Taylor-System für Deutschland: Grenzen seiner Einführung in deutsche Betriebe [Reprint 2019 ed.] 9783486748444, 9783486748437


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German Pages 285 [288] Year 1922

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Table of contents :
VORWORT
INHALT
Der Aufbau der Arbeit
Geschichtliches. Die Zeit des lokalen Marktes (Stadtwirtschaft)
Das Taylorsystem
Nordamerikanische Verhältnisse und Taylorismus
Taylorismus und Deutschland
LITERATUR
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Taylor-System für Deutschland: Grenzen seiner Einführung in deutsche Betriebe [Reprint 2019 ed.]
 9783486748444, 9783486748437

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TAyLOR-SySTEM FOR DEUTSCHLAND G R E N Z E N SEINER EINFÜHRUNG IN DEUTSCHE BETRIEBE VON

DR. FRITZ SÖLLHEIM MIT 5 A B B I L D U N G E N IM TEXT

MÜNCHEN UND BERLIN 1922 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

Alle Redite, einschließlich des Qbersetzungsrechtes, vorbehalten Copyright 1922 by R. Oldenbourg, München

VORWORT.

Konkurrenzfähig bleiben oder verhungern! In dieser Zeit der zunehmenden Verelendung Deutschlands ist die V e r r i n g e r u n g der S e l b s t k o s t e n o b e r s t e s G e b o t . T a y l o r wollte uns dazu führen durch straffste Anpassung an den technisch-wirtschaftlichen Fortschritt, durch eiserne Organisation, aber auch durch stärkste Menschenausnutzung. Vielfach wurden die Arbeiter an eine Maschinerie gekettet, die alle Lebenskräfte in ihnen erstickte. Das Buch beleuchtet scharf das B r a u c h b a r e u n d S c h ä d l i c h e des T a y l o r s y s t e m s und der w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e t r i e b s f ü h r u n g und f ü h r t ein in die Arbeitsökonomie rationeller Betriebsorganisation. Mit strenger Unparteilichkeit werden die veränderten politischen, staatsrechtlichen, sozialen und werkpolitischen Grundlagen unserer Betriebsarbeit gezeichnet, Arbeiterverhältnisse, Tarifrecht, Betriebsrätegesetz, Gewerkschaftspolitik klar erörtert und alle wichtigen gewerblichen Organisationsfragen, wie Werkstättenorganisation, personelle und sachliche Gliederung, Meistersystem, Arbeitsbureau, Arbeitsteilung und Arbeitsverbindung, Zeit-, Bewegungs- und Ermüdungsstudien, Normung, Typisierung, Spezialisierung, Lehrlings- und Arbeiterauslese durch psychotechnische Eignungsprüfungen eingehend kritisch besprochen. Alle, die mit dem Wirtschaftsleben in Beziehung stehen, sollen von diesem Buch angeregt und befruchtet werden: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Gesetzgeber und Politiker, Arbeiterführer und Sozialbeamte, Volkswirtschaftler und Wirtschaftspsychologen, Lehrerschaft und Presse. I*

IV

Es handelt sich nicht bloß um privatwirtschaftliche ökonomisierung, nicht bloß um brennende volkswirtschaftliche und soziale, arbeitsrechtliche, sozial-hygienische und sozialpädagogische Notwendigkeiten. Es handelt sich vielmehr um d a s K u l t u r p r o b l e m d e r G e g e n w a r t , um unseren Wiederaufstieg, um unsere Zukunft. Uns bleibt nur eine Wahl: Leistungssteigerung oder Verelendung! Zu danken habe ich besonders meinen verehrten Lehrern: Herrn Univ.-Prof. Dr. Frhrn. v. G o t t l - O t t l i l i e n f e l d , dem früheren Leiter des Technisch-Wirtschaftlichen Instituts der Technischen Hochschule M ü n c h e n , Herrn Dr. W i l l y H e l l p a c h , Prof. der Wirtschaftspsychologie an der Technischen Hochschule K a r l s r u h e , Herrn Univ.-Prof. Dr. B r a u s , Direktor des Anatomischen Instituts der Universität H e i d e l b e r g , Herrn Univ.-Prof. Geheimrat Dr. v. E h e b e r g , Leiter des staatswissenschaftlichen Seminars der Universität Erlangen, ferner dem V e r e i n d e u t s c h e r I n g e n i e u r e , dem A l l g e m e i n e n D e u t s c h e n G e w e r k s c h a f t s b u n d e , dem I n s t i t u t f ü r a n g e w a n d t e P s y c h o l o g i e , B e r l i n , manchen Unternehmungen, Organisationen und Behörden und für das Lesen der Korrekturbogen meinem lieben Bruder Herrn Hauptlehrer L o r e n z S ö l l h e i m in M ü n c h e n . Für alle fördernde Kritik, Ergänzungen, Literaturangaben bin ich dankbar. Dr. Fritz Söllheim.

INHALT. Seite

Vorwort III A u f b a u der A r b e i t i Geschichtliches 4 Das Taylorsystem 8 Ältere Untersuchungen Taylors und seiner Schüler 9 Schaufelarbeit, Auf- und Abladearbeit, Hofarbeit. Untersuchungen zur Ermittlung der besten Arbeitsmethoden und der wirtschaftlichsten Produktionsmittel 13 Verbesserung von Werkzeugen und Maschinen 14 Maurerarbeit 17 Arbeiter- und Angestelltenauslese 20 Arbeiterauslese durch die Praxis 21 Die psychologische Arbeiterauslese 22 Taylors Grundsätze für die Personenauswahl und Personenverteilung 27 Das Fachmeistersystem Taylors 33 Erziehung und Ausbildung der Meister 35 Die Vereinheitlichung der Betriebsarbeit 36 Betriebsnormung 36 Arbeitsbureau 41 Die Lohnfrage bei Taylor Kurze Übersicht über Lohnformen 46 Hauptformen der Akkordlöhne 47 Die Lohnverfahren in Taylorbetrieben 48 Allgemeine Grundsätze Taylors über Lohnbemessung . . 55 Lohntheoretische Folgerungen. S. 57. Beispiele . . . . 60 Bringt Taylor etwas Neues ? 63 ökonomisches Prinzip, Arbeitsgemeinschaft, induktive Methode, Gesetz der Substitution, Normung, Arbeitsvorbereitung, Arbeiterverwendung, Zeit- und Bewegungsstudien, Eignungsprüfung Taylors Quellen 69 Gibt Taylor ein System? 71

Vi Seite

Nordamerikanische Verhältnisse

und T a y l o r i s m u s . .

80

Zur Psychologie des amerikanischen Wirtschaftsmenschen . . Einfluß des Naturrechts, Staatsidee Religiöse Momente Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse der Union

80 öi 82 83

Arbeiterverhältnisse in der Großindustrie Arbeiterorganisation Industrieentwicklung Kapitalistische Wirtschaftspolitik Soziale Entwicklung Taylors Ideenwelt Regierung und Taylorsystem Soziale Einstellung der Taylorbewegung Erklärung des amerikanischen Gewerkschaftsbundes Taylorismus und industrielle Entwicklung

83 85 86 88 90

. . .

'>3 101 103 .104 105

T a y l o r i s m u s und D e u t s c h l a n d Soziale Entwicklung in Deutschland Die Beschränkungen der Freiheit des Unternehmers

107 109 . . . . t2i

a) in Arbeitereinstellung und Arbeiterausstellung . . . b) bei Aufstellung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse und in der Betriebsorganisation Tarifverträge Arbeitsordnungen Betriebsräte Einfluß auf die Werkpolitik Taylorsystem und deutsche Organisation Arbeitsstudien

122 130 130 133 133 139 144

Zeitstudie 144 Ermüdungsstudie 149 Von der Zeitstudie zur Bewegungsstudie zur Arbeitsstudie 164 Die Grenzen der Anwendung der Unterweisungskarte . . 1 7 0 Die Normung

182

Deutscher Normenausschuß, Einführung der D. I.-Normen in den Betrieb. Betriebsnormen. Normung und Handwerk Das Arbeitsbureau Taylors Das Fachmeistersystem Taylors Beruf sauslese Die Eignungsprüfung Grenzen des psychotechnischen Experiments Deutsche Beurteilung des Taylorsystems Stellung des Reichsarbeitsministeriums Stellung der Gewerkschaften

192 194 tg6 200 203 213 213 215

VII Seite

Förderung der wirtschaftlichen Betriebsführung durch die deutsche Wissenschaft und Wirtschaft und durch den Staat 219 Institute, Ausschüsse, Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk 223 Z u s a m m e n f a s s u n g und Schluß 226 Bedeutung des Taylorismus 226 Gesetz des Organisationsvertrages. Organisationsstufen . . . 232 Rentabilität und soziale Kultur 237 Anhang

243

Arbeitseinflüsse, Vordrucke, Forschungsstätten, Forscher, Arbeitgeber und Arbeitnehmerverbände, Organisationsstufen. Literaturverzeichnis 259

Der Aufbau der Arbeit i.

Gegenstand.

Die Arbeit behandelt die nach dem Amerikaner F r e d e r i c k W i n s l o w T a y l o r (1855 bis 1915) benannte Art der Betriebsorganisation und Betriebsführung. T a y l o r wurde durch seine praktische Arbeit und durch seine Schriften der Vater einer Richtung der modernen Betriebslehre, welche durch weitgehende Arbeitsteilung und Normung der gesamten Betriebsarbeit (einschließlich der Menschenarbeit) und seiner Organisation die beste Rationalisierung des Produktionsprozesses erstrebt. 2. U m f a n g u n d G l i e d e r u n g d e r

Arbeit.

Die Arbeit bildet den ersten größeren Versuch, die volkswirtschaftliche Brauchbarkeit des Taylorsystems für deutsche Verhältnisse eingehend zu untersuchen. Mein Ziel ist nicht, eine Beschreibung aller Einrichtungen der nach dem Taylorsystem arbeitenden Betriebe zu geben. Ich versuche vielmehr durch Beispiele aus den Grundschriften T a y l o r s und seiner Schüler die eigenartigen Erscheinungen und leitenden Gesichtspunkte herauszuheben und die Anwendungsmöglichkeit des Systems für deutsche Verhältnisse zu prüfen. Technische und privat wirtschaftliche Einzelheiten des Systems werden zwar reichlich geboten, aber diese Darbietung von Details durfte nicht zur Hauptsache werden ; denn viel wichtiger noch erschien mir die Aufdeckung der volkswirtschaftlichen und kulturellen, der arbeitsrechtlichen, sozialhygienischen, sozialethischen und sozialpädagogischen Zusammenhänge, welche zwischen Betriebsorganisation und deutscher Wirtschaftskultur bestehen. Die Problemstellung geht also weit über die des reinen Technikers und Kalkulators hinaus. S ö l l h e i m , Taylorsystem.

I

2

Zuerst wird das Tayiorsystem, wie es in amerikanischen Fabriken Anwendung gefunden hat, dargestellt, und hierauf seine Hauptprinzipien kurz beleuchtet. Auch wird hingewiesen, wo schon früher ähnliche Ideen in Wirtschaft und Wissenschaft aufgetreten sind. Da man das Taylorsystem nur richtig verstehen kann, wenn man den sozialen Nährboden, aus dem es emporwuchs, kennt, so wurden die gesellschaftlichen Verhältnisse der Union in Weltanschauung und Kultur, in den politischen, staatsrechtlichen und sozialen Grundlagen der Arbeit erörtert (Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik, Industrieentwicklung, Arbeitsgesetzgebung und Gewerkschaftsbewegung, Arbeiterverhältnisse in der Großindustrie). Hierauf wurde nochmals zusammenfassend betrachtet, wie T a y l o r als Kind seiner Zeit ganz unter dem mächtigen Einfluß der politischen, natürlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Ideen der Union und seiner Industrieentwicklung stand. Dabei kamen auch wichtige Einwände gegen den Taylorismus zur Sprache. Inwieweit ist nun das Taylorsystem auf Deutschland anwendbar ? Zur Untersuchung dieser Frage war es nötig, auf etwas breiterer Grundlage die deutsche Wirtschaftsund Kulturentwicklung bis zur jüngsten Gegenwart darzustellen. Erst dadurch erhielten wir einen sicheren Standpunkt für die Beantwortung. Wir sehen bald, daß das Taylorsystem sich in Deutschland ganz anderen Bedingungen anpassen muß, falls es hier lebensfähig sein soll. Alle wichtigen Merkmale des Taylorsystems werden an den sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Grundlagen der neuen deutschen Wirtschaftsverfassung und an den Forderungen und Strebungen einflußreicher politischer Machtfaktoren (Berufsorganisationen) gemessen. Eingehendere Behandlung erfuhr dabei die neueste Entwicklung des deutschen Arbeitsrechtes (Arbeitereinstellung und -ausstellung, Tarifverträge, Arbeitsordnungen, Betriebsräte). Immer wieder stoßen wir auf den fundamentalen Unterschied zwischen der manchesterlichen-liberalistischen Wirtschaftspolitik der Union und der mehr sozial eingestellten deutschen Arbeitsverfassung.

3 Als ich an die Lösung der Aufgabe ging, die Grenzen der Anwendung des Taylorsystems auf deutsche Verhältnisse zu untersuchen, war ich mir von vornherein der Schwierigkeiten bewußt, die mit einer solchen Untersuchung verknüpft sind. Unsere ganze Arbeitsgesetzgebung und unsere Wirtschaft steht im Zeichen einer Neuorientierung und Umstellung. Erwuchsen doch aus dem sozialen Nährboden durch die Not des Krieges, der Revolution und des harten Friedens immer wieder neue Bedürfnisse und neue soziale und wirtschaftliche Probleme. Wir stehen noch mitten im Flusse einer großen Bewegung, die eine andere Machtverteilung der gesellschaftlichen Klassen herbeiführt. In dieser Krisis der Wirtschaftsumschichtung ist es nicht immer leicht, die Verschiebung der staats- und werkpolitischen Machtverhältnisse, welche sich in der ganzen Volkswirtschaft bis herunter zum Einzelbetrieb bemerkbar macht und die wirkenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zielstrebungen klar zu erkennen. Und doch mußte dies versucht werden; denn das Taylorsystem sollte nicht nur beschrieben werden, sondern mußte in Beziehung gebracht werden zu dem großen Gesamtzusammenhang unseres kulturellen Lebens. Auf Schritt und Tritt mußte daher immer wieder Stellung genommen werden zu den großen Gegenwartsaufgaben der deutschen Wirtschaft und Technik. Dazu kamen noch mannigfache andere Schwierigkeiten. Die Literatur liegt verstreut in vielen wirtschaftlichen, technischen, psychologischen, physiologischen und hygienischen Zeitschriften und in der Tagespresse. Vor allem fehlen in Deutschland praktische Erfahrungen fast ganz. Viele Fragen des Taylorismus gehören Grenzgebieten der Volkswirtschaftsund Privatwirtschaftslehre, der Physiologie, Wirtschaftspsychologie, Arbeitshygiene, der Pädagogik und der Sozialpolitik an. Sie werden noch auf lange Zeit umstritten bleiben. Der Zwang zur wirtschaftlichen Arbeit. Alle höhere Kultur beruht nicht zuletzt auf einer Verbesserung gesellschaftlicher Ökonomik. Wir lernen immer klarer die in dem Gesellschaftskörper begründeten Bedürfi*

4 nisse, Ziele und Zieländerungen erkennen, immer zweckmäßiger Stoffe, Mittel und Kräfte zur Bedürfnisbefriedigung verwenden. Wie die Nervenbahnen durch öftere Leitung desselben Reizes für eine erleichterte, bessere und schnellere Reizübermittlung befähigt werden, so wird auch die Menschheit für die Erledigung der Kulturarbeit im Laufe der Entwicklung geeigneter. Die Menschen werden immer anpassungsfähiger, die Gesellschaft differenzierter. Ihre Ziele erscheinen klarer, die Zwcckreihen geordneter. Das ganze Fadengewirr und der Kettencharakter wirtschaftlicher Betätigung wird durchsichtiger und in der Ferne erscheint manchem die Welt als ein Vernunftmechanismus, geleitet von klarer Wirtschaftslogik, als ein rationeller Großbetrieb, bei dem die Grundsätze technisch-wirtschaftlicher Vernunft bis ins kleinste verwirklicht sind. Der harte Existenzkampf bedingt, daß das wirtschaftliche Prinzip immer reiner zum Ausdruck kommen muß. Drängt doch die ganze Wirtschaftsentwicklung zu immer besserer Ausnutzung von Stoff, Kraft, Zeit und Raum. Organisation, Arbeitsökonomie, Normierung, Typisierung, Spezialisierung, Psychologisierung und Konzentrierung sind die Schlagwörter des Tages.

Geschichtliches. Die Zeit des lokalen Marktes (Stadtwirtschaft). Die Zunftverfassung des Mittelalters mit ihrer »Konkurrenzregulierung im Interesse der örtlichen Gewerbetreibenden des lokalen Marktes« (Schmoller) konnte diese Gedanken nicht zum Durchbruch kommen lassen. Eine Fülle kleinlicher Vorschriften regelte die Produktionsverhältnisse. So waren Betriebsgröße, die Zahl der Gesellen, Größe des Umsatzes, Preise, Verkaufsstellen, Prüfungsbehörden, Arbeitslohn, Art und Güte der zu verwendenden Materialien (Warenschau, Schauämter) vorgeschrieben und oft die Verwendung gewisser maschineller Einrichtungen verboten.

5

Die Zeit des staatlich gebundenen Verkehrs (Merkantilismus). Die Erfindungen und Entdeckungen im 15. und 16. Jahrhundert brachten den europäischen Staaten neue Entwicklungsmöglichkeiten. Der zünftige Kleinbetrieb konnte den Anforderungen der Zeit nicht mehr genügen, als der Beginn des ozeanischen Zeitalters den Wettbewerb der Großmächte um die Weltherrschaft und den Welthandel hervorrief. Die geschlossene Staatswirtschaft des Merkantilismus erstrebte die wirtschaftliche Selbständigkeit und Blüte der Nation durch eine einheitliche Handelspolitik: »Nicht nur Reichtum an Edelmetall, sondern arbeitstechnische Durchbildung des Volkes, nicht nur politische, sondern wirtschaftliche Zentralisation: Schaffimg des nationalen Marktes an Stelle der mittelalterlichen Stadtwirtschaften, rationelle Industrie, rationelle Landwirtschaft, dazu Kolonien, Handelsgesellschaften, Marine, endlich Finanzierung des Staates durch gleichmäßige Besteuerung« 1 ). Die Herstellung eines kraftvollen Territorial- oder Nationalstaates war das große Ziel der Wirtschaftspolitik, daher freies Walten des Selbstinteresses des Staates zur Befriedigung seines nationalen Eigennutzes, Steigerung aller wirtschaftlichen Kräfte, Vermehrung der Bevölkerung und Beherrschung anderer Völker und Volksteile. Die Verfolgung privaten Gewinnes wird eingedämmt im Interesse des Allgemeinwohls. Eigennutz und Gewinnsucht des einzelnen gelten ja im ganzen Mittelalter hindurch als unsittlich und sozial schädlich. Der materielle Wohlstand des Landes als eines Ganzen soll erstrebt werden.

Die Zeit des freien Verkehrs (Kapitalismus). Der freie Wettbewerb als Zwang zur Arbeitsökonomie. Der Sieg der naturrechtlich, liberal-manchesterlichen Wirtschaftspolitik der Physiokraten, Adam Smith's und der Freihandelsschule brachte die Atomisierung der ständisch und zünftlerisch-genossenschaftlich gegliederten Welt in Einzelmenschen. Man hoffte, daß die freie Auswirkung des Eigen') S c h i e l e , Geschichte der Erziehung, 1909, S. 105.

6 nutzes nicht nur ein Ansporn zur Tatkraft und Unternehmungslust bilde, sondern d a ß dies auch für das ganze Land wohltätige Folgen habe. Der Staat begnügte sich mit der negativen Aufgabe, alle Hemmnisse individueller wirtschaftlicher Freiheit zu beseitigen und für Sicherheit zu sorgen. Die Zollschranken fielen. Die einzelnen Gewerbe und Industriezweige wurden durch die großartige Entwicklung des Güter-, Personen- und Nachrichten Verkehrs immer inniger in die Weltwirtschaft verflochten. Der freie Wettbewerb rief alle Tatkraft und allen Fortschritt in die Arena des wirtschaftlichen Existenzkampfes. Bezugs-, Absatz- und Versandmöglichkeiten wuchsen. Die Vervollkommnung des Nachrichtenverkehrs ermöglichte eine rasche Orientierung über Preise und über den Wechsel der Konjunktur in den verschiedenen Absatzgebieten. Eine Vielheit anpassungsfähiger Kreditorganisationen erleichterten den Kapitalverkehr und die Bewegung des Warenumlaufs. Die Möglichkeit der Ausnützung günstiger Wirtschaftslagen gestattete rührigen, kapitalkräftigen Unternehmern eine ungeheuere Ausdehnung der Produktion. Rücksichtslos konnten sie sich in den wirtschaftlichen Interessenzonen anderer durch Unterbietung der Preise — oft unter Anwendung von Dumping-Methoden — Absatz für ihre Ware verschaffen. Es war oft ein Kampf um Sein und Nichtsein. Konkurrenzfähig bleiben oder verhungern! war die Losung. Die Aufnahmefähigkeit des Marktes hatte seine Grenze, und so legte der wirtschaftliche Kampf manchmal viele Unternehmungen still. Tausende ehrliche Arbeitswillige wurden dadurch auf die Straße geworfen. Brachte nicht dieser grenzenlose Raubbau, diese brutale Ausbeutung das schlimmste Sklaventum ? B a l d »fühlte das freie, aber isolierte Individuum den ganzen Jammer seiner Hilflosigkeit, und die Erkenntnis erweckte-in allen am wirtschaftlichen Leben beteiligten Kreisen das Bedürfnis nach Assoziation, Strukturierung, Organisation, um mit vereinten Kräften das Übel zu überwinden, das der Einzelmensch nicht überwinden kann« 2 ). *) v. N o s t i z , Hans, Das Aufsteigen des Arbeiterstandes in England, 1900. 2) M a y r , Richard, Lehrbuch der Handelsgeschichte, 1907.

7 Erwerbs-, Wirtschafts-, Kreditgenossenschaften, Konsumvereine, Sparkassen, Versicherungsvereine entstanden, um die wirtschaftlich Schwachen zu heben und zu sichern. Trade-Unions und Gewerkschaften suchten die Arbeiter vor Ausbeutung zu schützen und ihrer Arbeitskraft eine Monopolstellung und damit besseren Ertrag zu verschaffen. Große Kapitalverbände, wie Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Riesenbetriebe, oft mit vielen Filialen und mit Tochtergesellschaften, wuchsen empor. Arbeitgeberverbände strebten die Interessen der Unternehmer den Arbeitern gegenüber zu wahren. Kartelle, Syndikate, Ringe und Trusts versuchten durch gemeinsame Regelung des Einkaufes, der Produktion und des Absatzes den gegenseitigen Wettbewerb auszuschalten und die möglichst ausschließliche Verfügungsgewalt über Verkehrsobjekte, wie Sachgüter, Dienstleistungen, Darlehenskapital und Effekten, zu erlangen. So drängte also der freie Wettbewerb zur Bildung mächtiger Interessengemeinschaften; denn »wo möglichst billige Produktion, wo eine immer größere Verringerung der Produktionskosten das absolute Gebot der Produktion wurde, muß sich zur möglichst großen Arbeitsteilung die möglichst große Arbeits- und Kapitalsvereinigung gesellen, um durch diese Vereinigung die möglichst große Massenproduktion herbeizuführen« 1 ). Vor allem aber wirkte die Einbeziehung der Kulturstaaten in die Verkehrswirtschaft stark umgestaltend auf die gesellschaftliche und technische Arbeitsteilung, also auf die soziale Berufsgliederung und auf die innere Beschaffenheit und Organisation der Produktionsunternehmungen. Man wurde gezwungen, sich immer mehr den Fortschritten der Wissenschaft, Technik und Wirtschaft anzupassen. Dies führte zu Änderungen der Technik der Stoff- und Kraftgewinnung und Stoffverteilung, des Verkehrs- und Siedlungswesens. *) S c h ö n b e r g , Gustav, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Zunftwesens (1867). Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, g. Bd.

Das Taylorsystem. So drängt die neue Zeit des freien Wettbewerbs die einzelnen Betriebe zu immer besserer Organisation, zu wirtschaftlichen Methoden im Einkauf, in der Produktion, in Verwaltung und im Verkauf. Je mehr es einem Unternehmen gelingt, durch besseren Standort, durch Maschinen, billige Arbeitskräfte, neue Verfahren und Patente, zweckmäßigere Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung, bessere Kontrolle, günstige Ausnutzung der Konjunkturen die Produktionskosten zu verringern, um so lebensfähiger wurde es. Technischwirtschaftliche ökonomisierung wird zur ernsten Notwendigkeit, zur Lebensfrage der Betriebe. Die deutsche Industrie wurde durch die Überlegenheit der englischen zur rationellen Betriebsführung, zur Technisierung und guter Organisation gezwungen. Die Union mit ihrem Reichtum an natürlichen Hilfsquellen arbeitete auf vielen Gebieten noch lange Zeit unwirtschaftlich. Erst allmählich wurde sie durch den Konkurrenzkampf getrieben, ihren Raubbau an Stoffen und Menschen einzuschränken und ökonomischer zu arbeiten. Es ist nicht zu verwundern, daß gerade in den Vereinigten Staaten mit ihrer rasenden Industrieentwicklung und der freiesten Entfaltungsmöglichkeit des wirtschaftlichen Eigennutzes der Ruf nach besserer Ausnutzung der Produktionsmittel, nach Steigerung und Verbilligung der Produktion mit am lautesten ertönte. Der große Bahnbrecher auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Betriebsführung war der amerikanische Ingenieur Frederick Winslow T a y l o r . Seine Schriften erregten in der ganzen Kulturwelt ungeheueres Aufsehen. Es wird wohl kaum eine technische Zeitschrift, kaum eine große Tageszeitung geben, die sich nicht mit den Ideen T a y l o r s auseinandergesetzt hat. Nicht nur bei Technikern und Ingenieuren, sondern auch in weiteren Kreisen waren die T a y l o r sehen Gedankengänge der Gegenstand heftigsten Streites. Handelte es sich doch nicht bloß um wichtige privatwirtschaftliche sondern vielmehr auch um bedeutungsvolle volkswirtschaftliche und soziale, arbeitsrechtliche und sozialhygienische, psychologische und erzieherische kulturelle Probleme.

9 T a y l o r versuchte, die schwierigen Fragen einer ö k o n o misierung der Betriebsarbeit wissenschaftlich z u untersuchen, u m den Wirkungsgrad der menschlichen Arbeit möglichst steigern u n d die Betriebslehre auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen z u können. Er w a r früher Arbeiter, bald — anfangs der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts — Werkmeister bei Stahlwerken (Midvale Steel Works). A l s Vorgesetzter wollte er die Arbeiter z u größerer Leistung anspornen, da er durch seine eigene T ä t i g k e i t als Arbeiter die Überzeugung hatte, d a ß sie nur ein Drittel ihrer wirklichen Leistung vollbrachten. E r h a t t e aber wenig Erfolg. E s entwickelte sich ein äußerst gespanntes Verhältnis zwischen ihm und seinen Arbeitern, so d a ß er bereits daran dachte, einen anderen Beruf z u ergreifen, wenn es ihm nicht durch eine neue Arbeitsmethode gelänge, diesen dauernden Schikanen durch die Arbeiter ein E n d e z u machen. 1 ) »Ich fand allerdings auch, d a ß der größte Mangel die fehlenden Kenntnisse w a r e n . . . . Ich wußte, d a ß die Arbeiter zehnmal mehr w u ß t e n als ich. W i r begannen daher damit, Schritte z u unternehmen, die dazu dienen sollten, d a ß der Meister ungefähr so viel w u ß t e als der Arbeiter. Ferner gingen wir daran, die Eigentümer u n d die Direktoren der MidvaleSt ahlwerke auf verschiedene A r t z u unterrichten, damit diese auch etwas von den Kenntnissen der Arbeiter erlangten. D a s waren also die ersten Schritte zur wissenschaftlichen Betriebsführung« (III, 1920, S. 26¡2j)2).

Ältere Untersuchungen Taylors und seiner Schüler. Schaufelarbelt. Später war T a y l o r bei den Bethlehem-Stahlwerken z u South-Bethlehem in Pennsylvanien. D a s W e r k beschäftigte auf seinen Lagerplätzen an die 600 Schaufler und Taglöhner ') Uber T a y l o r s Emporkommen bei den Midvale-Stahlwerken s. The Annais, S. 78 (Literaturverzeichnis!). Man lese dort auch S. 146, 148 bis 164, 186 bis 187. *) I, II, III sind Abkürzungen für die einzelnen Grundschriften T a y l o r s ; s. Literaturverzeichnis, S. I.

10 mit dem Beladen und Entladen von Eisenbahnwaggons, Hüttenwagen und Karren. Mit einigen erstklassigen Schauflern wurden nun die verschiedensten Einflüsse, welche die Schaufelarbeit beschleunigen oder verzögern können, untersucht. Man fand nach vielen Beobachtungen, daß bestgeübte, kräftige, arbeitswillige Arbeiter bei einer Schaufellast von 914 kg die größte Tagesleistung erreichen 1 ). Da nun die Arbeiter oft hintereinander die verschiedensten Stoffe zu schaufeln hatten, z. B. leichte Kohle, Koks, Kalkstein, schweres Erz, so wurden für verschiedene Arbeiten verschiedene Schaufelarten verwendet. Im Laufe der Jahre gebrauchte man auch für andere Arbeiten sorgfältig entworfene und normalisierte Arbeitsgeräte, wie Picken, Brecheisen, Zangen usw. Durch genaue Versuche stellte man die zweckmäßigste Art und Schnelligkeit des Schaufeins, die beste Körperhaltung, Fußstellung, die Größe der Spaten, den besten Abstand der Hände am Spatenstiel und die wirtschaftlichsten Arbeitspausen (unter Berücksichtigung der Ermüdbarkeit des Arbeiters), den Einfluß der Wurfhöhe und Wurfweite und einer richtigen Unterweisung und Einübung des Arbeiters in der besten Ausnutzung seiner Kräfte fest.

Auf- und Abladearbeit. Bei den Untersuchungen über die Auf- und Abladearbeit ging man folgendermaßen vor: Ein erstklassiger Arbeiter wurde während der Arbeit genau beobachtet. Seine einzelnen Bewegungen wurden durch eine Präzisionsstechuhr gemessen und aufgeschrieben. Man stellte also den Zeitaufwand der einzelnen Teilarbeiten beim Beladen eines Waggons fest (I. S. 15 bis 18 § 44): Aufnahmen der Arbeitsstücke (Zeit in Hundertstel von Minuten), Tragen auf wagrechtem Wege (Zeit für die Längeneinheit), Niederlegen der Stücke (Zeit in Hundertstel von Minuten), Zurückgehen zum Holen eines neuen Stückes (Zeit für die Längeneinheit des Weges), Bestimmnng der Zeiten für Ruhepausen und unvermeidliche Unterbrechungen. Auch die ganze Arbeit und die Tagesleistung wurden zur Kontrolle wiederholt ») II. S. 68—80; III. s. 59/54. Siehe Anmerkung 2 auf S. 9.

11 an gleich tüchtigen Arbeitern gemessen. Auf Grund dieser Zeit- und Bewegungsstudien konnte man die Arbeiter zur wirtschaftlichsten Ausnutzung ihrer Kräfte anleiten. Sie konnten bald statt 171/2 t Roheisen 48 t verladen 1 ). So wurden also für die verschiedenen Tätigkeiten der Hofarbeiter Tagesaufgaben festgelegt, die nur erstklassige Arbeiter erreichen konnten. Mit den alten Arbeitergruppen war es natürlich unmöglich, solche Höchstleistungen zu vollbringen; denn die Arbeitsleistung des Rottenarbeiters nähert sich mehr und mehr der Leistung des schlechtesten Arbeiters. Durch sorgfältige Arbeiterauswahl und planmäßige Schulung der Arbeiter, durch Bezahlung nach Leistung (Prämienlohnsystem), individuelle Behandlung der Arbeiter und Aufstellung eines möglichst großen Arbeitspensums, das unter allen Umständen erreicht werden sollte, erzielte man diese großen Erfolge. Jeder einzelne Arbeiter entnahm täglich vor Beginn der Arbeit seinem numerierten Fache 2 Zettel: erstens einen Arbeitsanweisungszettel, auf dem Arbeitsort, Art der Arbeit, alle Werkzeuge, Werkzeugausgabestelle und Arbeitspensum vermerkt war, zweitens den Lohnzettel. Ein gelber Lohnzettel bedeutete, daß der Arbeiter tags vorher seine Arbeitsaufgabe nicht erreicht habe und daher einen Lohnabzug erleide und daß er aus der betreffenden Arbeitergruppe entfernt werde, wenn er öfters sein Tagespensum nicht erfülle. Die Arbeiter gaben diesen Zettel oder einen Abschnitt in der Werkzeugabgabe ab und erhielten dafür alle nötigen Werkzeuge.

Organisation der Hofarbeit. Die Arbeiter der Bethlehem - Stahl - Werke waren auf einem Raum von 3,2 km Länge und 800 m Breite verstreut. Um viele unnötige Wege und Arbeit der Arbeitsgruppen zu sparen, bedurfte es eines guten Arbeitsplanes, eines zweckmäßigen Anleitungs- und Kontrollsystems. Die ganze Verlade- und Aufräumearbeit wurde tags vorher von einem Arbeitsbureau nach Menge und Art festgestellt. Die Arbeit wurde darnach sorgfältig verteilt, die Auflade- und Abladeplätze, Werkzeuge und Wege und die Tagewerke vorgeschrie*) Über die Ermüdungswirkung dieser Arbeit s. S. 62, 63.

12 ben. Das alles erforderte natürlich eine eingehende Kenntnis der noch zu erledigenden Arbeitsmenge, der Arbeitsplätze, der Arbeits- und Verkehrsmittel und der Arbeitsbedingungen. »Die Bewegungen der Arbeiter von einer Arbeitsstelle zur anderen wurden durch die Assistenten an der Hand von genauen Plänen und Karten der Gleisanlagen, Lagerplätze und der Straßen zwischen den einzelnen Werkstätten möglichst zweckmäßig schon im Arbeitsbureau bestimmt und von dort aus angeordnet, etwa so, wie man Schachfiguren auf einem Schachbrett hin- und herschiebt. Zu diesem Zweck wurden Fernsprech- und Botendienst eingerichtet. So wurde der große Zeitverlust, der bisher dadurch entstand, daß zu viele Arbeiter an der einen Stelle oder zu wenig an der anderen waren, gänzlich beseitigt, ebenso fiel das Warten nach Erledigung eines Auftrages bis zur Erteilung des nächsten und bis zu seiner Inangriffnahme fort« (II, S. 372; vgl. auch S. 68 bis 80). Die Arbeiter wurden planmäßig zur Höchstleistung erzogen, die gewandtesten Kräfte dienten als Anleiter und Lehrer. Die Versuchsabteilung zeigte die besten Arbeitsmethoden und Arbeitsvorteile, die zweckmäßigsten Werkzeuge und Einrichtungen. Die Werkzeug- und Materialausgabestelle hielt die Werkzeuge instand und verhütete durch gute Organisation und Kontrolle Zeitverlust und Verschleuderung von Material und Werkzeugen. Der Erfolg dieser planmäßig vorbereiteten Arbeit, dieses »Planwerks«, wie es Prof. H e l l p a c h nennt, war ein ganz überraschender. Altes System

Die Zahl d e r H o f a r b e i t e r w u r d e verringert von u n g e f ä h r Durchschnittsleistung täglich

eines

Durchschnittstagelohn

eines Mannes

400—600

Neues Pensumsystem

auf

140

Mannes 16 t

Durchschnittliche Kosten f ü r T r a n s port und Verladen p r o t . . . .

M. 4,80 (ioo»/ 0 ) M. 0,291

» »

»

59 t M. 7,80 (163.5 7o) M. 0,138.

(Tabelle a u s I I , S. 74.)

Alle Bureau- und Werkzeugspesen, die Löhne und Gehälter aller Aufsichtsorgane und des Personals der Versuchs-

13 abteilung, die Mehrausgaben für neue Einrichtungen, Werkzeuge, Fernsprecher u. dgl. sind dabei eingerechnet. Diese Höchstleistungen können nur erzielt werden durch Interessierung des Arbeiters am Arbeitserfolge (Prämienlohnsystem), durch gute Arbeiterauslese, zweckmäßige Anleitung zu rechter Kräftebenutzung, durch Arbeitsvorbereitung und Arbeitsverteilung (Vorschreiben eines Tagespensums, der Werkzeuge und Wege). Als besonderen Erfolg bucht hier T a y l o r die Herbeiführung eines besseren Verhältnisses zwischen den Meistern und Arbeitern. Als wesentlich halten wir fest: T a y l o r s u c h t n a c h der b e s t e n A r b e i t s m e t h o d e , den g e e i g n e t s t e n A r b e i t e r n , der z w e c k m ä ß i g s t e n Arbeiterausbildung, den w i r t s c h a f t l i c h s t e n Prod u k t i o n s m i t t e l n u n d der b e s t e n O r g a n i s a t i o n .

Untersuchungen zur Ermittlung der besten Arbeitsmethoden und der wirtschaftlichsten Produktionsmittel. Jeder tüchtige Arbeiter besitzt eine Menge von Arbeitsvorteilen. T a y l o r sucht alle wertvollen Arbeitsverfahren der einzelnen für alle Arbeiter nutzbar zu machen. Besonders tüchtige Kräfte werden während der Arbeit aufs genaueste beobachtet. Die besten Arbeitsvorteile werden dem einzelnen Arbeiter dabei abgeschaut. »Kenntnisse, die niemals beachtet und aufgezeichnet wurden, Fähigkeiten, die in den Köpfen und Händen einzelner verborgen sind, deren Geschicklichkeiten, Kunstgriffe und Gewandtheit, auf welche die Arbeiter stolz sind, und die sie als ihr alleiniges Eigentum halten, müssen gesammelt, klassifiziert, in Tabellen und Gesetze gebracht werden. Für den praktischen Gebrauch sind dann daraus mathematische Formeln aufzustellen, die bei ihrer Anwendung zu ganz erstaunlichen Ergebnissen führen« (III, 1920, S. 52). Durch solche planmäßige Beobachtungen und eingehende Versuche fand man schließlich sehr gute wirtschaftliche Arbeitsmethoden. Selbst die einfachsten Arbeiten, wie z. B. das Schaufeln, wurden aufs sorgfältigste untersucht. Man erreichte hier den größten Wirkungsgrad, »wenn man den rechten

14

Arm an die rechte Hüfte legte, dabei die Schaufel an das linke Bein hielt und, während die Schaufel in das Material gestoßen wurde, das ganze Körpergewicht auf der Schaufel ruhen ließ. Diese Arbeit benötigt weniger Muskelkraft, weil in der Hauptsache das Gewicht des Körpers die Arbeit leistet, wenn der Arm als Stütze dient. Wird die Arbeit, wie von den meisten so gemacht, daß sie mit den Armen allein eine Schaufel in einen festen Haufen treiben, dann nimmt das viel Kraft zwecklos in Anspruch« (III, 1920, S. 64). Es soll ganz komisch auf uns Europäer wirken, wenn wir amerikanische Arbeiter nach solchen Arbeitsweisen schaufeln sehen. Immer finden wir b e i T a y l o r und seinen Schülern das Streben, nicht bloß gute Beobachtungen zu sammeln, sondern durch planmäßige Versuche unter Anwendung exakter Forschungsmethoden zu möglichst gesicherten Ergebnissen zu gelangen. Dadurch wird die brauchbare Grundlage für eine wissenschaftliche rationelle Betriebslehre geschaffen. Wenn man bedenkt, daß die experimentelle Psychologie erst in den letzten Jahrzehnten zu einigermaßen brauchbaren, keineswegs noch immer sicheren Methoden der Arbeits- und Ermüdungsmessung gekommen ist, so wird man die Versuche T a y l o r s besser würdigen.

Verbesserung von Werkzeugen und Maschinen. Im Herbste 1880 erhielt T a y l o r vom Direktor der Midvale-Stahlwerke die Mittel zu Versuchen, »um die günstigsten Schneidewinkel und Formen von Werkzeugen zur Stahlbearbeitung und die vorteilhafteste Schnittgeschwindigkeit für Stahl zu ermitteln.... Gewaltige Radkränze für Lokomotiven aus gehärtetem Stahl von gleichmäßiger Qualität wurden Tag für Tag in Späne verwandelt. Es wurde so ganz allmählich ermittelt, wie die Schneidewerkzeuge herzustellen, zu formen und zu verwenden seien, damit sie bessere und schnellere Arbeit leisteten. Nach Verlauf eines halben Jahres hatte man so viel praktische Kenntnisse gesammelt, daß sich die für die Versuche aufgewendeten Lohn- und Materialkosten mehr als bezahlt machten. Trotzdem bestand nach unserer Ansicht der Hauptwert der verhältnismäßig geringen Anzahl der vorgenommenen Versuche darin, uns klar vor Augen zu führen.

15 daß das tatsächlich erworbene Wissen nur ein geringer Bruchteil des noch zu erwerbenden sei, ein Wissen, das wir bei unserem Bestreben, den Arbeitern Anweisung und Hilfe bei ihren täglichen Arbeitspensen zu geben, so dringend brauchten« (II, S. i n bis 120) 1 ). Die Versuche wurden 26 Jahre fortgesetzt, um die Grundelemente der Metallbearbeitung kennenzulernen. Immer wieder kam man zu neuen Ergebnissen, zu besseren Werkzeugen und geeigneteren Anordnungen. So konnte man die Schnittgeschwindigkeit der Drehstähle durch Wasserkühlung um 40% erhöhen. Um diese Entdeckung für alle Drehbänke nutzbar zu machen, wurde die alte Werkstätte niedergerissen und eine neue mit den entsprechenden Wasserzuführungen und Abflußkanälen erbaut. Das abfließende Kühlwasser wurde von einer Sammelstelle in einen Wasserturm gepumpt, dessen Höhe gerade den gewünschten Druck für die Kühlleitungen ergab. Außer vielen nicht aufgezeichneten Versuchen wurden ungefähr 30 bis 50000 sorgfältig gebuchte Beobachtungen und Untersuchungen vorgenommen und zehn verschiedene Maschinen gebaut, um die verschiedenen Faktoren, welche auf die Wirtschaftlichkeit der Dreharbeit von Einfluß sind, kennenzulernen. Man fand, daß 12 veränderliche Größen für die Bearbeitung von großer Bedeutung sind: 1. Die Art des Metalls (weicher, kohlenstoffarmer Stahl läßt sich viel schneller bearbeiten als halbgehärteter Stahl oder abgeschrecktes Eisen. T a y l o r gibt genaue Verhältniszahlen der möglichen Umlaufsgeschwindigkeiten für die einzelnen Sorten an), 2. die chemische Zusammensetzung des Werkzeuges und seine Wärmebehandlung (mit bestem Schnelldrehstahl erzielt man bedeutend größere Leistungen als beispielsweise mit Temperstahl), 3. die Spanntiefe — die Dicke des abgeschälten Metallspans, 4. die Spannbreite, 5. die Form des Werkzeugs, 6. das Kühlmittel, ') Siehe A n m e r k u n g 2, S . 9.

16 78. 9. 10. 11. 12.

die die die der der die

Lebensfähigkeit des Werkzeugs, Schneidwinkel des Werkzeugs, Elastizität des Arbeitsstückes (Form, Länge), Durchmesser, Schneiddruck, Durchzugskraft.

Jede einzelne Größe wurde bei Unveränderlichkeit der andern 1 1 Größen für die verschiedensten in der Praxis vorkommenden Bedingungen ermittelt, um die besten Arbeitsverfahren festzustellen und zugleich eine wirkliche wissenschaftliche Grundlegung der Betriebsarbeit zu geben. Auf Grund dieser vielen Erfahrungen konnte man die Dreharbeit äußerst ertragsreich gestalten. Jeder einzelne Dreher erhielt eine Unterweisungskarte für seine Arbeit, auf der die zweckmäßigsten Drehstähle, die einzustellende Geschwindigkeit, Spanntiefe (Vorschub) und Reihenfolge der einzelnen Tätigkeiten, sowie die dazu gebrauchten Mindestzeiten angegeben waren. Tagespensum und Lohn waren darauf genau bestimmt. Unterweisungskarte im Anhang. Es ist ohne weiteres klar, daß solche planmäßige Versuche die Ergiebigkeit der Arbeit sehr steigern können. Sowohl dem Meister als auch dem erstklassigen Arbeiter fehlen meist die Kenntnisse und die Mittel, um derartige Fragen über die zweckmäßigste Ausnutzung der Maschinen, der richtigen Wahl der Schnittgeschwindigkeit und des Vorschubs usw. in allen Fällen gut zu lösen. T a y l o r will durch Konstruktion und Einführung rationeller Werkzeuge und Maschinen die größte Leistungsfähigkeit der Betriebe herbeiführen. Die Arbeitsweisen werden vereinfacht, die Werkzeuge normalisiert, eine wirtschaftliche Organisation sorgt für vorteilhafteste Ausnutzung der Produktionsmittel und Arbeiter. So wird die Ergiebigkeit der Betriebe sehr gesteigert. Man benötigt ein kleineres Lager der Werkzeuge, Ersatzteile und Materialien. Auch ist ein Ersatz der Arbeiter leichter möglich. Die Versuche T a y l o r s führten ihn zur Erfindung des Schnelldrehstahls. Als im Jahre 1900 auf der Pariser Weltausstellung die Bethlehem-Iron-Works zu South-Bethlehem in Südpennsylvanien diesen Taylor-White-Stahl vorführen

17 ließen, wurden derart hohe Leistungen erzielt, daß manche annähmen, solche Dreharbeit diene der Metallspänefabrikation. Mit den Schnelldrehstählen könnte 2 bis 3 mal mehr geleistet werden als mit gewöhnlichen Werkzeugstählen. Ihre Einführung in allen mechanischen Werkstätten ist nur eine Frage der Zeit; denn der verschärfte Konkurrenzkampf zwingt auch hier die Werke zur Anwendung der besten, ergiebigsten Arbeitsverfahren.

Untersuchung der Maurerarbeit. Weit bekannt sind die Untersuchungen Frank B. G i l b r e t h ' s , eines Schülers T a y l o r s , über die Vereinfachung und Verbesserung des Ziegelmauerns (II, S. 80 bis 90) 1 ). Durch jahrelange praktische Arbeitsstudien wurde jede kleinste Einzelbewegung beim Mauern von Ziegelsteinen untersucht. Dabei wurden schnellere Handgriffe und einfachere Geräte und Werkzeuge eingeführt und alle überflüssigen Bewegungen ausgeschaltet. So wurde z. B. die Zahl der Handgriffe und Bewegungen beim Ziegellegen von 18 auf 5 vermindert. Die Arbeit gestaltet sich folgendermaßen: Die Hilfsarbeiter führen Ziegelsteine und Mörtel zu. Der Maurer wird nur mit Ziegellegen beschäftigt. Er bewegt sich nur auf dem Gerüstgang unmittelbar neben der Mauer. Mit einer bestimmten Seitwärtsbewegung kann er Steine und Mörtel erlangen, welche die Hilfsarbeiter ihm bereitlegen. Durch einen Gerüstheber wird das Gerüst immer soweit gehoben, daß der Maurer bereitgelegte Ziegelsteine stets bequem ergreifen und zu gleicher Zeit seine Mörtelkelle füllen kann. Also kein unnötiges Bücken. Ja, er führt sogar stets die gleiche Bewegung aus; denn durch die A r t der Bereitstellung von Ziegelsteinen und Mörtel hat er feist immer gleichen Abstand von Material und Mauer. Die Ziegelsteine sind überdies auf geeigneten Brettern durch Zwischenräume voneinander getrennt und vorsortiert, damit er sie leichter erlangen kann und sie nicht erst zu wenden und zu drehen braucht. Die gefüllten Ziegelbretter werden von Hilfskräften an den für den Maurer günstigsten Platz hingestellt. ') Siehe Literaturverzeichnis S. I, II. S ö l l h e i m , Taylorsystem,

2

18 Die Maurer mußten mit beiden Händen zugleich arbeiten, also die linke Hand den Ziegel ergreifen und die rechte zugleich eine Kelle voll Mörtel nehmen. »Die Arbeiter lernten mit einer Hand den Stein von dem zugetragenen Steinpaket mit einer direkten Schwungbewegung zu seinem Platz in der Mauer zu schwingen und gleichzeitig mit der anderen Hand den Mörtel für den nächsten Stein bereits aufzutragen. Die Gesamtbewegung ist natürlich etwas schwieriger und verlangt daher ein etwas längeres Lernen, sobald sie aber erlernt ist, ergibt sich eine ganz außerordentliche Ersparnis an psychophysischer Energie, und ein großer wirtschaftlicher Gewinn« (Münsterberg, Psychotechnik, S. 383 u. S. 390 bis 391). Dünnflüssiger Mörtel machte ein mehrmaliges sorgfältiges Klopfen auf den aufgesetzten Stein zum Zwecke besserer Einbettung unnötig. Die Steine wurden einfach mit leichtem Handdruck auf den weichen Mörtel gepreßt. Die Maurer können bei ihrer Arbeit durch andere Personen nicht gestört werden, da sich ja die Hilfsarbeiter hinter den Brettern für Ziegel- und Mörtelzuführung befinden. Besondere Zuund Abiaufstege regeln den Kreislauf der Hilfsarbeiter. Auf der Vorderseite, d. i. der der Mauer zugewendeten Seite der Gerüste, bewegen sich also die Maurer, auf der Hinterseite die Hilfsarbeiter und in der Mitte des Gerüstes, also zwischen Maurern und Hilfsarbeitern, befinden sich in Brusthöhe die Bretter für Mörtel- und Ziegelzufuhr. Dieses ganze Gerüst ist nach der Höhe zu verstellbar 1 ). G i l b r e t h erreichte durch seine neue Arbeitsweise zweieinhalb- bis dreimal so viel, als früher erzielt wurde. Er selbst sagt, daß 30 Maurer ohne größere Ermüdung dasselbe leisteten wie früher 100, und daß die Gesamtbaukosten unter die Hälfte sanken trotz großer Lohnerhöhung. »Nötig war dazu nun freilich, daß auf den Zentimeter genau festgestellt wurde, wie hoch die Ziegelsteine liegen mußten, die der Maurer er') Abbildungen des G i l b r e t h - G e r ü s t e s finden sich in der Monatsschrift »Praktische Psychologie«, 1920, 5. Heft, S. 14 (Moede, Die psychotechnische Arbeitsstudie). Vgl. dort und in Heft 4, Dr. W i e n e r , Die Wirkungssteigerung im Baubetrieb auf psychotechnischer Grundlage; ferner in Heft i 2 / i 9 2 i : H e ß , Leistungssteigerung im Baubetrieb. — Über G i l b r e t h - S c h r i f t e n s. Literaturverzeichnis.

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greift, und wie hoch die Wand, der er sie einfügt, über seinem Fußboden sein muß, wie viel Steine auf einmal ihm zugetragen werden müssen, wie die Kelle beschaffen sein muß, wie der Mörtel verwendet wird, mit welchen Vorrichtungen die Ziegelsteine auf den Bau heraufgetragen werden. Kurz alles, was gewohnheitsmäßig dem Herkommen, der Laune und einer nur das allernächste sehenden Sparsamkeit überlassen zu werden pflegt, wurde auf Grund jahrelanger Experimente durch ganz neue Hilfsmittel und Werkzeuge ersetzt, bei denen nun nichts mehr durch Willkür entschieden wurde. Die Veränderungen aber beruhten nicht auf irgendeiner neuen Erfindung oder einer physikalischen oder chemischen Verbesserung, sondern lediglich auf einer sorgsameren Anpassung des Apparates an die psychophysischen Kräfte der Maurer« (Müns t e r b e r g , Psychotechnik, S. 383). Vergegenwärtigen wir uns nochmals kurz, wie die großen Erfolge G i l b r e t h ' s , welche die ganzen Arbeitsweisen der Ziegelmauerung revoltierten, erreicht wurden. Durch viele eingehende Arbeitsstudien (Zeit- und Bewegungsstudien) fand man eine weit ergiebigere Arbeitsweise, eine bessere Organisation der Bewegungen, eine schnellere Art der Materialzufuhr und des Mauerns, gute Arbeitsteilung und eine wirtschaftlichere Organisation der ganzen Bauarbeit (einheitliche Arbeitsbedingungen, normalisierte Arbeitsmethoden, zwangsläufige Zusammenarbeit, rechtzeitige Arbeitsvorbereitung durch Hilfsarbeiter). Durch Ausscheidung unfähiger und gute Anlernung und Einübung geeigneter Kräfte erhielt man vorzügliche Maurer. Eine bessere Entlohnung mit großer Prämie bei Erreichung der hochbemessenen Tagesarbeitsaufgabe spornte die Arbeiter an, ihr Bestes zu leisten. Jede kleinste Bewegung, jeder Griff, jede Stellung, wurde genau nachgeprüft; die Stellung der Füße des Maurers, die Art der Seitwärtsbewegung bei Ergreifung der Materialien, die Griffbewegung nach Stein und Mörtel, die Kellenfüllung (ob tiefe oder flache Mörtel tröge), die Wasserzufuhr, die Art der Bretter und Holzrahmen zur Herbeischaffung der Ziegelsteine, das schnelle Füllen der Holzrahmen und das Vorsortieren der Steine, die Zwischenräume zwischen den einzelnen Ziegelsteinen, die Schwungbewegung, durch welche Ziegel und gefüllte Kelle

20 zur Mauer gebracht werden, die Auftragung des Mörtels, die Einbettung der Steine und vieles andere. Durch diese planmäßige Durchprüfung der bisherigen Bauweise fand G i l b r e t h die beste Anpassung der Arbeitsweise an die psychophysischen Kräfte der Maurer, die beste Organisation der Bewegungen, bessere Arbeitsmittel und bessere Betriebsorganisation. E r wurde dadurch zum größten Anreger und zum Begründer einer rationellen Bauweise. Näheres über die Methodik arbeitswissenschaftlicher Untersuchungen S. 1 4 4 — 1 8 1 (Zeit-, Bewegungs-, Ermüdungs-, Eignungs-, Organisationsstudien).

Arbeiter- und Angestelltenauslese. Die bisher besprochenen Beispiele zeigten uns besonders die Verbesserung der Arbeitsmethoden (Schaufeln, Metallbearbeitung, Mauern). T a y l o r veröffentlicht in seinem Buche »Grundsätze der wissenschaftlichen Betriebsführung« auch noch einige andere praktische Versuche: über die beste Art der Roheisenverladung (II, S. 44 bis 68) und der Massenherstellung einer Tapisseriemaschine für Litzenfabrikation (II, S. 103 bis 108) x ). Die Steigerung und Verbilligung der Produktion kann jedoch nicht nur durch bessere Werkzeuge und Maschinen und zweckmäßigere Anlernung der Arbeitskräfte erreicht werden, sondern vor allem durch sorgfältige Auslese der Arbeitskräfte. Vom einfachsten Arbeiter bis zum Generaldirektor muß eine scharfe Auswahl eintreten. Wer bestimmte Leistungen nicht erreicht, kann für den Betrieb nicht in Betracht kommen. Innerhalb des Unternehmens muß jede Arbeitskraft an der Stelle verwendet werden, wo sie am meisten leisten kann. Früher wurde die Auswahl der Arbeiter und Angestellten fast durchwegs auf Grund von Zeugnissen, Empfehlungen oder des persönlichen Urteils eines Meisters, Bureauvorstehers, Ingenieurs und Betriebsleiters vorgenommen. Dabei wurde manchmal auf Größe, Stärke, Körperbeschaffenheit, Schreibgewandtheit und Manieren des Bewerbers gesehen. Manchmal ') Siehe Anmerkung 2. S. 9.

21 verlangte man auch die Ausführung einer Probearbeit, wie z. B. die Anfertigung von Zeichnungen, Ausführung bestimmter Handarbeiten, das Schreiben eines Lebenslaufs u . a . In vielen Fällen bevorzugte man bei der Lehrlings- und Arbeiterauswahl Kinder und Angehörige bereits im Betrieb tätiger Personen. Manchmal spielten auch konfessionelle, politische und gesellschaftliche Momente eine Rolle. Meistens beachtete man aber die Wichtigkeit planmäßiger Auslese nicht. T a y l o r weist auf 2 Arten der Arbeiter- und Angestelltenauswahl hin: 1. auf die Arbeiterauslese durch die Praxis, 2. auf die Arbeiterauslese durch psychologische Versuche.

Arbeiterauslese durch die Praxis. Die Arbeiter wurden in den meisten Taylor-Betrieben ohne vorhergehende Prüfung auf ihre Eignung für beliebige Arbeiten eingestellt, für die man zufällig Arbeiter brauchte. Zeit- und Bewegungsstudien verschafften dem Arbeitsbureau genaue Kenntnis der größten Leistungsfähigkeit aller Produktionsmittel, also von Menschen, Maschinen, Werkzeugen und Anlagen (I, § 21). Man ermittelte so die kürzeste Arbeitszeit für eine bestimmte Arbeit, das ist diejenige Zeit, die ein erstklassiger eingeschulter Arbeiter dazu braucht (Normalzeit I, §56). Darnach setzte man das Tagespensum für den einzelnen Arbeiter fest. So erhielt also jeder Arbeiter sein täglich genau vorgeschriebenes, abgegrenztes, nicht bequem zu vollendendes Arbeitspensum (I, § 62). Schriftliche Arbeitsanweisungen (s. Anhang) zeigten den Arbeitern, auf welche Art und Weise man eine bestimmte Tätigkeit am schnellsten vollbringen konnte. Ein eigenartiges Lohnsystem regte die Arbeiter an, ihr Bestes zu leisten. Die Einzelleistungen wurden einer scharfen Kontrolle unterworfen und zwar wurde jede Arbeitsleistung für jeden einzelnen Arbeiter gesondert gebucht. Es gab nur ausnahmsweise Gruppen- oder Rottenarbeit, weil man hier die Leistung des einzelnen nicht genau messen konnte, weil einzelne Arbeiter mit ihrer Leistung auf Kosten der anderen zurückhielten und so die Gesamtleistung beeinträchtigten. Die Arbeiter wurden gleich bei ihrer Ein-

22 Stellung darauf aufmerksam gemacht, daß sie nur dann Anstellung finden, wenn sie dauernd das vorgeschriebene Pensum erreichen (I, §51). Die Aussperrung von Leuten, die wegen ungenügender Leistung aus der Gruppe der Pensumarbeiter ausscheiden mußten, wirkte anspornend auf die übrigen Arbeiter (I, §§ 70, 63, 47). Gute Anlernung und allerlei kleine Druckmittel wie die tägliche genaue Feststellung der geleisteten Arbeit, die tägliche Bescheinigung über die tags vorher erzielte Leistung und damit zugleich die Benachrichtigung darüber, ob das Arbeitspensum erreicht sei oder nicht, eine oft eigenartige Arbeitsverkettung u. a. wirkten im gleichen Sinne. Alle Arbeiter, die die vorgeschriebenen Arbeitsaufgaben nicht voll erfüllten, wurden ausgestellt. Dies galt natürlich auch für alle Angestellten, für Meister und Ingenieure. »Wenn der Arbeitsmarkt derartig liegt, daß eine genügende Anzahl erstklassiger Arbeiter beschäftigt werden kann, dann setzt man die täglichen Arbeitsraten so hoch, daß nur die erstklassigen Leute die Leistung vollbringen können« (I, §§70, 63). T a y l o r spricht zwar oft davon, daß bei der Betriebsorganisation die individuellen Anlagen und Kräfte berücksichtigt werden müßten, daß die Arbeiter nicht übermüdet werden dürften und daß man die menschlichen Seiten des Arbeitsverhältnisses nicht außer acht lassen könne. Gerade die angeführte Maßnahme zeigt aber, daß es sich hier um eine grenzenlose, nicht zu rechtfertigende Menschenausbeutung handelt. Der Arbeiter wird wie eine Maschine behandelt. Leistet er nicht mehr Genügendes, so entledigt man sich seiner. Bekannt ist ja, daß viele amerikanische Firmen Arbeiter über 40 Jahre nicht mehr einstellen. Diese Art der Arbeiterauslese kann natürlich für Deutschland nicht in Betracht kommen.1)

Die psychologische Arbeiterauslese. T a y l o r hat das Verdienst, auch auf die psychologische Arbeiterauslese hingewiesen zu haben. Er und seine Schüler waren jedoch viel zu wenig physiologisch und psychologisch geschult, um auf dem Gebiete der Eignungsuntersuchungen und der Ermüdungsstudien Gutes zu leisten. *) Vgl. Wirtschaftliche und soziale Verhaltnisse der Union, S. 8off.

23 T a y l o r wurde die Aufgabe gestellt, die größte amerikanische Fahrradkugelfabrik leistungsfähiger zu machen. Es handelte sich um Herstellung der Kugeln für die Kugellager der Fahrräder. Von den 20 oder mehr Arbeitsstufen der Stahlkugelherstellung war das Aussortieren von fehlerhaften Kugeln die schwierigste. Die Kugelprüferinnen ließen die Kugeln zwischen den zusammengepreßten Fingern auf der Außenfläche der Hand hin und herlaufen und schieden dabei gezahnte, zerkratzte, vom Feuer zersprungene oder sonst fehlerhafte Kugeln aus. Die Fehler waren meist nur durch ein geübtes Auge zu entdecken. Die Arbeit forderte schnelle Wahrnehmung und Entschlußfähigkeit und hohe Aufmerksamkeitsund Nervenanspannung. Durch wissenschaftliche Auslese der Arbeiterinnen wurde erreicht, daß später 35 Mädchen dasselbe leisteten wie früher 120, trotzdem nur 8% Stunden statt 10 y2 Stunden gearbeitet wurde und vier richtig verteilte Arbeitspausen eingeführt wurden. Die Mädchen verdienten 80 bis 100% mehr Lohn als früher. Selbstverständlich hatte die Fabrik auch sehr großen Nutzen. Die früheren Arbeiterinnen waren keineswegs leichtsinniger. Die Erfolge wurden lediglich durch bessere Arbeitsbedingungen, vor allem aber durch die Anstellung besonders geeigneter Mädchen erzielt. Die Arbeiterinnen wurden ganz allmählich zu besserer Leistung erzogen. Die Arbeitszeit wurde dabei zuerst von 10% auf 10, 9%, endlich auf 8 Stunden vermindert. Das Arbeitsergebnis blieb dabei nicht nur das gleiche, sondern stieg sogar. Richtig verteilte Erholungspausen von 10 Minuten wurden zwangsweise eingeführt, um die Mädchen vor Überanstrengung und Nervosität zu schützen. In der Fabrik wurden jedoch die Arbeiterinnen soweit auseinandergesetzt, daß sie nicht durch Unterhaltung die Zeit vertrödeln konnten. Außerdem suchte man durch allerlei Maßnahmen (richtige Anlernung der Arbeiterinnen durch die besten Kugelprüferinnen, genaueste Nachprüfung, Festsetzung eines Tagespensums, Entlassung Ungeeigneter, Bezahlung nach Leistung) Leistungssteigerungen zu erreichen.1) l ) Über die ersten Versuche, die Eignung von Berufsanwärtern durch ein Experiment festzustellen, s. H o l r a g r e n (1878), S. 69.

24 Die genauen Versuche wurden nicht von T a y l o r , sondern von Sanford E. T h o m p s o n (unter der Oberleitung von H. L. G a n t t ) durchgeführt, der nach T a y l o r s Urteil vielleicht der erfahrenste Mann Amerikas auf dem Gebiete der Bewegungs- und Zeitstudien ist. T a y l o r schrieb darüber (II, S. 93 u. 94): »In den physiologischen Instituten unserer Universitäten werden dauernd Versuche angestellt, um den sog. »persönlichen Koeffizienten« verschiedener Menschen zu bestimmen. Das geschieht folgenderittäßen: Ein Gegenstand, z. B. der Buchstabe A odef B , wird ili Sehnähe des zu untersuchenden gebracht, der im Augenblick, wo er den Buchstaben erkennt, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, z. B. auf den Knopf einer elektrischen Klingel zu drücken hat. Die Zeit, welche zwischen dem Augenblick, wo der Gegenstand in sein Gesichtsfeld tritt und dem Augenblick, wo er das Klingelzeichen gibt, verstreicht, wird durch ein Präzisionsinstrument genau aufgezeichnet. Dieser Versuch zeigt, daß der persönliche Koeffizient der Menschen sehr verschieden ist. Manche haben eine ungewöhnlich schnelle Wahrnehmungsgabe und reagieren außerordentlich rasch. Bei ihnen wird die Wahrnehmung fast augenblicklich vom Auge dem Gehirn übermittelt und das Gehirn reagiert wieder sofort durch Übermittlung der entsprechenden Botschaft an die Hand. Von diesen Leuten sagt man, sie hätten einen niederen, von denjenigen dagegen, die langsam wahrnehmen und reagieren, sie hätten einen hohen persönlichen Koeffizienten. T h o m p s o n erkannte bald, daß die für eine Stahlkugelprüferin notwendigste Eigenschaft ein geringer persönlicher Koeffizient ist. Natürlich dürfen die gewöhnlichen Eigenschaften, wie Ausdauer und Fleiß, nicht fehlen.« Andere Eigenschaften wie Intelligenz und Ehrlichkeit spielten jedoch bei dieser Arbeit keine Rolle. T a y l o r erzählt, daß man durch die straffe Auslese der Kugelprüferinnen viele der klügsten, fleißigsten und ehrlichsten Mädchen verloren habe, lediglich weil ihnen schnelle Wahrnehmung und Entschlußfähigkeit fehlten. T a y l o r zeigt durch dieses Beispiel, daß eine wissenschaftliche Arbeiterauslese für die Arbeitsleistung von größter Bedeutung sein kann. E r weist somit der experimentellen Psychologie neue Anwen-

25 dungsgebiete. Bei dem großen Interesse der Amerikaner für Psychologie war es kein Wunder, daß seine Anregungen auf fruchtbarsten Boden fielen. Vor allem war es Prof. Hugo M ü n s t e r b e r g , der die zielbewußte Anwendung der Psychologie im Dienste der Kulturaufgaben betonte und der durch seine Werke, Vorlesungen und Vorträge sehr viel zur Ausbreitung des Taylor-Systems beigetragen hat. Um nicht Zusammengehöriges auseinanderzureißen, sei es mir gleich hier gestattet, auf die erfolgreiche Tätigkeit M ü n s t e r b e r g s hinzuweisen. In »Psychologie und Wirtschaftsleben« (1911 in deutscher Ausgabe) gibt er einen inhaltsvollen knappen Gesamtüberblick über den bisherigen Stand und die künftigen Richtlinien der Wirtschaftspsychologie. Von 1910 bis 1 9 1 2 hielt M ü n s t e r b e r g als amerikanischer Austauschprofessor an der Berliner Universität die erste Vorlesung über angewandte Psychologie. 1 9 1 4 veröffentlichte er diese Berliner Vorlesungen unter dem Titel »Psychotechnik«. Mit großem Geschick versucht er die Grundprinzipien und einheitliche Organisation der neuen Wissenschaft klarzulegen. Die Anwendung der experimentellen Psychologie auf alle Gebiete der Gesellschaftsordnung, der Gesundheit, der Wirtschaft, des Rechtes, der Erziehung, der Kunst und Wissenschaft wird hier anregend, klar und zusammenfassend von hoher wissenschaftlicher Warte aus behandelt. Eine vorzügliche, umfangreiche Literaturübersicht bietet dem Forscher weiteres Material. M ü n s t e r b e r g hat durch seine Bücher sehr viel zur Verbreitung der Ideen T a y l o r s beigetragen. In seiner »Psychotechnik« bespricht er eingehend die T a y l o r s c h e n Versuche (Schaufelarbeit, S. 366, Maurerarbeit, S. 383 und 390). E r bringt aber auch noch manche andere interessante Beispiele der Arbeitsökonomie (Erlernen des Schreibmaschinenschreibens S. 372, 377; Sortierarbeit S. 388, Werbemittel S. 4 3 1 , Telegraphieren S. 376, Telephonieren S. 226 und 416, Straßenbahnfahren S. 1 3 1 und 414). Seine Eignungsuntersuchung der Telephonistinnen bildet das erste große Beispiel für derartige exakte wissenschaftliche Versuche. (Für die Beurteilung der Thompsonschen Eignungsprüfung für Kugelprüferinnen fehlt bis jetzt eingehendes wissenschaftliches Material.)

26 Die Fernsprecharbeit erfordert nach M ü n s t e r b e r g 1 4 verschiedene psychophysische Tätigkeiten der Telephonistinnen. Die wichtigsten Anforderungen an das Fernsprechpersonal sind gutes Gehör, gutes Zahlengedächtnis, Aufmerksamkeit, Schnelligkeit in der Herstellung der Verbindungen, besondere Genauigkeit im Treffen der Schaltlöcher. Müns t e r b e r g prüfte die Bewerberinnen auf diese Eigenschaften, z. B. das unmittelbare Behalten durch Nennung von vier bis zwölfstelligen Zahlen, die erst auf ein bestimmtes Zeichen niedergeschrieben werden durften; die Aufmerksamkeitskonzentration und ihre Schwankungen durch den Bourdonschen Durchstreichversuch. Bei der letztgenannten Prüfung zeigten manche Mädchen anfangs gute Leistungen, aber sie konnten ihre Aufmerksamkeit nicht lange konzentrieren. Die Versuche zeigten eine große Übereinstimmung (Korrelation) mit den praktischen Erfahrungen. Die Gesellschaft, in deren Namen die Untersuchungen angestellt wurden, mischte nämlich heimlich schon vorgeübte jugendliche Telephonistinnen unter die Versuchspersonen. Diese erhielten jedoch die besten Plätze. Diejenigen, welche bei der Eignungsprüfung als untauglich bezeichnet wurden, erwiesen sich später auch in der Probezeit als ungeeignet. Wenn man bedenkt, daß die Bell Telephone Company, die diese Versuche vornehmen ließ, 16000 Telephonistinnen beschäftigt, von denen jede auf Kosten der Gesellschaft mehrere Monate lang eine Telephonschule besuchen und dann noch 6 Monate unter Aufsicht auf der Telephonschule arbeiten mußte (unter Gewährung eines niedrigen Gehaltes), so erkennt man den großen wirtschaftlichen Nutzen derartiger Eignungsprüfungen. Eine gute sichere Auslese der Bewerberinnen kann dem Unternehmen jährlich viele Tausende ersparen. Ungeeignete Kräfte werden nicht erst im Laufe des ersten Jahres, sondern sofort ausgeschieden und dadurch ein allzuhäufiger Wechsel des Personals vermieden. M ü n s t e r b e r g s Einfluß war riesengroß. Seine Schriften sind die Grundschriften, von denen jeder Psychologe, Ingenieur, Kaufmann und Volkswirtschaftler und alle diejenigen, die zu den praktischen Kulturaufgaben in Beziehung stehen, zahlreiche Anregungen empfangen kann. Sein Wirken an der

27 Berliner Universität brach überhaupt erst der Wirtschaftspsychologie in Deutschland freie Bahn. Der Boden für diese ganze Bewegung war ja bereits von seinem berühmten Lehrer, Prof. Wilhelm W u n d t , und dessen Schülern K ü l p e , K r a e p e l i n , Meumann, S t ö r r i n g , Marbe, K r ü g e r , K l e m m , W i r t h , J. Cohn, G. F. L i p p s bereitet, aber erst seit seiner erfolgreichen Wirksamkeit als Austauschprofessor in Berlin wurde die Psychologie auch in Deutschland — zum Teil mit verbesserten und genaueren Methoden — zielbewußt in den Dienst des Wirtschaftslebens gestellt (Prof. S t e r n , Hamburg; Dr. L i p m a n n , Dr. Moede, Dr. P i o r k o w s k i in Berlin).1) M ü n s t e r b e r g starb im Dezember 1916 mitten in seiner Lehrtätigkeit am Radcliffe College nach einem Leben reicher wissenschaftlicher Erfolge2).

Taylors Grundsätze für die Personenauswahl und Personenverteilung. Je klarer man einzelne Schäden und Gefahren des Taylorismus aufdeckt, desto mehr nützt man der ganzen Bewegung. Überdies merkt man bald, daß unter dem Falschen sehr viel Nützliches und Gutes zu finden ist. T a y l o r s Ziel ist die Herbeiführung der wirtschaftlichsten Leistung. Dies kann nur erreicht werden durch gute Personenauswahl, beste personelle Gliederung und Arbeitsteilung und durch Höchstausnützung jeder einzelnen Arbeitskraft. Es ist ein bestechender Gedanke, durch wenig Experimente, die nur ein Schema der Wirklichkeit darstellen, den Eignungsgrad eines Menschen für eine bestimmte Tätigkeit festzustellen. Man könnte sich so verhältnismäßig schnell die besten Bewerber für eine Stelle aussuchen. Der ungeheure Wechsel der Arbeiter, der durch Entlassung unfähiger Kräfte hervorgerufen wird, könnte eingeschränkt, die Kosten für die Anlernung dieser l) vgl. Zeitstudien, ErmQdungsstudien, S. 1 4 4 f f - ; Berufsauslese, E i g n u n g s p r ü f u n g , S. 196ff., 200ÍÍ. *) M ü n s t e r b e r g w u r d e 1863 in D a n z i g geboren, trieb medizinische, naturwissenschaftliche und politische Studien, wirkte in Freib u r g als P r i v a t d o z e n t und a. o. Professor und w a r seit 1891 a n der H a r v a r d U n i v e r s i t ä t in C a m b r i d g e als Professor der Psychologie und D i r e k t o r des psychologischen L a b o r a t o r i u m s t ä t i g .

28 ungeeigneten Leute dem Betrieb erspart werden. Die Arbeiter könnten nach Anlage, Kenntnissen und Fertigkeiten an der für sie geeignetsten Stelle voll ausgenützt werden. Jede Arbeitskraft hätte gleichsam ihren wirtschaftlichsten Standort innerhalb des Betriebes. Die Folgen davon wären höchste Ausnützung der Produktionsmittel und somit die Herbeiführung der größtmöglichsten Leistung. T a y l o r steht einer solchen Arbeiterauslese durch psychologisch-physiologische Prüfung durchaus empfehlend gegenüber. E r hatte auch die psychologische Eignungsprüfung der Kugelprüferinnen als ein Muster rechter Arbeiterauswahl hingestellt. Da aber sichere und schnelle psychologische Methoden der Eignungsprüfungen sonst noch nicht entwickelt waren 1 ), so versuchte er auf einem anderen Wege zu einer guten Lösung zu kommen. T a y l o r schreibt: »Unglücklicherweise kann man die bestgeeignetsten Leute unter den Bewerbern nicht von vornherein herausfinden. Manche, die anfänglich mit allen den nötigen Eigenschaften für die neue Sache ausgerüstet scheinen, fallen schon bald wegen Unbrauchbarkeit aus, während sehr ungeeignet erscheinende Leute sich nachher bestens bewähren« (I, § 175). Man lockte gute Arbeiter durch hohen Verdienst an, preßte durch Druckmittel (Tagespensum, genaue Arbeitsvorschriften, Kontrolle, Entlassungsaussicht) ihre Arbeitskraft aus, behielt die frischesten, ausdauerndsten und schnellsten Arbeitskräfte und entließ alle, die diese verlangte Höchstleistung nicht mehr hergeben konnten. Grundsätze bezüglich der Altersstufen kennt ja die nordamerikanische Industrie bis heute noch nicht. Ältere Arbeiter, die nicht mehr in der Lage sind, das Höchste zu leisten, werden einfach entlassen. Natürlich konnte nur ein kleiner Prozentsatz die in den Taylorbetrieben verlangten Höchstleistungen erreichen. T a y lor sagt, daß nur ein Achtel der in dem Betrieb aufgenommenen l

) Die tastenden Vcrsuchc, die in dieser Beziehung manche Taylorbetriebe anstellten, um sich die besten Arbeiter rasch auszuwählen, entbehrten jeder Wissenschaftlichkeit. Die von F r e y , S. 22 und 23 angeführte Auslese der Knopfnäherinnen einer Kleiderfabrik nach bestimmten Finger- und Armlängen zeigte sich als unwirtschaftlich. — Der größte Krebsschaden besteht darin, daß T a y l o r , G i l b r e t h und ihre Anhänger — auch die führenden deutschen Zeitstudienmänner — zu wenig psychologisch und physiologisch geschult sind.

29 Eisen Verlader für die Tätigkeit dauernd brauchbar waren. Freilich suchte man möglichst schnellen Arbeiterwechsel in manchen Betrieben zu verhindern, weil ja jede neue Arbeitereinstellung dem Unternehmen Kosten für die Anleitung und Anlernung der betreffenden Arbeitskraft verursachte. Wir können niemals diese Erzwingung von Höchstleistungen, die keine Rücksicht auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Arbeiters nimmt, also Raubbau am Menschen treibt, für richtig finden. In Nordamerika ist jedoch diese Auffassung, daß man den Arbeiter, solange er im Unternehmen ist, möglichst ausnützen muß, allgemein verbreitet. Der Arbeiter ist für den Amerikaner ein Produktionsmittel wie jedes andere. Maschinen, Werkzeuge und Einrichtungen müssen gepflegt werden, sonst läßt ihre Leistungsfähigkeit nach und das Werk hat für Neuanschaffungen und Reparaturen große Ausgaben. Beim Arbeiter ist dieser Gesichtspunkt der Pflege der Produktionsmittel nur dann von Bedeutung, wenn durch einen allzu raschen Wechsel der Arbeiter die Leistungsfähigkeit des Unternehmens sinken würde. Nur wenn dieses privatwirtschaftliche Interesse es gebietet, wird auf eine allzuschnelle Abnützung des Arbeiters Rücksicht genommen. Man hat ihn ja nicht dauernd wie die teueren Fabrikeinrichtungen und Maschinen. Ist er nicht mehr fähig, die Höchstleistung herzugeben, so wirft man ihn auf die Straße und stellt eine bessere Kraft dafür ein. Dem entlassenen Arbeiter gegenüber hat man ja keine weiteren Verpflichtungen. Die überarbeiteten, entnervten und kranken Arbeiter fallen dem Staate und den Gemeinden zur Last, falls hier überhaupt soziale Einrichtungen für Invalide, Kranke und alte ausgepowerte Proletarier vorhanden sind. T a y l o r denkt trotz mancher Arbeiterfreundlichkeit meistens nicht an eine physiologisch-psychologische und soziale Arbeitsökonomie, sondern nur an eine rein privatwirtschaftliche. Die Verringerung der Selbstkosten pro Stück ist sein Hauptstreben. Dieses Ziel kommt vor allem auch in der Art der Verwendung der verschiedenen Arbeiterklassen zum Ausdruck. Mit möglichst wenigen und verhältnismäßig billigen Arbeitskräften will er dasselbe erzielen wie bisher. Dazu ist erforderlich:

30 1. möglichste Ersetzung von Menschenarbeit durch Maschinenarbeit und von teueren Arbeitskräften durch billigere, 2. Anlockung der besten Arbeiter (unter Auspowerung der Konkurrenzbetriebe oder verwandte Industrien) und Entlassung ungeeigneter Kräfte, 3. höchste Ausnützung jeder einzelnen Arbeitskraft. T a y l o r sagt darüber: »Nie sollte man das von einem geschickten Handwerker tun lassen, was ein gewöhnlicher Arbeiter bei einiger Übung erlernen kann. Ich gehe soweit, daß ich alle Arbeit, welche sich immer und immer wiederholt, auch wenn sie große Fertigkeit verlangt, nicht von einem gelernten Handwerker, sondern von gut und lange eingeübten Arbeitsleuten verrichten lasse. Diese werden zu der auf die Dauer geisttötenden Wiederholung der Arbeit besser passen als der geübte und geistig höher stehende Handwerker. Indes soll dieser Arbeitsmann nun nicht den Lohn der geschulten Handwerker erhalten, sondern nur eine angemessene Erhöhung über die gewöhnliche Rate seiner Klasse. Jedem Arbeiter muß die höchste Klasse der Arbeit gegeben werden, deren er nach'seiner geistigen und körperlichen Beschaffenheit fähig ist. . . Jeder soll angeregt werden, die Höchstleistung eines geschickten Mannes seiner Klasse bei nicht zu großer Anstrengung zu erreichen.« (I, §§ 18 u. 19.) »In der Auswahl der geeigneten Leute für die Vorarbeiter und die anderen Aufsichtsposten nehme man für die ersteren solche Arbeiter, welche zu gut für die ausführende Tätigkeit an den Maschinen sind, während für die letzteren die gerade eben noch als Facharbeiter Brauchbaren zu wählen sind. Die Maschinenarbeiter, welche immer wiederkehrende und auf Jahre hinaus gleichbleibende Arbeit von an sich verwickelter Natur zu leisten haben, können aus verhältnismäßig niederen Stufen der Arbeiter genommen werden.« »Die bei wechselnder Arbeit in der Einführungszeit angestellten besten Elemente der Arbeiterschaft suche man in höherbezahlte Stellungen zu bringen, während man an ihre Arbeitsplätze wiederum die besten Leute aus einer niedrigen Arbeitsklasse aufrücken läßt. So erhält man stets den Ehrgeiz wach und erzielt einen gesunden Wettbewerb. Allerdings wird man bald an einen Punkt kommen, wo man für die besten

31 Arbeiter keine Vorarbeiter- oder Meisterstelle mehr frei hat. Dann suche man diesen Mann bei befreundeten Werken unterzubringen. . . Für jeden auf diese Weise verlorenen Arbeiter strengen sich so und so viele wieder bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit an, um die Lücke wieder auszufüllen. Man wird stets dort, wo solche Grundsätze herrschen, den ausgesuchtesten Arbeiterstamm haben« (I, §§ 176,177, auch 1 1 9 und 179). So finden wir in den Taylor-Betrieben das Streben, Facharbeiter durch angelernte oder ungelernte Kräfte, und Männerarbeit durch billige Frauen-, Mädchen- und Kinderarbeit zu ersetzen. Der ganze Betrieb wird auf die möglichste Verwendung ungelernter Arbeiter eingestellt. Die Einrichtungen des Arbeitsbureaus ermöglichen es dem intelligenten Handlanger, dasselbe zu erreichen, was früher ein geschulter Facharbeiter leistete. Gründlich gebildete Mechaniker und Handwerker wurden meist nur in seltenen Fällen mehr verlangt. Die Lehrlingsausbildung wurde völlig eingestellt, da eine allgemeine gründliche Ausbildung nicht erforderlich war. Im allgemeinen stellte man ungelernte Arbeiter, die nur eine engbegrenzte Tätigkeit kannten, lieber ein als gelernte, zumal man an Lohn sparen konnte (I, §§ 1 1 9 , 1 8 2 und F r e y , S. 24 und S. 47). Die Zeitstudien hatten den Zweck der Zerlegung der Arbeit, der Verringerung, Vereinfachung und der besseren Kombination der Bewegungen. Die Arbeitsaufgaben wurden so einfach und gleichartig gestellt, daß sie in kurzer Zeit die ungelernten Arbeiter bei einiger Übung erledigen konnten. Der Arbeiter wurde unter der wissenschaftlichen Betriebsführung in ihrer vollsten Entwicklung ein »minderwertiger Diener der Maschine,«. »Jede besondere Arbeit wird für ihn von einer Reihe Vorarbeiter oder Spezialarbeiter getan. Der Riemenantrieb, soweit er sich auf die Maschine bezieht, wird von einem Spezialisten besorgt; die Werkzeuge, die er gebraucht, werden ihm fertig geschliffen, ebenfalls von einem Spezialisten, der nichts anderes tut, zugeführt; die Materialien, die er verarbeitet, werden ihm von einem Schlepper so zugebracht, daß sie immer zur Hand sind und die fertigen Werkstücke werden von demselben Schlepper mitgenommen. Das Einrichten und Festsetzen der Arbeit, die Zuführung der Materialien und die Geschwindigkeit, die erforderlich ist, die

32 Arbeit auszuführen und die Art, das Material anzufassen und es durch die Maschine zu leiten: diese Arbeiten werden von Sonderbeamten besorgt und in niedergeschriebenen Anweisungen festgelegt. . . Wenn der Arbeiter in besonderen Fällen von der Anweisung abweicht, so tut er dies auf die Gefahr hin, seine Vergütung oder Prämie oder seine höhere Teilstückrate zu verlieren« ( F r e y , S. 40 und 41). Für T a y l o r ist die Frage der Arbeiter Verwendung ein Problem der zweckmäßigsten Arbeitsteilung, der Benützung des billigsten Arbeiters, der schnellsten Arbeiteranlernung und der wirtschaftlichsten Arbeiterausnützung. T a y l o r s Grundsatz 1 ) der Höchstausnützung geeigneter Arbeitskräfte soll auch für Ingenieure, Betriebsleiter, Bureauvorsteher und Meister gelten. Auch diese höhere Tätigkeit soll genau untersucht werden, damit sie auf die beste und billigste Weise vollbracht werden kann (I, § 8). Es ist ein grober Fehler der Betriebsorganisation, wenn Direktoren, Leiter, Ingenieure und Meister mit allen möglichen Nebenarbeiten überlastet werden, die ebenso eine billigere Arbeitskraft erledigen könnte. Auch hier sorgt das Arbeitsbureau vielfach für genau umgrenzte, große tägliche Arbeitsaufgaben, gibt die zweckmäßigsten Arbeitsvorteile und arbeitsparenden Verfahren, bietet geeignete Formulare, sorgt für Übersicht, genügende Aufsicht und kontrolliert auch genau die geleistete und nicht geleistete Arbeit. Es führt auch eine straffe Arbeitsteilung durch. Die ganze Verwaltungs-, Anleitungs-, Kontroll- und Prüfarbeit wird auf besonders hiezu geeignete Kräfte verteilt. Wer für eine bestimmte Tätigkeit nicht gut brauchbar ist, erhält eine passendere Beschäftigung oder muß aus dem Betriebe ausscheiden. Alle Ingenieure, Betriebsleiter, Bureau- und Abteilungsvorsteher und Meister werden durch Prämien am Arbeitserfolg interessiert. Das erfordert wieder eine genaue Kontrolle ihrer Leistung und genaue Übersicht über die ganze Betriebsarbeit. Die ganze Organisation soll so sein, daß sich der Leiter in wenigen Minuten über den ganzen Betrieb und die Tätigkeit der einzelnen Abteilungsleiter und Meister an der Hand bester Zusammenstellungen und durchgeprüften Materials ') Über die Anwendbarkeit dieser Grundsätze in deutschen Betrieben s. S. 1 2 1 ff., 130 ff., 196 ff.

33 sicheren Überblick verschaffen kann. Er selbst muß frei sein von der Behandlung unwichtiger Schriftstücke und Erteilung unnötiger Unterschriften. Seine Kraft gilt der großzügigen Disposition und Organisation und der Vertretung des Betriebes nach außen (I, § 59 und § 165). Wir finden also bei T a y l o r auch bei der leitenden Arbeit eine sorgfältige Teilung und Organisation. Besonders eingehend spricht er über die Meisterarbeit. Die hierüber entwickelten Grundsätze gelten natürlich auch sinngemäß für alle anderen höheren Tätigkeiten, die im Betrieb zu verrichten sind.

Das Fachmeistersystem Taylors. Betrachten wir kurz zuerst das bisher eingelebte alte Meistersystem. Man schrieb meistens die Arbeit der Meister nicht bis ins einzelne vor, da die Leitung zu wenig Einblick in die einzelnen-Tätigkeiten der Meister hatte. Die Pflichten der Meister sind ja beim alten Meistersystem so vielseitige, daß von genau vorgeschriebenen, umgrenzten, schriftlich aufgezeichneten Tagewerken keine Rede sein konnte. Ein solcher Universalmeister kann seine Obliegenheiten fast nie alle erfüllen, weil er zu überlastet ist. Man stellt an ihn die verschiedensten Ansprüche und Anforderungen: gute Schulbildung, besondere Fachkenntnisse und technisches Wissen, Handfertigkeit, Schreibgewandtheit, körperliche Widerstandskraft, Energie, Ordnungssinn, Umsicht, Organisationstalent, Ehrlichkeit und Takt. Er soll also erstklassiger Facharbeiter, aber auch ein gerechter, achtunggebietender Vorgesetzter sein. Er wird für alles Mögliche verantwortlich gemacht: für Aufstellung des Arbeitsplanes für alle Werkzeugmaschinen, für die Vorausbestimmung und Herbeischaffung der Arbeiterzahl nach dem Stande der zu erledigenden Arbeitsmengen, für rechtzeitige Zuweisung der Arbeit an jeden Arbeiter, für richtige und rechtzeitige Belehrung der ihm unterstellten Kräfte, über die Art der Arbeitsaus führung, für rasche Fertigstellung, gute Ausführung, beste Ausnutzung der Maschinen, des Materials und der Arbeiter, für Überwachung der Leute, ihres Materialverbrauchs, ihrer Arbeitsleistung, für die KonS ö l l h e i m , Taylorsystem.

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34 trolle der Löhne u. a. (I, §§ 103 bis 106). Auch bei größtem Fleiße arbeitet ein solcher Meister nicht wirtschaftlich genug. Rationelle Arbeit ist nur möglich, wenn durch genaue Arbeitsmessungen und Beobachtungen, durch Organisation und Menschenstudien die Meisterarbeit untersucht, zweckmäßig gegliedert und nach individueller Befähigung und Leistung der einzelnen Meister richtig verteilt wird, wenn minderwertige Meister durch bessere ersetzt werden und alle arbeitsparenden Vorteile (zweckmäßige Organisation, Kontrollmittel, Melde- und Buchungssystem) angewandt werden. T a y l o r empfiehlt, möglichst viele Kräfte zu Meistern heranzubilden, da man die Eignung der einzelnen Leute erst nach und nach feststellen könne. Nur ein Drittel der herangebildeten Kräfte sei für die Meisterarbeit wirklich brauchbar gewesen (I, § 176). Alle Tätigkeiten, die beim alten Meistersystem jeder einzelne Meister verrichten mußte, wurden von T a y l o r auf besonders geeignete Fachmeister verteilt. Bereits 1883 als Werkstättenleiter einer kleinen Maschinenfabrik des Midvale-Stahlwerkes führte er fünf verschiedene Fachmeister (Funktionsmeister) ein: einen Arbeitsverteiler, ei-nen Zeit- und Kostenbeamten, einen Vorrichtmeister, einen Prüfmeister und einen Aufsichtsbeamten (I, §§ 120, 121). T a y l o r empfiehlt bei genügender Größe des Betriebes für Maschinenfabriken folgende Arbeitsteilung der Meisterarbeit: I. 4 Meister für die geistige Vorbereitungsarbeit (Arbeitsverteiler, Unterweisungsbeamter, Zeit- und Kostenbeamter, Aufsichtsbeamter), II. 4 Meister für die praktisch schaffende Arbeit (Vorrichtungsmeister, Geschwindigkeitsmeister, Prüfmeister, Instandhaltungsmeister). Diese Einteilung soll natürlich nur als Beispiel dienen. Andere Verhältnisse bedingen wieder andere Arbeitsteilung 1 ). Diese Meister werden von aller Nebenarbeit, besonders aller geistigen und von unnötiger Schreibarbeit befreit. Alles, was durch billigere Arbeitskräfte oder auf billigere Weise ') Die Arbeitsgebiete der einzelnen oben aufgeführten Meister sind in 1 §§ 109 bis 122, 150, 155 bis 157 und 180, sowie in dem S e u b e r t schen Buche S. 51 bis 150 näher beschrieben. Siehe Anmerkung 2, S. 9.

35 verrichtet werden kann, darf nicht dem Meister aufgebürdet werden. Die 4 Meister der praktisch schaffenden Arbeit bleiben in der Werkstätte zur Überwachung und unmittelbaren Anleitung der Arbeiter. Die übrigen Meister halten sich gewöhnlich im Arbeitsbureau auf. Auch von ihnen kann der Arbeiter Unterweisungen empfangen. »Die Zeit, welche der einzelne Meister bei dem Arbeiter zubringt, ist ganz verschieden und hängt von den besonderen Tätigkeiten ab; einzelne von ihnen werden bei einem einzelnen Mann vielleicht nur ein- bis zweimal täglich auf einige Minuten verweilen, andere beschäftigen sich lange und häufig mit jedem Arbeiter« (I, §§ 107, 120).

Erziehung und Ausbildung der Meister. Die angehenden Meister werden monatelang für ihre Tätigkeit ausgebildet. Jeder kommt an die Stelle, wofür er sich am meisten eignet. Spezialbefähigung, Charaktereigenschaften und die Leistungsfähigkeit des einzelnen werden also voll ausgenützt. Ein großes, tägliches, scharf umgrenztes Arbeitspensum nimmt die Kräfte der zukünftigen Meister voll in Anspruch. Sobald sie längere Zeit in bestimmter Tätigkeit geübt sind, wird versucht, ihre tägliche Leistung möglichst zu steigern. Vollbrachte und nicht vollbrachte Arbeit wird genau verbucht. Die Entlohnung richtet sich nach der erzielten Leistung. Bei Erfüllung ihrer vorgeschriebenen Tagesarbeit erhalten sie hohen Lohn, bei Nichterfüllung tritt ein Lohnabzug ein. Erreichen sie das vorgeschriebene Arbeitspensum in der vorgeschriebenen Frist öfters nicht, so werden sie mit anderen Arbeiten beschäftigt oder auch entlassen. Bei größeren Werken werden zur leichteren Kontrolle die Fachmeister wieder Fachobermeistern unterstellt, z. B . alle Vorrichtungsmeister einem Vorrichtungsobermeister. Diese Obermeister leiten auch die Heranbildung neuer Fachmeister. Jeder zukünftige Meister muß sich einige Monate lang an den Maschinen praktisch einarbeiten, damit er alle Arbeitsvorteile und arbeitsparenden Methoden kennenlernt, sich an die Befolgung der Vorschriften und der Arbeitsanweisungen und an ein inniges, planmäßiges Zusammenarbeiten mit den Beamten, Meistern und Arbeitern gewöhnt. So wurden z. B. die angehenden Geschwindigkeitsmeister der Bethlehem-Stahlwerke auf 3*

36 einer Versuchsdrehbank unterrichtet. »Sie mußten die Bank selbst bedienen und bekamen dabei Aufgaben, welche die Wirkung der veränderten Arbeitsweise deutlich vor Augen führten. Die Leute, meist bessere Facharbeiter oder Meister, hatten zuerst große Abneigung gegen diese Versuchsarbeit, wurden aber bald begeisterte Anhänger derselben.« Das Beispiel über die Verbesserung der Metalldreharbeit zeigte uns ja, welche verschiedenen Einflüsse die Dreharbeit beschleunigen oder verzögern können. All diese gesammelten Erfahrungen des Arbeitsbureaus und tüchtiger Meister über bessere Arbeitsmethoden wurden diesen Meisteranwärtern übermittelt. Sie wurden auch in der zweckmäßigsten Anlernung der Arbeiter unterrichtet, da dies ja für das wirtschaftliche Zusammenarbeiten zwischen Arbeiter und Meister von größter Bedeutung ist (I, §§ 120 bis 122, 174, 175). Das Meistersystem T a y l o r s hat mannigfache Vorteile. Sachverständige, hochwertige, aber dennoch leicht zu ersetzende Fachmeister, die am Arbeitserfolg interessiert sind, teilen sich in die gesamte Vorbereitungs-, Anleitungs- und Kontrollarbeit. Der Betrieb hat so die genügende Zahl geschulter, sachverständiger Aufsichtsorgane, welche sich ihrer Hauptarbeit ganz widmen können. Alle Nebenarbeit und unnötige Schreibarbeit (Formularsystem) besorgen Arbeitsbureaus und Hilfskräfte. Der unmittelbare Verkehr dieser Fachmeister mit den Arbeitern sichert die wirtschaftlichste Ausnützung aller Produktionsmittel. Die Arbeitsvorteile einzelner Meister und Arbeiter werden vom Arbeitsbureau gesammelt und können so auch beim Ausscheiden der Betreffenden dem Unternehmen nützen 1 ).

Die Vereinheitlichung der Betriebsarbeit. Betriebsnormung. Nach Dr. G a r b o t z 2 ) versteht man unter N o r m a l i s i e r u n g die Verständigung über die Abmessungen und Formen von Einzelteilen industrieller Erzeugnisse, unter Über die beschränkte Anwendbarkeit des Taylorschen Meistersystems in Deutschland s. S. 194 ff. *) G a r b o t z , Vereinheitlichung in der Industrie, 1920, S. 6.

37 T y p i s i e r u n g die Verständigung über die Beschränkung der Ausführungsformen der ganzen Erzeugnisse auf unbedingt notwendige, bewährte, allgemein gültige Typen und unter S p e z i a l i s i e r u n g die Verständigung über die Verteilung der Herstellung dieser Typen auf die einzelnen Unternehmungen. Normalisierung, Typisierung und Spezialisierung fallen unter den Oberbegriff »Vereinheitlichung«. Vereinheitlichungsbestrebungen machen sich innerhalb des einzelnen Betriebes, als auch innerhalb ganzer Industriegruppen (Normenausschüsse, Kartelle, Syndikate, Trusts) bemerkbar. T a y l o r befaßt sich nur mit der Frage der Vereinheitlichung der Betriebsarbeit des Einzelunternehmens. Sein Ziel ist die Rationalisierung der ganzen Arbeit innerhalb des Betriebs zum Zwecke einer Erhöhung, Verbilligung und Verbesserung der Produktion. In jedem Betrieb soll eine Gleichartigkeit der Erzeugung durch Beschränkung auf wenige Typen, Vereinheitlichung der Arbeitsmittel und Betriebseinrichtungen, der Arbeitsverfahren und Arbeitsbedingungen auf Grund eingehender Beobachtungen und Versuche erstrebt werden. »Alles, was bisher als- Kleinigkeit galt, was jedermann nach seinem Belieben machen konnte, muß auf das sorgfältigste geregelt und bestimmten Organen übertragen werden. Solche Dinge sind z. B. die Sorge für die Instandhaltung der Riementriebe, sowie der Motoren- und Werkzeugmaschinen, die Herrichtung und Fertigmachung der Werkzeugstähle nach ganz bestimmten, ausprobierten Normen über Form und Schneidwinkel usw., die Ordnung und Aufbewahrung sämtlicher Werkzeuge und Vorrichtungen in einer gut eingerichteten Werkzeugkammer, ferner das wichtigste, die vorher gemachten ausgedehnten Zeitstudien über die Herstellungszeit der verschiedenen Arbeitsstücke durch zwei oder drei mit dem Arbeitsbureau in engster Fühlung arbeitende, geschulte Beamte und die Bestimmung und Festlegung der Arbeitsgeschwindigkeiten jeder einzelnen Werkzeugmaschine« (I, §64). U m f a n g der V e r e i n h e i t l i c h u n g . Die Beobachtungsund Versuchsarbeit (Zeit-, Bewegungs-, Organisationsstudien, Entwurfsarbeit) soll sich auf alle Abteilungen des Unternehmens (technische, kaufmännische und Betriebsabteilung), auf alle

38 Arbeitsmittel (Hilfsmittel, Werkzeuge, Apparate, Maschinen, Einrichtungen, Transportmittel), auf alle Arbeitsverfahren und auf die Organisation des ganzen Betriebs erstrecken (auf die gesamte Vorbereitungs-, Ausführungs-, Prüf- und Kontrollarbeit, die Verwaltung, das Buchungs-, Rechnungsund Kassenwesen, die Selbstkostenberechnung, die Registratur, die Betriebsstatistik, die zweckmäßige Anordnung der Produktionsmittel, also die wirtschaftliche, personelle, technische und räumliche Gliederung des Betriebs, z. B. die geeignete Anordnung der Räume, beste Organisation der Lager, der Material-und Werkzeugausgabe). »Dann umfaßt die Normalisierungsarbeit Aufnahmen der massenweise herstellbaren Einzelteile, Feststellung voraussichtlicher Jahresstückzahl, Einrichten der Größen und Sorten, überhaupt das entwurfliche Verringern unberechtigt eigengestalteter Teile und ausgewählter Rohstoffe auf vernünftige Auswahl. Alle diese Arbeiten eines gut geleiteten Normalienbureaus mindern die Zahl der Modelle, erhöhen die Stückzahlen, merzen viele zur Massenherstellung unpassende Teile aus, setzen an ihre Stelle wenige in Mengen benötigte Teile, die dann nicht teuerer zu gießen und leicht zu bearbeiten sind, für die sich Stanzund Preßwerkzeuge lohnen, und die darum nur noch Bruchteile der früheren Herstellungskosten erheischen. Neben alledem erledigt sich der Lagerverkehr rascher und wohlfeiler, es entfallen unnütze Schriftwechsel, z. B. für das Einkaufsbureau, mancherlei Frachtkosten, die schwierige Terminkontrolle usw.« 1 ). Vor allem müssen einheitliche Arbeitsbedingungen erstrebt werden, denn ohne sie sind alle Zeit- und Bewegungsstudien meist wertlos. Wir haben ja bei den angeführten Beispielen über die Untersuchung der Schaufel-, Maurer- und Metallarbeit gesehen, wie T a y l o r zu einer Normung der Arbeitsbedingungen und der Produktionsmittel allmählich kommt. Beispiele. T a y l o r s Ansichten über die Vereinheitlichung sind nicht kurz zusammengefaßt, sondern oft in den verschiedensten Stellen seiner Bücher zu finden. Daher sei hier durch ') B o c h h o l z , Prof., »Wie soll man normalisieren ?«. Der praktische Maschinenkonstrukteur, 19. X I I . 1918.

39 einige Beispiele erläutert, wie sich T a y l o r die Vereinheitlichung denkt. S c h r e i b a r b e i t . Die Normung erstreckt sich bei T a y l o r auf den gesamten schriftlichen Verkehr. Ein klug ausgedachtes, den Betriebsbedürfnissen gut angepaßtes System von Vordrucken (Formularsystem) erleichtert Ordnung und Übersicht und vermindert alle unnötige Schreibarbeit (Arbeitsanweisungs-, Maschinen-, Prüf-, Zeit- und Lohnkarten, Lohnlisten, Meldekarten, Abkürzungssystem für Werkzeuge, Einrichtungen und Tätigkeiten, Einkaufs- und Verkaufsvordrucke, Anstellungsverträge, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen, Unfallverhütungsvorschriften usw.; Vereinheitlichung der Zeichnungen; Verwendung einheitlicher Papier-, Zeichnungsund Skizzengrößen, Benützung aller bewährten Neuerungen für Vervielfältigung, Kontrolle und Ordnung. Durchschreibeverfahren, Vervielfältigungs- und Kopierapparate, Rechenmaschinen, Stempelkontrolluhren, Kartotheken, Registraturmittel, den Verhältnissen angepaßte gute Buchführung, bequeme Schreibeinrichtungen) 1 ). Die einheitliche, eindeutige, einfache Bezeichnung aller benötigten Materialien, Werkzeuge, Einrichtungen und Hilfsmittel und aller Tätigkeiten nach einem leicht sich einprägenden Schema erleichtert die Ordnung und die schnelle Bereitstellung der Arbeitsmittel. Besondere Einrichtungen (Arbeitsübersichten, Kontrolle, geordneter Botendienst usw.) sorgen für gutes Zusammenarbeiten. T e c h n i s c h e s B u r e a u . Ausarbeitung von Normalien, vereinheitlichte Zeichnungen, Pausen, Blaupausen, Stücklisten, vereinfachte Registrierung der Zeichnungen und Modelle. Anwendung allgemeingültiger Normen (Gewinde, Nieten usw.), einheitliche Vorschriften über zulässige Beanspruchungen und sonstige Beschaffenheit der für die verschiedenen Normalteile zu verwendenden Rohstoffe, Größen von Loch- und Wellendurchmessern, Kalibern, Passungen u. a. Normalisierung der Werkzeuge, Hilfsmittel, Apparate, Maschinen und der Arbeitsweise. Nur durch diese wichtige Vorarbeit ist es möglich, einheitliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. Nur dadurch ') S e u b e r t gibt in seinem Buche: »Aus der Praxis des Taylorsystems« eine Menge brauchbarer Formulare (vgl. auch Anhang).

40 können genau umgrenzte Arbeitsaufgaben für Arbeiter, Angestellte, Vorarbeiter und Meister vom Arbeitsbureau ausgearbeitet werden. Enthalten doch die Arbeitsanweisungszettel z. B. genaue Bestimmungen über Arbeitsgang der Stücke, Bearbeitungsart, Vorschub, Arbeitsgeschwindigkeit, Hilfseinrichtungen und Werkzeuge (Werkzeugliste). Wir haben an dem Beispiel der wissenschaftlichen Untersuchung der Metalldreharbeit kennengelernt, welch verschiedene Einflüsse die Leistung des gleichen Arbeiters beschleunigen oder verzögern können. Wer beim Eisendrehen einen richtig angeschliffenen Schnelldrehstahl verwendet, kann das zu bearbeitende Stück fünfmal so schnell laufen lassen, wie wenn er mit einem gleich geformten gewöhnlichen Drehstahl dieselbe Arbeit vollbringt — gleiche Spanbreite vorausgesetzt (I, § 164). W i l l m a n a l s o g u t e U n t e r l a g e n f ü r die Z e i t b e s t i m m u n g v o n A r b e i t s v e r r i c h t u n g e n e r h a l t e n , so m ü s s e n im g a n z e n B e t r i e b e oder w e n i g s t e n s in e i n zelnen Abteilungen gleiche Arbeitsbedingungen h e r r s c h e n . Ohne d i e s e m ü h e v o l l e u n d m e i s t e n s teuere Vereinheitlichungsarbeit des technischen u n d des B e t r i e b s - B u r e a u s i s t ein T a y l o r b e t r i e b undenkbar. N u t z e n . Durch eine vorsichtige Vereinheitlichung der Betriebsarbeit erreicht T a y l o r eine größere Übersicht, leichtere Leitung und Verwaltung, bessere Vorbereitung der Arbeit, weniger Leerlaufarbeit, weniger Energieverlust und Abfall, leichtere Austauschmöglichkeit der einzelnen Elemente und der Arbeiter, Ersparung von Zeit, Kraft und Kosten bei Reparaturen, verhältnismäßig kleines Rohstoff- und Ersatzteillager, weniger Ausgaben für Löhne, für Material (Großeinkauf), für Verwaltung, für Konstruktionsarbeit und Reklame, dazu noch leichtere Selbstkostenberechnung und bessere statistische Erfassung der Betriebsarbeit, auch bessere Lieferzeiten. Dieses Suchen nach Vereinheitlichung bringt also mehr Planmäßigkeit in die Arbeit des Unternehmens und somit eine günstigere Ausnützung aller Produktionsfaktoren und Produktionsmittel (sowohl der Arbeiter wie der mechanischen Arbeitsmittel, der Arbeitsräume und Einrichtungen). T a y l o r schafft durch Beschränkung auf unbedingt notwendige, absatz-

41 fähige Erzeugnisse und durch Durchbildung guter Arbeitsverfahren, sowie durch bessere Arbeitsteilung und vernünftige Mechanisierung der ganzen Betriebsarbeit die Grundlage für Massenherstellung und für Verbesserung und Verbilligung der Erzeugnisse. Zu jeder Arbeit kann der billigste, eben noch dazu fähige Arbeiter leicht angelernt werden. Es kann also weitgehender Ersatz teuerer Menschenarbeit durch Maschinen und Apparate erreicht werden. Für besonders wichtige Arbeiten können Fachleute und Spezialmaschinen beschafft werden. Weitgehende Normalisierung und Typisierung bringen also für den Betrieb mannigfache Vorteile, wenn sie in bestimmten Grenzen und mit der nötigen Vorsicht durchgeführt werden. T a y l o r s Anregungen wurden deshalb mit Recht in weiten Kreisen begeistert aufgenommen. Zwingt doch der verschärfte Konkurrenzkampf die Unternehmungen immer mehr zu weitgehender Normalisierung und Typisierung. Das Problem wirtschaftlicher Vereinheitlichung hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten viel weiter entwickelt, als es T a y l o r beschreibt. In vielen Fragen der Normalisierung und Typisierung kann der einzelne Betrieb nicht selbständig vorgehen, weil er sonst unwirtschaftlich arbeiten würde. Erst Vereinbarungen ganzer Industriegruppen über Abmessungen und Formen von Einzelteilen, über Beschränkung der Ausführungsformen und über die Verteilung der Typen auf einzelne Unternehmungen ermöglichen oft erst eine wirtschaftliche Fertigung. Ich werde später auf diese Bestrebungen näher eingehen, aber auch die Schäden und Gefahren zu weitgehender Normierung und Typisierung besprechen1).

Das Arbeitsbureau. Die ganze Vereinheitlichungsarbeit ist bei T a y l o r im Arbeitsbureau zentralisiert. T a y l o r s Ziel ist die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Betriebsarbeit. Er will es erreichen durch möglichste Anwendung bester Arbeitsmittel, durch geeignete Mechanisierung der Arbeit, durch Höchstausnützung bestgeeigneter Arbeiter und durch gute Organisation. Die volle Ausnutzung der menschlichen Leistungsfähigkeit muß durch die zweckmäßige Or') Vgl. S. 66—68, 182—192, 174ff., 96, 97.

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ganisation des Betriebes ermöglicht werden. Das Arbeitsbureau bildet für T a y l o r das Mittel, eine solche rationelle Betriebsarbeit zu schaffen. T a y l o r weist dem Arbeitsbureau folgende Aufgaben zu (I- §126): a) die vollständige Zerlegung der eingegangenen Aufträge in Einzelaufträge, b) die Zeitbestimmung für jede Handarbeit einschließlich Arbeiten am Schraubstock, beim Zusammensetzen und beim Transport, c) die Zeitbestimmung für die Maschinenarbeit einschließlich aller Nebenarbeiten für Aufspannen usw., d) die Materialverwaltung, Ein- und Ausgang des Lagers für Rohmaterialien und für jedes Stadium der Bearbeitung, Vorausbestimmung der Zeitpunkte für Besetzung der Werkbänke, e) die Erledigung aller Anfragen der Verkaufsabteilung über neue Arbeitsgebiete und Lieferzeiten, f) die Ermittlung der Herstellungskosten und der Gesamtkosten der Werkstätte und ihre Darstellung in monatlichen Übersichten, g) die Lohnauszahlung und Lohnverrechnung, h) die Bestimmung und Ausgabe der abgekürzten Bezeichnungen und Symbole für die Erkennung der Stücke und für die Kostenermittlung, i) die Erteilung aller Auskünfte, k) die Festsetzung der Normalien, 1) die Sorge für die Erhaltung der Organisation und der Kontrolleinrichtungen, m) die Unterhaltung des Boten- und Nachrichtendienstes, n) die Annahme der Arbeiter, o) die Werkstättenaufsicht, p) die Versicherung der Arbeiter und Angestellten, q) die Verfolgung eiliger Aufträge, r) die Sorge für die Verbesserung des Systems 1 ). Die Tätigkeiten der einzelnen Abteilungen des Arbeitsbureaus sind in I, §§ 127 bis 145 und besonders eingehend in dem S e u b e r t schen Buche: »Aus der Praxis des Taylorsystems«, S. 35 bis 150 beschrieben. Siehe Anmerkung 2, S. 9.

43 In jedem Betrieb ist natürlich das Arbeitsbureau etwas anders organisiert. Das obige Arbeitsprogramm ist nur als Beispiel aufzufassen. Das Bureau stellt durch Versuche die besten Verfahren, die beste Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung und die Höchstarbeitsleistungen fest, also die Zeiten, die ein erstklassige!- Arbeiter für bestimmte Tätigkeiten unter günstigen Umständen braucht, ohne dabei zu sehr zu ermüden (!). Die Leitung erlangt so die genaueste Kenntnis über alle persönlichen und über die Fabrikationsverhältnisse, über die beste, billigste und schnellste Art der Herstellung und über die geeignetsten Arbeiter und die zweckmäßigste Arbeitsverwendung. Auf Grund dieser gesammelten Kenntnisse und Erfahrungen schiebt das Arbeitsbureau Arbeiter ab, die nicht dauernd die verlangten Leistungen erfüllen können, sucht sich geeignete Kräfte und nützt dieselben gut aus. Die ganze Betriebsarbeit wird sorgfältig nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten eingeteilt und der Gang der Arbeitsstücke, sowie die einzelnen zu erledigenden Teilarbeiten genau schriftlich festgelegt. »Bevor jedes Guß- und Schmiedestück in die Werkstätte kommt, muß sein Lauf über die verschiedenen Bearbeitungsmaschinen mit Angabe der Zeit, Zeichnungsnummer, Art der Bearbeitung, Hilfseinrichtungen und Spannvorrichtungen bestimmt sein« (I, § 64). Das Arbeitsbureau hat alle Arbeiten bis ins kleinste vorzubereiten. E s beschafft rechtzeitig Zeichnungen und Pausen, arbeitet genaue Arbeitsanweisungskarten aus, auf denen alle einzelnen Tätigkeiten nach Zeit und Art vorgeschrieben werden. Auch alle Arbeitsvorteile, welche die Arbeit beschleunigen können, sind angegeben. Die Arbeiter brauchen sich also um die Vorbereitung der Arbeit nicht zu kümmern. Ihnen obliegt nur die Ausführung einer Teilarbeit. Auf den Arbeitsanweisungskarten (s. Anhang) ist die ganze vorbereitende Arbeit niedergelegt. Es ist genau vermerkt, womit, wie, wieviel und wielange der Arbeiter arbeiten soll, also die Arbeitsmaschine, die erforderlichen Zeichnungen, das Material, die Anzahl der Stücke, die kürzeste Herstellungszeit, die Lohnart, die zweckmäßige Aufeinanderfolge der Arbeit, die Arbeitsvorteile und Hilfsmittel bezeichnet. Das Arbeitsbureau stellt auch die Werkzeugliste auf, in welcher nach einem ab-

44 gekürzten Verfahren die Werkzeuge und Hilfsmittel für die betreffende Arbeit nach Größe, Stückzahl, Bezeichnung angegeben wird. Werkzeuge, Material und Hilfsmittel werden samt Werkzeugliste, Anweisungskarte, Arbeitskarte, Maschinen- und Zeitkarte dem Arbeiter an seine Arbeitsstelle geliefert. Es ist dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeiter nach Material, Werkzeugen und Zeichnungen suchen muß, daß er die Zeit mit Herrichten oder mit der Ausbesserung von Werkzeugen und anderen Hilfsmitteln vergeudet oder daß er lange erst Vorarbeiter und Werkmeister über Bearbeitungsart, Spanstärke, Schnittgeschwindigkeit usw. zu fragen braucht. Alle Anweisungen des Arbeitsbureaus werden schriftlich gegeben. Jede Stelle, die mit der Arbeit etwas zu tun hat, gibt an, wann sie den betreffenden Zettel erhalten hat und signiert ihn zugleich (vgl. die Formulare im Anhang). Von den verschiedenen Stellen laufen täglich beim Arbeitsbureau die ausgefüllten Anweisungen oder Meldezettel ein über vollendete Arbeit, gebrauchte Zeit, Leistung jedes einzelnen Arbeiters, verbrauchtes Material usw. Die Einträge in die Arbeitskarten erfolgen durch die Arbeiter selbst. Jeder Eintrag wird vom Prüfmeister auf seine Richtigkeit geprüft. Stimmen die Angaben des Arbeiters, so wird der beiliegende Zahlungsabschnitt an die Lohnabteilung weitergegeben. Sind die Einträge unvollständig oder falsch, so wird die Karte zur richtigen Ausfüllung an die Arbeiter zurückgegeben. Dem Arbeitsbureau ist es auf Grund dieser Angaben möglich, für jeden Arbeiter die Arbeitsaufgaben für die nächsten Tage festzulegen und die Verrechnung der Löhne, des verbrauchten Materials und der abgelieferten Stücke durchzuführen (I, §§64, 166). Sehr praktische Übersichten und Arbeitsdiagramme schaffen im Arbeitsbureau mit seinem Gewirr von Aufgaben und Meldungen die rechte Ordnung. Mühelos findet man dadurch Aufschluß, wann jede Arbeit in den einzelnen Abteilungen erledigt sein soll, in welcher Abteilung sich zurzeit die Arbeit befindet und wann sie erledigt wurde. Zugleich sieht man dadurch leicht die Mängel der ganzen Organisation, die dann wieder durch bessere Arbeiter und Arbeitsmittel oder durch bessere Arbeitsteilung und Organisation beseitigt werden

45 müssen. Ich kann hier, wo es sich nur um Feststellung wesentlicher Merkmale des Taylorsystems und um kurze Beschreibung der Organisation handelt, leider nicht auf diese Einzelheiten näher eingehen und verweise deshalb auf I, §§151 bis 161 (geschrieben von Professor Wallichs), auf das Seubertsche Buch, sowie auf die Taylorzeitschrift. Die völlige Trennung der überlegenden, leitenden und vorbereitenden Arbeit, sowie aller unnötigen Schreibarbeit von der ausführenden (I, § 107) bedingt eine große Vermehrung der Schreibkräfte, der Beamten und Meister. Man denke nur an die erfolgreiche Vorbereitungs-, Versuchs-, Kontroll- und Verwaltungsarbeit, an die Ermittlung der Zeiten, die Ausfüllung der Arbeitsanweisungskarten und an die Instandhaltung von Werkzeugen, Maschinen und Einrichtungen, an den umfangreichen schriftlichen Verkehr, die Verrechnung der Löhne, des Materials und der allgemeinen Unkosten und an die Kalkulation. Die Material-, Lohn- und Kraftersparung ist jedoch durch ein gutgeleitetes Arbeitsbureau eine so große, daß sich die erheblichen Kosten für .die Anstellung von mehr Beamten, Meistern und Schreibern reichlich lohnt. T a y l o r weist auch darauf hin, »daß alle einzelnen Arbeiten, welche das Arbeitsbureau zu leisten hat, vorher auch an irgendeiner Stelle der Werkstätte verrichtet wurden. Es handelt sich also weniger um eine Vermehrung der Arbeit als um eine Verschiebung aller geistigen und der Schreibarbeit in das Arbeitsbureau, während der Arbeiter keine Zeit für Nachdenken über Aufspann, Instandhaltung seiner Maschine und deren Antriebsvorrichtungen, Ausrechnung der Zahnradgetriebe usw. aufzuwenden hat, sondern unausgesetzt seine Maschine im Gang halten kann«. Diese Behauptung T a y l o r s trifft zwar nicht ganz zu; denn es werden im Arbeitsbureau auch Arbeiten erledigt, die früher überhaupt nicht gemacht wurden. Die fälschlich als unproduktive Kräfte bezeichneten Beamten und Arbeiter des Arbeitsbureaus leisten also wichtige produktive Arbeit. Alle Leerlauf arbeit, die durch unnötiges Warten, Suchen, Fragen und Bummeln entstehen würde, soll durch straffe zwangsläufige Regelung vermieden werden. Ohne Arbeitsbureau ist es unmöglich, jedem Arbeiter für jeden Tag eine klarumgrenzte Arbeitsmenge zu geben, die seine in-

46 dividuelle Leistungsfähigkeit voll ausnützt (und das ist ja eine Hauptforderung T a y l o r s ) . Das Arbeitsbureau ist gleichsam das Gehirn des ganzen Betriebes, das alle Arbeiten durchdenkt, ausprobiert und vereinfacht. Manche wertvolle Erfindung bildet das Ergebnis seiner Versuchsarbeit (I, § 164)1).

Die Lohnfrage bei Taylor. 1. Übersicht über Lohnformen, a) allgemeine Übersicht über Lohnformen, b) Hauptformen der Akkordlöhne. 2. Die Lohn verfahren in Taylorbetrieben, a) Zeitlohn mit Prämie, b) Prämiensystepie oder Teilungsverfahren, c) Schnelligkeitsakkord der Taylorgruppe ( G a n t t , Taylor). 3. Allgemeine Grundsätze T a y l o r s über Lohnbemessung. 4. Lohntheoretische Folgerungen.

1. Kurze Übersicht über Lohnformen. 1 ) I. N a t u r a l l o h n (Kost, Wohnung, Kleidung,Landnutzung). II. G e l d l o h n . A. G e l d l o h n o h n e E r t r a g s b e t e i l i g u n g . Lohn form

a)

Zeitlohn

b)

Akkord-

Bemessungsgrundlage

Die Dauer der

Umfang der Einführung

Arbeit

Das verbreitetste Lohnsystem

Die

Arbeitsleistung

Steigende in

lohn

Verbreitung

fortgeschrittenen

Industrieländern, c) Lohnhöhe nach Unterhaltsbedarf

Durchschnittspreise wichtigsten

Teile der

L e b e n s h a l t u n g (Groß- oder Kleinhandelspreise Lebensmittel; Kritik

2)

S. 1 7 0 — 1 8 1 ,

192,

Siehe Literaturverzeichnis

Die und

der

Beamtengehälter

sonstiger

sind

der

Südafrika-Gold-Co., Yorkshire

Färberei -

Industrie, Lancashire Bleicherei - Industrie.

Mieten)

193. S. I I . materielle

öffentlicher Körper

für den

Leistungen

des

Lebensunterhalt

Staates der

Be-

47

B. G e l d l o h n m i t E r t r a g s b e t e i l i g u n g 1 ) . a) E i n z e l b e t e i l i g u n g (i. direkte Gewinnbeteiligung, 2. Kleinaktie), b) G e s a m t b e t e i l i g u n g .

Hauptformen der Akkordlöhne. Nach der Sicherheit des Stundenverdienstes unterscheidet man: a) Akkordlöhne ohne gewährleisteten Stundenverdienst (reiner Stücklohn = reines Prämienverfahren mit Vollprämie). b) Akkordlöhne mit gewährleistetem Stunden verdienst. Nach der Genauigkeit der Zeitfeststellung: 1. Akkordlöhne auf Grund geschätzter Herstellungszeit, 2. Akkordlöhne auf Grund von Zeitstudien. Hieher gehört die Taylorgruppe ( T a y l o r s Differentialstücklohn, G a n t t s Pensumprämienverfahren), auch das E m mersonsche Leistungsgradverfahren. Es können aber auch bei allen anderen Akkordlohnformen Zeitstudien die Unterlage für die Lohnberechnung bilden. H a u p t f o r m e n d e s A k k o r d l o h n s sind: A. Reiner Akkordlohn, Stücklohn, B. Akkordlohn mit Prämie, C. Teilungssysteme oder Prämien verfahren. B. A k k o r d l o h n m i t

Prämie.2)

a) A l t e r s - und K l a s s e n p r ä m i e (gestaffelte Stücklöhne) nach der Klasse des Arbeiters (Preuß. Militärwerkstätten) oder nach dem Alter des Arbeiters (preuß. hess. Staatsbahn 1912 bis 1918). amten. Sie fallen nicht unter den Begriff der Löhne, sondern unter »Besoldung«. Diese ist eine Sustentation oder Alimentation, keine Dienstmiete, keine Entschädigung für geleistete Dienste und daher nicht von Wert und Umfang und der jeweiligen Erfüllung der Leistung abhängig. »Sie ist eine Entschädigung des Staates, die der Staatsbeamte dafür empfängt, daß er, verzichtend auf anderweitigen Erwerb, dauernd und ausschließlich dem Staate seine Dienste widmet.« ') Siehe S e i t e r , Lohn- und Ertragsbeteiligungsformen. *) Prämien sind feste oder schwankende Lohnzuschüsse, die meist nur für besondere Leistungen (aber auch Dienstaltersprämien) neben

48 b) S t ü c k l o h n m i t P r ä m i e n für Ersparung von Material, rechtzeitiges Entdecken von Materialfehlern, für Qualitätsleistungen usw. c) T a y l o r s D i f f e r e n t i a l s t ü c k l o h n v e r f a h r e n . C. T e i l u n g s s y s t e m e o d e r

Prämienverfahren.

Die Lohnverfahren von T o w n e , H a l s e y , Rowan, E m m e r s o n finden sich auch in Taylorbetrieben, die Verfahren von R o ß , S c h i l l e r , R o t h e r t und das Wilhelmshavener System sind vereinzelt in Deutschland und Österreich eingeführt (s. S e i t e r , Lohn- und Ertragsbeteiligungsformen). Das G a n t t s c h e Pensum-Prämien-Verfahren ist ein Schnelligkeitsakkord, der außer dem Zeitlohn eine hohe Prämie gewährt, falls das Pensum in der durch Zeitstudien ermittelten Mindestzeit erreicht wird. Es ist das verbreitetste Lohnsystem in Taylorbetrieben.

2. Das Lohn verfahren in Taylorbetrieben. Die Vielseitigkeit der Arbeiten erfordert auch in T a y l o r betrieben die Anwendung mehrerer Lohnverfahren. In manchen Unternehmungen waren z. B. vier verschiedene Lohnsysteme gleichzeitig in Gebrauch. Als Hauptformen, welche besonders häufig vertreten waren, sind zu nennen: I. der Taglohn mit besonderer Vergütung (Zeitlohn mit Prämie), II. die Teilungssysteme von T o w n e , H a l s e y , R o w a n und E m m e r s o n , I I I . die Schnelligkeitsakkorde von T a y l o r und G a n t t .

I. Zeitlohn mit Prämie. 1 ) In den Unternehmungen mit »wissenschaftlicher Betriebsführung« soll Zeitlohn nur in Ausnahmefällen angewandt dem Lohn gewährt werden, z. B. für Ersparnis von Material, für bessere oder vermehrte Leistung, für Unfallverhütung, rechtzeitiges Entdecken von Materialfehlern, verkürzte Arbeitszeit usw. (Ersparnis-, ßualitäts-, Quantitäts-, Umsatz-, Unfallverhütungs-, Vorsichts-, ZeitersparnisPrämien). Außer dem gewöhnlichen Zeitlohn unterscheidet man Zeitlohn mit Prämie. Hier oft gestaffelt nach verschiedenen Lohnklassen mit

49 werden, nämlich bei Arbeiten, deren Dauer sich schwer berechnen läßt (Qualitätsarbeit), oder bei denen sich Zeitstudien nicht lohnen (stark wechselnde Tätigkeit). Es soll aber immer wieder versucht werden, auch für solche Arbeiten ein bestimmtes Pensum als Grundlage für die Entlohnung zu machen. Beim reinen Zeitlohn, bei dem ja der ganze Zeitgewinn, den der Arbeiter durch schnelleres Arbeiten erreicht, dem Unternehmer zugute kommt, hat der Arbeiter kein Interesse schnell zu arbeiten. Er wird leicht ein Fremdkörper des Betriebes und leistet oft trotz vermehrter Kontrolle nicht Befriedigendes. Daher Zulagen oder Prämien für schnellere Arbeit.

II. Teilungssysteme oder Prämienverfahren. Der Name Prämienverfahren ist leicht irreführend; denn es gibt 1. Zeitlöhne mit Prämien, 2. Akkordlöhne mit Prämien, 3. Teilprämien verfahren. Fast durchwegs versteht man unter Prämiensysteme diese letzte Gruppe, die auch unter dem Namen Teilungssysteme bekannt ist. Die Verfahren von T o w n e , H a l s e y , R o w a n wurden in Taylorbetrieben vor allem während der Übergangszeit zur »wissenschaftlichen Betriebsführung« angewandt und auch überall da, wo sich genaue Zeitmessungen nicht lohnten oder unmöglich waren. Beim Stücklohnverfahren steigt der Stücklohn proportional der Stückzahl, die der Arbeiter anfertigt. Der Zeitgewinn kommt also hier ausschließlich dem Arbeiter zugute. Bei Fehlarbeit bekommt er allerdings oft keinen Lohn. Alle Teilungssysteme sichern dem Arbeiter einen bestimmten Stundenlohn auch dann, wenn er die Leistung in der geschätzten Zeit nicht vollbringen kann. Der Stundenlohn des Arbeiters steigt zwar stetig (nicht sprungweise wie bei der Taylorgruppe), aber nie so schnell, wie wenn er im Stücklohn arbeiten würde; denn der Akkordgewinn wird zwischen dem oder ohne spätere Zuschüsse (Gratifikationen, Prämien, Pensionen) nach Alter und Stellung des Arbeiters und nach Art, Größe und Güte seiner Leistung. Söllheim, Taylorsystem. 4

50 Arbeiter und dem Unternehmer geteilt. Der Teilungsmodus ist verschieden. Meistens bekommt der Arbeiter 1 / 3 bis 1 / 2 des Gewinnes, der durch sein schnelleres Arbeiten erzielt wird. Das übrige erhält der Unternehmer. B e i s p i e l . Die Fertigungszeit für eine bestimmte Arbeit ist auf 6 Stunden veranschlagt. Der Stundenlohn beträgt 3 M., der Akkordsatz für die ganze Arbeit also 6 X 3 = 18 M. Beim Stücklohnverfahren erhält der Arbeiter stets 18 M., ob er nun 4, 5, 6 oder mehr Stunden mit der Arbeit beschäftigt ist. Bei Zeitlohn erhält er für jede Stunde 3 M., also bei 5stündiger Fertigungszeit 15 M., bei 7stündiger 21 M. Bei dem Teilungsverfahren bekommt der Arbeiter, falls er länger als 6 Stunden zur Arbeit braucht, Zeitlohn. Wird er früher mit der Arbeit fertig, so erhält er nicht einen festen Lohnsatz von 18 M. wie bei Stücklohn, sondern weniger. Der durch das schnellere Arbeiten erzielte Gewinn wird nach bestimmten Verhältnissen zwischen ihm und dem Unternehmer geteilt. J e größer der Zeitgewinn, desto größer auch die Prämie des Arbeiters, aber auch die des Unternehmers. Für den Betrieb sind also schnellere Akkordarbeiter vorteilhafter als langsamere, daher haben auch die Unternehmer bei dem Teilungssystem ein besonderes Interesse, scfiwächliche und weniger tüchtige Arbeiter durch gute zu ersetzen und die Fertigungszeit durch bessere Anlernung der Arbeiter, sorgfältigere Arbeitsvorbereitung, gute und individuelle Behandlung der Arbeitskräfte, günstige Arbeitsbedingungen, Maschinen- und Werkzeugpflege, straffe Organisation und Kontrolle zu vermindern. Die nachstehende Tabelle soll veranschaulichen, was ein Arbeiter bei den verschiedenen Lohnverfahren bekommt, wenn er sieben, sechs, fünf, vier oder drei Stunden zu der obigen Arbeit braucht, deren Herstellungszeit auf sechs Stunden veranschlagt war. Man beachte jedoch die am Schluß des Abschnittes über Entlohnung gegebenen allgemeinen Gesichtspunkte für Vergleichungen verschiedener Lohn verfahren. H y 3 bedeutet Prämienverfahren von H a l s e y mit % Prämie, H l/2 dasselbe Verfahren mit y 2 Prämie.

51 Der Unternehmer gibt für die ganze Arbeit aus, wenn der Arbeiter die angegebenen Zeiten für die Herstellung benötigt: Herstellongsszeit von 3 Std.

4 Std.

5 Std.

6 Std.

bei Akkordlohn: 18 M. H1/^ Prämie: ^ , H V j Prämie: 12 « bei Zeitlohn: 9 »

18 15 14 12

18 M. 16,5 » 16 > 15 »

18 18 18 18

M. » » »

M. » « »

7 Std. 18 M. 21 » 21 « 21 «

Lohnformen. ir —i_

Ze/f/ohn

Jtück/ohn

Vr /

2

4

J

J

SSM.

E GenfM: Pensumpr . . . ist auch kein bestimmtes System, den Arbeiter zu entlohnen. Sie ist keine von den Einrichtungen, die unglücklicherweise als wissenschaftliche BetriebsfQhrung bezeichnet werden.« S. auch I, S. 1 3 1 bis 155 (Diskussion amerikanischer Ingenieure). 1 ) »Fabrikorganisation, Fabrikbuchführung und Selbstkostenberechnung der Firma Ludwig Loewe & Co., A. G.«, Berlin 1916.

76 und Regeln. Hie und da versuchte er zwar einen logischen Aufbau seiner Lehre, aber da er kein großer Theoretiker, sondern nur ein großer Anreger war, ist es ihm nie recht gelungen. Seine Verehrer und seine Gegner konnten sich deshalb auch nur zu leicht an einzelne Besonderheiten und Widersprüche seiner Darstellung hängen. Die meisten Beurteiler übersehen die verschiedenen Zeit- und Kulturbedingungen, welche zwischen der nordamerikanischen Union in der Zeit von 1890—1910 und dem Deutschland von heute bestehen. T a y l o r s Versuche gehen ja bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück. Seine Gedanken wurzeln in den natürlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen der Union. Einerseits darf man die Abhängigkeit der T a y l o r schen Betriebsorganisation von diesen Bedingungen nicht außer acht lassen, denn das Taylorsystem ist mindestens z. T. ein Erzeugnis der geistigen Umgebung T a y l o r s und der wirtschaftlichen Industrieentwicklung des nordamerikanischen Ostens. Anderseits kann man nur zu leicht die sozialen Schäden, welche die schnelle Entwicklung des Maschinenzeitalters in der Union begleiteten, als Wirkungen des Taylorsystems (ich wende diesen Ausdruck, da er sich bereits eingebürgert hat, auch weiterhin an) betrachten. Bei der Beurteilung kommt es auch sehr darauf an, ob man den einseitigen Standpunkt einer Interessentengruppe (der Unternehmer oder der Arbeiter) vertritt, ob man rein privatwirtschaftliche oder volkswirtschaftliche Maßstäbe anlegt. Das letztere kommt hier nur in Frage. Unter diesen verschiedenen Gesichtswinkeln erscheint T a y l o r oft als Wohltäter, oft als Fronvogt der Menschheit. Über T a y l o r s Persönlichkeit weiß man ja in Deutschland sehr wenig. Man beurteilt sie deshalb nur zu leicht nach den von ihr ausgehenden Wirkungen. Wäre T a y l o r unter den heutigen Verhältnissen in Deutschland, so würde er geradesogut wie jeder andere Praktiker seine Ideen den deutschen Verhältnissen anpassen. Sind doch hier gerade die Bedingungen, denen das Taylorsystem in Amerika seine großen Erfolge vielfach verdankte, wesentlich verschiedene (organisierte Arbeiter, Tarifverträge, Betriebsrätegesetz, politischer Einfluß der Arbeiterschaft).

77 T a y l o r s Bücher »Die Betriebsleitung« und »Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung« bringen manches nicht, was man wohl darin vermuten könnte. Was er über die eigentliche Betriebsleitung sagt, sind nur Teilaufgaben der Leitung. Wir erfahren nichts über die Preis-, Finanz-, Kredit- und Konzentrationspolitik der Unternehmungen, das Rechnungswesen, die Selbstkostenberechnung und über die Einkaufs- und Absatzorganisation. Der Kapitalfaktor wird von ihm überhaupt vernachlässigt. Er gibt keine ausführlichen Rentabilitätsberechnungen. Wir können uns deshalb nie ein genaues Urteil über den wirklichen finanziellen Erfolg (für Unternehmer und Arbeiter) machen, der durch die Einführung seiner Organisationsgrundsätze herbeigeführt wird. So sind also wesentliche Seiten der Betriebsführung gar nicht erörtert. E s fehlt aber auch eine systematische Betrachtung der einzelnen Produktionsfaktoren (der menschlichen Arbeit und der Arbeitsmittel), als auch eine genaue Untersuchung der Grenzen der Anwendungsfähigkeit seiner Grundsätze u. a. Zu einer »Betriebswissenschaft« 1 ), die er eigentlich begründen wollte, gehört natürlich auch die systematische Darstellung der Forschungsmethoden der Betriebswissenschaft, eingehende Untersuchungen über die Hilfswissenschaften, die gesellschaftlichen Produktionsfaktoren (Einwirkung des Milieus auf die Produktion: Standort 2 ), natürliche und soziale ProduktionsDietrich,

Rudolf,

Betriebswissenschaft,

1914.



Paul, V e r s u c h einer Theorie der P r o d u k t i o n , D i s s e r t a t i o n 2)

oder ist

U n t e r d e m besten S t a n d o r t v e r s t e h t m a n den g ü n s t i g s t e n

Bezirk die

günstige

für die

Rentabilität

Materialbasis, und

billige

die

des

Unternehmens.

Absatzmöglichkeit,

Transportgelegenheit

die

usw.

Unterschiede in den A n l a g e k o s t e n , H i l f s s t o f f e , den

Transportkosten.

Von

verschiedenem

Unternehmungen

d e n Materialpreisen

Herstellungskosten

(Löhne),

Ort

EinfluO

Arbeitskraftbasis, Bei

S t a n d o r t ergeben sich bei gleicher O r g a n i s a t i o n v o n und

Fleischl, 1915.

den

f ü r die

Roh-

Vertrieb-

E s ist also f ü r die R e n t a b i l i t ä t v o n B e d e u t u n g ,

und ob

man ein U n t e r n e h m e n z. B . in M a n n h e i m , i m S c h w a r z w a l d , in Zürich, in B r e g e n z oder in S a a r b r ü c k e n errichtet. Die

Frage

des

untersucht

von

(Über d e n

Standort

Schumacher Jahrbüchern

Standortes

Roscher der

industrieller

(1865),

Unternehmungen

grundlegend

Industrien,

I. Teil,

von

Theorie,

Alfred 1909)

( W a n d e r u n g e n der d e u t s c h e n Industrie, in 1910).

wurde Weber

und

von

Schmollers

78 faktoren 1 ), über die sozialen Aufgaben der Betriebe (Lehrlingsausbildung, gewerbliche Weiterbildung, Gesundheits- und Wohlfahrtspflege), über die Arten der Betriebe, über die Förderung der Betriebswissenschaft durch Staat, wirtschaftliche Interessen verbände und die großen wirtschaftlichen Vereine — um nur einige wichtige Aufgaben zu nennen. Zu physiologisch - psychologischen Arbeitsstudien (Ermüdungsstudien, Eignungsuntersuchungen) fehlen ihm die Fachkenntnisse. Daher wurden auch die meisten seiner Zeitstudien — die ja nur besondere Kategorien der modernen Arbeitsstudien darstellen — so schnell wieder völlig wertlos. Für die Methodik der Bewegungsstudie hat er nichts geleistet. Aber er war ein fruchtbarer Anreger. T a y l o r beschäftigt sich also fast nur mit der Organisation und Leitung der Werkstättenarbeit und mit den Versuchen einer möglichsten Normung der Arbeitsstoffe, Arbeitsmittel, Arbeitsbedingungen und Arbeitsverfahren. Wesentlich Neues brachte er dabei eigentlich wenig, wie wir ja aus dem vorigen Abschnitt ersehen können. Von einem T a y l o r - » S y s t e m « könnte man nur dann sprechen, wenn man die starre, zwangsläufige Organisation mancher Taylorbetriebe, von denen sich jedoch wesentliche Merkmale auch in deutschen Fabriken unabhängig von T a y l o r entwickelt haben, als solches bezeichnen will. Eigenartig für T a y l o r bleibt ') Unter natürlichen und sozialen Produktionsfaktoren versteht man den Einfluß der natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse (Leistungen der Natur und der Gesellschaft) auf die Produktion. Auf die Ergiebigkeit und Art der Produktion wirken z. B. folgende soziale Produktionsfaktoren: die gesetzlichen Grundlagen der Betriebsarbeit in dem betreffenden Land, die Wirtschaftsverfassung, die Kriegs-, Finanz-, Zoll-, Verkehrs- und Handelspolitik (Handelsverträge), die Rechtssicherheit, die Währungsverhältnisse, der Grad der Industrieentwicklung des ganzen Landes und der betreffenden Industriegruppe, die Konzentrations- und die Vereinheitlichungsbestrebungen (Normalisierung, Typisierung, Spezialisierung) innerhalb der Industrie, staatliche Zwangswirtschaft, Ausfuhrverbote, Höchstpreisfestsetzungen, Beschränkungen der Gewerbefreiheit, hohe soziale und wirtschaftliche Lasten (z. B. durch den Versailler Frieden), die Entwicklung des gewerblichen Bildungswesens, der Stand der Wissenschaft und Technik, auswärtige Handelsvertretungen u. a. [vgl. Adam M ü l l e r (1779 bis 18*9), Stahl, Adolf W a g n e r ] .

79 nur die enge Verquickung von Zeitmessungen, Höchstpensum und Lohnverfahren und die Versuche einer wissenschaftlichen ökonomisierung der Betriebsarbeit. Man beachte jedoch, daß diese letzten Bestrebungen der besseren Arbeitsteilung und Arbeitsnormung eine immer stärker werdende Tendenz der modernen Wirtschaftsentwicklung darstellt. Hier noch eine Äußerung eines Praktikers, des Direktors Dr. L a s c h e (A.E.G.-Turbinenfabrik, Berlin) 1 ): »Wir haben hier in Deutschland, bevor T a y l o r seine erste Veröffentlichung herausgab, bereits eine wissenschaftliche Betriebsführung gehabt, ich weiß von den Riedlerschen Vorträgen im Jahre 1888, daß er seine Hörer darauf hingewiesen hat, daß in dem Werke Wolf, Magdeburg-Buckau, eine vollkommen durchgeführte Einzelteilfabrikation bereits bestanden hat. Ich weiß aus dem Jahre 1893, daß in einer ganzen Anzahl erster Werke in Amerika von wissenschaftlicher Betriebsführung in keiner Weise die Rede war, daß hingegen die A.E.G. in diesem Jahre in ihren Werkstätten bereits mit vollkommen durchgeführter Gliederung ihres Betriebes arbeitete, getrennte Kontrollmeister hatte, und getrennte Einrichtungen für die Schaffung von richtigen Werkzeugen und richtigen Vorrichtungen, welche für die einzelnen Werkstätten bereits mit schriftlicher Angabe des Arbeitsganges in besonderen Kästen aufbewahrt wurden und als Ganzes für die Herstellung der Stücke zur Ausgabe kamen. Es wäre dankenswert, wenn der Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung gegen den Amerikakult, der in diesem Taylorkult seinen Ausdruck findet, Front machen würde und die viel richtigere Bezeichnung .wissenschaftliche Betriebsführung' allein beibehalten würde.« Hier fehlt nur das Merkmal des Höchstpensums mit Schnelligkeitsakkord und die rigorose Arbeiterentlassung. Sonst stimmt alles auf das Taylorsystem 2 ). l ) In der Aussprache zu dem Vortrag des Ingenieurs Eduard M i c h e l »Wie macht man Zeitstudien ? < (angeführt im gleichnamigen Buche, S. 109) im Ausschusse für wirtschaftliche Fertigung des Vereins deutscher Ingenieure, Juni 1920. *) Über die kulturelle Bedeutung der Taylorbewegung siehe Zusammenfassung am Schluß.

Nordamerikanische Verhältnisse und Taylorismus. 1. Zur Psychologie des amerikanischen Wirtschaftsmenschen. 2. Einfluß des Naturrechts. 3. Staatsidee. 4. Religiöse Momente. 5. Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse der Union. a) Arbeiterverhältnisse in der Großindustrie, b) Arbeiterorganisation, c) Industrieentwicklung, d) Kapitalistische Wirtschaftspolitik. e) soziale Entwicklung. (). 7. 8. 9. 10.

Taylors Ideenwelt. Regierung und Taylorsystem. Soziale Einstellung der Taylorbewegung. Erklärung des amerikanischen Gewerkschaftsbundes. Taylorismus und industrielle Entwicklung.

1. Zur Psychologie des amerikanischen Wirtschaftsmenschen. Der Amerikaner ist geschichtslos. Seit Jahrhunderten fluteten unternehmungslustige Abenteuerer und Kaufleute aus aller Welt ins Land. Sie mußten alle von vorne anfangen und sich gegen Natur und Nebenmenschen durchsetzen. Ihre Begriffe von Recht, Sittlichkeit und Staat waren Anschauungen von Kaufleuten und wagehalsigen Fremdlingen, von Freiheitsjüngern und politischen Flüchtlingen, denen das alte Europa mit seinen Traditionen, Ständen, Privilegien und seinem Absolutismus ein Ekel war. Sie alle waren nun

81

ein Glied dieses eigenartigen Mischvolkes, eines Landes mit unbegrenzten Möglichkeiten des Land- und Gelderwerbs. Kein Heimatgefühl bannte sie an einen bestimmten Ort. Der Westen mit seinen unerschlossenen Ländereien, das Gold Kaliforniens und Alaskas und der Mineralreichtum des Alleghany-Gebirges lockte Tausende und Abertausende tiefer ins Land und ließ ein Netz von Farmen und nüchterne Riesenstädte emporwachsen. Überall ein Haschen nach dem Dollar. Jeder wollte dabei möglichst ungestört sein und daher trat auch jeder für die unumschränkte Auswirkung des Selbstinteresses, für die freieste Entfaltung der Produktionskräfte ein.

2. Einfluß des Naturredits. Die amerikanische Welt wurzelt tief in der mechanistischen Weltauffassung des Materialismus. Überall stoßen wir auf Einflüsse B a c o n s , B e r k e l e y s , des französischen Materialismus, besonders auch auf C a l v i n , auf den metaphysikfreien Positivismus C o m t e s und später auf mächtige Einwirkungen des Evolutionismus D a r w i n s , W a l l a c e s und S p e n c e r s auf die amerikanische Gedankenwelt. Vor allem aber fand das Naturrecht in Amerika fruchtbarsten Boden. Amerika steht heute noch größtenteils auf dieser naturrechtlich individualistischen Weltanschauung.

3. Staatsidee. Entwickelt wurde diese individualistische soziale Atomistik von G r o t i u s , G a s s e n d i , H o b b e s , P u f e n d o r f , L o c k e bis herauf zu R o u s s e a u und den P h y s i o k r a t e n . Der Staat ist nichts weiter als eine Vereinigung selbstsüchtiger Individuen, die im Namen der persönlichen Freiheit einseitig ihre Ziele verfolgen dürfen. Er hat deshalb nur die Aufgabe, für Recht und Sicherheit zu sorgen und alle Hemmnisse, die sich der Auswirkung vollster individueller und wirtschaftlicher Freiheit entgegenstellen, zu beseitigen. A d a m S m i t h und R i c a r d o lieferten die wirtschaftspolitische Rechtfertigung der rein individualistisch orientierten Wirtschaftsverfassung, die den Eigennutz als ein Prinzip oder Element des Sittlichen betrachtet. Die ganze Theorie, S ö l l b e i m , Taylorsystem.

6

82 die Adam S m i t h in seinem »Volkswohlstand« (1776) entwickelt, ist ja auf dem unbeschränkten Wirken des universellen Selbstinteresses aufgebaut, dessen ethische Berechtigung schon S h a f t e s b u r y behauptet hat. Jeder verstehe sein Privatinteresse am besten. Er könne durch freieste Entwicklung seiner Kräfte am meisten zur Vermehrung der Produktion und somit zur Hebung des Volkswohlstandes beitragen. Zugleich aber erreiche man »das größtmöglichste Glück der größtmöglichsten Zahl«, wie es J . B e n t h a m (1748—1832)*) ausdrückt, da ja jeder seine Kräfte voll in den Dienst seiner Interessen stellen dürfe. Diese Wohlfahrts- und Nützlichkeitstheorie fand durch B e n t h a m in Amerika weite Verbreitung. Der Staat Louisiana führte 1830 ein nach seinen Schriften ausgearbeitetes Staatsgesetz ein2). Die Vereinigten Staaten von Nordamerika stehen heute noch vorzugsweise auf den allgemeinen philosophischen und wirtschaftspolitischen Grundlagen der Volkswirtschaft der klassischen Nationalökonomie3).

4. Religiöse Momente. Das rücksichtslose Streben nach Reichtum hat seine ethische Begründung in dem Puritanertum des Protestantismus, der im Gegensatz zur asketischen Weltfremdheit des Klosterlebens die Berufsidee hochhält und in der Rationalisierung der Welt, in der Ausnützung des Lebens durch Arbeit ein gottwohlgefälliges Werk sieht. Die ungeheuere Wirkung 1

) J . B e n t h a m nennt als Zweck des sittlichen Handelns »the greatest possible quantity of happiness«, »the greatest happiness of the greatest number« (Introd. II, ch. 1 7 , p. 234) »The interest of the Community« ist ihm »the summ of the interest of the several members who compose it«, also das Allgemeininteresse ist gleich der Summe der verschiedenen Einzelinteressen. *) Die Ideen über die Rechte des Staatsbürgers der nordamerikanischen Verfassung wurden der englischen »Déclaration of rights« von 1689 entnommen. E r s t später, wurden diese Gedanken durch die Beteiligung Frankreichs am nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg in Paris volkstümlich ( L a f a y e t t e in Nordamerika, F r a n k l i n in Paris, Frz. Verfassung vom 26. 8. 1789). s ) Prof. H a s b a c h , Die philosophischen Grundlagen der von François Q u e s n a y und A d a m S m i t h begründeten Politischen Ökonomie 1890.

83 dieses psychologischen Faktors ist nicht zu unterschätzen. Er bildet ein wichtiges Erziehungsmoment zum autoritätslosen, selbstbewußten Individualismus 1 ).

5. Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse der Union. Der soziale Nährboden, auf dem das Taylor-System emporwuchs, sind amerikanische Verhältnisse. Bei einer rechten Würdigung dieser Werkleitung müssen wir die großen Erscheinungen der amerikanischen Gegenwart kurz streifen, die sich in Wirtschaft und Gesellschaft, in Weltanschauung und Kultur, in Verwaltung und Politik, in Arbeitsrecht und Arbeiterbewegung, in industrieller und sozialer Entwicklung uns darbieten. »Das amerikanische Leben beruhte auf den beiden Grundpfeilern der Demokratie und des Individualismus. Aber »La volonté générale n'est plus la volonté de tous« sagte schon Rousseau. Das Ideal individueller Freiheit überwog das der Demokratie«2). Der Staat unterstützt weder Erwerbsunfähige (mit Ausnahme der Kriegsbeschädigten) noch Erwerbslose und so kommt der reine Erwerbstrieb, der Existenzkampf um den Dollar überall offen zum Durchbruch. a) A r b e i t e r v e r h ä l t n i s s c in der

Großindustrie.

Die Erschließung weiter Gebiete und der Reichtum des Landes an Naturprodukten und Rohstoffen bietet für große Arbeitennassen gute Beschäftigung. Der Mangel an Arbeitern, besonders an gelernten, bedingt stets hohe Löhne 3 ). Dies wirkt wieder stark werbend für die Einwanderung ausländischer Arbeiter. *) M a x W e b e r , Die protestantische Ethik und der Geist des K a pitalismus; Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 20/21. E r weist nach, welchen entscheidenden Einfluß die protestantische Ethik für die Entwicklung des kapitalistischen Geistes gehabt hat. — Ich verweise auch auf den Persönlichkeitskult des vielgelesenen nordamerikanischen Philosophen E m m e r s o n . !) L u c k w a l d t , »Geschichte der Vereinigten Staaten von Nord amerika«, 1920, II, S. 213. 3) 1901 waren für jeden Exportartikel der Union 2 5 % mehr Lohnkosten erforderlich als in Europa.

6*

84 Das Jahr 1907 brachte für die Union die Höchstzahl der Einwanderung mit über 1285000 Menschen, das J a h r 1 9 1 3 / 1 4 nicht viel weniger. Der größte Teil der Eingewanderten bestand aus unverheirateten, ungelernten Massenarbeitern, die weder lesen noch schreiben, noch englisch sprechen konnten. Nur wenige gingen in die Landwirtschaft; denn die Exportindustrien zahlten hohe Löhne. »Die Zugewanderten bilden heute in der amerikanischen Großindustrie den Hauptteil der Arbeiterschaft. Vor dem Kriege waren beispielsweise in der Zuckerraffinerie 8 5 % , in der Baumwollindustrie 69%, in den Kohlenbergwerken 6 2 % , in allen führenden Industrien im Durchschnitt 58% eingewanderte Arbeiter« 1 ). Durch die starke Einwanderung hat Nordamerika ein ganz verschiedenartiges Arbeitermaterial aus Einheimischen, Negern 2 ), Deutschen, Italienern, Irländern, Slowaken, Polen, Japanern und Chinesen. Die Aufsaugung dieser zahlreichen ausländischen Arbeiter verschiedenster Nationalität ist der Union nicht gelungen. »Den großen Mengen aus dem Balkan, Polen, Italien usw. der amerikanischen Wirtschaft zugewanderten Arbeitern ist gerade in den Bergwerks- und Stahlbetrieben kaum je die Gelegenheit geworden, sich zu amerikanisieren. Das ist vielmehr direkt verhindert worden, um den Gewerkschaften diese Mitglieder vorzuenthalten. Die Ausländer sind in Arbeiterstädten konzentriert und in einer Weise isoliert, worden, die in Europa Freiheitsberaubung genannt werden würde. Sie können nicht einmal dort Englisch lernen, jede geistige Anregung wird ihnen ferngehalten. Die Verbindung mit der angelsächsischen Arbeiterwelt, von der sie zudem meist verachtet wird, ist oberflächlich . . . Jene Armee fremder Sklaven ist kein angenehmes Thema für den Amerikaner. Aber es steht fest, daß sie bolschewistischer und syndikalistischer Agitation höchst zugänglich sind, und daß sie die »konservativen« nur amerikanischen Arbeiter unter Führung einer aus deren eigenen Reihen stammenden, sehr beträchtlichen Minorität in den Streik (gemeint ') Nach Dr. W a l t z , Südd. Mon.-Hefte, 17. Jahrg., Bd. 12, S. 300. ) 1910 zählte man in Nordamerika (Union) über 9820000 Neger, das sind 10,7% der Bevölkerung der Union. a

85 ist der große Bergarbeiterstreik vom Herbst 1919) geschleppt haben« (Viendre: »Die Streiks in Amerika«, Berliner Tageblatt 1919, vom 8. November). Die extrem radikale Agitation geht also von den großen Massen der ausländischen Arbeiter aus. Der Arbeiter amerikanischer Herkunft ist fast nicht in den Baumwollspinnereien der Südstaaten, noch in den Bergwerken Pittsburgs anzutreffen. Er findet bessere und angenehmere Beschäftigung. Viele werden als Facharbeiter gut bezahlt und kommen zu einem gewissen Wohlstand. Durch die große Verschiedenheit in Sprache, Bildung, sozialem Milieu und Bedürfnissen betrachtet er den bedürfnislosen ausländischen Arbeiter, der noch dazu oft der englischen Sprache, des Lesens und Schreibens unkundig ist, als gefährlichen Lohndrücker.1) b) A r b e i t e r o r g a n i s a t i o n . Es ist darum leicht erklärlich, daß sich die amerikanische Arbeiterschaft nur viel schwieriger in der Art unserer straff organisierten Gewerkschaften mit ihrem weit mehr einheitlichen und intelligenteren Arbeitermaterial vereinigen läßt. Es gibt drüben keine geschlossene Front der Arbeiter. Den amerikanischen Arbeiterprogrammen fehlen oft die großen einheitlichen Kampfideen, die von der Masse der Arbeiterschaft auch gar nicht richtig verstanden würden. G o m p e r s , der Präsident des amerikanischen Gewerkschaftsbundes, war stets ängstlich darauf bedacht, daß die amerikanische Gewerkschaftsbewegung nicht in politisches Fahrwasser komme. Er spielt mehr den großen Vermittler zwischen Arbeiter und Unternehmer als den energischen Kämpfer. Die nicht dem Gewerkschaftsbunde angehörigen Arbeiterverbände, die mit seiner konservativen Leitung und Vertretung der Arbeiterangelegenheiten nicht zufrieden sind, werden von ihm scharf bekämpft. Die ganze Arbeiterbewegung ist im Vergleich zur englischen und deutschen außerordentlich weit zurück. Alle in Europa längst anerkannten Rechte müssen dort erst erkämpft *) Der Bergarbeiterverband gibt seine Statuten in 17 Sprachen heraus.

86 werden.1) Freilich tragen auch viele andere Faktoren mit die Schuld. c) I n d u s t r i e - E n t w i c k l u n g . Der Mangel an gelernten Arbeitern und der ungeheuere Bedarf des Landes an gewerblichen und industriellen Erzeugnissen zwingen die amerikanische Industrie zu höchster Ausnützung vorhandener Arbeitskräfte, zu rationeller Massenherstellung unter Anwendung weitgehender Normierung, Typisierung und Spezialisierung, zu möglichster Maschinenverwendung und zur Betriebskonzentration. Besonders die großartige Industrieentwicklung im Osten der Union trieb zu solchen Maßnahmen. Hier lieferten einerseits die Nähe der Rohstoffe, eine entsprechende Bevölkerungsdichte, ein reiches Verkehrsnetz, großer Inlandkonsum, gute Exportmöglichkeiten und große Kapitalkräfte günstige Vorbedingungen für die Massenerzeugung, anderseits drängten eine starke Konkurrenz und rasch steigende Löhne zur Technisierung, Vergrößerung und Zusammenfassung der Betriebe, zur Beschränkung auf wenige Ausführungsformen, Vereinfachung des Produktionsprozesses und stärkste Maschinen- und Menschenausnützung. Wer mit dieser Entwicklung des Maschinenzeitalters nicht fortschritt in der Ausbeutung der Arbeiter und der Konsumenten (Preispolitik der großen Trusts!), erlag bald der Konkurrenz von Großunternehmungen Über die Entwicklung der sozialistischen Bewegung und der Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten siehe das ausgezeichnete Werk v o n H e r k n e r , Die Arbeiterfrage, 1921, I. Bd., S. 296 u. II. Bd., S. 503—507. Sozialistische Ideen verbreitete vor allem H. G e o r g e (Progress und Poveity), E . B e l l a m y (Looking backward) und viele radikale Geistliche. Sowohl in England als auch in Amerika ist die Sozialdemokratie nicht von marxistischen Ideen beherrscht. Die Gewerkschaften sind politisch neutral. H e r k n e r weist auf die unglaublich ungünstige Rechtsstellung der amerikanischen Gewerkschaften hin. Sie entspricht nach seiner Ansicht den englischen Zuständen etwa in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sympathiestreiks sind verboten, auch Streiks wegen Einstellimg Unorganisierter. Die sozialistischen Gruppen einigten sich erst 1901. In der Einwanderungsfrage lehnen sie asiatische Arbeiter ab. Schwierigkeiten der Amerikanisierung der rohen, disziplinlosen, ungelernten Elemente slawischer, romanischer und irischer Herkunft. Negerfrage, Rassenfrage, Sprachenfrage, Bildung, Religion, soziale Frage.

87 und mächtiger Interessenverbände, die durch Unterbieten, Kreditentziehung, Boykott, Sondertarife das Wirtschaftsleben tyrannisierten. Es ist daher ganz erklärlich, daß unter diesen Verhältnissen Betriebsorganisationen mit planmäßigster Menschenausnützung und stärkster Mechanisierung der Betriebsarbeit, wie dies bei der Taylorschen Werkstättenleitung der Fall ist, entstehen konnten (vgl. die Betriebssysteme von G a n t t , E m m e r s o n , Harrington). Die Einstellung der Anforderungen der Industrie auf den ungelernten Arbeiter durch weitgehende Arbeitsteilung und Normierung war naturnotwendig. Diesen ungebildeten Massen konnte man auch nicht viel selbständige Arbeit zumuten. Ist es da noch verwunderlich, wenn T a y l o r das Arbeitsbureau für sie denken, urteilen, schließen und rechnen läßt ? Daß diese in der Hauptsache aus ausländischen Arbeitern bestehenden Massen oft auch unter dem »freundlichen Aushängeschild einer wissenschaftlichen Ausnützung der Arbeitskräfte zum exakt und rapid funktionierenden, schnell abgenützten Maschinenteil« gemacht wurden und dabei grenzenlos ausgepreßt und überanstrengt wurden, ist leicht begreiflich. Stand doch nach einem Wort von Roosevelt die Union in bezug auf Arbeiterschutz hinter der ganzen zivilisierten Welt zurück (jährlich 2000000 Verletzungen, darunter 30 bis 35000 Todesfälle). Auf jede Million t geförderter Kohle kamen in Belgien 4,96 Todesfälle (1906), Großbritannien 4,31 (1906), Frankreich 4,17 (1905), in den Vereinigten Staaten jedoch trotz günstigster Bedingungen für den Kohlenbergbau 6,04 Todesfälle (Durchschnitt der Jahre 1901—1906). Dabei ist noch dazu zweifelhaft, ob alle statistischen Fragebogen der Bundesregierungen beantwortet wurden. Freilich ist diese große Zahl der Getöteten auch mit durch die Unbildung der Arbeiter bedingt, vor allem aber doch durch das Fehlen von Schutzvorrichtungen und guter staatlicher Gewerbeaufsicht. Wir finden in der Union eine ungeheuere Verschwendung von Menschenleben, eine Mißachtung ihres Wertes. Es besteht kein Haftpflichtgesetz in unserem Sinne. Nach deutschen Begriffen sind die wenigen Schutzvorrichtungen, die das Leben und die Gesundheit der Arbeiter schützen sollen, fast

88 durchweg unzureichend. Man schreitet lieber über Leichen zum Erfolg. Die amerikanischen Eisenbahngesellschaften wehrten sich mit großer Energie gegen die Einführung von Schutzvorrichtungen. Von 1888—1907 wurden von den nordamerikanischen Eisenbahnen 152966 getötet und 1041466 verwundet 1 ). Vielfach zwang man Arbeiter, Angestellte, Frauen und Kinder zu Arbeitsbedingungen, die gröbsten Raubbau am Menschen bedeuten. Männer über 40 Jahre fanden oftmals keine Beschäftigung mehr. Die Einwanderung brachte ja immer neue kräftige Reservearmeen von Arbeitern (aber auch Gefahren für Rasse und Sittlichkeit). Die ausgepowerten erkrankten Arbeiter wurden oft ihrem Elend überlassen 2). d) K a p i t a l i s t i s c h e W i r t s c h a f t s p o l i t i k : S c h u t z kapitalistischer Interessen. Bei der überwiegenden Bedingtheit der amerikanischen Politik durch Personen- und Geschäftsinteressen kann man den großen Einfluß des Kapitals auf die Regierungsmaßnahmen verstehen. Die Industrie wurde mit allen Mitteln emporgehoben (Schutzzollsystem)3). Sie hat, gestützt auf den Reichtum des Landes an Rohstoffen und Nahrungsmitteln, die Lebenskräfte des amerikanischen Volkes erst zur vollen Entwicklung gebracht und die wirtschaftliche Lage des ganzen Volkes gehoben. Sie ermöglichte im Verein mit einer entsprechenden Verkehrs-, Siedlungs- und Einwanderer-Politik die Kulturerschließung des Westens und die Eroberung der Weltmärkte. Kein Wunder, wenn Regierung und öffentliche Meinung diese Entwicklung des amerikanischen Imperialismus in jeder Weise begünstigen4). Das Unternehmertum ') Siehe Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 1913, S. 744 und Dr. J u n g e , Amerikanische Wirtschaftspolitik, 1910. ») Vgl. S. 22, 28, 29ff. 3 ) Präsident W i l s o n sagte vom Hochschutzzollsystem: »Wir haben einen Zolltarif, der uns von dem gebührenden Anteil am Welthandel abschneidet, die Grundsätze einer direkten Besteuerung verletzt und die Regierung zu einem bequemen Werkzeug in der Hand privater Interessen macht.« 4 ) Amerika ist das Land der Großbetriebe. Nach P h i l i p p o v i c h (Grundriß I, S. 196) beschäftigten die industriellen Aktiengesellschaften

89 ist die große Macht im Lande. Mit allen Mitteln sucht es die öffentliche Meipung und die Regierung für sich zu gewinnen 1 ). Die Regierung zeigte sich auch oft als stets hilfsbereiter Polizeidiener der Unternehmer. Die radikale Agitation, die hauptsächlich von den entrechteten ausländischen Arbeitern ausgeht, wurde von ihr aufs schärfste bekämpft. Strenge Gesetze gegen unruhige, widerspenstige Arbeiter wollen den Arbeitsfrieden sichern. So konnte der amerikanische Generalstaatsanwalt Palmer noch im Herbst 1919 auf Grund des Transport- und Heizgesetzes vom 10. August 1918 die Streikorganisation der Bergleute lahmlegen (430—440000 Streikende). Jede Streikpropaganda wurde durch Gerichtsverfügung verboten. Der Arbeiterführer John L. Lewis bezeichnete dieses Verbot als eine krasse Verletzung der durch die Verfassung garantierten staatsbürgerlichen Rechte. Die Streikkasse der Bergleute von 12 Millionen Dollar durfte nicht verwendet werden, ja der ganze Fonds der Bergarbeiter von mehr als 100 Millionen Dollar wurde beschlagnahmt. Selbst Personen, die in Gesprächen den Streik billigten, konnten bestraft werden. So wurden also Machtbefugnisse aus der Kriegszeit gegen die streikenden Kohlenarbeiter angewendet. Die Polizeigewalt lag überdies noch vielfach in den Händen der Grubenleitungen. Zum Schutze arbeitswilliger Arbeiter wurden Truppen aufgeboten2). Die Führer der Arbeiterbewegung wurden als bolschewistisch gesinnte ausländische Hetzer hingestellt. Ihre sozialistischen Ideen seien die bankerotte Philo1905 in den Vereinigten Staaten 70,6%, 1906 in Belgien 50% aller gewerblichen Arbeiter.« Schon 1900 nahm man an, daß y3 des Nationalvermögens der Vereinigten Staaten in Aktiengesellschaften angelegt sei«, in England 1 / s bis y 4 . ') Die Abgeordneten wurden vielfach bestochen. Die sog. Lobbyoder Vorsaal-Agenten suchten sie für die Interessen bestimmter Industriegruppen zu gewinnen. Die Presse steht ganz unter dem Einfluß des Großkapitals. 2

) Nach der Times: 52 Inf.-Reg., 28 Feldart.-Reg., 4 Kav.-Reg., 20 M.G.-Batl. wurden zur Bewachung der Bergwerke zur Verfügung gestellt. Also fast wie einst bei C l e v e l a n d , der 1894 den großen Eisenbahnerstreik von Chicago, welcher bald den ganzen Verkehr im mittleren Westen stillegte, durch Truppenaufgebote und Verhängung des Belagerungszustandes zu Fall brachte.

90 sophie eines bankerotten Erdteils. Sie wurden mit sofortiger Verhaftung bedroht, wenn sie versuchen sollten in die Streikbewegung einzugreifen. So suchte man also überall mit Strenge den Streik zu bekämpfen. All diese Gewaltmaßnahmen der Regierung zeigen, welchen gewaltigen Einfluß die Unternehmer auf die Arbeiterpolitik und die Arbeiterverhältnisse haben. In Deutschland würde eine solche einseitige Unterdrückung des Streiks einer so gewaltigen Organisation den Generalstreik auslösen; denn dem deutschen Arbeiter gilt das Streikrecht als die Anerkennung der elementarsten menschlichen Freiheit und als Hauptförderer der sozialen und wirtschaftlichen Hebung der Arbeiterschaft. e) S o z i a l e E n t w i c k l u n g . Freilich machen sich auch große Gegenströmungen gegen eine solche rein kapitalistische Politik geltend. Weite Kreise erkennen bereits, daß man auf die Dauer mit solchen Gewaltmitteln nicht durchdrücken kann. Schon R o o s e v e l t , der der Arbeiterbewegung verständnisvoll gegenüberstand, trat für weitgehende soziale Reformen ein: für den Achtstundentag, für Einschränkung der Frauenund Kinderarbeit, für Arbeiterschutz mit Arbeitergeberhaftpflicht und für Anerkennung der Gewerkschaften, strenge Einwanderergesetze zur Abwehr der preisdrückenden fremden Arbeiter und für eine gerechte Steuerreform. Wilson hatte sich bereits als Gouverneur von New Jersey für soziale Arbeitergesetze mit aller Kraft eingesetzt (Gesetz über die Entschädigung der Arbeiter bei Unglücksfällen und über die Verantwortlichkeit der Arbeitgeber). Schon 1912 klagte er: »Wir sind alle in ein großes Wirtschaftssystem verstrickt, das herzlos ist. Früher standen die Menschen als Individuen zueinander in Beziehung . . . heute weisen die alltäglichen Beziehungen des Menschen in großem Maßstab auf gewaltige unpersönliche Geschäftsgruppen und Organisationen und nicht auf andere individuelle Menschen«. Und später in seiner Antrittsrede als Präsident hieß es: »Wir sind stolz auf unsere industriellen Leistungen, aber wir haben bisher den Menschenwert nicht hoch genug angeschlagen, den Wert der

91 ausgelöschten Menschenleben, der überbürdeten und zusammengebrochenen Existenzen« ( L u c k w a l d t , S. 214, 335). Wilson setzte sich immer wieder für soziale Reformen ein, für Verbot der Kinderarbeit, Entschädigung der Arbeiter bei Unfällen und auch für den Achtstundentag. Diese Forderungen sollen (nach L u c k w a l d t ) Ende 1916 in einer Reihe von Gesetzen erfüllt worden sein. Durch mannigfache soziale Maßnahmen suchte er die Schäden des kapitalistischen Zeitalters zu mildern. Ein früherer Arbeitersekretär leitete das neue Arbeitsministerium (1913). Das Hochschutzzollsystem wurde durch die ermäßigten Zollsätze des Underwoodtarifs ersetzt (Oktober 1913). Eine Aufsichtsbehörde über die großen Trusts wurde geschaffen (Januar 1914). Das Einkommensteuergesetz von 1913 und 1916 zog das Kapital mehr heran als das kleine Vermögen (s. Prof. v. E h e b e r g , Finanzwissenschaft, 1920). Im Mai 1919 sprach Wilson in seiner Botschaft an den Kongreß ernstlich von einer Demokratisierung der Industrie. Er versprach den Arbeitern Vertretungen in den Verwaltungsräten und Gewinnbeteiligung. Infolge der drohenden Haltung der Eisenbahnarbeiter wurde von W i l s o n im Oktober 1919 eine Industriekonferenz in Washington einberufen, auf der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich stark vertreten waren. Allein die Forderung der Arbeiter nach Vereinigungsfreiheit und nach Anerkennung des Verhandlungsrechts der Arbeitervereinigungen mit den Arbeitgebern (Tarifverträge) wurden von den letzteren abgelehnt. Die Unternehmer erkannten weder das Recht der Arbeiter auf Zusammenschluß an noch die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeiter. Anstellung, Lohn und Arbeit sind nach ihrer Meinung nur der Reglung der unmittelbar Beteiligten unterworfen, also des einzelnen Unternehmers und des einzelnen Arbeiters. Damit wird eine Forderung der Arbeiter, die in allen entwickelten Industriestaaten bereits Anerkennung gefunden hat, von den amerikanischen Unternehmern verworfen. Trotzdem hat der kollektive Arbeitsvertrag auch in der Union seit dem Krieg große Verbreitung gefunden. Die Arbeiterschaft tritt nach und nach immer mehr geschlossener und machtvoller auf und so steht die Union mitten in den

92 schwersten sozialen Kämpfen, die oft große Produktionsrückgänge hervorrufen 1 ). Wenn auch der Weltkrieg mehr für das materielle Wohl der Union geleistet hat als irgendein Präsident es vermochte, wenn er ihr auch die finanzielle Herrschaft über die europäischen Staaten sicherte, so wirken doch gerade durch diesen Krieg, durch den Völkerbund und durch internationale Kongresse die sozialen Ideen und Nöte Europas um so mächtiger auf die amerikanische Entwicklung 2 ). So treten beispielsweise gerade jetzt auch in den Vereinigten Staaten die Bestrebungen, die staatliche Arbeiterversicherung mehr und mehr auszubreiten, immer stärker auf. In mehreren Parlamenten der nordamerikanischen Unionstaaten sind nach dem Krieg Gesetzentwürfe über Krankenversicherung eingebracht worden. Wenn auch die mächtigen Privatversicherungen diese Vorlagen aufs heftigste bekämpfen, wenn sie auch immer wieder Mißerfolge der deutschen und englischen öffentlich-rechtlichen Krankenversicherung nachzuweisen suchen, so werden doch die sozialen Ideen der alten Welt immer mehr an Boden gewinnen 3 ). Die soziale Frage schreit auch in der Union nach einer Lösung. ') Neue Züricher Ztg. vom 12. Febr. 1920. Die ungeheure Macht mancher Arbeiterverbände zeigt sich nicht nur in großen Streiks, sondern auch in der Boykottierung unorganisierter Arbeiter, die in Amerika nach unseren Begriffen alles Maß überschreitet. 2) »Der internationale Gewerkschaftskongreß, sowie der internationale Sozialistenkongreß, welche im Februar 1919 in Bern abgehalten worden sind, sowie die im März 1919 veranstaltete Völkerbundskonferenz hat sich mit der internationalen Sozialpolitik eingehend beschäftigt. In den zur Annahme gelangten Resolutionen wird auch die Internationalisierung der obligatorischen Sozialversicherung im weitesten Umfang befürwortet« (Volkswirtschaftliche Chronik 1919, S. 143 — Beilage des Jahrbuches für Nationalökonomie und Statistik). 3) Der Staat Wisconsin hatte bereits seit 1911 eine staatliche Lebensversicherung eingeführt, ein Versuch, der jedoch mißglückte (Volkswirtschaftliche Chronik 1919, S. 628).

D a s Unterstützungswesen der amerikanischen Gewerkschaften liegt vielfach darnieder, nur große Streikfonds sind vorbanden, (Herkner.)

93

6. Taylors Ideenwelt. T a y l o r steht unter der mächtigen Einwirkung der politischen und gesellschaftlichen, der natürlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Union, unter dem Einfluß des Maschinenzeitalters mit seiner intensiven Industrieentwicklung. Er hat selbst den ungeheueren Aufschwung der nordamerikanischen Industrie mit erlebt. Es war eine Entwicklung unbegrenzter Möglichkeiten, die keinen Arbeitermangel kannte, und die nicht durch sozial-politische Wirkungen gehemmt wurde. T a y l o r steht wie die große Masse seiner Volksgenossen auf dem Boden rein individualistischer Wirtschaftsprinzipien. Er lebt ganz in der Ansicht der amerikanischen Unternehmer, daß die gesamten Arbeitsverhältnisse lediglich der Arbeitgeber zu bestimmen habe. Für die Gewerkschaften ist natürlich kein Raum nach dieser Ansicht 1 ). Sie wirken im großen und ganzen nur schädlich durch Verhetzung auf die Arbeiter ein. Als wichtige politische Machtfaktoren der sozialen Entwicklung hat er sie also noch gar nicht erkannt. Für Taylorbetriebe gibt es keine Tarifverträge. Man will am liebsten nur die kräftigsten und willigsten unorganisierten Arbeiter. Diese kann man dann auch ohne weiteres entlassen, wenn sie die verlangte Leistung nicht mehr erfüllen können oder falls bessere Arbeiter zu finden sind. Die Menschen werden von ihm nur nach technischen Wirkungsgraden geordnet. Er tritt ganz für das freieste Walten des Selbstinteresses ein; denn er hält diese Ansicht rechtlich, ethisch und psychologisch für begründet. Die besten Köpfe und die stärksten Arbeiter werden dabei stets die Möglichkeit haben emporzukommen. Seine menschenökonomischen Erwägungen bewegen sich ganz im rein utilitaristischen Fahrwasser. Rentabilität ist die Hauptsache. Man kann aber nicht sagen, daß er arbeiterfeindlich gesinnt sei. Im Gegenteil, er tritt öfters für die Arbeiter ein, da er gute Arbeitsbedingungen, innigste Arbeitsgemeinschaft und hohe Arbeiterlöhne fordert. Aber all dies sind ihm doch vor allem nur wichtige psychologische Faktoren, welche eine Leistungssteigerung herbeiführen sollen. Im Unternehmen ') T a y l o r s Stellung zu den Gewerkschaften, s. Diskussion S. 152 bis 154 und §§ 221 bis 229, 240, 241, 15. Siehe Anmerkung 2, S. 9.

I,

94 gibt es keinen Platz mehr für einen Arbeiter, welcher das Höchstpensum nicht erfüllen kann (vgl. S. 55—60). H o b b e s hatte einst versucht, die mathematische Methode auf die Geisteswissenschaft anzuwenden. T a y l o r tut das gleiche. Seine Begriffe über Zeit- und Bewegungsstudien tragen rein sensualistisch-materialistischen Charakter; denn er steht unbewußt in der Ideenwelt der mechanistischen Psychologie. Der Aufschwung der Naturwissenschaften und die Industrieentwicklung, besonders aber der Einfluß des englischen Empirismus und später der deutschen Experimental-Psychologie hat ja diese technisch-mechanistische Betrachtung des Geisteslebens in weiten Kreisen mit verbreiten helfen 1 ). Der Begriff des Naturgesetzes wird von T a y l o r auch auf die Psyche übertragen. Der Betrieb erscheint ihm als der große Vernunftmechanismus, der sich durch Anwendung experimenteller psychologisch-mathematischer Methoden restlos analysieren läßt. Der ganze Aufbau des Taylorsystems ist ja wesentlich bestimmt durch die Analyse der Betriebsvorgänge und der Betriebsarbeit. T a y l o r glaubt ganz an die Gültigkeit, Sicherheit und Unfehlbarkeit seiner experimentellen Methoden. Die Menschennatur kann mit dem Millimetermaß und der geteilten Sekundenstoppuhr genau gemessen werden. Wie der Ingenieur den Wirkungsgrad eines Motors auf dem Bremsstand ermittelt, so kann man auch die Leistimg des Menschen feststellen. T a y l o r kalkuliert deshalb genau so mit Menschen wie mit Maschinenteilen. Da nach seiner Meinung sowohl Arbeiter als Unternehmer, ja die ganze Volkswirtschaft den größten Nutzen durch seine Organisation erlangen, so läge es im ureigensten Interesse des Staates, auf allgemeine Einführung dieses Systems zu dringen. »Am Ende wird das Volk die neue Ordnung der Verhältnisse (gemeint ist das Taylorsystem) den Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzwingen« (II, 130). Er denkt freilich nicht dabei an die Zwangsarbeit, die Lenin mit Hilfe des Taylorsy6tems in Rußland eingeführt hat. Die Grenzen seiner Organisationsform, die Zeit- und Kulturbedingungen, die natürlichen und gesell1 ) Von den amerikanischen Psychologen nehmen einen sehr starken naturwissenschaftlichen Standpunkt ein Georg T. L a d d und in der Gegenwart J a m e s .

95 schaftlichen Grundlagen werden von ihm vollständig übersehen oder doch unterschätzt. Er redet nie davon, daß das Taylorsystem auch in manchen Fällen Überorganisation bedeute, also unwirtschaftlich sei. Oft verlohnt es sich nicht, Zeitstudien zu machen, oft sind sie gar nicht anwendbar. Bei einem gebildeten Arbeiterstamm ist ein kleinliches Vorschreiben auch der nebensächlichsten Handgriffe vielfach unnötig. Es bedeutet nur eine Vermehrung des Beamtenapparates und damit ein Anwachsen der Unkosten pro Stück. Auch ist nicht jeder Arbeiter zum Kartenarbeiter geeignet. An mögliche soziale Wirkungen, z. B . die Vermehrung der Arbeitslosigkeit durch rapide Produktionssteigerung oder die lohndrückende Wirkung der Taylorbetriebe auf die Arbeiterschaft der nicht taylorisierten Werke denkt er nie. Immer wieder weckt er in Unternehmerkreisen überspannte Hoffnungen, redet von weniger Arbeitsstreitigkeiten (obwohl die Taylorbetriebe keineswegs von Streiken verschont bleiben), hohen Gewinnen, nicht aber über die ungeheuren Kosten, die die Einführung verursacht, über die größere Empfindlichkeit der ganzen Organisation bei Krisen, notwendiger Arbeitsumstellung, passiver Resistenz der organisierten Arbeiterschaft usw. Nur in der Diskussion amerikanischer Ingenieure der American Society of Mechanical Engineers, welche sich am Schlüsse in dem Buche von Prof. W a l l i c h s (Übersetzung von T a y l o r s »Shop management«) findet, gibt T a y l o r auch zu, daß auch andere Organisationssysteme, die nicht auf Zeitstudien aufgebaut sind, ihre Berechtigung haben 1 ). Einiges aus der Diskussion über das Taylorsystem: H a w k i n s : . . . »Unter diesem gegnerischen Geist, wie er nun mal heutzutage in den Vereinigten Staaten vorherrscht, ist nur ein ganz geringer Nutzen von dem in der Schrift beschriebenen Bestrebungen zu erwarten, daß es tatsächlich nutzlos verschwendete Mühe heißen würde, wenn man angesichts eines so großen Hindernisses die Reorganisation in angedeutetem Sinne auch nur in Erwägung ziehen würde, ohne vorher Schritte unternommen zu haben, um die erwähnten Hindernisse aus dem Weg zu schaffen.« Alle aufgewendete Mühe könne durch die Gegnerschaft der Arbeitervereinigungen nutzlos gemacht werden. Man mache also die Rechnung ohne den Wirt. H e n s h a w : »Wir haben schon vor Jahren von den ausgezeichneten Arbeiten des Herrn T a y l o r gehört und doch ist es nicht zur Einführung

96 Auch in der Normungsfrage kennt T a y l o r keine Grenzen. E r verbreitet sich nie darüber, daß eine zu weitgehende oder falsche Normung mannigfache Gefahren bringen kann: Überorganisation und Unwirtschaftlichkeit, Erstarrung und geistige Verödung kraft,

des Wirtschaftslebens, Lähmung

Hemmung

des

technischen

Fortschrittes,

bureaukratismus und Rückständigkeit, ter

Umstellung

der

Produktion

Schlagfertigkeit der Industrie.

der Schaffungs-

und

Industrie-

Unmöglichkeit

leich-

Beeinträchtigung

Die guten

der

Seiten einer vor-

der T a y l o r sehen Grundsätze gekommen, weil sie, wie manche anderen guten Dinge, nicht in alle Verhältnisse hineinpassen.« H a l s e y : »Der Hauptunterschied zwischen Herrn T a y l o r s Verfahren und dem ineinigen liegt darin, daß Herr T a y l o r durch seine Unterweisungskarten dem Arbeiter genau angibt, auf welche Weise er die verlangte Leistung erzielen kann, während bei meinem Verfahren die Erzielung der Leistung von der eigenen Entschlußkraft des Arbeiters abhängt. Zweifellos hat das T a y l o r s c h e Verfahren ein größeres Anwendungsgebiet; dagegen ist es mir eine Genugtuung, festzustellen, daß ein noch viel größeres Feld diejenigen Arbeitsplätze bilden, für welche die Anwendung der T a y l o r s c h e n Einrichtung zu teuer ist und demzufolge Verfahren angewendet werden müssen, bei welchen die Art des Arbeitsverfahrens dem Arbeiter überlassen bleibt. Die Bedingungen, welche Herr T a y l o r in Bethlehem und bei Midvale vorfand, sind für sein System ideal, aber ich glaube nicht, daß sie als Grundlage für die allgemeine Anwendbarkeit des Systems angesehen werden können.« T a y l o r : »Das Wesen meines Systems liegt in der Tatsache, daß die Einwirkung auf die Arbeitsgeschwindigkeit vollkommen in die Hände der Leitung gelegt ist, während auf der anderen Seite die Kontrolle über die Arbeitsgeschwindigkeit beim Town-Halsey-Verfahren vollständig den Arbeitern überlassen ist, ohne irgendwelche Einwirkung seitens der Leitung.« (Es ist eine sehr strittige Frage, ob man das als Vorzug des Taylorsystems buchen kann) . . . .« Es besteht ein genügend weites Anwendungsgebiet für die Anwendung des Town-Halsey-Systems sowohl als für das meinige« . . . »Nach meiner Meinung kann das Taylorsystem in allen Fällen dort angewendet werden, wo es sich darum handelt, schneller und bestimmter und mit mehr zufriedenstellendem Erfolge zu arbeiten, als es mit dem Town-Halsey-Verfahren möglich ist. Ich erkenne wohl die Tatsache, daß viele Unternehmer weder die Zeit noch die Störung, welche die Einführung meines Systems mit sich bringt, in den Kauf nehmen wollen, und für diese Leute kann das TownHalsey-Verfahren als ein besseres System als die älteren durchaus empfohlen werden.« Siehe I, dritte Auflage, S. 136, 142, 144 bis 146.

97

sichtigen Normierung sind natürlich stets anzuerkennen. Auf das richtige Maß der Durchführung und auf die Beachtung der Dynamik des Wirtschaftslebens kommt es an. Auch darf man nicht alles, wie T a y l o r , durch die Brille des amerikanischen Großbetriebes mit seiner Massenfabrikation, seinen ungelernten und weniger organisierten Arbeitern, seinem Massenabsatz und seiner wenig entwickelten Arbeiterschutzgesetzgebung sehen. T a y l o r ist der Begründer der rein materialistischen Richtung der Betriebswissenschaft, die sicherlich mannigfache Anregungen und Erfolge zu verzeichnen hat, aber wegen ihrer Einseitigkeit doch auch viel Schaden stiften kann. Der wissenschaftliche Materialismus ist ihm nicht eine Arbeitshypothese zur leichteren Veranschaulichung und zum logischen Aufbau seiner Lehre; denn als solcher wäre er ja sicherlich berechtigt, weil man sich immer bewußt bliebe, daß es sich nur um eine Fiktion handle. Er ist ihm vielmehr die sichere Grundlage für seine rein mathematisch-atomistische Betrachtungsweise. Geradeso wie die Atomistik die Biologie, Physiologie, Psychologie, Pädagogik und die Volkswirtschaftslehre beherrschte, so auch heute die junge Betriebswissenschaft T a y lorscher Richtung. Man will die Betriebsvorgänge auf genaue Maßeinheiten, auf Zeit und Weg zurückführen und übersieht dabei wichtige soziale und kulturelle Hemmungen. Die wirtschaftlichste Betriebsarbeit sieht man in einer Analysierung, Normierung und Systematisierung der Betriebsvorgänge. Der Begriff »Betrieb« ist T a y l o r etwas Gegebenes und nicht der lebende wachsende Organismus, in welchem viele geistige Kräfte und Willenskräfte wirken, die individuell behandelt werden wollen. T a y l o r kommt daher leicht in Gefahr, die inneren Wachstumsgesetze der Betriebe zu übersehen. Der Betrieb ist für uns kein feines Uhrwerk, sondern ein Organismus, der innerhalb eines größeren, sich stets weiter entwickelnden Organismus, der Volkswirtschaft, lebt und arbeitet und der deshalb von innen heraus nach seinen Bedürfnissen organisiert werden muß. T a y l o r übersieht die gesellschaftlichen Bindungen, die zwischen Betrieb und Außenwelt bestehen. Er stellt die ganze Betriebsarbeit auf den Isolierschemel der klassischen Nationalökonomie. S ö l l b e i m , Taylorsystem.

7

98 Die privatwirtschaftliche, atomisierende Betrachtungsweise T a y l o r s hat zwar genau so wie die rein individualistische Betrachtung der klassischen Nationalökonomie ihre Berechtigung. Sie ist nicht schlechthin ein Irrtum, wie manche meinen. Nur muß man sich zugleich ihrer Grenzen und Mängel bewußt bleiben und sie durch eine mehr gesellschaftliche Auffassung ergänzen und berichtigen. Geradesowenig wie die experimentelle Pädagogik allein die großen Zweifel lösen kann, die im Erziehungsproblem beschlossen sind, da sie ja fast gar keinen Aufschluß über die großen sozialen, ethischen und kulturellen Probleme der Erziehung geben noch sie lösen kann, geradesowenig kann die isolierende, analysierende Methode Taylors die großen Fragen auf dem Gebiete der modernen Betriebswissenschaft allein klären. Der Methode der Isolierung haften überdies meist große Mängel an. Die zentrale Frage der Betriebsorganisation darf nicht sein: »Wie ist abgesehen von den gesellschaftlichen Faktoren, den sozialen, politischen und bodenständigen Bindungen die Betriebsarbeit wirtschaftlich zu gestalten?«, sondern »Wie läßt sich im Rahmen der sich stets weiter entwickelnden natürlichen, technischen und sozialen Produktionsbedingungen eine Steigerung der Produktionskraft ohne Schädigung der Volksgesundheit und der körperlich-geistigen und sittlichen Entwicklung der Nation erreichen?« Man kann die Menschen nicht als Wirtschaftsatome in einen fertigen kalten Raum stellen, sie nicht mit einseitiger Kaufmannstheorie nach Buchwerten schematisieren und normieren wie Materialien und Maschinen. Beim Taylorsystem kommt allerdings das rechnerische Moment rein zum Durchbruch. Man schert sich nicht um Lehrlingsausbildung, Arbeiterfachbildung und Wohlfahrtseinrichtungen. Höchste Instanz ist die rein privatwirtschaftliche Vernunft. Es handelt sich nicht um den Begriff des gerechten Lohnes, sondern um den des billigsten Arbeiters. T a y l o r kommt es auch nicht auf die besten Arbeiter an, sondern auf die wirtschaftlichsten. Wir haben (S. 24, 30, 31) gesehen, daß gerade die besten Arbeiter oft keine Beschäftigung mehr im Betriebe finden. Die Werkleitung hat sich ihre Fertigkeiten und Arbeitsvorteile durch Zeit- und Bewegungsstudien angeeignet. Hierauf wurde ver-

99 sucht, die Arbeit in möglichst kleine Teile zu zerlegen und möglichst billige Kräfte für die Ausführung dieser Teilarbeiten anzuleiten. Soziale Bedenken über die Anstellung minderwertiger Arbeitskräfte, über die Gefährlichkeit der Entlassung tüchtiger Arbeiter werden nicht, weiter erörtert; denn man kennt nur die Kaufmannsbilanz, nicht aber die Kulturbilanz. T a y l o r rechnet ja stets nur mit dem unmittelbaren privatwirtschaftlichen Nutzen, nicht mit dem sozialen Nutzen und der volkswirtschaftlichen Brauchbarkeit. Für ihn gibt es nur technisch-wirtschaftliche, nicht soziale, politische und ethische Probleme. Er schützt deshalb auch die Arbeiter nicht vor zu großer Ausnützung und zu rascher Invalidität, obwohl doch bei seinem Höchstpensumsystem die Gefahr eines allzuraschen Verbrauchs der Arbeitergesundheit besteht, ja bei profitgierigen Unternehmern zur Wirklichkeit wird. Deshalb kann man auch d a s T a y l o r s y s t e m , so wie es in der Union in den meisten Fällen Anwendung fand, n i c h t als i n d i v i d u e l l e O r g a n i s a t i o n b e z e i c h n e n ; denn eine solche müßte sich an die individuellen Kräfte der Arbeiter anpassen. So aber werden durch ein normiertes Höchstpensum des geschicktesten Arbeiters, durch Anweisungszettel und Lohnsystem alle Arbeiter gezwungen, diese Höchstleistungen erstklassiger Kräfte zu erreichen, ganz gleich ob diese Leistung nun ihren Kräften entspricht oder nicht. Ermüdungsstudien werden ja nicht gemacht. Das Schädliche ist, daß es nicht in das Belieben des Arbeiters gestellt ist, ob er die Leistung erreichen will oder nicht, sondern daß er dazu gezwungen wird. Aus all dem geht hervor, daß T a y l o r die geistigen, ethischen und sozialen Kräfte und Ideen der Wirtschaft unterschätzt und doch wirken diese großen Ideen der menschlichen Gemeinschaften (des Staates, der Parteien und Weltanschauungsgemeinden, der gesellschaftlichen Klassen, der Berufsorganisationen und Gewerkschaften, der Betriebsgemeinschaften, der Familie) ebenso umgestaltend auf die Betriebsarbeit und ihre Arbeitsbedingungen als die Industrieentwicklung. Der Arbeiter ist nicht nur Betriebsangehöriger, sondern auch Familienvater, Gewerkschaftler, Sozialist, Vertragskontrahent beim Abschließen des Arbeitsvertrages, gleichberechtigter Staatsbürger und Mensch, der sich durch seinen Stimmzettel, durch freie Mei7*

100 nungsäußerung, durch gewerkschaftlichen und politischen Druck Einfluß auf die öffentliche Meinung, die Arbeitergesetzgebung, die soziale Fürsorge und den Arbeiterschutz, auf die Betriebsleitung und Betriebsorganisation verschafft. Er wurzelt viel stärker in den Gemeinschaften, von denen er immer neue Ideen und geistige Kräfte empfängt, als im Betrieb. Seine Organisationen sind Machtfaktoren der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Unser ganzes wirtschaftliches Denken über Arbeitsverfassung, Betriebsdemokratie, Menschenleitung und Menschenarbeit, über Recht auf Arbeit, sozialer Fürsorge, Arbeiterbildung und Menschenfreiheit usw. wird von ihnen aufs stärkste beeinflußt. Der Staat muß soziale Produktionspolitik treiben, er darf keine geistige, moralische oder körperliche Verkrüppelung der Volksgenossen zulassen, sonst lädt er nicht nur eine Blutschuld auf sich, sondern dann ist auch sein Fortbestehen gefährdet. Das kostbarste Gut des Staates sind seine Menschen, ihre körperliche, geistige und sittliche Gesundheit und Höherentwicklung oberste Staatspflicht. Nicht auf Produktionsmehrung allein kommt es an, sondern auf die lebendige Stärkung der Volkskraft. Der Ausdruck »wissenschaftliche Betriebsführung« bedeutet also nicht sozialwirtschaftlich empfehlenswerte Betriebsführung. Wer die praktische Durchführung des Taylorsystems für eine bestimmte Volkswirtschaft nachprüfen will, muß deshalb vor allem untersuchen, ob es mit der in diesem Lande vorherrschenden Sozialphilosophie, diesem Inbegriff sozial-wirtschaftlicher Nonnen, und mit der Kulturpolitik des Staates in Einklang gebracht werden kann. Ist das nicht möglich, so hat es keine Berechtigung im Staate. Nun weiß ja jeder, daß im Taylorsystem Wahrheit und Dichtung, Brauchbares und Verwerfliches steckt, daß auch das Taylorsystem eine Entwicklung durchmacht, und so ist es oft schwer, über den Grad der volkswirtschaftlichen Brauchbarkeit einzelner Prinzipien generell zu urteilen und den Grad der Richtigkeit einzelner Forschungsmethoden zu erkennen. Das wirtschaftliche Leben zeigt eben eine zu große Vielseitigkeit, als daß man schlechthin behaupten könnte, daß diese oder jene Forderung T a y l o r s unter allen Umständen undurchführbar und schädlich sei. Es kommt oft ganz auf die örtlichen Ver-

101 hältnisse und die natürlichen Bedingungen des Betriebs an, auf den Geist des Leiters, auf den Geist der Arbeiter und auf manche Imponderabilien, die sich schwer feststellen lassen. So kann selbst das T a y l o r sehe Differenzialstücklohnsystem, das als kulturfeindlich verschrien war, brauchbar sein, wenn es nicht mit dem Höchstpensumsystem T a y l o r s verbunden wird und wenn es geeignet gestaffelt ist.

Amerikanische Regierung und Taylorsystem. 1 ) Der erste staatliche Untersuchungsausschuß, bestehend aus Kongreßmitgliedern, prüfte das System der wissenschaftlichen Betriebsführung, »wie es im Watertown-Arsenal (einem Staatsbetrieb) zur Anwendung gekommen war«. »In seinem Bericht an den Kongreß unterstützte der Ausschuß die Beschwerden der Arbeiter, daß das System zu einer außergewöhnlichen Abhetzung der Arbeiter führe, daß die getroffenen Einrichtungen ausbeuterisch und hart seien, und daß der Gebrauch der Stechuhr und die Zahlung einer Vergütung (des sog. Bonus) das Ehrgefühl der Arbeiter verletze und ihr Wohlergehen schädige« (John P. F r e y , S. 5). Der Gebrauch von Stechuhren und die Zahlung einer Prämie wurden für Staatsbetriebe untersagt. »Als die »Staatliche Kommission zur Prüfung der Verhältnisse in der Industrie« ihre Arbeit begann, wurde beschlossen, daß eine weitere Prüfung der wissenschaftlichen Betriebsführung vorgenommen werden sollte, und es wurde Herr Robert F. H o x i e , Professor der Volkswirtschaft an der Universität von Chicago, dazu erwählt, diese Arbeit zu übernehmen. Die Kommission hatte das Glück, einen besonders tüchtigen und vorgebildeten Mann in der Person des Professors H o x i e zu gewinnen, denn jahrelang hatte er sich mit industriellen Problemen beschäftigt, und er war durch persönliche Berührung und Verbindung mit dem Standpunkt, ') V g l . A n m . 1 u. 2, S. 61, und F r e y : triebsführung

und

die

Arbeiterschaft,

D i e wissenschaftliche

1919.

Dieses

Buch

Be-

erschien

während des Krieges unter d e m T i t e l S c i e n t i f i c M a n a g e m e n t and L a b o r E d i t o r I n t e r n a t i o n a l Molders' Journal.

D i e erste ausführliche B e s p r e -

c h u n g dieser S c h r i f t b r a c h t e die »Metallarbeiter-Zeitung« 1 9 1 7 , Nr. 9 — 1 6 . Siehe A n m e r k u n g

S. 54 u. 55.

102 den Anschauungen und Zielen der Arbeitgeber, sowie der organisierten und der unorganisierten Arbeiter vertraut.« Zur Kommission gehörte außerdem ein Betriebsbeamter und ein Gewerkschaftsvertreter (nämlich F r e y ) . »Die Betriebe, in denen die Untersuchungen vorgenommen wurden, waren hervorragende oder solche, die T a y l o r , G a n t t und E m m e r s o n als Betriebe bezeichneten, in denen die wesentlichen Methoden der wissenschaftlichen Betriebsführung in Anwendung waren. Diese Fabriken boten das bestgeeignetste Feld, um die wissenschaftliche Betriebsführung zu studieren, das vollkommenste, das gefunden werden konnte. Die Betriebe, die von uns besucht worden sind, umfaßten einen weiten Kreis von Produktionsarten« (hier folgt Aufzählung der Berufsgruppen). »Die Prüfer waren der Ansicht, daß es nicht ihre Aufgabe sei, die verschiedenen Theorien der wissenschaftlichen Betriebsführung untereinander zu vergleichen oder die theoretischen Forderungen dieser Betriebsführung nachzuprüfen, vielmehr lag es ihnen ob, die wirklichen Arbeitsverhältnisse in den Betrieben zu untersuchen, wo die wissenschaftliche Betriebsführung angewendet wurde.« Der Hoxie-Bericht ist für jeden Beurteiler des Taylorsystems wichtig. Er weist auf mannigfache Mängel der Organisation hin, kritisiert die »Wissenschaftlichkeit« und die sozial-politischen Wirkungen des Systems vom amerikanischen Standpunkt aus. Wie sich die amerikanische Regierung seit dieser Zeit zum Taylorsystem gestellt hat, ist bis jetzt in Deutschland nicht bekannt. Vielleicht gibt die englisch geschriebene Biographie T a y l o r s von H. S. P e r s o n , welche in nächster Zeit in der Taylor-Zeitschrift 1 ) übersetzt erscheinen soll, näheren Aufschluß darüber. l ) Die Taylorzeitschriit erscheint seit Januar 1920 (R. Lotties, Wien XIII/2, Penzingerstr. 30). Deutsche Regierung und Taylorsystem s. S. 219Ü. Deutsche Gewerkschaften und Taylorsystem s. S. 2i5ff.

103

8. Soziale Einstellung der Taylorbewegung. Auch in der Union mehren sich die Stimmen, welche die Notwendigkeit einer sozialen Einstellung der Erzeugungspolitik betonen, einer Versittlichung und zugleich einer ökonomisierung der industriellen Arbeit, einer brüderlichen Zusammenarbeit, die ein Leistungsmaximum erstrebt ohne das körperliche, geistige und sittliche Wohl der Arbeiter und der Volksgemeinschaft zu schädigen. Die wissenschaftliche Betriebsführung wird mit der Zeit von dieser Seite her mit manchen sozialen Ideen befruchtet. Ich verweise hier auf das in Deutschland leider sehr wenig bekannte Septemberheft 1919 der Amerikanischen Akademie für politische und soziale Wissenschaften, in welchem führende Männer der Taylorbewegung, wie P e r s o n , H a t h a w a y , G a n t t , und Arbeiterführer, Betriebsleiter, Ingenieure und Volkswirtschaftler in 28 Artikeln über Ziele, Organisation, personellen Aufbau, Erzeugungs- und Verkaufspolitik usw. zu Worte kommen 1 ). Freilich darf man solche Strömungen, die allmählich aus dem sozialen Nährboden langsam herauswachsen, noch nicht überschätzen. Wie viele Bücher treten in der Union und in Europa für eine soziale Einstellung der Erzeugungspolitik ein, für Menschenökonomie und Menschenrecht, und dennoch darf man nicht auf eine schnelle Gesinnungsänderung der führenden Industriekreise ohne weiteres schließen, besonders nicht in Amerika. Die amerikanische Dollarpolitik redete mit T a y l o r seit langer Zeit von der Notwendigkeit eines besseren solidarischen Verhältnisses zwischen Arbeiter und Unternehmer, von Interessen und Arbeitsgemeinschaft, aber ihr war diese Betonung der moralischen Erneuerung und der Solidarität oft nur ein Deckmantel zu einer anderen Art der Ausbeutung des Arbeiters 2 ). ') Modern Manufacturing, A Partnership of Idealism and Common Sense (Semptemberheft 1919, The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Philadelphia — Deutsche Vertriebsstelle: Mayer & Mailer, Berlin NW, Prinz Louis Ferdinandstr. 2). S. besonders auch S. 78, 146, 148—164, 186—187 über T a y l o r . *) Über die Entwicklung des Solidarismus seit 1850, s. G i d e und R i s t , Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen (Paris 1908, deutsch Jena 1913 und 1920).

104

9. Erklärung des amerikanischen Gewerkschaftsbundes (American Federation of Labor).1) »Wissenschaftliche Forschung und technische Anwendung der Forschungsergebnisse bilden eine Grundlage, auf welcher die Entwicklung unserer Industrie, unseres Gewerbes, unserer Landwirtschaft, unseres Bergbaues und anderer Industriezweige ruhen muß. Durch die technische Anwendung der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen in der Physik, Chemie, Biologie und Geologie, im Ingenieurwesen, in der Landwirtschaft und in den damit verwandten Wissenschaften wird die Leistungsfähigkeit der Industrie bedeutend gesteigert. Das Wohlbefinden und die Gesundheit der Arbeiter, sowie der ganzen Bevölkerung sind von den wissenschaftlichen Fortschritten in der Medizin und der Heilkunst abhängig. Daher ist der Wert des Fortschritts in der Wissenschaft für die nationale Wohlfahrt bei weitem bedeutender als der dafür notwendige Kostenaufwand. Die dank wissenschaftlicher Untersuchung gesteigerte Leistungsfähigkeit der Industrie bedeutet einen höchst wichtigen Faktor in dem beständig zunehmenden Kampfe der Arbeiterschaft um Hebung ihrer Lebensweise. Die Wichtigkeit dieses Umstandes wird beständig größer, da eine Grenze vorhanden ist, jenseits welcher die Durchschnittslebensweise der ganzen Bevölkerung durch die gewöhnlichen Methoden der Wiedergutmachung nicht gehoben werden kann, eine Grenze, welche nur durch wissenschaftliche Untersuchungen und durch Nutzbarmachung ihrer Ergebnisse überschritten werden kann. Die staatlichen und kommunalen Regierungen stehen nun zahlreichen wichtigen und vordringlichen Problemen des Verwaltungswesens gegenüber, deren weise Lösung nur von den wissenschaftlichen und technischen Untersuchungen abhängt. Der Krieg hat allen beteiligten Nationen die überaus große Wichtigkeit der Wissenschaft und Technik für die nationale Wohlfahrt gezeigt. Im Krieg sowie im Frieden versuchte nicht nur Privatinitiative sich die weitreichende Forschung auf diesen Gebieten im nationalen Sinne zunutze zu machen, Veröffentlicht in The Annais of the American A c a d e m y of Political and Social Science, Septemberheft 1919, Philadelphia. — Siehe S. 103.

105 sondern in verschiedenen Ländern ist die Teilnahme und Unterstützung bei solchen Unternehmungen auch von Seite der Regierung bereits in Tätigkeit getreten. Deshalb erklärt der amerikanische Gewerkschaftsbund (Federation of Labor) einmütig, daß ein breites Programm wissenschaftlicher und technischer Untersuchungen von größter Wichtigkeit für die nationale Wohlfahrt sei und daher von der Bundesregierung in jeder Weise gefördert werden solle; auch müsse die Regierung bei der Tätigkeit der Untersuchungen tüchtig und eifrig unterstützt werden, damit die Arbeit hinlänglich und kräftig gefördert werde. Der Vorstand des Gewerkschaftsbundes sei angewiesen, Abschriften dieses Beschlusses dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, dem gegenwärtigen Präsidenten des Senats und dem Abgeordneten des Repräsententenhauses zu übermitteln.« Eine Stellungnahme zu den bedeutsamen sozialen Problemen der wissenschaftlichen Betriebsführung ist dadurch nicht erfolgt. Der Amerikanische Gewerkschaftsbund (Federation of Labor) tritt, kurz gesagt, für die p l a n m ä ß i g e V e r b e s s e r u n g t e c h n i s c h e r P r o d u k t i o n s v e r f a h r e n ein. Die gleichen Ziele vertritt auch unsere Sozialisierungskommission in ihrer vor kurzem veröffentlichten Stellungnahme zur Reparationsfrage mit den Worten: »Die Reparation ist nur denkbar im Rahmen einer Wirtschaftspolitik, die eine Steigerung und Rationalisierung der Produktion bezweckt.« Freilich kann man unter dieser etwas unklaren Fassung auch die »planmäßige Gestaltung der Produktion« im Sinne W i s s e l M o e l l e n d o r f verstehen 1 ). 10. T a y l o r i s m u s und industrielle Entwicklung. Dr. Ernst P e t e r f f y , New York, schreibt in den »Jahrbüchern für Nationalökonomie u. Statistik«, 116. Bd., III. Folge, 61. Bd., Februar 1921, S. 145, in einem sehr beachtenswerten Artikel über »Die Entwicklung der amerikanischen Industrie«: ». . . Der Einfluß der sog. wissenschaftlichen Betriebsführung auf die industrielle Entwicklung der letzten ') Vgl. den Entwurf eines neuen Parteiprogramms der S. P. D. (sozialdemokratischen Partei Deutschlands), S. 218.

106 Jahre wurde aber vielfach überschätzt. Das von T a y l o r ausgedachte und propagierte System hat nur dazu beigetragen, die Produktion in gewissen Industriezweigen, welche sich mit der Erzeugung von Massenartikeln befassen, und wo der Erfolg in der Produktion bereits vorher bedeutend war, noch mehr zu steigern. Die Anwendung der wissenschaftlichen Betriebsführung erheischt langwierige und kostspielige Untersuchungen und Erhebungen, Aufsicht der Arbeiterschaft während der Arbeit, die Verwendung eines großen Stabes von Sachverständigen, technischen Fachleuten usw., mit einem Worte kostspielige Vorbereitungsmaßnahmen, welche naturgemäß nur dort lohnend sind, wo es sich um die Erzeugung von Massengütern handelt. Zweifellos sind durch das Taylorsystem Verbesserungen von Arbeitsmethoden auch in solchen Industriezweigen bewirkt, wo die Voraussetzungen für die Anwendung des Systems nicht so günstig lagen, aber im Grunde genommen wurde der Charakter und das an und für sich hohe Niveau der Leistungsfähigkeit amerikanischer industrieller Produktion hierdurch nicht wesentlich geändert.«

Taylorismus und Deutschland. Alle nachfolgenden Betrachtungen sollen uns die Beantwortung der Frage leichter ermöglichen: »Inwieweit ist das Taylorsystem heute in Deutschland anwendbar?« Das Taylorsystem bezieht sich einerseits auf die technisch-wirtschaftliche Ökonomie, also auf ein sozial mehr neutrales Gebiet, anderseits auf die Menschenökonomie, also auf ein vielumstrittenes Problem. Wollen wir im letzten Falle zu einer klaren Auffassung kommen, inwieweit sich die Grundsätze T a y l o r s über Menschenauswahl und Menschenverwendung bei uns verwirklichen lassen, so haben wir vor allem an der Hand der neuzeitlichen Arbeitergesetzgebung und der sozialpolitischen Entwicklung dies zu prüfen. Diese Betrachtung der staatsrechtlichen Grundlagen der deutschen Arbeit und der politischen Machtfaktoren werden uns dann zwingen, manches über Bord zu werfen, was die finanzielle Ergiebigkeit der Taylorbetriebe besonders gefördert hat. Man wird sich im vornherein darüber klar sein, daß uns auch heute vielfach sichere Unterlagen zur Beurteilung des Taylorismus fehlen. Spielen doch in vielen Fragen nicht nur die neue deutsche Wirtschaftsverfassung eine Rolle sondern auch viele wirtschaftlich-technische, physiologische, psychologische, sozial-ökonomische und gesellschaftliche Momente, die noch keineswegs geklärt sind. Noch überall finden wir hier einen Streit der Werturteile. Vielfach handelt es sich um Weltanschauungsfragen, in denen man auch fernerhin schwer zu einer Lösung kommen wird. Es handelt sich hier also nicht allein um die Betrachtung, was vom Taylorsystem in Deutschland gesetzlich zulässig ist. Obwohl diese rechtlichen Grundlagen für unsere Beurteilung wichtig sind, müssen wir auch die ganze sozial-

108 politische Entwicklungstendenz unseres Wirtschaftslebens in Rechnung stellen. Eines ist sicher. Das Taylorsystem ist ohne oder gegen den Willen der Arbeiterschaft nicht durchführbar. Darum müssen alle ausbeuterischen Absichten fallen. Jeder ist der Einsicht, daß methodisch-systematischer, technischer Fortschritt und beste wirtschaftliche Organisation dringend nottut, aber es darf kein Raubbau mit Menschen getrieben werden. Das rächt sich später bitter durch Anwachsen des sozialen Elends, durch Anhäufung neuer Zündstoffe, die für das ganze Wirtschaftsleben eine schwere Gefahr bedeuten, und durch dauernde Verminderung der Gesamtjahresleistung des deutschen Volkes. Vermehrte soziale Lasten sind die Folgen. Gerade das soziale Elend zu mildern, die staatliche Auflösung zu verhindern und das Fortschreiten aller Volksgenossen in Richtung der Zivilisation zu sichern, muß das große Ziel aller Staatspolitik sein. Die Wohlfahrt der Volksgemeinschaft und ihrer Glieder ist das höchste Gesetz, die Höherentwicklung des Volkes das große Kulturziel. Taylorismus ist deshalb für uns keine reine Frage der Betriebsorganisation, sondern ein kulturelles Problem. Die wissenschaftliche Klärung des Taylorismus ist noch vielfach nicht genügend fortgeschritten. Manche Fragen harren noch einer eingehenden Untersuchung. Selbst die Methoden, die T a y l o r angewandt hat, können nicht so leicht auf den Grad ihrer Richtigkeit geprüft werden. Professor M ü n s t e r berg hätte uns hier einen großen Dienst erweisen können. Er hat uns aber so viel wie nichts über die Methodik der T a y lorschen Zeit- und Bewegungsstudien gesagt. Er nimmt auch nicht klar Stellung zur Ermüdungsfrage und vernachlässigt wichtige berufsethische Probleme. Diesen Mangel zeigt übrigens die ganze taylorfreundliche Literatur. Freilich kann man es diesen Leuten meist gar nicht verdenken, weil sie reine Techniker sind und alles nur unter dem Gesichtswinkel der Rentabilität sehen. Aber gerade ein Mann von der gewaltigen Größe M ü n s t e r b e r g s , dieses Vaters der Wirtschaftspsychologie, hätte diese für die Beurteilung des Taylorismus entscheidenden Fragen nicht übergehen dürfen. Kritiklos nimmt er die T a y l o r sehen Versuche hin und ist deshalb mit daran

109 schuld,

wenn

überspannte

schaftliche Brauchbarkeit einseitig und

geschulter

Psychologen,

Hoffnungen

auf

die

volkswirt-

des Taylorismus in den

Wirtschaftspolitiker,

besonders

und Ingenieuren gezüchtet

aber

auch

Gehirnen

Volkswirtschaftler von

Unternehmern

werden.

S o z i a l e Entwicklung in D e u t s c h l a n d . E n g l a n d und Frankreich haben die großen individualistischen

Nationalökonomen

hervorgebracht.

durch die klassische Philosophie ( F i c h t e , Schleiermacher), deutende Friedrich

List

1789—1846)

schichtsphilosophie und

eine

die deutsche

Volkswirtschaftler

mehr

Durchbruch

und

Deutschland

Schelling,

Romantik

(Adam

und

Müller

diese E n g e

universalistisch

durch

gerichtete

be-

1779—1829

der westlichen

Volkswirtschaftslehre

hat

Hegel,

Ge-

überwunden

Auffassung

zum

gebracht 1 ).

') A d a m M ü l l e r , Elemente der Staatskunst, 3 Teile, 1809. G r ü n f e l d : Die leitenden sozial- und wirtschafts-philosophischen Ideen in der deutschen Nationalökonomie und die Überwindung des Smithianismus bis auf M o h l und H e r m a n n , 1913, Wien (Diss. Tübingen). V o n den deutschen Nationalökonomen, die sich gegen das utilitaristisch-individualistische S y s t e m A d a m S m i t h ' , Ricardos und M a l t h u s wandten, werden behandelt Georg S a r t o r i u s , Heinrich L u d e n , Julius von S o d e n , Gottlieb H u f e l a n d , Joh. Friedrich Euseb. L ö t z , L u d w i g Heinrich J a k o b , P ö l i t z , Joh. Adolf O b e r n d o r f e r , Friedrich v . C ö l l n , A d a m M ü l l e r , K a r l Heinrich R a u h , Friedr. J a k . S c h m i t t h e n n e r , Robert v. M o h l und von H e r m a n n . L u d w i g H e y d e , Abriß der Sozialpolitik, 1920. P h i l i p p o v i c h , Das Eindringen der sozial-politischen Ideen in die Literatur (in: »Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im 19. Jahrhundert«, 1908). G e h r i g , Die Begründung des Prinzips der Sozialreform, 1914. T ö n n i e s , Die Entwicklung der sozialen Frage. v. S c h u l t z e - G a e v e r n i t z , Z u m sozialen Frieden. S o m b a r t , Sozialismus und soziale Bewegung. S o m b a r t , Das Proletariat. H e r k n e r , Die Arbeiterfrage. Vgl. K a p i t e l »Rentabilität und soziale K u l t u r « , S. 237—242. Die Schäden rein individualistischer Wirtschaftsauffassung werden besonders auch durch die sozialistischen Kritiker S a i n t - S i m o n ,

110 Der Mensch wird erst zum Menschen durch die Gesellschaft. Tausend Fäden fesseln ihn an die menschlichen Gemeinschaften der Familie, der Kirche, der Berufsorganisationen, der Partei, der Weltanschauungsgemeinden und des Staates, an die Lebensformen dieser Gemeinschaften, an ihre Sitten und Gebräuche, an ihr Denken und Fühlen, an ihre wissenschaftliche, technisch-wirtschaftliche und ethisch-soziale Entwicklung. Der Mensch verdankt der Gesellschaft, in welcher er lebt, sein geistig-sittliches Wesen, seine ganze Persönlichkeit. Die Gesellschaft ist der lebenschaffende, geistig-ethische Organismus, das schöpferische Ganze. Es ist daher nicht richtig, das Zusammenwirken der Menschen nur individualistisch und wirtschaftlich zu betrachten. »Die individualistische Auffassung des Staates erwies sich geschichtlich und begrifflich, theoretisch und praktisch gleich unzureichend. Wenn sich die Menschen m ihrem gegenseitigen Zusammenleben nichts als bloße Sicherheit gewährleisten, entstehen sowohl wirtschaftliche Schäden durch ungünstige Lage der Besitzlosen, wie geistig-sittliche durch geringe Ausbildung von Gemeinschaften jeder Art; rücksichtsloser Wettkampf des einzelnen, zerfahrene, materialistische Gesinnung und Schwunglosigkeit hält dann das gesamte Kultur und Geistesleben nieder und droht es zu zersetzen« 1 ). Tausende und Abertausende von Volksgenossen würden durch das sich breitmachende Wucher- und Schiebertum ins Unglück gestürzt werden, wenn nicht neben den Interessenverbänden der Staat für diese Unterdrückten, die einen ungeheuren Zündstoff im Staatskörper ansammeln können, P r o u d h o n , F o u r i e r , Louis B l a n c , R o d b e r t u s , M a r x , E n g e l s und L a s s a l l e b e k ä m p f t . W i c h t i g ist a u c h hier die soziologische L i t e r a t u r Comte, Spencer, Schäffle, Ratzenhofer, Stammler, Gierke, Tönn i e s , S i m m e l , Max W e b e r , Spann In der P ä d a g o g i k folgte die g r o ß e A b k e h r v o m reinen Individualismus R o u s s e a u s d u r c h die sozial-ethische R i c h t u n g P e s t a l o z z i s und F i c h t e s . Der E i n f l u ß der geschichtlichen R e c h t s s c h u l e auf die Rechtsphilosophie m a c h t e sich d u r c h v S a v i g n y , S t a h l , A h r e n s , R ö d e r geltend. O. S p a n n , Die H a u p t t h e o r i e n der Volkswirtschaftslehre, S. 29.

111 eintreten und so das Fortbestehen der Kultur sichern würde. Die universalistische Auffassung führt somit zugleich zu einer ethisch menschlicheren. Jedermann, auch die ärmste Fabrikarbeiterin, hat ein Recht auf Freiheit der Persönlichkeit, auf körperliche, geistige und ethische Höherentwicklung. Jeder soll vor zu großer Armut, vor Siechtum und vor Ausbeutung geschützt werden. Diese neue Auffassung vom Staate und seinen Beziehungen zum Einzelnen revoltierten die bisher bestandenen Anschauungen 1 ). Ich gehe hier nicht ein auf die mannigfachen sozialreformatorischen Bestrebungen des Staates, der Gemeinden, der Parteien, der Kirchen und gemeinnützigen Vereine zur Bekämpfung der Schäden, die aus der rein individualistischen Wirtschaftspolitik des vorigen Jahrhunderts erwuchsen. Man braucht nur an die Schutzzollehre (Friedrich List), an die Genossenschaftsbewegung (Robert O v e n , Victor A i m é , H u b e r , S c h u l t z e - D e l i t z s c h , R a i f f e i s e n ) , an die Entstehung der Gewerkschaften, der Konsumvereine, Sparkassen, des Versicherungswesens, auf die Bodenreformbewegung (Henry G e o r g e , F l ü r s c h e i m , H e r t z k a , Adolf D a m a s c h k e ) , auf die Entwicklung der Arbeiterschutzgesetzgebung, des Arbeitsrechtes und der Arbeiterversicherung 2 ) zu werfen. Die Arbeiterschutzgesetzgebung brachte in allen Ländern viele Arbeiterschutzbestimmungen, z. B. die Einführung von Fabrikinspektoren, Schutz gegen Gefahr des Leibes, Lebens und der Sittlichkeit, besonderen Schutz der jugendlichen, der weiblichen und der Heim-Arbeiter, Einschränkung der Arbeitszeit, strenge Einhaltung der Sonntagsruhe, Verbot des Trucksystems, d. h. der Auszahlung des Lohnes in Waren, Arbeitsordnungen, progressive Besteuerung, Festsetzung eines steuerfreien Existenzminimums u. a. Großen Anteil an dieser Bekämpfung des reinen Individualismus der klassischen Nationalökonomie hatten natürlich vor allem die freien Machtkämpfe und politischen Einwirkungen der Arbeiterverbände. ') Vgl. S. 4 — 7 , 80—103 und Schluß. Deutsche staatliche Krankenversicherung 1883, Unfallvers. 1884, Alters- und Invaliden- und Hinterbliebenen-Versicherung 1889. Angestelltenversicherung 1911. 2)

112

So wurde das ganze wirtschaftliche, politische und geistige Leben immer stärker durchsetzt von sozialen Ideen. Die absolutistische Volkswirtschaft (Merkantilismus bis zur Französischen Revolution, im gewissen Sinne auch der Merkantilismus während des Weltkrieges in Form der Zwangswirtschaft) reglementierte in weitgehendstem Maße die wirtschaftliche Tätigkeit seiner Untertanen. Die nachfolgende liberal-manchesterliche Wirtschaftspolitik (bis in die Mitte der 70 er Jahre) ließ den einzelnen Interessen seiner gleichen Bürger freien L a u f 1 ) . Unser soziales Zeitalter sucht unter Wahrung der Rechtsgleichheit und der persönlichen Freiheit seiner Volksgenossen (soweit dies das Gesamtinteresse nicht schädigt) durch soziale Maßnahmen die Klassengegensätze zu mildern und die Einheit der Kultur und die kulturelle Hebung der Volksgemeinschaft zu sichern. Die soziale Einstellung der Staatspolitik wurde noch beschleunigt durch die Not des Weltkrieges und der Nachkriegszeit. Bald kamen die großen sozialen Wehen, die infolge unserer »glänzenden Isolierung« und infolge der Verzögerung der Sozial- und Verfassungsreform nur um so früher erschienen. Der Schrei nach Brot, nach Rohstoffen, nach dem Kriegsende, die großen Mißverhältnisse in der Ernährung bei Reich und Arm bei uns und unseren Verbündeten (Schleichhandel), die Knebelung der Koalitionsfreiheit der Arbeiter, die Vergewaltigung der Presse, die unzähligen Kriegsbestimmungen und die Rechtsunsicherheit, die strenge Militärstrafpflege, die Übergriffe der Militärverwaltung, der Kriegswucher, die Verschleuderung von Heeresgut, die Entsittlichung und Verrohung von Erwachsenen und Jugendlichen (Auflösung der Familiengemeinschaft, Schulelend), die vielen Toten, Krüppel, Vermißten, Gefangenen und Kranken, die entsetzliche Not, die unglückliche auswärtige Politik und die Aussichtslosigkeit eines baldigen Friedens, die Niederlagen, die harten Waffenstillstandsbedingungen: das alles zeitigte den Umsturz. Das Volk sah sich in seinen politischen und sozialen Hoffnungen bel ) Man denke an Bauernbefreiung, Anerkennung der Gewerbefreiheit, Handelsfreiheit, der freien Konkurrenz, der Freizügigkeit, der Rechtsgleichheit (Aufhebung der Privilegien der Stände).

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trogen. Es glaubte, daß es der Eroberungspolitik des europäischen Militarismus und der Übermacht des Kapitalismus zum Opfer gefallen war. Durch die Revolution wurde die politische Macht in die Hand der Arbeiter gelegt. Alle prinzipiellen Forderungen der Gewerkschaften wurden durchgesetzt. Am 15. November 1918, also noch in der ersten Revolutionswoche, wurden wichtige Vereinbarungen zwischen den Arbeitergeberverbänden Deutschlands einerseits und der Generalkommission der Gewerkschaften und den wichtigsten übrigen Gewerkschaftsverbänden andrerseits veröffentlicht 1 ). Diese Abmachungen waren bereits seit Monaten gemeinsam durchberaten und schon einige Wochen vor Ausbruch der Revolution abgeschlossen (bis auf die Bestimmung über den Achtstundentag). Von den Arbeitgeberverbänden Deutschlands wurde anerkannt: die völlige Vereinigungsfreiheit der Arbeiter (Koalitionsfreiheit), die Aufnahme sämtlicher demobilisierter Arbeiter in die Betriebe, die Anerkennung der Gewerkschaften als Träger der Verhandlungen für die Arbeitnehmer, die gemeinsame Regelung und paritätische Verwaltung der Arbeitsvermittlung, Kollektivvereinbarungen zur Regelung der Arbeitsbedingungen, die Bildung von Arbeiterausschüssen in Betrieben, der Achtstundentag, die Bildung einer Reichsarbeitsgemeinschaft (des nunmehrigen Reichswirtschaftsbeirates) und von paritätisch zusammengesetzten Zentralarbeitsgemeinschaften, welche »die gemeinsame Lösung aller die Industrie und das Gewerbe Deutschlands berührenden Wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen, sowie alle sie betreffenden Gesetzgebungs- und Verwaltungsangelegenheiten bezwecken «. Dieser höchst bedeutsame Zusammenschluß aller großen industriellen Arbeitgeber- und Arbeiternehmerverbände zu einer das ganze Reich umspannenden Organisation, die von der deutschen Regierung auf anderer Grundlage 1909 und 1918 bereits vergeblich erstrebt wurde (in Form von Arbeitskammern sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gemeinl

) Vgl. außer diesen Vereinbarungen die Satzung der Zentralarbeitsgemeinschaft. Über Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer s. Anhang. Söllheim, Taylorsvstem. 8

114 samer Arbeit vereinigt werden), war nun zustande gekommen. E s bedeutete die Einleitung einer neuen Wirtschaftsepoche 1 ). § 10 der Vereinbarungen der Arbeitsgemeinschaft für die deutsche Industrie bestimmt, daß die beteiligten Arbeitgeberund Arbeitnehmerorganisationen einen Zentralausschuß auf paritätischer Grundlage mit gegliedertem Unterbau errichten. So umfaßt also diese Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber und Arbeitnehmer das ganze Reich in allen seinen Teilen und Gewerbszweigen, nach dem es am 10. November 1 9 1 9 im Handel und am 20. Februar 1920 in der Landwirtschaft zur Bildung ähnlicher Arbeitsgemeinschaften gekommen ist. Unter dem Drucke der Gewerkschaften und der hinter ihnen stehenden sozialdemokratischen Partei wurde das allgemeine Wahlrecht für Mann und Frau und viele soziale Arbeitergesetze erlassen. So entstand die Reichsverordnung über die Erwerbslosenunterstützung 2 ), der Ausbau der Versicherungsgesetzgebung, die rechtliche Anerkennung der Tarifverträge, die Regelung des Arbeitsnachweises, des Schlichtungswesens, das Betriebsrätegesetz — alles Zielpunkte der Gewerkschaftsbewegung. So kommen also ganz neue Gedanken des Arbeitsrechts in Deutschland zum Durchbruch. Der Taylorismus findet hier also ganz andere rechtliche, politische und soziale Grundbedingungen vor. Die ganze politische Entwicklung und die soziale Not drängte vielfach zu völliger Umgestaltung des Bestehenden. Daß man dabei oft Mißgriffe machte, war nicht zu verhindern. E s gab kein Vorbild. Die neue Regierung trat das Erbe einer verhängnisvollen Kriegszeit an. Von dem blühenden Deutschland vor 1 9 1 4 blieb nur ein psychisch und physisch kranker, entnervter, verhungerter und ausgesaugter Wirtschaftskörper ') Über die gemeinsame Organisation von Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ihre Entwicklung: K a s k e l , Das neue Arbeitsrecht, 1920, S. 224—240. Durch die Verordnung über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat vom 4. Mai 1920 haben die Arbeitsgemeinschaften eine wichtige staatsrechtliche Funktion erhalten. Sie stellen eine große Zahl von Vertretern zum Reichswirtschaftsrat und erhalten so unmittelbar Einfluß auf die Gesetzgebung. 2 ) England war Deutschland in seiner vorbildlichen Sozialgesetzgebung als einziges Land gut gefolgt. Es hatte bereits seit 1 9 1 1 eine staatliche Arbeitslosenversicherung, die sich bewährte.

115 zurück, der von allen Rohstoff- und Agrarstaaten abgeschnitten war und durch die revolutionären Sturzwellen einer psychologisch aufgepeitschten, entkräfteten, unglücklichen Masse immer wieder erschüttert wurde. Dazu kamen noch die ungeheuren Waffenstillstandsund Friedensbedingungen, die unserem Volke außer großen politischen Beschränkungen den Verlust der Kolonien, des Elsaß und anderer ertragsreicher Gebiete brachte, uns unserer Lebensmöglichkeiten durch Wegnahme von Kohlen und Eisen (Saargebiet), von Handels- und Kriegsflotte, von Eisenbahnmaterial und Lokomotiven, industriellen und landwirtschaftlichen Maschinen, von Vieh und Kriegsmaterial beraubte. Eine besondere Schwierigkeit bildete die rasche Umstellung in die Friedenswirtschaft. Viele Millionen mußten innerhalb kurzer Zeit demobilisiert werden. Das Heer sollte auf ein Achtel der Friedensstärke gebracht und in ein Söldnerheer umgewandelt werden, das keineswegs der politischen Agitation unzugänglich blieb. Alle diese Aufgaben wurden noch bedeutend erschwert durch den Mangel an Rohstoffen, Kohlen, Nahrungsmitteln, Verkehrsmitteln, Schiffsraum und durch die Schwierigkeit des ausländischen Absatzes, sowie durch die politischen Krisen und die großen Streiks. Selbst die notwendigsten Vorbedingungen für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung: Ruhe, Ordnung, Sicherheit waren nicht gegeben. Das alles führte zu einer Finanzzerrüttung (Valutaelend), zu einer Überbesetzung der Privat- und Staatsbetriebe mit Arbeitern und Beamten, zum Anwachsen der Arbeitslosen und zu ungeheuren Produktionskrisen, die den ganzen Wirtschaftskörper an den Rand des Verderbens brachten. Zwar gelang es der Regierung Ebert-Scheidemann, die Einberufung der Nationalversammlung und damit die Einführung der demokratischen Republik durchzusetzen, aber das alles konnte natürlich die grenzenlose Verarmung, den Hunger und die Not nicht mindern. Immer neue Notstände schrien nach sofortiger Abhilfe. Bald waren es die großen Streiks, bald blutige Unruhen, die die ganze Sorge, Aufmerksamkeit und Kraft der Regierung in Anspruch nahmen. Bald schrien große Massen der aus dem Militär Entlassenen, der 8»

116 heimkehrenden Gefangenen und viele Flüchtlinge nach Brot, Arbeit, Wohnung, Kleidung. Die Entente machte diese offenen Wunden, aus denen Deutschland blutete, nur noch größer, wenn sie uns unserer geringen Vorräte beraubte, eine Zerstückelung Deutschlands mit allen Mitteln unterstützte, eine annektionslüsterne »schwarze Kultur« in den Rheinlanden errichtete und gewaltsam verhinderte, unser Zollwesen im Westen zu regeln. Die meisten Führer waren sich darüber klar, daß Ruhe und Ordnung nur eintreten könne, wenn die Demobilisation der Truppen langsamer durchgeführt werde, wenn Rohstoffe und Nahrung ins Land kommen und wenn vor allem die Massen durch weitgehende soziale Gesetzgebung vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch gerettet werden 1 ). Ich greife aus der neuen Arbeitergesetzgebung hier nur zwei große Ideen auf, welche für die neue Wirtschaftsverfassung Deutschlands von ungeheuerer Bedeutung sind: die Räteidee und die Idee des kollektiven Arbeitsvertrages. Nicht der Rätegedanke Rußlands, aber die Räteidee kam zum Durchbruch. Die Arbeiterräte erhielten nicht politische Rechte, wohl aber weitgehendes Mitbestimmungsrecht in Betriebsfragen. Art. 165 der Reichsverfassung schuf vollkommen neue Verhältnisse: »Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt. Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten, sowie in nach Wirtschaftsgebieten gegliederten Bezirksarbeiterräten und in einem Reichsarbeiterrat. Die Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat treten zur Erfüllung der gesamten wirtschaftlichen Aufgaben und zur Mitwirkung bei der Ausübung der Sozialisierungsgesetze mit den Vertretungen der Unternehmer und sonst be*) Die wichtigsten Arbeitergesetze der Nachkriegszeit sind im Literaturverzeichnis angegeben.

117 teiligter Volkskreise zu Bezirkswirtschaftsräten und zu einem Reichswirtschaftsrat zusammen«. Diesen Wirtschaftsräten sind verwaltungsmäßige und legislatorische Aufgaben zugewiesen. Damit ist eine neue Wirtschaftsverfassung geschaffen. Das Betriebsrätegesetz bildet zurzeit den großen Abschluß dieser Entwicklung. Die neue Zeit zeigt mehr konstitutionellen, mehr genossenschaftlichen und mehr gemeinwirtschaftlichen Geist. An Stelle der absolutistischen treten mehr konstitutionelle Prinzipien innerhalb der Betriebsverfassung und des ganzen Wirtschaftslebens a u f 1 ) . Eine andere große Idee, die durch die Revolution in Deutschland ihre Verwirklichung fand, ist die des k o l l e k t i v e n Arbeitsvertrages2). Seit der Erbuntertänigkeit und des Zunftzwanges herrscht der sog. freie Arbeitsvertrag. Der Arbeitgeber schließt mit dem einzelnen Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag ab. Schon 1 8 7 3 war die Mehrzahl der Mitglieder des Vereins für Sozialpolitik 8 ) davon überzeugt, daß dieser Arbeitsvertrag in Wirk') Die Arbeiterausschüsse fanden ihre erste gesetzliche Anerkennung im Arbeiterschutzgesetz vom r. Juni 1891. Erst in den landesgesetzlichen Berggesetzen nach 1900 bestanden Zwangsvorschriften zur Bildung solcher Ausschüsse. Den Fortschritt in der Frage der ArbeiterausschQsse brachte erst das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916, das für alle im vaterländischen Hilfsdienst tätigen Gewerbebetriebe mit wenigstens 50 Arbeitern oder Angestellten die Errichtung von Arbeiter- und Angestellten-Ausschüssen vorschrieb. Sie sollten Anträge, Wünsche und Beschwerden der Arbeiter, die sich auf die Betriebseinrichtungen, die Lohn- und Arbeitsverhältnisse bezogen, dem Unternehmer gegenüber vertreten und bei Arbeitsstreitigkeiten den SchlichtungsausschuB anrufen. D e u t s c h - Ö s t e r r e i c h : Durch das Gesetz vom 15. Mai 1919 sind hierähnliche Betriebsräte eingeführt wie bei uns durch das Betriebsrätegesetz. E n g l a n d : Während der Kriegszeit (1917/18) drängten die Bedürfnisse zur Betriebsrätebildung. Vgl. über die Whitley-Räte, Archiv für Soz.-Wis. u. Soz.-Pol., 1920, 48. Bd., 1. Heft, Dr. K a s s o w i t z , Die Entwicklung der englischen Betriebs- und Wirtschaftsverfassung. I t a l i e n : Ein Betriebsrätegesetz ist ausgearbeitet. ') s. H e r k n e r , Die Arbeiterfrage, 1921, I. Bd., S. 459ff.; dort gute Literatur. 3 ) Im Verein für Sozialpolitik hat sich seit 1872 die Hauptmasse der Vertreter sozialer Wissenschaft zusammengefunden, darunter

118 lichkeit kein freier Vertrag sei. Der isolierte Arbeiter bleibt beim Abschluß desselben gegen den wirtschaftlich stärkeren Arbeitgeber im Nachteil, obwohl beide Vertragsschließende formell gleichgestellt sind, da ja keiner zum Abschluß des Vertrages gezwungen werden kann. Der Arbeiter kann aber mit seiner Arbeitskraft nicht zurückhalten. E r muß täglich nach Arbeit suchen, um sich und seine Familie erhalten zu können. E r hat meist nur eine recht schlechte oder gar keine Übersicht über Arbeitsgelegenheit und Arbeitsbedingungen. Sein Lohn ist vielfach abhängig von Lohnschwankungen, die sich oft nach dem Arbeiterangebot des Arbeitsmarktes richten. Dieses System der individuellen Freiheit des einzelnen beim Abschluß des Arbeitsvertrages, das bis heute alle verkehrswirtschaftlich organisierten Staaten beherrschte, wird nach und nach ersetzt durch das System der korporativen Gebundenheit, durch den Tarifvertrag oder kollektiven Arbeitsvertrag. »Das persönliche Band zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist noch mehr als bisher gelockert. Der Arbeitnehmer tritt dem Arbeitgeber nicht mehr als einzelner, sondern lediglich in seiner Eigenschaft als Mitglied der Betriebs- und Berufsorganisation gegenüber, welche die Wahrung seiner Interessen übernimmt und dafür von ihm Gehorsam gegenüber ihren Beschlüssen fordert« ( K a s k e l ) . Anderseits wird jedoch innerhalb des einzelnen Betriebs eine enge Interessengemeinschaft S c h m o l l e r , B r e n t a n o , Adolf W a g n e r , Schäffle, Roscher, B ü c h e r , L e x i s , K n a p p , H e r k n e r . Außer dieser Vereinigung hat die Gesellschaft für soziale Reform großen Einfluß auf die deutsche Sozialpolitik. Letztgenannte Gesellschaft vereinigt viele bedeutende Sozialpolitiker (v. B e r l e p s c h , Prof. F r a n c k e , H e y d e ) und viele soziale Organisationen in sich (die christlichen Gewerkschaften," die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, die konfessionellen Arbeitervereine, fast alle Angestelltenverbande und seit dem Kriege auch die freien Gewerkschaften). Sie ist eine Organisation aller Parteirichtungen mit zusammen über 12 Millionen Arbeitern, Angestellten und Beamten. Ihr Einfluß erstreckt sich auf weit über l /, des deutschen Volkes, denn in Wirklichkeit stehen auch die Angehörigen der Mitglieder unter dieser Einwirkung. Zeitschrift: »Soziale Praxis«. Kein anderes Land hat ähnliche einflußreiche soziale Organisationen. S. G ü n t h e r , Krisis der Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft, 1921.

119 zwischen Arbeiter und Unternehmer angestrebt zur besseren Ausnützung der Produktionsmittel. In England arbeiteten 1910 schon 2,3 Mill. nach Tarifvertrag. 1 9 1 1 bestanden in Deutschland bereits zehntausend Tarifverträge für 180000 Betriebe mit i%Mill. Arbeitern. Damals fehlte freilich bei uns noch die gesetzliche Regelung. Aber man wußte, daß man diese Bewegung nicht mehr aufhalten könne. Bald erlangten andere Länder vor Deutschland einen Vorsprung durch die gesetzmäßige Einführung eines Tarifrechts, welches die kollektiven Arbeitsverträge anerkannte 1 ). Es wäre also sicherlich auch ohne die Revolution bei uns zur gesetzlichen Anerkennung der Tarifverträge gekommen, wie dies dann durch die Verordnung vom 23. Dezember 1918 geschah. Heute werden fast alle Verhältnisse und Arbeitsbedingungen der Industriearbeiter und -Arbeiterinnen durch Tarifverträge geregelt. Diese Kollektivvereinbarungen bilden neben der neuen Reichsverfassung, den neuen Gesetzen und Verordnungen und neben den neuen Arbeitsordnungen eine Hauptquelle unseres heutigen Arbeitsrechts. Neben dem Staate haben also die Arbeitsgemeinschaften und Berufsorganisationen starken Einfluß auf die Entwicklung des Arbeitsrechts. Dieser kurze Überblick über die letzte deutsche Wirtschaftsentwicklung soll nur die Grundlage zur Beantwortung unserer Frage liefern: »Ist das Taylorsystem in Deutschland anwendbar?« Ich habe deshalb davon abgesehen, andere wichtige Entwicklungstendenzen und soziale Gesetze zu beleuchten, die mit dieser Frage vorläufig nur im losen Zusammenhang stehen, wie z. B. das Sozialisierungsproblem, die Landarbeitsordnung u. a. Hinweisen möchte ich noch auf die veränderte Stellung der Parteien im Volksstaate. Sie haben den stärksten Einfluß auf das Wohl und Wehe des Volkes. »Die Minister werden von nun an aus dön Parteien ernannt. Sie müssen auch als Minister die Ziele ihrer Parteien vertreten, denn sie kehren ja später wieder in die Partei zurück. Von nun an haben wir in Deutschland Parteiregierungen«2). Australien, Österreich, Frankreich, Schweiz, Italien. *) Aus meinem Artikel: »Schulpolitische Machtfaktoren im Volksstaate«, Freie Deutsche Schule v. 30. Oktober 1919.

120 Die neue Wirtschaftsverfassung Deutschlands zeigt also vielfach neue Verhältnisse des Arbeits- und Wirtschaftslebens. Die internationale Entwicklung des Arbeitsrechts folgt nach K a s k e l 1 ) der deutschen Entwicklung auf den Gebieten des Arbeitsnachweises, der Arbeitslosenfürsorge, der Anerkennung der Berufs vereine und der Wochenfürsorge, nicht aber auf dem Gebiete des Beschäftigungszwanges, der Betriebsorganisation, der Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten und der internationalen Regelung der Sozialversicherung. Mit dem W e l t k r i e g und der europäischen R e v o l u t i o n beginnt also eine neue E p o c h e völk i s c h e r und s o z i a l e r U m b i l d u n g , ein n e u e s s o z i a l e s Z e i t a l t e r , das eine a n d e r e M a c h t v e r t e i l u n g z w i schen den g e s e l l s c h a f t l i c h e n K l a s s e n b r i n g t . Der Staat ist nicht mehr Träger rein individualistischer Interessen. Er darf nicht zulassen, daß die Leistungsfähigkeit der menschlichen Kräfte für längere oder kürzere Zeit durch ein Einzelinteresse über ein sozialökonomisches Maß ausgebeutet werde, denn das würde zur Degenerierung der Volksgenossen und damit zur Schädigung der Volkskraft und Volkskultur führen. Die breite Masse der Arbeiterschaft erlangt viel größeren Einfluß auf die Gestaltung des Berufs- und Wirtschaftslebens als bisher. Neue Formen der Gemeinschaftsarbeit (Betriebsdemokratie) tragen einer neuen Auffassung vom Werte des Menschen und seiner Arbeit Rechnung. Kein rein mechanistisches Lohn Verhältnis, sondern eine enge Interessen- und Rechtsgemeinschaft soll zwischen Arbeitgeber 1) K a s k e l , Das neue Arbeitsrecht, 1920, S. 2 2 5 — 3 0 7 . Der Friedensvertrag von Versailles bildet eine breite Grundlage des neuen internationalen Arbeitsrechtes, die allerdings von der Entwicklung schon vielfach überholt worden ist. Teil X I I I , Art. 387 bis 426 betrifft das Internationale Arbeitsamt. Art. 426 gibt unter der Überschrift »Allgemeine Grundsätze« Leitsätze, die einer internationalen Reglung überwiesen werden sollen: Koalitionsfreiheit for die Arbeiter, Achtstundentag, Beseitigung der Kinderarbeit, für gleiche Arbeit gleichen und angemessenen Lohn ohne Unterschied des Geschlechts, gleiche Stellung inländischer und ausländischer Arbeiter, Durchführung einer Arbeitsaufsicht unter Hinzuziehung von Frauen.

S. auch »Internationalisierung der Sozialpolitik«, Zeitschrift des bayerischen Statistischen Landesamts 1921.

121 und Arbeitnehmer bestehen. Dem Arbeiter wird ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht in Betriebsfragen eingeräumt. Wir kommen also zu einer tieferen Auffassung der ganzen sozialen Frage. Um die volkswirtschaftliche Brauchbarkeit des Taylorsystems für Deutschind klarer beurteilen zu können, wird im folgenden die Verschiebung der staats- und werkpolitischen Machtverhältnisse, die sich in der ganzen Volkswirtschaft und im einzelnen Betrieb geltend macht, näher betrachtet 1 ).

Die Beschränkungen der Freiheit des Unternehmers. A. Arbeitereinstellung und Arbeiterausstellung, B. Aufstellung der Arbeitsbedingungen, Betriebsorganisation. Ein Mitbestimmungsrecht in bezug auf Arbeitsleistung und Arbeitsverhältnisse haben: 1. D e r S t a a t (Erlaß von Arbeitergesetzen: Achtstundentag, Sonntagsruhe, Gewerbeaufsicht, Vorschriften über Einstellung und Entlassung der Arbeiter, Schlichtungsordnung, Schutz der guten Sitten und des Anstandes, Lehrlingsund Kinderschutz usw.) 2 ). 2. D i e B e r u f s o r g a n i s a t i o n e n (kollektives Mitbestimmungsrecht über Arbeits- und Lohnverhältnisse innerhalb der Berufsgruppen und der Arbeitsgemeinschaften, politischer Einfluß der Gewerkschaften, Einfluß auf die Arbeitsgesetzgebung: Reichswirtschaftsrat, Bezirkswirtschaftsräte). ') Die Revolution bis zur letzten sozial- und wirtschaftspolitischen Entwicklung beschreibt treffend ohne parteipolitische Färbung: H e r k ner, Die Arbeiterfrage, 1921, II. Band 564—583; I. Bd., S. 75. *) H e y d e , Abriß der Sozialpolitik 1920, S. 65—88, S. 138—141: Schutz der Arbeitskraft, von Leben und Gesundheit im Betriebe, Durchführung des Arbeiterschutzes, Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis (Schutz der moralischen und religiösen Persönlichkeit, Schutz der Menschenwürde vor Entrechtung des Arbeitsnehmers).

122 3- Die A r b e i t e r s c h a f t des E i n z e l b e t r i e b e s (kollektives Mitbestimmungsrecht über Arbeits- und Lohnverhältnisse innerhalb des Einzelbetriebes). Die Verhältnisse und Beziehungen zwischen Berufsorganisation und Betriebsrat regelt das Betriebsrätegesetz (B.R.G.) im §8,31,47 und das Tarifrecht (Verordnung vom 23. Dezember 1918 usw.). Der Einfluß der Gewerkschaften auf die Betriebsräte ist dadurch gesichert, daß Vertreter der Gewerkschaften zu den Sitzungen des Betriebsrates und zu den Betriebsversammlungen mit beratender Stimme zugezogen werden können. Die allgemeinen Richtlinien der arbeitsrechtlichen Entwicklung wurden im vorigen Abschnitt bereits gegeben. Hier handelt es sich um kurze Darstellung wichtiger Einzelbestimmungen, die für das Betriebsleben von Bedeutung sind. Dabei wird jedoch die soeben gegebene Einteilung aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht eingehalten, sondern die obenstehende (siehe A, B) angewandt.

Arbeitereinstellung undArbeiterausstellung. l ) Es handelt sich hier teils um gesetzliche Vorschriften, teils um Kollektivvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (der Arbeitsgemeinschaften, Berufsorganisationen oder Berufsgruppen) und teils um das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte. Viele Taylorbetriebe Nordamerikas verdanken ihre finanziellen Haupterfolge auch einer geschickten Ausnützung des Arbeitsmarktes. Das Prinzip der Substitution (s. S. 65 und S. 20 bis 33) wird auf die Arbeiter des Betriebes angewandt. Dies zeigt sich in der Ersetzung teuerer Arbeitskräfte durch billigere und geeignetere. Männerarbeit wird durch Frauen- und Kinderarbeit verdrängt, Menschenarbeit durch *) Vgl. Zeitschrift »Das Schlichtungswesen«, Stuttgart, Königstr. 18. Als letzte Literatur ist zu nennen das Büchlein Dr. B i l l e r b e c k , Die Kündigung und Entlassung von Arbeitern (Hobbing, Berlin), ferner das klassische Werk von Prof. K a s k e l , Das neue Arbeitsrecht, falls eine Neuauflage erscheint. Über Arbeitereinstellung und -ausstellung in Taylorbetrieben siehe S. 21 u. 27ff.

123 Maschinenarbeit ersetzt. Wer das Arbeitspensum nicht erreicht, wird entlassen und arbeitstüchtigere Kräfte treten an seine Stelle. Dabei wurde vor dem Weltkrieg die psychologische Arbeiterauslese, die heute viele deutsche Taylorfreunde zu einem wichtigen Charakteristikum der Taylorbetriebe aufbauschen, soviel wie nicht angewandt, da brauchbare psychotechnischePrüfungsmethoden noch fehlten. T a y lor selbst nennt nur das eine Beispiel der Kugelprüferinnen in dieser Beziehung. Er steht dieser Bewegung zwar sehr sympathisch gegenüber, aber da sie noch in den Kinderschuhen steckte, hatte sie praktisch keine Bedeutung. Einigermaßen brauchbare Methoden der psychologischen Auslese wurden erst in den letzten Jahren für ganz wenige Berufe entwickelt 1 ). Eine Überschätzung der ganzen Bewegung ist nicht angebracht, wenn man sie auch stets unterstützen sollte, damit sie möglichst bald zu einfachen, brauchbaren, praktischen Methoden der Arbeiterauslese gelange. In Deutschland ist die Einstellung und Entlassung der Arbeitkräfte zurzeit durch gesetzliche Vorschriften vielfach beengt. Diese Beschränkung der Vertragsfreiheit wurde schon durch Verordnung vom 14. Juni 1916 und später durch das Hilfsdienstgesetz eingeleitet. Das letztere forderte die nützliche Verwendung aller deutschen Arbeitskräfte. Während des Krieges herrschte ja fast überall großer Mangel an Arbeitern. Durch die Waffenstillstandsbedingungen und den Friedensvertrag wurde die schnelle Überführung fast der ganzen mobilisierten Truppen in das bürgerliche Leben notwendig. Zugleich mußte die große Umstellung der Kriegs- in die Friedenswirtschaft erfolgen. Viele bisher daheim Beschäftigte wurden stellenlos. Für die Kriegsbeschädigten mußte Arbeit geschaffen werden. Das Heer der Arbeitslosen, das durch die Erwerbslosenfürsorge erhalten werden mußte, schwoll immer mehr an. Eine Auswanderung in ehemalige Kolonien oder ins Ausland war unmöglich2). Über psychologische Arbeiterauslese s. S. 22ff., iqöff., 20off. ) Hier rächte sich so schwer, daß Deutschland vor dem Weltkrieg eine gründliche und umfassende Regelung des Arbeitsnachweises versäumte, obwohl schon Ende der rufsforschung und Berufspolitik. Die Berufsberatung muß sich auf jedes Alter, jedes Geschlecht, jede Art der Schulbildung erstrecken: auf Gesunde, Kriegsbeschädigte, Erwerbsbeschränkte, Psychopathen, auf Lehrlinge, ungelernte Jugendliche und Erwachsene, auf Studierende und andere geistige Arbeiter. Eine kurze Übersicht über die Entwicklung des Berufsberatungswesens in Deutschland gibt: a) mein Artikel »Berufsberatung«, Freie deutsche Schule vom 27. November 1919, b) Dr. Franziska M ü l l e r , »Zur Organisation der Berufsberatung in Deutschland«, Prakt. Psychologie, Januarheft 1921. c) Reichsarbeitsblatt vom 15. Januar 1921; ferner: E. S c h i n d l e r , »Grundzüge der Organisation der Berufsberatung«, Flugschriften zur Berufsberatung, Heft III, Berlin 1920. E. B e r n h a r d , »Organisation und Tätigkeit der Berufsberatungsstellen in Berufswahl und Berufsberatung, Berlin 1920. Prof. Aloys F i s c h e r , »Über Beruf, Berufswahl und Berufsberatung als Erziehungsfrage«, 1919. 2 ) V.O. vom 9. Dez, 1918 über Arbeitsnachweis usw. s. K a s k e l und das Reichs-Arbeitsblatt, besonders den Entwurf zum Arbeitsnachweisgesetz und dessen Begründung, Reichsarbeitsblatt I (N. T.), S. 533, 597. — Auch in andern Ländern erwies sich eine Regelung des Arbeitsnachweises als äußerst wichtig und vordringlich. Vgl. die Beschlüsse der internationalen Arbeitskonferenz in Washington 1919 über die »Mittel zur Verhütung der Arbeitslosigkeit und zur Bekämpfung ihrer Folgen«.

125 Die überwiegend in den Händen der Interessenten befindliche Arbeitsvermittlung 1 ) wurde allmählich in immer steigendem Maße durch den Staat (Gemeinden, Länder, Reich) ausgebaut und zur öffentlichen Arbeitsvermittlung umgestaltet. Bereits 1919 wurden 85% aller Arbeitsvermittlungen, welche durch Arbeitsnachweise erfolgten, vom öffentlichen Arbeitsnachweis erledigt. Den Schlußstein zu einer leistungsfähigen, parteilosen, einheitlich und umfassend organisierten öffentlichen Arbeitsvermittlung bildet das kommende Arbeitsnachweisgesetz, das alle bestehende private Arbeitsvermittlung dem öffentlichen Arbeitsnachweise an- und eingliedert und die gewerbsmäßige Stellenvermittlung bis 1930 völlig beseitigt. Ein engmaschiges Netz von Arbeitsnachweisen soll das ganze Reich überspannen. Schon während der Demobilmachungszeit wurde durch örtliche Demobilmachungsbestimmungen vielfach eine Neugestaltung des öffentlichen Arbeitsnachweises erstrebt und die gewerbsmäßige Stellenvermittlung aufgehoben. Während in diesen örtlichen Bestimmungen, insbesondere auf Veranlassung der Arbeitnehmer, mehrfach die Vermittlung der Reihenfolge der Meldung noch vorgeschrieben war und zum Teil noch ist (meist durch Tarifvertrag oder Vereinbarung), hat nach §41 des Arbeitsnachweisgesetzes die Vermittlung »unparteiisch und ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einem Berufsvereine zu erfolgen. Sie hat dahin zu wirken, daß jede freie Stelle durch möglichst geeignete Arbeitskräfte besetzt wird. Dabei sind einerseits die besonderen Verhältnisse der freien Stelle, anderseits die berufliche und körperliche Eignung sowie die persönlichen und Familienverhältnisse des Bewerbers zu berücksichtigen, soweit es die Lage des Arbeitsmarktes gestattet. Sind für eine Stelle mehrere gleichgeeignete Arbeitskräfte vorhanden, so ist die Stelle unbeschadet sonstiger gesetzlicher Zeitungsanzeige, die gewerbsmäßige Stellenvermittlung, der Interessentenarbeitsnachweis, welcher einseitig von wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber .oder der Arbeitnehmer unterhalten wird, der Arbeitsnachweis der behördlichen Interessenvertretungen (Innungen, Landwirtschaftskammern), die Vermittlung durch gemeinnützige Vereine und der meist auf Grund von Tarifverträgen errichtete paritätische Facharbeitsnachweis der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

126

Bestimmungen demjenigen zu vermitteln, der sich zuerst bei dem Arbeitsnachweis gemeldet hat.« Erwähnenswert ist noch, daß die Arbeiter zurzeit in bestimmten Fällen den Anspruch auf die Erwerbslosenunterstützung verlieren, falls sie eine nachgewiesene Arbeitsgelegenheit nicht annehmen. Die Vermittlung von Arbeitsgelegenheit erfolgt durch den öffentlichen Arbeitsnachweis kostenlos. Der Arbeitgeber hat nur die Verpflichtung, das Freiwerden einer Stelle dem Arbeitsamt zu melden. E r kann also jederzeit andere Kräfte einstellen als diejenigen, welche ihm der Arbeitsnachweis nennt. Es bestehen jedoch einzelne Beschränkungen der Vertragsfreiheit. Sie sind teils in Demobilmachungsbestimmungen festgesetzt 1 ), welche erst am i . April 1922 aufgehoben werden sollen, teils in dauernden Gesetzen, wie dem Betriebsrätegesetz und dem Schwerbeschädigtengesetz. Die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbeschädigter ist ein starker, sozialpolitisch jedoch notwendiger Eingriff in die persönliche Freiheit des Arbeitnehmers. Schwerbeschädigte haben ein gesetzliches Voreinstellungsrecht. E s besteht hier eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Meldung freier Stellen, zur Unterlassung der Neubesetzung dieser Stellen, zur Auskunfterteilung über Arbeitsverhältnisse im Betriebe, zur Einstellung, Beschäftigung und Entlohnung der Schwerbeschädigten, zu ihrer Wciterbescliäftigung und zu einer besonderen Betriebsfürsorge hinsichtlich der Schwerbeschädigten. Als Organ für die verwaltungsmäßige Durchführung dieser Vorschriften kommen die Hauptfürsorgestelle, die Vertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Gewerbeaufsichtsbeamten, die Dienstaufsichtsbehörden der öffentlichen Körperschaften und die Arbeitervertretungen der Betriebe, also Betriebsräte und Obleute in Betracht. Bei Betrieben mit über 100 Arbeitnehmern vertritt ein besonderer Vertrauensmann, möglichst selbst ein Schwerbeschädigter, die Rechte der Schwerbeschädigten. *) Insbesondere Verordnung vom 12. Februar 1920 (Einstellungsverordnung), Freimachungsverordnung vom 25. April 1920, Stillegungsverordnung vom 8. November 1920, Verordnung zur Behebung des Arbeitermangels in der Landwirtschaft vom 16. März 1 9 1 9 .

127 Außer diesen gesetzlichen Bestimmungen können Tarifverträge im Rahmen der gesetzlichen Verordnungen bindende Abmachungen über Einstellung, Kündigung und Entlassung enthalten. Das Betriebsrätegesetz sieht im § 74 die Mitwirkimg des Betriebsrats bei Masseneinstellungen und Massenentlassungen vor. Gewöhnlich ist es Aufgabe der Gruppenräte (Arbeiterund Angestelltenräte), bei der Einstellung und Entlassung mitzuwirken §§ 78, 81—83 über Einstellung, § 78, 84—90 über Mitwirkung der Gruppenräte bei der Entlassung) 1 ). Nach § 78/8 haben die Gruppenräte die Aufgabe, mit dem Arbeitgeber Richtlinien über die Einstellung von Arbeitnehmern der Gruppe in den Betrieb zu vereinbaren, »soweit eine tarifliche Regelung nicht besteht«. »Einstellungen, die auf einer gesetzlichen, tarifvertraglichen oder durch Schiedsspruch eines Schlichtungsausschusses . . . auferlegten Verpflichtung beruhen, gehen den Richtlinien in jedem Falle vor«. Die Richtlinien »müssen die Bestimmung enthalten, daß die Einstellung eines Arbeitnehmers nicht von seiner politischen, militärischen, konfessionellen oder gewerkschaftlichen Betätigung, von der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem politischen, konfessionellen oder beruflichen Verein oder einem militärischen Verband abhängig gemacht werden darf. Sie dürfen nicht bestimmen, daß die Einstellung von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht abhängig sein soll« (§81). Manche Unternehmungen entwickeln sich entgegen dieser Bestimmung zu Hochburgen parteipolitischer Betätigung. Die Arbeiter werden indirekt gezwungen, einer bestimmten Organisation beizutreten, wenn sie in den Betrieb eintreten wollen. Die Richtlinien werden gemeinsam vom Arbeitgeber und Gruppenrat festgesetzt. Im Rahmen der Richtlinien hat zwar der Arbeitgeber über die Einstellung des einzelnen B . R . G . § 7 4 : »Wird infolge von Erweiterung, Einschränkung oder Stillegung des Betriebes oder infolge von Einführung neuer Techniken oder neuer Betriebs- oder Arbeitsmethoden die Einstellung oder die Entlassung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern erforderlich, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, sich mit dem Betriebsrat . . . möglichst längere Zeit vorher über A r t und Uijifang der erforderlichen Einstellungen und Entlassungen und über die Vermeidung von Härten bei letzteren ins Benehmen zu setzen.«

128 Arbeitnehmers allein ohne Mitwirkung oder Aufsicht des Arbeiter- oder Angestelltenrat zu entscheiden. Eine betriebsfeindliche Mehrheit kann aber dem Arbeitgeber die selbständige Auswahl der Arbeitskräfte bei Einstellung und Entlassung praktisch unmöglich machen. Nicht die Eignung, die Leistungsfähigkeit, Tüchtigkeit und die moralischen Qualitäten des Arbeiters sind dann das Bestimmende, sondern seine parteipolitische Zugehörigkeit. Ein zu weitgehender Einfluß der Arbeiter des Betriebes auf Einstellung und Entlassung bedeutet also in manchen Fällen eine große Gefahr. Darüber sind sich auch weitblickende Gewerkschaftsführer völlig klar. Die kleinliche Kirchturmspolitik einseitig gesinnter und interessierter Arbeitervertreter kann der ganzen Arbeiterschaft zum Schaden gereichen, sobald sie die Leistungsfähigkeit des Betriebes beeinträchtigt. Jeder sozial Denkende findet es unbedingt berechtigt, wenn die großen sozialen Mächtegruppen der Arbeiter (Parteien, Gewerkschaften) einen gebührenden Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen haben. Selbstverständlich muß der Arbeiter vor rücksichtsloser Entlassung geschützt werden. Der Einzelbetrieb darf aber nicht durch Parteimache gefährdet werden. Dadurch schädigt man nicht nur die Interessen der Betriebsangehörigen sondern auch die des Volkes, das ein Recht darauf hat, daß alle Kräfte in der besten Weise ausgenützt werden und daß die Vereinigungsfreiheit der Volksgenossen nicht beeinträchtigt wird. Die Mitwirkung der Gruppenräte bei Entlassungen ist viel weitergehend als bei Arbeitereinstellungen. Jeder Arbeiter, dem gekündigt wurde, kann nach § 84 beim Gruppenrat mündlich oder schriftlich Einspruch erheben. Hält der Gruppenrat diesen Einspruch für begründet, so versucht er eine gütliche Lösung durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber herbeizuführen. Ist dies nicht möglich, so wird der Schlichtungsausschuß angerufen, der dann das Weitere bestimmt. Zusammenfassend sei gesagt, daß sich die Taylorgrundsätze über Arbeiterauslese, Einstellung und Entlassung bei uns nur im beschränkten Maße durchführen lassen. Der deutsche Arbeiter ist vielfach gegen rücksichtslose Entlassung geschützt. Von Arbeitgeberseite wird allerdings sehr darüber geklagt, daß die vielen gesetzlichen Bestimmungen, besonders

129 aber § 84—90 des Betriebsrätegesetzes die Entlassung von Arbeitskräften derart erschweren, daß der Arbeitgeber oft »um nicht erst durch das Gewirr der einschlägigen Bestimmungen zu müssen und sich zeitraubenden, unproduktiven Verhandlungen oder gar Strafen zu unterziehen, von einer sachlich durchaus berechtigten Entlassung absieht und lieber die Belastung seines Betriebes durch eine unzulängliche Arbeitskraft neben der dauernden Verärgerung seiner wertvollen Leistungsfreudigkeit in Kauf nimmt« 1 ). Alle möglichen Organe hätten bei Einstellung und Entlassung hineinzureden: der Gesetzgeber, die Arbeitsnachweise, die Hauptfürsorgestelle, die Berufsorganisationen und der Betriebsrat. Bezüglich der Auswahl der Lehrlinge hat der Arbeitgeber noch freie Hand. Eine richtige Lehrlingsauswahl ist daher für den Betrieb von höchster Bedeutung. Hier hat der Arbeitgeber Einfluß auf die künftige Zusammensetzung seines Arbeiterstammes und die spätere Leistungsfähigkeit seines Betriebs 2 ). Trotz all der angeführten einschränkenden Bestimmungen wird es manchem Arbeitgeber möglich sein, die personelle Gliederung des Betriebes zu verbessern. Lange persönliche Beobachtungen, auch Prüfungen, können dahin wirken, daß tüchtige Betriebsangehörige an die richtige Stelle kommen, die ihren geistigen und moralischen Qualitäten entspricht. Die Produktivität des Betriebes kann dadurch sicherlich viel mehr gehoben werden als man gemeinhin glaubt. (Über die Anwendung von Eignungsprüfungen auf ältere Betriebsangehörige siehe Zeitschrift für praktische Psychologie. Hier finden sich manche beachtenswerte Beispiele.) ')

Winschuh,

Direkte

und

indirekte M i t w i r k u n g der

r ä t e bei E i n s t e l l u n g e n , D e u t s c h e B e r g w e r k s z e i t u n g , 2)

in

Der Arbeitgeber

Verbindung

k a n n sich a u c h m i t der

setzen.

eingestellt zu werden.

Die

zugewiesenen

Betriebs-

1 7 . D e z e m b e r 1920.

Berufsberatungsstelle

Lehrlinge

brauchen

i m m e r e m p f e h l e n s w e r t , d e n n sie l i e g t i m I n t e r e s s e s o w o h l d e s gebers

als des Lehrlings.

Die

Anwendung

E i g n u n g s p r ü f u n g ist k e i n e s f a l l s e r f o r d e r l i c h . von

Lipmann.

Stolzenberg.



Siehe

kostspieliger

ist

Arbeit-

Apparate

für

M a n vgl. die Testmethoden Seite

196 ff.,

200 f f .

Literaturverzeichnis.

S ö 1 ] b e i m , Taylorsystem.

nicht

E i n e P r ü f u n g der sich m e l d e n d e n Lehrlinge

9

und

130

Einfluß der Arbeiterschaft auf Lohn- und Arbeitsverhältnisse und Betriebsorganisation. Tarifverträge 1 ). Tarifverträge sind schriftliche Verträge, welche die Bedingungen für den Abschluß von Arbeitsverträgen zwischen Vereinigungen von Arbeitnehmern und einzelnen Arbeitgebern oder Vereinigungen von Arbeitgebern regeln. Diese Verträge gelten entweder für einen einzelnen Betrieb oder für eine Gewerbegruppe ; für einen Ort, für mehrere Orte, einen Bezirk, ein Land oder für das ganze Reich (Finnen-, Orts-, Bezirks-, Land- oder Reichstarife). Sie sind nicht nur gültig für die beim Abschluß des Vertrages im Betriebe beschäftigten Arbeiter sondern auch für die später eintretenden. Nach der Verordnung vom 23. Dezember 1918, durch die überhaupt erst die Rechtsfrage der Tarifverträge geklärt wurde, »sind Arbeitsverträge zwischen den beteiligten Personen insoweit unwirksam, als sie von der tariflichen Regelung abweichen. Abweichende Vereinbarungen sind jedoch wirksam, soweit sie im Tarifvertrage grundsätzlich zugelassen sind, oder soweit sie eine Änderung der Arbeitsbedingungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten und im Tarifvertrage nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind« (§ 1). Der Tarifvertrag geht der Betriebssatzung vor, diese wieder den Einzelverträgen. Das Reichsarbeitsamt kann zudem Tarifverträge, »die für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen des Berufskreises in dem Tarifgebiet überwiegende Bedeutung erlangt haben, für allgemein verbindlich erklären« (§ 2). Sie sind dann für alle Arbeitsverträge der betreffenden Berufsgruppe in dem bestimmten Gebiet verbindlich oder unabdingbar, selbst auch dann, wenn der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer oder beide an dem Tarifvertrage bisher nicht beteiligt waren. Diese deutschen Bestimmungen über die Unabdingbarkeit der Tarifverträge und die Möglichkeit der AllgemeinverbindJ)

Uber Tarifverträge S. 1 1 7 ff.,

Gewerkschaftspolitik

S. 113 ff.

131 lichkeit bilden ganz neue Erscheinungen auf dem Gebiete des Arbeitsrechts. Die Arbeiter haben durch die Tarifverträge ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht in Betriebsfragen. Es ist nicht vorgeschrieben, was ein Tarifvertrag enthalten soll. Bei den Abmachungen kommt es sehr viel auf die beiderseitigen Kräfteverhältnisse der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisation an. Oft kommen sie erst nach langwierigen Verhandlungen zustande. Man kann Arbeitsnormen, sozialrechtliche Nonnen und Tarifnormen des Tarifvertrages unterscheiden. A r b e i t s n o r m e n : Bestimmungen über Arbeitszeit, Überstunden, Arbeitsverhinderungsgründe, wie Krankheit, Familienereignisse, gerichtliche Termine, Kündigung des Arbeitsund Dienstverhältnisses, Mindestlöhne, Bestimmungen über Akkordlöhne, Kinderzulagen, Teuerungszuschüsse, über Lohnzahlung, Reisespesen, Urlaub, Arbeitsmethoden, Verwendung jugendlicher und weiblicher Arbeiter, Lehrlingsausbildung 1 ), Erfinderschutz usw. S o z i a l r e c h t l i c h e N o r m e n : Arbeiterschutz, Gesundheits- und Wohlfahrtspflege, Wohnungsverhältnisse, gesundheitliche Maßnahmen zur Förderung des Arbeiterwohls usw. T a r i f n o r m e n : Gültigkeitsdauer, Kündigung, paritätisches Schiedsgericht, Tarifausschüsse usw. Weitgehende soziale Leistungen weisen oft kommunale Tarifverträge auf. So enthält der Tarifvertrag, den die Organisation der Arbeitgeberverbände sächsischer Gemeinden mit ihren städtischen Arbeitern abgeschlossen hat, günstige Kündigungsbedingungen, Gewährung reichlichen Urlaubs, eines Krankenlohnes, einer Ruhestands- und Hinterbliebenenversorgung, Wirtschaftsbeihilfen, Bezahlung der Wochenfeiertage. Der Lohn der Gemeindearbeiter ist allerdings meist geringer als in der Privatindustrie. ') Beschränkung des Tarifrechts in bezug auf die Regelung des Lehrlingswesens im Handwerk, das in § § 8 i a , 83, 93 der Gewerbeordnung den Innungen, in §§ 103 c, 103 g, 103 k den Handwerkskammern zufällt. (Vgl. dagegen die Beschlüsse des X. Gewerkschaftskongresses in NOrnberg.) In Deutschland besitzt das Handwerk ein gesetzliches Lehrlingsrecht, das auch für Handel, Landwirtschaft und Industrie vorbildlich wirken kann.

9*

132 Der ausbeuterischen Seite des Taylorsystems wird durch die Tarifverträge ein Riegel vorgeschoben. Die Berufsorganisationen der Arbeiterschaft und die Betriebsräte werden es nicht zulassen, daß der Arbeiter durch ein Höchstpensumsystem 1 ), verbunden mit Formen des Schnelligkeitsakkords, ausgepreßt wird und später dem Elend und der sozialen Fürsorge und Armenpflege überlassen wird. Die Tarifverträge sollen j a dazu dienen, dem Arbeiter größere Sicherheit seines Arbeitseinkommens und gesunde Arbeitsbedingungen zu geben. Der Arbeiter soll vor Ausbeutung geschützt werden. Darin liegt die sozial-ethische Bedeutung der Tarifverträge. Daß die Entwicklung des kollektiven Arbeitsvertrages in manchen Fällen auch Gefahren mit sich bringt, soll nicht verschwiegen werden. Man denke an die große Abhängigkeit der Produktion von der Gewerkschaftspolitik und der Politik der Arbeiterführer, an die Durchdrückung unbilliger Forderungen durch politische Machtmittel, an die Verbeamtung der Arbeiterschaft, an den manchmal sich breit machenden Gesinnungszwang. Manche verweisen auch auf die Zurückdrängung der Akkordarbeit. Dieser Grund ist jedoch, wie die Praxis zeigt, nicht stichhaltig; denn durch Tarifverträge kann sehr wohl auch das Akkordwesen gut geregelt werden. Auf der Gegenseite stehen diesen Schäden, die keineswegs einzutreten brauchen, gegenüber: die Koalitionsfreiheit der Massen, die Mitwirkung an der Reglung der Arbeits- und Lohnverhältnisse, die Verbesserung der wirtschaftlichen und allgemeinen Lage des Arbeiterstandes, besonders die Erlangung besserer Arbeits- und Lohnbedingungen, die Hebung der Konsumtionskraft und der Gesundheit der arbeitenden Klassen, die bessere Durchorganisierung der deutschen Arbeitgeberund Arbeitnehmerschaft, der Zwang zur Arbeitsökonomie, die Verhinderung vieler Streitigkeiten und die Anbahnung eines besseren Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. E s ist ohne weiteres klar, daß durch die Arbeitsgemeinschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Forum geschaffen wird, vor dem auch die Vorzüge und Nachteile des Taylor*) E s handelt sich nicht um ein Pensumsystem, sondern um ein Höchstpensumsystem.

133 systems eingehend geprüft werden können. Alles sozial Schädliche des Taylorsystems wird sich nicht durchsetzen können, mag es die amerikanische Sonne auch noch so sehr vergolden. Eine eingehende Prüfung des Taylorsystems durch sachverständige Praktiker, durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Sozialpolitiker, Volkswirtschaftler, Ärzte und Psychologen ist dringend nötig, damit uns das Brauchbare der Taylorprinzipien zugute kommen kann.

Arbeitsordnungen. Die Tarifverträge können grundsätzlich alle Fragen des Arbeitsverhältnisses regeln, also auch alles, was sonst in Betriebsordnungen festgesetzt werden kann. Der Tarifvertrag geht auch stets der Betriebsordnung vor. Eine solche Festsetzung der Arbeitsverhältnisse bis ins kleinste durch Tarifverträge ist jedoch praktisch nur bei Firmentarifen möglich. Die Vielseitigkeit der Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse erfordert für jeden Betrieb eigene Vereinbarungen zwischen dem Unternehmer und der Arbeiterschaft des Betriebs. Es sind dies die Arbeitsordnungen. Die Arbeitsordnungen sind in allen Betrieben mit über 20 Arbeitnehmern zu errichten. Sie kommen durch Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, bzw. dem Arbeiter- oder Angestelltenrat zustande (B.R.G. §§ 78, 80, 66, 75). Nach § 134b der R.G.O. (Reichsgewerbeordnung) müssen sie Bestimmungen über Arbeitszeit und Pausen, Lohnzahlungsweise, Kündigungszeit und Ordnungsstrafen enthalten. Außerdem können Ordnungs- und Wohlfahrtsbestimmungen aufgenommen werden. Vom Reichsarbeitsministerium wurde eine Normalarbeitsordnung als Muster herausgegeben. Diese ist zwar für den einzelnen Betrieb nicht verpflichtend, hat aber dennoch stark tariflichen Charakter erlangt.

Betriebsräte. Außer durch Tarifverträge und Arbeitsordnungen hat die Arbeiterschaft durch die Betriebsräte starken Einfluß auf die Arbeitsverhältnisse des Einzelbetriebs. In allen Betrieben, die in der Regel mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigen, sind

134 Betriebsräte zu wählen. In kleineren Betrieben vertritt ein Betriebsobmann die Stelle der Betriebsräte. Diese Räte gliedern sich: A. in den B e t r i e b s r a t als Vertreter sämtlicher Arbeitnehmer des Betriebs und B. in die G r u p p e n r ä t e (Arbeiter- und Angestelltenräte) als Vertreter einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern des Betriebs. Die einzelnen Betriebsräte sind in Betriebsrätezentralen, diese wieder zu einer Reichsorganisation zusammengeschlossen. Die Räte haben soziale und wirtschaftliche Aufgaben, nämlich: I. die gemeinsamen Interessen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen (Betriebs- und Gruppenräte), II. an der Betriebsleitung mitzuwirken (nur die Betriebsräte). Als Mindestaufgaben, die jederzeit durch Tarifverträge erweitert werden können, sind für die Räte festgelegt: I. Wa"hrung der gemeinsamen I n t e r e s s e n der Arbeitnehmer: A. durch den B e t r i e b s r a t (§66): 1. Überwachung der Durchführung der maßgebenden Schiedssprüche, 2. Mitbestimmung der für die Arbeitnehmer gemeinsamen Dienstvorschriften im Rahmen der geltenden Tarifverträge 1 ), 3. Unterstützung und Vertretung berechtigter Beschwerden, 4. Mitwirkung am Gesundheitsschutz; der Betriebsrat hat auf die Bekämpfung der Unfall- und Gesundheitsgefahren im Betriebe zu achten, die Gewerbeaufsichtsbeamten durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen und auf die Durchführung der gewerbepolizeilichen Bestimmungen hinzuwirken. ') Erfolgt keine Einigung, so entscheidet der Schlich tungsaussc.huü.

135 5. Anrufung des Schlichtungsausschusses bei erfolglosen Einigungsverhandlungen, 6. Mitwirkung bei der Verwaltung der Betriebswohlfahrtseinrichtungen, 7. Mitwirkung bei Masseneinstellung und Massenentlassung von Arbeitern infolge Erweiterung, Einschränkung oder Stillegung des Betriebs, Einführung neuer Techniken oder neuer Betriebs- und Arbeitsmethoden. B. durch die G r u p p e n r ä t e (§78): 1. Überwachung der Durchführung der maßgebenden Arbeitsbedingungen — der gesetzlichen Vorschriften, Tarifverträge, Schiedssprüche, 2. Mitbestimmung der Arbeitsordnung, der Dienstvorschriften und bei der Festsetzung von Strafen. Kommt bei diesen drei Arten der Mitbestimmung keine Einigung zustande, so entscheidet der Schiedsspruch des Schlichtungsausschusses, 3. wie bei Betriebsrat unter A, 3, 4. wie bei Betriebsrat unter A, 4. Außerdem Mitwirkung bei der Beschädigtenfürsorge der Kriegsund Unfallbeschädigten (Sorge für angemessene Beschäftigung), 5. Mitwirkung bei der tariflichen Regelung durch die Berufsorganisation, besonders bei Festsetzung der Akkord- und Stücklohnsätze, Einführung neuer Löhnungsmethoden, Festsetzung der Arbeitszeit, Regelung des Urlaubs, Erledigung von Beschwerden über Ausbildung und Behandlung der Lehrlinge des Betriebs. Falls eine solche tarifliche Regelung noch nicht besteht, sind Gruppenrat und Betriebsrat nicht berechtigt, sie selbständig mit dem Arbeitgeber zu treffen. 6. Mitwirkung bei Einstellung, falls hier nicht tarifliche Regelung besteht, sind Richtlinien für die Einstellung von Arbeitern mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Mitwirkung bei der Entlassung.

136 II. M i t w i r k u n g an der B e t r i e b s l e i t u n g . B.R.):

(Durch den

1. Wahrung des Arbeitsfriedens durch Förderung des Einvernehmens innerhalb der Arbeiterschaft, sowie zwischen ihr und dem Arbeitnehmer. Der Betriebsrat hat hinzuwirken, daß der Betrieb vor Erschütterungen bewahrt wird, und daß beide Seiten Forderungen unterlassen, die das Gemeininteresse schädigen (§ 68), 2. Beratung der Betriebsleitung, um mit ihr für einen möglichst hohen Stand und für Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen zu sorgen. Diese Beratung kann sich auf alle produktionswirtschaftlichen Maßnahmen erstrecken, also auf Einkauf, Absatz, Art, Umfang und Organisation der Produktion, auf Arbeitsmittel (Werkzeuge, Maschinen, Apparate, Betriebseinrichtungen), auf Finanzpolitik des Unternehmens usw. E s steht im freien Ermessen des Arbeitgebers diese Ratschläge zu befolgen. E r hat sie nur zu prüfen, 3. fördernde, beratende Mitarbeit bei Einführung neuer Arbeitsmethoden *). Das Betriebsrätegesetz greift ein in das Vertragsrecht, das Verbandsrecht und das Schutzrecht der Arbeiter. Für den Unternehmer bedeutet die Durchführung des B . R . G . eine Beschränkung seiner bisher vollen Verfügungsfreiheit die Personalverhältnisse selbständig zu regeln und die Arbeitsordnung allein aufzustellen. Der Unternehmer hat dem Betriebsrat auf Verlangen nicht nur über alle Betriebsvorgänge, die die Tätigkeit der Arbeitnehmer berühren, Aufschluß zu geben (soweit dadurch kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis gefährdet wird) sondern ihm auch die Lohnbücher, ferner die ') »Weder kann der Betriebsrat die Einführung einer neuen Arbeitsmethode selbst verlangen, noch kann er umgekehrt ihre Einführung durch den Arbeitgeber verhindern. E r ist vielmehr nur berechtigt und verpflichtet, dem Arbeitgeber die Erfahrungen und Ansichten der Arbeiterschaft mitzuteilen und sich an Verbesserungsversuchen zu beteiligen. Der Arbeitegeber ist verpflichtet, die vom Betriebsrat gemachten Vorschläge oder geäußerten Bedenken entgegenzunehmen und pflichtgemäß zu prüfen«. K a s k e l , S. 205.

137 zur Durchführung von bestehenden Tarifverträgen erforderlichen Unterlagen und einen Betriebs- und Geschäftsbericht (alle y 2 Jahre) vorzulegen. Außerdem ist in Betrieben mit wenigstens 300 Arbeitern oder 50 Angestellten eine Betriebsbilanz und eine Betriebs-Gewinn- und Verlustrechnung (jedoch nicht die Unterlagen hierzu) dem Betriebsrat vorzulegen. Wo ein Aufsichtsrat besteht, sendet der Betriebsrat ein oder zwei Betriebsratsmitglieder zu den Sitzungen zum Zwecke der Interessenvertretung der Arbeiterschaft und der Vertretung ihrer Ansichten und Wünsche bezüglich der Organisation des Betriebs. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gibt es jedoch nur in Fragen der Arbeitsleistung und des Arbeitsverhältnisses, für die Gruppenräte nur in bezug auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Gruppe. Die Räte haben also kein Verfügungsrecht über Kapitalgüter und Betriebseinrichtungen. Ein direkter Eingriff in die Betriebsleitung steht ihnen nicht zu. Dies würde ja sonst eine einseitige Herrschaft der Arbeitnehmer und damit die entschädigungslose Zwangsenteignung oder Sozialisierung der Unternehmer zugunsten der zurzeit zufällig im Betrieb beschäftigten, einseitig interessierten Arbeiter bedeuten, die noch dazu in der wirtschaftlichen Betriebsführung oft sehr wenig Erfahrung haben. Die Ausführung der gemeinsamen Beschlüsse der Leitung und des Betriebsrates übernimmt die erstere. Das B . R . G . versucht also das große Problem der besten Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer Lösung entgegenzuführen. Die Kenntnisse der Arbeiterschaft sollen dem Betrieb zugute kommen. Ein besseres Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eine enge Interessengemeinschaft soll entstehen. Viele Betriebsleiter stehen freilich dieser neuen Ordnung höchst mißtrauisch gegenüber. Sie glauben nicht, daß durch diese »Rätewirtschaft« die Produktion gesteigert wird. In allen Verhandlungen zeige sich ein Machtübergewicht der Arbeiterschaft, das führe zu ungesunder Lohnsteigerung und öffne der Parteipolitik Tor und Tür auch in den Betrieben. Der Betriebsrat wird zum politischen Instrument der Gewerkschaften. Die Betriebsversammlung sei der Massensuggestion

138 ausgesetzt. Vielfach seien politische Schreier und Hetzer, statt einsichtige, verantwortungsvolle Arbeiter in den Betriebsund Gruppenräten. Durch Pfuscher, Dilettanten und fanatische Eigenbrödler könne aber in keiner Weise den Betriebsinteressen und den Interessen der Volkswirtschaft Rechnung getragen werden. Der Arbeiter werde überdies durch die Tarifverträge weit mehr zu einer fungiblen Ware als bisher. Individuelle Leistungen setzen sich jetzt oft weit schwerer durch, da die TarifVerträge eine allgemeine Gleichmacherei begünstigen. Auch bekannte Sozialpolitiker, die stets ein Herz für die Arbeiterschaft zeigten, können große Bedenken nicht unterdrücken. Dr. Ludwig H e y de, der Generalsekretär der Gesellschaft für Soziale Reform, Berlin (s. Anm. 3, S. 117/118) hält die verantwortliche Mitwirkung der Arbeiterschaft an der sozialen Entwicklung des Betriebs für durchaus berechtigt, die Mitwirkung an der Wirtschaftsentwicklung des einzelnen Werkes durch den Mangel der Vorbildung des Arbeiters für diese Aufgabe für ein verfrühtes Experiment. »Die Arbeitsgemeinschaften sind die zeitgemäßen Formen der Mitwirkung der Arbeiter an der Produktion. Der gewagte Schritt, diese Mitwirkung in den einzelnen Betrieb zu verlegen, kann sich infolge der im B.R.G. enthaltenen Kautelen bewähren, kann aber auch zu einem Fehlschlag führen 1 )«. Selbst aus Gewerkschaftskreisen haben sich äußerst pessimistische Stimmen erhoben. So äußerte der Vorsitzende des Metallarbeiterverbandes, der größten Gewerkschaft Deutschlands, auf dem Betriebsrätekongreß Berlin 1920: »Heute schon hat in einzelnen Betrieben der Betriebsrat derart abgewirtschaftet, daß es nicht möglich ist, bewährte Leute auf diesen Posten zu bringen. Die Massen sind noch zu wenig geschult und laufen immer noch willenlos Hetzern nach.« Diese große Gefahr besteht besonders in den Großbetrieben der Großstädte; denn hier sind einerseits die Aufgaben der Betriebsleitung und des Betriebsrats viel schwieriger wegen der Größe des Betriebs und der oft schwierigen Arbeiterverhältnisse. So kommt es, daß heute Mittel- und Kleinbetriebe oft viel wirtschaftlicher arbeiten als diese großen Gebilde. Im ') H e y d e , Sozialpolitik, 1920, S. 1 5 1 .

139 Großbetrieb macht sich nur zu oft bei den Arbeitern die Meinung geltend, auf die einzelne Arbeitskraft komme es nicht so sehr an. Bei kleineren Verhältnissen wirkt schon der innigere Kontakt zwischen Arbeiter und Leitung und das mehr persönliche Verhältnis aller Betriebsangehörigen günstiger auf die Gesamtleistung. Es bildet sich mehr das Gefühl heraus, daß Unternehmer und Arbeiterschaft aufeinander angewiesen sind und daß größte Wirtschaftlichkeit und höchste Löhne ohne verständnisvolle Zusammenarbeit nicht zu erreichen seien. Einfluß der Betriebsräte auf die Werkpolitik. Nach so kurzer Zeit ihrer Tätigkeit läßt sich natürlich kein direktes Urteil über die Betriebsräte bilden. Die Verhältnisse liegen auch zu verschieden. Sind erfahrene alte Arbeiter im Betriebsrat, die den Betrieb durch und durch kennen, und hat die Leitung das richtige Verständnis für eine Mitwirkung der Arbeiterschaft, so können sicherlich die Räte auch fördernd auf die Produktion wirken. Dies geben auch einsichtige Arbeitgeber jederzeit zu. Manche von ihnen haben es bereits verstanden die Betriebsräte zu wertvollen Helfern heranzuziehen. Viel kommt dabei auf die Personen an, die in die Räte gewählt werden, sehr viel aber auch auf den sozialen Geist des Arbeitgebers. N a u m a n n sagt: »Nachdem sie (die Unternehmer) gelernt haben, das Eisen und die Materie zu behandeln, da sollen sie noch lernen, das einzelne Menschenexemplar als Rohstoff edelster Art zu verarbeiten für die Zukunft; denn aus aller dieser Mechanik und Technik ergibt sich als das Problem der nächsten großen Periode: wie werdet Ihr im Maschinenzeitalter die Menschen behandeln, damit der Mensch nicht bloß Maschine sei, damit der Mensch nicht untergehe in den ewigen Rotationen« 1 ). Das Betriebsrätegesetz ist der große Versuch, diesem Problem näher zu kommen. Unser ganzes Wirtschaftsleben kann nur gedeihen, wenn auch die Unternehmer diese neue Wirtschaftsgesinnung mitbringen, wenn sie sich von dem geistigen Umwandlungsprozeß des neuen Zeitalters beeinflussen lassen, wenn sie im Arbeiter ') N a u m a n n , indem »blauen Buch vom Vaterland und der Freiheit«. (Langewiesche, Leipzig).

140 nicht mehr einen Maschinenteil, sondern einen Nebenmenschen sehen, der sich auch als persönliches und nicht bloß als sachliches Betriebsglied fühlen soll. Bis jetzt kannte der Unternehmer den Arbeiter oft nur als Marke und Nummer und vergaß dabei ganz die menschliche Seite des Betriebsverhältnisses, vergaß vor allem, daß seine Betriebsarbeiter auch Menschen sind vom gleichen Fleisch und Blut, Geist und Willen wie er und mit demselben Recht auf Dasein und Berufsfreude und persönlicher Wertung. E r stand ihnen also fremd und kalt gegenüber. Aber die Zeit hat sich gegen dieses Maschinensklaventum aufgebäumt und wir sind in der größten Produktionskrisis nicht nur wegen Rohstoffmangel sondern vor allem auch, weil in der Unternehmerschaft dieser Umdenkungsprozeß nicht mit der Zeit fortgeschritten ist. Die Unternehmer haben vielfach diese große völkische und soziale Umbildung noch nicht begriffen. Viele leben immer noch in dem Wahn, daß die Möglichkeit bestehe diese Bewegungen aufzuhalten. Dabei zeigt die ganze soziale Entwicklung der letzten hundert Jahre, daß alle Versuche, die der Arbeiterbewegung Halt gebieten wollten, mißglückt sind, und daß sich berechtigte Ideen durchringen, mag man sich ihnen entgegenstellen oder nicht. Faßt man die letzten Jahrzehnte als eine Zeit auf, in der die politische Macht der Arbeiterschaft nicht in dem Maße wuchs, wie es der Bedeutung ihrer Masse entsprach, so wird man die Wehen unserer Zeit vielleicht um so besser verstehen 1 ). ') Vor 100 J a h r e n h a t t e n 4 / s der Bevölkerung Deutschlands landwirtschaftliche B e r u f e . E i n B i l d über die rasche Industrialisierung Deutschlands geben die drei großen Berufszählungen von 1882, 1895 und 1907 (letzte Berufszählung). Ü b e r s i c h t ü b e r die Berufsgliederung: 1882 Landwirtschaft . . Industrie Handel u . V e r k e h r . Sonstige

19225455 16058080 4531 080 b 407 4 9 8 4 5 2 2 2 113

% ] 42.5 35.5 10 12

1907

0/ 10

17 681 176

28.7

26386537 8278239

27.1 0 0

42.7 13-4 15,2

44.1 13.7 '5-'

9 374 577

1919

01 10

/o 0/ ,0

1 61 720 529'

Die Zahlen f ü r 1 9 1 9 sind Schätzungen des Statistischen Reichsa m t e s für das neue verkleinerte Deutschland. Siehe »Wirtschaft und Statistik«, J a n u a r h e f t 1920.

141 Deutschland und Österreich hat ein Betriebsrätegesetz. In England hat die Betriebsrätebewegung großen Boden gewonnen. Auch andere Staaten werden diesem großen sozialen Druck nachgeben müssen. Überall hat der Krieg die gesellschaftlichen Grundlagen verschoben, die sozialen Aufgaben des Staates ungeheuer erweitert. Der Arbeiter geht als Sieger aus dem Krieg hervor. Seine Gewerkschaften und seine Parteien sind die stärksten Machtfaktoren der Sozialpolitik. Die ganze Betriebspolitik muß in unserem Zeitalter des allgemeinen Wahlrechts und der unbedingten Rechtsgleichheit aller Volksgenossen vom genossenschaftlichen Geist durchweht sein; denn die Idee der Mitbestimmung der Arbeiter bei Regelung der Arbeitsverhältnisse kann nicht mehr aus der Welt geschafft werden. Die Betriebspolitik wird sich vielfach umstellen müssen. Der Arbeiter soll mehr mit dem Betriebe verwachsen, soll ihn mehr verstehen lernen. Die Betriebs- und Gruppenräte werden sein Interesse für das eigne Werk steigern. Auch die Betriebsleitung kann die seelische Grundstimmung, die für ein enges Zusammenarbeiten zwischen Unternehmer und Arbeiter so nötig ist, fördern. Die ganze Zeitlage bindet ja den Arbeiter enger an den Betrieb (Wohnungsnot, dadurch Behinderung der Freizügigkeit; die Schwierigkeit, wo anders Arbeit zu bekommen; die Gleichmäßigkeit der Arbeits- und Lohnbedingung durch tarifliche Regelung). Jeder Betrieb, der sich vor zukünftigen Erschütterungen bewahren will, muß von sozialem Geiste durchdrungen sein und sich mit aller K r a f t auf den Boden der neuen Verhältnisse stellen. Man muß eben nicht nur die rein wirtschaftlichen sondern auch die psychologischen, gesellschaftlichen, politischen, ethischen und sozialen Bedingungen rationeller Betriebsarbeit erkennen. Hier zeigt sich der geschickte, anpassungsfähige, moderne Betriebsleiter, der nicht nur mit technisch wirtschaftlichen Werten sondern auch mit Menschen rechnen kann. Revolution und Arbeitergesetzgebung bedeuten für Fast der ganze Bevölkerungszuwachs von 1882—1907 kam Industrie und Handel zugute. Die weiblichen Erwerbstätigen betrugen 1882 18,4%, 1907 30,4% der ganzen weiblichen Bevölkerung. S. Anhang über Gewerkschaftsentwicklung. Deutschland hat Ende 1920 ca. 11 Mill. gewerkschaftlich organisierte Arbeiter.

142 ihn nur eine Störung des Gleichgewichts, die möglichst bald wieder durch eine veränderte Einstellung der Produktionsfaktoren, der Menschen, der Arbeitsweise und der Organisation überwunden werden muß. Seine Geschicklichkeit im Harmonisieren, ökonomisieren, Ausgleichen und Versöhnen und sein menschlicher Sinn und offenes gerades Wesen werden ihm auch unter der neuen Betriebsform Erfolge erzielen lassen. »Die kommende Zeit wird noch stärker einen anderen komplizierteren Typ des Betriebsleiters erfordern. als die Epoche des rein industriellen Imperialismus verlangte. Sie wird von ihm neben dem tüchtigen Techniker, dem gewiegten Kaufmann und der energischen Persönlichkeit auch den Arbeiterkenner, den Mann des sozialen Blickes verlangen, der auch auf dem zwar grobfädigen, aber bedeutungsvollen Gebiet der Verhandlungs- und Behandlungsdiplomatie zu Hause ist. Dieser Typ wird sich bei den heutigen Verhältnissen zweifellos leicht entwickeln können und seine bereitwillige Züchtung kann für die deutsche Industrie auf dem problematischen Feld der Beziehungen zwischen Unternehmertum und Arbeiterschaft nur fruchtbar, fördernd und entspannend sein. Hierbei wird der Techniker vor dem Kaufmann den Vorzug haben, mit dem Arbeiterbewußtsein besser aus eigener Praxis vertraut zu sein. Die praktische Ausbildung unserer Ingenieure muß daher unter diesem Gewichtswinkel mehr als bisher eingeschätzt werden. Der Kaufmann wird sich hingegen besser auf die Behandlung von Angestelltenfragen verstehen. Bei Mammutwerken und Konzernen ist die Anstellung eines Sozialdirektors, dessen Durchbildung theoretisch wie praktisch allerdings sehr sorgfältig sein muß, angebracht, wie das zum Teil geschieht. Beim Einzelwerk ist die Arbeit eines Sozialsekretärs, der nicht nur den Berater der Werkleitung auf dem immer komplizierter werdenden Gebiete des Arbeitsrechts vorstellt, sondern darüber hinaus in praktischer Sozialpolitik, in der Verhandlungstechnik, sowie der Beurteilung politischer Zeitströmungen bewandert ist, zweifellos recht wirksam. Auf jeden Fall ist energisches Loslösen von der Kabinettsatmosphäre und interessantes Hineinwagen in die Probleme der heutigen verwickelten Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unbedingt erforderlich, wenn großzügig und erfolg-

143 reich Werkpolitik getrieben werden soll«. »Auf persönlichem Gebiete handelt es sich vor allem darum, die menschliche Brücke vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer, die in vielem, vor allem in großen und mittleren, für die wirtschaftliche Linienführung ausschlaggebenden Werken zum Teil nicht mehr bestand, wieder zu schlagen und auf ihr eine Wiederannäherung der durch die leidige soziale Kluft getrennten Geister zu ermöglichen, die uns so bitter not tut. Sie geschieht viel inniger und fruchtbarer als in den offiziellen Arbeitsgemeinschaften, den industriellen Selbstverwaltungskörpern oder den politischen Parteien in der Zelle der Produktion selbst, innerhalb der beruflichen Tätigkeit, wo der erfahrene tüchtige Werkorganisator und der ältere fabrikvertraute Arbeiter sich unmittelbar mit sachlicher Achtung vor den unzweifelhaften Qualitäten eines jeden von beiden begegnen können. Das Betriebsrätegesetz ist trotz sehr vieler Mängel geeignet, das Schlagen dieser Brücke zu unterstützen. Man kann die Erfahrung machen, daß Betriebsräte nicht allzu radikaler Färbung, denen ein in Arbeiterfragen praktisch bewanderter Arbeitgeber mit sozialem Verständnis, der vor allem auch den rechten Ton zu treffen weiß, gegenüber sitzt, allmählich bei der Verhandlung von Werkangelegenheiten und Einbringung von Forderungen viel sachlicher, vorsichtiger und praktischer werden. Dabei wird dann in vielen Betrieben der Traditionsfehler bloßgelegt, daß früher oft kein persönlicher oder ungenügender Kontakt zwischen Betriebsleitung und Arbeiterschaft bestand, die oft zu sehr nach Kontrollnummern und Lohnlisten bewertet wurde, während anderseits der Arbeiter oft von der Tätigkeit des Betriebsleiters und hohen Verwaltungsbeamten keine genügende klare Vorstellung hatte, die ihm seinen Vorgesetzten auch als fleißigen Arbeiter, allerdings in einer höheren, dafür aber weit verantwortungsreicheren Sphäre, erscheinen ließ, sondern sich bei seinem primitiven, durch Sinneseindrücke so leicht beeinflußten Urteil gerne vom Auto, dem Diplomatenschreibtisch und dem Verhandlungssessel verwirren ließ«1). ') Joseph W i n d s c h u h , Werkpolitik, Deutsche Bergwerkszeitung, i. Januar 1921.

144

Taylorsystem und deutsche Organisation. Zeitstudien, E r m ü d u n g s s t u d i e n ,

Unterweisungskarte.

Zeitstudien 1 ). In der Geschichte der Wissenschaften zeigt sich öfter, daß die größten Fortschritte einer Wissenschaft oft auf die Entdeckung neuer oder auf die Verbesserung der bisherigen Untersuchungsmethoden zurückzuführen sind. Dasselbe gilt auch auf dem Gebiete der Betriebswissenschaft. Taylor (und seine Schule) ist der Bahnbrecher in der Anwendung experimenteller Beobachtungsmethoden auf das Betriebsleben unH seine ökonomische Gestaltung. Betriebs-, Arbeitsund Menschenanalyse sind ihm die Mittel zur Erkennung aller Zeit- und Kraftvergeudung, zur besten Ausnützung der wirtschaftlichen Güter und der menschlichen Kräfte und Anlagen. Der Kapitalaufwand pro Produktionseinheit soll verringert werden durch Anwendung bester Arbeitsmittel, zeitsparender Verfahren und durch Steigerung der menschlichen Arbeitsproduktivität (zweckmäßige personelle Gliederung, Arbeitsteilung und Arbeitsverbindung, Anleitung und Erziehung, Rhythmisierung und Mechanisierung, Interessierung des Arbeiters am Arbeitsprodukt und Arbeitserfolg durch Lohnsystem, Erfinderschutz und menschliche Behandlung). Die Zeitstudie ist für T a y l o r das große Mittel für technisch-wirtschaftliche Rationalisierung des Arbeitsprozesses und zur Steigerung der menschlichen Leistung. Der erste Zweck berührt entweder die menschliche Arbeit gar nicht oder nur in geringem Grade. Zeitstudien dienen in diesem Fall zur Verbesserung der Arbeitsmittel und Arbeitseinrichtungen und der Organisation der Arbeit. Die Zeitstudie kann hier äußerst segensreich wirken. So können Fehler und Mißstände der Organisation aufgedeckt werden. Auch ermöglichen Zeitstudien eine bessere Arbeitsvorbereitung (rechtzeitige und leichtere Materialzuführung, richtige Auswahl und Bereitlegung aller Arbeitshilfen), die Schaffung bequemer arbeitsparender Einrichtungen, Werkzeuge, Apparate und Maschinen, die Nor') studien

Über Geschichte der Z e i t b e o b a c h t u n g , Zeitstudien, S. 68/69.

Bewegungs-

145 mung der Produktion, die Einführung wirtschaftlicher Verfahren, bessere Verwaltung und bessere Kalkulation, kurz: eine bessere Ausnützung der Organisationsmöglichkeiten. Man denke z. B. an die Rationalisierung der Bauarbeit durch G i l b r e t h . Welch eine Fülle von Verbesserungen und Ersparnissen an Kraft und Zeit! So können also in vielen Betrieben durch Zeitstudien Zeitverluste vermieden werden (besonders auch solche, welche ohne Verschulden des Arbeiters entstehen), Arbeits- und Betriebsstoffe erspart und Betriebsmangel verhindert werden. Auch für die Konstruktionsarbeit ergeben sich mannigfache Verbesserungen. So können bei der Konstruktion von Maschinen und Werkzeugen die kürzesten Griffzeiten der Bedienungsmannschaft berücksichtigt werden. Auch kann aller unnötige Kraftverbrauch des Arbeiters möglichst verhindert werden. Sowohl die Taylorschule als auch unsere wissenschaftlichen Institute zeigen uns, daß selbst die einfachsten Handwerkszeuge auf diese Weise vielfach verbessert werden können. Zeitstudien sind also für die Praxis und für die Entwicklung der Betriebswissenschaft außerordentlich wichtig. Geradeso wie die experimentelle Psychologie durch Anwendung des Experiments in den letzten 40 Jahren einen staunenswerten Aufschwung genommen hat, wird auch die wissenschaftliche Betriebslehre bei Anwendung exakter Forschungsmethoden ein umfangreiches Material zutage fördern, das der Praxis fruchtbare Anregung geben kann. Gegen Zeitstudien als Forschungsmittel wird niemand etwas einzuwenden haben, auch nicht gegen ihre Verwendung zur rein technisch-wirtschaftlichen Rationalisierung des Produktionsprozesses und der Arbeitsmittel. Anders ist es jedoch, wenn Zeitstudien zur Festsetzung von Zeitnormen für die menschliche Arbeit verwendet werden. Nicht die Zeitstudie an sich ist hier schädlich, sondern nur ihre falsche Anwendung. Sind doch auch Zeitstudien in einer rein sozialisierten Wirtschaft denkbar, um der besten Ökonomisierung der Produktion zu dienen und um jede menschliche Kraftvergeudung zu vermeiden. Sicherlich können auch heute sozialdenkende, psychologisch geschulte Betriebsleiter durch Zeitstudien ungeheuere Ersparnis an Menschenkraft und somit an Kosten erreichen, ohne daß dabei der Arbeiter mehr anS ü l l h e i m , Taylorsystem.

IO

146 gestrengt wird als früher. Der springende Punkt des Problems ist also nicht die Zeitstudie an sich, sondern die bindenden Zeitnormen in der Form der Taylorschen Unterweisungskarte, welche die Aufmerksamkeit der Sozialpolitiker auf sich lenken. Die ganze Methodik dieser Zeitstudien, welche sich mit der menschlichen Arbeit beschäftigen, steht heute noch auf sehr schwankenden Füßen. In Amerika wurde von T a y l o r , Thompson, Gilbreth, Barth, Hathaway, Lichtner, G e r b e r , M e r r i c k an ihrer Verbesserung gearbeitet. Das letzte Grundwerk über Zeitstudien bildet das 1919 erschienene M e r r i c k s c h e Buch »Time studies as a basis for Rate Setting«, das noch unter der Anleitung T a y l o r s entstand und eigentlich dessen Vermächtnis bildet. Man merkt gar bald, die ganze Methodik ist eigentlich seit 1881, wo T a y l o r schon Zeitstudien machte, sehr wenig vorwärts gekommen. Zeitstudien waren T a y l o r in erster Linie ein Mittel zur gerechten Lohnfestsetzung. Dies kommt nicht nur in seiner Erstlingsschrift »A Piece Rate System« (1895) zum Ausdruck sondern auch 1903, 1 9 1 1 und bei M e r r i c k 1919. Der Name Zeitstudien tritt bei T a y l o r erst 1903 in »Shop Management« auf, wo er das Verfahren näher beschreibt. 1 9 1 1 steht T a y l o r in seinen »Principies« noch genau auf demselben Standpunkt, doch weist er hier zum ersten Mal auf die G i l b r e t h s c h e n Bewegungsstudien hin und ein Jahr später in einem Vortrag auf die »Übertragung der Geschicklichkeit«, nachdem dies schon G i l b r e t h y 2 J a h r vorher in seinem Buche »A Primer of Scientific Management« (1912) getan hatte. In der Bewegungsstudie bleibt G i l b r e t h ührend. Siezielt hauptsächlich hin auf die Ermittlung der besten Bewegung, des e i n e n b e s t e n Verfahrens (räumlicher Bewegungsverlauf), die Zeitstudie hauptsächlich auf die Feststellung der kürzesten Zeit (zeitlicher Bewegungsverlauf). Organisationsstudien bezwecken die beste Art des Zusammenarbeitens) Arbeitsteilung, Arbeitsverbindung, Zwangsläufigkeit, der wirtschaftlichsten sachlichen, räumlichen und personellen Gliederung, Aufsicht und Kontrolle). T a y l o r beschreibt sein Zeitstudien verfahren am besten in seinem Bericht für die American Society of Mechanical Engineers vom Dezember 1 9 1 2 , der, von mir gekürzt und mit Ausrufezeichen versehen, hier wiedergegeben wird.

147

Z e i t s t u d i e n v e r f a h r e n T a y l o r s : Analysierung der Arbeit durch Zeitmessung der Elementarbewegungen (!). Überflüssige (!) Bewegungen aussuchen (!) und ausschalten. Die Art und Weise, wie mehrere geschickte Arbeiter (Taylor spricht hier nicht von erstklassigen Arbeitern) jede Elementarbewegung ausführen, ist nacheinander zu ermitteln und mit Hilfe der Stoppuhr ist das in dem betreffenden Gewerbe bekannte schnellste und beste Verfahren zur Verrichtung jeder dieser Elementarbewegungen festzustellen. Sorgfältigste Klassifizierung der mit genauen Zeitangaben versehenen Elementarbewegungen. Ermittlung der Zuschlagszeiten für Störungen, Einübung (!), Ermüdungsausgleich (!). Oft verwendungsfähige Bewegungsreihen in Gruppen zusammenfassen und gut klassifizieren, so daß sie jederzeit gebrauchsbereit. An der Hand dieser Nachweise wird es verhältnismäßig leicht sein, die geeignete Reihe von Bewegungen auszuwählen, die ein Arbeiter bei der Herstellung irgendeines besonderen Gegenstandes verwenden sollte. Durch eine Zusammenzählung der Zeiten dieser Bewegungen und durch Hinzufügung der entsprechenden Zuschläge muß es möglich sein, die zur Verrichtung fast jeder Arbeit erforderliche Zeit festzustellen. (Nach dem lesenswerten Büchlein von J . M. W i t t e , Kritik des Zeitstudienverfahrens, S. 16—19). Am ausführlichsten sind die T a y l o r sehen Zeitstudien in dem Werk von M e r r i c k , Time Studies as a basis for Rate Setting (New York 1919, Ind. Mang.) beschrieben. In Deutschland beschäftigt sich außer wissenschaftlichen Instituten besonders der A u s s c h u ß f ü r Z e i t s t u d i e n beim A. w. F. (Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung) mit diesen Problemen. Der Obmann dieses Ausschusses, Oberingenieur Michel, gibt in seinem lesenswerten Buche »Wie macht man Zeitstudien ?« einen Überblick über den bisherigen Stand der Methodik und die zukünftigen Aufgaben auf dem Gebiete der Zeitstudien. Er unterscheidet: 1. Bewegungsstudien | 2. Leistungsstudien ! Zeitstudien, 3. Produktionsstudien ) Die in die folgende Definition eingefügten Ausrufimgszeichen stammen von mir. 10*

148 »Handelt es sich darum, innerhalb einer gestellten Arbeitsaufgabe Bewegungen bzw. Griffe zu messen (!) oder Komplexe von Griffen, die wir zu Teilarbeiten zusammenfassen, so sprechen wir von Bewegungszeitstudien, kurz Bewegungsstudien. Wollen wir dagegen bei einer Zeitmessung von der Beobachtung einer jeden einzelnen Bewegung absehen (!) und größere Gruppen von Teilarbeiten als Leitungseinheiten untersuchen (!), dann sprechen wir von Leistungszeitstudien oder kurz Leistungsstudien. Wollen wir endlich sogar auf jede (!) Unterteilung der gestellten Arbeitsaufgabe verzichten, und messen die Zeit, während welcher das gewollte Endprodukt oder eine Produktionsmenge hergestellt wird, als ganzes, dann sprechen wir von Produktionszeitstudien oder kurz Produktionsstudien« (Michel). Ich halte diese unklare Definition für nicht gut, denn wo wäre da eigentlich die genaue Grenze zwischen Bewegungsstudien und Leistungsstudien. Übrigens sind sowohl Leistungs als auch Produktionsstudien zugleich Bewegungsstudien. M i c h e l sucht nach Methoden »einfach genug, um von jedermann gehandhabt werden zu können, wirtschaftlich genug, um einem großen Krei9 der Industrie zugängig zu sein, genau genug, um niemanden zu schaden«. Er stützt sich vielfach auf die Nordamerikaner, besonders auf das oben angeführte Werk von M e r r i c k , einem Mitarbeiter T a y l o r s 1 ) . In Deutschland wurden die Zeitstudien bis jetzt nur ganz vereinzelt in Betrieben angewandt. Die ganze Zeitstudienbewegung hat hier einen sehr schlechten Ruf, weil sie in Amerika vielfach im Dienste profitgieriger Unternehmer stand. Es fehlten dort alle Vorsichtsmaßregeln, die eine Ausbeutung der Arbeiter hätten verhindern können. In Taylorbetrieben ') Eine genaue Beurteilung des M i c h eischen Werkes ist Sachc der Wirtschaftspsychologen und der Physiologen. Einige Anhaltspunkte gibt auch die nachfolgende kurze Darstellung über die Schwierigkeiten der Methoden der Zeit- und Ermüdungsmessung. — Wie das Beispiel des Arbeiters, der durch Zeitstudien geschädigt wurde, weil die Leitung sich dadurch seiner Arbeitsvorteile bemächtigte (und zwar gegen seinen Willen), unter das Kapitel »Ideale Seiten der Zeitstudien« kam, ist nicht recht klar. Es paßt eher unter »Arbeiterausbeutung« (S. 76.)

149

wurde auf Arbeiter fast durchweg ein wirtschaftlicher Druck ausgeübt, die Arbeit innerhalb einer bestimmten, hoch angesetzten Minimumzeit auszuführen (Lohnsystem, Entlassungsaussicht). In Deutschland würden sich die Arbeiter sofort gegen eine solche Drangsalierung wehren. Eine Entlassung wegen Nichterreichung des Pensums wäre ausgeschlossen. (Gesetzliche Bestimmungen, Tarifverträge, Arbeitsordnungen.) Bei uns gibt es also kein Zwangspflichtpensum. Ermüdungsstudien.1) Trotz Kraepelin, Rubner, Kent, Lahy, Weber, Durig und anderer Physiologen ist die Arbeitsforschung nicht so weit fortgeschritten, um genaue Größen für die einen Menschen nicht schädigenden Höchstleistungen geben zu können. Es ist überhaupt sehr fraglich, ob dies in absehbarer Zeit erreicht werden kann und ob sie Unterlagen für die Betriebsarbeit dann bilden können. Damit soll aber nicht die Vernachlässigung der Ermüdungsstudien entschuldigt werden, welche sich die Taylorsche Bewegung fast durchwegs zu schulden kommen läßt2). 1)

D u r i g , Die Ermüdung. Prof. Willy H e l l p a c h sagt in seiner Kritik von M ü n s t e r b e r g s »Psychologie und Wirtschaftsleben», Zeitschrift für angewandte Psychologie, Bd. V I I I , Heft 5, 6, S. 576: »Es scheint, die exakte Betriebspsychophysik habe sich in der Ermüdungsfrage bei den gröbsten empirischen Feststellungsmitteln beschieden: beim Augenschein oder den Angaben der Arbeiter oder der Leistungssteigerung. Daß alles dreies trügen kann, sehr oft trügt — auch die Leistungssteigerung, die durch motorische Erregung in der Phase der Ermüdung erzeugt werden kann — gehört zum Alphabet der klassischen Arbeitspsychophysik.« »Aber welche Messungsmethodik den Ermüdungs- und Frische-Feststellungen der Taylorexperimentatoren zugrunde gelegt worden sei — ob man die geringere Ermüdung lediglich aus der quantitativen Leistungssteigerung der in Frage stehenden Arbeit selber abgelesen, oder aus Müdigkeitsangaben der Arbeitenden, oder aus einer Kombination von beidem erschlossen, oder ob man sie etwa durch stundenweis eingeschaltete Kontrollversuche ergographischer, ästhesiometrischer, kombinatorischer, additioneller oder sonstiger Art unabhängig von subjektiven Zeugnissen und unabhängig vom Gang der Hauptarbeit ermittelte: das bleibt uns vorenthalten.« Die Äußerungen Prof. H e l l p a c h s über das Taylorsystem gehören zu den bedeutungsvollsten der ganzen Taylorkritik. Ich verweise außer 2)

150 Die Ermüdung zeigt sich in der Abnahme der Fähigkeit Arbeit zu leisten. Bei jeder Tätigkeit ermüdet nicht nur der betreffende Muskel sondern auch das Gehirn und die Nerven. Dies zeigt sich an der Beeinträchtigung der geistigen Funktionen, an der Abnahme der Empfindungstätigkeit, der Beobachtungs-, Konzentrations-, Assoziations- und Reproduktionsfähigkeit (der Merk- und Urteilsfähigkeit), in der Einschränkung der Phantasietätigkeit, in der Abstumpfung der Gefühle und an einer gewissen Trägheit des Geistes. Man reagiert im ermüdeten Zustande auf Schreckreize langsamer. Die Suggestionsfähigkeit ist größer. Die Verminderung der psychophysischen Energie bedingt eine Verlängerung der Reproduktionszeit, die sich in einer Mengen- oder Qualitätsverschlechterung, in der Abnahme der Kräfte (Ergograph), im Verlangsamen des Arbeitsrhythmus und im Anwachsen der Unfallgefahr zeigt. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß die Steigerung der Betriebsunfälle in bestimmter Beziehung zu den Tagesstunden steht. Dieses Wachsen des Gefahrkoeffizienten ist für manche Berufe wichtig, besonders für die Verkehrsberufe (Schiffsführer, Lokomotiv- und Straßenbahnführer, Weichenzentrale, Flieger). Die Zunahme der Fehlerarbeit verbietet in manchen Berufen von selbst eine zu große Ausdehnung der Arbeitszeit. Auf andere Erscheinungen der Ermüdung, die z. B. eine größere Ungenauigkeit der Aussagen und eine voreilige Urteilsbildung bewirken, will ich hier gar nicht eingehen. Alle diese Ermüdungserscheinungen treten bei den einzelnen Menschen verschieden stark auf. Übermüdung schädigt die einen mehr, die anderen weniger. Niemand kann genau sagen, wo die gesundheitliche Schädigung einer Arbeit für einen Menschen beginnt. Wir haben keine genauen Maßeinheiten für die Ermüdungswirkung einer Arbeit, wie wir sie z. B. für die Zeit (Seder w i c h t i g e n

oben

angeführten

Buchbesprechung

auf:

»Zwei

Fibeln

der gewerblichen P s y c h o t e c h n i k « , E l e k t r o t e c h n . Ztschr. v o m 12. A u g u s t 1920.

»Die geistigen K r ä f t e der W i r t s c h a f t « in T e c h n i k und W i r t s c h a f t ,

Januar

1921;

Beurteilung

von

Lipmanns

»Psychologische

beratung« in T e c h n i k und W i r t s c h a f t , 1918, S. 2 6 1 ;

Berufs-

»Die A u f g a b e n und

Grenzen der gewerblichen P s y c h o t e c h n i k « im T a g v o m 2. A u g u s t 1919. Alle diese A r t i k e l b e s c h ä f t i g e n sich eingehend m i t dem

Taylorsystem.

151 künde) und den Kraftverbrauch (Meterkilogramm) einer Bewegung haben. Bei der Ermüdung gibt es nur ein individuelles Maß. Ermüdungsmessungen haben deshalb nur Geltung für die betreffenden Versuchspersonen, für sonst niemand weiter, und für ganz bestimmte Zeitumstände. Darin liegt die Unmöglichkeit der Aufstellung von Ermüdungsnormen für die menschliche Arbeit. In der Betriebspraxis brauchte man notwenig allgemeine Formeln für die Ermüdungswirkung bestimmter Arbeiten. Allein wir kommen hier zu keinen allgemein gültigen Konstanten, die in genauer Beziehung zu den übrigen Konstanten der Arbeit (Arbeitsleistung, Arbeitszeit) stehen. Es scheitert dies an den individuellen Verschiedenheiten der Menschen. Organismen von Fleisch und Blut, Geist und Willen folgen nicht der toten Materie. Die Menschen sind ungeheuer verschieden nach Gesundheitszustand und körperlicher und geistiger Widerstandsfähigkeit, nach Anlagen, Neigungen und Kräften, Willigkeit und Tatkraft, Auffassungs- und Übungstypus, Ermüdungsgrad usw. Großen Einfluß haben hier Vererbung, Lebensverhältnisse, Lebensbedingungen und das ganze Milieu. Es stellen sich also einer Rationalisierung der Menschenarbeit ungeheure Schwierigkeiten entgegen, sobald man allgemein gültige Arbeitszeitnormen erhalten will1). Ist doch l ) »Ruhig betrachtet hat das Taylorsystem nicht bloß Schlacken, die aus seiner amerikanischen Herkunft stammen, sondern einen Kernfehler, den man erkannt haben muß, wenn man seine wertvollen Bestandteile retten will. Es ist ein in seiner Art großartiger Versuch, die gewerbliche Arbeit aufs äußerste zu »rationalisieren«, darum nennt er sich »scientific«, wenn auch seine Einzelheiten im deutschen Sinne nicht dem genügen, was »Wissenschaft« heißt. Aber menschliche Arbeit kann niemals ganz rationalisiert werden. Denn sie ist und bleibt eine Tätigkeit eines Menschen, sie hängt ab von seiner Persönlichkeit, wie sie im Ganzen und im Augenblick gegeben ist. Begabung, Geschick, Willigkeit, Emsigkeit, Laune, Befinden sprechen dabei mit, vor allem die »dynamischen« Faktoren, Schulung, Übung, Vervollkommnung.« »Man kann gewiß die Verrichtung rationalisieren bis zum äußersten, indem man die Frist, die Exkursivität jeder Teilbewegung, die Dauer jeder Pause bis auf Bogengrade und Sekundenbruchteile vorschreibt und — überwacht, der damit beauftragte »Meister« aber wird vom Arbeiter als moderner »Fronvogt« empfunden werden — und die Einführung dieses Arbeitssystems ist für heute und alle absehbare Zukunft in Deutschland aussichtslos. Denn letzten Endes gehen, großenteils

152

der Ermüdungsgrad ein und derselben Person bei der gleichen Arbeit ganz verschieden. Jedermann weiß, daß viele andere Faktoren die Größe der Ermüdung beeinflussen: der Grad der Übung und Gewöhnung, der Frischezustand, das körperliche Wohlbefinden, Anregung, Antrieb, das Verhältnis zum Beobachter, das Verhalten des Beobachters, äußere Umstände, wie Licht- und Wärmeverhältnisse, Tages-, Wochen- und Jahresschwankungen u. a. Mancher Arbeiter kommt oft aus seinem psychischen Gleichgewichtszustand heraus, wenn er beobachtet wird. Er nimmt sich bei Versuchen besser zusammen, spannt also seine Aufmerksamkeit verhältnismäßig höher an, als er während des ganzen Arbeitstages vertragen könnte. Andere Arbeiter wieder haben Mißtrauen zu den Versuchen und halten infolgedessen mit ihrer Arbeitskraft zurück. In welch hohem Maße Wille und eherne Notwendigkeit die Leistung beeinflussen kann, haben wir alle schon erfahren. »Es ist (zudem) eine allen physiologischen Erscheinungen gemeinsame Eigentümlichkeit, daß sie eine äußerst ausgeprägte Bewegüchkeit, Möglichkeiten der Vertretung und der Wiederherstellung besitzen, die um so mächtiger in Erscheinung treten, als die in Betracht kommenden Funktionen höherer Natur sind« (Walds bürg er). So ergeben sich also ohne weiteres eine Menge Fehlerquellen, die teils in der Versuchsperson, teils in der des Beobachters, teils in den Arbeitsbedingungen ihre Ursache haben. Ingenieur Michel meint z. B., daß es für die Praxis ganz unmöglich sei, diese vielen Fehlerquellen zu berücksichtigen. Die Werkstattpraxis erfordere eine wirtschaftliche anpassungsfähige Methode, »um durch universelle Zeitnormen auch für solche Arbeitsgänge die Lohnbasis zu bestimmen, die noch nicht ausgeführt wurden und die erst ausgeführt werden sollen« (S. 123). Er geht bei seinen Zeitstudien, wie T a y l o r , von Minimalzeiten aus und sucht durch universelle Zuschläge die Ermüdungsfaktoren zu kompenunbewußt, die heutigen Umwälzungen im Arbeitsverhältnis genau auf das Gegenteil aus: die irrationalen Mächte in der gewerblichen Arbeit zur Geltung zu bringen, dem Arbeiter auch innerhalb seiner Leistungssphäre zu mehr Menschentum zu verhelfen, ihm einen größeren Anteil, mehr Mitbestimmung an seiner Arbeit zu sichern.« H e l l p a c h im oben angefahrten Artikel im »Tag«, 2. August 1919.

153 sieren 1 ). E r meint sogar, Zeitstudien brauchten nicht in der Werkstatt gemacht zu werden, sondern könnten in einer besonderen Versuchs- und Lehrabteilung erfolgen. J a er geht sogar soweit, daß er vorschlägt, die Ermittlung von Zeitnormen möge innerhalb einzelner Industriezweige und Berufsgruppen aufgeteilt werden, so daß ein jedes Werk nur eine bestimmte beschränkte Aufgabe zu leisten habe (S. 139). Warum bezieht er nicht dann gleich seine Zeitmessungen und die Zuschlagszeiten zur Kompensierung der Ermüdimg aus Nordamerika, da ja auch ethnologische, geographische, kulturelle, atmosphärische, klimatische oder psychophysische Unterschiede nach ihm nicht berücksichtigt zu werden brauchen (S. 136). E s ist dies gerade so ungeheuerlich, wie wenn man das Formularsystem T a y l o r s plötzlich auf einen deutschen Betrieb übertragen würde in dem Glauben, man arbeite nun wirtschaftlicher. Oberingenieur M i c h e l träumt von Zeitnormen für Menschenarbeit, die ähnlich, wie die Formeln der »Hütte« 2 ), angewandt werden könnten. E r geht dabei von den unzutreffenden Voraussetzungen aus, daß alle Werke annähernd die gleichen Arbeitsverhältnisse haben (gleicher Fortschritt in der Betriebsnormung, Betriebsorganisation, Arbeitsvor1 ) »Tatsächlich hat es nicht an Stimmen gefehlt, die vorschlagen, selbst Altersgruppen, Schwächliche, Übungsfähigkeit, nlit anderen Worten den individuellen Arbeitstypus in den Zuschlagszeiten zum Ausdruck zu bringen. Gegen eine solche Maßnahme, die aus humanen, charitativen Gründen viel für sich haben kann, muß jedoch eingewendet werden, daß ein solcher Vorschlag dem eigentlichen Zweck der Zeitstudie zuwiderläuft. Der Hauptzweck der Zeitstudie ist doch der, den langentbehrten, einheitlichen Maßstab für die Vorkalkulation unserer Fertigungsindustrie zu finden, mit dem die Leistung, d. h. die Arbeitsgeschwindigkeit ganz allgemein beurteilt werden kann. Die Einheitlichkeit verlangt, daß niemals ein Maß geändert werden darf, wenn es sich darum handelt, in den verschiedenen Gegenden verschiedene Mengen zu messen. Ebensowenig darf man die Bemessung der Zeit von der Beurteilung des Lebensalters, des Luftdruckes, der Ernährungsoder gar von den Familienverhältnissen abhängig machen. Würde man all diese Einflüsse auf den Stundenverdienst, auf den es letzten Endes doch ankommt, mit besonderen Zeitzuschlägen korrigieren wollen, dann würde eine so unendliche Differenzierung entstehen, daß die Anwendung von Zuschlagszeiten eine praktische Unmöglichkeit wäre« (Michel. »Wie macht man Zeitstudien?« S. 136/137). 2 ) Formelsammlung für Ingenieure.

154 bereitung, Arbeitsanleitung, gleiches Material, Werkzeuge, Aufspannvorrichtungen, Maschinen, Arbeitsvorteile und Arbeitsbedingungen, annähernd gleichwertige Arbeiter und Meister, gleiche Pflege der Maschinen). Ich glaube nicht, daß diese papiernen» Normen«, die von anderen Werken ausgearbeitet wurden, praktische Bedeutung erlangen. Sie sind ziemlich wertlos und begünstigen die Beschönigung von Ungerechtigkeiten. Die Leitung erfährt dabei auch gar nichts über die Arbeitsvorteile ihrer geschickten Arbeiter. Der Produktionsprozeß wird ja gar nicht daraufhin durchgeprüft, ob sich Arbeitsmethoden, Arbeitsmittel und Arbeitsbedingungen verbessern lassen, und welche unnützigen Bewegungen ganz ausgeschaltet werden könnten. Ein guter alter Kalkulator, der mit seinen Betriebsverhältnissen eng verwachsen ist, arbeitet nicht nur sicherer und genauer, sondern auch wirtschaftlicher und gerechter. Man darf nicht glauben, daß die Anwendung eines solchen Tabellenwerks die Schwierigkeiten verringere. Bieten die Tabellen nur Zeitmessungen, so kommt es auf eine gerechte Festsetzung der Zuschlagszeiten und Ausgleichsfaktoren an, bieten sie nur Zuschlagszeiten, so hängt alles von der Art der Zeitmessungsmethoden ab. Geht man bei der Feststellung der Zeitnormen von extremen Sportleistungen aus, so haftet diesen etwas völlig Willkürliches an. Es ist weder in den Naturwissenschaften, noch in der Statistik, noch in der Psychologie angängig, von besonders extremen Werten auszugehen, weil das ganze Gebäude, das sich darauf stützt, höchst baufällig wäre. Hat man in einer Betriebsabteilung einen besonders geschickten Versuchsarbeiter, so bedeutet dies nur eine größere Fehlerquelle, denn gewöhnlich ist man in der Praxis nicht geneigt, die Zuschlagszeiten dann entsprechend zu vergrößern, damit die genannte Sportleistung zu einer Durchschschnitts- und Häufigkeitsleistung kompensiert werden könne. Schon innerhalb eines Betriebes ist es äußerst schwierig, die Arbeit so vorzubereiten, daß bei Erledigung des Arbeitsauftrages die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter nicht schlechter sind als für die Versuchspersonen. Wenn die Zeitmessungen in besonderen, vom Betriebe abgesonderten Versuchsabteilungen gemacht werden, so besteht die große Gefahr, daß dort bessere

155 Arbeitsbedingungen vorhanden sind; denn meistens kennt man dort nicht die vielen Reibungen der Praxis oder berücksichtigt sie wenigstens nicht. Oft finden sich dort auch geschicktere Anleiter, eine bessere Bereitlegung aller Hilfsmittel und Werkzeuge, bessere Instandhaltung der Einrichtungen und günstigere äußere Bedingungen der Arbeit. J e größer hier die Unterschiede zwischen Versuchsabteilung und Betrieb, desto wertloser die Zeitnormen der ersteren für den letzteren. Noch mehr vermehrt sich die Unsicherheit, wenn man fremde Zeitmessungen und Zuschlagszeiten verwenden will, zumal in Tabellen die Verschiedenheit der Arbeitsbedingungen (z. B. günstigere Aufspann Vorrichtungen, Organisationsfortschritte, besondere Arbeitsvorteile der Versuchspersonen, andere Maschinengeschwindigkeit) nicht zum Ausdruck kommen können. M i c h e l gibt selbst zu, daß Betriebe mit schlechter Organisation höhere Zuschlagszeiten verwenden müßten, als die Kurven und Tabellen zeigen, die nur für »erstklassige Betriebsorganisation« (ein schwankender Begriff!) in Betracht kommen. Die minder guten Werke müßten ihre Zuschlagszeiten also selbst ermitteln (S. 126). In Wirklichkeit ist kein Betrieb dem andern gleich, auch nicht diejenigen mit »erstklassiger Organisation«. Daher ist es unbedingt nötig, daß man seine Arbeitszeitnormen nicht von fremden Werken bezieht, sondern selbst erarbeitet, denn ein Addieren von zehntel und hundertstel Minuten nach fremden Tabellen ist nicht nur höchst unwirtschaftlich sondern auch höchst gefährlich 1 ). Man sieht, die atomistische Auffassung T a y l o r s feiert auch in Deutschland Triumphe durch ihre »Exaktheit« und »Wissenschaftlichkeit«. Die »Menschlichkeit« kommt auch hier weniger in Frage. M i c h e l ist auf dem besten Wege, sich von besseren Methoden zu entfernen und die Schwierig') »Wir können uns einen Betrieb denken, in dem Zeitstudien mit der Stoppuhr in der Werkstatt überhaupt nicht mehr ausgeführt oder nur auf die Fälle beschränkt werden, in denen Kontrollen f ü r die Arbeit des Ausführenden vorgenommen werden sollen, daß dagegen alle Zeitvorgaben an Hand von Tabellen und Tafeln erfolgen, . . . die ein für allemal ermittelt sind.« ( M i c h e l , S. 139.) Wo bleibt da der Fortschritt des Wirtschaftslebens ?

156 keiten einer gerechten Lösung der Ermüdungsfrage zu verkleistern. Es ist selbstverständlich für die Betriebspraxis unmöglich, »für jede einzelne Arbeit die psychophysisch optimale Zeit nach ärztlicher Diagnose unter Berücksichtigung des individuellen Arbeitstypus festzustellen« (Michel, S. 140) und jeden Arbeiter kindlich individuell zu behandeln. Aber Methoden für die Feststellung von Zeitnormen für Menschenarbeit sind volkswirtschaftlich nicht empfehlenswert, wenn sie leicht daztiführen können, daß Arbeiter dadurch gesundheitlich geschädigt und ausgebeutet werden können. Ich verweise hier noch auf die Forschungen zweier bedeutender Physiologen: des Franzosen J . M. L a h y 1 ) und des Engländers K e n t . »In den Enqueten, die J . M. L a h y in der französischen Industrie durchgeführt hat, versuchte er, bei zahlreichen, dieselbe Arbeit leistenden Arbeitern die objektiven Zeichen eintretender Ermüdung festzustellen, um dadurch die Möglichkeit zu erlangen, den Zeitpunkt zu bestimmen, wo der Organismus des Arbeiters infolge eines chronischen Übermüdungszustandes, sowie der Unmöglichkeit einer genügenden Wiederherstellung der nervösen Kräfte gefährdet ist. Die Untersuchungen L a h y s ergaben, daß eine sehr rasche Verminderung der Leistungsfähigkeit eintritt, sobald die ersten objektiven Zeichen eingetretener Ermüdung sich offenbaren. Nach L a h y wäre es nun nicht nur unmenschlich sondern auch gefährlich für die Produktivität der Industrie, das Eintreten der Symptome des physischen Zerfalls abzuwarten, um den Arbeitern den Zeitpunkt zu bestimmen, an welchem ihre Anstrengung ein Ende finden soll. Es ist dies jedoch die Methode, zu der T a y l o r sich bekannt. Wenn dieser durch das Mittel hoher Löhne und seines Zeitstudienverfahrens von seinen Arbeitern Leistungen erzielt, die lediglich durch deren augenfällige Ermüdung begrenzt werden, übersieht er die langsame Wirkung der Ermüdung, wodurch die Kräfte der Arbeiter untergraben werden und deren erkennbare Folgen ') L a h y , Veröffentlichung einer Enquête im Bulletin de l'Inspection du Travail, 1 9 1 0 , 5 . 4 5 — 1 0 3 . L a h y , L e Système Taylor et la Physiologie du Travail professionnel. G a u t h i e r - V i l l a r d u. Cie., Paris 1 9 2 1 .

157 erst nach längerer Zeit in Erscheinung treten. Da nun T a y l o r bekanntlich die Arbeiter fortwährend einem peinlichen Ausleseverfahren unterzieht, besteht für ihn die Möglichkeit, diejenigen Arbeiter aus dem Betriebe auszuscheiden, die nach einigen Jahren intensivster Leistung die Symptome des physischen Zerfalls aufweisen« 1 ). L a h y hält für die einwandfreiesten und sichersten Zeichen der Ermüdung die Verlängerung der Reaktionszeiten und die Erhöhung des Blutdruckes. Durch die Messung der Reaktionszeiten und des Blutdruckes können wir das Vorhandensein der Ermüdung sicher erkennen, bevor die Versuchsperson das Gefühl der Ermüdung empfindet. L a h y hofft, daß diese zwei Methoden wegen ihrer Einfachheit, Billigkeit und Sicherheit bald Eingang in die Industrie finden werden. Zur Feststellung der Reaktionsgeschwindigkeit wird die Versuchsperson aufgefordert, auf einen Schallreiz möglichst schnell zu reagieren. Die Reaktionszeit wird in HundertstelSekunden vom Chronoskop (von d'Arsonval) abgelesen. Die durch genügende Beobachtungen ermittelte Durchschnittszahl zeigt, daß unter dem Einfluß der Ermüdung die Versuchsperson nicht mehr so schnell reagieren kann, daß also die Reaktionszeiten wachsen. — Der Blutdruck, der ja durch die Propulsionskraft des Herzens und den Widerstand, den die Blutgefäße dem Blutstrom entgegenstellen, bedingt ist, ändert sich automatisch durch Reflexbewegungen der vasomotorischen Nerven bei zu- oder abnehmender Ermüdung und kann verhältnismäßig leicht festgestellt werden2). Eine nähere Beschäftigung mit dem Ermüdungsproblem kann für die Wirtschaftlichkeit des Betriebs von großer Bedeutung sein. Der englische Physiologe K e n t hat während des Krieges im Auftrage seiner Regierung in 2 Fabriken mit 2000 und 600 Arbeitern Ermüdungsstudien gemacht. Das erste Werk stellte Verbandstoffe her, das zweite Kriegsmaterial 8 ). W a l d s b u r g e r , Ermüdungsstudien in Frankreich, Praktische Psychologie, 1921. Heft 12 (September). 2 ) Prof. Ernst W e b e r , Fortschritte in der Ermüdungsmessung, Praktische Psychologie, 1921, Heft 4 (Januar). *) Praktische Psychologie, Septemberheft 1920: Ermüdungsstudien in der englischen Industrie.

158 Die Arbeitsleistung des einzelnen Arbeiters hängt nach K e n t ab: 1. von seiner Geschicklichkeit, Gesundheit, Frische, Widerstandsfähigkeit gegen Ermüdung und von der Ernährung, 2. von den Maschinen, dem Material, den Mitarbeitern, dem Wetter usw. Es war für die Arbeitsleistung wichtig, wie die Überstunden auf die einzelnen Tage und Wochen verteilt wurden. Eine besondere Leistungsverringerung zeigte sich am Montag Morgen, eine besondere Leistungssteigerung (Schlußantrieb) am Samstag Vormittag, falls der Nachmittag frei war. An Montagen konnte man trotz Überstunden keine besondere Ermüdung feststellen, wohl aber an anderen Tagen mit Überstunden. An den Tagen mit Überstunden war die Gesamtleistung geringer als an den Tagen mit normaler Arbeit. Die Überstunden waren also für das Unternehmen hinausgeworfenes Geld. Mit dem Achtstundentag erreichte man größere Leistung als mit dem Zehn- und Zwölfstundentag, da die größere Ruhezeit den Verlust der Arbeitszeit überkompensierte. Der Fortfall der Überstunden erhöhte also die Leistung. Ein zu früher Arbeitsbeginn schädigte die Leistungen, da die Arbeiter leichter ermüdeten. Auch nach Nachtschichten zeigten sich größere Ermüdungswirkungen. Überstunden drückten die Leistungen des folgenden Tages. Auch die Einschaltung einer besonderen Ruhepause vor Beginn der Überstunden von y.2(>—6 Uhr, in der kostenlos Tee und Kuchen verabreicht wurde, konnte die geringen Leistungen der Überstunden nicht verbessern, da die Ermüdung schon zu groß war. »Öfter fand man heraus, daß Arbeiter, deren Leistungen gering waren, die Arbeit ohne Frühstück anfingen. Die Ermüdung ließ erheblich nach, wenn dem abgeholfen wurde, und die Ausbeute stieg um 12,4% «. Aus Unkenntnis und Gewohnheit seien viele Arbeiter unterernährt. Das hat Einfluß auf ihre Arbeitsleistung (Einrichtung von Eßgelegenheiten; K e n t schlägt behagliche Eßsäle mit kleinen Tischen vor, so daß sich die Arbeiter unterhalten können). Ursachen besonderer Ermüdung sind außer durch Überstunden noch hohe Temperatur und mangelhafte Lüftung der Arbeitsräume, Verunreinigung der Luft, die ständige An-

159 Spannung der Aufmerksamkeit, sowie das Geräusch und die Erschütterung der Maschinen. »Auf Grund seiner Untersuchungen stellt K e n t die Faktoren zusammen, die für den Gesamtzustand eines Arbeiters am Schlüsse einer bestimmten Arbeitsperiode in Betracht kommen. E s sind folgende: 1. Der u r s p r ü n g l i c h e V o r r a t an Energie. Bei diesem kommt wieder in Betracht: a) seine körperliche Entwicklung, Gesundheit und Tauglichkeit, b) die Art und Weise, sowie die Dauer der vorhergegangenen Arbeit, c) die Länge der Ruhepausen, d) die Art und Weise, wie diese Ruhepausen ausgefüllt sind. 2. Die Schnelligkeit, mit der die Energie v e r b r a u c h t wird, hängt ab: a) von seiner körperlichen Entwicklung, Gesundheit und Tauglichkeit, b) von den Bedingungen, unter denen die Arbeit verrichtet wurde; c) von der Arbeitsleistung, die er erreicht hat; d) von der Ausdauer, mit der er gearbeitet hat. 3. Die Schnelligkeit, mit der die Energie sich wieder ers e t z t , hängt ab: a) von der körperlichen Beschaffenheit und Tauglichkeit des Arbeiters, b) von der Nahrung und von der Art und Weise, wie sie verwertet wird, c) von den Ruhepausen, d) von der Ausdauer, mit der gearbeitet wurde, e) von der Dauer der Arbeitszeit.« 1 ) ') An dieser Stelle möge auch gleich eine kurze Besprechung des soeben erschienenen Trammschen Werkes »Psychotechnik und Taylorsystem« eingeflochten werden. Ingenieur T r a m m , Obmann des Ausschusses für Zuschlagszeiten beim Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung des Vereins deutscher Ingenieure, versucht eine isolierte Betrachtung der wichtigsten Faktoren, welche auf die Arbeitsleistung Einfluß haben, zu bieten (s. Skizze im Anhang). Er beschreibt vor allem die

160 Eine

genaue

Darstellung

des Ermüdungsproblems

und

der Methoden der Ermüdungsmessung ist Seiche der Physiologen. die

Ich bringe hier nur einige Punkte zur Sprache, um auf

Schwierigkeiten,

die sich bei der Aufstellung von

all-

gemeinen Zeitnormen für Menschenarbeit ergeben, hinzuweisen. Je höhere Ansprüche man an die Arbeiter stellt, desto notwendiger

sind

Ermüdungsstudien.

Es

gibt

ca. 2 Dutzend

Methoden zur Feststellung der Ermüdung 1 ), diese aber haben Apparate zur Untersuchung des zeitlichen und räumlichen Bewegungsverlaufes und der psychophysischen Wirkung der menschlichen Arbeit. E r sucht das in der Arbeits- und Sozialhygiene, der experimentellen Psychologie, Physiologie, Biologie und Pädagogik, der Volkswirtschaftslehre und anderen Gebieten verstreute psychotechnisch bemerkenswerte Material zu sammeln. D a s W e r k b e s c h ä f t i g t s i c h j e d o c h n i c h t m i t d e m T a y l o r s y s t e m . Es bietet dem Fachmann nichts neues, dem Laien eine volkstümlich geschriebene Einführung in die arbeitswissenschaftliche Forschung. Wer schon auf diesen Gebieten gearbeitet hat, vermißt manches, so — um nur einiges zu nennen — eine ausführliche kritische Besprechung des psychotechnischen Experiments und der psychotechnischen Auswertmethoden und ihrer praktischen Anwendbarkeit, eine Kritik des Taylorschen Zeitstudienverfahrens, die Grundformen der subjektiven und objektiven Arbeitsökonomie (Stimulation, Arbeitsgesellung, Arbeitswahl, Anpassung der Technik an die psychophysischen Bedingungen, Arbeitsteilung, Arbeitsverkettung, gruppenpsychologische Erfahrungen), Ergebnisse der Korrelationspsychologie (Mitübung, Übungsverlust), der differentiellen Psychologie (Begabungs-, Auffassungs-, übungs-, Willens-, Arbeitstypen. Einfluß von Vererbung, körperlicher und geistiger Reife, von psychischen Faktoren, wie Interesse, Gefühlsbetonung), Wirkung der Monotonie der Arbeit auf die Arbeiter, Einfluß von Lehrlings- und Arbeitererziehung auf die Ergiebigkeit der Arbeit, soziologische Unterschiede (Völkerpsychologie, Rassenbiologie, rassensoziologische Arbeiten). Die K r a e p e l i n s c h e Arbeitskurve wird nicht genügend erklärt. Manche Psychologen, wie der bedeutende Amerikaner Edw. L. T h o n d i k e , erkennen übrigens die Gültigkeit dieser Kurve für praktische Arbeitsvorgänge nicht an. Trotz alledem ist das Werk zur ersten Einführung in die Probleme der Arbeitsforschung geeignet. Gut beschreibt T r a m m die uns zur Zeit- und Bewegungsstudie zur Verfügung stehenden Zeitmesser, die Arbeitsschauuhr von P o p p e l r e u t e r , photographische, zyklographische, kinematographische Verfahren. ') Bei der individuellen Ermüdungsfeststellung sucht man aus den oben angeführten Wirkungen der Ermüdung auf ihre Stärke zu schließen. So ermittelt man z. B. vor, während und nach einer Arbeit

161 für uns vorzugsweise nur wissenschaftliches Interesse. Für die Betriebsarbeit sind sie entweder zu unsicher, zu langwierig oder zu teuer. Nun glauben manche Betriebsleiter, daß schon das persönliche Urteil des Versuchsarbeiters ausreichend sei über den Grad seiner Ermüdung. Allein dieses eigene Urteil des Arbeiters unterliegt der Selbsttäuschung. Das subjektive Ermüdungsgefühl ist kein bestimmter Maßstab für die Ermüdung. Das Gefühl der Ermüdung kann stärker wachsen, ohne daß die Arbeitsleistung abnimmt. Oft kommt es aber nicht in seiner vollen Stärke zum Durchbruch, da die physiologische Energieabnahme häufig mit einem Zustande subjektiver Erregung verbunden ist, durch welchen das Ermüdungsgefühl gehemmt wird. Ein schwacher Arbeiter kann also trotzdem Raubbau an seiner Gesundheit treiben, ohne daß er es merkt. Willensantrieb durch Lohnsystem und das Verhalten seiner Kameraden und Vorgesetzten spielen hier eine Rolle. Übrigens gibt es fast in jedem großen Betrieb einige Arbeiter, die aus Geldgier größere Leistungen vollbringen als für sie gesundheitlich zuträglich ist. »Es gibt kein Mittel, um den strebsamen Arbeiter vor freiwilliger Überarbeit zu schützen, ebensowenig als es ein Mittel gibt, ihn vor der absichtlichen Tätigkeitsbeschränkung abzuhalten« ( M i c h e l , S. 140). Ein Arbeitspensum, das sich nicht auf Durchschnittsleistungen, sondern auf Höchstleistungen stützt, verleitet den Arbeiter leicht dazu, sich zu überarbeiten. Keinen genauen Gradmesser für die Ermüdung bildet die Größe der vollbrachten Leistung. Wir wissen zwar, daß die Ermüdung hauptsächlich von der Schwere und Dauer der Arbeit abhängig ist, aber wir haben keine genauen Beziehungen dieser Faktoren zu der Größe der Ermüdung. Für die Praxis wird es nie möglich sein, ganz eingehende Ermüdungsuntersuchungen anzustellen. Das scheitert schon Hör- oder Sehschärfe, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit oder die abnehmende Arbeitsfähigkeit (Mossos Ergograph) oder den sich verstärkenden Blutdruck (Sphygmomanometer). Prof. W e b e r , Berlin, weist auf die veränderte Blutverteilung des Körpers durch ermüdende Arbeit hin und baut hierauf eine Methode der Ennüdungsmessung. Näheres über die Ermüdungsmethoden s. die Lehrbücher der Physiologie und Psychologie. S ö 11 h c i m, Taylorsystem. 11

162 an der Kostenirage. Anderseits stimmen die Resultate genau nur für die Versuchspersonen. Handelt es sich also nicht um Massenversuche, sondern nur um wenige Einzel versuche, so sind diese Messungen nicht besonders wertvoll. Es kömmt hier dann sehr viel auf die Auswahl der Versuchspersonen an; gesunde, kräftige und geübte Leute ermüden natürlich dann weniger als schwächliche, unbeholfene Arbeiter. Manche schlagen vor, von Durchschnittsleistung auszugehen, allein hier haben die Taylorfreunde Recht mit der Behauptung, daß dadurch eine gute Rationalisierung des Arbeitsprozesses unmöglich wird, weil man dadurch die besten Arbeitsvorteile und zweckmäßigsten Bewegungen der geschicktesten Arbeiter gar nicht kennen lernt und dem Betriebe dienstbar machen kann. Gerade für die ökonomisierung der Arbeitsverfahren und für die Herstellung besserer Einrichtungen und Werkzeuge sind Höchstleistungen besonders tüchtiger Arbeiter sehr wertvoll. Einerseits haben Staat und Volk das größte Interesse, daß der einzelne nicht ausgebeutet wird, anderseits daran, daß jeder seine volle Arbeitskraft in den Dienst des wirtschaftlichen Wiederaufbaues unseres Wirtschaftskörpers stellt. Auf der einen Seite drohen Degenerierung und Schädigung der Volkskraft, auf der andern Seite der volkswirtschaftliche Bankerott. Im Interesse einer Verhütung von Raubbau am Menschenkörper und an der Volkskraft muß öle Häufigkeitsleistung als Vorbild dienen. Schwache Arbeiter werden auch diese nicht erreichen. Es muß in ihr Belieben gestellt werden, ob sie diese Durchschnittswerte vollbringen oder nicht. Für tüchtige Arbeiter bildet allerdings dann die Arbeitskarte, welche auf genaue Mittelwerte aufgebaut ist, kein Vorbild. Sie ist für sie entbehrlich. Es ist dann sehr fraglich, ob sich dann überhaupt die Mühe und Zeit für die Herstellung der Arbeitskarten lohnt. Praktische Erfahrungen liegen in dieser Beziehung zurzeit der Öffentlichkeit nicht vor. Für den Unternehmer ist auf jeden Fall kein großer Anreiz zur Einführung vorhanden. Die Ermüdungsfrage tritt erst in den Vordergrund, sobald man von Minimalzeiten aus Zeitnormen für alle Betriebsarbeiter aufstellen will. Die Schwierigkeit dabei liegt darin.

163 daß bis jetzt fast keine sicheren und praktischen Methoden zur Feststellung und Verhütimg dauernder Schädigungen der Arbeiter vorhanden sind. Die Versuche müßten sich auf Jahre erstrecken. Darin besteht aber zugleich die Notwendigkeit, daß die Zuschlagszeiten und Ausgleichsfaktoren genügend groß gewählt werden müssen, um eine Schädigimg des Arbeiters hintanzuhalten. Auch wenn es dem Arbeiter frei gestellt wird, in welcher Zeit er das Pensum erreichen will, so besteht für ihn doch durch die Unterweisungskarte ein großer Anreiz, es in der angegebenen Zeit zu erledigen, auch wenn der verderbliche Schnelligkeitsrekord der Taylorschule keine Anwendung findet1). x ) Es würde hier zu weit führen, näher auf die Arbeitsphysiologie einzugehen. Ich habe dies ausführlicher in zwei Vorträgen über »Die psychologisch-physiologischen Grundlagen des Taylorsystems« getan, welche ich im Februar und März 1919 im Technisch-Wirtschaftlichen Institut der Technischen Hochschule München (im Seminar des Herrn Professors F r h . v. G o t t l - O t t i l i e n f e l d ) hielt. Im Wintersemester 1919/20 hatte ich durch das freundliche Entgegenkommen des Direktors des Anatomischen Instituts der Universität Heidelberg, Herrn Prof. B r a u s , Gelegenheit, täglich an den Demonstrationen und Übungen für Mediziner über den Bewegungsapparat des Menschen teilzunehmen. Diese äußerst interessanten Vorführungen am lebenden Menschen und ihre treffliche Unterstützung durch die reichen Sammlungen des Instituts gaben mir einen kurzen Einblick in die großen Gebiete der Arbeitsphysiologie. Ich bekam täglich aufs neue die Gewißheit, daß hier ein ungeheuer weites Feld der wissenschaftlichen Erforschung der Arbeitsökonomie vorliegt, ein Feld, das aber nur von tüchtigen Fachleuten in enger Verbindung mit der Praxis fruchtbar gemacht werden kann. Es ist eine tiefe Wahrheit des Taylorismus, daß sich durch erschöpfende Untersuchungen nicht nur eine wirtschaftliche Ausnützung der Naturstoffe, Arbeitsmaterialien und Arbeitsmittel erreichen läßt, sondern auch eine bessere Ökonomie der Menschenkraft durch bessere Arbeitseinteilung, zweckmäßigere" Reihenfolge der Tätigkeit, Ausnützung der menschlichen Kräfte und Anlagen und durch planmäßige gegenseitige Anpassung von Mensch, Maschine, Werkzeug und Organisation und somit eine große Ersparung von psycho-physischer Energie. Diese Anpassung und ökonomisierung wird um so besser erfolgen, je mehr wir die physiologisch-psychologischen Gesetzmäßigkeiten verstehen lernen: Ermüdung und Erschlaffung, Übung und Gewöhnung, psychische Verkettung durch bessere Association und Rhythmisierung, Einwirkung von Alter, Geschlecht, Rasse, Lebenshaltung und Arbeitsbedingungen auf die Arbeitsleistung, von Begabungs-, Auffassungs-, 11*

164 Von der Zeitstudie zur Bewegungsstudie zur Arbeitsstudie. Um die vielen Unklarheiten über die Einordnung der Zeit-, Bewegungs-, Ermüdungs-, Eignungsstudie zu beseitigen, sei im Anschluß an die geschichtlichen Mitteilungen des letzten Kapitels die Entwicklung der wissenschaftlichen Untersuchung der Menschenarbeit kurz gezeichnet. T a y l o r verfolgte hauptsächlich den z e i t l i c h e n Bewegungsverlauf (Zeitstudien seit 1881), G i l b r e t h den z e i t l i c h e n u n d r ä u m l i c h e n Bewegungsverlauf (Bewegungsstudie), die neuere Physiologie und Psychologie den p h y s i o p s y c h i s c h e n K r a f t v e r b r a u c h des Arbeiters (Ermüdungsstudie). Da diese menschliche Kräftebeanspruchung bei gleichen Arbeitsaufgaben individuell verschieden ist, so wird das große Problem der Eignung zu einem Beruf oder zu einer bestimmten Arbeit aktuell. Die erwachende psychotechnische Bewegung stellt sich neben der Rationalisierung der Arbeitsverfahren zur Hauptaufgabe die Feststellung der Eignung (Eignungsstudie) und die Ökonomisierung der Anlernung und Ausbildung. T a y l o r und G i l b r e t h befaßten sich vorzugsweise mit der Arbeit als solcher, mit ihrem Zeitwert, ihrer Bewegungsform; die Physiologie und Psychologie jedoch mit dem Arbeitssubjekt, der physiopsychischen Wirkung der Arbeit aul ( bungs- und Willenstypen, die gegenseitige Abhängigkeit (Korrelation) der einzelnen Faktoren komplexer physiologischer Erscheinungen. Die Arbeitsphysiologie kann also das meiste beitragen zur E r f o r s c h u n g , Ökonomisierung und Anlernung körperlicher und geistiger Arbeit, zur Ausschaltung unnötiger Mitbewegungen, zur R h y t h m i s i e r u n g und sonstiger Arbeitserleichterung, zur Auswahl der Arbeiter, zur Zuweisung geeigneter Arbeit, zum rechten Funktionieren unserer Sinnesorgane, zur rechtzeitigen Erkennung und Beseitigung von H e m m u n g e n und v o n Gefahren (nervöse Überreizung, Überbürdung), zur Willensschulung, kurz zur Gesunderhaltung des Arbeiters und zu einer vernünftigen Ökonomie und Hygiene der menschlichen Arbeit. Nur ein verständnisvolles Zusammenarbeiten der Arbeitsphysiologie, Wirtschaftspsychologie und der Praxis kann uns diese Erfahrungen nutzbringend für unsere Wirtschaft werden lassen. Die Schwierigkeiten wird man dabei nicht verkennen. Weite Gebiete der P s y c h o t e c h n i k , Arbeitsphysiologie, Ernährungsphysiologie, der Pathologie der A r b e i t und der Arbeitshygiene sind noch wenig erforscht. A b e r niemand zweifelt, daß sie einer großen Z u k u n f t entgegengehen.

165 den Arbeiter (Ökonomie der menschlichen Kräfte, Anlagen und Fähigkeiten — Menschenökonomie). Die Zeitstudie T a y l o r s sucht in erster Linie die kürzeste Zeit für eine Arbeit festzustellen. Natürlich will T a y l o r auch rationelle Bewegungen ermitteln, aber wir müssen uns doch darüber klar sein, daß seine Zeittabellen später nie darüber Aufschluß geben, wie die Bewegungen ausgeführt wurden, selbst wenn einzelne Begleitumstände vermerkt sind. (Welche Einflüsse auf die Arbeit einwirken können, erkennt man aus der T r a m m sehen Tabelle im Anhang). Bedenkt man erst noch dazu, daß die durch Versuche ermittelten Zeitwerte oft erst nach Jahren praktisch ausgewertet und angewandt wurden (das M e r r i c k s c h e Buch bietet hiefür Belege!), so wird man sich der Fehlerquellen des primitiven T a y l o r s c h e n Zeitstudienverfahrens bewußt. Die meisten Zeitstudien T a y l o r s , oft Arbeiten vieler Jahre, mußte T a y l o r selbst über Bord werfen, da sie für die Betriebe später völlig wertlos waren. Es lag das zwar auch daran, daß er nicht immer den naturnotwendigen logischen Gang der Betriebsrationalisierung eingehalten hat: Zuerst Normung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsmittel, Arbeiterauslese nach Eignung, dann Rationalisierung der Arbeits- und Anlernverfahren, d. h. zuerst muß man alles darauf verwenden, durch Spezialisierung 1 ), Normierung und gleiche Arbeitsbedingungen die Grundlagen für wirtschaftliche Ökonomisierung zu schaffen, dann sucht man die beste Personenauswahl und personelle Gliederung zu treffen und hierauf kommt als letztes Glied der Betriebsrationalisierung die planmäßige Erforschung und ökonomisierung der Betriebsarbeit (Zeit-, Bewegungs-, Ermüdungs- Organisationsstudien). Diese logische Kette wurde bis jetzt noch nicht klar erkannt, daher so viel Unsicherheit und Unwirtschaftlichkeit in der ganzen Bewegung. Zuerst ') A r b e i t s t e i l u n g mit anderen U n t e r n e h m u n g e n , E i n - und V e r k a u f s gemeinschaften,

Versuchs-,

essengemeinschaften schlusses

von

s.

Patent-,

Transport-,

Schulz-Mehrin,

Unternehmungen

(Berlin

Arbeits- und

Formen

1921).

des

Inter-

Zusammen-

166 also die besten Maschinen, Werkzeuge und Einrichtungen, dann die rechten Leute, erst hierauf systematische Untersuchungen zur rationellen Methodisierung der Arbeit. Freilich wird man auch oft zur Normierung der Arbeitsmittel Zeitund Bewegungsstudien anstellen. Es ist aber eine ungeheure Geld- und Zeitverschwendung, durch viele solcher Studien eine Rationalisierung der Arbeitsverfahren zu beginnen, bevor nicht eine technisch-wirtschaftliche Normung der Arbeitsmittel durchgeführt ist. Dies dauert oft zwei und mehr Jahre 1 ). T a y l o r will hauptsächlich einwandfreie Zeitermittlung einer Arbeit. Das würde das Mißtrauen der Arbeiter ertöten und auch eine bewußte Arbeitseinschränkung verhindern, da ja die Arbeitszeit nicht geschätzt, sondern genau bekannt sei. G i l b r e t h geht einen Schritt weiter^). In seinem A B C der wissenschaftlichen Betriebsführung sagt er: »Unter Zeitstudien versteht man alle Arbeiten, die zur zeitlichen Erfassung einer Arbeit vorgenommen werden.« »Alle Arbeiten zur Vereinfachung der Bewegungen werden Bewegungsstudien genannt. Ihre zeitliche Registrierung besorgen die Zeitstudien. Die Zeitstudien sind also gewissermaßen die Grundlage aller Bewegungsstudien; denn nur mittels Zeitstudien können die einzelnen Bewegungen gemessen werden . . . Die Einzeloperationen, die nach genauer Prüfung am wenigsten Zeit erfordern, werden registriert und systema') »Eignungsprüfungen, Bewegungsstudien, Zeitstudien, normale Werkzeuge usw. sind in einem wohlorganisierten Betrieb unbedingt notwendig; der Betrieb, der sie nicht einführt, darf nicht den Anspruch erheben, wirklich höchste Leistungsfähigkeit, höchste Löhne, niedrigste Gestehungskosten und wirklich rationelle Arbeiten zu erzielen. Auf der anderen Seite dagegen ist eine Einführung dieser Funktionen in nicht logischer Reihenfolge als unzweckmäßig und unrationell zu bezeichnen. Zeitstudien ohne vorhergehende Bewegungsstudien oder Bewegungsstudien ohne eine vorhergehende Normung der Arbeitsbedingungen, des Lagerwesens usw. sind von Anfang an zu einem Fehlschlag verurteilt; den höchsten Erfolg werden sie nie einbringen.« ( W i t t e , Kritik des Zeitstudienverfahrens 1921, S. 9.) !) G i l b r e t h , Angewandte Bewegungsstudien (Applied Motion Study), deutsch Berlin 1920. G i l b r e t h , Ermüdungsstudien (Fatigue Study), deutsch Berlin 1921. T h u n , Hilfsmittel für Bewegungsuntersuchungen, »Betrieb«, 3. Jahrg., S. 771.

167 tisch zusammengestellt, so daß die neue Arbeitsmethode im ganzen eine Reihenfolge der raschesten und einfachsten Bewegungen darstellt« (S. 18). Zweck: Ausschaltung aller Zeitund Kraftvergeudung. Die kombinierte Zeit- und Bewegungsstudie nimmt also Zeit und Bewegung zu gleicher Zeit auf (Film). Hinter dem Arbeiter ist ein quadratisches Netz aufgespannt zur leichteren Auswertung der Bilder. Eine in Gang befindliche Zeituhr (Mikrochronometer) wird mitgefilmt. Man kann also Bahn, Länge, Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung bestimmen. Zu berücksichtigen ist allerdings die perspektivische Verzeichnung. Um ein besseres Studium der einzelnen Bewegungen bestimmter wichtiger Körperstellen (Handgelenk, Ellbogen, Schulter) zu ermöglichen, wurden weiße Flecke oder Glühlämpchen oder Geißler sehe Röhren an den betreffenden Punkten angebracht. Art und Schnelligkeit der Bewegimg kann man gut erkennen, wenn eingebaute elektrische Unterbrecher auf dem Bilde Lichtpunkte angeben. Durch die Zahl der Lichtpunkte weiß man die verflossene Zeit. Durch besondere Konstruktion der Stromunterbrecher erscheinen auf dem Bilde einzelne Lichtpfeile zur Kennzeichnung der Bewegungsrichtung. All diese Bewegungsaufnahmen von der Photographie bis zum Zyklegraphen und Chronozyklegraphen sind beschrieben in den beiden oben aufgeführten Gilbrethsehen Büchern »Angewandte Bewegungsstudien« und »Ermüdungsstudien«. J . M. Witte, die in ihrem vorhin erwähnten lesenswerten Buch in scharfer oft übertriebener Kritik das Taylorsche Zeitstudienverfahren angreift und als Zeit- und Geldverschwendung hinstellt, hält diese Verfahren von Gilbreth für das wirtschaftliche und beste. Die völlige Unzulänglichkeit des Stoppuhrverfahrens und die hiedurch bedingte Unmöglichkeit, eine Unterteilung der Arbeit in ihre tatsächlichen Elemente, in die kleinstmöglichsten Bewegungselemente, vorzunehmen, seien die beiden Grundübel. »Zieht man die Millionen von Beobachtungen in Betracht, die bisher mit Hilfe der Stoppuhr vorgenommen wurden, und stellt dann Ermittlungen darüber an, wie viele dieser Beobachtungen ihre

168 Zeit überlebten und auch heute noch brauchbar sind und zur Verfügung stehen, so ist die Schlußfolgerung, daß das Stoppuhrverfahren bedeutend kostspieliger als das Mikrobewegungsverfahren ist, eigentlich recht naheliegend. Die Mikrobewegungsaufnahmen sind für alle Zeiten (!) brauchbar; die uns durch den Film aufs anschaulichste bekanntgegebenen Arbeitsverhältnisse, die Zeitangaben usw. — alles das ist so einwandfrei klar, daß Verfahren und alle Begleitumstände auch nach Jahren wie am ersten Tage identifiziert werden können« (S. 52). Dies nützt aber doch oft wenig, denn was helfen alte Bewegungsstudien, wenn die Zeit erneute Anpassung an den technischen Fortschritt, an neue Arbeitsverfahren, Arbeitsmittel, Arbeitsbedingungen erfordert. J e besser zwar Rohstoffe, Werkzeuge, Hilfsmittel, Bearbeitungsmaschinen und Arbeitsverfahren schon vor der Untersuchung veredelt, durchgebildet und normalisiert sind, desto längere Geltung haben auch die Bewegungsmessungen, aber man darf die technischen und vor allem die wirtschaftlichen Grenzen ihrer Anwendung nicht übersehen. Erstens kann man wegen ungünstiger Lichtverhältnisse nicht überall filmen. Die Aufnahmen des Punktzeitverfahrens können nur in der Dämmerung gemacht werden. Auch ist bei manchen Arbeiten die Anbringung von elektrischen Lampen (oder gar Geißlerschen Röhren) nicht immer gut möglich. Die Aufnahmen erfordern oft größere Vorbereitungen, die Auswertung ist zeitraubend. Ein m Film kostet heute ca. 30—40 M., die Untersuchung also Tausende. Die teuren Filmapparate können nur von großen Firmen beschafft werden. E s sind nicht nur Aufnahmeapparate, sondern eigene Auswert- und besondere Vorführungsapparate nötig, außerdem Fachphotographen. Überdies kommt man in sehr vielen Fällen mit billigeren Verfahren genau so weit 1 ). Aus all diesen Gründen findet heute in Deutschland die Zeitstudie größere Anwendung als die zyklegraphischen und kinematographischen Verfahren. Für wissenschaftliche Untersuchungen bilden letztere allerdings ein ganz hervorragendes Forschungsmittel, da alle Beobachtungs- und Reaktionsfehler des Beobachters ausgeschaltet sind. Ich erinnere daran, daß ') S. T r a m m , Psychotechnik und Taylorsystem, 1921.

169 B r a u n e und F i s c h e r schon 1894 in heute noch mustergültigen Bewegungsforschungen den menschlichen Gang bis auf V1000 m m Genauigkeit untersucht haben 1 ). Bei jeder größeren Arbeitsuntersuchung bedarf man zuerst eines Überblickes über die bereits vorhandenen besten Arbeitsverfahren und Arbeitsmittel, über ihre Wirtschaftlichkeit, ihre menschlichen Anforderungen und Beanspruchungen. Ziel, Richtung und Mittel der Untersuchung müssen festgelegt werden. Bevor mit den Versuchen begonnen wird, überlegt jeder rechte Organisator, ob sich all die Ausgaben für die teuren Versuche (Versuchseinrichtungen, Apparate, Versuchspersonen) auch wirklich lohnen werden, ob also das richtige Verhältnis von aufgewandter Mühe und wahrscheinlichem Nutzen zu erwarten ist. Auch wenn nicht einseitige oder zu spärliche Resultate in Aussicht stehen, fragt wohl jeder, ob eine genügende Verwertung und Auswertung möglich ist. Ich gehe jedoch hier auf diese wichtige kalkulatorische Seite der Arbeitsuntersuchungen nicht ein, da ich dies im Schlußkapitel (Gesetz des zunehmenden und abnehmenden Organisationsertrages) getan habe. T a y l o r und G i l b r e t h vernachlässigten die exakte Ermüdungsstudie. Physiologie und Psychologie versuchen nun diese Lücke auszufüllen. Allerdings stehen wir hier noch in den allerersten Anfängen sicherer Erkenntnis. Die Taylorschule kümmerte sich bis jetzt vorzugsweise um den zeitlichen und räumlichen Bewegungsverlauf. Die Wissenschaft sucht nun auch den Energieverlauf beim Arbeiter festzustellen (Messung der Ermüdungswirkung, rhythmische Gliederung zur Bewußtseinsentlastung und Automatisierung usw.). So kommen wir also erst ganz allmählich zur allseitigen Untersuchung der menschlichen Arbeit, zur Arbeitsstudie. Zeit- und Bewegungsstudie, Ermüdungsund Eignungsstudie sind die Hauptarten der Arbeitsstudie 2 ) ') B r a u n e und F i s c h e r , Der Gang des Menschen, I. Teil (Hirzel, Leipzig). a ) M o e d e sagt in der »Praktischen Psychologie« (Februarheft 1920): »Die experimentelle Arbeitsstudie« zerfällt in zwei Teile: die f o r m a l e Analyse jeder Arbeit hat deren Zeitwert, Kraftverlauf sowie Form zu betrachten, während m a t e r i a l e Analyse eine Komponenten-

170

Natürlich wäre eine allseitige Arbeitsuntersuchung theoretisch das idealste, aber praktisch kann sie sich nicht durchsetzen. Zu den Ermüdungsuntersuchungen gehört ein geschickter Physiolog. Die Wissenschaft darf übrigens noch Jahrzehnte an der Technisierung der Methoden arbeiten, wenn dieselben in der Praxis mehr verwendet werden sollen. Weitaus die große Hauptmasse der Betriebe wird auch fernerhin nicht noch unsichere oder doch zu kostspielige Ermüdungsuntersuchungen einführen wollen, sondern sich auf die Erfahrung und Schätzung verlassen. Ein Höchstpensum darf dann allerdings nicht verlangt werden. Es kommt immer ganz auf den Zweck an. Oft führen schon Zeitstudien mit Taschenuhr, Stechuhr oder bei Feinmeßzeitstudien mit Chronoskopen, bei längeren Zeitstudien die Arbeitsschauuhr von Poppelreuter zu guten Resultaten. Oft kommt es wieder darauf an, Bewegungen klar zu erkennen. Eine zweckmäßige Rationalisierung ist manchmal nicht durch die persönliche Beobachtung allein möglich. Dann haben — wenn die wirtschaftlich-kalkulatorische Seite dafür spricht — auch teuere photographische oder kinematographische Verfahren Aussicht auf Verwendung. Bei allen Untersuchungen muß jedoch die Menschenökonomie immer an erster Stelle berücksichtigt werden. Die Grenzen der Anwendung der Unterweisungskarte. Die Unterweisungskarte ist ein echtes Stück der Taylororganisation. Diese kurze Skizzierung der Grenzen ihrer Anwendung zeigt uns zugleich wichtige Grenzen der Anwendimg des Taylorsystems überhaupt. Ob die Einführung der Unterweisungskarte eine wirkliche Verbesserung bedeutet, muß für jeden einzelnen Betrieb besonders untersucht werden. Sehr viele Betriebsingenieure lehnen die Unterweisungskarte als unwirtschaftlich ab. So sagt Betriebsingenieur Adolf Zerlegung der Arbeit vorzunehmen hat, um vor allem die Beanspruchung des Bewußtseins durch einen bestimmten Beruf zu erkennen und um daraus die für erfolgreiche berufliche Betätigung notwendigen Anlagen namhaft machen zu können. Die formale Arbeitsstudie dagegen, die sich mit Zeit, Kraft und Form der Arbeit beschäftigt, bildet die Hauptgrundlage für die Rationalisierung der Arbeits- und Anlernverfahren.«

171 L a u f f e r 1 ) : »Taylor verlangt nun auch für diese Einzelarbeitsverfahren die bisher geschilderte schriftliche Festlegung und außerdem die schriftliche Bekanntgabe derselben für jeden Einzelfall an den Arbeiter (Arbeitsunterweisungen). Damit erzielt er, daß dem Arbeiter jede Handhabe für irgendwelche selbständige Handlungen oder gar Überlegungen genommen ist. Er hat weiter nichts zu tun, als vor Inangriffnahme einer Arbeit die dazu gehörige Arbeitsunterweisung zu lesen und die darin niedergelegten Vorschriften zu befolgen. Da diesen Arbeitsunterweisungen nur die besten Leistungen der besten Arbeiter zugrunde gelegt sind, so läßt sich nicht leugnen, daß bei gewissenhafter Befolgung der Vorschriften die Leistungsfähigkeit eines Werkes bis zur Höchstgrenze gesteigert werden kann. Trotzdem hat diese Methode so viel Schattenseiten, daß ihre Einführung für deutsche Verhältnisse nicht empfehlenswert erscheint. — In jedem Menschen lebt als Naturgesetz mehr oder weniger stark der Drang, sich schöpferisch zu betätigen, d h. in jede Arbeit etwas von seinem eigenen Ich hineinzulegen . . . . Deshalb ist anzunehmen, daß die vorstehend geschilderte Handhabung des Taylorsystems auf der einen Seite zwar gestattet, auch mit minderwertigen Arbeitern recht achtbare Leistungen an Arbeit zu erzielen, auf der anderen Seite aber die Arbeiterschaft unselbständig und damit die Industrie beim Wechsel der Fabrikation schwerfälliger werden wird.« L a u f f e r verweist auch auf die Drückung des Geistesniveaus der Arbeiter und auf die Entfreudung der Arbeit und fährt dann fort: »Aus diesen Gründen erscheint es zweckmäßiger, bei Übergabe einer jeden Arbeit den Arbeitern m ü n d l i c h die nötigen Erklärungen zu geben, die Zeichnungen usw. genau zu erklären, den Zweck des Maschinenteils zu erläutern und den dafür erforderlichen Genauigkeitsgrad zu bestimmen. Sie müssen weiterhin dauernd unterrichtet werden, wie die betreffende Arbeit weiter zu führen ist, damit der dafür erforderliche Kraft- und Zeitaufwand ein Minimum ') L a u f f e r , Die wirtschaftliche Arbeitsweise in den Werkstätten der Maschinenfabriken, ihre Kontrolle und Einführung mit besonderer Berücksichtigung des Taylorverfahrens, 1919, S. 15. Dieses anregende Buch findet manche gute Worte für T a y l o r und tritt für Betriebsnormung, Spezialisierung und Neuorganisation ein.

172 wird. Unter diesen besonderen Belehrungen soll nun keine Kontrolle verstanden werden, die wie ein Alp auf dem Arbeiter lastet und jede Selbständigkeit und Freude an der Arbeit erstickt. Im Gegenteil, jeder selbständig denkende und arbeitende Arbeiter soll auch die Achtung und Anerkennung finden, die seine ersprießliche Tätigkeit verdient.« Man erhoffe nicht zu großen Gewinn von der Einführung der Unterweisungskarten. Die Taylorbetriebe Amerikas zeigen uns keine genaue Berechnung darüber, in welchem Werk sich der große Apparat, welcher zur Herstellung der Zeitkarten notwendig wird, gelohnt hat oder nicht. Arbeitsunterweisungskarten sind unwirtschaftlich, wenn nicht folgende Hauptvoraussetzungen erfüllt sind: a) Reihenund Massenherstellung, b) beste Organisation 1 ), c) hoher Stand der Betriebsnormung, d) genügend Kapital, e) kein zu großer Widerstand der Arbeiterschaft. Betrachten wir die einzelnen Punkte etwas genauer: a) R e i h e n - u n d

Massenherstellung.

Bei Einzelfertigung und Qualitätsleistungen ist die Anwendung der Unterweisungskarte höchst unwirtschaftlich. Sie lohnt sich erst bei bestimmter Größe und bei gewisser Gleichartigkeit der Produktion. Ein Beispiel soll das veranschaulichen. Die im Anhang wiedergegebene Unterweisungsl ) Manche Werkleiter verwechseln »Organisation« mit »Zwangsläufigkeit«. »Deshalb versuchte mancher Werksleiter vergeblich die sinkende Wirtschaftlichkeit seines Werkes durch Einführung eines kunstvoll aufgebauten Akkordsystems, durch Schaffung einer bis ins kleinste gehenden Nachkalkulation, durch detaillierteste Aufstellung der Unkosten, durch genaueste Verbuchung der benötigten Materialien zu heben. Auch das Engament eines mit den modernen Herstellungsmethoden bestens vertrauten Betriebsingenieur;, die Beschaffung moderner Werkzeugmaschinen konnten keinen nennenswerten Erfolg herbeiführen. Während die Abwicklung der einzelnen Arbeiten sich beträchtlich umständlicher gestaltete, wurden etwaige Ersparnisse durch eine Steigerung der Unkosten aufgehoben. Auf der andern Seite wiederum gibt es unleugbar Werke mit denselben Fabrikationszweigen, deren Xachkalkulation und Akkordsystem nach modernen Begriffen äußerst mangelhaft sind, deren Unkostenaufstellung ganz summarisch erfolgt, die vielleicht gar keinen Betriebsingenieur beschäftigen und doch recht wirtschaftlich arbeiten und deren Erzeugnisse jedem Wettbewerb standhalten.« L a u f f e r , S. i.

173 karte zeigt uns zugleich einen Grenzfall ihrer Anwendung. Die Karte ist der Michelschen Schrift 1 ) entnommen. Zehn Stück kleine Prisonstifte sollen auf einer Revolverbank gedreht und abgestochen werden. Zeit des ganzen Arbeitsauftrages: 48,45 Minuten. Die Zeit, die zur Herstellung der Unterweisungskarte und aller sie vorbereitenden Zeitstudien erforderlich ist, wird bei manchen Werken so groß sein, daß diese von vornherein auf die Anwendung der Unterweisungskarte in diesem Fall verzichten. Man wird die Prisonstifte lieber auf Lager halten. Oberingenieur M i c h e l schreibt über diese Unterweisungskarte (S. 54): »Zur Erklärung sei bemerkt, daß derartige Unterweisungskarten nur in solchen Betrieben verwendet werden können, die über eine hochentwickelte, mechanisierte Betriebsorganisation verfügen. Tatsächlich stammt die Karte aus einer amerikanischen Fabrik, die über vollkommene Einrichtungen, z. B. gut geschultes Bureaupersonal, weitgehende Normung und über eine ganz vorzügliche Arbeitsvorbereitung verfügt. Nur so ist es zu verstehen, daß die Karte zu ihrer Herstellung Minuten gebraucht, gegenüber Stunden, die etwa ein unter anderen Umständen arbeitendes Bureau benötigen würde. Unter den Verhältnissen, wie wir sie durchschnittlich in unseren Werken vorfinden, wird die Anwendung derartiger Karten auf lange Zeit hinaus praktisch unmöglich bleiben. Die Karte findet nur deshalb Erwähnung, weil an ihr die äußersten Grenzen der Anwendung noch erkennbar sind. Später werden wir sehen, daß Unterweisungskarten für Arbeiten, die Stunden und Tage dauern, nicht viel umfangreicher hergestellt werden als die vorliegende Karte, die nur eine Minute Arbeit umfaßt.« Man lasse sich nicht durch die falsche Exaktheit der amerikanischen Unterweisungskarte verführen. Ein guter Kalkulator arbeitet bei aufrichtiger Zusammenarbeit mit der Arbeiterschaft in den meisten Fällen wirtschaftlicher als die besten Meßgeräte, besonders dann, wenn die Arbeiter den Neuerungen Widerstand entgegensetzen 2 ). Die Massen') »Wie macht man Zeitstudien?« 1920. ) Eliminating the stop watch from industry. Von K n o e p p e l (Iron Age, 18. September 1919, S. 766/67.) In rd. 80% aller Fälle komme man ohne Stoppuhr bei Zeitbestimmungen aus. 2

174 fabrikation ist das Gebiet für die Unterweisungskarte. In Taylorbetrieben führt man sehr oft die wirtschaftlichen Erfolge hauptsächlich auf die Verwendung von Unterweisungskarten zurück. Dabei werden die größten Ersparnisse mehr durch sorgfältige Arbeitsvorbereitung, Arbeitsteilung und Anwendung der billigsten Arbeiter und besten Maschinen erreicht. b) u. c) O r g a n i s a t i o n u n d B e t r i e b s n o r m u n g . Mindergute Organisation bedingt höhere Zuschlagszeiten. Die Wirtschaftlichkeit der Zeitstudien hat dadurch ihre Grenzen. Ohne eine gewisse Zwangsläufigkeit der Organisation, ohne gute Selbstkostenberechnung, genaue Unkostengliederung und straffe Terminverfolgung, vor allem aber ohne einen hohen Stand der Betriebsnormung haben Zeitstudien und Unterweisungskarten keinen großen Wert1). *) Prof. S c h i l l i n g , Die Bedeutung neuzeitlicher Ausgestaltung von industriellen Betrieben für die Wirtschaft nach dem Kriege, in Technik und Wirtschaft, 1918, S. 97 und 153. Hier finden sich gute Vorschläge zu wirtschaftlicher Organisation. »Als erster Punkt ist Zwangsläufigkeit zu fordern. Dies bedeutet, daß der Angestellte nicht durch systemlose Anordnung und Befehle, sondern durch das System selbst zu ordnungsmäßigem Erledigen der Arbeiten gezwungen wird. Das System muß ferner nicht nur richtige, sondern auch lückenlose und vollständige Aufschreibungen liefern . . . Das zweite Kennzeichen einer guten Betriebsorganisation ist eine klare Unkostengliederung. Zu diesem Zweck muß die Fabrik in einzelne Gruppen unterteilt werden. Als solche Fabrikgruppen können z. B. einheitliche Maschinengruppen, etwa eine Anzahl Drehbänke, Fräs- oder Schleifmaschinen gleicher Type oder aber eine Anzahl Schlosserstände angesehen werden. Jede Gruppe darf nur solche Maschinen oder Fabrikeinrichtungen umfassen, bei welchen die Höhe der Unkosten etwa gleich'ist. Für die so zusammengefaßten Gruppen müssen monatlich oder vierteljährlich Abrechnungen herausgegeben werden . . . Besonders die einzelnen Gruppenrechnungen lassen bei richtiger Anordnung in ihren Endziffern den Erfolg von Neuerungen oder Änderungen erkennen. . . . Die geschilderten beiden Punkte, einwandfreie Selbstkostenberechnung und Unkostengliederung, gelten sowohl für Einzelwie für Massenfabrikation in gleichem Maße. Das Prinzip muß überall restlos durchgeführt werden, wenn man zu' einer zahlenmäßig klaren Übersicht über Fehler und Erfolge kommen will. Die beiden Punkte stellen also Mindestforderungen dar, die überall erfüllt werden müssen . . . Ein dritter wichtiger Punkt ist die Termjnfrage • • . Das vierte Kennzeichen einer guten Fabrikorganisation besteht darin, daß nicht nur

175 Sehr beachtenswert sind die Worte des Ingenieurs D a v i d s o h n 1 ) : »Es ist nun verhältnismäßig nicht schwierig, Zeitstudien und darnach Arbeitspensen aufzustellen. Schwierig ist es nur, die Arbeit so vorzubereiten, daß bei der Erledigung des Arbeitsauftrages genau die gleichen Verhältnisse vorliegen wie bei der Vornahme der Zeitstudie. Einige Beispiele: Im Arbeitsauftrag ist das Holen einer Vorrichtung vorgesehen. Der Mann am Schalter der Werkzeugausgabe findet sie nicht gleich, sie ist vielleicht überhaupt noch nicht fertig, oder sie ist in Reparatur, oder auch der Schalter ist dichtbesetzt von Leuten, und Ihre ganze Zeitbestimmung ist über den Haufen geworfen. Ein anderes Beispiel: Die Blaupause ist nicht gut leserlich. In Betrieben mit gewöhnlichem Akkord- oder Zeitlohn geht der Arbeiter zum Meister und fragt. Bei vorgeschriebener Zeit tut er es bestimmt nicht, denn es kostet ihm Zeit, und die hat er nicht übrig. Oder nehmen wir an, alles klappt vorzüglich bis zum Schluß. Da merkt der Arbeiter, daß ihm nicht die volle Stückzahl angeliefert worden ist. Vorher zu zählen hatte er keine Zeit; es war auch nicht im Arbeitsauftrag vorgesehen. Hinterher aber, indem er die Stücke beim Weglegen aufeinander stapelt, sieht er es. Was nun ? Herumlaufen und das Fehlende holen, kann er nicht; dazu ist keine Zeit. Auch zum Holenlassen ist es zu spät, warten kann er nicht. Also fängt er die nächste Arbeit an, die schon vorbereitet neben ihm liegt. Eine große Menge Lauferei und Schreiberei entsteht nun. Die Arbeit muß noch einmal neu vorbereitet und neu eingerichtet werden. Der Arbeiter läuft Gefahr, seine Prämie zu verlieren, und unnötige Unkosten entstehen. Außerdem hat er durch das neue Einrichten seine Zeit nicht mehr einhalten können, und Sie müssen Zeit zugeben, oder der Krach ist da. In beiden Fällen das Gegenteil von dem, was erreicht werden sollte. die Herstellungskosten jeder Maschine insgesamt, sondern sogar jedes einzelnen Maschinenteiles, selbsttätig so genau wie möglich, ohne Zuhilfenahme von Schätzungen oder Mutmaßungen, festgestellt werden kfinnen« ( S c h i l l i n g , S. 99—102). Vgl. Justus B o r m a n n , Die Einfahrung des Taylorsystems in laufende Betriebe, 1920. ') M i c h e l , Wie macht man Zeitstudien, S. 101/102.

176 Die paar Beispiele zeigen, durch was für Kleinigkeiten eine Zeitfestsetzung wertlos werden kann. Ein Teil dieser Versäumnisse wird j a allerdings durch die Zuschlagszeiten ausgeglichen. Wir haben uns z. B . noch durch sogenannte Versäumnisbescheinigungen geholfen, die der Arbeiter ausschreibt, wenn er nachweisen kann, daß die Versäumnis nicht durch seine Schuld entstanden ist. Die versäumte Zeit wird ihm ersetzt, aber da besteht natürlich die Gefahr, daß dies ausgebeutet wird. Immerhin muß beim wirtschaftlichen Arbeiten ein bestimmter G ü t e g r a d d e r V o r b e r e i t u n g vorhanden sein. Und das hat wieder zur Voraussetzung, daß die Vorbereitungen systematisch betrieben werden.« Also zuerst stets gute Betriebsorganisation, dann erst, wenn die oben geforderten Voraussetzungen noch erfüllt sind, vielleicht Unterweisungskarten. Der Taylorismus kommt überhaupt in allen seinen Punkten nur in Frage bei schon vorhandener guter Organisation. Auch ohne Unterweisungskarte kann trotzdem vielfach Mustergültiges geleistet werden. Die Frage der Unterweisungskarte ist eine Kalkulationsfrage und ein Problem der Arbeitshygiene. Werden Unterweisungskarten eingeführt, so ist die Einrichtung eines besonderen Bureaus nötig. E s erfordert dies also die Schaffung eines großen Apparates, der bisher im Werke noch nicht vorhanden war. In guten Werken bestand bisher zwar ein besonderes Bureau (»Vorrichtungs- und Werkzeugbau«, »Arbeitsbureau«) für die ganze Durchführung besserer Organisation. Seine Aufgaben waren je nach den Bedürfnissen ganz verschieden (systematische Arbeitsvorbereitung, Selbstkostenberechnung, Terminkontrolle, Untersuchungen, Beobachtungen und Berechnungen zur Herabdrückung der Herstellungskosten, besonders zur Verbesserung der Verfahren, Festsetzung der Reihenfolge der Arbeit, Sorge für Material und Werkzeuganlieferung, Betriebsnormung 1 ). Das Arbeitsl ) » Auch hier werden oft Zeitstudien angebracht sein, jedoch nur in kleinerem Umfange. Man braucht bei der schriftlichen und zeichnerischen Festlegung dieser Arbeitsmethoden nicht gleich an schwierige und kostspielige Zeit- und Bewegungsstudien zu denken, aber eine gründliche auf vielen Versuchen basierende Durcharbeit ist unerläßlich.

177 bureau T a y l o r s hat aber noch viel umfassendere Aufgaben: die Analysierung und ökonomisierung der ganzen nonnungsfähigen Betriebsarbeit durch Zeitstudien, die Einteilung in Arbeitspensen und die Ausstellung der Unterweisungskarten. Man unterschätze nicht die Schwierigkeiten und Kosten und den Aufwand an Geduld und Mühe, welche diese vermehrte Arbeit macht. Damit kommen wir zur weiteren Voraussetzung für die Einführung von Unterweisungskarten: d) g e n ü g e n d K a p i t a l . Schon die Normung der Arbeitsplätze, Werkzeuge, Einrichtungen, Maschinen, Zeichnungen, Materiahen, Arbeitsverfahren und der Lager erfordert hohe Ausgaben. Die Einführung der Unterweisungskarten bildet jedoch einen dauernden großen Unkostenfaktor, der nur bei Massen- und Reihenfabrikation sich lohnen wird. e) V e r h a l t e n d e r A r b e i t e r s c h a f t . Man wird nicht gegen den Willen der Arbeiterschaft die Zeitkarte einführen. Es wäre unvorsichtig, Geldausgaben für Ausarbeitung von Unterweisungskarten zu machen, wenn man nicht Arbeiter, Vorarbeiter und Meister von dem Werte dieser Neuerungen überzeugen kann. Hauptgrundsatz muß bei der Einführung der Unterweisungskarte wie bei allen Maßnahmen einer Neuorganisation sein, daß die Schaffensfreudigkeit der Arbeiter und Meister erhalten bleibt. Sonst bedeuten diese Neuerungen nur papiemen Formularwahnsinn und Überorganisation, die unnötige Kosten verursacht. Man darf nicht glauben, daß durch Einführung der Unterweisungskarten weniger Streitigkeiten entstehen. Die Sache macht sich auf dem Papier ganz gut. Der verschärfte Gegensatz Dabei darf nicht unterlassen werden, dazu die besten und zuverlässigsten Arbeiter der Werkstatt hinzuziehen und deren Ansichten unparteiisch zu würdigen. Ganz abgesehen davon, daQ diese schöpferische Mitarbeit die Arbeitsfreude und das Zusammengehörigkeitsgefühl ungemein hebt, wird ein guter Erfolg nur durch innigste Verschmelzung von Theorie und Praxis gewährleistet. Weiter sind diese Unterweisungen in Mappen übersichtlich geordnet und leicht zugänglich in der Werkstatt aufzubewahren. Wie weit man bei diesen Arbeiten gehen kann, hängt von der Eigenart des Werkes ab.« ( L a u f f e r , S. 6). S ö l l h e i m , Taylorsystem.

12

178 der Arbeiter beweist uns aber bald, daß diese logische Schematisierung und Mechanisierung alles Betriebsgeschehens schließlich zwar noch in einer Munitionsfabrik während der Kriegszeit unter dem Drucke der militärischen Zwangswirtschaft durchzuführen wäre, daß sie aber in der Friedenspraxis völlig versagen kann. Die ganze Organisation ist ja viel empfindlicher geworden. Rückschläge können nicht nur alle mühselig gewonnenen Grundlagen (Zeitstudien, Unterweisungskarten) wertlos machen sondern auch der Leitung das Vertrauen der Arbeiterschaft rauben. Der Arbeiter sieht dann nur zu leicht im Betriebsleiter den Ausbeuter, den man direkt und indirekt in jeder Weise schädigen muß. Meistens liegen taktische oder Organisationsfehler der Werkleitung vor, wenn es soweit kommen kann. Man wendet entweder zu herzlose Verfahren bei der Zeitfeststellung an, sorgt also nicht für zweckmäßige Zuschlags- und Ausgleichszeiten oder man steckt den ganzen Gewinn so ziemlich allein für sich ein. Da hilft dann alle »Aufklärung« der Arbeiterschaft über den großen Nutzen der Taylorisierung nichts. Ohne besonderen Ansporn durch bessere Löhne sind Unterweisungskarten unwirtschaftlich, weil sich niemand darnach richtet. Welche Lohnform gewählt wird, kommt auf die gegenseitigen Abmachungen an. Auf jeden Fall muß dem Arbeiter ein Zeitlohn oder sein Durchschnittsakkord gewährleistet bleiben, damit Fehler und Härten der Unterweisungskarten kompensiert werden. Um das Mißtrauen der Arbeiterschaft zu beseitigen, ist es überdies notwendig, daß die Zeitmessungen im Betriebe selbst und nicht in besonderen Versuchsabteilungen mit meist besseren Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen gemacht werden. Zeitstudien anderer Werke dürfen nicht ohne vorhergehende genaue Prüfung auf das Werk übertragen werden. Sachverständige Arbeiter müssen bei der Feststellung von Zeitnormen und der Aufstellung von Zuschlagszeiten und Ausgleichsfaktoren beigezogen werden. Geht man von Maximalzeiten aus, so müssen die Zuschlagszeiten genügend groß sein, damit lebenswahre Durchschnittsleistungen die Norm bilden. Bei großen Mißverhältnissen zwischen Leistung und Zeitnorm der Unterweisungskarte sind die Unterlagen genau nachzuprüfen.

179 Es ergeben sich meistens dann direkte Fehler oder man merkt, daß der betreffende Arbeiter unter viel ungünstigeren Bedingungen arbeitet als der Versuchsarbeiter. Bei Zeitverlusten, die ohne Verschulden der Arbeiterschaft entstehen, sind Versäumnisbescheinigungen auszustellen. Die Arbeiter merken natürlich sofort, ob die Neueinführung für sie günstig ist oder nicht, ob sie wirklich gerecht bezahlt werden, ob eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder eine Arbeitsersparnis und Arbeitserleichterung eingetreten ist. Eine zu große Mechanisierung und Entfreudung der Arbeit ist auf jeden Fall schädlich und gefährlich 1 ). Wir haben im Durchschnitt einen viel intelligenteren Arbeiter als die amerikanische Großindustrie. Man halte sich deshalb nicht an das amerikanische Schema. Auf jeden Fall hat der Arbeiter das Recht, sich gegen eine zu große Entpersönlichung der Arbeit zu wehren; denn er ist allein der leidtragende Teil. Ein zu kleinliches Vorschreiben jeder, auch der kleinsten Bewegung, ist bei unserem besseren Arbeitermaterial oft unnötig. Die hierauf verwendeten Zeitstudien, welche ohne Rücksicht auf die praktische Durchführbarkeit die Arbeit in ihre kleinsten Elemente zerlegt, machen sich nicht so leicht bezahlt. Eine solche Atomisierung der Arbeit verteuert nur die Herstellung der Unterweisungskarte und vermehrt die Betriebsbeamten. Auf jeden Fall hat man weitgehendste Rücksicht auf den Arbeiter zu nehmen, sonst macht die Arbeiterorganisation der Betriebsleitung einen Strich durch die Rechnung. Hier spielen natürlich auch wichtige Probleme der Sozialpolitik mit herein. Das geistige Kapital unserer Arbeiter, dieser große Schatz des deutschen Volkes, wird nicht ent') »Die härteste und verhängnisvollste soziale W i r k u n g des talismus ist n i c h t die materielle A u s b e u t u n g der Besitzlosen,

Kapi-

sondern

die geistige A u s b e u t u n g , die darin liegt, d a ß die Intelligenz einer s c h m a l e n Schicht den g a n z e n geistigen G e h a l t der Arbeiter an sich gerissen u n d der breiten Masse die t o t e Schale der mechanischen A u s f ü h r u n g ü b r i g g e lassen h a t .

H e u t e h ä l t eine starre technische Organisation die K r ä f t e

einer großen Masse in einem undurchbrechlichen B a n n ; sie sind m i t e i n e m großen

Teil

ihrer

Fähigkeiten

brachgelegt,

die

Volkswirtschaft

w e n d e t v o n ihnen ein paar H a n d g r i f f e « . (Frl. Dr. B ä u m e r , schulkonferenz,

ver-

Reichs-

1920.)

12*

180 sprechend ausgenützt, da die Arbeitskarte leicht das Mittel werden kann zur Eliminierung des Wissens und der Selbständigkeit unserer Arbeiter. Mit zunehmender Eintönigkeit der Arbeit schwindet die handwerkliche Leistung des Volkes, die Berufsfreudigkeit und der Berufsstolz. Das liegt aber nicht im Interesse unserer Industrie- und Kulturen twicklung. Die Entseelung und Entgeistigung der Arbeit führt zur Fronarbeit und Degenerierung. Tüchtige Lehrlingsausbildung und Berufsbildung sind dann nicht mehr nötig. Unsere Qualitätsleistungen, die uns allein die fremden Märkte wieder gewinnen könnten, sinken. Man sieht immer wieder: eine Überspannung des Normungsbegriffes, wie es sich im Taylorsystem findet, birgt große kulturelle Gefahren in sich, innerpolitische und soziale für die Volkskultur und außerpolitische für unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkte. Dennoch kann bei Einhaltung gewisser Grenzen die Arbeits- oder Unterweisungskarte für einzelne Massenbetriebe in Betracht kommen. Diese Werke mit ausgesprochener Massenfabrikation beschäftigen aber zurzeit nur einen kleinen Bruchteil der Arbeiterschaft Deutschlands. Die Unterweisungskarte wird also nur in beschränktem Umfange zurzeit in Deutschland Aufnahme finden können. Bei Massen- und Reihenfabrikation kann sie sicherlich große Vorteile bringen. Diese Werke sind meist viel mehr als andere auf den angelernten und ungelernten Arbeiter eingestellt. Aber auch hier darf natürlich die Ausbildung der Lehrlinge und die Fortbildung der Arbeiterschaft nicht vernachlässigt werden; denn dies muß stets eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gütererzeugungspolitik bleiben. Man muß stets bedenken: auch der ungelernte Arbeiter hat ein Recht auf persönliche Wertung. Auch ihm darf man nicht jedes bißchen Selbständigkeit nehmen. Als großes Sicherheitsventil gegen eine zu große Mechanisierung der Arbeit bleibt stets, daß sich die Arbeiterorganisation dagegen rühren kann. Es muß die Möglichkeit bestehen, daß man unter alten Arbeitsbedingungen weiter arbeiten darf. Zwingender als die Logik der Sozialpolitik ist für den Unternehmer die nackte Tatsache, daß sehr viele Betriebe

181 bei Einführung der Unterweisungskarte unwirtschaftlich arbeiten werden. Es ist eben ein Irrtum, wenn man glaubt, kleinere und verwickeitere Verhältnisse mit Hilfe fremder Organisatoren in das Taylorsystem zwingen zu können. Die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens kann am meisten gehoben werden durch gemeinsame Verbesserungsarbeit von Leitung, Meistern und Arbeiterschaft. Der rechte Arzt für eine Betriebsorganisation kann nur der erfahrene Praktiker sein, der den ganzen Organismus des Betriebes, seinen Arbeiterstamm, seine Meister, seine Arbeitsmittel und seine ganzen Bedürfnisse jahrelang mit all den Vorzügen und Schwächen der Organisation kennen gelernt hat. Da hilft kein fremdes Schema, keine fremde Zwangsbetriebswirtschaft, keine Taylorschen Formulare. Da hilft nur die freudige Mitarbeit aller und darum ist auch das Vertrauen der Arbeiterschaft und Meister zur Leitung ein ungeheuer wichtiger psychologischer Faktor. Ich verweise hier noch auf das wichtige Buch eines alten Praktikers, das so viele beachtenswerte Vorschläge und Anregungen enthält, auf die »Kritik des Taylorsystems« von Gustav F r e n z (1920). Er schreibt: »In der Massenfabrikation wird man die Unterteilung ziemlich weit einführen können. Unser deutscher Maschinenbau bietet jedoch hierzu keine geeeignete Grundlage. Die Arbeitstätigkeit des einzelnen im Maschinenbau ist eine so abwechselnde, daß es unmöglich ist, hierfür bis ins einzelne gehende Vorschriften auszuarbeiten. Und selbst, wenn man diese Riesenarbeit, wie sie die Aufstellung derartiger Vorschriften erfordert, unternehmen wollte, so würde der Arbeiter zum Studium seiner Vorschrift vor Beginn der Arbeit mehr Zeit gebrauchen wie zu seiner früheren eigenen Überlegung«. Viele Betriebe werden kein Interesse daran haben, die Arbeitskarte einzuführen. Sie wissen nur zu gut, daß sie für sie eine ungesunde, teuere und gefährliche Überbureaukratisierung bedeutet, unter der die Zusammenarbeit, Leistungsfähigkeit und Berufsfreudigkeit der Betriebsangehörigen leidet 1 ). *) Gesetz des Organisationsertrages: vgl. den Schluß der Arbeit, wo ich dieses Gesetz abgeleitet habe, S. 232 ff. Siehe auch S. 192 f{., S. 41—46, 36 ff.

182

Die Normung.1* Alle Industriestaaten zwingt der Konkurrenzkampf zur rationellen Industriewirtschaft: zur Normung, Typisierung, Spezialisierung, Betriebsorganisation und Betriebskonzentration. Amerika war der Schrittmacher, England wurde durch das Emporblühen des amerikanischen und den Niedergang des eigenen Handels zur Vereinheitlichung getrieben. Auch Deutschland mußte folgen. In Deutschland brach die wirtschaftliche Not des Weltkrieges dem Vereinheitlichungsgedanken freie Bahn. Das Hindenburgprogramm, die Zwangswirtschaft mit ihrer Kohlenund Rohstoffnot, die Zeit der Umstellung der Kriegs- in die Friedenswirtschaft, der große Massenbedarf nach dem Kriege, unsere elende allgemeine Wirtschaftslage und die ausländische starke Konkurrenz zwangen uns dazu, die Normungsfrage in den Vordergrund der neuzeitlichen Wirtschaftsprobleme zu rücken. Auch große gewaltige Kulturaufgaben, wie der Aufbau der zerstörten Gebiete, könnten ebenfalls nur durch weitgehende Vereinheitlichung der betreffenden Industrien wirtschaftlich durchgeführt werden. Unter dem Drucke der Kriegsverhältnisse entstand das Fabrikationsbureau in Spandau, das die Normalisierung des Kriegsgerätes durchzuführen suchte. Die Konstruktionszeichnungen wurden auf die Möglichkeit einer fabrikationstechnischen richtigen Fertigung durchgeprüft. Die Voraussetzungen für eine Durchführung einer großzügigen Vereinheitlichung unserer Industriewirtschaft sind gegeben. Ja, wir müssen normieren! Wir werden dabei keineswegs das Gespenst des mechanistischen Normenstaates zu leicht nehmen. Normalisierung, Typisierung und Sonderung (Spezialisierung) müssen den Lebensbedingungen und Lebensnotwendigkeiten unserer Industrie und unseres Volkes angepaßt werden. Sie sollen uns ') Über Betriebsnormung S. 36—41, Industrienormen, S. 66—68, Über Gefahren zu weitgehender Normung, S. 96, 97, 174ff., Nutzen der Normung, 8.40/41, s. auch Schluß und Literaturverzeichnis unter Normung. Die Arbeiten des deutschen Normungsausschusses werden veröffentlicht in der Zeitschrift »Der Betrieb«.

183 keinen starren Schematismus bringen, der unsere gesamte technische und wirtschaftliche Entwicklung hemmt. Sie sollen uns nur im Rahmen eines gesunden Fortschritts möglichst vollkommene, bewährte Einzelteile, Formen, Abmessungen, Werkzeuge, Maschinen und Einrichtungen bringen, die immer wieder durch bessere ersetzt werden müssen. Man wird jederzeit befürworten können, daß die 300 deutschen Typen für Pflüge auf 100 oder weniger beschränkt werden. Und warum sollen nicht auch die geschmacklosen Lampen, Wanduhren, Kücheneinrichtungen usw. durch engste Zusammenarbeit von Kunst, Handwerk und Industrie durch preiswerte einfache, aber gediegene Ausführungen ersetzt werden? Man denke nur an die Bestrebungen des deutschen Werkbundes! Eine weitblickende normalisierte und typisierte Massenherstellung kann für die gesamte Volkswirtschaft mannigfache Vorteile bieten. Waither R a t h e n a u ruft uns zu: »Was eine Jahreserzeugung von 40 Milliarden an Unkosten nicht tragen kann, das trägt eine solche von 80 Milliarden.« Beachtet die Normung ihre Grenzen, so wird niemand gegen eine vernünftige Vereinheitlichung etwas einwenden. Die oben geschilderten Gefahren 1 ) können auch vermieden werden. Die große Vergewaltigung des Kultur- und Wirtschaftslebens braucht nicht einzutreten. Normen müssen etwas Fließende^ sein. Sie sollen uns gute erprobte Formen für eine bestimmte Zeit bringen. Wir können heute in Deutschland die Normungsfrage nicht mehr unter dem engen Gesichtswinkel T a y l o r s , der nur Betriebsnormen kannte, behandeln. Jeder Betrieb muß sich von nun an um die Arbeit des Normenausschusses der deutschen Industrie kümmern. Und deshalb muß das ganze Normungsproblem, wie es sich in Deutschland seit den Kriegsjahren entwickelt hatte, kurz an unserem Geiste vorüberziehen. Deutschland zeigte seit Jahrzehnten gute Ansätze zur Vereinheitlichung (Elektrotechnik, Eisenbahnwesen), aber erst die wirtschaftliche Not des Krieges zwang uns zur groß1

) S. 96; über Gefahren zu weitgehender Taylorisierung S. 237 f f . ; über Bedeutung des Taylorismus S. 226 ff.

184 zügigen Arbeit 1 ). Führend in der Frage der Vereinheitlichung ist in Deutschland von jeher der Verein deutscher Ingenieure. Im Jahre 1917 entstanden unter seiner Leitung oder Führung: 1. Der Normenausschuß der deutschen Industrie (Nadi, •gegründet 1917). 2. Der Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung (A.w.F., gegründet 1918). 3. Die B e t r i e b s t e c h n i s c h e A b t e i l u n g beim deutschen Verband technisch-wissenschaftlicher Vereine, welche die Arbeiten der bestehenden Ausschüsse für Betriebsorganisation fortsetzte2). Diese Ausschüsse setzen sich aus führenden Vertretern der Industrie, des Wirtschaftslebens und der Wissenschaft zusammen. Die deutsche Industrie und der Staat haben sie bis jetzt mit weit über 1 Million Mark unterstützt. Den Hauptausschuß des Nadi bilden Vertreter der technischen und Verwaltungsbehörden und die großen technischen Vereine und Verbände. So haben z. B. das Reichswirtschaftsamt, die verschiedenen Ministerien (Verkehrs-M., M. f. Handel und Gewerbe, Kriegs-M.), die Normaleichungskommission, die Physikalisch-Technische Reichsanstalt, die Versuchs- und Materialprüfungsämter, das Patentamt und die technischen Hochschulen je einen Vertreter im Hauptausschuß, ferner auch die führenden industriellen Verbände des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, des Schiffbaus und anderer Industrien. Beim Nadi bestehen Arbeitsausschüsse für die verschiedensten Aufgaben, z. B. für Benennungen, Geschäftspapiere, Zeichnungen, Gewinde, Nieten, Keile, Kugellager, Trans' ) Dr. G a r b o t z , Die Vereinheitlichung in der deutschen Industrie. 2 ) Der Verband technisch-wissenschaftlicher Vereine (gegr. 1916) umfaßt alle großen Vereine der Ingenieure, Architekten, Eisenhüttenleute, Chemiker, Elektrotechniker, Schiffsbautechniker, Gas- und Wasserfachmänner, Gießereifachleute, Markscheider usw., das Deutsche Museum und einige wissenschaftliche Gesellschaften (Bunsengesellschaft, Beleuchtungstechnische Gesellschaft, Luftfahrt, Metallhütten und Bergleute). Zweck: gemeinsame Arbeit auf dem Gebiete der Technik, Förderung der technischen Wissenschaften, Mitarbeit in Fragen der technischen Gesetzgebung, die Vereinheitlichung gemeinsamer technischer Grundlagen und die Weiterentwicklung des technischen Unterrichtswesens (Hochschulausschuß im Vorstandsrat).

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missionen, Lagerbuchsen, Passungen, Rohrleitungen, gezogene und gewalzte Metalle, Walzprofile, Werkstoffe, Werkzeuge, Normenforschung und Normensystematik. Alle beteiligten Kreise werden um Mitarbeit ersucht. Die Entwürfe und Normenblätter werden in der Zeitschrift »Der Betrieb* der allgemeinen Kritik unterbreitet. Hervorragende Fachmänner prüfen alle Umänderungsvorschläge nochmals durch. Der Normenausschuß arbeitet nach folgenden Gesichtspunkten : 1. Enge Zusammenarbeit mit den Behörden, mit der Wissenschaft, den Erzeugern und Abnehmern, 2. straffe Organisation, jedoch ohne behördliche Befugnisse, dabei möglichste Beweglichkeit, um sich den jeweiligen Bedürfnissen der Praxis anzupassen, 3. häufige Durchsicht der Normalien, um ein Erstarren der Technik zu verhindern, 4. Ablehnung jedes Zwanges bezüglich der Einführung von Normalien in die Industrie. Die deutschen Normen finden bereits im Auslande Nachahmung und Anerkennung. Der A u s s c h u ß f ü r w i r t s c h a f t l i c h e F e r t i g u n g setzt sich folgende Aufgaben: 1. Untersuchung der Grundlagen wirtschaftlicher Fertigung, besonders der Wirkungsweise und Anwendbarkeit der Spezialisierung und Typisierung 1 ), 2. Aufklärung möglichst weiter Kreise, sowohl der Hersteller wie der Verbraucher von industriellen Erzeugnissen, über die Ergebnisse der Untersuchungen des Ausschusses, Beratung bei Vergebung großer Aufträge, besonders von Behörden, bei Gemeinden und anderen öffentlichen Stellen im Sinne zweckmäßiger Spezialisierung und Typisierung, 3. Sammlung aller bei der praktischen Anwendung der Spezialisierung und Typisierung gemachten Erfahrungen und einheitliche planmäßige Zusammenfassung aller Bestrebungen und Arbeiten, ') Die Typisierungsarbeit wurde nun fast ganz dem Normenausschuß übertragen.

186 4- Erfahrungsaustausch und Unterstützung verwandter Bestrebungen. Der Ausschuß bearbeitet also vor allem die wichtigen Probleme der Typisierung und Spezialisierung (Formen der Zusammenarbeit der Einzelbetriebe — Meistbegünstigungsverträge, Herstellungs- und Vertriebsgemeinschaften) 1 ). In der Spezialisierung oder Sonderung ist die Union Europa sehr weit voraus. Die großen Trusts führen dort nutzbringende Vereinheitlichung innerhalb ganzer Industriegruppen durch: die Beschränkung der Ausführungsformen und die zweckentsprechende Verteilung der Herstellung dieser Typen auf die einzelnen Betriebe. Sie erreichen dadurch die beste Ausnützung der besonderen Leistungsfähigkeit und der Spezialerfahrungen der einzelnen Werke. Auch in Deutschland zeigen sich große Konzentrationsbestrebungen der Industrie. Schon haben manche Industrieverbände gute Normungsarbeit für ihre Industriegruppe in Angriff genommen. Die B e t r i e b s t e c h n i s c h e A b t e i l u n g sucht alle Betriebsfragen, die auf die Wirtschaftlichkeit der Betriebe von Einfluß sind, wissenschaftlich zu fördern, vor allem eine rationelle Herstellung, die Einrichtung der Werkstätten, die Verbesserung aller Produktionsmittel und die innere Betriebsorganisation (technische und personelle Gliederung des Betriebes; Beschaffung, Prüfung, Lagerung, Transport und Verarbeitung der Rohstoffe, Auftragsgewinnung und -bearbeitung, Kalkulation, Buchhaltung, Statistik und Verwaltung und andere Gebiete). Es bestanden dort Mitte 1921 folgende Gruppen: Werkstoffe und Abfallverwertung, Hand- und Maschinenarbeit und deren sachliche und persönliche Mittel (Werkzeuge, Maschinen, Arbeiterfragen), Transportwesen und Betriebsanlagen, Energieerzeugung

und

-Verteilung,

Technik der Selbstkostenberechnung und der inneren Organisation, Technische Leistungs- und Lieferungsbedingungen und fachpolizeiliche Vorschriften. ') siehe

Näheres Anhang.

über

die

Arbeitsgebiete

des

Ausschusses

(A w I')

187 Diese einheitliche wissenschaftliche Grundlegung der Selbstkostenberechnung, der Energieerzeugung und -Verteilung, des Transportwesens und anderer Fragen kann jedem Betrieb Nutzen bringen, wenn auch die Praxis organische Anpassung an die gegebenen Verhältnisse verlangt. Über die großzügige Vereinheitlichungsarbeit des Juni 1921 gegründeten R e i c h s k u r a t o r i u m s f ü r W i r t s c h a f t lichkeit in I n d u s t r i e und H a n d w e r k s. S. 223 ff. So erfahren also die Vereinheitlichungsbestrebungen in Deutschland eine großzügige Pflege. Dank der guten Organisation des deutschen Normungsausschusses und seiner eifrigen Tätigkeit werden schon jetzt alle wichtigen Fragen des Normungsproblems einheitlich zu lösen versucht. Man wird trotzdem nicht übersehen, daß die Hauptnormungsarbeit in den Betrieben zu machen ist, wenn auch stets eine anregende Förderung und Führung der Betriebsnormung durch die Tätigkeit des Normenausschusses der deutschen Industrie (Nadi) gewährleistet wird. Die deutschen Industrienormen (D. I.-Normen) müssen für den Betrieb nutzbar gemacht werden. Dadurch wird auch eine wilde Normung vermieden. »Zur Einführung der D. I.-Normen in einem Werk gehört eine große praktische Erfahrung, Kenntnis der Werkeinrichtungen und der Fabrikation. Es muß in allen Fällen festgestellt werden, welche Arten und Abmessungen in den Einzelteilen bisher am meisten gebraucht wurden und welche Bearbeitungs- und Meßwerkzeuge vorhanden sind. Weiterhin können die am wenigsten gebrauchten Arten allmählich ausgeschieden werden. Sind die Werknormen in Einklang mit den D. I.-Normen zu bringen, so ist dies vorzuziehen. Anderenfalls sind die erstgenannten nach eingehender Prüfung, die auch in fabrikationstechnischer Hinsicht erfolgen muß, in besondere Werknormentabellen aufzunehmen. Nur auf die hier beschriebene Weise kann ein brauchbares Normenbuch für ein Werk zusammenkommen, niemals aber durch bloßes Abschreiben und Nachzeichnen der herausgegebenen D. I.-Normen. Kurz zusammengefaßt möchte ich nochmals betonen, daß die größten und am schnellsten fühlbaren Vorteile in der Herstellung durch die Festlegung der Werksnormung

188 zu erzielen sind, während die Einführung der D. I.-Nonnen vorläufig nur sehr langsam erfolgen kann . . . Je einfacher die Durchführung der Normung im Betriebe vorgenommen wird, je weniger verschiedene Maße verwandt werden, desto größer sind die zu erzielenden Erfolge 1 ).« Natürlich müssen sich die Betriebs- oder Werknormen ganz den Bedürfnissen des Betriebes anpassen. Unter Werksnormen (Betriebsnormen) rechnet F r e n z alle diejenigen Dimensionen für Maschinenelemente, welche vom Nadi nicht als allgemein gültig festgelegt werden konnten, bei der von dem Werk gefertigten Maschinenart aber unbedingt benötigt werden, ferner diejenigen Maschinenteile, welche vom Normenausschuß nicht erfaßt werden, wie Bolzen, Stifte, Hebel, Rohrschellen, Schmierungsteile, Kolbenringe, Lagerkörper, Zahnradkörper usw. Eine Normung dieser Teile wird sich sehr lohnen. Auch wo keine völlige Normung und Typisierung möglich ist, läßt sich oft wenigstens eine teilweise Vereinheitlichung durchführen. So kann man bei der Konstruktion Rücksicht nehmen auf die Austauschbarkeit stark beanspruchter Teile 2 ), wenn auch die sonstigen Abmessungen der Maschinen oft verschieden sind. Die ganze Konstruktionsarbeit kann durch weitgehende Anwendung einheitlicher Zeichnungen, Schablonen und Hilfsmittel vereinfacht werden. Ich gehe aber auf die praktische Durchführung nicht ein; denn das muß Sache erfahrener Praktiker bleiben3). Die Schwierigkeiten wird man nicht unterschätzen. Gute Betriebsnormen erfordern langjährige mühevolle Arbeit der tüchtigsten Kräfte und oft viel Kapital. Kommt doch dabei eine systematische Durchforschung der ganzen Betriebsarbeit in Frage. Nach Professor S c h l e s i n g e r vollzieht sich die Schaffung der Grundlagen für die Normung folgendermaßen 4 ): ') Gustav F r e n z , Kritik des Taylorsystems, S. 95/96. *) »Eine allgemeine Austauschbarkeit von Einzelteilen anzustreben hätte im Maschinenbau keinen Zweck. Jedes Werk hat hier seine Sondererfahrungen.« F r e n z , S. 93/94. 3) Man vgl. S. 36—41 über Betriebsnormung, und besonders F r e n z , S. 88. 4) Prof. Dr. S c h l e s i n g e r , Psychotechnik und Betriebswissenschaft, 1920, S. 44.

189 I. Sammlung des vorhandenen Tatsachenmaterials eines Fachgebietes •— sei es Werkstatt, Lager oder Bureau — Sichtung, Vorschläge zu Normalientafeln, Beschlußfassung, Einführung. II. Sammlung der praktischen Ergebnisse der ersten Normtafel aus dem Betriebe, Rückwirkung auf die neue Normtafel, Abänderung, Erweiterung. (Das »Fließen« der Normen.) III. Entwicklung der Fabriknorm zur Verkaufsnorm, zur allgemein angenommenen Norm eines Staates, schließlich zur internationalen Weltnorm. Jede Normung, die nicht wirtschaftliche Ersparnisse bringt (Vereinfachung der Arbeit, Ersparung von Werkzeugen) bedeutet nur Konstruktionsänderung, also Erhöhung der Unkosten, und ist somit für das Werk unwirtschaftlich. Viele D. I.-Normen werden vorteilhaft oft von anderen Firmen bezogen und auf Lager gehalten. Eine gute Normung und Typisierung kann besonders durch Zusammenschluß ähnlicher Werke gefördert und verbilligt werden. Auch bei Kleinbetrieben, ja sogar im Handwerk erscheint dieser Weg empfehlenswert. Ich verweise hier besonders auf das im Oktober 1919 von den badischen Handwerkskammern und der Landwirtschaftsstelle für das badische Handwerk, sowie von den Wirtschaftsstellen für die badischen Handwerkskammerbezirke errichtete » F o r s c h u n g s i n s t i t u t f ü r r a t i o n e l l e B e t r i e b s f ü h r u n g im H a n d w e r k E. V.« in Karlsruhe und Mannheim (Handelshochschule) *). Das Institut will die Fortschritte der Wissenschaft, Wirtschaft und Handelstechnik für das Handwerk nutzbar machen. Daher engste Zusammenarbeit mit Vereinen, Genossenschaften und Interessenvertretungen des Handwerks. Seine Ziele sind u. a. möglichste Normung der Arbeitsverfahren, der Arbeitsmittel (der Werkzeuge, Maschinen, Materialien, Einrichtungen), der Organisation und Geschäftsführung. Es erstrebt also Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Handwerksbetriebe durch bessere Verwertung von Stoff, Kraft, Arbeitsx ) Es wurde vom Reichsverband des deutschen Handwerks Juni 1921 für die Nationalisierung der Handwerksbetriebe bestimmt.

190 mittel, Arbeitskräften, durch Ausnützung der Organisationsmöglichkeiten, bessere Buchführung, Kalkulation, Reklame, vermehrte Arbeitsbeschaffung, Planmäßigkeit im Einkauf, Verkauf und in der gesamten Produktion usw., kurz: wirtschaftlichste Betriebsführung auf Grund bester Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. E s sucht dabei die Tätigkeit des Nadi, des Ausschusses für wirtschaftliche Fertigung und der Ausschüsse für Betriebsorganisation auch für das Handwerk dienstbar zu machen. Niemand wird dabei die großen Schwierigkeiten verkennen. Wirken doch viele Erbfehler des Handwerks den Bestrebungen entgegen (oft schlechte Lehrlingsausbildung und Weiterbildung des Nachwuchses, daher viele Stümper; starres Festhalten an alten Verfahren, alter Technik und Betriebsführung; zu wenig Kaufmannsgeist; wenig Kapital). Die Konkurrenz der Großbetriebe zwingt jedoch auch das Handwerk immer mehr zu wirtschaftlicher Fertigung. Weitgehende Normung ist eine Voraussetzung der T a y lorisierung der Betriebe. T a y l o r hat sicherlich große Anregungen für die Betriebsnormung gegeben. E r verweist mit aller Eindringlichkeit auf die Vereinfachung und die Ergiebigkeitssteigerung industrieller Arbeit durch sorgfältige Nachprüfung des ganzen Produktionsprozesses und aller Einrichtungen und durch möglichste Mechanisierung und Normung der Betriebsarbeit. Wir müssen aber auch bedenken, daß die ganze Industrieentwicklung (besonders die in- und ausländische Konkurrenz zwingt hierzu) einen starken Zug zur Differenzierung, Vereinheitlichung und Rationalisierung trägt. Auch in Deutschland sind diese Bestrebungen unabhängig von T a y l o r aufgetreten. Wir werden immer mehr gezwungen, eine bessere Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung durchzuführen und planvoller und wirtschaftlicher zu produzieren. Daher überall ein stärkerer Ruf nach einer planvollen, durchdachten und berechneten Arbeit, nach wissenschaftlichen Methoden, nach »wissenschaftlicher Betriebsführung«. Normung und Typisierung sind mit die wichtigsten organisatorischen Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Wenn sich Deutschland behaupten will, muß es diese Ideen in der rechten Weise und in bestimmten Grenzen sich nutzbar machen. Dies gilt

191

auch für die Veredlungsindustrien. Dr. Bruno R a u e c k e r sagt darüber 1 ): »Diesen verbreiteten und sich immer mehr verbreitenden Geschmacksansprüchen der Minderbemittelten, diesem sich mehr und mehr aus dumpfem Empfinden zur Klarkeit emporringenden Bedürfnis der Arbeiterschaft nach guter Ware gilt es durch Massenherstellung zu entsprechen. Nur durch weitgreifende Typenbildung wird das Gewerbe und Kunstgewerbe hierzu in der Lage sein. Typisierung bedeutet Vereinheitlichung der Herstellung, Vervielfältigung einmal eingereichter Künstlerentwürfe in Gewerbe und Industrie, bedeutet Ausnutzung der Arbeitsteilung und aller technischen Hilfsmittel des Großbetriebs, bedeutet die Verbilligung guten Hausgeräts bis zur letzten Möglichkeit und hierdurch, sozialpolitisch wie ästhetisch betrachtet, einen weitgehenden Fortschritt.« Die englische Regierung hat z. B . ihre Industrie schon während des Krieges bewogen, die Grundsätze des Deutschen Werkbundes in die Praxis überzuführen durch Massenherstellung veredelter gewerblicher Erzeugnisse. Die Normung ermöglicht vielfach den Ubergang zur Serienund Massenherstellung und damit eine Steigerung der Erzeugung, eine Ersparung von Arbeitsenergie, eine vermehrte, verbesserte und verbilligte Bedarfsdeckung und somit eine Herbeiführung besserer Wirtschafts- und Lebensbedingungen der Bevölkerung. Wird die Vereinheitlichung vorsichtig durchgeführt, so kommen wir zu einer hochwertigen, planvolleren und mehr stetigen, spezialisierten Produktion, zur Einführung arbeitsparender Verfahren, zu einer vernünftigen Beschränkung des Mode- und Musterwechsels, zu einer größeren Stetigkeit des Arbeitsmarktes, kurz zu einer tragfähigen Produktions- und Konsumtionspolitik. Nach diesen Darlegungen werden viele die Normungsbestrebungen der Taylorschule für völlig berechtigt halten, ja für erstrebenswert für die Durchführung einer gesunden Wirtschafts- und Kulturpolitik. Sicherlich ist vieles gut, soweit es sich auf die technische Normung der Arbeitsmittel bezieht (der Maschinen, Werkzeuge, Einrichtungen, Arbeitsplätze, Materialien). Ich habe auch auf den Nutzen dieser systemati*) »Die Erweiterung der Sozialpolitik zur Kulturpolitik«, 1919, S.24.

192 sehen Verbesserung der Arbeitsweise, der Arbeitsmittel und der Organisation hinreichend hingewiesen 1 ). Natürlich kann auch hier eine Überspannung der Normungsidee verheerend wirken. Nie können wir uns einverstanden erklären mit der Taylorschen Normung der Menschenarbeit durch ein Höchstpensum, das mit wirtschaftlichen Druckmitteln dem Arbeiter abgepreßt wird. Es hat dies stets den Beigeschmack der Zwangsarbeit. Diese amerikanisch-russischen Ideale passen nicht für unser deutsches Volk. Es machen sich zwar auch bei uns Strömungen zu einer Zwangsbindung des Wirtschaftslebens immer wieder bemerkbar. Ich erinnere nur an die verschiedenen Wirtschaftspläne, die in den letzten Jahren aufgetauscht sind oder auf die Absicht einer Monopolisierung des Arbeitsmarktes durch den öffentlichen Arbeitsnachweis, »der die Arbeit nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der sozialen Gerechtigkeit verteilen soll« unter Ausschaltung des Zeitungsinserates und der Arbeitsnachweise der Interessenten, d. h. der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Man denke sich noch dazu die Monopolisierung der Berufs- und Arbeiterauslese durch die »wissenschaftlichen«, psychotechnischen Verfahren, sowie die Zwangstaylorisierung Deutschlands und ein deutscher Zukunftsstaat der sozialen Ungerechtigkeit mit seiner Verbeamtung, Paragraphierung und Verknöcherung des Wirtschaftslebens ist fertig, damit aber auch die Ausscheidung Deutschlands aus dem internationalen Wettbewerb. Eine Überspannung des Normungsbegriffes ist immer schädlich. In einer vernünftigen Durchführung der Vereinheitlichung liegt jedoch ein Stück deutscher Zukunft 2 ).

Das Arbeitsbüro Taylors. Ich habe bereits früher darauf hingewiesen, daß für die Durchführung einer planmäßigen wirtschaftlichen Produktion in vielen Betrieben ein Arbeitsbureau notwendig wird 3 ). Das Taylorsche Arbeitsbureau hat jedoch noch umfassendere Aufgaben. Seine Einführung beschränkt sich jedoch auf die ») s . 40/41. Ich verweise noch auf die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen durch die Entwicklung des deutschen Tarifsrechts (Tarifverträge). 3) S. 176/177. Das Arbeitsbüro Taylors ist beschrieben S. 41 ff. 2)

193

Betriebe, welche in der Lage sind, die Taylorsche Unterweisungskarten allgemein einzuführen. Die Vorbedingungen, welche für die Einführung der Unterweisungskarten in Frage kommen, müssen auch hier gegeben sein: Reihen- und Massenherstellung, hoher Stand der Organisation und der Betriebsnormung, genügend Kapital, kein Widerstand der Arbeiter1). Bei zu starkem Wechsel der Produktion, bei zu großen Verschiedenheiten des zu bearbeitenden Materials, bei feiner Qualitätsarbeit und bei kleineren Verhältnissen ist das T a y lorsche Arbeitsbureau unwirtschaftlich. Nur bei Massenfabrikation läßt sich die Tätigkeit des Arbeitsbureaus schematisieren. Aber auch hier darf man nicht blindlings dem Taylorschen Muster folgen. Die Organisation des Arbeitsbureaus muß sich ganz nach den Betriebsbedürfnissen richten, daher soll ihr Schöpfer mit dem Arbeiterstamm, den Betriebseinrichtungen und den Bedürfnissen des Betriebes bestens vertraut sein. Auf jeden Fall muß genau kalkuliert werden, ob die Betriebsarbeit durch das Taylorsche Arbeitsbureau mit seinen Zeitstudien, seinen Unterweisungskarten und ausführlichen Arbeitsvorbereitungen die Betriebsarbeit wirklich unterstützt und verbilligt. Wichtig ist auch, daß die Güte der Arbeit nicht leidet, daß die Organisation nicht zu empfindlich oder zu schwerfällig wird und daß die Arbeiter nicht überanstrengt werden. Für die meisten Betriebe kann das Taylorsche Arbeitsbureau also gar nicht in Frage kommen. Die Einführung dieses Formular- und Formelnetzes würde die Leistungsfähigkeit des Betriebes nicht steigern, sondern nur die Unkosten vergrößern und die ganze Selbständigkeit und Selbsttätigkeit der Arbeiter und Meister ertöten. Es ist für jeden Betrieb am wirtschaftlichsten, möglichst ungenau zu arbeiten 2 ) und jede Überorganisation zu vermeiden. T a y l o r hat sicherlich mannigfache Anregungen für die Einrichtung von Arbeitsbureaus gegeben, aber es muß bei ») S. 172 ff. *) Der Praktiker wird die Richtigkeit dieses schroff formulierten Satzes verstehen. Natürlich darf die Qualität keineswegs leiden, aber eine zu große Feinheit und übertriebene Genauigkeit der Arbeit ist stets unwirtschaftlich. Söll h e i m , Taylorsystem.

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194 jedem Werk sorgfältig nachgeprüft werden, inwieweit sich die T a y l o r s c h e n Ideen wirtschaftlich verwirklichen lassen, ohne daß das Zusammenarbeiten zwischen Leitung, Meister und Arbeiter leidet. Daß auch die Personalfrage für das Arbeitsbureau keineswegs immer gut geregelt werden kann, wird sich öfters zeigen*).

Das Fachmeistersystem Taylors. Man darf das T a y l o r sehe Funktionsmeistersystem nicht als starre Norm, sondern nur als Beispiel betrachten 2 ). Jeder Betrieb hat wieder andere Verhältnisse. Eine Differenzierung der Meistertätigkeit im T a y l o r s c h e n Sinne läßt sich nur bei ziemlich gleichartigen Fabrikaten (Massen- und Reihenfertigung), entsprechender Betriebsgröße und einem geeigneten Arbeiterstamm durchführen. In kleinen Verhältnissen verbietet sich eine Aufteilung der Meistertätigkeit von selbst. »Nehmen wir einmal ein kleines Werk, welches bis 30 Arbeiter umfaßt. Hier ist in der Regel ein Meister, der alle Arbeiten ausführen muß. Hätte es für den Werkbesitzer einen Zweck, statt des einen verantwortlichen Meisters zwei oder gar mehrere Beamte anzustellen, die mit gleichen Rechten nebeneinander arbeiten ? In der Praxis würde sich dieser Weg wohl als falsch erweisen. Der Besitzer, durch die kaufmännische Verwaltung des Werkes sehr in Anspruch genommen, wird, selbst wenn er Ingenieur ist, den Betrieb in seinen Einzelheiten nicht überwachen können. Andererseits fühlen sich Funktionsbeamte natürlich auch nur für die in ihren Funktionsbereich fallenden Arbeiten verantwortlich. Es würde also dem kleinen Fabrikanten eine Menge Arbeit für seine eigene Person übrig bleiben). « Vielfach ist der alte Meister wirtschaftlicher für das Werk als die T a y l o r s c h e n Funktionsmeister. Der Meister T a y l o r s Wichtig ist: F r e n z , Kritik des Taylorsystems, S. 26—32 und s. 53—72. *) »Es ist m. E. durchaus falsch, sich an die von T a y l o r vorgesehenen vier Funktionsmeister oder die vorgezeichnete Einrichtung des Arbeitsbureaus zu klammern.« F r e n z , S. 25. Über Meistersystem vgl. auch S. 33—36. 3) F r e n z , Kritik des Taylorsystems, S. 79.

195 ist nicht so vielseitig ausgebildet Er ist einseitiger Spezialist und nur ein Handlanger des Arbeitsbureaus. Er versagt also in allen Fällen, wo es auf eine gute allseitige Ausbildung ankommt, z. B. bei schwierigen Schlosserei- Montagearbeiten. »Beim Meister im deutschen Maschinebau setzen wir große persönliche Erfahrungen nicht nur in bezug auf die Herstellung der Fabrikate, sondern auch bezüglich der Verwendung derselben voraus. Diese Erfahrung befähigt ihn, den Arbeiter bei der Herstellung schwieriger Stücke zu unterstützen, vor allem diejenige Arbeit zuzuweisen, die seinen Fähigkeiten und Leistungen entspricht 1 ).« »Die Tätigkeit des Meisters im Maschinenbau wird fast allgemein verkannt, in den seltensten Fällen aber richtig gewürdigt. Diese Tatsache kann man wohl unbestritten als eine Folge der Lehren T a y l o r s betrachten. Wenn T a y l o r aber jn den von ihm untersuchten Werkstätten nur überlastete Meister fand, die infolgedessen die ihnen zufallende Arbeit nicht übersehen und nicht richtig einteilen konnten, so kann diese Feststellung ebensowenig verallgemeinert werden, wie das Vorfinden der faulen Arbeiter2).« »Wenn anderseits T a y l o r behauptet, ein Meister, der Arbeit verteilen, kontrollieren, Zeichnungen gut verstehen * könne, der erstklassiger Facharbeiter sei, Ordnungsinn habe, energisch sei usw., sei zu schade für diesen Posten, man solle diesen Mann zum Direktor machen, so bin ich anderer Meinung. Ein Mann mit solchen Fähigkeiten gehört in den Betrieb und gerade der Meister im Maschinenbau muß diese Bedingungen erfüllen können. Die Arbeit wird er am richtigsten verteilen und auch beurteilen können, denn er kennt seine Maschinen und vor allem die Leistungsfähigkeit seiner Leute am besten 3 ).« Über den Grad der Anwendungsfähigkeit des T a y l o r sehen Meistersystems kann nur die Praxis entscheiden. Für die meisten Betriebe kommen die T a y l o r sehen Funktionsmeister gar nicht in Frage. In vielen Fällen wird sich aber doch eine gewisse Differenzierung der Meistertätigkeit durchsetzen. Es ist z. B. sehr oft möglich und wirtschaftlich, daß die Instandhaltung der Maschinen einem besonderen »Meister« F r e n z , S. 26. F r e n z , S. 76/77. 3) F r e n z , S. 77. 2)

13*

196 übertragen wird. Sehr viel kommt bei der praktischen Durchführung des Funktionsmeistersystems darauf an, in welchem Geiste die Meister ihre Tätigkeit ausüben. Gegen zu viel »Aufpasser« werden sich die Arbeiter bald wehren. Auf jeden Fall muß der deutsche Funktionsmeister eine sehr gute handwerkliche Ausbildung durchgemacht haben, wenn er sich bewähren soll 1 ).

Berufsauslese. 2 ) (Lehrlings- und Arbeiterauslese.) Zuerst kurz über die Entwicklung der Bewegung. Der Schwede H o l m g r e n hatte schon vor 40 Jahren die Farbentüchtigkeitsprüfung zur Ausscheidung ungeeigneter Eisenbahnbeamter eingeführt. In Deutschland wurden ärztliche Untersuchungen von Berufsärzten schon während der letzten Jahrzehnte durchgeführt (Militär, Marine, Schutztruppe, Lokomotivführer, Telegraphenpersonal). Mit dem Problem der Berufsauslese befaßte sich zuerst der Verein für Sozialpolitik 3 ). Bald kamen aus Amerika fruchtbare Anregungen und zwar einerseits von der amerikanischen V o c a t i o n a l Guidance-Bewegung P a r s o n s und anderseits vom Taylorismus. *) »Von

einem

Meister,

welcher

der Dreherei und gleichzeitig

in der

die

Arbeitsgeschwindigkeiten

Schlosserei

oder M o n t a g e

w a c h e n soll, v e r l a n g e ich eine w e i t größere Vielseitigkeit als v o n früheren Meister, den T a y l o r bezeichnete.« !)

Über

trieben,

Frenz,

gesetzliche

und E n t l a s s u n g .

S. 122 ff.

Erhebungen

und

Personenverteilung

psychologische

Berufsberatung, a)

dem

e t w a s zu unrecht m i t Allerweltsmeister

S. 26.

Personenauswahl

S. 2 0 — 3 3 ;

in

über-

Arbeiterauslese,

Bestimmungen

über

in S.

Taylorbe22 f f . .

129,

Arbeitereinstellung

des Vereins über » A u s l e s e und A n p a s s u n g (Berufs-

w a h l und Berufsschicksal) der A r b e i t e r in d e n verschiedenen

Zweigen

der

Leipzig,

Großindustrie«,

Duncker

&

S c h r i f t e n des

Humblot,

Max W e b e r ,

Vereins

für

Sozialpolitik,

Bd. 133—135.

Zur Psychophysik

f ü r Sozialwissenschaft,

der industriellen Arbeit,

Archiv

1908/1909.

B i e n k o w s k i , U n t e r s u c h u n g e n über A r b e i t s e i g n u n g und L e i s t u n g s fähigkeit,

Diss. 1910,

Charlottenburg,

Technische

Hochschule.

197

P a r s o n s errichtete 1908 eine Berufsberatungsstelle in Boston. Seit der ersten amerikanischen Berufsberatungskonferenz in Boston (November 1910) sind viele große Berufsberatungsstellen nach P a r s o n s Muster entstanden. T a y l o r machte die sorgfältige Arbeiterauslese und die planvollste Benützung der menschlichen Kräfte und Anlagen zu einem Hauptpunkt seines Systems. Er stellte bereits Beobachtungen an, welche Eigenschaften für einen Beruf von besonderer Wichtigkeit sind 1 ). Bald interessiert M ü n s t e r b e r g während seiner Tätigkeit als Austauschprofessor in Berlin die deutsche Wissenschaft für die psychologische Arbeiterauslese2). Binet, S i m o n , K r a e p e l i n und die experimentellen Psychologen3) lieferten verbesserte Methoden. Die psychologisch-physiologische Ermittlung der Berufstauglichkeit rückte in den Vordergrund der Aufgaben der »Wirtschaftspsychologen«. Die Intelligenzprüfungen wurden zuerst von dem erwähnten berühmten französischen Physiologen B i n e t und besonders von seinem Schüler Simon systematisch ausgebildet. S t e r n , Meumann, Moede, P i o r k o w s k i , L i p m a n n und manche andere arbeiteten eifrig an der Verbesserung der Methoden4). Die »Zeitschrift für angewandte Psychologie« (Prof. S t e r n , ') T a y l o r spricht sich II, S. 62 u. 64 über die Eigenschaften aus, die der Beruf eines Roheisenverladers erfordert. Diese Äußerungen können sich natürlich noch nicht mit den modernen Berufspsychogrammen unserer Wirtschaftspsychologen messen. Ich verweise hier darauf, daß die ersten guten derartigen Eigenschaftsbogen in Amerika erschienen. S. Technik und Wirtschaft 1913, S. 78, wo ein solcher Bogen abgedruckt ist. 2 ) Psychologie und Wirtschaftsleben 1912; Grundzüge der Psychotechnik 1914. 3 ).Vgl. S. 27. 4 ) W. S t e r n , Die différentielle Psychologie in ihren methodischen Grundlagen, 1 9 1 1 und 1921 (eine äußerst klare Zusammenstellung der Methoden der differentiellen Psychologie mit reichen Literaturangaben). W. S t e r n , Die Intelligenzprüfung an Kindern und Jugendlichen, 2. Aufl. 1916; (gibt gute Übersicht über das bisher Erreichte). W. S t e r n , Psychische Berufseignung (Ztschr. f. päd. Psychologie, 18, 313) 1917. M e u m a n n , Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik, vgl. II, 2, 1913 (Reiche Literaturangaben). P i o r k o w s k i , Die psychologische Methodologie der wirtschaftlichen Berufseignung. 2. Aufl. 1919. (Gibt einen Überblick über Ent-

198 L i p m a n n ) war das eigentliche Organ dieser psychologischen Richtung. Hier finden wir die ersten psychologischen Eignungsprüfungen eingehend dargestellt. Die Zeitschrift, welche ja auch heute noch besteht, war jedoch mehr für die wissenschaftlichen Institute und für die Hochschulen berechnet. Mittlerweile regte sich aber auch in anderen Kreisen das Interesse für diese Probleme. Der Vorsitzende des österreichischen Monistenbundes, der Wiener Soziologe Rudolf G o l d s c h e i d , hatte in kampfesfreudiger und oft treffender Weise auf die Notwendigkeit besserer Menschenökonomie immer wieder hingewiesen 1 ). Die Berufsberatungsbewegung setzte in Deutschland mit voller Stärke ein. In einzelnen Großstädten wurden bereits vor dem Kriege Berufsberatungsstellen eingerichtet 2 ). Pädagogische Kreise interessierten sich für die Differenzierung der Schulen nach Begabungsklassen3) und für die Auswahl Hochbegabter 4 ). Wicklung und Stand der psychologischen Eignungsprüfung. Der Verfasser rückt in der Einleitung scharf von T a y l o r ab.) M o e d e , Die Experimental-Psychologie im Dienste des Wirtschaftslebens, 1919 (Aufgaben und Leistungen der industriellen Psychotechnik werden kurz erörtert. 4/6 der Darstellung ist der psychologischen Berufsauslese gewidmet). Man lese die treffliche Beurteilung der beiden letzten Werke durch Prof. H e l l p a c h , Elektrotechnische Zeitschrift vom 12. August 1920. *) Höherentwicklung u. Menschenökonomie, 1 9 x 1 ; Friedensbewegung u. Menschenökonomie, 1912; Frauenfrage u. Menschenökonomie, 1913. 2 ) A l t e n r a t h , Berufswahl und Lehrstellenvermittlung. A l t e n r a t h , Die Zentralstelle der Volkswohlfahrt und die Frage der Berufsberatung. Vgl. Anm. 1. S. 124. 3 ) Praktische Durchführung im Mannheimer Schulsystem. Stadtschulrat S i c k i n g e r , Über die naturgemäße Organisation des großstädtischen Volksschulwesens, 1913. *) B a e r w a l d , Theorie der Begabung, 1896. S p r a n g e r , Begabung und Studium, 1917. Z i e h e n , über das Wesen der Beanlagung und ihre methodische Erforschung. 1920. Begabtenauslese: M o e d e - P i o r k o w s k i - W o l f f , Die Berliner Begabtenschulen, ihre Organisation und die experimentellen Methoden der Schalerauswahl. 3. Aufl. 1919. M o e d e - P i o r k o w s k i , Die Einwände gegen die Berliner Begabtenschulen und ihre kritische Widerlegung. L i p m a n n , Psychologische Berufsberatung, 2. Aufl. 1919 (vgl. Technik und Wirtschaft 1918, S. 261).

199 Ein Hauptförderer der ganzen Bewegung einer besseren Berufsberatung und der Berufsauslese war der Krieg. In Deutschland war es zuerst die Inspektion der Kraftfahrtruppen, die Eignungsuntersuchungen unter Leitung von Dr. P i o r k o w s k i einführte, um durch bessere Auswahl der Kraftwagenführer die großen Verluste an Menschen und Material zu verhindern. Frankreich führte bald eine Fliegereignungsprüfung ein, später auch Deutschland. Unsere Funker wurden nach psychologischen Methoden (nach Dr. R i f f e r t ) auf ihre Eignung geprüft. Das preußische Kriegsministerium beauftragte die Universitätsinstitute Berlin, Göttingen, Frankfurt a. M., Münster und Freiburg i. Br. mit diesen Prüfungen und lieferte dazu die nötigen Apparate. Die Leitung hatte dabei das psychologische Institut in Berlin. Im Laufe der Jahre wurden psychologische Eignungsprüfungen für Straßenbahnfahrer, Schriftsetzer, Telephonistinnen, Kanzleiangestellte, Kraftfahrer entwickelt. Staatsbehörden (Eisenbahndirektionen, zuerst die Generaldirektion der sächsischen Eisenbahnen), technische Truppengattungen (Inspektion der Kraftfahrtruppen, Flieger), Schulbehörden (Berlin, Hamburg) und die Industrie 1 ) unterstützten vielfach psychologische Eignungsprüfungen. Das Zentrum der ganzen Bewegung ist Berlin, wo Moede und P i o r k o w s k i , L i p m a n n , aber auch S t o l z e n b e r g , T r a m m , Prof. S c h l e s i n g e r , H e i l a n d t u. a. die Bewegung vorwärts brachten. Zur Verbreitung der Ideen trägt seit Oktober 1919 sehr viel die Monatsschrift »Praktische Psychologie« bei (Moede-Piorkowski). Die ersten größeren Versuche über Begabtenauswahl auf Grund psychologischer Versuche fanden in Berlin (Moede-Piorkowski) und in Hamburg, hier unter Berücksichtigung von Lehrerurteil, Beobachtungsbogen und Schülerzeugnis statt (Professor Dr. Stern). Die psychologische Eignungsprüfung stellte sich auch in den Dienst der Kriegsverletzten2). So Vereinigte Schreibmaschineniabriken, Optische Industrie, Maschinenfabriken, wie L o e w e - Berlin, Siemenskonzern, Große Berliner Straßenbahn, A.E.G., Borsig, Auerkonzern, Bosch A.G. Stuttgart, Germaniawerft Kiel, usw. a ) S c h l e s i n g e r , Psychotechnik und Betriebswissenschaft, S. 104 bis 156. In der Prüfstelle für Ersatzglieder, Charlottenburg, wurden von

200 wurden Gehirnverletzte in den verschiedenen Instituten geprüft, für welchen Beruf sie sich am meisten noch eignen 1 ). Die ganze Strömung ist also aus den Bedürfnissen der Zeit geboren. Sie hängt vor allem auch mit dem Aufstieg der experimentellen Psychologie zusammen. An fast allen großen Universitäten und technischen Hochschulen Deutschlands erfahren die Probleme der Berufsforschung und Berufsauslese eifrige Bearbeitung 2 ). Auch viele wissenschaftliche und technischwissenschaftliche Vereine arbeiten fördernd mit. Ich erinnere hier nur an den Verein deutscher Ingenieure. Besondere Erwähnung verdient auch hier das Institut für angewandte Psychologie unter L i p m a n n s Leitung (das unter dem Namen Institut für Berufs- und Wirtschaftspsychologie früher bekannt war).

Die Eignungsprüfung. Es gibt hier ganz verschiedene Methoden. Man suchte die Eignung ohne Experiment und ohne Tests durch reine Beobachtung zu ergründen. B i n e t und S i m o n benutzten Testmethoden zur Prüfung der einfachsten Fähigkeiten zum Zwecke der Ausscheidung geistig Minderwertiger. Die Begabtenprüfungen beschäftigen sich mit der ungleich ihm psychotechnische P r ü f u n g e n an ca. 100 Schwerbeschädigten unternommen, u m sie geeigneten Berufen zuzuführen. ') Psychologisches

Lazarettlaboratorium

in

Mannheim,

Psycho-

logisches L a b o r a t o r i u m H a m b u r g , I n s t i t u t zur E r f o r s c h u n g der F o l g e erscheinungen

von

Hirnverletzungen,

Frankfurt

a. M.,

P r o v i n z . In-

s t i t u t f ü r praktische Psychologie, H a l l e a. S. 2)

Psychologische

Leipzig (Institut

stitut f ü r industrielle Charlottenburg schen

Institute

der

f ü r experimentelle Psychotechnik

(Schlesinger,

Hochschulen

finden

Universitäten Pädagogik),

Berlin,

Kiel,

an der Technischen

Moede).

Vorlesungen

Hamburg,

München;

F a s t an allen großen über

In-

Hochschule deut-

Wirtschaftspsychologie

nunmehr s t a t t , auch an der Handelshochschule Berlin.

Bis F r ü h j a h r

1920 zählte m a n a m Charlottenburger I n s t i t u t e t w a 800 E i g n u n g s p r ü f u n gen, bei der großen Berliner S t r a ß e n b a h n Elektrizitäts-Gesellschaft Ingenieure 80,

300,

beim

1500, bei der A l l g e m e i n e n

Kölner

Bezirksverein

Deutscher

bei der Osram G. m. b. H . bis J a n u a r 1921 2100 (900

psychotechnische

Einstellungs-

und

1200

Umstellungsprüfungen).

201 schwierigeren Aufgabe, die Höherbefähigten durch Tests, Experiment und Beobachtung auszulesen oder technische, zeichnerische, musikalische, kaufmännische und sonstige Sonderbegabungen festzustellen. Test und Experiment können auch heute vorzugsweise nur die geistigen und technisch-motorischen Fähigkeiten, fast gar nicht aber die Willens- und Gemütskräfte und seelischen Defekte, sowie die wichtigen Einflüsse des Milieus erkennen, daher hat die Beobachtungsmethode einen überragenden Wert, zumal wenn sie durch Test und Experiment in wichtigen Punkten verbessert wird. Bei einer ausführlichen Behandlung — die hier nicht in Frage kommen kann — müßte ich auf den »Personalismus« William S t e r n s , unseres bedeutendsten Eignungsforschers hinweisen, der eine Ganzheitsbetrachtung des Individuums gegenüber der atomisierenden, rein experimentellen Betrachtung erstrebt 1 ), aber auch auf W e r t h e i m e r , K o f f k a , K ö h l e r (»Gestalt-Psychologie«). Wer die Berufsberatungsbewegung genau verfolgt hat, wird sich erinnern, daß L i p m a n n Fragelisten zur psychologischen Charakteristik der mittleren (kaufmännischen, handwerklichen und industriellen) Berufe an die Berufsorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Ausfüllung hinausgegeben hat, um genaue Kenntnisse über die für die einzelnen Berufe notwendigen Anforderungen zu erhalten und darnach Eigenschaftsbogen (Berufsspychogramme) aufzustellen. E r führte also eine großzügige Berufsanalyse durch, um für die Berufsberatung und Berufszuführung gute Unterlagen zu erhalten. Auf Grund dieser Feststellungen prüfte man die einzelnen Berufsanwärter, ob sie für einen bestimmten Beruf überhaupt geeignet seien, in welchem Grade sie die Anforderungen erfüllen oder für welche andere Berufe sie in Betracht kämen. Ein Fachmann des betreffenden Berufes brauchte also nicht unbedingt näher gefragt zu werden. Auf jeden Fall unterstützen diese Eigenschaftsbogen die Berufsberatung. Auch für die akademische Berufsberatung leisteten ähnliche Merkblätter ohne Zweifel Gutes. Fehlerquellen ergaben sich, wenn die nötigen Berufsanforderungen ') W i l l i a m S t e r n , Die menschliche Persönlichkeit, 2. A u f l . 1919 (Barth, Leipzig). Derselbe, Die Ps. und der Personalismus, 1917 (Leipzig).

202 für die bestimmte Berufsgruppe entweder falsch oder ungenau festgestellt wurden oder wenn die Verhältnisse in einem bestimmten Beruf so verschieden lagen, daß ein dürres Schema nicht genügte. Man darf auch nicht zu viel von den Fragebogen erwarten, da er ja meist von psychologisch nicht geschulten Arbeitern, Meistern und Ingenieuren ausgefüllt wird. Man denke auch daran, daß neue Gesichtspunkte der psychophysischen Analyse in diesem Schema schwer zur Geltung kommen. Unrichtige Fassung und flüchtige Beantwortung der Fragen, Vergessen wichtiger Berufserfordernisse und fälschliche Auffassung der Fragen setzen ihren Wert oft sehr herab. Gute Antworten von Fachleuten auf richtig gestellte Fragen können jedoch eine wichtige Unterlage für Berufsberatung, Arbeiterauslese, Arbeiteranlernung und Schule bilden (berufskundliches Material). Bei den Eignungsprüfungen kann man entweder vom Beruf ausgehen oder vom Berufsuchenden. Den ersten Weg beschreitet die industrielle Eignungsprüfung, den zweiten die Berufsberatung. Für die Berufsberatung muß die Fragestellung lauten : Für welchen Beruf ist der Prüfling geeignet ? Voraussetzung ist hier, daß man weiß, welche Eigenschaften die verschiedenen Berufe erlangen. Eine gute Berufsberatung beschäftigt sich oft mit der Erforschung der individuellen Anlage des Berufsuchenden und der Zuweisung für einen Beruf. Die industrielle Eignungsprüfung kümmert sich um die individuellen Eigenschaften des Prüflings nur insoweit, als dieselben Vorbedingungen für die Aufnahme in den Betrieb sind. Die Eignungsprüfung erstreckt sich also nur auf diejenigen Eigenschaften, die für den Betrieb von Bedeutung sind. Erfüllt der Bewerber bestimmte Anforderungen nicht, so wird er nicht aufgenommen. Eine genaue Untersuchung würde zwar oft ergeben, daß sich der Betreffende für zehn andere Berufe besser eignet. Aber das ist nicht Sache der Privatindustrie. Dadurch würden ihr nur unnötige Kosten erwachsen. Sie verengert also das ganze Problem ; denn sie berät nicht den Zögling und sucht für ihn auch nicht den Beruf, welcher seinen individuellen Anlagen und Kräften entspricht. Die Berufswahl ist ja schon vorausgegangen. Der Betreffende möchte ja gerne in den Betrieb eintreten. Man braucht also

203 nur zu fragen: Erfüllt der Prüfling die notwendigen Bedingungen und in welchem Grade? Es handelt sich hier also um eine Berufseichung nach privatwirtschaftlichen Maßstäben. Der Prüfling ist hier Kalkulationspbjekt. Es kommen hier also ganz andere Motive in Frage als bei der Berufsberatung, wo der Berufsuchende Gegenstand der sozialen Fürsorge ist, und wo seine Wünsche und sein Wille das Bestimmende bleiben. Diese verschiedene Fragestellung muß wohl beachtet werden, wenn man über den Wert der Eignungsprüfung urteilen will. Das Ziel der Eignungsprüfung ist in möglichst kurzer Zeit die Brauchbarkeit oder Nichtbrauchbarkeit eines Menschen für einen Beruf oder für eine bestimmte Tätigkeit festzustellen. Man muß also nach schnelleren und sicheren Methoden suchen, um die individuellen Dispositionen und ihre Grade zu erkennen. Bei der Lehrlingsprüfung könnte man sich entweder auf das Lehrerurteil verlassen und auf das des Schularztes; denn der Lehrer kennt Charakter und allgemeine Kenntnisse, Fertigkeiten und Kräfte seines Schülers sicherlich am besten. Er kann uns also Aufschluß geben über Rechenfertigkeit, Schreibgewandtheit, Orthographie, Aufsatz, Zeichnen, körperliche Gewandtheit, oft auch über technisches Verständnis und technische, kaufmännische oder künstlerische Begabung, über Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und besonders über die moralischen Qualitäten. Der Schularzt gibt uns am besten Aufschluß über Sinnestüchtigkeit (Auge. Ohr usw.), Gesundheitszustand, Krankheiten. Es wäre ein großer Fehler, wenn man diese wertvollen Beobachtungen nicht verwerten wollte. Die industrielle Psychotechnik suchte zwar anfangs auf die Schulleistungen und das gedächtnismäßige Wissen des Schülers zu verzichten und nur das Experiment entscheiden zu lassen. Allein es war ein Irrweg. Man ist jetzt allgemein der Ansicht, daß man bei der Lehrlingsprüfung das Lehrerurteil (und wenn möglich auch das des Schularztes) unbedingt in Rechnung stellen muß.

Grenzen des psychotechnischen Experiments. Im allgemeinen erwartet man viel mehr vom Experiment, als es eigentlich leisten kann. Die geschickte Propaganda

204 der Berliner Wirtschaftspsychologen M o e d e und P i o r k o w s k i hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Durch Vorträge, Zeitungen, Zeitschriften, Hochschulvorlesungen und Kurse wurden vielfach zu große Hoffnungen erweckt. Sehr weite Kreise der Ingenieure, Betriebsleiter und der Arbeiter sind für das psychotechnische Experiment begeistert worden. Die Werke, die unter schwierigen Arbeiterverhältnissen litten, hielten es für ein Mittel, die Arbeiter nach rein »wissenschaftlichen« Gesichtspunkten auszuwählen und zu beschäftigen. Die Arbeiter glaubten, daß dadurch die »persönliche Willkür« der Meister ausgeschaltet werden könne. »Bereits hat der Gewerkschaftskongreß in Nürnberg das psychologische Vorgehen bei der Lehrlingseinstellung gefordert. Die unabhängigen Sozialisten nennen die beim Test entworfene »Seelenkarte«, weil sie ihnen die Befreiung von den Meistern verheißt, »Ehrenkarte«. In dem S a s s e n b a c h s c h e n Ausschuß für Lehrlingswesen ist im Oktober 1919 der Vorschlag gemacht worden, die Berufszuteilung für das ganze Reich einheitlich auf psychotechnische Grundlage zu stellen. J e nach dem Ausfall der psychotechnischen Prüfungen, die der Staat ausführt, sollen die Lehrlinge den einzelnen Fabriken zugewiesen werden« 1 ). Die ganze Verantwortung über die Richtigkeit der Berufsauslese wird einem Apparat aufgetragen, der sich zwischen Prüfer und Prüfling schiebt. E r soll der objektive Wertmesser sein. Die Eigenschaften des Prüflings werden wie einzelne Materialien vom Apparat nacheinander durchgeprüft, die Werte in Tabellen eingetragen und die Gesamtfähigkeit des Arbeiters kommt schließlich durch ein Schema zum Ausdruck. Bald erhoben sich Einwände gegen die Diktatur des gefühllosen Experiments, das die menschlichen Anlagen, Fähigkeiten und Kräfte in kurzer Zeit feststellen will, dabei aber nur einzelne Elemente seines Wesens herausreißt und isoliert betrachtet 2 ). ') Dr. Eugen R o s e n s t o c k , Psychotechnik im Hochland, 17, 1920, Februar. 2 ) (Die Abkürzung 41 (32), 1920, VIII, 12 bedeutet z. B. 41. Jahrgang, 32. Heft, 1920, 12. August.) Wilhelm S t a f e l , Gegen eine psychologische Berufsberatung. Das Volksheim, Referiert in »Deutsche Schule« 21 (3), 431.

205 Ich schrieb in dem angeführten Artikel über Berufsberatung 1 ) : »Sehr oft unterschätzt man die Schwierigkeiten. Viele haben ja noch rein naturalistisch - psychologische Begriffe vom Menschen und von der menschlichen Gesellschaft. Aus dieser Verkennung der Menschennatur überträgt man nur zu leicht naturwissenschaftliche Methoden auf ein Untersuchungsobjekt, das sich naturwissenschaftlich nicht voll erschließen läßt. Wer die ganze Literatur der psychologischen Berufsberatung kennt, wer selbst schon Eignungsprüfungen mitgemacht und das Berufsleben praktisch kennengelernt hat, der erschauert oft, mit welch übertriebener Sicherheit man manchmal die Lehrlings- und Berufsauswahl auf Grund von Eignungsprüfungen trifft, die ja nur ein Augenblicksbild von dem sich stets weiter entwickelnden jungen Menschen geben können. Nur unter den Voraussetzungen, daß sich der betreffende Prüfling in gleicher oder doch annähernd gleicher Weise weiterentwickelt, und daß nur Versuchspersonen gleichschneller Entwicklung geprüft werden, daß also Schüler, deren Geistes- und Seelenkräfte erst später zur vollen Entwicklung kommen, nicht mit klassifiziert werden und nur unter der Annahme, daß man mit Hilfe psychologischer Versuche die Berufseignung eines Menschen sicher feststellen kann, wären die Untersuchungsergebnisse richtig. Aber diese Voraussetzungen fehlen. Überdies handelt es sich doch beispielsweise bei der Auswahl »Hochbegabter« — wie auch bei sehr wichtigen BeFranz E u l e n b u r g ,

»Psychologischer Befähigungsnachweis?« Ar-

beitsnachweis in Deutschland, 5 (6), 1 9 1 8 , I I I , 20. B a u m g a r t e n , Einige Bemerkungen zur Frage der Berufseignungsprüfung. Zeitschr. f. angew. Psychol. 15 (1/2), 1 9 1 0 . B e n a r y , Zur Frage der Methoden psychologischer Intelligenz- und Eignungsprüfungen. Zeitschrift f. angew. Psychol. 17 (1/3), 1920. B e n a r y , Psychologische Prüfungen der Berufseignung. Frankfurter Zeitung, 64, (195), 1920, I I I , 1 3 . Hildegard S a c h s , Zur Organisation der Eignungsprüfung. Schriften zur Psychologie der Berufseignung, 1920. L i p m a n n , Die Grenzen des psychologischen Prüfungsexperiments, Berlin, Verein deutscher Ingenieure, 1920. (Wichtige Schrift.) Außerdem R o s e n s t o c k (s. Anm. 1, S. 204) und H e l l p a c h s Kritiken (Anm. 2, S. 149). 1 ) Freie Deutsche Schule, 1919, 27. November.

206 rufen — nicht lediglich um geistige, sondern vor allem um die sittliche Eignung. Unsere Führer sollen doch später nicht kalte Geistesathleten, sondern schaffensfreudige Persönlichkeiten sein. Ihr Wert liegt weniger in ihrem Wissen, sondern in ihrer Moral und ihrem Willen. Ich verkenne nicht, daß uns die psychologische Berufsberatung wichtige Augenblicksbilder von der geistig-seelischen Verfassung eines Menschen geben kann, daß sie vielfach geistige Defekte und Besonderheiten schnell und sicher feststellt. Zu warnen ist jedoch vor der Vermessenheit, die ganzen Probleme der Berufsberatung vom Standpunkt einer Einzelwissenschaft aus zu betrachten, mit deren Hilfsmitteln sie nicht voll gelöst werden können. Vor allem geht es nicht an, noch nicht völlig erprobte psychologische Methoden in den Dienst der praktischen Berufsberatung zu stellen.« Dasselbe gilt natürlich für die industriellen Eignungsprüfungen. Eine schematische Abstempelung der menschlichen Fähigkeiten, Kräfte und Anlagen durch die kurzen Augenblicksbilder des Experiments ist keineswegs noch voll gelöst, so daß man ein System höchster Zweckmäßigkeit, Folgerichtigkeit und Berechenbarkeit darauf aufbauen könnte, in welchem die Menschen nach technisch-wirtschaftlichen Wirkungsgraden geordnet werden 1 ). Jeder unbefangene Prüfer wird sich darüber klar, daß eine kurze schnelle Prüfung durch Tests und Experimente manches überhaupt nicht, einiges nur oberflächlich, etliches jedoch sicher feststellen kann. Nicht feststellbar sind die moralischen Eigenschaften des Prüflings. Das psychologische Experiment versagt hier völlig. Wille und Moral sind jedoch für manche Berufe von großer Bedeutung (Ehrlichkeit, Ehrenhaftigkeit, Treue, Aufrichtigkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Geduld, Bescheidenheit, Ehrgeiz, Eifer, Tatkraft, Mut, Selbstvertrauen, Folgsamkeit, Nüchternheit). Sicher feststellbar ist z. B. die Sinnestüchtigkeit. Wenn also für einen Beruf ganz bestimmte Voraussetzungen in dieser Beziehung notwendig sind, so ist eine rasche experimentelle Robert W i l b r a n d t , Ökonomie, Ideen zu einer Philosophie und Soziologie der Wirtschaft, Abschnitt: Menschenökonomie, Ökonomie der menschlichen Anlagen, S. 33—37; 1920.

207 Feststellung, die keineswegs ein Psychologe zu machen braucht, am Platze. Lokomotivführer und Schiffsführer können auf Farbenblindheit ziemlich rasch untersucht werden. Allein in den meisten Berufen liegen die Verhältnisse nicht so einfach. Dennoch wird man nicht übersehen, daß es in unserer Massenindustrie, die ja wie T a y l o r möglichst viel Angelernte zu beschäftigen sucht, es meistens nur auf gute Sinnestüchtigkeit, weniger auf hohe geistige oder moralische Fähigkeiten ankommt 1 ), daß also die psychologische Auslese vereinfachte Verhältnisse vorfindet. Die Prüfung kann sich mehr auf wenige Eigenschaften erstrecken, die unbedingt gefordert werden müssen. Diese psychophysischen Mindestanforderungen sind dem Prüfer bekannt, da es sich hier nur um einen ganz bestimmten Beruf handelt. Schwieriger ist die Sache für die Berufsberatung, weil uns bis jetzt jede Übersicht über die psychophysischen Berufsdefekte fehlen 2 ). Das Experiment hat stets nur relative Gültigkeit, besonders wenn es sich um Prüfung von Jugendlichen handelt. Gerade in Deutschland steht das Problem der Lehrlings') »Die günstige Trennung wesensverschiedener Arbeiter hat zur Folge, daß die Werkstatt der Massenfabrikation in den weitaus meisten Fällen mit Angelernten auskommt, deren Arbeitsfähigkeit wenig von Erfahrung und Fachkenntnissen, noch weniger aber von hohen Geisteseigerischaften abhängt, bei denen vielmehr die Sinnestüchtigkeit von Auge, Ohr und Gelenken zusammen mit einem gewissen Grade von Aufmerksamkeit genügt.« s ) Psychophysische Berufsdefekte, d. h. »jener Hypofunktionen oder Afunktionen, die gleich der Farbenuntüchtigkeit durch keinerlei Übung und Schulung zu ändern, jedenfalls nicht wesentlich zu ändern sind. Nur Experiment und Erfahrung zusammen können dies leisten und für mindestens ein Jahrzehnt scheint mir dabei das »unwissentliche Verfahren« notwendig zu sein; es werden die experimentell geprüften Lehrlinge von den Firmen übernommen, ohne daß die Firma irgendeine Kenntnis von dem Inhalt des Prüfungsprotokolls erhält; das Berufsschicksal jedes einzelnen ist in einjährigen Aufzeichnungen für ein Jahrzehnt genau zu beobachten, und einer neutralen Stelle, die jenseits der Berufseignungsprüfung und des Gewerbes steht, ist die Verarbeitung des beiderseitigen Materials zu übertragen. Nur so kann sich an zureichendem Material objektiv erweisen, was unkorrigierbare Mängel, was korrigierbare, was kompensierbare Mängel, was erhebliche, was unerhebliche Vorzüge für einen Beruf sind« ( H e l l p a c h , Elektrotechnische Zeitschrift vom 12. August 1920, S. 634).

208 prüfung mehr im Vordergrund des Interesses als die Prüfung von Erwachsenen, weil hier durch Tarif recht, Betriebsräte oder Betriebsrätegesetz und viele arbeitsrechtliche Bestimmungen die Arbeiterauslese nicht so schroff durchgeführt werden kann wie in Amerika. Man kann die Betriebsarbeiter, die einmal angestellt sind, nicht ohne weiteres entlassen. Freilich hat auch hier die Eignungsprüfung ihre Bedeutung insofern, als dadurch eine bessere Personenverteilung innerhalb des Betriebs oder des Konzerns durchgeführt werden kann. Wichtiger ist zurzeit noch die Lehrlingsprüfung, weil hier die Betriebsleitung Einfluß auf die Heranbildung eines tüchtigen Arbeiterstamms hat. Wie ist es nun mit der rein experimentellen Prüfung? Man kann wohl Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Begabung, Beobachtungsfähigkeit, Empfänglichkeit und Suggestibilität, Phantasie, Erfindungsgabe, Urteil, Umsicht, Konzentrationsfähigkeit und Fertigkeiten feststellen, besonders nach Art und Grad von Spezialbegabungen (zeichnerische, mathematische, musikalische usw. Fähigkeiten). Aber man muß bedenken, daß sich die Lehrlinge nicht gleichmäßig weiterentwickeln, daß manche Fertigkeiten erst im späteren Alter auftreten, daß der Lehrling bei der Prüfung oft befangen ist und daß dadurch manchmal vorhandene Eigenschaften sich der Feststellung entziehen. Ferner bleibt der Einfluß der Übung und des Willens völlig unberücksichtigt. Jeder aber weiß, daß Lust und Liebe und auch die Not zur Entwicklung schlummernder Kräfte und Anlagen sehr viel beitragen kann, und daß auch manche Mängel, die der Prüfer feststellt, sich durch andere Vorzüge und Fähigkeiten des Lehrlings ausgleichen. Übrigens kommt es ganz darauf an, welche Vorstellung der Prüfer von dem betreffenden Berufe hat. Die Verhältnisse liegen ja in den einzelnen Berufen sehr verschieden. Ein Zusammenarbeiten des Psychologen mit einem Fachmann ist daher dringend notwendig, da sonst die psychotechnischen Methoden den Anstrich des »grünen Tisches« bekommen. So ist also vieles nicht genau experimentell feststellbar. Und auch wenn dies möglich ist, ist der Wert dieser Momentphotographien kein übermäßig großer. Man denke an die großen Veränderungen, die der Lehrling oft innerhalb der

209 nächsten Jahre erlebt: geistige und körperliche Entwicklung, Pubertät, Gesundheitszustand, starke persönliche Faktoren. Eine genaue Berechenbarkeit ist überhaupt unmöglich, da Zeitumstände, individuelle Hemmungen, Entwicklung, Alter, Auffassungs-, Übungs-, Willens- und Arbeitstypus und Umgebung wenig oder gar nicht in Rechnung gezogen werden können 1 ). »In keinem Augenblick darf das Gefühl aufkommen, es werde durch die Vielheit der Einzelprüfungen der Prüfling in ebensoviele Teile zerrissen, die sich vielleicht so beeinflussen können, daß das Einzelurteil an sich zwar richtig, im Zusammenhang mit den anderen Ergebnissen aber zu einem entgegengesetzten Endurteil führen würde. Daher ist eine solche Prüfung stets auch ein Prüfstein für den Leiter. Wehe, wenn solch eine Prüfung in Massenbetrieb ausartet, wehe, wenn sich der »qualifizierte Prüfer« durch-»angelernte« Hilfskräfte auch nur an einer Stelle ersetzen läßt!« 2 ) Die psychotechnische Prüfung ist für die Berufsauslese der Berufsberatung nicht d i e Methode, sondern nur e i n e Methode, ja sie ist hier sogar nur ein Notbehelf (der freilich in manchen Fällen seine Berechtigung hat), der erstens überhaupt nur für das Ausleseproblem, nicht aber für das Zuweisungsproblem benutzbar ist, und der zweitens auch hier nur aushilfsweise verwendet werden soll, so lange die Auslese sich nicht auf zuverlässige Eltern- und Lehrerbeobachtungen stützen kann. Der Prüfling muß soviel wie möglich in seinem gesamten Lebenszusammenhang erfaßt werden. Diese organische und individuelle Beurteilung durch Lehrer, Eltern und Berufsberater hat gegenüber der isolierenden Methode des Experiments den großen Vorzug, daß es die Wachstumsseite des Zöglings und die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse mehr berücksichtigen kann. Auch P i o r k o w s k i hat die Schwächen des Experiments richtig gewürdigt. Auf den Einwand, daß die experimentellen Eignungsprüfungen die moralische Eignung und die Willenskräfte nicht feststellen können, schreibt er: »Selbstverständl ) Vgl. Ermüdungsstudien, S. 149—163. Stellung T a y l o r s zur psychologischen Arbeiterauslese, S. 22 ff. *) S c h l e s i n g e r , Psychotechnik und Betriebswissenschaft, S. 95.

S ö l l h e i m , Taylorsystem.

14

210 lieh folgt daraus, daß wir auch auf die Charaktereigenschaften, wie Fleiß, Ordnungsliebe, Sparsamkeit, friedliches Benehmen im Betriebe usw. nicht näher eingehen, keineswegs, daß wir die hohe Bedeutung dieser Faktoren übersahen. Im Gegenteil! Nur glauben wir, daß hierüber methodische wissenschaftliche Erörterungen weniger notwendig sind, da die berufliche Praxis in dieser Beziehung genügend Aufschluß gibt« (Vorw. VII) 1 ). »Eine Berufsberatung, die n u r auf die psychische Eignung des Kandidaten Rücksicht nehmen würde, wäre daher von Grund aus verfehlt, und es ist darum aufs schärfste davor zu warnen, nach der früheren Vernachlässigung der physischen Eignung nunmehr in das andere Extrem der einseitigen Berücksichtigung derselben zu verfallen. Dadurch würde die ganze junge, so hoffnungsreiche Bewegung auf das schwerste leiden und mit Recht in Verruf geraten. . . . So wertvoll und unentbehrlich das psychologische Experiment auch für die Feststellung der psychischen Berufseignung ist und bleiben wird, so wenig darf man doch die anderen beiden Richtungen zur Erkennung der psychischen Eignung, die Fragebogenmethode und die intuitiv einfühlende Beobachtung vernachlässigen. Es darf hier nicht heißen: experimentelle oder Fragebogenmethode oder intuitiv einfühlende Beobachtungsmethode, sondern Experiment- und Fragebogenmethode und intuitiv einfühlende Beobachtung! Ein guter Psychologe wird deshalb über die Kenntnisse aller dieser drei Hilfsmittel verfügen müssen, um brauchbare Analysen zu erhalten und praktisch wertvolle Arbeit leisten zu können«2). Günstiger für die Anwendung des psychotechnischen Experiments als bei der Berufsberatung liegen die Verhältnisse für die industrielle Eignungsprüfung. Dort kennt man genau die Anforderungen für den bestimmten Beruf. Oft können gute Tests besser als komplizierte Apparate verwendet werden (Lipmann). Zusammenfassend sei noch folgendes gesagt: Unter psychotechnischer Eignungsprüfung darf man nicht die rein ') P i o r k o w s k i ,

D i e p s y c h o l o g i s c h e M e t h o d o l o g i e der w i r t s c h a f t -

lichen B e r u f s e i g n u n g . 2)

W i e oben,

S. 105.

211 experimentelle Prüfung, noch die reine Testprüfung verstehen. Alle brauchbaren Methoden der Eignung müssen angewandt werden. Für die Industrie ist die Kostenfrage ausschlaggebend 1 ). Bis jetzt fehlen uns so ziemlich noch überall sichere, schnelle und billige Methoden der Berufsauslese. Die Wissenschaft arbeitet eifrig an der Vervollkommnung der Methoden und an ihrer Technisierung. Zurzeit kann das Experiment und die Testprüfung manchmal gute Dienste leisten für die negative Auslese (Ausscheidung Ungeeigneter). Für die allermeisten Betriebe kommt es zurzeit nicht in Frage und wahrscheinlich auch nur in Zukunft in beschränktem Umfange. Voraussetzung für die Anwendung der Eignungsprüfungen sind ziemlich gleichartige Anforderungen an die Arbeiter (Massenindustrie), genügender Andrang von Lehrlingen (dies kommt nur für die Lehrlingsprüfung in Frage), und vor allem 'Vertrauen der Leitung. Eine straffe Regelung des Arbeitsnachweises könnte der ganzen Bewegung der psychologischen Berufsauslese den Boden entziehen. Eine Förderung des Berufsberatungswesens und eine Unterstützung der wissenschaftlichen Institute, die sich mit der Eignungsprüfung befassen, kann die Bewegung vorwärts bringen. Und nun eine Äußerung Dr. M o e d e s aus seinem auf dem V I I . Psychologenkongreß in Marburg (1921) gehaltenen Vortrage (veröffentlicht in der »Praktischen Psychologie«, 1921, Juli, S. 328): »Überblicken wir die bisherigen Ergebnisse der industriellen Psychotechnik, so liegt weder ein Grund zu kühnem Optimismus noch zu einem zweifelnden Pessimismus vor, sondern man wird bei der Neuheit des Gebietes und der relativ kurzen Zeit der begründeten Erfahrungen sehr wohl sich veranlaßt sehen, den Standpunkt eines mäßigen Optimismus zu vertreten. Leisten die Verfahren nicht alles, was man von ihnen erstrebt, so leisten sie doch gegenwärtig schon immerhin genügend Brauchbares für Arbeiter und Unternehmer, und schließlich ist es Sache der Fortentwicklung, die Verfahren ') S. Bericht über die 3. Sitzung der Forschungsgesellschaft für betriebswissenschaftliche Arbeitsverfahren vom 14. Juni 1919 (Charlottenburg 4, Schlüterstr. 31).

14*

212 dauernd so lange zu verändern und zu verbessern, bis überhaupt der möglichste Wirkungsgrad erreicht ist.« Sehr wichtig für die Beurteilung des Problems ist, ob man es unter privatwirtschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Die Privatwirtschaft will für sich die besten Lehrlinge aussieben und eine wirtschaftliche Personenverteilung innerhalb des Betriebes durchführen. Es liegt im privatwirtschaftlichen Interesse, sich einen gut geeigneten Arbeiterstamm durch Lehrlings- und Arbeiterauswahl, Anlernung und Erziehung heranzubilden. Die Kosten für Anlernung und Einstellung Ungeeigneter sollen dem Betriebe erspart bleiben. Eine zu teuere Eignungsprüfung kommt für die Betriebe nicht in Frage. Volkswirtschaftlich handelt es sich nicht nur um planvolle Versorgung der Berufe mit geeigneten Lehrlingen oder Berufsanwärtem durch Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Eignungsprüfung, um Vorbeugungsmaßnahmen gegen das Anwachsen ungelernter Arbeiter und Einschränkung des so schädlichen Berufswechsels. Eine Ökonomie der menschlichen Anlagen und eine individuelle Berufszuführung erhöht die Berufsfreudigkeit und Berufstüchtigkeit, schafft eine bessere Berufsgliederung und damit eine günstigere Ausnutzung der Kräfte, erspart Kosten für unnötige Berufsausbildung, aber auch viel Zeit, Kraft und Ärger. Sie ist also wichtig für die Steigerung der Produktion, für die Rationalisierung des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens und für die Höherentwicklung des einzelnen und der Gesamtheit. Das Glück von Millionen von Volksgenossen ist in diesem Problem beschlossen und darum sind es nicht nur privatwirtschaftliche Fragen, sondern Menschheit- und Kulturfragen, die immer wieder die Wirtschafts-, Sozial- und Erziehungspolitik bewegen werden 1 ). ') Aus der »Praktischen Psychologie«: Moede, Psychotechnische Lehrlings, 1, 1919, H e f t 1 — 3 .

Eignungsprüfung

des

industriellen

M o e d e . Die psychotechnische Arbeitsstudie, 1; 1920, H e f t 5/6. Psychotechnische Eignungsprüfung in die Industrie 1, 1920, H e f t 11. Psychotechnische Lehrlingsprüfung bei Loewe & Co. und Eignungsprüfungen der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg 1, 1920, H e f t 12.

213

Deutsche Beurteilung des Taylorsystems. Über die umfangreiche Literatur siehe Literaturverzeichnis. Ich gehe hier nur auf die Stellung des Reichsarbeitsministeriums ein und auf die der Gewerkschaften. Hinweisen möchte ich hier nur, daß sich der Verein deutscher Ingenieure auf der 54. Hauptversammlung 1913 eingehend mit dem Taylorsystem beschäftigte (s. Literaturverzeichnis II).

Stellung des Reichsarbeitsministeriums zum Taylorsystem. Reichsarbeitsminister B a u e r schrieb (1919): »Seit etwa einem Jahrzehnt hat, ausgehend von Nordamerika, in allen Industrieländern unter dem Namen »Taylorsystem« eine Bewegung um sich gegriffen, die mit organisatorischen Mitteln den spezifischen Ertrag der menschlichen Arbeitsstunde zu steigern trachtet. Das System hat "sich zur Aufgabe gestellt, den Arbeitsprozeß in all seinen Phasen grundsätzlich durchzudenken und vor allem auf Grund von Studien und Experimenten wissenschaftlich zu ermitteln, wie viel Zeit zur Ausführung einer jeden Bewegung, einer jeden Arbeit notwendig ist. Die Bewegung stieß innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung bei den Arbeitnehmern auf Widerstand. Die Arbeiterschaft befürchtete, daß nicht sie, sondern der Kapitalist die Früchte der veränderten Arbeitsweise ernten würde. Nachdem die Demokratisierung Deutschlands einen ausreichenden wirtschaftlichen Einfluß der ArP i o r k o w s k i , Über eine AngestelltenprQfung bei der Auergesellschaft, 1 ; 1919, Heft 1. Vgl. »Praktische Psychologie«, 1921, Februar: Eignungsprüfung bei der Osram G . m . b . H . ; Psychotechnische Eignungsprüfung von Facharbeiterinnen in der Elektroindustrie. Nötig ist, daß von psychologischer Seite her die Erwartungen, welche die Praktiker an die Ergebnisse von Eignungsprüfungen stellen, auf ein zuverlässiges Maß beschränkt werden, daß die Wirtschaftspsychologie die ethische und soziale Seite der Probleme nicht unterschätzt. Diese letzte Gefahr besteht, wenn sie nicht dauernd Fühlung mit den Arbeiterorganisationen hält und sich einseitig in den Dienst der Unternehmer stellt. Die volkswirtschaftliche Brauchbarkeit der Methoden ist stets eingehend zu prüfen. Unternehmer, Arbeiter und Wirtschaftspsycholog müssen zielbewußt zusammenarbeiten.

214 beiterschaft sichergestellt hat, werden diese Einwände nicht nur hinfällig, sondern es verwandeln sich alle Nationalisierungsmöglichkeiten, einschließlich derer für die menschliche Arbeit, in eigenste Angelegenheiten der Arbeiterschaft. In dem deutschen Arbeitsvermögen ist ein wichtiger Faktor der emporstrebenden Wiedergesundung des deutschen Wirtschaftslebens zu erblicken. Deutschland verfügt im Gegensatz zu anderen von der Natur bevorzugten Ländern über einen beträchtlichen Arbeitsüberschuß. Alle Entschädigungs- und Entschuldungspläne haben auf ihm aufzubauen. Setzt man nun voraus, daß wir uns der größten Zumutung erwehren, große Teile unserer Bevölkerung auswandern und somit offensichtlich in die Hörigkeit des auswärtigen Kapitals übergehen zu lassen, so spitzt sich das Problem dahin zu, daß Deutschland sich um so schneller befreien kann, je schneller es die Entschädigungssummen durch Arbeit abträgt. Unter diesem Gesichtswinkel gewinnt das Taylorsystem eine bisher nicht genügend gewürdigte Bedeutung, nämlich in der Hand eines demokratisierten und, wohlverstanden, sozialisierten Staates ein Instrument der friedlichen Nationalbefreiung zu sein, indem es die äußere Belastung erträglich zu gestalten und ihre Dauer abzukürzen erlaubt. In Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t dem R e i c h s w i r t s c h a f t s m i n i s t e r i u m bin ich der Meinung, daß die Frage des Taylorsystems, insbesondere auch vom Standpunkt der Arbeiterinteressen, einer Prüfung bedarf. Nach Pressenachrichten ist in England ein besonderer Untersuchungsausschuß eingesetzt, welcher sich mit der Frage der Arbeitszeit und anderer Arbeitsverhältnisse einschließlich der Arbeitsmethoden, der Leistungsfähigkeit, der Ermüdung der Arbeiter und der Erhaltung ihrer Gesundheit befassen und in den verschiedenen Industriezweigen die vorteilhafteste Arbeitszeit, die besten Arbeitspausen und Ablösungszeiten herausfinden soll. Für die deutschen Verhältnisse würde ich die Einsetzung eines ähnlichen Untersuchungsausschusses zunächst nicht empfehlen, aber es für zweckmäßig halten, daß die Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich mit der Angelegenheit befaßt.« Ein Reichsausschuß zur Förderung der Arbeitswissenschaft sollte auf Veranlassung des Reichsarbeitsministers ge-

215 bildet werden. »Unter dem Zwange der herrschenden Finanzlage« stellte jedoch der Reichsfinanzminister die erforderlichen Mittel für das Jahr 1920 nicht zur Verfügung. Dieser Reichsausschuß ist mit dem »Ausschuß zur Förderung der wissenschaftlichen Betriebsführung« nicht identisch. (S. S. 222).

Stellung der Gewerkschaften zum Taylorsystem. Es liegt nicht im Rahmen dieser Arbeit, die Stellung der Arbeiterverbände und der Arbeiterpresse zum Taylorsystem eingehend zu erörtern. Das wäre eine dankenswerte Aufgabe für sich. Geschrieben wurde in der Gewerkschaftspresse ungeheuer viel darüber. Ich gab im Literaturverzeichnis einige führende Blätter an. Manches ist sehr wichtig und bedarf eingehender Prüfung. Größtenteils trifft man einen ablehnenden Standpunkt, besonders vor und während des Krieges. Die Feindschaft der Gewerkschaften gegen das Taylorsystem wurde besonders durch das Buch des amerikanischen Gewerkschaftsführers F r e y , das 1919 in Deutschland erschien, genährte Den ersten Bericht darüber brachte die Metallarbeiterzeitung unter dem Titel »Für und wider das Taylorsystem« (1917) 1 ). Die Schrift F r e y s ist keineswegs so tendenziös, wie die Kreise der Unternehmer öfters angeben. Sie bringt ja große wörtliche Auszüge aus dem wichtigen Hoxiebericht 2 ). Arbeitsgemeinschaften, Tarifverhandlungen und Betriebsräte zwingen die Arbeiterschaft, sich eingehender mit Produktionsfragen zu beschäftigen. Das Interesse für eine ökonomisierung der Betriebsarbeit wächst auch für die Arbeiterschaft in erhöhtem Maße. Man sieht natürlich ein, daß man Produktionspolitik treiben muß und daß kein Mittel unversucht bleiben darf die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie zu steigern, um dadurch der Arbeitslosigkeit und der Verelendung zu steuern. So zeigt sich auch hie und da eine gewisse Wendung in der Stellung zum Taylorsystem, zumal die ausbeuterischen Seiten des Systems durch die Tarifverträge *) 35- Jahrgang, Nr. 9, 10, 11, 13, 14, 15, März und April 1917. Die Artikel sind beachtenswert. 2 ) Vgl. Anm. S. 54, 55 und S. 101, 102.

216 und die soziale Gesetzgebung beseitigt werden können. Der »Arbeiterrat«, das Organ der Arbeiter- und Betriebsräte Deutschlands, schreibt z . B . in Nr. 25, 1920: »Es wird eine gewaltig erhöhte Produktion von Austauschstücken notwendig sein, um dafür dringend notwendige Auslandsartikel und Rohstoffe zu erhalten. Hiezu brauchen wir das Taylorsystem wie das tägliche B r o t « 1 ) . In der Frage der Arbeiterauslese bekämpft die Arbeiterschaft zwar aufs schärfste die A r t und Weise, wie die Berufsauslese in amerikanischen Taylorbetrieben gehandhabt wurde, anderseits ist sie jedoch der psychologischen Arbeiterauslese im großen und ganzen sehr günstig gesinnt. Das hat besonders der 10. Allgemeine Gewerkschaftskongreß in Nürnberg (Juni H e r k n e r bringt im 1. Band seiner »Arbeiterfrage« (1921, I, S. 196) folgende Literatur: Korrespondenzblatt 23. Jahrg. S. 433—35, 449—50, 465—66, 417—20, S. 466: »Es nützt nichts, sich rundweg ablehnend zu verhalten oder vielleicht gar passiven Widerstand zu leisten — eine solche Taktik hat sich noch immer schwer gerächt —sondern es ist die Aufgabe der Gewerkschaften, praktische Arbeiterpolitik zu treiben. Der Grundsatz muß hochgehalten werden: Alles wird unterstützt, was die Leistungsfähigkeit der menschlichen Arbeit zu steigern imstande ist, alles wird bekämpft, was den Arbeiter in seinem körperlichen und geistigen Wohlbefinden schädigt.« Der Redakteur des Korrespondenblattes der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, P. Um b r e i t (Das Taylorsystem und die Gewerkschaften, Europäische Staats- und WirtiSchaftszeitung III, S. 626ff.), lehnt trotz vieler Bedenken das Taylorsystem nicht grundsätzlich ab, da die Betriebsräte eine genügende Aufsicht über sich einschleichende Auswüchse und Schäden hätten. Vgl. auch Reichsarbeitsblatt 1919, S. 241 die Vorschläge zur Verbilligung der Herstellungskosten in der Industrie vom Ausschuß feinwirtschaftlicher Fertigung, ferner die alle Interessen sorgsam abwägenden Darlegungen von Prof. S c h l e s i n g e r , Technik und Wirtschaft, IV, S. 536ff. und A l t e n r a t h , Wissenschaftliches Betriebssystem, Fabrikwohlfahrtspflege und Berufsberatung. Concordia X X I . I39ff. und die sich anschließende Aussprache A l t e n r a t h und A l b r e c h t . W i n n i g vertritt in der »Glocke« (Zur gewerblichen Demokratie, 3. Jahrg., S. 699) mit großer Entschiedenheit die Mitwirkung der Arbeiterorganisationen an der Regelung der technischen Fragen im Interesse besserer Rationalisierung des Arbeitsprozesses. Also in keinem Falle grundsätzliche Ablehnung, sondern das Streben, Schädigungen vorzubeugen und den Arbeiter an dem Ertrag guter Rationalisierungen teilnehmen zu lassen.

217 1919) gezeigt. Ich habe den Sassenbachschen Ausschuß über Lehrlingswesen S. 204 erwähnt. Es zeigt sich in den Forderungen der Gewerkschaften eine grenzenlose Überschätzung der psychotechnischen Eignungsprüfung und der industriellen Psychotechnik. Hier wäre Aufklärung dringend nötig und sicherlich auch nützlich. Bis jetzt wurde nicht versucht, das Problem der JProduktionssteigerung vom Gesichtspunkt der Arbeiter aus und dem der Menschenökonomie eingehend zu prüfen. Die American Federation of Labour stellt Juni 1919 fest: »Die Erhöhung der industriellen Erzeugung als eine Folge wissenschaftlicher Forschungen ist ein wichtiger Faktor in dem täglich stärker werdenden Kampf zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter« 1 ). Es wäre nur zu wünschen, wenn Arbeitgeber und Arbeiterschaft in freier offener Aussprache ohne Hintergedanken und ohne Hervorhebung parteipolitischer Tendenzen die Fragen der Rationalisierung der Betriebsarbeit eingehend besprechen. Dabei kann man vielfach am Taylorsystem nicht vorübergehen. Freilich wird man bald einsehen, daß wir unter einem furchtbaren Taylorkult litten, der übergroße Hoffnungen und übergroße Befürchtungen erwecken mußte. Unsere deutsche Industriewirtschaft arbeitet seit Jahrzehnten im großen und ganzen wirtschaftlicher als die amerikanische Industrie. Nur in der Normungs-, Typisierungs- und Spezialisierungsfrage erlangte Amerika einen gewaltigen Vorsprung, der von uns unter Einhaltung bestimmter Grenzen unbedingt eingeholt werden muß. Nur in gemeinsamer Aussprache wird man zu einer Verständigung kommen. Manche Prinzipien T a y l o r s werden sich in bestimmten Grenzen durchführen lassen. Gefährlich ist es, allgemeine Grundlinien für die Gewerkschaftspolitik zur Frage des Taylorsystems zu geben, denn jeder Betrieb ist ein anderer Organismus. Oft ist es viel besser für die Produktionssteigerung gar nicht vom Taylorsystem auszugehen, sondern auf Grund der örtlichen Betri^bsverhältnisse die Produktionsbedingungen und Produktionsfaktoren genau auf ihre Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Die Betriebsräte können, wenn *) Nach M i c h e l , Wie macht man Zeitstudien?

S. 145.

218 sie ihr verantwortungsvolles Amt richtig auffassen, hier sehr viel Gutes leisten, vor allem auch dadurch, daß sie die Arbeiterschaft für das innige Zusammenarbeiten und für die Förderung der Betriebsinteressen gewinnen. Eine Produktionsmehrung kann nur in größerem Maße erreicht werden, wenn Arbeiterschaft und Leitung an einem Strange ziehen. Diese neue Wirtschaftsgesinnung macht sich schon auf beiden Seiten bemerkbar. Durch offene gegenseitige Aussprache zwischen Arbeiter und Unternehmer kann diese psychologische Umstellung vom Klassenkampf zur Betriebsgemeinschaft oder wenigstens »zur Förderung der Betriebszwecke« nach und nach erreicht werden. Schließlich paart uns die gemeinsame Not, die der Friede von Versailles über uns auf Jahrzehnte bringen wird, zusammen. Ende Juli 1921 erschien im Vorwärts-Verlag ein Entwurf eines neuen Parteiprogramms der S. P. D. (sozialdemokratischen Partei Deutschlands). Wenn auch dieser Entwurf in Görlitz nicht angenommen wurde, so interessieren uns doch daraus folgende Programmpunkte: »Die Wirtschaftspolitik der Sozialdemokratie wird von dem leitenden Grundsatz getragen, das Interesse der Allgemeinheit dem Interesse des einzelnen oder einzelner Erwerbsgruppen voranzustellen. Ihr Ziel ist die sozialistische Gemeinwirtschaft« . . . »Um dieses Ziel zu erreichen, sind a l l e M a ß n a h m e n z u r L e i s t u n g s s t e i g e r u n g d e r W i r t s c h a f t in d e r A u s n u t z u n g der R o h s t o f f e , der A u s g e s t a l t u n g der B e triebsmittel und der o r g a n i s a t o r i s c h e n Verbesserung der Gesamtwirtschaft bis zum höchsten W i r k u n g s g r a d zu f ö r d e r n . Vor allen Dingen soll der Mensch in seiner Arbeitskraft vernünftig, d. h. sozial ausgewertet werden. Der rationellen Arbeitswirtschaft h a b e n wir eine soziale Menschenökonomie entgegenzusetzen. Der Weg zu diesem Ideal ist eine Demokratisierung von unten, ein geistig sachliches und fachliches Hineinwachsen auch der Arbeitnehmer in den Aufbau einer Wirtschaft, die für und durch die Allgemeinheit organisiert werden muß.«

219 Die Görlitzer Verhandlungen und das neue Programm der S. P. D. zeigen eine bedeutungsvolle Neuorientierung, nicht nur durch die große Erweiterung der kulturellen Basis des Programms sondern durch die bekundete »Umstellung der Partei von einer agitierenden in eine regierende« (O. B r a u n ) , von einer staatsfeindlichen zu einer staatserhaltenden Partei, welche die Republik schützt im Gegensatz zur Verneinung, die der Obrigkeitsstaat erfuhr. Da nun die Partei als Regierungspartei mitverantwortlich ist für einen gesunden deutschen Wiederaufbau, für eine rasche Durchführung der Reparation und für den materiellen und kulturellen Aufstieg Deutschlands, so kann sie die. früher als reine Oppositionspartei vertretene »negative« Produktionspolitik nicht mehr gutheißen. Sie wird sich deshalb mit all den schwierigen Rationalisierungsbestrebungen der Volks- und Privatwirtschaft und somit auch mit dem Taylorsystem beschäftigen müssen 1 ).

Förderung der wirtschaftlichen Betriebsfuhrung durch die deutsche Wissenschaft und Wirtschaft und durch den Staat. T a y l o r vertritt das Prinzip der wissenschaftlichen Behandlung aller Betriebsfragen. Der Arbeitsprozeß soll in allen seinen Phasen durchdacht, ja analysiert und verbessert werden, um die stärkste Steigerung der Wirtschaftlichkeit und die höchste Vervollkommnung der Arbeit zu erreichen. Dieses Prinzip der wissenschaftlichen ökonomisierung der Arbeit ist für Deutschland nichts Neues. Das Forschungsprinzip hat die führenden Exportindustrien seit Jahrzehnten zur Blüte gebracht. Liegt nicht die Stärke und das fruchtbare Wachstum unserer optischen, elektrischen und chemischen Industrie in der innigsten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis begründet ? Immer wieder wachsen in Deutschland neue Forschungsinstitute empor um unsere Industriewirtschaft zu fördern. Ich erinnere nur an die In*) Über »Taylorsystem und Sozialismus« hielt der bedeutende Volkswirtschaftler Prof. v. G o t t l - O t t l i l i e n f e l d an der Universität Hamburg, Wintersemester 1920/21, Vorlesungen. — S. Literaturverzeichnis unter Taylorismus und Sozialismus. Gewerkschaften und Arbeitsgesetzgebung S. 113—143.

220 stitute für Kohle, für Eisen, Lederindustrie, Lebensmittelchemie, Textilforschung, an die Forschungsstellen für betriebswissenschaftliche Arbeitsverfahren im Maschinenbau, für wirtschaftliches Bauwesen, an die Institute für industrielle Psychotechnik (Technische Hochschule, Berlin) und für wissenschaftliche Betriebsführung im Handwerk. Alles Forschungsstätten, die durch Industrie und Staat unterstützt werden, da sie zur Einführung gesteigerter und verbesserter Produktion führen 1 ). Und endlich die vielen Institute, Versuchseinrichtungen, Prüffelder, Laboratorien, Organisationsabteilungen der Großbetriebe, der Hochschulen und wissenschaftlichen Vereine. In den Vorlesungsverzeichnissen der technischen Hochschulen finden wir schon früher, als die Ideen T a y l o r s hier in Deutschland bekannt wurden, wichtige Vorlesungen über wirtschaftliche Betriebsorganisation usw. 2 ) Die Taylorbewegung wurde in Deutschland genährt durch die Professoren M ü n s t e r b e r g , W a l l i c h s , S c h l e singer 8 ), P r i n z , W e i ß , K a f k a , durch S e u b e r t , R o e ß l e r und durch viele Ingenieure und Betriebsleiter. Der Boden für die ganze Bewegung war ja in Deutschland schon bearbeitet. Hier nur noch einzelne Hinweise. Seit 1906 bestehen an der Technischen Hochschule Berlin zwei Versuchsfelder (seit 1918 nunmehr 3). Die Betriebslehre erfuhr an deutschen Hochschulen schon gute Förderung. Seit. 1908 hatte die Technische Hochschule Aachen ein Laboratorium für Werkzeugmaschinen, das später zu einem Versuchsfeld für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre ausgebaut wurde. Prof. H e l l p a c h hat beispielsweise schon 1906 die Arbeitswissenschaft an der Technischen Hochschule in Karlsruhe gepflegt. Die ganze letzte Entwicklung war dem Eindringen T a y lorscher Gedanken in Deutschland günstig. Ich erinnere an die Förderung wissenschaftlicher Betriebsführung durch immer mehr erweiterte Vorlesungen und Übungen unserer Hochschulen. Die neuen Universitäten Frankfurt, Hamburg ') S. Anhang: Forschungsstätten. ) s. S. 79. ') Vortrag über Taylorsystem auf der 54. Hauptversammlung des Vereins deutscher Ingenieure 1 9 1 3 (veröffentlicht in »Technik und Wirtschaft«, 1913). 2

221 stellten sich ebenfalls darauf ein. So wird z. B. in Frankfurt gelesen: Industriebetriebslehre (Prof. Calmes), Bankbetriebslehre (Prof. S c h m i d t ) , Warenhandelsbetriebslehre (Prof. Pape), Technische Ökonomik (Prof. V o i g t ) . In Wirtschaftspsychologie wurde das Institut für industrielle Psychotechnik an der Technischen Hochschule Berlin ( S c h l e s i n g e r , Moede) vorbildlich und führend. Geplant sind Lehrstühle oder Institute für industrielle Psychotechnik oder Wirtschaftspychologie an den Technischen Hochschulen Aachen, Darmstadt, Dresden, Stuttgart. Gegründet wurden sie bereits an den Technischen Hochschulen Mannheim und Berlin und an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Sehr viele Vorlesungen beschäftigen sich mit dem Taylorsystem, nur erscheinen sie nicht immer unter diesem Titel 1 ). So wurden z. B. in Aachen (Wallichs), Berlin ( S c h l e s i n g e r , Moede), Karlsruhe (Hellpach), Innsbruck (Dück), München (v. G o t t l , P r i n z , W e i ß , K a f k a ) , Hamburg (v. G o t t l ) , Darmstadt (Schräder), Mannheim ( L y s i n s k i ) , VerwaltungsAkademie Berlin ( P i o r k o w s k i ) , Wien usw. Vorlesungen oder Übungen über das Taylorsystem gehalten, aber auch an vielen anderen Hochschulen. Wenn wir über Förderung der wissenschaftlichen Betriebsführung sprechen wollen, so dürfen wir die Entwicklung dedeutschen Experimental-Psychologie und die Fortschritte der Arbeits-Psychologie nicht außer acht lassen. Das Psychologische Institut in Hamburg (Prof. Stern), das Institut für ') Prof. G o t t l - O t t l i l i e n f e l d der Technischen Hochschule München (jetzt Hamburg) hielt Wintersemester 1918/19 Übungen über das Taylorsystem ab, die mir manche Anregungen gaben. Im Sommer 1919 suchte uns Prof. K a f k a vom Psychologischen Institut der Universität München in die Schwierigkeiten der Eignungsprüfungen einzuführen. Wir mußten alle das Trambahnfahren bei der Städt. Straßenbahn München erlernen, um die bisherigen Methoden der Eignungsprüfungen der Straßenbahnfahrer beurteilen zu können. Herbst 1919 hörte ich Prof. H e l l p a c h an der Technischen Hochschule Karlsruhe über Ökonomie der menschlichen Arbeit. Und so werden noch viele Gelehrte und Praktiker sich mit diesen Problemen beschäftigt haben. Auch in Volkshochschulkursen wird das Taylorsystem hie und d a ausführlich behandelt. So lesen seit Sommer 1919 die Prof. P r i n z und W e i ß in Mönchen über wissenschaftliche Betiiebsführung.

222 angewandte Psychologie in Berlin (Dr. L i p m a n n ) und das Institut für Arbeits-Psychologie in Berlin (Prof. R u b n e r ) müssen unbedingt genannt werden 1 ). Im Interesse der Forschungsökonomie wäre ein Zusammenschluß oder eine Zusammenarbeit der Forschungsstätten, welche sich mit Betriebslehre und Wirtschaftspsychologie befassen, sehr zu wünschen und sei es auch nur in der Form alljährlicher Kongresse oder eines engeren Erfahrungsaustausches. Vor allem sollten die örtlichen Institute einer Großstadt eng miteinender Fühlung nehmen. Viele unnötige Wiederholungen in Problemstellung und -erörterung könnten dadurch vermieden werden, vor allem aber könnte die ganze Forscherarbeit planmäßiger erfolgen. Auch das Reich könnte einen besseren Zusammenschluß sehr fördern durch Ausbau eines oder mehrerer Institute zu Hauptinstituten. Dadurch könnte man viel rascher, eingehender und kritischer die ganze Bewegung verfolgen und der Praxis dienstbar machen. So istz. B. in der industriellen Psychotechnik das Institut der Technischen Hochschule Berlin führend. Es könnte leicht weiter ausgebaut und der Lehrkörper zweckmäßig erweitert werden. Die Fachinstitute der Industrie werden durch die stark einsetzende Konzentrationsbewegung der deutschen Industrie immer mehr zu gemeinschaftlicher Arbeit erzogen. »Am 30. September 1919 wurde auf Veranlassung des Reichsarbeitsministeriums ein .Ausschuß zur F ö r d e r u n g der w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e t r i e b s f ü h r u n g ' ins Leben gerufen. Im gehören Männer der Wissenschaft, der Pädagogik, der industriellen und kaufmännischen Praxis an. Er ist dem Reichsarbeitsministerium angegliedert worden. Der Ausschuß ist als eine Sammelstelle der Forschungsergebnisse der Literatur und Bibliographie, als Informationsort für Auskünfte und Nachweis, endlich als »Weichensteller« für das gesamte Arbeitsgebiet (Berufsauslese und Berufsberatung, Arbeitspensum nach Menge und Zeit, Einteilung des Arbeitstages, Regelung ') Der Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung (AWF) des Vereins deutscher Ingenieure hat im Auftrag des Reichsarbeitsministeriums eine Zusammenstellung der deutschen »Arbeitswissenschäftlichen und berufskundlichen Forschungsstätten« herausgegeben, ein kleines Büchlein, welches näheren Aufschluß über die Arbeitsgebiete gibt.

223 der Pausen, Intensität der Arbeit, Optimum des Erfolges, Ermüdungsgesetze, Anpassung der Arbeit an den Arbeiter — insbesondere der Werkzeuge —, Bildung der Arbeitergruppen und Kolonnen, Verwertung von Erfahrungen des Kleinbetriebes für den Großbetrieb, Lohnregelung, Betriebsverfassung) gedacht. E r soll Ordnung in die Wirrnis privater Initiative auf all den Gebieten der Betriebs- und Arbeitsorganisation tragen 1 ).« Das Reichsarbeitsministerium hatte also hier versucht, die Vertreter der wissenschaftlichen Psychologie, NationalöKonomie usw. mit den industriellen Praktikern zusammenzuführen, um die subjektiven Wirkungen und Voraussetzungen der menschlichen Arbeit zu untersuchen. Die Organisation war aber nicht genügend in den Erwerbskreisen verankert, denn es erscheint notwendig, daß auch die subjektiven Voraussetzungen und Folgewirkungen der Arbeit sich auf einer methodischen Untersuchung des Arbeitsvorganges aufbauen. Die letztere aber kann am vorteilhaftesten meist nur von den praktisch tätigen Technikern selbst vorgenommen werden, wobei natürlich auch Volks- und Privatwirtschaftler, Wirtschaftspsychologen, Schulmänner hinzuzuziehen sind. Der Träger der ganzen Arbeit sollte aber vor allem die Industrie sein, die ja auch an den Ergebnissen am meisten interessiert ist. Wir kamen in dieser Richtung einen ganz gewaltigen Schritt vorwärts, j a erlangten sogar einen Vorsprung vor dem Auslande durch die Gründung des R e i c h s k u r a t o r i u m s f ü r W i r t s c h a f t l i c h k e i t in I n d u s t r i e u n d H a n d w e r k (Juni 1921). Nur in den Vereinigten Staaten von Nordamerika arbeitet das National Research Council mit seinen vielen Untergruppen und das Bureau of Standards in großzügiger Weise an der Vereinheitlichung und Rentabilitätssteigerung von Industrie, Verkehr und Handel. Die europäischen Staaten haben zwar fast alle Normenausschüsse, aber führend ist hier die Union, England und Deutschland. Österreich folgt in seinem Normenausschuß (seit 1920) dem deutschen Beispiele. Die Masaryk-Akademie der Tschechoslowakei (1920 gegründet) Dr. Bruno R a u e c k e r , Wissenschaftliche Betriebsführung und Arbeitsethik. Industrie- und Handelszeitung Nr. 48 vom 26. Februar X921.

224 hat ihre Organisation der technischen Arbeit erst begonnen. Der französische Normenausschuß wird von der Regierung gegängelt. Die absolutistisch-zentralistische Arbeit SowjetRußlands kann für kein freiheitliches Land praktisches Vorbild sein. Ich habe bereits früher auf die volks- und privatwirtschaftlich außerordentlich wichtigen Arbeiten hingewiesen, welche die Betriebstechnische Abteilung beim Deutschen Verband technisch-wissenschaftlicher Vereine, der Normenausschuß der deutschen Industrie und der Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung für Hebung der Wirtschaftlichkeit von Gewerbe (Industrie, Handwerk), Verkehr (in Zukunft auch für Landwirtschaft und Handel) leistet. Der Hauptzweck des Reichskuratoriums ist nun, diese und andere auf Selbstverwaltung eingestellten Arbeitsstellen zu gemeinsamer Zusammenarbeit (Beiträge von Einzelpersonen und Firmen, von Ausschüssen, von Hoch- und Mittelschulen) zum Zwecke der Rationalisierung der gewerblichen Produktion aller Fachgebiete zu vereinigen. Also Zusammenfassung aller Rationalisierungsarbeiten, systematische Wirtschaft ohne merkantilistische oder kriegswirtschaftliche Zwangsregulierung und Bevormundung. Außer den oben genannten wurden bei der Gründung folgende Stellen zur Mitarbeit bewogen : die Arbeitsgemeinschaft deutscher Betriebs-Ingenieure, die Deutsche Gesellschaft für Metallkunde, die Deutsche Gesellschaft für Bauingenieurwesen und die Ausschüsse für Technik in der Landwirtschaft. Alle Arbeiten werden in Fachzeitschriften der öffentlichen Kritik unterworfen. Die Arbeiten haben natürlich erst begonnen. Nur was bald zur Verringerung der Selbstkosten führen kann, soll bearbeitet werden. Soweit besondere Rücksichten auf die subjektiven Bedingungen der Arbeit zu nehmen sind, arbeitet das Reichsarbeitsministerium bei den Arbeitsstellen des Reichskuratoriums mit, damit eine gesundheitliche Schädigung des Arbeiters verhindert wird. Als Ziele werden genannt: weitgehende Verwendung nationaler Rohstoffe, deren wirtschaftliche Gewinnung, Aufbereitung und Verarbeitung,

225 sparsamste Verwendung teurer Auslandsstoffe; Erhöhung der Genauigkeit durch Verfeinerung der Meßmethoden und Meßgeräte; wirtschaftlichste Arbeitsverfahren und Arbeitsmittel (Hand- und Maschinenwerkzeuge, Arbeitsmaschinen, Apparate) ; Steigerung des Wirkungsgrades menschlicher Arbeit unter Herabsetzung der Anstrengung; wirtschaftlichste Betriebsanlagen und -einrichtung ; Normung unter Berücksichtigung des technischen und wirtschaftlichen Fortschreitens ; bessere Selbstkostenermittlung; beste Betriebsorganisation ; Hebung der Fachbildung der Techniker und Ingenieure; Einrichtung einer Lehrmittelsammlung und Lehrmittelbeschaffung für den technischen Unterricht. Diese großzügigen Arbeiten gehen natürlich weit über T a y l o r hinaus, und doch können wir immer wieder verfolgen, daß T a y l o r der Betriebspraxis und der Betriebswissenschaft äußerst fruchtbare Anregungen gegeben hat. Zugleich werden wir aber mit Stolz erkennen, was deutsche Männer der Praxis, wie H a r k o r t , v. K r u p p , Mevissen, H a n s e m a n n , R a t h e n a u , S t i n n e s , C. F. v. S i e m e n s u. a. und deutsche Wissenschaftler für die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft getan haben. In keinem Lande der Welt bestand eine innigere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis in den führenden Industrien als wie in Deutschland (Chemie, Optik, Metallindustrie, Elektrische Ind.). Keinen anderen Industriestaat zwingen aber auch die große Abhängigkeit vom ausländischen Rohstoff-, Absatz- und Geldmarkt und die ungeheuren wirtschaftlichen Verpflichtungen des Versailler Vertrages so sehr zu unbedingter planmäßiger Organisation und zu stärkster Anpassung an den technischwirtschaftlichen Fortschritt als wie Deutschland. Soziale Betriebsrationalisierung und zeitgemäße Organisation unseres Erziehungs- und Berufsbildungswesen werden unsere stärksten Grundlagen des Wiederaufbaues bilden. Und S ö l l h e i m , Taylorsystem.

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226 darum ist die Arbeit deutscher technisch-wissenschaftlicher Vereine, Körperschaften und Institute und die Gründung des Reichskuratoriums 1 ) eine nationale Tat 2 ).

Zusammenfassung und Schluß. Bedeutung des Taylorismus. Das Taylorsystem ist ein Höchstpensumsystem verbunden mit Schnelligkeitsakkord oder ähnlichen antreibenden Entlöhnungsarten. Wirtschaftlichste Arbeitsmittel, beste Verfahren, straffe zwangsläufige Organisation und weitgehende Spezialisierung (auch der Meistertätigkeit) und Betriebsnormung sollen die Höchstausnutzung der Produktionsfaktoren und des Arbeitsmaterials herbeiführen. Die Durchprüfung des gesamten Produktionsprozesses auf seine Wirtschaftlichkeit soll durch planmäßige Untersuchungen der gesamten Betriebsarbeit sichere Grundlagen für eine vereinfachte, verbilligte und oft auch verbesserte Produktion geben 3 ). Alle Arbeit wird vom Arbeitsbureau vorbereitet, wenn möglich normiert und schriftlich angeordnet. Das Taylorsystem hat einerseits alle Vorzüge einer systematischen Betriebsweise (Arbeits- und Unkostenersparnis durch planmäßige Betriebsvervollkommnung, schärfste ArGründer des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk: G. F. v. S i e m e n s . Zugegen waren u. a. Prof. Warburg, Schilling, Duisberg, Neuhaus, Riepert, Claviez, K ö t t g e n , K l i n g e n b e r g , T h i e l e , H e l l m i c h , v. B u t t l a r , R u e l b e r g , K ü h n e , L e r c h e , davon mehrere als Vertreter der Reichsbehörden. a ) Normenausschuß, Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung usw. S. 182 ff. Reich und Industrie unterstützen mit erheblichen Mitteln alle Rationalisierungsbestrebungen. •) Forschungsprinzip: Technische, wirtschaftlich-organisatorische, physiologisch-psychologische Analyse; Spezialisierung, Systematisierung, Psychologisierung, Zeit- und Bewegungsstudien an Menschen und Maschinen, Organisationsstudien, Maschinen-, Werkzeug- und Materialprüfung. Anwendung des Spar-, Kalkulations-, Substitutionsprinzips, der wirtschaftlichsten Differenzierung und besten Zusammenarbeit, wissenschaftliche Berufsauslese und Anlernmethoden.

227

beiterauslese nach den Betriebsbedürfnissen, wirtschaftlichste Ausnutzung der menschlichen Arbeitsfähigkeit, der besten Arbeitsmittel durch gute Arbeitsvorbereitung, genaue Arbeitsvorschriften, wirtschaftliche personelle und sachliche Gliederung, möglichste Betriebsnormung, Anpassung an den technischen Fortschritt). Anderseits finden sich bei ihm alle Fehler, die einem Höchstpensumsystem mit Schnelligkeitsakkord eigen sind (Überanstrengung, dauernde körperliche und geistige Schädigungen der Arbeiter,* Entseelung, Zwangsarbeit, Arbeitereinstellung und -ausstellung nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten, keine Lehrlings- und Arbeiterausbildung usw.). Inwieweit ist nun das Taylorsystem auf Deutschland anwendbar ? Beim Taylorsystem handelt es sich 1. um technisch-wirtschaftliche Ökonomie, 2. um Menschenökonomie. Im ersten Falle haben wir es mit einem Sparsystem zu tun, das jeden unnützen oder unwirtschaftlichen Verbrauch von Arbeitsstoffen, Arbeitsmitteln, technischen Kräften und Arbeitszeit durch beste Vereinfachung, Verbesserung und günstigere Ausnutzung der Arbeitsmittel und Einrichtungen (Werkzeuge, Apparate, Maschinen, Transporteinrichtungen), des Arbeitsmaterials (bessere Material- und Abfallverwertung), der Verfahren (Betriebsnormung, Arbeitsteilung: Funktionsmeistersystem, Arbeitsvorbereitung durch Arbeitsbureau), durch wissenschaftliche Prüfungen und organisatorische Maßnahmen bewirken will. Außer einer vernünftigen sachlichen Gliederung des Betriebs gehören auch hierher wirtschaftlichere Organisation von Einkauf, Verkauf und Verwaltung, Ausnutzung der Produktionsvorteile des Standorts und bessere Produktions-, Preis-, Kredit-, Finanz-, Konzentrations- und Steuerpolitik, also auch vieles, was Taylor nicht betont hat. All dieses, das die rein menschliche Seite der Arbeit nicht oder nur wenig berührt, muß von sachverständigen Leuten der Praxis immer wieder geprüft werden. Hier gibt es keinen Stillstand. Immer wieder werden zeit- und arbeitsparende Verfahren, bessere Arbeitsmittel, wirtschaftlichere Arbeitsstoffe und zweckmäßigere Organisationsformen entdeckt. In dieser Forderung der möglichsten Anpassung an die Fort15*

228 schritte der Technik, Wissenschaft und Wirtschaft gehen wir ganz mit T a y l o r . Die Taylorbewegung gab Deutschland reiche Anregungen. Sie unternahm den ersten großen Versuch, die Betriebsarbeit auf wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Wir haben zwar gesehen, daß zur selben Zeit, in der T a y l o r seine Versuche machte, auch in Deutschland dieselben Ideen praktische Verwirklichung fanden (vielfach sogar schon früher). Und doch hat erst die Taylorbewegung das allgemeine Interesse für betriebswissenschaftliche Fragen geweckt. Man darf nur die technische Zeitschriften- und Buchliteratur des vergangenen Jahrzehnts verfolgen. Uberall stoßen wir auf T a y l o r und sein Werk. Viele deutsche Praktiker und Wissenschaftler haben dadurch reiche Anregung empfangen. Auch die industrielle Psychotechnik wurde durch T a y l o r s c h e Ideen mannigfach gefördert. Ich erinnere hier an M ü n s t e r b e r g . Und denken wir einmal an G i l b r e t h 1 ) , diesen großen Anreger auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Bauweise! In Europa wurde durch die große Wohnungsnot, durch die Baumittelknappheit und -teuerung, durch Siedlungsbestrebungen und durch die großen Aufgaben des Wiederaufbaus der zerstörten Gebiete Ostpreußens, Nordfrankreichs und Belgiens die Rationalisierung der Bauarbeit ein dringendes Bedürfnis. Die Ideen G i l b r e t h ' s und seine praktische vorbildliche Arbeit sind hier von großer Bedeutung auch für uns. Wer den Einfluß eines gesundheitlich, sozialen, sittlich und kulturell einwandfreien Wohnungswesens auf die kulturelle Hebung eines Volkes erkannt hat 2 ), wird d i e s e n Taylorismus nur begrüßen können. Dem Taylorismus ist also eine bestimmte Kulturbedeutung nicht abzusprechen. Das große Problem der wirtschaftlichsten Betriebsarbeit wird — freilich einseitig im privatwirtschaftlichen Sinne — zu lösen versucht. Ja T a y l o r geht noch weiter, er will zu einer wirtschaftlichen Gestaltung der gesamten Betriebsarbeit anregen, zur Feststellung und Herbeiführung *) B r i c k l a y i n g - S y s t e m

1909, siehe

Literaturverzeichnis.

D i e L i t e r a t u r über rationellen B a u b e t r i e b ist sehr umfangreich. Fors c h u n g s s t ä t t e n f ü r w i r t s c h a f t l i c h e n B a u b e t r i e b 9. Literaturverzeichnis. 2)

V g l . A r t . 155 der n e u e n d e u t s c h e n R e i c h s V e r f a s s u n g .

229

des besten Wirkungsgrades aller menschlichen Tätigkeit: der Erzeugung wie der Verteilung der Produkte, der körperlichen wie der geistigen Arbeit, wie auch der wissenschaftlichen Forschung. Der Taylorismus wird daher als richtig verstandene Idee der praktischen Rationalisierung des Lebens nicht untergehen, mag er auch unter anderem Namen, wie z. B. der wissenschaftlichen Betriebsweise, der Organisationslehre, der Betriebs- oder Arbeitsökonomie auftreten. Er ist der erste große praktische Versuch, das Ökonomieprinzip überall zielbewußt zur Anwendung zu bringen und so den Rationalisierungsprozeß der Zivilisation zu beschleunigen. Das Schema des Taylorsystems paßt nur für bestimmte Verhältnisse. Die Taylorschen Ideen jedoch können für alle Arbeiten fruchtbare Anregungen geben. Und dennoch: Der Taylorismus ist nur eine Seite der Betriebswissenschaft, die rein privatwirtschaftliche. Daneben müssen aber auch soziale und kulturell-gesellschaftliche Gesichtspunkte und die volkswirtschaftliche Brauchbarkeit erwogen werden. Erst dann kommen wir von der Maschinenund Werkstattökonomie T a y l o r s zu einer Menschen- oder Gesellschaftsökonomie. Nachdem uns T a y l o r gelehrt hat, wirtschaftlich zu denken, müssen wir lernen, menschlich zu wirtschaften. Unser Ziel darf also nicht einseitige Leistungssteigerung sein, sondern mehr Berufsbefriedigung und Berufsglück. Nun zur Menschenökonomie. T a y l o r sucht durch wissenschaftliche Versuche das tatsächliche Maximum der Leistungsfähigkeit zu ermitteln, das ein Produktionsmittel auf die Dauer hergeben kann. Er befolgt diesen Grundsatz aber nur hinsichtlich der Produktionsmittel, welche dauernd zum Betrieb und somit zum Anlage- und Betriebsvermögen gehören, also bei Maschineneinrichtungen, Werkzeugen. Er wird diesem Grundsatz untreu, sobald es sich um die Arbeiter des Betriebes handelt, die ja nur für eine bestimmte Zeit zum Betrieb gehören. Während bei den vorhin genannten Sachwerten des Betriebes auch ihre Pflege oft eine Rolle spielt, da ja durch eine zu große Beanspruchung oder Verlotterung der Arbeitsmittel übermäßige Reparatur- und Erneuerungskosten entstehen, was eine Erhöhung, der Selbstkosten pro Stück bedeuten kann

230 (die sich auch durch größere Abschreibungen des Betriebs bemerkbar machen können), fällt dieser Gesichtspunkt beim Arbeiter weg. Bei der Menschenarbeit kann die Ergiebigkeitssteigerung Raubbau bedeuten, die auf Kosten der Gesundheit und des seelischen Wohlbefindens der Arbeiter geht. Durch eine Überschraubung der Leistungsfähigkeit der Arbeiter erwachsen schlimme soziale Schäden und volkswirtschaftliche Nachteile. Die ausgepowerten Arbeitskräfte fallen um so frühzeitiger der sozialen Fürsorge des Staates und der Gemeinden zur Last. Dieses rasche Anwachsen der Zahl der Invaliden, Kranken, Arbeitslosen und Pflegebedürftigen bedeutet eine Degenerierung der Gesellschaft, eine Kulturseuche, die nicht im Staatsinteresse liegen kann. Der Staat muß deshalb schon im Interesse einer sozialhygienischen Kultur darauf dringen, daß die Leistungskraft seiner Bürger nicht ausgebeutet wird. Daher die ganze soziale Gesetzgebung mit ihrer Gewerbeaufsicht und ihren Schutzvorschriften. Es soll dadurch verhindert werden, daß ein Einzelinteresse aus Profitgier Raubbau an der Kraft der Volksgenossen treibt, daß also auf Kosten einer einseitigen privatwirtschaftlichen Ergiebigkeitssteigerung die volkswirtschaftliche Gedeihlichkeit geschädigt wird. Wir müssen im Interesse einer gesunden Kulturpolitik das Höchstpensums T a y l o r s , das mit allen Mitteln von den Arbeitern erpreßt wurde, bekämpfen, ebenso die ungesunden Formen des Schnelligkeitsakkords der Taylorbetriebe. Eine Durchführung des Taylorsystems im rein privatwirtschaftlichen, amerikanischen Sinne wäre bei uns in Deutschland mit seinen mächtigen Arbeiterorganisationen, seinen fortschrittlichen Arbeitergesetzen, seiner Gewerbeaufsicht und seiner ganzen Kultureinstellung unmöglich. Das Taylorsystem muß sich also den deutschen Verhältnissen anpassen. Ich habe in den einzelnen Abschnitten der Arbeit immer wieder auf die Grenzen der Durchführung einzelner Einrichtungen des Taylorsystems hingewiesen. Das Taylorsystem ist aus der liberalistisch-individualistischen Wirtschaftsverfassung der Union entstanden. Immer wieder wird betont, man müsse einen Arbeiter nach dem andern dafür gewinnen. Bei unserer Tarif- und Betriebsrätegesetz-

231 gebung ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Die Arbeiterschaft als Ganzes bildet eine Vertragspartei, welche auf Lohn- und Arbeitsverhältnisse und Betriebsorganisation durch Tarifverträge, Arbeitsordnungen und den Betriebsrat weitgehenden Einfluß hat. Die Arbeiterausstellung ist in Deutschland außerordentlich erschwert. Aber auch in der Arbeitereinstellung hat der deutsche Unternehmer nicht immer völlige Freiheit. Die strenge Anwendung des Substitutionsprinzips T a y l o r s auf die Betriebsarbeiterschaft (Entlassimg Unfähiger, d. h. von Arbeitern, die eine gewisse Höchstleistung nicht vollbringen) ist bei uns unmöglich. Die Einführung der Unterweisungskarten, des Arbeitsbureaus, des Taylorschen Meistersystems und der T a y l o r schen zwangsläufigen Organisation (Formularsystem) ist nur unter ganz bestimmten Verhältnissen wirtschaftlich. Hauptvoraussetzung für die Einführung der Unterweisungskarten bilden Reihen- und Massenherstellung, gute Organisation, hoher Stand der Betriebsnormung, genügend Kapital und Zustimmung der Arbeiterschaft. Schon Dobri A w r a m o f f 1 ) hat 1903 in seinen Untersuchungen über das Verhältnis der quantitativen und qualitativen Arbeitsleistung zum Arbeitsrhythmus festgestellt, daß bei geeignetem vorgeschriebenen Arbeitstempo die Arbeitsleistung steigt, daß jedoch bei selbstgewähltem Tempo die Qualität besser ist. Bei Qualitätsleistungen sind also Zeitvorschriften unnütz, ja schädlich. Soll keine gesundheitliche und kulturelle Schädigung erwachsen, so muß das vorgeschriebene Tempo gewisse individuelle Grenzen, die allerdings durch Übung und bessere Anlernung höher gelegt werden können, einhalten. Die oben angeführten Bedingungen für die Wirtschaftlichkeit der Unterweisungskarten gelten im großen und ganzen für alle Einrichtungen des Taylorsystems, also auch für Arbeitsbureau und Meistersystem. Es sind Vorbedingungen für die Taylorisierung überhaupt. Natürlich sind diese Vorbedingungen je nach Betriebsart bald stärker, bald weniger stark zu betonen. Hängt doch die Wirtschaftlichkeit eines *) s. Literaturverzeichnis unter Wirtschaftspsychologie. Die Anregungen zu diesen Forschungen gab das bekannte Werk von Bacher, »Arbeit und Rhythmus«.

232 Werkes auch sehr viel von den persönlichen Qualitäten des Leiters und seiner Hilfsbeamten ab 1 ).

Gesetz des Organisationsertrages. Für die weitaus größte Zahl der deutschen Betriebe kommt das Taylorsystem mit seiner weitgehenden Normung der gesamten Betriebsarbeit (einschließlich der Menschenarbeit) nicht in Frage, da die ganze Organisation zu umständlich, zu teuer und zu empfindlich wäre. Wohl aber kann die vorsichtige, zielbewußte Anwendung T a y lorscher Prinzipien zu einer Methodisierung der Arbeit führen und dadurch vielfach produktionsfördernd wirken. Ich sehe hier ein G e s e t z des z u n e h m e n d e n u n d a b n e h m e n d e n O r g a n i s a t i o n s e r t r a g e s u n d der O r g a n i s a t i o n s s ä t t i g u n g . Jede Organisationsneuerung ist nur dann für den Betrieb erstrebenswert, wenn sie entweder erhöhte, verbesserte oder verbilligte Produktion oder bessere Arbeitsbedingungen bringt. Die Neuerung muß sich alsobezahltmachen. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit eines Werkes hat jedoch, falls der Betrieb sich nicht vergrößert, seine Grenzen. Es gibt für jeden Betrieb ein Rentabilitätsmaximum (Organisationssättigung), das mit dem Leistungsmaximum nicht zusammen zu fallen braucht 2 ). Ist dieser Punkt größter Rentabilität noch nicht erreicht, herrscht also Unterorganisation, so kann eine Steigerung der Rentabilität (Verminderung der Unkosten *) V g l . T a y l o r i s m u s 2)

mung,

und

iudustrielle

Entwicklung

S. 105, 106.

Nachweis führt L e i t n e r ,

P r i v a t w i r t s c h a f t s l e h r e der

2. A u f l .

» H a t eine

1919,

S. 6 7 — 7 0 :

Unterneh-

Produktionsunternehmung

das O p t i m u m ihrer technischen L e i s t u n g s f ä h i g k e i t überschritten

(Tag-

und N a c h t s c h i c h t , V e r g e b u n g a n Unterlieferer usw.)

nicht

imstande,

im Verhältnis z u m A n w a c h s e n

und ist sie

der V e r w a l t u n g s k o s t e n

V e r k a u f s k o s t e n zu steigern, g e h t die R e n t a b i l i t ä t s k u r v e (S. 67).

nach

E s folgen Rentabilitätsbeispiele bei U b e r p r o d u k t i o n ,

die

unten« Normal-

p r o d u k t i o n , Mindererzeugung. W i c h t i g ist, o b der » P r o d u k t i o n s b e t r i e b zu

den

arbeitsintensiven

oder

den

kapitalintensiven

Betrieben

zu

rechnen ist, d. h. im ersten F a l l spielen die A r b e i t s k o s t e n die H a u p t rolle innerhalb der Fall

überwiegen

(S. 70). 1920,

die

Selbstkosten

und

damit im

Rohstoffkosten mit

allen

Umsatz;

im

zweiten

Konjunktureinflüssen«

I c h verweise noch auf L w t n e r , B i l a n z t e c h n i k und B i l a n z k r i t i k

Abschnitt

Rentabilität,

S. 1 3 5 — 1 3 9

über B i l a n z k r i t i k , B i l a n z s t a t i s t i k ,

und

die

Literaturangaben

R e v i s i o n s w e s e n und

Sanierung.

233 pro Stück) durch geeignete organisatorische Maßnahmen, wie die Beschaffung besserer Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren, geschickterer Arbeiter, bessere Anlernung herbeigeführt werden. Ist aber die größte Leistungsintensität schon überschritten (Überorganisation), so bedeuten weitere organisatorische Maßnahmen keinen wirtschaftlichen Gewinn, sondern nur eine Vermehrung der Arbeit. Der Rentabilitätsfaktor sinkt. Die Ausgaben für Organisationserneuerungen zum Zwecke der besseren Ausnutzung der Arbeit und der Arbeitsmittel halten mit den wachsenden Verwaltungskosten nicht mehr Schritt. Freilich wäre es oft möglich, z. B. durch neuerfundene chemische Verfahren, die Güte der Produkte zu erhöhen, aber nicht die technische Vervollkommnung ist ausschlaggebend, sondern die Wirtschaftlichkeit. Die für weitere Organisationsneuerungen und Versuche gemachten Kapitalsaufwendungen können wohl eine Steigerung der Arbeitsintensität und damit der Ausbringung eines Werkes hervorbringen, aber dennoch wird der Rentabilitätsfaktor durch unnötige organisatorische Neuerungen, z. B. zu eingehende Versuche, zu große Arbeitszerstücklung, zu große Genauigkeit der Arbeit, Unterweisungskarten, Zeit- und Bewegungsstudien, peinliche Kontrolle, zu umständliche Buchführung 1 ) usw. sich verkleinern. Wir ') Das gesamte Verrechnungswesen und die Betriebsstatistik muß sich der Eigenart des Betriebes und seinen Bedürfnissen anpassen, muß also individuell sein. Wohl ist es in manchen Fällen technisch möglich, eine ganz genaue statistische Buchhaltung einzurichten, welche jede Bestandswert- und Reinvermögensänderung erfassen würde. Ein Kleinkaufmann mit guter Buchführung wird aber nicht beim Verkauf einiger Bleistifte und Stahlfedern die durch den Verkauf eingetretene Warenbestandsänderung in einem Warenbestandsbuch und den erzielten Gewinn oder Verlust auf das Verlust- und Gewinnkonto oder auf ein besonderes Kapitalhilfskonto buchen. Eine solch genaue fortlaufende Buchung aller Bestände wäre freilich manchmal technisch möglich, wenn auch oft die Kalkulation der Gewinne sehr umständlich wäre. J a diese Buchungsmethode würde sogar in manchen Fällen die Inventur überflüssig machen, nämlich überall da, wo sich die Bestände nicht durch andere Ursachen verringern (Schwund, Einwiegen, Einmessen usw.), wie z. B. bei Wertpapieren, Schmucksachen, Waren mit besonderen Packungen, wo also die Mengenkontrolle rein buchhalterisch ohne Bestandzählung erfolgen kann. Eine solche Buchführung wäre jedoch in den allermeisten Fällen höchst unrentabel. Jede Überorganisation bringt wie jede Unterorganisation verringerte Rentabilität.

234 kommen endlich zu einem bestimmten Punkt, wo der Aufwand für solche Neuerungen ebenso groß ist als die dadurch hervorgerufene Ertragssteigerung. Diesen Punkt möchte ich als obere Rentabilitätsgrenze bezeichnen. Freilich kann sowohl das Rentabilitätsmaximum als auch die Rentabilitätsgrenze durch Fruchtbarkeitsfortschritte oder -rückschritte verschoben werden, so z. B. durch bessere oder schlechtere Arbeiter und Produktionsmittel, technisch-wirtschaftliche Fortschritte, Verstaatlichung der Betriebe, Förderung oder Schädigung der Betriebszwecke durch die Arbeiter und Beamten. Jeder guter Praktiker weiß diese Grenze ziemlich genau. Gute Kalkulation und Betriebsstatistik geben ihm Aufschluß, wieweit er wirtschaftlich handelt, wenn er mehr Überstunden ansetzt oder mehr Arbeiter und Beamte bei gleichbleibender Betriebsgröße beschäftigt oder Unterweisungskarten einführt. So kann auch die Einführung des Taylorsystems für viele Betriebe eine Verminderung der Rentabilität des Unternehmens bedeuten, wie dies sich ja in Amerika gezeigt hat. Es lohnt sich die Einführung nur, wenn die Kostenersparnis durch Zeitgewinn und Materialersparnis die erhöhten Betriebsunkosten decken. Wir haben es also in einem Fall mit einer zunehmenden, im anderen Fall mit einer abnehmenden Wirtschaftlichkeit organisatorischer Neuerungen zu tun. Diese Gesetzmäßigkeit ist ebenso wie das Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag ein Spezialfall des allgemein gültigen Gesetzes vom zunehmenden und abnehmenden Ertrag 1 ) J) Produktivitätsoder Ertragsgesetz in der B r e n t a n o s c h e n Fassung; B ü c h e r s Gesetz der Massenproduktion. Vgl. das W e b e r F e c h n e r s e h e Gesetz in der Psychologie. Leitner, Privatwirtschaftslehre der Unternehmung, 2. Aufl. 1919, gibt auf S. 6 7 — 7 0 statistische Übersichten über die Rentabilität von Betrieben bei Überproduktion, Normalproduktion und Mindererzeugung. Wichtig ist das alte und neue Verhältnis von Kapital: Umsatz; (Arbeiterzahl und Beamte): Umsatz, Arbeitskosten: Umsatzmenge. Man denke an die Einwirkungen einer anderen Wirtschaftsverfassung auf den Ertrag der Taylorisierung, z. B. Taylorsystem in der kommunistischen Wirtschaft, im isolierten Staat Fichtes und in unentwickelten Ländern wie Tibet.

235 W i r t s c h a f t l i c h e Grenze der ö k o n o m i s i e r u n g . Es ist seit T a y l o r ein alter Glaube, daß es am wirtschaftlichsten sei, jeden Arbeitsakt systematisch durchzudenken, ihn am ökonomischsten praktisch zu gestalten und für beste Anlernung eben noch hierzu befähigter billiger Arbeiter zu sorgen. Diese Ansicht ist für alle jene Fälle grundfalsch, bei denen die zu ökonomisierende Mengeneinheit zu klein ist, als daß sich die Versuche lohnen. Der O r g a n i s a t i o n s e r f o l g ist abhängig von der Menge der zu normierenden oder zu methodisierenden A r b e i t . Die g l e i c h a r t i g e n Arb e i t s a k t e müssen sich o f t genug wiederholen (wirts c h a f t l i c h e Grenzzahl einer ö k o n o m i s i e r u n g ! ) . Voraussetzung für eine rentable ökonomisierung ist eine genügende Zahl möglichst gleichartiger Arbeiten. J e größer die Produktionsmenge, um so wirtschaftlicher wirken organisatorische oder technische Verbesserungen. Deshalb drängt die ganze Entwicklung zu Vertrustung und Spezialisierung. Durch Massenvereinigung lassen sich schließlich nicht bloß einzelne Phasen der Güterproduktion rationeller gestalten, sondern die ganze Produktionskette bestimmter Gütergruppen (Kraftund Stoffgewinnung, Verarbeitung, Transport, Verteilung). Individuelle Organisation. J e d e gute Organis a t i o n p a ß t sich der E i g e n a r t des B e t r i e b e s , seinen K r ä f t e n , M i t t e l n , Personen und den Vorzügen des S t a n d o r t s ganz an. Grundbedingung für ihre Einrichtung ist die kritische Erfassung aller Organisationsmöglichkeiten und die genaue Kenntnis der Betriebsvorgänge und des Personals. Der ganze Betrieb muß nach und nach in eine moderne zeitsparende Organisation hineinwachsen. Stets ist zu bedenken, daß es sich nur um ein allmähliches Wachstum und nicht um eine plötzliche Umstellung und Uniformierung handelt. Denn es sind ja nicht nur äußere wirtschaftliche Güter, die organisch zusammenwirken sollen, sondern Menschen von Fleisch und Blut, Geist und Willen, die lebendige Glieder eines großen Organismus werden sollen. Welch große psychologische Hemmungen und Hindernisse sind oft schon zu überwinden, um den richtigen geistigen Apperzeptionshintergrund für eine wirksame Durchführung geplanter Neuerungen zu schaffen.

236 O r g a n i s a t i o n s s t u f e n . Entwickelt sich ein Kleinbetrieb zu einem Großbetrieb, so durchläuft er meistens verschiedene Organisationsstufen. Aber auch bei annähernd gleichbleibender Betriebsgröße werden besonders in Gebieten mit rascher Industrie- und Verkehrsentwicklung und scharfem Wettbewerb die Unternehmungen zu besserer technischer und organisatorischer Vervollkommnung gezwungen. Sie durchschreiten also verschiedene Grade der technischen Ökonomie (verschiedene Grade der Anpassung an den technischen Fortschritt), der betriebswirtschaftlichen Ökonomie und oft auch der Arbeitsintensität menschlicher Arbeit (Arbeiterauslese, arbeitsanspomende Lohnsysteme, Menschenökonomie — siehe privatwirtschaftliches Organisationsschema im Anhang). Welche Stufe der ökonomisierung für ein Unternehmen die wirtschaftlich nutzbringendste ist, kommt ganz auf die besonderen Verhältnisse an: auf Standort, Betriebsgröße, Arbeiterzahl, Arbeitercharakter, Produktionsart, zur Verfügung stehendes Kapital, Möglichkeiten der Arbeitsteilung und -Verbindung, der Anwendung von Spezialmaschinen und Spezialarbeitern. Geradeso wie ein kluger Landwirt diejenige Betriebsform wählt 1 ), welche ihm das beste Verhältnis der Produktionskosten zum Ertrag sicherstellt, genau so erstrebt ein rechter Betriebsleiter denjenigen Grad der ökonomisierung, der am rentabelsten ist. Ist die zu organisierende Arbeitsmenge zu klein oder zu schwer normierbar, so ist oft ein extensives Arbeitssystem wirtschaftlicher als die Formen höchster Arbeitsteilung, weil dann zu große Arbeitsteilung Überorganisation bedeutet, die sich nicht bezahlt macht. Ob sich eine genaue Analysierung der ganzen Betriebsarbeit durch Zeit-, Bewegungsund Ermüdungsstudien und eine dadurch herbeigeführte größere Produktionsintensität oder Arbeitsverdichtung lohnt oder nicht, muß von Fall zu Fall entschieden werden. Handwerker B, welcher durch genaue Zeit- und Bewegungsstudien die besten Arbeitsverfahren zu ergründen sucht, kann weit unwirtschaftlicher arbeiten als Handwerker A, welcher gar l ) Vgl. die T h ü n e n s c h e Theorie über den Einfluß des Standorts auf die Art der Bodenbenutzung. T h ü n e n , Der isolierte Staat in seinen Beziehungen auf Landwirtschaft und Nationalökonomie, I. Teil, 1826.

237 keine Arbeitsvorbereitungen trifft. Beim Handwerker C kann sich wieder der Aufwand an geistiger Arbeit, an Kraft, Zeit und Kapital für solche Versuche lohnen, da er die Massenfabrikation eines einzigen Artikels übernimmt und da er zugleich auch wissenschaftliche Institute zur kostenlosen Mitarbeit für seine Untersuchungen gewinnt. Der Grad der ökonomisierung ist außer von dem verfügbaren Kapital, der Betriebsgröße und den Fähigkeiten der Leitung, besonders vom Standort und den natürlichen und gesellschaftlichen Produktionsfaktoren 1 ) abhängig. In unentwickelten Ländern, wie Tibet, ist beispielsweise der dortige primitive Schmiedebetrieb rentabler als die besteingerichtete Schmiede und Schlosserei einer Großstadt oder als ein modernes Stahlwerk, weil dort jede Grundlage für die Rentabilität eines solchen Unternehmens fehlt, so z. B. eine entsprechende Bevölkerungsdichte und Kulturhöhe, Rechtssicherheit, gesetzliche Grundlagen der Betriebsarbeit, Absatzfähigkeit, geeignete Arbeiter, gute Transportmöglichkeiten, geordnete Währungsverhältnisse, Kreditwirtschaft.

Rentabilität und soziale Kultur. So können also alle Einrichtungen des Taylorsystems auch unwirtschaftlich wirken. Vor allem kann eine zu weitgehende Normung der menschlichen Arbeit nicht nur privatwirtschaftlich unvorteilhaft sein sondern auch volkswirtschaftlich verheerend wirken. Damit kommen wir zum wichtigsten Punkt des Taylorismus. Sozialökonomisch ist nicht die Rentabilität für die Wahl des Arbeitsverfahrens von ausschlaggebender Bedeutung, sondern die volkswirtschaftliche Brauchbarkeit. Das soziale Gleichgewicht soll durch Befriedigung der berechtigten Bedürfnisse der einzelnen Gesellschaftsschichten im Interesse einer gesunden Weiterentwicklung der Gesellschaft erhalten werden. Je mehr sich die sozialen Tendenzen durchsetzen, desto mehr drängt die Zeit zur Menschenökonomie. Der Aufwand an inneren Gütern, d. h. der Personalgüter (im Gegensatz zu den Sachgütern) wie körperliche und geistige Arbeit, Vgl. Anmerkung S. 77 und S. 78. Näheres über Organisationsstufen siehe Skizzen im Anhang.

238

Gesundheit, Anlagen und Fähigkeiten, soll möglichst verringert werden. Die Menschen werden immer wirksamer vor zu frühzeitigem Verbrauch ihrer Kräfte, vor Ausbeutung und Verkümmerung geschützt. Dabei sollen sie natürlich nicht durch eine falsche, sozialschädliche, überhumane Sozialpolitik zu Staatsschmarotzern erzogen werden. Die Gesamtlebensleistung des Arbeiters und Volksgenossen muß das Bestimmende für die Produktionspolitik sein und nicht die augenblickliche Leistung des Arbeiters im Betrieb. Diese Gesamtlebensleistung des einzelnen kann durch eine sozial eingestellte Produktionspolitik gehoben werden. Soziale Maßnahmen können Menschenauspowerung verhindern oder mildern. Die Periode der Vollkraft des Menschen wird dadurch verlängert, die Invaliditätsgrenze höher gelegt. Wir müssen also stets in Rechnung ziehen, daß frühzeitig verbrauchte Arbeiter nicht nur eine ungeheure soziale Gefahr sind, sondern daß sie dem Staate ungeheure Kosten verursachen (Erwerbslosenfürsorge, Armenpflege, Fürsorgeanstalten, Gefängnisse). Nicht gerechnet sind dabei die rein persönlichen Opfer, die der Betroffene täglich bringt (Lebensaufopferung, frühe Sterblichkeit, Siechtum, körperliche und sittliche Verwahrlosung der Kinder durch das Schwinden der häuslichen Erziehungskräfte, größere Kindersterblichkeit, Notlage). Für den privat- und geldwirtschaftlichen Kostenbegriff ist der Arbeiter nur Kalkulationsobjekt in bezug auf den speziellen Privatbetrieb, für uns jedoch in bezug auf die Lebensfähigkeit der Volksgemeinschaft. Der amerikanische Stahltrust hat nach der Arbeiterzeitung vom 29. Dezember 1912 die Altersgrenze der Arbeiter in einzelnen Abteilungen auf 35 Jahre festgesetzt. Das gleicht einem direkten Verbrechen am einzelnen und am Staate 1 ). Der Mensch wird beim amerikanischen Taylorsystem in eine Maschinerie hineingezogen, die alle seine Lebenskräfte erstickt. Er wird gezwungen nach dem Rhythmus schnelllaufender Maschinen zu arbeiten. Seine Lebensarbeit ist für 1

) Vgl. H e r k n e r , Die Arbeiterfrage 1921, II. Bd., S. 18—34 über die ökonomischen Gefahren des überwiegenden Industriestaates; Bd. I, S 72.

239 jede Sekunde genormt. Dabei verliert er alle seine handwerklichen Kenntnisse, die für ihn ja das einzige Mittel sind, höher zu kommen. In Amerika wurde unter der Maske, daß die Betriebsleitung die ganze Verantwortung dem Arbeiter abnehme und daher ihm j eden Griff wissenschaftlich vorschreibe, der letzte Rest der Arbeitsleistung dem Arbeiter abgepreßt. Wir sehen also, daß auch höchste Vernunftmäßigkeit und Wissenschaftlichkeit die schlimmste Sklaverei, Menschenausbeutung und Vertierung bedeuten kann. Der Mensch gilt nur noch als Maschinenteil oder im besten Falle als ein gepflegtes Haustier 1 ). Gerade in der abendländischen Kultur ist ein tiefes Sehnen nach mehr Berufsbefriedigung; nach Berufsfreude, Berufsstolz und Berufsglück erwacht. Auch der ärmste Arbeiter möchte in innere Beziehung treten zu seinem Schaffen. Ist nicht die Betriebsrätebewegung, die Deutschland, Österreich, England und Italien erfaßt hat, ein beredtes Zeichen für die Not unserer Zeit, für diesen tiefen Sinn nach Mitbestimmung, nach Entwicklung eines Teilhaberverhältnisses der Arbeiterschaft, nach Arbeitsbefriedigimg, Persönlichkeitswertimg und innerer Freiheit ? Soll die Einführung des Achtstundentages nicht auch ein Sicherheitsventil darstellen, um denjenigen Arbeitern, welche im ewigen Gleichtakt der Maschinen keine Berufsbefriedigung mehr finden können, durch Verkürzung der Arbeitszeit Gelegenheit zu geben, ihren inneren Menschen außerhalb des Berufes in Natur und Gemeinschaftsleben zu pflegen? Kann ein Sozialpolitiker wirklich die Verkümmerung der Arbeitsfreude, die Herabdrückung des Bildungsniveaus und die Ertötung körperlicher Fertigkeit der Massen, wie es durch direkte Übernahme des amerikanischen Taylorsystems herbeigeführt würde, vor sich und seinem Volke rechtfertigen? Würden nicht die Menschen um den Sinn ihres Lebens betrogen, um das Persönlichkeitserlebnis und das Glück der Arbeit? Würde nicht die rasche Degenerierung des Volkes sein »Absteigen ins Greisenalter«, um mit Spengler 2 ) zu sprechen, nur beschleunigen ? Sicherlich! Eine allgemeine Taylori>) Vgl. Taylors Ideenwelt S. 93—101. S p e n g l e r , Der Untergang des Abendlandes.

2)

240 sierung im allgemeinen Sinne würde bei uns ähnliche Katastrophen für unser Kulturleben herbeiführen, wie einst die großen Krisen der englischen Wirtschaftsentwicklung. Wir sehen es ja zum Teil an Rußland 1 ). Europa braucht eine soziale Kultur, die aufgebaut ist auf die Grundsäulen Freiheit und Persönlichkeit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit2). Die Menschen dürfen die innere Beziehung zu ihrer Arbeit nicht ganz verlieren, wenn die sozialen Kämpfe gemildert werden sollen. Die eudämonistische Überschätzung der Güter, die Hindenburg mit Recht als Feigheit bezeichnet, darf nicht mehr das Ausschlaggebende 1 ) Die gesundheitliche und sittliche Schädigung des Fabrikarbeiters und die Beziehungen zum Seelenleben des Arbeiters schildern meisterhaft: John R u s k i n , Die Steine von Venedig, 2. Bd., IV. Kapitel, deutsch Jena 1904; Friedr. N a u m a n n in der »Hilfe«, II, Nr. 28, VI, Nr. 27, 3 1 ; V I I I , Nr. 22, 40; T r a u b , Verhandlungen des evang. sozialen Kongresses in Breslau 1904, S. 57—102; A b b e , Sozialpolitische Schriften, Jena 1906, S. 225, 237. Max W e b e r , Erhebungen über Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft, 1908; D e r s e l b e , Zur Psychophysik der industriellen Arbeit, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, 1908, 1909; Adolf L e w e n s t e i n , Die Arbeiterfrage, 1912; D e r s e l b e , Aus der Tiefe. Arbeiterbriefe 1909. H e r k n e r , Die Arbeiterfrage 1921, I. Bd., S. 22ff., S. 28 u. 30 weitere Literatur. D e r s e l b e , Seelenleben und Lebenslauf in der Arbeiterklasse, Preuß. Jahrbuch, Bd. 140; D e r s e l b e , Die Bedeutung der Arbeitsfreude, 1905. 2 ) Dies wurde März 1920 durch die deutschen Erklärungen auf der Londoner Konferenz aller Welt zum Bewußtsein gebracht: »Die Qualitätsarbeit, wie der Produktionsapparat Deutschlands und seine Verpflichtungen zu gesteigerter Erzeugung sie erfordert, kann nicht von unterernährten, geknechteten und hoffnungslosen Zwangsarbeitern verrichtet werden. Überdies können grundlegende Umgestaltungen auf diesem Gebiete in einem Lande ohne die Zustimmung der Arbeiterorganisationen aller Kulturstaaten nicht herbeigeführt werden . . . London wird eine Reihe von Verständigungen zu eröffnen haben, deren die Welt zum Aufbau ihrer Wirtschaft bedarf, die eine Wirtschaft der Solidarität und Gerechtigkeit sein muß, wenn sie nicht, von Krise zu Krise treibend, in absehbarer Verwirrung enden muß« (1. März 1921).

241 sein. Nie darf eine Volkswirtschaft diesen reinen Geldstandpunkt als ihr Ziel betrachten. Der Endzweck des Staates ist nach I h e r i n g die Herstellung und Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft. Alle staatliche Tüchtigkeit ruht in der sittlichen Tüchtigkeit der einzelnen. Der Staat hat daher die Aufgabe, die persönlichen Wertgehalte im Einzelmenschen zu erwecken und zu pflegen und die Kulturzwecke durch wirtschaftliche, geistige und sittliche Höherentwicklung aller Klassen und Stände zu fördern. Ob unsere Kinder und Kindeskinder führende Männer oder Schwachsinnige, Gesunde oder Krüppel, reich oder arm sind, stets sollen sie vor jeder Ausbeutung geschützt sein, stets sollen sie "Anteil haben an den kulturellen Errungenschaften unseres Volkes. Wir wissen, daß wir in diesen Forderungen einig gehen mit den großen Führern unserer Kultur, mit P e s t a l o z z i , R o u s s e a u und S a i n t - S i m o n , mit S c h i l l e r und G o e t h e , K a n t und F i c h t e , S c h l e i e r m a c h e r , S c h l e g e l und S c h e l l i n g , H ö l d e r l i n und H e g e l , mit Wilhelm v. H u m b o l d t und v. S a v i g n y , mit Adam Müller und Friedrich L i s t 1 ) . Von Westen her klingt der Ruf C a r l y l e s und R u s k i n s und im Osten sucht T o l s t o i und K r a p o t k i n der verelendeten Menschheit das Evangelium der Arbeit zu bringen, damit ihre Augen wieder aufleuchten von Schaffensfreude und Berufsglück und damit sich das herrliche Bibelwort erfülle: »Wenn das Leben köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.« Die großen philosophischen Systeme beherrschen nicht nur die Geisteskultur. Ihre neuen Ideen und Ideale wirken nicht nur auf Erziehung und Sitte, auf Wissenschaft, Literatur und Kunst, sondern auf das gesamte kulturelle Leben, also auch *) S c h i l l e r , Briefe über ästhetische Erziehung. G o e t h e s F a u s t (Schluß). W . v . H u m b o l d t , Versuche, die Grenzen der W i r k s a m k e i t des S t a a t e s z u bestimmen. 1792. B u r d a c h , Deutsche Renaissance, Betrachtungen Ober unsere k ü n f t i g e Bildung. Berlin igiß. Ü b e r die Überwindung der klassischen Nationalökonomie, s. S. 109 Anm. V g l . ferner die historische Rechtsschule: v. S a v i g n y , N i e b u h r , Ranke, Dahlmann, Sybel, Treitschke. S ö l l h e i m , Taylarsystem.

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242 auf die Wirtschaftsethik, die Rechtsanschauungen und die Rechtsentwicklung. Wir stehen am Frühlingsanfang einer neuen idealistischen Bewegung, welche berufen ist, unser zerrüttetes Gemeinschafts- und Arbeitsleben neu zu befruchten. Träumen wir dabei nicht von idealen Zukunftsbildern in dieser Not der Zeit, überschätzen wir aber auch nicht den Wert bloßer Organisierung und Systematisierung. Durch Organisation und wissenschaftliche Fundierung allein kann unser Wirtschaftsleben und unsere gesamte Kultur nicht zur alten Höhe emporblühen. Aber dennoch werden wir nicht versäumen dürfen, Umfang und Reinheit der Induktion und alle ernstliche Forscherarbeit zu pflegen. Nur mühevolle Arbeit kann uns neben einer neuen Wirtschaftsgesinnung vorwärts bringen, einer Gesinnung, die auch in der ärmsten Fabrikarbeiterin und im heruntergekommenen Arbeiter einen Menschen sieht, der wie wir ein Recht hat auf Arbeitsfreude und Menschentum. Wir brauchen also keine rein naturwissenschaftlich gerichtete, sondern eine kulturwissenschaftlich orientierte Betriebswissenschaft. Die naturwissenschaftlich-mechanistische Betrachtung der Betriebslehre ist eine abstrakte, weil sie sich nur auf die Quantität der Vorgänge beschränkt. Betriebswissenschaft ist nur dann Wissenschaft, wenn sie eine Stellungnahme zu den Kulturwerten enthält. Darin liegt zugleich ihre Größe und kulturelle Bedeutung. Der Taylorismus ist an der Schwierigkeit, die Betriebslehre kulturwissenschaftlich zu verankern, gescheitert. Er hat für uns nur soweit Berechtigung, als er mit unserer sozialpolitischen Entwicklung und unseren ethisch-kulturellen Zielen nicht im Widerspruch steht. Die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung unseres Volkes muß unser höchstes Streben bleiben.

ANHANG.

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Zu S. 33, 194. Teilung der Meisterarbeit (Funktionsmeistersystem). (Aus G i l b r e t h , A B C der wissenschaftlichen Betriebsführung.)

Formularsystem in Taylorbetrieben. Hierüber unterrichtet am besten: Seubert, »Aus der Praxis des Taylorsystems«. Der Verfasser beschreibt auf Grund eines achtmonatlichen Studiums ausführlich Einzelheiten und Organisation eines nach Taylorgrundsätzen arbeitenden amerikanischen Musterbetriebes. Viele Vordrucke, die den einzelnen Beamten und Meistern die Arbeit erleichtern und eine zwangsläufige Zusammenarbeit ermöglichen, geben dem Praktiker Anregung. Sie zeigen zugleich die Eigenart der amerikanischen Taylororganisation. Ich verweise auf folgende Formulare: Werkstatt- und Versandauftrag S. 53 und 54, Prüfschein S. 100, Unterweisungskarte S. 104, Werkzeugliste S. 110, Übersichtstafeln S. 117, Geschäftseinteilung S. 34.

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