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German Pages 224 Year 2006
Christian Beyer Subjektivität, Intersubjektivität, Personalität
W
Ideen St Argumente Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Lutz Wingert
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Christian Beyer
Subjektivität, Intersubjektivität, Personalität Ein Beitrag zur Philosophie der Person
Walter de Gruyter · Berlin · New York
G e d r u c k t m i t H i l f e d e r G e s c h w i s t e r B o e h r i n g e r I n g e l h e i m Stiftung f ü r G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n in I n g e l h e i m a m R h e i n .
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13:
978-3-11-018919-3
ISBN-10: 3-11-018919-4 ISSN
Bibliografische
1862-1147
Information
Der Deutschen
Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
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Für Carolyn und Fabian
Vorwort Das vorliegende Buch ist aus einer Arbeit hervorgegangen, die im November 2003 von der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt unter Würdigung der Gutachten von Prof. Dr. Alex Burri (Erfurt), Prof. Dr. Andreas Kemmerling (Heidelberg) und Prof. Dr. Eduard Marbach (Bern) als Habilitationsschrift angenommen wurde. Ich danke allen drei Gutachtern für Ermutigung und Kritik. Bei Alex Burri möchte ich mich darüber hinaus ganz herzlich für die exzellente Betreuung der Arbeit und die gewährten Freiräume bedanken. Für Kommentare zu Texten, die in die vorliegende Fassung der Arbeit eingeflossen sind, danke ich außerdem Michael Esfeld, Wolfgang Huemer, Geert Keil, Silvere Schutkowski, Markus Werning und Thomas Zoglauer. Die Fertigstellung des Buchmanuskripts wurde durch ein Heisenbergstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht. Für die herausgeberische beziehungsweise verlegerische Betreuung des Manuskripts danke ich Wilfried Hinsch sowie Gertrud Grünkorn, Angelika Hermann und Christoph Schirmer vom Walter de Gruyter Verlag. Den größten Dank schulde ich meiner Frau Carola Beyer. Dieses Buch bezieht Material aus den folgenden Aufsatzveröffentlichungen ein: ,Eine metarepräsentationale Theorie des intentionalen Bewußtseins', in: W. Hogrebe (Hrsg.), Grenzen und Gren^überschreitungen, Bonn: Sinclair Press 2002 (Kapitel 1); .Einfühlung und Intersubjektivität — Zur Begründung der Annahme synchroner Subjektidentität', in: G. Keil und U. Tietz (Hrsg.), Phänomenologie und Sprachanalyse, Paderborn: mentis 2006 (Kapitel 3); ,Mentale Simulation und radikale Interpretation', in: Gramer Philosophische Studien 70 (2005) (Kapitel 4); ,Diachrone Personenidentität - strikt und kriterienlos?', in: A. Beckermann und C. Nimtz
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Vorwort
(Hrsg.), Argument und Analyse, Paderborn: mentis 2002 (Kapitel 5); ,Uber den Wert der Gefühle', in: Beiträge der Osterreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft XII, Kirchberg: ÖLWG 2004 (Kapitel 6); ,Moralische Personalität, Willensfreiheit und Verantwortung', in: Zeitschriftfür philosophische Forschung 58/2 (2004) (Kapitel 6). Januar 2006
Christian Beyer
Inhalt Einleitung § 1. Zielsetzung
1
§ 2. Gliederung
7
§ 3. Uberzeugungen und ihre epistemische Grundlage
9
Abschnitt A: Subjektivität Kapitel 1: Intentionales Bewußtsein § 1. Zur Motivation der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie des intentionalen Bewußtseins 15 § 2. Kritik der Metaurteilstheorie 17 § 3. Propositionales Bewußtsein, Interpretation und natürliche Sprache 19 § 4. Verteidigung und nähere Ausarbeitung der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie 23 Kapitel 2: „Ich" und die Einheit des Bewußtseins § 1. Ich-Bewußtsein und Selbstbezug
33
§ 2. Das Problem der synchronen Bewußtseinseinheit § 3. Das Problem der diachronen Bewußtseinseinheit § 4. Diachrone Bewußtseinseinheit und Zeitbewußtsein
45 53 55
X
Inhalt
A b s c h n i t t Β: Intersubjektivität u n d W e l t b e z u g Kapitel 3: Synchrone Subjektidentität, intersubjektive Erfahrung und die Zuschreibung von Bewußtsein § 1. Exposition der Frage nach der synchronen Subjektidentität
59
§ 2. Der Begriff der Rechtfertigung
60
§ 3. Intrasubjektive versus intersubjektive Rechtfertigung
62
§ 4. Kritik des Analogiearguments für die Annahme fremden Bewußtseins
63
§ 5. Unmittelbare Einfühlung und psychologische Kriterien
65
§ 6. Rechtfertigung der Annahme fremden Bewußtseins
72
§ 7. Bewußte mentale Simulation
77
§ 8. Rechtfertigung der Annahme synchroner Subjektidentität.. 79 Kapitel 4: Weltbezug, Radikalinterpretation und die Zuschreibung propositionaler Einstellungen § 1. Die These von der intersubjektiven Begründbarkeit der Annahme einer objektiven raumzeitlichen Welt
82
§ 2. Triangulation
83
§ 3. Radikale Interpretation und objektiver Weltbezug
86
§ 4. Ein interpretationstheoretisches Argument für die Simulationstheorie der Fremdzuschreibung propositionaler Einstellungen
99
§ 5. Eine interpretations theoretische Rechtfertigung der Annahme einer objektiven raumzeitlichen Welt
103
§ 6. Zurückweisung der Theorie-Theorie
106
§ 7. Kritik der sogenannten radikalen Simulations theorie
108
Inhalt
XI
§ 8. Diskussion eines entwicklungspsychologischen Einwandes gegen die moderate Simulations theorie 109 § 9. Die dynamische Konzeption des intentionalen Urteilsgehaltes und die moderate Simulationstheorie
112
Abschnitt C: Intersubjektivität und Personalität Kapitel 5: Diachrone Personenidentität § 1. Das Problem der diachronen Personenidentität
117
§ 2. Strikte, kriterienlose Identität § 3. Kriterien diachroner Personenidentität § 4. Chisholms Einwände gegen das psychische und das physische Kriterium § 5. Gemäßigter Externalismus: Eine kontext-sensitive Konzeption diachroner Personenidentität § 6. Ein Vorschlag zur Metaphysik „strikter" diachroner Personenidentität
120 122 123 128 134
Kapitel 6: Moralische Personalität § 1. Die These von der metavolitionalen Struktur und das Problem der intersubjektiven Rechtfertigung der Annahme moralischer Personalität
137
§ 2. Gefühle als vernünftige Urteilsmotive
139
§ 3. Metavolitionen und der Begriff einer moralischen Person § 4. De-facto- versus De-jure-Willensfreiheit: Eine Kritik an Frankfurts Konzeption moralischer Verantwortung
147 149
XII
Inhalt
§ 5. Evaluative Metaeinstellungen und moralische Personalität schlechthin 152 § 6. Watsons Kritik an Frankfurt und der Zusammenhang zwischen Metavolitionen und moralischen Bewertungen
154
§ 7. Bewertungen und Werte erster Stufe
160
§ 8. Rationalität, Moralität und Personenverstehen
161
Anmerkungen
173
Literatur
195
Personenregister
205
Sachregister
207
Einleitung „Die Frage, was bin ich, was ist der Mensch, die Menschheit, beantwortet die Transzendentalphilosophie durch ihre tiefste Auslegung der Subjektivität als sich selbst und Welt konstituierender. Aber ... im Fortschreiten erwachsen hierbei immer tiefere Probleme." Husserl1
§ 1. Zielset2ung Was ist der Mensch? Von den zahlreichen Aspekten dieser Frage, denen es nachzugehen lohnt, kommt die begriffliche Aufklärung wesentlicher Züge des menschlichen Daseins aus der Eigenperspektive des Subjekts - der „ich"-Perspektive - der eigentümlichen Zielstellung philosophischer Reflexionsbemühungen wohl am nächsten. Die Frage lautet dann, allgemein formuliert, „Was bin ich?" — und richtet sich dabei speziell auf jene begrifflichen Strukturen, die für unser Selbst- und Weltverständnis konstitutiv erscheinen. Wie konzipiere ich immer schon mich selbst und die Welt, in der ich lebe? Auf welche Weise hängen diese Facetten meines vorgängigen Selbst- und Weltbildes — etwa die Idee eines Bewußtseinssubjekts und seiner zeitübergreifenden Identität, einer in der objektiven Welt mit anderen Bewußtseinssubjekten interagierenden Person oder eines moralisch verantwortlichen Akteurs — miteinander zusammen? Die in Frage stehenden Strukturen sind vorderhand rational; sie dürften bei der epistemischen (also auf Erkenntnis der Wahrheit und Vermeidung von Irrtum abzielenden) Rechtfertigung zentraler Elemente unseres Uberzeugungssystems aus der subjek-
2
Einleitung
tiven, erstpersonalen Perspektive eine grundlegende Rolle spielen. Umgekehrt steht zu vermuten, daß die explizite Rechtfertigung solcher Uberzeugungen aus der „ich"-Perspektive Licht auf die fraglichen begrifflichen Strukturen wirft. Sie muß dabei u.a. das Kunststück fertigbringen, die subjektiven, durch die je eigene Perspektive bedingten Aspekte unseres spezifischen Selbst- und Weltverständnisses — der „natürlichen Einstellung" (Husserl) — mit den eher objektiven, subjektunabhängigen Aspekten in Einklang zu bringen. Als Schlüsselbegriff könnte sich in diesem Zusammenhang der Begriff der Intersubjektivität (also der Eigenschaft eines Subjekts, unter dem Aspekt der Subjektivität auf andere Subjekte bezogen zu sein) erweisen. Die vorliegende Studie will zur Klärung der Rolle beitragen, die das Konzept der Intersubjektivität für das menschliche Selbst- und Weltverständnis spielt. Unter „Subjektivität" verstehe ich im Anschluß an Husserl die Eigenschaft gewisser, „Subjekte" genannter Wesen — paradigmatisch: menschlicher Personen - intentionales (also thematisch auf Gegenstände bezogenes) Bewußtsein zu haben. Entsprechend bezeichnet „Intersubjektivität" die Eigenschaft eines Subjekts, intentional unter dem Aspekt des intentionalen Bewußtseins auf andere Subjekte bezogen zu sein. Mein methodischer Ansatz ist im weitesten Sinne ein transzendentalphänomenologischer. Die der natürlichen Einstellung zugrundeliegenden rationalen Strukturen sollen (soweit wie möglich) aus der „ich"-Perspektive heraus freigelegt werden. Dieses Vorhaben erzeugt einen Begründungskontext, in dem auschließlich Rechtfertigungsgründe relevant sind, zu denen das jeweilige Subjekt im Prinzip kognitiven Zugang besitzt, sprich: eigene Uberzeugungen, die das Subjekt (mindestens sich selbst gegenüber) explizit zu machen vermag. Wir haben es, anders gesagt, mit einem internalistischen Rechtfertigungskontext zu tun (siehe dazu Kapitel 3, § 2). Gesucht ist dementsprechend jeweils eine explizite internaüstische Rechtfertigung grundlegender Elemente unseres Selbst- und Weltverständnisses. Dabei halte ich mich - in kontrollierter Weise - an das von Husserl vorgeschlagene Verfahren der
Intentionales Bewußtsein
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methodischen „Einklammerung" erst noch zu begründender Geltungsansprüche. Ich sage „in kontrollierter Weise", weil ich im Gegensatz zu Husserl der Auffassung bin, daß dieses Verfahren vernünftigerweise nur lokale Anwendungen (auf einzelne Sorten von Geltungsansprüchen wie z.B. die Annahme fremden Bewußtseins) zuläßt.2 Es gibt, um eine Metapher Otto Neuraths zu variieren, kein Trokkendock, wo sich unsere natürliche Einstellung (beziehungsweise das zugehörige Uberzeugungssystem) insgesamt von Grund auf aus (isolierten) gerechtfertigten Uberzeugungen zusammenbauen ließe; wir befinden uns in dieser Beziehung vielmehr immer schon auf offener See und können jeweils nur einzelne Aspekte unseres Selbst- und Weltverständnisses rational rekonstruieren. Die aufzuklärenden Einzelaspekte werden dazu lokal außer Kraft gesetzt, also vorübergehend nicht in Anspruch genommen, und im Lichte des verbleibenden Überzeugungs systems (soweit es geht) begründet. Die auf diese Weise explizit hervortretenden, zunächst und zumeist unbewußten (impliziten), Uberzeugungen bilden die rationale Grundlage des betreffenden Aspekts unserer natürlichen Einstellung — vorausgesetzt, die fraglichen Uberzeugungen erweisen sich auch bei genauerer Betrachtung (eventuell nach vorheriger Rahmenerweiterung, siehe unten) als haltbar; andernfalls müssen wir unser Vorverständnis (und entsprechende theoretische Vormeinungen) einer Revision unterziehen. Wenn man z.B. lokal die Annahme einklammert, der zufolge man das identische Subjekt mehrerer simultaner Erlebnisse ist, und daraufhin aus der „ich"-Perspektive auf die Uberzeugungen reflektiert, die mit der intersubjektiven Zuschreibung von Erlebnissen in einem Rechtfertigungszusammenhang stehen, kann man sich klarmachen, daß die fragliche Annahme (und damit unser Begriff der synchronen Bewußtseinseinheit) an die Überzeugung geknüpft ist, daß man Teil einer objektiven raumzeitlichen Welt ist (mehr dazu in Kapitel 3, § 8). Die Annahme der Existenz einer solchen Welt läßt sich wiederum — nach lokaler Einklammerung — durch Überlegungen zum Begriff der Interpretation einer Beobachtungsaussage rechtfertigen. Im Zuge dieser Begründung läßt
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Einleitung
sich meines Erachtens zudem die sogenannte Simulationstheorie der Fremdzuschreibung (die mit der intuitiv zunächst recht plausiblen „Theorie-Theorie" konkurriert) rational untermauern (mehr dazu in Kapitel 4). Nun ist die Produktion einer derartigen Begründung (wie das zuletzt genannte Beispiel verdeutlichen dürfte) keine triviale Angelegenheit. Wo implizite Überzeugungen zum rationalen Fundament eines Teils unseres Begriffssystems erklärt werden, sind philosophische Kontroversen geradezu vorprogrammiert. Häufig enden solche Kontroversen indes in einer wenig befriedigenden Pattsituation: Philosophische Entwürfe und Gegenentwürfe stehen einander (oftmals im Gewände miteinander konfligierender Intuitionen) unversöhnlich gegenüber - getreu dem Motto: des einen modusponens ist des anderen modus tollens. In derartigen Fällen ist meiner Auffassung nach nur durch geeignete Erweiterung des Rahmens eine Entscheidung herbeizuführen: Die rivalisierenden Entwürfe müssen sich nicht nur (im engeren Sinne) philosophischen Einwänden, sondern auch dem Tribunal der empirischen Einzelwissenschaften stellen. In ihrem substantiellen (sprich: theoretisch-explikativen) Teil muß philosophische Grundlagenforschung nämlich nach meinem Dafürhalten immer auch eine spekulative Dimension aufweisen: indem sie gehaltvolle, durch die Ergebnisse empirischer Nachbardisziplinen (wie z.B. Linguistik, Psychologie, Anthropologie oder Soziologie) falsifizierbare Hypothesen aufstellt. (Schließlich sind diese Wissenschaften wenigstens teilweise mit demselben Gegenstandsbereich befaßt wie die Philosophie.) Während sich also mein thematisches Interesse zunächst einmal auf die begrifflich-rationalen Grundlagen unseres faktischen Selbst- und Weltverständnisses richtet, bin ich methodisch bei Bedarf durchaus zu revisionären (und damit allemal kontroversen) theoretischen Entscheidungen bereit, sofern mir ein solches Vorgehen in spekulativer Hinsicht aussichtsreich erscheint.3 Aus diesen Gründen werde ich anders als Husserl verschiedentlich auch empirisch-psychologischen Überlegungen Beachtung schenken. Eine Begründung mag noch so „transzendental" daherkommen: wenn sie mit den Ergebnissen angrenzender empi-
Einleitung
5
rischer Disziplinen wie z.B. der Entwicklungspsychologie in Konflikt gerät, sollten wir mit der Möglichkeit rechnen, daß an dieser Begründung (oder an der herkömmlichen Interpretation der einschlägigen experimentellen Befunde) irgend etwas faul ist. Daß solche disziplinenübergreifenden Diskussionen in philosophischer Hinsicht instruktiv sein können, zeigen meines Erachtens die gegenwärtigen psychologischen Debatten um die Natur und Struktur des Bewußtseins beziehungsweise die kognitiven Mechanismen der Fremckfuschreibung von intentionalem Bewußtsein respektive propositionalen Einstellungen. Beide Debatten greife ich in dieser Arbeit auf. Zum einen basiert die Konzeption der Subjektivität, die ich eingangs herausarbeiten und in den nachfolgenden Kapiteln (unter Berücksichtigung diverser philosophischer Autoren, darunter Anscombe und Wittgenstein) zur Anwendung bringen werde, auf einer neuartigen Variante der MetarepräsentationstheoHe {„higher-order theory") des intentionalen Bewußtseins: der indexikalischen Metaüberz eugungs theorie. Zum anderen liegt meiner Konzeption der Intersubjektivität eine Spielart der bereits erwähnten Simulationstheorie der Fremdzuschreibung zugrunde, der zufolge wir uns (bewußt oder unbewußt) hypothetisch — in einer Art adaptierter Selbstprojektion — in die kognitive Situation anderer Subjekte hineinversetzen müssen, um ihnen intentionale Erlebnisse und Einstellungen zuschreiben zu können. Ich werde im Laufe der Arbeit eine moderate Version der Simulationstheorie verteidigen und dabei u.a. zur (von Husserl und seiner damaligen Assistentin Edith Stein ausgearbeiteten) phänomenologischen Konzeption der Einfühlung sowie zum ebenfalls schon erwähnten (und auf Quine und Davidson zurückgehenden) Gedankenexperiment der radikalen Interpretation in Beziehung setzen. Bislang ist der Streit zwischen den Simulationstheoretikern und ihren Gegnern, den Verfechtern der Theorie-Theorie, weitgehend unabhängig von der sprachphilosophischen Debatte um das Szenario der radikalen Interpretation gefuhrt worden. Auf der Folie der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie des Bewußtseins und der Simulationstheorie der Fremdzuschrei-
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Einleitung
bung versuche ich die folgenden Aspekte unseres Selbst- und Weltbildes in der skizzierten Weise rational zu rekonstruieren: Ich-Begriff und Ich-Bewußtsein (beziehe ich mich überhaupt auf etwas, wenn ich „ich" sage, und falls ja: worauf?), synchrone beziehungsweise diachrone Bewußtseinseinheit (unter welchen Bedingungen gehören zwei zeitgleich beziehungsweise zu verschiedenen Zeiten stattfindende intentionale Erlebnisse zum selben Bewußtseinsstrom?), Zeitbewußtsein (gibt es eine Bewußtseinsstruktur, die jedem intentionalen Erlebnis, als einem zeitlichen Phänomen, zugrundeliegt?), synchrone Subjektidentität (mit welchem Recht betrachte ich mich zu einer gegebenen Zeit als ein bestimmtes Subjekt?), Fremdbewußtsein (sind die anderen überhaupt Bewußtseinssubjekte und keine leblosen Automaten, und wie vermag ich ihnen Einstellungen zuzuschreiben?), objektiver Selbstbezug (bin ich wirklich eine raumzeitlich positionierte Person aus Fleisch und Blut?), objektiver Weltbezug (gibt es eine von mir selbst unabhängige raumzeitliche Wirklichkeit, die ich intentional repräsentiere?), Kommunikationsfähigkeit (wie ist sprachliche Verständigung möglich?) sowie diachrone Subjektidentität (unter welchen Bedingungen ist ein Subjekt zu verschiedenen Zeiten mit Recht als ein und dieselbe Person zu betrachten?). Eine analoge Theorienkombination (Metarepräsentationstheorie plus Simulationstheorie) werde ich mir schließlich im Zusammenhang mit dem Problem der moralischen Personalität (der Frage, unter welchen Bedingungen andere mit Recht als moralisch verantwortliche Subjekt anzusehen sind) zunutze machen, indem ich eine modifizierte Variante von Frankfurts diesbezüglicher MetazW//w«.ftheorie mit einer Simulationstheorie des Personenverstehens verbinde. Der moralische Personenbegriff erweist sich dabei, um mit Husserl zu sprechen, als die Idee „der Person als dem Subjekt der Vernunftakte", das als solches fähig ist, „aus [sich] selbst" heraus sich zu „entscheiden".4
Umleitung
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§ 2. Gliederung Die Arbeit gliedert sich in einen Abschnitt über Subjektivität und zwei Abschnitte über Intersubjektivität: A. Subjektivität. B. Intersubjektivität und Weltbeyug. C. Intersubjektivität und Personalität. Im einzelnen möchte ich den folgenden Fragen und ihren internen Zusammenhängen nachgehen. Abschnitt A: 1. Intentionales Bervußtsein Worin unterscheiden sich intentionale Erlebnisse von unbewußten intentionalen Zuständen? Besteht ein Zusammenhang zwischen intentionalem Bewußtsein und natürlicher Sprache? 2. ,Jcb " und die Einheit des Bewußtseins Wie sind jene Erlebnisse strukturiert, die sich im „ich"-Sagen artikulieren? Auf welche Weise hängen sie mit (anderen) intentionalen Erlebnissen zusammen? Beziehen sich solche Erlebnisse überhaupt auf etwas, und wenn ja: worauf? Unter welchen Bedingungen gehören eine Reihe von synchronen respektive diachronen Erlebnissen zu einem einheitlichen Bewußtseinsstrom? Abschnitt B: 3. Synchrone Subjektidentität, intersubjektive Erfahrung und die Zuschreibung von Bewußtsein Wie läßt sich die Annahme der synchronen Identität des Subjekts „meiner" gegenwärtigen intentionalen Erlebnisse rechtfertigen, also die Annahme daß ich, der ich jetzt beispielsweise urteile, daß p, niemand anderes bin als ich, der ich jetzt urteile, daß q? Ist dazu ein Rekurs auf die synchrone Einheit „meines" Bewußtseins erforderlich, oder gibt es eine Möglichkeit, die fragliche Annahme objektiv, also unabhängig von meinem eigenen kognitiven Zustand, zu begründen? Spielen hier gegebenenfalls auf den eigenen Leib bezogene Begriffe eine Rolle? Ferner: Was rechtfertigt mich eigentlich in der Annahme, daß es auch andere Erlebnis Subjekte gibt?
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4.
Einleitung
Weltbe^ug, radikale Interpretation und die Zuschreibung propositionaler Einstellungen Wie läßt sich die „realistische" Annahme der Existenz einer objektiven raumzeitlichen Welt begründen? Wie bringe ich es zuwege, mich mit anderen Subjekten sprachlich über raumzeitliche Objekte (Dinge respektive Ereignisse) zu verständigen? Was ermöglicht es mir, anderen Subjekten erfolgreich intentionale Erlebnisse und propositionale Einstellungen (betreffs raumzeitlicher Objekte) zuzuschreiben? Spielt mentale Simulation in dieser Hinsicht eine wesentliche Rolle? Abschnitt C: 5. Diachrone Personenidentität Wie konzipiere ich die diachrone Identität eines Subjekts? Was rechtfertigt mich in der Annahme diachroner Subjektidentität? Welche Bedeutung kommt hier dem Begriff der diachronen Bewußtseinseinheit zu? Inwieweit steht diese Konzeption der Subjektidentität über die Zeit hinweg mit der traditionellen Metaphysik sogenannter Personenidentität in Zus ammenh ang? 6. Moralische Personalität Wodurch unterscheiden sich moralische Personen von anderen Subjekten? Was rechtfertigt mich in der Annahme, daß ein Subjekt den Status einer moralischen Person besitzt? Läßt sich die Annahme der eigenen Moralität emotional begründen? Was ist überhaupt von Begründungen im Rekurs auf Gefühle zu halten? Worin besteht der Zusammenhang zwischen moralischer Personalität, Willensfreiheit und Verantwortung? Was ist eigentlich eine moralische Bewertung? Wie verhalten sich die Begriffe der moralischen Verantwortung und der Rationalität zueinander? Wie bringe ich es zuwege, eine Person hinsichtlich ihrer Handlungsmotive zu verstehen und moralisch zu beurteilen? Spielt dergleichen wie mentale Simulation und Metarepräsentation in dieser Beziehung eine wesentliche Rolle? Damit ist der Aufbau meiner Untersuchung vorgezeichnet. Die hier aufgeworfenen Fragen betreffen (wie eingangs angekündigt) grundlegende Überzeugungen unseres alltäglichen Welt- und
Einleitung
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Selbstverständnisses - der „natürlichen Einstellung". Es erscheint angebracht, diese Einleitung mit einigen Bemerkungen darüber zu beschließen, was in diesem Zusammenhang unter „(grundlegenden) Uberzeugungen" zu verstehen ist.
§ 3. Überzeugungen und ihre epistemische Grundlage Uberzeugungen (Meinungen, Glaubenszustände) beziehungsweise die entsprechenden intentionalen Bewußtseinszustände (siehe dazu Kapitel 1) bilden die Aufrichtigkeitsbedingungen assertiver Sprechakte, also sprachlicher Handlungen, in denen sich der Sprecher auf das Bestehen eines bestimmten Sachverhalts (der zugehörigen Wahrheitsbedingung) fesdegt.5 Wer z.B. behauptet, daß Erfurt eine Landeshauptstadt ist, präsentiert sich damit als jemand, der übertrugt ist, daß Erfurt eine Landeshauptstadt ist. Glaubt der Sprecher dies nicht wirklich, so ist seine Behauptung unaufrichtig; und wenn Erfurt gar keine Landeshauptstadt ist, dann kann man ihn dafür kritisieren, einer falschen Uberzeugung Ausdruck verliehen zu haben. So weit, so gut. Doch wie steht es um all das, was wir nicht assertiv zum Ausdruck bringen? Was davon glauben wir? Meine Antwort beschränkt sich der Einfachheit halber auf den Kreis der sprechfahigen Wesen6, und sie ist bewußt ein wenig vage gehalten: Wir glauben alles und nur das, was wir auf Befragen hin assertiv (und dabei aufrichtig) zum Ausdruck bringen könnten·, und zwar in dem Sinne, daß wir disponiert sind, eine entsprechende Frage zu bejahen. Wir halten demnach so unterschiedliche Sachverhalte für wahr wie die folgenden. (1) Paris ist eine Stadt. (2) Jedes Haus hat einen Eingang. (3) Wenn man einen Raum durch die Tür verläßt, wird sich dahinter keine tiefes Loch auftun. (4) Niemand kann durch die Wand gehen. - Gefragt, ob (1) bis (4) der Fall ist, würden wir jeweils zustimmen. Also sind wir vom Bestehen dieser Sachverhalte überzeugt. Aber halten wir (3) und (4) wirklich im selben Sinne für wahr wie (1) und (2)? Ist es nicht ausgesprochen merkwürdig, ja gerade-
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Einleitung
zu abwegig, zu sagen, man glaube an dergleichen Selbstverständlichkeiten? Handelt es sich bei unseren diesbezüglichen Einstellungen nicht viel eher um so etwas wie praktisches Know-how denn um kognitive Repräsentationen der Wirklichkeit? Gewiß, ohne den Besitz derartiger Fähigkeiten könnten wir viele Dinge, von denen wir faktisch überzeugt sind, gar nicht für wahr halten. Doch darin bekundet sich (so der Einwand) lediglich, daß unser Uberzeugungssystem auf einem harten Fels nicht-repräsentationaler praktischer Fertigkeiten aufruht; es wäre verfehlt, diese Fertigkeiten als (unbewußte) Uberzeugungen zu klassifizieren. Es ist jedoch alles andere als klar, weshalb es anstößig sein sollte, im Zusammenhang mit Sachverhalten wie (3) und (4) von Überzeugungen zu sprechen.7 Denn (i) wann haben wir es überhaupt mit dem Ausdruck einer Überzeugung zu tun, wenn nicht zumindest in all denjenigen Fällen, in denen ein Sprecher eine Frage aufrichtig bejaht? Genau dies ist aber offenkundig der Fall, wenn jemand, der sich bislang noch nie bewußt Gedanken darüber gemacht hat, ob der Sachverhalt (3) beziehungsweise (4) besteht, nun mit eben dieser Frage konfrontiert wird. Hinzu kommt (ii), daß wir (3) und (4) offenbar (von uns aus) jederzeit problemlos aufrichtig behaupten können; und worum soll es sich bei der Aufrichtigkeitsbedingung einer Behauptung handeln, wenn nicht um eine Uberzeugung? Im übrigen wären wir (iii) zweifellos hochgradig überrascht, falls sich herausstellen sollte, daß (3) respektive (4) nicht zutrifft. Die einzige sinnvolle Erklärung hierfür scheint mir die zu sein: daß wir zuvor an das Bestehen von (3) und (4) geglaubt haben; wenn auch möglicherweise bloß unbewußt. Es bleibt also dabei: Überzeugungen sind (bei sprechfähigen Subjekten) nichts anderes als kognitive Dispositionen, gewisse Fragen positiv zu beantworten - und zwar aufrichtig (das Subjekt fällt das entsprechende Urteil wirklich). Damit ist keineswegs impliziert, daß Meinungen wie (3) und (4) in unserem Glaubenssystem schlechterdings dieselbe Rolle spielen wie solche des Typs (1) und (2). Unter erkenntnistheoretischem Gesichtspunkt betrachtet, erscheinen sie in gewisser Weise fundamentaler. Wenn es um die ultimative Rechtfertigung einer Überzeugung wie (2) geht, würden wir uns jedenfalls eher auf eine
Einleitung
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wie (4) berufen als umgekehrt. Man beachte jedoch, daß auch derart elementare Uberzeugungen im Prinzip jederzeit revidierbar sind, sofern der Rechtfertigungskontext es verlangt. Wenn beispielsweise Grund zu der Annahme besteht, daß eine mysteriöse Gruppe von Attentätern den Fußboden vor sämtlichen Türen mit bisher nie gekannter Wucht in die Luft zu sprengen versucht, steht es uns frei, unseren Glauben an (3) aufzugeben. Ein Gleiches gilt, wie erkenntnistheoretische Kohärentisten hervorzuheben pflegen, (einerseits) für Wahrnehmungsmeinungen — man denke hier an theoretisch erklärbare Sinnestäuschungen — und (andererseits) für allgemeine theoretische Prinzipien, die ihrerseits nötigenfalls im Lichte neu hinzukommender, konfligierender Wahrnehmungsmeinungen zu revidieren sind. Fazit: Auch epistemisch grundlegende Überzeugungen müssen bei Bedarf vor dem Tribunal der Begründung bestehen können.8 In der vorliegenden Studie geht es um die Rechtfertigung solcher epistemisch grundlegender Uberzeugungen, die (wie etwa der Glaube an die Existenz subjektunabhängiger Gegenstände in Raum und Zeit) zugleich einen integralen Bestandteil unserer vorgängigen „natürlichen Einstellung" ausmachen. Die Art und Weise, wie wir Uberzeugungen diesen Schlages „subjektiv" (internalistisch) zu begründen vermögen, dürfte meines Erachtens Licht auf jene Bereiche unseres Begriffssystems werfen, die unser alltägliches Welt- und Selbstverständnis im Innersten zusammenhalten.
Abschnitt A: Subjektivität
Kapitel 1: Intentionales Bewußtsein § 1. Zur Motivation der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie des intentionalen Bewußtseins Wir sind mit intentionalem Bewußtsein ausgestattet. Unsere Fähigkeit, bewußt auf etwas Bezug zu nehmen, basiert dabei nicht zuletzt auf unseren kognitiv-dynamischen Talenten: Wir sind in der Lage, Gegenständen zeitübergreifend auf der Spur zu bleiben, und diese Fähigkeit ermöglicht es uns, zu einem gegebenen Zeitpunkt etwas Bestimmtes im Sinne zu haben und darüber zu sprechen. Jedes derartige intentionale Erlebnis vollzieht sich im Rahmen einer zeitübergreifenden Struktur intentionaler Zustände, die sich wenigstens ihrem Anspruch nach auf ein und dasselbe Objekt beziehen. Beispielsweise habe ich eine Vielzahl von Erwartungen darüber, wie sich mir der Tisch, an dem ich gerade sitze, präsentieren wird, wenn ich denselben Tisch von verschiedenen Seiten betrachte. Das setzt voraus, daß ich eine Vorstellung davon habe, was es bedeutet, daß ich ein und denselben Tisch über eine längere Zeitspanne hinweg im Blick behalte. Selbst wenn ich etwas einfach nur statisch als Tisch wahrnehme, sind solche Erwartungen im Spiel. Ich kann einen Gegenstand nicht als Tisch wahrnehmen, ohne zu erwarten, daß derselbe Gegenstand verschiedene Seiten aufweist, auf verschiedene typische Weisen zu benutzen ist, usw. Bei Lichte besehen, handelt es sich bei diesen Erwartungen um höherstufige in ten tionale Zustände: um bewußte oder unbewußte Erwartungen darüber, was für intentionale Erlebnisse ich haben werde, wenn ich denselben Tisch von der-und-der Seite betrachte, welche Handlungsabsichten ich bezüglich dieses Tisches unter
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Intentionales Bewußt seiη
diesen oder jenen Umständen haben werde, usw. Das heißt also: selbst ein scheinbar so simples intentionales Erlebnis erster Stufe wie mein wahrnehmungsbasiertes Denken an diesen Tisch da setzt höherstufige intentionale Zustände voraus - intentionale Zustände, die andere intentionale Zustände repräsentieren. So will es jedenfalls unsere „Alltagspsychologie", wenn wir sie auf uns selbst anwenden; will sagen: so konzipieren wir, bei Lichte besehen, unsere eigenen intentionalen Erlebnisse, d.h. die intentionalen Momentanzustände, in denen wir uns bewußt befinden. Ein intentionales Erlebnis erster Stufe setzt unserem Selbstbild zufolge die kognitiv-dynamische Fähigkeit voraus, dem Bezugsgegenstand gedanklich auf der Spur zu bleiben; und man kann sich leicht klarmachen, daß diese Fähigkeit ihrerseits nach höherstufigen intentionalen Zuständen verlangt — nach Metarepräsentationen. Wobei diese Metarepräsentationen selbst bewußte oder unbewußte Zustände sein können. Wenn (paradigmatische) intentionale Erlebnisse demnach charakteristischerweise von Metarepräsentationen bezüglich der Zukunft begleitet und zugleich repräsentiert werden, dann steht zu vermuten, daß diese Erlebnisse auch mit entsprechenden Metarepräsentationen betreffs der Gegenwart (und im übrigen auch der Vergangenheit) Hand in Hand gehen; schließlich fallen zukunftsbezogene Erwartungen nicht vom Himmel. An dieser Stelle kommt die Konzeption des intentionalen Bewußtseins ins Spiel, die ich verteidigen möchte. Diese Konzeption erklärt nämlich die Eigenschaft, durch die sich das intentionale Erlebnis, der intentionale Bewußtseinszus tand, von einer unbewußten mentalen Repräsentation unterscheidet, also das spezifische Merkmal des bewußtseins, im Rekurs auf gegenwartsbezogene Metarepräsentationen, ungefähr so: Ein intentionaler Zustand ist genau dann bewußt oder erlebt, wenn das Subjekt aufgrund dieses intentionalen Zustandes glaubt, sich selbst gerade in diesem Zustand zu befinden. Ich nehme gerade diesen Tisch da bewußt als Tisch wahr — darin liegt: Ich glaube, daß ich selbst gerade diesen Tisch unter den-und-den Aspekten wahrnehme. Und das wiederum impliziert, daß ich erwarte, daß sich mir derselbe Tisch in bestimmter Weise — z.B. in
Intentionales Bewußtsein
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einet bestimmten Reihe perspektivischer Abschattungen1 - präsentieren wird, wenn ich um ihn beobachtend herumgehe usw.2 Man beachte, daß in den Gehalt der fraglichen MetaÜberzeugung nicht nur der Begriff eines intentionalen Zustande der-undder Sorte (hier der Begriff einer Wahrnehmung mit einem bestimmten Gehalt) eingeht, sondern auch die indexikaüschen - i.e. hinsichtlich ihres Sachbezugs systematisch vom jeweils einschlägigen Kontext abhängigen - Begriffe des Selbst („ich selbst44) und der Gegenwart („jetzt44). Aus diesem Grunde können wir über unsere bewußten intentionalen Zustände im folgenden Stile berichten: „Ich sehe gerade ein So-und-so", „Ich sehe gerade, daß das-unddas der Fall ist44.3 Die Gehalte dieser subjektiven Berichte fallen mit den Gehalten der indexikaüschen MetaÜberzeugungen zusammen, denen die betreffenden intentionalen Zustände ihren Status als Benwßtseinszustinde verdanken.4 In diesem Kapitel möchte ich die soeben skizzierte indexikalische Metaüber^eugungstheone (des intentionalen Bewußtseins) näher ausarbeiten und gegen Einwände verteidigen beziehungsweise entsprechend modifizieren. Zunächst einmal gilt es zu klären, worum es sich bei den fraglichen höherstufigen Uberzeugungen genau handelt, und was sie mit Blick auf das intentionale Bewußtsein leisten. Dabei spielen bereits zwei Einwände gegen eine andere Version der Metarepräsentadonstheorie eine Rolle, nämlich gegen die Meta«tf«/irtheorie.
§ 2. Kritik der Metaurteilstheorie Der Metaurteilstheorie zufolge muß ich urteilen, daß ich etwas als Tisch wahrnehme, wenn diese Wahrnehmung ein intentionales Erlebnis - ein bewußter intentionaler Zustand - sein soll. (Unter „Urteilen44 sind in diesem Zusammenhang momentane Glaubenszustände zu verstehen, die innerhalb eines kognitiven Vorgangs — z.B. einer Beobachtung — aktiviert werden.) Wir können diese Idee folgendermaßen verallgemeinern:
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Metaurteilstbeorie Ein Subjekt befindet sich genau dann bewußt in einem intentionalen Zustand, wenn es aufgrund dieses Zustandes urteilt, daß es sich selbst in diesem Zustand befindet Der erste Einwand gegen die Metaurteilstheorie stammt aus der Neurologie. Man könnte ihn mit Peter Carruthers den Einwand von der kognitiven Oberbelastung (cognitive overload) nennen. Dieser Einwand besagt, daß Metaurteile einen viel zu hohen Energieaufwand im Gehirn kosten, als daß sich von ihnen plausiblerweise sagen ließe, sie seien jedesmal im Spiel, wenn ein Subjekt intentionale Erlebnisse erster Stufe hat. (Im Gehirn wird zehnmal soviel Energie verbraucht wie durchschnittlich in anderen Körperbereichen.) Wenn Gehirngröße und potentieller Energieaufwand neurologischer Ereignisse miteinander korrelieren, dann scheitert die Metaurteilstheorie des intentionalen Bewußtseins vermutlich an der Kleinheit unseres Gehirns.5 Der zweite Einwand stammt aus der Alltagsp sy chologiePhänomenologie. Es besteht offenbar ein Unterschied zwischer bewußter und unbewußter Wahrnehmung. Man denke etwa an das folgende Beispiel von David Armstrong: Ein Autofahrer, der schon seit vielen Stunden unterwegs ist, kommt plötzlich zu sich und merkt, daß er eine zeitlang gefahren ist, ohne bewußt die Straße wahrzunehmen; er befand sich in einer Art leichtem Schlafzustand. Trotzdem muß er die Straße — unbewußt, wie es scheint, - wahrgenommen haben, denn sonst hätte er einen Unfall gebaut.6 Nun denke ich aber als auch als aufmerksamer Autofahrer nicht ständig bei mir selbst: „Ich sehe die Straße" oder dergleichen. Dennoch habe ich Wahtnehmxxngserlebnisse. Also ist die Metaurteilstheorie des intentionalen Bewußtseins auch alltagspsychologisch unhaltbar. Dies gilt jedenfalls unter der Voraussetzung, die ich gerade implizit gemacht habe, daß sich nämlich Urteile und andere propositionale Erlebnisse — also Erlebnisse, über die sich mit „daß"-Sätzen berichten läßt - bei erwachsenen Menschen normalerweise7 im Medium von anschaulich (beispielsweise auditiv) vorgestellten Sätzen der natürlichen Sprache vollziehen, wie
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z.B. „Ich sehe die Straße". Diese Auffassung hängt mit einer These zusammen, für die ich im nun folgenden Paragraphen argumentieren werde: der These, daß die intentionalen Gehalte propositionaler Erlebnisse (also von Erlebnissen, die sich mit vollständigen Sätzen kundgeben lassen) so etwas wie potentielle sprachliche Bedeutungen enthalten — beispielsweise die Bedeutung des Satzes „Ich sehe die Straße".
§ 3. Propositionales Bewußtsein, Interpretation und natürliche Sprache Für die mir vorschwebende Auffassung von propositionalem Erleben als anschaulichem Satzbewußtsein hat Peter Carruthers plädiert.8 Sein Argument lautet: (1) Conscious thinking requires immediate, non-inferential, noninterpretative, access to our own occurrent thoughts, and that access is distinctively different from our access to the thoughts of other people. (2) Occurrent propositional thoughts either receive articulation in inner speech, or they do not; and if they do, then inner speech is either constitutive of the thought-tokens in question (the cognitive conception), or not (the communicative conception). (3) If the manipulation of natural language sentences in imagination (in „inner speech") is not constitutive of propositional thinking, then our access to those of our thoughts which receive expression in inner speech is interpretative, and similar to the sort of access which we have to the thoughts of other people, when they speak; and hence such thoughts of ours do not count as conscious (by 1). (4) The form of access which we have to those of our occurrent propositional thoughts which do not receive expression in inner speech also involves self-interpretation, and hence such thoughts, too, fail to count as conscious (by 1). (5) So if we engage in conscious propositional thinking at all, then natural language sentences must be constitutively involved in such thinking (from 1, 2, 3, and 4). (6) But we do sometimes engage in conscious propositional thinking.
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Intentionales Bewußtsein (7) So natural language is constitutively involved in conscious thought (from 5 and 6). (Carruthers,,Conscious thinking: language or elimination?', S. 459 f.)
Die Prämisse (3) erscheint mir allemal problematisch. Ehe ich meinen diesbezüglichen Einwand formulieren kann, ist eine Verständigung über den hier einschlägigen Interpretationsbegriff vonnöten. Ein Interpretationsversuch zielt stets auf das Verstehen einer sprachlichen Äußerung ab. (Im jetzigen Zusammenhang geht es speziell um Äußerungen von Sätzen im Modus der „inneren Rede".) Dabei haben wir es keineswegs bei jedem Verstehen oder Erfassen des Sinns einer sprachlichen Äußerung mit einer (erfolgreichen) Interpretation zu tun. Ein genuiner Interpret muß aktiv etwas zum Verstehen beitragen, statt bloß passiv seiner vorhandenen Sprachkompetenz gleichsam die Arbeit zu überlassen. „Interpretation" bezeichnet dementsprechend einen Vorgang des bewußten Uberlegens, der auf das Verstehen einer zunächst unverständlichen sprachlichen Verlautbarung abzielt. Im Extremfall äußert der Sprecher einen Satz, der einer dem Interpreten unbekannten und darüber hinaus gänzlich unerforschten Fremdsprache zugehört. (Dies ist das Szenario der radikalen Interpretation, auf das ich in Kapitel 4, §§ 3 und 4, zurückkommen werde.) Weniger extreme Beispiele interpretationsbedürftiger Äußerungen hält jedoch schon die alltägliche Kommunikation bereit. (Mehr dazu in Kapitel 4, § 9.) Carruthers' Prämisse (3) beruht nun auf der Annahme, daß unser epistemischer Zugang zu denjenigen unserer eigenen propositionalen (i.e. mit vollständigen Sätzen kundgebbaren) Erlebnisse, die mit anschaulich vorgestellten Sätzen verbunden sind, interpretativ sein müßte, wenn die „innere Rede" nicht für die betreffende Erlebnisse konstitutiv wäre. Im Umkehrschluß folgt hieraus zunächst einmal, daß wir im Falle von Erlebnissen, die im Modus der „inneren Rede" stattfinden, das jeweils involvierte Satzvorkommnis nicht erst interpretieren müssen. Das ist sicher richtig. Wenn ich mir vorstelle, daß es regnet, und im Zuge dieses Erlebnisses den Satz „Es regnet" in einer Art innerem Dialog äußere, dann weiß ich bereits, was dieser Satz bedeutet. Aber warum
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sollte nicht auch folgende Situation denkbar sein, in der wir es nicht mit einem Fall von „innerer Rede", sondern lediglich mit einem Assoziationsphänomen zu tun haben? (i) Ich stelle mir vor, daß es regnet, (ii) gleichzeitig stelle ich mir den Satz „Es regnet" anschaulich vor, den ich mit der ersteren Vorstellung (als deren sprachliches Kundgabevehikel) assoziiere, und (iii) ich kenne bereits (oder erfasse unmittelbar) die Bedeutung dieses Satzes. Nehmen wir nun um des Argumentes willen einmal an, daß mein epistemischer Zugang zu der in (i) erwähnten Vorstellung mit Hilfe der in (ii) genannten Satz-Vorstellung erfolgt. (Diese Annahme liegt ganz auf der Linie von Prämisse (3).) Wegen (iii) ist dieser Zugang jedoch keinewegs interpretativ! Wenn also meine These zutrifft, daß die gerade beschriebene Situation (in der die Bedingungen (i) bis (iii) vorliegen) ohne weiteres denkbar ist, dann ist es sehr wohl möglich, zu einem propositionalen Erlebnis, das mit einem anschaulich vorgestellten Satz verbunden ist, auch dann einen nicht-interpretativen Zugang zu haben, wenn die fragliche Satz-Vorstellung nicht für das betreffende Erlebnis konstitutiv ist. Wir sollten Carruthers' Prämisse (3) daher verwerfen. Doch wie läßt sich dann zeigen, daß sich propositionale Erlebnisse normalerweise im Medium von anschaulich vorgestellten Sätzen der natürlichen Sprache vollziehen? Meine Antwort lautet: mit Hilfe eines Schlusses auf die beste Erklärung dafür, daß die Gehalte solcher Erlebnisse so etwas wie potentielle sprachliche Bedeutungen enthalten. Wer einen Satz ,φ" sinnvoll äußert, der präsentiert sich je nach Zusammenhang als jemand, der gerade etwas Bestimmtes glaubt, wünscht, hofft, befürchtet oder dergleichen. Diese propositionalen Erlebnisse bilden die Aufrichtigkeitsbedingung der jeweiligen Sprechhandlung. Wird nun der Sprecher aufgrund seiner Äußerung gefragt: „Was glaubst (/wünscht/hoffst/...) du?", dann kann er diese Frage (sofern er sich tatsächlich im betreffenden Bewußtseinszustand befindet) beantworten, indem er den geäußerten Satz zur Spezifikation des Gehalts des kundgegebenen Erleb-
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nisses verwendet: „Ich glaube (/wünsche/...) Folgendes: p". Das spricht dafür, daß der sprachliche Sinn der Äußerung mit dem Gehalt des betreffenden Erlebnisses zusammenfällt — oder zumindest einen Aspekt dieses Gehalts bildet. Da jedes propositionale Erlebnis sprachlich kundgegeben werden kann, aber nicht muß, können wir hieraus den Schluß ziehen, daß der Gehalt eines solchen Erlebnisses einen potentiellen sprachlichen Sinn enthält. Man könnte diese Konklusion als These von der sprachlichen Verfaßtheit (des propositionalen Bewußtseins) titulieren. Wenn man voraussetzt, daß subjektive Berichte über intentionale Zustände im wesentlichen die eben angeführte Form („Ich glaube (/wünsche/...) Folgendes: p") aufweisen,9 dann verleiht die folgende Beobachtung David Rosenthals dieser These zusätzliche Plausibilität: [G]iven that a creature has suitable communicative ability, it will be able to report being in a mental state just in case that state is, intuitively, a conscious mental state. If the state is not a conscious state, it will be unavailable to one as the topic of a sincere report about the current contents of one's mind. And if the mental state is conscious, one will be aware of it and hence able to report that one is in it. The ability to report being in a particular mental state therefore corresponds to what we intuitively think of as that state's being in our stream of consciousness. (Rosenthal, .Thinking that one thinks', S. 204)
Die These von der sprachlichen Verfaßtheit läßt sich nun am zwanglosesten durch die Annahme erklären, daß uns ipso facto ein geeignetes sprachliches Kundgabevehikel vorschwebt, sobald wir uns in einem propositionalen Bewußtseinszustand befinden (eine Annahme, die im übrigen auch introspektiv gestützt sein dürfte).10 Wobei der sprachliche Sinn der zugehörigen (potentiellen oder aktuellen) verbalen Kundgabe dann als wesentliche Komponente in den Gehalt des kundgegebenen propositionalen Erlebnisses eingeht. Der alltagspsychologische Einwand, den ich im Zusammenhang mit Armstrongs Autofahrer-Beispiel gegen die Metaurteilstheorie erhoben habe (§ 2), beruht also auf einer plausiblen Annahme über das psychische „Medium" propositionaler Erlebnisse.
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§ 4. Verteidigung und nähere Ausarbeitung der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie Ich denke nun, daß die indexikalische yietzüber^eugungstheont sowohl gegen den letztgenannten Einwand als auch gegen den oben (§ 2) vorgebrachten Einwand von der kognitiven Überbelastung gefeit ist. Sie muß dazu lediglich die für intentionales Bewußtsein erforderlichen höherstufigen Überzeugungen als 'Urt&^'&dispositionen konzipieren.11 Denn wer bloß disponiert ist, etwas Bestimmtes zu urteilen, der wendet beileibe nicht soviel „Gehirnschmalz" auf wie jemand, der das fragliche Urteil tatsächlich fallt. Und was den aufmerksamen Autofahrer anlangt, so muß sich dieser keineswegs den Satz „Ich sehe die Straße" anschaulich vorstellen, um disponiert zu sein, das mit diesem Satz kundgebbare Metaurteil zu fallen. Ein weiterer Einwand, der sich gegen die Metaurteilstheorie vorbringen läßt, betrifft indessen mutatis mutandis auch die Metaüberzeugungstheorie. Ihr zufolge befindet sich ein gegebenes Subjekt nur dann bewußt in einem intentionalem Zustand der-undder Sorte, wenn es glaubt, sich gerade in seinem solchen Zustand zu befinden. Es sieht ganz so aus, als müsse ein Subjekt dazu über den Begriff eines intentionalen Zustandes der entsprechenden Sorte verfügen. Denn offenbar kann jemand nur dann zu dem Urteil disponiert sein, daß er selbst gerade etwas Bestimmtes glaubt (/wahrnimmt/hofft/wünscht/...), wenn er zumindest über ein rudimentäres Ich-Konzept und über den Begriff einer Überzeugung (/Wahrnehmung/Hoffnung/...) verfügt. Konzentrieren wir uns auf den Überzeugungsbegriff. 12 Entwicklungspsychologische Studien belegen, daß Kinder den alltagspsychologischen Begriff einer Überzeugung, dem zufolge Überzeugungen auch falsch sein können, erst ungefähr im Alter von 4 Jahren erwerben. Wenn man z.B. einem jüngeren Kind eine Smartiespackung präsentiert und nach dem Inhalt der Packung fragt, dann wird das Kind „Smarties" oder „Süßigkeiten" antworten. Wenn man dem Kind dann zeigt, daß keine Smarties, sondern ein Bleistift in der Packung war, und diese Packung wenig später
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einem anderen Kind zeigt, dann wird das erste Kind auf die Frage „Was wird dein Freund sagen, wenn ich ihn frage, was in der Smartiespackung ist?" ungefähr Folgendes antworten: „Er wird sagen, daß ein Bleistift drin ist". Und wenn das Kind gefragt wird „Was hat sich deiner Meinung nach in der Packung befunden, als ich sie dir eben gezeigt habe?", wird es irrtümlicherweise antworten: „ein Bleistift". 13 Daß Kinder mehrere Monate vor ihrem 4. Geburtstag immerhin diese letztere Frage beantworten können, zeigt, daß sie bereits über einen rudimentären Glaubensbegriff verfügen. Aber beide Teile des Experiments sprechen dafür, daß sie noch nicht den Begriff einer falschen Überzeugung besitzen: Sie sind außerstande, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden. Demnach verfügen sie noch nicht über den alltagspsychologischen Glaubensbegriff. 14 Kleinere Kinder besitzen wahrscheinlich nicht einmal einen rudimentären Glaubensbegriff. Aber spätestens da liegt ein schwerwiegendes Problem für die Metaüberzeugungstheorie: Verfügen nicht auch kleine Kinder bereits über intentionales Bewußtsein?15 Können sie nicht bereits bewußt etwas für wahr halten? Können sie nicht bereits Urteile fallen? Wenn die Metaüberzeugungstheorie, so wie sie dasteht, korrekt wäre, dann könnten sie das nicht. Denn diese Kinder wissen noch nicht, was das heißt: glauben, daß etwas der Fall ist. Nun verfugen Kinder ab einer gewissen Altersstufe aber immerhin über das notwendige Lernpoten^al., um den Glaubensbegriff zu erwerben. Ich denke daher, daß für ein kleineres Kind immerhin ein kontrafaktisches Konditional wie das folgende gelten kann: Würde das Kind bereits über den Glaubensbegriff verfügen, so wäre es disponiert zu urteilen, daß es gerade etwas Bestimmtes glaubt. Und wenn dieses Konditional aufgrund eines momentanen Glaubenszustandes des Kindes gültig ist, dann kann man dem Kind meines Erachtens plausiblerweise einen bewußten Glaubenszustand beziehungsweise ein Urteil zuschreiben. Wenn beispielsweise die 3-jährige Anna beim Blick aus dem Fenster feststellt: „Es regnet", dann ist sie sich der Tatsache, daß es regnet, voll bewußt — sie fällt das entsprechende Urteil. Denn wüßte sie bereits, was das heißt:
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glauben, daß etwas der Fall ist, so wäre sie zweifellos auch überzeugt, daß sie gerade glaubt (sieht), daß es regnet; sie könnte dann ebensogut mit dem Brustton der (Meta-)Überzeugung sagen: „Ich sehe, daß es regnet".16 Die Wahrheit des betreffenden kontrafaktischen Konditionals läßt sich dabei vermutlich evolutionstheoretisch erklären: Bewußte Glaubenszustände haben wahrscheinlich die Funktion, das jeweilige Subjekt unter bestimmten Umständen zu geeigneten Metaurteilen zu disponieren - etwa, um es in die Lage zu versetzen, sich absichtlich hinsichtlich seiner Glaubenszustände niederer Stufe zu verstellen,17 oder um ihm die Lösung komplexer Probleme zu ermöglichen; und bei Kleinkindern fungieren bewußte Glaubenszustände eben noch nicht wie vorgesehen.18 Bei Kleinstkindern fungieren Sie vermutlich noch gar nicht, so daß ihnen jegliche Urteilsfähigkeit abgeht; ob diese Vermutung richtig ist, kann aber nur entwicklungspsychologisch geklärt werden. Ob höhere Affen und andere Tierarten über bewußte Glaubenszustände verfugen, halte ich gleichfalls für eine rein empirische Frage. Ich möchte deshalb für eine Version der indexikalischen Metaüberzeungungstheorie plädieren, die auf kontrafaktische Konditionale zurückgreift. In erster Annäherung lautet mein Vorschlag: lndexikalische Metaüber^eugungstheoHe (Vmion Nr. 1) Ein Subjekt befindet sich genau dann bewußt in einem intentionalen Zustand, wenn das Subjekt entweder aufgrund dieses Zustandes glaubt, sich selbst gerade in diesem Zustand zu befinden, oder dies aufgrund des betreffenden Zustandes glauben würde, wenn es den Begriff eines solchen intentionalen Zustandes bereits besäße. Dieser Vorschlag ist allerdings ebenfalls noch verbesserungsbedürftig. Er sollte der folgenden Möglichkeit Rechnung tragen: Das visuelle Wahrnehmungsfeld eines Blindsight-Patienten weist einen blinden Bereich {scotoma) auf, der Patient kann aber gleichwohl unbewußt ein Objekt wahrnehmen, das ihm innerhalb dieses Bereichs präsentiert wird; und es ist möglich, daß er aufgrund dieser unbewußten Wahrnehmung sowie aufgrund von Informationen
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über seinen Zustand und über die Anordnung des Experiments dazu disponiert ist, aufgrund einer bewußten Schlußfolgerung das Metaurteil zu fällen, daß er selbst das betreffende Objekt gerade wahrnimmt.19 Um solche Fälle auszuschließen, sollte die indexikalische Metaüberzeugungstheorie auf den Begriff einer nicht-inferentiellen MetaÜberzeugung zurückgreifen, wobei „nicht-inferentielle Überzeugung" hier als Kürzel für „Überzeugung, die nicht auf einer bewußten Schlußfolgerung basiert" dient: Indexikalische Metaüber^eugungstheorie (Vrnion Nr. 2) Ein Subjekt befindet sich genau dann bewußt in einem intentionalen Zustand, wenn das Subjekt entweder aufgrund dieses Zustandes nicht-inferentiell glaubt, sich selbst gerade in diesem Zustand zu befinden, oder dies aufgrund des betreffenden Zustandes nicht-inferentiell glauben würde, wenn es den Begriff eines solchen intentionalen Zustandes bereits besäße.20 Eine wichtige Komponente dieser Theorie besagt, daß intentionales Bewußtsein stets in einer Form von Zeitbewußtsein gründet, nämlich in einem indexikalischen Gegenwartsbewußtsein: Wenn ich glaube, mich selbst gerade in dem-und-dem intentionalen Zustand zu befinden, dann muß mir zwar nicht unbedingt mein „Selbst"21 oder der fragliche intentionale Zustand präsent sein (die fragliche MetaÜberzeugung muß nicht ihrerseits bewußt sein), aber doch zumindest der gegenwärtige Moment, auf den sich der temporale Indikator bezieht. Wäre mir die Gegenwart nicht in irgendeiner Weise präsent, so wäre ich jetzt bestenfalls geistig abwesend (z.B. im Koma oder in einer traumlosen Schlafphase) und könnte schwerlich intentional etwas erleben. Der gegenwärtige Moment war dabei für mich eben noch zukünftig und ist im nächsten Augenblick schon wieder vergangen. In diesem Sinne ist er, ähnlich wie eine Phase einer soeben beobachteten Bewegung, Teil einer kontinuierlich durch das indexikalische Zeitbewußtsein „konstituierten" und daher stetig qua Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit ihrer Momente im Fluß befindlichen Zeitreihe.22 Daß diese Zeitreihe sich in indexikalischen Bewußtseinsepisoden „konstituiert" und dementsprechend von Moment zu Mo-
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ment abfließt, impliziert keineswegs, daß sie eine „Α-Serie" im Sinne McTaggarts bildet, sich also wegen der „Veränderlichkeit" ihrer Phasen in puncto Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit in eine andere temporale Struktur als die Reihe der in sich unveränderlichen, objektiven Zeitpunkte einfügt.23 Es bedeutet lediglich, daß die temporalen Bewegungsphasen von uns unter je verschiedenen indexikalischen Aspekten wahrgenommen werden, welche einander kontinuierlich gemäß einer für unser Zeitbewußtsein konstitutiven Regel ablösen: eben Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Der Begriff einer Α-Serie ist daher nicht erforderlich, um dem dynamischen Charakter der entsprechenden Zeitbestimmungen Rechnung zu tragen. Es handelt sich bei ihnen nicht um intrinsische Eigenschaften der betreffenden Zeitphasen, sondern um relationale Eigenschaften dieser Phasen, welche ihnen nur in Hinblick auf die mentalen Episoden zukommen, in denen sie sich „konstituieren" — i.e. sich dem Bewußtsein präsentieren. Die Analogie zwischen intentionalem Bewußtsein und dem Spezialfall der bewußten Bewegungswahrnehmung wird jedoch in dieser Allgemeinheit nur einem der beiden indexikalischen Aspekte des Gehalts der für intentionales Bewußtsein konstitutiven MetaÜberzeugungen gerecht — eben dem Aspekt des jet^t. Um zusätzlich eine Analogie zu dem gleichfalls involvierten Aspekt des ich selbst herzustellen, schlage ich vor, intentionale Bewußtseinszustände speziell nach dem Muster von Wahrnehmungen eigener Körperbewegungen (propriophysischen Wahrnehmungen) aufzufassen: Ähnlich wie ich beispielsweise sehe, wie meine eigene Hand sich soeben bewegt, glaube ich, sofern ich etwa urteile (i.e. bewußt glaube): „Es regnet", daß ich selbst gerade glaube, daß es regnet. Der Vergleich mit der Beobachtung einer Bewegung wirft Licht auf den dynamischen Charakter intentionaler Erlebnisse, also auf den Umstand, daß diese Erlebnisse sich in der Regel in zeitübergreifende, variable kognitive Strukturen einfügen, in denen über eine Reihe von Aspektwechseln hinweg durchgängig ein und dasselbe Objekt (etwa der Sachverhalt, daß es regnet) intendiert ist. Derartige kognitive Syntheseleistungen wären ohne indexikalisches Zeitbewußtsein nicht möglich.24
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Aber zeigt diese Überlegung nicht, daß die indexikalische Metaüberzeugungstheorie tgrkulär ist? Nein. Sie verdeutlicht zwar, daß intentionales Bewußtsein nach dieser Theorie Zeitbewußtsein voraussetzt. Doch handelt es sich hierbei um eine These über ein ontisches Abhängigkeitsverhältnis, aus der mitnichten folgt, daß der Begriff des intentionalen Bewußtseins den Begriff des Zeitbewußtseins enthält. Die indexikalische Metaüberzeugungstheorie behauptet lediglich, daß die Gehalte der für intentionales Bewußtsein konstitutiven MetaÜberzeugungen den indexikalischen Begriffjet^t involvieren. Daß dieser Begriff nur auf der Basis gewisser intentionaler Erlebnisse anwendbar sind, steht auf einem ganz anderen Blatt. Es gibt noch eine weitere Hinsicht, in der propriophysische Wahrnehmungen uns als Modell des intentionalen Bewußtseins dienen können. Die Gegenstände dieser Wahrnehmungen teilen mit den Gegenständen der bewußtseinskonstitutiven MetaÜberzeugungen eine wichtige Eigenschaft: Beide unterliegen wenigstens im Prinzip der rationalen Selbstkontrolle durch das jeweilige Subjekt. Zwar finden einige unserer Körperbewegungen ganz unwillkürlich statt — etwa das „instinktive" Offnen der Hand, die gerade eine heiße Kartoffel ergriffen hat. Doch haben wir grundsätzlich die Freiheit, Körperbewegungen durchzuführen oder zu unterlassen, und wir sind imstande, kritisch auf die zugrundeliegenden Handlungsabsichten zu reflektieren, um auf der Basis rationaler Überlegung diesbezüglich verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Ahnliches gilt für intentionale Erlebnisse. Auch sie finden gelegentlich vollkommen unwillkürlich statt (man denke etwa an einen plötzlich auftauchenden Gedanken), aber im Prinzip können wir sie jederzeit einer rationalen Kontrolle unterziehen. Dies gilt sogar für die „rezeptiven" Sinneserfahrungen, auf denen unsere singulären Wahrnehmungsurteile (wie z.B. „Dies ist rot") fußen. Darauf hat John McDowell (in Anknüpfung an Kant) hingewiesen: How one's experience represents things to be is not under one's control, but it is up to one whether one accepts the appearance or rejects it. (John McDowell, Mind and World, Cambridge/Mass.: Harvard University Press 1994, S. 11)
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The point here is well illustrated by familiar illusions. In the Müller-Lyer illusion, one's experience represents the two lines as being unequally long, but someone in the know will refrain from judging that that is how things are. (ebd., Fn. 9)
Wenn wir einer Wahrnehmungsillusion wie der Müller-LyerStreckentäuschung unterliegen, dann präsentiert die Erfahrung uns nolens volens einen Sachverhalt, der nicht wirklich besteht. Es steht jedoch in unserer Freiheit, das fragliche Erlebnis im Lichte unseres Uberzeugungs systems daraufhin zu befragen, ob es verläßlich ist, und ihm gegebenenfalls zu mißtrauen.25 Als propositionales Erlebnis ist es einer rationalen Selbstkontrolle zugänglich. Rationale Selbstkontrolle erfordert Selbstbewußtsein (Introspektion). Um kritisch auf einen intentionalen Zustand reflektieren zu können, muß dieser nicht nur bewußt sein (dazu reichen unbewußte indexikalische MetaÜberzeugungen aus). Das Subjekt muß sich vielmehr dieses Zustandes auch als ihm selbst zugehörig (und der eigenen Kontrolle zugänglich) bewußt sein. Mit anderen Worten: Der jeweilige Bewußtseinszustand muß Objekt einer bewußten Metaüberzeugung sein. Nach der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie bedeutet dies, daß das Subjekt eine Überzeugung mindestens dritter Stufe haben muß („Ich glaube gerade, daß ich mich selbst gerade in dem-und-dem intentionalen Zustand befinde").26 Es ist ein charakteristisches Merkmal intentionaler Bewußtseinszustände, daß sie ihrem Subjekt dergestalt introspektiv zugänglich sind. Dazu muß das Subjekt jedoch bereits über die nötigen mentalen Begriffe (wie z.B. den Begriff einer Meinung) verfügen — und in der Lage sein, sie bewußt auf sich selbst anzuwenden. Kleinkinder besitzen daher oftmals noch kein Selbstbewußtsein, so daß sie nicht in der Lage sind, kritisch auf ihre intentionalen Erlebnisse zu reflektieren. Aus diesem Grunde behandeln wir sie noch nicht als vollwertige (moralische) Personen, i.e. als Wesen, deren „Handlungen einer Zurechnung fähig sind" (Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einl. IV, Β 22). Ich komme hierauf in Kapitel 6 ausführlicher zu sprechen. Oftmals wird Metarepräsentationstheorien vorgeworfen, sie ignorierten ein phänomenologisches Datum, das im Zusammenhang mit Selbstbewußtsein deutlich zutage tritt: die Transparenz
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des Bewußtseins. Wird man aufgefordert, genau darauf zu achten, wie einem zumute ist, wenn man beispielsweise bewußt ein Haus sieht, so wird man seine ganze Aufmerksamkeit auf das intentionale Objekt des fraglichen Erlebnisses (und seine wahrnehmbaren Eigenschaften) richten — also auf ein bestimmtes Haus und nicht (so scheint es) auf die eigene Wahrnehmung des Hauses. Demnach ist das jeweilige Erlebnis, was seine introspektiv erfaßbaren Qualitäten angeht, transparent: When you try to examine [your experience], you see right through it, as it were, to the qualities you were experiencing all along in being a subject of the experience, qualities your experience is o f . (Michael Tye,,Precis of
Ten Problems of Consciousness', in: Philosophy and Phenomenologcal
Re-
search 58,1998, S. 649-656; S. 653)27
Wenn selbst der introspektive Blick auf eine bewußte Wahrnehmung in Wahrheit durch sie „hindurchgeht" und sich auf ihr Objekt richtet, dann (so lautet der Einwand) erscheint die Annahme verfehlt, daß ein beliebiges Erlebnis dadurch bewußt ist, daß es Gegenstand einer eigens auf es bezogenen Repräsentation ist. Was auch immer dieser Einwand gegen andere Metarepräsentationstheorien des Bewußtseins auszurichten vermag, an der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie prallt er wirkungslos ab. Um beispielsweise die visuelle Wahrnehmung eines Kastanienbaums introspektiv zu erfassen, muß man dieser Theorie zufolge für wahr halten, daß man selbst gerade glaubt, daß man selbst gerade einen bestimmten Kastanienbaum sieht. Wie kommt es dahin? Eine solche Überzeugung dritter Stufe entsteht dann, wenn man seine Aufmerksamkeit bewußt auf eine Kastanie in seinem Wahrnehmungsfeld richtet. Nun handelt es sich hierbei der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie zufolge zwar um einen intentionalen Bewußtseinszustand zweiter Stufe (für den eine Überzeugung dritter Stufe erforderlich ist): das Aufmerken auf die Kastanie muß seinerseits bewußt sein. Aber dies ändert nicht das Geringste daran, daß auch nach dieser Theorie unser Subjekt die Kastanie aufmerksam wahrnehmen muß, wenn anders ihm diese Wahrnehmung introspektiv bewußt sein soll. Mithin widerlegt die Transparenz des Wahrnehmungsbewußtseins die indexikalische Metaüberzeugungstheorie so wenig, daß sie vielmehr aus dieser
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Theorie folgt. Analoge Überlegungen lassen sich für alle Formen von Selbstbewußtsein durchführen. Die These vom indexikalischen Charakter der bewußtseinskonstitutiven MetaÜberzeugungen erlaubt es mir, einen naheliegenden Einwand zurückzuweisen, den Robert Kirk gegen Metaüberzeugungstheorien (oder „dispositionale" Metaurteilstheorien) des Bewußtseins vorgebracht hat: An obvious difficulty is that although all sorts of things are available to be thought about — holiday memories, for example — most of them are not conscious. (Robert Kirk,,Review of George Botterill and Peter Carruthers, The Philosophy of Psychology', in: British journal for the Philosophy of Science 52, 2001, S. 159-162; S. 160)
Natürlich ist es möglich zu glauben, daß man bestimmte Urlaubserinnerungen hat, ohne gleichzeitig in diesen Erinnerungen zu schwelgen. Aber in einem solchen Falle fehlt dem Gehalt der fraglichen MetaÜberzeugung eine indexikalische Komponente: Man glaubt dann eben nicht, daß man sich jet^t gerade an die-und-die Urlaubserlebnisse erinnert; die fraglichen Erlebnisse sind in der Erinnerung nicht präsent. Kirks Einwand tangiert die indexikalische Metaüberzeugungstheorie daher nicht. Ein verwandter Einwand hebt auf den dispositionellen Charakter unbewußter Uberzeugungen ab. Nach der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie befinde ich mich schon dann bewußt in einem Wahrnehmungszustand, wenn ich aufgrund dieses Zustandes unbewußt glaube, i.e. bloß zu dem Urteil disponiert bin, daß ich mich selbst gerade in diesem Zustand befinde. Aber ist nicht auch z.B. Armstrongs Autofahrer während seines Leichtschlafs disponiert, ein solches Urteil zu fällen? Ich denke: nein. Denn wie sollte der Fahrer während seines Leichtschlafs urteilen können, daß er jet^t gerade etwas Bestimmtes wahrnimmt? Wenn er aber zu diesem Zeitpunkt nicht urteilen kann, daß er selbst gerade die Straße wahrnimmt, dann kann er ψ. diesem Zeitpunkt auch nicht disponiert sein, ein solches Urteil zu fallen: Man kann nur dann zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem Urteil disponiert sein, wenn man gleichzeitig in der Lage ist, es zu vollziehen. Die indexikalische Spielart der Metaüberzeugungstheorie ist daher sehr wohl im-
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stände, den Mangel an intentionalem Bewußtsein zu erklären, der Armstrongs Autofahrer beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Eine ähnliche Überlegung verdeutlicht überdies, daß gewisse Dispositionen durchaus geeignet sind, eine kategoriale Eigenschaft wie Bewußtsein zu erklären, die jemand nur dann besitzt, wenn sich in seinem Geiste ipso facto etwas ereignet — nämlich ein Erlebnis.28 Das Gegenwartsbewußtsein, welches der (wie wir annehmen können) dispositionalen Meinung des „aufgeweckten" Autofahrers zugrundeliegt, daß er selbst gerade die Straße sieht, verleiht der Wahrnehmung die nötige Aktualität, um als ein komplexes Ereignis (i.e. als ein „Wahrnehmungserlebnis", bestehend aus Wahrnehmungszustand, darauf bezogener MetaÜberzeugung und zugrundeliegendem aktuellen Bewußtsein) gelten und somit eine kategoriale Eigenschaft konstituieren zu können. Diese Beobachtung läßt sich verallgemeinern. Der indexikalische Gehalt der für ein gegebenes intentionales Bewußtseinsphänomen konstitutiven MetaÜberzeugung verkoppelt diese (wie wir bereits gesehen haben) automatisch mit einem Erlebnis des „Als-Jetzt-Erfassens" — und sorgt auf diese Weise für den Ereignischarakter und die Aktualität des intentionalen Bewußtseins. Man kann der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie deshalb nicht zum Vorwurf machen, daß sie eine kategoriale Eigenschaft, i.e. intentionales Bewußtsein, im Rekurs auf bestimmte Dispositionen erklärt. Ein weiterer Aspekt des indexikalischen Gehalts bewußtseinskonstitutiver MetaÜberzeugungen wurde bislang weitgehend aus der Betrachtung ausgeklammert: der Aspekt des ich selbst. Dieses Versäumnis werde ich im nachfolgenden Kapitel 2 gutmachen.
Kapitel 2: „Ich" und die Einheit des Bewußtseins § 1. Ich-Bewußtsein und Selbstbezug Intentionales Bewußtsein hat nach den vorangehenden Erörterungen die allgemeine Form des cogito: Das „Ich habe gerade das-unddas Erlebnis" muß (um eine einschlägige Formulierung Kants zu variieren) alle meine intentionalen Erlebnisse begleiten können. Wie steht es um den /^Aspekt des fraglichen Metaurteils — den Begriff des „Selbst"? Edmund Husserl zufolge weist dieser selber eine Metastruktur auf, so daß der jeweilige Sprecher/Denker mit „ich" bewußt auf sich als auf sich selbst referierend (sich selbst repräsentierend) Bezug nimmt: Es ist klar: Wer „ich" sagt, nennt sich nicht nur selbst, sondern er ist sich dieser Selbstnennung auch als solcher bewußt, und dieses Bewußtsein gehört wesentlich mit zum Bedeutungskonstituierenden des Wortes „ich". Das aktuelle Sich-selbst-Meinen fungiert... so, daß darin sein Gegenstand als Gegenstand eines Selbstmeinens gemeint ... ist. Damit ist aber gesagt, daß ein reflektiver Blick auf das selbsterfassende Meinen und seinen allgemeinen Charakter die Bedeutung des Wortes „ich" wesentlich mitbestimmt. Der Hörende versteht es, sofern es ihm Anzeige für dieses ganze Bewußtseinsgebilde ist, also der Redende für ihn als jemand dasteht, der sich selbst, und zwar als „ich" nennt, d.i. sich als Gegenstand seiner als Selbsterfassung erkannten Selbsterfassung nennt. (Edmund Husserl, Annotationen und Beiblätter aus dem Handexemplar', in: Logische Untersuchungen 2. Teil (Husseräana XIX), hrsg. v. Ursula Panzer, Dordrecht: Nijhoff 1984, S. 787-917; S. 813)
Diese Auffassung erscheint mir in der Tat sehr plausibel. Wenn jemand beispielsweise versichert: „Ich habe einen gebrochenen Fuß", dann weiß er eo ipso, daß er sich mit „ich" auf sich selbst begeht, er könnte sofort hinzufugen: „Ich spreche von mir selbst1}
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Nimmt dagegen jemand mit Hilfe eines singulären Terms auf sich Bezug, der nicht den Begriff ich selbst ausdrückt, so ist keineswegs gesagt, daß er sich wissentlich auf sich selbst bezieht. Man denke etwa an einen Sprecher, der sich, ohne es zu gewahren, selbst im Spiegel sieht und daraufhin ausruft: „Der da hat einen gebrochenen Fuß". Husserls These von der Metastruktur des Ich-Bewußtseins scheint also korrekt zu sein; und sie ergibt sich ohne weiteres aus der hier vertretenen indexikalischen Metaüberzeugungstheorie. Denn bei aller Allgemeinheit des cogito bezieht sich doch der indexikalische Begriff des „Selbst" offenbar immer schon auf das jeweilige Subjekt des Bewußtseins. Er liegt also, sofern er aktualisiert wird, einem (aufs Subjekt gerichteten) intentionalen Bewußtsein zugrunde. Und als solches muß das Ich-Bewußtsein laut der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie mit einer geeigneten höherstufigen Uberzeugung einhergehen: eben der Überzeugung, daß ich selbst gerade an mich selbst denke (mich selbst repräsentiere). Wird diese Überzeugung aktualisiert, so fällt das Subjekt ein Urteil genau derjenigen Sorte, die Husserl an der eben zitierten Stelle beschreibt. Das heißt nun aber nicht, daß intentionales Bewußtsein notwendigerweise aktuelles Ich-Bewußtsein voraussetzt. Während man sich nämlich leicht klarmachen kann, daß jegliches intentionales Erleben sozusagen von Haus aus Gegenwartsbewußtsein mit sich bringt (siehe oben, Kapitel 1, § 4), erscheint es wenig plausibel anzunehmen, daß man zu sich selbst „ich" sagen muß, um intentional etwas zu erleben. Im Gegenteil: Das „selbstvergessene" gedankliche Versunkensein etwa in ein theoretisches Problem ist ein vertrautes intentionales Phänomen (welches freilich erst retrospektiv oder aus der Fremdperspektive feststellbar ist). Wie steht es mit psychischen „Identitätsstörungen", bei denen Subjekte ihre eigene Existenz leugnen (Cotard-Syndrom) oder fest davon überzeugt sind, sich in jemand anderen verwandelt zu haben (umgekehrte Intermetamorphose)? Fehlt diesen Subjekten nicht, obwohl sie bewußt auf sich Bezug nehmen, wenn sie z.B. „Ich bin tot" oder „Ich bin Douglas" urteilen, die laut indexikalischer Metaüberzeugungstheorie erforderliche MetaÜberzeugung,
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wonach sie gerade an sich selbst denken (sich selbst repräsentieren)?2 Ich glaube: nein. Denn schließlich würden die fraglichen Subjekte ganz und gar nicht bestreiten — ja im Gegenteil sogar (dazu disponiert sein zu) behaupten —, daß sie sich selber meinen, wenn sie beispielsweise konstatieren, sie seien tot oder niemand anderes als Douglas. Ihre pathologischen Überzeugungen sind zweifellos abnormal und gewiß keine Selbsterkenntnisse; sie weisen aber gleichwohl eine subjektive Perspektive auf, die ohne eine MtfAzperspektive, in der das jeweilige Subjekt als soeben auf sich selbst bezugnehmend (sich selbst repräsentierend) erscheint, unmöglich bewußt realisiert sein könnte. Der Umstand, daß einige Cotard-Patienten aufhören, „ich" zu sagen, und stattdessen einen Eigennamen verwenden, um auf sich zu referieren,3 beweist keineswegs das Gegenteil. Doch selbst wenn diese Patienten außerstande wären, die erstpersonale Perspektive einzunehmen, würde - da dies abnormale Fälle wären - immer noch das folgende kontrafaktische Konditional gelten: Wenn ein solches Subjekt den Ich-Begriff in seinem Repertoire hätte, dann wäre das Subjekt, wann immer es sich in einem Zustand des Ich-Bewußtseins befindet, allemal zu dem Urteil disponiert, daß es gerade an sich selbst denkt (sich selbst repräsentiert). Mehr verlangt die indexikalische Metaüberzeugungstheorie aber gar nicht. Doch mit welchem Recht darf man eigentlich davon ausgehen, daß Episoden des Ich-Bewußtseins sich, wenn sie vorliegen, intentional auf einen Gegenstand beziehen? In der jüngeren Vergangenheit waren es Ludwig Wittgenstein und Elisabeth Anscombe, die das „Dogma" in Zweifel gezogen haben, daß der Ausdruck „ich" in allen (Wittgenstein) beziehungsweise auch nur in einigen (Anscombe) Fällen als Gegenstandsbezeichnung fungiert. Wittgenstein ging es dabei speziell um den Gebrauch des Wortes „ich" im Rahmen der Selbstzuschreibung eines Erlebnisses — also dessen, was jedenfalls auf den ersten Blick ganz nach einem indexikalischen Metaurteil beziehungsweise seiner sprachlichen Kundgabe aussieht. Anscombes Argument unterliegt keiner derartigen Beschränkung. Wenn auch nur eines dieser beiden Argumente erfolgreich ist, dann bezieht der mit „ich" im Zuge einer Selbstzuschreibung ausgedrückte Begriff des ich selbst,
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welcher dem Ich-Bewußtsein zugrundeliegt, sich nicht einmal seinem Anspruch nach auf einen Gegenstand — sei dieser Gegenstand nun ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Cartesisches Ego oder irgendetwas anderes. Obwohl dies die vorderhand wenig attraktive Konsequenz nach sich ziehen würde, daß es „subjektive Befindlichkeiten ohne ein befindliches Subjekt"4 gibt, möchte ich diese Argumente einmal unter die Lupe nehmen. Denn vor dem Hintergrund der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie konfligieren sie offensichtlich mit der These von der Intentionalität des Ich-Bewußtseins. (i) Wittgensteins Argument für die These, daß „ich" im Rahmen der Selbstzuschreibung eines Erlebnisses nicht bezeichnet, läßt sich der nachfolgenden Passage aus The Blue Book entnehmen. There are two different cases in the use of the word ,Γ (or »my*) which I might call ,the use as object' and ,the use as subject'... The cases of the first category involve the recognition of a particular person, and there is in these cases the possibility of an error, or as I should rather put it: The possibility of an error has been provided for ... It is possible that, say in an accident, I should feel a pain in my arm, see a broken arm at my side, and think it is mine, when really it is my neighbour's. And I could, looking into a mirror, mistake a bump on his forehead for one on mine. On the other hand, there is no question of recognizing a person when I say I have a toothache. To ask ,are you sure that it's you who have pains?' would be nonsensical ... And now this way of stating our idea suggests itself: that it is impossible that in making the statement ,1 have a toothache' I should have mistaken another person for myself, as it is to moan with pain by mistake, having mistaken someone else for me. To say, ,1 have pain' is no more a statement about a particular person than moaning is. ,But surely the word „I" in the mouth of a man refers to the man who says it; it points to himself ...'. But it was quite superfluous to point to himself. (Ludwig Wittgenstein, The Blue and Brown Books, Oxford: Blackwell 1958, S. 66 f.)5
Ich lege mir diese Überlegung folgendermaßen zurecht. Manche „ich"-Aussagen beruhen auf keinem identifikatorischen Wissensanspruch („ich = a", wobei „a" Φ „ich") und sind dementsprechend immun gegen das Risiko der Fehlidentifikation - namentlich vermeintliche Selbst^uschreibungen von (gegenwärtigen) Erlebnissen wie z.B. „Ich habe Zahnschmerzen".6 Hier wird das Wort „ich"
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seinem „Subjekt-Sinne" verwendet: Es macht in diesen Fällen keinen Sinn, den Sprecher zu fragen: „Bist du sicher, daß du es bist, der (Zahnschmerzen hat)?". Solche Aussagen haben daher eigentlich keine andere Pointe als unartikulierte Erlebnisbekundungen (Beispiel: der Sprecher hält sich die Backe und ruft „Aua!"); denn eine Bezugnahme auf den Sprecher wäre hier wie dort „ganz überflüssig". Sie handeln folglich ebensowenig von einer Person wie beispielsweise ein Schmerzensschrei. Darin unterscheiden sie sich von Aussagen, in denen das Wort „ich" in seinem „Objekt-Sinne" verwendet wird und die daher nicht gegen das Risiko der Fehlidentifikation gefeit sind. Die Aussage „Ich habe eine Beule auf der Stirn" wäre ein Beispiel. Sie handelt von einer Person aus Fleisch und Blut, nämlich vom Sprecher, und es ist möglich, daß dieser mit seiner Aussage deshalb falsch liegt, weil er sich mit einer Person verwechselt, von der er (möglicherweise zu Recht) glaubt, daß sie eine Beule auf der Stirn hat. Problematisch erscheint mir an diesem Gedankengang allemal die Prämisse, daß im Rahmen einer Aussage nur dann sinnvollerweise auf ein Objekt Bezug genommen wird, wenn der Sprecher mit seiner Aussage ein Verwechslungsrisiko bezüglich des fraglichen Objekts eingeht. Wenn dem so wäre, dann könnte man mit gleichem Recht argumentieren, daß selbstlokalisierende temporal- und spatial-indexikalische Aussagen wie „Jetzt regnet es" beziehungsweise „Hier regnet es", deren Sachbezug jedenfalls prima fade automatisch durch die jeweilige Raum-Zeit-Position des Sprechers fixiert wird, nicht wirklich von etwas handeln. Denn auch in diesen Fällen macht es keinen Sinn, den Sprecher mit Blick auf den Zeitpunkt beziehungsweise den Ort, in bezug auf den er seine Aussage macht, so etwas zu fragen wie: „Bist du sicher, daß es tatsächlich jetyt regnet?", „Bist du sicher, daß es tatsächlich hier regnet?". Die betreffende Aussage ist nämlich nicht dem Risiko der Fehlidentifikation dieses Zeitpunktes beziehungsweise dieses Ortes durch den Sprecher ausgesetzt: Wenn er mit seiner Aussage falsch liegt, dann nicht deshalb, weil er einer Verwechslung unterliegt. (Genau aus diesem Grunde bestreitet Wittgenstein im vorstehenden Zitat, daß „Ich habe Zahnschmerzen" vom Sprecher handelt.) Nun handelt diese Aussage aber doch gewiß von dem Zeit-
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punkt beziehungsweise dem Ort, in bezug auf den sie gemacht wird, und die fragliche indexikalische Bezugnahme ist beileibe nicht überflüssig. (Man denke, um sich dies zu vergegenwärtigen, an Situationen wie die folgende. Otto telefoniert mit Emma. Die beiden unterhalten sich über die gegenwärtige Wetterlage an verschiedenen Orten, und Otto teilt Emma mit: „Hier regnet es".) Mithin geht Wittgenstein in seinem ich-skeptischen Gedankengang von einer verkehrten Prämisse aus.7 (ii) Anscombes Argument8 für ihre These, daß „ich" generell nicht bezeichnet, findet sich in dem 1975 erschienenen Aufsatz ,The first person'. Dieser Aufsatz ist geradezu berüchtigt für die Verschlungenheit seiner Argumentation.9 Es erscheint deshalb angebracht, den einschlägigen Textpassus in extenso zu zitieren: It seems clear that if ,Γ is a „referring expression" at all, it has both kinds of guaranteed reference. The object an ,Γ-user means by it must exist so long as he is using ,Γ, nor can he take the wrong object to be the object he means by ,Γ ... Let us ... ask ... how reference to the tight object could be guaranteed ... It seems, then, that this reference could only be sure-fire if the referent were both freshly defined with each use of ,Γ, and also remained in view so long as something was being taken to be I ... [I]t seems to follow that what ,Γ stands for must be a Cartesian Ego. For, let us suppose that it is some other object. A plausible one would be this body. And now imagine that I get into a state of „sensory deprevation". Sight is cut off, and I am locally anaesthetized everywhere, perhaps floated in a tank of tepid water; I am unable to speak, or to touch any part of my body with any other. Now I tell myself, ,1 won't let this happen again!' If the object meant by ,Γ is this body, this human being, then in these circumstances it won't be present to my senses; and how else can it be .present' to me? But have I lost what I meant by ,Γ? Is that not present to me? ... I have not lost my „self-consciousness"; nor can what I mean by ,Γ be an object no longer present to me. This both seems right in itself, and will be required by the „guaranteed reference" that we are considering. Like considerations will operate for other suggestions. Nothing but a Cartesian Ego will serve ... Thus we discover that, if ,Γ is a referring expression, then Descartes was tight about what the referent was. His position has, however, the intolerable difficulty of requiring an identification of the same referent in different ,Ι'-thoughts. (Elizabeth Anscombe, ,The first person', wiederabgedruckt in: Quassim Cassam, Hrsg., Self-Knowledge, Oxford: Oxford University Press 1994, S. 140-159; S. 151 ff.)
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Versuchen wir, in diese Ausführungen etwas Ordnung zu bringen.1" Anscombe geht hypothetisch von einer in zweifachem Sinne „garantierten Referenz" des Ausdrucks „ich" aus: (PI) Wenn „ich" ein singulärer Term (eine Gegenstandsbezeichnung) ist, dann gilt: Die Bezugnahme, die ein gegebener Sprecher/Denker mit „ich" vollzieht, kann unmöglich daran scheitern, daß der Referent (das Bezugsobjekt) zum Zeitpunkt der Bezugnahme nicht existiert. (P2) Wenn „ich" ein singulärer Term ist, dann gilt: Die Bezugnahme, die ein gegebener Sprecher/Denker mit „ich" vollzieht, kann unmöglich daran scheitern, daß der Sprecher/ Denker den Referenten mit einem anderen Gegenstand verwechselt. Beide Annahmen halte ich für ausgesprochen plausibel, ja geradezu evident. Ein Sprecher/Denker, der mit „ich" eine (normale) Bezugnahme vollzieht, bezieht sich ipso facto auf sich selbst;11 und diese Bezugnahme hängt natürlich in ihrer (a) Existenz und (b) Identität vom jeweiligen Sprecher/Denker ab, denn: (a) keine Bezugnahme ohne Sprecher/Denker; (b) zwei Sprecher/Denker können unmöglich numerisch dieselbe Bezugnahme vollziehen. Somit verbürgt der Vollzug dieser Bezugnahme die Existenz des Sprechers/Denkers, und sie bezieht sich auf niemand anderen als ihn selbst. (Daran können auch etwaige Irrtümer des Sprechers/ Denkers darüber, wer er selbst ist, nichts ändern.) Die Annahmen (PI) und (P2) treffen also offenbar zu. Anscombe argumentiert weiter: (Cl) Also (wegen (PI) und (P2)): Wenn „ich" ein singulärer Term ist, dann gilt: (1) Die Bezugnahme, die ein gegebener Sprecher/Denker mit „ich" vollzieht, liefert automatisch das Bezugsobjekt („the referent [is] freshly defined with each use of ,Γ"); (2) der Sprecher/Denker behält dieses Objekt solange „im Blick" — es ist ihm solange „präsent" —, wie er den (seiner Bezugnahme zugrundeliegenden) Begriff des ich selbst anwendet („[the referent] remain[s] in view as long as something [is] taken to be 7"; „nor can what I mean by ,Γ be an object no
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longer present to me. This ... will be required by the ,guaranteed reference' that we are considering"). Daß Teil (1) dieser Schlußfolgerung aus (PI) und (P2) folgt, ist sicher: Wenn sich ein Sprecher/Denker mit „ich" stets erfolgreich auf ein bestimmtes Objekt, und zwar auf das richtige Objekt (nämlich sich selbst) bezieht, dann stellt eine solche Bezugnahme jedesmal automatisch das Bezugsobjekt bereit (nämlich niemand anderen als den Sprecher/Denker selbst). Was Teil (2) von (Cl) betrifft, so ist zunächst einmal unklar, welche Art von „Anwesenheit" des hypothetischen Referenten von „ich" Anscombe hier vorschwebt. Fest steht, daß es sich dabei um eine intentionale Relation handeln soll: der Referent ist dem jeweiligen Sprecher/Denker in irgendeiner Weise gegeben. Die Rede vom „Im-Blick-haben" deutet darauf hin, daß Anscombe hier an intentionale Erlebnisse denkt - Episoden des IchBewußtseins. An einer Parallelstelle spricht Anscombe denn auch davon, daß „presence" soviel besagen soll wie „presence to consäousness"}2 Erläuternd fugt sie hinzu: But NB, here ,presence to consciousness' means physical or real presence, not just that one is thinking of the thing. For, if the thinking did not guarantee the presence, the existence of the referent could be doubted. (Anscombe, ,The first person', S. 149)
Das bedeutet meines Erachtens nicht, daß der jeweilige Sprecher/ Denker den Referenten von „ich" sinnlich wahrnehmen muß.13 Ich denke, die Rede von der „leibhaftigen oder wirklichen Anwesenheit" des Referenten ist im vorliegenden Zusammenhang abstrakter zu verstehen. Denn an dieser Stelle des Arguments - i.e. (Cl) — ist ja noch keineswegs ausgemacht, ob „ich" gegebenenfalls ein physisches Objekt oder vielmehr ein Cartesisches Ego bezeichnet; zu dem entsprechenden Schluß gelangt Anscombe erst später (siehe unten, C3 sowie P5). Und lediglich Körper (sowie Ereignisse) können sinnlich wahrgenommen werden. Deshalb kann in Teil (2) von (Cl) nur gemeint sein, daß der jeweilige Sprecher/Denker sich des Referenten solange, wie er den Begriff ich selbst anwendet, in einer Weise bewußt ist, die keinen Irrtum in der Frage zuläßt, ob eben dieser Referent jetzt (immer noch) existiert; eine solche Ge-
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währ bietet einem das „bloße Denken an" etwas in absentia nicht. So verstanden, folgt Teil (2) von (Cl) in der Tat aus (PI) und (P2): Wenn der jeweilige Sprecher/Denker bei „ich" automatisch an das richtige Objekt denkt, dann verbürgt die fortwährende Anwendung des diesem Denken zugrundeliegenden Konzepts, daß der Sprecher/Denker dabei gegen das Risiko gefeit ist, im Zuge seiner entsprechenden „Ich"-Gedanken das falsche Objekt herauszugreifen oder gar gedanklich ins Leere zu schießen. An Anscombes erstem Teil-Argument (PI) bis (Cl) ist demnach (allen entgegengesetzten Versicherungen in der Sekundärliteratur zum Trotz) sachlich nichts auszusetzen. Betrachten wir ihren weiteren Argumentationsgang. (P3) Menschliche Körper (Leiber) können allenfalls im Modus der sinnlichen Wahrnehmung „präsent" sein. (C2) Also (wegen Cl und P3): Wenn „ich" (im Munde beziehungsweise im Bewußtsein eines Sprechers/Denkers) einen menschlichen Körper bezeichnet, dann nimmt der Sprecher/ Denker seinen Körper solange sinnlich wahr, wie er den (seiner Bezugnahme zugrundeliegenden) Begriff ich selbst anwendet. (P4) Wie das Beispiel des sensorisch deprivierten (i.e. seiner Sinne beraubten) und gleichwohl ich-bewußten Subjekts zeigt, nimmt ein Sprecher/Denker, der eine „ich"-Bezugnahme vollzieht, seinen Körper nicht in jedem Falle solange sinnlich wahr, wie er den (seiner Bezugnahme zugrundeliegenden) Begriff ich selbst anwendet. (C3) Also (wegen C2 und P4): Wenn „ich" ein singulärer Term ist, dann bezeichnet „ich" (im Munde beziehungsweise im Bewußtsein eines Sprechers/Denkers) keinen menschlichen Körper. (P5) Der einzige verbleibende Kandidat für den Status des Referenten von „ich" (im Munde beziehungsweise im Bewußtsein eines Sprechers/Denkers) ist das Cartesische Ego (die immaterielle Seele) des Sprechers/Denkers. (P6) Da dem Sprecher/Denker keine effektiven Mittel zur Identifikation seines Cartesischen Ego über verschiedene
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„ich"-Gedanken hinweg zur Verfugung stehen, kann er sich mit „ich" nicht auf ein solches Ego beziehen.14 (C4) Also (wegen C3 bis P6): „ich" ist kein singulärer Term. Diese Überlegung bietet Cartesianern und Anti-Cartesianern, denen Anscombes Schlußfolgerung (C4) suspekt erscheint, eine Reihe von Angriffspunkten. Ich will mich hier auf die Seite der AntiCartesianer schlagen, und zwar aus folgender Erwägung heraus. Der Begriff ich selbst bezeichnet keine immaterielle Seele, sondern vielmehr eine Person im Strawonschen Verstände dieser Vokabel: ein leibliches Bewußtseinssubjekt, also einen Träger sowohl physischer Prädikate („wiegt anderthalb Zentner") als auch „personaler" - i.e. spezifisch leiblicher („hat Hände"), habitueller („ist gutmütig") und im engeren Sinne psychischer („denkt an den Sommerurlaub") - Prädikate.15 Wenn wir „ich" sagen, meinen wir (d.h. jeder von uns für sich) daher eine mit Bewußtsein ausgestattete Kreatur aus Fleisch und Blut. Betrachten wir, um dies zu sehen, erneut Anscombes Szenario. Noch im Zustand sensorischer Deprivation sind wir uns im Ich-Bewußtsein (in dem jeweils eine Instanz des Begriffs des „Selbst" zur Anwendung kommt) als relativer Mittelpunkt von (a) Raum und (b) Zeit bewußt;16 denn: (a) Wie wir uns gerade in beziehungsweise mit Blick auf einen solchen privativen Zustand vergegenwärtigen können, konzipieren wir unseren eigenen Leib je schon als ein (normalerweise) nach „links", „rechts", „oben", „unten", „vorne", „hinten", „nah" und „fern" auszurichtendes Wahrnehmungs- und Handlungsorgan; entsprechend nehmen wir eine egozentrische Perspektive auf die uns umgebende räumliche Welt ein.17 Diese Perspektive ist aufs engste mit unserem Konzept des (eigenen) Leibes verbunden: Vorne ist (für mich), was näher an meiner „vorderen" Köperhälfte als an meiner „hinteren" ist; links, was näher an meiner „linken" als an der „rechten" Körperhälfte ist, usw.; und woran sollten wir diese Unterscheidungen ihrerseits festmachen, wenn nicht an der relativen Lage verschiedener (eigener) Körperteile wie z.B. den Augen oder dem Rücken? Bei Lichte besehen, sind die egozentri-
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sehen Kategorien, mit deren Hilfe wir uns wahrnehmend und handelnd in der räumlichen Welt orientieren, begrifflich auf den eigenen Leib bezogen. In Kapitel 3 wird dies mit Blick auf die konstitutive Rolle des intersubjektiven Bewußtseins fur unser Eigenleib-Bewußtsein noch deutlicher werden, (b) Wie bereits die Erwägungen über das indexikalische Gegenwartsbewußtsein in Kapitel 1 (§ 4) gezeigt haben, gilt Ähnliches auch für unsere Perspektive auf die temporale Dimension der raumzeitlichen Welt: Wir konzipieren die Reihe der Zeitmomente zunächst und zumeist unter den subjektiven Aspekten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; wobei unser jeweiliges Jetzt-Bewußtsein - oder besser: der in diesem Bewußtsein zur Anwendung kommende Begriff der Gegenwart — gleichsam den Nullpunkt des so „konstituierten" indexikalischen temporalen Koordinatensystems bildet. Auf Punkt (a) kommt es im gegenwärtigen Zusammenhang an. „Ich" bezeichnet danach allemal ein leibliches Bewußtseinssubjekt, will sagen: so konzipieren wir uns selbst, sofern wir eine egozentrische Perspektive auf die uns umgebende räumliche Welt einnehmen (mehr dazu unten, Kapitel 3). Daran vermag auch die theoretische Möglichkeit nichts zu ändern, daß dieses Selbstverständnis an den Tatsachen vorbeigeht und unser Eigenleib (ganz zu schweigen von den Leibern anderer Bewußtseinssubjekte) in Wahrheit nicht existiert. Diese Möglichkeit mag nicht mit absoluter Gewißheit auszuschließen sein. Daß sie wirklich realisiert ist, glauben wir aber sicher nicht — ganz im Gegenteil; denn de facto orientieren wir uns sehr wohl in egozentrischer Manier (siehe oben, Punkt a) und im Wissen um unsere eigenleiblichen Verhaltensmöglichkeiten. Anscombes Horrorszenario, das von der Voraussetzung lebt, daß wir den Verlust der Wahrnehmung und Kontrolle über unseren eigenen Leib als defizitär empfinden, trägt nur dazu bei, dies zu verdeutlichen. (Offen bleibt dabei jedoch, wie sich leibliche Bewußtseinssubjekte zu den Elementen einer objektiven raumzeitlichen Welt verhalten. Ich werde diese Frage in Kapitel 3 wieder aufnehmen.)
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Inzwischen dürfte deutlich geworden sein, welche Voraussetzung Anscombes ich zurückweise: die Prämisse (P5). Es gibt auch im Lichte von Anscombes Teil-Argument (PI) bis (Cl) neben dem menschlichen Körper und dem Cartesischen Ego meines Erachtens sehr wohl einen weiteren ernstzunehmenden Anwärter auf den Status des Referenten von „ich", und zwar das leibliche Bewußtseinssubjekt. Wenn nämlich der Cartesische Skeptizismus bezüglich der Existenz der leiblichen Komponente eines solchen Subjekts verkehrt ist, dann gilt: Das leibliche Subjekt ist sich selbst im Zuge einer Abfolge von Episoden des Ich-Bewußtseins, in denen fortwährend derselbe Begriff des ich selbst angewandt wird, in einer Weise bewußt, die keinen Irrtum in der Frage zuläßt, ob eben dieses Subjekt jetzt (immer noch) existiert. (Denkt eine Person während einer gewissen Zeitspanne stetig unter dem mit „ich" in ihrem Munde ausgedrückten Aspekt an sich, so beziehen sich ihre entsprechenden „ich"-Gedanken ja automatisch auf sie selbst, und die betreffenden Selbstbezugnahmen können dann — immer unter der Voraussetzung, daß der Skeptiker unrecht hat — unmöglich an der Nichtexistenz des Referenten scheitern.) In diesem zugegebenermaßen äußerst formalen, aber im Zusammenhang mit (Cl) entscheidenden Sinne ist das leibliche Subjekt sich selbst im Ich-Bewußtsein immer schon „präsent" — sofern der Cartesische Leibes-Skeptizismus falsch ist. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, daß ein ich-bewußtes, jedoch sensorisch depriviertes Subjekt seinen eigenen Leib nicht aktuell wahrzunehmen vermag. „Präsenz" besagt hier eben nicht dasselbe wie „anschauliches Gegebensein". Nun sind aber Substanz-Dualis ten, allen voran Descartes selbst, durchaus bereit zuzugestehen, daß es einen Sinn des Wortes „ich" gibt, dem zufolge „mein ganzes Ich ... aus Körper und Geist zusammengesetzt ist".18 Darüber hinaus gibt es jedoch, so Descartes, einen — metaphysisch grundlegenderen — Sinn von „ich", in dem dieses Wort ausschließlich ein immaterielles Bewußtseinssubjekt bezeichnet. Diese Voraussetzung, die auch dem Cartesischen LeibesSkeptizismus zugrundeliegt, ist meines Erachtens unhaltbar, und zwar aus dem in Anscombes Prämisse (P6) angesprochenen
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Grunde: Dem jeweiligen Sprecher/Denker stehen keine Kriterien zur Identifikation seiner immateriellen Seele über verschiedene „ich"-Gedanken hinweg zur Verfügung. Eine Begründung für dieses Verdikt bleibt uns Anscombe allerdings schuldig. Man kann sich jedoch klarmachen, daß sie recht hat, wenn man sich einmal überlegt, wie sich eigentlich aus der „ich"-Perspektive die Annahme rechtfertigen läßt, daß das logische Subjekt (das Worüber) zweier „ich"-Gedanken, die man beide auf sich selbst bezieht, tatsächlich identisch ist. Dabei zeigt sich nämlich, daß erst das psycho-physische Kriterium „Ein lebendiger Menschenkörper (oder menschenähnlicher Körper), ein Subjekt" die fragliche Rechtfertigung ermöglicht. Mehr dazu in Kapitel 3, § 8. Wenden wir uns nach diesen Erwägungen über die Intentionalität des Ich-Bewußtseins einem verwandten Anwendungsbereich der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie zu: der Problematik der synchronen beziehungsweise diachronen Einheit intentionalen Bewußtseins. Aus Sicht der Metaüberzeugungstheorie lassen sich die hierher gehörigen Fragen am besten aus der „ich"-Perspektive untersuchen. Schließlich handelt es sich bei den relevanten MetaÜberzeugungen ja um „ich"-Uberzeugungen.
§ 2. Das Problem der synchronen Bewußtseinseinheit Beginnen wir mit der Frage nach der synchronen Bewußtseinseinheit: Welche Bedingungen müssen vorliegen, damit meine zu einer gegebenen Zeit t stattfindenden intentionalen Erlebnisse / und j zum selben Bewußtsein gehören? Die wohl geläufigste Antwort auf diese Frage geht auf Kants Lehre „von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption" zurück. In dem gleichnamigen Paragraphen der Kritik der reinen Vernunft heißt es: Der Gedanke: diese in der Anschauung gegebene Vorstellungen gehören mir insgesamt zu, heißt ... so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie wenigstens darin vereinigen, und ... nur
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„Ich"und die Einheit des Bewußtseins dadurch, daß ich das Mannigfaltige [der Vorstellungen] in einem Bewußtsein begreifen kann, nenne ich dieselbe insgesamt meine Vorstellungen ... Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen, und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt ... werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes ... (Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 134 f.)
Diese und parallele Textstellen legen das folgende Kantianische Räsonnement betreffs der synchronen Bewußtseinseinheit nahe.19 Auf meine gegenwärtigen intentionalen Erlebnisse („Vorstellungen") reflektierend, finde ich unter Umständen eine Vielzahl solcher Erlebnisse gleichzeitig vor, beispielsweise mein Urteil, daß p, und mein Urteil, daß q. Ich kann dann sowohl (1) als auch (2) konstatieren: (1) Ich urteile, daß p.2{) (2) Ich urteile, daß q. Aber wie ist es möglich und zu verstehen, daß das in (1) beschriebene Bewußtseinssubjekt mit dem in (2) beschriebenen identisch ist, so daß (wie unser Kantianer folgert) die beiderseits zugeschriebenen Urteilsepisoden ein und demselben bewußtseins ström gehören? Anders gewendet: Welche Bedingungen müssen vorliegen, damit ich über (1) und (2) hinaus auch Folgendes sagen kann? (3) Ich, der ich urteile, daß p, bin derselbe wie ich, der ich urteile, daß q. Die folgende Kantianische Antwort bietet sich an: Um (3) zu Recht konstatieren zu können (Kant spricht im positiven Falle von „analytischer Einheit der Apperzeption"), muß es mir möglich sein, die in (1) und (2) zugeschriebenen Erlebnisse „in einem Selbstbewußtsein" zu „vereinigen" und sie damit hinsichtlich ihrer „Gegenstände" zu „verbinden", also das folgende Metaurteil zu fällen („synthetische Einheit der Apperzeption"): (4) Ich urteile, daß p und q. Unserem Kantianer zufolge folgt aus (1), (2) und (4) mit anderen Worten (3) - und damit (so der Kantianer) die synchrone Einheit meines Bewußtseins. Entscheidend dafür ist die Möglichkeit, die Gegenstände (hier: die geurteilten Sachverhalte) der betreffenden Erlebnisse „apperzeptiv", i.e. in einem aus der „ich"-Perspektive
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gefällten einheitlichen Metaurteil (nämlich (4)), miteinander zu verbinden. „Analytische Einheit" eines Subjekts in der „Apperzeption" beruht demnach auf „synthetischer Einheit" gewisser Objekte - und nicht umgekehrt. Die modale Abschwächung, der zufolge es mir möglich, ich also disponiert sein muß, die Gegenstände zweier simultan im selben Bewußtseinsstrom befindlichen Erlebnisse „apperzeptiv" miteinander zu verbinden, ist wichtig. Fehlte sie, würde also der Kantianer für die synchrone Bewußtseinseinheit etwa zweier Urteile, daß p beziehungsweise q, ein aktuelles Urteil der Sorte „Ich urteile, daß p und q" verlangen, so wäre der Kantianische Vorschlag sofort einem meines Erachtens vernichtenden Einwand ausgesetzt: Er führte dann zu einem infiniten und, wie mir scheint, bösartigen Regreß.21 Nehmen wir, um dies zu sehen, einmal an, ich urteile, daß p und daß {p und q). Nach dem in Rede stehenden „aktualistischen" Vorschlag folgt hieraus, daß ich zugleich auch urteile, daß (p und (p und q)), woraus diesem Vorschlag zufolge wiederum folgt, daß ich gleichzeitig urteile, daß (p und (p und q) und (p und (p und q))), usw., ad infinitum. Die These, daß eine solche unendliche Reihe simultaner Urteile im menschlichen Gehirn realisierbar ist, wurde bereits in Kapitel 1 (§ 2) aus empirischen Gründen zurückgewiesen (Stichwort: Einwand von der kognitiven Uberbelastung). Sie ist obendrein auch phänomenologisch (gelinde gesagt) unplausibel. Denn schließlich sind Urteile Episoden des Bewußtseins; und ich denke gewiß nicht jedesmal bewußt eine infinite Reihe von zunehmend komplexen Gedanken, wenn ich die beiden Urteile fälle, daß p und daß (p und q). Doch selbst in der vorliegenden, modal abgeschwächten Form birgt der Vorschlag des Kantianers meines Erachtens ein gravierendes Problem. Es hat nämlich ganz den Anschein, als setzte ich die Wahrheit von (3) schon implizit voraus, wenn ich sowohl (1) als auch (2) behaupte. Schließlich nehme ich in beiden Fallen aus der „ich"-Perspektive auf mich Bezug; und daß ich niemand anderes bin als ich selbst, steht dabei für mich doch wohl von vornherein fest. Wieso sollte ich also noch der zusätzlichen Prä-
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misse (4) bedürfen, um zu (3) gelangen und mich so der synchronen Einheit meines Bewußtseins zu vergewissern? Da nicht zu sehen ist, wie unser Kantianer dieser Schwierigkeit Herr zu werden vermag, sollten wir uns auf die Suche nach einer alternativen Erklärung der synchronen Bewußtseinseinheit begeben. Dabei müssen wir uns freilich davor hüten, das (Kantische) Kind mit dem Bade auszuschütten. Daß die gesuchte Erklärung auf unser „apperceptives" Urteilsvermögen - unsere Fähigkeit, Metaurteile des Typs „Ich habe das-und-das (beziehungsweise die-und-die) intentionale(n) Erlebnis(se)" zu fallen — rekurrieren muß, darauf legt uns ja schon die indexikalische Metaüberzeugungstheorie fest. Schließlich handelt es sich ihr zufolge bei den für intentionales Bewußtsein konstitutiven Metaüberzeugungen um Dispositionen, bestimmte „apperzeptive" Metaurteile zu fällen. Welche konstitutive Rolle spielen solche „apperzeptiven" MetaÜberzeugungen für die synchrone Einheit unseres Bewußtseins? Es empfiehlt sich, zur Beantwortung dieser Frage einmal das Phänomen der temporären Β ewuß t s ein s auf Spaltung, also der zeitweiligen Verdoppelung synchroner Bewußtseinseinheit(en), zu betrachten. Angeregt durch psychologische Experimente, in denen die Gehirnhälften (genauer gesagt: die oberen Hemisphären) schizophrener Patienten durchtrennt werden, um „zwei separate Bewußtseinssphären" oder „Bewußtseinsströme" (Sperry) zu generieren,22 hat Parfit ein fiktives Beispiel beschrieben, das mir besonders geeignet erscheint, dieses Phänomen vor den Blick zu bringen.23 (Eine kurze Vorbemerkung: Das Beispiel lebt von der Voraussetzung, daß wir es bei seinem Protagonisten durchweg mit ein und demselben Subjekt zu tun haben. Der Leser möge diese Voraussetzung einmal mitmachen; sie wird später noch rational untermauert werden.) Mit der rechten Gehirnhälfte sehen wir (vereinfacht gesprochen) unser linkes Gesichtsfeld und kontrollieren die Bewegungen unserer linken Hand, während die linke Gehirnhälfte für das rechte Gesichtsfeld und die Bewegungen der rechten Hand zuständig ist. Angenommen, ich schreibe an einer Phy-
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sik-Klausur. Ich habe nur noch 15 Minuten Zeit, um eine schwierige Aufgabe zu lösen. Mir schweben zwei verschiedene (und evidentermaßen inkompatible) Lösungswege vor. Ich weiß nicht, welcher Weg zur richtigen Lösung führt. Glücklicherweise haben mich Wissenschafder mit einer Vorrichtung ausgestattet, die es mir gestattet, durch Heben der Augenbrauen meine Gehirnhälften solange zu trennen, bis ich die Augenbrauen erneut hebe. Dies ermöglicht es mir, beide Lösungswege 10 Minuten lang gleichzeitig zu verfolgen, um in den restlichen 5 Minuten die bessere Lösung auswählen zu können. Die rechte Hand schreibt die in der linken Gehirnhälfte entwickelte Lösung auf, die linke Hand die in der rechten Gehirnhälfte entwickelte. Dabei sehe ich in meinem rechten Gesichtsfeld, wie die linke Hand eine Lösung niederschreibt, ohne daß ich mir in der linken Gehirnhälfte der entsprechenden Erlebnisse (des Rechnens und Schreibens) in der rechten Gehirnhälfte bewußt wäre. (Für die andere Gehirnhälfte gilt mutatis mutandis dasselbe.) Nach 10 Minuten verbinde ich die beiden Gehirnhälften wieder. Meine beiden Bewußts eins ströme aus den vergangenen 10 Minuten fließen wieder zusammen, und ich kann mich plötzlich an die Erlebnisse aus beiden Gehirnhälften erinnern. Die (erfolgreich verlaufenen) Experimente, an die Parfit anknüpft, sprechen dafür, daß dieses Szenario durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Das Beispiel verdeutlicht, daß Selbigkeit des leiblichen Bewußtseinssubjekts (hier: des offenbar durchweg identischen Referenten von „ich" — eben des Prüflings), dem eine Anzahl von Erlebnissen (hier: Erlebnissen des Rechnens und Schreibens) zukommen, keineswegs Selbigkeit der Bewußtseinsströme impliziert, zu denen die fraglichen Erlebnisse gehören. Das Bewußtseinsleben eines Subjekts gleicht demnach manchmal, um eine Formulierung Parfits zu gebrauchen, weniger einem Kanal, als vielmehr einem Fluß, der sich gelegentlich in separate Ströme aufteilt.24 Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, lassen sich hieraus keine Funken für einen weiteren Einwand gegen die Kantia-
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nische Theorie der synchronen Bewußtseinseinheit schlagen. Unser Kantianer setzt zwar voraus, daß man sich mit einem wahren Identitätsurteil bezüglich des Subjekts zweier simultaner Erlebnisse der Identität des Bewußtseinsstromes vergewissern kann, dem diese Erlebnisse zugehören. Er denkt dabei jedoch ausschließlich an Identitätsurteile, die - wie z.B. (3) - aus der „ich "-Perspektive gefällt werden. Und ein solches Urteil verbürgt, wenn es wahr ist und tatsächlich gefällt wird, sehr wohl die synchrone Einheit des Bewußtseinsstroms, zu dem die Erlebnisse, von denen das betreffende Urteil handelt, gehören: Wenn ich erkenne, daß ich, der ich (beispielsweise) urteile, daß p, niemand anderes bin als ich, der ich urteile, daß q, dann erkenne ich zugleich, daß ich sowohl urteile, daß py als auch, daß q. Und dies stellt sicher, daß meine beiden Urteile, daß p beziehungsweise q, zum selben Bewußtseinsstrom gehören. Wenn ich etwa in Parfits Physik-Klausur 14 Minuten vor Schluß erkannt hätte, daß ich gerade im Zusammenhang mit Lösungsweg Λ p, in Zusammenhang mit Lösungsweg Β dagegen urteile, dann wäre es mir eine Minute zuvor (zum Zeitpunkt, da ich meine Augenbrauen hob) nicht wirklich gelungen, mein Bewußtsein in zwei separate Ströme zu teilen. Parfit schlägt daher die folgende Theorie der synchronen Bewußtseinseinheit vor: ... what unites my experiences in my right-handed stream is that that there is, at any time, a single state of awareness of these various experiences ... At the same time, there is another state of awareness of the various experiences in my left-handed stream. My mind is divided because there is no single state of awareness of both of these sets of experiences. (Parfit, Reasons and Persons, S. 250)
Positiv gewendet besagt dies, daß zwei simultane Erlebnisse genau dann zum selben Bewußtseinsstrom gehören, wenn sie beide Gegenstand desselben „apperzeptiven" Metaurteils („Ich habe gerade die-und-die Erlebnisse") sind. Hier droht nun allerdings abermals ein infiniter Regreß, denn das fragliche Metaurteil muß doch wohl ebenso zu einem (und vermutlich zum selben) Bewußtseinsstrom gehören wie die Erlebnisse, von dem es handelt; es muß also seinerseits Gegenstand eines höherstufigen Urteils sein, usw., ad infinitum.
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Die indexikalische Metaüberzeugungstheorie vermeidet diesen Regreß dadurch, daß sie lediglich das Vorliegen einer geeigneten „apperzeptiven" MetaÜberzeugung, also einer entsprechenden Urteils disposition, fordert: Zwei synchrone (simultane) intentionale Erlebnisse gehören genau dann zum selben Bewußtseinsstrom, wenn sie beide Gegenstand einer (durch diese Erlebnisse motivierten) MetaÜberzeugung der Sorte „Ich habe gerade die-und-die Erlebnisse" (wobei sich der temporale Indikator speziell auf den Zeitpunkt der beiden Erlebnisse bezieht) sind, die gegebenenfalls durch ein und dasselbe Metaurteil realisiert wird. Diese metadoxastische Theorie liefert meines Erachtens die beste Erklärung der synchronen Bewußtseinseinheit beispielsweise der Erlebnisse, die in Parfits Szenario zu einem gegebenen Zeitpunkt jeweils einem Bewußtseinsstrom angehören. Sie ist nicht den oben besprochenen Einwänden ausgesetzt, die sich gegen den Kantianischen Vorschlag und gegen Parfits Metaurteilstheorie erheben lassen. Und sie zeichnet sich, wenn wir an das obige Räsonnement des Kantianers zurückdenken, überdies durch ihre relative Einfachheit aus. Nun ist synchrone Bewußtseinseinheit nach der metadoxastischen Theorie nicht transitiv. Daraus, daß die simultanen Erlebnisse i und j , j und k sowie k und / paarweise zum selben Bewußtsein gehören, folgt beispielsweise nicht, daß auch die Erlebnisse i und / demselben Bewußtseinsstrom angehören. Denn warum sollte es nicht möglich sein, daß das Subjekt dieser Erlebnisse (1) von i und j , (2) von j und k und (3) von k und l jeweils glaubt, diese Erlebnisse gerade zu haben, ohne (4) gleichzeitig disponiert zu sein, ein entsprechendes „apperzeptives" Metaurteil über i und / zu fällen? Die Antwort „Weil i , j , k und / unter diesen Umständen eben zum selben Bewußtsein gehören" ist durch die metadoxastische Theorie nicht legitimiert. Der Preis, den wir mit der Aufgabe des Prinzips der Transitivität synchroner Bewußtseinseinheit zahlen, ist meiner Ansicht nach keineswegs zu hoch. Im Lichte neuerer experimenteller Resultate aus der Neuropsychologic lassen sich nämlich Gedanken-
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experimente konstruieren, die dieses Prinzip in der Tat problematisch erscheinen lassen.25 Es handelt sich um Experimente, in denen (grob gesprochen) Patienten mit getrennten Gehirnhälften, die in ihren beiden Gesichtsfeldern mit unterschiedlichen Ziffern (z.B. „6" und „7") konfrontiert werden, mit Hilfe ihrer Hände zuerst die Frage, ob die entsprechenden Zahlen identisch sind, und später die Frage, welche Zahl größer beziehungsweise kleiner ist, beantworten sollen. Die Patienten werden der zweiten Aufgabe problemlos gerecht, sind aber seltsamerweise außerstande, die erste Aufgabe zu lösen. Wiederholungen des Experiments fuhren immer wieder zum selben irritierenden Resultat. Die Konsequenzen solcher Experimente in Hinblick auf die Frage nach der synchronen Einheit des Bewußtseins sind kontrovers.26 Sie geben jedoch Anlaß zu (wie mir scheint, durchaus kohärenten) Gedankenexperimenten wie dem folgenden. Angenommen, in der rechten Gehirnhälfte des Patienten wird die Zahl in seinem linken Gesichtsfeld bewußt als eine 6 und als kleiner wahrgenommen, während in der linken Gehirnhälfte die Zahl im rechten Gesichtsfeld bewußt als größer und als eine 7 wahrgenommen wird, derart daß gilt: Das erste Erlebnis (die ,,6"-Wahrnehmung) gehört zum selben Bewußtsein wie das zweite (die „kleiner"-Wahrnehmung), das zweite zum selben Bewußtsein wie das dritte (die „größer"-Wahrnehmung), das dritte zum selben Bewußtsein wie das vierte (die ,,7"-Wahrnehmung), aber das vierte gehört nicht zum selben Bewußtsein wie das erste. In dieser Situation besteht jeweils zwischen einzelnen intentionalen Erlebnissen des Patienten synchrone Bewußtseinseinheit, obwohl (wenn man die Gesamtheit dieser Erlebnisse ins Kalkül zieht) keine Transitivität vorliegt. Im übrigen ist auch unser Kantianer darauf verpflichtet, diesen theoretischen Preis zu zahlen: In seinen Augen gehören die Erlebnisse i und k (bei denen es sich beispielsweise um bewußte Wahnehmungen zweier verschiedener Ziffern handeln könnte) nicht zum selben Bewußtseinsstrom, sofern das Subjekt nicht disponiert ist, ihre intentionalen Gegenstände (die Ziffern bezie-
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hungsweise die entsprechenden Zahlen) „synthetisch" in einem einheitlichen Erlebnis (hier z.B. der bewußten Wahrnehmung einer Zweier-Gruppe von Ziffern) miteinander zu verbinden.
§ 3. Das Problem der diachronen Bewußtseinseinheit Wenden wir uns nunmehr der Frage nach der diachronen Bewußtseinseinheit zu: Welche Bedingungen müssen vorliegen, damit meine zu zwei verschiedenen Zeitpunkten t beziehungsweise t' stattfindenden intentionalen Erlebnisse i und j zum selben Bewußtsein gehören? Betrachten wir, um diese Frage zu beantworten, eine modifizierte Variante des Beispiels mit der Physik-Klausur. Stellen wir uns vor, die Vorrichtung zur Wiedervereinigung meiner beiden Bewußtseinsströme ist irreparabel zerstört, so daß mein Bewußtsein sich 15 Minuten vor Klausurende unwiderruflich in zwei separate Ströme teilt. Was liegt hier vor? Vom Zeitpunkt der Aufspaltung an wird es niemals mehr jemandem möglich sein, sich aus der „ ^ " - P e r spektive an beliebige Paare von Erlebnissen aus beiden BewußtseinsstrÖmen zu erinnern. Anders im Falle von Parfits ursprünglicher Version des Beispiels: Zwar kann ich während der 10minütigen Bewußtseinsspaltung kein Erinnerungsurteil des Typs „Ich hatte eben (/früher) die-und-die Erlebnisse" fällen, das sowohl von einem Erlebnis aus der linken Gehirnhälfte als auch von einem Erlebnis aus aus der rechten Gehirnhälfte handelt. Aber danach bin ich - wenigstens im Prinzip - wieder in der Lage, ein solches „apperzeptives" Urteil zu fällen, sofern ich eine entsprechende MetaÜberzeugung besitze. Die beiden Ströme haben sich nach 10 Minuten wieder vereinigt, - ä la longue sind sie Teil desselben Flusses. Deshalb fugen sich die verschiedenen Erlebnisse aus diesen Strömen, diachron betrachtet, sehr wohl in die Einheit eines Bewußtseins ein. Halten wir also fest:
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Zwei diachrone intentionale Erlebnisse gehören genau dann zum selben Bewußtseinsstrom, wenn sie beide Gegenstand einer (durch diese Erlebnisse motivierten) MetaÜberzeugung der Sorte „Ich hatte eben (/früher) die-und-die Erlebnisse" werden können, die gegebenenfalls durch ein und dasselbe Metaurteil realisiert wird. Man beachte, daß wir es hier abermals mit einer metadoxastischen Theorie zu tun haben, die sich zwanglos in den Rahmen der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie des Bewußtseins einpaßt. Eine auf den ersten Blick vielleicht überraschende Konsequenz dieser Theorie lautet, daß diachrone Bewußtseinseinheit (ebenso wie synchrone; siehe oben) nicht transitiv ist. Seien x ein Bewußtseinsstrom, der sich zu einem Zeitpunkt t endgültig in zwei Strömey und ^ aufspaltet, / ein Erlebnis, das vor / i n x stattfindet, j ein Erlebnis, das nach / inj/ stattfindet, und k ein Erlebnis, das nach t in % stattfindet. Nehmen wir ferner an, daß sich irgendwann jemand, S, aus der „ich"-Perspektive an i und j erinnern kann und sich ferner irgendwann jemand, S', aus der „ich"-Perspektive an / und k erinnern kann.27 Dann gilt: j gehört zum selben Bewußtsein wie /, für k gilt dasselbe, aber j und k gehören nicht zum selben Bewußtsein. Dieses Resultat ist in meinen Augen durchaus wünschenswert. Es reflektiert den Umstand, daß S und S' zwei verschiedene (zu t entstandene) Personen mit einem gemeinsamen Vorgänger sind — eben jenem (zu t verstorbenen) Subjekt, in dessen Geiste i stattfand. Bei (zum jeweiligen Zeitpunkt) wachen Personen bildet diachrone Bewußtseinseinheit nämlich, wie wir in Kapitel 5 sehen werden, eine notwendige Bedingung diachroner Personenidentität (Stichwort: psychisches Kriterium). Eine Person, deren Bewußtseinsleben die beschriebene intentionale Baumstruktur aufweist, kann es deshalb nicht geben.
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§ 4. Diachrone Bewußtseinseinheit und Zeitbewußtsein Zum Abschluß dieses Kapitels möchte ich verdeutlichen, daß die metadoxastische Theorie der diachronen Bewußtseinseinheit auch Licht auf die Tiefenstruktur ν on Erlebnissen wirft, die sich intentional auf (einzelne) raumzeitliche Entitäten beziehen. Als Exempel kann uns hier wiederum eine kontinuierliche Reihe bewußter Wahrnehmungen dienen, die in ihrer Gesamtheit die Wahrnehmung einer Bewegung ausmachen (vgl. oben, Kapitel 1, § 4). Husserl hat die Binnenstruktur einer solchen Wahrnehmungskomplexion meines Erachtens zutreffend als eine Form von Zeitbewußtsein beschrieben: An die „Impression" schließt sich kontinuierlich die primäre Erinnerung oder ... die Retention an ... Während eine Bewegung wahrgenommen wird, findet Moment fur Moment ein Als-Jetzt-Erfassen statt, darin konstituiert sich die jetzt aktuelle Phase der Bewegung selbst. Aber diese Jetzt-Auffassung ist gleichsam der Kern zu einem Kometenschweif von Retentionen, auf die früheren Jetztpunkte der Bewegung bezogen ... Dabei findet fortgesetzt eine Zurückschiebung in die Vergangenheit statt ... (Husserl, Vorlesungen \ur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, § 11, S. 25)
Nehmen wir der Einfachheit halber an, die Bewegungswahrnehmung setze sich aus drei aufeinander folgenden Teilwahrnehmungen Wi, W2 und W) eines sich bewegenden Dinges χ zusammen. Was die Erlebnisse Wt bis W} betrifft, so handelt es sich hier zweifellos um ein Paradebeispiel diachroner Bewußtseinseinheit. Wir können nun die metadoxastische Theorie auf dieses Beispiel anwenden, es also im Rekurs auf geeignete „apperceptive" Urteilsdispositionen beschreiben. Tun wir das, so erhalten wir eine, wie mir scheint, erhellende Analyse der vorliegenden Bewußtseinsstruktur: Zur Zeit h liegt Wi ein Gegenwartsbewußtsein sowie ein egozentrisches räumliches Bewußtsein zugrunde, derart daß das Subjekt S von W, zu ti disponiert ist, über χ zu urteilen: „Ich sehe jet^t hier das-und-das".28 Zu t2 erinnert sich S noch unmittelbar an Wt, dergestalt daß S aufgrund dieser „Retention" sowie aufgrund von W2 zu folgendem Urteil über χ disponiert ist: „Ich sah (bezie-
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hungsweise sehe) eben da und jet^t hier das-und-das". Zu t; schließlich erscheint Wi in der Erinnerung schon etwas tiefer in die Vergangenheit „zurückgeschoben" (die Erinnerung an Wt beginnt zu verblassen), gleichzeitig erinnert sich S unmittelbar an W2> so daß S aufgrund dieser beiden Erinnerungen sowie aufgrund von Wj disponiert ist, über χ zu urteilen: „Ich sah (beziehungsweise sehe) früher dort drühen und eben da und jetyt hier das-und-das". Die Gehalte dieser drei Metaurteile hängen ersichtlich miteinander zusammen. Das kontinuierliche Absinken der früheren „Jetztpunkte der Bewegung" in die Vergangenheit läßt sich beispielsweise unter Hinweis auf die stetige Anpassung der beteiligten temporal-indexikalischen Begriffe (jet^t, eben, früher) an i^'zu t? und t} jeweils geänderte kognitive Perspektive auf >r (gemäß einer für die Anwendung dieser Begriffe konstitutiven Regel) erklären. Ich komme also zu dem Schluß, daß die indexikalische Metaüberzeugungstheorie Aufschluß über die Struktur einer Reihe von Phänomenen gibt, die eine adäquate Theorie der Subjektivität nicht unberücksichtigt lassen darf: Ich-Bewußtsein, synchrone beziehungsweise diachrone Bewußtseinseinheit und Zeitbewußtsein.
Abschnitt Β: Intersubjektivität und Weltbezug
Kapitel 3: Synchrone Subjektidentität, intersubjektive Erfahrung und die Zuschreibung von Bewußtsein § 1. Exposition der Frage nach der synchronen Subjektidentität Ein wichtiger Unterschied zwischen der metadoxas tischen und der Kantianischen Theorie der synchronen Bewußtseinseinheit betrifft die Annahme der synchronen Identität des Bewußtseinssubjekts. Die metadoxas tische Theorie muß (um nicht in Richtung Kantianismus zu kollabieren) diesbezüglich folgende Voraussetzung machen. Die „analytische Einheit" eines Subjekts zweier intentionaler Erlebnisse in der „Apperzeption" (z.B. „Ich, der ich urteile, daß p, bin derselbe wie ich, der ich urteile, daß qiC) leitet sich nicht erst aus der „synthetischen Einheit" der entsprechenden Bewußtseinsgegenstände („Ich urteile, daß p und qcc) her, sondern kann von uns immer schon als unabhängig von unserem jeweiligen kognitiven Zustand gegeben präsupponiert werden. Wenn ich beispielsweise das Metaurteil „Ich urteile sowohl,, daß p, als auch, daß q" fälle, dann kann ich daraus ableiten, daß die beiden Urteile, daß p beziehungsweise q, zum selben Bewußtsein gehören, weil ich sie in dem fraglichen Metaurteil beide auf mich selbst beziehe. Daß das Subjekt des einen Urteils niemand anderes ist als das Subjekt des anderen, nämlich ich selbst, setze ich dabei schlicht als objektives, i.e. nicht von meinem kognitiven Zustand abhängiges, Faktum voraus. Doch was berechtigt mich eigentlich zu dieser „analytischen" Voraussetzung? Meine leitende Hypothese bei der Beantwortung
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dieser Frage läßt sich in den Slogan yyAltentät begründet Identität'' fassen. Ausbuchstabiert besagt dies: Erst die intersubjektive Erfahrung — i.e. die introspektiv bewußte Wahrnehmung anderer Subjekte als solcher im Zuge der introspektiv bewußten Fremd2uschreibung intentionaler Erlebnisse - unter dem Aspekt des Menschseins rechtfertigt mich in der Annahme der objektiven synchronen Identität des Subjekts zweier „meiner" gegenwärtigen intentionalen Erlebnisse.1 Man könnte auf diese These als die These von der intersubjektiven Selbstkonstitution (hinsichtlich „meiner" objektiven synchronen Subjektidentität) Bezug nehmen. Unter „Konstitution" ist dabei, wie gehabt, die Art und Weise zu verstehen, in der sich etwas dem Bewußtsein präsentiert (vgl. oben, Kapitel 1, § 4). Die These von der intersubjektiven Selbstkonstitution betrifft die Art und Weise, wie das jeweilige Bewußtseinssubjekt sich selbst (in seiner objektiven synchronen Identität) gegeben ist. Gleichzeitig geht es um die Rechtfertigung dieses Selbstbildes.
§ 2. Der Begriff der Rechtfertigung Wenn ich von „Rechtfertigung" oder „Berechtigung" spreche, dann liegt dieser Redeweise im Kontext der vorliegenden Untersuchung ein internalistisches Rechtfertigungsverständnis zugrunde, dem zufolge ich nur dann in einer bestimmten Meinung Μ gerechtfertigt bin, wenn ich in der Lage bin, diese Meinung im Rekurs auf andere Meinungen Mi bis M„ (die ich besitze) zu begründen. „In der Lage sein" bedeutet hier: disponiert sein, eine entsprechende Begründung für Μ zu produzieren. Dazu müssen die Gründe, die ich fur Μ anfuhren kann, sprich: meine Glaubenszustände Mt bis M„y keineswegs bewußt sein. Das folgende Beispiel von Robert Brandom, in dem es um eine hinsichtlich ihrer (nichtinferentiellen) Wahrnehmungsurteile über die Herkunft mittelamerikanischer Topfscherben verläßliche (und anscheinend in den
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entsprechenden Meinungen gerechtfertigte) Archäologin geht, spricht daher meiner Ansicht nach nicht gegen den rechtfertigungstheoretischen Internalismus: Consider an expert on classical Central American pottery who over the years has acquired the ability to tell Toltec from Aztec potsherds ... simply by looking at them ... Suppose further that she regards beliefs formed in this way with great suspicion; she is not willing to put much weight on them ... Before reporting to colleages ... she always does microscoping or chemical analyses that give her solid inferential evidence for the classification. That is, she does not believe that she is a reliable noninferential reporter of Toltec and Aztec potsherds; she insists on confirmatory evidence for beliefs on this topic that she has acquired noninferentially. (Robert Brandom, Articulating Reasons, Cambridge/Mass.: Harvard University Press 2000, S. 98 f.)
Ich halte Brandoms Beschreibung dieses Beispiels fur irreführend, ja inkohärent. Die Scherben-Spezialistin mißt ihren unmittelbaren Herkunftsverdikten („Diese Scherbe ist aztekisch") durchaus erhebliches Gewicht bei. Denn schließlich betreibt sie jedesmal, wenn sie eine solche Meinung erworben hat, einen immensen Aufwand, um diese Meinung noch zu erhärten und ihre Kollegen von deren Wahrheit zu überzeugen. Brandom führt seine Leser deshalb in die Irre, wenn er die Protagonistin seines Beispiels so beschreibt, als glaube sie nicht, daß ihre (nicht-inferentiell erworbenen) Topfscherben-Meinungen verläßlich sind. Das glaubt sie, scheint mir, sehr wohl. Nur ist diese Uberzeugung, mit deren Hilfe die Archäologin ihre Topfscherben-Meinungen (ganz wie der Internalismus es verlangt) begründen könnte, nicht bewußt; andernfalls würde sie den fraglichen Meinungen von vornherein gewiß weniger skeptisch gegenüberstehen. Brandoms Exempel widerlegt den rechtfertigungstheoretischen Internalismus also keineswegs. Es illustriert lediglich die Möglichkeit, daß es sich bei den Meinungen, die eine (scheinbar unmittelbar gerechtfertigte) Meinung rechtfertigen, um unbewußte Glaubenszustände handelt. Die Frage lautet somit: Welche bewußten oder bis dato unbewußten Meinungen kann ich zur Begründung der Annahme anführen, daß „meine" gegenwärtigen intentionalen Erlebnisse allesamt ein und demselben Subjekt (als dessen momentane Bewußtseinszustände) zugehören?
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§ 3. Intrasubjektive versus intersubjektive Rechtfertigung Daß sich diese Annahme rein intrasubjektiv begründen läßt, also im alleinigen Rückgriff auf Überzeugungen, die ausschließlich mich selbst qua einheitliches Subjekt „meiner" Erlebnisse zum Thema haben, erscheint ausgeschlossen. Denn die hier zugrundeliegende Voraussetzung „Ich bin das identische Subjekt der-und-der Erlebnisse" gilt es ja gerade im Rekurs auf Uberzeugungen über objektive (von meinem kognitiven Zustand //«abhängige) Sachverhalte zu rechtfertigen. Eine rein intrasubjektive Begründungsstrategie würde dagegen unweigerlich in einen Rechtfertigungszirkel fuhren. Die gesuchte, im Sinne des Internalismus ganz und gar „subjektive" (nämlich von meinen eigenen Uberzeugungen abhängige) Begründung der Annahme „meiner" objektiven synchronen Subjektidentität wird vielmehr intersubjektive, andere Subjekte als solche betreffende Überzeugungen heranziehen müssen; diese intersubjektiven Überzeugungen sollten ihrerseits plausibel beziehungsweise in einem gewissen Maße gerechtfertigt sein. Meine Hypothese lautet, daß eine solche Begründung erst durch Rekurs auf Überzeugungen zu bewerkstelligen ist, die ihre eigene Begründung intersubjektiver Erfahrung verdanken. Intersubjektive Erfahrung wurde oben (§ 1) definiert als introspektiv bewußte Wahrnehmung anderer Subjekte als solcher im Zuge der introspektiv bewußten Fremd^uschreibung intentionaler Erlebnisse. Diese Bestimmung bedarf einer näheren Erläuterung. In Kapitel 1 haben wir gesehen, daß Selbstbewußtsein (Introspektion) indexikalische MetaÜberzeugungen (mindestens) dritter Stufe erfordert. Im vorliegenden Falle handelt es sich um MetaÜberzeugungen des Typs (1), die in (für introspektives Bewußtsein bezüglich gewisser Erlebniszuschreibungen konstitutive) MetaÜberzeugungen der Sorte (2) eingehen. (1) Ich glaube jetzt, daß ich gerade jemanden wahrnehme. (2) Ich glaube jetzt, daß ich gerade jemanden dabei wahrnehme, wie er das-und-das erlebt.
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Dabei schreibe ich jemandem, den ich im Modus des Selbstbewußtseins wahrnehme, in eben diesem Bewußtseinsmodus ein inten tionales Erlebnis zu. Dank der (jeweiligen) MetaÜberzeugung ^weiter Stufe, die in (1) thematisiert wird, handelt es sich bei der fraglichen Subjekt-Wahrnehmung um einen Rewußtseins7.w%\axi&. Und dank der (jeweiligen) MetaÜberzeugung dritter Stufe, die sich mit (1) ausdrücken läßt, ist diese bewußte Wahrnehmung ihrerseits introspektiv bewußt. Dasselbe gilt mutatis mutandis für die in (2) thematisierte Fremdzuschreibung eines intentionalen Erlebnisses: Diese Fremdzuschreibung ist ein Bewußtseinszustand (näherhin ein Urteil) und ist darüber hinaus introspektiv bewußt. Die entsprechende MetaÜberzeugung dritter Stufe lehrt nun, daß der Gegenstand dieser Wahrnehmung darin als ein „Jemand" wahrgenommen wird, dem sich intentionale Erlebnisse zuschreiben lassen. Demnach liefert mir erst die introspektiv bewußte Wahrnehmung eines Anderen als Subjekt gewisser Erlebnisse die gesuchte Begründung: Die Annahme, daß ich, der ich beispielsweise urteile, daß p, niemand anderes bin als ich, der ich urteile, daß q, läßt sich nur im Rückgriff auf intersubjektive Erfahrung rechtfertigen. Doch ehe wir uns den Details dieser Rechtfertigung zuwenden können, gilt es noch eine andere Frage zu klären: Mit welchem Recht fasse ich eigentlich den von mir wahrgenommenen Anderen als Erlebnissubjekt auf? Schließlich könnte es sich bei dem Anderen ja im Prinzip auch um einen bewußdosen Automaten oder Zombie handeln, der sich bloß äußerlich genauso benimmt wie ich, wenn ich meine Bewußtseinszustände in dieses oder jenes Verhalten umsetze.
§ 4. Kritik des Analogiearguments für die Annahme fremden Bewußtseins Um die Annahme zu begründen, daß der Andere tatsächlich ein Erlebnissubjekt ist, könnte man unter Berufung auf eigenleibliche Erfahrungen (etwa auf die introspektiv bewußte Wahrnehmung
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der eigenen Hände als Bewegungsorgan)2 ein Räsonnement der folgenden Art anstellen wollen: (PI) Ich habe (das weiß ich aus Erfahrung) zwei Hände, die ich bewußt so-und-so bewegen kann; (P2) der Andere (den ich da sehe) hat offenbar auch zwei Hände, und sie bewegen sich (wie ich sehe) so-und-so; (C) folglich ist er wahrscheinlich meinesgleichen - ein bewußtes Wesen wie ich. Dieser Schluß hebt ab auf Ähnlichkeiten zwischen (a) den Bewegungen, die ich mit Hilfe von etwas, das ich für einen Teil meines Leibes halte, (meinen Händen) bewußt ausführen zu können glaube (MetaÜberzeugung dritter Stufe), und (b) den entsprechenden, von mir wahrgenommenen Bewegungen eines Anderen, den ich zugleich als mir körperlich ähnlich wahrnehme — insbesondere als Besitzer von etwas, das ungefähr wie mein Paar Hände aussieht. Gegen derartige Analogieschlüsse auf die Existenz fremder Erlebnissubjekte ist u.a. eingewendet worden, daß sie von einer viel zu dünnen Induktionsbasis ausgehen - nämlich ausschließlich von rein intrasubjektiven Erfahrungen eines einzigen Subjekts.3 Im gegenwärtigen Argumentationszusammenhang läßt sich jedoch ein noch grundlegenderer Einwand erheben. Er betrifft die in jedem induktiven Schluß auf die Existenz fremder Subjekte um der Gültigkeit des Schlusses willen vorauszusetzende durchgängige Identität des Referenten von „ich". Der vorliegende Analogieschluß hat beispielsweise nur dann eine Chance, (induktiv) gültig zu sein, wenn sich der singuläre Term „ich" in (PI) bis (C) auf ein und dasselbe Subjekt bezieht. Diese Identität, so lautet der Einwand, gilt es überhaupt erst zu etablieren; wir wissen ja noch gar nicht, was uns in der Annahme synchroner Subjektidentität rechtfertigt. Schon aus diesem Grunde können wir die Existenz eines fremden Erlebnissubjekts nicht induktiv erschließen. Die subjektive Begründung dieser Existenzannahme muß im Rekurs auf Uberzeugungen erfolgen, die auf andere Weise gerechtfertigt sind.
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§ 5. Unmittelbare Einfühlung und psychologische Kriterien Hier greift meiner Auffassung nach die phänomenologische Idee der Einfühlung als einer Erfahrungsart sut genens. Die beste Studie zu diesem Thema, die ich kenne, hat Edith Stein verfaßt. (Es handelt sich dabei um eine von Husserl betreute Dissertation.) Sie fuhrt den Einfiihlungsbegriff anhand eines Beispiels ein: Indem [ein fremdes Erlebnis in der Einfühlung] mit einem Schlage vor mir auftaucht, steht es mir als Objekt gegenüber (z.B. die Trauer, die ich dem anderen „vom Gesicht ablese"); indem ich aber den implizierten Tendenzen nachgehe (mir die Stimmung, in der sich der andere befindet, zu klarer Gegebenheit zu bringen versuche), ist es nicht mehr im eigentlichen Sinne Objekt, sondern hat mich in sich hineingezogen, ich bin ihm jetzt nicht mehr zugewendet, sondern in ihm seinem Objekte zugewendet, bin bei seinem Subjekt, an dessen Stelle; und erst nach der im Vollzug erfolgten Klärung tritt es mir wieder als Objekt gegenüber. Wir haben also ... drei Vollzugsstufen beziehungsweise Vollzugsmodalitäten, da man im konkreten Falle nicht immer alle Stufen durchläuft, sondern sich häufig mit einer der niederen begnügt: 1. Das Auftauchen des Erlebnisses, 2. die erfüllende Explikation, 3. die zusammenfassende Vergegenständlichung des explizierten Erlebnisses. (Edith Stein, Zum Problem der Einfäblung, Halle: Buchdruckerei des Waisenhauses 1917, S. 9 f.)
Was die jetzt gesuchte Begründung der Annahme fremden Bewußtseins betrifft, so ist nur die erste der von Stein erwähnten Einfüihlungsstufen von Belang, das „Auftauchen des Erlebnisses". Später werden wir dann sehen, daß die beiden höheren Stufen 2 und 3 die intersubjektive Erfahrung liefern, die uns in der Annahme synchroner Subjektidentität rechtfertigt. Stufe 1. Beim ersten Vollzugsmodus der Einfühlung — der unmittelbaren Einfühlung - handelt es sich um ein Analogon zur berußten Wahrnehmung eines raumzeitlichen Objekts. Ähnlich, wie in der bewußten Wahrnehmung etwas unmittelbar (nicht-inferentiell) als ein so-und-so (z.B. als Haus) erfaßt wird, ist der Andere in der unmittelbaren Einfühlung direkt als gerade in dem-unddem Bewußtseinszustand befindlich (z.B. als traurig) gegeben.4 Das eingefuhlte Erlebnis „taucht" dabei zwar inferentiell unver-
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mittelt „auf, ist aber perzeptiv genausowenig gegeben wie etwa das Innere (oder die Rückseite) eines frontal wahrgenommenen Hauses. Natürlich hat dieser Vergleich, wie jeder andere, seine Grenzen. Während nämlich das Hausinnere immerhin jederzeit perzipierbar ist, läßt sich das eingefuhlte Erlebnis selbst niemals wahrnehmen - zumindest nicht vonseiten des einfühlenden Subjekts. Dieses kann sich das Erlebnis bei Bedarf allenfalls anschaulich vergegenwärtigen. (Damit betritt unser Subjekt die zweite Stufe der Einfühlung; siehe unten, § 7.) Nun ist es ein wesentlicher Aspekt beispielsweise der bewußten Wahrnehmung eines Hauses als solchen, daß der Wahrnehmende dabei mindestens implizit (unbewußt) erwartet, daß das Wahrnehmungsobjekt einen Innenraum aufweist, wenn er es betritt. Diese für eine bewußte, nicht-inferentielle Haus-Wahrnehmung spezifische (höherstufige) Erwartung erfüllt sich durch entsprechende Wahrnehmung des Hausinnern. (Wird diese Erwartung enttäuscht, so glaubte das Subjekt bloß irrtümlich, ein Haus wahrzunehmen.) Im Falle der unmittelbaren Einfühlung besteht eine solche perzeptive Erfüllungsmöglichkeit bezüglich des eingefuhlten Erlebnisses prinzipiell nicht? Die Unmittelbarkeit der Auffassung des Anderen als das-und-das erlebend verdankt sich also keinen (impliziten oder expliziten) Erwartungen bezüglich irgendwelcher wahrnehmbaren Aspekte des eingefuhlten Erlebnisses. Es erhebt sich die Frage, wie es dann möglich ist, den Anderen nicht-inferentiell als das-und-das erlebend aufzufassen. Der folgende Passus bei Stein über den „Ausdruck" eines Erlebnisses (der nach eigener Auskunft „eng an Ausführungen Husserls in seinen Seminarübungen im W.-S. 1913/14" anschließt) enthält diesbezüglich einen sachdienlichen Hinweis: [W]ie verhalten sich Trauer und traurige Miene einerseits, Feuer und Rauch andrerseits? Beide Fälle haben etwas Gemeinsames: ein Objekt äußerer Wahrnehmung fuhrt auf etwas, das nicht in gleicher Weise wahrgenommen ist, hin. Dennoch liegt eine andere Art der Gegebenheit vor. Der Rauch, der mir Feuer anzeigt, ist mein „Thema"; Objekt meiner aktuellen Zuwendung und weckt in mir Tendenzen des Fortschreitens in einem weiteren Zusammenhange ... Der Ubergang von einem Thema zum andern vollzieht sich in der typischen Weise der Motivati-
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on: wenn das eine ist, so ist auch das andere ... Das „Mitgegebensein" der Trauer in der traurigen Miene ist ein anderes: die traurige Miene ist eigentlich gar nicht ein Thema, das zu einem andern überleitet, sondern eins mit der Trauer, aber so, daß sie selbst ganz in den Hintergrund treten kann. Die Miene ist die Außenseite der Trauer, beide bilden eine natürliche Einheit. (Stein, Zum Problem der Einfühlung S. 86 f.)
Während Rauch empirische Eviden^ für Feuer darstellt (der Satz „Wenn Rauch, dann Feuer" also eine induktive Verallgemeinerung ausdrückt), bildet die Trauermiene für das einfühlende Subjekt von vornherein „die Außenseite" der Traurigkeit. Deren „Innenseite" — das Erlebnis der „Trauer" — läßt sich, anders als das Feuer, nicht „äußerlich" wahrnehmen. Indem das einfühlende Subjekt die Miene des Anderen bewußt wahrnimmt, ist ihm dieser unmittelbar als traurig bewußt, weil und insofern das fragliche Erlebnis mit der traurigen Miene für das betreffende Subjekt „eine natürliche Einheit" bildet. Mit dieser Beschreibung der „Art des Gegebenseins" eines fremden Erlebnisses scheint mir Stein auf der richtigen Fährte zu sein. Freilich wäre eine Konkretisierung ihrer Metapher von der wahrnehmbaren „Außenseite" des (mit dem Ausdrucksverhalten eine „natürliche Einheit" bildenden) Erlebnisses wünschenswert. Die Materialien zu einer solchen Konkretisierung finden sich bei Wittgenstein. In The Blue Book beantwortet Wittgenstein die Frage, woher wir wissen, daß der Andere beispielsweise Schmerzen empfindet, wenn er sich die Backe hält, unter Hinweis auf entsprechende Konventionen·, mit dieser Antwort seien wir in Sachen Rechtfertigung auch schon „am Ende unserer Weisheit angelangt".6 Zur näheren Erläuterung bringt er die Distinktion zwischen (i) Kriterien und (ii) Symptomen ins Spiel. (i) Kriterien bestimmen die „richtige" Anwendung sprachlicher Ausdrücke7; sie beruhen auf (expliziten oder impliziten) Definitionen,8 hängen also mit der Art und Weise zusammen, wie man die entsprechenden Begriffe erwerben (beziehungsweise den korrekten Gebrauch der betreffenden Ausdrücke erlernen) kann.9 (ii) Demgegenüber bilden Symptome lediglich empirische Eviden^ für die Anwendbarkeit von Begriffen. Wittgenstein gibt in die-
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sem Zusammenhang das Beispiel eines entzündeten Halses.10 Wenn jemandes Hals entzündet ist, dann hat er (so können wir annehmen) erfahrungsgemäß Angina; aber definiert ist diese Krankheit (so Wittgenstein) durch einen bestimmten Bazillus, nicht durch den entzündeten Hals. Deshalb dient letzterer nicht als Kriterium, sondern als Symptom. Der Kriterienbegriff bedarf noch einer eingehenderen Erläuterung. Wenn ein F (2.B. eine bestimmte Verhaltensweise) als Krite-
rium für ein G (z.B. ein Schmerzerlebnis) dient, dann liegt es im Begriff eines F und eines G — beziehungsweise im bestimmungsgemäßen Gebrauch der Ausdrücke ,,P' und „G" — beschlossen, daß ein G normalerweise vorliegt, wenn ein F vorliegt.11 Ich sage „normalerweise", weil im Falle eines kriteriellen Zusammenhanges zwischen Fs und Gs das Vorliegen eines F nur dann das Vorliegen eines G verbürgt, wenn die „Umgebung" (Wittgenstein), i.e. die konkreten Umstände, in denen das F auftritt,12 geeignet (i.e. normal) sind.13 Ein „schmerzverzerrtes" Gesicht etwa fungiert auch dann als Schmerzkriterium, wenn die Umstände derart sind, daß jemand seine Schmerzen bloß heuchelt. Andernfalls hätten wir es bei einem solchen Verhalten gar nicht mit einem genuinen Fall von Verstellung zu tun, — handelt es sich hierbei doch um einen bewußten Mißbrauch unserer Praxis der ErlebniszusSchreibung mittels gebräuchlicher „äußerer" Kriterien.14 Auf der anderen Seite darf dieser Mißbrauch nicht Uberhand nehmen, da besagte Praxis ansonsten Gefahr liefe, ihre eigentliche Pointe zu verlieren, nämlich die Zuschreibung von Erlebnissen. Der Normalfall — hier: Aufrichtigkeit — darf anders gesagt nicht zur Ausnahme degenerieren.15 Als „normal" gilt dabei, was die Mitglieder der relevanten Sprachgemeinschaft (kraft ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft) für normal erachten. Spätestens an dieser Stelle kommen also Konventionen ins Spiel. Wittgenstein unternimmt, so weit ich sehen kann, nirgends den Versuch, den Begriff einer Konvention näher zu analysieren. Für meine gegenwärtigen Zwecke möge der Hinweis ausreichen, daß Konventionen überall dort in Kraft sind, wo eine gemeinschaftlich etablierte Sprachpraxis besteht.16 Und
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die Konventionen, die für die „richtige" Anwendung von Erlebnisprädikaten bestimmend sind, sehen - aus den eben skizzierten Gründen - als Normalfall die Aufrichtigkeit desjenigen vor, der ein bestimmtes Ausdrucksverhalten an den Tag legt. In dieser Hinsicht „ruht der Vorgang unsres Sprachspiels immer auf einer stillschweigenden Voraussetzung", die als solche freilich erst dann wirklich relevant wird, wenn „ein Zweifel besteht", ob sie in einer konkreten Situation erfüllt ist.17 „Und der Zweifel kann gänzlich fehlen".'8 Die Konventionen, welche unsere Sprachpraxis regulieren, sorgen nämlich dafür, daß wir den jeweiligen Sprecher üblicherweise ganz unkritisch als aufrichtig behandeln. Dieselbe Einstellung erwarten wir dann auch umgekehrt von ihm, wenn wir ihm beispielsweise über unsere eigenen Erlebnisse berichten. Dieses wechselseitige Vertrauen ist ein Aspekt unserer (in der Sprachpraxis stillschweigend vorausgesetzten) gemeinsamen Lebensform, die sich in den geläufigen Kriterien des Mentalen niederschlägt. Im allgemeinen gibt es mehrere Kriterien für die „richtige" Anwendung eines Begriffs. In derartigen Fällen garantiert das Vorliegen eines dieser Kriterien (etwa das Aufsetzen einer „schmerzverzerrten" Miene) noch keineswegs, daß der fragliche Begriff auch tatsächlich erfüllt ist. Das betreffende Kriterium gehört vielmehr zu einer ganzen „Familie" von Kriterien, für die lediglich gilt: Wenn kein einiges dieser Kriterien vorliegt, dann ist der Begriff nicht erfüllt.19 Daraus folgt kontrapositorisch, daß der betreffende Begriff nur dann erfüllt ist, wenn mindestens eines dieser Kriterien vorliegt. Gerade vonseiten der uns interessierenden mentalen Begriffe droht diesem Prinzip nun allerdings Gefahr. Für die „richtige" Anwendung eines solchen Begriffs gibt es eine Vielzahl von Kriterien; doch scheinen durchaus Umstände denkbar zu sein, unter denen keines dieser Kriterien vorliegt, obwohl sich der jeweilige Begriff bestimmungsgemäß anwenden läßt. Man denke etwa an einen „Super-Spartaner", der aus ideologischen Gründen jedwedes Schmerzverhalten unterdrückt, obgleich er Höllenqualen leidet.20 Es unterliegt meines Erachtens keinem Zweifel, daß der Schmerzbegriff auch unter solchen Umständen vorschriftsmäßig anwendbar ist.
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Gewiß, unser Super-Spartaner kann anderen gegenüber nicht den Mund aufmachen und ihnen von seinen Schmerzen berichten. Und den anderen sind unter den beschriebenen Umständen keinerlei Kriterien verfugbar, um ihm Schmerzen zuzuschreiben. Allein: Der Super-Spartaner kann sich immerhin selbst Schmerzen zuschreiben; er kann bei sich selbst — in foro interno — urteilen: „Ich habe Schmerzen". Zwar würde Wittgenstein dies vermutlich bestreiten: erstens, weil er zu der Auffassung tendiert, daß es sich bei vermeintlichen Selbstzuschreibungen von Erlebnissen in Wahrheit bloß um Surrogate oder Erweiterungen unseres natürlichen Ausdrucksverhaltens handelt; und zweitens, weil er die Möglichkeit einer Privatsprache (also einer Sprache, die allenfalls ihr Sprecher selber verstehen kann)21 leugnet. Das erste Argument wurde indes schon in Kapitel 2 (§ 1) zurückgewiesen. Zum zweiten Argument sei hier Folgendes angemerkt. Wittgensteins (Anti-)Privatsprachenargument erscheint mir in der Tat überzeugend. 22 Aber der Super-Spartaner kann den Satz „Ich habe Schmerzen", während er diesen in foro interno äußert, genauso auffassen wie jedes andere Mitglied seiner Sprachgemeinschaft. Er verwendet diesen Satz dann nicht mit einer ominösen Privatbedeutung, die niemand anderes erfassen kann, sondern so, daß gilt: Würde er den Satz (in der von ihm in foro interno in Anspruch genommenen Verwendungsweise) äußern, so würde er damit anderen Mitgliedern seiner Sprachgemeinschaft berichten, daß er (im geläufigen Sinne des Wortes) Schmerzen erleidet. Wenn das Privatsprachenargument stichhaltig ist, verdankt dieser Satz seine Bedeutung (allem gegenteiligen Anschein zum Trotz) nicht so sehr „inneren", als vielmehr „äußeren" - anderen direkt zugänglichen — Kriterien. Ist diese Bedeutung jedoch (wie wir annehmen können) bereits etabliert, und hat der Super-Spartaner sie erlernt, so kann er meines Erachtens sehr wohl auf (den einschlägigen „äußeren" Kriterien gegenüber in puncto Erlernbarkeit parasitäre) „innere1' Kriterien zurückgreifen, um den Schmerzbegriff auf sich selbst anzuwenden. 23
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Zu diesen Kriterien gehört im Falle des Schmerzbegriffs insbesondere ein Phänomen, das man vorderhand geradezu als das definierende Kriterium, zumindest aber als essentielle Eigenschaft von Schmerzen 24 ansehen möchte: ihr phänomenaler Charakter — die Art und Weise, wie sie sich anfühlen. Denn wer Schmerzen im wahrsten Sinne des Wortes verspürt, ist doch gewiß in eins damit berechtigt, den Schmerzbegriff auf sich selbst anzuwenden. Tut er das, so verwendet er diesen Begriff natürlich vollkommen korrekt. Andernfalls wäre nicht einzusehen, wieso die verbale Selbstzuschreibung „Ich habe Schmerzen" den anderen als — Schmerfenterium dienen kann. Ein Sprecher wendet den Schmerzbegriff nur dann „richtig" auf sich selbst an, wenn er tatsächlich Schmerzen verspürt und mithin aufrichtig ist. Dagegen wenden die anderen diesen Begriff unter Umständen auch im Falle einer unaufrichtigen Äußerung von „Ich habe Schmerzen" „richtig" auf den jeweiligen Sprecher an. Denn aus ihrer Sicht liefert schon das Kriterium der Äußerung von „Ich habe Schmerzen" unter anscheinend normalen Umständen (Umständen mithin, in denen nichts gegen die Annahme spricht, der Sprecher sei aufrichtig} einen guten Grund, um vom Sprecher zu sagen, er habe Schmerzen. Aus seiner Sicht ist hierfür dagegen das Vorliegen einer genuinen Schmerzempfindung (mit entsprechendem phänomenalen Charakter) erforderlich. Diese Schmerzempfindung ist zwar (wie Wittgenstein zu Recht argwöhnt) 21 ein ostensiv undefinierbares Etwas — so etwas wie ein Käfer in der Schachtel, den niemand anderes als der Sprecher je unmittelbar zu Gesicht bekommen kann. Und es ist daher keineswegs mit Sicherheit auszuschließen, daß jeder gleichsam etwas ganz anderes (wenn überhaupt etwas) in seiner Schachtel hat, auf das er mit dem Wort „Schmerz" Bezug zu nehmen prätendiert. Doch aufgrund der gerade beschriebenen kriteriellen Asymmetrie bezüglich „Ich habe Schmerzen" einerseits und „Er hat Schmerzen" andererseits fällt dieses Etwas, die Schmerzempfindung, gleichwohl nicht (wie Wittgenstein uns glauben machen will) „als irrelevant aus der Betrachtung heraus"26: Der Sprecher des ersten Satzes kann sie im Zusammenhang mit
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seiner Aussage sehr wohl als Schmerzkriterium verwenden und so den Schmerzbegriff mit Recht auf sich selbst anwenden. „Ich habe Schmerzen" hat demnach andere Behauptbarkeitsbedingungen als „Er hat Schmerzen": Die Umstände, unter denen es legitim ist, diese Sätze mit behauptender Kraft zu verwenden, sind teilweise verschieden. Und zwar deshalb, weil dem Sprecher des ersten Satzes ein anderes Schmerzkriterium (unmittelbar) zugänglich ist als den übrigen Sprechern — namentlich der für seine Schmerzen essentielle phänomenale Charakter selbst. Man sieht also: Die „richtige" Anwendung oder Anwendbarkeit eines mentalen Prädikats läuft auf die (legitime) Behauptbarkeit entsprechender Erlebniszuschreibungen hinaus;27 im Falle der JV/krfeuschreibung von Erlebnissen mit einem für sie essentiellen phänomenalen Charakter fällt dabei die Behauptbarkeitsbedingung mit der Wahrheitsbedingung zusammen, denn hier besagt Behauptbarkeit nichts anderes als Wahrheit.28
§ 6. Rechtfertigung der Annahme fremden Bewußtseins Unsere Kriterien des Mentalen und die sprachlichen Konventionen, denen sie sich verdanken, legitimieren demnach die Zuschreibung von Erlebnissen unter den-und-den Umständen. Deshalb können wir uns zur Rechtfertigung der Annahme, daß die anderen genuine Erlebnis Subjekte sind, in der Tat auf diese Konventionen berufen (ganz so, wie Wittgenstein in The Blue Book versichert). Doch sind wir hiermit wirklich schon am Ziel? Wittgenstein bejaht diese Frage. „Was die Menschen als Rechtfertigung gelten lassen, - zeigt wie sie denken und leben",29 und diese Lebensformen finden ihren Niederschlag in sprachlichen Konventionen.30 Genau an diesem Punkte hat „die Kette der Gründe ... ein Ende"31; unsere diesbezüglichen Uberzeugungen sind unmittelbar gerechtfertigt. Man kann sich, denke ich, leicht klarmachen, daß Wittgenstein recht hat. Wir würden uns nämlich schlicht in einen pragmatischen Widerspruch verwickeln, wollten wir die Konventionen be-
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zweifeln, die für die Bedeutung der Ausdrücke unserer Sprache konstitutiv sind. Denn schließlich könnten wir unsere diesbezüglichen Zweifel nur unter Zugrundlegung eben dieser Konventionen überhaupt formulieren. In diesem Sinne sind sprachliche Konventionen unhintergehbar. Das gilt insbesondere auch für diejenigen Konventionen, die unsere Praxis der Erlebniszuschreibung regeln, indem sie verfügen, welche Phänomene als Kriterien des Mentalen gelten und welche nicht. Wir haben gesehen, daß dies nicht nur „innere", sondern vor allem auch „äußere" Phänomene sind: diverse Formen des Ausdrucksverhaltens (mehr oder weniger „natürliche" Gestik, Mimik etc.) und natürlich des verbalen Verhaltens. Eine Frage wie „Woher willst du wissen, daß der Andere, der sich da mit verzerrtem Gesichtsausdruck windet und schreit, tatsächlich Schmerzen hat?", können wir somit durch Hinweis auf entsprechende „äußere" Kriterien abschließend beantworten, etwa folgendermaßen: „Wenn sich jemand so verhält und dabei so dreinschaut, dann hat er in aller Regel Schmerzen, - so verwenden wir eben das Wort ,Schmerzen"'. Und entsprechend für sonstige Fremdzuschreibungen von Erlebnissen. Das „Wr*', von dem in dieser Antwort die Rede ist, ist das „Wir" der Sprachgemeinschaft, deren Mitglieder, insofern sie dieselben „Sprachspiele" spielen — insofern sie ihrem Sprechen beziehungsweise Denken dieselben Kriterien zugrundelegen mannigfache gemeinsame Lebensformen32 aufweisen. (Diese Gemeinschaft umfaßt auch die kompetenten Sprecher anderer natürlicher Sprachen, in denen dieselben „Sprachspiele" vorgesehen sind wie in der Ausgangssprache.)33 Zu den alltagspsychologischen Lebensformen gehört dabei als zentrales Moment eine gewisse grundsätzliche "Einstellung anderen gegenüber. Wittgenstein bezeichnet sie als „Einstellung zur Seele".34 Diese Einstellung manifestiert sich zunächst und zumeist in unserem (mehr oder weniger) „humanen" Verhalten anderen gegenüber, also darin, daß wir sie nicht lediglich als seelenlose Automaten behandeln, die etwa im Falle einer physischen Beschädigung bedenkenlos entsorgt oder schlichtweg ignoriert werden können.35
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Diese Grundhaltung, die es uns beispielsweise ermöglicht, das Verhalten des Anderen als Ausdruck von Schmerz zu betrachten, können wir nur Wesen gegenüber einnehmen, die mehr oder weniger unseresgleicben zu sein scheinen. „Nur von dem, was sich benimmt wie ein Mensch", so beobachtet Wittgenstein, „kann man sagen, daß es Schmerzen hafi.v> Außerdem sagen wir „nur vom Menschen, und was ihm ähnlich ist, es denke"37; und „nur vom lebenden Menschen, und was ihm ähnlich ist, (sich ähnlich benimmt)" vermögen wir zu „sagen, es habe Empfindungen; es sähe; sei blind; höre; sei taub; sei bei Bewußtsein, oder bewußtios"38. (Das liegt daran, daß unsere mentalen Begriffe paradigmatisch - also in den Beispielen, an denen wir diese Begriffe erlernen — auf menschliche Anwendungsfälle bezogen sind.)39 Dabei scheint mir der Grad der erforderlichen Menschenähnlichkeit in gewisser Weise proportional zum Grad der doxastischen Metarepräsentationalität der für das zugeschriebene Erlebnis konstitutiven indexikalischen MetaÜberzeugung zu sein. So glauben wir etwa, Spinnen könnten Schmerz empfinden.40 Der Grad der notwendigen Metarepräsentationalität ist in diesem Falle gleich Null, denn nur intentionale Erlebnisse erfordern (sofern die indexikalische Metaüberzeugungstheorie unser diesbezügliches Selbstbild getreu wiedergibt) entsprechende MetaÜberzeugungen. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, daß Spinnen anscheinend über keinerlei Sprache verfugen, so daß ihnen die nötigen Begriffe abgehen, um von sich z.B. glauben zu können, sie hätten Schmerzen. An unserer Praxis der Schmerzzuschreibung können sie daher nicht teilnehmen. Immerhin haben sie aber beinartige Organe, mit denen sie sich fortbewegen; sie bauen Fallen („Netze"), um sich ernähren zu können; und was dergleichen menschenähnlicher Charakteristika mehr. Ähnlichkeiten genug, um ihnen wenigstens „primitive" (nicht-intentionale) Erlebnisse zuzuschreiben. Für die Beilegung intentionakr Bewußtseinsprädikate verlangen wir hingegen entsprechende indexikalische MetaÜberzeugungen. Und zwar umso höherstufigere Uberzeugungen, je komplizierter das Netzwerk von Kriterien und damit der Begriff des zugeschriebenen Erlebnisses ist:
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Bewußte Wahrnehmungen trauen wir schon Tieren zu, die lediglich wissen, was es z.B. heißt, etwas zu riechen; bewußte Hoffnungen hingegen (um ein prominentes Beispiel Wittgensteins zu adaptieren)41 nur solchen Lebewesen, die dank ihrer sprachlichen Fähigkeiten über hinreichend elaborierte Begriffe verfügen (können), um die komplexe und vielschichtige Praxis der Zuschreibung einer Hoffnung zu beherrschen. Bei dieser Zuschreibungspraxis handelt es sich aber eben nicht um das Resultat induktiver Analogieüberlegungen (siehe oben, § 4), sondern um den Niederschlag gemeinschaftlich gültiger Konventionen, die wir uns mit dem Erlernen der Sprache in einer von menschlichem Verhalten geprägten Umgebung zueigen gemacht haben. Das heißt selbstverständlich nicht, daß sich innerhalb einer Sprachgemeinschaft kein Streit über die Anwendbarkeit eines mentalen Prädikats wie „Schmerz" erheben ließe. Je unähnlicher uns ein Wesen ist, desto kontroverser ist ja die Frage, ob es überhaupt etwas erlebt. Im übrigen lassen sich unsere sprachlichen Konventionen zwar nicht sinnvoll bezweifeln (siehe oben), aber das bedeutet mitnichten, daß diese Konventionen sakrosant wären. Die gegenwärtigen Debatten um die „politische Korrektheit" gewisser herkömmlicher Wortverwendungen beweisen das Gegenteil. In diesem Zusammenhang ließe sich etwa auch diskutieren, ob wir sogenannten nicht-animalischen Lebewesen (Pflanzen) unter bestimmten Umständen dergleichen wie Schmerz zuschreiben sollten. Daß die gesuchte „subjektive" Begründung der Annahme fremden Bewußtseins bei den sprachlichen Konventionen als letzter Rechtfertigungsinstanz endet, bedeutet selbstverständlich auch nicht, daß sich unsere „Einstellung zur Seele" des Anderen neurologisch — auf der sub-personalen Ebene - nicht weiter erklären ließe. So hat jüngst der Hirnforscher Vittorio Gallese mit der folgenden Hypothese für Aufsehen innerhalb der Kognitionswissenschaft gesorgt. Wann immer ein Subjekt eine Körperbewegung (oder deren beispielsweise mimisches Resultat) beobachtet beziehungsweise selbst ausführen möchte, werden in Gehirnregionen,
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welche für die Bewegungskontrolle des Subjekts zuständig sind, automatisch und unbewußt gewisse Neuronen aktiviert, sogenannte Spiegel- beziehungsweise kanonische Neuronen; diese „prämotorischen Neuronen" bilden die neuronale Basis intersubjektiven Erlebens.42 Es ist aber wichtig zu betonen, daß diese neuronale Grundlage, falls sie existiert, noch keine Überzeugungen über fremdes Bewußtsein liefert - und schon gar keine bewußten Überzeugungen, mit deren Hilfe sich die Annahme fremder Erlebnisse effektiv rechtfertigen ließe. In dieser Beziehung verweisen uns die vorherigen Erörterungen vielmehr auf unsere epistemisch basalen Meinungen über die sprachlichen Konventionen betreffs der Anwendbarkeit mentaler Begriffe. Diese Meinungen sind uns im Alltag gewöhnlich nicht bewußt. Sie sind es jedoch, die es uns allererst ermöglichen, den Anderen unmittelbar als das-und-das erlebend aufzufassen, sofern er (nach Maßgabe der betreffenden Konventionen) gewisse Kriterien des Mentalen erfüllt. „Unmittelbar" besagt dabei: ohne bewußt eine Schlußkette durchlaufen zu müssen. Es bedarf erst einer erkenntnistheoretischen Besinnung wie der hier angestellen, um diese Meinungen bewußt zu machen und sie zugleich für eine (nichtinduktive) Begründung der fraglichen Annahme in Anschlag zu bringen. Stein hat also ganz recht: Wir sind imstande, den Anderen direkt als Erlebnissubjekt zu erkennen (uns unmittelbar in ihn einzufühlen), sofern die wahrnehmbare „Außenseite" seines Erlebens für uns eine „natürliche Einheit" mit diesem Erleben bildet. Letzteres ist nach dem Gesagten genau dann der Fall, wenn wir Teil einer Sprachgemeinschaft sind, deren Konventionen das Verhalten, welches der Andere an den Tag legt, kriteriell und somit begrifflich zu dem Bewußtseinszustand des Anderen in Beziehung setzt. Dank unserer Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft verfügen wir über die geeigneten (bewußten oder unbewußten) Meinungen darüber, welche Verhaltensweisen unter was für Umständen welche Bewußtseinszustände ausdrücken. Machen wir uns nun daran, Steins zweite und dritte Stufe der Einfühlung zu erklimmen: (2) die „erfüllende Explikation" und (3)
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die „zusammenfassende Vergegenständlichung" eines auf der ersten Stufe unmittelbar eingefuhlten Erlebnisses. Dies wird uns in den Stand setzen, die Annahme objektiver synchroner Subjektidentität, wie gewünscht, aus unserer „subjektiven" Perspektive heraus zu begründen.
§ 7. Bewußte mentale Simulation Stufe 2. Beim zweiten Vollzugsmodus der Einfühlung haben wir es mit einer Erlebnisart zu tun, die in der neueren kognitionswissenschaftlichen Literatur als (bewußte) mentale Simulation bezeichnet wird (dazu gleich mehr). Auf dieser Stufe vergegenwärtige ich mir, was der Andere gerade erlebt, indem ich mich hypothetisch in seine Lage versetze und mir anschaulich vorstelle, wie es wäre, an seiner Stelle beispielsweise Traurigkeit zu empfinden oder die unmittelbare Umgebung visuell wahrzunehmen. „Vergegenwärtigung" bedeutet dabei, daß ich den intentionalen Zustand des Anderen nicht (wie im Falle einer bewußten Qbjektwahrnehmung) unmittelbar erlebe, sondern (wie bei einer Erinnerung an früher Erlebtes) anschaulich reproduziere, und zwar durch eine Art adaptierter Selbstprojektion: Ich versetze mich (im Ausgang von — und unter gleichzeitiger Festhaltung — meiner augenblicklichen Perspektive) bewußt in die Lage des Anderen, um mir anschaulich zu vergegenwärtigen, was ich an seiner Stelle erleben würde. Stein behauptet zu Recht, daß man sich auf diese Weise klarmachen kann, daß der Andere gleichfalls einen relativen Mittelpunkt oder ein „Orientierungszentrum" der räumlichen Welt bildet.43 Wenn ich mir nämlich bewußt vorstelle, wie es für den Anderen ist, etwas Bestimmtes wahrzunehmen^ dann werde ich dabei (bei passender Ausrichtung des Interesses) u.a. gewahr, daß er die von ihm perzipierten Dinge ebenfalls in egozentrischer Manier repräsentiert — als „links" oder „rechts" von ihm, „da drüben" oder „hier vorne", usw. Es wird mir mit anderen Worten bewußt, daß der Andere die Dinge gleichfalls unter bestimmten Aspekten wahrnimmt. So erkenne ich, daß andere nicht nur Erlebnissub]ekte (und
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keine bewußtlosen Automaten) sind, wie wir uns zuvor bereits am Schmerzbeispiel vergegenwärtigen konnten, sondern daß sie darüber hinaus auch intentionale Erlebnisse haben - Erlebnisse, in denen etwas als etwas repräsentiert wird. (Um die Möglichkeitsbedingungen der Zuschreibung intentionaler Erlebnisse und propositionaler Einstellungen wird es in Kapitel 4 gehen.) Im Begriff der mentalen Simulation liegt noch nicht präjudiziert, ob wir es jeweils mit einem bewußten oder unbewußten kognitiven Vorgang zu tun haben.44 Deshalb ist dieser Begriff in meinen Augen geeignet, auch das Phänomen der unmittelbaren (und somit nicht ihrerseits auf bewußten kognitiven Episoden oder Schlußfolgerungen aufruhenden) Einfühlung zu erklären: Steins erste Stufe der Einfühlung. Bei diesem Hinweis lasse ich es vorerst bewenden. In Kapitel 4 werde ich dann für eine moderate Version der Simulationstheorie der Fremd^uschreibung plädieren, die sich auf die erste und die zweite, „bewußte" Einfühlungsstufe gleichermaßen applizieren läßt. Stufe 3. Der dritte Vollzugsmodus der Einfühlung, die „zusammenfassende Vergegenständlichung", läßt sich als introspektives Selbstbewußtsein bezüglich der bereits auf der ersten Stufe vorliegenden bewußten Erlebnisrepräsentation auffassen, wobei dieses Selbstbewußtsein (i) durch bewußte mentale Simulation (zweite Einfühlungsstufe) zustandekommt und (ii) ein Bewußtsein des Anderen qua Erlebnissubjekt einschließt. Wenn ich mir beispielsweise anschaulich vergegenwärtige, wie es für jemanden, den ich seit einiger Zeit dabei beobachte, wie er einen Tisch betrachtet, ist, diesen Tisch da visuell wahrzunehmen, und daraufhin retrospektiv auf die so „explizierte" Erlebnisrepräsentation zurückblicke, dann gelange ich zu folgender MetaÜberzeugung: „Ich glaube jetzt, daß ich ihn eben als jemanden auffaßte, der diesen Tisch da unter den-und-den Aspekten sieht". Diese MetaÜberzeugung sorgt dafür, daß die auf der zweiten Einfühlungsstufe bewußt simulierte Tisch-Wahrnehmung des Anderen mir (mit den Worten Steins:) „wieder als Objekt gegenüber [tritt]": eben als Gegenstand jener nunmehr retrospektiv bewußten unmittelbaren Einfühlung.
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§ 8. Rechtfertigung der Annahme synchroner Subjektidentität Was leistet nun diese Einfühlungsskonzeption mit Blick auf die gesuchte Begründung der Annahme „meiner" objektiven synchronen Subjektidentität? Den Schlüssel zu dieser Begründung liefert Steins Idee einer itenerten Einfühlung, in der ich mich in jemanden unter dem Aspekt einfühle, daß er sich seinerseits in mich einfühlt.43 Lassen wir uns diese Idee der reflexiven Einfühlung und deren Anwendung auf unsere leitende Fragestellung von Stein selbst schildern: Von dem in Einfühlung gewonnenen Nullpunkt der Orientierung aus muß ich meinen eigenen Nullpunkt als einen Raumpunkt unter vielen, nicht mehr als Nullpunkt, betrachten. Und damit zugleich — und nur dadurch - lerne ich meinen Leib als einen Körper wie andre sehen ... In „iterierter Einfühlung" fasse ich jenen Körper wieder als Leib auf, und so erst bin ich mir selbst in vollem Sinne als psychophysisches Individuum gegeben ... So lange mir nur ein Nullpunkt und mein Körper in diesem Nullpunkt gegeben ist, besteht zwar die Möglichkeit der Verschiebung meines Nullpunktes samt meines Körpers und auch die Möglichkeit einer Verschiebung in der Phantasie aber nicht die Möglichkeit eines freien Hinblickens auf mich wie auf einen anderen Körper. (Stein, Zum Problem derEinfiiblung, S. 70 f.)
Die hier beschriebene reflexive Einfühlung, in der ich mir vergegenwärtige, unter welchen Aspekten der Andere mich qua Erlebnissubjekt sieht, lehrt zunächst, daß mein Leib ein menschlicher „Körper wie andre" ist, der nur „einen Raumpunkt unter vielen" einnimmt — einen objektiven Raumpunkt. Denn der Andere erlebt meinen Körper genauso als ein von seinem relativen „Orientierungszentrum" (siehe oben) aus unter einer gewissen Perspektive wahrnehmbares räumliches Objekt wie ich den seinen. In einem weiteren Reflexionsschritt stelle ich darüber hinaus fest, daß der fragliche menschliche Körper von dem Anderen wiederum als Leib aufgefaßt werden dürfte, also als Körper, der zu einem erlebenden Subjekt (als dessen Wahrnehmungs- und Handlungsorgan) gehört. Genauso fasse ich ja auch den Körper des Anderen auf, und entsprechend lasse ich mich nun gedanklich
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von ihm simulieren. So gelange ich zu der MetaÜberzeugung: „Ich glaube jetzt, daß ich den Anderen als jemanden erlebe, der mich, das Erlebnissubjekt, kraft seiner Wahrnehmung eines bestimmten lebendigen menschlichen Körpers als Besitzer eines Leibes ansieht". Mit diesem introspektiven Bewußtsein bezüglich meiner reflexiven Einfühlung — einer intersubjektiven Erfahrung im oben definierten Sinne - wird mir endlich die für die gesuchte Begründung benötigte Uberzeugung bewußt, der zufolge auch für mich das folgende Kriterium gilt: Ein lebendiger menschlicher Körper, ein Bewußtseinssubjekt. Ein weiteres Identitätskriterium ist weit und breit nicht in Sicht. Es gibt demzufolge nur ein einziges Kriterium der objektiven synchronen Subjektidentität: das „äußere" Kriterium des menschlichen oder menschenähnlichen Körpers, auf das uns die intersubjektive Erfahrung führt. Finden zwei Erlebnisse simultan in einem solchen Körper statt, so gehören sie demnach zu ein und demselben Subjekt; und zwar selbst dann, wenn sie — wie in Parfits Beispiel mit der Physik-Klausur (siehe oben, Kapitel 2, § 2) - synchron betrachtet nicht zum selben Bewußtsein gehören. Damit stellt sich natürlich die Frage, wie sich wiederum die Annahme rechtfertigen läßt, daß zwei Erlebnisse in ein und demselben Körper stattfinden. Auf diese Frage gibt es meines Erachtens eine einfache Antwort: Die fragliche Annahme läßt sich bei Bedarf durch reflexive Einfühlung begründen. Denn wenn ich beispielsweise sowohl urteile, daß p, als auch, daß q, und mir nun überlege, nach Maßgabe welchen Kriteriums ein Anderer diese beiden Erlebnisse gegebenenfalls mir zuzuschreiben vermag, dann komme ich erneut zu dem Ergebnis: Ein lebendiger Menschenkörper, ein Subjekt; und dieser Körper - mein Körper - wird laut inter subjektiver Erfahrung genauso individuiert wie jeder andere menschliche Leib im objektiven Raum auch. Die exklusive objektive Raumposition meines menschlichen Körpers garantiert demnach, daß keine zwei Subjekte meine jetzigen Erlebnisse haben. So konzipiere ich, genau besehen, mich selbst als Element der objektiven raumzeitlichen Welt: Die intersubjektive Erfahrung hat es ans Licht gebracht. Und dieses vor-
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gängige, nunmehr explizite Selbstverständnis macht es mir nach dem zu Beginn des Kapitels Gesagten allererst möglich, verschiedene simultane Erlebnisse „apperzeptiv" auf mich zu beziehen. Eine Möglichkeit, die gemäß der in Kapitel 2 vertretenen metadoxastischen Auffassung ihrerseits sicherstellt, daß die fraglichen Erlebnisse sich in die synchrone Einheit meines beziehungsweise (wie im Falle von Parfits Physik-Klausur) eines meiner Bewußtseinsströme fügen können.46
Kapitel 4: Weltbezug, Radikalinterpretation und die Zuschreibung propositionaler Einstellungen § 1. Die These von der intersubjektiven Begründbarkeit der Annahme einer objektiven raumzeitlichen Welt Im vorigen Kapitel wurde für die These von der intersubjektiven Selbstkonstitution argumentiert, der zufolge ich mich selbst (mindestens implizit) als Element der objektiven raumzeitlichen Welt konzipiere. Doch mit welchem Recht nehme ich eine solche Welt überhaupt als existent an? Abermals sehen wir uns hier mit einem Problem der „subjektiven" (internalistischen) Rechtfertigung eines für unser Welt- und Selbstverständnis grundlegenden Objektivitätsanspruchs konfrontiert. Und auch diese Frage läßt sich nach meinem Dafürhalten nur im Rückgriff auf intersubjektive Erfahrung überzeugend beantworten. Diesmal lautet mein Slogan: ΛΗειität begründet Objektivität. Etwas ausführlicher formuliert, besagt die leitende Hypothese dieses Kapitels: Erst die intersubjektive Erfahrung unter dem Aspekt der für die Möglichkeit gelingender Einfühlung erforderlichen triangulären Struktur rechtfertigt mich in der „realistischen" Annahme der Existenz einer objektiven raumzeitlichen Welt. Der hier zugrundeliegende Begriff der triangulären Struktur bedarf einer Erläuterung. Dies macht ein näheres Eingehen auf Donald Davidsons Theorie der radikalen Interpretation erforderlich.1
Weltbe^ug Radikalinterpretation und die Zuschrtibung propositionaler Einstellungen
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§ 2. Triangulation Davidson entwickelt den Triangulationsbegriff im Verfolg einer transzendentalphilosophischen Fragestellung: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit von einem Subjekt gelten kann, daß es propositionale Einstellungen („daß-ige" intentionale Zustände) hat?2 Er geht dabei von der Beobachtung aus, daß der Besitz einer beliebigen propositionalen Einstellung (wie z.B. dem Wunsch, eine Geige zu besitzen) kraft ihres Gehalts immer schon (andere) Uberzeugungen voraussetzt (im vorliegenden Beispiel etwa die Überzeugung, daß Geigen Musikinstrumente sind). Auf der Grundlage dieses „Überzeugungsholismus"3 argumentiert Davidson in zwei Schritten für die These, daß sprachliche Kommunikationsfähigkeit - kurz: Sprechvermögen - für den Besitz von Überzeugungen und damit von propositionalen Einstellungen notwendig ist. Zuerst sucht er zu demonstrieren, (i) daß das Haben einer Überzeugung den Besitz des Überzeugungs^fir^f voraussetzt. Sodann führt er den Nachweis, (ii) daß der Besitz dieses Begriffs seinerseits sprachliche Kommunikationsfähigkeit voraussetzt. Aus (i) und (ii) ergibt sich dann als Konsequenz die These von der Abhängigkeit des „Denkens" (wie Davidson den Besitz propositionaler Einstellungen auch nennt) vom Sprechvermögen. (i) Davidson zufolge kann jemand nur dann etwas Bestimmtes glauben, wenn er über das Nichtzutreffen des Geglaubten überrascht wäre. (Ich nenne dieses Prinzip die These vom Überraschungspotential der Überzeugungen) Um aber überrascht zu sein, so Davidson, muß man sich des Kontrasts bewußt sein zwischen dem, was man selbst bislang für wahr hielt, und dem, was man nunmehr stattdessen glaubt. Und hierzu ist eine MetaÜberzeugung erforderlich, in deren Gehalt der Begriff einer Überzeugung eingeht. Infolgedessen muß, wer Überzeugungen hat, auch den Begriff einer Überzeugung anzuwenden imstande sein. Dieses erste Teilargument ist in meinen Augen wenig überzeugend. Davidsons These vom Überraschungspotential der
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Weltbe^ug, Radikalinterpntation und die Zuschreibung propositionaler Einstellungen
Überzeugungen erscheint mir im Lichte der in Kapitel 3 entfalteten Wittgensteinschen Kriterienkonzeption problematisch. Uberraschungspotential ist — soweit es sich im Verhalten manifestiert — sicher ein Kriterium des Überzeugtseins. Doch warum sollte es keine unter Umständen konfluierenden Kriterien geben? Immerhin erklären wir auch das Verhalten solcher Tiere, denen der Glaubensbegriff (und damit dergleichen wie Überraschungspotential) schwerlich zuzutrauen ist, oftmals durch Zuschreibung von (unbewußten) Uberzeugungen.4 Der Hund bellt z.B. den Baum hinauf, weil er dort (wie wir annehmen) die Katze wähnt, die er gerade jagt. Würde er diese Katze im nächsten Augenblick auf dem Nachbarbaum entdecken, dürfte er seine Aktivitäten sofort in die entsprechende Richtung verlagern, ohne sich notwendigerweise „überrascht" zu zeigen oder auch nur dazu disponiert zu sein. Für meine gegenwärtigen Zwecke ist die mangelnde Uberzeugungskraft des ersten Teilarguments glücklicherweise ohne Belang. Der Begriff der triangulären Struktur, den ich benötige, kommt nämlich erst in Davidsons zweitem Gedankenschritt zum Tragen. (ii) Wer den Glaubensbegriff besitzt, kennt den Unterschied zwischen Schein, also subjektiver Überzeugung, und Sein, also objektiver Wahrheit (vgl. oben, Kapitel 1, § 4). Für Davidson ist hierzu sprachliche Kommunikationsfähigkeit notwendig: Our sense of objectivity is the consequence of [a] sort of triangulation, one that requires two creatures. Each interacts with an object, but what gives each the concept of the way things are objectively is the base line formed between the creatures by language. The fact that they share a concept of truth alone makes sense of the claim ... that they are able to assign objects a place in the public world. (Davidson,,Rational animals',
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Diese Überlegung nimmt der Sache (wenn auch nicht dem Namen) nach ihren Ausgang von einem „primordialen" (Husserl) Dingbegriff, also einem Konzept, das vom intersubjektiven Aspekt des vollgültigen Begriffs eines Dinges (als eines für mich und andere gleichermaßen wahrnehmbaren Elements unserer gemeinsamen raumzeitlichen Welt) abstrahiert? Es bietet sich an, die
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daran anknüpfende Erwägung im Folgenden (wie gehabt) aus der „ich"-Perspektive zu schildern. Der Begriff der objektiven Wahrheit bezüglich eines primordial gegebenen Dinges (oder Ereignisses) ergibt für mich zunächst keinerlei Sinn. Erst wenn ich die Kommunikationspartner berücksichtige, mit dem ich mich erfolgreich über „das betreffende Ding" verständigen kann, wird mir verständlich, was es bedeutet, daß dieses Ding eine bestimmte Position in einer objektiven,( also von meinem eigenen kognitiven Zustand unabhängigen, „öffentlichen" Welt einnimmt, wie der vollgültige Dingbegriff es vorsieht. Dabei zeigt sich (wie wir noch sehen werden), daß ich dieselbe Vorstellung von „Wahrheit" haben muß wie ein gegebener Gesprächspartner, damit intersubjektive Verständigung über das fragliche Ding möglich wird; und diese gemeinsame Wahrheitsauffassung ist (wie ebenfalls noch deutlich werden wird) essentiell für die innerweltliche Lokalisierung des betreffenden Dinges. Implizit muß ich also die Idee eines Anderen — eines potentiellen Kommunikationspartners — immer schon mitdenken, um den vollgültigen, objektiven Dingbegriff aufzufassen. (Die soeben vorgetragene Uberlegung dient lediglich dazu, dieses implizite Verständnis explizit, i.e. bewußt zu machen.) Und es sind Dinge in Sinne dieses letzteren, objektiven Begriffs (im Unterschied zu „Dingen" im Sinne seines abstraktiven Derivats, dem primordialen Dingbegriff), auf welche die Unterscheidung zwischen Sein und Schein allererst sinnvoll anwendbar ist. Deshalb hat nur derjenige diese Unterscheidung, und damit den Begriff einer Uberzeugung, in seinem Repertoire, der zumindest implizit die triangulate Kommunikationsstruktur „Ich - der Andere - das gemeinsame Objekt unserer Rede" kennt. Der Besitz des Uberzeugungsbegriffs setzt mit anderen Worten die Fähigkeit voraus, sich mit anderen sprachlich über einzelne Objekte — paradigmatisch: Dinge — zu verständigen. Bisher ist indes alles andere als klar, aus welchem Grunde die objektive innerweltliche Lokaliserung eines Dinges (als dann-unddann dort-und-dort befindlich) von einer gemeinsamen Wahr-
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heitsauffassung zweier Kommunikationspartner abhängen soll, wie Davidson unterstellt. Auch wissen wir bislang noch nichts darüber, worin die erforderliche triangulare Kommunikationsstruktur selbst denn eigentlich besteht. In diesem Zusammenhang stellt Davidson ein (auf Quine zurückgehendes) Gedankenexperiment an: Er entwirft das Szenario der radikalen Interpretation, um Aufschluß über die Möglichkeitsbedingungen6 gelingender Kommunikation (betreffs raumzeitlicher Objekte) zu erlangen.7
§ 3. Radikale Interpretation und objektiver Weltbezug Der radikale Interpret beherrscht bereits eine Sprache (seine Muttersprache). Er steht nun vor der Aufgabe, korrekte empirische Hypothesen über den Bedeutungsgehalt der Äußerungen eines Sprechers S einer ihm gänzlich unbekannten Sprache aufzustellen. Die Art und Weise, wie er diesbezüglich vorgehen muß, dürfte meines Erachtens in der Tat Licht auf diejenigen (zunächst und zumeist unbewußten) kognitiven Mechanismen werfen, die unserer alltäglichen Kommunikation (über raumzeitliche Objekte) zugrundeliegen. Schließlich haben wir uns den Radikalinterpreten ja als jemanden vorzustellen, dessen Sprechvermögen bereits voll entwickelt ist. Für seine Hypothesenbildung in der radikalen Interpretationssituation dürften die erwähnten kognitiven Mechanismen daher leitend sein. Der radikale Interpret muß sich zunächst notgedrungen auf Äußerungen von S beschränken, die in ihm selbst zugänglichen Beobachtungssituationen gemacht werden.8 Der Interpret hat also regelmäßigen Zugang zu gewissen, von S für wahr oder falsch gehaltenen (akzeptierten oder negierten) Sätzen und kann die Umstände beobachten, unter denen S diesen Sätzen zustimmt beziehungsweise sie negiert. Die von S ersichtlich nur in ganz bestimmten Beobachtungssituationen akzeptierten beziehungsweise negierten Sätze kann man mit Quine Beobachtungssät^e nennen.9 Da L dem Interpreten unbekannt ist, weiß er jedoch nicht,
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was diese Sätze in Ϋ Munde jeweils bedeuten. Um dies herauszufinden, benötigt er gewisse Anhaltspunkte, die der jeweiligen Beobachtungssituation entstammen. Welche Anhaltspunkte sind das? Die Sinnesrei^ungen von S (seien es nun nervöse Veränderungen im Körperinnern oder chromatische u. dgl. Zellirritationen auf der Körperoberfläche) 10 sind dem Interpreten schwerlich regelmäßig zugänglich - und dürften weder im Spracherwerb noch in der alltäglichen Kommunikation, deren Möglichkeitbedingungen Davidson mithilfe seines Gedankenexperiments erforscht, eine evidenzielle Rolle spielen. Können wir doch (im allgemeinen) nicht einmal unsere eigenen Sinnesreizungen (unmittelbar) beobachten. 11 Ebensowenig dürften leibliche Ausdrucksmerkmale wie Mimik, Gestik oder Tonfall (für sich genommen) dem Interpreten helfen, die jeweilige Bedeutung — den propositionalen Gehalt - der Äußerungen von S zu eruieren. Nach dem in Kapitel 3 Gesagten ermöglichen sie es dem Interpreten zwar, den S als Bewußtseinssubjekt zu erkennen, — nicht aber, ihn als jemanden aufzufassen, der sich mit seinen Äußerungen als gegenwärtiger Besitzer (dingbezogener) propositionaler Einstellungen präsentiert. Hierzu erscheint es vielmehr erforderlich, den Blick weg von Ρ Körper und hin zu gewissen Zügen der äußeren Umstände des verbalen Verhaltens zu lenken, das S (in Anwesenheit des Interpreten) an den Tag legt. Genau dies ist Davidsons Auffassung. Doch welche Züge der äußeren Äußerungsums tände kommen für den radikalen Interpreten konkret in Betracht? Er beobachtet Regelmäßigkeiten im Zustimmungs- beziehungsweise Ablehnungsverhalten von S in bezug auf bestimmte Sätze — die Beobachtungssätze. Diese Regelmäßigkeiten betreffen S" Reaktionen auf gewisse Rei^e: J behandelt diese Reize nach Meinung des Interpreten als ähnlich. Anhand welcher Kriterien stellt der Interpret diese Regelmäßigkeiten in J"* Verhalten fest? Die fraglichen Kriterien stammen Davidson zufolge vom Interpreten selbst: Er klassifiziert seinerseits die verbalen Reaktionen von S jeweils als ähnlich und muß dabei seine persönliche Ontotogie (phänomenologisch gesprochen: seine primordiale Welt) zugrundelegen, i.e. die Art und Weise, wie er selbst die Welt in
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Dinge (beziehungsweise Ereignisse) einteilt.12 Da er keinen systematischen Zugang zu den Reizungen der Sinnesrezeptoren von S hat, kann er nämlich nicht umhin, S* Äußerungen mit Dingen (beziehungsweise Ereignissen) zu korrelieren, die er selbst in der jeweiligen Beobachtungssituation wahrzunehmen glaubt. Der Interpret folgt daher dem „Prinzip der Korrespondenz": ... it is only when an observer consciously correlates the responses of another creature with objects and events in the observer's world that there is any basis for saying the creature is responding to those objects or events rather than any other objects or events. (Donald Davidson, ,Three varieties of knowledge', S. 212)
Welchen Rechtsgrund habe ich als radikaler Interpret, die Beobachtungssätze von S mit bestimmten Dingen (beziehungsweise Ereignissen) in der von mir beobachtungsmäßig strukturierten Welt („the observer's world"), genauer gesagt: mit bestimmten Objekten in seinem primordialen Wahrnehmungsfeld, zu korrelieren, wie das Prinzip der Korrespondenz es verlangt? Davidsons Antwort greift auf den Kausalbegriff zurück; an diesem Punkte kommt zugleich der Begriff der Außenwelt ins Spiel: ... the Interpreter interprets sentences held true (which is not to be distinguished from attributing beliefs) according to the events and objects in the outside world that cause the sentences to be held true ... The causality plays an indispensible role in determining the content of what we say and believe. This is a fact we can be led to recognize by taking up ... the interpreter's point of view. (Davidson, ,Α coherence theory of truth and knowledge', S. 150)
Man beachte, daß Davidson hier die „ich"-Perspektive des (radikalen) Interpreten einzunehmen empfiehlt, um die Frage nach der Determination des Bedeutungsgehalts einer Äußerung zu klären. Dieser Interpret ist es ja, der - in Ermangelung jeglicher Kenntnis der zu interpretierenden Sprache quasi auf sich allein gestellt rein aufgrund seiner eigenen sprachlichen Kompetenz und seines Uberzeugungssystems empirische Hypothesen über die Bedeutung der von S geäußerten Beobachtungssätze anstellen muß. Etwaige Perspektivenwechsel würden im Rahmen des Gedankenexperiments nur dazu fuhren, das dem Interpreten zur Verfugung stehende Datenmaterial zu verunreinigen. Denn in intersubjekti-
Welibt^ug, Radikaänttrpretation und die Zuschreibungpropositionaler Einstellungen 89 ver Perspektive werden unweigerlich bedeutungstheoretische Theoreme über die gegenseitige Korrelation von Sätzen aus den Repertoires verschiedener Sprecher vorausgesetzt, die indessen erst noch etabliert werden müssen.13 Es fragt sich allerdings, ob Davidsons radikaler Interpret nicht allzu unkritisch die Theoreme einer (problematischen) kausalen Bedeutungstheorie zugrundelegt, wenn er ein von ihm in der Interpretationssituation beobachtetes Ding (beziehungsweise Ereignis) ohne weiteres mit der Ursache des in Frage stehenden verbalen Verhaltens von S identifiziert. Gegen diese simple Gleichsetzung läßt sich einwenden, daß manche, wenn nicht sämtliche Ereignisse, bei Lichte besehen, eine Vieli^ahl von Ursachen haben. Das scheint auch für die (affirmative oder negierende) Äußerung eines Beobachtungssatzes zu gelten. Quine z.B. betrachtet eine diese Äußerung auslösende Irritation der Sinnesrezeptoren des Sprechers als interpretationsbeziehungsweise übersetzungsrelevante Ursache, nimmt aber zugleich an, daß der radikale Interpret dem S die fragliche Äußerung durch eine Art Befragung endockt („prompted assent/dissent'). Davidson entscheidet sich für einen distalen Reiz als relevante Ursache, einen Reiz also, der sich (nach seiner Darstellung) weiter entfernt in der Kausalkette befindet, die in der fraglichen Äußerung terminiert. Und es sind gewiß noch weitere Ursachen beteiligt — sowohl diesseits als auch jenseits der Körpergrenzen von S. Mit welchem Recht wählt der radikale Interpret ein ganz bestimmtes Objekt aus seinem primordialen, also zunächst einmal in Abstraktion von intersubjektiven Aspekten betrachteten, Wahrnehmungsfeld14 als relevante Ursache aus? Davidson zufolge ist dieser Grund in der wesentlich triangulären Struktur der Interpretationssituationzu suchen, die sich in seinen Augen näherhin als kausale Struktur kennzeichnen läßt: [U]ntil the triangle is completed connecting two creatures, and each creature with common features of the world, there can be no answer to the question whether a creature, in discriminating between stimuli, is discriminating between stimuli at the sensory surfaces or somewhere further out, or further in ... It takes two points of view to give a location to the cause of a thought, and thus to define its content. We may think
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of it as a form of triangulation: each of two people is reacting differentially to sensory stimuli streaming in from a certain direction. Projecting the incoming lines outward, the common cause is at their intersection. (Davidson,,Three varieties of knowledge', S. 212 f.)
Diese Überlegung geht davon aus, daß sich die beiden Ursachenserien, welche in Ϋ affirmativer (oder negativer) Äußerung eines Beobachtungssatzes beziehungsweise in der Akzeptanz (oder Negation) dieses Satzes seitens des Interpreten enden, bis zu einer ganz bestimmten Ursache zurückverfolgen läßt, die beiden Serien gemeinsam ist. In diesem Falle hätten wir es mit zwei Kausalketten zu tun, die sich in genau einem Punkte schneiden. Dagfinn Follesdal hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß die Dinge nicht so einfach liegen, wie Davidson uns hier glauben machen will. Es sind, so Follesdal, nicht so sehr einfache Kausal^//«?, als vielmehr (mannigfach verästelte) kausale Bäume, die in einer gegebenen verbalen Reaktion terminieren; die beteiligten Ursachenserien werden sich dementsprechend an mehreren Punkten überschneiden.16 Leider gibt Follesdal kein Beispiel. Man könnte in dieser Beziehung vielleicht auf die Partikel hinweisen, die im Falle visueller Wahrnehmung Licht von ein und demselben Wahrnehmungsobjekt reflektieren und zur Netzhaut weiterleiten. Es gibt natürlich mehrere solche Partikel, und damit mehrere Stellen, an denen sich die Ursachenserien überschneiden dürften, welche in den entsprechenden visuellen Wahrnehmungen zweier zu einem gegebenen Zeitpunkt räumlich benachbarter Beobachter enden. Aus welchem Grunde, der nicht schon die Korrektheit von Davidsons Beschreibung voraussetzt, schneiden sich die von ihm für die beiderseitigen Wahrnehmungen postulierten Kausalketten just an der Stelle des Wahrnehmungsobjekts? Wie dem auch sei, Follesdals Alternativbeschreibung mit Hilfe der Baum-Metapher läßt jedenfalls ernsthafte Zweifel daran aufkommen, ob Davidsons Rekurs auf einfache Kausalketten und deren Schnittpunkt im Zusammenhang mit dem Triangulationsszenario wirklich das leistet, was er leisten soll. Im Rahmen einer Reiz-Reaktionspsychologie kann man nun aber, scheint mir, nicht umhin, mit einfachen Kausalketten zu ar-
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beiten: Es geht hier nicht zuletzt darum, den Reiz auszumachen, der eine bestimmte Verhaltensreaktion hervorruft. Deshalb ist es meines Erachtens ratsam, im Zusammenhang mit radikaler Interpretation ganz auf das Vokabular dieser Wissenschaft zu verzichten und stattdessen konsequent von Wahrnehmungsobjekten zu sprechen. Gewiß, Wahrnehmungsobjekte sind eine, wenn nicht die, Hauptursache der jeweiligen Wahrnehmungserlebnisse. Doch ist der Begriff eines solchen Objekts zunächst einmal intentionaler Natur.17 Das Wahrnehmungsobjekt ist per definitionem nichts anderes als der intentionale Gegenstand des betreffenden Wahrnehmungserlebnisses. Ob dieser Begriff einer rein kausalen Analyse respektive Elimination in der Reiz/Reaktions-Begrifflichkeit zugänglich ist, wie Davidson voraussetzt, ist eine weitergehende und (im Lichte von Follesdals Einwand) kontroverse Frage. Die entscheidende Frage fur den radikalen Interpreten lautet demnach, metarepräsentational formuliert: Welches Objekt, das ich gerade wahrnehme, soll ich mit dem Gegenstand der zu interpretierenden Beobachtungsaussage von S identifizieren (und warum)? Damit sind wir schließlich wieder bei der Ausgangs frage angelangt. Davidsons Rekurs auf den Kausalbegriff hat uns in eine Sackgasse geführt. Die indexikalische Metaüberzeugungstheorie des intentionalen Bewußtseins verheißt jedoch meines Erachtens einen Ausweg. Wie sieht dieser Ausweg aus? Erinnern wir uns: Davidson geht von einem primordialen Dingbegriff aus. Dieser Begriff repräsentiert (dingliche) Wahrnehmungsobjekte unter rein intrasubjektiv erfahrbaren Aspekten.18 Zu ihnen gehört nun meiner Meinung nach der dynamische Aspekt der Perzipierbarkeit ein und desselben Dinges von ganz verschiedenen egozentrischen Orientierungszentren (des Interpreten) aus. Zu Beginn von Kapitel 1 (§ 1) wurde die metarepräsentationale Sicht auf intentionales Bewußtsein ja bereits unter Hinweis auf die diesbezüglichen Erwartungen motiviert, die in die bewußte Wahrnehmung beispielsweise eines Tisches als solchen involviert sind. Laut indexikalischer Metaüberzeugungstheorie handelt es sich bei diesen Erwartungen um
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indexikalische, momentane Glaubenszustände, über die sich (im Modus des Selbstbewußtseins) folgendermaßen berichten läßt: (1) Ich erwarte jetzt von diesem Tisch in meinem Wahrnehmungsfeld, daß er mir so-und-so erscheinen wird, wenn ich beobachtend um ihn herumgehe. Ich habe die Personalpronomen der Ersten Person in der „daß"-Phrase, die den Gehalt der hier thematisierten Überzeugung zweiter Stufe spezifiziert, hervorgehoben, um herauszustellen, daß diese Uberzeugung auf einer rein /«//"^subjektiven Erfahrung basiert. Sie reflektiert zugleich den dynamischen Charakter der Wahrnehmung von etwas als etwas, i.e den Umstand, daß solche Wahrnehmungen von ihrem Subjekt immer schon (mindestens implizit) als momentane Komponenten ^eitübergreifender intentionaler Strukturen (wie z.B. einer kontinuierlichen Wahrnehmungssukzession im Rahmen einer Beobachtung) betrachtet werden. Wenn ich bewußt einen Tisch als solchen sehe, dann habe ich (zumindest unbewußt) gewisse Erwartungen bezüglich weiterer (möglicher) Wahrnehmungen desselben Tisches. Soweit ich diese Erwartungen — wie im Falle von (1) — rein intrasubjektiv spezifizieren kann, handelt es sich bei dem Dingbegriff, der sich aus den betreffenden Wahrnehmungen destillieren läßt, um den primordialen Begriff beispielsweise eines Tisches. Dieser Begriff schließt bereits die (metadoxastische) Idee der Identität des jeweiligen Wahrnehmungsobjekts über verschiedene Wahrnehmungen hinweg ein.19 Er abstrahiert jedoch gänzlich von deren intersubjektiver Dimension. (Auf den dynamischen Aspekt dieses Begriffs werde ich unten im Zusammenhang mit der Frage zurückkommen, wie sich die Wahrheitsbedingung einer Beobachtungsaussage bestimmen läßt, ohne dabei, wie Davidson, auf eine Kausaltheorie des Wahrnehmungsbezugs zurückzugreifen.) Gerade diese intersubjektive Dimension ist aber in unserem Zusammenhang die entscheidende. Die Frage lautet: Wie vermag der radikale Interpret in einer gegebenen Beobachtungs- und Interpretationssituation die folgende intersubjektive Identitätsannahme zu rechtfertigen?
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(2) Das Objekt, von dem die Beobachtungsaussage des Anderen (i) handelt, ist identisch mit einem bestimmten Objekt in meinem Wahrnehmungsfeld. Spätestens an diesem Punkte ist es für unseren Interpreten erforderlich, auf die Möglichkeitsbedingungen seines Projektes der radikalen Interpretation zu reflektieren. Eine solche Reflexion liefert ihm, wie sich sogleich zeigen wird, die ultimative Rechtfertigung der fraglichen Identitätsannahme. Aus der „ich"-Perspektive des Interpreten formuliert, sieht die entsprechende Begründung folgendermaßen aus: Wenn ich S verstehen will, kann ich nicht umhin, meine eigenen Ahnlichkeits- und Identitätskriterien auf Ϋ Verhalten anzuwenden. Mein erstes Ziel muß es sein, die Beobachtungsaussagen von S zu interpretieren. Ich selbst beziehe meine Beobachtungssätze auf Dinge (beziehungsweise Ereignisse) in meinem eigenen Wahrnehmungsfeld — und allenfalls indirekt auf dergleichen wie Reizungen der Sinnesrezeptoren.20 Angenommen, ich stelle fest, daß S dem Satz „Gavagai" systematisch in solchen (und nur solchen) Beobachtungssituationen zustimmt, in denen ich selbst die Anwesenheit eines Kaninchens in meinem Wahrnehmungsfeld konstatieren würde. Nun hoppelt wieder ein Kaninchen vorbei; ich frage den S: „Gavagai?"; und S stimmt diesem Einwortsatz zu. Wenn ich S' entsprechende Beobachtungsaussage auf der Basis eines von mir selbst akzeptierten Beobachtungssatzes verstehen möchte, muß ich das Kaninchen in meinem Wahrnehmungsfeld mit dem Gegenstand dieser Aussage identifizieren. (Sie bedeutet demzufolge soviel wie meine Beobachtungsaussage „Da, ein Kaninchen!".) Dieses Verdikt ist verallgemeinerungsfähig, insofern das Kaninchenbeispiel für die radikale Interpretation (der affirmativen Äußerung) eines Beobachtungssatzes paradigmatisch ist. Wenn ich also in einer radikalen Interpretationssituation die Beobachtungsaussagen eines Sprechers verstehen möchte, muß ich die Gegenstände, von denen diese Aussagen handeln, mit bestimmten Dingen (beziehungsweise Ereignissen) in meinem Wahrnehmungsfeld identifizieren.
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Eine derartige Gleichsetzung impliziert trivialerweise die numerische Identität des Objekts zweier Beobachtungsaussagen, die von verschiedenen Subjekten gemacht werden (können), nämlich einerseits vom Sprecher und andererseits vom Interpreten. Der primordiale Dingbegriff des Interpreten läßt sich hier nicht mehr isoliert anwenden. Stattdessen ist ein intersubjektiver Dingbegriff vonnöten, der auf die Wahrnehmungsobjekte verschiedener Subjekte zugeschnitten ist. Der Interpret kann nunmehr die folgende Konsequenz ziehen: Das Prinzip der Korrespondenz also die Annahme, daß der Sprecher seine Beobachtungssaussagen in einer gemeinsamen Beobachtungssituation auf dieselben Dinge (beziehungsweise Ereignisse) bezieht wie ich selbst, bildet eine Grundbedingung erfolgreicher Radikalinterpretation. Hier ist nicht mehr von Reizen, Reaktionen und Kausalketten die Rede. Es stellt sich gar nicht erst die Frage, ob der radikale Interpret sich an distale oder proximale Reize halten soll. Stattdessen trägt der intersubjektive Begriff eines gemeinsamen Wahrnehmungsobjekts die Erklärungslast. Dieser Begriff stammt aus dem konzeptuellen Repertoire des Interpreten. Wenn der Interpret S verstehen will, muß er jedoch unterstellen, daß S das fragliche Ding ebenfalls als Teil der gemeinsamen Wahrnehmungsumgebung auffaßt (und insofern auch einen intersubjektiven Objektbegriff auf dieses Ding anwendet). Nur unter dieser Bedingung ist sichergestellt, daß Sprecher und Interpret in ihren Beobachtungsaussagen tatsächlich über dasselbe sprechen und nicht vielmehr aneinander vorbeireden. Und Ziel des Interpreten muß es sein, seine eigenen Beobachtungssätze auf dieselben Dinge (beziehungsweise Ereignisse) zu beziehen wie S (siehe oben). Reden die beiden diesbezüglich fortwährend aneinander vorbei, ist der radikale Interpretationsversuch gescheitert. Man kann dies auch so wenden: Eine der Grundbedingungen gelingender Radikalinterpretation besteht darin, daß der Interpret den in Frage stehenden Beobachtungsaus sagen des Sprechers im wesentlichen dieselben Wahrheitsbedingungen zuordnet wie den einschlägigen Beobachtungsaussagen, die er selbst in der betreffen-
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den Interpretationssituation macht:21 im vorliegenden Beispiel also die Anwesenheit eines Kaninchens in der fraglichen Beobachtungssituation. Nach dem Gesagten muß ein derart „wohlwollender" Radikalinterpret somit unterstellen, daß in die Wahrheitsbedingungen der entsprechenden eigenen beziehungsweise von S getroffenen Beobachtungsaussagen dieselben Objekte sowie Objekte derselben Sorte involviert sind. In diesem Sinne kann er nicht umhin, dem S seine eigene Vorstellung von Wahrheit zu unterstellen, wie Davidson es im obigen Zitat aus ,Rational animals' ausdrückt, und die angestrebte Interpretation kann nur gelingen, wenn diese Unterstellung zutrifft. Man kann sich also aus der Perspektive des Radikalinterpreten heraus klarmachen, daß der Erfolg seines Projekts davon abhängt, daß S mit ihm (im gerade erläuterten Sinne) eine gemeinsame Wahrheitsauffassung teilt. Von hier aus scheint es nurmehr ein kleiner Schritt zur innerweltlichen Lokalisierung eines wahrgenommenen Objekts zu sein. Der Interpret geht von der eigenen räumlich-egozentrischen Perspektive auf das gemeinsame Wahrnehmungsobjekt aus („dieses Ding da drüben'4). Durch bewußte Einfühlung (vgl. oben, Kapitel 3, § 7) kann er sich vergegenwärtigen, daß S dieses Ding ebenfalls aus einer räumlich-egozentrischen Perspektive heraus wahrnimmt — wenn auch notgedrungen aus einer anderen. Was die beiden Perspektiven zu Perspektiven auf dasselbe Objekt macht, ist prima fade der Umstand, daß sie an einer bestimmten Stelle konvergieren, an der sich so etwas wie ein Wahrnehmungshindernis befindet.22 Dieser Konvergenzpunkt23 ist die aktuelle objektive Raumtgitposition des Dinges, auf das Sprecher und Interpret ihre Beobachtungssätze beziehen. Der Begriff eines perspektivischen Konvergenzpunktes (der Wahrnehmungen zweier Subjekte) ist nicht mit dem Problem der kausalen Bäume behaftet, auf das Follesdal im Zusammenhang mit Davidsons kausaltheoretischer Auffassung aufmerksam gemacht hat. Der Grund ist denkbar einfach: Es handelt sich gar nicht um einen kausalen Begriff, sondern vielmehr um die Verall-
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gemeinerung eines Begriffs aus der Theorie der Zentralperspektive.
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„Verallgemeinerung" deshalb, weil dieser Begriff den Anspruch erhebt, auch auf nicht-visuelle Wahrnehmungen verschiedener Subjekte anwendbar zu sein. Auditive Wahrnehmungen z.B. können ebenfalls perspektivisch konvergieren. Wenn das Subjekt Λ sich weiter von einer Geräuschquelle entfernt befindet als das Subjekt Β, dann kann es sein, daß Λ einen Ton als leise oder auch weit entfernt empfindet, den Β je nachdem als laut oder nahe wahrnimmt. Die beiden Wahrnehmungen konvergieren dann perspektivisch an einer bestimmten Raumzeitstelle, an der die fragliche Geräuschquelle den beiderseits wahrgenommenen Ton produziert, sie repräsentieren diesen Ton jedoch unter je verschiedenen egozentrischen Aspekten. Bei diesen kursorischen Bemerkungen möchte ich es bewenden lassen; eine wahrnehmungstheoretisch befriedigende Ausarbeitung der Idee eines perspektivischen Konvergenzpunktes würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Es erhebt sich jedoch die grundsätzliche Frage, ob dieser Begriff die theoretische Funktion zu erfüllen vermag, die Davidson dem Begriff der gemeinsamen Ursache zweier Beobachtungsaussagen zugedacht hatte: die Festlegung der Wahrheitsbedingungen interpretationsrelevanter Beobachtungsaussagen des Sprechers respektive Interpreten unter Bedingungen der radikalen Interpretation. Für sich genommen, ist der Begriff eines perspektivischen Konvergenzpunktes mit dieser Aufgabe überfordert. Daraus, daß die aktuellen Wahrnehmungen zweier Subjekte an einer objektiven Raumstelle konvergieren, an der sich ein Wahrnehmungshindernis befindet, folgt nicht, daß den entsprechenden Beobachtungsaussagen dieselben Wahrheitsbedingungen zukommen. Man denke etwa an eine „ambige" Beobachtungs situation, wie sie die bekannte Vexierfigur mit dem Hasen/Entenkopf bildlich repräsentiert.^ Der Interpret mag aufgrund seiner Wahrnehmung den Beobachtungssatz „Da, ein Hase!" akzeptieren, während S aufgrund seiner Wahrnehmung einen Satz für wahr hält, den der Interpret mit „Da, eine Ente!" übersetzen würde.26 Die betreffenden Aussagen haben kla-
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rerweise verschiedene Wahrheitsbedingungen. (Das zeigt sich schon daran, daß sie mit unterschiedlichen Erwartungen über den weiteren Beobachtungsverlauf verknüpft sind; dazu gleich mehr.) Aus diesem Beispiel lassen sich zwei in unserem Zusammenhang relevante Lehren ziehen. 1. Es ist gut möglich, daß in der Hasen/Enten-Situation die betreffenden Wahrnehmungen des Sprechers beziehungsweise Interpreten nicht nur perspektivisch konvergieren, sondern
auch auf ganz ähnlichen Sinnesreiyungen basieren, obwohl der Eine etwas als Ente sieht, das der Andere als Hase wahrnimmt. Ahnlichkeitsrelationen zwischen Sinnesreizungen erscheinen daher ungeeignet, die gemeinsame Wahrheitsbedingung der beteiligten Beobachtungsaussagen zu determinieren.27 2. Die radikale Interpretation eines Beobachtungssatzes kann nur dann gelingen, wenn die intentionalen Gehalte der involvierten Wahrnehmungen auf selten des Sprechers beziehungsweise Interpreten die räumliche Welt auf dieselbe Weise strukturieren, also dieselben Begriffe enthalten. (Man könnte diese These als Prinzip der begrifflichen Korrespondenz bezeichnen.) Was den zweiten Punkt anlangt, so greift hier nach meiner Auffassung wiederum die indexikalische Metaüberzeugungstheorie, und zwar in Verbindung mit dem bereits herausgestellten dynamischen Aspekt des (primordialen) Dingbegriffs. Betrachtet man nämlich die jeweiligen zeitübergreifenden intentionalen Strukturen, in welche sich die perspektivisch konvergierenden Wahrnehmungen des Sprechers respektive Interpreten einfügen, so ergeben sich aufgrund der verschiedenen MetaÜberzeugungen, die für die jeweiligen bewußten Wahrnehmungen konstitutiv sind, unterschiedliche Metaerwartungen. Während der Interpret erwartet, im weiteren Beobachtungsverlauf mit dem typischen Verhalten eines Hasen konfrontiert zu werden, rechnet S diesbezüglich mit dem charakteristischen Verhalten (z.B. dem typischen „Watschelgang") einer Ente. Diese unterschiedlichen Erwartungen schlagen sich in den verschiedenen Begriffen nieder, welche in die beiderseitigen intentionalen Wahrnehmungsgehalte eingehen: Der Interpret sieht
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ein Objekt bewußt als Hase, das von S als Ente perzipiert wird. Die Anforderung, welche das Prinzip der begrifflichen Korrespondenz an die erfolgreiche Radikalinterpretation eines Beobachtungssatzes stellt, ist daher im vorliegenden Beispiel nicht erfüllt: Nur wenn die genannten Begriffe nach Meinung des Interpreten übereinstimmen, liefert ihm der perspektivische Konvergenzpunkt derjenigen Wahrnehmungen des Sprechers beziehungsweise Interpreten, auf denen die relevanten Beobachtungsaussagen in einer radikalen Interpretationssituation basieren, nicht nur eine objektive Raumstelle, an der sich zu einer gegebenen Zeit ein Objekt dieser oder jener Sorte befinden könnte, sondern auch objektive Wahrheitsbedingungen für die relevanten Beobachtungsaussagen des Sprechers (S). — Erst dann kann mit Fug und Recht von der objektiven innerweltlichen Lokalisierung des betreffenden Dinges (beziehungsweise Ereignisses) durch den Interpreten (und gleichzeitig von einer erfolgreichen Interpretation der fraglichen Aussagen) gesprochen werden. Das Dreieck, welches Sprecher, Interpret und gemeinsames Diskursobjekt auf die richtige Weise miteinander verbindet, ist komplett. Es geht hier, wohlgemerkt, um die Bestimmung objektiver Wahrheitsbedingungen vermittels vom Interpreten akzeptierter Beobachtungssätze. Seine entsprechenden Beobachtungsaussagen handeln von Objekten, die er selbst wahrnimmt, und zwar unter den Aspekten, unter denen er diese Objekte eben begrifflich repräsentiert. Sieht der Interpret etwas, von dem er festgestellt hat, daß S den Satz „Gavagai" immer und nur dann akzeptiert, wenn es in seinem Wahrnehmungsfeld erscheint, durchweg als Hase und nicht als Ente, so kann er in der radikalen Interpretationssituation nicht umhin, S' Beobachtungsaussage mit einem Beobachtungssatz wie „Da, ein Hase!" zu korrellieren (es sei denn, er hat Grund zu der Annahme, daß der von ihm wahrgenommene Hase für S wie eine Ente aussieht). Deshalb handelt diese Aussage für den Interpreten von einem Hasen als solchen. Das heißt selbstverständlich keineswegs, daß es sich bei diesem Objekt nicht de facto um eine Ente handelt. Es bedeutet jedoch, daß die Wahrheitsbedingung, mit der unser Interpret die zu interpretierende
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Beobachtungsaussage versieht, einen Hasen und keine Ente involviert.
§ 4. Ein interpretationstheoretisches Argument für die Simulationstheorie der Fremdzuschreibung propositionaler Einstellungen Muß der radikale Interpret stets bestrebt sein, die (positiven oder negativen) Beobachtungsaussagen von S mit (nach seiner Beobachtung) erfüllten Wahrheitsbedingungen zu korrelieren? Diese Frage ist zu verneinen. Das wird an einem simplen Beispiel von Follesdal deutlich: I am together with a person who speaks a language which I do not know, but would like to learn. He frequently uses the phrase „Gavagai" and I have formed a hypothesis that it has to do with rabbits. While we are in a forest and I note a rabbit I try out the phrase „Gavagai". However, my friend dissents ... If I now discover that there is a big tree between my friend and the rabbit, I immediately have an explanation for our disagreement: I take it for granted that my friend, like me, is not able to see through trees and that he therefore does not think that there is a rabbit there. I even take my friend's dissent as confirming my hypothesis; I do not expect him to believe that there is a rabbit there. (Fellesdal, .Triangulation', S. 723)28
Radikale Interpretation erfordert, wie dieses Beispiel veranschaulicht, nicht nur „äußere" Beobachtungsgabe (und Verallgemeinerungsfähigkeit), sondern auch JEinfühlungsvermögen. Die Applikation geläufiger theoretischer Prinzipien der Alltagspsychologie verbietet sich hier ja schon deshalb, weil die Anwendbarkeit dieser Prinzipien auf das Verhalten des Sprechers durch radikale Interpretation allererst etabliert werden muß. Der Interpret muß daher imstande sein, sich hypothetisch in die Lage des Sprechers zu versetzen und sich ohne Rekurs auf ein alltagspsychologisches Gesetz (oder auf entsprechendes theoretisches Wissen) zu vergegenwärtigen, aus welcher Perspektive heraus der Sprecher die gemeinsame Umgebung wahrnimmt. (Gelegentlich stellt sich auf diese Weise — wie im vorliegenden Beispiel — heraus, daß sich Sprecher und In-
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terpret nicht mit derselben Beobachtungssituation konfrontiert sehen, so daß Davidsons Prinzip der Korrespondenz, das ja von einer gemeinsamen Beobachtungssituation ausgeht, nicht mehr greift.) Manchmal ist es dazu nötig, die von Stein beschriebene zweite Einfuhlungsstufe zu betreten, also die kognitive Situation des Sprechers beivußt zu simulieren (vgl. oben, Kapitel 3, § 7). Mit einem solchen Fall haben wir es bei Follesdals Beispiel zu tun. Mehr noch: Wenn man in Ergänzung zu Follesdals Beispiel eine modifizierte Variante dieses Exempels betrachtet, kann man sich meines Erachtens klarmachen, daß radikale Interpretation (von Beobachtungsaussagen) stets auf bewußter mentaler Simulation basiert. Zunächst eine kurze Vorüberlegung. Der Radikalinterpret prüft beständig Hypothesen, die er selbst aufgestellt hat, um sie gegebenenfalls im Lichte neuer Beobachtungen zu revidieren. Dies erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit — und dürfte daher durchweg bewußt vonstatten gehen. Nun muß der Interpret dabei immer wieder eigene Beobachtungssätze mit denen des Sprechers korrelieren. Da sich der Sprecher zu einem gegebenen Beobachtungssatz nur in bestimmten Beobachtungs Situationen zustimmend beziehungsweise ablehnend verhält, dürfte die jeweilige Bedeutung eines solchen Satzes systematisch von der egozentrischen Wahrnehmungsperspektive des Sprechers zum Außerungszeitpunkt abhängen. Um diese Bedeutung eruieren, hat der Interpret die Wahrnehmungsperspektive des Sprechers dementsprechend %u berücksichtigen, ohne dabei natürlich seine eigene momentane Wahrnehmungsperspektive aufgeben zu können. Wenn wir Follesdals Beispiel passend modifizieren, erhalten wir ein Beispielpaar, das geeignet ist, dieses allgemeine Interpretationsprinzip in bezug auf Beobachtungsaussagen zu etablieren. Man stelle sich vor, der Sprecher stimme in der von Follesdal beschriebenen Situation dem Satz „Gavagai" Da der Interpret weiß, daß der Sprecher das Kaninchen in seinem (des Interpreten) Wahrnehmungsfeld nicht sehen kann, ist er nicht berechtigt, die Beobachtungsaussage des Sprechers auf das fragliche Kaninchen zu beziehen. Um seine Interpretationshypothese, daß „Gavagai"
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soviel bedeutet wie „Da, ein Kaninchen!", zu retten, muß der Interpret vielmehr nach einem etwaigen anderen Kaninchen Ausschau halten, das sich im Wahrnehmungsfeld des Sprechers befindet. Zieht man diese Variante des Beispiels zusammen mit Follesdals ursprünglicher Version in Betracht (in der der Sprecher den Satz „Gavagai" ablehnt), dann sieht man: Prinzip der Einßhlungsbasiertheit radikaler Interpretation Akzeptiert oder negiert S einen Beobachtungssatz (wie z.B. „Gavagai"), so darf der Interpret diesen Satz nur dann auf ein bestimmtes Objekt (beispielsweise ein Kaninchen) in seinem eigenen Wahrnehmungsfeld beziehen, wenn er in der Annahme gerechtfertigt ist, daß S dieses Objekt ebenfalls wahrnimmt. Diese Berechtigung liegt erst dann vor, wenn der Interpret die egozentrische Wahrnehmungsperspektive von S mit ins Kalkül gezogen hat. Da dieses „Ins-Kalkül-ziehen" in der radikalen Interpretationssituation ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfordert (und einschlägige theoretische Prinzipien nicht zur Verfügung stehen; siehe oben), muß der Interpret hierzu stets die zweite Einfühlungsstufe betreten, sich also bewußt in die Lage des Anderen versetzen und seine Wahrnehmungssituation dabei mental simulieren. Das kann z.B. dadurch geschehen, daß der Interpret sich vergegenwärtigt, welchen Beobachtungssatz er selbst akzeptieren würde, wenn er die augenblickliche egozentrischen Perspektive des Sprechers einnähme („Wenn ich jetzt in der Lage des Sprechers wäre, würde ich den Satz ,Da, ein Kaninchen!' akzeptieren").29 - Mithin basiert radikale Interpretation durchweg auf bewußter mentaler Simulation. Mit der eben gezogenen Konsequenz von der Einfühlungsbasiertheit radikaler Interpretation stimme ich (zumindest im Resultat) mit Quine überein, der sich in Λ Pursuit of Truth unser, wie er sagt, beinahe „unheimliches Talent" in Sachen Einfühlung zunutze macht, um zu erklären, wie es dem Feldlinguisten gelingt, einen Fuß in die Tür der fremden Sprachgemeinschaft zu bekommen.30 In meiner Begründung habe ich mich allerdings weitgehend an Davidsons Triangulationsmodell der radikalen Interpretation orien-
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tiert. Wenn ich recht habe, funktioniert die Triangulationsmethode indes — contra Davidson 31 - nur dann, wenn der Interpret den Sprecher bewußt simuliert. Da das Gedankenexperiment der Radikalinterpretation die Mechanismen freilegt, die unserer alltäglichen Kommunikation über raumzeitliche Objekte mindestens implizit zugrundeliegen (siehe oben), ergibt sich hieraus in weiterer Konsequenz: Unsere sprachliche Verständigung über raumzeitliche Objekte basiert jederzeit auf bewußter oder unbewußter mentaler Simulation. Ausgehend von der These, daß radikale Interpretation auf bewußter mentaler Simulation basiert, läßt sich nun darüber hinaus für die Simulationstheorie der Fremd^uschreibung propositionaler Einstellungen (betreffs raumzeitlicher Dinge respektive Ereignisse) argumentieren. Diese Theorie besagt, daß wir solche Einstellungen anderen Subjekten auf der Basis (bewußter oder unbewußter) mentaler Simulation zuschreiben, also dergestalt, daß wir uns dazu (bewußt oder unbewußt) hypothetisch in die kognitive Situation des Anderen hineinversetzen. Das interpretationstheoretische Argument für die Simulationstheorie lautet wie folgt. 1. Die radikale Interpretation einer Beobachtungsaussage geht mit der Zuschreibung propositionaler Einstellungen (an den Sprecher) Hand in Hand. Erläuterung: Der Interpret schreibt dem Sprecher die Meinung zu, daß der geäußerte Beobachtungssatz s wahr (beziehungsweise falsch) ist; er korreliert diesen Satz mit einem Beobachtungssatz s' aus seinem eigenen Vorrat, den er selbst in der Beobachtungssituation für wahr hält, und schreibt dem Sprecher infolgedessen eine Uberzeugung zu, die in seinen (des Interpreten) Augen genau dann wahr ist, wenn s' zum Beobachtungszeitpunkt im eigenen Munde wahr ist. 2. Wie wir gesehen haben, beruht dieser Vorgang auf bewußter mentaler Simulation.
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Erläuterung. Der Interpret muß s' so wählen, daß dieser Satz möglichst gut zur egozentrischen Perspektive des Sprechers in der Beobachtungssituation paßt. 3. Das Gedankenexperiment der radikalen Interpretation gibt über die kognitiven Mechanismen Aufschluß, die unserer sprachlichen Kommunikation über raumzeitliche Objekte zugrundeliegen (siehe oben). 4. Unsere alltägliche Praxis der Einstellungszuschreibung ist eng mit unserer sprachlichen Kommunikationspraxis verflochten. Erläuterung. Zu den wichtigsten Kriterien propositionaler Einstellungen gehört deren „Kundgabe" durch Satzäußerungen. Umgekehrt betrachten wir Satzäußerungen nur dann als „aufrichtig", wenn der Sprecher eine entsprechende propositionale Einstellung besitzt. 5. Konklusion: Folglich dürften die für die Überzeugungszuschreibung in der radikalen Interpretations situation essentiellen Simulationsmechanismen auch im Zuge unserer alltäglichen Zuschreibung propositionaler Einstellungen (betreffs raumzeitlicher Objekte) wirksam sein — sei es nun bewußt oder unbewußt.32 Obwohl ich explizit lediglich den Fall der Interpretation von Beobachtungsaussagen betrachtet habe, ist die Konklusion des vorstehenden Arguments wesentlich allgemeiner. Sie besagt, daß Zuschreibungen propositionaler Einstellungen (bezüglich raumzeitlicher Objekte) stets auf mentaler Simulation beruhen. Ehe ich zu einer näheren Erörterung der Simulationstheorie übergehe, möchte ich die bisher erreichten Resultate nutzen, um die eingangs unter dem Schlagwort „Alterität begründet Objektivität" aufgestellte These, wie versprochen, argumentativ zu untermauern.
§ 5. Eine interpretationstheoretische Rechtfertigung der Annahme einer objektiven raumzeitlichen Welt Wir haben uns aus der „ich"-Perspektive des Interpreten klargemacht, daß die erfolgreiche Radikalinterpretation einer Beobach-
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tungsaussage ihrer Möglichkeit nach von der objektiven Lokalisierung eines Wahrnehmungsobjekts innerhalb einer triangulären Kommunikationsstruktur abhängt. Der entsprechende Interpretationsgrundsatz - das Prinzip der Korrespondenz - läuft auf die Annahme hinaus, daß der Sprecher seine (relevanten) Beobachtungssaussagen in der Interpretationssituation auf dieselben Wahrnehmungsobjekte bezieht wie der Interpret selbst. Darüber hinaus haben wir festgestellt, daß die kognitiven Simulationsmechanismen, die der radikalen Interpretation einer Beobachtungsaussage zugrundeliegen, gleichzeitig für die Zuschreibung propositionaler Einstellungen (im Folgenden kurz „Einfühlung" genannt) konstitutiv sind — zumindest qua unbewußte mentale Simulation. Demnach muß sich (aus der „ich"-Perspektive heraus) ein ähnlicher Grundsatz bezüglich der Möglichkeitsbedingungen gelingender Einfühlung ausweisen lassen wie im Bereich der radikalen Interpretation (Prinzip der Korrespondenz); und dies auf ganz analogem Wege. So ergibt sich eine „subjektive" Begründung der in Frage stehenden Voraussetzung der Existenz einer objektiven Welt, welche bemerkenswerterweise (wenigstens im finalen Begründungsschritt) mit der von Stein in ihrem Husserl-inspirierten Traktat Über Einfühlung vorgelegten phänomenologischen Begründung übereinstimmt. Dies ist natürlich kein Zufall, sondern eine Konsequenz unseres methodischen Ausgangs vom „primordialen" Begriff eines Wahrnehmungsobjekts. Die Begründung lautet wie folgt. Um dem Anderen aufgrund seiner Beobachtungsaussagen erfolgreich Überzeugungen zuschreiben zu können, muß ich diese Uberzeugungen auf dieselben Wahrnehmungsobjekte beziehen wie die Überzeugungen, welche meinen eigenen (relevanten) Beobachtungsaussagen in der betreffenden Beobachtungssituation zugrundeliegen. Die entsprechende triangulare Struktur „Ich — der Andere - der gemeinsame Gegenstand unserer Wahrnehmungsmeinungen" bildet somit eine Möglichkeitsbedingung gelingender Einfühlung (betreffs einzelner Dinge beziehungsweise Ereignisse). Fühle ich mich nun bewußt in den
Weltbe^ug, Radikalinterpretation und die Zuscbmbung propositionaler Einstellungen 105 Anderen unter dem „triangulären" Aspekt ein (intersubjektive Erfahrung), daß er aus seiner eigenen egozentrischen Perspektive heraus dasselbe innerweltliche Objekt wahrnimmt wie ich aus der meinen, so gewinne ich die Husserl/Stein-Rechtfertigung der Annahme einer objektiven, also unabhängig von meinem kognitiven Zustand existierenden, Welt: Die wahrgenommene und die einfühlungsmäßig gegebene [Welt] ist dieselbe Welt, verschieden gesehen. Aber nicht nur dieselbe von verschiedenen Seiten gesehen, wie wenn ich originär wahrnehmend von einem Standpunkt zum andern ... übergehe ... [D]er neue [Standpunkt] tritt nicht an die Stelle des alten, ich halte beide gleichzeitig fest. Dieselbe Welt stellt sich nicht bloß jetzt so und dann anders dar, sondern gleichzeitig auf beide Weisen. Und sie stellt sich nicht nur abhängig vom jeweiligen Standpunkt verschieden dar, sondern auch abhängig von der Beschaffenheit des Betrachters. Damit erweist sich die Wdterscheinung als abhängig vom individuellen Bewußtsein, die erscheinende Weit aber — die dieselbe bleibt, wie und wem immer sie erscheint - als bewußtseinsunabhängig ... So wird die Einfühlung als Fundament intersubjektiver Erfahrung Bedingung der Möglichkeit einer Erkenntnis der existierenden Außenwelt ... (Stein, Zum Problem derEinfiihlung, § 5g, S. 72)33
Es fällt auf, daß Stein hier nicht nur die jeweilige egozentrische Perspektive (den jeweiligen „Standpunkt"), sondern auch die je eigene „Beschaffenheit des Betrachters" ins Spiel bringt; gemeint ist die individuelle Verfaßtheit seines Wahrnehmungsapparats.34 Dieser Schritt erscheint mir jedoch für Steins Begründungszwecke entbehrlich. Die individuelle „Welterscheinung" ist schon deshalb bewußtseinsabhängig, weil sie eine Funktion der egozentrischen Perspektive des jeweiligen Wahrnehmungssubjekts ist. Demgegenüber ist die gemeinsame Außenwelt, auf welche ich die eigenen sowohl als auch die eingefühlten Wahrnehmungserlebnisse beziehen muß, bewußtseins#«abhängig; was zu begründen war. Zum Abschluß dieses Kapitels möchte ich die Simulationstheorie noch etwas eingehender erörtern. Ihr steht als Rivalin die sogenannte Theorie-Theorie gegenüber, der zufolge es sich bei der Fremdzuschreibung stets um die Anwendung einer oder mehrerer31 alltagspsychologischer Theorien handelt, deren Gesetze es
106 Weltbe%u& Radikalinterpretation und die Zuschreibung prapositionaler Einstellungen uns ermöglichen, das Verhalten anderer zu verstehen bzw. vorherzusagen, und deren Applikation nicht in jedem Falle mentale Simulation voraussetzt. Es ist die letztere Teilbehauptung, welche in krassem Gegensatz zur Simulationstheorie steht.
§ 6. Zurückweisung der Theorie-Theorie Das folgende „Wahrnehmungsprinzip" bildet ein zentrales Element unserer Alltagspsychologie: Wenn jemand, Α, seine Aufmerksamkeit in bestimmter Weise auf eine Situation j- richtet, und wenn p eine Tatsache bezüglich j" ist, die auf eben diese Weise wahrnehmungsmäßig hervorsticht, dann wird Λ {ceteris paribus) die Meinung erwerben, daß p.ib Es unterliegt meines Erachtens keinem Zweifel, daß derartigen Prinzipien — seien es nun induktive Verallgemeinerungen wie das „Wahrnehmungsprinzip" oder Regeln nach Maßgabe psychologischer Kriterien a la Wittgenstein — in unserer alltäglichen Zuschreibungspraxis eine bedeutsame Rolle zukommt. Die Frage ist nur: Lassen sich diese Prinzipien auch ohne mentale Simulation anwenden? Im Falle des sogenannten Wahrnehmungsprinzips laut Botterill eines von drei besonders grundlegenden alltagspsychologischen Grundsätzen37 — scheint mir die Antwort negativ auszufallen. Denn um festzustellen, auf welche Weise (unter welchem Aspekt) der Andere seine Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Situation richtet, und ob die Tatsache, daß p, für ihn wahrnehmungsmäßig hervorsticht, kann ich nicht umhin, die egozentrische Perspektive des Anderen zum BeobachtungsZeitpunkt zu berücksichtigen. Und dazu muß ich mich, scheint's, hypothetisch in die Lage des Anderen versetzen, sprich: eine mentale Simulation vollziehen (sei es bewußt oder unbewußt). Das fragliche Zuschreibungsprinzip macht die mentale Simulation des Anderen also offenbar keineswegs überflüssig, sondern setzt sie vielmehr schon voraus.
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Für sich genommen, bildet dieses Argument nicht mehr als eine Plausibilitätsüberlegung zugunsten der Simulationstheorie, die ein Theorie-Theoretiker etwas durch die Gegenhypothese anfechten könnte, daß bei der Anwendung des Wahrnehmungsprinzips lediglich (wie auch immer geartetes) theoretisches perspektivisches Wissen aktiviert wird. Vor dem Hintergrund des interpretationstheoretischen Arguments aus § 4 erscheint diese Hypothese jedoch wenig glaubwürdig; es bietet einen unabhängigen Grund für die Behauptung, daß die Theorie-Theorie in der hier diskutierten Form unhaltbar ist.38 Ich sage bewußt „in der hier diskutierten Form". So wie ich die Termini „Simulationstheorie" und „Theorie-Theorie" verwende, betrifft der Streit zwischen Simulations- und Theorie-Theoretikern nämlich nicht den Erwerb, sondern die konkrete Anwendung alltagspsychologischer (mentalistischer) Begriffe wie Wahrnehmen, Glauben, Wünschen, Beabsichtigen usw. — namentlich bei der Fremdzuschreibung propositionaler Einstellungen. Dieser Streit darf folglich nicht mit der Auseinandersetzung darüber verwechselt werden, ob die Ausbildung unseres mentalistischen Begriffssystems entwicklungspsychologisch am zweckmäßigsten als eine Spielart des wissenschaftlichen Theoriewandels zu beschreiben ist. Diese von Gopnik und Wellman39 sowie Carruthers40 vertretene Auffassung ist für Simulationstheoretiker (im hier intendierten Sinne des Wortes) durchaus akzeptabel. Es wäre nämlich denkbar, daß eine je nach Lebensalter mehr oder weniger hochentwickelte alltagspsychologische Theorie den impliziten Hintergrund bildet, vor dem mentale Simulationsprozesse jeweils Einstellungszuschreibungen generieren. Diese vergleichsweise moderate simulationstheoretische Option haben Gopnik und Wellman und auch Carruthers meines Erachtens übersehen.41 Ihr gilt mein Plädoyer im vorliegenden Kapitel. Die Auffassung der sogenannten radikalen Simulations theorie, wonach wir die erforderlichen alltagspsychologischen Begriffe auf der Grundlage (unter anderem) von mentaler Simulation allererst erwerben,42 halte ich hingegen ebenfalls für unplausibel.
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§ 7. Kritik der sogenannten radikalen Simulationstheorie Erstens sehe ich nicht, wie man sich in jemanden hineinversetzen kann, der etwas Bestimmtes glaubt (und zwar unter dem Aspekt, daß er sich in dem fraglichen Glaubenszustand befindet), ohne bereits über den Glaubensbegriff zu verfugen. Der radikale Simulationstheoretiker könnte hierauf vielleicht
erwidern, daß der fragliche Simulationsprozeß nicht bernßt vollzogen werden muß. Zweitens jedoch erwerben Kinder nach den in Kapitel 1 (§ 4) herangezogenen entwicklungspsychologischen Studien den alltagspsychologischen Glaubensbegriff mit schöner Regelmäßigkeit im Alter von ungefähr 4 Jahren. (Ausnahmen bilden lediglich Kinder mit geistigen Störungen.) Das kann schwerlich ein Zufall sein, sondern spricht dafür, daß unsere basalen alltagspsychologischen Fähigkeiten (die sogenannten mind-reading abilities) angeboren sind. Wenn dem aber so ist, dann müssen sich Kinder nicht notwendigerweise in andere Menschen hineinversetzen, um den Glaubensbegriff zu erwerben, sei es bewußt oder unbewußt. Vielmehr muß sich ihr Gehirn lediglich bis zu einem gewissen Grade entwickeln, und sie müssen darüber hinaus (aus der Beobachterperspektive) in die soziale Praxis — das „Sprachspiel" — der Glaubenszuschreibung eingeführt werden. Man kann diesen Vorgang durchaus zutreffend als die individuelle Herausbildung (des Fragments) einer impliziten (und außerdem angeborenen) alltagspsychologischen Theorie beschreiben. Die moderate Simulationstheorie behauptet jedoch, daß die Aktivierung oder Anwendung dieses und anderer alltagspsychologischer Begriffe, sobald sie einmal erworben worden sind, durchweg bewußte oder unbewußte Simulationsprozesse erfordert. Es wurden bereits zwei Argumente zugunsten dieser Theorie angeführt: das interpretationstheoretische Argument (§ 4) und die Plausibilitätsüberlegung im Zusammenhang mit dem alltagspsychologischen „Wahrnehmungsprinzip" (§ 6). Bevor ich zu guter Letzt43 ein drittes, intentionalitätstheoretisches Argument präsentiere (§ 9), will ich einen interessanten Einwand diskutieren, den
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der Psychologe Josef Perner auf der Grundlage ähnlicher empirischer Befunde wie den von Gopnik und Wellman zugunsten ihrer entwicklungspsychologischen Hypothese angeführten (§ 7) erhoben hat. Er betrifft die Herausbildung mentalistischer Begriffe bei Kindern, insonderheit die des Uberzeugungsbegriffs.
§ 8. Diskussion eines entwicklungspsychologischen Einwandes gegen die moderate Simulationstheorie Perner hat hier das folgende Experiment angestellt, das in seinen Augen auch gegen moderate Versionen der Simulationstheorie spricht.44 Mit etwa 4 Jahren erwerben Kinder wahrscheinlich den Glaubensbegriff. Perner hat nun ca. 5-jährige Probanden mit der folgenden Geschichte konfrontiert: Hans zeigt auf einen Schrank mit zwei übereinander liegenden Schubladen und kündigt seiner Freundin Maria an, daß er ein Stück Schokolade in eine dieser beiden Schubladen legen wird. Maria verschwindet. Hans legt die Schokolade in die obere Schublade und verschwindet ebenfalls.Vollkommen unerwartet nimmt eine dritte Person (über die Hans und Maria keinerlei Informationen haben) die Schokolade aus der oberen und legt sie in die untere Schublade, so daß Hans irrtümlicherweise glaubt, sie sei in der oberen Schublade. Soweit die Geschichte. Den 5-jährigen Probanden wurden nun drei Fragen gestellt: 1. Wenn wir Hans fragen: „Hans, wo ist die Schokolade?", wird er dann antworten „In der oberen Schublade!" oder „In der unteren Schublade!"? 2. Wenn wir Hans fragen: „Hans, weißt du, wo die Schokolade ist?", wird er dann „Ja, das weiß ich!" oder „Nein, das weiß ich nicht!" antworten?
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3. Wenn wir Maria fragen: „Maria, weiß Hans, wo die Schokolade ist?", wird sie dann „Ja, das weiß er!" oder „Nein, das weiß er nicht!" antworten? Die Probanden beantworteten die erste Frage richtig: Hans wird sagen, daß die Schokolade in der oberen Schublade ist. Dies bestätigt noch einmal, daß 5-jährige den Begriff einer falschen Überzeugung besitzen. Die meisten Probanden beantworteten aber die zweite und dritte Frage verkehrt: Hans und Maria glauben in den Augen der Kinder, daß Hans nicht weiß, wo die Schokolade ist.45 Dieses Resultat spricht Perner zufolge gegen die These, daß Glaubenszuschreibungen auf der Basis von mentaler Simulation vorgenommen werden. Wenn sich die Probanden hypothetisch in die kognitive Situation von Hans und Maria hineinversetzen würden, so müßten sie nach Perner zu dem richtigen Ergebnis kommen, daß Hans und Maria fälschlicherweise glauben, Hans wisse, in welcher Schublade die Schokolade ist. Die Kinder würden dann z.B. Hans' kognitive Situation ungefähr folgendermaßen simulieren: „Ich lege die Schokolade in die obere Schublade und gehe raus zum Spielen. Ich komme zurück. Der Onkel fragt mich, wo die Schokolade ist. Ich antworte ,In der oberen Schublade!'. Nun fragt er mich, ob ich weiß, wo die Schokolade ist. Ich antworte: Ja, das weiß ich!"'. Ende der Simulation. Wenn man die letzten beiden Schritte dieser Simulation wegläßt, dann bleibt derjenige kognitive Prozeß übrig, der gemäß der moderaten Simulationstheorie - bewußt oder unbewußt — der Zuschreibung der Meinung zugrundeliegt, daß die Schokolade in der oberen Schublade ist. Perner hält es für wenig plausibel, daß die Probanden diese etwas simplere Simulation vollziehen, wenn sie Hans die fragliche Meinung zuschreiben, da das Experiment zeigt, daß sie keineswegs die nur etwas kompliziertere Simulation vollziehen, die zu dem Ergebnis fuhren würde, daß Hans zu wissen glaubt, wo die Schokolade ist. Also ist die Simulationstheorie falsch. Ich halte diesen Einwand für unberechtigt. Man kann Perners Experiment nämlich auch anders deuten. Perner betont selber,
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daß Kleinkinder noch recht unbekümmert mit dem Wort „wissen" umgehen. Sie gebrauchen dieses Wort ungefähr so, wie wir die Wendung „fest von etwas überzeugt sein" verwenden. Die Geschichte, mit denen die Probanden konfrontiert werden, könnte deshalb den folgenden Effekt haben. Sie macht die Kinder darauf aufmerksam, daß Wissen nicht immer dann vorliegt, wenn feste Uberzeugung vorliegt. Die Uberzeugung muß außerdem wahr sein. Diese ganz neue Einsicht führt dazu, daß die Kinder nun vorübergehend übervorsichtig mit der Zuschreibung von Wissensansprüchen umgehen. Sie sind unsicher, ob sie an Hans' Stelle die Frage „Weißt du, wo die Schokolade ist?" mit „Ja!" oder „Nein!" beantworten sollen. Da die Geschichte so angelegt ist, daß Hans eine dieser beiden Antworten geben muß, entscheiden sie sich vorsichtshalber lieber für die negative Antwort. Das mag im vorliegenden Kontext (in dem die Möglichkeit, daß jemand die Schokolade in die andere Schublade gelegt hat, eine „relevante Alternative" bildet)46 durchaus die richtige Antwort sein. Aber Hans wird die Frage eben nicht negativ, sondern positiv beantworten: Er glaubt sehr wohl zu wissen, wo die Schokolade liegt (siehe oben). Die Probanden machen jedoch (etwa, weil sie im Unterschied zu Hans die beschriebene „relevante Alternative" kennen) den Fehler, an Hans' Stelle mit dem Wissensbegriff vorsichtiger umzugehen als Hans selbst; sie sind, was die Zuschreibung von Wissensansprüchen angeht, noch keine geübten Simulatoren. Ich glaube also, daß Perners Experiment die moderate Simulationstheorie nicht widerlegt. Vermutlich ist der Streit zwischen Simulations- und Theorie-Theoretikern (im hier relevanten Sinne) entwicklungspsychologisch gar nicht nicht zu entscheiden, da er die kognitiven Mechanismen betrifft, die der Zuschreibung mentaler Zustände einem bestimmten Zeitpunkt zugrundeliegen. Die Simulationstheorie wird zusätzlich — und damit komme ich zum angekündigten dritten, intentionalitätstheoretischen Argument — durch die (von mir andernorts verteidigte) dynamische Konzeption des intentionalen IJrteilsgehalts gestützt, die ich im Folgenden zunächst kurz vorstellen und motivieren möchte.47
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Einstellungen
§ 9. Die dynamische Konzeption des intentionalen Urteilsgehaltes und die moderate Simulationstheorie Urteile sind intentdonale Erlebnisse, die eine entsprechende Überzeugung initiieren beziehungsweise aktualisieren. (In der angelsächsischen Literatur werden sie oftmals auch als „occurrent beliefs" bezeichnet.) Eine adäquate Theorie des Urteilsgehalts muß meines Erachtens angeben können, wodurch der Sachbezug z.B. eines singulären Urteils gegebenenfalls determiniert wird. Schließlich soll der Begriff des Gehalts das Herzstück einer Theorie der Intentionalität bilden, und eine solche Theorie darf meiner Ansicht nach Wittgensteins Frage „Was macht meine Vorstellung von ihm zu einer Vorstellung von ihm?'ai nicht außer acht lassen. Der Grundgedanke der dynamischen Konzeption des Urteilsgehalts besagt, daß man hierzu die %eitübergreifende Überzeugung betrachten muß, die durch das Urteil initiiert oder aktualisiert wird. In der Regel ist der Gegenstand dieser Überzeugung mit dem Urteilsgegenstand identisch; und zwar unter Umständen auch dann, wenn in die semantische Wahrheitsbedingung einer Behauptung, in der das Urteil kundgegeben wird, ein ganz anderer Gegenstand involviert ist.49 Nehmen wir z.B. einmal an, daß ich jetzt, zum Zeitpunkt aufgrund einer Wahrnehmung eines Tisches — nennen wir ihn Tisch 1 — folgendes Beobachtungsurteil50 fälle: „Dieser Tisch wakkelt". Angenommen, ich gehe zum Hausmeister, und dieser beschließt, die Sache sogleich in Ordnung zu bringen. Ich führe ihn aber aus Versehen in den falschen Raum. Zum Zeitpunkt ti zeige ich auf einen Tisch - Tisch 2 - , den ich mit Tisch 1 verwechsle und behaupte: „Dieser Tisch wackelt". Der Hausmeister untersucht diesen Tisch, und zu meiner Verwunderung bestreitet er, daß der Tisch wackelt. Nach der dynamischen Konzeption des Urteilsgehalts handelt das Urteil, das ich zu t2 mit dem Satz „Dieser Tisch wackelt" kundgebe, von Tisch 1, obwohl ich dabei auf Tisch 2 zeige. Das Urteil aktualisiert nämlich die Überzeugung, die ich zu t1 aufgrund einer Wahrnehmung von Tisch 1 erworben habe (und die somit
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durch ein Βeobachtungsurteil über diesen Tisch initiiert wurde). In die Wahrheitsbedingung des Urteils ist daher nicht Tisch 2, sondern Tisch 1 involviert. Entsprechend rationalisiert meine Erinnerung an jenen wackelnden Tisch mein Urteil - und meine zu t2 gemachte Behauptung, in der ich dieses Urteil kundgebe. Gegenüber der alternativen, stärker an der Semantik demonstrativer Aussagen orientierten Erklärung, wonach mein Urteil zu t2 von Tisch 2 handelt,31 den ich eben mit Tisch 1 verwechsele, hat diese Beschreibung des Beispiels u.a. den Vorteil, daß sie meine epistemische Rechtfertigung des fraglichen Urteils angemessen berücksichtigt: es handelt sich dabei eben nicht um ein Wahrnehmungsurteil (dazu hatte ich den Tisch zu t2 als wacklig perzipieren müssen), sondern vielmehr um ein Urinnerungsurteil. Die Erinnerung, auf der es basiert, handelt von Tisch 1. Und mehr als ein Urteil kann man in einer Aussage nun mal nicht (unmittelbar) kundgeben. Mir scheint nun, daß dieser theoretische Befund hinsichtlich des Sachbezugs meines singulären Tisch-Urteils die Simulationstheorie der Urteilszuschreibung stützt (im Sinne einer holistischen Rechtfertigung). Wenn jemand mein Verhalten zu t2 dadurch erklären will, daß er mir ein Urteil über Tisch 1 zuschreibt, dann muß er sich gewissermaßen unter Verstoß gegen die Semantik demonstrativer Aussagen (beziehungsweise gegen entsprechende alltagspsychologische Prinzipien) in die kognitive Dynamik versetzen, die sich bei mir zwischen den Zeitpunkten // und t2 abgespielt hat; er muß also eine mentale Simulation vornehmen! Warum schreibt mir dann aber der Hausmeister zu t2 ein Urteil über Tisch 2 - und nicht über Tisch 1 - zu? Der Simulationstheoretiker kann diese Frage folgendermaßen beantworten. Da die semantische Wahrheitsbedingung meiner zu t2 gemachten Aussage „Dieser Tisch wackelt" nicht mit der Wahrheitsbedingung des darin kundgegebenen Urteils zusammenfällt, simuliert der Hausmeister mich verständlicherweise verkehrt und schreibt mir daher nicht das richtige Urteil zu. Ich sage „verständlicherweise", weil der Hausmeister, soweit er die Praxis der Urteilszuschreibung beherrscht, Teil einer Sprachgemeinschaft ist, deren Konventionen zufolge eine Auße-
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rung des Satzes „Dieser Tisch wackelt" gegebenenfalls von dem Tisch handelt, auf den der Sprecher steigt - in diesem Falle also Tisch 2." Die fragliche Äußerung samt hinweisender Geste fungiert für den Hausmeister als Kriterium eines entsprechenden Urteils meinerseits; die Bebauptbarkeitshtdmgangen für die Fremdzuschreibung eines Urteils über Tisch 2 sind erfüllt (vgl. oben, Kapitel 3, § 6). Sofern der Hausmeister mich also in der beschriebenen Situation unbewußt mental simuliert, dürfte er dabei ganz unkritisch beziehungsweise unreflektiert jenes sozial etablierte Urteilskriterium zur Anwendung bringen. In diesem Falle haben wir es bei seiner Urteilszuschreibung mit dem Resultat einer unmittelbaren Einfühlung zu tun, und der Hausmeister wird mir automatisch ein Urteil über Tisch 2 zuschreiben. Erst wenn er etwa aufgrund meines ungläubigen Verhaltens stutzig wird, sieht er sich möglicherweise veranlaßt, bewußt eine mentale Simulation vorzunehmen, um herauszufinden, ob mein Urteil wirklich von Tisch 2 handelt. (Andernfalls ist die Wahrheitsbedkigpng seiner zu /? vorgenommenen Urteilszuschreibung nicht erfüllt, weicht aber von der - erfüllten Behauptbarkeitsbedingung ab.) In diesem Falle betritt er die zweite Stufe der Einfühlung, und neben den einschlägigen Sprachkonventionen werden nun auch epistemische Faktoren relevant. Fazit: Legt man die dynamische Konzeption des Urteilsgehalts zugrunde, so manifestiert sich selbst in alltäglichen Interpretationssituationen wie der hier beschriebenen unser Einfühlungsvermögen, auf welchem nach dem in § 4 Gesagten bereits die radikale Interpretation von Beobachtungsaussagen beruht. Damit gewinnt die These, daß unsere alltägliche Zuschreibungspraxis wenigstens implizit auf mentalen Simulationsmechanismen beruht, zusätzlich an Plausibilität. Ihre ursprüngliche Motivation erfuhr die Simulationstheorie der Fremdzuschreibung im Zusammenhang mit dem Gedankenexperiment der radikalen Interpretation. Inzwischen haben wir gesehen, daß es auch unabhängige Gründe gibt, diese Theorie zu akzeptieren.
Abschnitt C: Intersubjektivität und Personalität
Kapitel 5: Diachrone Personenidentität § 1. Das Problem der diachronen Personenidentität In Kapitel 3 wurde die synchrone Identität eines Subjekts im Rekurs auf das Kriterium der Identität eines menschlichen Leibes zu einer bestimmten Zeit expliziert. Es handelt sich dabei strenggenommen um ein /»xy^ophysisches Kriterium. Denn die bloße Identität eines raumzeitlich lokalisierten Menschenkörpers, dem wir keine Bewußtseinszustände „einzulegen" gewillt sind, dient uns mitnichten als Kriterium der Subjektidentität. (Man denke hier etwa an einen Leichnam.) Nur „beseelte" Menschenkörper (oder menschenähnliche Körper) rechnen wir zu den Subjekten; ein genuines Subjekt besitzt ein Βewußtseinsleben. Wenn wir synchron Subjekte zählen, dann zählen wir also nicht einfach menschliche Körper, sondern lebendige, mit Bewußtsein ausgestattete Körper („Leiber"). Wie steht es um die diachrone, also zeitübergreifende, Identität eines solchermaßen individuierten Subjekts? Um die Frage erneut aus der „ich"-Perspektive zu formulieren: Was berechtigt mich dazu, ein Subjekt x, welches zu einer Zeit /, existiert, mit einem Subjekt y zu identifizieren, welches zu einer (anderen) Zeit t2 existiert? Ich werde argumentieren, daß sich diese Frage nur relativ zu einem gegebenen Kontext effektiv beantworten läßt. Diachrone Subjektidentität ist nämlich meiner Auffassung nach eine kontext-relative Angelegenheit. Es gibt hier sehr wohl brauchbare Kriterien, doch handelt es sich bei ihnen um Kriterien im Wittgensteinschen Sinne des Wortes (vgl. oben, Kapitel 3, § 5). Ein solches Kriterium — im Folgenden kurz W(ittgenstein)-¥jä.te.n\\m genannt — liefert
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Diachrone Personenidentität
uns keine logisch notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen; es kann durchaus mit anderen W-Kriterien in Konflikt stehen. Dennoch besteht ein begrifflicher Zusammenhang zwischen einem W-Kriterium und demjenigen, wofür es als Kriterium fungiert — in diesem Falle also der diachronen Identität eines Subjekts. Ahnlich wie indexikalische Begriffe stellen solche Kriterien jedoch nur in einem geeigneten Kontext, in dem der Sprecher sich konkret zu befinden glaubt, Anwendungsbedingungen (näherhin: Behauptbarkeitsbedingungen) bereit. Da im Falle synchroner Subjektidentität gleichermaßen physische und psychische W-Kriterien im Spiel sind, dürfte ein Gleiches auch für den diachronen Fall gelten. Um einen Vergleichs fall heranzuziehen: Wenn die Identität einer Mauer zu einer gegebenen Zeit wesentlich etwas mit den Steinen zu tun hat, aus denen sie besteht, dann werden Materialien wie Steine auch bei der Bestimmung der Bedingungen diachroner Identität dieser Mauer eine Rolle spielen. Was die physischen Kriterien anlangt, so liegt es angesichts des in Kapitel 3 herausgearbeiteten synchronen Identitätskriteriums „Ein Menschenkörper, ein Subjekt" nahe, hier die Identität menschlicher Körper über die Zeit hinweg in Anschlag zu bringen. (Mehr dazu weiter unten.) Und auch für die Rolle eines psychischen W-Kriteriums verfügen wir bereits über eine vielversprechende Kandidatin. Ich denke dabei an die in Kapitel 2 (§ 3) in metadoxastischem Vokabular explizierte Idee der diachronen Bewußtseinseinheit. Für diese Kandidatin (gepaart mit einer weiteren Bedingung der psychischen Kontinuität)1 werde ich im weiteren Verlauf des Kapitels denn auch votieren. Zwar haben wir in Kapitel 2 gesehen, daß diachrone Bewußtseinseinheit nicht schlechterdings dasselbe ist wie Subjektidentität über die Zeit hinweg, aber daraus folgt mitnichten, daß hier keinerlei begriffliche Verbindung besteht. Ich möchte für die gegenteilige Auffassung argumentieren. Dabei werde ich zu gegebener Zeit in die „ich"-Perspektive wechseln und abermals u.a. auf die intersubjektive Erfahrung (näherhin auf iterierte Einfühlung) rekurrieren (§ 5). Die vorliegende Problematik läßt sich in meinen Augen schwer von der traditionellen metaphysischen Fragestellung ab-
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koppeln, ob Subjektidentität oder (wie ich fortan aus Gründen der Gepflogenheit sagen werde) Personenidentität über die Zeit hinweg ein Beispiel „strikter" numerischer Identität ist. Denn erstens wurden diese beiden Probleme in der Vergangenheit oftmals zusammen behandelt. Zweitens — und darauf kommt es in unserem Zusammenhang an - geht die positive Beantwortung dieser metaphysischen Frage in der Regel mit der Ablehnung meiner These einher, daß diachrone Personenidentität eine kntenelle Angelegenheit ist - genauer gesagt: eine Sache von W-Kriterien. Die Anhänger der Konzeption „strikter" Personenidentität vertreten demgegenüber die These, daß diachrone Personenidentität (unter Umständen) kntenenlos ist. Auf diese These werde ich nachfolgend näher eingehen. Die Frage, ob diachrone Personenidentität — zumindest manchmal - „strikt" und kriterienlos ist, stand zuletzt prominent in einer Auseinandersetzung zwischen Peter Strawson und Roderick Chisholm zur Debatte, ohne dabei indes auf befriedigende Weise beantwortet worden zu sein. Ich möchte im Folgenden einen neuen Anlauf versuchen, indem ich u.a. zwei Beispiele diskutiere, die Chisholm mobilisiert hat, um seine affirmative Antwort auf diese Frage zu verteidigen. Ich kontrastiere Chisholms Sichtweise mit den Beschreibungen dieser oder ähnlicher Exempel, die von Strawson und außerdem von Bernard Williams, Derek Parfit, David Wiggins und Peter Carruthers vorgeschlagen wurden. Zunächst erkläre ich den Begriff der strikten Identität (§ 2). Anschließend unterscheide ich verschiedene Kriterien der Personenidentität (§ 3), um sodann Chisholms Argument gegen die These zu kritisieren, daß psychische Verbindung {psychological connectedness) eine conditio sine qua non der Identität von Personen über die Zeit hinweg bildet. Daraufhin erörtere ich sein Argument gegen die These, daß physische Kontinuität (beziehungsweise Identität des Körpers) notwendig für Personenidentität ist (§ 4). Im Anschluß trete ich den Nachweis an, daß es in gewissen Kontexten sehr wohl entscheidend auf physische Kontinuität ankommt: wenn nämlich zwei zukünftige Personen beide denselben Grad an psychischer Verbindung mit einer gegebenen Person aufweisen, so entscheidet Identität des Leibes über Identität der Person. Diese
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Auffassung könnte man als gemäßigten Externalismus in bezug auf Personenidentität bezeichnen. Alles in allem gelange ich zu dem Schluß, daß physische Kontinuität und psychische Verbindung kontext-abhängige W-Kriterien der Personenidentität darstellen. In diesem Sinne kann Personenidentität in keinem Falle kriterienlos sein (§ 5). Abschließend stelle ich eine These über den metaphysischen Status von Personen auf und argumentiere, von dieser These ausgehend, daß Personenidentität lediglich in einem trivialen Sinne strikt sein kann (§ 6).
§ 2. Strikte, kriterienlose Identität Was ist unter „strikter, kriterienloser Personenidentität" zu verstehen? Beginnen wir mit dem Begriff der strikten Identität. Um diesen Begriff zu erklären, rekurriert Chisholm auf das traditionelle Problem, das unter dem Titel „Schiff des Theseus" bekannt ist.2 Betrachten wir die folgende Situation. Am Montag wird ein einfaches Schiff AB aus zwei Hauptkomponenten Α und Β zusammengesetzt. Am Dienstag findet eine Art Aufspaltung (fission) statt: Α wird mit einer neuen Komponente C zu einem Schiff verbunden, und dasselbe geschieht mit Β und D, wobei sich zu keinem Zeitpunkt während dieses Vorgangs nur ein halbes Schiff im Hafen befindet (nehmen wir an, dies sei möglich): AC
BD
Am Mittwoch ist AC in einem anderen Hafen zu finden als BD. Montag: Dienstag: Mittwoch:
AB AC AC
BD BD
Wo befindet sich nun am Mittwoch das ursprüngliche Schiff? Um dieses Problem aufzulösen, unterscheidet Chisholm (im Anschluß an Bishop Buder) zwischen einem strikten und einem liberalen
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Sinn von „Identität". Im strikten Sinne kann ein Objekt >r nur dann zu Recht als identisch mit einem Objekt y angesprochen werden, wenn y genau dieselben Teile enthält wie x. In diesem Sinne ist weder AC noch BD mit dem ursprünglichen Schiff AB identisch, und AB existiert am Dienstag und Mittwoch nicht mehr. Es gibt jedoch, so Chisholm, einen liberalen Sinn der Rede von der Identität eines Schiffes über die Zeit hinweg, in dem man entweder AC oder BD mit AB identifizieren kann. Diesen Sinn kann man etwa an der geplanten Fahrtroute des ursprünglichen Schiffes zwischen Dienstag und Mittwoch festmachen. Um terminologische Verwirrung zu vermeiden, schlägt Chisholm vor, davon zu sprechen, daß AC oder BD am Dienstag und Mittwoch dasselbe Schiff konstituieren wie AB am Montag. Das so konstituierte Schiff nennt Chisholm ein ens succesivum — ein zeitübergreifend existierendes Objekt, das im strikten Sinne mit keinem seiner temporären Konstituenten AB, AC und BD identisch ist. Die wichtigste Bedingung, die ein Schiff χ neben der richtigen Fahrtroute (oder dergleichen) erfüllen muß, um dasselbe ens successivum zu konstituieren wie ein früheres Schiffy, ist die folgende: χ muß in der Relation der raum^eitlichen Kontinuität zuy stehen, d.h. χ muß aus y hervorgegangen sein. Diese Relation wird im Folgenden noch eine Rolle spielen. Anders als bei temporären Schiff-Konstituenten sind im Falle von Personen Chisholm zufolge keine Umstände denkbar, unter denen die Frage, ob eine Person Α mit einer zu einer anderen Zeit existierenden Person Β identisch ist, sich zweideutig mit „Ja und Nein!" beantworten läßt. Unter allen Umständen gilt: entweder A ist dieselbe Person wie B, oder Α ist es nicht. Dies veranlaßt Chisholm zu der These, daß Α selbst dann dieselbe Person wie Β sein kann, wenn unser Begriff der (diachronen) Personenidentität uns keine Entscheidung darüber ermöglicht, ob Α und Β identisch sind — wenn also keines unserer Kriterien der Personenidentität anwendbar ist. Aus diesem Grunde schreibt Strawson Chisholm die These zu, daß es so etwas wie kriterienlose Personenidentität über die Zeit hinweg geben kann.
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Diachrone Personenidentität
§ 3. Kriterien diachroner Personenidentität Zwei Sorten von Kriterien der diachronen Personenidentität werden in der Literatur immer wieder erörtert: (1) physische und (2) psychische Kriterien. Anders als beispielsweise das Indiz Fingerabdruck haben diese Kriterien nicht lediglich mit starker induktiver Evident für das Vorliegen diachroner Personenidentität zu tun. Ich werde jedoch argumentieren, daß sie ebensowenig logisch notwendige und zugleich hinreichende Bedingungen der Personenidentität darstellen - wenngleich ein gewisser Grad ein psychischer Kontinuität, wie wir sehen werden, eine notwendige Bedingung bildet. Es handelt ich bei ihnen vielmehr um W-Kriterien. Wenn χ ein W-Kriterium der Personenidentität ist, dann bildet der Umstand, daß x hervorragende, nicht-induktive „Evidenz" fur das Vorliegen von Personenidentität ist, einen Aspekt unseres Begriffs der Personenidentität; falls es jedoch mehrere derartige Kriterien gibt, garantiert Λ- keineswegs, daß wir es tatsächlich mit einem Fall von Personenidentität zu tun haben/ Allerdings werden „Kriterien der Personenidentität" in der Literatur oftmals in Form von notwendigen und hinreichenden Bedingungen formuliert. Was zuerst die physischen Kriterien angeht, so wird oft behauptet, daß eine Person Λ, die zu einer Zeit Λ existiert, genau dann identisch ist mit einer Person Β, die zu einer späteren Zeit t2 existiert, wenn die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind: (1) B's individuelle Köperstruktur zu t2 (einschließlich seiner Gehirn- und Zellstruktur) ist aus der individuellen Körperstruktur von s4's Leib zu t, hervorgegangen. (2) Die „Flugbahn" von B's Leib durch Raum und Zeit vor t2 muß kontinuierlich verlaufen sein - und die Raum-ZeitPosition von A's Leib zu // einschließen. Kurzum: Es wird behauptet, daß physische Kontinuität ein Kriterium der Personenidentität bildet. Ich nenne diesen Vorschlag kurzweg das physische Kriterium. Was die psychischen Kriterien betrifft, so haben viele von ihnen mit Quasi-Erinnerung zu tun, i.e. mit mentalen Episoden oder Zu-
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ständen, die sich phänomenologisch in nichts von gewöhnlicher Erinnerung unterscheiden, diachrone Personenidentität aber nicht schon voraussetzen. Ein oftmals zugrundegelegtes psychisches Kriterium der Personenidentität lautet nun, daß eine Person Β genau dann mit einer früher existierenden Person Α identisch ist, wenn entweder die folgende Bedingung (1) oder (2) oder (3) vorliegt, gesetzt, die Bedingung (4) ist erfüllt: (1) Β besitzt Quasi-Erinnerungen an einige Erlebnisse von A. (2) Β besitzt Quasi-Erinnerungen an einige Erlebnisse von jemandem, der sich seinerseits an einige Erlebnisse von A quasi-erinnert. (3) Β ist durch weitere derartige Glieder quasi-erinnerungsmäßig auf Erlebnisse von Α bezogen. (4) Β teilt auch ansonsten hinreichend viele intentionale Zustände und Dispositionen mit A. Wir haben es hier allemal mit einer Form diachroner Bewußtseinseinheit zu tun (siehe oben, Kapitel 2, § 3). In diesem Sinne müssen Α und Β psychisch miteinander verbunden sein, um miteinander identisch zu sein. Ich werde diesen Vorschlag kurzweg das psychische Kriterium nennen.
§ 4. Chisholms Einwände gegen das psychische und das physische Kriterium Chisholm präsentiert zwei Beispiele, die prima fade zeigen, daß weder das physische noch das psychische Kriterium eine notwendige Bedingung der Personenidentität bereitstellt. Betrachten wir zunächst das Beispiel, welches gegen das psychische Kriterium zu sprechen scheint. Beispiel 1: Anästhesie oder Amnesie? Nehmen wir an, Α steht kurz vor einer Operation. Α besitzt zwei relevante Wünsche: er möchte es vermeiden, Schmerz zu erleiden, und er möchte Geld sparen. Der Arzt schlägt zwei verschiedene Operationsmethoden vor — eine sehr schmerz-
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Diachrom Personenidentität
hafte aber dafür billige und eine teure, aber dafür schmerzfreie Prozedur. Die teure Prozedur umfaßt eine totale Anästhesie während der Operation. Die billige Prozedur ist dagegen zwar schmerzhaft, aber der Arzt gibt Α zwei Medikamente: vor der Operation eines, das vollkommene Amnesie herstellt, so daß Α sich nicht an sein Leben vor der Operation erinnert; nach der Operation wird dem Α dann ein Medikament verabreicht, das dafür sorgt, daß Α wiederum alles vergißt, was ihm auf dem Operationstisch widerfahren ist. Die Frage ist nun: ist es für Α in Anbetracht seiner Wünsche vernünftiger, die billigere Operationsmethode zu wählen, oder sollte er sich für die teurere Operation entscheiden? Chisholm behauptet, Α sollte vernünftigerweise die teurere Option wählen. Denn schließlich, so Chisholm, würde niemand anderes als Α die Schmerzen auf dem Operationstisch erleiden, — daran würde auch der Umstand nichts ändern, daß die Person unter dem Skalpell sich an keines von A's früheren Erlebnissen erinnern kann. Das psychische Kriterium liefert daher nach Chisholm keine notwendige Bedingung der Personenidentität. Aus zweierlei Gründen ist das vorliegende Beispiel indes mehr als problematisch. 1. Das Beispiel ist unterbeschrieben.4 Chisholm verrät uns nicht, ob nach der Operation psychische Verbindung besteht mit Α, wie er vor der Operation existierte, oder nicht. • Wenn die Antwort „ja" lautet, dann haben wir es lediglich mit einer Episode zeitweiliger Amnesie während der Operation zu tun, sofern Α sich für die billigere Option entschieden hat; und da Α nach der Operation die Ereignisse auf dem Operationstisch vollständig vergessen haben wird, unterscheidet sich diese Episode nur unwesentlich von einer Schlafperiode, in der der Schläfer etwas träumt, das er nachher vergißt. Wir haben es dann ebensowenig mit einem Fall von Personenidentität ohne psychische Verbindung zu tun wie bei einer schlafenden Person. • Lautet die Antwort hingegen „nein", so wird Α psychologisch gesehen in dem Augenblick aufhören zu existieren, in
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dem die Operation beginnt. In diesem Falle sollte Α sich vernünftigerweise für die billigere Operation entscheiden, um wenigstens noch etwas Geld zu sparen ... Ich komme also zu dem Schluß, daß Chisholm kein überzeugendes Gegenbeispiel gegen die These präsentiert hat, daß Personenidentität psychische Verbindung voraussetzt. 2. Doch selbst wenn sich das Beispiel so interpretieren ließe, daß es ein genuines Gegenbeispiel darstellt, hätte uns Chisholm keineswegs mit einem Fall konfrontiert, in dem uns sämtliche Kriterien der Personenidentität im Stich lassen. Sehr zu Recht weist Strawson darauf hin, daß in Beispiel 1 „überhaupt keine Diskontinuität in der Existenz des Leibes" von Α vorliegt. Das physische Kriterium läßt sich daher ohne weiteres anwenden, und ihm zufolge handelt es sich bei der Person auf dem Operationstisch um A . (Wir haben es also mitnichten mit einem Fall kriterienloser Personenidentität zu tun.) Daß das physische Kriterium nicht in allen Fällen anwendbar ist, scheint Chisholms zweites Beispiel zu zeigen. Hier ist es: Beispiel 2: Aus Eins mach Zwei... Angenommen, Α weiß, „daß sein Körper, gleich dem einer Amöbe, eines Tages eine Aufspaltung erfahren wird", so daß Α „gewissermaßen in zwei verschiedene Richtungen weiterläuft".5 Nehmen wir darüber hinaus an, Α wisse, daß die Person, die nach links weiterläuft, — Strawson nennt sie Lefty — ein erbärmliches Dasein fristen wird, während auf die andere Person — Eighty — eine sorgenfreie und sehr glückliche Zukunft wartet. Laut Chisholm ist Α entweder mit Lefty oder mit Righty identisch. Und Α könnte selbst dann (beispielsweise) mit Righty identisch sein, wenn Righty sich nicht einmal indirekt an A's gegenwärtige Erlebnisse quasi-erinnert, während Lefty sich an diese Erlebnisse zu erinnern behauptet und seine diesbezüglichen Berichte tatsächlich voll und ganz auf A's Leben zutreffen. Chisholm zufolge wäre es selbst dann fur Α vernünftig, darauf zu hoffen ^ daß er Righty sein wird, wenn er um Leftys QuasiErinnerungen an seine jetzige Existenz wüßte. Wenn diese Hoff-
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nung vernünftig ist, könnte sie sich auch erfüllen. Und dann würde weder das physische noch das psychische Kriterium Anwendung finden, obwohl Α mit Righty identisch ist. Nun setzt physische Kontinuität raumzeitliche Kontinuität voraus. In dem Aufsatz ,Bodily continuity and personal identity'6 hat Williams darauf aufmerksam gemacht, daß uns der Aspekt der raumzeitlichen Kontinuität in einem Fall von physischer Aufspaltung erlaubt, auf das Wann und Wo der betreffenden Verdoppelung identifizierend Bezug zu nehmen. Die Möglichkeit dieser Art der Identifikation setzt voraus, daß wir es in einer physischen Verdoppelungssituation mit einem Fall von physischer D/rkontinuität zu tun haben. In Falle einer Aufspaltung erhalten wir zum Teil deshalb physische Objekte (etwa zwei Amöben), weil wesentliche Teile des Ausgangsobjekts, die zuvor unmittelbar räumlich miteinander verbunden waren, nun getrennt werden. Wenn das stimmt, und wenn Α tatsächlich entweder mit Lefty oder mit Righty identisch ist, dann sollten wir das physische Kriterium aufgrund von Chisholms Beispiel 2 (und seinesgleichen) aufgeben — oder es zumindest nicht als notwendige (und hinreichende) Bedingung der Personenidentiät formulieren. Williams würde nun aber bestreiten, daß Α mit Lefty oder mit Righty identisch ist. Α kann unmöglich mit beiden identisch sein. Denn schließlich ist Identität eine transitive Relation: wenn ^4=Lefty und ^4=Righty, dann Lefty=Righty, was Chisholms Annahmen widerspricht. Wir können diesen Widerspruch zwar vermeiden, indem wir eine der beiden Prämissen über Bord gehen lassen, daß Α Lefty beziehungsweise Righty ist. Doch so wie Chisholm das Beispiel beschreibt, gibt es nicht den geringsten Grund, eine dieser beiden Identifikationen der anderen vorzuziehen. Wir sollten sie daher nach Williams beide verwerfen: Α ist weder Lefty noch Righty. Es sieht ganz so aus, als habe er schlicht aufgehört ψ. existieren - eine Möglichkeit, die Chisholm nicht einmal in Erwägung zieht. Sofern Lefty (und/oder Righty) sich an A?s Leben quasi-erinnert und auch ansonsten viele intentionale Zustände und Dispositionen mit Α teilt, kann man jedoch mit Parfit sagen, daß Α in dieser Person (unter Umständen sogar in beiden)
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in einem prägnanten Sinne überlebt hat, ohne mit ihr identisch zu sein.7 Aber betont Chisholm nicht zu Recht, daß es für Α vernünftig wäre, darauf zu hoffen, daß er Righty sein wird? Und zeigt dies nicht in der Tat, daß sich Α vernünftigerweise fragen kann, ob er wohl Lefty oder Righty sein wird? Nicht unbedingt. Die Intuition, die Chisholm hier mobilisiert, läßt sich auch anders erklären. Nehmen wir einmal an, Α sei unter den beschriebenen Umständen weder mit Lefty noch mit Righty identisch. Dann ist es nicht wirklich vernünftig für A, darauf zu hoffen, daß er Righty sein wird. Worin gründet dann aber die Suggestionskraft des Beispiels? Nun, vielleicht darin, daß AL S Hoffnung (sofern man hier überhaupt von „Hoffnung" sprechen darf) immerhin verständlich ist. Sie basiert nämlich womöglich auf AL s Wunsch, den Nachfahren, mit Wiggins' zu sprechen, Spuren hinterlassen — eine sublimierte Form des Strebens nach ewigem Leben. Insbesondere basiert diese Hoffnung, so könnte man argumentieren, auf dem Wunsch, psychische Abkömmlinge zu haben, die ein sorgenfreies, glückliches Leben führen. Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um einen Fall von Personenidentität - und erst recht nicht um kntenenlose Personenidentität. Dennoch verfängt Williams' Transitivitäts-Argument im vorliegenden Zusammenhang nicht. Es beruht nämlich auf der folgenden Annahme: Wenn unsere Kriterien der Personenidentität uns keine Gründe dafür liefern, eine der beiden Identifikationen der anderen vorzuziehen, dann ist Α weder mit Lefty noch mit Righty identisch. Dies setzt voraus, was allererst gezeigt werden muß: daß nämlich diachrone Personenidentität niemals kriterienlos ist. Immerhin zeigen die vorstehenden Erwägungen jedoch, daß Chisholm das physische Kriterium keineswegs widerlegt hat: die Möglichkeit, daß Α zum Zeitpunkt der Aufspaltung stirbt, hat er schlichtweg ignoriert, und A's etwaige Hoffnung, mit Righty identisch zu sein, läßt sich auch ohne Rekurs auf die Annahme erklären, daß Α entweder Lefty oder Righty sein wird. Ich werde nun aber — contra Williams — dafür argumentieren, daß dieses Kriterium gleichwohl keine notwendige Bedingung der
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Personenidentität hergibt: Wenn ein bestimmter Grad an psychischer Verbindung vorliegt, aber keine physische Kontinuität, dann haben wir es normalerweise sehr wohl mit einem Fall von diachroner Personenidentität zu tun. Physische Kontinuität bildet daher keine notwendige Bedingung der Personenidentität. Ich werde darüber hinaus jedoch Folgendes zu verdeutlichen suchen: Wenn ein Fall von psychischer Aufspaltung vorliegt, i.e. wenn zwei verschiedene Personen psychisch gleichermaßen stark mit einer früher existierenden Person verbunden sind, dann entscheidet physische Kontinuität darüber, welche jener beiden Personen mit dieser früher existierenden Person identisch ist. — Um dies zu verdeutlichen, ist es wiederum hilfreich, explizit die „ich"-Perspektive einzunehmen.
§ 5. Gemäßigter Externalismus: Eine kontext-sensitive Konzeption diachroner Personenidentität Diachrone Personenidentität impliziert nur dann physische Kontinuität, wenn die Möglichkeit der Reinkarnation ausgeschlossen ist — wenn es also unmöglich ist, daß jemand in einem anderen Leib erneut zum Leben erwacht. Ich möchte daher als nächstes der Frage nachgehen, ob ein und dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Leibern beheimatet sein kann. Den einzigen plausiblen Kandidaten für eine Bedingung, unter der diese Frage für eine gegebene Person positiv zu beantworten ist, liefert das psychische Kriterium: Vielleicht ist es denkbar, daß eine zukünftige Person in einer derart engen psychischen Verbindung zu einer zuvor existierenden Person steht, daß sie diese Person ist, obwohl sie einen anderen Leib besitzt. Mit anderen Worten: Vielleicht muß eine zukünftige Person lediglich genügend Quasi-Erinnerungen an die Erlebnisse einer zuvor existenten Person haben und eine hinreichende Anzahl ihrer übrigen intentionalen Zustände und Dispositionen teilen, um mit ihr identisch zu sein.
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Unsere Frage lautet also: Garantiert ein gewisser Grad an psychischer Kontinuität diachrone Personenidentität, wenn keine physische Kontinuität vorliegt? Ist diese Frage mit „ja" zu beantworten, so ist Reinkarnation möglich - und physische Kontinuität bildet keine notwendige Bedingung der Personenidentität über die Zeit hinweg. Probieren wir ein bekanntes Gedankenexperiment aus: den Teletransport. Angenommen, ich entschließe mich, von einer neuartigen Maschine Gebrauch zu machen, die von Wissenschafdern als bequemes Verkehrsmittel für den Weltraum entwickelt wurde: einem künstlichen Replikator. Die Maschine zerstört meinen gesamten Leib (einschließlich meines Gehirns) schmerzlos und unwiderruflich, wobei sie meine sämtlichen momentanen Zellstrukturen (auch die meiner Gehirnzellen) aufzeichnet. Anschließend werden diese Informationen - mein blueprint — via Radiowellen einem Replikator auf einem entfernten Planeten übermittelt, der schließlich mein perfektes Replikat produziert. Dieser Doppelgänger wird nicht nur genauso aussehen wie ich, er wird auch all meine Quasi-Erinnerungen, Wünsche, Vorlieben, Uberzeugungen usw. haben. Zugegeben, dieses Szenario klingt nach dem heutigen Stand der Naturwissenschaft reichlich abenteuerlich. Aber ausschließen kann man sicher nicht, daß derartige Replikationen irgendwann einmal technisch machbar sind. Was würde ich nun in einer solchen Situation sagen? Wird der Doppelgänger, den der Replikator hervorbringt, niemand anderes sein als ich selbst? Wenn diese Frage in der Tat positiv zu beantworten ist, dann ist ein gewisser Grad an psychischer Verbindung manchmal hinreichend für Personenidentität über die Zeit hinweg. Peter Carruthers zufolge wird der Doppelgänger mit mir identisch sein.10 Denn, so Carruthers, sowohl aus der „Eigenperspektive" als auch aus der „Fremdperspektive" — also der eines anderen Subjekts — spricht alles dafür, mich als identisch mit dem Doppelgänger zu betrachten. (Wohlgemerkt: als numerisch identisch.) Beginnen wir mit der Fremdperspektive. Durch iterierte Einfühlung (vgl. oben, Kapitel 3, § 8) kann ich mir hier Folgendes
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vergegenwärtigen. Anderen Personen, denen ich, diachron betrachtet, etwas bedeute, geht es nicht um meinen individuellen Leib. Vielleicht (vielleicht!) finden die Anderen mich extrem gutaussehend und halten dies für ein wichtiges Merkmal meiner Person. Aber der Doppelgänger sieht genauso gut aus wie ich! Die Identität meines Leibes spielt da keine Rolle. Wenn die Anderen sich ernsthafter für mich interessieren, dann kommt es Ihnen auch auf meinen Charakter, meine Uberzeugungen und Wünsche und vielleicht auf gemeinsame Quasi-Erinnerungen und dergleichen an. Wichtig sind den Anderen also meine physischen und psychischen Qualitäten, nicht aber die numerische Identität meines Leibes. Gewiß, wenn ein Anderer herausfindet, daß er es mit einem Doppelgänger zu tun hat, während mein ursprünglicher Leib nicht mehr existiert, wird er möglicherweise verstört reagieren. Aber er wird bald feststellen, daß ihm der Doppelgänger eigentlich genausoviel bedeutet wie der Träger meines ursprünglichen Leibes. Auch aus Eigenperspektive, also der rein intrasubjektiven „ich"-Perspektive, spricht alles dafür, den Teletransporter zu benutzen, sofern ich weiß, daß zwischen dem Doppelgänger und mir eine ganz ähnliche psychische Verbindung besteht wie die zwischen mir jetzt und mir vor fünf Minuten; vorausgesetzt, ich will überhaupt auf jenen weit entfernten Planeten reisen und habe Grund zu der Annahme, daß die Zerstörung meines gegenwärtigen Leibes nicht mit größeren Schmerzen verbunden sein wird. Natürlich kann es gleichwohl sein, daß ich den Tod meines jetzigen Körpers fürchte. Aber diese Furcht wäre, wie Carruthers mit Recht betont, irrational. Denn die Erfüllung keines meiner Wünsche hängt wirklich von der Identität meines Leibes ab. Wenn ich beispielsweise das Beste für meine Kinder will, kann mein Doppelgänger, der ja denselben Wunsch hat, zu ihrem Wohle genauso beitragen wie ich jetzt. Nun handelt sich hierbei um einen unpersönlichen Wunsch - einen, der sich auch unabhängig von mir selbst erfüllen läßt. Wie steht es aber um meine persönlichen Wünsche - diejenigen meiner Wünsche, die darin bestehen, daß ich selbst etwas tun oder erreichen möchten? Stehen nicht zumin-
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dest diese Wünsche in einer wesentlichen Beziehung zu meinem gegenwärtigen Leib? Carruthers bestreitet das. Er argumentiert — überzeugend, wie mir scheint —, daß die Gehalte meiner persönlichen Wünsche in diesem Sinne keinen physischen Aspekt aufweisen. Es handelt sich dabei nämlich, bei Lichte besehen, um Wünsche nach gewissen intentionalen Zuständen, in denen sich, wenn so ein Wunsch sich erfüllt, jemand befindet, der psychisch mit mir verbunden ist. Betrachten wir beispielsweise meinen Wunsch, wohlhabend zu werden. Er erfüllt sich z.B. dann, wenn ich mich irgendwann einmal in der Lage sehe, täglich im privaten Swimmingpool meine Runden zu drehen. Nun sieht es freilich prima fade so aus, als sei an der Erfüllung dieses Wunsches mein individueller Leib ganz wesentlich beteiligt. Doch der Schein trügt. Worauf es hier wirklich ankommt, sind die regelmäßigen Erlebnisse, die mit dem Schwimmen im Privatpool verbunden sind. Diese Erlebnisse sind es eigentlich, die ich nun genieße, und auf diese Art Genuß war ich erpicht, als Vorjahren mein Wunsch entstand, einmal wohlhabend zu sein. Abermals kommt es nicht auf die Identität meines Leibes an, sondern vielmehr auf das Vorliegen einer hinreichend starken psychischen Verbindung. Carruthers' Diskussion des Teletransports zeigt, daß ein gewisser Grad an psychischer Verbindung unter manchen Umständen hinreichend für diachrone Personenidentität ist. Ich sage bewußt „unter manchen Umständen". Denn es sind sehr wohl auch Umstände denkbar, unter denen selbst ein äußerst hoher Grad an psychischer Verbindung mitnichten Personenidentität verbürgt. Betrachten wir, um dies zu sehen, eine modifizierte Variante des Teletransport-Beispiels. Was passiert, wenn zwar der Teletransporter mein blueprint korrekt an den Repükator auf dem anderen Planeten übermittelt und dieser Replikator daraufhin meinen perfekten Doppelgänger produziert, der Teletransporter jedoch aufgrund einer Fehlfunktion meinen jetzigen Leib nicht erfolgreich zerstört, so daß ich auf der Erde weiterlebe? Mein Doppelgänger wäre dann psychisch genauso stark mit mir verbunden wie im vorherigen Beispiel, in dem alles reibungslos verläuft. Aber da ich diesmal weiterlebe, kann der Doppelgänger unmöglich mit mir
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identisch sein. Denn wie bereits erwähnt ist Identität eine transitive Relation. Da ich die Person im Teletransporter sein werde, deren Leib die Maschine diesmal nicht 2erstört, und da diese Person nicht mit dem Doppelgänger aus dem Replikator identisch ist, kann ich mit diesem Doppelgänger nicht identisch sein. Selbst ein hoher Grad an psychischer Verbindung impliziert also keineswegs diachrone Personenidentität. Das Beispiel zeigt jedoch, daß ein gewisser Grad an psychischer Kontinutät im Verein mit physischer Kontinuität sehr wohl fur Personenidentität hinreicht. Denn schließlich identifiziere ich nicht den Doppelgänger, sondern die überlebende Person im Teletransporter mit mir selbst. Es erscheint sogar denkbar, daß ich mich via Radio mit meinem Doppelgänger unterhalte! Das Beispiel spricht ferner nicht gegen die These, daß ein gewisser Grad an psychischer Verbindung immer dann Personenidentität verbürgt, wenn keine physische Kontinuität vorliegt. Und wir haben bereits gute Gründe dafür kennengelernt, mich in der ersten Variante des Beispiels, in der der Teletransporter meinen Leib vollständig zerstört, mit dem Doppelgänger zu identifizieren. Unter bestimmten Umständen ist es demnach möglich, daß eine Person zu verschiedenen Zeiten verschiedene Körper bewohnt. Ich ziehe deshalb den Schluß, daß physische Kontinuität keine logisch notwendige Bedingung der Personenidentität über die Zeit hinweg darstellt. Wenn es aber zwei verschiedene zukünftige Personen gibt, die beide denselben Grad an psychischer Verbindung mit mir aufweisen, dann entscheidet physische Kontinuität gegebenenfalls darüber, welche dieser Personen mit mir identisch ist: diejenige Person nämlich, die meinen jetzigen Leib innehat. Man könnte diese etwas differenziertere Auffassung (in Abgrenzung zu Williams' radikalem Externalismus) als gemäßigten Externalismus in bezug auf Personenidentität titulieren. Was geschieht, wenn mein Leib — einschließlich meines Gehirns — sich in zwei Teile aufspaltet, die dann zwei verschiedenen Person zugehören, welche beide denselben Grad an psychischer Verbindung mit mir aufweisen? In diesem Falle, in dem wir es sowohl mit psychischer als auch mit physischer Aufspaltung (beziehungsweise allgemeiner: Diskontinuität) zu tun haben, sehe ich nur ei-
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nen Ausweg: Wir müssen beiden Personen Identität mit der ursprünglichen Person absprechen. Hier scheint mir Parfits oben erwähnte Idee eines Uberlebens ohne diachrone Identität einschlägig zu sein. Fassen wir das Gesagte noch einmal zusammen. Wir haben uns aus der „ich"-Perspektive heraus klargemacht: Wenn weder physische Kontinuität noch psychische Aufspaltung vorliegt, dann ist ein gewisser Grad an psychischer Verbindung hinreichend für Personenidentität. Außerdem bildet er eine notwendige Bedingung. Im Falle einer psychischen Aufspaltung impliziert ein entsprechender Grad an psychischer Verbindung zusammen mit physischer Kontinuität diachrone Personenidentität. (Wenn keine der beiden zukünftigen Personen physische Kontinuität mit der urprünglichen Person aufweist, handelt es sich meines Erachtens um einen Fall von doppeltem Überleben ohne diachrone Identität.") So konzipieren wir, bei Lichte besehen, diachrone Personenidentität. Wenn wir die jeweiligen Umstände berücksichtigen (und das müssen wir, sofern wir unseren Begriff der Personenidentität konkret anwenden wollen), dann liefern uns psychische Verbindung und/oder physische Kontinuität erstklassige, nicht-induktive Gründe dafür, Personen, die zu verschiedenen Zeiten existieren, miteinander zu identifizieren. Psychische Verbindung und physische Kontinuität dienen mithin als W-Kriterien diachroner Personenidentität. Nun haben wir oben gesehen, daß Chisholms Argumente für die These, Personenidentität sei mitunter kriterienlos, ganz und gar nicht zwingend sind. Es spricht daher alles dafür und nichts dagegen, daß diachrone Personenidentität nicht kriterienlos sein kann. Denn schließlich liegt es nach dem Gesagten im Begriff der Personenidentität beschlossen, daß psychische Verbindung und physische Kontinuität unter den-und-den Umständen die Annahme rechtfertigen, daß diachrone Personenidentität vorliegt. Und wir haben meines Erachtens sämtliche möglichen Umstände, in denen von Personenidentität die Rede sein kann, in Erwägung gezogen (vgl. die linke Spalte der nachstehenden Tabelle).
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Personenidentität
Keine Personenidentität
Physische Kontinuität & starke Physische Kontinuität & keine psychische Verbindung hinreichend starke psychische Verbindung Physische Kontinuität & psy- Physische Diskontinuität (z.B. physische Aufspaltung) & psychische Aufspaltung chische Aufspaltung Physische Diskontinuität & Physische Diskontinuität & starke psychische Verbindung keine psychische Verbindung
§ 6. Ein Vorschlag zur Metaphysik „strikter" diachroner Personenidentität Ist diachrone Personenidentität möglicherweise strikt} Betrachten wir, um diese Frage abschließend zu beantworten, eine Parfitsche Variante des Beispiels mit Lefty und Righty.13 Nehmen wir einmal an, mein Körper; ausgenommen mein Gehirn, sei so schwer verletzt, daß ich eigentlich nicht überleben kann. Stellen wir uns vor, ich habe zwei Zwillingsgeschwister, für deren Gehirne dasselbe gilt, deren restlicher Körper aber unversehrt geblieben ist. Mein intaktes Gehirn wird nun in zwei Hälften zerteilt, die jeweils einem der Körper meiner Zwillingsgeschwister eingepflanzt werden. Das erfreuliche Resultat dieser Operation sind zwei Personen, die beide psychisch und physisch im selben Maße mit mir verbunden sind. Parfit zufolge habe ich in einem prägnanten Sinne in beiden Personen überlebt. Da Identität aber transitiv ist und unsere Kriterien der Personenidentität uns keinen Grund an die Hand geben, mich mit einem der beiden Doppelgänger — und nicht mit dem anderen - zu identifizieren, sollten wir beide Identifikationen gleichermaßen verwerfen. Denn inzwischen wissen wir ja, daß Personenidentität über die Zeit hinweg unmöglich kriterienlos sein kann.
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Die beschriebene Operation beendet mithin mein persönliches Leben — unter anderem deshalb, weil in der geschilderten Situation nicht genügend physische Kontinuität vorliegt, um eine der beiden Personen als mit mir identisch aus2uzeichnen. Gewiß, würde nur eine der beiden Gehirnhälftenverpflanzungen gelingen, so wären wir geneigt, die resultierende Person mit mir zu identifizieren. Und vorhin haben wir sogar eine Situation kennengelernt, in der zwar Personenidentität, aber keinerlei physische Kontinuität vorliegt. Das ändert jedoch nichts daran, daß es unter den vorliegenden Umständen auf physische Kontinuität ankommt: Unter Umständen wie diesen bildet unserer Konzeption diachroner Personenidentität zufolge ein signifikanter Teil des Leibes einer Person einen integralen Bestandteil dieser Person. Darüber hinaus spielt psychische Kontinuität, wie wir oben sahen, eine wesentliche Rolle. Die folgende These über den metaphysischen Status von Personen scheint mir die beste Erklärung dieser Daten zu liefern: Personen sind entia successiva, die zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen, aber normalerweise raumzeitlich kontinuierlichen physischen Momentanstrukturen konstituiert werden, die sich in je verschiedenen, aber psychisch miteinander verbundenen intentionalen Zuständen befinden. Ob zwei derartige psycho-physische Momentanstrukturen dieselbe Person konstituieren, ist eine begriffliche Frage: unsere W-Kriterien der Personenidentität entscheiden darüber.11 Die Frage nach der diachronen Identität einer Person Ay die zu einer Zeit h existiert, mit einer Person B, die zu einer Zeit t2 existiert, läuft demnach, metaphysisch gesehen, auf die Frage hinaus, ob Λ und Β zu t, beziehungsweise t2 von zwei psycho-physischen Momentanstrukturen konstituiert werden, die ein und dieselbe Person konstituieren. Von diesen temporären Konstituenten kann man nicht im strikten Sinne sagen, daß sie identisch dieselbe Person sind, da sie unterschiedliche Teile — z.B. unterschiedliche Zellstrukturen — enthalten. In diesem — zugegebenermaßen abgeleiteten — Sinne kann Personenidentität über die Zeit hinweg unmöglich strikt sein. Aber natürlich kann Person Λ unter den gemachten Voraussetzungen in einem trivialen Sinne strikt mit
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Person Β identisch sein - dann nämlich, wenn Α und Β von genau denselben psycho-physischen Momentanstrukturen konstitituert werden, also dieselben temporären Teile enthalten. Ob dies aber der Fall ist, darüber entscheiden in letzter Instanz allein unsere WKriterien der diachronen Personenidentität. Kehren wir abschließend noch einmal zum psychischen Kriterium zurück. In den Erörterungen dieses Kapitels ging es im Zusammenhang mit psychischer Kontinuität in erster Linie um das Bestehen von Relationen der Quasi-Erinnerung. In diesen Relationen erschöpft sich psychische Kontinuität, verstanden als Kriterium diachroner Personenidentität, jedoch keineswegs. In § 3 wurde bereits festgehalten, daß ein Subjekt Β gemäß dem psychischen Kriterium „auch ansonsten hinreichend viele intentionale Zustände und Dispositionen" mit einem gegebenen Subjekt Α teilen muß, um mit Α identisch zu sein (Bedingung Nr. 4). Zu diesen Zuständen und Dispositionen dürften nicht zuletzt solche gehören, die bestimmen, was für eine Art von Person ich bin respektive sein möchte.14 Im nun folgenden Schlußkapitel werden wir sehen, daß diese Frage eng mit dem Problembereich zusammenhängt, der sich durch die Schlagworte „Willensfreiheit" und „moralische Verantwortung" kennzeichnen läßt.
Kapitel 6: Moralische Personalität § 1. Die These von der metavolitionalen Struktur und das Problem der Rechtfertigung der Annahme moralischer Personalität Im vorletzten Kapitel wurde im Zusammenhang mit der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen gelingender Einfühlung für die Simulations theorie der Fremdzuschreibung argumentiert. Auf den ersten Blick scheinen damit die Weichen für eine Ablehnung der Metaüberzeugungstheorie des (intentionalen) Bewußtseins gestellt1, für deren indexikalische Spielart ich indes in Kapitel 1 plädiert habe. Das Hauptmotiv für die Zurückweisung der von mir favorisierten Theorienkombination liegt darin, daß die Theorie-Theorie der Fremdzuschreibung weitaus besser zur Metaüberzeugungstheorie zu passen scheint als ihre Rivalin, die Simulationstheorie. Dieser Eindruck liegt hauptsächlich in der Annahme begründet, daß die Metaüberzeugungstheorie intentionale Erlebnisse ebenso vom Besitz mentaler Begriffe abhängig macht wie die TheorieTheorie die Fremdzuschreibung solcher Erlebnisse. In Kapitel 1 (§ 4) habe ich diese Annahme jedoch zugunsten einer disjunktiven, faktisch/^ew/rafaktischen These über die in Rede stehenden begrifflichen Fähigkeiten verworfen. Dies ermöglichte es mir, die (indexikalische) Metaüberzeugungstheorie mit der Simulationstheorie zu kombinieren. In diesem Kapitel möchte ich eine analoge Theorienkombination im Bereich der praktisch-moralischen Einstellungen nutzen, um — wiederum aus der „ich"-Perspektive — die Frage zu beantworten, mit welchem Recht wir andere Subjekte als Personen im
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moralischen Sinne des Wortes betrachten, also als Subjekte, die zumindest für einige ihrer Handlungen verantwortlich sind (und dementsprechend moralisch beurteilt werden dürfen). Die theoretische Option, die ich ergreifen möchte, lautet: Simulationstheone des (praktischen) Personenverstehens plus Metavolitionstheorie der (moralischen) Personalität. Auf dieser Basis werde ich folgende Hypothese zu untermauern versuchen: Erst die intersubjektive Erfahrung unter dem Gesichtspunkt der metavolitionalen Struktur des Wunschsystems eines fremden Subjekts rechtfertigt mich in der Annahme, daß es sich bei diesem Subjekt um eine Person im moralischen Sinne handelt. Obwohl dieser Ansatz formal den leitenden Hypothesen aus den Kapiteln 3 und 4 ähnelt, die ich durch die Schlagwörter „Alterität begründet Identität" beziehungsweise „Alterität begründet Objektivität" zusammengefaßt habe, erscheint mir ein Slogan wie Altentät begründet Moralität hier unangebracht. Denn wenn ich mir überlege, ob der Andere eine Person im moralischen Sinne ist, setze ich die eigene moralische Personalität immer schon voraus. In meinem Selbstbild qua moralische Person spielen zwar soziokulturell vorgegebene und damit intersubjektive Begrifflichkeiten eine unhintergehbare Rolle (§ 8). Doch scheint die „subjektive" (internalistische) Rechtfertigung der Annahme meiner eigenen Personalität gleichwohl unabhängig von konkreter intersubjektiver Erfahrung möglich zu sein: namentlich im Rekurs auf „tief empfundene" selbstbezogene Werte wie z.B. Selbstbescheidung2, von denen ich introspektiv, mit Blick auf jenes „aus der Tiefe meines Ich" entspringende „Wertgefühl" 3 , feststellen kann, daß ich mich mit ihnen identifiziere. Die Idee der metavolitionalen Struktur (§ 3) erlaubt es uns, die Metapher von der „Tiefe meines Ich" zu konkretisieren. Zuvor möchte ich jedoch den soeben verwendeten — und alles andere als trivialen - Begriff eines Wertgefühls (also eines Gefühls, das uns als Rechtfertigungsbasis für ein evaluatives Urteil dienen kann) näher beleuchten.
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§ 2. Gefühle als vernünftige Urteilsmotive Wenn in der philosophischen Literatur von „Gefühlen" die Rede ist, dann sind in der Regel diejenigen Phänomene gemeint, die im angelsächsischen Sprachraum gemeinhin mit dem Terminus „emotion" bezeichnet werden: also keine „bloßen Empfindungen" oder raw feelings wie etwa Schmerzen oder farbige Nachbilder, sondern vielmehr (in derlei Empfindungen allenfalls fundierte) emotionale Phänomene wie z.B. Angst, Furcht, Bewunderung, Liebe, Haß, Eifersucht, Empörung, Wut, Scham, Ekel, Freude, Verlegenheit, Reue, Trauer, Liebeskummer oder Sehnsucht. Einige dieser Phänomene sind kurzzeitige seelische Episoden — etwa die Wut, die zum Ausbruch kommt, oder die Scham, die jemanden erröten lässt. Andere Gefühle haben eher den Charakter von LangzeitDispositionen - beispielsweise der latente Haß auf eine Person, die einen vor längerer Zeit erniedrigt hat. Manche Gefühle sind hinsichtlich ihres Objekts unbestimmt oder gar richtungslos, so z.B. die Angst, die einen plötzlich ohne ersichtlichen Grund überkommt. Andere haben ein ganz bestimmtes Objekt, beispielsweise die Person, die man liebt, oder die eigene Handlung, die man bereut. Einige Gefühle sind bewußt, andere hingegen — etwa das bereits erwähnte latente Haßgefühl — schlummern im Unbewußten. Angesichts dieser ziemlich heterogenen Reihe von Merkmalen erscheint es unwahrscheinlich, daß sich der Gefühlsbegriff präzise durch die Angabe logisch notwendiger und zusammengenommen hinreichender Bedingungen definieren oder sich ins Korsett einer bestimmten Ontologie zwängen läßt — etwa, wie Richard Wollheim annimmt,4 der Dispositions-Ontologie. Stattdessen bietet sich eine Wittgensteinsche Diagnose des Phänomens an: „Gefühl" scheint ein Familienähnlichkeitsbegriff zu sein, für dessen korrekte Anwendung es sehr wohl brauchbare Kriterien gibt, die aber nur in geeigneten Kontexten greifen und gelegentlich auch miteinander konfligieren.^ Den Kern der Familie bilden die paradigmatischen Fälle, anhand derer man den Gefühlsbegriff erlernen kann. Das sind natürlich nicht so sehr latente Langzeit-Dispositionen, als vielmehr
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manifeste Gefühlserlebnisse und deren Verhaltensäußerungen. Diese paradigmatischen Fälle haben, scheint mir, allesamt den Bezug auf gewisse Empfindungen gemein, und zwar solche, die den Gefühlen den Ruf des Arationalen oder rein Triebhaften eingetragen haben: Es handelt sich hier nämlich um körperliche Empfindungen, mit denen wir allenfalls „hedonistische" Werte wie angenehm (sprich: positiv) oder unangenehm (negativ) verbinden; man könnte sie als emotionale Empfindungen bezeichnen. Wer etwa ängstlich disponiert ist, tendiert in gewissen Kontexten zu erhöhter Herzfrequenz und Adrenalinausschüttungen, die wiederum subjektiv als unangenehm empfunden werden. Angst qua Disposition manifestiert sich also in gewissen Erlebnissen, die mit negativen Empfindungen verbunden sind. Diese Erlebnisse können sich ihrerseits in bestimmten Formen des Ausdrucksverhaltens äußern, etwa im Aufsetzen eines ängstlichen Gesichtsausdrucks. Jene emotionalen Erlebnisse und diese öffentlichen Gefühlsartikulationen fungieren dann je nachdem als innere oder äußere Kriterien dafür, daß jemand Angst verspürt, und im Wiederholungsfalle auch als Kriterien für das Vorliegen einer Angstdisposition. „Im Wiederholungs falle" — das besagt: wenn sie unter ähnlichen Umständen erneut auftreten. Was zählt dabei als Ähnlichkeit? Bestimmte Dinge, Ereignisse oder Situationen scheinen das negativ oder positiv empfundene Gefühlserlebnis regelmäßig auszulösen; diese auslösenden Faktoren erinnern das Subjekt an Dinge oder Konstellationen, die solch eine Empfindung (nach seinem Eindruck) bereits früher hervorgerufen haben. De Sousa spricht in diesem Zusammenhang von der „situativen Komponente" eines „Schlüsselszenarios"; ich werde diese Komponente als Schlüsselsituation bezeichnen/' Angenommen etwa, ein Subjekt assoziiert ein ihm anschaulich gegebenes Objekt, etwa eine soeben wahrgenommene Spinne, mit einer Schlüsselsituation; das könnte hier z.B. das — vielleicht durch eine Warnung des Erziehers kommentierte - Krabbeln einer Spinne auf der eigenen Haut sein. Im Falle einer Angstdisposition tritt dann automatisch auch die entsprechende Angstempfindung auf, und man kann sagen, daß unser Subjekt sich in einem bewußten Zustand der Angst befindet. Das ängstlich disponierte Subjekt hat
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mit anderen Worten ein Angsterlebnis, sobald es sich mit einer Situation konfrontiert sieht, die es an eine einschlägige Schlüsselsituation erinnert. Zu den Kriterien, die für emotionale Dispositionen charakteristisch sind, gehören demnach: Schlüsselsituationen, damit assoziierte (positive oder negative) emotionale Empfindungen als phänomenale Momente von bewußten Gefühlsepisoden sowie — nicht zuletzt — deren Verhaltensäußerungen. Letztere bilden eine weitere Komponente des Schlüsselszenarios. Außerdem ist anzumerken, daß ein und dieselbe emotionale Empfindung mit verschiedenen Schlüsselszenarien assoziiert sein kann, in Hinblick auf die das zugehörige emotionale Vokabular zu erlernen oder auch zu sublimieren ist: wie etwa bei der Lektüre eines literarischen Werkes, das uns ein bis dato unbekanntes Schlüsselszenario für ein schon vertrautes Gefühl vor den Blick bringt. Auch die einzelnen Sorten von Gefühlen bilden also Familienähnlichkeitsbegriffe, und die diversen zugehörigen Schlüsselszenarien stellen dem Subjekt Kriterien gleichsam für die Anwendung des betreffenden Gefühls bereit. Diese können, wie gehabt, auch miteinander konfligieren. So kann sich Bewunderung z.B. auf das bewundernswert erscheinende Verhalten verschiedener Personen beziehen, und womöglich gar mit Blick auf diametral entgegengesetzte Aspekte ihres Verhaltens, etwa Brutalität und Sanftmütigkeit. Dies ist immer dann der Fall, wenn das Subjekt die widersprüchlichen Aspekte jeweils mit einem Schlüsselszenario für das Gefühl der Bewunderung verbindet und dementsprechend emotional disponiert ist. Nun liegt im Begriff einer emotionalen Disposition offensichtlich der Verweis auf ein entsprechendes Gefühlserlebnts beschlossen, also auf einen Bewußtseinszustznd^ der eine emotionale Empfindung involviert und die betreffende Disposition dabei je nachdem initiiert oder in dem sie sich aktualisiert - sofern sie schon besteht. Wer z.B. niemals mit den für Eifersucht charakteristischen Empfindungen auf ein bestimmtes Verhalten des Ehepartners reagiert oder wenigstens in hinlänglich pikanten Situationen so reagieren würde, der ist im hier relevanten Sinne auch nicht zur Eifersucht disponiert. Dagegen ist es begrifflich sehr wohl möglich, daß jemand ein Gefühlserlebnis hat, ohne die entsprechende emo-
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tionale Disposition zu besitzen beziehungsweise auch nur zu erwerben: Man denke etwa an einen Angestellten, der sich kurzzeitig über das Verhalten seines Vorgesetzten ärgert und allenfalls im Nachhinein, wenn überhaupt, eine Abneigung gegen ihn entwikkelt. Das Konzept eines GefchAserlebnisses ist also offenbar grundlegender als das einer emotionalen Disposition.1 Ich werde mich daher im Folgenden thematisch auf Gefühlserlebnisse beschränken. Es ist inzwischen ein Gemeinplatz der Philosophie der Gefühle, daß sich Gefühlserlebnisse nicht nach dem Muster von Uberzeugungen, Urteilen oder Wünschen modellieren lassen. Uberzeugungen und Urteile zielen nämlich stets auf Wahrheit ab, und Wünsche stets auf etwas für das Subjekt irgendwie Gutes.8 Gefühlserlebnisse hingegen besitzen kein einheitliches formales Objekt, auf das sie allesamt abzielen. Vielmehr hat jede Sorte von Gefühlserlebnissen ihr eigenes, für das jeweilige Gefühl konstitutives Formalobjekt, wie z.B. Bewundernswürdigkeit, Liebenswürdigkeit oder die Eigenschaft, furchteinflößend zu sein.9 Es fällt auf, daß derlei Formalobjekte eine evaluative Komponente enthalten, also auf eine Bewertung des Gefühlsgegenstandes seitens des fühlenden Subjekts verweisen. Ich komme auf diese Wertbezogenheit der Gefühlserlebnisse noch zurück. Daraus, daß sich die Gefuhlserlebnisse nicht den Uberzeugungen und Wünschen angleichen lassen, folgt mitnichten, daß es begrifflich keinen Raum für dergleichen wie rationales Handeln aus gefühlsbedingten Motiven gibt. Um dies zu verdeutlichen, werde ich die Gefühlserlebnisse nachfolgend mit den aussichtsreichsten Kandidaten vergleichen, die die Erkenntnistheorie für die Rolle des Rechtfertigungsfundaments von Überzeugungen anzubieten hat: den Wahrnehmungserlebnissen. Wahrnehmungserlebnisse lassen sich ebenfalls nicht nach Maßgabe der Überzeugungen und Urteile modellieren. Denn anders als bei doxastischen Zuständen ist es bei Wahrnehmungserlebnissen im Prinzip immer möglich, ihrem intentionalen Gehalt zu mißtrauen, ohne daß das Erlebnis deshalb aufhörte, ein Wahrnehmungserlebnis zu sein. Man denke etwa an die Müller-LyerStreckentäuschung:
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Wir nehmen die beiden Strecken automatisch als ungleich lang wahr - und zwar selbst dann, wenn wir dem Augenschein aufgrund unseres Hintergrundwissens mißtrauen, also nicht das entsprechende Urteil fällen (vgl. Kapitel 1, § 4). Dieser Befund illustriert gleichzeitig eine zweite Hinsicht, in der Gefiihlserlebnisse bewußten Wahrnehmungszuständen gleichen: Beide Erlebnisarten sind oftmals informationell eingekapselt, d.h. das Auftreten der entsprechenden Erlebnisse in geeigneten WahrnehmungsSituationen ist weitgehend unabhängig von unserem jeweiligen Hintergrundwissen, soweit es die konkreten Wahrnehmungsumstände betrifft.10 Wer sich z.B. vor Schlangen furchtet, der wird auch dann angesichts einer Blindschleiche Angst empfinden, wenn er weiß, daß Blindschleichen eigentlich harmlos sind. Die ängstliche Reaktion auf Schlangen ist in seinem Gehirn quasi fest verdrahtet. Das impliziert freilich nicht, daß Wahrnehmungs- und Gefiihlserlebnisse kraft ihres jeweiligen Gehalts nicht je schon in ein Netzwerk von Hintergrundüberzeugungen eingebettet wären. Das Gegenteil ist der Fall: Ohne gewisse Uberzeugungen über Schlangen könnten wir weder bewußt Angst vor Schlangen empfinden noch auch Schlangen überhaupt als solche wahrnehmen. Dieser holistische Charakter ihres Gehalts bildet einen dritten gemeinsamen Zug zwischen paradigmatischen Gefühlen und Wahrnehmungserlebnissen . Eine vierte Gemeinsamkeit ist das beiderseits involvierte Empfindungsmoment: Es fiihlt sieb irgendwie an, bewußt eine Schlange zu sehen, und esfühlt sich irgendwie an, sich davor zu furchten. Eine fünfte Hinsicht, in der Wahrnehmungs- und Gefiihlserlebnisse einander gleichen, markiert der Umstand, daß sie manchmal nicht-veridisch sind, uns also in die Irre fuhren: Genauso wie manche Wahrnehmungserlebnisse sich erkenntniskritisch als Illu-
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sion oder gar Halluzination herausstellen, projizieren Gefühlserlebnisse gelegentlich formale Objekte auf die Realität, die entweder nicht zum intentionalen Gegenstand des betreffenden Gefühls passen — dies wäre das Analogon zur Illusion — oder die gar keinen Gegenstand haben, zu dem sie passen könnten, weil das Gefühl — wie eine Halluzination — gänzlich ins Leere schießt. Zu den illusorischen Gefühlen gehört beispielsweise jemandes Bewunderung für eine Person angesichts einer Leistung, die sie nie vollbracht hat. Als Exempel für ein Gefühlserlebnis, dem überhaupt kein Gegenstand entspricht, kann uns die Bewunderung für den Schöpfer einer kunstvoll anmutenden Gesteinsformation dienen, die in Wahrheit durch puren Zufall entstanden ist. Wenn nun aber umgekehrt Gefühlserlebnisse — genau wie Wahrnehmungserlebnisse — manchmal sehr wohl vendisch sind, also ihren Gegenstand so erfassen, wie er wirklich ist, so ist schwerlich einzusehen, weshalb sie nicht auch als rechtfertigende Gründe (vernünftige Motive) für Uberzeugungen infrage kommen. Wir haben bereits gesehen, daß Gefühlserlebnisse formale Objekte besitzen, die so etwas wie Wertungen bezüglich ihres jeweiligen intentionalen Gegenstandes involvieren. Nun bezeichnet jedes formale Objekt meines Erachtens eine Bedingung, unter der das jeweilige Gefühlserlebnis seinem Gegenstand angemessen ist — oder angemessen wärey je nachdem. Das gilt nicht nur für evolutionstheoretisch erklärbare Emotionen wie der Furcht vor einer drohenden Gefahr. Es gilt - obwohl einige Autoren dies bestreiten" - auch für Gefühlserlebnisse wie das der Bewunderung, also für Erlebnisse, die prima fade für ihr formales Objekt konstitutiv sind. Auch diese besitzen nämlich sehr wohl eine Dimension der Angemessenheit. Wenn ich z.B. jemanden für eine Tat bewundere, die er nie vollbracht hat, oder ihn für persönliche Eigenschaften liebe, die ich bloß auf ihn projiziere, dann ist das betreffende Gefühlserlebnis seinem Gegenstand doch wohl schlicht unangemessen: Er ist es nicht wert, so bewundert oder geliebt zu werden. Halten wir also fest:
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(1) Das formale Objekt eines Gefühlserlebnisses fixiert die Bedingungen, unter denen das Erlebnis seinem Gegenstand angemessen ist (zu ihm paßt).12 Gleichwohl gibt es unbestritten Gefühlserlebnisse, die ihren Gegenstand unter weniger objektiven, also stärker subjektabhängigen Aspekten präsentieren als andere. Dies gilt beispielsweise für ästhetische Empfindungen, die der persönlichen Vorliebe des Subjekts etwa für einen gewissen Malstil entspringen. Man beachte jedoch, daß derlei Gefühlserlebnisse für ästhetische Subjekte mit anderen Vorlieben oder ästhetischen Standards immerhin nachvollziehbar sind. Das wäre ein Mirakel, wenn es keine Möglichkeit gäbe, eine ästhetische Empfindung relativ ψ gewissen Vorlieben und Standards als ihrem Gegenstand angemessen zu beurteilen. Tatsächlich können wir einfach nicht umhin, auf formale Objekte mit ihrer Dimension der Angemessenheit und Unangemessenheit zu rekurrieren, wenn es darum geht, Gefühlserlebnisse verschiedener Sorten voneinander abzuheben; eine Aufgabe, um die niemand herumkommt, der eine adäquate Theorie der Gefühle entwickeln möchte. Denn gemäß welchem Kriterium sollten wir Gefühlserlebnisse sonst klassifizieren? Gewiß nicht nach dem Kriterium des Gefühlgegenstandes. Schließlich kann ein und derselbe Gegenstand Gefühle ganz unterschiedlicher Art auf sich ziehen. Ein anderes Unterscheidungskriterium ist aber weit und breit nicht in Sicht, d.h.: (2) Die einzige Möglichkeit, Gefühlserlebnisse zu klassifizieren, besteht im Rekurs auf formale Objekte.13 Die Thesen (1) und (2) ziehen folgende Konsequenz nach sich: (3) Für jedes Gefühlserlebnis lassen sich (soweit es sich überhaupt klassifizieren läßt) Bedingungen der Angemessenheit formulieren. Nun muß aber, was für veridische Wahrnehmungserlebnisse recht ist, für andere veridische Erlebnisse billig sein, d.h.: (4) Ein Erlebnis, das seinem Gegenstand angemessen ist, vermag das Urteil beziehungsweise die Uberzeugung, daß der
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Gegenstand so ist, wie das Erlebnis ihn repräsentiert, zu rechtfertigen (vernünftig zu motivieren).14 (5) Also (wegen (3) und (4)): Gefühlserlebnisse kommen als Rechtfertigungsgründe (vernünftige Motive) für Urteile und Uberzeugungen in frage. Da die formalen Objekte der Gefühle, wie schon hervorgehoben, eine evaluative Komponente aufweisen, dürfte es sich bei den durch sie gerechtfertigten Urteile um Werturteile handeln. Wie bei den Wahrnehmungsurteilen erfolgt die Rechtfertigung in der Regel nicht-inferentiell,\ also direkt. Natürlich können die so resultierenden Uberzeugungen mit anderen wertbezogenen Uberzeugungen des Subjekts in Konflikt geraten; man denke etwa an das obige Beispiel, in dem jemand die Brutalität und die Sanftmütigkeit zweier Personen gleichermaßen bewundernswert findet. Die Möglichkeit solcher internen Konflikte stellt eine unweigerliche Konsequenz des kriteriellen Charakters der Schlüsselszenarien dar, mit denen wir die Gefühlserlebnisse verbinden, auf deren Grundlage wir unsere Werturteile fallen. Derlei Überzeugungskonflikte sind unbefriedigend und sollten im Regelfall dazu führen, daß wir die zugrundeliegenden Gefuhlsmotive ihrerseits einer kritischen Bewertung unterziehen.15 Es erscheint verlockend, nun noch einen Schritt weiterzugehen und zu behaupten, daß die paradigmatischen Gefühle nicht nur wie die Wahrnehmungserlebnisse als unmittelbare Rechtfertigungsgründe fungieren können, sondern Wahrnehmungserlebnisse sind — mit der Besonderheit, daß sie ihren Gegenstand unter einem evaluativen Aspekt präsentieren. Gegen diese Gleichschaltung spricht allerdings der Umstand, daß es (weitere) gewichtige Unterschiede zwischen paradigmatischen Wahrnehmungserlebnissen und Gefühlen gibt. So weisen Gefühlsempfindungen (anders als Wahrnehmungsempfindungen) keinen intrinsischen Raum-Zeit-Bezug auf. Und die oben erwähnten persönlichen Vorlieben und Maßstäbe scheinen nur im Falle der Gefuhlserlebnisse eine signifikante Rolle zu spielen. Sie bilden, wie Robert Solomon es ausdrückt, ein „surreales" Sonderele-
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ment, das zur perzeptiven Schicht unserer Wirklichkeitserfahrung noch hinzutritt.16 Wir sollten uns daher mit der Schlußfolgerung begnügen, daß es neben Werturteilen eigentümliche emotionale Werterfahrungen gibt, die solche Urteile - und darauf basierende Handlungen — vernünftig zu motivieren vermögen. Auch die Erfahrungen, im Rekurs auf die sich die Annahme der eigenen moralischen Personalität intrasubjektiv begründen läßt (§ 1), besitzen diesen Charakter. Es handelt sich dabei um Gefühle, in denen sich manifestiert, daß ich mich mit gewissen, mich selbst betreffenden Werten identifiziere — ein Umstand, der sich (wie noch hinreichend deutlich werden wird) auch darin bekundet, daß ich gewisse Metavolitionen besitze. In den nachfolgenden Paragraphen 3 und 4 wird der letztere Begriff näher erläutert und zur Idee der moralischen Verantwortung in Beziehung gesetzt. Anschließend komme ich auf den Zusammenhang zwischen Metavolitionen und bestimmten (höherstufigen) evaluativen Urteilen beziehungsweise Einstellungen zu sprechen, die sich als persönliche Identifikationen mit Werten charakterisieren lassen (§§5 ff.). Vor diesem Hintergrund werde ich schließlich eine Begründung der Annahme fremder moralischer Personalität entwikkeln, die sich auf intersubjektive Erfahrung beruft (§ 8).
§ 3. Metavolitionen und der Begriff einer moralischen Person Der Begriff der Metavolition (higher-order volition) hat mit dem Erfolg von Harry Frankfurts Aufsatz ,Freedom of the will and the concept of a person' 17 Eingang ins konzeptuelle Repertoire der neueren praktischen Philosophie gefunden. Worin besteht das spezifische Merkmal einer Person im moralischen Sinne?18 Frankfurts diesbezügliche Antwort 19 leuchtet mir ein: Das gesuchte Merkmal besteht in der Fähigkeit, auf die eigenen Handlungsabsichten (selbst-)kritisch zu reflektieren — kurzweg: in der Fähigkeit zur praktischen Selbstbewrtung. Wer dazu
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grundsätzlich in der Lage ist, muß es sich gefallen lassen (und darf umgekehrt erwarten), daß seine Handlungen in der Dimension „moralisch gut/akzeptabel/verwerflich" bewertet werden. Wer dazu außerstande ist, gilt im hier relevanten Sinne hingegen als unzurechnungsfähig; der Status einer moralischen Person bleibt ihm vorenthalten. Frankfurts vielzitiertes Beispieltrio des „triebhaft Süchtigen", des „Süchtigen wider Willen" und des „willentlich Süchtigen" ist gut geeignet, diesen Punkt zu illustrieren. Alle drei Figuren sind körperlich drogenabhängig; sie haben den unwiderstehlichen Drang, die Droge zu nehmen. Der triebhaft Süchtige muß diesem Wunsch bedenkenlos, i.e. gänzlich unreflektiert, nachgeben; er kann diesbezüglich keine Präferenzen ausbilden — weder positive noch negative — und folgt dementsprechend ganz einfach seinem jeweiligen Begehren. Der Süchtige wider Willen leistet seinem Verlangen hingegen nur widerwillig Folge; er hat den konfligierenden (faktisch jedoch schwächeren) Wunsch, die Droge nicht zu nehmen, und möchte außerdem, daß dieser Wunsch handlungswirksam oder (wie Frankfurt es auch ausdrückt) zu seinem Willen werde. Einen derartigen Wunsch zweiter Stufe nennt Frankfurt eine Volition ^weiter Stufe — im Unterschied zu einem Wunsch zweiter Stufe, der nicht darauf abzielt, daß der Wunsch, den man haben möchte, auch handlungswirksam wird. (Frankfurts Beispiel fur einen nicht-volitionalen Wunsch zweiter Stufe ist der Wunsch eines Drogentherapeuten, einmal das Verlangen eines Abhängigen nach der Droge zu verspüren, ohne diesem letzteren Wunsch indes wirklich nachgeben zu wollen.) Der willentlich Süchtige schließlich identifiziert sich mit seinem Wunsch, die Droge zu nehmen; er möchte, daß dieser Wunsch handlungswirksam wird, besitzt also eine entsprechende Volition zweiter Stufe (und im übrigen keine konfligierende Volition zweiter Stufe, die stärker ist). Der triebhaft Süchtige ist für seinen jeweiligen Drogenkonsum moralisch nicht verantwortlich. In dieser Beziehung ähnelt er einem Tier oder einem Klein(st)kind, nicht aber einer Person im moralischen Sinne. Was sein Suchtverhalten angeht, so bleiben ihm daher sämtliche Rechte und Pflichten vorenthalten, die spe-
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ziell mit dem Status einer moralischen Person einhergehen. Der Staat dürfte ihn beispielsweise (sofern dieser Staat hinreichend gerecht verfaßt ist)20 ohne seine Zustimmung in eine drogentherapeutische Anstalt einweisen (Zwangseinweisung). Der triebhaft Süchtige muß (und darf) mit anderen Worten nicht wie jemand behandelt werden, der bezüglich seines Drogenkonsums Willensfreiheit besitzt, und das heißt für Frankfurt: die Freiheit zu wollen, was er selbst wollen möchte. Daß er nicht für sein Tun verantwortlich ist, gilt in Frankfurts Augen auch für den Süchtigen wider Willen, da er nicht nur der Freiheit ermangele, dasjenige zu wollen, was er zu wollen wünscht (nämlich Drogenabstinenz), sondern sich darüber hinaus auch nicht mit dem Willen identifiziere, der seinem Tun faktisch zugrundeliegt.21 In diesem Punkte halte ich eine Korrektur von Frankfurts Auffassung für unvermeidlich.
§ 4. De-facto- versus De-jure-Willensfreiheit: Eine Kritik an Frankfurts Konzeption moralischer Verantwortung Der widerwillig Süchtige besitzt zwar bezüglich seines Drogenkonsums de facto keine Willensfreiheit, und er identifiziert sich darüber hinaus mit dem Wunsch erster Stufe, den er gegenwärtig nicht zu seinem Willen machen kann. Er genießt aber diesbezüglich nach meiner Uberzeugung gleichwohl dieselben moralischen Rechte und Pflichten wie ein Subjekt mit Willensfreiheit (siehe unten).22 Man könnte in diesem Zusammenhang von De-jure-Willensfreiheit sprechen und sagen: Nicht De-facto-, sondern Dejure-Willensfreiheit, i.e. das Anrecht auf die im Prinzip gleiche moralische Behandlung (im relevanten Handlungskontext) wie ein de facto (willens-) freies Subjekt, ist für moralische Verantwortung notwendig und hinreichend.23 Der Begriff der De-jure-Willensfreiheit findet sich nicht bei Frankfurt. Er enthält eine intersubjektive Komponente, insofern
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er auf eine gemeinschaftlich sanktionierte Haltung verweist, die man als personale Umstellung titulieren könnte. Diese Einstellung (deren Gegenstände wir wie Subjekte mit De-facto-Willensfreiheit behandeln) dürfen wir per conventionem nur Subjekten gegenüber einnehmen, die unserer Meinung nach moralisch dieselbe Dignität besitzen wie Subjekte mit De-facto-Willensfreiheit. Nun ist moralische Verantwortung einerseits notwendig (und außerdem, wie ich sogleich argumentieren werde, hinreichend) für moralische Personalität; andererseits impliziert sie nach meiner Auffassung De-jure-Willensfreiheit (und umgekehrt). Es nimmt daher nach dem zuletzt Gesagten nicht wunder, daß sich die Annahme (fremder) moralischer Personalität im Rekurs auf inter,subjektive Erfahrung rechtfertigen läßt, wie im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch gezeigt werden soll. Diese Begründung wird auch die Idee der De-jure-Willensfreiheit in ein helleres Licht rücken. Wie noch hinreichend deutlich werden wird, geschieht die Zuschreibung von De-jure-Willensfreiheit relativ zu einer Sprachgemeinschaft, welche sie sanktioniert, während die „subjektive" Begründung der Annahme moralischer Personalität nicht an die Zugehörigkeit der Zielperson zur selben Sprachgemeinschaft wie das Subjekt dieser Annahme gebunden ist. Mehr dazu in § 7. Es erscheint mir jedoch auch unabhängig von dieser Begründung einigermaßen offensichtlich, daß der Süchtige wider Willen De-jure-Willensfreiheit und damit moralische Verantwortung genießt. Beispielsweise darf er, scheint mir, nicht ohne weiteres zu einer Therapie gezwungen werden, hat aber andererseits (sofern Drogenkonsum moralisch verwerflich ist) die Pflicht, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um von der Droge loszukommen. Diesen moralischen Status verdankt der widerwillig Süchtige nach meinem Dafürhalten seiner Fähigkeit, auf die eigenen relevanten Handlungsabsichten (Willensbestimmungen) kritisch zu reflektieren; eine Fähigkeit, die sich in seiner „selbstkritischen" Volition zweiter Stufe manifestiert, sich selbst davon abhalten zu wollen, die Droge zu nehmen.24 Denn dieses Vermögen verheißt die Möglichkeit zur moralischen „Besserung" in Sachen Drogenkonsum. „Einsicht" in den negativen Wert einer Handlungsweise
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ist ja, wie das bekannte Sprichwort treffend besagt, der „erste Schritt zur Besserung". Gemeint ist im vorliegenden Falle die Einsicht in den negativen moralischen Wert des Drogenkonsums, also eine (durch praktische Selbstbewertung zu erlangende) Einstellung zweiter Stufe. Wir haben es beim Beispiel des widerwillig Süchtigen folglich mit einem Spezialfall des allgemeinen Phänomens zu tun, das Thomas Nagel moralischen Zufall nennt: A person can be morally responsible only for what he does; but what he does results from a great deal that he does not do; therefore he is not responsible for what he is and is not responsible for. (Thomas Nagel, .Moral luck', in: ders., Mortal Questions, Cambridge: Cambridge University Press 1979, S. 24-38; S. 34)
Die „äußeren" Handlungsumstände, namentlich die körperliche Abhängigkeit des Süchtigen, — und nicht die (gegenwärtigen) Handlungen und Einstellungen des Süchtigen selbst — sorgen dafür, daß er nicht umhin kann, die Droge zu nehmen; ein im Falle von De-jure-Willensfreiheit moralisch verwerfliches Verhalten. Für dieses Verhalten ist der widerwillig Süchtige ungeachtet seiner faktischen Unfreiheit verantwortlich. Er hat - moralisch gesehen — Pech, daß er drogenabhängig und gleichzeitig moralisch einsichtsfähig ist. Ginge ihm die Fähigkeit zur praktischen Selbstbewertung ab, so hätte er — wiederum: moralisch gesehen — ebenso Glück gehabt wie dann, wenn er (aus welchen Gründen auch immer) niemals drogenabhängig geworden wäre.21 Auch der willentlich Süchtige ist für seinen Drogenkonsum verantwortlich.26 Er hat nämlich die Volition zweiter Stufe, die Droge gerne nehmen zu wollen. Folglich ist er imstande, auf seine entsprechenden Handlungsabsichten kritisch zu reflektieren. Er hat das Recht, frei zu entscheiden, ob er sich einer Drogentherapie unterziehen möchte. Aber er hat dank seiner „Einsich tsfahigkeit" auch die moralische Pflicht, sich dafür zu entscheiden. Da er stattdessen für seinen bestehenden Willen Partei ergreift, die Droge zu nehmen, ist sein Handeln im Unterschied zu dem des Süchtigen wider Willen moralisch zu verurteilen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß der willentlich Süchtige wegen seiner körperlichen Sucht de facto keine Willensfreiheit in Sachen
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Drogenkonsum genießt. Er muß es sich gleichwohl gefallen lassen, daß sein Tun moralisch analog bewertet wird wie das einer Person mit Willensfreiheit; er genießt mit anderen Worten (ebenso wie der Süchtige wider Willen) De-jure-Willensfreiheit. Mit dieser Einschätzung in Sachen Verantwortlichkeit stimme ich im Resultat mit Frankfurt überein, der zur Begründung allerdings darauf hinweist, daß sich der willentlich Süchtige mit seinem Willen, die Droge zu nehmen, identifiziert (und insofern „aus seinem eigenen ,freien' Willen" handelt); weshalb er im Unterschied zum Süchtigen wider Willen (der sich von diesem Willen distanziert) tatsächlich für sein Tun verantwortlich sei. Da ich Frankfurts Behauptung, der widerwillig Süchtige sei moralisch nicht für seinen Drogenkonsum verantwortlich, bereits zurückgewiesen habe, steht mir diese metavolitionale Begründungsstrategie nicht offen. Es ist zwar moralisch verwerflich, daß der willentlich Süchtige mit seinem Verlangen nach der Droge ganz einverstanden ist; aber es ist umgekehrt auch moralisch positiv zu bewerten, daß der Süchtige wider Willen sein diesbezügliches Verlangen loswerden möchte; und darin bekundet sich gerade, daß er für seinen Drogenkonsum genauso verantwortlich ist wie der willentlich Süchtige.
§ 5. Evaluative Metaeinstellungen und moralische Personalität schlechthin Die dem willentlich Süchtigen (und natürlich auch dem triebhaft Süchtigen) abgehende evaluative Metaeinstellung, die ich oben als Einsicht in den negativen Wert des eigenen Drogenkonsums bezeichnet habe, ist nach Frankfurt (sofern sie bei einem Subjekt vorliegt) mit einer entsprechenden Volition zweiter Stufe äquivalent (beziehungsweise manifestiert sich in deren Ausbildung): „Ich möchte, daß der Wunsch, mich von der Droge fernzuhalten, mein Handeln leitet". Frankfurt behauptet nämlich einerseits, daß die Fähigkeit, Volitionen zweiter Stufe auszubilden, für moralische Personalität notwendig und hinreichend ist, und setzt moralische
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Personen andererseits mit Subjekten gleich, die imstande sind, auf ihre Wünsche erster Stufe und insonderheit ihre Handlungsabsichten (Willensbestimmungen) kritisch zu reflektieren. Wer sein eigenes Verlangen nach der Droge nicht gutheißt, sondern verurteilt, will es demnach ipso facto loswerden; er identifiziert sich mit dem konfligierenden Wunsch, den Drogenkonsum zu unterlassen. In diesem Sinne ist Einsicht für Frankfurt der erste Schritt zur Besserung. (Auf die Gleichsetzung moralisch-evaluativer Metaeinstellungen mit Volitionen höherer Stufe werde ich in Kürze zurückkommen.) Vor dem Hintergrund der im letzten Paragraphen vorgeschlagenen Korrektur, nach der De-jure-Willensfreiheit für moralische Verantwortung notwendig und hinreichend ist, können wir behaupten: Alle moralischen Personen im Sinne Frankfurts, auch die de facto unfreien wie der widerwillig und der willentlich Süchtige, sind moralisch für ihr jeweiliges Tun verantwortlich. Frankfurts Personenbegriff ist daher prima facie mit demjenigen Kants umfangsgleich. Dieser bestimmt moralische Personen als Subjekte, deren „Handlungen einer Zurechnung fähig sind" (Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einl. IV, Β 22). Man beachte jedoch, daß moralische Personalität ä la Frankfurt eine relative Angelegenheit ist: Ein Subjekt mag in einer Hinsicht den Personenstatus besitzen, der ihr in einer anderen Hinsicht vorenthalten bleibt. Es ist beispielsweise keineswegs ausgeschlossen (ja im Gegenteil sogar wahrscheinlich), daß der triebhaft Süchtige in denjenigen Lebensbereichen, in die seine Drogensucht nicht unmittelbar hineinreicht (z.B. im eventuell weiterhin ausgeübten Beruf), moralisch für seine Handlungen verantwortlich ist. In diesem Kapitel geht es primär um die Frage, wie sich die Annahme rechtfertigen läßt, daß ein fremdes Subjekt in irgendeiner Hinsicht moralische Personalität genießt. Sobald sich eine solche Hinsicht aufweisen läßt, sind wir in eins damit zu der Annahme berechtigt, daß unser Subjekt eine moralische Person schlechthin ist. Unter einer moralischen Person schlechthin ist mithin kein perfektes oder ideales moralisches Wesen zu verstehen, sondern schlicht ein Subjekt, dem in mindestens einer Hinsicht moralische Personalität im relativen Sinne zukommt: jemand wie du und ich.
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(Ein Subjekt, das keine moralische Person schlechthin ist, könnte man in Anlehnung an Frankfurt einen Triebhaften schlechthin nennen.) Doch wie plausibel ist eigentlich die Engführung respektive Gleichsetzung evaluativer Metaeinstellungen mit Volitionen zweiter (oder höherer) Stufe, die Frankfurts Personenkonzeption zugrundeliegt? Auf der Folie dieser Fragestellung möchte ich nunmehr einen theoretischen Alternatiworschlag zu Frankfurts metavolitionaler Sichtweise betrachten, den Gary Watson ausgearbeitet hat.27
§ 6. Watsons Kritik an Frankfurt und der Zusammenhang zwischen Metavolitionen und moralischen Bewertungen Watson knüpft an einen Einwand an, den Frankfurt sich selbst zur Beantwortung vorlegt. Danach birgt dessen metavolitionale Analyse der Willensfreiheit die Gefahr eines malitiösen Regresses·. Another complexity is that a person may have, especially if his secondorder desires are in conflict, desires and volitions of a higher order than the second. There is no theoretical limit to the length of the series of desires of higher and higher orders ... The tendency to generate such a series of acts of forming desires ... leads towards the destruction of a person. (Frankfurt, ,Freedom of the will and the concept of a person', S. 21)
Ein Subjekt, das Wünsche immer höherer Ordnung ausbildet, leidet entweder unter notorischer Apathie respektive Unentschlossenheit, oder es entfernt sich qua Person gänzlich von seinen Willensbestimmungen erster Stufe, da es sich weder mit ihnen identifizieren noch von ihnen distanzieren kann. Unter diesen Umständen kann man ihm schwerlich dergleichen wie Willensfreiheit beilegen. Das scheint gegen Frankfurts Analyse zu sprechen. Der fragliche Regreß läßt sich indessen laut Frankfurt durch einen Akt „entschlossener Identifikation" mit einem der (eventuell konfligierenden) Wünsche aufhalten:
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When a person identifies himself decisively with one of his first-order desires, this commitment Resounds' throughout the potentially endless array of higher orders ... It is relatively unimportant whether we explain this by saying that this commitment implicitly generates an endless series of confirming desires of higher orders, or by saying that the commitment is tantamount to a dissolution of the pointedness of all questions concerning higher orders of desire. (Frankfurt, ebd., S. 21 f.)
Watson findet diese Antwort ad hoc und wenig hilfreich — ohne dieses Verdikt freilich näher zu begründen. Die folgende Begründung paßt jedoch gut zu allem, was er in ,Free agency' sagt: Worum soll es sich nach Frankfurt bei einem Akt „entschlossener Identifikation" handeln, wenn nicht erneut um einen höherstufigen Wunsch, welcher nun wiederum die Möglichkeit eines Regresses immer höherstufiger Wünsche mit sich bringt? Watson schlägt denn auch vor, im Zusammenhang mit Willensfreiheit nicht von Volitionen zweiter Stufe, sondern vielmehr von Bewertungen erster Stufe zu sprechen; gemeint sind normative Urteile in bezug auf eigene Handlungen beziehungsweise (wie Watson es ausdrücken möchte) Handlungsweisen {courses of actioii). Er konzipiert Willensfreiheit dementsprechend als die Freiheit, dasjenige zu tun, was man (mit Blick auf die relevanten Handlungsalternativen) am höchsten bewertet. Diese Freiheit ist Watson zufolge immer dann eingeschränkt, wenn das Bewertungssystem des Akteurs, i.e. die Gesamtheit seiner moralischen und persönlichen Werte, unter irgendeinem Gesichtspunkt nicht mit seinem Motivationssystem übereinstimmt, also dem Inbegriff seiner tatsächlichen Willensbestimmungen.28 Watsons Begriff eines persönlichen Bewertungssystems erscheint mir in der Tat hilfreich, um die „entschlossene Identifikation" eines Akteurs mit bestimmten seiner Wünsche zu erklären (siehe unten). Sein eben vorgebrachter Regreß-Einwand läßt sich jedoch leicht entkräften. Wie die Rede vom „potentiell infiniten" Möglichkeitsraum im vorstehenden Zitat verdeutlicht, möchte Frankfurt keineswegs die theoretische Möglichkeit eines Regresses zunehmend höherstufiger Wünsche in Abrede stellen. Sein Punkt ist lediglich, daß dieser Regreß nicht eigentlich bösartig ist, da er unter psychologischem Gesichtspunkt auf jeder Stufe beendet
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werden kann, und zwar durch eine „entschlossene", also hinreichend starke, Metavolition der betreffenden Ordnung. In diesem Falle bedeutet der Regreß lediglich eine abstrakte Bedrohung, nicht aber eine reale Gefahr für die Entschlußfähigkeit des jeweiligen Akteurs. Man könnte einwenden wollen, mit demselben Argument ließe sich zeigen, daß es unmöglich ist, Metavolitionen betreffs „hinreichend starker" Wünsche erster Stufe zu bilden: Wenn jemand den übermächtigen Wunsch hat, etwas zu tun, dann wäre es hiernach ausgeschlossen, den fraglichen Wunsch durch eine gegenteilige Volition zweiter Stufe zu bekämpfen. So etwas wie ein widerwillig Süchtiger wäre demnach ein Unding (beziehungsweise eine Unperson), denn das Verlangen eines körperlich Abhängigen nach der Droge ist doch wohl an Stärke kaum noch zu übertreffen. Es fragt sich indes, was in dieser Replik unter „Unmöglichkeit" zu verstehen ist. Frankfurt geht es schlicht um die psychologische Unmöglichkeit, Wünsche dritter (beziehungsweise noch höherer) Stufe zu bilden, wenn der betreffende Wunsch zweiter (beziehungsweise höherer) Stufe hinreichend stark ist. Natürlich mag es für ein entsprechend strukturiertes Subjekt auch durchaus psychologisch unmöglich sein, Metavolitionen bezüglich besonders starker Wünsche erster Stufe wie etwa dem Verlangen nach der Droge auszubilden. Aber ein solches Subjekt wäre dann eben (in dieser Beziehung) keine Person, sondern ein Triebhafter. Für eine Person hingegen gibt es keine „hinreichend starken" Wünsche erster Stufe, sofern diese Wünsche für ihr Personsein relevant sind; sie kann sich grundsätzlich von jedem dieser Wünsche distanzieren (wenn es auch zuweilen eine große Anstrengung bedeuten mag, dies zu tun). Der Grund hierfür - und damit komme ich auf Watsons Idee eines persönlichen Bewertungssystems zurück — scheint mir in der motivierenden Kraft der moralischen Gründe beziehungsweise (moralischen oder persönlichen) Werte zu liegen, die sich das Subjekt eigen gemacht hat.29 Die persönliche Aneignung eines Wertes schlägt sich meines Erachtens (auf dem Wege der praktischen Selbstbewertung) in der Ausbildung einer entsprechenden MetavoXtiion nieder, so daß Frankfurts Gleichset-
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zung moralischer Personen mit metavolitional strukturierten Subjekten - contra Watson — sehr wohl berechtigt ist: Wer sich selbst überzeugt hat, daß seine (sei's auch noch so übermächtigen) Handlungsmotive moralisch verwerflich sind; oder wer einen Wert (der unter Umständen seinerseits moralisch verwerflich ist, wie z.B. das persönliche Motiv „Spaßhaben um jeden Preis") als für sich bindend anerkannt hat: ein solches Subjekt wird ipso facto motiviert, sich je nachdem von diesen Willensbestimmungen zu distanzieren beziehungsweise damit zu identifizieren, also eine entsprechende Volition zweiter Stufe auszubilden. (Einer der Gründe für diese motivierende Kraft dürfte in der Stärke einer moralischen Uberzeugung oder einer Wertvorstellung liegen, die man sich einmal zu eigen gemacht hat. Einen weiteren, epistemisch fundamentaleren Grund bildet der Umstand, daß wir die eigenen Bewertungen emotional als „aus der Tiefe unseres Ich" hervorgehend erleben; siehe oben, §§ 1 f.) Nun ist es zwar theoretisch denkbar, und in moralischen oder anderen normativen Konfliktsituationen mitunter auch wirklich der Fall, daß jemand darüber hinaus Wünsche dritter und vielleicht sogar noch höherer Ordnung ausbildet. Doch sofern die moralischen Gründe beziehungsweise (moralischen oder persönlichen) Werte, die zur Ausbildung der Volition zweiter Stufe geführt haben, für den Akteur überzeugend beziehungsweise bindend sind, verhielte er sich hochgradig irrational\ falls er diesbezüglich gleichwohl immer höhers tufigere Volitionen ausbildete. Sein etwaiger Wertekonflikt sollte nun eigentlich gelöst sein, derart daß sich die Frage nach höherstufigen Volitionen einfach nicht mehr stellt (Frankfurts „dissolution of the pointedness of all questions concerning higher orders of desire") — und es daher irrational wäre, solche Volitionen auszubilden. Von einem gewissen Grad der Irrationalität an würde gar sein Personenstztus zur Disposition stehen, also die Annahme, daß er tatsächlich zur praktischen Selbstbewertung fähig ist. (Schließlich ist kritische Selbstreflexion ein rationales Unterfangen — was auch immer genau darunter zu verstehen sein mag.) Frankfurts Erwiderung auf den selbstvorgelegten RegreßEinwand bezieht sich nicht auf solchermaßen irrationale Personen
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respektive Pseudopersonen - und sie erscheint mir in der Tat überzeugend: Eine halbwegs rationale Person wird sich im Falle eines metavolitionen Regresses an irgendeinem Punkte entschlossen mit einer ihrer Volitionen identifizieren; und dank der motivierenden Kraft der für diesen Willensakt ausschlaggebenden moralischen Gründe beziehungsweise (moralischen oder persönlichen) Werte wird der fragliche Willensakt den in Rede stehenden Regreß in der Tat psychologisch aufhalten. Daß ein solcher Regreß auch unter diesen Umständen weiterhin eine logische Möglichkeit bildet, steht auf einem anderen Blatt. Entscheidend ist, daß eine rationale Person den Regreß jederzeit beenden kann — und dies qua rationale Person auch beizeiten tun wird. Anders als Watson bin ich also der Auffassung, daß die motivierende Kraft des Wertesystems einer moralischen Person nicht unmittelbar deren Willensbestimmungen erster Stufe betrifft, sondern vielmehr die Ausbildung von Metavolitionen. Insofern ist die für moralische Personen kennzeichnende normative Rationalität (die Fähigkeit zur praktischen Selbstbewertung) auf einer anderen Ebene anzusiedeln als das Motivationssystem eines Triebhaften. Bei Lichte besehen sind die sogenannten Bewertungen erster Stufe, auf die Watson rekurriert, Metarepräsentationen — näherhin: evaluative Metaurteile, die sich in der Ausbildung von Volitionen zweiter Stufe niederschlagen (siehe unten). Seine Auffassung in puncto Willensfreiheit steht derjenigen Frankfurts daher näher, als er selbst zu glauben scheint. Watson schreibt mit Blick auf die von Frankfurt in Anschlag gebrachten Akte der „entschlossenen Identifikation": I think that such acts ... are generally to courses of action, that is, are first order. Frankfurt's picture of practical judgement seems to be that of an agent with a given set of (first-order) desires concerning which he then forms second-order volitions. But this picture seems to be distorted. As I see it, agents frequendy formulate values concerning alternatives they have not hitherto desired. Initially, they do not (or need not usually) ask themselves which of their desires they want to be effective in action; they ask themselves which course of action is most worth pursuing. (Watson, ,Free agency', S. 109)
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Hiergegen gilt es zunächst einmal festzuhalten: Eine Volition zweiter Stufe muß keineswegs einen Wunsch erster Stufe betreffen, den der Akteur bereits vor der Ausbildung dieser Volition gehabt hat; das evaluative Metaurteil, das die betreffende Metavolition initiiert, kann diesen Wunsch durchaus allererst erzeugen. Man denke etwa an eine Person, die nach einigem Nachdenken über ihren Lebenswandel zu dem Ergebnis gelangt, daß ein wenig sportliche Aktivität gut für sie ist: Es ist gut möglich, daß ihr Wunsch, Sport zu treiben, erst im Augenblick dieser Erkenntnis entsteht. (In diesem Falle muß er sich vermutlich noch gegen allerlei widerstreitende Wünsche durchsetzen, ehe er konkret und handlungswirksam wird.) Nun würde Watson zweifellos behaupten, daß das evaluative Urteil „Ich sollte Sport treiben" in erster Linie eine Handlungsweise betrifft, es also eine Bewertung erster Stufe darstellt. Auch hierin kann ich ihm indes nicht beipflichten. Denn worum handelt es sich bei einer Handlung respektive Handlungsweise? Doch wohl um ein (unter einem bestimmten Aspekt) absichtliches Verhalten30; eines, dem ein auf das fragliche Verhalten (unter dem fraglichen Aspekt) gerichteter Wille des Akteurs zugrundeliegt, so daß man sagen kann, daß es seiner Lenkung unterliegt.31 Und dies ist, wohlgemerkt, eine Feststellung über unseren Begnff einer Handlung. Der Begriff der sportlichen Aktivität (oder irgendeiner anderen spezifischen Handlungsweise) schließt nun meines Erachtens gleichfalls den der Handlungsabsieht (Willensbestimmung) ein. Andernfalls wäre nämlich beispielsweise das allnächtliche Treppensteigen eines notorischen Schlafwandlers ebenso als eine (sportliche) Aktivität zu klassifizieren wie das regelmäßige Treppensteigen eines Übergewichtigen zwecks Kalorienreduktion.32 Wer also ein evaluatives Urteil wie z.B. „Ich sollte Sport treiben" fällt, der vollzieht, genau besehen, eine Bewertung ^weiter Stufe, die sich in der Metavolition manifestiert, daß der (eventuell gerade erst entstandene) Wunsch, Sport zu treiben, handlungswirksam werde. Wenn Watson Willensfreiheit als die Freiheit konzipiert, diejenige Handlungsweise zu vollziehen, die man selbst am höchsten bewertet, so macht er sich folglich unwillkürlich Frankfurts meta-
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volitionale Auffassung zu eigen. Das Bewertungssystem eines Akteurs manifestiert sich, bei Lichte besehen, in dessen evaluativen Metaurteilen, also in Bewertungen mindestens zweiter Stufe, die sich ihrerseits in Metavolitionen niederschlagen. Es bleibt somit dabei: Willensfreiheit ist nichts anderes als die Freiheit, dasjenige zu wollen, was man wollen möchte. Die für moralische Personalität relevanten Werte eines Akteurs manifestieren sich demgemäß in seinen Bewertungen \weiter Stufe. Es liegt deshalb nahe, diese Werte als Dispositionen zu entsprechenden evaluativen Metaurteilen aufzufassen, welche ihrerseits die zugehörigen Volitionen zweiter Stufe hervorrufen (oder „bestätigen" beziehungsweise „festigen", sofern diese Volitionen bereits vorgelegen haben). Aus diesem Grunde erscheint mir Frankfurts Engfuhrung von Metavolitionen und evaluativen Metaurteilen (Akten der praktischen Selbstbewertung) in der Tat gerechtfertigt.
§ 7. Bewertungen und Werte erster Stufe Es gibt allerdings auch Bewertungen erster Stufe und, korrelativ, entsprechende Werte. Diese betreffen jedoch keine Handlungsweisen oder -motive, sondern raum^eitliche Dinge respektive Ereignisse, die, indem sie gewisse Bedürfnisse oder Wünsche erster Stufe befriedigen, mehr oder weniger direkt als angenehm erfahrbar sind. Bewertungen erster Stufe legen diesen Gegenständen daraufhin einen praktischen oder ästhetischen Wert wie z.B. Nützlichkeit oder Schönheit bei, der ihnen fortan anhaftet, so zwar, daß die entsprechende evaluative Einstellung jederzeit in Akten des „Wertbewußtseins" (evaluativen Urteilen erster Stufe) aktualisiert werden kann. Husserl hat dieses Phänomen im zweiten Buch seiner Ideen einer eindringlichen deskriptiven Analyse unterzogen: Zunächst ist die Welt einem Kerne nach sinnlich erscheinende und als ,vorhanden' charakterisierte Welt... Auf diese Erfahrungswelt findet das Ich sich in neuen Akten bezogen, z.B. in wertenden Akten, in Akten des Gefallens und Mißfallens. In ihnen ist der Gegenstand als werter, als angenehmer, schöner usw. bewußt... Höre ich den Ton einer Geige, so ist die Gefälligkeit, die Schönheit originär gegeben, wenn der Ton mein
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Gemüt ursprünglich lebendig bewegt, ... desgleichen der mittelbare Wert der Geige als solchen Ton erzeugender ... Das Wertbewußtsein kann aber auch den Modus haben des nicht originär Gefallens ... Ähnlich steht es mit den Gegenständen begehrender und praktischer Akte. Die erfahrenen Gegenstände als Gegenstände dieses Erfahrungssinnes reizen mein Begehren, oder sie erfüllen Bedürfnisse, etwa [in Beziehung] auf das sich öfter wieder regende Nahrungsbedürfnis. Sie werden nachher auffaßbar als zur Befriedigung solcher Bedürfnisse gemäß der oder jener Eigenschaft dienlich, sie stehen dann auffassungsmäßig da als Nahrungsmittel, als Nutzobjekte irgendwelcher Art: Heizmaterialien, Hacken, Hämmer usw. Kohle z.B. sehe ich als Heizmaterial ... Ich kann [den brennbaren Gegenstand] als Brennmaterial benutzen, ... er ist mir wert mit Beziehung darauf, daß ich Erwärmung eines Raumes und dadurch angenehme Wärmeempfindungen für mich und andere erzeugen kann. (Edmund Husserl, Die Konstitution der geistigen Welt, § 50, S. 17 ff.) Wenn diese Analyse in die richtige Richtung geht, dann ist dergleichen wie „guter Geschmack" im Sinne von ästhetischer Empfänglichkeit, musikalischem Feingefühl etc. ebensowenig ein Garant für moralische Personalität wie handwerkliches Können; denn keines dieser Vermögen setzt notwendigerweise Bewertungen beziehungsweise evaluative Metaeinstellungen zweiter Stufe voraus. Komplementär zu diesem Befund konstatiert Frankfurt, daß Triebhafte in außermoralischen Belangen durchaus hochintelligent sein können: [A] wanton may possess and employ rational faculties of a high order. Nothing in the concept of a wanton implies that he cannot reason or that he cannot deliberate concerning how to do what he wants to do. (Frankfurt, .Freedom of the will and the concept of a person', S. 17) Worin unterscheidet sich die hier angesprochene Art der Rationalität von der für moralische Personalität notwendigen und hinreichenden Fähigkeit zur praktischen Selbstbewertung?
§ 8. Rationalität, Moralität und Personenverstehen Der rationale Triebhafte stellt triftige Überlegungen darüber an, wie er seine faktischen Willensbestimmungen am besten in die Tat umsetzen, seine Handlungsziele am besten verwirklichen kann;
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oder er verhält sich zumindest wie jemand, der solche Überlegungen angestellt hat. Typischerweise münden diese Überlegungen in eine der beiden Prämissen eines sogenannten praktischen Syllogismus oder nehmen selbst die Form eines solchen Schlusses an: (1) Um Λ zu tun (/herbeizufuhren), ist es (unter den gegebenen Umständen) am besten, Β zu tun (/herbeizuführen). (2) Ich will Α tun (/herbeiführen). (3) Deshalb [wegen (1) und (2)] will ich Β tun (/herbeiführen). Bei Bedarf kann diese Schlußweise iteriert werden: (4) Um Β zu tun (/herbeizuführen), ist es (unter den gegebenen Umständen) wiederum am besten, C zu tun (/herbeizuführen). (5) Deshalb [wegen (3) und (4)] will ich Ctun (/herbeiführen). In einen praktischen Syllogismus gehen zwar (nicht-evaluative) Urteile respektive Aussagen ein, die von Willensbestimmungen erster Stufe handeln (siehe die Schemata (2), (3) und (5)), aber keine entsprechenden Metavolitionen. Demnach findet keine praktische Selbstbewertung statt. Wir haben es vielmehr mit einer schwächeren Form der Bewertung zu tun. Betrachten wir, um dies zu sehen, die beiden vorstehenden Schlußschemata. Es fällt auf, daß die praktischen Konsequenzen (3) und (5) nicht logisch aus den Prämissen (1) und (2) beziehungsweise (3) und (4) folgen. Gleichwohl gibt es jeweils ein Urteil beziehungsweise eine Aussage, auf die sich der Akteur mit diesen Prämissen fesdegt: die evaluative Aussage nämlich, daß es unter den gegebenen Umständen am besten ist, Β respektive C zu tun. (Der Akteur kann jedoch widerspruchsfrei eine aus seiner Sicht weniger gute Handlungsalternative wählen.) Eine solche Bewertung zielt auf das optimale Mittel zur Erreichung eines gegebenen Handlungszwecks (Λ beziehungsweise Β) ab. Man könnte sie daher eine praktisch-teleologische Bewertung nennen. Praktisch-teleologische Bewertungen evozieren nicht zwangsläufig Metavolitionen. Wer glaubt, es sei in Anbetracht seiner sonstigen Wünsche und Überzeugungen am besten, ΛΤ ZU tun, der hat zwar ipso facto den Wunsch und vermutlich auch die Absicht, χ zu tun, aber deshalb möchte er diese Absicht nicht unbedingt haben
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(geschweige denn loswerden). Es könnte sein, daß er seinem Willen gegenüber gleichgültig ist und ihm, nachdem er eine entsprechende praktische Überlegung angestellt hat, nun einfach folgt, weil dieser Wille eben psychologisch aus der fraglichen Überlegung hervorgegangen ist. Nehmen wir z.B. einmal an, ein triebhaft Süchtiger mit dem heftigen Verlangen danach, die Droge zu nehmen, und der Überzeugung, daß er, um an die Droge zu kommen, am zweckmäßigsten seine Eltern bestiehlt, gelangt mit Hilfe eines praktischen Syllogismus zu dem Schluß, daß er seine Eltern bestehlen will. Muß der Süchtige diesen Willen seinerseits positiv oder negativ beurteilen? Muß er sich zwangsläufig mit ihm identifizieren oder davon distanzieren? Es ist nicht zu sehen, warum. Der Süchtige könnte in Hinblick auf diesen Willen genauso ein Triebhafter sein wie hinsichtlich seines Drogenwunsches. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß dieser Wille auf rationalem Wege entstanden ist und mit einer entsprechenden praktisch-teleologischen Bewertung („Es ist für mich unter den gegebenen Umständen am besten, meine Eltern zu bestehlen") einhergeht. Anders im Falle einer praktischen Selbstbewertung. Hier steht der Wille des Akteurs auf dem Prüfstand, und zwar daraufhin, ob er selbst diesen Willen vor dem Hintergrund seines Bewertungssystems gutheißen kann. Was bedeutet das? Praktische Selbstbewertung ist selbstkritische Reflexion auf die eigenen Willensbestimmungen. Selbstkritik richtet sich danach, ivas für eine (Art von) Person ich sein möchte.33 Will ich möglichst gerecht sein? Mutig? Konsequent? Verständnisvoll? Tolerant? Hilfsbereit? Verläßüch? Nachsichtig? Fleißig? Diszipliniert? Erfolgreich? Gebildet? Gemeinsam ist derartigen Eigenschaften, daß sie Aspekte einer Lebensweise bezeichnen, mit der ich mich, sofern ich ihre Verwirklichung anstrebe, identifiziere. Wenn die Übereinstimmung meiner Willensbestimmungen mit dieser Lebensweise in Frage steht, geht es für mich um „höhere Werte" als die optimale Befriedigung zufällig gerade bestehender Wünsche: es geht um die Verwirklichung meines individuellen Selbstentwurfs als Person. Dieser Selbstentwurf (die von mir gewählte Lebensweise) ist be-
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ständig revidierbar; doch liegt seine jeweils aktuelle Version meiner kritischen Selbstbewertung jederzeit als deren normativer Maßstab zugrunde. Wenn beispielsweise Zivilcourage ein Moment meines gegenwärtigen Selbstentwurfs bildet und ich nun in der Straßenbahn einen Neonazi beobachte, der sich anschickt, einen Ausländer zu attackieren, so wird die selbstkritische Reflexion auf meinen Wunsch, unbehelligt und schadlos an mein Fahrtziel zu gelangen, zu einer negativen Bewertung dieses Wunsches fuhren, weil er mit meinem „höheren" Wunsch nach einer couragierten Lebensweise kollidiert. Ich kann den ersteren Wunsch im Lichte meines aktuellen Bewertungssystems nicht gutheißen, sondern nur verurteilen. Stattdessen möchte ich, daß der konfligierende Wunsch, störend in die Handlungssphäre des Neonazis einzugreifen, mein Tun bestimmt. Der „höhere" Wunsch schlägt sich also in der Ausbildung eines höhetstufigen Wunsches nieder: einer Metavolition. Die von mir favorisierte Lebensweise liefert mir ein hinreichendes Motiv für die Ausbildung dieser Metavolition: Zivilcourage verträgt sich nicht damit, über Taten wie die des Neonazis beteiligungslos hinwegzusehen. Verweilen wir noch einen Moment bei dieser Begründung. Warum schließen der Wunsch nach Zivilcourage beziehungsweise Nichtstun einander aus? Liegt es lediglich daran, daß die Erfüllung des letzteren Wunsches der Umsetzung des ersteren kontingenterweise entgegensteht, so daß es im Sinne einer optimalen Bedürfnisbefriedigung unvernünftig wäre, beiden Wünschen gleichzeitig nachgeben zu wollen? Nein. Es liegt im Begriff der Zivilcourage beschlossen, daß ich in einer Situation wie der hier beschriebenen nicht beteiligungslos bleiben darf, wenn anders ich ein couragiertes Leben fuhren will. Zivilcourage und Beteiligungslosigkeit schließen einander notwendigerweise aus: wer den Begriff der Zivilcourage besitzt, weiß darum. Aus diesem Grunde kann ich nicht umhin, meinen Wunsch nach Nichtstun in der fraglichen Situation negativ zu evaluieren, sofern Zivilcourage Teil meines Selbstentwurfs ist. Im Zusammenspiel mit meiner begrifflichen Kompetenz motiviert dieser Selbstentwurf automatisch eine praktische Selbstbewertung respektive Metavolition, der zufolge ich möchte,
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daß mein Wunsch, den Neonazi aufzuhalten, handlungswirksam wird. Charles Taylor hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Begriffe, welche in solchen „starken Bewertungen" zur Anwendung kommen, kontrastiv aufzufassen sind: [Strong evaluation] deploys a language of evaluative distinctions, in which different desires are described as noble or base, integrating or fragmenting, courageous or cowardly, clairvoyant or blind, and so on. But this means that they are characterized constrastively. Each concept of one of the above pairs can only be understood in relation to the other. No one can have an idea what courage is unless he knows what cowardice is, just as no one can have a notion of „red", say, without some other terms with which it contrasts. And of course with evaluative terms, as with colour terms, the contrast may not just be with one other, but with several. {Taylor, .Responsibility for Self, S. 113)
Es liegt nahe, den Vergleich mit Farbbegriffen noch ein Stück weiterzufuhren. Die beste Erklärung dafür, daß sich „stark evaluative" Begriffe wie Feigheit und Mut zueinander kontrastiv verhalten, ist nämlich die, daß sie genauso erworben werden wie Farbbegriffe: ostensiv anhand paradigmatischer Anwendungsfälle in geeigneten inter subjektiven Lernsituationen.34 Die evaluative „Sprache", von der Taylor im vorstehenden Zitat ausgeht, ist demnach (im Sinne Wittgensteins) als Teil der gemeinsamen Lebensform derjenigen Sprachgemeinschaft zu interpretieren, der das selbstkritische Subjekt angehört.35 Die für die kritischen Selbstreflexionen der verschiedenen Mitglieder dieser Sprachgemeinschaft maßgebenden Selbstentwürfe oder (selbstgewählten) Lebensweisen bilden individuelle Ausprägungen dieser (überindividuellen) Lebensform. Wobei die einzelnen Aspekte einer solchen partikularen Lebensweise (wie z.B. Mut) kraft der Konventionen der relevanten Sprachgemeinschaft — und somit notwendigerweise — mit gewissen Aspekten alternativer Lebensweisen unverträglich sind. Die jeweilige Lebensweise ist (zumindest der Möglichkeit nach) selbstgewählt, die übergreifende Lebensform hingegen nicht. Welche „stark evaluativen" Begriffe für meine praktischen Selbstbewertungen (beziehungsweise die Ausbildung entsprechender Metavolitionen) ausschlaggebend sind, hängt also davon ab, was für eine Lebensweise ich verwirklichen will. Mit welchen Begriffen
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diese kontrastieren - welche alternativen Lebensweisen mir folglich offenstehen — hängt dagegen von der soziokulturell vorgegebenen Lebensform ab. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb moralische Verantwortung in einer gegebenen Sprachgemeinschaft nicht so sehr an das faktische Bestehen von Willensfreiheit geknüpft ist, als vielmehr daran, ob das fragliche Subjekt per conventionem ein Anrecht darauf hat, wie ein freies Wesen behandelt zu werden (§ 3). Wenn alles dafür spricht, daß es zumindest partiell die (der betreffenden Lebensform zugehörige) Sprache der Moralität spricht, also einschlägige „stark evaluative" Termini beherrscht, sind die Behauptbarkeitsbedingungen für die Zuschreibung relativer Willensfreiheit und damit moralischer Personalität schlechthin (§ 4) an das Subjekt erfüllt. Denn wer z.B. weiß, was „Selbstdisziplin" bedeutet, dem ist im allgemeinen zuzutrauen, dasjenige tun oder lassen zu wollen (im Sinne eines handlungswirksamen Wunsches), was jemand tun oder lassen wollen möchte, der ein diszipliniertes Leben führen will. Ausnahmen wie der Süchtige wider Willen (der aufgrund seiner körperlichen Abhängigkeit keine entsprechenden Handlungsabsichten ausbilden kann) bestätigen diese Regel, welche sich soziokulturell in Konventionen manifestiert, denen zufolge jemand, der wirklich weiß, was „Selbstdisziplin" heißt, in dieser Hinsicht als freies, mithin verantwortliches Subjekt gelten kann. Läuft die intersubjektive Erfahrung, die mich in der Annahme fremder moralischer Personalität rechtfertigt, sonach auf die Interpretation gewisser sprachlicher Äußerungen des betreffenden Subjekts hinaus? Dies scheint zumindest ein gangbarer Weg zu sein. Die Leitfrage lautet dann: Gebraucht der Andere „stark evaluative" Termini wie „Mut" und „Selbstdisziplin", mit deren Hilfe ich meine praktischen Selbstbewertungen vornehme, korrekt? Aber ist ein solcher interpretativer Aufweis der Fähigkeit zur praktischen Selbstbewertung wirklich notwendig, um die Annahme fremder moralischer Personalität zu rechtfertigen? Betrachten wir in diesem Zusammenhang das Beispielduo des widerwillig beziehungsweise willentlich Süchtigen. Nach welchen
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Mechanismen funktionieren diese Beispiele? Woran liegt es, daß ich die Einstellung des Süchtigen wider Willen moralisch positiv bewerte? Und weshalb verurteile ich die Haltung des willentlich Süchtigen? Eine vorderhand plausible, Wittgens teinsche Antwort lautet: weil ich Deutsch gelernt habe - beziehungsweise eine Sprache, in der sich grosso modo dieselbe Lebensform manifestiert wie im Deutschen.36 Will sagen: so wie wir, die wir entsprechend sozialisiert sind, die Ausdrücke „moralisch gut" respektive „verwerflich" (und ihre Synonyme) gebrauchen, ist jemand wie der willentlich Süchtige (relativ gesehen) eine schlechte und jemand wie der widerwillig Süchtige eine gute Person. Diese Antwort kann indessen nicht befriedigen. Das liegt im wesentlichen daran, daß sie in der Ersten Person Plural formuliert ist. Denn wer sind „wir"? Doch wohl die kompetenten Sprecher (eines relevanten Teils) der einschlägigen Sprache der Moralität. Dazu könnte aber sehr wohl auch der willentlich Süchtige gehören — nur daß er seinen Wunsch nach der Droge nicht (wie andere) verurteilt, sondern gutheißt, weil dieser Wunsch mit seinem individuellen Selbstentwurf harmoniert. (Nicht alle, die dieselben „stark evaluativen" Termini beherrschen, wenden sie assertorisch auf dieselben Handlungsweisen respektive Willensbestimmungen an. Andernfalls wäre innerhalb einer Sprachgemeinschaft jeglicher moralischer Dissens vollkommen witzlos; eine bizarre Konsequenz.) Zwar bewertet der willentlich Süchtige sein Verlangen nach der Droge Unrecht positiv.37 Doch diese Bemerkung hat, so scheint es, nur dann eine Pointe, wenn man unterstellt, daß er die Sprache der Moralität beherrscht und somit zur praktischen Selbstbewertung imstande ist. Da er hiernach für Argumente, die in der betreffenden Sprache formuliert sind, empfänglich ist (sie versteht), darf (und sollte) er wie ein freies Subjekt behandelt werden — eines, das wollen kann, was es wollen möchte, und daher für seine entsprechenden Handlungen selber verantwortlich zeichnet. Man beachte jedoch, daß diese Überlegung, so überzeugend sie auf den ersten Blick erscheinen mag, von der Annahme einer
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gemeinsamen Sprache (respektive Lebensform) ausgeht. An dieser Stelle tritt ein weiterer Nachteil des in Rede stehenden Wittgensteinschen Vorschlags zutage. Ginge es nach diesem Vorschlag, so könnten wir nur Angehörige der eigenen Sprachgemeinschaft (respektive Lebensform) als moralische Personen erkennen. Es sollte jedoch (bei Strafe moralischer Provinzialität) möglich sein, moralische Personalität auch auf anderem Wege zu ermitteln. Die hier vertretene Metavolitionstheorie läßt Raum für diese Möglichkeit. Ihr zufolge kommt es in erster Linie darauf an, den Anderen als metavolitional struktunertes Subjekt zu erkennen. Die Voraussetzung einer gemeinsamen Sprache erleichtert dieses Vorhaben beträchtlich. Ist diese Voraussetzung jedoch nicht erfüllt, muß der Nachweis moralischer Personalität auf andere Weise erbracht werden (können) als durch (nicht-radikale) Interpretation etwaiger „stark evaluativer" Termini. Spätestens an dieser Stelle kommt die Simulationstheone des (praktischen) Personenverstehens ins Spiel. Mehr dazu in Bälde. Doch selbst, wenn man von vornherein eine gemeinsame Lebensform unterstellt, ist der Grund, weshalb unser Beispielduo funktioniert, komplizierter, als der Wittgensteinianer es annimmt. Um es, wie üblich, aus der „ich"-Perspektive zu formulieren: Dank (1) der gemeinsamen Lebensform, näherhin der Sprache der Moralität, die ich (gemäß Voraussetzung) mit dem widerwillig beziehungsweise willentlich Süchtigen teile, sowie (2) meiner eigenen Fähigkeit zur praktischen Selbstbewertung vermag ich diesen beiden Subjekten bestimmte Metavolitionen und somit moralische Personalität zuzuschreiben. Es ist der zweite Aspekt, der uns eine Erklärung des Umstandes erlaubt, daß ich den willentlich Süchtigen moralisch anders beurteile als er selbst: Unsere je eigene Fähigkeit zur praktischen Selbstbewertung generiert im Lichte unserer (bei der Ausübung dieser Fähigkeiten beteiligten) unterschiedlichen Selbstentwürfe inkompatible Bewertungen zweiter Stufe hinsichtlich des Wunsches, Drogen zu konsumieren. Die Simulationstheorie des Personenverstehens ist eine Konsequenz der Simulationstheorie der Fremdzuschreibung, für die in Kapitel 4 argumentiert wurde. Sie besagt, daß wir die Handlungsmotive anderer, also ihre (unmittelbar oder mittelbar) handlungs-
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relevanten Wünsche und Überzeugungen, durch bewußte oder unbewußte mentale Simulation eruieren. Die Simulationstheorie trägt dem Umstand Rechnung, daß wir die anderen (ebenso wie uns selbst) im allgemeinen als Akteure wahrnehmen, i.e. als Subjekte, die ihr Tun und Lassen selber lenken. Dieses Bewußtsein der menschlichen Handlungsfreiheit droht zu verschwinden, wenn wir die „ich"-Perspektive verlassen und stattdessen einen externen oder neutralen, rein naturwissenschaftlichen Standpunkt einzunehmen versuchen.38 Mentale Simulation vollzieht sich jedoch stets aus der „ich"-Perspekrive. Das Bewußtsein der Handlungsfreiheit bleibt daher erhalten, sofern die Fremdzuschreibung von Handlungsmotiven vermittels mentaler Simulation erfolgt. Meine Hypothese lautet, daß sich die gesuchte Rechtfertigung fremder moralischer Personalität nur im Rekurs auf bewußte mentale Simulation bewerkstelligen läßt, also durch Betreten der zweiten Ein fühlungs stufe (siehe oben, Kapitel 3, § 7).39 Indem ich mir die Handlungsmotive des Anderen (in einer gleich näher zu spezifizierenden Weise) einfühlend40 vergegenwärtige, kann ich gegebenenfalls feststellen, daß sein Wunschsystem (wenigstens teilweise) metavolitional strukturiert ist, ohne mich dazu, wie der Wittgens teinianer, auf die Annahme einer gemeinsamen Lebensform verlassen zu müssen. Indessen: was besagt hier „einfühlende Vergegenwärtigung"? Die Materialien zur Beantwortung dieser Frage können wir abermals dem zweiten Buch der Ideen entnehmen. In § 60 beschreibt Husserl den kognitiven Vorgang des „Nachverstehens" geistiger, sprich: mit individuellen Charaktereigenschaften und Dispositionen ausgestatteter, Personen. Er unterscheidet zwei Sorten (oder Hinsichten) des Personenverstehens, das allgemeintypische und das individualtypische Verstehen. In beiden Fällen handelt es sich um Simulationsprozesse, in denen das einfühlende Subjekt seine eigene Fähigkeit, praktische Räsonnements anzustellen, im Offline-Modus (also ohne am Ende selbst entsprechende Handlungsentscheidungen treffen zu wollen) aktiviert, um zu ermitteln, welche Motive das Verhalten des Anderen bestimmen.41 Beim allgemeintypischen
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Verstehen werden praktisch-teleologische Überlegungen (nach Maßgabe allgemeingültiger praktischer Schlußfiguren) simuliert: Ich kann im einzelnen nachverstehen, wie dieses Ich motiviert ist: z.B. er greift jetzt zur Tasse, weil er trinken will und das, weil er Durst hat. Das hat mit seiner Person im allgemeinen nichts zu tun; es ist ein Allgemein-Menschliches. (Husserl, Die Konstitution der geistigen Welt, § 60, S. 101) Dagegen zielt das individualtypische Verstehen auf Motivationszusammenhänge ab, welche für die (hinsichtlich ihrer Handlungsmotive) zu verstehende Einzelperson charakteristisch sind: Aber daß er z.B. die Tasse plötzlich absetzt, ehe er getrunken, weil er einem armen, in der Nähe stehenden Kinde Hunger und Durst ansieht, und daß er die Tasse dem Kinde reicht, das bekundet sein „gutes Herz" und gehört zu seiner Persönlichkeit ... Wie ist es nun, wenn uns aus irgendwelchen Blicken, Stellungnahmen, Äußerungen plötzlich die Charakterartung eines Menschen aufleuchtet ... Was ist das für ein „Verständnis"? ... Der Mensch ... hat eine individuelle Art, jeder eine andere ... [S]eine charakterologische Art, seine Persönlichkeit ist eine in seinem Lebensgang konstituierte Einheit als Subjekt der Stellungnahmen, ... und sofern man analoge Linien aus der Erfahrung an verschiedenen Menschen kennt, kann man ... die Einheit, die sich hier konstituiert, „intuitiv" erfassen und darin einen Leitfaden haben, die Intentionen durch Auseinanderlegung der wirklichen Zusammenhänge in der Anschauung zu erfüllen ... Ich versetze mich in das andere Subjekt: durch Einfühlung erfasse ich, was ihn und wie stark ... motiviert... Ich gewinne diese Motivationen, indem ich mich in seine Situation, seine Bildungsstufe, seine Jugendentwicklung etc. hineinversetze, und im Hineinversetzen muß ich sie mitmachen-, ich fühle mich nicht nur in sein Denken, Fühlen, Tun hinein, sondern muß ihm darin folgen, seine Motive werden zu meinen Quasi-Motiven, die aber im Modus der anschaulich sich erfüllenden Einfühlung einsichtig motivieren. Ich mache seine Versuchungen mit, ich mache seine Trugschlüsse mit ... Freilich bleiben da ungelöste und unlösliche Reste: die ursprüngliche Charakteranlage, die ich mir aber doch auch analogisch klar und verständlich machen kann. Ich bin vorwiegend phlegmatisch, aber gelegentlich werde ich angeregt zur Fröhlichkeit..., ev. nach Genuß von Reizmitteln ... Analog ist jener dort bleibend und vorwiegend zur Fröhlichkeit disponiert ... usw. (ebd., S. 101-106) Was Husserl hier als „intuitives" Erfassen der Persönlichkeit eines Menschen bezeichnet, ist auf der ersten Einfühlungsstufe anzusie-
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dein. Es handelt sich um das unmittelbare, in der Wahrnehmung beispielsweise des Gesichtsausdrucks oder spontanen Verhaltens des Anderen angesichts einer relevanten Situation (wie etwa derjenigen mit dem ausgehungerten Kind) fundierte „Beobachtungsurteil" über einen Aspekt des Charakters oder der Lebensweise dieses Subjekts. In unserem Zusammenhang ist jedoch besonders die (anschließend beschriebene) zweite Stufe des Personenverstehens von Belang. Auf dieser Stufe wird das vorgangige „intuitive" Verständnis expliziert, also vermittels bewußter mentaler Simulation anschaulich auseinandergelegt. Dazu führe ich mir die (im vorliegenden Kontext) relevanten Aspekte der spezifischen Lebens situation des Anderen vor Augen. Ich sage mir z.B. mit Blick auf den willentlich Süchtigen: „Er ist unheilbar krank und weiß, daß ihm nicht mehr viel Lebenszeit verbleibt. Als er von seiner Krankheit erfuhr, bot ihm ein Freund euphorisierende Drogen an. Inzwischen ist er süchtig — und genießt es. Regelmäßig freut er sich auf seinen nächsten Drogenrausch, der ihm täglich ein paar unbeschwerte Stunden beschert, während derer er die Kraft findet, seine letzten Vorhaben umzusetzen." Ein solcher Hintergrund ermöglicht es mir, die mich interessierenden Handlungsmotive des Anderen (eventuell nach vorheriger „analogischer" Vergegenwärtigung seiner ausweglosen Situation) zu meinen „Quasi-Motiven" zu machen, wie Husserl es ausdrückt, also einen relevanten Teil seiner Wunsch- und Überzeugungsstruktur im Offline-Modus zu simulieren: „Unter diesen (hypothetischen) Umständen will ich gerne die Droge nehmen". Sofern ich mich im Zuge dieses Simulationsvorgangs veranlaßt sehe, Metavolitionen (wie z.B. den Wunsch, alles in „meiner" Macht stehende zu unternehmen, um dieses oder jenes Lebensziel noch zu verwirklichen) offline auszubilden, simuliere ich den Anderen als freies, selbstverantwortliches Subjekt. Auf diese Weise vermag ich mir seine individuelle Lebensweise und die entsprechenden Metavolitionen verständlich zu machen, wiewohl sie mir persönlich (i.e. relativ zu meinem ,,Online"-Selbstentwurf) fremd und un-
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Moralische Personalität
sympathisch bleiben. Durch individualtypisches Personenverstehen in Form bewußter mentaler Simulation vermag ich gleichwohl die Annahme zu rechtfertigen, daß der Andere eine moralische Person ist; und analog in allen Fällen. Da nichts dagegen spricht, daß dieser Begründungsweg auch den Angehörigen der Sprachgemeinschaft des Anderen, hier des willentlich Süchtigen, offensteht, dürfte er auch in seiner (mir fremden) Sprachgemeinschaft ein Anrecht darauf haben, wie ein freies Subjekt behandelt zu werden. Wenn das zutrifft, können wir ungeachtet der oben erhobenen Einwände gegen den Vorschlag des Wittgensteinianers daran festhalten, moralische Personalität mit De-jure-Willensfreiheit gleichzusetzen. Natürlich muß ich von vornherein über genügend Anhaltspunkte verfügen, um mich in die Lebenssituation des Anderen lebendig hineinversetzen zu können. Es ist jedoch nicht zu sehen, wieso hierzu eine gemeinsame Sprache zwingend erforderlich sein sollte. (Beispielsweise hätte ich meine Informationen über den willentlich Süchtigen ja auch aus dem Munde eines ethnologischen Feldforschers bezogen haben können.) Die entscheidenden Voraussetzungen, die ich (abgesehen von der Fähigkeit zur praktischen Selbstbewertung) mitbringen muß, um einen Fuß in die Tür der fremden Lebensweise zu bekommen, sind: Vertrautheit mit der „gemeinsamen menschlichen Handlungsweise"42 sowie eine gute Portion allgemeine Menschenkenntnis.43 Worin diese gemeinsame Handlungsweise und die einschlägigen Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Seelenlebens im einzelnen bestehen, ist nicht so sehr eine begriffliche Frage, welche im Lehnstuhl des Philosophen entschieden werden könnte; es ist vielmehr eine empirische Frage, die weit ins Gebiet der Anthropologie und ihrer Nachbardisziplinen hineinreicht.
Anmerkungen Einleitung 1
Edmund Husserl, „Problem der transzendentalen Konstitution der Welt von der Normalität aus", Text Nr. 11 in: ders., Zur Phänomenologie der Intersubjektivität, dritter Teil (= Husseräana XV), hg. von Iso Kern, S. 148-170; S. 153.
2
Andernorts habe ich Husserls Methode der globalen „Einklammerung" der Geltungsansprüche unserer natürlichen Einstellung einer Kritik unterzogen: vgl. Christian Beyer, Intentionaätät und Referenz Paderborn: mentis 2000, S. 137-140.
3
In diesem Sinne möchte ich auch die „dynamische" Konzeption des intentionalen Urteilsgehalts verstanden wissen, die ich in §§ 7 ff. von Intentionalität und Referenz sowie in dem Aufsatz ,Α neo-Husserlian theory of speaker's reference' (in: Erkenntnis 54 (2001), S. 277-297) verteidigt habe und auf die ich in Kapitel 4, § 9, der vorliegenden Arbeit zur (holistischen) Stützung der Simulationstheorie zurückgreife. Diese Konzeption läßt sich z.B. anhand von Ergebnissen der neueren Linguistik, etwa der „Diskursrepräsentationstheorie", überprüfen (und ist auch bereits entsprechend aufgegriffen worden). Bei den diversen Konzepten des inten tionalen Urteilsgehalts, die seit längerem im Grenzgebiet von Semantik und Psychologie diskutiert werden, handelt es sich durchweg um hochgradig theoretische Begriffe, welche nur partiell mit unseren alltagspsychologischen Intuitionen harmonieren. (Das gilt schon für Freges Konzeption eines Gedankens.)
4
Vgl. Edmund Husserl, Die Konstitution der geistigen Welt, Hamburg: Meiner 1984, § 60c, S. 100.
5
Vgl. John Searle, "Expression and Meaning, Cambridge: Cambridge University Press 1979, S. 4 f.
6
Zum Begriff des Sprechvermögens siehe unten, Kapitel 4.
7
Vgl. für die nachfolgende Überlegung (sowie für weitere Einwände gegen die im vorstehenden Absatz vage umrissene „anti-kognitivistische" Position) meinen Aufsatz .HusSearle's representationalism and the „Hypothesis of the Background"', in: Synthese 112 (1997), S. 323-352.
8
Husserl scheint diese tendenziell (beziehungsweise im relevanten Rechtfertigungskontext) anti-fundamentalistische Sichtweise zu teilen. Vgl. hierzu Dagfinn FöUesdaL, .Husserl on evidence and justification', in: Robert Sokolowski (Hrsg.), Edmund Husserl and the Phenomenologcal Tradition, Washington: The Catholic University of America Press 1988, S. 107-129.
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>Anmerkungen
Kapitel 1 1
Vgl. Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin: de Gruyter 1970, S. 71.
2
In der sprachanalytischen Tradition gehen Metarepräsentationstheorien des Bewußtseins meines Wissens auf David Armstrong zurück. William Lycans Metaper^eptionstheoäe (ders., Consciousness and Experience, Cambridge/Mass.: MIT Press 1996) faßt Bewußtsein als Wahrnehmung eines mentalen Zustandes auf und greift in diesem Zusammenhang auf Armstrongs Redeweise vom „internal scanning" zurück (David Armstrong, Α Materialist Theory of the Mind, New York: Humanities Press 1968, S. 94 f.; vgl. auch John Locke, Λ η Essay Concerning Human Understanding). Anders als Lycan vertritt Armstrong selbst jedoch eine Meta*iber^«fgÄB^rtheorie, denn er konzipiert nicht nur (1) das fragliche „interne Scannen" im Anschluß an Kant als eine Form von Wahrnehmung (ebd., S. 95), sondern vertritt zugleich auch (2) die These, daß Wahrnehmung eine Form von Überzeugung ist (ebd., S. 208-244). Obwohl ich ebenfalls eine Metaüberzeugungstheorie favorisiere, lehne ich Armstrongs These (1) ab. Ein überzeugendes Argument gegen diese These findet sich in: David Rosenthal, ,A theory of consciousness', in: Ned Block, Owen Flanagan und Güven Güzeldere (Hrsg.), The Nature of Consciousness, Cambridge/Mass.: MIT Press 1997, S. 729-753; S. 740. Für eine kritische Diskussion von (1) vgl. auch Peter Carruthers, Phenomenal Consäousness, Cambridge: Cambridge University Press 2000, S. 211-215.
3
Vgl. David Rosenthal, ,Thinking that one thinks', in: Martin Davies und Glyn Humphreys (Hrsg.), Consäousness, Oxford: Blackwell 1993, S. 197-223; S. 204 f.
4
Vielleicht ist diese These geeignet, zumindest einen Aspekt des Kantischen Diktums „Das: Ich denkt, muß alle meine Vorstellungen begleiten können" (Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 132) verständlich zu machen. (Vgl. Rosenthal, ebd., S. 207 f.) Mehr zu diesem Diktum in den nachfolgenden beiden Kapiteln.
5
Vgl. Carruthers, Phenomenal Consciousness, S. 221 f.
6
Vgl. Armstrong, Λ Materialist Theory of the Mind, S. 93 f.
7
Ausnahmen bilden Kontexte, in denen ein neuer Ausdruck in die Sprache eingeführt wird, um eine Begriffsschöpfung artikulieren zu können. Dergleichen ist ohne intentionales Bewußtsein (in dem der betreffende Begriff zur Anwendung kommt) nicht möglich, die fraglichen Erlebnisse sind aber gemäß Voraussetzung noch nicht mit etablierten Ausdrücken der Sprache assoziiert, in der das betreffende Subjekt normalerweise denkt.
8
Vgl. Peter Carruthers, .Conscious thinking: language or elimination?', in: Mind and Language 13 (1998), S. 457-476; siehe auch ders., Language, Thought and Consciousness, Cambridge: Cambridge University Press 1996, Kap. 1, 2 und 8. Inzwischen scheint Carruthers diese These wieder aufgegeben zu haben: vgl. seine Kritik an Dennetts „Metabeschreibungstheorie" des Bewußtseins in: ders., Phenomenal Consciousness, S. 288-296. Die von ihm in diesem Zusammenhang angeführten entwicklungspsychologischen Belege scheinen mir die These von der sprachlichen Verfaßtheit propositionalen Bewußtseins indessen nicht wirklich zu
Anmerkungen
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widerlegen. So behauptet er etwa von einem unter Aphasie leidenden Patienten mit zurückgebliebenden syntaktischen Fähigkeiten, der eine Reihe von theory of mind-Tcsts bestanden hat, daß dieser „in Abwesenheit" sprachlicher Kompetenz Metaurteile zu fällen imstande war, obgleich diesem Patienten bei den fraglichen Tests, wie Carruthers selbst erwähnt, pantomimisch unterstützte „Ein-Wort-Erklärungen" gegeben worden sind (vgl. ebd., S. 295 f.). 9
Vgl. hierzu Donald Davidson, ,On saying that', in: ders., Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford: Oxford University Press 1984, S. 92-108.
10 Diese Erklärung erscheint mir wesentlich simpler und plausibler als die riskante Hypothese, daß propositionale Erlebnisse durch Vorkommnisse satzähnlicher Elemente einer allen Menschen eingeborenen lingua mentis realisiert werden; zumal diese Hypothese sich (wenn sie denn wahr wäre) ohne weiteres auf sämtliche propositionale intentionale Zustände (seien sie bewußt oder unbewußt) ausweiten ließe (vgl. hierzu Jerry Fodor, .Propositional attitudes', in: ders., Representations, Cambridge/Mass.: MIT Press 1981, S. 177-203). 11 Eine ähnliche Theorie scheint mir Armstrong zu vertreten: vgl. Armstrong, Λ Materialist Theory of the Mind, S. 95 im Lichte von ebd., S. 208-244 und insbes. S. 222. Wie ist es möglich, eine kategoriale Eigenschaft wie Bewußtsein im Rekurs auf bestimmte Dispositionen, namentlich (möglicherweise unbewußte) MetaÜberzeugungen, zu erklären? Diese Frage wird am Ende des vorliegenden Paragraphen beantwortet. 12 Um den Ich-Begriff wird es in Kapitel 2 gehen. 13 Diese experimentellen Daten verdanken wir Josef Pemer und seinen Mitarbeitern. Siehe George Botterill und Peter Carruthers, The Philosophy of Psychology, Cambridge: Cambridge University Press 1999, S. 93 f. 14 Vgl. Donald Davidson, ,A coherence theory of truth and knowledge', wiederabgedruckt in: ders., Subjective. Intersubjective, Objective, S. 137-153; S. 138: „Much of the point of the concept of belief is the potential gap it introduces between what is held to be true and what is true". Man könnte gegen diese Auffassung einwenden wollen, daß unser wichtigstes Kriterium dafür, daß jemand glaubt, daß p, seine Disposition ist, den Satz ,φ" mit behauptender Kraft zu äußern; und dazu muß der Betreffende keineswegs wissen, daß ,φ" möglicherweise falsch ist. Dieser Einwand verfehlt jedoch sein Ziel. Denn Davidson behauptet nicht, daß man um die eigene Fehlbarkeit (und die anderer Meinungssubjekte) wissen muß, um etwas Beliebiges glauben zu können, sondern vielmehr, daß dieses Wissen erforderlich ist, um Überzeugungen ς»schreiben (und folglich MetaÜberzeugungen bezüglich eigener Uberzeugungen niederer Stufe haben) zu können. Und das fragliche Wissen scheint mir in der Tat tief in unserer Praxis der Glaubenszuschreibung verankert zu sein. 15 Vgl. Fred Dretske, Naturalising the Mind, Cambridge/Mass.: MIT Press 1995, S. 110 f. 16 Sobald Anna derartige MetaÜberzeugungen tatsächlich besitzt, kann sie z.B. vorsätzlich so tun, als sei ihrer Meinung nach schönstes Sommerwetter (obwohl sie sich der Tatsache, daß es regnet, wohl bewußt ist). Die Täuschungsabsicht basiert in diesem Falle auf Annas Überzeugung, daß sie selbst glaubt, daß es regnet.
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Anmerkungen
17 Vgl. Fn. 16. Siehe auch das Beispiel mit den spielenden Kindern in: Beyer, Intentionalität und Riferen^ S. 118 f. 18 Eine verwandte These schreibt Peter Carruthers seiner ehemaligen Sheffielder Doktorandin Sarah Clegg zu: „[According to CleggJ a teleosemantic version of dispositionalist HOT [= higher-order thought] theory may imply that the experiences of even new-born infants are phenomenally conscious, despite the infants' lack of capacity to entertain higher-order thoughts. For their experiences may still have the function of feeding into higher-order thought, and will become available to such thought in the course of normal development" (Peter Carruthers, .Reply to Seager', in: SWIF Philosophy of Mind, 08.04.2001, http://www.swif.udba.it/mind/fonjms/002_0006.htm, § 4). Ich vermute allerdings, daß Babies beziehungsweise Kleinstkinder sich noch überhaupt nicht in bewußten intentionalen Zuständen befinden können, so daß es hier müßig ist, nach der etwaigen Funktion intentionaler Erlebnisse zu fragen. Anders sieht es hingegen bei KleinVmdem aus, die noch nicht über die erforderlichen mentalen Begriffe verfügen (siehe unten). 19 Vgl. Carruthers, Phenomenal Consciousness, S. 227 f. Carruthers greift auf den Begriff der nicht-inferentiellen Verursachung zurück, um dem BZr«iif7g/>/-Phänomen Rechnung zu tragen, und ergänzt: „Moreover, it would seem that we need more than merely that the causation should be non-inferential. For consider ... the absent-minded driver: he may be disposed to acquire beliefs about his on-going perceptions if prompted ... yet his percepts remain non-conscious when his attention is not directed towards them" (ebd., S. 228). Dieser Einwand trifft die nachstehende Version Nr. 2 der indexikalischen Metaüberzeugungstheorie freilich nicht. Denn um aufgrund eines intentionalen Zustandes zu glauben, daß man sich selbst gerade in diesem Zustand befindet, muß man die fragliche MetaÜberzeugung gleichzeitig erwerben. Carruthers spricht hingegen mit Blick auf Armstrongs Autofahrer zu Recht lediglich von der höherstufigen Disposition, die betreffende Überzeugung zu erwerben. 20 Manche intentionalen Erlebnisarten mögen begrifflich auch mit «/^/-doxastischen Einstellungen wie z.B. Wünschen zusammenhängen; nach der vorliegenden Theorie stehen jedoch alle mit gegenwartsbezogenen MetaÜberzeugungen in einem solchen Zusammenhang. 21 Mehr zum Thema Ich-Bewußtsein in Kapitel 2. 22 Vgl. Edmund Husserl, Vorlesungen %ur Phänomenologie des inneren 7.eitbewußtseins, hrsg. v. Martin Heidegger, Tübingen: Niemeyer 21980, § 11, S. 25: „Während eine Bewegung wahrgenommen wird, findet Moment für Moment ein Als-JetztErfassen statt, darin konstituiert sich die jetzt aktuelle Phase der Bewegung selbst." Den wesentlich indexikalischen (i.e. nicht zugunsten kontext-unabhängiger Repräsentationen eliminierbaren) Charakter unseres Zeitbewußtseins betont auch Michael Dummett in dem Aufsatz ,A defence of McTaggart's proof of the unreality of time', in: ders., Truth and Other Enigmas, Cambridge/Mass.: Harvard University Press 1978, S. 351-357. 23 Vgl. John Ellis McTaggart, ,The unreality of time', in: MindM (1908), S. 457-474. Die nachfolgende Kritik an McTaggarts Konzeption der Α-Serie ist angeregt
Anmerkungen
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durch Husserls Auflösung der „scheinbaren Antinomie", daß ein zeitliches Objekt - etwa eine Bewegungsphase - „im Zurücksinken [sc. in die Vergangenheit; C.B.] ständig seine Zeitstelle" ändert „und ... doch im Zurücksinken seine Zeitstelle bewahren" sollte (vgl. Husserl, Vorlesungen ψΓ Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, § 31, S. 54 ff.). Mit dem Nachweis, daß der Begriff der Α-Serie in diesem Zusammenhang entbehrlich ist, wird McTaggarts „Beweis der Irrealität der Zeit" indes keineswegs hinfällig. Dummetts Rekonstruktion zeigt meines Erachtens, daß nicht die Idee der Α-Serie, sondern vielmehr die These von der wesentlichen Indexikalität der einschlägigigen Zeitbestimmungen in diesem Beweis die entscheidende Rolle spielt. Der folgende Passus enthält in nuce Dummetts Fassung des Arguments: „The description of what is really there, as it really is, must be independent of any particular point of view. Now if time were real, then, since what is temporal cannot be completely described without the use of tokenreflexive expressions, there would be no such thing as the complete description of reality" (Dummett, ebd., S. 356). Die erste Prämisse dieses Arguments ist natürlich (wie Dummett selber einräumt) kontrovers. Vgl. dazu etwa Thomas Nagels Diskussion der Frage nach dem metaphysischen Stellenwert der „subjektiven" Tatsache, daß er selbst Thomas Nagel ist, in: Thomas Nagel, The View from Nowhere, Oxford: Oxford University Press 1986, S. 54-66. 24 Husserl betont allerdings zu Recht, daß es sich nicht bei jedem intentionalen Bewußtsein schlichtweg um Zeitbewußtsein handelt; als Beleg führt er mathematische Urteile an (Husserl, Vorlesungen %ur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, § 45, S. 82). Wenn die indexikalische Metaüberzeugungstheorie zutrifft, setzt aber jedes intentionale Erlebnis als solches eine Form von Zeitbewußtsein voraus. 25 In diesem Falle betrachten wir das Erlebnis nicht als Wahrnehmung, sondern (vorsichtiger) als Erscheinung der Gehalt des introspektiven Bewußtseins, das unserer kritischen Selbstreflektion zugrundeliegt, (siehe den nachfolgenden Absatz) lautet dann beispielsweise „Die beiden Linien sehen für michjet^t ungleich lang aus" oder „Mir istjet^t so, als sähe ich zwei ungleich lange Linien". 26 Eine ähnliche Theorie des Selbstbewußtseins vertritt Rosenthal: vgl. Rosenthal, .Thinking that one thinks', S. 210, sowie ders., ,A theory of consciousness', in: Ned Block, Owen Flanagan und Güven Güzeldere (Hrsg.), The Nature of Consciousness, Cambridge/Mass.: MIT Press 1998, S. 729-753; S. 745 f. 27 Vgl. auch Gilbert Harman, ,The intrinsic quality of experience', wiederabgedruckt in: Block, Flanagan und Güzeldere (Hrsg.), The Nature of Consciousness, S. 663-675, insbes. S. 668; Dretske, Naturalising the Mind, S. 62 f.; Carruthers, Phenomenal Consciousness, S. 123, 184 f., 238 ff. 28 Diese Ausführungen richten sich gegen das folgende Argument David Rosenthals: „Nor will one's mental states be conscious if accompanied merely by a dispositional higher-order mental state. Being disposed to have a thought about something does not by itself make one conscious of it" (Rosenthal, ,A theory of consciousness'; S. 742). Für eine Diskussion dieses Einwandes gegen „dispositionale" Metarepräsentationstheorien vgl. auch Carruthers, ebd., S. 233 f. (Die nachfolgende Überlegung findet sich jedoch nicht bei Carruthers.)
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Anmtrkungtn
Kapitel 2 1 2
Vgl. Thomas Spitzley, Facetten des „ich", Paderborn: mentis 2000, S. 40. Vgl. Thomas Metzinger, Being No One, Cambridge/Mass.: MIT Press 2003, S. 452-461.
3 4
Vgl. ebd., S. 459 ff. Ich entlehne diese Formulierung von Kemmerling, der sie verwendet, um ein einschlägiges Argument Freges aus .Der Gedanke' zu erläutern: Andreas Kemmerling, ,Frege über den Sinn des Wortes „ich"', in: Gramer Philosophische Studien 51 (1996), S. 1-22; S. 17.
5 6
Vgl. auch Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 404 u.f. Vgl. Sydney Shoemaker,,Self-reference and self-awareness', wiederabgedruckt in: Quassim Cassam (Hrsg.), Self-Knowledge, Oxford: Oxford University Press 1994, S. 80-93.
7
In eine ähnliche Richtung argumentieren Gareth Evans in: ders., The Varieties cf Reference, Oxford: Clarendon Press 1982, S. 215-220 und neuerlich Christoph Jäger in: ders., Selbstreferen% und Selbstbewußtsein, Paderborn: mentis 1999, S. 93-96. Beide Autoren unterstellen allerdings meines Erachtens zu Unrecht, daß Aussagen mit Demonstrativa wie „dies" in Wahmehmungskontexten gegen das Risiko der Fehlidentifikation gefeit sind. Diese Annahme wäre nur dann berechtigt, wenn ausschließlich faktische Außerungsumstände wie die physische Identität oder die tatsächliche raumzeitliche Position des Sprechers zum Äußerungszeitpunkt für die Fesdegung des Sachbezugs demonstrativer Aussagen relevant wären. Meiner Auffassung nach spielen hier jedoch intern determinierte - und deshalb unter Umständen auch kontrafaktische - Faktoren eine entscheidende Rolle. Siehe dazu Beyer, Intentionaätät und Referenz S. 149-209 sowie unten, Kapitel 4, § 9.
8
Aus Anscombes Ausführungen lassen sich (mit einigem hermeneutischen Aufwand) mehrere Argumente für ihre „Anti-Referenzthese" herausschälen (vgl. Jäger, Selbstreferen^ und Selbstbewußtsein, S. 96-107). Aber die nachfolgend diskutierte Überlegung nimmt darin zweifellos die Zentralstellung ein, und sie liefert meiner Ansicht nach das einzige wirklich emstzunehmende Argument.
9
Für eine ausführliche Erläuterung und Diskussion verschiedener Stränge dieser Argumentation vgl. Spitzley, Facetten des ,,ich'\ S. 36-81. 10 Dabei handelt es sich hoffentlich um eine „Ordnung, die tatsächlich vorliegt". (Diese Formulierung stammt aus Anscombes Buch Intention, Oxford: Blackwell 1957, S. 80.) 11 Der Vollzug einer Selbstreferenz mittels „ich" erfordert mehr als das bloße Produzieren einer (ernsthaften) „ich"-Außerung, die von jemandem handelt. Das zeigt Anscombes fiktives Beispiel einer Person, die als Medium einer anderen Person fungiert und deren Mitteilungen in der Ersten Person Singular ausspricht Anscombe, ,The first person', S. 154 f. Vgl. dazu Spitzley, Facetten des „ich", S. 88 f., wo auch die Frage erörtert wird, welche zusätzlichen Bedingungen vorliegen
Anmerkungen
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müssen, damit der Produzent einer „ich"-Äußerung darin auf sich (und nicht auf jemand anderen) Bezug nimmt. 12 Vgl. Anscombe, ,The first person', S. 149 (meine Hervorhebung). 13 Vgl. dagegen die in Spitzley, ebd., S. 67, vorgetragene Überlegung. Die dort zugunsten der „Sinneswahmehmungs-Lesart" angeführte Textstelle gehört in einen argumentativen Zusammenhang, in dem Anscombe die Hypothese prüft, daß „ich" einen menschlichen Körper bezeichnet. Unter dieser Annahme, so Anscombe, kann mit „physical or real presence" nur sinnliches Wahrgenommenwerden gemeint sein. Wenig später verwirft sie diese Hypothese jedoch. 14 Vgl. hierzu Peter Strawson, .Self, mind and body', in: ders., Freedom and Resentment and other essays, London: Methuen 1974, S. 169-177; S. 175 f.: „How is the application of [the notions of identity and numerabilty] to ... consciousnesses to be determined? ... If the concept of the identity of a ... consciousness over time is not derivative from, dependent upon, the concept of the identity of a person over time, then how is it to be determined? ... [Some dualists] refer, or used to refer, to a ... soul-substance, as if this exempted them from having any idea what it meant to speak of the same one from one time to another. To them one might reply, in a rough paraphrase of Kant: if you're allowed to invoke that hypothesis whenever you like, without being required to elucidate the principles of its application, what is to prevent me from introducing a rival hypothesis, also unelucidated: wherever you say there's one continuing soul-substance, I say there's a whole series of them each of which transmits its states, and the consciousness of them, to its successor, as motion might be transmitted from one to another of a whole series of elastic balls." Der Passus bei Kant, durch den diese anti-cartesische Überlegung angeregt ist, findet sich in der Kritik der reinen Vernunft, A 363 f., Fn. (Vgl. auch Strawson, The Bounds of Sense, London: Methuen 1966, S. 168.) 15 Vgl. Peter Strawson, Individuais, London: Methuen 1959, S. 101 u.f. - Für den (engeren) Begriff einer Person im moralischen Sinne siehe unten, Kapitel 6. 16 Vgl. hierzu auch Edmund Husserl, Grundprobleme der Phänomenologie 1910/11, hrsg. von Iso Kern, Den Haag: Nijhoff 1977, Text Nr. 6: „Alles, was nicht Leib ist, erscheint [sc. in der bewußten Sinneswahmehmung; C.B.] auf den Leib bezogen, hat in bezug auf ihn eine gewisse dem Ich beständig bewußte räumliche Orientierung: als rechts und links, als vom und rückwärts etc. Ebenso zeitlich als jetzt, als vorhin, nachher" (ebd., § 2, S. 18). „Jedes Ich findet sich als Mittelpunkt, sozusagen als Nullpunkt des Koordinatensystems vor, von dem aus es alle Dinge der Welt... betrachtet und ordnet und erkennt" (ebd., § 5, S. 20). 17 Vgl. Evans, The VarieHes of Reference, S. 153 f.: „The subject conceives himself to be in the centre of a space (at its point of origin), with its co-ordinates given by the concepts ,up' and ,down', ,left' and .right', and ,in front' and .behind'. We may call this .egocentric space', and we may call thinking about spatial positions in this framework centring on the subject's body .thinking egocentrically about space' ... Egocentric spatial terms are the terms in which the content of our spatial experiences would be formulated, and those in which our immediate behavioural plans would be expressed". Evans' Rede vom egozentrischen Raum
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Anmerkungen erscheint mir freilich aus analogen Gründen problematisch wie McTaggarts Begriff der Α-Serie (siehe oben, Kapitel 1, § 4). Deshalb ziehe ich es vor, von unserer egozentrischen Perspektive auf den (objektiven) Raum beziehungsweise die räumliche Welt zu sprechen.
18 Rene Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Hamburg: Meiner 1993, VI. Meditation, S. 73 [AT 81]. 19 Vgl. Jay Rosenberg, The Thinking Self, Philadelphia: Temple University Press 1986, S. 38-44. Ob Kant diese Lesart wirklich intendiert hat, bleibe dahingestellt. Cassam meldet unter Hinweis auf den (freilich auch von Rosenberg thematisierten) formalen Charakter des transzendentalen „ich" diesbezüglich Zweifel an: vgl. Quassim Cassam, Seifand World, Oxford: Clarendon Press 1997, S. 154. 20 Satznominalisierungen werden hier und im Folgenden als Bezeichungen für geurteilte Sachverhalte (und nicht für Propositionen) aufgefaßt. 21 Vgl. dazu Lockwoods Kritik an dem von Hurley formulierten „Agglomerationsprinzip": Michael Lockwood, ,Issues of unity and objectivity', in: Christopher Peacocke (Hrsg.), Objectivity, Simulation and the Unity of Consciousness, Oxford: Oxford University Press 1994, S. 89-95, insbes. S. 93; Susan Hurley, .Unity and objectivity', ebd., S. 49-77. 22 Für eine philosophische Diskussion der fraglichen Experimente, die Sperrys Beschreibung teilweise bestätigt, vgl. Thomas Nagel, ,Brain bisection and the unity of consciousness', wiederabgedruckt in: ders., Mortal Questions, Cambridge: Cambridge University Press 1979, S. 147-164, insbes. S. 156-162. 23 Vgl. für das Folgende Derek Parfit, Reasons and Persons, Oxford: Clarendon Press 1984, S. 245 ff. 24 Vgl. Parfit, Reasons and Persons, S. 247. 25 Für den folgenden Absatz vgl. Hurley,,Unity and objectivity', S. 68 ff.
26 Vgl. hierzu Anthony Marcel, ,What is relevant to the unity of consciousness?', in: Peacocke (Hrsg.), Objectivity, Simulation and the Unity of Consciousness, S. 79-88. 27 Unter „Erinnerung" ist dabei strenggenommen Quasi-Ennnerung zu verstehen. Quasi-Erinnerungen unterscheiden sich phänomenologisch in nichts von den Erlebnissen, die wir gemeinhin als Erinnerungen beschreiben, setzen aber diachrone Subjektidentität nicht schon voraus. Wenn Α sich an ein Erlebnis von Β quasi-erinnert, dann sind Α und Β nicht unbedingt identisch. 28 „Das-und-das" bezeichnet im Munde beziehungsweise im Bewußtsein von S hier und im Folgenden jeweils x. „Hier" bezeichnet den Ort, an dem J" χ zu Λ positioniert sieht, aus S' egozentrischer Perspektive zu U. Zu t; bezieht sich S auf diesen Ort dann (seiner veränderten egozentrischen Perspektive entsprechend) gegebenenfalls als „da", zu t; als „dort drüben", usw. Die Temporalindikatoren „jetzt", „eben" und „früher" bringen die Aspekte der Gegenwart, der unmittelbaren beziehungsweise mittelbaren Vergangenheit zum Ausdruck, unter denen S zu Λ, /; beziehungsweise ts seine verschiedenen Wahrnehmungen W, bis W, und deren gemeinsamen Gegenstand χ jeweils repräsentiert.
Anmerkungen
181
Kapitel 3 1
Vgl. Husserl, Zur Phänomenologie der Intersubjektivität 2. Teil (Husseräana XIV), Den Haag: Nijhoff 1973, Beilage XLVIII, S. 418: „Der Andere ist der erste Mensch, nicht ich" (Husserls Hervorhebung). Vgl. auch ders., Cartesianische Meditationen, Hamburg: Meiner 21987, § 55, S. 128.
2
Moore war bekanntlich der Meinung, mittels des (auf dieser rein intrasubjektiven Erfahrung fußenden) Wissensanspruchs „Hier ist eine Hand — und hier eine zweite" einem Skeptiker die Existenz der Außenwelt beweisen zu können (vgl. George E. Moore, ,Proof of an external world', wiederabgedruckt in: ders., Philosophical Papers, London: George Allen and Unwin 1959, S. 126-148.). Daß Moores „Widerlegung" des Skeptizismus zu kurz greift, verdeutlicht meines Erachtens die folgende Überlegung Wittgensteins: .„Ich weiß es' heißt oft: Ich habe die richtigen Gründe für meine Aussage. Wenn also der Andere das Sprachspiel kennt, so würde er zugeben, daß ich das weiß ... Die Aussage ,Ich weiß, daß hier eine Hand ist,' kann man also so fortsetzen, ,Es ist nämlich meine Hand, auf die ich schaue'. Dann wird ein vernünftiger Mensch nicht zweifeln, daß ich's weiß. — Auch der Idealist nicht; sondern er wird sagen, um den praktischen Zweifel, der beseitigt ist, habe es sich ihm nicht gehandelt, es gebe aber noch einen Zweifel hinter diesem. - Daß dies eine Täuschung ist, muß auf andere Weise gezeigt werden" (Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit, Frankfurt/Main: Suhrkatnp 1984, §§18 f., S. 122 f.). Im Folgenden geht es nicht um den hieb- und stichfesten Nachweis der Existenz fremder Subjekte, sondern lediglich um die Beibringung guter Gründe für diese Existenzannahme - und damit bestenfalls um die rationale Beseitigung „praktischer Zweifel".
3
Siehe z.B. Paul Churchland, Matter and Consciousness, Cambridge/Mass.: MIT Press 21988, S. 69.
4
Vgl. Edmund Husserl, Logische Untersuchungen 2. Teil (Husseräana XIX), hrsg. v. Ursula Panzer, Den Haag: Nijhoff 1984, I. Untersuchung, § 7, S. 40 f. sowie John McDowell, ,Οη „The reality of the past'", in: Christopher Hookway und Philip Pettit (Hrsg.), Action and Interpretation, Cambridge: Cambridge University Press 1978, S. 127-144; S. 136.
5
Vgl. Edmund Husserl, Zur Phänomenologie der Intersubjektivität 1. Teil (Husseräana XIII), hrsg. v. Iso Kern, Den Haag: Nijhoff 1973, Beilage XXVII, S. 225 f.; ders., Cartesianische Meditationen, Hamburg: Meiner 21987, § 50, S. 112.
6
Vgl. Ludwig Wittgenstein, The Blue and Brown Books, S. 24 f.
7
Vgl. Rogers Albritton, ,Οη Wittgenstein's use of the term „criterion"', in: The journal of Philosophy 56 (1959), S. 845-857; S. 848.
8
Vgl. Wittgenstein, ebd. sowie ders., Philosophische Untersuchungen, § 354. In The Blue Book bestreitet Wittgenstein allerdings (wenige Zeilen nachdem er den Kriterienbegriff mit Hilfe des Definitionsbegriffs eingeführt hat), daß Definitionen in unserer Alltagssprache eine nennenswerte Rolle spielen. Damit verwickelt er sich jedoch in Widersprüche (vgl. Albritton, ,Οη Wittgenstein's use of the term „criterion"', S. 849 f.). In den Philosophischen Untersuchungen wird dergleichen denn
182
Anmerkungen auch nicht mehr behauptet, - vermutlich, weil Wittgenstein inzwischen deutlich erkannt hat, daß wir in aller Regel mehrere Kriterien für die Anwendbarkeit eines Begriffs besitzen, so daß man nur selten (wie z.B. in Wittgensteins Beispiel einer Krankheit namens Angina, die durch ein gewisses Bakterium definiert ist) von dem Kriterium eines Begriffs sprechen kann (vgl. ebd., S. 850). Es wäre deshalb (Wittgensteins Einführung des Kriterienbegriffs am Beispiel Angina zum Trotz) verfehlt, Wittgenstein-Kriterien generell als essentielle Eigenschaften im Sinne Kripkes (vgl. Saul Kripke, Naming and Necessity, Oxford: Blackwell 1980, Vorlesung Nr. III) zu betrachten: Daß das Vorliegen eines bestimmten Kriteriums für die Erfüllung eines Begriffs notwendig ist, mag allenfalls für Kriterien gelten, die man zu Recht als das definierende Kriterium eines Phänomens ansprechen kann (vgl. Albritton, ,On Wittgenstein's use of the term „criterion"', S. 851). Gibt es hingegen mehrere Kriterien, so besteht auch die Möglichkeit, daß diese miteinander konfuseren.
9
Vgl. Norman Malcolm, .Wittgenstein's Philosophical Investigations', in: The Philosophical Review 63 (1954), S. 530-559, S. 544.
10 Vgl. emeut Wittgenstein, The Blue and Brown Books, S. 24 f. 11 Wenn man zu Verständigungszwecken eine gewisse Zirkularität in Kauf nimmt, kann man den hier zugrundeliegenden Kriterienbegriff folgendermaßen bestimmen: Das Vorliegen eines F ist genau dann ein Kriterium für das Vorliegen eines G, wenn gilt: (1) Das Vorliegen eines F spricht (sehr) für das Vorliegen eines G, (2) es ist ein Aspekt unseres Begriffs eines F bzw. eines G, daß Bedingung (1) erfüllt ist, und (3) wenn es mehr als ein Kriterium für das Vorliegen eines G gibt, dann garantiert das Vorliegen eines F noch nicht das Vorliegen eines G. — Wegen (2) ist es im Falle eines kriteriellen Zusammenhangs zwischen Fs und Gs (in dieser Reihenfolge) analytisch wahr, daß ein G in der Regel vorliegt, wenn ein F vorliegt. 12 Vgl. Malcolm, .Wittgenstein's Philosophical InvestigationsS.
545.
13 Vgl. Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie Bd. I, Stuttgart: Kröner 71989, S. 688 ff. Stegmüller unterstellt allerdings im Anschluß an Malcolm (vgl. Malcolm, .Wittgenstein's Philosophical Investigations*) meines Erachtens zu Unrecht, daß ein Kriterium ä la Wittgenstein das Vorliegen dessen, wofür es als Kriterium dient, garantiert, so daß die jeweilige Umgebung (je nachdem, ob sie passend ist oder nicht) darüber entscheidet, ob etwas als Kriterium fungiert. Malcolm spricht in seiner Erläuterung des Kriterienbegriffs von dem Kriterium für ein so-und-so (vgl. ebd.). Falls es tatsächlich nur ein einziges solches Kriterium gibt, folgt aus dem Vorliegen dieses Kriteriums in der Tat das Vorliegen eines so-und-so. Doch scheint mir Malcolm zu übersehen, daß es in den allermeisten Fällen mehr als nur ein Kriterium gibt; und in diesen Fällen verbürgt das Vorliegen eines Kriteriums (wie die nachfolgende Überlegung zeigen wird) keineswegs das Vorliegen dessen, wofür es ein Kriterium ist. 14 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Teil II, § xi: „Ein Kind muß viel lernen, ehe es sich verstellen kann". 15 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 142.
Anmerkungen
183
16 Für eine Explikation des Konventionsbegriffs, die selbst Quine das Zugeständnis abzuringen vermochte, daß dieser Begriff (im Unterschied zu dem der Analytizität) einen sprachphilosophischen „Schlüsselbegriff' darstellt, vgl. David Lewis, Convention, Oxford: Blackwell 1969, S. 78. (Zu Quines angesprochener Stellungnahme siehe ebd., Vorwort, S. xii.) Lewis* Konventionsbegriff paßt meines Erachtens gut zur Husserlschen Konzeption der in „Akten der sozialen Wechselbeziehung" konstituierten „Beziehungen des Einverständnisses", welche nach Husserl ihrerseits für die intersubjektiv zugängliche „kommunikative Umwelt" (sprich: Lebenswelt, genauer gesagt: Heimwelt) konstitutiv sind: vgl. Husserl, Die Konstitution dergeistigen Welt, § 51, S. 23 ff. 17 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Teil II, § v. 18 Vgl. ebd. 19 Vgl. Albritton, ,On Wittgenstein's use of the term „criterion*", S. 856. 20 Vgl. Hilary Putnam, ,Brains and behavior', wiederabgedruckt in: ders., Mind, Language and Reality, Cambridge: Cambridge University Press 1975, S. 325-341; insbes. S. 332 ff. 21 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 243, 256, 269. 22 Paragraph 202 der Philosophischen Untersuchungen enthält meiner Auffassung nach bereits in nuce Wittgensteins Argument: „Darum ist ,der Regel folgen' eine Praxis. Und der Regel zu folgen glauben ist nicht der Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel .privatim' folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen". Vgl. auch ebd., § 258. 23 Das ist contra Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 290, 377. 24 Vgl. Kripke, Naming and Necessity, S. 146-153. 25 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 293. 26 Vgl. ebd. 27 Vgl. Albritton, ,On Wittgenstein's use of the term „criterion"', S. 855 f. 28 Für die Unterscheidung zwischen Behauptbarkeits- und Wahrheitsbedingungen vgl. Robert Brandom, .Truth and assertibility', in: The journal of Philosophy 73 (1976), S. 137-149. 29 Vgl. Wittgenstein, ebd., § 325. 30 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 23.; dazu Malcolm, .Wittgenstein's Philosophical Investigations', S. 549 f. 31 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 326. 32 Beziehungsweise „Modifikationen" einer „komplizierten" gemeinsamen „Lebensform": vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Teil II, § i. 33 Siehe dazu unten, Kapitel 4. 34 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Teil II, § iv. 35 Vgl. Malcolm, »Wittgenstein's Philosophical Investigations', S. 548 f. 36 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 283; Wittgensteins Hervorhebung.
Anmerkungen
184
37 Vgl. ebd., § 360. 38 Vgl. ebd., § 281. - Ähnliche Bemerkungen finden sich an verschiedenen Stellen in Husserls Manuskripten über Intersubjektivität. 39 Vgl. Malcolm, .Wittgenstein's Philosophical Investigations', S. 548. 40 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 284. 41 Bei Wittgenstein ist allerdings nicht explizit von hewußten Hoffungen die Rede. Vgl. Wittgenstein, ebd., Teil II, § i. Dazu Eike von Savigny, .Keine Hoffnung für Hunde', in: ders., Der Mensch als Mitmensch, München: dtv 1996, S. 239-254. 42 Vgl. Vittorio GaJlese, ,The „Shared Manifold" Hypothesis', in: Journal of Consciousness Studies 8 (2001), S. 33-50, insbes. S. 35-42. 43 Vgl. Stein, Zum Problem der 'Einfühlung, S. 69. 44 Vgl. Robert Gordon, ,The simulation theory: objections and misconceptions', in: Martin Davies und Peter Stone (Hrsg.), Folk Psychology, Oxford: Blackwell 1995, S. 100-122; S. 110. 45 Vgl. Stein, Zum Problem der Einföhlung, S. 18 f. 46 Eine ganz ähnliche Auffassung scheint mir Cassam zu vertreten, der in Self and World (freilich auf einem anderen Wege als dem hier beschrittenen) zu folgendem Resultat kommt: „... self-consciousness, and so the unity of consciousness, is intimately bound up with awareness of the subject ... as a physical object in a world of physical objects" (Cassam, ebd., S. 198).
Kapitel 4 1
Für den hier einschlägigen Begriff der „Triangulation" vgl. bereits den 1982 erschienenen Aufsatz .Rational animals', wiederabgedruckt in: Donald Davidson, Subjective, Intersubjective, Objective, Oxford: Clarendon 2001, S. 95-105. Eine hilfreiche Zusammenfassung der seit 1982 immer wieder um den Triangulationsgedanken kreisenden Überlegungen Davidsons über das wechselseitige Verhältnis von Subjektivität, Intersubjektivität und Objektivität bietet der Aufsatz ,Three varieties of knowledge', ebd., S. 205-220. — Verwandte Ideen finden sich schon bei Husserl. Vgl. etwa Edmund Husserl, ,Das Problem der Idealität der Bedeutungen', in: ders., Vorlesungen über Bedeutungslehre Sommersemester 1908 (Husserliana XXVI), hrsg. v. Ursula Panzer, Dordrecht: Nijhoff 1987, S. 202-219; insbes. S. 213 f.; ders., ,Das Problem der Identität und Wahrheit der Welt in den Erfahrungen verschiedenartiger Subjekte', in: ders., Zur Phänomenologie der Intersubjektivität 2. Teil (Husserliana XIV), hrsg. v. Iso Kern, Den Haag: Nijhoff 1973, S. 131136; ders., Cartesianische Meditationen, § 55, S. 123-131.
2
Für das Folgende vgl. Davidson,,Rational animals'.
3
Vgl. hierzu Michael Esfeld, Holismus in der Philosophie des Geistes und in der Philosophie der Physik, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002, S. 48-95, 127-132.
Λ tt merkungen
185
4
Davidson räumt dies selber ein, spielt die Bedeutung dieses Datums aber herunter: vgl. ebd., S. 97 f.
5
Vgl. bereits Husserl, Die Konstitution der geistigen Weit, § 51, S. 24 (Stichwort: „egoistische" versus „kommunikative Umwelt"); ders., Cartesianische Meditationen, §§ 44, 47 f., S. 95-101, 106-109. In der Terminologie der Cartesianischen Meditationen formuliert, vollzieht Davidson hier (nach meiner Rekonstruktion seines Arguments) eine Reduktion des Dingbegriffs auf die Eigenheitssphäre eines Subjekts. Es handelt sich dabei um eine Abstraktion, die vom vollgültigen Begriff eines innerweltlichen (raumzeitlichen) Dinges ausgeht und dessen intersubjektiv konsti-
tuierten Aspekte ausblendet.
6
Vgl. Kathrin Glüer, Donald Davidson %ur Einfuhrung, Hamburg: Junius 1993, S. 64: „Was der radikale Interpret tun muß, um Verstehen zu erarbeiten, ist im alltäglichen Verstehen immer schon vorausgesetzt." Siehe auch das im Anschluß an Glüers Einführung abgedruckte Interview mit Davidson, ebd., insbes. S. 163.
7
Für das Folgende vgl. Davidson,,Three varieties of knowledge', S. 210-213.
8
Die späteren Interpretations schritte sind für meine Zwecke unerheblich.
9
Vgl. Dagfinn Follesdal, .Triangulation', in: Lewis E. Hahn (Hrsg.), The Philosophy of Donald Davidson, Chicago/La Salle: Open Court 1999, S. 719-732; S. 719. Davidson steht der Unterscheidung zwischen Beobachtungs- und anderen Sätzen aufgrund seines Holismus kritisch gegenüber, räumt aber ein: „The distinction between sentences whose causes to assent come and go with observable circumstances and those a speaker clings to through change, remains, however" (Donald Davidson, ,A coherence theory of truth and knowledge', wiederabgedruckt in: ders., Subjective, Intersubjective, Objective, Oxford: Clarendon 2001, S. 137-153; S. 149). In meinen Augen handelt es sich beim erstgenannten Satztyp schlicht um eine kausal-externalistische Konkretisierung der ursprünglichen Quineschen Konzeption eines Beobachtungssatzes, welch letztere den — zunächst einmal abstrakt aufzufassenden - Begriff einer Beobachtungssituation enthält.
10 Vgl. Dagfinn Follesdal,,Meaning and experience', in: Samuel Guttenplan (Hrsg.), Mind and Language, Oxford: Oxford University Press 1975, S. 25-44; S. 34 f. 11 Vgl. Fellesdal, .Triangulation', S. 720. 12 Für die Rolle der persönlichen „Ontologie" bei der Zuschreibung propositionaler Einstellungen vgl. Willard Van Orman Quine, Pursuit of Truth, Cambridge/Mass.: Harvard University Press, 2 1992 (revidierte Aufl..), S. 69 f. 13 Eine ähnliche Pointe scheint mir die phänomenologische Methode der „Reduktion der transzendentalen Erfahrung auf die Eigenheitssphäre" zu besitzen. Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen, § 44, S. 95-101. 14 Unter einem primordialen Wahrnehmungsfeld ist somit kein phänomenales Feld — also etwa im visuellen Falle kein Bild auf einer Art innerem Monitor — zu verstehen; es handelt sich vielmehr um eine (durch Ausschaltung intersubjektiver Aspekte zustandekommende) Abstraktion vom externen Wahrnehmungsfeld eines Subjekts, welches veridische Wahrnehmungen erlebt. Entsprechend repräsentiert der primordiale Begriff eines Wahrnehmungsobjekts gegebenenfalls propere raumzeitliche Objekte - ebenso wie z.B. der (abstraktere) Begriff eines
186
Anmerkungen Mannes die unter den (konkreteren) Begriff eines Junggesellen fallenden Personen repräsentiert.
15 Davidson spricht im Zusammenhang mit Triangulation oftmals auch von Lernsituationen, da es sich hierbei seines Erachtens eindeutiger um „interpersonale" (interaktive) Situationen handelt als in Fällen radikaler Interpretation: vgl. Davidson, ,Three varieties of knowledge', S. 212. Was die grundlegende Lemsituation anlangt, so hat bereits Quine auf deren triangulare Struktur hingewiesen, insbesondere auf den ersten Seiten von Word and Object (siehe dazu Follesdal, Triangulation', S. 721). Die Besonderheit von Davidsons Ansatz besteht meiner Ansicht nach jedoch gerade darin, daß er den Triangulationsgedanken darüber hinaus auch auf die Situation der radikalen Interpretation anwendet (während sich Quine in dieser Beziehung an proximale Reize hält). 16 Vgl. Follesdal, .Triangulation', S. 725. 17 Das betont auch Fellesdal: vgl. ebd., S. 725 f. 18 Für den Begriff einer rein intrasubjektiven (im Unterschied zu einer intersubjektiven) Erfahrung vgl. oben, Kapitel 3, § 3. 19 Husserl spricht hier vom identischen bestimmbaren X, zu dem alle diese Wahrnehmungen gleichermaßen (kraft ihres jeweiligen intentionalen Gehalts) gehören. Siehe dazu Beyer, Intentionalität und Referenz § 7, S. 149-180. 20 Für einen weiteren, vielleicht überzeugenderen Einwand gegen das systematische Heranziehen proximaler Reize zu radikalen Interpretationszwecken siehe unten die Diskussion des Hasen/Enten-Beispiels, Punkt Nr. 1. 21 Vgl. Davidson, ,A coherence theory of truth and knowledge', S. 149: „Something like charity operates in the interpretation of those sentences whose causes of assent come and go with time and place: when the interpreter finds a sentence of the speaker the speaker assents to regularly under conditions the interpreter recognizes, the interpreter takes those conditions to be the truth conditions of the speaker's sentences." 22 Siehe jedoch die Diskussion des Hase/Enten-Beispiels auf den folgenden Seiten. 23 Strenggenommen handelt es sich hier nicht um einen (geometrischen) Konvergenzpunkt, sondern - im Falle visueller Wahrnehmung - um einen bestimmten Bereich, in dem sich die Sehkegel überschneiden, die vom jeweiligen Beobachterpunkt (Auge) zum wahrgenommenen Objekt fuhren. 24 Für den historischen Hintergrund sowie die Frage nach der Anwendbarkeit dieser Theorie auf dem Gebiet der visuellen Wahrnehmung vgl. Klaus Rehkämper, „.Perspektive ist des Malers beste Kunst'", in: Logos, N. F. 2 (1995), S. 122-146. 25 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Teil II, § xi. 26 Vgl. Follesdal, .Meaning and experience', S. 36. 27 Vgl. Follesdal, ebd., wo allerdings von der Bestimmung des gemeinsamen Objektbezugs die Rede ist. 28 Vgl. auch ders.,,Meaning and experience', S. 39.
Anmerkungen
187
29 Vgl. Quine, Λ Pursuit of Truth, S. 42: „The linguist notes the native's utterance of .Gavagai' where he, in the native's position, might have said .Rabbit'. So he tries bandying ,Gavagai' on occasions that would have prompted .Rabbit', and looks for approval. Encouraged, he tentatively adopts .Rabbit' as translation." 30 Vgl. Quine, ebd., § 16, S. 42 ff. 31 Vgl. Donald Davidson, ,On Quine's philosophy', in: Theoria 60 (1994), S. 184192; S. 191: ,,[T]he learner or linguist ... correlates salient (verbal) responses of the teacher or informant with salient events in the world ... This can be done without noting differences in perspective or orientation ...". 32 Vgl. Quine, A Pursuit of Truth, S. 68: „Empathy is why we ascribe a prepositional attitude by a content clause ... The content clause purports to reflect the subject's state of mind ... Obvious adjustments are to be understood in cases like ,He believes he is Napoleon'; the belief is ,1 am Napoleon' ... The language is that of the ascriber of the attitude, though he projects it emphatically to the creature in the attitude." 33 Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen, § 55, S. 128. 34 Vgl. Stein, Zum Problem der Einfühlung § 5e, S. 70: „Das Weltbild, das ich dem andern einfühle, ist nicht nur auf Grund der anderen Orientierung eine Modifikation des meinen, sondern variiert mit der aufgefaßten Beschaffenheit seines Leibes. Für einen Menschen ohne Augen fallt die gesamte optische Gegebenheit der Welt fort... Ihm konstituiert sich die Welt nur durch die übrigen Sinne ...". 35 Vgl. George Botterill, .Folk psychology and theoretical status', in: Peter Carruthers und Peter Smith (Hrsg.), Theories of Theories of Mind, Cambridge: Cambridge University Press 1996, S. 105-118; S. 105 f. 36 Vgl. Botterill, ebd., S. 116. 37 Vgl. Botterill, ebd., S. 115 ff. Botterill führt neben dem Wahmehmungsptinzip noch die folgenden beiden Grundsätze an: das Handlungsprinqp, i.e. das allgemeine Schema eines praktischen Syllogismus (siehe dazu aus simulationstheoretischer Sicht unten, Kapitel 6, § 8), sowie das Infertntyrin^ip, dem zufolge die Überzeugungen eines Akteurs im allgemeinen auf rationale Weise miteinander zusammenhängen, dergestalt daß der Akteur, sofern er eine solche Überzeugung erwirbt, entsprechende Schlußfolgerungen aus dieser Überzeugung zieht. Was das letztere Prinzip betrifft, so räumt Botterill selber ein, daß es sich nur auf der Basis bewußter inferentieller Prozesse konkrekt anwenden läßt, die sich als Simulationsvorgänge beschreiben lassen (ebd., S. 117). 38 Das Wahrnehmungsprinzip betrifft ja gerade die Wahrheitsbedingungen von Beobachtungsaussagen, deren Interpretation, wie wir in § 4 sahen, auf mentaler Simulation basiert. 39 Vgl. Alison Gopnik und Henry Wellman, ,The child's theory of mind', in: Davies und Stone (Hrsg.), Folk Psycholog, S. 232-258. 40 Vgl. Peter Carruthers, .Simulation and self-knowledge: a defence of theory-theory'. in: Carruthers und Smith (Hrsg.), Theories of Theories of Mind, S. 22-38.
188
Anmerkungen
41 Das liegt vermutlich daran, daß sie dem Simulationstheoretiker von vornherein eine Theorie des erstpersonalen Wissens um die eigenen propositionalen Einstellungen unterstellen, wonach solches Wissen auf unmittelbarer Introspektion basiert (vgl. Martin Davies, ,The mental simulation debate', in: Peacocke (Hrsg.), Objectivity, Simulation and the Unity of Consciousness, S. 99-127) - und dabei, so Gopnik und Wellman (ebd., S. 246), nicht schon den Gebrauch mentalistischer (oder sonstiger) Begriffe involviert beziehungsweise, so Carruthers (ebd., S. 29), lediglich die Verwendung primitiver „phänomenalistischer" Begriffe wie diese Empfindung beinhaltet. 42 Vgl. Robert Gordon, „.Radical" simulationism', in: Carruthers und Smith (Hrsg.), Theories of Theories of Mind, S. 11-21; insbes. S. 18 f. 43 In Kapitel 4 (§ 7) skizziere ich dann noch ein viertes Argument fur die Simulationstheorie, welches an unser intuitives Bewußtsein der menschlichen Handlungsfreiheit appelliert. 44 Vgl. Josef Perner, ,The necessity and impossibility of simulation', in: Peacocke (Hrsg.), Objectivity, Simulation and the Unity of Consciousness, S. 145-154, insbes. S. 147 ff. - Bezeichnenderweise ist ein ähnliches Experiment von mehreren Simulationstheorikern zugunsten ihrer Auffassung ins Feld geführt worden; siehe Davies, ,The mental simulation debate', ebd., S. 99-127; S. 107 f. 45 Es geht also nicht um die (durch Simulation allein wohl nicht zu bewerkstelligende) Zuschreibung von Wissen, sondern von Wissensansprüchen (i.e. von Überzeugungen des Inhalts, daß man selbst etwas Bestimmtes weiß). 46 Vgl. Alvin Goldman, .Discrimination and perceptual knowledge', wiederabgedruckt in: Jonathan Dancy (Hrsg.), Perceptual Knowledge, Oxford: Oxford University Press 1988, S. 43-65, insbes. S. 44-50. 47 In §§ 7-10 meiner Dissertation stelle ich diese Konzeption ausführlich dar und argumentiere, daß sie ihren „individualistischen", „neo-Russellianischen" und „neo-Fregeanischen" Rivalen gegenüber entscheidende Vorteile aufweist: siehe Beyer, Intentionaütät und Referenz S. 149-209. Vgl. außerdem die Argumentation in meinem Aufsatz ,A neo-Husserlian theory of speaker's reference'. (Siehe auch oben, Einleitung, § 1, Fn. 3.) 48 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Teil II, § iii. 49 Für eine eingehendere Diskussion des folgenden Beispiels vgl. Beyer, ebd. 50 Unter einem Beobachtungsurteil ist ein Urteil zu verstehen, bei dessen sprachlicher Kundgabe es sich um eine Beobachtungsaussage handelt (beziehungsweise handeln würde). 51 Daß sich „rein semantische" Konzeptionen des Urteilsgehalts problemlos in die dynamische Konzeption integrieren lassen, versuche ich auf S. 168-171 von Intentionaütät und Referenz vorzuführen. 52 Es handelt sich dabei vermeintlich um eine Beobachtungsaussage.
Anmerkungen
189
Kapitel 5 1
Siehe unten, § 3, Bedingung Nr. 4.
2
Diese Erklärung und Chisholms gesamtes Argument finden sich in Kapitel III, §§ 5 f. von Roderick Chisholm, Person and Object, London: George Allen and Unwin Ltd. 1976, und in ders., ,Identity through time', in: Howard Kiefer und Milton Munitz (Hrsg.): Language, Belief and Metaphysics, Albany: State University of New York Press 1970, S. 163-182. Für Strawsons Erwiderung und Chisholms Antwort vgl. Peter Strawson,,Chisholm on identity through time', ebd., S. 183186 sowie Chisholm, .Reply to Strawson's comments', ebd., S. 187-189.
3
Die Idee, einen Kriterienbegriff ä la Wittgenstein auf das Problem der diachronen Personenidentität anzwenden, ist nicht neu: vgl. Sydney Shoemaker, .Personal identity and memory', in: John Perry (Hrsg.): Personal Identity, Berkeley: University of California Press 1975, S. 119-134. Interessant erscheint mir dieser Ansatz auch deshalb, weil er gegen die grundlegenden Einwände immun ist, die etwa Merricks (in Trenton Merricks, ,There are no criteria of identity over time', in: Nous 31/1, 1998, S. 106-124, und andernorts) gegen das Projekt der philosophischen Analyse der Bedingungen diachroner Personenidentität erhoben hat.
4
Darauf hat mich Peter Carruthers gesprächsweise aufmerksam gemacht.
5
Chisholm, Person and Object, S. 111. Vgl. ders., .Identity through time', S. 17 f.
6
Vgl. Bernard Williams, ,Bodily continuity and personal identity', in: ders., Problems of the Seif Cambridge: Cambridge University Press 1973, S. 19-25.
7
Vgl. Derek Parfit,,Personal identity', wiederabgedruckt in: Perry (Hrsg.), Personal Identity, S. 199-223, sowie Parfit, Reasons and Persons, Oxford: Oxford University Press 1984, insbes. Kapitel 12.
8
Andernfalls ließe sich die von Chisholm mobilisierte Intuition möglicherweise einfach im Rekurs auf ^ ' s verständlichen Wunsch erklären, in Zukunft genau wie Righty ein glückliches und sorgenfreies Leben zu fuhren.
9
Vgl. David Wiggins, ,The concern to survive', in: ders., Needs, Values, Truth, Oxford: Blackwell 1991, S. 303-311.
10 Vgl. Peter Carruthers, Introducing Persons, London: Roudedge 1989, S. 198-204. 11 Vgl. dazu Parfit, .Personal identity'. 12 Vgl. Parfit, .Personal identity'. 13 Sollte sich - etwa im Lichte der Neurowissenschaft - herausstellen, daß die vorstehende metaphysische These empirisch unhaltbar ist, so müssen wir unter Umständen unsere einschlägigen W-Kriterien (und damit unsere Konzeption diachroner Personenidentität) revidieren. 14 Dabei ist allerdings die Dynamik persönlicher Selbstentwürfe zu berücksichtigen, i.e. der Umstand, daß sie grundsätzlich jederzeit revidierbar sind.
190
Anmerkungen
Kapitel 6 1
Eine Kombination aus Metaiiberzeugungstheorie (oder „dispositionaler" Metaurteilstheorie) und Theorie-Theorie wird etwa von Botterill und Carruthers in The Philosophy of Psychology verteidigt.
2
Vgl. die Unterscheidung zwischen selbst- und fremdbezogenen Tugenden in: Verena Mayer, .Tugend und Gefühl', in: Sabine Döring und Verena Mayer (Hrsg.), Die Moraütät der Gefühle, Berlin: Akademie Verlag 2002, S. 125-149; S. 148 f.
3
Vgl. Edith Stein, Zum Problem der Einfühlung S. 109 ff.
4
Vgl. Richard Wollheim, Emotionen, München: Beck 2001, S. 23 ff.
5
Vgl. William Aiston, .Emotion and feeling', in: Paul Edwards (Hrsg.), The Encyclopedia of Philosophy I, New York: Macmillan 1996, S. 479-486; S. 486.
6
Vgl. Ronald de Sousa, Die Rationalität des Gefühls, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 298 ff.
7
Vgl. Sabine Döring und Christopher Peacocke, .Handlungen, Gründe und Emotionen', in: Döring und Mayer (Hrsg.), ebd., S. 81-103; S. 95.
8
Vgl. ebd., S. 90 f.
9
Vgl. de Sousa, ebd., S. 206 ff., 211.
10 Contra de Sousa, ebd., S. 258. 11 Vgl. etwa Holmer Steinfath, .Emotionen, Werte und Moral', in: Döring und Mayer (Hrsg.), ebd., S. 105-122; S. 113 f. 12 Entsprechendes gilt für alle Formalobjekte. Wenn der jeweilige Gegenstand des φ-ens eine Eigenschaft Ε hat, dank derer das formale Objekt (F) des φ-ens zu diesem Gegenstand paßt, dann ist das φ-en seinem Gegenstand angemessen. Beispiele fur F: Wahrheit/Für's-Subjekt-gut-sein/die Eigenschaft, furchteinflößend zu sein. Beispiele für E: ein bestehender Sachverhalt/ein Nutzen für's Subjekt/Gefährlichkeit. Vgl. de Sousa, ebd., S. 204 ff. 13 Die Eigenschaft F ist genau dann das Formalobjekt des φ-ens, wenn man etwas nur dann (sinnvoll) φ-en kann, wenn man es als einen Träger (Einzelfall) von F auffaßt. In diesem Sinne macht der Glaube an das Vorliegen von F seitens des φers sein φ-en verständlich. Vgl. ebd. 14 Natürlich stellen auch /w