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German Pages [265] Year 2011
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Hans Schindler, Wolfgang Loth, Janina von Schlippe (Hg.)
Systemische Horizonte Mit 9 Abbildungen und 6 Tabellen
Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40438-6 ISBN 978-3-647-40438-7 (E-Book) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Redaktionelle Bearbeitung: Nina Schindler Satz: Punkt für Punkt GmbH · Mediendesign, Düsseldorf Druck und Bindung: S Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Inhalt
Hans Schindler, Wolfgang Loth und Janina von Schlippe Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grundlegende Erkundungen Hans Schindler und Arist von Schlippe Psychotherapeutische Ausbildung und Praxis zugelassener Psychologischer Psychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hans Schindler Fünf Jahre danach: Eine Untersuchung und die Resonanz darauf . . . . . . . . . . . . .
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Hans Lieb Kontextsensibilität: Eine aus der Systemtheorie abgeleitete Wirkvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kurt Pelzer Systemische Haltung und Balance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jochen Schweitzer Zeit und Zeitkonflikte in sozialen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wolfgang Loth Was bewegt systemische Therapie? Versuch über Motivation in der systemischen Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Haja Molter und Karin Nöcker Systemisches Denken und Handeln – (k)ein Spaziergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kurt Ludewig Systemische Einzeltherapie: Brauchen wir dazu neue Konzepte? . . . . . . . . . . . . .
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Tom Levold Die Zukunft systemischer Supervision auf dem Beratungsmarkt . . . . . . . . . . . . .
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Jürgen Kriz Die Person im Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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Am Ort des Geschehens Wilhelm Rotthaus Authentische Elternschaft: Von der Idee der Dominanz zur Idee der Selbstverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Haim Omer und Arist von Schlippe Die Ankerfunktion: Elterliche Autorität und Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Michael Grabbe Wenn Eltern nicht mehr wollen. Zur Bündnisrhetorik im systemischen Elterncoaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Barbara Ollefs Stärkung der elterlichen Präsenz im Modell des gewaltlosen Widerstandes in der Diabetesbetreuung bei Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Cornelia Tsirigotis Beobachtungsstreifzüge im Stärkenland: Mit Eltern besonderer Kinder neues Terrain entdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
155
Christian Hawellek »Sich beobachten heißt sich verändern«. Zu den Grundlagen videobasierter Beratungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
Vera Loos-Hilgert und Erhard Wedekind Mehrgenerationale Bindungsdynamik in der systemischen Paartherapie – Bindungsmuster und affektive Kommunikation bei Paaren . . . . . . . . . . . . . .
179
Stefan Theiling Der Beitrag der systemischen Familienmedizin für ein Konzept der psychosomatischen Grundversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187
Cornelia Hennecke und Christiane Schuchardt-Hain Einflüsse und Bedeutung der Geschlechtsspezifität im Coaching von Männern und Frauen: Ein Unterschied, der einen Unterschied macht! . . . .
197
Tom A. Rüsen Unternehmerfamilien ohne Familienunternehmen – Konsequenzen beim Verlust eines imaginären Familienmitgliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rudolf Wimmer Die besondere Vitalität von Familienunternehmen: Die aktuelle Weltwirtschaftskrise und wie Familienunternehmen sie bewältigen . . . . . . .
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Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Der Horizont gehört zu den magischen Begriffen, deren Auftauchen wie von selbst einen Geschichtenraum eröffnet. Der Horizont steht nicht nur für die Weite eines Blicks, sondern ebenso für dessen Begrenzung. In der Dynamik dieser beider Phänomene entstehen Sprichwörter und Liedgut: »Hinterm Horizont geht’s weiter ...«. Wie es weitergeht, ist allerdings nicht immer klar, und auch das gehört zur Magie, vieles ist vorstellbar. Ein weiterer Bestandteil der Magie dieses Begriffs ist es wohl auch, dass er, sowohl auf Weite wie auf Begrenzung verweisend, genau dadurch die Idee von einer Ganzheit anregt. Wenn es hinterm Horizont immer weiter geht, gelangt man schließlich wieder zum Ausgangspunkt, jedenfalls dann, wenn man sich nicht verläuft und sich der Beobachtungsstandpunkt auf einer Kugel befindet. Wobei sich an dieser Stelle, beim Begriff Ganzheit, ein kleiner, erster Ausblick auf eine systemische Perspektive zum Horizont anbietet. Der vom Horizont angezogene und gleichzeitig begrenzte Blick kann eine Ganzheit erahnen lassen (vor dem Horizont und hinter dem Horizont können gedanklich zusammengebracht werden), doch niemals als Objekt erfassen. Ganzheit als Objekt ist für das Beobachten ausgeschlossen, und ist dennoch ein oftmals unwiderstehlicher Anziehungspunkt. Systemische Perspektiven haben zu dieser Dynamik und zum konstruktiven Umgang mit dieser Dynamik immer wieder tragende Überlegungen beigesteuert. Als wir bei unseren Vorüberlegungen zum Herausgeben dieses Buches dem generellen Tenor des Systemischen den Horizont als leitmotivischen Spielraum-Eröffner zur Seite stellten und »Systemische Horizonte« als Titel wählten, gab es eine kurze Irritation: Wieso Horizonte, wieso Plural? Horizont ist Horizont, und den gibt’s immer nur einmal. Hier gäbe es nun eine zweite Querverbindung zu einem Kernstück systemischer Perspektiven. Zwar ist in der Regel nur ein Horizont zu sehen, wenn man den Blick auf ihn richtet, doch verändert sich sowohl dieser Blick als auch der Horizont, wenn man sich bewegt. Und darüber hinaus sehen unterschiedliche Personen an unterschiedlichen Standpunkten Unterschiedliches als Horizont. Und so schien uns, dass gerade ein so singulärer Begriff wie Horizont sich besonders dafür eignet, das systemische Navigieren aus unterschiedlichen Perspektiven zu symbolisieren. Und schließlich: Dieses Buch ist eine Festschrift für Arist von Schlippe zu dessen 60. Geburtstag, den er im April 2011 begeht. Arist von Schlippe steht wie nur wenige in unserem Feld für das Ausloten von unterschiedlichen Horizonten. Er hat in vielen Funktionen der Entwicklung systemischer Perspektiven gedient, hat sie mitentwickelt vom ursprünglichen familientherapeutischen Grund über das Erarbeiten spezifisch systemischer Positionen bis hin zu den nun wirksamen Auseinandersetzungen um eine Passung systemischer Perspektiven in eine beraterische und psychotherapeutische Versorgungslandschaft, deren Türsteher im Kern eben (noch) nicht systemisch argumentieren. Darüber hinaus hat Arist von Schlippe immer wieder selbst seine Horizonte © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Hans Schindler, Wolfgang Loth und Janina von Schlippe
erweitert, genau genommen: durch sein Einlassen auf neue Themen und Herausforderungen dafür gesorgt, dass er mittlerweile über eine Vielzahl möglicher Beschreibungen für Horizonte verfügt, »hinter denen es weitergehen« kann. Innerhalb des engeren Bereichs systemischer Beratung und Therapie sind das unter anderem Fragen multikultureller Herausforderungen sowie seine in der Zusammenarbeit mit Haim Omer publikumswirksam gewordenen Konzepte zum Elterncoaching. Mittlerweile sind Familienunternehmen sein professionelles Thema, und auch in diesem Bereich entstehen vielfältige Horizonte, in deren Dynamik Arist von Schlippe auf ebenso beeindruckende wie anregende Weise navigiert. Wenn es also jemanden gibt, der mit einer Festschrift über »Systemische Horizonte« geehrt werden sollte, dann ist Arist von Schlippe unser Kandidat. Wir hoffen, dass die Beiträge in diesem Reader in ihrer Vielfalt und in ihrer Substanz sowohl den mittlerweile entstandenen Reichtum systemischer Perspektiven beleuchten als auch verdeutlichen, wie nachhaltig Arist von Schlippe dazu beigetragen hat. Auf viele weitere Jahre! Hans Schindler, Wolfgang Loth, Janina von Schlippe
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Grundlegende Erkundungen
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Hans Schindler und Arist von Schlippe
Psychotherapeutische Ausbildung und Praxis zugelassener Psychologischer Psychotherapeutinnen1 und Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen2 Ausgangslage Mit dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes wurde nach jahrzehntelangem Tauziehen zum einen für einen ganzen Berufsstand Rechtssicherheit geschaffen. Zum anderen blieb bei einer großen Zahl von Kolleginnen und Kollegen das Gefühl zurück, dass durch dieses Gesetz und durch die nachfolgenden Regelungen eine Praxis, in der sie lange tätig waren, massiv entwertet worden war. Vertreter von Verfahren, die in erheblichem Umfang in der psychotherapeutischen Versorgung angewandt worden waren, mussten sich »Nachqualifizierungsmaßnahmen« und anderen Prozeduren unterziehen, die vielfach als sinnlos und entwürdigend erlebt wurden. Die Debatte um das Verständnis von Wissenschaftlichkeit und um die Frage, wie sinnvoll es ist, Wirksamkeit ausschließlich unter experimentellen, nicht aber unter naturalistischen Bedingungen (Praxisstudien) anzuerkennen, soll hier nicht noch einmal aufgegriffen werden (exemplarisch hierzu: Kriz, 2000). Wir haben jedoch diese kritischen Reflexionen und die zahlreichen Debatten mit praktizierenden Kolleginnen – übrigens nicht nur solchen, die Nachqualifizierungen durchlaufen hatten, sondern auch Vertretern von »Richtlinienverfahren« – zum Anlass für Fragen genommen. Wir wollten wissen, wie es eigentlich um die »Reinheit der Lehre« einer Profession bestellt ist, deren Sozialisation vor Jahren schon so beschrieben worden war, dass es gerade die Vielfalt der persönlich zu integrierenden Einflüsse ist, die psychotherapeutische Identitäten prägt: »Learning from many masters« (Orlinsky, 1999). Wir sahen und sehen eine Diskrepanz zwischen dem in Deutschland vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA, der für die sozialrechtliche Anerkennung zuständig ist) praktizierten Ausschluss einer Vielzahl bewährter psychotherapeutischer Ansätze aus der ambulanten Versorgung und den Bedingungen, die aus unserer Sicht für eine Psychotherapeutin erforderlich sind, um den Erfordernissen der Praxis angemessen begegnen zu können. Wir sind der Überzeugung, dass durch eine qualitativ fundierte fachliche Erweiterung des Versorgungsangebotes die Chance steigt, die für den Erfolg von psychotherapeutischer Tätigkeit entscheidende Passung (Orlinsky, 1999) zwischen Psychotherapieverfahren, Störungsbild, Person des Patienten bzw. der Patientin und Person des Therapeuten bzw. der Therapeutin zu erreichen.
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Da sowohl bei den praktisch tätigen Psychologischen Psychotherapeuten wie auch bei den Unterstützung suchenden Klienten die weiblichen Personen in der Überzahl sind, verwenden wir im Folgenden der besseren Lesbarkeit wegen die weibliche Form. Dieser Artikel erschien erstmals im September 2006 in der Zeitschrift Psychotherapie im Dialog, 7 (3), 334–337. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Hans Schindler und Arist von Schlippe
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Fragestellung und Untersuchungsaufbau
Es interessierte uns, über welche therapeutischen Aus- und Weiterbildungen die kassenzugelassenen Psychotherapeutinnen in der Gegenwart verfügen, wie breit gefächert diese – fünf Jahre nach Inkrafttreten des PsychThG – angelegt sind, wie sie deren Nutzen für ihre alltägliche Praxis einschätzen und inwieweit aus diesen Aus- und Weiterbildungen so etwas wie eine therapeutische Identität entsteht. Außerdem haben wir nach Beschreibungen der therapeutischen Arbeit in Bezug auf die Nutzung unterschiedlicher Qualifikationen sowie nach den Qualifizierungswünschen für eine Zulassung von zukünftigen Kolleginnen gefragt. Wir wollten eine Befragung bewusst breit anlegen und jede Möglichkeit eines Stichprobenfehlers durch »Einäugigkeit« ausschließen. Dazu versuchten wir, eine möglichst repräsentative Stichprobe von Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen. Uns standen die Adressen der im Kassensystem zugelassenen oder ermächtigten Psychologischen Psychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen aus 22 der 23 kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland zur Verfügung (nur die aus Hessen fehlten). Aus den mehr als 11000 Adressen wurde eine je nach Land oder Bezirksdirektion/Regionalzentrum geschichtete Zufallsstichprobe von 711 (6,3 %) Personen gezogen, denen ein Anschreiben und ein dreiseitiger Fragebogen zugesandt wurde. Der Rücklauf von 384 (54 %) übertraf unsere Erwartungen und übersteigt das in sozialwissenschaftlichen anonymen Befragungsstudien gewohnte Maß bei weitem. Stichprobe
Geantwortet haben 65,4 % Frauen und 34,6 % Männer3. Die Geschlechterverteilung in der Antwortgruppe entspricht fast genau der in der angeschriebenen Stichprobe. Von ihnen waren 45,6 % jünger als 49 Jahre, 41,7 % waren zwischen 50 und 59 Jahre alt, 12,7 % über 60 Jahre. Von den Befragten haben 53,3 % eine im weitesten Sinne »analytische« (PA und/ oder TPP) und 44,1 % eine verhaltenstherapeutische Zulassung. Insgesamt 10 Personen (2,6 %) haben sowohl eine tiefenpsychologische wie auch verhaltenstherapeutische Zulassung; zwei sogar zusätzlich eine psychoanalytische. Unter der Überschrift »Zugang zum Kassensystem« geben 34,2 % an, vor dem PTG im Delegationsverfahren und 46,3 % im Erstattungsverfahren gearbeitet zu haben. Insgesamt 65,1 % sind durch die Übergangsregelung zur Zulassung gekommen. Eine abgeschlossene Ausbildung nach den Richtlinien des PTG geben 53,4 % an. 30 Personen (7,8 %) geben an, nacheinander (oder parallel) im Delegations- und im Erstattungsverfahren tätig gewesen zu sein. Bei weitem nicht alle, die im Delegationsverfahren gearbeitet haben, hatten eine abgeschlossene Ausbildung in einem Richtlinienverfahren. Nur knapp zwei Drittel (64,1 %) der früher im Delegationsverfahren tätigen Personen berichteten, über eine solche Ausbildung zu verfügen. Dagegen hatten erstaunlich viele Kolleginnen und Kollegen, die früher im Erstattungsverfahren tätig waren, eine
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Für die Datenerfassung und statistische Auswertung danken wir Frau Dipl.-Psych. Birte Maretzek (Uni Bremen) und Herrn cand. jur. Michael-Peter Wehsack (Uni Hamburg). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Psychotherapeutische Ausbildung und Praxis
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abgeschlossene Ausbildung in einem Richtlinienverfahren (43,9 %). Nicht im Delegationsverfahren zu arbeiten, war für viele offenbar nicht eine Frage der formalen Qualifikation, sondern vielleicht auch eine Überzeugungsentscheidung. Einen deutlichen Unterschied finden wir jedoch, wenn wir nach den Verfahren unterscheiden: Von den Personen, die früher im Delegationsverfahren gearbeitet haben, hat die Mehrheit (61,3 %) heute eine psychoanalytische (zum überwiegenden Teil inkl. tiefenpsychologischer) Zulassung. Jene, die im Erstattungsverfahren gearbeitet haben, sind heute überwiegend mit einer tiefenpsychologischen Zulassung tätig (70,9 %).
Ausbildungen
Insgesamt verfügen die Kolleginnen über folgende abgeschlossene Weiterbildungen/ Therapieausbildungen (Mehrfachnennung war möglich; Tabelle 1 zeigt nur >5 % auf; viele Befragten hatten auch noch kürzere Weiterbildungen in diesen und anderen Verfahren angegeben).
Tabelle 1: Ausbildungen
Verhaltenstherapie
40,4 %
Tiefenpsychologische Psychotherapie
31,1 %
Psychoanalyse
24,4 %
Gesprächspsychotherapie
15,0 %
Familien-/Systemische Therapie
14,0 %
Gestalttherapie
11,4 %
Hypnose/Hypnotherapie
9,1 %
Schaut man, wie unterschiedlich Aus- und Weiterbildungen kombiniert sind, ohne dass dabei auf eine zeitliche Reihenfolge geschlossen werden kann, ergeben sich deutliche Unterschiede. Wir haben dazu die Angaben gewichtet addiert. Die Gewichtung erfolgt entsprechend der Angaben im Fragebogen: Eine abgeschlossene Ausbildung bekam den Wert 5, mehr als 280 Stunden den Wert 4, 120 bis 280 Stunden den Wert 3, 40 bis 120 Stunden den Wert 2 und unter 40 Stunden (»Schnupperkurs«) den Wert 1. Die Summen wurden durch die Anzahl der Teilstichprobe geteilt. Bei Absolventinnen einer Psychoanalyseausbildung (n = 94) ergab sich folgende Reihenfolge (die höchsten fünf Summen): 1. Tiefenpsychologische Psychotherapie (4,3) 2. Familien-/Systemische Therapie (1,47) 3. Gesprächspsychotherapie (1,16) 4. Verhaltenstherapie (1,05) 5. Katathym-imaginative Therapie (0,84) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Hans Schindler und Arist von Schlippe
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Absolventinnen einer tiefenpsychologischen Ausbildung (n = 120): 1. Psychoanalyse (3,73) 2. Familien-/Systemische Therapie (1,62) 3. Gesprächspsychotherapie (1,55) 4. Verhaltenstherapie (1,28) 5. Katathym-imaginative Therapie (0,89) Darüber hinaus finden wir hier besonders viele Schnupperkurse in Psychodrama (45). Absolventinnen einer Verhaltenstherapieausbildung (n = 156): 1. Gesprächspsychotherapie (2,12) 2. Hypnose/Hypnotherapie (1,74) 3. Familien-/Systemische Therapie (1,71) 4. Tiefenpsychologische Psychotherapie (1,24) 5. Gestalttherapie (1,02) Bei den Verhaltenstherapeutinnen finden wir darüber hinaus viele Schnupperkurse in Psychodrama (66), Katathym-imaginativer Therapie (50) und NLP (46). Vergleichen wir die Ausbildungen je nach Altersgruppe der Kolleginnen, ergeben sich folgende Unterschiede: In der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre finden sich besonders viele mit Verhaltenstherapie-, Gesprächspsychotherapie- und Gestalttherapieausbildung. In der Altersgruppe 50 bis 59 Jahre sind relativ viele mit psychoanalytischer, tiefenpsychologischer und gestalttherapeutischer Ausbildung vertreten.
Ergebnisse Nutzen der Aus- und Weiterbildungen
In Bezug auf den Nutzen für die praktische Arbeit war um skalierte Einschätzungen zwischen 0 und 100 % gebeten worden. Angegeben werden sollte, inwieweit Ideen, Konzepte und Anregungen der Therapieschulen in die alltägliche Arbeit einfließen. Auf der Skala höher als 50, also eher als nützlich, wurden bezeichnet (Tabelle 2): Tabelle 2: Nutzen der Weiterbildungen
Tiefenpsychologische Psychotherapie
52,4 %
Verhaltenstherapie
50,2 %
Gesprächspsychotherapie
37,0 %
Psychoanalyse
36,2 %
Familien-/Systemische Therapie
24,5 %
Gestalttherapie
16,8 %
Hypnose
16,6 % © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Psychotherapeutische Ausbildung und Praxis
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Die Angaben liegen teils deutlich über den Ausbildungen, über die die Befragten verfügen. Sie zeigen unseres Erachtens, dass Therapeutinnen und Therapeuten auch heute, über fünf Jahre nach dem Psychotherapeutengesetz, die Vielfalt der unterschiedlichen Konzepte als in der Praxis für sich hilfreich erleben und beschreiben.
Identität
Auf die Frage, in welchem Maße die verschiedenen Therapieschulen zur persönlichen therapeutischen Identität beitragen, sollten die Befragten eine Sechserabstufung zwischen unwichtig und wichtig angeben. Fasst man die drei oberen »Wichtig-Angaben« zusammen, ergibt sich folgende Bedeutungsgewichtung (Tabelle 3). Dieses Ergebnis ist noch erstaunlicher, da die Zahlen des angegebenen »Nutzens« noch übertroffen werden. Eine Vielfalt von therapeutischen Orientierungen dient offenbar bis heute Therapeutinnen, die im Versorgungssystem tätig sind, als Grundlage für die Erfahrung der eigenen therapeutischen Identität.
Tabelle 3: Bedeutung für die therapeutische Identität
Tiefenpsychologische Psychotherapie
64,0 %
Verhaltenstherapie
53,8 %
Psychoanalyse
48,2 %
Gesprächspsychotherapie
43,3 %
Familien-/Systemische Therapie
41,4 %
Gestalttherapie
27,4 %
Hypnose
26,1 %
Selbstbeschreibungen der eigenen Tätigkeit
Viele Therapeutinnen haben neben ihrer Ausbildung in einem klinischen Verfahren Aus- und Weiterbildungen oder Kurse in anderen Verfahren absolviert und kommen vor diesem Hintergrund zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen, wie sie die verschiedenen Qualifikationen in der praktischen Arbeit nutzen. – »Ich tue, wofür ich eine Zulassung habe« geben nur 20,6 % der Befragten an. – »Ich arbeite eklektisch: Ich nutze jeweils, was hilft« wird von 23,8 % angegeben. – »Ich habe meine Qualifikationen in ein integratives Konzept vereinigt« geben mehr als die Hälfte (53,8 %) an. – »Ich arbeite im Wesentlichen nach einem Verfahren, das nicht zugelassen ist« geben 1,6 % an. – Nur eine Person wählt die Antwortalternative, nach gar keinem fest definierten Konzept zu arbeiten. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Hans Schindler und Arist von Schlippe
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Hier stellt sich die Frage, wie die unterschiedlichen Zugänge zur Kassenabrechung mit den unterschiedlichen Selbstbeschreibungen im Zusammenhang stehen: Beschreiben sich vor allem die Kolleginnen, die früher über das Erstattungsverfahren abgerechnet haben, als eklektisch/integrativ? Überraschenderweise sind die Unterschiede nicht wirklich groß: Von den vorher im Delegationsverfahren Tätigen bezeichnen sich heute 17,2 % als »eklektisch« und 53,1 % als »integrativ« arbeitend. Bei denjenigen mit vorhergehender Arbeit im Erstattungsverfahren sind es nur wenig mehr: 26,6 % »eklektisch« und 58,4 % »integrativ«. Und auch bei der Selbstbeschreibung jener, die eine Ausbildung in einem Richtlinienverfahren haben, geben 20,7 »eklektisch« an und 51,0 »integrativ«. Deutliche Unterschiede zeigen sich allerdings, wenn die Ausbildungen selbst differenziert werden (Ergebnisse nur in Ausschnitten): Von denen, die eine psychoanalytische Ausbildung abgeschlossen haben, geben 47,9 % an, sie tun, wofür sie eine Zulassung haben, 12,8 % nennen sich eklektisch und 36,2 % integrativ. Bei jenen, die eine Verhaltenstherapieausbildung abgeschlossen haben (n = 156), sind es nur 16,0 %, die das tun, wofür sie eine Zulassung haben, 25,6 % arbeiten »eklektisch« und 57,7 % »integrativ«. Betrachten wir Unterschiede nach Geschlecht und Alter, so zeigt sich, dass Frauen sich mehr als »integrativ« (57,2 % gegenüber 47,3 %) und Männer sich häufiger als »eklektisch« (27,4 % gegenüber 21,6 %) beschreiben. Die Jüngeren geben auch eher an, »eklektisch« (35,7 % – höhere Altersgruppen ca. 22 %) und die Älteren eher »integrativ« (ca. 56 % gegenüber 42,9 %) zu arbeiten. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass im Rahmen der Berufssozialisation eklektisches Arbeiten mit steigender Berufserfahrung zu einer integrativen Arbeit führen kann. Zukunftswünsche
Ausgehend von diesen Selbstbeschreibungen ihrer praktischen Arbeit kommen die Befragten zu folgenden Zukunftswünschen (inkl. Mehrfachantworten): – Was die Anerkennung als Richtlinienverfahren betrifft, soll alles so bleiben, wie es momentan ist, befürworten 22,5 %. – Dafür, dass andere Verfahren zugelassen werden sollen, sprechen sich fast 40 % (39,9 %) aus. – Bei freier Beantwortung, welche Verfahren zugelassen werden sollen, geben 19 % der Gesamtstichprobe an, dass Familientherapie/Systemische Therapie zugelassen werden solle, 17,1 % sprechen sich für Gesprächspsychotherapie und 9,1 % für Gestalttherapie aus. – Genauso viel Befragte wie für eine Zulassung weiterer Verfahren sind dafür, dass zukünftig Therapeutinnen in einem integrativen Therapiekonzept ausgebildet werden (39,9 %). – Dafür, dass zukünftig die Psychologischen Psychotherapeuten mehrere unterschiedliche Therapieausbildungen haben sollen, sprechen sich 22,3 % aus. Auch bei den Zukunftswünschen haben wir nach Zusammenhängen mit anderen Aspekten geschaut. Bringt man sie in Verbindung mit den Aussagen zur Selbstbeschreibung, lassen sich einige interessante Überlegungen anstellen: Von den Personen, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Psychotherapeutische Ausbildung und Praxis
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die die Aussage unterstützen: »Was die Richtlinienverfahren betrifft, sollte alles so bleiben, wie es momentan ist« (22,5 % der Gesamtstichprobe), geben nur 45,3 % an, dass sie momentan das tun, wofür sie eine Zulassung haben, 14,0 % arbeiten eklektisch und 39,5 % nach einem integrativen Konzept. Es muss also andere Gründe als eine Zufriedenheit mit der bisherigen Zulassung von Therapieverfahren geben. Einige handgeschriebene Zusätze auf den Fragebogen lassen wirtschaftliche Ängste als ein Motiv vermuten. Diejenigen, die sich für die Zukunft eine Ausbildung in einem integrativen Therapiekonzept wünschen (n = 154), arbeiten fast alle schon so oder ähnlich: 24,0 % eklektisch und 70,1 % integrativ. Beim Vergleich jener mit Psychoanalyse- und Verhaltenstherapieausbildung zeigen sich hinsichtlich der Zukunftswünsche deutliche Unterschiede. Genau die Hälfte der mit PA-Ausbildung wollen, dass alles so bleibt wie es ist, 30,9 % sind für die Zulassung anderer Therapieverfahren, 17,0 % für die Zulassung in einem integrativen Konzept und 22,3 % für die Ausbildung in mehreren Therapiekonzepten. Bei jenen mit Verhaltenstherapieausbildung wollen nur 21,2 %, dass alles so bleibt, 36,5 % wollen, dass andere Verfahren zugelassen werden, 52,6 % sind für Zulassung in einem integrativen Konzept und 20,5 % für Ausbildung in mehreren Therapiekonzepten. Auch hinsichtlich der Geschlechter finden wir Unterschiede: 31,6 % der Männer wollen häufiger, dass alles hinsichtlich der Zulassung so bleibt, im Vergleich zu 17,9 % der Frauen. Diese wünschen sich häufiger (41,4 %), dass andere Therapieverfahren zugelassen werden als ihre männlichen Kollegen (36,1 %).
Fazit Kassenzugelassene Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten arbeiten heute in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht beschränkt auf das Richtlinienverfahren, für das sie eine Kassenzulassung haben. Zufrieden sind mit der momentanen Zulassungspraxis nur weniger als ein Viertel. Die meisten der von uns Befragten sehen einen Nutzen darin, Kenntnisse aus unterschiedlichen Schulen zu besitzen. Viele Befragte haben den Eindruck, diese Unterschiede gut integrieren und für ihre Klienten hilfreich anwenden zu können. Deshalb plädieren sie auch überwiegend für eine Zulassung von Kollegen, die nicht auf nur ein therapeutisches Verfahren beschränkt sind. Sie sehen die Zukunft entweder in der Zulassung anderer Verfahren oder in einer Ausbildung, die unterschiedliche therapeutische Schulen integriert. Wir nehmen dieses Ergebnis als eine deutliche Bestätigung, dass die heute in psychotherapeutischer Praxis tätigen Personen der Entwicklung einer Therapeutenpersönlichkeit im Sinne von »Learning from many masters« mehr Bedeutung zuschreiben als der Orientierung an Schulen. Dieser Herausforderung sollten wir uns stellen!
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Hans Schindler und Arist von Schlippe
Literatur Kriz, J. (2000). Perspektiven zur »Wissenschaftlichkeit von Psychotherapie«. In M. Hermer (Hrsg.), Psychotherapeutische Perspektiven am Beginn des 21. Jahrhunderts (S. 43–66). Tübingen: dgvtVerlag. Orlinsky, D. (1999). »Learning from Many Masters«. Ansätze zu einer wissenschaftlichen Integration psychotherapeutischer Behandlungsmodelle. In H. Petzold, M. Märtens (Hrsg.), Wege zu effektiven Psychotherapien (S. 31–43). Opladen: Leske + Budrich.
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Hans Schindler
Fünf Jahre danach: Eine Untersuchung und die Resonanz darauf
Als Arist von Schlippe und ich im Jahr 2006 diese Fragebogenerhebung konzipierten, fühlten wir uns von diversen Verbandsvertretern von Richtlinienverfahren provoziert, die so taten, als gebe es in der deutschen psychotherapeutischen Landschaft neben den Richtlinienverfahren nur zu vernachlässigende Exoten, und die offenbar meinten, die konsequente Anwendung der Richtlinienverfahren sei der Königsweg in der Psychotherapie. Die Nichtrichtlinienverfahren sahen sich einer Großen Koalition aus Vertretern der Richtlinienverfahren gegenüber. Die systemische Therapie bekam das bei ihrem ersten Antrag 1999 im Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP), die Gesprächspsychotherapie beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) 2008 zu spüren (vgl. Strauß et al., 2010). Wir hatten den Eindruck, dass es sich hier um eine Art von Realitätsverkennung, ja Realitätsverleugnung handelte. Von den Ergebnissen unserer Untersuchung waren wir dann jedoch selbst sehr überrascht. Unsere Zusammenfassung war: 1. Die überwiegende Zahl psychotherapeutischer Kolleginnen1 arbeitet nicht nach den engen Vorgaben von Schulen der Richtlinienverfahren, sondern nutzen darüber hinaus andere Konzepte und Wissensbestände integrativ oder ergänzend in ihrer Praxis.4 2. Die Verhaltenstherapeutinnen zeigen sich hier besonders offen oder bedürftig. Unsere Vermutung war, dass ihre Schule ihnen wenig an die Hand gibt, wie sie die Klientinnen-Therapeutinnen-Beziehung konstruktiv gestalten können. 3. Selbst viele der als »orthodox« geltenden Psychoanalytikerinnen suchen nach Anregungen. Wir vermuteten, dass bei den Suchenden der familientherapeutische Blick hinter und um die Klientinnen als besonders anregend erlebt wird. Unser kurzer Artikel fand bei der Zeitschrift »Psychotherapeut« keine Akzeptanz, wurde dann aber in der Zeitschrift »Psychotherapie im Dialog« – versehen mit einem Diskussionsaufruf – abgedruckt. Wegen Mangel an Stellungnahmen kam keine Diskussion zustande. Als diese Zeitschrift dann vier Jahre später im März 2010 ein Heft mit dem Schwerpunkt »Integration in der Psychotherapie« veröffentlichte, nahmen Maria Borcsa (Borcsa et al., 2010), Jochen Schweitzer (Willutzki et al., 2010) und Jürgen Kriz (2010a) Bezug auf die Ergebnisse dieser Untersuchung. Auch in anderen Diskussionszusammenhängen hat Jürgen Kriz (2006, 2010b, u. a.) auf die Ergebnisse hingewiesen. Im Juli 2007 startete die Zeitschrift »Psychologie heute« eine achtteilige Reihe »Welche Therapie ist gut für mich?«. Im Startbeitrag von Jochen Paulus wird aus der Untersuchung zitiert. 1
Da sowohl bei den praktisch tätigen Psychologischen Psychotherapeuten wie auch bei den Unterstützung suchenden Klienten die weiblichen Personen in der Überzahl sind, verwende ich im Folgenden der besseren Lesbarkeit wegen die weibliche Form. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Es geht um »Integrative Therapie« mit dem Tenor: »Schulenenge überwinden«. Eine Stellungnahme zu den Untersuchungsergebnissen von einem Vertreter der Richtlinienverfahren ist mir bis heute nicht bekannt. Im Folgenden will ich an die aktuelle Diskussionen zur Integration in der Psychotherapie anknüpfen und der Frage nachgehen: Wie wird bzw. würde eine Integration mit oder ohne systemische Therapie verlaufen? In der Diskussion um den Stand der Integration in der Psychotherapie führt Maria Borcsa (2010) die Unterscheidung zwischen Oberflächen- und Unterströmung ein: »eine nach wie vor offizielle Oberflächenströmung mit Schulenreinheit – befördert durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen – und eine Unterströmung, die pragmatisch und in gewisser Weise postmodern per Methodenmix vorgeht« (S. 3). Dass die Oberflächenströmung nicht nur eine formale Festlegung der Psychotherapierichtlinien, sondern auch sachlich begründet ist, dafür argumentieren zwei Psychoanalytikerinnen und eine Verhaltenstherapeutin (Walz-Pawlita et al., 2009) gemeinsam. Sie gehen davon aus, dass es eigene verfahrensimmanente Gesetzmäßigkeiten gibt, und dass jede Form der Kombination mit Anteilen anderer Verfahren für die Patienten nachteilige Wirkung haben kann. Sie stellen heraus: »Die entscheidenden Wirkfaktoren liegen dabei in der Gestaltung des Arbeitsbündnisses als Herstellung einer guten therapeutischen Beziehung (Allianz) sowie der glaubhaften Vermittlung des eigenen Verfahrens (Allegianz)« (S. 359). Übersetzt wird der Begriff der Allegianz mit der inneren Bindung, Internalisierung oder Identifizierung der Therapeutin mit »ihrem« therapeutischen Verfahren. Aber ist diese »Allegianz« nicht in der Realität ein Bündel von Vorurteilen und Abwehrstrategien? Kann an die Stelle der Allegianz als Verfahrensbindung nicht auch der Optimismus der Therapeutin treten, dass ihre integrativen therapeutischen Angebote hilfreich sind? Und sind nicht die kritische Selbstreflexion, die persönliche Bescheidenheit und die Akzeptanz der Beschränktheit der eigenen Handlungsfähigkeit (vgl. Schindler, 2006) ebenso wichtig? Die Überzeugung, dass die Verfahrenstreue das Nonplusultra sei, stellt Michael B. Buchholz (2007), ein nonkonformer, kreativer Psychoanalytiker, insofern in Frage, dass er sich mit der Entwicklung der therapeutischen Kompetenz im Prozess der Professionalisierung beschäftigt, in der die Bedeutung »impliziten Wissens« immer größer wird. Er unterscheidet fünf Kompetenzstufen der Professionalisierung: Novizenstadium, fortgeschrittene Anfänger, Kompetenzstadium, angewandtes Können und Stadium des intuitiven Könnens (S. 379). »Hier sieht man eine neue Balance von Technik und Beziehung: die schulengebundene Technik wurde ebenso gelernt wie die Theorie, aber eher im Sinne einer Durchgangspassage, einer Leiter, die man nach erfolgreichem Aufstieg nicht mehr braucht« (S. 381). Zwar geht auch er davon aus, dass es mit der Identifikation der Therapeutin mit einem Verfahren beginnt, der Entwicklungsprozess aber darüber hinausgehen sollte. Spannend wäre dann zu untersuchen, worin unterscheiden sich denn dann intuitive Könnerinnen, die einmal zu Beginn ihrer Entwicklung Analytikerinnen, Verhaltenstherapeutinnen oder Systemikerinnen gewesen sind? Ich vermute, dass bestimmte Grundhaltungen erhalten bleiben oder zumindest in Rudimenten erkennbar sind. Wie leicht oder schwer diese Öffnung zu anderen psychotherapeutischen »Wissensbeständen« jungen Kolleginnen fällt, hat offensichtlich auch etwas mit dem Kontext © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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ihrer »Ausbildungsinstitute« zu tun. Ulrike Willutzki (2010) berichtet aus den Ergebnissen des Forschungsgutachtens zur Überarbeitung des Psychotherapeutengesetzes, dass die Absolventinnen jener Institute, die verklammerte Ausbildungen in Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie anbieten, auch mehr über systemische Therapie und Gesprächspsychotherapie wissen, als Absolventinnen von Instituten mit nur einem Vertiefungsfach (vgl. S. 89). Für die weitere Diskussion finde ich eine begriffliche Unterscheidung von Lutz et al. (2010) sehr hilfreich: zwischen technischem Eklektizismus, assimilativer Integration und theoretischer Integration (S. 80). »Unter technischem Eklektizismus versteht man den Einsatz optimaler therapeutischer Techniken und Strategien bei einem gegebenen Patientenproblem und dies ohne Versuch, die Modelle, aus denen die jeweiligen Techniken abgeleitet wurden, theoretisch kohärent zu integrieren« (S. 81). Da stehen hypothetische Fragen neben Deutungen und Verhaltensaufgaben. Das was Buchholz beschrieben hat, fällt eher unter den Begriff der »assimilativen Integration«: Darunter »wird der Versuch verstanden, auf der Grundlage einer therapeutischen Grundrichtung assimilativ weitere Modelle zu integrieren, also weitere Modelle oder Bausteine einzufügen, ohne die bestehenden komplett zu verändern« (S. 81). Und was fehlt den Verhaltenstherapeutinnen? Sie brauchen Kommunikations- und Kontaktstrategien, um ihre Manuale »an die Frau oder den Mann zu bringen«, und ihnen fehlt oft ein Wissen um die Eingebettetheit der Probleme in den jeweiligen sozialen Kontext ihrer Klientinnen. Und wenn die Probleme nicht nur im »Hier und Jetzt« zu fassen sind, bedarf es einer sinnvollen Erweiterung der verhaltenstherapeutischen Konzepte. Da bieten Anleihen bei der Gesprächspsychotherapie, der systemischen Therapie und tiefenpsychologischen Ideen eine Möglichkeit, sich zu erweitern. Was und warum suchen Psychoanalytikerinnen und tiefenpsychologische Psychotherapeutinnen Erweiterungen ihrer Konzepte? Am deutlichsten zeigt sich dies beim Run dieser Kolleginnen auf traumatherapeutische Weiterbildungen. Die Einschränkung auf die Bearbeitung innerer Konflikte im Angesicht realer Verletzungen macht unzufrieden und suchend. Die Strategien, sich diesen Traumata nähern zu können, ohne Retraumatisierungen hervorzurufen, und die Sicherheit, real hilfreich sein zu können und zu wollen im Sinne von Bewältigung, fehlt vielen und lässt sie auch an bestimmten Paradigmen ihrer »Schulen« zweifeln. Die Ideen der Traumatherapie entstammen im Wesentlichen den Arbeitsweisen der systemischen Therapie. Und dann gibt es noch die unter Psychoanalytikerinnen verbreitete Idee, dass vielen Klientinnen der Umgang mit aggressiven Gefühlen schwerfällt (sie blockiert sind) und dies im Prozess von Übertragung und Gegenübertragung bearbeitet werden muss. Die alternative, systemische Idee einer starken Kontexteinbeziehung durch hypothetische und zirkuläre Fragen, Visualisierungshilfen (vgl. Schindler, 2005a) oder real durch Settingveränderungen eröffnet die Möglichkeit, genau diese Gefühle spür- und bearbeitbar zu machen. Wegen dieser Ideen werden Systemikerinnen auch von Analytikerinnen und Tiefenpsyschologinnen – nicht ohne Ambivalenz – als Supervisorinnen angesprochen. So weit wird deutlich, dass sowohl für Verhaltenstherapeutinnen wie für psychodynamische Therapeutinnen die Ideen der Systemikerinnen bei der assimilativen Integration höchst anregend und hilfreich sind. Und wie steht es mit der theoretischen Integration? »Unter theoretischer Integration wird der Versuch verstanden, auf einer © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Hans Schindler
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abstrakten, theoretischen Ebene ein integratives, auf der Basis verschiedener Therapieschulen ausgearbeitetes Therapiekonzept zu systematisieren oder aber das Verhältnis verschiedener Therapieschulen zueinander zu beschreiben« (Lutz et al., 2010, S. 81). Das bekannteste Konzept einer Integrativen Psychotherapie ist bisher Klaus Grawes »Allgemeine Psychotherapie« (Grawe, 1998). Sein früher Tod hat der Weiterentwicklung seiner Ideen und der Diskussion um diesen Ansatz viel Energie geraubt. Doch auch vorher hat seine persönliche Nähe zu den Verhaltenstherapeutinnen (Kongressauftritte etc.) dazu geführt, dass seine Überlegungen unter Psychodynamikerinnen wenig Resonanz gefunden haben. »Grawe betont als wichtige Wirkfaktoren einer allgemeinen Psychotherapie: Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, aktive Hilfe zur Problembewältigung sowie die motivationale Klärung. Eine gute emotional besetzte vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient und Psychotherapeut ist unstrittig der wichtigste allgemeine Wirkfaktor in jeder Psychotherapie« (Rüddel, 2010, S. 45). Dabei ist aber die Feinabstimmung innerhalb jeder therapeutischen Sitzung entscheidend. Eine schmerzvolle Problemaktualisierung ist nur dann sinnvoll und therapeutisch hilfreich, wenn gleichzeitig die Ressourcen der Klientin aktiviert werden können, sonst sollte dies tunlichst unterbleiben (vgl. Caspar, 2010, S. 17). Was Grawes Konzept bisher fehlt, ist die Kontextsensibilität und die damit verbundene Flexibilität der Arbeit in unterschiedlichen Settings, abhängig von den jeweils spezifischen Bedingungen. Diese Kontextsensibilität ist für die systemische Therapie charakteristisch (vgl. Lieb, 2011, in diesem Band). Die variable Arbeit mit unterschiedlichen Settings innerhalb eines Prozesses ist mir aus anderen therapeutischen Verfahren nicht bekannt. Ohne den spezifischen Beitrag des systemischen Ansatzes wird dies bei allen Integrationsbemühungen eine Leerstelle bleiben. »Mit jedem neuen ›Fall‹, der überwiesen wird, suchen und schaffen die Therapeuten neue therapeutische Settings. Kurz gesagt: Sie schaffen Kontexte für Veränderungen, indem sie sich fragen: ›Welches sind die Kontexte, die ich in diese Therapie mit einbeziehen muss – oder die ich schaffen muss –, um die vorliegenden Probleme und Themen zu adressieren?‹ (Asen, 2010, S. 55). Dies ist deutlich etwas anderes als die Übernahme »systemischer Techniken« in die Verhaltenstherapie. Dass die Systemtheorie auch eine gute Metatheorie sein kann, um eine Integration von interpersonellen und individuellen Ebenen zu ermöglichen, wird sowohl von Kriz (2010a) wie auch von Ludewig (2011) herausgearbeitet. Zu befürchten ist, dass die Vertreter anderer »Schulen« der systemischen Therapie so zerrissen gegenüberstehen, weil sie die bereichernden Elemente und die integrative Kraft erkennen, diese aber auch gleichzeitig fürchten. Ängste und Abwertungen behindern integrative Prozesse. Nur unter Gleichberechtigten ist wirklich Integration möglich.
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Literatur Asen, E. (2010). Psychotherapieintegration in der Praxis: Ambulante Dienste. Psychotherapie im Dialog, 11 (3), 54–57. Borcsa, M., Kämmerer, A., Köllner, V., Lieb, H., Schauenburg, H., Schlippe von, A., Senf, W., Wilms, B. im Gespräch mit J. Schweitzer und M. Broda (2010). Zum Stand der Integration in der Psychotherapie. Psychotherapie im Dialog, 11 (3), 3–11. Buchholz, M. B. (2007). Entwicklungsdynamik psychotherapeutischer Kompetenz. Psychotherapeutenjournal, 6 (4), 373–382. Caspar, F. (2010). Wie allgemein ist Grawes »Allgemeine Psychotherapie«? Psychotherapie im Dialog, 11 (3), 15–21. Grawe, K. (1998). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe. Hand, I. (2008). Strategisch-systemische Aspekte der Verhaltenstherapie. Wien: Springer. Kriz, J. (2006). Zur Lage der Psychotherapie in Deutschland: Stand – Kritik – Ausblick. In ver.di (Hrsg.), Stand und Perspektiven der psychotherapeutischen Versorgung. Tagungsdokumentation (S. 15–40). ver.di-Fachtagung vom 29.11.2006, Berlin. Kriz, J. (2010a). Systemtheorie als eine Metatheorie zur Integration psychotherapeutischer Ansätze. Psychotherapie im Dialog, 11 (3), 28–33. Kriz, J. (2010b). Was leistet das Psychologiestudium und was fehlt ihm im Hinblick auf eine psychotherapeutische Ausbildung und Tätigkeit? Psychotherapeutenjournal, 9 (2), 130–140. Lieb, H. (2011). Kontextsensibilität: Eine aus der Systemtheorie abgeleitete psychotherapeutische Wirkvariable. In H. Schindler, W. Loth, J. von Schlippe (Hrsg.), Systemische Horizonte (S. 25–37). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Ludewig, K. (2011). Systemische Einzeltherapie – brauchen wir dazu neue Konzepte? In H. Schindler, W. Loth, J.von Schlippe (Hrsg.), Systemische Horizonte (S. 81–87). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Lutz, W., Bittermann, A. (2010). Wie, wann und warum ändern sich Menschen in der Psychotherapie? – Forschung zu integrativen und allgemeinen Ansätzen in der Psychotherapie. Psychotherapie im Dialog, 11 (3), 80–84. Paulus, J. (2007). Welche Therapie ist gut für mich? Psychologie heute, 34 (7), 45–50. Rüddel, H. (2010). Differenzielle Indikation in der psychosomatischen Rehabilitation. Psychotherapie im Dialog, 11 (3), 45–47. Schindler, H. (2005a). Systemische Einzeltherapie – eine immer einmalige Konstruktion von Wirklichkeiten. In H. Schindler, A. von Schlippe (Hrsg.), Anwendungsfelder systemischer Praxis (S. 91–116). Dortmund: verlag modernes lernen. Schindler, H. (2005b). Wer bestimmt, was hilflos ist? Psychotherapie im Dialog, 6 (2), 180–183. Strauß, B., Hautzinger, M., Freyberger, H. J., Eckert, J., Richter, R. (2010). Wie wissenschaftlich fundiert sind Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Psychotherapie? Psychotherapeutenjournal, 9 (2), 160–168. Walz-Pawlita, S., Lackus-Reitter, B., Loetz, S. (2009). Plädoyer für eine verfahrensbezogenen Ausbildung und Praxis: Zur »methodenspezifischen Eigengesetzlichkeit therapeutischer Prozesse«. Psychotherapeutenjournal, 8 (4), 352–365. Willutzki, U., Fliegel, S., Freyberger, H. im Gespräch mit J. Schweitzer (2010). Die Vermessung der Ausbildungslandschaft – Erkenntnisse aus dem Forschungsgutachten Psychotherapieausbildung. Psychotherapie im Dialog, 11 (3), 85–92.
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Hans Lieb
Kontextsensibilität: Eine aus der Systemtheorie abgeleitete psychotherapeutische Wirkvariable
Ein Fallbeispiel Herr W. kommt zur Therapie wegen vom Arzt als »somatoforme Störung« diagnostizierten Symptomen: Magendrücken, Übelkeit, Erschöpfungsgefühlen und beängstigenden Kreislaufstörungen. Er arbeitet in einer großen Autofirma und wurde wegen dieser Beschwerden lange krankgeschrieben. Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme hatte mäßigen Erfolg in Bezug auf die Reduktion dieser Symptome. Dort war ihm ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung empfohlen worden. Die Therapie half ihm, wieder arbeiten zu gehen. Die Symptomatik war aber nicht ganz verschwunden und es gab wieder etliche Krankentage. Eine der ambulanten Behandlungsstunden hatte folgenden Verlauf: Der Patient klagt wieder über einige der genannten Symptome. Diesmal arbeiten Therapeut und Patient nicht an der Frage ihrer Entstehung und an irgendeiner Veränderung. Stattdessen werden auf einer Metaebene die Erfahrungen des Patienten mit den bisherigen Interventionsansätzen seiner Experten auf medizinischem und psychotherapeutischem Gebiet reflektiert, die ursprünglich vom Sozialarbeiter seiner Firma initiiert worden waren. Deren Bestandteile waren neben der genannten Diagnose die Entwicklung von beruflichen und privaten Fertigkeiten im Bereich der Selbstsicherheit und der Symptom- und Problembewältigung, teilweise unter Einbeziehung seiner Ehefrau. Geblieben waren der tägliche betriebliche Leistungsdruck in Verbindung mit schwierigen innerbetrieblichen Kommunikationsstrukturen. Allen Ansätzen gemein war deren Blick auf den Patienten als Symptomträger mit bei ihm vorhandenen bzw. noch nicht vorhandenen Ressourcen. Stets wurde er bzw. seine Psyche therapeutisch gefordert und gefördert – manchmal unter Einbeziehung der Ehefrau als »Angehörige«. Bei allen Vorteilen hatte diese Perspektive eine nicht unerhebliche »Nebenwirkung«: Das Wiederauftreten der genannten Symptomatiken wurde für ihn und seine Experten jeweils dazu benutzt, das bisher Gelernte aufzufrischen oder bei ihm bisher noch nicht bedachte Aspekte zu beleuchten. Aus der Metaperspektive betrachtet hatten alle diese gut gemeinten Ansätze auf der gleichen Leitunterscheidung aufgebaut: Gesund = individuell kompetent; psychosomatisch krank = persönliche Bewältigungsproblematik. In dieser Stunde wurde eine anderen Perspektive eingenommen, die schließlich in eine metaphorische Frage an den Patienten mündete: »Was würden Sie über einen Frontsoldaten denken, der am Morgen Magendrücken hat und nicht ins Feld will?« Der Patient spontan: »Der ist doch normal. Das ist gesund!« Das führte zu einer Verstörung der bisherigen Leitunterscheidung: Symptome werden zu Zeichen individueller Gesundheit; Symptomfreiheit zum Gesundheitsrisiko. Therapeut und Patienten revitalisierten hier nicht die »sozialistische Patienteninitiative« aus den 1970er Jahren. Es entstand vielmehr eine den Patienten entlastende Sicht auf seine Symptomatiken mit einer Verschiebung des relevanten Kontextes.
Einen Perspektivenwechsel wie in diesem Fall vorzunehmen, ist keine große therapeutische Kunst. In Leitunterscheidungen gefangen zu sein (z. B. Symptome = fehlende individuelle Kompetenz), ist kein Merkmal schlechter Therapien. In der Lage zu sein, im therapeutischen Geschehen innezuhalten und sich bisher verwendeter Leitunterscheidungen bewusst zu werden und neue zu entwerfen, bedarf allerdings schon einer reflexiven Kunstfertigkeit. Sie führt so gut wie immer aus therapeutischen Sackgassen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Hans Lieb
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heraus. Die Hinwendung der therapeutischen Aufmerksamkeit auf verwendete Leitunterscheidungen soll hier aus später dargestellten Gründen nicht »Selbstreflexion«, sondern »Kontextsensibilität« genannt werden. Der folgende Beitrag handelt davon, was das theoretisch bedeutet, er unterscheidet Kontextsensibilität von Kontextvergessenheit und gibt Hinweise, wie man Ersteres lernen kann. Ohne die Psychoanalyse als Urmutter reflexiver Positionen mit dem Konzept von Übertragung und Gegenübertragung zu vergessen, sind für den Autor Systemtheorie und Konstruktionismus hierzu das heute nützlichste theoretische Fundament.
Unterscheiden versus Unterschiedenes: Die Rolle des Beobachters Das für Therapieschulenbegegnungen heute Markante an der Systemtherapie ist nicht mehr das Beleuchten zwischenmenschlicher Beziehungen, sondern der sich von traditionellen Ansätzen unterscheidende erkenntnistheoretische Ausgangspunkt. Alle Therapieschulen richten ihre Aufmerksamkeit auf Probleme und Symptome. Die einen blicken dabei auf das, was »ist« an Leid, Problematik und Symptomatik, und beschreiben es mit ihren Konstrukten. Bei Phobien »sehen« Verhaltenstherapeuten Vermeidungsverhalten und Analytiker intrapsychische Abwehrvorgänge. Für den Systemtheoretiker gibt es keine Probleme »an sich« mehr. Für ihn ist alles, was beschrieben und erklärt wird, eine sprachliche Konstruktion des Beobachters. Für die Therapie folgen daraus andere Arten, Patienten zu befragen. Daraus folgt zum einen, die Aufmerksamkeit nicht mehr auf Symptome zu richten, sondern darauf, wie Patienten bzw. Angehörige diese beobachten und beschreiben. Es bedeutet in einem weiteren Schritt, als Therapeut das eigene Beobachten der Patientenbeobachtungen zu beobachten. Das ist nicht nur Theorie. Es hat eine individuelle Seite (»Mit welchen Konstrukten beschreibe ich den Patienten?«) und eine sozial-konstruktionistische Komponente (»Welche Beobachtungs- und Unterscheidungskriterien stellt mir der Kontext, in dem ich therapeutisch tätig bin, dafür bereit?«). Es geht dann nicht mehr wie bei traditionellen Ansätzen um das Ergebnis erfolgter Beobachtungen (»die Phobie«), sondern um die Unterscheidungsakte, die dazu geführt haben, dass »dies« und nicht etwas anderes konstruiert worden ist. Aus systemtheoretischer Perspektive liegt allem, was in Psychotherapien »verhandelt« wird, die Selektion eines Beobachters und der Gesellschaft zugrunde, in der dieser lebt und tätig ist.
Kontextsensibilität Der Begriff Kontextsensibilität ist eine nicht unproblematische Nominalisierung, die aus geistig-psychischem Tun eine Eigenschaft macht. Genau genommen ist er in sich sogar widersprüchlich, weil er selbst die Kontexte, in denen sich das damit bezeichnete Tun zeigt oder nicht zeigt, ignoriert. Stimmiger wäre es daher, das damit bezeichnete Tun als »achtsames Gewahrwerden vorgenommener Unterscheidungsakte mit Beleuchten von Kontexten und Prämissen, die diese Unterscheidungsakte hervorbringen«, zu bezeichnen. Das ist sprachlich genauer, aber kommunikativ sperrig. Dies bedenkend © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Kontextsensibilität: Eine aus der Systemtheorie abgeleitete Wirkvariable
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und weil jeder mit der alltagssprachlichen Wandlung von Tun in Eigenschaften vertraut ist, soll er hier dennoch verwendet werden. Der Begriff Kontext beinhaltet vier miteinander zusammenhängende Aspekte: 1. Kontext als andere Seite des Markierten, 2. Kontext als soziale Bereitstellung von Bezeichnungen und Beschreibungskategorien für therapeutisches Beobachten, 3. Kontext als Bedingung der Möglichkeit von Sinn und Bedeutung, 4. Kontext als Beziehung zwischen Beobachter und Beobachtetem. Kontext als andere Seite des Markierten
Den aus Sicht der Systemtheorie erkenntnistheoretisch fundamentalsten Akt hat der englische Philosoph und Mathematiker Spencer Brown (1996) als Imperativ formuliert: »Draw a Distinction!« Damit ist der Akt des Unterscheidens gemeint. Unterscheiden braucht stets zwei Seiten: das, was benannt oder markiert wird und das, von dem es unterschieden wird. Wahrgenommenes Wasser »braucht« eine Umgebung, in der es als Wasser wahrnehmbar wird (z. B. als Tropfen in der Luft oder als Masse in einem Glas); gute Menschen brauchen eine böse Umgebung, um in ihrer »Güte« erkannt zu werden; Mutige brauchen Ängstliche und umgekehrt, »psychisch Gesunde« brauchen für diese Markierung eine Umgebung mit »psychisch Kranken« usw. Manchmal ist das, wovon etwas unterschieden wurde, später nur noch schwer rekonstruierbar oder es wird ganz »vergessen«. Wovon wurde beispielsweise »histrionisch« unterschieden, als dieser Begriff in die Welt gesetzt wurde? Wenn man solche, die ursprünglichen Kontexte rekonstruierenden Fragen nicht mehr beantworten kann, hat man nur noch den markierten Bereich vor sich und die andere Seite bzw. den Raum, in dem die Markierung stattfand, ebenso »vergessen« wie den Tatbestand eines vormaligen Unterscheidungsaktes selbst. Spencer Brown spricht hier von der »Form einer Sache«: Form ist nach ihm »der gesamte Raum, Zustand oder Inhalt, der durch [...] die Unterscheidung gespalten wurde« (zitiert nach Simon, 2006, S. 63). Der Formbegriff von Brown umfasst »die Gesamtheit von innen und außen, also immer auch die Umwelt eines Objektes, den Kontext, innerhalb dessen es beobachtet wird« (S. 63). Wir haben es dabei »mit zwei Phänomenbereichen [...] zu tun: dem Bereich der ersten Unterscheidung [dem Phänomenbereich] und dem Bereich der Namen [dem Zeichen- oder Sprachbereich] [...]. Aus der Koppelung beider Operationen besteht das Beobachten: als Einheit von Unterscheiden und Bezeichnen. Die 1. Unterscheidung wird dem Bereich der Phänomene zugerechnet, die 2. dem Bereich der Signale oder Zeichen (z. B. der Sprache)« (S. 63). Durch diese Koppelung wird es nach Simon erst möglich, über Beobachtungen zu kommunizieren. Er verweist darauf, dass im alltäglichen Sprachgebrauch die »Form« als Eigenschaft eines Gegenstandes wahrgenommen wird – weil »vergessen« wird, dass zum »Erkennen« dieses Gegenstandes seine Unterscheidung vom »anderen« (dem Rest der Welt) gehört. Wir lassen normalerweise außer acht, dass das »Drumherum« notwendig ist, damit etwas für einen Beobachter ist und heißt, was es für ihn ist und heißt. Daraus leitet sich ab, dass »Eigenschaften« von Personen keine Eigenschaften der damit bezeichneten Personen sind, sondern Produkte von Unterscheidungsakten der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Beobachter dieser Personen.1 Sie gehören stets zum Phänomenbereich der Beobachter und nicht dem der Beobachteten. Das gilt auch für die Zuschreibung vermeintlich objektiv oder ontologisch »gegeben« erscheinender Merkmale wie »krank« oder »gesund«, »pathologisch« oder »normal«.5 Kontext als soziale Bereitstellung von Bezeichnungen und Beschreibungskategorien für therapeutisches Beobachten
Hier spielt Sprache die entscheidende Rolle. Sprache ist eine kollektive Welt. Die darin enthaltenen und vermittelten Beschreibungen und Bewertungen der Welt entwickeln sich im sozialen Zusammenleben und werden in jedem privaten und gesellschaftlichen Subsystem von Generation zu Generation weitergegeben – durch Geschichten, durch nonverbale Begleitkommentare, durch spezifische Begriffe und Metaphern. Im kulturellen Raum wird zum Beispiel vermittelt, wem gegenüber, mit welchem Ton und mit welcher Bewertung Begriffe wie »Ausländer«, »systemisch«, »cool«, »wissenschaftlich«, »irrational« oder »schlank« verwendet werden. Für angemessenes Sprechen gibt es keine außerkulturellen Maßstäbe. Alles, was gesagt und bewertet wird, wird in einer Kulturgemeinschaft gesagt und bewertet. Dazu gehören auch die Kulturen therapeutischer Schulen inklusive ihrer Metakommunikationen und Selbstgespräche: »Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter zu einem anderen Beobachter gesagt, der er selbst sein kann« (Maturana, 1985, S. 240). Manche radikale Konstruktivisten leiten daraus ab, dass »alles möglich«, weil alles kon- und dekonstruierbar ist und dass es deshalb kein »Wahr« und kein »Falsch« gibt. Diese Radikalität widerspricht allerdings unserer Alltagserfahrung: Wenn ich mir erzähle, unter Wasser ohne Hilfstechniken Sauerstoff zu erhalten, dürfte das das Ende meiner Konstruktionen sein. Andere – wie zum Beispiel Simon (2006, S. 71) – vertreten deshalb die Auffassung, dass es nicht beliebig ist, wie wir unser Weltbild konstruieren und was wir einander erzählen: Der Wahrheitsanspruch sei aufzugeben, nicht aber die Möglichkeit der Falsifikation. Kontext als Bedingung der Möglichkeit von Sinn und Bedeutung
Hier geht es um die Rolle des Kontextes dafür, dass Worte, Sätze, Handlungen oder Ereignisse für uns eine bestimmte Bedeutung haben. Kein Wort, kein Satz, keine Geste hat »an sich« Bedeutung. Erst im Kontext, in dem und zu dem sie gesprochen, geschrieben oder gezeigt werden, erhalten sie diese – oder genauer: wird ihnen von Sendern und Empfängern jeweils Bedeutung zugesprochen. Nach von Schlippe und Schweitzer (2007) hängt die Bedeutung einer Information von Kontextmarkierungen ab. Das sind Kennzeichen, die zeigen, wie eine Aussage zu verstehen ist. Ein Gesichtsausdruck in einer bestimmten Situation kann zum Beispiel eine solche Kontextmarkierung sein. Ein veränderter kontextueller Rahmen kann die Bedeutung eines Satzes komplett ändern, wie von Schlippe und Schweitzer schreiben: »Besonders prägnant zeigt sich
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Das gilt natürlich auch für die hier ins Visier genommene »Eigenschaft« der »Kontextsensibilität«! © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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das im Witz: Es treffen sich zwei Rechtsanwälte. Fragt der eine: ›Wie geht’s?‹, sagt der andere: ›Schlecht! Ich kann nicht klagen!‹« (2007, S. 177). Luhmann (2002) spricht hier wie Bateson (1988, S. 518) von der Kontingenz des sprachlich Möglichen bzw. vom Sinnhorizont, den ein Satz braucht, um Sinn statt Unsinn zu ergeben. Kontingenz meint das, was möglich, wenngleich nicht notwendig ist. Da Kontexte aber Sinn nicht eindeutig festlegen, hat jeder Satz viele Bedeutungsmöglichkeiten, was im konkreten Verwendungszusammenhang die Sprachteilnehmer zur Selektion zwingt. »Sinn im Gesamten liefert den Verweisungshorizont, vor dem konkrete Unterscheidungen ihre Bedeutung gewinnen« (Simon, 2006, S. 95). Nach Luhmann gibt es drei Sinndimensionen, die den möglichen Sinnhorizont einer Aussage bilden: – den sozialen Bereich (was bedeuten die Sätze, die wir zueinander sagen, für die Adressaten der Kommunikation), – den Inhaltsbereich (was wird über eine Sache, eine Person, eine Organisation ausgesagt) – und den Zeitbereich (was bedeutet etwas in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft). Cronen et al. (1979) haben ein Modell hierarchisch aufeinander aufbauender Kontextebenen beschrieben, die den Interpretationsrahmen für sprachliche Kommunikation liefern. Kontext als Beziehung zwischen Beobachter und Beobachtetem
Das betrifft auch die Beziehung zwischen den zur Beobachtung führenden Operationen des Beobachters und dem, was er dadurch an Beobachtungen generiert. Es geht hier vor allem darum, wie durch spezifische Beobachtungen die gesamte Interaktion zwischen Beobachter und Beobachtetem gestaltet wird. Dieser Aspekt ist für die Psychotherapie besonders wichtig. Information wird durch Unterscheidung erzeugt. Beides – Unterscheidungsakt und dadurch generierte Information – findet zunächst im Beobachter statt. Eine der primären Unterscheidungen, die ein beobachtendes System trifft, ist die zwischen sich und Umwelt, die zwischen »Ich« und »Anderen«. Dadurch wird die grundlegende Beziehung »Ich – der Rest der Welt« kreiert. In der Umwelt wird dann das eine vom anderen unterschieden und markiert bzw. benannt. Das führt auf Personen bezogen zur Zuschreibung von »Eigenschaften«. Beobachten per se und die spezifischen Selektionen einer Beobachtung gehen einerseits aus einer Beziehung zwischen Beobachter und Beobachtetem hervor und generieren andererseits spezifische Beziehungsformen. In Psychotherapien bzw. im gesundheitspolitischen Bereich verwendete Diagnosen prägen zum Beispiel die therapeutische Beziehung ebenso wie die Nichtverwendung bestimmter Diagnosen oder Zuschreibungen. Wenn ich jemanden als »emotional lebendig« bezeichne, habe ich zu ihm eine andere Beziehung, als wenn ich ihn als »histrionisch-persönlichkeitsgestört« markiere. Wenn ich mich weigere, das stundenlange Waschen eines Patienten »Zwang« zu nennen, und stattdessen banalisierend von »gewissenhaftem Säubern« spreche, prägt auch das die Beziehung und die Therapie. Solche Zuschreibungen finden immer auf dem Boden gesellschaftlicher und therapieschulenspezifisch bereitgestellter Kategorien und Rollen statt. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Beschreiben – Bewerten – Erklären Nach Simon (2006) besteht das Beobachten aus drei Komponenten, deren Unterscheidung sich für die Psychotherapie als nützlich erwiesen hat: 1. Beschreibung: Wie beschreiben Klienten oder Experten ein Problem und welche Worte benutzen sie dabei (»essgestört, manisch, selbstunsicher ...«)? 2. Bewertung: Wie wird das Beschriebene bewertet (»gut – schlecht/erhaltbar – veränderungswürdig/für eine Beziehung hilfreich – schädlich«)? 3. Erklärung: Wie oder warum ist es dazu gekommen? Erklärungen beinhalten Vorschläge, wie man etwas beseitigen, verhindern oder lindern kann – auf heilkundlicher Ebene präventives, kuratives oder palliatives Handeln. Wissenschaftler und Laien unterscheidet nicht, ob sie erklären, sondern wie sie das tun: Mit welchen Kategoriensystemen und welchen Gütekriterien – zum Beispiel empirischlogischen statt archaischen oder religiösen. Klassische Therapieschulen halten an Kriterien der »Objektivität« und der »Wahrheit« fest. Wissenschaftliche Systemtheorie und pragmatische Systemtherapie haben unterschiedliche Gütekriterien für Erklärungen: Für erstere nennen Maturana und Varela strenge Bedingungen (1985, S. 37), zweiterer reicht das Kriterium der Nützlichkeit.
Kernunterscheidungen – Leitunterscheidungen »Handeln ist Kognition – Kognition ist Handeln«: Diese von Maturana und Varela (1985) formulierte systemtheoretisch-konstruktivistische Prämisse verweist darauf, dass handelndes Überleben und das Treffen von Unterscheidungen eins sind. Personen und Systeme treffen Unterscheidungen nicht aus Selbstzweck. Sie dienen ihrem Überleben, ihrem Selbsterhalt, ihrer »Autopoiese« (Selbsterzeugung und Fortpflanzung). Je nach Umwelt, in der ein System lebt, unterlegt es seinem überlebenssichernden Tun und Denken spezifische Leitunterscheidungen. Wer in der Wüste überleben will, muss anderes unterscheiden als der, der in New York einer Frau imponieren will. Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Ärzte, Priester: Jede Berufsgruppe lässt sich von spezifischen Unterscheidungen leiten. Nach Luhmann (2002) sind gesellschaftliche Funktionssysteme durch typische Leitunterscheidungen gekennzeichnet: die Wissenschaft zum Beispiel durch die von »empirisch bewiesen – nicht bewiesen«, die Rechtsprechung durch »schuldig – unschuldig«, die Schule durch »richtig – falsch«, Medizin und Psychotherapie durch »gesund – krank«. In ähnlicher Weise unterlegen auch Familien über Generationen hinweg ihrem Überleben spezielle Leitunterscheidungen wie zum Beispiel »Freund – Feind«, »fleißig – faul«, »treu – untreu«. Sie sind Resultate dadurch bewältigter Lebenserfahrungen und Schicksale. In der Psychotherapie können wir auch bei Einzelpersonen deren Leitunterscheidungen für wichtige Lebensbereiche erahnen, erfragen und herausarbeiten. Immer spiegeln sie relevante Erfahrungen aus der individuellen Biographie oder der Geschichte des Herkunftssystems wider. Eine systemexterne Bewertung dieser Unterscheidungen kann zu anderen Ergebnissen kommen als die systeminterne. Für Letztere gibt es eigentlich nur die Dichotomie »Überleben – Nichtüberleben«. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Leitunterscheidungen in der Psychotherapie Psychotherapie als System
Zu den primären Leitunterscheidungen der Psychotherapie gehören »veränderungsbedürftig – nicht veränderungsbedürftig« und »veränderbar – nicht veränderbar«. Weitere sind »somatisch – psychisch« oder »für eine bestimmte Veränderung zuständig – nicht zuständig«. Therapeuten und Patienten markieren damit manchmal ziemlich verschiedene Bereiche. Beim Eintritt in ein Psychotherapiesystem hält mindestens eine Person etwas für veränderungswürdig und durch das System »Psyche« (Wille, Verhalten, Gedanken) mindestens einer Person veränderbar. Alle Therapieschulen greifen von Patienten verwendete Kernunterscheidungen auf, um dann schulenspezifisch andere einzuführen und so zu Veränderungen beizutragen. Verhaltenstherapeuten verwenden häufig störungsspezifische Unterscheidungen und leiten daraus Interventionen ab. Für Veränderungsprozesse auf dem Gebiet der Angst lassen sie sich zum Beispiel von der Unterscheidung »Vermeidung – Exposition« leiten. Psychoanalytiker unterscheiden zwischen bewusst – unbewusst, markieren intrapsychische Konflikte, richten ihre Aufmerksamkeit auf die aktuelle Beziehung zwischen Therapeut und Patient und unterscheiden bei Patienten »Übertragungs-« und bei sich »Gegenübertragungsphänomene« von anderen Phänomen. Systemtherapeuten richten ihre Aufmerksamkeit auf Beziehungsmuster – zum Beispiel zwischen Personen, zwischen Psyche und Soma oder zwischen Selbst und Symptom. Manche Therapeuten sind sich der Tatsache bewusst, dass sie und ihre Schule Repräsentanten eigener und professionstypischer getroffener Unterscheidungsakte und damit Konstruktionen sind, andere sehen in ihren Markierungen den Ausdruck objektiver Tatbestände. Das hat unterschiedliche Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung und den therapeutischen Prozess. Erstere wären im Sinne dieses Beitrages kontextsensibel, zweitere kontextvergessen. Der in hohem Maße kontextsensible Gregory Bateson hat seiner berühmten Bestimmung des Begriffs der »Information« unterlegt, dass Informationen nicht Teil der Welt, sondern des beobachtenden Geistes ist. »Informationen« gehören ihm zufolge nicht zum »Territorium«, nicht zum »Land«, sondern zur Landkarte in unseren Köpfen. Sie werden durch Unterscheidungsakte erzeugt: »Das Territorium [...] selbst kommt nie ins Spiel. Das Territorium ist Ding an sich, und man kann nichts damit anfangen« (Bateson, 1988, S. 584). Therapiesystem: Koevolution von Therapeut und Patient
Vereinfacht gesagt, gibt es daher zwei Formen von ausbleibendem therapeutischem Erfolg: 1. Nichtveränderung durch Redundanz in gut gekoppelten Interaktionen zwischen Therapeuten und Klienten oder 2. durch nicht gelingendes Ankoppeln beider. Im einen Fall operiert der Therapeut mit den gleichen Unterscheidungen wie der Patient und führt keine neuen ein. Im anderen Fall sind seine angebotenen Unterscheidungen für das Patientensystem so fremd, dass es von diesem ignoriert oder abgewiesen wird. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Erfolgreiche Therapie beinhaltet aus dieser Sicht also die Einführung solcher Unterscheidungen in das Patientensystem, die hinreichend anschlussfähig und hinreichend irritierend-verstörend neu sind. Alle Therapeuten tun daher gut daran, sich auf ihren Gebieten (z. B. im Bereich der Psychiatrie, der Psychosomatik, der Richtlinienpsychotherapie) gleichermaßen koppelungsfähig zu halten – zum Beispiel durch Kenntnis dort verwendeter Unterscheidungen in Form von Diagnosen und Erklärungsfiguren. Umgekehrt dürften nur diese über ein hinreichend erfolgversprechendes Interventionsspektrum verfügen, deren Unterscheidungsangebote gewohnte Denk- und Handlungsroutinen irritieren und verstören.
Kontextvergessenheit Vergessen, Erinnern und die Unvermeidlichkeit blinder Flecken
Ein Fisch kann nicht vergessen, dass er im Wasser lebt, weil er nie zwischen Land und Wasser unterschieden hat. Vergessen setzt Vergessenes und damit vormalige Unterscheidungsakte voraus. Vergessen impliziert die Möglichkeit, sich wieder zu erinnern. Der übliche Bedeutungsraum dieses Begriffes soll hier erweitert werden: Dann markiert er nicht nur das Vergessen von Inhalten, sondern auch das Vergessen der vorausgegangenen Unterscheidungsakte bzw. der Tatsache, dass solche stattgefunden haben und weiter stattfinden. Wie Unterscheiden und Markieren ist auch das Vergessen nicht nur ein individueller, sondern ein zutiefst sozialer und kultureller Vorgang. Soziale Systeme verfügen ebenso über Operationen des Erinnerns wie des Vergessens. Für die Entwicklung von Kontextsensibilität in der Psychotherapie sind solche Erinnerungsoperationen interessant, die sich auf die Rekonstruktion der Prämissen und Unterscheidungsakte beziehen, die Probleme generiert haben. Kontextvergessenheit kann man mit Bezug auf die oben genannten vier Kontextaspekte so definieren: Sie ist das Vergessen 1. von aktuellen oder vorangegangenen Markierungen und/oder 2. der sozialen Kontexte, die diese beeinflussen, und/oder 3. des Kontextes, der einem Sprachakt Bedeutung verleiht, und/oder 4. der Art der Beziehung zwischen Bezeichner und Bezeichnetem, die bestimmtes Sprechen und Hören generiert bzw. durch dieses Sprechen generiert wird. Erkenntnistheoretisch von größter Bedeutung ist, dass man solchem Vergessen gar nicht entkommen kann. Es gibt für uns keinen Ort außerhalb des Beobachtens. Auch Operationen des Erinnerns und der Rekonstruktion vormaliger Unterscheidungen sind selbst Beobachtungsakte. Sie beruhen selbst auf vorausgegangen Unterscheidungen. Auch diese kann man kontextualisieren und auf ihre Prämissen hin beleuchten. Da das in einen unendlichen Prozess führt, muss man ihn abbrechen und den Rest »vergessen«. Man kann den blinden Fleck im Sehfeld nur beseitigen, indem man neue blinde Flecken erzeugt. Trotz dieser Unvermeidlichkeiten gibt es aber einen vermeidbaren Aspekt an Vergessenheit: den des Vergessens des Tatbestandes vorangehender Unterscheidungsakte. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Dann »vergisst« man, dass alles, was gesagt wird, von einem Beobachter gesagt wird. Dann wird für wahr gehalten, was man konstruiert hat. Personen von Beobachtern zugeschriebene Eigenschaften werden dann, dem Dialog entzogen, für Merkmale dieser Person gehalten. Vergessen ist normal und stört in vielen Lebensbezügen nicht. Erinnern oder Erinnerungsversuche können sinnvolle aktuelle Prozesse auch erheblich stören. In der Psychotherapie kann die grundlegende Vergessenheit Patienten und Therapeuten allerdings in Sackgassen führen. Kontextvergessenheit in der Psychotherapie
Teil der Generierung und Chronifizierung von Problemzuständen ist es, von der Objektivität problemimmanenter Beschreibungen auszugehen. In für wahr gehaltenen Weltkonstruktionen mit Kontextvergessenheit festzustecken, ist aber kein Vorrecht von Patienten. Es gilt auch für Therapeuten. Man kann auch in einer Lösungsorientierung feststecken. Nehmen wir als Beispiel den in der psychotherapeutischen Welt heute oft verwendeten Begriff des »emotional-kognitiven Schemas« (Beck, 1999; Young, 2005). Damit wird – schon sehr konstruktivistisch – ein kognitiv-behaviorales Muster bezeichnet, das in repetitiver Verwendung immer wieder gleiche Wahrnehmungen, Gefühle, Einstellungen und Verhaltensweisen reproduziert. Wird von Therapeuten, die mit diesem Konstrukt arbeiten, aber »vergessen«, dass solche Schemata Erfindungen von Therapeuten und nicht »Entdeckungen« sind, und dass sie auf vorgängigen Unterscheidungsakten therapieschulenspezifischer Gemeinschaften gründen, erhalten die darauf beruhenden Beschreibungen von Patienten den Charakter von »Wissen über Tatsachen«. Man glaubt dann am Ende an die Existenz von Schemata in Köpfen von Menschen, die dort den Status ontologischer Gegebenheiten erhalten. Man kann ihnen dann, wie anderen Dingen in der Welt, Eigenschaften zuschreiben wie zum Beispiel »dysfunktional« oder »unflexibel«. Ethische Konsequenzen
Wie in anderen Beziehungen auch begegnen sich Therapeuten und Patienten als Parteien, die einander Weltkonstruktionen präsentieren und austauschen. Am Ende ist der Klient in der Regel der flexiblere, insofern er seine Konstruktionen verändert, während der Therapeut die seinen beibehält. Es begegnen sich in der Therapie aber auch zwei Systeme, die einander beobachten und registrieren, wie sie vom anderen beobachtet werden. Die Rollen in Therapien sind gesellschaftlich prädefiniert verschieden: Eine Seite soll der anderen helfen (und erhält in der Regel dafür Geld). Aus metaperspektivischer Sicht sind diese Rollen (Helfer – Hilfesuchender) Sonderformen menschlicher Beziehungen. In allen solchen Begegnungen treffen konstruktivistisch-anthropologischen Überlegungen zur Ethik folgend zwei Einheiten aufeinander, die sich a priori als Bedingung der Möglichkeit ihrer Interaktion schon auf zwei Ebenen gegenseitig anerkannt haben – auf einer professionellen und einer personalen. Sie haben sich vorab a) gegenseitig von Nichtpersonen und b) den Therapeuten von Laien sowie den Patienten von anderen Typen Hilfesuchender (z. B. somatisch Kranker) unterschieden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Axel Honneth verweist auf die gegenseitigen personalen Anerkennungen, die allen privaten und professionellen Interaktionen zugrunde liegen und vorausgehen (Honneth, 2005). Ein therapeutischer Dialog ist deshalb nur möglich, wenn er auf dieser gegenseitigen Anerkennung als Dialogpartner beruht. Es gibt allerdings psychotherapeutische Theorien, die dieses a priori der vorausgehenden Anerkennung übersehen, vergessen oder konzeptuell leugnen. Sie konzipieren zum Beispiel dann nicht die Begegnung zweier ethisch gleichrangiger Beobachter, wenn sie darin eine Seite »ontologisch festschreiben« oder Therapeuten die Rolle zuschreiben, ihre Patienten so festzuschreiben (z. B. mit manchen Formen der Diagnose). Der Autor hat an anderer Stelle gezeigt, wie das beispielsweise durch die Diagnose »Persönlichkeitsstörung« geschieht (Lieb, 1998, 2009). Ob kontextsensibel oder kontextvergessen: Jede den therapeutisch-beraterischen Interaktionen unterliegende Unterscheidung hat bestimmte Folgen und andere Folgen nicht. Wer in der Rolle eines Therapeuten zu sprechen beginnt, verliert deshalb seine Unschuld, wenn man damit Folgenlosigkeit verbindet. Sensibilität für die Auswirkungen unternommener Unterscheidungsakte könnte man deshalb als »nach vorn gerichtete Kontextsensibilität« bezeichnen. Sie beinhaltet hierzu die Achtsamkeit für rekursive Aus- und Rückwirkungen dieser Akte auf die Bezeichneten und die Bezeichner selbst: Auswirkung und Rückwirkung gewählter Worte, vorgetragener Erklärungen und vorgenommener Bewertungen. Sprechen ist Handeln und zeitgleich Unterlassen von anderem Sprechen. Der Begriff »übergewichtig« hat zum Beispiel andere Auswirkungen auf die damit Benannten als der Begriff »kräftig«. Auch die Weigerung, »Dicke« dick zu nennen, hat Folgen. Kontextreflexionen über solche Markierungen sind keine permanenten Notwendigkeiten. Sie sind aber sehr wohl permanente Möglichkeiten reflexiver Ausnahmezustände. Man braucht sie, wenn es nicht voran geht und man deshalb gezwungen ist (oder von anderen dazu gezwungen wird), zu prüfen, ob das vielleicht am eigenen »Entwurf« liegt.
Selbstbeobachtung und Reentry Reentry
Man kann zwischen Fremdbeobachtung (ein System beobachtet ein anderes System oder seine Umwelt) und Selbstbeobachtung (ein System beobachtet sich selbst und seine Beziehung zwischen sich und anderen) unterscheiden. Auf die von Luhmann beschriebenen drei autopoietischen Systeme Körper, Psyche und Kommunikation bezogen ist Körperwahrnehmung für die Psyche Fremdbeobachtung (die Psyche beobachtet ihren Körper) und die Exploration eigener Gefühle Selbstbeobachtung (die Psyche beobachtet sich selbst). Alle Selbstbeobachtungen bieten Chancen und haben Fallen. Sie führen durch die Entdeckung blinder Flecken zu Erkenntnissen und erzeugen dabei neue blinde Flecken. Hier hilft das von Spencer Brown (1969) beschriebene Konzept des Reentry konzeptuell weiter. In dieser Theorie bedeutet Reentry (»Wieder-Eintritt«), dass ein System die Unterscheidung zwischen sich (das »Ich« oder das »Wir«) und Umwelt (das »Du« oder die »Anderen«) selbst in die eigene Weltbeschreibung aufnimmt. So entsteht eine Beschreibung der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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eigenen verwendeten Leitunterscheidungen bzw. die Beobachtung eigener Beobachtungen. Das System generiert so ein Bild von sich selbst und seiner Beziehung zu anderen Systemen bzw. zu seiner Umwelt. Beim »Reentry« wird der Beobachter erster Ordnung sich selbst gegenüber zum Beobachter zweiter Ordnung: Was sonst Fremdbeobachter zweiter Ordnung (Beobachtung von Beobachtung) bei anderen sehen (dass und wie diese sich ihrer Welt gegenüberstellen), kann der Beobachter nun bei sich selbst sehen. Reentry und Psychotherapie
Die Theorie des Reentry hat praktische Konsequenzen für die Psychotherapie. Therapeut und Klient können ihre Aufmerksamkeit auf das »Reentry« des Klienten zentrieren (andere Schulen sprechen vom »Selbstbild des Klienten«) und dazu alternative Sichtweisen entwickeln. Zum Beispiel kann man fragen, wie ein Opfer- oder ein TäterSelbst-Bild bei einem Patienten entstanden ist und durch Handlungen immer wieder neu erzeugt und stabilisiert wird. Man kann dann auch prüfen, wo Opfer auch Täter bzw. Täter auch Opfer sind. Ein Therapeut kann beispielsweise entdecken, wie er zuerst das Bild eines Patienten als eines »Koabhängigen« konzipiert hat, der in dieser Rolle das Handeln und Denken eines anderen kontrollieren will. Beim Beobachten von sich selbst in seiner Beziehung zu diesem Patienten kann er »sehen«, wie er sich selbst koabhängig davon gemacht hat, dass sein diesbezüglich widerspenstiger Patient Einsicht in seine Koabhängigkeit erlangt.
Kontextsensibilität als Wirkfaktor Eröffnete Veränderungspotenziale
Das »Erinnern« an vorgängige Unterscheidungsakte und darin verwendete Kernunterscheidungen kann Therapeuten neue oder bisher versperrte Wege öffnen. Es kann neue Unterscheidungen in den therapeutischen Dialog einführen – im Stil sachlich, humorvoll, provokativ, als dialogisches Angebot oder im Duktus einer Experten»Edukation«. Wenn »es« im therapeutischen Prozess nicht läuft, Veränderungsprozesse stagnieren oder Patienten sich von ihrem Therapeuten nicht verstanden fühlen, kann sich Kontextsensibilität zur Selbstreparatur therapeutischer Systeme in der Hand von Therapeuten erweisen. Die Rekonstruktion bisher im therapeutischen Prozess vorgenommener Unterscheidungsakte und der diesen zugrunde liegenden Kernunterscheidungen kann zu Hypothesen führen, welche davon zu Stagnation, Redundanz oder zur Nichtankoppelung zwischen Therapeut und Patient geführt haben. Man kann einem System dann neue Beobachtungsmöglichkeiten, Markierungen, Bewertungen oder Erklärungen anbieten: Bisher negativ Bewertetes kann im Sinne eines Reframing positiv, bisher positiv Bewertetes gelegentlich auch negativ bewertet werden – zum Beispiel Dominanz als Fürsorge oder Mitleid als Geringschätzung. An die Stelle kausaler Erklärungen können zirkuläre oder teleologische (»wozu etwas gut ist«) treten. Neuen Unterscheidungen folgen dann neue Optionen in Form neuer © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Gefühle, Denkweisen oder Handlungen. In diesem Sinne ist kontextsensible Reflexion eine kreative Kraft. Bestimmungsmerkmale von Kontextsensibilität und wie man sie lernen kann
Für den Lernprozess ist es wichtig, die begriffliche Ontologisierung des Konstruktes »Sensibilität« rückzuübersetzen in das, was man tut, wenn man kontextsensibel ist oder werden will. Daher seien abschließend fünf operative »Anweisungen« zur Generierung von Kontextsensibilität formuliert: 1. Betreiben Sie Sprachanalysen Ihres eigenen Sprechens und des Sprechens anderer mit Ihnen: Welche Worte benutzen Sie oft und welche nie? Welche Kernunterscheidungen drückt das aus? 2. Begrüßen und nutzen Sie Symptome im therapeutischen Prozess (von Ihnen, von Patienten, zwischen Ihnen und Patient) und erforschen Sie, auf was diese an bisher verwendeten Unterscheidungen aufmerksam machen und welche Möglichkeiten sich auftun, wenn das in den Blick kommt. 3. Wechseln Sie öfter Ihren Wahrnehmungskanal, indem Sie zum Beispiel die Aufmerksamkeit weniger auf das inhaltlich Gesprochene als auf das richten, was Sie in der Kommunikation sehen (Mimik, Gestik, Körperbewegung), in Ihrem Körper empfinden oder an der »Musik« des vom Patienten Gesprochenen hören. Lassen Sie sich von der diakritischen Wahrnehmung (Zentrierung auf einen dieser Wahrnehmungskanäle) zur kinästhetischen (ganzheitlich-gleichzeitigen) Wahrnehmung verschiedener Kanäle gleiten. 4. Werden Sie gewahr, welches interaktionelle Klima sich während einer Therapiestunde im Raum entwickelt: ein läppisches, banalisierendes, feindliches, verächtliches, anstrengend-sachliches ...? Bilden Sie Hypothesen dazu: In welchem Lebenskontext könnte sich dieser Stil bei Ihrem Patienten entwickelt haben? Auf welchen Leitunterschieden beruht das? Mit welchem Stil antworten Sie darauf? Fassen Sie diese Hypothesen in Worte oder in Fragen und bringen Sie das in den therapeutischen Dialog ein. 5. Unterscheidungsakt versus Unterschiedenes: Eignen Sie sich die epistemologischen Grundlagen der Kontextsensibilität an.
Literatur Bateson, G. (1988). Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Beck, J. S. (1999). Praxis der kognitiven Therapie. Weinheim: Beltz PVU. Cronen, V. E., Pearce, W. B., Harris, L. M. (1979). The logic of the coordinated management of meaning: A theory of communication. In F. E. X. Dance, et al. (Hrsg.), Comparative communication theory: An introduction (pp. 61–89). New York: Harper & Row. Honneth, A. (2005). Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Lieb, H. (1998). Persönlichkeitsstörung – zur Kritik eines widersinnigen Konzeptes. Tübingen: DGVT-Verlag. Lieb, H. (2009). Persönlichkeitsstörung aus systemischer Sicht. Familiendynamik, 34 (1), 60–72. Luhmann, N. (2002). Einführung in die Systemtheorie (hg. von D. Baecker). Heidelberg: Carl-Auer. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Maturana, H. R., Varela, F. J. (1985). Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. München u. a.: Scherz. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (2007). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Simon, F. B. (2006). Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. Heidelberg: Carl-Auer. Spencer-Brown, G. (1969). Laws of Form. London: Allen & Unwin (dt.: Gesetze der Form. Lübeck: Bohmeier, 1997). Young, J. E., Klosko, J. S., Weishaar, M. E. (2005). Schematherapie. Paderborn: Junfermann.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Kurt Pelzer
Systemische Haltung und Balance
Ein Blick auf: ... was hält? Beginnen wir, für Systemiker und Systemikerinnen eher ungewöhnlich, mit dem einzelnen Menschen und hier, noch etwas ungewöhnlicher, mit seiner körperlichen Erscheinung. Das durch die Körperhaltung ausgelöste Bild wird, meist wohl eher unbewusst, als ein Orientierungsmerkmal für einen ersten Gesamteindruck genutzt. Eine gerade, aufrechte und offene körperliche Haltung wird dabei mit Eigenständigkeit, Selbstbewusstsein, Kontaktbereitschaft und positiver Neugier für die Umwelt assoziiert. Umgekehrt soll ein gebückter Rücken oder ein verneigter Kopf nach einem offenbar uraltem evolutionsbiologischen Code Unterwerfung oder Unterordnung signalisieren. Man denke nur an die tiefe Verneigung japanischer Manager (Kotau), die öffentlich um Entschuldigung bitten.16 Eine »gute« Haltung ist wiederum nichts Statisches, sondern benötigt die Unterstützung durch eine trainierte Muskulatur, was jeder Orthopäde sofort unterstreichen dürfte. Haltung entsteht geradezu durch ständige (minimale) Bewegungen. Ohne diese ausbalancierenden Bewegungen wird Haltung starr und schmerzt, wie der Soldat, der in der Ehrenformation lange unbeweglich stehen musste, bestätigen kann. Unser Gleichgewichtssystem ist ständig damit beschäftigt, entstehende Ungleichgewichte auszubalancieren. Haltung und Balance sind also eng aufeinander bezogen und ihre Kooperation ermöglicht den aufrechten Gang. Wie bei vielen Begriffen wurden beide dem Bereich des Körperlichen entnommen und auf andere Bedeutungswelten übertragen. So spricht man heute beispielsweise von einer ethischen, einer politischen oder einer inneren Haltung. Und andererseits von einer ökologischen, familiären, oder organisationsspezifischen Balance. Wie nun steht es mit Haltung und Balance in der »systemischen Welt«? Hier ist vor allem der Begriff der Haltung populär geworden und fehlt in keiner Ausschreibung entsprechender Weiterbildungsangebote. Königswieser und Hillebrand (2009) gehen sogar soweit, sie als das »Herzstück der systemischen Beratung« zu bezeichnen: »Die differenziertesten Theorien, die ausgeklügeltsten Techniken haben in der systemischen Beratung keine Wirkung, wenn die Haltung der Berater nicht stimmt« (S. 12). Nicht nur die Haltung von Beratern und Beraterinnen sei von 7
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Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit nonverbalem Verhalten – im Unterschied zu »küchenpsychologischen« Deutungen – siehe Hermer (2004). Nonverbales Verhalten wird hier explizit in seiner Bedeutung für psychotherapeutische Prozesse diskutiert. Die Seitenangaben zu den Zitaten von Königswieser und Hillebrand beziehen sich auf die im Internet verfügbare Fassung (siehe Literaturverzeichnis). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Bedeutung, sondern auch die Aufmerksamkeit für Veränderungsmöglichkeiten an der Haltung von Klienten oder Klientensystemen. Weiter heißt es bei Königswieser und Hillebrand: »Um mit diesen Dimensionen umgehen zu können und wirkungsvolle Interventionen zu finden, ist das Wissen, das Bewusstsein um die eigene Haltung Voraussetzung. Die eigenen verinnerlichten Glaubenssätze, Weltbilder und Werte, den eigenen Umgang mit Paradoxien zu kennen, ist Basis einer professionellen Arbeit. Unsere Haltung steht in enger Verbindung mit unserer Identität, dem Charakter, den Einstellungen, Wahrnehmungsweisen und Wirklichkeitskonstruktionen. Haltung steuert unsere Denk- und Verhaltensweisen, liegt ihnen zugrunde, ist aber auch wieder ihr Ergebnis. Sie wird durch unsere Geschichte, unsere Prägungen, unsere Erfahrungen und Bewertungen gebildet und sie beeinflusst wiederum unsere Sicht von der Welt« (S. 1). In guter zirkulärer Denktradition wird Haltung als ein komplexes Selbstorganisationsmuster beschrieben, das einerseits die Wahrnehmung der Welt oder Umwelt vorstrukturiert und so nach innen Komplexität reduziert und im wahrsten Sinne des Wortes Halt gibt, andererseits nach außen offen bleibt, um durch neues Lernen prinzipiell veränderbar zu bleiben. Diese Dialektik des strukturdeterminierten Ordnens der Welt einerseits und der andererseits sicherlich unterschiedlich ausgeprägten Bereitschaft, Überzeugungen durch neue Erfahrungen zu korrigieren, gilt es im interaktionellen Geschehen zwischen Beraterin und Klientin in Bewegung zu halten. Dazu braucht man eine Fähigkeit, die ich im folgenden Balance-Kompetenz nennen möchte.
Systemische Haltung – eine Annäherung Doch zunächst zurück zur systemischen Haltung. Wir treffen hier auf das Phänomen, dass jeder in der »systemischen Welt« diesen Begriff kennt und als bedeutsam einstufen würde. Bei näherem Befragen würden ihn viele jedoch unterschiedlich beschreiben oder erklären. Somit teilt er das Schicksal aller Begriffe, die einen sehr komplexen Sachverhalt mit einem Wort beschreiben wollen. Man denke zum Beispiel an den Begriff »Soziale Gerechtigkeit«. Alle sind sich einig, dass man soziale Gerechtigkeit anstreben solle, und dass ihre praktische Umsetzung von großer Bedeutung für eine friedliche Welt ist. Geht man dann in die Details der Operationalisierung, wird man sehr Unterschiedliches, ja zum Teil Widersprüchliches hören und je nach kontextueller Rahmung verändern sich die Bewertungen. Mag ein gesichertes Grundeinkommen von sagen wir 500 Euro für jeden Deutschen im nationalen Kontext noch sozial gerecht erscheinen, so wird dies unter europäischer oder gar globaler Betrachtung schon obsolet. Es erinnert ein wenig an die Heisenberg’sche Unschärferelation: Je genauer man hinschaut, desto weniger eindeutig lässt sich das Wesen der Dinge erkennen und es kommt womöglich vermehrt zu Paradoxien. Am besten nähert man sich wohl einem solchen, letztlich in seinem Kern diffus bleibenden Sammelbegriff, indem man deskriptiv aufzählt, welche Teile benannt werden, um ihn zu beschreiben. Auch die meisten »psychischen Krankheiten« werden heute definiert, indem man prüft, ob beispielsweise fünf von acht möglichen Merkmalen festgestellt werden können. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die in den systemischen Standardwerken am häufigsten genannten Merkmale für eine systemische Haltung seien also im Folgenden schlagwortartig hintereinandergestellt, ohne sie spezifischer zu erläutern: – Neutralität oder Allparteilichkeit, – Ressourcenorientierung (statt »Defizitorientierung«), – Lösungsorientierung (statt »Problemhypnose«), – Multiperspektivität und Blick für»die Möglichkeit des Andersseins« (Watzlawick), – zirkuläres bzw. vernetztes Denken, – prozessorientierte Reflexion und Selbstreflexion, – Kontextsensibilität, – Hypothesenbildung und -überprüfung (statt »Gewissheit«), – Vertrauen in individuelles Wachstum und Entscheidungsfreiheit (Satir), – Wertschätzung und Respekt. Zu diesen populären Stichworten, mit denen systemische Haltung beschrieben und gelehrt wird, möchte ich noch vier weitere hinzufügen: 1. Humor und »Entwichtigen«: Erst ein Lächeln zeigt manchmal, dass lernendes Verstehen oder eine Einsicht »angekommen« ist. Ein – natürlich feinfühliger – Humor erlaubt eventuell eine heilsame Distanzierung vom Teufelskreis der Problemfixierung, des leidvollen Fühlens und des grüblerischen Denkens. Wer auch über sich selbst schmunzeln kann, zeigt einen Ausweg aus dem »subjektiven Käfig« der Eigenwelten auf und unterstreicht eine prinzipiell fehlerfreundliche und dem Leben zugewandte Haltung. Es markiert ein Bewusstsein über menschliches Maß und Grenzen und lädt ein zum »Entwichtigen« der unzähligen Quellen von Leid, Frustration und Ärger. Der »sanfte« Humor knüpft an die buddhistische Praxis der lächelnden Achtsamkeit (Vipassana) an: Alle Gefühle und Gedanken werden nichtwertend angenommen und können so auch wieder losgelassen werden. 2. Narrative Lust: Wenn in Beratung und Therapie die Sprache das zentrale Medium ist, so ist die Freude am Erzählen und an den Geschichten der anderen eine förderliche Komponente, belegt sie doch ein großes Interesse an den durch Sprache vermittelten Welten der Ratsuchenden. Narrative Lust zeigt sich aber nicht nur im zugewandten Zuhören, sondern auch im Umschreiben und Neuerzählen der jeweiligen Geschichten in lebenstauglichere Varianten (wie es etwa in dem Buchtitel »Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben« so schön auf den Punkt gebracht wird; Furman, 2008). Die Arbeit mit Metaphern und analogen Bildern lassen Verdichtungen zu, erleichtern das intuitive Verstehen und eröffnen fast spielerisch neue Perspektiven. 3. Selbstbewusste Bescheidenheit: Die dialektische Formulierung zeigt schon ein vorweggenommenes Beispiel, kompetent auszubalancieren: Die Bescheidenheit akzeptiert sowohl die subjektiven eigenen Grenzen als auch die prinzipielle Unmöglichkeit des menschlichen Geistes, »die Wahrheit« oder »das Richtige« fehlerfrei zu erkennen. Sie lässt dem Gegenüber sein »Expertentum« für seine eigene Welt. Sie drängt sich nicht vorschnell mit eigenen Lösungsideen oder gar Besserwisserei auf. Das Selbstbewusstsein hingegen steht zum eigenen Wissen, zur Lebens- und Berufserfahrung, zur Professionalität und zum Expertentum. Ohne die Interaktion mit dem Profi ist das subjektive Expertenwissen des »Kunden« eben zur Zeit der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Anmeldung nicht in der Lage, befriedigende Lösungen zu finden (vgl. weiter unten: die Balance zwischen Wissen und Zweifeln). 4. Die Ko-Konstruktion von Sinn: Ko-Konstruktion von Sinn wird besonders dort sozusagen lebenswichtig, wo es eben nicht um pragmatische Lösungen geht, sondern eher um das Versöhnen mit Unabwendbarem, das Aushalten von Unvermeidbarem. Wozu auch gehört, miteinander zu prüfen, was »wirklich« unabwendbar und unvermeidbar ist. Hier besteht die Herausforderung darin, das Geschehen als Teil eines biografischen Weges in die Lebenserzählung eines Menschen zu integrieren. Mit Hilfe narrativer Methoden können neue Sinngeschichten kokreativ entwickelt werden. So sind zum Beispiel auch alle religiösen Erzählungen Sinngeschichten, die Trost oder Zuversicht anbieten, aber auch neue Herausforderungen enthalten. Das Verfügen über Sinngeschichten kann wohl als ein Resilienzfaktor angesehen werden, der gesundes Überleben begünstigt.
Wie sich das zeigen kann: Das Beispiel Arist von Schlippe »Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und Begannen von vorne« (aus B. Brecht, »Der Zweifler«).
Arist von Schlippe, zu dessen Ehrung und Würdigung dieses Buch verfasst wird, lebt viele Elemente systemischer Haltung auf besondere Art und Weise. Will man zum Beispiel die Möglichkeiten des Andersseins erkunden, braucht man Mut und Interesse daran, scheinbare Gewissheiten zu hinterfragen und auch respektlos mit Leitbildern und Glaubenssätzen umzugehen (vgl. Cecchin et al., 2005). So markiert auch für Arist von Schlippe der Satz: »Es könnte alles auch ganz anders sein, anders beschrieben werden« ein systemisches Grundprinzip (von Schlippe, 1998). Im Weiteren benennt er folgerichtig das Zweifeln als eine systemische Basiskompetenz und unterstreicht dies, indem er das Gedicht von Bertold Brecht: »Der Zweifler« als eines seiner liebsten Gedichte herausstellt. Wer mit Arist von Schlippe zusammengearbeitet hat, durfte sich auch an seiner scharfsinnigen, humorvollen Art erfreuen, die nicht nur im Sammeln und der gelungenen Wiedergabe von Witzen bestand. Unvergessen bleibt seine Präsentation einer mit verschiedenen Stimmen und Mundarten wiedergegebenen Version von Schillers Gedicht »Die Kraniche des Ibykus« in einem Restaurant in Potsdam. Das hätte so sicherlich auch auf jede deutsche Kleinkunstbühne gepasst. Arist von Schlippe beherrscht den selbstbewussten, fachlich fundierten und rhetorisch glanzvollen Auftritt (beim Vornamen Arist[os], altgriechisch für »der Beste«, ja durchaus Programm). Gleichzeitig vermittelt er eine stets authentisch gelebte Zugewandtheit und ein ehrliches Interesse an den Ideen und Befindlichkeiten des Gegenübers. Er bietet seinen zahlreichen Schülerinnen und Schülern sowohl eine positive Identifikationsfigur wie auch ein akzeptierendes Wissen um Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Daseins, so dass niemand sich daneben »kleiner« oder unwichtiger fühlen muss (was natürlich einige nicht davon abhält, es trotzdem zu tun). Die Begegnung mit Arist von Schlippe erlaubt also einen alternativen, mehr auf Be© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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ziehungserfahrung als auf Literaturstudium basierenden Weg, etwas über »systemische Haltung« zu lernen.
Haltung und Balancekompetenz Doch nun zum zweiten zentralen Begriff in diesem Aufsatz: der Balancekompetenz. Schon Heraklit prägte den Satz: »Jedes Ding bedarf zu seinem Sein seines Gegenteils« (zitiert nach Watzlawick, 1984, S. 159). Folglich ist es auch im Beratungsprozess nützlich, »Dinge« wie Gewohnheiten, Muster, Überzeugungen, Leitideen und auch Lösungsstrategien zu identifizieren und versuchsweise ins »Gegenteil« zu wechseln und damit Einseitigkeiten auszubalancieren. Karl Wimmer (2001) beschreibt dafür drei mögliche Dimensionen: 1. Balance zwischen Bewahrung und Veränderung: »Die Systemische Beraterin ist im Sinne einer neutralen bzw. allparteilichen Haltung auch nicht alleiniger Agent für eine mögliche, angestrebte Veränderung, sondern sie lenkt eher den Fokus auch auf das Bewahrenswerte, auf das, was auf jeden Fall erhalten bleiben soll im Zuge der Veränderung« (Wimmer, 2001, S. 5). Balancekompetenz beweist eine Beraterin immer dann, wenn sie aus der Beobachtung des Beratungsprozesses auf einer von unendlich vielfältig gedachten Kontinua von Polaritäten, eine Schieflage ausmacht und sozusagen »auf die andere Seite« geht. Wenn der Kunde, der Ratsuchende zu sehr den Willen zur Veränderung zeigt, achtet die Beraterin darauf, dass die bewahrenden Kräfte nicht ignoriert werden. Zeigt die Klientin verharrende Muster, sucht man nach ihren »inneren Teilen«, die Veränderung zumindest leise anstreben. 2. Balance zwischen Problembeschreibung und Lösungsorientierung: »Klienten sind in ihrem Erleben einer bestimmten Situation häufig auf die Problemseite fokussiert. Diese Problemtrance verstellt oft den Blick in Richtung einer möglichen Lösung. Es geht dabei darum, den Kunden oder Klienten in seinem Problemerleben wahrzunehmen und dieses auch zu würdigen, aber gleichermaßen behutsam den Blick in Richtung Lösung und Veränderung zu lenken« (Wimmer, 2001, S. 5). Hier hat ein Ausbalancieren bereits in der historischen Entwicklung therapeutischer Ansätze stattgefunden. Während in der frühen Gesprächstherapie oder auch in tiefenpsychologischen Ansätzen oft eng an die Problemerzählung der Klienten angeschlossen wurde, gingen die ersten lösungsorientierten Vorschläge von Steve de Shazer genau ins Gegenteil, indem sie sich dem sogenannten »problem-talk« ganz verweigerten und sich ausschließlich dem »solution-talk« verschrieben (z. B. 2008). Die von Wimmer geforderte Würdigung durch das Ernstnehmen und Anhören der Problemgeschichte des Klienten entfiel ganz. Eine lösungsorientierte Therapeutin beweist also Balancekompetenz, wenn sie auch dem subjektiven Leid und Problemerleben des Klienten Raum gibt und dies aushalten kann. Auf der anderen Seite besteht die gegensätzliche Herausforderung darin, sich nicht von der defizitären Trance oder der depressiven Logik einfangen zu lassen, sondern durch eventuell auch provokante, im besten Falle aber neugierig fragende oder zugewandt humorvolle Einwürfe wieder an die frische Luft der Lösungsorientierung zu gelangen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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3. Die Balance zwischen Widersprüchen: Wimmer meint hier die Arbeit mit Ambivalenzen bei der Klientin: »Als Prinzip geht es darum, vermeintliche Gegensätze (entweder – oder) zu verflüssigen und (auch) Möglichkeiten des ›Dazwischen‹, das, was diese Gegensätze verbindet, zu betrachten. Oft ergeben sich gerade daraus neue (Zwischen-)Lösungen« (Wimmer, 2001, S. 6). Weiter ausgeformt wurde dies in der sogenannten Tetralemmaarbeit von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer (2009). Neben den vier Ecken »das Eine«, »das Andere«, »beides« (»sowohl als auch«) und »keins von beiden« (weder noch) wird sogar noch eine fünfte »und selbst das nicht« hinzugefügt. Ich möchte nun neben den drei von Wimmer aufgeführten Kontinua für das Ausbalancieren einige weitere Beispiele darstellen: 4. Die Balance zwischen den Dimensionen Denken, Fühlen und Handeln: Hierbei ist wiederum interessant, dass man in der Entwicklungsgeschichte einiger Psychotherapieverfahren eine Tendenz von einer stärkeren Spezialisierung auf eine der drei Dimensionen hin zu einer mehr ausbalancierten Integration beobachten kann. So hat sich die Verhaltenstherapie getreu ihrem Namen erst auf die Veränderung des sichtbaren Verhaltens konzentriert, die frühe systemische Therapie auf die Veränderung des Denkens (kontextuelle Sichtweisen) und klientenzentrierte oder humanistische Ansätze auf die Wahrnehmung und den Ausdruck von Gefühlen. Die Kritik in der systemischen Szene an der Vernachlässigung der emotionalen Dimension führte beispielsweise zu erweiternden Konzepten von Welter-Enderlin und Hildenbrand (1998) und Ciompi (1999). Die Praxis des Ausbalancierens der Dimensionen erfordert hier, eventuell Ungleichgewichte im therapeutischen Prozess wahrzunehmen und gegebenenfalls zu korrigieren. So, indem man zum Beispiel den Klienten, der stets seine Frau fragt, was er machen soll, einlädt, herauszufinden, was er nachfühlen kann oder wo er ihre Perspektive (ihre Denkweise) einnehmen könnte. 5. Die Balance zwischen den Dimensionen der Zeit: In der Interaktion zwischen Klientin und Therapeutin bewegt sich das Gespräch thematisch immer in einer der drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und auch die Fragen der Therapeutin laden in eine dieser Dimensionen ein: »Wie war das in Ihrer Herkunftsfamilie?« (Vergangenheit), »Was ist im Moment Ihr größtes Problem/Herausforderung/Wunsch etc.?« (Gegenwart), »Wie gestalten Sie den ersten Tag, nachdem Ihr Problem verschwunden ist?« (Zukunft). Auch hier kann es zu einer positiven »Verstörung« führen, wenn man die bevorzugte Zeitdimension der Klienten verlässt und mit einer neuen Frage in eine andere wechselt. Als Beispiel sei eine Mutter angeführt, die jedes Gespräch mit den aktuellen Beschwerden über das Verhalten ihres Sohnes beginnt (die jüngste Vergangenheit – »gestern hat er wieder« – sei hier der Gegenwart zugeordnet). Von dieser Mutter könnte man sich die Erlaubnis einholen, das nächste Gespräch ausschließlich den Erinnerungen an ihre Jugend zu widmen oder eben Raum zu reservieren für ihre Hoffnungen (und Befürchtungen) bezogen auf ihr Familienleben in fünf Jahren. Allerdings empfiehlt es sich, vorher das »dysfunktionale« Lösungsmuster der Mutter (»Wenn ich alles Aktuelle – insbesondere das Problemverhalten des Sohnes – dem Berater erzähle, ist das der beste Weg, dass er versteht und mir hilft«) zu hinterfragen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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6. Die Balance zwischen Neutralität und Positionierung: Auch das zentrale Gebot systemischer Lehre zur Neutralität steht spätestens seit der feministischen Kritik (z. B. Rücker-Emden-Jonasch u. Ebbecke-Nohlen, 1992) nicht mehr so absolut an der Tafel. Ob man sich in bestimmten Fällen eine geschlechtsspezifische Parteilichkeit erlaubt, ob man in der Arbeit mit Tätern deren Taten ethisch verurteilt (ohne den Täter prinzipiell als Mensch mit Anrecht auf Verständnis und Annahme aus dem Blick zu verlieren), ob man sich aggressive oder entwertende Aussagen verbietet oder ob man gesellschaftliche Normen (z. B. zum Kindeswohl) gegebenenfalls auch konfrontierend einbringt, stets geht es um eine Positionierung der Therapeutin, die eine eigene Haltung und Identität nicht leugnet. Wenn jedoch Positionierung in Missionierung oder Kontrollwünsche abdriftet, wäre das Einpendeln in eine wieder neutralere Haltung eine sinnvolle Korrektur, die den drohenden Machtkampf entkrampfen kann. 7. Die Balance zwischen Wissen und Zweifeln (oder Experten und Nichtexperten): Waren in der frühen Mailänder Phase die Therapeut(inn)en noch die klugen Strategen, die mit einer eleganten Intervention das Familiensystem zur Änderung oder Problemlösung brachten (Boscolo et al., 1988), so ist in den letzten Jahren die Position des Nichtwissens und des Nichtexperten populär geworden (von der Kybernetik erster Ordnung zur Kybernetik zweiter Ordnung). Aus dem Klienten wurde der Kunde, dessen »Kundigkeit« allein den Ausschlag für die Lösung gibt. So sinnvoll die Korrektur eines von Expertenmacht beherrschten Bildes therapeutischen Handelns auch war, so sehr scheint mir die übermäßige Betonung des »Nicht-Expertentums« in eine andere Sackgasse zu führen. Kritiker mahnen schon seit Jahren, dass der Begriff des Kunden ausgerechnet in der betriebswirtschaftlichen Sprachwelt zu Hause ist, wo das Wohl des Kunden eher in Hinblick auf den eigenen Umsatz von Bedeutung ist. Die Vorstellung, dass Klientinnen mit ihren Kompetenzen sozusagen allein den Job machen, verbunden mit einer Leugnung oder dem Kleinreden der Expertenkompetenzen des Gegenübers, provoziert allenfalls die Frage, womit der »Nichtexperte« dann das Honorar verdient habe. Der professionell ausgeübte Job ist nun einmal die zentrale gesellschaftlich akzeptierte Vorraussetzung für eine Bezahlung. Auch wenn Klientinnen selbst am besten wissen, welcher Lösungsweg zu ihrer Person und Lebenswelt am besten passt, brauchen sie die professionelle (Prozess-)Steuerung, die Erfahrungswerte und (fragenden) Empfehlungen der Expertinnen, um zu einem Ziel zu kommen. Die prinzipielle Einnahme einer Expertenrolle erfüllt auch die Erwartungen der Klientinnen und des bedeutsamen Umfeldes (Krankenkasse, Politik etc.), deren Irritation nur gelegentlich von Vorteil sein könnte. Oder anders ausgedrückt: Es bedarf in der Interaktion mit den Klient(inn)en einer guten Balance von Führen und Sich-anschließen-Können. Weitere Ebenen des Ausbalancierens wären die zwischen Nähe und Distanz, zwischen aktiv und passiv (oder langsam und schnell), zwischen »männlichen« und »weiblichen« Welten/Sichtweisen/Sozialisationen, zwischen Respekt und Respektlosigkeit, zwischen verengen (fokussieren) und erweitern, zwischen Komplexität und Einfachheit sowie zwischen Verlässlichkeit (Stabilität) und Überraschung (Flexibilität). Die Leserin wird die eigene Praxis durchforsten können, um die jeweiligen Vorlieben oder © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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»Unwuchten« zu identifizieren, es entweder danach dabei zu belassen oder nach Ansätzen zu suchen, die »andere Seite« stärker ins Spiel zu bringen.
Nicht zufällig: Noch einmal Arist von Schlippe Werfen wir zum Schluss noch einmal einen Blick auf die durch diesen Band zu würdigende Person, auf Arist von Schlippe. Sein Meisterstück an Balancekompetenz bewies er meiner Meinung nach in der verzwickten und zum Teil hochemotionalisierten Debatte um die sogenannte »systemische« Therapie von Bert Hellinger. Arist von Schlippe war zunächst um eine Mäßigung der frühen Kritiker bemüht und auch darum, Kompetenzen, Charisma und interessante Ansatzpunkte Hellingers nicht gleich mit aus seiner Sicht durchaus berechtigten kritischen Fragen wegzuspülen. Dennoch scheute er sich nach doch sehr irritierenden Äußerungen Hellingers zum Nationalsozialismus nicht, sich in einem öffentlichen Brief deutlich zu distanzieren (siehe http://www.oeas.at/PDFS/briefanBertHellingervAristSchlippe.pdf). Von einer eher neutralen, vermittelnden Haltung wechselte er zu einer deutlichen Positionierung. Auch wenn dies folgerichtig zu Kränkungen und Anfeindungen des »Hellinger-Lagers« führte, war es doch gerade dieser offene Brief, der ungewöhnlich viele Reaktionen nach sich zog und somit eine offene und letztlich konstruktive Diskussion erst beförderte. Nach dieser mutigen Positionierung kehrte Arist von Schlippe einige Zeit später wieder in die alte Rolle des Vermittelnden zurück, indem er die sogenannte »Potsdamer Erklärung« vorwärts brachte, die eine Basis anbot, auf der die meisten systemischen Kollegen und Kolleginnen sich wieder verständigen konnten (siehe http://www.syhom.de/dokumente/potsdamererklaerung.pdf). Das Engagement von Arist von Schlippe für Versöhnung und Ausgleich findet sich besonders eindrucksvoll im gemeinsam mit den Erstautoren Haim Omer und Nahi Alon herausgegebenen Buch: »Feindbilder – Psychologie der Dämonisierung« (2006). Die Autoren möchten der sogenannten »polarisierenden Logik« und ihrer nachfolgenden »Dämonisierung« des Gegenübers mit einer mitfühlenden Akzeptanz des tragischen Geschehens begegnen. Sie umschreiben dies auch mit dem Begriff des »konstruktiven Fatalismus« – ein wiederum schöner dialektischer Begriff, der sich fürs Ausbalancieren anbietet. So eröffnen sie neue Wege zur Deeskalation und für eine – vielleicht – etwas friedlichere Welt. Wer sich nun am Ende doch noch mit der Balancekompetenz schwer tut, der könnte zu einer sicher wirksamen, aber auch »radikalen« und damit fragwürdigen Methode greifen: »den Zufall bestimmen lassen«. Ein hintergründiges Buch dazu schrieb Luke Rhinehart, und es passt gut hierher, dass Arist von Schlippe dazu in einer Rezension schrieb: »Die potentiell unbegrenzten Möglichkeiten, die uns als nicht-trivialen Wesen in jedem Moment unserer Existenz zur Verfügung stehen, werden im Laufe der Sozialisation auf wenige, manchmal nur noch auf eine Option reduziert. [...] So richtig klar geworden ist mir das vor vielen Jahren bei der Lektüre des Buches ›Der Würfler‹. Die Hauptperson ist ein Psychoanalytiker, der seines Jobs und seines Lebens überdrüssig wird, bis er das Würfeln entdeckt« (von Schlippe, 2009, S. 128). Indem der Erzähler nunmehr anstehende Entscheidungen den vorher festgelegten Alternativen der sechs Würfelseiten überlässt, beginnt ein aufregender Wandel in seinem Leben, der – leider (?) – zum Ende des Buches mehr und mehr in eine verstörende Sackgasse führt (weswegen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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der Rezensent auch zugibt, das Buch nicht zu Ende gelesen zu haben). Allein die anfängliche Grundidee faszinierte Arist von Schlippe aber so sehr, dass er »begann, einen Würfel in der Tasche zu führen und zumindest damit zu spielen, bei verschiedenen Optionen den Würfel entscheiden zu lassen« (S. 129). Wahrscheinlich müssen wir zur Vermehrung der Optionen im Beratungsprozess jedoch nicht zu solchen unkontrollierbaren Methoden greifen. Auch der eher abschreckende Schlussteil von Rhineharts Buch regt nicht zur Nachahmung an. Vielleicht verfügt das Leben selbst ja über die raffinierteste Balancekompetenz. Friedrich Dürrenmatt beschrieb es wunderbar knapp und treffend so: »Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen« (»21 Punkte zu den Physikern«, 1962, S. 78).
Literatur Boscolo, L., Cecchin, G., Hoffman, L., Penn, P. (1988). Familientherapie – Systemtherapie. Das Mailänder Modell. Dortmund: verlag modernes lernen. Brecht, B. (2000). Die Gedichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Cecchin, G., Lane, G., Ray, W. (2005). Respektlosigkeit. Provokante Strategien für Therapeuten (4. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Ciompi, L. (1999). Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. De Shazer, S. (2008). Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie (10. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Dürrenmatt, F. (1962). Die Physiker. Zürich: Arche. Furman, B. (2008). Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben (6. Aufl.). Dortmund: verlag modernes lernen. Hermer, M. (2004). Stille Begegnungen. In M. Hermer, H. G. von Klitzing (Hrsg.), Nonverbale Prozesse in der Psychotherapie (S. 9–54). Tübingen: dgvt-Verlag. Königswieser, R., Hillebrand, M. (2009). Haltung in der systemischen Beratung. In N. Tomaschek (Hrsg.), Systemische Organisationsentwicklung und Beratung bei Veränderungsprozessen. Ein Handbuch (S. 74–82). Zugriff auch unter http://www.wiso.uni-hamburg.de/fileadmin/wiso_ master_hrm/Haltung_in_der_systemischen_Beratung_Tomaschek_2006.pdf Omer, H., Alon, N., Schlippe, A. von (2006). Feindbilder. Psychologie der Dämonisierung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Rhinehart, L. (2009). Der Würfler. Halle: Mitteldeutscher Verlag. Rücker-Embden-Jonasch, I., Ebbecke-Nohlen, A. (Hrsg.) (1992). Balanceakte. Familientherapie und Geschlechterrollen. Heidelberg: Carl-Auer. Satir, V. (2009). Selbstwert und Kommunikation. Familientherapie für Berater und zur Selbsthilfe. Stuttgart: Klett-Cotta. Schlippe, A. von (1998). Zwischen Paradoxie, Manipulation und Beziehung – Systemische Beratung im Wandel. Vortrag auf der Jubiläumsfeier des Psychologischen Beratungszentrums Düren, 29. September 1998. Überarbeitete Fassung in: Das gepfefferte Ferkel. Online-Journal für systemisches Denken und Handeln, September 2001. Zugriff unter http://www.ibs-networld.de/ferkel/archiv/v-schlippe-a01-07_systemische-beratung.html Schlippe, A. von (2009). Rezension zu Luke Rhinehart: »Der Würfler«. Revue für postheroisches Management, 4, 128–129. Zugriff auch unter http://www.postheroisches-management.de/pdf/ revue-04-von-schlippe.pdf Tomaschek, N. (Hrsg.) (2009). Systemische Organisationsentwicklung und Beratung bei Veränderungsprozessen. Ein Handbuch. Heidelberg: Carl-Auer. Varga von Kibéd, M., Sparrer, I. (2009). Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen, für Querdenker und solche, die es werden wollen (6. Aufl.). Systemaufstellungen. Heidelberg: Carl-Auer. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Watzlawick, P. (Hrsg.) (1984). Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus. München: Piper. Watzlawick, P. (2007). Die Möglichkeit des Andersseins. Zur Technik der therapeutischen Kommunikation (6. Aufl.). Bern: Huber. Welter-Enderlin, R., Hildenbrand, B. (Hrsg.) (1998). Gefühle und Systeme. Die emotionale Rahmung beraterischer und therapeutischer Prozesse. Heidelberg: Carl-Auer. Wimmer, K. (2001). Systemische Interventionen von A bis Z. Ein Überblick über das systemische Methoden- und Interventionsrepertoire in Beratung, Supervision, Coaching und Therapie. Von A wie Allparteilichkeit bis Z wie Zirkuläres Fragen. Zugriff unter http://www.wimmer-partner.at/pdf. dateien/system-intervention.pdf
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Zeit und Zeitkonflikte in sozialen Systemen
Dieser Beitrag beleuchtet in einem kurzen geistesgeschichtlichen Streifzug unterschiedliche Konzepte zum Umgang mit der Zeit daraufhin, wie sie in zwischenmenschlichen Beziehungen zur Lösung aktueller Zeitkonflikte genutzt werden können. Anwendungsfelder sind die Paar- und Familienberatung ebenso wie das Coaching und die Organisationsberatung, aber auch gesellschaftliche Probleme der Arbeits-, Arbeitszeit- und Familienpolitik, denen Familientherapeuten und Organisationsberater in ihrer Tätigkeit häufig begegnen.
Die Zeiten der Zeit »Was also ist die Zeit?« (Augustinus)
Der Kirchenvater Augustinus (354–430 n. Chr.) hat uns darauf hingewiesen (1950), dass wir nur irrtümlich meinen, wir wüssten, was die Zeit sei: »Wenn niemand mich es fragt, so weiß ich es; will ich dem Fragenden es auseinandersetzen, weiß ich es nicht.« Augustinus fährt damit fort, dass wir nur scheinbar Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart klar unterscheiden könnten. Er bemerkt: »Vergangenheit und Zukunft, wie bestehen sie, wenn das Vergangene schon nicht mehr und das Künftige noch nicht ist? Das Gegenwärtige, wenn es immer gegenwärtig wäre und in Vergangenheit nicht überginge, so wäre es schon nicht mehr Zeit, sondern Ewigkeit.« Augustinus’ geistige Dekonstruktionsübungen deuten an, was die Zeit für Systemiker so interessant macht. Ein mit Uhren physikalisch auf der ganzen Welt gleichermaßen objektiv und präzise messbares Phänomen lässt sich auch ganz anders betrachten – nämlich als eine Fülle von Zeiten, die die inneren Wirklichkeiten vieler unterschiedlicher biologischer, psychischer und sozialer Systeme ganz andersartig strukturieren, und die sowenig zueinander passen wie das Sprachgewirr im alten Babylon. Dass Partner, Eltern und Kinder, Teammitglieder, Organisationen alle nach ganz verschiedenen Uhren »ticken«, während sie darum ringen, miteinander »in einen Takt zu kommen« – darum geht es im Folgenden. Gemessene und erlebte Zeit: Aion, Chronos, Kairos
Die griechischen Philosophen unterschieden dreierlei Zeitbegriffe. Aion, »das Immer«, bezeichnet die grenzenlose Dauer ohne Vergangenheit und Zukunft; Chronos hingegen die mess- und zählbare Zeit, die sich beständig von der Zukunft zur Vergangenheit bewegt. Kairos schließlich meint die mit Bedeutung erfüllte, subjektiv einzigartige © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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innere Zeiterfahrung. Der Unterschied zwischen Aion und Chronos ist wie der zwischen Sein und Werden, zwischen Beständigkeit und Veränderung. Der Unterschied zwischen Chronos und Kairos ist einer zwischen objektiver und subjektiver Zeit. Entlang dieser Unterscheidungen kann man die Zeitkonzepte aller großen Philosophen einordnen, von Aristoteles über Newton und Kant bis zu Heidegger. »Geht es voran?«: Zeitpfeil oder Zeitkreis
Der Sinn von Geschichtsschreibung, Memoiren und Chronologien beruht auf einer Zeitauffassung, die ursprünglich mit den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam entstanden ist. Erst wenn eine Religion die Erlösung der Menschen im Kommen eines Messias, also einer Zukunftsprojektion festmacht, bekommt die Abfolge von Ereignissen auf einem Zeitstrahl Bedeutung und Wert. Erst dann wird die Idee des Fortschrittes denkbar. Andere Religionen, insbesondere im indischen und chinesischen Kulturkreis, betrachten Zeit als ein kreisförmig ablaufendes Geschehen, in dem es auf die Wiederkehr des immer Gleichen oder zumindest Ähnlichen ankommt. Der wichtige Unterschied ist dort nicht der zwischen jetzigem Jammertal und künftiger Erlösung, sondern der zwischen profanen und heiligen Zeiten. Durch religiöse Rituale werden – meist kürzere – heilige Zeiten herbeigeführt, auf die es ankommt. Synchrone und diachrone Beschreibungen
Prozesse in Systemen, also auch zwischen Partnern, Familienmitgliedern, Teammitgliedern, Organisationen können hinsichtlich ihrer zeitlichen Abfolge auf zweierlei Weise beschrieben werden: 1. Was geschieht alles gleichzeitig (synchron)? 2. Was geschieht in der zeitlichen Abfolge, eins nach dem anderen (diachron)? Probleme können entstehen, wenn die Zeitabfolgen zu einseitig synchron als auch zu einseitig diachron gestaltet werden. Zuviel Synchronie erzeugt Chaos, zuviel Diachronie erzeugt Langeweile.
Postmoderne Zeiten: Die Simultanten Als Beispiel für zu viel Synchronie hat der Münchner Zeitforscher Karlheinz Geissler (2003) eine neue Spezies von Menschen mit zeitbezogenem Verhalten beschrieben, die er »die Simultanten« nennt. Die Simultanten machen alles zu jeder Zeit gleichzeitig: Sie essen vor dem Bildschirm, arbeiten unterwegs, telefonieren am Strand. Die Telearbeit, das mobile Büro und das Home-Office ermöglichen die Auflösung ehemals abgegrenzter Lebens- und Arbeitsräume. Was seltener wird, sind durch Rituale gekennzeichnete Arbeitsanfänge und Arbeitsabschlüssse, zum Beispiel durch die Fabriksirene oder die Stechuhr. Für den einzelnen Menschen bewirkt dies eine starke Synchronisierung: Er tut vieles gleichzeitig. Damit wächst einerseits die Zeitsouveränität (ich bestimme, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Zeit und Zeitkonflikte in sozialen Systemen
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wann ich was tue), aber andererseits auch der Zeitdruck (eigentlich ist immer etwas zu tun, nie ist man »fertig«).18 Zeitlose Lösungen
Christentum und Taoismus: Die Zeit um 400 vor Christus scheint eine Hochzeit des Nachdenkens über die Zeit gewesen zu sein. Neben den schon erwähnten griechischen Philosophen gibt auch das circa 200 vor Christus entstandene Buch des Predigers im Alten Testament (Prediger 3, 1–8 sowie 19–20) viele Tipps zum Zeitmanagement. Da gibt es Hinweise, wie durch diachrone Zeitgestaltung das Leben reichhaltiger werden kann, etwa den berühmten ersten Vers: »Alles hat seine Stunde und es gibt eine Zeit für jegliche Sache unter der Sonne.« Es leuchtet uns ein, dass es eine Zeit für die Geburt und eine Zeit für das Sterben geben soll, eine Zeit zu weinen und eine Zeit zu lachen, eine Zeit aufzubewahren und eine Zeit fortzuwerfen. Weniger attraktiv klingen Textstellen wie: »Das Los der Menschen und das Los des Viehs ist dasselbe: wie jenes stirbt, so sterben diese.« Attraktiver erscheint vielen zeitgestressten Menschen die taoistische Zeitphilosophie (Hunt u. Hait, 1992). Ihre Hauptidee ist die Idee des Wu-Wei, des Geschehenlassens: nicht gegen den Kern der Dinge zu arbeiten, sondern auf den richtigen Augenblick zu warten, ohne irgendetwas unangemessen zu erzwingen. Der richtige Augenblick ist leicht zu erkennen: Er ist da, wenn Aktionen fast wie von selbst ihren Platz einnehmen, wenn man mühelos von der Zeit mitgezogen wird. Taoistische Managementberater haben hierzu ein Schulungsprogramm bewusster Verlangsamung entwickelt, in dem geübt wird, den Dingen beim Sichentwickeln zuzusehen, sich auf die eigene Intuition zu verlassen, den eigenen Biorhythmus zu entdecken und die äußeren Prozesse weitestmöglich diesem eigenen Rhythmus folgen zu lassen statt umgekehrt. Orchestermusik und Jazzimprovisation: In der klassischen Musik legt ein Komponist den Rhythmus fest; bei größeren Orchestern achtet ein Dirigent darauf, dass er auch eingehalten wird. Wichtige Festlegungen erfolgen durch den Takt (den geradlinigen Vierviertel-, den beschwingten Dreiviertel- oder den irritierenden Siebenachtel-Takt), durch die Tempi (vom getragenen Largo bis zum schwungvollen Molto vivace), durch die Veränderungen des Tempos (etwa im ritardando oder accelerando) und durch ein Notationssystem, welches unerbittlich übereinander schreibt, was zeitgleich erklingen soll. In Organisationen wird der Komponist durch Leitlinien, der Dirigent durch Vorgesetzte ersetzt. Je trivialer die Organisation, umso besser klappt das, meist aber klappt es nicht – insbesondere nicht in Organisationen, die aus vielen Einzelkünstlern bestehen, wie zum Beispiel psychosoziale Institutionen. Wahrscheinlich bietet die Jazzmusik als Beispiel improvisierender Musik zumindest für kleinere und wenig formalisierte soziale Systeme eine angemessenere Metapher. Der New Yorker Jazzschlagzeuger und Familientherapeut Peter Fraenkel (2001b) führt dies in einem Artikel mit dem Titel »A Jazz Taoist Key to Love« aus. Die Jazzmusik legt meist nur einen Grundrythmus fest (z. B. Dave Brubecks berühmter Fünfviertel-Takt
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Als Gegenentwurf vgl. etwa das »Manifest der glücklichen Arbeitslosen« in der TAZ vom 30.03.1998, siehe auch Paoli (o. J.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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in »Take Five«) und ein harmonisches Grundschema fest (z. B. das Bluesschema), oft zudem noch eine Titelmelodie. Über dieses wenige festgelegte Material dürfen und sollen dann alle Musiker improvisieren – in großer künstlerischer Freiheit, aber mit feinem Ohr für den Gesamtklang. Diese Metapher der musikalischen Improvisation kann als Leitlinie für die Gestaltung von Paar- und Familientherapien, aber auch von betrieblichen Arbeitprozessen genutzt werden. Individuelle Zeiten und Systemzeiten abstimmen
Wie lässt sich der individuelle Biorhythmus eines Menschen mit den Rhythmen seiner Familien-, Arbeits- und sonstigen Welten abstimmen? Grundsätzlich gibt es dafür zwei entgegengesetzte Vorgehensweisen, die sich aber ergänzen können: 1. Man bestimmt verbindliche Zeitraster für alle Beteiligten, das heißt man synchronisiert: Alle Familienmitglieder frühstücken um 7.00 Uhr morgens gemeinsam, schauen um 20.00 Uhr die Tagesschau und grillen jeden Samstagabend im Garten. Das schafft Gemeinschaft, aber auch Zwang. Synchronisieren lässt sich mehr oder weniger rituell gestalten: Man kann die gemeinsamen Zeiten sehr profan gestalten oder mit einem Schuss zeremonieller Heiligkeit aufladen. 2. Man flexibilisiert Zeitraster, das heißt man desynchronisiert. Das erleichtert es den Mitgliedern, den Anforderungen entweder ihres Biorhythmus’ oder aber ihrer externen Systeme wie Arbeit, Schule, Freunde und Hobbys leichter nachzukommen. Dies kann aber zu Lasten des inneren Zusammenhanges gehen. Die richtige Mischung von Synchronisierung (»verbindlich bestimmen«) oder Desynchronisierung (»flexibilisieren«) von Zeitrastern wird erleichtert, wenn man sich zweierlei klarmacht: 1. dass alle aktuellen Regelungen nur für eine begrenzte Zeit Bestand haben werden (z. B. bis die Kinder in den Kindergarten kommen oder bis sie aus dem Haus gehen; bis bestimmte Arbeitsprojekte abgeschlossen sein werden); 2. dass man zeitliche Koordination und räumliche Nähe gegeneinander austauschen kann – dass man sich also selten, aber präzise abgestimmt treffen kann, oder dass man in derselben Wohnung viel Zeit ohne Kontakt, aber räumlich beieinander verbringen kann. Zeitstrategien in der systemischen Beratung
Bessere Vergangenheiten schaffen: Ben Furman (1999) bietet in seinem Buch mit dem schönen Titel »Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben« die Idee an, man könne sich einmal hypothetisch vorstellen, eine solche glückliche Kindheit gehabt zu haben, und dann zu imaginieren, wie die eigene Gegenwart anders oder ähnlich verlaufen würde als derzeit. Häufig kommt bei diesem Vorgehen heraus, dass man vieles ähnlich, einige Dinge aber anders tun würde, die man allerdings auch mit einer unglücklichen Kindheit schon gelegentlich gemacht hat – man findet also Ausnahmen vom Problemmuster, von denen man in der Folgezeit »mehr« realisieren kann. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die eigenen Wünsche über das gesamte Leben verteilen: Von Luigi Boscolo (mündliche Mitteilung) stammt der Satz, dass man eigentlich die widersprüchlichsten Dinge im Leben tun könne, nur nicht alle im gleichen Moment. Die Mailänder Gruppe hat diesen Satz in den 1970er Jahren umgesetzt in ihre berühmten Schlussinterventionen der geraden und ungeraden Tage. Man kann zerstrittenen Eltern empfehlen, ihr Kind montags nach den Richtlinien der Mutter, dienstags nach denen des Vaters, am Mittwoch nach denen der Mutter etc. zu erziehen – konfuser als derzeit sei dies auch nicht. Das gleiche Prinzip lässt sich aber nicht nur auf das Hier und Jetzt anwenden, sondern vorausschauend auf die ganze Zukunft. Viele Probleme entstehen, weil Menschen ihre gegenwärtigen Jahre mit dem ganzen Leben verwechseln. Wenn sie aber von einer statistischen Lebensdauer des modernen Menschen in Industrieländern von 75 bis 82 Jahren ausgehen, dann liegt eine lange Lebensspanne vor den meisten, in die hinein sich viele Pläne und Wünsche »vorausschieben« lassen.
Die Apokalypse als Vorletztes: Zeitreisen in Zukünfte nach der Katastrophe Einer Predigt eines Heidelberger Gemeindepfarrers in einem Dankgottesdienst entnahm der Autor diese Idee der Apokalypse als Vorletztes. Katastrophen sind für die, die mit ihnen rechnen, meist mit einer Endgültigkeitsvorstellung verbunden: »Danach kommt nichts mehr.« Jedoch geht nach allen großen Katastrophen (der Pest, dem Dreißigjährigen Krieg, den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki, der Explosion von Tschernobyl) immer etwas weiter. Nicht für alle (denn viele Menschen starben) und häufig sehr grausam (in Krankheit, in Armut ...) – aber nach all diesen Apokalypsen geschieht immer wieder Neues. Es gibt eine grammatikalische Form, die das zum Ausdruck bringt: das Futur II, die schon abgeschlossene Zukunft, die Zukunft nach der Zukunft. »Ich werde gegangen sein« oder »ich werde mich überfressen haben« bedeutet: Nachdem ich ein Stück Zukunft durchlebt habe, kann ich weitergehen und aus der »Zukunft nach der Zukunft« auf die Zukunft zurückblicken. Es gibt in der Psychotherapie zwei Methoden, mit denen Menschen in das Futur II gehen und von dort auf das Futur I schauen können. Diese sind die aus dem zirkulären Fragen (Selvini et al., 1980) weiterentwickelten Zukunftsfragen (Penn, 1985) sowie die aus humanistischen und hypnotherapeutischen Ansätzen übernommenen »Zeitlinien«. Sehr schön kann man diese Idee der Apokalypse als Vorletztes etwa in der Beratung von Eltern nutzen, die sich große existenzielle Ängste um die Zukunft ihrer Kinder machen – etwa um deren mögliche Drogenabhängigkeit, Prostitution oder Versagen im Beruf: 1. Die Beraterin kann berichten, das Jugendalter sei in allen Kulturen das zwischen Eltern und Kindern anstrengendste, der Stresscharakter dieser Beziehung erreiche in diesem Alter den höchsten Punkt. Die Frage sei nur: Wann und wie lange? Angenommen, die Eltern würden das Jugendalter anerkennen als unvermeidliche tiefschwarze Phase, der keine Eltern entkämen, dann könnten sie diese Zeit nicht besser gestalten, sondern einfach nur überleben. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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2. Die Beraterin kann ein Alter des derzeit noch jugendlichen Sorgenlieferanten weit voraus in der Zukunft wählen, an dem die derzeitigen Probleme einfach aus biologischen Gründen nachlassen (etwa Kräfteverlust bei gewalttätigen Jungen; nachlassende Schönheit bei prostitutionsgefährdeten Mädchen; Menopause bei befürchteter Teenagerschwangerschaft; Tod der Eltern bei lebenspraktisch sich sehr unselbständig zeigenden Kindern), unwahrscheinlicher werden, und die Eltern fragen: »Wie stellen Sie sich seine/ihre Lebensweise mit zum Beispiel 32 (40, 55) Jahren vor?« Das gemeinsame Nachdenken über diese Fragen führt die Idee ein: »Im Leben geht alles vorüber« – eventuell auch die jetzt so brutal bedrängenden hochakuten Probleme. Das löst diese Probleme überhaupt noch nicht, kann aber ein wenig Entspannung ins Denken bringen. Mit der Zeitlinie kann man auf einer gedachten Linie im Raum Angstblockaden hypothetisch durchschreiten – etwa eine gefürchtete Prüfung, eine schwierige Trennung, einen folgenreichen Jobwechsel.
Beziehungskonflikte als rhythmische Differenzen aushandeln Peter Fraenkel (2001a; Fraenkel u. Wilson, 2000) vertritt die Auffassung, dass die Betrachtung von Beziehungskonflikten als zeitliche »Stildifferenz« ein oftmals leichterer und weniger aufgeladener Weg zur Auflösung von Paarkonflikten sein kann. Zeitgestaltung und Beziehungszufriedenheit bedingen einander. Für die Beziehungszufriedenheit ist aber nicht die faktische Zeitgestaltung entscheidend, sondern deren Bewertung. Zeitgestaltung kann als ein Indiz sowohl der Nähe-Distanz-Regulierung angesehen werden (»Wie verbunden wollen wir sein?«) als auch der Machtregulierung (»Wer entscheidet, wann wir was tun?«). Zudem sind Paare in ihrer Zeitgestaltung keineswegs autonom, sondern sehr stark beeinflusst von den größeren Systemen: von Arbeitszeiten, von Technologien, von Fürsorgepflichten gegenüber Eltern oder Kindern, in neu zusammengesetzten Familien von dem, was im anderen Teil der Familie gerade läuft, von Glaubenssätzen in unterschiedlichen Subkulturen und Herkunftsfamilien. Im Zeitkonflikt spiegeln sich also viele größere Konfliktlinien. Aber der Zeitkonflikt ist in einem gewissen Sinne auch simpler, handfester, praktischer und manchmal leichter von seinen vielen Überdeterminierungen ablösbar. Der erste Schritt in einer auf Zeitdifferenzen fokussierenden Paartherapie: Man betrachtet die handfesten Unterschiede beider und wie diese bewertet werden. Dies schafft im gelingenden Falle emotionale Distanz. Peter Fraenkel hat für die Paartherapie mehrere Gruppen zeitlicher Parameter beschrieben, anhand derer die beiden Partner sich unterscheiden und über diese Unterschiede in Beziehungskonflikte geraten können. 1. Regelmäßigkeit von Verhaltensweisen: einmalig, wiederholt-unregelmäßig, wiederholtregelmäßig. 2. zeitliche Merkmale von Verhaltensweisen: Zeitpunkt (wann?), Dauer (wie lange?), Tempo (wie schnell?), Häufigkeit (wie oft?), Abfolge (welche Reihenfolge?). 3. zeitbezogene Ideen: Zeitperspektive (Blick in die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft gerichtet?), Zeitwertschätzung (z. B. für ein aktives oder kontemplatives Leben), projizierte Lebenschronologie (Vorstellungen über das künftige Leben). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Folgende Tabelle zeigt einige beispielhafte Konflikte, die entlang dieser zeitlichen Parameter möglich sind. Tabelle 1: Beispiele von Beziehungskonflikten als Zeitdifferenzen (angelehnt an Peter Fraenkel, Beispiele vom Autor)
zeitliche Merkmale
Mikroniveau (Millisekunden bis Sekunden)
molares Niveau (Sekunden bis 24 Stunden)
Makroniveau (Tage bis Jahre)
Wann miteinander schlafen (abends oder morgens)?
Ab wann in Rente gehen?
Sprechdauer (»Hörst du denn nie auf mit dem Gequatsche?«)
Wie viel Zeit für gemeinsame Aktivitäten?
Wie viele Jahre in dieser Wohnung bleiben?
Sprechtempo (»wie ein Wasserfall«)
Wie zügig werden Hausarbeiten erledigt?
Wie schnell wird das Häuschen abbezahlt?
Häufigkeit (wie oft?)
Häufigkeit eines Gesichtsausdrucks (z. B. eines Grinsens)
Wie oft den Rasen sprengen?
Wie oft umziehen?
Abfolge (welche Reihenfolge?)
Sprechmusterabfolgen (»A schimpft, B schweigt«)
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen?
Erst beruflich etabliert, dann ein Kind?
Unterhaltungen werden beständig unterbrochen
Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen
Verwandte werden regelmäßig besucht
Zeitpunkt (wann?)
Dauer (wie lange?)
Tempo (wie schnell?)
Rhythmen (wiederkehrendregelmäßige Verhaltensweisen)
Kern der Therapie ist es, sich diese Unterschiede anzuschauen, die damit verbundenen unterschiedlichen Bewertungen zu verdeutlichen, und Lösungsmöglichkeiten zu suchen, wie beide mit diesen Unterschieden gut umgehen können. Dabei können zusätzlich einige spezielle Interventionen helfen: – Zeitmythen ansprechen und infragestellen: den Mythos der Spontaneität (»Beziehungsgeschehen ist nur dann etwas wert, wenn es spontan und ungeplant geschieht«), den Mythos der Perfektion (»wir wollen alles unter einen Hut bringen«), den Mythos der vollständigen Eigenkontrolle (»wenn wir unsere Zeiten nicht miteinander auf die Reihe kriegen, ist es allein deine/meine/unsere Schuld«). – Zeitverteilungen visualisieren, etwa durch einen Zeitkuchen oder eine Zeitlinie. – Guten Zeitpraktiken mehr Raum geben, etwa durch die Vereinbarung von »heiligen Zeiten« (die sehr kurz sein können) oder indem man schöne Einzelereignisse in einen Rhythmus bringt. Für eilige stressgeplagte Paare empfiehlt Fraenkel zwei Kurzinterventionen. Eine ist die »Dekompressionskammer« – ein kurzes Ausschnaufritual, bevor beide zum Beispiel © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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von der Arbeit in den Feierabend übergehen. Bei der Übung der »60 SekundenFreude-Punkte« werden die wenigen schönen Momente des Miteinanders am Tag, beispielsweise anlässlich kurzer Handytelefonate oder SMS, zu einer Linie solcher Kurzereignisse zusammengefügt, die trotz knapper Zeit ein Gefühl beständiger Verbundenheit erzeugen können.
Take life easy – vier Merksätze Die Überlegungen des Artikels können in vier »Merksätze« komprimiert werden. Vielleicht helfen sie, den Zeitläufen mit etwas mehr Leichtigkeit zu begegnen. 1. »Für alles gibt es eine Zeit.« 2. »Das Leichte ist richtig.« 3. »Die Apokalypse ist stets das Vorletzte.« 4. »Meine Zeit ist nicht deine Zeit.«
Literatur Augustinus, A. (1950). Bekenntnisse. München: dtv. Boscolo, L., Bertrando, P. (1994). Die Zeiten der Zeit. Eine neue Perspektive in systemischer Therapie und Konsultation . Heidelberg: Carl-Auer. Fraenkel, P., Wilson, S. (2000). Clocks, calendars, and couples: Time and the rhythms of relationships. In P. Papp (Hrsg.), Couples on the fault line: New directions for therapists (S. 63–103). New York: Guilford Press. Fraenkel, P. (2001a). Clocks, Calendars, and Couples: Time and the Rhythms of Relationships. Zugriff unter http://ausbildungsinstitut.ch/de/images/berctoldpdf/presentation%20peter%20fraenkel% 20-%20english.pdf Fraenkel, P. (2001b). Getting a kick out of you: The jazz Taoist key to love. In J. Levine, H. Markman (Eds.), Why do fools fall in love (S. 61–66). San Franscisco: Jossey-Bass. Furman, B. (1999). Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben. Dortmund: verlag modernes lernen. Hunt, D., Hait, P. (1992). Das Tao der Zeit. Erfolgreiches Zeitmanagement. Düsseldorf: Econ. Geissler, K. H. (2002). Alles zu jeder Zeit. Die Zeit vom 02.04.2003, S. 47–48. Zugriff auch unter http:// www.zeit.de/2003/15/Titel_15 o. N. (1998). Manifest der Glücklichen Arbeitslosen. TAZ, Nr. 5495 vom 30.03.1998, S. 12. Paoli, G. (o. J.). Wer hat Angst vor der freien Zeit? Berlin: Die glücklichen Arbeitslosen. Zugriff unter http://www.diegluecklichenarbeitslosen.de/dieseite/seite/rahmen.htm Penn, P. (1985). Feed-Forward: Future Questions, Future Maps. Family Process, 24 (3), 299–310 (dt. 1986: »Feed-Forward« – Vorwärts-Koppelung: Zukunftsfragen, Zukunftspläne. Familiendynamik, 11 (3), 206–222). Selvini Palazzoli, M., Boscolo, L., Cecchin, G., Prata, G. (1980). Hypothesizing – Circularity – Neutrality. Family Process, 19, 73–84 (dt.: Hypothetisieren – Zirkularität – Neutralität. Drei Richtlinien für den Leiter der Sitzung. Familiendynamik, 6 (4), 123–139).
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Was bewegt systemische Therapie? Versuch über Motivation in der systemischen Therapie
Ein Anfang – an einer Grenze Was bewegt systemische Therapie? Die Frage lässt zunächst einmal offen, ob eine Antwort eher das Bewegen von etwas beleuchten sollte oder das eigene Bewegtsein. Darüber hinaus hat sie auch die Frage nach dem Sinn im Gepäck. Wenn jemand seit drei Jahrzehnten in diesem Metier tätig ist, sind zwei Varianten denkbar. In der einen stellt sich die Frage nach dem Sinn nicht mehr, die Dinge haben sich längst verselbständigt. In der anderen Variante wird die Frage nach dem Sinn wichtiger als am Anfang. Gerade weil die Dinge sich ändern, wird ihre Relation zu dem, was ihr Auftreten einmal »bewegte«, fragwürdiger. Und fragwürdige Fragen sind wohl die besten, die es sich zu stellen lohnt. Arist von Schlippe, dem dieses Buch gewidmet ist, ist für mich jemand, der für die zweite Variante steht. Sein Weg und sein Wagemut korrespondieren in besonderer Weise mit dem bewegten Leben des Systemischen als Horizont für Hilfehandeln. Das lässt sich nicht leicht auf einen Punkt bringen, und wenn ich es doch versuchen will, dann wäre das der Hinweis auf den Umgang mit Grenzen als die Thematik, an der sich Theorie und Methodik systemisch inspirierten Helfens abarbeiten. Arist von Schlippe ist für mich ein Mensch, der für die Relevanz und die Herausforderung dieses Umgangs mit Grenzen in besonderer Weise steht. Wenn ich nicht daneben liege, hat Arist von Schlippe gleich in seiner ersten Publikation (zusammen mit Siegfried Essen) eine Grenzfrage thematisiert und damit zum Überschreiten von Familiengrenzen »Gedanken von Familientherapeuten zu gesellschaftlichen Prozessen« angestoßen (von Schlippe u. Essen, 1982). In dem meines Wissens ersten Kompendium familientherapeutischer Blickwinkel und Vorgehensweisen (Schneider, 1983) hat er »Familientherapie mit Unterschichtsfamilien« beleuchtet, ein Begriff, der nach langen Wanderungen durch verschämte Verbalvernebelungen mittlerweile gelegentlich wieder benutzt wird. Die Frage der Beziehung zwischen »political correctness« und persönlich verantworteter Achtsamkeit ist damit beiläufig mit im Raum – wieder eine Frage danach, wie sich das Verhältnis zwischen (leerer) Form und (gelebter) Substanz klären lässt, und ob dieser Frage überhaupt Bedeutung zugemessen wird oder nicht. Mir scheint, dass Arist von Schlippe zu denjenigen gehört, die von Beginn an ein Gespür für diese Unterscheidung hatten. In meiner Erinnerung haben nicht viele systemische Autoren Sätze wie den folgenden publiziert: »Der Therapeut braucht Rückhalt in der Auseinandersetzung mit den vielen Belastungen in den verschiedenen sozialen Kontexten, in denen er unter Druck steht« (von Schlippe, 1983b, S. 5) – wenigstens nicht in dieser frühen Phase. In der Auseinandersetzung um die wissenschaftliche Anerkennung der systemischen Therapie, speziell in der damit verbundenen Lehrbuchdebatte, dürfte ihm dieses »Brauchen eines Rückhalts« spürbar gewesen sein. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Rein praktisch und faktisch hat systemische Therapie viel bewegt seit den frühen 1980er Jahren – vielleicht am meisten als Avantgarde für die vielen in der Folge entstandenen Anwendungen in anderen Praxisfeldern (vgl. Schindler u. von Schlippe, 2005). Mir scheint, dass Arist von Schlippe nicht zufällig an vielen dieser Übergänge beteiligt war. Wer den Blick auf Grenzen richtet, »sieht« wohl stets auch die Möglichkeiten oder Notwendigkeit, zwischen dem Hier und dem Dort einen Weg zu finden. Dass dabei eine Praxis wie das Reflecting Team mit seiner beinahe spielerischen Umkehrung von Innen und Außen formal (Hargens u. von Schlippe, 1998) und multikulturelle Dynamiken inhaltlich in den Vordergrund geraten, scheint naheliegend (von Schlippe et al., 2003). Dass Elterncoaching mittlerweile ein zentraler Fokus im systemischen Spektrum ist, verdankt es auch Arist von Schlippes Fähigkeit, Impulse aus anderen Kontexten in die hierzulande gängigen Bezüge zu übersetzen. Grenzen wurden zu Begegnungsstätten und Basislagern (Omer u. von Schlippe, 2002, 2005, 2010; Tsirigotis et al., 2006).19
Sinnfragen Grenzfragen sind (fast) immer auch Sinnfragen. Die von Jaspers thematisierte »Grenzsituation« verweist auf den Bereich der Erfahrung, in dem lebenszentralen Herausforderungen ohne vorgefertigte, bereits entwickelte oder übertragbare Antworten begegnet werden muss. Für Jaspers ist dies die Voraussetzung für die Möglichkeit zum »Sprung in die Existenz« – allerdings nur dann, wenn die Grenzssituation nicht vorschnell aufgelöst wird, sondern ihr reflektierend standgehalten wird bis zu ihrer Anerkennung und damit gleichzeitig ihrer Auflösung als festlegendes Moment durch »Existenzerhellung« (Jaspers, 1932). Fintz (2006) leitet daraus substanzielle Anregungen für eine existenziell gestimmte beraterische Praxis ab (vgl. Loth, 2009). Hier deutet sich allerdings eine weitere Grenze an, nämlich die zwischen psychotherapeutischer und philosophischer Praxis (Gutknecht et al., 2008). Der Umgang mit dieser Grenze dürfte fruchtbar sein, wenn auch nicht einfach. Jaspers selbst hat dazu beinahe abschreckende Worte gefunden, indem er etwa darauf hinweist, dass aus seiner Sicht eine festschreibende (konkretisierende) Psychologie sowohl die Idee der Freiheit unterminieren würde wie auch dem nicht gerecht werde, dass es vielfältige Möglichkeiten gebe, Existenz zu verwirklichen. Querverbindungen zur Praxis ergeben sich daher m. E. ausschließlich in Bezug auf das nicht wertende (klassifizierende) Anerkennen von dem, »was ist« (als Problem, Lebenssituation, Leiden, etc.), und dem Eröffnen von existenziell bedeutsamen Sinnerfahrungen auf dieser Basis. Im Jaspers’schen Verständnis könnten das in keiner Weise normativ vorgegebene »Gesundheits«-Beschreibungen sein, sondern ausschließlich stimmige und tragende Erfahrungen im Umgang mit Grenzsituationen.
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Auch die weitere Entwicklung in Richtung Erforschen und Beraten von Familienunternehmen lässt sich als erfolgreicher Umgang mit Grenzen beschreiben. Doch liegt dieses Thema nicht im Bereich dessen, zu dem ich Eigenes beitragen könnte. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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In der Spannung zwischen philosophischen und therapeutischen Erwägungen zu helfenden Umständen mag sich die Frage der Bewegung wiederfinden, die hier den Titel trägt, sowie zur Frage, wie Sinn über die Grenze kommt. Wenn ich mich dieser Spannung als systemischer Therapeut öffne, akzentuiere ich anders als ein philosophischer Praktiker. Eine Hauptunterscheidung könnte darin liegen, in welchem Ausmaß »Wiederbeleben« als Wiederbelebungsmaßnahme gedacht wird oder als gemeinsam erkundetes Erspüren von wiederbelebten Möglichkeiten. Nicht Entweder-oder scheint mir hier die Frage, sondern: in welchem Ausmaß? Aus Sicht einer therapeutischen Profession dürfte hier der Akzent deutlicher darauf liegen, das Wiederbeleben zu gestalten. In einem Vortrag zum Thema »Sinn als Lebensaufgabe« hat Arist von Schlippe das auf die Formel gebracht: »Es bedeutet einen besonderen Reifeschritt, die Welt als prozesshaft und nicht statisch geordnet auszuhalten. Denn das heißt, sie nicht als von vorneherein sinnvoll zu erfahren, sondern als Herausforderung sie sinnvoll zu gestalten« (2005, S. 141).
Systemische Sinngestalten – systemisches Sinngestalten Systemische Konzepte und Modelle des Helfens sind nicht so eindeutig, wie es der vereinheitlichende Markenname annehmen lässt (vgl. Loth, 2010). Ontologistischsystemische Herangehensweisen unterscheiden sich sowohl in den Prämissen als auch in wesentlichen Handlungsideen von konstruktivistisch-systemischen. Wenn ich im Folgenden von systemischer Therapie spreche, setze ich eine eher konstruktivistische, existenziell gestimmte Variante voraus. Auch dies ist wieder ein weites Feld, doch dürfte ein gemeinsamer Nenner sein, dass Hilfe als gemeinsame und gleichberechtigte Teilhabe am Erkunden dessen verstanden wird, was sich für diese Person(en) als hilfreich bewährt. Unter anderem erschließt sich dadurch ein freierer Zugang zu Sinnmotiven, die sowohl Erleben als auch Handeln bewegen. Der Vorteil einer solchen Perspektive besteht darin, die Adressaten von Hilfeangeboten nicht notwendigerweise in Kategorien der Hilfebedürftigkeit einzuordnen und sie zu begutachten. Es wird möglich, Probleme und beschriebene Leidenszustände als valide Ausgangspunkte für spezielle Anliegen anzuerkennen, ohne durch Rückgriff auf kategorisierende Zuordnungen Fremdbestimmungen einzuführen – und sei es auch nur, um auf dieser Basis ebenfalls kategorisierte Hilfsmaßnamen einzuleiten. Ein solcher Zugang zu »bewegenden« Themen und Fragen verzichtet auf einfache Mittel zur Komplexitätsreduktion, wie sie etwa über Zuordnungen geschehen kann. Dieser Verzicht ist nicht gleichbedeutend mit dem Freisein von der Notwendigkeit, mit Komplexität handhabbar umzugehen. Zwar hätten systemische Therapeutinnen (und andere systemische Helfer) Luhmann zur Seite, der ihnen ins Stammbuch schreibt, nur Komplexität könne Komplexität reduzieren (Luhmann, 1987, S. 49). Als Bonmot klingt das prickelnd, bedarf jedoch nachvollziehbarer Übersetzung für die Alltagspraxis. Einen Zugang bietet die Idee der Selbstorganisation und der Rückgriff auf ihre mittlerweile reichhaltige konzeptuelle Substanz (vgl. Haken u. Schiepek, 2006; Strunk u. Schiepek, 2006). Aus einer selbstorganisationstheoretischen Richtung ergibt sich der Eindruck, »dass erfolgreiche Psychotherapien selbstorganisierte Ordungsübergänge und damit auch © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Phasen kritischer Instabilität durchlaufen«, und »somit eine Destabilisierung bestehender Emotions-Kognitions-Verhaltensmuster« darstellen (Honermann, 2001, S. 249). Mit solchen Begriffen lässt sich einerseits recht gut beschreiben, was da (grob zusammengefasst) passiert. Auf der anderen (der fein justierten) Seite könnten sie allerdings Grund zum »Fremdeln« geben. Kriz (2008) bringt eine Alltagserfahrung aus der Beratungspraxis und eine Erkenntnis interdisziplinärer Systemforschung zusammen, wenn er schreibt, dass der selbstorganisationstheoretisch postulierte Phasenübergang und die dabei zu ertragende Erfahrung der Instabilität zwar notwendige Entwicklungsprozesse andeuten, doch basiert die Notwendigkeit solcher Neujustierung eben auch auf einem Handicap: »Diese Prozesse sind nun aber gerade bei Eltern, die in die Beratung kommen, oft erheblich geschwächt: Die Eltern sind durch die Entwicklung so verunsichert, so gestresst, dass sie keineswegs noch mehr Instabilität und stressige Komplexität wollen. Auch wenn sie intuitiv wissen, dass es eigentlich so nicht weitergehen kann – sonst wären sie ja gar nicht in die Beratung gekommen – klammern sie sich häufig [...] an die nun einmal erreichte Lösung, weil andere Möglichkeiten, sofern sie überhaupt ins Auge gefasst werden können, eher noch leidvoller und gefährlicher zu sein scheinen« (Kriz, 2008, S. 39 f.). Was tun? Honermann gibt in seinem Plädoyer für eine selbstorganisationstheoretische Herangehensweise einen Hinweis: »Therapeutische Prozesse müssen die Motivation eines Patienten sehr genau treffen, damit dieser sich in der Zusammenarbeit mit einem Therapeuten engagiert«, schreibt er und stellt fest: »Die Kombination aus motivationaler Investition in den Behandlungsprozess, der Beachtung der Aufnahmebereitschaft des Patienten und der kritischen Fluktuation in der Dynamik des therapeutischen Prozesses kann als notwendige Bedingung des Therapieerfolges gelten« (2001, S. 239). Als notwendige Voraussetzungen, um sich auf so etwas einzulassen, nennt Honermann »das Erleben eines Sicherheit vermittelnden Kontextes, eine tragbare Therapeut-PatientBeziehung sowie ein experimentierfreudiges und fehlerfreundliches Klima« (S. 239).
Wie kommt Sinn in die Geschichte? Systemisch begründete Vorstellungen von Hilfe nehmen die Dimension »Sinn« als grundlegende und verbindende Klammer sowohl psychischer als auch sozialer Systeme (Luhmann, 1987; Ludewig, 1992, 2002, 2005). Andererseits gehen sie eher wenig explizit mit dem Begriff »Motivation« um. Möglicherweise spiegelt sich hier ein Dilemma, das zwischen zwei unterschiedlichen Verweisungsstrukturen heranwächst. Während Sinn in systemtheoretischer Konzeption (insbesondere in Luhmannscher Version) als operative Kohärenz gefasst wird, verbinden sich mit Motivation eher Bedeutungs- und Erlebensmuster. »Etwas hat Sinn gemacht« bedeutet von der systemtheoretisch-operationalen Warte eher, dass sich bestimmte Anschlusswahrscheinlichkeiten und »Nachfolgeaktivitäten« herausgebildet haben. Mit Blick auf Motivation kommt eher zum Tragen, dass bestimmte Bedeutungen, bestimmte Präferenzen, Absichten oder Bedürfnisse auf eine passende Weise bedient wurden. Während die systemtheoretisch-operationale Variante eher ein »laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten« postuliert und daher von Sinn als »basal instabil« ausgeht, fühlen sich motivationale Geschehnisse eher als umgreifend an als Wegweiser für längere Strecken. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die »allgemeine« Form eines systemtheoretisch-operationalen Verständnisses von Sinn eröffnet einerseits einen Freiraum für niedrigschwellige Hilfeangebote: Als hilfreich kann zunächst einmal alles gelten, was aus Sicht von Hilfesuchenden passt. Begriffe wie Joining, Pacing, aber auch Einfühlungsvermögen deuten hier an, »wie das gehen kann«. Allerdings kann ein vollständiges Reduzieren von Aufmerksamkeit auf das, was geht, auch dazu führen, dass Tools und Techniken als »an sich« wirkende Mittel betrachtet werden – bis hin zu einer Oetkerisierung von Vorstellungen über Helfen und Hilfe (»Man nehme ...«). Eine solche Sichtweise vernachlässigt unter Umständen, dass die systeminterne Anschlussfähigkeit nicht einseitig durch externe Maßnahmen gezielt verändert werden kann, jedenfalls nicht unter der Prämisse, dass es sich bei Menschen und deren Lebensäußerungen nicht um komplex-komplizierte Spezialfälle einer ansonsten berechenbaren Mechanik handelt. Die aus systemtheoretischer Sicht postulierte Nichttrivialität psychischer und sozialer Prozesse scheint mir ein anderes Wort für die motivationale Kondition »bewegender« Fragen und Themen zu sein. Während es für Forschung und Theoriebildung vielleicht günstiger ist, dies nicht zu vermischen, vermute ich für die Alltagspraxis eine Rückenstärkung, wenn es gelingt, Sinn und Motivation als verbündete Faktoren zu betrachten. Wie kann das gehen?
Der Rubikon Nicht jeder Wunsch nach Veränderung trägt diese Veränderung. Oft genug bleibt es dabei, sich das Veränderte zu wünschen, doch das Verändern zu unterlassen. Die Erinnerung an den sprichwörtlichen Rubikon liegt da nahe, den es zu überschreiten gelte (z. B. Storch u. Krause, 2002). Sinnigerweise gäbe es Grund, mit Blick auf den Rubikon zu besonderer Vorsicht zu mahnen: Im römischen Reich galt das Überqueren des Flüsschens Rubikon im Norden des Landes durch gegnerische Truppen als definitives Signal, sich zu deren Abwehr in Marsch zu setzen. Der Rubikon markierte die »Rote Grenze«. Vielleicht ist es ja nicht so abwegig, das Überschreiten des Rubikons auch im Fall von Veränderungswünschen als einen Angriff auf bestehende Sicherheiten zu verstehen, im Sinne von »Lieber das bekannte Unglück als ein unbekanntes Glück« (Grabbe, 2001). Was kann helfen, sich für das Überqueren des Rubikons gestärkt und sicher genug zu fühlen? Was sich jenseits des Rubikons finden lässt, kann prognostiziert, doch nicht garantiert werden. Was wohl vorausgesagt werden kann: Es muss mit Orientierungsreaktionen gerechnet werden. Orientierungsreaktionen sind an sich praktische (Über-)Lebenshilfen, kosten jedoch einen Preis. Die irritierende Erfahrung der Instabilität (siehe oben) trifft zusammen mit einem energischen organismischen Impuls.2 Wer solche Manöver nicht mag, hat zu tun, und wer sich mit unsicheren Bindungserfahrungen plagt, hat viel zu tun. Daher wundert es nicht, dass aus Orientierungsreaktionen auch Abwehrreaktionen werden können, möglicherweise auch Panikreaktionen. In der Tat kann von einem Kontinuum ausgegangen werden zwischen Orientierung und Panik, wenn es um die Begegnung mit unvertrauten Eindrücken geht. Je nach Lebenserfahrung, Temperament und aktueller Verfassung können sich sowohl aggressive Annäherung als auch fluchtartige Vermeidung zeigen.10 2
Informativer Überblick über die wesentlichen physiologischen Komponenten unter http:// www.medpsych.uni-freiburg.de/OL/glossar/body_orientierungsreaktion.html © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Eine Annäherung mit Zielen Orientierungsreaktionen können vorausschauend-konstruktiv gerahmt werden durch das Erkunden von Zielen. Doch ist auch dies nicht trivial, auch Ziele sind keine Hilfen »an sich«. In systemischen, besonders in systemisch-lösungsorientierten Konzepten wird das Bestimmen von möglichst konkreten Zielen betont (z. B. Walter u. Peller, 1994; Ziegler u. Hiller, 2001; Hargens, 2004). Um einen Weg zu etwas hin freizumachen, sollte dieses »Etwas« besser in irgendeiner Weise vorstellbar sein – darauf zu sollte es gehen können. Der Fokus auf konkrete Ziele basiert (meist ohne spezifischen Verweis) auf der »Goal Setting Theory« (GST) von Locke und Latham (2002). Die GST geht davon aus, dass bewusste Ziele Handlungen beeinflussen. »Bewusste Ziele« sind solche, die konkret und überschaubar beschrieben werden können. Dies kann auch für komplexe und herausfordernde Aufgaben gelten. Nach Locke und Latham erfüllen Ziele eine Reihe von Funktionen: Sie weisen in eine Richtung, setzen Energie frei, beeinflussen die Beharrlichkeit und indirekt das Handeln, indem sie zu der nötigen Wachheit beitragen, zu Entdeckungen und/oder aufgabenrelevantes Wissen und Strategien anregen. So weit, so gut. Und dennoch lohnt sich ein Blick auf den Kontext: Die Arbeiten von Locke und Latham entstanden in erster Linie im Bereich der Optimierung von Arbeitsund Organisationsabläufen. Die Evaluationsinteressen in diesem Metier favorisieren konkrete Ziele und sich daraus ableitende Möglichkeiten der Evaluation – insbesondere der zählenden Evaluation. Die Überlegungen zur Steuerung von Zielprozessen im Arbeits- und Organisationsbereich sind jedoch nicht ohne Weiteres übertragbar auf Prozesse im Bereich psychosozialer Fragestellungen. Zwar geben auch in Beratungskontexten, bzw. Kontexten psychosozialer Hilfen, »zählbare Erfolge« Rückenwind – doch nicht zu jeder Zeit und nicht an jeder Stelle (vgl. Sheldon u. Kasser, 1998). Es gibt Beispiele genug, die den Eindruck vermitteln, dass ein »zählbarer« Erfolg zwar erst einmal gut tut, doch an sich noch nichts verändert hat. Einem Klienten wurde es möglich, »nüchtern« zu leben, doch die Auseinandersetzungen mit seiner Ehefrau, die er nun ungefiltert erlebte, waren ihm nicht attraktiver als die vertrauten suffgenährten Dämmerzustände. Einem anderen war es gelungen, nun mehr Kilo zu stemmen, doch hatte sich die Idee des »mehr« verselbständigt und zu einem suchtartigen Dilemma ausgewachsen: einerseits noch mehr erreichen wollen und andererseits noch frustrierter zu sein mit den dabei erlebten Grenzen. Was hat es damit auf sich? Beim Erkunden menschenmöglicher Hilfe handelt es sich um nicht triviale Prozesse, die nicht einfach »optimiert« werden können. Nicht triviale Prozesse – das heißt solche, die auf sich selbst mehr reagieren als auf externen Input – brauchen eine andere Rahmung. Es zeigt sich oft, dass bei dieser Rahmung allgemeine (»abstrakte«) Ziele erst einmal kraftvoller wirken. Allgemein formulierte Ziele werden stärker als zum eigenen Selbst gehörend erlebt als konkrete Ziele. Dadurch binden sie sich leichter und ausgeprägter an Emotionen. Gollwitzer spricht in diesem Zusammenhang von »Identitätszielen«. Sie seien »unstillbar«, weil sie »ihre Gültigkeit und ihren richtungsweisenden Charakter unter Umständen ein ganzes Leben lang behalten können« (nach Storch, 2003, S. 17). Typischerweise seien Identitätsziele im impliziten Modus gespeichert. Dadurch seien sie »besonders für die Handlungsregulation in schwierigen Situationen wichtig«, weil der implizite Modus »in Sekundenschnelle automatisierte Handlungen ermöglicht« (Storch u. Krause, 2002, S. 103 f.). Des Weiteren können Identitätsziele als angemessen unscharf angesehen werden, so dass sie einen breiten Anwendungsbereich abdecken und auch durch ungeplante Wendungen, wie © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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sie im allgemeinen Leben üblich sind, nicht zwangsläufig außer Kraft gesetzt werden. Es scheint plausibel, dass eine solche Elastizität von eher abstrakten Identitätszielen einen stärkenden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit ausübt. In einer Studie von Updegraff und Suh (2007) zeigten sich diejenigen Personen als glücklicher, die dazu neigten, ihre Ich-Konzepte eher abstrakt zu formulieren als konkret. Das Ergebnis blieb auch dann bestehen, nachdem allgemeine Valenz und Internalisierung der Konstrukte herausgerechnet worden waren. Allerdings scheinen allgemeine Identitätsziele zunächst einmal gegenüber konkret ausgearbeiteten im Nachteil hinsichtlich der Einfachheit, mit der das Erreichen des Zieles überprüft werden kann. Daher kommt es hier verstärkt auf Hinweise dafür an, »dass es passt«. Es passt eher, wenn erkundete Ziele leicht genug mit zentralen Lebenskonzepten der Hilfesuchenden harmonisieren. Wenn es beim Erkunden konkreter Ziele hapert, stelle ich häufig die Frage: »Wer werden Sie wohl sein, wenn Sie dieses Ziel erreicht haben?« oder »..., wenn Sie da hingekommen sind, wo Sie hinwollen?« Wenn die Antwort auf diese Frage schwer fällt, nehme ich das als Hinweis darauf, dass auf den ersten Blick brauchbar erscheinende Ziele (noch) nicht zusammenpassen mit dem, wofür jemand stehen möchte. Oft genug sind es Fragen der Loyalität, bzw. Illoyalität, die hier erfahrbar sind. Und gelegentlich wird gerade an der möglichen Klarheit von Zielen, an ihrem Wesen als etwas Umgrenztes, deutlich, dass sie »an sich nichts ändern« für jemanden, der nicht nur funktionieren möchte, sondern »anders sein«. Es ist wie im »richtigen« Leben: Mal reichen »Anschubfinanzierungen« und manchmal steht das ganze Kreditwesen zur Debatte. Dass dies nicht nur eine Frage rationalen Kalkulierens ist, sondern sich als »biopsychosoziale« Stimmigkeit äußert, scheint naheliegend und wird darüber hinaus auch durch Forschungsergebnisse angezeigt (z. B. Storch, 2003). Einen allgemeinen Rahmen dafür bieten neuere Arbeiten zum Thema Selbstbestimmung und Autonomie.
Stichwort »Autonomie« Menschen, die sich hinsichtlich ihrer Ziele autonom fühlen, profitieren von Zielen mehr als solche, die Ziele als nicht aus ihnen selber stammend erleben (Koestner, 2008). Es kommt darauf an, ob ein Ziel die persönlichen Interessen einer Person wiedergibt und ihre persönlichen Werte, oder ob es aus Gründen sozialen Drucks aufgegriffen wurde, wegen Erwartungen, »was man zu tun habe«. Koestner zitiert neuere Forschungsergebnisse, nach denen »eine autonome Zielmotivation unmittelbar zu deutlicheren Fortschritten in Richtung Ziel führen kann, indem sie den Menschen ermöglicht, sich mehr einzusetzen, weniger Konflikte dabei zu erleben, und eine größere Bereitschaft zu spüren, ihr Verhalten zu ändern« (2008, S. 60, Übers. W. L.). Entscheidend scheint zu sein, dass Ziele, die nicht mit der eigenen Person identifiziert werden können, im Fall von Hindernissen und Widerständen keine ausreichende selbstregulatorische Kraft freisetzen. Ein Begriff wie »selbstregulatorische Kraft« könnte für eine Art individualistisch verstandener Autonomie stehen. Dem ist nicht so. Koestner unterstreicht stattdessen die interpersonale Bedeutung von Zielen. Hier wiederum kommt es darauf an, wie das Verhalten persönlich bedeutsamer anderer Personen in diesem Prozess erlebt wird. Ob eine motivationale Unterstützung durch andere als Rückenstärkung erlebt wird für das, was man für sich selbst als wichtig, belebend und bewegend hält, oder aber als kontrollierend, macht einen erheblichen Unterschied. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Selbstbestimmung Koestners Überlegungen fußen auf der Theorie der Selbstbestimmung, wie sie von Ryan und Deci in den letzten Jahrzehnten angestoßen und entwickelt wurde (»SelfDetermination Theory«, SDT, Ryan u. Deci, 2000, 2006, 2008; Deci u. Ryan 2002, 2008). Als eine für die Praxis attraktive Kernzelle der SDT dürfte deren Vorschlag gelten, die drei Begriffe Autonomie, Bezogenheit und Kompetenz als notwendig miteinander verbundene Grundbedürfnisse zu betrachten. Nur in ihrer Gesamtheit können sie die Basis bilden für ein Wohlbefinden, das sich in einem ebenso selbstwirksam erlebten wie sozialverträglich gestalteten Leben zeigt. – Autonomie bezieht sich auf das Ausmaß, in dem man sich als Quelle des eigenen Tuns erlebt, das Ausmaß, in dem man sein eigenes Leben als im Einklang mit dem erlebt, was einem wichtig ist, und was den eigenen Wertvorstellungen entspricht. – Bezogenheit findet sich dem Ausmaß wieder, in dem jemand sich mit (ihm/ihr) wichtigen anderen verbunden fühlt, beachtet, unterstützt und diesen wiederum mit Achtung, Aufmerksamkeit, Zutrauen begegnen kann. – Kompetenz schließlich findet sich als Ausmaß der eigenen Erfahrung, sich im Umgang mit der umgebenden Welt sicher genug als Ursache erwünschter Wirkung betrachten zu können. Dabei bleiben soziale Kontexte als wichtige Moderatorvariablen im Blick (vgl. Kasten). Einige Aspekte der Selbstbestimmungstheorie und ihre Bedeutung für die Praxis – Wichtigkeit sozialer Kontexte vgl. »Bezogenheit« als Grundbedürfnis – Wichtigkeit der Erfahrung, sich als wirksam zu erleben bei den Aktivitäten, die gewünscht oder gefordert werden: vgl. »Kompetenz« als Grundbedürfnis, Bedeutung von Feedback, Wertschätzung, Anerkennen von Kompetenz – Wichtigkeit der Erfahrung, in der eigenen Autonomie wahrgenommen und respektiert zu werden vgl. »Autonomie« als Grundbedürfnis – Wichtigkeit, alle diese Grundbedürfnisse zu berücksichtigen: – Bezogenheit ohne Autonomie und Kompetenz > Abhängigkeit, Hilflosigkeit – Autonomie ohne Bezogenheit und Kompetenz > »lost in space« – Kompetenz ohne Bezogenheit und Autonomie > »Automat« etc. – Autonomie ist nicht das Gegenteil von Bezogenheit – im Gegenteil: Ohne Bezogenheit ist Autonomie nicht möglich. Im Rahmen von SDT: Autonomie als die Erfahrung, aus eigener Entscheidung und »auf Augenhöhe« eine Position in einer Gemeinschaft einnehmen zu können (d. h., Autonomie unterscheiden von Unabhängigkeit oder Individualismus). – Die Authentizität von Motiven im Blick haben: Da es sich bei Autonomie, Kompetenz und Bezogenheit um Grundbedürfnisse handelt, können diese – gerade wegen ihrer Wichtigkeit – auch usurpiert werden, ausgebeutet und verzerrt. Wichtig daher: die Unterstellungen, Forderungen, Leitmotive der bevorzugten Bezugsgruppen kennenzulernen, diese auch im Hinblick auf anstehende Entwicklungsaufgaben zu bedenken, und so miteinander einen Eindruck davon zu entwickeln, inwieweit »Gewolltes« mehr ist als eine »gewollte Nichtauffälligkeit in Bezug auf normative Peergruppen-Regeln« (vgl. Ryan u. Deci, 2000, S. 73 f.).
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dringend notwendig; drohende Konsequenzen
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Druck; Anpassung an Vorgaben, solange Druck anhält; passive compliance
Hilfebeziehung:
wahrgenommene Wichtigkeit
nicht dringend notwendig; keine drohenden Konsequenzen
Unterstützen beim (Re-)Animieren internaler Motivation: das Erfahren von Autonomie, Bezogenheit und Kompetenz fördern; Motto: von Notwendigkeit zu »Selbstwendigkeit«
aktiver persönlicher Einsatz; Hilfen selbst angefragt zum Optimieren von Fortschritten
¬ « « « « « « « « « « « « « « ®
bestenfalls Zufallsinteresse; kein naheliegender Impuls zum Reflektieren und Handeln
Hilfebeziehung: Begleiten von »selbstwendigen« Schritten; Interesse als interesse: probeweise Öffentlichkeit zur Verfügung stellen; Bewährungshilfe; Lust und Freude am Fortschritt teilen
einer selbst gewählten Spur folgen, schöpferische Lust, Unternehmungsgeist
external
internal wahrgenommene Selbstbestimmtheit
Abbildung 1: Zielverbundenheit und Einsatz für Gelingen als Funktion von wahrgenommener Wichtigkeit und Selbstbestimmtheit (© W. Loth, 2010)
Innerhalb der Theorie der Selbstbestimmung spielen Fragen der Motivation eine zentrale Rolle. Dies hängt damit zusammen, dass die SDT ursprünglich als sozialpsychologischer Beitrag zu Effekten von Zwangskontexten auf intrinsische Motivation entwickelt wurde (vgl. Sheldon u. Elliot, 1999). Zwar erscheint es plausibel, dass von außen herangetragene, bzw. aufgenötigte Veränderungsanstöße eher wenig intrinsische Motivation freisetzen. Falls überhaupt, werden entsprechende Anstrengungen nur so lange unternommen, wie deren Vorkommen kontrolliert wird. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig der Fall. Grundsätzlich erscheint es möglich, auch extrinsische Motivationsausprägungen zum Ausgangspunkt konstruktiver und nachhaltiger Entwicklungsschritte zu nehmen. Wenn es gelingt, Anstöße »von außen« als persönlich wichtig zu erfahren sowie verbunden mit bewusstem Wertschätzen, kann dies als Grundlage dafür wirken, notwendige © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Entwicklungsschritte als kongruent mit sich selbst zu erleben. Verbunden damit kann ein waches Gefühl des Vereinbarens von »äußeren« Anregungen und »innerem« Bevorzugen entstehen. Obwohl dies im Prinzip immer noch als Stadium extrinsischer Motivation genommen werden kann, liegen die handlungsrelevanten Impulse auf der Hand. Erst recht, wenn auf dieser Basis eine »echte« intrinsische Motivation entsteht, die mit Interesse, Freude und erlebter innerer Befriedigung am Erproben und Fortführen von Entwicklungsschritten verbunden ist. Im Idealfall bildet sich so etwas wie eine Selbst-Konkordanz heraus: ein Herz und eine Seele mit sich selbst im Kontakt zu anderen (vgl. Ryan u. Deci, 2000; Oettingen et al., 2001; Sheldon u. Houser-Marko, 2001). Idealtypisch lässt sich auf dieser Grundlage eine motivationale Entwicklungsrichtung in Hilfebeziehungen beschreiben, die von möglicherweise erlebtem Druck zur Anpassung an Zielvorgaben bis hin zu schöpferischer Lust und Unternehmungsgeist reicht, sich weiter konstruktiv auf den Weg zu machen: von notwendigen zu selbstwendigen Schritten (siehe Abbildung 1). Entscheidend dabei bleibt, dass dieses »Selbstwendige« (aus sich heraus Gewendete) nicht als autarke Unverbundenheit missverstanden wird. Erst in der Beziehung zu anderen wird daraus ein tragfähiges Geflecht, ein Nährboden für ein systemisches Motiv : sich auf sozialverträgliche Weise selbstwirksam erleben.
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Haja Molter und Karin Nöcker
Systemisches Denken und Handeln – (k)ein Spaziergang
»Autoren werden zu Klassikern, wenn feststeht, dass das, was sie geschrieben haben, unmöglich stimmen kann: denn dann muss man einen anderen Grund finden, sich mit ihnen zu beschäftigen, und der kann nur sein: dass andere sich mit ihnen beschäftigen« (Luhmann, 1993, S. 5).
Wenn man auf die Entwicklung der systemischen Therapie und Beratung blickt, fällt auf, dass die aktionsbetonten Methoden aus der strukturellen und entwicklungsorientierten Familientherapie mehr und mehr an Bedeutung verlieren: Die gesprochene Sprache dominiert vor Aktion. Die Währung, mit der hauptsächlich gehandelt wird, sind Fragen, hypothetisieren, reflektieren, Lösungsideen entwickeln und Kommentare schreiben. Zirkuläre Fragen, auch sokratische Fragen genannt, wurden und werden als Königsweg gesehen. Sie dienen in der philosophischen Tradition dazu, dass Suchende sich durch diese die Zusammenhänge selbst erschließen. Wesentlichen Einfluss hatte dabei das Mental Research Institute, Palo Alto, und der frühe Mailänder Ansatz in den 1970er und 1980er Jahren. Strukturelle oder entwicklungsorientierte Interventionen galten in dieser Zeit eher als verpönt, und Aspekte wie »Begegnung, Sinn und Bedeutung«, wie sie zur gleichen Zeit in der Bewegung der humanistischen Psychologie (siehe Bach u. Molter, 1976) ventiliert wurden, fanden wenig Beachtung. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre rückte zunehmend die Bedeutung der Sprache jenseits reiner Interaktionsmuster wie von den Mailändern favorisiert in den Vordergrund. »Nachdem der ›Sinn‹ wieder Einzug in die Betrachtungen halten durfte, wird beispielsweise verstärkt auf die Geschichten geachtet, mit denen Partner und Familienangehörige sich und ihre Beziehungen, Bilder von Krankheit, Gesundheit und Veränderung, Schuld und Unschuld, Gut und Böse, Ursache und Wirkung, Wahrheit und Lüge, biosomatischer, psychischer und sozialer Eingebundenheit, Macht und Ohnmacht und viele andere Themen des konkreten Lebens darstellen. Das Ziel ist, grob und allgemein gesprochen, die Geschichten (bzw. Narrationen) so zu verändern, dass einengende, destruktive und Entwicklung behindernde Aspekte zugunsten eines größeren Freiheitsbereiches von Interpretations- und Handlungsoptionen umgedeutet werden« (Kriz, 1998, S. 107). Aus unserer Sicht hat sich parallel dazu auf der erkenntnistheoretischen Basis des Konstruktivismus und der postmodernen Theorie des sozialen Konstruktionismus in den letzten Jahren eine Haltung entwickelt, die von vielen Beobachtern heute »systemisch« genannt oder sogar missverständlich als »systemische Theorie« angesehen wird. Dazu beigetragen hat der Übergang von der Kybernetik erster Ordnung zur Kybernetik zweiter Ordnung, was sich in einem weiteren Entwicklungsschritt mit den Begriffen Niklas Luhmanns als Emergenz des Beobachtens zweiter Ordnung in sozialen Systemen beschreiben lässt (siehe Luhmann, 1984). Diesen Schritt werden wir an anderer Stelle näher darstellen. Hinzu kommt die Erweiterung vom familiären System © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Haja Molter und Karin Nöcker
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zu anderen systemischen Zusammenhängen, zum Beispiel Problemsystemen (Dell, 1986; Goolishian u. Anderson, 1988). Für Therapie und Beratung bedeutete dies, dass Therapeuten, Berater und Klienten zu Beobachtern wurden. Es handelte sich nicht mehr länger um beobachtete Systeme (Klienten, Kunden), sondern um beobachtende Systeme. Die Therapeuten und Berater lernten auf einer Metaebene zu erkennen, dass sie Teil der kybernetischen Schleifen waren, die in der Kommunikation im System entstanden. Aus Interventionen wurden Angebote, Empfehlungen und Einladungen. Einige radikaler Denkende betrachteten das Gespräch innerhalb der therapeutischen Sitzung an sich als Intervention. Der Blick auf die Ressourcen und Ausnahmen weg von Defizitorientierung rückte in den Vordergrund, es fand Vernetzung in und mit unterschiedlichen Kontexten statt. Die Anerkennung der Sinn- und Bedeutungsgebung durch die Kunden beinhaltet auch für die Therapeuten und Berater anzuerkennen, dass das, was die Menschen tun, eine Lösung, wenn auch eine schmerzliche, leiderfüllte und gesellschaftlich nicht akzeptierte Lösung darstellen kann. Detaillierte Ausführungen zu dieser Entwicklung finden sich in den Klassikern »Familientherapie im Überblick« (von Schlippe, 1984) und »Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung« (von Schlippe u. Schweitzer, 1996).
Unser Praxisverständnis und Haltung Wir lassen uns von einem konstruktivistischen Verständnis von Wirklichkeit leiten. Darunter versteht man, dass wir unsere Wirklichkeit durch Zuschreiben von Bedeutung selbst konstruieren und es keine vom Beobachter unabhängige Wirklichkeit gibt. Es geht darum, Unterschiede zu machen, die einen Unterschied machen, diese anzuerkennen und auszuhalten. Dissens und Konsens sind zwei Seiten einer Münze. Ziel ist es, daraus weitere kreative Lösungen zu entwickeln. Wobei eine Entscheidung für die Bewahrung des Status quo auch eine Veränderung/Lösung sein kann. Wir nehmen eine Position des Nichtwissens und der Neugier ein. Unter Nichtwissen verstehen wir, dass die Kunden bestimmen, was für sie hilfreich ist. Wir sind Experten in der Bereitstellung therapeutischer und beraterischer Erfahrung. Unsere Haltung ist dabei geprägt von Akzeptanz und Wertschätzung der bisherigen Lösungen (manchmal auch Probleme genannt) und (Er-)Finden alter und neuer Lösungen. Wir stehen hinter unseren Kunden in Bezug auf ihre Ziele und den Möglichkeiten der Lösungen. Wir sind den Prozessen der Kunden gegenüber wohlwollend neutral. Dabei unterstützen wir mögliche Suchprozesse und treten in dem Moment in den Hintergrund oder treten ein Stück zur Seite, wenn es darum geht, dass der Kunde für sich eine Entscheidung trifft und/oder Lösung findet. Die Lösung kann auch, wie oben schon beschrieben, etwas sein, was man von außen eher als Nichtlösung bezeichnen würde. Es kann auch darum gehen, das, was ist, zu erhalten oder erträglicher zu gestalten. »Die kybernetische Theorie, so wie ich sie liebe, geht allerdings von der Idee aus, wie man dem Patienten, der Familie helfen kann, Interesse zu finden an der Lösung, die sie bereits gefunden haben, denn was Menschen tun, ist die Lösung. Sie brauchen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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keine andere, auch wenn es eine schmerzliche ist, es ist eine Lösung. Man muß den positiven Aspekt dieser Art Lösung sehen. Indem sie darüber spricht, wird die Familie selbst andere Lösungen sehen – vielleicht kannst Du einige vorschlagen. Aber die Hauptaufgabe ist, sie dafür zu bewundern, was sie bereits getan haben. Wir haben mehr Respekt dafür, was Leute bereits tun, denn das, was sie tun, ist bereits die beste Lösung für den Moment. Es gibt keine anderen Lösungen, denn ein System ist, was es ist, da kann nicht irgendetwas anderes in dem Moment sein. Ihnen zu sagen, sie sollten nach neuen Lösungen suchen, ist dasselbe, als ob man ihnen sagt, daß das, was sie im Moment tun, falsch ist« (Cecchin in Molter, 1990, S. 5 f.). Das fordert von uns als Berater und Therapeuten eine Haltung, die Freud (1912) als »gleich schwebende Aufmerksamkeit« beschrieben hat. Man versucht zu beobachten, ohne zu bewerten. Man gerät in eine verstehende und nicht verstehende Mitbewegung. Auch wenn wir uns bewusst sind, dass wir urteilfreies Wahrnehmen einer Moment-zuMoment-Erfahrung (siehe Kabat-Zinn, 1988) anstreben können, werden wir das wohl selten ganz erreichen. Auch Therapeuten und Berater sind Kinder ihres kulturellen Erbes, daher sind Landkarten über Neutralität auch mit dieser Einschränkung anzuwenden.
Prozesse offen gestalten – ein Spaziergang »Alles sollte so einfach wie möglich sein, aber nicht einfacher« (Albert Einstein).
Aus dieser Haltung heraus führten unsere Überlegungen dazu, nach Wegen zu suchen, wie wir bei unseren Klienten und Kunden Selbstorganisationsprozesse anstoßen können. Trotz der Tendenz, systemisches Denken und Handeln hauptsächlich über gesprochene Sprache auszuüben, haben wir in unserer Praxis analoge Methoden wie räumliche Darstellungen, Skulpturen und Visualisierungen wie zum Beispiel den Zeitstrahl beibehalten. Dies und das Visualisieren mit Hilfe von Moderationskarten – nicht an Stellwänden, sondern auf dem Fußboden – führte uns zu einem Raummodell, das sich mehr und mehr als praxistauglich erweist. Das Raummodell (Abbildung 1) dient dazu, die Komplexität systemischen Denkens und Handelns angemessen ungewöhnlich zu reduzieren. Unsere Leitidee ist, die Klienten/Kunden zur Selbstorganisation anzuregen. Wir gehen davon aus, dass Menschen eigene Ressourcen und Selbstheilungskräfte besitzen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, in Therapie und Beratung eine Umwelt mit zu (er)schaffen, die günstigste Bedingungen zur Verfügung stellt, um konstruktive, hilfreiche Prozesse in Gang zu setzen.
Ein Raummodell für systemisches Denken und Handeln111 Wirklichkeits-, Möglichkeits- und Zielraum betrachten wir als eine von vielen möglichen Unterscheidungen. Geprägt von einer konstruktivistischen Haltung markieren
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Die ersten Ideen zu diesem Konzept entstanden in Zusammenarbeit mit unserem Kollegen M. El Hachimi (siehe Molter et al., 2005). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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wir im Beratungsraum innere und äußere Kontexte. Unsere Klienten2 entscheiden darüber, ob es für sie eine hilfreiche Unterscheidung ist und sie unserer Einladung folgen können und wollen.12
Abbildung 1: Das Raummodell (Design: Marika Molter)
Unsere Erfahrung ermutigt uns, darauf zu vertrauen, dass die Landkarte »Raummodell« unsere Klienten anregt, die Aufmerksamkeit so zu fokussieren, dass ein sich selbst organisierender Suchprozess einsetzt: Es entstehen hilfreiche innere Bilder und das physische Spazierengehen durch die Räume erleichtert das Finden des eigenen Weges. Die Peripathetiker – eine Schule der griechischen Philosophie – lehrten ihre Schüler, indem sie in Wandelgängen miteinander umherspazierten. Daraus ist in der Gruppendynamik der »walk talk« entstanden (Bach u. Bernhard, 1971). Entwicklungsorientierte und strukturelle Familientherapeuten nutzen den Raum mit Skulpturen und Settingveränderungen. In jüngster Zeit hat uns die Arbeit des Schweizer Soziologen, Urbanisten und Planungstheoretikers Lucius Burckhardt (1925–2003) weiter inspiriert, den Spaziergang als eine weitere Methode unseren Klienten anzubieten (Burckhardt, 2006). Er gilt als Begründer der Spaziergangswissenschaften (Promenadologie, engl. »strollology«, siehe z. B. http://www.martin-schmitz-verlag.de/Lucius_ Burckhardt/Presse.html). Die Spaziergangswissenschaft will zeigen, wie sich der Blick auf die Landschaft verändert, wenn man sich darin bewegt. Das nutzen wir als Analogie, wenn wir unsere Klienten einladen, durch »Spazierengehen« ihr Anliegen im Raum zu verorten.
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Im weiteren Text verwenden wir stellvertretend das Wort »Klienten«. Das Wort Kunde hat im Konzept der Lösungsorientierung eine spezifische Bedeutung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Wirklichkeitsraum
Abbildung 2: Wirklichkeitsraum
Im Wirklichkeitsraum helfen wir den Klienten herauszufinden, wie sie zum Zeitpunkt der Beratung ihre Wirklichkeit konstruieren und ob die damit verbundenen inneren Bilder und erzählten Geschichten für den Moment hilfreich oder nicht so hilfreich sind. Im nächsten Schritt achten wir darauf, ob sich aus der erzählten Geschichte ein Anliegen formulieren lässt, das im Wirklichkeitsraum verortet werden kann. Dahinter steht die Annahme, dass schon das Erzählen und das Neuformulieren einer Geschichte, die Perspektive auf das gelebte Leben verändern kann. Hier geht es nicht um eine Veränderung in der Zukunft, sondern um das Neubewerten der inneren Bilder und Geschichten aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Gemeinsam mit unseren Klienten beschäftigen wir uns mit Fragen wie: – Welchen Einfluss hat die konstruierte Wirklichkeit auf das jetzige Denken, Fühlen und Handeln? – Welche Teile der Narration haben Einfluss auf das momentane Anliegen? – Erzeugen diese Bilder eher Mut und Zuversicht oder Hoffnungslosigkeit und Resignation? – Was braucht es, um neue Bilder und Wirklichkeiten entstehen zu lassen? – Wenn es sich um mehrere Personen handelt, bewegen sich alle im gleichen Wirklichkeitsraum? – Wo gibt es Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten? – Wo ist der Wirklichkeitsraum räumlich verortet? – Sind die Informationen im Wirklichkeitsraum allen beteiligten Personen zugänglich? – Welche Anteile der Geschichte halten das Problem aufrecht? – Verändert das Bewusstmachen des Wirklichkeitsraumes das Anliegen bzw. die Problembeschreibung? © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Möglichkeitsraum
Abbildung 3: Möglichkeitsraum
Wenn sich unsere Klienten für den Möglichkeitsraum entscheiden, regen wir sie an, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen, kreativ und spielerisch zu sein, quer zu denken, nach Ausnahmen und Wundern Ausschau zu halten. In dem Konzept der Lösungsfokussierung wird die Suche nach Optionen über die Auftragsklärung »Unser gemeinsames Ziel ist« gelenkt. Wir gehen davon aus, dass Möglichkeiten nicht unbedingt mit Zielideen verknüpft sein müssen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das offene Suchen nach Optionen unabhängig vom Ziel hilfreich sein kann. In einem späteren Schritt können einige dieser Optionen für die Formulierung von Zielideen verwandt werden, müssen es aber nicht, das heißt, als Kunstgriff geben wir vorübergehend auch diesem Raum eine Autonomie. Gemeinsam mit unseren Klienten beschäftigen wir uns mit Fragen wie: – Nehmen wir an, Sie hätten eine Idee, wie viele Optionen im Möglichkeitsraum vorhanden sind, wie viele wären das? – Welche Ressourcen würden Sie als genutzt, welche als ungenutzt bezeichnen? – Welche stehen Ihnen momentan zur Verfügung? – Ist es notwendig, dem System externe Ressourcen hinzuzufügen? – Was brauchen Sie, um auf Ihre Ressourcen zurückzugreifen? – Was könnten hierbei mögliche »ehrenwerte« Hindernisse sein? – Wenn Sie neue Optionen entwickeln würden, welche wären das? – Welche Ressourcen erleben Sie in Bezug auf Ihr Anliegen als hilfreich? – Wenn Sie sich über Ihre Ressourcen beschreiben würden, wie würde dann Ihre Geschichte lauten? © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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– Wo ist der Möglichkeitsraum räumlich verortet? – Auf einer Skala von 1–10, 1 = niedrig, 10 = sehr hoch: Wie ist Ihre Bereitschaft, Risiken einzugehen und Experimente zu wagen?
Zielraum
Abbildung 4: Zielraum
Wenn sich unsere Klienten für den Zielraum entscheiden, helfen wir ihnen, sich auf Visionen und Zielideen in der Zukunft auszurichten. Der Zielraum wird zum Attraktor für Zukünftiges. Wir steuern im Prozess dazu bei, dass sich Gründe in der Zukunft herausbilden, die es den Klienten erleichtern, ihre Aufmerksamkeit auf Ziele zu richten und Entscheidungen zu treffen, die für sie passen und die sie in der Folge in konkrete Handlungen umwandeln können. Gemeinsam mit unseren Klienten beschäftigen wir uns mit Fragen wie: – Wie hoch schätzen Sie im Moment die Attraktivität Ihres Zielraums ein? – Woran können Sie merken, dass Sie sich in Ihrem Zielraum bewegen? – Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich Ihre Zielideen verwirklichen lassen? – Welche Zielideen sind eher hinderlich? – Welche Ressourcen und Optionen aus dem Möglichkeitsraum sind im Zielraum enthalten? – Wenn Sie ein Bild, eine Vision von Ihrer Zukunft hätten, wie sähen diese aus? – Welche Entscheidungen und Vereinbarungen müssen von Ihnen getroffen werden? – Wo im Moment würden Sie Ihren Zielraum verorten? © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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– Was hat Ihnen bisher in Ihrem Zielraum geholfen? – Wenn Sie sich aus dem Zielraum heraus eine Empfehlung für Ihren Wirklichkeitsraum in Bezug auf den Möglichkeitsraum geben könnten, welche wäre das? – Nehmen wir an, außerhalb des Zielraums würde sich eine nachfolgende Aufgabe befinden, welche wäre diese?
Eine Einladung zum Spaziergang Um Transparenz einzuführen, stellen wir unseren Klienten das Raummodell kurz vor. Dabei sind wir offen dafür, welcher »Raum oben auf« (siehe Abbildung 1) liegt, wenn wir Klienten einladen, mit dem Raummodell zu arbeiten. Wir haben die Beobachtung gemacht, dass Klienten sich eingeladen fühlen, in Gedanken einen Spaziergang zu machen und zu entscheiden, welcher Raum für sie hilfreich sein könnte, eine Lösung zu finden. Eine weitere Möglichkeit ist, mit Hilfe einer kleinen Tranceinduktion den Spaziergang einzuleiten. Manchmal bieten wir auch an, dass die Klienten die Räume durch Seile oder Moderationskarten markieren oder wir nutzen unterschiedliche Zimmer als Räume. Wir bringen sie in Bewegung, in dem wir sie real durch die Räume spazieren lassen. Oft erleben wir eine veränderte Körperhaltung bei unseren Klienten. Sie wirken offener, neugieriger, konzentriert und weniger problembehaftet. Sie fokussieren ihre Aufmerksamkeit nach innen und nehmen Kontakt mit den Räumen auf. Wir versuchen mit den Klienten herauszufinden, welcher der drei Räume für ihr Anliegen momentan bedeutsam sein könnte. In manchen Fällen machen wir auch die Erfahrung, dass Klienten zur Beratung kommen und noch kein konkretes Anliegen formulieren können. Sie sprechen von Unbehagen, diffusen Gefühlen, Befürchtungen, Zweifeln, fehlender Motivation und Angst vor der Zukunft. Hier sehen wir unsere Aufgabe darin, in allen drei Räumen nach möglichen Anliegen zu suchen. Als Berater sind wir aufgefordert, uns den Spagat zwischen Bewahren und Verändern bewusst zu machen und den Status quo auszuhalten. Gemeinsam mit unseren Klienten betreten wir den von ihnen gewählten Raum. In diesem werden Informationen und Erleben zur Orientierung gebündelt. Das geschieht in Kokreation mit den Klienten. Wir unterstützen sie darin, für sie relevante Fragen in diesem Raum zu entwerfen bzw. mögliche Themen zu nennen. Entweder führen wir ein systemisches Interview, während sich die Person im gewählten Raum befindet, oder wir laden die Klienten ein, eigene Fragen zu formulieren, diese auf Moderationskarten zu schreiben und in den Raum zu legen. Gleiches geschieht mit möglichen Themen. Dadurch wird der Raum »möbliert« und sinnlich erfahrbar. Unsere Standardfrage lautet: »Nehmen wir an, in einem der Räume könnte für Sie eine Lösung liegen, für welchen Raum würden Sie sich im Moment entscheiden?« Bei Klienten die noch kein Anliegen formulieren können, fragen wir entsprechend, welcher Raum könnte für das Formulieren eines Anliegens hilfreich sein. In unserem Verständnis bedeutet Lösung nicht unbedingt, dass die Klienten ein Ziel erreichen müssen. Radikaler ausgedrückt: Wir können hilfreich sein, ohne ein Ziel mit den Klienten vereinbart zu haben. Innerhalb eines Raumes kann sich das Anliegen durch die entstehenden Informationen verändern. Eine zu schnelle Festlegung des © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Anliegens und die daraus resultierende Zielformulierung kann diesen Prozess einschränken, da die Aufmerksamkeitsfokussierung über Anliegen und Ziel gelenkt wird und somit das, was es noch geben könnte, übersehen wird. Ein jüdisches Sprichwort lautet: »Ein Beispiel beweist nichts.« Die Beispiele aus unserer Praxis, die wir hier beschreiben, sind für uns jedoch wichtige Erfahrungen, unsere Kunden zu Selbstorganisationsprozessen anzuregen. Arbeiten mit dem Wirklichkeitsraum
Im Zuge einer Umstrukturierung wurden fünf Beratungszentren auf zwei reduziert. In einem dieser Beratungszentren wurden Mitarbeiter aus fünf Zentren zu einem neuen Team zusammengefasst. Wir erhielten eine Anfrage zur Teamentwicklung. In der ersten Sitzung stellten wir den Mitarbeitern unser Raummodell vor. Auf die Frage, welcher Raum für sie zur Teamentwicklung hilfreich sein könnte, entschieden sich die Mitarbeiter einstimmig für den Wirklichkeitsraum. Wir teilten durch Abzählen das Team in vier Untergruppen auf und baten die Gruppen, auf Moderationskarten Fragen zu entwickeln, die sie relevant für den Wirklichkeitsraum hielten. Als nächster Schritt wurden diese Fragen im Gesamtteam veröffentlicht. Es zeigten sich folgende Tendenzen: Wir wissen nichts übereinander. Wir bringen unterschiedliche Stile mit: Welche Regeln haben wir? Was ist erlaubt, was nicht? Wie gehts uns mit der Zwangsumsetzung? Welche Kultur wollen wir miteinander entwickeln? Anschließend wurden die Fragen in einer Prioritätenliste gewichtet, um die Komplexität wieder zu reduzieren. Die drei wichtigsten Fragen wurden nun auf drei neue Untergruppen verteilt. Jede Untergruppe bekam eine Frage. Die Aufgabe der Gruppen bestand darin, einen nächsten Schritt im Umgang mit dieser Frage zu entwickeln. Diese Vorschläge wurden wieder im Team veröffentlicht. Daraus entwickelte sich eine Vereinbarung, Raum und Zeit für Kommunikation zu schaffen, da den Teammitgliedern im Wirklichkeitsraum auffiel, dass sie bisher weder Zeit noch Raum für Austausch hatten. In diesem Beispiel wird deutlich, dass es nicht um Zielvereinbarungen geht. Die Teammitglieder äußerten klar, dass sie sich zuerst über ihre Wirklichkeiten austauschen müssen, bevor sie in den Möglichkeits- oder Zielraum gehen können. Es ging um die Beschreibung des Status quo und das Mitteilen der subjektiv erlebten Wirklichkeit. Arbeiten mit dem Möglichkeitsraum
Einem Paar mit viel Erfahrung in Therapie boten wir unser Raummodell als Orientierungshilfe an. Übereinstimmend wählten sie den Möglichkeitsraum. Wir baten sie, die Themen auf Moderationskarten aufzuschreiben, die für sie im Möglichkeitsraum relevant wären. Beide erklärten den gesamten Beratungsraum zum Möglichkeitsraum und platzierten ihre Karten an den unterschiedlichsten Stellen wie Bilderrahmen, Fensterbank, Stühle und auf dem Boden. Wir gaben ihnen Gelegenheit, durch den Raum zu spazieren und die Themen auf den Karten zu lesen. Dann luden wir sie ein, jeweils zu den Themen des Partners Fragen zu entwickeln und diese zu den Themen zu legen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Danach spazierten sie wieder durch den Raum und lasen die entstandenen Fragen. Wir baten sie, aus diesen Fragen diejenigen auszuwählen, von denen sie vermuteten, dass sie neue Informationen für sie enthielten. Dann baten wir sie, sich in ihrem Möglichkeitsraum zu positionieren und die Fragen in Bezug zu sich selbst zu legen. In diesem räumlichen Bild fragten wir sie nach ihrer Befindlichkeit und ob die entstandene Konstellation für sie hilfreich wäre. In ihrem Feedback an uns sagten sie, dass neben dem neu entstanden Bild am hilfreichsten für sie gewesen wäre, dass sie nicht noch einmal ihre »alte« Geschichte erzählen mussten. Nach dieser Rückmeldung haben wir das Paar verabschiedet, da wir den Prozess geöffnet lassen wollten. Arbeiten mit dem Zielraum
Während eines Coachings thematisierte eine Klientin ihre Unzufriedenheit am Arbeitsplatz. Sie brachte deutlich zum Ausdruck, dass sie sich nicht mehr an der Kultur des Jammerns, die sich in der Einrichtung etabliert hatte, beteiligen und ihre Energie dafür verschwenden wollte, um Veränderung zu kämpfen. Wir stellten ihr das Raummodell vor. Sie entschied sich spontan für den Zielraum, um sich ihre persönlichen Ziele außerhalb des Arbeitskontextes anzuschauen. Sie setzte sich mit ihrem Stuhl ans Fenster, um einen Blick nach draußen zu haben. Der Zielraum lag außerhalb des Beratungsraums, die Landschaft wurde zum Zielraum. In unserem systemischen Interview fragten wir sie zunächst nach ihrer Befindlichkeit zu diesem Raum. Sie wirkte wie befreit, hatte eine geöffnete Körperhaltung, strahlte über das ganze Gesicht. Auf unsere weiteren Fragen hin, begann sie kreativ Ideen zu entwickeln, was in diesem Zielraum alles liegen könnte. Sie begann ein zuversichtliches, hoffnungsvolles Bild bezüglich ihrer Zukunft zu entwickeln. In einer späteren Coachingstunde berichtete sie, dass die »Leichtigkeit«, die sie im Zielraum gedanklich erlebt hatte, es ihr ermöglichte, wieder mit mehr Freude und weniger Leidensdruck arbeiten zu können. Das innere Bild über den Zielraum hatte auch als Nachwirkung, dass sie ihre Risikobereitschaft erhöhte, sich mit Selbständigkeit zu befassen und als zweites Standbein zu verwirklichen. In der Arbeit mit unseren Klienten geht es um Wertschätzung für die bisherigen Lösungen. Auch Problemtrancen kann man als Lösung schätzen: Das ist das, was bisher möglich war. Zielorientierung kann ein wichtiger, muss nicht der einzige Fokus sein. Ähnlich wie in der Hypnotherapie regen wir unsere Klienten an, sich auf den für sie passenden Weg zu zentrieren: Das Gehen ist der Weg. Richtungswechsel sind möglich, sie können von Klienten, Beratern und Umwelteinflüssen initiiert werden. Wir achten darauf, dass die Kunden die Richtung, auch mögliche Umwege, zum Ziel-, Möglichkeits- und Wirklichkeitsraum bestimmen, das heißt, sie entscheiden, was für sie sinnvoll, zieldienlich und hilfreich ist. Das Modell eignet sich auch dazu, die Wahlmöglichkeiten der Berater zu erhöhen. Wir haben zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass in Changemanagementprozessen, in denen schon im Auftrag Veränderung und Zielorientierung vorgeben werden, die Verführung darin besteht, durch Reduktion, enge Rahmensetzung und Prozesskontrolle, die Verunsicherung handhabbar zu machen. Mit unserem Modell setzen wir gerade auf Selbstorganisation, Prozessbegleitung und Suchprozesse der Kunden. Wir schließen uns hier der Haltung von Peter Kruse (»Next Practice«) an, dass es notwen© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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dig ist, ein Risiko einzugehen, um Veränderung durch Instabilität und Musterwechsel zu erreichen, statt auf Optimierung (»mehr desselben«) zu setzen. Die Herausforderung besteht darin, als »Lösung« auch die Beschreibung des Wirklichkeits- und Möglichkeitsraum zuzulassen. Die Definition von Zielen wird manchmal nicht als Aufgabe an die Berater gerichtet. Stattdessen sollte den Anliegen und Aufträgen der Klienten auch eine Entwicklung im Sinne der Metapher »das Gehen ist der Weg« und/oder die Anerkennung des Status quo zugebilligt werden.
Begleitung von Prozessen – Empfehlungen – Begleite den Klienten wertschätzend auf Augenhöhe. – Vertraue auf die Selbstorganisation des Klienten. – Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Sich zu entscheiden heißt, sich für eine Möglichkeit (vorläufig) zu entscheiden. – Probiere mutig neue Konzepte aus. – Ein Prozess funktioniert auch, wenn man die Inhalte nicht kennt. – Selbstorganisation bedeutet Wertschätzung für unsere Kunden und Erleichterung für uns als Berater. – Nutze verschiedene Arten von Bewegung. – Alles ist möglich und unmöglich zugleich. – Vertraue auf die Wirkung der Visualisierung. – Lass dir selbst und dem Klienten Zeit. – Habe Mut zur Kreativität. – Du musst nicht alles wissen, um hilfreich zu sein. – Konzentriere dich auf den Prozess/die Struktur. – Sei flexibel und folge dem Impuls des Klienten. – Sei mutig und bewege dich zwischen bewusster und unbewusster Ebene. »Wer eines Tages beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, sondern sie etwa als Endgültiges verifiziert zu betrachten, der tritt aus dem Spiel aus« (Popper, 1989, S. 26).
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Goolishian, H., Anderson, A. (1988). Menschliche Systeme. Vor welche Probleme sie uns stellen und wie wir mit ihnen arbeiten. In L. Reiter, E.J. Brunner, S. Reiter-Theil (Hrsg.), Von der Familientherapien zur systemischen Perspektive (S. 189–216). Berlin u. Heidelberg: Springer. Kabat-Zinn, J. (1988). Im Alltag Ruhe finden. Das umfassende praktische Meditationsprogramm. Freiburg: Herder. Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Luhmann, N. (1993). »Was ist der Fall?« und »Was steckt dahinter?«. Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie. Bielefelder Universitätsgespräche und Vorträge 3. Bielefeld: Universität Bielefeld, Presse- und Informationsstelle. Kriz, J. (1998). Über die Schwierigkeit, systemisch zu narrativieren. System Familie, 11 (3), 105–111. Kruse, P. (2004). next practice. Erfolgreiches Management von Instabilität. Heidesheim: Gabal. Molter, H. (1990). »Konvertervention« – zwischen Invention und Intervention. Zwei Interviews mit Gianfranco Cecchin und Luigi Boscolo. Systhema, 4 (2), 2–12. Molter, H., Nöcker, K., El Hachimi, M. (2005). Meta-Stallationen. Systhema, 19 (3), 267–274. Popper, K. R. (1989). Logik der Forschung. Tübingen: Mohr (Erstveröffentlichung in deutscher Sprache 1934). Schlippe, A. von (1984). Familientherapie im Überblick. Basiskonzepte, Formen, Anwendungsmöglichkeiten. Paderborn: Junfermann. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (1996). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Kurt Ludewig
Systemische Einzeltherapie: Brauchen wir dazu neue Konzepte?
Bei der Übernahme systemtheoretischer Konzepte in die Psychotherapie beschränkte man sich zunächst auf die Arbeit mit Familien. Das geschah in den 1950er Jahren mitten im Expansionsboom der Psychotherapien. Zusätzlich zu diesen individualtherapeutischen Methoden wurden in dieser Zeit erste Ansätze bekannt, welche den bis dahin üblichen Fokus auf das leidende Individuum auf die Familie erweitern. In Deutschland wurde diese im angelsächsischen Raum begonnene Entwicklung im Jahr 1963 durch das Buch »Eltern, Kind, Neurose« des Gießener Psychoanalytikers Horst E. Richter eingeläutet, in den USA einige Jahre früher durch die Arbeiten verschiedener Gruppen unter anderem um Gregory Bateson und Don Jackson in Palo Alto, Lyman Wynne in Rochester und Harry Goolishian in Galveston. Diese ersten aus der Praxis entstandenen Beiträge wurden in der Regel erst im Nachhinein mit recht uneinheitlichen Ad-hoc-Begründungen untermauert. Verschiedenartige Untersuchungen der Familien psychisch Auffälliger hatten zunehmend den Verdacht erhärtet, dass die spezifische Art des Miteinanders in diesen Familien eine wichtige Ursache der psychischen Störungen bei einem der Mitglieder sei. Die Familientherapie war entstanden und damit eine Verlagerung des Aufmerksamkeitsfokus vom auffälligen Individuum auf den erweiterten Kontext seiner Lebenssituation. Die familientherapeutischen Ansätze trafen offenbar auf ein günstiges Terrain und wurden gern von vielen Therapeuten und ihren Klienten aufgenommen. Kennzeichnend für die zunehmende Bedeutung dieser erstaunlich raschen Entwicklung ist im deutschsprachigen Bereich die Veröffentlichung des Readers »Schizophrenie und Familie« im Jahr 1969, welcher die wichtigsten Arbeiten der unterschiedlichen Gruppen zu diesem Thema zusammenfasst. Interessanterweise erschien dieser Band ohne ausdrückliche Nennung der deutschen Herausgeber, dafür aber mit einem Vorwort des prominenten Psychiatriereformers Caspar Kulenkampff. In den 1970er Jahren differenzierte sich zunehmend das Feld der populär gewordenen Familientherapie. Neben Einzelerscheinungen von charismatischen therapeutischen Persönlichkeiten wie Virginia Satir, Ivan Boszormenyi-Nagy, Murray Bowen und Carl Whitaker, nahmen auch die bereits bestehenden Schulen einzelne Techniken der Familientherapie in ihr Repertoire auf. Bei den eigentlichen Familientherapien bildeten sich zwei richtungsweisende Hauptströmungen heraus: die prozessorientierte Familientherapie nach Paul Watzlawick und Mitarbeitern aus dem MRI in Palo Alto, und die strategisch-strukturalistischen Familientherapien nach Salvador Minuchin und Jay Haley. Ende der 1970er Jahre kam dann die systemische Familientherapie der Mailänder um Mara Selvini Palazzoli und Kollegen hinzu. Die eigentliche systemische Therapie als Weiterentwicklung aus den Familientherapien entstand zu Beginn der 1980er Jahre. Durch allmähliche Übernahme eines neuartigen Verständnisses des Menschen und seinen Interaktionen gab sich diese Therapierichtung © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Kurt Ludewig
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eine eigene theoretische Begründung. Der so entstandene psychotherapeutische Ansatz wurde zwar »systemische Therapie« genannt, dies sollte aber von vornherein nicht bedeuten, dass er nur für die Arbeit mit sozialen Systemen geeignet sei. Man unterschied schon früh zwischen systemischer Psychotherapie (mit einzelnen Klienten), systemischer Paartherapie, systemische Familientherapie und systemischer Gruppentherapie (vgl. Ludewig, 1992, 2002, 2005). In der Praxis lässt sich aber feststellen, dass angehende und ausgebildete systemische Therapeutinnen und Therapeuten ihre konkrete Arbeit nicht auf Familien oder andere soziale Systeme beschränken. Obwohl viele der dabei gelehrten methodischen Techniken und Interventionen in erster Linie aus der Arbeit mit sozialen Systemen, das heißt, mit Mehr-Personen-Systemen entstanden sind, ist die Mehrzahl der Lernenden in Institutionen tätig, die Einzelpersonen betreuen. Man behilft sich mit der Erklärung, dass auch einzelne Menschen Mitglieder eines sozialen Systems sind, so dass man Familientherapie mit einem einzelnen Menschen durchführen kann. Darüber hinaus kommt es diesen Therapeuten zu Hilfe, dass wichtige Techniken wie zum Beispiel die Standardfragen und Standardinterventionen nach Steve de Shazer und Mitarbeitern in Milwaukee durchaus für die Arbeit mit Einzelnen geeignet sind. Dennoch fehlt es an konsistenten, gegenstandsgerechten Konzepten. Die Theoriebildung im systemischen Praxisfeld hatte sich bislang im Wesentlichen auf soziale und kommunikative Systeme konzentriert und jene systemischen Aspekte, die im Individuum vorkommen, nämlich die psychischen Systeme, weitgehend vernachlässigt. In der professionellen Praxis aber gehen fortlaufend Annahmen – meistens anderer theoretischer Provenienz – über intrapsychische Momente in deren Planung und Durchführung ein, ohne deren systemische Angemessenheit ausdrücklich geprüft zu haben.
Psychische Systeme Mit Blick auf innerpsychische Vorgänge spricht mittlerweile vieles dafür, den bisherigen Glauben an die Einheitlichkeit des Geistes aufzugeben. Wie ich es an anderer Stelle ausführlicher diskutiert habe (vgl. Ludewig, 2010, 2011), lässt sich weder aus Ergebnissen kognitionstheoretischer noch neurobiologischer Forschung, weder aus psychologischer noch soziologischer Sicht bestätigen, dass Menschen über einen hierarchisch organisierten Geist mit einem zentralen Organisator verfügen. Nach den Kognitionswissenschaftlern Varela und Thompson (1991) müsse der Geist als uneinheitliche, heterogene Kollektion von Netzwerkprozessen aufgefasst werden und keineswegs als einheitliche, homogene Entität. Die Forschung habe kein überdauerndes und in sich kohärentes Selbst bzw. zentralen Prozessor ausmachen können, sondern nur eine Vielfalt gleichzeitig ablaufender Prozesse unterschiedlicher unbeständiger Aggregate. Modelle selbstorganisierender Prozesse neuronaler Netzwerke entsprechen der Arbeitsweise des Gehirns als kooperatives System weitaus besser. Ob es sich um Gedanken, Wahrnehmungen, Gefühle oder Phantasien handelt: Diese entstehen, wenn bestimmte funktionale Netzwerke im Nervensystem aktiviert werden, und sie vergehen, wenn der Anlass zur Herstellung dieser Netzwerke vergeht. Was sind aber diese Netzwerke, wenn man sie aus der psychologischen Perspektive zu verstehen versucht? Ich möchte sie als psychische Systeme auffassen. Ein System ist © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Systemische Einzeltherapie: Brauchen wir dazu neue Konzepte?
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bekanntlich definiert als ein Zusammenhang bzw. eine Kohärenz bestehend aus Elementen, ihren Relationen untereinander und der Grenze, welche die Differenz System/ Umwelt konstituiert (vgl. Luhmann, 1984). Soziale Systeme in der Auffassung Luhmanns bestehen aus Kommunikationen bzw. kommunikativen Einheiten, den Anschlüssen, die diese Kommunikationen zu einem Ablauf verbinden und einer sogenannten Sinngrenze, die es erlaubt, dazu gehörige Kommunikationen von anderen, die nicht dazu gehören, zu unterscheiden. Für psychische Systeme soll nach Luhmann gelten, dass sie aus Bewusstseinseinheiten bzw. Gedanken, ihren Anschlüssen, die für Kontinuität sorgen, und ebenfalls einer Sinngrenze bestehen, die Dazugehörendes von Nichtdazugehörendem unterscheiden lässt. Letztere Auffassung ist zwar aus soziologischer Perspektive nachvollziehbar, sie bietet aber für die Praxis ein viel zu abstraktes Verständnis. Aus Sicht der Praxis, die es mit Menschen aus Fleisch und Blut und nicht bloß mit Gedanken zu tun hat, fehlt dieser Definition gerade der Aspekt, der offenbar das Denken antreibt, nämlich die Emotionalität (vgl. u. a. Ciompi, 1997). Deshalb erscheint es für die Zwecke der klinischen Theorie angebracht, psychische Systeme als Kohärenzen aufzufassen, die sich aus affektiv-kognitiven Einheiten (Elementen) zusammensetzen. Sie schließen aneinander im zeitlichen Ablauf (Relationen) an, und sie unterscheiden sich von ihrer Umwelt durch eine Sinngrenze. Diese Kohärenzen entsprechen insofern der Systemdefinition, als sie Komplexität durch Schaffung einer System-Umwelt-Differenz reduzieren. Sie bestehen aus relationierten Elementen – affektiv-kognitive Einheiten – entlang einer Sinngrenze. Die Bezeichnung »psychische Systeme« soll also für solche Zusammenhänge verwendet werden, die wir unterscheiden können, wenn Veränderungen in der Arbeitsweise des Nervensystems zu sinnhaften Erfahrungen derart verarbeitet werden, dass weitere Erfahrungen um den gleichen Sinn daran anschließen können. Manche dieser Erfahrungen werden dann zu Erlebnissen synthetisiert, die unbewusst motivierte Handlungen anstoßen. In dem Fall aber, in dem diese Erlebnisse zu Bewusstsein werden, können sie zudem gezielte Handlungen auslösen. Die Selektion dessen, was über das bloße Erfahren hinaus zu psychischen Erlebnissen und Bewusstseinszuständen verarbeitet wird, wird nach allem derzeit Bekannten maßgeblich emotional moduliert und hängt von dem ab, was zum Beispiel Maturana (1990) Emotionieren nennt. Unter Emotionen versteht er körperliche Dispositionen zum Handeln, die in jedem Moment den Handlungsbereich spezifizieren, in dem ein Lebewesen operiert, und unter Emotionieren das Fließen von der einen zur anderen Emotion und so auch von dem einen zum anderen Handlungsbereich. Der im psychotherapeutischen Bereich mittlerweile eingeführte Systembegriff hat sich durchaus als hilfreich bei der konzeptuellen Fassung menschlicher Probleme und deren Überwindung erwiesen. In der klinischen Theorie der systemischen Therapie betrachte ich menschliche Probleme als interaktionelle Systeme, in denen die Kommunikanten ihre Kommunikation aus emotionalen Gründen einer Vermeidungsdynamik darauf beschränken, das Bestehende durch ständige Reproduktion zu erhalten, zumal die Alternative noch schlimmer ausfallen könnte. Mit diesem Konzept im Hinterkopf geht es dann in der Therapie mit sozialen Systemen darum, die Träger dieser Problemkommunikation im sicheren Rahmen einer tragfähigen therapeutischen Beziehung dafür zu gewinnen, mehr vom anderen bzw. Alternativen zum Problem auszuprobieren und so auf Abstand von der rituellen Problemreproduktion zu gehen. Für innerpsychische © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Probleme gilt Entsprechendes: sie werden von psychischen Systemen getragen, die ebenfalls in Folge einer Vermeidungsdynamik jene Kohärenzen, die das Problem konstituieren, rituell wiederholen. Inwiefern dies für die Konzeptualisierung einzeltherapeutischer Maßnahmen nützt, darauf gehe ich im letzten Absatz ein. Zunächst jedoch einige Gedanken zur Frage der Einheitlichkeit oder Multiplizität menschlichen Geistes.
Polyphrenie Die psychischen Systeme werden hier als immer neue Reaktion auf unterschiedliche – innere oder äußere – Ansprüche verstanden, die an den betreffenden Menschen gerichtet werden. Sie beziehen sich auf ein faktisches oder innerlich repräsentiertes Gegenüber und rufen darauf bezogen die verfügbaren Strukturen des verkörpernden Menschen selektiv ab. Bereits vorhandene psychische Fähigkeiten (Denken, Fühlen, Erinnern, Motive usw.) sowie solche, die aktuell neu entstehen, werden selektiv mobilisiert und zu einem jeweils einzigartigen Aktivitätsmuster, zu einer affektiv-kognitiven Kohärenz gebündelt. Auf diese Weise emergiert in jeder einzelnen Situation ein aktuelles Ich, welches nur so lange besteht, wie es durch Anschluss weiterer affektiv-kognitiver Kohärenzen fortgesetzt wird. Aus dieser Perspektive schlage ich vor, bei der Beschreibung des Psychischen von einer Polyphrenie auszugehen. Damit bezeichne ich das vielfältige Potenzial bzw. Reservoir an einzelnen psychischen Systemen, die als vergangene Erfahrungen im Nervensystem des Menschen gespeichert wurden. Das polyphrene Reservoir stellt die Umwelt dar, aus der die psychischen Systeme durch Unterscheidung hervorgehen. Im Verlauf kommunikativer und/oder introspektiver Aktivitäten greift das jeweils entstehende psychische System auf das polyphrene Potenzial eines Menschen zurück, um als solches entstehen zu können. Die aktuellen psychischen Systeme »bedienen« sich selektiv dieses Reservoirs, um einzelne Elemente davon zu affektiv-kognitiven Aktivitätsmustern zu kombinieren. Psychische Systeme werden hier aufgefasst als Reaktion auf äußere Ansprüche im Rahmen von Kommunikation oder als innerliche Reaktion auf an sich selbst gerichtete Ansprüche. Bei der Reaktion auf kommunikativ ausgelöste Ansprüche stattet das dabei entstehende psychische System das gleichzeitig entstehende Mitglied – den sozialen Operator, der als Element in einem interaktionellen System wirkt (vgl. Ludewig, 1992) – mit den zur Bewältigung einer sozialen Situation notwendig erachteten Attributen aus. So gesehen, stellen psychische Systeme das intrapsychische Gegenstück zu den Mitgliedern dar, die ein Mensch in sozialen Situationen verkörpert. In dem anderen Fall, in dem psychische Systeme als Reaktion auf innerpsychische Ansprüche entstehen, muss angenommen werden, dass auch hier mit dem Unterschied von Selbstund Fremdreferenz operiert wird, wie auch immer dieser Unterschied hergestellt wird. Selbst ein Denkprozess, der konzentriert über sich selbst reflektiert, führt implizit seine Umwelt mit und wird von dieser beeinflusst. Ein flexibler Zugang zu der eigenen Polyphrenie dürfte die Garantie für den normalen Zustand eines anpassungsfähigen Menschen gewährleisten. Dabei meint Polyphrenie, anders als wenig überzeugende Darstellungen gleichzeitig parallel wirksamer psychischer Systeme, eine Vielfalt latenter, nicht aktuell wirksamer Möglichkeiten bzw. Potenziale, die je nach Beanspruchung von den dabei entstehenden psychischen Systemen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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aktiviert oder neu erzeugt werden. Insofern verkörpert ein Mensch zu einer bestimmten Zeit jeweils nur ein psychisches System. Im Unterschied zu einer der flexiblen Anpassung garantierenden Polyphrenie wäre ein eingeschränkter bis in eine Monophrenie reichender Zustand ein wesentliches Anzeichen für eine reduzierte Fähigkeit, auf die vielfältigen Anforderungen des alltäglichen Lebens adäquat zu reagieren. Polyphrenie bedeutet hier auch nicht die analytische Aufteilung eines homogenen Ganzen in seine Teile, sondern ein vermutlich in Form von neurobiologischen Netzwerken vorhandenes Reservoir an abgrenzbaren latenten Kohärenzen, die, einmal aktiviert, das aktuelle Ich eines Menschen gestalten. Die Kontinuität im Selbsterleben, also das Gefühl dauerhafter Identität, dürfte im Wesentlichen darauf zurückgehen, dass alles Erfahren, Erleben und Bewusstsein eines Menschen durch somatische Aktivität (Nervensystem) ermöglicht und so auch am Körperlichen erkennbar ist. Auf die Frage nach der eigenen Identität reagiert ein sich dazu konstituierendes psychisches System – ein aktuelles Ich –, welches im Organismus auf Gespeichertes zurückgreift und vergangene Erfahrungen, Erlebnisse und Bewusstseinsinhalte selektiv zu einem Narrativ bündelt. Das durch nämliche Frage aktivierte aktuelle Ich synthetisiert aus den bisherigen Erfahrungen passende Merkmale und stellt sie der Person zur Verfügung, damit diese als Mitglied in der entsprechenden Interaktion mit der Beschreibung eines personalen Ichs antworten kann. Die Unterscheidung zwischen aktuellem und personalem Ich entspricht jener von Prozess und Struktur bzw. von Vergehendem und Beständigem. Ebenso wie es unangemessen erscheint, von Selbsten und Identitäten als von ontologischen Sachverhalten zu reden, erscheint es wenig sinnvoll, diese Begriffe als unsinnig zu entsorgen. Angemessener erscheint es mir, sie weiterhin zu verwenden, allerdings mit einem klaren Bezug auf die Phänomene, die sie bezeichnen.
Relevanz für die Praxis Bekanntlich gibt es zwischen Theorie und Praxis keine eindeutige Verbindung. Während Praxis wie auch immer geschehen muss, übernimmt die Theorie den Part einer orientierenden, überprüfenden und eventuell korrigierenden Funktion. Mehr als das kann nicht einmal eine noch so ausgefeilte Systemtheorie leisten. Dennoch hat die Anbindung an das sogenannte systemische Denken die Praxis enorm erleichtert. Allein die Formulierung, dass Problemsysteme kommunikative bzw. soziale Systeme sind, deren Fortbestand von der andauernden Reproduktion der dazu notwendigen Kommunikationen abhängt, erwies sich für die Praxis als enorme Erleichterung. Nicht Psychen, ganze Menschen, Paare, Familien oder andere soziale Systeme mussten sich daher ändern oder, noch schlimmer, verändert werden, sondern es reichte, sie zur Bevorzugung eines anderen unter den ihnen möglichen Kommunikationsabläufen zu motivieren. In den meisten Fällen erleichterte und verkürzte dies die Intervention der Helfer. Im Hinblick auf praktische Belange steht an zu klären, ob ein auf Prozess und Variabilität konzipiertes Verständnis psychischer Systeme mit den Erwartungen und Möglichkeiten der Praxis kompatibel ist. Diese Aufgabe kann allerdings erst erfüllt werden, wenn ein polyphrenes Verständnis psychischer Systeme als handlungsanleitende © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Denkweise oder in Form ad hoc erdachter Techniken in die Praxis konsequent umgesetzt und empirisch kontrolliert würde. Davon sind wir noch weit entfernt. Der Rückgriff auf bisherige Konzepte der sogenannten Teilearbeit dürfte hierzu, wie ich an anderer Stelle ausführlich diskutiert habe (vgl. Ludewig, 2010b), kaum ausreichen. Die sogenannte Teilearbeit bietet sich zwar als Metaphorik durchaus an, Menschen bei der Suche nach Ressourcen und Alternativen behilflich zu sein, sie überschreitet aber diesen Bereich, wenn sie die verwendeten Metaphern unbemerkt ontologisiert. Über den Nutzen der hier erörterten Konzepte für die systemische Einzeltherapie lässt sich vorerst theoretisch annehmen, dass die Möglichkeiten psychischer Systeme, auf innere oder äußere Ansprüche zu reagieren, vom jeweiligen Ausmaß der polyphrenen Vielfalt und Plastizität im jeweiligen Menschen begrenzt sind. Bei traumatisierten Menschen zum Beispiel weiß man, dass sie in ihren Möglichkeiten, auf relevante Ansprüche flexibel auf das polyphrene Reservoir zurückzugreifen, beeinträchtigt sind (vgl. z. B. LeDoux, 2002). Dies dürfte auch bei anderen psychischen Beeinträchtigungen wie Ängsten, Zwängen usw. der Fall sein. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass dominant auftretende psychische Systeme mit negativer Affektivität derart intensiv das polyphrene Reservoir beanspruchen, dass ein Bewusstsein über alternative Systeme gar nicht aufkommen kann. Die praktische Anwendung des hier vorgestellten Verständnisses psychischer Systeme knüpft nicht unbedingt an eine bestimmte Schule der Psychotherapie an. Egal ob der Therapeut sich für Verdrängtes, Glaubenssätze, Kollusionen, Externalisierungen usw. interessiert, kann er sich mit den unterschiedlichen psychischen Systemen, die Probleme erzeugen und erhalten, befassen, aber auch mit solchen, die dem entgegenstehen und daher als Ressource gelten können. Gerade aber in diesem letztgenannten Sinne bietet diese Konzeptualisierung für Therapien, die auf innere oder äußere Ressourcen zurückgreifen, einen unmittelbaren Vorteil. Denn das polyphrene Potenzial stellt die sogenannten Ressourcen – ein so unmittelbar eingängiges wie unspezifisches Konzept – bereit, woran die nicht problemträchtigen psychischen Systeme anzuschließen versuchen, um die Probleme zu bewältigen. Im Hinblick auf die systemische Einzeltherapie lassen sich diesbezüglich zwei Typen von Settings unterscheiden: Die systemische Therapie mit nur einem Mitglied eines sozialen Systems und die eigentliche individuumszentrierte systemische Psychotherapie. Mit Blick auf den ersteren Typus dürfte es nicht notwendig sein, spezielle auf das Individuum hin gedachte Konzepte zu entwickeln. Die hierzu notwendigen Anpassungen könnten darauf beschränkt werden, den therapeutischen Dialog mit einem virtuellen, nur durch die Person des einzeln anwesenden Mitglieds repräsentierten sozialen System zu führen. Für den zweiteren Typus einer regelrechten individuellen Psychotherapie wiederum folgt, dass jene rekurrent auftretenden psychischen Systeme, deren Operieren die wiederholte Reproduktion eines Lebensproblems produziert und reproduziert, in das latente polyphrene Reservoir zurückgedrängt oder ganz und gar zur Auflösung bewegt werden sollte. Die Frage also, ob wir neue Konzepte für eine regelrechte Konzeptualisierung der systemischen Einzeltherapie brauchen, ist meines Erachtens durchaus zu bejahen. Das Konzept des psychischen Systems und des polyphrenen Potenzials entspricht den Prämissen systemischen Denkens und dürfte daher als Rahmengebung für die weiterführende Erarbeitung der klinischen Theorie dienen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die Zukunft systemischer Supervision auf dem Beratungsmarkt
Einleitung Noch vor wenigen Jahren wurde in den Diskursen, die sich mit personenbezogenen Beratungsangeboten in Organisationskontexten befassen, das Wort »Supervision« mit großer Leidenschaft als Kampfbegriff gegen am Markt konkurrierende – und zunehmend erfolgreiche – Beratungsmodelle, vor allem gegen das Coaching, in Stellung gebracht. Die dabei ins Feld geführten – und teilweise durchaus berechtigten – Argumente waren unter anderem die mangelnde Qualifikationstiefe in der Ausbildung von Coaches sowie der Professionalisierungsgrad – und damit verbunden der hohe Qualitätsstandard – von Supervision. Eine gegenstandsbezogene Auseinandersetzung erwies sich dagegen schon als schwieriger. Im Kern der Auseinandersetzung spielte sicherlich die Befürchtung eine Rolle, dass die beschleunigte Verbreitung von Coachingangeboten dem ohnehin gesättigten Supervisionsmarkt kräftig zusetzen könne, zumal sich in der Praxis Supervision und Coaching eben nicht einfach voneinander abgrenzen lassen, »denn nicht das tatsächliche Geschehen in der Praxis bestimmt, was Coaching [bzw. Supervision] ist, sondern deren glaubhafte Inszenierung in den verschiedenen Öffentlichkeiten« (Buer, 2005, S. 280). Dementsprechend sorgten die Supervisionspraktikerinnen beizeiten dafür, nach Möglichkeit mehrere Felder gleichzeitig zu besetzen. So zitiert Buer eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Supervision DGSv aus dem Jahre 2004, nach der von 3.500 Mitgliedern 1543 nach eigenen Angaben ebenfalls Coaching, 1442 Fortbildungen und Trainings, 1090 Moderation und 917 Organisationsberatung angeboten haben (S. 283). Man darf davon ausgehen, dass die Zahlen bei einer aktuellen Umfrage um Einiges höher wären. Mittlerweile hat sich der Staub in der Kampfbahn offensichtlich gelegt. Während das Thema »Beratung« und »Beratungswissenschaft« auf nationaler wie auf europäischer Ebene Furore macht, ist im Supervisions-Diskurs nicht mehr viel Neues zu hören. Dies gilt weitgehend auch für den innersystemischen Diskurs. Allenthalben – etwa bei vielen privaten Weiterbildungsinstituten – sind Bemühungen zu beobachten, Coaching- und Supervisions-Curricula zunehmend zu integrieren. In der angesehenen Fachzeitschrift »Organisationsberatung – Supervision – Coaching« sind in den letzten vier Jahren kaum noch Beiträge zum Thema Supervision zu finden. Abgrenzungsbestrebungen zur Erhaltung der Supervision als eigenständiges professionelles Feld spielen keine große Rolle mehr. Befindet sich die Supervision in einer Krise? Die Überlegungen dieses Beitrages gehen davon aus, dass sich die Kontextbedingungen für Supervision seit langem in einem starken Veränderungsprozess befinden. In der Konsequenz muss das zu einem entsprechenden Wandel des inhaltlichen Profils von Supervision führen, will sie auch © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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zukünftig als Beratungsangebot eine bedeutsame Rolle spielen. Dieser Veränderungsdruck ist schon seit längerem in vielen Arbeitsfeldern zu beobachten, auch wenn es nach wie vor, etwa im klinischen Bereich, eingespielte Formen klassischer Supervisionssettings (z. B. Fall- oder Ausbildungssupervision) gibt. Wie Buchinger in Anlehnung an Wolfgang Weigand feststellt, ist Supervision nur durch den Gegenstand, nicht aber durch die Methoden definiert, deren sie sich bedient (Buchinger, 1999, S. 13). Dieser Gegenstand ist die berufliche Arbeit, nicht die arbeitende Person oder eine Gruppe. Nun hat sich allerdings in den vergangenen drei Jahrzehnten das Feld beruflicher Arbeit nachhaltig verändert, beeinflusst durch den Wandel der Ökonomie, den Wandel der Arbeit und in hohem Maße auch durch den Wandel der Organisation. Diese Veränderungen möchte ich hier kurz skizzieren.
Wandel der Ökonomie Wie unter anderem Rudolf Wimmer unter Heranziehung von Arbeiten des Wiener Ökonomen Stephan Schulmeister eindrucksvoll darstellt (2004, S. 9 ff.), hat sich die Entwicklung des Wirtschaftssystems seit den 70er und 80er Jahren dramatisch verändert. Ein zentraler Faktor neben der Revolutionierung weltweiter Kommunikationstechnologien ist die Umkehrung des Verhältnisses von Real- und Finanzwirtschaft seit dieser Zeit. In der Periode von 1950–1965 lag der Zinssatz stetig circa 3 % unter der Wachstumsrate der Realwirtschaft. Dies sorgte für ein kontinuierliches Wachstum der Unternehmen, die ihre Investitionen problemlos über Kredite finanzieren konnten. Das Wirtschaftswachstum wurde durch den Transfer der wachsenden Überschüsse privater Haushalte (in Form von Sparguthaben) in Realinvestitionen der Unternehmen gestützt. Der Boom der Realwirtschaft machte eine wirtschaftliche Stabilitätspolitik möglich, die heute nicht mehr denkbar ist. In den 1970er Jahren kam es infolge der Geldpolitik der USA, die unter anderem zur Finanzierung des Vietnamkrieges Geld drucken mussten und die Goldeinlösungsgarantie des Dollars nicht mehr aufrechterhalten konnten, zum Zusammenbruch der bis dahin festen Wechselkurse (Aufkündigung des Bretton-Woods-Systems). Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die sich im Zuge dieser Veränderungen seit Beginn der 80er Jahre weltweit durchsetzte, ging mit einer massiven Deregulierung des Finanzsektors einher, die Zinsen stiegen sprunghaft. Seit dieser Zeit liegt die Wachstumsrate der Wirtschaft konstant unterhalb der jeweiligen Zinsrate, das Verhältnis von Real- und Finanzkapital hat sich verkehrt: Gewinne werden nun nicht mehr mit Investitionen in die Realwirtschaft, sondern mit Spekulationen auf den Finanzmärkten gemacht. Dies hatte und hat nicht nur Auswirkungen auf die Ökonomie selbst, sondern auch auf den gesamten öffentlichen Bereich: »Die Verlagerung der Unternehmeraktivitäten von Real- zu Finanzinvestitionen senkte das Wirtschaftswachstum, die Ausgaben für immer mehr Arbeitslose stiegen, die Steuereinnahmen wurden gedämpft, das Budgetdefizit stieg, wobei ein wachsender Teil von den Zinszahlungen absorbiert wurde. Anders ausgedrückt: ein dauernd über der Wachstumsrate liegendes Zinsniveau macht den Sozialstaat langsam, aber sicher unfinanzierbar« (Schulmeister, 1998, S. 12). Der damit verbundene Kostendruck nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch bei der öffentlichen Hand macht sich seit langem in Budgeteinsparungen in den medizini© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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schen und psychosozialen Bereichen sowie bei den entsprechenden Kürzungen bzw. Neuplatzierungen von Beratungs- und Supervisions-Etats bemerkbar. Wie Wimmer feststellt, werden die von Beratern angewandten Grundgedanken der Effizienz und Nützlichkeit von Maßnahmen nun auf Beratungsangebote selbst angewandt und deren Notwendigkeit kritisch hinterfragt. Neben den Veränderungen auf der Nachfrageseite kommt es seit Ende der 90er Jahre auch zunehmend zu einem Eindringen klassischer Unternehmensberatungen in den klassischen Non-Profit-Beratungssektor der Kirchen und Wohlfahrtsverbände. Supervision kann sich also nicht ohne Weiteres mehr auf berufliche Reflexionstraditionen berufen, sondern muss sich auf dem Markt der Beratungsanbieter nicht nur inhaltlich neu positionieren, sondern auch ökonomisch legitimieren können.
Wandel der Arbeit Die Veränderungen im ökonomischen Bereich stellen einen bedeutsamen Kontext beruflicher Arbeit dar. Darüber hinaus sind die Arbeitsprozesse selbst seit den 70er Jahren einem dramatischen Wandel ausgesetzt. Wie Manuel Castells in seiner monumentalen Trilogie über »das Informationszeitalter« (2001) herausarbeitet, verändern sich in Verbindung mit der technologischen Revolution des Computerzeitalters (Computer, Kommunikationstechnologie, Internet und andere neue Medien) sowohl Inhalte als auch Formen von Arbeit gravierend. Durch den Umgang mit den neuen Medien verändern sich grundlegend die Raum-Zeit-Bezüge sozialer Interaktion (alles findet potenziell immer und überall statt), was nicht zuletzt auch Auswirkungen auf politische, soziale und psychische Strukturen und Entwicklungsverläufe hat. In den Arbeitsprozessen selbst tritt die produktive, materialgebundene Arbeit zugunsten von Informations- und Wissensmanagement zurück, Produktions- und Dienstleistungsbereiche verschmelzen. Die Beschleunigung von technischer Entwicklung und Kommunikation löst traditionelle Bindungen an Arbeitskontexte auf, der Lebenslauf ersetzt die Lebenslage. Arbeit steht nicht mehr der Freizeit konträr gegenüber, sie wird vielmehr zum Ort der Selbstverwirklichung, zum universalen Ausdruck für Lebenstätigkeit schlechthin. Die Reproduktionszeit transformiert sich zur Qualifikationszeit im lebenslangen Lernen. Die Umstellung der Arbeitsbedingungen stellt an alle Beteiligten im Arbeitsprozess hohe Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen, die für die Zunahme psychischer Belastungen und psychosomatischer Erkrankungen in den vergangenen 15 Jahren mitverantwortlich sein dürften. Während Supervision klassischerweise auf die Reflexion guter professioneller Praxis in der Arbeit mit Klienten fokussierte, tauchen heute die realen Arbeitsbedingungen als Kontext dieser Praxis immer häufiger selbst als Thema in der Supervision auf, vor allem unter dem Aspekt der Beschleunigung und des Zeitmangels sowie organisatorischer Sachzwänge (Kostendruck und Personaleinsparungen). Diese Faktoren konterkarieren zunehmend die Möglichkeiten von Reflexion als wichtige Ressource in komplexen Arbeitszusammenhängen, weil die Zeit zur Reflexion kaum noch eingeräumt wird. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Wandel in Organisationen Hand in Hand mit den ökonomischen und arbeitsbezogenen Veränderungen verändern sich auch Struktur und Bedeutung von Organisationen. Gesellschaftlich relevantes Handeln und Entscheiden finden heute vor allem in Organisationen statt. Während für lange Zeit Entscheidungen und inhaltliche Strukturierung in vielen Arbeitsprozessen an die Figur des »Professionellen« als Inbegriff fachlicher Autorität gebunden war, löst sich dieser Zusammenhang allmählich zugunsten komplexer organisatorischer Bedingungszusammenhänge auf. Organisationen müssen gegenwärtig verschiedenste Herausforderungen auf sachlicher, zeitlicher und sozialer Ebene bewältigen. Auf der sachlichen Dimension sind Organisationen mit einer Zunahme externer und interner Komplexität und der gleichzeitigen Abnahme der Steuerbarkeit der Organisation konfrontiert. Die Tendenzen zur Selbstorganisation sowie zur funktionalen Differenzierung und Spezialisierung (Subsystem-Bildung) von Organisationen erfordern eine Umstellung der Praxis von der Anwendung festgelegter Routinen hin zum flexiblen Management von Wissen – bei grundsätzlicher Ungewissheit über die Erfolgsbedingungen von Handlungen und Entscheidungen. Auf der zeitlichen Ebene geht es um die Auflösung klassischer OrganisationsStrukturen in Richtung eines konsequenten Prozessmanagements, Stabilitätserwartungen sind aufgrund einer sich beschleunigenden Systemdynamik immer weniger aufrechtzuerhalten. Auf der sozialen Dimension entsteht hierdurch (ebenso wie durch die Personengebundenheit von Wissen) ein zunehmender Reflexions- und Kommunikationsbedarf, der eine Neubestimmung von Führung verlangt, deren Aufgabe zukünftig mehr in einer effizienten Abstimmung mit und Vernetzung von Kooperationspartnern als in der Durchsetzung hierarchischer Programme liegt. Paradoxerweise bleibt aber gerade dieser Bedarf infolge der Beschleunigung der Prozesse und der Einsparung von Zeit und Ressourcen häufig ungedeckt, was die Arbeitssituation in Organisationen zusätzlich unter Druck bringt.
Herausforderungen für die Supervision Die genannten Veränderungen des Gegenstandsbereiches von Supervision fordern diese zur Klärung ihrer Identität, zur Neubestimmung ihres Beratungsfokus sowie zur Neubestimmung von Kompetenzen und Fähigkeiten heraus, die Supervisorinnen heute zur Verfügung haben sollten. Identität: Professionelle Praxis versus Profession
Ausgehend von ihrem Ursprung in der Sozialarbeit hat sich Supervision als Reflexionspraxis bestimmter Professionen vor allem im psychotherapeutischen und psychosozialen Feld etabliert. Darüber hinaus gab und gibt es seit langem unterschiedliche Bemühungen, Supervision selbst als Profession durchzusetzen. Während die systemischen Fachverbände (SG und DGSF) Supervision als professionelles Beratungsangebot © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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auf systemischer Grundlage mit eigenen Weiterbildungsstandards und Qualitätskriterien entwickelten, lehnten sie jedoch in Abgrenzung zum Supervisions-Verband DGSv stets Strategien ab, Supervision als eigenes Berufsbild zu etablieren. Diese Vorstellung gehörte beispielsweise noch bis vor kurzem zu den erklärten Zielen der DGSv. Während systemische Supervision auf dem Beratungsmarkt neben vielen anderen professionellen Beratungsangeboten einen guten Stand hat, scheint die Idee der Supervision als eigenständiger Profession heute aber keine wirklichen Chancen mehr zu haben. Wie lässt sich das erklären? Mit dem Systemtheoretiker Rudolf Stichweh kann man den Begriff der Profession als »eine bestimmte Form der Beruflichkeit [fassen], die der modernen Gesellschaft aus der ständisch-korporativen Welt des alten Europa zugekommen ist« (Stichweh, 2005, S. 1). Historisch schlossen die Professionen »das Wissen um die Beziehung des Menschen zu Gott ein (Theologie), weiterhin das Wissen des Menschen über sich selbst und seine physische Natur (Medizin) und schließlich das Wissen über die Beziehungen des Menschen zu anderen Menschen (Recht)« (S. 1). Privilegiertes Wissen, die starke ethische Bindung von Professionen (hypokratischer Eid, Dienstideale, Gemeinwohlorientierung etc.) und die organisatorische »Schließung gegenüber konkurrierenden Wissenssystemen«, etwa durch Steuerung und Verwissenschaftlichung von Ausbildungsgängen, Regulierung der Professionszugehörigkeit und Durchsetzung staatlicher Anerkennung von Handlungsmonopolen führten dazu, dass wesentliche Bereiche des öffentlichen sozialen Lebens durch Professionen und Professionswissen reguliert wurden. Die fachinterne Ausdifferenzierung von Professionen führte zum Spezialistentum: Garant einer Steigerung der Effizienz fachspezifischer Lösungen. Im 19. Jahrhundert wurde das Konzept der Profession auch auf neue akademische Berufe ausgedehnt (Stichweh, 2005, S. 2). Die Attraktivität dieser »alteuropäischen Professionssemantik« wirkt bis in die heutige Zeit hinein (man betrachte die entsprechenden Diskurse in der Sozialarbeit und den Pflegewissenschaften, nicht zuletzt aber auch die Professionalisierungsbestrebungen der Supervisoren selbst), obwohl das Prinzip der Professionalisierung schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts »eigentlich hätte als überholt erscheinen können« (S. 3). Im Zuge der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionssysteme verlieren nämlich hochgradig professionsgebundene Handlungsprogramme allmählich ihre Dominanz. Immer weniger Fachentscheidungen werden von einzelnen Professionellen nach eigener Maßgabe entschieden und verantwortet. Die Eigendynamik von Organisationen als Bezugsrahmen professioneller Praxis gewinnt immer mehr an Gewicht, auch wenn die berufliche Praxis in Organisationen immer noch von Abgrenzungskämpfen zwischen den in ihr tätigen Professionen geprägt ist: »Die fortschreitende interne Differenzierung und die professionelle Pluralisierung in Funktionssystemen löst die faktische und normativ gestützte Kontrolle nur einer Leitprofession über ganze Funktionssysteme auf. Es ist genau diese Stelle, an der die Sozialform Organisation übernimmt und die Arbeitsteilung in einem Funktionssystem reorganisiert. Entscheidungen hinsichtlich des relativen Gewichts verschiedener Berufsgruppen in einem bestimmten Funktionskomplex fallen jetzt zunehmend innerhalb von Organisationen, die in diesem Funktionskomplex ihren Tätigkeitsschwerpunkt haben« (Stichweh, 2005, S. 7 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Sieht man in der fachlichen Entscheidungsautonomie einen zentralen Aspekt von professioneller Kompetenz, so lässt sich beispielsweise in den letzten Jahrzehnten bei Ärzten ein schleichender, aber offenkundiger Deprofessionalisierungsprozess beobachten: Gleichzeitig mit einer enormen Vergrößerung der Wissensbasis findet eine zunehmende Verlagerung der Entscheidungskompetenz hin zu Kostenträgern (Krankenkassen und Rentenversicherungen) einerseits, zu den Patienten andererseits statt, die vor 50 Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. An dieser Stelle ist es daher sinnvoll, das Konzept professionellen Handelns im Sinne einer wissensbasierten, ethisch begründeten und verantworteten Praxis von einem Konzept der Profession als Leitmotiv einer berufsständischen Organisierung von Professionellen zu abzugrenzen. Was hat es mit der Vorstellung von Supervision als eigenständiger Profession auf sich? Zunächst war »für die relativ erfolgreiche professionelle Etablierung der Supervision [als professionelle Praxis] [...] wichtig, dass man ein ›menschenzentriertes‹ Tätigkeitsfeld identifiziert hatte, für das sich die etablierten Professionen nicht zuständig fühlten – dass die Supervision also mit keiner anderen zu der Zeit existierenden Berufsgruppe unmittelbar in Konkurrenz trat« (Kühl, 2006, S. 8). In diesem Rahmen konnte eine Professionalisierungsstrategie lange Zeit gut gedeihen. Mit der Entwicklung weiterer Formate zur personenbezogenen Beratung in Kontexten beruflicher Arbeit hat sich diese Ausgangslage jedoch verändert. Supervision kann nicht mehr ohne Weiteres auf Alleinstellungsmerkmale zurückgreifen. Im Zuge des schnell wachsenden Beratungsmarktes erscheinen daher Bemühungen um die Etablierung von Supervision als Beruf zunehmend aussichtslos. Bereits 1999 postulierte Buchinger, dass Supervision zwar »eine eigenständige professionelle Beratungsform, aber kein Beruf« sei (1999, S. 107). In der Praxis der Supervisoren war dies ohnehin schon längst offenkundig. Angesichts der Tatsache, dass nur ein verschwindend kleiner Teil aller DGSvSupervisoren sich als Freiberufler von Supervision ernähren konnte, wurde das Konzept der Supervision als Beruf immer schon empirisch widerlegt. Von Supervision als Beruf ist mittlerweile auch auf der Website des Verbandes nicht mehr die Rede, nur noch von Supervision als »konzeptionelle[r] Grundlage für die Beratung und Entwicklung von Personen, beruflichen Rollen und Organisationen« (http://www.dgsv.de/ supervision.php). Entsprechend präsentiert sich die DGSv nunmehr auf ihrer Startseite als »führender Berufs- und Fachverband für arbeitsweltbezogene Beratung in Deutschland« (http://www.dgsv.de). Aufgrund der vielfältigen Bestrebungen auf nationaler und europäischer Ebene, das Feld »arbeitsweltbezogener Beratung« zukünftig hinsichtlich der Qualitäts- und Qualifikationsstandards stärker zu regulieren, stellt sich die Frage nach dem eigenen inhaltlichen Profil und der Identität von Supervision neu. Die kritische Überprüfung von Standards und Qualitätskriterien braucht Supervision als Beratungsformat nicht zu scheuen. In der Breite der vermittelten Theorien und Methoden, der Anwendungstiefe in der Praxis sowie ihren bisherigen Erfahrung mit Aus- und Weiterbildung ist Supervision anderen Formaten immer noch voraus. Inhaltlich stellt sich allerdings die Frage, welche Supervisionskonzepte am ehesten in der Lage sind, die im ersten Abschnitt skizzierten Veränderungen der Arbeitswelt zu reflektieren und in der eigenen Praxis zu berücksichtigen. Der systemische Ansatz erweist sich dafür als besonders geeignet, weil er supervisorische Arbeit über die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Reflexion beruflicher Praxis (etwa die Arbeit mit Klienten) hinaus generell als »Instrument konkreter situationsbezogener Hilfe in schwierigen Kommunikations− und Kooperationsbeziehungen und −situationen unterschiedlichster Art« begreift (Fürstenau, 2002, S. 99). Organisationen geraten dabei als selbstorganisierte, autopoietische soziale Systeme mit ihren je spezifischen Umwelten in den Blick. Sie sind weder von innen noch von außen gezielt steuerbar, müssen aber als Kontexte professionellen beruflichen Handelns methodisch und settingbezogen in die Supervisionspraxis einbezogen werden. Beratungsfokus
In diesem Zusammenhang erhält eine Verschiebung des Beratungsfokus auf der Anbieterseite immer stärkere Bedeutung, die den Blick von der Supervision als spezialisierte Dienstleistung für die Professionellen in der Organisation erweitert zur Supervision als Dienstleistung für die Organisation selbst (die ohnehin als expliziter oder impliziter Auftraggeber im Supervisionskontrakt auftritt). Klassischerweise und »aufgrund ihrer ursprünglichen Verankerung in den therapeutischen, sozialen und pädagogischen Handlungsfelder interessierte sich die Supervision vorrangig für die Sozialarbeiter [der Therapeuten] die an den Grenzstellen mit den Klienten der Organisationen (psychisch Kranke, geistig und körperlich Behinderte, sozial Schwache etc.) [Beratungsleistungen] erbrachten. Das bedeutete, dass sich der personzentrierte Beratungsprozess immer auch auf den ›abwesenden Dritten‹, also den Klienten des beratenden Therapeuten, Erziehers oder Sozialarbeiter bezog« (Kühl, 2008, S. 285). Falldynamik, Beziehungsklärung und Analyse von Übertragung und Gegenübertragung standen dementsprechend im Mittelpunkt. Nicht selten sahen psychotherapeutisch geschulte Supervisorinnen eine ihrer primären Aufgaben in der Herstellung eines geschützten Raumes für Professionelle und Teams – womöglich auch gegen die Organisation. Dem entsprach auf Seite der Organisationsrepräsentanten die immer noch häufig vorzufindende Auffassung, Supervision sei in erster Linie als großzügiges und vertrauliches Entlastungs- und Bewältigungsangebot für Mitarbeiter zu betrachten, die mit schwierigen Klienten zu tun haben und daher affektive Regulationsangebote benötigen. Die systemische Einbeziehung der Organisation in den Supervisionsprozess erweitert nun den Aufmerksamkeitsfokus von Arbeit an der System-Umwelt-Grenze der Organisation auf die organisationsinternen Prozesse selbst, die die professionelle Praxis kontextualisieren oder direkt beeinflussen: Dazu gehören unter anderem die Rollenvorgaben und Erwartungen seitens der Organisation an die Professionellen, die inhaltlichen, sozialen (z. B. hierarchischen) und zeitlichen Arbeitsstrukturen der Organisation, Koordination und Kooperation zwischen Berufsgruppen, Abteilungen, Teams und Projekten, Leitbilder und organisationsübergreifende Konzepte und nicht zuletzt Führungsverständnis und -praxis auf allen Ebenen der Organisation. Die Einbeziehung dieser Aspekte in die Auftragsklärung von Supervision verändert nicht nur das Themenspektrum im Supervisionsprozess, sondern führt auch zu einem flexibleren Umgang mit Settings, etwa durch anlassbezogene oder regelmäßige Einbeziehung von Führungskräften oder Kooperationspartnern (oder auch Klienten!) in die Supervision sowie durch regelmäßige Evaluationskontakte mit dem Organi© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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sationsmanagement. Bei aller notwendigen Vertraulichkeit hinsichtlich der inhaltlichen Prozesse in Supervisionssitzungen gilt, dass Supervisoren ein spezifisches externes Organisationswissen erwerben, das als Ressource in Organisationsentwicklungsprozessen genutzt werden kann. Voraussetzung dabei ist eine organisationsweite Transparenz über das Setting und die Reichweite solcher Wissensrückkoppelung und eine klare Vereinbarung über diese Form der Zusammenarbeit schon in der Kontraktierung von Supervision. Auf diese Weise kann Supervision die Selbstreflexivität in Organisationen unterstützen und einen Beitrag zu ihrer Evaluation und Weiterentwicklung leisten. Im Supervisionsprozess selbst führt das zur Anwendung eines breiteren Spektrums methodischer Vorgehensweisen. Elemente aus dem Coaching, der Mediation, der Weiterbildung etc. nehmen einen größeren Platz ein. Durch diese Perspektivenerweiterung kann systemische Supervision den veränderten ökonomischen, sachlichen und organisatorischen Bedingungen beruflicher Arbeit besser Rechnung tragen und zukünftig einen wichtigen Platz in übergreifenden Organisations- und Personalentwicklungsprozessen einnehmen. Ihre Funktion wäre nicht mehr in erster Linie in der Behebung von Störungen in der Zusammenarbeit zu sehen (ein nach wie vor wichtiger Aspekt bei der Nachfrage nach Supervision), sondern in der Entwicklung von kontextspezifischen Ressourcen zur professionellen Bewältigung fachlicher und organisatorischer Herausforderungen in Organisationen. Fähigkeiten und Kompetenzen
Systemische Supervision im skizzierten Sinne stellt hohe Anforderungen an das Wissen und Können von Supervisorinnen, ich möchte hier nur die zentralen »Wissenstypen« erwähnen. Als Grundlage ist sicherlich ein ausreichendes Wissen über Theoriekonzepte und -modelle unterschiedlicher Reichweite in den verschiedenen Disziplinen erforderlich. Die Systemtheorie reicht dabei als Metatheorie höchster Reichweite als Kontext für die Praxis systemischer Supervision nicht aus. Sie stellt aber einen bedeutsamen Rahmen für die interdisziplinäre Einbettung unterschiedlichster Theorien mittlerer Reichweite zur Verfügung (z. B. Kommunikationstheorie, Organisationstheorie, Gruppendynamik, Affekttheorie, Führungs- und Managementkonzepte), die dann noch der praxeologischen Ausdifferenzierung bedürfen. Für die Praxis in einem spezifischen Arbeitskontext ist darüber hinaus ein spezifisches »Gegenstandswissen« im Sinne von Feldkompetenz hilfreich, auch wenn es nicht immer vorausgesetzt werden kann. Das Plädoyer für Feldkompetenz setzt gegenüber der im systemischen Diskurs weithin geschätzten Position des »Nichtwissens« einen anderen Akzent. Die Position des »Nichtwissens« versteht sich als heuristische Position, die es erlaubt, vorhandene (und nützliche) Kenntnisse situationsspezifisch zu suspendieren bzw. zu transzendieren und sich mit maximaler Offenheit auf die Prozesse in der Beratung einzulassen – nicht als Argument, auf Wissen zu verzichten. In den vergangenen Jahren hat sich aber gezeigt, dass sich Prozesskompetenzen und inhaltliches Know-how in organisationsbezogenen Beratungsprozessen durchaus © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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ergänzen und in ihrem Zusammenspiel auch von Organisationen erwartet werden (vgl. Königswieser et al., 2006). Neben den Besonderheiten der feldspezifischen professionellen Arbeit an den Grenzstellen der Organisation (sachlich-inhaltliche Kenntnis der Klientenprobleme, Wissen um Falldynamik und Fallverstehen, Übertragungsprozesse etc.) ermöglicht ein solides Organisationswissen zu verstehen, um welche spezifischen sozialen Systeme es sich bei Organisationen überhaupt handelt und wie sie funktionieren. In der Kooperation mit Organisationen, die aktuellen Veränderungsprozessen unterworfen sind, sind Kenntnisse von Instrumenten der Unternehmensentwicklung und des Change Management nicht nur hilfreich, sondern auch erforderlich (Kenntnis betriebswirtschaftlicher Abläufe, Personalentwicklung, Strategieentwicklung, Marketing, Gewinnung betriebsbezogener Kennziffern, Rechtsformen usw.). Auf der Performanzebene brauchen Supervisorinnen ausreichend »Steuerungswissen«, zum Beispiel Kenntnisse des dynamischen Potenzials unterschiedlicher Settings in Beratungsprozessen, Fähigkeiten zur Herstellung eines optimalen Arbeitsabstandes, Verständnis für Prozesse, ausreichend Geduld, um (vermeintlich) schnellen Lösungswegen zu widerstehen, Fähigkeiten zum Affekt-Containment (d. h. die Souveränität, nicht jede schwierige Affektlage gleich selbst auflösen zu wollen), Fähigkeiten, die eigene Autonomie in einem dynamischen komplexen Prozess bewahren zu können, Verhandlungsfähigkeit, Klarheit im Verständnis von Autorität, Kenntnisse der systemischen Gesprächsführung, Strukturierungsfähigkeit etc. Diese relativ unbestimmten – und letztlich nicht genauer bestimmbaren –, aber hochspezifischen Anforderungen verlangen auf der Ebene persönlicher Qualifikationen eine Reihe von Merkmalen, die nicht ohne weiteres curricular vermittelt werden können, die aber von großer Bedeutung für das erfolgreiche Gelingen von Beratungsprozessen sind. Erworben und entfaltet werden sie als »personales Wissen« in der Praxis und der kontinuierlichen persönlichen Erfahrung der Supervisorinnen. Dazu gehören auch Krisenfestigkeit, ein geklärtes Verhältnis zu Führung sowie eine gewisse persönliche Autorität, niedrige Harmoniebedürftigkeit, Geschmeidigkeit im Verkoppeln von Theorie und Praxis, die Fähigkeit, unter Umständen auch in Differenzen zu den Überzeugungen in der Organisation gehen zu können (also relative Angstfreiheit), Klarheit über die eigene persönliche Standortbestimmung, die Fähigkeit, sich abzugrenzen und Nein zu sagen usw. Dieses personale Wissen wird in der Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit gewonnen. Selbstreflexivität ist daher nach wie vor ein entscheidendes Merkmal professioneller beraterischer Praxis, die unter anderem in der Selbsterfahrung, der eigenen Supervision oder Intervision gepflegt werden kann. Selbstreflexion stärkt die kulturelle Kompetenz, über die eigene Einbindung in kulturelle Traditionen und Bedeutungssysteme nachzudenken, und die Fähigkeit, kulturelle Vielfalt zu nutzen; sie fördert Neugier und Angstfreiheit sowie Verständnis und Toleranz für Ambivalenz. Nicht zuletzt geht es in der systemischen Supervision darum, die eigenen Wissensbestände und Konzepte nicht zu konservieren und zu kanonisieren, sondern um die Fähigkeit, sich an unterschiedliche Sozialsysteme ankoppeln und auf ihre Veränderungsdynamik und -geschwindigkeit angemessen mit Selbstveränderung reagieren zu können. Vor diesem Hintergrund bietet sich der systemischen Supervision eine aussichtsreiche Perspektive. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Literatur Buchinger, K. (1999). Die Zukunft der Supervision – Die Zukunft der Arbeit. Aspekte eines neuen »Berufs«. Heidelberg: Carl-Auer. Buer, F. (2005). Coaching, Supervision und die vielen anderen Formate. Ein Plädoyer für ein friedliches Zusammenspiel. OSC Organisationsberatung – Supervision – Coaching, 12 (3), 278–297. Castells, M. (2001). Das Informationszeitalter. Band I: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft; Das Informationszeitalter. Band II: Die Macht der Identität. Band III: Jahrtausendwende. Opladen: Leske + Budrich. Fürstenau, P. (2002). Psychoanalytisch verstehen. Systemisch denken. Suggestiv intervenieren. Stuttgart: Pfeiffer bei Klett-Cotta. Königswieser, R., Sonuc, E., Gebhardt, J. (Hrsg.) (2006). Komplementärberatung. Das Zusammenspiel von Fach- und Prozeß-Know-how. Stuttgart: Klett-Cotta. Kühl, S. (2006). Die Supervision auf dem Weg zur Profession? Professionalisierung im Spannungsfeld zwischen Expansionsbestrebung und Selbstbescheidung. OSC Organisationsberatung – Supervision – Coaching, 13 (1), 5–18. Kühl, S. (2008). Die Professionalisierung der Professionalisierer? Das Scharlatanerieproblem im Coaching und in der Supervision und die Konflikte um die Professionsbildung. OSC Organisationsberatung – Supervision – Coaching, 15 (3), 260–294. Schulmeister, S. (1998). Der polit-ökonomische Entwicklungszyklus der Nachkriegszeit. Vom Bündnis Realkapital-Arbeit in der Prosperität zum Bündnis Realkapital-Finanzkapital in der Krise. Internationale Politik und Gesellschaft, 1, 5–21. Stichweh, R. (2005). Die Soziologie der Professionen. Zur Zukunft einer Forschungstradition und einer Semantik der Selbstbeschreibung. Zugriff unter http://www.unilu.ch/files/die-soziologie-derprofessionen-_2_pdf. Wimmer, R. (2004). Organisation und Beratung. Systemtheoretische Perspektiven für die Praxis. Heidelberg: Carl-Auer.
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Es ist gewiss kein Zufall, dass jemand wie Arist von Schlippe, der Jahrzehnte innerund außeruniversitär primär im psychotherapeutischen Bereich gearbeitet und dort eine maßgebliche Rolle eingenommen hat, so schnell und reibungslos den Lehrstuhl »Führung und Dynamik von Familienunternehmen« übernehmen und ausfüllen konnte. Neben persönlicher Kompetenz, Kreativität und weiteren Persönlichkeitseigenschaften ist ein solcher Übergang von dem einen Arbeitsbereich in den anderen eben auch dadurch erleichtert, dass die darin jeweils gestellten Fragen bei aller inhaltlichen Unterschiedlichkeit strukturell nicht so weit auseinanderliegen, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint, wenn man nur auf die einbettenden (»scientific«) »communitys« schaut: Psychologie und Psychotherapie auf der einen, Wirtschaftswissenschaften auf der anderen Seite. Die Diskurse innerhalb dieser »communitys« sind zwar recht unterschiedlich. Aber die Kernfrage ist für zentrale Aspekte der Familientherapie und der Familienunternehmen die gleiche – nämlich, wie Transformationsprozesse in einer Familie angesichts von sich verändernden Bedingungen gelingen bzw. misslingen. Ebenso stellt sich in beiden Bereichen in ähnlicher Weise die daraus resultierende, auf Praxis gerichtete, Frage, wie Prozesse gefördert werden können, die den Menschen ihre Lösungskompetenzen für die anstehenden und wahrgenommenen Probleme besser verfügbar machen. Es gibt daher viele gemeinsame Anliegen, auch wenn die Fachgebiete, die sich damit befassen, durch unterschiedliche Namensgebung jeweils größere Unähnlichkeit profilierend reklamieren – »Psychotherapie« und »Beratung« auf der einen, »Coaching« auf der anderen Seite. Zu Recht wählen von Schlippe et al. (2007) daher die Metapher von zwei Schwestern: »Sie konkurrieren, sind jeweils ›einzigartig‹ und doch einander ähnlich. Und wie Schwestern so sind, sind sie darauf bedacht, die Unterschiedlichkeit zu betonen, auch wenn, oder gerade weil die Umwelt die Ähnlichkeit hervorhebt. Manchmal werden sie verwechselt und je nach Umfeld, kommen sie auch unterschiedlich gut an« (von Schlippe, Zwack u. Schweitzer, 2007, S. 205). Dennoch wirken sich die beiden Disziplinen, in die einerseits Psychotherapie mit Familien und andererseits Coaching in Familienunternehmen als Kontexte eingebettet sind, wesentlich auf die Diskurse aus, welche die stattfindenden Prozesse erklärend rekonstruieren. So hat die systemische Familientherapie in den letzten drei Jahrzehnten eine Entwicklung vollzogen, bei der von einer Fixierung allein auf kommunikative oder gar nur interaktive Muster zunehmend auch die persönlichen Sinndeutungen der einzelnen Familienmitglieder in Betracht gezogen wurden. Noch in den 1980er Jahren wurde nämlich einseitig und überschwänglich oftmals propagiert, die systemische Perspektive auf die Interaktionsmuster sei eine Überwindung »veralteter« oder gar »falscher« Konzepte (z. B. Guntern, 1980; Dell, 1986) und man könne angesichts dieser »völlig © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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neuen Erkenntnisse« auf alles Bisherige verzichten.1 Die Sicht einer »Personzentrierten Systemtheorie«, dass »Kommunikationen« nicht einfach nur »aneinander anschließen« (Luhmann, 1988), sondern vor allem stets »durch das ›Nadelöhr‹ persönlicher Wahrnehmungen, Sinndeutungen – kurz: Narrationen« gehen müssen (Kriz, 1987, 1990, 1999), wurde da zunächst sehr skeptisch aufgenommen: So betonte beispielsweise Schiepek, seine Theoriekonzeption beruhe »auf der konsequenten Beibehaltung des Prinzips operationaler Schließung, das bei Kriz aufgebrochen wird« (Schiepek, 1991, S. 153). Inzwischen findet man nun eine zunehmende Rückbesinnung auf Aspekte wie »Begegnung« »Bedeutung«, »Sinn«, die durchaus auch personal verstanden werden. In Konzepten wie »Systemische Therapie als Begegnung« (Hildenbrand u. Welter-Enderlin, 1996), »Metaphernanalyse« (Buchholz, 1993; Lakoff u. Turner, 1989; Lakoff, 1994) oder »Personzentrierter Systemtheorie« (Kriz, 1997a, 1997b) – um wenige exemplarische Beispiele zu nennen – werden auch von »Systemikern« neben den reinen Strukturen der Kommunikation wieder die auch biographisch verankerten Bedeutungen, Hintergründe und Inhalte sprachlicher Prozesse im Miteinander von Menschen entdeckt. Neben der Einsicht in die blühende Vielfalt der Praktiker und einer gewissen Müdigkeit gegenüber extremen Positionen hat die Verfechter des systemischen Ansatzes wohl auch der allgemeine Trend konstruktivistischer und postmoderner Ideen (Gergen, 1985, 1991; Anderson u. Goolishian, 1988) und die damit verbundene »narrative Wende« (Epstein, 1995) zu diesen Einsichten geführt.13 Wohl wegen ihres Umfeldes von wirtschaftlich-makrosozialen Diskursen hat sich freilich die Analyse von Prozessen in Familienunternehmen einem solchen Mehrebenenansatz bisher eher verschlossen. So findet sich beispielsweise in einem jüngeren Werk »Familienunternehmen verstehen« (von Schlippe, Nischak u. El Hachimi, 2008) im Register weder das Stichwort »Sinn« noch »Narration«. Auch »Individuum« fehlt – und »Person« taucht nur ein einziges Mal auf, im Plural (»Personen«) und mit Referenz an Luhmann, wo eben die Trennung zwischen psychischen und interaktionellen Prozessen durch die operationale Geschlossenheit der Theoriekonzeption im Zentrum steht. In der Fülle von über zwanzig Beiträgen widmet sich nur ein einziger intensiver dem psychischen Geschehen (Borst, 2008) – allerdings mit dem stark praxisbezogenen Fokus auf psychische Störungen, die sich individuell durch die Belastungen von Familiendynamik und Unternehmensproblemen ergeben. Ansonsten knüpfen viele Beiträge an ein eher klassisches »Drei-Kreise-Modell« an (Gersick et al., 1997), demzufolge »ein Familienunternehmen ein soziales Gebilde darstellt, das eine Familie, die Eigentümer, und ein Unternehmen mit ihren je spezifisch-charakteristischen Eigendynamiken vereint. Die bekannten drei überlappenden Kreise, die in keinem Werk über Familienunternehmen fehlen dürfen, stehen für diese Erkenntnis« (Groth, 2008, S. 31). Nun ist allerdings ein System – bei aller Heterogenität der üblichen Definitionen im Detail – vor allem durch eine spezifische Dynamik gekennzeichnet: Die betrachteten Elementar-Phänomene sind nämlich in dynamischer Weise so aufeinander bezogen, dass sie – oft emergent – eine Struktur oder Ordnung darstellen, die eben wegen dieser Dynamik das System als solches gegenüber (nicht zu extremen) Störungen von außen 1
Eine bedeutsame Ausnahme ist Virginia Satir, die besonders mit ihrem Konzept des »Selbstwertes« stets auch die personale Perspektive in der systemische Therapie mit berücksichtigt hat (Satir, 1990). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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erhält und sich immer wieder neu adaptieren kann. Im Gegensatz dazu kennt man die »bekannten drei überlappenden Kreise« eher aus der Mengenlehre, wo es um Zugehörigkeit und Abgrenzung geht, und wo die Element-Konfigurationen daher eher statisch betrachtet werden. Die Assoziation zur Frage der »Abgeschlossenheit« und zur klaren Trennung dreier Systeme – Bewusstsein, Kommunikation, Körper – in der Theorie von Luhmann ist vielleicht nicht ganz zufällig (auch wenn Luhmann zumindest »Abgeschlossenheit« deutlich anders meint). Doch auch wenn Groth selbst kritisch anmerkt: »Unklar bleibt oftmals, ob Individuen, Rollen oder Sozialsysteme mit den drei Kreisen gemeint sind, oder auch, wie die drei Kreise miteinander gekoppelt sind« (2008, S. 31), distanziert er sich mit Formulierungen wie beispielsweise: »[Es] ist jedoch entscheidend, wie Familie, Gesellschafter und Unternehmen miteinander vereint [...] gedacht werden« (S. 31), oder: »Die Eigentümer bilden das Gesellschaftersystem« (S. 32) nicht hinreichend von solcher Mengenlehre-Metaphorik – wo ja »Vereinigungsmengen« oder Fragen, welche Elemente zur Menge gehören, geradezu typisch sind. Auch wenn man, systemtheoretisch etwas abstrakter und präziser, von »drei ›Spielfeldern‹« spricht, »auf denen sich die Akteure bewegen« (Plate, 2008, S. 65), so steht immer noch ein ähnliches mengentheoretisches Bild im Hintergrund. Denn wenn es wirklich sinngemäß drei »Spielfelder« wären, gäbe es keine besonderen Probleme, die sich nicht auch für fast alle anderen Menschen in anderen Kontexten stellen. Jeder Mensch befindet sich in zahlreichen Kontexten: Ein Lehrer ist beispielsweise morgens in der Schule, nachmittags mit seiner Frau zusammen, abends spielt er in einer Band oder mit seinen Freunden Skat. Dies sind unterschiedliche »Spielfelder« mit unterschiedlichen Regeln bzw. »spezifische Kommunikations-, Beobachtungs- und Bewertungslogiken, die teilweise kontradiktorisch sind« (Plate, 2008, S. 65). So kann sich dieser Mensch morgens als Lehrer darüber aufregen, wenn ein Schüler den »Playboy« unter der Bank liest, und abends im Kreise seiner Skatbrüder eben jene Ausgabe mit positivem Interesse in Augenschein nehmen, ohne unredlich zu sein: Es sind unterschiedliche Kontexte, in denen auch eine solche Zeitschrift Unterschiedliches bedeutet. Problematischer wäre es, wenn er abends mit demselben Schüler Skat spielt. Entsprechend wären die Probleme in Familienunternehmen sicherlich deutlich geringer, wenn es sich um »Spielfelder« handelt, die man – klar abgegrenzt – nacheinander betreten könnte (oder es eben, wie bei den »drei Kreisen«, klare Schnittmengen gäbe). Die besondere Herausforderung liegt aber gerade darin, dass unterschiedliche Anforderungs- und »Bedeutungsfelder« (Kriz, 2006) gleichzeitig wirken. Obwohl »Spielfelder« und »Bedeutungsfelder« beide das Nomen »Feld« enthalten, handelt es sich doch um sehr unterschiedliche Komposita: »Spielfelder«, als nomina loci, sind eher konkret(istisch), statisch, abgegrenzt und selbst bei Überschneidung in den Eigenschaften klar definiert. »Bedeutungsfelder« , als nomina modalia, verweist auf abstrakte, dynamische, sich überdeckende und daher stets in unterschiedlichem Ausmaß gleichzeitig wirkende Einflüsse – so wie sich zum Beispiel elektromagnetische Felder (z. B. Rundfunkwellen) komplex überlagern und an jeder Stelle ihre unterschiedlichen Einflüsse gleichzeitig ausüben können. Somit ist die Metapher fraglich und inadäquat, dass jemand gleichzeitig auf mehreren »Spielfeldern« spielt – was ja schon der Alltagsspruch betont: »Man kann nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen« –, und ebenso die Vorstellung, dass ein Element dynamisch gleichzeitig mehreren Mengen, mal mehr mal weniger, angehört (es sei © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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denn, es ginge um klar definierte Schnittmengen – aber das ist dann eben eine neue Menge mit genau so unproblematischen Zuordnungen). Hingegen ist die Vorstellung passend, dass unterschiedliche Anforderungserwartungen als sich überlagernde Bedeutungsfelder stets gleichzeitig vorhanden sind und als Sinnattraktoren (Kriz, 1997b) in Form von kognitiven Kräften wirken. Diese Kräfte werden zwar innerhalb der und durch die drei genannten, für Familienunternehmen zentralen, Systeme (und weiteren) erzeugt und aufrechterhalten, aber sie setzen in ihrer konkreten Wirkung nicht auf der Systemebene selbst an, sondern bei der Dynamik der einzelnen Komponenten. Und damit kommt nun notwendig die »Person« ins Spiel. Es sei darauf hingewiesen, dass diese theoretische Notwendigkeit (die gleich noch weiter ausgeführt werden soll) auch von sehr praktischer Bedeutsamkeit für das Coaching ist. Denn Coaching setzt ebenfalls wohl selten bei einem Gebilde an, welches adäquat durch die drei sich überlappendem Kreise repräsentiert würde. Sondern meist bei einzelnen Personen oder bei kleinen Personen-(Sub-)Systemen aus dem Unternehmen. Dies geht auch konform mit der von von Schlippe et al. betonten Aufgabe von Coaching im Auftragskontext von Familienunternehmen, »im Sinne einer ›Prozessberatung‹ (Königswieser, Sonuc, Gebhardt u. Hillebrandt, 2006) eine Einzelperson oder ein soziales System anzuregen, auf die Spur der eigenen Selbstbeobachtung zu gelangen (von Schlippe, Nischak u. El Hachimi, 2008, S. 21). Denn »sich auf neue Weise beobachten« heißt »sich damit verstehen« lernen (S. 21). Ähnlich wie aber Kommunikationsdynamiken stets durch das »Nadelöhr« persönlicher Sinndeutungen gehen müssen, müssen »Beobachtung« und »Verstehen« beim Individuum ansetzen – und das Ergebnis kann erst dann gegebenenfalls für das Familiensystem bereitgestellt werden. Man könnte diesen Beitrag – insbesondere die nun folgenden Ausführungen – auch als eine Entfaltung und Präzisierung des von von Schlippe et al. thematisierten zentralen Aspekts der Förderung von Selbstbeobachtungs- und Selbstverstehenskompetenz in Familienunternehmen als Kern von Coaching verstehen. Dabei muss aber, nochmals betont, statt überlappender Kreise die Person ins Spiel gebracht werden. Ein wesentliches und zentrales Anliegen der »Personzentrierten Systemtheorie« ist es (konform mit z. B. interdisziplinärer Systemtheorie bzw. Synergetik), Phänomene, Einflüsse und Dynamiken auf unterschiedlichen Systemebenen gerade nicht gegeneinander abzuschotten, sondern ihre komplexe intersystemische Beziehung in Form von bottom-up und top-down Dynamiken zu thematisieren. Diese wichtige Betrachtungsweise wurde schon vor knapp hundert Jahren im Rahmen der Gestaltpsychologie (Berliner Schule) entwickelt (vgl. Kriz, 2008) und am Beispiel der Beziehung zwischen »Tönen« und »Melodie« erläutert: Eine Melodie ergibt sich (»bottom-up«) aus den Tönen – ist dann aber »etwas anderes«, was schon dadurch deutlich wird, dass man sie transponieren kann (z. B. eine kurze Melodie einen halben Ton höher spielt), ohne dass gegebenenfalls ein einziger Ton derselbe bleibt. Bedeutsam sind also nun nicht mehr die einzelnen Töne, sondern deren strukturelle Relationen, die »Gestalt«. Ebenso wesentlich ist allerdings, dass nun (»top-down«) die Melodie auf die Wahrnehmung der Töne wirkt. Bilden die Töne eine Melodie, die beispielsweise in A-Dur steht, so hat ein einzelner Ton a (440 Hertz) einen völlig anderen Charakter, als wenn derselbe physikalische Ton a (440 Hertz) in einer Melodie in D-Dur vorkommt. Im ersteren Fall erlebt man das a als »ruhenden Grundton« (bzw. »Tonika«) im zweiten als »erregenden, auf das d hindrängenden Leitton« (bzw. »Dominante«). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Ein zweites Beispiel, experimentell ebenfalls im Rahmen der Gestalttheorie erforscht (Asch, 1946), zeigt die Wirkung von selbstorganisierten kognitiven Feldern in der »bottom-up«- und »top-down«-Dynamik: Einer Gruppe von Versuchspersonen wurde »als Beschreibung einer Person« langsam nacheinander sechs typische Eigenschaften vorgelesen: »intelligent – eifrig – impulsiv – kritisch – eigensinnig – neidisch«. Eine andere Gruppe erhielt dieselbe Liste, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, also: »neidisch – eigensinnig – kritisch – impulsiv – eifrig – intelligent«. Es zeigte sich, dass die erste Gruppe von der beschriebenen Person anschließend einen deutlich positiven Eindruck hatte, während die andere Gruppe die Person deutlich negativ beurteilte. Dieser in der Literatur als »Primacy-Effekt« oft zitierte Befund lässt sich im Lichte der zirkulären Kausalität von »bottom-up« und »top-down« auch wie in Abbildung 1 verstehen (wobei die Pfeilrichtungen natürlich nur mögliche Hauptrichtungen der Wirkungen darstellen): Die ersten Eigenschaften generieren ein Feld als eine Art Gesamteindruck, der die Interpretation der weiteren Eigenschaften entsprechend beeinflusst (z. B. ob »kritisch« eher positiv oder negativ verstanden wird), was wiederum die Bedeutung der Information und damit das Bild von der Person entsprechend komplettiert.
Abbildung 1: Aschs Experiment als zirkuläre Dynamik in einem kognitiven Feld (nach Kriz, 2008)
Die Beispiele sollten deutlich machen, dass jeder Ton, jedes Wort, jede Situation »polysemantisch« ist, also eine große Fülle an Bedeutungen enthält. Theoretisch wären es sogar unendlich viele, aber durch unsere Evolution, durch Kultur, Sozialisation etc. ist der Raum an Möglichkeiten bereits eingeschränkt – aber eben immer noch sehr groß. Welche Bedeutung zum Beispiel ein Wort dann konkret hat, hängt, so sagt man, vom »Kontext« ab. Kontexte aber sind nicht einfach vorhanden. Und es sind meist mehrere gleichzeitig vorhanden – auch hier ist es somit vorteilhaft, besser von »Bedeutungsfeldern« zu sprechen. Denn was macht die Bedeutung des Wortes »kritisch« im zweiten Beispiel (Abbildung 1) eigentlich aus? Zunächst einmal, im engen Interpretationsrahmen des Experiments, je nach vorhergehenden (und weiteren) Wörtern etwas eher Positives (z. B. im Sinne: konstruktive, überlegte Kritikfähigkeit) oder etwas Negatives (z. B. im Sinne: nörgelde, krittelnde, sich nicht einlassende Haltung). Aber das Experiment findet ja auch nicht im semantisch, historisch oder kulturell leeren Raum statt. Vielmehr in einem Raum, der durch zahlreiche weitere semantische Kräfte – eben: Bedeutungsfelder – strukturiert wird. »Kritisch« ist ein Wort der deutschen Sprache, das auf so etwas wie »nicht gedankenlose Zustimmung« verweist. Aber in der Schule, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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gar im Rhetorik-Unterricht sind weitere und Bedeutungskräfte am Werk – und wieder andere in der Kirche oder beim Militär. Weitere Einflüsse kommen aus der Biographie des Hörers, aus seiner aktuellen Familie etc. Mit dem Verweis auf »Familie, Unternehmen, Eigentümer« sind drei fraglos relevante Bedeutungsfelder für Personen in Familienunternehmen grob benannt – wobei allerdings jedes der benannten Felder aus komplexen Unterfeldern, die sich ebenfalls überlagern, zusammengesetzt ist. Nimmt man nur eines der typischen Beispiele aus von Schlippe und Groth (2006):2 Dort lag ein Konflikt darin, dass Unternehmereltern ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter vorgeschlagen hatten, in das Unternehmen einzusteigen, sich aber dann durch die von diesen entwickelten weitreichenden Businessplänen aus dem Unternehmen gedrängt fühlten. Die Analyse von von Schlippe macht deutlich, dass sich der Sohn als Unternehmer angesprochen fühlte – und daher primär unternehmerische Initiative und Planungsfähigkeit angefragt sah. Dagegen war das Angebot vom Vater primär an den Sohn gerichtet– und daher wurden primär Dankbarkeit und Loyalität erwartet.14 Doch ist es wirklich nur eine Inkompatibilität der beiden Systeme »Familie« und »Unternehmen«? Was machte es, familiär, dem Sohn so schwer, sich auch als Sohn angesprochen zu fühlen? Will oder muss er sich seiner Frau gegenüber beweisen? Ist auch sonst die familiäre Interaktion zwischen Vater und Sohn unproblematisch? Wäre es frei von Konflikten und Missverständnissen, wenn der Vater beispielsweise dem Enkelkind familiäre Ereignisse erzählen würde, von denen dessen Eltern meinen, der Enkel sollte dies (noch) nicht wissen? Und, innerhalb des anderen Systems, dürfen wir davon ausgehen, dass eine reine unternehmerische Kooperation zwischen einem eher konservativen und einem innovativen Partner ohne Konflikte und Missverständnisse anläuft? Letztlich, um ein ganz anderes »System« exemplarisch ins Spiel zu bringen: Wäre es nicht für die Beziehung Vater – Sohn, wie auch für die von Partner zu Partner in einem Unternehmen eine konfliktträchtige Belastung, wenn zum Beispiel der eine sich einer religiösen Sekte anschlösse oder zu einer lebensgefährlichen Expedition aufbräche? Die Nachfolge in einem Unternehmen stellt daher nicht nur für die Familie, das Unternehmen und die Eigentümer eine Herausforderung dar, sondern auch – wenn nicht vor allem – für die Personen: Aus systemtheoretischer Sicht handelt es sich um »Entwicklungsaufgaben« (Kriz, 2007), die jedes System durchlaufen muss, weil sich die Umgebungsbedingungen ändern und das System sich neu adaptieren muss. Der Verweis auf die drei typischerweise thematisierten Systeme ist sicherlich ein hilfreicher Hinweis auf nicht zu übersehende Bedeutungsfelder, welche »top-down« wirken und von den Personen unterschiedliche Adaptationsleistungen in ihren Sinnkonstruktionen, Erwartungen und Handlungen erfordern. Gerade dort, wo dies aber nicht zufriedenstellend gelingt und ein Coachen der Prozesse ganz besonders wichtig wird, bleibt zu fragen, an welche anderen Umgebungsbedingungen bzw. Bedeutungsfelder sich Personen adaptiert haben. Diese können für die Personen weit wichtiger und für die Realität bestimmender sein als die von rationalen externen Beobachtern beschriebenen Bedingungen. 2
Dabei wird in von Schlippe et al. (2008) sowie in Groth (2008) von Paradoxien gesprochen, obwohl es sich eigentlich weder um logische noch pragmatische Paradoxien handelt, sondern schlicht um Zielkonflikte und daraus resultierende unterschiedliche Prioritäten und Interpretationen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Die Person im Familienunternehmen
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Personen adaptieren sich nämlich nicht an Bedingungen, wie sie von externen Beobachtern beschrieben werden, sondern an jene Bedingungen, wie sie von ihnen selbst wahrgenommen, verstanden und mit Bedeutung belegt werden. Und mit diesen personalen Strukturierungsprozessen bringen sie sich in die Dynamik der drei thematisierten Systeme ein und beeinflussen dies »bottom-up« zu jenen Systemstrukturen, die dann »top-down« (auch) bedeutungsgebend sind. Es ist daher ratsam, beispielsweise im Einzelcoaching Methoden einzusetzen, welche die personalen Bedeutungsfelder besonders berücksichtigen. Das »Auftragskarussell« (von Schlippe u. Kriz, 1996) wäre hierfür ein gutes Beispiel. Gerade Arist von Schlippe ist aufgrund seiner anfangs skizzierten Biographie durch seine Kompetenz sowohl im therapeutischen Mikro- als auch im wirtschaftswissenschaftlichen Makrobereich dazu prädestiniert, die beiden Ebenen weiter fruchtbar zusammenzubringen. Wenn die in der Makroperspektive oft vernachlässigte Person gerade in der Betrachtung von Familienunternehmen ihren theoretisch wie praktisch gebührenden Platz erhält, wird dies sicherlich die Diskurse befruchten.
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Jürgen Kriz
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Am Ort des Geschehens
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Wilhelm Rotthaus
Authentische Elternschaft: Von der Idee der Dominanz zur Idee der Selbstverantwortlichkeit
Beziehung als Grundlage von Erziehung »Erziehung ist Beziehung.« Diese Aussage dürfte heute in Fachkreisen als allgemeiner Konsens angesehen werden. Gemeint wird damit in der Regel, dass der Gestaltung der Beziehung im Erziehungsprozess besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Man könnte es aber auch schärfer formulieren und sagen, dass Beziehung die Grundlage von Erziehung ist und ihre prinzipielle Ausrichtung und Gestaltung sowie ihre individuelle Intensität und Qualität alle erzieherischen Handlungen dominieren. Über all diese Komponenten sagt der Satz »Erziehung ist Beziehung« jedoch noch gar nichts aus. Denn schließlich realisiert sich in jeder zwischenmenschlichen Begegnung irgendeine Form von Beziehung, sei es eine distanzierte oder eine enge Beziehung, sei es eine wertschätzende oder eine abwertende Beziehung, sei es eine respektvolle oder eine von Missachtung geprägte Beziehung, sei es eine durch Dominanz oder durch Unterwürfigkeit geprägte Beziehung. Eine Beziehung ist auch nicht immer gleichartig, sondern schwankt je nach Kontext und Situation zwischen den unterschiedlichen Polen. Sie ist zudem nicht einseitig zu definieren. Vielmehr ist sie immer Ausdruck einer Zweipersoneneinheit und kann prinzipiell nur in begrenztem Umfang von einer Person bestimmt werden. Je jünger allerdings das Kind ist, umso größer wird in einer Erwachsenen-Kind-Beziehung die Definitionsmacht des Erwachsenen sein. Beziehungen werden aber nicht nur individuell definiert, sondern auch gesellschaftlich. Die Gesellschaft entwickelt zu jeder Zeit Vorstellungen über die familiären Rollen als Mutter, Vater, Jugendliche oder Jugendlicher, Mädchen oder Junge, die darüber bestimmen, in welcher Art die einzelnen Familienmitglieder sich begegnen und wie sie ihre Beziehungen gestalten. Diese Vorstellungen unterliegen einem ständigen Prozess der Wandlung und sind in den vergangenen Jahrzehnten in einem deutlichen Umbruch begriffen, der selbstverständlich Auswirkungen auf die Erziehung hat.
Erwachsenen-Kind-Beziehung im historischen Rückblick Um diesen Umbruch besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück über die letzten vier bis fünf Jahrhunderte auf die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern beziehungsweise Eltern und Kindern in Mitteleuropa. Dabei lässt sich erkennen, dass es im Mittelalter keine explizite gesellschaftliche Beziehungsbeschreibung zwischen Erwachsenen und Kindern gab. Denn zu dieser Zeit existierte die Idee der Kindheit als einer vom Erwachsenenalter zu trennenden Zeit noch nicht. Kinder waren kleine Erwachsene, die mit den Erwachsenen – aus unserer heutigen Sicht formuliert – in © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Wilhelm Rotthaus
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einem »natürlichen Lehrlingsverhältnis« lebten: Sie schauten sich das ab, was die Erwachsenen taten, und handelten dann in ähnlicher Weise, sobald sie dazu entwicklungsmäßig in der Lage waren. Das änderte sich – aus unserer heutigen Sicht betrachtet – in dramatischer Weise zum Ende des Hochmittelalters beziehungsweise zu Beginn der Neuzeit. Es entstand jetzt die Idee der Kindheit, das heißt die Idee, dass Kindheit und Erwachsenheit Entwicklungszeiten sind, die unterschieden werden müssen, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, sondern unfertige Wesen, die durch Erziehung und Unterricht zu Erwachsenen herangezogen werden müssen. Und so wurde damals die uns noch tradierte Erziehung erfunden, und ebenso die Schule sowie später der Kindergarten. Erziehung, ausgerichtet speziell auf Kinder, hatte es im Mittelalter ebenso wenig gegeben wie Schulen und Kindergärten für Kinder. Grundlage für die damals erfundene Erziehung war die Idee der Differenz zwischen Erwachsenen und Kindern, also die Idee einer Beziehung von oben nach unten. Rousseau (1762/1971) beschrieb in seinem berühmten Buch »Émile oder Über die Erziehung« mit aller Klarheit das neue Beziehungsverhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen, indem er auf die Differenz von Erwachsenen und Kindern, von Wissenden und Nichtwissenden von Erzogenen und Nichterzogenen, von Ausgebildeten und Nichtausgebildeten verwies. Und diese Differenz wurde zur Grundlage der Erziehung. Und es wurde die wichtigste Aufgabe des Erziehers, dem Kind diese »natürliche Ordnung« zu vermitteln. Gelinge dies, so Rousseau –, sei es möglich, das Kind in einer »wohlgeordneten Freiheit« ohne Verbote und ohne Züchtigungen zu erziehen. Wörtlich formulierte er: »Behandelt euren Zögling, wie es seinem Alter entspricht. Weist ihm von Anfang an seinen Platz zu und haltet ihn darin so fest, dass er gar keinen Ausbruch mehr versucht. [...] Er braucht nur zu wissen, dass er schwach ist und ihr stark seid, dass er also notwendigerweise von euch abhängig ist. Das muss er wissen, lernen und fühlen« (Rousseau, 1971, S. 70). Dieses Beziehungsverhältnis von oben nach unten, das durch den Dominanzanspruch des Erwachsenen charakterisiert ist, prägte dann die gesamte Erziehung der folgenden Jahrhunderte. Kinder wurden in einen Schonraum, einen Permissivitätsraum, ein pädagogisches Labor (die pädagogische Literatur ist voll von letztlich synonymen Ausdrücken dafür) verwiesen, in dem sie – so die Vorstellung – unter dem Schutz der Erwachsenen aufwachsen sollten. Hier sollten sie sich nicht mehr wie im Mittelalter die für sie im jeweiligen Alter wichtigen Informationen im Zusammenleben mit den Erwachsenen eigenständig besorgen. Vielmehr wurden ihnen die Informationen nach Entscheidung der Erwachsenen, was sie denn altersgemäß verkraften könnten, wohl dosiert zugeteilt. Diese Ideen prägten dann auch ganz selbstverständlich die Konzepte von Schule und Kindergarten, die zu Beginn der Neuzeit – ebenso wie die Erziehung – erfunden wurden. Niklas Luhmann (1987) hat hervorgehoben, dass das Beziehungsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern in dieser Schule durch den Lehrer vorn auf dem hohen Katheder und den Schülern unten in der Klasse wunderbar symbolisiert wurde. Das zeigte – wie Luhmann hervorhebt – den Kindern sofort, wer hier der Wissende war und wer die Unwissenden waren, wer den Dominanzanspruch verkörperte und wer sich unterwürfig zu verhalten hatte, und so mussten die Kinder keine Zeit damit verschwenden, diese Frage zu klären. Zugleich mit dem erzieherischen Dominanzkonzept entstand die Idee, man könne ein Kind kontrolliert und zielsicher beeinflussen und schließlich so formen, wie man es © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Authentische Elternschaft
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haben möchte, wenn man es denn »richtig« macht. Das Kind wurde zum Objekt von Forschung und Erziehung. Entsprechend dem damals aufkommenden Paradigma wissenschaftlichen Denkens wurde es durch die damals entstehenden Wissenschaften Pädagogik und Psychologie isoliert von Störeinflüssen und damit auch isoliert von seinem Kontext beobachtet, und es herrschte die Idee vor, dass eine optimale Beobachtung und Forschung dazu führen würde, das Kind so herzustellen, wie man es haben wolle. Entsprechend verbreitete Skinner als einer der führenden Pädagogen in den fünfziger/ sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch die Überzeugung, man müsse nur die Lerngesetze präzise genug erforschen und dann »richtig« anwenden, um das Kind genau nach den eigenen Vorstellungen formen zu können.
Erwachsenen-Kind-Beziehung heute Heute hat sich dieser Blick entscheidend verändert. Wir beginnen das Kind als Subjekt seiner Entwicklung, als Subjekt eigenen Rechts und auch als Träger eigener Rechte zu betrachten. Die Tatsache, dass bereits 1924 in der Erklärung des Völkerbundes Kinderrechte erstmalig formuliert wurden, ist dafür ein eindrucksvoller Beweis, auch wenn ihre Realisierung zu weiten Teilen bis heute nur unzureichend gelungen ist. Zudem hat sich die Differenz zwischen Erwachsenen und Kindern deutlich verringert – ob das gefällt oder nicht. Sie hat sich verringert, ganz unabhängig davon, ob wir das, wie Postman 1987, als »Verlust der Kindheit« – man könnte auch sagen: als ein Erwachsenersein der Kinder – beschreiben oder, wie Treml 1996 auf den Viersener Therapietagen, als Verlust der Erwachsenheit – er drückte es etwas unfreundlicher aus: als Infantilisierung der Erwachsenen. Die Erwachsenen haben die Sicherheit, mit der der Dominanzanspruch in früheren Zeiten vertreten wurde, längst verloren. Die Autorität der Erwachsenen, die in erster Linie aus ihrem Altersvorsprung und ihrem Erwachsenenstatus abgeleitet war, ist spätestens in den sechziger, siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts weitgehend zerbrochen. Die Definition eines Erwachsenen als eines Menschen, »der ausgelernt hat«, und der Kommentar aus einem Lehrbuch zum Bürgerlichen Recht von 1959 »Das Kind ist ein Objekt der Beherrschung des Vaters, nicht als ein zum Gehorsam verpflichtetes, sondern als ein vom Recht seiner Einwirkung preisgegebenes« wirken heute bereits einfach nur noch komisch. Die hier skizzierte gesellschaftliche Entwicklung der letzten dreißig bis vierzig Jahre, die Änderung im Beziehungsverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern, das Verschwinden der Differenz zwischen Erwachsenen und Kindern und eine große Unsicherheit im Hinblick auf den Dominanzanspruch des Erwachsenen vergangener Tage sind der tiefere Grund für die heute allerorts zu beobachtende Erziehungsunsicherheit. Dass vielen Erwachsenen heute Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, Sicherheit und Orientierung in ihrem erzieherischen Handeln fehlen, erklärt sich zwingend aus der Tatsache, dass mit der skizzierten gesellschaftlichen Entwicklung der zu Beginn der Neuzeit entwickelten, uns noch tradierten Erziehung der Boden, auf dem sie fußte, entzogen worden ist. Ein neues, eindeutiges und klares Erziehungskonzept, das den geschilderten Entwicklungen Rechnung trägt, ist aber noch nicht zu erkennen. Der entscheidende Grund dafür liegt in einer großen Unklarheit darüber, wie der Erwachsene seine Beziehung zum Kind neu beschreiben soll. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Wilhelm Rotthaus
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Was zeichnet den heutigen Erwachsenen gegenüber dem Kind aus? Das Merkmal prinzipieller Wissensvorsprung? – Im Umgang mit Handy, PC, Internet und sonstiger Medientechnik haben sich die Verhältnisse nicht selten umgekehrt. Das Merkmal Schüler sein? – Alle Menschen müssen heute lebenslang lernen und auch als Erwachsene immer wieder »die Schulbank drücken«. Das Merkmal Kleidung? – Erwachsene und Kinder werden in ihren Vorlieben gleichermaßen von der Werbung geprägt und beeinflusst. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Elemente einer neuen Erwachsenen-Kind-Beziehung Wenn das bisher Gesagte die historische Entwicklung treffend beschreibt – und die Fakten erscheinen zwingend (siehe Rotthaus, 2007) –, dann ist der Verzicht auf den Dominanzanspruch und den Rückgriff auf eine allein durch Alter und Erwachsenenstatus begründete Autorität seitens des Erwachsenen das entscheidende Merkmal einer neuen Eltern-Kind-Beziehung. Die alte Leitregel der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern, die viele Kindergenerationen haben lernen müssen, »Quod licet Iovi, non licet bovi« (Was Löwen ziemt, ziemt Schafen nicht), kann heute nicht mehr gelten. Der Anspruch des Erwachsenen auf Unfehlbarkeit wirkt heute nur noch lächerlich und wird von Kindern mit zunehmendem Alter auch gar nicht mehr akzeptiert. Die Begegnung mit Kindern kann heute nur noch auf der Basis einer gleichwürdigen Beziehung erfolgen – eine Begegnung »auf gleicher Augenhöhe«, in der der Erwachsene allerdings die Verantwortung dafür trägt, wie er das Kind in die Welt einführt. Dabei brauchen die Kinder weder in der Familie noch in der Schule den »Besserwisser«, sondern vielmehr den »Anderswisser« oder »Mehrwisser«. Der Versuch, die Entwicklung des Kindes zielsicher zu steuern, ist illusionär geworden. Die Erwachsenen verfügen nicht über die Möglichkeit, das Verhalten des Kindes perfekt zu kontrollieren. Vorstellungen von der »richtigen« Erziehung, die das Kind »richtig« werden lässt, entspringen einem Machbarkeitswahn, der zur Zerstörung der Beziehung führt. Das unvermeidliche Scheitern bei solchen Versuchen lässt Ideen von Schuld aufkommen, die gleichermaßen beziehungsschädigend sind, egal ob der Erwachsene sich selbst der Erziehungsunfähigkeit bezichtigt oder dem Kind Widerstand und Bösartigkeit vorwirft. Kinder und Jugendliche »entscheiden« ganz eigenständig aufgrund ihres je spezifischen neuronalen Prozessierens darüber, welche Informationen für sie anschlussfähig und von Bedeutung, wichtig und richtig sind. Erziehung wird dadurch, wie Hartmut von Hentig und viele andere Pädagogen hervorheben, ein grundsätzlich unplanbarer Vorgang, bei dem man auf Wahrscheinlichkeiten vertrauen, aber niemals sicher sein kann. Rainer Dollase (2001) beschreibt dasselbe mit dem Hinweis, dass »richtige« Erziehung ein schlechtes Ergebnis haben kann und »falsche« Erziehung ein gutes. Die neue erzieherische Beziehungsdefinition lautet dementsprechend: »Nicht die erzieherische Intervention bestimmt über das Schicksal des Kindes, sondern das Kind bestimmt über das Schicksal der erzieherischen Intervention« (Rotthaus, 2007). Das bedeutet für den Erwachsenen Unsicherheit, die er aushalten muss. Doch der Verzicht auf den Kontrollanspruch und die vermeintliche Sicherheit des »Richtigmachens« passen schlecht in die heute (noch) erlebte Anforderung an einen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Authentische Elternschaft
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Erwachsenen. Denn wir leben in einer Dominanzgesellschaft, in der es das größte und wichtigste Ziel ist, im »Kampf« mit einem anderen zu gewinnen, den Konkurrenten zu besiegen und in Auseinandersetzungen die Oberhand zu behalten. Das Nichterreichen von Zielen ist deshalb in unserer Gesellschaft schlimm und wird als Versagen gewertet. Es wird kaum honoriert, wenn Menschen Schwächen eingestehen, die prinzipiellen und ihre persönlichen Grenzen in der Erreichbarkeit von Zielen bekennen und die dadurch natürlich auch ausgelöste Angst aushalten – beispielsweise die Angst davor, dass aus ihrem Kind »nichts wird«. Und doch werden die Erwachsenen kommender Zeiten lernen müssen, sich nicht von ihrer Außenwirkung – zum Beispiel von dem, was sie bei ihren Kindern bewirken – abhängig zu machen. Sie brauchen vielmehr eine Sicherheit in sich, eine Klarheit an Absichten, Überzeugungen und ethischen Normen, die sie für sich gewonnen haben und – in der Auseinandersetzung mit anderen – immer wieder neu gewinnen. Kontrolle ist für sie nicht Fremdkontrolle, sondern Eigenkontrolle; Verantwortung bedeutet nicht Verantwortungsübernahme für andere, sondern Selbstverantwortung in der Beziehung zu anderen. Ihr Verhalten – besonders das erzieherische Verhalten – muss gekennzeichnet sein durch Verlässlichkeit und Authentizität, gerade auch wegen seines beständigen Wandels. So wird eine authentische Elternschaft möglich – Haim Omer und Arist von Schlippe (2009) würden sagen: eine Elternschaft auf der Grundlage einer neuen Autorität.
Authentische Elternschaft Doch wie lässt sich eine authentische Elternschaft näher beschreiben? Was zeichnet das Rollenbild des Erwachsenen in dieser neuen Beziehungslandschaft zwischen Erwachsenen und Kindern aus? Wie ist die Beziehung zum Kind zu gestalten, und worin bestehen die Aufgaben der Erwachsenen dem Kind gegenüber in dieser Elternschaft des 21. Jahrhunderts? Vielleicht lässt sich dies am besten in einem Bild fassen: Stellen Sie sich vor, Sie bekommen Besuch von einem Menschen, der bislang auf einem anderen Stern gelebt hat. Sie begrüßen ihn freundlich als Ihren Gast, heißen ihn herzlich willkommen und zeigen ihm unsere Welt, so wie wir sie konstruiert haben. Im Miteinanderleben führen Sie ihn in unsere Gebräuche ein, erläutern die Regeln, mit denen wir unser Zusammenleben gestalten, vermitteln unsere ethischen Werte und lassen ihn teilhaben an unseren kulturellen Errungenschaften.
Bindung
Übertragen auf die Beziehung zum Kind heißt das: Der Erwachsene begegnet dem Kind voller Wertschätzung und Respekt. Er ist nicht besser in seinem Denken, Fühlen und Erleben als das Kind, aber er ist in dieser Welt erfahrener. Er stellt sich mit seiner Zeit, seinem Einfühlungsvermögen, seinen Fähigkeiten und seinen Fertigkeiten dem Kind zur Verfügung, damit es im Kontakt mit ihm und in seiner Nähe angesichts der Fremdartigkeit dieser Welt Sicherheit erleben und von Tag zu Tag neue Lernerfahrungen machen kann. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Wilhelm Rotthaus
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Die Bindungstheorie misst diesen Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen hinsichtlich der elterlichen Verfügbarkeit und Unterstützung im täglichen Leben und bei emotionaler Belastung einen wichtigen Stellenwert für die weitere Persönlichkeits- und Sozialentwicklung bei. Diese Erfahrungen prägen die internalen Arbeitsmodelle des heranwachsenden Kindes und organisieren seine Einstellungen, Erwartungen und Gefühle in Interaktionen mit anderen Personen. Und auch in der weiteren Entwicklung werden – wie die Erziehungswissenschaft zeigt – die Personen für Kinder und Jugendliche wichtig, die ihnen glaubwürdig sowie konsequent und zugleich anteilnehmend begegnen, so dass sie als aufrichtig und authentisch wahrgenommen werden. Gleichwürdige Beziehung
Erziehung ist Beziehung über alle Zeiten und Schicksalsschläge hinweg. Es ist heutzutage wie gesagt eine Beziehung »auf gleicher Augenhöhe«, eine gleichwürdige Beziehung, in der das Erleben, die Gefühle und die Denkstile der Erwachsenen und der Kinder gleich wichtig und gleich berechtigt nebeneinander stehen. Das bedeutet, dass die Erwachsenen die Kinder ernst nehmen und ihnen Respekt entgegenbringen. Die kindliche Sichtweise der Welt mag sich von der unterscheiden, auf die die Erwachsenen sich geeinigt haben. Aber gerade dadurch ist sie interessant und anregend (ähnlich der von Künstlern, die uns auch mit ungewöhnlichen Formen des Sehens, Erlebens und Denkens bereichern). Und die kindlichen Probleme und Sorgen sind eher größer und bedeutsamer als die der Erwachsenen, weil Kinder einerseits abhängiger sind und zum anderen noch über weniger Lösungsstrategien verfügen. Sie brauchen deshalb die »wachsame Aufmerksamkeit« (Omer u. von Schlippe, 2009, 2010) des Erwachsenen und seine Zeit – besonders wenn sie Begleitung auf den Umwegen benötigen, die sie möglicherweise auf ihrem Entwicklungsweg gewählt haben. Gerade in solchen Krisenzeiten brauchen sie Akzeptanz, also Achtung, Wärme und Rücksichtnahme, sowie Wertschätzung und Empathie (Einfühlung). Gleichheit und Reziprozität der Regeln
Des Weiteren ist es die Aufgabe der Erwachsenen, Kinder in die Welt einzuführen, das heißt: sich den Kindern zur Verfügung zu stellen, damit sie alles Wichtige über diese Welt, so wie wir sie konstruiert haben, erfahren und alles Notwendige erlernen, um sich in dieser Welt zu orientieren und zurechtzukommen. Dazu gehört ein Vertrautmachen mit den Regeln, die wir uns gegeben haben, um ein einigermaßen friedvolles Zusammenleben zu gestalten, wie das beispielsweise im Straßenverkehr der Fall ist. Regeln dienen nicht der Einschränkung des anderen, sondern sind die Grundlage von Kooperation. Deshalb gelten Regeln selbstverständlich für Erwachsene und Kinder gleichermaßen – wenn auch in jeweils altersgemäßer Ausformung (beispielsweise bezüglich der Zubettgeh-Zeiten). Insofern sind auch die meisten Regeln nicht in Stein gemeißelt, sondern immer wieder begründungsbedürftig und verhandelbar. Der Erwachsene muss sich immer aufs Neue fragen und gegebenenfalls im Dialog mit den Kindern und Jugendlichen und eventuell mit der Unterstützung von Verwandten, Freunden und Bekannten klären, ob diese Regeln sinnvoll und notwendig sind. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Ethische Normen
Im Übrigen lernen Kinder Regeln vor allem in der Beobachtung des Erwachsenen als Modell. Beim Mitfahren im Auto beispielsweise können sie gut erfahren, ob man sich grundsätzlich an Regeln halten muss oder ob man Regeln nur befolgt, wenn sie als sinnvoll erscheinen oder aber wenn die Gefahr einer Bestrafung droht. In tausenden solcher Situationen lernen Kinder sehr gut, nach welchen Motiven der Erwachsene handelt. Dies betrifft auch das erzieherische Handeln des Erwachsenen: Die Kinder schätzen ein, ob sich der Erwachsene dabei an ethischen Normen orientiert, ob er aus Bequemlichkeit handelt oder aus dem Bedürfnis, einzuschüchtern und sich mächtig zu fühlen. Der Erwachsene tut also gut daran, zu beobachten und gegebenenfalls zu hinterfragen, welche Motive das Kind ihm bei seinem erzieherischen Handeln unterstellt. Verantwortung für die eigenen Grenzen
Die Vermittlung von Regeln unterscheidet sich von dem heute so viel diskutierten Grenzensetzen. Grenzen sind keine von den Erwachsenen gesetzten Normen. Vielmehr geht es beim Grenzensetzen darum, die Tatsache anschaulich zu machen, dass die Freiheit des einen dort aufhört, wo die Freiheit des anderen beginnt. Grenzensetzen bedeutet in diesem Sinne, dass sich die Erwachsenen der eigenen Grenzen bewusst werden. Es handelt sich also um eine immer wieder neue und schwierige Aufgabe des Erwachsenen, sich in den jeweiligen Situationen darüber klar zu werden, wie viel eigenen Raum er braucht und wann, wie und in welchem Umfang dieser gegenüber den berechtigten Interessen des Kindes abzugrenzen ist. Elterliche Präsenz
Schließlich gehört zum Einführen der Kinder in diese Welt das, was Haim Omer und Arist von Schlippe (2002, 2004, 2009, 2010) als elterliche Präsenz beschreiben und in ihren letzten Veröffentlichungen als wachsame Sorge präzisieren. Sie verweisen dabei darauf, dass elterliche Sorge ein ausschlaggebender Faktor für die Verminderung gefährdenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen ist. Die schlichte Tatsache, dass Eltern wissen, wo sich ihr Kind aufhält und mit wem es zusammen ist, stärkt das Kind darin, Versuchungen zu widerstehen. Nicht die – meist illusionäre – Idee, über Maßnahmen zu verfügen, wie das Kind zu einer von den Eltern gewünschten Verhaltensänderung bewegt werden kann, ist das Entscheidende. »Allein die Entschlossenheit, über die Ereignisse Bescheid zu wissen und sie von nahem zu verfolgen, verleiht der Autoritätsperson Präsenz und Bedeutung, auch ohne Sanktionen« (2009, S. 48). Selbstverantwortung
Schon aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass Eltern in einer solchen Konzeption von Erziehung sehr viel Verantwortung übernehmen müssen – Verantwortung in erster Linie für das eigene Handeln, nicht für das Werden des Kindes. Eltern brauchen eigene © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Haltungen und Überzeugungen, die ihre Lebensführung leiten und die sie für das Kind für wichtig erachten. Sie brauchen auch Ideen und Vorstellungen darüber, welche Entscheidungen für das Kind ihnen wichtig und richtig erscheinen. Durchsetzen können sie das alles nicht. Aber sie geben dem Kind damit Orientierung, auch wenn das andere Entscheidungen trifft und sich den Ideen des Erwachsenen widersetzt. Kinder haben auch alles Recht der Welt, gegen die Überzeugungen des Erwachsenen zu protestieren und zu rebellieren. Dazu brauchen sie aber den Erwachsenen, der sich nicht verunsichern lässt, sondern mit Mut zu seiner eigenen Position steht und diese mit Standhaftigkeit und Beharrlichkeit vertritt. Auf diese Weise erreichen sie das, was Omer und von Schlippe als neue Autorität beschreiben. Diese »Autorität zeichnet sich nicht mehr durch die Unmittelbarkeit des Gehorsams aus, sondern durch Entschlossenheit und Beharrlichkeit« (2009, S. 55). Beharrlichkeit
Die Beharrlichkeit, mit der Eltern für ihre Kinder in wachsamer Sorge präsent sind und ihre Überzeugungen vertreten, ist die große Stütze, die Eltern ihrem Kind gerade in Krisenzeiten und in Zeiten der Rebellion vermitteln können. Bongers und Körner (1996) fassen dies in den schönen Satz: »Und bist du nicht willig, so brauch ich Geduld.« Eindrucksvoll ist für die Kinder und Jugendlichen, wenn die Eltern beharren und nicht verzweifeln. Dieses Nichtverzweifeln kann – so Rainer Dollase (2001, S. 74) – eine der wichtigsten Lebenserfahrungen für das Kind werden. Er schreibt: »Warum ist der Nichtverzweifeln so wichtig? Kinder und Jugendliche müssen das Gefühl haben, dass wir nicht verzweifeln, wenn sich unsere Zielsetzungen für sie nicht erfüllen. Sie müssen merken, dass wir sie auch dann noch schätzen, wenn sie nicht alles tun, was wir wollen. [...] Erziehung ist für alle, die daran beteiligt sind, immer auch eine existenzielle Grunderfahrung, und sie macht uns die Grenzen unserer menschlichen Möglichkeiten permanent deutlich. Wie wir eine solche Grenzsituation überstehen, das bildet den Nachwuchs. Wer darüber verzweifelt und sich innerlich von seinem Kind, das nicht so wird, wie er es gern hätte, entfernt, macht einen grundlegenden Fehler in der Erziehung.« Anders formuliert: Er verpasst eine riesige Chance. Denn dieses Nichtverzweifeln in der Erziehung ist ein wichtiges Merkmal elterlicher Stärke. Um in dieser Haltung auch in schweren Zeiten bestehen zu können, brauchen Eltern allerdings Unterstützung, die sie in Krisenzeiten bei Verwandten, Freunden und Bekannten finden können. Das Gespräch mit vertrauten Menschen kann reale und emotionale Entlastung bedeuten, kann Raum für Offenheit geben und für das Eingeständnis von Schwächen – ein Hintergrund, der wahre Stärke ermöglicht. Authentizität
Authentische Elternschaft ist insofern anspruchsvoll, als sie von den Erwachsenen verlangt, sich ganz auf die eigenen Haltungen und Einstellungen, das eigene Erleben und das eigene Handeln zu konzentrieren. Sie zeigt sich nicht am Verhalten des Kindes, sondern an dem aktiven, glaubwürdigen, auf eigene Überzeugungen gründenden, gleichzeitig aber auch sozial durch Verwandte, Freunde und Bekannte unterstützten Elternverhalten. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Authentische Elternschaft
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Erziehung wird dann eine auf Beziehung basierende Begleitung des Kindes und Jugendlichen bei seiner selbstständigen Auseinandersetzung mit der Welt. Diese Beziehung sollte gleichwürdig gestaltet und von Respekt und Wertschätzung des Erwachsenen dem Kind gegenüber geprägt sein, ohne dass übersehen wird, dass der Erwachsene der Gestalter (der Regisseur) in diesem interaktiven, auf Wechselseitigkeit beruhendem Prozess ist, dessen Ausgang aber grundsätzlich offen ist. Dafür braucht das Kind und der Jugendliche authentische Erwachsene, die auf glaubwürdige Art Überzeugungen, Haltungen und Einstellungen leben und dem heranwachsenden Menschen gegenüber vertreten, die sie als verlässlich erfahren können. Auf diese Weise befriedigt der Erwachsene die vier Grundbedürfnisse des Kindes (Borg-Laufs, 2004): – eine sichere Bindung, indem er sich ihm mit seiner wachsamen Sorge und seiner Zeit zur Verfügung stellt; – ein Selbstwerterleben, indem er ihm mit Respekt, Wertschätzung und Empathie begegnet und auf ein Kritisieren verzichtet; – Lustgewinn und Unlustvermeidung, indem er das eigenständige Handeln des Kindes mit Interesse, Neugier und freudiger Anteilnahme verfolgt; – Orientierung, indem er ihm Strukturen und Regeln vorlebt, und Kontrolle, indem er durch seine Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Beharrlichkeit sowie seine Dialogbereitschaft dem Kind die Möglichkeit gibt, Ereignisse und Zustände – vor allem sein elterliches Verhalten – in hinreichendem Umfang vorhersagen und beeinflussen zu können.
Literatur Bongers, K., Körner, U. (1996). »Und bist Du nicht willig, so brauch ich Geduld.« Systemisches Arbeiten im Kontext Jugendhilfe. Sozialmagazin, 21 (1), 52–55. Borg-Laufs, M. (2004). Therapeut, Kind und Eltern. Vorschläge zur Beachtung psychologischer Grundbedürfnisse in der Verhaltenstherapie. In B. Metzmacher, F. Wetzorke (Hrsg.), Entwicklungsprozesse und die Beteiligten. Perspektiven einer schulenübergreifenden Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (S. 164–181). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Dollase, R. (1999). Selbstsozialisation und problematische Folgen. In J. Fromme, S. Kommer, J. Mansel, K.-P. Trautmann (Hrsg.), Selbstsozialisation, Kinderkultur und Mediennutzung (S. 23–42). Opladen: Leske + Budrich. Dollase, R. (2001). Kernpunkte der Erziehung und ihre Vermittlung. LAG-aktuell (hrsg. von Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung NRW e. V.), November 2001, 63–101. Luhmann, N. (1987). Strukturelle Defizite. Bemerkungen zur systemtheoretischen Analyse des Erziehungswesens. In J. Oelkers, H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik, Erziehungswissenschaft und Systemtheorie (S. 57–75). Weinheim: Beltz. Omer, H., Schlippe, A. von (2002). Autorität ohne Gewalt. Elterliche Präsenz als systemisches Konzept. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Omer, H., Schlippe, A. von (2004). Autorität durch Beziehung. Gewaltloser Widerstand in Beratung und Therapie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Omer, H., Schlippe, A. von (2009). Stärke statt Macht. »Neue Autorität« als Rahmen für Bindung. Familiendynamik, 34 (3), 246 – 254. Omer, H., Schlippe, A. von (2010). Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Postman, N. (1987). Das Verschwinden der Kindheit. Frankfurt a. M.: Fischer. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Wilhelm Rotthaus
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Rousseau, J. J. (1971). Émile oder Über die Erziehung. Paderborn: Schöningh (frz. Orig. 1762). Rotthaus, W. (2007). Wozu erziehen? Entwurf einer systemischen Erziehung (6. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Rotthaus, W. (2010). Wer hat R(r)echt? Konflikte im Kontext Familie. Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 2, 59–63.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Haim Omer und Arist von Schlippe
Die Ankerfunktion: Elterliche Autorität und Bindung
Eltern, die Autorität innehaben, erfüllen eine Ankerfunktion, welche die Sicherheit des heranwachsenden Kindes fördert, die Eltern-Kind-Beziehung stabilisiert und die Verinnerlichung eines positiven Arbeitsmodells unterstützt. Die Merkmale autoritativer Eltern, welche diese Prozesse ermöglichen, sind in dem Konzept der »neuen Autorität« beschrieben. Die neue Autorität steht im Gegensatz zur traditionellen Autorität, indem sie Präsenz anstelle von Distanz betont, Selbstkontrolle anstelle von Kontrolle, Verbundenheit zu einem unterstützenden Netzwerk anstelle von Hierarchie sowie Beharrlichkeit anstelle von Dringlichkeit. Die Ankerfunktion ist eine konzeptionelle Brücke zwischen Autorität und Bindung. Sie ergänzt den sicheren Hafen und die verlässliche Basis als eine der Grundvoraussetzungen der sicheren Bindung.
Zum Unterschied zwischen autoritativer und autoritärer Erziehung Die Forschungsergebnisse der letzten drei Dekaden legen nahe, dass autoritative Kindererziehung das Risiko mindert, offenliegende Verhaltensprobleme zu entwickeln. Ebenfalls ist weithin akzeptiert, dass sich dies nicht auf autoritäre Erziehung bezieht, welche dieses Risiko eher noch verstärkt (Baumrind, 1971; Steinberg, 2001). Trotzdem sind die entscheidenden Unterschiede zwischen einer autoritativen und einer autoritären Kindererziehung bisher noch nicht ausreichend verdeutlicht worden. Während die Bezeichnung »autoritär« klare Assoziationen zu strafendem Verhalten, Dominanz und Distanz aufweist, ist der Begriff »autoritativ« undeutlicher, er bezieht sich auf eine Person, die Autorität ohne ihre negativen Aspekte innehat. Diese Beschreibung ist unzureichend, vor allem, wenn es hart auf hart kommt. Eltern können dann entweder unfreundlich reagieren, also autoritärer werden, oder mehr Empathie und Zartgefühl zeigen, manchmal auf Kosten der Autorität. Was wir vermutlich benötigen, ist eine neue Sicht auf Autorität, die nicht der alten Autorität ein neues Gesicht gibt, sondern sie in einer positiven Art ersetzt. Diese »neue Autorität« ist Thema unseres neuen Buches mit demselben Namen (Omer u. von Schlippe, 2010). In diesem Artikel wird dargelegt, dass durch den Einsatz dieser »neuen Autorität«, die Eltern eine »Ankerfunktion« erfüllen, die dem Kind (tatsächliche und psychologische) Sicherheit gibt, einen stabilen Rahmen für Eltern-Kind-Beziehung schafft, und dem Kind erlaubt, die verantwortungsvolle und auf andere eingehende Haltung zu internalisieren. Diese drei Ziele der Ankerfunktion (Sicherheit bieten, einen stabilen Beziehungsrahmen herstellen und die Verinnerlichung eines positiven Arbeitsmodells anregen) sind drei zentrale Funktionen der Bindung. Bindungstheoretiker benennen gewöhnlich zwei elterliche Funktionen als notwendig und hinreichend, um diese Ziele zu © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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erreichen: die Bereitstellung eines sicheren Hafens und einer verlässlichen Basis. Aus unserer Sicht ist die Ankerfunktion nicht weniger notwendig, vor allem dann, wenn das Kind älter wird. Während der sichere Hafen und die verlässliche Basis einen Zufluchtsort bei den Eltern darstellen, an dem die Kinder emotional wieder auftanken können, stellt die Ankerfunktion eher die einschränkende Seite der elterlichen Fürsorge dar, etwa wenn sie auf das Kind aufpassen und es davor bewahren, sich in gefährliche Gewässer zu wagen. Um diese Funktion zu erfüllen, müssen sie selbst verankert sein, das heißt sicher verwurzelt in ihrem Verständnis von Pflichten, müssen ihre eigenen Reaktionen unter Kontrolle haben und durch ihr Unterstützungssystem selbst sicher gestützt werden. Diese Selbstverankerung erlaubt ihnen, ihr Kind und sich selbst (so wie auch andere Familienmitglieder) vor den Entwicklungsstürmen zu beschützen, die das Aufwachsen begleiten. Letzten Endes können Eltern, die sich nicht selbst schützen können und nicht gut verankert sind, ihrem Kind schlecht einen sicheren Hafen und eine verlässliche Basis bieten. Tatsächlich sind sich einige Bindungstheoretiker seit langem bewusst, dass elterliche Beständigkeit und deren Fähigkeit, Grenzen zu setzen und Autorität auszuüben, besonders nach dem ersten Lebensjahr, eine Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Bindung haben müssen (De Wolff u. van Ijzendoorn, 1997). Diese Funktionen wurden jedoch in der Bindungsliteratur meist vernachlässigt. Die Ankerfunktion kann einen ergänzenden Rahmen liefern, um diese Vernachlässigung abzuschwächen. Entwicklungspsychologen und klinische Psychologen standen der Autorität üblicherweise argwöhnisch gegenüber, und das aus gutem Grund. Traditionelle Autorität beinhaltete gewöhnlich Distanz (»Wenn ich zu nahe komme, verliere ich meine Autorität!«), Bestrafung (»Wenn ich sie nicht bestrafe, denken sie, ich bin schwach!«), Dominanz (»Ich bin der Boss!«) und sofortige Vergeltung (»Bestrafung muss zügig erfolgen!«). Zudem betrachtete sich die Autoritätsperson als einzige Quelle der Macht (»Wenn ich Hilfe brauche, habe ich versagt!«), als niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig (»Was in meinem Haus passiert, geht niemanden etwas an!«) und als nicht verantwortlich für Eskalationen (»Er wollte es so!«). Würde durch diese Einstellung irgendeine Bindung gefördert, dann wäre sie wohl unterwürfig, abhängig und unsicher, das Kind wäre ständig von der Gnade der elterlichen Launen abhängig. Die willkürliche Natur einiger Erscheinungsformen traditioneller Autorität (»Du machst das, weil ich es dir sage!«) verhindert auch die Entwicklung der Fähigkeit des Mentalisierens, die mittlerweile für den Bindungsprozess als zentral angesehen wird (Fonagy et al. 2004). Das Mentalisieren wird verhindert, da die kindlichen Gedanken von den Eltern nicht »im Gedächtnis« behalten werden, während die elterlichen Gedanken absichtlich undurchsichtig gehalten werden (»Befehle sollen befolgt und nicht verstanden werden!«). In der Vergangenheit wurde diese Sicht der Autorität als selbstverständlich angesehen: Eltern sollten Herren in ihrem eigenen Hause sein, und die Rolle der Kinder war, zu gehorchen. Die Härte der Mittel war abhängig von der Renitenz der Kinder. Trotzdem geriet die Billigung dieser elterlichen Autorität seit den späten fünfziger Jahren in starke Kritik. Eine anti-autoritäre Einstellung unter Psychologen und Erziehern wurde ein absolutes Muss. Die Hoffnung war groß, dass Kinder ohne Anforderungen und Einschränkungen, die für die spontanen Entwicklungsschritte als abträglich angesehen wurden, aufgezogen werden konnten. Dieser Traum stellte sich © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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jedoch als nicht fundiert heraus: Kinder, die in diesem Sinne erzogen wurden, hatten mehr Probleme als Kinder, die auf eine traditionellere Weise erzogen wurden (Fletcher et al., 2004; Steinberg, 2001). Erzieher standen so vor einem Dilemma: Nachdem die Autorität entzaubert wurde, fanden sie heraus, dass sie die Kinder nicht ohne sie aufziehen konnten. Durch die Gegenüberstellung der Merkmale von neuer und traditioneller Autorität stellen wir eine mögliche Lösung für dieses Dilemma bereit. Die Form der Autorität, die sich für unsere Generation als legitim und akzeptabel erweist, kann nur eine sein, die Bindung fördert. Ein Großteil der Kritik an der traditionellen Autorität steht in Zusammenhang mit den negativen Effekten autoritärer Erziehung auf die Entwicklung eines vertrauensvollen, verlässlichen und warmen Bandes zwischen Eltern und Kind. Wäre das traditionelle Autoritätsparadigma unser einziger Weg, Autorität zu verstehen, wären Autorität und Bindung größtenteils unvereinbar. Die Notwendigkeit, den Graben zwischen Autorität und Bindung zu überwinden, ist entscheidend, da wir in Bezug auf die Kindererziehung zu einer »BindungsKultur« geworden sind: Bindung ist für uns nicht nur der bedeutendste eigentliche Prozess, sondern auch der wichtigste Wert in der Erziehung. Die Bindungstheorie wurde für unsere Generation nicht nur durch ihre empirischen und theoretischen Verdienste zentral, sondern auch, weil sie, mehr als jede andere Theorie, das Herz unserer Ideale bezüglich der die Eltern-Kind-Beziehung anspricht.
Distanz versus Präsenz Traditionelle Autorität begründete sich auf Distanz und Ehrfurcht. Es wurde angenommen, dass Nähe Autorität ausschließt. Trotzdem wurde der distanzierte Erziehungsstil quasi unakzeptabel. Wenn überhaupt, würden wir unsere Autorität gern auf entschlossener Präsenz aufbauen. Die neue Autorität macht sich bemerkbar in der Einstellung: »Ich bin dein Elternteil und bleibe es auch! Ich werde nicht ausrangiert, lahmgelegt oder eingeschüchtert!« Entschlossene Präsenz wird etwa dann offenbar, wenn Eltern das aufwachsende Kind beaufsichtigen. Es wurde gezeigt, dass elterliche Aufsicht die beste Prävention für Risikoverhalten ist (Fletcher et al., 2004; Petit et al., 2001). Die Fähigkeit, ein heranwachsendes Kind oder einen Teenager in einer positiven und minimal aufdringlichen Weise zu beaufsichtigen, ist eine der Hauptstützen der neuen Autorität: Eltern, die sich so verhalten, bleiben dem Kind nahe und verringern seinen Kontakt mit Risiken, während sie zur gleichen Zeit an Gewicht und Statur gewinnen. Jedoch sollte die Einstellung der Eltern, auf die wir abzielen, Sorge und Präsenz in einer Art beinhalten, die sich von der Aufsichtshaltung, die durch den Begriff Beaufsichtigung bzw. Supervision (Monitoring sei gar nicht erwähnt) unterscheidet. Um diese Unterschiede zu verdeutlichen, benutzen wir den Terminus wachsame Sorge (Omer u. von Schlippe, 2010, S. 69 ff.). Interessanterweise wurde in der Literatur zu elterlichem Monitoring keine Notiz von der Beziehung zwischen elterlichen Beaufsichtigung der Aktivitäten eines Teenagers und der wachsamen Sorge einer Mutter für ihr Baby genommen. Diese Verbindung wird den Unterschied zwischen einer abgehobenen und aufdringlichen Art der Beaufsichtigung und einer verantwortungsvollen und reagierenden wachsamen Sorge verdeutlichen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die Wachsamkeit der Mutter hat unterschiedliche Grade, die den Warnzeichen, die sie wahrnimmt, entsprechen: a) Offene Aufmerksamkeit: Selbst wenn sie mit anderen Aufgaben beschäftigt ist, bleibt die Mutter offen aufmerksam für alle Notsignale des Babys. Wir haben alle von Müttern gehört, die tief schlafen, wenn ein Bulldozer unter ihrem Fenster vorbeifährt, die aber bei dem kleinsten Pieps ihres Babys aufwachen. Mütter scheinen also einen Empfangskanal mit höchster Priorität zu haben, der konstant auf das Baby eingestellt ist. b) Fokussierte Wachsamkeit: Wird ein Signal wahrgenommen, das Gefahr oder Not bedeuten könnte, erhöht die Mutter ihre Wachsamkeit und fokussiert ihre Aufmerksamkeit auf das Baby, um das Alarmpotenzial der Situation abzuschätzen. c) Aktives Beschützen: Wird das Signal als bedeutsame Bedrohung oder Not gedeutet, geht die Mutter dazu über, aktiv beschützend zu handeln. Weil sie ihren Wachsamkeitsgrad ständig an den Bedarf anpasst, geht die Mutter schonend mit ihren Ressourcen um und beschützt gleichzeitig ihr Kind, wobei sie sich nur minimal einmischt. Diese drei Grade der aufmerksamen Betreuung sind auch von Bedeutung, wenn das Kind heranwächst. Stellen Sie sich einen Vater vor, der mit seinem Kind zum Spielplatz geht. Ist alles ruhig, wird er sich anderen Dingen widmen, während er am Rand seiner Aufmerksamkeit ständig auf Signale des Kindes achtet. Dieser Zustand der offenen Aufmerksamkeit wird verstärkt, wenn der Vater etwa einen bellenden Hund hört. Der Vater fokussiert und ist alarmiert und bereitet sich darauf vor, im Fall der Fälle einzugreifen. Ist der Hund feindselig oder hat das Kind Angst, erhöht sich die Aufmerksamkeit des Vaters und er beschützt das Kind aktiv vor dem angsteinflößenden Hund. Diese Wechsel charakterisieren die effektive wachsame Sorge während der Kindheit und Adoleszenz (Omer u. von Schlippe, 2010). Die elterliche Präsenz, die sich in dieser flexiblen wachsamen Sorge manifestiert, ist der psychologischen Sicherheit zuträglicher, als eine autoritäre elterliche Aufsicht, die sich zwischen ferner Bedrohung und aufdringlicher Kontrolle bewegt. Teenager können protestieren, aber sie sind auch dankbar dafür, dass die Eltern aufmerksam sind und im Notfall einschreiten. Ein 16-jähriges Mädchen erzählte ihrem Therapeuten von ihrer Frage an eine Freundin, die damit prahlte, dass ihre Mutter »cool« sei und nie fragte, wo sie hingehe oder wann sie wiederkäme. Sie entgegnete ihrer Freundin: »Wirklich? Interessiert sie sich denn gar nicht für dich?« Die elterliche flexible wachsame Betreuung bietet dem Kind einen deutlich akzeptableren Beziehungsrahmen als eine, die sich durch eine kontrollierendere Art von Autorität auszeichnet. Dies wird etwa in dem anhaltenden, aber nicht aufdringlichen Interesse der Eltern deutlich. So lange keine offensichtlichen Anzeichen für Gefahr auftreten, verhören die Eltern das Kind nicht, sondern sind an seinen Neigungen und Taten fürsorglich interessiert. Das Kind weiß jedoch, dass die Eltern näher hinsehen, wenn Warnzeichen auftreten. Durch das konstante elterliche Interesse fühlt sich das Kind begleitet, auch wenn die Eltern physisch nicht anwesend sind. Wachsame Sorge trägt auch zu den Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes bei, auf sich selbst aufzupassen. Eine der wichtigen Lektionen der Forschung zu elterlicher Beaufsichtigung ist, dass Kinder, die eine solche Betreuung erfahren, besser Versuchungen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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widerstehen und sich von Risiken fern halten können. Dies weist darauf hin, dass das Kind die elterliche Fürsorge internalisiert hat und dadurch fähig ist, auf sich selbst aufzupassen. Die elterliche wachsame Sorge ist daher wie ein Anker an einem langen Seil. Das ständige Interesse der Eltern gibt dem Kind das Gefühl, dass der Anker immer vorhanden ist, aber nur, wenn es in unruhige Gewässer gerät, spürt es auch den Zug des Seils. Unser Modell der wachsamen Sorge hat sich als sehr elternfreundlich erwiesen. Eltern antworten auf das Konzept und seine praktischen Instrumente oft mit dem dreifachen Echo: »Ich brauche das!«, »Ich will das!« und »Ich kann das!« (Omer u. von Schlippe, 2010). Viele Eltern von Kindern mit akuten Verhaltensproblemen, die an unserem Beratungsprogramm1 teilgenommen haben, berichteten, dass das Wiedererlangen der aufmerksamen Betreuung der Schlüsselfaktor in der Erneuerung ihres Verständnisses von Autorität war (Oleffs et al., 2009; Weinblatt u. Omer, 2008). Die Eltern berichteten, dass die aufmerksame Betreuung ihnen erlaubt hat, sich wieder in Einklang mit ihrem manchmal verloren gegangenen Sinn für elterliche Pflichten zu bringen. Bezogen auf die Ankerfunktion würden wir sagen, dass diese Eltern fähig wurden, ihr Kind zu beschützen und zu stabilisieren, da sie sich selbst in ihrer elterlichen Position erfolgreich verankert haben.15
Kontrolle versus Selbstkontrolle Traditionelle Autorität erforderte Fügsamkeit und Kontrolle. Bedingter, zögerlicher oder partieller Gehorsam waren Zeichen mangelnder Autorität. Die heutigen Werte sind dagegen das genaue Gegenteil: Wir schätzen Autonomie und sehen automatischen Gehorsam als Erziehungsfehler an. Der Anspruch auf bedingungslosen Gehorsam beinhaltet eine gänzlich abhängige Beziehung: Das Kind wird nur dann vollkommen akzeptiert, wenn es gehorcht. Darin liegt nur wenig Sicherheit. Bedingte Akzeptanz kommt in der Adoleszenz oft wie ein Bumerang zurück: Viele Jugendliche fühlen sich verpflichtet zu rebellieren und sehen Gehorsam als persönliche Vernichtung. Weglaufen, oder das eigene Leben vor den Eltern zu verstecken, kann dann gleichbedeutend mit psychischem Überleben sein. Sogar eine positive Verstärkung kann aufgrund ihrer Assoziation mit Kontrolle eine negative Valenz haben. Aus diesem Grund wird das Anbieten einer Belohnung für besseres Verhalten von Heranwachsenden oft zurückgewiesen. Eine Möglichkeit für eine originäre Lösung: Sie nehmen zwar die Belohnung an, ändern ihr Verhalten aber dann unverfroren, nur um zu zeigen, dass sie nicht käuflich sind. Wir schlagen daher vor, dass die neue Autorität nicht auf der Kontrolle über das Kind basiert, sondern auf der Selbstkontrolle der Eltern und einer gewissenhaften Erfüllung der Pflicht. Veränderung deutet sich an, wenn Eltern anfangen zu sagen: »Ich kann dich nicht kontrollieren! Aber es ist meine Pflicht, deinem brutalen Verhalten 1
Zuerst entwickelt in der Elternberatungsabteilung des Schneider-Kinderkrankenhauses in Israel, wurde das Eltern-Trainingsprogramm zur neuen Autorität in verschiedenen Beratungszentren in Israel, Deutschland, der Schweiz, England, Holland, Belgien, Dänemark und Österreich angeleitet und implementiert (Ollefs u. Schlippe, 2007). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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standzuhalten!« oder »Ich kann dich nicht zwingen, pünktlich zurückzukommen! Aber wenn du lange wegbleibst, werde ich nach dir Ausschau halten!«. Die Eltern vermitteln Autorität nun in einer Art, die davon abhängig ist, was sie selbst machen, und nicht davon, was das Kind macht. Diese Veränderung markiert oft einen Wendepunkt in vormals eskalierenden Konflikten (Weinblatt u. Omer, 2008; Levavi, 2010). Nun lernen die Eltern, sich selbst in ihren Pflichten und in ihrer Selbstkontrolle zu verankern, anstatt sich genötigt zu fühlen, auf jede provokative Bemerkung zu reagieren. Einer der Väter in unserem Programm sagte: »Ich hörte auf zu schreien und zu drohen! Auch wenn er mich provoziert, stehe ich wie ein Fels, und er bringt mich nicht dazu, meine Kontrolle zu verlieren!« Das starke Bild des Felsens ist für viele Väter verlockend. Für Mütter erscheint das Ankerbild freundlicher und sanfter. Kinder, die mit kontrollierenden Eltern aufwachsen, erfahren die Beziehung oft als ein Nullsummenspiel (»Entweder gewinne ich oder du!«). Sie empfinden ihre Eltern als nicht wirklich interessiert an ihren Gedanken und Gemütszuständen. Die Internalisierung einer solchen Interaktion resultiert in einem an Dominanz orientierten Arbeitsmodell für zukünftige Beziehungen. Im Gegenzug dazu öffnen Eltern, die ihre Stärke im Sinne der neuen Autorität begründen, Möglichkeiten für freiwillige Kooperation. Am Anfang, wenn die Eltern eines Kindes mit gegensätzlichem Verhalten auf die Sprache der Kontrolle zugunsten einer Sprache der elterlichen Pflicht und Selbstkontrolle verzichten, kann das Kind ärgerlich reagieren: »Das hilft auch nicht! Ich mache genau das Gegenteil von dem, was ihr wollt!« Die Eltern können dann in diesem Sinn reagieren: »Wir können dich nicht zwingen. Aber wir werden genau auf dich Acht geben, weil wir dich sehr gern haben.« Nach ein paar rebellischen Attacken wird sich das Kind in Kooperation versuchen. Sagen die Eltern dem Kind, dass sie glücklich sind, dass es so reagiert hat, erhalten sie häufig eine trotzige Antwort: »Ich habe das getan, weil ich es wollte!« Diese Antwort spiegelt die wahren Gefühle des Kindes wider: Es hat aus eigenem freien Willen kooperiert, weil es sich nicht länger verpflichtet fühlte zu opponieren. Das Arbeitsmodell des Kindes, das in der alten Autorität nur die Möglichkeiten zur Rebellion oder zur Fügsamkeit sah, wird nun um die Möglichkeit der freiwilligen Kooperation bereichert. Eine Autorität, die auf Selbstkontrolle basiert, bietet dem Kind einen völlig anderen Beziehungsrahmen als eine, die auf der Kontrolle über das Kind basiert. Das Band zwischen Eltern und Kind hängt nicht mehr vom Gehorsam ab, und das Kind wird nicht mehr von der Vernichtung seines eigenen Willens bedroht. Die stille Stärke, welche die Eltern vermitteln, kann dem Kind nun das Gefühl geben, dass es die Eltern als einen Anker nutzen kann, um sich selbst zu stabilisieren.
Hierarchie versus Netzwerk Autorität wird in der traditionellen Sichtweise wie eine Pyramide gesehen. Die Person an der Spitze steht in königlicher Isolation über allen anderen. Unterstützung zu erhalten, wird als Beeinträchtigung der Autorität gesehen: »Brauche ich Hilfe von anderen, bedeutet dies, dass ich schwach bin!« Eltern reagieren häufig so, wenn wir versuchen sie davon zu überzeugen, Helfer zu involvieren. Freie Gesellschaften stehen aber strikten Hierarchien zunehmend äußerst argwöhnisch gegenüber, in Familien ebenso wie © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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anderswo. Doch gibt es eine Autorität, die nicht in einer unmissverständlichen »top-down«Ausrichtung strukturiert ist? Tatsächlich war nicht einmal die Herrschaft des traditionellsten pater familias das Produkt seiner alleinigen Macht. Seine Autorität wurde durch die geradezu einhellige Unterstützung aller Hauptbereiche der Gesellschaft aufrechterhalten. In ähnlicher Weise hatten einst Lehrer nur durch die unausgesprochene Berechtigung durch die Gesellschaft eine fast grenzenlose Autorität über ihre Schüler. Autorität wird jedoch nicht mehr selbstverständlich oder einhellig aufrechterhalten. Daher benötigen wir einen expliziten Prozess der Reautorisierung, um die Autorität geschwächter Eltern zu stärken. Ein wirksamer Weg, um dies zu erreichen ist, ein unterstützendes Netzwerk aufzubauen, das Verwandte, Freunde und andere Eltern beinhalten kann (Omer u. von Schlippe, 2004, 2010). Eltern hören dann auf, in der ersten Person Singular zu sprechen, und fangen an, im Plural zu sprechen (»Wir haben beschlossen, dass in diesem Haus Gewalt keinen Platz mehr hat!«). Der Übergang vom »Ich« zum »Wir« steigert die legitime Stärke der Autoritätsperson, während sie gleichzeitig die Willkür ihrer Macht einschränkt. Die Einbeziehung von Unterstützung erzeugt Transparenz und bringt somit ein Element der Kontrolle in die Handlung der Eltern. Unsere Studien zur neuen Autorität zeigen, dass sich Eltern, die ihre Autoritätv durch ein unterstützendes Netzwerk stärken, effizienter, weniger strafend und weniger eskalierend verhalten (Levavi, 2010; Ollefs et al., 2009; Weinblatt u. Omer, 2008). Diese Art der Autorität erscheint eher als Hologramm und weniger als Pyramide: Jedes Mitglied des Netzwerks wird nun durch die anderen gestärkt, während es wiederum die anderen stärkt. Die Bedeutung des Unterstützungsnetzwerkes wird schon in der Beziehung der Mutter zu ihrem Baby offensichtlich. Der primär dyadische Fokus der Bindungstheorie hat möglicherweise die Rolle, die soziale Unterstützung bei der Entwicklung des Eltern-Kind-Bandes spielt, verdeckt. Auch im ersten Lebensjahr ist Bindung nicht streng dyadisch, sondern zumindest triadisch (Mutter – Vater – Kind) oder sogar n-adisch (Sydow, 2008). Solch ein systemischer Blickwinkel anstelle eines ausschließlich dyadischen Blickwinkels ließe uns annehmen, dass das Kind leichter eine sichere Bindung entwickelt, wenn die Mutter das Unterstützungsnetzwerk, in das sie eingebunden ist, widerspiegelt und auch von ihm widergespiegelt wird. Im Gegensatz dazu würde eine Mutter, die isoliert oder sozial zurückgewiesen ist, dem Kind möglicherweise eine etwas problematische Bindung anbieten. Genau genommen kann die Mutter aufgrund ihres Eingebundenseins in ihr Netzwerk als eine Bindungsbrücke fungieren, die nicht nur das Kind an sie selbst bindet, sondern es auch für seine Umwelt öffnet. Verbundenheit stärkt die Mutter und macht sie sicherer in ihren Taten und fähiger, ihre Erwartungen an das Baby in heiklen Situationen zu übermitteln, etwa wenn sie versucht, die nächtlichen Stillzeiten zu reduzieren oder den Übergang zu fester Kost zu gestalten. Bei diesen Übergängen hilft der Mutter die Unterstützung derjenigen, die ihr lieb und teuer sind, durchzuhalten und Frustrationen standzuhalten. Sozialer Rückhalt ist daher schon im frühen Kindesalter des Nachwuchses grundlegend für die elterliche Autorität. Die Schaffung eines Unterstützungssystems steht sinnbildlich dafür, dass die Selbstverankerung der Eltern sie befähigt, dem Kind ein Anker zu sein. Das Bild des Ankers ist hier besonders passend: Ein kleiner Anker kann ein schweres Schiff durch die Kraft seiner Haken stoppen. Ein Anker mit einem Haken (die isolierte Autoritätsfigur), © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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gleich wie groß, würde die Aufgabe unendlich schwieriger machen. Wenn das Kind heranwächst, macht der Umstand, dass die Eltern in ihrem Unterstützungssystem verankert sind, deren Ansprüche berechtigter und akzeptabeler. Sogar ein sehr rebellisches Kind wird die Veränderung spüren, wenn die Mutter aufhört, ihre Ansprüche so zu formulieren, als stammen sie von ihrem alleinigen Willen, sondern wenn sie sie stattdessen als Resultat einer gemeinsamen Entscheidung darstellt. Eine 14-jährige Tochter reagierte auf die Erwartung ihrer Mutter, dass sie ihr sagen solle, wo genau sie hinginge und wann sie wiederkäme, mit dem gewöhnlichen Protest: »Du bist die einzige Mutter, die so ein Verhör macht!« Die Mutter antwortete ihr: »Ich habe mit drei anderen Müttern in deiner Gruppe gesprochen, wir machen das alle!« Diese soziale Validierung gibt der Mutter breitere Schultern, während sie zugleich bei der Tochter das Gefühl einer Niederlage verringert, wenn sie sich anpasst. Das Annehmen einer allgemeinen Regel ist immer weniger demütigend, als sich einem einzelnen Willen zu unterwerfen. Die Verbundenheit der Eltern untereinander und mit einem unterstützenden Netzwerk trägt signifikant zum Sicherheitsempfinden des Kindes bei. Die Erfahrung des Kindes, dass andere helfen, um die Mutter zu entlasten, vermittelt das Gefühl eines Sicherheitsnetzes. Ein Helfer, der an der Seite der Mutter steht, stärkt ihre Position. Andere Familienmitglieder, vor allem Großeltern, können in dieser Hinsicht eine zentrale Rolle spielen. Die Beteiligung der Großeltern trägt nicht nur zur psychologischen Sicherheit des Kindes bei, sondern auch zur Risikoverringerung. Daher besteht für Jugendliche aus Familien mit einbezogenen Großeltern ein geringeres Risiko für asoziales Verhalten (Dornbusch et al., 1985). Heranwachsende haben einen ausgeprägten Sinn für Gruppenzugehörigkeit. Kein Wunder, dass Eltern oft an Autorität verlieren, wenn sie mit Anhäufungen von Teenagern konfrontiert werden. Dieser Prozess wird manchmal umgekehrt, wenn Eltern sich mit anderen zusammen tun. In unserem Beratungsprogramm wurden wir oft Zeugen davon, dass, wenn Eltern mit anderen Eltern in Verbindung stehen, oder sie mit der Hilfe von Verwandten und Freunden aufmerksame Betreuung ausüben, der Teenager besser befähigt ist, bei gefährlichem Verhalten dem Gruppendruck zu widerstehen. Der Teenager gewinnt also durch seine Verknüpfungen mit dem Unterstützungsnetzwerk der Eltern an Stärke. Die Art der Beziehung, die sozial eingebundene Eltern dem Kind bieten, unterscheidet sich von der isolierter Eltern. So müssen zum Beispiel nicht alle Probleme in der direkten Eltern-Kind-Auseinandersetzung gelöst werden. Dies kann bei einem hohen Grad an Belastung sehr hilfreich sein. So erfährt eine Jugendliche, dass es möglich ist, »eine Pause« von den allzu erwartungsvollen Interaktionen mit den Eltern einzulegen, indem sie Zeit mit ihrem Onkel verbringt. Der Onkel kann dann auch anbieten, als Mediator zu fungieren. Wenn der Onkel seiner Nichte vermittelt, dass die Eltern die Pflicht haben, sie zu beschützen, wird dies einen positiven Einfluss auf die elterliche Autorität haben. Diese Haltung kann durch Nachrichten kommuniziert werden wie etwa: »Ich liebe dich und glaube an dich! Ich will dir auch gern helfen, mit deinen Eltern annehmbarere Regelungen zu verabreden. Aber deine Ausbrüche und dein Verschwinden müssen ein Ende haben!« Eltern, die gut in einem unterstützenden Netzwerk verankert sind, können dem Kind somit helfen, ein flexibleres Arbeitsmodell zu internalisieren, in dem Beziehungs© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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krisen nicht nur durch direkte Konfrontation, sondern auch mit der Hilfe anderer gelöst werden können, die neue Perspektiven und Mediation anbieten sowie die Möglichkeit, »eine Pause einzulegen«.
Unmittelbarkeit versus Beharrlichkeit Die Autoritätsperson aus alten Zeiten folgte dem Prinzip der unmittelbaren Vergeltung. Jupiters Blitz war das Zeichen seiner Macht. Geduld und Selbstbeschränkung wurden als unvereinbar mit wahrer Autorität gesehen. Eltern, die im Angesicht eines Vergehens ruhig blieben, »schluckten ihren Stolz hinunter«. Die Forderung nach unmittelbaren Vergeltungsmaßnahmen garantiert, dass Konfrontationen ausnahmslos auf der Höhe der Erregung stattfinden. Die Eltern-Kind-Beziehung ist dann in Gefahr, in der Eskalation unterzugehen. Wir verwenden in unserer Arbeit mit Eltern drei Sätze, um das Gefühl der Dringlichkeit abzuschwächen, das Eltern überkommt, wenn sie mit barschem Verhalten konfrontiert sind: – »Du musst nicht gewinnen, sondern nur nicht locker lassen!« – »Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist!« – »Fehler sind unausweichlich, aber sie lassen sich korrigieren!« Diese Sätze sind bezeichnend für die Veränderungen, die die neue im Gegensatz zur alten Autorität kennzeichnen: a) Anstatt mit einem entscheidenden Schlag alles verändern zu wollen, zielen wir auf eine graduelle Veränderung durch Beharrlichkeit. b) Anstelle des Verlangens, unmittelbar zu reagieren, sollten wir uns Zeit nehmen, um uns zu beruhigen, unsere Ressourcen zu sammeln und uns Unterstützung zu holen. c) Anstatt Zeit in einer linearen Art zu erfahren, nehmen wir zur Kenntnis, dass Fehler (unsere oder die unserer Kinder) korrigiert werden können. Die Einsicht darin, dass Autorität eher auf Beharrlichkeit und nicht auf einer unmittelbaren Zurschaustellung von Kraft basiert, erscheint manchen Eltern revolutionär. Die landläufige Sicht ist, dass die Forderungen der Erwachsenen sofort erfüllt werden sollten. Das Kennzeichen der neuen Autorität ist gänzlich anders. Autorität wird nicht länger durch den prompten Gehorsam des Kindes definiert, sondern durch die anhaltende Macht des Erwachsenen. Elterliche Beharrlichkeit sollte jedoch nicht blind sein: Indem die Schritte abgewogen werden, berücksichtigen Eltern auch, was im Kopf des Kindes vor sich geht. Daher sollten Eltern, wenn sie mit ihrer Entscheidung wieder auf das Kind zugehen, ein empathisches Verständnis für die Gefühle des Kindes äußern (»Ich verstehe, dass du so reagiert hast, weil du das Gefühl hattest, deine Ehre stehe auf dem Spiel! Ich respektiere deine Ehre, aber ich werde mich deinen gewalttätigen Aktionen widersetzen!«). Das Kind wird Respekt erfahren, die Eskalation wird minimiert und die Fähigkeit, mitzudenken, wird gefördert. Beharrlichkeit erreicht ihr Ziel aufgrund der positiven Stimmen im Kopf des Kindes. Aus unserer Sicht sind selbst die Aktionen eines höchst rebellischen Kindes das Ergeb© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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nis eines inneren Dialogs zwischen den unterschiedlichen Stimmen in seinem Kopf, von denen einige eventuell mit den Eltern kooperieren wollen. Dieses innere Forum wird mit dem inneren Parlament des Geistes verglichen (Shneidman, 1985: »parliament of mind«). Die positiven Stimmen im Kopf des Kindes können zu einem bestimmten Zeitpunkt untätig oder schwach sein, aber wir müssen annehmen, dass sie existieren. Wenn wir uns den kindlichen Geist als ein Kaleidoskop vorstellen, in dem manchmal die negativen und manchmal die positiven Stimmen die Überhand haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich eine positive Haltung bildet. Dies ist eine verbreitete Erfahrung der Eltern: Das Kind verweigert, verweigert, verweigert und kooperiert dann. Wenn solch einer positiven Antwort von den Eltern weise entgegnet wird, können positive Beziehungsabläufe entstehen. Die Fähigkeit zu beharren, Antworten zu vertagen und, wenn nötig, die eigenen Fehler zu berichtigen, schafft neue Bedingungen für die Beziehungsarbeit. Beharrliche Eltern liefern eine emotionale Garantie dafür, dass sie für das Kind ständig da sind. Eltern, die ihre Antwort abwägen und ihre Ressourcen sammeln, erlauben dem Kind mehr Spielraum, um seine eigenen Reaktionen zu wählen. Eltern, die sich trauen, dem Kind Entschädigung für eine unangemessene Handlung ihrerseits (der Eltern) anzubieten, lassen es die Erfahrung machen, dass Brüche geheilt werden können. Wir haben mehrere Beispiele, in denen die mutige Bereitschaft der Eltern, Korrekturen an unangemessenen Handlung vorzunehmen, ihre Autorität nicht schwächt, sondern ihren Handlungsweisen mehr Glaubwürdigkeit verleiht. Solche Eltern schaffen es, ihr Kind dahin zu führen, sein eigenes Vergehen zu korrigieren, wenn sich die Gelegenheit ergibt (Omer u. von Schlippe, 2010). In der Vergangenheit endete jede Konfrontation mit dem Kind mit einem unmittelbaren Ergebnis: Das Kind gehorchte, wurde bestraft, oder »gewann«. Im Gegenzug dazu entfaltet sich die neue Autorität über und durch die Zeit. Die Autoritätsperson häuft Tiefe und Gewicht an durch ihre Bereitschaft zu beharren, zu verschieben, und Entschädigung für verletzende Handlungen zu leisten oder einzufordern. Eine Mutter sagte: »Ich fühlte eine neue Kraft, als ich verstand, dass eine unangenehme Episode nicht sofort enden muss, sondern nur, wenn ich fühle, dass die Zeit für ein Ende reif ist!« Ein Vater bezeichnete dies als »die Entdeckung der Langsamkeit«. Ein Kind, das die Beharrlichkeit der Eltern erfährt, erlebt die Eltern als präsent, auch wenn keine unmittelbare Reaktion erfolgt. Zum Beispiel, wenn die Mutter sagt: »Ich kann dein Verhalten nicht akzeptieren! Ich denke darüber nach, was ich dagegen mache!«, weiß das Kind, dass sie darauf zurückkommen wird, auch wenn ihr »Nachdenken« eine Weile dauert. Diese »Rückkehr der Eltern« wird etwas, auf das man sich verlassen kann, vor allem wenn sie von einer empathischen Äußerung des Respekts begleitet wird, und lässt einen Anker durchblicken, der die ganze Zeit vorhanden ist, auch wenn er nicht kontinuierlich gefühlt wird.
Schlussfolgerung Eine der Hauptfunktionen von Bindung ist es, die Nachkommen vor einer bedrohlichen Umgebung zu schützen. Bei den Menschen, wo die Nachkommen im Vergleich zu allen anderen Spezies am längsten verwundbar bleiben, ändern sich die Quellen der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Die Ankerfunktion
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Gefahr mit dem Lebensalter. Das Kind soll nicht nur Trost und Wärme in der Umarmung der Mutter finden können, sondern soll auch bei seinen eigenen abenteuerlustigen Unternehmungen beschützt werden. Die Eltern sollen nicht nur fähig sein, das Kind zu beschützen, sondern auch die Eltern-Kind-Beziehung vor den emotionalen Stürmen schützen, die diese erschüttern. Diese beschützerischen Fähigkeiten spiegeln nicht nur die feinfühlige, sondern auch die starke Seite der bindungsfördernden Verhaltensweisen der Eltern wider. Jede menschliche Gesellschaft hat ihre eigene Variante elterlicher Stärke entwickelt, ihre eigene Tradition der Autorität. In Zeiten sozialen Wandels wird diese Tradition in Frage gestellt und verlangt nach Modifikation. Wir sind der Meinung, dass die westliche Welt derzeit einen solchen Wandel erlebt, weil die traditionellen Formen der Autorität nicht mehr zu den kulturellen Sitten passen. Die traditionelle Autorität entspricht einer nicht mehr zeitgemäßen Eltern-Kind-Beziehung. Deshalb muss die Frage des Zusammenhangs zwischen Autorität und Bindung neu gestellt werden. Die Autorität, die in vorangegangenen Epochen zur Bindungsstabilität beigetragen hat, entspricht nicht mehr der Eltern-Kind-Beziehung, die wir heute als erstrebenswert ansehen. Genau der pater familias, der von seinen Kindern in der Vergangenheit verehrt wurde, ist heute einer zum Fürchten und Hassen. Wir glauben, dass es uns durch die Darstellung einer neuen und akzeptablen Art von Autorität möglich wird, die Rolle der Autorität bei der Förderung einer sicheren Bindung zu verstehen. In dem Modell, das wir vorschlagen, fördern die Eltern die sichere Bindung durch die Erfüllung einer Ankerfunktion. Diese Funktion kann aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: aus Sicht der elterlichen Einstellungen, Beziehungen und Handlungen, die sie möglich machen (die elterliche »Selbstverankerung«), und aus der Sicht ihrer Wirkung auf das Kind. Die elterliche Selbstverankerung zeigt sich, wenn: a) sie sich in ihrem Gefühl für Pflicht verwurzeln; b) sie beharren; c) sie die Fähigkeit entwickeln, Frustrationen standzuhalten und ihre eigenen Reaktionen zu kontrollieren; d) sie eine unerschütterliche Präsenz im Leben des Kindes entwickeln, e) sie ihre Position durch ein unterstützendes Netzwerk festigen. Jeder dieser Punkte gibt den Eltern Halt und ermöglicht es ihnen, als Anker für ihre Kinder zu fungieren. Aus Sicht der kindlichen Entwicklung offenbart sich die Ankerfunktion vor allem auf drei Ebenen: a) mit einem Beitrag zum Sicherheitsgefühl des Kindes durch sichere und schützende Grenzen; b) durch das Angebot eines stabilen und nichtkontrollierenden Beziehungsrahmens für das Kind, und c) durch die Förderung der Internalisierung der Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen, und eines positiven Arbeitsmodells. Weit davon entfernt, die Wärme und Sensibilität zu bestreiten, die traditionell als Kennzeichen einer positiven Bindung gesehen wurden, trägt die neue Autorität tatsächlich zur Fähigkeit der Eltern bei, genau diese Wärme und Sensibilität auszu© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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drücken. Letzten Endes kann man nicht erwarten, dass elterliche Liebe bei herben Entwicklungsstürmen und in Abwesenheit eines gut verwurzelten Stammes ungestört aufblüht. Eltern müssen beides sein, sensibel und stark, damit ein verlässliches Band gedeiht.
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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Wenn Eltern nicht mehr wollen Zur Bündnisrhetorik im systemischen Elterncoaching
Eltern suchen mit ihren Kindern in der Regel zusammen psychosoziale Hilfsangebote auf, wenn sie Probleme haben, mit denen sie allein nicht mehr fertig werden. Es kommt auch vor, dass Schulen, Nachbarn oder andere aufmerksam werden und Jugendämter Hilfen anbieten. Dann kommen Eltern oft nicht freiwillig, sondern unwillig und zwangsweise zur Beratung und zeigen sich oft auch nicht bereit zu kooperieren. Wenn Eltern absolut nicht wollen – ja, dann müssen doch wohl die Kinder aus der Familie herausgenommen werden! Oder? Kinder brauchen Erwachsene, die den Kindern den Rahmen zum Aufwachsen bieten, den sie benötigen. Bieten sie das nicht, dann müssen andere Erwachsene die Aufgabe übernehmen, entweder Pflegeeltern oder zum Beispiel eine Jugendhilfeeinrichtung – das ist dann doch keine Frage, könnte man denken. Unsere Gesellschaft, also nicht nur das Jugendamt, vertritt aber grundsätzlich die Auffassung, dass Eltern wollen sollen, dass sie wohl wollen könnten, wenn sie nur wirklich wollten und sie sollten auch wollen. Warum sollen sich andere Menschen und Einrichtungen um die Kinder kümmern, die doch Eltern haben? Die haben die Kinder schließlich gezeugt. Warum sollte der Staat da Geld ausgeben? Eltern sollten wohl wollen, am besten mit Wohlwollen. Und man denkt und unterstellt den Eltern, dass sie wohl könnten, wenn sie nur wollten. Schließlich müssten sie doch – wollen wollen – wollen können – wollen sollen – wollen müssen. – können wollen – können können –können müssen – können sollen. – sollen müssen – sollen können – sollen wollen. – müssen müssen – wollen wollen können – wollen können sollen.
Zum Problemverständnis: Wie kann es kommen, dass Eltern nicht mehr wollen? »Wollen« die Eltern kein Kind mehr haben oder jedenfalls dieses spezielle Kind nicht – oder »wollen« sie nicht mehr Eltern sein? Das ist nicht dasselbe. Manchen Eltern geht es wirklich schlecht: Sie haben heftige Auseinandersetzungen mit ihrem Kind zuhause. Sie schildern, wie anstrengend der Alltag sei, dass sie am Ende seien, einfach nicht mehr könnten, sie hätten alles versucht, alle Register gezogen. Es gebe schließlich auch noch andere Aufgaben, den Beruf, die anderen Kinder, alles sei zuviel. Sie seien erschöpft und fertig und hätten doch auch ein Recht auf ein Leben. Die Situation sei unerträglich. Sie könnten einfach nicht mehr und nun wollen sie auch nicht mehr. Wem bei den obigen Sätzen »Eltern sollen wollen, auch wenn sie nicht sollen wollen«, »Sie möchten vielleicht können wollen, können aber nicht mehr wollen« etc. schwindelig wird, kann vielleicht einfühlen, wie es den Eltern in hocheskalierten Situationen gehen mag. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Es scheint dabei ein entscheidender Unterschied zu sein: Wollen sie absolut nicht mehr? Dann wäre eine Beratung schwierig. Oder wollen sie etwa nicht sollen, dann ginge es ihnen vielleicht ähnlich wie ihren Kindern. Jeder Mensch will Entscheidungsmöglichkeiten haben und sich entscheiden können. Das verlangt die Selbstachtung. Da ist Verweigerung und »Nein«-Sagen oft die letzte Entscheidung. Sie wollen nicht mehr müssen. Eine Vater-Tochter-Geschichte: »Merkst du eigentlich gar nicht, dass du auf alles ständig mit Nein antwortest?« »Nein!«
Oder können sie einfach zur Zeit nicht mehr? Würden aber gern wieder wollen können – und wollen wieder die Elternrolle übernehmen können, nur nicht wie bisher – das wären gute Ansatzmöglichkeiten für eine Beratung. Ich werde dann oft gefragt, wie es gelingen könnte, die Eltern wieder zu motivieren und sie ins Boot zu holen. Darum soll es in diesem Beitrag gehen. Es mag hilfreich sein, zu unterscheiden: – Sind die Eltern überhaupt jemals Eltern gewesen – nicht faktisch gemeint, sondern von der angenommenen Elternrolle her gesehen? – Oder sind sie in eine Dynamik geraten, wo sie die Elternrolle abgegeben haben, sich ihr nicht mehr gewachsen gefühlt haben? Sind sie jetzt aus (oder von) der Rolle?
Wie kann es kommen, dass Eltern ihre Rolle nicht angenommen haben? Vielleicht haben die Eltern nie ein Vorbild gehabt, kein Modell, auch kein inneres Bild. Sie wissen nicht, haben nie erlebt, welche Bedeutung elterliche Präsenz für ein Kind hat und können sich auch nicht empathisch einfühlen. Vielleicht ist auch der Platz des Kindes in der Ursprungstriade schon kritisch gewesen und kann im Sinne eines »opening gambits« als Eröffnungszug einer schwierigen Beziehungsdynamik gesehen werden. Einige unglückliche Varianten seien hier kurz vorgestellt: – Ein Paar ist sexuell aneinander interessiert, ein Kind wird als Folge davon geboren, aber erhält eigentlich keinen eigenen Platz – es stört von Anfang an. Oder: – Ein Paar liebt sich sehr, das Kind gilt als Inkarnation dieser Liebe, bleibt dadurch auf der Paarebene als Verbindung bedeutsam – erhält dabei aber auch keinen eigenen Platz. Oder: – Eine Frau möchte zur erweiterten individuellen Identität in ihrem Leben auch eine Schwangerschaft erlebt haben und Mutter werden. Nur so fühlt sie sich vollständig – auch anderen Frauen oder Müttern (der eigenen) gegenüber –, auch hier hat das Kind noch keinen eigenen Platz, ist Teil der Mutter. – Für Männer/Väter kann entsprechend Ähnliches gelten. Kinder sind dann zum Beispiel Zeichen und Ausdruck der männlichen Potenz (kein Kind bedeutet keine Potenz, »tauber Sack!«). Wie wichtig dieses Moment sein kann, erlebt man in der Beratung kinderloser Paare. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Zur Bündnisrhetorik im systemischen Elterncoaching
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Oder: – Ein Kind kann Partnerersatz werden (nicht nur bei Alleinerziehenden). Von ihm werden emotionale Zuwendung, Verständnis, Unterstützung, Gefügigkeit, Dominanzbeugung, wenig Widerspruch etc. erwartet – was manchmal erfüllt wird, manchmal aber auch versagt bleibt. Auch hier hat das Kind keinen kindgerechten Platz. – Kinder erhalten zwar einen eigenen Platz als Dritte im Bunde, bekommen jedoch eine überstarke Aufmerksamkeit und Bedeutung. Sie werden mit inadäquaten, sie überfordernden (oder auch unterfordernden) Ansprüchen und Erwartungen bedacht, die nicht aus der Wahrnehmung der Möglichkeiten des Kindes entstehen, sondern in anderen Kontexten gebildet wurden, zum Beispiel wenn Eltern ihren Eltern oder Freunden beweisen wollen, dass sie aus ihren Kindern etwas Besonderes machen können. Oder Eltern fragen sich, was wohl die eigenen Eltern zum Verhalten des Kindes sagen werden. Dann steht etwas zwischen Eltern und Kind. Das Kind wird dann gar nicht oder verschleiert oder nur teilweise gesehen. Also: In den hier skizzierten Konstellationen kann ein Kind von Beginn an eine störende Bedeutung bekommen. Wenn es dann schwierig wird, wollen die Eltern nicht mehr. Ein auffälliges Verhalten des Kindes könnte dann als Symptom eines Veränderungswunsches verstanden werden. Kinder brauchen und wollen einen guten Platz in der Familie. Oder ähnlich: – Im Kind wird der verhasste Ex-Partner gesehen. Der Blick ist dann jeweils nicht auf das Kind gerichtet, sondern auf etwas anderes zwischen Eltern (Elternteilen) und dem Kind. Loyalitätskonflikte oder -bindungen mit wichtigen Personen oder Themen irritieren und schwächen eine direkte Beziehung. In Skulpturen kann man diese Elemente durch Objekte, Symbole sichtbar machen (vgl. Grabbe, 1997). – Ein Kind wird als Altlast aus einer gescheiterten Beziehung gesehen, die beim idealisierten Neuaufbau einer neuen Familie stört. Die hier aufgereihten Konstellationen mögen etwas normativ orientiert erscheinen (hat einen »guten« Platz versus hat keinen). Sicherlich ist das differenzierter zu sehen. Hinsichtlich der Motivation von Eltern und um deren Aufmerksamkeit zu lenken, mag dieses provokante Vorgehen seine Berechtigung bekommen. Das Kind kann eine machtvolle, nicht kindentsprechende Bedeutung zugewiesen bekommen, wodurch sich Eltern später leicht erpressbar machen könnten. So kann die unmittelbare Beziehung zum Kind durch Erwartungen irritierbar werden, die sich aus der Geschichte der Eltern generieren können. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, können die Eltern ihre Rolle abgeben wollen. An dieser Stelle wird vielleicht besonders deutlich, dass kulturelle Besonderheiten, auch in Hinblick auf Erziehungsstile, Männer-Frauen-Rollen, Traditionen etc., eine tragende Bedeutung haben können, denen dieser Beitrag sicherlich nicht gerecht werden kann. Auch unterscheide ich hier nicht zwischen Mütter- und Väterrolle bzw. den besonderen Situationen von Alleinerziehenden. In all diesen Konstellationen mag es den Eltern helfen, wenn wir als Berater nach der Eröffnungssituation und der Bedeutung des Kindes fragen. Wenn die Eltern den © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Hypothesen zustimmen und ihnen die Ausgangssituation bewusst wird, kann sich daraus eine neue Positionierung dem Kind gegenüber ergeben. Es kann sich aber auch bestätigen, dass das Kind nie einen »wirklichen« Platz hatte und auch nie bekommen wird. Dann kann eine Herausnahme durchaus auch dem Wohle des Kindes entsprechen, indem es eine neue Chance bekommt und die Eltern ihrer Verantwortung, die sie ja dennoch haben, dadurch gerecht werden, dass sie einer Herausnahme zustimmen oder durch ihr Verhalten forcieren und Kooperation annehmen, wenn man ihnen Kooperation anbietet. Oft widersprechen die Eltern jedoch diesen Thesen, das träfe bei ihnen nicht zu und sie erinnern sich, dass ihr Kind doch einen Platz haben sollte bzw. sie die Elternrolle durchaus mal übernommen hätten. Das ist dann als ein gutes Zeichen für einen kooperativen Beratungsverlauf zu werten. Ähnliches kann geschehen, wenn man nach einer dramatisch skizzierten Schilderung des Alltags und der Eskalation den Eltern signalisiert, dass man einfühlen bzw. sich vorstellen könne, wie unerträglich das Zusammenleben sein müsse, und man sich gerade frage, wieso sie ihr Kind nicht schon umgebracht hätten, damit nun endlich Schluss sei. Dann antworten Eltern meist, dass das doch nicht ginge: Niemals, sie seien doch Mutter oder Vater. Und wenn sie in den Zeitungen lesen würden, dass Eltern das täten, dann distanzieren sie sich und sagen, na, soweit sei es ja noch nicht. Das kann dann auch als gutes Zeichen gewertet werden, da dann eher anzunehmen ist, dass die Eltern durchaus noch wollten, wenn sie nur könnten: Auch ein kleines Flämmchen kann wieder zum Licht und zur Leuchte werden, wenn man ihm Luft spendet.
Wie kann man Eltern ins Boot holen, wenn sie »eigentlich könnten, aber nicht wollen«? Im Sinne von: Ich hab da ein Programm von Haim Omer und Arist von Schlippe, das wäre was für Sie. Steigen Sie ein! Mir gefällt dieses Bild von einem Boot, da daran deutlich wird, dass auch Skepsis der Eltern angebracht sein kann. Skepsis ist angebracht. Misstrauen wohl nicht, da ein/e Berater/in keine böse Absicht hat (entsprechend der Definition von Niklas Luhmann, dass Vertrauen bedeute, die Bereitschaft zu haben, das Risiko einzugehen, meinem Gegenüber keine böse Absicht, sondern eher eine gute Absicht zu unterstellen; vgl. Luhmann, 2009). Also Skepsis ist erlaubt, denn: – Was ist das für ein Boot, in das ich als Elternteil verladen oder eingeladen werde? – Welche Rolle soll ich übernehmen? Bin ich Kapitän, Steward, oder muss ich gar an die Ruder? Ist es kein Ausflugs- oder Expeditionsdampfer, sondern eine Galeere? – Kann es passieren, dass alle entgegengesetzt rudern und man seine Kraft vergeudet? – Wo geht die Reise hin? Werde ich vielleicht auf halber Strecke ausgesetzt, komme ich auch heil zurück? – Was ist, wenn es Schiffbruch gibt? – Wie wird die oder das Fremde aussehen, werde ich da zurechtkommen? – Was ist auf hoher See, wenn die Wellen hochschlagen und ich keinen sicheren Boden unter den Füßen habe? © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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– Was passiert, wenn dabei noch Streit ausbricht und so gerungen wird, dass das Boot kentert? – Wer hat den Kompass, wer bestimmt eigentlich, wo es hingeht? – Was kostet mich das? Oder: – Habe ich vielleicht eine Kreuzfahrt erworben, bei der ich unterschiedliche Häfen anlaufen kann, ohne gleich aus- oder einzusteigen, bei der ich andere Perspektiven ermöglicht bekomme und in guter Begleitung bin – na gut, das wäre etwas anderes! – Wer oder was macht mich wirklich sicher, dass ich nicht doch auf einen Seelenverkäufer geraten bin – aber vielleicht kann uns dann »die Verzweiflung retten« (Ch. D. Grabbe, ca. 18301).16 Skepsis ist angebracht! Das Bild, Eltern ins Boot zu bekommen, wenn sie nicht mehr wollen oder nicht mehr können, ist also kein gutes Bild an sich! Aber vielleicht kommt dieses Bild auch woanders her. Vielleicht kommt es ja aus der Tradition der Rettung Schiffbrüchiger: Man muss nicht bis zum Untergang auf einem Schiff bleiben, man hat ein Recht, sich zu retten. Alle Mann in die Boote – Frauen und Kinder (?) zuerst. Es besteht Aussicht auf Rettung, ich helfe Ihnen, ins Boot zu kommen. Sie müssen keinen Heldentod sterben. Dem folgend kann man vielleicht die Frage an die Eltern stellen: »Wie hört sich das für Sie an?«, »Wenn auch das Kind gerettet werden kann und muss (notfalls in einer anderen Familie oder Einrichtung), würden Sie sich vielleicht an dem Prozess, den Überlegungen beteiligen, wenn es eine Chance für Sie als Mutter oder Vater gäbe und Sie dabei auch Eltern bleiben könnten? Ich lade Sie ein, Sie werden nicht verladen. Es ist ein Angebot, wir würden Sie gern mitnehmen!« Ambivalenz
Das, was von den Beratern oft als »nicht wollen« bewertet wird, kann auch Ausdruck einer Lähmung sein hinsichtlich der Ambivalenz von Eltern: »Flüchten oder angreifen?« Dann stehen die Eltern sehr unter Druck, auch wenn sie teilnahmslos oder gleichgültig wirken mögen. Sie sind in einem Dilemma: Sie können weder das eine noch das andere, können es aber auch nicht lassen. Hilfreich kann dann sein, in einer Beratung diese Ambivalenz mit den Vor- und Nachteilen der beiden Impulse zu beschreiben und zu besprechen, um wieder die Möglichkeit von Beweglichkeit zu erfahren. Elterliche Präsenz
Eltern schildern im Gespräch oft ausführlich, was das Kind alles anstellt, weshalb sie es so unerträglich finden. Mit der »Technik der Körbe« (Grabbe u. von Schlippe, 2007)
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Siehe Grumbach, D. (2001). »... und nichts als nur Verzweiflung kann uns retten«: ein Hörbuch zu Christian Dietrich Grabbe (1801–1836). Eine Produktion des NDR, Radio 3, Kulturelles Wort/ NDR. Bielefeld: Aisthesis. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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werden die Verhaltensweisen des Kindes differenziert und nur wenige Verhaltensweisen gelangen in den »roten Korb«, um Kräfte für den gewaltlosen Widerstand zu entwickeln. Diese Differenzierung teilt die Übermacht und schafft wieder ein Gefühl von Stärke. Das hilft oft auch bei der Motivierung der Eltern. Sie fühlen sich entlastet. Sie müssen nicht mehr gegen das Kind als Ganzes kämpfen (»mein Kind ist ein Problem, das muss weg«), sondern sie brauchen »nur« Widerstand gegen ein besonders schwieriges Verhalten zu entwickeln, um Stärke zu gewinnen. Das würden sie oft gern wollen. Der Schritt davor
Dennoch sind davor oft einige Schritte hilfreich, wenn die Eltern nicht mehr können: Wichtig scheint, zunächst zu signalisieren, dass man die Erschöpfung und die Hilflosigkeit legitim findet. Auch Scham ist verständlich, meist aber nicht hilfreich zu diesem Zeitpunkt. Es muss nicht um Schuld gehen, um Versäumnisse (Diagnose: »fehlende Bindung in den Lebensanfangsmonaten«), sondern um das gemeinsame Finden von Lösungen. Man kann den vielen Fehlversuchen der Eltern mit Achtung und Wertschätzung begegnen. Sie müssen nicht als Kriterien für eine Disqualifikation und Depotenzierung der Eltern herhalten, sondern können auch als Zeichen dafür gesehen werden, dass die Eltern es trotz der Enttäuschungen bislang immer wieder versucht haben, an einer Beziehung zum Kind interessiert sind, nur bislang gescheitert sind. Aus den Erfahrungen, auch oder gerade dem Scheitern, kann man lernen, das heißt gescheiter werden – niemand muss deswegen auf den Scheiterhaufen!
Fünf Aufmerksamkeitspunkte zur Elternmotivation Übersetzen der Zuschreibungen in Werte
Es kann wichtig sein, die Zuschreibungen von Fehlverhalten der Kinder in Werte der Eltern zu übersetzen, zum Beispiel so: – »Mein Kind hat total schlechten Umgang, nimmt Drogen, kommt nachts spät oder gar nicht nach Hause oder spielt den ganzen Tag Ballerspiele!« Auf das könnte man übersetzend antworten: »Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie Ihr Kind schützen möchten, dass Sie sich Sorgen machen, dass es in Gefahr gerät und noch zu jung ist, um auf sich selbst aufzupassen?« Genau! – »Mein Kind geht nicht zur Schule, macht Hausaufgaben schon lange nicht mehr, hilft im Haushalt nie, hängt nur faul rum.« Übersetzung: »Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie möchten, dass Ihr Kind das aus sich macht, was in ihm steckt, seine Potenziale verwirklicht und ein gutes Leben haben soll?« Genau! – »Ich habe gar keinen Zugang zu meinem Kind, keine Ahnung, was in ihm vorgeht. Ich kann machen, was ich will, das interessiert den gar nicht. Der sagt nichts.« Übersetzung: »Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie eine gute Verbindung zu © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Ihrem Kind haben wollen, ihm zeigen wollen, dass Sie Anteil an seinem Leben haben wollen, dass Sie es eigentlich mögen?« Genau! – »Mein Kind sagt unmögliche Dinge zu mir, hat Ausdrücke, die ich hier nicht wiederholen möchte, und macht, was es will. Ob ich was sage oder in Weinheim oder Tel Aviv ein Sack Reis umfällt, ist dem scheißegal.« Übersetzung: »Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie in Ihrer Familie möchten, dass jeder (wieder) mehr Achtung und Respekt voreinander hat?« Genau! Andere Beispiele sind allen bekannt und können unseres Erachtens zumeist auf die folgenden, angesprochenen Werte zurückgeführt, bzw. übersetzt werden: – Schutz: Eltern kann das Bedürfnis unterstellt werden, dass sie das Kind beschützen wollen, für seine Sicherheit sorgen und Gefahren abwenden wollen – auch, wenn sie sich aktuell anders zeigen. – Verbesserung: Man kann Eltern unterstellen, dass sie möchten, dass ihre Kinder es besser im Leben haben, dass sie das Beste aus ihrem Leben machen können und ihre Potenziale entwickeln können (leistungsbezogen, körperlich und emotional) – auch, wenn sie sich aktuell anders zeigen. – Verbundenheit: Man kann Eltern unterstellen, dass sie grundsätzlich eine warmherzige, vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Kind haben wollen – auch, wenn sie sich aktuell anders zeigen. – Wertschätzung, Achtung: Man kann ihnen auch unterstellen, von ihrem Kinde Respekt, Anerkennung und Achtung erhalten zu wollen – auch oder gerade, wenn sie versuchen diesen Respekt mit repressiven Mitteln zu erreichen, so unterstelle ich ihnen zunächst, dass sie das gern auf freundlichem Wege erreichen möchten (vgl. Uri Weinblatts Beiträge sowie Steiner u. Berg, 2009). Eltern bestätigen diese Verstehens-Vorschläge der Berater (»Habe ich Sie richtig verstanden?«) meist mit »Ja, genau!« und sie nehmen die Übersetzungen als Empathie der Berater. Gelingt diese Übersetzung, dann ist die Aufmerksamkeit von den Kindern weg und bei den Eltern gelandet, was wichtig zur Motivierung ist. Faustregel 1: Je ausführlicher schwieriges Verhalten der Kinder beschrieben wird und diese Beschreibungen von uns zugelassen werden, umso kleiner und hilfloser fühlen sich die Eltern. Sie geraten in Problemtrance und Problemkonstruktionen. Ist ihr Kind ein Monster, dann sind auch sie nicht in Ordnung. Hilflosigkeit und Ohnmacht ist das Ergebnis der eigenen Wirklichkeitskonstruktion. Auch Berater fühlen sich dann oft überfordert, geraten in die Rolle, das Kind verteidigen zu müssen und den Eltern zu widersprechen: »Da muss doch auch was Gutes am Kind sein?«, »Na, immer wird es ja wohl auch nicht ...«, Es wird doch Ausnahmen geben?« etc. Eltern fühlen sich dann nicht verstanden und Berater geraten in eine konfrontative Haltung oder in Machtkämpfe. Sie werden oft parteilich für das Kind, obwohl eine Unterstützung der Eltern gewollt ist. Faustregel 2: Je mehr die Eltern an ihre Werte erinnert werden und dafür Bekräftigung und Zustimmung erhalten, umso größer wird der Selbstwert. Je besser der Zugang der Eltern zu ihren Werten ist, desto vollständiger und wertvoller fühlen sie sich. Ebenso kann der Selbstwert des Beraters steigen, der sich ja als empathisch erweist. Das Kind entgeht der Dämonisierung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Checkliste des bisherigen Verhaltens
Im nächsten Schritt wird gemeinsam gecheckt, analysiert, wie das bisherige Verhalten der Eltern eingestuft werden kann2:17 – Pragmatisch? Fragen: »Wirkt Ihr Verhalten so, wie Sie es sich wünschen? Klappt das, sind Sie erfolgreich? Erreichen Sie mit Ihrem Verhalten, was Sie wollen? Erreichen Sie so Ihr Ziel?« Wenn mit Ja geantwortet wird, dann werden die Eltern so weiter machen wollen, dann wird es schwierig sein, die Eltern zu motivieren. Selbst wenn sie dabei Schläge und Gewalt einsetzen und mit Beziehungsabbruch drohen: »Du fliegst hier raus, geh in dein Zimmer.« »Das Kind ist hier nicht mehr tragbar.« Wenn die Eltern dagegen mit Nein antworten, ihr Verhalten sei nicht erfolgreich, dann kann man sie fragen, wie sie sich dabei fühlen (hilflos, machtlos, verzweifelt) und auch fragen, wie sie einschätzen, wie es in der Zukunft wohl werden wird – ob sie dann eher mehr Kraft haben werden als jetzt oder gar mehr brauchen werden. Dann kann man ihnen Unterstützung bei Veränderungsversuchen anbieten. Ständige Machtkämpfe zwischen Eltern und Kind führen dazu, dass die Eltern sich ihrem Kind gegenüber schwach und ohnmächtig fühlen. Im Stillen glauben sie bei allen Kraftakten, dass nichts, was sie tun, noch funktioniert. So pendeln sie in ihrem Verhalten oft zwischen Impulsivität und Unterwerfung. Da ist es verständlich, dass sie aus dieser Dynamik aussteigen wollen oder eben gar nicht mehr wollen. Wird von ihnen verlangt, sie müssten einfach nur konsequent sein, dann macht es das oft schlimmer. Sie fühlen sich nicht echt, fühlen sich fremdbestimmt. Die dogmatische Forderung von Konsequenz (nicht im Sinne der Transparenz, sondern der starren Verhaltensfestschreibung) missachtet, dass Kinder im Vergleich und auch ein Kind von Zeit zu Zeit ebenso unterschiedlich sein können, wie auch die Situationen variieren können (das hat auch schon Thomas Gordon festgestellt, z. B. 2008). Das bedeutet, dass es für Eltern motivierender ist, kongruent und präsent zu sein und sich nicht Konsequenzforderungen zu unterwerfen, bei denen sie sich nicht gut fühlen. Differenzierter: Wenn ein Kind Mühe hat, seine Emotionalität zu regulieren, und zu heftigen, unvorhersagbaren Verhaltensweisen neigt, dann kann es pragmatischer sein, mit Präsenz stabil zu sein. Dann braucht das Kind vielleicht eindeutig vorhersagbare Verhaltensweisen der Eltern, also Stabilität. Für andere Situationen mag es hilfreicher sein, mit Präsenz flexibel zu sein, zum Beispiel wenn das Kind sich in einer starren Haltung verrannt hat. Dann hilft Flexibilität (mal Fünfe gerade sein lassen: »Ich mache eine Ausnahme«), dass sich beide Seiten nicht in Starrheit verrennen und eventuell daran zerbrechen. Versucht das Kind, seine Eltern zu dominieren, fühlt sich überlegen und will nicht kooperieren, dann kann es wichtiger sein, mit Stärke präsent zu sein als mit Konsequenz, die auch als Schwäche und als reaktiv-abhängig vom Verhalten des Kindes erlebt werden kann.
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Die hier vorgestellten Ideen sind weitgehend von Uri Weinblatt in einem Seminar ausgearbeitet worden (Uri Weinblatt, persönliche Mitteilung). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Haben sich die Eltern eher zurückgezogen, sich distanziert und Kontakte vermieden, dann kann es wichtiger sein, eine Präsenz von Verbundenheit zu zeigen, bei der Konsequenz nicht so wichtig ist. – Moralisch? Fragen: »Tun Sie als Eltern das, was Sie für richtig und gut halten? Oder können Sie sich eigentlich oft selbst nicht im Spiegel ansehen, weil Sie Ihr Verhalten auch nicht o.k. finden? Ist das gerecht, was Sie tun? Ist Ihnen das etwa egal? Auch wenn anderen das nicht egal ist (z. B. im Zwangskontext)? Welche Werte haben Sie oder hatten Sie? Was glauben Sie, welche wir haben (Kindeswohlgefährdung)? Was bedeutet das für Sie? Denken Sie an die Werte, die Sie eben benannt haben (siehe obige Übersetzungsarbeit) und was aus ihnen geworden ist?« Wenn die Eltern alles o.k. finden oder es ihnen gleichgültig ist, dann werden sie so weiter machen wollen, dann werden die Eltern auch schwierig zu motivieren sein. Nur der Druck, dass man ihnen das Kind wegnehmen kann, könnte sie zu verbalen Kooperationzugeständnissen veranlassen. Bei einer Herausnahme könnten sie sich dann unverstanden und als Opfer fühlen und müssen ihr Kind dämonisieren oder zumindest die Zustände dramatisieren. Wenn die Eltern allerdings Zweifel haben oder antworten, dass sie das eigentlich auch nicht gut finden, was sie machen, dann kann man ihnen Unterstützung bei Handlungsalternativen anbieten. – Unterstützung? Fragen: »Sind Sie in der Beziehung und mit dem Umgang mit den Verhaltensweisen Ihres Kindes ganz auf sich allein gestellt? Fühlen Sie sich von Freunden, Ihrer Familie, Kolleginnen, Nachbarn usw. unterstützt? Gibt es Loyalitätskonflikte? (An dieser Stelle wird deutlich, dass bei dieser Art, Fragen zu stellen, die Worte jeweils dem Bildungsstand der Eltern angepasst sein müssen.) Fühlen Sie sich dabei von den Professionellen (Beraterinnen, Ämtern, Schule) bislang wertgeschätzt? Wir sagen Ihnen Unterstützung zu. In Afrika braucht man sprichwortgemäß ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Ambivalenzen, unterschiedliche Erziehungsvorstellungen und Meinungen sind legitim und können hilfreich sein: Wenn alle einer Meinung wären, bräuchte man die anderen nicht! Wenn alle jedoch uneins bleiben, sind alle nutzlos. Interpretations- und Hypothesenvielfalt können bei Lösungen helfen. Diagnosen vor allem unterschiedliche Diagnosen verwirren eher. Können Unterstützer gefunden werden, die bereit sind, Bündnisse einzugehen, und die Eltern beim Widerstand von den »Flanken« her unterstützen, kann das häufige Siegel der Verschwiegenheit ohne Schuldzuweisung aufgebrochen werden. Dann sind Eltern eher zu motivieren, es weiter zu versuchen, Eltern sein zu wollen – mit »verbreiterten Schultern« (Omer u. von Schlippe, 2010). »Epikur soll gesagt haben: ›Es ist nicht so sehr die Hilfe unserer Freunde, die uns hilft, als vielmehr das vertrauensvolle Wissen, dass sie uns helfen werden.‹ Wie wäre es für Sie, wenn Sie solche Unterstützung hätten?« Und: Die öffentliche Meinung und Aktion ist für das Verhalten des Kindes oft sehr wichtig. – Management? Fragen: »Haben Sie noch die Übersicht über das, was läuft? Sind Sie noch Herr/Frau im Haus? Erleben Sie sich noch als souverän? Fühlen Sie sich eher als Opfer denn als Gestalterin? Werden Sie hineingezogen? Soll das so bleiben?« © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Bei einem »Ist mir doch egal« wird Beratung natürlich schwierig. Ein»eigentlich nicht« ist als gutes Zeichen und als Haken für Bündnisse zu werten. Fragen die Eltern dann nach Alternativen – oder kann man sie verführen durch eine Äußerung wie: »Andere Eltern haben da etwas bewirken können, aber ich weiß nicht, ob das auch für Sie passen könnte.« So könnten sie wieder zu wollen beginnen. Der nächste Schritt könnte dann sein, mehr Selbstkontrolle zu entwickeln: Eltern verlieren schnell die Kontrolle und Übersicht, wenn sie hilflos und verwirrt sind, und umgekehrt führt der Mangel an Übersicht zu Hilflosigkeit und Ohnmacht. Selbstbeherrschung (Deeskalation, verzögerte Reaktionen, Musterunterbrechungen, Schweigen) ist zwar nicht einfach zu gestalten, der Erfolg beflügelt jedoch. (Selbst-)Beobachtung von einer anderen Ebene kann vor Emotionen und Feindseligkeiten und somit vor Entfremdung schützen (»Mal sehen, wann er heute anfängt zu toben: vor dem Essen oder erst währenddessen?«). Man ist der Situation nicht nur ausgeliefert, sondern beobachtet von sicherer Warte aus. – Verbundenheit? Fragen: »Wie zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sie mit ihm noch verbunden sind – trotz der nicht zu duldenden Verhaltensweisen? Sind Sie manchmal noch stolz auf sich und Ihr Kind? Was haben Sie in der Vergangenheit getan, um Ihrem Kind zu zeigen, dass Sie Mutter oder Vater sind, was würden Sie gern in der Zukunft tun? Denken Sie, dass Versöhnen dasselbe ist wie Nachgeben? Denken Sie, dass es ungerecht ist, jedes Ihrer Kinder unterschiedlich zu behandeln (ich liebe alle meine Kinder gleich), oder könnten auch zeitweilig Unterschiede angemessen sein? Können Sie eigenes Fehlverhalten zugeben (Reparierungshandlungen bedeuten nicht, dem Kind recht zu geben)? Gibt es Genesungsgespräche zur Konfliktauflösung oder sind Sie eher sehr nachtragend? Wenn Sie das wieder könnten, würden Sie sich dabei eher schwach oder stark fühlen? Nehmen Sie noch die Beziehungsgesten Ihres Kindes wahr? Wer definiert, wie Sie Ihre Rolle als Eltern verstehen? Das Kind? Ihre Eltern? Das Jugendamt? Wem geben Sie die Macht darüber? Warum nicht Sie sich selbst? Wie ist es Ihnen als Kind gegangen, was für Eltern haben Sie sich damals gewünscht? Wenn Sie wieder eine gute Beziehung zu Ihrem Kind aufbauen könnten, wie wäre das wohl für Sie, wie würden Sie sich fühlen?« (Im Film »Hennen rennen«, in dem ein Huhn immer beim Ausbrechen aus einem Lager eingefangen wird, gibt es eine Szene, wo die anderen Hühner zu ihm sagen: »Die Chancen, hier rauszukommen, stehen eins zu einer Million.« Das Huhn, in Nahaufnahme: »Dann habe ich eine Chance!«) »Spielen Sie Lotto? Wie sind da die Chancen?« Auch hierdurch können Eltern motiviert werden, wieder zu wollen. Dem Unausgesprochenen eine Stimme geben
Als sehr beziehungsfördernd kann sich erweisen, wenn man sich als Berater erlaubt, dem möglicherweise Unausgesprochenen die Stimme zu geben. Beispiel: »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie denken: ›Der Mann hat ja keine Ahnung, der hat Glück mit seinen Kindern, wenn er überhaupt welche hat. Der hat gut reden und hat ja auch ganz andere Möglichkeiten. Und dann ist er auch noch ein Mann, wie soll der verstehen, wie es in einer Mutter aussieht.‹« © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Eltern würden sich oft nicht erlauben, dies auszusprechen, könnten es aber denken. Und wir könnten denken, dass sie das über uns denken. Wird es ausgesprochen, verliert es vielleicht seine mögliche Macht. Der Berater bleibt souverän, weil er das legitimiert, was man denken könnte. Das wirkt oft erfrischend und die Beziehung, die durch solche möglichen, geäußerten Gedanken ja nicht aufs Spiel gesetzt wird, kann eine neue Qualität erfahren, die Eltern motiviert, weiter zu machen. Sie können neugieriger werden auf das, was der Berater anzubieten hat. Das kann auch geschehen, wenn Eltern im Zwangskontext zu uns kommen. Hierbei ist eine Beziehungsklärung zu Beginn besonders wichtig: »Wer meinen Sie, bin ich hier wohl? – Ich habe zwei Stühle mitgebracht: den Kontrollstuhl fürs Kindeswohl – und den Beraterstuhl fürs Elternwohl und dadurch auch Kindeswohl. Ich zeige Ihnen, wo ich jeweils gerade sitze.« Den Kindern könnte es analog gehen: Auch sie fühlen sich oft im Zwangskontext – der Eltern. Sie wollen aber Entscheidungen treffen – dann bleibt oft nur die Verweigerung oder der Kampf für sie übrig. Von anderen Eltern erzählen
Eltern, die nicht mehr können oder wollen, reagieren oft allergisch darauf, wenn man ihnen vorschreibt oder nahe legt, was sie tun oder lassen sollen (da geht es ihnen wie ihren Kindern – und uns!). Das hört sich nach noch mehr Einsatz und nach dem Risiko weiterer Enttäuschungen an. Hilfreicher kann es sein, ähnlich dem Vorgehen mit dem Reflektierenden Team, von anderen Eltern in ähnlicher Lage zu berichten: »Ich habe verstanden, dass Sie nicht mehr bereit sind, irgendetwas für Ihr Kind zu tun. Sie meinen wenn, dann sollte das Kind erst einmal etwas tun. Ich kann Ihre Enttäuschung verstehen, Sie wollen keine weiteren Fehlschläge, die Sie weitere Kraft kosten könnten. Dennoch muss ich gerade an zwei Familien denken, denen es zwar sicherlich nicht genauso, aber doch ähnlich ging. Die hatten auch riesige Probleme mit ihrem Kind und fühlten sich überhaupt nicht wohl mit ihrer Situation. Das haben die mit Hilfe und Unterstützung ändern können. Interessiert Sie, was die gemacht haben? Ach nein, vielleicht lieber nicht, das könnte Ihnen Hoffnung machen und dann wäre es noch schwieriger für Sie! Lassen wir das! Oder vielleicht doch, es wäre doch schade, wenn Sie das nicht erfahren würden, was die anderen gemacht haben.« Also: Statt ihnen zu sagen, was sie als Eltern tun oder lassen sollen, statt mit ihnen eigene Möglichkeiten zu erarbeiten, könnte man vielleicht gemeinsam auf etwas Drittes, ein Angebot schauen, wo sich die Eltern freiwillig bedienen können. Hypothetisches Zukunftsdenken
Wenn Eltern nicht mehr wollen, aber vielleicht könnten oder durchaus mal wieder können wollten, aber jetzt nicht können, dann kann eine hypothetische Zeitreise helfen – ähnlich der Wunderfrage. »Stellen Sie sich vor, über Nacht geschieht ein Wunder oder eine Fee kommt zu Ihnen und verleiht Ihnen neue ungeahnte Kräfte und Stärke, was würden Sie dann anders machen wollen? Wobei könnten Sie Unterstützung annehmen? Angenommen, es gebe die Möglichkeit, wieder im Leben Ihres © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Kindes präsenter zu werden, würden Sie das dann annehmen können? – Im Augenblick ist das wohl der völlig falsche Zeitpunkt, aber vielleicht in der Zukunft? Oder wir hätten uns in der Vergangenheit getroffen – was hätten wir dann zusammen machen können? Wollen wir das einmal durchspielen, wo wir hier sowieso gerade zusammensitzen?« Lassen sich Eltern auf dieses Gedankenspiel ein und können die möglichen, hypothetischen Schritte gar konkret benannt und durchgespielt werden, mit allen positiven Ergebnissen für die Haltung der Eltern und die damit verbundene neugewonnene Stärke, dann kann die Motivation für die nächsten Schritte deutlich steigen. Eine vorweggenommene Zukunft kann einen Sog in der Gegenwart ausüben. Fazit kann die Aussage sein: »Wir würden gern mit Ihnen gemeinsam wichtig für Ihr Kind sein und die Dynamik ändern – nicht gegen Sie und nicht ohne Sie. Sie sind die wichtigsten Menschen im Leben Ihres Kindes und haben gute Chancen, es zu bleiben.«
Selbstankündigung: Weil ich es mir wert bin Wenn man auf das zurückblickt, was in diesem Artikel zu lesen und wahrzunehmen war, dann mag man Bekanntes wiederbelebt und auch einiges Neues erfahren haben. Es lässt sich ein Unterschied beschreiben zwischen dem Stand vor dem Lesen und danach. Und dieser Unterschied ist wichtig, macht einen Unterschied, war das Geld der Anschaffung vielleicht sogar wert. Wenn man nun wieder in seinen persönlichen und beruflichen Alltag zurückkehrt, dann mag man sich darauf freuen, das alles oder einiges anzuwenden zu versuchen, was einem bewusst wurde, man gelernt hat. Dabei mag die Sorge auftauchen, dass wichtige Erkenntnisse und Ideen wieder verloren gehen könnten. Das wäre schade. Dann wäre ja sogar das Geld umsonst ausgegeben. Das soll nicht sein. Das nehme ich mir fest vor. Das beschließe ich jetzt einfach. Ich werde mich nicht beirren lassen – und da nehme ich mich ernst. Wenn ich mich nicht ernst nehme, warum sollten das denn die anderen tun? Und ich schaffe es, das umzusetzen, was ich mir vorgenommen habe. Ich habe die Möglichkeiten und glaube daran. Wenn ich nicht daran glaube, es mir nicht zutrauen würde, wie sollten die anderen es mir zutrauen? Ich werde mich dem Vergessen, der Gewohnheit und dem Alltag widersetzen! Ich werde nicht dulden, dass der alte Trott Macht über mich bekommt. Ich werde mein Mögliches, mein Bestes tun, um das umzusetzen, was mir klar geworden ist. Dazu war mir das Lesen zu wichtig. Nicht alles im gleichen Maße, aber das eine oder andere ganz besonders, nein, besonders das eine. Viel zu lange läuft das schon unzufriedenstellend, da mache ich jetzt nicht mehr mit. Ich achte jetzt mehr darauf und mache es anders. Ich will es nicht versuchen oder mal sehen, nein, ich mache das jetzt, weil ich es mir wert bin. Ich könnte kaum noch in den Spiegel schauen, wenn alles einfach so weiterginge – nach einer so interessanten Erkenntnis. Und selbst wenn andere komisch gucken würden, bringt mich das nicht mehr davon ab, von meiner Absicht – nein, meinem Beschluss. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Wenn es dem Leser auch so geht, dann möchte ich einladen, sich selbst eine Ankündigung zu schreiben und es sich selbst schriftlich zu geben, dass Sie diese Ideen, nein, diese Vorsätze, nein, diesen Beschluss – sich selbst – ernst nehmen. Nehmen Sie sich Blatt Papier und Stift, lehnen sich dann zurück und überlegen Sie: Was war das Wichtigste, persönlich Bedeutsamste, was in diesem Buch gelesen, gelernt wurde, was anders gemacht werden sollte? Und vergegenwärtigen Sie sich, welche Situationen sich ändern würden, wenn Sie es tun. Die Ankündigung hat eine Struktur, die hier vorgeben wird – ausgestalten muss man sie selber. An welche Situation, welche Beziehung denken Sie gerade, während Sie diese Zeilen lesen? Wodurch war diese Situation geprägt, was war da vorherrschend? Also: – Seit einiger Zeit, schon lange wird unsere Situation bestimmt durch ... – Es gab viel zu viel ... – Und viel zu wenig ... Deswegen beschließe ich jetzt, heute, alles das, was mir möglich ist, mein Bestes zu tun, um mich dem zu widersetzen und nicht mehr länger zu dulden, dass ich ... Ich werde mir dabei keine Gewalt antun und mich nicht quälen oder demütigen. Das tue ich, weil ich mich liebe, an einer guten Beziehung zu mir interessiert bin und mich in meiner Rolle ernst nehmen will (mich schützen will, mich meinen Potenzialen entsprechend entwickeln will, stolz auch mich sein will). Ich werde damit auch nicht allein bleiben, sondern mir gegebenenfalls Unterstützung holen und anderen davon berichten. Das ist keine Drohung, sondern mein Weg, mir zu zeigen, dass ich mich liebe und ernst nehme.
Wenn Sie fertig sind, dann entscheiden Sie, wem Sie dies vorlesen werden. Geben Sie sich selbst Ihre Ankündigung schriftlich – behalten Sie sie.
Literatur Gordon, T. (2008). Familienkonferenz. Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind (47. Aufl.). München: Heyne. Grabbe, M. (1997). Der Zwang zum Erfolg, der Sinn des Scheiterns. In A. Heigl-Evers, I. Helas, H. Vollmer (Hrsg.), Die Person des Therapeuten in der Behandlung Suchtkranker (S. 156–167). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Grumbach, D. (2001). »... und nichts als nur Verzweiflung kann uns retten«: ein Hörbuch zu Christian Dietrich Grabbe (1801–1836). Eine Produktion des NDR, Radio 3, Kulturelles Wort/NDR. Bielefeld: Aisthesis. Luhmann, N. (2009). Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: Lucius & Lucius. Omer, H., Schlippe, A. von (2002). Autorität ohne Gewalt. Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen. Elterliche Präsenz als systemisches Konzept. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Omer, H., Schlippe, A. von (2006). Autorität durch Beziehung. Die Praxis des gewaltlosen Widerstands in der Erziehung (3. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Omer, H., Schlippe, A. von (2010). Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlippe, A. von, Grabbe, M. (2007). Werkstattbuch Elterncoaching. Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Steiner, T., Berg, I. K. (2009). Handbuch Lösungsorientiertes Arbeiten mit Kindern (4. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Stärkung der elterlichen Präsenz im Modell des gewaltlosen Widerstandes in der Diabetesbetreuung bei Kindern und Jugendlichen Einführung Eine chronische Krankheit, wie der juvenile Diabetes mellitus bei Kindern und Jugendlichen, stellt betroffene Familien vor besondere Herausforderungen: Es gilt, den Blutzucker permanent und ein Leben lang mithilfe von von außen zugeführtem Insulin auf einem normalen Level zu halten, weil die Betroffenen über keine körpereigene Insulinproduktion mehr verfügen, die auf Grund genetischer Disposition bzw. Virusinfekten eingestellt wurde. Das verlangt von den betroffenen Familien ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Beharrlichkeit und Aufmerksamkeit im Umgang mit der Erkrankung und ihrer Therapie. Die damit verbundenen täglichen familiären Belastungen und möglichen Auseinandersetzungen können Eltern im Umgang mit ihrem diabetesbetroffenen Kind in ihrer Präsenz schwächen. Der folgende Artikel zeigt die Dynamiken und Muster auf, die sich in Familien mit einem diabetesbetroffenen Kind entwickeln können. Daran anknüpfend wird der psychosoziale Beratungsansatz von Eltern mit diabetesbetroffenenen Kindern und Jugendlichen in einem Diabeteszentrum am Kinderhospital Osnabrück vorgestellt, der sich an dem Elterncoaching im Modell des gewaltlosen Widerstandes orientiert. Die Eltern des zehnjährigen Christopher, bei dem mit sieben Jahren ein absoluter Insulinmangel, ein juveniler Diabetes mellitus, diagnostiziert worden war, kamen hilflos und zutiefst besorgt in die diabetologische Ambulanz des Kinderhospitals und baten um ein Gespräch. Ihr Sohn habe seit einigen Monaten im Zusammenhang mit seinem Diabetes eine Essstörung entwickelt. Er achte rigoros darauf, möglichst wenige Kohlenhydrate und Fette zu sich zu nehmen, um seine Insulingaben zu vermeiden bzw. gering halten zu können. Darüber hinaus würde er nur noch eingeschränkt seine Blutzuckerkontrollen durchführen und seine Diabetestherapie auf ein Minimum beschränken, was hohe Blutzuckerwerte zur Folge hätte. Die Eltern werteten Christophers Verhalten als einen Versuch, den Diabetes unter Kontrolle zu bringen bzw. ihn zu vermeiden, was bei ihnen große Ängste vor Blutzuckerentgleisungen und weiterem Gewichtsverlust schürte. Sein Gewicht sei mittlerweile im unteren Bereich angesiedelt und aus dem ehemals kernigen sei ein schmaler Junge geworden, der mehrere Kleidungsstücke übereinander tragen würde, um seinen rapiden Gewichtsverlust zu kaschieren. Auf sein eingeschränktes Essverhalten angesprochen, würde Christopher sofort »in die Luft gehen« und sehr impulsiv, wütend und verweigernd reagieren, so dass es im Alltag zunehmend heftige, konflikthafte Eskalationen um das Thema »Essen und Diabetes« geben würde, die beide Eltern zunehmend defensiv im Kontakt mit Christopher agieren lassen würden, während er immer machtvoller darauf bestehe, selbst über sein Essverhalten zu bestimmen. Die Eltern berichteten, in ihrer Befindlichkeit stark vom Verhalten ihres Sohnes abhängig zu sein (»wenn er gut gelaunt ist, dann sind wir erleichtert, aber wenn er in schlechter Stimmung ist, ist die ganze Familie davon in Mitleidenschaft gezogen und die Stimmung bedrückt«). Die Konflikte würden mittlerweile das Familienleben überschatten. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Gleichzeitig fühlten sich die Eltern schuldig, dass Problem »mit verursacht« zu haben, weil sie anfänglich durch »absichtliches Ignorieren« versucht hätten, der Situation zu begegnen, in der Hoffnung, dass es sich »von allein« wieder normalisieren würde.
Chronische Krankheit kann elterliche Präsenz gefährden: Eskalationsdynamiken Die komplementäre Eskalation
Das beschriebene Fallbeispiel zeigt, dass die Eltern zunehmend an den Rand der Familie gerückt sind, ihre »elterliche Stimme« sukzessive leiser wurde, während ihr Sohn immer stärker »das Zepter in die Hand genommen hat«. Krankheitserfahrungen können Familien die »Power« nehmen (Cohen, 1999) und zutiefst verunsichern. Die chronische Krankheit kann das Gleichgewicht in der Familie so massiv verschieben, dass es zu einer Beeinträchtigung bzw. gar zu einem Verlust der elterlichen Präsenz kommen kann (Omer u. von Schlippe, 2002; Ollefs u. von Schlippe, 2005; Theiling u. von Schlippe, 2003), nicht nur bei erziehungsunsicheren Eltern. Die Eltern können sich – beispielsweise durch Schuldgefühle über ihren Anteil an der sogenannten »psychosomatischen Verursachung« hoher Blutzuckerwerte – verunsichert fühlen. Sie wagen nicht, ihre elterliche Autorität einzusetzen, verlieren so ihre »persönliche Stimme« und rücken zunehmend an den Rand der Familie, in deren Zentrum mehr und mehr das Kind mit seiner Krankheit steht, die es machtvoll einsetzt. Die Eltern scheuen möglicherweise aus Sorge und Angst den Konflikt mit einem diabetesbetroffenen Kind, weil sie meinen, ihrem Kind entstünden ohnehin schon so viele Nachteile durch die chronische Erkrankung. Da aber in Familien die Bedürfnisse von Kindern und Erwachsenen immer wieder unweigerlich kollidieren, sind Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kindern als etwas Natürliches anzusehen, die wichtig für den Entwicklungsverlauf des Kindes sind. So sieht etwa Juul (2000) die Fähigkeit, Konflikte durchzuhalten, als angeboren voraus: Kinder lernen in der gesunden Auseinandersetzung ihr Verhältnis zu Mitmenschen zu klären als auch Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, anstatt anderen die Schuld für Misserfolge zu geben. Auch Omer und von Schlippe (2010) beschreiben Entwicklung als einen Prozess von Anstrengungen, die Schwierigkeiten auf dem Lebensweg zu bewältigen. Kindern, die diese Erfahrungen von Bewältigung von Schwierigkeiten nicht machen, fehlt ein wesentlicher Baustein für das Rückgrat ihres Selbstbilds und ihres Selbstwerts. Die nicht geführten Auseinandersetzungen zwischen dem Kind bzw. Jugendlichen mit Diabetes können sich darin zeigen, dass die Eltern immer wieder den Forderungen ihres Kindes nachgeben, das Kind seine Forderungen steigert, die Eltern in ihrer Unsicherheit und Hilflosigkeit weiter nachgeben, und so entsteht eine Form der gegenseitigen Eskalation, die in Anlehnung an Bateson (1981) als »komplementär« (Nachgiebigkeit erzeugt gesteigerte Forderungen) bezeichnet wird (Omer u. von Schlippe, 2002, 2004): Diabetesbetroffene Jugendliche können ihren Eltern zum Beispiel den Einblick in die täglichen Blutzuckerverläufe verwehren und in der Diabetestherapie selbst »das Heft in die Hand nehmen« (wie bei Christopher), was selbst bei reifen Jugendlichen eine Überforderung darstellt, weil die Therapie (mindestens sechs tägliche Blutzucker© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Das Modell des gewaltlosen Widerstandes in der Diabetesbetreuung
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messungen, morgens und abends Injektionen von langwirkendem Insulin und dazwischen zu jeder Mahlzeit die Berechnung der Nahrungsmittel und die dazu passenden kurz wirksamen Insulinmengen plus Applikation; Hürter u. Lange, 2001) sehr aufwändig ist.118 Die komplementäre Form der Eskalation ist asymmetrisch und wird von einer Dynamik von Erpressung und Nachgeben bestimmt. Das Kind nimmt in diesem Prozess die Botschaft wahr, dass die Eltern zu schwach sind, seinen »Drohungen« standzuhalten, und erlebt damit ein Autoritätsvakuum in der Familie. Es lernt durch Druckausübung seinen Willen zu bekommen. Die Eltern ihrerseits gewöhnen sich an das Nachgeben. Wird die Dynamik von immer stärker werdenden kindlichen Forderungen und zunehmenden nachgebenden Verhalten seitens der Eltern geprägt, kommt es zum Schwinden der elterlichen Präsenz. Mit elterlicher Präsenz ist, einer Definition Haim Omers zufolge, die Vermittlung folgender elterlicher Botschaft im Verhalten zu ihren Kindern gemeint (Omer u. von Schlippe, 2004, S. 33 f.): »Wir sind Deine Eltern und sind da und bleiben da als Freunde, Beschützer, Begleiter, Zuhörer, Schützer der Familie, aber auch als Grenzensteller, Schrankensteller, Erzieher, Bremser. In diesen Funktionen können wir nicht abgeschüttelt werden, wir können nicht umgangen oder ausgetrickst werden, wir sind da und bleiben da.« Elterliche Präsenz heißt, eine zentrale Rolle im Leben des Kindes zu spielen, Anwesenheit zu vermitteln und zwar als Mutter/Vater mit eigenen Gedanken, Gefühlen, Wünschen und Handlungen. Die elterliche, körperliche Anwesenheit ist vor allem für kleinere Kinder eine existenzielle Erfahrung und vermittelt Sicherheit und Orientierung. Sie stellt die sichere Basis für den weiteren Explorationsprozess dar. Im weiteren Entwicklungs- und Reifungsprozess des Kindes/Jugendlichen rückt die körperliche Präsenz zugunsten einer geistigen elterlichen Präsenz in den Hintergrund. Bei chronisch-komplementären Konflikten kann sich die Eltern-Kind-Beziehung derart verschlechtern, dass sie den Boden für die symmetrische Formen von Eskalationen bereitet (Bateson, 1981). Die symmetrische Eskalation
Die symmetrische Eskalation wird durch ein gegenseitiges Hochschaukeln von Feindseligkeiten bestimmt. Bei solchen Interaktionen haben beide Seiten das Gefühl, dass der andere der Aggressor ist und sie selbst lediglich versuchen, sich gegenüber den Angriffen zu verteidigen. Hier spielt die Wahrnehmungsverzerrung des Gegenübers durch die massiven Konflikte eine wesentliche Rolle. Der äußerste Grad von Feindseligkeit entsteht aus dem Gefühl, beiderseits in eine Falle geraten zu sein, in dem die Angst vorherrscht, den Kampf und damit das Gesicht zu verlieren. In Familien mit einem diabetesbetroffenen Jugendlichen kann sich bei symmetrischen Eskalationen ein regelrechter Machtkampf um die Zuständigkeit für die Diabetestherapie entwickeln: Der Jugendliche einerseits fordert die Therapiezuständigkeit ein, um sich »nervigen Fragen« nach den Blutzuckerwerten zu entziehen, und ist damit häufig
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Eine ausführliche Beschreibung der Diabetestherapie und psychosozialer Belastungsfaktoren findet sich in Theiling und von Schlippe (2003). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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völlig überfordert, was einen schlechten Blutzuckerverlauf und einen Teufelskreis begünstigt: Die hohen Blutzuckerwerte bewirken, dass dem Jugendlichen die Motivation immer mehr abhanden kommt, sich überhaupt noch im Umgang mit der Krankheit und Therapie anzustrengen, was langfristig hohe Blutzuckerwerte begünstigt, an die sich Jugendliche häufig in ihrem Erleben gewöhnen, was auf Dauer aber irreversible Schäden zur Folge haben kann. Die Eltern fordern andererseits in Sorge und Angst mehr Sorgfalt im Umgang mit der Krankheit ein und reagieren mit Vorwürfen, Anklagen und Gardinenpredigten, was den Konflikt weiter zuspitzt. Ein Teufelskreis aus Resignation, Frustration und Wut aufeinander und den Diabetes kann entstehen, wobei das Muster, das um den Diabetes entsteht, nicht im Sinne einer Kausalverknüpfung verstanden werden kann, sondern vielfach das Muster die Interaktionpartner in ein Verhalten drängt, das von gegenseitigem Misstrauen, Ärger, Feindseligkeit und heftigen Eskalationen um die Macht und »Diabeteshoheit« gekennzeichnet ist. Das Entscheidende, was bei Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kindern verloren gehen kann, ist jedoch nicht die Macht der Eltern oder ihre Dominanz, sondern ihre Präsenz, ihre Anwesenheit. Die Eltern beginnen langsam aus dem Leben des Kindes zu verschwinden, sie spielen psychologisch, im Sinne einer responsiven Person, die ihnen Sicherheit, Schutz aber auch rückhaltgebende Orientierung bietet, keine Rolle mehr. Sie spielen manchmal sogar physisch keine Rolle mehr. Auf der elterlichen Seite gehen die beschriebenen Eskalationsdynamiken zunehmend mit einem Verlust an Selbstwirksamkeitserleben, mangelndem Selbstwert und dem schwindenden Bewusstsein einher, überhaupt noch als Mutter oder Vater handeln zu können. Elterliche Hilflosigkeit
Pleyer (2004) hat in diesem Zusammenhang den Begriff der »parentalen Hilflosigkeit« geprägt, der in der Zusammenarbeit mit Eltern einen Verstehensrahmen bietet und anschlussfähig an elterliche Selbst- und Problembeschreibungen ist. Hilflose Eltern zeigen einerseits ein gedankliches, hoch affektiv geladenes Beschäftigtsein mit dem Kind und dem Problem, begleitet andererseits von vermeidenden und dissoziativen Tendenzen im Kontakt zu ihm. Pleyer (2003, 2004) zufolge lassen sich vier Felder identifizieren, auf denen hilflose Eltern häufig gravierende Auffälligkeiten zeigten. 1. Eine verengte und selektive, negative Art der elterlichen Wahrnehmung ihrer Kinder. Das dissoziative Ausblenden scheint besonders diejenigen kindlichen Signale zu betreffen, die bei den Eltern Unbehagen, Schmerz oder Angst auslösen (z. B. Ausblenden des fahrlässigen Umganges mit der Diabetestherapie, um weiteren Konflikten zu entgehen, wobei die Sicht auf das Kind negativer wird). 2. Eine Konfliktvermeidung im Umgang mit dem Symptomverhalten und Vermeidung von Präsenz (i. S. von Nachgeben der kindlichen Forderungen und der komplementären Eskalation). 3. Eine Tendenz, die Erziehungsverantwortung zu umgehen oder sie an Andere, beispielsweise an das Diabetesteam, zu delegieren und die damit verbundener Erwartung, die »Experten« mögen ihr Kind »wieder zur Vernunft bringen«, was unserer Erfahrung nach langfristig häufig scheitert, wenn nicht auch die Eltern ihr Verhalten und ihre Haltung zum Kind konstruktiv verändern. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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4. Die Tendenz, sich in der Erziehung zu isolieren und die Kooperation mit anderen Erziehungspartnern zu vermeiden. Eltern sind auf der Paarebene oft in einem Machtkampf um den »richtigen« Weg von Erziehung gefangen und somit als Eltern handlungsunfähig. Die Kooperationsdefizite auf der Paarebene generalisieren sich häufig auf den Kontakt mit anderen an der Erziehung beteiligten Menschen. Das erklärt auch den Widerstand, auf den wir bei hilflosen Eltern zunächst treffen können, wenn wir versuchen, sie wieder stärker in unsere Betreuung mit einzubeziehen. Gute Chancen, beide Elternteile »ins Boot zu bekommen«, haben wir mit der Bemerkung, dass Konflikte auf der Paarebene normal sind, wenn die Probleme so gravierend sind. Die Chancen auf Besserung stehen gut, wenn beide Eltern sich zum Gespräch bereit erklären, auch wenn unterschiedliche Sichtweisen zum Umgang mit dem Kind und seiner Therapie bestehen.
Schwerpunkte des Elterncoachings im gewaltlosen Widerstand Die Idee des gewaltlosen Widerstands als Mittel des Protestes gegen Unterdrückung geht auf Mahatma Gandhi und Martin Luther King zurück (Sharp, 1973). Das Elterncoaching wurde auf der Basis der sozial-politischen Doktrin des gewaltlosen Widerstandes als Beratungsansatz für Eltern von Kindern mit massiven Verhaltensproblemen von dem israelischen Psychologen Haim Omer entwickelt und gemeinsam mit Arist von Schlippe in Deutschland vorgestellt (Omer u. von Schlippe, 2002, 2004, 2010). Das systemische Elterncoaching im Modell des gewaltlosen Widerstandes möchte einen Rahmen anbieten, indem die Beziehung zwischen Jugendlichen und ihren Eltern wieder möglich wird. Das Vorgehen im Coaching ist handlungsorientiert, wobei die Interventionen letztlich eine Veränderung in der elterlichen Haltung anregen sollen. Dabei wird eine Haltung der Eltern angestrebt, die von folgender Botschaft getragen wird: »Wir sind deine Eltern und uns liegt etwas an dir. Und weil du uns wichtig bist, können wir es nicht zulassen, dass du dir schadest bzw. du dich schlecht gegenüber uns bzw. Anderen zeigst. Wir werden alles dafür tun, dass sich dein problematisches Verhalten ändert, aber werden dich nicht attackieren bzw. dir Gewalt antun. Wir kämpfen um dich, aber nicht gegen dich!« Im Mittelpunkt des Coachings steht das Bestreben, dass Eltern wieder Selbstkontrolle über ihr eigenes Verhalten im Sinne der Deeskalation gewinnen, ihren Protest ausdrücken, aus der Isolation austreten und soziale Unterstützung aktivieren. Das heißt, die Eltern werden im Coaching angeregt, wieder persönliche Präsenz zu erlangen und zunächst ihre eigenen Entwicklungsschritte in Richtung Präsenz zu fokussieren und wertzuschätzen. Gleichzeitig werden die Eltern ermutigt, unabhängig vom Problemverhalten der Kinder wieder die Beziehung durch kleine Gesten der Wertschätzung zu suchen. Am Beispiel Christophers (siehe Fallbeispiel) sollen die einzelnen Interventionen aus dem Modell zur Stärkung der elterlichen Präsenz, die wir im Rahmen unserer ambulanten Diabetesbetreuung haben einfließen lassen, vorgestellt werden (eine ausführliche Beschreibung der Interventionen finden sich in einem Manual; Ollefs u. von Schlippe, 2007). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Interventionen im Elterncoaching von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes Ankündigung
Die Eltern wurden anfangs angeregt, Christopher einen kurzen Brief zu schreiben, indem sie ihm gegenüber ihren elterlichen Protest gegen sein oppositionelles Verhalten und seine Nahrungsverweigerung ausdrückten. Mit diesem Brief haben die Eltern ihren Sohn darauf vorbereitet, mit dem Problem nicht weiter allein bleiben zu wollen und um Hilfe und Unterstützung in der diabetologischen Ambulanz2 im Kinderhospital anzufragen. Der Brief war freundlich-respektvoll ohne Drohung verfasst und endete mit der Bemerkung, dass sie wieder stärker an seinem Leben Anteil nehmen würden, weil sie ihn lieben und sich große Sorgen um seine Entwicklung machen würden.19 Christopher wurde der Brief in einer ruhigen Situation im Beisein beider Elternteile vorgelesen und übergeben, worauf er sich schließlich auf einen Vorstellungstermin im Kinderhospital in Begleitung seiner Eltern einlassen konnte. Die Situation dort drohte anfangs zu eskalieren, als er von dem behandelnden Arzt nach seinem Essverhalten und aktuellem Umgang mit der Diabetestherapie befragt wurde und er daraufhin wütend aus dem Gespräch lief. Der Vater (gestärkt durch die therapeutische Unterstützung) lief seinem Sohn hinterher und konnte ihn schließlich zur Rückkehr bewegen. Er wirkte in dieser Situation sehr präsent und klar, ohne anzuklagen. Das Team war mit Einverständnis der Eltern auf die Familiensituation vorbereitet worden und reagierte ruhig auf Christophers Wutausbruch, um die Situation zu entschärfen. Schließlich hat sich Christopher mit dem Arzt darauf einigen können, für die nächste Zeit wöchentlich in die Sprechstunde zu kommen, um den Blutzucker- und Gewichtsverlauf im Sinne einer »wachsamen Sorge« (Omer u. von Schlippe, 2009) überprüfen zu können. Im Erleben der Eltern wirkte Christopher nach diesem Ereignis »wie entlastet« und deutlich kooperativer, wie sie retrospektiv feststellten. Hauptsächlich wird mit der Ankündigung die Selbstverpflichtung der Eltern zur Intensivierung ihrer Präsenz betont. Sie enthält den elterlichen Vorsatz, aus der Eskalation auszuscheren, Kontrolle über das eigene Verhalten zu erlernen und auf dieser Basis eine neue Haltung zum Kind einzunehmen. Sie dient darüber hinaus dem elterlichen Protest gegen das kindliche Verhalten und bereitet das Kind darauf vor, dass sie als Eltern wieder ein anwesendes Verhalten zeigen werden, was sich deeskalierend auswirken kann. Deeskalationsmaßnahmen
Die Eltern wurden im weiteren Verlauf der Beratungsgepräche darin unterstützt, oppositionellem Verhalten Christophers mit den Prinzipien des »Nicht-Hineingezogenwerdens« und des »Aufschubs« zu begegnen, um die Situation nicht weiter eskalieren zu
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Das interdisziplinäre Team der Ambulanz besteht aus Kinderdiabetologen, Diabetesberaterin, Ernährungsberaterin, Psychologin und Kinderkrankenschwestern. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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lassen. Dabei haben sich die Eltern bewusst dazu entschieden, bei drohender Eskalation mit dem Hinweis darauf, zu einem späteren Zeitpunkt über den Streitpunkt zu sprechen, aus der Situation auszusteigen und die elterlichen Reaktion, zum Beispiel von Wut und Empörung, aufzuschieben. Eskalationen zwingen Eltern und Kinder in eine Haltung, bei der beide Seiten versuchen, ihren Willen durchzusetzen. Sie enden häufig damit, dass die Eltern erschöpft und wütend zurückbleiben und das Kind wieder einmal seinen Willen durchgesetzt hat und die elterliche Präsenz verloren gegangen ist. Hinzu kommen bei Eltern nach heftigen Auseinandersetzungen häufig Gefühle von Scham und Schuld (wieder die Selbstkontrolle verloren zu haben), was sie in ihrer individuellen Präsenz zusätzlich schwächen kann. Wir schlagen in Anlehnung an Omer und von Schlippe (2009) daher vor, die Logik der Dringlichkeit (»Jetzt machst du sofort das, was ich dir sage!«) durch eine Haltung der Beharrlichkeit zu ersetzen: Abwarten ist wichtig, um impulsive Reaktionen besser unterdrücken zu können. Das Streben nach Sieg wird durch die Haltung einer Präsenz mit langem Atem ersetzt. Wenn die Eltern später auf das Ereignis zurückkommen, vermitteln sie ihrem Kind, dass sie auf eine akzeptable Lösung bedacht sind, und stärken damit die Beziehung. Beziehungsgesten: Unverzichtbare Signale der Wertschätzung und der Liebe
Mit den Eltern wurde gleich zu Beginn der Beratung überlegt, wie die »Momente eines guten Miteinanders« mit Christopher wieder gepflegt werden können, die unter den beschriebenen Eskalationen gelitten hatten. Gesten der Wertschätzung und der Liebe sind nicht an materielle Geschenke gebunden, im Sinne einer Belohnung (oder positiven Verstärkung), sondern werden unabhängig vom kindlichen Verhalten angeboten, um zu zeigen, dass die Eltern trotz der Konflikte an einer guten Beziehung zu ihm interessiert sind. Deshalb sind die Gesten an die Interessen oder Vorlieben des Kindes geknüpft und sollten auf Dauer ausgelegt werden. Auch wenn das Kind die Geste zunächst zurückweist (vielleicht, um das Gesicht nicht zu verlieren oder weil es sich manipuliert fühlt), sollten Eltern die Versöhnungsgesten einseitig aufrechterhalten: als eine bewusste Haltung, die nicht auf Kontrolle des Gegenübers abzielt, sondern die Selbstkontrolle stärkt und das langfristige Ziel einer positiven Beziehung intendiert. In dem beschriebenen Fall konnten sich die Eltern darauf einigen, gemeinsame Unternehmungen und Aktivitäten rund um den Fußball wieder zu beleben, was sie in der Folgezeit auch umgesetzt haben. Die Eltern haben später die Wirkung als »eine Rückkehr von Lachen und Leichtigkeit in die Familie« beschrieben. Aktivierung sozialer Unterstützung
Die Eltern kostete es anfangs große Überwindung, mit Außenstehenden wie dem Diabetesteam über ihre Sorgen mit Christopher zu sprechen, weil sie befürchteten, ihren Sohn damit bei anderen Personen in Misskredit zu bringen. Die Gespräche erlebten die Eltern entlastend und hilfreich bei der Klärung der familiären Dynamik, die sich um Christophers Umgang mit dem Diabetes, sein Essverhalten und ihre Hilflosigkeit ent© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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wickelt hatte. Durch die Einbindung des gesamten Diabetesteams wurden sie in ihrer elterlichen Präsenz gestärkt, weil die elterliche Botschaft durch das Team mitgetragen wurde und die Eltern die Erfahrung machen konnten, dass Christopher durch einen veränderten Rahmen (Verbesserung der Beziehung zu den Eltern, engmaschige Einbindung in die diabetologische Ambulanz am Kinderhospital, Klarheit und Stärkung der Elternpräsenz) sein Verhalten deutlich verändert hat und in seinem Selbstwert (durch Wertschätzung und Selbstwirksamkeitserleben wieder positiv Einfluss auf den Diabetes nehmen zu können) gestärkt wurde. Schließlich schien er wieder versöhnlicher mit seinem Diabetes umgehen zu können. Die Eltern, die vorher große Selbstzweifel gequält hatten, wurden in ihrer Zuversicht, wieder Einfluss auf sich selbst und nachfolgend auf Christophers Verhalten nehmen zu können, und in ihrem Selbstwirksamkeitserleben gestärkt.
Abschlussbemerkung Die Idee vom gewaltlosen Widerstand in der Erziehung hat in der Beratungsarbeit von Eltern mit diabetesbetroffenen Jugendlichen etwas Hoffnungstragendes, weil das Konzept einen Weg aus der Krise aufzeigt, auch wenn Eskalationen schon Teil der Alltagssprache in Familien geworden sind (Ollefs u. von Schlippe, 2009). Das Beispiel zeigt, dass die Bereitstellung eines »orientierenden Rahmens«, in dem das Kind bzw. der Jugendliche Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten zugleich erfahren kann, die Familiensituation deutlich entlastet hat, wobei die Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung entscheidend zur positiven Veränderung beigetragen hat. Ein systemisch-interaktioneller Ansatz geht von der Beschreibung aus: »Patient ist die Beziehung« (Omer u. von Schlippe, 2009). Um die Eltern-Kind-Beziehung wieder auf konstruktive Weise gestalten zu können, benötigen Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes, die häufig kraftlos und zutiefst verunsichert um Beratung anfragen, eine starke emotionale Unterstützung und Ermutigung. Im Mittelpunkt der Betreuung steht daher der Aufbau einer sicheren und vertrauensvollen therapeutischen Beziehung, die sich darum bemüht, die Eltern in ihrem Erleben anzunehmen, Hoffnung zu induzieren und mit ihnen neue Handlungswege auf der Basis des gewaltlosen Widerstands zu erarbeiten. Häufig ändert sich das elterliche Selbstwirksamkeitserleben und ihre innere Wirklichkeit mit den vorsichtigen Schritten der Veränderung, was sie in ihrer Autorität, die auf Beziehung setzt, wieder stärker macht.
Literatur Bateson, G. (1981). Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Cohen, M. (1999). Familiy coping with childhood chronic illness: a research review. Families, Systems & Health, 17 (2), 149–164. Hürter, P., Lange, K. (2001). Kinder und Jugendliche mit Diabetes. Medizinischer und psychologischer Ratgeber für Eltern. Berlin u. a.: Springer.
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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Cornelia Tsirigotis
Beobachtungsstreifzüge im Stärkenland: Mit Eltern besonderer Kinder neues Terrain entdecken
»Körperliches Geschehen, sprachliche Konstruktionen und systemische Prozesse haben sich in unentwirrbarer Weise zu einem Muster verbunden. [...] Und jede Intervention, die einer Familie hilft, in diesem Muster mehr Bewegungsspielraum zu entwickeln, ist aus dieser Sicht zu begrüßen« (von Schlippe, 1999, S. 57).
In diesem Beitrag geht es um Muster, die in Familien rund um Hörschädigung und Behinderung entstehen. In vielen Jahren praktischer Arbeit vor allem mit Eltern behinderter Kinder haben sich Ideen und Anregungen von Arist von Schlippes Vorträgen und Veröffentlichungen vor allem rund um die Themen »Asthma«, »chronische Krankheit« und »elterliche Präsenz« in meine Arbeit »wie von selbst« hingeschlichen und wurden umgearbeitet: Aus Mr. Asthma wurde Mr. Hörschaden, aus den Mustern um chronische Krankheit wurden solche um Behinderung, Mr. Hörschaden wurde gar zum Räuber elterlicher Stimme und Präsenz. In diesem Beitrag geht es um die Frage: Welche Anregungen zu hilfreichen Veränderungen können eine systemische Perspektive und eine Ressourcenfindungsperspektive in der therapeutischen und beraterischen Arbeit in einem Kontext eröffnen, der sich über unterschiedliche Störungsbilder wie Entwicklungsverzögerung, Hörbehinderung und Gehörlosigkeit definiert (Tsirigotis, 2008)? »Stärkenland« steht als Metapher für einen anderen Blick auf Familien und mit Familien, zu einem Zeitpunkt, in dem auch in der systemischen Therapie die Auseinandersetzung über Störungsperspektiven und störungsspezifisches Wissen eine Rolle spielen (siehe auch Schweitzer u. von Schlippe, 2006; Loth, 2010)
»Beobachtungsstreifzüge«? Warum nicht einfach »Streifzüge«? »Die beobachten ja nur ...« Mein Anlass, mich mit dem Thema Beobachtung genauer auseinanderzusetzen, sind Kommentare vor allem aus dem medizinisch-therapeutischen Kontext zum Konzept der Aachener Frühförderung für hörgeschädigte Kinder. Dieses Konzept ist in systemischer Weise darauf ausgerichtet ist, den Rahmen für förderliche Entwicklungsbedingungen abzustecken und damit mehr kontextstrukturierend und weniger verhaltensstrukturierend »am Kind« zu arbeiten (Tsirigotis et al., 2004). Beobachtung gilt als wichtiger Bestandteil von Entwicklungsdiagnostik (siehe auch Lindemann, 2008). Ebenso ist die gemeinsame Beobachtung der kindlichen Entwicklung mit den Eltern Gegenstand gemeinsamer Arbeitsaufträge in der Frühförderung: »In den nächsten drei Monaten nehmen wir folgende Entwicklungsschritte einmal genauer in den Blick!« (siehe auch Tsirigotis, 2006). Dabei lässt sich oft feststellen, dass das Sprechen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Cornelia Tsirigotis
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über Beobachtungen dazu beigetragen hat, den Beobachtungsfokus der Eltern zu schärfen und zu anderen Betrachtungen und Verhaltensweisen anzuregen. Das könnte sich nun leicht so lesen lassen, als sei »Beobachtung« ein Hilfsmittel, quasi eine Intervention. Es bietet sich also an, sich mit den Begriffen »Beobachtung« und entsprechend auch mit »Beobachten« und ihrer Unterscheidung vertiefender auseinanderzusetzen. »Beobachtung« gilt innerhalb systemtheoretischer Überlegungen »als die zentrale Operation des Erkennens, als Instrument der Erschließung von Wirklichkeit«. Dabei kommt der Beobachterin selbst entscheidende Bedeutung zu: »Es macht einen Unterschied, welche Beobachtung von welchem Beobachter gemacht wird, da die Folgerungen und Konsequenzen, die sich aus den Beobachtungen ergeben, unterschiedlich sind. Entscheidend sind Voraussetzungen, Form und Struktur, mit denen ein Beobachter seine Beobachtung tätigt. In diesem Sinne sind Beobachtungen abhängig vom Beobachter, der sie macht« (beide Zitate unter http://www.intramundia.net/demo/systemtheorie/ demo1.html). Um die systemischen Prozesse beim Beobachten genauer zu reflektieren, erscheinen mir Wolfgang Loths Unterscheidungen zwischen »Beobachten« und »Beobachtung« hilfreich: Während er »Beobachtung« als »auf das Erfassen von etwas im Kontext Wirkendes« beschreibt, geht es beim »Beobachten« darum, »innerhalb eines Kontextes zu dessen Ausformulierung beitragen zu wollen« (Loth, 2010, S. 12). »Beobachtung« bezöge sich in meinem Arbeitskontext zum Beispiel auf die Diagnose: auf die Hörschädigung, die Entwicklungsverzögerung, die familiären Muster, die rundherum entstehen – »Beschreibungen, die das Beschriebene verändern« (von Schlippe, 1999). Mein »Beobachten« ist Teil meines therapeutischen bzw. beraterischen Gestaltens und ergibt erst zusammen mit dem Beobachten durch mein Gegenüber ein notwendiges Ganzes. Als Beobachterin bin ich daran beteiligt, aktiv am Kontext einer Familie mit schwerhörigem Kind und seinen Entwicklungsbedingungen, mitzu«stricken«. Indem wir uns darauf einlassen, das gemeinsam zu betrachten und darüber zu sprechen, entsteht eine Situation, in der sich mein Gegenüber angeregt fühlen kann, seine Beobachtungen und sein Beobachten genauer zu betrachten. Indem ich zum Austausch drüber einlade, habe ich dazu beigesteuert, uns im Kontext nach Möglichkeit anders zu positionieren. Es »kann sich Wirkung einstellen als interne Anpassung an günstigere Rahmenbedingungen« (Loth, 2010, S. 13). Mit Eltern unterwegs zu sein, heißt für mich, eine Beobachtensperspektive einzunehmen, die sich auf die Stärken und Kompetenzen der Eltern richtet. Alles, was als Ausgangspunkt für hilfreiche Anregungen dienen könnte, muss ich zunächst selbst bemerkt und beobachtet haben. Beobachten ist somit ein Ausgangspunkt hilfreicher Veränderungen. Damit ist aber nicht nur mein eigenes Beobachten als Therapeutin oder Beraterin gemeint. Indem ich mitteile, was ich beobachtet habe, lenkt das möglicherweise den Blickwinkel oder Beobachtungsfokus der Eltern auf etwas, das sich ihrem Bemerken unter Umständen bisher entzogen hat. Was von dem, das ich beobachtet und mitgeteilt habe, die Eltern anregt, ihren Blick auf einen Entwicklungsschritt ihres Kindes, auf eine Stärke oder eine wechselseitige Interaktion zu legen, darauf habe ich nur bedingt Einfluss. Wenn es gut läuft, war meine Frage an die Eltern danach, was sie beobachten, anschlussfähig. Dazu gehört eine therapeutische Haltung des »unerschrockenen Respektierens« (siehe Hargens, 2004), in der ich Eltern als gleichwertige Partner akzeptiere und wir uns Beobachtetes auf Augenhöhe gegenseitig mitteilen. Wenn ich die Beschreibung einer Mutter über etwas, das sie bei ihrem Kind wahrnimmt, ernst nehme und respek© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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tiere, kann sie sich ausreichend sicher fühlen, um ihren Blick zu weiten und sich auf Fragen von mir einlassen, wie zum Beispiel: »Wann?«, »Wann nicht?«, »Bei wem, bei wem noch?« etc., die möglicherweise zu einem differenzierenden Blick einladen, der es erlaubt, zu unterscheiden und Unterschiedenes zu würdigen. Nur wer beim Klettern einen festen Stand hat, kann den Blick von den Schuhspitzen ins Gelände wagen. Wer andere zu einer Kletterpartie einladen will, wird das nicht schaffen, indem er ihnen zum Beispiel den Boden unter den Füßen wegzieht, indem er seine Beobachtungen mit »Das kann ja gar nicht sein!« abtut oder Problembeschreibungen und Lösungsvorstellungen nicht respektiert. Beobachten wird hier deutlich als Mitausgestalten des Kontextes: Ich bewege mich suchend, findend, neu bewertend im Kontext, sorge für ausreichend sicheren Boden und bin Mitgestalterin von neuen Rahmenbedingungen zum Beispiel für die kindliche Entwicklung in der Familie. »Letzteres, die Idee der Veränderung von Rahmenbedingungen, liegt umso näher, je mehr ich von der Vorstellung des Beobachtens ausgehe anstelle der des Beobachteten« (Loth, 2010, S. 15). Auf dieser Grundlage begreife ich mich »als Teil eines sinnstiften Kontextes und biete mich darin an« (Loth, 2010, S. 13). Wie positioniere ich mich im Kontext? Welche Voreinstellungen treffe ich an meinem Fokus beim Beobachten? – Worauf lege ich in der Arbeit mit Familien wert? – Welche Haltung nehme ich in Bezug auf familiäre Kompetenzen ein? – Woran docke ich (als Therapeutin) gern an? – Wie sorge ich dafür, dass ich unterwegs nichts übersehe? – Was passiert beim Beobachten? – Worauf richten wir überhaupt unsere Aufmerksamkeit? – Wie gestaltet sich darüber eine kommunikative Verständigung? – Was stoßen Beobachtungen an? Wie verändert sich dadurch das Beobachten selbst?
Frau Macchiato oder: zwischen Sokrates und Pythia Frau Macchiato meldet sich zu einem Beratungsgespräch mit mir an. Anlass sei die Schulwahl für ihre nun sechsjährige Tochter Vera. Vera ist mit einem Cochlea-Implantat versorgt und geht in einen Spezialkindergarten für hörgeschädigte Kinder. Sie selbst wolle sie aber im Sommer (das Gespräch findet im Januar statt) in eine allgemeine Schule einschulen. Zu diesem Thema haben sich die Therapeutinnen und Pädagoginnen rund um Vera sehr unterschiedlich geäußert. Frau Macchiato möchte von mir die Bestätigung, dass eine Beschulung in der allgemeinen Schule für Vera der richtige Weg sei. Die Pädagogin in dem speziellen Kindergarten rate ihr zur Förderschule für ihr Kind, die Logopädin, die Vera vor Ort betreue, rate zur allgemeinen Schule. Die Therapeutinnen im CI-Zentrum hielten sich mit ihrer Meinung zurück, sie solle mit mir sprechen. Was ich meine? Mir geht es in der Beratung nicht darum, meine eigene Meinung zu dieser Meinungsvielfalt hinzuzufügen, mir geht es darum, mit Frau Macchiato zu erarbeiten, was sie braucht, um selbst eine gute Entscheidung treffen zu können. Wir schauen uns also zunächst die unterschiedlichen Meinungen, deren Beweggründe sowie ihre eigene Motivation für ihre Entscheidung an. Hilfreich hierfür ist das Aufzeichnen eines Auftragskarussells (von Schlippe, 1996). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Pädagogin im Kindergarten: Vera ist ein ganz schüchternes Kind, hier spielt sie in einer sehr kleinen Gruppe und macht langsam Fortschritte, sie braucht unbedingt weiterhin eine kleine Gruppe. Du hast nur Angst wegen der Schulbusbeförderung und dem weiten Weg in die Förderschule. Lass dein Kind auch mit der Busbeförderung in den Kindergarten fahren! Gib dein Kind in die Förderschule!
Logopädin im Ort: Solche Kinder sollten grundsätzlich nicht ausgesondert werden, sie sollten eine allgemeine Schule besuchen. Vera hat sehr viele Fortschritte gemacht, ich trau ihr das zu. Gib dein Kind in eine allgemeine Schule!
Logopädinnen im CIR: Eigentlich sehen wir Vera noch nicht in einer allgemeinen Schule. Aber dazu sollen die Pädagoginnen ihre Meinung sagen. Hol dir noch eine Fachmeinung!
Abbildung 1: Auftragskarussell Frau Macchiato
An dieser Stelle würdige ich die Meinung, die jede Einzelne in diesem Karussell vertritt: Die Logopädin habe mit ihrer Sichtweise auf der Grundlage der aktuellen Diskussion um Inklusion recht. In Zukunft werden vermutlich mehr Kinder in der allgemeinen Schule gefördert werden. Dabei sei es wichtig, darauf zu achten, welche Bedingungen schwerhörige oder gehörlose Kinder brauchen, damit das gut gehe. Die Pädagogin im Kindergarten kenne das Kind in seiner Entwicklung in der kleinen Gruppe gut und könne es sich vermutlich nur schwer unter 25 durcheinanderredenden hörenden Kindern vorstellen. Sie selbst, Frau Macchiato, habe Bedenken wegen des weiten Weges und der erschwerten Kommunikation mit der Schule. Das sei vollkommen verständlich. Ich bleibe diesen unterschiedlichen Aufträgen an Frau Macchiato gegenüber neutral. Auch mir als Beraterin hilft es, mir die unterschiedlichen Aufträge der Beteiligten an mich zu vergegenwärtigen. Hier fließt auch mein eigener Anspruch hinein, so zu handeln, wie ich mir eine gute Beratung vorstelle. Auf dieser Grundlage schließt sich also ein Gespräch an, in dem Frau Macchiato und ich gemeinsam Überlegungen anstellen, was ihre Tochter brauche, um einen guten Schulstart an einer allgemeinen Schule zu bekommen. Was sollte in dem halben Jahr noch dazukommen? Vielleicht noch etwas Selbstbewusstsein im Kontakt mit hörenden Kindern, meint Frau Macchiato. Was könnte sie selbst zur guten Vorbereitung beitragen? Wie sie ihr Kind im Umgang mit anderen Kindern beobachte? Wie es mit hörenden Spielkameraden wäre? Ob es irgendwo Möglichkeiten gäbe, mit hörenden Kindern in Kontakt zu kommen? Wer denn da noch in diese Schule käme im Sommer? Oh, sie könne mal in dem Kindergarten fragen, wo ihr Sohn gewesen sei. Dahin habe sie immer einen guten Draht gehabt ... Frau Macchiato entwickelt im Folgenden selbst Ideen und nimmt aus dem Gespräch mit, – worauf sie ihr Augenmerk in der kommenden Zeit richten will und – dass sie selbst noch etwas tun kann, um Vera zu unterstützen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Beobachtungsstreifzüge im Stärkenland Frau Macchiato: Was sagen Sie denn dazu? Unterstützen Sie meine Idee!
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Logopädinnen im CIR: Regel du das mal, damit das nicht irgendwie schief geht!
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Pädagogin im Kindergarten: Das ist eine Katastrophe! Das Kind schafft das nicht. Sorg dafür, dass Frau Macchiato ihr Kind in die Förderschule einschult!
Beraterin: Wie können wir uns auf einen guten Auftrag verständigen? Was kann ich zu einem guten Entscheidungsprozess beisteuern? Wie kann ich dabei behilflich sein, Perspektiven zu weiten? Welche Beobachtungsanregungen bzw. -fragen könnten Frau Macchiato dabei unterstützen, ihren Blick darauf zu richten, über welche Kompetenzen zur Einschulung ihre Tochter verfügt?
Abbildung 2: Auftragskarussell der Beraterin
Wir vereinbaren einen weiteren Termin vor den Osterferien, um zu besprechen, wie sich die Dinge entwickelt haben. Im folgenden Gespräch zeigt sich, dass Frau Macchiato für Spielmöglichkeiten mit hörenden Kindern im Kindergarten gesorgt hat. Sie habe dabei aber auch gesehen, dass Vera noch viel Unterstützung brauche. Sie habe sich nun doch für die Förderschule entschieden. Sie lasse Vera nun auch mit der Busbeförderung in den Kindergarten fahren. Meine augenzwinkernde Frage, wem das schwerer falle, Vera oder ihr selbst, beantwortet sie mit einem Lachen: »Klar, mir.« Die Suche nach Ressourcen, wie es gelingen kann, ein Kind täglich »auf große Fahrt« zu schicken, fällt nicht schwer. Sie selbst stammt aus Sizilien, und ihre Mutter habe sie damals auch – sicherlich schweren Herzens – nach Deutschland ziehen lassen. Wir sprechen über die großen Herzen von Müttern, die ihre Kinder notwendige eigene Wege gehen lassen. Was hat hier dazu beigetragen, dass die Entscheidung von Frau Macchiato fast »wie von selbst« erfolgte? Ich habe mich als Beraterin in Frau Macchiatos Stärkenland begeben. In ihrer anfänglichen Entscheidungsunsicherheit lagen genug gute Gründe für beide Entscheidungsmöglichkeiten am Wegrand. Indem ich ihr meine Unterstützung und mein Verständnis für den von ihr bevorzugten Weg zusagte, konnte sie ausreichend sicher ihren Blick auch noch auf etwas anderes richten, das am Wegrand lag.120
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Der Titel zu dieser Geschichte entstand bei Tsirigotis’ am Esstisch: Als wir darüber sprechen, wie wichtig mir ist, dass Eltern selbst für sich viable Lösungen finden, vergleicht mein Mann diese Haltung mit dem Bild der Pythia. Während Sokrates mäeutisch durch Fragen Wissen aus dem Menschen hervorholt, geht Pythia orakelhaft davon aus, dass die Suchenden die Lösung selbst finden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die weiße Frau oder: sich nicht von der Angst hypnotisieren lassen Die Vorgeschichte
Frau Mayer kam das erste Mal zu mir, als bei der damals eineinhalbjährigen Tochter Maria ein an Taubheit grenzender Hörschaden festgestellt wurde. Die folgenden Jahre waren geprägt von der Bewältigung ihrer Lebensaufgaben, Wiederzusammenkommen mit dem Vater des Kindes, zweite Schwangerschaft, Brustkrebs, Cochlea-Implantation bei Maria, Diagnose Hörschädigung auch bei der zweiten Tochter Zora, weitere andere gesundheitliche Probleme bei Zora, Gewalt in der Paarbeziehung, Trennung, neuer Partner, Heirat, Adoption der Töchter durch den neuen Mann, Implantierung bei beiden Töchtern auf der zweiten Seite. In diesen Jahren habe ich die Familie bei Entscheidungen oder Erziehungsfragen begleitet, vielfältige Ressourcen in der neuen Familie beobachtet und war immer wieder von der Fähigkeit der Familie, selbst Lösungen zu entwickeln, beeindruckt. Vom Anlass zum Anliegen
Frau Mayer wendet sich nun an mich, weil sie Probleme mit der nun zehnjährigen Tochter Maria habe. Der Anlass ist, zu klären, ob sie Maria in psychotherapeutische Behandlung und Diagnostik geben solle. Zu Hause gerate ihr die Situation »außer Kontrolle«, Maria drehe vollkommen durch, sie habe große Ängste entwickelt, schlafe nicht mehr allein, gehe nicht allein ins Obergeschoss. Jeden Abend gebe es stundenlanges Gezeter, sie selbst solle bei der Tochter schlafen, eigentlich schlafe keiner mehr richtig. Darüber hinaus – ich möge sie nicht für verrückt halten – zeigten sich übersinnliche Phänomene: Maria sehe eine weiße Frau und sie selbst habe auch den kalten Luftzug gespürt, parallel am gleichen Abend auch ihr Neffe, der woanders wohne. Sie habe Angst, dass ihre Ehe daran zerbreche. Ihr Mann habe zudem beruflich eine stressige Situation, er habe keine Geduld mit den »Macken« der Töchter, sie halte ihn vollkommen aus der Erziehung der Töchter heraus. Aus ihrer Erzählung heraus entwickelt sich ihr Anliegen: Sie möchte Unterstützung, ihre Familie und ihre Ehe zu retten, und dass alle wieder schlafen. Ich stelle fest, dass sie einen guten Blick hat für die Muster, die sich in der Familie abspielen, und dass ihre Gedanken und Überlegungen zur Pubertät der Tochter und deren Verunsicherung sehr hilfreich sein können. Unseren gemeinsamen Arbeitsauftrag formulieren wir so: Wir schauen zusammen mit ihrem Mann nach Möglichkeiten, wie sie wieder »in die Balance« kommen. Dieses Bild der Balance, wie eine Wippe sozusagen, macht deutlich, wie sehr Frau Mayer auf die Seite des Kindes gegangen ist und sozusagen den Blick und die Kraft für das Gleichgewicht in der Familie verloren zu haben scheint. Sie sei ja mit ihrem Mann immer ein starkes Team gewesen. Wie sie wieder mehr davon herstellen könne? Wann es Möglichkeiten für Elternzeit, für Paarzeit gebe? Sie entwickelt Ideen ... Was sie mitnimmt aus diesem Gespräch, sind erste Anpackmöglichkeiten und den Blick für ihre eigene Balance. Und die Erkenntnis, nicht dauernd Liebhabenserklärungen abgeben zu müssen, sondern ihre innere Präsenz, die sie immer gehabt habe, wieder einzunehmen, die Haltung: »Ich hab euch alle lieb, ich lass mich von dir nicht aus der Balance werfen, auch wenn du mir den Schlaf raubst.« Wir vereinbaren ein weiteres Gespräch, an dem auch ihr Mann teilnehmen möchte. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Beobachtungsstreifzüge im Stärkenland
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Ein bewegter Selbstsupervisionsprozess
In Vorbereitung auf dieses zweite Gespräch kommen mir heftige Zweifel. Ich brauche lange für meine Selbstsupervision: Ich bin erschrocken über diese »Angststörung« und die übersinnlichen Phänomene und frage mich, ob ich die richtige Therapeutin bei diesem Störungsbild bin oder ob ich nicht gleich weiterverweisen soll. Da fällt mir eine kollegiale Anregung ein: Mich nicht von der Angst hypnotisieren lassen! Ich male mir die weiße Frau und den Angstsog auf (zur Externalisierung siehe White u. Epston, 1994): Maria hat Angst, die Mutter hat Angst vor Marias Angst, die Therapeutin hat Angst vor all der Angst und der weißen Frau ... und »fachlichen Fehlern«. Ich besinne mich also auf mein systemisches Hand-/Kopfwerk(s)zeug und frage mich: Was bewirken die weiße Frau und die Angst? Sie – wirbeln die Familie durcheinander, – schaffen Verunsicherung, – ziehen die Mutter auf Marias Seite, – trennen die Frau vom Mann, – lassen Maria die Familie im Griff haben, – schaffen sehr schnell und mit Erfolg neue familiäre Muster, – versuchen, die Therapeutin an sich zweifeln zu lassen. Die weiße Frau macht das, was sonst Mr. Asthma (von Schlippe, 1999) oder Mr. Hörschaden (Tsirigotis, 2006) machen. Hier bekommt das Zitat wieder seine Bedeutung: »Und jede Intervention, die einer Familie hilft, in diesem Muster mehr Bewegungsspielraum zu entwickeln, ist aus dieser Sicht zu begrüßen« (von Schlippe, 1999, S. 57). Ich betrachte also alle Ressourcen, die zu mehr Bewegungsspielraum und zur Neumischung der Muster beitragen können: Gute Beobachtung der Mutter, gute und weiterführende Erklärungen dessen, was abläuft: pubertäre Verunsicherung. Die Erklärungen von Frau Mayer decken sich mit dem »störungspezifischen Ressourcenwissen Pubertät«, das ich recherchiert habe. Vor allem aber tatsächlich: Arbeit am Anliegen, die Kompetenzen des Paares wiederherstellen und stärken. Zurück im Stärkenland
Das Paar kommt zum nächsten Gespräch und in der kurzen Zeit seit dem letzten Gespräch hat sich schon viel verändert: Das Bild der Balance aus der letzten Sitzung erwies sich auch für die beiden als hilfreich. Musterunterbrechend und wie von selbst hatte die jüngere Tochter vorgeschlagen, die Schlafenskonstellationen zu losen, worauf Maria sich einließ, so dass schon Raum für Neues entstanden war. Wie Herr Mayer mit diesen Ängsten in der Familie stehe? Er fühle sich da sehr am Rand. Wir stellen Familienfiguren und eine weiße Frau auf den Tisch. Die beiden bauen sich ganz schnell ein gutes Lösungsbild, mit dem sie beide leben können. Was hilfreich sein könnte, dahin zu kommen: weniger Kommunikation über die Angst und das Schlafen, mehr Kommunikation über gut Gelungenes, mutig Angegangenes. Mehr Möglichkeiten für Selbstwirksamkeitserleben. Mein Kommentar: Ich habe über viele Jahre sehr viel Mutiges in der Familie beobachtet, da seien Ressourcen spürbar. Vielleicht sei es eine gute © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Idee, in der nächsten Zeit einmal Beobachtungen zu sammeln, die dafür sprechen, dass es auch mutige Mayermädchen gibt. Die beiden kommen noch einmal nach 14 Tagen: In der Familie werde wieder richtig geschlafen, Maria gehe wieder allein nach oben und in den Keller, man habe am Wochenende eine Taschenlampenwanderung gemacht.Wir schauen zusammen, wie sie das geschafft haben. Er: »Ja, wir haben das einfach so gemacht wie vorher immer, wir haben unseren klaren Stand wiedergefunden – wieder eingenommen.« Sie wissen sehr genau, wie sie selbst dazu beigetragen haben. Sie wollen nur noch einen Termin auf Abruf, wenn’s noch mal brennt. Die Familie trifft noch eine mutige Entscheidung: Maria verlässt die Förderschule und macht eine Probe auf der Realschule in ihrem Ort, an der sie auch eine Freundin hat.
Stärkenland ist nicht mein Land, es ist das Land der Klienten und Klientinnen Beiden Geschichten gemeinsam ist, dass der entscheidende Veränderungskick von den Klienten selbst gekommen ist: »Wie von selbst?!« Was habe ich therapeutisch dazu beigetragen? Als gutes Reflexionsinstrument sich selbst organisierender Prozesse in der Therapie dienen sogenannte generische Prinzipien (Haken u. Schiepek, 2006; Tsirigotis, 2005, 2009). In der Praxis benutze ich als Hilfe eine Tabelle mit Fragen und Ankern zu den acht Prinzipien (Loth, 2001). In Tabelle 1 finden sich Teile daraus, die den Prozess mit Frau Macchiato und Familie Mayer reflektieren.
Tabelle 1: Prozessreflexion
Frau Macchiato
Familie Mayer
Schaffen von Stabilitätsbedingungen Wie habe ich dazu beigetragen, dass die Klient(inn)en sich sicher genug fühlen, sich auf das Risiko von Veränderungen einzulassen? Wichtig für Frau Macchiato war, dass ich ihren Wunsch nach der allgemeinen Schule respektiert und als gute Lösung betrachtet habe, wenn die Bedingungen stimmen. Auf die Bedingungen für Vera konnten wir uns dann konzentrieren.
Für Frau Mayer (und im zweiten Gespräch das Paar) war es wichtig, dass ich felsenfest davon überzeugt war, dass sie ihre familiären und elterlichen Kompetenzen wiederfinden.
Identifikation von Mustern des relevanten Systems Wo hat sich die beabsichtigte Veränderung am spürbarsten ausgewirkt? Wo noch? Am veränderten Blick auf die Bedürfnisse des Kindes und am Gefühl von Öffnung gegenüber anderen Möglichkeiten.
Im Schlaf ... Das Paar selbst hat die Veränderungen schnell positiv gespürt, die Kinder haben die Veränderung der elterlichen Haltung deutlich bemerkt.
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Beobachtungsstreifzüge im Stärkenland
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Frau Macchiato
Familie Mayer
Welche Zusammenhänge haben wir uns genauer angeschaut, die von der gewünschten Veränderung betroffen waren? Das Auftragskarussell: die Bezugsrahmen der einzelnen Meinungen. Die Frage, wie sich Vera mit hörenden Kindern verhält.
Die Rolle der weißen Frau in der Familie betrachtet. Die Aufstellung mit den Figuren hat das Spiel mit veränderten Perspektiven ermöglicht.
Sinnbezug/Synergitätsbewertung Was hat den Klient(inn)en wie geholfen, das Veränderungsgeschehen so einzuordnen, dass es in ihre Sinnbezüge passte? Die Vorstellung von Vera als fröhlich lernende Schülerin.
Sie wollten ja genau wieder in den Zustand hineinkommen, der zu ihren Sinnbezügen passt: die Familie stabilisieren, ihrer Ehe mehr Raum geben. Außerdem das Feedback, dass ihre Überlegungen zu Pubertät und Marias Verunsicherung »fachlich richtig« seien.
Wie konnten die Klient(inn)en erfahren, dass ihnen die Veränderungen bei anstehenden Entwicklungsschritten helfen, und welche Bedeutung das für ihren Lebensstil hat? Frau Macchiato hat durch ihre unterschiedlichen Veränderungen im Blickwinkel Sicherheit in der Einschulungsfrage gewonnen.
Die Vorstellung, dass sie als Paar noch lange zusammenleben wollen, während die Kinder irgendwann aus dem Haus sind. Wir sind uns wichtig. Die Kinder bzw. die weiße Frau kann/soll das nicht kaputt machen.
Kontrollparameter identifizieren/Energetisierungen ermöglichen Wie habe ich dazu beitragen, dass sich die Klient(inn)en leichter auf den Weg machen können? Den Wunsch der Klientin respektiert, die Beobachtungsfragen sinnhaft an den Wunsch der Klientin angedockt.
An ihre Stärke erinnert und ihre Fähigkeit, die Dinge immer wieder in den Griff zu bekommen. Die Idee, dass man kaum weniger schlafen kann als zur Zeit, dass man also ruhig etwas ausprobieren kann, wie andere Schlafgewohnheiten, die Kinder ruhig mal verstören: Papa und Mama haben jetzt Redezeit ...
Welche Anliegen bringen die Klient(inn)en mit? Welche Ziele lassen sich daraus ableiten? Kein Veränderungsziel, sondern: Mein Kind soll die allgemeine Schule besuchen. Daraus konnte das gemeinsame Ziel formuliert werden: Wir schauen gut nach den Bedingungen, die Vera braucht, und nach ihren Kompetenzen.
Meine Ehe, unsere Familie »retten«. Jeder Schritt, der dem Paar gut tut: reden, ausgehen, wenn die Kinder beim Vater sind, sich wieder (!) absprechen, was erlaubt wird und was nicht.
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Familie Mayer
Destabilisierung/Fluktuationsverstärkungen realisieren Was hat die Klient(inn)en angeregt, festgefügt erscheinende Annahmen, Blickwinkel und Routinen zu verlassen? Angemessen ungewöhnliche Beobachtungsfragen, wie nach Veras Stärken (!), nach ihrer Einschätzung, was Vera brauche, nach Spielkameraden, nach Umgang.
Herrn Mayer hat die Not getrieben, dass es so, wie es jetzt geht, nicht weitergeht. Entscheidende Motivation war, wieder mehr Ruhe in die Familie zu bekommen.
Wie habe ich dazu beitragen, dass die Klient(inn)en aufmerksam werden für Ausnahmen und Abweichungen? Indem ich danach gefragt habe.
Indem ich danach gefragt habe.
Wie kann ich die Klient(inn)en zu ihnen zunächst ungewöhnlich erscheinendem Verhalten ermutigen? Durch mein Respektieren. Und: Es könnte sehr gut sein, dass auch ganz andere dazu beigetragen haben, wie zum Beispiel weitere Gespräche mit der Erzieherin im Kindergarten.
Ermutigend war für Familie Mayer, dass ich den Blick auf ihre mutigen Seiten und die Stärken gerichtet habe und dass ich ihnen Veränderung zugetraut habe.
»Kairos« beachten: Resonanz und Synchronisation ermöglichen Bin ich aufmerksam gewesen für das Zeitempfinden und den Lebensrhythmus der Klient(inn)en? Habe ich mich auf ihre Vorstellungen vom rechten Augenblick eingestellt? Die Termine für die Einschulung saßen Frau Macchiato im Nacken. Kairos von außen vorgegeben.
Kairos war da, das Wasser stand gefühlt bis zum Hals, da macht man dann eine Schwimmbewegung.
Gezielte Symmetriebrechung vorbereiten Sind die Ziele handhabbar beschrieben, so dass sich »nächste gute Schritte« ableiten lassen? Kann ich dazu anregen, sich nächste gute Schritte vorzustellen? Mehr Möglichkeiten der Vorbereitung im Umgang mit hörenden Kindern, also kamen die Handlungsideen von Frau Macchiato selbst.
Eher: Der Boden wurde für das Fruchtbarwerden von kreativen Ideen bereitet. Die Familie hat zu Hause dann die Gelegenheiten für Ideen genutzt.
Restabilisierung Wie können die Klient(inn)en Veränderungen aufgreifen und sie in ihrem Alltag zuverlässig verfügbar machen? Frau Macchiato hat gespürt, wie es ist, wenn ihr jemand nicht etwas »aufdrücken« will, sondern sich mit ihr gemeinsam auf einen Suchprozess begibt. Im guten Fall sucht sie wieder Rat bei jemandem, der sie und ihre Meinung respektiert.
Die Frage, wie sie positive Veränderungen erreicht und was sie selbst dazu beigetragen haben, könnte Selbstwirksamkeitserleben geschaffen haben und damit zuverlässigeres Verfügen über die eigenen Kompetenzen.
Statt eines Schlusses eine Geschichte. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Wie lila Strümpfe statt einer Krankheitskonstruktion eine salutogenetische Gesundheitskonstruktion ermöglichen »Vor nunmehr 18 Jahren mußte mir der Blinddarm entfernt werden. Wie in solchen Fällen üblich, wurde ich am Vorabend in die Klinik aufgenommen, vorbehandelt und lag am nächsten Morgen mit dem grünen OP-Hemd bedeckt, ansonsten aber nackt auf einer engen Pritsche, mit der mich eine Schwester in den OP fuhr. Als sich die automatische Tür öffnete, begegneten wir einer anderen Schwester, die einen Leidensgenossen von mir auf einer Pritsche herausfuhr. »Meine« Schwester fragte die andere: »Was ist das denn?« – »Ein Knie«, lautete die knappe Antwort, »und das da?« – »Das ist’n Wurm«, war die Antwort meiner Fahrerin. Ein Wurm. So fühlte ich mich auch, aller Insignien meiner Identität beraubt, reduziert auf die Identität eines Wurms« (von Schlippe, 1999, S. 60 f.).
Während der Arbeit an diesem Text muss sich die Verfasserin einer Knieoperation unterziehen. In der Vorentscheidung gibt es viele Zweifel und Sorgen um die spätere Funktionsfähigkeit, um Beweglichkeit und Altern, intensive gedankliche Krankheitsund Weltuntergangskonstruktionen finden ihren Raum. Während der OP-Vorbereitung fällt ihr die oben zitierte Wurm-Geschichte ein. Doch nun kommt’s anders: Aufgefordert, am gesunden Bein bereits einen Kompressionsstrumpf anzuziehen, zieht sie ihre eigenen aus der Tasche. Die sind leuchtend lila. Ab jetzt vollzieht sich die Kommunikation in anderen Bahnen. Die Schwester: »Wow, haben Sie tolle Strümpfe!« Die Narkoseschwester, die Anästhesistin, die Schwester im Aufwachraum, der Operateur, der nachschauen kommt, die Schwestern auf der Station, die Physiotherapeutin, alle etwa mit einem ähnlichen Satz. Alle sind fröhlich dabei, die ganze Krankheits- und Weltuntergangskonstruktion ist im Eimer. Die Kommunikation hat lebendigen und farbigen Touch bekommen. Auch hier: »Das chronische Krankheitsgeschehen wird auf vielen sozialen Ebenen durch sprachliche Beschreibungen, durch ›Geschichten‹ ›umspielt‹, durch die in den jeweiligen sozialen Systemen die Bereiche dessen, was möglich und was unmöglich ist, festgelegt werden und durch die die Betroffenen gestärkt oder geschwächt werden können« (von Schlippe, 2003, S. 22).
Literatur Haken, H., Schiepek, G. (2006). Synergetik in der Psychologie. Selbstorganisation verstehen und gestalten. Göttingen: Hogrefe. Hargens, J. (2004). Aller Anfang ist ein Anfang. Gestaltungsmöglichkeiten hilfreicher systemischer Gespräche. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Hintermair, M., Tsirigotis, C. (Hrsg.) (2008). Wege zu Empowerment und Ressourcenorientierung in der Zusammenarbeit mit hörgeschädigten Menschen. Heidelberg: Median. Lindemann, H. (2008). Systemisch beobachten – lösungsorientiert handeln. Ein Lehr-, Lern- und Arbeitsbuch für die pädagogische und betriebliche Praxis. Münster: Ökotopia. Loth, W. (2001). Generische Prinzipien. Bedingungen für das Auftreten selbstorganisierter Ordnungsübergänge zwischen Kognitions-Emotions-Verhaltensmustern. Unveröffentlichtes Manuskript. Loth, W. (2010). Was soll’s? – Eine Annäherung an »systemisch-plus«. Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung, 28 (1), 9–19. Schlippe, A. von (1996). Das Auftragskarussell – eine Möglichkeit der Selbstsupervision in der systemischen Therapie und Beratung. System Familie, 9 (3), 106–110. Schlippe, A. von (1999). Sprachliche Umwelten körperlicher Erkrankungen. Ein Beitrag zu einer systemischen Familienmedizin. Systhema, 13 (1), 50–61. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Schlippe, A. von (2003). Chronische Krankheit im Kontext sozialer Systeme. Systhema, 17 (1), 20–37. Schweitzer, J., Schlippe, A. von (2006). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Tsirigotis, C. (2005). »Sie hat mir einfach ihr Gehör geschenkt.« Ein Beratungsprozess im Kontext von Hörschädigung und CI-Rehabilitation zwischen Intuition und Selbstorganisation. In J. Hargens (Hrsg.), »Und mir hat geholfen ...« Psychotherapeutische Arbeit – was wirkt? Perspektiven und Geschichten der Beteiligten (S. 99–121). Dortmund: verlag modernes lernen. Tsirigotis, C. (2006). »Er/sie hört mich ja nicht« – Stärkung der elterlichen Stimme und Präsenz angesichts von Hörschaden und Behinderung. In C. Tsirigotis, A. von Schlippe, J. Schweitzer (Hrsg.), Coaching für Eltern. Mütter, Väter und ihr »Job« (S. 172–182). Heidelberg: Carl-Auer. Tsirigotis, C. (2008). Empowerment und Ressourcenorientierung unter erschwerten Bedingungen? – Überlegungen zur professionellen Haltung für die Alltagspraxis in Frühförderung und Schule. In M. Hintermair, C. Tsirigotis (Hrsg.), Wege zu Empowerment und Ressourcenorientierung in der Zusammenarbeit mit hörgeschädigten Menschen (S. 45–62). Heidelberg: Median. Tsirigotis, C. (2009). Von Autonomie und Eigensinn ausgehen und Ressourcen ans Licht bringen – Arbeit mit Eltern angesichts Behinderung oder Krankheit ihrer Kinder. Psychotherapie im Dialog, 10 (4), 336–340. Tsirigotis, C., Beer, S., Jürgensen, C., Krumbach, B. (2004). Frühförderung hörgeschädigter Kinder: einen Rahmen für förderliche Entwicklungsbedingungen schaffen. Hörgeschädigtenpädagogik, 58 (6), 236–245. Tsirigotis, C., Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (Hrsg.) (2006). Coaching für Eltern. Mütter, Väter und ihr »Job«. Heidelberg: Carl-Auer. White, M., Epston, D. (1994). Die Zähmung der Monster. Literarische Mittel zu therapeutischen Zwecken. Heidelberg: Carl-Auer.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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»Sich beobachten heißt sich verändern«121 Zu den Grundlagen videobasierter Beratungsarbeit
»Dabei müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Betrachtung der Weisheit niemals die Weisheit selbst ist. Die Erforschung der Weisheit kann selbst nicht weise sein. [...] Es gibt weise Lehrer. Man erkennt sie jedoch nicht an dem, was, sondern wie sie lehren, und vor allem daran, dass sie von den Schülern geliebt und geachtet werden« (Lauxmann, 2004, S. 19 f.).
Einleitung Das einführende Zitat von Frieder Lauxmann ist einem Essay entnommen, dem er den Titel gibt: »Die Universität des Nichtwissens«. Darin bringt er eine Grundhaltung zum Ausdruck, die nicht nur für bedeutsame Strömungen der abendländischen Philosophie2 prägend ist, sondern auch unterschiedliche psycho- oder systemtherapeutische Arbeitsphilosophien und Vorgehensweisen charakterisiert: Nichtwissen und damit möglicherweise verbundenes Erstaunen oder »Sichwundern« steht nicht nur an den Anfängen philosophischer Bemühungen,3 sondern auch am Beginn beraterischer und therapeutischer Prozesse und ermöglicht allen daran Beteiligten, »sich zur Neugier einladen« zu lassen, wie es Cecchin (1988) treffend formuliert hat.22 23 In den moderneren Beratungs- und Therapieverfahren wird meist nicht mehr streng zwischen »Diagnostik« auf der einen und »Therapie« auf der anderen Seite unterschieden, und damit der Erkenntnis Rechnung getragen, dass die sogenannten »diagnostischen Verfahren« auch als »Interventionen« betrachtet werden und umgekehrt therapeutische Interventionen auch wertvolle diagnostische Einblicke eröffnen können (z. B. Prior, 2008). Da alle Beratungs- und Therapieprozesse einen Anfang und auch ein Ende haben (zumindest haben sollten), lässt sich schon vermuten, dass alle am Geschehen Beteiligten zu Beginn eher nach Informationen und Orientierungen suchen, während sie im Verlaufe der therapeutischen Arbeit schon »working models« von Therapeutinnen (siehe S. 11, Fußnote 1), Klientinnen, »dem System« und den Abläufen gebildet haben dürften. In vielen therapeutischen Richtungen wird die eher explorative Arbeit, das respektvolle Sich-kundig-Machen meist durch viele Fragen geleistet, die helfen sollen, genaue bzw. passende Bilder vom »Problem«, dem Anliegen und Auftrag sowie vom »System« zu entwickeln (Kindl-Beilfuß, 2008). In den letzten Jahren haben sich neben Formen
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Titel eines Essays von Emile Auguste Chartier (1868–1951), 1932 unter seinem Pseudonym »Alain« veröffentlicht. Man denke etwa an das sokratische »Ich weiß, dass ich nichts weiß«. Aristoteles setzte bekanntlich das »Sichwundern« an den Beginn des Philosophierens. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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von Exploration und Intervention, die ausschließlich durch Gespräche gestaltet werden, zunehmend auch videobasierte bzw. videogestützte Methoden in verschiedensten Bereichen psychosozialer Hilfe und Beratung durchgesetzt. Dabei hat insbesondere die Marte-Meo-Methode in den letzten Jahren zunehmend Beachtung gefunden (Aarts, 2005, 2007, 2009; Aarts u. Schwing, 2009; Bünder et al., 2009; Hawellek, 1995, 1997; Hawellek u. von Schlippe, 2005, 2008). Die nachstehenden Ausführungen skizzieren konzeptionelle Grundlagen videobasierter Beratungsarbeit am Beispiel der MarteMeo-Methode und verdeutlichen damit Unterscheidungen, Berührungen und Ergänzungen zur bisherigen Beratungsarbeit in Arbeitsfeldern wie Erziehungs-, Paar- und Familienberatung.
Das »Problem« wird inszeniert Im Rahmen der Familienberatung stehen meistens »Beziehungsprobleme« als Beratungsthema, mitunter auch als konkretes Szenario, sozusagen »life« im Fokus des Geschehens. In solchen Fällen gehören blitzartige, für neutrale Beobachter häufig nur partiell verständliche Schlagabtausche, allergieähnliche Reaktionen auf spezielle Reizund Schlüsselworte, Problemtrancen aller an den Auseinandersetzungen Beteiligten und eine aufgeladene, angespannte Atmosphäre zum »Drehbuch« des Szenarios. Derartige Szenarien folgen dann einer »Psychologik« von Erwartungsstrukturen, die sich im Laufe einer gemeinsamen »Problemgeschichte« herausgebildet haben und die für Außenstehende nicht nachvollziehbar sind. Alle Beteiligten erscheinen in ihren Wahlmöglichkeiten eingeschränkt; das Geschehen wird redundant (vgl. Hawellek, 1995, S. 11), eine Art »Fortschritt des Karussells«, ein Teufelskreis, der in wechselseitige Resignation und Hoffnungslosigkeit mündet. Die Sprache dient dabei weniger zur Verständigung, sondern eher als ein Instrument für Verteidigung und Angriff. Die Innenperspektive der Beteiligten wird in solchen Situationen häufig von Gefühlen lähmender Ohnmacht und hilfloser Wut geprägt. So findet sich zum Beispiel bei vielen sogenannten »hochstrittigen Paaren« eine Art »Kriegsrhetorik«, die zur wechselseitigen Bestätigung dämonisierender Interpretationen und Feindbilder (Omer et al., 2007) führt. Derartige Verläufe sind bei eskalierenden Paarkonflikten, bisweilen aber auch bei Eltern-Kind-Beziehungen zu beobachten. Meistens enden derartige Eskalationsdynamiken in Trennungs- bzw. Spaltungsprozessen. Die wechselseitige Dämonisierung der Beteiligten wird nicht selten durch die familiäre Berichts- und Erzählkultur über mehrere Generationen tradiert, ja bisweilen geradezu gepflegt. Dämonisierende wie idealisierende Beschreibungen von Personen und Ereignissen führen zu Konstrukten, die schnell eine Art Eigenleben entwickeln und die sich dann in der Regel jedweden Realitätsprüfungen entziehen. Derartige Beschreibungen folgen einem Prinzip, das Bateson als »dormitives Prinzip« charakterisiert hat (Bateson, 1981, S. 21). In diesen Fällen suggerieren die gedanklichen Konstrukte die »Erklärung« eines Phänomens, entlarven sich aber bei genauerem Hinsehen als simple Tautologien, die auf einem Zirkelschluss beruhen; zum Beispiel, wenn süchtiges Verhalten durch eine »Suchtstruktur« oder die Wirkung von Aufstellungsarbeit durch ein »wissendes Feld« »erklärt« wird (von Schlippe, 2010). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Dazu gehören eine ganze Reihe sogenannter »Diagnosen«, die lediglich ein triviales Phänomen mit einem pseudowissenschaftlichem Etikett versehen, etwa »hyperkinetisches Syndrom«, »Konzentrationsstörung«, »oppositionelles Verhalten« und Ähnliches. Bateson hat darauf hingewiesen, dass diese Konzeptbildungen dazu tendieren, sich selbst zu verstärken: »Der Geisteszustand oder Denkhabitus, der von den Daten zur Einschläferungshypothese und zurück zu den Daten führt, verstärkt sich selbst« (Bateson, 1981, S. 21). Diese Beobachtung trifft ebenso auf »Feindbilder« und »psychodämonische Beschreibungen« zu, etwa wenn eine »grundlegende Bosheit« des Anderen angenommen wird (Omer et. al., 2007).
Das »Problem« kommt zur Sprache Professionelle Hilfen wie Beratungs- oder Therapieangebote beginnen dann, wenn Klientinnen ein Problem, einen Veränderungswunsch und ein Ansinnen nach Hilfe in Sprache kleiden. Die Probleme finden sodann zuerst als »berichtete« bzw. »erzählte« Probleme im Sinne von »Problemgeschichten« Zugang zu den Helfersystemen.4 Folgerichtig haben sich Vertreter verschiedener Therapierichtungen mit der Versprachlichung von Problemen und Lösungen, mit den Sprechweisen und der Sprache von Klientinnen und Therapeutinnen intensiv beschäftigt. Das gilt neben den unterschiedlichen Ausprägungen der systemischen Therapie (siehe von Schlippe u. Schweitzer, 1996, S. 86 ff.) auch für die Psychoanalyse (Lorenzer, 1973; Ricoeur, 1974), die Integrative Therapie (Petzold u. Orth, 1985) und Vertreterinnen hypnotherapeutischer Verfahren (z. B. Prior, 2009).24 Im Arbeitsfeld der Familienberatung und benachbarter Fachrichtungen handelt es sich bei den Problemschilderungen, die das »Problemsystem« darstellen bzw. konstituieren, meistens um Be- und Erziehungsprobleme, die in Interaktions- und Kommunikationsprozessen von Familien und anderen, mitunter auch bei Helferinnen-Systemen, auftreten. Solche Problembeschreibungen weisen häufig charakteristische Erzählstrukturen auf, etwa Täter-Opfer-Beschreibungen, die meist mit klaren »Feindbildern« durchsetzt sind und die auf einer Reihe von problemerzeugenden Prämissen beruhen (Omer et al., 2007, S. 42 ff.). In derartigen Erzählstrukturen und Beschreibungsformen herrschen radikale bzw. totale Kategorisierungen im Sinne eines Entweder-oder vor, die die Freiheitsgrade und damit den Möglichkeitsraum, mitunter auch die Konversation, »das freie Spiel der Gedanken und Ideen im Gespräch radikal einschränken« (Hawellek u. von Schlippe, 2005). Es ist insbesondere auch ein Verdienst der systemischen Therapierichtungen in den letzten Jahren, eine Fülle von Settings, Interview- und Fragetechniken, Interventionsformen und darstellenden Verfahren entwickelt zu haben, die ein breites Instrumentarium zur Verstörung, Aufweichung und Veränderung problemerzeugender Erzählformen bereitstellen (vgl. etwa von Schlippe u. Schweitzer, 1996). In günstigen Beratungs- und Therapieverläufen treten an die Stelle der sogenannten »malignen Nar-
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Bisweilen werden die Probleme zu Beginn auch lediglich in Szene gesetzt. Die therapeutische Arbeit besteht dann darin, diese Inszenierung zu verstehen, also auch, sie zur Sprache zu bringen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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rative« (Petzold u. Orth, 1985) Erzählformen, die es vermögen, im Blick auf das »Problem« Zukunftsperspektiven, das heißt Hoffnung für die Klientinnen zu schaffen. Wenn man versucht, das Zustandekommen problemerzeugender Erzählformen zu verstehen und zu erklären, wird zumeist auf die Lerngeschichten der Beteiligten und deren Einbettung in größere systemische Zusammenhänge wie etwa »die Familiengeschichte« verwiesen. Die Interpretationsmuster und Sinnzusammenhänge, die dann in therapeutischen Gesprächen erschlossen bzw. modifiziert und angereichert werden, sind therapeutisch ko-konstruierte Narrationen, die den Klientinnen zu einem positiven Umgang mit dem »Problem« verhelfen können. Dies setzt jedoch immer voraus, dass die Klientinnen und Therapeutinnen in der Lage sind, einander im Rahmen der Konversation zu folgen und eine neue Wirklichkeits(ko)konstruktion zu entwickeln.
Die Problemkonstruktion kommt »in den Blick« Im psychotherapeutischen Fachdiskurs sind verschiedentlich Versuche zu finden, die Abläufe bei der Ausdeutung und Bedeutungszuweisung von Phänomenen und den sich daran anschließenden Interaktionen konzeptuell zu erfassen. Dabei handelt es sich um Heuristiken, die jeweils verschiedene Schritte und Schrittfolgen von Prozessen der Wirklichkeits(ko)konstruktion beleuchten. Diese Modelle entstammen unterschiedlichen psychotherapeutischen Richtungen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie eine mikroanalytische Darstellung der Abläufe anstreben, die zwischen der Wahrnehmung bzw. Beobachtung eines Phänomens, seiner Erklärung und (kognitiven) Bewertung sowie den Folgen für Motivation und Handlungen der beteiligten Interaktionspartner entstehen.
Prozessmodelle zur mikroanalytischen Erfassung von Problem- und Lösungskonstrukten Das wohl bekannteste und traditionsreichste dieser Modelle ist die »hermeneutische Spirale« bzw. der »hermeneutische Zirkel«. Dieses Modell entstammt der geisteswissenschaftlichen Methodologie und kann als ein allgemeines Modell zur Entwicklung des Sinnverstehens und der Deutung von Texten und Mitteilungen betrachtet werden. In der therapietheoretischen Diskussion hat es sowohl in den psychoanalytischen Schriften Paul Ricœrs (1974) als auch in der Integrativen Therapie (Petzold u. Sieper, 1988/1989) Bedeutung erlangt. Die Abläufe in der hermeneutischen Spirale gliedern sich in folgende, sich spiralförmig wiederholende Schritte: Wahrnehmen
A
Erfassen
A
Verstehen
A
Erklären
Der Schritt des »Erfassens« meint in diesem Zusammenhang das intuitive Erfassen ganzheitlicher Qualitäten und Atmosphären sowie deren affektive Valenz. Ein weiters Modell ist das »Bewusstheitsrad« (Miller u. Miller, 1972). Es nimmt neben den Bedeutungszuweisungen noch die motivationalen und aktionalen Folgen für das jeweils sich entwickelnde Interaktions- und Kommunikationsgeschehen in den © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Blick und hat zum Beispiel in den familientherapeutischen Weiterbildungen des IFW eine wichtige Rolle gespielt. Dieses Konzept gliedert den Prozess vom Wahrnehmen zum Handeln wie folgt: Wahrnehmen A Deuten/Urteilen A Fühlen/Bewerten A Beabsichtigen/Wollen A Handeln/Tun
Das Bewusstheitsrad unterscheidet sich von der hermeneutischen Spirale durch ein etwas unterschiedliche Abfolge. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass der zweite Schritt des »Deutens« und »Urteilens« nicht »kognitivistisch« im Sinne einer kognitiven Reflexion missverstanden werden sollte. Es handelt sich hier vielmehr um schnell ablaufende Schritte einer »affektlogischen Gesamtoperation« (Ciompi, 1982) analog dem »Erfassen« und »Bewerten« in der Hermeneutischen Spirale. Ein weiteres Prozessmodell haben Simon und Weber (1993, 2004, S. 73 ff.) im Rahmen ihrer »Systemischen Werkstatt« entwickelt. Es zeichnet die Abfolge im Aufbau gedanklicher Konstrukte und damit der Bausteine von Erzählstrukturen nach, gemäß dem Postulat Wittgensteins: »Der Gedanke ist der sinnvolle Satz« (Wittgenstein, 1963, S. 32). Dieses Modell könnte als »Konstruktionsreihe« bezeichnet werden, weil es sich auf Unterscheidungen in den Sprach- und Sprechakten und ihre kognitive Komplexität bezieht: Beobachten
A
Beschreiben
A
Erklären
A
Bewerten
Die Unterschiede, die dieses Modell bildet, orientieren sich augenscheinlich an einer zunehmenden Differenzierung und Reflexion der Sprachkonstruktion. Von daher erscheint es sinnvoll, den Schritt der »Bewertung« als einen Schritt nach einer kognitiven Prüfung und Reflexion einzustufen. Alle dargestellten Prozessmodelle setzen Beobachtungen bzw. Wahrnehmungen an den Anfang und skizzieren einen Ablauf, der in einer »Erklärung« bzw. »Bewertung« eines Phänomens endet oder diese in eine Beziehung zum Ausgangspunkt einer darauf folgenden Handlung setzt. Wenn nun die Prozesse in videobasierten, das heißt beobachtungsgeleiteten Beratungen dargestellt werden sollen, erscheint es sinnvoll, sich an einem Modell zu orientieren, das beobachtbare Kommunikation erfasst. Hier erscheint das Modell der Konstruktionsreihe am geeignetsten, da es auf die nicht beobachtbaren inneren Vorgänge wie »Erfassen« und »Verstehen« (hermeneutische Spirale) oder »Deuten« und »Fühlen«, »Beabsichtigen und Wollen« (Bewusstheitsrad) verzichtet. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass diesen Abläufen die Relevanz für die Prozesse von Bedeutungszuweisung abgesprochen wird.
Prinzipien videobasierter beobachtungsgeleiteter Beratung Videobasierte Beratung beruht auf einer sorgfältigen Beobachtung von Alltagsinteraktion und -kommunikation. Die Beobachtung dient der gemeinsamen Erforschung von interaktiven Prozessen, zum Beispiel einer Eltern-Kind-Interaktion. Insofern kann man von beobachtungsgeleiteten Beratungsprozessen sprechen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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In der Einführung zu seiner »Ökologie des Geistes« konstatiert Bateson für die Wissenschaft (1981, S. 22), »dass man in der wissenschaftlichen Forschung zwei Ausgangspunkte hat, von denen jeder seine eigene Autorität entfaltet: die Beobachtungen können nicht geleugnet werden und die Grundlagen müssen ihnen angepasst werden. Man muss so etwas Ähnliches wie eine Zangenbewegung vollführen«. In videobasierten beobachtungsgeleiteten Beratungen gibt es eine analoge »Zangenbewegung«, die den Beratungsprozessen Struktur verleiht: Auf der einen Seite steht die Beobachtung, auf der anderen Seite der übergeordnete Arbeitsauftrag der beratenden Einrichtung, etwa der, »Hilfen zur Erziehung« anzubieten. Leitperspektiven
Beratungen und andere Hilfen beginnen mit einem »Problem«, das in der Initialphase der Hilfe in einen kontraktfähigen »Auftrag« übersetzt wurde (Loth, 1998). Entsprechend gilt: »Die organisierende Idee des Marte-Meo-Modells [das hier prototypisch für beobachtungsgeleitete Beratungen steht] ist die der Entwicklung. Das Arbeitsmodell ist ein entwicklungsunterstützendes Arrangement, das entwicklungsunterstützende Kommunikation in verschiedenen Lebensbereichen und professionellen Arbeitsfeldern möglich machen will« (Hawellek, 2005, S. 61). Je nach Arbeitsfeld und beobachtetem eher komplementärem oder symmetrischen Beziehungstypus lassen sich drei unterschiedliche, den beraterischen Dialog (mit)organisierende Leitperspektiven unterscheiden: – Im Falle von Eltern-Kind-Interaktionen steht der Beratungsprozess unter der Leitperspektive, wie die Entwicklung des Kindes oder genauer, der nächste Entwicklungsschritt passend von den Eltern und sonstigen Verantwortungsträgern unterstützt werden kann. – In der Arbeit mit gleichrangigen Erwachsenen, zum Beispiel Paaren, steht der Beratungsprozess unter der Leitperspektive, wie ein »Beziehungsproblem« gelöst und wie positive Gegenseitigkeit (weiter)entwickelt werden kann. – Die Arbeit mit Behinderten oder dementen und eingeschränkten Personen steht unter der Leitfrage, wie diese Personen in ihrem Wohlbefinden und ihrer Alltagsbewältigung bestmöglich aktiviert und unterstützt werden können und welche Unterstützungsformen jeweils zur Klientin, zur Betreuerin und zur Situation passen. Alltags- und Lebensweltorientierung
Videobasierte Arbeit nimmt den Beziehungsalltag in den Blick. Anstelle der meist problemorientierten Dialoge, die häufig allgemein und abstrakt dormitiven Prinzipien folgen, tritt hier ein konkretes Geschehen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Klientinnen erfahren einen durch das Setting unterstützten Perspektivwechsel von der »Teilnehmerin zur Beobachterin« (Hawellek, 1995) einer Interaktionssituation. Dabei gilt: »Als Teilnehmerin einer Vis-a-vis-Situation ist der Andere völlig wirklich [...]. Es spricht sogar einiges dafür, dass der Andere als Vis-a-vis für mich wirklicher ist, als ich es mir selber bin [...]. Dagegen liegt »was ich bin« nicht in dem Maße »auf der Hand«. Will ich mich erfassen, so muss ich einhalten, der fließenden Spontaneität meiner Wahrnehmung Stillstand gebieten und mein Augenmerk absichtlich rückwärts, näm© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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lich zu mir hin richten« (Berger u. Luckmann, 1972, S. 32). Die völlige Präsenz des Anderen und das damit verbundene mangelnde Gewahrsein der »eigenen Anteile« am Beziehungsgeschehen ist einer der Gründe für die kalibrierten Kommunikationsschleifen, die bisweilen die Beratungsprozesse dominieren. Das Setting videobasierter Beratung ermöglicht eine Selbstbeobachtung und verbindet diese mit einem beraterischen Dialog. Somit wird ein beobachtungsgeleiteter, an einem gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus ausgerichteter Beratungsprozess möglich. Die Klientinnen lernen – mit beraterischer Unterstützung – durch Perspektivwechsel bedeutsame Unterscheidungen vorzunehmen, etwa durch den Vergleich der Erinnerung an die Innenperspektive eines Geschehens, zum Beispiel »Ich wollte eigentlich, dass ...« und der im Video sichtbaren Außenperspektive: »Jetzt fällt mir auf, was ich für ein Gesicht mache, das ist ja Furcht erregend ...«. Diese werden zu Themen des beraterischen Dialoges, der das Ziel hat, gewünschte Veränderungen im Beziehungsgeschehen mitzugestalten und zu verankern. Durch den Perspektivwechsel wird auch die Einfühlung in mögliche Erfahrungen der anderen Interaktionsteilnehmer unterstützt. Damit wird »die Erfahrung der Gegenseite« möglich, die Martin Buber (2001) als Grundlage des dialogischen Prinzips auswies. Durch die Möglichkeit, kommunikative Abläufe per Zeitlupe zu verlangsamen, sie Schritt für Schritt, quasi »mikroskopisch« (Hawellek, 1995) darzustellen, können Entdeckungen gemacht werden, die im alltäglichen Beziehungsgeschehen untergehen. So werden Reaktionen wahrnehmbar, die den »inneren Bildern,« den »working models« der Interaktionspartner bisher nicht entsprechen. Sie können dann dazu beitragen, auch die »inneren Bilder« zu verändern, wie nachstehendes Beispiel verdeutlicht. So konnte ein Vater erstmals bewusst wahrnehmen, dass – entgegen seiner bisherigen festen Überzeugung – sein Sohn doch mit einem Lächeln auf seine Bestätigung reagiert. Der Vater hatte ein schnelleres Tempo als der Sohn und war mit seiner Aufmerksamkeit schon woanders, als sein Sohn ihn anstrahlte. Der Vater hatte im Laufe der Zeit die Idee entwickelt, dass seine Bemerkungen und möglicherweise sogar er als Person für den Sohn ohne größere Bedeutung waren. Durch sein schnelles Tempo hatte er sich, wie er es selber formulierte, um die Früchte seiner »Investitionen« in die Beziehung gebracht. Er entschloss sich dazu, fortan länger auf die Reaktionen des Sohnes zu warten, was ihm durchaus schwer fiel und was er daher regelrecht üben wollte. Er bekam dann den Verdacht, dass es auch in anderen nahen Beziehungen so ähnlich ablaufen könnte. Er habe schon des öfteren vermutet, dass das, was er zu sagen habe, für andere nicht so wichtig sei.
Eine solche Erfahrung wird durch die Videointeraktionsanalysen, die die Grundlage der videobasierten Arbeit bilden, unterstützt: Videointeraktionsanalysen ermöglichen eine entschleunigte Betrachtung der kommunikativen Prozesse. Präzision durch Entschleunigung
Für eine Untersuchung des kommunikativen Geschehens in videobasierten beobachtungsgeleiteten Beratungsverläufen bildet die Konstruktionsreihe einen passenden konzeptuellen Orientierungsrahmen, weil alle Schritte der Prozessabfolge durch Beobachtungen passend zugeordnet werden können. Die verbalen Reaktionen auf die Bilder und Bildsequenzen können entweder als beschreibend, erklärend oder bewertend eingeordnet werden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die Rolle der Beraterinnen besteht darin, kophänomenologisch auf der Ebene der Beschreibungen zu bleiben und die Ebene der Erklärungen und Bewertungen unter der jeweiligen Leitperspektive vorzunehmen.5 Das organisierende therapeutische Epistem ist zum Beispiel eine Entwicklungsperspektive, die die jeweilige Botschaft hinter Problemverhalten liest und in einen Bedarf nach gezielter Entwicklungsunterstützung »übersetzt«.25 Tabelle 1: Beobachtbare Kommunikation und nicht direkt beobachtbare Prozesse
beobachtbare Kommunikation
Beobachten A
Beschreiben A
Erklären A
Bewerten A
nicht direkt beobachtbare Prozesse
Erfassen/ affektive Valenz
Verstehen Deuten
Ideen Konzepte
Beabsichtigen Wollen
Ich gehe davon aus, dass die beschriebenen Prozesse in verschiedenen Alltagssituationen in unterschiedlichem Tempo ablaufen. So dürften sich die beziehungsgestaltenden Kommunikationsprozesse unter den Bedingungen von erhöhtem Stress und ausgeprägter Routine erheblich beschleunigen. Da problematische Beziehungssituationen in der Regel sowohl mit erhöhtem Stress als auch mit routinisierten Erwartungsmustern einher gehen, nach dem Motto »Ich weiß schon, was jetzt kommt«, dominieren zumeist recht bald kalibrierte Beziehungsschleifen die Kommunikation. Mit anderen Worten: In diesen Fällen wird die Abfolge: Beobachten A Beschreiben A Erklären A Bewerten sehr schnell durchlaufen, während mit Hilfe einer entschleunigenden Videointeraktionsanalyse jeder einzelne Schritt zum Thema der Beratung werden kann. Im Marte-Meo-Modell übernimmt die Beraterin, wie schon erwähnt, eine aktive Rolle, indem sie die Beobachtungen unter der jeweiligen Leitperspektive ordnet. Wenn die Beratung zum Beispiel unter der erklärenden Leitperspektive steht, Situationen und Gelegenheiten zu finden, ein Kind in einem nächsten Entwicklungsschritt zu unterstützen, dann zeigen die Beraterinnen in Videoclips präzise auf, – was genau Momente entwicklungsunterstützender Kommunikation sind, – wann sie stattfinden, und sie erklärt unter der Leitperspektive von Entwicklungsunterstützung, – warum es sich um entwicklungsunterstützende Kommunikation handelt. Dabei werden die Schritte der Konstruktionsreihe eingehalten und insbesondere die Schritte von der Beobachtung zur Beschreibung und Erklärung sowie von der Erklärung zur Bewertung sorgfältig unterschieden. Viele Beobachter überspringen den Schritt der Beschreibung und sind sofort bei »Erklärungen,« das heißt, sie beschreiben nicht, was sie beobachten, sondern was sie zu ihren Beobachtungen denken, und sind mithin 5
Die in der hermeneutischen Spirale und im Bewusstheitrad zusätzlich angenommenen, nicht der direkten Beobachtung zugänglichen intrapsychischen »subkommunikativen« Prozesse können als Orientierungsrahmen zur Hypothesenbildung, Reflexion oder Supervision der Beratungsverläufe hilfreich sein. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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nicht beim Geschehen, sondern schon bei einer Interpretation des Geschehens. Videobasierte Beratungen helfen, systematisch zwischen einem Beziehungsgeschehen und seinen Ausdeutungen unterscheiden zu lernen. Die Erklärungen und Bewertungen werden von der Beraterin unter der jeweiligen Leitpersperspektive vorgenommen. Eine phänomenologische Orientierung am Interaktionsprozess ist zugleich ein Training darin, entwicklungsunterstützende Gelegenheiten auch im Beziehungsalltag wieder zu entdecken. Videobasierte Beratungen folgen dem Rhythmus: ein Bild A eine Information (unter der Leitperspektive) A ein Dialog. Der Dialog ermöglicht einen Austausch darüber, welche affektiven und kognitiven Bedeutungen die Bilder und die damit verbundenen Informationen für die Klientinnen haben und eröffnet für die Beraterinnen so einen Blick auf geeignete Anknüpfungspunkte für eine Weiterführung der Beratung. Kontextualisierung durch Konkretisierung
Videobasierte Beratung zeigt konkrete Alltagssituationen. Damit wird der situative und kommunikative Kontext von Interaktionen direkter Beobachtung zugänglich. Die meisten Problembeschreibungen oder gar Diagnosen sind in abstrakte Begrifflichkeiten gekleidet und können daher ein vom Kontext und dem konkreten Geschehen abgelöstes Eigenleben führen. Beobachtungsgeleitete Beratungen sind in ihren Kommentaren konkret und spezifisch und sie verzichten auf Generalisierungen. Für die Beraterinnen ist entscheidend, das konkrete Geschehen zu beschreiben und Formulierungen zu benutzen wie »in diesem Moment,« »im nächsten Moment können Sie sehen ...«. Ein solches Vorgehen hilft den Beteiligten, am beobachtbaren Prozess zu bleiben und schützt vor vorschnellen Generalisierungen. Die Präsentation von Alltagsszenarien transportiert ebenfalls die Atmosphären von Situationen und kann die Einfühlung der Klientinnen in die Kinder unterstützen, etwa wenn die Beraterin die Erfahrungsmöglichkeiten des Kindes benennt: »In diesem Moment kann Tom die Erfahrung machen, Mama sieht, was ich tue.« Unter der Leitperspektive entwicklungsunterstützender Kommunikation können die Beraterinnen auf der Ebene der Erklärung und Bewertung hinzufügen: »Wenn Kinder häufig in ihrem Alltag die Erfahrung machen, Mama sieht, was ich tue, und mitbekommen, dass sie sich darüber freut, können sie mit dieser Unterstützung allmählich ein positives Selbstwertgefühl entwickeln.« Ressourcen und Möglichkeiten am eigenen Modell entdecken und entwickeln
In videobasierten Beratungen nehmen die Beraterinnen die Rolle eines Coaches ein, die den Klientinnen helfen, die eigenen Ressourcen in ihrem Beziehungsalltag gezielt zu nutzen. Die Beraterinnen stehen zum Beispiel Eltern zur Seite, wenn sie die eigenen Handlungsmöglichkeiten erfahren und in die Praxis umsetzen, um dann die Früchte der Bemühungen in einem Follow-up-Video zu ernten. Auf diese Weise lernen die Klientinnen durch die eigene Praxis und das eigene Modell, sozusagen »aus eigener Kraft« und auf die »eigene Art und Weise.« Daher lässt sich diese Form beraterischer Arbeit – analog zu einem aktuellen Sprachduktus – als »evidenzgeleitete Beratung« charakterisieren. Die als Effekte der eigenen Bemühungen einzuordnenden Entwicklungsschritte aller Beteiligten sind selbsterklärend und sprechen damit für sich. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Last but not least: Die Erfolge »gehören« dann den Klientinnen und nicht den Therapeutinnen oder Spezialisten (Hawellek u. von Schlippe, 2005, S. 31).
Zum Schluss Die beobachtungsgeleitete videobasierte Beratungsarbeit schafft eine Beratungskultur der Achtsamkeit, zum Beispiel von Eltern gegenüber ihren Kindern: »Vielleicht ist die einzige Handlungsleitlinie Aufmerksamkeit« (von Schlippe, 2009; zitiert in Bünder, 2009, S. 11). In der Tat konstatieren Beraterinnen, die videobasiert arbeiten, generell als »unspezifischen Effekt« dieser Arbeitsform eine erhöhte Achtsamkeit der Betroffenen gegenüber dem, was gerade geschieht, und welchen Beitrag sie selber dazu leisten. Ein aktueller Beitrag des Psychotherapeutenjournals greift das Thema der Achtsamkeit sogar unter der Frage nach einem »Paradigmenwechsel« in der Psychotherapie auf (Weiss u. Harrer, 2010). Videobasiertes, beobachtungsgeleitetes Arbeiten gründet auf Achtsamkeit und darüber hinaus auf Respekt; »respicere« heißt bekanntlich zurückschauen, und genau das ist ein Herzstück der Methode. Damit wird zugleich ein Modell und eine Kultur von Be-Achtung und Transparenz gepflegt. »Sich beobachten heißt sich verändern, sich wieder in gute Verfassung bringen, suchen, was man will, es finden, es gutheißen, es tun« (Alain, 1932/1994, S. 133).
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Vera Loos-Hilgert und Erhard Wedekind
Mehrgenerationale Bindungsdynamik in der systemischen Paartherapie – Bindungsmuster und affektive Kommunikation bei Paaren Paare fragen therapeutische Unterstützung an, wenn sie sich in erstarrten leidvollen Beziehungsmustern befinden. Sie bewegen sich dann häufig in einer Vorwurfs-Rechtfertigungs-Spirale, und es gelingt ihnen nicht mehr, dialogisch nachhaltige konstruktive Lösungen zu finden. Spannungs- und Affektregulation sind sowohl individuell als auch beziehungsdynamisch stark beeinträchtigt. Die Balance zwischen Autonomie und Bindung ist ins Wanken geraten. Zufriedenes Erleben von Kooperation und Nähe geht verloren. Empathie und neugieriges Interesse für den Anderen sind reduziert. In unserer langjährigen kotherapeutischen Arbeit mit Paaren haben wir immer wieder erfahren, dass eine mögliche Entwicklungsperspektive im gemeinsamen Verstehen der mehrgenerationalen Bindungsdynamik liegt. Wir gehen davon aus, dass typische Beziehungsmuster in der Paardynamik eine motivationale Basis in den jeweiligen frühen Bindungserfahrungen haben und dass diese sich in der Geschichte des Paares in einer spezifischen affektiven Abstimmung entwickeln und zeigen. Nach unserer Erfahrung eröffnet dieser Fokus in der paartherapeutischen Praxis die Chance für ressourcenund lösungsorientiertes Arbeiten, dann nämlich, wenn spezifische Bindungsstile in ihrem lebensgeschichtlichen Kontext markiert und verstanden werden, ihre Sinnstrukturen exploriert und gewürdigt werden. Bindungsforscher (Bowlby, 1983; Brisch, 1999) gehen davon aus, dass Beziehungsunsicherheiten in der frühen Kindheit die Fähigkeit, im späteren Leben stabile Bindungen einzugehen, einschränken. Es besteht zwar kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen frühen Bindungserfahrungen und späteren Entwicklungsverläufen, aber sie bilden den Rahmen für zukünftige Bindungserwartungen und -erfahrungen (vgl. Grossmann u. Grossmann, 2008, S. 253). Im Dialog zwischen Kind und relevanten Bezugspersonen entwickeln sich spezifische Bindungsmuster. Jede bindungsrelevante Szene ist ein Baustein, der die Lebensthemen konstruiert, anpasst und verändert. Intrapsychische Bindungsrepräsentanzen als »innere Arbeitsmodelle« stehen in ständiger Wechselbeziehung zu interpersonellen Beziehungen und zum kontextuellen Rahmen. Sie prägen die individuellen Systeme von Denken, Fühlen und Handeln und damit die Konzepte des Selbst. Eine Person kann auch unterschiedliche Arbeitsmodelle internalisieren, insbesondere dann, wenn Bindungserfahrungen stark divergieren – Beispiel: eine unsicherverstrickte Bindungsbeziehung zur Mutter und eine unsicher-vermeidende zum Vater. Das heißt auch, dass je nach Anforderungssituation mit unterschiedlichen Bindungsmustern geantwortet werden kann. Allerdings sprechen die Bindungstheoretiker von einem dominanten »inneren Arbeitsmodell«, was vor allem dann, wenn das Angstund Furchtsystem aktiviert ist, prominent ist. Forschungsergebnisse belegen, dass die Arbeitsmodelle nicht nur dyadisch, sondern komplex geprägt sind, und die transgenerationale Weitergabe von Bindungsmustern © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Vera Loos-Hilgert und Erhard Wedekind
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als gesichert gilt (vgl. von Sydow, 2008, S. 265 ff.). Die drei zentralen Bindungskategorien zeigen sich wie folgt (Grossmann u. Grossmann, 2008, S. 251 ff.): – Sicher gebundene Menschen erzählen Szenen und Ereignisse ihrer eigenen Bindungsgeschichte kohärent, anschaulich und nachvollziehbar. Negative Erlebnisse und Gefühle werden reflektiert und integriert. Sie äußern Wertschätzung gegenüber vertrauten und verlässlichen Beziehungen (Eltern, Partnern). Weder Idealisierung noch Entwertung prägen ihr Beziehungsbild. In der Liebespartnerschaft besteht Gegenseitigkeit in Bezug auf Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit. Die Bedürfnisse nach Bindung und Exploration sind gut ausbalanciert. – Unsicher-vermeidende Personen stellen sich eher als autonom dar, geben emotionaler Unterstützung wenig Gewicht (Nähevermeidungsmuster). Sie idealisieren häufig Eltern und/oder Partner, ohne dies mit illustrativ sinnstiftenden Narrativen zu verknüpfen. Sie erzählen wenig von bindungsbezogenen Aspekten von Beziehungen, sondern fokussieren eher auf Ereignisse, Dinge, die für diese spezifische Beziehung kaum relevant sind. Wir nennen sie auch die »Meister der Selbstregulation«, da sie über ein hohes Potenzial verfügen, in Stresssituationen ihre eigene Spannung so zu regulieren, dass sie handlungsfähig bleiben. Ihre soziale Motivation ist, Bezugspersonen nicht zu belasten. – Unsicher-ambivalente/verstrickte Menschen erleben sich als (unterstützungs)bedürftig und erwarten zugleich keine Resonanz auf ihre Bedürftigkeit (Angstbindungsmuster). Sie wechseln zwischen den Zeitdimensionen hin und her, verlieren sich in Details und emotionalen Überflutungen. Als »Meister der Fremdregulation« erfahren sie Sicherheit und Beruhigung im sozialen emotionalen Überengagement. Sie zeichnen sich durch ein hohes Maß an Empathie aus; kontrollieren im Status hoher Alarmbereitschaft die Befindlichkeit der Anderen. Das eigene Autonomiestreben wird zugunsten des Sicherheitsbedürfnisses minimiert.
Abbildung 1: Genogramm der Familie Muth © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Mehrgenerationale Bindungsdynamik in der systemischen Paartherapie
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Im Gegensatz zu diesen drei organisierten Bindungsstrategien zeichnet sich die vierte Kategorie der Desorganisation durch dissoziierte und zum Teil bizarre Strategien aus, um elementare Orientierungsfähigkeit (raum-zeitlich) aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Lebensgeschichtlicher Hintergrund sind unbewältigte Traumata. Ein konsistentes Bindungsmodell wurde in der Kindheit nsicht erfahren. Angstbindungsund Nähevermeidungsmuster fluktuieren permanent. Folglich zeigen sich solche Menschen kritisch-skeptisch gegenüber Beziehungen oder auch idealisierend. In unserer therapeutischen Praxis begegnen wir auffällig häufig Paaren mit der Konstellation Nähevermeidungs- und Angstbindungsmuster. Unsere Erfahrung zeigt, dass unsicher-gebundene Menschen auch an unglücklichen Beziehungen festhalten, da ihre Verlustangst überwiegt. In dieser Logik würden Partner mit sicher-gebundener Basiserfahrung unglückliche Beziehungen eher auflösen, da sie zuversichtlicher sind, wieder neue Bindungen eingehen zu können. – Zur Illustration der Beziehungskonstellation Nähevermeidungs- und Angstbindungsmuster stellen wir ein Paar vor, das uns in ganz besonderer Weise beeindruckt und herausgefordert hat. Zur Paartherapie erscheinen Herr (58 Jahre) und Frau Muth (53 Jahre). Sie haben sich vor 28 Jahren kennengelernt, seit 24 Jahren sind sie verheiratet. Sie sind Eltern von zwei gemeinsamen Kindern; Moritz ist 20 Jahre alt; absolviert nach seinem Abitur zur Zeit den Zivildienst; die 17-jährige Sarah hat keinen Schulabschluss, sie ist im fünften Monat schwanger. Als sich das Paar kennerlernte, hatte Herr Muth sich gerade von seiner ersten Frau getrennt; aus dieser Ehe hat er zwei Töchter. Die älteste Tochter wuchs in der Familie Muth auf. Mit der Familiengründung gab Frau Muth ihren Beruf als Medizinisch-technische Assistentin auf und ist seitdem nicht erwerbstätig. Herr Muth hat seine Anstellung im kaufmännischen Management vor zwei Jahren aufgegeben, nachdem er sich drei Jahre zuvor wegen eines Prostata-Karzinoms einer onkologischen Therapie unterziehen mußte. Die Ärzte attestieren ihm eine sehr günstige Prognose. Jetzt arbeitet er selbstständig in der Bauberatung und mit deutlich geringerer Arbeitszeit. Das Familieneinkommen ist solide gesichert. Vor einem knappen Jahr wurde bei Frau Muth Brustkrebs diagnostiziert; nach der Operation des Karzinoms erhielt sie Chemotherapie; zur Zeit befindet sie sich in Strahlentherapie. Anlass für die Paarberatung sind massive symmetrisch-eskalierende Streitsituationen – sie macht ihm heftige Vorwürfe, er interessiere sich nicht für sie und unterstütze sie nicht in der Familie. Er verstrickt sich in Rechtfertigungsschleifen und zieht sich schließlich zurück. Das Streitszenario ist zum redundanten Muster erstarrt, die Anlässe kommen aus heiterem Himmel. Die Kinder versuchen auf ihre Weise zu schlichten – ohne Erfolg. Der avisierte Auszug beider Kinder scheint das Paarsystem zusätzlich zu destabilisieren.
Vermeidungs- und Angstbindungsmuster: Das vorprogrammierte Missverständnis Befragt man Paare, was ihnen am anderen in der Kennenlernsituation besonders gefallen hat, werden oft Merkmale beschrieben, die mit dem vorherrschenden Bindungsmuster einhergehen. Sie besitzen eine attraktive Wirkung im Sinne eines Wunsches nach positiver Ergänzung. Dabei werden diese Verhaltensmodi idealisiert – durch die Brille der Verliebtheit. So wird ein Nähevermeidungsmuster von der Partnerin zum Beispiel als souveräne Gelassenheit und Ausdruck von Unabhängigkeit wahrgenommen. Der andere erscheint als »Fels in der Brandung«, der Halt und Sicherheit verspricht. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Vera Loos-Hilgert und Erhard Wedekind
Umgekehrt wird die Partnerin mit dem Angstbindungsmuster wegen der damit verbundenen faszinierenden Breite des emotionalen Ausdrucksvermögens bewundert. Die expressive Lebendigkeit wirkt auf den Partner mit dem Nähevermeidungsmuster fremd und anziehend zugleich. In der weiteren Geschichte des Paares ergeben sich allerdings aus dem Aufeinanderprallen der stark unterschiedlichen Verarbeitungs- und Bewältigungsmuster immer mehr Reibungsflächen, die in manifesten Konfliktsituationen zunehmend als enttäuschend bzw. einengend erlebt werden. Das Nähevermeidungsverhalten des Partners spendet viel zu wenig Sicherheit, weil es kaum Resonanz anbietet. Es wird nunmehr als Ausdruck von mangelndem Interesse – als egoistisch und uneinfühlsam – wahrgenommen. So regt es verstärktes appellatives Bindungsverhalten beim Partner an. Dessen Angstbindungsmuster in dieser verschärften Form wird umgekehrt als eng, anklammernd, keinen Raum lassend und verfolgend erlebt. – Was in der früheren Idealisierung positiv übersteigert wurde, gerät jetzt zur durchweg negativen Unterstellung, die dem Gegenüber ein Kalkül des »Schadenwollens« zuschreibt. Wenn sich beide Partner gegenseitig durch diese »Brillen« anschauen, ist das Missverständnis vorprogrammiert: die Zurückhaltung im emotionalen Ausdrucksvermögens (beim Nähevermeidungsmuster) wird nicht als lebensgeschichtlich aufgenötigte Spezialisierung im Umgang mit wenig belastbaren Bezugspersonen erkannt, die nicht einfach umstandslos aufgegeben werden kann; die niedrigschwellig einsetzende Beunruhigung und ängstliche Anspannung (beim Angstbindungsmuster) wird nicht als Folge eines erhöhten Sicherheitsbedarfes aufgrund früh erlebter inkonsistenter und willkürlicher Betreuungserfahrungen eingeschätzt. Stattdessen stehen sich jetzt beabsichtigte »Gefühlskälte« und übersteigertes »Kontrollinteresse« gegenüber. Jeder der Partner findet für seine Hypothese über den »wahren« Charakter des anderen in dessen Verhalten die Bestätigung. In unserem Fallbeispiel berichtet Herr Muth aus der Anfangszeit der Beziehung, dass er seine Frau als ein soziales und gefühlvolles Wesen kennengelernt hat; Frau Muth ihrerseits war beeindruckt durch sein energisches Auftreten, seine Entschlusskraft und seinen eisernen Willen. Er suchte bei ihr Ruhe und Einfühlsamkeit, sie bei ihm Tatkraft, Halt und einen sicheren Rahmen. Frau Muth ist die dritte von vier Töchtern. Den Vater beschreibt sie als »Familienpascha«, als eine Art »graue Eminenz« im Hintergrund – manchmal jähzornig, sonst emotional abwesend. »Vernünftig sein« war dem Vater wichtig. Die Eltern stritten häufig, der Vater war der Mutter intellektuell überlegen. Die Mutter ordnete sich allerdings nicht unter. Frau Muths Positionierung in der eigenen Ehe könnte man so verstehen, dass sie in der Position der Mutter mit den Waffen des Vaters gegen ihren Mann kämpft. Herr Muth hat von seinem Vater nur ein Foto aus Kindertagen. Er ist unehelich geboren, seine Mutter hatte aus verwitweter erster Ehe eine 14 Jahre ältere Tochter. Sein Vater war mit einer anderen Frau verheiratet und hatte zwei weitere Kinder, wovon seine Mutter erst nach Jahren erfuhr und sich dann trennte. Männliche Bezugspersonen fand Herr Muth in einem jüngeren Onkel mütterlicherseits und in seinem Fußballtrainer. Die bei seiner Mutter spürbare Resignation und Verbitterung waren vermutlich ein wichtiger Antrieb für ihn, im Unterschied zu seinem Vater einen verlässlichen materiellen Rahmen zur Verfügung zu stellen und Verantwortung zu über© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Mehrgenerationale Bindungsdynamik in der systemischen Paartherapie
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nehmen. Die entsprechende Anerkennung bekommt er aber weder von seiner Mutter, die hochbetagt mit im Haus lebt und die Eheleute weiter spaltet, noch von seiner Frau, die ihm eine zu enge Verstrickung mit seiner Mutter vorwirft. Stattdessen fühlt er sich entwertet und kontrolliert. Beide Ursprungsfamilien – seine Mutter und ihre Eltern – waren gegen ihre Heirat. Er hat in ihrer Familie seine praktische handwerkliche Hilfe eingebracht, was aber nichts an der unterschwelligen Ablehnung änderte. Sie hat seine Schwester während ihrer Krebserkrankung gepflegt, die dann kurz vor der Geburt der Tochter Sarah verstarb. Um die Versorgung einer seiner zwei Töchter aus erster Ehe hat sie sich ebenfalls gekümmert. Das Paar lässt sich auf die Prozeduren der Reproduktionsmedizin ein, um den starken Kinderwunsch der Frau zu unterstützen. Beide Kinder werden durch Insemination gezeugt. Eine – durchaus nicht seltene – Folge ist das von beiden bestätigte Verschwinden der erotischen Spontanität. Aktuell in der tapferen Meisterung ihrer Krebserkrankungen und der Unterstützung der schwangeren Tochter und beziehungsgeschichtlich im gemeinsamen Durchstehen der skizzierten Belastungen für ihre Ehe erweisen sich beide als ein ausgesprochen erfolgreiches Krisenteam in akuten zugespitzten Situationen. Erfolg, Konsolidierung und Entspannung sind aber nicht gemeinsam zu genießen, stattdessen setzt dann die gegenseitige Entwertungs- und Vorwurfsdynamik ein, mit der sich beide mürbe machen. In dieser Skizze wird deutlich, dass nicht nur die Idealisierungen des Partners aus der Anfangszeit der Beziehung frustriert werden und aus einer Ernüchterung eine sich gegenseitig bestätigende Vorwurfsdynamik entsteht, sondern dass zusätzlich die Missbilligung der Verbindung durch die Ursprungsfamilien wie eine mehrgenerationale Last auf dem Paar liegt. Die vertikal wirksame tiefe Loyalität zu den eigenen Eltern, trägt dazu bei, dass das Paar seine gemeinsamen Erfolge gerade unter zugespitzten Stressbedingungen nicht genießen und anerkennen kann. So als ob sie nicht glücklich sein dürfen, um das mehrgenerationale Verdikt zu bestätigen. – Ihre Beziehung hat bei Dritten noch nie eine Lobby gehabt. Hier liegt aus unserer Sicht eine zentrale Interventionschance für das therapeutische Vorgehen. Wir skizzieren im weiteren zunächst unsere generelle Positionierung gegenüber bindungsdynamisch mehrgenerational verstrickten Paaren und kommen dann auf unser Fallbeispiel zurück.
Therapeutisches Vorgehen: Lobby für die Beziehung Die Verhärtung des gegenseitigen Musters von Entwertung und Vorwurf und die mehrgenerationale Missbilligung der Partnerwahl wirken wie eine fortwährende Problemtrance auf die Partner. Entsprechende Hinweise und Erklärungen reichen da keineswegs aus, um andere, öffnende Sichtweisen anzuregen. Wir denken, dass eine deutliche und durchaus suggestiv absichtsvolle Positionierung der Therapeuten für die Beziehung des Paares erforderlich ist, um ein spürbares Gegengewicht gegen die Problemtrance aufzubauen. Wir definieren uns explizit als »Lobby für die Beziehung«. Die therapeutische Vorgehensweise, die aus dieser Selbstdefinition entsteht, hat vier zentrale Bestandteile: © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Vera Loos-Hilgert und Erhard Wedekind
1. Identifikation der Muster: In einer konzentriert verdichteten Genogrammarbeit untersuchen wir Verluste, Trennungen, chronische Erkrankungen und andere belastende Lebensereignisse bezogen auf die lebenszyklischen Verarbeitungsmöglichkeiten der beteiligten Personen: Wie hat der Partner versucht, in seiner Ursprungsfamilie zu helfen ? Ist das gesehen und anerkannt worden? Welche besondere Sensibilität für die Wahrnehmung von Bedürfnissen bei anderen und die Artikulationsmöglichkeit eigener Bedürftigkeit ist dabei herausgebildet worden ? 2. Positive Beschreibung des Musters als Copingstrategie: Beschreibung eines besonderen lebensgeschichtlichen Spezialistentums (z. B. das Zurückhalten eigener Befindlichkeiten und Ansprüche, um niemanden zusätzlich zu belasten – oder die niedrigschwellige Alarmierung für Irritationen, um die Aufrechterhaltung der Beziehung zu gewährleisten) statt defizitärer Etikettierung. 3. Begründung einer neuen Paarbegegnungsmöglichkeit: Wir greifen die in der anfänglichen Verliebtheitsphase ansässige Selbsterweiterungsphantasie durch die konkrete Partnerwahl auf und behandeln sie als eine wichtige Ressource. Wir markieren den Nutzen der individuellen Musterebene für das Entwicklungspotenzial des Paares, zum Beispiel Fokus-Sensibilität für den Stellenwert der Autonomie bei dem einen Partner und für den Stellenwert des Beziehungserhaltes bei dem anderen. 4. Gemeinsame Entwicklungsförderung anregen: Wir schlagen gegenseitige Beruhigungsstrategien vor, die der Angst vor Autonomieverlust oder der Verlustangst in Bezug auf die Beziehung präventiv begegnen: durch welche Gesten und Angebote kann er ihren erhöhten Sicherheitsbedarf berücksichtigen? Mit welchen Vorschlägen und Absprachen kann sie sein Autonomiebedürfnis explizit anerkennen und bestätigen? Mit Metaphern und Bildern versuchen wir, positive Ziele und Fähigkeiten suggestiv zu ankern. Um eine lösungsorientierte Fokussierung und aktive Handlungsmöglichkeiten anzuregen, geben wir Trainingsaufgaben (Paarabende in wechselnder Regie gestalten, kontrollierter Dialog, arbeitsteilige Vorbereitung und Auswertung von Besuchen von und bei den Ursprungsfamilien, besondere Unterstützung bei Schwangerschaft, Examen und beruflichen Herausforderungen). Gegenüber den Eheleuten Muth aus unserem Fallbeispiel haben wir Respekt und Wertschätzung gegenüber ihrer gemeinsamen Lebensleistung ausgedrückt und betont, dass beide zur Zeit keine Energie haben, gemeinsam zu trauern. Sie fürchten eher, gemeinsam zu weinen, wenn sie das anschauen, was ihnen jeweils abverlangt wurde. Stattdessen gehen sie in einen zersetzenden Streit, der sie aber auch zwingt, Kraft und Mut zu zeigen, nicht Schmerz und Kummer. Das hilft ihnen, ihre Krebserkrankungen tapfer durchzustehen. – Das Paar ist durchaus angerührt durch diese Konnotierung ihres Dauerstreites, was aber nicht heißt, dass diese aggressive Auseinandersetzung damit beendet wäre. Sie bricht immer wieder auf, ist von unserer Seite trotz aktiv-strukturierender Interviewführung kaum zu regulieren und veranlasst uns zwischenzeitlich zu einer Ohnmachtsdeklaration. – Beide erleben sich wechselseitig als übergriffig. Wir schlagen einen Verhaltenskodex vor, der Tabuzonen markieren soll. Nur zwei Spielregeln sind schließlich zu fixieren: Er darf nicht mehr »brüllen«, sie darf nicht mehr sein »Sündenregister« aus der Vergangenheit aufrollen. Wir sehen darin die Chance, durch jeweiliges eigenes Handeln bzw. Unterlassen eine vertrauensbildende Maßnahme anzubieten und für den eigenen Part so etwas wie »Täterbewusstsein« zu entwickeln. Es kommt tatsächlich zu einer auch für die Kinder spürbaren Entspannung – und damit aber auch zu mehr Nähe. Die fragile Kompromissbildung – »Wir bleiben zusammen, tragen aber nur die Lasten und teilen keine Freude und Bereicherung« – kommt in Schieflage. Hier kann der Hin© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Mehrgenerationale Bindungsdynamik in der systemischen Paartherapie
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weis auf die von den Ursprungsfamilien missbilligte Verbindung – »die Beziehung ohne Lobby« – helfen, die ungewohnte Nähe als weniger bedrohlich wahrzunehmen. Natürlich wirken solche Interventionen nicht gleich dauerhaft stabilisierend auf die Paarbeziehung. Beide haben noch sehr viel damit zu tun, ihre individuelle Spannungsregulation besser in den Griff zu bekommen. Wir können allerdings den Part als positive Lobbyisten ihrer Beziehung auch nicht über längere Zeit übernehmen. Nach zehn Sitzungen – also circa einem Jahr – steht das Paar wieder allein vor der Frage, ob und wie sie sich in Zukunft mit den Anregungen aus der Paartherapie weiter beschäftigen wollen.
Diskussion Wir sind nicht ständig auf die Bindungsdynamik fokussiert, wenn wir mit Paaren arbeiten. Eine Indikation für das skizzierte Vorgehen sehen wir bei einer persistierenden Vorwurfsdynamik vor allem in langjährigen Paarbeziehungen, die dem Partner ein schädigendes Kalkül unterstellt und gleichzeitig mit sehr viel Verzweiflung und Hilflosigkeit verbunden ist. Weiterhin wollen wir auch nicht den Eindruck erwecken, als handele es sich bei der von uns prototypisch beschriebenen Konstellation von Nähevermeidungs- und Angstbindungsmuster um einen ahistorischen Zustand. Dass Paare sich überhaupt ausdrücklich auf ihre emotionale Beziehungsdynamik berufen und dafür professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, ist fraglos dem Umstand geschuldet, dass in einem Zeitraum von circa acht Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die strukturorientierte, traditionale, auf sozialen Verpflichtungen und Erwartungen beruhende lebenslange Ehe einer zunehmend prozess- und affektorientierten »Aushandlungspartnerschaft« (Beck u. Beck-Gernsheim, 1990) gewichen ist, die in ihrer Dauerhaftigkeit prinzipiell begrenzt sein kann. Der Verlust an sozialen und ökonomischen Funktionen wird in den modernen Familienformen mit einer emotionalen »Aufheizung« (Ottomeyer, 1991) kompensiert. Entscheidend wird der emotionale Konsens, überhaupt weiter zusammen bleiben zu wollen. So gesehen beschäftigen wir uns als Paartherapeuten mit Folgeproblemen »rationalisierter Geschlechterverhältnisse« (Wedekind, 2005). Allerdings melden wir Skepsis an, wenn Bindungsmustern eine geschlechtstypische Zuordnung zugeschrieben wird. So weist Willi (2002) Männern generell auf einer sozialpsychologischen Ebene das Nähevermeidungsmuster zu, den Frauen das Angstbindungsmuster. Indirekt geht er zudem davon aus, dass sich die Präferenz für das jeweilige Bindungsmuster erst nachhaltig in der Paarbeziehung herausbildet und sich dort stabilisiert. Diese Annahme teilen wir nicht. Bindungsmuster entwickeln sich in der primären Sozialisation in den Ursprungsfamilien, können aber im weiteren Lebenszyklus in begrenztem Umfang modifiziert werden. Dass auch in unserer Praxis mehr Frauen ein Angstbindungsmuster zeigen, führen wir darauf zurück, dass sie es sind, die die Initiative für eine Paartherapie ergreifen.
Literatur Beck, U., Beck-Gernsheim, E. (1990). Das ganz normale Chaos der Liebe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bowlby, J. (1983). Verlust – Trauer und Depression. München: Kindler. Brisch, K.-H. (1999). Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie. Stuttgart: Klett-Cotta. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Vera Loos-Hilgert und Erhard Wedekind
Grossmann, K. E., Grossmann, K. (2008). Die psychische Sicherheit in Bindungserfahrungen. Familiendynamik, 33 (3), 231- 259. Ottomeyer, K. (1991). Gesellschaftstheorien in der Sozialisationsforschung. In K. Hurrelmann, D. Ulich (Hrsg.), Neues Handbuch der Sozialisationsforschung (S. 153–189). Weinheim: Beltz. Sydow, K. von (2008). Bindungstheorie und systemische Therapie. Familiendynamik, 33 (3), 260–273. Wedekind, E. (2005). Die auszuhandelnde Partnerschaft – Beziehungsdynamische Folgen rationalisierter Geschlechterverhältnisse. In E. Wedekind (2005), Orientierung in Systemen. Ein psychoanalytischsystemischer Wegweiser für professionelle Beziehungsarbeit (S. 15–31). Berlin: Xenomoi. Willi, J. (2002). Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklung durch Partnerbeziehungen. Stuttgart: Klett-Cotta.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Stephan Theiling
Der Beitrag der systemischen Familienmedizin für ein Konzept der psychosomatischen Grundversorgung
Systemische Perspektive zu Gesundheit und Krankheit Neben der Sehnsucht nach Klarheit und Überschaubarkeit unter anderem auch mittels Diagnosen darf nicht außer acht gelassen werden, dass das Denken und Handeln bei den meisten Erkrankungen viel öfter in einem Kontext von »Unsicherheit« stattfindet als wir zugeben. Unsicherheit meint hier Grenzen des Wissens, lückenhaftes Wissen über kausale Zusammenhänge bzw. Wechselwirkungen sowohl innerhalb als auch zwischen den einzelnen Fachgebieten. Aus einer systemischen Perspektive zu Krankheit und Gesundheit erscheint die Frage nach kausalen (Wirk-)Zusammenhängen innerhalb komplexer Systemzusammenhänge und die Idee, dass die Menge an medizinischem Wissen linear die Möglichkeit der Kontrolle über die Krankheit bestimmt, eine omnipotente Fiktion, die mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern muss. Als Kompetenz auf der Expertenseite ist an dieser Stelle vielmehr die Bereitschaft und Fähigkeit bedeutsam, trotz Diagnose die eigenen Gefühle von Begrenztheit und Unsicherheit anzuerkennen und diese (im Kollegenteam wie mit den Familien) zu thematisieren. Dies widerspricht klassischen Rollenanforderungen insbesondere an den ärztlichen Berufszweig und an den medizinischen Routinealltag, und so bleibt die ständige Verführung, die von Betroffenenseite ausgesprochene Einladung –»Was sollen wir tun?« – anzunehmen, folglich zu »wissen«, wie »die Lösung« aussieht, und dafür zuständig zu sein, in welche Richtung es geht. Besonders verwirrend ist natürlich, dass ein kausal-lineares Weltbild bei vielen Akuterkrankungen durchaus ausreicht und greift, und dass es aber insbesondere für den Kontext »chronische Erkrankung« nicht mehr angemessen ist, weil hier somatische, psychische und soziale Faktoren in einer ungleich höheren Komplexität ineinander greifen (von Schlippe u. Theiling, 2005). Chronizität, das heißt nicht bzw. nicht nur, »eine chronische Erkrankung zu haben«, sondern heißt vor allem im Alltag: »über chronische Krankheit zu sprechen«, mit sich selbst, mit anderen. Sprache ist hier in einem umfassenden Sinn gemeint: als die spezifisch menschliche Möglichkeit, nicht nur auf eine äußere Wirklichkeit zu reagieren, sondern sie weitestgehend durch soziale Bedeutungsgebungsprozesse zu schaffen und zu strukturieren, und zwar nicht für sich allein, sondern gemeinsam mit anderen. »Wenn ich es will, dann kann ich meinen Sohn krank reden.« Immer wenn diese Mutter den Eindruck hatte, dass ihre Eltern, die mit für die Diabetes-Betreuung von David zuständig sind, ihm zu viel Freiraum im Umgang mit Blutzuckerkontrollen und dem Essen ließen, musste sie »gegensteuern«: »Ich habe ihn dann so krank geredet, dass er endlich wieder vernünftig geworden ist, und das funktioniert immer.«
Auch Fachleute sind nicht objektive Beobachter dieser Prozesse, sondern sind mit dabei, den sprachlichen Reigen mitzugestalten, fortzusetzen bzw. gegebenenfalls sogar © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Stefan Theiling
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in Gang zu setzen. Die Beziehungsumwelt von Krankheit ist im Wesentlichen ihr sprachlicher Kontext. Das, was wir als körperliche Krankheit erleben und so bezeichnen, wird durch den Akt der Versprachlichung (auch) eine soziale Konstruktion. Und von dem Moment an reagieren wir nicht nur auf die Krankheit, sondern wir konstruieren die Phänomene mit, mit denen wir es zu tun haben: »Menschen sind unverbesserliche und geschickte Geschichtenerzählerinnen – und sie haben die Angewohnheit, zu den Geschichten zu werden, die sie erzählen« (Efran et al., 1992, S. 115). Dazu die Beschreibung folgenden Experimentes: »Man benötigt eine Bonbondose, einen Bleistift und ein waches Kind unter vier Jahren. Den Bleistift steckt man (heimlich) in die Bonbondose und verschließt sie. Dann fragt man das Kind, was in der Dose ist – und beobachtet, was passiert. »Bonbons – au fein!« »Na, dann mach mal die Dose auf!« – »Och – bloß´n Bleistift«, »Tja, Jakob – Pech. Sag mal, was hast Du denn gedacht, was in der Dose ist, als ich sie Dir eben gezeigt habe?« Jakob denkt kurz nach. »Ein Bleistift«, sagt er dann im Brustton der Überzeugung. »Ganz sicher?«, »Ja!«, »Wollen wir doch mal den Jan rufen und ihn fragen, was in der Dose ist. Was meinst Du, was er sagen wird?«, »Ein Bleistift!«, sagt Jakob mit Nachdruck, diesmal ohne zu zögern« (aus Romberg u. Kapitza, 2001, S. 173).
Kontexte und Sprache schaffen (Schein-)Realitäten: So werden zum Beispiel im Scheidungsverfahren aus dem Paar bzw. den Eltern »Antragsteller« und »Gegner«, im Kontext von Diabetes mellitus werden Kinder bzw. Jugendliche zu »Diabetikern« usw. Wenn zum Beispiel in einer Elterngruppe Asthma- (Neurodermitis-, Diabetes-) betroffener Kinder und Jugendlicher gefragt wird, ob die Kinder nach Ansicht der Mütter und Väter »krank« oder »gesund« seien, entsteht nach kurzer Verwirrung eine lebhafte Diskussion, in der die eine Hälfte völlig überzeugt ihren Standpunkt vertritt, dass die Kinder gesund, zumindest nicht richtig krank sind, genauso wie die andere Seite mit Bestimmtheit vertritt, dass die Kinder krank seien, schließlich sei Asthma (Neurodermitis, Diabetes) doch eine Krankheit.
Wir sind nicht gewohnt, unsere Sprache zu reflektieren, uns über die Art, wie wir uns Krankheit beschreiben, Gedanken zu machen. Wenn wir das tun würden, wäre es möglich, eine wichtige Unterscheidung zu ziehen: Werden durch die sprachlichen Handlungen die Möglichkeiten von Menschen, sich zu verhalten, wahrzunehmen und zu erleben, eher eingeschränkt oder erweitert, kurz: Schafft die Art, in der von Patienten, Familien und Fachleuten über Krankheit gesprochen wird, Freiräume, Lösungsideen, aktiviert Ressourcen oder Einengungen und Problemtrancen? Die Art der Sprache, die in einer Klinik, ärztlichen oder psychologischen Praxis gesprochen wird, ist somit von grundsätzlicher und folgenschwerer Bedeutung: Ist die Sprache bei Visiten, bei Besprechungen, bei Dienstübergaben während der Therapiesitzungen etc. eher symptom- und defizitorientiert oder bietet sie auch Raum für Stärken, Potenziale und Ressourcen? Die Perspektive der systemischen Familienmedizin greift genau diese Aspekte konzeptuell auf.
Begriffsbestimmung systemische Familienmedizin Systemische Familienmedizin hat ihre Wurzeln in den USA (»Family Medicine« bzw. »Collaboration Health Care«; vgl. McDaniel et al., 1997; Kröger et al., 2000). Ihre Konzeptualisierung in Deutschland befindet sich in einem Pilotstadium. Systemische © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Systemische Familienmedizin und psychosomatische Grundversorgung
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Familienmedizin schlägt mit Hilfe kooperationsfördernder Gesprächssettings und systemisch-familientherapeutischer Vorgehensweisen eine Brücke zwischen einer symptombezogenen Organmedizin und einer psychologischen Perspektive zu Gesundheit und Krankheit. Dabei liegen einem familienmedizinischen Wirken drei Prinzipien zugrunde (McDaniel et al., 1997): – gleichwertige Berücksichtigung und Einbeziehung psychischer und somatischer Faktoren, – enge Kooperation mit den Familien, das heißt routinemäßiger Einbezug der Familie als Ganzes, – familienbezogene Kooperation der Behandlerinnen aus den unter anderem medizinischen, psychosozialen, pädagogischen, pflegerischen, physiotherapeutischen sowie ernährungsberaterischen Bereichen in Form von interdisziplinären Teams.
Stufen familienbezogener Arbeit Das nachstehende Stufenmodell veranschaulicht unterschiedliche Stufen familienbezogenen Arbeitens, die von der Komplexität der biopsychosozialen Wechselwirkungen, den Behandlerkompetenzen und der Bereitschaft abhängig sind, in konventionellen pädiatrischen Strukturen andere Arbeitsformen einzugehen (modifiziert nach Kröger et al., 1998): – 1. Stufe: Geringe Einbeziehung der Familie, die Behandlung ist auf das Kind bzw. den Jugendlichen gerichtet (medizinische Routineversorgung); biopsychosoziale Wechselwirkungen werden nicht/kaum betrachtet; vorwiegend Einwegkommunikation; Lösungen werden vorgegeben. – 2. Stufe: Die Familie wird als Bezugssystem betrachtet und zunehmend integriert. Sie erhält medizinische Sachinformationen und Rat. Auf dieser Stufe sind zum Beispiel verhaltensmedizinische Schulungsprogramme einzuordnen, sofern sie Eltern überhaupt mit einbeziehen. – 3. Stufe: Ermunterung an die Familie, Gefühle zum Krankheitsgeschehen zu äußern, Betrachtung familiärer Beziehungsdynamiken und Muster; Unterstützung bei familiären Bewältigungsprozessen. – 4. Stufe: Auf dieser eigentlichen Ebene der systemischen Familienmedizin findet eine hypothesengeleitete Familiendiagnostik und Systemanalyse statt. Es erfolgen ressourcenbetonte Interventionen bezogen auf die Familie. Auf Stufe 3 und 4 sind familienmedizinisch ausgerichtete Schulungskonzepte, wie zum Beispiel der »Luftiku(r)s« im Asthma- und »Die Süßmuts« im Diabetesbereich (siehe ausführlich Schweitzer u. von Schlippe, 20091) einzuordnen.26 – 5. Stufe: Hier findet systemische Familientherapie im engeren Sinne statt (z. B. von Schlippe u. Schweitzer, 1996). Dazu gehört unter anderem die Erarbeitung eines Auftrags, der zu einem Kontrakt führt, über eine vereinbarte Zeitspanne mit dem System Familie zu arbeiten.
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Zum »Luftiku(r)s« Kap. 4.6, S. 391–400 (siehe auch: Könning et al., 1994); zu den »Süßmuts«: Kap. 4.7, S. 400–414. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Implikationen für Weiterbildung und Praxis Das Stufenmodell und das nachfolgende Fallbeispiel zeigen, dass es verfehlt wäre, familienbezogenes Arbeiten mit systemischer Familientherapie gleichzusetzen und von einer entsprechenden Ausbildung abhängig zu machen. Frau K. und ihr Lebenspartner waren völlig geschockt, als sie in der Klinik erfuhren, dass beide Töchter Asthma haben. Der Vater von Alexandra (acht Jahre) und Melissa (elf Jahre) war vor einem Jahr während eines Asthmaanfalls verstorben. Frau K. bat inständig darum, dass man den beiden Mädchen gegenüber nicht das Wort »Asthma« benutzen möge. Sie sollten nichts von der Diagnose erfahren. Aber was sollte man ihnen sagen, warum sie jetzt ein Spray erhalten, warum sie immer wieder in die Sprechstunde zur Kinderklinik fahren? Kann man vor acht und elf Jahre alten Mädchen verheimlichen, was los ist? Für Frau K. und ihren Lebenspartner wurde erst im Rahmen einer Familientherapie verstehbar, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das Verheimlichen zu Unsicherheit und Angst bei den Mädchen führen wird, bzw. dass Frau K. ihren Kindern mit ihrer Vorsicht auf einer »Meta-Ebene« auch mitteilt, dass sie ihnen nicht zutraut, mit dieser »Krise« im Sinne einer »Herausforderung« umzugehen. In den Familiengesprächen wurden die Asthmaereignisse der Vergangenheit vorsichtig thematisiert, wobei die Mädchen freimütig berichteten, »dass Papa am Asthma gestorben ist«. Heraus kam auch, dass Frau K. das Bild in sich trägt: »Die teuflische Krankheit ist nicht zu beeinflussen. Mein Mann hatte Schränke voll mit Medikamenten und nichts hat geholfen. Zuletzt ging es ihm immer schlechter, da musste er einfach sterben.« Tröstend sagte die jüngere Alexandra, dass sie genau wisse, dass sie und Melissa auch Asthma haben. Nachdem das Tabu gebrochen war, kreisten die folgenden Sitzungen schwerpunktmäßig um die Frage, ob und in welcher Form man einem Asthma ausgeliefert ist (entspricht Herrn K.´s Asthmageschichte), bzw. ob und wie man nicht doch Einfluss darauf nehmen kann, wie Asthma verläuft (entspricht der Sichtweise moderner Asthmatherapie). In diesen Sitzungen erinnerte Frau K., dass ihr Mann nie Durchhaltevermögen gehabt habe, wenn es um die Durchführung einer medikamentösen Therapie gegangen sei. Häufig habe er den Arzt gewechselt und »so richtig erklärt, was das mit dem Asthma ist, hat uns auch niemand«. Die beiden Erwachsenen und die Mädchen malten jede/r für sich ein Bild, wie sie sich das Asthma des verstorbenen Herrn K. bzw. das Asthma von Alexandra bzw. Melissa vorstellen. Durchgängig wurde das Asthma von Herrn K. »größer« und »gefährlicher« dargestellt. »Papa hat keinen richtigen Zaun um sein Asthma gemacht«, erläuterte die pferdebegeisterte Melissa, »da ist es immer wieder ausgebrochen.« Die Familiengespräche führten dazu, dass alle Familienmitglieder offener für medizinische Hilfen sowie eine Schulung wurden.
Folglich braucht ein Arzt keine umfangreiche Familientherapie-Ausbildung, um im familienmedizinischen Sinne tätig zu werden. Das Konzept der »Psychosomatischen Grundversorgung«2 in der Weiterbildung von Ärzten kann somit in familienmedizinische Tradition gestellt werden. Der »Hausarzt« für Erwachsene sowie der Kinder- und Jugendlichenarzt ist ein Familienarzt, der oft mehrere Familienmitglieder einer Familie behandelt. Er wird oftmals als erster Ansprechpartner zur besonderen Vertrauensperson der Familie, an ihn wenden sich die Familienmitglieder, nicht nur bei somatischen Fragestellungen.27 Vor diesem Hintergrund können zum Beispiel die 80-Stunden-Curricula zur psychosomatischen Grundversorgung im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung eine Brücke zwischen Medizin und einer systemisch-familienorientierten Vorgehensweisen im Sinne
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Ärzte können nach Absolvierung eines 80-stündigen Curriculums in »Psychosomatische Grundversorgung« (20 Stunden Theorie, 30 Stunden verbale Intervention und 30 Stunden Balintgruppe) diese Leistungen in ihren Arbeitskontexten abrechnen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Systemische Familienmedizin und psychosomatische Grundversorgung
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von Basiskompetenz zu einer systemischen Perspektive zu Gesundheit und Krankheit vermitteln (konzipiert und durchgeführt von Terrahe-Hecking und Theiling 2007 am Institut für Familientherapie, Weinheim). Systemische Familienmedizin hat ihre Bedeutung sowohl in der Akutversorgung als auch insbesondere bei chronischen Erkrankungen sowie bei den vielfältigen körperlichen Beschwerden ohne eindeutigen medizinischen Befund. Ein familienmedizinisches Curriculum zur psychosomatischen Grundversorgung soll demnach – psychosoziale und familienorientierte Basiskompetenzen explizit für den Kontext »Medizin« vermitteln. – deren Umsetzbarkeit unter den Rahmenbedingungen eines »Medizinbetriebs« in besonderer Weise berücksichtigen. – Hilfestellung bei der Realisierung von »Interdisziplinarität« und »Kooperation« im Gesundheitswesen vermitteln. Mit einem Angebot dieser Art wird eine Lücke im deutschen System zur Aus- und Weiterbildung zum (Erwachsenen- bzw. Kinder- und Jugendlichen-) Mediziner geschlossen. Bislang werden weder im Studium noch in der Weiterbildung spezielle Fähigkeiten vermittelt, die darauf abzielen, Basiskompetenzen in (familiäre) Beziehungen und Dynamiken bei der Diagnostik und Behandlung von Krankheiten einzubeziehen. Weitere hervorragende konkrete und praktische Anregungen geben neben Altmeyer und Kröger (2003) auch Hegeman et al. (2000).
Muster des Umgangs mit Chronizität Die hier beschriebene familienmedizinische Perspektive legt nahe, zu fragen, welche Muster Familien entwickeln, um mit Chronizität sprachlich umzugehen. Interessant ist dabei die Frage, wie »charakteristische Glaubens-, Wissens- und Verhaltensmuster die Gefahren erhöhen oder erniedrigen, irgendwelche körperlichen oder geistigen Symptome zu entwickeln« (Simon, 1995, S. 36). Stierlin (1988) spricht in dem Zusammenhang von »Familiencredo«: Die inneren oder auch die ausgesprochenen Überzeugungen in der Familie können zu Verhaltensmustern führen, die eine Chronifizierung möglicherweise eher fördern als sie zu begrenzen. Eine Krankheit wirkt hier wie eine Lupe, die problematische Interaktionen in sozialen Systemen verstärken und vergrößern kann (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Krankheit als Familienthema – zugrunde liegende Familiencredos Reibungsloser, völlig normaler Umgang »Die Erkrankung läuft bei uns in der Familie ganz selbstverständlich mit. Die Therapie gehört wie das Zähneputzen zum Alltag dazu. Unser Familienleben besteht nicht nur aus der chronischen Krankheit.« Mühsames Alltagsgeschäft »Wir arbeiten die Verpflichtungen Tag für Tag ab. Die Freude am Leben ist uns verloren gegangen. Die Therapiegeräte/Krankheit steht mitten bei uns im Wohnzimmer.« © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Stefan Theiling
192 Enge Beziehung zwischen Mutter und betroffenem Kind bzw. Jugendlichem
»Ich als Mutter bin verantwortlich für die Entwicklung der Erkrankung meines Kindes.« »Ich als Vater arbeite, sorge für das Geld und habe mit der Krankheit nichts zu tun.« Enge Bindungen in der ganzen Familie »Nun müssen wir zusammenhalten! Wir können uns nur aufeinander verlassen; allein ist keiner überlebensfähig! Mir kann es nicht gut gehen, wenn es den anderen nicht gut geht, und das heißt: Jeder ist für die Gefühle des anderen verantwortlich.« Eingefrorene Rollenkonstellation »Jede Veränderung ist angesichts der Bedrohung, unter der wir stehen, gefährlich! Es ist das Sicherste, den einmal eingeschlagenen Lösungsweg beizubehalten und nichts zu verändern!« Harmonisierung »Wir können uns keine weiteren Konflikte leisten!« Probleme bei Trennungen/Distanzierungen »Distanzierung ist gefährlich!« Isolation nach außen »Die Außenwelt ist eher bedrohlich! Wir haben weder Zeit noch Energie, uns mit der Außenwelt zu beschäftigen!« Die quälende Suche nach der Ursache »Was haben wir (habe ich/hast du) falsch gemacht? Was ist die Ursache der Erkrankung? Warum mein Kind?« Verantwortungsdiffusion »Unser Sohn hat keine Lust, seine Therapie zu machen, wir müssen ständig auf ihn einreden.«, »Wenn Mama und Papa sich nicht kümmern, dann mach ich auch nichts.« Tabuisierung und Bagatellisierung »Solange wir es nicht aussprechen, haben wir es noch gebannt.«, »Wenn wir es beim Namen nennen, wird es noch schlimmer, damit können wir nicht umgehen!«, »Vielleicht ist es ja doch nicht so schlimm ...« Mehrgenerationsmuster »Sie brauchen mir zur Krankheit meines Kindes gar nichts mehr zu erzählen, mein Vater/ meine Mutter hat (ich selber habe) das auch gehabt.« Der möglichst schnelle und einfache Weg »Wenn mir/uns dieser Arzt nicht helfen kann, dann gehen wir zum nächsten. Mehr hilft mehr. Bitte eine einfache und schnelle Lösung.«
Auch wenn in der Tabelle vor allem »problematische« Muster und die ihnen zugrunde liegenden Familiencredos schlagwortartig beschrieben werden, dürfen diese nicht kausal interpretiert werden. Sie sollten auch nicht als »Familienstrukturen« oder »Typologi© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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sierungen« missverstanden werden, die zwangsläufig auf eine chronische Erkrankung folgen oder dieser als »Ursache« zugrunde liegen (vgl. von Schlippe, 1999). Es gibt keine wissenschaftlich haltbaren Belege für eine wie auch immer definierte typische »Chroniker-Familie« oder »Chronische Krankheit-Familienstruktur«. Wir erleben regelmäßig, wie gekränkt Mütter und Väter reagieren, wenn sie hören oder lesen, zum Beispiel Asthma sei »psychosomatisch«. Eltern erleben psychologische Versimplifizierungen im Sinne einer »doppelten Bestrafung«: Zum einen die körperliche Erkrankung, zum anderen soll sie auch noch psychologisch-familiendynamischer Natur sein. Von daher gilt es, die Psychologin bzw. Familientherapeutin unter dem Aspekt versteckter Ursachen bzw. Schuldzuschreibung entsprechend sorgsam in die Versorgung einzuführen, da deren Präsenz zunächst das Mißtrauen schüren kann, dass letztlich doch die »Psyche« bzw. »die Familie« schuld an allem sei.
Umgang mit der ganzen Familie Um nicht unhinterfragt die (immer noch) existente gesellschaftliche Regel zu erhärten, nach der überwiegend und häufig ausschließlich die Mutter zuständig für die chronische Krankheit des Kindes bzw. Jugendlichen ist, stellt die Einladung der Familie als Ganzes, und wenn nötig, auch noch einmal ausdrücklich des Vaters (»da uns Ihre Meinung wichtig ist, unabhängig davon, wie gut Sie über das Asthma Bescheid wissen«), eine erweiterte Perspektive dar. Bereits die Einladung der Familie als Ganzes stellt eine bedeutsame Intervention dar. Sie erweitert für alle Betreuer die Möglichkeiten, die häuslichen Abläufe zu verstehen, und verbessert die Koordination: Jede hört das Gleiche und hat somit den gleichen Informationsstand – eine wesentliche Voraussetzung dafür, sich zu Hause überhaupt über die chronische Erkrankung und die vielen damit einhergehenden Aspekte austauschen und wechselseitig unterstützen zu können. Die Unterstützung bzw. Gesprächsmoderation durch die Betreuer kann dabei auch Modellcharakter für häusliche Gespräche im Familienkreise haben. Das Familiengespräch soll außerdem als Forum dienen, in dem neben der Erörterung somatischer Befunde und der medikamentösen Therapie auch Themenbereiche wie Stärken/Ressourcen, Wünsche, Ängste, Zeit, Unterstützung Platz haben. Häufig reagieren einzelne Familienmitglieder mit: »Das habe ich ja noch gar nicht gewusst, dass du so denkst/du so fühlst.« Dabei sei noch einmal betont, daß es keiner umfangreichen FamilientherapieAusbildung bedarf, um Familiengespräche zu initiieren und Fragen wie die Folgenden einzubringen. – Wie bewertet jedes Familienmitglied die Krankheit? – Wo sieht jedes Familienmitglied Schwierigkeiten, die mit der Krankheit in Verbindung stehen? – Wo sind Vorsätze zur Veränderung? Wie kann ein erster Schritt aussehen? – Was spräche dafür, nichts zu verändern? Was kann wer in der Familie tun, damit garantiert zu Hause alles so bleibt, wie es ist? – Wo sehen die einzelnen Familienmitglieder die Stärken der Familie/der Einzelnen allgemein und in Bezug zu der Erkrankung? Welche Qualitäten haben sich bei Einzelnen vielleicht erst durch die Krankheit entwickelt? Was würde fehlen, wenn es die Erkrankung nicht gegeben hätte? © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Stefan Theiling
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– Was sind Wünsche und Erwartungen der Familienmitglieder aneinander? – Das Bilden von Rangreihen mit dem Ziel der Kontextualisierung, zum Beispiel: Wem in der Familie macht die Krankheit am meisten Sorge (Hilflosigkeit, Wut, Einschränkung etc.)? Wer kommt am besten mit der Erkrankung klar? Wer bemerkt in der Familie als Erste(r), wenn eine Akutsituation droht? Was macht sie/er dann? Wer kümmert sich am meisten um das Symptom? Wie kann sich das in Zukunft ändern? Diese Fragen lassen sich auch zirkulär an die einzelnen Familienmitglieder stellen, zum Beispiel: »Was denken Sie, was Ihre Frau meint, wer am stärksten in der Familie durch die chronische Erkrankung eingeschränkt ist?« – Wem in der Familie macht die Erkrankung am meisten Angst? (Rangreihe oder zirkuläres Befragen). Wie wirkt diese Angst auf die anderen? Wenn er/sie weniger Angst hätte, was würde das für die anderen bedeuten? – Was würde sich ändern, wenn die Krankheit nachlassen (verschwinden) würde? Wer würde dann mehr, wer weniger gefordert? Wer würde etwas gewinnen und hätte Vorteile, wer etwas verlieren und vermissen? Was wäre das erste, was einem Beobachter auffallen würde, was anders wäre, wenn die Krankheit weggezaubert wäre? Was würde passieren, wenn Sie einen Tag lang so tun würden, als ob sie tatsächlich verschwunden wäre? – Wo sind die Freiräume der einzelnen Familienmitglieder? Wie bestimmt das Symptom die Freiräume der Einzelnen? Wer leidet am meisten? Gibt es in der Familie Möglichkeiten, hier mehr Spielraum zu gewinnen? – Wer hält wen in der Familie für unterstützungsbedürftig? Wie kann Unterstützung aussehen?
Ausblick Die systemische Familienmedizin bietet eine ressourcenbetonende Möglichkeit, sich zu den vielen alltäglichen Problemfeldern um Krankheit und Gesundheit einen Zugang zu verschaffen (von Schlippe, 2003). Sie bietet Expertinnen einen Zugang, auch im Kontext hochkomplexer biopsychsozialer Verknüpfungen wirksam zu sein, und ermöglicht damit auch eine erweiterte Perspektive in einer »Compliance«-Debatte, in der oftmals »die Schuld« für Fehlverhalten einseitig bei den »Patienten« bzw. den Familien gesucht wird. In diesem Zusammenhang schlagen wir vor, den Begriff »Compliance« zu streichen und diesen in Anlehnung an McDaniel (1996) durch die Begriffe respektvolle Partnerschaft und geteilte Verantwortung zu ersetzen. Erst der Einbezug der innerfamiliären Muster sowie Beziehungsdynamiken zwischen Behandlerinnen und Familie ermöglichen ein wechselseitiges Verständnis und eine vertrauensvolle Kooperation. Daher auch der Begriff »Kunde« statt »Patient« – denn Kunde beinhaltet stets auch kundig sein (Hargens, 2009). Viele Basiselemente der systemischen Familienmedizin (wie z. B. die Familie als Ganzes einzuladen, alle Familienmitglieder anzusprechen, lösungsorientiertes und ressourcenaktivierendes Fragen) sind im Rahmen zum Beispiel familiensystemisch orientierter Curricula zur psychosomatischen Grundversorgung erlernbar.
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Literatur Altmeyer, S., Kröger, F. (2003). Theorie und Praxis der Systemischen Familienmedizin. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Efran, J., Lukens, M., Lukens, R. (1992). Sprache, Struktur und Wandel. Bedeutungsrahmen der Psychotherapie. Dortmund: verlag modernes lernen. Hargens, J. (2009). Patientenautonomie – systemisch. Oder: Wie wär’s mit einer großen Prise Kundigkeit? Psychotherapie im Dialog, 10 (4), 314–318. Hegeman, T., Asen, E., Tomson, P. (2000). Familienmedizin für die Praxis. Stuttgart: Schattauer. Könning, J., Szczepanski, R., von Schlippe, A. (Hrsg.) (1994). Betreuung asthmakranker Kinder im sozialen Kontext. Die Bewältigung einer chronischen Krankheit als Herausforderung für Kind, Familie und interdisziplinäres Team. Stuttgart: Enke. Kröger, F., Hendrischke, A., McDaniel, S. (Hrsg.) (2000). Familie, System und Gesundheit. Systemische Konzepte für ein soziales Gesundheitswesen. Heidelberg: Carl-Auer. Kröger, F., Hendrischke, A., Schweitzer, J., Herzog, W. (1998). Psychotherapie in der Systemischen Familienmedizin. Psychotherapeut, 43, 352–359. McDaniel, S. (1996). Kooperative, familienorientierte Gesundheitsfürsorge. Psychotherapeut, 41, 45–50. McDaniel, S., Hepworth, J., Doherty, W.J. (1997). Familientherapie in der Medizin. Heidelberg: CarlAuer. Romberg, J., Kapitza, E. (2001). Wie Kinder sich die Welt erobern. GEO 10, 164–180. Schlippe, A. von (1999). Sprachliche Umwelten körperlicher Erkrankungen. Ein Beitrag zu einer systemischen Familienmedizin. Systhema, 13 (1), 50–61. Schlippe, A. von (2003). Chronische Krankheit im Kontext sozialer Systeme. Systhema, 17 (1), 20–37. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (1996). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlippe, A. von, Theiling, S. (Hrsg.) (2005). Niemand ist allein krank. Osnabrücker Lesebuch zu chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Lengerich: Pabst. Schweitzer, J., von Schlippe, A. (2009). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Simon, F. (1995). Die andere Seite der Gesundheit. Ansätze einer systemischen Krankheits- und Therapietheorie. Heidelberg: Carl-Auer. Stierlin, H. (1988). Die Familie als Ort psychosomatischer Erkrankungen. Familiendynamik, 13, 287– 299. Terrahe-Hecking, C., Theiling, S. (2007). Systemische Familienmedizin. Systhema, 21 (2), 224–225.
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Einflüsse und Bedeutung der Geschlechtsspezifität im Coaching von Männern und Frauen: Ein Unterschied, der einen Unterschied macht! Einleitung Welche Bedeutung hat Gender im Coaching? Mit dieser Frage scheint es möglich, die Diskussion unter Coaches und Beraterinnen anzuheizen und zu befeuern, was die Beteiligten zum Teil beflügeln, verwirren oder auch einfach nur langweilen kann. Viele Sichtweisen sind möglich und eine beträchtliche Zahl von Kollegen1 fühlt sich sicherlich dem Gedanken verbunden, dass man meist auch alles ganz anders sehen kann.28 Wir möchten mit unserem Beitrag eine interessierte Haltung unterstützen, als Coach die Aufmerksamkeit für die Auswirkung von Geschlechterstereotypen im Blick zu behalten. Uns interessiert, wie es gelingen könnte, mit einem wachen Blick für geschlechtsspezifisch unterschiedliche Perspektiven von/auf und zwischen Männern und Frauen im Coaching zu arbeiten, ohne damit ein »starres Aufmerksamkeitsstereotyp« zu etablieren. Coaching wird zunehmend in Unternehmen und Organisationen zur beruflichen Weiterentwicklung von Führungskräften eingesetzt. In letzter Zeit scheint es als Instrument der Personalentwicklung auch verstärkt in mittleren Führungsebenen angekommen zu sein und erhöht – da auch tatsächlich mehr Frauen auf dieser Ebene arbeiten – nach unseren Erfahrungen die Anzahl der Frauen, die in Führungspositionen Coaching in Anspruch nehmen. Ebenso beobachten wir eine zunehmende Zahl von Männern und Frauen, die sich im Rahmen einer persönlichen Entscheidung für ein selbst finanziertes Coaching einen gesicherten Gesprächs- und Diskursraum etablieren, um sich mit beruflichen Fragen oder Themen der Abstimmung und Orientierung in bestimmten Lebensphasen auseinanderzusetzen. Interessante Perspektiven auf die Bedeutung von Geschlechterperspektiven im Coaching entstehen, wenn zum Beispiel folgende Fragen gestellt werden: – Wie wirken sich geschlechtsspezifische Erfahrungen und die damit verbundenen Ideen bezüglich der Bedeutung von Geschlechterperspektiven zwischen den handelnden Personen im Coaching aus?
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Wir folgen in diesem Text dem Prinzip der stochastischen Genuswahl und verweisen weiterführend interessierte Leserinnen auf einen Beitrag von Norbert Nothbaum und Gisela Steins zum »Nicht sexistischen Sprachgebrauch« (Nothbaum u. Steins, 2010). In dem Beitrag heißt es: »Unser Vorschlag, einen nicht diskriminierenden Text zu verfassen, der trotzdem sprachlich flüssig bleibt, erfordert, dass Sie eine Münze griffbereit haben. Immer, wenn ein Substantiv auf eine gemischtgeschlechtliche Gruppe verweist, entscheiden Sie mit Münzwurf, ob Sie die männliche oder weibliche Form wählen.« Dieser Idee schlossen wir uns gern an und danken den Herausgebern dieses Buches für die Akzeptanz. Längere Zitate unserer Interviewpartner sind mit einem Hinweis versehen, ob sie von einem männlichen (m) oder weiblichen (w) Coach stammen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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– Welche Bedeutung haben Geschlechterperspektiven im beruflichen Umfeld der Coachees (z. B. Anteil von Männern und Frauen in der Organisation und deren Führungsebenen, Kultur im Unternehmen bezüglich der Wertschätzung der Leistungen von Männern und Frauen)? – Welche Bedeutung hat die Reflexion eigener stereotyper Vorannahmen und die Arbeit mit geschlechtsspezifisch-sensiblen, prozessgestaltenden Hypothesen für Coaches? In unserer eigenen Coachingpraxis reflektieren und diskutieren wir diese Aspekte immer wieder. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Erfahrungen zu diesem Thema interessierte es uns, die konkreten Erfahrungen und Sichtweisen von anderen männlichen und weiblichen Coaches zu erfragen und als Anregung in unsere Überlegungen mit einzubeziehen. Es geht uns hierbei vorrangig um inhaltliche Aussagen und die sich daraus ergebenden Anregungen. Zunächst stellen wir im Folgenden einige »Fundstücke« aus Recherchen in den Bereichen Arbeitsmarktforschung und Geschlechter- und Sozialisationsforschung zu den skizzierten Fragestellungen vor. Daran schließt sich eine Zusammenfassung der Ergebnisse unserer Befragung zehn männlicher und neun weiblicher Coaches an. Ableitend entwickeln wir daraus einige inhaltliche und methodische Überlegungen, von denen wir uns wünschen, dass sie zur professionellen Selbstreflexion anregen, und vielleicht auch dazu ermuntern, als Coach prozessorientiert offensiver mit Geschlechterperspektiven zu arbeiten.
Fundstücke aus der Forschung Arbeitsmarktforschung
In den Verteilungen und Dynamiken auf dem deutschen Arbeitsmarkt stellen sich eine Reihe von Kontextvariablen dar, die beachtenswert hinsichtlich der Be-Deutung der Variablen Geschlecht erscheinen: – Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren 2009 49 % der in Deutschland insgesamt Beschäftigten Frauen. – Im Kurzbericht des IAB 6/2010 heißt es in der Rubrik »in aller Kürze«: »Das IABBetriebspanel von 2008 liefert zum zweiten Mal nach 2004 Informationen über die Anteile von Männern und Frauen in Führungspositionen. Nach wie vor sind die Ergebnisse ernüchternd. – Über 70 % der Betriebe werden von Männern geleitet. Auf der höchsten Leitungsebene ist nur jede vierte Führungskraft eine Frau – und daran hat sich seit 2004 nichts geändert. – Auf der zweiten Führungsebene liegt der Frauenanteil zwar um zehn Prozentpunkte höher (35 %). Da aber nur 22 % der Betriebe eine zweite Führungsebene haben, relativiert sich dieser Wert. – Frauen in Führungspositionen findet man häufiger in kleineren Betrieben und in Branchen mit insgesamt hohem Frauenanteil. Dazu gehören die ›Sonstigen Dienstleistungen‹ sowie der Sektor ›Handel und Reparatur‹. Eine Ausnahme bildet der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Finanzsektor: Dort arbeiten zwar auch überdurchschnittlich viele Frauen, auf den Chefetagen sind sie jedoch selten zu finden. – Frauen ›führen‹ eher in eigentümergeleiteten Betrieben als in managergeleiteten.« Das IAB interpretiert seine ermittelten Zahlen als Indiz für ungleiche Zugangschancen zu Managementpositionen. Diese würden meist kompetitiv besetzt, das heißt männliche und weibliche Bewerber stehen in direkter Konkurrenz um die zu besetzenden Stellen, wobei Männer über weit verzweigte Netzwerke verfügen und Frauen zumeist als Außenseiterinnen auftreten (vgl. Holst u. Wiemer, 2010). Frauen sind entsprechend dieser Zahlen einerseits inzwischen selbstverständliche Beteiligte in Arbeitswelten, jedoch eindeutig Minderheiten in Führungsebenen. So weist Wülfing (1998) darauf hin, dass »laut Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie [...] der Anteil von Frauen in hohen Führungspositionen der Privatwirtschaft in Großbetrieben 3,2 %, in mittleren Betrieben 8,1 % und in Kleinbetrieben 9,3 % beträgt« (zitiert nach Lemke, 2004, S. 31). Zudem könnten unterschiedliche Studien zu Segregationslinien2 ein vertiefendes Verständnis für äußerst unterschiedliche Kontextbedingungen für Männer und Frauen in verschiedenen Bereichen und Branchen liefern. So waren männliche Führungskräfte nach Untersuchungen von Bischoff (1990) »sehr viel häufiger als weibliche Führungskräfte im Bereich Marketing, Vertrieb, Verkauf sowie im Bereich des sogenannten General-Management tätig (S. 72 ff.), oder in der Industrie, vor allem im Bereich Produktion. [...] Frauen konzentrieren sich vor allem [...] in den Bereichen Personal, Ausbildung, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit« (Quack, 1997, zitiert in Lemke, 2004, S. 41). Döge stellt fest: »Vor allem der Arbeitsmarkt stellt eine zutiefst männlich geprägte Institution in unserer Gesellschaft dar und besitzt eine zentrale Rolle in der Reproduzierung der Geschlechterhierarchie« (2001, S. 119). Dies scheint auch 2010 noch zu gelten.29 Dazu passt die Überlegung, dass die Balancierung von beruflichen und privaten Rollen bei Männern und Frauen mit vermutlich sehr unterschiedlichen Fragestellungen verbunden sein könnte. Kleinert (IAB) meint in der der FAZ: »Teilzeit bleibt eine Karrierefalle«, und später: »In Führungsetagen bleibt Teilzeit ein Randphänomen und reine Frauensache.« Mit Zahlen wird das in diesem Beitrag wie folgt belegt: »Nur zwei Prozent der männlichen Führungskräfte reduzierten ihr Pensum – dabei zeigten Umfragen immer wieder, dass eigentlich auch die Väter gern mehr Zeit für ihre Familien hätten.« Aus all diesem wird geschlussfolgert: »Wer sich für ein bisschen Arbeit und ein bisschen Familie entscheidet, entscheidet sich in aller Regel gegen die Karriere« (Amann, 2010). So weit die Diagnose, könnte man sagen – trotz des inzwischen gesetzlich fixierten Anspruchs auf Teilzeitarbeit. Geschlechter- und Sozialisationsforschung
Die historischen Anfänge der Geschlechterforschung lassen sich mit den Metatheorien der feministischen Frauenforschung und des Sozialen Konstruktivismus beschreiben 2
Segregation, lat. Ausscheidung, Trennung: soziologischer Begriff, wird bei der Erforschung beruflicher Ungleichheit der Geschlechter angewandt. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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(vgl. Steins, 2010). Vor diesem Hintergrund entwickelte sich ein interdisziplinäres Feld zur Erforschung von Auswirkungen und Dynamiken in Bezug auf das Geschlecht aus geistes-, kultur- und sprachwissenschaftlichen Disziplinen (vgl. dazu Löw u. Mathes, 2005). Im Fokus unterschiedlichster feministischer Perspektiven und anderer Genderforschungen stand und steht die kritische Reflexion gesellschaftlicher Bedingungen und damit auch wissenschaftlicher Erkenntnisse hinsichtlich der für das Zusammenleben von Frauen und Männern herrschenden Machtverhältnisse. Der Unterscheidung von Sex und Gender in den 1980er Jahren (Unterschied zwischen dem biologischem und dem sozialem Geschlecht) folgte die Weiterentwicklung zum »Doing Gender« (Auseinandersetzung mit den sozialen Auswirkungen des biologischen Geschlechts). Die jüngste Begrifflichkeit des »Gender Mainstreaming« fokussiert das Thema der Chancengleichheit für Männer und Frauen und die Fähigkeit oder Kompetenz, diesbezüglich bedeutsame Aspekte zu erkennen und zur Sprache zu bringen (vgl. dazu z. B. Dohm, 1872, 1986; de Beauvoir, 1949; Stoller, 1968, West u. Zimmerman, 1987; Butler, 1990, 2003; Goffman, 2001; Meuser u. Neusüß, 2004). Konstruktivistische Modelle gehen davon aus, dass Wirklichkeit immer an die Wahrnehmung der Beobachterin gekoppelt ist und unterschiedlichste Kontextbedingungen (z. B. kulturelle, wirtschaftliche, soziale, historische, politische) diese Beobachterperspektive permanent beeinflussen (vgl. z. B. Bateson, 1990; Gergen, 1999, Gergen u. Gergen, 2009). Folgt man dem sozialkonstruktionistischen Modell in Bezug auf die Variable Geschlecht, hieße das, Geschlechtsidentität als sozialen Prozess zu verstehen, in dem sich im Laufe individueller Sozialisation das Erleben und Verhalten des Menschen formt und immer wieder verändert. Der Prozess der Erkenntnisgewinnung ist dabei selbst dauerhaft kontextgebunden, so dass zum Beispiel auch die Idee, dass die Verteilung von Macht sich auf das Zusammenwirken der Geschlechter auswirkt, vor allem eine kontextgebundene Information des jeweiligen Beobachters darstellt. Hier schließt die Theorie des sozialen Konstruktionismus die Reflexion auf der Metaebene selbst in die Erzeugung von Bedeutungszusammenhängen ein. Kognitive Neurowissenschaften
Jordan (2010) stellt aktuelle Forschungsergebnisse zu den Fragen einer biologischen Determinierung von Gehirn und Verhalten in Bezug auf Geschlechterdifferenzen vor und skizziert die aktuelle Diskussion darüber, welche Modulations- und Einflussmöglichkeiten sich durch bestehende Stereotype auf kognitive Leistungen und entsprechende Hirnfunktionen ergeben können. Fazit scheint, dass geschlechtsspezifische Unterschiede im »biologischen System« von Männern und Frauen festzustellen sind (z. B. Größenunterschied der Gehirne, mentale Rotationsleistung usw.), dass aber davon ausgegangen werden kann, dass individuelle Unterschiede bedeutsamer sind als geschlechtsspezifische (Schienle, 2007; Welcome et al., 2009). Neurowissenschaftliche Studien belegen die strukturelle und funktionelle Plastizität des Gehirns und unterstützen so die Ergebnisse experimentalpsychologischer Studien hinsichtlich der Bedeutung von sozialen und Umweltfaktoren, von Lernen und Erfahrung auf unser Gehirn und Verhalten, wie zum Beispiel auch die prägende Wirkung von Stereotypen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Sozialisationsforschung
Aus sozialpsychologischer Sicht wird Geschlecht im sozialen Kontext konstruiert. Im Vordergrund von Untersuchungen stehen somit »Situationsfaktoren, in Abhängigkeit von denen das Geschlecht von Personen relevant wird oder aber nicht« (Hannover, 2010, S. 27). Unter anderem kann angenommen werden, dass alle Menschen schon sehr früh beginnen, Geschlechtsrollenstereotype im Sinne sozial geteilter Annahmen darüber zu entwickeln, wie sich männliche und weibliche Personen unterscheiden oder unterscheiden sollten (Deaux u. Kite, 1993). Diese Annahmen bilden die Basis für die Geschlechtsidentität, sind im Gedächtnis repräsentiert, können durch soziale Situationen aktiviert werden und wirken sich auf Verhalten in entsprechenden Situationen aus. Dies geschieht vor allem dadurch, dass sie an der Ausbildung von Erwartungen und Erwartungserwartungen und den daraus abgeleiteten Handlungen beteiligt sind (Deaux u. LaFrance, 1998). Trotz der damit verbundenen Fülle von Möglichkeiten stimmen »deskriptive und präskriptive Geschlechtsrollenstereotype über Kulturen hinweg dahingehend überein, dass weibliche Personen fürsorglich und emotional expressiv sind bzw. sein sollten, männliche Personen hingegen in ihrem Verhalten dominant und autonom« (Williams et al., 1999, zitiert in Hannover, 2010, S. 27). Der Gebrauch des Wissens über die eigene Geschlechtszugehörigkeit als Teilaspekt des menschlichen Selbst kann sehr unterschiedlich ausgebildet sein. Bem (1981) unterscheidet dabei schematisch orientierte Personen (diese beschreiben sich sehr stark über maskuline oder feminine Eigenschaften) von aschematisch orientierten Personen (diese beschreiben sich sowohl männlich als auch weiblich). »Zusammengefasst wird Geschlecht in sozialen Situationen um so wahrscheinlicher konstruiert, je stärker die Geschlechtsidentität der Beteiligten geschlechtstypisiert ausgeprägt und je stärker schematisch sie ist« (zitiert in Hannover, 2010, S. 30). Unterschiedliche Autoren beschreiben, dass bei der Konstruktion des Selbst geschlechtsabhängig unterschiedliche Normen maßgeblichen Einfluss nehmen. So auch darauf, ob Personen auf eine independente Orientierung (getrennt und verschieden von anderen) oder eine interdependente Orientierung (enge Beziehungen oder Gemeinsamkeiten mit anderen werden in die Beschreibung des Bildes über sich selbst einbezogen) zurückgreifen (Markus u. Kitayama, 1991; Cross u. Madson, 1997). Cross und Madson zeigten in einem Experiment, wie dies über Geschlechtsrollenstereotype vermittelt wird. Männer und Frauen beschrieben die »typische Frau« stärker mit interdependenten Stereotypen als den »typischen Mann«. Ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so ausgeprägtes Bild zeigt sich bezüglich independenter Zuschreibungen für »typisch Mann«. Die Vermutung scheint begründet, dass mit den unterschiedlichen Normen, die mit independenten und interdependenten Orientierungen einhergehen, unterschiedliche Konsequenzen in der Informationsverarbeitung und damit im Denken, Fühlen und Handeln bei Männern und Frauen korrespondieren und begünstigt werden können. Welche Auswirkungen haben diese Fundstücke für die Arbeit mit Geschlechterperspektiven im Coaching? Man könnte sagen: Geschlechtstypisierte Erwartungen und Erwartungserwartungen sowie eine hohe geschlechtstypisierte (Selbst-)Wahrnehmung stellen in Interaktionen (also auch im Coaching) relativ sichere Garantien für das Aufrechterhalten oder auch Verstärken von Geschlechtsrollenstereotypen dar. In welchen Situationen könnte das von Nutzen sein? Wann schaden? Was würde die Metareflexion zu dieser Frage verändern? © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Bevor wir diese und ähnliche Überlegungen fortsetzen, möchten wir zunächst die Ergebnisse einer Befragung vorstellen, an der 19 Coaches teilnahmen.
Interviews zur Bedeutung der Geschlechterperspektive in der Coachingarbeit Die Grundlage für diesen Beitrag stellen 19 Interviews mit zehn männlichen und neun weiblichen Coaches3 aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen dar, die wir bezüglich ihrer Erfahrungen und Überlegungen zur Bedeutung geschlechtsspezifischer Perspektiven in ihrer Arbeit als Coach befragten.30 Die Befragung wurde zum Teil anhand eines halbstandardisierten Fragebogens durchgeführt, zum Teil im persönlichen Interview. Fast die Hälfte der 19 von uns befragten Coaches (fünf männliche und drei weibliche) sprechen Geschlechtsspezifität im Vergleich mit anderen Themen »eher seltener« an. Fünf weibliche Coaches und zwei männliche arbeiten mit dem Thema, wenn es von den Coachees gewünscht wird und/oder wenn dem Thema im Coachingprozess Bedeutung zugeschrieben wird. Das wurde beschrieben als: – »wenn von Klienten als Deutungsperspektive angeboten« (w), – »Angebotshoheit liegt bei Klienten« (m), – »die Gender-Perspektive immer im Gepäck« (m), – »wenn dazu eigene Hypothesen bedeutsam erscheinen« (w), – »wenn Gender in der Luft liegt, Gender als eine mögliche Hintergrundperspektive« (m). – »Ich denke, die Genderperspektive ist für mich – ähnlich wie andere grundlegende Dimensionen von Selbstkonstruktion – eine ständig mitlaufende Hintergrundfolie, die aber in der Beratung nicht immer ›aufgerufen wird‹« (w). – »Mir ist es wichtig, darauf zu achten, dass das eine von vielen möglichen Unterscheidungen ist. Bin mir bewusst, dass ich als Coach das Thema nicht aufdrängen will« (m). Die Mehrheit der Befragten (12) sprach die Geschlechterperspektive häufiger im Coaching von Frauen als von Männern an. Nur zwei männliche Coaches taten dies häufiger im Coaching mit Männern, während zwei männliche und zwei weibliche Coaches angaben, mit beiden Geschlechtern zu diesem Thema zu arbeiten. Die Arbeit mit der Genderperspektive sei von Männern »eher als Überraschung erlebt worden, hätte dann aber durchaus erweitertes Denken und neues Tun ermöglicht« (m). Von mehreren Coaches hörten wir die Einschätzung, dass der Ausgangspunkt »der Notstand und das Leid der Frauen in Auseinandersetzung mit Rollen, Macht, Geld und Ungerechtigkeit durch Ungleichbehandlung, wenn es um Führung geht« (w), sei. »Frauen kämpfen und leiden dabei aus meiner Sicht aber deutlich mehr, zweifeln auch 3
Dank an die Interviewpartner: 1. Dominik Bachmair, München; 2. Dr. Hagen Böser, Frankfurt; 3. Dorothee von Bose, München; 4. Axel Buschalla, München; 5. Dr. Diana Drexler, Wiesloch; 6. Cornelia Emunds, Berlin; 7. Robert Hennes, Berlin; 8. Elisabeth Kühne, Hamburg; 9. Tom Levold, Köln; 10. Dr. Karin Martens-Schmid, Köln; 11. Haja Molter, Köln; 12. Dr. Denis Mourlan, Frankfurt; 13. Dr. Anke Nienkerke-Springer, Köln; 14. Karin Nöcker, Köln; 15. Tom Pinkall, Berlin; 16. Lutz Schiffel, München; 17. Petra Sontheimer, Köln; 18. Karin Struhs-Wehr, Köln; 19. Dr. Werner Vogelauer, Graz © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Einflüsse und Bedeutung der Geschlechtsspezifität im Coaching
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mehr« (w). Fünf der befragten weiblichen Coaches und zwei männliche arbeiten zu Gender eher in der gleichgeschlechtlichen Konstellation: »eher gleichgeschlechtlich, Männer reagieren irritiert, wenn ich als Frau dazu Fragen stelle. Fühle mich selbst unsicher« (w). Jede zweite der Befragten gab an, dass das unabhängig von der Konstellation sei, »als gleichgeschlechtlicher Coach biete ich Identifikationsfläche, als gegengeschlechtlicher Coach biete ich eine Auseinandersetzung mit einem gegengeschlechtlichen Rollenbild« (m). Zwei Frauen waren der Meinung, dass die Geschlechterkonstellation für den Coachee von größerer Bedeutung sei: »Ich vermute, dass es eher für den Kunden eine Rolle spielen könnte, ob ein gleich- oder gegengeschlechtlicher Partner ihm/ihr gegenüber sitzt. Mein Eindruck ist, dass es Männern manchmal sogar leichter fällt, mit Frauen über das Thema ›männliche Konkurrenten‹ oder emotionale Belastung zu sprechen« (w). Auf die Frage, in welchen konkreten Situationen und bei welchen Fragestellungen nach Einschätzung der Coaches eine geschlechtsspezifische Perspektive sinnvoll und zielführend sein könnte, wurde erneut deutlich, dass eine solche Fragestellung vorrangig auf ein Coaching von Frauen bezogen wird, eventuell im Sinne von »genderspezifisch gleich frauenspezifisch«?: – »Ich glaube, Frauen sind bezüglich solcher Fragen sensibilisiert, sind häufiger negativ betroffen, sprechen die Thematik eher an« (w). – »Frauen und Führung: Geht das überhaupt? Ich beobachte zum Beispiel, dass Frauen in solchen Positionen keine Kinder haben. Die Männer haben Kinder, weil sie eine Frau zu Hause haben, die sich um die Kinder kümmert. Oder auf eine halbe Stelle gehen oder eine viertel Stelle haben. Männer, die sich da anders entscheiden, findet man nicht in solchen Positionen. Vielleicht gibt es da schon welche mit solchen Einstellungen, aber das wird keiner sagen. Erstmal, weil die Bedingungen das nicht zulassen. Es gibt sicher auch den einen oder anderen Mann, der darunter ein bisschen leidet, dass es so ist, wie es ist, aber letztendlich gehen die Anforderungen in eine andere Richtung« (w). Darüber hinaus wurden von unseren Interviewpartnerinnen als Hauptthemen die »Reflexion der eigenen Rolle als weibliche Führungskraft« (m), »die Karriereplanung als Frau« (m) und der »individuelle weibliche Führungsstil« (w) sowie »Unterschiede im Führungsstil als Mann versus Frau« (m) genannt. In diesem Zusammenhang wird überwiegend thematisiert, wie sich Frauen in einem vorrangig männlichen Umfeld positionieren und durchsetzen: – »Entwicklung eines passenden Führungsstils« (m), – »der Umgang mit Macht, mit Emotionen, mit Konkurrenz« (w), – »Abwägung von Anpassung und Abgrenzung« (w). – »Vor allem im Coaching weiblicher Führungskräfte beobachte ich regelmäßig, dass sie sich ihrer Weiblichkeit fast berauben. Sie agieren in dem Glauben, nicht mit ›den Waffen einer Frau‹ kämpfen zu dürfen. Sie handeln nach den Regeln des Boy’s Club und scheitern aber immer wieder an den Grenzen des Clubs« (m). Dabei kann es um konkrete Situationen im Arbeitskontext gehen, wie Asymmetrien in der Zusammensetzung von Arbeitsteams oder Vorständen, um offensichtliche Benachteiligung bei Aufgabenverteilungen, Gehaltsforderungen und Beförderungsmaßnahmen, wie auch um Themen wie den Umgang mit tradierten Beziehungsmustern, Über© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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tragungssituationen oder die individuelle Positionierung im beruflichen Kontext und das ›Eigenmarketing‹ der eigenen Person und Leistung. Das spiegelte sich in folgenden Formulierungen wider: – »da es für deren Perspektive auf ihre berufliche Situation hilfreich und oftmals notwendig erscheint, sie in der Perspektive einer Frau zu unterstützen und auch nochmals die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass sie sich zwar in einer meist von Männern dominierten Welt bewegen, dass sie aber immer noch Frau sind und sich damit bestimmte Qualitäten verbinden« (w). – »Wenn weniger als 30 % Frauen im Unternehmen sind, dann muss eine Frau zähneknirschend hinnehmen, dass es für sie nicht einfach wird, denn sie hat dann den Austausch und das Netzwerk nicht. Frauen netzwerken aus meiner Sicht auch nicht so wie Männer. Konturierung fällt Frauen schwerer nach meinem Eindruck. Wie setze ich mich und meine Interessen durch?« (w). Eine geschlechtsspezifische Perspektive könnte, so die Interviews, als erweiternder Aspekt auch im Coaching von Männern genutzt werden, wenn es um die Klärung der individuellen Zuschreibungen in der Rolle des berufstätigen Mannes geht: – »Wir haben männliche und weibliche Zuschreibungen. Die Frage ist für mich immer, welche Funktion haben diese Zuschreibungen? Meistens Ab- oder Aufwertungen der entsprechenden Person ... Führungskräfte als ›Opfer‹ männlicher und weiblicher Zuschreibungen« (m). – »starke Konkurrenz, wodurch fühlt er sich eingeschüchtert, wie wirken eigentlich andere Männer auf ihn, welche Bilder tauchen auf« (m). Unsere Interviewpartner empfehlen, unterschiedliche Kommunikationsstile und -strategien und deren Bedeutung für die Karriereentwicklung besonders zu beachten (vgl. auch Martens-Schmid, 2006). So wurden »typisch weibliche« Kommunikationsstile beschrieben, denen oft entsprechend stereotype Bedeutungsinhalte zugeordnet werden, wie zum Beispiel weiblich = freundlich = nachgiebig. »Und da habe ich den Eindruck, dass Frauen das deutlich noch mal übertreiben. Übertreiben in: Ich bin noch zurückhaltender und noch lieber, wenn es darum geht, ich tu dir einen Gefallen und all diese ganzen Geschichten. Führt aber dazu, dass sie sich ins eigene Knie schießen, indem es dann heißt, du kannst dich nicht durchsetzen« (w). In diesem Zusammenhang wurde auf die Bedeutung der Frage hingewiesen: »Was ist der Kommunikationsstil des (zumeist männlich geführten) Unternehmens, ist es sinnvoll, sich anzupassen oder sich abzugrenzen?« Ein anderer Schwerpunkt im Coaching von Frauen war nach Angaben fast aller Interviewpartner die Balancierung und Vereinbarkeit beruflicher und privater Rollen. – »Job – Familie und hier auch ganz besonders das Thema Doppelbelastung« (w), – »Überforderung bis Burnout« (w), – »Work-Life-Balance« (m), – »Frau in Führungsposition mit Kindern/Wunsch nach Kindern« (w), – »Umgang mit Diskriminierung als Rabenmutter« (w). Die Ausbalancierung privater und beruflicher Beanspruchung und ein damit verbundener Leidensdruck wurde vereinzelt auch als Anlass für ein Coaching mit Männern © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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genannt: »Frau in einer Führungsetage mit männlichen Kollegen, da ist das klar, aber das heißt überhaupt nicht, dass das für Männer kein Thema wäre. Also, wie setze ich mich in einer Männergesellschaft durch oder wie bestimme ich da meine eigene Position oder meine ›Work-Life-Balance‹« (m). Als hilfreich zur Entwicklung spezifischer Coachingstrategien wurde von der Mehrzahl der befragten Coaches eine gemeinsame Reflexion impliziter und expliziter geschlechtsspezifischer Konstruktionen in der Selbst- und Fremdwahrnehmung und die Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypien der folgenden Art genannt: – »dass im Sprechen über Unterschiede maximal eine Erkundung der Konstruktionen der zu coachenden Personen möglich ist und ihrer Bilder, wozu es nützlich sein könnte, den Kategorien männlich und weiblich eine Bedeutung zuzumessen« (m). – »Die Arbeit mit Genderperspektiven wird von den Coachees sowohl als Ent- wie auch als Belastung erlebt, als Erklärung wie auch als Zuschreibung« (m). – »Es geschieht beides: Mal ist der Weg über die Geschlechterrolle leichter, als sofort ins Zentrum, zum Beispiel Ablösung von Vater/Mutter, zu gehen. Mal ist es nützlich, Stärken der Geschlechterrolle für die berufliche Rolle zu nutzen« (w). Die eigene geschlechtsspezifische Sozialisation sowie mehrgenerative Übertragungssituationen und Aufträge aus der Herkunftsfamilie erwiesen sich als weitere klärende und zielführende Fragestellungen in der Coachingarbeit. Besonders die weiblichen Coaches berichteten von der Strategie der »Utilisation von Stereotypen« als Möglichkeit der individuellen Positionierung und des Eigenmarketings im Sinne von »Personal Branding«: »dass sie aber immer noch Frau sind und sich damit bestimmte Qualitäten verbinden. Ich denke, dass das Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen auch im Arbeitskontext mehr Handlungsmöglichkeiten und Lösungswege ermöglicht« (w). In Einzelfällen wurde auch die Unterstützung von Gleichgeschlechtlichen im Sinne einer Solidarisierung als strategisch hilfreich bezeichnet: »Es gibt so etwas wie gefühlte Solidarität« (w). Die Selbstwahrnehmung der befragten Coaches erwies sich als außerordentlich vielfältig und reichte von Aussagen, dass das Geschlecht eher keine Rolle spiele bis hin zu sehr differenzierten Abwägungen, ob die eigene Geschlechtszugehörigkeit für den jeweiligen Prozess unterstützend oder einschränkend erlebt wird: – »Ich vermute, dass es eher für den Kunden eine Rolle spielen könnte, ob ein gleichoder gegengeschlechtlicher Partner ihm/ihr gegenüber sitzt« (w). – »dass es Männern manchmal sogar leichter fällt, mit Frauen über das Thema männliche Konkurrenz oder emotionale Belastung zu sprechen. Völlig unabhängig wird das Geschlecht sicherlich nicht sein, von daher würde ich für mich eher die Formulierung ›scheinbar unabhängig‹ wählen« (w). – »Ich glaube, dass ich als Frau mehr für dieses Thema sensibilisiert bin. Frauen sind mehr als Männer Opfer einer Ungleichbehandlung in einer durch Männer dominierten Welt« (w). – »Ich bin auch in meiner Mannrolle geprägt, auch wenn ich versuche, ›neutral‹ zu sein« (m). – »Es macht natürlich immer einen Unterschied, denn mein eigenes Geschlecht bestimmt meine Haltung, Kommunikationsstil, Fragemodus und endlos weiter und die Art der Kontaktaufnahme mit meinen Coachees, beginnend bei der Begrüßung« (w). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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– »Mir ist bewusst, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind. Ich benutze öfters die Position: Ich bin ein Mann, wenn jetzt meine Kollegin hier wäre ... Oder: Wenn ich mich in die Position einer Frau versetzen würde ...« (m). Viele der Antworten wiesen auf die Ambivalenz hin, einerseits durch die Benennung möglicher Unterschiede auch Unterschiede zu manifestieren, andererseits aber durch das Nichteingehen auf Unterschiede die Chance zu verpassen, mit den Unterschiedskonstruktionen zu arbeiten, gegebenenfalls Stereotype zu demaskieren und mit Variationsmöglichkeiten zu spielen: – »Ich persönlich frage mich, ob die Thematisierung überhaupt von Nutzen ist, da ja die Gefahr besteht, Verhaltensweisen auf das Geschlecht und nicht auf die Person selbst zurückzuführen, zum Beispiel: ›Sie sind eine Frau, das ist typisch für eine Frau!‹« (m). – Oder auch fast poetisch formuliert: »Wenn es vom Coach als Hypothese verfolgt wird und er diese Hypothese ›in den Baum geschnitzt hat‹, ist die Wahrscheinlichkeit groß, Unterschiede zu finden oder zu produzieren« (w). – »Wir müssen mit ›Lieblingsthemen‹ vorsichtig sein« (m).
Schlussfolgerungen »Es gibt Männer und Frauen.« Diesen banalen wie auch unter Umständen zur hitzigen Diskussion (ver)führenden Satz halten wir auch im Coaching für grundlegend. Einher geht damit die Empfehlung, die Neugier für das Zusammenwirken der Geschlechter im Sinne einer Sensitivität für geschlechtsspezifische Themen im aktiven Arbeitsspeicher aufrechtzuerhalten, sowohl in Bezug auf die Bearbeitung der Fragestellungen männlicher wie weiblicher Klienten als auch für die Interaktion und den diesbezüglich bedeutsamen Verantwortungsbereich in der Prozessgestaltung im Coaching. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich individuell ausgebildete Geschlechtsrollen-Stereotype als mitgestaltende Kräfte in Coachingprozessen zeigen und somit sowohl die Coaches selbst wie deren Kunden mehr oder weniger die im Laufe ihrer Sozialisation erworbenen Stereotype im Prozess beisteuern und in Verhalten umsetzen. Ebenso scheint es gute Gründe zu geben, alles, was geschieht, jenseits aller (Geschlechts-)Stereotypen als unverwechselbares und einzigartiges individuelles Sein vor dem Hintergrund individueller Geschichte bzw. als aktuelles Geschehen in einem bestimmten Kontext aufzufassen. Man könnte also die Reflexion von geschlechtsstereotypem Denken und Verhalten ebenso in den Vordergrund stellen wie die eines individuell unverwechselbaren Denkens und Handelns. So schienen es auch die meisten unserer Interviewpartnerinnen und -partner zu halten. Damit stehen wir als Coaches in einem Dilemma. Die Vor- und Nachteile einer je übergreifenden oder aber individuellen Argumentation lassen sich nicht zu einem widerspruchsfreien Ganzen zusammenfügen: – Fokussieren wir geschlechtsspezifisches oder geschlechterstereotypes Denken und Handeln, verstärken wir möglicherweise genau die Perspektive, die wir nicht so stark betonen möchten, denn – es gibt schließlich mehr, was wirkt. Oder anders gesagt: Das hat seinen Preis. Trotzdem kann mit der Orientierung auf geschlechts© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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spezifische Perspektiven diesbezügliche Reflexionskompetenz trainiert werden. So kann Wissen über und Selbsterkenntnis zu eigenen Geschlechtsrollenstereotypen entwickelt werden, wir können Ideen gewinnen, in welchen sozialen Situationen es zur Aktivierung eigener stereotyper Muster kommen kann. Eine Gefahr dabei könnte darin bestehen, bedeutsamen anderen Perspektiven zu wenig Beachtung zu schenken oder gar den Klienten etwas einzureden, ihn sozusagen zu übersteuern. – Fokussieren wir ausschließlich auf Individualität, Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit, laufen wir Gefahr, Geschlechterperspektiven und geschlechtsstereotypes Verhalten als bedeutungslos erscheinen zu lassen. »Lasst uns aus der Rolle fall’n, damit wir aus der Falle roll’n«: Was tun, wenn es so paradox zugeht? Als eine beruhigende Lösungsperspektive in paradoxen Situationen ließe sich formulieren, was uns allen bekannt ist: Inwiefern geschlechtsspezifische Aspekte in der Interaktion (z. B. im Coaching) Bedeutung gewinnen, unterliegt einem nur partiell kontrollierbaren Prozess, der im Dreieck Ich – du – Kontext immer wieder neu entsteht und zu leben ist. Als eine andere Perspektive und gleichermaßen methodisches Instrument erscheint uns eine Art »Geschlechter-Tetralemma« (vgl. zur Tetralemmaarbeit Varga von Kibéd, 2000) nützlich, in dem die Analyse und das Erkennen von Geschlechtsrollenstereotypen als »das Eine«, Individualität und Unverwechselbarkeit als »das Andere« beschrieben werden könnte. Zur Eröffnung eines nützlichen Diskursraumes tragen dann die Perspektiven des »Sowohl-als-auch« und des »keins von beiden« bei. Das »Sowohl-als-auch« könnte in Bezug auf das Geschlecht zum Beispiel die Frage sein, wie man sich vorstellt, in bestimmten Situationen mit dem selbst beobachteten oder vermutlichen Stereotyp »typisch Mann« oder »typisch Frau« offensiv und transparent umzugehen. »Keins von beiden« könnte bedeuten, sich anderen Faktoren, zum Beispiel im Sinne einer situativen Kontextanalyse zuzuwenden. Die fünfte Perspektive »das alles nicht, etwas ganz anderes« könnte die Suche nach Themen fördern, die das situationsbezogene Feld gänzlich verlassen (z. B.: »Ich wollte immer schon lieber etwas ganz anderes tun, woanders leben, mich anderen Bedürfnissen zuwenden, ›alte Rechnungen‹ begleichen etc.«). »Es gibt Männer und Frauen«: ein Unterschied, der einen Unterschied macht! Wir möchten einladen, auf die Breite der daraus resultierenden Fragestellungen innerlich vorbereitet zu sein sowie mit Aufmerksamkeit und wachsamer Sorge die Bedeutung geschlechtsspezifischer Aspekte im Coachingprozess zur Reflexion anzubieten, sie zu reflektieren und zu nutzen.
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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Tom A. Rüsen
Unternehmerfamilien ohne Familienunternehmen – Konsequenzen beim Verlust eines imaginären Familienmitgliedes Einleitung Beschäftigt man sich mit Unternehmerfamilien, trifft man regelmäßig auf Phänomene, die es so bei »normalen« Familien nicht gibt. Bei diesem Familientypus spielt das im gemeinsamen Eigentum befindliche Unternehmen oftmals eine dominante Rolle im familiären Leben. Gerade bei der Gründergeneration oder der ihr folgenden absorbiert die Arbeit im oder für das Unternehmen einen Großteil der Zeit der erwachsenen Familienmitglieder. Auch die familieninterne Kommunikation zu Hause wird häufig durch die Diskussion von aktuellen Herausforderungen – des Unternehmens – dominiert, das dadurch zu einem mehr oder weniger unsichtbaren»imaginären Familienmitglied« wird.1 Bei Unternehmerfamilien von Mehr-Generationen-Familienunternehmen (MGFU) stellt das gemeinsame Eigentum sogar einen zentralen Bindungsmechanismus für – auch entfernte – Verwandte dar, die sich ohne diesen wahrscheinlich gar nicht mehr kennen würden.31 Was passiert nun in Unternehmerfamilien, wenn das dazugehörige Familienunternehmen, unfreiwillig und durch kritische Entwicklungen ausgelöst, verkauft werden oder gar seine Existenz durch Insolvenzanmeldung beenden muss? Welche Auswirkungen auf die Familienrealität lassen sich in Unternehmerfamilien nach einem solch drastischen Einschnitt feststellen? Im Rahmen dieses Artikels sollen zwei Dinge versucht werden: Erstens werden Überlegungen zur Bedeutung des Verlustes eines der zentralen Identitätslieferanten einer Unternehmerfamilie angestellt. Dabei werden auf Basis durchgeführter Fallstudien typische Konsequenzen der durch den Wegfall des Unternehmens entstehenden drastischen Veränderung der familiären Lebenswelt behandelt. Hierzu wurden im Vorfeld dieser Ausführungen insgesamt vier offene Interviews mit Vertretern von Unternehmerfamilien geführt, die ihr Unternehmen mehr oder weniger freiwillig verkauft haben.2 Darauf aufbauend werden im letzten Teil erste Ansätze zum Umgang mit dem Verlust des imaginären Familienmitglieds entwickelt.32
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Der Begriff »imaginär« wird im Folgenden als ein Element der psychischen Empfindung bzw. der Vorstellung im Gedankenbild eines Menschen verstanden, ohne die negative Konnotation von Täuschungen, Hirngespinst, Halluzination etc. zu umfassen. An dieser Stelle möchte ich den Interviewpartnern, die allesamt anonym bleiben möchten, sehr herzlich für die Offenheit danken, mit der diese über eine der schwierigsten Phasen in ihrem Leben gesprochen haben. Zwei Interviews fanden mit Vertretern von Großfamilien statt, die das Unternehmen unter kritischen Bedingungen in der vierten bzw. fünften Generation verkauften. Zwei weitere Interviews wurden mit den Vertretern der zweiten Generation geführt, die das Unternehmen im Rahmen der Nachfolge verkauften bzw. verkaufen mussten. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Tom A. Rüsen
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Zum Zweiten soll – dem Anlass der Buchpublikation entsprechend – mit diesem Beitrag der Versuch gewagt werden, die Familienseite des Systemverbundes Familie und Unternehmen in Familienunternehmen zu untersuchen. Damit versucht der Autor als Ökonom dem Psychologen Arist von Schlippe eine dankbare Anerkennung für seine bahnbrechenden Beiträge zu den Wirtschaftswissenschaften zu überreichen. Der mit der Festschrift Geehrte hat in den letzten Jahren nicht nur eine ganze Reihe unterstützender Erklärungsmodelle aus seiner theoretischen Heimat, der Familienpsychologie, für die Wirtschaftswissenschaften (weiter)entwickelt, sondern er hat auch erfolgreich dazu beigetragen, dass diese in der immer noch betriebswirtschaftlich dominierten Forschergemeinde zu Familienunternehmen aufgegriffen und als grundlegendes Gedankengut verwendet werden.
Unternehmerfamilien – Familiendynamik vor dem Hintergrund eines angekoppelten Unternehmens »Nachdem wir unser Familienunternehmen verloren hatten, gab es ziemliche Probleme bei Zusammenkünften der Großfamilie, denn wir mussten uns ja plötzlich über so profane Dinge wie Urlaubspläne etc. unterhalten. Wir waren jetzt ja nur noch ›Verwandte‹, die Firma war ja weg, früher hatten wir uns nach spätestens zehn Minuten über irgendetwas im Unternehmen ausgetauscht.«3334
Ausgehend von der Tatsache, dass Familienunternehmen in den meisten Volkswirtschaften die dominante Unternehmensform darstellen (vgl. Klein, 2010; von Schlippe u. Klein, 2010), kann man fortschreiben, dass die vielen mit dem Betreiben dieser Unternehmensform beschäftigten Menschen hiermit auch ihren Lebensunterhalt bestreiten. Es handelt sich also volkswirtschaftlich um einen bedeutenden Unternehmenstypus, gesellschaftlich um einen bedeutenden Familientypus. Im deutschsprachigen Raum werden die hier zentralen Phänomene in der Betriebswirtschaft fälschlicherweise unter der Perspektive von Unternehmen mittelständischer Größenordnung (Mittelständler) betrachtet. Hierbei wird oftmals lediglich eine Größenklassifizierung, jedoch keine strukturelle Unterscheidung dieses Unternehmenstypus vorgenommen, und somit der enge Familienbezug und die damit einhergehenden Besonderheiten unberücksichtigt gelassen.3 Auch wenn bisher noch keine einheitliche Definition zu diesem Unternehmenstyp vorliegt, lohnt es sich, den »familiären Anhang« und insbesondere das transgenerationale Element in den Vordergrund zu stellen. Im Folgenden wird daher auf die Begriffsbestimmung des WIFU4 zurückgegriffen(vgl. u. a. Wimmer et al., 2005, S. 6; Plate, 2010; siehe auch www.wifu.de). Demnach handelt es sich bei 3
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Die häufig vorgenommene Gleichsetzung von Unternehmen mittelständischer Größenordnung und Familienunternehmen führt zu unnötigen Ausgrenzungen und Trennungsunschärfen. Hiernach würden prominente Vertreter dieser Unternehmensart wie zum Beispiel Haniel, Henkel, Freudenberg, Oetker, Merck, Voith, Rethmann etc., die maßgeblich durch die Eigentümerfamilien geprägt sind, nicht unter diesen Unternehmenstypus fallen. Zu dieser Problematik siehe auch BMWI, 2007, S. 10, Stiftung Familienunternehmen, 2007, S. 8, sowie Hennerkes, 1998, S. 27. WIFU – Wittener Institut für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke. Erstes universitäres Institut im deutschsprachigen Raum, das sich seit 1998 mit der wissenschaft lichen Beforschung von Familienunternehmen beschäftigt. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Unternehmerfamilien ohne Familienunternehmen
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einem Unternehmen um den Typ Familienunternehmen, wenn es sich ganz oder teilweise im Eigentum einer Familie oder mehrerer Familien bzw. Familienverbände befindet, und wenn diese aus einer unternehmerischen Verantwortung heraus die Entwicklung des Unternehmens maßgeblich bestimmen. Diese Verantwortung der Unternehmerfamilie(n) wird entweder aus einer Führungs- oder Aufsichtsfunktion bzw. aus beiden Funktionen heraus wahrgenommen. Dabei spielen die Rechtsform und Größe des Unternehmens keine Rolle. Das transgenerationale Moment ist für Familienunternehmen essenziell. Bei einem Unternehmen kann also, streng genommen, erst dann von einem Familienunternehmen gesprochen werden, wenn in der Familie geplant wird, das Unternehmen an die nächste Familiengeneration weiterzugeben. Start-ups oder eigentümergeführte Unternehmen sind in diesem Sinn allein noch keine Familienunternehmen. Was bedeutet dies nun für das Verständnis von Unternehmerfamilie? Analog zu der Logik dieser Unternehmensdefinition ist der Begriff »Familie« ebenfalls weiter zu fassen und reicht bei den folgenden Ausführungen über das klassische Verständnis einer Kernfamilie, bestehend aus Ehepartnern und ihren unmündigen Kindern, hinaus. Eine Familie umfasst somit eine Gruppe von Menschen, die in einem direkten verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen und von einer definierten Ursprungsehe abstammen, sowie deren Ehepartner (vgl. Klein, 2010). Dieser erweiterte Begriff schließt zusätzlich auch Geschwister, Cousinen und Cousins, Onkel und Tanten, also Personen unterschiedlicher Verwandtschaftsgrade mit ein, die im Kontext von Familienunternehmen häufig anzutreffen sind. Der in den folgenden Ausführungen im Vordergrund stehende Untersuchungsgegenstand Unternehmerfamilie soll nunmehr wie folgt definiert werden (vgl. Rüsen, 2008): Eine Unternehmerfamilie ist eine Gruppe von Menschen, die in einem direkten verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen, deren Entwicklung durch ein im gemeinsamen Eigentum befindliches Unternehmen geprägt wird. Verfügen in der Familie bereits Nachkommen des Unternehmensgründers über das im Familieneigentum befindliche Unternehmen, handelt es sich um eine Mehr-Generationen-Unternehmerfamilie (MGUF) . Dieses Verständnis hebt explizit die transgenerationale Prägung der Familie eines Familienunternehmens durch das im gemeinsamen Eigentum befindliche Unternehmen hervor. Im Verständnis von Unternehmerfamilien und Familienunternehmen als strukturell gekoppelte soziale Systeme ergibt sich eine zentrale Bedeutung des systematisch vorhandenen »Koppelungspartners«. Die über den Zeitverlauf stattfindende Koevolution führt zu einer systematischen wechselseitigen Nutzung und Inanspruchnahme für die jeweilige spezifische Ausbildung und Ausprägung der kommunikativen Binnenstrukturen des einzelnen Systems (vgl. Simon, 2002; Wimmer et al., 2005; sowie Wiechers, 2006). Entscheidend bei der Entwicklung der Familie ist dabei, dass hier eine Symbiose mit einem komplexen System eingegangen wird, das nach völlig anderen (betriebswirtschaftlichen) Eigenlogiken operiert, die auf denen ersten Blick mit den Logiken einer Familie nicht kompatibel erscheinen. Dennoch fungiert das Unternehmen über den Zeitverlauf mitunter als stabilisierende Reibungsfläche bei der Bewältigung des familiären Alltags und gegebenenfalls Veränderungen im Rahmen des natürlichen Familienzyklus. So finden bestimmte familiendynamische Prozesse vor dem Projektionshintergrund des gemeinsamen Unternehmens statt. Das Unternehmen kann dabei als ein Element erlebt werden, welches den Freiheitsgrad einzelner Familienmitglieder erheblich steigern kann (z. B. ökonomische Unabhängigkeit); gleichermaßen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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aber auch als eins, das diesen drastisch einschränken kann (z. B. öffentliches Auftreten eines Namensträgers eines Unternehmens mit hohem Bekanntheitsgrad). Schließlich versorgt das gemeinsam besessene Unternehmen die Mitglieder der Unternehmerfamilie regelmäßig mit Problemstellungen, die die um Lösung bemühte Familie zu einem konstruktiven gemeinsamen Handeln »ver/führt« (vgl. Klett, 2009). Aus diesem Verständnis von Unternehmerfamilie wird von vornherein klar, dass das Unternehmen einer Unternehmerfamilie nicht nur als ein sentimentales Investment im Vermögensportfolio einer verwandtschaftlich verbundenen Investorengemeinschaft anzusehen ist. Das Unternehmen spielt wegen seiner Einflussnahme auf den Entwicklungsverlauf der Familie vielmehr die Rolle eines maßgeblich prägenden und konstituierenden Elements dieser besonderen Familienform. Vielfach erleben Mitglieder von Unternehmerfamilien das Unternehmen als eine Art »imaginäres Familienmitglied«, dem ein Großteil der familiären Aufmerksamkeit zu Lasten der »restlichen« familiären Lebenswelt (insbesondere das gemeinsame Verbringen von Zeit) gewidmet wird. Auffällig oft gibt es Erwartungshaltungen hinsichtlich Ausbildung und Berufswahl an die Folgegeneration, bzw. an die eingeheirateten Ehepartnern im Blick auf Eingliederung und Anpassung an das familieninterne Kultur- und Wertesystem (vgl. Wimmer, 2005). Insbesondere bei MGUF hat das Familienunternehmen eine zentrale Relevanz als Identitätslieferant für die einzelnen Familienmitglieder. Die Zugehörigkeit zu einer Großfamilie mit transgenerationaler Geschichte (oftmals auch Bedeutung für eine Region) stellt einen emotionalen (Mehr-)Wert an sich dar, der oftmals mit der Bereitschaft einhergeht, auf das Maximum einer möglichen Rendite des hier investierten Vermögens zu verzichten (vgl. Simon et al., 2005). Entfällt dieser zentrale Faktor durch den Untergang oder Verkauf des Unternehmens, verliert die Unternehmerfamilie nicht nur ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zu anderen Familientypen. Fortan fehlt der bisherige »Partner« der Koevolution. Das System Familie muss sich mitunter sehr kurzfristig umstellen und auf das bisher angekoppelte »Schwestersystem« und die hierdurch vorhandenen Ressourcen und Anregungen im autopoietischen Reproduktionsprozess der Familienkommunikation verzichten. Zudem verändert sich für das System Familie schlagartig die relevante Umwelt. Teilweise haben dramatische Anpassungen an eine neue, »unternehmenslose« Umwelt zu erfolgen.
Auswirkungen des ungewollten Verlustes des gemeinsamen Unternehmens »Als das Unternehmen verkauft war und ich dort aufgehört hatte zu arbeiten, fühlte ich mich irgendwie amputiert. Alles das, wofür ich immer Tag und Nacht da gewesen war, war nun plötzlich weg. Die Mitarbeiter, meine ›Ersatzfamilie‹, waren weg, die Organisation, für die ich 24 Stunden am Tag gearbeitet hatte, war weg. Ich fühlte den Reputationsverlust täglich: die plötzlich veränderte Behandlung auf der Straße, wenn mich die Menschen in unserer Stadt anschauten. Wissen Sie, wir sind bei uns eine sehr bekannte Familie, die über Generationen einen bedeutenden Status innehatte. Die Einladungen zu Jagdausflügen, Partys oder sonstigen gesellschaftlichen Ereignissen blieben plötzlich aus ... Auch innerhalb unserer Familie war der Zusammenhalt, der uns über 100 Jahre stark gemacht hat, nun plötzlich weg. Entweder man ging sich aus dem Weg oder man zerstritt sich in Schuldzuweisungen, wer für das ganze Debakel verantwortlich war.« © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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In den bisherigen Forschungsergebnissen zu Krisensituationen in Familienunternehmen wird bereits deutlich, dass die Krise des Familienunternehmens in der Regel zu Krisen in der Unternehmerfamilie führt (vgl. Rüsen, 2008). Die Gründe liegen auf der Hand: a) die materielle Existenz der Familienmitglieder ist bedroht; b) das Selbstkonzept der im Unternehmen aktiven Familienmitglieder wird infrage gestellt; c) das vorherrschende mentale Modell der Unternehmerfamilie (sprich das hier vorhandene Familienkonzept) ist in Gefahr; d) das transgenerationale Lebenswerk, verstanden als die Verantwortung für die Fortsetzung der Familientradition und des Familienvermächtnisses, steht vor dem Ende; e) die typischerweise im Krisenkontext eskalierenden Familienkonflikte bergen ein hohes Risiko für das Zerbrechens der vorhandenen Familienstrukturen (vgl. Rüsen u. von Schlippe, 2007). Der tatsächliche Eintritt des Verlusts des »imaginären Familienmitgliedes« Unternehmen überfordert häufig die Familien in ihren Anstrengungen zur Stressbewältigung. Demgegenüber erleichtert eine proaktiv vorgenommene Verkaufsentscheidung (sukzessiver Einstieg von Investoren, Börsengang etc.), also ein frei gewähltes Ende des unternehmerischen Projektes durch die Familiengesellschafter, die Trennung. Hier stellt sich eine nachhaltige Zufriedenheit mit dieser Entscheidung bei den Familiengesellschaftern ein. Hingegen sind Zwangsverkäufe aufgrund von kritischen Entwicklungen (Unternehmenskrise, Eskalation von Gesellschafterkonflikten etc.) in aller Regel mit hohem Frustpotenzial bei den Familienmitgliedern verbunden. Auch Jahre nach dem Verkauf herrschen hier ausgeprägte destruktive psychische Belastungen (z. B. Hass auf die übrigen Familienmitglieder, Depressionen, nicht überwundene Trauer etc.) innerhalb des Familienverbundes (vgl. Klein u. Blondel, 2004). Bei der Nachfolgergeneration ist zudem eine anhaltende Orientierungslosigkeit nach dem Verkauf zu beobachten, da durch den plötzlichen Wegfall einer möglicherweise bereits seit der Kindheit angestrebten Zukunftsperspektive, »dereinst als Hüter und Bewahrer des Familienvermächtnisses zu fungieren«, eine große Leere übrig bleibt (vgl. Hughes, 1999). Die in der Vorstudie zu diesem Artikel gewonnen Ergebnisse zeugen von der hohen traumatischen Wirkung des Verlustes. Die Aussagen der Interviewpartner zu belastenden Elementen und Verlustgefühlen innerhalb der Unternehmerfamilie nach dem (unfreiwilligen) Verkauf des Familienunternehmens haben einen ähnlichen Tenor. Sie variieren allerdings in der subjektiv erlebten Intensität. Dies ist erheblich von den Umständen des Verkaufes bzw. von seinem »Freiwilligkeitsgrad« abhängig. Besonders die Möglichkeit, die unternehmerische Tätigkeit in anderen vorhandenen Unternehmensbeteiligungen fortzusetzen oder mit dem vorhandenen Vermögen neu aufzunehmen, erleichterte manchem Betroffenen den Verlust des Familienunternehmens. Aber auch hier, wie in den erschwerten Fällen, muss das Erlebnis des Verlustes bei allen als tiefgehend bezeichnet werden: auf die Frage, wie sich die Familiensituation direkt nach dem Verkauf dargestellt habe, wählten nahezu alle Interviewpartner den Vergleich mit einem Todesfall eines zentralen Familienmitgliedes. Ein Interviewpartner sprach von einer »persönlichen Amputation«. Die drastischen Sprachbilder verdeutlichen die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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immense Bedeutung des Unternehmens auf den verschiedenen psychosozialen Ebenen der Familien. Genauere Nachfragen ließen folgende Dimensionen des Verlusts durch den Verkauf des Familienunternehmens erkennen, die unabhängig von dem Vermögensstatus, den die Familie nach dem Verkauf innehatte, beschrieben wurden: 1. Verlust der Familienidentität: Durch die öffentliche Trennung der Familie von ihrem Unternehmen fällt ein zentraler Faktor des Familienkonzepts weg.5 Das bisherige mentale Modell ist nicht mehr aufrechtzuerhalten: dass man sich von »normalen« Mitgliedern der Gesellschaft unterscheidet, weil man Teil bzw. Repräsentant einer bedeutenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Größe ist, hat keine Grundlage mehr. Gleichzeitig wird plötzlich eine andersartige Behandlung durch das soziale Umfeld erlebt: die Umgangs- und Behandlungsformen im Alltag haben sich verändert; ebenso der Freundeskreis durch den Wegfall von Einladungen und Treffen. Es herrscht das ausgeprägte Gefühl, die Familienhistorie und -tradition, und damit vorhandene Herkunfts- und Ursprungsmythen verloren bzw. verraten zu haben. Überhaupt spielt die Vorstellung, einen »Verrat« an der Lebensleistung der Vorväter begangen zu haben, eine große Rolle und ist mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden. Eine offene Auseinandersetzung mit der veränderten Situation bzw. die Entwicklung eines neuen Identitätskerns wird vermieden oder als nicht möglich angesehen.35 2. Verlust eines übergreifenden Familienkorrektivs: Oft wird die Unternehmensphilosophie als Maßstab für Handlungen in der Familie verwendet. Das Unternehmen wirkt dann wie eine Art durch die Vorfahren geprägtes Wertekorsett, das als Richtschnur und Maßstab für die eigenen Verhaltensweisen herangezogen wird. Ihm fällt hier mitunter die Rolle eines »imaginären stummen Familienmitgliedes« zu, das einzig durch seine Existenz Einfluss auf die Familiendynamik und persönliche Entscheidungsoptionen ausübt. Bestimmten Bedürfnissen, Verhaltensweisen oder eigenen Wünschen wird oftmals »zu Gunsten« des Unternehmens nicht oder nur sehr eingeschränkt nachgegeben, »immer lebt man in Bezug auf die Notwendigkeit, beachten zu müssen, was dem Unternehmen nutzen oder schaden könnte. Mit dem Wegfall des Unternehmens verliert die Familiengemeinschaft ein »kollektives Korrektiv«. Sie steht vor der Herausforderung, dafür neue Substitute zu finden, zu entwickeln und zu akzeptieren, sei es in Form von Institutionen und Regelungen oder die individuelle Verhaltensanpassung aller Familienmitglieder – auch ein etwaiges Auseinanderdriften ihrer Mitglieder – auszuhalten. 3. Verlust des mentalen Lebensinhalts: Gerade für die langjährig im Unternehmen tätigen Familienmitglieder führt der ungeplante Ausstieg aus dem Unternehmen oft zu dem Gefühl, den »Lebenszweck« verloren zu haben. Die Haltung, ihre gesamte Schaffenskraft in den Dienst des Familienunternehmens zu stellen, wurde von einer zentralen Eigenmotivation gespeist, die nach ihrem Wegfall zu starken Verlustgefühlen führt. Die Form der in diesem Zusammenhang gewählten Beschreibungen 5
Unter Familienkonzept wird das kollektive »mentale Modell« einer Unternehmerfamilie verstanden, mit dem sie ihre Ziele, ihre Besonderheiten und speziellen Eigenschaften aufgrund des im Familieneigentum befindlichen Unternehmens in Abgrenzung zu anderen Personengruppen in der Eigenreflexion wertet. Bei diesem Verständnis wird das Modell des Selbstschemas von Markus auf das Familienkollektiv übertragen. Siehe hierzu Markus (1977) sowie Zimbardo und Gerrig (2004, S. 633 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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erinnerte den Verfasser an Aussagen von Ehepartnern, die ihren Ehegatten auf tragische Weise verloren haben (vgl. z. B. Carnelley et al., 2006; Znoj, 2006). Der Wegfall der persönlichen Zukunftsperspektive und die damit verbundene Unmöglichkeit einer Fortführung der Familientradition und deren Weitergabe an die nächste Generation wird als nicht wieder gut zu machende persönliche Einbuße empfunden. Hier scheinen die größten Probleme in der Verarbeitung der veränderten Situation zu liegen. Eine Kompensation der hinter diesen Gefühlen stehenden Motivation wurde häufig in neuen unternehmerischen Aktivitäten oder karitativen Engagements (z. B. Gründung einer gemeinnützigen Stiftung, Übername von Ehrenämtern etc.) gesucht. Die Ausführungen verdeutlichen, dass der ungeplante und durch externe Zwänge erfolgte Verlust des Familienunternehmens für die Mitglieder von Unternehmerfamilien kaum mit dem Totalverlust eines reinen Vermögensinvestments vergleichbar ist. Jeder, der bereits einmal an der Börse nennenswerte Geldbeträge durch Fehlspekulationen verloren hat, wird zwar bestätigen, dass hierdurch Wut, Verzweiflung und (in Abhängigkeit von der Höhe des dabei eingesetzten Vermögens) vielleicht auch Angstgefühle entstehen. Diese sind jedoch in kaum mit den angesprochenen Gefühlsbeschreibungen vergleichbar, die offenbar entstehen, wenn eine Unternehmerfamilie ihr Unternehmen verliert.
Die Aufgaben eines Beraters: Ansätze zur Unterstützung der Transformation von einer Unternehmerfamilie zu einer Familie ohne Familienunternehmen »Eine Trauerarbeit hat es in unserer Familie nicht gegeben. Im Zuge des Notverkaufes sind erhebliche Familienkonflikte ausgebrochen, die den Zusammenhalt der Familie zerstört haben. Für die einzelnen Familienteile ist dies nun ein Tabu-Thema, das auch jetzt noch keine gemeinsame Auseinandersetzung zulässt. Das Thema wird wohl erst mit den hieran beteiligen Personen beerdigt werden.«
Die Aussagen aus dem Kreis betroffener ehemaliger Unternehmerfamilien lassen erkennen, dass eine bewusste Aufarbeitung des Verlustes – geschweige denn ein systematischer Umgang mit der veränderten Lebenssituation – meist nicht stattfindet. Häufig werden neue Engagements oder Betätigungen gesucht, die massiven psychosozialen Veränderungen bleiben ausgeblendet bzw. in der Familienkommunikation tabuisiert. Die Phase, in der das Familienunternehmen verkauft werden musste, bzw. eine Insolvenzanmeldung erfolgte, wird verdrängt und beschwiegen; wenn dieses Thema aber Jahre später angesprochen wird, löst es starke Emotionen aus. Bereits die aus eigenen Überlegungen und Entscheidungen pro-aktiv vorgenommenen Verkäufe des Familienunternehmens hinterlassen traumatische Folgen und psychosoziale Probleme bei den Mitgliedern von Familienunternehmen (vgl. Hughes, 1999). Bei unfreiwilligen Zwangsverkäufen oder Verlusten durch Insolvenzanmeldungen sind sie jedoch um ein Vielfaches ausgeprägter (vgl. auch Klein u. Blondel, 2004). Zudem lässt sich beobachten, dass die Intensität der beschriebenen Verlustgefühle bei den aktiv im Unternehmen tätigen Familienmitgliedern ausgeprägter ist als die bei nicht aktiven Familiengesellschaftern. Im Falle von MGFU wirkt sich der Verlust des Unternehmens in der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Familie in der Regel umfassender aus als bei dem Untergang des Unternehmens bereits in der Gründergeneration. Diese Erkenntnisse sind bei der Entwicklung eines Konzeptes zur therapeutischen Begleitung und Beratung von Unternehmerfamilien zu berücksichtigen. Dem Verfasser erscheint es daher sinnvoll, bestimmte Elemente aus der Trauerbewältigung aufzugreifen und den empfundenen Verlust des imaginären Familienmitglieds Unternehmen gezielt zu bearbeiten. In den folgenden Ausführungen wird also eine erste VorgehensSkizze zur Unterstützung und Begleitung von Mitgliedern von Mehr-GenerationenUnternehmerfamilien nach dem Verlust des gemeinsamen Familienunternehmens entwickelt. Sie beinhaltet eine Doppelfunktion: a) als Hilfe für betroffene Familienmitglieder für eine innerfamiliäre Auseinandersetzung mit diesem Thema und b) als konzeptionell-theoretische Grundlage für die Arbeit von Beratern bzw. Therapeuten, die hier zum Einsatz kommen. Dabei werden die Vorschläge von Hughes zum Umgang mit den traumatischen Erfahrungen eines Firmenverkaufes verbunden mit den modifizierten Ansätzen zur allgemeinen Trauerbewältigung, die von Herz Brown für den Umgang mit Todesfällen von Familienmitgliedern in Familienunternehmen vorgeschlagen werden. Der zentrale Schwerpunkt der Unterstützungsarbeit wird also in der Moderation und gegebenenfalls Steuerung der Verlustbewältigung liegen sowie in der Begleitung bei der Entwicklung eines neuen Identitätskerns für die Familienmitglieder. Wie bereits ausgeführt, stellte das Unternehmen bisher den zentralen Identitätslieferanten für die Familie dar, gebündelt in Familiengeschichten, -mythen, -legenden und -traditionen. Die gängigen Vorschläge, sich mit der veränderten Situation nun eben durch Entwicklung einer neuen Familienidentität (z. B. als »Investorenfamilie« oder »einfache« Großfamilie eben ohne Unternehmen) zu beschäftigen, erscheinen vor dem traumatischen Erlebnis einer erzwungenen bzw. ungeplanten Veränderung der Lebensumstände als unzureichend. Vielmehr sollte hier mit den Mitteln der Trauerarbeit vorgegangen werden. Diese zielt nach Znoj 1. auf ein Realisieren und Akzeptieren des Verlusts und die Bewältigung der mit diesem verbundenen Umstände ab, 2. auf das eigentliche Trauern, welches mit dem Auflösen der emotionalen Bindung verbunden ist, und 3. auf die Wiederaufnahme des emotionalen Lebens, was mit der Aufnahme neuer, enger Beziehungen einhergeht (vgl. Znoj, 2009, S. 3). Mit einem solchen Vorgehen wird sich eine Auflösung des traumatischen Zustands in Unternehmerfamilien bewältigen lassen. Konkret auf die Verlustsituation eines Unternehmens angewendet, bestünde die Unterstützungsarbeit durch den Familienberater also in der systematischen Aufarbeitung der Krisen- und Konfliktprozesse in Firma und Familie, die zu dem Verlust des Unternehmens geführt haben. Eine moderierte Aussprache der Familienmitglieder könnte Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Vermutungen etc. behandeln, aber auch gleichzeitig den Gefühlen von Trauer, Wut und Verzweiflung Raum geben. Ausgesprochen ermöglichen sie auch den anderen Beteiligten, sich in ihrer Trauer gegenseitig anzuer© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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kennen und gemeinsam zu trauern. Das Teilen und Aussprechen der Trauer kann den Familienmitgliedern helfen, mit den aufkommenden negativen Gefühlen umzugehen (vgl. Herz Brown, 1993). In den Interviews äußerten die Beteiligten häufig, dass sie sich intensiv wünschten, »sich die Gefühle von der Seele zu reden«, es bedauerlicherweise in der Familie hierfür jedoch keinen geschützten Ort gab. Hat man das Zulassen der Trauer innerhalb der Familie erreicht, kann in einem nächsten Schritt die Familie dazu angeregt werden, erste gemeinsame »Trauermaßnahmen« zu ergreifen, die sich zum Beispiel in symbolischen Handlungen äußern. So kann es sinnvoll sein, bestimmte Teile der Familienhistorie explizit als »Familieneigentum« und unabhängig von der Unternehmensentwicklung herauszuarbeiten. Damit kann eine »postmortale Loslösung« von der Unternehmenszuschreibung und eine Familienfokussierung erfolgen. In jedem Fall hat eine strukturierte Auseinandersetzung mit den psychischen, gesellschaftlichen und auch den notwendigen finanziellen Konsequenzen für die einzelnen Familienmitglieder zu erfolgen. Auf dieser Basis können neue private bzw. berufliche Perspektiven entwickelt werden. Der Berater hat hier die Aufgabe, »den Blick nach vorn zu richten«. Eine Auseinandersetzung mit den bisherigen Wünschen, Zielen und Vorhaben ist unumgänglich, damit die Möglichkeiten ihrer Realisierung trotz der veränderten Situation betrachtet oder die Entwicklung neuer Perspektiven in Angriff genommen werden kann. Gerade eine MGUF verfügt oft über einen vorhandenen Erfahrungsschatz im Umgang mit Problemen und »Kollateralschäden« bei Vorgängergenerationen. Hier besteht eine gute Möglichkeit, vorhandenes Ressourcenpotenzial aufzuspüren und zur Neuausrichtung zu aktivieren. Im Rahmen dieses Prozesses erscheint es sinnvoll, gezielt die Werte und Ziele der Familie anzusprechen, um damit die Grundlage zur Entwicklung einer neuen Familienidentität zu erarbeiten. Hierhin gehören Fragen wie »Wofür stehen wir als Familie X eigentlich? Was zeichnet uns aus? Wohin wollen wir uns nun entwickeln? Wozu wollen wir unsere Arbeitskraft (und ggf. unser Vermögen) verwenden? Inwieweit wollen wir unsere Ressourcen weiterhin bündeln? In welcher Form soll der bisherige Verbund weiterhin aufrechterhalten werden? Welche neuen Kompetenzen benötigen wir?« etc. Die von den Familienmitgliedern in dieser Phase entwickelten Antworten können helfen, eine neue Familienstrategie und -identität zu bilden. Gleichzeitig ergeben sich aus der Beantwortung oftmals neue Anforderungen an die Kommunikations- und Governance-Strukturen der Familie. Das Beispiel eines führenden deutschen Büroartikelherstellers mag dazu dienen, wie man sinnvolle »Ersatzstrukturen« für die Organisation von Familiarität im Kontext von geschäftsmäßigen Aktivitäten entwickeln kann: Kurze Zeit, nachdem die Familie ihr Unternehmen verkauft hatte, gründete sie eine gemeinnützige Stiftung, in der sich ein Großteil der Familienmitglieder heute engagiert. Die Stiftungsratssitzungen fungieren nun als Rahmen für die vor- oder nachgelagerten Familientreffen. In positiven Fällen geht der Verlust des Familienunternehmens immerhin mit dem Gewinn eines umfangreichen liquiden Vermögens einher. Hier besteht für den Berater zusätzlich die Notwendigkeit, neue Kompetenzen im Umgang mit frei verfügbarem Vermögen aufzubauen. Nicht selten trifft man hier auf ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber dem Management und der Verwaltung des eigenen Vermögens durch fremde Dritte. Bisher waren ja die Familie, und insbesondere die aktiven Familienmitglieder, direkt für die Verwaltung des Familienvermögens zuständig, auch wenn die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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fachlichen Kompetenzen auf ganz anderen Gebieten lagen. Wenn Verwaltung eines großen Geldvermögens durch den Verkauf nun bei Experten zum Beispiel aus der Branche Maschinenbau landet, droht aufgrund der oft unzureichenden Kompetenz auf dem Gebiet der Vermögensverwaltung systematisch eine Gefahr von Vermögenseinbußen. Hughes weist eindrucksvoll auf Verluste durch Fehlinvestitionen meist in den ersten Jahren nach dem Verkauf hin.6 Die Aufgabe des Familienberaters besteht in diesen Fällen vor allem in zwei Tätigkeiten:36 1. im familieninternen Aufbau eines fundierten Know-how von Vermögensmanagement, und 2. in der Anregung zum Aufbau eines eigenen Family-Office oder zur Nutzung eines Multi-Family-Office. Hier sollte er einen Austausch mit anderen Unternehmerfamilien organisieren, die über eine derartige Einrichtung verfügen oder nutzen. Die hier aufgeführten zahlreichen Aspekte und Inhalte bei der Betreuung von Unternehmerfamilien nach dem Verlust ihres Familienunternehmens können nach Meinung des Verfassers in eine Vielzahl von Beratungsansätzen integriert werden. Bei entsprechender Qualifikation und Neutralität lassen sie sich sowohl vom Familiencoach bzw. -therapeuten, einer zentralen Vertrauensperson der Familie als auch von langjährigen Beratern anderer Professionen (z. B. Anwälten, Steuerberater) auf die eine oder andere Art wahrnehmen, wenn sie der Familie bei der Bewältigung von Trauerarbeit zu helfen.
Schluss Das Familienunternehmen hat für die Mitglieder der Unternehmerfamilie, insbesondere für die vom Typus MGUF, eine wesentlich tiefgreifendere psychosoziale Relevanz als ein rein finanzielles Anlageinvestment wie etwa ein Aktiendepot. Kommt es durch kritische Entwicklungen zu einem Zwangsverkauf oder gar zu einer Insolvenz des Unternehmens, wird dessen Verlust häufig wie ein tragischer Todesfall eines Familienmitgliedes empfunden. Für die Arbeit des Familienberaters in einer solchen Situation ist es notwendig, dass er sich systematisch um die Gefühlslage der Familie – hier Trauer, Verlusterfahrung, Trennungsleere – und um eine adäquate Trauerbewältigung bemüht. Die hier aufgezeigten ersten Ansätze dafür können in klassische Beratungsund Therapiekonzepte einbezogen werden. Es bleibt zu hoffen, dass insbesondere die Vertreter der Psychologie und Familientherapie durch die hier aufgezeigten Aspekte eines von der familientherapeutischen Seite angeregten Ökonomen Impulse für ihre Arbeit mit Unternehmerfamilien empfangen. Der Autor hofft, dem hier Geehrten (der nicht nur ein geschätzter Mitstreiter im Forschungsfeld zu Familienunternehmen, sondern auch ein persönlicher Freund geworden ist) so seinen Dank und eine kleine Gegengabe für die vielen Impulse, die er ihm durch seine Werke gab, zurückerstatten zu können. 6
»[...] all efforts are concentrated on obtaining the highest possible price for the business without knowing that 10–15 % of the proceeds will be fritted away in under-productive assets in the two years following the sale« (Hughes, 1999, S. 4). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die besondere Vitalität von Familienunternehmen: Die aktuelle Weltwirtschaftskrise und wie Familienunternehmen sie bewältigen Perioden besonders krisenhafter Verwerfungen differenzieren in jeder Branche die besonders guten Unternehmen von den mittelmäßigen und den aktuell gefährdeten aus. Solche Zeiten verschärfen die vorhandenen Unterschiede. Im Folgenden wollen wir diese Überlegungen speziell auf Familienunternehmen zuspitzen. Was lehrt uns die gegenwärtige Krise über die Verfasstheit von Familienunternehmen? Gibt es Besonderheiten von Familienunternehmen im Umgang mit dieser Krise? Lassen sich bei ihnen spezifische Bewältigungsmuster derselben beobachten? Besitzen Familienunternehmen eine charakteristische »organizational resilience« (zu diesem Begriff vgl. Gulati, 2010), die ihnen zu einer außergewöhnlich robusten Überlebensfähigkeit verhilft? Die vorliegende Arbeit stützt sich bei der Beantwortung dieser Fragen auf eine Reihe von empirischen Studien (vornehmlich auf Wimmer et al., 2009) sowie auf eine Vielzahl von Fallstudien, die in den vergangenen zwei Jahren durch unsere Begleitung von Familienunternehmen gemacht werden konnten.
Wann wird die aktuelle Weltwirtschaftskrise für ein Unternehmen tatsächlich zu einer Krise? Der schmale Grad zwischen Alarmismus und Leugnung bzw. Verharmlosung Wir wissen aus den unterschiedlichsten Forschungen, dass ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor in der Krisenbewältigung in der Fähigkeit der Führungsverantwortlichen besteht, in einer offenen, ungeschminkten Kommunikation zeitgerecht zu einer realitätsangemessenen Einschätzung der jeweiligen Ausgangslage des Unternehmens zu kommen. Dazu zählt auch die Gewinnung einer präzisen Vorstellung über die Prozessdynamik, die ein Unternehmen erfasst hat, und damit die Generierung eines tragfähigen, gemeinsam geteilten Bildes darüber, was passiert, wenn die Dinge ungebremst so weiterlaufen wie bisher. Üblicherweise ist das Fehlen dieser Fähigkeit ein wesentlicher Baustein im Krisen- und Scheiternsverlauf von Unternehmen (vgl. dazu etwa Lalonde, 2008; Mitroff, 1988; für die Scheiternsdynamik bislang besonders erfolgreicher Unternehmen vgl. Collins, 2009). Familienunternehmen machen bei diesen Selbsteinschätzungsschwierigkeiten überhaupt keine Ausnahme; im Gegenteil, einmal vom Erfolgskurs abgekommen, erweisen sich die Leugnungs- und Verharmlosungstendenzen an der Unternehmensspitze vielfach als besonders hartnäckig (dazu ausführlich Rüsen, 2008; Wimmer et al., 2005). Nun handelt es sich bei der aktuellen Wirtschaftskrise um ein makroökonomisches Phänomen weltweiten Ausmaßes. Ob überhaupt und in welchem Ausmaß diese wirtschaftlichen Verwerfungen bei den einzelnen Unternehmen in den betroffenen Branchen als Krise ankommen, ist sehr unterschiedlich. Deshalb besitzt die präzise Wahr© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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nehmung des eigenen Betroffenseins und die unternehmerische Interpretation der eigenen Lage eine herausragende Bedeutung. Wir haben darum am Höhepunkt der Krise im Juni und Juli 2009 circa 2000 repräsentativ ausgewählte Familienunternehmen in Deutschland eingeladen, an einer Studie zu diesen Fragen teilzunehmen. Mehr als 250 Unternehmen unterschiedlicher Größenordnung und Branchenzugehörigkeit sind dieser Einladung gefolgt (Wimmer et al., 2009). Die Auswertung der Befragung zeigt hinsichtlich des Grades des Betroffenseins der Unternehmen ein Bild, das sich in der Zwischenzeit durch eine Reihe weiterer Studien zusätzlich erhärtet hat (z. B. Schedl, Schwarz u. Schiller, 2010, S. 7). Knapp drei Viertel aller Unternehmen hatte 2009 mit zum Teil ganz erheblichen Nachfrageeinbrüchen zu kämpfen. Bei 25 Prozent betrug der Rückgang mehr als ein Drittel gegenüber dem Vorjahr. Bei der Hälfte der Unternehmen war der Auftragsrückgang noch zusätzlich von einem Preisverfall begleitet, was insgesamt in vielen Fällen zu höchst dramatischen Umsatzeinbußen führte. Bei mehr als 60 Prozent der Befragten ist die Umsatzrendite deutlich gesunken, ein Wert, der angesichts der Veränderungen der Nachfrage- und Preissituation nicht überraschen kann. An rund einem Fünftel der Unternehmen ging die Krise allerdings gänzlich vorbei. Sie berichten sogar von Zuwächsen und einer verbesserten Ertragslage (etwa im Handel und bei bestimmten Dienstleistern). Mitte 2009, also am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, wurde die eigene krisenbedingte Bedrohungslage von den Unternehmen sehr gegensätzlich eingeschätzt. Während 25 Prozent ihre aktuelle Geschäftsentwicklung noch als eher gut bis sehr gut bewerteten, empfanden ähnlich viele Unternehmen ihre Situation als bedrohlich bzw. sehr bedrohlich. Gut die Hälfte positionierte sich irgendwie dazwischen. Natürlich spiegeln sich in diesen Werten auch die unterschiedlichen branchenspezifischen Betroffenheitsgrade. Unternehmen mit einem besonders ausgeprägten Empfinden für ihr Gefährdetsein gehörten vornehmlich zur Automobilindustrie, zum Maschinen- und Anlagenbau, zur Elektrotechnik, zur Logistikbranche sowie zur Stahl- und Papierindustrie. Vergleicht man die Daten zu den konkreten Auswirkungen der Krise bezogen auf Umsatz und Ertragskraft mit jenen, die das Empfinden des eigenen Gefährdetseins zum Ausdruck bringen, so werfen die dabei sichtbar werdenden Unterschiede eine Reihe von hochinteressanten Fragen auf. Wie lässt sich das gemessen an den Fakten doch relativ gering ausgeprägte Empfinden des eigenen Bedrohtseins erklären? Das liegt sicherlich daran, dass der überwiegende Teil der befragten Familienunternehmen relativ gut gerüstet in diesen ungewöhnlich heftigen Abschwung gegangen ist. Die Unternehmen weisen im Schnitt eine Eigenkapitalquote von 40 Prozent aus. Bei gut einem Drittel liegt die Eigenkapitalausstattung sogar deutlich darüber. Offensichtlich hatte nur ein ganz geringer Prozentsatz von Familienunternehmen bereits am Beginn der Krise mit einer ausgedünnten Eigenkapitaldecke und einem hohen Verschuldungsgrad zu kämpfen. Damit konnten die Familienunternehmen auf der Grundlage einer gesunden, soliden wirtschaftlichen Basis den Herausforderungen des Abschwungs begegnen. Zum anderen gibt es aus der begleitenden Arbeit mit Familienunternehmen in den zurückliegenden beiden Jahren ausreichende Hinweise, um zu vermuten, dass gerade die gute ökonomische Ausgangslage viele Familienunternehmen in der ohnehin vorhandenen Selbstberuhigungstendenz bestärkt hat. Die Verantwortlichen konnten zwar die konkreten Auswirkungen der Krise beobachten und beschreiben. Man unterschätzt © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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aber häufig die kurz- und mittelfristigen Konsequenzen derselben bezogen auf das eigene Unternehmen. Aus dieser Unterschätzung resultieren nicht selten weitreichende Versäumnisse in der Bewältigung der Krisenherausforderung. Diese Tendenz zur Selbstberuhigung basierend auf einer guten Ausgangslage scheint auf einer ganz allgemein belegten Beobachtung zu beruhen (vgl. dazu Collins, 2009, S. 27). Möglicherweise ist diese Tendenz bei eigentümergeführten Unternehmen aber noch eine Spur stärker ausgeprägt. Immerhin bewerteten mittelständische Unternehmen am Höhepunkt der Krise die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten wesentlich positiver als die börsennotierten Großkonzerne (vgl. ifo Konjunkturtest, Juli 2009).
Die einzelnen Schlüsselfaktoren für die Bewältigung der aktuellen Wirtschaftskrise Wie eben ausgeführt, liegt ein wesentlicher Erfolgsfaktor darin, dass die Führungsverantwortlichen im Unternehmen zeitgerecht erkennen, dass eine außergewöhnliche Situation vorliegt und dass aus diesem Grunde »business as usual« nicht mehr angesagt ist. Die wesentliche Führungsleistung besteht jetzt darin, die eigenen Leute ungeschminkt mit der Ernsthaftigkeit der inzwischen eingetretenen Situation zu konfrontieren, ohne dabei ein Klima der Panik und Aussichtslosigkeit zu verbreiten. Für die Umsetzung der als notwendig erkannten nächsten Schritte braucht es ein breites Committment zwischen allen Schlüsselspielern eines Unternehmens. Die Voraussetzung dafür ist die gemeinsame Einsicht, dass eine ernsthafte Bedrohungslage entstanden ist (»case for action«) und dass wir es gemeinsam in der Hand haben, die Situation nicht nur zu meistern sondern darüber hinaus, die Chancen, die in dieser Krise für den nächsten Aufschwung stecken, besser zu nutzen als andere Unternehmen (dazu ausführlicher Wimmer, 2009). Hinter dieser Führungsherausforderung steckt eine ziemlich schwierige Kommunikationsaufgabe, der sich vor allem die Unternehmensspitze mit aller Konsequenz zu stellen hat. Der Faktor Zeit spielt in der Auseinandersetzung mit den durch die jetzige Krise ausgelösten Phänomenen eine ganz zentrale Rolle. Was sind die entscheidenden Punkte, auf die wir als Unternehmen ohne jedes Zögern ganz kurzfristig reagieren müssen? Worauf konzentrieren wir jetzt unsere Kräfte? Welche Aktivitäten gilt es möglicherweise gerade jetzt zu verstärken, um die eigene Leistungsfähigkeit auch mittelfristig nicht zu gefährden? Jetzt gilt es, das Unternehmen möglichst ohne Zeitverlust auf die veränderten Rahmenbedingungen auszurichten und dafür Sorge zu tragen, dass die Leute in den einzelnen Unternehmensbereichen aus einem Gefühl der Selbstverantwortung heraus die als notwendig erkannten Veränderungen mittragen.
Die Sorge um den eigenen finanziellen Bewegungsspielraum Dass es in Zeiten wie diesen kurzfristig zur wichtigsten Aufgabe der Unternehmensführung gehört, die eigene Zahlungsfähigkeit als Unternehmen absolut sicherzustellen, zählt unbestritten zum Common Sense (»cash is king«). Die Liquiditätsentwicklung hat daher im Zentrum der unternehmerischen Aufmerksamkeit zu stehen. Dies ver© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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langt einerseits Maßnahmen, die unmittelbar cashwirksam sind und somit den Mittelabfluss ganz konsequent im Auge haben, zum anderen geht es hier um eine stringente Optimierung des Working Capital, um den eigenen Liquiditätsspielraum zu erweitern. Alle über die Entwicklung der Unternehmen im ersten Halbjahr 2010 verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass die Unternehmen in ihrer überwiegenden Mehrzahl in punkto Liquiditätsmanagement ihre Hausaufgaben im bisherigen Krisenverlauf hervorragend gemeistert haben und damit ihre Ertragskraft deutlich steigern konnten. Denn gemessen an der Heftigkeit des Abschwungs hat sich die Insolvenzrate seit dem Beginn der Krise eher moderat entwickelt. Wenn es um Familienunternehmen geht, dann sind neben der Liquiditätssituation allerdings deren Finanzierungsherausforderungen ganz allgemein von großem Interesse, soweit sie in erster Linie durch die aktuelle Wirtschaftsentwicklung bedingt sind. Familienunternehmen haben nur ganz selten direkten Zugang zum Kapitalmarkt und sind deshalb seit jeher in der Fremdfinanzierung auf den klassischen Bankkredit angewiesen (vgl. etwa Kolbeck u. Wimmer, 2002). Deshalb prägt seit dem Ausbruch der Krise bis heute das »Gespenst« der Kreditklemme die öffentliche Diskussion, ohne dass sie bislang ernsthaft eingetreten wäre. Von den von uns auf dem Höhepunkt der Krise Mitte 2009 befragten Unternehmen (Wimmer et al., 2009, S. 17 ff.) hatten nur 14 Prozent aktuell einen außergewöhnlichen Finanzierungsbedarf. Nur 21 Prozent sahen aufgrund der Krise akute Liquiditätsengpässe auf sich zukommen. Etwa ein Drittel der Unternehmen klagte über Schwierigkeiten, an frisches Kapital heranzukommen (weil von den Kreditinstituten etwa sehr viel höhere Sicherheiten erwartet wurden oder die Zinskonditionen deutlich in die Höhe geschraubt wurden). An diesem Befund hat sich bis Mitte 2010 nichts Wesentliches geändert (vgl. Schedl et al., 2010, S. 16). Offensichtlich spaltet die aktuelle Wirtschaftkrise hinsichtlich der Finanzierung die Familienunternehmen deutlich in zwei Lager. Da klagen die einen über akute Engpässe, über sehr viel höhere Finanzierungskosten und über höhere Sicherheitserwartungen seitens der Kreditinstitute, während sich bei den anderen die Finanzierungsbedingungen seit dem Beginn der Krise nicht nennenswert verändert haben. Fast jeder vierte Unternehmer bestätigt, zur Zeit sogar bessere Konditionen zu bekommen als vor der Krise (Wimmer et al., 2009). Diese zwei gegensätzlichen Lager spiegeln die traditionellen Finanzierungsgewohnheiten von Familienunternehmen und deren Auswirkungen in der Krise wider. Der deutlich größere Teil der Unternehmen (gut 70 %) kann sich auch in diesen schwierigen Zeiten primär über den eigenen Cash-Flow und über die bereits bestehenden Kreditlinien finanzieren. Die Aufrechterhaltung der eigenen unternehmerischen Souveränität als Eigentümerfamilie gilt hier als oberstes Entwicklungsprinzip. Dafür braucht es natürlich eine kontinuierliche Thesaurierungspraxis basierend auf einer in der Regel sehr zurückhaltenden Ausschüttungspolitik und eine Wachstumsstrategie, die das Unternehmen durch einzelne Maßnahmen (wie z. B. durch eine Akquisition) nicht zur Gänze ins Risiko setzt. Dieses Lager kann sich auf eine vergleichsweise hohe Eigenkapitalquote stützen und kann den krisenbedingten außergewöhnlichen Finanzierungsbedarf durch den Rückgriff auf eigene Reserven decken (vgl. Schedl et al., 2010, S. 17). Vor ganz anderen Finanzierungsherausforderungen stehen jene Familienunternehmen, die entweder mit einer geringen Eigenkapitalausstattung in die Krise gegangen sind und/oder bedingt durch das außergewöhnliche Ausmaß des Abschwungs und die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Dauer der Talsohle zum eigenen Überleben einen größeren zusätzlichen Finanzierungsbedarf haben. Diese Unternehmen haben zur Zeit auf dem üblichen Weg der Kreditfinanzierung die allergrößten Schwierigkeiten. Sie stoßen auf eine Bankenwelt, die immer noch ganz erhebliche Risiken in den eigenen Büchern stehen hat und deshalb in erster Linie mit den eigenen Überlebensthemen beschäftigt ist. Firmen mit einer solchen Ausgangslage landen heute rasch in den Restrukturierungsabteilungen der kreditgebenden Banken und verlieren so immer mehr ihren unternehmerischen Handlungsspielraum. Verschärft wird diese Situation noch zusätzlich, wenn man es auf der Seite der Kapitalgeber mit einem komplexen Konsortium zu tun hat. Hier wird man oft ganz unversehens von der latenten Wettbewerbsdynamik zwischen den beteiligten Kreditinstituten abhängig und damit zum Spielball gänzlich unternehmensfremder Interessen. Die große Zurückhaltung der Kreditinstitute in der Unternehmensfinanzierung war 2009 zweifelsohne ein verschärfender Faktor, der die Insolvenzrate von kleineren und mittleren Familienunternehmen hat hochschnellen lassen (vgl. die Studie des Zentrums für Insolvenz und Sanierung, ZIS, der Universität Mannheim, zitiert im Handelsblatt, 25. Juni 2009). Es ist davon auszugehen, dass der in Gang kommende Aufschwung die eher finanzschwachen Familienunternehmen noch zusätzlich unter Druck bringen wird. Die Krise hat ihre Eigenkapitaldecke zum Teil dramatisch weg schmelzen lassen. Um den beginnenden Aufschwung finanzieren zu können, benötigen sie zusätzliches Kapital. Allerdings werden die Bilanzen der beiden Krisenjahre die dabei eingefahrenen Verluste voll widerspiegeln. Die stark gesunkene Bonität wird angesichts der nach wie vor extrem großen Vorsicht der Banken gerade bei diesen Familienunternehmen zu massiven Finanzierungsproblemen führen.
Personalpolitik – ein besonders erfolgkritischer Faktor in der Krisenbewältigung Üblicherweise reagiert die Wirtschaft in Zeiten des Abschwungs reflexhaft mit Massenentlassungen. Vor allem im angloamerikanischen Raum ist diese Praxis weit verbreitet und seit 2008 auch wieder gut zu beobachten. Weitsichtige Unternehmensführungen vermeiden jedoch diese Maßnahmen sehr bewusst und wählen eine wesentliche differenziertere Personalpolitik, weil sie wissen, dass gerade in solch schwierigen Phasen unternehmensintern sehr genau beobachtet wird, wie Unternehmen mit ihren Mitarbeitern umgehen, und dass sich gerade in diesen Phasen entscheidet, mit welcher Loyalität und Einsatzbereitschaft die Beschäftigten die Krisenbewältigung mittragen und dann auch im Aufschwung engagiert mit dabei sind. Das Verhältnis der Mitarbeiter zu ihrem jeweiligen Unternehmen fußt letztlich auf einem subtilen »psychologischen« Vertrag basierend auf vielfältigen wechselseitigen Austausch- und Loyalitätserwartungen. Die Mitarbeiter fühlen sich auch emotional in ihrem Unternehmen fest beheimatet und entsprechend auch verpflichtet, weil sie wissen, dass die Führung sowie die dahinter stehende Eigentümerfamilie sich in einer besonderen Weise für die eigenen Leute und ihr persönliches Schicksal mit verantwortlich fühlt. Diese Art von Verantwortung kommt gerade in der Krise zum Tragen und macht diesbezügliche Entscheidungen in Familienunternehmen so heikel und in ihren Wirkungen so weitreichend. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Wenn es der Führung glaubwürdig gelingt, auch durchaus schmerzhafte Personalentscheidungen in die Sorge um den vitalen Weiterbestand des Unternehmens einzubetten, und wenn dabei stets um einen fairen Ausgleich zwischen Unternehmen und den betroffenen Beschäftigten gerungen wird, dann bleibt diese außergewöhnliche Kultur des sich wechselseitig Verantwortlichfühlens zwischen Unternehmen und Belegschaft intakt. Verantwortung ist ein reziprokes Phänomen. In Kombination mit einer soliden Eigenkapitalausstattung macht diese in der jeweiligen Familientradition wurzelnde Kultur Familienunternehmen ein Stück widerstandsfähiger und auch elastischer. Diese besondere Fähigkeit wird neuerdings gern unter dem Begriff der »organizational resilience« diskutiert (vgl. etwa Gulati, 2010). Die überwiegende Mehrheit der Familienunternehmen ist auch in der aktuellen Wirtschaftskrise ihrer personalpolitischen Verantwortung voll gerecht geworden. Natürlich waren Unternehmen in den besonders hart getroffenen Branchen auch gezwungen, sich zum Teil in einem schmerzlichen Ausmaß von Teilen der Belegschaft zu trennen. Solche Maßnahmen nicht rechtzeitig in die Wege zu leiten, hätte vielfach eine Existenzgefährdung für die Unternehmen bedeutet. Diese personellen Einschnitte erfolgten jedoch stets mit jenem Augenmaß, das der eben angesprochenen Verantwortungskultur entspricht. Ein Beispiel soll das belegen. Die Palfinger AG mit Sitz in Salzburg ist als Kranbauer Weltmarktführer und seit gut zehn Jahren an der Börse notiert, aber immer noch durch und durch geprägt von der Familie Palfinger, die weiterhin 65 Prozent Anteile hält. Das Unternehmen musste im ersten Halbjahr einen Umsatzrückgang von gut 30 Prozent hinnehmen und schloss trotz weitreichender Kostenoptimierungsprogramme das Jahr 2009 mit einem Verlust ab. Erst mit Beginn 2010 war die Gewinnzone wieder erreicht. Herbert Ortner, CEO des Unternehmens, erörtert im Juni 2009 am Höhepunkt der Krise in einem Interview seine personalpolitischen Leitlinien (vgl. Industriemagazin Juni 2009, S. 10 ff.). Er macht einleitend deutlich, dass die Firma mit 50 Prozent Eigenkapital und einer EBIT-Marge von knapp 15 Prozent im Vergleich zu den anderen in dieser Branche sehr stark aufgestellt in die Krise gegangen ist. Man hat in einem ersten Schritt weltweit an allen Produktionsstandorten mit Kurzarbeit reagiert und die Gelegenheit genutzt, wachstumsbedingte Problemstellungen in den Prozessen zu bereinigen und dabei auch die eine oder andere personelle »Baustelle« gelöst. Darüber hinaus hat man jedoch massive Kapazitätsanpassungen und damit größere personelle Freisetzungen vermieden. Warum, wo doch das Unternehmen gerade heftige Verluste schrieb? »Wir haben immer noch deutlich zu viel Kapazität, die wir aber behalten werden. Bei uns gibt es dieses Quartalsdenken nicht. Wir haben dank unserer Mitarbeiter fünf Jahre lang super verdient. Jetzt gehen wir nicht her und bauen schnell mal 2000 Leute ab, um das Ergebnis zu optimieren.« Für ein börsennotiertes Unternehmen ist das eine eher unkonventionelle Aussage. Dazu Herr Ortner weiter: »Wir haben auch eine soziale Verantwortung. Es ist nicht in Ordnung, mit den Leuten jahrelang gut zu verdienen und sie in schlechteren Zeiten sofort zu entlassen. Da verzichten wir lieber einmal auf das Ergebnis. Wir denken freilich auch aus Eigennutzen langfristig. Noch vor einem Jahr haben wir gejammert, dass wir keine qualifizierten Leute kriegen. Bis sie einen Facharbeiter richtig eingeschult haben, verlieren sie ein halbes Jahr an Produktivität. Das wollen wir vermeiden, wenn sich die Märkte wieder entwickeln« (S. 12).
Unsere Studie aus dem Sommer 2009 belegt eindrucksvoll, dass das Beispiel eingebettet ist in eine sehr stabile Grundhaltung der allermeisten Familienunternehmen. Es wurde alles unternommen, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Kurzarbeit, Abbau von Zeitarbeitern, Abbau von Urlaubsrückständen, Einstellungsstopp standen bei drei Viertel der befragten Unternehmen ganz im Vordergrund (Wimmer et © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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al., 2009). Das beschäftigungspolitische Instrument der Kurzarbeit hat sehr vielen Unternehmen jene Flexibilität ermöglicht, die es jetzt gebraucht hat, um ohne Eingriffe in die Stammbelegschaft über die Runden zu kommen. Deswegen ist die Erwartung groß, auch in Zukunft damit operieren zu können (Schedl et al., 2010, S. 11 ff.).
Die Spannung zwischen Costcutting und dem Fitmachen des Unternehmens für den Aufschwung Wenn die Umsatz- und Ertragssituation so dramatisch einbricht wie Ende 2008 und im ersten Halbjahr 2009, dann ist der Griff zum Rotstift eine verständliche Reaktion. 82 Prozent der von uns befragten Unternehmen geben an, mehr oder weniger weitreichende Kostensenkungsprogramme eingeleitet zu haben (vgl. Wimmer et al., 2009). Angesichts des ungewöhnlichen Ausmaßes des Abschwunges war es sehr wahrscheinlich, dass die Krise allein über die Kostenseite zu bewältigen ist. Die besondere Herausforderung an die Führungsverantwortlichen in so einem dramatischen Abschwung besteht vor allem darin, zeitgerecht zu entscheiden, welche Kosten unmittelbar eingespart und welche Prozesse deutlich verschlankt werden können, auf welche Kapazitäten verzichtet werden kann und in welchen Dimensionen eine tiefer gehende Reorganisation vorgenommen werden muss. Fundierte Langzeituntersuchungen zeigen eindrucksvoll, dass jene Firmen, die in einer vergleichbaren Krise in erster Linie mit flächendeckenden Kostenreduktionsprogrammen reagiert haben, in der Phase des Aufschwungs das bei weitem niedrigste Wachstumspotenzial mobilisieren konnten (vgl. Gulati et al., 2010). Eine ähnlich schädigende Wirkung besitzt ein hektisches, obsessives Reorganisieren als unmittelbare Antwort auf die Bedrohungslage. Sie ist fast immer ein Ausdruck von Aktionismus, der zeigt, dass man als Führung die eigene Realität und die zugrundeliegende Entwicklungsdynamik nicht verstanden hat (dazu ausführlich Collins, 2009, S. 80). Die Phase eines Abschwunges bietet jedem Unternehmen die Chance, bislang nicht beachtete Effizienzthemen gezielt und mit großer Energie anzugehen. Dafür benötigt die Führung einen scharfen Blick für das Wesentliche und eine Prozessvorstellung, wie solche Themen mit nachhaltiger Wirkung bearbeitet werden können. Dazu Herr Ortner von der Palfinger AG in dem schon zitierten Interview: »Wenn Sie mal vier, fünf Jahre so stark wachsen, schauen Sie nicht auf die Kosten. Da sind Sie nur outputgetrieben und haben teilweise zu viele Leute an Bord, bei denen auch die Qualifikation nicht optimal ist. Das haben wir in Ordnung gebracht, und das ist jetzt abgeschlossen« (Industriemagazin, Juni 2009, S. 10). Solche Bereinigungsprozesse wirken wie ein Fitnessprogramm und schaffen jenen Sprung in der eigenen Produktivität, den ein guter Start in die Aufschwungsphase braucht. In so einer schwerwiegenden Krise wie der aktuellen geht es jedoch nicht nur um Effizienzsteigerung. Alle vorliegenden Studien über die Bewältigung solcher Phasen belegen eindrucksvoll, dass jene Unternehmen eine besonders erfolgreiche und auch nachhaltige Entwicklung genommen haben, die in der Krise ihre F&E-Aktivitäten tendenziell sogar verstärkt haben, die mit besonderer Sorgfalt ihre vertrieblichen Anstrengungen intensiviert und auch ihren Marketingaufwand nicht zurückgefahren haben (vgl. Gulati et al., 2010, S. 67; Colvin, 2009, S. 124 f.). Wenn Investitionen in diese Felder © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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einen wertsteigernden Charakter haben, so ist ein Rückbau derselben in der Krise absolut selbstschädigend. Ähnlich erfolgskritisch ist die Beziehung zu den Kunden. Besonders sensibel sind in diesem Zusammenhang alle Fragen der Preisgestaltung, soweit man darauf als Anbieter einen aktiv gestaltenden Einfluss hat (aufschlussreich dazu Simon, 2010; Scholl u. Totzek, 2010; Colvin 2009). Die bislang vorliegenden Studien zum spezifischen Verhalten von Familienunternehmen belegen alle recht übereinstimmend, dass sie diese an sich heikle Doppelstrategie (Effizienzsteigerung einerseits und offensives Investment in die Zukunftsthemen andererseits) auf breiter Basis erfolgreich praktiziert haben (dazu Wimmer et al., 2009, S. 26; Schedl et al., 2010, S. 20 f.). Familienunternehmen haben sichtlich gelernt, und zwar unabhängig von ihrer Größenordnung, wie die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass es nicht in guten Zeiten, sondern vor allem in Krisenphasen wie der jetzigen zu nennenswerten Verschiebungen in den Wettbewerbspositionen der jeweiligen Branche kommt. Die erstaunlich gute Position sehr vieler eigentümergeführter Unternehmen in der gerade beginnenden Aufschwungsphase belegt, wie gut diese Unternehmen offensichtlich in der Lage waren, die Gleichzeitigkeit von Effizienzsteigerung und offensivem Ausbau wettbewerbsrelevanter Stärken zu realisieren.
Die Krise gibt Anlass, die eigene strategische Positionierung zu überprüfen und gegebenenfalls neu auszurichten Die allermeisten Unternehmen wollen möglichst schnell wieder zu den gewohnten Erfolgsmustern aus der Zeit vor der Krise zurückkehren (vgl. Roux-Dufort, 2000). Diese durchaus verständliche Tendenz verstärkt allerdings rückwärts gewandte Orientierungen. Die aktuelle Not trübt den Blick in die Zukunft. In diesem Mechanismus stecken erhebliche Risiken, denn wir müssen davon ausgehen, dass sich wesentliche Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung in diesem aktuellen Krisenverlauf verändern werden. Deshalb werden jene Unternehmen einen Vorteil haben, die nicht zu früh zur Normalität früherer Jahre zurückkehren. In Krisenzeiten werden vielfach auf der Seite der Kunden im Hinblick auf die Befriedigung ihres Bedarfs neue Lösungsmöglichkeiten angeregt, die zumeist in der Phase des Aufschwungs nicht wieder verschwinden. Deshalb ist die Frage, ob der Kern des eigenen Geschäfts auch in Zukunft noch trägt, nicht von der Hand zu weisen. Was lernen wir aus den aktuellen Erfahrungen über die mittel- bis langfristige Tragfähigkeit unseres Geschäftsmodells? Wie hat die Krise die Strukturen des Wettbewerbs verändert? Sind nennenswerte Kapazitäten aus dem Markt verschwunden oder nicht? In der Automobilbrache zum Beispiel scheint man an den riesigen Überkapazitäten festzuhalten, was auf längere Sicht den Verdrängungswettbewerb nicht entschärfen wird. Wie werden sich die Bedingungen der Energie- und Rohstoffversorgung in den kommenden Jahren entwickeln? Wie verschieben sich gerade die Wirtschaftskonstellationen auf globaler Ebene? Die aktuell sehr unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten zwischen den großen Schwellenländern einerseits und den entwickelten Weltregionen andererseits verändern die globalen Relevanzräume ganz erheblich. Was bedeutet das für den Internationalisierungsprozess der Unternehmen? Was sind die spezifischen Antworten von Familienunternehmen auf die eben genannten Herausforderungen und Fragestellungen? © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Es kann nicht überraschen, dass Familienunternehmen ganz charakteristische Muster im Umgang mit den Ungewissheiten der Zukunft aufweisen (dazu ausführlicher Nagel u. Wimmer, 2009). Sie steuern mit viel unternehmerischer Intuition durch die Chancen und Risiken ihrer jeweiligen Branche, ohne dabei auf explizitere Strategieentwicklungsprozesse mit ihren Schlüsselspielern zu setzen. Das je anzutreffende Leistungsspektrum wie auch das zugrunde liegende Businessmodell sind zumeist das Ergebnis eines jahrelangen Lernprozesses in enger Auseinandersetzung mit den wichtigen Kunden, die gleichsam als Koproduzenten der eigenen Unternehmensentwicklung fungieren. Aus diesem Grunde ist es gut verständlich, dass fast 75 Prozent der im Rahmen unserer Studie befragten Unternehmen ganz dezidiert eine Nischenstrategie verfolgen (Wimmer et al., 2009). Auf diese Weise sind gerade in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von »hidden champions« entstanden, die in ihrer Nische zum Weltmarktführer aufgestiegen sind (vgl. dazu Simon, 2007). Die aktuelle Datenlage zeigt, dass gerade die Spezialisten in den relevanten Exportmärkten jetzt am Beginn des Aufschwungs wiederum ganz besonders punkten (vgl. den DIHK-Mittelstandsreport vom August 2010). Es wird jedoch gern, übersehen, dass mit so einer viele Jahre erfolgreich gepflegten Nischenstrategie häufig auch erhebliche Abhängigkeiten verknüpft sind. Die damit verbundene Ausweglosigkeit und unternehmerische Ohnmacht haben in den zurückliegenden beiden Jahren sehr viele Zulieferer in der Automobilindustrie drastisch zu spüren bekommen. Auf der anderen Seite der Skala bewegen sich stark diversifizierte Familienunternehmen, die ihr unternehmerisches Risiko durch eine Vielzahl unterschiedlicher Geschäftsaktivitäten in ganz verschiedene Märkte streuen. Dazu zählen so bekannte Familienunternehmen wie Oetker, Haniel, Freudenberg, Merck. Gerade in einer Krise, die so stark branchenspezifische Ausprägungen besitzt wie die jetzige, kann sich eine solche Positionierung als erheblicher Vorteil erweisen, weil nicht alle Sparten im selben Ausmaß und zum selben Zeitpunkt massive Probleme aufwerfen. Strategieentwicklung ist letztlich jene Führungsleistung, die in Unternehmen darauf zielt, bei den relevanten Schlüsselspielern kontinuierlich so etwas wie eine gemeinsame Vorstellungskraft hinsichtlich möglicher zukünftiger »Welten« zu entwickeln. Das Unternehmen lernt, sich auf Überraschungen einzustellen und damit unternehmerisch dem Zufall eine echte Chance zu geben. Das ist es ja, was die unternehmerische Kreativität so vieler Familienunternehmen so nachhaltig erfolgreich macht.
Die Familie als Ressource oder als Problemverstärker in der Krise Familienunternehmen beziehen ihre spezifische Kraft, aber auch ihr charakteristisches Gefährdungspotenzial aus der Symbiose und Koevolution von Unternehmen und Eigentümerfamilie. Dieses Kraft spendende und gleichzeitig auch so immens störungsanfällige Miteinander bildet den eigentlichen Lebensnerv dieses Unternehmenstyps und macht den entscheidenden Unterschied zu Nichtfamilienunternehmen (vgl. Wimmer et al., 2005). Die aktuelle Wirtschaftskrise hat mit ihrem ungewöhnlichen Beunruhigungspotenzial und mit den dadurch oft sehr kurzfristig angestoßenen Entscheidungsnotwendigkeiten zweifelsohne auch die jeweilige Unternehmerfamilie und den Gesellschafterkreis auf besondere Weise gefordert. Die Handlungsfähigkeit des © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Unternehmens in den verschiedenen Phasen des aktuellen Krisenverlaufes hing und hängt in hohem Maße von der emotionalen Belastbarkeit der Familien- und Gesellschafterkonstellation in den anstehenden Entscheidungssituationen ab. Diese Belastbarkeit war entweder vor Ausbruch der Krise bereits gegeben, dann hat sich dieses konstruktive Zusammenstehen in schwierigen Zeiten und das rasche, zielgerichtete Herbeiführen der erforderlichen Entscheidungen ausgesprochen wohltuend auf die Unternehmensentwicklung ausgewirkt. War diese Belastbarkeit schon seit längerem nicht mehr gegeben, weil ungelöste Dauerkonflikte mehr oder weniger offen das Zusammenwirken bestimmt haben, dann hat die Krise auf diese destruktive familieninterne Dynamik in den allermeisten Fällen verstärkend gewirkt – mit dem Ergebnis einer weiteren Schwächung des Unternehmens. Der allgemeine Angstpegel und die Verunsicherung steigen. Wenn eine Kultur des Misstrauens und mangelnder Wertschätzung dominiert, dann eskalieren wechselseitige Schuldzuschreibungen, die Kommunikationsbereitschaft zwischen den Verantwortlichen sinkt rapide. Entscheidungen werden verzögert und verlieren immer weiter ihre Treffsicherheit und Akzeptanz. Ein sich selbst verstärkender Zirkel etabliert sich, der kaum mehr zu unterbrechen ist, weil die Autorität fehlt, die das tun könnte. In einer solchen Dynamik hilft in der Regel nur mehr der Austausch wesentlicher Schlüsselspieler, wenn es denn dann noch eine Instanz gibt, die das tun kann. Wegen solcher Eigendynamiken steht in der Betrachtung der »organizational resilience« von Familienunternehmen der Reifegrad und das komplexitätsadäquate Entwicklungsniveau ihrer Corporate Governance ganz, ganz oben (dazu auch Gimeno et al., 2010, sowie zum aktuellen Stand der Diskussion um den Governance-Kodex für Familienunternehmen: www.kodex-fuer-familienunter nehmen.de). Wir sprechen von einem komplexitätsadäquaten Entwicklungsniveau der Corporate Governance eines Familienunternehmens immer dann, wenn auf der einen Seite die Führungsstrukturen im Unternehmen dessen geschäftliche Herausforderungen und organisationale Eigenkomplexität angemessen abbilden, und auf der anderen Seite die Eigentümerfamilie sich selbst so organisiert hat, dass sie in allen Entscheidungslagen ein verantwortliches Gegenüber für das Unternehmen abgeben kann und dass sie ihre familien- und eigentumsbezogenen Themen konstruktiv selbst managen kann, das heißt den emotionalen Zusammenhalt der Familie auch bei einem immer größer werdenden Gesellschafterkreis gewährleistet.
Was lehrt uns der bisherige Krisenverlauf über die Verfasstheit von Familienunternehmen? Nach der Krise ist vor der Krise »Wir sollten uns von gescheiterten Vorstellungen der inhärenten Stabilität, Effizienz und Sicherheit nicht regulierter Märkte verabschieden und erkennen, dass Krisen ein fester Bestandteil der Wirtschafts- und Finanzwelt sind« (Roubini, 2010, S. 65). Diese grundlegende Einsicht wird von vielen Akteuren unseres Wirtschaftssystems vor allem dann, wenn die Phase des Aufschwungs schon geraume Zeit anhält, nur zu gern verdrängt. Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts glaubten alle, angetrieben durch den E-Commerce-Hype, man könnte bestimmte Grundregeln der Ökonomie außer Kraft setzen und mit einer kontinuierlich zunehmenden Wertsteigerung © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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des eingesetzten Vermögens kalkulieren. Wir sind mit einem tiefen Absturz ins neue Jahrtausend gestartet und es hat ein paar Jahre gedauert, bis sich die Weltwirtschaft davon wieder erholt hat. Seit 2003/2004 ging es dann wieder kontinuierlich aufwärts, bis dann die Subprime-Krise in den USA den jähen Absturz in die aktuelle Wirtschaftskrise ankündigte. Trotz der schweren Erschütterungen des Finanzsystems und der ganz außergewöhnlichen Staatsinterventionen, die dadurch in vielen Bereichen erforderlich wurden, ist zur Zeit nicht erkennbar, dass die relevanten Akteure in Wirtschaft und Politik aus den gemachten Erfahrungen ihre Lernkonsequenzen ziehen. Die bestimmenden Unternehmen und Lobby-Strukturen des Finanzsektors verstärken schon seit geraumer Zeit ihre weltweiten Anstrengungen, »zum Status quo ante zu rückzukehren, also jene Bedingungen wieder herzustellen, die vor der Krise herrschten« (Schulmeister, 2010, S. 23). Sie tun das mit sichtlichem Erfolg. Es ist keine Änderung der Dominanz des Finanzsystems gegenüber der Realwirtschaft in Sicht. Die Zyklizität mit ihren überraschenden Ausschlägen und schwer kalkulierbaren Verläufen ist sichtlich Teil unseres global vernetzten Wirtschaftssystems. Unternehmen tun deshalb gut daran, sich in ihren Entwicklungsperspektiven auf diese Kontextbedingungen systematisch einzustellen. Das heißt, ein weit blickendes Zyklusmanagement weiß um die prinzipielle Rhythmik der eigenen Branche Bescheid und nutzt die guten Zeiten mit Blick auf die schlechten und umgekehrt. Die besonders erfolgreichen und gleichzeitig langlebigen Unternehmen vergessen nicht, in welchen Phasen eines Konjunkturzyklus’ sie sich gerade befinden (vgl. Colvin, 2009). Die in dieser Arbeit ausgewerteten Beobachtungen und Studien zu der Art und Weise, wie Familienunternehmen in ihrer überwältigenden Mehrheit die aktuelle Wirtschaftskrise in den vergangenen zwei Jahren bewältigt haben, zeigen sehr eindrucksvoll, dass sie die hier angesprochene Sensibilität für die zyklischen Entwicklungsverläufe ihres wirtschaftlichen Umfeldes voll verinnerlicht haben. Ihre langfristige, generationsübergreifende Überlebensperspektive fördert die Ausprägung von Merkmalen, wie sie in den vorangegangenen Überlegungen herausgearbeitet worden sind: Eine tragfähige Eigenkapitalausstattung und damit eine ausgeprägte Kraft zur Binnenfinanzierung, eine weit blickende Personalpolitik, eine kluge Kombination von Effizienzsteigerung und offensiven Investitionen in die Verbesserung der eigenen Marktposition etc. Genau diese Merkmale sind es, die nicht einzeln, sondern in ihrem Zusammenwirken diese besondere Zyklusfähigkeit von Familienunternehmen begründen. Die für Familienunternehmen letztlich konstitutive Langfristorientierung ist die Basis vor allem für ein kluges Verständnis von Unternehmenswachstum. Viele Unternehmen sind in ihrer Grundphilosophie bewusst oder unbewusst primär wachstumsgetrieben. Alle Maßnahmen und Entwicklungsimpulse werden diesem Ziel untergeordnet. In so einer unhinterfragten Philosophie stecken allerdings enorme unternehmerische Risiken. Denn Zeiten, die ein besonders schnelles Wachstum ermöglichen, sind extrem verführerisch. Sie verleiten zu Schritten, deren Komplexitätsfolgen in der Regel nicht mehr beherrschbar sind, und damit im Unternehmen eine Dynamik der Selbstschwächung ingang setzen, die vielfach nur mehr schwer korrigierbar ist. Das Erstaunliche ist, dass erfolgreiche Gründerfiguren nie ein ganz bestimmtes Größenwachstum im Sinn hatten. Sie waren stets inhaltlich von einer stringenten unternehmerischen Idee getrieben, der sie mit all ihrer Energie zum Durchbruch verhelfen wollten. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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»They viewed expanding and increasing scale not as the end goal, but as a residual result, an inevitable outcome of pursuing their core purpose. Later generations forgot this lesson. Indeed, they inverted it« (Collins, 2009, S. 54). Für die Entwicklung der Familienunternehmen im deutschsprachigen Raum lässt sich diese abschließenden Schlussfolgerungen von Jim Collins nicht bestätigen. Sie sind über die Gründergeneration hinaus von ihrem unternehmerischen Anspruch getrieben, sie wollen damit in der Welt etwas bewirken und Wachstum ist stets das Ergebnis einer guten strategischen Ausrichtung und nicht deren Vorgabe (vgl. dazu auch Berthold, 2010).
Die familienunternehmenstypischen Krisenverstärker Aus den bisherigen Überlegungen dürfte deutlich geworden sein, dass die jetzige Wirtschaftskrise auch die Unterschiede zwischen den familiendominierten Unternehmen erheblich verstärkt hat. Diejenigen Unternehmen, die gut geführt und gut aufgestellt in die Krise gegangen sind, haben die vergangenen zwei Jahre genutzt, um ihre Ausgangslage für den Aufschwung zu verbessern. Weil die aktuelle Wirtschaftslage so außergewöhnliche Verwerfungen nach sich gezogen hat, haben viele dieser Unternehmen trotz guter Ausgangslage nur überleben können, weil ihnen die öffentliche Hand mit ihren Konjunkturpaketen zur Seite gesprungen ist. Seit dem Anlaufen dieses Unterstützungsangebots bis Mitte 2010 wurden seitens der KfW 3800 Unterstützungszusagen vornehmlich an mittelständische Unternehmen mit einem Volumen von über 12 Milliarden Euro gemacht (Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 2010, S. 22). Die ausgewerteten Studien und Befragungen weisen aber auch auf jene inhabergeführten Unternehmen hin, die bereits mit Problemen in den plötzlichen Abschwung gestartet sind. Nicht selten handelt es sich dabei um Unternehmen, die bereits eine lange Erfolgsgeschichte hinter sich, aber irgendwann ihre gewohnte Innovationskraft eingebüßt haben. Die Merkmale dieser Unternehmen liegen auf der Hand. Ihre Führung hatte schon seit längerem die Entwicklung der eigenen Ertragskraft nicht mehr sorgfältig genug im Blick. Die damit verbundene Eigenkapitalschwäche hat den Spielraum in der Krise sehr rasch dramatisch schrumpfen lassen. Vielfach geht mit diesen ökonomischen Verhältnissen auch eine Verkennung der Dramatik des eigenen Zustands einher. Solche Unternehmen versuchen alles zu tun, um möglichst ungeschoren durch die Krise zu kommen und um rasch zur gewohnten Normalität zurückzufinden. In den besonders betroffenen Branchen ist eine solche Bewältigungsstrategie natürlich mit ganz wenig Aussicht auf Erfolg verbunden. Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, dass nicht zuletzt auch viele Familienunternehmen diese aktuelle Krise und die spezifischen Herausforderungen des gerade einsetzenden Aufschwungs nicht überleben werden. Das Tragische daran ist, dass die Verantwortlichen an solchen Entwicklungen, die ja immer einen längeren Vorlauf besitzen, in der Regel keinen Blick dafür haben, auf welche Weise sie selbst zur Verschärfung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten aktiv oder durch Unterlassungen beigetragen haben. Es ist die besondere Verführung der jetzigen Krise, die Gründe für das eigene Elend ausschließlich bei externen Faktoren zu suchen und zu finden. »Yet our research indicates that organizational decline is largely self-indicated and recovery largely within our own control« (Collins, 2009, S. 25). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Literatur Berthold, F. (2010). Familienunternehmen im Spannungsfeld zwischen Wachstum und Finanzierung. Lohmar: Josef Eul Verlag. Colvin, G. (2009). The Upside of the Downturn. London/Boston: Nicholas Brealy Publ. Deutscher Industrie- und Handelskammertag (2010). DIHK-Mittelstandsreport (August 2010). Berlin: Deutscher Industrie- und Handelskammertag. Zugriff unter http://www.dresden.ihk.de/servlet/ link_file?link_id=26342&target=display&link_zusatz =&ref_detail=News&ref_knoten_id=2685&ref_sprache=deu Collins, J. (2009). How the Mighty fall, And why some Companies never give in. London: rh Business Books. Gimeno, A., Baulenas, G., Coma-Cros, J. (2010). Familienunternehmen führen? Komplexität managen. Neue Denkmodelle und praktische Lösungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Gulati, R. (2010). Reorganize for Resilience. Boston, Mass.: Harvard Business Press. Gulati, R., Noria, N., Wohlgezogen, F. (2010). Roaring out of recession. Harvard Business Review, March, 63–69. Kolbeck, C., Wimmer, R. (2002). Finanzierung für den Mittelstand. Wiesbaden: Gabler. Kommission Governance Kodex für Familienunternehmen (2010). Governance Kodex für Familienunternehmen. Zugriff unter unter www.kodex-fuer-familienunternehmen.de Lalonde, C. (2008). Organiser la réponse à la crisis. Paris: Edition L’Harmathan. Mitroff, J. (1988). Crisis Management: cutting trough the confusion. Sloan Management Review, 29 (2), 15–20. Nagel, R., Wimmer, R. (2009). Systemische Strategieentwicklung (5. überarb. Aufl.). Stuttgart: SchäfferPoeschel. Roubini, N. (2010). Einführung in die Krisenökonomie. GDI Impuls, 2, 64–70. Roux-Dufort, C. (2000). Why organizations don’t learn from crisis: The Perverse Power of Normalization. Review of Business, 21 (3), 25–30. Rüsen, T. A. (2008). Krisen und Krisenmanagement in Familienunternehmen. Wiesbaden: Gabler. Schedl, H. L., Schwarz, P., Stiller, M. (2010). Nach der Krise: Management auf Sicht. Wie geht es für die deutsche Industrie weiter? Exklusiv-Studie der VDI Nachrichten und Simon-Kuder & Partner. Düsseldorf u. Bonn. Schlippe, A. von, Nischak, A., El Hachimi, M. (Hrsg.) (2008). Familienunternehmen verstehen – Gründer, Gesellschafter und Generationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Scholl, M., Totzek, D. (2010). Die Preispolitik professionalisieren. Harvard Business Manager, April, 43–50. Schulmeister, S. (2010). Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa. Wien: Picus. Simon, H. (2010). Welche Preisstrategien jetzt funktionieren. Harvard Business Manager. Simon, H. (2007). Hidden Champions des 21. Jahrhunderts. Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer. Frankfurt a. M.: Campus. Simon, F. B., Wimmer, R., Groth, T. (2005). Mehr-Generationen-Familienunternehmen. Erfolgsgeheimnisse von Oetker, Merck, Haniel u. a.. Heidelberg: Carl-Auer. Wimmer, R. (2009). Kraftakt radikaler Umbau – Change Management zur Krisenbewältigung. OrganisationsEntwicklung, 3, 4–11. Wimmer, R. (2010). Das Leitprinzip des Shareholder Value hat ausgedient. Festschrift Birger Priddat. Marburg: Metropolis. Wimmer, R., Domayer, E., Oswald, M., Vater, G. (2005). Familienunternehmen: Erfolgstyp oder Auslaufmodell? (2. überarb. Aufl.). Wiesbaden: Gabler. Wimmer, R., Kolbeck, C., Rüsen, T. A., Bauer, T. (2009). Familienunternehmen und die aktuelle Weltwirtschaftskrise. Eine empirische Bestandsaufnahme München: Stiftung Familienunternehmen.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Nachwort
Was schreibt man(n)/frau in ein Nachwort? Lange haben wir uns darüber den Kopf zerbrochen. Uns Kindern (Anna-Lena, Janina und Max) wurde ja von unserem Vater auch schon einmal ein Buch gewidmet, jetzt wollen wir uns in diesem Buch quasi revanchieren. Doch was schreiben wir nun in unser Nachwort? Beschreiben wir, wie es ist, wenn der eigene Vater »Systemiker« ist und sich mit Erziehungsfragen beschäftigt? Schreiben wir, wie schön es ist, in einer Familie groß zu werden, in der die Psychologie auch ein Teil des Systems ist? Oder schreiben wir darüber, wie es ist, so eine Sammlung von Aufsätzen zu sehen, die unserem Vater gewidmet sind? Lange haben wir überlegt. Wir haben beschlossen, dieses Nachwort kurz zu halten. In diesem Band wird in sehr eindrücklicher Weise deutlich, zu wie vielen Themen und mit wie vielen Kolleginnen und Kollegen unser Vater wissenschaftlich und praktisch gearbeitet hat. Wir drei sind stolz auf das Werk unseres Vaters. Und darum kurz: Wir, deine Kinder, wünschen dir zum 60. Geburtstag alles Gute und wollen uns mit diesem Nachwort bei dir bedanken. Dafür, dass du so ein humorvoller Mensch und liebevoller Vater bist, der uns mit Energie, Begeisterung und Lebensfreude begleitet hat und immer noch begleitet. Deine Kinder Anna-Lena, Janina und Max
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die Autorinnen und Autoren
Michael Grabbe Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Yogalehrer (KYM Madras). Lehrtherapeut und Lehrender Supervisor (IFW A&E, SG), Zweiter Vorsitzender der Systemischen Gesellschaft (SG), Berlin. Psychotherapeutische Tätigkeiten in psychotherapeutischen, psychosomatischen und psychiatrischen Fachkliniken. Aufbau und Leitung einer Beratungsstelle für Kinder und Eltern. Praxis für Systemische Therapie, Beratung, Coaching und Supervision in Melle. Langjährige Lehrtätigkeit in verschiedenen Kontexten, vor allem für das Institut für Familientherapie Weinheim. Ausbildungsangebote für systemische Beratung, systemische Familientherapie, Kinder- und Jugendtherapie, systemisches Elterncoaching, Supervision. Zahlreiche Tagungsbeiträge und Kongressorganisationen, Veröffentlichungen in Büchern und Fachzeitschriften. Verheiratet, zwei Söhne. Seit über dreißig Jahren mit Arist von Schlippe befreundet. Christian Hawellek Dr. phil., Diplom-Pädagoge, Ehe-, Erziehungs- und Familienberater, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Langjährige Berufserfahrungen in der Familien-, Ehe- und Erziehungsberatung sowie in der Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Psychotherapeutische Ausbildung am Fritz-Perls-Institut für Integrative Therapie, Weiterbildungen in systemischer Therapie. Lic. Marte-Meo-Supervisor und Ausbilder, Leiter des Norddeutschen Marte-Meo-Institutes. Lehraufträge an der Universität Osnabrück in den Fachbereichen Erziehungswissenschaften und Psychologie mit dem Schwerpunkten »Pädagogische Beratung« so wie Durchführung des »klinisch-entwicklungspsychologischen Kolloquiums« an der Babysprechstunde der Universität Osnabrück.Verschiedene Veröffentlichungen zu den Themen der therapeutischen Arbeit mit Kindern und Familien. Herausgeber und Autor verschiedener Fachbücher, nationale und internationale Vortragstätigkeit mit dem Themenschwerpunkt »Videobasierte Beratung«. Cornelia Hennecke Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Lehrtherapeutin und Lehrende Supervisorin (IF Weinheim, SG), Lehrender Coach (SG) und Organisationsberaterin. Nach dem Studium der Sozialpsychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena langjährige therapeutische Erfahrungen. Seit 1997 freiberuflich und Mitbegründerin einer Praxis für Systemische Therapie, Supervision und Organisationsberatung in Berlin, seit 2004 mit einem Praxisbereich in Dresden. Seit 2002 Lehrtherapeutin am IF Weinheim und derzeit geschäftsführende Gesellschafterin. Redaktionsmitglied der Systhema. Besonderes Interesse: systemische Didaktik und nachhaltiges Lernen, Arbeit mit frauenspezifischen Themen im Coaching, Beratung im Kontext von Familienunternehmen. Jürgen Kriz Geboren 1944. Em. Professor für Psychotherapie und klinische Psychologie an der Universität Osnabrück, außerdem (weitgehend überlappend) 25 Jahre Inhaber des Lehrstuhls für Statistik und Forschungsmethoden. Psychologischer Psychotherapeut, Ehrenmitglied der Systemischen Gesellschaft, Berlin, und der Internationalen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse, Wien. Zahlreiche Lehraufträge und Gastprofessuren in Österreich, Schweiz, USA, Lettland. 2003 »PaulLazarsfeld-Gastprofessor« an der Universität Wien. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die Autorinnen und Autoren
2002 »Transfer-Preis« der Universität Osnabrück, 2004 »Viktor-Frankl-Preis« der Stadt Wien für sein Lebenswerk in Humanistischer Psychotherapie. Arbeitsschwerpunkte: im Rahmen seiner »Personzentrierten Systemtheorie« Arbeit an der Klärung des Zusammenwirkens somatischer, psychischer, mikrosozialer, und gesellschaftlich-kultureller Prozessebenen auf der Basis interdisziplinärer Systemtheorie; ferner: Fragen der Forschungsmethodik. Herausgeber der Buchreihe »Basiswissen Psychologie« (rd. 40 Bände), Mitherausgeber von bzw. Beiratsmitglied in zahlreichen psychotherapeutischen Fachzeitschriften und Reihen. 21 Bücher und circa 250 Beiträge vorwiegend über klinisch-therapeutische und forschungsmethodische Fragen. Tom Levold Jahrgang 1953, verheiratet, vier Kinder. Lehrtherapeut, Lehrender Supervisor und Lehrender Coach (SG). Nach langjähriger Tätigkeit in der Jugendhilfe seit 1989 in freier Praxis als Psychotherapeut, Supervisor, Coach und Organisationsberater tätig (Institut für systemische Praxis sowie levold system design in Köln). Von 1993 bis 1999 Mitglied im Gründungsvorstand der systemischen Gesellschaft. Mitherausgeber der Zeitschrift Kontext, Gründer und Herausgeber des Online-Journals »systemagazin«. Zahlreiche Veröffentlichungen zur systemischen Theorie und Praxis mit Schwerpunkten auf den Themen Systemtheorie, affektive Kommunikation, Metaphern, Selbst und Identität, Macht und Gewalt, Paardynamik und Familienunternehmen. Hans Lieb Geboren 1953. Psychologiestudium in Konstanz, Dr. phil. Ausbildung in Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie, NLP und Systemtherapie. Psychotherapeutische Tätigkeit in Sucht- und psychosomatischen Fachkliniken, zuletzt als Leitender Psychologe. Seit 1990 ambulante psychotherapeutische Praxis in Edenkoben. Lehrtherapeut/Supervisor in Verhaltenstherapie (IFKV Bad Dürkheim) und Systemtherapie (IF Weinheim). Diverse Veröffentlichungen zu Bibliotherapie »Psychosomatik«, Therapieschulenbegegnung VT und ST (zuletzt 2009: »Systemtherapie für Verhaltenstherapeuten«), Kritik am Konzept der Persönlichkeitsstörung, Macht in der Psychotherapie, Ausbildungsevaluation. Vera Loos-Hilgert Jahrgang 1952. Studium der Soziologie, Sozialpsychologie und -medizin (Dipl. rer. soc.). Psychoanalytisch-systemische Therapeutin (APF), Lehrtherapeutin, Lehrende Supervisorin und Coach der Systemischen Gesellschaft (SG), Erste Vorsitzende und Dozentin der Arbeitsgemeinschaft für psychoanalytisch-systemische Praxis und Forschung e. V. (APF) in Köln (www.apf-koeln.de). Wissenschaftliche Mitarbeit in Familienforschungsprojekt der Universität Bochum, Lehrtätigkeiten und Supervision in Aus- und Weiterbildungen (u. a. psychosoziale Arbeit in multikulturellen Systemen; perinatale Begleitung). Seit 1991 in eigener Praxis in Köln tätig: Therapie und Beratung für Einzelne, Paare und Familien, Supervision, Teamentwicklung, Organisationsberatung und Coaching. Wolfgang Loth Diplom-Psychologe, Psychologischer Therapeut, Familientherapeut (IF Weinheim), Systemische Therapie und Beratung (Systemische Gesellschaft). Leiter einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle. Redakteur der Zeitschriften »Systhema« (Weinheim) und »Systeme« (Wien). Zahlreiche Veröffentlichungen zu Theorie und Praxis Systemischer Therapie. Kurt Ludewig Geboren 1942 in Valparaiso (Chile). Dr. phil., Diplom-Psychologe, Lehrtherapeut für systemische Therapie und Beratung (SG). Von 1974–2004 klinische Tätigkeit an den Unikliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburg und Münster. Seit 2008 berentet, nebenher selbständige Tätigkeit als Supervisor und Lehrer. Gründungsvorsitzender des Instituts für systemische Studien Hamburg (1984–1996) und der Deutschen Systemischen Gesellschaft (1993–1999). Vorstandsmitglied (2001–2005) der NFTO-Kammer der EFTA. Autor zahlreicher Publikationen zur systemischen Therapie, darunter der Grundlagenwerke »Systemische Therapie. Grundlagen klinischer Theorie und Praxis« (1992), »Leitmotive systemischer Therapie« (2002) und »Einführung in die theoretischen Grundlagen der Systemischen Therapie« (2005). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Die Autorinnen und Autoren
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Haja (Johann Jakob) Molter, Karin Nöcker Geboren am 24.01.1945 und 14.08.1958. Diplom-Psychologen, Psychologische Psychotherapeuten, zertifiziert für Lehre in systemischer Therapie und Beratung, Supervision und Coaching durch die Systemische Gesellschaft und Lehrtherapeuten am IF Weinheim, Institut für Systemische Ausbildung & Entwicklung. In eigener Praxis »molter nöcker networking – systemisches design und management« tätig. Seit 1995 Beschäftigung mit systemischen Theorien und deren Umsetzung in die Praxis, Entwicklung systemischer Designs für Training, Moderation, Coaching und Organisationsberatung. Barbara Ollefs Dr. phil., Diplom-Psychologin, Systemische Supervisorin, Psychologin in der DDG (i. A.). Als Systemische Familientherapeutin in der psychosozialen Betreuung von Kindern/Jugendlichen mit einer chronischen Erkrankung (Diabetes, Asthma) und deren Familien tätig sowie in der Intensivmedizin am Kinderhospital Osnabrück. Lehrbeauftragte am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Osnabrück und Dozentin am Institut für Systemische Ausbildung & Entwicklung für das Systemische Elterncoaching. Darüber hinaus freiberufliche Tätigkeit in der Fort- und Weiterbildung. Haim Omer Prof. Dr., Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv. Geboren 1949 in Brasilien, Sohn von Überlebenden des Warschauer Ghettos und des KZ Skarżysko-Kammiena, Promotion in Psychologie an der Hebrew University in Jerusalem, 1986–1987 Postdoc im Fachbereich Psychologie an der Harvard University, Cambridge, seit 1998 Professor für Psychologie an der Tel Aviv University. Veröffentlichungen in Deutschland mit Arist von Schlippe: »Autorität ohne Gewalt« (2002), »Autorität durch Beziehung« (2004), »Feindbilder – Psychologie der Dämonisierung« (2007) und Stärke statt Macht« (2010). Kurt Pelzer Jahrgang 1950, Diplom-Psychologe, Paar- und Familientherapeut, Supervisor und Lehrsupervisor (SG/ DGSv), Leiter des Psychologischen Beratungszentrum Düren. 1988–2005 Fachbereichsleiter für systemische Beratung am IBS Aachen, seit 2006 Dozent bei der »Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytisch-Systemische Praxis und Forschung« (APF) in Köln. Weitere Dozententätigkeiten bei der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung (DAJEB) und der Ruhr-Universität Bochum. 1999–2005 Vorstandsmitglied der Systemischen Gesellschaft (SG), 2005–2008, Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Beratung (DGfB). Wilhelm Rotthaus Dr. med., Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Studium der Medizin in Freiburg, Paris und Bonn, Studium der Musik in Köln. Weiterbildung in Verhaltenstherapie, Klientenzentrierter Psychotherapie und Klientenzentrierter Spieltherapie, Systemischer Familientherapeut, Lehrtherapeut und Supervisor (DGSF). Ehemaliger Fachbereichsarzt der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Rheinischen Kliniken Viersen. Veranstalter der Viersener Therapietage 1982–2002. Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) von 2000 bis 2007. Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) und der Systemischen Gesellschaft (SG). Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung von 1993 bis 2009. Buchveröffentlichungen u. a.: Stationäre systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie (2. Aufl. 1998), Wozu erziehen? Entwurf einer systemischen Erziehung (6. Aufl. 2006), Systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (3. Aufl. 2005), Auffälliges Verhalten im Kindesalter – Handbuch für Eltern und Erzieher, Band 1 (zusammen mit H. Trapmann, 12. Aufl. 2005), Auffälliges Verhalten im Jugendalter – Handbuch für Eltern und Erzieher, Band 2 (zusammen mit H. Trapmann, 2. Aufl. 2008). Tom A. Rüsen Jahrgang 1974, Geschäftsführender Direktor des Wittener Institutes für Familienunternehmen (WIFU) der Privaten Universität Witten/Herdecke. Nach Abschluss eines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums an der Privaten Universität Witten/Herdecke mehrere Jahre Inhausberatung in einem © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Die Autorinnen und Autoren
großen internationalen Industriekonzerns. Schwerpunkte Forschungs-, Beratungs-, Lehr- und Publikationstätigkeit: Untersuchung von Konflikten und Krisen in Familie und Unternehmen von Familienunternehmen, Entwicklung praxisnaher Lösungskonzepte für Krisenmanager, Sanierungsberater und Mitglieder von Familienunternehmen. Hans Schindler Jahrgang 1952, verheiratet, fünf erwachsene Kinder. Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Lehrtherapeut und lehrender Supervisor am Bremer Institut für systemische Therapie und Supervision und in der Systemischen Gesellschaft. 1979–1986 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Bremen, 1984–1988 Familientherapieausbildung am IFW. 1992–1998 Vorstand im Mitgliederverein IFW, 1999–2007 Mitglied im Vorstand der systemischen Gesellschaft, seit 2007 Beisitzer im Vorstand der Psychotherapeutenkammer Bremen. Redaktionsmitglied der Zeitschriften Systhema und Psychotherapeutenjournal. Interessenschwerpunkte: psychosoziale Folgen von Arbeitslosigkeit, Gruppenerziehung für Kinder unter drei Jahren, systemische Einzeltherapie, erlebnisintensivierende Methoden in der systemischen Therapie, politische Psychotherapie und die psychosozialen Folgen des Holocaust. Außerdem: Winzer (Sangiovese, Chardonnay), Freizeitreiter und Pferdezüchter (Berber und AraberBerber). Arist von Schlippe Jahrgang 1951. Prof. Dr., Diplom-Psychologe (Universität Hamburg 1976), Psychologischer Psychotherapeut, Familientherapeut und Familienpsychologe. Promotion an der Universität Osnabrück (1986), dort auch Habilitation im Fach Psychotherapie und Klinische Psychologie (2001). 1976–1981 Stationsleitungstätigkeit in zwei kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken, 1981 Wechsel an die Universität Osnabrück, dort bis 2005 Lehre und Forschung im Fach »Psychotherapie und Klinische Psychologie«. Zwischenzeitlich (2003–2004) Vertretungsprofessur für Klinische Psychologie an der Universität Jena. Seit 2005 Inhaber des Lehrstuhls Führung und Dynamik von Familienunternehmen an der Universität Witten-Herdecke. Seit 1986 Lehrtherapeut und Lehrender Supervisor am Institut für Familientherapie Weinheim. Von 1999 bis 2005 Erster Vorsitzender der Systemischen Gesellschaft. Ehrenmitglied des Verbandes der lettischen Familientherapeuten in Riga. 1987 Mitbegründer der Fachzeitschrift »Systhema« und bis heute Mitglied der Redaktion. Mitherausgeber der Fachzeitschriften »Psychotherapie im Dialog« (2000–2006) und »Familiendynamik« (seit 2008). Im Rahmen eines umfangreichen Werkverzeichnisses Autor und Koautor von Standardwerken der Familientherapie, systemischen Therapie und Familienpsychologie, unter anderem Koautor des »Lehrbuch für systemische Therapie und Beratung« sowie des »Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen«. Christiane Schuchardt-Hain Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie (HPG), Systemischer Coach und Organisationsberaterin. Nach den Studium der Sozialwissenschaften in Münster und Göttingen langjährige Führungstätigkeit im Bereich Marketing. Seit 1997 freiberufliche Tätigkeit als systemische Familientherapeutin, später zunehmend als Coach und Organisationsberaterin, vorrangig im Raum Leverkusen/Köln/Berlin. Besondere Interessenfelder: Arbeit mit frauenspezifischen Themen im Coaching, Beratung zur beruflichen Orientierung und Entwicklung von Schulabgängern und Abgängerinnen, von Studenten und Studentinnen, Beratung von Familienunternehmen, Gesundheitscoaching. Jochen Schweitzer Geboren 1954. Prof. Dr. Nach Studium Jura und Psychologie in Göttingen und Gießen und nebenher Gemeinwesenarbeit in einem sozialen Brennpunkt, ab 1979 als Diplom-Psychologe mit Schwerpunkt systemische Therapie in einem amerikanischen Community Mentals Health Center, einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, einer psychosomatischen Unversitätsklinik tätig. 1980/1981 und 1989–1994 Mitarbeiter an Helm Stierlins Heidelberger Familientherapieabteilung, seit 1995 am Institut für Medizinische Psychologie in Heidelberg, dort seit 2006 Aufbau einer Sektion Medizinische Organisationspsychologie. Lehrtherapeut für systemische Therapie an der EFHS Darmstadt ab 1984, in der IGST ab 1989 und seit 2002 am Helm Stierlin Institut. Zweiter Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familien© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Die Autorinnen und Autoren
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therapie 1997–2000, Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für systemische Therapie und Familientherapie seit 2007. Der langjährigen Freundschaft mit Arist von Schlippe entsprangen bislang drei Lehrbücher und einige Artikel, vor allem aber eine lange Serie inspirierender Erlebnisse. Stefan Theiling Jahrgang 1961. Diplom-Psychologe, Dr. phil., Lehrtherapeut für Systemische Therapie und Beratung am IF Weinheim; Familientherapeut und Systemischer Supervisor (IFW/SG), Gesprächspsychotherapeut und Ausbilder in Gesprächspsychotherapie (GwG), Psychologischer Psychotherapeut und Kinderund Jugendlichenpsychotherapeut. Tätig in eigener Praxis für Psychotherapie, Supervision, Coaching und Systemberatung; Lehrbeauftragter am Fachbereich Humanwissenschaften (Fachgruppe Klinische Psychologie) der Universität Osnabrück, zwanzig Jahre Angestelltentätigkeit in der Abteilung für Kinderheilkunde und Jugendmedizin am Kinderhospital Osnabrück. Interessen und Schwerpunkte: humanistisch-systemische Arbeit mit Einzelnen, Paaren und Familien, systemische Familienmedizin, Supervision und Coaching, Entwicklung und Durchführung von Weiterbildungsangeboten. Cornelia Tsirigotis Hörgeschädigtenpädagogin, systemische Familientherapeutin und Supervisorin (IFW, SG), Kinderund Jugendlichenpsychotherapeutin, langjährige Tätigkeit in der Frühförderung, im Cochlear Implant Rehabilitationszentrum Rheinland (CIR) und in einer pädaudiologischen Beratungsstelle. Besondere Arbeitsschwerpunkte: Arbeit mit Eltern behinderter Kinder, Stärkung von Ressourcen und Kompetenzen. Supervision und Fortbildung, Veröffentlichungen, Seminare und Workshops (nicht nur) über systemische Elternberatung, sondern vor allem auch mit Eltern. Schriftleiterin der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung sowie Redakteurin von Systhema. Erhard Wedekind Jahrgang 1951, Soziologe (Dipl. rer. soc.), Psychologe (Dr. phil.) und Psychologischer Psychotherapeut. Ausgiebige Felderfahrungen in der stationären Jugendhilfe und der Erwachsenenpsychiatrie, pädagogisch, therapeutisch und in der institutionellen Begleitforschung. In eigener Institutspraxis sowohl mit Paartherapie als auch mit Supervision, Coaching und Organsationsentwicklung beschäftigt. Zertifizierter Lehrtherapeut, Lehrender Supervisor und Coach der Systemischen Gesellschaft (SG), Trainer und Zweiter Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für psychoanalytisch-systemische Praxis und Forschung e. V. (APF), die systemische Weiterbildungen anbietet, Mitglied des systemischen Beraternetzwerkes Passform und Redaktionsmitglied von systeme – Zeitschrift für systemtheoretisch orientierte Forschung und Praxis in den Humanwisssenschaften. Zahlreiche Publikationen zur Beziehungsarbeit in Organisationen. Rudolf Wimmer Geboren 1946. Prof. Dr., apl. Prof. für Führung und Organisation am Wittener Institut für Familienunternehmen, Universität Witten/Herdecke, Mitbegründer und Partner des Beratungsunternehmens osb international AG mit Sitz in Wien, Hamburg, Tübingen. Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Corporate Governance von Familienunternehmen, systemische Strategieentwicklung, Leadership, neue Organisationsarchitekturen. Zahlreiche Buchpublikationen und Veröffentlichungen in Fachzeitschriften.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Werkverzeichnis
Bücher, Buch(mit)herausgeberschaften 1984: Schlippe, A. von, Familientherapie im Überblick. Basiskonzepte, Formen, Anwendungsmöglichkeiten (12. Aufl. = überarbeitete Neuaufl. 2010). Paderborn: Junfermann. 1987: Schlippe, A. von, Kriz, J. (Hrsg.), Familientherapie, Kontroverses – Gemeinsames, Erstes Weinheimer Symposion. Wildberg: Bögner-Kaufmann. 1993: Hosemann, D., Kriz, J., Schlippe, A. von (Hrsg.), FamilientherapeutInnen im Gespräch. Freiburg i. Br.: Lambertus. 1994: Könning, J., Szczepanski, R., Schlippe, A. von (Hrsg.), Betreuung asthmakranker Kinder im sozialen Kontext. Die Bewältigung einer chronischen Krankheit als Herausforderung für Kind, Familie und interdisziplinäres Team. Stuttgart: Enke. 1996: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Übersetzungen: 2001: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Systemická terapie a poradenství. Brno: Cesta. (tschechisch) 2003: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Manual de terapia y asesoría sistémicas. Barcelona: Herder. (spanisch) 2004: Šlippe, A. f., Švajcer, J., Sistemna psichoterapija ta konsul‘tuvannja. L’viv : Klasyka Psychoterapiï. (ukrainisch) 2007: Šlippe, A. f., Švajtcer, J., Učebnik po sistemnoj terapii i konsul’tirovaniju; Moskva: Inst. Konsul’tirovanija i Sistemnych Rešenij. (russisch) 2008: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Encheiridio tēs systēmikēs therapeias kai symbuleutikēs; Thessalonikē: Univ. Studio Press. (griechisch) 1997: Könning, J., Sczcepanski, R., Schlippe, A. von (Hrsg.), Die Betreuung asthmakranker Kinder im sozialen Kontext. Eine chronische Krankheit als Herausforderung für Kind, Familie und interdisziplinäres Team (2., überarb. u. erw. Aufl.). Stuttgart: Enke. 1998: Hargens, J., Schlippe, A. von (Hrsg.), Das Spiel der Ideen. Reflektierendes Team und systemische Praxis. Dortmund: verlag modernes lernen. 2001: Schlippe, A. von, Lösche, G., Hawellek, C. (Hrsg.), Frühkindliche Lebenswelten und Erziehungsberatung. Die Chancen des Anfangs. Münster: Votum. 2002: Omer, H., Schlippe, A. von, Autorität ohne Gewalt. Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2002: Omer, H., Schlippe, A. von, Die Kunst des gewaltlosen Widerstandes gegenüber destruktivem Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Elterliche Präsenz als systemisches Konzept. Dortmund: Video-Cooperative-Ruhr. 2003: Schlippe, A. von, El Hachimi, M., Jürgens, G., Multikulturelle systemische Praxis. Ein Reiseführer für Beratung, Therapie und Supervision. Heidelberg: Carl-Auer. 2004: Schlippe, A. von, Kriz, W. C. (Hrsg.), Personzentrierung und Systemtheorie. Perspektiven für psychotherapeutisches Handeln. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2004: Omer, H., Schlippe, A. von, Autorität durch Beziehung. Die Praxis der gewaltlosen Widerstands in der Erziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2005: Schindler, H., Schlippe, A. von (Hrsg.), Anwendungsfelder systemischer Praxis. Ein Handbuch. Dortmund: verlag modernes lernen. 2005: Hawellek, C., Schlippe, A. von (Hrsg.), Entwicklung unterstützen – Unterstützung entwickeln. Systemisches Coaching nach dem Marte-Meo-Modell. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Werkverzeichnis
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2005: Schlippe, A. von, Theiling, S., Niemand ist allein krank. Osnabrücker Lesebuch zu chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Lengerich: Pabst. 2006: Schweitzer , J., Schlippe, A. von, Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungspezifische Wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2006: Omer, H., Alon, N., Schlippe, A. von, Feindbilder – Psychologie der Dämonisierung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2006: Tsirigotis, C., Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (Hrsg.), Coaching für Eltern. Mütter, Väter und ihr »Job«. Heidelberg: Carl-Auer. 2007: Schlippe, A. von, Grabbe, M. (Hrsg.), Werkstattbuch Elterncoaching. Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2008: Schlippe A. von, Nischak, A., El Hachimi, M., Familienunternehmen verstehen. Gründer, Gesellschafter und Generationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2009: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Systemische Interventionen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2009: Schlippe, A. von, Rüsen, T. A., Groth, T. (Hrsg.), Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens. Köln: Josef Eul. 2010: Omer, H., Schlippe, A. von, Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Buchbeiträge 1983: Schlippe, A. von, Familientherapie mit Unterschichtsfamilien. In K. Schneider (Hrsg.), Familientherapie in der Sicht psychotherapeutischer Schulen (S. 372–384). Paderborn: Junfermann. 1987: In A. von Schlippe, J. Kriz (Hrsg.), Familientherapie, Kontroverses – Gemeinsames, Erstes Weinheimer Symposion. Wildberg: Bögner-Kaufmann: Schlippe, A. von, Das Verhältnis von Einzel- und Familientherapie: zur ökologischen Validität therapeutischer Interventionen (S. 69–75). Warner, M., Wiedl, K. H., Schlippe, A. von, Scheidung aus der Sicht der Betroffenen sowie der mit Scheidung befaßten Berufsgruppen (S. 106–115). Schweitzer, J., Schlippe, A. von, Das Circumplex-Model-of-Marital-and-Family-Systems. Erfahrung und Kritik (S. 188–189). 1987: Schlippe, A. von, C. Matthaei, Das Kind in der strukturellen und entwicklungsorientierten Familientherapie. In H. Petzold, G. Ramin (Hrsg.), Schulen der Kinderpsychotherapie (S. 323–357). Paderborn: Junfermann. 1992: Schlippe, A. von, Möglichkeiten der Selbst-Supervision. Eine Umsetzung des Satirschen Ansatzes. In G. Moskau, G. F. Müller (Hrsg.), Virginia Satir – Wege zum Wachstum. Ein Handbuch für die therapeutische Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Gruppen (S. 233–242). Paderborn: Junfermann. 1993: Collmann, B., Hawallek, C., Schlippe, A. von, »Sackgassen und andere Wege«. Institutionelle Kooperation angesichts sexuellen Mißbrauchs. In G. Ramin (Hrsg.), Inzest und sexueller Mißbrauch. Beratung und Therapie. Ein Handbuch (S. 413–441). Paderborn: Junfermann. 1994: In J. Könning, R. Szczepanski, A. von Schlippe (Hrsg.), Betreuung asthmakranker Kinder im sozialen Kontext. Die Bewältigung einer chronischen Krankheit als Herausforderung für Kind, Familie und interdisziplinäres Team. Stuttgart: Enke: Schlippe, A. von, Fortmann, J., Theiling, S., Die Bewältigung chronischer Krankheit im Kontext sozialer Systeme (S. 45–60). Könning, J., Schlippe, A. von, Emotionale Krankheitsverarbeitung (S. 89–102). Schlippe, A. von, Theiling, S., Familienorientierte Arbeit im Kontext chronischer Krankheit (S. 125–137). Theiling, S., Szczepanski, R., Schlippe, A. von, Lob-Corzilius, T., Interdisziplinarität (S. 152– 162). 1995: Schlippe, A. von, Therapie zwischen Begegnung und Macht. Eine persönliche Auseinandersetzung mit familientherapeutischen Überlegungen zur Macht. In C. J. Schmidt-Lellek, B. Heimannsberg (Hrsg.), Macht und Machtmißbrauch in der Psychotherapie (S. 229–238). Köln: Edition Humanistische Psychologie. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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1996: Schlippe, A. von, Das Auftragskarussell. In H. Schindler (Hrsg.), Un-heimliches Heim. Von der Familie ins Heim und zurück!?! Familientherapeutische und systemische Ideen für die Heimerziehung (S. 135–143). Dortmund: verlag modernes lernen. 1996: Kriz, J., Schlippe, A. von, Westermann, B., Kontexte für Veränderung schaffen. Die Arbeit mit dem »Reflecting Team«. In A. von Schlippe, J. Kriz (Hrsg.), Kontexte für Veränderungen schaffen: Systemische Perspektiven in der Praxis (S. 81–95). Osnabrück: Forschungsbericht Nr. 111 aus dem Fachbereich Psychologie der Universität Osnabrück. 1996: Schlippe, A. von, Familien leben in Sprache, Familien leben in Geschichten. Die Entwicklung des Bildes von Familie in Psychotherapie und Familientherapie. In G. Koolmann, G. Schusser (Hrsg.) Familie in besonderen Lebenssituationen – gestern und heute (S. 91–108). Hamburg: Kovac. 1997: In J. Könning, R. Szczepanski, A. von Schlippe (Hrsg.), Die Betreuung asthmakranker Kinder im sozialen Kontext. Eine chronische Krankheit als Herausforderung für Kind, Familie und interdisziplinäres Team. Stuttgart: Enke: Theiling, S., Szczepanski, R., Schlippe, A. von, Lob-Corzilius, T., Interdisziplinarität (S. 155–165). Runde, B., Braun, A., Brockmann, G., Haubrock, M., Könning, J., Lob-Corzilius, T., Schlippe, A. von, Schmidt, S., Scholz, W., Szczepanski, R., Theiling., S., Wegner, R. E., Begleitforschung der »Luftiku(r)s«-Projektarbeit – ein Beispiel für die Evaluation von Asthmaschulungskurse (S. 187– 212). 1998: Schweitzer, J., Schlippe, A. von (1998). Fallsupervision, Team- und Organisationsberatung aus systemischer Sicht. In C. Hennch, A. Werner, G. Bergmann (Hrsg.), Formen der Supervision. Supervisionskonzepte und Praxis im Klinikkontext (S. 21–41). Frankfurt a. M.: VAS Verlag für Akademische Schriften. 1998: In J. Hargens, A. von Schlippe (Hrsg.), Das Spiel der Ideen. Reflektierendes Team und systemische Praxis. Dortmund: verlag modernes lernen: Hargens, J., Schlippe, A. von, Kontexte für Veränderungen schaffen (S. 13–19). Grabbe, M., Jürgens, G., Schlippe, A. von, »Als würden wir gemeinsam einen Teppich weben ...« Reflektierendes Team in einer systemtherapeutischen Lehrpraxis (S. 151–177). 2000: Eberding, A., Schlippe, A. von, Gesundheit und Migration: Konzepte der Beratung und Behandlung von Migranten. In P. Marschalck, K. H. Wiedl (Hrsg.), Migration, Krankheit und Gesundheit (S. 261–282). Osnabrück: Publikationen des IMIS an der Universität. 2000: Sczcepanski, R., Schlippe, A. von, Brockmann, G., Lob-Corzilius, T., Theiling, S., Familienmedizinische Asthmabetreuung und Asthmaschulung. In F. Petermann, F. Warschburger (Hrsg.), Asthma bronchiale (S. 257–274). Göttingen: Hogrefe. 2000: Theiling, S., Schlippe, A. von, Lob-Corzilius, T., Systemische Familienmedizin in der Pädiatrie. In F. Kröger, A. Hendrischke, S. McDaniel (Hrsg.), Familie, System und Gesundheit. Systemische Konzepte für ein soziales Gesundheitswesen. Heidelberg: Auer (S. 130–164). 2000: Schlippe, A. von, El Hachimi, M., Konzepte interkultureller systemischer Therapie und Beratung. Ein Beitrag zur interkulturellen Kompetenz. In B. Heimannsberg, C. J. Schmidt-Lellek (Hrsg.), Interkulturelle Beratung und Mediation. Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven (S. 87–114). Köln: Edition Humanistische Psychologie. 2001: Schlippe, A. von, Therapeutische Zugänge zu familiären Wirklichkeiten. Ein Beitrag zu einer klinischen Familienpsychologie. In S. Walper, R. Pekrun (Hrsg.), Familie und Entwicklung. Perspektiven der Familienpsychologie (S. 345–363). Göttingen: Hogrefe. 2001: Sczcepanski, R., Schlippe, A. von, Brockmann, G., Lob-Corzilius, T., Theiling, S., Familienmedizinische Asthmabetreuung und Asthmaschulung: »Luftiku(r)s« und »Lufti-Mobil«. In F. Petermann, P. Warschburger (Hrsg.), Asthma bronchiale (S. 257–273). Göttingen: Hogrefe. 2001: Eberding, A., Schlippe, A. von, Gesundheit und Migration: Konzepte der Beratung und Behandlung von Migranten. In P. Marschalck, K. H. Wiedl (Hrsg.), Migration – Krankheit und Gesundheit. Aspekte von mental health und public health in der Versorgung von Migranten (S. 261–282). Osnabrück: IMIS-Schriften Nr.10, Universitätsverlag Rasch. 2002: In M. Wirsching, P. Scheib (Hrsg.), Paar- und Familientherapie. Berlin u. Heidelberg: Springer: Schlippe, A. von, Theiling, S., Chronische Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters. Ein Beitrag zur systemischen Familienmedizin (S. 411–424). Gallisch, M., Schlippe, A. von, El Hachimi, M., Transkulturelle Paar- und Familientherapie (S. 599–620). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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2003: Schlippe, A. von, Grundlagen systemischer Beratung. In B. Zander, M. Knorr (Hrsg.), Systemische Praxis der Erziehungs- und Familienberatung (S. 30–54). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2003: In S. Altmeyer, F. Kröger (Hrsg.), Theorie und Praxis der Systemischen Familienmedizin. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: Theiling, S., Schlippe, A. von, Diabetesbetreuung bei Kindern und Jugendlichen nach systemischfamilienmedizinischem Konzept (S. 163–182). Ollefs, B., Schlippe, A. von, Der Luftikurs ein familienmedizinisches Angebot für Kinder und Jugendliche mit Asthma bronchiale (S. 145–162). 2004: Mittler, T., Grobel, J., Berkenheide, J., Schlippe, A. von, Jong-Meyer, R. d., ELKINA – Eltern-KindInteraktionsanalyse. Kurznachweis. In T. Mittler (Hrsg.), Sprach- und beziehungsförderliche Elternkompetenzen bei sprachauffälligen Kindern im Kontext einer stationären Sprachheilmaßnahme (S. 243–280). Hamburg: Kovac. 2004: Lob-Corzilius, T., Böer, S., Scheewe, S., Wilke, K., Schon, M., Schulte im Walde, J., Diepgen, T., Gieler, U., Staab, D., Werfel, T., Schmid-Ott, G., Fartasch, M., Wittenmeier, M., Schnoop, C., Kupfer, J., Schlippe, A. von, Sczcepanski, R., Keins, P., The Skin-Detective Questionnaire: a survey tool for self-assessment of patients with atopic dermatitis. First results of its application. Dermatology & Psychosomatics, 5, 141–146. 2005: Schlippe, A. von, Zwischen Handwerk, Kunst, Wissenschaft und Profession – Spannungsfeklder Systemischer Praxis. In H. Schindler, A. von Schlippe (Hrsg.), Anwendungsfelder systemischer Praxis (S. 9–24). Dortmund: verlag modernes lernen. 2005: In C. Hawellek, A. von Schlippe (Hrsg.), Entwicklung unterstützen – Unterstützung entwickeln. Systemisches Coaching nach dem Marte-Meo-Modell. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: Schlippe, A. von, Hawellek, C., Entwicklung unterstützen und Unterstützung entwickeln. Systemisches Coaching nach dem Marte-Meo-Modell (S. 17–24). Aarts, M., Hawellek, C., Schlippe, A. von, Von der Botschaft hinter den Problemen (S. 37–55). Meyer zu Gellenbeck, K., Schlippe A. von, »Wahrnehmen, folgen, lenken«. Ein Analyseschema als Orientierungshilfe für die Arbeit mit Müttern von Kleinkindern (S. 192–210). Mittler, T., Grobel, J., Berkenheide, J., Schlippe, A. von, Sprach- und beziehungsförderliche Elternkompetenzen. Eine Integration des Marte-Meo-Ansatzes in die Beratungsarbeit mit Eltern sprachauffälliger Kinde (S. 211–224). Schlippe, A. von, Psychoedukative Ansätze und systemische Perspektive (S. 242–269). 2005: In A. von Schlippe, S. Theiling (Hrsg.), Niemand ist allein krank. Osnabrücker Lesebuch zu chronischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter. Lengerich: Pabst: Theiling, S., Schlippe, A. von, Ollefs, B., Sczcepanski, R., Diabetesbetreuung bei Kindern und Jugendlichen nach systemisch-familienmedizinischem Konzept (S. 245–265). Schlippe, A. von, Theiling, S., Chronische Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters. Ein Beitrag zur systemischen Familienmedizin (S. 68–96). Ollefs, B., Schlippe, A. von, Theiling, S., Lob-Corzilius, T., Sczcepanski, R., Der Luftiku(r)s – Ein familienmedizinisches Angebot für Kinder und Jugendliche mit Asthma bronchiale (S. 218–244). Schlippe, A. von, Theiling, S., Lob-Corzilius, T., Sczcepanski, R., Empirische Studien zum »Luftiku(r)s-Projek (S. 347–368). Eberding, A., Schlippe, A. von, Gesundheit und Migration: Konzepte der Beratung und Behandlung von MigrantInnen (S. 369–397). 2006: In C. Tsirigotis, A. von Schlippe, J. Schweitzer-Rothers (Hrsg.), Coaching für Eltern. Mütter, Väter und ihr »Job«. Heidelberg: Carl-Auer: Schlippe, A. von, Von der Familientherapie zum systemischen Elterncoaching – Einführung in ein Spannungsfeld (S. 9–24). Ollefs, B., Schlippe, A. von, »Keine Lust auf diesen blöden Diabetes!« – Elterliche Präsenz und TypI-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen (S. 133–153). 2006: Ollefs, B., Schlippe, A. von, Familiäre Eskalation, elterliche Präsenz und systemisches Elterncoaching. In J. Rieforth (Hrsg.), Triadisches Verstehen in sozialen Systemen. Gestaltung komplexer Wirklichkeiten. Ausgewählte Beiträge zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2005 (S. 229–243). Heidelberg: Carl-Auer. 2006: Schlippe, A. von, Groth, T., Familienunternehmen und Beratung: Paradoxien und Dilemmata. In K. Deissler (Hrsg.), Familienunternehmen beraten (S. 109–125). Bielefeld: Transkript. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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2006: Schlippe, A. von, Systemische Praxis zwischen Familienberatung, Familientherapie und Elterncoaching. In P. Bauer, E. J. Brunner (Hrsg.), Eltern – eine vergessene pädagogische Provinz? (S. 237– 256). Freiburg: Lambertus. 2006: Schlippe, A. von, Das Auftragskarussell oder auch Münchhausens Zopf. In S. Fliegel, A. Kämmerer (Hrsg.), Psychotherapeutische Schätze. 101 bewährte Übungen und Methoden für die Praxis (S. 30–36). Tübingen: dgvt-Verlag 2007: Schlippe, A. von, Das Balancieren von Paradoxien in Familienunternehmen – Kultur mit Struktur versöhnen. In K. Rausch (Hrsg.), Organisationen gestalten (S. 111–129). Lengerich: Pabst. 2007: In A. von Schlippe, M. Grabbe (Hrsg.), Werkstattbuch Elterncoaching. Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: Schlippe, A. von, Der Mythos der Macht und Krankheiten der Erkenntnistheorie (S. 17–24). Ollefs, B., Schlippe, A. von, Manual für das Elterncoaching auf der Basis des gewaltlosen Widerstands (S. 47–101). Köllner, A., Ollefs., B., Schlippe, A. von, »Elterliche Präsenz«. Entwicklung eines Fragebogens zur elterlichen Präsenz (S. 237–268). 2007: Kötter, C., Schlippe, A. von, »Coaching im gewaltlosen Widerstand« – was ist das eigentlich genau? Ein Kategoriensystem zur Untersuchung von Beratungsprozessen auf der Mikroebene (S. 269–277). 2007: Schlippe, A. von, Das Balancieren von Paradoxien in Familienunternehmen – Kultur mit Struktur versöhnen. In K. Rausch, R. Kröger, A. Näpel (Hrsg.), Organisation gestalten. Struktur mit Kultur versöhnen. Band zur 13. Tagung der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftspsychologie e. V. am 2. und 3. Februar 2007 in der FH Osnabrück (S. 111–129). Lengerich: Pabst. 2007: Schlippe, A. von, Bewusst mit Widersprüchen umgehen – Paradoxiemanagement in Familienunternehmen. In N. Tomaschek (Hrsg.), Die bewusste Organisation. Steigerung der Leistungsfähigkeit, Lebendigkeit und Innovationskraft von Unternehmen (S. 145–160). Heidelberg: Carl-Auer. 2007: Schweitzer, J., Schlippe, A. von, Ochs, M., Theorie und Praxis der Systemischen Psychotherapie. In B. Strauß, F. Hohagen, F. Caspar (Hrsg.), Lehrbuch Psychotherapie (S. 261–283). Göttingen: Hogrefe. 2007: Omer, H., Irbauch, R., Schlippe, A. von, Soziale Störungen und Gewalttätigkeit in der Schule. Lehrerinnen und Lehrer lernen gewaltlosen Widerstand. In G. Eikenbusch, I. Spitczok von Brisinski (Hrsg.), Jugendkrisen und Krisenintervention in der Schule (S. 27–36). Hamburg: Bergmann & Helbig. 2007: Schlippe, A. von, Buberti, C., Groth, T., Plate, M., Wettbewerbsvorteil durch Leidenschaft. Eine Analyse. In Konjunkturprognose der NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (Hrsg.), Wirtschaft 2007. Düsseldorf: Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie. 2008: Schlippe, A. von, Nischak, A., El Hachimi, M., Familienunternehmen verstehen. In A. von Schlippe, A. Nischak, M. El Hachimi (Hrsg.), Familienunternehmen verstehen. Gründer, Gesellschafter und Generationen (S. 19–29). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 2008: Hawellek, C., Schlippe, A. von, »Good Enough«-Counseling. Familienberaterinnen und Familienberater in der Babysprechstunde Osnabrück und ihre Supervision. In J. Borke, A. Eickhorst (Hrsg.), Systemische Entwicklungsberatung in der frühen Kindheit (S. 109–121). Wien: Facultas WUV Universitätsverlag. 2008: Fliegel, S., Schlippe, A. von, Stienen, H., Standardmethoden in der Psychotherapie. In S. Herpertz, F. Caspar, C. Mundt (Hrsg.), Störungsorientierte Psychotherapie (S. 103–115). München u. Jena: Urban & Fischer. 2009: Schlippe, A. von, Familienberatung und -therapie: Innovative Konzepte für nachhaltige Veränderungen. In Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, K. A. Schneewind (Hrsg.), Familien in Deutschland: Beiträge aus familienpsychologischer Sicht (S. 64–68). Berlin: Deutscher Psychologen Verlag. 2009: In H. Neumann-Wirsig (Hrsg.), Supervisions-Tools. Bonn: managerSeminare Verlags GmbH: Schlippe, A. von, Der Blick aus dem Adlerhorst (S. 181–187). Schlippe, A. von, Das Auftragskarussell als Instrument der Fallsupervision (S. 228–233). 2009: In S. Fliegel, A. Kämmerer (Hrsg.), Psychotherapeutische Schätze II. Tübingen: dgvt-Verlag: Schlippe, A. von, Logische Buchhaltung vom Anlass über das Anliegen zum Auftrag (S. 114–116). Schlippe, A. von, Reflektierende Positionen (S. 137–139). 2010: Schlippe, A. von, Einladung zu einer Grenzwanderung. In M. L. Staubach (Hrsg.), Systemische Geschichten für Praktiker (S. 9–12). Denken über Grenzen: Handlungsspielräume für ein qualifizierte Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Zeitschriftenbeiträge 1982: Schlippe, A. von, Essen, S., Die Familienperspektive überschreiten: Gedanken von Familientherapeuten zu gesellschaftlichen Prozessen. Integrative Therapie, 8 (3), 233–250. 1982: Metzmacher, B., Ross, J., Schlippe, A. von, Schmauch, R., Ein familientherapeutisches Konzept von Veränderung. Integrative Therapie, 8 (3), 173–192. 1986: Essen, S., Schlippe, A. von, Initiativen zum Frieden aus der Sicht der Familientherapie. Zeitschrift für systemische Therapie 4 (3), 155–172. 1986: Schlippe, A. von, Differenz der Menschenbilder. Antwort auf T. Levold. Zeitschrift für systemische Therapie, 6 (3), 179–181. 1988: Schlippe, A. von, Der systemische Ansatz – Versuch einer Präzisierung. In Zeitschrift für systemische Therapie, 6 (2), 81–89. Dazu im gleichen Heft: Schlippe, A. von, Diskussionsbeitrag, 134–136. Schlippe, A. von, Schlußbemerkungen, 153–154. 1988: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Familienforschung per Fragebogen. Eine epistemologische Kritik am Circumplex-Modell und an den »Family Adaptability and Cohesion Evaluation Scales« (FACES II). System Familie, 1 (2), 124–136. 1988: Schweitzer, J., Schlippe, A. von, Das Kind braucht eine andere Wanne ... Abschließende Bemerkungen zu Hahlwegs Kritik. System Familie, 1 (2), 139–140. 1988: Schlippe, A. von, Zum Tode Virginia Satirs. Integrative Therapie, 14 (2–3), 238–239. 1990: Schlippe, A. von, Petzold, H., Die Familie und das schwerkranke Mitglied. Therapeutische Hilfen für Fatum-Familien. Integrative Therapie, 16 (4), 271–275. 1990: Schlippe, A. von, Könning, J., Theiling, S., Thiele-Wöbse, S., »Luftiku(r)s« – ein integratives Betreuungskonzept für Familien mit einem asthmakranken Kind. Integrative Therapie, 16 (4), 296–324. 1991: Molter, H., Schlippe, A. von, Das Weinheimer Modell – ein Modell der Vielfalt. Systhema, 5 (2), 14–16. Aktualisierung 2007: Vielfalt statt Einfalt. Eine kurze Beschreibung des Weinheimer Modells der Systemischen Therapie und Beratung. Systhema, 21 (2), 141–145. 1991: Schlippe, A. von, Systemische Sichtweise und psychotherapeutische Ethik. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 40 (10), 368–375. 1991: Rienas, R., Schlippe, A. von, Modernes Tanztheater. Kommentar zu dem Transkript »Konstruktiv(istisch)es Coaching«. Zeitschrift für systemische Therapie, 9 (2), 103–106. 1991: Schlippe, A. von, Dealing with difficult situations in family therapy. Psychoterapia, 77 (2). 1992: Brönneke, M., Risau-Peters, J., Schlippe, A. von, Wenn therapieunübliches Handeln therapeutisch sinnvoll wird. Die Self-Care des Therapeuten bei der Arbeit mit komplexen Systemen und in Kontexten, die nicht eindeutig therapeutische sind. Systhema, 6 (3), 20–33. 1992: Lob-Corzilius, T., Könning, J., Szczepanski, R., Schlippe, A. von, Familienorientierte AsthmaSchulungskurse in einem Kinderhospital. Prävention und Rehabilitation, 4 (1), 26–29. 1993: Schlippe, A. von, Kriz, J., Skulpturarbeit und zirkuläres Fragen. Eine integrative Perspektive auf zwei systemtherapeutische Techniken aus Sicht der personzentrierten Systemtheorie. Integrative Therapie, 19 (3), 222–241. 1993: Schlippe, A. von, Lob-Corzilius, T., Chronische Krankheit im Kontext der Familie. Ein Versuch, ein systemisches Konzept der Bewältigung von chronischem Asthma praktisch umzusetzen. Familiendynamik, 18 (1), 37–55. 1993: Szczepanski, R., Könning, J., Lob-Corzilius, T., Schlippe, A. von, Theiling, S., Analyse zur gegenwärtigen Situation der Asthmaschulung für Kinder und Jugendliche im deutschsprachigen Raum. Pneumologie, 47, 583–587. 1993: Schlippe, A. von, Der Familiensystemtest FAST. Systhema, 7 (3), 46–53. 1995: Schlippe, A. von, »Tu was Du willst.« – Eine integrative Perspektive auf die systemische Therapie. Kontext, 26 (1), 19–32. 1996: Schlippe, A. von, Kriz, J., Das Auftragskarussell – eine Möglichkeit der Selbstsupervision in der systemischen Therapie und Beratung. System Familie, 9 (3), 106–110. 1996: Braun, A., Brockmann, G., Könning, J., Schlippe, A. von, Szczepanski, R., Theiling, S., Asthmaschulung für Kinder und Jugendliche: Ein neues Aufgabenfeld für Diplom-Psychologen. Report Psychologie, 21 (10), 810–820. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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1996: Jürgens, G., El Hachimi, M., Schlippe, A. von, Hilfreiche Fragen zum Thema: »Arbeit mit Familien im Kontext von Migration«. Ein Werkstattbericht. Systhema, 10 (3), 43–45. 1996: Schlippe, A. von, Kriz, J., Das »Auftragskarussell« – eine Möglichkeit der Selbstsupervision in der systemischen Therapie und Beratung. System Familie, 9 (3), 106–110. 1996: Risau-Peters, J., Schlippe, A. von, Brönneke, M., Heimerziehung als komplexes Auftragsgeflecht. Beschreibungen und Lösungen aus systemischer Sicht. System Familie, 9 (3), 111–119. 1997: Ochs, M., Schlippe, A. von, Schweitzer-Rothers, J., Evaluationsforschung zur systemischen Paarund Familientherapie. Methodik, Ergebnisse und Kritik von Sekundäranalysen. Familiendynamik, 22 (1), 34–63. 1997: Schlippe, A. von, Geschichte und Geschichten von der systemischen Therapie von den Großeltern bis zur heutigen Generation. Systhema, 11 (1), 51–58. 1997: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Die Bedeutung einer systemischen Perspektive in der Supervision von Psychotherapeuten. OSC Organisationsberatung – Supervision – Clinical Management, 4 (2), 101–118. 1997: Schlippe, A. von, El Hachimi, M., Jürgens, G., Systemische Supervision in multikulturellen Kontexten. OSC Organisationsberatung – Supervision – Clinical Management, 4 (3), 207–224. 1998: Schlippe, A. von (Hrsg.), Themenheft der »Systhema« zum 10. Todestag von Virginia Satir (= Systhema, 2). 1998: Schlippe, A. von, Braun-Brönneke, A., Schröder, K., Systemische Therapie als engagierter Austausch von Wirklichkeitsbeschreibungen. Empirische Rekonstruktionen therapeutischer Interaktion. System Familie, 11 (2), 70–79. 1999: Schlippe, A. von, Sprachliche Umwelten körperlicher Erkrankungen. Ein Beitrag zu einer systemischen Familienmedizin. Systhema, 13 (1), 50–61. 1999: Schlippe, A. von, Hildenbrand, B., Kommentar und Replik zum Beitrag: Auftragsklärung und/ oder Rahmung? – Zur Bedeutung der Anfangssequenz in Beratung und Therapie (mit 2 Einzelbeiträgen). System Familie, 12 (3), 130–131. 2000: El Hachimi, M., Schlippe, A. von, Systemische Therapie und Supervision in multikulturellen Kontexten. System Familie, 13 (1), 3–13. 2000: Ludewig, K., Schlippe, A. von, Michelmann, A., Conen, M. L., Wnuk-Gette, G., Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie (AGST) zum Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats »Psychotherapie« über die Wissenschaftlichkeit der Systemischen Therapie. Systhema, 14 (1), 88–97. Zeitschrift für systemische Therapie, 18 (2), 118–124. Kontext, 31 (1), 98–109. Systeme, 14 (1), 77–86. 2000: Rotthaus, W., Schlippe, A. von, Bayer, I., Bert Hellinger und seine Bewunderer – ein Phänomen unserer Zeit? Kommentare zu den Beiträgen von Klaus Mücke und Wilfried Nelles. Zeitschrift für systemische Therapie, 18 (3), 188–195. 2000: Eberding, A., Schlippe, A. von, Cigerim yaniyor – Meine Leber brennt. Sprache und Kultur in der systemischen Familienmedizin. Systhema, 14 (3), 282–292. 2001: Theiling, S., Schlippe, A. von, Szczepanski, R., Der »Luftiku(r)s«: Asthmaschulung nach systemisch-familienmedizinischem Konzept. Psychomed, 13, 4–10. 2001: Schlippe, A. von, Talking about asthma: The semantic environments of physical disease – A narrative contribution to systemic family medicine. Families, Systems, and Health, 19 (3), 251–262. 2001: Schlippe, A. von, Theiling, S., Lob-Corzilius, T., Szczepanski, R., The »Luftikurs«: Innovative Family Focused Training of Children With Asthma in Germany. Families, Systems, and Health, 19 (3), 263–284. 2002: Schlippe, A. von, »In des Menschen Brust ist Unendlichkeit«. Annäherungen an den Gegenstand der Psychologie. Systhema 16 (2), 114–126. 2002: Schlippe, A. von, Stellungnahme der Systemischen Gesellschaft zur Aufstellungsarbeit nach Bert Hellinger. Systeme, 16 (1), 55. 2002: Schlippe, A. von, Senf, W., Broda, M. (2002). Psychotherapie und chronische Krankheit – die Psychotherapie muss Beine bekommen. Psychotherapie im Dialog, 3 (1), 98–99. 2002: Schlippe, A. von, Chronische Krankheit im Spannungsfeld zwischen Medizin und Psychologie. PAED Praktische Pädiatrie, 8 (5), 335–342. 2003: Fliegel, S., Schlippe, A. von, Krisen und Suizidalität (Editorial). Psychotherapie im Dialog, 4, 317–318. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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2003: Schlippe, A. von, Chronische Krankheit im Kontext sozialer Systeme. Systhema, 17 (1), 20–37. 2003: El Hachimi, M., Schlippe, A. von, Crea-Space – eine Methode zur Entwicklung des kreativen Potenzials in Teams und größeren Gruppen. OSC Organisationsberatung – Supervision – Coaching, 10 (2), 137–144. 2003: Fliegel, S., Schlippe, A. von, Krisen und Suizidalität (Editorial). Psychotherapie im Dialog, 4, 317– 318. 2003: Fliegel, S., Schlippe, A. von, Krisen und Suizidalität (Resümee). Psychotherapie im Dialog, 4, 409– 410. 2004: Schlippe, A. von, Senf, W., Einladung zum Dialog. Psychotherapie im Dialog, 5, 79–81. 2004: Loth, W., Schlippe, A. von, Die therapeutische Beziehung aus systemischer Sicht. Psychotherapie im Dialog, 5 (4), 341–347. 2004: Kriz, J., Schlippe, A. von, Gefangen im Netz der Beziehungen. Gehirn und Geist, 5, 58–61. 2005: Schlippe, A. von, Sinn als Lebensaufgabe. Systhema, 19 (2), 131–142. 2005: Fliegel, S, Schlippe, A. von, Handeln auf den Grenzlinien der Psychotherapie. Psychotherapie im Dialog, 6, 127–127. 2005: Fliegel, S., Schlippe, A. von, »Grenzliches« – Schwierige Situationen im therapeutischen Alltag. Psychotherapie im Dialog, 6 (2), 207–213. 2005: Schmidt, U., Fliegel, S., Schlippe, A. von, »Die Bedeutung der Psychotherapie ist deutlich gestiegen ...«. Psychotherapie im Dialog, 6, 214–215. 2005: Fliegel, S., Schlippe, A. von, »Für eine Landschaft ohne Schlagbäume ...«. Psychotherapie im Dialog, 6, 230–231. 2005: Schulte im Walde, J., Sczcepanski, R., Schlippe, A. von, Differentielle Indikation zur Asthmaschulung im Kindes- und Jugendalter. Prävention und Rehabilitation, 17 (2), 52–64. 2005: Omer, H., Irbauch, R., Schlippe, A. von, Gewaltloser Widerstand in der Schule. Pädagogik, 54, 42–47. 2006: Ollefs, B., Schlippe, A. von, Familiäre Eskalation, elterliche Präsenz und systemisches Elterncoaching. DAJEB (Hrsg.), Aktuelle Methoden und Konzepte der Familienberatung (= Informationsschreiben Nr. 212, April 2006), 6–18. 2006: Ollefs, B., Schlippe, A. von, Elterliche Präsenz und das Elterncoaching im gewaltlosen Widerstand. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 55 (9), 693–710. 2006: Burrichter, A., Schlippe, A. von, Sczcepanski, R., Kortisonangst bei Asthma bronchiale. Eine Elternbefragung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 154 (10), 979–985. 2006: Streeck, U., Schlippe, A. von, Die Rede vom Körper: Habitus, Leib, prozedurales Gedächtnis und Körperpsychotherapie (Editorial). Psychotherapie im Dialog, 7, 117–118. 2006: Schlippe, A. von, Streeck, U., Der Körper in der Psychotherapie. Psychotherapie im Dialog, 7, 220–220. 2006: Schindler, H., Schlippe, A. von, Psychotherapeutische Ausbildungen und psychotherapeutische Praxis kassenzugelassener Psychologischer Psychotherapeutlnnen und Kinder- und Jugendlichentherapeutlnnen. Psychotherapie im Dialog, 7 (3), 334–337. 2007: Quiring, J., Ochs, M., Franck, G., Wredenhagen, N., Seemann, H., Verres, R., Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Zufriedenheit der Eltern mit einem psychosozialen Behandlungsprogramm für primäre Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 56 (2), 123–147. 2007: Grebe, B., Schlippe, A. von, Nicolai, E., Schweitzer, J., Systemische Familiengespräche in der Akutpsychiatrie? Indikatoren von Organisationsentwicklung im klinischen Kontext. Familiendynamik, 32 (4), 346–366. 2007: Schlippe, A. von, Groth, T., The Power of Stories zur Funktion von Geschichten in Familienunternehmen. Kontext, 38 (1), 26–47. 2007: Schlippe, A. von, Wie können wir ein gemeinsames Drehbuch schreiben, wenn jeder noch im eigenen Kino sitzt? Eine systemische Perspektive auf Partnerschaft und Herkunftsfamilie. Brückenschlag. Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Literatur, Kunst, 23, 39–46. 2007: Schlippe, A. von, Nachfolgeregelung als Aufgabe der Unternehmensführung. Neue Landschaft, 5, 18–21. 2007: Schlippe, A. von, Ambivalentes Profil. Plädoyer für postmoderne Patriarchen. Unternehmermagazin, 4, 25–26. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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2007: Kriz, J., Schlippe, A. von, Gefangen im Netz der Beziehungen. Gehirn und Geist Dossier, 3, 18–21. 2007: Schlippe, A. von, Groth, T., The Power of Stories – Zur Funktion von Geschichten in Familienunternehmen. Kontext, 38 (1), 26–47. 2007: Schlippe, A. von, Rüsen, T. A., Beratung von Familienunternehmen an Wendepunkten. Editorial. OSC Organisationsberatung – Supervision – Clinical Management, 14 (4), 307–308. 2007: Rüsen, T. A., Schlippe, A. von, Krisen in Familienunternehmen und Unternehmensfamilien. Über parallele, interdependente Dynamiken in Familie und Unternehmen. OSC Organisationsberatung – Supervision – Clinical Management, 14 (4), 309–330. 2007: Rüsen, T. A., Schlippe, A. von, Interview: Reflexion der eigenen Krisenerfahrung durch einen Familienunternehmer. OSC Organisationsberatung – Supervision – Clinical Management, 14 (4), 366–375. 2007: Schlippe, A. von, Zwack, J., Schweitzer, J., Psychotherapie und betriebliche Organisationsprozesse: Chancen und Risiken der Grenzgängerei. Psychotherapie im Dialog, 8, 205–206. 2007: Schweitzer, J., Zwack, J., Schlippe, A. von, Psychotherapie vs. Coaching: ein eindeutig uneindeutiges Feld? (Resümee). Psychotherapie im Dialog, 8, 288–290. 2008: Borst, U., Fischer, H. R., Schlippe, A. von, Wie mit Langeweile umgehen? Teil II – Langeweile des Klienten. Familiendynamik, 33 (2), 212–215. 2008: Dreyer, N., Schlippe, A. von, Nachfolge in Pionierunternehmen. Risiko des Scheiterns oder Chance zur Revitalisierung – eine organisationale Betrachtung. zfo Zeitschrift Führung und Organisation, 77 (5), 324–331. 2008: Schlippe, A. von, Systemische Praxis zwischen Handwerk, Kunst, Wissenschaft und Profession. OSC Organisationsberatung – Supervision – Coaching, 15 (4), 455–467. 2008: Schlippe, A. von, Kellermanns, F., Emotionale Konflikte in Familienunternehmen. Zeitschrift für KMU und Entrepreneurship, 56, 40–58. 2008: Dreyer, N., Schlippe, A. von, Organisationale Betrachtung der Nachfolge in Pionierunternehmen. Zwischen dem Risiko des Scheiterns und der Chance auf Re-Vitalisierung. Zeitschrift für Führung und Organisation, 77, 324–331. 2009: Fliegel, S., Schlippe, A. von, Streeck, U., Psychotherapeuten im Dialog. Eine Gesprächsrunde ehemaliger PiD-Herausgeber. Psychotherapie im Dialog, 10, 85–94. 2009: Omer, H., Schlippe, A. von, Stärke statt Macht. »Neue Autorität« als Rahmen für Bindung. Familiendynamik, 34 (3), 246–254. 2009: Ollefs, B., Schlippe, A. von, Omer, H., Kriz, J., Jugendliche mit externalem Problemverhalten. Effekte von Elterncoaching. Familiendynamik, 34 (3), 256–265. 2009: Büll, S., Asen, E., Borduin, C., Omer, H., Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Der besondere Fall. Die überforderten Großeltern. Familiendynamik, 34 (3), 302–307. 2010: Borcsa, M., Kämmerer, A., Köllner, V., Lieb, H., Schauenburg, H., Schlippe, A. von, Senf, W., Wilms, B., Schweitzer, J., Broda, M., Zum Stand der Integration in der Psychotherapie. Psychotherapie im Dialog, 11 (1), 3–14. 2010: Schlippe, A. von, Klein, S., Familienunternehmen – blinder Fleck der Familientherapie? Familiendynamik, 35 (1), 10–21. 2010: Borst, U., Fischer, H. R., Schlippe, A. von, Feldpost. Wie viel Macht der Intuition? Familiendynamik, 35 (1), 72–75. 2010: Schlippe, A. von, Insolvenz: Unternehmen und Familie kaputt? WIR-Magazin, 3. 2010: Schneewind, K. A., Schlippe, A. von, »Familienpsychologie – nicht mehr auf der Reservebank, sondern richtig im Spiel« (Prof. A. von Schlippe im Gespräch mit Prof. Dr. Klaus A. Schneewind). Familiendynamik, 35 (4), 362–366.
Videos, DVDs, Lehrmaterialien 1994: Schlippe, A. von, Molter, H., Böhmer, N., Zugänge zu familiären Wirklichkeiten (Videotape). Dortmund: Video-Cooperative Ruhr. 2008: Schlippe, A. von, Konfliktcoaching in Familienunternehmen: mit Paradoxien umgehen. Workshop auf dem Coaching-Kongress 2008, Potsdam, 17.–18. Oktober 2008 (DVD). Osnabrück: Deutscher Bundesverband Coaching DBVC. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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2008: Lieblang, A., Familienlust und Familienfrust: Ort stiller Geborgenheit und lauter Konflikte. Sendung von WDR5 am 21.12.2008 (mit O-Ton-Beiträgen von A. von Schlippe). Zugriff unter http://www.wdr5.de/ fileadmin/user_upload/Sendungen/Lebenszeichen/Manuskripte/081221ms-Lieblang_Familie.pdf 2009: Westdeutscher Rundfunk, Industriedynastien – Ein Leben für die Firma. Sendung auf WDR3 vom 14. Oktober 2009. Unter anderem mit Arist von Schlippe. Zugriff unter http://www.planetwissen.de/sendungen/2009/10/videos/14_video_rollenspiel.jsp
Interviews, Gespräche, Diskussionsbeiträge 1989: Schlippe, A. von, Kriz, J., Ein Gespräch mit Helm Stierlin. Systhema, 3 (2), 16–29. 2000: Hargens, J., Schlippe, A. von, Systemisch? Anerkennung? Kassenfinanzierung? Viel- oder Einfalt? Beginn eines Multilogs? Oder: Einige letzte Worte ...? (Interview von J. Hargens mit Arist von Schlippe). Systhema, 14 (2), 146–158. 2002: Heinl, H., Schlippe, A. von, »Und wieder blühen die Rosen ...«. Psychotherapie im Dialog, 3, 87–92 (Interview von A. von Schlippe). 2003: Mary, M., Schlippe, A. von, »Manchmal ist das Schicksal mächtiger als alle unsere Möglichkeiten« (Interview M. Mary mit Arist von Schlippe). In M. Mary, Die Glückslüge. Vom Glauben an die Machbarkeit des Lebens (S. 259–267). Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe. 2003: Schneider, S., Ketteler, J., Schlippe, A. von, »Man kann nicht ständig nur der Helfer sein, ohne auch etwas für sich zu tun ...«. Psychotherapie im Dialog, 4, 398–404 (Interview von A. von Schlippe, J. Ketteler). 2003: Schlippe, A. von, »Wir waren nicht nur einfach eine Nummer ...« Interview mit einem Ratsuchenden aus dem Krisenzentrum Dortmund Hörde (Interview von A. von Schlippe). Psychotherapie im Dialog, 4, 404–408 2004: Schlippe, A. von, Offener Brief von Arist von Schlippe an Bert Hellinger. Zugriff unter http:// www.oeas.at/PDFS/briefanBertHellingervAristSchlippe.pdf 2004: Schlippe, A. von, »... und deshalb bist du ein Elch!« – Ein offener Brief und seine Folgen. Zugriff unter http://www.oeas.at/doc/dokumentationReaktionenaufSchlipp-Hellinger.doc 2004: Senf, W., Köllner, V., Schlippe A. von, »Wie lernen therapeutische Schulen (voneinander)?«. Ein Gespräch auf der Fachtagung der Systemischen Gesellschaft am 24.5.03 in Köln mit dem Thema: »Wie lernen Organisationen?« Psychotherapie im Dialog, 5, 93–98. 2004: Schlippe, A. von, Riedel-Pfäfflin, U., Vom Hungern nach Beziehung (Interview von A. von Schlippe). Psychotherapie im Dialog, 5, 205–207. 2005: Levold, T., Schlippe, A. von, Interview mit dem scheidenden 1. Vorsitzenden der Systemischen Gesellschaft Arist von Schlippe. Zugriff unter http://www.systemagazin.de/beitraege/interviews/ von_schlippe_halle2005.php 2005: Shay, J., Schlippe, A. von, »Meine Rolle sehe ich eher als die eines Bühnenarbeiters«. Psychotherapie im Dialog, 6, 216–221 (Interview von A. von Schlippe mit J. Shay). 2005: Bosch, E., Fliegel, S., Schlippe, A. von, »Was macht dein Leben lebenswert?« Psychotherapie im Dialog, 6, 222–226 (Interview von A. von Schlippe, S. Fliegel). 2006: Renaud, M.-P., A. von Schlippe; »Das Gehen ist wie ein Röntgenbild der Psyche ...«. Psychotherapie im Dialog, 7, 209–214 (Interview von A. von Schlippe). 2006: Berceli, D., Heinrich-Clauer, V., Schlippe, A. von, »... dem Körper zu erlauben, sich laufend selbst zu heilen«. Psychotherapie im Dialog, 7, 215–219 (Interview von A. von Schlippe und V. Heinrich-Clauer). 2007: Baumhauer, J., Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Vom Psychotherapeuten zum Konzernvorstand – Etappen eines Lebensweges. Psychotherapie im Dialog, 8, 274–277 (Interview von A. von Schlippe und J. Schweitzer). 2007: Sprenger, B., Schlippe, A. von, »Schauen Sie auf Ihre Basisbedürfnisse! Es geht nicht um Porsche oder Ferrari!« Burn-out bei Managern und Führungskräften. Psychotherapie im Dialog, 8, 278– 282 (Interview von A. von Schlippe). 2007: Königswieser, R., Schweitzer, J., Zwack, J., Schlippe, A. von, »Man muss Verunsicherungen zumuten«. Psychotherapie im Dialog, 8, 283–287 (Interview von J. Schweitzer, J. Zwack und A. von Schlippe). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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2008: Schlippe, A. von, Familienunternehmen haben an Einfluss gewonnen. Interview im Deutschlandradio Kultur 24.07.2008. Zugriff unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/ 821135/ 2008: Schweitzer, J., Schlippe, A. von, Erwiderung auf die Kritiken zum Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, II: Das störungsspezifische Wissen. Zugriff unter http://www.systemagazin.de/ bibliothek/texte/schweitzer_schlippe_lehrbuch-II.pdf 2009: Schlippe, A. von, Gimeno, A., Im Gespräch. Familientherapeutische Instrumente im Familienunternehmen. Familiendynamik, 34 (3), 298–301. 2010: Schindler, H., »Die Brücke zur Ideologie nicht überschreiten! – Ein Interview mit Arist von Schlippe«. Systhema, 24 (1), 56–62.
Weitere Schriften 1985: Schlippe, A. von, Zur Einschätzung von Familien nach dem »Circumplex model of marital and family systems« von Olson und Mitarbeitern: ein kritischer Bericht über das Konzept und eine deutschsprachige Adaption des Faces II. Universität Osnabrück: Forschungsberichte aus dem Fachbereich Psychologie der Universität Osnabrück, Nr. 48. 1986: Schlippe, A. von, Systemisches Bewältigungspotential in Familien mit einem asthmakranken Kind. Universität Osnabrück: Forschungsberichte aus dem Fachbereich Psychologie der Universität Osnabrück, Nr. 52. 1989: Schlippe, A. von, Theiling, S., Asthma – Behandeln und Bewältigen. Osnabrück: Psychologische Forschungsberichte aus dem FB 8 der Universität, Nr. 72. 1993: Schlippe, A. von, Schramer, K. W., Kontextbezogene Arbeit in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus. In W. Weig, K.H. Wiedl (Hrsg.), Forschung im Psychiatrischen Krankenhaus. Universität Osnabrück: Forschungsbericht aus dem Fachbereich Psychologie, Nr. 95. 1995: Schlippe, A. von, Molter, H., Böhmer, N., Zugänge zu familiären Wirklichkeiten. Eine Einführung in die Welt der systemischen Familientherapie (= Systhema-Sonderheft 1, überarb. Nachdruck 2000). 1996: Schlippe, A. von, Kriz, J. (1996). Kontexte für Veränderungen schaffen. Systemische Perspektiven in der Praxis. Osnabrück: Universität, Fachbereich Psychologie. 1997: Schlippe, A. von (Hrsg.), Deutsche Identität(en) – fünfzig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges (= Systhema-Sonderheft 2). 1998: Schlippe, A. von, Krisen in Familien und Organisationen. In Unterrichtsmaterialien des Instituts für Familientherapie Weinheim e. V. 2005: Schlippe, A. von, Schweitzer, J., Methoden der Intervention in soziale Systeme. Studienbrief zum Fernstudium Systemisches Management an der TU Kaiserslautern.
Zeitschriften(mit)herausgeberschaft, Beirat seit 1987: Systhema 2000–2006: Mitherausgeber Psychotherapie im Dialog (Thieme-Verlag) seit 2008: Mitherausgeber der Familiendynamik (Klett-Verlag) Wissenschaftlicher Beirat der Zeitschriften Kontext (Vandenhoeck & Ruprecht) und Organisationsberatung, Supervision, Coaching (Verlag für Sozialwissenschaften) Wissenschaftlicher Beirat im wissenschaftlichen Programm des Carl-Auer Verlages Wissenschaftlicher Beirat der Osnabrücker Krebsstiftung Ehrenmitglied des Lettischen Verbandes für Familientherapie, Riga
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
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Personenverzeichnis
Hillebrand, M. 39 Honermann, H. 60 Honneth, A. 34 Hughes, J. E. 216, 218
A Alon, N. 46 Asch, S. 103 B Bateson, G. 29, 31, 81, 146, 168 f., 172 Bem, S. L. 201 Berger, P. 173 Bongers, K. 116 Borcsa, M. 19, 20 Boscolo, L. 53 Brecht, B. 42 Brown, S. 27, 34 Buber, M. 173 Buchholz, M. B. 20 f. Buchinger, K. 90 Burckhardt, L. 72 C Castell, M. 91 Cecchin, G. 71 Collins, J. 232 Cross, S. E. 201 D Deci, E. L. 64 de Shazer, S. 43, 82 Dollase, R. 112, 116 F Fraenkel, P. 51, 54 Furman, B. 41, 52
J Jaspers, K. 58 Jordan, K. 200 Juul, J. 146 K Koestner, R. 63 f. Königswieser, R. 39 Körner, U. 116 Kriz, J. 19, 22, 60, 99 f. Kruse, P. 78 L Latham, G. P. 62 Lauxmann, F. 167 Locke, E. A. 62 Loos-Hilgert, V. 179 Loth, W. 156 Luckmann, Th. 173 Ludewig, K. 22 Luhmann, N. 29 f., 34, 59, 69, 83, 100 f., 110, 134 Lutz, W. 21 M Madson, L. 201 Maturana, H. R. 28, 30, 83 Minuchin, S. 81 Molter, H. 69
G Geissler, K. 50 Grabbe, Ch. D. 135 Grabbe, M. 61 Grawe, K. 22 Groth, T. 101
N Nöcker, K. 69
H Haley, J. 81 Hawellek, C. 167 Hennecke, C. 197 Hentig, H. von 112 Herz Brown, F. 216
P Paulus, J. 19 Pelzer, K. 39 Pleyer, K. H. 148 Popper, K. 79 Postman, N. 111
O Ollefs, B. 145 Omer, H. 46, 113, 115, 119, 134, 146 f., 149
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Personenverzeichnis
256 T Terrahe-Hecking, C. 191 Theiling, S. 187, 191 Thompson, E. T. 82 Tsirigotis, C. 155
R Rhinehart, L. 46 Ricoers, P. 170 Rotthaus, W. 109 Rousseau, J. J. 110 Ryan, R. M. 64 S Satir, V. 41, 100 Schiepek, G. 100 Schindler, H. 11, 19 Schlippe, A. von 11, 28, 42, 46, 57, 59, 99, 104, 113, 115, 119, 134, 146, 149, 155 Schweitzer, J. 19, 28, 49 Selvini Palazzoli, M. 81 Simon, F. 27, 30, 171 Sparrer, I. 44 Stichweh, R. 93 Stierlin, H. 191
V Varela, F. J. 30, 82 Varga von Kibéd, M. 44, 207 W Watzlawick, P. 41, 81 Weber, G. 171 Willutzki, U. 21 Wimmer, K. 43 f. Wimmer, R. 91, 221 Wittgenstein, L. 171 Z Znoj, H. 216
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Stichwortverzeichnis
A Achtsamkeit 41, 176 Adoleszenz 122 Affekt, Affektivität 86, 97 Anliegen 59, 73, 160 f., 167 Asthma 155, 188, 193 Attraktor 75 Sinn- 102 Auftrag 167, 172, 189 -skarussell 105, 157, 159 -sklärung 74, 95 authentische Elternschaft 109, 113, 116 Autonomie 63 f., 123, 179 Autopoiese, autopoietisch 30, 34, 95, 212 Autorität 111, 119 ff., 124 f., 127, 129, 146 neue 113, 116, 119, 121, 125, 127 ff.
Biorhythmus 52 Bündnisrhetorik 131
B Balancekompetenz 43 Bedeutungsfelder 101 Beharrlichkeit 62, 116 f., 119, 127 f., 145, 151 Beobachter 26, ff., 33 ff., 104, 156, 172, 200 Beobachtung 27, 102, 155 f., 170 Fremd- 34 Selbst- 34, 102, 140, 173 Beratung 60, 70, 99 systemische 39, 52 videobasierte 167 f., 171, 173, 175 f. Bewusstheitsrad 170 Beziehung, Beziehungstyp 22, 29, 109 ff., 117 komplementär 172 symmetrisch 172 therapeutisch 20, 83 Beziehungsmuster 31, 179, 203 Bezogenheit 64 Bindung 119 ff., 179, 216 sichere 117, 180 unsicher-ambivalente 180 unsicher-vermeidende 180 Bindungsdynamik, mehrgenerationale 179 Bindungsmuster 179, 181, 185 Bindungstheorie 114, 121
E Eklektizismus, eklektisch 15 f., 21 Elterncoaching 131, 149, 150 Eltern-Kind-Beziehung 109 ff., 119, 129, 147, 152, 168 Elternrolle 132 Emotionen 83, 203, 215 Empathie 114, 117, 119 Entwicklung 129, 146, 155, 172 Entwicklungsaufgaben 64, 104 Entwicklungsprozesse Organisations- 96 Personal- 197 Erwachsenen-Kind-Beziehung: siehe Eltern-Kind-Beziehung Erziehung 109 ff., 114, 116 f., 149 autoritäre 119, 121 Eskalation 127, 146, 151 komplementäre 147 symmetrische 147 Eskalationsdynamiken 146, 168 Ethik, ethisch 33, 94, 113, 115 Evaluation 62, 96
C Change Management 97 Chronifizierung 33, 191 Chronizität 187, 191 Coaching 78, 89, 99, 102, 197 f. D Dämonisierung 46, 137, 168 Deeskalation 46, 140, 149 Denken, zirkuläres 41 Diabetes mellitus 145, 188 Diachronie: siehe auch Synchronie 50 Diagnose 29, 169, 187, 190
F Familienberatung 49, 168 f. Familiencredo 191 Familiendiagnostik 189
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Stichwortverzeichnis
258 Familiendynamik 100 Familientherapie: siehe systemische Familientherapie Familienunternehmen 99 ff., 104 f., 209 ff., 215, 221 f., 224 ff. Mehr-Generationen- 209, 211 f. Feindbilder 168 Fragen Grenz- 58 hypothetische 21 zirkuläre 21, 53, 69, 194 Funktionssysteme, gesellschaftliche 30, 93 Führung 92, 225 Unternehmens- 223 G Gegenübertragung 21, 26 Gender 197 ff. Geschichten 28, 41, 60, 69, 73, 85, 100, 170, 188 Familien- 170, 216 Sinn- 42 transgenerationale 212 Geschlecht: siehe Gender Geschlechtsrollenstereotyp 201 Gestalt 102 -psychologie 102 Gesundheit 25, 69, 187, 189, 191 Gewalt, gewalttätig 125, 127, 138, 149, 160 gewaltloser Widerstand 136, 145, 152 Glaubenssätze 40, 54, 86 Goal Setting Theory 62 Grenze 57, 115, 120 Grenzsituation 58, 116 H Haltung 39 f., 43, 69, 156 Helfersysteme 169 hermeneutische Spirale 170 Hilflosigkeit 64, 136 f., 185 Hörschädigung 155 Humor, humorvoll 35, 41, 43 Hypnotherapie 13, 78 I Ich 29, 63, 125 aktuelles 84 f. personales 85 Identität 40, 85, 92, 209 Familien- 214, 216 f. Geschlechts- 200 f. -sziele 62 therapeutische 12 Information 29, 112, 175 kontextgebundene 200 -smanagement 91
Integration 16, 19 f., 44 assimilative 21 theoretische 21 Integrative Therapie 20, 170 Isolation, isolieren 124 f., 149, 192 J Jugendamt 131 K Kausalität, zirkuläre 103 Kinder- und Jugendlichentherapeuten 5, 11 Kindheit 41, 52, 110, 122 Kohärenz 83 f. affektiv-kognitive 84 operative 60 Ko-Konstruktion 42 Kommunikation 34, 70, 83, 91, 100, 171, 179, 221 Kommunikationsschleifen, kalibrierte 173 Kompetenz 20, 64, 96, 99, 156, 161 komplementäre Beziehung: siehe Beziehung, Beziehungstyp komplementäre Eskalation: siehe Eskalation Komplexitätsfolgen 231 Komplexitätsreduktion 59 Konfrontation, konfrontieren 45, 127 f., 223 Konstruktion 31, 33, 205 des Selbst 201 Problem- 137, 170 Sinn- 104 soziale 69, 200 sprachliche, Sprach- 26, 155, 171 -sreihe 171 Wirklichkeits- 40, 137, 170 Konstruktionismus 69 sozialer 200 Konstruktivismus 69 sozialer 199 konstruktivistisch 30, 33, 59, 70, 100 Kontext 27 ff., 60, 72, 103, 156, 188 Beratungs- 62 -markierung 28 -sensibilität 22, 26, 34 ff., 41 sozialer 21, 32, 57, 64 sprachlicher 188 -vergessenheit 26, 32 f. Zwangs- 65, 139 Kontextualisierung 175, 194 Kontingenz 29 Kooperation, kooperieren 104, 114, 124, 131, 179, 194 Krankheit 40, 69, 187 ff. chronische 145 f., 187
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Stichwortverzeichnis Kreativität 79, 99, 229 Kunden 41, 45, 70, 228 Kundigkeit 45 Kybernetik erster bzw. zweiter Ordnung 45, 69 kybernetische Theorie 70 L Liebe 130, 132, 151 Lösung 42 ff., 60, 70, 76, 78, 169, 187 Lösungsorientierung, lösungsorientiert 33, 41, 179 M Macht 120, 125, 127, 148, 200 Machtkampf 45, 137 f., 147, 149 Mailänder Gruppe, Mailänder Ansatz 53, 69 Management 139, 217 Marte Meo 168, 172, 174 Medizin: siehe auch systemische Familienmedizin 190 Metapher 41, 52, 184 Motiv 64, 66, 115 Motivation 57, 60 f., 65 f., 142, 157, 170 Muster 43, 148, 155, 162, 184, 191 f., 194 Beziehungs- 31, 179, 203 Bindungs- 179, 181, 185 N Narrationen, Narrative: siehe Geschichten Nervensystem 82 ff. Netzwerk, unterstützendes 125 f., 129 Neugier 70, 167 Neurowissenschaften, kognitive 200 Neutralität 41, 45 nicht triviale Prozesse 46, 61 f. O Operator, sozialer 84 Organisationen 51, 92 f., 95 f., 197 Orientierungsreaktionen 61 f. P Paarberatung, Paartherapie 49, 54, 179 Paradoxie 40 Person 99, 102 f., 105, 148 Personalpolitik 225 Personzentrierte Systemtheorie 100, 102 Perspektivwechsel 172 f. Phasenübergang 60 Pluralisierung 93 Polyphrenie 84 f. polysemantisch 103 postmodern 20, 50 Potsdamer Erklärung 46
259 Prämissen 26, 32, 169 Präsenz, elterliche 119, 122, 132, 145 ff., 149, 152 Prävention 121 Problem 26, 30, 59, 83 f., 86, 167 ff., 172 -beschreibung 43, 148, 169, 175 -system 85, 169 -trance 43, 78, 137 Psychoanalyse 13, 26 Psychologische Psychotherapeuten 11, 17 psychosomatisch 25, 91, 146, 187, 193 psychosomatische Grundversorgung 190 f. Psychotherapeutengesetz 11, 21 R Reentry 34 f. Reflektierendes, Reflecting Team 58, 141 Regeln 114 Rekonstruktion 32 Respekt 41, 113 f., 117, 127 f., 137, 176 Ressourcen 70 f., 74 f., 86, 175 Richtlinienverfahren 12, 19 Rubikon 61 S Schule 110 Selbst 62, 82, 179, 201 -beobachtung: siehe Beobachtung -bestimmung 64 f. -organisation 40, 59, 71 -reflexion 26, 97 selbstregulatorische Kraft 63 Setting 22, 86, 95 ff., 172 f. Sinn 27 ff., 42, 57, 59 ff., 69 -attraktor 102 -geschichten 42 -konstruktion 104 Skulpturen 72, 133 Spaziergangswissenschaften 72 Spielfelder 101 Sprache 28, 41, 69, 168 f., 187, 188 Struktur 100 Subsystem 28 Supervision 89 ff. symmetrische Eskalation: siehe Eskalation symmetrische Beziehung: siehe Beziehung, Beziehungstyp Symptom 25 f. Synchronie: siehe auch Diachronie 50 Synchronisierung 50, 52 Synergetik 102 System 82, 100 psychisches 82 ff., 86 soziales 5, 49, 82 f., 85, 95, 211 systemische Einzeltherapie 81, 86 systemische Familienmedizin 187 ff., 191
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Stichwortverzeichnis
260 systemische Familientherapie 81, 99, 189 systemische Haltung 39 ff. systemische Supervision 89, 96 f. systemische Therapie 13, 22, 57, 82 Systemtheorie 22, 27, 96 personzentrierte 100, 102 T Technik der Körbe 135 Tetralemmaarbeit 44 Theorie der Selbstbestimmung: siehe Selbstbestimmung Therapieschulen 14, 22, 26, 31 Trauerarbeit 216 U Übertragung 21, 26 Unternehmensführung 223 Unternehmerfamilie 209, 211 ff. Unterscheidungsakte 26 f., 31 f., 34 f. Ursache 192 f. V Vergessen 32 f. Verlustbewältigung 216 Verstehen 102, 170 f.
Verstörung 25, 44, 169 Vertrauen 134 videobasierte Beratung 167, 171 f., 175 f. Videointeraktionsanalyse 173 f. W wachsame Sorge 115, 121 f. Wahrheit, wahr 28, 41 Weltwirtschaftskrise 221 f. Wertschätzung 41, 78, 113, 117, 137, 151 Wirkfaktor 20, 22, 35 Wirklichkeit 70, 73, 156, 200 -skonstruktion: siehe Konstruktion Wirtschaftswissenschaft 99 Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie 19 Wunderfragen 141 Z Zeit 5, 44, 49 f., 223 -differenzen 54 -linien 53 Ziele 62 f. Identitäts- 62 Zukunftsfragen 53 Zweifeln 42, 45
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Arist von Schlippe bei V&R Arist von Schlippe / Jochen Schweitzer Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung Mit einem Vorwort von Helm Stierlin 10. Auflage
Über die Familientherapie hinaus hat sich systemisches Denken weite Arbeitsfelder erschlossen, von der Einzel- und Paartherapie über die Supervision bis zur Organisationsentwicklung, in der Medizin und Sozialarbeit wie im Management und der Politikberatung. Das Buch entwickelt, jederzeit praxisbezogen, die theoretischen Konzepte, die hinter systemischen Denken stehen, macht eingehend vertraut mit den Techniken und Anwendungsmöglichkeiten und veranschaulicht sie an zahlreichen Fallbeispielen. Kontroversen werden aufgegriffen, in der Kritik der systemischen Therapie werden auch künftige Entwicklungslinien und innovative Anwendungsfelder deutlich. Die Autoren lehren an den beiden wichtigsten Weiterbildungsinstituten für Systemische Therapie; dem verdankt das Lehrbuch seinen didaktisch durchdachten Aufbau, seinen Argumentationsgang und den aufschlussreichen Gehalt seiner Beispiele. Es kann als Grundlagenwerk für die systemische Weiterbildung gelten.
Jochen Schweitzer / Arist von Schlippe Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II Das störungsspezifische Wissen 3. Auflage
Zehn Jahre nach dem »Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung« befassen sich Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe im zweiten Teil mit dem störungsspezifischen Wissen der systemischen Therapie. Von den schizophrenen Psychosen über Essstörungen und Süchte bis zur Suizidgefährdung, von den Schreibabys über die Lernstörungen bis zur Hyperaktivität, vom Kinderkopfschmerz über den Brustkrebs bis zum Diabetes – Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe erläutern die wichtigsten Störungsbilder der Erwachsenenpsychotherapie, der Kinder- und Jugendlichentherapie und der Familienmedizin. Zu jedem Störungsbild werden charakteristische Beziehungsmuster und bewährte Entstörungen vorgestellt, zahlreiche Fallbeispiele veranschaulichen die systemtherapeutischen Arbeitsweisen. Dieses Lehrbuch zeigt, dass der Brückenschlag zwischen dem kontext- und lösungsbezogenen Denken der systemischen Therapie und dem störungsbezogenen Denken der evidenzbasierten Medizin und Psychotherapie möglich ist. »Wer sich mit der Weiterentwicklung systemischer Positionen beschäftigt, kommt an diesem Buch nicht vorbei, so oder so nicht. So nicht, weil dieses Buch auch als Grundstock für Alternativen zum bestehenden Gesundheitssystem verstanden werden kann (– aber nicht muss). Und auch so nicht: weil dieses Buch dazu herausfordert, das systemische Selbstverständnis wieder einmal von der Pike auf zu bedenken.« Wolfgang Loth, systhema »Ein hervorragendes Buch, dessen Anschaffung sich lohnt.« Ulrich Pfeifer-Schaupp, socialnet
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Arist von Schlippe bei V&R Haim Omer / Nahi Alon / Arist von Schlippe Feindbilder – Psychologie der Dämonisierung Mit einem Vorwort des Dalai Lama.
Der Dalai Lama schreibt im Vorwort zu diesem Buch, dass jedes menschliche Wesen nach Glück verlangt und ein Recht darauf hat. Doch Disharmonie, Streit und Gewalt bringen dem Menschen immer wieder Leid. Unversehens geraten wir in Prozesse der Dämonisierung des Anderen, der anderen Gruppe, des anderen Volkes. Wir nehmen das Gegenüber nur noch in negativem Licht wahr, machen es zum Monster, das es mit aller Macht zu bekämpfen gilt. Die psychotherapeutisch tätigen Autoren erklären, wie es dazu kommt, und zeigen – auch anhand überzeugender Fallbeispiele – Wege der Deeskalation und Entdämonisierung. »Dieses Buch macht Arbeit, gut so! ... Ich wünsche dem Buch viele LeserInnen, die es sich nicht nehmen lassen wollen, weiter darüber nachzudenken.« Wolfgang Loth, Systhema »So beeindruckend die theoretischen Hintergründe und weit zurückreichenden ideengeschichtlichen Wurzeln beider beschriebenen Sichtweisen sind, so bestechend konsequent und klar sind die therapeutischen Konsequenzen der Autoren ... Ich habe das Buch mit sehr viel Gewinn gelesen und empfehle es uneingeschränkt.« Cornelia Tsirigotis, Systeme »Es richtet sich ... vornehmlich an Psychotherapeuten und Sozialpädagogen. Dessen ungeachtet liest auch der Nicht-Fachwissenschaftler die mit vielen anschaulichen Beispielen versehene Abhandlung, die sich durch verständliche Sprache, unkomplizierte Formulierungen und eine übersichtliche Gliederung auszeichnet, mit großem Gewinn.« Thomas Widera, Totalitarismus und Demokratie »...ein sehr schönes, ein klares, ein nützliches und gut lesbares, hoffentlich weite Verbreitung auch über die professionelle Szene hinaus findendes Büchlein!« Markus Löble, Kontext
Arist von Schlippe / Jochen Schweitzer Systemische Interventionen UTB Profile, Band 3313.
Was ist systemische Intervention? Systemisches Denken hat sich weite Arbeitsfelder erschlossen, von der Einzel- und Paartherapie über die Supervision bis zur Organisationsentwicklung, in der Medizin und Sozialarbeit wie im Management und der Politikberatung. Bei systemischer Intervention wird ein Problem als Geschehen gesehen, an dem verschiedene interagierende Menschen beteiligt sind, nicht als ein „Ding“, das eine Person „hat“. Störungen, Probleme und Anlässe werden somit im sozialen Kontext betrachtet und behandelt. Das Werk bietet eine übersichtliche Einführung mit vielen Beispielen und Detailanweisungen für die praktische Gesprächsführung. »Ich kann Systemische Interventionen wärmstens empfehlen für Kollegen mit und auch ohne therapeutische Vorerfahrungen.« M. Hillebrand, Organisations Entwicklung
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Arist von Schlippe bei V&R Haim Omer / Arist von Schlippe Stärke statt Macht
Haim Omer / Arist von Schlippe Autorität durch Beziehung
Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde 2010. 360 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-40203-0
Die Praxis des gewaltlosen Widerstands in der Erziehung Mit einem Vorwort von Wilhelm Rotthaus 5. Auflage 2010. 262 Seiten mit 5 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-49077-8
Wie können Eltern und Pädagogen zu »neuer Autorität« in der Erziehung finden? Unter diesem Begriff entwickeln die Autoren ihre erfolgreichen Konzepte der elterlichen Präsenz und des gewaltlosen Widerstands fort. »Die beiden Autoren vertreten mit ihrem inzwischen in Deutschland positiv evaluierten Ansatz eines gewaltlosen Widerstands in schwierigen Erziehungssituationen eine äußerst bemerkenswerte Position im Bereich des Eltern-Coachings.Das nunmehr erschienene Buch vermittelt einen vorzüglichen Einblick in die Philosophie und die Bedeutung dieses Ansatzes.« Klaus A. Schneewind
Haim Omer / Arist von Schlippe Autorität ohne Gewalt Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen. »Elterliche Präsenz« als systemisches Konzept Mit einem Vorwort von Reinmar du Bois. 7. Auflage 2010. 214 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-01470-7
Sanfte Überzeugungskraft benötigen Eltern in der Erziehung. Vor allem aber müssen sie da sein – elterliche Präsenz, das neue Konzept in der Erziehungsberatung.
Praktische Anleitung für die Wiedergewinnung der elterlichen Präsenz auf Basis des gewaltlosen Widerstands. Diese Art von Autorität macht es möglich, die verloren gegangene Beziehung zum Kind wiederherzustellen.
Arist von Schlippe / Michael Grabbe (Hg.) Werkstattbuch Elterncoaching Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis 2. Auflage 2010. 292 Seiten mit 4 Abb. und 6 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49109-6
Das Coachingkonzept Haim Omers zu elterlicher Präsenz und gewaltlosem Widerstand wird inzwischen in verschiedenen Zusammenhängen angewandt und etabliert sich. »Also, falls Sie nach den Vorträgen und Büchern zum gewaltlosen Widerstand überlegen, wie Sie selbst die Ideen von Haim Omer nutzen können, kann ich Ihnen dieses Buch wärmstens empfehlen! Und auch den Skeptikern unter Ihnen gibt dieses Buch einen Einblick, wie überzeugend das Konzept ist.« Karin Wisch, systhema
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7
Arist von Schlippe bei V&R Arist von Schlippe / Almute Nischak / Mohammed El Hachimi (Hg.) Familienunternehmen verstehen Gründer, Gesellschafter und Generationen 2. Auflage 2011. 296 Seiten mit 19 Abb. und 5 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-49135-5
BMW, SAP, Henkel, Bertelsmann und der Handelskonzern Metro haben eines gemeinsam: Sie sind Familienunternehmen. Was das für eine Firma und deren Beratung bedeutet, beleuchtet dieses Buch. »Dieses Fachbuch ist für alle uneingeschränkt empfehlenswert, für die das Thema Familienunternehmen ein Gesprächsthema war, ist oder sein wird.« Organisationsentwicklung
Christian Hawellek / Arist von Schlippe (Hg.) Entwicklung unterstützen – Unterstützung entwickeln
Arist von Schlippe / Willy Christian Kriz (Hg.) Personzentrierung und Systemtheorie Perspektiven für psychotherapeutisches Handeln 2004. 307 Seiten mit 24 Abb. und 3 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49078-5
Arist von Schlippe und Willy Christian Kriz haben eine Reihe der namhaftesten Vertreter/innen aus personzentrierter und systemischer Therapie zusammen geführt, um die Diskussion in der modernen Psychotherapie voranzubringen.
Mehr Informationen zu allen genannten Titeln sowie zu Zeitschriftenbeiträgen von Arist von Schlippe erhalten Sie auf unserer Homepage unter www.v-r.de
Systemisches Coaching nach dem Marte-MeoModell 2005. 263 Seiten mit 32 Abb. und 8 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46227-0
Die Marte-Meo-Beratung ist ein innovatives und aktuelles Interventionsmodell, das in allen psychosozialen Feldern einsetzbar ist, in denen es um die Aktivierung, Unterstützung und Begleitung von Entwicklungs- und Lernprozessen geht. »...eine Sammlung fundierter, interessanter und vielfältiger Beiträge...« Gabriele Enders, Deutsches Ärzteblatt
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 978-3-525-40438-6 — ISBN E-Book: 978-3-647-40438-7