus auf das Phänomen Kleidertausch geworfen werden.
5.1 K LEIDUNG
ALS
T AUSCHOBJEKT
„Etwa 40 Prozent der Kleidung in unseren Schränken wird selten oder nie getragen. Werden Sie aktiv und geben Ihren Schrankhütern einen neuen Sinn! […] Verschenken, reparieren, verkaufen Sie Ihre selten getragenen Kleidungsstücke. Oder tauschen Sie sie – zum Beispiel bei der Kleidertauschparty am 13. Juni.“36
Die Lokalgruppen der NGO Greenpeace veranstalteten am 13.06.2015 in ganz Deutschland Kleidertauschpartys. Tauschen stellt, so die Ankündigung, eine Möglichkeit dar, sich von „Schrankhütern“ zu trennen und der Kleidung einen neuen „Sinn“ zu geben. Diesem Deutungsmuster zufolge stellen selten getragene Kleidungsstücke keine Ressourcen dar, auf die man zurückgreifen kann, die es also als Reserve aufzubewahren gilt, bis sie zum Einsatz kommen. Nur die täglich bzw. oft getragene Kleidung hat in dieser Logik die Berechtigung, im Kleiderschrank gelagert zu werden. Der Text verweist auf unterschiedliche Strategien im Umgang mit sinnloser, weil nicht benutzter Kleidung: Verschenken, Re-
35 Dass mehrere Personen notwendig seien, um so ein öffentliches Eventformat umzusetzen, macht auch eine Bloggerin deutlich, die ein Jahr lang keine neue Kleidung kaufte. Sie veröffentlichte auf ihrem Blog das „Rezept für eine öffentliche Kleidertauschparty“. Laut ihrer Anleitung seien es mindestens acht bis zehn Freiwillige (siehe ichkaufnix.com). 36 Siehe greenpeace.de-Kleidertauschparty; Die bundesweite Aktion stand im Zusammenhang mit einer breit angelegten Konsum-Kampagne, mit der Greenpeace auf die Auswirkungen der Modeindustrie aufmerksam machen wollte.
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parieren, Verkaufen − und Tauschen. Der Status der Kleidung verändert sich dabei: Kleidung wird zur Gabe, zur Ware oder zum Tauschmittel.37 Wie wird Kleidung von einem vormals privaten nicht benutzten vestimentären Objekt zu einem Tauschobjekt? Wie transformieren Akteure den Status von Dingen im Verlauf des „sozialen Lebens“38 der Objekte? Welche Bedeutung schreiben Tauschpartyorganisatoren_innen der Praxis des Teilens und Tauschens zu? Wie funktioniert der Tausch von Kleidung konkret? Welche Kleidung kann zum Tauschobjekt werden und welche nicht? Inwiefern stellt das Tauschen von Kleidung soziale Beziehungen her? Aus diesen Fragen ergeben sich zwei Thesen, denen aus kulturanthropologischer Perspektive nachgegangen werden soll: Erstens wirkt Kleidung der Akteur-Netzwerk-Theorie folgend als Akteur auf die Konstituierung von Netzwerken. Die Übersetzung zwischen den menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren ist dabei durch das soziale Leben der Dinge bestimmt. Daraus ergibt sich in Hinblick auf die Materialisierung von Kultur die zweite These: Durch Tauschen und Teilen erweitert sich die etablierte Vorstellung von Objektbiographien durch Zwischennutzung. Wie Kleidung als Tauschobjekt nicht nur in den ehrenamtlichen Gruppen, sondern auch über digitale Netzwerke zirkuliert, soll im Folgenden am Beispiel von Kleiderkreisel.de skizziert werden. Deutlich wird dabei zum einen, dass sich durch die Professionalisierung dieses Shareconomy-Akteurs die Bedeutung von Tauschobjekten verändert, wie hier also Geld zunehmend den direkten Tausch ersetzt. Es zeigt sich aber auch, dass technische Infrastrukturen das Tauschen zwar ermöglichen, aber auch begrenzen und lokale Tauschevents im Kontrast dazu ein vielschichtigeres Eventerlebnis schaffen. Kleiderkreisel.de als Onlineplattform stellte eine der ersten digitalen Infrastrukturen zur Verfügung, über die Kleidung innerhalb eines sozialen Netzwerks geteilt werden konnte. Als zwei Studentinnen 2008 Kleiderkreisel gründeten, sollte die Onlineplattform vor allem das Tauschen von Kleidung ermöglichen.39 37 Kleidung wird im Folgenden als Tauschgut, Tauschmittel oder Tauschobjekt bezeichnet. Tauschgut und Tauschobjekt werden synonym verwendet, bezeichnen Objekte innerhalb eines Tauschprozesses und fokussieren die konkreten Objekte, die getauscht werden. Mit Tauschmittel ist der Tauschprozess stärker im Fokus. Tauschmittel ermöglichen den Tausch, etwa wie Geld, sind aber nicht Ziel des Tausches. 38 Vgl. Appadurai 2010. 39 Siehe Business Ladys 2012, S. 34; Nach der wachsenden Professionalisierung steht inzwischen besonders das Kaufen und Verkaufen von Kleidung im Vordergrund. Nach dem gleichen Prinzip wie Kleiderkreisel funktioniert die Seite Kleiderkorb.de und Mädchenflohmarkt.de, wobei letzteres auf hochpreisige Secondhand-Marken-Kleidung spezialisiert ist. Durch die Anzahl der online gestellten Kleidungsstücke zeigt sich
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Kleiderkreisel versteht sich laut Homepage als soziales Netzwerk. Dieses Netzwerk besteht aus einer ANT-Perspektive aus unterschiedlichsten Akteuren: u.a. technische Infrastrukturen, Administratoren_innen, Nutzer_innen, Smartphones und Kameras, Kleidung, Pakete. Diese Infrastruktur40 verweist des Weiteren auf Gesetze, etwa zu Haftung und Gewährleistung, auf Normen wie Vertrauen und Ressourcenschutz, auf Bedeutungszuschreibungen von Mode, auf Strategien der Selbstinszenierung und auf Strategien der Bedeutungsaufladung von Secondhand-Kleidung. Diese Infrastruktur soll im Folgenden beschrieben werden. Die Nutzer_innen müssen sich als Mitglied auf der Homepage anmelden. Sie erstellen Profile, auf denen sie mit Bildern ihre Kleidung zeigen. Dadurch entsteht ein „Katalog“, in dem alle Kleidungsstücke der Mitglieder aufgenommen sind und in dem die Kleidung etwa nach Frauen- und Männermode oder Schuhen sortiert ist. Die Mitglieder können dann im Katalog nach Kleidung suchen. Klicken sie auf eines der Bilder, gelangen sie auf eine Angebotsseite, auf der weitere Fotos von dem Kleidungsstück zu sehen sind. Neben dem Foto befindet sich ein Informationskasten mit Marke, Größe, Zustand, Farbe, Standort und der Bezahlmethode. Darunter können die Anbieter_innen selbst einen kleinen Text als Objektbeschreibung angeben. Unter den Fotos gibt es eine Kommentarfunktion. Um die Kleidung zu erwerben, müssen die Mitglieder über eine MessageFunktion mit den Anbietern_innen in Kontakt treten. Die Kleiderkreisler_innen haben eine eigene Profilseite, auf der sie ein Profilbild hochladen und einen Text über sich, ihre Verkaufs- und Tauschprinzipien, ihre Versandart usw. schreiben können. Des Weiteren gibt es die Angaben zu der Länge der Mitgliedschaft, dem Standort, der Anzahl der weitergegebenen und der erworbenen Artikel, der Anzahl der aktuell angebotenen Artikel und dem deutlich die Zielgruppe dieser Seiten. Auf Kleiderkorb.de befinden sich 115.122 Stücke für Damenbekleidung im Vergleich zu 4.198 Teile für Männer und 6.414 Teile für Kinder. Auf Kleiderkreisel.de sind 12.150.399 Stücke für Damen und 688.240 Teile der Herrenmode online gestellt (Zahlen vom 06.10.2014.). Auf Grund der mehrheitlichen Frauenbekleidung kann davon ausgegangen werden, dass mehr Frauen als Männer die Seiten nutzen. Mode sowie das Verkaufen und Kaufen von SecondhandKleidung, so zeigen die Beispiele, sind vor allem Frauenthemen. Mode und Textilien stellen Elemente zur Konstruktion von weiblicher Geschlechtsidentität dar (siehe dazu auch Gaugele 2002, S. 10–11). Das Reproduzieren dieser geschlechtsspezifischen Zuschreibung führt zu Geschlechtsverhalten, das sich performativ zur Darstellung bringt und sich hier an den angebotenen Kleidungsstücken materialisiert. 40 Der hier verwendete Infrastrukturbegriff schließt an die Überlegungen aus dem Kapitel 8 an, in dem das Konzept weiter ausgeführt wird (vgl. auch Niewöhner 2015). Verwiesen sei auch auf Kapitel 2.2.
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Zeitpunkt der letzten Anmeldung. Unter den allgemeinen Angaben sieht man den Katalog mit allen angebotenen Kleidungsstücken. Darunter befindet sich eine Liste von Followern. Die Mitglieder können sich wie in anderen digitalen sozialen Netzwerken „folgen“ und sich gegenseitig verlinken. Das funktioniert nicht nur unter den Mitgliedern, sondern die Kleiderkreisler_innen können auch Marken „folgen“. Des Weiteren bewerten sich die Mitglieder untereinander für ihre Tausch- und Verkaufsaktionen. Die Bewertung funktioniert wie in anderen Verkaufsportalen als Kontrollmechanismus. Durch eine positive Bewertung zeigen die Mitglieder, dass sie vertrauenswürdig sind, die Kleidung rechtzeitig versenden bzw. rechtzeitig bezahlen. Gute Bewertungen sind mit Konzepten wie Sicherheit und Vertrauen verbunden. Ergänzend dazu hat sich mit der Professionalisierung des Kleiderkreisel-Unternehmens eine weitere Funktion entwickelt, der sogenannte „Kreisel-Sicher-Service“, mit dem die Firma alle Transaktionen begleitet und ihre Mitglieder vor möglichem Betrug schützen will. Das Einstellen von Kleidung ist kostenlos für die Nutzer_innen, seit Januar 2016 müssen Verkäufer_innen beim Verkaufen eine Gebühr bezahlen. Das Anbieten von Kleidung zum Verschenken und Tauschen ist weiterhin kostenlos. Den Nutzern_innen steht also Kleidung zum Verkaufen, zum Tauschen und zum Verschenken zur Verfügung. Die Mitglieder können den Katalog und die Ortsangaben dazu verwenden, sich lokal zu treffen und die Kleidung direkt auszutauschen. Deutlich wurde während der Erstellung der vorliegenden Arbeit, dass sich das Unternehmen Kleiderkreisel zunehmend professionalisiert hat. So schreibt die Firma auf der Internetseite: „Unser Kleidungstausch-Hobby ist zu einem Unternehmen gewachsen.“41 Bei Kleidertauschveranstaltungen ist die Auswahl der Kleidungsstücke durch das, was die Teilnehmer_innen einbringen, begrenzt. Dagegen ermöglicht eine Onlineplattform das Tauschen und Teilen zeit- und raumunabhängig. Tauschwillige müssen also nicht gemeinsam auf einer Veranstaltung sein. Nicht der lokale Raum, sondern die technische Infrastruktur verbindet die Tauschenden. Je mehr Nutzer_innen, je komplexer also das soziale Netzwerk, desto schwieriger wird die Übersetzung zwischen den Akteuren. Gemeint ist damit, dass Geld als Tauschmittel an Bedeutung gewinnt, um die Zirkulation von Tauschgütern und Tauschmitteln zwischen den Mitgliedern zu ermöglichen. Gemeint ist damit auch, dass die Gründerinnen das Tauschhobby ökonomisieren und daraus ein Wirtschaftsunternehmen innerhalb der „Shareconomy“42 machen, das durch eine Wachstumslogik gekennzeichnet ist: Die Mitgliederzahlen liegen 41 Siehe kleiderkreisel.de. 42 Vgl. zur wachsenden Bedeutung von kollaborativen Konsum etwa Botsman und Rogers 2010.
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laut Internetseite inzwischen weltweit bei elf Millionen. Die Geschäftsidee ist in weitere europäische Länder und in die USA exportiert. 22,3 Millionen Kleidungsstücke sind in den Katalogen eingetragen. 240 Mitarbeiter_innen beschäftigt Kleiderkreisel weltweit. Ziel von Kleiderkreisel ist laut Internetseite, Secondhand zur ersten Wahl zu machen. So heißt es weiter: „Kleiderkreisel verbindet zeitgemäßes Vintage-Shopping mit einer unverkrampften Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit, spart Ressourcen und kann bereits mit über 1 Million Mitgliedern glänzen! Und täglich werden es mehr, die ihren Fokus auf das clevere Benutzen anstatt Besitzen richten.“43
Der Konsum von Secondhand-Kleidung wird hier mehrfach aufgewertet. Die gebrauchte Kleidung ist als „Vintage“ codiert und semantisch inwertgesetzt. Der Text argumentiert dabei mit Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung: Das Teilen und Kaufen von gebrauchter Kleidung schone die natürlichen Ressourcen und leiste damit einen Beitrag zur Nachhaltigkeit und zum Ressourcenschutz. Secondhand-Kleidung sei „zeitgemäß“, „clever“ und populär. Der Konsum von gebrauchter Kleidung ist auch im Slogan des Unternehmens in ästhetische und ökologische Deutungsmuster verwoben: „Mach mit und kämpfe stilvoll gegen Verschwendung“. Der Begriff der Verschwendung deutet dabei auf normative Vorstellungen vom richtigen Umgang mit Kleidung hin. Nutzen statt Besitzen als Wirtschaftsform verweist auf eine wirtschaftliche Logik, die sich auch in den schnell wechselnden Modezyklen materialisiert: Kleidung wird dabei zu einem Requisit, das die Besitzer_innen in kurzen Abständen austauschen können und mit der sie dem Bedürfnis nach immer neuem Konsum und Ausdrucksmöglichkeiten nachgehen. Die vestimentären Objekte sind nicht dauerhafter Teil der Selbstentwürfe, sondern werden fortwährend ausgewechselt. Die neuen Reize sollen aber umweltverträglich sein. Hier zeigt sich eine weitere Dimension der normativen Vorstellungen des richtigen Umgangs mit Kleidung. Gebrauchte Kleidung soll zur ersten Wahl werden, weil die Akteure damit ökologische Wertvorstellungen verbinden. Secondhand-Kleidung wird dabei als Lösung für den Konflikt zwischen Konsumbedürfnissen und Umweltbewusstsein gedeutet.44 Diese Deutung unterscheidet sich durch dieses ökologische Deutungsmuster von den konsumkritischen, antibürgerlichen Einstellungen der 1968er, von denen aus Christine Burckhardt-Seebass das Auftragen von alter Kleidung zwar als „chic 43 Siehe kleiderkreisel.de. 44 Zum Verhältnis von Umweltbewusstsein und Umwelthandeln siehe Rink 2002, Haan und Kuckartz 1996, Kuckartz und Rheingans-Heintze 2006 sowie Brand 1999.
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und kultig [Hervor. i. O.]“ und als „flüchtiges Spiel“ deutet, aber darin keine ökologischen Argumente sieht.45 Die Bedeutungsverschiebung drücke sich für sie im entsprechenden Vokabular von „Trödel“ hin zu „vintage“ aus. Der Begriff von „Vintage-Shopping“ in der Selbstdarstellung von Kleiderkreisel verweist zwar auf die Aufwertung von gebrauchter Kleidung. Auch die Aufforderung an die Mitglieder, „mach mit“ und „kämpfe“, verweist auf einen Protestgedanken, der als konsumkritisch inszeniert wird, indem er den normativ aufgeladenen Begriff der Verschwendung als Gegner konstruiert. Deutlich wird aber, dass Kleiderkreisel als Unternehmen dabei nicht in der Logik argumentiert, wie es etwa die Postwachstumsdebatte fordert. Nicht weniger Konsum oder Konsumverzicht, sondern der „richtige“ Konsum in Form von Secondhand-Kleidung wird hier von dem Unternehmen als an die „Greeneconomy“46 erinnernde Strategie im Umgang mit begrenzten Ressourcen und Überfluss gedeutet. Dieser Form des Konsums schreibt eine Gründerin der Kleiderkreiselplattform auch eine soziale Funktion zu: „Während man bei H&M einfach durch die Gänge zieht und irgendwelche Teile einpackt, hat das T-Shirt, das man auf Kleiderkreisel bekommt, nicht nur eine Geschichte, man baut auch automatisch ein soziales Netzwerk auf, indem man Kontakt zu anderen Kreislern aufbaut.“47
Gebrauchte Kleidungsstücke bekommen im Gegensatz zur Neuware durch das private Kaufen, Verkaufen und Tauschen eine Geschichte. Deutlich wird dabei, dass das soziale Leben48 der Kleidung erst durch die Statusveränderungen von einer vormals öffentlichen Ware zu einem privaten Kleidungsstück eine „Geschichte“ erhält. Die Biographie von der Produktion und Distribution hat in diesem narrativen Muster keine Bedeutung. Das Weitergeben von Secondhand-Kleidung verlängert nicht nur die Objektbiographie durch Status- und Besitzerwechsel, sondern etabliert soziale Netzwerke. Durch die verschiedenen Kommunikationsmedien, wie Foren, Blogs und Profilseiten, funktioniert Kleiderkreisel als soziales Netzwerk, das von den Akteuren nicht nur zum Kaufen, Verkaufen und Teilen von Kleidung genutzt wird, sondern auch als Freizeitgestaltung und zur Kommunikation. Auf Kleiderkreisel kommen dabei unterschiedliche Akteure zusammen. Vordergründig sind das die Akteure, die Kleidung anbieten und solche, die Kleidung nachfragen. Unter den 45 Burckhardt-Seebass 2011, S. 171. 46 Siehe OECD 2011; vgl. kritisch zum grünen Wachstum Santarius 2012. 47 Siehe intro.de. 48 Vgl. Appadurai 2010.
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Mitgliedern sind auch professionalisierte Akteure, wie etwa Modeblogger_innen oder Fotografen_innen, die Kleiderkreisel nutzen, um auf ihre Arbeit hinzuweisen. Erweitert wird das soziale Netzwerk durch Facebook und Instagram49, auf denen Kleiderkreisel eigene Profile pflegt. Instagram stellt damit eine weitere technische Infrastruktur dar, mit der sich Kleiderkreisel-Mitglieder vernetzen und Inhalte bzw. Bilder austauschen können. Die Nutzer_innen verwenden des Weiteren die Videoplattform Youtube, um ihre Erfahrungen mit Kleiderkreisel zu teilen. Sie erstellen eigene Video-Tutorials mit Anleitung, wie man Kleiderkreisel benutzt und teilen spezifisches Wissen. Dabei sprechen sie auch von den Vor- und Nachteilen und der Unsicherheit, wenn Verkäufe oder ein Tausch nicht funktionieren, weil Kleidung nicht bezahlt oder nicht versendet wurde. 50 Das Unternehmen Kleiderkreisel betreibt einen eigenen Youtube-Kanal, durch den Videos von Usern_innen geteilt werden, zum Beispiel sogenannte „Hauls“, in denen User_innen Produkte testen und beschreiben. Die Akteure, etwa Kleiderkreisel als Unternehmen, Mitglieder und Blogger_innen nutzen also unterschiedliche Techniken, um sich zu vernetzen. Notwendige Voraussetzung ist das technische Wissen und die technische Ausstattung, um eigene Inhalte, wie Fotos, Videos und Texte, online zu stellen, aus einer praxistheoretischen Perspektive die Übersetzung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren bzw. technischen Strukturen. Deutlich wird dabei, dass die Nutzer_innen Repräsentationen selbst produzieren, etwa Fotos, Modeblogs und Videos, und diese nicht nur konsumieren. Deutungshoheit über Mode und Kleidung haben nicht ausschließlich Modeexperten_innen oder Modemagazine, sondern zunehmend die Community, die mit Klicks, Followers oder Likes bewertet und damit Deutungsmacht gewinnt. Mode und Secondhand verbindet dabei die unterschiedlichen Akteure: sowohl praktisch, wenn Kleidung getauscht wird, aber auch diskursiv, wenn sie sich über Kleidung austauschen und dabei Bedeutungen verhandeln. Kleiderkreisel veranstaltete in Kooperation mit lokalen Initiativen Tauschpartys, wie beispielsweise mit einer Gruppe um ein Veranstaltungshaus in Hamburg. Auf der Homepage von Kleiderkreisel heißt es zu lokalen Tauschpartys:
49 Siehe instagram.com-Kleiderkreisel; Instagram ist eine App, entstanden 2010, mit der Fotos bearbeitet werden können. Kern ist, bearbeitete Fotos mit Freunden bzw. Follower zu teilen. Je mehr Follower, desto stärker die Vernetzung innerhalb der Community. 50 Etwa von Erdbeerliese unter dem Titel „KLEIDERKREISEL - So funktioniert's TIPPS & TRICKS“ (siehe Erdbeerliese 2012).
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„Kleiderkreisel bringt Tauschfieber zum Anfassen in die Städte Deutschlands. Gemeinsam mit den Mitgliedern veranstaltet der Shareconomy-Pionier lokale und kostenlose TauschPartys unter dem Motto ‚Kreisel im Viertelʻ. Heute meins, morgen deins: Einfach ausmisten, gut erhaltene ‚Schrankhüterʻ und Accessoires, die nur unnötig Platz wegnehmen, abgeben und sie bei Musik, Food und Drinks gegen neue Lieblingsteile tauschen – ohne den Geldbeutel zu zücken.“51
Tauschen wird hier als unterhaltsame und kostenlose Strategie dargestellt, um sich von unliebsamen Kleidungsstücken zu trennen und neue „Lieblingsteile“ zu finden. Kleidung, so die Deutung, hat für die Besitzerin keinen Wert, wenn sie nicht getragen wird und gilt als störend, weil sie „unnötig Platz“ wegnimmt. Getauscht wird das wertlose Objekt dann gegen ein Event mit Musik, „Food und Drinks“ und gegen ein neues „Lieblingsteil“. Dadurch verändert sich der Status und Wert von Kleidung: Sie wird als Tauschobjekt und als Tauschmittel wertvoll.52 Das Tauschen selbst wird dabei auch zum Selbstzweck, weil es ein Erlebnis darstellt. Kleiderkreisel inszeniert sich des Weiteren als „Pionier“, welcher eine Idee in die Städte bringt und sie bundesweit verbreitet. Der Pionierbegriff und der Begriff des „Tauschfiebers“ wertet das Tauschen auf. Tauschen wird als etwas Innovatives und Virales inszeniert, mit dem man angesteckt wird und das sich ausbreitet. Neben Kleiderkreisel gibt es weitere Akteure und Akteursgruppen, die Tauschveranstaltungen durchführen, wie etwa Greenpeace oder in der kommerziellen Form das Eventunternehmen „Swap in the City“. Die Mitglieder von Kleiderkreisel verabreden sich auch über das interne Forum zu privaten Tauschpartys. Seit Mitte 2009 betreibt Sebastian Backhaus den Blog Klamottentausch.net. Auf dieser Seite veröffentlichte er bis Mai 2014 die Veranstaltungsankündigungen von Tauschevents und ist damit als Akteur im Netzwerk an der Popularisierung von Kleidertauschevents beteiligt. Er hat außerdem eine Facebook-Seite erstellt, auf der Organisatoren_innen Tauschevents ankündigen können. Diese beiden Infrastrukturen dienen einmal zur Vernetzung von Akteuren, sie bieten aber auch Informationen und sind für die Veranstalter_innen ein Werkzeug für Öffentlichkeitsarbeit. Des Weiteren nutzen Organisatoren_innen technische Infrastrukturen, wie Blogs, eigene Facebook-Profile oder EmailVerteiler, um über Veranstaltungen zu informieren und Fotos sowie Artikel online zu stellen. Diese Infrastrukturen bieten zum Teil Kommentarfunktionen für die Besucher_innen oder für Interessierte.
51 Siehe kleiderkreisel.de. 52 Vgl. zum Wertbegriff Kopytoff 2010.
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Ging es bisher vorallem um Akteure und Infrastrukturen, die das Teilen und Tauschen von Kleidung ermöglichen, sollen im Folgenden die Tauschobjekte noch konkreter fokussiert werden. Die Gründe, warum Menschen sich von Kleidung trennen, die noch ihre Funktion erfüllen, und warum diese Kleidung dann weitergegeben wird, sind vielfältig. Auf entsprechenden Blogs geben Frauen vor allem zwei Gründe an: Die Kleidung gefällt oder passt nicht mehr. Beide Gründe lassen sich als ästhetische Argumente deuten, die auf das komplexe Bedeutungsgewebe zwischen Modezyklen, die sich verändernde gesellschaftliche und individuelle Wahrnehmung von Kleidung und dem Ausdruck von Lebensstil verweisen. Auch individuelle Umbrüche und Veränderungen in den Lebensläufen führen dazu, dass sich das Kleidungsverhalten verändert, etwa durch Schwangerschaften, Gewichtsveränderungen, Trennungen oder berufliche Wechsel. Die Organisatorin Tina beschreibt, dass sie tauscht, wenn ihr Kleiderschrank sie „nerve“: „Dann sortierst du drei Sachen aus für die nächste Kleidertauschparty und dann hast du was Neues drin. Voll geil.“ (Interview vom 15.05.2013). Der Kleiderschrank, der hier stellvertretend für die Kleidung steht, mobilisiert Emotionen und wirkt auf das Handeln der Akteure.53 Kleidung sorgt hier dafür, dass der Mensch etwas mit ihr machen wolle und ist aktiv.54 Mit dem narrativen Muster, auf das die Aussage von Tina hier verweist, argumentiert auch die Organisatorin Laura. Es geht ihr um die Frage, warum Frauen trotz vollem Kleiderschrank immer neue Kleidung konsumieren würden: „Warum stehʼ ich eigentlich vor meinem vollen Kleiderschrank und habʼ irgendwie immer das Gefühl, da ist nichts drin. Was ja totaler Quatsch ist.“ (Interview vom 18.03.2013). Dieses Bedürfnis nach immer neuer Kleidung entstehe, so Laura, um „irgendwie immer ʼn neuen Reiz zu haben, immer ʼne neue Inspiration, sich selbst neu erfinden. Genau, ja wahrscheinlich sich auch neu zu fühlen, also so gehtʼs mir halt.“ (Interview vom 18.03.2013). Kleidung funktioniert als Ausdruck von Gefühlen und von Selbstbildern, als „Spiel mit ästhetischen Möglichkeiten“55 und ist damit Lehnert folgend „unabdingbar für die Konstitution von kulturellen und individuellen Identitäten“ 56 . Kleidung, so wird deutlich, ist Akteur: Kleidung mobilisiert Emotionen, etwa wenn sie nervt und um sich „neu zu fühlen“. So sammeln sich Kleidungsstücke in den Kleiderschränken an, die ihren Wert für die Selbstinszenierungen verloren haben und die dann aussortiert und getauscht werden. So stellt Laura fest, dass die Besucher_innen ihrer Tauschparty froh seien, wenn sie ihre Sachen weggeben: „Oh Gott, ich bin eh froh, wenn ich das 53 Vgl.Scheer 2016. 54 Vgl. Lehnert 2015. 55 Lehnert 2012, S. 8. 56 Lehnert 2012, S. 8.
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Zeug los bin.“, fasst sie deren Aussagen zusammen (Interview vom 18.03.2013). Sowohl die Besucher_innen bestimmen demnach durch subjektive Kriterien, welche Kleidung zum Tauschobjekt werden kann, aber auch die Organisatoren_innen entwickeln Kategorien, welche Kleidung zum Tauschen geeignet und wie das Tauschen geregelt ist. Um diese Regeln und Ordnungsmuster soll es im Folgenden gehen. Organisatoren_innen geben Handlungsanweisungen, die sie bei der Veranstaltungsankündigung und auf den Events kommunizieren. Die Anleitung einer Tauschparty, die in Kooperation mit Kleiderkreisel stattfand, zählt vier Schritte des Tauschens auf: Im ersten Schritt sollten die Besucher_innen Kleidungsstücke, Accessoires und Schuhe in sehr gutem Zustand auswählen. Sie sollten maximal fünf Teile mitbringen. Im zweiten Schritt müssten die Teilnehmer_innen die Kleidung zur „Annahmestelle“ bringen. Im dritten Schritt bewerteten die Organisatoren_innen die Kleidung und tauschten diese gegen „Punkte“ ein. Viertens werden die Besucher_innen aufgefordert zur „Swapparty“ zu kommen und sich für die Punkte neue „Lieblingsstücke“ auszusuchen. Die Punkte von vergangenen Swappartys verfielen dabei nicht, sondern könnten für die nächste Party verwendet werden.57 Die Anleitung von Jule, Tina und Britta beschreibt das System wie folgt: „Bring mindestens 1 Kleidungstück und maximal 15 Kleidungsstücke zum Tausch mit! Achte darauf, dass sie gewaschen, wohlriechend und noch tragbar sind! Komm zum nächsten TauschTermin in der neusten TauschLokation. Sortiere deine Kleidung entsprechend der Stationen zu! Z.B. Shirt zu Shirts, Hosen zu Hosen,.... rausche & tausche durch den Raum: Nimm dir soviel dir gefällt! Unser KleiderTausch ist KEIN 1 zu 1 Tausch [Hervor. i. O.] Genieße neben der bunten Kleiderauswahl auch die Snack- und Musikvielfalt! Spende am Ende!“58
Die beiden Anleitungen unterscheiden sich in der Angabe der mitzubringenden Kleidungsstücke: maximal fünf und eins bis fünfzehn. In der ersten Beschreibung wird deutlich, dass die Teilnehmer_innen ihre Kleidung vor der Party abgeben und zu „Annahmestellen“ bringen. Die Organisatoren_innen kontrollieren und bewerten dort die Kleidung mit dem Ziel, die „Freude für alle“ zu vergrößern. So geben die Veranstalter_innen in diesem Beispiel auch dezidiert Anweisungen zur Auswahl der Kleidung: 57 Siehe lokal-hamburg.de. 58 Siehe tauschwert.blogspot.de.
112 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT „Bringt sehr gut erhaltene oder hochwertige Kleidung, Schuhe und Accessoires für Sie und Ihn mit. Ausgeblichene oder verfusselte Kleidung wollen wir euch nicht anbieten und können sie daher auch nicht annehmen. Flecken und Löcher sind ok, wenn sie zum Design gehören. Die Nachfrage nach Basic-Shirts und -Jeans ist sehr gering. Deshalb nehmen wir auch diese nicht mehr an.“59
„Sehr gut erhalten“ und „hochwertig“, nicht aber „ausgeblichen“, „verfusselt“, mit „Flecken und Löchern“ oder „basic“ dürfe die Kleidung sein. Diese ästhetischen Kriterien entscheiden, ob ein Kleidungsstück zum Tauschgut werden kann. In der Anleitung von Jule, Tina und Britta formulieren die drei explizit, dass die Kleidung „gewaschen, wohlriechend und noch tragbar“ sein solle. „Gewaschen“ und „wohlriechend“ verweisen dabei auf eine sinnliche Dimension, nach der Kleidung kategorisiert wird. Beide Attribute können mit Hygienevorstellungen verknüpft werden, die gebrauchte Kleidung aufwertet. Sie soll sauber und von Gebrauchsspuren befreit sein. Die Sozialanthropologin Mary Douglas beschreibt, dass Vorstellungen von Verunreinigung und die daraus entstehenden Tabus und Verbote ein Ergebnis von symbolischen Ordnungen seien, die soziale Ordnung erhalten. Schmutz sei dabei etwas, was durch den sozialen Kontext produziert werde und nicht etwas Absolutes. Schmutz gefährde die symbolische Ordnung, sodass es ein grundlegendes Bedürfnis sei, diese Ordnung aufrechtzuerhalten.60 Verschmutze Kleidung, so eine Lesart, ist etwas, das privat zu sein hat und nicht getauscht oder geteilt wird. Das Waschen als Handlung gegen Verschmutzung verändert den Status, die Wahrnehmung und damit auch die Deutung der Kleidung. Es transformiert Kleidung zu einem tauschbaren Objekt. Als symbolische Handlung kann das Waschen Kleidung von einem vorher privaten, individuellen zu einem gemeinschaftlichen und öffentlichen Gut machen, das von allen genutzt werden kann. In der optischen Wahrnehmung ist gewaschene Kleidung abgesehen von gröberer Verschmutzung, kaum von ungewaschener zu unterschieden. Besonders der Geruch nach Waschmittel kann auf den Waschakt hinweisen. „Wohlriechend“ bedeutet in diesem Kontext also nicht, dass die Kleidung extra mit Duftstoffen versetzt werden solle, sondern dient als Referenz darauf, dass die Teilnehmer_innen die Kleidung reinigen, bevor sie sie in die Gemeinschaft einbringen. Dabei können Akteure „wohlriechend“ unterschiedlich wahrnehmen und deuten. Die Kategorisierung von „noch tragbar“ verweist auf die Unterscheidung zwischen gebrauchter Kleidung und textilem Abfall. Nutzungsspuren sind sozial akzeptiert, solange bis die Kleidung als Abfall kate-
59 Siehe lokal-hamburg.de. 60 Vgl. Douglas 1985.
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gorisiert ist. Auf die Kriterien, mit denen tauschbare Objekte und Abfall unterschieden werden, geht die Anleitung hier nicht ein. Die Transformation vom privaten Objekt zum öffentlichen Tauschobjekt mache verletzlich, wie Jule im Interview schildert. Die mitgebrachten Kleidungsstücke würden „Angriffsfläche“ bieten. Deshalb sei es leichter, wenn die Besucher_innen selbst ihre Kleidung in der „Anonymität“ „untermurgeln“ könnten. Bei ihrem Konzept löse sich die Wertzuschreibung über Markennamen auf: „Esprite oder H&M oder kik, das ignorieren wir ja komplett.“ (Interview vom 15.05.2013). Die Wertzuschreibung durch Markennamen wirkt sich auf die Wertzuschreibung der Tauschobjekte aus. Jule grenzt sich dabei von dieser Kategorisierung ab, wenn die vorher klar stellt, dass sie diese Zuschreibungen ignorierten. „Also das macht dann vielleicht die Masse, die dann tauscht und sagt:,Oh, das ist aber kik. Das ja nicht so toll.ʻ Oder: ,Wow da kommt was von Esprite, das ja super toll.ʻ Unabhängig davon, wie es aussieht, welche Farbe es hat oder welches Material es ist.“ (Interview vom 15.05.2013). Wie Jule hier deutlich macht, hängt die Wertzuschreibung für die Besucher_innen von der Markierung durch einen Hersteller bzw. eine Marke ab: Kleidung, die beim Kauf teuer war, ist wertvoller, als günstige Kleidung. Dabei verweist sie auch darauf, dass für sie der Wert von Kleidung besonders durch das Material sowie die Farbe entsteht und nicht durch Wertzuschreibungen von außen. „Unsere Zielgruppe ist nicht Armanie und Chanel und Esprite und hochwertige Kleidung, die du dann tauscht. Sondern unsere Zielgruppe ist einfach, bring’ dein bunten Kleiderschrank mit und wenn du unbedingt Marke gegen Marke tauschen willst, bist du bei uns nicht richtig. Wenn die Leute das dann mitkriegen, dann kriegen sieʼs mit und dann kommen sie vielleicht nicht wieder.“ (Interview vom 15.05.2013)
Während Jule Kleidung von „Esprite“ als mögliche Tauschgüter kategorisiert, scheint für Tina die Kleidung dieses Herstellers als „hochwertige Kleidung“ wie Armanie und Chanel zu gelten, die in ihrem Tauschkonzept keine Tauschobjekte seien. Der bunte Kleiderschrank, so wird deutlich, ist nicht durch Markierung wie Markennamen bestimmt. Was ein Kleidungsstück zum Tauschobjekt werden lässt, ist für Jule nicht die symbolische Aufladung durch einen Markennamen, sondern das Aussehen, die Farbe und das Material. Die beiden Organisatorinnen stellen dabei die stoffliche Präsenz und die Gestaltung der Kleidung vor die symbolische Inwertsetzung durch einen Markennamen. Sie verweisen jedoch darauf, dass die Besucher_innen andere Bewertungsschemata haben, die darüber bestimmen, ob sie die Kleidung mitnehmen oder liegen lassen. Das vorherige
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soziale Leben 61 bestimmt in diesem Sinne über die zukünftige Objektbiographie62, die neuen Orte und die Status der zur Tauschparty eingebrachten Kleidung: Ob das Kleidungstück wieder zu einem privaten Objekt wird, oder es am Ende der Party übrig bleibt, von den Organisatoren_innen gespendet und zur Gabe63 wird. Die beiden oben zitierten Anleitungen unterscheiden sich des Weiteren insofern, als dass sie auf unterschiedliche Tauschsysteme und soziale Kontrollmechanismen verweisen. Während die erste darauf hinweist, dass Kleidung gegen Tauschwährung eingetauscht werde, macht die zweite explizit, dass es sich nicht um einen „eins zu eins“-Tausch handele. Es lassen sich also zwei Konzepte unterscheiden: Der Tausch über Tauschwährung und der „direkte“ bzw. kollektive Tausch. Wie die eine Anleitung verdeutlicht, werden die Kleidungsstücke bei Veranstaltungen, die mit Währung funktionieren, abgegeben, begutachtet und gezählt. In der Regel bekommen die Besucher_innen für die Kleidungsstücke eine Wertmarke, die sie später gegen die ausgesuchte Kleidung tauschen. Das Prinzip der Tauschmarken erinnert an das Prinzip des marktförmigen Kaufens. Die Tauschmarken funktionieren dann als Tauschmittel wie Geld. Die Tauschmarken regeln, dass Besucher_innen nur so viele Stücke mitnehmen können, wie sie eingebracht haben. Dass dieser Tausch am marktförmigen Konsum orientiert ist, zeigt sich auch an dem Hinweis „Wer zuerst kommt, tauscht zuerst“64, wie die Veranstaltung auf der Internetseite angekündigt wird. Der Ausdruck spielt mit der Redewendung „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, wodurch die Reihenfolge durch das zeitliche Erscheinen geregelt ist. Zwar ist in der ursprünglichen Bedeutung eine Zugangsregelung gemeint, bezogen auf den Kontext der Tauschveranstaltung impliziert sie jedoch auch einen Wettbewerbs- und Konkurrenzgedanken. Die Besucher_innen, so kann die umgedeutete Redewendung gelesen werden, stehen in Wettbewerb um die Tauschobjekte, sodass ihnen ein frühzeitiges Erscheinen geraten wird. Die Tauschveranstalterin Laura dokumentiert auf ihrem Blog eine von ihr organisierte Veranstaltung und benutzt dafür Begriffe wie „an der Kasse“, „Tauschdollar“, „bezahlen“ der „Beute“, „ausgeben“ 65 , die an marktförmigen Konsum erinnern. Je mehr Teilnehmer_innen an einer Tauschveranstaltung teil-
61 Vgl. Appadurai 2010. 62 Vgl. Kopytoff 2010. 63 Vgl. Mauss 1968. 64 Siehe lokal-hamburg.de. 65 Siehe blog.commonvintage.com.
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nehmen, desto notwendiger werde es, Tauschwährung einzuführen, so ihre Deutung im Interview. Sie erzählt von den Anfängen ihrer Tauscherfahrung: „Da war das so, da waren wir ja nur zu fünft oder so. Da haben wir alles auf einen Haufen geschmissen und jeder hat halt seine Sachen quasi vorgestellt und alle anderen durften halt hier schreien, wenn sie irgendwas haben wollten. Und als da immer mehr Leute dazu kamen, da wurde es halt immer schwieriger und so kam es, dass wir uns irgendwann überlegt haben, ok, es braucht halt, ja, so eine Art Währung, damit man halt nicht erstmal denjenigen, dem das gehört, suchen muss und dann mit dem verhandeln und dann hat man aber selber vielleicht nichts, was dem gefällt. Das war irgendwie klar, das man halt mehr Möglichkeiten bieten muss zum Tauschen so. Bei dem ersten Versuch hat das sofort super geklappt und dann haben wir das beibehalten.“ (Interview vom 18.03.2013)
Im privaten Rahmen sei es noch möglich gewesen, direkt zu tauschen. Je mehr Teilnehmer_innen und je mehr Kleidung zum Tauschen zur Verfügung stehe, desto schwieriger gestalte sich das direkte Tauschen zwischen den Tauschpartnern „eins zu eins“. Tauschwährung biete „mehr Möglichkeiten“. Während Geld Objekte vergleichbar macht und ihnen einen bestimmten Wert zuschreibt, hat Tauschwährung hier vor allem die Funktion, Tauschpraxen zu ermöglichen. Die Tauschwährung soll nicht wie Geld die Dinge bewerten, sie ermöglicht vielmehr soziale Netzwerke, in denen Objekte ausgetauscht werden können. Tauschwährung stellt in dieser Lesart soziale Beziehungen her. Wie Marcel Mauss zur Gabe darstellt, ist das Geben, Nehmen und Erwidern beim Gabentausch durch Zwang strukturiert.66 Die Tauschwährung kann insofern als Ausdruck von sozialer Kontrolle gedeutet werden. Die Organisatoren_innen kontrollieren durch die Ausgabe von Tauschwährung das Geben und Erwidern ferner übersetzen sowie materialisieren sie den Zwang zur Reziprozität in Tauschwährung. Bei Tauschpartys ohne Währung bestimmen die Teilnehmer_innen, welche Kleidung sie einbringen und erstellen damit eigenverantwortlich das Angebot: „Es tauchen halt Sachen auf, die halt irgendwie gerade mal nicht aktuell sind. Und dann ist mein Kleiderschrank danach bestimmt. Ja, nach dem Markt, nach dem Kleidertauschmarkt bestimmt. Aber nicht nach dem Kommerzmarkt bestimmt.“ (Interview vom 15.05.2013)
Das Kleiderangebot, so Tina, sei nicht durch die aktuelle Mode oder Trends bestimmt, sondern durch das, was die Teilnehmer_innen aussortieren und einbringen. Dabei bekräftigt Jule, „das Coole ist, das bestimmen halt nicht wir, sondern die, die tauschen, die gerade da sind. […] Da können wir überhaupt nicht mani66 Vgl. Mauss 1968.
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pulieren, das ist auch das Aufregende. Ist halt echt ʼn anderer Markt an Möglichkeiten.“ (Interview vom 15.05.2013). Jule beschreibt, dass sie sich in der Organisatorinnengruppe bewusst dafür entschieden hätten, keine Sortierung durchzuführen, weil sie nicht bewerten wollten, was andere gebrauchen oder als modisch bezeichnen: „Wir wollen uns nicht einmischen in die Frage: Was ist wertig und was ist nicht wertig.“ (Interview vom 15.05.2013). Die Organisatorinnen bieten in diesem Verständnis einen Rahmen, in dem Kleidertausch ermöglicht wird. Wie dieser Rahmen durch die Teilnehmer_innen genutzt wird, bestimmen die Besucher_innen selbst. Dieses Prinzip betont die Idee der Partizipation. Jule beschreibt: „Nein, wir haben nicht so richtig diese Regeln, sondern wir benennen dieses Tauschen als Aspekt im Sinne von Geben und Nehmen. Uns ist dann nicht wichtig, ob man eine Hose mitbringt und fünfzigtausend mitnimmt, das ist uns nicht wichtig, aber wichtig ist schon, dass jeder und jede irgendetwas mitbringt. […], das ist wirklich das, worauf das ganze Konzept basiert: ‚Bring was mit und nimm was mitʻ. Das ist schon wichtig, also das muss so sein. Das ist die Regel, die wir haben.“ (Interview vom 15.05.2013)
Grundsätzliche Regel sei, dass alle Beteiligten Kleidung einbringen. Wie viel der Einzelne nimmt und gibt, sei für sie nicht wichtig. Es habe sich aber mit der Zeit gezeigt, dass „einige Leute dann doch ein bisschen nachlässig sind und bisschen was schäbigeres mitbringen“. Während sie zu Beginn das Motto, „bring so viel du tragen, oder ertragen kannst“, kommunizierten, hätten sie ihre maximale Zahl auf zwanzig Kleidungsstücke begrenzt, um damit sowohl die Qualität der Kleidung zu steigern als auch die übrig bleibenden, nicht ertauschten Stücke zu reduzieren. Dabei machen die beiden Initiatorinnen im Interview deutlich, dass sie diese Regel nicht kontrollieren oder Verstöße sanktionieren würden: „Tina: Was uns auch noch total wichtig ist: keiner von uns hat Bock drauf, mit’m Zeigefinger rumzurennen und zu sagen: ‚Was hast du da mitgebracht? Das geht gar nicht.ʻ Und keiner hat Bock, ʼrum zu rennen und zu sagen: ‚Du hast mehr als 20 Teile mitgebracht, den Rest kannst du nicht auf den Tisch hauen.ʻ [Jule: ‚Bitte gehʼ wiederʻ (lacht)] Das geht nicht. Das ist einfach eine Vorgabe, an die sich die Leute halten können. Es wär auch schön, wenn sie das tun, aber wenn jetzt jemand mit mehr oder weniger kommt, dann ist keiner von uns in der Lage oder hat Lust dazu, zu sagen: ,Das geht gar nicht.ʻ Und das ist auch was, was unser Konzept ausmacht. Keiner von uns nimmt sich ʼraus, irgendwas bewerten zu wollen. Da soll, da muss sich jeder von den Leuten, die zu uns kommen, an die eigene Nase fassen und sagen: ‚Wie gehe ich jetzt damit um?ʻ. Wie wollen sie unser Angebot nutzen? Wenn’s einige Leute nicht tun, dann kann das auch was Schönes bedeuten,
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weil dann sind da vielleicht auch noch 40 andere Teile dabei, die super sind. Oder eben auch nicht. Aber das gleicht sich immer irgendwie aus. Jule: Das unterscheidet uns auch von den anderen Kleidertauschpartys, die halt meistens sowas haben, wie vorher Abgabe der Kleidungsstücke, dann kriegt man Chips oder Coupons, dann zahlst du mit den sozusagen (lacht) stellvertretend. Bei uns gibt es das nicht. Du kommst halt direkt mit deinem Büddel und kippst das da aus und wir haben es nur bedingt in der Hand und wollen’s auch nicht so sehr kontrollieren. Bisher klappt das. Ich hoffe, toi toi toi, das es weiterhin so klappt und glaube da auch irgendwie dran, weil wir halt den Riegel gar nicht so sehr davorschieben. Ich glaube, dieser Missbrauch entsteht eher, wenn es eine Gebrauchsanweisung gibt und wir äußern alles, was wir so machen, eher in so Wunschform. Also: ‚Bitte sauber und bitte ordentlich und bitte ohne Löcher.ʻ“ (Interview vom 15.05.2013)
Die Kontrolle und Begutachtung der Kleidung wird hier durch eine Werthaltung ersetzt, die Vertrauen und Eigenverantwortung betont. Missbrauch, so die Deutung der Organisatorinnen, entstehe eher, wenn es Regeln gebe. Die impliziten Ideen der Akteurinnen erinnern an den Commoning-Begriff, den Silke Helfrich entwickelt. Helfrich betont dabei, dass Commons erst im sozialen Prozess entstünden. Sie denkt Commons nicht als Objekte, sondern als soziale Prozesse, die durch Selbstorganisation und dem Anliegen, etwas gemeinsam zu erschaffen, geprägt seien.67 Das Konzept von Kleidertauschpartys, das die Akteurinnen hier verfolgen, kann als sozialer Prozess gedeutet werden. Das Netzwerk von Akteuren im Sinne von Latour68, bestehend aus den beteiligten Akteuren und der materiellen Gestaltung, wie dem Raum, der Kleidung usw., wird im Moment der Veranstaltung als temporäre, lokale Infrastruktur zur Commons. 69 Wie Stefan Groth argumentiert, würden normative Grundlagen die Verfestigung von Commons gestalten.70 Commons als soziale, politische und historische Prozesse funktionieren nach Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Die Kooperationsbeziehungen sind bei Tauschveranstaltungen im öffentlichen Raum wenig institutionalisiert und nur von kurzer Dauer. So stehen die normativen Grundlagen der Kleidertauschpartys mit dem öffentlichen Raum im Konflikt. Im Interview formulieren Tina und Jule Ausnahmen für die „Geben-und-Nehmen“-Regel. Wenn Passanten oder Touristen die Tauschparty besuchen und keine Tauschkleidung dabei hätten, dürften sie trotzdem Kleidung mitnehmen. Gleichwohl meint Tina: 67 Vgl. Helfrich 2013. 68 Vgl. Latour 2001. 69 Die Kulturanthropologin Heike Derwanz beschreibt einen Kleidertauschladen als Allmende (Vgl. Derwanz 2015). 70 Vgl. Groth 2013.
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„Im Prinzip verfehlt es das Konzept. Es ist halt nicht so, du kommst als Schaulustiger vorbei und nimmst dir was mit. Das ist ja kein Tausch.“ (Interview vom 15.05.2013). Die „goldene Regel“ sei das Tauschen, wozu Geben und Nehmen, also die Reziprozität, gehöre. Da sich insgesamt aber ein Überschuss an Kleidung ansammle und am Ende der Veranstaltung viele Kleidungsstücke übrig blieben, seien die Initiatorinnen froh über Kleidung, die dann zusätzlich mitgenommen werde: „Wenn wir nur zwei Säcke am Ende übrig haben, haben wir nur zwei Säcke übrig (lacht), sind wir auch glücklich drüber.“ (Interview vom 15.05.2013). Normative Grundlagen brechen sich hier an alltagspraktischen Überlegungen. Aus der Tauscherfahrung und der Veranstaltung von regelmäßigen Tauschpartys wissen die Akteure, dass am Ende einer Tauschparty viele Kleidungsstücke übrig bleiben, weil die Teilnehmer_innen mehr geben als nehmen. So entsteht ein Überschuss an Kleidung, der die Inklusion von eigentlich ausgeschlossenen Akteuren begründet und ermöglicht. Nach den Tauschveranstaltungen verändert sich der Status der Kleidung: Für die Teilnehmer_innen wird sie zum privaten Objekt, für die Organisatoren_innen zur Spende. Deutlich wird dabei auf den Tauschpartys, dass Kleidung im Überfluss vorhanden und das Kleidungsangebot nicht immer mit der Nachfrage deckungsgleich ist. Die Interviewpartner_innen schildern daher wiederholt, dass nach den Veranstaltungen viele Kleidungsstücke bzw. „unglaublich viele Säcke“ übrig blieben. Im Interview beschreiben Jule und Tina weiter, dass sie überlegt hätten, die restliche Kleidung auf dem Flohmarkt zu verkaufen. „Da haben wir sofort gesagt: ‚Nee wollen wir nicht, das ist uns irgendwie zu untransparent.ʻ Das ist auch nicht unsere Idee, sondern wir wollen gerne transparent machen, dass wir das spenden. Wir sagen auch wohin jedesmal.“ (Interview vom 15.05.2013)
Auch der Umgang mit den übrig gebliebenen Kleidern ist normativ aufgeladen. Er soll der Idee entsprechen und transparent sein. Häufig sammeln die Veranstalter_innen die Säcke nach den Veranstaltungen im eigenen Keller oder auf dem Dachboden, bis sie sie zu sozialen und karitativen Einrichtungen bringen. Jule und Tina finden, dass das Spenden „noch mal soʼn extra Kreislauf“ sei. Dabei sei es schwer, passende Einrichtungen zu finden, die noch Kleidung annehmen, weil diese selbst nur begrenzte Lagermöglichkeiten hätten. 71 Die Organisation der Spenden sei nervig, weil es aufwendig sei, meint Jule:
71 Diese „Kleiderschwemme“ in karitativen Einrichtungen beschreibt auch WagenerBöck (vgl. Wagener-Böck 2015).
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„Das eine ist da sonntagabends die Klamotten in unsere Keller zu verteilen, und das nächste ist dann von den Kellern in die Spendengebiete zu verteilen. Das ist schon ein Aufwand, finde ich mühsam. Obwohl ich gerne spende, ist das auch nervig.“ (Interview vom 15.05.1013)
Um mögliche Institutionen zu finden, nutzen die beiden Sozialpädagoginnen ihre beruflichen Netzwerke, aber auch den weiteren Freundes- und Bekanntenkreis. Jule stellt im Interview heraus, dass ihre Spenden unterschiedlich wahrgenommen würden: Während Jule die Kirchengemeinde als „total happy“ wahrnahm, war sie von der Deutung der Zentrale der Frauenhäuser enttäuscht. Diese sei angesichts der „unglaublich viele[n] Säcke“ und der begrenzten Lagermöglichkeiten „überfordert“ gewesen. Laura bewahrt übrig gebliebene Teile für die nächste Veranstaltung auf, sodass bereits ein Grundkontingent an Kleidung zum Tauschen zur Verfügung stehe. Auch Fabian erzählt, dass er die Kleidung bei der darauffolgenden Veranstaltung wieder aufgehängt habe. „Vor der letzten Party haben wir dann schon mal vorsortiert und die Sachen, die nichts waren, für Upcycling-Geschichten aufgehoben. Wir haben die, die arg verdreckt oder kaputt waren, die haben wir weggeschmissen. Nach der letzten haben wir noch mal sortiert und haben dann acht große Müllsäcke beim Sozialkaufhaus abgegeben […] weil, wir wollten sie nicht in die Altkleidersammlung geben, weil ja diese ganze AltkleiderexportGeschichte. Damit haben wir uns auch befasst, die sind teilweise problematisch.“ (Interview vom 17.09.2013)
Er macht deutlich, dass längst nicht alle Kleidungsstücke er- und getauscht würden, aber auch, dass diese Kleidung zum Teil „verdreckt“ und „kaputt“ sei. Als klar wurde, dass sich die Gruppe auflösen wird, weil Gruppenmitglieder die Stadt verlassen, haben sie die Kleidung sortiert. Die nicht mehr Verwendbare hätten sie weggeschmissen. Noch Verwertbares hätten sie für „UpcyclingGeschichten“ aufgehoben und die noch Tragbare am Ende an ein Sozialkaufhaus gegeben. Für Fabian sei die „Altkleiderexport-Geschichte“ problematisch, sodass er die Kleidung nicht darüber weitergeben wolle. Deutlich wird, dass Fabian über Wissen zu den sozialen Problemen des Kleiderüberflusses verfügt und die Kleidung in lokalen Kreisläufen halten will. Die Organisatoren_innen deuten die Kleidung um. Der Status verändert sich vom Tauschobjekt zur Spende. Diese Spende stellt wiederum soziale Beziehungen her: Die Akteure vernetzen sich mit entsprechenden Institutionen, um dort die Kleidung abzugeben.
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Wie deutlich wurde, verbinden die Kleidungsstücke als Tauschobjekte Akteure im Netzwerk: einmal innerhalb der technischen Infrastruktur von Kleiderkreisel.de, zweitens bei lokalen Tauschpartys, drittens durch die Weitergabe als Spende. Die vestimentären Objekte wirken dabei auf vielfältige Weise: Sie sorgen dafür, dass Menschen sie aussortieren und loswerden wollen; sie wirken auf die Selbstwahrnehmung und Konstituierung von Lebensstilen und mobilisieren Emotionen; sie führen zur Etablierung von Infrastrukturen – sei es in Form von Onlineplattformen oder Tauschevents − und der Vernetzung von Kollektiven, die gemeinsam Tauschveranstaltungen organisieren. Kleidertauschpartyorganisatoren_innen entwickeln Regeln und Anleitungen, die Objekte nach tauschbar und nicht tauschbar kategorisieren. Spezifische Praktiken transformieren das vorher private Objekt in ein öffentliches Tauschobjekt. Der Status der Objekte verändert sich dadurch, wobei der Wert sich auch durch das vorherige soziale Leben bestimmt. Tauschwährung ermöglicht den Tausch. Sie materialisiert und symbolisiert die soziale Kontrolle der Reziprozität. Kleidertauschpartys können als sozialer Prozess des Commoning gedeutet werden: Der Kleidermarkt wird kollektiv und eigenverantwortlich, gleichwohl durch Regeln auch sozial kontrolliert, erstellt. Deutlich wurde, dass sich der Status der Kleidung vom privaten Gut zu einem Tauschobjekt zu einer Spende transformieren kann. So wird für die Teinehmer_innen die Kleidung zum Tauschgut. Finden die vestimentären Objekte auf den Veranstaltungen keinen Tauschpartner, verändert sich ihr Status: Sie werden als Gaben weitergegeben. Diese Statusveränderungen erweitern die kulturell etablierten Vorstellungen einer Objektbiographie von Kaufen, Tragen und Entsorgen und verlängern sie im Sinne der Weitergabe als Secondhand-Kleidung und der Weiternutzung. Tauschen und Teilen ist damit eine Möglichkeit, Secondhand-Kleidung zu konsumieren. Inwiefern Tauschen dabei als Gegenkonsum verstanden werden kann, soll im Folgenden betrachtet werden.
5.2 T AUSCHEN
ALS
G EGENKONSUM
Am 03.07.2014 hat die zweite Primark-Filiale in Berlin eröffnet. Primark als internationale Modekette aus dem Discountersegment war einige Tage zuvor in die Schlagzeilen geraten, weil scheinbar von Näherinnen eingenähte Hinweisschilder mit Hilferufen in Primark-Kleidung in England gefunden wurden. Verschiedene Initiativen hatten sich für die Eröffnung der neuen Filiale am Alexanderplatz in Berlin der „Kampagne für Saubere Kleidung“ angeschlossen und einen
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Kleidertausch als Protestaktion veranstaltet. Die Berliner Zeitung berichtet vom „Demonstrieren und Shoppen bei Primark“72. „Stell Dir vor, Primark eröffnet und keiner geht hin: Ganz so ist es nicht, viele kommen zum Alexanderplatz - aber nicht so viele und nicht so früh wie erwartet. Reges Interesse herrscht stattdessen an der Kleidertauschparty der Kampagne Saubere Kleidung nebenan.“73
Die Aktivsten_innen würden auf kreative Weise aufklären wollen und zeigen, dass man keine Billigklamotten kaufen müsse, wenn man wenig Geld für Kleidung habe, so berichtet die Berliner Zeitung. Mit Musik machten die Aktivisten_innen auf sich aufmerksam. Sie trugen mit roter, an Blut erinnernder Farbe beschriebene T-Shirts mit der Aufschrift „Fast Fashion kills“ und verteilten Papiertüten mit dem Schriftzug „Crimark“. Plakate zeigten die Aufschrift „Mörder Preise“. Der Bund für Umwelt und Natur e.V. (BUND) ludt über Facebook zum Protest und Kleidertausch ein: „Wir werden daher auf dem Alex, in unmittelbarer Nähe zum Primark-Eingang, einen Umsonst-Second-Hand-Laden und Kleidertauschmarkt aufbauen, um Aufmerksamkeit auf die Ausbeutung, Umweltbelastung und anderen Mist in der Modeindustrie zu lenken, für die das Konzept Primark so beispielhaft steht.“74 Die Huffington Post schreibt: „Primark- Eröffnung Berlin: Die Menschen gehen lieber zur Kleidertauschparty“75. Deutlich wird, dass die Aktivisten_innen hier zum einen die Modeindustrie kritisch reflektieren und dass sie zum anderen das Tauschen von Kleidung als Kontra-Strategie nutzen, als „kulturell wirksamen Einspruch“76 gegen markförmigen Konsum, um auf die Probleme von „Fast Fashion“ hinzuweisen und gleichzeitig die Alternative aufzuzeigen77: Durch Secondhand-Kleiderkreisläufe 72 Siehe Berliner Zeitung 2014a. 73 Siehe Berliner Zeitung 2014b. 74 Siehe facebook.de: Weltbewusst-Bundjugend Berlin. 75 Siehe The Hufftington Post 2014. 76 Vgl. Heimerdinger 2013, S. 11. 77 Gudrun M. König beschäftigt sich mit einer weiteren alternativen Form „im Spannungsfeld von Konsum, Kreativität und Konsumkritik“ und im Zusammenhang von globaler Mode und lokalen Prozessen. „Mikromode“ als „Experimentierfeld der Alternativkultur“ meint die handwerkliche Herstellung von Kleidung in lokalen Kontexten und in einer kleinen Stückzahl. „Mikromode bedient die Attitüde der Individualisierung ihrer Akteure, Produzenten und Konsumenten und erlaubt gleichzeitig eine gemeinschaftliche Orientierung an übergreifenden sozialen Milieus.“ (König 2008b, o.S.).
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können immer neue Kleidungsstücke konsumiert werden, ohne dass dafür neue Kleidung produziert und Geld ausgegeben werden muss. So fand etwa auch eine Veranstaltungsreihe vom 11.07. bis 15.07.2012 in drei Orten in Berlin-Neukölln anlässlich der Fashionweek statt: „Im Nachgang zur Fashionweek wollen wir mit unserem Kleidertausch alternative Konsummöglichkeiten aufzeigen. Vom Fashionzirkus haben wir genug, vor allem weil Textilarbeiter_innen und Umwelt den Preis für billige und ständig wechselnde Kollektionen bezahlen.“ 78 Das Kleidertauschen und die Weitergabe von Informationen zur Textilindustrie sei Ziel der Veranstaltungen. Tauschen, Alternativen aufzeigen und Wissen vermitteln werden hier zusammen gedacht. Das Format des Tauschevents wird dabei strategisch eingesetzt, als Kritik äußender „vergnügter Protest“79. Der Protest ist dabei vor allem durch die Performativität 80 gekennzeichnet und drückt sich durch die kreative Inszenierung von Events aus. Inwiefern setzen die von mir interviewten Kleidertauschorganisatoren_innen die Praxis strategisch ein, um Konsum- und Gesellschaftskritik zu äußern? Auf welches Wissen greifen sie dabei zurück? Wie konstruieren sie Tauschen als Alternative bzw. Gegenkonsum? Durch das Format des Tauschens können die Beteiligten die Selbstverständlichkeit des marktförmig organiserten Konsums hinterfragen. Tauschpartys, so die These, stellen insofern Agency her und sind performativer Ausdruck von erkämpften Handlungshorizonten. Sie stellen bestehende gesellschaftliche Konsum- und Produktionsmuster infrage und beruhen gleichzeitig auf ihnen. Wie die Aktivisten_innen in den oben angeführten Medien kritisieren auch die von mir interviewten Organisatoren_innen herrschende Konsummodelle und deren öko-soziale Folgen. Im Zentrum der Kritik stehen dabei die durch globale Stoff- und Warenbewegungen beschleunigten Modezyklen, also die Zeit, in der neue Kollektionen vermarktet werden. Die kurze Nutzungsdauer von Kleidung ist unter dem Begriff und Narrativ der „Fast Fashion“ bekannt. Besonders Nichtregierungsorganisationen wie etwa die bereits genannte „Kampagne für Saubere Kleidung“ oder die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisieren dieses Phänomen auf Grund des Ressourcenverbauchs und der Umweltbelastung, die durch Produktion und Entsorgung entstehen. „Globale Marken wie Mango, Zara, H&M, GAP und Benetton bringen in kürzester Zeit die neuesten Laufstegtrends in ihre Filialen. So werden Kunden mit immer neuer Ware in die Läden gelockt – und kaufen selbst dann, wenn der Kleiderschrank schon voll ist. […] Angesichts des Preisdrucks in der Branche und der Konkurrenz durch Discounter wie KiK 78 Siehe heutefashionmorgenmuell.wordpress.com. 79 Vgl. Betz 2016. 80 Vgl. Fischer-Lichte 2011.
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& Co. lassen die Modeunternehmen vor allem in den kostengünstigeren asiatischen Ländern produzieren. Schnell kopiert und zum Spottpreis verkauft – so lautet das Erfolgsrezept der Fast-Fashion-Branche. Die Marken präsentieren laufend neue Trends: Mittlerweile sind sechs bis acht neue Kollektionen innerhalb eines Jahres die Regel.“81
Dabei kritisiert Greenpeace in einer Detox-Kampagne, die sich mit dem Chemikalieneinsatz in der Textilindustrie beschäftigt, besonders den Preisdruck auf Grund des globalen Wettbewerbs und der globalen Konkurrenz von Bekleidungsproduzenten. Die dadurch verbilligte Produktion sorge dafür, dass Firmen in immer kürzeren Abständen neue Modetrends produzieren könnten. Aus Perspektive der Modeproduzenten dienen Modezyklen zur Generierung von Gewinn und erweitern den Absatzmarkt. Laut Greenpeace hätten Deutsche heute viermal mehr Kleidungsstücke im Schrank im Vergleich zu 1980. Die Kombination aus günstigen Preisen und mangelhafter Qualität führe zu kurzen Nutzungsdauern und einer Wegwerfmentalität.82 Die in diesen Kontexten produzierten Deutungen und Narrative greifen auch die Interviewten auf. So kritisiert die Tauschorganisatorin Tina im Interview den Einsatz von Chemikalien sowie die sozialen Folgen von billiger Produktion und niedrigen Lohnkosten: „Dann ist das H&M-Teil vielleicht in Bangladesch produziert, wurde mit einem Billiglohn und Chemikalien ohne Ende und Arbeitsbedingungen, müssen wir gerade nicht drüber reden, weil aktuell wissen wir ja, was da gerade so alles gelaufen ist.“ (Interview vom 15.05.2013). Sie kritisiert die Produktionsbedingungen von Kleidung und die sozialen und ökologischen Folgen der Produktion. Mit dem Hinweis auf „Bangladesch“ verweist sie auf den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch, der breit medial diskutiert wurde. Deutlich wird, dass sie davon ausgeht, dass ich als Gesprächspartnerin weiß, auf welche Geschehnisse sie hier anspielt. Der Einsturz der von Tina erwähnten Textilfabrik in der Nähe von Dhaka in Bangladesch im April 2013 führte vor Ort, aber auch weltweit, zu sozialen Protesten für bessere Arbeitsbedingungen.83 Ein Jahr nach dem Einsturz gründete sich das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ mit Akteuren aus Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit dem Ziel,
81 Siehe Greenpeace 2012, S. 28. 82 Siehe Greenpeace 2012, S. 28. 83 Siehe Süddeutsche Zeitung 2013a; 2015 veröffentlichte auf Grund des Einsturzes Andrew Morgan die Dokumentation „The True Costs“ und ging dabei den Fragen nach, wo die Kleidung herkommt und unter welchen Bedingungen sie produziert wird (siehe Morgan 2015).
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die Umwelt- und Lebensbedingungen der Arbeiter_innen in den Produktionsländern zu verbessern.84 Ausgangspunkt für das Organisieren von Tauschveranstaltungen von Fabian war seine Arbeit beim evangelischen Forum entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, bei dem er viel „globalisierungskritischen Kram“ gemacht habe und wodurch er sensibilisiert gewesen sei, „sich so mit Missständen auseinander zu setzen, wo man auch klar gesehen hat, dass sich bestimmte Konsummuster sich auch da ausgewirkt haben.“ (Interview vom 17.09.2013). Fabian übt dabei im Interview Konsum- und Gesellschaftskritik: „Konsumtempel erzeugen so ein Unwohlsein […], die Leute sind nicht mehr gläubig und spirituell, ist ja auch ok, bin auf dem Papier in der Kirche, aber eigentlich habe ich damit auch nichts am Hut. Aber irgendwie fehlt den Leuten halt was. Das wird versucht mit Konsum zu kompensieren. Wenn ich das so sehe, denk ich auch, ich finde das teilweise abstoßend. In Berlin gibt es überall riesige Shoppingmalls. Das ist so eine merkwürdige Scheinwelt.“ (Interview vom 17.09.2013)
Konsum und Orte des Konsums „machen fertig“, „erzeugen Unwohlsein“, seien „Scheinwelt“ und „abstoßend“. Mit den Begriffen macht Fabian deutlich, dass dieses Thema auch emotionale Dimensionen hat. Er deutet Konsum als Form von Religionsersatz und kritisiert dabei die Sinnsuche, die sich im Konsum erfüllen soll. Fabian positioniert sich dabei auch sozial, indem er sich von Konsumtempel als Scheinwelt abzugrenzen versucht, dabei Konsum- und Gesellschaftskritik äußert und spezifische Werthaltungen deutlich macht. Sein Ziel ist, nicht nur eine Alternative zum marktförmigen Konsum anzubieten, sondern auch Wissen über die Modeindustrie zu vermitteln: „Wir wollen die Tauschveranstaltung nutzen, um Informationen über die Bekleidungsindustrie vermitteln zu können. Die Leute kommen da hin und sehen, ok es gibt einen Überfluss, und zusätzlich geben wir ihnen Infos, warum man vielleicht sowieso nicht so viel Kleidung kaufen soll, bzw. was es da generell für Probleme gibt.“ (Interview vom 17.09.2013)
84 Das Bündnis hat derzeit 106 Mitglieder (siehe textilbuendnis.com), u.a. Fashion Revolution, eine Initiative, die Aktionen zum Jahrestag der Katastrophe in Bangladesch am 24.04. unter dem Slogan „Who made my clothes?“ durchführt (siehe fashionrevolution.org) und die „Kampagne für Saubere Kleidung“ bzw. Clean Cloth Campaign als Netzwerk, in dem 20 Trägerorganisationen kooperieren (siehe sauberekleidung.de).
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Seine Deutung verweist darauf, dass entsprechendes Wissen über die Kleidungsindustrie auch zu anderem Konsumverhalten führen solle. Tauschen habe zwei Funktionen: „auf der einen Seite Tauschen als alternative Konsumform und aber auch als Vehikel um konsumkritische Infos zu verbreiten.“ (Interview vom 17.09.2013). Auf den Veranstaltungen, die Fabian mitorganisiert hat, habe es selbstgestaltete „kleine Bildungsmaterialien, Flyer“ und ein „großes Plakat mit der Weltreise einer Jeans“ gegeben, wie er im Interview erzählt (Interview vom 17.09.2013). Tauschen versteht er als Alternative, als Möglichkeit, auf Überfluss hinzuweisen, ihn konkret sicht- und erlebbar zu machen, und Wissen über die Modeindustrie zu vermitteln. Die Tauschevents haben in Fabians Deutung dabei die Funktion der Wissensvermittlung, des Konsumortes und der Wertevermittlung. Tina und Jule beschreiben im Interview, dass nicht so sehr knappe Ressourcen das Oberthema für ihren Kleidertausch seien, sondern der Konsum. Die von ihnen artikulierte Konsumkritik greift dabei auf umweltkritische Argumente zurück.85 Tina habe in der Schule schon mitbekommen, dass da „Tierarten aussterben“ und „halt irgendwie Überbevölkerung da ist“: „Und dann geht’s gar nicht anders, dass du dir denkst, so, ja und jetzt? Was machen wir denn, wenn zu viele Menschen auf der Welt sind und alles im Ungleichgewicht ist?“ Das Wissen über globale „Ungleichgewichte“ führte für sie zur Auseinandersetzung mit Konsum und Konsumpraxen. „Aber es ging auch schon, also bei uns ist gar nicht unbedingt die Ressourcen so viel im Vordergrund, sondern eher der Konsum. Da gehtʼs dann auch viel darum sich zu überlegen: Naja, muss ich immer was neu kaufen? Ob du nun was neu produzieren lässt oder ob du was weiter im Kreislauf lässt und immer weiter führst.“ (Interview vom 15.05.2013)
Kreislaufwirtschaft in Form von Secondhand und in Form von Teilen und Tauschen wird als eine Strategie gedeutet, umweltschonend zu konsumieren. Tina kritisiert dabei nicht grundsätzlich das Bedürfnis nach immer neuen Sachen, sondern das Kaufen von neuen Produkten als Strategie, dieses Bedürfnis zu stillen. Ziel sei, mit dem Konsum von Secondhand-Kleidung die Produktion von Gütern zu reduzieren, sodass diese Form des Konsums auch wirtschaftliche Signale sende: „Aber du hast aus diesem Kleiderstück noch mal was gemacht, dass nicht so viel nachproduziert werden muss, theoretisch. Wer weiß, also im Moment ist es wahrscheinlich noch so. Aber vielleicht kommt es ja irgendwann mal so weit, dass es ein bisschen weniger 85 Vgl. König 2000, S. 440.
126 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT wird. Und aus dieser Misere, wie es produziert wird, ist noch was Schönes entstanden. Also Nachhaltigkeit wäre eigentlich ja was ganz anderes. Dass es schon mal gar nicht so produziert worden ist. Aber wir versuchen halt, das irgendwie im Kreislauf zu halten.“ (Interview vom 15.05.2013)
Tauschen ermögliche, aus der „Misere“ etwas „Schönes“ zu machen. Diese Umdeutung und Transformation zum Schönen gelingt, weil Kleidertauschpartys als kreative, unterhaltsame Konsumstrategie wahrgenommen werden und Tina damit auch Gemeinschaft verbindet. Mit der Verwendung von „wir“ verweist Tina erstens auf die Organisatorinnengruppe, die durch die Veranstaltungen von Tauschevents dazu beiträgt, Kleidung im Kreislauf zu halten und zweitens auf eine fluide Gemeinschaft, die auf den Events zusammen kommt und Kleidung tauscht. In dem Ausschnitt wird des Weiteren die Utopie von Tina deutlich, in der das gemeinschaftliche Tauschen zur Reduktion der Kleidungsproduktion führe. Der individuelle Konsum soll in dieser Lesart langfristig wirtschaftliche Auswirkungen haben und die Produktion reduzieren. Auf die ökologischen und sozialen Folgen der Kleidungsproduktion ferner den Konflikt zwischen Umweltbewusstsein und Umwelthandeln verweist auch Laura im Interview. Im Mittelpunkt steht dabei ebenso die kritische Auseinandersetzung mit Konsum im Allgemeinen. Ausgangspunkt für das Handeln von Laura ist die Kritik an herrschenden Konsummodellen und deren Auswirkungen. Dabei beschreibt Laura, wie sich ihre Einstellung zu Konsum verändert habe: „Ich gehe auch ganz ungern zu H&M rein, das macht mich echt fertig. Dieses ‚immer noch mehr und noch schneller und noch billigerʻ. Das führt doch nirgends hin. Ja und vor allem bei so Umweltkatastrophen, also von allen Seiten hört man das, Ressourcenknappheit und Umweltschutz und dann wollen wir alle gut sein und dann kaufen wir soʼn Quatsch. Das kann ja irgendwie nicht passen.“ (Interview vom 18.03.2013.)
Für Laura sei das „Umdenken“, die kritische Auseinandersetzung mit Konsum aus einer „Übersättigung“ heraus entstanden, aus dem „immer noch mehr“. Sie verweist im Zitat auf die Differenz zwischen Umweltbewusstsein und Umwelthandeln, wie sie auch die soziologische Lebensstilforschung thematisiert.86 Das Wissen über Ressourcenknappheit und den Umweltauswirkungen stehe im Wi86 Vgl. dazu Haan und Kuckartz 1996, Kuckartz und Rheingans-Heintze 2006 sowie Brand 1999; Der Politikwissenschaftler Oliver Geden hebt hervor, dass der Einzelne nicht als umweltbewusster Konsument, sondern als Bürger sein Handeln auf ein politisches Feld beziehen, seine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und dadurch zu einer „Low Carbon Economy“ beitragen solle (vgl. Geden 2008/2009).
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derspruch zu dem Überfluss und dem alltäglichen Konsumverhalten, das Laura hier beispielhaft mit „H&M“ verdeutlicht. Mit dem Verweis auf das „mehr“, „schneller“, „billiger“ kritisiert Laura eine Wachstumslogik, die Ressourcenknappheit und Umweltschutz entgegen stehe. Das ewige Wirtschaftswachstum sei begrenzt: „Das prognostizieren ja viele, dass wir eben nicht mehr wachsen, sondern schrumpfen, also die Wirtschaft.“ Dies habe zur Folge, dass sich auch die Arbeitsverhältnisse verändern würden und „wir uns eben wirklich mit weniger zufrieden geben müssen.“ Die Frage sei, ob das schlecht sei, so Laura. Es sei nicht schlecht, etwas von dem Wohlstand an Entwicklungsländer abzugeben und wenn sich das Leben mehr zum Teilen und Tauschen entwickle: „Das denke ich mir auch immer zu dem, also zu der ganzen Arbeitssituation. Also was sollen wir denn immer noch mehr und noch mehr arbeiten, wenn wir doch schon alles haben und eh von dem, was wir produzieren, die Hälfte wegschmeißen. Das ist doch Quatsch. Wenn wir quasi weniger produzieren und dafür nicht so viel wegschmeißen, muss es ja auch irgendwie heißen, dass wir mehr Lebenszeit hätten und damit mehr Zeit für Familie und für Tauschpartys und Strickkurse und so stelle ich mir das tatsächlich auch vor. Dass das wirklich gar nicht so weit hergeholt sein wird, irgendwann eine VierTage-Woche zu haben.“ (Interview vom 18.03.2013)
Die endlichen Ressourcen würden Laura zufolge zum veränderten Konsum führen, der damit auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt habe. Weniger Konsumieren führe zu weniger Produktion und damit zu weniger Arbeit: „Ja klar, müssen wir dann alle mit ein bisschen weniger auskommen. Aber, ja, ich mein, wie viel Schokolade sollen wir denn essen?“ (Interview vom 18.03.2013). Die freigewordene Zeit könne dann durch Zeit mit der Familie und durch alternative Konsummodelle gestaltet werden, so ihr Zukunftsentwurf. Sie verdeutlicht dabei spezifische Werthaltungen, äußert Gesellschaftskritik und handelt die Frage nach dem Zuviel und dem Genug aus. Dieses Muster der Gesellschaftskritik äußern auch Tina und Jule im Interview. Jule stellt dabei heraus, dass sie den Wohlstand, den ihre Eltern erreicht hätten, nicht erreichen könne: „Wenn ich die Generation meiner Eltern betrachte, dann hatten die ganz gut Geld. Oder waren in soʼnem recht Mittelschichtsbürgertum äh- Wohlstand und es gab diese berühmten Sicherheiten von irgendwie 40-Stunden-Wochen-Jobs und genug Geld, um noch mal nebenbei ʼn Haus zu kaufen (auflachend) oder Kinder großzuziehen. Das alles, was mir (betont) jetzt nicht so leicht fällt, das zu tun, auf Grund von Geldknappheit im Vergleich zu der Generation meiner Eltern. Aber in meiner Welt hatte ich noch nie viel Geld. […]
128 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT Ich hatte immer schon Existenzminimum, also an dem Limit bin ich schon immer unterwegs gewesen.“ (Interview vom 15.05.2013)
Ihre finanzielle Situation sei ein „leichter Unterschied“, den sie im Gegensatz zu der Generation ihrer Eltern wahrnehme. Sie habe deshalb schon immer nach Alternativen gesucht, habe auf Flohmärkten und Secondhand eingekauft. Private Kleidertauschpartys waren dann die Erweiterung dieser Alternative: „Wir haben einfach ʼne neue Art von sowieso schon Alternativen zum Wirtschaftssystem entdeckt damals. […], haben einfach noch mal soʼne andere Art von Tauschkreativität entwickelt.“ (Interview vom 15.05.2013). Deutlich wird bei den Interviewpartnern, die Ende Zwanzig bis Anfang Dreißig sind, dass sie insgesamt über ein begrenztes Budget verfügen. Sie entsprechend der „Generation Y“87, die besonders in den Medien mit spezifischen Werthaltungen beschrieben wird: Weniger materialistisch orientiert, strebe diese Generation nach einer ausgewogene Work-Life-Balance, mit weniger Arbeit und mehr Gemeinschaft, so wie das auch Laura im Interview beschreibt. Das Tauschen und Teilen, so eine Interpretation, ist besonders für eine spezifische soziale Gruppe relevant, die diese Praktiken nicht nur mit ökologischen und sozialen Argumenten, sondern auch mit ökonomischen legitimieren. Durch das Kleidertauschen spare Jule Geld, das sie entsprechend ihres Habitus ausgibt: „Ich habʼ so viel, oder was heißt so viel, das ist bisschen übertrieben. Ich habʼ viel mehr Geld übrig für wirklich mal Klamotten, die ich kaufen will (betont) und die dann irgendwie bio, ökologisch, was weiß ich, mundgeklöppelt irgendwie so (lacht), die ich mir vorher nicht leisten konnten, weil ich dachte, verdammt, 20 Euro für eine Leggings kann ich nicht berappen. Und dann gehʼ ich doch zu H&M und kaufʼ mir den Elasthankram, der in Bangladesch da irgendwie produziert wurde. Das gibt es nicht mehr, sondern ich tausche und habʼ dann auch mal die 20 Euro für ʼne bio, mundgeklöppelte Öko-Strumpfhose. Das merke ich, dass sich bei mir, dass sich das so integriert, dadurch dass ich eine bin, eine von den dreien bin, die diese Kleidertauschpartys organisiert, die also drei Mal im Jahr mindestens dabei ist, Kleider zu tauschen. Ich hatte noch nie (betont) so einen bunten, reichhaltigen, ständig wechselnden Kleiderschrank. Also, das ist ein riesen (betont) Reichtum. Und ich habʼ die 20 Euro für eine Bio-Hose übrig und das ist ʼn zweiter Reichtum sozusagen. Das hatte ich vorher nicht. Da musste ich dann, oder was heißt müssen, ist ja wieder die Frage, brauchʼ man wirklich, aber da habe ich dann bei H&M früher noch gekauft oder bei diesen Billigläden, weil es einfach meinem Portemonnaie entsprochen hat.“ (Interview vom 15.05.2013)
87 Vgl. Huber und Rauch 2013.
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Die Tauschveranstaltungen ermöglichen also einmal, dass ein Überfluss im Kleiderschrank entsteht, dass ein „bunter, reichhaltiger, ständig wechselnder Kleiderschrank“ einen kreativen Umgang mit Mode ermöglicht. Zweitens ermöglicht die Tauschpraxis, wie auch noch beim Mülltauchen zu zeigen sein wird, die Allokation von Budget. Indem Jule auf der einen Seite Ausgaben einspart, könne sie sich die „bio, mundgeklöppelte Öko-Strumpfhose“ leisten. Die Thematisierung der symbolisch und normativ aufgeladenen Konsumgüter verweist auf die Selbstpositionierung und gibt Hinweise auf den Lebensstil von Jule, den sie durch Werthaltungen, Praxen und Materialisierungen performativ ausdrückt: Nicht in „Billigläden“ einkaufen, die in Bangladesch unter sozial- und umweltkritischen Bedingungen produzieren, sondern biologisch produzierte Güter konsumieren. Sie verweist des Weiteren darauf, dass Tauschen eine Möglichkeit sei, einen Überfluss an Kleidung zu haben, ohne Geld zu verwenden. Das begrenzte Budget überwindet sie durch das Tauschen. So ermöglicht das Tauschen und Teilen Handlungsmacht in zwei Hinsichten: Erstens den Widerspruch zwischen Konsumbedürfnissen und den begrenzten natürlichen Ressourcen und zweitens den Widerspruch zwischen Konsumbedürfnissen und den ökonomischen Ressourcen zu überwinden. Ausgangspunkt war die These, dass Tauschpartys als Ausdruck von erweiterten Handlungshorizonten gedeutet werden können und Agency herstellen. Deutlich wurde, dass sich die Akteure hegemonialen Vorstellungen von Konsum widersetzen. Sie beurteilen das Kaufen von spezifischer Kleidung in Shoppingmalls und Geschäften negativ, weil sie damit Produktionsbedingungen fördern, deren soziale und ökologische Folgen sie nicht mittragen wollen. Das Teilen und Tauschen von gebrauchter Kleidung ermöglicht hingegen, bereits produzierte Kleidung im Nutzungskreislauf zu halten. Den Konsum von und das Bedürfnis nach immer neuer Kleidung lehnen die von mir interviewten Akteure nicht grundsätzlich ab. Vielmehr entwickeln sie eine Konsumform, die ihren sozialen und ökologischen Werthaltungen entspricht. So können Kleidertauschevents als performativer Ausdruck von Konsumkritik gedeutet werden, da bereits im Akt des Tauschens und Teilens der Widerstand gegen markförmiges Kaufen zur Aufführung gebracht wird. Tauschen ist für die Organisatoren_innen eine alternative Konsumstrategie, durch die Kleider länger im Kreislauf gehalten, durch die der Überfluss von Kleidung verteilt wird, die weitestgehend ohne Geld funktioniert und damit zur Allokation von Geld beiträgt. Tauschen kann als performative Praxis eines Lebensstils interpretiert werden, weil sich in der Praxis Werthaltungen gegen etablierte Konsummuster und Wachstumslogiken materialisieren. Als Symbol und Narrativ stehen Tauschpartys für einen nachhaltigen und ressourcenschonenden Umgang mit Dingen.
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Die Organisatoren_innen nehmen diese Alternative, das Tauschen als Kontra, als „kulturell wirksame[n] Einspruch“88 wahr, wenn Teilen von Kleidung als Protestform öffentlichkeitswirksam inszeniert wird oder Tauschpartys als Bildungsort gedeutet werden, die bei den Besuchern_innen das Umweltbewusstsein steigern sollen. Durch das Tauschen können die Akteure den Widerspruch zwischen Umweltbewusstsein und Umwelthandeln bzw. Konsumverhalten bewältigen und sich als handlungsmächtig wahrnehmen. Sie nutzen die Events, um Wissen über die Auswirkungen von Konsumverhalten zu vermitteln und um dadurch zu einem bewussten Konsum beizutragen. Die Organisatoren_innen überwinden den Widerspruch zwischen Konsumbedürfnissen und erstens den begrenzten natürlichen und zweitens den eigenen ökonomischen Ressourcen durch Agency89. Die Handlungsmacht bzw. die erschlossenen Handlungsräume materialisieren sich dabei auch in den konkreten Orten der Tauschevents. Inwiefern das Tauschen eventisiert ist, steht im Folgenden im Mittelpunkt.
5.3 T AUSCHPARTYS
ALS
E VENTS
„Ich wollte einfach, dass das soʼn Event wird, dass das halt ʼn schöner Tag ist mit der besten Freundin […]. Einmal haben wir soʼn 20er Jahre Styling-Workshop gemacht. Da haben wir fünf Visagistinnen eingeladen, die halt die Mädels im 20er Jahre Look geschminkt haben und frisiert haben und dann hat ein Laden, mit dem wir auch zusammen arbeiten, der hat uns 30 Kostüme gegeben, die verleihen halt auch so 20er, 30er Jahre Kostüme mit allem, Federboa, Kopfschmuck und Zeug und dann konnten die Mädels in dem Style halt ʼn Bild machen. So bisschen so wie bei Top Models. Das war ʼn riesen Spass und irgendwie hatʼs allen gut gefallen.“ (Interview vom 18.03.2013)
Wie die Organisatorin Laura hier beschreibt, sind Kleidertauschpartys für sie ein Event, das spezifische Erlebnisse ermöglicht: Einen schönen Tag mit der besten Freundin verbringen, geschminkt werden, sich verkleiden, bei einem Fotoshooting mitmachen und am Ende auch neue Kleidung ertauschen. Kleidertauschpartys, so wird hier deutlich, sind mehr als Konsumorte, bei denen sich Besucher_innen mit Kleidung versorgen. Auch Shopping ist in Konsumgesellschaften nicht nur ein Weg zur Versorgung mit vestimentären Objekten, sondern eine
88 Heimerdinger 2013, S. 11. 89 Vgl. Ortner 2006.
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Freizeitgestaltung, die in Malls und Einkaufszentren eventisiert ist und vielfältige Bedeutungen hat.90 „Shoppen als wesentliche Freizeitbeschäftigung vieler Menschen, als wichtigste, oft einzige Form ästhetischen Handelns und der Geschmacksbildung, Konsum als Event und persönlicher Erfüllung im Markenfetischismus: Das alles sind neue Zeremonien, Regeln, Rituale, die die alten ersetzen. Sie bringen kulturelle wie individuelle Identitäten hervor, modellieren sie und organisieren das Leben der Individuen in Lifestyles.“91
Im Unterschied zu Shoppingzentren und Malls gestalten die Organisatoren_innen einen unkommerziellen Raum, der Konsum weitestgehend ohne Geld ermöglicht. Was kennzeichnet die Partys als Events? Inwiefern sind sie als Event gestaltet? Inwiefern schreiben die Organisatoren_innen dem Raum dadurch Bedeutung ein? Welche Bedeutung hat die Gestaltung als Event für die Bedeutung des Tausches? Die sich aus den Fragen ergebenden und hier verfolgten Thesen sind, dass Kleidertauschpartys Strategien sind, um Konsum zu eventisieren und Tauschen als Praxis mit Bedeutung aufzuladen. Events sind „erlebnisgenerierend“ und bieten ein „totales Erlebnis“: Unterschiedliche Erlebnisinhalte und Erlebnisformen seien bei einem Event nach ästhetischen Kriterien zu einem Ganzen konstruiert, so stellen die Soziologen Winfried Gebhardt et al. dar.92 Events erlaubten angesichts der ausdifferenzierten Welt situative, also zeitlich sowie räumlich begrenzte Erfahrungen von Einheit und Ganzheit und umfassten dabei alle Sinne, sodass Wirklichkeit sinnlich erfahrbar und körperlich spürbar werde. Winfried Gebhardt unterscheidet sechs Merkmale von Events: Erstens seien Events ein planmäßig erzeugtes Ereignis; zweitens würden sie als einzigartige Erlebnisse erlebt; drittens bedienten sie sich der Formsprache eines kulturellen und ästhetischen Synkretismus; viertens stünden sie im Schnittpunkt aller möglichen Existenzbereiche; fünftes vermittelten sie ein Gefühl von exklusiver Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit und sechsten seien sie monothematisch fokussiert.93 Während der Begriff „Event“ ein konkretes Ereignis meint, fokussiert der Begriff „Eventisierung“ den performativen Prozess. Gemeint sind damit Praxen der Aufführung und der Inszenierung, die sich der Kulturanthropologin Erika Fischer-Lichte folgend unterscheiden. In90 Vgl. aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive Rappaport 2000; siehe eine soziologische Einführung in Positionen zum Einkaufen und Freizeitverhalten Haubl 1996; vgl. zum Einkaufen als Beziehungsarbeit Miller 1998. 91 Lehnert 2012, S. 10. 92 Vgl. Gebhardt et al. 2000a. 93 Vgl. Gebhardt 2000.
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szenierung, so Fischer-Lichte, umfasse die Theatralität, die durch den Zeitpunkt, die Dauer, Art und Weise festgelegt ist. Aufführung meine alles, was in diesem Verlauf in Erscheinung tritt und verweise auf die Performativität. Die Aufführung vollziehe sich im Wechselspiel von Körpern und Handlungen im Raum. Performative Prozesse seien durch Emergenz gekennzeichnet, also durch unverhersehbare Wendungen. Nicht alles was performativ ist, sei eine Aufführung, aber alle Aufführungen seien performativ, so Fischer-Lichte. 94 Der hier verwendete Begriff der Eventisierung lehnt sich an den Begriff der Aufführung an, d.h. die Tauschevents werden zur Aufführung gebracht. Gemeint ist damit, dass verschiedene Akteure – die Organisatoren_innen, Helfenden sowie die Besucher_innen und Tauschenden – zu einer bestimmten Zeit im Raum agieren. Sie bewegen sich in diesem zeitlichen und räumlichen Rahmen und handeln mit den sie umgebenden Requisiten bzw. Dingen, etwa die Kleidung, die sortiert und anprobiert wird. Wodurch diese Aufführungen konkret gekennzeichnet sind, soll folgender Abschnitt beleuchten. Kennzeichen für die Eventisierung sind der Veranstaltungszeitraum, die Gestaltung und der Ort. Die von mir interviewten Organisatoren_innen veranstalteten ihre Kleidertauschpartys am Wochenende, wobei sich die Tageszeit von nachmittags bis abends unterschied. Wochenenden sind für die meisten Berufsfelder arbeitsfreie Tage, die durch Freizeit gekennzeichnet sind. Tauschpartys als öffentliche Veranstaltungen sind durch Elemente wie Musik und Gastronomie gerahmt. Um Getränke und Essen kümmerten sich bei Jule und Tina Freunde, die beispielsweise Kuchen backten und diesen auf den Tauschpartys auf Spendenbasis verkauften. Die Käufer_innen konnten selbst bestimmen, wieviel sie bezahlen wollen. Die Einnahmen gingen nicht an die Bäcker_innen, sondern an die Veranstalterinnen (Feldnotiz vom 24.08.2013). Fabian habe Freunde gebeten, Kuchen zu backen, den sie dann auf den Veranstaltungen verkauften (Interview vom 17.09.2013). Je nach Kontext gibt es auf den Tauschpartys Informationen zur Bekleidungsindustrie, anderen Initiativen oder Kampagnen. Auf den Veranstaltungen, die Fabian mit organisiert hat, gab es selbstgestaltete „kleine Bildungsmaterialien, Flyer“ und ein „großes Plakat mit der Weltreise einer Jeans“, wie er im Interview erzählt (Interview vom 17.09.2013). Weiteres Kennzeichen der Eventisierung ist ein zusätzliches Rahmenprogramm, beispielsweise Näh- oder Upcyclingworkshops. Laura arbeitete bei den vor ihr durchgeführten Veranstaltungen mit anderen Partnern zusammen, durch die sie etwa Schminkstationen oder die Möglichkeit für ein professionelles Fotoshooting für die Besucher_innen anbieten konnte. Fabian erzählte im Interview, dass er und sein Mitbewohner selbst auf den Partys Musik aufgelegt hätten. Bei 94 Vgl. Fischer-Lichte 2011.
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seinen Veranstaltungen gab es u.a auch Siebdruckstationen. „Bei den letzten beiden Partys haben wir uns Leute organisiert, die gut nähen konnten, haben da zwei Maschinen auf Tische noch hingestellt.“ (Interview vom 17.09.2013). Auf zwei Veranstaltungen hätten Freunde von ihm abends auf den Tauschevents ein Konzert gegeben. Ihr Tauschevent sei eine „Mischform“ gewesen: „Die Veranstaltungen waren auch so aufgebaut, dass, klar, ging es ums Tauschen, klar, ging es darum, die Infos an den Mann zu bringen, wir hatten auch soʼn Videokiosk, mit irgendwelchen Beiträgen. Aber es war auch so, wie soʼne Art Party, nette Atmosphäre, wo halt auch Leute hingekommen sind, auch sich einfach so getroffen haben und einfach mal geguckt haben, ob was da ist.“ (Interview vom 17.09.2013)
Das Konzept der Tauschparty kann insofern als hybride Form zwischen Protest, Konsum und Party gedeutet werden.95 Dieser Lesart folgend beschreiben auch Tina und Jule, dass es den Besuchern_innen nicht nur um das Tauschen ginge, sondern ebenso das Zusammenkommen ein Motiv sei. Tina beschreibt: „Aber ich würde sagen, unser Leute, die da kommen, sind schon mutig, sind offen, sind auch, würde ich sagen, gar nicht nur fokussiert auf die Kleidung, also das Thema, das natürlich das Event oder die Veranstaltung bestimmt, aber dadurch, dass wir auch so Kaffee, Kuchen, Sitzecken, immer noch ʼn Special zum Basteln haben, geben wir auch noch so andere Flächen und ich glaube, dass das die Leute auch noch anzieht. Also sie sind auch da, um Kontakt [Jule: Unterhaltung], genau Unterhaltung, merken irgendwie, dass sie mitmachen können und dass sie Teil dessen sind. Also sie können es mitbestimmen.“ (Interview vom 15.05.2013)
Jule und Tina deuten Kleidertauschevents hier als soziale Orte, die „Kontakt“ und „Unterhaltung“ bieten. Das Spaßhaben, in Gemeinschaft sein und das Kleidertauschen machen die Attraktivität des Events aus. Dabei betonen die Organisatorinnen hier auch die Dimension der Partizipation, das „Mitmachen“, „Teil sein“ und „mitbestimmen“. Das Event sei kein Konsumort, der passiv erlebt wird, sondern ein Erlebnis, das die Besucher_innen aktiv gestalten, so ihre Deutung. Der Eventcharakter von Tauschpartys, so wird deutlich, materialisiert sich in verschiedenen Elementen, wodurch eine Atmosphäre geschaffen wird, in der die Teilnehmer_innen Spaß haben sollen. Die von mir interviewten Organisatoren_innen kümmern sich um ein gastronomisches Angebot, Musik und Informationsmaterial. Diese Praktiken können als Strategien gedeutet werden, die das Tauschen eventisieren und zu etwas Besonderem machen. Kennzeichnend für 95 Vgl. Betz 2016.
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das Event ist neben dem Teilen und Tauschen von Kleidung die soziale Funktion des Zusammenkommens und des kollektiven Erlebnisses. Der Raum der Veranstaltung hat dabei wesentlich Einfluss auf die Atmosphäre und Gestaltung. Die Veranstaltungsräume variieren von Stadtteilzentren, über öffentliche Parks, Bars, Nähcafés bis zu Sporthallen. Die Organisatoren_innen stehen vor praktischen Entscheidungen, wenn sie einen Raum für Tauschevents auswählen. Da Raum für solche kollaborativen Praxen im städtischen Umfeld begrenzt ist, müssen die Akteure spezifische Strategien entwickeln, um sich Räume zu erschließen. Ausgangspunkt der Suche sind praktische Überlegungen, die einem Veranstaltungsmanagement ähneln. So beschreibt Laura ihre Raumsuche wie folgt: „Die Locations, das ist immer so eine Sache. Ich muss natürlich immer gucken, dass es im Budget ist, dass es gut erreichbar ist, dass halt die nötige Infrastruktur vor Ort ist. Dass man Catering anbieten kann oder wir machen ja auch meistens irgendwelche Workshops, da muss auch Platz dafür sein.“ (Interview vom 18.03.2013)
Der Raum müsse mehrere Kriterien erfüllen: Dem begrenzten ökonomischen Budget entsprechen und gleichzeitig die richtige Infrastruktur bieten, bezogen auf Größe, Küchenbereich und Toiletten. Britta, Tina und Jule, angefangen in kleiner Runde im Freundes- und Bekanntenkreis, haben ihre Kleidertauschpartys zunehmend vergrößert und professionalisiert. Sie wollten die Auswahl der Kleidung erweitern, indem mehr Besucher_innen an ihren Tauschveranstaltungen teilnehmen. Notwendig dafür seien entsprechend große Räume: „Am Anfang brauchten wir ja noch nicht so viele Quadratmeter und es ist auch immer noch schwer einzuschätzen, wie viele Leute kommen. Dann waren mal 160 da und das nächste Mal sind schon 98 mehr. Deswegen gehtʼs jetzt eigentlich mehr danach, wir brauchen Platz und dann haben wir soʼne Liste: Wir brauchen ʼne Musikanlage, wir brauchen auf jeden Fall, naja auf jeden Fall ist vielleicht übertrieben, aber es wär schön noch ʼne Küche zu haben, damit wir auch ʼn bisschen Gastronomie und Kaffee kochen können und so weiter. Und dann haben wir halt ein Budget und unser Budget ist 50 bis 100 Euro Raummiete.“ (Interview vom 15.05.2013)
Zugang zu den unterschiedlichen Räumen bekamen sie über ihr soziales, privates und berufliches Netzwerk. Sie suchten dabei nach Locations, die ihre Idee des Kleidertausches nicht nur ideell unterstützten, sondern das auch durch geringe Raummieten zum Ausdruck brachten. Der Zugang zu Raum wird hier also durch
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soziale Kontakte, kollektive Werthaltungen und finanzielle Budgetbegrenzungen bestimmt. „Also, wir haben mal festgelegt, mindestens 70 Quadratmeter muss das Ganze haben. Es braucht neben der Küche auch Toiletten, die in der Nähe sind, weil wir vier Stunden lang unsere Partys feiern. […] Also Toilleten sind auf jeden Fall wichtig. Dann haben wir auch mal gesagt, schön wäre natürlich, wenn ʼne Spiegelwand oder Spiegelflächen oder einzelne Spiegel vor Ort sind. Weil wir auch das alles transportieren müssten. Fenster fanden wir mal ganz schön. Irgendwie soʼne Ecke wie ʼne Umkleidekabine, die wir dann dazu umbauen können, wäre toll, für die, die einfach sich nicht so freizügig ihre Klamotten vom Leib reißen und schnell mal überziehen.“ (Interview vom 15.05.2013)
Deutlich wird, dass Tina und Jule Kriterien entwickeln, die einen geeigneten von einem weniger geeigneten Raum unterscheiden. Ihr Ziel sei, in jedem Stadtteil eine Tauschparty zu veranstalten, um das Tauschen allen „möglichen Schichten, Ghettos, reichen Ghettos, armen Ghettos“ niedrigschwellig anzubieten. Dabei kämen sie nach zwei Jahren und fünf bis sechs Tauschpartys an ihre Grenzen, weil die Frage nach der Miete die Auswahl begrenze. Außerdem sei es auch eine Frage der Transportwege, weil keine der Organisatorinnen ein Auto habe und etwa auch die Parkplatzsituation die Raumwahl bestimme. Es sei „anstrengend“ und sie seien „ganz schön am Malochen“. Deshalb würden sie überlegen, sich an einem Ort „niederzulassen“: „Wir sind eingespielt. Die Umsetzung, die tatsächliche Umsetzung, wennʼs dann losgeht und vorher Aufbau, überhaupt kein Problem mehr. Da hat jeder seinen Part. Da wird aufgebaut, dann übernimmt der das und alles klar. Aber dadurch, dass du immer ʼn anderen Raum hast, jeder Raum hat ʼne unterschiedliche Gegebenheiten. Dann kannst du mal was aufhängen, dann kannst du da was nicht aufhängen. Das Lokal zum Beispiel hat da wirklich den Vorteil, die wissen, da können wir ʼn Nagel in die Wand hängen, beim nächsten Mal müsste da vielleicht noch einer hin. Und dann hängt der da auch. Aber das wissen wir eben nicht. Das sind diese Vorteile, wenn du nicht immer nur Kleiderstangen benutzen willst, sondern vielleicht auch mal was aufhängen willst, das auch entsprechend so logistisch halt wirklich aufbauen willst, dass sich die Person, die da hinkommt, sich auch übersichtlich wohl fühlt und einfach ganz genau weiß, was ist das und was ist das. Die Leute, die dann immer wieder kommen, die wissen dann sowieso schon, wie der Hase läuft. Also das bedeutet schon ʼne Erleicherung.“ (Interview vom 15.05.2013)
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Tina macht hier deutlich, dass es einfacher sei, wenn die Partys immer am selben Ort stattfänden. Sie verweist auf das Veranstaltunghaus Lokal96, in dem auch Kleiderkreisel eine Tauschparty durchführte. In der Organisatorinnengruppe seien sie eingespielt und hätten eine Aufgabenverteilung entwickelt. Diese Routine bringe „Erleichterung“. Durch die Eventisierung, bei ihnen durch den ständigen Raumwechsel gekennzeichnet, müssen sie immer wieder neue Strategien sowohl in der Vorbereitung und Nachbereitung, als auch für die konkrete Durchführung und räumliche Gestaltung entwickeln. Ziel sei, dass sich die Besucher_innen „wohlfühlen“. Dass Räume, Musik und Geselligkeit Emotionen auslösen, darauf hat die Kulturanthropologin Monique Scheer hingewiesen. Praktiken, die Emotion mobilisieren97, materialisieren sich in der Gestaltung des Events: in Form von Musikanlagen, von Essen und Trinken, Umkleidekabinen, Spiegel, Toiletten, angemessen großen Räumen und Parkplätzen. Diese Elemente sollen dafür sorgen, dass die Besucher_innen Spass haben und sich amüsieren. Diese Materialisierungen wirken auf die Handlungen von menschlichen Akteuren. Erst die Übersetzung zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren lässt den Raum zu einem Tauschraum werden. Die Organisatoren_innen gestalten bzw. strukturieren den Raum durch Kleiderständer, Spiegel, Tische usw., sodass er zu einem Tauschraum werden kann. Der Raum, so wird deutlich, bestimmt die konkrete Gestaltung, wo Spiegel angebracht, wo Kleidung aufgehängt oder wo Umkleiden installiert werden können. Die Umnutzung von Raum und das Einschreiben von neuer Bedeutung ist dabei weiteres Kennzeichen der Eventisierung. Eine der von Tina, Jule und Britta organisierten Tauschpartys fand in einem Kulturzentrum statt. Dieser Raum wird üblicherweise für Babyturnen genutzt und „da durfte man nicht mit Straßenschuhen rein. Ich glaube, die Party haben wir im November gemacht, als es so schön matschig draußen war und weißt du, dicke Straßenschuhe und dann haben wir wirklich organisiert, dass diese Besucherinnen, 150, 200, keine Ahnung, dass die echt original auf Socken und in Hausschuhen ʼrumgerannt sind. Dann haben die alle ihre Schuhe bei uns bei der Garderobe abgegeben. Das war auch ʼn riesen Spektakel. Das war super. Wir sind auch jedes Mal mit neuen, verrückten Ideen am Start.“ (Interview vom 15.05.2013)
Die Veranstalterinnen mussten hier die Gestaltung der Tauschpartys an die räumlichen Gegebenheiten anpassen: Statt den normalen Straßenschuhen trugen 96 Siehe lokal-hamburg.de. 97 Vgl. Scheer 2016.
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die Besucher_innen Hausschuhe oder nur ihre Socken. Aus der Perspektive der Besucher_innen erscheint das Ausziehen der Straßenschuhe als ein Bruch und stellt eine Schwelle dar zwischen dem Tauschraum und dem alltäglichen städtischen Raum. Das Ausziehen der Schuhe verändert die Wahrnehmung, etwa weil die Besucher_innen sich auf Socken anders bewegen als mit Schuhen. So kann das kollektive Ausziehen der Straßenschuhe auch die „zeitlich und räumlich begrenzte Erfahrung von Einheit“ 98 ferner ein sinnlich und körperlich spürbares Gemeinschaftsgefühl herstellen. Die von den drei Organisatorinnen angewendete Strategie ist durch Kreativität gekennzeichnet. Die Begrenzung des Raumes, diesen nur ohne Schuhe betreten zu können, nutzen sie für die Inszenierung als besonderes „Spektakel“. Die Strategien, den für kollaborative, selbstorganisierte Praxisformen begrenzten städtischen Raum umzudeuten und umzunutzen, lassen sich als Ausdruck von Agency deuten. Die Akteure überwinden hier kreativ Begrenzungen durch Handlungsmacht. 99 Der Raum, als Netzwerk von Akteuren bzw. Materialisierungen, von Böden, Wänden, Fenstern, Tischen, Stühlen usw., wirkt auf die Performativität und auf die Aufführung, bestimmt Bewegungen und wirkt auf die Entstehung einer bestimmten Atmosphäre. Die von Tina, Jule und Britta gestalteten Flyer und das jeweilige Motto, unter dem die Kleidertauschpartys stehen, beziehen sich ebenfalls auf den Raum. Der Flyer, der auf die Party im Haus des Sports hinweist, ist mit „Kleid & Spiele“ betitelt. Auf dem Bild sieht man die Organisatorinnen in bunter Sportkleidung und mit Badmintonschlägern. Von oben fotografiert, sieht man die Frauen auf dem Boden einer Sporthalle liegend. Die Gestaltung verweist durch Symbole auf den Raum und auch narrativ wird in der Gestaltung der Ort aufgegriffen. So fand eine Veranstaltung in einem alten Bunker statt, der entsprechende Flyer titelt „Bunkerʼ dir Kleidung für den Winter“. Der Umgang mit dem Raum zeigt sich dabei sowohl praktisch, direkt vor Ort, als auch in Repräsentationen kreativ und spielerisch. Die Raumwahl ist neben den oben genannten organisatorischen Kriterien auch von den Jahreszeiten abhängig. Im Sommer würden Britta, Jule und Tina Tauschpartys auch draußen veranstalten, was den Vorteil habe, dass die Raumgröße dabei keine Rolle spiele. Gleichwohl verfügen solche Orte nicht über eine feste Infrastruktur, etwa Sanitärräume und Stromversorgung. Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen verändern die Bedeutung des Raums: So wird der Alexanderplatz in Berlin zum Ort einer Tauschparty und zum Ort von sozialem Protest gegen Fast Fashion. So nutzten etwa Tauschpartyorganisatorinnen aus Ham98 Vgl. Gebhardt 2000. 99 Vgl. Ortner 2006.
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burg den Grünstreifen an der Hochschule für angewandte Wissenschaft für eine Tauschparty. Dieser Grünstreifen ist Teil eines Umgestaltungsprojektes des Bezirksamtes. Die angrenzende Straße wurde für den Autoverkehr gesperrt mit dem Ziel, dass der Park durch Anwohner sowie Studenten genutzt und damit aufgewertet wird. Zu dieser Aufwertungsstrategie gehört, dass der Park für Veranstaltungen genutzt werden kann, sodass auch dort eine Tauschparty stattfand (Feldnotiz vom 24.08.2013). Kleidertauschevents schreiben durch die Performativität, durch das Zusammenwirken von Körpern, Handlungen und materiellen Artefakten dem städtischen Räumen dabei neue Bedeutungen ein. Die Räume werden zu Tauschräumen. Da die Events immer wieder an anderen Orten stattfinden und zeitlich begrenzt sind, schreibt sich die Bedeutung nicht auf Dauer in den Raum ein, sondern wird im konkreten Handeln von den Akteuren produziert. Die Events lassen sich dadurch als fluide Phänomene deuten, durch die sich Sinnsysteme zeitlich begrenzt materialisieren. Das unterscheidet sie auch von anderen Kleidertauschangeboten, wie es sie etwa in Form von Umsonstläden, Giveboxes oder Tauschläden gibt. Wie bereits anhand der Flyer deutlich wurde, nutzen Kleidertauschorganisatoren_innen verschiedene Techniken, um Werbung für ihre Veranstaltung zu machen. Laura betont etwa die Bedeutung von Fotos, die während der Veranstaltungen gemacht werden. Sie nutzt diese Fotos in den sozialen Netzwerken wie Facebook und auf ihrem Internetblog. In der Deutung von Laura hat die Veranstaltungsdokumentation durch Fotos die Funktion der Erinnerung und der Werbung: „Ich glaube, das liegt an dem neuen Zeitalter. So ohne, dass es quasi eine Erinnerung, ʼne digitale gibt, da ist es, als wäre nie irgendwas gewesen. Das ist halt, wenn du von einer Veranstaltung gute Bilder hast, dann gibt es halt viele Leute, die dann sagen, oh ich war da nicht da, ich konnte aus dem und dem Grund nicht, aber oh, wo ich die Bilder sehe, da gehʼ ich nächstes Mal hin.“ (Interview vom 18.03.2013)
Die Fotos produzieren Bedeutung. Sie machen die temporäre Veranstaltung bzw. das fluide Phänomen auf Dauer sichtbar. Fotos, so wird in dem Zitat von Laura deutlich, sind auch Kommunikationsanlass. „Gute Fotos“ sorgen dafür, dass sich Besucher_innen von der Veranstaltung angesprochen fühlen, dass sie die Fotos kommentieren, sich für das Nicht-Kommen rechtfertigen und die Fotos als Anlass nehmen, um ihr Interesse auszudrücken. Die Fotodokumentation kann dabei als Quelle genutzt werden, weil sie einen Zugang zur Inszenierung und Bedeutungsaufladung von Kleidertauschpartys bietet. Die Fotodokumentation einer
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Tauschparty im März 2015 in Hamburg soll deshalb im Folgenden exemplarisch beschrieben und analysiert werden.100 Auf einem aus dem oberen Stockwerk der Tauschlocation aufgenommenen Foto sieht man Menschen mit Regenschirmen, die in einer Warteschlange aufgereiht auf Einlass warten. Das Foto vermittelt dadurch einen Eindruck von Exklusivität und Popularität. Kleidertausch, so ließe sich das Foto deuten, ist ein besonderes Event, für das Besucher_innen Wartezeiten und Andrang in Kauf nehmen und bei Regen auf Einlass warten. Mit dem Bild der Warteschlange spielen auch die Aktivisten_innen bei der Protestaktion auf dem Alexanderplatz: Sie inszenieren als Pendant zu den Menschen, die auf die Eröffnung der PrimarkFiliale warteten, eine Warteschlage vor dem Infozelt.101 Auf weiteren Fotos der Hamburger Tauschparty sieht man vor allem junge Frauen mit Kleidung auf den Armen. Sie stehen dicht gedrängt. Für den Betrachter wird deutlich, dass es sich hier um eine gut besuchte Veranstaltung handelt und Besucher_innen mit sozialer Nähe rechnen müssen. Solche Fotos erinnern an Bilder von Schlussverkäufen oder besonderen Filialeröffnungen, die mit dem Motiv des Wettbewerbs und der Konkurrenz spielen. Sie vermitteln den Eindruck, dass hier Menschen im Wettbewerb um wertvolle Objekte stehen. Fotos produzieren und reproduzieren kulturelle Logiken. Bilder, auf denen Menschen um Konsumgüter konkurrieren und spezifische Objekte nachfragen, setzen die Objekte inwert. Im Zentrum steht hier aber nicht der Kauf von Konsumgütern, sondern das Tauschen von gebrauchter Kleidung. Nicht nur das Event, sondern auch die Repräsentationen produzieren also ein Gefühl bzw. vermitteln den Eindruck von exklusiver Gemeinschaft.102 Fotos von Kuchen oder dem Cateringangebot zeigen dem Betrachter, dass hier Wert auf ein gastronomisches Angebot gelegt wird. Kuchen und Kaffee können als Symbol für Gemütlichkeit 103 gedeutet werden. Kleidertauschpartys sind in dieser Logik nicht dazu da, ausschließlich Kleidung zu tauschen, sondern werden als Konzept inszeniert, bei dem die Organisatoren_innen sich um die Besucher_innen sorgen im Sinne von „versorgen“ und es auch Platz gibt, zur Ruhe zu kommen, zu essen und zu trinken. Auch die Fotos von Frauen, die an Tischen sitzen mit Kleidung auf dem Schoß, verweisen auf die Gemütlichkeit. Während Sitzgelegenheiten in Shoppingläden wie H&M selten sind, verdeutlichen solche 100 Zum Umgang mit Bildern als kulturanthropologische Quelle siehe Leimgruber et al. 2013, Falk 2014 und Hägele 2001; Die Fotos sind auf der Facebookseite von Kleiderkreisel veröffentlicht (siehe facebook.de: Kleidertausch). 101 Siehe Berliner Zeitung 2014b. 102 Vgl. Gebhardt 2000. 103 Siehe zur Gemütlichkeit aus kulturwissenschaftlicher Sicht Schmidt-Lauber 2003a sowie Schmidt-Lauber 2003b.
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Bilder, dass Kleidertauschevents auch entschleunigend sind. Ziel von Kleidertauschevents sind nicht ein kurzer Besuch und der schnelle Konsum von Kleidung, sondern die Besucher_innen finden dort Zeit und Raum, um die neue Kleidung zu begutachten und sich mit Freunden und anderen Besuchern_innen darüber auszutauschen. Tina und Jule stellen im Interview heraus, dass die Kleidung als Kommunikationsanlass dienen kann und sie auf den Tauschevents oft erlebten, dass die Besucher_innen sich über die Kleidung unterhalten, sich gegenseitig Teile empfehlen und kommentieren würden (Interview vom 15.05.2013). Besondere Orte dieses Austausches stellen etwa die eingerichteten Umkleidekabinen oder der Raum vor den Spiegeln dar (Feldnotiz vom 24.08.2013). Die Bilder der Hamburger Tauschparty verweisen immer wieder auf den Raum, in dem die Veranstaltung stattfindet. Es handelt sich um eine alte Villa, dem „Lokal, das Konsumkulturhaus“, das sich zwischen Altona und Sternschanze befindet und durch Zwischennutzungen bespielt wird. Ein Verein trägt das Haus „als Netzwerk und Plattform für Hamburger Kreative“. Ziel deren Arbeit ist die lokale Förderung von Nachhaltigkeit und das Einsetzen für „regionale Gemeisamkeiten“. So heißt es weiter: „Rund um Themen wie Mode & Textil, Design und Handmade finden unterschiedliche Veranstaltungen und DIY-Kurse ebenso statt, wie Lesungen und Vorträge.“ 104 Auf den Fotos zur Tauschparty sieht man das Innere des Hauses, etwa bunte Tapeten, alte Lampen, unverputzte Wände und Decken, nicht aufgearbeitete Holzböden, Gläser als Teelichter und Flaschen als Vasen. Dem Betrachter wird nicht nur ein Bild von unfertigen und rohen Räumen gezeigt, sondern auch Alltagsgegenstände, die umgenutzt werden. Das Umnutzen lässt sich dabei im doppelten Sinne verstehen: Ein Wohnhaus, das nun von einem Verein getragen als Veranstaltungsraum umgenutzt wird sowie Gläser und Flaschen, die vor allem als Dekorationselemente umfunktioniert werden. Die Bilder spielen mit der Ästhetik des Unperfekten und des Gebrauchten. Der Soziologe Andreas Reckwitz verweist auf das wirkungsmächtige „Kreativitätsdispositiv“ seit den 1970er Jahren, durch das die „dynamische Produktion und die Rezeption von Neuem“105 gefördert werde. „Das Kreativitätsdispositiv richtet nun das Ästhetische am Neuen und das Regime des Neuen am Ästhetischen aus [Hervor. i. O.].“106 So ließe sich zwar Reckwitz folgend die Umnutzung von Räumen und Dingen hier als kreative Praxis deuten, die das Neue betonen. Gleichzeitig lassen sich diese Nutzungsformen, auf die die Bilder verwei-
104 Siehe lokal-hamburg.de. 105 Reckwitz 2014, S. 17. 106 Reckwitz 2014, S. 20.
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sen, als ästhetische Ausrichtung am Alten interpretieren, durch die materielle, gebrauchte und alte Güter aufgewertet und mit Bedeutung aufgeladen werden. Nach diesem Muster lassen sich auch die Eventisierungsstrategien von Kleidertauschevents deuten. Diese Strategien erzeugen einen Rahmen, durch den Kleidertauschpartys zu einem Event werden, das gebrauchte Kleidung inwertsetzt. Secondhand-Kleidung wird zu einem wertvollen Tauschobjekt, weil die Tauschenden ihr wieder eine Funktion und Bedeutung zusprechen und sich dadurch der Status verändert.107 Die Fotos der Hamburger Tauschparty werten die Geschichte der Dinge, Räume und der Kleidung auf, indem sie sie fotografisch inszenieren und auch die Gebrauchsspuren in den Mittelpunkt rücken. Verstärkt wird dieser Eindruck durch ästhetische Mittel. Die Fotos dieser Tauschparty sind durch den Einsatz von Schärfe und Filter in einem Retro- und VintageLook. Dieses Stilmuster ästhetisiert das Alte und Gebrauchte. Sowohl das auf den Fotos Abgebildete als auch die Gestaltung inszeniert die Kleidertauschparty als ein besonderes Event. Das darin verwirklichte Narrativ setzt das Alte und Gebrauchte inwert und läd Kleidertausch mit Bedeutung auf. Fotos als kulturelle Repräsentationen sind besonders in den digitalen sozialen Netzwerken wichtig, um Sichtbarkeit und damit auch Bedeutung zu generieren. Fotos von Kleidertauschpartys erfüllen also mehrere Funktionen: als Mittel, um Bedeutung zu (re-) produzieren und als Ästhetisierung der Tauschpraxis. Kleidertauschpartys als konkrete Orte und Events konstituieren sich durch die Übersetzung108 zwischen unterschiedlichen Akteuren: u.a Organsiatoren_innen, Helfer_innen, Besucher_innen, Kleidung, Kleiderständer, Spiegel, Musikanlagen, Tische, Räume, Kaffeemaschinen. Die Aufführung dieser Akteure ist bei den Tauschevents durch den Zeitpunkt, die Dauer und den konkreten Ort gerahmt. Die Thesen waren, dass die Organisatoren_innen Konsum eventisieren und die Tauschpraxis dadurch mit Bedeutung aufladen. Deutlich wurde, dass Tauschpartys als Event gestaltet sind. Neben dem Tauschen gibt es Musik, Getränke und Essen sowie ein Rahmenprogramm. Diese Elemente können als Strategien der Eventisierung interpretiert werden und konstituieren das kollektive Erlebnis. 109 Die Organisatoren_innen entwickeln kreative Strategien, um die Tauschveranstaltungen zu gestalten und anzukündigen. Diese Strategien verweisen auf Agency und erschlossene Handlungsräume110. Durch die Umnutzung von städtischem Raum schreiben die performativen Praxen ihm neue Bedeutung ein.
107 Vgl. Kopytoff 2010. 108 Belliger und Krieger 2014, S. 93. 109 Vgl. Gebhardt 2000. 110 Vgl. Ortner 2006.
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Durch die Eventisierung wird das Tauschen als Konsumpraxis mit Bedeutung aufgeladen und aufgewertet. Übergeordnete, forschungsleitende Thesen waren, dass Kleidertauschpartys performative Praxen des Umgangs mit knappen natürlichen und ökonomischen Ressourcen sowie Praxen des Überflussmanagement sind. Ausgehend von einer Perspektive auf die konkreten vestimentären Objekte wurde gezeigt, welche Strategien die vormals private Kleidung zu einem Tauschobjekt werden lassen. Kleidung konnte dabei als Akteur interpretiert werden, der auf die Konstituierung von Netzwerken wirkt. Das Tauschen erweitert durch die Statusveränderungen und den Wechsel von Besitzern_ innen die etablierte Vorstellung von Objektbiographien. Dann wurde der Praxis des Tauschens als Konsumstrategie nachgegangen. Durch diese Perspektive konnte das kollektive und kollektiv organisierte Tauschen als Ausdruck von Agency gedeutet werden, wodurch hegemoniale Wirtschaftsstrukturen kritisch verhandelt werden. Abschließend wurden die Kleidertauschevents in Hinblick auf Inszenierung und Performativität betrachtet. Dabei konnten Strategien der Eventisierung aufgezeigt werden, durch die das Tauschen, der städtische Raum und die vestimentären Objekte mit Bedeutung aufgeladen werden. Deutlich wurde, dass Kleidertausch sowohl in Form von Protestaktionen, wie auf dem Alexanderplatz in Berlin, durch Repräsentationen und Materialien von NGOs, als auch in den Narrativen der Organisatoren_innen auf den Verbrauch von natürlichen Ressourcen durch die Produktion von Mode verweisen. Die verschiedenen Akteure problematisieren dabei die Verknappung von Ressourcen vor allem im Kontext der massenhaften Produktion von Kleidung, die auf Grund sich verändernder Modezyklen und mangelhafter Qualität schnell zu Müll werden. Knappheit konstituiert sich hier aus der Wahrnehmung und Deutung von Überfluss. Denn gerade weil Kleidung massenhaft produziert wird, sich in den Kleiderschränken ansammelt und auf den Tauschpartys im Überfluss vorhanden ist, kann sie konkret und sinnlich als „Zuviel“ wahrgenommen werden, was erst im Kontext um das Wissen über knappe Ressourcen als problematisch gedeutet wird. Akteure übersetzen die Diskurse in Handlungen: in Protestaktionen, in die Inszenierung von gebrauchten Dingen und in das ehrenamtliche Tätigwerden bei der Organisation von Tauschpartys. Dabei drückt sich im Kleidertausch auch die Verknappung von ökonomischen Ressourcen aus. Tauschen ist eine Konsumform, die weitestgehend ohne Geldzirkulation auskommt und sich besonders dadurch von marktförmigen und kommerziellen Konsumformen abhebt. 111 Die 111 Gleichwohl auch Geld auf den Tauschpartys fließt, etwa in Form von Eintrittsgeldern, für Essen und Trinken, als Spende oder für die Raummiete.
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Etablierung von diesem alternativen Gegenkonsum ist durch Kreativität gekennzeichnet, wodurch ökonomische Begrenzungen überwunden werden. Dadurch kann eine Umdeutung stattfinden: Die ökonomischen Begrenzungen führen nicht zu sozialer Ausgrenzung in der konsumorientierten Gesellschaft, sondern führen als Ausdruck von Lebensstil und Habitus innerhalb der spezifischen sozialen Gruppe, die an Kleidertauschpartys beteiligt ist, zu sozialer Vernetzung und dem Erleben von Gemeinschaft. Kleidertauchpartys können als Überflussmanagement gedeutet werden. Die Tauschpraxis verteilt die als Überfluss wahrgenommene Kleidung auf zwei Ebenen. Erstens sind Tauschpartys Anlass für die Besucher_innen, ungenutzte Kleidung zu hierarchisieren und auszusortieren.112 Die als Überfluss wahrgenommene, nicht mehr gebrauchte Kleidung wird dann umgedeutet und zum Tauschmittel oder Tauschobjekt. Das Aussortieren reduziert auf einer individuellen Ebene den Überfluss in den Kleiderschränken. Zweitens verteilen die Organisatoren_innen die Kleidung, die am Ende der Tauschparty übrig bleibt, als Spende an andere soziale Gruppen, Initiativen und Organisationen. Sie transformieren den Status der Kleidung und reduzieren den Überfluss durch Weiterverteilung auf einer sozialen Ebene. Wie im Feld der Kleidertauschpartys sind auch im Feld der Repair Cafés Menschen ehrenamtlich tätig, um eine Veranstaltung zu organisieren, die zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen beitragen soll. Ausgehend von den Kleidertauschpartys soll es nun um Repair Cafés als Umgang mit Knappheit und Überfluss gehen.
112 Abbott 2014, S. 18.
6. Repair Cafés: Infrastruktur − Raum − Akteure Repair Cafés: Infrastruktur – Raum − Akteure In den 1980er Jahren ist die „Kultur des Reparierens“ für den Volkskundler Hermann Bausinger ein Ausdruck von Not und Notwendigkeit, die im krassen Gegensatz zur Wegwerfkultur, zur Kultur des Konsumierens stehe. 1 Über 30 Jahre später kritisiert Wolfgang M. Heckl die fehlende „Kultur der Reparatur“2, die Medien fragen, ob wir das Reparieren verlernt hätten3, Unternehmer fordern eine „Reparatur-Revolution“4. Seit der Elektrifizierung hat sich die Dingwelt in Haushalten und der reparierende Umgang mit „Gebrauchsdingen“5 wesentlich verändert. Die Europäische Ethnologin Beate Binder hat darauf verwiesen, wie vielfältig die Bedeutungen und die Symbolisierungen von der Elektrifizierung von Lebensbereichen waren.6 So versprachen etwa in den 1920er Jahren neue elektrische Geräte die „Emanzipation von der Mühsal schweißtreibender und entwürdigender Haushaltsführung“7 und damit die Teilhabe am modernen Lebensgefühl der 1920er Jahre, so Binder.8 Für die Kulturanthropologen Thomas Hengartner und Johanna Rolsho1
Bausinger 1983, S. 7.
2
Vgl. Heckl 2013.
3
Siehe Quarks und Co. 2012.
4
Siehe reparatur-revolution.de.
5
Vgl. Fischer-Lichte 2011.
6
Vgl. Binder 1999.
7
Binder 1999, S. 342.
8
Dabei konstatiert etwa Tornieporth, dass die Etablierung von Elektrogeräten vornehmlich durch die Verbindung von Energieunternehmen, die den Energieverbauch von privaten Haushalten fördern wollten, und dem Ziel von Herstellerfirmen, möglichst viele Produkte abzusetzen, begründet sei: Die Geschichte der Technisierung privater Haushalte zeige, dass nicht die Arbeitsentlastung der Hausfrau oder der Wunsch nach
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ven sind der Kühlschrank und die elektrische Waschmaschine Hinweise für die Technisierung der Haushalte. Die 1950er Jahre seien geprägt von „Fortschrittsgläubigkeit als Technik-Gläubigkeit“9, so Hengartner und Rolshoven. Dass die alltagspraktische Bedeutung von elektronischen Geräten ab den 1950er Jahren durch die massenhafte Verbreitung von Elektroherden, Kühlschränken, Waschmaschinen und Staubsaugern stieg, sieht die Haushaltswissenschaftlerin und Pädagogin Gerda Tornieporth vor allem in wirtschaftlichen Interessen begründet: „Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckten die deutschen Elektrizitätsversorgungsunternehmen, die während des Krieges ihre Kapazitäten für Rüstungszwecke ausgebaut hatten, den Energieverbrauchsmarkt Haushalt.“10 Lange auf Grund von hohen Preisen oder durch politische und wirtschaftliche Restriktionen, wie beispielsweise in der DDR, nicht für alle Haushalte zugänglich, sind elektrische und elektronische Haushaltsgeräte inzwischen fester und selbstverständlicher Bestandteil von Alltagspraktiken. Thomas Hengartner spricht dabei von der „Kultürlichkeit von Technik“: Technisches ist allgegenwärtiger Bestandteil des Wissens-, Handlungs- und Orientierungssystems.11 Neben den großen Haushaltswaren, die der Einzelhandel als weiße Ware bezeichnet – etwa Geschirrspüler, Kühlschrank und Herd −, sind kleine Geräte, wie Kaffeemaschinen und Toaster oder Smartphones und Tablets Teil von alltäglichen Routinen. Laut Statistischem Bundesamt ist die Ausstattung der Haushalte mit elektronischen Haushaltsgeräten, Geräten der Unterhaltungselektronik und der Informations- und Kommunikationstechnologie im Durchschnitt in den letzten Jahren gestiegen.12 Die Globalisierung hat die Produktion und Distribution dieser Geräte grundlegend verändert. Die technische Entwicklung sowie globalisierte Waren- und Stoffströme tragen zur Expansion von elektrischen Geräten bei. Der globalisierte Markt für Elektrogeräte ist von börsennotierten Großunternehmen dominiert. Auf Grund von Wettbewerbsvorteilen sorgt die hochtechnisierte, globale und massenhafte Produktion von Waren für niedrige Kaufpreise und ein ausdifferenziertes Warenangebot. Um neue Kunden auf den gesättigten Märkten zu gewinnen, bringen Unternehmen immer wieder neue Variationen oder Produktlinien Rationalisierung treibende Kraft für die technische Entwicklung gewesen sei, sondern die Ausnutzung von technischen Möglichkeiten und Absatzchancen durch die Industrie (Tornieporth 1995, S. 56). Technisierung wird aus dieser Perspektive eine unternehmerische Strategie zur Gewinnmaximierung. 9
Hengartner und Rolshoven 1998, S. 22.
10 Tornieporth 1995, S. 57. 11 Vgl. Hengartner 2003. 12 Siehe Statistisches Bundesamt 2015.
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auf den Markt und ersetzen Geräte durch neue Produkttypen. Wie in der Kleidungsindustrie ist auch der Haushaltselektronikbereich durch Moden und Trends geprägt. Die Expansion und Technisierung der Dingwelt, die abnehmende Reparierbarkeit von „Gebrauchsdingen“13, die ökologischen und sozialen Folgen deren Produktion sowie das Problem der Entsorgung der zu Müll gewordenen Dinge werden zunehmend gesellschaftlich verhandelt. Aus diesen Kontexten heraus ist das Reparieren in Gemeinschaft in den letzten Jahren in Form von sogenannten Repair Cafés populär geworden. Die Idee der Repair Cafés stammt aus den Niederlanden. Dort organisierte die Journalistin Martine Postma 2009 das erste Repair Café in Amsterdam. Kern der Idee ist die Hilfe zur Selbsthilfe: Ehrenamtliche bieten kostenlos ihre Hilfe bei der Reparatur von Dingen an, sei es von Elektrogeräten, Möbeln, Spielzeug, Kleidung oder Fahrrädern. 2011 gründete Postma die Stichting Repair Café und entwickelte ein Handbuch, mit dem andere Menschen befähigt sein sollten, die Idee des Reparaturcafés in ihrer eigenen Nachbarschaft umzusetzen. Das zu Beginn kostenlose Handbuch kostet inzwischen 45 Euro.14 2012 fand das erste Repair Café in der Dingfabrik in Köln statt. Ende 2014 waren 170 Initiativen unter dem Label „Repair Café“ verzeichnet, im Juli 2015 waren es bereits 241.15 Seit 2010 haben sich über 700 Cafés in siebzehn Ländern gegründet. Weitere Cafés sind unabhängig von der niederländischen Stiftung entstanden. Auf Grund der großen Resonanz in Deutschland hat im Januar 2014 die deutsche Stiftung anstiftung & ertomis die Koordination der deutschen Repair Cafés übernommen. Auf dem ersten von der Stiftung anstiftung & ertomis organisierten bundesweiten Vernetzungstreffen am 11.10.2014 in München hat die deutsche Stiftung die Auflösung der Zusammenarbeit mit der niederländischen offiziell verkündet.16 Die deutsche Stiftung baut seitdem ein eigenes Netzwerk auf, in dem auch Reparaturinitiativen ohne Repair Café-Label eingeschlossen werden. Seit 13.05.2015 ist die Homepage des Netzwerks Reparatur-Initiativen online, welche die bisherige Arbeit dokumentiert und Vernetzungsplattform sein will.17 Wie sich hier bereits andeutet, ist die Repair-Bewegung durch vielfältige Akteure gekennzeichnet. Welche Bedeutung haben die beiden Stiftungen für die Konstituierung der Repair-Bewegung in Deutschland? Wie institutionalisieren 13 Vgl. Fischer-Lichte 2011. 14 Stand vom 16.04.2014. 15 Siehe repaircafé.org: Standorte. 16 Siehe anstiftung.de: Vernetzungstreffen 2014. 17 Siehe reparatur-initiativen.de.
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sich Repair Cafés? Welche Bedeutung hat dabei das entwickelte Handbuch? Wie entsteht ein Netzwerk von Ehrenamtlichen, die in ihrer Nachbarschaft ein Repair Café organisieren? Wie setzen Menschen die Idee konkret lokal um? Welches Wissen zirkuliert zwischen den Organisatoren_innen und anderen Akteuren? Welche normativen Vorstellungen verhandeln die Initiatoren_innen? Aus diesen Fragen haben sich folgende Thesen entwickelt, denen hier nachgegangen werden soll: Erstens materialisieren sich Diskurse zu knappen Ressourcen und Überfluss in Repair Cafés als konkrete Räume. Zweitens sind Reparaturcafés Praxen des Überflussmanagements. Diesen Fragen und Thesen soll im Folgenden anhand von vier Feldern nachgegangen werden. Zu Beginn soll das Handbuch als handlungsmächtig konzeptualisiert werden. Das Handbuch als Materialisierung von Infrastruktur umfasst Wissen, Technologien, Expertise, Rechtsnormen und normative Vorstellungen. Es verbindet verschiedene Akteure, wie Stiftungen, Initiatoren_innen und digitale soziale Netzwerke. Dann soll das Reparieren als soziale Protestform betrachtet und die Machtaushandlungen im Akteur-Netzwerk als „Formationen des Politischen“18 untersucht werden. Danach steht die soziale und räumliche Dimension im Mittelpunkt. Repair Cafés sind aus dieser Perspektive soziale Orte, die sich durch die community of practice materialisieren, und in denen Konzepte von Gemeinschaft und Nachbarschaft produziert werden. Abschließend sollen Repair Cafés auf ihre ökologischen Dimensionen hin befragt werden. Repair Cafés werden von den Organisatoren_innen als Orte begriffen, die zu einem nachhaltigen Umgang mit Dingen und Ressourcen beitragen sollen. Dabei reflektieren die Akteure Überfluss in Form von Müll und die Begrenztheit von Ressourcen. Vier der von mir interviewten Akteure sollen kurz vorgestellt werden. Ruth war zum Interviewtermin Ende sechzig, Rentnerin und alleinstehend. Sie hat ein Repair Café initiiert, das in einem Stadtteilzentrum stattfand. Sie hat Sport und Politologie studiert und verschiedene berufliche Stationen durchlaufen. So war sie Programmiererin bei Siemens, stellvertretende Geschäftsführerin einer Firma, die Software für Krankenhäuser produziert hat, und in der Weiterbildung tätig. Kerstin war zum Interviewzeitpunkt 43 Jahre alt und ohne Arbeitsverhältnis, weil sie sich bewusst für eine zehnjährige Familienauszeit entschieden habe, wie sie im Interview erklärt. Die zweifache Mutter ist studierte Innenarchitektin, war Redakteurin für ein Designmagazin und hat Berufserfahrungen im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Kerstin hat zusammen mit ihrer Freundin Katja als Hauptorganisatorinnenteam Repair Cafés veranstaltet. Maik war Mitte Vierzig und ist gelernter Tischler. Er arbeitete als Werkstattleiter in einer Offenen Werkstatt in einem Stadtteilzentrum und hat dort ein Repair Café initiiert. 18 Vgl. Adam und Vonderau 2014b.
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Lisa ist Mitte Dreißig, Künstlerin und arbeitete für eine Organisation, die sich für die Wieder- und Weiterverwendung von Stoffen und Materialien einsetzt, um damit zur Müllvermeidung beizutragen und Kultur zu fördern. Lisa hat neben dieser Tätigkeit Repair Cafés organisiert. Die Interviews fanden 2013/2014 statt. Zu diesem Zeitpunkt haben sich gerade die ersten Repair Cafés in Deutschland gegründet und zunehmend institutionialisiert. Darin begründet sich auch, dass meine Interviewpartner_innen alle auf das von der niederländischen Stiftung entwickelte Handbuch zu Sprechen kamen. Dessen Bedeutung und den Umgang mit diesen Handlungsanweisungen soll im Folgenden im Mittelpunkt stehen.
6.1 D AS H ANDBUCH ALS M ATERIALISIERUNG VON I NFRASTRUKTUR Martine Postma entwickelte ein Handbuch, mit dem andere Gruppen befähigt sein sollen, ein Repair Café in der eigenen Nachbarschaft umzusetzen. Das vorher kostenlose Handbuch können Initiativen für 45 Euro erwerben.19 Es ist digital, wird über die Homepage heruntergeladen, gibt Handlungsanweisungen und beantwortet beispielsweise die Fragen, wie man ein Repair Café organisiert, welche Arbeitsbereiche nötig sind, welche Materialien vorbereitet werden müssen oder wie man Presse- und Öffentlichkeitsarbeit umsetzt. Das Handbuch beinhaltet Anleitungen und Vordrucke für Flyer und Poster, in denen der Name der lokalen Gemeinschaft eingetragen werden kann. Welche Bedeutung hat das Handbuch für die interviewten Café-Initiatoren_innen? Wie gehen sie mit dem Handbuch um? Die hier verfolgten Thesen sind: Erstens, dass das Handbuch handlungsmächtig ist und der Akteur-Netzwerk-Theorie folgend als Akteur wesentlich auf das Netzwerk der Repair-Bewegung wirkt. Zweitens kann das Handbuch als Materialisierung von Infrastruktur theoretisch konzeptualisiert werden. Das Handbuch stellt die sichtbare Materialisierung einer komplexen Infrastruktur dar. Ziel des theoretischen Zugangs mit dem Konzept der Infrastruktur ist, „das im Artefakt Abwesende, nämlich die sehr komplexe Infrastruktur, die im Hintergrund in Gang gesetzt wird, und die moralische Ökonomie“20 zu analysieren. Vom Handbuch ausgehend kann den Akteuren, dem Wissen, der Technologie, den Gesetzen und Normen gefolgt werden.
19 Stand vom 16.04.2014. 20 Beck 2012, S. 309.
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Das Handbuch wird von Kerstin als „Bedienungsanleitung“ wahrgenommen. Für Kerstin ist der Erwerb dieser „Bedienungsanleitung“ einfach und unkompliziert, weil sie das Handbuch kostenlos herunterladen konnte. „Dann habʼ ich mir irgendwann diese Seite angeguckt von der Stiftung und habʼ gesehen, dass man so ein Konzept herunterladen kann. Damals war das noch kostenlos. Man musste sich nicht entscheiden, man musste nichts investieren, man brauchte nur dieses Interesse. […] Dann kam dieses Konzept, das konnte ich mir herunterladen. Da habʼ ich gedacht, dass ja toll, das ist wirklich eine super Bedienungsanleitung.“ (Interview vom 20.01.2014)
Das Herunterladen des kostenlosen Handbuchs, so Kerstins Deutung, bedeute keine Entscheidung oder Investition. Die Bedeutung des Handbuchs hat sich durch die Einführung einer Gebühr verändert. Während der unbegrenzte Zugang zu dem Wissen in Form des Handbuchs den Zugang zum sozialen Netzwerk ermöglicht, stellt der Kauf des Handbuchs bereits auf Grund der ökonomischen Investition eine Hürde für Initiativen dar. Der Erwerb des Wissens sei aber notwendig und ein wichtiger Schritt von der Idee zur Praxis, wie es auf einem Hamburger Regionaltreffen kommuniziert wird (Feldnotiz vom 15.03.2014). Durch den Preis bzw. die „Schutzgebühr“ werden das Handbuch symbolisch inwertgesetzt und das Wissen zur Ware.21 Der ökonomische Wert des Wissens hat sich durch die Ausbreitung der Repair Café-Idee verändert. Das Handbuch verweist auf die Machtaushandlungen im Akteur-Netzwerk. Im Juli 2014 organisierten sich die deutschen Repair Cafés auf zwei Internetplattformen. Die deutsche Variante von www.repaircafé.org wurde von der deutschen Stiftung anstiftung & ertomis gepflegt. Deutsche Repair Café-Initiativen konnten ihre Veranstaltungen über die Homepage der deutschen Stiftung www.anstiftung.de in den Veranstaltungskalender eintragen. Dieser war dann auf www.repaircafe.org sichtbar. Es konnten sich damit aber nur Gruppen eintragen, die auch mit dem Repair Café-Label arbeiteten, nicht jene, die sich unabhängig und unter anderem Namen organisierten. Hier zeigt sich zum einen, dass das normierte Handbuch als Zugangsberechtigung zu einem internationalen sozialen Netzwerk funktioniert. Durch den Erwerb des Handbuchs verpflichten sich die Initiativen, die Veranstaltung mit der Corporate Identity „Repair Café“ oder „Reparatur Café“ anzukündigen. Sie können das Event im Veranstaltungskalender auf der Homepage www.repaircafé.de eintragen. Des Weiteren haben sie die Verpflichtung, das Logo bei jeder Form der Kommunikation zu verwenden und es nicht zu verändern. Sie sollen bei dem Hinweis auf mehr Informationen auf die Homepage www.repaircafé.de verweisen und die Initiative muss eh21 Vgl. Appadurai 2010.
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renamtlich sowie nicht-kommerziell sein, so die Maßgaben der niederländischen Stiftung. Die Reparaturinitiativen werden durch diese Strategien vereinheitlicht und zentral koordiniert. Dadurch entsteht ein globales Netzwerk, das Wissen speichert, produziert und teilt. Deutlich wird aber, dass Initiativen ohne Corporate Identity ausgeschlossen sind. Erst durch den Kauf des Handbuchs kann auf das etablierte Wissen zurückgegriffen und das Konzept gemäß der Anleitung umgesetzt werden. Das Label wird zu einem Symbol von Inklusion und Exklusion innerhalb der Repair-Community, welches sich in Form von Flyern und Postern auch am konkreten Ort der Repair Cafés materialisiert. Diese Exklusionsmechanismen zeigten sich auch im Interview mit Kerstin. Sie fragte mich im Interview, ob ich das Handbuch schon einmal gesehen habe und zeigte mir ihre Ausdrucke, jedoch mit dem Hinweis, sie dürfe das Handbuch „nicht aus der Hand“ geben: „Man commited sich wirklich sozusagen, wir unterstützen die Stiftung, weil wir das Know-how bekommen, indem wir nicht diese Bedienungsanleitung kopieren und so verteilen, sondern die wollen, dass man Kontakt mit der Stiftung auch sucht. Mittlerweile muss man auch bezahlen für das Konzept, eine einmalige Schutzgebühr. Dadurch haben sie dieses starke Netzwerk.“ (Interview vom 20.01.2014)
Kerstin deutet das Handbuch als Zugang zur Community. Es garantiere das „starke Netzwerk“, weil die Stiftung als zentraler Koordinations- und Vernetzungsakteur den Zugang zum Wissen kontrolliert und reguliert. Das Handbuch ist dabei nicht handelnder Akteur im Sinne von Latour, sondern wirkmächtig.22 Es handelt nicht selbst, sondern es wirkt auf die Konstitution der Netzwerkbildung und drückt Macht aus. Wer im Besitz des Buchs und damit des Wissens ist, kann Teil der Community werden und wird zum Handeln befähigt. Das Handbuch gibt zwar normierte Handlungsmuster vor, diese werden aber im Feld verhandelt, kritisiert, ignoriert, umgedeutet oder umgangen. Maik, der als Leiter einer Offenen Werkstatt Erfahrungen in der ehrenamtlichen Arbeit hat, empfindet die Handlungsanweisungen als „störend“: „Es ist ein ganz guter Einstieg. Was ich störend fand, dass die sagen: ‚Ja, wenn ihr das so macht, dann müsst ihr das alles so unter dem Namen und dem Label machen.ʻ Das fand ich nicht so ideal. Früher hätte mich das richtig gestört. Jetzt denk ich, och warum nicht? Kontrollieren tut das eh niemand [...] und zu sagen: ‚Wenn die Leute kommen, die sollen spenden, schreibt ruhig 5 Euro drauf.ʻ Spende 5 Euro, (lachend) wäre ich sonst nicht drauf
22 Vgl. Lindemann 2009.
152 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT gekommen, weiß ich aber nicht, ob ich das so deutlich mache.“ (Interview vom 11.02.2014)
Maik beschreibt im Interview, dass er neugierig war und dachte: „Infopaket? Muss man ja lesen, mal sehen was da drinsteht.“ Er meint jedoch, man hätte das auch ohne machen können: „Ist nicht so viel Neues, gar nichts eigentlich. Genau, wie sie es beschreiben, hätte ich es auch gemacht.“ Er verweist darauf, dass sich seine Einstellung so solchen Handlungsanweisungen verändert habe, sodass ihn die Vorgaben heute nicht mehr so störten. Deutlich wird aber auch, dass Maik auf die fehlende Kontrolle aufmerksam macht und Anweisungen auch transformiert, wie den Hinweis auf die Spendenhöhe. Maik erweitert hier Handlungshorizonte, hinterfragt vorgegebene Strukturen und unterwandert sie. Seine Narration und Selbstpositionierung verweisen auf die Handlungsmacht der Akteure, auf den Widerstand, den Ortner als Modus von Agency konzeptualisiert.23 Während Maik auf Grund seiner beruflichen Erfahrungen das Handbuch als weniger hilfreich wahrnimmt, kritisiert Kerstin etwa den Ton auf dem Anmeldezettel: „Wir haben ja hinten drauf diese Geschichte von der Stiftung, dass man unterschreibt, dass man Haftungsschäden, dass es das nicht gibt, dass man das hiermit ausschließt und das anerkennt. Das ist nicht, wenn du streng genommen damit vor Gericht ziehst, ist das nicht haltbar, weil man darf das nicht komplett ausschließen, man darf groben Unfug und schwere Sachbeschädigung kann man nicht ausschließen. Darfst du von niemanden verlangen. Ein Anwalt hat das wohl umformuliert und das kann man dann auch noch mal so unterschreiben. Das ist aber soʼn blöder Text, wie ich finde, weil da steht dann, das mit dem groben Unfug und der Sachbeschädigung drin und das, finde ich, ist wie ein Aufruf: ,Vertrau mir nicht und hier ist ganz viel Bürokratie am Start und überhaupt, wir müssen uns ganz schrecklich absichern.ʻ Also das ist für mich noch ein Schritt mehr, wo ich innerlich sage: ,Das will ich gar nichtʻ. Da würde ich jetzt eher dazu tendieren, fürʼs nächste Mal schaffen wir das nicht. Aber fürʼs Mal drauf, wenn wir einen Verein gründen, dass wir uns dann eine Versicherung besorgen, die das abdeckt. Ich will diese Art von Kommunikation eigentlich nicht haben.“ (Interview vom 20.01.2014)
Kerstin bezieht sich dabei auf die Anmeldezettel, die Besuchende zu Beginn ausfüllen sollen. Kern dieses Dokuments ist die Frage, wer dafür verantwortlich ist, wenn Geräte bei der Reparatur vollständig beschädigt werden bzw. bei der Reparatur Fehler unterlaufen. Auf der einen Seite des Anmeldezettels befinden sich die Hausordnung und die Passage mit dem Haftungsausschluss. Auf die andere 23 Ortner 2006, S. 144.
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schreiben die Besuchenden ihren Namen, ihre Adresse, die Art des Gerätes, den möglichen Defekt und ob er behoben wird. In Kerstins Deutung stellt die juristische Sprache eine spezifische Beziehung zwischen den Akteuren her, die nicht ihrer Vorstellung eines nachbarschaftlichen, vertrauensvollen Miteinanders entspricht. Kerstin grenzt sich von der Stiftung ab, will eigenständige Lösungen entwickeln, etwa durch die Gründung eines Vereins und dem Abschluss einer eigenen Versicherung. Dazu muss sie sich Wissen etwa über den juristischen Umgang mit Haftung oder Vereinsrecht aneignen. Die Rechtsvorschriften zum Vereinsrecht und zur Haftung als „institutionalisierte Regulierungen“24 produzieren Bedeutungen, die auf die Zirkulation von Wissen hindeuten und Auswirkungen auf den Umgang mit dem Handbuch haben. Bei dem Repair Café, das Kerstin organisiert, wurden die Besucher_innen von Ehrenamtlichen empfangen und darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, Name, Gerät und Ergebnis der Reparatur einzutragen. Die Hausordnung sollten sich die Besucher_innen in Ruhe durchlesen und mit der Unterschrift bestätigen (Feldnotiz vom 27.01.2014). Während das Unterschreiben als juristischer Akt betrachtet werden kann, betont Kerstin den Aspekt von Vertrauen. Dabei treffen zwei unterschiedliche Deutungsmuster von sozialem Umgang aufeinander. Während gemeinschaftliches Reparieren als informeller Rahmen gedeutet wird, in dem der soziale Umgang durch Solidarität und Vertrauen geprägt ist, schafft diese rechtliche Absicherung, materialisiert in Form des Anmeldezettels, eine spezifische juristische Beziehung zwischen den Initiativen und den Besuchenden. Das Handbuch schafft eine Struktur, die in den Repair Cafés die Beziehungen zwischen Menschen und Dingen bzw. menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren duch Gesetze und Normen regelt: Erstens bezogen auf die ehrenamtliche Gruppe, die ein Repair Café durchführt, und die Besucher_innen durch die Vereinsgründung; zweitens zwischen den Reparateuren_innen, Besucher_innen und den zu reparierenden Objekten durch Haftungen und Versicherungen. Das Handbuch wirkt, so wurde bereits deutlich, auch auf die Konstituierung der überregionalen Repair-Bewegung. Das Handbuch führte innerhalb des sozialen Netzwerks zu Konflikten. Das erste Repair Café in Deutschland fand 2012 in der Dingfabrik in Köln statt und rief ein großes Medienecho hervor. Auf Grund der großen Resonanz in Deutschland hat im Januar 2014 die deutsche Stiftung anstiftung & ertomis die Koordination der deutschen Repair Cafés übernommen. Die niederländische Stiftung sei sehr froh über die Kooperation, wie sie auf ihrer Homepage schreibt:
24 Keller 2005, S. 169.
154 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT „‚Die Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis ist eine perfekte Ergänzung für unsʻ, sagt Geschäftsführerin Martine Postma. ‚Die Förderung nachhaltiger Lebensstile und Menschen auf produktive Weise zu vernetzen, sind Kernziele für uns.ʻ“ 25
Tom Hansing, Mitarbeiter der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis, kommentiert weiter auf repaircafé.de dazu: „,Repair Cafés sind eine tolle Möglichkeit sich gemeinschaftlich und alltagspraktisch für eine weniger auf Konsum fixierte Gesellschaft stark zu machen.ʻ“26 Gemeinsame Ziele, so stellen die beiden Akteursgruppen dar, seien die Etablierung nachhaltiger Alltagspraxen und die soziale Vernetzung. Neben dem seit 2014 dazu gekommenen Thema der Repair Cafés setzt sich die deutsche Stiftung auch für die Förderung der Offenen Werkstätten ein. 27 Seit 2011 ist die Verbundarbeit der Offenen Werkstätten ein Aufgabenbereich. So war die Stiftung auch an der Gründung des Vereins „Verbund Offene Werkstätten e.V.“, den es seit Mai 2012 gibt, beteiligt. Der in den News auf repaircafé.de zitierte Tom Hansing ist zuständig für die Bereiche Offene Werkstätten und Repair Cafés. Auf dem ersten regionalen Vernetzungstreffen für Berlin-Brandenburg im Sommer 2014 kritisiert er, dass von der niederländischen Stiftung nur Gruppen gefördert werden, die sich unter dem Label der internationalen Repair Café-Community angeschlossen haben, nicht aber die Initiativen, die ohne Handbuch ein Repair Café eröffnen und betreiben. Das sei weniger im Interesse der deutschen Stiftung als vielmehr im Interesse der niederländischen (Feldnotiz vom 14.06.2014). Die niederländische Stiftung finanziert sich über den globalen Vertrieb des Handbuchs, wie Postma in einem Vortrag darstellt.28 Die Stiftung hat damit auch finanzielles Interesse an der Verbreitung des Handbuchs. Auf dem Regionaltreffen des Repair-Netzwerks im Sommer 2014 deutete sich bereits ein Interessenkonflikt um die Frage an, wie frei zugänglich Wissen sein soll und wer den Zugang zur Repair-Community reguliert.
25 Siehe repaircafé.org. 26 Siehe repaircafé.org. 27 Die Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis ist 2008 aus der Fusion von anstiftung gemeinnützige GmbH und ERTOMIS Stiftung gemeinnützige GmbH hervorgegangen. Ertomis, 1973 von Erich und Totti Mittelsten Scheid gegründet, setzte sich zu Anfang für die Integration von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt ein und erweiterte dann den Aufgabenbereich. Die 1982 vom Sohn Jens Mittelsten Scheid gegründete Forschungsgesellschaft sollte Räume der handwerklichen und sozialen Eigenarbeit fördern und anleiten. 28 Siehe Postma 2014.
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Dieser Konflikt führte im Oktober 2014 dazu, dass beide Stiftungen die Zusammenarbeit auflösten. Auf dem ersten von der Stiftung anstiftung & ertomis organisierten Vernetzungstreffen am 11.10.2014 in München hat sie die Auflösung der Zusammenarbeit mit der niederländischen Stiftung offiziell verkündet. Begründet hat diese die Entscheidung mit der Forderung, dass das Wissen zur Umsetzung von Reparaturtreffen frei zugänglich und erweiterbar sein müsse. Im Newsletter heißt es: „Für die anstiftung findet Reparieren in einem weiten und offenen Experimentierfeld von Commons und selbstbestimmten, nachhaltigen Lebensstilen statt, Reparieren ist ein [Hervorh. i. O.] Handlungsfeld in einer größeren Bewegung. Wir unterstützen ReparaturInitiativen wie Techniksprechstunden, Reparatur-Treffs oder eben Repair Cafés nicht als Marke oder Logo, sondern kooperieren mit Akteuren und Initiativen freier Assoziation und Namensgebung, sprich, alle können sich so nennen, wie sie wollen und auch ihr visuelles Erscheinungsbild (z.B. ein Logo) frei wählen oder gestalten. Dieser Auffassung wollte sich die Stichting nicht anschließen.“29
Deutlich wird, dass die beiden Stiftungen dem gemeinschaftlichen Reparieren hier unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben. Während die niederländische Stiftung den Zugang zur Repair-Community durch das kostenpflichtige Handbuch und damit den Zugang zu dem entsprechenden Wissen begrenzt, stellt die deutsche Stiftung das Wissen frei im Internet zur Verfügung. Reparieren ist für die deutsche Stiftung nicht nur eine Alltagspraxis, so wird in der Stellungnahme deutlich, sondern ein „Handlungsfeld in einer größeren Bewegung“, die sich zwischen Commons und Nachhaltigkeit bewege. Die deutsche Stiftung baute infolge der Kooperationsauflösung ein eigenes Netzwerk auf, in dem auch Reparaturinitiativen ohne Label eingeschlossen werden. Seit 13.05.2015 ist die Homepage des Netzwerks Reparatur-Initiativen online, welche die bisherige Arbeit dokumentiert und Vernetzungsplattform ist. 30 Die Stiftung als wichtige Akteursgruppe ordnet Reparaturtreffen in urbane Do-It-Yourself-Bewegungen ein, in denen alternative Konsum- und Wohlstandsvorstellungen diskursiv verhandelt und materialisiert werden.31 Die Stiftung kritisiert, dass der Zugang zu Wissen, 29 Siehe Newsletter Netzwerk Reparatur-Initiativen 12-2015. 30 Siehe reparatur-initiativen.de. 31 Zu Räumen des urbanen DIY und Commons siehe Baier et al. 2013; Christa Müller als Mitherausgeberin des genannten Buchs ist die geschäftsführende Gesellschafterin der Stiftungsgemeinschaft. Andrea Baier begleitet die Arbeit der anstiftung wissenschaftlich. Dabei wird deutlich, dass es hier eine enge Verknüpfung von zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Akteuren gibt.
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materialisiert in Form des Handbuchs, durch die niederländische Stiftung begrenzt werde. Die Forderung nach frei zugänglichem Wissen überwindet die Stiftung praktisch, indem sie online und kostenlos zugängliches Informationsmaterial32, etwa unter der Überschrift „Wie gründe ich ein Reparaturcafé?“33, zur Verfügung stellt. Neben der Kritik, die auf verschiedene Deutungsmuster im Feld der Repair Cafés hinweist, äußert Hansing auch Kritik daran, dass das normierte, niederländische Handbuch nicht ausreichend für deutsche Kontexte geändert bzw. angepasst wurde. Das Handbuch beinhaltet Vordrucke für eine Rechtsvereinbarung, die alle Besucher_innen unterschreiben müssen, welche wie beim Repair Café von Kerstin bei der Anmeldung ausgegeben werden. Auf der Rückseite befinden sich Verhaltenshinweise. Die Besucher_innen müssen dann unterschreiben, dass das Repair Café keine Haftung für eventuelle Schäden an den Geräten übernimmt. Während Kerstin diese Hinweise besonders im sozialen Kontext unter dem Stichwort Vertrauen verhandelt, sieht Hansing die juristischen Probleme, denn das Formulieren eines Haftungsausschlusses finde im deutschen Recht keine Anwendung (Feldnotiz vom 14.06.2014). Seine Hinweise, den Handzettel soweit zu ändern und den Haftungsausschluss durch eine Haftungsbegrenzung zu ersetzen, beantwortete die Stichting damit, dass nun beide Varianten mit dem Infopaket versendet würden. Hansing kritisiert, dass die niederländische Stiftung nicht den einfachen Weg wählen und ein Wort durch ein anderes ersetzen würde, um sich damit dem deutschen Recht anzupassen (Feldnotiz vom 14.06.2014). Das Handbuch mit den entsprechenden Vordrucken bzw. Vorlagen kann damit als Konfliktfeld gelesen werden, durch das die Akteure Deutungsmacht verhandeln. Die Übersetzung der hier fokussierten im Netzwerk verbundenen Akteure – die deutsche Stiftung, die niederländische Stiftung sowie das Handbuch als Materialisierung von technischen Strukturen und Wissen – und ihre verschiedenen Interessen lässt die „Verbündeten“ im Sinne der ANT wieder zu „Opponenten“ werden.34 Es zeigte sich, dass das Handbuch als Akteur im Netzwerk wirksam ist. Es verbindet Initiatoren_innen und ermöglicht für die Organisatoren_ innen den Zugang zu Wissen und zur Community, in der Wissen produziert und geteilt wird. Über das Handbuch, das Wissen und Techniken der Organisation materialisiert, verhandeln die Stiftungen aber auch die Initiatoren_innen Handlungsmacht. Dabei zeigt sich, dass das Handbuch als Teil einer Infrastruktur Handlungen ermöglicht, etwa die vorgegebene Umsetzung eines Repair Cafés. Es vermit32 Siehe anstiftung.de: Unterstützung. 33 Siehe Repair Café: Webinar. 34 Belliger und Krieger 2014, S. 93.
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telt Wissen und gibt Strukturen vor, etwa in Form der Flyer und Anmeldezettel. Dabei materialisieren sich auch Rechtsordnungen und Normen. Die Struktur wird von den Initiatoren_innen unterlaufen, durchbrochen und kreativ auf die lokalen Kontexte angepasst. Ausgehend von der Bedeutung des Handbuchs als Materialisierung einer Infrastruktur sollen im Folgenden die Deutungen der Café-Initiatoren_innen im Mittelpunkt stehen. Inwiefern das Konzept der Repair Cafés von den Organisierenden als Protestform verstanden wird, soll der nächste Abschnitt darstellen.
6.2 R EPARIEREN
ALS
P ROTESTPRAXIS
„Quarks und Co.“, eine Sendung im WDR, stand am 06.11.2012 unter dem Titel „Heute gekauft, morgen kaputt. Warum unsere Produkte immer schlechter werden“35. Der Moderator der Sendung meint zur Einleitung, dass die Politik durch die Abwrackprämie fördere, dass funktionstüchtige Dinge entsorgt würden und damit Kurzlebigkeit unterstützt werde. „Dann haben wir als Kunde irgendwie kaum eine Chance, etwas gegen den ständigen Neukauf zu unternehmen.“, so die Diagnose des Moderators. Doch eine Möglichkeit gebe es und zwar zu reparieren. Der Moderator fragt: „Oder haben wir das etwa verlernt?“ Die filmische Inszenierung zeigt dann eine Gruppe von Männern in Slow Motion mit bekräftigender Musikuntermalung. Die Stimme aus dem Off beschreibt: „Diese Männer führen Gutes im Schilde. Ihre Mission: Die Menschen an eine fast vergessene Kunst zu erinnern.“ Die Kamera schwenkt auf die Gruppe, die eine Treppe hochsteigt. Die Off-Stimme meint: „Ihre Idee ist revolutionär und klingt doch so simpel.“ Die Kamera zeigt zwei Männer in Großaufnahme, die sagen: „Reparieren statt wegwerfen“ und „Wir machen‘s ganz“. Die Stimme aus dem Off schildert: „Für ihre Mission brauchen sie Werkzeug, Know-how und jede Menge kaputte Sachen, die repariert werden sollen.“ Darauf folgt eine Beschreibung des Konzeptes des Repair Cafés. In der Narration wird das Reparieren aufgewertet: Es ist „revolutionär“ und doch „simpel“, eine „Kunst“, etwas „Gutes“ und eine Strategie gegen geplante Obsoleszenz, die der einzelne umsetzen kann, „als politisches Statement: gegen den Wegwerfwahn“, so der Sprecher. In dieser Narration wird Reparieren mit Ulrich Beck gesprochen zu einer Strategie der „Individualisierung globaler Risi-
35 Zur Sendung siehe Quarks und Co. 2012; Folgende Ausschnitte stammen aus dem Transkript der Sendung.
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ken“ 36 . Das „politische Statement“ meint eine performative politische Praxis „dagegen“: Gegen Wirtschaftsinteressen, gegen Ressourcenverschwendung, gegen Müllberge. Wie Timo Heimerdinger anregt, mache der Blick auf „Gegenkulturen“, auf Formen kultureller Oppositionen die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse besonders sichtbar. Das Kontra als „kulturell wirksamer Einspruch“ werde zur dynamisierenden und gesellschaftlich wirksamen Figuration, wie schon das Beispiel des Kleidertausches verdeutlichte.37 Welche Bedeutung haben mediale Repräsentationen für die Organisierenden? Inwiefern deuten die Organisatoren_innen von Repair Cafés ihr Tätigsein und das Reparieren als politische Praxis? Auf welche Diskursfelder und „Frames“38 greifen die Organisatoren_innen zurück, um Reparieren als Gegenstrategie narrativ herzustellen? Im Akteur-Netzwerk, so die These, der hier nachgegangen werden soll, handeln Akteure als „Formationen des Politischen“ 39 (Deutungs-)Macht aus. Wie Jens Adam und Asta Vonderau darstellen, verknüpfen Policies gesellschaftliche Kontexte, stellen soziale Beziehungen her, bringen materielle Konfigurationen und kulturelle Bedeutungen hervor:40 „Policies können bestimmte Handlungsanweisungen unterstützen und andere unterbinden; sie ordnen Räume und begründen neue institutionelle Strukturen; sie rufen öffentliche Diskurse hervor und etablieren deren Schlüsselbegriffe; sie privilegieren bestimmte Zukunftsvorstellungen oder Visionen vom ‚guten Lebenʻ.“41
Auf die oben angeführte Sendung machte mich Ruth, Initiatorin eines Repair Cafés, aufmerksam: Ich solle die Sendung von „Quarks und Co.“ als Vorbereitung zum Interview und zum Thema Repair Café gesehen haben. Diese Sendung habe für Ruth Gewissheit gebracht, dass die geplante Obsoleszenz „wirklich wahr“ sei und stellt für sie den Startpunkt für ihr Engagement dar. „Für mich war das Thema mit der geplanten Obsoleszenz eigentlich schon vorher im Kopf aus den 20er Jahren. Ich hatte dir das erzählt mit der Glühbirne, aber ich habe das mal so gehört, irgendwie war das, Fernsehen kann auch viel erzählen, also ist eine gewisse Skep36 Beck 2007, S. 302. 37 Heimerdinger 2013, S. 11. 38 Hellmann 1998, S. 20. 39 Vgl. Adam und Vonderau 2014b. 40 Die Ausdehnung und Zusammensetzung von Policies verändere sich ständig. Sie hätten ihr eigenes soziales Leben, verfügten über Handlungsmacht, und hätten Effekte sowie Rückwirkungen, so Adam und Vonderau (Adam und Vonderau 2014a, S. 18). 41 Adam und Vonderau 2014a, S. 19.
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sis angebracht. Nur als dann Quarks und Co. diese Sendung brachten und dieses Thema so umfassend und von allen Seiten beleuchtet hat und definitiv gesagt haben, die Geräte werden, das ist geplante Obsoleszenz und alles, was sie sagten und alles, was wir uns immer schon dachten, ist niet- und nagelfest, wenn die das bringen. Weil sonst werden die gleich rechtlich belangt, Unterlassungsklagen und in dem Moment war das eigentlich klar, es ist also wirklich wahr und es ist völlig klar, dass es so ist, und es regt mich auf und ich habʼ jetzt Zeit.“ (Interview vom 19.03.2013)
Ruth verfügt bereits über Vorwissen zum Thema des geplanten Verschleißes. Doch erst die Darstellung von „Quarks und Co.“, einer für Ruth vertrauenswürdigen Sendung, motivierte sie, die Idee eines Repair Cafés selbst umzusetzen. Das Beispiel zeigt, wie Wissen und Deutungen über geplante Obsoleszenz zwischen Akteuren – Medien, Repair Café-Macher_innen, Experten − zirkulieren, etwa auch, wenn Ruth mir als Forscherin die Sendung empfiehlt. Da sie sich über die dargestellten wirtschaftlichen Strukturen und den geplanten Verschleiß „aufregte“, es in ihrer Stadt noch kein ähnliches Projekt gegeben und sie als Rentnerin Zeit habe, wollte sie die Idee selbst umsetzen: „Darauf zu warten, dass andere es machen ist eine Geschichte, ich gucke mal, ob ich es auf die Beine kriege.“, so ihre Schilderung. Auch Kerstin beschreibt im Interview, dass ein Artikel über Repair Cafés sie zum Initiieren eines eigenen Cafés motiviert habe. Kerstin fühlte sich von dem Thema angesprochen und habe nach einem Tätigkeitsfeld außerhalb der Familie gesucht: „Ich habʼ einen Artikel gelesen im Spiegel. Das war Ende, Mitte oder Ende 2012. Das war so’n Einseiter, aus aller Welt, und der war überschrieben mit ‚Heile Weltʻ. Da sah man so ein Bild, typisch Repair Café, da standen paar Männer herum und guckten mit so Schraubenziehern bewaffnet auf Geräte und ich habʼ das gelesen und habʼ gedacht: ,Das ist ja mal eine einfache und total geniale (betont) Ideeʻ. Der war zwar soʼn bisschen sarkastisch, wie das oft im Spiegel ist, aber das hat mich irgendwie beeindruckt. Das ist so geblieben (betont). Dann habe ich den ausgerissen und hingelegt und habʼ immer mal wieder drauf geguckt. […] Ich habʼ ja jetzt zehn Jahre Familienauszeit gemacht, ganz bewusst auch, und habe nicht mehr gearbeitet und habʼ nur gedacht: ,Ach, wenn ich wieder einsteige, weiß ich auch gar nicht, ob ich wieder zu den alten Themen zurück willʻ, habʼ ich gedacht, ,Guck mal, dann ist das wohl was, was dich anspricht, diese Art mit Material und mit Wertstoffen umzugehen und Wissen zu teilen.ʻ“ (Interview vom 20.01.2014)
Der von ihr aufgehobene Artikel beschreibt die „Bewegung“ aus den Niederlanden: Die „Helden“ der „Revolution“ wollen „die Welt in Ordnung bringen“. Sie hätten der Überflussgesellschaft den Kampf angesagt, indem sie reparierten, so
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der Artikel.42 Die Verwendung dieser Begriffe wertet das Repair Café auf. Reparieren wird zu einer Praxis, mit der die Welt verbessert werden könne und Reparateure zu „Helden“ werden. Des Weiteren stellt der Artikel heraus: „Das Repair Café, so schwärmen Politiker und Sozialwissenschaftler, gehöre zu den zurzeit aufregendsten sozialen Projekten in den Niederlanden.“43 Mit dem Hinweis auf wissenschaftliche Experten und Politiker hebt der Artikel die Bedeutung des Konzeptes hervor. Er verweist dabei auf Deutungseliten: Politik und Wissenschaft als machtvolle Akteursgruppen „schwärmen“ vom „aufregendsten sozialen Projekt“. Die Verwendung dieser Begriffe wertet das Konzept der Repair Cafés auf.44 Dabei sei das Reparieren nicht nur eine Bewegung und ein soziales Projekt, sondern auch eine politische Aussage, wie es im Artikel weiter heißt: „Es geht dabei nicht nur um defekte Geräte, es geht um Politik, um Erneuerung, um eine Kulturrevolution.“45 Die medialen Repräsentationen nutzen Kerstin und Ruth, um ihr Engagement narrativ einzuleiten. Das gemeinschaftliche Reparieren wird zu einer „einfachen und total genialen Idee“, die in Form der Repair Cafés eine politische Dimension hat: Der Kampf gegen Überfluss. Überfluss entsteht in diesem Kontext aus den immer kürzeren Nutzungszyklen von Dingen, d.h. Produkte gehen schnell kaputt und werden dann weggeworfen. Wiederkehrende Motive in den medialen Repräsentationen als auch in den Interviews sind die geplante Obsoleszenz und das Reparieren als performative Praxis „dagegen“. Geplante Obsoleszenz oder vorläufiger Verschleiß meint, dass Produkte schneller verschleißen, als sie sollten.46 „Aktuell nachgewiesene Beispiele für geplanten Verschleiß sind unterdimensionierte Kondensatoren in Receivern oder Computern, die Verwendung von Kunststoff statt Metall bei schwingenden Kleinbauteilen, fest verbaute Akkus in elektronischen Zahnbürsten oder
42 Der Spiegel 2012, S. 98. 43 Der Spiegel 2012, S. 98. 44 Die mediale Aufwertung der Praxen und die Bedeutung der Wissenszirkulation in den Forschungsfeldern werden im Kapitel 8 mit dem vergleichenden Blick auf alle drei Felder nochmals aufgegriffen. 45 Der Spiegel 2012, S. 98. 46 Vance Packard hat bereits 1960 auf Obsolenszenz hingewiesen. Er unterscheidet: Ersten die funktionelle Obsoleszenz durch die Produkte veralten und durch neue Produkte ersetzt werden, die die Funktionen besser erfüllen; zweitens die qualitative Obsoleszenz als geplantes Versagen oder Verschleißen eines Objekts zu einem bestimmten Zeitpunkt; drittens die psychologische Obsoleszenz, durch die Objekte aus Modegründen als überholt betrachtet werden (vgl. Packard 1960).
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Epiliergeräten, geklebte statt geschraubte Produkte sowie eine mangelhafte Ersatzteilversorgung.“47
An der Wissensproduktion zum geplanten Verschleiß sind vielfältige Akteursgruppen beteiligt, neben den Repair Café-Macher_innen auch andere zivilgesellschaftliche und politische Akteure, wie Verbraucherschutzverbände oder NGOs, deshalb sollen sie im Folgenden kurz mit ihren Positionen dargestellt werden. Die bundesweiten Verbraucherzentralen arbeiten nach eigenen Angaben als unabhängige, gemeinnützige Organisationen und betreiben verbraucherpolitische Lobbyarbeit. 48 Der Bundesverband hat das Thema des geplanten Verschleißes 2012 aufgegriffen und argumentiert, dass es nicht empirisch nachzuweisen sei, dass Unternehmen Sollbruchstellen in ihre Produkte einbauen würden. Die Industrie begründe die kurze Haltbarkeit von Produktteilen oder bestimmte Verarbeitungsweisen mit begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten, die mit günstigen Produkten einhergehen, so der Bundesverband.49 Der Verband sieht zwei Akteursgruppen in der Pflicht: Konsumenten könnten mit ihrer Kaufentscheidung Einfluss darauf nehmen, welche Produkte angeboten werden und die Politik könnte das Gewährleistungsgesetz überarbeiten oder die Reparier- und Nachrüstbarkeit von Produkten in der EU-Ökodesign-Richtlinie verankern. Das Magazin und Onlineportal „CHIP“ veröffentlicht Produkttests und Kaufberatungen. In einem Beitrag kritisiert CHIP die Annahme von geplantem Verschleiß, da sich diese These nur schwer nachweisen lasse: „Denn alle Geräte unterliegen einem gewissen Verschleiß: Displays werden dunkler, Akkus schnell leer und Flash-Speicherzellen in SSDs verkraften nur eine bestimmte Zahl an Schreibvorgängen. Solche Alterungserscheinungen konnten wir im CHIP Testcenter
47 Schridde 2012, S. 57. 48 Die erste Verbraucherzentrale wurde 1957 gegründet. Der 2000 gegründete Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) entstand aus dem Zusammenschluss von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, der Stiftung Verbraucherinstitut und des Verbraucherschutzvereins. Die sechzehn Verbraucherzentralen der Länder und weitere 25 verbraucherpolitisch orientierte Verbände wie Hausfrauenvereine, der Deutsche Mieterbund und Familienverbände gehören dem VZBV an. „Hauptaufgaben sind die Vertretung der Verbraucherinteressen gegenüber Politik und Wirtschaft, die Förderung der Verbraucherinformation und -beratung, die Koordination der Arbeit der Mitgliedsorganisationen.“ (siehe bpb.de). 49 Siehe vzbv.de (2012a).
162 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT nachweisen, indem wir getestete Geräte nach jahrelangem Einsatz erneut gemessen haben.“50
Stiftung Warentest ist als Verbraucherorgan ein etablierter Anbieter von Produkttestergebnissen auch im Elektronikbereich.51 Die Langlebigkeit oder Reparaturfähigkeit von Geräten ist bei deren Tests kein Kriterium für die Bewertung. In einer Studie konnte die Stiftung Warentest keine geplante Obsoleszenz nachweisen.52 Ein weiterer Akteur innerhalb des Verbraucherschutzes ist der Verein „Murks? Nein Danke!“. Stefan Schridde ist Initiator dieser Initiative und bezeichnet die Ausstrahlung der Reportage „Kaufen für die Müllhalde“53 als Startschuss für sein Engagement. Im Februar 2012 begann er seinen Internetblog „Murks? Nein Danke!“, auf dem er Beispiele für schlechte Produktqualität sammelt. Schridde erarbeitete mit dem Volkswirt Christian Kreiß und dem Wirtschaftsingenieur Janis Winzer ein Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. 54 Weil Schridde ein zentraler Akteur in der RepairCommunity ist und seine Arbeit in der Community stark rezipiert wird, sollen die Ergebnisse hier kurz vorgestellt werden. Das Gutachten von Schridde et al. stellt heraus, dass es marktspezifische Anreizsysteme gebe, die zu Kurzlebigkeit von Produkten führten. Alle Marktteilnehmenden handelten zwar rational, der Allgemeinheit entstünden daraus aber Nachteile:
50 Siehe chip.de. 51 Deren Beurteilung von Handküchenmaschinen kritisiert Tornieporth in ironischer Weise, wenn sie beschreibt, man könne im Stil der Beurteilung durch die Stiftung Warentest Empfehlungen für die Anschaffung von Küchenkleingeräten auch wie folgt beschreiben: „Wer überflüssigen Stauraum hat, die Anschaffungskosten nicht scheut, auf Sicherheit und gute Arbeitsergebnisse nicht so angewiesen ist und das Versprechen auf Arbeitsersparnis ohnehin nicht ernst nimmt, der soll diese Geräte ruhig kaufen.“ (Tornieporth 1995, S. 62). Aus einer öko-sozialen Kritik ließe sich noch hinzufügen: „wem egal ist, unter welchen Arbeits- und Umweltbedingungen die Produkte hergestellt und entsorgt werden“. 52 Siehe Stiftung Warentest 2013. 53 Neben dem Film (Dannoritzer und Reuss 2010) gibt es auch ein Buch von den beiden Regisseuren (Reuss und Dannoritzer 2012). Zwei weitere populärwissenschaftliche Bücher zu dem Thema haben Stefan Schridde und Christian Kreiß veröffentlicht (Schridde 2014; Kreiß 2014). 54 Siehe Schridde et al. 2013.
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„In der Ökonomie spricht man in diesem Zusammenhang vom sogenannten ‚Prisonerʼs Dilemmaʻ und man behandelt solche Ansätze im Rahmen der ‚Public Choiceʻ‐ bzw. der Spieltheorie. Was individuell für jedes einzelne Unternehmen von Vorteil ist, ist für die Allgemeinheit von Nachteil.“55
Es gebe dabei Faktoren, die Richtung geplante Obsoleszenz als „Massenphänomen“56 wirkten. Der Analyse der Autoren zufolge führten gesättigte Märkte dazu, dass Produzenten unter großen Preisdruck stünden. Sie reduzierten die Produktionskosten, indem sie günstigere Materialien verwendeten. In der Wirtschaft wird die Konzeption von Kurzlebigkeit als Death Dating, Build-to-Break oder Design-to-Cost bezeichnet.57 Des Weiteren seien die Märkte für Elektronikgeräte unübersichtlich und intransparent, es gebe einen Überfluss von Produkten. Die Produzenten stünden in großer globaler Konkurrenz. Um den Kundenkreis zu erweitern, würden neue Produktlinien entwickelt und in immer kürzeren Zyklen auf den Markt gebracht. Die Vorstellung, dass Kunden stets nach dem Neuesten verlangten, basiere auf der Annahme, dass Verbraucher_innen die ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen ihres Kaufverhaltens nicht reflektierten, so Schridde. Die schnelle Abfolge von neuen Produktlinien führe dazu, dass Testphasen kürzer würden. Stellten sich Mängel heraus, würden diese durch neue Modelllinien ausgebessert, sodass ein neuer Absatzmarkt entstehe. Einen weiteren Grund für die verkürzte Lebensdauer von Produkten sehen die Autoren darin, dass die Kapitalmarkt- bzw. starke Gewinnorientierung der Hersteller dazu führe, dass nicht auf Langlebigkeit produziert werde, sondern auf kurzfristige Gewinnmaximierung. Gewinninteressen und die Verantwortung gegenüber den Produzierenden von Rohstoffen, den Arbeitnehmern und Kunden, sowie eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung würden immer wieder in Konflikt mit kurzfristigen Zielen und der Profitorientierung stehen: „Je größer die Unternehmen, je stärker die Gewinn- und Kapitalmarktorientierung, je mehr anonyme Aktionäre, an deren Interesse die Unternehmensstrategie ausgerichtet wird, desto weniger fallen ethische Bedenken ins Gewicht, desto stärker dürfte die Anfälligkeit des Managements für geplanten Verschleiß sein. Inhabergeführte kleinere und mittlere Unternehmen, deren Inhaber sich für ihre Produkte verantwortlich fühlen, neigen normalerweise weniger zur Strategie des geplanten Verschleißes.“58
55 Siehe Schridde et al. 2013, S. 8. 56 Siehe Schridde et al. 2013, S. 12. 57 Siehe Schridde 2012, S. 57. 58 Siehe Schridde et al. 2013, S. 12.
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Deutlich wird, dass Schridde et al. von Interessenkonflikten im Umgang mit Dingen ausgehen. Die Autoren arbeiten heraus, dass es aus ökonomischer Perspektive vorteilhaft sei und die Rendite für Unternehmen steigere, wenn sie kostengünstigere, aber weniger lang haltende Produkte herstellten. „Die Nachteile in Form geringerer Haltbarkeit tragen jedoch alle Verbraucher“59, so die Argumentation der Autoren. Das Deutungsmuster, auf das die Autoren hier zurückgreifen, verweist auf die rational-choice-Theorie. Diese ist in der Mikroökonomik etabliert und begründet wirtschaftliches Verhalten auf Basis des homo oeconomicus. Ausgangspunkte sind die Annahme von Knappheit und vom individuellen, Nutzen maximierenden Verhalten. Dieses wirtschaftstheoretische Konzept meint, „dass es nur eine einzige universelle ökonomische Logik des Optimierens gibt, die auf der Ebene des Entscheidungsverhaltens der Individuen zum Tragen kommt. Hat ein Individuum die Auswahl zwischen zwei oder mehreren Gütern, entscheidet es rational, d.h. es wählt jenes Gut, das mit geringstem Aufwand den größten Nutzen oder den größten Gewinn verspricht.“60
Schridde et al. entwickeln ein „gesamtgesellschaftliches Aktionsprogramm“ 61 , das Bürger, Wirtschaft, NGOs und Politik einbezieht. Ziel dabei sei die Entwicklung einer Kultur der Entschleunigung, der Wiederverwertung, der Eigenreparatur, der Kreislaufwirtschaft und der regionalen Autarkie, des Wiederverkaufs und der kollektiven Nutzung.62 Über die Bedeutungszuschreibung von Elektronikgeräten und die Kritik an wirtschaftlichen Strukturen formulieren Schridde et al. sozial-politische Forderungen mit dem Ziel, eine Kultur der Eigenreparatur zu etablieren. Der Praxis des Reparierens wird in dieser Deutung politisch. Insofern ist es auch plausibel, dass sich politische Akteure zunehmend mit geplanter Obsoleszenz auseinander setzen. Unter dem Stichwort „Abfall und Ressourcen“ geht das Umweltbundesamt der Frage nach, wie die Politik langlebige Produkte fördern könne.63 Das Umweltbundesamt legt in einer Studie entsprechende Zahlen zur Obsoleszenz vor und unterscheidet in werkstoffliche,
59 Siehe Schridde et al. 2013, S. 19. 60 Siehe Seiser 2009, S. 161. 61 Siehe Schridde et al. 2013, S. 75. 62 Siehe Schridde et al. 2013, S. 76. 63 Das Umweltbundesamt veranstaltete zwei Tagungen „Wider die Verschwendung – konkrete Schritte zur Abfallvermeidung“ am 22.05.2014, sowie „Wider die Verschwendung II – Strategien gegen Obsoleszenz“ am 25.07.2015.
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ökonomische, funktionale und psychologische Obsoleszenz. 64 Die Studie bemerkt kritisch: „[D]ie zahlreichen subjektiven Erfahrungen von Konsumenten und Konsumentinnen (z.B. im Internet-Portal ‚Murks? Nein Danke!ʻ) geben wichtige Hinweise für Qualitätsunterschiede bei Produkten, wiederholt auftretende Qualitätsmängel und Schwachstellen, die zur Einschränkung der Lebensdauer von Produkten führen. Grundsätzliche bzw. repräsentative Aussagen zur Lebensdauer von Elektro- und Elektronikgeräten lassen sich auf Basis der vorliegenden Aussagen allerdings nur beschränkt wissenschaftlich fundiert ableiten.“65
Der Internetblog von „Murks? Nein Danke!“ leiste zwar qualitativ einen wichtigen Beitrag, um auf Merkmale von minderwertigen und kurzlebigen Produkten hinzuweisen. Deren Ergebnisse seien aber nicht wissenschaftlich belastbar, so die Deutung aus politischer Perspektive. Während die Arbeit von Schridde sich auf einer exemplarischen Ebene dem Phänomen nähert und stärker qualitativ argumentiert, d.h. die vorherrschenden Deutungsmuster und die daraus resultierenden Wirtschaftspraktiken herausarbeitet, dokumentiert die politische Perspektive mit quantitativen Methoden Nutzungsdauer und Verschleiß von Geräten. Während die Verbraucher_innen durch die Infrastruktur von „Murks? Nein Danke!“ Kritik an wirtschaftlichen Strategien artikulieren, verweisen politische Akteure darauf, dass geplante Obsoleszenz nicht nachweisbar sei. Wie im Diskursfeld zum geplanten Verschleiß deutlich wird, unterscheiden sich die Wahrnehmung und Deutung von Haltbarkeit und nutzungsbedingtem Verschleiß. Die wirtschaftlichen und politischen Strukturen als Begründung, warum Dinge vorschnell zu Müll werden, stehen dabei im Zentrum von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen, in denen Deutungshoheiten ausgehandelt werden. Im Kontext dieser Diskurse wird Reparieren zunehmend als Praktik von politischer Bedeutung konzeptualisiert. Auch die Initiatoren_innen von Repair Cafés verweisen im Interview auf die mangelhafte Haltbarkeit von Produkten. Was in den Interviews deutlich wird, ist ein Bruch zwischen alltagskulturellem Verständnis von „Garantie“ und vorzeitigem Verschleiß. Die gesetzliche Sachmängelhaftung meint, dass eine Ware frei von Sach- und Rechtsmängeln ist. Geregelt wird dies durch § 433 Abs. 1 BGB. Der Mangel muss bereits bei der Übergabe der Ware vorhanden sein. Der Käufer hat dann das Recht, den Mangel beheben zu lassen. Die Sachmängelhaftung gilt zwei Jahre. In der Alltagswahrnehmung wird dies oft mit der Garantie gleichge64 Siehe dazu den Vortrag von Ohme 2013; siehe auch den detaillierten Zwischenbericht Umweltbundesamt 2015, S. 32. 65 Umweltbundesamt 2015, S. 17.
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setzt. Die Garantie ist für den Garantiegeber freiwillig. Der Garantiegeber bestimmt dabei selbst über den Zeitraum und das mögliche Handeln. Wie sich in den Interviews zeigt, wird die Garantie als eine Frist verstanden, bis zu der der Hersteller bei „normaler“ Benutzung garantiert, dass das Gerät funktionstüchtig ist. In der Wahrnehmung der Interviewten gehen Geräte kurz nach dieser Garantiezeit kaputt. Daraus schließen sie, dass Geräte so konstruiert seien, dass sie nur in einer vom Produzenten bestimmten Dauer halten. Die Menschen seien empört darüber, so schildert die Café-Organisatorin Lisa: „Die Repair Cafés sind eine Antwort dagegen. Das man gegen diese geplante Obsoleszenz kämpft.“ (Interview vom 11.03.2013) Die Begriffe „dagegen“, „Kampf“ und „empört“ verweisen auf wahrgenommene Machtunterschiede. Ruht erklärt ihr ehrenamtliches Engagement mit ihrem Protest gegen kurze Haltbarkeit und gegen Strukturen, die Eigenreparatur verhindern: „Das hat mich schon immer aufgeregt, also auch wieder diese Sparsamkeitsgeschichte, von der wir vorhin gesprochen haben, wie schnell Dinge kaputt gehen und wie schwer es einem gemacht wird, die auch noch selber zu reparieren, also Drucker, Computer und sonstige Geschichten.“ (Interview vom 19.03.2013)
Sie kritisiert hier zum einen den vorzeitigen Verschleiß und zum anderen verschiedene Interessenlagen und Strukturen, die Reparieren erschweren. Das Reparieren in Gemeinschaft stellt Ruth im Interview als Strategie dar, mit der sie ihre Kritik an wirtschaftlichen Strukturen performativ ausdrücken und „der Industrie ein Schnippchen schlagen“ kann. Sie verweist dabei nicht nur auf eine Haltung „dagegen“, sondern auf die Übersetzung des Protests in Handeln. Die Repair Café-Macher_innen66 setzen Reparieren erstens in den Kontext einer Protestbewegung gegen geplante Obsoleszenz sowie gegen spezifische wirtschaftliche Strukturen und verstehen zweitens das gemeinschaftliche Reparieren als eine Strategie der Ermächtigung. Kerstin argumentiert, dass das Konzept der Reparaturtreffen auf das Bedürfnis treffe, aktiv gegen vorhandene Missstände vorzugehen: „Bei manchen spüre ich auch so eine leichte Wut, so ein Genervtsein auf so eine Ohnmachtssituation, gerade als Konsument, sich veräppelt fühlen auch. Und dann ist das na66 Der Begriff der Macher_innen fällt im Kontext von Repair Cafés zur Bezeichnung der Organisatoren_innen und Reparateure_innen häufig (siehe beispielhaft anstiftung.de: pageflow). Er erinnert an den Begriff der Maker-Bewegung, welche sich im Kontext spezifischer Technologien und Infrastrukturen, wie 3D-Drucker und FabLabs, formiert (siehe dazu Walter-Herrmann und Büching 2013 sowie Anderson 2013).
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türlich nett, wenn man Menschen trifft, die das teilen, oder die auch was anbieten, was anderes, ein anderes Gefühl parat haben, nämlich: ‚Guck mal, wir können was machen hier und es geht auch anders. Es ändert sich was.ʻ“ (Interview vom 20.01.2014)
Ruth konstatiert: „Also wir können und wollen auch nicht die Wirtschaft umkrempeln, das wär völlig paradox, aber wir sind nicht mehr so ausgeliefert, dass wir dieses Spiel mitmachen müssen, das Verarscht-Werden.“ (Interview vom 19.03.2013) Während Kerstin sich durch die Verwendung von „die“ narrativ abgrenzt, schließt Ruth sich mit der Verwendung von „wir“ ein. Die Begriffe „ausgeliefert sein“, „Ohnmacht“, „Verarscht werden“, „Genervt sein“, „sich veräppelt fühlen“ verweisen auf die narrative Verarbeitung von Handlungsmacht bzw. auf fehlende Handlungsmacht. Emotionen sind für die Kulturanthropologin Monique Scheer „Kommunikations- und Tauschmedien in sozialen Beziehungen“67, die „gemäß einer gegebenen kulturellen Logik produziert und wahrgenommen“68 werden. Die Logik, die sich hier ausmachen lässt, kann in Hinblick auf die Praxistheorie von Ortner interpretiert werden.69 Die Interviewten verweisen durch die Verwendung von emotionalen Begriffen auf die Differenz zwischen Struktur und Agency. Wirtschaftliche Strukturen, so die Wahrnehmung der Interviewten, könnten nicht verändert werden. Dies löst wiederrum „leichte Wut“ aus. Das gemeinschaftliche Entwickeln von Alternativen in Form von Repair Cafés und das kollektive Reparieren ermöglichen ein „anderes Gefühl“. Sowohl die Ohnmacht als auch die Handlungsmacht ist hier in emotionale Narrationen eingebunden. Scheer stellt auch heraus, dass es Praktiken gebe, die Emotionen hervorrufen. 70 Diese mobilisierenden Praktiken könnten etwa Mediennutzung, aber auch Geselligkeit oder Gemütlichkeit sein. Das von Kerstin thematisierte Gemeinschaftsgefühl als Gefühlspraxis kann mit der Bezeichnung „Café“ und den Materialisierungen der konkreten Orte verdichtet werden. 71 Der Protest gegen wirtschaftliche Strukturen materialisiert sich in den Repair Cafés, bei denen „man Menschen trifft, die das teilen“ und in denen in der community of practice ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Repair Cafés zeigen für Kerstin, dass „es auch anders geht“ und sich etwas ändert. Sie sind in dieser Lesart auch Symbole für Handlungshorizonte und gesellschaftliche Transformation. Der Einzelne könne im Reparieren Handlungsmacht erfahren und den Ohnmachtsgefühlen etwas „Sinnvolles“ entgegenstellen und gemeinsam mit anderen 67 Scheer 2016, S. 16. 68 Scheer 2016, S. 16. 69 Vgl. Ortner 2006. 70 Vgl. Scheer 2016. 71 Diese soziale Dimension steht im Kapitel 6.3 explizit im Fokus.
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etwas Gutes tun, so die Deutung von Kerstin: „Also das Repair Café hat den Vorteil, dass es so eine ganz alltägliche Möglichkeit bietet für jeden (betont) aus einem persönlichen Bedarf heraus, was Sinnvolles zu tun. Es ist einfach eine Win-Win-Situation für alle.“ (Interview vom 20.01.2014) Folgt man Ulrich Beck in seinen theoretischen Überlegungen zur Weltrisikogesellschaft und seiner These, dass „[i]n Verbindung mit dem Neoliberalismus [wird] der Einzelne zum ,moralischen Unternehmer seiner Selbstʻ und damit verantwortlich für das zivilisatorische Schicksal“72 werde, dann lässt sich Reparieren als eine Strategie begreifen, durch die der Einzelne einen nachhaltigen oder schonenden Umgang mit begrenzten Ressourcen praktizieren kann. Damit kann der Einzelne Handlungsmacht auf einer individuellen Ebene erleben. Diese Handlungsmacht interpretiert Maik als Form der Emanzipation: „Man hat so ein Erfolgserlebnis und ich glaubʼ, das ist, was eine nachhaltige Gesellschaft, wenn man repariert, auszeichnet. Dass man Erfolgserlebnisse hat. Dass man wieder ein bisschen so ein Machtgefühl über das eigene Leben und die Dinge, die man benutzt, hat. Dass die einen nicht so bestimmen und einen hängen lassen, wenn man sie braucht. Sondern dass man das selber machen kann.“ (Interview vom 11.02.2014)
Dinge, so Maiks Deutung, können „bestimmen“ und „hängen lassen“. Er schreibt ihnen eine aktive Rolle zu. Diese Deutung lässt sich an die Idee der Akteur-Netzwerk-Theorie anschließen und kann auch mit dem Eigensinn der Dinge interpretiert werden. Dinge wirken auf den Menschen und entwickeln ein Eigenleben, weil sie sich den gewünschten Handlungen widersetzen. 73 Mit jedem technischen Fortschritt werde man mehr in die Abhängigkeit und Hilflosigkeit gedrängt, da die Menschen nicht mehr mit den Geräten umgehen könnten, so Maik. In dieser Deutung ist das Reparieren eine Strategie, um sich die Dinge als Materialisierung von Wissensordnungen anzueignen. Dieses Wissen und die Erzeugung des Wissens im performativen Handeln 74 erschließen Handlungshorizonte. Das Reparieren soll die Besucher_innen ermächtigen, durch den Umgang mit den Materialien die darin materialisierten Machtstrukturen zu erkennen, wie Kerstin beschreibt: „So bald du dich mit Dingen beschäftigst, wird dir ja auch vieles über die Qualität klar, wo es mangelt oder wo man oft veräppelt wird von Herstellern. Das kann ein spannender Aspekt werden, kann auch gefährlich werden, weil es dann politisch wird.“ (Interview vom 20.01.2014) Reparieren, so ihre Deutung, ist ermächtigend und auf Grund dieser politischen Dimension „ge72 Beck 2007, S. 302. 73 Vgl. Hahn 2015. 74 Vgl. Fischer-Lichte 2011.
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fährlich“. Auch das Sammeln von mangelhaften Produkten etwa in Form des Murkseums75 wird in diesem Kontext von ihr politisiert. „Ich hoffe, dass Menschen wie Stefan Schridde das schaffen, ihr Muckseum zu bauen. Ich finde das eine super Idee, dass man an einen Ort gehen kann, wo direkt die Sachen liegen. Man könnte auch anfangen, sowas direkt im Repair Café zu sammeln oder zu dokumentieren. Aber das ist schon fast Politik.“ (Interview vom 20.01.2014)
Dies sei ein Schritt weiter und erst mal kein Aufgabenbereich, so Kerstin. Ihre Aufgabe als Initiatorin, so lässt sich ihre Aussage deuten, sei nicht die Politisierung von Reparieren, sondern das Schaffen eines sozialen Raums, in dem Menschen gemeinschaftlich reparieren können. Kerstins Aussage verweist darauf, dass die Auseinandersetzung mit Dingen und Material ermächtigend wirkt, weil sich über die Objekte die dahinter liegenden Infrastrukturen und Machtkonstellationen aufdecken lassen.76 Die emanzipatorische Wirkung von Tätigsein wird auch im Manifest77 der iFixit-Bewegung aufgegriffen. Die anstiftung & ertomis hat auf ihrer Homepage drei Manifeste verlinkt, die „auch im Rahmen von Repair Veranstaltungen Verwendung finden können“78. Aufgezählt werden das Repair Manifesto von iFixit, von Platform21 und von sugru. Das Manifest von iFixit beispielsweise fordert das Reparieren, weil es besser als Recycling sei, Geld spare, Wissen über die Dinge vermittle und angesichts endlicher Ressourcen den Planeten rette. Das Manifest argumentiert mit einem Aneignungsideal: „Was man nicht reparieren kann, das besitzt man nicht.“79 Durch die Auseinandersetzung mit den Dingen eigne man sich die Welt an und könne sie in diesem Sinne auch erst emanzipiert gestalten. Auf dieses Motiv hat auch Maik im Interview verwiesen, als er meint, dass Reparieren zu einem Machtgefühl über das eigene Leben und über die Dinge beitrage (Interview vom 11.02.2014) Das Manifest schreibt dem Reparieren mehrere Funktionen zu. Erstens wirke es emanzipierend bzw. ermächtigend, 75 „Die Sammlung von MURKS? NEIN DANKE! präsentiert mit seiner Wanderausstellung MURKS.SHOWROOM eine Auswahl vielfältiger Exponate aus unterschiedlichen Sortimenten und vermittelt Hintergrundinformationen, die die Ursachen und Methoden einer Produktion aufzeigen, die durch Renditegier gesteuert, am Markt der werdenden Kreislaufgesellschaft vorbeiproduziert.“ Die Ausstellung wurde in Räumen der IGMetall von 05.03. bis 25.04.2014 in Berlin gezeigt (siehe murkseum.de). 76 Vgl. Beck 2012. 77 Siehe iFixit.com. 78 Siehe anstiftung.de. 79 Siehe iFixit.com.
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zweitens sei es wirtschaftlich für den Einzelnen, weil es Geld spare und drittens sei es ökologisch sinnvoll und nachhaltig, weil es Ressourcen schone. Durch das Manifest wird Reparieren normativ aufgewertet und als gesellschaftlich, sozial und politisch relevant konstruiert. Das Manifest stellt dar: „Repair makes consumers into constributers“80. Reparieren verändere die Rolle von Menschen. Sie werden von passiven Konsumenten zum aktiven Mitwirkenden. Deutlich wird in diesem Manifest, dass Reparieren ideologisch aufgeladen ist und reparierenden Akteuren Handlungsmacht zuschreibt. Zusammenfassend sind Repair Cafés erstens eine Protestform gegen geplanten Verschleiß. Reparieren bekommt angesichts von wirtschaftlichen Strukturen, die alltägliches Reparieren erschweren, eine politische Dimension. Repair Cafés werden zweitens zu Symbolen gesellschaftlichen Wandels und Handlungsmacht, sowohl auf gesellschaftlicher als auch individueller Ebene. Drittens politisiert die Repair-Community Reparieren durch die Formulierung einer Resolution. Anlässlich des ersten bundesweiten Vernetzungstreffens der Reparaturinitiativen aus ganz Deutschland im Oktober 2014 im Deutschen Museum in München hat die Repair-Bewegung eine Resolution veröffentlicht, die „die Kraft und industriepolitische Vision der Reparaturbewegung zum Ausdruck bringt“81. Der Einladung der Stiftung anstiftung & ertomis waren über 120 Vertreter_innen von Initiativen und Interessierte gefolgt. In der Resolution heißt es, die Akteure „nehmen nicht hin, dass wertvolle natürliche und menschliche Ressourcen dadurch [geplanter Verschleiß, Anm. MG] verschwendet werden. Als wachsende bürgerschaftlich getragene Bewegung von unten, engagieren wir uns für eine Verlängerung der Lebensdauer von Gebrauchsgütern und regen so zu einem bewussten Konsumverhalten an. Wir sorgen uns um die Natur und die Lebensbedingungen unserer Kinder und Enkel. Genauso liegen uns die Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen aus den Ländern am Herzen, in denen Rohstoffe abgebaut, Güter produziert und in die unser Elektro-Schrott und Müll exportiert wird.“
Ziele der nächsten fünf Jahre seien: erstens ein einfaches, in seinen Vergabekriterien transparentes Reparatursiegel, zweitens ein starkes Netzwerk der Reparaturinitiativen, drittens Initiativen zur Erhöhung der Produktnutzungsdauer und Reparaturfreundlichkeit und viertens die Etablierung nachhaltiger Gebrauchsgüter in der öffentlichen Wahrnehmung sowie fünftes die Beeinflussung von Verbraucher_innen und Gesetzgebung durch die kontinuierliche Skandalisierung 80 Siehe iFixit.com. 81 Siehe anstiftung.de: Resolution; Auch die weiteren Zitate speisen sich aus dem Resolutions-Dokument.
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geplanter Obsoleszenz. Mit ihren Forderungen wolle die Repair-Bewegung die Öffentlichkeit ansprechen, informieren und sich politisch positionieren. Die Kritik am Umgang mit natürlichen und menschlichen Ressourcen verdichtet und materialisiert sich in Form der Resolution. Ziel sei, politisch Einfluss zu nehmen. Ausgangspunkt ist dabei die Erfahrung des gemeinsamen Reparierens: „Bei jeder Reparaturaktion entdecken wir Schwachstellen an elektrischen und elektronischen Geräten, ebenso Gehäuse, die nicht oder nur sehr schwer zu öffnen sind.“ Deutlich werden zwei Ebenen: Einmal geht es um die direkte politische Einflussnahme – um die „Beeinflussung […] der Gesetzgebung durch […] Skandalisierung geplanter Obsoleszenz“ – und zweitens um sozial-politische Ziele – Aufklärung, Bildung, Wissensvermittlung. Im Feld der Repair Cafés zeigte sich, dass unterschiedliche Akteure Repair Cafés als Form des Protestes deuten: etwa mediale Repräsentationen, die Initiatoren_innen und die deutsche Stiftung. Der Protest, so wurde deutlich, richtet sich besonders gegen geplanten Verschleiß und gegen entsprechende wirtschaftliche Strukturen. Das Diskursfeld zum geplanten Verschleiß ist durch die Aushandlung von Deutungsmacht und Wissenszirkulation gekennzeichnet. Repair Cafés wirken ermächtigend: Ersten erleben sich die Repair Café-Macher_innen als handlungsmächtig. Zweitens verstehen die Organisatoren_innen das konkrete Reparieren als Gegenstrategie, durch die die Besuchenden Handlungsmacht erfahren können. Als „Formation des Politischen“82 dienen die Repair Cafés als gesellschaftliche Reformprojekte, die die Organisatoren_innen, die Besucher_innen und die Reparateure_innen ermächtigen. Reparieren wird dabei zu einer politischen Praxis. Repair Cafés als Policies verknüpfen gesellschaftliche Kontexte etwa von globalen Wirtschaftstrukturen, alltäglichen Konsumpraktiken und Reparieren, rufen öffentliche Diskurse über Wirtschaftsstrategien hervor und etablieren den Schlüsselbegriff der geplanten Obsolenszenz. Sie privilegieren einen Zukunftsentwurf, der hier durch nachhaltiges Wirtschaften mit Ressourcen und einen alltäglichen nachhaltigen Umgang mit Gebrauchsdingen gekennzeichnet ist.83 Als Policie stellen Repair Cafés soziale Beziehungen her, deshalb sollen im Folgenden die konkreten Orte der Repair-Bewegung im Mittelpunkt stehen und als soziale Orte analysiert werden.
82 Vgl. Adam und Vonderau 2014b. 83 Vgl. Adam und Vonderau 2014a, S. 19.
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6.3 R EPAIR C AFÉS
ALS SOZIALE
O RTE
Es ist Samstagnachmittag. Kurz bevor die Besucher_innen eingelassen werden, kommt die Gruppe noch einmal im Kreis zusammen: gut zwanzig Männer und Frauen, die meisten im Alter zwischen vierzig und sechzig. Eine der Hauptorganisatorinnen begrüßt alle Helfer, erläutert den Ablauf und macht deutlich: ‚Ihr müsst euch selbst Pausen nehmen, wenn es zu viel wird.ʻ Beim letzten Mal war der Andrang so groß, dass die Reparaturexperten im Dauereinsatz waren und bis zum Schluss zusammen mit Besuchern_innen nach Lösungen für defekte Geräte suchten. Nach der Veranstaltung soll es noch Suppe für die Helfenden geben. Dann gehen alle an ihre Arbeitstische. Ich bin im Küchenteam und werde mich zusammen mit zwei Frauen um Kaffee und Kuchen kümmern. Unten an der Treppe, wo schon bei meiner Ankunft vor einer halben Stunde Menschen mit Geräten warteten, werden die Trennwände weggeschoben und das Repair Café offiziell geöffnet. Vorne am Begrüßungstisch stehen die Besucher_innen wieder an. Dort werden die ersten Diagnosen gestellt und Zettel mit Nummern in verschiedenen Farben verteilt: Die Nummer für die Reihenfolge, die Farbe für das Reparaturproblem und die Geräteart (Feldnotiz vom 27.01.2014).84 Diese kurze Darstellung aus dem Feldtagebuch gibt einen ethnographischen Einblick in ein Repair Café. Die Ausführung zeigt, dass ein Repair Café ein Gemeinschaftsprojekt ist, das vielfältige Akteure in der Vorbereitung und Durchführung benötigt: Organisatoren_innen, Reparaturexperten und Helfende. Wie entsteht eine Gruppe von Menschen, die sich wie in dem Beispiel Samstagnachmittag zusammenfindet, um ehrenamtlich tätig zu sein? Welche Bedeutung hat das Ehrenamt auf die Selbstdeutung der Organisatoren_innen? Wie sind Repair Cafés gestaltet? Was kennzeichnet die Cafés als soziale Orte? Im AkteurNetzwerk, so die These, stellt das Teilen von Wissen soziale Beziehungen bzw. communities of practice her.85 „Communities of practice are groups of people who share a concern or a passion for something they do and learn how to do it better as they interact regularly.“ 86 Das Lernen bzw. die Wissenszirkulation 87 findet nicht nur zwischen Menschen statt, sondern auch zwischen Menschen und Dingen. Wissen wird in Anlehnung an die Akteur-Netzwerk-Theorie durch die Übersetzungen zwischen Objekten und Subjekten gerade im performativen 88
84 Dieser Ausschnitt ist bereits in einem Artikel veröffentlicht (Vgl. Grewe 2016). 85 Vgl. Wenger 1998. 86 Wenger 2011, S. 1. 87 Keller 2005, S. 60. 88 Vgl. zur Performativität Fischer-Lichte 2011.
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doing produziert.89 Wie Wenger darstellt, ist Lernen in communities of practice durch vier Elemente gekennzeichnet: Die Gemeinschaft, die Identifizierung der Individuen mit der Gemeinschaft, die Bedeutungszuschreibung und die Praxis. „Participation here refers not just to local events of engagement in certain activities with certain people, but to a more encompassing process of being active participants in the practices of social communities and constructing identities [Hervor. i. O.] in relation to these communities.“90
Die community of practice ist in diesem Sinne nicht nur durch den konkreten Ort begrenzt, sondern erstreckt sich auf die soziale Bewegung, die wiederum durch die Praxis der Akteure und durch Diskurse, Normen und Materialisierungen gekennzeichnet ist. Daraus ergibt sich folgende These: Die community of practice wird in den konkreten Veranstaltungen erfahrbar. Dabei materialisieren sich Bedeutungen, Diskurse und normative Vorstellungen in den Räumen. Zunächst gilt es, die Cafés als Gemeinschaftprojekte zu kontextualisieren. Die von mir besuchten Repair Cafés wurden von Akteursgruppen organisiert und durchgeführt. Auch im niederländischen Handbuch steht, dass sich Initiatoren_innen Mitstreiter suchen sollen. Kerstin beschreibt etwa, dass sie zuerst den Kontakt zu den Initiatoren_innen des ersten Repair Cafés in der Dingfabrik aufgenommen habe. Eben diese Gruppe beschreibt der Zeitungsartikel, der sie auf das Konzept aufmerksam machte.91 Ruth erzählt, dass sie zu Beginn Kontakt zu dem ersten Repair Café in Köln aufnahm, dass in der Sendung des WDR vorgestellt wurde und durch das sie auf die Idee aufmerksam geworden sei.92 Beide Interviewpartnerinnen verweisen darauf, dass sie Kontakt zu der in den Medien dargestellten Initiative in Köln aufgenommen hätten, um so Wissen für die Umsetzung eines eigenen Cafés zu sammeln. Wissen zirkuliert hier zwischen verschiedenen Akteuren: den bereits etablierten Repair Café-Organisatoren_innen, medialen Repräsentationen und den Interessierten. Die Akteure vernetzen sich durch technische Infrastrukturen wie Internetseiten und kommunizieren per Mail und per Telefon. Die Reparaturinitiativen vernetzen sich aber auch lokal und direkt vor Ort. So nehmen sie Kontakt zu anderen Gruppen auf, die bereits Reparaturtreffen or89 Vgl. Latour 2002. 90 Wenger 1998, S. 4. 91 Kerstin bezog sich dabei auf einen Artikel im Spiegel (siehe Der Spiegel 2012). 92 Ruth bezieht sich auf „Quarks und Co.“, eine Sendung im WDR, die am 06.11.2012 unter dem Titel „Heute gekauft, morgen kaputt. Warum unsere Produkte immer schlechter werden“ stand (siehe Quarks und Co. 2012).
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ganisiert haben und besuchen schon etablierte Cafés, um dort Erfahrungen auszutauschen. Kerstin stellt im Interview dar, dass sie später auf Grund der Durchführung ihres Cafés selbst zur Ansprechpartnerin geworden sei. Weil die Stiftung nicht allen Anfragen gerecht werden konnte, habe sich die Vernetzung der Initiativen intensiviert: „Das ist so ein Netzwerk beim Repair Café. […] Die Stiftung selber hat das irgendwann nicht mehr wuppen können mit Deutschland, weil das Interesse so groß war und die gar nicht die Manpower haben, die machen ja auch alles spendenbasiert. Dadurch hat sich noch eher diese Initiatorenvernetzung untereinander verstärkt, also dass die Leute gar nicht unbedingt an die Stiftung jetzt im Einzelfall gegangen sind, sondern wie ich das auch am Anfang gemacht habʼ, ich habʼ halt den Mann angerufen, der in Köln dieses Repair Café gestartet hat.“ (Interview vom 20.01.2014)
Maik, der selbst in einem Stadtteilzentrum mit Offenen Werkstätten arbeitet und dort ein Repair Café etablieren wollte, besuchte das Repair Café von Kerstin, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Auf dem von ihm besuchten Treffen gab es Informationstische: „Ich fand’ gut, dass sie nicht nur reparieren, sondern auch einen Diskussionstisch haben, wo sich Leute auch zusammen finden konnten. Es waren auch welche aus Bremen da. Es waren verschiedenste Leute, die sich ausgetauscht haben. Ich war hingekommen, um Fragen zu stellen, am Ende wurde ich immer gefragt und sollte Empfehlungen geben, wie man einen Verein gründet, was die Probleme sind, wie man das überhaupt macht usw.“ (Interview vom 11.02.2014)
Maik wird von den anderen Besuchenden auf Grund seiner beruflichen Erfahrungen als Experte wahrgenommen, der über spezifisches Wissen verfügt. Er betont, dass da „auch welche aus Bremen da“ waren, weil es ihn scheinbar erstaunt, dass Interessierte eine Anreise von über einer Stunde in Kauf nehmen. Bei den Veranstaltungen kommen nicht nur Besucher_innen zum Reparieren, sondern auch andere Initiatoren_innen, die ein eigenes Repair Cafés aufbauen wollen, um sich die Struktur und Abläufe anzuschauen, von den Erfahrungen anderer in informellen, sozialen Situationen zu lernen. Die Cafés stellen sich insofern als Vernetzungsorte für die Initiativen dar. Neben der Vernetzung innerhalb der Bewegung, durch die Wissen zum Aufbau eines Repair Cafés geteilt wird, müssen die Organisatoren_innen eine eigene lokale Gruppe aufbauen. Ausgehend von der ersten Idee, selbst ein Reparaturcafé einzurichten, entwickeln die Initiatoren_innen ein Netzwerk aus Helfern_in-
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nen, Unterstützern_innen, Mitstreitern_innen und Reparateuren_innen. Die Akteure nutzen dazu verschiedene Strategien. Ruth etwa erzählt, wie sie in dem Stadtteilzentrum, in dem sie hin und wieder bei Kursen teilnahm, nach Hilfe und Unterstützung suchte: „Dann habʼ ich einzelne Leute angesprochen, aber ich war eigentlich richtig enttäuscht, weil kaum positives Echo war. Eine der Frauen meinte sogar: ‚Das ist Blödsinn, sowas klappt doch sowieso nicht.ʻ Bevor sie wusste, was das Projekt überhaupt beinhaltet. Das hat sich dann, ja gut, ich habʼ dann weiter geguckt, wie ichʼs machen kann, mit Flyer aushängen, Aushänge hier [im Stadtteilzentrum, Anm. MG] erstmal. Ich habʼ jetzt über Quatiersmanagement da auch ʼn Anzeigentext hingebracht, Freiwilligenagentur, jetzt was auch ʼn bisschen in der Gegend ist. Die das auch in ihr Internet reinstellen. Ansonsten hatte ich das auch mit Anzeigen im City, in Stadtzeitungen probiert. Da ist aber überhaupt keiner drauf gekommen. Ach so, einer hatte dann schon Anzeigen, ich sage mal in den linken Blättern, hätte ich gar nicht unbedingt gewollt. Aber der hat das einfach auf Eigeninitiative gemacht, Neues Deutschland, TAZ-Anzeige, da gibtʼs irgendwelche Rubriken, wo du kostenlos inserieren kannst, was in der Stadt los ist, da ist kein Mensch von gekommen auf die Anzeige hin. Das ist alles letztlich Mundpropaganda jetzt.“ (Interview vom 19.03.2013)
Ruth entwickelt unterschiedliche Strategien, um die Idee des Repair Cafés zu verbreiten und ein soziales Netzwerk für die Umsetzung aufzubauen. Trotz der skeptischen Rückmeldung von anderen Frauen habe sie weiter nach Vernetzungsmöglichkeiten gesucht. Sie überwindet Widerstände und macht weiter, obwohl andere es für „Blödsinn“ halten. Durch die „Mundpropaganda“, also durch persönliche Beziehungen sei das soziale Netzwerk um das Repair Café entstanden. Sie möchte sich von einer links-politischen Haltung distanzieren, wenn sie betont, dass sie das „gar nicht unbedingt gewollt“ habe. Eine mögliche Lesart wär dabei, dass Ruth in einem Reparaturtreffen stärker die soziale als die politische Dimension sieht und sich von einer klaren politischen Positionierung abgrenzen will. Für die konkrete Umsetzung steht die soziale Bedeutung im Vordergrund, die unabhängig von der individuellen, politischen Haltung ist. In der Deutung von Ruth war die persönliche Vernetzung, der persönliche Kontakt erfolgreicher als Suchanzeigen für die Rekrutierung von Helfenden. Sie nahm auch Kontakt auf mit dem deutschen Ansprechpartner für die Repair Cafés, Lutz Hofer. Mit Hofer, mit anderen in Entstehung befundenen Initiativen, zu denen Ruth Kontakt aufgenommen hatte, und mit Stefan Schridde, dem „Murks?NeinDanke!-Papst“, wie Ruth beschreibt, fand ein Treffen statt. Besonders Stefan Schridde habe dann aus seinem Netzwerk weitere Hilfe und Kontakte vermittelt.
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Im Gegensatz zu Ruths Erfahrungen bekamen die Initiatorinnen Kerstin und Katja positive Rückmeldungen auf ihre Anzeigen in lokalen Blättern. Sie veranstalteten dann ein erstes Kennenlernen. „Dann haben wir geschaltet in den kleinen lokalen Wochenblättern, so kleine Artikel, dass wir das vorhaben und dass wir Menschen suchen mit Reparaturwissen, die Lust haben, bei uns mitzumachen. Habʼ da meine Handynummer reingegeben und Emailadresse. Das war für uns eigentlich das größte Fragezeichen, ob sich da genug Leute melden, weil Katja und ich, wir können uns schön an den Empfang setzten, aber das warʼs dann auch (lacht). Also man braucht einfach Menschen, und wenn man das nicht wie Alex Speckmanm macht, der ja erst die Dingfabrik hatte, also eine Art Offene Werkstatt oder Fablab, wo man eben Projekte umsetzen kann mit Begleitung, ist das natürlich ganz einfach: Du hast das Werkzeug, du hast die Leute, brauchst nur noch ein paar, die Kuchen backen, und vielleicht noch zwei, drei dazu, aber hier ging das auch schnell. Das war eine Frage von drei Wochen, dann hatten wir schon ein paar Leute zusammen, die sich gemeldet haben. Dann wollten wir uns mit denen treffen und mal gucken, wie sich das anfühlt. Wir waren ganz wie Mamis sind, hatten für alle Wasser mit, war warm, war im Mai, hatten Brezel dabei und haben Stühle in Kreis gestellt. Und die wollten nur reden (lacht). Aber waren alle total nett und interessiert.“ (Interview vom 20.01.2014)
Die Vernetzung verläuft hier einmal über das Schalten von Anzeigen in Zeitungen. Der nächste Schritt ist das Organisieren eines ersten Treffens. Kerstin macht dabei deutlich, dass solche selbstorganisierten Projekte vor besonderen Herausforderungen stünden, weil sie im Gegensatz zu etablierten Strukturen wie FabLabs oder Offene Werkstätten nicht über das Expertenwissen und das Werkzeug verfügten.93 Sie müssen spezifische Strategien entwickeln, um eine eigene Struktur aufzubauen. Kerstin stellt dabei ihre Strategie als erfolgreich dar, indem sie erzählt, dass das Finden von Freiwilligen ganz schnell gegangen sei. Sie unterscheidet verschiedene Rollen, die verschiedenes Wissen benötigten: Reparateure_innen, die über Expertenwissen verfügen und Helfer_innen, die sich um Kaffee und Kuchen kümmern. Deutlich wird in ihrer Aussage die emotionale und soziale Dimension dieser sich etablierenden Gruppe. Sie wollten wissen, wie es sich „anfühlt“, wie das Gefühl in der Gruppe sei. Sie waren „wie Mamis“, um 93 Bereits in den 1970er und 1980er gründeten sich Offene Werkstätten in soziokulturellen Zentren und Jugendtreffs, um Menschen den Raum, Werkzeug und fachkundige Anleitung zu geben, um Dinge instandzusetzen oder künstlerisch tätig werden zu können. In Form von institutionalisierten, staatlich finanzierten Werkstätten gibt es ein breites Angebot: von der Bearbeitung von Holz, Metall, Keramik, Film- und Foto bis zu Siebdruck (siehe Verbund Offene Werkstätten 2011).
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das Wohl der Gruppe besorgt und versorgten sie mit Essen und Trinken. Der Hinweis auf den Stuhlkreis verweist auf eine demokratische Vorstellung. 94 In diesem Kreis sind die Beteiligten gleichgestellt und auf einer Ebene, auch wenn, wie Maik beschreibt, „verschiedenste Leute“ zusammen kommen. Nicht soziale Herkunft oder Lebensstile, sondern das gemeinsame Interesse am Reparieren und an dem Konzept der Repair Cafés verbindet die verschiedenen Akteure zur community of interest. Die Individuen können sich durch das räumliche Arrangement des Stuhlkreises, wie ihn Kerstin beschreibt, mit der Gemeinschaft identifizieren bzw. durch die Materialisierung Gemeinschaft herstellen.95 Deutlich wird, dass sich die Initiatoren_innen um ehrenamtliche Helfer bemühen. Den Reparateuren_innen wird von den Organisatoren_innen eine spezifische Rolle zugeschrieben. Expertenwissen, mindestens in Form einer Ausbildung im technischen Bereich, sei notwendig, um Reparaturen an elektrischen Geräten durchzuführen, wie die Organisatoren_innen beim ersten Hamburger Lokaltreffen deutlich machen (Feldnotiz vom 15.03.2014). Schon in der Vorbereitung eines Events gibt es technisches Wissen, das von Reparateuren_innen abgerufen wird, wie die Notwendigkeit von Schutzschaltern und Fragen zu Sicherungskästen. Ebenso bringen die Ehrenamtlichen Messgeräte und spezifische Werkzeuge praktisch ein, aber auch eigene Netzwerke und Wissen, etwa wo entsprechende Ersatzteile zu kaufen sind. Auch Martine Postma stellt heraus, dass der Kern des Repair Café-Konzeptes die Hilfe der „experts“ bei der Reparatur von Dingen sei.96 Sie beschreibt, dass die reparierenden Experten oft ältere Menschen seien, die ihren Job verloren hätten oder in Rente seien und die nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stünden. „At the Repair Cafés, however, they become true heros.“97 Das gemeinschaftliche Reparieren kann in der Deutung von Postma zur Aufwertung von sozialen Rollen und Fähigkeiten beitragen. Sie betont hier die soziale Rolle der Reparateure_innen: Sie sind Helden, die sich ehrenamtlich engagieren und ihr Wissen ohne Gegenleistungen teilen. Die Aufwertung der sozialen Rolle der Reparateure_innen findet sich auch in den Repräsentationen wieder, die Ruth und Kerstin im Interview als Zugang zum RepairThema beschreiben. 98 Der Spiegel spricht von „Helden“ 99 , laut Quarks und 94 Vgl. zur kulturellen Bedeutung des Stuhlkreises als therapeutisches Arrangement Klauser 2015. 95 Vgl.Wenger 1998. 96 Siehe Postma 2014. 97 Siehe Postma 2014. 98 Die Aufwertung spezifischer sozialer Rollen wird in Hinblick auf alle drei Forschungsfelder im Kapitel 8 nochmals aufgegriffen. 99 Siehe Der Spiegel 2012.
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Co.100 haben die Reparateure eine Mission und wollen die Gesellschaft an eine Kunst erinnern, die sie beherrschen. Durch das Tätigsein in Repair Cafés, in den communities of practice bekommen die Ehrenamtlichen Wertschätzung und Anerkennung für ihr Tun, wie Kerstin im Falle der Reparateure deutlich macht: „Die sind erstaunt über die Option, dass sie da jetzt hingehen können und zeigen können, was sie drauf haben und dafür Wertschätzung bekommen. Also das, was sie quasi immer schon gerne gemacht haben, da jetzt machen können und da so starke Resonanz dafür kriegen.“ (Interview vom 20.01.2014)
Repair Cafés sind dann Orte, an denen sich die Rolle der Reparateure_innen performativ, also körperlich und räumlich ausdrückt, in dem die Reparateure_innen an Tischen sitzen, an denen Dinge repariert werden. Sie teilen in diesen sozialen Situationen ihr Wissen mit den Besuchern_innen. Repair Cafés sind damit Orte der Wissenszirkulation zwischen diesen beiden Akteursgruppen. Für die Besucher_innen betont Postma die Lernprozesse: Sie lernten, dass Reparieren möglich und eine Alternative zum Wegwerfen sei. Sie würden sehen, dass es Menschen in der eigenen Nachbarschaft gebe, die Reparaturkenntnisse hätten und die sie in ihrem Alltag möglicherweise nicht getroffen hätten.101 Die Bedeutung des Repair Cafés als Ort, an dem Menschen zusammen kommen, die sich sonst in ihrem Alltag nicht treffen würden, betont auch Kerstin mir gegenüber wiederholt (Feldnotiz vom 27.01.2014). Deutlich wird, dass diejenigen, die ein Repair Café initiieren nicht ausschließlich am praktischen Reparieren interessiert sind und über die notwendigen Reparaturkenntnisse verfügen, sondern auch an dem Aufbau einer Infrastruktur102, die das gemeinschaftliche Reparieren ermöglicht und durch die Menschen gemeinsame Erlebnisse teilen können. Die dazu notwendigen spezifischen Praktiken verweisen auf vielfältige Wissensformate, im Fall der Organisatoren_innen etwa Wissen über die Koordination und Organisation sowie über die Leitung der Kommunikation innerhalb der Gruppe und nach außen etwa mit Medienvertretern. Sie nehmen dadurch eine leitende und vermittelnde Position ein. Sie eignen sich Wissen durch soziale Vernetzung an, sowohl durch materialisierte Infrastrukturen wie das Handbuch oder durch den persönlichen Austausch. Dabei zirkuliert das Wissen „als Prozess einer permanenten Produktion, Fixierung und Transformation von Zeichen und Bedeutungen“103 zwischen den sozialen Akteuren und den Objekten, besonders in der 100 Siehe Quarks und Co. 2012. 101 Siehe Postma 2014. 102 Vgl. Niewöhner 2015. 103 Keller 2005, S. 60.
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konkreten Reparatursituation zwischen den Reparateuren_innen und Besuchern_innen, wenn sie Dinge aufschrauben, reinigen und instandsetzen. Dabei benötigt der Umgang mit den Besuchern_innen spezifisches Wissen, etwa wie man Menschen ohne technisches Wissen beim Reparieren anleitet und inwiefern man Zusammenhänge und Funktionsweisen vermittelt. Während des Regionaltreffens der Repair Cafés in Berlin und Brandenburg verhandelten die Akteure die als Problem wahrgenommene Deutung der Besucher_innen, welche im Repair Café mehr eine kostenlose Dienstleistung als ein Angebot zur Selbsthilfe verstünden (Feldnotiz vom 16.06.2014). Die Reparateure_innen müssten lernen, dass das Angebot eine Hilfe zur Selbsthilfe sei, die Besucher_innen also stärker in den Reparaturprozess eingebunden sein sollten (Feldnotiz vom 16.06.2014). Darin zeigt sich, dass auch innerhalb der communities of pratice unterschiedliche Deutungen ausgehandelt werden und die Akteure versuchen, diese Deutungen anzugleichen. Die Infrastruktur104 der Repair Cafés ermöglicht Handlungsmacht auf mehreren Ebenen: Die Organisatoren_innen erleben sich als handlungsmächtig, indem sie ein soziales Netzwerk aufbauen. Den Reparateure_innen wird Handlungsmacht zugeschrieben, weil sie über Expertenwissen verfügen. Durch das Teilen dieses Wissens in den konkreten Reparatursituationen ermöglichen die Reparateure_innen eine gesellschaftliche Ermächtigung. Die wahrgenommene Hilflosigkeit und fehlendes Wissen werden durch praktische Hilfe und Wissensvermittlung ersetzt und sollen, so die Deutung der Akteure, zu „Reparieren statt Wegwerfen“ führen. In der Repair-Bewegung als community of practice lassen sich damit vielfältige Prozesse des Wissenstransfers aufdecken, in denen Bedeutungen zwischen den Akteuren zirkulieren.105 Das ehrenamtliche Know-how, ob nun von den Reparateuren_innen oder von den Initiatoren_innen, wird während der Veranstaltungen in informellen Situationen und in strukturierter Form auf regionalen oder bundesweiten Treffen oder durch das Informationsmaterial der Stiftungen geteilt. Neben dem Netzwerk von menschlichen Akteuren spielen auch die Dinge eine wichtige Rolle für die community of practice. Defekte Geräte, Werkzeug und Ersatzteile sind dabei Kennzeichen des Akteur-Netzwerks – aber auch Arbeitsplätze bzw. Arbeitstische, ein Empfangsbereich, ein Warte- und Aufenthaltsbereich oder die Teeküche. Die Veranstaltungen finden an bestimmten Orten statt, sind damit also auch durch die räumliche Anordnung der Dinge geprägt, die die Gestaltung beeinflussen. Veranstaltungsorte sind etwa Schulen, Gemeindehäuser, Künstlerateliers, Umweltzentren oder Stadtteilzentren. Um 104 Vgl. Niewöhner 2015. 105 Vgl. Keller 2005.
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diese Räume zu erschließen, müssen die Initiatoren_innen spezifische Strategien entwickeln. Die Initiatorinnen Kerstin und Katja fragten während ihrer Suche nach geeigneten Räumen für ein Repair Cafe bei dem lokalen Kulturzentrum in ihrer Nachbarschaft nach zur Verfügung stehenden Räumen. In dem Zentrum, das als gemeinnütziger Verein ein altes Schulgebäude unterhält, werden Bildungs- und Kulturangebote sowie Jugendarbeit gefördert. Es werden unterschiedliche Veranstaltungen angeboten und regelmäßige Nutzergruppen integriert. Dass nun Privatpersonen mit einer neuen Idee an das Haus herantraten, wurde skeptisch betrachtet, so Kerstins Eindruck. „Da war mir schon klar, dass wir das alleine machen werden, die werden uns nicht weiter unterstützen, oder wir werden da nicht in den Verein integriert, sondern wir müssen jetzt selber mutig sagen: ‚Wir machen das.‘ Und so hat das begonnen. Die haben gesagt: ‚Ok, ihr könnt Räume mieten bei uns‘, auch zu guten Konditionen, wie sie meinten, ‚aber ihr müsstet das komplett selber organisieren.‘“ (Interview 20.01.2014)
Die Mitarbeiter_innen des Kulturzentrums hätten die Idee zwar gut gefunden, wollten aber, dass Kerstin das Projekt alleine umsetzt. Das Kulturzentrum habe sie darin beraten, städtische Gelder für den Start der Initiative einzuwerben. Bei dem zuständigen Bezirksamt hätten sie sich in Bezug auf Anträge für eine Anschubfinanzierung beraten lassen. Die Raummiete hätten sie dann durch die erfolgreiche Einwerbung von Fördergeldern gedeckt, erzählt Kerstin. Dass eine junge Initiative Miete zahlen muss, ist eine Hürde, die die Initiatoren_innen durch spezifische Wissensaneignung – etwa den Umgang mit Antragsformularen für öffentliche Gelder − und Vernetzung meistern, um städtische Räume zu erschließen. Kennzeichen der Repair Cafés als soziale Orte ist neben den sozialen Netzwerken der Erlebnischarakter. Martine Postma stellt heraus, dass sie mit dem Konzept der Repair Cafés Reparieren wieder attraktiver machen wollte.106 Wenn Reparieren in der Nachbarschaft, kostengünstig und unterhaltsam gestaltet sei, werde das Reparieren nicht mehr als schwer und teuer wahrgenommen, so Postma. Ihr Ziel war zum einen die Umdeutung von Reparieren und zum anderen eine attraktive Gestaltung eines Ortes, an dem gemeinschaftlich repariert werden kann. Die Cafés sind als Events gestaltet.107 Sie finden zu bestimmten Tagen – meist am Wochenende − und in bestimmten Rythmen – etwa einmal im Monat − statt, haben also nicht wie viele etablierte Offene Werkstätten wöchentliche Öffnungszeiten. 106 Siehe Postma 2014. 107 Vgl. Gebhardt et al. 2000b.
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Die Bezeichnung als „Café“ bestimmt die Reparaturcafés als Orte, in denen zwar repariert wird, in denen aber auch der Austausch und das Zusammenkommen in gemütlicher Atmosphäre bedeutend sind.108 Die Wahrnehmung von Gemütlichkeit, so die Kulturanthropologin Brigitta Schmidt-Lauber, hänge weniger vom konkreten Ort ab, als vielmehr durch die Deutung als privat. „Nicht der private oder öffentliche Charakter des Ortes entscheiden über seine Eignung, Gemütlichkeit herzustellen und empfinden zu können, sondern die subjektive Definition des Ortes und der Situation als privat.“109 Auf diese private Dimension verweist etwa Kerstin, wenn sie im Kontext der Anmeldezettel andeutet, dass Repair Cafés für sie Orte seien, die durch ein vertrauensvolles, nachbarschaftliches Miteinander gekennzeichnet seien (Interview vom 20.01.2014). Das gastronomische Angebot sei zwar ein zusätzlicher Aufgabenbereich, ermögliche aber, dass Besucher_innen auch ohne defekte Geräte einfach zum „Klönen“ vorbei kämen, so Ruth. Getränke, Kuchen sowie Sitz- und Wartebereiche sind Materialisierungen, die Emotionen mobilisieren. Sie sollen eine gemütliche Atmosphäre schaffen, in der Geselligkeit, Gemeinschaft und Nachbarschaft erfahrbar werden.110 An Kaffee und Kuchen hänge „das Projekt ja letztlich auch nicht. Aber das ist eigentlich eine schöne Beilage, dass es dann ein bisschen gemütlicher ist, gemütlich auch sein soll. Also man muss ja nicht nur zum Reparieren herkommen, sondern auch zum Klönen kann man einfach her kommen.“ (Interview 19.03.2013), beschreibt Ruth. Anders als bei den Tauschpartys, bei denen das Erlebnis durch kreative Inszenierungen bei jeder Party anders hergestellt wird, sind die Repair Cafés auf Grund der Anweisungen im Handbuch, den wiederkehrenden Veranstaltungsorten und den Veranstaltungsrythmen strukturierter. Sie weisen jedoch auch Eventisierungsstrategien auf, die für die Besucher_innen „erlebnisgenerierend“111 wirken und dabei zeitlich und räumlich begrenzte Erfahrungen von Gemeinschaft erlauben, die körperlich erfahren werden. Repair Cafés als soziale Orte sind wie bisher beschrieben durch das soziale Netzwerk und durch das kollektive Erlebnis gekennzeichnet. Beide Dimensionen sind auch wesentlich durch Rollenzuschreibungen geprägt. Repair Café können insofern auch als soziale Orte gedeutet werden, weil sie soziales Engagement ermöglichen. Die Sozialforschung versteht zivilgesellschaftliches oder ehrenamtliches Engagement als Dritten Sektor oder als Teil der Infrastruktur der Zivilgesellschaft und verortet es zwischen Staat und Wirtschaft und meint damit Handeln jenseits von Markt, Staat und Privatsphäre innerhalb von Vereinen, Ver108 Vgl. Schmidt-Lauber 2003a. 109 Schmidt-Lauber 2003b, S. 127. 110 Vgl. Scheer 2016. 111 Vgl. Gebhardt et al. 2000a.
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bänden, Stiftungen, NGOs.112 Die interviewten Organisatoren_innen von Repair Cafés engagieren sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit. Kerstin deutet ihr ehrenamtliches Tätigsein als „sinnhaft“: „Das nette Ehrenamt, was mir unheimlich viel gefühlsmäßig und von der Sinnhaftigkeit gibt und wo ich unheimlich viele Kontakte auch habe.“ (Interview vom 20.01.2014). Ehrenamtlich tätig sein beanspruche in Form der Organisation viel Zeit, bringe ihr aber auch neue Kontakte. Ruth stellt im Interview dar, dass das Erleben der Gemeinschaft während der Veranstaltung ihr „Lohn“ sei (Interview vom 19.03.2013). Auch Lisa betont, dass es ihr Spaß mache, die Veranstaltung ehrenamtlich zu organisieren, weil sie dabei viele neue Leute kennen lerne und als Künstlerin neue Erfahrungen machen könne (Interview vom 11.03.2013). Der Gewinn an Kontakten und Anerkennung kann in Hinblick auf das Kapital-Konzept von Pierre Bourdieu interpretiert werden. Die Organisatoren_innen transformieren ökonomisches Kapital in soziales und symbolisches Kapital, wobei Bourdieu folgend bei Beziehungsarbeit Zeit und Geld und damit, direkt oder indirekt, auch ökonomisches Kapital verausgabt werde.113 „Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe [Hervor. i. O.] beruhen.“114
Die Einbindung in die community of practice und die Anerkennung sowohl in der Gemeinschaft, von den Besuchern_innen und gesellschaftlich betrachtet, wirkt sich auf den Status der Akteure aus. Bei den Austauschbeziehungen, auf denen das Sozialkapital beruhe, seien materielle und symbolische Aspekte un-
112 Siehe TNS Infratest Sozialforschung, München 2011; TNS Infratest Sozialforschung München erhobt 1999, 2004 und 2009 Daten über das Ehrenamt im Auftrag des Familienministeriums des Bundes (BMFSFJ). Im Jahr 2010 gab die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg erstmals eine umfassende Analyse der Zivilgesellschaft und des freiwilligen Engagements in Hamburg in Auftrag. Grundlage dafür waren die Daten des bundesweiten Freiwilligensurveys (siehe TNS Infratest Sozialforschung, München 2012); vgl. aus politikwissenschaftlicher Perspektive zum sozialen Engagement in prekären Lebenslagen Voigtländer 2015. 113 Bourdieu 1983, S. 194. 114 Bourdieu 1983, S. 191.
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trennbar verknüpft, so Bourdieu. 115 Die materiellen Aspekte zeigen sich etwa auch, wenn Kerstin von der Sponsorensuche berichtet. Sie beschreibt, wie sie in ihrer Nachbarschaft Firmen um Spenden gebeten habe, etwa den lokalen Bäcker, den Drogeriemarkt oder den Baustoffhändler, die beispielsweise Kaffee, Kuchen und Kekse gespendet hätten. Der materielle Aspekt zeigt sich auch, wenn Helfer_innen selbstgebackenen Kuchen spenden (Feldnotiz vom 27.01.2014). Ruth beschreibt, dass sie in ihrem Stadtteil Gelder akquiriert habe: „Ich meine auch diese Sachen mit Geldakquise oder so, das macht ja auch keiner, das ist ja auch Bürokratie en gros. Nett finde ich Kontakte zu schließen dabei, gucken, wo was geht. Eigentlich auch, das Projekt denen so darzustellen, dass sie das auch gut finden und wert finden, da was reinzustecken, in welcher Art auch immer.“ (Interview vom 19.03.2013)
Sie stellt die Einwerbung von Geldern als Bürokratie dar, mit der sich niemand gerne beschäftige. Sie deutet es aber als positiv, weil sie dadurch Kontakte mache und es als Herausforderung wahrnimmt, die Idee der Repair Cafés so darzustellen, dass sie von anderen Akteuren unterstützt wird. Deutlich wird dabei, dass sich die Organisatoren_innen innerhalb ihrer lokalen Nachbarschaft und in der Stadt vernetzen sowie diese Netzwerke als Austauschbeziehungen durch symbolische – etwa Anerkennung und Wertschätzung − und durch materielle Aspekte – finanzielle Förderung, Spenden in Form von Kuchen und Keksen – gekennzeichnet sind. Die Transformation von ökonomischem in symbolisches Kapital wirkt sich auf den Status der Organisatoren_innen und deren soziale Klassifizierung aus.116 Das Erleben von Selbstwirksamkeit stellt ein wichtiges Motiv im Handeln der Ehrenamtlichen dar.117 Der Begriff Selbstwirksamkeit stammt aus der Psychologie und ist innerhalb der sozialen Lerntheorie durch Albert Bandura etabliert worden.118 Wahrgenommene Selbstwirksamkeit ist für Bandura der Glaube an die eigene Kompetenz, Ereignisse im Leben zu verändern und schwierige Anforderungssituationen zu lösen. Seiner These nach bestimmt die Erwartung von Selbstwirksamkeit, ob Bewältigungsstrategien entwickelt werden, wie viel Energie dafür aufgewendet wird und wie anhaltend das Verhalten angesichts von
115 Bourdieu 1983, S. 191. 116 Vgl. Bourdieu 1984. 117 Vgl. auch Charter und Keiller 2014. 118 Siehe zur sozial-kognitiven Handlungstheorie, die Verhaltensänderungen erklärbar macht Bandura 1977.
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Hemmnissen und aversiven Erfahrungen ist. Diese kognitiven Prozesse bestimmen, ob Akteure sich in bestimmten Situationen als handlungsmächtig erfahren. Das Tätigwerden in Repair Cafés ist durch Selbstwirksamkeitserfahrungen geprägt. Die Akteure reagieren auf Anforderungssituationen: Etwa ein fehlendes Angebot, Elektrogeräte zu reparieren oder einen Veranstaltungsraum zu finden. Indem sich die Akteure ehrenamtlich engagieren, suchen sie nach Lösungen und erleben sich in ihrer Lebenswelt als wirksam. Sie bewirken Veränderung, bauen Netzwerke in ihren lokalen Lebenswelten auf und gewinnen ein Gefühl von Autonomie. So verdeutlicht Kerstin, dass sie sich und ihr Handeln als wirksam wahrnimmt: „Ich bin da auch egoistisch. Ich machʼ das ja nicht, weil ich denke, dass ich die Welt retten (betont) kann damit, sondern ich machʼ das, weil ich mich in dieser Situation, in dieser Wirksamkeit direkt vor Ort, ich sehe ja, was da passiert, weil ich mich damit wohlfühle. Weil das das ist, was ich tun kann. Und ich freue mich über jeder kleine Welle, die daraus geht oder die zu uns kommt, wo man sich vorstellen kann, siehste, da passiert doch noch ein bisschen mehr.“ (Interview vom 20.01.2014)
Selbstwirksamkeit meint für Kerstin nicht, „die Welt zu retten“, sondern in ihrer lokalen Lebenswelt Veränderungen zu bewirken. In der Aussage: „Vielleicht verändert das ja unsere Gesellschaft ein bisschen und wir haben unseren Spaß.“, werden zwei Ebenen deutlich: Erstens die Vorstellung, dass Repair Cafés die Gesellschaft verändern können und zweitens, dass sie dabei Spaß hat, ihr Handeln also emotional aufgeladen ist. Das In-Kontakt-Sein mit anderen, ein gemeinsames Ziel verfolgen und gemeinsam das Repair Café als Event gestalten, Widerstände überwinden und neue Kontakte aufbauen, mobilisieren Emotionen.119 Die Praktiken ermöglichen das Erleben von Zufriedenheit, Erfolg, Glück, Spaß und Gemeinschaft. Sowohl die gemütliche Gestaltung von Repair Cafés als auch der Spaß beim ehrenamtlichen Tätigsein verweist auf die emotionale Dimension, die das Repair Café als sozialen Ort kennzeichnet und durchdringt. Emotionen, so Monique Scheer, finden im öffentlichen Raum statt. Sie sind „Kommunikations- und Tauschmedien in sozialen Beziehungen“ 120 . Emotionen würden des Weiteren den Körper nutzen, sind erlernt und „gemäß einer gegebenen kulturellen Logik produziert und wahrgenommen“121. Die community of pratice materialisiert Repair Cafés als konkrete Orte. Verschiedene Akteure – Organisatoren_innen, Re119 Vgl. Scheer 2016. 120 Scheer 2016, S. 16. 121 Scheer 2016, S. 16.
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parateure_innen, Besuchende, Helfende oder lokale Unternehmer, die Kuchen oder Material spenden – und Materialisierungen – der Raum, Tische, Stühle, Werkzeug, Poster, Kaffeemaschinen, Bücher, Anmeldezettel − , Gesetze, Diskurse und Normen aber auch Geräusche, Gerüche und soziale Nähe durchdringen diesen Raum und konstituieren ihn. Innerhalb dieses Raumes und der community of practice erleben sich die Akteure durch das doing, durch die performative Praxis als wirksam. Die narrative Konstruktion von Sinnhaftigkeit, Gemütlichkeit und Spass nutzen die Interviewten, um die dabei entstehenden Emotionen verständlich zu machen.122 Wie gezeigt werden sollte, sind Repair Cafés konkrete Orte, an denen die community of practice mit allen Sinnen erfahrbar ist. Die Cafés werden zu sozialen Orten, weil sie durch das Akteur-Netzwerk, die konkreten sozialen Interaktionen und die ständige Übersetzung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren gekennzeichnet sind. Die sozialen Orte werden emotional erlebt: Sie sind gemütlich und sollen erlebnisgenerierend sein. Die vielfältigen sozialen Beziehungen sind durch Wissenszirkulation gekennzeichnet. Die community of practice weist dabei über den konkreten Raum hinaus. So konnte gezeigt werden, dass die Vernetzung der Akteure und das Teilen von Wissen in diesen Netzwerken über die lokalen Kontexte hinaus weist, etwa durch Regionaltreffen oder Bundestreffen als auch durch das Handbuch und über die Vernetzung im Internet. Die Repair-Community, so soll im Folgenden gezeigt werden, nutzen neben den bisher diskutierten sozialen und politischen Deutungsmustern auch ökologische. Diese ökologische Dimension steht nun im Fokus.
6.4 R EPAIR C AFÉ
ALS ÖKOLOGISCHE
P RAXIS
Als Martine Postma das erste Repair Café in Amsterdam 2009 organisierte, arbeitete die Journalistin zu Nachhaltigkeitsthemen und beschäftigte sich mit Müllvermeidung und -reduzierung. Auf dem 16. Europäischen Forum für ÖkoInnovationen stellte sie das Konzept der Repair Cafés als Strategie zur Müllvermeidung dar. Ihre Idee war, dass Reparieren Müll reduziert, wenn man es so einfach gestalte, wie das Neukaufen von Dingen. Reparieren werde nicht mehr als schwer und teuer wahrgenommen, wenn man es in der Nachbarschaft und kostengünstig anbiete sowie unterhaltsam gestalte, so Postma.123 Die negative Kon-
122 Vgl. Scheer 2016, S. 16. 123 Siehe Postma 2014.
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notation sorge dafür, dass heute eher weggeschmissen und neu gekauft, als repariert werde. Deutlich wird in dem Vortrag von Postma, dass sie Reparieren als nachhaltige Praxis versteht, die zur Müllreduzierung beitragen soll. Die steigende Müllproduktion einer Wegwerf- und Konsumgesellschaft steht dem Entwurf einer nachhaltigen Gesellschaft jedoch diametral gegenüber. Welche Bedeutung hat der Begriff und die politische Implementierung des Konzeptes Nachhaltigkeit für die Organisatoren_innen von Repair Cafés? Welche ökologischen Deutungsmuster verhandeln die Akteure? Gerade die Fragen nach der Bedeutung von ökologischen Ressourcen und Müll stellen die Wertzuschreibung von Dingen in den Mittelpunkt. Inwiefern übersetzen die Organisatoren_innen Diskurse über Müll in Handlungen? Wie verhandeln sie dabei den Wert von Dingen und inwiefern wirken die Dinge auf das Handeln? Aus diesen Fragen ergibt sich die hier verfolgte These, dass das Akteur-Netzwerk der Repair-Bewegung den Wert von Dingen verhandelt, sie aufwertet und dadurch zu einer nachhaltigen Alltagspraxis beitragen will. Dieser soll im Folgenden nachgegangen werden. Deutlich wird in dem oben angesprochenen Vortrag von Postma, dass sie Repair Cafés als Strategie zur Müllreduzierung und Reparieren als nachhaltige Praxis deutet. Nachhaltigkeit als ein normatives Deutungsmuster gibt spezifische Praktiken vor, codiert das „gute“ oder „richtige“ Handeln. In einer solchen Weise nutzen auch die Akteure in Reparaturtreffen den Begriff der Nachhaltigkeit als Legitimationsmuster, um das gemeinschaftliche Reparieren zu plausibilisieren, sodass es zu einer nachhaltigen und ökologischen Handlung wird. Ziel der Reparaturtreffen sei laut Internetseite, „nachhaltige Lebensweisen in der Praxis zu erproben“124. Reparieren sei nachhaltig, weil es Müll vermeide, Ressourcen spare, damit die Umwelt schone.125 Zum einen trage Reparieren für die Organisatorin Lisa zur Ressourcenschonung bei, weil „man weniger Rohstoffe verbraucht, weil man die Sachen, die man verwenden kann, noch repariert“ (Interview vom 11.03.2013). Zum anderen leiste Reparieren statt Wegwerfen auch einen Beitrag zur Müllreduktion, so die Deutung von Ruth. Es entstehe so viel Müll, „der nicht verwest oder sonst wie. Die Müllberge werden ja wirklich größer, es sind so viele Ressourcen und wertvolle Ressourcen darin, in Computern und in sonstigen Geschichten“, kritisiert Ruth den verschwenderischen Umgang, wenn Dinge nicht repariert, sondern entsorgt würden (Interview vom 19.03.2013). Gleichzeitig meint sie, dass mit der entsprechenden Diagnose mit Hilfe der Reparateure_innen in Repair Cafés Dinge auch mit „gutem Gewissen“ weggeworfen werden könnten. Der Umgang mit Müll ist für Ruth normativ aufgeladen. Wie Adelheit Schrutka-Rechtenstamm darstellt, ist das Wegwerfen seit 124 Siehe anstiftung.de: Netzwerk Reparatur-Initiativen. 125 Siehe reparatur-initiativen.de.
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der Ökologiebewegung in den 1970er Jahren negativ konnotiert.126 Wegwerfen „steht für Umweltverschmutzung, die Umwelt selbst wird zum schonenswerten Gut“127. Im gesellschaftlichen und medialen Diskurs ist Elektromüll besonders das Ergebnis von kurzen Produktzyklen und vorzeitigem Verschleiß. Technische Erneuerungen und neues Design führen dazu, dass Produkte in immer kürzeren Intervallen ausgetauscht werden. Studien verweisen darauf, dass Elektronikmüll zunehmend mit der Umdeutung als Gebrauchtgeräte exportiert wird. Defekte oder gebrauchte Geräte und die darin verarbeiteten Stoffe werden ebenso wie Altkleider wieder zur Ware und zirkulieren global.128 Gerade im medialen Diskurs wird die Praxis des Abfallexportes normativ mit der Kategorie der globalen Verantwortung verhandelt, wenn es darum geht, dass entsprechende Geräte in den Exportländern unter umweltschädigenden und gesundheitsgefährdenden Bedingungen recycelt würden. 129 Seit 2005 ist der Export von Elektroaltgeräten verboten, nicht aber der Export von Gebrauchtgeräten oder Spenden.130 Die „informellen Abfallwirtschaftssektoren“ 131 finden sich hauptsächlich in Entwicklungs- und Schwellenländern. Dort werden in Handarbeit besonders von Frauen und Kindern Stoffe und Metalle aus den aussortierten Elektronikgeräten gewonnen. 132 Ähnlich wie bei den Altkleidern wird Elektromüll in diesen Verwertungsketten wieder zur Ressource und zur Ware, deren Wege über den Globus verfolgbar sind.133 Elektromüll werden die Bedeutung als wertvolle Ressource und als Ware zugeschrieben. Aus ökologischer Sicht befinden sich in den Geräten wertvolle Stoffe und seltene Metalle, die durch Recycling in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden können. Aus wirtschaftlicher Perspektive stellt der 126 Schrutka-Rechtenstamm 2000, S. 132. 127 Schrutka-Rechtenstamm 2000, S. 132. 128 Siehe zum Export von Elektroaltgeräten Sander 2012 sowie Sander und Schilling 2010; siehe zur commoditization Appadurai 2010. 129 Siehe beispielhaft spiegelonline.de, artefuture.tv und Dannoritzer 2013. 130 Siehe Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten 3/2005. 131 Vgl. Linzer und Obersteiner 2012. 132 Linzer und Obersteiner 2012, S. 72. 133 Eine Reportage von ARTE veranstaltet eine „GPS-Jagt auf Elektroschrott“ und hat detaillierte Grafiken entwickelt, die die Wege von Elektroaltgeräten und Elektroschrott nachzeichnen (siehe artefuture.tv). Ähnlich wie bei Dokumentationen über Kleidung arbeitet die Reportage mit dem Narrativ der Biographie der Dinge, das heißt, den Dingen wird auf ihren Wegen von der Produktion bis zur Verwertung gefolgt; vgl. aus Sicht einer Journalistin auch Holdighausen 2012.
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Export von Altgeräten und Elektroschrott ein gewinnorientiertes Unternehmensfeld dar. Die von Ruth narrativ reproduzierte Vorstellung von „Müllberge[n]“ und „soviel unüberschaubarer Müll“ schließt dabei an die Diskurse über Müll an. Besonders in medialen Repräsentationen werden Bilder von Müllbergen und „giftigen Lawine[n]“134 produziert.135 Dabei werden diese „Müllberge“ von den wenigsten Menschen körperlich oder haptisch erfahren, da sich der Umgang mit Müll den öffentlichen Augen weitestgehend entzieht.136 Mediale Repräsentationen, wie Dokumentationen, folgen den Biographien von Dingen und machen sichtbar, was mit Alltagsobjekten nach der Entsorgung passiert. Claus Leggewie verweist auf die Bedeutung von medialen Bildern in der Werbung und der Kunst für ökologisches Handeln: „Damit ist der Klimawandel sicher noch kein Modethema, aber die überraschende Visualisierung und Diffusion in den Medien der populären Massenkultur dürften das kollektive Bewusstsein schärfen und zur Mobilisierung der Konsumenten beitragen.“137
Deutlich werden drei Dimensionen: Erstens Reparieren als Strategie zur Ressourcenschonung und zweitens als Strategie zur Müllreduktion, die drittens gegen Verschwendung und Überfluss normativ aufgeladen sind. Ressourcen für die Produktion und Ressourcen in den Dingen werden als wertvoll gedeutet und aufgewertet. „Verschwendung stört mich auch. Diese Verschwendung einfach. […], also früher war es doch das Normalste von der Welt, was du jetzt auch am Sonntag gesehen hast, wenn dann die Hose kaputt ist, das einer sie repariert.“ (Interview vom 19.03.2013). Nachhaltiges Handeln meine, „dass ich dann schon auch über längere Passagen oder Jahreszonen, Jahreszeiträume so wirtschafte, dass ich mit dem, was vorhanden ist, ʼne längere Zeit auch einfach auskomme und nicht also jetzt ausʼm Vollen und so schnell und so viel schnell Geld machen, wie ich will ohne darauf zu gucken, wie lange kann ich das noch machen.“ (Interview vom 19.03.2013)
Langfristig wirtschaften meint hier für Ruth nicht verschwenden, sondern sparsam wirtschaften. Dabei verweist der Begriff der Verschwendung auf die Vor-
134 Siehe artefuture.tv und Dannoritzer 2013. 135 Siehe Dannoritzer und Reuss 2010. 136 Vgl. Windmüller 2004. 137 Leggewie 2009, S. 25.
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stellung von Sparsamkeit. 138 Dinge wegzuwerfen anstatt sie durch Reparieren wieder instandzusetzen, führe zur Verschwendung von wertvollen Ressourcen. Ruth bezeichnet sich im Interview selbst als Nachkriegsgenerationen und rechtfertigt damit einen Zugang zu Dingen, den sie im Vergleich zu heutigen Konsummustern als wertschätzender und sparsamer interpretiert, weil ihre Generation eher wieder repariere, anstatt defekte Dinge durch neue zu ersetzen. Das Verständnis von Sparsamkeit, das in ihren Argumenten deutlich wird, verweist auf zwei Dimensionen: einmal im Sinne eines schonenden Umgangs mit Ressourcen und einmal im Sinne des privaten, sparsamen Umgangs mit Haushaltsbudget. Für sie hat das Reparieren eine gesellschaftspolitische Funktion: „Ich finde das gesellschaftlich wichtig für Leute, die nicht viel Geld haben oder aus Prinzip eben schon sich dem Ganzen entziehen, nicht mitmachen wollen.“ (Interview vom 19.03.2013). Mit dem „Ganzen“ bezieht sich Ruth auf ihre Kritik an der geplanten Obsoleszenz. Verschwendung und Sparsamkeit dienen hier also als Markierung für normative Deutungen, die das Reparieren legitimieren. Ursula Brunold-Bigler hat Technologien im Zeichen der Sparsamkeit untersucht und historisch kontextualisiert: „In der Hausväterliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts wird sparsamer Umgang mit Geld und Sachen als Altersvorsorge und Basis christlicher Wohltätigkeit gegenüber den Armen propagiert.“139 Später sei Sparsamkeit zur bürgerlichen Tugend geworden. Die „Langzeitdisziplinierung“ ließe sich in ökonomischen Ratgebern für Bauern, Bürger, Heim- und Fabrikarbeitern und deren Frauen nachzeichnen.140 Die heutige Konsumkultur habe die Spargesellschaft abgelöst, welche mit entsprechendem Lesestoff auf das Flicken von Sachen trainiert worden sei. Flicken und Reparieren als habitualisierter Umgang, so ließe sich mit Brunold-Bigler deuten, ist dabei normativ aufgeladen. „Heutzutage vermitteln die Anwendungen von Technologien, die das Leben der Sachen verlängern, das Gefühl von Umweltbewusstsein. Dies im Gegensatz zur vergangenen Spargesellschaft, die mit dem langsamen Dingverbrauch bürgerliche Werte wie Charakterfestigkeit, Fleiss, Ordnungsliebe und Genügsamkeit propagierte oder gar soziales Elend mit mangelnder Sparsamkeit der Unterschichten begründete.“141
138 Der Wirtschaftswissenschaftler Till Johannes Hoffmann geht davon aus, dass Verschwendung etwa in Form von Schmuck und Prunk Ausdruck von Überfluss sei (vgl. Hoffmann 2009). 139 Brunold-Bigler 1987, S. 49. 140 Brunold-Bigler 1987, S. 49–53. 141 Brunold-Bigler 1987, S. 59.
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Dabei zeigen die empirischen Daten im Feld der Repair Cafés, dass Sparsamkeit als Umweltbewusstsein und als bürgerlicher Wert nicht im Gegensatz zueinanderstehen, sondern sich als Teil von Habitus vielmehr ergänzen und dem gleichen Deutungsschema folgen. Wie sich gezeigt hat, verstehen die Organisatoren_innen Repair Cafés als Strategie zur Müllvermeidung und zum sparsamen Umgang mit Ressourcen. Repair Cafés sollen dazu beitragen, dass weniger Dinge weggeworfen werden, obwohl sie noch repariert werden könnten. Das soll zum einen dazu beitragen, dass bereits verarbeitete Ressourcen nicht verloren gehen, indem die Dinge zu Müll werden, zum anderen soll das Reparieren einen Neukauf verhindern. Wegwerfen statt Reparieren wird als Verschwendung von wertvollen Ressourcen verstanden. Die Organisatoren_innen werten Ressourcen dabei symbolisch auf. Der Wert von Ressourcen entsteht aus der Wahrnehmung von Begrenztheit und Knappheit sowie normativen Vorstellungen von Sparsamkeit und Nachhaltigkeit. Das Zusammenspiel von menschlichen Akteuren, von Dingen, von Diskursen zum Umgang mit Müll, von Normen wie globale Verantwortung, Sparsamkeit und Nachhaltigkeit sowie von Gesetzen wie das Abfallvermeidungsgesetz oder Gesetze gegen den Export von Schrott, bestimmen den Umgang mit und die ökologische Bedeutungszuschreibung von Dingen und Ressourcen. Im Feld der Repair Cafés waren die forschungsleitenden Thesen, dass sich Diskurse zu knappen Ressourcen und Überfluss in Repair Cafés als konkrete Orte materialisieren und Reparaturcafés Praxen des Überflussmanagements sind. Dazu wurde das Handbuch als Materialisierung von Infrastruktur interpretiert, in dem sich Wissen, Technologien, Expertise, Rechtsnormen und normative Vorstellungen materialisieren. Das Handbuch verbindet verschiedene Akteure, wie Stiftungen, Initiatoren_innen und soziale Netzwerke, weil sich diese Akteure über das Handbuch austauschen und mit ihm arbeiten. Es kann insofern als zentrale Struktur betrachtet werden, durch die sich die Repair-Bewegung formieren und institutionalisieren konnte. Das Reparieren wurde als Protestform gegen Wirtschaftsstrategien betrachtet und die Machtaushandlungen im Akteur-Netzwerk als „Formationen des Politischen“ 142 gedeutet. Reparieren wird von der Repair-Bewegung als politisches Thema wahrgenommen, weil der reparierende Umgang mit Dingen als emanzipatorisch gedeutet wird. Durch das Reparieren sollen die Besucher_innen einen Zugang zu den Dingen und Stoffen entwickeln und dadurch auch die Machtstrukturen hinter den Dingen erkennen. Die Repair-Bewegung sieht hier einen gesellschaftspolitischen Auftrag. Gleichzeitig greifen auch politische Akteure zunehmend den Umgang mit Elektroschrott sowie die Wertzuschreibung von 142 Vgl. Adam und Vonderau 2014b.
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Alltagsdingen als politische Themen auf und schreiben dem Reparieren damit gesellschaftliche Bedeutung zu. Die community of practice materialisiert sich in Repair Cafés. Sie stellen insofern soziale Orte dar, in denen die beteiligten Akteure ein Konzept von Gemeinschaft produzieren. Diese sozialen Orte sollen neben dem Reparieren auch Geselligkeit und Austausch ermöglichen und als Nachbarschaftsprojekte Räume für kollektives Tätigsein ermöglichen. Repair Cafés werden ferner von den Organisatoren_innen als Orte begriffen, die zu einem nachhaltigen Umgang mit Dingen und Ressourcen beitragen sollen. Reparieren soll in dieser Lesart Ressourcen schützen, weil damit Neukäufe verhindert und Dinge weiter in Nutzungskreisläufen gehalten werden. Außerdem soll das Reparieren dafür sorgen, dass weniger Dinge vorzeitig als wertloser Müll betrachtet und entsorgt werden. Deshalb wurden die Cafés als ökologische Praxis gedeutet. Gerade die Reflexionen über Müll und der Begrenztheit natürlicher Ressourcen verweisen hier auf Konzepte von Zuviel und Zuwenig. Überfluss in Form von Müll stellt Verschwendung dar, welche angesichts der Begrenztheit von Ressourcen – ökologischer ebenso wie individueller wirtschaftlicher – für die Repair-Bewegung problematisch ist. Deutlich wurde, dass die Organisatoren_innen auf Wissen über die Verknappung von natürlichen Ressourcen zurückgreifen, welches diskursiv vermittelt ist. Die Ressourcen für die Herstellung von Elektrogeräten, etwa Seltene Erden, werden nicht in der konkreten Lebenwelt der Interviewten gewonnen oder verarbeitet, insofern beziehen sie ihr Wissen über entsprechende Produktionsprozesse aus Reportagen oder Zeitungsartikeln, die wiederum auch auf wissenschaftliche Publikationen verweisen. Die Vorstellungen von knappen Ressourcen zirkulieren hier also zwischen verschiedenen Akteursgruppen. Die Verknappung ist für die Interviewten dabei gerade problematisch, weil in ihrer Wahrnehmung Ressourcen verschwendet werden, wenn Dinge vorzeitig zu Müll werden, anstatt sie durch das Reparieren länger zu nutzen. Am Beispiel der Reparaturcafés zeigt sich, dass sich Vorstellungen von Überfluss in Bildern reproduzieren. „Müllberge“ symbolisieren den Überfluss an Produkten, die schnell aussortiert und entsorgt werden. Diese Bilder nutzen die Akteure, um auf die Auswirkungen von Wegwerfen statt Reparieren hinzuweisen. Reparieren soll dann zur Müllreduktion und zur Schonung von Ressourcen beitragen. Wissen über die Verknappung von Ressourcen vermitteln die Organisatoren_innen über Informationsmaterial und in den communties of pratice in den konkreten Repair Cafés. Auf der Grundlage der Konstruktion von knappen Ressourcen kann sich die Repair-Bewegung als soziale Gegenbewegung formieren. Sie nutzen die Vorstellungen und das Wissen über knappe Ressourcen als
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Legitimation, um das gemeinschaftliche Reparieren zu plausibilisieren. Die Bewegung reproduziert die Vorstellung von der Knappheit natürlicher Lebensgrundlagen und transzendiert diese durch die performative Praxis des Reparierens. Die Infrastruktur der Repair Cafés kann als eine Strategie des Überflussmanagments gedeutet werden. Überfluss konstituiert sich für die Akteure auf zwei Ebenen: Erstens in Form von Bildern sowie der diskursiven Herstellung von Müllbergen und zweitens im normativen Konzept der Verschwendung. Wegwerfen statt Reparieren führe in diesem Sinne zu Überfluss. Um diesen Überfluss zu reduzieren, entwickeln die Akteure die Infrastruktur der Repair Cafés. Dort soll einmal das Reparieren von Dingen konkret dafür sorgen, dass Dinge nicht vermüllen. Zweitens sollen die Besucher_innen durch die Vermittlung von Wissen für die Bedeutung von in Dingen und Geräten verarbeiteten Ressourcen sensibilisiert werden. Dinge und Ressourcen werden durch die Infrastruktur inwertgesetzt. Das Reparieren verändert den Status der Objekte und wirkt sich auf deren Biographie aus.143 Die Statusveränderung von Dingen und spezifische Praktiken, die sich daraus ergeben, sollen im Folgenden im Bezug auf Nahrungsmittel weiter verfolgt werden. Im Zentrum steht dabei das Mülltauchen, wobei Dumpster Diver das für die Entsorgung vorgesehene Gemüse, Obst oder Brotwaren aus den Abfallcontainern von Supermärkten entnehmen und es reinigen, verarbeiten, essen sowie weiter verteilen. Bevor Kleidertauschevents, Repair Cafés und das Mülltauchen vergleichend betrachten werden, steht nun also das Containern in seiner Spezifikation im kulturanalystischen Mittelpunkt.
143 Die vorliegende Arbeit hat den Fokus auf die Infrastrukturen und Organisatoren_innen gelegt. Der konkrete Blick auf die Reparierenden wirft weitere, hier aber unbeantwortete Fragen auf, etwa wie sich für die Besucher_innen die konkrete Reparatursituation gestaltet, wie sich professionelle und Amateurpraktiken verschränken oder kollidieren ebenso wie sich die Bedeutung der Dinge durch das Reparieren für die Besitzer_innen verändert. Gerade mit einem kulturanthropologischen und biographischen Zugang lassen sich hier weitere Forschungsperspektiven aufspannen.
7. Das Lebensmittelretten: Netzwerke − Protest − Raum Das Lebensmittelretten: Netzwerke – Protest – Raum Nahrungsmittel und Nahrungskonsum sind ein zentrales Thema in der Kulturanthropologie. Nahrung stellt als „soziales Totalphänomen“ in Anlehung an Marcel Mauss ein komplexes Feld für die Kulturanalyse dar. Die Soziologin Eva Barlösius konstatiert, dass Gesellschaften so seien, wie sie essen.1 „Die Ernährung beziehungsweise das Kommunizieren über Ernährung ist Schablone für politische Ideologien, Konsum- und Genussstile und vieles mehr.“2 Ernährung lässt sich dabei analytisch unterscheiden in erstens die Nahrungsmittel, ihre Herstellung, die Auswahl und ihre Symbolik; zweitens in die Zubereitung von Nahrungsmitteln, die Zubereitungsart und regionale Küchen; drittens das Essen der Nahrung, die Mahlzeiten3 und die Orte des Essens; sowie viertens die Produktion von Wissen über Nahrung und deren Zubereitung. Zunächst soll es um Letzeres gehen: die Produktion von Wissen über Nahrung und zwar um die Produktionsbedingungen und -prozesse von Lebensmitteln. Dieses Wissen ist maßgeblich an der Bewertung von Lebensmitteln und der Frage, „Was darf der Mensch essen?“4, beteiligt. Dabei zeigt sich, dass der wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Diskurs über Nahrungsmittel gekennzeichnet ist durch die Verhandlung von Knappheit und Überfluss − wie zu zeigen sein wird besonders im Kontext von Lebensmittelabfall. Der Kulturanthropologe Günther Hirschfelder und die Kulturwissenschaftlerin Barbara Wittmann beschreiben, dass in der Frühgeschichte Ernährung und 1
Vgl. Barlösius 2011.
2
Hirschfelder und Wittmann 2015, S. 6.
3
Ulrich Tolksdorf hat die Mahlzeit als Ausgangspunkt des Ernährungssystems konzipiert und zur Grundeinheit eines systemtheoretischen Ansatzes in der ethnologischen Forschung gemacht (vgl. Tolksdorf 2001).
4
Vgl. Hirschfelder 2015.
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Religion so eng verzahnt gewesen seien, dass Nahrungsmangel als kommunikatives Element zwischen den Gottheiten und den von ihnen abhängigen Menschen gesehen wurde. „Was der Mensch essen durfte, war ‚von oben‘ verordnet und damit Sinnbild eines asymmetrischen Machtverhältnisses. Hunger wurde als göttliche Strafe, Überfluss als Belohnung gedeutet.“5 In einem historischen Rückblick wird deutlich, dass die Nahrungssituation für den Großteil der Bevölkerung lange durch Knappheit gekennzeichnet war.6 „Während die Agrarproduktion im Kaiserreich noch hinter der Bevölkerungsentwicklung zurückgeblieben war und in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg etwa 15 bis 18 Prozent des inländischen Nahrungsmittelbedarfs durch Importe gedeckt werden mussten, wurde die Landwirtschaft im späten 20. Jahrhundert für ihre Überproduktion geradezu berüchtigt.“7
Nicht nur die Produktivität pro Kopf, sondern auch pro Hektar stieg im Verlauf der Agrargeschichte, wie der Historiker Frank Uekötter für die deutsche Landwirtschaft beschreibt: Diese habe sich durch die Wissenschaft und Technik umfassend verändert. „Unter dem Einfluss moderner Wissenschaft und Technik wandelte sich die agrarische Produktion mit einer Radikalität, die in der Geschichte der Landwirtschaft wohl nur mit der neolithischen Revolution zu vergleichen ist.“8 Dem Futterreport von Foodwatch zufolge wird in Deutschland inzwischen mehr als die Hälfte der Ernte an Tiere verfüttert.9 Seit den 1960er Jahren sind neben den kleinbäuerlichen Landwirtschaften mit kleinen bis mittleren Herden zunehmend industrielle Großtierhaltungen entstanden. Bis dahin war die Fleischproduktion weitestgehend regional: Das eigene Heu und selbst angebautes Getreide dienten als Futtermittel; im Sommer standen viele Tiere auf der
5
Hirschfelder und Wittmann 2015, S. 2.
6
Vgl. Barlösius 2011, S. 12–15; Balösius verweist dabei auf Thomas Malthus, dessen Arbeit immer wieder im Diskurs zu Knappheit aufgegriffen wird (vgl. Tellman 2015). Malthus' Knappheitsthese aus dem 18. Jahrhundert geht davon aus, dass das Bevölkerungswachstum zu Hungerkrisen führte. Die Gleichung zwischen Nahrungsspielraum und Bevölkerungsgröße sei bereits überholt gewesen, als Mathus sie aufgestellt habe, so Barlösius, weil neue Anbau- und Düngemethoden die landwirtschaftliche Produktivität bereits gesteigert hätten (Barlösius 2011, S. 12).
7
Uekötter 2010, S. 11.
8
Uekötter 2010, S. 12.
9
Siehe Heinrich-Böll-Stiftung et al. 2013, S. 38.
D AS L EBENSMITTELRETTEN : N ETZWERKE – P ROTEST – R AUM
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Weide; Schlachtungen fanden auf dem Hof und in nahen Schlachtereien statt.10 Die Nahrungsproduktion war regional und lokal „eingebettet“11. Aus kleinbäuerlichen Betrieben sind zunehmend industrielle Produktionssysteme geworden, die mit ökonomischen, marktförmigen Logiken von Effizienz und Produktivität arbeiten, verwissenschaftlicht und technisiert sind. Neben den ökologischen und sozialen Folgen der Produktion von Lebensmitteln, etwa der Verbrauch von Wasser, die Vernutzung und Überdüngung von Böden, Monokulturen, der Verlust von Biodiversität und Hungerkrisen, werden in den letzten Jahren zunehmend die Auswirkungen von Lebensmittelabfällen kritisch verhandelt.12 Die Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen veröffentlichte 2011 eine Studie zu den ökologischen Auswirkungen von Lebensmittelabfällen.13 „The results of the study suggest that roughly one-third of food produced for human consumption is lost or wasted globally, which amounts to about 1.3 billion tons per year. This inevitably also means that huge amounts of the resources used in food production are used in vain, and that the greenhouse gas emissions caused by production of food that gets lost or wasted are also emissions in vain.“14
Lebensmittelabfall bedeute nicht nur einen Ressourcenverlust in Form der konkreten Lebensmittel, sondern auch ein Verlust der für die Produktion verwendeten Ressourcen, die Verschwendung der aufgewendeten Energie und der daraus entstehenden Emissionen. Gründe für Lebensmittelabfälle sieht die Studie in dem Konsumentenverhalten ebenso wie in der Koordination auf der Angebotsseite. 10 Siehe Heinrich-Böll-Stiftung et al. 2013, S. 12; Seit 2013 veröffentlicht die HeinrichBöll-Stiftung in Kooperation mit dem Bund für Umwelt- und Naturschutz e.V. und Le Mond diplomatique den „Fleischatlas“ mit Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel. 11 Karl Polanyi ging davon aus, dass in vorindustriellen und bäuerlichen Gesellschaften das Wirtschaftssystem in das Sozialsystem eingebettet gewesen sei und die Ökonomisierung von Land, Arbeit und Kapital zur Entbettung der Ökonomie aus den politischen und sozialen Institutionen führe (vgl. Polanyi 1978); vgl. zur Bedeutung von Polanyi für die ökonomische Anthropologie auch Seiser 2009. 12 Vgl. zu Lebensmittelabfall aus Perspektive der social practice theory Southton und Yates 2015. 13 Siehe FAO 2011. 14 FAO 2011, V.
196 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT „Farmer-buyer sales agreements may contribute to quantities of farm crops being wasted. Food can be wasted due to quality standards, which reject food items not perfect in shape or appearance. At the consumer level, insufficient purchase planning and expiring ‚bestbefore-datesʻ also cause large amounts of waste, in combination with the careless attitude of those consumers who can afford to waste food.“15
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat im März 2012 eine Studie zu Lebensmittelabfällen vorgelegt. 16 Die Studie unterscheidet Lebensmittelabfälle in Lebensmittelreste aus landwirtschaftlicher Produktion, aus der (Weiter-)Verarbeitung von Lebensmitteln, aus dem Groß- und Einzelhandel, aus den Küchen von Großverbrauchern, aus Privathaushalten sowie rohe und verarbeitete Lebensmittel, welche genusstauglich wären. Die Studie gliedert Lebensmittelabfall in erstens vermeidbare Lebensmittelabfälle, die zum Zeitpunkt ihrer Entsorgung noch uneingeschränkt genießbar sind oder bei rechtzeitiger Verwendung genießbar gewesen wären; zweitens in teilweise (fakultativ) vermeidbare Lebensmittelabfälle, die auf Grund von unterschiedlichen Gewohnheiten von Verbrauchern (z.B. Brotrinde, Apfelschalen) entstehen − in dieser Kategorie erfasst die Studie auch Mischungen aus vermeidbaren und nicht vermeidbaren Abfällen (z.B. Speisereste, Kantinenabfälle u.a.) −; drittens nicht vermeidbare Lebensmittelabfälle, die üblicherweise im Zuge der Speisenzubereitung ent15 FAO 2011, V. 16 Die Studie liefert einen Forschungsstand und Statistiken zu Lebensmittelabfall (siehe Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2012). Hintergrund war der 2012 erarbeitete „Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa“ von der EUKommission, der „den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft, die ihre Ressourcen wirkungsvoll einsetzt, um nachhaltiges Wachstum zu erreichen“, unterstützt. Der Fahrplan fordert, dass knappe Ressourcen – etwa Brennstoffe, Mineralien, Metalle, Nahrungsmittel, Boden, Wasser, Luft, Biomasse und Ökosysteme − angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung effizient eingesetzt werden, da dies notwendig für die Wachstums- und Beschäftigungspolitik in der EU sei. Die effiziente Nutzung werde wirtschaftliche Perspektiven eröffnen, die Produktivität steigern, die Kosten drosseln und die Wettbewerbsfähigkeit stärken, so der Fahrplan, wobei die Wirtschaft auch im zweiten Schritt u.a. zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Verringerung der Treibhausgase beitragen solle (siehe Fahrplan für ressourcenschonendes Europa 2011). Auch auf EU-Ebene fand von August 2012 bis August 2016 das Netzwerkprojekt „EU-Fusion: Food Use for Social Innovation by Optimising Waste Prevention Strategies“ statt, mit dem Ziel Lebensmittelabfall zu reduzieren und eine EU-Leitlinie für eine gemeinsame Food Waste Policy für EU-27 zu entwickeln (siehe eufusions.org).
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stehen und entsorgt werden − dies beinhalte im Wesentlichen nicht essbare Bestandteile (z.B. Knochen, Bananenschalen o.ä.) aber auch Essbares (z.B. Kartoffelschalen).17 Ziel der Studie sei eine Datenbasis der tatsächlichen Lebensmittelabfälle. 18 So legen die Autoren Zahlen zum Wegwerfverhalten von Industrie, Handel, Großverbrauchern und privaten Haushalten vor. Jedoch merken sie an, dass es in allen Bereichen eine mangelhafte Datenlage gebe. Für das Thema des Mülltauchens sind hier die Zahlen für den Einzelhandel von besonderem Interesse. Die Verluste an Lebensmitteln würden laut Studie ca. 500.000 Tonnen pro Jahr betragen. Die Studie kritisiert dabei die ungenügende Aussagebereitschaft im Einzelhandel, besonders bei größeren Unternehmen und im Discounterbereich, sodass die Zahlen in diesem Bereich vor allem auf Schätzungen beruhen würden. Gründe für Lebensmittelabfälle in diesem Bereich konstatiert die Studie in zwei Bereichen. Einmal seien es die Ansprüche der Kunden, also deren Konsumverhalten: „Sowohl hohe Anforderungen an die Qualität und Frische als auch an das Aussehen solcher Lebensmittel beeinflussen häufig die Kaufentscheidung der Kunden. Die fehlende Frische lässt diese Lebensmittel häufig nicht mehr ‚verkaufsfähigʻ werden.“19 Zweitens seien auch die Verkaufsziele der Unternehmen an Lebensmittelabfällen beteiligt. So seien stets volle Regale und eine große Warenvielfalt an einer Überproduktion bzw. einem Überangebot von Lebensmitteln mit verantwortlich. Spezifische Marketingstrategien führten zu einer Verlagerung der Abfälle vom Einzelhandel in die Haushalte.20 Frankreich reagierte im Mai 2015 auf die zunehmende Problematisierung von Lebensmittelabfall im Einzelhandel und hat ein Gesetz verabschiedet, das dem Einzelhandel 17 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2012, S. 4. 18 Hintergrund der Studie sei, dass regelmäßig Studien, Presseberichte, Radio- sowie TV-Beiträge veröffentlicht wurden und diese auf gesellschaftspolitisches Interesse getroffen seien. Durch öffentliche Veranstaltungen, wie Podiumsdiskussionen sowie Messen und durch die Berichterstattung rund um den Kinofilm „Taste the Waste“ sei das Thema Lebensmittelverschwendung einem breiten Publikum zugänglich gemacht worden, so die Studie (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2012, S. 1). Dieses narrative Muster findet sich in ähnlicher Weise auch in dem Bericht des Umweltbundesamts zur geplanten Obsolenszenz, welche das gestiegene Medieninteresse an dem Thema aber auch die Kritik an der „sehr anekdotischen Herangehensweise“ (Umweltbundesamt 2015, S. 29) zum Anlass nahm, eine wissenschaftliche Ausarbeitung vorzulegen. Erst das öffentliche Interesse, so ließe sich diese Argumentation lesen, legitimiert die politische Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher Basis. 19 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2012, S. 23. 20 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2012, S. 24.
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verbietet, Lebensmittel zu entsorgen.21 Diese müssen gespendet, verwertet, als Tiernahrung oder als Kompost verwendet werden.22 Der Gesetzentwurf wird seit Juli 2015 auch auf EU-Ebene diskutiert.23 Laut der Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft werden jedoch die meisten Lebensmittel in privaten Haushalten weggeworfen, gleichwohl die Studie auch hier auf die mangelhafte Datenlage verweist. Es gebe keine verlässlichen Zahlen, der Anteil an Lebensmittelabfällen deutschlandweit sei nicht bekannt und auch Daten zur Zusammensetzung der Lebensmittelabfälle im Restmüll nach Vermeidbarkeit sei nicht existent. Dennoch legitimiert das Bundesministerium mit den geschätzten und auf anderen Studien beruhenden Zahlen die entwickelte Kampagne „Zu gut für die Tonne!“, mit dem Ziel, Lebensmittelverschwendung bei Verbrauchern zu reduzieren.24 Dokumentationen und Berichte, etwa wie „Taste the Waste“25, „Just eat it. A Food Waste Story“26 oder „Die große Verschwendung. Warum so viele Lebensmittel im Müll landen“27 gehen der Frage nach den Ursachen und Auswirkungen von Nahrungsmittelabfall nach. Sie sollen im Folgenden als Quelle dienen, um den komplexen Zusammenhängen in der Produktion und Konsumtion von Nahrungsmitteln nachzugehen, die aus Sicht dieser medialen Repräsentationen zum Lebensmittelmüll führen. Gründe für Lebensmittelabfälle werden in diesen Berichten entlang der Produktions- und Vermarktungskette ausgemacht: So sortieren bereits Landwirte 21 Auch ein Gesetz, das geplanten Verschleiß unter Strafe stellt, wurde bereits in Frankreich diskutiert: „Das Gesetz sieht vor, die ,obsolescence programméeʻ als Betrugsdelikt zu behandeln und zu bestrafen − mit bis zu zwei Jahren Gefängnis und einer Geldbuße von bis zu 300.000 Euro.“ (Umweltbundesamt 2015, S. 29). 22 Siehe Die Zeit 2015. 23 Siehe nowastenetwork.nl. 24 Im Zuge der Kampagne klärten etwa Mitglieder des Vereins Deutscher Landfrauen zwischen Mai und Juni 2013 in PENNY-Märkten über den Umgang mit Lebensmitteln auf. Strategien, die die Kampagne propagiert, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, sind etwa Wissensvermittlung zum Thema Lebensmittelverschwendung, zum richtigen Lagern von Lebensmitteln, das richtige, heißt planvolle Einkaufen, sowie eine Rezeptsammlung für Reste. Deutlich wird dabei der erzieherische Ansatz, mit dem staatliche Institutionen zum „richtigen“ und damit ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln beitragen wollen (siehe zugutfuerdietonne.de). 25 Siehe Thurn 2010; Zur Dokumentation sind auch Bücher veröffentlicht (Thurn und Oertel 2012 sowie Kreutzberger und Thurn 2012). 26 Siehe Baldwin und Rustemeyer 2014. 27 Siehe Spiegel TV 2012.
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auf dem Feld Lebensmittel aus, weil sie nicht der Handelsnorm entsprechen. Die Produzenten müssen ihre Ware nach den Kategorien und Vorgaben des Einzelhandels auswählen. Wirtschaftliche Akteure beschäftigen sich zunehmend mit den Folgen und Gründen von Lebensmittelabfall und haben auf die Kritik an den Vorgaben bereits reagiert. Im Einzelhandel werden etwa unter dem Motto „Verwendung statt Verschwendung“ nicht der Norm entsprechendes Obst und Gemüse verkauft.28 Lange Transportwege sorgen dafür, dass Lebensmittel verderben, etwa wenn dabei Kühlketten nicht geschlossen bleiben. Beim Großmarkt entstehen große Mengen an Lebensmittelabfällen. Auch wenn nur wenige der Waren verschimmelt sind, wird die ganze Mage oder der Inhalt des Containers entsorgt. Die am Ende eines Tages nicht verkauften Produkte werden vernichtet. Auch auf Seiten des Handels sehen die Berichte vielfältige Gründe für Lebensmittelabfall. Zum einen werden Lebensmittel entsorgt, wenn die Verpackung oder das Produkt beschädigt sind, wie bei Druckstellen bei Äpfeln oder etwa wenn eine Orange eines Netzes verschimmelt ist. Die Mitarbeiter_innen entsorgen das am Ende eines Verkaufstages nicht verkaufte Angebot, besonders Obst und Gemüse, also schnell verderbliche Ware oder Bäckereiprodukte. Manche Waren werden auch vorsorglich aus den Regalen genommen, um neuer Platz zu machen oder weil der Markt die Produkte aus dem Sortiment nimmt, etwa saisonale Güter wie zu Ostern und Weihnachten. 28 Siehe reduse.org; vgl. dazu auch Bendix 2015; Unternehmer vermarkten zum Beispiel die Gemüseretterbox mit Produkten, die sonst nicht verkauft werden können und legitimieren diese Wirtschaftspraxen mit der Verschwendung von Lebensmitteln: „Ziel von ETEPETETE ist es Euch selbst die Wahl zu lassen, ob Ihr ,krummesʻ Gemüse, welches im Supermarkt erst gar nicht angeboten wird, auf euren Tellern haben wollt oder nicht. Wenn man dabei nicht nur sich selbst etwas Gutes tut, sondern der Verschwendung von einwandfreiem Gemüse entgegen wirken kann, so ist das eine wunderbare Sache.“ (Siehe etepetete.de) Auch die Cateringfirma „culinary misfits“ arbeitet mit krummen Gemüse. Die beiden Inhaberinnen fordern, dass die ganze Ernte als Nahrungsmittel genutzt werde. Dabei werten sie ungenormtes Gemüse symbolisch, narrativ und kulinarisch auf (siehe culinarymisfits.de). Das Projekt „foodloop“ ist von der Europäischen Kommision gefördert. Durch technische Lösungen soll ein Rabattsystem entstehen, mit dem Supermärkte Lebensmittel kurz vor dem MHD rabattieren können. „Im Zentrum des Interesses stehen Lebensmittel mit geringer Resthaltbarkeit, die vermarktet werden und entgegen der gängigen Praxis nicht im Müllcontainer landen sollen.“ (siehe foodloop.net). Die wirtschaftlichen Akteure entwickeln hier ökonomische Lösungen gegen Lebensmittelabfälle. Sie werten Lebensmittel dabei um und lassen nicht genormte Nahrungsmittel in der Lesart der commoditization zu wertvollen Waren werden (vgl. Kopytoff 2010).
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Gründe für Lebensmittelverschwendung sehen die Berichte auch im Verbrauchsdatum und dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Das Verbrauchsdatum kennzeichnet besonders auf Fleischprodukten, bis wann diese spätestens verbraucht werden sollten, da der Verzehr nach diesem Datum gesundheitsgefährdend sein kann. Das MHD gibt es seit Inkrafttreten der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung von 1981. Es gibt an, bis wann der Produzent garantieren kann, dass sich die Qualität, das Aussehen oder die Konsistenz des Produktes nicht verändert. Das MHD wird vom Produzenten auf das Produkt gedruckt, er bestimmt also selbst, nach welchen Kriterien und bis wann ein Produkt haltbar ist. Waren über dem Mindesthaltbarkeitsdatum darf der Händler verkaufen. Die Märkte sind jedoch dafür haftbar. Das heißt, dass Kunden rechtliche Schritte einleiten können, wenn sie Schaden an diesen Produkten nehmen. Aus Vorsorge entfernen viele Supermärkte die Waren kurz vor oder über dem MHD aus den Regalen. Manche Märkte bieten diese Produkte zu einem reduzierten Preis an. Das MHD als symbolische Qualitätsgarantie ist Thema vieler Aufklärungskampagnen, etwa in der Initiative „Zu gut für die Tonne!“. Auch NGOs wie Greenpeace und der WWF beschäftigen sich mit Lebensmittelverschwendung.29 Lokale Slow Food-Gruppen führen ebenso wie Greenpeace-Gruppen Veranstaltungen durch, um auf das Thema der Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen, auf Lösungen hinzuweisen und einen bewussteren Umgang mit Nahrungsmitteln zu etablieren. Sie organisieren etwa sogenannte Schnippeldiscos, bei denen Menschen kollektiv kochen und „schnippeln“, meist auf öffentlichen Plätzen. Der Verbraucherzentralen Bundesverband sieht alle Akteure „im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung“ in der Verantwortung.30 Der Verband fordert etwa, dass die Politik nicht nur auf Bildung und Aufklärung setze, sondern auch konkrete Maßnahmen, wie das Abschaffen von Vermarktungsnormen, umsetze. 29 Der WWF hat eine Petition gestartet, um Lebensmittelverschwendung zu stoppen (siehe wwf.de). Greenpeace sieht die Gründe von Lebensmittelverschwendung darin, dass es erstens Verluste nach der Ernte gebe, etwa auf dem Weg vom Feld zur Weiterverarbeitung oder Vermarktung z.B. durch schlechte Systeme des Transports, der Lagerung und Kühlung vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern; dass zweitens Agrarprodukte auf dem Feld aussortiert würden, wenn Normen hinsichtlich Größe, Farbe oder Aussehen nicht eingehalten werden; dass drittens der Lebensmitteleinzelhandel alle Produkte jederzeit verfügbar haben wolle; dass sich viertens die Konsumenten mit zu vielen Vorräten eindecken und fünftens dass Lebensmittel beim Erreichen oder Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums weggeworfen würden (Greenpeace 2013, S. 1). 30 Siehe vzbv.de 2012b.
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Während in der Studie vom Bundesministerium noch von Lebensmittelabfällen gesprochen wird, verhandeln die anderen Akteure das Thema Lebensmittelabfall vor allem unter dem Begriff der Lebensmittelverschwendung. 31 „Verschwendung“ ist, wie schon im Bereich der Repair Cafés gezeigt wurde, ein normativer Begriff. Verschwendung widerspricht einem nachhaltigen, ressourcenschonenden Umgang mit Dingen und Ressourcen. Dabei verhandeln die unterschiedlichen Akteure den Wert von Lebensmitteln. Wie Reiner Keller darstellt, läßt sich die „gesellschaftliche Konstruktion des Wertvollen“ anhand des Mülls in zweierlei Hinsicht untersuchen: „Zum einen sind gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Umweltverschmutzungen Konflikte über Vorstellungen vom Wertvollen und Wertlosen, um die Definition des ‚guten Lebens‘ und der ‚guten Gesellschaftsordnung‘. Zum anderen werden in diesen Wertzuschreibungen materielle Dingkulturen und ideelle Güter, natürliche Ressourcen, Produktions- und Konsumtionsformen verhandelt.“32
Die Wegwerfmentalität und der Überfluss von Nahrungsmitteln auf der einen Seite stehen endlichen Ressourcen und der Idee von Nachhaltigkeit als normatives Ordnungsmuster entgegen.33 Die ökologischen und sozialen Folgen der Produktion von Lebensmitteln, etwa der Verbrauch von Wasser, die Vernutzung und Überdüngung von Böden, Monokulturen, der Verlust von Biodiversität, stehen Bevölkerungswachstum und Hungerkrisen gegenüber. 34 Überfluss auf der einen Seite und Knappheit auf der anderen kennzeichnen die Wissensproduktion über Nahrungsmittel, den gesellschaftlichen Umgang mit und die Wertzuschreibung von Nahrungsmitteln und damit auch die individuell im Alltag wirksamen Ernährungsstile: „Über die Ernährungsstile werden inzwischen aber vor allem auch gesellschaftliche Kämpfe um Deutungshoheiten über den richtigen Lebenswandel ausgetragen, was zum Beispiel an den Lohas (Anhängern von Lifestyles of Health and Sustainability [Hervor. i. O.]) deutlich wird.“35
Die Wahl und die Verweigerung von Lebensmitteln sind sozial wirksam. Eva Barlösius argumentiert, dass auch die Verteilung von Nahrung sozial produziert 31 Siehe zur Bedeutung der Begriffe „Müll“ und „Abfall“ Silberzahn-Jandt 2000. 32 Keller 2009, S. 35. 33 Siehe zu aktuellen Perspektiven auf Nahrung auch Ploeger et al. 2011. 34 Hirschfelder und Wittmann 2015, S. 7. 35 Hirschfelder und Wittmann 2015, S. 6.
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sei: „Sozialer Protest gegen die bestehende soziale Hierarchie wurde traditionell oftmals durch Weigerung, den sozial zugewiesenen Eßstil zu praktizieren und durch die kulturelle Abwertung der herrschaftlichen Küche artikuliert.“36 Hans Peter Hahn verweist ebenso darauf, dass sich über das Ignorieren und Verweigern von Konsummöglichkeiten Aussagen machen lassen zu den Vorstellungen, was Konsum ist und welche normativen Konzepte dabei verhandelt werden.37 Durch die Weigerung, Lebensmittel an der Kasse zu zahlen, sondern sie aus den Mülltonnen von Supermärkten zu holen, widersetzen sich Mülltaucher_innen nicht einem sozial zugewiesenen Eßstil, sondern der tradierten, sozial zugewiesenen Form der Nahrungsmittelbeschaffung.38 Mülltonnen werden zum Ort, an dem sie sich mit Nahrung versorgen können. Welche konkreten Praktiken transformieren vormaligen Abfall in Lebensmittel? Wie entsteht aus der Wahrnehmung von Überfluss und Knappheit das soziale Phänomen Mülltauchen? Welche normativen Vorstellungen verhandeln die Mülltaucher_innen? Welches Wissen (re-)produzieren sie? Zwei Thesen prägen im Folgenden den analytischen Blick: Erstens ist Containern eine performative Praxis des Umgangs mit knappen natürlichen und ökonomischen Ressourcen sowie zweitens eine Praxis des Überflussmanagements. Diesen Fragen und Thesen soll anhand von drei Perspektiven nachgegangen werden. Zu Beginn soll das Mülltauchen als soziale Praxis begriffen werden. Durch sie grenzen sich Dumpster Diver als soziale Gruppe ab, sodass die Praxis die Funktion eines Distinktionsmittels erfüllt. Über die gemeinsame Praxis konstituiert sich eine community of practice, in der Wissen zirkuliert und geteilt wird. Mülltauchen soll dann als Protestform analysiert werden. Der Widerstand gegen etablierte Konsummuster sowie Vorstellungen von Abfall und Lebensmitteln stellt Agency her. Die von mir interviewten Mülltaucher_innen äußern Konsumkritik, die sich performativ durch das Mülltauchen zum Ausdruck bringt. Das Akteur-Netzwerk, das sich um die Praxis bildet, kann dadurch als „Formation des Politischen“39 analysiert werden. Abschließend stehen die konkreten Materialisierungen, die Lebensmittel, im Fokus. Es soll herausgearbeitet werden, wie vormals als Müll kategorisierte Dinge zu Nahrung umgedeutet werden. Lebensmittel werden dabei als Akteure konzeptualisiert, welche auf die Konstituierung von Netzwerken wirken. Das Mülltauchen kann dabei die wirtschaftliche
36 Barlösius 2011, S. 17. 37 Hahn 2008, S. 30. 38 Siehe zu Verboten und Tabus in der Nahrungsmittelwahl und deren soziale Dimension aus soziologischer Perspektive Setzwein 1997. 39 Siehe dazu auch Kapitel 6.2 sowie Adam und Vonderau 2014b.
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Vorstellung von Objektbiographien durch Sortieren, Umdeuten und Teilen erweitern. Zunächst sollen die Interviewpartner_innen kurz vorgestellt werden, deren Positionen hier im Besonderen analysiert wurden. Karl ist 1991 geboren, Student und lebte zum Interviewzeitpunkt mit seiner Mutter, einer Lebensmittelchemikerin, in einer Wohnung in einem der wohlhabendsten Wohngebiete in Berlin. Als ich Raphael Fellmer um ein Interview bat, leitete er mich an Karl weiter. Die beiden sind eng vernetzt. Karl engagierte sich bei Foodsharing bzw. den Lebensmittelrettern. Martin ist 1986 geboren und angehender Mathematiklehrer. Er wohnte zum Interviewzeitpunkt in einer Wohngemeinschaft im Untergeschoss einer Villa in Berlin-Dahlem und antwortete auf meine Suchanzeige in einem links-alternativen Mailverteiler. Zum Interviewtermin hatte er zwei Freundinnen eingeladen: Julia, geboren 1987, ist Tänzerin und ging regelmäßig containern; Ramona studierte Elementarpädagogik, ist 1988 geboren und ging unregelmäßig containern. Wie sich im Interview herausstellte, kannten sich Ramona und Martin durch einen Brunch, den Raphael Fellmer veranstaltet hatte und bei dem sie über das Containern ins Gespräch gekommen waren. Ronny lernte ich über Petra, eine Filme-Macherin, kennen. Sie war an einem Filmprojekt über Müll und Strategien gegen Lebensmittelmüll beteiligt und kannte Ronny aus diesem Kontext. Petra stellte mir Ronny auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema Transition Town vor, bei der wir uns zufällig traffen. Ronny, 1991 geboren, wollte Musik studieren und lebte erst seit kurzem in Berlin. Marie ist 1996 geboren, lebte in Berlin in einer Wohngemeinschaft, hatte sich um einen Studienplatz für Chemie beworben und jobbte in einem Supermarkt. Sie antwortete auf die gleiche Suchanzeige wie Martin und hat meine Fragen per Mail beantwortet. Wie in der Kurzvorstellung der Interviewpartner_innen deutlich wird, haben sich während der Feldforschung Beziehungen zwischen den Akteuren gezeigt, die sich etwa bespielhaft in Berlin um den Aktivisten Raphael Fellmer spannen. In den Interviews berichteten die Mülltaucher_innen, wie sie über ihr soziales Netzwerk mit dem Phänomen Mülltauchen in Berührung kamen. Die soziale Vernetzung deutet sich ebenso in Internetforen und Facebook-Gruppen an, deshalb soll es im Folgenden um das Mülltauchen als soziales Phänomen und als Performanz einer sozialen Bewegung gehen.
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7.1 M ÜLLTAUCHEN
ALS SOZIALE
P RAXIS
Im März 2014 nahm ein Bürgerhaus in Hamburg an einem Wochenende die Foodsharing-Bewegung aus ganz Deutschland auf. Das Abendprogramm bestand aus einer Schatzsuche und Nachtwanderung der anderen Art: Insgesamt sind es fünf oder sechs Gruppen jeweils mit fünf bis sechs Leuten. Ich bin mit Peter und vier anderen unterwegs. Peter hat für alle Gruppen kleine Stadtkarten ausgedruckt, auf denen Supermärkte verzeichnet sind. Peter ist ein erfahrener Mülltaucher, der dann doch auf dem Weg die Kartenfunktion seines Smartphones benutzt, um uns durch die Straßen zu leiten. Wir folgen der Lieferzufahrt eines großen Shoppingcenters, obwohl die Gruppe sich darin einig ist, dass bei solchen Centern meist nichts zu holen ist, weil der Müll direkt in Müllpressen kommt, von außen nicht zugänglich. Als der Wachmann auf uns zukommt, werde ich kurz nervös. Er reagiert verwundert, als Martina sagt, wir würden nach Essen suchen und meint, hier sei alles dicht, die Tankstelle die Straße runter habe aber noch offen. Peter sei schon zwei, drei Mal auf Wachpersonal getroffen, erzählt er mir später, einmal hätten die die Polizei gerufen. Beim nächsten Penny-Markt öffnet Peter mit einem Dreikantschlüssel die Tonnen direkt vorne an der Straße, wie nebenbei beim Vorbeigehen. Ich wusste gar nicht, dass sich dahinter Mülltonnen verstecken. Mit dem Dreikantschlüssel könne man die Container von der Müllreinigung öffnen, erzählt er, den könne man sich im Internet bestellen. An der Seite vom Penny stehen die Mülltonnen abgezäunt. Allerdings umfasst der Zaun nicht die gesamte Fläche, sondern ist auf der einen Seite offen, man kann einfach um den Zaun herum gehen. Martina meint, in dem einen grünen Schrank liege immer Brot. Diesmal ist aber keins drin. Aber in den anderen Tonnen werden wir fündig: Ein paar Packungen mit eingeschweißtem Brot, Tomaten und Frühlingszwiebeln nehmen wir mit (Feldnotiz vom 30.03.2014). Gleichwohl das Containern hier anlässlich des Foodsharingtreffens in einem besonderen sozialen Kontext stattfand, so verweisen die Feldbeobachtungen und -notizen doch auf zweierlei. Erstens macht Mülltauchen in Gemeinschaft besonders Spaß: Man teilt die Erlebnisse, zieht gemeinsam durch die Straßen, gibt sich Sicherheit, regt sich über die Funde auf, freut sich gleichzeitig über die noch genießbaren Lebensmittel und überlegt, wie man sie verarbeiten und zubereiten kann. Zweitens zeigt sich, dass Mülltauchen vielfältige Lernmöglichkeiten bietet: Man tauscht Erfahrungen sowie Wissen über gute Spots aus, über die Besonderheiten von speziellen Supermärkten und Mülltonnen, über den Umgang mit Bewegungsmeldern und lernt Tricks und Kniffe. Inwiefern ist Mülltauchen eine gemeinschaftliche Praxis? Wie stellen Mülltaucher_innen Gemeinschaft her? Wie regeln die Akteure den Zugang zu der Community? Welches Wissen zirku-
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liert dabei zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren? Die Thesen, die im Folgenden diskutiert werden sollen, sind erstens, dass Mülltauchen eine community of practice konstituiert. „Participation here refers not just to local events of engagement in certain activities with certain people, but to a more encompassing process of being active participants in the practices of social communities and constructing identities [Hervor. i. O.] in relation to these communities.“40 Diese Community ist – noch im stärkeren Maße als im Feld der Repair Cafés − fluide, sodass zweitens die soziale Dimension sich auch darin zeigt, dass die Praxis als Distinktionsmittel eines Lebensstils 41 interpretiert werden kann. In den Narrationen der Interviewten wird deutlich, dass der Zugang zur Praxis und zur sozialen Gruppe der Mülltaucher_innen durch Gatekeeper gelingt, die einführen und Wissen weitergeben.42 So können der Zugang und das erste Mülltauchen verdeutlichen, dass das Phänomen in soziale Netzwerke eingebunden ist. Martin erzählt, dass er durch eine WG-Besichtigung Leute kennen gelernt habe, die containerten. Er habe sich mit ihnen angefreundet und sei dann mit ihnen mitgegangen (Interview vom 19.06.2013). Ronny habe zwar gewusst, wie Containern geht und was das sei, aber er habe nie den Sinn darin gesehen. Er habe durch eine Freundin Kontakt in die linke Szene und zu Volksküchen bekommen. In dieser Zeit habe er sich mit veganer Ernährung beschäftigt: „Bei mir ist das Hand in Hand mit Ernährungsumstellung gegangen, über Ernährung nachdenken und vegan werden und containern, und Lebensmittelverschwendung vermeiden. Das war dann ein Paket, was dann deutlich gewesen ist und klare Verhaltensweisen vorgegeben hat.“ (Interview vom 20.03.2013)
Der erste Kontakt zur Praxis des Mülltauchens, so beschreiben die Interviewpartner_innen, findet meist über Medien und durch das soziale Netzwerk statt. Dabei zeigt sich aber, dass es schon einen spezifischen Habitus braucht, um Zugang zu den Themen zu finden. Ronny etwa habe sich zunehmend mit Ernährung und dann auch mit Lebensmittelverschwendung beschäftigt. Auch Karl berichtet vom Zugang zum Containern in diesem Muster. Wissen über die Zirkulation von Nahrung, Müll und Ressourcen gewinnt er aus medialen Repräsentationen:
40 Wenger 1998, S. 4. 41 Vgl. Bourdieu 1984. 42 John Hoffman hat etwa zwei Bücher mit Anleitungen zum Dumpster Diving veröffentlicht (siehe Hoffman 2002 sowie Hoffman und Backwords 1993).
206 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT „Das war ein langwieriger Prozess, fing an mit Dokus ‚Taste the Wasteʻ, ,Food inc.ʻ und diese ganzen Sachen, die es da gibt. [...] solche Dokus über Lebensmittelverschwendung, Ressourcennutzung, Agrarindustrie. Dann hatte ich noch keinen konkreten Bezug dazu, meistens kommt sowas ja eher über Freunde. Dann habʼ ich mal bei einer Freundin, die in einer großen WG wohnt in Neukölln, wirklich die Ergebnisse vom Containern gesehen. Da standen dann überall Obstkisten in der Wohnung herum, zum Mittag gabʼs ʼne fette Platte mit Streuselschnecken vom Bäcker, die sie da auch geholt hatten. Das war dann der konkrete Bezug und dann habʼ ich auch gesehen, dass es halt auch nicht bedürftige Leute machen. Hatte aber immer noch so meine Hemmungen und habe mich immer noch so komisch gefühlt, weil ich dachte, wir habenʼs ja echt nicht nötig, wenn man sich den Biosupermarkt leisten kann.“ (Interview vom 13.06.2013)
Erst nachdem seine Schwester erste konkrete Erfahrungen gemacht und in der Nähe seines Wohnortes eine große Menge an Lebensmitteln fand, habe Karl angefangen, regelmäßig zu containern. Zu Beginn habe er Hemmungen gehabt, weil er Mülltauchen noch mit Bedürftigkeit verknüpft, sich aber selbst nicht als bedürftig wahrnimmt. Nicht nur das Wissen über Lebensmittelproduktion und -verschwendung, sondern auch die konkrete Erfahrung, das konkrete Erleben von Überfluss – „überall“ stehen Obstkisten herum, es gibt eine „fette Platte“ mit Streuselschnecken − in einem spezifischen sozialen Rahmen hat den „konkreten Bezug“ hergestellt und verweist auf das Akteur-Netzwerk 43. Die Materialisierung von Überfluss, das Sichtbarmachen von vermüllten Lebensmitteln wirkt auf die Akteure. Die Lebensmittel provozieren auf Grund ihres „performativen Potentials“44, wie das Lehnert etwa in Bezug auf Kleidung beschreibt, Handlungen. In Karls Deutung wollten sie gerettet werden.45 Die Aneignung von Wissen, die Deutung dieses Wissens und die Übersetzung in Alltagspraxen nimmt Karl als „langwierigen Prozess“ wahr, der erst durch das soziale Netz habitualisiert wird. Die Übersetzung zwischen den Akteuren, die dann ein gemeinsames Ziel verfolgen – Lebensmittel aus Mülltonnen zu holen − und die Etablierung dieser Praxis verläuft dabei nicht kontinuierlich und stringent, sondern ist durch Brüche gekennzeichnet, etwa durch biographische Veränderungen, Umzüge und ist auch durch soziale Netzwerke bestimmt. So beschreibt etwa Ramona, dass sie das erste Mal mit einer Freundin containern gewesen sei, aber erst die Funde anderer und die Anfrage einer weiteren Freundin habe sie wieder zum Containern gebracht: 43 Vgl. Belliger und Krieger 2006b. 44 Vgl. Lehnert 2012. 45 Die Frage, inwiefern Lebensmittel als Akteure gedeutet werden können, diskutiert auch Kapitel 7.3.
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„Ich bin nach Berlin gezogen, mit ʼner Freundin, die ist zur gleichen Zeit nach Berlin gezogen mit mir und die kam das erste Mal mit der Idee: ,Lass uns mal losziehen und gucken, ob wir was findenʻ. Das war 2010, 2011 so um den Dreh und wir sind zum Prenzlauer Berg gefahren und haben einfach mal geguckt, aber nichts gefunden. Die ist dann später noch mal mit ihrem Freund los und die haben dann ʼn Container gefunden, wo die dann so Knabberzeug und Süßes weggeschmissen haben. Alles verpackt. Alles noch in ʼner super Qualität. Da hat das dann noch länger bei mir im Kopf gearbeitet: ,Ey, wenn die da Glück hat, dann soll ich da auch noch mal dran bleiben.ʻ Dann später kam ʼne andere Freundin auf mich zu und das war aber auch erst Ende letzten Jahres, 2012. Da war dann noch mal ʼne ganze Weile dazwischen.“ (Interview vom 19.06.2013)
Karl beschreibt, dass er selbst interessierte Leute mitgenommen und ihnen gezeigt habe, wie containern funktioniert. Martin erzählt, dass er das soziale Netzwerk auf coachsurfing.de dazu genutzt habe, um anderen Mitgliedern Einführungstouren zum „how to dumpster dive“ anzubieten. Es hätten sich zwar Leute gemeldet, zu einer tatsächlichen Tour sei es aber nicht gekommen. Er kritisiert dabei die fehlende Motivation von der Idee zum Handeln zu kommen: „Die haben gute Ideen oder haben Ideen, wollen irgendwas machen, aber dann mangeltʼs an der Umsetzung. Die Motivation ist halt nicht so am Start: ,Och das machen, jetzt noch raus. Ich find bestimmt nichts. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.ʻ Aber einfach mal ʼrausgehen und ʼrumlaufen und gucken.“ (Interview vom 19.06.2013)
Wie deutlich wird, gibt es Gatekeeper in den communities of practice, die in die Praxis einführen und Wissen vermitteln. Interessierte nutzen auch das Forum auf containern.de oder Facebook-Gruppen, um sich zum Containern zu verabreden. Die Akteure lernen durch die Erfahrungen von anderen, etwa wie die Praxis funktioniert, worauf zu achten ist oder welche Spots geeignet sind. Es bildet sich ein informelles und fluides Netzwerk, in dem Wissen „als Prozess einer permanenten Produktion, Fixierung und Transformation von Zeichen und Bedeutungen“46 zirkuliert und geteilt wird. Dieses Netzwerk erstreckt sich über technische Infrastrukturen, wie Internetforen und digitale soziale Netzwerke ferner mediale Repräsentationen, die Wissen (re-)produzieren. Diese Strukturen stellen Wissen etwa auch über Gesundheitsgefahren und über den Umgang mit Schimmel zur Verfügung (Feldnotiz vom 19.07.2014). Ob das Containern ein einmaliges Erlebnis bleibt oder zur Routine wird, ist von individuellen Lebensphasen, Alltagsstrukturen und dem sozialen Netzwerk abhängig. Die Akteure containern zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich 46 Keller 2005, S. 60.
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oft, abhängig von biographischen Veränderungen, wie ein Umzug in eine andere Stadt. Ob Mülltauchen zur Routine wird, ist auch durch Arbeitszeiten bestimmt: „Ist halt der selbe Arbeitsprozess, die Frage ist, ob manʼs machen kann, wenn man halt um fünf Uhr morgens aufstehen muss, ist halt nicht so cool, noch um halb elf loszugehen.“ (Interview vom 19.06.2013). Martin vergleicht Containern und Einkaufen als gleichen Arbeitsprozess. Die Zeiten dafür unterscheiden sich jedoch. Dass ersteres illegal ist, scheint in seiner Wahrnehmung keinen Unterschied zu machen. Die Häufigkeit ist also davon abhängig, inwiefern die Akteure nächtliche Streifzüge in ihre sonstigen Alltagsabläufe einbinden können. Aber es hängt auch damit zusammen, inwiefern sie in ein soziales Netzwerk eingebunden sind, in dem containert wird. Je höher dort die Motivation, desto eher gehen die Mülltaucher_innen los. Marie beschreibt etwa, sie habe erst durch den Umzug in ihre aktuelle Wohngemeinschaft angefangen, regelmäßig zu containern. Die Praxis lässt sich dabei als Teil eines Lebensstils deuten: Als Studierende haben Martin und Marie flexible Arbeitszeiten, die das nächtliche Mülltauchen ermöglichen. Sie sind als Studierende und in Wohngemeinschaften lebend in ein bestimmtes, soziales Umfeld eingebunden, in dem Mülltauchen anerkannt ist. Jung, gut ausgebildet und postmaterialistische Werthaltung seien die Kennzeichen eines Milieus, deren Akteure die soziologische Bewegungsforschung als „Umweltengagierte“47 bezeichnet und die Kernakteure in neuen sozialen Bewegungen sind.48 Zu diesem Milieu können auch die von mir interviewten Akteure gezählt werden. Ob die Mülltaucher_innen alleine oder mit mehreren zusammen containern, hängt davon ab, ob sie das Containern als routinierte Alltagspraxis ausüben, bei der während der alltäglichen Wege nach Mülltonnen geschaut wird, etwa wenn sie von der Arbeit kommen oder ob sie eher spontan agieren. Während Martin schildert, wie er auf seinen Wegen „nebenbei“ in die Mülltonnen gucke, ist es für Ramona noch etwas Besonderes. Beim gemeinsamen Mülltauchen ist die soziale Dimension wichtig. Das gemeinsame Tun in einer Gruppe ermöglicht den Austausch über geeignete Spots, es ermöglicht auch die gegenseitige Hilfe, z.B. leuchtet einer in die Mülltonnen, während andere den Inhalt inspizieren, oder einer beobachtet die Umgebung (Feldnotiz vom 30.03.2014). Die Akteure sprechen aber auch über die Funde, tauschen sich aus, woran man erkennt, ob das Lebensmittel noch genießbar ist, oder wie man es zubereiten kann. Sich gegenseitig zu beruhigen, weil man nachts im Dunkeln illegale Sachen tut, ist ein weiterer Aspekt. Ramona erzählt, dass das gemeinsame Mülltauchen ihr Sicherheit vermittle: „Aber ich mache das 47 Kuckartz und Rheingans-Heintze 2006, S. 42. 48 Vgl. Rucht 1994.
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Ganze einfach lieber zusammen, weil mich das auch beruhigt, also ruhiger macht.“ (Interview vom 19.06.2013). Auch ein Forumsbeitrag verweist darauf, dass kollektives Mülltauchen nicht nur Sicherheit gebe, sondern auch mehr Spaß mache: „Allerdings war ich alleine unterwegs und muss sagen, ich hatte n bisschen schiss^^ ich würd mich gerne mit ein paar leuten zusammentun. man ist zusammen einfach mutiger und es macht auch mehr spaß.“ (Forum 15.03.2012).49 Andererseits gewöhne man sich auch an die Situation, je häufiger man containere, wie Martin erzählt. Raphael Fellmer beschreibt in seinem Buch, dass die nächtlichen Touren „einsam“ gewesen seien.50 Marie berichtet, dass sie eher motiviert sei, nachts noch mal aus dem Haus zu gehen, wenn jemand aus ihrer Wohngemeinschaft mitkomme (Interview vom 10.07.2013). Ob gemeinsam oder alleine containert wird, hängt also von individuellen Alltagsroutinen und dem sozialen Netzwerk ab. Die gemeinsame Erfahrung verbindet, schafft Motivation, verspricht den Akteuren mehr Spaß sowie eine Möglichkeit, sich sicherer zu fühlen und Wissen zu teilen. Zu diesem Wissen gehört etwa auch, wo Supermärkte mit zugänglichen Mülltonnen sind. Für die Bezeichnung gut zugänglicher Mülltonnen verwenden die Mülltaucher_innen beispielsweise den Begriff des „spots“. Am Anfang habe Martin eine Tour mit dem Fahrrad gemacht, um eine „Containerlocation“ zu finden: „Jetzt habe ich halt meinen Spot hier, wo ich mich halt richtig gut eindecken kann und jetzt such‘ ich nicht mehr.“ (Interview 19.06.2013). Martin hat durch die guten Erfahrungen mit „seinem Spot“ Routine entwickelt. In dem Forum auf containern.de gibt es kaum öffentliche Hinweise für Spots, weil „hier nicht nur redliche Containerer mitlesen, sondern auch Krawall-Containerer, die durch ihr Auftreten die Marktleitung in kürzester Zeit dazu veranlassen, die Spots zu schließen. Das führt dazu, dass man sich als ‚Alter Hase‘ einfach nur nach Strich und Faden ausgenutzt vorkommt, hat man doch schließlich eine enorme Zeit und Kraft (Fahrradfahren!) damit verbracht, gute Spots zu suchen, zu checken und an allen möglichen Wochentagen die Ergiebigkeit zu evaluieren.“ (Forum 21.12.2012)
Kriterien eines guten Spots sind seine Zugänglichkeit und die Ergiebigkeit. Die Zugänglichkeit meint, ob Tore und Zäune den Zugang verschließen, ob die Tonnen ohne Werkzeug geöffnet werden können, ob der Ort einsehbar ist, Nachbarn oder Passanten also die Mülltaucher_innen leicht beobachten können, ob es Bewegungsmelder oder Kameras gibt. Ergiebigkeit meint die Qualität und die Quantität: um welche Form von Handelsunternehmen es sich handelt, ob etwa 49 Zitierte Forumsbeiträge sind orthographisch nicht berichtigt. 50 Siehe Fellmer 2014, S. 164.
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Biosupermarkt oder Discounter, in welchem Umfang und welche Produkte entsorgt werden. Zeit wird zur wichtigen Ressourcen, um Spots zu finden und deren „Ergiebigkeit zu evaluieren“. Gemeint ist damit, dass Mülltaucher_innen Wissen darüber sammeln, an welchen Tagen Mülltonnen entleert und an welchen Tagen besonders viele Lebensmittel entsorgt werden. Beim Spotwissen geht es also auch um die Routinen des Marktes. Die Weitergabe dieses Wissens ist hier mit Vertrauenskategorien und Verhaltensregeln verbunden. Verhaltensregeln beinhalten etwa, dass der Spot so verlassen wird, wie er vorgefunden wurde, Mülltauchen also für die Mitarbeiter_innen der Supermärkte unsichtbar bleibt, damit die Spots nicht unzugänglich gemacht werden. Der Zugang zur Gemeinschaft funktioniert über das Einhalten von Regeln und Normen sowie über Vertrauen. Deutlich wird dabei, dass im Internet keine soziale Kontrolle möglich ist und deshalb kein Spotwissen geteilt wird. Wissen über gute Spots begrenzt dabei auch den Zugang zur Community. Ohne dieses Wissen bleibt Mülltauchen ergebnislos, weil man keine Lebensmittel findet. Die community of practice ist also, so eine Lesart, wesentlich durch Materialisierungen in Form von Lebensmitteln gekennzeichnet. Lebensmittel zirkulieren dabei auch in den sozialen Netzwerken. Sie provozieren nicht nur das Handeln der Akteure in Form des konkreten Herausholens aus der Tonne, sondern auch in Form von Teilen. Marie, die sowohl aus ökonomischen Gründen containert, aber auch aus Spaß und ihrer kritischen Haltung Verschwendung gegenüber, berichtet, dass das Teilen aus dem „Zuviel“ und dem Überfluss entstehe: „Da es sehr häufig vorkommt, dass man bei einer Tour besonders viel einer bestimmten Frucht oder ein bestimmtes Gemüse containert foodsharen wir alles, was wir nicht verbrauchen können bzw. was nicht mehr in den Kühlschrank passt. Wenn Freunde oder Verwandte da sind, werden den natürlich auch Sachen in die Hand gedrückt, wenn wir zuviel haben.“ (Interview 10.07.2013)51
Marie greift den Begriff des „foodsharens“ auf, der auf die Plattform Foodsharing verweist, auf der auch Privatpersonen Lebensmittel zum Verschenken anbieten können. Dabei zeigt sich, wie eng Mülltauchen, soziale Innovationen und technische Infrastrukturen verknüpft sind. Die Lebensmittelretter, als ehrenamtliche Initiative aus Foodsharing entstanden, greifen auf das Wissen der Mülltaucher_innen zurück. Viele, die sich in den lokalen Gruppen engagieren, haben 51 Marie hat meine Fragen schriftlich beantwortet, sodass ihre Antworten ohne orthographische Berichtigung zitiert sind.
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Containererfahrungen (Feldnotiz vom 22.07.2013). Die Bewegung argumentiert außerdem damit, die Lebensmittel nicht aus, sondern vor der Tonne retten zu wollen und verweist damit auf die Nähe zum Mülltauchen.52 Mülltaucher nutzen die technische Infrastruktur von Foodsharing, um Lebensmittel weiter zu verteilen. Marie deutet des Weiteren darauf hin, dass sie Lebensmittel auch an Freunde und Verwandte weitergebe. Durch das Teilen und Tauschen von Objekten entstehen und festigen sich soziale Beziehungen, darauf hat Marcel Mauss im Bezug auf das Gabensystem hingewiesen.53 Der Überfluss von Nahrungsmitteln, der durch Containern ohne Geldaufwendung entsteht, ermöglicht das Geben jedoch ohne eine konkrete Gegengabe, vielmehr nutzen die Akteure die Ressourcen gemeinschaftlich und teilen statt tauschen.54 Die Wertzuschreibung von Lebensmitteln und die Bereitschaft, Lebensmittel aus dem Müll zu essen, grenzen soziale Gruppen ab. Martin berichtet, dass nicht alle Nahrung aus dem Müll essen würden. In der sozialen Gruppe seiner Mathematik-Kommilitonen nahm er den containerten Lebensmitteln gegenüber Skepsis wahr: „Ich habʼs den halt soʼn bisschen erklärt, ich bin halt kein typischer Mathelehramtsstudent, denke ich, es sind soʼn bisschen Welten, die da so auseinander klaffen. Habʼ den das bisschen erklärt oder wenn die halt bei mir waren und ich gefragt habʼ, ob die Essen wollen, habʼ ich gesagt: ‚Das ist containert, das kommt aus dem Müll.ʻ Das ist auch erst mal so ‚mhʻ, aber dann nach einer Zeit warʼs ok.“ (Interview vom 19.06.2013)
Martin grenzt sich durch das Mülltauchen und den Konsum der containerten Lebensmittel als Teil seines Habitus von seinen Kommilitonen ab. In seiner Deutung nehmen sie seinen Umgang mit Lebensmitteln kritisch wahr, hätten sich aber mit der Zeit daran gewöhnt. Auch Ramona nimmt Unterschiede in der Deutung von sozialen Gruppen wahr: „Ich merke das schon immer, also welche Gruppen ich dann auch wirklich ansprechen kann, die sich dafür interessieren und welche, die sich dann komplett verschließen, sagen: ‚Ach ist das eklig.ʻ Das ist auch unterschiedlich. Jenachdem redet man dann halt häufiger oder weniger häufiger mit den Leuten darüber.“ (Interview vom 19.06.2013)
Durch den Umgang und die Bedeutungszuschreibung konstituieren sich soziale Gruppen. Barlösius stellt die normative Dimension der Nahrungswahl heraus: 52 Siehe FreeVegan 2014. 53 Vgl. Mauss 1968. 54 Die Kulturanthropologin Frederike Müller-Späth deutet Mülltonnen als Form der Allmende (vgl. Müller-Späth 2015).
212 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT „Die Gestaltung des Essens und der Ernährung [...] werden in der gesellschaftlichen Kommunikation als Orientierungszeichen herangezogen, um die moralische Integrität einzelner Personen, aber auch sozialer Gruppen zu beurteilen. Wer die moralischen Regeln, wie und was zu essen ist, nicht befolgt [...] der steht unter Verdacht, weitere kollektive Übereinkünfte nicht zu respektieren [...].“55
Die Herkunft von Lebensmitteln müssen die Mülltaucher_innen narrativ herstellen, weil man den Lebensmitteln nicht ansieht, dass sie während einer Zwischenphase in einer Mülltonne lagerten. Aber auch durch das Erzählen über die Praxis stellen die Mülltaucher_innen Gruppenzugehörigkeit her. Containern ist dabei Ausdruck von Selbstdeutung sowie Lebensstil und kann mit dem HabitusKonzept von Bourdieu gedeutet werden. „Der Geschmack, die Neigung und Fähigkeit zur (materiellen und/oder symbolischen) Aneigung einer bestimmten Klasse klassifizierter und klassifizierender Gegenstände und Praktiken, ist die Erzeugungsformel, die dem Lebensstil zugrunde liegt, anders gesagt, dem einheitlichen Gesamtkomplex distinktiver Präferenzen, in dem sich in der jeweiligen Logik eines spezifischen symbolischen Teil-Raums – des Mobiliars und der Kleidung so gut wie der Sprache oder der körperlichen Hexis – ein und dieselbe Ausdrucksintention niederschlägt.“56
Die Mülltaucher_innen drücken durch ihren Umgang mit Lebensmitteln – hier also das „Retten“ und Essen von Nahrungsmitteln aus den Mülltonnen von Supermärkten – Gruppenzugehörigkeit performativ57 aus. Dabei verhandeln sie den Wert von Dingen und die „Essmoral“58. Wertvorstellungen seien historisch variable, umkämpfte, kontingente, kontextgeprägte, konstruierte symbolische Ordnungssysteme, wie Reiner Keller herausstellt. 59 Die Praxis des Mülltauchens, aber auch das Essen von für andere als „ekelig“ gedeuteten Nahrungsmitteln, hat Distinktionsfunktion und ist ein Mittel, durch das die Akteure die hegemoniale und symbolische Ordnung zwischen Nahrung und Müll hinterfragen und verschieben.
55 Barlösius 2011, S. 273. 56 Bourdieu 1984, S. 282. 57 Vgl. Fischer-Lichte 2011. 58 Gleichwohl Barlösius diskutiert, inwiefern Essmoral in modernen Gesellschaften noch kollektiven Charakter habe und das Handeln verbindlich regeln würde (Barlösius 2011, S. 273). 59 Keller 2009, S. 34.
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Ein weiteres Distinktionsmittel neben dem Konsum von Lebensmitteln, die ursprünglich aus Mülltonnen stammen, ist die Begrenzung auf bestimmte Lebensmitteln. Viele Mülltaucher_innen ernähren sich vegetarisch oder vegan. Ronny konstatiert: „Ich habʼ das Gefühl, dass vegan oder vegetarisch leben und containern Hand in Hand gehen.“ (Interview vom 20.03.2013). Vegetarische Ernährung umfasst fleischlose Lebensmittel. Die vegane Ernährung schließt alle tierischen Produkte aus, dazu gehören alle Milchprodukte, Eier, Gelantine usw. Eine vegane Lebensweise kann dann auch beinhalten, dass keine anderen tierischen Waren konsumiert werden, wie etwa Lederkleidung oder Kosmetik, die mit Tierversuchen hergestellt werden. Dabei zeigen sich jeweils Abstufungen, wie konsequent diese Regelungen im Alltag verfolgt werden.60 Die Art und Weise der Ernährung gibt Hinweise auf die Konstruktion von sozialer Gruppenzugehörigkeit und auf Lebensstile mit spezifischen Deutungs- und Handlungsmustern. 61 Bereits Pythagoras entwickelte erste Vorschriften für eine vegetarische Lebenshaltung: „Denn der Philosoph glaubte an die Seelenwanderung, die alles Lebende miteinander verband. Auch Eier, die den Keim des Lebens in sich trugen, waren deshalb tabu. Pythagoras verwies auf das Gerechtigkeitsempfinden gegenüber Tieren, forderte die Charakterbildung durch Askese und wandte sich auch aus medizinischen Gründen gegen den Fleischverzehr, etwa weil er Epilepsie hervorrufe.“62
Im Römischen Reich gab es den in Kleinasien lebenden Appolonius von Tyana, der die Idee des Fleischverzichtes verbreitete. Der Philosoph war der erste Ve60 Vgl. dazu auch die sozialwissenschaftliche Arbeit von Sabine Hess (vgl. Hess 2000); In ihrer Arbeit stellt sie heraus, dass Vegetarismus eine bewusste Entscheidung eines anderen Ernährungsstils als die Allgemeinbevölkerung sei und Vegetarier damit ein Zeichen setzen wollten, dass sie dadurch bestimmte Werte vertreten. Anhand ihres empirischen Materials zeigt sie, dass sich die von ihr untersuchten Vegetarier einer strikten Zuschreibung entziehen, indem sie auch Ausnahmen machen, sich also situativ für oder gegen Fleischkonsum entscheiden. Dabei zeigt sich, so könnte eine kulturanthropologische Deutung sein, eine Differenz zwischen Ernährung, als Gesamtheit von Werthaltungen und Ernährungspraktiken, und der Alltagspraxis von Akteuren, die durch widersprüchliche Anforderungen und verschiedene soziale Rollen über die konkrete Wahl der Nahrungsmittel entscheidet. 61 Siehe zur Bedeutung von Fleischverzehr und -verzicht auch den Ausstellungsbegleitband zur Wanderausstellung „Darf's ein bisschen mehr sein? Vom Fleischverzehr und Fleischverzicht“ (vgl. Burhenne 2015). 62 Heinrich-Böll-Stiftung et al. 2013, S. 10.
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ganer. Der englische Kaufmann und Autor Thomas Tryon gilt als früher Tierrechtler und setzte sich nicht nur für die Gewaltfreiheit gegenüber Menschen, sondern auch Tieren ein. 63 Im Zuge der Reformbewegung 64 gründeten sich Clubs und Verbände zur Etablierung von tierfreier Ernährung.65 Neben dem lebensreformerischen Motiv der Zivilkritik bildeten sich auch vegetarische Strömungen heraus, die durch Askese und den Tierschutz motiviert waren.66 Laut Fleischatlas bezeichnen sich in Deutschland ein Prozent der Männer und 2,2 Prozent der Frauen selbst als Vegetarier. 0,1 Prozent leben vegan. In den 63 Heinrich-Böll-Stiftung et al. 2013, S. 10. 64 Die Anhänger der um 1900 entstandenen Lebensreformbewegung kritisierten das autoritäre System des Wilhelminischen Reichs und entwickelten neue Zukunftsentwürfe mit einer stärkeren Hinwendung zur Natur. Die Lebensreformbewegung kritisierte die zunehmende Industrialisierung und die Verstädterung (siehe zu Krisenerfahrung und Kulturkritik um 1900 auch Göttsch-Elten 2016). Wolfgang Kruse unterteilt die Lebensreform in eine spezifische und eine periphere Bewegung. Die spezifische wurde von Vereinen und spezifischen Akteuren getragen. Vegetarismus teilt er in diesen Bereich ein. Vegetarismus wurde als Teil einer naturnahen Ernährung gesehen und stand in Verbindung mit sportlicher Betätigung sowie dem Verzicht auf aufputschende Getränke wie Kaffee oder Tee. Die Reformbewegung beschäftigte sich mit dem Wohnen in Gartenstädten, dem biologischen Landbau und genossenschaftlichen Arbeits- und Lebensformen. „Hinzu kamen die sog. ‚barfüßigen Prophetenʻ (Ulrich Linse), die radikal aus ihren bürgerlichen Existenzen ausbrachen und auf provozierende Weise alternative Lebensstile entwickelten: Sie ließen ihre Haare lang wachsen, trugen weite Gewänder und scherten sich weder in ihrer Kleidung noch in ihrem Sexualleben um bürgerliche Konventionen und Moralvorstellungen.“ (Kruse 2012, o. S.) Die Reformbewegung trug dazu bei, dass sich die bürgerliche Gesellschaft wandelte, sich aber nicht vollkommen auflöste. „Um die Jahrhundertwende definierten sich die Lebensreformer über ihr Gegenbild, sie wollten anders leben, als es die Gesellschaft ihnen vorzugeben schien, wollten eine neue, utopische Welt schaffen, die sich von der als krank empfundenen Wirklichkeit radikal unterscheiden sollte. In diesem Paradies verschmolzen der Menschen und die als grundgut imaginierte Natur zu einem harmonischen Ganzen.“ (Fritzen 2006, 180f.) Gleichwohl sich die Kontexte von Lebensreform und die in dieser Arbeit untersuchten, alternativen Wirtschaftspraxen unterscheiden, sind die Parallelen zu aktuellen Debatten, etwa die Bedeutungsveränderung von Natur in Form des Urban Gardenings oder die Belebung der vegetarischen und veganen Ernährung, auffällig. Inwiefern solche Praktiken als subkulturelle Phänomene in die Gesamtgesellschaft aufgenommen werden, müssen weiterführende Studien zeigen. 65 Fritzen 2006, S. 38. 66 Heinrich-Böll-Stiftung et al. 2013, S. 10–11.
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USA bezeichnen sich vier Prozent der Männer und sieben Prozent der Frauen als Vegetarier und zwei Prozent als Veganer. In Indien sind es 31 Prozent der Bevölkerung, die vegetarisch isst, also 375 Millionen Menschen, in Deutschland sind es 1,5 Millionen. Laut Fleischatlas sind aktuelle Hintergründe für Vegetarismus und Veganismus Themenkomplexe wie industrielle Lebensmittelproduktion, besonders von tierischen Produkten, Massentierhaltung sowie deren Umweltauswirkungen und deren soziale Folgen, ebenso Themen wie Gesundheit, Körperkult und Lifestyle. Manuel Trummer zeigt, dass sich in der veränderten Wertzuschreibung von Fleisch „ungeschriebene Normen und Wissensbestände, die teils in direktem Konflikt mit aktuell gültigem ernährungswissenschaftlichem Expertenwissen stehen“ 67 artikulieren. Die Dissonanzen zwischen inhärentem, kulturell erworbenem und tradiertem „Fleischwissen“, Expertenwissen und medialen Werbebildern stellten, so Trummer, einen wesentlichen Faktor für die Beharrung auf Fleisch in weiten Teilen der europäischen Ernährungskulturen dar.68 Vegetarismus zeigt sich als Teil von alternativen Strömungen, die den herrschenden Umgang mit Nahrung kritisieren. Die Kulturanthropologin Regina Römhild sieht diese Strömungen in Verbindung mit der „Wiederentdeckung des Kulturparadigmas in der Ökologie- und Naturschutzbewegung im Zuge der Diskussion um Nachhaltigkeit“69. Dabei zeigt sich auch in der Containerszene, dass die Akteure im Zuge der Beschäftigung mit Lebensmittelproduktion eine Ernährung mit tierischen Produkten kritisch betrachten. Das Wissen über die ökologischen und sozialen Folgen der Lebensmittelproduktion, besonders von tierischen Produkten, reflektieren die Akteure kritisch und übersetzen es in eine spezifische Wahl von Nahrungsmitteln. Die Ernährungsweisen fordern angesichts der industriell hergestellten Lebensmittel eine intensive Auseinandersetzung mit Essen und deren Zusammensetzung. Vegetarische und vegane Ernährung etablieren sich immer stärker und bilden entsprechende Infrastrukturen, wie ein Warenangebot in Supermärkten oder Restaurants, heraus. In alltäglichen Situationen, wie dem Essen unterwegs oder bei Einladungen, so berichten die Interviewpartner_innen, breche sich ihre Ernährungsweise an hegemonialen Vorstellungen. Durch ihre Kritik machen sie auf die Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit von tierischer Ernährung aufmerksam. Vegane und vegetarische Ernährungformen geben ein Regelwerk vor. Dadurch wird Nahrung in besonderer Weise in essbar und nicht essbar unterteilt, wodurch auch die alltäglichen Routinen des Kochens und Einkaufens bestimmt 67 Trummer 2015, S. 64; siehe aus philosophischer Perspektive auch Lemke 2015. 68 Trummer 2015, S. 64. 69 Römhild 2008, S. 14.
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werden. Ronny sieht dies nicht als Einschränkung: „Dann ist das kein Verzicht, sondern ein logisches Nachdenken, weil an so einem Wahnsinn möchte ich nicht beteiligt sein.“ (Interview vom 20.03.2013). Es sei eine Frage der Herangehensweise, bestimmte Produktgruppen vom Speiseplan aus ökologischen, tierethischen und gesundheitlichen Gründen zu streichen. Mit „Wahnsinn“ bezeichnet er die herrschenden Produktionsweisen von Nahrungsmitteln, die über den Globus transportiert werden. Dabei nutzt Ronny auch das wissenschaftliche Konzept des Fußabdrucks, um seine vegane Ernährung zu plausibilisieren: „Für mich war ein logischer Prozess, sich über den Wert von Nahrungsmitteln Gedanken zu machen. Natürlich auch über den Wert von Lebewesen gleichzeitig. Wenn man über Ernährung nachdenkt, sind das viele Punkte, die sich ergänzen. Wenn man vor hat, seinen CO2-Footprint zu reduzieren, dann ist ein riesiger Punkt vielleicht das Auto zu verkaufen, aber auch gar kein Fleisch mehr essen. Das reduziert das sehr. Vegan zu leben noch mehr. Weil die ganzen Milchkühe, die in riesigen Stallungen gehalten werden und das falsche Futter bekommen, z.B. Mais, das würden die ja gar nicht essen, als Beispiel aus dieser ganzen Kette. Ich habe gehört, wenn man den Kühen den ganzen Mais gibt, ist das gar nicht gut für deren Mägen, weil die dann noch mehr Gas produzieren. Die Landwirtschaft ist ja eine der größten CO2-Produzenten und wenn man das zusammen rechnet, reduziert man seinen CO2-Ausstoss gewaltig, wenn man von omnivor zu vegan umsteigt. Das ist eine ganz trockene, rationale Sache, warum man vegan werden sollte. Das ja nur eine reine Rechnungssache.“ (Interview vom 20.03.2013)
Die Entscheidung sich vegan bzw. vegetarisch zu ernähren, erklärt Ronny hier als Beitrag zum Klimaschutz und nutzt dazu naturwissenschaftliche Konzepte, wie den CO2-Fußabdruck. Es sei, so seine Deutung, eine rationale Entscheidung, die durch mathematische Rechnungen legitimiert werden könne. Während die ökologischen Auswirkungen von tierischen Nahrungsmitteln rational gedeutet werden können, erscheinen die tierethischen Argumente für ihn ein emotionales Thema zu sein. Dabei spricht er von der „rassistischen Arroganz gegenüber Tieren“ und einer „unterschwelligen Gewalt gegen Tiere“, die man überall sehen könne. „Lebensmittelverschwendung ist dann noch schlimmer, wenn man Fleisch im Müll findet, wo man merkt, was mit unserer Gesellschaft passiert. Wir werfen Leben weg. Es ist uns egal. Es ist nur ein Stück Fleisch und wenn es schlecht wird, knallen wir das in die Tonne, das Zeug, die ganze Umgangsweise mit tierischem Leben, das wird als völlig nichtig bewertet. Deswegen bin ich der Meinung, dass da radikale Schritte eingeleitet werden müs-
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sen. Es reicht nicht, nur weniger Fleisch zu essen, weil das ändert nichts an der rassistischen Einstellung gegenüber Tieren.“ (Interview vom 20.03.2013)
Die Entscheidung für vegane oder vegetarische Ernährung kann als Umgang mit Überfluss und Knappheit gedeutet werden. Zum einen reduziert sich die Auswahl möglicher Lebensmittel, wenn die tierischen Produkte vom Speiseplan gestrichen werden. Dazu zählen etwa auch stark verarbeitete Lebensmittel, die, wie ein Verein kritisiert, einen höheren CO2-Ausstoß verursachten.70 Zum anderen stellt Ronny vegane Ernährung als Strategie im Umgang mit Klimawandel dar. Auf das Muster der Reduktion von Auswahl verweist auch Karl. Ihn würden Leute fragen, ob das nicht schwer sei, Veganer zu sein: „In meinem Freundeskreis ist das überhaupt nicht schwer, weil 80 Prozent Vegetarier sind oder nur ein Mal die Woche Fleisch essen. Da entschuldigen sich die Leute schon, wenn sie nicht Vegetarier sind. Ich finde das auch gut, dass das die Auswahl bei einem Büfett einschränkt. Ich hasse es, durch den Supermarkt zu gehen, wenn es da von allem 20, 30 Sorten gibt, dann bin ich völlig überfordert und hasse es da durch zu laufen und gucken zu müssen, was kann ich jetzt nehmen.“ (Interview vom 13.06.2013)
In Karls Umfeld gehört die fleisch- und tierlose Ernährung zum Lebensstil und Habitus. Die soziale Kontrolle führt dazu, dass sich die Leute entschuldigten, wenn sie Fleisch essen. Eine tierfreie Ernährung ist für ihn Überflussreduktion, weil sich dadurch die Auswahl begrenzt. Karl deutet vegane Ernährung als „neue Statussymbole“, die auf Umweltbewusstsein verweisen: „Das sind für mich die neuen Statussymbole: Ich bin vegan, meine Hose ist ohne Kinderarbeit produziert. Darüber wird sich ja auch viel lustig gemacht, über die Lohas, das kann man dann auch wieder kritisieren. Aber ich finde, dass ist auch nur ʼne Form von Hämme und Neid.“ (Interview vom 13.06.2013)
70 Der Flyer des gemeinnützigen Vereins, der sich für die Förderung des ökologischen Landbaus einsetzt, gibt Verhaltensregeln für eine „genußvolle, gesundheitsbewußte und umweltverträgliche Ernährungsweise mit Bio-Produkten“. Dazu gehört an erster Stelle das Vorziehen von pflanzlichen Lebensmitteln statt tierischen für eine klimafreundliche Ernährung. Neben der Förderung von Bio- und Fairtrade-Nahrungsmitteln steht hier also der explizite Hinweis für eine vegane Ernährung, die dadurch klimaschützend sein soll. Mit den Tipps werden normativ aufgeladene Handlungsmuster im Umgang mit Lebensmitteln, zum Kochen, Essen, Einkaufen und Lagern, produziert (siehe Ökomarkt Vebraucher- und Agrarberatung e.V. 2012).
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Über die Ernährungsauswahl drücken Akteure Lebensstile sowie politische und soziale Haltungen aus.71 Die interviewten Veganer und Vegetarier verweisen dabei auf Wissen, etwa über Tierhaltung, Umweltauswirkungen von Milchproduktion und gesundheitliche Auswirkungen von tierischer Ernährung. Sie essen bestimmte Speisen nicht, weil sie kritisieren und ablehnen, wie diese Nahrung hergestellt wird. Dadurch wird nicht nur die Praxis des Containerns zum Distinktionsmittel, sondern auch die Auswahl der aus den Mülltonnen mitgenommenen Nahrungsmittel. Der Lebensstil ist dabei durch Budgetbegrenzungen gekennzeichnet. Die Mülltaucher_innen, die ich interviewt habe, waren in der Mehrzahl aus einem studentischen Milieu.72 Auf einer individuellen Ebene ist Containern eine Strategie um Geld zu sparen. Das begrenzte Budget der meist jungen Diver kann durch die kostenlose Versorgung mit Lebensmitteln entlastet werden. Marie geht mit ihrer Wohngemeinschaft containern, „ganz klar um Kosten zu sparen, bei einer 7 Mann WG nicht unwichtig, so ermöglichen wir es uns alle anderen Produkte wie Sojamilch, Linsen, Reis, Nudeln, Kaffee etc. ausschließlich Bio zu kaufen.“ (Interview vom 10.07.2013)
Das knappe Budget wird dann für Produkte ausgegeben, die die Diver nicht oft finden und für Fairtrade- oder Bio-Produkte, ähnlich wie dies auch schon beim Kleidertausch zu beobachten war. Die Frage des Geldes ist auch eine Frage der Bedürftigkeit. Karl etwa habe erst Hemmungen gehabt, selbst containern zu gehen, weil er es sich eigentlich leisten könne, sich auch anders zu ernähren, da er noch bei seiner Mutter lebe und sie häufig Bio-Lebensmittel einkaufe. Bei einer Freundin habe er die Ergebnisse des Containerns gesehen und festgestellt, dass es nicht nur „Bedürftige“ machten. Ronny stellt etwa die These auf, dass gerade „Bedürftige“ eher nicht containern gingen: „Das ist ja ne völlig andere Herangehensweise. Da hätte man ja das Gefühl, etwas real zu klauen.“ (Interview vom 20.03.2103). Gerade der Protestgedanke wird narrativ dafür verwendet, die Praxis zu legitimieren. Zwar nennen die Akteure Sparen als ein Ergebnis und auch ein Motiv für die Praxis, wichtiger sei aber die politische Dimension.73 Die Reduzierung von Ausgaben 71 Vgl. Bendix und Fenske 2014. 72 Auch andere Studien verweisen darauf, dass sich Mülltaucher_innen besonders in einem studentischen und alternativen Milieu verorten lassen (vgl. beispielsweise Bendix 2015). 73 Dem Mülltauchen als politische Protestpraxis wird im Kapitel 7.2 explizit nachgegangen.
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für Nahrungsmittel sei ein „netter Nebeneffekt“, aber „nicht Sinn der Sache“ (Interview vom 13.03.2013), also nicht das alleinige Ziel, meint Karl. Auch Martin betont die Doppelbedeutung: „Ich machʼs eigentlich aus Eigennutz, damit ich weniger Geld ausgebe, aber die Nachhaltigkeit, die ich dabei praktiziere ist auch ein Grund, warum ich mich gut fühle, oder warum ich sage, Leute geht containern, weil ihr spart Geld, es ist nachhaltig und so. Ich glaube, viele machen es einfach, um Geld zu sparen. Also Nachhaltigkeit ist auch ein Grund, aber nicht der größte, denke ich.“ (Interview vom 19.06.2013)
Martin hebt vorrangig den finanziellen Vorteil hervor, erst im zweiten Schritt fühle er sich gut, weil er etwas Nachhaltiges tue. In der Interviewsituation stellen die Akteure die Praxis stärker als Protest dar, anstatt als eine Möglichkeit, sich umsonst zu ernähren. Indem sie die sozialen und politischen Motive betonen und herausstellen, dass es freiwillig geschieht, inszenieren sie ihre Praxis als etwas Gutes, das gesellschaftlichen Wert hat und über die individuelle Ebene hinausgeht. Gerade weil die Mülltaucher_innen sich nicht als bedürftig wahrnehmen, gelingt ihnen die Deutung der Praxis als politischer Protest. Mülltauchen stellt neben einer Strategie, politischen Protest auszudrücken und Lebensmittelausgaben zu reduzieren, auch eine Form der Freizeitgestaltung als Ausdruck von Lebensstil dar. Mülltaucher_innen verstehen das Containern auch als Freizeitbeschäftigung, die Spaß macht. Karl habe es zu Beginn auch aus einem „Schatzsuchereifer“ heraus gemacht, das sei aber nach einer Woche abgeebbt, weil er dann gemerkt habe, dass das viel zu viel sei, um das selber zu essen (Interview vom 13.06.2013). Karl macht deutlich, dass er Mülltauchen mehr als politische Arbeit versteht: „Ich habe tausendmal lieber Biosachen, die ich mir selber aussuche, als irgendwelchen Kram, wo ich nehmen muss, was kommt. Dann auch Fertigprodukte, die konsumiert werden müssen, oder die ich los werden muss. Das ist für mich nur Arbeit. Das ist nicht, weil ich sparen will, sondern weil das meine Verantwortung ist, weil ich weiß, dass die Sachen da sind und wie ich die holen kann, retten kann, dann habʼ ich auch die Verantwortung, das zu machen. Es ist auch sehr anstrengend. Ich habe deswegen ständig Stress mit meiner Mutter, mit Freunden, die nicht verstehen, warum ich da so viel Zeit reinstecke und andere Sachen vernachlässige. Ich habe eben auch vier, fünf Monate drei Stunden pro Nacht geschlafen. Das ist kein Spaß.“ (Interview vom 13.06.2013)
Für Karl scheint das Mülltauchen zum Zwang geworden zu sein, weil er die Verantwortung spürt, die Lebensmittel vor der Vernichtung zu „retten“. Reiner Keller verweist darauf, dass sich Abfall bzw. die gesellschaftliche Konstruktion
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von Wert „in besonderem Maße für Moralisierungsprozesse alltäglichen Handelns und ökologische Verantwortungskonstruktionen“74 eigne. 75 Nachts unterwegs zu sein, die Funde dann zu reinigen und später weiter zu verteilen, benötige viel Zeit und sei anstrengend. Seine Zeiteinteilung habe dabei auch Einfluss auf seine sozialen Beziehungen. Dass sich mehrere Bedeutungen − Freizeitgestaltung und Aktivismus − überlagern, verdeutlicht Martin: „Was mit Menschen starten, bisschen aktiv sein, also es war soʼn Mix aus eine gute Sache tun, die Welt verbessern und Menschen treffen und was starten.“ (Interview vom 19.06.2013). Für ihn verbindet das Mülltauchen mehrere Dimensionen: Mit Menschen zusammen kommen und gemeinsam aktiv werden, verweist dabei auch auf die politische und soziale Dimension, die er seinem Handeln zuschreibt. Die Diver sind in Gemeinschaft unterwegs, sie tun nachts illegale Dinge, brauchen Mut, erkunden vorher unbekannte urbane Räume. All dies trägt dazu bei, dass die Akteure Mülltauchen wie eine Schatzsuche und ein Abenteuer wahrnehmen. Sie freuen sich über besondere Funde. Containern ist aufregend und eine Unternehmung, die die Akteure mit Freunden teilen. Die Diver freuen sich, wenn sie Geld sparen, gleichzeitig Lebensmittel im Überfluss haben und der Wirtschaft ein Schnippchen schlagen können. Trotzdem merkt Marie ebenso wie Karl an, dass Containern auch stressig sein könne: „Ich wollte abschließend noch sagen, dass es sich vielleicht jetzt alles so ganz easy und spannend anhört. Containern ist echt stressig. Um 11h abends sich nochmal vor die Tür zu quälen und in stinkenden Tonnen zu wühlen ist nicht unbedingt die erholsame Abendbeschäftigung, auch das Abwaschen der gefundenen Lebensmittel dauert meistens noch eine gute halbe Stunde. Dennoch habe ich Gefallen daran gefunden und bin auch in unserer WG der Container-Motor geworden, ich versuche immer noch alle irgendwie zu motivieren. Das Gefundene entschädigt für die Mühen!“ (Interview vom 10.07.2013)
Mülltauchen, sei es aus politischen oder ökonomischen Motiven, braucht Zeit und ist Arbeit. Die Lebensmittel als Lohn „entschädigen“ Marie für die Arbeit. Marie verhandelt dabei die emotionale Dimension von Arbeit auf der einen Seite durch Begriffe wie „sich quälen“, „in stinkenden Tonnen“, „Stress“, „keine Erholung“. Auf der anderen Seite habe sie Gefallen gefunden und die Lebensmittel entschädigten. Mülltauchen kann in diesem Sinne auch als mobilisierende Emotionspraxis gedeutet werden.76 Besonders der Umgang mit Nahrungsmitteln ist durch die emotionale Dimension gekennzeichnet, weil man sie anfässt, aus den 74 Keller 2009, S. 35. 75 Vgl. zur Verantwortung aus umweltethischer Perspektive auch Heidbrink et al. 2011. 76 Vgl. Scheer 2016.
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Mülltonnen nimmt, sie wäscht, riecht und später schmeckt. Gleichwohl das nächtliche Unterwegssein anstrengend sei, lösen die gefundenen Lebensmittel Emotionen aus. Sie wirken auf die Akteure.77 Im Fall von Karl führt das zu einem Verantwortungsgefühl, im Fall von Marie zu der Freude an kostenlosen Nahrungsmitteln, zwei Aspekte also, die die community of practice kennzeichnen. Ausgangspunkt waren die Thesen, dass sich erstens durch die Praxis eine community of practice konstituiert und Mülltauchen zweitens Distinktionsmittel ist. Wie gezeigt werden konnte, zirkuliert in der community of practice Wissen. Der Zugang zur Community gelingt über Wissen, etwa in Form von medialen Repräsentationen, über das soziale Netzwerk, über Freunde und Bekannte sowie über technische Infrastrukturen, über die sich die Akteure zum Containern verabreden und austauschen. Während des gemeinsamen Containerns teilen die Akteure Wissen, etwa über Tricks, über Spots oder über den Umgang mit Lebensmitteln. Mülltauchen ist performativer Ausdruck eines Lebensstils, durch den die Akteure sich sozial abgrenzen.78 Sie grenzen sich dabei auch durch spezifische Ernährungsweisen ab. Nicht nur das Essen von containerten Lebensmitteln, sondern auch das Verweigern von tierischen Produkten konstituiert dabei Gruppenzugehörigkeit. Der spezifische Lebensstil drückt sich auch in dem Umgang mit Geld aus. Mülltauchen ist dabei eine Strategie, um Geld zu sparen, das Budget zu allozieren und für symbolisch aufgeladene Konsumgüter auszugeben. Mülltauchen ist des Weiteren eine mobilisierende Emotionspraktik. Sie löst Emotionen aus: Sie macht Spaß, wird in Gemeinschaft erlebt, ist spannend und überraschend wie eine Schatzsuche. Containern ist eine Praxis, durch die die Akteure den eigenen Lebensstil performativ inszenieren. In der community of practice zirkuliert dabei vielfältiges Wissen, etwa über Lebensmittelverschwendung, Wissen zum Kochen und Zubereiten von Speisen, aber auch zu Gesundheitsgefahren und zum Umgang mit der Polizei. Dass Mülltaucher_innen das Erwischtwerden, die möglichen rechtlichen Konsequenzen und die Strafverfolgung in Kauf nehmen, verweist auf die politische Dimension der Praxis, deshalb steht im Folgenden Mülltauchen als Protestform im Fokus.
77 Vgl. Lindemann 2009 und Latour 2001. 78 Siehe zur sozialen Grenzziehung auch Hengartner und Moser 2006.
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7.2 M ÜLLTAUCHEN
ALS
P ROTESTPRAXIS
„Amtsgericht verhandelt ‚Containernʻ. Vorwurf: Einbruchsdiebstahl!“79, so titel die Tageszeitung (TAZ) am 04.02.2014 und schreibt von drei Studenten aus Witzenhausen in Hessen, die sich vor Gericht wegen Mülltauchen verantworten müssen. Diese seien 2013 nachts von der Polizei bei einer Straßenkontrolle durch die vielen Lebensmittel im Auto aufgefallen. „Die Beamten beschlagnahmten die Waren und leiteten ein Verfahren ein.“ Das Amtsgericht Eschwege prüfe nun den Vorwurf des schweren Einbruchdiebstahls. „Mit mehreren Demonstrationen hatten Unterstützer der Angeklagten in den vergangenen Wochen auf das Verfahren und die Hintergründe aufmerksam gemacht. Die Aktionen richteten sich auch gegen Lebensmittelverschwendung und für die Legalisierung des ‚Containernsʻ. Zu Prozessbeginn protestierten rund 80 Aktivisten mit einer Kundgebung, einem ‚Containerfrühstückʻ, Trommeln und Samba-Musik vor dem Eschweger Gericht. ‚Wir sind keine Schwerverbrecher, sondern Lebensmittelrächerʻ, skandierten die Demonstranten. Auch die Polizei war mit etwa 30 Beamten vor Ort.“80
Am 20.02.2014 sprach das Gericht die drei Studenten frei.81 Ein Liveticker der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) berichtete live von der Gerichtsverhandlung und dokumentiert dabei auch die Protestaktionen während der Verhandlung. „13:45 Uhr, ‚Warum Containern kriminalisieren, wenn wir alle überproduzierenʻ und ‚wir sind keine Schwerverbrecher sondern Lebensmittelretterʻ rufen die Demonstranten. […] Es wird lauter vor dem Gericht: Samba-Trommler mit bunten Masken rufen ‚sag es laut und sag es klar, Gerichte sind zum Essen daʻ82.“
79 Siehe Tageszeitung 2014. 80 Siehe Tageszeitung 2014. 81 Siehe Hessische Niedersächsische Allgemeine 2014. 82 Diesen Protestslogan nutzten auch Aktivisten_innen in ähnlicher Form – „Kriminalisierung geht uns auf den Keks – Gerichte sind zum Essen da“ – anlässlich eines Gerichtsverfahrens eines Mülltauchers aus Lüneburg, der wegen Diebstahl von Keksen angeklagt war und dessen Verhandlungen ebenfalls durch Proteste begleitet wurden (siehe Frankfurter Rundschau online 2012).
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Die Straße vor dem Amtsgericht sei frühzeitig abgesperrt worden, es seien aber im Vergleich zum ersten Verhandlungstag weniger Polizisten im Einsatz. Sie könnten die Lage inzwischen besser einschätzen und es sei beim letzten Mal alles friedlich verlaufen. Protestierende seien auch aus Göttingen und Marburg angereist. Die Aktivisten_innen würden gemeinsam Mittag essen aus containerten Lebensmitteln, so schreibt die HNA. Was die Zeitungsartikel hier sichtbar machen, ist ein Phänomen, das ansonsten weitestgehend im Verborgenen bleibt. Mülltauchen als Praxis einer Gegenkultur entzieht sich den Blicken der Öffentlichkeit, solange bis die Mülltaucher_innen auf ihre Praxis hinweisen. Sie nutzen die Gerichtsverhandlung hier erstens, um sich für die Straffreiheit des Containerns einzusetzen und zweitens um auf die Probleme von Lebensmittelverschwendung hinzuweisen. Mit Plakaten, Bannern, Trommeln, Sprechgesängen und gemeinsamen Essen von Containertem drücken die Aktivisten_innen ihren Protest performativ aus. Immer wieder stellen mediale Repräsentationen dar, dass Mülltauchen ein Protest gegen eine Wegwerfkultur und gegen Verschwendung sei. Auch der Kulturwissenschaftler Harald Lemke konstatiert, dass Containern ein Widerstand gegen vorherrschende Ernährungsverhältnisse sei. Die Mülltaucher_innen würden die Praxis als „politische Praxis“83 präsentierten und seien durch ein starkes Selbstverständnis als politische Bewegung geprägt. „Spätesten im Zeitalter des globalen Kapitalismus und dessen weltweiten Wirtschaftsverflechtungen stellt jedes Lebensmittel und jeder Essakt komplexe Beziehungen unter unzähligen Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen und Realitäten her.“84
Nahrung sei insofern politisch, so Lemke. Wie stellen Mülltaucher_innen ihre Praxis als Form des Protestes her? Wie materialisiert sich der Protest? Welche Strategien entwickeln die Akteure, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen? Mülltauchen, so die hier verfolgten Thesen, ist erstens eine Praxis, die Agency herstellt und die zweitens durch Vorstellungen von Gegenkonsum gekennzeichnet ist. Das fluide Phänomen des Mülltauchens soll deshalb als „Formation des Politischen“85 verstanden werden. Mülltauchen ist ein „kulturell wirksamer Einspruch“ 86 und performative Konsumkritik. Containern ist nur möglich, weil hegemoniale Konsummodelle Überschüsse produzieren und Waren, gerade in Form von verderblichen Le83 Lemke 2012, S. 258. 84 Lemke 2012, S. 18. 85 Siehe dazu auch Kapitel 6.2 sowie Adam und Vonderau 2014b. 86 Heimerdinger 2013, S. 11.
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bensmitteln, schnell zu Müll werden. Die Kritik an der Überproduktion von Lebensmitteln und Lebensmittelabfall ist ein gesellschaftlich breit diskutiertes Thema. Neben den Umweltauswirkungen und den sozialen Folgen der Lebensmittelproduktion angesichts von Klimaveränderungen und Bevölkerungswachstum werden in den letzten Jahren zunehmend die Auswirkungen von Lebensmittelabfällen kritisch verhandelt. Die von mir interviewten Mülltaucher_innen „rahmen“87 und plausibilisieren ihre Praxis ausgehend von der Kritik an herrschenden Konsum- und Wirtschaftspraxen. Ronny stellt dabei heraus, dass die kritische Auseinandersetzung mit Lebensmitteln, deren Produktion und Verschwendung ihn auch kritisch in Bezug auf andere Konsumbereiche gemacht habe. Von Konsum käme man dann schnell zur Systemfrage. „Es hängt natürlich ganz eklatant mit Kapitalismus zusammen. Die ganzen Sachen, über die wir reden, Lebensmittelverschwendung, das sind Probleme unserer Massengesellschaft, unserer Kapitalismus-Konsumgesellschaft, über den Zusammenhang braucht man sich ja nicht zu streiten. Das Ziel ist, so viel wie möglich zu verkaufen, bleibt eben auch ganz viel übrig. […] Bei Konsum generell, dass ja noch ein ganz anderes Thema. Wir kaufen so viel, obwohl wir das meiste nicht brauchen. Bei Kleidung z.B., ist das älteste Thema, wegen Fairtrade-Kleidung auch, weil fast niemand sich bewusst ist, dass die Kleidungsstücke zumindest unter hundsmiserablen Bedingungen genäht oder gestrickt und produziert werden, von Leuten, die einen Hungerlohn dafür kriegen, die unter fast sklavenähnlichen Bedingungen gehalten werden.“ (Interview vom 20.03.2013)
Er kritisiere die „Tonnen an Kleidung, die wir einfach nicht brauchen, der wir nicht anziehen, die wir vielleicht auch nur zwei, drei Mal angezogen hatten.“ (Interview vom 20.03.2013). Deutlich wird, dass Robert Konsumkritik äußert, die über den Lebensmittelbereich hinaus geht. Er hinterfragt zum einen Wirtschaftsstrukturen, die gewinnorientiert sind und dadurch „viel übrig“ bleibe. Auf der anderen Seite kritisiert er die individuelle Seite, den massenhaften Konsum von Dingen, die wir „nicht brauchen“. Durch die Verwendung des „wir“ schließt er sich in seine Deutung mit ein. In anderen Konsumbereichen, etwa bei Kühlschränken oder Sportschuhen, kritisiert er, dass Haltbarkeit keine Rolle für Kaufentscheidungen spiele, „sondern nur, ob das toll ist, gute Qualität, schick aussieht“ und meint, dass Werbung wie Gehirnwäsche funktioniere. Durch die von ihm geäußerte Konsumkritik positioniert er sich sozial und stellt einen konsumkritischen Habitus dar. Seine Wahrnehmung habe sich nicht nur im Bezug auf Konsumobjekte, sondern auch auf Konsumorte verändert.
87 Vgl. Hellmann 1998.
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„Ich sage ja nicht, dass Kaufen an sich schlecht ist, das ist ja eigentlich was ganz praktisches, wenn man jetzt wirklich ʼn Tauschmittel hat, was jeder akzeptiert, das an sich ist ja noch nicht gleichzusetzen mit Kapitalismus, denkʼ ich mal. Aber tatsächlich ist, wenn man nicht mehr, wenn man so radikal ist und sagt, man geht gar nicht mehr in Supermärkte, dann ist man wirklich radikal gegen das System, weil nämlich Supermärkte die NummerEins-Verkaufsmethode im Moment sind. Wenn man dagegen sowas wie solidarische Landwirtschaft macht, dann sind das schon fast Einsiedlertaktiken, […] aber ich denke, sowas wie Fairtrade oder Bio oder verschiedene andere Projekte, die es in dieser Richtung gibt, was Lebensmittel angeht, die können immer nur aufmerksam machen auf Probleme.“ (Interview vom 20.03.2013)
Nicht mehr im Supermarkt einkaufen erscheint für ihn als eine Strategie, sich gegen das etablierte Konsummodell zu stellen. Fairtrade- oder Bio-Produkte versteht er nicht als Lösung, sondern die Etablierung solcher Alternativen mache „nur aufmerksam“. Die hegemonialen Strukturen würden zwar durch alternative Strukturen kritisiert, jedoch nur ergänzt, aber nicht grundsätzlich verändert. Das etablierte Konsummodell führt nicht nur auf Seiten der Supermärkte zu Lebensmittelabfall, sondern auch bei den Konsumenten, wie Studien zum Lebensmittelabfall zeigen.88 Ronny diagnostiziert die fehlende Wertschätzung von Lebensmitteln, was er angesichts des globalen Hungers kritisiert: „Man schmeißt halt den Kanten Brot einfach weg, ist sich nicht bewusst, dass es eine große Prozentzahl der Menschen gibt auf unserem Planten, die sich darum prügeln würden. Das vergisst man hier leider zu oft.“ (Interview vom 20.03.2013). Ronny stellt Alltagspraktiken dabei in einen globalen Kontext und verhandelt narrativ Vorstellungen von Verantwortung und Gerechtigkeit.89 Marie kritisiert den individuellen Umgang mit Lebensmitteln. Verschwendung sei für Marie „abartig“: „Ich kann Verschwendung kaum noch ertragen, selbst bei Freunden werde ich echt wütend wenn sie einen Joghurt wegschmeißen nur weil das Verfalldatum einen Tag zurückliegt. Auch wenn der Teller viel zu voll geladen wird und die Hälfte danach im Mülleimer landet finde ich einfach abartig. Außerdem habe ich lange in Hotels gearbeitet und mir blutete immer das Herz wenn gutes Essen in Massen in den Müll wandert, habe deshalb angefangen immer Tüten etc. mitzunehmen und einzupacken was geht.“ (Interview vom 10.07.2013)
Begriffe wie „kaum ertragen“, „wütend werden“, „abartig“, das „Herz blutet“ verweisen darauf, dass Marie Verschwendung als emotionales Thema verhandelt 88 Siehe Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2012. 89 Vgl. zur Verantwortung von Konsumenten Heidbrink et al. 2011.
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und damit ihr Handeln legitimiert. Sie fühlt sich verpflichtet, etwas gegen Verschwendung in ihrem Alltag zu tun, etwa auch Essen vor der Entsorgung an ihrem Arbeitsplatz zu retten. Ronny schildert im Interview seine Empörung, als er bei einem seiner ersten Containererfahrungen eine „Tonne randvoll mit Bananen“ entdeckte: „Wenn man sowas als Startpunkt hat, schockiert das dann schon sehr. Ich hatte gedacht, dass es ab und zu mal, werfen die ein, zwei Kürbisse weg, und noch zwei Brote, weil die nicht mehr schön sind. Aber dass solche Massen an Lebensmitteln in die Tonne geworfen werden, die noch gut sind, die aus völlig unerfindlichen Gründen weggeschmissen werden, weil auf dem Papier steht, dass sie nicht mehr gut sind, dabei waren die offensichtlich noch gut, die waren ja noch nicht mal reif, die waren noch fast grün. Da war für mich der Punkt erreicht, dass kann so nicht sein. War schwer zu begreifen, dass da so Massen rumliegen.“ (Interview vom 20.03.2013)
Die „Massen“ und die aus „völlig unerfindlichen Gründen“ entsorgten, noch grünen Bananen schockieren Ronny. Für ihn sei dadurch „der Punkt“ erreicht, sodass er sich gegen Verschwendung entsetzen wolle, indem er diese durch Mülltauchen abbaut. Martin betont, dass ihm bewusst sei, dass nicht alle containern gehen könnten: „Das Ding ist halt, das Problem der beschränkten Ressourcen, also Containern stellt keine Lösung dar für das Problem der beschränkten Ressourcen. Containern ist ein Faktor, der dazu beisteuert, dass wir unsere Ressourcen effizienter nutzen können, aber im Endeffekt müssen Waren produziert werden, durch Ressourcen. Das ist halt einfach so. Es kann sich nicht die ganze Menschheit durch Containern ernähren. Das geht nicht.“ (Interview vom 19.06.2013)
Mülltauchen stelle keine Lösung dar, sorge aber für eine Verteilung von Ressourcen, sodass weniger verschwendet werde. Containern ermögliche ihm, „das Wirtschaftsystem zu sabotieren oder darauf Einfluss zu nehmen“ (Interview vom 19.06.2013). Martin politisiert dadurch Konsum und Konsumverzicht. „Ich meine, wir haben jetzt nicht die Macht, das System zu ändern von heute auf morgen, also wir als gesamte Masse schon, aber nicht der Einzelne und dann ist halt Containern auch nur ein gutes Nischending, um das halt so zu machen. Aber wenn wir wirklich nachhaltig leben wollen als gesamte Menschheit, dann müssen wir grundlegend was verändern. […] Wichtig ist, man muss nicht unbedingt in einer hohen politischen Position sein oder
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ein Firmenchef sein, um die Welt effizient verändern zu können. Es reicht auch schon, wenn man mit seinen Mitmenschen spricht und Sachen anspricht und seine Meinung äußert und diskutiert, weil das ist eigentlich auch das, was die Welt mitbestimmt.“ (Interview vom 19.06.2013)
Mülltauchen könne nicht „das System“ verändern, dazu fehle die „Macht“. Martin verdeutlicht aber, dass gesellschaftliche Veränderung für ihn im Alltag anfange, indem man Wissen innerhalb von sozialen Netzwerken teile, „wenn man mit seinen Mitmenschen spricht“ und diskutiere. Wissen teilen, Sachen ansprechen und Meinungen äußern, können damit als Strategien gedeutet werden, durch die sich der Protest performativ ausdrückt. Der Einzelne sei nicht in der Lage, die Welt zu verändern, aber könne innerhalb der eigenen Lebenswelt mitbestimmen. Das Politikverständnis von Martin ist hier mehrdeutig: auf der einen Seite sei der Einzelne nicht mächtig genug, um das System zu transformieren, gleichzeitig sei er in der Lage, die Welt effizient zu verändern. Das System kann in Hinblick auf Ortner als Struktur gedeutet werden, sodass Martin hier die Bedeutung von Handlungsmacht reflektiert.90 Martin stellt heraus, dass Nachhaltigkeit ein Grund sei, warum er sich gut fühle, wenn er containert, dass man aber Politik studieren oder in die Politik gehen müsse, wenn man Nachhaltigkeit als etwas wichtiges betrachte und die Welt nachhaltiger machen wolle. Das Teilen von Wissen könne zwar dazu beitragen, dass sich die Welt verändere, Mülltauchen sei aber ein „Nischending“, das kaum politische Wirkung habe. Für Karl ist Containern eine Form von Protest und eine Bewegung, die kritisiert und nach Alternativen sucht: „Natürlich gibt es wichtigere Sachen, die politisch dringender wären, aber da kann man im Zweifelsfall weniger bewegen, als nachts zum Supermarkt zu fahren und in den Tonnen ʼrumzuwühlen. […] wir [Karl und seine Freunde, Anm. MG] reden halt ständig über diesen Kram und darum lernt man immer mehr und lernt die größeren Zusammenhänge kennen. Das hängt ja mit tausend anderen großen politischen Problemen zusammen. Das ist ja nicht nur so, weil ich mich für Essen interessiere oder soʼn Gourmet bin. Das hat ja größtenteils ʼne politische Dimension. Dann kommst du halt schnell zur Kapitalismuskritik. Ich will nicht das ganze System umkrempeln, aber man braucht auf jeden Fall Bewegungen, die sowas kritisieren und nach Alternativen suchen.“ (Interview vom 13.03.2013)
Mülltaucher_innen äußern Kritik an vielfältigen Strukturen, wie kapitalistisch organisierte Wirtschaftssysteme und deren Auswirkungen, Konsumentenverhalten, gesellschaftliche Wertschätzung von Lebensmitteln oder politische Partizi90 Vgl. Ortner 2006.
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pationsmöglichkeiten. Mülltauchen ist dabei performative Praxis, um Lebensstil und Protest auszudrücken, gleichwohl wird die Wirkung dieser Protestform aufgrund der Reichweite und Sichtbarkeit kritisch reflektiert, wie die Aussagen von Martin und Karl zeigen. Deshalb nutzen Mülltaucher_innen weitere Strategien, um ihren Protest und ihre Kritik an herrschenden Konsummustern auszudrücken und sichtbar zu machen: Karl gab Interviews und erstellte eine Fotoausstellungen; andere Mülltaucher_innen veröffentlichen über Facebook und in Foren Bilder ihrer Funde; Raphael Fellmer schrieb dazu ein Buch, reichte eine Petition ein, war Mitorganisator von Tagungen, hatte Fernsehauftritte und initiierte ein Projekt gegen Lebensmittelverschwendung. Raphael Fellmer ist einer der medienwirksamsten Mülltaucher. Er stellt eine zentrale Figur in der ContainerCommunity dar, deshalb soll sein politischer Protest im Folgenden näher betrachtet werden. Fellmer nutzt die Medien, um seinen Protest zu artikulieren, besucht dazu Talkshows und gibt Interviews.91 Er hat ein autobiographisches Buch veröffentlicht, in dem er sein Leben im Geldstreik sowie seine Erfahrungen mit dem Mülltauchen beschreibt und das als Quelle genutzt werden kann. Er benutzt darin den Begriff „Lebensmittelretten“, weil es ausdrücke, dass es sich um eine freie Entscheidung und einen Protest handele.92 „Es war ein teilweise einsamer und ermüdender Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung, denn jeden Tag landeten aufs Neue Lebensmittel in der Tonne.“93 Durch die Verwendung von „Retten“ und dem „Kampf“ gegen Verschwendung stellt er Mülltauchen als Protest her. Auch in einer Reportage von uniTV Hamburg macht der interviewte Mülltaucher deutlich: „Ich fühle mich da nicht als Verbrecher, sondern ich fühle mich als jemand, der was Gutes tut, weil ich gegen diesen Wegwerfprozess ankämpfe.“94 Paul, der ebenfalls zum Zeitpunkt des von mir geführten Interviews im Geldstreik lebt, sieht den „Kampf“ auch bezogen auf die Vorstellungen des Mindesthaltbarkeitsdatums: „Das ist auch ʼn persönlicher Kampf, dagegen was zu tun, gegen diese Angstmacherei des Mindesthaltbarkeitsdatums.“ (Interview vom 06.07.2013). Deutlich wird, dass Mülltaucher_innen die Praxis nicht nur als Strategie verstehen, um kostenlos Nahrungsmittel zu bekommen, sondern als Strategie, um wertvolle Ressourcen vor der Vernichtung zu bewahren und gegen Verschwendung zu „kämpfen“. 91 Auch die Aktivistin Hannah Poddig hatte einige Fernsehauftritte, u.a. zum Thema Mülltauchen. Sie hat ein Buch über ihr Leben und ihren Protest veröffentlicht, in dem sie ebenfalls über das Containern schreibt (siehe Poddig 2009). 92 Fellmer 2014, S. 163. 93 Fellmer 2014, S. 164. 94 Siehe uniTV Hamburg 2012.
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Für die „Lebensmittelrettertouren“, die Nachbereitung und die Verteilung der Lebensmittel sei Raphael zwölf bis zwanzig Stunden in der Woche beschäftigt gewesen und hätte es als körperlich anstrengend empfunden, kopfüber in übelriechenden Containern hängen zu müssen, so schreibt er in seinem Buch. Bis spät abends unterwegs zu sein, sei für Raphael „einsam“ und „ermüdend“ gewesen. Durch die Begriffe macht Raphael deutlich, nicht aus Eigennutz und hedonistischen Motiven zu agieren, sondern stellt Mülltauchen als Protestform dar. Durch das mediale Interesse, das sein Leben im Geldstreik hervorgerufen habe, habe er den Mut geschöpft, sich „auf politischer Ebene für das Ende der sinnlosen Verschwendung von Ressourcen, allen voran von Lebensmitteln, einzusetzen“95. Er habe über epetitionen.bundestag.de eine Petition im Bundestag eingereicht und beschreibt in seinem Buch, dass sein Anliegen von großer Bedeutung für das Ende der Verschwendungskultur sei und zum Ziel habe, dem Kapitalismus langsam sein gesellschaftlich zerstörerisches Fundament zu entziehen. Seine Forderung war: „Der Bundestag möge beschließen, dass alle Güter, die der endgültigen Entsorgung zugeführt werden sollen, der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssen.“ 96 Seine Petition sei abgelehnt worden, da nach Prüfung aller Gesichtspunkte der Ausschussdienst des Deutschen Bundestages zu dem Ergebnis gekommen sei, dass eine Umsetzung des Anliegens angesichts der gegenwärtigen Handlungsprioritäten auf diesem Gebiet ausgeschlossen erschien. „Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf die, auch in der Stellungnahme angesprochene Feststellung, dass eine gesetzliche Verpflichtung von Produzenten zur kostenlosen Abgabe ihrer Produkte nicht zulässig wäre, da dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen darstellen würde.“97
In der Antwort hieße es weiter, dass der Ausschuss von der Veröffentlichung der Petition absehe, weil sie nicht den gewünschten Erfolg verspreche. Fellmer kritisiert dies und stellt die Bedeutung seiner Petition heraus: „Diese Aussage war meilenweit von der Wirklichkeit entfernt, denn alle Menschen, denen ich die Petition erklärte, fanden sie unterstützenswert. Zudem ist es grundsätzlich eine Absurdität, dass ein Ausschuss sich anmaßt, darüber zu urteilen, ob eine Petition erfolgreich
95 Fellmer 2014, S. 169. 96 Fellmer 2014, S. 169. 97 Fellmer 2014, 169f.
230 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT sein wird, oder nicht, und entsprechend eine Veröffentlichung erlauben oder verweigern darf.“98
Rapahel beschreibt hier, wie die politischen Strukturen seine Handlungsmöglichkeiten beschränken. Er habe daraus die Erkenntnis gezogen, dass er seine Zeit nicht damit verschwenden wolle, auf Politiker_innen oder Organisationen wie die EU oder die UN zu hoffen, sondern dass er selbst aktiv werden müsse.99 Deutlich wird hier, dass Raphael Fellmer zwar politische Forderungen stellt, diese aber von den politischen Akteuren nicht anerkannt werden. Dieses Beispiel verweist auf das Verhältnis von Struktur und Handlungsmacht, das durch Interessenkonflikte gekennzeichnet ist. Auf Grund der Deutungshoheit und der Machtpositionen von politischen Akteuren entwickelt Fellmer innerhalb seiner eigenen sozialen Netzwerke Handlungsspielräume. Um Raphael bildet sich eine soziale Bewegung, da Raphael ausgehend von seinen Erfahrungen als Mülltaucher eine offizielle Absprache mit einem Supermarkt traf und sonst entsorgte Produkte abholen konnte, die dann über die Internetplattform von Foodsharing verteilt wurden. Die Arbeit des Vereins Foodsharing bestand am Anfang aus der Initiierung einer Plattform, auf der Privatpersonen und Unternehmen genießbare Lebensmittel zum Teilen anbieten konnten. Aus dem Protest gegen Lebensmittelverschwendung hat sich hier eine technische Struktur sowie eine soziale Bewegung herausgebildet: Ausgehend von dem sozialen Netzwerk um Raphael und der Zusammenarbeit mit dem Foodsharing Verein entwickelte sich ein Freiwilligen-Programm, bei dem Ehrenamtliche ähnlich wie bei dem Prinzip der Tafeln die Waren kostenlos abholen konnten.100 Es fand im Sommer 2013 ein erstes bundesweites Freiwilligentreffen in Ludwigsburg statt, im Herbst folgte ein weiteres in Köln und im März 2014 in Hamburg. Seitdem haben sich in ganz Deutschland sogenannte Lebensmittelretter-Gruppen gegründet und ein Netzwerk etabliert. Das Beispiel von Fellmer und Foodsharing verdeutlicht die politische Dimension des Mülltauchens. Fellmer stellt immer wieder heraus, dass Mülltauchen bzw. Lebensmittelretten für ihn eine Form des Protestes sei. Zum einen gibt 98 Fellmer 2014, 169f. 99 Fellmer 2014, 171f.; Die Idee, die Fellmer hier in der Petition formuliert und vom Ausschuss abgelehnt wurde, ist in Frankreich umgesetzt worden. Seitdem ist es dem Einzelhandel verboten, Lebensmittel zu entsorgen (siehe Die Zeit 2015). Der französische Gesetzentwurf wird inzwischen auf EU-Ebene diskutiert (siehe nowastenet work.nl). 100 Siehe foodsharing.de; siehe zum Diskurs zu den Tafeln aus soziologischer Sicht Selke 2010.
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er Wissen über Lebensmittelverschwendung weiter. Durch das Medieninteresse an seiner Person professionalisierte er dies und wird auf Grund seiner Containererfahrungen zunehmend als Experte wahrgenommen. Er kann dabei spezifisches Wissen und Deutungsmuster verbreiten. Daneben verweist er durch das Verteilen von Nahrungsmitteln auch materiell auf das Thema der Lebensmittelverschwendung. Er nutzt verschiedene Infrastrukturen, um seine politische Überzeugung zu verbreiten, etwa durch sein Buch, die von ihm gestartete Petition oder seine Aktivität bei den Lebensmittelrettern. Der Protest artikuliert sich hier also auf mehreren Ebenen. Ein weiteres Beispiel für die Übersetzung von Protestdeutungen in Handeln ist die Fotoausstellung, die Karl initiiert hat. Fotos stellen eine Möglichkeit dar, die sonst vergänglichen Nahrungsmittel festzuhalten und damit die Mengen zu dokumentieren. Viele Fotos, die in Containergruppen bei Facebook hochgeladen werden, zeigen einen ähnlichen Aufbau: Die Lebensmittel werden nach Produktgruppen geordnet und auf den Arbeitsplatten in Küchen oder auf Tischen arrangiert. Sie zeigen einmal faktisch die Anzahl und die Nahrungsmittelsorten, die die Akteure aus den Mülltonnen mitgenommen haben. Die Fotos stehen aber auch symbolisch für den Protest gegen Lebensmittelverschwendung. Sie sollen darstellen, dass große Mengen an essbaren und damit wertvollen Nahrungsmitteln von den Supermärkten weggeschmissen werden. Sie dokumentieren damit die Lebensmittel, die Supermärkte entsorgen und machen für die Öffentlichkeit sichtbar, was sonst verborgen bliebe. Um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, hat Karl eine Fotoausstellung über containerte Nahrungsmittel gestaltet. Er habe früh angefangen, seine Funde zu fotografieren: „die Massen an Essen, dass die ganze Küche voll war, dass das so aussah, wie im Supermarkt, alles schön geputzt, dann sieht das ja sehr appetitlich aus und ist ja auch unglaublich, was da für perfekte Sachen weggeschmissen werden, wenn es dann so alles da lag, habʼ ich angefangen, dass schön zu drapieren und dann zu fotografieren und die Fotos auf Facebook zu stellen.“ (Interview vom 13.03.2013)
Auf der Fotoausstellung habe er die Fotos dann gezeigt und containerte Lebensmittel für das Catering verwendet. Zu der Ausstellung habe er den Regisseur von „Taste the Waste“, Valentin Thurn eingeladen, der selbst nicht kommen konnte, aber Raphael Fellmer als Stellvertreter geschickt habe. Die beiden hätten sich dann gut verstanden und seien auch öfter zusammen Mülltauchen gegangen. Am Anfang habe er Raphaels Vision von einer geldfreien Gesellschaft für utopisch und nicht erstrebenswert gehalten. Die „ganzen kleinen ShareconomyGeschichten“, „diese ganzen kleinen Netzwerke, die sich herausbilden und Initi-
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ativen“ würden sich über Smartphones und „facebook-mässige soziale Netzwerke“ verbinden. Deren konsumkritischen Einfluss brauche es, so seine Deutung. Die Fotodokumentation, bei der die Lebensmittel nach Produktgruppen angeordnet werden, trägt einmal zur Transformation von Müll in Nahrung bei. Die ästhetische Anordnung und Inszenierung der Lebensmittel wertet sie auf. Sie werden zu wertvollen Objekten, die aussehen „wie im Supermarkt“, die „appetitlich“ und „perfekt“ sind. Auf den Fotos ist der Zwischenstatus als Abfall nicht mehr zu sehen, weil sie „schön geputzt“ und „schön drapiert“ sind. Die dokumentierten „Massen an Essen“ und die „volle Küche“ verweisen auf die Mengen der gefundenen Lebensmittel, die im Überfluss in den Mülltonnen liegen. Die Bilder stehen symbolisch für ein kulturelles Ordnungs- und Kategorisierungssystem, durch das Lebensmittel frühzeitig entsorgt werden und dienen als kulturelle Repräsentationen zur Legitimierung der Praxis. Sie artikulieren dabei den Protest visuell. Dabei widersetzen sich Mülltaucher_innen auf der einen Seite den kulturellen Kategorisierungen, wenn sie Lebensmittel aus Mülltonnen essen. Auf der anderen Seite spielen sie mit den Ordnungssystemen, wenn sie das containerte Essen wie im Supermarkt anrichten. Insofern kann die Fotodokumentation von Funden auch als spielerisches und ästhetisierendes Element im Protest gegen Verschwendung gedeutet werden. Der Protest artikuliert sich aber auch in der Überwindung von juristischen Ordnungssystemen, die Besitzverhältnisse und Zugangsrechte regeln. Je nach rechtlicher Lage ist die Entnahme von Dingen aus Mülltonnen ein juristischer Tatbestand: laut deutscher Gesetzgebung Diebstahl von Waren im Wert von null Euro. In der Schweiz gilt Abfall als herrenlose Sache, die durch Dritte angeeignet werden kann. Auch das österreichische Gesetz kennt Herrenlosigkeit, sodass in beiden Ländern Mülltauchen nicht illegal ist, solange keine Schlösser oder Zäune beschädigt werden.101 In Deutschland ist Abfall immer Eigentum von jemandem. Deshalb ist die Entnahme von Dingen aus Mülltonnen Diebstahl nach §242 des Strafgesetzbuches: „(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.“
Nach §248a StGB „Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen“ werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen, zu denen vom Supermarkt entsorgte Ware im Wert von null Euro gehören, nur auf Antrag des Ge101 Siehe dazu auch Kreutzberger und Thurn 2012.
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schädigten verfolgt, es sei denn, die Strafverfolgungsbehörde hält auf Grund des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten des Amts für notwendig. Die Märkte schützen ihr Eigentum, indem sie den Müll unzugänglich aufbewahren. Mülltaucher_innen widersetzen sich durch ihre Praxis diesen Eigentumsansprüchen. Die Akteure verhandeln dabei Konzepte von Eigentum und die Strategien zu dessen Schutz. Sie überwinden Absperrungen und erschließen sich Räume. Sie ignorieren und widersetzen sich dabei nicht nur Besitzvorstellungen, sondern auch gesetzlichen Kennzeichnungen, wie dem MHD. Mülltauchen kann zusammenfassend als Ausdruck von Agency gedeutet werden. Agency zeigt sich in dem Widersetzen 102, dem Einspruch103 und dem Erkämpfen von Handlungshorizonten. Aus einer juristischen Perspektive widersetzen sich Mülltaucher_innen den Gesetzen: Sie stehlen das Eigentum des Supermarktes, betreten unbefugt das Gelände und überwinden Absperrungen und Zäune. Sie widersetzen sich hegemonialen Vorstellungen von Müll und deuten den Müll in den Mülltonnen um. Sie widersetzen sich damit wirtschaftlichen und juristischen Wertzuschreibungen ebenso wie Konsummustern und kaufen die Lebensmittel nicht im Supermarkt, sondern nutzen Containern als Konsumstrategie. Sie erheben durch die Praxis Einspruch gegen Konsum- und Wegwerfgesellschaften, gegen spezifische Wirtschaftsstrukturen, die zu Überfluss sowie Verschwendung führen und artikulieren neue „Ordnungsideologien“104 im Umgang mit Lebensmitteln. Der politische Protest schreibt sich dabei tief in Alltagspraktiken von Ernährung und Konsum ein. Die „Formation des Politischen“105 ist durch eine fluide, sich ständig wandelnde Infrastruktur gekennzeichnet, die Mülltaucher_innen, Lebensmittel, Wissen, Gesetze, Normen, Utopien und technische Infrastrukturen, wie Foren und Facebook-Gruppen, verbindet. Das Politische materialisiert sich etwa in Form von Petitionen und Unterschriftensammlungen, durch Initiativen wie den Lebensmittelrettern, durch Fotos, Zeitungsartikel oder in Filmreportagen, bei Protestaktionen oder in Gerichtsverhandlungen. Ausgangspunkt des Protestes ist das „Zuviel“ von Lebensmitteln, die zu Müll werden, deshalb sollen im Folgenden aus Perspektive der Materialität die konkreten Lebensmittel und die Materialisierung von Überfluss im Fokus stehen.
102 Vgl. Ortner 2006. 103 Vgl. Heimerdinger 2013. 104 Keller 2009, S. 34. 105 Vgl. Adam und Vonderau 2014a.
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7.3 L EBENSMITTEL UND DIE M ATERIALISIERUNG VON Ü BERFLUSS „[Robin] Riedel, 24, steht mit beiden Beinen in einem verdreckten Müllcontainer, in seiner Hand hält er eine grün-rote Mango, um die 300 Gramm schwer, vermutlich etwas überreif. ,Die sieht doch richtig gut ausʻ, sagt der Student und legt das Obst vorsichtig in einen stapelbaren Kunststoffkorb. Dort liegen schon ein Paket Möhren, drei lose Paprika, ein paar Flaschen Grillsauce und Dutzende in Folie verpackte Milchbrötchen, deren Haltbarkeitsdatum gerade abgelaufen ist. […] Die Ausbeute an den Entsorgungsplätzen des Einzelhandels ist beachtlich. Sechs Körbe haben Robin und Katharina vollgeladen, als sie auf die Mango stoßen. Sie haben Brokkoli, Gurken, Bananen und Nudeln gefunden, Dosenfleisch und Fertigsuppen, eine Tüte Mikrowellen-Popcorn und zwei blühende Orchideen. Am nächsten Tag wollen sie aus ihrer Beute irgendetwas für ihre Freunde zusammenkochen und ein paar Sachen an andere Wohngemeinschaften weitergeben, in denen ebenfalls containert wird.“106
Der Spiegel Wissen widmet sich 2013 dem Thema „Einfach Leben“. Unter der Rubrik „Stricken gegen den Überfluss“ sind vier Beispiele als „Trend der Wiederverwertung und Nachhaltigkeit“ aufgelistet: „Selbermachen ist die Devise des Makers Movement. Aktivisten der Transition Towns kämpfen für das postfossile Zeitalter. Mülltaucher leben von der Wegwerfgesellschaft, und Veränderungsateliers zaubern Neu aus Alt.“107 „Wiederverwertung“, „Nachhaltigkeit“, „Trend“, „Wegwerfgesellschaft“ und als Oberthema „Überfluss“: In diesem semantischen Feld bewegt sich hier juristisch betrachtet der Diebstahl von Lebensmitteln aus den Mülltonnen des Handels. Deutlich wird im Artikel sowohl durch die Beschreibung als auch auf den Fotos, dass Mülltaucher_innen sichtbar machen, was sonst unbemerkt bliebe: Das, was für die Supermärkte Müll ist, wird von den Mülltauchern_innen mit Wert aufgeladen. Der Müll wird wieder zu essbarer und wertvoller Nahrung. Wie transformieren die Mülltaucher_innen Müll in Lebensmittel? Welche Bedeutung haben die Lebensmittel für die Wahrnehmung und Deutung von Überfluss? Inwiefern materialisieren sich Vorstellungen von Wegwerfgesellschaft und Überfluss durch das Mülltauchen und in den Mülltonnen von Supermärkten? Welche Strategien im Umgang mit Überfluss entwickeln Mülltaucher_innen? Ausgehend von der Materialität soll hier den folgenden Thesen nachgegangen werden: Erstens, dass Lebensmittel als Akteure Netzwerke konstituieren, vergleichbar mit der Wirkung von Kleidung im Feld der Klei-
106 Siehe Der Spiegel Wissen 2013. 107 Siehe Der Spiegel Wissen 2013.
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dertauschpartys. 108 Durch das Containern und die Statusveränderung transformieren die Mülltaucher_innen zweitens die etablierten Vorstellungen von Lebensmittelbiographien.109 Betrachtet man den Transformationsprozess von Waren aus der Perspektive des Einzel- und Großhandels, werden verkaufsfähige und genießbare Waren durch das Aussortieren aus den Regalen und durch die Entsorgung in Mülltonnen zu wertlosem Abfall. Die Supermärkte bewerten und kategorisieren Objekte nach wirtschaftlichen Kriterien. Effizienz, Prozessoptimierung sowie Nutzenund Gewinnmaximierung stehen für die Supermärkte im Vordergrund und bestimmen den Wert von Waren wie den Umgang mit diesen.110 Die Mülltonnen schaffen Ordnung, indem sie Kategorien von „verkäuflich“ und „unverkäuflich“ organisieren. Wie Sonja Windmüller konstatiert, ist der Umgang mit Müll sortierend und ordnend.111 Diese Ordnung, so zeigte die Feldforschung, wird geschützt durch Absperrungen, Schlösser, Zäune und Wachpersonal. Der Zugang zu als Müll kategorisierter Ware wird damit begrenzt und kontrolliert. Mülltonnen werden von den Divern als „Spots“ bezeichnet. Martin verwendet beispielsweise den Begriff „Containerlocation“ (Interview vom 19.06.2013). Die Spots konstituieren sich durch ein Netzwerk von Akteuren − Zäune, Absperrungen, Tore, Mülltonnen und -container, Bewegungsmelder, Kameras und aussortierte Lebensmittel – Wissen und Institutionen.112 Die Art des Unternehmens bestimmt, in welchem Umfang und welche Produkte entsorgt werden, ob es sich beispielsweise um einen inhabergeführten wenige Waren entsorgenden BioSupermarkt oder einen Discounter handelt. Die Form der Mülltonnen bestimmen wiederum Praktiken: Die Mülltaucher_innen kippen kleine Mülltonnen, sodass sie an den Inhalt kommen oder sortieren den Inhalt von einer in die andere, um noch Genießbares auszusortieren. Je nach Praktik müssen die Arme tief in die Tonne hineingesteckt werden, was das sinnliche Erlebnis bestimmt. Die größeren Container veranlassen eher dazu, sich dort hineinzuhängen, sie zu erklettern oder sich in sie hineinzustellen, um nach Lebensmitteln zu suchen. Martin etwa
108 Vgl. Belliger und Krieger 2006b. 109 Vgl. Kopytoff 2010. 110 Die soziale Bedeutung von Nahrung als Symbol für soziale Gerechtigkeit und Wohlstand greifen die Supermärkte auf, wenn sie ihre Kooperation mit der Tafel durch den Aufkleber an der Eingangstür symbolisieren und die Supermärkte damit markieren, dass sie sich sozial engagieren (siehe zum Diskurs zu den Tafeln aus soziologischer Perspektive Selke 2010). 111 Vgl. Windmüller 2004, Windmüller 2003 und Meyer 1999. 112 Vgl. Beck 2012.
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berichtet von einem Container einer Bäckereifabrik, der so groß wie sein Zimmer gewesen sei und in dem man auf den Bäckereiprodukten laufen musste. Mülltaucher_innen sammeln Wissen darüber, wo gut zugängliche und ergiebige Tonnen stehen, an welchen Tagen diese geleert und an welchen besonders viele Lebensmittel entsorgt werden. „Eine Zeitlang habe ich da soʼn richtigen Blick für entwickelt und automatisch gecheckt, wenn ich in einer Gegend unterwegs war, die ich noch nicht kannte, einfach geschaut, ob der Supermarkt abschließt oder nicht.“ (Interview vom 20.03.2013). Was Martin im Interview als „Container-Reflex“ bezeichnet, beschreibt Karl als „Container-Radar“, den er entwickelt habe: „Wenn ich irgendwo langfahre, gucke ich eigentlich immer. Man sieht dann überall nur noch Mülltonnen ʼrumstehen und immer die Hinterhöfe und Einfahrten von den Supermärkten. Jetzt im Winter fahrʼ ich mehr U-Bahn, und nehmʼ dann mein Fahrrad da mehr mit. Aber gerade im Sommer, wo ich überall mit Fahrrad hinfahre, ist es schon echt manchmal ʼn bisschen anstregend (lacht) immer ʼne halbe Stunde später zukommen, weil man noch da und da geguckt hat, obʼs da vielleicht was geben könnte.“ (Interview vom 13.06.2013)
Die Wahrnehmung von urbanem Raum verändert sich, weil die Akteure ihren Blick auf Mülltonnen und deren Zugänglichkeit richten. Das sonst dem Blick Entzogene, das Randständige wird von den Mülltauchern_innen zum Reflexionsthema gemacht. Der oben genannte Spiegelartikel beschreibt, dass die darin vorgestellten Mülltaucher_innen auf einem Zettel in ihrer Wohngemeinschaft aufschreiben und bilanzieren, was sie gefunden haben und im Flur eine Stadtkarte mit „aussichtsreichen Fundorten“ mit Nadeln markiert ist. Von solchen Plänen berichten auch andere Mülltaucher_innen während der Feldforschung (Feldnotiz vom 02.12.2012). Das Evaluieren reflektiert das Entsorgungsverhalten der Supermärkte. Zum Spotwissen gehören hier also das Verschriftlichen und das Materialisieren von Routinen des Supermarktes. Die Weitergabe dieses Wissens ist begrenzt, etwa innerhalb der Wohngemeinschaft und im direkten sozialen Austausch.113 An den Mülltonnen konzentrieren sich Interessenkonflikte und Handlungslogiken auf zwei Ebenen. Erstens werden in den Lebensmitteln bzw. dem Abfall Aushandlungsprozesse sichtbar zwischen wirtschaftlicher Verwertungslogik – das Objekt wird durch den Warenwert kategorisiert − und Inwertsetzungsstrategien – die Diver lösen die Müllkategorie auf und ersetzen sie durch „essbar“. 113 Auf die soziale Bedeutung von Wissenszirkulation ist bereits im Kapitel 7.1 eingegangen worden.
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Die lineare wirtschaftliche Objektbiographie 114 von Produktion-KonsumtionEntsorgung/Verwertung wird durch Inwertsetzung unterwandert und aufgebrochen. Zweitens regeln Gesetze – beispielsweise die Lebensmittelkennzeichnungsverordnung und das Kreislaufwirtschaftsgesetz − den Umgang mit Lebensmitteln, denen sich die Mülltaucher_innen widersetzen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist seit dem Inkraftreten der Lebensmittelkennzeichungsverordnung eine Markierung für „genießbar“ oder „ungenießbar“. Dessen Überschreitung ist ein häufiger Grund für die Entsorgung. Die Markierung durch ein MHD kann als „Entwertungstechnik“115 interpretiert werden. „Die materielle und symbolische Produktion des Wertvollen in der (reichen) modernen industriekapitalistischen Kultur beruht auf der beständigen materiellen und symbolischen Entwertung des Bestehenden und ist damit zugleich immer auch Produktion des Wertlosen.“116
Die Markierung durch ein Datum ist damit nicht nur ein Symbol für Gesundheitsgefahren und Lebensmittelsicherheit, sondern auch Teil von Modernisierungsdynamiken der Entwertung und die Materialisierung von Kontrolltechnologien.117 Die sichtbare materielle Markierung einer Technologie regelt hier den Umgang mit Lebensmitteln, verfestigt Machtpositionen und produziert dadurch soziale Ordnung. Die Haftung regelt die Verantwortung von Handel und Entsorgungsfirmen, die für Müll – und damit auch für entsorgte Lebensmittel in den Mülltonnen − und etwaige Schäden haftbar sind: Gemäß § 22 Abs.1 Satz 1 KrWG können die Pflichten zur Verwertung und Beseitigung vom Abfallerzeuger auf Dritte übertragen werden. Laut § 22 Abs. 1 Satz 2 KrWG bleibt die Verantwortlichkeit für die Erfüllung dieser Verpflichtungen beim Auftraggeber, auch wenn dieser die Verwertungs- und Beseitigungspflichten auf einen Dritten übertragen hat. In Deutschland ist Abfall laut Kreislaufwirtschaftsgesetz immer Eigentum von jemandem. Deshalb ist die Entnahme von Dingen aus Mülltonnen Diebstahl nach §242 des Strafgesetzbuches. Die Märkte schützen ihr Eigentum, indem sie den Müll unzugänglich aufbewahren. Anhand der Zugänglichkeit reflektiert Ronny 114 Vgl. Kopytoff 2010. 115 Keller 2009, S. 31. 116 Keller 2009, 30f. 117 Wie Keller konstatiert auch Marianne Gronemeyer: „Wir leben also in einer Gesellschaft, die sich der Produktion von Müll verschrieben hat, die ihre Dynamik dem Müll verdankt, die ihre besten Kräfte und alle Arbeit dem Müll widmet und für die die Vermüllung konstitutiv ist.“ (Gronemeyer 2012, S. 26).
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die wirtschaftlichen Strategien, die den Zugang zu Lebensmitteln regulieren. Seine Wahrnehmung und Deutung von urbanen Räumen hat sich verändert. Er erzählt, dass er vorher nicht darüber nachgedacht habe, wie und warum Mülltonnen von Supermärkten schwer zugänglich seien: „Eine Zeitlang habʼ ich da soʼn richtigen Blick für entwickelt und automatisch gecheckt, wenn ich in einer Gegend unterwegs war, die ich noch nicht kannte, einfach geschaut, ob der Supermarkt abschließt oder nicht. Das ist auch ʼn ganz witziger Teil, weil, da merkt man erst, was für Anstrengungen unternommen werden, nur damit die Leute nicht an diese scheiß Mülltonnen ʼrankönnen. Es gibt ganz viele, die ihre Mülltonnen auf dem Parkplatz irgendwo außerhalb haben und dann komplettes Stahlgitter außen ʼrum bauen. Mit richtig Hochsicherheitsschlössern, alles. Da muss man sich fragen, warum machen die das denn? Ich habʼ da vorher nicht nachgedacht, warum die so Gitter darum bauen. Naja, damit die Obdachlosen da nicht hingehen und sich den guten Joghurt ʼrausholen und essen. Es gibt ja noch ganze Tore, die zugemacht werden, nur damit da keiner hinkommt, gruselig. Bei Rewe, da haben die im Hinterhof, fast wie soʼne Grenzanlage aufgebaut, wirklich so Blechabsperrungen, ganz dicke, hohe und oben war dann ʼne Stacheldrahtrolle über dem kompletten Bereich. (lacht) Ist echt krass. Was das kostet, muss man sich mal vorstellen, nur das da keiner hin kann, komisch.“ (Interview vom 20.03.2013)
Die Wahrnehmung von urbanem Raum hat sich für Ronny verändert, weil er seinen Blick auf Mülltonnen und deren Zugänglichkeit richtet. Er macht das sonst dem Blick Entzogene, das Randständige zum Reflexionsthema. Die Begriffe wie „Grenzanlage“, „Tore“, „Blechabsperrung“, „Stacheldraht“, „Stahlgitter“ und „Hochsicherheitsschloss“ verweisen auf die Schutzmaßnahmen und erinnern an militärische Begriffe, wobei in Ronnys Aussage deutlich wird, dass er nur schwer verstehen kann, warum die Supermärkte für eigentlich wertlosen Müll solche Schutzmaßnahmen etablieren. Das Ordnungssystem der Supermärkte verschließt sich dem öffentlichen Blick, was etwa auch darin deutlich wird, dass es kaum Zahlen und Studien über die Müllproduktion von Supermärkten gibt.118 Die Gefahr, die von Mülltonnen ausgeht, wird dem „Definitions- und Interpretationsschema“ 119 der wirtschaftlichen Akteure folgend technisch und juristisch kontrolliert. Mülltaucher_innen widersetzen sich dieser Kontrolle und den Eigentumsvorstellungen und machen sichtbar, was sonst in den Mülltonnen verwahrt und exkludiert bleibt. Dieser Widerstand wurde bereits als Ausdruck von Agency gedeutet.120 Die Akteure verhandeln im Sprechen über Mülltonnen und 118 Siehe Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2012. 119 Keller 2009, S. 33. 120 Vgl. Ortner 2006.
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Lebensmittel Konzepte von Eigentum, die Strategien zum Schutz von diesem und die Markierung durch das MHD. Die Aushandlungsprozesse beziehen sich also auf wirtschaftliche und politische Deutungshoheiten und Infrastrukturen, die den Umgang mit Lebensmitteln regeln. Neben diesen Dimensionen werden Mülltonnen auch als sinnliche Erfahrungsräume wahrgenommen. Je nach Jahreszeit verändert sich dieser Raum: Bei kalten Temperaturen gefrieren die Lebensmittel, was viele ungenießbar macht. Wenn es im Sommer heiß ist, beginnen dagegen die Gärprozesse schneller. Jahreszeiten bestimmten auch, welche Nahrungsmittel die Diver mitnehmen. So werden etwa schnell verderbliche Lebensmittel im Sommer eher nicht mitgenommen, wie etwa Fleisch oder Milchprodukte. In und an den Mülltonnen kann es riechen. Die Mülltaucher_innen fassen die Lebensmittel an, die zermatscht und schleimig oder verschimmelt sind. Deshalb haben die Tonnen auch Einfluss darauf, ob die Diver Handschuhe verwenden. Martin sieht Handschuhe als sinnvoll angesichts der Erfahrungen, die er gemacht hat, habe aber meistens keine dabei: „Ja ist eigentlich cooler, Handschuhe. [..] weil ich denke mal schon, in der Mülltonne sind dann auch schon Krankheitserreger enthalten. Ist halt alles andere als hygienisch da im Müll.“ (Interview vom 19.06.2013). Handschuhe stellen eine Schutzschicht zwischen dem Ich und unsauberen Dingen her. Dennoch scheinen Handschuhe weniger verbreitet zu sein, was die Vermutung nahe legt, dass Mülltaucher_innen Nahrungsmittel, die aus einer Tonne kommen, in die sie nicht mehr ohne Schutz greifen wollen, auch als nicht mehr genießbar kategorisieren. So schreibt ein Forumnutzer: „Was ich nicht anfassen möchte, das möchte ich auch weder transportieren, noch nachher reinigen und auch nicht unbedingt essen.“ (Forum 03.08.2012). Mülltonnen sind ein Ort, der als unsauber und mit Bakterien besetzt wahrgenommen wird: „Ich mein die Container sind auch nicht die saubersten, da ist halt ʼn bisschen Schimmel am Start. Ich mein, ich wasch die [Lebensmitteln, Anm. MG] halt immer ab, mit heißem Wasser und Spüli.“ (Interview vom 19.06.2015). Die Diver nehmen Mülltonnen als schmutzige Orte wahr, sie befreien aber die Nahrung von dem Schmutz durch spezifische Praktiken, die Rettung der genießbaren Nahrung, der Vorbereitung und Nachbereitung bzw. der Reinigung der Nahrung. Mary Douglas konstatiert, dass Schmutz etwas Relatives sei.121 Sie meint, dass Vorstellungen von Verunreinigung und daraus entstehende Tabus und Verbote als Ergebnis von symbolischen Ordnungen zur Erhaltung von sozialer Ordnung dienten. Schmutz sei dabei etwas, was durch den sozialen Kontext produziert werde, nicht etwas Absolutes. Schmutz gefährde die symbolische Ordnung, sodass es ein grundlegendes Bedürfnis sei, diese Ordnung aufrechtzuerhalten. 121 Douglas 1985, S. 53.
240 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT „Schmutz ist das Nebenprodukt eines systematischen Ordnens und Klassifizierens von Sachen, und zwar deshalb, weil Ordnen das Verwerfen ungeeigneter Elemente einschließt. Diese Vorstellung von Schmutz führt uns direkt in den Bereich der Symbole und verspricht eine Verbindung mit Reinheitssystemen, deren Symbolgehalt augenfällig ist.“122
Die Diver sehen in dieser Lesart in den Mülltonnen keinen Schmutz, sondern Lebensmittel, die bedeutsam sind, weil sie die Ernährungsfunktion noch erfüllen können. Die Lebensmittel befinden sich jedoch am falschen Ort.123 Das hegemoniale Schmutz- und Ordnungssystem wird von den Divern in Frage gestellt und durch ein alternatives System ersetzt, das die Funktion der Produkte als Nahrungsmittel und der sensorischen Kategorisierung in „essbar“ bzw. „verwertbar“ betont. Douglas konstatiert, dass Dinge, einmal als Abfall kategorisiert, einem „Prozeß des Zerstäubens, Zerfallens und Verrottens“ durchlaufen bis sie schließlich keinerlei Identität mehr hätten. „Der Ursprung der verschiedenen Partikel ist in Vergessenheit geraten, die sind in die allgemeine Masse des Abfalls eingegangen. Auf der Suche nach etwas Verlorenem im Müll herumzustochern ist deshalb so unangenehm, weil sie dadurch wieder an Identität gewinnen. Solange diese Identität nicht vorhanden ist, ist Abfall nicht gefährlich.“124
Diese Gefährdung beschreibt Sonja Windmüller als die „Kehrseite der Dinge“125. Die Mülltaucher_innen geben dem Abfall wieder Identität, indem sie die Produkte sortieren, herausholen und sie als essbar kategorisieren. Reiner Keller bezeichnet die Rückgewinnung von Identitäten durch Benennung als „ReDifferenzierung“126. Dieses Zurückerlangen von Identität als „Re-Differenzierung“ kann als Kern des Diskurses über Lebensmittelverschwendung gedeutet werden. Ordnungssysteme führen dazu, dass Lebensmittel in Supermärkten aussortiert werden, sei es auf Grund des bevorstehenden Ablaufs des MHDs oder normativen bzw. ästhetischen Vorstellungen von Obst und Gemüse. Diese wirtschaftlichen Ordnungssysteme, so zeigen Mülltaucher_innen, vermüllen Lebensmittel, die noch genießbar wären, was dann als Verschwendung verhandelt wird. Dumpster Diver geben den Dingen wieder Identität, indem sie sie aus den Mülltonnen holen. Sie schaffen Ordnung, indem sie Genießbares vom Abfall diffe122 Douglas 1985, S. 53. 123 Vgl. Keller 2009, S. 29. 124 Douglas 1985, S. 208. 125 Vgl. Windmüller 2004; siehe zur Bedrohung der Ordnung durch Müll auch Franzelin und Winkler 2010. 126 Keller 2009, S. 23.
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renzieren und trennen. Diese Re-Differenzierung geschieht dabei nach Kategorien: Sie nehmen Dinge mit, wenn sie zu reinigen sind, sie nicht unangenehm riechen, nicht verschimmelt oder übermäßig zerdrückt sind ferner wenn sie sie weitergeben können ebenso wenn ausreichend Transportkapazitäten vorhanden sind. Die Mülltonnen sind dabei die Orte, an denen das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung sinnhaft erfahren werden kann. Wie im eingangs zitierten Spiegel-Artikel deutlich wurde, sind Mülltonnen Orte, an denen sich Verschwendung materialisiert: Wo Mülltaucher_innen „beachtliche“ Funde machen und dann „vollgeladen“ nach Hause gehen. Das Ausmaß der in den Mülltonnen gelandeten Lebensmittel erscheint dabei als Schlüsselmoment, um politisches Engagement zu entwickeln, regelmäßig zu containern oder sich mit dem Thema Ernährung intensiv auseinander zu setzen. So meint etwa der Filmemacher Valentin Thurn, dass Containern eine Erfahrung sei, die jeder gemacht haben sollte (Feldnotiz 19.07.2014). Er geht also davon aus, dass die konkrete Erfahrung an den Mülltonnen zu einem umfassenden Wissen über Lebensmittelverschwendung führt. In den Lebensmitteln materialisieren sich Gesetze, Handelsnormen, ästhetische Vorstellungen und wirtschaftliche Handlungslogiken, die zu einem Lebensmittelüberschuss führen und das Müllwerden von Nahrung begründen.127 Dabei löst die Menge der in Mülltonnen findbaren Lebensmittel Emotionen aus.128 Karl etwa beschreibt, dass er sich verantwortlich fühle, die Lebensmittel zu retten. Thurn zufolge ändere das Sehen und Erleben von Lebensmittelabfall die Bewertung von Lebensmitteln. Gerhard, ein regelmäßiger Diver Mitte Sechzig, den ich auf einer Foodsharingveranstaltung kennen lerne, erzählt, dass ein Supermarkt bei ihm in der Nähe in einen Neubau umgezogen sei und er jemanden dort beim Mülltauchen beobachtet habe. Er habe dann selbst nachgesehen und festgestellt, wie viel da noch drin gewesen sei. Ihn habe das sehr empört, weil er in Afrika Hunger gesehen habe und aus der Nachkriegsgeneration stamme (Feldnotiz vom 30.03.2014). Ronny meint, dass man selbst erfahren müsse, dass in den Mülltonnen genießbare Lebensmittel liegen: „Deswegen würde ich den Leuten gar nicht viel vom Containern erzählen, sondern sagen: ‚Kommste mitʻ. Wenn man das wirklich sieht, dass da richtig, richtig gute Lebensmittel da liegen, dann hat das schon einen enormen Eindruck.“ (Interview vom 20.03.2013). Man „sieht“ die Verschwendung, nimmt sie mit den Sinnen wahr und ist darüber empört. Die noch genießbaren Lebensmittel in den Mülltonnen werden so zum Symbol für eine Verschwendungs- und Konsumkultur. Die Lebensmittel als Akteure wirken dabei auf die Wissensproduktion und die Deutung dieses Wissens. 127 Vgl. Beck 2012. 128 Vgl. Scheer 2016.
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Diese Wissensproduktion reproduzieren die Interviewpartner etwa, wenn sie über die Mengen und die spezifischen Objekte sprechen, die sie in den Mülltonnen finden. Die Menge und auch besondere Funde werden narrativ zum materialisierten Ausdruck von Verschwendung, welche zum Handeln auffordert. Wiederkehrendes Muster sind Verpackungen, in denen ein Teil beschädigt oder verschimmelt ist und die gesamte Verpackung dann entsorgt wird, wie etwa bei einem Netz von Orangen oder Zwiebeln: „Genau, die Perfektion. Das ist auch schade beziehungsweise kommt oft vor. Da liegen im Container säckeweise Orangennetze, wo fünfzehn top sind und eine ist angeditscht oder zerquetscht oder hat einen leichten Schimmelfleck und alles wird weggeschmissen. Da kann man doch wenigstens als Markt sagen, wenn manʼs sowieso aussortiert, das man einen Korb macht, eh, ich mache da 50 Prozent drauf und kann wenigstens noch einen Gewinn daraus erzielen und habʼs nicht nur für die Tonne gekauft. Das ist sehr, sehr schade.“ (Interview vom 30.04.2013)
Der 23-jährige Paul, der zum Interviewzeitpunkt weitestgehend ohne Geld lebt und regelmäßig containert, greift hier auf ein narratives Muster zurück, um die Verschwendung deutlich zu machen. Wie bereits oben angedeutet, kritisieren die Mülltaucher_innen das Ordnungs- und Kategoriesystem der Supermärkte, die zu Lebensmittelmüll führen. Sie zeigen anhand ihrer Funde, dass dieses System besonders zum Wegwerfen von Obst und Gemüse sowie Brot führe. Aber auch „Milch, Fleisch, Käse. Man findet wirklich alles da. Also nicht immer jeden Tag. Schokolade habʼ ich auch schon containert“, wie Martin erzählt (Interview vom 19.06.2013). Dabei würden sich die Funde je nach Supermarkt unterscheiden, wie Marie beschreibt: „Hauptsächlich ist es Gemüse, meist sehr saisonal, da wir bei Bioläden containern und die eher jahreszeitabhängig einkaufen. Das heißt, jetzt im Sommer ist es viel Salat, Zucchini, Paprika, Auberginen. Im Winter waren es Kürbis, Steckrüben und diverse Kohlsorten.“ (Interview vom 10.07.2013)
Selten gefunden werden etwa Kaffee und Sojaprodukte. Die Akteure nutzen besondere Funde als narratives Muster bzw. „Frame“129, um das Handeln zu legitimieren, weil die Dinge als Symbol für die Verschwendung und den Handlungsdruck bzw. den Protest stehen. Ronny erzählt dabei im Interview von einem Berg von Trauben:
129 Vgl. Hellmann 1998.
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„Da war hinten ʼne ganze Pappschachtel voll mit Trauben, soʼn ganzer Berg mit Weintrauben. Gut, da war jede zehnte bisschen grau, aber alle anderen perfekt. Es war schon Herbst, da war es schon frostig draußen, also kühl, da waren die wirklich gut, auch wenn die da schon zwei, drei Stunden lagen. Ich habe die mitgenommen und zuhause Weintrauben gepflügt, den ganzen Abend.“ (Interview vom 20.03.2013).
Sortieren und Ordnen zwischen genießbar und ungenießbar nutzt Ronny hier als Strategie zur Aufwertung der Lebensmittel, wodurch die Lebensmittel wieder inwertgesetzt werden. Paul erzählt, dass er großer Fan von Sushi sei und dies auch im Container finde. „Samstag abgelaufen, vor zwei Stunden in die Tonne geworfen, aus der Kühlung ʼraus bei Nachts vierzehn Grad, das geht. Das kann man noch einfrieren und auftauen und essen. Das hält sich auch noch ein paar Tage. Mein Kühlschrank ist im Moment voll mit Sushi, ich habe schon viel abgegeben. Ich freue mich tierisch, wenn ich nachhause komme, und Sushi essen kann. Aber ich glaube, demnächst hängt mir das ʼn bisschen zum Hals ʼraus.“ (Interview vom 30.04.2013)
Deutlich wird, dass Mülltauchen zum Teil zu großen Mengen und einem Überfluss an Lebensmitteln führt. Martin stellt heraus, dass er sich bei seiner Containerlocation „richtig gut eindecken“ könne: „Ich konnte pro Tag so drei Menschen satt bekommen von morgens bis abends. Das ist echt verrückt […]. Das ist echt abgefahren.“ (Interview vom 19.06.2013). Die Lebensmittel werden als Überfluss wahrgenommen: ein „Berg“ von Weintrauben, den man den ganzen Abend sortieren müsse; „säckeweise“ Orangen, die weitestgehend „perfekt“ seien; Mengen, mit denen man den ganzen Tag „drei Menschen satt“ bekomme; Mengen, die „abgefahren“ und „verrückt“ seien; „viel Salat“ und „diverse Kohlsorten“. Überfluss zeigt sich einmal im Sinne eines Symbols für den gesellschaftlichen Überfluss, der Mülltauchen als politische Praxis legitimiert und zweitens im Sinne des materiellen Überfluss, der sich nach dem Containern in der Küche und den Vorratsschränken ansammelt. Die Nachbereitung als Teil des Containerns trägt zum Transformationsprozess bei, der die Objekte aus der Mülltonne zu genießbaren Lebensmitteln macht. Ramona meint: „So das Wichtigste, oder viel wichtiger als so die Vorbereitung ist die Nachbereitung […] wie man das [die containerten Lebensmittel, Anm. MG] wäscht und lagert.“ (Interview vom 19.06.2013). Die Akteure berichten, dass sie nach dem Containern die Funde reinigen, trocknen und verstauen. Martin erzählt, dass er die Lebensmittel wie sein Geschirr mit Spüli reinige. Für gröbere Oberflächen benutze er eine Bürste: „So bei Äpfeln oder Tomaten, ein-
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fach Hände. Bananen wasche ich z.B. gar nicht. Äh, stimmt gar nicht. Klar wasche ich Bananen.“ (Interview vom 19.06.2013). Auch Nahrungsmittel, die man gekauft nicht abwaschen würde, waschen die Mülltaucher_innen abhängig vom jeweiligen Empfinden ab. Martin berichtet etwa: „Das Erste, was ich mache, wenn ich Heim komme, Schuhe aus, Hände waschen.“ (Interview vom 19.06.2013). Dennoch glaube er, dass „halt irgendwelcher Schmutz, der im Container war, irgendwie nachhause gelangt“ und sich dort verbreite. Er finde das aber nicht schlimm, weil „der Körper gewöhnt sich gegen Sachen und Stoffe“, er könne sich wehren, man dürfe „den Körper damit nicht überlasten. Das muss ausgeglichen sein, wenn ich da so ein bisschen Seife oder was im Spüli drin ist, selbst wenn da Reste dran sind, ist das ok, denke ich.“ (Interview vom 19.06.2013). Wichtig sei auch, dass man die Lebensmittel richtig lagere, meint Jana. Durch die Reinigung werden die Lebensmittel von Verunreinigung befreit. Die Praktik kann als Strategie und Ritual der Aneignung gelesen werden. Durch die Reinigung wird der vorherige Aufenthaltsort in der Mülltonne abgewaschen und die Lebensmittel von ihrem Zwischenstatus als Abfall befreit.130 Zur Nachbereitung gehört auch das Zubereiten und Weitergeben der Nahrungsmittel, da Mülltaucher_innen häufig viel Essen mitnehmen und dieses auf Grund der begrenzten Haltbarkeit schnell verbraucht werden muss. Ronny erzählt etwa: „Naja, meistens braucht man ja ganz ganz wenig, muss das ja nur mal vergleichen, wenn man die gleiche Menge einkaufen würde. Wenn ich inʼnen Laden gehe und Bananen kaufe, im Laden würde man sich ja nur acht, zehn Bananen kaufen und die findet man locker. Man findet meist so viel, dass man es weggeben muss, oder zumindest anders verarbeiten muss: einfrieren, einstampfen, Apfelmus daraus machen.“ (Interview vom 20.03.2013)
Ronny habe seine Großmutter befragt, was er mit Brot machen könne. Sie gab ihm ein Rezept für Brotsuppe. Sie erzählte ihm: „Nach dem Krieg hat man Brot eingeweicht, mit kochendem Wasser übergossen, dann Milch rein, Knoblauch, Zwiebeln rein. Dann war das fast ein Alltagsgericht, das hat man fast immer gegessen, weil das billig ist.“ (Interview vom 20.03.2013). Er habe es ausprobiert: „Schmeckt ziemlich gut. Es sieht ekelhaft aus, weil es so ein bisschen schleimig aussieht. […], ist nicht ein unglaublich leckeres Gericht. Aber ist besser als das Brot wegzuschmeißen. Ich habʼ dann auch zwei, drei Tage von Brotsuppe leben können. Ist ziemlich viel drin, kann man gut von leben, wenn man zwischendrin Bananen isst.“ (Interview vom 20.03.2013) 130 Vgl. Douglas 1985.
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Ronny experimentiert mit den vorhandenen Dingen, auch wenn es am Ende „ekelhaft“ aussieht und nicht den geschmacklichen sowie optischen Ansprüchen genügt. Er akzeptiert hier aber diese widersprüchlichen Anforderungen, stellt den Nährwert und den Akt der Verwertung in den Vordergrund. Mülltaucher_innen managen den Überfluss durch spezifische Koch- und Konservierungspraktiken. Sie kochen oder frieren Obst und Gemüse ein, um es haltbar zu machen. Sie stellen Brotaufstriche und Marmelade her. Das Wissen über entsprechende Rezepte und den Umgang mit großen Mengen von Nahrungsmitteln bzw. mit Überfluss zirkuliert auch in den sozialen Netzwerken, etwa in Internetforen. Die Akteure tauschen sich auf containern.de über Rezepte und über die Beurteilung von Haltbarkeit aus. So fragt ein Forum-Mitglied das Netzwerk um Rat im Umgang mit zehn Kilo Pfirsichen und Nektarinen „Normalerweise wecke bzw. frier ich alles ein, was zu viel ist, bei diesen Pfirsichen und Nektarinen weiß ich jedoch nicht weiter, da bereits ein leichter Flug von Gährung am Kern ersichtlich ist.“ (Forum 01.11.2013). Das „Zuviel“, das nicht sofort verzehrt werden kann, wird konserviert und haltbar gemacht. Auch Dören und Entsaften lassen sich als Strategien des Überflussmanagements deuten, ebenso wie Kompostieren, um damit Pflanzen zu düngen oder die Lebensmittel als Tierfutter zu verwenden. Ziel dieser Praktiken, so ließe sich mit Abbott deuten, ist die Reduzierung von dem „Zuviel“, von Überfluss.131 Das Weitergeben und Teilen der gefundenen Lebensmittel sind wichtige Praktiken im Umgang mit den Lebensmitteln. Wenn Akteure nur so viele Nahrungsmittel mitnehmen, wie sie selbst verbrauchen, das Mülltauchen vor allem aus individuellen Motiven stattfindet, z.B. zum Geldsparen, spielt das Teilen eine untergeordnete Rolle. Containern die Akteure besonders aus sozialen und politischen Gründen, nehmen sie möglichst viele Lebensmittel aus den Mülltonnen mit. Marie, die sowohl aus ökonomischen Gründen containert, aber auch aus Spaß und ihrer kritischen Haltung Verschwendung gegenüber, berichtet, dass das Teilen aus dem „Zuviel“ und dem Überfluss entsteht: „Da es sehr häufig vorkommt, dass man bei einer Tour besonders viel einer bestimmten Frucht oder ein bestimmtes Gemüse containert, foodsharen wir alles, was wir nicht verbrauchen können bzw. was nicht mehr in den Kühlschrank passt. Wenn Freunde oder Verwandte da sind, werden den natürlich auch Sachen in die Hand gedrückt, wenn wir zuviel haben.“ (Interview 10.07.2013)
Auf der einen Seite steht hier eine Praktik, bei der nur so viel mitgenommen wird, wie die Akteure selbst verbrauchen können, etwa weil sie nachfolgenden 131 Vgl. Abbott 2014.
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Mülltauchern_innen oder Bedürftigen nicht die Lebensmittel wegnehmen möchten oder sie verhindern wollen, dass die nicht verbrauchten Lebensmittel dann doch wegschmissen werden müssen. Martin erzählt, dass er mit wachsender Erfahrung anspruchsvoller in der Auswahl der Nahrungsmittel geworden sei. Er nehme nicht mehr so viel mit, weil er selbst nicht so viel verbrauchen könne. Auch Jana und Ramona bestätigen, dass das Angebot an Nahrungsmitteln „unbegrenzt“ und im „Überangebot“ zur Verfügung stehe. Martin meint: „Das bringt auch nichts, so viel heim zu schleppen, im Endeffekt musst duʼs dann doch wegschmeißen.“ (Interview vom 19.06.2013). Eine davon zu unterscheidende Handlungslogik argumentiert stärker mit dem „retten“. Ziel ist dabei, so viele Lebensmittel wie möglich vor der Vernichtung zu retten. Die Lebensmittel dienen dann nicht nur der eigenen Versorgung, sondern werden über soziale Netzwerke weiterverteilt. Paul, der Mülltauchen auch als soziale Aufgabe versteht, beschreibt, dass er nachts vier Supermärkte „abklappert“ und noch sechzehn weitere abfahren könnte und traurig sei, wenn er so viel zurücklassen müsse (Interview vom 30.04.2013). Karl schildert, dass er mit seiner Schwester zu Beginn nur Nahrungsmittel mitgenommen habe, die sie selbst verbrauchen konnten. Den Rest hätten sie in den Tonnen gelassen. Nach zwei, drei Mal, so erzählt er weiter, hätten er und seine Schwester beschlossen, alles mitzunehmen, weil es „Schwachsinn“ sei, Lebensmittel in den Tonnen zurückzulassen. Sie fingen an, „die Obstkisten, die da ʼrumliegen haufenweise und wo wir das Essen reingetan haben, und das Zeug, was wir selbst nicht brauchen, ins Treppenhaus zu stellen.“ (Interview vom 13.06.2013). Eine Nachbarin habe ihnen dann ein Regal in das Treppenhaus gestellt, sodass sie einen „richtigen kleinen Gemischtwarenladen im Treppenhaus“ hatten: „Das war auch perfekt, weil sich die Nachbarn, wenn sie hoch kamen, konnten sie sich immer herausnehmen, was sie brauchten. Da hatten wir die beste Verteilungsquote. Da ist fast alles weggegangen, was wir geholt haben.“ (Interview vom 13.06.2013)
Dass die Mülltaucher_innen mehr mitnehmen, als sie selbst verbrauchen können, deutet auf ihre politische Motivation hin. Das Retten von Lebensmitteln steht im Vordergrund und wird angesichts knapper natürlicher Ressourcen und Verschwendung als sinnhaft interpretiert. Karl entwickelt dabei auch kreative Strategien im Umgang mit Überfluss, in dem er über ein Regal Lebensmittel weiterverteilt. Deutlich wurde, dass Mülltauchen zur Materialisierung von Überfluss beiträgt. Mülltonnen werden zu Orten der Verschwendung, wo sie sinnlich und körperlich erfahrbar wird. Dabei können die in Mülltonnen liegenden Lebensmittel
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als Akteure und als Materialisierung einer komplexen Infrastruktur von Gesetzen, Normen, Wirtschaftsinteressen, Wertzuschreibungen und Technologien gedeutet werden. 132 Die Mülltaucher_innen reflektieren die hegemonialen Ordnungs- und Kategoriesysteme, die zu Lebensmittelabfall führen. Sie verändern den Status von Abfall und Nahrungsmitteln, indem sie den Müll sortieren, ihm Identität geben und noch genießbare Dinge aus den Mülltonnen nehmen, ihnen also einen anderen Ort geben. Das Reinigen der Funde kann als Ritual gedeutet werden, dass zur Transformation von Abfall in genießbare Lebensmittel beiträgt. Der Wert von Nahrung ist nicht wie aus einer wirtschaftlichen Perspektive durch den Warencharakter geprägt, sondern durch sinnliche Deutungsmuster gekennzeichnet. Ob etwas noch essbar ist, bewerten die Mülltaucher_innen sinnlich durch riechen, sehen, anfassen und schmecken. Sie greifen dabei auch auf kollektives Wissen zurück. Die Mülltaucher_innen managen die Lebensmittelüberproduktion, entwickeln Strategien im Umgang mit Überfluss.133 Dazu sortieren sie den Abfall in den Mülltonnen der Supermärkte. Sie geben Lebensmittel innerhalb von sozialen Netzwerken weiter und sie nutzen Praktiken des Haltbarmachens und des Verarbeitens. Sie erweitern die etablierte Objektbiograhie134: Die in den Mülltonnen liegenden Lebensmittel sind für die Entsorgung gedacht, werden also verbrannt oder für Biogasanlagen genutzt. Indem Mülltaucher_innen die genießbaren Lebensmittel aus den Mülltonnen nehmen, widersetzen sie sich der Statuszuschreibung, verarbeiten die Lebensmittel, essen sowie konservieren oder teilen sie in sozialen Netzwerken und ermöglichen damit die Nutzung von Überfluss. Der Widerstand gegen hegemoniale Konsumvorstellungen, gegen Gesetze und Normen wie Hygienevorstellungen erweitern die Handlungsräume und stellen Agency her.135 Die Ausgangspunkte der Beschäftigung mit Mülltauchen waren zwei Thesen: Erstens die Vorstellung von Containern als einer performativen Praxis des Umgangs mit knappen natürlichen und ökonomischen Ressourcen und zweitens als eine Praxis des Überflussmanagements. Zu Beginn wurde das Mülltauchen als soziale Praxis untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich die Mülltaucher_innen durch ihre Praxis sozial abgrenzen und die Praxis als Teil von Habitus136 sowie als Distinktionsmittel gedeutet werden kann. Der „Geschmack“, der den Lebensstil Bourdieu zufolge bestimmt, wird hier im zweifachen Sinne wirksam. Erstens eignen sich die Akteure durch die Praxis bestimmte Objekte an, die symbolisch 132 Vgl. Beck 2012. 133 Vgl. Abbott 2014. 134 Vgl. Kopytoff 2010. 135 Vgl. Ortner 2006. 136 Vgl. Bourdieu 1984.
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aufgeladen distinktiv wirken. Da man den Lebensmitteln spätestens nach dem Reinigen nicht mehr ansieht, ob sie aus einer Mülltonne stammen, müssen ihre Biographien narrativ hergestellt werden. Die Mülltaucher_innen müssen darüber sprechen, woher die Lebensmittel sind, damit sie distinktiv wirken. Zweitens wird der Begriff „Geschmack“ auch im tatsächlichen Sinne wirksam, denn die Mülltaucher_innen verleiben sich die Nahrungsmittel ein, sie essen und schmecken sie. Es wurde außerdem deutlich, dass sich über die gemeinsame Praxis eine community of practice konstituiert, in der Wissen zirkuliert, etwa über die Handlungslogik von Supermärkten, über Gesundheitsgefahren oder Spots. Da Mülltaucher_innen Gesetze brechen, Diebstahl begehen und sich den gesetzlichen Kennzeichnungen von Haltbarkeit widersetzen, können die Akteure Mülltauchen als performative Protestform konstruieren. Der Widerstand gegen etablierte Konsummuster und Vorstellungen von Abfall und Lebensmittel stellt Agency her. Die Akteure äußern Konsumkritik, die sich performativ durch das Mülltauchen zum Ausdruck bringt. Das Akteur-Netzwerk, das sich um die Praxis bildet, wurde deshalb als „Formation des Politischen“137 gedeutet. Abschließend standen die konkreten Materialisierungen, die Lebensmittel und Mülltonnen, im Fokus. Mülltaucher_innen deuten die vormals als Müll kategorisierten Dinge in Nahrung um. Dieser Statuswechsel gelingt durch Praktiken, etwa Sortieren, Reinigen und Teilen, durch Kategorisierungen und den Ortswechsel. Das Mülltauchen kann dabei die etablierte Vorstellung von Objektbiographien erweitern, weil es den linearen Verlauf von Nicht-Verkauf und Entsorgung durchbricht. Mülltaucher_innen entnehmen Nahrungsmittel aus dieser Kette, verwerten, essen und teilen sie. Dabei zirkulieren die Nahrungsmittel zwischen unterschiedlichen Akteuren. Deutlich wurde durch die Feldforschung, dass Mülltaucher_innen den Umgang mit Nahrungsmitteln politisieren und auf den Verbrauch von natürlichen Ressourcen durch die Produktion von Lebensmitteln verweisen. Verschiedene Akteure problematisieren dabei die Verknappung von natürlichen Ressourcen in Form von Nahrung vor allem im Kontext der massenhaften Verschwendung, die auf Grund von Gesetzen, Normen, Produktionsstrukturen ferner bedingt durch die Vergänglichkeit138 schnell zu Müll werden. Knappheit konstituiert sich hier aus der Wahrnehmung und Deutung von Überfluss. Die gesellschaftliche Kritik an Lebensmittelverschwendung verweist auf die normative Vorstellung des richtigen Umgangs mit knappen natürlichen Ressourcen. Die Mülltaucher_innen übersetzen die Diskurse in Handlungen, in Protestaktionen, in die Aufwertung von Lebensmitteln und in das Mülltauchen. Im Mülltauchen drückt sich auch die 137 Vgl. Adam und Vonderau 2014b. 138 Vgl. Thompson 1981.
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Verknappung von ökonomischen Ressourcen aus: Es ermöglicht den Konsum von Lebensmitteln ohne die Aufwendung von Geld und kann dadurch auch als Sparpraxis gedeutet werden. Durch das Mülltauchen als alternative Form von Konsum werden ökonomische Begrenzungen überwunden. Dabei kann durch die politische Dimension eine Umdeutung stattfinden: Mülltaucher_innen agieren nicht aus Bedürftigkeit, sondern aus Protest. Sie können ihr Handeln dadurch gesellschaftlich legitimieren und als Beitrag zum Ressourcenschutz kontextualisieren. Die ökonomischen Begrenzungen, denen sich die vornehmlich jungen und studentischen Mülltaucher_innen mit einem knappen Haushaltsbudget gegenüber sehen, verursachen hier nicht eine soziale Ausgrenzung aus einer konsumorientierten Gesellschaft, sondern führen innerhalb der spezifischen sozialen Gruppe der community of practice zu sozialer Vernetzung und dem Erleben von Gemeinschaft. Mülltauchen kann als Überflussmanagement gedeutet werden. Erstens führt der gesellschaftliche Umgang mit Lebensmitteln zu Überfluss und Müll. Durch das Retten der noch genießbaren Lebensmittel deuten die Diver den Müll um und reduzieren den Überfluss. Mülltaucher_innen sortieren und hierarchisieren den Überfluss: Essbares nehmen sie mit, Abfall bleibt in den Tonnen.139 Zweitens entsteht auf einer individuellen Ebene durch das Mülltauchen ein Überfluss in den Küchen und Zwischenlagern. Durch kreative Strategien managen die Mülltaucher_innen diesen, kochen beispielsweise experimentell sowie kreativ für sich und für Freunde, nutzen Konservierungsmethoden, teilen ihre Funde und nutzen dafür technische Infrastrukturen wie Facebook-Gruppen oder die Foodsharing-Plattform. Wie bisher deutlich wurde, sind die drei Forschungsfelder durch normative Deutungsmuster, die Konstituierung von Knappheit und durch Strategien des Überflussmanagements gekennzeichnet. Nachdem die drei Felder bisher einzeln für sich betrachtet und die spezifischen Akteure, Deutungen und Praktiken beschrieben und analysiert wurden, soll im Folgenden das analytische Konzept der Infrastrukturierung für die vergleichende Perspektive fruchtbar gemacht werden, um damit die gesellschaftliche Einbettung der Praxen interpretativ zugänglich zu machen.
139 Abbott 2014, S. 18.
8. Der vergleichende Blick – Infrastrukturen der Nachhaltigkeit Der vergleichende Blick – Infrastrukturen der Nachhaltigkeit „Nachhaltigkeit […] als Konzept und Problem stellt in zunehmendem Maße einen der zentralen Treiber gesellschaftlichen Wandels dar“1, konstatiert der Kulturanthropologe Jörg Niewöhner in seinen Überlegungen zu Infrastrukturen der Nachhaltigkeit.2 Der Nachhaltigkeitsdiskurs als „permanenter gesellschaftlicher, politischer, wissenschaftlicher und öffentlicher Diskurs über Umwelt und die Zukunft der Gesellschaft“3 ist von unterschiedlichsten Akteuren mit unterschiedlichsten Interessen geprägt. Die Auswirkungen von ressourcenschonenden Handlungen, so wird in der Nachhaltigkeits- und Klimawandeldebatte problematisiert, sind räumlich und zeitlich nicht konkret spürbar. Die Beziehung zwischen Handlung und Handlungserfolg sei nur durch wissenschaftliche Vermittlung darstellbar, nicht aber sinnlich erfahrbar. 4 Die Wahrnehmung von Klimawandel und ökologischen Krisentendenzen, die Endlichkeit von Rohstoffen oder die Verknappung von Ressourcen stehen im Widerspruch zur Expansion von Konsumgütern und der daraus wachsenden Müllproduktion. Jörg Niewöhner argumentiert, dass die normative Dimension in der Nachhaltigkeitsdebatte problematisch sei, weil die Auswirkungen von Handlungen zeitlich und räumlich in der Ferne liegen würden. Er fordert, den kulturanthropologischen Blick deshalb auf die Frage nach dem „Wie“ von nachhaltigen Transformationsprozessen zu lenken: „Die Frage danach, ,wieʻ dieser gesellschaftliche Wandel von statten geht – wo er geschieht wie gewollt, wo auf Umwegen und wo sich Widerstände zeigen – ist eine Frage
1
Niewöhner 2015, S. 490.
2
Siehe zum Begriff der Infrastruktur auch Kapitel 2.2.
3
Grunwald et al. 2001, S. 18.
4
Vgl. Welzer et al. 2010, S. 19.
252 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT nach dem Zusammenwirken von Wissen und Expertise, technologischer Innovation und regulatorischer Kontrolle in und auf soziale Alltage.“5
Das Konzept der Infrastrukturierung 6 richte den analytischen Blick auf die Transfer- und Übersetzungsprozesse von abstrakten Wissensbeständen hin zu konkreten normativen Vorstellungen. Infrastruktur meine nicht nur klassische technische Strukturen, sondern auch technologische Innovationen, Verwaltungsund Regulierungsinstrumente wie Gesetze, Verordnungen oder „unscheinbare Alltagskniffe“7. „Infrastrukturierung lenkt den Blick weg vom Artefakt hin auf die Prozesse mit denen Wissen, Umwelt, Technologie und Normativität im Alltag interagieren bzw. versammelt werden.“8 Durch Übersetzung werden Akteure in ein Netzwerk eingebunden.9 Eine Infrastruktur ist ein Netzwerk von Akteuren, deren Interessen mittels Übersetzung angeglichen und gemeinsam ausgerichtet sind. Welche Rolle spielt ausgehend von diesen theoretischen Überlegungen das Konzept von Nachhaltigkeit in den drei Feldern der Tauschpartys, der Repair Cafés und des Mülltauchens? Inwiefern deuten die Organisatoren_innen von Kleidertauschpartys und Repair Cafés sowie Mülltaucher_innen sich und ihr Handeln als Teil von gesellschaftlicher Transformation? Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit für die Akteure? Inwiefern stabilisieren sich in den Feldern Infrastrukturen? In Hinblick auf das analytische Konzept soll im Folgenden der These nachgegangen werden, dass Repair Cafés, Kleidertauschbörsen und Mülltauchen als Infrastrukturen gedeutet werden können und die gleichen Muster von Infrastrukturierungsprozessen aufweisen.10 Zunächst geht es im Folgenden um die Übersetzung zwischen Materialität und Normativität bezogen auf das im Alltag verankerte Konzept und die Idee von Nachhaltigkeit sowie bezogen auf die Übersetzung von Wissen als „soziale Aneignung, Umnutzung oder Umcodierung von kulturell codierten hegemonialen Praktiken und Diskursen“11 in konkrete Alltage. Dann steht die Konstruktion von sozialen Rollen, welche sich in den Feldern zeigen, und deren Bedeutung für 5
Niewöhner 2015, S. 490.
6
Der Begriff der Infrastruktur lehnt Niewöhner hier an das Konzept von Susan Leigh
7
Niewöhner 2015, S. 492.
8
Niewöhner 2015, 491f.
9
Belliger und Krieger 2006b, S. 39.
Star und Geoffrey Bowker aus der Wissenschaftsforschung an.
10 Siehe zu Infrastrukturierungsprozessen im Kontext von Energie und ländlichem Raum Sperling 2015 und Mutz 2015; zum moralischen Versagen von Infrastruktur siehe Vetter 2015. 11 Schönberger 2012, S. 227.
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die Infrastrukturierungsprozesse im Mittelpunkt. Dabei soll deutlich werden, dass erstens Wissen zwischen unterschiedlichen Akteuren zirkuliert, dass zweitens die sozialen Rollen und Praxen positiv konnotiert sind sowie dass drittens die Akteure, anders als es die Nachhaltigkeitsdebatte problematisiert, die Handlungsauswirkungen konkret erfahren, was mit dem Begriff der Selbstwirksamkeit beschrieben werden soll. Die Konstruktion von sozialen Rollen, die Wissenszirkulation und Wahrnehmung von Wirksamkeit sollen in Hinblick auf die Erweiterung von Handlungshorizonten, welche in theoretischen Debatten als Agency12 diskutiert wird, und mit Blick auf alle drei Forschungsfelder interpretiert werden. Zunächst geht es um die Verwendung und die Bedeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs in den drei Forschungsfeldern. Der Begriff der Nachhaltigkeit wird von den Akteuren etwa im politischen Kontext als Legitimation benutzt. In der Deutung der Kleidertauschinitiatorin Tina ist Nachhaltigkeit vor allem ein Begriff, mit dem sie Aufmerksamkeit gewinnen kann. So berichtet sie, dass sie für die Finanzierung der Tauschpartys nach öffentlicher Förderung recherchierte und das Projekt dann bei politischen Stadtteiltreffen vorgestellt habe. Erst nachdem der Begriff der Nachhaltigkeit gefallen sei, seien ihre Gesprächspartner aufmerksam geworden, woraus sie folgert, dass erst die richtigen „Keywords“ fallen müssten und die Leute dann im Kleidertausch Innovationspotential sähen (Feldnotiz vom 24.08.2013). Kerstin beschreibt im Interview Nachhaltigkeit als eine Metapher oder ein Bild, um bestimmte Ziele zu verfolgen. „Das taugt ja auch, um gewisse Aufmerksamkeit zu ziehen, oder etwas zu transportieren, aber es wird auch benutzt.“ (Interview vom 20.01.2014). Den Begriff setzt sie als „Keyword“ ebenso strategisch ein, wie das auch von Tina in Bezug auf Kleidertauschpartys artikuliert wird. Sie nutzt den Begriff für die Präsentation im politischen Rahmen, um das gemeinschaftliche Reparieren als gesellschaftlich und politisch relevant darzustellen und zu legitimieren. Die beiden Repair Café-Organisatorinnen Kerstin und Katja präsentierten die Idee der Repair Cafés am 18.10.2013 beim 9. Runden Tisch 13 der Initiative „Hamburg lernt Nachhaltigkeit“. Thematischer Schwerpunkt des Runden Tisches war die „Große Transformation“ und die nachhaltige Umgestaltung der Gesellschaft. Unterschiedliche Initiativen, wie Urban Gardening-Projekte und das Repair Café dienten als bereits existierende 12 Vgl. Ortner 2006. 13 Der Runde Tisch ist ein Zusammenschluss von Behörden, Institutionen, Netzwerken, Personen und Verbänden. Sie arbeiten an dem regelmäßig aktualisierten Hamburger Aktionsplan (HHAP). Ziel ist, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in alle Bildungsbereiche zu integrieren.
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Praxisbeispiele. In der von Kerstin vorgestellten Präsentation heißt es: „Reparieren statt Wegwerfen wird als echte Alternative erlebt und als nachhaltiges Handeln in der Gesellschaft verankert.“14 Reparieren mache Freude, die Wertschätzung für Material, Herstellungsaufwand, Technik und Reparaturwissen steige, Menschen mit handwerklichem Know-how erführen wieder Achtung und die Gemeinschaft vor Ort werde gestärkt. Reparieren trage dazu bei, Ressourcen zu schonen, Müll zu reduzieren und Energie einzusparen, so heißt es weiter in der Präsentation. Nachhaltiges Handeln bedeutet in dieser Lesart einen wertschätzenden Umgang mit Dingen, Ressourcen, Wissen und Menschen. Reparieren wird hier von Kerstin zu einer nachhaltigen Praxis konstruiert, die zur Inwertsetzung beiträgt. Deutlich wird dabei auch die Vernetzung von politischen Akteuren und Graswurzelbewegungen 15 sowie der Bedeutungszirkulation zwischen diesen. Durch die Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit können Tina und Kerstin die politische Bedeutung von Tauschen und Reparieren herstellen. Das strategische Einsetzen schafft hier den Zugang zu politischen Arenen. Im Fall der Repair Cafés ermöglicht die erfolgreiche Übersetzung im Sinne der ANT die Stabilisierung von Infrastrukturen. Die Repair Café-Organisatoren_innen können an die politischen Ziele einer nachhaltigen Umgestaltung der Gesellschaft anknüpfen, weil die politischen und zivilgesellschaftlichen Akteure das gleiche Handlungsprogramm entwickeln. Darin kann eine Begründung liegen, warum sich die Repair-Idee bundesweit ausgebreitet hat, Mülltauchen aber eine subversive Praxis bleibt. Der Zugang zu institutionalisierten politischen Feldern bleibt den Mülltaucher_innen weitestgehend verschlossen, weil sie sich juristischen und sozialen Grenzsetzungen widersetzen, indem sie Lebensmittel stehlen und Nahrungsmittel aus der Mülltonne essen. Die Akteure – Mülltaucher_innen, Supermärkte, Mülltonnen, Müllverwertungsfirmen, Gesetzgeber, Politiker, Polizisten und Landwirte − können im Sinne der ANT nicht zu „Verbündeten“ werden, kein gemeinsames Handlungsprogramm entwickeln und kein Netzwerk bilden. In den Interviews selbst verwendeten die Interviewpartner_innen Begriffe wie „maßhaltend“, „schonend“, sprachen vom „pfleglichen“ oder „bewussten“ Umgang mit Dingen und Ressourcen, anstatt das Wort „Nachhaltigkeit“ zu benutzen. Die Seniorin und Repair Café-Initiatorin Ruth verbindet mit dem Konzept Nachhaltigkeit „über den eigenen Tellerrand hinaus gucken“, nicht „dick und fett, wie die Made im Speck“ oder nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ zu leben. Deutlich wird in den Semantisierungen die soziale Dimension von nachhaltigem Handeln. Ruth kritisiert hier implizit Hedonismus und Individuali14 Siehe Repair Café-Hamburg 2013. 15 Vgl. zu neuen sozialen Bewegungen auch Haunss 2005.
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sierung. Nicht Eigeninteresse und individuelle Nutzenmaximierung, sondern der Blick auf das kollektive Wohl und auf zukünftige Generationen kennzeichne nachhaltiges Handeln: „In dem Sinne, dass wenn ich davon ausgehe, dass die Leute auch noch in 100 Jahren Glühbirnen brauchen, also irgendwelche Leuchtstoffmittel, um Räume zu beleuchten z.B. oder selbst wenn es bis dahin Raumschiffe geben sollte, auch die brauchen Licht, also musst du doch in der Lage sein, das zu produzieren und wenn du keine Rohstoffe hast, diese Lampen, was immer das ist, zu produzieren, weil die Rohstoffe nicht da sind, dann ist das sehr schnell, sehr endlich und das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedeutet, dass ich dann schon auch über längere Passagen oder Jahreszeiträume so wirtschafte, dass ich mit dem, was vorhanden ist, eine längere Zeit auch einfach auskomme und nicht jetzt aus dem Vollen und so schnell und schnell viel Geld machen, wie ich will, ohne darauf zu gucken, wie lange kann ich das noch machen. […] Und wenn ich merke, es gibt schon starke Begrenzungen in Rohstoffen, die wir aber dringend brauchen, z.B. um Leuchtmittel herzustellen, ist es doch nicht sinnvoll zu asen, wieʼn Blöder und zu sagen, ist nicht mein Problem, wat die andern in 30 Jahren damit machen. Oder sich darauf verlassen, dass sie schon was Neues finden oder sowas. Die werden sicher was Neues finden.“ (Interview vom 19.03.2013)
Nachhaltiges Handeln umfasst für Ruth, die Endlichkeit von Ressourcen beim Wirtschaften mitzudenken. Faktisches Handeln müsse die zukünftigen Folgen berücksichtigen. Diese Dimension schließt an die im wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskurs verhandelte Generationsgerechtigkeit an.16 Ruth fordert nicht einen verschwenderischen, sondern einen sparsamen und langfristig orientierten Umgang mit Dingen und Rohstoffen, der zum richtigen Haushalten gehöre. Nachhaltigkeit meint für sie, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, damit zukünftige Generationen ausreichend Ressourcen zur Befriedigung von Bedürfnissen haben. Sie kritisiert des Weiteren die Technikgläubigkeit, dass also durch technische Entwicklungen Begrenzungen überwunden und Endlichkeit damit transzendiert werden könne, obwohl sie davon ausgeht, dass die „sicher was Neues finden“ und sich hier „Fortschrittsgläubigkeit als Technik-Gläubigkeit“17 zeigt. Den Widerspruch − auf der einen Seite hat sie das Vertrauen in die Problemlösung durch Technik und auf der anderen Seite kritisiert sie die Strukturen, die zu den Problemen führen und welche gerade durch technische Entwicklungen entstehen − löst Ruth nicht auf. Sie kritisiert die kurzfristige Per-
16 Grunwald und Kopfmüller 2012, S. 27. 17 Hengartner und Rolshoven 1998, S. 22.
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spektive sowohl in Hinblick auf wirtschaftliche Interessen, das „schnell viel Geld machen“, als auch in Hinblick auf das politische System: „Jaja, aber du siehst ja schon, dass ist eine Grundannahme, dass beim Haushalten oder bei der Politik müsste das so sein, dass sie eben nicht nur bis zum Ende der Wahlperiode denken, vier Jahre und nach mir die Sintflut, sondern eben wirklich mehr gucken, was ist wichtig für die ganze Nation, für die meisten Leute und wie kann ich sicher stellen, dass nicht jetzt alles in den vier Jahren auf den Kopf gehauen wird und hinterher können sich die anderen damit rumschlagen, gucken, wie sie das reparieren. […] Aber es ist heute nicht mehr selbstverständlich, das wollte ich eigentlich nur sagen. Wer Haushalt führt, guter Haushalter, das musste man früher sein, weil man wenig Geld hatte und es auch nicht viel gab, also Nachkriegszeit denke ich jetzt mal, oder Folgezeit, da gehörte das selbstverständlich dazu, dass du natürlich nachhaltig warst. Den Begriff brauchtest du da gar nicht. Aber dadurch, dass es jetzt offensichtlich völlig kritiklos möglich ist, ʼrumzuasen, sage ich einfach mal, und zu verschwenden und nicht mehr bis morgen zu denken, geschweige denn übermorgen, wird das natürlich als fehlender Begriff wieder eingeführt oder ist ja auch soʼn merkwürdiger Begriff, den man ja kaum im Sprachgebrauch hat und der sich auch soʼn bisschen mechanisch anfühlt oder irgendwie so. Oder was ist das eigentlich? Aber das ist eigentlich die normalste Sache der Welt, die eben heute nicht mehr berücksichtigt wird und heute nicht mehr normal ist.“ (Interview vom 19.03.2013)
Ruth äußert erstens Kritik an dem politischen System. Durch Wahlperioden werde die Verantwortung für die „Nation“ zeitlich begrenzt. Diese Begrenzung führe dann zum „Rumasen“ und zum „Verschwenden“. Sie kritisiert, dass das richtige Haushalten mit vorhandenen Ressourcen auf Grund von politischen Interessen nicht möglich sei. Ruth unterscheidet zweitens zwischen Nachhaltigkeit als Praxis und Nachhaltigkeit als Begriff. Sie reflektiert aus der Erfahrung der Nachkriegsgeneration, zu der sie sich selbst zählt, dass sparsames Wirtschaften „selbstverständlich“ sei, dass aber spezifische wirtschaftliche und politische Interessen dem entgegenlaufen würden. Diese Interessen, die zu Verschwendung und Überfluss führen, sind für sie die Begründung, warum der Begriff der Nachhaltigkeit erst wieder eingeführt werden musste. Nachhaltiges Handeln als gutes und langfristiges Haushalten rekonstruiert sie aus einer biographischen und historischen Perspektive. Der Begriff sei „mechanisch“ und bleibe inhaltslos, wenn sie fragt: „Was ist das eigentlich?“. Die Praxis sei aber „die normalste Sache der Welt“. Auch wissenschaftliche Studien stellen heraus, dass die Bekanntheit des Konzeptes Nachhaltigkeit gesunken, das allgemeine Umweltbewusstsein aber gestiegen sei.18 Eine nachhaltige Praxis als sparsamer Umgang mit Ressourcen 18 Kuckartz und Rheingans-Heintze 2006, S. 71.
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und Haushalten in einer langfristigen Perspektive sind für Ruth Aspekte ihres Lebensstils und ihres Wertehorizontes. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ stellt in diesem Sinne einen Gegenbegriff dar, dessen Einführung auf gesellschaftliche Entwicklungen verweist, die zu Verschwendung und kurzfristigen Perspektiven führen. Der Mülltaucher Karl problematisiert nicht wie Ruth die Einführung eines Begriffs, dessen Bedeutung „selbstverständlich“ sein sollte, sondern dass der Begriff Nachhaltigkeit zu „abstrakt“ und „abgehobenen“ sei. „Da können sich die Leute weniger darunter vorstellen, als wenn du einfach sagst: ‚Es wandern jeden Tag so und so viele Tonnen genießbare Lebensmittel in die Mülltonne.ʻ Das ist plastischer und besser vermittelbar als: ‚Das ist nicht nachhaltig und kommende Generationen werden auf Grund unseres Konsumverhaltens möglicherweise die Erde nicht mehr so bewohnen können oder nicht mehr in dem Luxus leben können oder Komfort, wie wir es tun. Es wird alles untergehen, die Gesellschaft zusammenbrechen.ʻ Das sind alles zu große Dimensionen.“ (Interview vom 13.06.2013)
Karl verweist darauf, dass im Gegensatz zu dem Begriff von Nachhaltigkeit die Kritik an dem Entsorgen von noch genießbaren Lebensmitteln sozial anschlussfähiger sei. Der konkrete Bezug im Hier und Jetzt sei einfacher zu vermitteln, als das abstrakte Wissen über die zukünftigen Auswirkungen, die der Begriff der Nachhaltigkeit umfasst. Niewöhner verweist auf das Problem im Nachhaltigkeitsdiskurs, dass Wissen über zeitlich und räumlich ferne Konsequenzen kaum auf das Handeln im Hier und Jetzt wirke.19 Die Aussage von Karl macht deutlich, dass er diesen Widerspruch überwindet, indem er Normativität konkret in Materialisierung übersetzt und darauf verweist, dass genießbare Lebensmittel im Müll landen. Dabei kann er an die normativen Vorstellungen zum Wegwerfen anschließen, wobei Nahrungsmittel als gesellschaftlich wertvoll betrachtet nicht in den Müll gehören.20 Obwohl die Repair Café-Organisatorin Kerstin in der Präsentation im Zuge des Runden Tisches in Hamburg Nachhaltigkeit als Begriff verwendet, thematisiert sie im Interview ihre Kritik an dem Wort. Durch die Nutzung für alle möglichen Felder sei seine Bedeutung so diffus, dass sie den Begriff nicht mehr benutzen wolle. „Ich verbinde mit dem Repair Café einen bewussten Umgang mit Dingen, bewussten Umgang mit Werten. Mit Menschen umgehen sollte man nicht mit Dingen vergleichen und 19 Niewöhner 2015, S. 491. 20 Vgl. Schrutka-Rechtenstamm 2000.
258 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT auf eine Ebene stellen, aber anders ausgedrückt ist es das auch. Auch eine andere Art, mit Menschen umzugehen. Letztendlich kannst du fast alles aus dem Bereich, wo Nachhaltigkeit drauf geschrieben wird, auch unter diesen Aspekten bewerten. Da steht immer dahinter, die Natur zu respektieren, sinnvoll maßhaltend mit Material, mit Ressourcen umzugehen. Also das Repair Café hat den Vorteil, das es so eine ganz alltägliche Möglichkeit bietet für jeden (betont) aus einem persönlichen Bedarf heraus, was sinnvolles zu tun. Es ist einfach eine Win-Win-Situation für alle. Das kannst du natürlich auch mit dem Etikett ‚nachhaltigʻ belegen. Aber ich finde, das Wort hat einen seltsamen Höhenflug erreicht und ist bisschen überbelastet.“ (Interview vom 20.01.2014)
Kerstin kritisiert den „Höhenflug“ und dass verschiedenste Praktiken unter den Begriff beschrieben werden können. Die Idee von Nachhaltigkeit bedeute für sie einen bewussten und „sinnvoll maßhaltenden“ Umgang mit Dingen, Ressourcen und Menschen. Repair Cafés sieht sie als Möglichkeit, diese Wertschätzung von Dingen in Handlungen zu übersetzen. Sie bezieht hier sowohl die Natur mit ein, die es „zu respektieren“ gelte, als auch die Wertschätzung gegenüber Menschen. Ihre Deutung schließt dabei an zwei der drei im Nachhaltigkeitsdiskurs unterschiedenen Ebenen von Nachhaltigkeit an: die ökologische und soziale Dimension.21 Die soziale Dimension setzt sie in Verbindung mit dem Ehrenamt und der „Win-Win-Situation“. Besuchende, Reparateure_innen und Organisatoren_innen gewinnen durch das Konzept der Repair Cafés: etwa in Form von reparierten Geräten, dem Zuwachs an Wissen oder sozialer Anerkennung. Das gemeinschaftliche Reparieren, so die Deutung von Kerstin, ermöglicht, das normative Konzept von Nachhaltigkeit in der eigenen Lebenswelt und im Alltag umzusetzen. Wie Kerstin betonen auch die Kleidertauschorganisatorinnen Tina und Jule, dass sie „skeptisch“ dem Begriff gegenüber seien. Nachhaltigkeit bedeutet für sie, dass die Kleidung im Umlauf bleibe, das Kleidung, zwar für den einen nicht mehr tragbar, dennoch nicht weggeschmissen oder in „fragwürdige“ Kleiderspendencontainer geworfen werde, sondern bedeute, „wirklich dann nachhaltig das Zeug in die Hand zu nehmen und zu tauschen“ (Interview vom 15.05.2013). Eine Infrastruktur, in der Kleidung durch Tauschen zirkuliert, kann damit als nachhaltig gedeutet werden. Eine möglichst lange Nutzungsbiographie22, so lässt sich ihre Deutung verstehen, ist angesichts der sozialen und ökologischen Folgen der Kleidungsproduktion sinnvoll:
21 Grunwald und Kopfmüller 2012, S. 46–52. 22 Vgl. Kopytoff 2010.
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„Dann ist das H&M-Teil vielleicht in Bangladesch produziert worden mit ʼnem Billiglohn und Chemikalien ohne Ende und Arbeitsbedingungen, […] aber du hast aus diesem Kleiderstück noch mal was gemacht, dass es nicht so viel nachproduziert werden muss, theoretisch, […] aus dieser Misere, wie es produziert wird, ist noch was Schönes entstanden. Das ist dann also Nachhaltigkeit. Eigentlich wäre das ja was ganz anderes. Dass es schon mal gar nicht so produziert worden ist, aber wir versuchen halt, dass irgendwie im Kreislauf zu halten. Nachhaltig bedeutet für uns auch, ohne dass wir uns das jetzt irgendwie großartig abgesprochen haben, aber das gehört eher wieder zur Haltung auch, dass wir auch eine schöne Zeit miteinander haben und dass diese Gemeinschaft, die daraus entsteht, dass die auch den Konsum, den es bisher gab, kritisch hinterfragt. Also eben dieses, was alles dazu gehört. Dass, was von den Skeptikerinnen, die am Anfang kommen und fragen, wie läuft das denn hier mit dem Tausch? Und wenn ich fünf Sachen bringe und wie könnt ihr mir denn gewährleisten, dass ich fünf Sachen wieder mitnehme? Um dann zu merken, aha, hier geht’s gar nicht um dieses Wirtschaften, wie ich es kenne, ich lege fünf Euro auf den Tisch und kriegʼ dafür zwanzig Brötchen und das bestimmt den Markt, das ist an jeder Ecke, bei jedem Bäcker ungefähr gleich. Sondern ich bestimme es selber mit. Ich lasse los und bin vielleicht auch auf andere Weise dann zufrieden oder glücklich und konnte teilen und tauschen usw. und das ist, glaub ich, auch ein Teil, würde ich jetzt so sagen, dass wir das auch so sehen, im Sinne von das hat einen Nachhall. Das ist etwas, daraus erwächst auch unsere Community. Also nicht nur das Kleidertauschen sowieso was ist, was ja mehr und mehr berühmter und bekannter und beliebter und hipper und iner wird. Sondern dass das auch so ʼne Begeisterung hervorruft.“ (Interview vom 15.05.2013)
Kleidertausch solle „anregen“ und sei damit nicht nur nachhaltig, weil damit Kleider länger im Kreislauf gehalten würden, sondern auch, weil darüber eine Gemeinschaft entstehe. In diesen sozialen Netzwerken zirkulieren Vorstellungen eines anderen Wirtschaftens, die auf Partizipation, Reziprozität und Gemeinschaft basieren, so die Deutung von Jule. Nachhaltigkeit zeigt sich in der Interviewpassage also auf dreifacher Weise: Einmal geht es um Kreislaufvorstellungen, wobei Ressourcen lange genutzt werden sollen. Zweitens deutet Jule an, dass Nachhaltigkeit „eigentlich“ bedeute, dass die Kleidung unter nachhaltigen Bedingungen – ohne „Billiglohn“ und „Chemikalien ohne Ende“ − produziert werde, was sie anhand der H&M-Kleidung als Gegenbeispiel verdeutlicht. „Eigentlich“ bedeute Nachhaltigkeit nicht Tauschen, sondern die Produktion von Dingen unter nachhaltigen Bedingungen. Jule geht davon aus, dass die Produktionsbedingungen und deren Un-Nachhaltigkeit allgemein bekannt und kritisiert werden. Drittens bedeute Nachhaltigkeit, dass die Erfahrungen einen „Nachhall“ haben, „anregen“ und damit zum Umdeuten von eingeübten Konsumpraxen führen sollen.
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Auch die Aussage des Studenten Martin, der regelmäßig containert, verweist auf die mehrdimensionalen Bedeutungen, die er seiner Praxis zugrunde legt: „Ich mach‘s eigentlich aus Eigennutz, damit ich weniger Geld ausgebe, aber die Nachhaltigkeit, die ich dabei praktiziere, ist auch ein Grund, warum ich mich gut fühle, oder warum ich sage: ,Leute geht Containern, weil ihr spart Geld, es ist nachhaltig und so.ʻ Ich glaube, viele machen‘s einfach, um Geld zu sparen. Also Nachhaltigkeit ist auch ein Grund, aber nicht der größte.“ (Interview vom 19.06.2013)
Die Handlungsgrundlagen sind für Martin die knappen ökonomischen Ressourcen als Student und erst im zweiten Schritt dient Nachhaltigkeit als moralische Legitimation. Nachhaltiges Handeln führe dazu, dass er sich „gut fühlt“. Auf diese emotionale Dimension verweist auch Jule, wenn sie Tauschen und Teilen als nachhaltige Praxen damit verbindet, dass diese „vielleicht auch auf andere Weise dann zufrieden oder glücklich“ machen würden. Die Bedeutung von nachhaltigem Handeln ist auf Grund der Normativität emotional aufgeladen.23 Mülltauchen und Tauschen sorgen für ein gutes Gewissen. Normativität wird hier von den Akteuren in mobilisierende Emotionspraktiken übersetzt. Tauschen und Mülltauchen als Praxis rufen Gefühle hervor, weil sie als nachhaltig und damit als gesellschaftlich wichtig gedeutet werden. Die Repair Café-Organisatorin Ruth beschreibt im Interview, dass man durch die Einschätzung und die Expertise der Reparateure_innen die Dinge mit gutem Gewissen wegwerfen könne, wenn sie nicht mehr zu reparieren seien. Entsprechendes Reparaturwissen führt ihrer Deutung nach dazu, dass nur Müll entsteht, der nicht mehr zu vermeiden ist. Nachhaltiges Handeln ist damit auch die bewusste Vermeidung von Verschwendung. Zusammenfassend ist Nachhaltigkeit in den drei Feldern auf verschiedenen Ebenen von Bedeutung ferner auch als Praxis und Idee in den Alltag verankert. Im Alltagsverständnis kann Nachhaltigkeit mit verschiedenen Inhalten gefüllt werden, gerade weil der politische Begriff ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen in einem normativen Konzept zu vereinen versucht.24 Der Begriff oder das „Etikett“, wie Kerstin es beschreibt, eignet sich für die Beschreibung unterschiedlicher Praxen. Nachhaltigkeit wird von den Organisatoren_innen und Mülltauchern_innen strategisch eingesetzt, um gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu gewinnen: Erstens als Begriff und Keyword sowie zweitens als Praxis, die, als nachhaltig interpretiert, positiv konnotiert ist. Die Einführung 23 Vgl. Scheer 2016. 24 Vgl. zu den Dimensionen von Nachhaltigkeit und zu ihrer Gewichtung Grunwald und Kopfmüller 2012, S. 54.
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des die Langfristigkeit betonenden Begriffs verweist auf die kurzfristige Perspektive von wirtschaftlichen und politischen Akteuren, so eine mögliche Deutung. Nachhaltiges, wirtschaftliches Handeln umfasst den sparsamen und nicht verschwenderischen Umgang mit Ressourcen. Der Begriff der Nachhaltigkeit verweist außerdem auf die Kreislaufvorstellung im Umgang mit Dingen, die durch Tauschen, Reparieren und Retten in Handlungen übersetzt werden kann. Nachhaltiges Handeln meint für die Akteure des Weiteren, in sozialen Gruppen Wissen zu teilen und Gemeinschaft zu erleben. Dies hat, auch auf Grund der normativen Aufladung des Begriffs, eine emotionale Dimension. Die Übersetzung von Akteuren − Organisatoren_innen von Tauschpartys und Repair Cafés sowie Mülltaucher_innen – und Dingen – Kleidung, Gebrauchsdinge, Nahrungsmittel – produziert Netzwerke, die durch Wissen und Normativität – etwa Nachhaltigkeit als Begriff und Idee – geprägt sind. Das Wissen über zeitlich und räumlich entfernte Konsequenzen von Handeln, aber auch konkrete, faktische Auswirkungen – das Entstehen von sozialen Netzwerken, das Gefühl eines guten Gewissens, das Geldsparen − sind für die Akteure bedeutsam. Ausgehend von dem alltagskulturellen Verständnis von Nachhaltigkeit soll es im Folgenden um die Bedeutung von Rollenkonstruktionen im Diskurs über Nachhaltigkeit gehen. Deutungsmächtige Akteursgruppen, wie Wissenschaftler, Politiker und Medien, werten bestimmte Verhaltensmuster und soziale Rollen auf. Die von mir untersuchten Akteursgruppen handeln in diesen sozialen Rollen − wie zu zeigen sein wird −, deshalb können sie ihre Praktiken als gesellschaftlich gleichwohl in den Feldern unterschiedlich positiv konnotiert wahrnehmen. Im wissenschaftlichen und politischen Nachhaltigkeitsdiskurs herrscht keine Einigkeit darüber, was Nachhaltigkeit konkret bedeutet: Nachhaltigkeit wird zum Beispiel als Umbau zu einer Green Economy25, als kultureller Wandel26, als kulturprägendes Merkmal 27 , als politisch-gesellschaftliches Reflexionsinstrument28 oder als Kulturkritik29 diskutiert. Es zeichnet sich aber ab – und darauf verweisen auch die genannten Perspektiven –, dass die kulturelle Dimension von Nachhaltigkeit im Diskurs verhandelt wird.30 Immer häufiger fordern Autoren
25 Vgl. B.A.U.M. e.V.: Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management 2013. 26 Vgl. Kagan 2012. 27 Vgl. Mitschele und Scharff 2013. 28 Lange 2008, S. 10. 29 Vgl. Parodi 2010. 30 Vgl. Banse et al. 2011 und Grabe 2010.
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eine Kultur der Nachhaltigkeit.31 Unsere Gesellschaft könne sich laut Leggewie und Welzer nur an die gewandelten Umwelt-, Klima- und Politikbedingungen anpassen, wenn sie eine Kultur der Nachhaltigkeit entwickle: ein Referenzsystem, das einen Werte- und Praxiswandel zulässt. 32 Nachhaltigkeit ist für die Kommunikationswissenschaftlerin Larissa Krainer ein „normatives Ziel“ 33 und eine „regulative Idee“34: „Insofern gilt es, ein Übergangsmanagement zu entwickeln, das uns den Weg zu einer Kultur der Nachhaltigkeit weist.“ 35 Krainer stellt dabei die Frage, was Wissenschaft beim Umbau der Gesellschaft beitragen und wie sie diesen Umbau mitgestalten könne. Nicht durch Wissenschaft, sondern durch Vorbilder und Change Agents 36 könne kultureller Wandel initiiert werden, so Leggewie und Welzer. Diese Agenten des Wandels würden als Rollenmodelle wirken und verbreiteten Innovation, indem sie Weltbilder erschüttern, Einstellungs- und Verhaltensmuster herausfordern und bei anderen Motivation schaffen würden.37 Im Gegensatz zu dem Konzept der kulturellen Nachhaltigkeit von Krainer orientieren sich Leggewie und Welzer nicht an einem politischen Begriff von Nachhaltigkeit, sondern betonen die Alltagswirksamkeit. 38 Der Sozialwissenschaftler Davide Brocchi kritisiert, dass es trotz der Konferenzen, Studien und Aufrufe zur nachhaltigen Entwicklung an der konkreten Um31 Einen Überblick zu den Tagungen und Publikationen zum Teildiskurs „Kultur und nachhaltige Entwicklung“ von 2001 bis 2003 bietet Kuhn 2008, S. 107; Im Teildiskurs zur Kultur und Nachhaltigkeit finde keine Auseinandersetzung mit den cultural studies bzw. mit kulturwissenschaftlichen Debatten statt, kritisiert die Kulturwissenschaftlerin Katina Kuhn (Kuhn 2006, S. 33). 32 Leggewie und Welzer 2009, S. 52. 33 Krainer und Trattnigg 2007, S. 9. 34 Krainer und Trattnigg 2007, S. 9. 35 Krainer und Trattnigg 2007, S. 11; Die Universität Klagenfurt hat 2007 das „Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit“ eingerichtet. In Klagenfurt soll Ziel der Interventionsforschung sein, wissenschaftlich produziertes Wissen in Praxisfeldern einzubringen und zu überprüfen. Ebendiese Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis sei auch in der Debatte um kulturelle Nachhaltigkeit notwendig und so verpflichte sich laut Krainer das Institut „zur Arbeit an der Praxis durch Forschung“ (Krainer und Trattnigg 2007, S. 24) und zur Weiterführung theoretischer Debatten. 36 Der Sozialwissenschaftler Hans Dielemann sieht Künstler als Change Agents (Vgl. Dielemann 2008). 37 Leggewie und Welzer 2009, S. 149. 38 Welzer etwa gibt in seinem populärwissenschaftlichen Sachbuch Anleitungen für ein nachhaltiges Alltagshandeln (siehe Welzer 2013).
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setzung der sozialen und ökologischen Ziele und an praktischen Erfahrungen fehle. „Es gibt kaum Nachhaltigkeitslabore [Hervor. i. O.], in denen alternative Lebensweisen möglich sind und weiterentwickelt werden.“39 Von „Nachhaltigkeitspionieren“40 könnten aber gesamtgesellschaftliche Lernprozesse ausgehen, so Brocchi. Dass sich Werthaltungen und Handlungsmuster verändern müssten, diagnostiziert auch Oliver Parodi.41 Nachhaltigkeit sei ein vager bis konkreter Gegenentwurf zu herrschenden Verhältnissen und beinhalte so auch immer sozial-ökologische Kritik. Nachhaltigkeit sei impliziter Moment einer Lebensphilosophie und die Möglichkeit einer umfassenden individuellen Orientierung und eines Lebensentwurfes, vergleichbar mit Religion, so Parodi. Die Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung müssen in dieser Lesart subjektiv bewältigt werden.42 Neben politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen stellt nachhaltige Entwicklung eine soziale Herausforderung dar, die über kulturelle Umdeutungen stattfinden müsse: In Nachhaltigkeitslaboren sollen Change Agents Konsum-, Arbeits- und Lebensformen ausprobieren, um gesamtgesellschaftliche Lernprozess anzustoßen, so der Kanon in der Debatte zur kulturellen Nachhaltigkeit. Doch wer bestimmt in diesem Diskursfeld, wer ein Change Agent oder was ein Nachhaltigkeitslabor ist und wer oder was nicht? Wer bestimmt, welche Rollenmodelle als Vorbild dienen und in welchem Kontext? Welches Verhalten eignet sich aus wessen Perspektive mehr als Rollenmodell? Sind die Akteure in Repair Cafés bessere Rollenmodelle als Mülltaucher_innen, weil letztere Gesetze brechen, um sich gegen Lebensmittelverschwendung einzusetzen? Deutlich wird dabei zum einen, dass nachhaltige Entwicklung oder eine Große Transformation normative soziale Konstruktionen sind, durch die zwischen guten und schlechten Verhaltensweisen oder etwa erwünschten und unerwünschten Utopien unterschieden wird. Die Deutungsmuster, so soll später noch gezeigt werden, sind an den Übersetzungprozessen in den Akteur-Netzwerken und an der Stabilisierung von Infrastrukturen beteiligt. Zweitens werden hier Machtverhältnisse deutlich. Wissenschaftliche Akteure konstruieren soziale Rollen, die sie mit ihrer Deutungsmacht auch gesellschaftlich etablieren und aufwerten. Aus einer de39 Brocchi 2008, S. 6. 40 Brocchi 2008, S. 6. 41 Parodi ist Initiator und Leiter des Projektes „Quartier Zukunft − Labor Stadt“, bei dem ein Stadtteil von Karlsruhe mit wissenschaftlicher Begleitung u.a. durch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in ein nachhaltiges transformiert werden soll (siehe quartierzukunft.de). 42 Siehe zu den sozialen und psychologischen Aspekten einer Kultur der Nachhaltigkeit aus psychologischer Perspektive im Kontext von Ökodörfern Wagner 2014.
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konstruierenden und gesellschaftspolitischen Perspektive bleiben drittens die widersprüchlichen Motive und widersetzlichen Handlungslogiken von Akteuren als Change Agents in konkreten Alltags- und Lebenswelten bisher empirisch unterbeleuchtet. Die von mir untersuchten Akteure übernehmen eben jene sozialen Rollen, die im Nachhaltigkeitsdiskurs den Change Agents zugesprochen werden: Sie engagieren sich ehrenamtlich, um gesellschaftlichen Wandel zu bewirken. Die Organisatoren_innen von Repair Cafés und Kleidertauschpartys sowie Mülltaucher_innen (re-)produzieren soziale Rollen, die gesellschaftlich aufgewertet sind. Diese Aufwertung, so soll im Folgenden gezeigt werden, ist erstens Folge der wissenschaftlichen, politischen und medialen Diskurse, zweitens Folge der gesellschaftlichen Aufwertung von ehrenamtlicher Tätigkeit und drittens durch die Selbstdeutung der Akteure geprägt. In den drei Forschungsfeldern treffen zwei Dimensionen zusammen: einmal die dargestellte Vorbildfunktion von „Nachhaltigkeitspionieren“43 und zweitens das gesellschaftlich positiv konnotierte Konzept von ehrenamtlicher Arbeit. Pioniere, Vorreiter und „Lebensstil-Avantgarden“ 44 sollen den Weg hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft vorbereiten, so das Narrativ im Nachhaltigkeitsdiskurs. Die politikwissenschaftliche Debatte beschreibt diese Akteure als social oder civil entrepreneurs.45 Diese machen ein gesellschaftliches Problem aus und entwickeln selbstständig ein Angebot, das einen sozialen Mehrwert hat. Ziel des social entrepreneurs sei der Politikwissenschaftlerin Tine Stein zufolge, dass sich seine Idee gesellschaftlich verbreitet und Nachahmung findet, sodass ein als gerechter wahrgenommener gesellschaftlicher Zustand erreicht wird. „Bei der Realisierung setzt er [der social entrepreneur, Anm. MG] seine persönlichen Fähigkeiten ein: Ideenpotential, Kreativität, Risikobereitschaft, Wissen und Engagement.“ 46 Den Unterschied zum ökonomischen Unternehmer sieht Stein in der Wertschöpfung, die auf den sozialen Mehrwert ausgerichtet sei. Das Konzept konstruiert eine soziale Rolle, bei der die „empowered subjects“47 gesellschaftliche Strukturen verändern und Handlungshorizonte erschließen. Sowohl wissenschaftliche als auch politische Akteure produzieren das positiv aufgeladene Bild der transformatorischen Kraft, die von Graswurzelbewe43 Vgl. Tauschek 2016. 44 Der Aktivist Julio Lambing, der den Begriff für sozio-ökologische Gemeinschaften bzw. Ökodörfer verwendet, differenziert in diesem Kontext den Pionierbegriff weiter in Zeit-, Ressourcen-, Raum- und Sozialpionier aus (Lambing 2014, S. 89–93). 45 Vgl. Stein 2015; siehe auch Fayolle und Matlay 2010. 46 Stein 2015, S. 111. 47 Ortner 2006, S. 151.
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gungen oder der Zivilgesellschaft ausgehen, gleichwohl politische Akteure zögerlicher als die Wissenschaft seien, deren Bedeutung in das Interessenzentrum zu stellen, wie der Ethnologe Marcus Andreas beschreibt.48 Das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) zur Großen Transformation stellt heraus, dass das Konzept der Change Agents besonders in der Diffusions- und Transitionsforschung ausformuliert sei. Pioniere des Wandels könnten „demnach Individuen sein, die auf der Mikroebene als Leitfiguren und Rollenmodelle Reputation und Vertrauen gewinnen und auf der Mesoebene als überschaubare Gruppen (z.B. Lern- und Arbeitsgemeinschaften, Vereinsmitglieder, Interessengruppen, Berufsverbände, ehrenamtliche Teams) zusammenwirken.“ 49 Das Forschernetzwerk Research in Community veranstaltete 2013 in Berlin ein Symposium eigens über und mit den „Pioniere[n] des Wandels“, bei dem eben jene Pioniere sowie politische und wissenschaftliche Akteure über transformative Forschung diskutierten. Die beiden Beispiele verweisen darauf, wie Wissen als „Prozess einer permanenten Produktion, Fixierung und Transformation von Zeichen und Bedeutungen“50 hier zwischen verschiedenen Akteuren zirkuliert und dabei Rollenbilder und Praktiken (re-)produziert und normativ aufgeladen werden. Diese Wissens- und Bedeutungszirkulation wirkt dabei maßgeblich auf den Infrastrukturierungsprozess in den drei ausgewählten Forschungsfeldern. Im empirischen Material zeigten sich dabei wiederkehrende Muster51, die im Folgenden als Kennzeichen der Infrastrukturierung gedeutet werden sollen. Wie
48 Andreas 2015, S. 255–258. 49 WBGU 2011, 259f. 50 Keller 2005, S. 60. 51 In einem ähnlichen Muster konzipiert auch das Hauptgutachten des WBGU die Entwicklung von „Change Agents“: „‚Change Agentsʻ, im Folgenden als Pioniere des Wandels bezeichnet, setzen sich für bestimmte Veränderungen ein und treiben diese aktiv voran. [...] Sie verbreiten Innovationen, indem sie eine Politik des ‚Weitersowie-bisherʻ hinterfragen, eine alternative Praxis schaffen und somit etablierte Weltbilder und Pfade in Frage stellen, Einstellungs- und Verhaltensmuster herausfordern sowie bei neuen Gleichgesinnten (followers, early adopters) eine dauerhafte Motivation zum selbst tragenden Wandel schaffen. Langfristorientierung und die Überwindung von Verlust- und Risikoaversionen sind hierbei typisch. Pioniere des Wandels bewirken demnach nicht nur punktuell, also in ihrem eigenen Erfahrungsbereich Veränderungen, sondern stoßen vergleichsweise großflächige Transformationsprozesse dezentral und ‚von untenʻ an. Sie finden Nachahmer und animieren andere zur Veränderung ihrer Verhaltenspraxis.“ (WBGU 2011, S. 255).
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Belliger und Krieger 52 darstellen, beginne die Netzwerkbildung dort, wo ein Problem empfunden wird: Die Akteure nehmen gesellschaftliche Defizite oder Krisen wahr, etwa ein fehlendes Repair Café in der Nachbarschaft, keine Möglichkeit, Kleidung zu tauschen oder genießbare Lebensmittel in Mülltonnen. Sie entwickeln eine Gegenstrategie als „kulturell wirksame[n] Einspruch“53. Sie drücken dabei ihre Kritik performativ54 aus, im konkreten Entwickeln von Alternativen wie der Organisation von Tauschpartys oder Repair Cafés sowie durch das Mülltauchen. Die Akteure beginnen, spezifisches Wissen zu sammeln und sich sozial zu vernetzen. Der Hauptakteur − hier in der Rolle des social entrepreneurs − identifiziere der ANT folgend andere Akteure, die in das Netzwerk eingebunden werden sollen und versuche sie zu überzeugen, dass die Lösung ihrer Probleme in seinem Handlungsprogramm liege. Auf die hier untersuchten Felder bezogen bedeutet das: die Organisation eines Repair Cafés, die Veranstaltung einer Tauschparty, das Mülltauchen. Durch die Übersetzung passen sich die Akteure im Prozess des Interessements in ihre Rollen und Funktionen ein: Beispielsweise werden Hobbybastler zu Reparateuren_innen, Kleidung zu Tauschobjekten, Mülltonnen zum Konsumort. Die Medien werden aufmerksam, weil die Akteure etwas scheinbar Neues machen und berichten darüber. Das Interesse der Medien und der medialen Wissensverbreitung über die Praxen nehmen die Akteure als Bestätigung ihres Handelns wahr, aber auch die Rückmeldung innerhalb des sozialen Netzwerks. Die Akteure in den Netzwerken tauschen demnach Zeichen, Dinge, Rollen und Interessen. Durch die Übersetzung zwischen den Akteuren bilden sich Netzwerke, die sich durch Mobilisierung ausbreiten und neue Akteure einschließen. Die menschlichen Akteure können das Netzwerk als soziale Bewegung wahrnehmen und ihren Praxen damit größere gesellschaftliche Bedeutung zuschreiben. Die Akteure vermitteln dabei, ähnlich wie Welz und Bendix das für den Begriff der Cultural Broker55 konzeptualisiert haben, in kulturellen Übersetzungsprozessen, hier zwischen hegemonialen und alternativen Vorstellungen von Gemeinschaft, von Konsum und vom „guten Leben“. Die von mir untersuchten Akteure nehmen ihr Handeln als gesellschaftlich positiv bewertet und als sinnhaft wahr, weil ihnen eine diskursiv aufgewertete soziale Rolle zugesprochen wird. Diese soziale Rolle hängt wesentlich mit dem freiwilligen und ehrenamtlichen Tätigsein zusammen: in den Repair Cafés in sich stärker institutionalisierenden Strukturen, im Falle der Kleidertauschpartys und dem Mülltauchen in kaum institutionalisierten und fluiden Strukturen. Bevor es um die Frage 52 Vgl. Belliger und Krieger 2006b. 53 Heimerdinger 2013, S. 11. 54 Vgl. Fischer-Lichte 2011. 55 Vgl. Welz und Bendix 1999.
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geht, inwiefern sich diese Infrastrukturen stabilisieren, sollen der Bedeutung des Ehrenamts und der Selbstwirksamkeit nachgegangen werden. Die Sozialforschung versteht ehrenamtliches Engagement als Dritten Sektor oder als Teil der Infrastruktur der Zivilgesellschaft und verortet es zwischen Staat und Wirtschaft.56 Zivilgesellschaft als Begriff der Soziologie und Politikwissenschaft befindet sich neben Wirtschaft und Politik. Bürgerschaftliches Engagement meint ziviles bzw. gewaltfreies und kompromissbereites Handeln jenseits von Markt, Staat und Privatsphäre innerhalb von Vereinen, Verbänden, Stiftungen und NGOs.57 Bürger kämen selbstorganisiert zusammen und dienten als Reformprojekte, sie entwickelten und nähmen Korrekturen vor, so die Politikwissenschaftlerin Annette Zimmer.58 Aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive können die Ebenen nicht getrennt betrachtet werden, weil alltägliche Praktiken immer auch durch Wirtschaft und Politik gerahmt sind. Laut Freiwilligensurvey beteiligten sich bis 2009 71 Prozent der Bevölkerung in Vereinen, Organisationen, in Gruppen oder öffentlichen Einrichtungen, während es 1999 66 Prozent waren. „Nach wie vor ist das freiwillige Engagement bei Männern, Erwerbstätigen, jungen Leuten in der (verlängerten) Ausbildungsphase, bei höher Gebildeten und bei Menschen mit einem gehobenen Berufsprofil erhöht“, so ein Ergebnis des bundesweiten Surveys. 59 Das Konzept von Zivilgesellschaft wird zunehmend wissenschaftlich, politisch und öffentlich verhandelt, so ließe sich argumentieren, weil erstens staatliche Aufgaben verstärkt privatisiert werden und zweites auf Grund der zunehmenden Ökonomisierung von Lebensbereichen. Aus politiktheoretischer Perspektive dient Zivilgesellschaft dazu, eine friedliche, demokratische Gesellschaft zu sichern und damit Integrationsarbeit zu leisten. Politische Akteure fördern Selbsthilfe und Ehrenamt, damit die Bürger Probleme selbst lösen, sodass politische Systeme, so ließe sich weiter argumentieren, nicht gesamtgesellschaftliche Strukturen und Organisationsformen ändern müssen. Durch bürgerschaftliches Engagement bilden sich 56 Siehe TNS Infratest Sozialforschung, München 2011; TNS Infratest Sozialforschung München erhobt 1999, 2004 und 2009 Daten über das Ehrenamt im Auftrag des Familienministeriums des Bundes (BMFSFJ). Im Jahr 2010 gab die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg erstmals eine umfassende Analyse der Zivilgesellschaft und des freiwilligen Engagements in Hamburg in Auftrag. Grundlage dafür waren die Daten des bundesweiten Freiwilligensurveys (siehe TNS Infratest Sozialforschung, München 2012). 57 Siehe aus politikwissenschaftlicher Perspektive zum sozialen Engagement in prekären Lebenslagen Voigtländer 2015. 58 Zimmer 2012, o.S.. 59 TNS Infratest Sozialforschung, München 2012, S. 4.
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Ersatzstrukturen, die gesellschaftlich wahrgenommene Probleme oder Nebeneffekte von Entwicklungen bearbeiten, wie etwa die Tafel.60 Dabei sind Menschen gesellschaftlich tätig und arbeiten für die Gemeinschaft im weitesten Sinne. Arbeit ist aus wirtschaftlicher Sicht Tätigsein mit dem Ziel eines Einkommens, also eng mit der Verwertungslogik und der Ökonomisierung, durch die Arbeit zur Ware wird61, gekoppelt. Den Begriff der Arbeit definieren die Akteure in den Feldern um. Sie arbeiten, ohne dafür bezahlt zu werden, sie erhalten jedoch einen Lohn, der materiell sein kann, etwa in Form von containerter Nahrung, von ertauschter Kleidung oder reparierten Gegenständen, der aber ebenso immateriell ist, in Form von sozialer Anerkennung oder symbolischem Kapital.62 Tätigsein bedeutet, dass die Akteure ihre verfügbare Zeit auf verschiedene Ziele verteilen: Zwei davon sind Lohnarbeit und unentgeltliches Tätigsein. Laura etwa unterscheidet zwischen ihrem „Brotjob“ und ihren Projekten, zu denen auch die Organisation von Kleidertauschpartys gehört. Tina und Jule reflektieren die Bedeutung ihres Tätigseins als Kleidertauschorganisatorinnen zwischen Geld und Zeit. Sie wollen sich ihren Idealen folgend nicht weiter am kapitalistischen System beteiligen, so erzählt Tina im Interview, ohne Geld ginge es jedoch auch nicht. Sie wollten keine kommerzielle Veranstaltung sein, stellen sich aber die Frage: „Bleibt das eine Randerscheinung für uns, dieser Kleidertausch, oder wollen wir davon leben?“ (Interview vom 15.05.2013).63 Sie reflektieren, wie sie aus dem Hobby einen Beruf machen und damit Geld verdienen könnten. Unentgeltliches Tätigsein zirkuliert dabei zwischen Zeitknappheit, Erwerbstätigkeit und Bedeutungszuschreibungen: „Was ich merke, ist, dass meine Zeitkapazitäten auch irgendwann echt ein Ende haben. Also ich müsste eigentlich wirklich meinen Brotjob an den Nagel hängen, um mich darauf zu konzentrieren, zu tauschen. Beides ist echt anstrengend, finde ich. Also ich finde, im Sinne von, wir machen drei bis vier oder auch fünf Kleidertauschpartys im Jahr, das sprengt schon, oder das geht echt schon an unsere Grenzen. Das sprengt schon leicht unsere Kapazitäten, selbst zu dritt sind wir da ganz schön am machen und rödeln.“ (Interview vom 15.05.2013)
60 Siehe zum Diskurs zu den Tafeln aus soziologischer Sicht Selke 2010. 61 Vgl. Marx 1971. 62 Vgl. Bourdieu 1984. 63 An der Kleidertausch-Plattform Kleiderkreisel verdeutlich sich, wie aus einem Hobby ein Unternehmen wird, in dessen Entwicklung zunehmend der Kauf und Verkauf den Tausch ersetzt (siehe dazu intro.de und kleiderkreisel.de).
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Tina beschreibt hier, dass sie es als „anstrengend“ erlebt, ihre Zeit nach ihren Vorstellungen in Lohnarbeit und Freizeit aufzuteilen, weil die Organisation und Durchführung der Partys zeitintensiv sei, eine Erfahrung, die auch die Organisatoren_innen von Repair Cafés und Mülltaucher_innen in ihren jeweiligen Praxisfeldern teilen. Beim Containern zeigt sich, dass die Akteure über gewisse Zeitkapazitäten verfügen müssen. Zum einen ließe sich das nächtliche Mülltauchen nur schwer mit einer Lohnarbeit verbinden, bei der man morgens früh aufstehen müsse, so die Deutung von Martin. Aber auch das Konservieren, Verwerten und Weiterverteilen von Nahrungsmitteln braucht Zeit, gleichwohl beim Containern der Lohn in Form von Nahrung direkter, weil materiell ist, im Gegensatz zu der Anerkennung, die Repair Café-Organisatoren_innen erfahren. Dass die von mir fokussierten Akteure dennoch ihre Zeit für das ehrenamtliche Tätigsein aufwenden, ist neben dem Lohn auch durch die gesellschaftliche Rückwirkung begründet, denn Aktivismus in Form der drei Felder ist durch Selbstwirksamkeit 64 geprägt. Der Psychologe Albert Bandura geht davon aus, dass Akteure und Akteursgruppen Selbstwirksamkeitserwartungen haben und soziale Veränderungen dadurch beeinflusst seien: „The higher the perceived efficacy, the greater the propensity to social activism.“ 65 Wahrgenommene Selbstwirksamkeit ist für Bandura der Glaube an die eigene Kompetenz, Ereignisse im Leben zu verändern und schwierige Anforderungssituationen zu lösen. Seiner These nach bestimmt die Erwartung von Selbstwirksamkeit, ob Bewältigungsstrategien entwickelt werden, wie viel Energie dafür aufgewendet wird und wie anhaltend das Verhalten angesichts von Hemmnissen und aversiven Erfahrungen ist. Die von mir untersuchten Akteure reagieren auf verschiedene Anforderungssituationen: Ein fehlendes Angebot, Elektrogeräte zu reparieren, Kleidung zu tauschen oder die Forderung nach einem nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln. Indem sich die Akteure ehrenamtlich engagieren, suchen sie nach Lösungen und erleben sich in ihrer Lebenswelt als wirksam. Sie bewirken Veränderung, bauen Netzwerke in ihren lokalen Lebenswelten auf und gewinnen ein Gefühl von Autonomie. Ronny etwa stellt für das Mülltauchen heraus: „Das sind Sachen, wo man ganz konkret einsteigen kann, mit seiner eigenen Körperkraft daran arbeitet, dass das eingedämmt wird.“ (Interview vom 20.03.2013). Er greift dabei auf den Begriff der Arbeit zurück, um sein Tätigsein gegen Lebensmittelverschwendung zu plausibilisieren. Seine Aussage verweist auf die Per64 Darauf wurde bereits in Kapitel 6.3 im Kontext der Repair Cafés hingewiesen. Silke Meyer geht der narrativen Konstruktion von Agency und Selbstwirksamkeit im Kontext von Verschuldung nach (vgl. Meyer 2015). Zur Bedeutung von Selbstwirksamkeit in der Etablierung von nachhaltigen Lebensstilen siehe Hunecke 2013. 65 Bandura 1982, S. 143; siehe zur sozial-kognitiven Handlungstheorie Bandura 1977.
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formativität des Protestes: Durch den eigenen Körper könne Lebensmittelverschwendung eingedämmt werden. Dies lässt sich auf zwei Ebenen ausmachen: Einmal durch die Praxis des Mülltauchens bzw. durch das Heraussammeln noch genießbarer Lebensmittel aus Mülltonnen und zweitens durch das Essen dieser Nahrung als körperlicher Akt. Kerstin nimmt sich und ihre Handeln im Kontext von Repair Cafés als wirksam wahr: „Diese Haltung begegnet einem ganz oft: ‚Das hat doch alles keinen Sinn und das wird die Welt nicht retten und die Menschen sind so.ʻ Ich finde, dass ist das beste Argument weiterzumachen, weil, natürlich sind die Menschen so. Ich habe mir nur vorgenommen, dass ich mich wirksam fühlen möchte in meinem Leben und nicht ohnmächtig, mich ergeben möchte, weil die Welt so ist und die Menschen so sind. Ich liebe den Spruch von Erich Kästner, der wird leider auch oft missbraucht: ‚Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.ʻ Das ist einfach so. Ich kann mich hinsetzen und sagen: ‚Alles scheiße, wird eh nicht andersʻ. Habe ich aber kein (betont) Spaß dran. Ich bin da auch egoistisch. Ich mache das ja nicht, weil ich denke, dass ich die Welt retten (betont) kann damit, sondern ich mach das, weil ich mich in dieser Situation, in dieser Wirksamkeit direkt vor Ort, ich sehe ja, was da passiert, weil ich mich damit wohlfühle. Weil dass das ist, was ich tun kann. Und ich freue mich über jede kleine Welle, die da raus geht oder die zu uns kommt, wo man sich vorstellen kann: ‚Siehste, da passiert doch noch ein bisschen mehr.ʻ“ (Interview vom 20.01.2014)
Selbstwirksamkeit wird von Kerstin deutlich benannt: Es ginge ihr nicht darum, „die Welt zu retten“, sondern in ihrer lokalen Lebenswelt Veränderungen zu bewirken. Sie wolle sich nicht mit Strukturen abfinden, sich nicht von „Leuten, die so pessimistisch und negativ sind“, die „Angst haben“ oder „frustriert“ sind, bremsen lassen. Sie wolle sich nicht als „ohnmächtig“ erleben, sondern selbst gestaltender Teil sein. Im Gegensatz zu der Diagnose von Welzer et al., dass die Beziehung zwischen Umwelthandlung und Handlungserfolg nur durch wissenschaftliche Vermittlung darstellbar sei, nicht aber sinnlich erfahrbar 66 , stellt Kerstin hier dar, wie sie ihren Handlungserfolg konkret und lokal wahrnimmt. Auch Ronny beschreibt, wie durch Mülltauchen die Auswirkungen körperlich wahrnehmbar sind. In der Aussage von Kerstin: „Vielleicht verändert das ja unsere Gesellschaft ein bisschen und wir haben unseren Spaß“, schwingt die positive Zuversicht mit, dass sie durch ihre Praktiken, in diesem Fall durch das Organisieren von Repair Cafés, gesellschaftlichen Wandel initiiert und gleichzeitig etwas tut, bei dem sie Spaß hat. Deutlich wird also, dass sich die Akteure als handlungs- und wirkmächtig wahrnehmen.
66 Welzer et al. 2010, S. 19.
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Die Wahrnehmnung von Wirksamkeit ist dabei von kulturellen Kontexten abhängig. Das Handeln muss als sinnhaft konstruiert sein, nicht nur im psychologischen Verständnis von Bandura auf individueller Ebene, sondern kollektiv. Agency als Handlungs- oder Wirkmacht wird erst durch die Interaktion produziert: „Yet individuals or persons or subjects are always embedded in webs of relations, whether of affection and solidarity, or of power and rivalry, or frequently of some mixture of the two. Whatever ‚Agencyʻ they seem to ‚haveʻ as individuals is in reality something that is always in fact interactively negotiated. In this sense they are never free agents, not only in the sense that they do not have the freedom to formulate and realize their own goals in a social vacuum, but also in the sense that they do not have the ability to fully control those relations towards their own ends.“67
Die Netzwerke im Sinne von Ortner sollen in den Forschungsfeldern nicht nur als die konkreten lokalen communities of pratice verstanden werden, sondern umfassen auch die diskursiven Formationen in Medien, Politik und Wissenschaft sowie die komplexen Akteur-Netzwerke, in denen die von mir interviewten Akteure agieren. Die Rückmeldung innerhalb der communities of practice, dass die Praxen sinnvoll sind, dass Menschen dabei Spaß in den Repair Café oder Tauschpartys haben, wirkt auf die Selbstdeutung der Akteure zurück. So beschreibt Tina die Bedeutung der Rückmeldung von Besucherinnen ihrer Kleidertauschpartys, die dem Konzept erst skeptisch und dann positiv begegneten: „Die sind süß, diese Kritikerinnen, die sind meistens dann die coolsten, die dann sagen: ,Ey ich bin wieder da, könnt ihr euch noch erinnern?ʻ (lacht) ,Ja, geil, schön, freut uns.ʻ Und das freut uns wirklich dann. Das find ich cool. Das ist auch eine Bestätigung. Das ist auch was, was uns dann glücklich macht, wenn wir einfach sehen, ok, das, was wir machen, passt für die, die kommen. Also es ist eine gute Zeit, die wir da alle miteinander verbringen. (lacht)“ (Interview vom 15.05.2013)
Die Veranstalterinnen verstehen sich als „Ideenstifter“. Sie wollen „anregen“, nicht nur zum Kleidertausch, sondern auch zum kritischen Umgang mit Konsum. „Das ist etwas, daraus erwächst auch unsere Community. Nicht nur das Kleidertauschen sowieso was ist, was mehr und mehr berühmter und bekannter und beliebter und hipper und iner wird. Sondern dass das auch so eine Begeisterung hervorruft.“ (Interview vom 15.05.2013) 67 Ortner 2006, 151f.
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Sie nehmen ihre Praxis als Trend wahr, weil sie ihr Handeln in einen breiten Diskurs zum Umgang mit Dingen, Gemeinwohlökonomie und knappen Ressourcen setzen, den sie als gesellschaftlichen Wandel deuten. Die Organisatorinnen nehmen dabei auch einen Wandel in der gesellschaftlichen Bedeutungszuschreibung von Tauschpraktiken wahr: „Am Anfang war es echt so: Ach da treffen sich die Hippie-Frauen und tauschen ihre Hippieklamotten in der Gegend ʼrum. Das war echt so: ‚Ach ihr tauscht? Gähn, hihi.ʻ“ (Interview vom 15.05.2013). Während ihre Praxis als Ausdruck einer Subkultur, als etwas Alternatives und „hippie“-mäßiges wahrgenommen wurde, so ihre Deutung, ist durch die gesellschaftliche Sensibilisierung für das Teilen und Tauschen sowie den öffentlichen Debatten über Nachhaltigkeit eine Umdeutung möglich. Die Medien greifen Kleidertauschen als Trend auf, sodass Kleidertausch auch in der Wahrnehmung der Akteurinnen „am Zahn der Zeit“ sei und sie „auf der Erfolgswelle“ schwimmen würden: „Aber trotzdem freue ich mich darüber. Wenn ich so merke, also, wenn ich vor acht Jahren erzählt habe, wir tauschen unsere Klamotten, haben uns alle belächelt. Wenn ich sage, ich organisiere Kleidertauschpartys mit meinen Freundinnen, dann sagen alle: ‚Echt, cool, wann denn? Wo denn? Ich will auch kommen.ʻ Das ist eine ganz andere Haltung.“ (Interview vom 15.05.2013)
Wie bereits angedeutet, spielt bei der Erfahrung von Selbstwirksamkeit nicht nur die Rückmeldung der sozialen Netzwerke eine Rolle, sondern auch die Rückmeldung durch die Medien und das mediale Interesse. Während der Feldforschung zeigte sich die Bedeutung der Medien für die interviewten Akteure: Medien dienten sowohl als Informationsquellen, die Akteure waren aber auch selbst in den Medien, wurden von Medienvertretern interviewt und gefilmt. In den medialen Repräsentationen selbst findet sich dabei immer wieder das Narrativ der Vorbilder und Pioniere. Hörfunk, Zeitungen und Filmproduktionen unterliegen ihren eigenen Logiken, suchen nach neuen, spannenden Geschichten, die sich gut verkaufen lassen. Dennoch (re-)produzieren sie durch die Narrationen auch die sozialen Rollenbilder, indem Artikel und Berichte „Modelle einer nachhaltigen Ökonomie“, „Modelle des ‚guten Wirtschaftensʻ“ auf der „lokale[n] Ebene“68 zeigen. Sie erzählen Geschichten über Menschen, die alternative Konsumformen entwickeln. Die Narration findet sich auch in den Feldern selbst: So verwenden die Akteure im Kontext der Repair Cafés den Begriff der „Repaircafé-
68 Siehe Geo 2013.
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Macher_innen“69. Meine Interviewpartnerinnen Kerstin, Ruth und Lisa berichteten von dem Medieninteresse an den von ihnen organisierten Repair Cafés. Laura spricht im Interview von Medienanfragen zu ihren Tauschpartys. Die steigende Zahl von Artikeln und Berichten über das Containern verdeutlichen, dass das Thema als gesellschaftlich relevant gedeutet wird. Paul70 und Raphael Fellmer wurden als Gäste zu Talkshows eingeladen und sprachen in Fernsehberichten über das Containern und das Leben ohne Geld. Raphael Fellmer beschreibt explizit in seinem Buch, dass ihn das mediale Interesse bestätigt habe: „Durch das mediale Interesse bestärkt, schöpfte ich Mut, mich auf politischer Ebene für das Ende der sinnlosen Verschwendung von Rohstoffen, allen voran von Lebensmitteln, einzusetzen.“71 Auch Fabian schildert das gestiegene mediale Interesse am Kleidertausch: „Ich fand das ganz witzig, weil es gab echt soʼn Hype, auch medial, wo dann auf einmal Die Zeit über Leute geschrieben hat, die tauschen, dass das so fancy wäre. Einmal kam einer von motor.fm [Der Radiosender hat sich inzwischen in fluxfm umbenannt, Anm. MG], der wurde zwar nicht gesendet, aber ich glaube, das Thema wurde einfach medial aufgegriffen.“ (Interview vom 17.09.2013)
Das soziale, politische und ehrenamtliche Tätigsein von den Interviewten wird von wissenschaftlichen72, politischen und gesellschaftlichen Akteuren als sinnvolles und gutes Handeln konstruiert – ob in der sozialen Rolle des Nachhaltigkeitspioniers, des zivilgesellschaftlich Engagierten oder als „Trendsetter“ im medialen Diskurs. Als performativen und materialisierten Ausdruck von Lebensstil gewinnen die Akteure symbolisches Kapital bzw. „symbolische Profite“73, wenn sie in communities of practice gemeinwohlorientiert tätig sind. Die Akteure wandeln, mit den Begriffen von Bourdieu gedeutet, dabei ökonomisches Ka69 Siehe anstiftung.de: pageflow; Er erinnert an den Begriff der Maker-Bewegung, welche sich im Kontext spezifischer Technologien und Infrastrukturen, wie 3D-Drucker und FabLabs, formiert (siehe dazu Walter-Herrmann und Büching 2013 sowie Anderson 2013). 70 Während der Feldforschung war das öffentliche Interesse an Paul groß. Er war Protagonist in einigen Zeitungsartikeln und Fernsehberichten. Inzwischen hat er sich weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und etwa sein öffentliches Facebook-Profil gelöscht. Er erscheint deshalb hier mit anonymisierten Namen. 71 Fellmer 2014, S. 169. 72 Auch ich als Forscherin bin an dieser (Re-)Produktion von Bedeutung beteiligt, wenn ich die Praxen zum Forschungsthema mache. 73 Bourdieu 1983, S. 192.
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pital in soziales Kapital um. „Für die Reproduktion von Sozialkapital ist eine unaufhörliche Beziehungsarbeit [Hervor. i. O.] in Form von ständigen Austauschakten erforderlich, durch die sich die gegenseitige Anerkennung immer wieder neu bestätigt.“74 Durch das ehrenamtliche Tätigsein als Beziehungsarbeit erfahren die Akteure Anerkennung etwa innerhalb sozialer Netzwerke, durch das Medieninteresse und die Zuschreibung von spezifischen sozialen Rollen. Sie können das Organisieren von Repair Cafés und Tauschpartys sowie das Mülltauchen als Selbsttechnik nutzen, durch die sie politische und soziale Wirksamkeit erfahren. Den Organisatoren_innen von Repair Cafés und Tauschpartys sowie den Mülltaucher_innen werden soziale Rollen zugeschrieben, welche die Akteure gleichzeitig durch ihre performativen und diskursiven Praktiken produzieren und reproduzieren.75 Durch die Zirkulation von Wissen zwischen Wissenschaft, Politik, Medien und Graswurzelbewegungen werden soziale Rollen konstruiert, die die Initiatoren_innen und Mülltaucher_innen ermächtigen. Sie etablieren Infrastrukturen, um Dinge in Kreisläufen zu halten. Die Tauschorganisatoren_innen veranstalten dafür Tauschevents. Die Repair Café-Organisatoren_innen veranstalten Reparaturtreffen. Die Mülltaucher entwickeln Alltagsroutinen und soziale Netzwerke, in denen die containerten Nahrungsmittel weitergegeben werden. Die Infrastrukturen entstehen durch die Übersetzung von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren, durch Wissen, Technologien, Diskurse und Normen. In die Netzwerke werden weitere Akteure eingeführt: Etwa Kleidertausch-Besucher_innen, welche ihre Rolle als Tauschpartner_innen akzeptieren; Bastler_innen, die zu Reparateure_innen werden. Dass sich dadurch die Akteur-Netzwerke herausbilden, wurde bereits hergeleitet.76 Die Netzwerke sind jedoch fluide und instabil, besonders beim Kleidertausch und Mülltauchen. So hatte sich die Kleidertausch-Gruppe um Fabian bereits zum Interviewtermin aufgelöst, weil einige Mitglieder aus der Stadt weggezogen waren. Ob Infrastrukturen sich stabilisieren, hängt damit von den Biographien der Beteiligten ab. Auch die Gruppe um Tina und Jule hat inzwischen aufgehört, Tauschevents zu organisieren. Sie hätten aber laut Internetblog das Projekt an eine andere Gruppe weitergegeben, die nun Tauschpartys veranstalten würde. Hier bleibt die Infrastruktur bestehen, trotzdem die Organisatorinnen wechseln. Die Entstehung der Foodsharing- bzw. Lebensmittelretter-Bewegung verdeutlicht, wie sich Infrastrukturierungsprozesse stabilisieren und sich Bewegungen institutionalisieren. Dabei verfügen viele Aktivisten in dieser Bewegung über Containererfahrungen und bringen ihr Wissen 74 Bourdieu 1983, S. 194. 75 Belliger und Krieger 2006b, S. 40. 76 Belliger und Krieger 2006b, 40f.
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sowie ihre Erfahrungen in die Bewegung ein. Auch im Feld der Repair Cafés haben sich in vielen Städten Initiativen etabliert und Infrastrukturen in Form der Veranstaltungen hervorgebracht. Deutlich wird, dass die Stabilisierung von Infrastrukturen von den Diskursen, der Konstruktion von sozialen Rollen, der Anschlussfähigkeit an politische Konzepte und Ziele sowie den individuellen Biographien abhängig ist. Wie der vergleichende Blick deutlich machen sollte, können die drei Forschungsfelder als Infrastrukturen der Nachhaltigkeit analysiert werden und weisen die gleichen Muster der Infrastrukturierungsprozesse auf. Die politische Antwort auf Ressourcenknappheit und zu viel Müll ist die Leitidee der Nachhaltigkeit, die in allen gesellschaftlichen Bereichen etabliert werden soll. Deutlich wird in den Diskursen um Nachhaltigkeit, dass die Bedeutung des Wissens von Graswurzelbewegung als bedeutsam erkannt wird. Deshalb fordern politische und wissenschaftliche Akteure, dass Change Agents Alternativen entwickeln und Konzepte verbreiten, weil sie dabei Wissen produzieren, das auch in anderen Kontexten genutzt werden kann. Wie Jörg Niewöhner konstatiert, seien im Bereich der Nachhaltigkeit Innovation und Expertise verteilt in verschiedenen Milieus wie in Praktiken eingelagert und entfalten von da aus Wirkung.77 Die von mir interviewten Akteure sind in Netzwerke eingebunden, in denen sie spezifische soziale Rollen einnehmen sowie Wissen teilen und (re-)produzieren. In den Akteur-Netzwerken versammeln sich Wissen, Technologien und Normativitäten. Deutlich wurde, dass Nachhaltigkeit als normatives Konzept und Idee im Alltag der Interviewten verankert ist. Dabei setzen die Akteure den Begriff auch strategisch ein, um Bedeutung zu generieren. In den Interviews verwenden sie weniger den Begriff „nachhaltig“ als viel mehr „bewusst“ oder „schonend“, um den Wert von Dingen und Natur sowie den daraus folgenden Umgang mit Objekten zu plausibilisieren. Der handlungspraktische Kern des Nachhaltigkeitsverständnisses der interviewten Akteure ist die Vermeidung von Verschwendung: Noch nutzbare Dinge sollen möglichst lange in Nutzungskreisläufen gehalten und damit die Müllproduktion verringert werden. Die Akteure nehmen ihr Handeln als wirksam wahr, in dem sie Netzwerke aufbauen, Verbündete gewinnen, soziale Rollen erfüllen und tätig sind. Die Initiatoren_innen und die Mülltaucher_innen bekommen innerhalb ihrer sozialen Netzwerke und durch die mediale Aufmerksamkeit positive Rückmeldungen, wodurch sie ihr Handeln als sinnhaft erleben. Der Blick auf die Infrastrukturierungsprozesse verweist auf die Zirkulation von Wissen zwischen Wissenschaft, Politik, Medien und Graswurzelbewegungen. Deutungsmächtige Gruppen bestimmen, so wurde deutlich, dabei nicht auschließlich über die Wirkungen, die 77 Niewöhner 2015, S. 492.
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die Praxen entfalten, sondern auch die Initiatoren_innen und Mülltaucher_innen sind wesentlich daran beteiligt, ob und wie sich die Infrastrukturen der Nachhaltigkeit stabilisieren können.
9. Fazit
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, anhand einer vergleichend angelegten Ethnographie der drei Forschungsfelder − Kleidertauschevents, Reparaturcafés und Mülltauchen – die alltagspraktische und diskursive Übersetzung der Konzepte Nachhaltigkeit, Knappheit und Überfluss in konkrete Praxen zu analysieren. Dazu wurden zunächst die einzelnen Felder mit ihren spezifischen Akteuren, Praktiken und Deutungen beschrieben und analysiert. Das Konzept der Infrastruktur erwies sich dabei als hilfreich, um dem Transfer von abstrakten Wissensbeständen in konkrete normative Vorstellungen jener Akteure zu folgen, sich die in den drei Feldern Handlungsoptionen erschlossen.1 Im Zentrum stand damit eine Akteursgruppe, die die Initiative ergreift und die ihr eigenes Handeln für die Mobilisierung weiterer Akteure einsetzt. Grundlage dieser Schwerpunktsetzung war die These, dass diese Akteursgruppe, die etwa die sozial- oder politikwissenschaftliche Literatur als „social entrepreneurs“2 oder die politische Nachhaltigkeitsdebatte als „Change Agents“3 diskutiert, erstens spezifische Handlungsräume nutzt, zweitens Deutungsmuster erfolgreich popularisieren kann und damit drittens eine besondere Stellung im Prozess der Infrastrukturierung einnimmt. Vor diesem Hintergrund ging es der Arbeit auch darum, die Machtkonstellationen innerhalb der untersuchten Felder aufzudecken, besonders in Hinblick auf eben jene machtvollen Deutungseliten wie Wissenschaft und Politik sowie den Graswurzelbewegungen, die hier im Zentrum standen. Ausgehend von einer Perspektive auf den Umgang mit konkreten vestimentären Objekten konnten im Feld der Kleidertauschpartys die Strategien beschrieben werden, durch die Akteure vormals private Kleidung zu einem Tauschobjekt umdeuten. Die Kleidung selbst wurde als Akteur verstanden: Sie bringt Menschen zusammen, stellt Beziehungen her und hat damit maßgeblich Einfluss auf 1
Vgl. dazu auch Welz et al. 2012.
2
Vgl. Stein 2015, Schwingenstein 2013 sowie Fayolle und Matlay 2010.
3
Vgl. WBGU 2011.
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die Konstituierung von sozialen Netzwerken. Durch die Umnutzung und Umdeutung von Kleidungsstücken transformieren die Kleidertauschbörsen die im Wirtschaftskreislauf gängige Abfolge von Produktion, Konsumtion und Verwertung. Indem Besitzer_innen ihre abgelegten Kleidungsstücke in neue Kreisläufe einspeisen, tritt anstelle der Verwertung hier zunächst erneut der Konsum, der dann als nachhaltiges und ökologisches Handeln markiert ist. Für die Organisatoren_innen stellt das Tauschen von Kleidung eine Konsumstrategie dar, die weitestgehend ohne Geld funktioniert und sich dadurch vom marktförmigen Warenkreislauf abgrenzt sowie gleichzeitig aus ihm entsteht. Das kollektive und kollektiv organisierte Tauschen erweitert Handlungsspielräume, wodurch die hegemonialen Vorstellungen von Konsum und Konsumpraktiken aufgebrochen und zum gesellschaftlichen Reflexionsthema werden. Die Erweiterung dieser Handlungsspielräume ist in den von mir untersuchten Fallbeispielen in hohen Maße auch durch Inszenierung und Performativität gekennzeichnet: Die von den Organisatoren_innen entwickelten Strategien der Eventisierung laden das Tauschen, den städtischen Raum und die vestimentären Objekte positiv und emotional auf. Das Tauschen als Event erweitert Erlebnisund Erfahrungsräume, macht Spass und kann dadurch populär werden. Auf Formen der Eventisierung greifen auch die Organisatoren_innen von Repair Cafés zurück, gleichwohl das Reparieren hier nicht als Party gerahmt ist, aber dennoch auch als sozialer Ort zum Zusammenkommen funktioniert, der Kommunikation ermöglicht. Das von der niederländischen Stiftung verbreitete Handbuch dient den Initiativen dabei als Anleitung zur Umsetzung eines eigenen Cafés in der Nachbarschaft. Das Handbuch konnte dabei als Materialisierung von Infrastruktur interpretiert werden, das von Wissen, Technologien, Expertise, Rechtsnormen und normativen Vorstellungen durchwirkt ist. Es verbindet verschiedene Akteure wie Stiftungen, Initiatoren_innen und soziale Netzwerke. Die Initiator_innen der untersuchten Reparaturinitiativen verstanden das Reparieren als soziale Protestform. In einer solchen Deutung können die Initiativen dann als spezifische „Formation des Politischen“4 begriffen werden, in denen es auch darum geht, Gesellschaft, Politik oder Wirtschaft kritisch zu befragen und neu zu denken. Dabei entwickeln die Organisatoren_innen Handlungshorizonte, etwa durch die diskursive Aufwertung des Reparierens, durch die Vermittlung von Wissen, durch die Formulierung einer Resolution und durch die Veranstaltung von Reparaturtreffen, die dann reflexiv genutzt oder erweitert werden können. Die Repair-Community artikuliert dabei Protest gegen Wirtschaftsstrukturen unter den Stichwörtern der geplanten Obsoleszenz sowie der Verschwendung von Ressourcen und können diese als politische Themen verbreiten und popularisie4
Vgl. Adam und Vonderau 2014a.
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ren. Neben dieser Bedeutungsdimension, die das Reparieren als politische Handlung begreift, funktionieren Repair Cafés jedoch auch, weil sie soziale Orte sind und damit ebenfalls die reparierten Dinge neu rahmen. Repair Cafés werden von den Organisatoren_innen dabei als Orte begriffen, die zu einem nachhaltigen und ökologischen Umgang mit Dingen und Ressourcen beitragen sollen, welcher wie bei den Kleidertauschbörsen normativ aufgeladen ist. Wie beim Kleidertausch und beim Repair Café grenzen sich die Mülltaucher_innen von etablierten Konsummustern ab und verorten sich damit auch im sozialen Sinne. Im Feld des Mülltauchens wurde deutlich, dass die Mülltaucher_innen ihre Praxis nutzen, um sich sozial abzugrenzen. Sie konnte deshalb als Teil von spezifischen Habitus5 gedeutet werden und wird von den Mülltaucher_innen zudem strategisch als Distinktionsmittel eingesetzt, etwa auch um sich politisch zu positionieren. Der „Geschmack“, der Bourdieu zufolge den Lebensstil bestimmt, wird hier im zweifachen Sinne wirksam: Zum einen im symbolischen Konsum von Dingen mit dem Ziel der Distinktion – Nahrungsmittel also nicht wie die meisten Leute zu kaufen, sondern sie aus Mülltonnen zu „retten“ − und zum anderen durch das konkrete Konsumieren und das Schmecken von Lebensmitteln, die vormals in Mülltonnen lagen. Über diese soziale und politische Positionierung konstituieren sich communities of practice, in denen spezifisches Wissen zirkuliert, etwa über die Handlungslogik von Supermärkten, über Gesundheitsgefahren oder über gut zugängliche und ergiebige Mülltonnen bzw. „Spots“. Weil Mülltaucher_innen juristisch betrachtet Gesetze brechen und Diebstahl begehen sowie sich den gesetzlichen Kennzeichnungen von Haltbarkeit widersetzen, können sie das Containern als performative Protestform interpretieren. Sie widersetzen sich dabei tradierten Konsummustern ebenso wie Vorstellungen von Abfall und Lebensmittel und erschließen sich Handlungsräume. Ähnlich wie in den Reparaturcafés und in den Kleidertauschbörsen ist auch hier die Abfolge von Produktion, Konsum und Verwertung durch weitere Schritte ergänzt. Die zur Verwertung vorgesehenen Lebensmittel werden umgedeutet und so dem Konsum erneut zugeführt. Dabei artikulieren die Mülltaucher_innen Konsumkritik, eben auch in Hinblick auf die Strukturen, die zu Lebensmittelabfall führen. Das Netzwerk aus menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren lässt sich dabei als „Formation des Politischen“6 deuten, das zu den öffentlichen Diskursen über Lebensmittelmüll beiträgt und Strukturen aufdeckt, durch die genießbare Lebensmittel zu Abfall werden. Mülltaucher_innen entwickeln des Weiteren spezifische alltagskulturelle Strategien, durch die die Umdeutung und der Statuswechsel von Lebensmitteln und Müll gelingen, etwa das Reinigen, 5
Vgl. Bourdieu 1984.
6
Vgl. Adam und Vonderau 2014a.
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Konservieren und Teilen von den vor der Verwertung bewahrten Nahrungsmitteln. Im Feld der Kleidertauschevents zeigte sich, dass sowohl Protestaktionen, Repräsentationen und Materialien von NGOs als auch die Narrationen der Organisatoren_innen auf den Verbrauch von natürlichen Ressourcen durch die Produktion von Mode verweisen. Die verschiedenen Akteure problematisieren dabei die Verknappung von Ressourcen vor allem im Kontext der massenhaften Produktion von Kleidung, die auf Grund sich verändernder Modezyklen und mangelhafter Qualität schnell zu Müll werden. Knappheit konstituiert sich hier aus der Wahrnehmung und Deutung von Überfluss: Knappheit entsteht, weil Mode maßenhaft produziert wird, im Überfluss vorhanden ist, aber die Produktionsstrukturen dabei auch übermäßig Ressourcen verbrauchen, die sich dadurch verknappen. Die Akteure übersetzen diese abstrakten Wissensbestände in Handlungen: in Protestaktionen, in die Inszenierung von gebrauchten Dingen und in das ehrenamtliche Tätigwerden bei der Organisation von Tauschpartys. Neben der Verknappung von Ressourcen im globalen Sinne drücken sich auch Konzepte von knappen Ressourcen auf einer alltäglicheren Ebene aus, besonders in Form von ökonomischen Ressourcen. Tauschen ermöglicht den Konsum von Kleidung ohne die Zirkulation von Geld. Der sich dabei manifestierende Gegenkonsum ist durch Kreativität − etwa in der Inszenierung der Tauschevents oder der Gestaltung von Flyern − sowie durch soziale Anerkennung, die, wie sich in den Interviews gezeigt hat, besonders durch die Community und durch die Medien ausdrückt. Wenig Geld für Kleidung führt durch die Infrastruktur der Tauschbörsen nicht zur Exklusion aus der konsum- und modeorientierten Gesellschaft, sondern gestattet den Konsum von immer neuer Kleidung und motiviert im Gegenteil die an Kleidertauschpartys Beteiligten zu sozialer Vernetzung und ermöglicht kollektive Erlebnissen. Auch im Feld der Repair Cafés greifen die Organisatoren_innen auf diskursiv vermitteltes Wissen über die Verknappung von natürlichen Ressourcen zurück. Überfluss wird über Bilder von „Müllbergen“ wahrgenommen. Wissen über die Verknappung von Ressourcen vermitteln die Organisatoren_innen durch Informationsmaterial und in den communities of practice in den konkreten Repair Cafés. Die Repair-Initiativen als soziale Gegenbewegung formieren sich auf Grundlage der Konstruktion von knappen Ressourcen. Sie setzen die Vorstellung von und das Wissen über knappe Ressourcen dabei auch strategisch als Legitimation ein, um das gemeinschaftliche Reparieren zu plausibilisieren und zu popularisieren. Dabei reproduzieren und verbreiten sie die Vorstellung von begrenzten natürlichen Lebensgrundlagen und bieten durch die Infrastruktur der
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Repair Cafés eine gesellschaftliche Möglichkeit, die gedeutete Verknappung zu politisieren, zu transzendieren und zu bezwingen. Wie auch die Repair Café-Initiativen politisieren die Mülltaucher_innen den Umgang mit knappen Ressourcen in Form von Nahrungsmitteln und den für deren Produktion benötigten Rohstoffen. Sie kritisieren den Verbrauch von natürlichen Ressourcen durch die Produktion von Lebensmitteln erstens durch die maßenhafte, industrielle Produktion und zweitens wenn diese dann als Abfall in Mülltonnen landen. Sie problematisieren dabei die Verknappung von natürlichen Ressourcen vor allem im Kontext der massenhaften Verschwendung von Lebensmitteln, die in Folge von gesetzlichen Vorschriften, Normen, Produktionsweisen sowie bedingt durch die Vergänglichkeit7 schnell zu Müll werden. Die Mülltaucher_innen übersetzen dieses Wissen in Handlungen, etwa in Protestaktionen, in die Aufwertung von Lebensmitteln und in das Mülltauchen. Knappheit konstituiert sich wie im Feld des Kleidertausches aus der Wahrnehmung und Deutung von Überfluss. Die gesellschaftliche Kritik an Lebensmittelverschwendung stellt dabei auch die normativen Vorstellungen des richtigen Umgangs mit knappen natürlichen Ressourcen her. Wie in der Praxis des Kleidertausches verweist auch das Mülltauchen auf die begrenzten Ressourcen im Sinne von Einkommen und Geld. Das Mülltauchen ermöglicht die kostenlose Versorgung mit Lebensmitteln, sodass durch den alternativen Gegenkonsum ökonomische Begrenzungen überwunden werden. Gerade die politische Dimension, die die Mülltaucher_innen dem Umgang mit Nahrung zuschreiben, ermöglicht ihnen, das Containern nicht im Kontext einer individuellen ökonomischen Mangelsituation zu deuten, sondern als Protestform. Gleichwohl die von mir interviewten Mülltaucher_innen über ein begrenztes ökonomisches Budget verfügen, führt dies eben nicht zu sozialer Ausgrenzung aus einer Gesellschaft, die Status und Teilhabe wesentlich über materielle Ausstattung und Konsum bestimmt, sondern motiviert die Mülltaucher_innen viel mehr, alternative Konsumstrategien und communities of practice zu entwickeln. Im Gegenteil ermöglicht das Containern, das eingesparte Geld für symbolisch aufgeladen Konsumgüter, wie etwa Fairtrade und Bio-Lebensmittel auszugeben und führt des Weiteren zu einem Überfluss an Lebensmitteln. Zusammenfassend zeigte sich anhand der Forschungsfelder, dass Knappheit in Form der Verknappung von natürlichen Ressourcen ein diskursiv vermitteltes Konzept ist, das auf Wissen basiert. Knappe Ressourcen sind in diesem Sinne nicht sinnlich oder haptisch erfahrbar. Das „Zuwenig“ konstituiert sich vor allem in Form von ökonomischen Begrenzungen. Durch die etablierten Infrastrukturen lassen sich aber jene Begrenzungen überwinden, denn diese Strukturen ermögli7
Vgl. Thompson 1981.
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chen den Konsum von ständig neuer Kleidung, von Bio-Lebensmitteln oder das Reparieren von defekten Gebrauchsgeräten, auch ohne dass dabei Geld fließen muss. Knappheit konstituiert sich des Weiteren aus der Deutung von Verschwendung ausgehend von der Konstruktion des Wertvollen und von Abfall: Gerade auf Grund der Wahrnehmung von Überfluss und der Verschwendung wird Knappheit konstruiert und problematisiert: Weil beispielsweise Nahrungsmittel im Überfluss vorhanden sind, landen sie in den Tonnen und materialisieren dabei ihre Geschichte, zu der ihre Produktion mit als knapp gedeuteten Ressourcen wie Wasser oder Boden gehören. Bezogen auf die Wahrnehmung von Überfluss lassen sich die drei Felder als Strategien des Überflussmanagements8 deuten. Die Tauschpraxis verteilt die als Überfluss wahrgenommene Kleidung auf zwei Ebenen. Erstens sind Tauschpartys Anlass für die Besucher_innen, ungenutzte Kleidung zu hierarchisieren und auszusortieren.9 Die als Überfluss bzw. überflüssig wahrgenommene, nicht mehr gebrauchte Kleidung wird schließlich umgedeutet und zum Tauschmittel und Tauschobjekt. Das Aussortieren reduziert auf einer individuellen Ebene den Überfluss in den Kleiderschränken. Zweitens verteilen die Organisatoren_innen die am Ende der Tauschparty übriggebliebene Kleidung als Spende an andere Initiativen und Organisationen. Sie transformieren den Status der Kleidung und reduzieren den Überfluss durch das Weitergeben auf einer sozialen Ebene. Im Feld der Repair Cafés konstituiert sich Überfluss ebenfalls auf zwei Ebenen: Erstens in Form von Bildern und der diskursiven Herstellung von Müllbergen und zweitens im normativen Konzept der Verschwendung. Um diesen Überfluss zu reduzieren, entwickeln die Akteure die Infrastruktur der Repair Cafés. Dort soll einmal das Reparieren von Dingen konkret dafür sorgen, dass Dinge Gebrauchsgegenstände bleiben und nicht zu Müll werden. Zweitens sollen die Besucher_innen durch die Vermittlung von Wissen für die Bedeutung von in Dingen und Geräten verarbeiteten Ressourcen sensibilisiert und dadurch angeregt werden, weniger zu kaufen und mehr zu reparieren. Dieses Umdeuten und Inwertsetzen von Dingen und Ressourcen, für die sich die Repair-Community einsetzt, managen den Überfluss und stabilisieren gleichzeitig die Infrastruktur der Cafés, weil die Initiativen dabei auch an politische Ziele der Müllvermeidung anschließen können.10 Die Mülltaucher hingegen machen deutlich, dass erstens politische und wirtschaftliche Interessen sowie der gesellschaftliche Umgang mit Lebensmitteln zu Verschwendung in Form von Überfluss und Müll führen. Durch das Retten der 8
Vgl. Czarniawska-Joerges und Löfgren 2012.
9
Abbott 2014, S. 18.
10 Vgl. Abbott 2014.
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noch genießbaren Lebensmittel deuten die Mülltaucher_innen den Müll um und reduzieren den Überfluss, indem sie ihn sortieren und hierarchisieren11: Noch Essbares holen sie aus den Tonnen heraus, Abfall bleibt dort. Gleichzeitig entsteht aber aus dieser Überflussreduktion auf der individuellen Ebene wiederum ein Überfluss: Weil Lebensmittel in den Mülltonnen im Übermaß vorhanden sind, stapeln sie sich dann nach den Containertouren in den Küchen der Mülltaucher_innen. Sie entwickeln daher kreative Strategien, diesen Überfluss zu managen: Sie eignen sich spezifisches Wissen an; sie kochen experimentell und kreativ für sich und ihre Freunde; sie konservieren die Lebensmittel; sie stellen Regale in den Hausflur, um mit anderen die Funde zu teilen oder nutzen technische Infrastrukturen, wie Facebook-Gruppen oder die Foodsharing-Plattform zum Teilen. In allen drei Feldern wurde deutlich, dass die interviewten Akteure konkrete Strategien entwickeln, um Überfluss zu managen, indem sie Ordnungssysteme entwickeln, die die Wertzuschreibung von Dingen verändern. Sie bauen dabei Infrastrukturen auf, die die Zirkulation von Dingen ermöglichen und in diesem Sinne zu einem ressourcenschonenden, ökologischen und nachhaltigen Konsumieren und Wirtschaften beitragen sollen. Die Leitidee der Nachhaltigkeit als politisches Konzept ist in vielen gesellschaftlichen Bereichen etabliert. Im diskursiven Feld über Nachhaltigkeit zeigte sich, dass politische und wissenschaftliche Akteure die Bedeutung von Graswurzelbewegung und deren Wissen zunehmend hervorheben. In diesen Kontexten konstruiert sich die Vorstellung von Change Agents, die Alternativen entwickeln, dabei Wissen produzieren und zu einer nachhaltigen Gesellschaft sowie einer gesellschaftlichen Transformation beitragen sollen. Wie Jörg Niewöhner konstatiert, sind im Bereich der Nachhaltigkeit Innovation und Expertise verteilt in verschiedenen Milieus sowie in Praktiken eingelagert und entfalten von dort aus Wirkung.12 Die von mir interviewten Akteure sind mit ihren je spezifischen sozialen Rollen und ihrem Wissen in Netzwerke eingebunden. In diesen Netzwerken versammeln sich Wissen, Technologien und Normativitäten. Deutlich wurde, dass Nachhaltigkeit als normative Praxis und Idee im Alltag der Interviewten verankert ist. Dabei nutzen eben jene zentralen Akteure, die die Arbeit fokussiert, ihre Handlungskompetenz und ihr Wissen, um die jeweiligen Ideen und Konzepte auch in anderen Arenen zu popularisieren. Sie setzen den Begriff der Nachhaltigkeit dabei auch strategisch ein, um Bedeutung zu generieren, um an bestehende Strukturen anzuschließen, weitere Akteursgruppen in das Netz-
11 Abbott 2014, S. 18. 12 Niewöhner 2015, S. 492.
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werk einzubinden und damit auch an politischer und wirtschaftlicher Relevanz zu gewinnen. Die Forschungsfelder zeigten exemplarisch, wie Wissen zwischen Wissenschaft, Politik, Medien und Graswurzelbewegungen zirkuliert. Die in diesen Prozessen konstruierten sozialen Rollen ermächtigen die Initiatioren_ innen und Mülltaucher_innen: Sie entwickeln Infrastrukturen, um Dinge in Kreisläufe zu halten. Die Tauschorganisatoren_innen veranstalteten dafür Tauschevents. Die Repair Café-Organisatoren_innen führten Reparaturtreffen durch. Die Mülltaucher_innen entwickelten Routinen und soziale Netzwerke. Der Blick auf den Prozess der Infrastrukturbildung ermöglicht, die fluiden und instabilen Netzwerke von Akteuren, besonders beim Kleidertausch und Mülltauchen, und die dabei verhandelten, stabilisierend wirkenden Konzepte von Knappheit, Überfluss und Nachhaltigkeit kulturanthropologisch fassbar zu machen. Konzepte von Knappheit, so haben die Ethnographien der drei Felder gezeigt, konstitutieren sich vor allem aus der Semantisierung von Verschwendung. Die in den Feldern als Infrastrukturierungsprozesse gedeutete Netzwerkbildung ermöglicht und ermächtigt die Akteure und Initiativen zur Etablierung von Strategien des Überflussmanagements. Dabei verhandeln die zentralen Akteure in diesen Infrastrukturen normative Vorstellungen des „Zuviel“ und des „Zuwenig“ situativ und kontextgebunden aber eben auch biographisch. Wie in den drei untersuchten Feldern – Tauschpartys, Repair Cafés und Mülltauchen – dabei deutlich wurde, sind die entwickelten Infrastrukturen keinesweg stabil, sondern fluide. Sie unterliegen stetigen Transformationsprozessen; sie können sich stabilisieren, wenn bestimmte Infrastrukturen plausibel bleiben; sie können sich im Gegenzug aber auch wieder auflösen. Inwiefern Tauschveranstaltungen, Repair Cafés oder die Foodsharing- bzw. Lebensmittelretter-Bewegung − als sich in einer gesetzlichen Grauzone bewegenden Form des Lebensmittelrettens − Phänomene eines bestimmten Milieus bleiben, inwiefern ihre politischen Forderungen − etwa nach ökologisch und sozial besseren Bedingungen in der Modeindustrie, nach gesetzlichen Regelungen gegen geplante Obsolenszenz, nach einem Verbot gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln – und ihre sozialen Ziele − nach einem gesellschaftlich verankerten bewussteren Umgang mit Ressourcen, die Etablierung von Dingkreisläufen, die Aufwertung von gebrauchten Dingen und die Aufwertung von Gemeinschaft − sich weiter verstetigen, stellt angesichts von nie abgeschlossenen Infrastrukturierungsprozessen ein kulturanthropologisches Forschungsfeld dar, das es weiterhin zu beobachten gilt.
10. Literatur
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11. Quellenverzeichnis
1. • •
Ethnographierte Veranstaltungen Heinrich-Böll-Stiftung „Green Lecture“, 28.02.2013 13. Jahreskonferenz des Rates für nachhaltige Entwicklung, 13.05.2013
• • • •
Schenkflohmarkt, 24.02.2013 Kleidertauschladen, 14.03.2013 Kleidertausch, 20.03.2013 Kleidertausch, 24.08.2013
• • • • • •
Offene Werkstatt Arbeitsbesprechung, 15.02.2013 Repaircafé, 04.03.2013 Repaircafé, 17.03.2013 Repaircafé, 23.11.2013/ 27.01.2014 Vernetzungstreffen Repair Café, 15.03.2014 Regionaltreffen Repair Café, 13.06.-14.06.2014
• • • • • • •
Lebensmittelretter-Abholung, 12.03.2013 Pressetermin Lebensmittelretter, 12.03.2013 Freiwilligentreffen Foodsharing, 19.07.-21.07.2013 Raphael Fellmer Buchvorstellung, 28.02.14 Containern, 28.03.2014 Freiwilligentreffen Foodsharing, 28.03.-30.03.2014 Raphael Fellmer Vortrag, 04.07.2014
2.
Gesprächspartner_innen und Interviews Anne, Kulturzentrum, 26.11.2012 Paula und Theresa, Kleidertauschladen, 05.12.12 Janne, Kleidertauschladen, 14.03.2013
• • •
312 | K ULTURELLE STRATEGIEN IM U MGANG MIT Ü BERFLUSS UND KNAPPHEIT • • • • • •
Laura, Organisatorin von Kleidertauschevents, 18.03.2013 Tina, Jule, Organisatorinnen von Kleidertauschevents, 15.05.2013 Rainer, Helfer bei Tauschveranstaltungen, 24.08.2013 Fabian, Organisator von Kleidertauschevents, 17.09.2013 Till, Organisator von Kleidertauschpartys, 11.02.2014 Britta, Organisatorin von Kleidertauschpartys, 29.03.2014
• • • • • • • •
T. G., Geschäftsführer Stadtteilzentrum, 05.12.12 M.W., Geschäftsführer Stadtteilzentrum, 13.12.2012 Lisa, Organisatorin Repair Café, 11.03.2013 S. G., Offene Nähwerkstatt, 19.03.2013 Ruth, Organisatorin Repair Café, 19.03.2013 Tom Hansing, Verbund Offene Werkstätten, 03.08.2013 Kerstin, Organisatorin Repair Café, 20.01.2014 Maik, Organisator Repair Café, 11.02.2014
• • • • • • • • • •
Felix und Nora, Dumpster Diver, 02.11.2012 Katja, Filmemacherin, 28.02.2013 Julia, Dumpster Diver, 12.03.2013 Polizei-Pressestelle, 29.04.2013 Paul, Dumpster Diver, 30.04.2013 Karl, Dumpster Diver, 13.06.2013 Martin, Jana, Ramona, Dumpster Diver, 19.06.2013 Marie, Dumpster Diver, 10.07.2013 Lutz, Dumpster Diver, 29.03.2014 Lisa, Dumpster Diver, 29.03.2014
3. Newsletter Newsletter Tauschwert, 31.08.2013; 13.11.2013; 06.3.2014; 27.10.2014; 10.11.2014; 31.01.2016. Newsletter Repair Café S., Februar 2014, Dezember 2014 Rundmail Repair Café S., 14.06.2013; 19.07.2013; 02.08.2013; 18.08.2013; 19.08.2013; 19.08.2013, 24.08.2013; 22.09.2013; 24.09.2013; 25.09.2013; 17.10.2013; 21.10.2013; 27.10.2013; 31.10.2013; 14.11.2013; 15.11.2013; 18.11.2013; 22.11.2013; 26.11.2013; 27.11.2013; 05.12.2013; 07.12.2013; 10.12.2103; 14.01.2014; 20.01.2014; 21.01.2014; 23.01.2014; 27.01.2014; 18.02.2014; 20.02.2014; 24.02.2014; 05.03.2014; 12.03.2014; 20.03.2014; 26.03.2014; 27.03.2014; 03.04.2014; 06.04.2014;
17.06.2014;
12.08.2013; 23.09.2013; 29.10.2013; 24.11.2013, 18.12.2013; 28.01.2014; 17.03.2014; 07.04.2014;
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15.04.2014; 18.05.2014; 29.05.2014; 04.06.2014; 24.06.2014; 28.06.2014; 01.07.2014; 04.07.2014; 09.07.2014; 17.07.2014; 18.08.2014; 27.08.2014; 05.09.2014; 15.09.2014; 30.09.0214; 05.10.2014; 09.10.2014; 17.10.2014; 25.10.2014; 04.11.2014; 07.11.2014; 13.11.2014; 07.12.2014; 16.12.2014; 03.01.2015 Newsletter Netzwerk Reparatur-Initiative, 30.10.2014; 18.11.2014; 12.12.2014; 19.12.2014; 16.01.2015; 29.02.2015; 29.02.2016; 02.03.2016; Newsletter Netzwerk Reparatur-Initiativen 12-2015: http://anstiftung.de/downloads/sen d/24-reparatur-initiativen/223-newsletter-netzwerk-reparatur-initiativen-122015, (06.01.2015). 4. Zeitungen/ Zeitschriften/ Artikel Berliner Zeitung: Eröffnung am Alex. Demonstrieren und shoppen bei Primark 03.07.2014a: http://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/primark-eroeffnet-aktivist en-demonstrieren, (03.07.2015). Berliner Zeitung: Kleidertausch statt Kreischalarm 03.07.2014b: http://www. berliner-zeitung.de/berlin/neuer-primark-in-berlin-am-alex-kleidertausch-stat t-kreischalarm,10809148,27693448.html, (07.02.2016). Business Ladys (2012): Der Studentinnen neue Kleider, S. 34–37. Der Spiegel (2012): Heile Welt. GLOBAL VILLAGE: Warum eine neue Bewegung aus den Niederlanden Toaster und Bügeleisen repariert, S. 98: Online unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-85913052.html, (27.01.2016). Der Spiegel Wissen (2013), Vol. 1/2013: Blühende Orchideen, S. 72–73. Die Zeit: Frankreichs Supermärkte dürfen Lebensmittel nicht wegwerfen, 22.05. 2015: Online unter http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-05/lebensmittelverschwendung-frankreich, (31.07.2015). Frankfurter Allgemeine Zeitung: Sharing Economy. Haben ist seliger als Teilen! 13.04.2013: online unter http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen /geld-ausgeben/sharing-economy-haben-ist-seliger-als-teilen-12139540.html, (29.08.2015). Frankfurter Rundschau online: Wem gehören die Kekse im Müll? 13.02.2012: http://www.fr-online.de/panorama/prozess-wegen-containern-wem-gehoeren -die-kekse-im-muell-,1472782,11627168.html, (11.02.2016). Geo (Jul. 2013). Hessische Niedersächsische Allgemeine: Lebensmitteldiebstahl? Freispruch für Witzenhäuser Studenten 20.02.2014: http://www.hna.de/lokales/witzenhause n/eschwege-ort28660/tegut-containern-prozess-demo-3374812.html, (22.01. 2016). OYA. anders denken, anders leben 20 (Mai 2013).
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12. Danksagung Ein Weg entsteht, wenn man ihn geht.
Mein Dank gilt
Prof. Dr. Markus Tauschek Prof. Dr. Silke Göttsch-Elten Dem Collegium Philosophicum der Philosophischen Fakultät der CAU Kiel Dem Projektkolleg „Erfahrung und Umgang mit Endlichkeit“ Dem Graduiertenzentrum der CAU Kiel Meinen Interviewpartnern und -partnerinnen Meinen Korrekturleserinnen Meinen geliebten und mich liebenden Eltern Den restlichen geliebten Grewes Den geschätzten Menschen, die meinen Weg bis hierher begleitet haben Den Menschen, die für einen anderen Umgang mit der Welt stehen
(Eine Reihung ist nur eine Dimension von Bedeutung)
Soziologie Uwe Becker Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3056-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5
Gabriele Winker Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart., 11,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3040-4 E-Book: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4
Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, Alexander Ziem (Hg.) Diskursforschung Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.) 2014, 1264 S., kart., 2 Bde. im Schuber, zahlr. Abb. 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2722-0 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2722-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat 2014, 528 S., kart., 24,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-2835-7 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich E-Book: ISBN 978-3-8394-2835-1
Carlo Bordoni Interregnum Beyond Liquid Modernity März 2016, 136 p., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3515-7 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7
Kijan Espahangizi, Sabine Hess, Juliane Karakayali, Bernd Kasparek, Simona Pagano, Mathias Rodatz, Vassilis S. Tsianos (Hg.)
movements. Journal für kritische Migrationsund Grenzregimeforschung Jg. 2, Heft 1/2016: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 272 S., kart. 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3570-6 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich: www.movements-journal.org
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de