Studien zur Geschichte der deutschen Sprache [Reprint 2022 ed.]
 9783112618301, 9783112618295

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Studien zur Geschichte det deutschen Sprache

D E U T S C H E A K A D E M I E D E R WISSENSCHAFTEN ZU B E R L I N Zentralinstitut für Sprachwissenschaft 49 Bausteine zur Geschichte des Neuhochdeutschen Herausgegeben von Günter Feudel

Studien zur Geschichte der deutschen Sprache

AKADEMIE-VERLAG 1972

• BERLIN

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH» 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1972 by Akademie-VerUg GmbH, Berlin Lizenznummer: 202 * 100/90/72 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza/DDR Bestellnummer: 2054/49 • ES 7 D EDV-Nr.: 751 9 0 0 2

VORWORT

Dieser Band der "Bausteine" zeugt von dem gemeinschaftlichen Bemühen von Mitarbeitern des Instituts für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und des Zentralinstituts flir Sprachwissenschaft der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin um die Erforschung der Geschichte des Neuhochdeutschen, insbesondere der Herausbildung der Norm der deutschen Nationalsprache. Allen Beiträgen, deren Fertigstellung teilweise schon längere Zeit zurückliegt, ist gemeinsam, daß sie sich, ausgehend von Fragestellungen und Entwicklungen der deutschen Gegenwartssprache, Problemen widmen, die für die weitere Erforschung sprachhistorischer Prozesse von Bedeutung sind. Teils werden schon neue Teilergebnisse geboten, teils werden der Forschungsstand und die Problematik mit Ausblick auf mögliche Lösungswege erörtert; Überlegungen zum vielgestaltigen Gegenstand moderner Sprachgeschichtsforschung stehen also neben solchen zu methodischen Fragen. Der komplexe Gegenstand wird linguistisch auf seinen verschiedenen Ebenen angegangen, hier insbesondere der syntaktischen, morphologischen und lexikalischen, wie soziolinguistisch in seinen verschiedenen Erscheinungsformen bzw. Stilschichten, z . B . der Literatursprache, der Mundart, der Fachsprache, der Dichtersprache. Dabei wird das Augenmerk nicht einseitig auf innersprachliche Zusammenhänge gerichtet, sondern zugleich auf die Sprache als gesellschaftliches Phänomen, auf die Wechselwirkungen zwischen Sprache und Gesellschaft. Möge dieser Sammelband dazu beitragen, unser Wissen um das Werden der deutschen Nationalsprache und damit auch Uber die Struktur der Gegenwartssprache zu vertiefen und zu erweitern.

Der Herausgeber

INHALT

Gabriele Schieb, Probleme der Sc he inungs formen des älteren Deutsch in feudaler Zeit

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Gerhard Kettmann, Studien zur Geschichte sprachlicher Erscheinungsformen in Wittenberg/Elbe

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Jelena Trojanskaja, Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

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Natalia N. Semenjuk, Zustand und Evolution der grammatischen Normen des Deutschen in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts Gabriele Schieb, Zum System der Nebensätze im ersten deutschen Prosaroman

79 167

Joachim Schildt, Die Satzklammer und ihre Ausbildung in hoch- und niederdeutschen Bibeltexten des 14. bis 16. Jahrhunderts

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Wladimir G. Admoni, Die Entwicklung des Ganzsatzes und seines Wortbestandes in der deutschen Literatursprache bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts

243

Gabriele

Schieb

PROBLEME DER ERSCHEINUNGSFORMEN DES ÄLTEREN DEUTSCH IN FEUDALER ZEIT

Vollständig und erschöpfend lassen sich die Erscheinungsformen einer Sprache 1 natürlich nur an lebenden Gegenwartssprachen studieren, wo die Theorie au6 allen Existenzformen lebendiger Sprachpraxis abgezogen werden kann und jederzeit an ihnen nachprüfbar bleibt. Vom Studium der Gegenwartssprache gehen daher auch die Impulse aus, die die Sprachhistoriker aufnehmen, um nach den Existenzformen der Sprache auf älteren Sprachstufen zu fragen. Die heute zu beobachtende fast unüberschaubare Vielfalt von Realisierungsmöglichkeiten des Sprachpotentials, durch das Wechselspiel gesellschaftlicher Konvention und gesellschaftlicher Bedürfnisse der Kommunikation geregelt, ist von innerer Dynamik. Wir sind heute Zeuge von ständigen Annäherungs-, Differenzierungs- und Integrationsprozessen zwischen den verschiedenen Existenzformen und Varianten Anwendungsmöglichkeiten deutscher Sprache. Es interessiert zu fragen, wie es um diese im älteren Deutsch in feudaler Zeit bestellt war. Gab es schon sehr viele verschiedene, abgrenzbare Existenzformen, wie verteilten sie sich, welche Tendenzen der Berührung, gegenseitigen Beeinflussung oder stärkeren Auseinanderentwicklung waren wirksam? Gewiß müssen wir uns von der falschen Vorstellung lösen, daß die Verhältnisse damals noch erheblich unentwickelter und einfacher gewesen seien. Sie waren allem Anschein nach sogar schon sehr kompliziert, nur auf andere Weise als heute. Das Gesamtpotential der deutschen Sprache wurde im Hoch- und Spätmittelalter, wie heute noch, praktisch wirksam nur in Teilrealisationen je nach den wiederzugebenden Sachverhalten, dem Kommunikationszweck, den unterschiedlichen Denkleistungen und dem gestuften Bildungsniveau wie der gesellschaftlichen Gruppenzugehörigkeit der Sprachträger, den sprachräumlichen Bedingungen und mündlichem oder schriftlichem Gebrauch und dessen Stilschichtung. Was die Erforschung der Kommunikationspraxis zurückliegender Zeit erschwert, ist neben der Tatsache, daß alles Gesprochene mit dem Sprechakt unwiederbringlich verklang, die nur bruchstückhafte Überlieferung auch des Geschriebenen, das damals sowieso nur einen winzigen Prozentsatz der Sprachpraxis ausmachte.

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Gabriele Schieb Reflexionen der Zeitgenossen über die Vielfalt der Erscheinungsformen des von ihnen

gesprochenen, gehörten, geschriebenen oder gelesenen Deutsch sind nicht häufig. Die Wissenschaft der Zeit beschäftigte sich vielmehr im Anschluß an den Bibelbericht von der Sprachenverwirrung beim Turmbau zu Babel und dessen Deutung durch die Kirchenväter mit dem Ursprung der Vielfalt der Sprachen der Welt, mit der Frage nach der Ur- und Natursprache des Menschen wie, im Anschluß an die mehrsprachige Aufschrift auf Christi 2

Kreuz, mit der Frage der sogen, "heiligen" Sprachen . Die aufgestellten Theorien sind gewöhnlich von lateinischen Autoritäten abhängig und nicht aus eigener Beobachtung der Wirklichkeit abgezogen, wie das nötig wäre, damit sie Glaubwürdigkeit beanspruchen könnten. Da die "Volkssprachen" nach der Auffassung der Zeit nicht zu den "heiligen" Sprachen gehörten, galt ihnen zunächst auch nicht das gleiche Interesse wie dem Latein. Nur gelegentlich finden sich deshalb Äußerungen über die Vielfalt ihrer Existenzformen. Zeitgenössische Beobachtungen heben etwa lokale Varianten hervor, z . B . Hugo von T r i m 3 4 berg und Peter von Zittau um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert Lautunterschiede 5 der gesprochenen deutschen g Mundarten, Konrad von Megenberg (14. J h . ) und Berthold von Regensburg (13. J h . )

landschaftliche Unterschiede im Wortschatz. Neben diese für

den Kommunikationspartner auffälligsten Kennzeichen einer horizontalen Gliederung tritt gelegentlich, wenn auch selten, die Beobachtung einer vertikalen Schichtung, sozialer Varianten, Bildungsvarianten, auch Stilschichten in der Anwendung der deutschen Sprache. Wieder tritt nur Auffälligstes in den Gesichtskreis, so die Sprechweise des sozialen 7 Prestiges, z . B . das /mit der rede vlaemen/ des jungen Helmbrecht, das Aufputzen der Sprache mit lateinischen, französischen, flämischen, wendischen Brocken. Denn zum internationalen Ideal des feudalhöfischen Ritters gehört die Überbrückung der Sprachenvielg falt der Welt durch reiche Sprachenkenntnis wie sie z . B . von Tristan in Gotfrids Werk 9 und von der Gralsbotin Cundrie in Wolframs Parclval gerühmt wird. Nicht einmal der kleinere Raum des Deutschen Reiches stellte ja damals eine nationale oder gar sprachliche Einheit dar 1 ". Hierher gehört auch die Sprechweise der öffentlichen Höflichkeit, die von der intimen familiären deutlich abgehoben ist. Was der Vater seinen Sohn im altnorwegischen Königsspiegel lehrt über die Wahl der Sprechweise, wenn er vor großen Herren e r scheint, über die Anrede in der Mehrzahl, Anredeformeln, höfliches Antworten in ganzen Sätzen u . a . 1 1 , könnte auch von einem Deutschen gesagt sein, praktizieren es doch z . B . Magd und Knecht im Meier Helmbrecht, wenn sie den verritterten Sohn des Hauses nicht 12 mehr mit dem familiären/bis willekomen, Helmbrecht!/ anzureden wagen, sondern ihn begrüßen mit dem den sozialen Abstand betonenden /juncherre min, ir sult got wille13 komen sin/ . Man vermerkt mitunter, so Michel Beheim, daß es bei Verhärtung ideologi-

Probleme der Erscheinungsformen des älteren Deutsch in feudaler Zeit

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s c h e r Fronten wie zwischen Juden und Christen zur Verwendung von emotionsgeladenen /namen inunczim/'abwertenden Bezeichnungen' kommt, zu Wörtern, die b e s s e r v e r 14 schwiegen blieben /durch ir unrainikaite/

, also zur untersten Stilschicht gehören. Auch

über Eigenheiten der Sprache der Dichtung findet man gelegentlich Bemerkungen. Über den Unterschied zwischen Versdichtung und Prosa hat man sich gleichfalls Gedanken gemacht, wenn sie auch unsern wissenschaftlichen Ansprüchen oft merkwürdig anmuten. Das Latein anerkennt man lange kritiklos als überdachende gesprochene und geschriebene Bildungssprache der gesamten vielsprachigen mittelalterlichen Kultureinheit, als gegebene Mittlerin zwischen den drei gelehrten "heiligen" Sprachen und der Vielfalt der "Volkssprachen". Wo man diesen, sofern sie sich zu einer /vox litterata/, zu einer Schriftsprache entwickeln konnten, schon eine bescheidene Stelle neben dem Latein einräumt ( z . B . Johannes von Dacia 1 2 8 0 ) 1 5 , ist die Sprachtheorie der Hochscholastik auf einem vorwärtsweisenden Weg. Alexander von Roes erhebt 1281 das in Mundarten geschiedene "Deutsch zur gleichberechtigten Schwester des Latein"**', ein Vorklang zu Dantes entscheidender Wertmehrung der /vulgaris eloquentia/ Anfang des 14. Jahrhunderts. Uns, von Beobachtungen und Erfahrungen an der Gegenwartssprache herkommend, stellt sich in Jahrhunderte überspannendem Rückblick die Problematik der damaligen Kommunikationspraxis in ihrer horizontalen Gliederung und vertikalen Schichtung natürlich anders dar als den Zeitgenossen. Es wäre aber der komplizierten Wirklichkeit, die sich nur sehr bruchstückhaft in der Überlieferung spiegelt, nicht angemessen, wenn wir versuchten, für die Erscheinungsformen des älteren Deutsch ein Gliederungsschema aufzustellen. E s würde nie glatt aufgehen. Nicht nur, daß die verschiedenen Ebenen des Sprachlichen, die phonemische, morphemische, syntaktische und lexikalische jeweils verschieden betroffen sind, es ist auch zwischen z. B . mündlichen und schriftlichen Existenzformen, zwischen Mundart, Umgangssprache, Vortragssprache, zwischen Gemeinsprache und Sondersprachen fachsprachlichen oder gruppensprachlichen Charakters, um nur einiges zu nennen, mit ständigen Integrationen unterschiedlicher Quantität und Qualität zu rechnen. Wir beschränken uns auf einige ausgewählte Aspekte und Beobachtungen. Zum Verhältnis von mündlichen und schriftlichen Erscheinungsformen

17 . - Gesprochene

Sprache ist das P r i m ä r e , geschriebene Sprache das Sekundäre. Deutsch als Schriftsprache entwickelt sich in unserm Zeitraum auf dem Umweg Uber 18 Lateinbildung, von der es sich e r s t seit dem Ende des 13. Jahrhunderts langsam löst

. Das Gesprochene ist für uns

verklungen, viele seiner Züge sind aber gewiß im wenigen uns-überlieferten Schriftlichen aufgehoben. Zwar kaum Züge der untersten Schicht des Gesprochenen, der regional gegliederten "Volksmundarten" einschließlich ihrer berufssprachlichen Sonderungen, deren

Gabriele Schieb

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Funktion sich in der Verständigung des Alltags erschöpfte. Gewiß aber Züge einer in bewußte Pflege genommenen Umgangssprache der Gebildeten, einer Sprache des gehobenen geselligen Verkehrs wie einer Sprache des öffentlichen Vortrags in Dichtung oder Predigt. Denn die gesprochene Sprache der gebildeten Oberschicht ist, unter ihresgleichen angewandt, gewiß keine reine Mundart mehr. In ihr können sich die Adligen aus niederdeutschem, mitteldeutschem oder oberdeutschem Sprachgebiet trotz aller regionalen Unterschiede im einzelnen ebenso gut verständigen wie z . B . der nordbayerische Gutsherr und sein nord19 bayerischer leibeigener Bauer in ihrer Ortsmundart . Sprache wurde im Mittelalter in allen sozialen Schichten noch fast nur durch das Gehört und wenig durch Lesen aufgenommen, denn die Bevölkerung vom Bauern bis zum höchsten Adel bestand noch vorwiegend aus Analphabeten. Trotzdem gab es "Bildung" im Mittelalter auch jenseits der mit Lesen, Schreiben und Lateinstudium gekoppelten Klerikerbildung, eine Laienbildung der mit enormer Gedächtniskraft ausgestatteten /laici simplices/, der /illiterati/, /indocti/, /idiotae/, wie sie in lateinischer Literatur genannt werden. Zu ihnen gehört als berühmtestes Beispiel Wolfram von Eschenbach, der ruhig und stolz ausspricht /ine kan decheinen buochstap/, also keinerlei Quellenstudium am Schreibtisch vornehmen kann und Dichtung für Hörer schafft und vorträgt gegenüber Hartmann, der nach Klerikerart Bücher zum Lesen und 20

Vorlesen schreibt

. Für die meisten "volkssprachlichen" Dichter bleibt Dichtung noch

lange an Vortrag, in manchen Genres sogar an Rezitations- oder Gesangsvortrag gebunden. Das bedingt, abgesehen von wenigen Ausnahmen eines ausgeprägtem Individualstils, eine gewisse Formelhaftigkeit der Sprache, Überwiegen des Traditionellen, leicht im Ohr haftender Reimformeln oft überlandschaftlicher Geltung, die Ausbildung einer Art Gerüstsprache zu beliebigem individuellen Ausbau. Das Niederschreiben erfolgt, wenn überhaupt, durch Schreiber, das erste Mal wohl meist auf Diktat. Diese Niederschriften sind kaum einmal für den Dichter selbst gedacht, sondern wurden gewöhnlich im Auftrag lesekundiger wohlhabender Mäzene hergestellt, wobei die Frauen eine besondere Rolle spielen. Gesprochenes wird schriftlich fixiert, und es hängt ganz vom Schreiber ab, ob er typische Erscheinungen des Gesprochenen wie z . B . Sandhi-Formen und lokale Lautungen festhält, oder ob er sofort bewußt auf die verdeutlichende Ebene des Geschriebenen umschaltet, je nach Maßgabe seiner Ausbildung in einer bestimmten Schreibstube oder der Wünsche seines Auftraggebers. Wir kennen ja Beispiele eines erstaunlichen Auseinanderklaffens von Konzept und Reinschrift oder Prachtausfertigung, wenn auch zufällig nur auf dem Gebiet des 21

deutschen Urkundenwesens

, weil man Rechtsdokumente sorgfältiger aufbewahrte. Für

Dichtungshandschriften wird vergleichbares gelten. Eine Rückwirkung von geschriebener auf gesprochene Sprache ist dagegen in diesem Bereich nicht zu erwarten, nur von ge-

Probleme d e r Erscheinungsformen des älteren Deutsch in feudaler Zeit

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schriebener auf geschriebene von Abschrift zu Abschrift, womit die Editoren sich h e r u m schlagen müssen. 22

Ähnliches trifft f ü r die Predigt zu

. Seit d e r Karolingerzeit gilt die Forderung f ü r

die Geistlichkeit, vor den Laien in der "Volkssprache" zu predigen, eine Forderung, der von Jahrhundert zu Jahrhundert b e s s e r nachgekommen wurde. Hier hat zwar das rhetorisch gepflegte Latein bei d e r Entfaltung der öffentlichen belehrenden Rede auf Deutsch Pate gestanden, aber der Zweck, den Laien aller sozialen Schichten wirklich zu e r r e i c h e n , e r zwang von selbst, daß die Sprache der deutschen Predigt als einer besonderen Art des Gesprächs mehr und mehr an deutsche gesprochene Sprache anknüpfte und diese in Pflege nahm und zu gehobenem Gebrauch entfaltete. Die schreib- und lesekundigen Prediger haben ihre Predigten nachweislich oft lateinisch konzipiert, hielten sie aber dann f r e i reproduzierend in deutscher Sprache. Auch die nur meditative Vorbereitung ist daneben zu erwägen, zumal bei den späteren Volkspredigern. Der franziskanische Volksprediger Berthold von Regensburg (13. J h . ) predigte gewöhnlich ein bis zwei Stunden, Geiler von K a i s e r s berg (15. J h . ) nicht länger als eine Stunde. Die schriftlich überlieferten Predigten sind erheblich k ü r z e r einfach deshalb, weil sie Nachschriften begeisterter Zuhörer darstellen, nicht während der Predigt, sondern danach aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Sie stellen also eine komprimierte Transposition gesprochener Rede in geschriebene .dar. Medien dieser Transposition waren vielfach Klosterfrauen, die lesen und schreiben, aber 23 kaum oder kein Latein konnten . Die Überarbeitung durch den Autor oder andere konnte dann zur Lesepredigt führen oder noch weiter zu Abhandlung und Erbauungsbuch, auch zu umfänglichen Kompilationen unterschiedlichen Gebrauchswertes, wobei die Spuren des 24 Gesprochenen bewußt verwischt oder ganz beseitigt werden. Was dagegen schon im U r sprung allein f ü r die Schriftlichkeit gedacht ist, wie die Urkunde, kommt zunächst und lange nur lateinisch aufs Pergament, was die jüngere deutsche Urkunde in i h r e r Stilprägung noch weithin beeinflußt. An Gesprochenes und Geschriebenes stellt man allmählich bewußt unterschiedliche Anforderungen, die die Unterschiede der Aufnahme durch Ohr oder Auge, der einmaligen durch das Ohr in bestimmter Situation oder der unbegrenzt 25 häufigen von bestimmter Situation unabhängigen durch das Auge, in Rechnung stellen . Die Predigtsprache der großen P r e d i g e r , die in verschiedenen Mundartgebieten vor Hunderten oder g a r Tausenden sprachen, zeigte notwendig die Tendenz zu Ausgleich wie auf anderer Ebene und mit Rücksicht auf anders zusammengesetztes Publikum die Sprache vorgetragener Dichtung. Berthold vonRegensburg berücksichtigt mitunter bewußt regionale Unterschiede. Wenn gelegentlich darüber geklagt wird, daß die Predigten Meister Eckharts über die F a s sungskraft seiner Hörer gingen, so lag das nicht an einer grundsätzlichen Volksfremdheit oder Unverständlichkeit seines gesprochenen Deutsch, sondern nur an dessen stark fach-

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Gabriele Schieb 26

sprachlicher, theologisch-philosophischer Komponente

, den Verdeutschungen lateinisch

konzipierter T e r m i n i , f ü r die beim Hörer eine gewisse Vorbildung oder wenigstens P r ä d i s p o sition vorausgesetzt werden mußte. Sie war in klösterlichen Gemeinschaften natürlich eher anzutreffen als beim zusammengewürfelten Laienpublikum in den Stadtkirchen. Auch das gesprochene Deutsch, die "Volkssprache" der feudalen Zeit, war27also schon , die ohne

ein "polyfunktionelles Gebilde", nicht e r s t die sich ausbildende Schriftsprache

die Lebenskraft einer vielschichtigen Sprechsprache nicht hätte entstehen und sich nie zur späteren Höhe hätte entfalten können. Gesprochenes und geschriebenes Deutsch decken sich zwar nie ganz, aber in bestimmten Stilschichten zeigen beide Erscheinungsformen enge Berührungspunkte, wobei in feudaler Zeit das gesprochene Deutsch noch durchaus die gebende, das geschriebene die nehmende Seite i s t . Hätten die Gebildeten der Zeit nicht deutsch, sondern durchwegs lateinisch oder französisch gesprochen, wäre die Geschichte der deutschen Sprache anders verlaufen, wie man an den Geschicken der französischen und englischen Sprache ablesen kann. Das Latein war im Deutschen eben doch nur eine Schriftund Kultursprache, die sogar, von Menschen mit anderer Muttersprache gehandhabt, nicht ohne Beeinflussung durch diese blieb, worauf die Mittellateiner schon lange aufmerksam geworden sind. Dem geschriebenen Deutsch fehlte anfangs noch manches an Eindeutigkeit, was dem Gesprochenen durch Satzmelodie, Gruppen- und Wortakzente wie begleitende Gestik und anderes natürlich eigen w a r . Dafür mußten e r s t mit der Zeit Ersatzmittel entwickelt werden, wie z . B . das Getrenntschreiben der einzelnen Wörter, Interpunktion zum Anzeigen von Satzgrenzen und Sprechpausen, oder Großschreibung f ü r Akzentuiertes. Dafür entwickelt das geschriebene Deutsch entsprechend seiner wachsenden Geltung bald Eigenheiten, die nur ihm zukommen, und die, sofern sie 28 sich durchsetzten, f ü r die SprachentWicklung einen Gewinn und Fortschritt darstellen . Nehmen wir Sprech- und schriftsprachliche Erscheinungsformen im folgenden in eins und wenden uns anderen Aspekten zu wie der Entfaltung besonderer Existenzformen des älteren Deutsch unter dem Einfluß von sozialen Gruppenbildungen und Bildungsstufen der Sprachträger oder bestimmter Sach- und Fachbereiche, die von der Sprache bewältigt werden soLlen. Es ist das gleiche Deutsch einheitlicher und doch elastischer, weiter f o r m b a r e r und entwicklungsfähiger Grundstruktur, das von allen Sprachträgern benutzt wird, die aber eine bis zu einem gewissen Grade große Freiheit der Ausgestaltung zuläßt, wenn diese auch nicht gleichmäßig f ü r alle sprachlichen Ebenen gilt. Das eröffnet die Möglichkeit der Entfaltung einer unerhörten Vielfalt von Gebrauchsformen und Stilschichten, denn diese Möglichkeiten der Ausgestaltung können aus Mangel an sachlichem Bedürfnis, Sprachbildung oder Interesse vernachlässigt oder aber in verschiedenen Graden bis zu

Probleme der Erscheinungsformen des älteren Deutsch in feudaler Zeit

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einem Höchstmaß zu verschiedenen Kommunikationszwecken genutzt werden. Was davon der Entwicklung einer Nationalsprache förderlich war, und was sie eher hemmte, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Als Beispiel wähle ich die S p r a c h e

der

Dichtung

in feudaler Zeit. In der

Dichtung tritt Sprache in einer besonderen gesellschaftlichen Funktion auf mit speziell ästhetischer Komponente. Für sie ist deshalb in jedem Fall Auswahl aus dem allgemeinen Reichtum der Sprache und gehobene Stilisierung, allerdings verschiedenen Grades, charak29 teristisch

. Aber Dichtersprache bildet keine in sich geschlossene, abgekapselte Existenz-

form der Sprache. Sie ist vielmehr ein unhomogenes Ganzes und grundsätzlich offen auch nach anderen Seiten und ständig in Entwicklung und Bewegung. Immer neue Subcodes werden literaturfähig, und die Dichtersprache absorbiert und verschmilzt sich Komponenten aus anderen Erscheinungsformen der Sprache. Ihr können im Einzelfall neben stärker oder schwächer regionaler Bindung gesangssprachliche Elemente, "volks-" und umgangssprachliche Elemente, vortragssprachliche Elemente, genregebundene Elemente, standes- bzw. gruppensprachliche Elemente oder fachsprachliche Elemente eine besondere Färbung v e r leihen. Es gibt da die vielfältigsten Mischungsverhältnisse j e nach Zeit, Ort und Genre, j e nach Herkunft, Bildungsstand, Konvention, Kommunikationsabsicht und Publikum des Dichters. Aber auch ein und derselbe Dichter kann j e nach Sprachgewalt verschiedene Register beherrschen, sei es in Genres unterschiedlicher Tradition oder sogar im Rahmen einer Dichtung.

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Unter g e s a n g s s p r a c h 1 i c h e n E l e m e n t e n

verstehe ich vor allem sprachliche

Gebilde rein sensueller Funktion w i e / t a n d a r a d e i / ; / j u haiahai/;/aahü, a a h ü / ; / f i fideli fideli/; /zidiwick, zidiwick/ u . ä . , die auf Gesangsvortrag und Tanzlyrik beschränkt scheinen, auch solche an musikalische Formen gebundene, nur z . T . verständliche, reimende Wortreihen 3 wie /schrencken, lencken, sencken/; /gewetzet, gehetzet, n e t z e t / ; / k r e n z e l , swenzel, renzel/ oder /nemt war - gar - dar - war - mir das herze meine/; / i r haz - laz - baz - daz - herze 32 min vermaere/ "Volks" -und umgangssprachliche

Elemente treten in den Vordergrund einmal

in stärker regional gebundenen Varianten der Dichtersprache, die sich in kleinerem geographischen Raum vor sozial differenzierte rem Publikum realisieren, also einen engeren horizontalen, aber umfassenderen vertikalen Wirkungsbereich haben. Zum andern, wo Angehörige der niederen Stände in direkter Rede zu Worte kommen, deutlich z . B . in manchen deutschsprachigen volkstümlichen Zuwachsszenen des geistlichen Schauspiels, im Fastnachtsspiel, im Schwank. Auch den Teufeln legt man zu abwertender Charakterisierung "volks-" und umgangssprachlich gefärbte Rede in den Mund. Auch in Genres stark emotio-

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Gabriele Schieb

nalen Charakters voller An- und Ausrufe wie Trink- und Siegesliedern geben solche E l e mente mitunter den Ton an. In der Lyrik findet man sie sowohl in den urtümlichen Formen schlichter Liebessprache der F r a u , wie sie Th. Frings immer wieder herausgearbeitet hat, wie als bewußt gehandhabtes, künstlerisches Kontrastelement in komplizierteren höher entwickelten Formen. Vortragssprachliche

E l e m e n t e mit Nähe zu Hhetorik und Predigt sind vor

allem in der vorgetragenen L e h r - und Preisdichtung zu finden, auch in bestimmten Partien des Schauspiels, und erreichen einen besonderen Grad in Genres wie d e r Reimrede, die uns deshalb oft wie gereimte Predigten vorkommen, auch bei weltlich-zeitbezogenem Inhalt. Standes-

bzw. g r u p p e n s p r a c h l i c h e

Elemente

liegen auf der Hand in den

Dichtungen der klerikalen Oberschicht, die sich des Latein als überdachender Bildungssprache der gesamten vielsprachigen mittelalterlichen Kultureinheit bedienen, dem jeder bodenständige Unterbau fehlte. Sie klingen an in der Mischung von Latein und Deutsch, die je nach ihrem Charakter Zeichen ist vom Willen, Bildung an Laien zu vermitteln, Zeichen einer fatalen Halbbildung oder aber Zeuge eines Wissensstolzes neu zu Bildung aufstrebender Schichten. Auch andere Sprachen können bewußt gemischt werden, zumal in jüngerer Zeit, sogar in ein und derselben Gedichtstrophe, so daß die Sprache von Verszeile 33 34 zu Verszeile wechselt, wie das Hans vom Niederrhein und Oswald von Wolkenstein gelegentlich mit Bravour gehandhabt haben. Aber ebenso stecken standessprachliche E l e mente in den Dichtungen d e r laikalen Oberschicht, die ein gepflegtes, überregionales Deutsch anstreben. Dies ist uns greifbar in der limburgisch-rheinisch-westmitteldeutschen dichtersprachlichen Variante seit etwa dem 12. Jahrhundert wie dann vor allem im zeitlich folgenden sogen, "klassischen Mittelhochdeutsch", dem höfischen Deutsch des Rhein-MainDonaugebietes, das auf der Umgangssprache des höfisch gebildeten Laienadels im Umkreis 35 staufischer Machtentfaltung aufzubauen scheint und als sprachliche Erscheinungsform sozialen Prestiges eine starke Strahlkraft entwickelte. Sogar Niederdeutsche nähern sich ihr deshalb, wenn sie dichten, ähnlich wie man etwas später sogar in den Niederlanden 36 f ü r die höfische Lyrik einen hochdeutschen Anstrich verlangte , während vorher im Süddeutschen umgekehrt gerade das /vlaemen/ als vornehm galt. Charakteristisch ist für dies höfische Deutsch Streben nach Mundartferne in Lautung und Wortwahl, eine "syntakti37 sehe Formkultur"

, Ausbildung von Redeweisen der Höflichkeit im gesellschaftlichen Um-

gang nach französischem Muster, Einfließen von französischem und flämischem Fremdgut in den Wortschatz. Bemerkenswert ist die mögliche Füllung altes Wortgutes mit speziellem ideologischen Gehalt, so daß es bei dem gleichen Wort zu so verschiedenen zeitge-

Probleme der Erscheinungsformen des älteren Deutsch in feudaler Zelt

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nössischen Wertungen kommen kann wie z . B . bei /stolz/ oder bei /hochmuot/, die in ritterlich-höfischem Munde auf Grund sozialen Mehrwertgeflihls etwas Posititves in Auftreten und Gesinnung bezeichnen, in klerikalem Munde dagegen etwas abwertend Negatives. Man kann einen ganzen Katalog von Wörtern aufstellen, die außer ihrer allgemeinsprachlichen eine ausgesprochen gruppensprachliche Bedeutung entwickelt haben, die sich von der allgemeinsprachlichen grundsätzlich unterscheidet. Zwei verschiedene Genres können bei ein und demselben Dichter die Wahl der Zusammensetzung seiner Dichtersprache bestimmen. So enthält z . B . Veldekes Servatiuslegende vor allem Fremdgut aus dem Lateinischen, sein Eneasroman dagegen solches aus dem Französischen. In der Legende begegnet /stoltheit/ in geistig-sittlicher Beziehung abwertend als 'Hoffart, Vermessenheit, F r e 38 vel* , im Eneasroman im Bereich höfischer Kampfbegegnung anerkennend als * hochgemu39 tes Wesen, Tapferkeit, Unverzagtheit' . Der "klerikale Höfling" Veldeke, d.h. der ritterliche Ministeriale, für den neben der Verwirklichung ausgesprochen höfisch-laikaler Werte ein entschiedener Zugriff auf die geistliche Bildung der /clergie/ kennzeichnend ist, kann sich sprachlich in verschiedenen Bereichen bewegen, standessprachlich sind sie beide. Orientierte sich die Sprache sozialen Prestiges bei der höfischen Oberschicht vor allem am Französischen, so beim wissensstolzen Bürger, sofern sie nicht die des Adels nachahmt, wieder mehr am Latein, das ja in der Frühzeit d i e Sprache von Kultur und Bildung ist. Fachsprachliche

Elemente

schließlich finden sich allerorten in der Dichtung

des Mittelalters. Sie betreffen vor allem den Wortschatz und umfassen solche "Wörter, die durch fachliche Vertiefung des Wissens (Spezialisierung) entstehen und von einem Kreis von Menschen, der über dieses Fachwissen verfügt, in allgemein 40 gültiger Form sowohl unter sich als auch gegenüber Dritten zur Anwendung kommen" . Beschränken wir uns auf solche aus den Fachgebieten der Jagd, des Rechtes, Theologie und Philosophie. Bei der Bedeutung der Jagd für die feudale Wirtschaft und den Alltag des Adels ist es nicht zu verwundern, daß Sprachelemente dieses Fachbereichs, dessen gemeinsprachliches Fundament übrigens damals viel breiter war als heute, auch in die Dichtung dringen. Es ist interessant zu beobachten, wie unter bestimmten gesellschaftlichen Voraussetzungen in 41 . Während

exklusiven Kreisen die Fachsprache zur Gruppensprache weiterentwickelt wird

die jagdsprachlichen Elemente in den meisten mittelhochdeutschen Dichtungen noch von der Sache, von Technik und Recht des Jagdwesens her bestimmt sind, in ihnen also, um in der Terminologie des Prager Linguistischen Zirkels zu sprechen, die praktisch-fachliche 42 kommunikative Funktion

im Vordergrund steht, deutet sich seit den Jagdallegorien der

Prozeß einer Exklusivierung zur Gruppensprache an, die nur noch für den Eingeweihten

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Gabriele Schieb

und Zugelassenen verständlich und richtig handhabbar ist. Auch das Recht ist in der Alltagspraxis des Mittelalters von großer Bedeutung. Rechtskenntnisse lassen sich bei fast allen gebildeten Dichtern des Mittelalters feststellen, wenn auch mit beachtlichen Gradunterschieden. Es gibt Dichtungen, die auf dem Grundriß eines Rechtsprozesses aufgebaut 43 sind wie die Chanson de Geste "Morant und Galie" (um 1200) oder das Streitgespräch "Der Ackermann aus Böhmen" (um 1400). Aber auch die Dichtersprache u n s e r e r Klassiker 44 ist, ohne daß uns das auffiele, mit Rechtsausdrücken nur so durchsetzt , was damit zusammenhängen mag, daß auch die Rechtssprache in ihren wichtigsten Bestandteilen noch stark in die Allgemeinsprache eingebettet war und nicht als Fach- oder gar Standessprache empfunden wurde, die nur einer kleinen sozialen Gruppe geläufig w a r . Anders die Elemente theologisch-philosophischer Fachsprache in der Dichtung. Sie stammen aus dem Latein, sind weithin terminologisch bestimmt und behalten ihren Anstrich klerikaler Bildung. Sie weisen alle Kennzeichen einer 45 Sprache der Wissenschaft auf, bei der die theoretischden Ausschlag gibt, während jagd- und rechtssprach-

fachliche kommunikative Funktion

liche Elemente als sachsprachliche Elemente praktisch-fachlicher kommunikativer Funktion engste Fühlung mit der Allgemeinsprache wahren. Wo immer Elemente theologisch-philosophischer Fachsprache in deutschsprachiger Dichtung auftauchen, in frühbürgerlicher erheblich häufiger als in ritterlich-feudaler, z . B . in den Reimreden und im Meistersang, sind sie zwar ein Zeichen dafür, daß ein Laienpublikum ohne Lateinkenntnisse angesprochen und klerikales Gedankengut popularisiert werden sollte, aber diese Popularisierung fand gewiß ihre wechselnden Grenzen am Bildungsstand des Publikums, aber auch des Dichters, wie etwa in dem Beispiel unerträglicher Halbbildung und Scheingelehrsamkeit 46 von Frauenlobs Marienieich

. So sehr es zum Reiz großer Dichtung gehört, Milieuspra-

chen zu verschmelzen, etwa die Sprache des Mannes und der F r a u , die Sprache des Hauses, des Hofes und der Kirche, die Sprache des J ä g e r s , Richters, Handwerkers u . a . , so findet dieses dichtersprachliche Phänomen, wie wir hieran sehen, doch seine Grenzen an der erstrangig ästhetischen Funktion von Dichtung. Bei allem, was ich hier auswahlweise in bezug auf die Erscheinungsform Dichtersprache anrührte, stand die lexikalische Ebene der Sprache im Vordergrund. Das ist zum Teil vom Gegenstand her bedingt und würde auch bei der Betrachtung anderer Existenzformen der Sprache so sein, zum Teil aber hängt es auch mit dem gegenwärtig noch unbefriedigenden Forschungsstand auf der Ebene der hoch- und spätmittelalterlichen Syntax zusammen. Wenn sich die verschiedenen Erscheinungsformen der Sprache auf der offeneren lexikalischen Ebene auch am leichtesten bestimmen lassen, so ist doch die 47 systemhaft gebundenere syntaktische Ebene bestimmt nicht ohne jeden Aussagewert . Leider sind

Probleme der Erscheinungsformen des älteren Deutsch in feudaler Zeit

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wir bisher noch nicht so weit, das gesamte Sprachpotential auf dieser Ebene zu übersehen. Aber man geht bestimmt nicht fehl anzunehmen, daß z . B . die im Bereich der Parataxe und Hypotaxe zu registrierenden vielfältigen syntaktischen Synonymien nicht nur diachron Entwicklungen in der Zeit spiegeln, sondern zugleich synchron regionale Differenzierungen wie soziale Schichtungen und Stilebenen anzeigen. Aussagekräftig können in einem Text in dieser Hinsicht z . B . sein: das zahlenmäßige Verhältnis von Parataxe (enumerativer Redeweise) und Hypotaxe (hierarchisch beziehender Hedeweise) überhaupt, Bestehen oder Mangel einer scharfen Grenze zwischen beiden, d.h. die Problematik der sogen, "alltagssprachlichen Hypotaxe", überwiegende Polysemie oder Monosemie der nebensatzeinleitenden Konjunktionen, losere oder straffere Strukturierung von Haupt- und Nebensatz durch die Wortstellung und Nutzung von Möglichkeiten einer Klammerbildung, das zahlenmäßige Verhältnis der Nebensätze in bezug auf ihre semantische Funktion, ob z . B . die anspruchsvolleren Kausal-, Konditional- und Konzessivsätze stärker entwickelt sind oder nicht, und Uber welche Strukturtypen und syntaktischen Mittel aus dem Sprachvorrat hauptsächlich verfügt wird, ob hier Eintönigkeit oder Reichtum den Ton angibt, schließlich wieweit von der Möglichkeit mehrfacher Unterordnung Gebrauch gemacht wird. Man ist jeweils versucht zu fragen, was reicht bis in eine allgemeine Grundschicht, über die die Mehrzahl der Sprachträger verfügt, was gehört nur mittleren und gehobeneren oder in sonst einer Weise spezielleren Schichten an. Die syntaktischen Mittel werden, wie die Beobachtung lehrt, mit der Zeit reichhaltiger und komplizierter, aber z . T . auch eindeutiger. Mit wachsendem Bildungsstand und wachsenden geistigen Ansprüchen der Sprecher werden sie präziser und anspruchsvoller gehandhabt, und die sozialen Gruppen, die sie zu handhaben verstehen, vergrößern und überschneiden sich. Wir meinen, daß gerade auf der syntaktischen Ebene, wo sich durch das Gewicht der innersprachlich systemhaft gebundenen Faktoren die Veränderungen den Sprachträgern weitgehend unbewußt und schwerer beeinflußbar vollziehen, noch wichtige Aufschlüsse über das Verhältnis von Sprache und Gesellschaft zu erwarten sind.

Anmerkungen

1

Zur auseinanderstrebenden Terminologie in diesem Forschungsbereich vgl. S. Czichocki, J . Heydrich, H. Langner, Die Erscheinungsformen der Sprache. Kritische Einschätzung der Begriffsbestimmungen und Versuch einer terminologischen Abgrenzung, Wissenschaftl. Zeitschr.d.Päd.Hochschule Potsdam. G e s . - u . s p r a c h w i s s .

Gabriele Schieb

20

Reihe. Sonderheft "Beiträge zur deutschen Sprachwissenschaft" 1964, S. 113-124, ferner Gerhard Cordes, Zur Terminologie des Begriffs 'Umgangssprache', Festgabe für Ulrich Pretzel zum 65. Geburtstag, 1963, S. 338-354, auch Werner Betz, Neuere Literatur zu Hochsprache, Mundart und Umgangssprache. Ein Forschungsbericht, Der Deutschunterricht 8 (Stuttgart 1956) Heft 2, S. 86-92. 2

Vgl. Arno Borst, Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker. Bd. I - HI, 1957-60.

3

Hugo von Trimberg, Renner, hg. Gustav Ehrismann, Bd. 3 Vers 22254 f f . , wozu G. Ehrismann, Hugo von Trimbergs Renner und das mittelalterliche Wissenschaftssystem, Festschrift Braune, Aufsätze zur Sprach- und Literaturgeschichte, 1920, S. 211-236 zu vergleichen ist.

4

A . Borst a.a.O. Bd. H,2 S. 916 referiert Bemerkungen des Zisterziensers Peter von Zittau (1275-1339) "Der Sachse hat eine schnelle Zunge, der Bayer brüllt wie ein Ochse (/boat ut bos/, ein geistreiches Spiel mit dem bayerischen Diphthong /oa/ für /ay/) und versteht den Sachsen nicht, so wenig wie eine Nachteule die Elster, und doch werden beide mit Recht Deutsche genannt."

5

Zum Beispiel Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur (hg. Franz Pfeiffer) 86,5 /der schaur haizt in ander däutsch der hagel/, 123,10 /Bubalus haizt in ainem däutsch ain aurrint und in dem andern däutsch ain waltrint/, 323,27 /früht . . . die haizent püecheln mit uns oder puochaicheln inanderr däutsch/, 325, 23/der kranwitpaum haizt in meiner müeterleichen däutsch ain wechalter/, 348,5 /Sambucus haizt ain holaeer oder ain holder in anderr däutsch/. Vgl. hierzu auch Walther Mitzka, Landschaftliches Wortgut im "Buch der Natur" des Konrad von Megenberg 1350, Hessische Blätter für Volkskunde 51/52, Textteil. Festschrift für Bernhard Martin, 1960, S. 129 f.

6

Zum Beispiel Berthold von Regensburg, Predigten, hg. Franz Pfeiffer, Bd. 1 S. 180 Z. 15 f. /ez heizet eteswa daz gedinge, eteswa zuo ve rs ih^ eteswa hoffenunge, ez heizet in latine spes/. 2

7

Die Fügung begegnet in Neitharts Liedern, hg. Moriz Haupt, 1923 , 82,1 /mit siner rede er vlaemet/.

8

Gottfried von Straßburg, Tristan und Isold, hg. Friedrich Ranke, 1930, Vers 2062 f. /mit dem sander in iesa dan durch vremede spräche in vremediu lant/, 2233 /und sprach daz in ir zungen/, 2282 f . /si nam des wunder, daz ein kint so manege spräche künde/, 3690 f f . /'Tristan, ich horte dich doch e britunsch singen und galois, guot latine und franzois : kanstu die spräche? " h e r r e

ja, billiche w o l . ' nu kam iesa der

hufe dar gedrungen; und swer iht vremeder zungen von den bilanden künde, der versuohte

Probleme der Erscheinungsformen des älteren Deutsch in feudaler Zeit

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in sa zestunde : dirre sus und jener so. hier under antwurter do höfschliche ir aller maeren : Norwaegen, Irlandaeren, Almanjen, Schotten undeTenen./ Vgl. hierzu A. Borst a . a . O . Bd. n, 2 S. 743. 9 Wolfram von Eschenbach, hg. Karl Lachmann 1833, Parcival 312,20 f . /alle spräche si wol sprach, latin, heidensch, franzoys/. Vgl. hierzu A. Borst a . a . O . Bd. n , 2 S. 743. 10

Friedrich Wilhelm, Von der Ausbreitung der deutschen Sprache im Schriftverkehr und ihren Gründen, Münchener Archiv Heft 8,1920,S. 30.

11

Der Königsspiegel. Konungsskuggsjä. Aus dem Altnorwegischen übersetzt von Rudolf Meissner, 1944, Kap. XXX ff. Vgl. hierzu auch Heinrich Matthias Heinrichs, Sprachschichten im Mittelalter, Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 31 (1962) S. 95.

12

g

Meier Helmbrecht von Wernher dem Gartenaere, hg. Friedrich Panzer, 1951 , Vers 712.

13

a . a . O . Vers 715 f.

14

Die Gedichte des Michel Beheim. Nach der Heidelberger Hs. cpg 334 unter Heranziehung der Heidelberger Hs. cpg 312 und der Münchener Hs. cgm 291 sowie sämtlicher Teilhandschriften Bd. II, hg. Hans Gille und Ingeborg Spriewald, Deutsche Texte des Mittelalters Bd. 64, 1970, Lied Nr. 227 /die ticht sagen vom talmut und von erst die wort, die dy juden der cristen hait zu smech reden/.

15

Vgl. A. Borst a . a . O . Bd. n , 2 S. 801.

16

A. Borst a . a . O . Bd. n , 2 S. 825.

17

Zum Grundsätzlichen vgl. z . B . Otto Behaghel, Die deutsche Sprache 1953 , C. Ge-

9

schriebene Rede und gesprochene Rede S. 33-56; auch Wilhelm Streitberg-Victor Michels-Max Hermann Jelllnek, Schriftsprache, Gemeinsprache, Kunstsprache. Grundriß der indogermanischen Sprach- und Alterstumskunde 2 , 2 , 2 Germanisch, 1936, S. 186-259, und Walter Henzen, Schriftsprache und Mundarten. Ein Überblick 2 über ihr Verhältnis und ihre Zwischenstufen im Deutschen, 1954 , I. Einleitung: Das grundsätzliche Verhältnis S. 9-42. 18

Vgl. Friedrich Wilhelm, Von der Ausbreitung der deutschen Sprache im Schriftverkehr und ihren Gründen, Münchener Archiv Heft 8, 1920.

19

Vgl. auch Emil Öhmann, Hochsprache und Mundarten im Mittelhochdeutschen, Der

20

Vgl. Herbert Grundmann, Dichtete Wolfram von Eschenbach am Schreibtisch?,

Deutschunterricht 8 (Stuttgart 1956) Heft 2, S. 28. Archiv für Kulturgeschichte 49 (1967) S. 391-405; Wilhelm Hävers, Handbuch der erklärenden Syntax, 1931, S. 118.

22

Gabriele Schieb

21

Schon f ü r die zufällig erhaltenen Vorakte d e r älteren St. Galler Urkunden in ahd. Zeit konnte S. Sonderegger, ZsfdMda. 28 (1961) S. 251-286, stärkere mundartliche Bindung in den Schreibungen d e r deutschen Namen gegenüber der archaischere Formen einführenden Reinschrift feststellen. Züge verschiedener landschaftlich gefärbter Kanzleisprachen zeigen Konzept und Reinschrift einer Urkunde König Albrechts, die F r . Wilhelm im Corpus I S. XLIX abgedruckt hat.

22

Vgl. hierzu Irmgard Weithase, Zur Geschichte der gesprochenen deutschen Sprache Bd. 1.2, 1961, 1. Kap. Die gesprochene deutsche Sprache im Bereich der Kirche vom Zeitalter Karls des Großen bis zur Reformation.

23

H. Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter, 1935, Kap. VIII Die Entstehung des religiösen Schrifttums in der Volkssprache, 2. Religiöse Frauenbewegung und volkssprachliche Literatur,

24

Zu diesem wichtigen Problemkreis vgl. Wolfgang Frühwald, Der St. Georgener P r e diger. Studien zur Wandlung des geistlichen Gehaltes, Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N . F . 9 (133), 1963, und jetzt vor allem auch Dieter Richter, Die deutsche Überlieferung der Predigten Bertholds von Regensburg. Untersuchungen zur geistlichen Literatur des Spätmittelalters, Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Bd. 21, 1969.

25

Vgl. z . B . die Erzählung in der Henneberger Chronik über ein Diktat Bertholds XIX. von Henneberg ( t 1549), die W. Ilavers, Handbuch der erklärenden Syntax, 1931, S. 118 f. beizieht.

26

Das wird deutlich aus der Meister Eckhart geltenden Strophe eines Nonnengedichts / D e r wise m e i s t c r hechart wil vns von niche san, Der dez nid enverstat, Der mag ez gode clan. In den hat nit gelvchet Des gvdeliche s e h i n . / Zitiert bei Joseph Bernhart, Die philosophische Mystik des Mittelalters, 1922, S. 173.

27

Vgl. Alois Jedlicka, Zur Präger Theorie der Schriftsprache, Travaux Linguistiques de Prague 1, 1964, S. 47-58.

28

o Vgl. Otto Behaghel, Die deutsche Sprache, 1953 , S. 38.

29

Vgl. auch M.M. Guchmann, Der Weg zur deutschen Nationalsprache Teil 1. Ins Deutsche übertragen und wissenschaitlieh bearbeitet von G. Feuilel, 19(i4, S. 15 ff.

Probleme der Erscheinungsformen des älteren Deutsch in feudaler Zeit 30

23

Über 'Song Language' bei Primitiven vgl. A. Capell, Studies in Socio-Linguistics. Janua linguarum 46, 1966, S. 138 ff.

31

Die Lieder Oswalds von Wolkenstein hg. Karl Kurt Klein, Altdeutsche Textbibliothek 55, 1962, Lied Nr. 76 Vers 6 f . , 15 f . , 24 f .

32

Uolrich von Winterstetten Leich IV Vers 77 und 80, Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts hg. Carl von Kraus Bd. I, 1952, S. 505.

33

Bruder Hansens Marienlieder hg. Michael S. Batts, Altdeutsche Textbibliothek N r . 58, 1963, Vers 1 f f . , eine Auslegung des Ave Maria in Liedform, in d e r sich je ein deutscher, f r a n z ö s i s c h e r , englischer und lateinischer Vers abwechseln. Dazu Michael S. Batts, Studien zu Bruder Hansens Marienliedern, Quellen und Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker NF 14 (138), 1964, S. 46.

34

Die Lieder Oswalds von Wolkenstein hg. Karl Kurt Klein, Altdeutsche Textbibliothek Nr. 55, Lied 119.

35

Vgl. Hugo Moser, Mittlere Sprachschichten als Quellen der deutschen Hochsprache. Eine historisch-soziologische Betrachtung, Antrittsvorlesung Nijmegen, 1955, S. 9 ff.

36

Vgl. Leonard F o r s t e r , Fremdsprache und Muttersprache, Neophilologus 45 (1961), 178.

37

So Hans J . Bayer, Untersuchungen zum Sprachstil weltlicher Epen des deutschen F r ü h und Hochmittelalters, Philologische Studien und Quellen Heft 10, 1962, S. 143.

38

Die epischen Werke des Henric van Veldeken I, Sente Servas. Sanctus Servatius

39

Henric van Veldeken, Eneide I (hg. Gabriele Schieb und Theodor Frings), Deutsche

(hg. Theodor Frings und Gabriele Schieb), 1956, Vers 5262.

Texte des Mittelalters Bd. 58, 1964, Vers 12489. 40

Kurt Lindner ZsfdPhil. 85 (1966) S. 407.

41

David Dalby, Lexicon of the Mediaeval hunt. A Lexicon of Middle High German t e r m s (1050-1500), associated with the Chase, Hunting with Bows, Falconry, Trapping and Fowling, 1965, Chapter five: The language of the Hunt S. XL-XLIII, wozu weiterführend Kurt Lindner, Zur Sprache der J ä g e r , ZsfdPhil. 85 (1966) S. 407-431. 86 (1967) S. 101-125.

42

Vgl. Lubomir Drozd, Die Fachsprache als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts, Deutsch als Fremdsprache 3 (1966) Heft 2 S. 25.

43

Elisabeth Linke, Der Rechtsgang in Morant und Galie, Beitr. 75 (Halle 1953) S. 1-118.

24 44

Gabriele Schieb Vgl. z . B . Gabriele Schieb, Rechtswörter und Bechtsvorstellungen bei Heinrich von Veldeke, Beitr. 77 (Halle 1955) S. 159-197; Rosemary Norah Combridge, Das Recht im 'Tristan* Gottfrieds von Straßburg, Philologische Studien und Quellen Heft 15, 1964 2 .

45 Vgl. L. Drozd a . a . O . (Anm. 42) 46 Vgl. Ludwig Pfannmiiller, Frauenlobs Marienieich, Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker CXX, 1913, besonders S. 13 ff. und 18 ff. 47 Wichtige Hinweise schon bei Wilhelm Hävers, Handbuch der erklärenden Syntax, 1931.

Gerhard

Kettmann

STUDIEN ZUR GESCHICHTE SPRACHLICHER ERSCHEINUNGSFORMEN IN WITTENBERG/ELBE Die Entwicklung des Mundartwortschatzes

Mit dem Deutschen Wortatlas und den landschaftlichen Mundartwörterbüchern sind uns Instrumente in die Hand gegeben, den nicht hochsprachlichen deutschen Wortschatz in Verbreitung, Geschichte und - gelegentlich auch - in seiner sozialen Geltung zu erschließen. Sowohl d e r das gesamte deutsche Sprachgebiet berücksichtigende Wortatlas als auch die Territorialwörterbücher entbinden jedoch nicht von der Pflicht, das Wortgut eng begrenzt e r städtischer oder dörflicher Gemeinwesen zum Arbeitsgegenstand zu machen, um dem bisher gewonnenen umfassenderen Bild punktuell einen tieferen Hintergrund nach den v e r schiedensten Seiten hin zu geben. In sprachlichen Grenz- und Mischzonen gelegene Orte dürfen dabei besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, da in ihnen die landschaftlichen Komponenten auf engstem Raum aufeinandertreffen und die sich daraus ergebenden Probleme von einer notwendigermaßen großräumigeren Forschung nicht bis ins Detail erhellt werden können. Wittenberg an der Elbe, wenig südlich der ik/ich-Linie gelegen, stellt einen solchen Fall d a r . Seine Lage im Norden der breiten n d . / m d . Grenzzone, die man - Laute, Formen und Wörter zugrunde legend - vom obersächsisch-meißnischen Nordrand bis zur Havel ansetzt 1 , läßt zwei Gesichtspunkte relevant werden: Zum einen die Zusammensetzung und die sprachgeographische Eingliederung des stadtmundartlichen Wortschatzes, zum andern die Frage nach der Rolle, die dieses Wortgut im System der Wittenberger Sprachwirklichkeit von heute noch spielt. Diachrone und synchrone Fragestellung ergänzen also einander. Die sprachgeographische Einordnung Wittenbergs darf jedoch - gerade vom diachronen Blickpunkt aus - nicht nur von der eben erwähnten Nordlage im Bereich des Md. ausgehen. Seit langem enthält die Geschichte der deutschen Sprache den feststehenden Satz, daß das Niederdeutsche in dem Gebiet zwischen Weser, Saale und Dobrilug noch um 1300 erheblich weiter nach Süden reichte als heute, so daß Wittenberg ehedem innerhalb des nd. Gebie2

tes - und zwar an dessen Südsaum - lag . Außerdem gelangte die Stadt politisch e r s t 1423 - nach dem Aussterben des askanisch-sächsischen Hauses - mit Kurwürde und dem

Gerhard Kettmann

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Namen Sachsen an die Markgrafen von Meißen aus dem Hause Wettin, also in mitteldeutsche Bindungen. Nd. Zusammenhänge sind daher f ü r die Stadt Wittenberg gesichert; fraglich ist nur der Zeitpunkt des Zuriickweichens nd. Sprache vor dem heute herrschenden Mittel3

deutschen . Allgemeinen Tendenzen des Wechsels vom Nd. zum Hd. folgend, rückt man den Umbruch in der Regel in das 16. J h . , konnte jedoch bisher f ü r diese Zeit keine direkten Zeugnisse beibringen. Geschriebenes Nd. war nur f ü r das 15. J h . noch aus dem Gerichtsbuch der Stadt bezeugt. Die mangelnde Berücksichtigung nicht kanzleigebundenen Schrifttums trug Schuld an dieser Situation. Gerade Aufzeichnungen solcher Provenienz aber führen weiter und zeigen, daß bis an die Schwelle der Reformation auch im schriftlichen Bereich das Nd. noch nicht völlig verdrängt w a r . Zwar ist die Orthographie in d e r Stadt-, Amts- und Universitätskanzlei Wittenberg zu d i e s e r Zeit bereits rein hd. mit zum Teil sehr starken m d . Einschlägen, aber die Schreiber der Brüderschaften brechen gelegentlich aus diesem Rahmen aus und lassen noch nd. Formen und Wörter in den Text einfließen. Die hd. - m d . Grundlage bleibt freilich auch bei ihnen gewahrt, ja sie ist so s t a r k , daß das Nd. häufig nur als Rest innerhalb eines Wortes auftritt - aber: Das Niederdeutsche ist eben doch noch vorhanden, ja sogar zu Papier gelangt. Man muß bei einem Vorgang dieser Art berücksichtigen, daß das Niederdeutsch Wittenbergs zunächst nicht von einer bereits gefestigten hochdeutschen Schriftsprache her umgebildet wurde, sondern von der ostmitteldeutschen Mundart. Das heißt: Mundart stand anfangs gegen Mundart - nur hatte die eine ein sich immer mehr verstärkendes kulturelles Übergewicht, das sich in der ersten Hälfte des 16. J h s . gerade in Wittenberg am sichtbarsten dokumentierte. Die Stadt wurde zu d e m

geistigen

Zentrum Kursachsens, ihre Universität zog Gelehrte und Studenten von weither an - und zwar (das wird gern übersehen) schon unmittelbar nach ihrer Gründung. Das konnte nicht ohne Folgen auf die einheimische Sprachp bleiben, sowohl auf lautlichem Gebiet wie auch im Sektor des Wortschatzes. Es verwundert daher nicht, in diesem Zeitraum heimischer Tradition völlig f r e m d e s Wortgut in Wittenberg zu finden - 4z . B . 1527 in einem Brief Melanchthons / Z i n s t a g / f ü r sonst regelmäßig belegtes /Di(e)nstag / . Man braucht aber gar nicht so weit zu gehen und nur Schreiben von e r s t in Wittenberg seßhaft gewordenen Personen auf begreifliche Differenzen zum einheimischen Gebrauch durchzumustern, auch die bodenständige Behördensprache differiert in zunehmendem Maße von ihm,und zwar in d e r Weise, daß sie häufig einheimisches, in nördlichen Bindungen stehendes Wortgut durch solches m d . Geltung e r s e t z t . Wieder nur ein paar Beispiele: / H a r k e / , / h a r k e n / ist auf nördliche Gebiete beschränkt, die Kämmerei- und Amtsrechnungen der Stadt haben es daher auch überwiegend - aber nicht ausschließlich: Der einheimischen

Studien zur Geschichte sprachlicher Erscheinungsformen in Wittenberg/Elbe

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Mundart f r e m d e s / r e c h e n / steht in der KB von 1522 (Stadtarchiv Wittenberg) daneben. Mundarteigenes / F e d e r n reißen/ wird durch / F e d e r n schleißen/ ersetzt"' und neben

g

/ K a f f / - wahrscheinlich doch nd. Herkunft - , das 1521 bezeugt ist, steht /Sprew/Spraw / . Noch heute gilt f ü r Unkraut jäten in Wittenberg das auch in der umgebenden Landschaft westlich bis Barby, Delitzsch, südlich bis Düben reichende nd. / w l d n / , dem mnd. weden zugrunde liegt. In der Jahresrechnung des Amtes Wittenberg 1512/13 - sie befindet sich in Weimar (Reg Bb 2760) - verwendet der Schreiber jedoch das mundartlich heute die gesamte deutsche Mitte durchziehende hochsprachlich gewordene / j ä t e n / , kennzeichnenderweise auch noch mit dem bis zum 18. J h . vorherrschenden / g / - A n l a u t , der wenigstens vom Schreiber der Halbjahresrechnung von 1513 (Staatsarchiv Weimar Reg Bb 2761) mundartlicher Lautung von anlautendem / g / gemäß als /jhethenn/ zu Papier gebracht wird. Mit n d . / m d . /¡>/ in das Nhd. gelangte /Stempel/ wird in der gleichen Rechnung in der oberdeutschen Form /Stempffel/ angeführt, daneben steht aber nd. und md. lautgerechtes / S t e m p e l / . Des öfteren stehen nd. und md. übliche Formen nebeneinander, so verwendet die Stadtkanzlei z . B . in den Kämmereirechnungen ausschließlich md. / t r e u g e / , Ln der Rechnung des Amtes Wittenberg aus dem Jahre 1521 (Staatsarchiv Weimar Reg Bb 2777) findet sich aber auch nd. / d r e h e / , das heute noch in der Stadtmundart gilt. Behält man der Mundart eigene Wörter bei wie im Falle von /Modder/ ' S c h l a m m ' , das mit nd. Konsonantenstand in die Schriftsprache gelangte, vermeidet man gern die Wiedergabe der dazugehörigen dialektischen Aussprache: In der Kämmerei-Rechnung von 1514 wird so / m o d d e r / geschrieben und nicht das in der heutigen Stadtmundart, zumindest in den Außenbezirken Wittenbergs, gebräuchliche / m o l l e r / mit / - ! - / f ü r zwischenvokalisches / - d - / . Freilich wird die mundartgerechte Aussprache nicht immer unterdrückt. Die Dissimilation von / r / > / l / in / B a r b i e r e r / fehlt zwar in einem Beleg aus der Rechnung des Heiligen Geist Hospitals aus dem Jahre 1512 (Stadtarchiv Wittenberg), bricht aber 1521 in einem zweiten aus dem Liber retardat der Stadtverwaltung (Stadtarchiv Wittenberg) durch. Hier heißt es /Balbierer/. In die eben angedeutete Entwicklung ist jedoch zu dieser Zeit kaum mit derselben Intensität auch die sprachliche Grundschicht in Wittenberg einzubeziehen, man hat daher vereinzelte niederdeutsche Reste in Luthers Predigten als Zugeständnis an seine Wittenb e r g e r Gemeinde angesehen. Ebenso wäre die Annahme i r r i g , daß in der schriftlichen Überlieferung der Stadt a l l e s

Einheimische an Boden v e r l o r . Es gibt Beispiele, wo sie

Anfang des 16. J h s . noch nd. Gut bewahrt, das in der mündlichen Tradition später überdeckt wird und verlorengeht - so z . B . 1517 in der Kämmereirechnung (Stadtarchiv Wittenberg) / R a d e m a c h e r / statt des heute üblichen / S t e l l m a c h e r / . Die Kämmereirechnung von

Gerhard Kettmann

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1515 bewahrt / m a c h a n d e l b e r / , f ü r das die Mundart heute /Wachollerbeere/ hat, die schriftliche Überlieferung bewahrt Anfang des 16. J h s . noch / K r u g / , f ü r das heute md. /Kneipe/ steht, das seinerseits /Schenke/ überlagert hat usw. Trotz s t ä r k e r e r R e s i stenz wird natürlich auch der mundartliche Bereich von Umschichtungen nicht freigeblieben sein - trotzdem: hier wird das Nd. noch f ü r längere Zeit Rückhalt gehabt haben. So schreibt Johann Conrad Knauth im 18. J h . in seiner Wittenbergischen Land-Chronicken - sie liegt handschriftlich in der Landesbibliothek Dresden - über die sprachlichen Verhältnisse im Kurkreis: / S i e / (die nd. Sprache)

/wird aber in hiesigem Chur-Bezirke . . nur von ge-

meinen Leuten und Land-volcke noch; hingegen die durch Churfürst Friedrichen den Weisen und Herrn D r . Lutherum excolirte hoch=deutsche Sprache . . von civilen Personen durchgängig geredet und geschrieben/. Diesem soziologisch begrenzten Kreis ist es dann auch mit zuzuschreiben, daß trotz der sich immer mehr durchsetzenden - und in der Gegenwart dominierenden - omd. Züge bis heute nicht geringe niederdeutsche Reste im Wittenberger Wortschatz und teilweise sogar auch in der Lautung liegengeblieben sind. Zugute kommt dieser Tatsache, daß die Stadt Wittenberg von i h r e r kulturellen Höhe herabsank und kaum noch den Rang einer zentralen geistigen Stätte f ü r sich in Anspruch nehmen durfte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zwei Deutsche Sprachgesellschaften, die sich 1738 und 1756 7 konstituierten, besaßen kaum mehr als örtliche Geltung und lösten sich bald wieder auf . Dadurch wurden natürlich die Beziehungen zur umgebenden Landschaft wieder gefestigt und enger - ein wesentliches Moment f ü r die innerstädtischen sprachlichen Verhältnisse. Grundlage der Durchmusterung des heutigen Wittenberger Wortschatzes ist eine in den letzten Jahren betriebene Sammlung des mundartlichen Wortgutes der Stadt Wittenberg, die sachlich im wesentlichen die Bereiche T i e m a m e n , Wetterbezeichnungen, Charakterangaben, Körperteile, Haus und Hof, Essen und Trinken, Kleidung, Tätigkeiten im täglichen Leben, Eigenschaften der Dinge, Berufsbezeichnungen, daneben aber auch sonstiges, schwer zu kategorisierendes Wortgut verschiedenster Art berücksichtigt. Besonders zahlreich ist der eigenständige Wortschatz in den Gruppen Tätigkeiten im täglichen Leben und Eigenschaften von Menschen und Dingen. Jede Untersuchung einer Stadtsprache ist mit grundsätzlichen Schwierigkeiten verbunden, die der Forschung seit langem bekannt sind; sie wurden bei der Aufnahme beachtet. Zu erinnern ist nur an soziologische und generationsbedingte Unterschiede, an die jeweilige konkrete Sprechsituation, an B e r u f s - und Geschlechtsunterschiede. Auf damit zusammenhängende Fragen wird später eingegangen w e r den, zunächst steht die herkunftsmäßige Zusammensetzung des Gesamtwortschatzes im Vordergrund. Ausgangspunkt der Betrachtungen war die ehemalige Verwurzelung Wittenbergs im nd.

Studien zur Geschichte sprachlicher Erscheinungsformen in Wittenberg/Elbe

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Sprachgebiet und die sich notwendigerweise daraus ergebende Verflechtung des mundartlichen Wortschatzes mit dem Norden. Bis heute ist das noch so bei /man/ ' n u r ' , /Eckern/ 'Eicheln', das 1538 in der Kämmereirechnung der Stadt (Stadtarchiv Wittenberg) bezeugt ist, /Zacke/, F . ' A s t ' - schriftlich bezeugt 1532/33 in der Jahresrechnung des Amtes Wittenberg (Staatsarchiv Weimar, Reg Bb 2799), als Geld /aus den Affterschlegen vnnd Zacken/ eingenommen wird, /Stiebel/ 'Holzpfeiler', das schriftlich ohne den Lautwandel / e / > / I / vertreten ist: / f ü r 4 Stepel an 1 Tisch/ heißt es 1505 in der Kämmereirechnung Wittenberg, / e r hat ein tag die steple vnnd holtzer vorm Elsterthor eingegrabenn, am graben langk/ - ebd. 1539 (Stadtarchiv Wittenberg). Mit nicht diphthongiertem i blieb /Diemen/ 'Holzhaufen, Strohhaufen' erhalten. Von den Tiernamen gehören hierher: /Ekutz/, M. 'Eichkater' und /Krake/ 'altes, gebrechliches P f e r d ' , ebenso /Maard/ ' M a r d e r ' , /Ziwe/ 'weibliches L a m m ' . Die zusammenfassende Bezeichnung für das männg liehe und weibliche Lamm ist /Hiekel/, ein Wort, das ebenfalls dem Norden zukommt . Mit dem großen Verbreitungsgebiet in der Mark Brandenburg hängt /Schakelster/ 'Elster* zusammen. /Rauen/ 'mausern der Hühner' weist gleichfalls nach dem Norden. Auch in den übrigen Sachgruppen läßt sich diese Verbindung erkennen - so z.B. bei /Jaudieb/ als Bezeichnung für einen behenden, listigen, nicht immer ganz ehrlichen Jungen. Das Wort erscheint 9 erst ab 1657 in hochdeutschen Texten, es ist auch in das Dänische entlehnt worden . /Schnuwen/ für schlafen steht ebenfalls in nördlichen Bindungen, in nordöstlichem Verband steht /Moriewe/ 'Mohrübe'. Norddeutsch /Schornstein/ ist schon in der Reformationszeit schriftlich belegt, es erscheint 1513 und 1517 in den Kämmereirechnungen (Stadtarchiv Wittenberg) in der noch heute geltenden Mundartform /Schorstein/. /Knewel/ 'Knöchel' wird von Teuchert, Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. J h s . 1944, S. 322 Ostfalen und der Mark zugewiesen, es ist auch die Form Wittenbergs. /Schluchzen/ ist im Nd. als /snucken/ belegt, davon hat sich das P a r t . P r ä t . /jeschnuckst/ erhalten. /Borke/ 'Rinde des Laub- und Nadelbaumes' ist insgesamt dem Norden zuzuweisen, ebenso /fegen/ 'auskehren', /trecken/ ' z i e h e n ' , /Licke/ 'Lücke, enger Durchgang zwischen Häusern', / F a h r e / 'Ackerfurche', /ziepen/ 'zupfen', /-keite/ für ' - g r ü b e ' . Auch / b o l / , heute meist in der Verbindung /hol un bol/ gebraucht, weist in das Niederdeutsche, /stramen/ 'heftiges Pulsieren des Blutes, besonders in den Beinen', /mantschen/ 'mischen, im Wasser plantschen' in nd./md. Zusammenhänge. Noch immer gilt in der Mundart /Knust/ für Kanten, das aber in der letzten Zeit sehr an Boden gewonnen hat. /Specke/ als Wegbezeichnung für eine Straße durch feuchtes Gelände, belegt schon seit der Reformationszeit, gehört ebenfalls in nördliche Bereiche, ebenso /mäkeln/ ' z . T . unbegründetes Nörgeln', /schmeekern/ 'Räuchern des Ofens beim An-

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Gei-hard Kettmann

h e i z e n ' , / s c h n a k e n / ' e r z ä h l e n ' , / s c h m u l l e r n / ' in einer Tour reden' u n d / F l u s c h e / ' S t o p f t w i s t ' . Nd. Lautmerkmale sind zum Teil in dem hierher gehörenden Wortschatz beibehalten worden, so auch noch im Falle von / B o l d / , PI. /Bolde/ 'abgesägte Holzstücke', / s t a u k e n / ' s t a u c h e n ' , /Staket/ ' P f a h l w e r k ' . Neben konsonantischen Eigenheiten hält

man

gelegentlich auch am Vokalismus fest: /kniepen/ ' k n e i f e n ' , / j i e b e r n / ' s i c h nach etwas stark s e h n e n ' , / r o o r i e p e l n / ' rauhreifen*, / K i e m e / ' K e i m ' usw. Mitunter stehen die alte nd. und die neue md. Form bedeutungsdiiferenziert nebeneinander. So ist für kneifen 'flüchten' /Kniep machen/ belegt, / K n e i f / hingegen f ü r Sichel. Unverschoben bleibt auch mitunter das Diminutivsuffix, also z . B . /Hantschken/ zu Handschuhe - so schon 1510 in der Wittenberger Kämmereirechnung (Stadtarchiv Wittenberg) bezeugt. Die Reihe niederdeutscher Lauteigentümlichkeiten läßt sich fortsetzen, so z . B . noch bei /blicken/ ' p f l ü c k e n ' , / b l i e j e n / ' p f l ü g e n ' , / P l u c h / ' P f l u g ' , /giggern/ ' k i c h e r n ' . Mitunter haben einzelne Konsonanten nd. und md. Lautstand auf sich gezogen: / S t r u t z / , M. 'Blumenstrauß*, / S t i e t z / 'Büschel hochragender Wirbelhaare' müssen in solchen Zusammenhangen gesehen werden. Selbstverständlich fehlen in der Wittenberger Stadtmundart auch solche Wörter nicht, die aus dem Niederdeutschen in die Hochsprache gelangten. Schriftliche Belege zeigen an, daß sie in der Stadt schon bodenständig waren, als sie e r s t begannen, in weitere Gebiete vorzustoßen. Hierher gehört / T e e r / , f ü r das im deutschen Süden / P e c h / gilt. E r s t in frühneuhochdeutscher Zeit dringt T e e r nach Süden, Kluge-Mitzka a . a . O . S. 776 führt u . a . f ü r 1556 einen Beleg aus Thüringen an. In den Wittenberger K ä m m e r e i rechnungen ist / T e e r / auch schon vorher fest, z . B . 1510. Die nd. Wortform / K r u k e / wird noch später, im 17. J h . nämlich, in das Hochdeutsche entlehnt 1 0 , die Wittenberger Ratsrechnungen enthalten / K r u k e / aber schon 1506. Bis in das 18. J h . war die nd. Form /Spade/, M . , F . 'Spaten' in der Schriftsprache häufig, e r s t danach setzte sich /Spaten/ durch, das nicht unbedingt eine nd. Form zu sein braucht. Nd. /Spade/ ist jedenfalls zu Anfang des 16. J h s . regelmäßig in Wittenberg bezeugt, es ist auch heute noch - mit dem niederländischen Femininum - die in der Mundart übliche F o r m . Nd. Ursprung ist sicher bei /ausstäupen/ ' m i t Ruten aus dem Land peitschen', das zuerst 1530 in Zerbst begegnet und zunächst fast ganz auf den Norden und Osten beschränkt bleibt. E r s t im 17. J h . dringt es in die Wörterbücher e i n 1 1 . Zu Anfang des 16. J h s . wird es aber auch in Wittenberg gebraucht: / D e r Nachrichter hat eyn Ehebrecherin außgesteubt/ heißt es in den Ratsrechnungen (Stadtarchiv Wittenberg). Vom Niederdeutschen aus hat sich auch / G e r ü c h t / im Hochdeutschen durchgesetzt, / - c h t / entspricht hochdeutschem / - f t / . Der Basler Nachdruck der Lutherbibel von 1523 e r s e t z t das Wort noch völlig durch / g e s c h r e y / 12 und /leümed

/ . 1510 heißt es dagegen in der Wittenberger Kämmereirechnung (Stadt-

archiv Wittenberg) / E r / - d . h . der Beklagte - / h a t an Irm geruchte ein weibisbilde v o r l e t z e t / .

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/ H ä l f t e / dringt nach Ausweis der Wörterbücher im 15. J h . in das Ostmitteldeutsche; 13 1483 tritt es in Thüringen auf . 1505 in Wittenberg bezeugtes / h e l f f t e / (Kämmereirechnung, Stadtarchiv Wittenberg) dürfte wieder zum alten Grundbestand gehören. Die Aufzählung nd. Gutes könnte fortgesetzt werden, es ist jedoch schon von den angeführten Beispielen h e r ersichtlich, daß in nördlichen Zusammenhängen stehendes Wortgut einen nicht unwesentlichen Faktor in der Stadtmundart darstellt. Die Stadt hebt sich damit nicht von ihrer unmittelbaren ländlichen Nachbarschaft ab, sie nimmt keine Sonderstellung im Wortgut gleicher Lebensbereiche ein. Dialektgeographische Arbeiten über benachbarte Gebiete bestätigen das ebenso wie persönliche Beobachtungen folgender Art: 1861 wurde im Wittenberger Verein f ü r Heimatkunde ein Vortrag Uber das in dem Kreis Wittenberg gelegene Dorf Eutsch gehalten, wobei der Referent auch Angaben über mundartliche heiten machte. Das Manuskript dieses Vortrages, aufbewahrt im Archiv der Stadt

Besonder14 , ent-

hält die Bemerkung: / w a s nun die Sprache anlangt, die hier geredet wird, so . . . nähert sie sich dem Idiom d e r Vorstädte von Remberg und Wittenberg/. Der angeführte Wortschatz stimmt dann auch nicht nur annähernd, sondern in adaequaten Bezirken fast vollkommen überein. Eingangs wurde betont, man habe sich vor Augen zu halten, daß zunächst Mundart gegen Mundart stand. Das führte dazu, daß vereinzelt auch typisch md. Wortgut in der jüngeren Entwicklung schon wieder hochsprachlichem Wortschatz weichen mußte. So ist 1505/06 in der Rechnung des Heilig-Geist-Hospitals Wittenberg (Stadtarchiv) das im Grimmschen Wörterbuch Bd. 14, 1955, Sp. 143 als typisch ostmitteldeutsch angegebene /warleichnamstag/ belegt, das heute - da die F e i e r im religiösen Leben der Stadt nahezu zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist - mit dem hochsprachlichen / F r o n l e i c h n a m s f e s t / bezeichnet wird. Ein weiteres Beispiel: Anfang des 16. J h s . erscheint fast a u s schließlich ostmitteldeutsch /Quehle/ f ü r Handtuch, es ist heute in der Stadtmundart zugunsten von /Handtuch/ aufgegeben. / E i d a m / war nach Ausweis der Mundartwörterbücher 15 im Md. allgemein üblich

, auch in Wittenberg ist es Anfang des 16. J h s . häufig belegt.

Heute gilt in d e r Mundart ausschließlich /Schwiegersohn/. Das heißt aber nicht, daß dem in mitteldeutschen Bindungen stehenden Wortschatz a priori eine kürzere Lebensdauer beschieden gewesen ist oder daß e r nur vorübergehende Spuren hinterlassen hat. Im Gegenteil: Die Wortschatzsammlung zeigt, daß das Mitteldeutsche einen überaus konstitutiven Faktor darstellt. Ehe darauf eingegangen wird, soll die Verflechtung Wittenbergs mit d e r umliegenden Landschaft aber e r s t noch an einer anderen Schicht seines Mundartwortschatzes verdeutlicht werden: an seinem Anteil am niederländischen Wortgut der Umgebung. Da die Stadt im Bereich niederländischer Siedlung oder im Ausstrahlungsgebiet niederländischen

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Gerhard Kettmann

Wortgutes liegt, ist es nicht verwunderlich, daß dieses auch in der Stadtmundart vertreten ist. Auffällig ist nur, daß diese sich In keiner Weise von der umgebenden Landschaft distanziert und kaum eines der für das Gebiet charakteristischen Wörter ausschließt. Von den Tiernamen sind es /Bismiere/ 'Ameise', /Kuder/ ' K a t e r ' und /Moll/ 'Maulwurf' die hierher gehören,aauch /Daiwerig/ 'Täuberich'. Zum gesicherten Bestand an niederländischem Wortgut unserer Landschaft gehören weiterhin /dunker/ für dunkel, /dulkich/ für nebelig, /Stail/, /Stailer/, PI. /Staile/ für Zaunpfahl, /Splinter/ für Splitter, /Stientze/ für einen Stab zum Stützen der Wäscheleine, /Bahnen/ für Quecken und /Bähnert/ für Handkorb. Auch /spak/ 'undicht', /maisch/ 'üppiges Wachstum der Pflanzen', /fosch/ 'weich, schwammig', /kiesäde/ 'wählerisch beim Essen' gehören hierher. Für edelfaul gilt in der Stadt /mulich/, in dem unweit südlich gelegenen Dorf Eutsch Ende des vorigen Jahrhunderts sogar moch /musig/. Fest ist in der Stadtmundart feminines Geschlecht von /Bach/, /bolken/ ' m i t den Fingern bohren oder kratzen', /palen/ 'Erbsen oder Eier von den Schalen befreien', /Kettel/ 'Haken mit Kette zum Schließ von Türen und Fenstern' und /Pelle/ ' H a u t ' . In der frühneuzeitlichen Überlieferung wird vereinzelt weiteres niederländisches Sprachgut sichtbar. So heißt es in der Kämmereirechnung des Jahres 1506 (Stadtarchiv Wittenberg): sie haben den /haffer weg getast/, 1525 an gleicher Stelle /ßo den haffer hinwegk getasset/. /Tassen/ stellt sich zu / T a s s / 'Scheunenfach für das Getreide' . Für das Kettenglied gilt heute /Jelenke/, 1487 ist in den Ratsrechnungen aber auch das niederländische /Schaken/ belegt. Wiederum können nicht alle Fälle hier angeführt werden, nur auf einen sei abschließend noch verwiesen. Auch der Flurnamenschatz der Stadt ist nicht frei von niederländischen Bestandteilen: Ein feuchtes Ackerstück am nordöstlichen Stadtrand heißt / d e r Sib/ und nicht, wie im alten sächsischen Stammgebiet,/Sik/ oder /Siek/. Wir kehren zurück zur Rolle des mitteldeutschen Wortgutes in Wittenberg. Auf sein Eindringen in die schreibsprachlichen Bereiche der Stadt wurde bereits eingegangen; hingewiesen auch darauf, daß die Situation der Stadt in sprachgeographischer und sprachgeschichtlicher Hinsicht eine dauernde Beschränkung der mitteldeutschen Überschichtung auf den schriftlichen und schließlich hochsprachlichen Sektor nicht ernsthaft glaubwürdig erscheinen läßt. Die Bereitschaft, sich der Mitte zu öffnen, ist zudem in unserem Raum stets in Rechnung zu stellen. Es ist zu betonen, daß daher seit langem auch das Mitteldeutsche im mundartlichen Sprachschatz der Stadt einen überaus starken, ja schließlich beherrschenden Faktor darstellt. Einiges sei zur Demonstration wieder hervorgehoben. In md. Bindungen stehen /duwerich/ für schwül, /streechen/ für prahlen, aufschneiden, /mooschen/ für vergeuden, auch Schmutz machen, /nergeln/ für dauerndes Streiten unter

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Kindern, /abeschern/ für abrackern. Hochsprachliches hageln wird mit ostmitteldeutsch /schloßen/' wiedergegeben, hochsprachliches Stumpf in der Grundbedeutung unteres Reststück mit ostmitteldeutsch /Stortzel/. Von norddeutschem Gebrauch her wurde Fußbank hochsprachlich, in der Wittenberger Stadtmundart gilt jedoch das obersächsische /Hitsche/. Md. Provenienz ist auch /Nischel/ für Kopf, typisch ostmitteldeutsch ist /Buije/ für Wiege - ein Wort, das freilich mit der Sache ausstirbt und nur generationsgebunden noch auftritt. Unter Anlehnung an schieben in der Bedeutung 'auf dem Kopf hin- und herbewegen' wurde in einem Teil Thüringens und in Sachsen Schappel 'Kopfputz' volksetymologisch zu /Schiebel/ mit Wertminderung zu wertloser Männerkopfbedeckung umgeformt

16

. In dieser

Bedeutung ist das Wort auch in Wittenberg geläufig. Im gesamten mitteldeutschen Sprach17 räum ist /Beute/ 'Backtrog' verbreitet , das in Wittenberg die Bedeutung 'Backtrog des Bäckers 1 hat - im Gegensatz zur /Mulle/, der Bezeichnung des familieneigenen kleineren 18 Backtroges . Mulden werden bereits 1529 in einem Hausinventar erwähnt: /Zcwe grosse 19 holtzern Mulden/ tauchen unter dem Hausrat auf . Im großräumigen mitteldeutschen Verband steht /Fleischer/, nur alte Geschäftsbezeichnungen an Fleischereien, die um die Jahrhundertwende in Betrieb waren, bewahren /Schlachter/, das noch heute im niederdeutschen Gebiet gilt. Die Überlagerung nd. Wortgutes ist in diesem Falle also zeitlich recht genau zu bestimmen. /Kloppen/ 'die Sense mit dem Hammer schärfen' hat Wittenberg mit dem Ostmitteldeutschen gemein, ebenso /Motschekuh/ für das weibliche Kalb. Schon seit Ende des 15. J h s . werden in Wittenberg die movierten Feminina mit /-in/ abgeleitet, d.h. mit der mitteldeutschen Form: /die Müllern/, /die Schmitten/ heißt es und nicht /die Müllersche/, /die Schmittsche/. Auch einzelne Redewendungen sind landschaftlich lokalisierbar. /Weeß Kneppchen/ z . B . als Ausruf des Erstaunens (im Sinne von Weiß Gott) ist typisch obersächsisch, es ist in Wittenberg nicht unbekannt. Gegen die slawische Herkunft von /Bemme/ 'Stulle' sind in letzter Zeit immer stärkere Bedenken angemeldet 20

worden

. Das in Ostmitteldeutschland heimische Wort erscheint in Wittenberg als /Bemme/,

in der älteren Generation auch noch als /Bamme/. /Wehmutter/ als Bezeichnung für die Hebamme ist mundartlich im deutschen Osten weit verstreut, dichtere Vorkommen finden 21 sich in Südthüringen und Südsachsen bis zum Erzgebirge. Mirja Virkkunen nimmt an

,

daß das Wort früher allgemein gegolten hat und erst durch jüngeres Wehfrau verdrängt wurde, so daß das Wort - nach den bisherigen Belegen erstmals bei Luther auftretend, vor dem es nach Kluge-Mitzka, a . a . O . S. 845 völlig fehlen soll - sehr wohl eine von Götze zwar bestrittene, vom Deutschen Wörterbuch aber doch in Rechnung gestellte mundartliche Grundlage haben könne.Ising Die Angabe, daß es vor von Luther ist, 22läßt jedoch nichtgehabt aufrechterhalten: zitiert einen Beleg 1451nicht aus belegt Thüringen undsich in

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den Kämmereirechnungen der Stadt Wittenberg wird es 1503 und 1505 von zwei verschiedenen Schreibern ebenfalls vor Luther verwendet. Der Anteil d e r ostmitteldeutschen Landschaft an der neuhochdeutschen Schriftsprache ist bekannt, e r erstreckt sich nicht nur auf Lautliches, sondern auch auf den Wortschatz. So ist es nicht verwunderlich, in d e r Wittenberger Mundart Wörter zu finden, deren hochsprachliche Geltung auf ostmitteldeutschem Grund ruht. Nur einige seien genannt. Mit ostmitteldeutsch / e / f ü r neuhochdeutsch / e i / gelangte / L e h m / in die Schriftsprache, ob23 wohl die Form / L e i m / noch bis 1800 - u . a . bei Gottsched und Goethe - in Gebrauch w a r , auch zur frühneuhochdeutschen Zeit in Wittenberg neben / L e h m / . Die Rechnung des HeiligGeist-Hospitals hat 1505/06 / L e h m / , ebenso die Kämmereirechnung der Stadt 1507. 1503 steht aber in der Batsrechnung (sämtliche Akten im Stadtarchiv Wittenberg) 24 / l e i m / daneben, das 1533 auch der Kirchenvisitationsschreiber Paul Knod gebraucht . Zu mhd. twengen ' d r ü c k e n ' gehört eine Intensivbildung auf / - e i n / , die mit ostmitteldeutsch / q u - / f ü r tw- /quengeln/ lautet und in der Bedeutung 'nörgelnd 25 lästig fallen' seit 1778 in Hermes Sophiens Reise gelegentlich literarisch wird . Als Bezeichnung f ü r den Handwerk e r , d e r Tonwaren anfertigt, stehen nach Ausweis des Deutschen Wortatlas Bd. 9, Karte 6 norddeutsch / P ö t t e r / , westmitteldeutsch / A u l e r / bzw. / A u l n e r / , elsässisch / K a c h l e r / , ostmitteldeutsch / T ö p f e r / und oberdeutsch / H a f n e r / nebeneinander. Das ostmitteldeutsche Wort setzte sich durch und gewann hochsprachliche Geltung, Bereits im 15. J h . löst die ostmitteldeutsche Form /Knüppel/ älteres knüpfel ab, das mittelhochdeutsch und frühneuhochdeutsch gilt und zu knöpf in seiner Bedeutung ' K n o r r e n an Gewächsen' gehört. Die 26

Grundbedeutung ist somit Knotenstock

. Als letztes Beispiel sei noch / h a s c h e n / ' f a n g e n '

erwähnt, das durch Luther in das Neuhochdeutsche gelangte und seinen oberdeutschen 27 Zeitgenossen mit ergreifen, erwischen, fahen oder halten verdeutlicht werden mußte Vereinzelt wurde bereits auf einen weiteren konstitutiven Faktor im Gefüge des Wittenb e r g e r Mundartwortschatzes hingewiesen, der bei einer aufgliedernden Darstellung nicht übersehen werden darf: auf das aus dem Slawischen stammende Wortgut nämlich. F ü r die Frage der deutsch-slawischen Symbiose im Mittelalter sind die von ehemals slawischer Bevölkerung in d e r Mundart hinterlassenen Reliktwörter von hoher Wichtigkeit, die28 F o r schung hat sich daher in letzter Zeit in i m m e r s t ä r k e r e m Maße i h r e r angenommen . Auch die gelegentlich aufgestellte Forderung nach sprachgeographischer Ordnung dieses 29 Bestandes blieb nicht unbeachtet; H. Schönfeld widmete ihr eine eigene Abhandlung . F ü r den Nordosten seines Untersuchungsgebietes lassen sich aus punktueller Aufnahme in Wittenberg Ergänzungen beibringen. Sie zeigen, daß die Stadt - analog den Verhältnissen bei dem aus dem Niederländischen stammenden Wortgut - auch mit ihrem Bestand an

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slawischem Wortgut fest in die umgebende Sprachlandschaft eingebettet i s t . Selbstverständlich ergeben sich aus der Notwendigkeit einzelner Dingbezeichnungen - beispielsweise im Bereich der Pflanzennamen - Differenzen, sie reichen aber nicht aus, um an einen graduellen Unterschied zwischen inner- und außerstädtischem Bestand denken zu können. So finden sich auch in der Stadt, um einige Beispiele zu nennen, Wörter wie / P a c h u l k e / ' k r ä f t i g e r Mann', / g r a u p e l n / ' h a g e l n ' , / H o r n s k e / ' a l t e s , baufälliges H a u s ' , /Moch/ 'Moos, verfault e s Holz, viel Unkraut zwischen den Pflanzen, sehr dicht beieinander wachsende Pflanzen, auch nasse Stelle mit Schimmel', dazu das Verb / v e r m o c h e n / in der Bedeutung verschimmeln, etwas umkommen lassen. Ebenso sind bekannt / P l a u z e / ' L u n g e ' , / P l i n s e n / als Maskulinum 'dünner Pfannkuchen*, /dicktrewisch/ ' g r o b , s t u r ' oder die nicht mit Sicherheit aus dem Slawischen ableitbaren /Galesche/ ' S c h l ä g e ' , /kaupeln/ 'kleine Tauschgeschäfte m a c h e n ' , /Kuscheln/ 'kleine K i e f e r n ' , /wurachen/ 'angestrengt a r b e i t e n ' , /pietschen/ ' t r i n k e n ' , / k r i e t s c h e n / ' s c h r e i e n , k r e i s c h e n ' , /schwude/ ' l i n k s h e r u m ' . Auch einige Erscheinungen der Laut- und Formenlehre in den Mundarten unseres Gebietes rechnet man slawischen Gewohnheiten zu, so z . B . die Vorliebe f ü r das Suffix / - k e / . Sie führte in der Stadt Wittenberg zu Formen wie /Mietschke/ 'Mücke' oder / W a r t z k e / ' W a r z e ' . Gelegentlich läßt sich die historische Fundierung des landschaftlich üblichen slawischen Wortgutes vom Stadtgebrauch her v e r b r e i t e r n . Die Reihe der frühen Belege f ü r /Schöps/ ' H a m m e l ' z . B . ist zu vervollkommnen, das Wort ist im 16. J h . nicht nur südlich von Wittenberg belegt, sondern auch in der Stadt selbst: 1505/06 führt die Rechnung des Hospitals zum Heiligen Geist (Stadtarchiv Wittenberg) einen Betrag für/schopsen(n)fleysch/ an. Ebenso läßt sich / K r e t s c h m a r / f ü r Schenkwirt im 16. J h . auch in Wittenberg 30 nachweisen - genau 1513

, wie landschaftsüblich freilich im Wechsel mit / k r u g e r / , das

z . B . 1505 in der Kämmereirechnung d e r Stadt (Stadtarchiv Wittenberg) belegt ist und das später - schon gegen Ende des 16. J h s . - die Oberhand gewinnt. Der slawische Flurname / L u c h / ' s u m p f i g e r , morastiger Boden, sumpfiges Wiesenland' ist ebenfalls im 1 5 . / 1 6 . J h . fest in Gebrauch, wie aus Angaben in den eben schon zitierten Kämmereirechnungen d e r Stadt hervorgeht. Schönfeld a . a . O . gibt S. 63 f . auch die diphthongierten Formen d e r Bezeichnungen an, es läßt sich ergänzen, daß in Wittenberg 1486. neben / L u c h / auch b e r e i t s / L a u c h / auftritt; das Schwanken hält dann in den folgenden Jahren an (Kämmereirechnungen, Stadtarchiv Wittenberg). Mit dem Hinweis auf die slawischen Elemente im Wittenberger Wortschatz runden sich die Ausführungen zu seiner Geschichte und zu seiner etymologischen Zusammensetzung ab, die hauptsächlichsten Komponenten sind hervorgehoben. Sie führen in weite Zusammenhänge nicht nur sprachlicher, sondern auch ethnologischer und kulturgeschichtlicher A r t .

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Eindeutig zeigt sich, daß die Grundbevölkerung wesentliche Bestandteile ihres Wortschatzes über Jahrhunderte hinweg beibehält, ohne daß die gewonnene spezifische Gliederung in die schriftliche Überlieferung von heute Eingang finden konnte. Bei einem O r t , der im Zentrum des Gebietes liegt, das an der Herausbildung u n s e r e r schreibsprachlichen Norm maßgeblich beteiligt ist, verdient diese Tatsache hervorgehoben zu werden. Die bisherigen Ausführungen legen freilich eine andere Frage von selbst nahe: Welche Rolle nämlich spielt der aufgenommene Wortschatz unter den eben erwähnten Bedingungen heute noch im System der Wittenberger Sprachwirklichkeit? Ist e r noch gültiges Ausdrucksmittel? Umgangssprache und Hochsprache müssen als weitere sprachliche Ebenen heute s t ä r k e r denn je mit in Betracht gezogen werden, das Verhältnis der drei Schichten zueinander ist zu klären. Zu rein sprachlichen Gesichtspunkten treten damit bei einer solchen Fragestellung auch soziologische und nicht zuletzt psychologische. Dabei ist zu bedenken, daß der faktische Sprachgebrauch noch immer ein ungenügend e r f o r s c h t e s Gebiet ist, obwohl andererseits eine Phänomenologie des normalen Sprachgebrauches dringend vonnöten ist. Nuijtens hat letzthin in einer Untersuchung über den zweisprachigen Menschen noch 31 einmal deutlich darauf hingewiesen . Studien dieser Art sind in u n s e r e r Landschaft um so aufschlußreicher, als wir uns in einem Gebiet befinden, in dem die Mundart im Sprachbewußtsein d e r Bewohner wenig Rückhalt hat. In einer Landschaft, die - wie schon einmal hervorgehoben - lautlich und wortschatzmäßig in starkem Maße am Aufbau u n s e r e r Nationalsprache mitgewirkt hat, kommt von dieser nicht aufgenommenes Gut leicht in den Ruf v e r waschenen Hochdeutschs, so daß - auch im Bereich des Wortschatzes - schriftsprachlich gewordene Doubletten von vornherein eine Vorzugsstellung haben. Neben diesen landschaftstypischen sprachpsychologischen Bedingungen ist aber auch die Entwicklung der internen Wittenberger Sozialstruktur von ausschlaggebender Bedeutung f ü r die gestellte F r a g e . Bis weit in das 19. J h . hinein hatte Wittenberg den Charakter einer Ackerbürgerstadt. Bauern, Landarbeiter und Handwerker machten einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung aus, sie dominierten. Dann aber setzt ein radikaler soziologischer Umschichtungsprozeß ein: Die Ackerbürgerstadt wird vom Ende des vergangenen Jahrhunderts an zu einem industriellen Zentrum. Chemische Industrie, Maschinenbau und Nahrungsmittelindustrie siedeln sich an, innerhalb weniger Jahre entstehen nach 1877 elf Großbetriebe, die noch heute 32 mit rund 14 000 Arbeitskräften den Kern des Wittenberger Industriepotentials bilden . Mit dem Aufblühen der Industrie geht der Schwund ursprünglich heimischer Beschäftigungsweisen konform, auch im handwerklichen Bereich. Ein Beispiel sei herausgegriffen. Als eine weit zurückreichende Zunft präsentieren sich die Wittenberger Tuchmacher. Noch 1850 gehörten der Innung 20 Meister an, die mit 120 bis 130 Gesellen und 25 bis 30 Lehrlingen arbeiteten. 1904 bereits stellte der letzte Wittenberger Tuchmacher seine Arbeit ein.

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Das ist ein besonders k r a s s e r F a l l , der die Entwicklungstendenz f r e i l i c h deswegen um so stärker i l l u s t r i e r t . Eine w e i t e r e Folgeerscheinung der Industrialisierung ist das kontinuierliche Steigen der Einwohnerzahl, wobei f ü r die hier interessierende F r a g e von Belang ist, daß d e r größte T e i l der Zugänge sich aus der näheren Umgebung rekrutiert. Nur in den Randgebieten der Stadt hält sich auch heute noch die Landwirtschaft, ansonsten dominieren in der gegenwärtigen Sozialskala die Industriearbeiter. Veränderungen von Arbeitsweisen und Lebensarten - unlösbar mit der aufgezeigten Wandlung verknüpft - aber korrespondieren mit solchen im sprachlichen Umkreis: Das Sprachgefüge von heute muß - von allen zeitlich begründeten Abweichungen abgesehen - ein anderes sein als das beim Einsetzen der Industrialisierung gültige, ja noch als das v o r der voll technisierten P e r i o d e , in dem die älteste der abgefragten Generationen aufwuchs. Von hier aus w i r d verständlich, daß der aufgenommene Wortschatz bei keiner der befragten Gewährspersonen noch in seiner Ganzheit aktives Kommunikationsmittel ist. Dazu kommt ein stets latent w i r k s a m e r natürlicher Schwund an Wortgut,

so daß also schon in der ältesten Gewährsgruppe

T e i l e des gesammelten Wortschatzes nur noch passiven W e r t haben, auch T e i l e des Sprichwortgutes übrigens. /Schmietzich/ ' v e r s c h m i t z t ' , /Schepschrist/ ' e i n f ä l t i g e r Mensch (Schelte), /Jaudieb/ ' p f i f f i g e r , nicht ganz ehrlicher J u n g e ' , /Huhle/ ' b e s t i m m t e A r t von gebundenem K o p f t u c h ' , /wurachen/ 'angestrengt a r b e i t e n ' , /heesch/ ' h e i s e r ' , /Aschkuchen/heute 'Napfkuchen', /dreigeduppelt/ ' d r e i f a c h ' , /Seeger/ ' U h r ' , /Schenke/ ' G a s t h o f ' , /geht mich nicht von der Fichte/ 'geht m i r nicht von der S e i t e ' , /hahnemeistern/ ' q u ä l e n ' , /brange sauer/ ' s e h r sauer' sind nur ein paar B e i s p i e l e , die den sachlichen Umkreis absterbenden Wortgutes andeuten sollen. F o l g e r i c h t i g ist dieses passive Gut in der nächsten Generation fast vollkommen ausgestorben, nur in wenigen Fällen wie etwa /stramen/ ' h e f t i g e s Pulsieren des B l u t e s ' , /duwerich/ ' s c h w ü l ' oder /weeßj wo Böhm wohnt/ ' w e i ß Bescheid' usw. reicht es noch bis in die Generation der heute 40jährigen als z w a r bekanntes, aber nicht mehr gebrauchtes Wortgut. A b e r auch die älteste Generation darf nicht als undifferenzierte

Einheit hingestellt werden; soziale Unterschiede fächern

den Bestand über die generationsbedingten Unterschiede hinaus w e i t e r auf. Sie sind g l e i c h zeitig zum größten T e i l gebunden an den geographischen Unterschied zwischen Stadtkern und Stadtrand. So ist in bürgerlichen K r e i s e n verständlicherweise der rein landwirtschaftlich bezogene Wortschatz wie z . B . /Fahre/ ' A c k e r f u r c h e ' , /Straue/ ' S p r e u ' , /maisch/ 'üppig geschossene W a s s e r t r i e b e ' , /drahren/ 'Lautgeben der Hühner v o r m E i e r l e g e n ' ungebräuchlich und weithin auch unbekannt. Die Differenzen g r e i f e n aber über diesen B e z i r k hinaus in allgemeine Bereiche wie z . B . Wetterbe Zeichnungen oder Tätigkeiten - so fehlen /dulkich/ für nebelig, /Hawelusche/ f ü r E i l e , /kesseln/ f ü r hetzen, /nicht brämen/ 'nicht unruhig w e r d e n ' usw. T r o t z a l l e r Abschattierungen, die in den allgemeinen Bereichen

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z . T . subjektiv bedingt sind, bleibt aber noch immer ein weites Feld von Gemeinsamkeiten. Ich führe wieder nur einiges aus den unterschiedlichsten Sachbereichen daraus an: / f i e j e l a n t / 'gewitzigt', / F i s e m a t e n t e n / ' Umstände', /Welschkraut/ 'Wirsingkohl', /Aschkeite/ 'Aschengrube', /Hitsche/ 'Fußbank', /kiesäde/ 'mäklig', / z a c h / ' g e i z i g ' , /Blatt/ ' Z e i t u n g ' , / l a u e r n / ' w a r t e n ' , / l u m i c h / ' t r ü b e ' , / m o c h / ' n a s s e Stelle mit Schimmel', / n e r g e l n / ' s t r e i t e n ' , /verschliggern/ 'verschlucken' mögen hier stellvertretend f ü r diese Gruppe stehen. Sie zeigt eines mit aller Deutlichkeit: Die Mundart reichte bis in die v e r schiedensten Schichten des innerstädtischen Bereiches hinein. Sowohl Arbeiter als auch Handwerker, Kaufleute und Beamte hatten Teil an ihrem lexikalischen Gut - freilich in abgestufter F o r m , da ein Teil der sozialen Strukturen unter den sprachlichen Möglichkeiten eine bestimmte Auswahl t r a f . Es ist jedoch wichtig zu betonen, daß der soziale Aspekt mitunter mit dem vertikalen gekoppelt werden muß; Geschäftsleute gleicher Branchen in der Hauptgeschäftsstraße sprechen anders als die in den Außenbezirken der Stadt. Über das bloße Bekanntsein des Wortschatzes hinaus ist auch noch die Art seines Gebrauches charakteristisch f ü r die älteste der befragten Generationen. Die Abfragungen zeigten, daß das den einzelnen Schichten jeweils geläufige Mundartwortgut im täglichen Leben voll gültiges, aktives Kommunikationsmittel war, ohne daß - wie es später zum Teil der Fall wird - ironisierende oder anbiedernde Zwecke damit verbunden waren. Lediglich die lautliche Realisation des gemeinsamen Wortschatzes läßt stadtgeographische und soziologische Sonderungen erkennen. So fehlen der Stadtmitte oder einzelnen Gruppen weithin typische Lauteigenheiten der Vororte wie / l / f ü r zwischenvokalisches / d / : / s c h m u l l e r n / , /schmuddern/ stehen f ü r dauerndes Reden nebeneinander oder / w / f ü r zwischenvokalisches / b / : /schnuwen/, /schnubben/ heißt es f ü r schlafen und verschobene sowie unverschobene Formen wechseln ab - z . B . in / E k u t z / oder /Echkutz/ f ü r Eichhörnchen. Das sind wichtige Signalelemente f ü r den Einheimischen, der aus ihnen Einordnungen vornimmt, die dem Ortsfremden schwer möglich sind. Stärker wirkte sich die Umorientierung und Umstrukturierung des Alltagslebens dann in der Folgegeneration aus, die große Teile bisher geläufigen und gebrauchten mundartlichen Wortgutes ausschied. Stadtkern und Stadtrand verfahren dabei unterschiedlich, der Gegensatz zwischen beiden wird deutlicher als bisher sichtbar - etwa im Bereich der Tierbezeichnungen. Ebenso rücken einzelne Sozialgruppen s t ä r k e r vom Mundartwortschatz ab, als dies in d e r vorausgehenden Generation d e r Fall war, zum Teil wird e r in ihnen sogar auf ein Minimum reduziert. Der Begriff Sozialgruppe darf freilich nicht in jedem Falle als feste Grenzen setzender Rahmen angesehen werden, subjektive Sonderungen v e r wischen häufig genug eindeutige Zuordnungen. Umgangssprachliche Züge gewinnen auch

Studien zur Geschichte sprachlicher Erscheinungsformen in Wittenberg/Elbe

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im Wortschatz mehr und mehr an Bedeutung. Neuerungen, die zum sprachlichen Bewältigen der in immer schnellerem Maße sich wandelnden Umwelt nötig werden, vollziehen sich grundsätzlich nur noch in mundartfremden Sprachbereichen, so daß der spezifische Mundartwortschatz in der Stadtsprache nur noch begrenzte Sachgebiete abdeckt. Dazu kommt ein anderes Moment: Selbst innerhalb des verbleibenden Wortschatzes steigt In den meisten Gruppen von Mundartsprechern die Anzahl der Fälle, bei denen man über mehrere Sprachvarianten verfügt, die je nach der Sprachsituation gebraucht werden. So stehen /Bemme/ und /Schnitte/ nebeneinander, ebenso /Kuter/, / K a t e r / oder /kaschen/, /fangen/, /duwerich/, /schwül/ usw. Die Mundartgrenze nach oben hin wird damit durchlöchert, es zeichnet sich eine Auffächerung großen Ausmaßes ab, die - gerade von den möglichen (und auch griffbereiten) Varianten her - den Mundartwortschatz auch in den Schichten, in denen e r durchaus heimisch ist, in die Rolle eines nicht mehr voll gültigen und intakten Kommunikationsmittels hineindrängt. Der Weg zu seiner Ironisierung oder zu scherzhaftem Gebrauch, die Verwendung einzelner Bezeichnungen als Kraftwort, das dann sogar wieder weitere Sprecherkreise erfaßt - auch Zugezogene, die die einheimische Mundart nicht beherrschen, ist von hier aus vorbereitet. Damit aber ist der Eigenwert des Mundartwortschatzes angetastet, man nimmt vielfach bereits eine andere Haltung zu ihm ein, als das in der voraufgehenden Generation der Fall war. Das ist auch eine der Wurzeln, die die Einstellung vieler Eltern bestimmt, ihren Kindern den Gebrauch der Mundart und somit auch - soweit er wenigstens als solcher erkannt wird - den des mundartlichen Wortschatzes im familiären Kreis zu erschweren oder gar zu verbieten. Subjektiv bedingte Unterschiede lassen dabei zwar im einzelnen ein recht farbiges Bild entstehen, halten aber den gegenwärtigen rückläufigen Prozeß im Ganzen nicht auf - auch nicht in den ländlichen Außenbezirken der Stadt, die im Gegensatz zu ihren Industrievororten, wie z.B. Piesteritz mit dem großen Stickstoffwerk, sprachlich wesentlich konservativer eingestellt sind. Aus den aufgezeigten Entwicklungstendenzen, so einschneidend sich ihre Wirkung vor allem in der letzten der befragten Altersgruppen bemerkbar macht, darf jedoch keineswegs der Schluß gezogen werden, daß die Bedeutung des Mundartwortschatzes innerhalb der heutigen Wittenberger Sprachwirklichkeit bereits auf den Nullpunkt herabgestimmt ist. Die Verzahnung der Generationen ineinander, die verschiedene Haltung von Einzelpersonen und von ganzen Gruppen in dem sich vollziehenden sprachlichen Umlagerungsprozeß, machen ihn noch immer zu einem beachtenswerten Faktor, der freilich das Äußere der Sprache nicht mehr in dem Maße und vor allem nicht so augenscheinlich formt, wie das noch zu Anfang dieses Jahrhunderts der Fall war. Zudem darf eines nicht übersehen w e r den: Auf der Stufe der umgangssprachlichen Zwischenlage können mundartliche Eigenheiten

40

Gerhard

Kettmann

auch des Wortschatzes konserviert werden - vor allem dann, wenn ein hochsprachliches Leitbild fehlt (etwa bei / m u l i c h / f ü r edelfaul) oder wenn das Wortgut landschaftliche Allgemeingültigkeit besitzt - wie bei / H i t s c h e / , / n e r j e l n / , / s c h r i n g e n / , / s t r e e c h e n / oder /quengeln/, um einige Fälle herauszugreifen. Das sichert auch f ü r die Zukunft eine - wenn auch beschränkte - Wirkkraft dieses Bereiches mundartlicher Sonderungen, selbst dann, wenn das festgefügte Gerüst des Mundartwortschatzes durch die Teilnahme der Mundartsprecher an kurzlebigen Neubildungen und an der reicheren Synonymik der Umgangssprache abgebaut i s t . Betrachtungen, wie sie hier angestellt wurden, zeigen eines mit aller Deutlichkeit: Die immer wieder hervorgehobene Aufgabe, die Bestandsaufnahme des mundartlichen Wortschatzes abzuschließen, ehe es dazu zu spät ist, muß ergänzt werden durch die Forderung, auch die sich innerhalb dieses Wortgutes abspielenden Entwicklungsprozesse h e r a u s z u a r 33 beiten und zu verfolgen, da der Wortschatz keine konstante Größe ist. Sprachliches Da-sein entfaltet seine Kraft und seinen Wert e r s t im Wechselspiel mit seiner Umgebung - der sprachlichen und der gesellschaftlichen. E r s t dadurch wird es ausgeformt und geprägt, wird es zur Sprachgeschichte. Uns bleibt die Aufgabe, den in ihr wirkenden Kräften nachzuspüren und sie aufzuhellen. Auch ein eng begrenzter Ausschnitt kann die Fülle sprachlicher Existenzmöglichkeiten demonstrieren.

Anmerkungen 1

Vgl. Teuchert, Hermann: Die Mundarten der brandenburgischen Mittelmark und ihres südlichen Vorlandes. Berlin 1964, S. 119.

2

Vgl. Bach, Adolf: Geschichte der deutschen Sprache. Heidelberg 1965, § 119.

3

Vgl. Kettmann, Gerhard: Zum Ausklang des Niederdeutschen in der Wittenberger Schreibtradition; in: Jahrbuch d. Vereins f . nd. Sprachforschung, Bd. 88, 1965, S. 68 ff.

4

Staatsarchiv Weimar, Reg LI 585, Bl. 2.

5

So in d e r Amtsrechnung des J a h r e s 1503/04 - Staatsarchiv Weimar, Reg Bb 2742.

6

Liber retardat von 1521 - Stadtarchiv Wittenberg; Kämmereirechnung Wittenberg 1505, 1517.

7

Vgl. Suchier, Wolfram: Die beiden Deutschen Gesellschaften in Wittenberg; in: Wiss. Zeitschr. d. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Gesellsch.u. sprachwiss.Reihe VI, 1957, S. 829 ff.

Studien zur Geschichte sprachlicher Erscheinungsformen in Wittenberg/Elbe 8

41

Vgl. Ising, Gerhard: Zu den Tiernamen in den ältesten niederdeutschen Bibeldrucken; in: Jahrbuch d. Vereins f. nd. Sprachforschung, Bd. 83, 1960, S. 51.

9

Kluge-Mitzka: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin 1963, S. 235.

10

Trübners Dt. Wörterbuch, Bd. 4, 1943, S. 284.

11

Ebd. Bd. 1, 1939, S. 203.

12

Kluge-Mitzka a . a . O . S. 250.

13

Ebd. S. 283.

14

Thümmel: Eutzscher Denkwürdigkeiten im Wttg. Verein f. Heimathkunde des K u r k r e i s e s mitgeteilt d. 23. J a n . 1861. Hs. im Stadtarchiv Wittenberg, RB Nr. 598.

15

Vgl. Debus, Friedhelm: Die deutschen Bezeichnungen f ü r die Heiratsverwandtschaft; in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen, Bd. 1, 1958, S. 33.

16

Foltin, Hans-Friedrich: Die Kopfbedeckungen u. ihre Bezeichnungen im Deutschen; in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen, Bd. 3, 1963, S. 251.

17

Schilling-Thöne, Anneliese: Wort- u. sachkundliche Untersuchung zur Synonymik des Backtrogs; in: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen, Bd. 4, 1964, S. 66.

18

Ebd. S. 30.

19

Stadtarchiv Wittenberg Bc 101, Bl. 78.

20

Vgl. Eichler, Ernst: Etymologisches Wörterbuch der slawischen Elemente im Ostmitteldeutschen. 1965, S. 23 ff.

21

Virkkunen, Mirja: Die Bezeichnungen für Hebamme in deutscher Wortgeographie. 1957 (Beiträge zur Dt. Philologie Bd. 12), S. 58 f.

22

Ising, Gerhard: Zur historischenWortgeographie. 3. Hebamme, Wehmutter; in: Korrespondenzblatt d. Vereins f . nd. Sprachforschung. 1966, S. 14/15.

23

Kluge-Mitzka a . a . O . S. 430.

24

Visitationsbericht im Staatsarchiv Magdeburg, Rep A 29 b Cap. II, Nr. 63.

25

Kluge-Mitzka a . a . O . S. 574.

26

Ebd. S. 384.

27

Ebd. S. 291.

28

Vgl. z . B . Eichler, Ernst: s . Anm. 20 und die Arbeiten von H.H. Bielfeldt.

29

Schönfeld, Helmut: Slawische Wörter in den deutschen Mundarten östlich der unteren Saale. Berlin 1963.

30

Erbbuch des Amtes Wittenberg - Staatsarchiv Dresden Loc. 38129.

31

Nuijtens, E . T . G . : De tweetalige mens. Phil. Diss. Nijmegen 1963.

42 32

Gerhard Klettmann Statistische Angaben nach Langner, Helmut: Die Lautung der Mundart u. der Umgangssprache von Wittenberg. Staatsexamensarbeit Potsdam 1959, S. 104 f f .

33

Vgl. Spangenberg, K . : Tendenzen volkssprachlicher Entwicklung in Thüringen; in: Rosenkranz, H. u. Spangenberg, K.: Sprachsoziologische Studien in Thüringen. Berlin 1963, S. 85.

Jelena

Trojanskaja

EINIGE BESONDERHEITEN IN DER DEKLINATION DER DEUTSCHEN ADJEKTIVE IM 16. UND 17. JAHRHUNDERT

In den früheren Entwicklungsperioden der deutschen Sprache kann man eine interessante Erscheinung beobachten: alle Glieder der attributiven Gruppe (oder viele von ihnen) e r hielten grammatisch ausdrucksvolle Flexionen: z . B . / d e r ewiger Schöpfer/ (R.), e e e /in diesem Gottslesterlichen, Mordischen, Sundlichen, verderblichem stucke/ (Luth. S. 21. W.), /die bisher erzelte argument/ (Zang. S. 134) u . a . Solche Formen sind auch f ü r andere Sprachen typisch. So haben wir z . B . ähnliche Erscheinungen in der russischen Sprache: moj chorosij drug, mojemu chorosemu drugu usw. Dafür wurde von W.G. Admoni die Bezeichnung "Polyflexion" eingeführt. Soweit ich sehe, hat über dieses Problem noch niemand speziell gearbeitet. An Hand der sprachlichen Analyse von Werken einiger Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts möchte ich daher folgende Fragen beantworten: 1.

In welchen syntaktischen Positionen sind die polyflektierenden Formen anzutreffen?

2.

Wie ist das Anwachsen der Formen mit / - e / im Nom. Akk. PI. zu deuten?

3.

Welchen semantischen Wert haben die polyflektierenden Formen in dieser Periode?

Davon ausgehend scheint es m i r sehr wichtig, zunächst eine ausführliche Beschreibung des von m i r gesammelten sprachlichen Stoffs^ zu geben.

Gebrauch polyflektierender Formen in der Literatursprache des 16. und 17. Jahrhunderts Die polyflektierenden Formen treffen wir in Gruppen mit dem bestimmten Artikel, in Gruppen mit dem unbestimmten Artikel und in Gruppen mit verschiedenen adjektivischen Pronomina an. Solche Gruppen können in allen Kasus erscheinen, jedoch nicht in allen Kasus gleich häufig. F ü r die Ziele u n s e r e r Arbeit ist es wichtig zu bestimmen, in welchen syntaktischen Positionen wir solche Formen antreffen.

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Jelena Trojanskaja Ich denke etwa an Konstruktionen, in denen das Adjektiv in der Rolle eines erweiterten

Attributs gebraucht wird oder an Konstruktionen mit zwei Substantiven - je mit einem Adjektiv neben sich

die nur ein grammatisches Bestimmungswort haben.

Die polyflektierenden Formen erscheinen im 16. und 17. Jahrhundert in folgenden Konstruktionen: 1.

In der elementaren Konstruktion "Artikel (Pronomen) + Substantiv" ohne besondere

syntaktische Bedingungen: 1.1.

In der Wortgruppe mit dem bestimmten Artikel: / d e r einiger Frembdling/ (Luth. S. 35. B) / d e r letzter T a g / (Reb. S. 181) / z u m ewigem Recht/ (Luth. S. 221. B.) / d e m Teudschem Lande/ (Ag. S. 45) / d e m weiblichem Stamm/ (Cz.) e e /vom frolichem Getümmel/ (Fl. S. 94) / a u s dem Anspachischem Hofe/ (Cz.) / m i t dem erschroklichem Bluhthunde/ (R.) / d e r gantzer Inhalt der verlauffener Handlung/ (R.) / z u r befoderender Volkommenheit/ (Sch. S. 5) / d a s wilde Thun der ungeschlachter Lippen/ (Fl. S. 57)

1.2.

In der Wortgruppe mit dem unbestimmten Artikel: / i n einem rugigem a l t e r / (Luth. S. 50. B . ) /von einem gewissem T h i e r / (Cl. S. 53. II) / i n einem abgelegenem Winkel/ (R.) / m i t einem freadigerm Gesichte/ (L. S. 28)

1.3.

In der Wortgruppe mit adjektivischem Pronomen: / d i s e r g r o s s e r zug/ (Eck I) / j e n e r funffjahriger Knab/ (Cl. S. 22. II) /manches kühnes Schiff/ (Fl. S. 80) /solches güldenes Geleut/ (Cl. S. 16. II) /bey diesem Hochzeitlichem F ü r s t e n f e s t / (W. S. 33) / u n t e r ihrem streitbarem

F u h r e r / (L. S. 49)

/in S o l l i c h e r / a l t e r verStockung/ (E.S. v. S. 16. Fl.I) / i n dieser neuer Sachen/ (Fl. S. 93)

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

45

/die vrsach solcher schwerer Burgschafft/ (Cz. S. 40) /ein sonderer Liebhaber solcher thewrer Leut/ (W. S. 41) /die vngewißheit vnserer vnfehlbarer Principiorum Theologicorum/ (Mosch. S . 64)

2.

In den Konstruktionen, in denen polyflektierende Formen unter bestimmten syn-

taktischen Bedingungen gebraucht werden: 2.1.

Das Adjektiv spielt die Rolle eines erweiterten Attributs (Distanzstellung des

grammatischen Bestimmungswortes und des Adjektivs): /auff dem kunstlich gemachtem Leibrock/ (Luth. S. 178. B . ) /mit dem bey ihrem Reiche für das groste Heyligthum und Kleinod gehaltenem Tiegel/ (L. S . 7) /wegen der jhnen saurwerdender Ausrede/ (Sch. S. 125) e e /mit einem von Gold vnd Silber gewurcktem Stuck/ (W. S. 17) /bei meinem einmahl gesetzetem Schlüsse/ (R.) /seinem / gegen vns gar geringem vermögen nach/ (W. S . 34) Hierher gehören wohl auch diejenigen Gruppen, bei denen wir einen Grenzfall zwischen einem zusammengesetzten Adjektiv und einem attributiven Adjektiv mit adverbialer Bestimmung haben. Der Schreibung nach sind das oft zwei Wörter. Deshalb ist es möglich anzunehmen, daß solche Fälle in der Sprache des 16. und des 17. Jahrhunderts als erweiterte Attribute empfunden wurden. /Vom best=gesiebtem blut/ (Sp. S. 106) /Dem höchst betrangtem weib/ (Sp. S. 71-72) 2.2.

Mehrere gleichartige Adjektive bilden eine Gruppe.

Hier muß

man unterscheiden, ob die Adjektive miteinander durch Konjunktion verbunden

sind oder nicht, weil der Charakter des Wechsels von starken und schwachen Flexionen in beiden Konstruktionen verschieden i s t . 2 . 2 . 1 . Die Adjektiva sind miteinander durch Konjunktionen verbunden. Sehr verbreitet ist die Gruppe mit zwei Adjektiven. In diesem Fall wird das erste Adjektiv schwach, das zweite stark flektiert: /nach dem vollen oder gebrechlichem inhalte/ (Sch. S. 146) /einem ehrlichen und tapfer=muhtigem menschen/ (Z. S. 73. Äff.) /meinem ewigen und abgesagtem Todfeinde/ (R.) Wenn das erste Adjektiv in solchen Gruppen den Charakter eines erweiterten Attributs hat, erhalten dagegen beide Adjektive starke Flexion:

46

Jelena Trojanskaja / d e m nunmehr verbessertem und gemehrtem Drukke/ (R.) / a u s einem so instehendem und gewissem ubel/ (Z. S. 67. Äff.) Manchmal begegnen zwei Positionen, die einander verstärken: das zweite Adjektiv steht nach der Konjunktiong und spielt zugleich die Rolle eines erweiterten Attributs: / m i t dem elenden und erbärmlich zerschlagenem Teutschlande/ (R.) / m i t einer klaglichen und mit seufzen zerbrochener s t i m m e / (Z. S. 40. Äff.) Wenn die Zahl von gleichartigen Adjektiven mehr als zwei beträgt, so ist es schwer, bestimmte Regeln zu finden, weil es hier verschiedene Varianten des Wechsels von s t a r k e r und schwacher Flexion gibt: z . B . zwei Adjektive vor der Konjunktion und das dritte nach der Konjunktion; in diesem Falle haben das zweite und das dritte Adjektiv, da sie auf geine gewisse Weise die Konjunktion umrahmen, starke Flexion: /bei dem damahls glukseligen / reichem und ruhigem Teutschlande/(R,). Oder das e r s t e Adjektiv steht vor der Konjunktion und zwei andere dahinter; in diesem Falle erhält e r s t das dritte Adjektiv, das direkt vor dem Substantiv steht, starke Flexion:

g / a u s dem ersten vnd alten Churfurstlichem Stamm/ (Cz. S. 78) Aber das ist nicht die einzige Variante. Auch eine zweite ist hier möglich: starke Flexion erhält das Adjektiv, das direkt hinter der Konjunktion steht, das Adjektiv vor dem Substantiv wird dagegen schwach flektiert: / m i t dem alt Königlichem vnd Hochfurstlichem Piastischen Stamm/ (Cz. S. 62) (die starke Flexion des e r s t e n Adjektivs / - e m / läßt sich dadurch erklären, daß dieses Adjektiv im Satze als ein erweitertes Attribut auftritt). Wenn die attributive Gruppe aus vier Adjektiven besteht (zwei vor der Konjunktion und zwei dahinter), so wird gewöhnlich das letzte Adjektiv stark flektiert: e e / d e m hochloblichen Fürstlichen vnd andern Adelichem F r a w e n z i m m e r / (Cz.) /bey dem vhralten Liegniztischen vnd Briegischen Fürstlichem Hause/ (Cz. S. 80) 2 . 2 . 2 . Adjektive sind miteinander ohne Konjunktion verbunden: Sehr verbreitet ist die Gruppe mit zwei Adjektiven. Gewöhnlich hat das zweite Adjektiv die starke Flexion, seltener das e r s t e : Q

/ d e m aller / hohesten zeitlichem Guhte/ (R.) / d e m uhralten Fürstlichem Stamm/ (Cz. S. 56) /einem jeden verwehntem Maule/ (Sch. S. 11)

Einige Besonderheiten in derDeklinationder deutschen Adjektive im 16. und 17, Jahrhundert

47

/ m i t einem Jungfrawlichen Hertzoglichem Blute/ (Cz. S. 54) / m i t dem erschroklichem grossen Bauche/ (R.) In der Gruppe mit drei und mehr Adjektiven, die miteinander ohne Konjunktion verbunden sind, ist es noch schwerer, Regeln zu finden. Möglich sind solche Gruppen, in denen alle Adjektive starke Flexionen haben: / i n diesem Gottslesterlichem, Mordischem, Sundlichem verderblichem stucke/ (Luth. S. 21. W.) Möglich sind auch solche Gruppen, in denen einige Adjektive stark, das letzte jedoch schwach flektiert werden: / z u solcher erwehnter mannigfaltiger hoch=und niedrig gehender Poetischen Rede/ (Sch. S'. 117) E s gibt solche Gruppen, bei denen alle Adjektive schwache Flexion haben und nur das letzte eine starke: /von deinem nüchtern heiligen, keuschen, Ordlichem wesen/ (Luth. S. 56. W.) / z u den nunmehr bekanten / angenommenen / zierlichem Hochteutschen/ (Sch. S. 155) Manchmal aber umgekehrt: ein Adjektiv hat schwache Flexion, die anderen starke: /auf dem gar schonen Fürstlichem Briegischem Schlosse/ (Cz. S. 80). 3.

Die starke Flexion gebraucht man in den Gruppen, die aus zwei Substantiven be-

stehen. Beide Substantive haben ein grammatisches Bestimmungswort. Stark flektiert ist dann das Adjektiv vor dem zweiten Substantiv: /von welchem urplötzlichen Feuer und unversehnlichem Klapff/ (Gr. S. 18) /meinem vielgunstigen Herrn und werthem Freunde/ (Fl. Vorrede) / a u s einem Nothzwange als willkuhrlichem E i f e r / (L. S. 28) /von dem grossen Ruff / und unglaublichem Ruhm/ (Cl. I. S. 30) Die Analyse des Gebrauchs der polyflektierenden Formen hat gezeigt, daß diese in d e r Gruppe mit dem bestimmten Artikel unter bestimmten syntaktischen Bedingungen am häufigsten auftreten. Wenn wir die Formen, die bei J . Rist und J . - G . Schottelius regis t r i e r t sind, nicht mitzählen, so bekommen wir folgende Prozentsätze: 56 % aller von uns r e g i s t r i e r t e n Formen sind in den obenerwähnten bestimmten syntaktischen Positionen angetroffen worden und nur 44 % außerhalb von ihnen. Die Zahl polyflektierender Formen in der Gruppe mit adjektivischen Pronomina, in der diese Formen stehen, ohne daß sich bestimmte Regeln dafür aufstellen lassen, ist bedeutend größer als in d e r Gruppe mit dem bestimmten Artikel und erreicht 79 %.

48

Jelena Trojanskaja Der Analyse wurden die Werke vieler Schriftsteller des 16. und des 17. J a h r -

hunderts unterworfen. Es hat sich ergeben, daß nur einige von ihnen polyflektierende Formen oft gebrauchen. Bei allen Autoren haben w i r ungefähr die gleiche Zahl von Seiten analysiert. Die Ergebnisse aber waren ganz verschieden: bei den V e r tretern aus Süddeutschland und aus Mitteldeutschland (außer Ostmitteldeutschland) treten die Konstruktionen mit polyflektierenden Formen nur vereinzelt auf. Häufiger finden wir solche Formen nur in der Gruppe mit adjektivischen Pronomina und sehr selten in der mit dem bestimmten Artikel. Aber bei Schriftstellern aus Ostmitteldeutschland und besonders aus Niederdeutschland, wie J . Rist, J . - G . Schottelius, Ph. Zesen und D. Czepko, erreicht die Zahl solcher Formen einen bedeutenden Prozentsatz. Diese Beobachtung ist an und f ü r sich nicht neu. Man hat schon f r ü h e r bemerkt, daß man solche Formen häufiger nur bei den Schriftstellern aus Niedersachsen und 2 Schlesien und bei den Märkern antreffen kann. Diese Feststellung bleibt im allgemeinen richtig. Man kann sie dahin erweitern, daß polyflektierende Formen f ü r ganz Ostmitteldeutschland typischer sind als f ü r andere Gebiete. Und das wichtigste ist, daß der Gebrauch polyflektierender Formen im engen Zusammenhang mit d e r Intensität der Reduktion (mit dem Prozeß der Apokope und Synkope) steht. Diese Tatsache hat noch keine Erklärung gefunden. Für die oben von uns formulierten Aufgaben ist es sehr interessant und wichtig, den Gebrauch polyflektiewender Formen in Werken von J . Rist, J . - G . Schottelius und D. Czepko genauer zu beleuchten. Bei der Analyse eines Werkes von J . Rist, und zwar des Werkes "Das F r i e d e wunschende Deutschland", haben wir 98 polyflektierende Formen r e g i s t r i e r t . Aber relevant ist nicht die absolute Zahl dieser Formen, sondern ihre relative Zahl im Vergleich mit den monoflektierenden Formen. Wir haben z . B . 88 Belege gesammelt, in denen das Adjektiv im Nom. Sg. Mask. in der Gruppe mit dem bestimmten Artikel steht, 45 Belege davon haben Monoflexion, 43 Polyflexion, d . h . 51 % monoflektierende Formen, 49 % polyflektierende Formen. 37 Belege entfallen auf die Gruppe mit einem Adjektiv (15 von ihnen werden mit dem Substantiv /Gott/ gebraucht). Und in weiteren 22 Belegen stehen die Adjektive mit verschiedenen Substantiven (/Auffzug, Inhalt, Baur, Mars, Teuffei, L e s e r , Hertzog, Friede, Menschenfresser/ u . a . m . ) :

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. and 17. Jahrhundert

49

/ d e r auffrichtiger Leser/, / d e r lebendiger Teuffei/, / d e r gantzer Inhalt/, /der guldener Friede/. Oder: g / d e r gerichter Gott/, /der barmhertziger Gott/, /der ewiger Schöpfer/, /der allerhohester Gott/, /der lieber Gott/ u . a . m . Sehr interessant sind auch die Positionen des Gebrauchs polyflektierender Formen im Nom. Sg. mask.: 3.1.

in der Wortgruppe mit zwei Adjektiven, die miteinander durch eine Konjunktion verbunden sind. Hier haben beide Adjektive starke Flexion: /der gewaltiger und unubere e windlicher Mars/; / d e r Funffter und letzter Auffzug/; / d e r grausamer und bluhtdurstiger Mars/. Oben haben wir gesehen, daß bei anderen Kasus eine andere Reihenfolge schwacher

und starker Flexion typisch ist, und zwar der Wechsel schwacher und starker Flexion: /nach dem vollen oder gebrechlichem inhalte/ (Sch. S. 146). 3.2.in der Wortgruppe mit zwei oder mehreren aAdjektiven ohne verbindende Konjunktion. g Hier haben alle Adjektive starke Flexion: / d e r vollenkommener gewünschter lieber e e Friede/; /der itzregierender Romischer Kayser/; /der Edler / Vester / Großachtbarer / Hochgelahrter, hocherfahrner Meister/. Bei J . - G . Schottelius finden wir polyflektierende Formen nicht so oft wie bei J . Rist. So hat ersterer nur 10 % polyflektierender Formen im Nom. Sg.: /der gelahrter g Petrus Hollfnder/ (Sch. S. 22) /der hochberuhmter Scaliger/ (Sch.) /der hierzu erfoderter Fleiß/ (Sch.) Interessanterweise stehen diese Formen im Nom. Sg. Bei anderen Schriftstellern ist das in dieser Periode eine Seltenheit. Solche Formen sind vor allem für die Vertreter Niederdeutschlands typisch. Ziemlich hoch ist der Prozentsatz polyflektierender Formen im D. Sg. bei C. Czepko. Er erreicht 27 %.

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Jelena Trojanskaja

Konkurrenz der starken und der schwachen Flexion des Adjektivs im Nom. Akk. PI. in der Wortgruppe mit dem bestimmten Artikel und verschiedenen adjektivischen Pronomen (/die gute Christen/ oder /die guten Christen/; / d i e s e gute Christen/ oder / d i e s e guten Christen/) In der Einleitung haben wir schon darauf hingewiesen, daß die Ursache einer so bedeutenden Verbreitung der starken Formen im Frühneuhochdeutschen bis jetzt ziemlich ungeklärt ist. Es gibt sehr viele Meinungen in bezug auf die Lösung dieser F r a g e . Viele dieser Hypothesen sind jedoch ohne sprachliche Beweise und bleiben daher umstritten. Die verbreitetsten Meinungen sind:

1. 2.

3 Nachlässigkeit der Rechtschreibung (H. Paul) , 4 Ausfall des auslautenden / - n / (H. Paul) in Südwestdeutschland. Damit e r k l ä r t Paul

den Gebrauch solcher Formen in der Sprache des jungen Schiller. 3.

L. SUtterlin sieht im Gebrauch solcher Formen nichts prinzipiell Neues, betrachtet

sie zusammen mit anderen polyflektierenden Formen und meint, daß diese Formen ein 5 Uberrest alter Schwankungen seien. 4.

O . Behaghel ist der Meinung, daß das Eindringen der starken Form nach dem bestimm-

ten Artikel in seinen Ursachen nicht klar sei. Man könne annehmen, daß die Wörter eingewirkt haben, die ursprünglich nur stark flektierten, also etwa /demu drizigistemo/, /nach demu andremo/, f e r n e r könne / d i e g u t e / /mine

nach dem Muster von / a l l e

guote/,

g u o t e / gebildet sein. Er betont, die Meinung, daß sich die Formen mit / - e /

im Nom. Akk. PI. unter dem Einfluß von Mundarten verbreiteten, die auslautendes / - n / g abwerfen, sei recht zweifelhaft. 5.

J . Heyse ist der Ansicht, daß starke und schwache Flexionen verschiedene semanti7 sehe Bedeutung haben. 6.

Eine Reihe von Forschern betont aber, daß die Ursachen dieser Erscheinung in phone-

tischen Prozessen zu finden seien, und zwar im Ausfall des /'- n / in den Mundarten. So sagt z . B . M.H. Jellinek: " . . . Abweichend vom Durchschnittsgebrauch des Mhd., aber wichtig für das ältere Nhd. ist die Uebertragung des / - e / in den Nom. Acc. PI. der schwachen Adjectivdeklination. Sie hat im Schwäbischen stattgefunden, vgl. Kauffmann, Gesch. der schwäb. Munda r t , S. 113, § 107 Anm. Auf fränkischem und südthüringischem Gebiet kann die Gleichheit der starken und schwachen g Endungen lautgesetzlich entstanden sein, indem in d e r Endung / - e n / das / n / a u s f i e l . " 9 H. Wunderlich schließt sich dieser Meinung von M.H. Jellinek an. Sehr interessant ist der Gedanke von K. Kaiser, daß zwei phonetische Erscheinungen

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

51

von großer Bedeutung f ü r das Sprachbild der Epoche gewesen seien: Synkope und Apokope des / - e / und die Behandlung der Endnasale: "Wir beginnen unsere Untersuchungen mit der Betrachtung zweier Komplexe von E r scheinungen, die f ü r das Sprachbild u n s e r e r Epoche von großer Wichtigkeit sind. Wir s t e l len sie an den Anfang, weil manche später zu besprechende Erscheinung nachgewiesener oder vermuteter Maßen durch eine von ihnen bedingt i s t . Es handelt sich um die Behandlung der schwachbetonten Vokale, vor allem um Synkope und Apokope des / - e / , und um die Behandlung der E n d n a s a l e . " 1 0 Auch K. Kaiser kommt zu der Schlußfolgerung, daß diese phonetischen Erscheinungen aus den Mundarten in die Literatursprache eindringen: "Wir finden also hier Dinge, deren Wesen zutiefst mundartlich ist, da sie von Verhältnissen der Rede abhängig sind. Weitergehend können wir schließen, daß das Bild der Einheitsschriftsprache uns in seiner geschichtlichen Entwicklung zeigt, wie diese mundartlichen Erscheinungen sich mit der schriftlichen Fixierung so oder so auseinandergesetzt h a b e n . " 1 1 E r beweist aber die Richtigkeit seiner Meinung nicht am sprachlichen Material, e r macht auch keine Versuche zu verstehen und zu erforschen, bei welchen Autoren, in welchem Umfang, in welchen Positionen die Formen ohne / - n / erscheinen.

K. Kaiser unter-

streicht, daß sie bei den Vertretern aller Mundarten sehr stark verbreitet sind: "Tatsache ist e s , daß wir starke anstatt schwacher Deklination des Adjektivs in zahl12

losen Fällen bei Vertretern des ganzen Gebietes a n t r e f f e n . " E r betont sogar, daß im Gebrauch dieser Formen Planlosigkeit h e r r s c h e : "Die Planlosigkeit geht so weit, daß es dem Herausgeber der Freundschaftlichen Lieder unmöglich erscheint, ' i n den Gebrauch des starken und schwachen Adjektivs Ordnung zu bringen 5 . Für uns ist es im Grunde gleichgültig, festzustellen, welche Ursachen dieser Gebrauch hat. Wichtig ist für uns die Tatsache der Planlosigkeit, aus der heraus wir auf ein mangelndes 13 Gefühl f ü r den Endnasal schließen dürfen." 7,

Es gibt noch eine Meinung, die W. G. Admoni in der Arbeit "Struktura gruppy 14 suscestvitel'nogo v nemeckom jazyke" vertritt. Dieser Meinung schließt sich auch L . G . Korabljowa in der Dissertation "Razvitie sistemy form opredelitel 1 nogo prilagatel'nogo v nemeckom jazyke" a n . 1 5 W . G . Admoni sucht die Ursache dieser Erscheinung darin, daß beide Flexionen g r a m matisch nicht mehr ausdrucksvoll genug und e r s t recht nicht eindeutig seien. Eben deswegen ist seiner Meinung nach solch eine Konkurrenz möglich: "Osnovnym ' n e j t r a l ' n y m ' , t . e . grammaticeski nevyrazitel'nym okoncaniem prilagatel'nogo javljaetsja o k o n c a n i e / - e n / . Po podsietu L. Sütterlina formy s / - e n / / ( n a p r i m e r / / b l i n d e n / ) vstrecajutsja vparadigme

52

Jelena Trojanskaja

prilagatel'nogo 22 raza. Odnako, o i e n ' slaboj grammaticeskoj vyrazitel'nost'ju obladaet i okon£anie/-e/(vstrecaetsja v paradigme 12 raz). Poetomu imenno okoncanie/-e/vystupaet v nekotoryoh sluiajach v kacestve konkurenta/-en/tam, gde nado vyrazit' tol'ko samyj fakt soglasovanija prilagatel'nogo s opredelennym suscestvitel* nym, a ne tocnoe grammaticeskoe soderzanie fleksii. Osobenno äiroko eto javlenie nabljudaetsja vo mnozestvennom cisle (imenitel'nyj i vinitel'nyj padezi), gde vplot' do XVIII veka - e konkuriruet s / - e n / , pricem v XVI i XVII vv./-e/v rjade pamjatnikov daze preobladaet. 1 6 Tak, naprimer, v 'Simplicissimuse' Grimmelshausena gospodstvuet okoncanie/-e/,naprimer, /die Orientali17 sehe P e r l e n / . " 8.

Bemerkenswert ist die Tatsache, daß fast keiner der genannten F o r s c h e r dieses

Problem gesondert in bezug auf die Gruppen mit dem bestimmten Artikel und auf die Gruppen mit adjektivischen Pronomina zu lösen versucht hat. Eine Ausnahme ist O. Behaghel. Was z . B . die Gruppen mit dem Possessivpronomen betrifft, so behauptet e r folgendes: " E s standen nebeneinander einerseits /mine guoten friunde/, andererseits / i r guoten friunde/ und / i r guote friunde/; bei der Ausgleichung siegte der dritte Typus, weil / i r guoten friunde/ undeutlich war, mit dem Vok. PI. und mit dem Dat. Sg.

zusammenfiel.

Die Wiederverdrängung des18Typus /meine gute Freunde/ g e s c h a h unter dem Einfluß von /die guten F r e u n d e / . " Beim Pronomen / s o l c h / gibt O. Behaghel eine andere Erklärung: " . . . Vermutlich steht diese Entwicklung im Zusammenhang damit, daß / s o l c h / geradezu die Bedeutung von / d i e s e r / angenommen hat und nach / s o l c h / die starke Form erscheint. Um alle diese Meinungen beurteilen zu können, brauchen wir erstens eine ausführliche Analyse des sprachlichen Materials und zweitens eine bestimmte Forschungsmethode. Dabei müssen wir berücksichtigen, daß diese Erscheinung von uns in einer Periode untersucht wird, in der die Sprachverhältnisse sehr kompliziert sind. Die Heimatmundart des Schriftstellers übt noch einen sehr starken Einfluß auf die von ihm gebrauchte Literatursprache aus, und der Kampf zwischen den Varianten der Literatursprache ist in dieser Periode noch sehr stark. Was folgt daraus ? 1.

Bei der Auswahl sprachlicher Denkmäler müssen wir immer im Auge behalten, daß

möglichst viele Mundartlandschaften vertreten sind; 2.

die von uns angewandte Methode muß folgende Besonderheiten haben:

a)

Wir können uns mit allgemeinen Bemerkungen über die Verbreitung dieser E r s e h e i -

Einige Besonderheiten in d e r Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

53

nung wie "oft" oder "selten" nicht begnügen, wir müssen vielmehr den gesamten sprachlichen Stoff statistisch e r f a s s e n . b)

Jedes sprachliche Denkmal muß im einzelnen statistisch bearbeitet werden.

c)

Wichtig ist auch, daß wir, wenn wir die Tendenzen in der Entwicklung dieser E r s c h e i nung untersuchen, d . h . zwei Perioden vergleichen, wiederum nicht die ganze Summe von Belegen aus dem 16. Jahrhundert mit der aus dem 17, Jahrhundert vergleichen dürfen. Wir müssen vielmehr die statistischen Angaben aus derselben Mundartlandschaft in beiden Perioden (d.h. die statistisch bearbeiteten sprachlichen Denkmäler der entsprechenden Mundartlandschaften) vergleichen.

d)

Da die Varianten der Literatursprache dieser Periode den Dialekten noch sehr nahe stehen, müssen die Ergebnisse u n s e r e r Analyse auch mit dem Stand in den gegenwärtigen deutschen Mundarten verglichen werden.

3.

Im Verlauf u n s e r e r Arbeit haben wir beobachtet, daß die adjektivischen Pronomen

in dieser Periode noch nicht ganz grammatikalisiert sind und daß es noch möglich w a r , 20

diese Pronomina im Bewußtsein als gewöhnliche Adjektive zu empfinden. Aus diesem Grunde analysieren wir die Gruppen mit bestimmtem Artikel und die mit adjektivischen Pronomen gesondert. Nach der Festlegung der Forschungsmethode können wir uns jetzt dem sprachlichen Material zuwenden, um die von uns aufgeworfenen Fragen zu lösen.

Die Gruppe im Nom. Akk. PI. mit dem bestimmten Artikel (/die gute Christen - die guten Christen/) In d e r Gruppe "bestimmter Artikel + Adjektiv (Gruppe von Adjektiven) + Substantiv" haben wir f ü r das 16. und 17. Jahrhundert 1473 Belege gesammelt: Auf das 16. Jahrhundert entfallen 418 Belege; davon 366 = 88 % mit der Flexion / - e n / und 52 Belege = 12 % mit der Flexion / - e / . F ü r das 17. Jahrhundert lagen 1055 Belege vor. Diese verteilen sich in i h r e r Gesamtheit folgendermaßen: 651 Belege mit der Flexion / - e n / ,

= 61, 7 %

393 Belege mit der Flexion / - e / ,

=37,3 %

11 Belege mit der flexionslosen Form, =

1 %.

An Hand dieser Ergebnisse könnte man zu folgender Schlußfolgerung kommen: Der Prozentsatz d e r Formen mit / - e / ist im Vergleich zum 16. Jahrhundert etwas gestiegen,

54

Jelena Trojanskaja

derjenige der Formen mit / - en/ etwas zurückgegangen, doch sind diese im 17. Jahrhundert immer noch sehr verbreitet und bilden die Mehrheit. Diese Schlußfolgerung aus der Gesamtstatistik ist aber völlig falsch, weil jeder Wert, den wir bei solch einer Methode erhalten, in Wirklichkeit ganz von der Auswahl der analysierten Denkmäler abhängt. Bei der zufälligen (oder absichtlichen) Auswahl des sprachlichen Materials können wir auch zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Wenn wir z . B . im ersten Falle f ü r die Analyse die Werke folgender Autoren nehmen: M. Opitz, P . Fleming, H. von Hoffmannswaldau, D. Lohenstein, D. Czepko, J . - G . Schottelius, Ph. Zesen, J . Rebhun, A. Gryphius, so erhalten wir folgende Ziffern: 90 % - Formen mit / - en/ 10 % - Formen mit / - e / . Wenn wir diese Ergebnisse mit denen des 16. Jahrhunderts vergleichen, so könnten wir danach zu der Schlußfolgerung kommen, daß die Zahl der Formen mit / - e / im 16. und 17. Jahrhundert ungefähr konstant sei. Wenn wir aber f ü r die Analyse die Werke von Abraham a Sancta Clara, H.M. Moscherosch, H . J . Grimmelshausen, J . Rist, G. Weckherlin, F r . Spee nehmen, so ergibt sich genau das Umgekehrte: 90 % - Formen mit / - e / 10 % - Formen mit / - e n / . Durch die Auswahl verschiedener Autoren können wir also zu ganz verschiedenen Ergebnissen kommen. Entweder würden wir eine fast hundertprozentige Verbreitung der Formen mit / - e / im 17. Jahrhundert finden oder umgekehrt feststellen, daß die Formen mit / - e / auch im 17. Jahrhundert sehr selten vorkommen. Bei bestimmter Auswahl von Autoren könnten wir auch die dritte Variante erhalten: die Formen mit / - e / und / - e n / halten sich im 17. Jahrhundert die Waage. Praktisch können wir also jeden beliebigen Prozentsatz errechnen. Hieraus wird k l a r , daß eine solche Methode kaum die Frage lösen kann, was die Ursache dieser Erscheinung ist, wie diese Formen verbreitet sind und in welchen Positionen sie am Anfang der Entwicklung angetroffen werden. Wir sind davon überzeugt, daß nur die statistische Bearbeitung jedes einzelnen sprachlichen Denkmals, wobei wir die Heimatmundart des Schriftstellers und die Literaturtradition, der e r folgt, im Auge behalten müssen, uns helfen kann, strittige Fragen erfolgreich zu lösen. Die Ergebnisse solch einer Analyse zeigen wir der Anschaulichkeit und Kürze wegen in den Tabellen 1, 2 und 3.

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

55

Tabelle 1 Zahl und Prozentsatz der / - e/ und / - en/ Formen der Adjektive in der Gruppe mit dem bestimmten Artikel im 16. Jahrhundert (/die gute Christen/ - /die guten Christen/)

Autor oder Denkmal

Mundartlandschaft

Literatur- Allgemei- Zahl der Formen tradition ne Zahl mit von Belegen /- e/ /- en/

bayrischösterreichisch

Augsburger

44

2

42

2. Sattler

_ tt _

_ ti _

14

2

12

3. Zwingli

alemannisch

südwestdeutsche

71

-

71

4,

_ tt _

13

-

13

Augsburger

46

4

42

_ ii _

10



10

ostmitteldeutsche

69

21

33

1.

Eck

Meyer

5. Kettenbach

schwäbisch

6. Ein Sendbrief von einem jungen Stu_ n _ denten ( F l . I )

0%

100 %

9%

91 %

48

30 %

70 %

-

33

0

33 %

8. Hayneccius

_ n _

9.

_ tt _

_ it _

51

17

34

10. Ein Dialogus oder Gespräch zwischen einem Vater und _ M_ Sohn ( F l . I)

_"_

13

1

12

64

5

59

niederdeutsch

h en/ 88 %

ostmitteldeutsch

11. Agricola

/- e/ 12 %

7. Luther

Zanger

Prozentsatz der Formen mit

%

7,7 %

100

%

67 %

92,3 %

56

Jelena Trojanskaja Tabelle 2 Zahl und Prozentsatz der / - e/ und / - en/ Formen der Adjektive in der Gruppe mit dem bestimmten Artikel im 17. Jahrhundert (/die gute Christen/ - /die guten Christen/)

Autor

Mundart des Autors

Literatur- Allgemei- Zahl der Formen tradition ne Zahl mit von Belegen ¿ e / f- e n /

1. Abraham a Sancta Clara

bayrischösterreichisch

süddeutsche

2. Moscherosch

alemannisch

Prozentsatz der Formen mit Ae/

Aen/

104

100

4

96,1 %

3,9 %

_ ii _

57

55

2

96,4 %

3,6 %

3. Weckherlin

schwäbisch _ ii _

45

44

1

97, 8 %

2,2 %

4. Spee

mittelfrän- - ti — kisch rheinfränkisch

39

34

5

87 %

13 %

62

50

12

80,6 %

19,4 %

Nürnberger 28

6

22

21,4 %

78,6 %

1,3 %

98,7 %

5. Grimmelshausen

-

II

_

6. Rebhun

Nürnberg

7, Fleming

meißnisch ostmitteldeutsche

79

1

78

8. Czepko

schlesisch

74

10

64

9. Gryphius

_

N

_

10. Lohenstein

_

II

_

11. Opitz

_

II

_

12. Hoffmannswaldau

_

II

_

13." Zesen

sächsisch

14. Schottelius

niedersächsisch

15. Rist

_

N

_

-

"

-

_

II

_

-

"

-

"

.

II

_

-

"

-

13 %

87 %

56

3

53

5,3 %

94,7 %

130

8

122

6%

94 %

-

60

3

57

5%

95 %

-

55

5

50

9%

91 %

82

14

68

17 %

83 %

123

25

98

20,3 %

79, 7 %

52

42

80, 8 %

19, 2 %

10

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

57

Tabelle 3 Zahl und Prozentsatz der / - e/ Formen der Adjektive in der Gruppe mit dem bestimmten Artikel im 16. und 17. Jahrhundert Autor oder Denkmal des 16. Jahrhunderts

Mundart- Literatur- Prozentsatz der landschaft tradition Formen mit / e / 16. J h . 17. J h .

Literatur- Mundart Autor des tradition des 17. JahrAutors hunderts

1.

Eck

bayrischösterreichisch

Augsburgei 12 %

96,1 %

süddeutsche

bayrischösterreichisch

2.

Zwingli

alemannisch

südwestdeutsche

%

96,4 %

süddeutsche

aleman- 2. Moschenisch rosch

3.

Kettenbach

schwäbisch Augsburger 9 %

97,4 %

süddeutsche

schwäbisch

3. Weckherlin

4.

Luther

ostmittel- ostmitdeutsch teldeutsche

30 %

17 %

ostmitteldeutsche

sächsisch

4. Zesen

5.

Zanger

ostmittel- ostm itteldeutdeutsch sche

33 %

6.

Hayneccius

ostmitteldeutsch

_ tr _

0%

1,3 %

ostmitteldeutsche

sächsisch

5. Fleming

7.

Agricola

niederdeutsch

ostmitteldeutsche

7,5 %.

20,3 %

ostmitteldeutsche

nieder- 6. Schotteliu deutsch

ostmitteldeutsche

nieder- 7. Rist deutsch

0

1. Abraham a Sancta Clara

58

Jelena Trojanskaja Diese Tabellen zeigen sehr gut, daß der Nom. Akk. PI. auf / - e / im 16. Jahrhundert

für die meisten untersuchten Autoren und für die meisten Mundartlandschaften, die diese Autoren vertreten, wenig typisch ist und in keinem Denkmal zahlenmäßig die Formen auf / - en/ übersteigt. Besonders selten sind diese Formen bei den Vertretern der alemannischen Mundartlandschaft und bei denen einiger Mundarten des ostmitteldeutschen Gebiets; bei Zwingli und Hayneccius fehlen Formen mit / - e / ganz. Bei den Vertretern der bayrisch-österreichischen (Eck), schwäbischen (Kettenbach) und niederdeutschen Mundartlandschaften (Agricola) treffen wir die Formen mit / - e / an, aber ihre Zahl ist nicht groß (12 %, 9 %, 7,7 %). Bedeutend höher ist der Prozentsatz der Formen mit / - e / in der Sprache von Luther (30 %) und Zanger (33 %) - bei den Vertretern des Ostmitteldeutschen also. Die Tabellen 2 und 3 zeigen, daß sich die Zahl der Formen mit / - e / in den meisten Mundartlandschaften im 17. Jahrhundert im Vergleich zum 16. Jahrhundert erheblich vergrößert. Ein besonders starkes Anwachsen der Formen mit / - e / wird bei den Vertretern des Bayrisch-Österreichischen, Alemannischen und Schwäbischen beobachtet. Die Formen mit / - e / erreichen bei den Autoren aus diesen Mundartlandschaften fast 100 % (Abraham a Sancta Clara 9 6 , 1 %, Moscherosch96,4 %, Weckherlin 97,3 %). Bei den Vertretern des Fränkischen, Spee und Grimmelshausen, ist der Prozentsatz der F o r men mit / - e / ebenfalls ziemlich hoch (Spee 87 %, Grimmelshausen 80,6 %). Einen hohen Prozentsatz der Formen mit / - e / hat auch Rist (niederdeutsch) mit 80, 8 %. Bei den Vertretern der ostmitteldeutschen Mundartlandschaft ist der Prozentsatz der Formen mit / - e / sehr niedrig. Die Formen mit / - e / bleiben entweder, wie auch im 16. Jahrhundert, untypisch (Hayneccius 0 %, Fleming 1,3 %), oder wir haben im 17. J a h r hundert sogar einen niedrigeren Prozentsatz der Formen mit / - e / zu verzeichnen: Luther wies noch 30 %, Zanger 33 % auf; dagegen hat Zesen, bei dem der höchste Anteil der Formen mit / - e / imOstmitteldeutschen des 17. Jahrhunderts festzustellen war, nur 17 % an Formen mit / - e / . Damit haben wir einen Überblick über die Verbreitung dieser Erscheinung und die Tendenzen ihrer Entwicklung gewonnen. Jetzt kann man versuchen, auch deren Ursachen zu ergründen. Zunächst wollen wir annehmen, daß die Meinung von M.H. Jellinek, K. K a i s e r , W. Wilmanns richtig ist und daß wirklich ein Einfluß der Mundarten auf die Literatursprache besteht. Um das zu überprüfen, müssen wir uns den Dialektgrammatiken zuwenden. Ein Überblick zeigt, daß der / n / - Ausfall nicht nur für die schwäbische Mundart typisch ist

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17, Jahrhundert

59

(worauf schon früher einige Forscher hingewiesen haben), sondern noch für eine Reihe weiterer Mundarten, und zwar vor allem alemannische. Auf diese Besonderheit der a l e mannischen Mundarten haben viele Forscher hingewiesen, unter ihnen W. Rothmund 2 1 , 22 23 24 25 26 H. Lienhart , A. Sütterlin , W. Clauß , L. Jutz , A. Birlinger , Ebenso schwindet das / - n/ auch in den meisten Dialekten der südbayrischen (südösterreichischen), mittelbayrischen und mittelösterreichischen, schwäbischen, mittel27 und rheinfränkischen Mundartlandschaften, wovon die Forschungen von J . Schatz

,

A. B i r l i n g e r 2 8 , O. Heilig 2 9 , E . E . M ü l l e r 3 0 , A. P f e i f e r 3 1 , F r . Kauffmann 3 2 und anderer zeugen. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, daß schon W. Wilmanns darauf hinweist, daß der Gebrauch des auslautenden / - n/ in einigen Mundarten nicht von33der grammatischen Form des Wortes abhängt, sondern von der phonetischen Position

; eine

ähnliche Meinung vertritt auch H. Wunderlich 3 4 . Charakteristisch ist auch, daß es für die in der untersuchten Periode Lebenden klar war, daß die Formen mit / - e / aus bestimmten Dialekten in die Literatursprache eindrangen und daß es möglich war, am Gebrauch dieser Formen die Vertreter dieser Dialekte zu erkennen. Darüber spricht z . B . J . C h r . Gottsched: "Viele, die diesen Unterschied nicht wissen, oder bemerken wollen, beißen hier sehr 35 unrecht das / n / ab, sonderlich in gewissen Landschaften, die man daran erkennen kann." E r zählt diese Landschaften dann a u f . 3 6 Andererseits hat die Erforschung der Grammatik der meißnischen Landschaft, des schlesischen Dialektes und der niederdeutschen Mundartlandschaft ergeben, daß der / n / - Ausfall diesen Landschaften nicht eigen ist und daß das / - n/ in der37schwachen Dekli38 nation der Adjektive nie ausfällt; (vgl. dazu die Arbeiten von K. Albrecht , K . Nerger , 39 40 41 42 43 44 und anderer ). H. Wix , H. Schönhoff , E . Goepfert , R . Große , H. Protze 45 Hierher gehört auch die Nürnberger Mundart, in der nach A. Gebhardt

das Adjektiv

in der schwachen Deklination im Plural die Flexion / - en/ hat. Eine Ausnahme für das westliche Niederdeutsch bilden einige niederfränkische Mundarten und solche Gebiete, die 46 im Einflußbereich der nordfriesischen Mundarten liegen. Welche Schlußfolgerungen können wir daraus ziehen? Bei Abraham a Sancta Clara, Moscherosch, Spee, Grimmelshausen, Weckherlin ist der hohe Prozentsatz der Formen mit / - e / auf den Einfluß ihrer Heimatmundarten zurückzuführen: es handelt sich also Um die Widerspiegelung eines phonetischen Vorgangs der Dialekte in der Literatursprache. Die Heimatmundart von Rubhun habe ich nicht feststellen können, weil es mir nicht gelang, ausführliche Angaben über seinen Lebenslauf und seine Herkunft zu finden. Es ist jedoch möglich, daß wir es mit einem Vertreter des Nürnberger Dialektes zu tun haben.

Jelena Trojanskaja

60

Jetzt können wir schon mit Bestimmtheit sagen: die Formen mit / - e / entwickelten sich unter dem Einfluß der Heimatdialekte der Autoren, da f ü r diese jeweils d e r phonetische Prozeß des Ausfalls jedes / - n / typisch i s t . Die Dialektgrammatiken zeigen das ganz deutlich. Die meisten Belege mit Formen auf / - e n / entfallen bei diesen Autoren auf Verbindungen, die man als e r s t a r r t e Redewendungen betrachten kann und die eben deswegen eine für diese Sprachlandschaft archaische Form erhalten haben. Etwa: /die Teutschen Hund/ (Cl. I. S. 6) /die bösen Feind/ (Cl. II. S. 48) /die wilden t h i e r / (Mosch.) /die gelben h a a r / (Sp. S. 191) / d i e grünen zweig/ (Sp. S. 111). Indessen haben wir gesehen, daß Formen mit / - e / in dieser Periode nicht nur bei den Autoren aus den obengenannten Mundartlandschaften angetroffen werden, sondern auch bei solchen, f ü r deren Heimatmundarten der / n / - Ausfall nicht ypisch ist, also bei Dichtern aus Gebieten Ostmitteldeutschlands und Niederdeutschlands. Die Analyse hat uns gezeigt, daß die Formen mit / - e / bei den Autoren aus diesen Mundartlandschaften bedeutend seltener gebraucht werden und die Tendenzen in d e r Entwicklung d i e s e r Erscheinung ganz andere sind als bei den oben besprochenen Autoren: d . h . die Anzahl der Formen mit / - e / bleibt entweder sowohl im 16. als auch im 17. Jahrhundert sehr klein oder sie nimmt im 17. Jahrhundert noch ab. Symptomatisch sind auch die Positionen, in denen diese Formen gebraucht werden. Die Analyse aller Formen mit / - e / hat gezeigt, daß die meisten von ihnen gewöhnlich unt e r bestimmten syntaktischen Bedingungen auftreten. Diese kann man mit denen der polyflektierenden Formen vergleichen, die am Anfang der Arbeit besprochen worden sind: 1.

in der Gruppe mit dem Adjektiv, das die Rolle eines erweiterten Attributs spielt

(Distanzlage des Artikels und des Substantivs): e e /die mit Fussen getretene Gedachtnusse/ (Li. S. 29) /die dem Crasus und Antonius abgenommene A d l e r / (L. S. 7) /die zum Vortrab geordnete Kriegs-Volcker/ (L. S. 33) /die also genante Gottinnen/ (Sch. S. 104) Vergleichen wir das mit derselben Position beim Gebrauch polyflektierender Formen in anderen Kasus: /wegen der jhnen saurwerdender Ausrede/ (Sch. S. 125) Hierher gehören auch Belege mit Adjektiven, die an d e r Grenze zwischen einem zusammengesetzten Wort und zwei selbständigen Wörtern stehen, die in dieser Periode im Satz die Rolle eines erweiterten Attributs spielen:

Einige Besonderheiten in d e r Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert g

61

/die wollen = weiche hande/ (Hof.S. 41) /die kräfften = reiche Sachen/ (Hof. S. 367) / d i e viel = gliedrige w g o r t e r / (Z. S. 92. H.) Vgl. / a u s dem alt Königlichem Polnischen Stamm/ (Cz. S. 62). 2.

In der Wortgruppe mit zwei Adjektiven, die ohne Konjunktionen nebeneinander stehen.

In diesem Falle haben wir gewöhnlich einen Wechsel der Flexion. Das e r s t e Adjektiv hat in der Regel schwache Flexion, das zweite starke, als ob man danach s t r e b e , f ü r den Hörenden die grammatische Charakteristik des Substantivs zu unterstreichen. /die rechten durchgehende Grunde/ (Sch. S. 49) £

/die langen zusammen=gesetzte reim=bande/ (Z. S. 60. H.) /die groben zusamenstossende Buchstaben/ (Sch. S. 23) Vergleichen wir damit den Wechsel starker und schwacher Flexion in anderen Kasus: / a u s dem vhralten Fürstlichem Stamm/ (Cz S. 56) Die Reihenfolge schwacher und starker Formen konnte variiert werden, weil diesem Wechsel das Bestreben zugrunde lag, dem Substantiv eine grammatische Charakteristik zu geben. Das Auftreten einer starken Flexion an beliebiger Stelle der Reihe reichte dazu aus. Wenn daher aus irgendwelchen Gründen das e r s t e Adjektiv starke Flexion auf / - e / hat, so erhält dann das zweite nicht die übliche starke Flexion, sondern die schwache, weil die grammatische Charakteristik schon durch das e r s t e Adjektiv gegeben ist. In dem folgenden Beleg hat das erste Adjektiv die starke Flexion / - e / , weil es die Rolle eines erweiterten Attributs im Satze spielt. Deswegen hat das zweite Adjektiv nicht die übliche Flexion auf / - e / , sondern die schwache auf / - e n / : /die in den Teutschen Dialektis sich befindende mannigfaltigen Enderungen/ (Sch. S. 158). 3.

In der Wortgruppe mit zwei Adjektiven, die durch Konjunktionen verbunden sind, e r -

scheinen beide Adjektive mit s t a r k e r Flexion: /die eigene oder un = eingeschobene s c h r i t t e / (Z. S. 49. H.) / a l s die Grichische oder Lateinische (Schriften)/ (Sch. S. 12) /die uhralten Teutsche oder Geltische oder Gotische Buchstaben/ (Sch. S. 56) £

/die Lignitzische vnd Briegische Fürsten/ (Cz. S. 66) Diese Position kann man nur mit der syntaktischen Position des Gebrauchs polyflektierender Formen im Nom. Sg. mask. vergleichen, d . h . diese Position ist wahrscheinlich eben f ü r den Nominativ typisch: / d e r grausamer und bluthdurstiger Mars/ (R.)

Jelena Trojanskaja

62

In den Casus obliqui hat dagegen gewöhnlich nur das zweite Adjektiv eine starke Flexion: / m i t dem Churfurstlichen vnd Marggrafflichem Hause Brandenburg/ (Cz. S. 122) 4.

In der Wortgruppe mit mehr als zwei Adjektiven, die miteinander durch Konjunktionen

verbunden sind oder ohne Konjunktionen nebeneinander stehen. Alle Adjektive haben starke Flexion: Q

/die verhandene reine / alte / klare / deutliche, Teutsche Worter/ (Sch. S. 137) e /die herrliche verlassene Griechsche und Romische Schriften/ (Sch. S. 145) Vgl. / d e r vollenkommener gewünschter lieber F r i e d e / (R.). Solche Wortgruppen sind mir nur bei J . - G . Schottelius und J . Rist begegnet. Möglicherweise liegt hier niederdeutscher Einfluß vor; denn der zu / d e / abgeschwächte niederdeutsche Artikel konnte seiner Funktion nur noch bedingt nachkommen, so daß zur exakten Kennzeichnung polyflektierende Formen nötig waren. 5.

Seltener treffen wir Gruppen an, in denen zwei gleichartige Substantive mit einem

gemeinsamen Artikel (und eventuell Präposition) und jedem Substantiv einzeln zugeordneten Adjektiven stehen. In der Regel hat das zweite Adjektiv die starke Flexion: / a n die Sächsischen Fürsten vnd Brandenburgische Marggraffenn/ (Cz. S. 60) /auf die einlautenden Wurtzelen / oder Grundfeste Stammworter/ (Sch. S. 41) g Vgl. /Meinem vielgunstigen Herrn und werthem Freunde/ (Fl.) 6.

In der Position nach dem Zahlwort, wo die ganze Gruppe mit dem bestimmten Artikel

steht: /die 2. Fürstliche H l u s e r / (Cz. S. 52) /die zweene F e r r a r i s c h e H e r r e n / (Op. D. S. 5) Diese Wortgruppe kann man auch als Gruppe mit zwei Adjektiven betrachten (in diesem Falle hat, wie wir oben gesehen haben, das zweite Adjektiv starke Flexion). Doch scheint es m i r b e s s e r , diese Gruppe als eine spezifische syntaktische Position f ü r den Nom. Akk. PI. zu betrachten. 7.

Die Faktoren, die auf den Gebrauch polyflektierender Formen Einfluß ausüben, können

mannigfaltig sein. Manchmal haben wir nicht nur mit einem Faktor, sondern mit mehreren zu rechnen. e e In der Wortgrivope / an die vielfaltigen Auslandische vnd Bürgerliche Kriege / g (Op. D.) läßt sich Jie starke Form des Adjektivs / Auslandische / durch zwei Faktoren erklären:

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

63 g

1.

die Stellung nach dem schwachen Adjektiv in der Gruppe / die vielfaltigen Außlandische /

2.

die Stellung in der Gruppe gleichartiger Adjektive, die miteinander durch die Konjunk-

tion / und / verbunden sind: e e / a n die . . . Außlandische vnd Bürgerliche K r i e g e / . Dieselben Faktoren haben wir auch im folgenden Beispiel anzusetzen: /die uhralten Teutsche oder Geltische oder Gotische Buchstaben oder L e t t e r e n / (Sch. S. 56) . In der Fügung / die von etzlichen Teutschen Poeten herausgegebene und wol ausgearbeitete Schriften/ (Sch. S. 117) läßt sich das Auftreten der starken Flexion im Adjektiv /herausgegebene/ durch zwei Faktoren erklären: 1) durch die Erweiterung des Attributs, 2) durch den Gebrauch in der Gruppe gleichartiger Adjektive, die durch die Konjunktion /und/ verbunden sind. Diese Kombinationsfaktoren können, wie schon angedeutet, sehr mannigfaltig sein. Oben (in den Tabellen) haben wir gesehen, daß der Prozentsatz der Formen mit / - e / bei den meisten Vertretern Ostmitteldeutschlands und Niederdeutschlands im Vergleich zu dem aus anderen Sprachlandschaften sehr niedrig ist. Wenn wir aber die Formen mit / - e / , die unter besonderen syntaktischen Bedingungen gebraucht werden, nicht mitzählen, so wird der Prozentsatz dieser Formen vollends unbedeutend: Tabelle 4 Autor

Zahl der Belege mit der s t a r ken Form außer den oben e r wähnten syntaktischen P o s i tion (wie /die gute Christen/)

Prozentsatz der Belege mit der starken Form außer den erwähnten syntaktischen Positionen (wie /die gute Christen/)

Czepko

3

4.4

Lohenstein

2

1.5 1

Fleming

1

1,3

Gryphius

3

5,2

Opitz

0

0

Hoff mannswa ldau

2

3, 8

Zesen

0

0

Schottelius Rist

9

7

41

72

Die Untersuchung hat auch gezeigt, daß ein Zusammenhang zwischen der Zahl polyflektierender Formen (Formen mit / - e / ) im Nom. Akk. PI. und der in anderen Kasus

64

Jelena Trojanskaja

besteht. Ein hoher Prozentsatz polyflektierender Formen in der Sprache des Autors entspricht immer einem hohen Prozentsatz der Formen mit / - e / . Besonders anschaulich ist das bei D. Czepko und J . - G . Schottelius zu sehen. J . - G , Schottelius hat z . B . in der Gruppe mit dem bestimmten Artikel im Nom. Sg. m a s c . 10 % polyflektierende Formen, D. Czepko im Dat. Sg. mask. und n . 27 % polyflektierende Formen. Beide haben auch im Vergleich zu den anderen Vertretern Ostmitteldeutschlands und Niederdeutschlands (ohne Rist mitzuzählen) den höchsten Prozentsatz der Formen mit / - e / in dieser Gruppe (7 %, 4 , 4 %). Bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß die V e r t r e t e r Ostmitteldeutschlands im 16. Jahrhundert: Luther und Zanger, die den höchsten Prozentsatz der Formen mit / - e / (30 % und 33 %) haben, diese Formen vorwiegend in denselben syntaktischen Positionen gebrauchen, die wir ausgegliedert haben (in der Gruppe von Adjektiven, nach dem Zahlwort, in d e r Gruppe des erweiterten Attributs): /die bißher erzelte argument/ (Zang. S. 134) /die sprenckliche vnd bundte bocke/ (Luth. S. 65) /die sieben reiche j a r / (Luth. S. 95) usw. Der Prozentsatz der F o r m e n , die außerhalb dieser syntaktischen Bedingungen gebraucht werden, beträgt sowohl bei Luther als auch bei Zanger nur 7 % und ist damit ziemlich niedrig. Wichtig ist auch, daß bei Autoren des 16. Jahrhunderts, f ü r deren Mundartlandschaften die Formen auf / - e / nicht typisch sind, die meisten dieser Belege gerade in den genannten syntaktischen Positionen erscheinen: /die leuchtende vnd scheinende Liechter/ (Satt. F l . II. S. 317) /die onchristliche, auch teufelischen waffen/ (Satt. Fl. II. S. 310) g /die alten Romische Recht/ (Ag. S. 34) Wofür sprechen diese Tatsachen? Welche Schlußfolgerungen kann man aus der Analyse unseres sprachlichen Materials ziehen? 1.

Um die Frage über die Ursachen der Verbreitung der Formen mit / - e / im 16. J a h r -

hundert und besonders im 17. Jahrhundert zu klären, muß man den Gebrauch dieser F o r men bei den Vertretern verschiedener Gebiete differenzieren. Bei den Vertretern d e r j e n i gen Mundartlandschaften, f ü r die der / n / - Ausfall typisch war, haben wir mit d e r Widerspiegelung dieser Erscheinung in der Literatursprache zu rechnen. Bei uns sind das Abraham a Santa Clara, Moscherosch, Weckherlin, Spee, Grimmelshausen. F ü r diese Mundartlandschaften ist ein s t a r k e s Anwachsen der Formen mit / - e / auf Grund eines nur phonetischen Vorgangs typisch.

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

65

Bei den Vertretern derjenigen Mundartlandschaften (hauptsächlich d e r ostmitteldeutschen und niederdeutschen), fiirdie der Ausfall des auslautenden / - n / nicht typisch ist, mlissen wir solche Formen als archaische Überreste echter s t a r k e r Flexion betrachten. Mit der Zeit wird jedoch die Zahl dieser Formen - wie die Polyflexion überhaupt i m m e r kleiner. Bei uns findet sich diese Erscheinung bei folgenden Schriftstellern: Luther, Zanger, Agricola, Opitz, Zesen, Fleming, Hoffmannswaldaii, Lohenstein, Gryphius, Schottelius. Der Gebrauch polyflektierender Formen bei J . Rist ist wahrscheinlich auf beide U r s a chen zurückzuführen. In seiner Sprache beobachten wir überhaupt sehr viele polyflektierende Formen auch in anderen Kasus. Deswegen wird ihr hoher Prozentsatz auch im Nom. Akk. PI. leicht durch die Tendenzen e r k l ä r t , die in seiner Sprache zusammentreffen (47 % der Formen im Nom. Sg. mask. sind polyflektierend). E s liegt jedoch auch nahe, einen so hohen Prozentsatz von Formen mit / - e / durch den / n / - Ausfall im Hamburger Dialekt zu erklären. Das Vorhandensein vieler polyflekt i e r e n d e r Formen schuf eine gute Grundlage f ü r die intensive Verbreitung d e r Formen ohne / - n / , die als plyflektierende Formen aufgefaßt wurden. Gesicherte Aussagen darüber sind jedoch e r s t möglich, wenn diese Erscheinung f ü r die Hamburger Mundart hinreichend untersucht worden ist. 2.

Es ist möglich, daß die Formen mit dem Ausfall des auslautenden / - n / auch in den-

jenigen Mundartlandschaften, in denen sie durch einen rein phonetischen Vorgang h e r v o r gerufen wurden, von den Sprechenden zunächst als polyflektierend empfunden wurden. Das Vorhandensein der polyflektierenden Formen in der Sprache dieser Periode hat zu der intensiven Verbreitung der Formen mit / - e / beigetragen, obwohl der Grund f ü r ihr Auftreten in Wirklichkeit ein ganz anderer w a r . Die Dialektgrammatiken zeigen, daß der phonetisch bedingte Ausfall des auslautenden / - n / in diesen Mundartgebieten natürlich nicht nur im Nom. Akk. PI. eintritt, sondern in allen Kasus der schwachen Deklination und im Dat. PI. der starken Deklination. Das Paradigma der schwachen Deklination einiger Mundarten sieht so aus (z.B. in d e r Mundart von Eschbach bei Waldshut): Sing.

Mask.

Fem.

Neutr.

oder sogar so (in der Mundart von Imst):

Nom.

gross

Dat.

grosse

Akk.

gross

PI.

grosse grosse _ 47 grosse

Je lena Trojanskaja

66

Mask.

Fem.

Neutr.

Nom.

dar

raix

t.

raix

S.

raix

Dat.

in

raixs

dar

raix

in

raix

Acc.

d3

raixa

t

ratx

s

raix

Im Plural bekommt das Adjektiv die Endung/-e/und hat die Form/raixa / . 4 8 Das Paradigma der starken Deklination sieht im Plural so aus: Mask. PI.

Fem.

Nom.

grössi

Dat.

grosse

Akk.

grössi

(gross)

grössi

(gross)

grosse (gross)

(gross)

grössi Neutr. grössi grosse - «49 grossi

oder in der Mundart des elsässischen Zorntales:

PI.

Mask. ' Nom.

Akk.

Dat.

(/-en/)

Neutr. v älti 50 älte

Femin. '

Aber diese Erscheinung erlebte in der Literatursprache des 16. und 17. Jahrhunderts bei den übrigen Kasus keine so intensive Verbreitung wie beim Nom. Akk. P l u r . , weil sie dort keine Bedingungen fiir ihre Verbreitung fand. Solche Formen werden sehr selten gebraucht; wir fanden nur 14 Belege: /aus der alte Kirchen/ (Luth. S. 25. W.) /des seltzame thierß/ (Fl. I. S. 175) /mit einer boßhafftige glyßnery/ (Kett.S. 110) /mit aim fromen alte mutterlin vS Vlm/ (Kett. S. 52) /vmb der Türckische, heydenische teiiffelische, tyrannische wtitterisch handelung willen/ (Fl. H. S. 450) /vor der ersten alte Kirchen/ (Luth. S. 23. W.) g /gegen der Heilige Gottliche Schrift/ (Coln) /seiner ewigen, wahrhafftigen, gerechten vnd lebendig machende botten/ (Satt. Fl. H. S. 319)

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

67

Damit haben wir eine Basis gewonnen, von der aus wir die bisherige Forschung Uber diesen Gegenstand beurteilen können: 1.

Wenig Qberzeugend ist danach die Meinung von H. Paul, der von Nachlässigkeit in

der Schreibung spricht. 2.

Es ist schwer, sich mit L. Sütterlin einverstanden zu erklären, der nichts Neues in

dieser Erscheinung sieht. Das von uns analysierte sprachliche Material zeigte sehr eindrucksvoll, daß diese Erscheinung für die Vertreter der alemannischen, bayrisch-österreichischen, schwäbischen und fränkischen Mundartlandschaften sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht eine ganz neue Erscheinung darstellt. Die Meinung von Stttterlin kann man nur für die Vertreter der ostmitteldeutschen und niederdeutschen Mundartlandschaften gelten lassen. 3.

Aus demselben Grund ist auch das Verfahren von O. Behaghel, der die Formen mit

/ - e / zusammen mit polyflektierenden Formen überhaupt betrachtet, sehr zweifelhaft. 4.

Die Auffassung von O. Behaghel, W.G. Admoni, L . G . Korabljowa, diese Erscheinung

habe ihre Ursachen darin, daß die Flexion auf / - e / nicht mehr ausdrucksvoll genug sei und daß deswegen beide Flexionen leicht verwechselt werden könnten, ist deswegen bedenklich, weil sie erstens nicht für die Vertreter aller Landschaften gelten kann, sondern nur für die der alemannischen, bayrisch-österreichischen, schwäbischen und fränkischen Mundartlandschaften und weil zweitens Vermischung der beiden Flexionen selbst ihren Grund in dem intensiven Prozeß der Reduktion hat und an und für sich das Eindringen dieser Formen in die Literatursprache nicht erklärt. Es scheint bei den Vertretern der ostmitteldeutschen und niederdeutschen Mundartlandschaften auch ganz unbegründet zu sein, von der Ausdruckslosigkeit der Formen mit / - e / zu sprechen: Diese Formen haben sehr oft die Aufgabe, die grammatische Charakteristik des Adjektivs zu unterstreichen. Darüber ist noch zu sprechen. 5.

Die Äußerungen von M.H. Jellinek, W. Wilmanns, K. Kaiser und einiger anderer

über den Einfluß des phonetischen Prozesses des Ausfalls von auslautendem / - n/ auf diese grammatische Erscheinung kann man auch nur mit Vorbehalt akzeptieren; nicht jede Form mit / - e / spiegelt den Ausfall eines / - n/ in den Dialekten wider. Für die ostmitteldeutschen und niederdeutschen Mundartlandschaften sind das in der Regel gewöhnliche polyflektierende Formen, die, aus früheren Zeiten stammend, in der Sprache des Untersuchungszeitraumes erhalten geblieben sind und nichts mit Reduktion zu tun haben. 6.

Auch mit der Meinung von K. Kaiser kann man sich nicht einverstanden erklären.

Jelena Trojanskaja

68

E r betont das Chaos und die völlige Planlosigkeit im Gebrauch der Formen mit / - e / und / - e n / . Wir sehen hier eine deutliche Ordnung. 7. Wir halten auch die Ansicht von J . Heyse nicht für richtig, der behauptete, daß die Formen mit / - e / und / - e n / verschiedene Bedeutung haben. ist das nachzuweisen - wir gehen noch darauf ein

Wenn es überhaupt möglich

so kann das wiederum nur f ü r die

V e r t r e t e r bestimmter Mundartlandschaften gelten, und zwar f ü r die des Ostmitteldeutschen und Niederdeutschen. Das fast hundertprozentige Vorhandensein dieser Formen bei den Vertretern vieler anderer Mundartlandschaften ist natürlich unmöglich dadurch zu erklären. Der Fehler bzw. die Ungenauigkeit d e r meisten F o r s c h e r besteht darin, daß sie bei der Einschätzung dieser Erscheinung die dialektalen Unterschiede ignorieren und das Problem zu einseitig behandelt haben.

Die Formen mit / - e / und mit / - e n / in der Gruppe mit adjektivischen Pronomina (/diese schönen Augen - diese schöne Augen/) Die Analyse des von uns gesammelten Sprachmaterials hat gezeigt, daß die Ursachen des Gebrauchs d e r Flexion auf / - e / in diesen Wortgruppen nur teilweise die gleichen sind wie bei d e r Wortgruppe mit dem bestimmten Artikel. Wir behandeln hier nur die Wortgruppen mit Demonstrativ- und Possessivpronomina, weil nach allen anderen adjektivischen Pronomina: /solche, manche, viele, einige, etliche/ und anderen in der Regel nur starke Formen stehen: /viel schwartze Dinge/ (L. S. 15) /solche wunder = seltsame dinge/ (Z. Äff, S. 18) / a l l e düstere Wohningen/ (L. S. 8) 51 Schwankungen lassen sich also nur nach Demonstrativ- und Possessivpronomina beobachten. Oben haben wir schon darauf hingewiesen, daß die adjektivischen Pronomina sehr oft als gewöhnliche Adjektive empfunden wurden, und zwar besonders die Pronomina: / s o l c h , manch, welch, all, viel, etlich/, weniger dagegen / d i e s / oder / m e i n / (Demonstrativoder Possessivpronomina). Eben damit läßt sich d e r Gebrauch der starken Flexion auf / - e / nach diesen Pronomina erklären. In der Wortgruppe "Pronomen (Demonstrativ- oder Possessivpronomen) + Adjektiv

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 1 6 . und 17. Jahrhundert

69

(Gruppe von Adjektiven) + Substantiv" haben wir 466 Belege g e s a m m e l t . Sowohl im 16. Jahrhundert als auch im 17. Jahrhundert werden die F o r m e n auf / - e / und auf / - e n / nebeneinander gebraucht. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied im Gebrauch d i e s e r Formen in beiden Perioden: Während im 16. Jahrhundert bei allen Autoren beide Formen anzutreffen sind, finden sich im 17. Jahrhundert bei e i n e r Reihe von Autoren (Abraham a Sancta C l a r a , Weckherlin, Spee, Grimmelshausen) nur noch starke Formen (Tabelle 5 ) . B e i anderen aber haben wir nach wie vor die früheren Schwankungen im Gebrauch beider Formen: / m e i n e jungen J a h r e / (Reb. S. 158) / s e i n e schweren B ü r d e / (Grif. S. 73) / s e i n e besten wahren/ (Hof. II. S. 7) g /deine schone g l i e d e r / (Hof. II. S . 16) /deine kalten g l i e d e r / (Hof. II. S. 261) / j h r e zwantzigjlhrige Dienste/ ( L . S . 49) / i h r e holen Schilde/ ( L . S . 45) /auff diese hohe Sachen/ ( F l . S. 154) / j e n e flachen F e l d e r / ( F l . S . 104)

(Siehe Tabelle 5)

Tabelle 5 zeigt, daß die ausschließliche Verwendung der Formen auf / - e / in der Wortgruppe mit Demonstrativ- und Possessivpronomen aufs engste mit dem hohen P r o z e n t satz d i e s e r Formen in der Wortgruppe mit dem bestimmten Artikel verbunden ist und so mit denjenigen Mundartlandschaften, in denen das / - n / im Auslaut wegfällt. F ü r diese Landschaften kann man sich die Entwicklung im Gebrauch der starken und der schwachen Flexion seit der ahd. Zeit folgendermaßen vorstellen: Das nach dem P o s s e s s i v - und Demonstrativpronomen stehende Adjektiv scheint im Germanischen nur stark flektiert worden zu s e i n . Im Ahd. wird vorwiegend die schwache F o r m gebraucht, doch ist daneben auch die starke F o r m möglich. Diese Schwankung ist auch für die späteren Perioden c h a r a k t e r i s t i s c h . E s scheint, als ob wir im 17. Jahrhundert in die alten Zeiten zurückkehrten. Doch beruht diese scheinbare Rückkehr auf dem Ausfall des auslautenden / - n / in vielen Mundartlandschaften. Aber die Schwankungen in d i e s e r Gruppe auch in den älteren Sprachperioden schufen eine günstige Voraussetzung für die konsequente Durchführung des / n / - Ausfalls eben in d i e s e r Gruppe. Ein anderes Bild bietet sich bei den Vertretern Ostmitteldeutschlands und Niederdeutschlands. Tabelle 6 zeigt, daß im 16. wie im 17. Jahrhundert (Tabelle 5) dieselben Schwankungen im Gebrauch beider Formen bestehen. Hier hängen sie nicht vom phonetischen Prozeß des / n / - Ausfalls ab, sondern sind fortlebende Ü b e r r e s t e des alten Zustands.

Jelena Trojanskaja

70

Tabelle 5 Prozentsatz der Formen auf / - e/ in der Gruppe mit dem bestimmten Artikel und in der Gruppe mit den Demonstrativ- und Possessivpronomina im Nom. Akk. P I . (/die gute Christen - diese schöne Frawen/) im 17. Jahrhundert

Autor

Mundart landschaft des Autors

Prozentsatz der Formen auf / - e/ in der Gruppe mit den Demonstrativ- und dem bestimmten Possess i v - Pronomina Artikel

1. Abraham a Sancta Clara

bayrisch-österreichisch

96,1 %

100 %

2. Mosche rosch

alemannisch

96,4 %

100 %

3. Weckherlin

schwäbisch

97, 8 %

100

4. Spee

mittelfränkisch

87

%

%

100 %

80,6 %

6. Rebhun

Nürnberg ( ? )

21,4 %

7. Fleming

obersächsisch

1,3 %

33,3 %

8. Lohenstein

schlesisch

6

%

77 %

17

%

9. Zesen 10. Schottelius 11. Rist

obersächsisch

100

%

5. Grimmelshausen rheinfränkisch

93 %

88 %

niederdeutsch

20,3 %

97,2 %

| niederdeutsch

80,8 %

98 %

Tabelle 6 Zahl der Formen mit / - e/ und / - en/ in der Gruppe mit Demonstrativ- und Possessivpronomina bei den Vertretern der ostmitteldeutschen Variante der Literatursprache (im 16. Jahrhundert)

Autor 1. Zanger 2. Hayneccius 3. Luther 4. Agricola

Mundart landschaft ostmitte ldeutsc h _ tt _ _

M

_

niederdeutsch

Zahl der Belege mit / - e/ / - en/ 8

1

8

2

15

4

7

5

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive im 16. und 17. Jahrhundert

71

Das Spezifische der Gruppen mit den Demonstrativ- und Possessivpronomen im V e r gleich zu den Gruppen mit dem bestimmten Artikel besteht in der Möglichkeit, sie als gewöhnliche Adjektive aufzufassen. Daraus ergab sich bei den Vertretern aller Mundartlandschaften eine Besonderheit beim Gebrauch dieser Formen: F ü r die Mundartlandschaften, die das / - n / im Auslaut abwerfen, diente sie gewissermaßen als ein Katalysator des P r o z e s s e s ; f ü r die V e r t r e t e r des Ostmitteldeutschen und Niederdeutschen trug sie zur Erhaltung der starken polyflektierenden Formen bei.

Sprachliche Bedeutung der polyflektierenden Formen Diese F r a g e , wie auch die obenerwähnte, e r f o r d e r t eine differenzierte Lösung. Eine alle vorkommenden Fälle gleichermaßen erklärende Antwort kann nicht gegeben werden. Hier müssen wir die unter bestimmten syntaktischen Bedingungen gebrauchten Formen von solchen unterscheiden, wo dies nicht der Fall i s t . Dabei muß der allgemeine Stand der Verbreitung polyflektierender Formen bei den Autoren in Betracht gezogen werden. Außerdem müssen wir die Gruppen mit dem bestimmten Artikel und die Gruppen mit adjektivischen Pronomina unterscheiden. 1.

Vor allem müssen wir unterstreichen, daß bei den Autoren aus d e r niederdeutschen

Mundartlandschaft (J. Rist, teilweise J . - G . Schottelius) die polyflektierenden Formen als eine gleichberechtigte Variante gebraucht und empfunden werden (J. Rist hat in d e r Gruppe mit dem bestimmten Artikel im Nom. Sg. männlichen Geschlechts 49 % polyflektierende Formen). Das behandeln auch einige Grammatiken des 17. und 18. Jahrhunderts, und es ist charakteristisch, daß alle Grammatiker, die polyflektierende Formen als Norm aufstellen, aus Niederdeutschland stammen. J . - G . Schottelius weist, indem e r in das Paradigma die starke F o r m zusammen mit d e r schwachen F o r m einschließt, darauf hin, daß das den Wohlklang der Rede nicht verdirbt: "Die Zusammenkommung der r r mag einem / der eine Teutsche Zunge hat / nicht g hinderen / denn solches auch oftmals ohn einige schmalerung des Wollautes sonst zugeschehen pflegt/ 53 H. Wahn

52

."

aus Hamburg erlaubte auch in seiner Grammatik den Gebrauch der starken

Formen anstatt der schwachen: "Wird e s gebraucht mit dem Articul, der (die) das und heist Adjectivum servum, das dienstbare / und so hat es in allen 3 en Geschlechten am Ende e als: der gute, die gute (das gute).

72

Jelena Trojanskaja g Der Normativ kan auch gar wohl in mascul. sonderlich wenn es eine zierliche Harte

der Sachen geben soll / mit r ausgesprochen werden / als: der grosser / starker / mächtiger i c . " 54 Oder J . Bödiker: "Bisweilen kann auch im Masculino das / e r / Statt haben. Der knorrender rauher e Pobel und großer dikker Haufe. Luth. Sonderlich in Versen, wenn ein Vocalis folgt: /Der rother Adler fleugt mit Waffen an den Rhein Und machet die Gefar des Reiches sich gemein/." Und weiter empfiehlt e r für den Dat. Sg. männlichen und sächlichen Geschlechts in 55 der Gruppe mit dem unbestimmten Artikel die starke Endung / - e m / . 2.

Der Gebrauch der polyflektierenden Formen in Gefügen mit Artikel, aber ohne die

von uns oben festgestellten besonderen Bedingungen, in der Sprache von Autoren, wo diese Formen auf ältere Sprachstadien zurückgehen, ist schwer zu erklären. Es ist grundsätzlich möglich, daß diese Formen dort wirklich eine zusätzliche Funktion (stilistische oder grammatische) hatten. Uns aber scheint eine andere Erklärung wahrscheinlicher: Diese Wortgruppen wurden in dieser Periode schon als erstarrte Redewendungen angesehen. Dadurch wurde die Erhaltung archaischer Formen erleichtert. Die einzige polyflektierende Form in der Gruppe mit dem bestimmten Artikel steht z . B . bei Abraham a Sancta Clara in einer Fügung, die als eine erstarrte Wendung betrachtet werden kann: /von dem ottomanischem stbl/ (Cl. I. S. 26). 3.

Der Gebrauch polyflektierender Formen in den Wortgruppen, in denen das Adjektiv

unter bestimmten 3301 taktischen Bedingungen steht, zeugt davon, daß hier wirklich eine zusätzliche Funktion vorhanden ist - und zwar keine stilistische, sondern eine grammatische. Das bekunden nicht nur die syntaktischen Positionen selbst (die polyflektierende Form e r scheint immer bei der Distanzstellung des Artikels und des Adjektivs, wo für den Lesenden oder Hörenden die syntaktische Verbindung verlorengehen könnte), sondern auch direkte Hinweise der Theoretiker dieser Zeit. So steht z . B . bei Ph. Zesen: '/Wan aber / wie bisweilen geschihet / viel bei stfndige worter, die etwas lang sein / nacheinander hingesazet Warden / so kan das latzte seine recht - eigene andung wohl e g e 6 6 6 e unverändert behalten / da mit der laser oder zuhorer / das zu basser vernahmen könne / e e in was fohr einer zahl - andung das selbständige / dem es fohrhergehet / stehen sol. g Als ich kan wohl / ohne Verletzung des Wohlklanges / sagen / dem Wohlgezierten schönem £

bilde / dem Hoch- und wohl - gebohrnen / in aller weit gelobten / traflichem Helden. e e Aber in den andern zahl - andungen kan es nicht angehen / als es klunget ganz nicht / wan e e ich sagen wolte / das wohlgezierte / schönes Bild / der wohlgelehrte verstandiger man.

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive 73 im 16. und 17. Jahrhundert e 5g e Kurz in diesem f a l l mus ein scharfes ohr das baste tuhn / und den Wohlklang w a l l e n / . " 4.

Der Gebrauch polyflektierender Formen in der Gruppe mit dem adjektivischen P r o n o -

men kann in den meisten Fällen durch deren adjektivische Geltung e r k l ä r t werden. Eben deswegen treffen w i r solche Formen auch bei den V e r t r e t e r n Süd- und Mitteldeutschlands an.

Abkü rzungen XVI.Jh. e

e

1. J . A g r i c o l a , Sibenhundert vnd Fünfftzig Deutscher Spruchwortter, 1558, S. 1.

Ag.

2. M . M . Chemnitz, Die Reine gesunde l e r e / von der waren gegenwertigkeit / des Leibs vnd Bluts Christi, L e i p z i g 1561.

Zang.

3. J . Eck, Umb den grossen sig K a i s e r l i c h e r Majestat in Thunis verlihen, Augsburg 1536.

Eck I

J . Eck, Des heiligen Concilij tzu Costentz, L e i p z i g 1520.

Eck II

(J. E c k , ) Das Schiff des Heils, Bloomington 1932 f . = Abdruck d e r Ausgabe von 1512.

Eck III

4. Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, herausg. von Otto Clemen, L e i p z i g u. New Y o r k 1907-1908, Bd. 1 - 2 . a) M . Sattler, Brüderlich Vereinigung etzlicher Kinder Gottes sieben Artikel betreffend. Item ein Sendbrief Michael Sattlers, (Augsburg) 1527 , Band II, Hf. 3. b ) H. Kettenbach, Die Schriften Heinrichs von Kettenbach, Bd. II, Hf. 1.

Sat.Fl.II Kett.

c ) (S. M e y e r , ) Ein k u r z e r B e g r i f f von Hans Knüchel, (Basel 1523), Bd. I, H f . 6.

M.Fl. I

d) J . Lachmann, Drei christliche Ermahnungen an die Bauernschaft, Speyer (1525), Bd. n , Hf. 4.

e

Lach. F l . II

5. M . Hayneccius, D r e y newe, schone vnd Lustige Comoedien, L e i p z i g 1582.

H.

6. ( M . L u t h e r , ) Die B i b e l . . . Halle 1850.

Luth. B .

M . Luther, Wider Hans Worst, Halle 1880 = Abdruck der ersten Ausgabe 1541.

Luth. W .

7. J . Moyß, Von dem schweren Mißbrauch des W e i n s , Köln 1581.

Cöln.

8. H. Zwingli, Huldreich Z w i n g l i ' s W e r k e , Bd. 1 (1522-1524), Zürich 1818.

Zw.

74

Jelena Trojanskaja

XVII Jh. 1. Abraham (a Sancta Clara), Reimb dich, oder ich liß dich, das ist: allerley Materien, Wien 1687. Dieses Werk ist eine Sammlung. Jede Erzählung hat ihre eigene selbständige Numerierung. "Reimb dich oder Ich liß d i c h . . C l . I "Merks Wienn". 2. (D. g Czepko,) Gynaeceum... Kurtze Hirstorische Beschreibung und Ausfuhrung der Stamlinien, Breslau 1626.

Cl. II Cz.

3. P. Fleming, Geist-und Weltliche... durch Danielem Zepken, Poemata, Jena 1660.

Fl.

4. H.J.Chr. Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus, Halle/Saale 1880. 5. A. Gryphius, Freuden und Trauerspiele, Leipzig 1663.

Gr. Grif.

6. (H. von Hoffmannswaldau,) Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen außerlesener und bißher ungedruckter Gedichte, Bd. I, Leipzig 1697. g 7. D. Lobenstein, Großmuthiger Feldherr A r m i n i u s . . . , Bd. I, Leipzig 1689.

Hof. L.

8. H.M. Moscherosch, Wunderliche und wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewald, Straßburg 1650.

Mosch.

9. M. Opitz, Opera Poetica. Das ist Geistliche und Weltliche Pooemata, Amsterdam 1646.

Op. O.

M. Opitz, Deutsche Poemata, Danzig 1640.

Op. D.

M. Opitz, Buch von der deutschen Poeterey, 6. Aufl. Halle/Saale 1955 = Abdruck der ersten Ausgabe 1624. 10. J . Rebhun, Der Simplicianische Welt = Kucher, Nürnberg 1678. e 11. J . Rist, Das Friedewunschende Teutschland, Hamburg 1649.

Op. P. Reb. R.

12. J . - G . Schottelius, Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache, Braunschweig 1663.

Seh.

13. F r . Spee, Trvtz Nachtigal, Köln 1649.

Sp.

14. (G.R. Weckherlin,) Kurtze Beschreibung / dess zu Stuttgarten / bey den

W.

Fürstlichen Kindtauf vnd Hochzeit / Jungst-gehaltenen Frewden = Fests / verfortiget durch Georg = Rodolfen Weckherlin, Tübingen 1618.

W.

15. Ph. Zesen, Afrikanische Liebes=Geschichte von Kleomedes und Sofonisbe, 1647.

Z.Aff.

Einige Besonderheiten in d e r Deklination d e r deutschen Adjektive

75

Anmerkungen

1

Wir haben die Werke von 9 Schriftstellern des 16. J h s . (außer den Flugschriften) analysiert und die von 15 Schriftstellern des 17. J h s . Bei jedem Autor haben wir im Durchschnitt 150 bis 200 Seiten durchgesehen.

2

L. SUtterlin, Neuhochdeutsche Grammatik, Bd. I, München 1924, S. 362.

3

H. Paul, Deutsche Grammatik, Halle/Saale 1956-1957, Bd. 3, S. 99.

4

Ebd.

5

L . SUtterlin, Neuhochdeutsche Grammatik, Bd. I, Münschen 1924, S. 362.

6

O . Behaghel, Deutsche Syntax, Bd. I, Heidelberg 1923, S. 188.

7

J . C . A . Heyse, Theoretisch-praktische deutsche Grammatik, 5. Aufl. Hannover 1849, Bd. 2, S. 437, 439.

8

M.H. Jellinek, Ein Kapitel aus d e r Geschichte d e r deutschen Grammatik, in: Abhandlungen zur germanischen Philologie, Halle/Saale 1898, S. 32.

9 10

H. Wunderlich, Der deutsche Satzbau, Stuttgart 1901, Bd. 2, S. 214. K. Kaiser, Mundart und Schriftsprache. Versuch einer Wesensbestimmung in der Zeit zwischen Leibniz und Gottsched, Leipzig 1930, S. 100.

11

K. K a i s e r , Mundart und Schriftsprache, Leipzig 1930, S. 100 f .

12

K. Kaiser, Mundart und Schriftsprache, Leipzig 1930, S. 109.

13

Ebd. S. 110.

14

V . G . Admoni, Struktura gruppy susöestvitel'nogo v nemeckom jazyke. Ucenye zapiski (1-j LGPUJa, nov. s e r i j a , vyp. 1, 1954).

15

L . G . Korableva, Razvitie sistemy form opredelitel" nogo prilagatel'nogo v nemeckom jazyke. Dissertacija L. 1954, s t r . 184-186, 189.

16

Bei der Analyse von Werken aus dem 16. Jahrhundert haben wir keines gefunden,

17

V . G . Admoni, Struktura gruppy suäciestvitel*nogo v nemeckom jazyke. U8en. zap.

18

O . Behaghel, Deutsche Syntax, Bd. I, Heidelberg 1923, S. 196.

19

Ebd. S. 189.

20

Davon zeugen folgende Tatsachen:

in dem die starken Formen in der Mehrheit waren. 1-go LGPUJa, nov. s e r i j a , vyp. 1, 1954, s t r . 117.

1. Man kann solche Konstruktionen finden, in denen adjektivische Pronomina nach dem stark grammatikalisierten Wort schwach dekliniert werden: / m i t diesem jhren Schwager/ (Z. L . b . S. 8) g / i n diesem seinen blühenden a l t e r / (Z. L . b . S. 1)

76

Jelena Trojanskaja /an einen seinen vertrautesten Freunde/ (Fl. S. 102) / f o h r solchem seinen harten an bllkke/ (Z. B . S. 35) /die manchen Kayser/ (Fl. S. 114) 2. Das adjektivische Pronomen steht wie ein gewöhnliches Adjektiv mit dem Artikel, wird aber stark dekliniert (das ist ein gewisser Kompromiß, d e r durch die doppelte Natur des adjektivischen Pronomens zu erklären ist): /in dem sinem flyß/ (Zw. S. 11) /von d e r a n d e r e r j h r e r furbringen/ (Z. L . b . S. 88) 3. Die adjektivischen Pronomina / w e l c h / und / s o l c h / werden wie gewöhnliche Adjektive empfunden und erhalten im Gen.Sg. schwache Flexion: /welchen Buches halben/ (Op. P . S . 21) /welchen inhalts/ (Op. P . S . 22) /die Uhrsach aber solchen Wanckelmuths/ (Op. O. S. 79). 4. Besonders hoch ist die Zahl solcher Belege, in denen vor allem adjektivischen Pronomen die Adjektive / a n d e r , hiesig, wahrend, gedacht, obgedacht, itzgedacht, ganz/ und andere stehen: / a n d e r e r v n s e r e r Verfolger/ (Fl. II. Satt. S. 329) / m i t andern jhren Gespihlen/ (W. S. 63) /durch andere jhre bucher/ (Mosch.) / h i e s igg e r meiner zueschreibung/ (O. P . S . S. 5) / i n wahrender dieser b r u n s t / (Z. Äff. S. 2) / i n wehrendem seinem abseyn/ (Z. L . b . S. 75) /itzgedachter Ihr F u h r e r / (R.) /gedachtes mein Friedewunschendes Teutschland/ (R.) / i n ganzem dinem herzen, in ganzer diner seel, in ganzem dienern gmut/ (Zw. S. 62) g / z u höchstem jhrem mißfallen/ (Mosch. S. 134) / z u vermeinter meiner Beschimpfung/ (Mosch.) / z u sonderbarem unserem Nutzen/ (R.) /wenigerem seinem schaden/ (Mosch, S. 71)

21 W. Rothmund, Wortbiegungslehre (Substantiv, Adjektiv, Pronomen) der Mundart von Eschbach bei Waldshut, Lahr i . B . 1932, S. 25. 22

H. Lienhart, Laut- und Flexionslehre der Mundart des mittleren Zornthaies im Elsaß,

23

A. Siitterlin, Laut- und Flexionslehre der Strassburger Mundart in Arnolds Pfingst-

Straßburg 1891, S. 36, 54. montag, Strassburg 1892, S. 91. 24 W. Clauß, Die Mundart von Uri, Frauenfeld 1929, S. 185.

Einige Besonderheiten in der Deklination der deutschen Adjektive

77

25

L. Jutz, Die alemannischen Mundarten, Halle/Saale 1931, S. 25.

26

A. Birlinger, Die alemannische Sprache rechts des Rheins seit dem XIII. Jahrhundert,

27

J . Schatz, Die Mundart von Imst, Strassburg 1897, S. 147.

1. T l . , Berlin 1868, S. 104 f .

28

A. Birlinger, Die Augsburger Mundart, Augsburg 1862, S. 14.

29

O . Heilig, Grammatik der ostfränkischen Mundart des Taubergrundes und der Nachbarmundarten, Leipzig 1898, S. 53.

30

E. Müller, Die Basler Mundart im ausgehenden Mittelalter, Bern 1953, S. 142 ff.

31

A. P f e i f e r , B e i t r ä g e zur Laut- und Formenlehre der Mainzer Mundart, Giessen 1927, S. 63 f .

32

F r . Kauffmann, Geschichte der schwäbischen Mundart im Mittelalter und in der Neuzeit, Strassburg 1890, S. 160.

33

W. Wilmanns, Deutsche Grammatik, Bd. I, 3. Aufl. Strassburg 1911, S. 209.

34

H. Wunderlich, Der deutsche Satzbau, Stuttgart 1901, S. 214.

35

J . C h r . Gottsched, Grundlegung einer deutschen Sprachkunst, Leipzig 1752, S. 251.

36

Vgl. K. Kaiser, Mundart und Schriftsprache, Leipzig 1930, S. 110.

37

K. Albrecht, Die Leipziger Mundart, Leipzig 1881, S. 17 f .

38

K. Nerger, Grammatik des mecklenburgischen Dialektes ä l t e r e r und n e u e r e r Zeit, Leipzig 1869, S. 188 f .

39

H. Wix, Studien zur westfälischen Dialektgeographie im Süden des Teutoburgerwaldes, Marburg 1921, S. 106.

40

H. Schönhoff, Emsländische Grammatik, Heidelberg 1908, S. 183.

41

E . Goepfert, Die Mundart des sächsischen Erzgebirges nach den Lautverhältnissen, d e r Wortbildung und Flexion, Leipzig 1878, S. 73.

42

R . Große, Die Meißnische Sprachlandschaft, Halle/Saale 1955.

43

H. Protze, Das Westlausitzische und Ostmeißnische, Halle/Saale 1957.

44

Zum Beispiel H. Schönfeld, Die Mundarten im Fuhnegebiet, Halle/Saale 1958.

45

A. Gebhardt, Grammatik der Nürnberger Mundart, Leipzig 1907, S. 267.

46

V.M. Zirmunskij, Nemeckaja dialektologija, M . - L . 1956, S. 355-360. Chr. Sarauw, Niederdeutsche Forschungen Bd. I = Vergleichende Lautlehre der niederdeutschen Mundarten im Stammlande, K^benhavn 1921. H. Grimme, Plattdeutsche Mundarten, 2. Aufl. Berlin und Leipzig 1922. H. Larsson, Lautstand der Mundart der Gemeinde Altengamme (in den Vierlanden bei Hamburg), Hamburg 1917.

78

Jelena T r o j a n s k a j a G. Wenker, Das rheinische Platt, 2. Aufl. Düsseldorf 1877, S. 10 ff. A . Hanenberg, Studien zur niederrheinischen Dialektgeographie. In: Deutsche Dialektgeographie, herausg. von F . Wrede, Heft VIII, Marburg 1915, S. 211. E. Bauer, Die Moringer Mundart, Heidelberg 1925, S. 109 f .

47

W. Rothmund, Wortbiegungslehre, 1932, S. 25.

48

J . Schatz, Die Mundart von Imst, Strassburg 1897, S. 145, 147,

49

W. Rothmund, Wortbiegungslehre, 1932, S. 23.

50

H. Lienhart, Laut- und Flexionslehre der Mundart des mittleren Zornthaies im Elsaß, Straßburg 1891, S. 54.

51

Noch seltener wird die Flexion auf / - e n / nach dem Pronomen / k e i n / gebraucht: e e /Keine vernunftigen gründe/ (Z. L . b . S. 60).

52

J . - G . Schottelius, Ausführliche Arbeit von d e r Teutschen HaubtSprache, Braunschweig 1663, S. 237.

53 54

H. Wahn, Kurtzgefassete Deutsche Grammatica, Hamburg 1723, S. 3. (J. Bödiker u . a . , ) Johann Bödikers Grundsätze Der Teutschen Sprache, Berlin 1746, S. 160.

55 56

Ebd. S. 160 f .

e J . Beilin, Etlicher der hoch =loblichen Deutsch - gesinneten Genossenschaft Mitglieg d e r / wie auch anderer hoch - gelehrten Manner Sende-Schreiben. E h r s t e r teil, Hamburg 1647, 12 Sende-Schreiben.

NataliaN.

Semenjuk

ZUSTAND UND EVOLUTION DER GRAMMATISCHEN NORMEN DES DEUTSCHEN IN DER I. HÄLFTE DES 18. JH. am Sprachstoff der periodischen Schriften

0.

VORBEMERKUNGEN

Die vorliegende Arbeit ist eine gekürzte Fassung einiger Kapitel aus meinem Buch "Problema formirovanija norm nemezkogo jazyka XVIII stoletija" (Das Problem d e r Herausbildung der Normen der deutschen Literatursprache im 18. Jahrundert), das Anfang 1967 in russischer Sprache erschienen ist (Moskau 1967, Verlag "Nauka"). In der deutschen Fassung werden einige grammatische Besonderheiten d e r Sprache der ostmitteldeutschen Periodika aus der 1. Hälfte des 18. J h . behandelt (vgl. in der russischen Fassung Abschnitt II, Kapitel 2), während auf die Sprache d e r periodischen Schriften aus den anderen deutschsprachigen Gebieten nicht eingegangen wird (darüber s . Abschnitt III in der russischen Fassung). Die Abschnitte über die Varianz in der Orthographie und im Wortschatz sind aus Raummangel ebenfalls nicht aufgenommen worden.

1.

EINLEITUNG

1.1.

Zur Problemstellung and zum Stoff der Untersuchung

Das 18. J h . ist die entscheidende Etappe in der Entstehungsgeschichte der deutschen Literatursprache. In dieser Zeit wird die Herausbildung der modernen einheitlichen Normen der Literatursprache - wenigstens in der Schreibsprache - in ihren Grundzügen abgeschlossen. Da aber manche der theoretischen Grundsätze, von denen bei der Beurteilung der Norm einer Literatursprache ausgegangen wird, nicht in jedem Fall geklärt sind, werden einzelne konkrete Entwicklungsvorgänge in der Geschichte des Deutschen unterschiedlich aufgefaßt. So wird z . B . das 18. J h . von den meisten Germanisten (z.B. von O. Behaghel,

Natalia N. Semenjuk

80

W. Henzen, K. Kaiser u . a . ) als diejenige Periode betrachtet, in d e r die deutsche L i t e r a tursprache der Gegenwart endgültig zur Ausbildung gekommen i s t 1 . Der Abschluß dieses Vorgangs wird aber von den einzelnen Sprachforschern verschieden datiert. Hier sind Schwankungen im Bereich von einem Jahrhundert zu verzeichnen: vom Ende des 17. bis 2

zum Ende des 18. J h . Diese Abweichungen sind wohl dadurch zu erklären, daß bei der Einschätzung der Ausbildungsvorgänge nicht von den gleichen Kriterien ausgegangen wurde. Als solche dienen einmal der Grad der erreichten Einheitlichkeit der Literatursprache, ein anderes Mal war es die Ausbildung des gegenwärtigen Systems des Deutschen, also Maßstäbe, die recht unterschiedlich sind. Was den allgemeinen Stand der Untersuchung der deutschen Literatursprache im 18. J h . betrifft, so ist festzustellen, daß es recht wenige Arbeiten gibt, die sich speziell mit dieser Periode befassen. Sehen wir von den meist flüchtigen Beschreibungen der sprachlichen Situation im 18. J h . in den Übersichtswerken zur Geschichte der deutschen Sprache ab, so sind drei Abhandlungen zu erwähnen, in denen diese Periode - wenn auch von verschiedenen Standpunkten - eingehend behandelt wird. Das sind die Arbeiten von 3 4 5 A. Langen , E . A . Blackall und K. Kaiser . Sie vertreten zwei verschiedene Richtungen. Die eine von ihnen beschäftigt sich mit dem für die deutsche Linguistik traditionellen Problem des Verhältnisses zwischen der Literatursprache und den Mundarten (die Arbeit von K. Kaiser, wo dieses Problem allerdings recht eigenartig behandelt wird), die andere befaßt sich mit der Entwicklung der verschiedenen Stile und Genres innerhalb der L i t e r a tursprache (A. Langen, E . A . Blackall). Uns scheint aber auch eine andere Frage,und zwar die Frage nach den Prozessen der Herausbildung der literarischen Normen und i h r e r Widerspiegelung in den verschiedenen Arten des Schrifttums,für das 18. J h . sehr wichtig zu sein*'. Voraussetzung f ü r eine einigermaßen erfolgreiche Lösung des uns interessierenden Problems ist vor allem die richtige Auswahl des zu analysierenden Sprachstoffes. Auf der Suche nach solch einem Material haben wir uns dem Sprachmaterial in den deutschen periodischen Schriften zugewandt. Eine Reihe von Merkmalen der periodischen Literatur erlaubt e s , diese als einen Stoff zu betrachten, der die Prozesse der Herausbildung und 7 Verbreitung der Normen dieser Periode widerspiegelt. Die Sprache d e r periodischen Literatur und ihre Stellung innerhalb der Prozesse der Sprachentwicklung sind noch wenig e r f o r s c h t . Eine Ausnahme in dieser Hinsicht stellt die bereits erwähnte Arbeit des englischen Linguisten E . A . Blackall d a r , in der die Entwicklung des literarischen und wissenschaftlichen Zeitschriftenwesens als einer der

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

81

wichtigen Faktoren betrachtet wird, die bei der Herausbildung der deutschen Literaturg spräche wirksam waren . Aber auch hier wird keine ausführliche Charakteristik der Sprache der Zeitschriften gegeben. Das ist kein Zufall, da es faktisch keine Untersuchungen gibt, auf die man sich dabei stützten könnte. Es lassen sich nur wenige Abhandlungen anführen, in denen versucht wurde, einige periodische Schriften des 18. Jahrhunderts sprachlich zu charakterisieren. So wurde z . B . die Sprache von zwei süddeutschen Zeitschriften aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts recht eingehend behandelt, nämlich die der schweizerischen Zeitschrift "Die Discourse der Mahlern", die von J . Bodmer und J . Breitinger 1721-1723 herausgegeben wurde, und 9 die der Zeitschrift "Parnassus Boicus", die in Bayern 1722-1740 erschien . Beide Zeitschriften zogen die Aufmerksamkeit der Linguisten durch ihre eigenartige Sprache auf sich. Sie repräsentieren zwei Grundabarten der süddeutschen Literatursprache: die schweizerische und die bayrische. Es ist jedoch zu betonen, daß sich bei der Einschätzung des sorgfältig gesammelten umfangreichen Sprachstoffes das Fehlen von Angaben über den Entwicklungsstand der Literatursprache in den anderen Gebieten des deutschen Sprachraumes nachteilig bemerkbar macht und eine Verallgemeinerung der Ergebnisse erschwert. Von den neueren Arbeiten ist die des Prager Germanisten J . Povejsil anzuführen, die der Charakteristik einer gelehrten Zeitschrift ("Monathliche Auszüge Alt- und neuer Gelehrten Sachen", 1747, Olomouz) gewidmet i s t 1 0 . Ferner können noch zwei Dissertationen erwähnt werden, in denen die in den deutschen Zeitschriften aus der zweiten Hälfte des 18. J h . vertretenen Sprachauffassungen analysiert werden. 1 1 Für die frühere Periode ist auch die Arbeit von H. Schoene-Rieck

12

interessant, in

der aber die einzelnen, die Sprache der ersten deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts betreffenden Feststellungen der Hauptaufgabe untergeordnet sind, den Erscheinungsort von "Relation" des Jahres 1609 zu bestimmen. 13 Im Zusammenhang damit sei noch der 1964 erschienene Artikel von L. Mackensen genannt . L. Mackensen betont hier, daß die Zeitungssprache des 17. J h . noch wenig erforscht ist und betrachtet einige der in ihr vorkommenden sprachlichen Erscheinungen. Damit ist im Grunde genommen die kleine Liste der Untersuchungen erschöpft, in denen Probleme behandelt werden, die mit der Erforschung der Sprache der deutschen periodischen Schriften des 17. - 18. J h . mehr oder weniger zusammenhängen. In der vorliegenden Arbeit werden verschiedene Arten der periodischen Schriften, die in der ersten Hälfte des 18. J h . in Ostmitteldeutschland herausgegeben wurden, ausgewertet, und anhand dieses Materials wird die Frage nach der Genesis der grammatischen

82

NataliaN. Semenjuk

Normen der deutschen Literatursprache gestellt. Die grammatischen Erscheinungen, die einer über 50 Jahre umfassenden Periode angehören, können natürlich nicht auf einer zeitlichen Ebene betrachtet werden. Deshalb wird der UntersuchungsZeitraum in drei Perioden eingeteilt: 1. vom Ende des 17. Jahrhunderts bis 1720; 2. von 1720 bis 1740; 3. von 1740 bis 1750 U . Neben den chronologisch bedingten Unterschieden werden nach Möglichkeiten auch genremäßige Differenzierungen berücksichtigt. Zu diesem Zweck sind alle in Betracht kommenden Schriften nach funktional-thematischen Merkmalen in einige Gruppen eingeteilt worden, die in Tabelle 1 dargestellt sind. Tabelle 1 Typen der deutschen periodischen Schriften des 18. Jh. Typ der Schrift

Thematische und funktionale Arten der Schriften

I.

Zeitungen

Politische Zeitungen. Politische Zeitungen mit einem Annoncenteil. Annoncenzeitungen.

n.

Wissenschaftliche Zeitschriften

Neue Zeitungen von gelehrten Sachen. Übrige wissenschaftliche Zeitschriften.

m.

Historisch-politische Zeitschriften

Politische Zeitschriften (Zeitungskommentare). Historisch-politische Zeitschriften verschiedener Art.

rv.

Literarische Zeitschriften

Moralische Zeitschriften. Philologische und literarische Zeitschriften.

Eine Charakteristik der textuellen Besonderheiten der einzelnen Arten der periodischen Literatur ist in Tabelle 2 enthalten. Zur Beschreibung der Sprache der ostmitteldeutschen periodischen Literatur wurden Texte aus 54 verschiedenen periodischen Schriften benutzt (als v e r s c h i e d e n werden auch Lieferungen ein und derselben Schrift angesehen, wenn zwischen ihnen größere Zeiträume liegen, vgl. E F - L - n , NEF-L-30 und NEF-L-49 usw.). Die Angaben Uber die Typen, die Anzahl und den Erscheinungsort der berücksichtigten ostmitteldeutschen periodischen Schriften sind in Tabelle 3 enthalten.

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

83

Tabelle 2 Struktur der Texte in deutschen periodischen Schriften des 18. Jh. Charakteristik des Textes

Art der Schrift

Typus

Politische und Annoncenzeitungen

I

Neue Zeltungen von gelehrten Sachen

n

Gruppe 1 Texte, denen Korrespondenzen und Informationen zugrunde lagen

Gruppe 2 Texte, in denen Autorentexte mit Korrespondenzen kombiniert wurden

Übrige wissenschaftliche Zeltschriften Politische Zeitschriften

ni

Gruppe 3 Von einem Autor oder von mehreren Literarische Zeitschriften Autoren verfaflte Texte, die einzel- verschiedener Art ne Dokumente, Briefe usw. enthalten

IV

Tabelle 3

Typen Zeitungen ErscheinungsPeriode ort

Leipzig

Wissenschaft!. An- Erscheinungszahl ort

Zeitschriften Literarische Hist, -polltische An- ErscheiAn- Erscheizahl nungsort zahl nungsort

1

1

Insgesamt:

Leipzig

5

Halle

3

Jena

1

Erfurt

1

Breslau

Leipzig

1 11

Gesamtanzahl An- der zahl Schriften je Periode

2

2~~

Leipzig

1

Leipzig

2

Leipzig

3

Halle

3

Jena

2

Dresden

1

Breslau

1 5

Schweidnitz

1 5

14 Leipzig

4

4

4

18

Leipzig

2

Leipzig

2

Leipzig

2

Leipzig

S

Halle

2

Halle

2

Erfurt

1

Halle

2

Dresden

1

Schweidnitz

2

Schweidnitz

1 6

6

3

7

22

12

22

9

11

54

84

Natalia N. Semenjuk

1.2.

Zu den theoretischen Grundlagen der Untersuchung

Die theoretischen Grundlagen der vorliegenden Arbeit sind mit der Analyse eines konkreten Sprachsystems (Deutsch) verbunden, das in einer bestimmten Funktion auftritt, und zwar in der Funktion d e r Literatursprache. Die Aufgabe, Sprachsysteme, die verschiedene Funktionen haben, zu studieren, ist von den Vertretern des P r a g e r Linguistischen Zirkes aufgestellt worden, die verkündet haben: "Die Sprache ist ein System der Ausdrucksmittel, das einem bestimmten Ziel 15 dient"

und die die konkreten Aufgaben des funktionalen Studiums der Sprache formuliert

haben. Es ist aber recht schwierig, bestimmte Abhängigkeiten zwischen dem Charakter des Sprachsystems und seinen Funktionen festzustellen. In der Linguistik ist in dieser Richtung noch relativ wenig unternommen worden. Wegen der hier bestehenden Schwierigkeiten ist die Erforschung der Literatursprachen bisher meist auf zwei in gewissem Grade selbständigen Wegen vor sich gegangen. Einerseits war man bemüht, die innere strukturelle Eigenart der Literatursprache zu erkennen, ohne jedoch dabei die Funktionen des gegebenen Sprachsystems in gebührender Weise zu berücksichtigen. Andererseits untersuchte man ' ä u ß e r e ' funktionale Charakteristika einer Literatursprache, aber ebenfalls ohne Zusammenhang mit den inneren strukturellen Eigenschaften des betreffenden Systems, obwohl dieser Zusammenhang in allgemeiner F o r m oft betont wurde. Jede dieser Forschungsrichtungen ist im Prinzip möglich und berechtigt. Die Literatursprache als geschichtlich entstandene Daseinsform einer Sprache bedarf jedoch u n s e r e s Erachtens einer k o m p l e x e n

Untersuchung,

d . h . , die strukturellen und funktionalen

Merkmale des jeweiligen Sprachsystems sind in i h r e r Gesamtheit und Wechselwirkung zu erforschen. Während sich die Aufgaben eines Sprachforschers bei der Untersuchung der gegebenen Sprachstruktur trotz der Vielfalt von möglichen Einzelrichtungen mehr oder weniger deutlich abzeichnen, darf dies wohl kaum von den Problemen behauptet werden, die mit der funktionalen Charakteristik einer Sprache zusammenhängen. Hier sind einige erklärende und systematisierende Vorbemerkungen notwendig. Es ist wohl zweckmäßig, zwei Aspekte in d e r funktionalen Charakteristik einer Sprache auseinanderzuhalten: a)

den ä u ß e r e n A s p e k t ,

z u d e m folgende Merkmale gehören: Erscheinungsformen

einer Literatursprache (gesprochen, schriftlich); t e r r i t o r i a l e und soziale Bereiche ihres Funktionierens; das Verhältnis zwischen der Literatursprache und den anderen Daseinsformen der betreffenden Sprache;

Zustand und Evolution der grammatischen Normen b)

den

inneren Aspekt,

85

wobei zu berücksichtigen sind: die konkreten Formen, in

denen die strukturellen Potenzen des gegebenen Sprachsystems realisiert werden; der Stabilitätsgrad dieser Realisationen sowie ihre Varianten auf verschiedenen.Sprachebenen; die Art und Weise, wie einzelne sprachliche Mittel (in denen sich t e r r i t o r i a l e Unterschiede innerhalb der Literatursprache sowie ihre stilistische Gliederung ausdrücken) verteilt sind und verwendet werden. Die Gesamtheit von äußeren und inneren funktionalen Charakteristika hängt u . E . mit dem Begriff der N o r m

zusammen, die allgemein als eines d e r wesent-

lichsten Merkmale der Literatursprache betrachtet wird. Welche Funktion übt die Norm aus, und wie gestaltet sich die Wechselbeziehung zwischen der Norm und dem System in der Sprache? Die Norm beeinflußt die Realisationsformen d e r in dem betreffenden Sprachsystem enthaltenen Potenzen, indem sie die Produktivität, die Verteilung und das Funktionieren der in einer Sprache vorkommenden Modelle 16

bedingt.

Jedem funktionierenden Sprachsystem eignet dabei eine gewisse Redundanz an

sprachlichen Mitteln, was zum Nebeneinanderbestehen von Varianten führt. Mit dieser Eigenschaft der Sprache ist eine andere Funktion d e r Norm verbunden: dem Aufkommen von unterschiedlichen isofunktionalen Mitteln entgegenzuwirken und die Verwendung dieser Mittel in d e r Sprache zu regulieren. E s fragt sich dabei, wie sich der allgemeine Begriff der sprachlichen Norm und d e r engere und mehr spezialisierte Begriff N o r m d e r

Literatursprache

zueinander

verhalten. F ü r die sprachliche Norm sind also - wie eben festgestellt - zwei eng miteinander verbundene Funktionen kennzeichnend, die man R e a l i s i e r u n g s f u n k t i o n und V e r t e i l u n g s f u n k t i o n nennen kann. Das Besondere d e r nationalen Literatursprache scheint dann vor allem darin zu liegen, daß die Realisationen hier in hohem Grade stabil, die zugelassenen Schwankungen und Varianten dagegen merklich eingeschränkt sind. Das Spezifische der Norm einer Literatursprache äußert sich außerdem in d e r Verteilung der Varianten, entsprechend den territorialen, sozialen und stilistischen Abstufungen in der gegebenen Sprache. Obwohl der Norm-Begriff als das wesentlichste Merkmal einer hochentwickelten Literatursprache vom theoretischen wie vom praktischen Standpunkt überaus wichtig ist, hat man sich mit diesem Begriff bisher nur wenig befaßt, so daß noch vieles nicht genügend geklärt ist. Wenn wir uns z . B . der Betrachtung einer Literatursprache unter diachronischem Gesichtspunkt zuwenden, so erhebt sich notwendigerweise die Frage nach den Kennzeichen einer e r s t im Entstehen begriffenen und einer bereits vorhandenen Literaturnorm. Die

86

NataliaN. Semenjuk

t e r r i t o r i a l e Einheitlichkeit erscheint uns nur als e i n e s d e r Merkmale, die f ü r eine bereits bestehende Norm kennzeichnend sind. Ein anderes wesentliches Merkmal ist der Stabilitätsgrad der bestehenden Normen. Neben einem bestimmten Stabilitätsgrad einer Reihe der sprachlichen Mittel ist f ü r jede Literatursprache auch die Variabilität d e r anderen Mittel charakteristisch, die beim Funktionieren d e r Sprache zutage t r e t e n . Deshalb ist die Norm, die auf beständigen, konstanten Elementen des Sprachsystems b a s i e r t , nicht 17 minder durch die von ihr zugelassenen Schwankungen und Varianten gekennzeichnet . Die Norm legt, ihren Funktionen entsprechend, die Anzahl und die Typen der Varianten, die auf einer bestimmten Entwicklungsstufe einer Sprache zulässig sind, fest und fixiert ihre Verwendungsweisen. Der Charakter der Variabilität bestimmt seinerseits - gemeinsam mit einer ganzen Reihe von anderen Merkmalen - das Spezifische 18 der Normen einer bestimmten Sprache in dieser oder jener Periode i h r e r Entwicklung

.

In diesem Zusammenhang wird hier der Versuch unternommen, den Werdegang der Normen der deutschen Literatursprache im 18. Jahrhundert als einen Prozeß der Beseitigung und der Umgestaltung einer Reihe d e r Varianten Mittel darzustellen. 1.3.

Einleitende Bemerkungen zur Erforschung von grammatischen Varianten

Bei der Betrachtung von grammatischen Varianten haben wir folgende Fragen zu beantworten: 1. Die Frage nach den als morphologische und syntaktische Varianten auftretenden Mitteln; 2. Die Frage nach den Quellen der grammatischen Variabilität in der Sprache jener Zeit. Außerdem soll versucht werden, die Variationsbreite bei der Verwendung von verschiedenen variablen grammatischen Mitteln und im Zusammenhang damit auch die Grundtypen der grammatischen Variabilität festzustellen. Bevor wir uns aber der Betrachtung einzelner grammatischer Varianten in d e r Sprache des 18. J h . zuwenden, sei einiges über die theoretisch möglichen Arten d e r Varianz gesagt. Die g r a m m a t i s c h e oder eine syntaktische wenigstens

Variabilität

Konstruktion

in z w e i f o r m a l e n

Grundbedeutung

setzt

voraus,

daß eine

in d e r b e t r e f f e n d e n

Modifikationen

vorliegt,

die

Wortform Sprache dieselbe

besitzen.

Ihrem Wert nach sind die grammatischen Varianten nicht einheitlich. Es gibt a b s o lute V a r i a n t e n ,

die bei unterschiedlicher Form gleiche Bedeutung und Funktion haben,

Zustand und Evolution der grammatischen Normen sowie n i e h t - a b s o l u t e V a r i a n t e n ,

87

die sich nicht nur materiell, sondern auch durch

(vornehmlich expressiv-stilistische) Bedeutungsschattierungen sekundärer Art oder durch 19 ihre Verwendungssphäre voneinander unterscheiden. Zum ersten Typ gehören z.B. im heutigen Deutsch: /niemand/niemandem/, /jemand/ jemanden/ (Dat., Akk., Sg,); /Bösewichte/Bösewichter/ (PI.); /Man sagte, e r sei/wäre krank/ (indirekte Rede) usw. Zu den Varianten des zweiten Typs dürfen z. B. die unterschiedlichen Pluralformen einiger Substantive gerechnet werden: /Reste/Rester (kaufm.) /Resten/ (Schweiz.); /Länder/Lande/ (poet.) usw. Der Bereich und die Art der Verwendung einzelner Varianten können auch recht unterschiedlich sein. Es gibt Varianten, die sich gewöhnlich ziemlich willkürlich innerhalb einer recht umfangreichen Wortklasse gruppieren. Dabei sind oft lexematische Restriktionen mit Beschränkungen grammatischer Art eng verbunden. Die Doppelformen im Konjunktiv des Präteritums, die im heutigen Deutsch erhalten geblieben sind (/hülfe/hälfe/, /stünde/stände/, usw.) sind beispielsweise nur bei starken Verben bestimmter Ablautsreihen möglich. Sie sind jedoch nicht bei allen zu diesen Ablautsreihen gehörenden Verben gebräuchlich. Ein analoges Beispiel kann auch für die Sprache der uns interessierenden Zeitperiode angeführt werden. In den Texten der Periodica des 18. Jh. variieren im Präteritum einiger starker Verben solche Formen wie: /nahm/nahme/. Diese Art der Variabilität dehnt sich aber nicht auf alle starken Verben aus, sie ist auf eine Gruppe verbaler Lexeme beschränkt, deren Bestand in verschiedenen Texten recht unterschiedlich ist. In der Literatursprache Ostmitteldeutschlands bilden den Kern dieser Gruppe von Varianten die Verben / s a h / s a h e / , /geschah/geschahe/, /hielt/hielte/, bei denen die Variierung von / - e / - 0 (Null) in der Flexion am häufigsten vorkam. Als Extremfall In dieser Einschränkung der Variabilität kann die absolute lexematische Isolierung einer der Varianten angesehen werden. In der Sprache des 18. Jh. variieren bei sechs Verben zwei Formen des Partizip Perfekt : /genennet/genannt/; /gewendet/gewandt/ usw. Einen anderen Charakter hatte in jener Zeit die Variierung der analogen Formen /gestellte/gestallt/: Die letztere Variante war vorwiegend als isolierte Form in der Wendung / ' b e i so gestallten Sachen' / anzutreffen. Morphologische Variabilität kann auch unter einem anderen Blickwinkel betrachtet und "gemessen" werden, und zwar in bezug auf das Paradigma eines bestimmten Wortes. Dabei können entweder alle zum gegebenen Paradigma (oder Subparadigma) gehörenden Wortformen (vgl. die zwei Varianten Subparadigmata des Plurals von / O r t / neben dem einheitlichen Subparadigma des Singulars desselben Wortes) oder eine Wortform innerhalb

88

NataliaN. Semenjuk

eines bestimmten Paradigmas (Subparadigmas) variabel sein (vgl. N.Sg. / d e r F r i e d e / F r i e den/; / d e r Gedanke/Gedanken/; D.Sg. dem / L a n d / L a n d e / u s w . ) . In einigen Fällen können alle oder m e h r e r e Formen im Paradigma vereint sein. Dies ist z . B . im heutigen Deutsch im Sg. des Wortes / d e r B a u e r / der Fäll: G. / d e s Bauers/Bauern/; D. / d e m B a u e r / B a u e r n / ; Ak. /den B a u e r / B a u e r n / . Oft werden verschiedene Werte des Variierungsbereiches bei grammatischen E r s c h e i nungen in dieser oder jener Weise kombiniert. Die Variierung einer einzelnen F o r m im Paradigma kann in einem weiten lexikal-grammatischen Bereich vorkommen (vgl. die Formen / e r lebet/lebt/, /du l e b e s t / l e b s t / , die in der Sprache des 18. J h . bei den meisten Verben zulässig waren, oder die Varianten Formen des Dat.Sg., die in d e r modernen Sprache beinahe f ü r alle einsilbigen Maskulina und Neutra möglich sind). Umgekehrt ist die Variabilität eines gesamten Paradigmas meist stark lexematisch b e grenzt (vgl. im heutigen Deutsch die Variierung des schwachen und des starken Subparadigmas im Sg. einzelner Maskulina, z . B . / N a c h b a r / , / B a u e r / ) . In einigen Fällen wirken alle die Variabilität einschränkenden Momente gleichzeitig, wodurch Variante Formen mit einem recht engen Verwendungsbereich entstehen. In der Variabilität syntaktischer Konstruktionen lassen sich ebenfalls gewisse, durch lexikale Ausfüllung entstehende Restriktionen beobachten. Derartige lexematische Restriktionen treten in der Regel gleichzeitig mit bestimmten grammatischen Einschränkungen auf, die in der (Un)möglichkeit, einige grammatische Wortklassen in dieser oder jener Konstruktion zu verwenden, sowie in der unterschiedlichen grammatischen Ausgestaltung der Varianten Konstruktionen bestehen. Die auf syntaktischer Ebene entstehende Variierung kann außerdem positionsgebunden sein. Die parallele Verwendung d e r flektierten und nichtflektierten F o r m des attributiven Adjektivs z . B . war in d e r Literatursprache des 18. J h . nur nach dem unbestimmten Artikel, nach dem Nullartikel und nach / k e i n / möglich. In der weiteren Entwicklung hielt sich das unflektierte Adjektiv als Attribut nur noch in einigen festen Wendungen (vgl. /auf gut Glück/), oder sein Gebrauch war an eine bestimmte stilistische Absicht gebunden (vgl. /lieb Kind, gut Freund/ u s w . ) . Das Verhältnis zwischen den grammatischen Varianten und bestimmten lexisch-grammatischen Gruppen von Wörtern sowie der Position einer Wortform kann also von zweierlei Art sein. Erstens können Varianten auf lexisch-grammatische Wortklassen oder auf Positionen d e r betreffenden Wortform unterschiedlich verteilt sein, vgl. in der Sprache des 18. J h . /die guten Menschen/, aber: / a l l e gute Menschen/. Erscheinungen solcher Art können als lexem-

oder p o r , i t i o n s g e b u n d e n e

V a r i a n t e n bezeichnet werden.

89

Zustand und Evolution der grammatischen Normen Zweitens kann die Variabilität nur innerhalb einer bestimmten Position oder einer

bestimmten Gruppe von Lexemen entstehen, vgl. in der Sprache des 18. Jh. die Varianten präteritalen Wortformen mit /-e-/-a-/ bei einer begrenzten Gruppe von Verben: /kennete/kannte/, /gewendet/gewandt/, /gebrennet/gebrannt/

usw. oder das Variieren

der starken und schwachen Flexion beim attributiven Adjektiv in der Stellung nach einem Demonstrativ- oder Possessivpronomen, vgl. /seine bekannte/bekannten/Bücher/. Solche 20

Varianten können f r e i e

(genauer b e g r e n z t - f r e i e )

Varianten genannt werden.

Zur Charakteristik der grammatischen Variabilität werden von uns also die oben erwähnten qualitativen Kriterien herangezogen (der lexematische und grammatische Bereich der Verwendung einer bestimmten Variante, positioneile Bedingungen ihrer Verwendung usw.). Daneben werden zur Charakteristik der grammatischen Varianz auch manche quantitativen Angaben verwendet. Diese sind in unserer Arbeit aber nur als quantitative "Stichproben" 21 für bestimmte grammatische Variante Erscheinungen angeführt worden, deren Verteilung in chronologischer, räumlicher oder "genremäßiger" Hinsicht in gewissem Grade relevant ist.

2.

22

VARIABILITÄT IM NOMINALEN FORMENSYSTEM DAS SUBSTANTIV

In der Literatursprache jener Zeit geht die Ausgestaltung des substantivischen Systems in mehreren Richtungen vor sich: 1. Die Neuverteilung der Substantiva auf Deklinationstypen wird abgeschlossen. 2. Einzelne Wortformen in den Deklinationsparadigmen des Singulars und Plurals werden präzisiert. 3. Pluralische Paradigmen einzelner Substantiva werden stabilisiert. Die Inkonsequenz in der Realisation der genannten Prozesse, die Verflechtung von alten und neuen Prinzipien der Ausgestaltung einzelner Wortformen führten bei ein und denselben nominalen Lexemen zum Nebeneinanderbestehen von Varianten Wortformen mit der gleichen kategoriellen Bedeutung (Kasus, Numerus). 2.1.

Variabilität von Kasusformen im Deklinationsparadigma der Substantiva (Singular)

In der ersten Hälfte des 18. Jh. hatte eine ganze Reihe von Substantiven aller drei Geschlechter einzelne variante Kasusformen.

90

Natalia N. Semenjuk

Das rührte daher, daß es möglich war, zwei Strukturen, die konventionell "eingliedrig" und "zweigliedrig" genannt werden können, parallel f ü r ein und dasselbe Lexem zu verwenden, vgl. / d e r H e r r / H e r r e / , / d a s Stück / Stücke/, /die Seel / Seele/. Die Tendenzen zur Ein- bzw. Zweigliedrigkeit, die vor allem, wenn auch nicht a u s schließlich, mit d e r unterschiedlichen Durchführung der Reduktion verbunden waren, gehen auf strukturelle Eigenheiten der verschiedenen Gruppen d e r deutschen Mundarten zurück. In der Literatursprache kreuzten sich jedoch beide Tendenzen, woraus die Möglichkeit entstand, einzelne Kasusformen variant zu gestalten. Nom. der Maskulina / - e / - 0 / (Null) In der ostmitteldeutschen Literatursprache ist die Variierung von "eingliedrigen" und "zweigliedrigen" Wortformen bei einigen Personenbezeichnungen zu beobachten, vgl.: / e i n C h r i s t e / (83) / C h r i s t / (96) FG-H-89; /ein Sclave/ (77) /Sclav/ (71) G-L-29; / d e r Regente/ (22) /(ein) Regent/ (23) G-H-48. Die Formen mit / - e / sind in den ostmitteldeutschen Periodica f ü r folgende Maskulina zu treffen: /(ein) Mensche/ (97), /(ein) Syncretiste/ (52) - FG-H-89; / d e r Ministre/ (Nrl7) EdN-L-00; / d e r Hirte/ (761) E F - L - 0 5 ; /(ein) Monarche/ 51) E F - L - 0 6 ; /(ein) Mit-Regente/ (53) NM-L-14; / d e r Patiente/ (67) VB-H-18; /(ein) Gräfe/ (12) WN-E-19; /(ein) Ertz-Cabbaliste/ (62) B-L-29; /(ein) Theologe/ (39) F - L - 4 6 ; aber auch: /(ein) C h r i s t / (342) NZ-L-28; /(ein) Moralist/ (14) B-L-29; /(ein) Soldat/ (18), / d e r Student/ (19), / d e r Sklav/ (6) F - L - 4 6 ; / d e r H i r t / (91) G-H-48 usw. Diese Art der Variabilität bleibt bei den entsprechenden Lexemen in den Texten der ostmitteldeutschen Periodica bis zum Ende der von uns gewählten Zeitabschnitte erhalten. Dabei verringert sich allerdings allmählich die Produktivität der "zweigliedrigen" Strukturen. Nom., Akk. d e r Neutra: / - e / - 0 / (Null) Am häufigsten waren die Wortformen mit / - e / in den ostmitteldeutschen Schriften bei den Neutra mit dem Präfix / g e - / vertreten sowie bei den Wörtern: /Stück, Glück, Herz, Bett, H e m d / u . a . , vgl.: / d a s Gehirne/ (72) FG-H-89; /(ein) Gerichte/ (Nr21), / d a s Gerüchte/ (Nrl9) EdN-L-00; /(jenes) Gewächse/ (84), /(ihr) Gemüthe/ (82) WN-E-19; / d a s Geräusche/ (173) AO-J-17. Die Konkurrenz zwischen den eingliedrigen und zweigliedrigen Strukturen führte zum Entstehen von zahlreichen Varianten Wortformen, vgl.: / d a s Glück/ (754) / d a s Glücke/ (765) E F - L - 0 , 5 ; / d a s Stück/ (13) / (ein) Stücke/ (9) DAL-L-15.

91

Zustand und Evolution der grammatischen Normen Gegen Ende dieser Periode wächst die Anzahl der immer weiter um sich greifenden Verbreitung der eingliedrigen Wortformen, was zur Variierung führt, vgl.: /das Gerücht/ (3) PHZ-47 /das Gerüchte/ (2) PHZ-47 /das Glück/ (40) VB-L-45 /das Glücke/ (18) BV-L-45 /das Gespräch/ (8) F - L - 4 6 /(das) Gespräche/ (14) Z-L-45 -"-

(127) J - L - 4 7 /

-"-

(223) J - L - 4 7 usw.

Nom., (Gen., Dat.), Akk. der Feminina: / - e / - 0/ (Null) Bei den Feminina überwiegen in den Texten der ostmitteldeutschen periodischen Schriften deutlich die zweigliedrigen Strukturen. Einzelne Abweichungen sind durch verschiedene Ursachen zu erklären, in der Regel handelt es sich dabei um isolierte Erscheinungen. Am häufigsten ist in den Texten die Form /die Ursach/ anzutreffen, vgl.: /(die) Ursach/ FG-H-89 (92), DAL-L-15 (1), Aph-H- 15 (35). AO-J-17 (208), MN-J-26 (54), GNSch-41 (41), NvHB-48 (44); aber /die Ursache/, vgl. Beytr-L-32 (8), Beytr-L-42 (40), BV-L-45 (10), NZ-L-47 (21,81), J - L - 4 7 (4) usw. Eingliedrige Formen unterschiedlicher Herkunft begegnen in den Texten in Einzelfällen auch bei einigen anderen Feminina, z . B . : /die Sprach/ DAL-L-15 (13), /die GeSchicht/ NM-L-14 (29), /die Eil/ /in (aller) E i l / , EdN-L-00 (Nr21), J - L - 4 7 (22). Bis ans Ende der Periode sind bei den Wörtern /die Thüre/ und /die Stirne/ in den meisten Texten umgekehrt die älteren zweigliedrigen Formen vertreten, die mit den jüngeren eingliedrigen variieren, vgl.: /die Thüre/ (27) V T - L - 3 8 , (29) J - L - 4 7 ; /(an) der Thüre/ (22) Z-L-45, aber auch:/(über) der Thür/ (77) Z-L-45; /die Stirne/ (58) G-H-48, aber auch: /(ihre) Stirn/ (91) G-H-48; /die Stirne/ (30) BV-L-45; /(an) der Stirne/ (33) LZ-47. Die normativen Grammatiken des 18. J h . verhalten sich unterschiedlich gegenüber den entsprechenden Varianten Wortformen. Gottsched läßt die Formen mit / - e / für einzel23 ne Neutra und Maskulina zu und betont dabei ihren "meißnischen Charakter". Hempel führt, gestützt auf den Usus, für Maskulina und Neutra zahlreiche variante

Formen an, z . B .

/der Bube/Bub/, /der Knabe/Knab/. Das gilt auch 24 für Wörter /der Christe/Christ/, /Hirte, Sklave, das Gerüchte, Gebüsche/ u.a. Dagegen werden von den Grammatikern aus Mitteldeutschland die Wortformen ohne / - e / bei den Feminina entschieden verworfen. Die Regeln für die Verwendung der Endung / - e / bei Substantiva werden in verallgemeinerter Form in der süddeutschen Grammatik 25 von J . Antesperg angeführt

. Das ist wohl kein Zufall, da solche Regeln für die Sprache

vom Süddeutschen Typus besonders wichtig waren: hier erscheint das Endungs/- e / in den meisten Fällen nur im Schriftbild des Wortes.

92

Natalia N. Semenjuk

Gen., Dat. der Feminina: / - e / - ( e ) n / Bei einer kleinen Gruppe der Feminina konkurrierten im Gen. und Dat. Sg. die Flexionen / - e / - e n / j was zur Variabilität der entsprechenden Wortformen f ü h r t e . Diese Erscheinung entstand infolge der Überkreuzung des alten und neuen Prinzips der grammatischen Ausgestaltung der Lexeme. Diese Kreuzung war i h r e r s e i t s die Folge d e r Herausbildung eines besonderen Deklinationstypus der Feminina und der Verdrängung der älteren Formen mit / - ( e ) n / , die jedoch in dieser Periode bei einer Reihe von Wörtern noch gebräuchlich waren

26

.

Zu der Gruppe d e r Feminina, die diese Variierung noch zuließen, gehörten solche Lexeme wie / K i r c h e / , / F r a u / , /Sonne/, / E r d e / , / Z u n g e / , / S t r a ß e / , / G a s s e / , /Wiege/, 27 /Glocke/ usw. Genitiv

/(Glieder) der wahren Kirchen/

(54) FG-H-89

/ d e r Kirchen/

(91) E F - L - 0 5

/ u n s e r e r Kirchen/

(319) G F - L - 1 1

aber auch:

/(in dem Schooß) der Kirche/

(79) DAE-L-12

vgl. auch:

/(bei dem Stande) der Sonnen/

(17) SvN-B-17

/(die Gerade) einer F r a u e n /

(89) VB-H-18

/ ( e i n e . . . Geschwulst) einer F r a u e n /

(2) NZ-L-28

/der Erden/

(127) B - L - 2 9

/(die Form) einer Glocken/

(373) NZ-L-28

/ ( a u s s e r ) d e r Kirchen/

(237) FG-H-89

/(bey) der Kirchen/

(318) GF-L-11

/(an) der Holms-Kirche/

(64) GF-L-11

/in d e r Kirche/

(761) E F - L - 0 5

/ i n der E r d e n /

(118) E F - L - 1 2

/(auf) Erden/

(18) MN-J-26

/(von) seiner P r i e s t e r - F r a u /

(12, F) NvZ-D-31

/(mit) seiner F r a u e n /

(93,A) NvZ-D-31

/(in) der Wiege/

(18) Aph-H-15

/(in) der Wiegen/

(182) B - L - 2 8

Dativ aber auch:

vgl. auch:

/(auf) jeder Seiten/

(111) E F - L - 1 1

/(auf) der Brücken/

(98) E F - L - 1 1

/(in ausländischer) Zungen/

(74) WN-E-19

93

Zustand und Evolution der grammatischen Normen In den Periódica der 4 0 - e r Jahre

nimmt die Verwendung von / - (e)n/ stark ab. Dem-

entsprechend sinkt auch die Anzahl der Varianten Wortformen, die noch am häufigsten bei den Wörtern / K i r c h e / und / E r d e / zu treffen sind. Die normativen Grammatiken dieser Periode spiegeln die Verdrängung der Wortformen mit / - (e)n/ bei den Feminina nicht regelmäßig wider. Aber auch sie zeugen deutlich von einem konsequenten Abnehmen d e r Produktivität d e r schwachen Formen. In der Grammatik von Bödiker, die 1729 von L. Frisch neu herausgegeben wurde, werden nur f ü r das Wort 28

/ F r a u / (Gen., Dat.) doublette Formen angeführt . F r e y e r läßt die entsprechenden Formen 29 nur f ü r / S e e l e / zu , während Gottsched und,an ihn anknüpfend, auch Hempel schwache Formen aus dem Paradigma d e r Feminina völlig ausschließen. In den süddeutschen G r a m 30 matiken werden diese Formen dagegen noch f ü r einzelne Lexeme angeführt. Maskulina - Gen. / - (e)n/- (e)ns/; / - (en)/- (e)s/; Dat. / - (e)n/- 0 (Null) Variante Formen im Genitiv und Dativ sind in dieser Periode auch im Paradigma einiger Maskulina festzustellen. Das ist damit verbunden, daß d e r Deklinationstypus mancher Maskulina noch schwankt und schwache, starke und "gemischte" Formen miteinander konkurrieren. Vgl.:

/(eines) Grafens/ (13) Wn-E-19

/ d e s Grafen/ (63) NSch-L-14

/ d e s G r a f e n s / (13) NSch-E-51

/ d e s Grafen/ (103) Nsch-E-51

/ d e s F ü r s t e n s / (15) E F - L - 1 2

/(eines) F ü r s t e n / (109)A0-J-17

/ d e s Chur-Fürstens(Nrl51) SchNc-23

/ d e s Churflirsten/ (13) WN-E-19

/ d e s . . . E r b - P r i n t z e n s / (9) NEF-L-49

/ d e s P r i n t z e n / ( N r 3 3 ) SchPZ-42

Die Formen mit / - e n s / kommen im Genitiv auch f ü r andere Substantiva vereinzelt vor, vgl. / d e s Heldens/, / M o n a r c h e n s / , / G e s e l l e n s / , /Soldatens/, / F r a n z o s e n s / , / P a t r i o t e n s / usw. In einigen Fällen gibt es Schwankungen zwischen den starken und schwachen Formen im Paradigma mancher Maskulina f ü r unbelebte Dinge; z . B . : Genitiv

Dativ

/(lang) des Mondes/

(45,790) NZ-L-28

/ ( z u r Zeit) des Vollmonds/

(46) NZ-L-28

/(des Mondes/

(30) F - L - 4 6

/(Die Entfernung der Erde) vom Monden/

(48) NZ-L-28

/ d e m Monden (folgen)/

(45) NZ-L-28

Sowohl starke als auch schwache Formen sind auch bei manchen Personenbezeichnungen zu beobachten, vgl. z . B . im Dat.Sg.:

94

Natalia N. Semenjuk / d e m Prinz (Nrl22) SchNC-26

/bey dem Printzen/(Nrl08)SchNC-31

/von dem Printz (218) NEF-L-42

/von einem Prinzen/ (6) EdN-L-46

Die ostmitteldeutschen Grammatiker (z.B. F r e y e r ) empfehlen - dem Usus entsprechend - die doubletten Formen im Genitiv einiger Maskulina, vgl.: / d e s Knabens/des 31 Knaben/

. E s ist aber zu betonen, daß Popowitsch die Formen mit / - e n s / (/des G r a f e n s / ,

/ F ü. r s32 t e n s / , /Heldens/) verwirft und darauf hinweist, daß diese "sächsischer" Herkunft seien 2.2.

Variabilität im pluralischen Paradigma der Substantiva

Die Variabilität im pluralischen Paradigma entstand einerseits als Folge des schwankenden Genus mancher Substantiva und andererseits als Folge der Konkurrenz verschiedener grammatischer Merkmale des Numerus bei Substantiva mit beständigem Genusmerkmal. Dabei konnten bei ein und demselben Lexem verschiedener Pluralsendungen ( / - e - e r , - s - e - 0 , - 0 - e / usw.) variieren. Variante Wortformen traten auch durch das Vorhandensein oder das Fehlen des Umlauts auf, der entweder als Grundmerkmal oder als zusätzliches Merkmal pluralische Formen m a r k i e r t e . Es seien einige Beispiele d e r entsprechenden Varianten Wortformen angeführt, die in den ostmitteldeutschen Schriften anzutreffen waren. Maskulina / - e / - e r / : /die O r t e / O e r t e r / 33 Die Varianz d i e s e r Art ist anscheinend mit der früheren Schwankung im Genus verbunden und in allen Schriften vertreten, vgl.: /die O r t e / (43) SvN-B-17

/ d i e O e r t e r / (V) VB-H-18

/ a n Orten/(Nrl08) SchNC-31

/ a n O e r t e r n / (98)EF-L-06

/von (allen) O r t e n / (28) J - L - 4 7

/ a n O e r t e r n / (4) VT-L-38

In dieser Periode hat es anscheinend noch keine Bedeutungsunterschiede zwischen beiden Wortformen gegeben, doch deutete sich die Tendenz an, die F o r m /Orte(n)/ in adverbialen Wendungen zu gebrauchen, z . B . : / a n . . .Orten /(V)VT-L-38, / a l l e r O r t e n / (34) 34 NEF-L-49; aber auch: / a n . . . O e r t e r n / (4) VT-L-38 Neutra / - e / - e r / : / d i e Lande / Länder/ /die Lande (65) GF-L-11 (229) GF-L-11

/ d i e Länder/ (49) E F - L - 1 2 (16) F - L - 4 6

Zustand und Evolution der grammatischen Normen (15) G-L-29

(23,25) J-L-47

(18) NEF-L-30

(37) NEF-L-49

/die Reichs-Lande /

/die Erb-Länder/

(98) NEF-L-42 /die Nordische Lande/

(22) G-L-32 /auswärtige Länder/

(229) GF-L-11 /die entferntesten Lande /

(Nr 13) EdN-L-00 /fremde Länder/

(26) Z-L-45 /aus fremden Landen /

(11) NZ-L-47 / i n . . . Ländern/ ( N r l l , 24) EdN-L-00

(Nr20) EdN-L-00 /in unseren Landen /

/in fremden Ländern/

(3) DAE-L-12 /aus Landen / (I) WHN-30 /in den Landen /

(V) EF-L-12 /in Ländern/ (6) GNSch-34 35 /in Ländern'

(559) NZ-L-28

(6) NSch-E-51

(II) NEF-L-49

(16) F-L-46

Maskulina: / - s / - 0 / (Null): / - s / - e / usw. Die Variabilität der pluralischen Wortformen entstand auch dadurch, daß neben anderen Merkmalen des Plurals auch die Endung / - s / verwendet wurde 3 6 . Die Wortformen mit / - s / sind hauptsächlich für Substantiva, die Personen benennen, seltener für andere Konkreta (vgl. /Sterns - / EdN-L-00, (NrlO, 14; /Ladens - / SchPZ-47,7) belegt: /Ministers/(Nr 36, 49, 82) SchPZ-47 /Minister/ (65) PHZ-47 (auch: /Ministri/, /Ministros/, /Ministris/ - NSch-E-51,105; ESt-L-36,18; HR-47,22) /Bauerkerls/

(110) F-L-46

/(3 schlechte) Kerls/

(30) PHZ-47

/ 2 Kerl/

(52) WB-H-24

/Generals/ *

(Nr49, 82) SchPZ-47

/Generale/

(24) HR-47

usw.

Maskulina: / - 0 (Null)/-e/ Vereinzelt sind für Maskulina mit dem Wortbildungssuffix / - e r / neben den gewöhnlichen

96

NataliaN. Semenjuk

pluralischen Wortformen, die durch das Merkmal Null m a r k i e r t sind, auch die Wortformen mit der Endung / - e / belegt, vgl. /die Liebhabere/

(10) SchPZ-47

/die Gebriidere/

(52) WR-H-24

"

(25) NEF-L-49 37

/ d i e Verfolgere/

(50) G-L-32

usw.

Maskulina: / - 0 (Null)/Umlaut + - e / Die Variabilität im pluralischen Paradigma entstand, wie schon oben erwähnt, nicht nur infolge der Verwendung von mehreren Suffixen zur Pluralkennzeichnung, sondern auch infolge der Schwankungen im Gebrauch des Umlauts bei ein und denselben Lexemen. Die Anzahl dieser Varianten ist in den ostmitteldeutschen Schriften relativ gering, sie sind hier z . B . f ü r Wörter wie / d e r Wagen/ und / d e r Laden/ belegt, vgl. im Plural: /Wagen/ (Nrl51) SchNC-23(I)

/Bagage-Wägen/ (125) NEF-L-42 (III)

(42) EdN-L-46 (I) (50) LZ-47 (I) (41) J - L - 4 7 (IV) /Buch-Laden/

/Buchläden/

(V) VB-H-18 (II)

(V) DAL-L-15 (II)

(5) GNSch-34 (II)

(V) ZN-L-45 (II)

(40) Beytr-L-42 (IV)

(43) F - L - 4 6 (IV)

(26) NvHB-48 (II) Vereinzelt sind Variante pluralische Wortformen mit Umlaut auch f ü r folgende W ö r t e r belegt: /See-Häfen/ (EdN-L-00, Nr 10); / C a r d i n ä l e / (EF-L-05, 762; NEF-L-30,3; DAE38 L-12,4); /Böden/ (EF-L-06,51); /Tanzböden/ (Z-L-45,63) . Der Einfluß der süddeutschen Schreibtradition äußerte sich deutlich darin, daß für das Wort / T a g / ab und zu pluralische 39 Formen mit und ohne Umlaut wechselten: / T ä g ( e ) / T a g e / . Die süddeutsche F o r m /Täg(e)/ ist durch einzelne Beispiele in den Schriften des I. II. und M . Typus vertreten: /(auf den) Reichs-Tägen/

(44) NSch-L-14 (II)

/(besondere) T a g e /

(87) ThN-J-34 (II)

/Land-Täge/

(12) NEF-L-49 (HI)

/Namens-Täge/

(19) Nsch-E-51 (II)

/Reichstage/

(14) NSch-E-51 (II)

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

97

Die Typen der Schriften sowie die Spezifik einer Reihe von Texten, in welchen diese F o r m belegt ist (oft handelt es sich um Dokumente süddeutscher Herkunft) sprechen eindeutig 40 dafür, daß die F o r m mit dem Umlaut sporadisch unter dem Einfluß des Südens vorkam .

3.

VARIANTE WORTFORMEN IM PRONOMINALEN PARADIGMA

3.1.

Dativ des P e r s o n a l - und Demonstrativpronomens männlichen und sächlichen Geschlechts

Die Variabilität ist nicht nur bei Substantiva, sondern auch bei einigen Pronomina zu beob41 achten, vgl. / i h m / i h m e / , / d e m / d e m e / . Die "zweigliedrigen" Formen im Dativ stehen in den Texten der ostmitteldeutschen Periódica hinter den massenhaft auftretenden Wortformen ohne / - e / stark zurück. Am häufigsten sind "zweigliedrige" Formen in den Texten aus der e r s t e n Periode anzutreffen, aber auch später kommen sie in unserem Material vereinzelt vor, vgl. folgende Varianten: /ihme/(12,96) FG-H-89 (II)

/ i h m / (11,69)

EdN-L-00 (1)

/ihme/(Nrll,31)

/ i h m / (Nr23, 25,38)

AO-J-17 (II)

/ihme/(134)

/(zu) i h m / 109)

WN-E-19 (II)

/ihme/(74)

/(von) i h m / (76)

SchNC-26 (I)

/ihme/(N= 122)

/ i h m / (Nr 108) SchNC-31

MN-J-26 (II)

/ihme/(83)

/ i h m / (V, 84)

PHZ-30 (I)

/ihme/(113)

/ i h m / (96)

NEF-L-49 (III)

/ihme/(7)

/ i h m / (7)

Z-L-45 (IV)

/ihme/(248)

/(von) ihm/ (25,122)

JgZ-49 (II)

/deme/(9), aber:

/(mit) i h m / (14)

Zu betonen ist, daß alle führenden normativen Grammatiken des 18. J h . die Wortformen 42 ohne / - e / ( / i h m / , / d e m / ) empfehlen . Im Genitiv und Dativ Plural des Demonstrativpronomens und des Artikels wurden in der Literatursprache volle Formen / d e r e r / ,

/ d e r e n / , / d e n e n / , verwendet.

Entstehung sowie Verwendung dieser Formen in den frühneuhochdeutschen Texten sind 43 . Hier sollen kurz diejenigen Momente

von F . Leupold ausführlich behandelt worden

gestreift werden, die f ü r weitere Ausführungen wichtig sind. Die F o r m / d e n e n / , die alemannischer Herkunft ist, dringt in die ostmitteldeutsche Literatursprache unter dem Einfluß des sündlichen Sprachtypus ein und setzt sich hier e r s t im 18. J h . endgültig durch. Die unterschiedliche Ausgestaltung des Genitivs

98

Natalia N. Semenjuk

(/derer/deren/) ist genetisch darauf zurückzuführen, daß diese Wortformen aus verschiedenen Mundarten stammen: /derer/ ist ostmitteldeutscher, /deren/ - süddeutscher und westmitteldeutscher Herkunft. Schon im 18. Jh. werden beide Formen in der Literatur44 spräche verschiedener Gebiete nebeneinander verwendet

.

Gegen Ende des Frühneuhochdeutschen sind im Gebrauch der vollen Formen noch einige Besonderheiten zu verzeichnen, die später keinen Eingang in die Literatursprache gefunden haben. Das sind: 1. Variante Verwendung der Voll- und Kurzformen des Demonstrativpronomens in adjektivischer Funktion; 2. Verwendung der Varianten, aus dem pronominalen Paradigma stammenden Vollformen des Artikels (/denen/, derer/) neben den Kurzformen (/den/, /der/); 3. Variante Verwendung von /derer/deren/ im Genitiv des Demonstrativ- seltener auch des Relativpronomens. In der ersten Hälfte des 18. Jh. spiegeln sich in den ostmitteldeutschen Periodica einige Prozesse wider, die zur Herausbildung der entsprechenden pronominalen Paradigmata geführt haben. Gleichzeitig sind auch einige funktionelle Verschiebungen im Gebrauch der pronominalen Vollformen im Genitiv und Dativ zu beobachten, die zur endgültigen Verdrängung der Vollformen aus dem Paradigma des Artikels und des Relativpronomens geführt haben. Ihre Folge waren auch eine bedeutende Einschränkung des adjektivischen Gebrauchs der Vollformen des Demonstrativpronomens sowie eine konsequentere Abgrenzung der Varianten pronominalen Formen im Genitiv (/derer-deren/). Diese Änderungen haben zur Umgestaltung der früheren Varianten Reihen in der Literatursprache vom ostmitteldeutschen Typ geführt. Diese Prozesse verliefen aber nicht synchron, was auch in den untersuchten Texten der ostmitteldeutschen Periodica seinen Niederschlag gefunden hat. Die Verdrängung der Vollform aus dem Paradigma des Artikels sowie die Einschränkung des Gebrauchs des Demonstrativums in adjektivischer Funktion verlief in beiden Kasus ungleichmäßig. Schon am Anfang dieser Periode war 45 die Häufigkeit der Vollformen im Genitiv in der Regel bedeutend geringer als im Dativ

. Außerdem ging dieser Prozeß

in verschiedenen Texten je nach ihrem Typus mit ungleicher Geschwindigkeit vor sich. Wenden wir uns der Analyse des Gebrauchs der Voll- und Kurzformen in den Texten der ostmitteldeutschen Periodica zu. Der Betrachtung des Materials sei vorausgeschickt, daß es nicht immer möglich ist, den Artikel und das Demonstrativum in adjektivischer Funktion deutlich auseinanderzuhalten.

Zustand und Evolution d e r grammatischen Normen

99

Deshalb ist es zweckmäßig, beide Erscheinungen gleichzeitig zu betrachten, wobei einige formelle Merkmale, die mit dem Gebrauch dieser oder j e n e r F o r m zusammenhängen, zu berücksichtigen sind. Fall

1 : Gebrauch d e r Voll- (bzw. Kurz-)Formen unter "neutralen" Bedingungen,

Fall

2 : Gebrauch der Voll- (bzw. Kurz-)Formen vor Bezeichnungen von Realien

sowie vor Bezeichnungen von Begriffen, die im gegebenen Kontext schon als bekannt gelten. F a l l 3 : Gebrauch der Voll- (bzw. Kurz-)Formen in der erweiterten attributiven Gruppe. F a l l 4 : Gebrauch der Voll- (bzw. Kurz-)Formen vor den Attributsätzen. Jetzt soll betrachtet werden, welche Formen in verschiedenen Texten der ersten Periode in den oben erwähnten Fällen verwendet werden. Fall

1.

(/den/denen, d e r / d e r e r / ) ,

/in denen Mauren stecken bleiben/

(10) FG-H-89

/ a u s denen Augen/

(12) NSch-L-14

/ . . . , daß der Poet Pindarus von denen Bienen s e y . . . e r n e h r e t worden/,

(18) Aph-H-15

/ z u r Herrlichen Freiheit d e r e r Kinder Gottes/

(48) GF-L-11

/ d e r gegenwärtige Zustand d e r e r Gelehrten/

(V) G F - L - 1 1

aber

auch:

/auf den Beinen/

(Nrl7) EdN-L-00

/ i n den Händen/

(98) E F - L - 1 1

/ d i e Bildnisse der gewesenen Churfürsten/

(116) E F - L - 1 1

/vom Unterschiede d e r Grentz- und MarekSteine/ Fall

(6) G F - L - 1 1

2 . (/denen/den; / d e r e r / d e r / )

/ b e y denen R e f o r m i r t e n /

(42) FG-H-89

/ i n denen vereinigten Niederlanden/

(Nrl3) EdN-L-00

/ a u s denen Relationen/

(Nr 17) EdN-L-00

/ u n t e r denen Candidaten/

(11) DAE-L-12

/ d i e zweiffelhaffte L e h r e . . . d e r e r Papisten/

(16) GF-L-11

/ e i n e Antwort d e r e r Malcontenten/

(51) E F - L - 1 2

aber

auch:

/(nach, in) den Niederlanden/

(106,125) E F - L - 1 1

/von den Aegyptiern/

(84) DAE-L-12

100

Natalia N. Semenjuk /die General-Staaten der Vereinigten Niederlanden/

(Nrll) EdN-L-00

/ s o that er allen Städten der Kinder Ammon/

(24) GF-L-11

/ein Anhänger der Aegyptier/

(83) DAE-L-12

F a l l 3 . (/denen/, / d e r e r / ) / v o n . . . denen in Europa vorfallenden Begebenheiten/ (V) GF-L-12 /unter denen im letzten Türcken-Krieg gemachten Conquesten/

(Nrll) EdN-L-00

/mit vielen Exempeln derer durch Hülfe dieses Brunnens curirten Patienten/ Fall 4.

(/denen/,

(8) GF-L-11

/derer/)

/von denen Cardinälen, welche... /

(Nr35) EdN-L-00

/von denen übrigen zwölf Göttern, d i e . . . /

(84) DAE-L-12

/aus denen Grundsätzen, so . . . /

(177) A0-J-17

/nach Unterschied derer Bücher, von welchen ich raisonniren w e r d e . . . / /die Nahmen derer Herrn Candidaten, welche...

(32) FG-H-89 (93) GF-L-11

Das quantitative Verhältnis zwischen den pronominalen Voll- und Kurzformen schwankt in den einzelnen Schriften d e r e r s t e n P e r i o d e beträchtlich. In einer Leipziger Zeitung zu Anfang des Jhs. (EdN-L-00) z . B . begegnet /denen/ im Dativ (für alle Verwendungsfälle) in der Nummer 12 - 9mal, in der Nr 13 - 5mal (hier auch lmal /den/), in der Nr 14 - 8mal. Dagegen steht im Genitiv in diesen Nummern überall die Kurzform /der/. In einer wissenschaftlichen Zeitschrift aus derselben Zelt (GF-L-11) sind auf den ersten 100 Seiten nur die Vollformen in allen Funktionen anzutreffen. In den späteren Heften derselben Zeitschrift beträgt die Anzahl der Vollformen im Dativ Plural immer noch ungefähr 100 %, während sie im Genitiv nur etwa 75 % erreichen (vgl. z . B . GF-L-13, S. 1-100). Außerdem ist zu bemerken, daß im Genitiv des Demonstrativums in substantivischer Funktion vor einem nachfolgenden Nebensatz in den ostmitteldeutschen Texten die Form / d e r e r / , für das einen Nebensatz einleitende Relativum dagegen die Form /deren/ verwendet wurde. Die entsprechenden Formen wurden aber nicht ganz konsequent differenziert, was zur Varianten Verwendung von / d e r e r / d e r e n / in beiden Funktionen führte. Vgl. z.B. für das Demonstrativum: /das . . . Zeugniß derer, die . . . / (83) EF-L-11, aber auch: / e r gedenckt nur deren, welche . . . / (19) GF-L-11, vgl. auch für das Relativum: / . . . derer von denen 18 Holländischen Kriegsschiffen, derer bisher unterschiedliche

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

101

mahl gedacht worden.../ (EdN-L-00, Nrl6). In der z w e i t e n P e r i o d e finden die Vollformen in den meisten Ausgaben (Typus I, n und III) noch eine weite Verwendung. Dabei wird die Möglichkeit, die Voll- und Kurzformen in allen oben erwähnten Fällen zu variieren, immer größer, da die Kurzformen immer häufiger werden, vgl.: Dativ

aber auch:

/in den öffentlichen Zeitungen/

(Nr4-52) LPZ-27

/mit den allerneuesten Sachen/

(3) GNSch-34

/in den Städten/

(1, 2) WHN-30

/von den Kanzeln/

(3) WHN-30

/in denen Kavserlichen Teutschen

(Nr4-52) LPZ-30

Erb-Landen/ /aus denen Büchern/

(3) GNSch-34

/in denen Dörffern/

(2) WHN-30

/aus denen wöchentlichen Nachrichten/

(3) WHN-30

Genetiv

/der beyden Füstenthümer/

(3 8) GNSch-34

aber auch:

/derer Herrn Gelehrten/

(5) GNSch-34

In den Zeitungstexten sind nach wie vor Einzelfälle der Anhäufung von Vollformen in einem Satz anzutreffen, vgl. z . B . : / . . , nebst denen Vornehmsten derer übrigen fremden M i n i s t e r . . . / (Nr3-4) LPZ-31. Ziemlich oft werden die Vollformen auch vor Attributsätzen sowie im erweiterten Attribut verwendet. Daneben gibt es in der zweiten Periode schon einige Schriften, in denen der Gebrauch der Vollformen stark eingeschränkt ist (Typus n und IV). In den Texten der gelehrten Zeitschrift NZ-L-28 werden die Formen /denen/ und /deren (derer)/vornehmlich in der selbständigen substantivischen Funktion verwendet, vgl.: /die Wahl derer, d i e . . . / ; /die Studenten, derer Unterschied.../ usw. (vgl. NZ-L-28, 35, 48). Dasselbe Bild läßt sich auch in vielen literarischen Zeitschriften dieser Periode beobachten (Beytr-L-32; B-L-28; VT-L-38 u . a . ) , in denen die Vollformen im 1. und 2. Fall in der Regel nicht mehr verwendet werden. Im 3. und 4. Fall kommen sie nur vereinzelt vor, vgl.: /Die Rechtschreibung ist auch nach denen bisher von der deutschen Gesellschaft verbesserten Regeln eingerichtet./(V) VT-L-38. In den Texten der Zeitschrift Beytr-L-32 u.f. werden die Vollformen des Demonstrativums vor nachfolgenden Nebensäxzen nur in substantivischer Funktion verwendet. In adjektivischer Funktion sind nur Kurzformen anzutreffen. Vgl.: /die Verbindung der Sachen, welche... / (62) Beytr-L-32; /die Anzahl der Schönheiten, die . . . / (65) Beytr-L-32.

Natalia N. Semenjuk

102

In den Schriften der dritten Periode lassen sich - verglichen mit dem Material der vorhergehenden Periode - keine wesentlichen Verschiebungen hinsichtlich der Verwendung der Vollformen feststellen. In Zeitungen, historisch-politischen und wissenschaftlichen Zeitschriften (Typus I, II, III) ist die Verwendung der Vollformen in allen angegebenen Fällen nach wie vor möglich (Vgl. GNSch-41; NEF-L-42; PHZ-47; NEF-L-49; JgZ-49; ZN-L-50; NSch-E-51 u . a . ) . Die reale Verteilung der Varianten Formen auf verschiedene Schriften dieser Periode schwankt jedoch in einem weiten Bereich. In den Texten NZ-L-47 ist z . B . die Variante Verwendung der Vollformen vornehmlich für die Fälle 2 und 3 (vgl. NZ-L-47, 37, 45 u . a . ) belegt. In den literarischen Zeitschriften dagegen (Typus IV) bleibt die Variierung der pronominalen Voll- und Kurzformen in der Regel nur vor den nachfolgenden Attributsätzen erhalten (Fall 4), vgl.: /das Bezeigen derer Vernünftigen, welche... /

(21) F - L - 4 6

/von denen Menschen, welche... /

(6) BV-L-45

/mit allen denen Dingen,... welche . . . /

(47) J - L - 4 7

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die parallelen Formen des Genitivs /derer/deren/' In allen ostmitteldeutschen Texten aus der Mitte des 18. Jh. schon ziemlich deutlich auseinandergehalten werden. Ihre Verwechselung kommt nur vereinzelt vor. Die funktionelle Differenzierung der Voll- und Kurzformen sowie die funktionelle und positionelle Verteilung der parallelen genitivischen Formen des Pronomens, die in den verschiedenen ostmitteldeutschen Schriften in unterschiedlichem Grade nachzuweisen sind, fanden in den normativen Grammatiken jener Periode deutlich ihren Niederschlag. Von den Grammatikern des 18. Jh. führt die Vollformen des Artikels nur Schottel an46 . 47

Bödiker empfiehlt sie nur für das pronominale Paradigma

. Bemerkenswert ist, daß

die in der Talanderschen Grammatik enthaltene Forderung, die Form /den/ vor dem Substantiv zu gebrauchen, von seinem eigenen Usus abweicht4®. H. Freyer hält das Paradigma des Artikels und das des Pronomens konsequent auseinander, indem er die 49 Vollformen nur dem letzteren zurechnet . Dasselbe macht auch Gottsched, der außerdem /derer/ als Form des Demonstrativums 50 und /deren/ als Form des Relativums unterscheidet . Die Oberdeutschen Antesperg und Popowitsch treten auch für die Ausschließung der Vollformen aus dem Paradigma des Artikels ein. Zwischen den parallelen Formen des Genitivs /derer/deren/ machen sie keinen Unterschied. Antesperg empfiehlt /deren/ für das Paradigma des Relativums, 51 Popowitsch aber läßt auch /derer/ zu .

Zustand und Evolution der grammatischen Normen 3.2.

103

Variabilität der pronominalen Flexion im Dativ und Akkusativ

In den Texten der ostmitteldeutschen Periodica sind Fälle des gegenseitigen Ersatzes der dativischen und akkusativischen Flexion beim Pronomen, Adjektiv und Artikel vereinzelt belegt. Diese Erscheinung war wohl durch den Zusammenfall der entsprechenden Formen in einer Reihe ostmitteldeutscher Mundarten verursacht, was sich auch in der gesproche52 nen sächsischen Sprache widerspiegelte . Am häufigsten kommt die Verwendung der akkusativischen Flexion statt der dativischen vor, bedingt durch den Zusammenfall von auslautendem / - m / und / - n / . In einzelnen Beispielen läßt sich jedoch auch ein unmittelbarer Ersatz einer Form durch die andere feststellen, zum Beispiel die Verwendung von / d i e / anstelle von /den/ sowie der hyperkorrekte Ersatz der akkusativischen Flexion durch die dativische, also /-(e)m/ statt /-(e)n/, der bei einigen Präpositionen nach Verben mit doppelter Rektion vorkam. Übrigens sei bemerkt, daß solche Fälle in den ostmitteldeutschen Periodica recht selten zu belegen sind. Am häufigsten kommen sie in einzelnen Schriften gegen Ende des 17. Jh. vor, besonders in der Zeitschrift AB-W-99, vgl.: /Unter diese Höllen-Furien ist auch ein Fuchs befindlich/

(254)

/an einen gelegenen Orte/

(258)

/auff stillen Wasser/

(255)

/auff den Todt-Bette/

(272)

/von sehr guten Gerüche/

(298)

/auff den Lande/

(323)

/mit einen gewinsichtigen Spieler/

(348)

/(er) zerreißet ihn den Leib/

(348)

Die Vermischung des Dat. und Akk. ist auch in einigen jüngeren Schriften belegt: /ohne ausdrucklichem Befehl/

(823) EF-L-05

/solchen Mangel abzuhelffen haben viele gelehrte Männer

(378) GF-L-11

. . . sich eifrigst angelegen seyn lassen/

3.3.

/ e s ist niemanden unbekannt/

(521) NZ-L-28

/außer allem Zweifel (setzen)/

(275) NZ-L-28

/wenn e r den Rat . . . gefolget/

(855) NZ-L-28

/außer die sonst gewöhnlichen Ritter-Pferde/

( N n - i ) LPZ-31 usw 5 3 .

Variante Formen des Zahlwortes zwei

Die Verwendung des Zahlwortes /zwei/ ist in der Literatursprache ostmitteldeutschen Typs durch einige entgegengesetzte Tendenzen gekennzeichnet. Die erste spiegelte die

104

Natalia N. Semenjuk

in der gesprochenen Sprache verlaufenden Prozesse wider, die zweite wurde von den Nor54 malisatoren unterstützt, die sich nach der Schreibtradition richteten . Die Kreuzung beider Tendenzen fiihrte zur Entstehung von Varianten Formen für Maskulina /-zwey/zween(e)/ und für Feminina / - z w e y / z w o / . Bei den Neutra wurde dagegen nur /zwey/ gebraucht. Die letzte Form gilt also auch als gemeinsame Form für alle drei Geschlechter. Maskulina: /zwey Monate/

(31) E F - L - 1 1

/zwey Missethäter/

(Nr 4-1) LPZ-31

/zwey Lieutnants/

(Nr4-52) LPZ-27

/zwey Generals/

(130) NEF-L-42

/zwey Gegenstände/

(85) NEF-L-49

/zwey P r o f e s s o r e s /

(58) NSch-E-51

aber auch: /zweene Bogen/

(45) BV-L-45

/von zween Alten/

(114) J - L - 4 7

/ a u s zween Abschnitten/

(15) JgZ-49

Feminina: / i n zweyen Schreiben/

(14) DAE-L-12

/zwey Hoff-Damen/

(24) DAE-L-12

/zwey Schrifften/

(68) NSch-L-14

/zwey Ursachen/

(2) NEF-L-30

/zwey Auflagen/

(13) Beytr-L-32

/zwey Töchter/

(81) NEF-L-42

aber auch: /zwo Disputationes/

(490) GF-L-11

/ i n zwo Classen/

(1) Aph-H-15

/zwo... Jahr-Messen/

(119) NEF-L-42

/ z w o . . . Schönen/

(96) J - L - 4 7

/ z w o . . . Oden/

(48) JgZ-49

Wenden wir uns der Verteilung der Varianten Formen des Zahlwo.rtes je nach Periode und Art der Texte zu. In den Texten der ersten und zweiten Periode wird die Differenzierung nach dem Genus in der Regel inkonsequent durchgeführt, obwohl die Formen /zwo/ und /zween/

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

105

hier nicht verwechselt werden, vgl. z.B. in B-L-28: /zwey Personen/ (6), /zwey Proben/ (23), /zwei Fragen/ (31), aber: /zween Spiegel/ (11). Die Schriften aus der Mitte des Jh. zerfallen im .Prinzip in zwei Gruppen. In der e r sten findet sich eine ziemlich konsequente Differenzierung nach dem Genus, vgl. die Zeitschrift Z-L-45 (IV): /zwo Meilen/(40)

/zween Spiegel/ (15)

/zwey Jahr/(15)

/zwo Personen/ (104)

/zweene Briefe/ (89)

/zwey Stücke/ (40)

/zwo Arten/ (185)

/zwey Bollwerke/ (395)

/zwo Moden/ (345) Zu dieser Gruppe gehören die meisten literarischen Zeitschriften dieser Periode (Beytr-L-42, BV-L-45, F-L-46, J-L-47). In der zweiten Gruppe dagegen läßt sich keine deutliche Differenzierung der Formen des Zahlwortes /zwei/ nach dem Geschlecht feststellen. Hierher gehören die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften sowie die politischen Periodica, vgl. z.B. in der Zeitschrift NZ-L-47 (II): /zwey Männer/ (7) /zwey Erfahrungen/ (21) /zwey Wercke/ (36) /zwey J a h r e / (99) Dasselbe läßt sich auch in den Texten ZN-L-50, NEF-L-42 u . a . beobachten. Wie verhalten sich diese Erscheinungen zu den von den Grammatikern aufgestellten Forderungen? Die meisten ostmitteldeutschen und niederdeutschen Grammatiker bestehen 55 auf der Differenzierung der drei Formen dieses Zahlwortes . Zu ihnen gesellt sich auch der Oberdeutsche Antesperg. Popowitsch dagegen, der in diesem Fall seiner eigenen süd56 deutschen Schreibtradition folgt, empfiehlt eine einheitliche Form für das Paradigma . Es läßt sich also sagen, daß die Verteilung der Formen des Zahlwortes /zwei/ in den Texten der literarischen Zeitschriften aus der Mitte des Jahrhunderts im Wesentlichen mit den Forderungen der Grammatiker übereinstimmt. In den anderen Gattungen dagegen, in denen der widersprüchliche und bunte Usus stärker durchdrang, wurden diese Forderungen weniger konsequent befolgt.

106

NataliaN. Semenjuk

4.

VARIABILITAT DER VERBALEN FORMEN

Die Entwicklung des verbalen Formensystems war in der deutschen Literatursprache dieser Periode verbunden: 1. mit der Stabilisierung einzelner Wortformen in den Paradigmen des Präsens und des Präteritums der starken und schwachen Verben; 2. mit der Stabilisierung der Paradigmen einzelner verbaler Gruppen sowie isolierter verbaler Lexeme. Die nebeneinander bestehenden formalen Möglichkelten der Gestaltung einzelner verbaler Wortformen waren zum Teil auf die Heterogenität des Systems der deutschen Literatursprache zurückzuführen. Zusammen mit der parallelen Verwendung von älteren und jüngeren Formen führte das zur Variabilität der verbalen Wortformen und (seltener) der gesamten Paradigmen. Einige dieser Varianten werden unten betrachtet. Variabilität der Wortformen der 3. P e r s . Sg. Präs. sowie der Wortformen des Part. II der schwachen Verben

4.1.

Die Variabilität im verbalen Paradigma des Präsens hing mit zwei Faktoren zusammen: mit der parallelen Verwendung der Formen / - e s t / - s t / in der 2. Pers. Sg. und /->et/-t/ in der 3. P e r s . Sg. (vgl. /du lebest/lebst/, / e r lebet/lebt/). Die Varianz, die auf der parallelen Verwendung umgelauteter und nicht umgelauteter Formen beruht, kommt in den ostmitteldeutschen Schriften ziemlich selten vor. Sie ist hier nur für einige verbale Lexeme belegt: /kommen/, /laufen/, vereinzelt auch /fragen/. Beim Verb /kommen/ sind Schwankungen während der gesamten Periode zu beobachten, vgl.: /(be) kömmet/(Nr33) EdN-L-00 /

kömmt/ (5, 43) DAL-L-15

/

körnt/

/

kömmt/ (4) ESt-L-36

(51,67) WN-E-19

/(be)kömmt/ %

/

kömmt/

/

"

/kommet/ "

/

(772) E F - L - 0 5 (30) DAL-L-15

/kommt/

(6) WN-E-19

/kommt/

(8) ESt-L-36

(45,47,64,95,120) Z-L-45

/

(43,91,117) Z-L-45

(3) G-H-48

/kommt/

(4) G-H-48

/

(47) PGSch-H-43

/ (92,130) J - L - 4 7

"

/

"

/

Diese Schwankungen beruhen auf der Tendenz, das Verb Aommen/ in die reguläre Reihe der anderen starken Verben (/fällt/, /stößt/ u . a . ) einzubeziehen, was sich auch 57 in den normalisatorischen Arbeiten (Freyer, Gottsched) widerspiegelte . Die inkonse-

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

107

quente Realisierung dieser Tendenz war die Ursache der Varianz der entsprechenden Formen. Weniger verbreitet war die Varianz der Wortformen /läuft/lauft/. Die letzte Form, 58 die nicht ohne Einfluß der süddeutschen Schreibtradition in der ostmitteldeutschen Sprache aufgekommen war, ist nur in einzelnen Texten belegt. Auch dort variiert sie mit der produktiveren Form /läuft/, vgl.: /lauff(e)t / (Nr33) EdN-L-00 (I)

/

"

/ / / /

" " " "

/ /

/ (87) WN-E-19 (II) / (Nrl74) SchNC-31 (I) / (82) SchPZ-42 (I)

/ /

(117) Z-L-45 (IV) (25) PGSch-H-43 (I)

läufft/

(50) VB-H-18 (II)

läuffet/

(64) WN-E-19 (II)

/(be) läufft/

(34) PHZ-30 (I)

/(ab) läuft/

(H) LZ-47 (I)

/ /

"

/

(130) J - L - 4 7 (IV)

"

/

(I) PHZ-47 (I)

In einigen Fällen ist auch die Form /frägt/ belegt (vgl. z . B . G-H-48, 20), die auf die Schwankungen dieses Verbs zwischen der starken und schwachen Konjugation zurückzuführen i s t 5 9 . Die Varianz der 3. Pers. Sg. ist auch bei einigen starken Verben der 2. Klasse in manchen Texten belegt: /fleußt/ (85) GF-L-11, /beschleußt/ (114) NZ-L-47, /schleußt aus/ (187) F - L - 4 6 , /begeußt/ (253) Z-L-45, aber auch: / e r genießt/ (184) Z-L-45. Diese F o r men, die für die ostmitteldeutschen Mundarten typisch waren, wurden von den meisten 60

Grammatikern ins Paradigma aufgenommen

. Das förderte für eine gewisse Zeit ihren

Gebrauch in der Literatursprache. Eine Varianz der Formen / - e t / - t / kam in der 3. P e r s .61Sg. und beim Partizip n der schwachen Verben vor (vgl. /lebet/lebt/; /gelebet/gelebt/)

.

Die Verwendung der vollen Formen, die im Anfang der uns interessierenden Periode besonders verbreitet waren, nimmt allmählich ab. Obwohl eine derartige Varianz auch im heutigen Deutsch möglich ist (vgl. / e r arbeitet/, aber: / e r nimmt/; / e r ladet/lädt/), ist ihr Charakter und der Verwendungsbereich der korrelierenden Wortformen wesentlich umgebaut. Im heutigen Deutsch ist der Gebrauch der vollen Flexionsformen nur unter bestimmten phonetischen Bedingungen möglich (Wurzellaut auf Dental oder / m / , / n / mit einem vorhergehenden Konsonanten). E r kann aber auch in Einzelfällen durch rhythmischintonatorische und stilistische Faktoren bedingt sein. Die 62 Verwendung der vollen Formen ist jetzt also viel stärker eingeschränkt als im 18. J h . Das quantitative Gesamtverhältnis der synkopierten und vollen Formen in der 3. P e r s . Sg. Präs. ist für die untersuchten Texte 63 verschiedener Perioden (im Rahmen der 1. Hälfte des 18. J h . ) in Tabelle 4 dargestellt .

108

Natalia N. Semenjuk Tabelle 4

Periode 3.P.SK. Präs. -et -t

Ausgabe Titel

Typ

1

3.P.Sg.Präs. -et -t

Ausgabe Titel I

3

4

1

NEF-L-49 III

Typ

7

1

Aph-H-15

II

5,3

1

E F - L - 0 6 ff.

ni

3

1

SchPZ-47

3,8

1

EdN-L-00

I

2

1

NEF-L-42 ni

2

1

GF-L-11

n

2

1

EdN-L-46

I

1,4

1

DAE-L-12

n

2

1

PHZ-47

I

1,4

1

A0-J-17

n

1,7

1

NvHB-48

n

1,3

1

SvN-B-17

n

Im Durchschnitt 3,2:1 2

Periode

I

1,5

1

NZ-L-47

n

1,3

1

JgZ-49

Ii

1,2

1

LZ-47

i

2,5

1

LPZ-27 ff.

i

1,1

1

G-H-48

IV

2,4-

1

PHZ-30

i

1

1

M-H-52

IV

2

1

B-L-28

IV

1

1

BV-L-45

IV

1,6

1

MN-J-26

n

0,8

1

F-L-46

IV

1,5

1

ThN-J-34

n

0,5

1

Z-L-45

IV

1,3

1

VT-L-38

IV

0,08

1

J-L-47

IV

0,8

1

Beytr-L-32

IV

Im Durchschnitt

Im Durchschnitt

1,7 : 1

1,5 : 1

Aus den in der Tabelle angeführten Angaben geht deutlich hervor, daß in allen Schriften aus der 1 .

P e r i o d e die vollen Formen überwiegen. Das quantitative Verhältnis

der vollen und synkopierten Formen schwankt je nach dem Text von 7:1 (Aph-H-15) bis 1 , 3 : 1 (Svn-B-17). Der Durchschnitt beträgt für alle untersuchten Texte 3,2 : 1. Die Wortformen mit der Flexion / - e t / überwiegen in den meisten Schriften auch in der z w e i t e n P e r i o d e . Die obere Grenze aber liegt bedeutend niedriger (2, 5 : 1). In den literarischen Zeitschriften jener Periode läßt sich entweder ein geringfügiges Übergewicht der vollen Formen 1 , 3 : 1 (VT-L-38) oder ein ebenso geringfügiges Übergewicht der synkopierten Formen - 0 , 8 : 1 (Beytr -L-32) feststellen. Der Durchschnitt beträgt für alle Schriften dieser Periode schon 1,7 : 1. In der d r i t t e n P e r i o d e weisen die Texte je nach ihrem Typus bedeutende Schwankungen im Verhältnis der vollen und synkopierten Formen auf. Bei den Typen I und in

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

109

überwiegen immer noch die vollen Formen (von 4 : 1 bis 2 : 1 , einmal aber auch 1,2 : 1), bei dem Typus II schwankt dieses Verhältnis zwischen 1 , 7 : 1 und 1 , 3 : 1 . In den moralisch-didaktischen Zeitschriften kommen beide Formen beinahe gleich oft vor. In manchen Zeitschriften überwiegen schon (manchmal beträchtlich) die synkopierten Formen 0,08 : 1. Der Durchschnitt liegt in der Mitte des Jahrhunderts bei 1,5:1. Es ist also zu betonen, daß die Produktivität der Formen mit / - e t / je nach dem Typus der Texte in unterschiedlichem Grade abnimmt. Die größten Unterschiede weisen die zu verschiedenen Typen der Periodica gehörenden Texte aus der dritten Periode auf. In den Texten des I. und IU. Typus beträgt das durchschnittliche Verhältnis der F o r men / - e t / - t / während der ganzen Periode 2,4 : 1. Es nähert sich also dem Durchschnitt der ersten Periode. In den Schriften des n . Typus beträgt dieses Verhältnis 1,5 : 1, was dem Durchschnitt der zweiten Periode nahekommt und mit dem der dritten Periode zusammenfällt. In den Texten vom IV. Typus macht das quantitative Verhältnis der Varianten Wortformen / - e t / - t / 0, 8 : l a u s und unterscheidet sich damit von allen unseren durchschnittlichen Zahlen. Wie verläuft die allmähliche Einschränkung des Gebrauchs der vollen Formen, und wie ändert sich der Charakter der Variierung der vollen und der synkopierten Formen bei ein und demselben verbalen Lexem? Aus den Belegen geht hervor, daß im Anfang der Periode bei den meisten Verben eine freie Variierung der beiden Flexionen möglich w a r . Es gab aber sowohl einige phonetische als auch grammatische Bedingungen, die den Ausfall von / - e - / begünstigten. Die Tendenz, vornehmlich die synkopierten Formen zu verwenden, macht sich ziemlich früh bei den starken Verben (besonders mit wechselndem Wurzelvokal) sowie bei 64 denjenigen schwachen Verben, deren Wurzel mit einem sonoren Laut endet , bemerkbar. Diese Bedingungen haben die Verteilung der Varianten Formen gewiß beeinflußt, doch lassen sich nicht alle vorkommenden Fälle darauf zurückführen. Im allgemeinen bleiben die Flexionsformen bei den schwachen Verben verhältnismäßig variabel (aber nur: /arbeitet/, /badet/ usw.). Bei den starken Verben ist der Gebrauch der vollen Flexion etwas deutlicher eingeschränkt, obwohl bei manchen Lexem beide Flexionen bis zu Ende der Periode vorkommen, vgl. in der Zeitschrift Z-L-45: /siehet/(2)

/ sieht/ (5)

/liebet/(2)

/ liebt/ (8)

/pfleget/(232)

/ pflegt/ (234)

/geschiehet/(22 8)

/ geschieht (223)

110

Natalia N. Semenjuk /gehet/(37)

/ geht/ (36)

/lässet/(293)

/ läßt (229)

/machet/(290)

/ macht/ (290)

Vgl. dazu: /fällt/ (54), /betrifft/ (54), /hält/ (46), /vergißt/ (201), /wirft/ (41), /fährt/ (229), /schläft/ (229) u.a. Betrachten wir jetzt die Varianten Formen des Partizip n der schwachen Verben (Tabelle 5). Tabelle 5 Periode 1

Part, n der schw. V. -et -t

Ausgabe Titel

Typ

1,2

1

Aph-H-15

n

7,8

1

GF-L-11

n

7,5

1

E F - L - 0 6 ff.

III

3,6

1

EdN-L-00

I

2,5

1

SvN-B-17

n

1,5

1

A0-J-17

ii

1

1

DAE-L-12

n

5,6

1

LPZ-27 ff.

i

5

1

PHZ-30

i

3,3

1

B-L-28

IV

3

1

ThN-J-34

n

1,6

1

VT-L-38

IV

1,3

1

MN-J-26

n

1,1

1

NZ-L-28

n

0,8

1

Beytr-L-32

IV

Im Durchschnitt 5 :1 2

Im Durchschnitt 2,7 : 1

Zustand und Evolution der grammatischen Normen Periode 3

111

Part. II der schw. V. -et -t

Ausgabe Titel

6,4

1

EdN-L-46

I

5,3

1

NEF-L-42

III

Typ

4,4

1

LZ-47

I

4

1

PHZ-47

I

4

1

NEF-L-49

m

3

1

SchPZ-47

I

2,3

1

Beytr-L-42

IV

1,8

1

JgZ-49

II

1,5

1

NZ-L-47

n

1,5

1

BV-L-45

IV

1,4

1

F-L-46

rv

1,3

1

NvHB-48

n

1,1

1

G-H-48

rv

0,4

1

Z-L-45

IV

0,3

1

J-L-47

IV

Im Durchschnitt 2,6 : 1 Aus den in dieser Tabelle angeführten Angaben geht hervor, daß die Formen des Part. Perfekt der schwachen Verben ein ähnliches Bild bieten wie die Formen der 3. P e r s . Sg. Präsens. Wenn wir das Verhältnis der vollen und der synkopierten Formen in der 3. Pers. Sg. Präs. mit demjenigen beim Part. Perfekt vergleichen, so läßt dieser Vergleich sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede erkennen. Das Gesamtverhältnis ist für beide Erscheinungen in jeder Periode im allgemeinen das gleiche. Sie teilen auch die Tendenz zur allmählichen Abnahme der Häufigkeit der vollen Formen. Die Einschränkung des Gebrauchs der vollen Formen erfolgt in beiden Fällen beinahe in demselben Tempo und spiegelt sich in ein und derselben Ausgabe meistens synchron wider (vgl. die Reihenfolge der Titel in beiden oben angeführten Tabellen, die im wesentlichen zusammenfällt). Dabei lassen sich gewisse Unterschiede darin erkennen, wie die Verdrängung der vollen Formen in der 3. P e r s . Sg. Präs. einerseits und beim Part. Perfekt der schwachen Verben andererseits erfolgt, vgl. Tabelle 6.

112

Natalia N. Semenjuk Tabelle 6 Periode

Grammatische Form 3. P.Sg. Präs. -et -t

Part, n der Schw. V. -et 1

-t

1

3,2

1

5

1

2

1.7

1

2,7

1

3

1,5

1

2,6

1

Belm Part. Perfekt werden die vollen Formen langsamer als in der 3. P e r s . Sg. Präs. verdrängt, was anscheinend durch den verschiedenen Charakter der Triebkräfte, die beide Prozesse hervorriefen, bedingt war. Dieser Umstand bestätigt indirekt, daß zusätzliche grammatische Faktoren existierten, die den entsprechenden Prozeß bei den finiten Formen begünstigt haben. Besonders kennzeichnend ist in dieser Hinsicht das Material der letzten Periode. Obwohl in den Schriften des I. und i n . Typus die vollen Formen noch beträchtlich überwiegen, liegt die obere Grenze der Produktivität der Form mit / - e t / in der 3. P e r s . Sg. bei 4 : l(NEF-L-49) und beim Part. Perfekt bei 6,4 : l(EdN-L-46). Das minimale Übergewicht der synkopierten Formen beträgt in der 3. P e r s . Sg. 0 , 0 8 : 1 (J-L-47) und beim Part. Perfekt 0 , 3 : 1 (ebenda). Die Einschränkung des Gebrauchs der vollen Formen im schwachen Part. II und in der 3. P e r s . Sg. Präs. ¿erfolgt in den einzelnen Texten auch etwas ungleichmäßig, vgl. Tabelle 7, wo die Zahlen differenziert für einzelne Typen der Schriften aus der dritten Periode gegeben sind: Tabelle 7 Typ der Ausgabe

Grammatische Form 3. P . S g . P r ä s . -et 1 -t

P a r t . n der Schw.V. -et 1

I, ni

2,4

1

4,5

1

n

1,5

1

1,6

1

IV

0,8

1

0,9

1

-t

In den Texten des I. und des III. Typus beträgt das Verhältnis der vollen und synkopierten Formen beim Part. II 4,5 :l(in der 3. P e r s . Sg. Präs. nur 2,4 :1). In den Texten des II. Typus ist es beim Part. II und in der 3. Pers. Sg. Präs. das gleiche und

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

113

macht 1 , 6 : 1 bzw. 1 , 5 : 1 aus. In den literarischen Zeitschriften (Typus IV) liegt dieses Verhältnis beim Part. II im Durchschnitt bei 0,9 :1, in der 3. P e r s . Sg. P r ä s . bei 0, 8 : 1 . Es läßt sich also sagen, daß die Verdrängung der vollen Flexionsformen in beiden Fällen am intensivsten in den literarischen Zeitschriften und am langsamsten in den politischen Schriften erfolgt. Die wissenschaftlichen Schriften nehmen in dieser Hinsicht eine Zwischenstellung ein; für sie sind in beiden Fällen Durchschnittszahlen kennzeichnend. Wie verhalten sich die normativen Grammatiker zu diesen verbalen Wortformen? Die meisten Grammatiken geben das Paradigma mit den vollen Flexionen an, vgl.: Sg.

Plur.

1. P e r s .

-

/-e/

/-en/

2. P e r s .

-

/-est/

/-et/

3. P e r s .

-

/-et/

/-en/65

Kennzeichnend ist, daß die Grammatiker, obwohl sie die vollen Flexionen flir das Paradigma empfehlen, für einzelne Verben Variante Formen anführen, vgl. bei Freyer: 66

/fällt//fället/, Aömmt/kömmet/, /nimmt/, aber: /giebet/

.

Ferner ist bemerkenswert, daß Gottsched bei der Neuausgabe seiner Grammatik im Jahre 1752 das Paradigma des Präsens schon etwas anders darstellt, um darin die dem Usus entsprechende Variabilität der Flexionsformen der 2. und 3. P e r s . Sg. zu beriick67 sichtigen: / - ( e ) s t / , /-(e)t/

. Außerdem führt Gottsched für die starken Verben die Ein-

schränkung ein, daß die Varianz der Formen vornehmlich nach dem Wurzelauslaut / s , d , t , z , k , g / zulässig ist, was er praktisch schon 1749 in den Listen der Verben verwirk68

licht hatte

.

Die Fixierung der in der Sprache erfolgen Verschiebungen blieb also in diesem Fall hinter dem Usus zurück. Die wesentliche Ursache daflir bestand unseres Erachtens vor allem im Charakter der sich vollziehenden Veränderungen, die nicht zur vollen Verdrängung einer der Varianten Formen führten, sondern nur zu einer gewissen Einschränkung ihrer Produktivität. Zweifellos scheint hier auch die Tendenz zur Unifizierung eine gewisse Bolle gespielt zu haben, unter deren Einfluß in den Grammatiken noch lange ein eir-heitliches Paradigma mit dem / - e - / in allen Wortformen angeführt wurde. 4.2.

Variabilität im präteritalen Paradigma der starken Verben

Die Variabilität im präteritalen Paradigma der starken Verben entstand in jener Periode vor allem als Ergebnis zweier Erscheinungen. Die eine war die parallele Verwendung der "zweigliedrigen" (mit dem sogenannten uneigentlichen / - e / ) und der "eingliedrigen"

114

Natalia N. Semenjuk 69

Wortformen in der 1. u. 3. P e r s . Sg. der starken Verben, vgl.: /sahe/sah/

. Die

andere war der unterschiedliche Vokalismus des präteritalen Wurzelmorphems, der die ältere, zu dieser Zeit schon verschwundene Unterscheidung der Stämme des Sg. und des PI. widerspiegelte. Die durch das / - e / markierten Wortformen der 1. und 3. P e r s . Sg. Prät. waren im Anfang jener Periode in den älteren Ausgaben (FG-H-89, EF-L-05 u . f . NSch-L-14 u . a . ) recht produktiv. In den meisten Texten aber werden beide Strukturen variiert und auf verschiedene verbale Lexeme inkonsequent verteilt, vgl.: (Nrll) aber: /trug/ EdN-L-00 /versähe/ (Nr20) /stunde/

DAE-L-12

(Nr20)

aber:

/nahm/

(Nr20)

/einfiel/

(Nr35)

/ging/

(Nr31)

(ward/

(6)

/geschähe/

(24)

/stunde/

(17)

/gab/

(6)

/wurde/

(7)

/kam/

(7)

/behielt/ (7) In Einzelfällen sind auch beide Variante Wortformen für ein und dasselbe Verb belegt, vgl.: /bate/(66)

/ bat/ (76) FG-H-89

/wurde/(65) / ward/ (106) GF-L-11 /nahme/(65) / nahm/ (55) Nsch-L-14 Ein ähnliches Bild ist auch in den Ausgaben der zweiten Periode zu beobachten. Augenfällig ist jedoch eine außerordentliche Produktivität der durch die Flexion / - e / m a r kierten Wortformen des Präteriums in einzelnen Schriften. Zu ihnen gehört z . B . die Zeitschrift von D. Faßmann "Gespräche in dem Reiche derer Todten" (1729, Leipzig 1718 ff.). Hier charakterisiert die zweigliedrige Struktur präteritale Formen zahlreicher verbaler Lexeme, vgl.: /stunde/ (5)

/hielte/ (18)

/schritte/ (5)

/ t r ä t e / (30)

aber:

/ s p r a c h / (7) /(auf)trug/ (13)

/schiene/ (5)

/fände/ (30)

/blieb/ (18)

/fände/ (7)

/ s ä h e / (31)

/gieng/ (18)

/zöge/ (7)

/schwumme/ (84)

/schlug/ (22)

/geschähe/ (13)

/bewarb/ (27)

/bäte/ (16)

/bekam/ (27)

115

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

In den meisten Schriften der zweiten Periode wurden die "zweigliedrigen" Wortformen in der Regel nur für einzelne verbale Lexeme verwendet. Am häufigsten sind sie für /sah(e)/, /(hielt(e)/, /geschah(e)/ belegt, vgl. LPZ-31; B-L-28 u. f . ; ThN-J-34, GNSch-34, SchNC-23 usw. Diese Tendenz ist auch für die meisten der der Mitte des Jahrhunderts angehörenden Schriften kennzeichnend, in denen die genannten Verben die Variabilität der ein- und zweigliedrigen Wortformen im Präteritum bewahren. In anderen ostmitteldeutschen Texten ist sie nur vereinzelt belegt, vgl. /geschah/(3) VT-L-38

/geschähe/ (13) ESt-L-36

/hielt/(5) NEF-L-42

/hielte/ (6) NEF-L-42

/sah/(110) J-L-47

/ s ä h e / (29,109) J-L-47 /

" / (123,162) Z-L-45

/

" / (42) EdN-L-46

In den meisten Schriften wurden außerdem die Varianten Wortformen /ward/wurde/, /stand/stunde/ weitgehend verwendet. Diese Varianten unterscheiden sich nicht nur durch ihre Flexion, sondern auch durch ihren Vokalismus voneinander, vgl.: /ward/

(113) F-L-46

/wurde/ (47) EdN-L-46

/

" /

(75) NZ-L-47

/

"

/ (307) Z-L-45

/

" /

(10) NEF-L-42

/

"

/ (82) NZ-L-47

/(be)stand/

(130) NEF-L-42 /(be)stunde/ (176) NEF-L-42

/(ver)stund/

(133) Z-L-45

/

(44) BV-L-45

stund/

usw. Die Variierung der verschiedene Wurzelvokale enthaltenden präteritalen Wortformen kam in den ostmitteldeutschen Schriften auch bei einigen anderen Verben vor: /erhob/erhub/, /starb/sturb/,/drang/drung/, /(be)schwor/(be)schwur/, /schwamm/schwumm/ u . a . Wie verhalten sich die normativen Grammatiker zu diesen Varianten Wortformen? Die Varianten präteritalen Wortformen der starken Verben mit dem variierenden Stamm70 . Dabei ist die Einstellung zu

vokal werden in allen normativen Grammatiken angeführt

den zweigliedrigen Wortformen bei den verschiedenen verbalenLexemen recht unterschied71 lieh. Freyer führt / s ä h e / , /hielte/, /fange/, /schritte/, aber: /geschah/, /geschach/ an. Gottsched tritt überhaupt gegen den Gebrauch der zweigliedrigen Wortformen auf, indem e r darauf hinweist, daß / w ä r e / , / s ä h e / , /gäbe/- "Beispiele aus schlechten Provinzen" .. 72 waren . Die allmähliche Verdrängung der zweigliedrigen Wortformen aus der 1. und 3. P e r s .

116

Natalia N. Semenjuk

Sg. Prät. spiegelte sich also in den Forderungen der Grammatiker, wenn auch inkonsequent, wider. Am entschiedensten werden sie, wie auch in anderen Fällen, in der Gram73 matik von Gottsched vertreten . 4.3.

Variabilität des präteritalen Paradigmas und des Partizips Perfekt der schwachen "rückumlautenden" Verben

In den orad. Schriften der behandelten Periode werden im Präteritum und beim Partizip n die Wortformen von sechs schwachen Verben weitgehend variiert: /senden, brennen, kennen, nennen, wenden, rennen/. Diese Variabilität tritt als Schwanken des Vokalismus im Wurzelmorphem auf: /brannte/brennte/, /gebrannt/gebrennet/. Sie geht auf frühalthochdeutsche Lautverhältnisse zurück und spiegelt sich in den deutschen Sprachlandschaften 74 in unterschiedlicher Weise wider . Die umgelauteten Formen (d.h. mit dem / - e - / im Stamm) fanden in den süddeutschen Mundarten eine weite Verwendung und bürgerten sich in der Literatursprache süddeutschen Typs allmählich ein. In den mitteldeutschen Dialekten waren dagegen die nicht umgelauteten Formen des Partizips II und des Präteritums vertreten, was sich in der Literatursprache dieses Gebiets auch entsprechend widerspiegelte. Aber von M. Luther angefangen, wurde die Gruppe der Verben, die die präteritalen Formen mit dem / - a - / bilden konnte, in der ostmitteldeutschen Literatursprache vornehmlich auf die sechs genannten beschränkt. Darüber hinaus kommen bei M. Luther noch /gesatzt/75sowie die mitteldeutschen Formen mit dem "uneigentlichen" Umlaut ( z . B . /lahrte/) vor . Die Wechselwirkung der süd- und der ostmitteldeutschen Schrifttradition im 17. - 18. J h . führte in beiden Typen der Schriftsprache zur Varianten Verwendung der Paradigmen mit / - e / - a - / für die oben genannten Verben. Wie hat die Verteilung der Varianten Wortformen in den ostmitteldeutschen Schriften jener Periode ausgesehen? Die Variabilität des Vokalismus im Präteritum und im Partizip II war hier auf die Gruppe der sechs genannten verbalen Lexeme beschränkt. Vereinzelt kam in den Texten auch die Form /gestallt/ vor, vornehmlich in der Wendung /bei so gestallten Sachen/, vgl. AO-J-17 (127), WN-E-19 (3). Als reguläre paradigmatische Form wurde aber /gestell(e)t/ verwendet 76 . Die mitteldeutsche Form des Partizips n /gelahrt/ spiegelte sich gelegentlich in dem deverbativen Abstraktum /die Gelahrtheit/ wider (MN-J-26,14; NZ-L-28,40). Vereinzelt ist in den Texten auch die präteritale Form /satzte sich/ 77 (G-L-32,39)

neben dem üblichen /setzte sich/ belegt.

Wie waren diese Varianten Formen in den Schriften verschiedener Perioden verteilt ? In den meisten Zeitschriften und Zeitungen a u s d e r e r s t e n

Periode

überwiegen

Zustand und Evolution d e r grammatischen Normen

117

im P r ä t e r i t u m und im Partizip II (in analytischen Konstruktionen) die Formen mit dem umgelauteten Vokal, vgl. / ( e r ) sendete/ FG-H-89, 75; / ( e r ) nennte/ DAE-L-12, 81; /(sie) nenneten/ WN-E-19 (23), vgl. auch: FG-H-89

/(hat) genennet/ (31,73,82,208)

DAE-L-12

/ ü b e r s e n d e t / (V) /genennet/ (17)

/gewendet/ (46)

/angewendet/ (88)

/ g e s e n d e t / (349) WN-E-19 AB-W-99

/genennet/ (320)

/zugesendet/ (18) /genennet/ (75) /gewendet/ (86)

Vgl. aber das Partizip II in attributiver Funktion: FG-H-89

/ z u der jjenaiinten Gerechtigkeit/ (98)

WN-E-19

/ d e r bekante Mercur galant/ (32) AB-W-99

/außer benennten O e r t e r n / (320)

/denen so genannten . . . Facultäten/ (V) /binnen benannter Zeit/ (27)

SvN-B-17

/ d a s so genannte Büc h e l / (47) /von d e n e n . . . o b g e s e n d e ten Recrouten/ (43)

usw. In den Schriften aus d e r 2. und 3. Periode werden beide Varianten gebraucht, dabei tritt das Partizip II mit / - e - / - a - / in verschiedenen Funktionen auf, vgl. in analytischen Konstruktionen: /gewandt/(II) LZ-47

/gewendet/ (61) GNSch-34

/genannt/(9) SchPZ-47

/genennet/ (31) NZ-L-47

/verbrannt/(32) PHZ-47 / v e r b r e n n e t / (51) PschPZ-47 /genant/(35,39) NvHB-48/genen(n)et/ (34,39) NvIIB-48 Vgl. auch in attributiver Funktion: /die im Titel dieser Bände genennten Commentarii/

(775) NZ-L-28

/ b e i so vieler angewendeten Sorgfalt/

(579) B - L - 2 8

/ i n beneneten Hause/

(87) WHN-30

/ d i e . . . ernennten . . . Comissarien/

(5) NEF-L-42

/ d i e gewendete Gedult/

(208) F - L - 4 6

/eingesendete Nachrichten/

(V) PGSch-H-43

aber auch: /die dabei angewandte Mühe/

(86) MN-J-26

118

Natalia N. Semenjuk /die benannten Arten/

(64) NEF-L-42

/die so genannten... /

(48) PGSch-H-43

/der ungenannte Verfasser/

(77) NZ-L-47

/angewandte Kräfte/

(41) F-L-46

/der ernannte Herr/

(26) SchPZ-47 78

/(durch) eingewandte Appelation/

(Nrl2) DA-49

Vgl. auch im Präteritum: /wandte sich/(28) GNSch-34

/wendete sich/ (28) GNSch-34

/nannte/(165) B-L-29

/nennete/ (164) B-L-29

/erkannte/(6) PHZ-47

/kennete/ (45) PHZ-47

Die Variierung der Wortformen in der Gruppe der rückumlautenden Verben wurde in den meisten normativen Grammatiken fixiert, die die regulären Varianten Paradigmen 79 . Bemerkenswert ist, daß diese Varianz aber nur von 80 einem der süddeutschen Grammatiker, und zwar von Antesperg, berücksichtigt wurde ,

für diese sechs Verben anführten

während Popowitsch, der anscheinend konsequenter an der süddeutschen Tradition festhielt, für diese Verben nur das Paradigma mit dem /-e-/

4.4.

81

im Stamm empfahl.

Variabilität der schwachen und der starken Formen des Präteritums und des Partizips n einzelner verbaler Lexeme

Die Variante Verwendung der schwachen oder der starken Verbform, die in der Literatursprache jener Periode zu beobachten ist, hat verschiedene Ursachen: Einmal war sie durch den traditionellen Parallelismus der strukturellen Möglichkeiten für die Bildung 82 der einen oder anderen Form bedingt, vgl. z . B . das Verb /beginnen/

. Zum anderen

zog das Nebeneinanderbestehen einer älteren und einer jüngeren Form, die infolge der Neuverteilung einzelner Verben zwischen zwei Grundtypen der Konjugation entstanden war, Variabilität nach sich, z . B . bei /pflegen, bellen/ u.a. Zum dritten konnte es sich um die Vereinigung mehrerer, aus verschiedenen Mundarten stammender Möglichkeiten 83 ein verbales Lexem grammatisch zu charakterisieren, handeln (vgl. /fragen, rufen/ Nunmehr seien einzelne Beispiele des Varianten Gebrauchs der schwachen und der starken präteritalen Formen in den ostmitteldeutschen Schriften angeführt, in denen die Variabilität auf einzelne verbale Lexeme beschränkt war, vgl.: /begann(en)/

(üblichere Form)

/begonnte(n)/

SvN-B-17

(25,47)

/

ESt-L-36

(3)

/begunnte/

SvN-B-17

(5)

/

B-L-29

(63)

"

"

/

/

.

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

119

/begannte/

SvN-B-17

/rief/

/(be)ruf(fe)te/

(6) DAE-L-12

(üblichere Form)

/ / / / /

(43) G-L-29

/gepflogen/(798) Ef-L-05 /

"

/ (15) DAE-L-12

/gepflogen/(125) F - L - 4 6 /gepflogen/(125) F - L - 4 6

/ / / / /

(15)

84

(28,147) F - L - 4 6 (8) PHZ-47 (16) NEF-L-49 (57) M-H-52 8 5

aber: /pfleg(e)ten/ (42) FG-H-89 / /

" "

/ (68) WN-E-19 (66) B - L - 2 8

/gepfleget/ (201) F - L - 4 6 .

86

Variante schwache und starke Formen wurden in den Grammatiken jener Periode auch für andere Verben, z . B . /bellen/, /dringen/, /erschallen/, /verhehlen/ usw. angeführt. Die vereinzelt in den Texten vorkommende Form /fräg(e)t/ (8.oben S. ) wird 87 von Freyer in eine Liste von falschen Formen verwiesen , da sie die Abwandlung dieses Verbs nach dem starken Konjugationstypus voraussetzt. 4.5.

Variabilität einzelner Wortformen des Hilfsverbs /sein/

Die Variabilität der Wortformen des Hilfsverbs /sein/ entstand infolge des parallelen Gebrauchs der Formen /sind/(seyn)/(seynd)/ in der 1. und 3. Pers. PI. Präsens

88

und infolge der Verwendung der starken und der schwachen Formen des Partizips II /ge89 wesen/gewest/

.

Für alle ostmitteldeutschen periodischen Schriften sind die Formen /sind/ und / g e wesen/ typisch. Ihre Varianten kommen in den Texten bedeutend seltener vor. /Seynd/ ist vornehmlich in den Texten der Zeitungen (Typ I) und in den Zeitschriften des II. und i n . Typs vertreten, d.h. hauptsächlich dort, wo mit einem unmittelbaren Einfluß des süddeutschen Sprachtyps zu rechnen ist, vgl.: (254,260,279, 299) AB-W-99

(IH)

(17,26,38,98)

EF-L-06

(III)

(12,17,22)

EF-L-12

(in)

(Nr 120,173)

SchNC-31

(I)

(683)

NZ-L-28

(II)

(V)

G-L-29

(III)

(Nrl5)

EdN-L-46

(I)

120

Natalia N. Semenjuk (3)

SchPZ-47

(I)

(33)

NEF-L-49

(IH)

90 Die Formen /gewest/ und /sein/

sind besonders flir die Periodica Schlesiens kenn-

zeichnend, wo sie oft mit /gewesen/ und /sind/ variieren, vgl.: SvN-B-17 (II)

/gewest/(II, 13, 22)

/ gewesen/ (12,13,19)

GNSch-34 (II)

/geweset/(44)

/ gewesen/ (V)

GNSch-34 (II)

/seyn/(5)

/ sind/(3,5,44)

GNSch-41 (II)

/seyn/(V)

/ sind/(V, 31)

Bemerkenswert ist auch, daß die Formen /seynd/ und /gewest/ in den untersuchten Texten der moralisch-didaktischen Zeitschriften Uberhaupt nicht belegt sind. Parallel mit der allmählichen Einschränkung ihres Verwendungsbereiches verschwinden diese Formen auch aus den normativen Grammatiken jener Periode. In der 1701 und 1729 herausgegebenen Grammatik von Bödiker werden die Varianten Formen /gewesen/ und /gewest/ immer noch angeführt; in der Ausgabe des Jahres 1741 steht nur /gewesen/. /Seynd/ wird als Variante nur bis 1701 berücksichtigt, später wird es durch die Form 91 /sind/ verdrängt. Freyer sowie Gottsched empfehlen für das Paradigma nur /sind/ 92 und /gewesen/

, wobei sie den Gebrauch von /gewest/ und /seynd/ als unzulässig bezeich-

nen. Grammatikern wird die Varianz in gewissem 93 , Popowitsch Grad Von nochden vonsüddeutschen Antesperg zugelassen schließt /sind/seynd/ /seynd/ aus und nimmt in das 94 Paradigma nur die Wortformen /sind/ und /gewesen/ auf .

5.

VARIABILITÄT EINIGER SYNTAKTISCHER KONSTRUKTIONEN

5.1.

Variante morphologische Formen in attributiven Wortfügungen

In der Entwicklung der Satzstruktur, einem Prozeß, der bei der Herausbildung der deutschen Literatursprache eine wesentliche Rolle spielte, nahm die Gestaltung der Substan95 tivgruppe eine wichtige Stelle ein. In der uns interessierenden Periode erfolgten einige Verschiebungen in der morphologischen Gestaltung der attributiven Gruppe "Adjektiv" + "Substantiv". Die wesentlichsten von ihnen waren: 1. die weitere Einschränkung des Verwendungsbereichs der Kurzform des Adjektivs, 96 insbesondere die weitere Abnahme ihrer Produktivität in attributiver Funktion. 2. die Vordrängung der polyflektiven Ausgestaltung der attributiven Konstruktionen, 97 die neben der immer weiter um sich greifenden Verwendung der Monoflexion achten war.

zu beob-

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

121

3. die allmähliche Einbürgerung der schwachen genitivischen Form des Adjektivs in seinem starken Paradigma. 4. die Herausbildung der Norm für die morphologische Ausgestaltung des Plurals beim 98 Adjektiv in der attributiven Gruppe mit verschiedenen Begleitwörtern. Da sich bei der Realisation der genannten Prozesse verschiedene strukturelle und normative Tendenzen kreuzten, entstand daraus in jener Periode die Variabilität der grammatischen Gestalt einiger attributiver Wortfügungen. Die Variabilität war hier die Folge der parallelen Verwendung der Voll- und Kurzform des Adjektivs, vgl. /gutes Wetter/gut Wetter/. Außerdem konnte die morphologische Gestalt des Adjektivs vor dem Substantiv im Genitiv ohne Artikel oder ohne irgend ein anderes 99 Begleitwort variieren, vgl. /heutiges/heutigen Tages/. Vereinzelt begegnet auch die Variierung der mono- und der polyflektiven Gestalt der attributiven Wortfügungen, vgl.: /(einem) guten/gutem 100 Menschen/, Die letzte Form ist in den ostmitteldeutschen Schriften selten belegt. Variabel war auch die morphologische Gestalt des Adjektivs vor einem Substantiv im Plural, vgl. /die gute/guten Menschen/, /meine gute/guten Freunde/ usw. Betrachten wir einige Typen von Varianten im Rahmen der attributiven Gruppe etwas genauer. 5.2.

Variabilität der Kurz- und der Vollformen des Adjektivs in attributiver Wortfügung (Sg.)

Die Verwendung der Kurzformen des Adjektivs als Attribut ist in der Sprache des 18. J h . als Überrest einer einst produktiven Erscheinung anzusehen. 1 "^ In unserer Periode war die Möglichkeit, die Vollform und die Kurzform in attributiver Wortfügung zu variieren, schon sehr stark beschränkt. Vor allem ist zu betonen, daß diese Variierung fast aus-

102

schließlich vor einem Neutrum im Nominativ und Akkusativ Singular zu beobachten war. Sie war außerdem positionsmäßig eingeschränkt, da die Kurzform nur in Wortfügungen nach dem unbestimmten Artikel, nach /kein/ und manchmal auch in Wortfügungen ohne Artikel verwendet werden konnte, vgl.: /ein groß Stücke/ (134) AO-J-17; /kein groß Gewissen/ (39) AO-J-17; /durch gut und weiß Papier/ (260) NZ-L-28. Aber auch in diesen Positionen war die Häufigkeit der Voll- und der Kurzform des Adjektivs unterschiedlich: Die Kurzform kam neben der massenhaften Verwendung der 103 flektierten Formen nur vereinzelt vor. Trotzdem ist die Verwendung der Kurzform in jener Periode recht stabil. Einzelne Belege sind in den Texten der meisten periodischen 104 Schriften bis zur Mitte des J h . anzutreffen

Natalia N.- Semenjuk

122 1. Periode: FG-H-89 (H)

/ein neu Gebot/ (82) /ein fromm und gottsfiirchtig Leben/ (60) /kein weiß Hembde/ (12) /verdrießlich Wetter/ (69)

AB-W-99 (HI)

/ein groß Stück Fett/ (294) /ein neu Gesetz/ (288) /ein Englisch Schiff/ (299)

EdN-L-00 (I)

/ein brennend Licht/ (Nrl5) /ein klein Kompliment/ (Nr24)

DAE-L-12 (H)

/ein groß Mißvergnügen/ (32) /ein ausgemacht Ding/ (67)

Nsch-L-14 (II)

/ein klar Exempel/ (82) /ein gut_Theil/ (47) /sein (!) eigen Stamm-Hauß/ (24)

Aph-H-15 (II)

/ein vortrefflich Gedächtniß/ (14) /ein besser Ansehen/ (31)

SvN-B-17 (II)

/unbeständig Wetter/ (6) /stürmerisch Wetter/ (19)

AO-J-17 (II)

/ein bloß Schwerdt/ (128) /ein groß Verlangen/ (197)

VB-H-18 (Ü)

/ein öffentlich Verlöbniß/ (32)

WN-E-19 (H)

/(vor) ein gut Buch (sorgen)/ (27) /groß Wesen (machen)/ (27)

2. Periode MN-J-26 (n)

/ein besonder Verzeichniß/ (87)

NZ-L-28 (II)

/durch gut und weiß Papier/ (260) /gut Glück/ (442)

WHN-30 (II)

/braun und weiß Stadt-Bier/ (58)

ThN-J-34 (H)

/ohne ein geometrisch instrument/ (77)

GNSch-34 (Q)

/lang Stroh/ (41)

G-L-29,32 (III)

/schlecht Wasser/ (18) /ungereimt Zeug/ (38) /(in) ein groß Gefäß steigen/ (93)

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

123

3. Periode F-L-46 (IV)

/schön Wetter/ (82) /groß Elend und Gefahr/ (83) /ein gestreift Kleid/ (172)

Z-L-45 (IV)

/kein weiß Blatt/ (198) /ein groß Verlangen/ (204) /groß Unglück/ (294)

BV-L-45 (IV)

/ein tobend Heer/ (57) /ein laut Geräusche/ (62) /ein eisern Herz/ (91)

J-L-47 (TV)

/ein besser Vertrauen/ (212)

NZ-L-47 (II)

/ketn ander Metal/ (2) /ein groß Vergnügen/ (3)

LZ-47 (I)

/baar Geld/ (24) /fein Gold-Blatt/ (35) /ein grün Kleid/ (36)

SchPZ-47 (I)

/ein groß Feuer/ (8) /ein groß Trachtement/ (37) /ein offen Buch/ (45) /ein ander Detaschement/ (47)

NSch-E-51

/ein bebend Herz/ (46) /tief Wasser/ (99)

Die vereinzelte Verwendung der Kurzform war also in Schriften verschiedenen Typs bis zum Ende der uns interessierenden Periode zu beobachten. Hervorgehoben sei, daß die semantische Verbindbarkeit der Kurzformen des Adjektivs mit dem Substantiv noch ziemlich uneingeschränkt war. Nur einige Fügungen mit der Kurzform des Adjektivs zeigen die Tendenz zu einer gewissen Erstarrung, (vgl.: /gut Wetter/, /baar Geld/, /bebend Herz/), während die Liste der in diesen Fügungen erscheinenden Substantive und Adjektive in den meisten Beispielen immer noch lang ist. 5.3.

Variabilität der morphologischen Gestalt der Vollform des Adjektivs in attributiver Funktion

Das Problem der Varianten morphologischen Gestalt der Pluralform des Adjektivs in attributiver Funktion hat schon wiederholt das Interesse der Sprachforscher erweckt, die

124

Natalia N. Semenjuk

zu seiner Untersuchung den Sprachstoff aus verschiedenen Perioden der deutschen Sprachgeschichte herangezogen haben. In den meisten Schriften a u s d e r I .

P e r i o d e tendiert die Häufigkeit der nach

dem bestimmten Artikel stehenden Formen des Adjektivs mit der Endung / - e n / (Typus /die -en/) zu 100 %. In einzelnen Texten kommt daneben auch die Variante Form mit / - e / (Typus /die - e / ) vor, vgl. /die beyde streitende Parteyen/ EF-L-06 (9); /die unbegründete Traditiones/ GF-L-11 (60); /die nordische Länder/ GF-L-11 (29). Am häufigsten kommt der starke Typus im erweiterten Attribut vor, was f ü r jene Periode als Norm anzusehen ist, vgl.: /die bey der Gräntzscheidung... entstandene Disputen/ EdN-L-00 Nr32), /die aus Levante.. .einlaufende Schiffe/ EdN-L-00(Nr38), /die vor jeden Monat befindliche Kupferstücke/ FG-H-89 (26), /die darinnen begriffene hohe und niedrige Stiffte/ GF-L-11 (312). Der schwache Typus ist jedoch vereinzelt schon in den Schriften der ersten Periode anzutreffen, vgl. z . B . Aph-H-15 (14). Von den Schriften aus dem Anfang des 18. J h . sondert sich die Leipziger Zeitung EdN-L-00 deutlich ab, da hier beide Deklinationstypen nach dem bestimmten Artikel f r e i variieren und die starken Formen in manchen Texten sogar etwas überwiegen. Beispielsweise erscheint auf Seite 1-50 der schwache Typus 12mal, der starke dagegen 26mal. 9 Belege entfallen davon auf das erweiterte Attribut. Die Verwendung der Varianten Wortformen des Adjektivs war je nach dem pronominalen Begleitwort ziemlich unterschiedlich. Nach dem Possessivum sowie dem Demonstrativum und nach /kein/ variieren die beiden Flexionen f r e i , vgl.: / i h r e - e n / |Nr20) EdN-L-00 /

"

/ (37,63) FG-H-89

/

"

/ (34) GF-L-11

/ s e i n e - e n / (87) DAE-L-12 /

"

/ (162) GF-L-11

/

"

/ (54,83) NSch-L-14

/ s e i n e - e n / (25) DAL-L-15 / d i e s e - e n / (19) EF-L-06 /keine-en/ (71) Aph-H-15 aber: /ihre - e /

(Nrl2) EdN-L-00

/meine - e / (8) FG-H-89 /

"

/ (144) A0-J-17

Zustand und Evolution der grammatischen Normen /seine - e /

(7) DAE-L-12

/

"

/

(Nr 18) EdN-L-00

/

"

/

(57) NSch-L-14

/diese -e /

(Nr21) EdN-L-00

/keine -e /

(11,34,29) DAL-L-15.

125

Nach /einige/ und /viele/ stehen konsequent die starken Formen, nach / a l l e / ist vereinzelt die schwache Form anzutreffen, vgl.: /alle -e

/

(NrlO, 15,16, 20) EdN-L-00

/

"

/

(29,47) EF-L-06

/

"

(V) DAE-L-12

/

"

/ / /

/alle -n

(32) Aph-H-15 (V) SvN-B-17

In den Schriften d e r z w e i t e n P e r i o d e kann man einige unbedeutende Verschiebungen in der Ausgestaltung der attributiven Wortfügungen feststellen. Die Zeitungen (I) bewahren im allgemeinen das für die erste Periode charakteristische Bild: in nicht erweiterten attributiven Fügungen variieren /die - e n / und /die - e / , vgl.: /die rechtmäßige Successores/ WR-H-24 (22); /die hohe Gesandschaften/ PHZ-30 (121); /die sämtliche Zünfte/ SchNC-23 (Nrl51); /die sämmtliche Gerichts- und andere Collegia/ LPZ-31 (N 3-4); /die sämmtlichen abwesenden Officiers LPZ-31 (Nr 2-3). In den erweiterten attributiven Fügungen Uberwiegen aber, wie früher, die starken Formen: WR-H-24: /die zu Motpellier versammelte Languedokische Land=Stände/ (32); /die in Teutschland sich befindliche Kardinale/ (62). LPZ-31: /die hier anwesende Gardinäle/ (Nr3-3): aber auch: LPZ-31: /die dazu benöthigten Schrifften/ (Nr 2-3); /durch die unlängst verspürten starcken Sturmwinde/ (Nr4-2). Nach dem Possessivpronomen und nach dem Demonstrativpronomen variieren in diesen Schriften die starken und die schwachen Flexionen. Nach /einige/, /viele/ und / a l l e / werden fast ausschließlich die starken Formen gebraucht. Beachtenswert sind die Texte der "Leipziger Post-Zeitung" (1727, 1730, 1731), wo die Flexion / - e n / im erweiterten Attribut und vereinzelt sogar nach / a l l e / gebraucht wird. In den Schriften der Gruppe n und HI (wissenschaftliche und historisch-politische Zeitschriften) erreichen die schwachen Formen nach dem bestimmten Artikel etwa 100 %. Im erweiterten Attribut variieren / - e n / - e / , vgl.: NZ-L-28: /die im Titel dieser beyden Bände genennten Commentarii/ (785); aber auch: /die hierinn beschriebene Gelehrten/ (502).

126

Natalia N. Semenjuk Nach dem Possessivum und dem Demonstrativum werden hier beide Formen verwendet.

In der Position nach /viele/, /einige/, / a l l e / steht nach wie vor die starke Form. Eine gewisse Ausnahme stellen in diesen zwei Gruppen der Schriften die Texte der NZ-L-28 dar, wo im nicht erweiterten Attribut die starken Formen auftreten (S. 280, 400) und schwache Formen vereinzelt nach /alle/ belegt sind, vgl.: /alle nützlichen und curiösen Bücher/ (996). In den Schriften der Gruppe IV kommt die Endung / - e n / nach dem bestimmten Artikel in allen Arten des Attributs vor, nach dem Possessivum und dem Demonstrativum bleibt die Variabilität / - e / - e n / erhalten. Nach / a l l e / , /viele/, /einige/ steht in der Regel / - e / (B-L-28,58; B-L-29,63), daneben aber vereinzelt auch / - e n / (B-L-28,54; B - L - 2 9 , 1 7 ) . In den Schriften der Gruppe I und in a u s d e r 3 .

Periode

sind nur in Einzel-

fällen starke Formen belegt, vgl.: EdN-L-46 /die eigentliche Umstände/ (1), /für die vereinigte Provinzen/ (2), /die verschiedene Königreiche/ (11), /in die benachbarte Reichslande/ (43), /die feindliche Vorposten/ (62). Das erweiterte Attribut aber erscheint in den Zeitungen und historisch-politischen Zeitschriften meistens in starker Form: /die in Dantzig entstandene Irrungen/ NEF-L-49 (91), vgl.: auch PHZ-47 (31,44,63); SchPZ-47 (9,27,46), aber auch: /die hierzu ernenten Herren/ NEF-L-42 (5). Nach dem Possessivum und Demonstrativum variieren hier schwache und starke Formen des Adjektivs, nach /einige/, / a l l e / , /viele/ bleibt / - e / erhalten. In wissenschaftlichen Zeitschriften (II) werden meistens schwache Formen des Adjektivs nach dem bestimmten Artikel verwendet. Im erweiterten Attribut sowie nach dem Demonstrativum und dem Possessivum variieren hier dagegen / - e / - e n / . Nach / a l l e / , /einige/ werden vornehmlich starke Formen gebraucht. In der Gruppe der literarischen Zeitschriften (IV) erreichen die schwachen Formen nach dem bestimmten Artikel, dem Possessivum und Demonstrativum 100 %. Nach /alle/ variieren hier / - e n / ( - e ) / , nach /viele/, /einige/ ist dagegen / - e / invariant. Dabei sind in den Texten dieser Gruppe immerhin einige Schwankungen in der Verteilung schwacher und starker Formen festzustellen. So zeichnen sich Z-L-45 und G-H-48 durch eine etwas archaischere morphologische Gestalt der entsprechenden Wortfügungen (/ihre/, /diese - e n / /alle - e / ) aus als die anderen literarischen Zeitschriften, vgl. auch Tabelle 8. Wenn wir das Fazit der Entwicklung der Norm in dem hier behandelten Sachbereich ziehen, so ist vor allem hervorzuheben, daß sich die schwache Form nach dem bestimmten Artikel immer fester einbürgert. Die Tendenz zur funktionellen

Differenzierung der

Varianten Ausgestaltung der Fügungen /die - e n / - e / im nicht erweiterten und erweiterten

127

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

Tabelle 8

Periode

Nach dem bestimmten Artikel im nicht e r - im erweiweiterten terten Attribut Attribut

Nach d. Posalle sessiv- und Demonstrativpronomen und keine

1

-en/ ( - e )

-e/(-en)

-e/-en

-e

-e

I, n, III

-e/(-en)

-e

-e/-en

-e

-e

I (EdN-L-00)

-en/ (-e)

-e/-en

-e/(-en)

-e/(-en)

-e

I (LPZ-31)

-en/(-e)

-en/-e

-e/-en-

-e

-e

i, n, ni

-en

-en

-e/-en

-e

-e

IV

-en/-e

-e/-en

-e/-en

-e/-en

-e

I, III

-en/ ( - e )

-en/-e

-e/-en

-e

-e

n IV

2

3

Nach einige viele

Typ der Ausgabe

(Z-L-45 G-H-48) -en

-en

-en

-en

-e

IV (F-L-46 BV-L-45 J-L-47)

Attribut erscheint in der Mitte des 18. Jh. durch die massenhafte Verwendung der schwachen Form schon beträchtlich abgeschwächt. Die Variante Verwendung beider Typen der Wortformen bleibt in Fügungen mit einem Possessivum oder einem Demonstrativum sowie nach /keine/ während der ganzen Periode erhalten. Nur in einigen moralischen Zeitschriften bürgert sich in diesen Positionen die schwache Flexion ein. Das gilt teilweise auch für Konstruktionen mit /alle/, wo dieser Prozeß jedoch langsamer verläuft und sich nur in den Texten einiger literarischer Zeitschriften in extremer Form äußert. Hervorzuheben ist, daß das Tempo der erwähnten Veränderungen je nach der Gruppe der Schriften schwankt. Der asynchrone Verlauf der entsprechenden Prozesse verursachte beträchtliche Schwankungen in den grammatischen Normen. In welchem Verhältnis zu diesen Prozessen stehen die von den Grammatikern aus der ersten Hälfte des 18. Jh. aufgestellten Forderungen? Alle führenden ostmitteldeutschen und niederdeutschen normativen Grammatiken empfehlen die Flexion /-en/ in der Fügung mit dem bestimmten Artikel. Ihr Fehlen wurde z . B . von Gottsched

1 QC

als Merkmal

128

Natalia N. Semenjuk

einer Sprache aus "bestimmten Provinzen" angesehen, das der ostmitteldeutschen Literatursprache völlig fremd war. Variant bleiben in den Grammatiken die Wortformen in FUgungen mit einem Possessi106 sowie mit /alle/. Erst in den Werken der Grammatiker

vum oder einem Demonstrativum

aus der zweiten Hälfte des 18. J h . setzt sich in diesen Fügungen die schwache Flexion 107 endgültig durch. 5.4.

Variable Struktur der possessiven attributiven Gruppen (Substantiv + Substantiv)

Die Struktur dieser Gruppen weist in Einzelfällen eine Variabilität auf, die sich aus der fakultativen Aufnahme eines Possesivums in sie ergibt, vgl.: /des Königs seine Rede/. Diese Konstruktion stellt eine Kontamination der in der Literatursprache verbreiteten genitivischen attributiven Wortfügung vom Typus /des Königs Rede/ mit possessiven pronominalen Konstruktionen vom Typus /dem König seine Rede/ dar, die für die gesprochene Sprache typisch sind

108

. Diese Konstruktionen, die "potenzierte" genetivische

attributive Gruppen genannt werden dürften (vgl. diesen Terminus bei V.M. Schirmunski), 109 kommen in den periodischen Schriften aus der ersten Hälfte des 18. Jh. vereinzelt vor vgl.: /seines Bruders sein Leben erretten/

FG-H-89 (96)

/des Herrn seine Frage/

AB-W-99 (287)

/der Kühe und Ochsen ihre (Klauen)/

AB-W-99 (279)

/von der neuen Christen ihren Evangelio/

GF-L-11 (116)

/des Königs Johannis IV. seinen Character/

NSch-L-14 (50)

/des Cicero seine (Rede)/

F - L - 4 6 (181)

/der meisten Kinder ihr Verderben/

F - L - 4 6 (204)

/der berühmtesten Kunstrichter ihre Urtheile/ F - L - 4 6 (3) /meiner Mitbürger ihre Glückseligkeit/

F - L - 4 6 (3)

/(weil ihre Familie älter ist, als) des

F - L - 4 6 (102)

Gonzalo seine/

5.5.

/der Menschen ihre Testamente/

NZ-L-47 (10)

(der Tugendhaften ihre (Seelen)/

BV-L-45 (70)

Variabilität der Attributsätze verschiedenen Typus

In der uns interessierenden Periode sind einige Typen der durch verschiedene Konjunktionen und Relativa eingeführten Attributsätze in den Texten der Periodica anzutreffen. Die Synonymie der unterordnenden Mittel rief öfters Variabilität in der Gestalt der

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

129

Nebensätze hervor. Davon waren beispielsweise Attributsätze betroffen, da sie entweder durch ein demonstratives oder ein interrogatives Pronominaladverb ( z . B . /darin/worin, darauf/worauf/ usw.) eingeführt werden konnten, die als Relativum voneinander nicht unterschieden wurden, v g l . : /Eine Schrift, worin.. . / E i n e Schrift, d a r i n . . . / Solche Attributsätze bleiben während der ganzen Periode variant. Gegen Mitte des J h . nimmt die Produktivität der demonstrativen Pronominaladverbien in dieser Funktion beträchtlich ab: Wenn sie in einigen Texten der Periodica aus der 1. und der 2. Periode überwiegen (EdN-L-00, G F - L - 1 1 , B - L - 2 8 ) , so nehmen die interrogativen Pronominaladverbien in den moralischen und anderen literarischen Zeitschriften schon in der Mitte des Jahrhunderts überhand. Hier waren die demonstrativen Pronominaladverbien wenig produktiv und kamen nur selten vor, (vgl.: B V - L - 4 5 , F - L - 4 6 , J - L - 4 7 ) . Ein ähnliches Bild läßt sich auch in anderen Typen der ostmitteldeutschen Schriften feststellen (EdN-L-46,I, LZ-47,1, NEF-L-49,III). Die Abnahme der Produktivität der demonstrativen Pronominaladverbien in konjunktionaler Funktion in Attributsätzen war nach der Meinung von W . G . Admoni in e r s t e r Linie mit einer deutlicheren Differenzierung zwischen beiordnenden und unterordnenden Konjunktionen verbunden, was zur Verdrängung der demonstrativen Pronominaladverbien aus 110

der Gruppe der unterordnenden Wörter führte Eine durchgreifende Umgestaltung ging auch in den durch synonymes / d i e / , / s o / R e i c h e eingeleiteten Attributsätzen vor sich. Diese waren allerdings nicht völlig identisch, sondern wiesen gewisse grammatische Unterschiede auf. Die durch / s o / eingeleiteten Attributsätze konnten im Prinzip auf Substantive jedes Geschlechtes in jedem Kasus und Numerus bezogen werden, vgl.: / E i n Prinzip, s o . . . /

EdN-L-00 (Nr33)

/Die Handlung, s o . . . /

EdN-L-00 (Nr34)

/Das Schicksal, so . . . /

ESt-L-36 (31)

/Diejenigen, so . . . /

G - L - 3 2 (31)

/In Lieffland, so damals in

EdN-L-00 (Nr35)

schlechter Verfassung stunde... / / N e b s t . . . Lebens-Beschreibun- G F - L - 1 1 (261) gen derjenigen Autoren, s o . . . / In diesem Sinne traten alle drei Konjunktionen als Varianten auf und konnten einander in völlig identischen Bedingungen ersetzen, vgl.:

Natalia N. Semenjuk

130

/Diejenigen, w e l c h e . . . /

LZ-47 (2)

/Diejenigen, s o . . . /

G-L-32 (31)

/Eine Stelle, d i e . . . /

NZ-L-47 (12)

/Die Handlung, s o . . . /

EdN-L-00 (Nr34)

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den durch / s o / eingeleiteten Attributsätzen und den anderen Typen bestand jedoch darin, daß / s o / mit dem Bezugswort im Hauptsatz nicht kongruieren konnte und daß die damit eingeleiteten Attributsätze infolgedessen mit dem Hauptsatz nur f r e i verbunden waren. Ein noch wesentlicherer Unterschied zwischen den durch / s o / eingeleiteten Attributsätzen und den durch ein Relativum oder ein Interrogativum eingeleiteten Typen der Sätze bestand in der syntaktischen Funktion, die die entsprechende Konjunktion im Attributsatz ausüben konnte. Als unbeugbares Wort konnte / s o / nur entweder als Subjekt oder als Akkusativobjekt erscheinen, vgl. /Doch hat man da keine Sachen, welche jeden Reichs-Stand ins besondere angehen, sondern allein diejenigen, so

das gesammte Reich betreffen, zu suchen/ NZ-L-28 (30).

/Einige Schwierigkeiten haben den T e r m i n , so

man zur Herausgebung des ersten

Theils angesetzt hatte, ein wenig verzögert./ NZ-L-28 (66). / P r o m e t h e u s machte ihm, über die, so e r hatte, noch neun P a a r Hände a n / F - L - 4 6 (115). /Was macht denn das Leben beschwerlich. Die Menge der Pflichten, so die Religion auflegt/ F - L - 4 6 (163). Viel mannigfaltiger waren die Funktionen, die die Relativa und die Interrogativa als Konjunktionen im Attributsatz haben konnten, nämlich die des Subjekts, des direkten oder indirekten sowie des präpositionalen Objekts. Zugleich drückten /die (der,das)/ und /welche (welcher, welches)/ das Genus und den Numerus in den meisten Fällen deutlich aus, wodurch eine engere Verbindung des Nebensatzes mit dem Hauptsatz gewährleistet wurde. Damit bestand eine uneingeschränkte Möglichkeit, derartige Attributsätze auf einen Hauptsatz zu beziehen. Das Konjunktionswort / s o / besaß hingegen eine viel geringere grammatische Ausdruckskraft und konnte die Abhängigkeit eines Nebensatzes vom Hauptsatz nur andeuten. Dieser Umstand sowie die eingeschränkten Verwendungsmöglichkeiten trugen beträchtlich dazu bei, daß die / s o / - A t t r i b u t s ä t z e aus dem Gebrauch verschwanden. Möglicherweise spielte dabei auch die Polyfunktionalität von / s o / eine bestimmte Rolle ( / s o / konnte als Konjunktion auch Final-, Kausal- und Komparativsätze einleiten), da die Verbindung

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

131

des Nebensatzes mit dem Hauptsatz nicht nur in formaler, sondern auch in bedeutungsmäßiger Hinsicht nicht ganz eindeutig war. Bemerkenswert ist, daß Gottsched empfahl, die Attributsätze m i t / s o / n i c h t

zu g e -

brauchen. Anlaß dazu war ihm die Unfähigkeit des polyfunktionalen /so/, die Verbindung zwischen dem Neben- und Hauptsatz grammatisch eindeutig zu markieren. Die Attributsätze mit den Konjunktionen /die/ und /welche/ sind bei Gottsched als völlig synonyme Konstruktionen angeführt. * * * Die relative Häufigkeit der Varianten Attributsätze ist in Tabelle 9 dargestellt. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Unter den untersuchten Texten der Periode

ersten

herrschen die /so/-Sätze nur in der Zeitschrift AB-W-99 (III) vor, während

die meisten Schriften die Attributsätze mit /welche/ vorziehen. Nur in zwei wissenschaftlichen Zeitschriften aus Halle (FG-H-89, Aph-H-15) waren die /die/-Sätze in attributiver Funktion produktiver. Das durchschnittliche Verhältnis der Varianten in allen Schriften der ersten Periode beträgt 1, 8 (die) : 4 (welche) : 1 (so). Die Belege der z w e i t e n

Periode

zeugen davon, daß die Produktivität der /die/-

Sätze, die schon in vier Ausgaben überwiegen, etwas ansteigt, daß die /welche/-Sätze in drei Ausgaben vorherrschen und nur in einem Text ( L P Z - 2 7 ) die /so/-Sätze weiter Uberwiegen. Der Durchschnitt für diese Periode liegt bei 3,4 : 3,2 : 1. In den Ausgaben der d r i t t e n

Periode

sind die /die/- und /welche/-Sätze

vorherrschend. Jene überwiegen in sechs Texten, diese in sieben Texten. Die /so/-Sätze sind in zwei Ausgaben in den untersuchten Texten (Beytr-L-42 und J - L - 4 7 ) überhaupt nicht belegt. Der Durchschnitt beträgt in dieser Periode 14, 6 : 8 , 7 : 1 ) . Er zeugt davon, daß die Produktivität der /so/-Sätze beträchtlich zurückgegangen ist und daß die /die/-Sätze in den Vordergrund gerückt sind. Die Abnahme

der einen Varianten und die Zunahme der

anderen ging auch in diesem Fall je nach dem Text und je nach der Ausgabe ungleichmäßig vor sich, vgl. die differenzierten Angaben für die dritte Periode in der Tabelle 10. Zusammenfassend ist zu betonen, daß die Gestaltung der Attributsätze in einzelnen Zeitungen ( L P Z - 2 7 , - 3 0 , - 3 1 ) und politischen Zeitschriften (AB-W-99) während der ersten und zweiten Periode am konservativsten war, da dort die /so/-Sätze überwiegen. Daneben sind auch in einigen Schriften von den Typen 1,11,III aus der ersten und zweiten Periode die /so/-Sätze gegenüber den /die/-Sätzen vorherrschend. A m produktivsten sind hier jedoch die. /welche/-Sätze. Mitte des Jahrhunderts stehen nur zwei Arten der Attributnebensätze in Konkurrenz miteinander. Dabei weisen die Ausgaben vom Typus I und III eine deutliche Tendenz auf, die Sätze mit der Konjunktion /welche/ einzuleiten. In den Ausgaben des Typus IV herrschen dagegen die /die/-Sätze v o r . In den wissenschaftlichen

132

Natalia N. Semenjuk

Tabelle 9

Periode

1

Attributsätze mit die welche

so

Ausgabe Titel

6,3 0,6 0,6 0,4 0,5 2,8 1,2

1 1 1 1 1 1 1

FG-H-89 AB-W-99 EdN-L-00 EF-L-06 f f . GF-L-11 Aph-H-15 AO-J-17

II III

MN-J-26 LPZ-27 ff. NZ-L-28 B-L-28 PHZ-30 NEF-L-30 Beytr-L-32 VT-L-38

n

Im Durchschnitt: 1,8 2

1 0,06 3 6 0,2 3 11 3,3

Im Durchschnitt: 3,4 3

1,4 1,4 4 4,5 2 2 M 4,5 17 17 1 6,5 90

Im Durchschnitt: 14,5

1,6 0,7 6 12,5 3,5 1,8 2

4

1

3,9 0,7 7 2 2,2 2 6,5 1,4

1 1 1 1 1 1 1 1

3,2

1

3,4 1 11 7 10 3 1 3 6 19 3,7 1,5 22

1

9

-

1 1 1 1 -

1 1 1 1 1 1

1

GNSch-41 Beytr-L-42 EdN-L-46 PHZ-47 SchPZ-47 NZ-L-47 J-L-47 NvHB-48 G-H-48 JgZ-49 NEF-L-49 SchB-51 M-H-52

Typ

I M II II II

I

n IV I IN

IV IV

II

IV I I I

n IV II

IV II IN II

IV

133

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

T a b e l l e 10

T y p der Ausgabe

I, III n IV

Attributsätze mit die

welche

so

2,9

7,9

1

6

1

15

1

6,3 54

P e r i o d i c a schwankt d e r Gebrauch beider Arten der Nebensätze. Ein T e i l der entsprechenden T e x t e zieht /die/-Sätze, ein anderer /welche/-Sätze v o r . Anscheinend spiegeln sich hierin zwei für die Sprache des 18. Jh. typische stili tische Tendenzen w i d e r .

5.6.

Variabilität d e r Struktur der Nebensätze (finite und afinite Konstruktionen)

Die Variabilität der Gestalt der Nebensätze ergab sich daraus, daß Sätze mit einem P r ä d i kat mit und ohne Finitum nebeneinander verwendet werden, v g l . : /Der Mensch, d e r das geschrieben hat./Der Mensch, der das geschrieben./ Das Finitum wurde am häufigsten im P e r f e k t und Plusquamperfekt Ind. sowohl im Aktiv als auch im P a s s i v weggelassen, vgl.: /Es w i r d derselbe von dem König sehr betauert, massen S . M a j an ihm einen sehr geschickten und erfahrnen Staats-Ministre v e r l o h r e n . / E d N - L - 0 0 ( N r l 8 ) . /Die gute Stadt Sova hat ein schweres Unglück erlitten, massen den 25. A u g . Nachts zwischen I . und 2. Uhr in der Vorstand eine Feuers-Brunst entstanden, welche dermassen überhand genommen, daß die gantze S t a d t . . . die Kirche und das Amt-Haus im Rauchen aufgegangen/ E d N - L - 0 0 (Nr35). /Man hat im Napolitanischen g r o s s e Dürre gehabt, worauf endlich gegen den 20. ein angenehmer Regen gefallen. / SvN-B-17 (12). /Dieser Becher ist ziemlich groß, daher zu Schlüssen, daß e r die Reyhe herum gantz voll ausgetruncken worden/ N Z - L - 2 8 (373). /Es sind B r i e f e , darinn e r alles zusammen genommen, was jemahls von den Katzen geschrieben w o r d e n . / N Z - L - 2 8 (323). / . . . wozu man gantz neue Schrifften giessen l a s s e n . . . / N Z - L - 2 8 (666). In Einzelfällen konnte auch die Kopula bei bestimmten Prädikativen (/befindlich/, /gebräuchlich/, / z u t r ä g l i c h / u . a . ) fehlen, z . B . :

134

Natalia N. Semenjuk /Die meisten liegen schon fertig, und glaubet man, daß sie, so bald ihnen d e r Wind zuträglich. In See gehen werden/ EdN-L-00 (Nrl6) /Sehe ich a b e r , daß meine Gründe eben so wichtig, so wird man m i r verzeien, wenn ich bey meiner Meynung bleibe/ NM-L-14 (27). / . . . i n d e m gewiß keine gemeine Anmerckungen darinne befindlich./ DAL-L-15 (11). / E s ist nicht zu läugnen, daß einige Fehler darin befindlich. / NZ-L-28 (29). Vgl. auch afinite Konstruktionen in Verbindung mit Infinitivgruppen: / . . .die falschen Erklärungen einiger Stellen, so in Harduini operibus zu finden/ GF-L-11 (22) / . . . e i n e Synagoga . . , in welcher nebst einem reichen Vorrath allerhand judischer Raritäten alles dasienige zu finden, was zu einer Judischen Synagoga g e h ö r e t . / GF-L-12 (9) / . . .die Kennzeichen, wodurch die wahrhafften Urkunden von den falschen zu u n t e r s c h e i d e n . . . / NZ-L-28 (69) / . . . d a doch aus dem Drucke leicht zu erkennen, d a ß . . / NZ-L-28 (597) Die Tendenz, das Finitum wegzulassen, machte sich seit dem 17. J h . besonders 112

nachhaltig geltend

. Es war möglich, ein afinites Prädikat im Nebensatz beliebigen

Typs zu gebrauchen. Einschränkungen im Gebrauch der afiniten Konstruktionen waren mit der Art des Prädikats verbunden. Nach den Untersuchungen von W. Admoni wurden auch in dieser Periode nur die Hilfsverben / h a b e n / und / s e i n / massenhaft weggelassen, während bei weitem nicht alle Autoren des 17. J h . die Kopula ausließen. Die afiniten Nebensätze kamen in allen Genres der Literatur vor, ihre Produktivität aber hing wesentlich von der genremäßigen Spezifik dieses oder jenes Werkes ab. Eine gewisse Rolle spielte dabei auch d e r individuelle Stil des Autors. Deshalb schwankt d e r "Koeffizient der Afinität" (W. Admoni) bei verschiedenen Schriftstellern von 0,04 bis 0,51. Im allgemeinen liegt e r in Romanen bedeutend niedriger als in Traktaten und Reisebeschreibungen, 113 Für das 18. J h . verzeichnet W. Admoni ein allgemeines Zurückgehen der Afinität Worin lag diese Erscheinung begründet? Nach W. Admonis Meinung, die überzeugend erscheint, ist die Erklärung f ü r die weite Verbreitung der afiniten Sätze in den allgemeinen Tendenzen der Entwicklung des syntaktischen Baus der deutschen Literatursprache in der neueren Zeit zu suchen. Als bestimmendes Moment wirkte dabei die oben erwähnte Tendenz zur engeren V e r schmelzung des Haupt- und Nebensatzes innerhalb eines syntaktischen Komplexes. Diesem Ziel dienten nach W. Admonis Ansicht sowohl die Endstellung des Finitums im Neben-

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

135

satz als auch seine Auslassung. Das Wiederaufkommen d e r vollen verbalen Konstruktion, das im Laufe des 18. J h . zu beobachten war, war dadurch bedingt, daß die Afinität bei der Herausbildung der spezifischen Wortfolge im Nebensatz als Merkmal des Nebensatzes redundant wurde. Zudem war die "Afinität" als strukturelles Merkmal der Nebensätze nicht so universell wie die Wortfolge, da sie nur in einigen Prädikatstypen möglich war, in vielen Fällen aber auch hier ausgeschlossen wurde (z.B. im Konjunktiv). Die Variabilität d e r finiten und afiniten Nebensätze bleibt in d e r 1. Hälfte des 18. J h . erhalten. Das gegenseitige Verhältnis beider Satzstrukturen ändert sich aber allmählich infolge stark ansteigender Produktivität der finiten Strukturen bei entsprechendem Zurückgehen d e r afiniten Strukturen. Die relative Produktivität dieser Varianten Nebensatztypen in den Schriften verschiedener Typen und verschiedener Zeitabschnitte ist in Tabelle 11 dargestellt. Das Nebeneinanderbestehen von zwei Nebensatzstrukturen machte gewisse Differenzierungen in ihrem Gebrauch in verschiedenen Texten möglich, vgl. Tabelle 12, wo dies f ü r die Schriften aus der Mitte des 18. J h . (3. Periode) dargestellt i s t . Das Zurückgehen d e r Afinität erfolgte also in einzelnen Typen d e r Schriften asynchron. Die moralischen und anderen literarischen Schriften heben sich von den übrigen besonders deutlich ab, da in ihnen die finiten Satzstrukturen von der zweiten Periode an zahlenmäßig überwiegen. In den literarischen Zeitschriften aus d e r Mitte des J h . hatte diese Tendenz eine f ü r diese Periode extreme F o r m . In den übrigen Typen der Schriften ist die Verteilung der Varianten Strukturen nicht eindeutig. Eine große Anzahl von afiniten Konstruktionen ist in Texten verschiedener Typen (I, II, III) zu beobachten. In einigen Texten aus der Mitte des J h . steigt die Anzahl der afiniten Strukturen im Vergleich zu der zweiten Periode sogar etwas an, vgl. NEF-L-30 und NEF-L-49. Bemerkenswert ist auch, daß bedeutende Schwankungen in der Produktivität der beiden Konstruktionen selbst f ü r verschiedene Zeitungstexte ein und derselben Periode charakteristisch waren: PHZ-47- 1 : 11; EdN-L-46- 1 : 3,2; LZ-47- 1 : 0 , 3 . Der Verwendungsbereich der finiten und afiniten Konstruktionen im Nebensatz war also in d e r untersuchten Periode eine veränderliche Größe. Die allgemeine Tendenz zum Rückgehen der Afinität äußerte sich deutlich nur in den literarischen Zeitschriften, obwohl sie in verschiedenem Grade auch die Sprache anderer Typen der Periodica beeinflußte.

136

Natalia N. Semenjuk

T a b e l l e 11

Periode

S t r u k t u r d e r Nebensätze inite" "afinite"

Ausgabe Titel

Typ

EF-L-06 DAE-L-12 FG-H-89 DAL-L-15 EdN-L-00 NSch-L-14 GF-L-11

n II II II I n ii

9 6,4 2,4 3,1 0,9 0,5

LPZ-27 ff. NZ-L-28 NEF-L-30 Beytr-L-32 B-L-28 VT-L-38

i n in IV IV IV

15 13 11 10 3,2 2,3 0,8 0,4 0,3 0,2 0,16 0,16 0,15 0,13

NEF-L-49 NEF-L-42 PHZ-47 NvHB-48 EdN-L-46 NZ-L-47 Beytr-L-42 SchPZ-47 LZ-47 Z-L-45 G-H-48 M-H-52 J-L-47 BV-L-45

in in i

35 17 16 11,5 8 6,4 6

1

Im Durchschn t : 0 : 14 2

Im Durchschn t : : 3,7 3

Durchschn

II

i II

IV i i IV IV IV IV rv

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

137

Tabelle 12 Typ der Ausgabe

Struktur der Nebensätze "Finite" "afinite"

I, III

1

7

n

1

6

IV

1

0,27

6.

ALLGEMEINE CHARAKTERISTIK DER GRAMMATISCHEN NORMEN

6.1.

Unstabilität einiger Teile des grammatischen Systems in synchroner Sicht

Das grammatische System der deutschen Literatursprache weist in der uns interessierenden Periode in seinem Funktionieren eine gewisse Unstabilität, ein Nebeneinanderbestehen einer Reihe grammatischer Mittel auf, was eine beträchtliche Variabilität einiger Wortformen und syntaktischer Konstruktionen zur Folge hatte. Für das grammatische System, das sich in der ostmitteldeutschen periodischen Literatur widerspiegelt, sind folgende Züge charakteristisch: 1. Variabilität der "eingliedrigen" und der "zweigliedrigen" Struktur einzelner Kasusformen bei Substantiven aller drei Geschlechter, vgl. Nom.Sg.: /der Herr/Herre/, /das Glttck/Glücke/, /die Ursache/Ursach/). Die Variabilität dieser Wortformen blieb trotz ihrer ungleichmäßigen Verteilung auf verschiedene Texte bis zum Ende der Periode erhalten. 2. Variabilität der Wortformen im Genitiv und im Dativ Sg. (/-en/-e/) bei einer kleinen Gruppe der Feminina, vgl. /der Kirche/Kirchen/, /der Seele/Seelen/ usw. Gegen Ende der uns interessierenden Periode erfuhr die Gruppe der Lexeme, die diesen Schwankungen unterworfen war, infolge der fortschreitenden Abnahme der Produktivität der schwachen Formen bei den Feminina immer stärkere Einschränkungen. 3. Variabilität der schwächen und gemischten und in Einzelfällen der schwachen und starken Formen bei einigen Maskulina, vgl. Gen.Sg. /des Knaben/Knabens/; Dat.Sg. /dem Printz/Printzen/. Die Variabilität dieser Art bleibt bei einigen Maskulina während der ganzen Periode erhalten. 4. Variabilität in der Ausgestaltung des pluralischen Paradigmas einiger Substantiva (z.B. /die Orte/Oerter/, /Wagen/Wägen/, /Kerl(e)/Kerls/, /Liebhaber/Liebhabere/)

138

Natalia N. Semenjuk

als Folge des Gebrauchs verschiedener Mittel der Pluralbildung in den entsprechenden Formen ein und desselben Wortes. 5. Variabilität der Wortformen im Dativ Sg. einzelner Pronomina, die in jener Periode z . B . infolge der Konkurrenz d e r "eingliedrigen" und der "zweigliedrigen" Formen entstanden ist, vgl. / i h m / ( i h m e ) / , / d e m / ( d e m e ) / . Die durch die Flexion / - e / redundant markierten pronominalen Formen waren während der gesamten Periode anzutreffen. Sie scheinen aber in den ostmitteldeutschen Texten gegenüber den Formen ohne / - e / weniger häufig zu sein. 6. Variabilität der Voll- und Kurzformen des Genitivs und des Dativs PI. d e r Demonstrativa und (seltener) des Artikels ( / d e r / d e r e r / , / d e n / d e n e n / ) . Gegen Mitte des J h . wurde der Gebrauch der Vollformen in adjektivischer Funktion immer mehr auf die Position vor einem Attributsatz sowie vor einem erweiterten Attribut beschränkt. Die parallelen Formen des Genitiv PI. / d e r e r / d e r e n / wurden gegen Ende d e r Periode funktionell schon ziemlich deutlich auseinandergehalten. 7. Variabilität d e r Formen /zwey/zwen/ bei Maskulina und der Formen /zwey/zwo/ bei Feminina (neben dem invarianten / z w e y / bei Neutra). 8. Variante Wortformen der 3. P e r s . Sg. P r ä s . bei schwachen sowie starken Verben: / e r lebet/lebt/, /läuf(e)t/lauf(e)t/, /köm(e)t/kom(e)t/ sowie variable Gestalt der schwachen Partizipien II (vgl. /gelebet/gelebt/), die bis zum Ende jener Periode erhalten blieben. 9. Variable Gestalt des starken Präteritums in der 1. und 3. P e r s . Sg., die die Folge des Gebrauchs der eingliedrigen und zweigliedrigen Wortformen war, vgl. / s a h / s a h e / , / h i e l t / h i e l t e / . Die Produktivität der zweigliedrigen präteritalen Formen nimmt gegen Mitte des J h . merklich ab und bleibt in der Regel nur in einer kleinen Gruppe verbaler Lexeme erhalten. Variable Gestalt des Wurzelmorphems im Präteritum einiger s t a r k e r Verben, die auf die schon verschwundene formelle Differenzierung des Sg. und des PI. (vgl. / s t a r b / s t u r b ( e ) / , / h o b / h u b / , / w a r d / w u r d e / ) zurückzuführen w a r . 10. Variante Gestalt der sechs rückumlautenden Verben im Präteritum und Partizip n , die eine Folge des variierenden Vokalismus im Wurzelmorphem / - e - / - a - / war und während der ganzen Periode erhalten blieb, vgl. /kennete/kannte/, / b r e n n e t e / b r a n n t e / , /nennete/nannte/. 11. Variante Gestalt einiger. Wortformen im Paradigma einzelner Verben, vgl. /sind/(seyn)/seynd/ in der 1. und der 3. P e r s . P I . ; /gewesen/gewest/ im Partizip II.

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

139

Die Formen / s e y n / und / g e w e s t / kamen in den ostmitteldeutschen Texten nur ab und zu vor; die Form / s e y n d / ist auf den Einfluß des Süddeutschen zurückzuführen. 12. Variabilität in attributiven Wortfügungen, die im Sg. eine Folge der Konkurrenz der Voll- und Kurzformen des Adjektivs war, vgl. /gut/gutes W e t t e r / . Der Verwendungsbereich der Kurzformen war stark positionsbegrenzt; sie standen nur vor Neutra mit dem imbestimmten Artikel, mit / k e i n / oder ohne Begleitwort. Die Produktivität der Kurzform war während der ganzen Periode gering, die Variierung aber war im Prinzip ziemlich stabil. In attributiven Fügungen mit einem Substantiv im PI. wurde die morphologische Gestalt eines nach dem bestimmten Artikel stehenden Adjektivs variiert, vgl. / d i e - e / d i e - e n / . Gegen Ende der von uns untersuchten Periode verschwinden die starken Formen aus den ostmitteldeutschen Texten fast völlig. Während der ganzen Periode war auch die f r e i e Variierung der entsprechenden Wortformen nach Possessiva und Demonstrativa zu beobachten, vgl. / m e i n e / , / d i e s e - e / - e n / . Gegen Mitte des J h . kommt die Variante Verwendung der starken und schwachen Flexion nach / a l l e / in einigen Texten vor: ( / a l l e - e / - e n / ) . 13. Variable Gestalt d e r Nebensätze, bedingt durch die Verwendung d e r "finiten" und "afiniten" Struktur, vgl.: / D e r Mensch, der das g e s c h r i e b e n . / D e r Mensch, der das geschrieben h a t / . Die Variabilität dieser Art bleibt bis zur Mitte des J h . erhalten, das Verhältnis zwischen beiden Varianten ändert sich aber beträchtlich: Gegen Ende der Periode herrscht in einigen Typen der periodischen Literatur (Typus IV) bereits die finite Konstruktion der Nebensätze. 14. Variabilität der Attributsätze, in denen sowohl die Konjunktionen vom Typ / w o r i n / d a r i n / als auch diejenigen vom Typ / d i e / w e l c h e / s o / konkurrieren. Gegen Mitte des J h . verschwinden / s o / und / d a r i n / allmählich aus dem Gebrauch in Attributsätzen. 15. Vereinzelte undifferenzierte Verwendung d e r dativischen und akkusativischen F o r m des Adjektivs und des Pronomens, was zur Variierung der entsprechenden Kasusformen führte, vgl. Dat. Sg. / d i e s e m / d i e s e n / . 16. Vereinzelt vorkommende Variante Verwendung der genitivischen possessiven Konstruktionen, die mit den in d e r Literatursprache üblichen Fügungen mit attributivem Genitiv synonym waren, vgl. / d a s Haus des Vaters/des Vaters sein Haus/ usw. Die grammatische Variabilität in der Literatursprache des 18. J h . wurde durch verschiedenartige M i t t e l

verursacht.

Zu den Variante Wortformen bildenden Mitteln gehören:

140

Natalia N. Semenjuk 1. Vorhandensein und Fehlen der Flexion (Nullflexion), vgl. / e r s a h e / s a h / , / d e r

Fürste/Fürst/; 2. Variante Verwendung verschiedener Formanten mit der gleichen kategoriellen Bedeutung; a) Nebeneinanderbestehen verschiedener grammatischer Suffixe ohne zusätzliche morphologische Merkmale, vg. PI. /die K e r l ( e ) / K e r l s / . b) Nebeneinanderbestehen verschiedener grammatischer Suffixe oder Flexionen verbunden mit dem Wechsel der sekundären morphologischen Merkmale (Umlaut, Ablaut u . a . ) , vgl. PI. / O r t e / O e r t e r / ; P r ä t . Sg. . / w a r d / w u r d e / . c) Nebeneinanderbestehen sekundärer morphologischer Merkmale in den Wortformen mit derselben Flexion oder demselben Suffix, vgl. P I . : /die Wagen/Wägen/, 3. P e r s . Sg.: /lauft/läuft/. d) Konkurrenz verschiedener phonomorphologischer Varianten ein und desselben Formans: 3. P e r s . Sg.: / l e b e t / l e b t / ; P a r t . II: / g e l e b e t / g e l e b t / . Zu den variante syntaktische Konstruktionen (Wortfügungen, Sätze) bildenden Mitteln gehören: 1. Parallelismus in der morphologischen Gestalt einer syntaktischen Konstruktion, vgl. /die gute/guten Menschen/; 2. Synonymie bestimmter Hilfswörter in einer syntaktischen Konstruktion: /Eine Schrift, d i e . . . / . . . , w e l c h e . . . / . . , s o / . 3. Variierung der Anzahl der Elemente einer bestimmten syntaktischen Konstruktion, vgl.: / d e r Mensch, der (1) das (2) gelesen ( 3 ) . / . . , d e r (1) das (2) gelesen (3) hat (4)/. Als Q u e l l e n der grammatischen Varianz in der Literatursprache jener Periode können genannt werden: 1. Existenz verschiedener struktureller Möglichkeiten, eine bestimmte Wortform oder syntaktische Konstruktion zu gestalten, vgl. / L a n d e / L ä n d e r / , /die - e n / - e / . 2. Überschneidung von älteren und jüngeren Wortformen oder syntaktischen Konstruktionen, wobei folgende Fälle zu verzeichnen sind: a) Das Aufkommen eines neuen formalen Mittels zum Ausdruck einer grammatischen Bedeutung führt nicht zum sofortigen Wegfall des älteren Mittels. Oft existieren beide Formen - die ältere und die jüngere - längere Zeit nebeneinander, vgl. Gen. Sg. / d e r Kirchen/Kirche/. b) Beim Übergang eines Wortes aus einer grammatischen Subklasse in eine andere konnten die grammatischen Merkmale beider Subklassen längere Zeit nebeneinander benutzt (vgl. P a r t . II /gepflogen/gepflegt/) oder in einer der Varianten Wortformen vereinigt werden (vgl. Gen. Sg. / d e s Printzen/des P r i n t z e n s / ) . c) Die Existenz bestimmter grammatischer Oppositionen hatte nicht immer den Weg-

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

141

fall einer der daran beteiligten Formen zur Folge. Beide Formen konnten in der Sprache als Variante Mittel noch längere Zeit weiter bestehen, vgl. /hob/hub/, /starb/sturb/. 3. Eine nicht genügend deutliche funktionale Differenzierung bestimmter Wortformen oder Konstruktionen führte ebenfalls zu ihrer Varianten Verwendung, vgl. /gut/gutes/ in attributiver Funktion, /zwei/zwo/ bei Feminina usw. 4. Variabilität konnte außerdem dadurch entstehen, daß die Opposition von zwei Elementen in einer bestimmten Form oder Konstruktion mitunter neutralisiert wurde, vgl. im Dat. Sg. /einem/(einen)/. 5. Verschiedene territorial bedingte Möglichkeiten, ein und dieselbe Wortform oder syntaktische Konstruktion zu gestalten, konnten sich in der Literatursprache vereinigen, was ebenfalls zur Entstehung von Varianten führte, vgl. PI. /Bogen/Bögen/, /Wagen/ Wägen/, /Tage/Täge/, oder die verbalen Formen /sind/seynd/ usw. 6.2.

Unstabilität des grammatischen Systems in historischer Sicht

Unter diachronischem Blickwinkel gesehen, ist das grammatische System der deutschen Literatursprache jener Periode durch eine ganze Reihe von Verschiebungen gekennzeichnet. Die Herausbildung der morphologischen Struktur der wichtigsten lexikal-grammatischen Wortklassen (Substantiv, Adjektiv und Verb) nimmt ihren Fortgang. Dabei konkurrieren in einigen Formen der entsprechenden Wortklassen "eingliedrige" und "zweigliedrige" Strukturen, die auf verschiedene territoriale Varianten der Literatursprache zurückgehen. Die "schwachen" Formen bei den Feminina nehmen weiter ab, so daß sich ein einheitliches Paradigma für alle Feminina herausbildet. In den pronominalen Paradigmen wird die Struktur einzelner Kasusformen ebenfalls festgelegt. Die Pluralformen des Artikels und des Demonstrativums bzw. des Relativums werden formal differenziert. Im verbalen System, das in seinen Grundzügen bereits den heutigen Zustand erreicht hat, wird die Gestalt einiger Wortformen im präsentischen (2. und 3. Pers. Sg.) und im präteritalen Paradigma (1. und 3. Pers. Sg.) sowie im schwachen Part. II weiter präzisiert. Auch einzelne verbale Lexeme bilden stabile Wortformen aus, vgl. das Verb /sein/, rückumläutende Verben usw. Im Satz wird die morphologische Gestalt der Substantivgruppe präzisiert. Den Hintergrund bildet einerseits die allgemeine funktionale Differenzierung der Voll- und Kurzform des Adjektivs. Andererseits werden in verschiedenen Kasus (besonders im Nom./Akk.) die formalen morphologischen Charakteristika der vollen Form des Adjektivs ausgebildet.

142

Natalia N. Semenjuk Auch in der Struktur der Nebensätze erfolgen einige Veränderungen. Erstens gewinnt

der Nebensatz feste formale Merkmale. Als ein besonderes Mittel, die Unselbständigkeit des Nebensatzes zu markieren, kam darüber hinaus die "Afinität" auf, die gegen Mitte des 18. J h . jedoch etwas zurücktrat. Zweitens erfolgt die intensive Herausbildung bestimmt e r Konjunktionen, ein Prozeß, der durch immer konsequentere Differenzierung in beiordnende und unterordnende Funktionen begleitet i s t . Außerdem bilden sich einzelne Typen der Nebensätze weiter heraus, wobei unter anderem die Unifizierung der Unterordnungsmittel der Attributsätze eine große Rolle spielt. Die eben aufgezählten grammatischen Prozesse führten zu wesentlichen Verschiebungen im Bestand und im Charakter der morphologischen und der syntaktischen Varianten. Weiter unten soll versucht werden, die allgemeine Richtung der Verschiebungen im Charakter der grammatischen Variabilität und im Bestand der Varianten zu bestimmen. Die V e r ä n d e r u n g e n

im B e s t a n d

der

Varianten

M i t t e l konnten verbun-

den sein: 1. mit der funktionalen Differenzierung einzelner Varianten im System der Literatursprache, vgl. z . B . die Differenzierung der Voll- und Kurzform des Demonstrativpronomens ( / d e r e r / d e r / ) , die sich auf das Paradigma des Demonstrativums und auf das des bestimmten Artikels verteilt haben. /der/derer/

y

(Artikel und Demonstrativum)

1

/ d e r / (Artikel)

\

/ d e r e r / (Demonstrativpronomen)

2 . mit der endgültigen Beseitigung von teilweisen funktionalen Unterschieden zwischen bestimmten grammatischen Formen oder grammatischen Klassen, was die Verdrängung von parallelen Formen zur Folge hatte, vgl. z . B . das Numerale /zwey/: /zwey/zwen/

(Mask.)

/zwey/zwo/

(Fem.)

/zwei/

(Neutr.)

^ )

/zwei/ (Mask. F e m . Neutr.) ^

3 . mit dem Ausschluß einer der Varianten Wortformen oder Konstruktionen aus der Literatursprache im Zusammenhang mit dem Absinken dieser Variante in den Bereich der nicht literarischen (nicht "schriftsprachlichen" Daseinsformen der Sprache (Mundart, Halbmundart, Umgangssprache), vgl. /seynd/, / s e y n / , /gewest/, /die Liebhabere/, / e r f r a g t / , /des Königs seine Rede/ u . a . m . Einschränkung rakter Typen

der Variabilität

und i m B e r e i c h der

Varianten).

infolge

der Variierung

Veränderungen

(Verschiebungen

im

in d e n

Cha-

Zustand und Evolution der grammatischen Normet!

143

Die unmittelbare Verdrängung einzelner varianter grammatischer Formen b z w . Konstruktionen und F ä l l e i h r e r funktionalen Differenzierung sind in unserem Material ziemlich selten belegt. Öfters waren hingegen P r o z e s s e zu beobachten, die auf anderen Wegen zur Einschränkung der Variabilität geführt haben. Eine der Formen d e r a r t i g e r Einschränkungen ist die allmähliche Einengung des Verwendungsbereichs einer b e s t i m m ten Variante. Die Produktivität einer der Varianten Formen und Konstruktionen konnte unabhängig von ihren Verwendungsbedingungen zurückgehen. In diesen Fällen nahm die Frequenz einer Variante in den Texten allmählich ab, v g l . z . B . die F o r m des P a r t . II vom T y p /gelebet/ oder Attributsätze mit /so/. Quantitative Einschränkungen im Gebrauch einer Variante konnten in einigen Fällen aber auch von Einschränkungen qualitativer A r t begleitet sein. Diese äußern sich in grammatischer, lexematischer und paradigmatischer Einengung ihres Verwendungsbereichs. Die Einengung des Verwendungsbereichs der K u r z f o r m des Adjektivs w a r , wie schon erwähnt, ursprünglich mit gewissen positioneilen Einschränkungen in ihrer Verwendung verbunden. W e i t e r e Einschränkungen der Variierung der V o l l - und der K u r z f o r m e n des A d j e k t i v s , die schon außerhalb der uns interessierenden P e r i o d e liegen, führten zur Isolierung der K u r z f o r m e n in einigen stehenden Fügungen. Die allmähliche Einengung des Variierungsbereichs konnte auf d e r grammatischen Ebene mit einer oft ungleichmäßigen Verdrängung der bestimmten Varianten Formen aus dem Paradigma verbunden sein. Bei den Feminina werden z . B . die Formen mit /-en/ aus dem Akk. Sg. früher als aus dem Genitiv und Dativ verdrängt. Im Zusammenhang mit diesen Einschränkungen der Variabilität ändert sich auch ihr Charakter, was z . B . im Übergang der Varianten aus der Gruppe der f r e i e n in die der grammatisch lexematisch oder positionsgebundenen Varianten zum Ausdruck kam. F e r n e r ist zu betonen, daß manche Varianten infolge der Umbildung der grammatischen Variabilität eine expressiv-stilistische oder funktional-stilistische Spezialisierung e r h a l ten könnten. So treten z . B . die Pluralformen /Orte/Oerter/ in der Schriftsprache des 18. J h . als volle Varianten auf. In der heutigen Sprache hingegen, in der diese Varianten erhalten geblieben sind, unterscheiden sie sich durch ihren Verwendungsbereich: Die gebräuchlichere F o r m /Orte/ tritt in allgemeiner räumlicher sowie geographischer Bedeutung auf, während die F o r m /Örter/ vornehmlich in mathematischen Texten vorkommt. Die Pluralformen /Länder/Lande/, die in jener P e r i o d e völlig zusammenfielen, d i f f e r e n zierten sich allmählich in stilistischer Hinsicht: /Lande/ w i r d jetzt als eine veraltete, poetische F o r m empfunden.

Natalia N. Semenjuk

144

Eine solche Spezialisierung konnte weiterhin nicht nur beim Nomen, sondern auch beim Verbum beobachtet werden. So schwindet z . B . im Laufe der Entwicklung der deutschen Sprache die Variabilität im P r ä t . und P a r t . II der meisten rückumlautenden Verben, da die Formen mit / - e / wegfallen. Variant sind jetzt die entsprechenden Formen nur bei /wenden/ und / s e n d e n / , bei denen Varianten mit / - e - / - a - / im Stamm einander f r e i e r setzen können, vgl.: / E r hat m i r ein Paket zugesendet/zugesandt/. In der Bedeutung "(im Radio) senden" wird aber nur die Form mit / - e - / verwendet. In den Bedeutungen "die Seite wenden, ein Kleid wenden" wird ebenfalls nur die Form mit / - e - / gebraucht. In einigen Fällen verteilen sich also später variante Formen entsprechend den sekundären semantischen Merkmalen eines polysemantischen V e r b s . Infolge solcher durch sekundäre (semantische, expressiv-stilistische, funktionalstilistische u . a . ) Merkmale bedingte Differenzierungen gingen einige grammatische Varianten aus der Gruppe der absoluten (vollen) Varianten in diejenige der nicht absoluten (nicht vollen) ü b e r . Allerdings ist zu betonen, daß solche Differenzierungen meist e r s t später, außerhalb dieser Periode,eintraten. Veränderungen

in d e r G e s a m t z a h l

der grammatischen

Varianten.

Obwohl die Tendenz zur Einschränkung der grammatischen Varianz im Prozeß der Normalisierung des grammatischen Systems d e r deutschen Literatursprache schon innerhalb einer relativ begrenzten Periode deutlich zutage tritt, bleibt die Anzahl der g r a m m a tischen Varianten, die in den Periódica bis zur Mitte des 18. J h . begegnen, noch beträchtlich. Während des ganzen uns interessierenden Zeitraums besteht z . B . die Varianz im Paradigma d e r rückumlautenden Verben f o r t . Einige Substantiva weisen nach wie vor m e h r e r e Pluralformen auf. In attributiven Fügungen nach Demonstrativa oder Pcssessiva variieren weiterhin starke und schwache Formen der Adjektive im Plural. Die Variabilität der finiten und der afiniten Strukturen der Nebensätze bleibt ebenfalls erhalten usw.

6.3.

Ungleichmäßige Verteilung einzelner grammatischer Varianten, ihre asynchrone Umbildung

Die oben behandelten Veränderungen im grammatischen System und die auf ihnen basierenden Umbildungen der grammatischen Variabilität nahmen in der Sprache jener Periode einen ungleichmäßigen Verlauf: Einige Veränderungen vollzogen sich schneller, die anderen verbreiteten sich bedeutend langsamer. Drei Momente gestatten e s , bestimmte unterschiedliche Entwicklungen in der Verteilung der grammatischen Erscheinungen in unseren Texten festzustellen: der Typ der Ausgabe, ihr Erscheinungsort und ihre Erscheinungszeit.

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

145

Erscheinungszeit. Der Anfang und das Ende der von uns ausgewählten Periode können auf Grund einiger Merkmale, die in chronologischer Hinsicht als relevant bezeichnet werden können, einander gegenübergestellt werden. Zu diesen Merkmalen gehören folgende Erscheinungen und Vorgänge: 1. Die Abnahme der Produktivität der "zweigliedrigen" Strukturen im Wortformensystem der Substantiva, der Verben sowie einzelner Pronomina gegen Ende jener Periode, vgl. / H e r r ( e ) / , /Gespräch(e)/, / s a h ( e ) / , /hielt(e)/, / i h m ( e ) / , / d e m ( e ) / . 2. Die Verdrängung der potenzierten Formen des Artikels im Gen. und Dat. PI. sowie die starke Einschränkung des Gebrauchs der potenzierten Formen des Demonstrativums in adjektivischer Funktion. 3 . Das Anwachsen dér synkopierten Wortformen im schwachen P a r t , n sowie in der 3 . P e r s . Sg. P r ä s . vieler Verben. 4 . Die Festigung der invarianten Flexion / - ( e ) n / in den Pluralformen des attributiven Adjektivs nach dem bestimmten Artikel und im erweiterten Attribut sowie nach / a l l e / . 5. Das Anwachsen der Produktivität der durch das Relativum ( / d e r / , / d i e / , /das/) eingeleiteten Attributsätze und die allmähliche Verdrängung der Konjunktion / s o / aus den Sätzen dieser Art. 6 . Die Abnahme der afiniten Strukturen in den Nebensätzen. 7. Eine bedeutende Einschränkung des Gebrauchs einzelner varianter Wortformen wie / s e y n d / , / s e y n / , / g e w e s t / , / f r ä g t / , /lauft/, /die Liebhabere/, /des Knabens/, / d e r Seelen/ u . a . m . 8. Die Abnahme der Fälle der nicht differenzierten Verwendung der dativischen und akkusativischen Flexion beim Artikel, Pronomen, Adjektiv usw. Die Asynchronität der grammatischen Vorgänge äußert sich darin, daß die einzelnen Prozesse nicht gleichzeitig verliefen und daß sich ein und dieselben Veränderungen in verschiedenen Texten und Ausgaben nicht gleichzeitig widerspiegelten. Die allgemeine Ungleichmäßigkeit in den Veränderungen des grammatischen Systems zeigt sich auch in asynchronen Umbildungen der grammatischen Varianten. Die Ungleichmäßigkeit der Umbildung der grammatischen Varianten, die mit strukturell verschiedenen Erscheinungen verbunden sind ( z . B . einige Prozesse im System des Substantivs oder in dem des Verbs), bedarf keiner besonderen Erklärung, da sie im wesentlichen durch den unterschiedlichen Charakter des Sprachstoffs selbst bedingt i s t . Eine derartige Ungleichmäßigkeit läßt sich auch bei auf den ersten Blick ziemlich ähnlichen Erscheinungen beobachten. So wurde schon darauf hingewiesen, daß die Verdrängung der Varianten F o r men des P a r t , n durch die Flexion / - e t / etwas langsamer vor sich ging als der entsprechende Vorgang in der 3 . P e r s . Sg, P r ä s . , was anscheinend damit verbunden war, daß

146

Natalia N. Semenjuk

diese Veränderungen durch verschiedene strukturelle Faktoren gefördert wurden. Eine ähnliche Asynchronität war auch bei der Umbildung der Varianten pluralischen Formen des Adjektivs in attributiven Fügungen nach verschiedenen Begleitwörtern zu beobachten. In Einzelfällen ist auch eine ungleichmäßige Verteilung ein und derselben Varianten in verschiedenen Ausgaben derselben Periode festzustellen. In den Texten der moralischen Zeitschrift BV-L-45 wird z . B . die schwache Flexion nach / a l l e / gebraucht, in den Texten der NZ-L-47 dagegen - die starke. In der Zeitschrift Z-L-45 beträgt das Verhältnis der Flexionen / - e t / - t / des Partizips II 0,4 :1, in der Zeitschrift F - L - 4 6 dagegen 1,4 :1 usw. Die Asynchronität mancher Prozesse der Umbildung der grammatischen Variabilität ist also mitunter in individuellen Kombinationen verschiedenartiger struktureller und normativer Faktoren zu suchen. Durch die ungleichmäßige Widerspiegelung ein und d e r s e l ben Veränderungen in verschiedenen, d e r gleichen Periode angehörenden Ausgaben und Texten wird der an sich schon breite Schwankungsbereich der grammatischen Normen jener Periode noch erweitert. Typ der Ausgabe. Bei den zahlreichen Schwankungen, die nicht linguistisch bedingt sind, kommen in den Texten einige Besonderheiten vor, die mehr oder weniger an v e r schiedene Typen der Ausgaben gebunden sind. In Tabelle 13 ist die Verteilung einiger varianter Formen und Konstruktionen auf die zur dritten Periode gehörenden Ausgaben der vier (I, II, m , IV) Typen dargestellt. Einen Extrempunkt in der Entwicklung des grammatischen Systems erreichen also gegen Ende der Periode anscheinend nicht alle Ausgaben, sondern nur eine bestimmte Gruppe, in der diese Veränderungen am deutlichsten hervortreten. Wenn wir vergleichen, wie sich bestimmte mit der Umbildung einzelner varianter Formen und Konstruktionen verbundene Vorgänge in den Texten der Ausgaben verschiedener Typen widerspiegeln, so läßt sich feststellen, daß die deutlichsten Unterschiede in der Verteilung einiger g r a m m a t i scher Varianten zwischen den Ausgaben des IV. Typs (literarische Zeitschriften) und den anderen Typen der Periodica nachzuweisen sind. Trotz der sich andeutenden genremäßigen Unterschiede in der Verteilung einzelner varianter Formen und Konstruktionen ist hervorzuheben, daß die Verschiebungen im Charakter und Anwendungsbereich der grammatischen Varianten in allen Typen der Ausgaben im allgemeinen in der gleichen Richtung verlaufen. Unterschiedlich ist vor allem das Tempo d e r vor sich gehenden Veränderungen, wie aus Tab. 14 und Tab. 15 e r s i c h t lich i s t . Ih Tabelle 14 ist die Evolution im quantitativen Verhältnis einiger varianter Formen und Konstruktionen am Beispiel von zwei Zeitschriften des HI. Typs dargestellt.

147

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

Tabelle 13

Typ der Ausgabe

3. Pers. Sg. Präs. -t -et

Part. II d. schw. V. -t -et

NEF-L-49 (III)

4

1

4

1

PHZ-47 (I)

2

1

4

1

NvHB-48 (II)

1.7

1

1,3

1

G-H-48 (IV)

1,1

1

1,1

1

Attributive Nebensätze mit /welche/ mit /die/

mit /so/

NEF-L-49 (III)

1

3,7

1

PHZ-47 (I)

4,5

7

1

NvHB-48 (II)

4,5

3

1

6

1

G-H-48 (IV)

17

N e b e ns ä t z e mit finit. Struktur

mit afinit. Struktur

NEF-L-49 (HI)

1

16

PHZ-47 (I)

1

il-

NvHB-48 (II)

1

io

G-H-48 (IV)

1

0,16

Tabelle 15 spiegelt eine ähnliche Evolution am Beispiel von vier Zeitschriften des IV. Typs wider. Die nachstehende Zusammenstellung veranschaulicht sowohl die allgemeinen Entwicklungstendenzen einiger grammatischer Varianten während der Gesamtperiode (nach den ermittelten Angaben dargestellt) als auch den gegen das Ende dieser Periode für einzelne Typen der periodischen Schriften charakteristischen Stand der Varianz. a) Allgemeine Richtung der quantitativen Verschiebungen während der gesamten Periode: 3. Pers. Sg. Präs. /-et/-t/ 1. Periode

3,1 : 1

2. Periode

1,7 : 1

3. Periode

1,5 : 1

Natalia N. Semenjuk

148 Tabelle 14 Das quantitative Verhältnis einiger grammatischer Varianten in den Ausgaben vom Typ HI. Pe riode

Grammatische Erscheinung

Ausgabe NEF-L-49

EF-L-06 3. P e r s . Sg. P r ä s . P a r t . II der schw. Verben

-et

-et -et

-t

-t

-et

1*5. Attributive Nebensätze

Struktur der Nebensätze

die

welche

0,4

12

fin.

so afin.

die

welche

1

3,7

so 1 afin.

fin.

15

35 Tabelle 15 Das quantitative Verhältnis einiger grammatischer Varianten in den Ausgaben vom Typ IV Grammatische Erscheinung

Pe riode Ausgabe VT-L-38 BV-L-45

B-L-28 3. P e r s . Sg. P r ä s .

-et 2

P a r t . II der schw. Verben

3,3

Attributive Nebensätze

die wel- so die wel- so che che

die wel- so die che

6

7,5 1

1,6

1

Struktur der Nebensätze

-et

-t

1

1,3

1

1

1,6

1

J-L-47

-t

2

1 7

4

1

-t

-et

-t

1

1

0,08

1

1.5

1

0,3

1

-et

wel- so che

fin. afin.

fin. afin.

fin. afin.

fin.

afin.

1

1

1

1

0,15

0,9

0,5

0,13

_

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

P a r t . II der schw. Verben / - e t / - t / 1. Periode

5

2. Periode

2,7

3 . Periode

2,7

Attributsatz (/die/welche/so/) 1,7

4

2. Periode

3,4

3,2

3. Periode

14,6

8,7

1. Periode

Finite und afinite Struktur des Nebensatzes (+/-) 1 . Periode

14

2 . Periode

4

3 . Periode

3,25

b) Stand der Entwicklung gegen Ende der Periode; 3 . P e r s . Sg. P r ä s . : I. und III. Typ

2,4

n . Typ

0,5

IV. Typ

0, 8

P a r t , n der schw. Verben I. und III. Typ

4,5 :

1

II. Typ

1,6 :

1

IV. Typ

0, 9 : 1

Attributsatz I. und III. Typ

2,9 :

7,9

H. Typ

6,3 :

6,0

IV. Typ

54

: 15

Finite u. afinite Struktur des Nebensatzes I. und III. Typ

1

:

7

n . Typ

1

:

6

IV. Typ

1

:

0,27

149

150

Natalia N . Semenjuk Für jeden T y p der Ausgaben kann ein für die Mitte des Jahrhunderts geltender Komplex

der typischen Merkmale festgestellt werden, die auf den qualitativen und quantitativen Charakteristika der grammatischen Varianten basieren.

Typ IV. 1. Ein etwa gleiches durchschnittliches Verhältnis der Varianten Formen in der 3. P e r s . Sg. Präsens und im schwachen P a r t i z i p II (/-et/-t/), d . h . 0, 8 : 1 und 0,9 : 1 neben einem beträchtlichen Übergewicht der synkopierten Formen in einigen Schriften ( Z - L - 4 5 , J-L-47). 2. Ein deutliches Vorherrschen der durch /die/ eingeleiteten Attributsätze in allen Texten neben dem Fehlen der durch /so/ eingeleiteten Attributsätze in einigen T e x t e n . 3. Ein beträchtliches Übergewicht der finiten Struktur der Nebensätze, nämlich 1 : 0,27. 4. Ausnahmslose Verwendung der schwachen Flexion des Adjektivs im Nom. und A k k . P l . nach dem bestimmten A r t i k e l . Eine Tendenz zur Festigung der schwachen Flexion in der Position nach den P o s s e s s i v a und Demonstrativa. Eine f r e i e Variierung von /-e/-en/ nach /alle/. 5. Variante Verwendung der Kurzformen des Artikels im Gen. und Dat. P I . , Variante Verwendung der V o l l - und der Kurzformen des Demonstrativums in diesem Kasus neben recht g e r i n g e r Frequenz der V o l l f o r m e n des adjektivisch verwendeten Demonstrativums.

TYP N .

1. Ein geringes Übergewicht der Flexion / - e t / in der 3. P e r s . Sg. Präsens und im schwachen P a r t . II, nämlich 1,5 : 1 in beiden Fällen. 2. Ein Schwanken verschiedener T e x t e zwischen den Konjunktionen /die/ und /welche/ in Attributsätzen als Widerspiegelung z w e i e r verschiedener stilistischer Tendenzen, die in den wissenschaftlichen Schriften zu beobachten waren (durchschnittlich 6,3 : 6 : 1). 3. Ein deutliches Vorherrschen d e r afiniten Struktur der Nebensätze (1 : 6). 4. Vorherrschen der schwachen Flexion des Adjektivs im N o m . , Akk. P I . nach dem bestimmten A r t i k e l neben d e r v e r e i n z e l t vorkommenden starken Flexion. F r e i e Variierung von / - e / - e n / nach P o s s e s s i v a und Demonstrativa. Invariante Verwendung der starken Flexion des Adjektivs nach /alle/ (/-en/ kommt hier nur vereinzelt v o r . ) . 5. Variabilität der V o l l - und der Kurzformen des adjektivisch gebrauchten Demonstrativums im G e n . , Dat. P I . Die Variabilität der F o r m e n des A r t i k e l s kommt nur in einzelnen Schriften dieses T y p s v o r .

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

151

Typen I und III. 1. Ein beträchtliches Übergewicht der Formen mit / - e t / in der 3. P e r s . Sg. P r ä s . und im schwachen P a r t . II., nämlich 2,4 : 1 und 4 , 5 : 1. 2. Vorherrschen d e r durch / w e l c h e / eingeleiteten Attributsätze in allen Texten. 3. Vorherrschen der afiniten Struktur der Nebensätze. 4. Variierung der Pluralformen des Adjektivs nach dem bestimmten Artikel ( / d i e - e n / d i e - e / ) sowie nach Possessiva und Demonstrativa ( / d i e - e / d i e - e n / ) . Invariante starke F o r m nach / a l l e / . 5. Variierung der Voll- und der Kurzformen des adjektivisch gebrauchten Demonstrativums im Gen. und Dat. P I . , in Einzelfällen auch des Artikels usw. Die Verdrängung bestimmter grammatischer Varianten aus der Literatursprache jener Periode äußerte sich also nicht nur in Einschränkungen d e r Verwendungsbedingungen der gegebenen Variante, sondern auch in einer allmählichen Verengung ihres Anwendungsbereichs, was oft zu genremäßigen Unterschieden in der Verwendung der entsprechenden Variante führte. Die genremäßigen Differenzierungen konnten sowohl qualitativer als auch quantitativer Art sein. F e r n e r waren gewisse, wenn auch recht unbedeutende Unterschiede in der Sprache d e r einzelnen Gattungen jener Periode mit dem unterschiedlichen Einfluß der süddeutschen Schriftsprache verbunden. Am deutlichsten war dieser Einfluß in Ausgaben der Typen I und III zu spüren. E r äußerte sich in der Varianz der Formen, die einerseits mit der ostmitteldeutschen und andererseits mit der süddeutschen Schreibtradition verbunden waren, vgl. / l ä u f t / l a u f t / , / T a g e / T ä g e / , /Wagen/Wägen/, / s i n d / s e y n d / , / i h m / i h m e / usw.

Erscheinungsort Bei ziemlich deutlichen durch den Typ der Ausgabe bedingten Unterschieden sowohl in der Verteilung der Varianten Formen und Konstruktionen als auch im Tempo ihrer Umbildung lassen sich Differenzierungen, die durch den Erscheinungsort bedingt waren, nur in recht wenigen Fällen feststellen. Der allgemeine Charakter des in den Periodica ermittelten grammatischen Systems, die Typen der grammatischen Varianten sowie die Art der Umbildungsvorgänge waren im ganzen ostmitteldeutschen Gebiet ziemlich einheitlich. Spezifisch f ü r schlesische Periodica hingegen ist die ziemlich deutliche Tendenz, einzelne Formen als Varianten zu gebrauchen, die mit der lokalen Tradition oder mit dem Einfluß d e r süddeutschen Sprache zusammenhängen, vgl. /lauft/, / s e y n d / , / s e y n / , 114 / g e w e s t / , / i h m e / , / d e m e / usw.

152

Natalia N. Semenjuk Einige in den schlesischen Ausgaben vorkommende süddeutsche Züge treten aber

auch vereinzelt in den Ausgaben aus anderen Gegenden des ostmitteldeutschen Gebiets auf. Das läßt vermuten, daß wir es in beiden Fällen nicht bloß mit einem textuellen Einfluß, sondern mit mehr oder weniger stabilen, wenn auch isolierten Reflexen der süddeutschen Literatursprache zu tun haben. Gewisse Besonderheiten d e r Texte einiger Typen der periodischen Schriften (Typ I und II) förderten diese Tendenz, indem sie günstige Bedingungen f ü r ihre Verwirklichung schufen. 6.4.

Zum Verhältnis zwischen d e r Kodifizierung grammatischer Erscheinungen und dem Usus

Abschließend kann f ü r einige grammatische Erscheinungen eine Inkongruenz zwischen den Forderungen der normativen Grammatiker und dem Sprachusus festgestellt werden. Dabei bestehen folgende Möglichkeiten: 1. Zurückbleiben des Usus hinter den Kodifizierungsforderungen, z . B . im Fall solcher allmählich verschwindenden Formen wie / i h m e / , / s ä h e / , / d a s Gespräche/, ( / s i e / , / w i r / ) / s e y n / oder / s e y n d / ; / g e w e s t / , / d i e - e / u . a . 2. Zurückbleiben der Kodifikation hinter dem schon herausgebildeten Usus, z . B . bei den Varianten Wortformen (/er) lebet/lebt/, /gelebet/gelebt/, / a l l e - e / - e n / , die in den Nachschlagebüchern eine Zeit nicht vertreten waren. 3. Inkongruenz zwischen den f ü r den Usus und f ü r die Kodifikation charakteristischen Grundtendenzen, vgl. die entgegengerichteten Vorgänge im Usus und in d e r Kodifizierung der Geschlechtsformen des Zahlwortes / z w e y / oder solcher Wortformen wie / f l e u ß t / , /geußt/

u.a.

Zu den Faktoren, die die Inkongruenz zwischen Kodifikation und Usus verstärkten, gehörten verschiedene Analogie Vorgänge, die bei ähnlichen Formen und Konstruktionen wirksam waren, sowie Tendenzen, das Gleichgewicht im System derjenigen grammatischen Formen aufrechtzuerhalten, die zu demselben Paradigma gehörten oder ähnliche Paradigmen bildeten. Beide Momente spielten bei d e r Fixierung der grammatischen Norm in den Nachschlagebüchern jener Periode (besonders bei Gottsched) eine wesentliche Rolle, Die letzte uns bei d e r Gegenüberstellung von Kodifikation und Usus interessierende Frage ist die Widerspiegelung und Fixierung dieser oder jener grammatischen Varianten in den Nachschlagebüchern. Diese Varianten wurden in vielen Fällen sowohl von H. F r e y e r als auch von J . Chr. Gottsched f i x i e r t . Wie wir oben zu zeigen versucht haben, stützte sich F r e y e r auch hier in s t ä r k e r e m Maße auf den schwankenden Usus. Deshalb w a r die Anzahl der in seiner "Anweisung zur Teutschen Orthographie" zugelassenen Varianten in d e r Regel größer als bei Gottsched.

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

153

Das Verhältnis zwischen Kodifikation und Usus war also bei den grammatischen Normen der ostmitteldeutschen Literatursprache eine Größe, die beträchtlichen Schwankungen unterlag und in der uns interessierenden Periode ziemlich unstabil war.

VERZEICHNIS DER KURZBEZEICHNUNGEN DER ZITIERTEN PERIODICA Jede Kurzbezeichnung besteht aus drei Teilen: der Abkürzung des Titels, dem abgekürzten Namen des Erscheinungsortes und den zwei letzten Ziffern des Erscheinungsjahres. Beispielsweise erhält die Leipziger Zeitschrift "Extract derer Nouvellen" aus dem Jahre 1700 demgemäß die Kurzbezeichnung EdN-L-00. Der Erscheinungsort wird in die Kurzbezeichnung nicht aufgenommen, Wenn sein Name im Titel der Ausgabe erscheint, z . B . werden "Leipziger Zeitungen" aus dem Jahr 1747 als LZ-47 bezeichnet. Die zitierten Seiten werden hinter oder vor der Kurzbezeichnung in Klammern angeführt, z . B . 115 EdN-L-00 (17) oder (17) EdN-L-00 . Die Zeitungsnummer wird auf dieselbe Weise angegeben: LPZ-31 (Nr 3) usw. AB-W-99

Aufgefangene Brieffe.. .Uber den ietzigen Zustand der Staats116 und gelehrten W e l t . . . , Wahrenberg (Leipzig) 1699, (I)

AO-J-17

Etlicher guter Freunde Akademische Nebenstunden, darinnen allerhand Observationes von besondern zur Gelahrtheit dienenden Materien.. .erhalten sind, Jena 1717, (II).

Aph-H-15

Acta Philosophorum..., Halle 1715, (II).

B - L - 2 8 , -29

Der Biedermann, Leipzig 1728, 1729, (IV).

Beytr-L-32,-42

Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, Leipzig 1732, 1742, (IV).

BV-L-45

Belustigungen des Verstandes und des Witzes, Leipzig 1745, (IV).

CE-D-31

Curieuse Einleitung in das Neueste von der Z e i t , . . , Dresden 1731, (III).

DA-49,-50

Dreßdnische politische Anzeigen auf die Jahre 1749 und 1750, Dresden 1749, 1750, (I).

DAE-L-12

Deutsche Acta Eruditorum oder Geschichte der Gelehrt e n . . . , Leipzig 1715, (II).

154 DAL-L-15

Natalia N. Semenjuk Deutsche Acta Litteraria oder Geschichte der G e l e h r t e n . . . , Leipzig 1715, (II).

EdN-L-OO, -46

Extract d e r ( e r ) . . . Nouvellen Uber das J a h r 1 7 0 0 . . , , Leipzig 1700, 1746, (I).

E F - L - 0 5 , -06, -11, -12, -15

Die Europäische Fama, welche den gegenwärtigen Zustand der gelehrten Welt. ..entdecket, Leipzig 1705, 1706, 1711, 1712, 1715, (III).

Est-L-36

Europäischer Staats-Secretarius, welcher die neuesten Begebenheiten unpartheyisch erzehlet und vernünftig b e u r theilet, Leipzig 1736, (IH).

F-L-46

Der F r e i g e i s t . Eine Wochenschrift, Leipzig 1746, (IV).

FG-H-89,-90

Freymüthige, lustige und ernsthaffte, jedoch Vernunfft- und Gesetz-Mäßige Gedanken, oder Monats-gespräche ü b e r . . . neue Bücher, Halle 1689, 1690, (II).

G-H-48

Der Gesellige, eine moralische Wochenschrift, Halle 1748, (IV).

G-L-29,-32

Gespräche in dem Reiche d e r e r Todten, Leipzig 1729, 1732, (III).

GF-L-11, -12, -13, -15

Die gelehrte Fama, welche den gegenwärtigen Zustand der gelehrten W e l t . . . entdecket, Leipzig 1711, 1712, 1713, 1715, (II).

GNSch-34, -41

Gelehrte Neuigkeiten S c h l e s i e n s . . , Schweidnitz/Liegnitz 1734, 1741, (II).

GSt-L-22

Die gelehrte und galante Staat-Compagnie..., Leipzig 1722, (IV).

HR-4 7

Hallische wöchentliche Relation der merckwürdigsten S a c h e n . . . , Halle 1747, (I).

J-L-47

Der Jüngling, Leipzig 1747, (IV).

JgZ-49

Jenaische gelehrte Zeitungen . . . , Jena 1749, (II).

LPZ-27, - 3 0 , - 3 1

Leipziger Post-Zeitungen . . . , Leipzig 1727, 1730, 1731, (I).

Zustand und Evolution der grammatischen Normen

155

LZ-47

Leipziger Zeitungen

Leipzig 1747, (I).

M-H-52

Der Mensch, eine moralische Wochenschrift, Halle 1752, (IV).

MN-J-26

Monathliche Nachrichten von gelehrten Leuten und Schriften, besonders dem gegenwärtigen Zustand der Universität J e n a , Jena 1726, (II).

NEF-L-30, - 4 2 , - 4 9

Die (neue) Europäische Fama, Leipzig 1730, 1742, 1749, (ffl).

NfZ-L-33

Neufränkische Zeitungen von Gelehrten S a c h e n . . . , Leipzig 1733, (II).

NM-L-14

Neueröffnetes Museum oder allerhand dienliche Anmerckungen . . . , Leipzig 1714, (II).

NSch-L-14

Neuer Schauplatz der gelehrten Welt, oder Auszüge von allerhand neuen . . . Schrifften, Leipzig 1714, (II).

NSch-E-51

Neu=eröffneter Schauplatz aller vorfallenden Staats=Kriegs= und Friedens=Begebenheiten . . . , E r f u r t 1719, (II).

NSt-L-46

Neueste Staatshistorie, welche die heutigen Begebenheiten der Welt in sich f a s s e t . . . , Leipzig 1746, (III).

NvZ-D-31

Das Neueste von d e r Welt oder sonderbare Begebenheiten der gantzen W e l t . . . , Dresden 1731, (III).

NvHB-48

Nachrichten von einer hallischen Bibliothek, Halle 1748, (II).

NZ-L-28, -47

Neue Zeitungen von gelehrten S a c h e n . . . , Leipzig 1728, 1747, (II).

PHZ-30,-47 PGSch-H-43

Privilegierte Hallische Z e i t u n g e n . . . , Halle 1730, 1747, (I). Der Prüfenden Gesellschaft zu Halle Herausgegebene Schriften, Halle 1743, (II).

SchB-51

Der schlesische B ü c h e r s a a l , . . , Schweidnitz 1751, (II).

SchNC-23, -26, -31

Schlesischer N o u v e l l e n - C o u r i e r . . . , Breslau 1723, 1726, 1731.

156

Natalia N. Semenjuk

SchPZ-42, -47

Schlesische Privilegierte Staats=,Kriegs= and Friedens= Z e i t u n g . . . , Schweidnitz 1742, 1747, (I).

SvN-B-17

Sammlung von Natur- und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und L i t e r a t u r g e s c h i c h t e n . . . , Breslau 1717, (II).

ThN-J-34

Thüringische Nachrichten von gelehrten S a c h e n . . . , Jena 1734, (II).

VB-H-18

Vermischte Bibliothek oder zulängliche Nachrichten... von allerhand mehrentheils neuen B ü c h e r n . . . , Halle 1718, (II).

VT-L-38

Die vernünftigen Tadlertnnen, Leipzig 1738, (IV).

WHN-30

Wöchentliche Hallische Frage= und Anzeigungs=Nachricht e n . . . , Halle 1730, (Ia).

WN-E-19

Wöchentliche Nachrichten von gelehrten S a c h e n . E r f u r t 1719, (II).

WR-H-24

Wöchentliche Relation der zur merkwürdigsten und Conservation der neuen Historie hauptsächlich dienenden S a c h e t l . . . , Halle 1724, (I).

Z-L-45

Der Zeitvertreiber, eine moralische Wochenschrift, Leipzig 1745, (IV).

ZN-L-45,-50

Zuverlässige Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande, Veränderung und Wachsthum der W i s s e n s c h a f t e n . . . , Leipzig 1745, (II).

ABKÜRZUNGEN Adelung,

Lehrgebäude, Bd. 1 - J . C h . A d e l u n g ,

Umständliches Lehrgebäude der

Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre f ü r Schulen, Bd. 1, Leipzig 1782. Adelung,

Wörterbuch. - J . C h . A d e l u n g ,

Grammatisch-kritisches Wörterbuch

der hochdeutschen Mundart, Bd. 1 - 4 , 2. Aufl., Leipzig Aichinger,

Sprachlehre. - K . - F r . A i c h i n g e r ,

Frankfurt und Leipzig 1754.

1793.

Versuch einer teutschen Sprachlehre,

157

Zustand und Evolution der grammatischen Sprache Antesperg,

Grammatik. - J . B . A n t e s p e r g ,

Die Kayserliche Deutsche Grammatik,

2. E d . , Wien 1749. Bödiker,

Grund=Sätze, (1701)- J .

Bödiker,

Neu=vermehrte Grund=Sätze der

deutschen Sprachen im Reden und S c h r e i b e n . . . , Berlin 1701. Bödiker,

Grund=Sätze, (1729)- J .

Bödikeri

Grund=Sätze der Teutschen S p r a c h e . . .

verbesset und vermehrt von J . L. F r i s c h , Berlin 1729. B ö d i k e r ,

Grundsätze, (1746)- J .

Bödikers

Grundsätze d e r Teutschen

Sprache. Mit dessen eigenen und J . L . Frischens vollständigen Anmerkungen. Durch neue Zusätze vermehret von J . J . Wippel, Berlin 1746. Freyer,

Anweisung. - H .

Anweisung zur Teutschen Orthographie,

Freyers

4. A u f l . , Halle 1746. Gottsched,

Grundlegung, - J . C h .

Gottsched,

Grundlegung einer Deutschen

Sprachkunst, nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts abgefasset, 2. Aufl., Leipzig 1749. Gottsched,

Grundlegung, (1752)- J . C h .

Gottsched,

Grundlegung einer Deutschen

Sprachkunst, 3. Aufl., Leipzig 1752. Gottsched,

Beobachtungen. - J . C h .

Gottsched,

Beobachtungen über den Gebrauch

und Misbrauch vieler deutscher Wörter und Redensarten, Strassburg und Leipzig 1758. Gottsched,

Kern, ( 1 7 5 3 ) - J . C h .

Gottsched,

Kern der deutschen Sprachkunst

aus d e r ausführlichen Sprachkunst Herrn Prof. Gottscheds zum Gebrauch der Jugend, von ihm selbst ins kurze gezogen, Leipzig 1753. H e m p e 1, Neue Anleitung - C h r .

F.

Hempel,

Neue Anleitung, wie man die

Teutschen Haupt=Nenn=Wörter... abändern oder declinieren soll, Frankfurt und Leipzig 1753. V.

Moser,

Grammatik. - V .

Moser,

Frühneuhochdeutsche Grammatik, Bd. 1,1,

Moser,

Historisch-grammatische Einführung in die

Heidelberg 1929. V.

Moser,

Einführung. - V .

frühneuhochdeutschen Schriftdialekte, Halle 1909. H.

Paul,

Grammatik. - H .

Paul,

Deutsche Grammatik, Bde 1 - 5 , 3. Aufl. Halle

Wörterbuch. - H .

Paul,

Deutsches Wörterbuch, 5. Aufl., Bde 1-2,

1955-57. H.

Paul,

Halle 1956. Popowitsch,

Anfangsgründe. - J . S . V . P o p o w i t s c h ,

Die Notwendigsten Anfangs-

gründe der Teutschen Sprachkunst zum Gebrauch der Österreichischen Schulen, Wien 1754.

158

Natalia N. Semenjuk

Schottel,

Ausführliche Arbeit. - J . G . S c h o t t e l i u s ,

Ausführliche Arbeit von der

Teutschen Haubt-Sprache, Braunschweig 1663. S t o s c h,

Kleine Beiträge. - S . J .

Stosch,

Kleine Beiträge zur näheren Kenntniß d e r

Deutschen Sprache, St. 1 - 3 , Berlin 1778, 1780, 1782. Talander,

Einleitung. - Gründliche Einleitung zu den Teutschen Briefen, erläutert

von Talandern, Jena 1702. Wahn,

Deutsche Grammatika. - H . W a h n ,

Kurzgefassete Deutsche Grammatika oder

ordentliche Grund=Legung der Deutschen Sprach=Lehre, Hamburg 1723.

Anmerkungen

1

O. Behaghel, Die deutsche Sprache, 11. Aufl., Halle 1954, S. 43; W. Henzen, Schriftsprache und Mundarten, 2. Aufl., Bern 1954, S. 124; K. Kaiser, Mundart und Schriftsprache. Versuch einer Wesensbestimmung in der Zeit zwischen Leibniz und Gottsched, Leipzig 1930, S. 4 f .

2

S . z . B . G. Ising, Die Erfassung d e r deutschen Sprache des ausgehenden 17. J a h r hunderts in den Wörterbüchern Matthias K r a m e r s und Kaspar Stielers, Berlin 1956, S. 7; vgl. auch die Meinung von W.G. Admoni, der die Herausbildung der einheitlichen Literaturnorm im Deutschen Ende des 17./Anfang des 18. J h . datiert (Istoritscheskij sintaksis nemeckogo jazyka, Moskwa, 1963, S. 142).

3

A. Langen, Deutsche Sprachgeschichte vom Barock bis zur Gegenwart. - In:

4

E . A . Blackall. The Emergence of German as a Literary Language (1700-1775),

5

K. Kaiser, Mundart und Schriftsprache. Versuch einer Wesensbestimmung in der

Deutsche Philologie im Aufriß, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin 1957. Cambrigde 1959.

Zeit zwischen Leibniz und Gottsched, Leipzig 1930, S. 4 f . 6

Ein Versuch im Hinblick auf diese Fragestellung ist e r s t in der interessanten Untersuchung von D. Nerius unternommen worden, vgl. D. Nerius, Untersuchungen zur Herausbildung einer nationalen Norm der deutschen Literatursprache im 18. J a h r hundert, Halle 1967.

7

Eingehender darüber s . N. Semenjuk, Einige Probleme d e r sprachgeschichtlichen Untersuchung der deutschen periodischen Literatur des 18. Jahrhunderts, Forschungen und Fortschritte, 38. J g . , Berlin 1964, S. 178-182; vgl. auch N.N. Semenjuk, Problema formirovanija . . ( M . ,

1967).

Zustand und Evolution der grammatischen Sprache 8 9

159

Vgl. E . A . Blackall, a . a . O . , S. 49 u. ff. S. Hildebrand, "Die Discourse der Mahlern" (1721-23) und "Der Mahler der Sitten" (1746), Uppsala 1909; H. Birlo, Die Sprache des Parnassus Boicus, Augsburg o . J . (Diss. München 1908); F . Bay, Der Lautstand des P a r n a s s u s Boicus, Kempten 1910 = Programm d . K. Humanistischen Gymnasiums zu Kempten f ü r d. Schuljahr 1909/10.

10

J . PovejSil, Zur Bewertung der ersten gelehrten Zeitschrift in Österreich, Philologica Pragensia, 3. J g . , Praha 1960, S. 1-14; 108-116.

11

W. Salow, Die deutsche Sprachwissenschaft in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, Greifswald 1926 (Diss. Greifswald); E . Steiger, Mundart und Schriftsprache in der 2. Hälfte des 18. J h . nach gleichzeitigen Zeitschriften, Freiburg i . B . 1919 (Diss. Freiburg i . B . ) .

12

H. Schöne-Rieck, Die Zeitungen des J a h r e s 1609, Leipzig 1943; vgl. auch Die deutsche Zeitung im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1609-1700), 3 Bde, h r s g . v. W. Schöne, Leipzig 1939-40.

13

L. Mackensen, Zur Sprachgeschichte des 17. Jahrhunderts. Aus der Arbeit der "Deutschen Presseforschung", Wirkendes Wort, 14. J g . , Düsseldorf 1964, S. 157-170.

14

Daß nicht gleich große Zeitabschnitte gewählt wurden, ist durch die allmählich ansteigende Intensität der Normalisierungsprozesse sowie durch die gegen Mitte des J a h r hunderts stark angestiegene Anzahl der periodischen Schriften bedingt.

15

Vgl. T h è s e s présentées au P r e m i e r Congrès International de Linguistes à la Haye

16

Vgl. auch die Norm "als Gesamtheit von traditionellen Realisationen" einerseits und

(1928), - In: Actes du P r e m i e r Congrès International de Linguistes, Leiden.

die Norm als "Regulator der Verteilung und der Verwendung von isofunktionalen Mitteln" a n d e r e r s e i t s , bei E. Coseriu, Sistema, norma y habla, Montevideo 1952; D e r s . , Sinchronija, diachronija i istorija, Novoe v Lingvistike, Moskau 1963, H. HI. 17

Über die Wechselbeziehung zwischen der Variabilität und der Norm am deutschsprachigen Material vgl. J . Erben, Gesetz und Freiheit in d e r deutschen Hochsprache der Gegenwart. Norm - Spielraum - Verstöße, Der Deutschunterricht, 12. J g . Stuttgart 1960, H. 5, S. 5-28; N. N. Semenjuk, Nekotorye voprosy isucenija variantnosti, Voprosy jazykoznaija, 1965, N i l . ; vgl. auch die eingehende Behandlung der Fragen der grammatischen Variabilität im Deutschen im Artikel von O. I. Moskalskaja, Norma i variirovanie v sovremennom nemezkom literaturnom jazyke, "Inostrannye jazyki v skole", 1967, Nr6.

18

Vgl. darüber auch D. Nerius, a . a . O .

160

19

Natalia N. Semenjuk Es sei darauf hingewiesen, d a ß O . I . Moskalskaja (s. O . I . Moskalskaja, Variantnost' i differenziazija w lexike literaturnogo jazyka, im Sammelband: "Norma i Sozialnaja differenziazija jazyka", M . , 1969) f ü r lexikalische Erscheinungen 2 Typen der Varianz terminologisch unterscheidet, und zwar: Varianten im eigentlichen Sinne des Wortes (vgl. bei uns "absolute Varianten") und Differenzierungen (vgl. bei uns "nicht absolute Varianten"). Diese terminologische Abgrenzung scheint sehr wichtig zu sein. Da es aber nicht immer einfach ist, bei einer geschichtlichen Untersuchung der Sprache beide Typen auseinanderzuhalten, finden wir es zweckmäßig, in u n s e r e r Arbeit die f r ü h e r von uns vorgeschlagenen Termini zu gebrauchen (vgl. N. Semenjuk, G r a m matische Normen des 18. Jahrhunderts als eine Etappe in der Entwicklungsgeschichte der deutschen Literatursprache, Forschungen und Fortschritte, 41. J g . , Berlin 1967, S. 19-22), obwohl sie bei weitem nicht so präzis sind.

20

Analoge Typen von Varianten können auch am orthographischen Stoff unterschieden werden, (N. N. Semenjuk, Problema f o r m i r o w a n i j a . . . M . , 1967, Teil II, Kapitel 1); vgl. auch die von W. Fleischer vorgeschlagene Einteilung der orthographischen Varianten in: fakultative, kombinatorische, wortgebundene und stilistische (W. F l e i scher, Strukturelle Untersuchungen zur Geschichte des Neuhochdeutschen, Berlin'1966, S. 16.

21

Vgl. dasselbe bei W. Flämig, Untersuchungen zum Finalsatz im Deutschen (Synchronie und Diachronie), Berlin 1964 oder W.G. Admoni, Raswitije struktury p r e d l o s h e e n i j a . . . , L . , 1967, S. 25.

22

Auf Zählungen wurde dort verzichtet, wo bestimmte Bedingungen das erschwerten, z . B . bei den Varianten Formen /den/denen/ im Dat. P I . , wo das Demonstrativum und der Artikel nicht immer deutlich genug auseinanderzuhalten sind. Wenn die Varianten Formen gleiche Häufigkeit aufweisen oder eine Form deutlich Uberwiegt, d . h . wenn Verhältnisse auch ohne Zählungen klar sind, wurde nicht gezählt.

23

Gottsched, Grundlegung, S. 207, 492 u. ff.

24

Hempel, Neue Anleitung, S. 43, 44 u. ff.

25

Nach Antesperg mußte das Endungs-/e/ bei Feminina stehen und bei den Neutra wegfallen. Bei den Maskulina waren beide Strukturen auf einzelne Lexeme verteilt, vgl. Antesperg, Grammatik.

26

Vgl. H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 78 f .

27

A . a . O . , S. 80- 83.

28

Bödiker, Grund-Sätze (1729), S. 99.

29

F r e y e r , Anweisung, S. 109, 174.

Zustand und Evolution der grammatischen Normen 30

161

Gottsched, Grundlegung, S . 131; Hempel, Neue Anleitung, S . 16; vgl. Antesperg, Grammatik, S . 3 1 .

31

F r e y e r , Anweisung, S . 107, vgl. h i e r auch solche F o r m e n wie /des Vatters/Vattern/, /des Bruders/Brudern/.

32

Popowitsch, Anfangsgründe (Vorrede).

33

H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S . 3 0 .

34

V g l . entsprechende Doppelformen bei F r e i e r und Gottsched: F r e y e r , Anweisung,

35

Vgl. bei Gottsched /Lande/Länder/ (Gottsched, Grundlegung, S . 203, 211) ohne Unter-

S . 107; Gottsched, Grundlegung, S . 212.

schiede in der Bedeutung. 36

Das Pluralsuffix / - s / wird im niederdeutschen und teilweise auch im ostmitteldeutschen Gebiet verwendet, vgl. V . M . Schirmunski, Deutsche Mundartkunde, Berlin 1962, S . 4 2 2 - 4 2 5 ; ausführlicher über den Ursprung dieses Suffixes s . E , Öhmann, Der S= Plural im deutschen, Annales Academiae scientiarum fennicae, S e r . B . , T . XVIII, Helsinki 1926.

37

Die Formen a u f / - ( e r ) e / s i n d wohl niederdeutscher Herkunft, vgl. V . M . Schirmunski, a . a . O . , S. 425; vgl. auch bei Schottelius die F o r m /Bürgere/ für den Plural, Schottelius, Ausführliche Arbeit, S . 305.

38

Gottsched kodifiziert in s e i n e r Grammatik einzelne pluralische Formen mit Umlaut (/Wägen/, /Böden/, /Läden/, /Fäden/), die Grammatiker aus der 2 . Hälfte des X V n i . J h . verwerfen sie zum T e i l (vgl. Stosch, Kleine B e i t r ä g e . . . , 1. S t . , S . 6); Adelung, Umständliches L e h r g e b ä u d e . . . Bd. 1, Vorwort).

39

Vgl. V . M . Schirmunski, a . a . O . , S . 4 1 8 .

40

Gottsched sowie andere Grammatiker aus dem ostmitteldeutschen Gebiet kodifizieren nur die F o r m ohne Umlaut (Gottsched, Grundlegung, S . 203); vgl. aber die F o r m /Täge/ bei Antesperg (Antesperg, Grammatik, S. 45).

41

Die Formen /deme/ ( < ahd. /demu/), /ihme ( < ahd. /imu/) waren in der frühneuhochdeutschen Periode ziemlich produktiv (vgl. H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S . 173, 177/8 f . ) , hauptsächlich in Süd-und Mitteldeutschland (V. M o s e r , Einführung, S . 190 f . ) . In u n s e r e r Periode waren sie in der Schriftsprache vom süddeutschen Typ gebräuchlicher.

42

F r e y e r , Anweisung, S . 117; Gottsched, Grundlegung, S . 254; vgl. auch Popowitsch, Anfangsgründe, S . 150; vgl. aber /ihm(e)/ bei Antesperg (Antesperg, Grammatik, S . 85).

43

F . Leupold, Zur Geschichte der neuhochdeutschen Pronominalflexion, Heidelberg

Natalia.N. Semenjuk

162

1909 (Diss. Heidelberg); vgl. auch N. N. Semenjuk, Nekotorije voprosy postrojenija paradigmatitschesklch rjadow nementskogo literaturnogo jasyka, "Problemi morphologitscheskogo stroja germansklch jasykow", Moskau 1963. 44

F . Leupold, a . a . O . , S. 40 ff.

45

Vgl. auch H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 173-177.

46

Scnottel, Ausführliche Arbeit, S. 226 f f . , 303, 537.

47

Bödiker, Grund-Sätze (1701), S. 53.

48 Talander, Einleitung, S. 3, 8. 49

F r e y e r , Anweisung, S. 94.

50

Gottsched, Grundlegung, S. 132, 254.

51

Antesperg, Grammatik, S. 16, 19; Popowitsch, Anfangsgründe, S. 25, 172.

52

Vgl. K. Baumgärtner. Zur Syntax der Umgangssprache in Leipzig, Berlin 1959, S. 22 ff.

53

F r e y e r betrachtet die Verwechslung des Dativs und Akkusativs als niederdeutsche Besonderheit ( F r e y e r , Anweisung, S. 101). Gottsched verwirft diese Erscheinung als eine Verletzung der literarischen Normen (Gottsched, Grundlegung, S. 474-475).

54

Vgl. H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 185-187.

55

Bödiker, Grund-Sätze (1729), S. 107-108; F r e y e r , Anweisung, S. 114-115; Gottsched, Grundlegung, S. 238; Antesperg, Grammatik, S. 21.

56

Popowitsch, Anfangsgründe, S. 136-137.

57

F r e y e r , Anweisung, S. 360, 418; Gottsched, Grundlegung, S. 303, 306.

58

H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 241.

59

Die starken Formen dieses Verbs ( / f r u g / , / e r f r a g t / ) waren auch inmanchenniederdeutschen und mitteldeutschen Dialekten verbreitet, vgl. darüber V.M. Schirmunski, Deutsche Mundartkunde, S. 507-508.

60

F r e y e r , Anweisung, S. 279; Gottsched, Grundlegung, S. 285, 309, vgl. auch Schottel, Ausführliche Arbeit, S. 586.

61

Es gab auch Variante Formen in der 2. P e r s . Sg. P r ä s . (mit / - e s t / - s t / ) und in der 1. und 3. P e r s . Sg. P r ä t . (mit / - e t e / - t e / ) . Die Verwendung synkopierter und voller Formen war also in verschiedenen verbalen Kategorien möglich.

62

Die weitgehende Einschränkung des Gebrauchs der vollen Formen rührt anscheinend in e r s t e r Linie von eigentlich phonetischen Vorgängen h e r , die sich übrigens in den verbalen Wortformen unterschiedlichen Typs auf verschiedene Weise widerspiegeln. Eine gewisse Rolle bei der Verdrängung von / - e t / - F o r m e n spielte wohl auch das Bestreben, das indikativische Paradigma vom konjunktivischen formal zu unterscheiden.

Zustand und Evolution der grammatischen Normen 63

163

Die in dieser Tabelle angeführten quantitativen Angaben sind durch Zählungen von je 50 Seiten der Texte gewonnen worden. Zur Kontrolle wurden Texte von je 100 Seiten herangezogen. Eine andere willkürlich gewählte Menge von Texten wird möglicherweise eine etwas davon abweichende quantitative Charakteristik aufweisen. Stichproben haben jedoch gezeigt, daß die innerhalb einer Ausgabe vorkommenden Schwankungen recht gering sind und deshalb auf das ermittelte Verhältnis der betreffenden Varianten keinen nennenswerten E influß haben.

64

H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 196 f.

65

Bödiker, Grund-Sätze (1701), S. 81; F r e y e r , Anweisung, S. 119; Gottsched, Grundlegung, S. 285; vgl. die gleichen Paradigmen auch bei Antesperg und Popowitsch (A.ntesperg, Grammatik, S. 96; Popowitsch, Anfangsgründe, S. 248, 293).

66

F r e y e r , Anweisung, S. 360 u. ff.

67

Gottsched, Grundlegung (1752), S. 15.

68

Gottsched, Grundlegung (1752), S. 15.

69

H. Paul betrachtet die Formen / s ä h e / , / w u r d e / , / h i e l t e / , die in das 13. J h . zurückreichen, als eine Angleichung der starken Konjugation an die schwache (H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 198), Es gibt aber auch andere Deutungen dieser Erscheinung, so z . B . hält E . Öhmann alle Formen mit den "unorganischen" / - e / f ü r hyperkorrekte Bildungen (E. Öhmann, Über hyperkorrekte Lautformen, Annales Academiae scientiarum Fennicae, Ser. B . , T . 123, 1, Helsinki 1960, S. 68 f . ) .

70

Bödiker, Grund-Sätze (1729), S. 79, 131, 197, 231; F r e y e r , Anweisung, S. 125, 347, 348, 422, 423, 424; Gottsched, Grundlegung, S. 270 ff.

71

F r e y e r , Anweisung, S. 417, 422; bei Talander finden w i r / w u r d e / , / s t ä n d e / , / f u n d e / , / s ä h e / , / f l o c h e / , / g e s c h ä h e / , / g l i t t e / , aber: / k a h m / , / h i e l t / (Talander, Einleitung, S. 28, 29, 32-33, 41-42 f f . ) , e r gibt a u c h / s t u n d / s t a n d / , / w a r d / w u r d e / , / f a n d / f u n d e / an.

72

Gottsched, Grundlegung, S. 299, 302, 492.

73

Diesen Forderungen entsprechend fehlen die starken präteritalen Formen mit / - e - / in manchen Texten (vgl. z . B . BV-L-45 u . a . ) .

74

Genauer über diese Erscheinung in dem deutschen Schrifttum s . A . v . Sobbe, Die Ausgleichung des Rückumlautes, Halle 1911 (Diss. Halle); J . Starck, Studien zur Geschichte des Rückumlauts, Uppsala 1912 (Diss. Uppsala); vgl. das dialektale Material bei T h . Frings, Sprache und Geschichte, Bd. 3, Halle 1956, S. 18, 44 f f . , Karten 18, 19.

75

J . Stark, a . a . O . , S. 162 ff.

164 76

NataliaN. Semenjuk Vgl. / g e s t a l l t / als reguläre paradigmatisohe F o r m noch bei Bödlker In d e r Ausgabe seiner Grammatik vom J a h r e 1701 (Bödiker,

Grund-Sätze, S. 128). In späteren Aus-

gaben wurde diese Form dann ausgeschlossen. 77

Vgl. / g e l a h r t / bei H. F r e y e r in d e r Liste der regulären Formen ( F r e y e r , Anweisung, S. 368), auch / s e t z e / s a t z t e / (S. 422).

78

Es ist zu betonen, daß sich in den adjektivierten Partizipien die Form ohne Umlaut einbürgert, z . B . so /genannt(e)/, /bekannt(e)/, /unbekannt(e)/.

79

F r e y e r , Anweisung, S. 415 u. ff. Gottsched, Grundlegung, S. 53, 54, 88, 275.

80

Antesperg, Grammatik, S. 133, 167.

81

Popowitsch, Anfangsgründe, S. 340, 348, 350 (aber auch hier: /bekannt/).

82

H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 260.

83

H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 240.

84

F r e y e r führt noch in seiner Grammatik die Form /begunte/ an ( F r e y e r , Anweisung, S. 414); vgl. auch Bödiker, Grund-Sätze (1729), S. 145; Talander, Einleitung, S. 31; Gottsched lehnt diese Form ab und besteht auf /begann/ (Gottsched, Grundlegung, S. 302).

85

Bödiker führt die Varianten Formen / r u f t e / r i e f / an: Bödiker, Grund-Sätze (1729), S. 152. F r e y e r und Gottsched treten entscheidend gegen den Gebrauch der schwachen Form auf (vgl. z . B . F r e y e r , Anweisung, S. 420).

86

Vgl. die Varianten präteritalen Formen bei Bödiker: Bödiker, Grundsätze (1729), S. 38.

87

F r e y e r , Anweisung, S. 279.

88

Die Varianten Formen / s i n d / s e i n d / s e i n / waren in den deutschen Schriften des 16.-17. J h . vertreten (H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 269 f . ) . Die Form / s e i n d / war süddeutscher Herkunft und entstand anscheinend infolge d e r Kontamination (/sind/ + / s e i n / ) (V. Moser, Einführung, S. 214 f . ) .

89

Das im 13. J h . zuerst in Mitteldeutschland aufkommende schwache Partizip II / g e w e s t / war später in d e r deutschen Literatur überall verbreitet. (H. Paul, Grammatik, Bd. 2, S. 270). Zur mundartlichen Verbreitung v o n / g e w e s t / s . Th. Frings, Sprache und Geschichte, Bd. 3, Halle 1956, S. 77; vgl. auch die Formen / g a w e s t / und /gwesn/ bei E. Gerbet. (E. Gerbet, Die Mundart des Vogtlandes, Leipzig 1896, S. 44).

90

Es sei bemerkt, daß die Form ( / w i r / , / s i e / ) / s e i n / auch im P r ä s e n s Konjunktiv gebräuchlich war; in vielen Fällen sind Indikativ und Konjunktiv in den Texten nicht genau zu unterscheiden.

91

F r e y e r , Anweisung, S. 121. Die F o r m / s e y n / wird von ihm nur für den Konjunktiv angeführt.

165

Zustand und Evolution der grammatischen Normen 92

Gottsched, Grundlegung S. 267. Vgl. bei Gottsched die Form /gewehst/ in einem der Briefe, die die Besonderheiten der obersächsischen Umgangsprache widerspiegeln (Der Biedermann, 1729, S. 189).

93

Antesperg, Grammatik, S. 105, 117.

94

Popowitsch, Anfangsgründe, S. 231 f .

95

Vgl. genauer darüber W.G. Admoni, Istoritscheskij s i n t a k s i s . . . , S. 190 f f .

96

Ebd., S. 156-160.

97

E b d . , S. 193.

98

E b d . , S. 198 f . , 194 u. ff.

99

Vgl. z . B . : / a n d e r e s Sinnes/ (20) EdN-L-00

/selbigen T a g e s / (76) E F - L - 0 5

/heutiges T a g e s / (28) EdN-L-00

/verwichenen J a h r e s / (9) WN-E-19

/

"

"

/ (754) E F - L - 0 5

/folgenden T a g e s / ( 7 1 ) B - L - 2 8

/

"

"

/ (56) G-L-29

/adelichen Standes/ (31) B-L-29

/gleiches Namens/ (8) GF-L-11

/verwichenen Sonnabend/ (24) LZ-47

/folgendes Inhalts/ (17 GF-L-11

usw.

/beydes Geschlechtes/ (148) B - L - 2 8 100

Vgl. aber: / i m verwichenem J a h r e / (2 0) NZ-L-28; /unter einem allgemeinem T i t e l / (599) NZ-L-28; /nach allem ihrem Vermögen/ (94) F - L - 4 6 .

101

H. Paul, Grammatik, Bd. 3, S. 94 u. ff.

102

W.G. Admoni, Istoritscheskij sintaksis . . . , S. 156-157.

103

Vgl. f ü r das 16. und 17. J h . auch die Angaben von E . S . Trojanskaja, (Wlijanije dialekta na ofornlenije gruppy sutschtschestwitelnogo w nemezkom jazyke XVI-XVII ww. Woprosy romano-germanskoj filologii, M . , 1961, S. 100-104, Tabelle 5.

104

H. Paul, Grammatik, Bd. 3, S. 96 ff.

105

Gottsched, Grundlegung, S. 221-222, vgl. auch F r e y e r , Anweisung, S. 112, 134.

106

Vgl. die entsprechenden Empfehlungen in der Zeitschrift Beytr-L-39, St. 21, S. 121,

107

Adelung, Umständliches Lehrgebäude, S, 620 f . ; Stosch, Kleine Beiträge, 1. St. S.1-2.

108

K. Baumgärtner, a . a . O . , S. 17 f.

109

Die Grammatiker protestieren gegen diese Konstruktionen, vgl. z . B . Stosch,

110

W.G. Admoni, Istoritscheskij s i n t a x i s . . . , S. 241-42. Die Verdrängung der A t t r i -

Kleine Beiträge, 1. S t . , S. 52-54. butsätze mit / d a - / spiegelt sich in den normativen Grammatiken verhältnismäßig spät wider, vgl. Stosch, Kleine Beiträge, 2. St., S. 168-169.

166

Natalia N. Semenjuk

111

Gottsched, Grundlegung, S . 259.

112

H. Paul, Grammatik, Bd. 4, S. 369 ff.

113

W . G . Admoni, Raswitije struktury p r e d l o s c h e n i j a . . . , S. 125, 128 ff.

114

Die gleiche Tendenz kann hier auch in bezug auf manche orthographische E r s c h e i nungen verzeichnet werden, vgl. / b e e d e / , /Klayd/, /Geheimnüße/, /antretten/, /gutt/ usw.

115

In den Fällen, wo die Kurzbezeichnung in Klammern steht, werden die zitierten Seiten nach dem Komma angeführt, vgl. (EdN-L-00,17).

116

Vgl. S. 8, Tabelle 1.

Gabriele

Schieb

ZUM SYSTEM DER NEBENSÄTZE IM ERSTEN DEUTSCHEN PROSAROMAN Die Objekt- und Subjektsätze

0 . 1 . Eine Geschichte des Systems der Nebensätze im Deutschen verlangte als Grundlage eine genügende Anzahl synchroner Schnitte durch das deutsche Schrifttum verschiedener kommunikativer Zwecksetzungen jeden Jahrhunderts und jeder Sprachlandschaft. Vor allem müßten diese synchronen Schnitte gleich angelegt sein, um einen ertragreichen Vergleich der Unterschiede nach Raum, Zeit und Stilebene bzw. sozialer Ebene zu gestatten, der Einblicke in Tempo, Möglichkeiten und Wesen des Sprachwandels auf diesem Sektor syntaktischer Textgestaltung erlaubte. Mit einer solchen Erschließung der Systemmodifikationen durch konkret-historische Analyse stehen wir, trotz vieler bereits vorliegender Arbeiten zu einzelnen oder mehreren Nebensatztypen im f r ü h - , hoch- und spätmittelalterlichen Deutsch wie im Frühneuhochdeutschen und in der Gegenwartssprache, auch zu einzelnen Autoren, noch in den Anfängen'''. Daß die Nebensätze im Deutschen eine bedeutsame Geschichte haben, steht außer Zweifel. Allein die Tatsachen, daß sprachlich 2 explizite Unterordnung in der Form von Nebensätzen nicht von Anfang an selbstverständlich, sondern einmal entstanden ist, daß sie gebraucht werden kann, aber nicht gebraucht werden muß, und daß heute die Nebensätze im Verhältnis zu andern Formen d e r expliziten 3 Unterordnung nach Zeiten optimaler Geltung im Rückgang sind, läßt die F r a g e nach ihrer Geschichte dringlich werden. Es gilt den strukturellen Wandlungen innerhalb ihres R e p e r 4 toires nachzugehen, das Auf und Ab von Produktivität, Aktivität oder Unproduktivität i h r e r Mittel und Erweiterung oder Einengung i h r e r Funktionen zu e r f a s s e n . Es wird auch nötig sein, in den synchronen Schnitten jeweils a l l e

Nebensätze zu berücksichtigen,

nicht nur die kleineren Gruppen, die durch s t ä r k e r e Beweglichkeit in den Mitteln i h r e r Gestaltung auffallen. Die großen, in ihren Mitteln relativ einförmigen, auch mitunter einf ö r m i g e r werdenden Gruppen sind es, die das System prägen. E r s t der Gesamtzusammenhang aller in einem Text bezeugten Nebensatzrepräsentationen läßt Urteile über die Strukturierung des Systems zu.

Gabriele Schieb

168

0.2. Folgende Ausführungen an einem Modellfall sind als erste synchrone Vorarbeit zu diachronen Studien dieser Art gedacht. Textgrundlage ist ein repräsentatives Stück (140 Druckseiten) äus dem 1. Band des ersten deutschen Prosaromans, des Prosa-Lancelot, den Reinhold Kluge 1948 nach der Heidelberger Pergamenthandschrift Pal.Germ. 147 als Band XLII der "Deutschen Texte des Mittelalters" herausgegeben hat. Die Handschrift ist um 1430 im südlichen Westmitteldeutschen, in einer "vom Rhein- ins Südfränkische 5 hinübergreifenden" Sprachform geschrieben. Sie weist auf eine etwa 200 Jahre ältere Vorlage zurück, über deren Provenienz sich die Forschung jedoch noch nicht einig ist. Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem um 1225 abgeschlossenen französischen Roman 6 . Auf die Nebensatzgestaltung scheint aber, wie Stichproben ergaben, die französische Vorlage keinen einengenden Einfluß ausgeübt zu haben. Der Erzählstil des ProsaLancelot ist geprägt von ausladenden Perioden. Uns begegnen mehrfach zusammengesetzte Sätze mit gelegentlich bis zu sieben Nebensätzen verschiedenen Grades. Nebensätze bilden also einen hohen Prozentsatz des Untersuchungsmaterials. Im Folgenden sei nun, einer Gesamtdarstellung vorausgreifend, die umfängliche Spitzengruppe in den Mittelpunkt gestellt, die Gruppe der Objekt- und Subjektsätze, also Satzrepräsentationen, die die Stelle der Hauptkonstituenten des Satzes Objekt bzw. Subjekt einnehmen. Und dazu gehören etwa ein Drittel aller Nebensätze unseres Textcorpus. Anstelle aller Satzglieder des Elementarsatzes außer dem verbalen Prädikat können ja auch Satzrepräsentationen erscheinen. Diese Möglichkeit eröffnet bedeutsame Perspektiven für die Leistungsfähigkeit der Sprache. Denn Satzrepräsentationen leisten natürlich oft mehr, zumindest aber anderes als die sonst zur Repräsentation der Satzglieder verfüg7 baren Wörter und Wortgruppen. Es läßt sich auch eine Stufenabfolge festlegen von Konstituentensätzen, die, wie die Satzglieder, vom Verb des Matrixsatzes entweder unmitg telbar abhängig, nur mittelbar abhängig oder sogar ganz unabhängig sind.

Noch weitere

Perspektiven eröffnen dann die Konstituentensätze eines Satzgefüges, die sich nicht mehr als Satzglieder oder Satzgliedteile ihres Matrixsatzes interpretieren lassen, sondern in anderer Weise auf ihn bezogen sind, ihn mitunter auch nur unverbindlich weiterführen. Wir beschränken uns im folgenden auf Satzrepräsentationen an der Stelle der Hauptkonstituenten des Satzes Objekt und Subjekt. 0.3. Die Objektsätze stehen der Anzahl nach an der Spitze aller Nebensatzrepräsentationen des Prosa-Lancelot überhaupt. Mit ihren 2088 Belegen im untersuchten Textcorpus scheinen sie einem besonderen kommunikativen Bedürfnis im Rahmen der gegebenen Satzstruktur entgegenzukommen. Die Subjektsätze treten dagegen mit ihren 329 Belegen sehr

System der Nebensätze

169

zurück. Dies wie ihre Beschränkung auf bestimmte Typen erklärt sich aus der Natur des Subjekts und seiner Rolle im Satz. Die Objekt- und Subjektsätze verteilen sich auf acht Strukturtypen mit vier unterschiedlichen syntaktisch-semantischen Leistungen: Feststellungssätze (= Inhaltssätze), Auskunftssätze (= indirekte Fragesätze), Relativsätze und Verallgemeinernde Relativsätze. Eine Übersichtstabelle sei zur ersten Orientierung vorangestellt. Tabelle Strukturtyp

syntakt.-semant. Gruppe

Vorkommen

Typ 1

Feststellungssätze

Obj.S.

Ohne Initialelement mit HS-Wortstellung direkte Rede indirekte Rede sonstige Feststellungen Typ 2

Feststellungssätze

Konj. / d a s / m it NS-Wortste llung

indirekte Rede (indir. Mitteilen) (indir. Heischen) sonstige Feststellungen

Typ 3

Feststellungssätze

Konj./wie/, /wo/(=wie),/wie das/ mit NS-Wortstellung

indirekte (indir. (indir. sonstige

Rede Mitteilen) Heischen) Feststellungen

Typ 4

Auskunfts sätze

/w/-Fragewort (Satzglied) mit HS-Wortstellung

semi-direkte Frage

Typ 5

Auskunftssätze

/w/-Fragewort (Satzglied) mit NS-Wortstellung

indir. Ergänzungsfragen

Typ 6

618 59 2

3

483 192 193

3 1 162

6 1 15

1

1

275

19

Auskunftssätze

Konj. / o b / ' o b * , / o b . . . o d e r / , /wedder.. . indir. Entscheidungsfragen oder/ mit NS-Wortstellung Typ 7

Subj.S.

Relativsätze

53 167

123

25

22

/d/-Wort (Satzglied) mit NS-Wortstellung, selten HS-Wortstellung; Bezugswort best. Individualität im MS Typ 8 /w/-Wort (Satzglied) mit NS-Wortstellung; Bezugswort unbest. Allgemeinheit im MS

Verallgemeinernde Relativsätze

170

Gabriele Schieb Für die Feststellungssätze (= Inhaltssätze), bei denen sich im syntaktisch-semanti-

schen Zusammenspiel mit dem Verb des Matrixsatzes direkte Rede, semi-direkte Rede, indirekte Rede als indirektes Mitteilen oder indirektes Heischen und sonstige Feststellungen voneinander abheben lassen, stehen also drei Strukturtypen zur Verfügung. Produktiv sind davon allerdings nur die / d a s / - S ä t z e , Typ 2. / w i e / mit seinen Varianten haftet seine Herkunft insofern weiter an, als seine Gebrauchsbedingungen beschränkt bleiben. In den gesteckten Grenzen aber scheint der Typ 3 aktiv. Das gilt auch f ü r den zurückweichenden alten Typ 1 ohne Initialelement mit Hauptsatzwortstellung, sofern man das besondere Phänomen der direkten Rede ausklammert. Synonymie aller drei Typen in der indirekten Rede und bei sonstigen Feststellungen ist möglich, z . B . / m a n saget im das es were in dem großen thurne/, / e r sagt yn . . . wie das Lyonel geweint het/,

/ich sag dir . . . ich enwolt din

nit verlorn h a n / . F ü r die Auskunftssätze (=indirekte Fragesätze) stehen vor allem zwei Strukturtypen zur Verfügung, Typ 5 und 6, denn der vereinzelte Typ 4 könnte statt zur semi-direkten F r a g e , wofür sich der Herausgeber durch seine Interpunktion entschieden hat, auch einfach zur direkten Rede gestellt werden, Synonymie kommt hier nicht in F r a g e , da Typ 5 den indirekten Ergänzungsfragen, Typ 6 den indirekten Entscheidungsfragen zugeordnet ist. Sie gilt nur innerhalb des Typ 6 zwischen dem aktiven / o b . . . o d e r / und dem unproduktiven /wedder . . . o d e r / . Zu Typ 6 gehörige Subjektsätze sind wohl in unserm Textcorpus nur zufällig nicht belegt. Sie wären ohnedies nicht häufig zu erwarten, aber potentiell möglich. F ü r die Relativsätze, bezogen auf ein explizites oder implizites pronominales Bezugswort bestimmter Individualität im Matrixsatz, steht Typ 7 zur Verfügung, f ü r die Verallgemeinernden Relativsätze, bezogen auf ein explizites oder implizites pronominales Bezugswort unbestimmter Allgemeinheit im Matrixsatz Typ 8. Typ 8 bleibt von Typ 5 trotz f o r m a len Zusammenfalls der Initialelemente durch seine Gebrauchsbedingungen klar geschieden. Nicht in dieser Übersichtstabelle untergebracht ist ein Einzelfall mit der Konjunktion / o b / 'wenn' als Initialelement und Nebensatzwortstellung. E r gehört, als Subjektsprädikativsatz zu den Feststellungssätzen, wozu aber als weiteres semantisches Merkmal eine Bedingung hinzutritt. Wir behandeln diesen hier noch vereinzelten, aber in die Zukunft weisenden Typ eines Konditionalen Feststellungssatzes anhangsweise am Ende s . u . S . 225. Wir gehen nun ins Einzelne. Die Objektsätze sind in allen syntaktisch-semantischen Gruppen kräftig vertreten. Sie stellen, mit abnehmender Anzahl der V e r t r e t e r , Feststellungssätze aller drei Arten, Auskunftssätze aller drei Arten, Relativsätze und Verallgemeinernde Relativsätze. Die Subjektsätze sind stärkeren Gebrauchsbeschränkungen unterworfen. Sie sind nicht f ü r

System d e r Nebensätze

171

alle Arten aller Gruppen möglich. Den Objektsätzen ebenbürtig sind sie als sonstige F e s t stellungen innerhalb der Feststellungssätze, als Relativsätze und Verallgemeinernde Relativsätze. Indirekte Rede können Subjektsätze nur im Passiv bestreiten. Man bezeichnet sie deshalb auch als "sekundäre Subjektsätze", da ihre Matrixsätze Passivumformungen von Verbalphrasen enthalten, die im übrigen Subjektsätze forderten. Wir vergleichen z . B . die P a a r e Objektsatz / m a n saget im das es were in dem großen thurne/ - Subjektsatz / m i r ist gesagt das e r ein fast frumm ritter s y / ; Objektsatz / s o enfindet ir nymant d e r wiedder uch sy/ - Subjektsatz /hie ist nymant d e r im so recht kum zu einem m e i s t e r / ; Objektsatz /was e r gelobt das leist e r / - Subjektsatz / w a s der man . . . thut das glichet . . . der w a r h e i t / .

1. Typ 1 Ohne Initialelement mit Hauptsatzwortstellung. Fest.stellungssätze jektsätze),

indirekte

(= Inhaltssätze) mit den Subklassen d i r e k t e Rede

(59 Objektsätze), s o n s t i g e

Rede

(618 Ob-

Feststellungen

(2 Ob-

jektsätze, 2 Subjektsätze).

1.1.1.

Sofern direkte (wörtliche) Rede, d . h . Rede in d e r Formung durch den Sprecher,

nicht als reiner Dialog erscheint, sondern vorbereitet durch Verben d e r Redeeinführung, die auf einen Inhalt zielen, ist sie strukturell von indirekter Rede nicht grundsätzlich g unterschieden.

Sie ist wie diese als Konstituentensatz zu einem Matrixsatz mit einem

Verb der sprachlichen Kommunikation zu begreifen mit dem semantischen Wert eines Inhaltssatzes. Besonderheit der direkten Rede bleibt, daß durch den Einbau in einen Satzkomplex ihre formale Selbständigkeit nicht angetastet wird. Sie bleibt herauslösbar und f r e i verwendbar, bewahrt auch selbständige Intonation. Darum ist

3ie auch keinerlei

Gebrauchsbeschränkungen in Hinblick auf Satzarten und Satzverbindungsmöglichkeiten unterworfen, die in ihr Verwendung finden können. Direkte Rede kann als Aussage, Frage oder Aufforderung formuliert sein, und sie kann über Elementarsatz, Satzverbindung und -gefüge weit hinausgreifen bis zu komplizierten Formen der Satzverflechtung. Die Unterordnung wird nur deutlich am Matrixsatz und dessen Hingeordnetsein auf seinen Konsituentensatz. Mit der relativen Selbständigkeit d e r direkten Rede hängt es zusammen, wenn sie im Gesamtsatz größtmögliche Stellungsfreiheit genießt. Sie kann als Nachsatz, Vordersatz und vor allem auch als Rahmensatz verschiedenster Aufteilung gebraucht

172

Gabriele Schieb

werden. Diese letzte Möglichkeit ist eine Besonderheit der direkten Rede, die im P r o s a Lancelot f ü r keine Nebensatzart sonst belegbar i s t . Besteht die direkte Rede aus umfänglichen Satzkomplexen, so ist die Grenze zwischen Einbettung und Selbständigkeit nicht i m m e r scharf zu ziehen. Wir folgen hier der Interpunktion des Herausgebers, d e r mit ihr Entscheidungen nach der einen oder anderen Seite getroffen hat, obwohl man gelegentlich auch anderer Meinung sein könnte. Interessant sind die nicht gerade seltenen Übergänge von indirekter in direkte Rede und umgekehrt.

Weit an der Spitze der Redeeinführungs-

verben steht / s p r e c h e n / , woneben nur 6mal / s a g e n / , 5mal /antworten/, 3mal / r u f f e n / , l m a l / a n e r u f f e n / , l m a l / c l a g e n / , l m a l /heißen/ ' b e f e h l e n ' , l m a l / s i c h r u m e n / , f e r n e r die Koppelungen von / s p r e c h e n / mit andern Verben der sprachlichen Kommunikation, 4mal / r u f f e n / und / s p r e c h e n / , l m a l / s p r e c h e n / und / s a g e n / , l m a l / s c h r e y e n / und / s p r e chen/, l m a l / a n e r u f f e n / und / s p r e c h e n / , l m a l / f r a g e n / und / s p r e c h e n / . Das ist gegenüber den von G. Michel 1 " festgestellten 400 verschiedenen redeeinführenden Verben in P r o s a werken der deutschen Gegenwartsbelletristik eine sehr kleine Variationsbreite. Platzhalter im Matrixsatz sind selten. Es begegnen in dieser Funktion bei / s p r e c h e n / 4mal / a l s u s / , l m a l / a l s o / , l m a l /ein r e d e / , bei /antworten/ l m a l / a l s u s / , bei / c l a g e n / lmal / a l s u s / , bei / s a g e n / l m a l / e s / . Nennung des Hörers geschieht, wo überhaupt, bei / s p r e c h e n / in Präpositionalverbindung mit / z u / , bei / s a g e n / durch Dativ d e r P e r s o n . Die vorstehende Liste könnte wiederum Zweifel an dem echten Satzgliedwert d e r direkten Rede wecken. Denn das häufigste / s p r e c h e n / ist ein vorwiegend intransitives Verb, das z . B . heute überhaupt keinen Nebensatz mehr g e s t a t t e t , v g l . dagegen u. S. 179 ff. Bei ihm liegt das Schwergewicht auf dem Vorgang des Sprechens, daher auch neben dem akkusativischen / e i n r e d e /

häufiger Platzhalter, die den Redeinhalt adverbial, durch

/ a l s u s , a l s o / 'folgendermaßen' kennzeichnen. Das immer transitive / s a g e n / , im Neuhochdeutschen das entscheidende redeeinführende Verb, hier selten, ist von Hause viel s t ä r k e r auf das Gesprochene gerichtet. Die direkte Rede nimmt also in bezug auf ihren Satzgliedwert eine Sonderstellung ein. Vgl. auch unter S. 182 die indirekte Rede.

1.1.2.

Belege:

1.1.2.1.

Direkte Rede nachgestellt (121 Fälle)

(MS) [ . . . ]

+ VF

[+...]

/ / (KS) dir R (105 Fälle)

/Sie s p r a c h : * Gott mynne dich, liebes k i n t ! ' / 40, 29, /Da begund die ebtißinn s e r e weynen und s p r a c h :

' Durch gott, frauw, sagent m i r ob i r s sint myn frauw die

System der Nebensätze

173

k o n i g i n n e ! ' / 1 5 , 9 ä h n l . weitere 37 Fälle, / d a sah e r zu hymmel wert und s p r a c h

als

e r mocht: ' E y a h e r r e gott, gnad! . . . ' / 12,33 ähnl. 6 8 , 1 , / E r riecht off . . . und r i e f f : 'Ay ungetruwer v e r r e t e r . . . ' / 101,16, / . . . und r i e f f mit hoher stymm: ' A y diep . . . das hant ir uns alles gemacht . . . / 8,29 ähnl. 8,8, /und Claudas r i e f f

yn ane: ' H e r r e

Lambegus . . . nu rytent wol sanffte . . . ' / 101,29, /Myn h e r r e Ywan ging zu dem knappen und h i e ß yn sich bereyten . . . ' Der konig hatt uch enbotten das ir zu hofe k u m e n t ! ' / 132,20, / E r rieff eim synem knappen zu im und r ü m e t

im das e r syn schwert mit im

neme: ' I c h gedencke noch von anders mannes hant rltter zu werden dann von des konig Artus h a n t . ' / 138,27, / D e r konig s p r a c h

zu dem bruder: Liebe h e r r e , dalangk me

sprechent was i r wollent . . . ' / 49,3 ähnl. weitere 15 Fälle, / U b e r ein lange wil darnach begund sie zu im zu s p r e c h e n : ' A c h koniges kint, fliehent . . . ' / 118,17, / . . . u n d a n t w o r t e dem k i n d e : ' W e r l i c h lieber juncker, ich weyn nit umh s c h a c z . . .J / 37,10 ähnl. 9,26. 38,34. 57,24, / . . . und s a g t

i m : ' H e r r e Claudas, ich bring dir gute m e r e

. . . ' / 7 , 8 ähnl. 7,17. 22,6,/Da s p r a c h

Claudas: 'Diße rede enweiß nymand als wol

als ich . . . ' / 31,33 ähnl. weitere 19 Fälle, /Da s p r a c h

Claudas zu dem t r u c h s e s :

' T r u c h s e s , ich weiß wol das d i r r e unselig i s t . . . ' / 4,13 ähnl. weitere 13 Fälle.

(MS) [ . . . ] + 1. VF + [ . . . ] + 2. VF / D e r ritte r r i e f f

und s p r a c h :

[+...]

/ / ( K S ) dir R (8 Fälle)

' A y h e r r e , durch got vergahet uch nicht! . . . _ ' / 1 2 6 , 3 6

Claudas hininn zu Banin und s p r a c h zu im: 1 Banin, gib dich

ähnl. 51,20, /Da r i e f f

off . . . ' / 9, 20 ähnl. 82,17, / d a r i e f f

e r yn a n e und s p r a c h : ' Eya ungetruwer v e r r e t e r 3

wolt i r mich döten . . . ' / 81,17 ähnl. 82,22, /Die jungfrau s c h r e y fast und s p r a c h : ' E y a h e r Claudas, i c h h a n . . . ' / 59,3, /Sie s p r a c h wiedder yn und s a g e t

im:

'Werlich . . . ' / 86,18.

(MS) [ . . . ]

+

VF

[+ . . . ]

/ . . . ich wil s p r e c h e n

+P1

/ / ( K S ) dir R (6 Fälle)

alsus: ' Ir h e r r e n , i r sint alle myn d i e n s t m a n . . . / 2 8 , 4 ähnl.

10,24. 75,25, /Da s p r a c h e r a l s u s :

' w e r l i c h h e r r e truchses, zu d i r r e zytt spulget

nymand zu machen f r i e d e . . . ' / 7 , 2 9 , /und a n t w u r t

im a l s u s :

' Lieber juncker, das

uch got e r e , nit enruchet wer ich s y ! . . . / 36,34, / d a s p r a c h e r e i n

rede...

' Hai h e r r e gott, yczo sieh ich myn tätlichen f y n t . , . / 3, 8.

(MS)

[...]

+ 1. VF

+ [...]

/ . . . und f r a g e t sie und s p r a c h

+ 2. VF

+ PI / / (KS) dir R (1 Fall)

a l s o : ' O b ir mich Claudas g e b e n t . . . ' / 106, 22.

174

Gabriele Schieb

(MS) [ • • • ] + VF + PI + [ . . . ] / / (KS) dir R (1 Fall) / P h a r i e n s kam zu synem nefen und s a g t

e s im: ' V i l lieber nefe Lambegus, i r farent in

uwern d o t t . . . 1 / 107,10.

1.1.2.2.

Direkte Rede umrahmt den Matrixsatz (414 Fälle)

(KS 1.T1.) Anrede, Ausruf u . a . / / (MS) VF + [ . . . ] /'Herre', s p r a c h sprach

der knapp,

1

/ / (KS 2 . T l . ) dir R (233 Fälle)

dißer radt ist licht zu f i n d e n . . . ' / 30,7, / ' F r a u w ' ,

die ebtißin, ' i r enwißent nit we starck ein ding es ist orden zu b e h a l t e n . . . 1 /

15,31, / ' L i e b e r f r u n t ' , s p r a c h

Claudas, ' n u enwenet des nicht das ich sie erdotet

hab...'/72,1, /'Wie', s p r a c h

der ritter . . . 'wolt i r uch des b e r a t e n ? . . . ' / 2 4 , 8,

/'Neyn', s p r a c h sprach

e r , ' s o kum ich dalingk zu h o f e . . . ' / 56,1, / ' W e r l i c h f r a u w ' ,

e r , ' i c h riet uch gern, wüst ich was ' / 22,35 ähnl. weitere 227 Fälle.

(KS 1. T l . ) dir R /

1>SG1//

/'Herzu', s p r a c h

(MS) VF + [ . . . ] / / (KS 2. T l . ) dir R / R e s t

mit yF(4

Fälle)

e r , 'gethun ich nymer g n a d . . . ' / 9 9 , 1 0 , / ' I n r e c h t e n t r u w e n ' ,

sprach

sie, "so muß es g e s c h e h e n . . . ' / 124,15 ähnl. 108,20. 122,34.

(KS 1. T l . ) dir R / H a u p t t e i l

mit VF

/ ' I c h getruw uch w o l ' , s p r a c h

/ / (MS) VF

+

[...]

/ / (KS 2. T l . ) dir R / R e s t ( 5 Fälle)

e r , ' f ü r alle m a n n e . . . / 5 , 25 ähnl. 47,14. 50,35. 94,21.

104,23.

(KS 1. T l . ) dir R /

.. / / (MS) VF + T...1 / / (KS 2. T l . ) dir R / Ho u . a . l -i Wo

(89 Fälle)

/ ' I c h wil' s p r a c h e r ' d a s ir die kinde hieinne behütet,' / 26,2, / ' I c h wil uch nit a b e g a n ' , sprach

e r , 'alldiewil das ich l e b e . . . ' / 81,31, / ' D e n han ich also gewunt das e r nicht

lenger leben m a g ' , s p r a c h

e r , ' des ich wol wenen w i l , ' / 84,12, / ' Nu wil i c h ' ,

Phariens zu dem volck, "das ir s c h w e r e t . . . ' / 81,2 ähnl. weitere 85 Fälle.

sprach

System d e r Nebensätze

175

(KS 1 . T l . ) dir R / n s / / (MS) VF + [ . . . ] /./ (KS 2.T1. ) dir R / H g / ' W e r ich g o t t ' ,

sprach

od Ng u Hg

(13 Fälle)

sie, ' s o hett ich Lanceloten wedder mynner noch me gemacht

dann e r i s t ' / 35,28 ähnl. weitere 11 F ä l l e , /'Gehulff m i r g o t t ' , s p r a c h

e r , ' d a s ich

noch dar kerne da ich sie uch vergelten mocht, das wolt ich gern thun !*/ 3 9 , 1 6 .

(KS 1. T l . ) dir R / 1 > h s

Qd g G

/ / (MS) VF

+

[ . . . ] / / (KS 2. T L . ) dir R / ^

od gG

(70 Fälle)

/* Nu schwigent!' s p r a c h

Claudas, ' ich wil uch s c h i r an im wol r e c h e n . ' / 23,12, / ' F a r t

hinweg mit i m ' , s p r a c h

e r zu synem knappen, ' u n d f ü r t min harnasch mit u c h ! ' / 138,26,

/ ' H e r konig, des wil ich vollen s p r e c h e n ' , s p r a c h

Banin, ' d e s geben ich uch mynen

h e n t s c h u c h . . . ' / 11,3, / ' S o wil ich uch sagen was i r sollent t h u n ' 3 s p r a c h

d e r konig

Claudas, *sendent h i n w e g . . . ' / 4 , 4 ähnl. weitere 66 F ä l l e .

1.1.2.3.

Direkte Rede vorangestellt (78 Fälle)

(KS) dir R / / (MS) VF + [ • • • ] (77 Fälle) /*Das ist werlich w a r ' ,

sprach

syn m e y s t e r / 5 4 , 12, / ' I s t das w a r ? ' s p r a c h

23,10, / ' J a ich, liebes k i n t ' , s p r a c h sprach

Claudas/

e r / 38,13, / ' W a r u m stoppen die lut i r n a s e n ? '

d e r knappe zu mym h e r r e n Ywan/ 133,35, / ' W e r l i c h h e r r e b i e d e r b e r man, ich

gleub uch wol das i r gesprochen hant, es mag wöl w a r s i n ' , s p r a c h

d e r konig/ 48,18

ähnl. weitere 72 F ä l l e . (KS) dir R / / (MS) PI + VF + [ • • • ] (1 Fall) / ' Sint sie alsus dot blieben, so gesahe ich nye so großen m o r t me !' A l s u s

clagte

Phariens syn zwen h e r r e n s e r e w e i n e n d e . . . / 7 1 , 5 .

1.1.2.4.

Kombinationen von nachgestellter, vorgestellter und den Matrixsatz u m r a h m e n -

d e r direkter Rede, also direkte Rede mit redundant zwei Matrixsätzen zeigen die folgenden Belege, die im übrigen, auseinandergenommen, auch schon in den vorstehenden Listen enthalten sind: /Die jungfrauw s p r a c h

zu L e o n z e n : ' H e r r e ' , s p r a c h

88,19, /Sie s p r a c h wiedder yn und s a g e t

sie, ' ich bin ein j u n g f r a u w . . . ' /

im: ' W e r l i c h h e r r e ' , s p r a c h

sie, 'man

hat uch f ü r ein fast getruwen m a n . . . ' / 86,18 ähnl. 94,17. 103,29. 105,33. 106,22.

176

Gabriele Schieb

131,22, /'Und gehör ichs ummer men von uwerm munde', s p r a c h sie, ' s o enwil ich uch nymer me Lieb han noch fruntschafft thun; wann thüt alles das uwer meister gebutet, ir mögent es wol mit eren thun!' s p r a c h

1.1.2.5.

sie/111,3.

Übergang von indirekter Rede in direkte

/ . . . und s p r a c h das des gott gelobet must syn das im syn Schwert gebrochen was: 'ich wene wol furware das diß unser herre gott hatt gethan... * / 59,12, /Da rieff Phariens synem nefen einhalb abe und s a g t im das er nit wüst wie es im kerne, das er heim füre und fürte syn zwen herren zu Munster Roal zu irr mutter: 'wann ich sie nit me behalten kan vor v e r r e t e r y . ' / 25,10 ähnl. 4 , 3 3 . Nicht mit aufgenommen sind hier die Fälle, wo der Herausgeber indirekte und direkte Rede durch einen Punkt getrennt hat, wie in 109,16 / e r s p r a c h , 1

er wolt es gern thun.

Ir hant mir hut so vil liebes gethan, das ich wol zu recht sol thun alles das uch lieb

ist . . . ' , / ä h n l . z . B . 27,20. 27,35. 54,27. 55,10. 60,15. 78,15. 78,21. 79,6. 80,18. 109,16; Übergang von direkter Rede in indirekte / ' A c h a r m e ' , s p r a c h die koniginne von Bonewig, 'nu sint wir leyder beyde on kint!' und s a g e t ir schwester wie ir herre dot verleibe . . / 19,12 ähnl. 134,3, / ' E y a schone frauw!' s p r a c h die ebteßin, die sah w o l . . . und f r a g e t sie wer sie w e r e / 1 5 , 4 .

1.2.1.

Indirekte Rede

ist erstrangig abhängig von Verben der sprachlichen Kommuni-

kation, hier von /sprechen/ 48mal, von /sagen/, /clagen/, /schweren/, /leuckenen/, /zu rate werden/, /bevelhen/ je lmal, aber auch von andern semantisch nahestehenden, 13 die eine Umformung in direkte Rede gestatten, so hier denen des Wissens und Wähnens /wissen/ 2mal, /wanen/ lmal, /zwyveln an/ lmal. Für die indirekte Rede ist im Gegensatz zur direkten charakteristisch Personenverschiebung, oft auch Tempus- und Modusverschiebung. Von der Valenz des Verbs des Matrixsatzes her bestimmt sich die indirekte Rede als Akkusativobjektsatz, als Genitivobjektsatz oder als Präpositionalobjektsatz. Der Konstituentensatz allein ist in dieser Hinsicht neutral. Die Akkusativobjektsätze stehen weit an der Spitze. Platzhalter im Matrixsatz sind selten, /war/ bei /sagen/ lmal, /das/

System d e r Nebensätze

177

bei / w i s s e n / l m a l . Notwendiger scheinen sie bei Genitiv- und Präpositionalobjektsätzen, so / d e s / bei /geleuckenen/, / z u rate werden/ (je 1 mal), / d a r a n / bei /zwyveln/ (lmal). Die Konstituentensätze sind in der Regel Nachsätze, die seltenen Vordersätze nicht eindeutig.

1.2.2.

Belege:

1 . 2 . 2 . 1 . Konstituentensatz als Nachsatz, ohne Platzhalter im Matrixsatz (53 Fälle) (MS) [ . . . ] + VF [ + . . . ] /Pharlens s p r a c h ,

/ / (KS) [ . . . ]

+ VF +

(37 Fälle)

e r wolts gern thun/ 54,27 ähnl.10,21. 14,6. 17,26. 23,23. 24,19.

26,1. 32,27. 38,18. 38,19. 38,20. 55,9. 55,18. 55,25. 55,28. 56,1. 64,15. 71,10. 78,31. 80,12. 86,6

(2mal). 90,9. 92,13. 101,3. 109,16. 111,1. 117,6. 127,4. 127,27.

129,26. 129,30. 136,3. 137,34, /ob dhein man uff uns c l a g e , gethan/ 10,12, / a l l e die weit hett wol g e s c h w o r n , 21,12, / e r w ö n d ,

e r were dru mal alter als e r w a s / 34,7.

(MS) [ . . . ] + VF + [ . . . ] / / (KS) [ . . . ] / . . . und s p r a c h

wir haben im unrecht

es wer ein m e r e groß und t i e f f /

+ VF + [ . . . ] (16 Fälle)

zu im . . . e r deth yn ansprechen von v e r r e t t e r y / 31,29, /Da s p r a c h

d e r konig, e r wolt alda b e y t e n / 6 , 2 5 ähnl 4, 8. 15,23. 18,11. 18,17. 26,34. 31,30. 45,17. 78,34. 80,25, /Sie s p r a c h e n

allesampt, sie woltens gern thun/ 88,5 ähnl.27,11.

93,10, /Sie b e v a l h im . . . e r wurde des nehsten sonnetags r i t t e r / 128,13, / e r w ü s t wol, sie enweren nicht f e r r e dannen/ 38,20. Konstituentensatz als Nachsatz, mit Platzhalter im Matrixsatz (4 Fälle) (MS) [ . . . ] + VF + [ . . . ] + PI / / (KS) [ . . . ] + VF + [ • • • ] mit d e r Variante, bei Rahmenbildung des Verbs, (MS) [ . . . ] + VF + P l + [ . . . ] / / (KS) [ . . . ] + VF + [ . . . ] /Ich s a g dir vil w a r , geleuckenen, wenig d a r a n 1.2.2.2.

ich enwolt din nit verlorn han/ 33,16, / i r enkönnent d e s

nicht

i r hant fast s e r e wiedder mich mißethan/ 103,31 ähnl. 61,11, / i r dörfftent

zwyveln,

ir wurdent ein gut m a n / 124,23.

Konstituentensatz als Vordersatz, mit Platzhalter im Matrixsatz (2 Fälle)

(KS) [ . . . ] + VF + [ . . . ]

/ / (MS) PI + VF + [ . . . ]

/Diß soll alles wäre syn, d a s w e i ß i c h wol/130,34, vielleicht auch h i e r h e r : / D a r z u künde

178

Gabriele Schieb

sie dheynen radt finden wie sie syn enberen möcht, sie sehe yn doch des tages zu eynem mal, h e r z u

1.3.1.

s t u n t a l l e r i r g e d a n c k / 95,14.

An sonstigen Feststellungen bleibt übrig, was nicht in direkte

Rede umformbar

ist. Hier ist nur selten, 2mal bei den Objektsätzen und 3mal bei den Subjektsätzen, die alte Möglichkeit genutzt, einen Feststellungssatz (= Inhaltssatz) ohne Initialelement mit Hauptsatzwortstellung zu gebrauchen. Diese alte Möglichkeit hält sich verständlicherweise b e s s e r in der indirekten Rede, f ü r die man, innerhalb dieses Strukturtyps, nicht zu Unrecht auch den Terminus " s e m i - d i r e k t e R e d e " vorgeschlagen hat, s . o . S. 229 Anm. 12. Bei den sonstigen Feststellungen hat die Produktivität der / d a s / - S ä t z e die alte synonyme Möglichkeit völlig in den Hintergrund gedrängt. Der Konstituentensatz ist i m m e r Nachsatz. Die Objektsätze zeigen Platzhalter im voranstehenden Matrixsatz, / d a s enthalten/ vor Akkusativobjektsatz, /davon entwenden/ vor Präpositionalobjektsatz, die Subjektsätze zweimal Platzhalter / e s ducht/, / ' s körnet/. Ist der Matrixsatz ein Hauptsatz, dann steht der Platzhalter vor dem Verbum finitum, ist e r ein Nebensatz, dann nach ihm.

1.3.2.

Belege:

Konstituentensatz als Nachsatz, ohne Platzhalter im Matrixsatz (1 Fall) (MS) [ . . . ] + VF + [ . . . ] / / (KS) [ . . . ] + V F + [ . . . ] Subjektsatz: / s o wer m i r s e r e leyt ich were gewunt/ 89,18. Konstituentensatz als Nachsatz, mit Platzhalter im Matrixsatz (4 Fälle) (MS) PI + Vf + [ . . . ] / / (KS) [ . . . ] + VF + [ . . . ] Präpositionalobjektsatz:/da v o n enkunde man yn nicht licht e n t w e n d e n ,

e r vollekeme

es y e / 36,18. (MS) [ . . . ] + PI + VF / / (KS) [ . . . ] + VF + [ . . . ] Akkusativobjektsatz: / E r kam mit so großer macht das e r d a s nicht e n t h a l t e n

mocht,

e r f ü r über die mure anderhalp so schwinde, d a s . . . / 65,28. Subjektsatz:/wann e s alle die weit ducht, es were ein tieff m e r e / 21,14, /Ich enweiß auch nicht wie m i r s k ö r n e t ,

ich han hut myner fynde ein michel teyl funden/ 69,4.

System der Nebensätze

179

2. Typ 2 Mit der Konjunktion / d a s / ' d a ß ' als Initialelement und Nebensatzwortstellung. Feststellungssätze indirekte Rede

( = Inhaltssätze) mit den Subklassen

(indirektes Mitteilen, 483 Objektsätze und 3 Subjektsätze, oder indirektes

Heischen, 192 Objektsätze und 1 Subjektsatz) und s o n s t i g e

Feststellungen

(193 Ob-

jektsätze und 162 Subjektsätze). 14 2.1.1.

Indirekte Rede, hier in dem weiteren Sinne, den ihr W. Härtung beilegt

, ist

im Folgenden alles, was sich in direkter Rede umformen ließe. F ü r indirekte Rede ist gegenüber direkter Rede Personenverschiebung charakteristisch, d . h . / i c h / nennt den Sprecher, nicht den Agens, / d u / den Hörer des Sprechers, nicht den Hörer des Agens als Sprecher, / e r / entweder den Agens oder eine P e r s o n , die weder Sprecher noch Hörer noch 15 Agens i s t .

Oft tritt hinzu Tempus- und Modusverschiebung, was hier aber unberücksich-

tigt bleiben soll. J e nachdem, ob diese Umformung in direkte Rede Aussagen (einschließlich solchen mit voluntativem Element) oder Forderungen ergibt, scheiden wir zwischen indirektem Mitteilen und indirektem Heischen. Die anderen Objekt- und Subjektsätze im engeren Sinne, die eine Umformung in direkte Rede nicht zulassen, fassen wir als sonstige Feststellungen zusammen. Von Bedeutung sind die Verben des Matrixsatzes, da jedem der genannten Satztypen eine eigene Auswahl von Verben zugeordnet ist. 2.1.1.1.

Indirektes Mitteilen steht nach Verben des Sagens (/(ge)sprechen/ 66mal,

/ s a g e n / 60mal, dazu 3mal nach dem Passiv, / j h e h e n / 3mal, /antworten/ l m a l , / c l a g e n / 3mal, / r u f f e n / l m a l , / s i c h rumen/ 3mal, / l e s t e r n / l m a l , /gnaden/ 'danken' l m a l , /danck wißen/ l m a l , /undanck sagen/ 2mal),des Bezeugens, Versicherns und Belastens (/bezögen/ 3mal, /gezugen/ l m a l , /wiederreden/ l m a l , /(ge)loben/ 13mal, / w e r e n / l m a l , / b e w e r e n / l m a l , / s c h w e r n / 26mal, / s i c h verschwern/ l m a l , /gewissen/ l m a l , / s i c h e r n / 7mal, / s i c h e r thun/ 4mal, j e m . / z u Urkunde nemen/ l m a l , / z y h e n / 2mal, /verwißen/ l m a l , /off synen orden nemen/ l m a l , /sinen hentschuch geben/ l m a l , / d a s syn geben/ l m a l ) , d e s Glaubens, Meinens, Hoffens und Befürchtens (/glauben/ 6mal, /(niht) wenen/72mal, /getruwen/ l m a l , / h o f f e n / 3 m a l , / f u r c h t e n / 23mal), des Wissens (/(nicht) wißen/ 112mal, / s i c h e r wesen/ 9mal, /gewis wesen/ l m a l , / s i c h an j e m . lif halten/ l m a l ) , des Denkens, Beratens und Entscheidens (/(sich) (ge)denken/ 32mal, / s i c h bedenken/ 3mal, / v e r s t a n / 'denken' l m a l , / z u rate werden/ 7mal, / ü b e r ein komen/ l m a l , / i n ein werden/ l m a l , /machen under yn/ l m a l ) .

180

Gabriele Schieb

2.1.1.2.

Indirekte Heischesätze stehen nach Verben des Sagens (/sprechen/ 21mal,

/sagen/ lOmal, /antwortten/ lmal, /ruffen/ lmal), des Fordems, Gebietens und Verbietens (/wollen/ 4 8mal, / (un)gern sehen/ 3mal, /bevelhen/ 7mal, dazu lmal nach dem Passiv, /enbieten/ 5mal, /gebieten/ 5mal, /heißen/ 'befehlen' 3mal, /eischen/ lmal, /nicht wollen/ 13mal, /verbieten/ lmal, /nicht gestaten/ lmal, /wißen/ (Imp.) 'wissen sollen' lmal, den Imperativen von /(sich) hüten/ 13mal und /sehen/ 'zusehen' lmal), des Bittens und Mahnens (/bitten/ 34mal, /manen/ 8mal, /beschweren/ lmal), des Batens und Weisens (/raten/ 8mal, /wisen/ lmal, /leren/ 2mal). 2.2.1.1.

Sonstige Feststellungssätze begegnen als Objektsätze nach verschiedensten

Verben des Sehens, Hörens und Erfahrens im weitesten Sinne (/sehen/ 44mal, /hören/ 15mal, /vernemen/ 13mal, /gefreischen/ 7mal, /erfreischen/ 2mal, /geware werden/ 3mal, /bekennen/ 3mal, /erkennen/ lmal, /prüfen/ 2mal, /kam glauben kunnen/ lmal, /nicht wißen umbe/ lmal, /geleben/ lmal, /vertragen/ lmal, /arnen/ 2mal, /verliesen/ lmal), des Tuns, Erreichens und Beachtens im weitesten Sinne (/(ge)machen/ 5mal, /schaffen/ 4mal, /thun/ 4mal, /genöte wesen/ lmal, /understan/ 2mal, /stan nach/ 4mal, /bringen zu/ 4mal, /seczen an/ lmal, /off sich nemen/ lmal, /finden/ lmal, /triben zu/ lmal, /bringen von/ lmal, /erkisen zu/ 3mal, /wo nemen/ 2mal, /achten off/ lmal, /gedencken uff/ lmal, /warten/ lmal, /volgen/ lmal, /loben/ lmal, /gunnen/ lmal, /wenig, nicht achten/ 2mal, /vergeßen/ lmal), des Gebens, Helfens, Sorgens und Bewahrens (/helffen/ lOmal, /geben/ 8mal, /Ionen/ 2mal, /bewarnen/ lmal, /bewaren/ lmal, 16

/behüten vor/ lmal), der Gemütsbewegung u.a. (/fro wesen/

4mal, /sichfrauwen/ lmal,

/unfro wesen/4mal, /trurig wesen/ lmal, /ruwig wesen/ lmal, /sich Schemen/ lmal, /(kein) angst haben/ 5mal, /sich eiferen/ lmal, /erfert werden/ lmal, /sorg haben/ 2mal, /den willen und die kraft haben/ lmal, /lieber haben/ lmal, /für war haben wollen/ lmal, /sich wundern/ 2mal), ferner /gewone wesen/ 2mal, /gut wil sin/ lmal und die mit sachlichem Subjekt verbundenen /bezeichenen/ 2mal und /meynen/ lmal. Sonstige Feststellungssätze begegnen als Subjektsätze vor allem nach unpersönlichen Verbalphrasen des Matrixsatzes vom Typ /(es) ist/, /(es) geschieht/, /(es) komt (mir)/, /(es) ist recht/, /mich duncket (besser)/, /es duncket mich (besser)/, /mir ist lieb/, /es ist mir lieb/, ferner /das bezeichent/.

2.3.

Wir sehen, daß gewisse semantisch zusammengehörige Verbgruppen nur vor

indirektem Mitteilen begegnen, z . B . die des Bezeugens und Versicherns, andere

System der Nebensätze

181

wieder nur vor indirektem Heischen, z . B . die des Forderns, Gebietens und Verbietens oder des Bittens und Mahnens. Aber daß das Verb des Matrixsatzes nicht allein den Ausschlag gibt, zu welcher Art indirekter Rede wir den Konstituentensatz zu stellen haben, erhellt schon daraus, daß nach Verben des Sagens wie /sprechen/, /sagen/, /antwortten/, /ruffen/ beide Arten möglich sind. Es muß also noch andere Unterscheidungskriterien geben. Sind Sprecher und Subjekt der indirekten Rede identisch, kann z . B . in der Regel nur indirektes Mitteilen vorliegen: / e r sagte das er kerne/ = / e r sagte: "ich komme"/. Bei Nichtübereinstimmung von Sprecher und Subjekt der indirekten Rede ist der Kontext oder die Situation zur Identifizierung nötig, ob es sich um einen Sprecher über das Subjekt des Konstituentensatzes handelt (= indirektes Mitteilen), oder ob das Subjekt des Konstituentensatzes vom Sprecher angesprochen wird (= indirektes Heischen). Der gleiche Satz mit einfacher Verbform / e r sagte das er kerne/ bei Bezug der beiden / e r / auf verschiedene Personen bleibt ohne weiteren Kontext doppeldeutig: / e r sagte: " e r kommt"/ oder / e r sagte: "Komm"/ bzw. /"Du sollst kommen!"/. Kein Wunder, daß indirektes Heischen zu besserer Charakterisierung fortschreitend durch eindeutigeres /sollen/ oder /müssen/ mit Infinitiv anstelle der einfachen Verbformen gekennzeichnet wird, während /mögen/ und

/wollen/ mit

Infinitiv neben der einfachen Verbform vor allem dem indirekten Mitteilen zukommt. Im Gegenwartsdeutsch ist bei indirektem Heischen die einfache Verbform nur noch nach eindeutigen Verben des Forderns möglich. Die eindeutigere Kennzeichnung ist in den anderen Fällen obligatorisch geworden, die alte doppeldeutige Möglichkeit geschwunden, z . B . / e r befahl, daß ich käme/, aber nur / e r sagte, daß ich kommen sollte/. Die möglichen Transformationen in direkte Rede, die wir für indirektes Mitteilen und Heischen voraussetzen, lassen sich nicht immer gradlinig vollziehen. Wir weisen nur auf den Fall, daß das Verb des Matrixsatzes negiert ist, z . B . /enwil ich nicht das du sterbest/ 106,2. In direkter Rede erwartete man die Negation im Konstituentensatz /ich will: "Du sollst nicht sterben!"/ Alle Feststellungssätze haben in der Regel im Matrixsatz ein persönliches Agens. An sachlichen Subjekten erscheint bei den Verben des Sagens (/sprechen/, /sagen/) nur die einheitliche Gruppe /das buch/, /die history/, /diße rede/, /die Schrift/, /die zal/, die den Personifizierungen nahesteht, bei den Verben des Bezeichnens und Bedeutens (/bezeichnen/, /meynen/) irgendein Gegenstand oder Sachverhalt. Wir beachten im Bereich der Quellenberufungen die syntaktischen Synonymien /diße rede spricht/ - /diße rede seyt uns/, /das spricht das buch/ - /dassaget uns das buch/. Die Valenzen des

Verbs im Matrixsatz spezifizieren den Satzgliedwert der Konstituen-

tensätze im weiten Rahmen der Objektsätze als Akkusativobjekt-, Genitivobjekt- oder

Gabriele Schieb

182

Präpositionalobjektsätze. Der Satzgliedwert ist also wiederum nicht vom einheitlichen /das/-Konstituentensatz her zu bestimmen. In den Sätzen ohne Platzhalter bemühen wir uns deshalb auch nicht um eine Trennung der drei Gruppen, deren Grenzen bei Entfaltung von Akkusativ-, Genitiv- und Präpositionalobjekten zu einheitlichen /das/-Repräsentationen sowieso verfließen. Dies ist wohl mit ein Grund für den vielbesprochenen historischen Rückgang des von Verben abhängigen Genitivs. Die intrans. Verben wie /(ge)sprechen/, /jhehen/, /antworten/, /ruffen/, die sich gewöhnlich nicht mit einem Akkusativ der Sache, sondern eben nur mit /das/-Sätzen verbinden, deuten darauf, daß der indirekten Rede in bezug auf ihren Satzgliedwert der gleiche Sonderstatus zugebilligt werden muß wie der direkten. Von Inhaltssätzen können wir trotzdem sprechen. Das Uber den Rückgang des Genitivs Gesage gilt auch, allerdings in anderer Weise, für die Subjektsätze. Viele von den unpersönlichen Verbalphrasen wie /mich dunckt/, /mich ruwet/, /mich jamert/, /mich erbarmet/ u.a. verlangen im Prosa-Lancelot noch die Verbindung mit dem Genitiv, der aber erst beim Auftreten eines Platzhalters Bedeutung gewinnt. Kein Wunder, daß es dabei, etwa bei /mich dunckt/, schon zu Unsicherheiten zwischen Genitiv und Akkusativ, Platzhalter /des/ oder /das/, kommt, abgesehen von den doppeldeutigen /es/ und /diß/. Der Rückgang des Genitivs gerade bei /duncken/ mag durch den Umstand begünstigt w o r den sein, daß der Genitiv hier besonders häufig zu einem /das/-Satz entfaltet auftritt, und im /das/-Satz Subjekt- und Objektsätze aller Art der Form nach zusammenfallen. Platzhalter sind in den Objektsätzen nicht sehr häufig, / d a s /

acc. begegnet 22mal

in indirektem Mitteilen, bei /sprechen/, /sagen/, /jhehen/, /wiederreden/, /geloben/, /off synen orden nemen/, /wißen/, /über ein tragen/, 4mal in indirektem Heischen, bei /wollen/, /wißen/, /leren/, und 12mal in sonstigen Feststellungen, bei /sehen/, / v e r neinen/, /prüfen/, /glauben/, /machen/, /schaffen/, /understan/, /off sich nemen/, /wo nemen/. / d i ß / acc. begegnet l m a l in indirektem Heischen, bei /wollen/, und 2mal in sonstigen Feststellungen, bei /gefreischen/, /thun/. / d e s / gen. begegnet 24mal in indirektem Mitteilen, bei /synen hentschuch geben/, /das syn geben/, /glauben/, /wenen/, /halten an synen lip/, /zu rate werden/, /in ein werden/, /sicher sin/, /sicher thun/, /zu urkunde nemen/, /forchten/, /weren/, /willen haben/, 2mal in indirektem Heischen, bei /bitten/, /manen/, und 8mal in sonstigen Feststellungen, bei /loben/, /volgen/, /gunnen/, /sich wundern/, /sich erferen/, /wartende sin/, /gut wil sin/, / e s / und / - ß/ bzw. /s / sind formal doppeldeutig, in den nachfolgenden Fällen wohl meist als Genitiv, selten ( z . B . nach /sehen/, /wollen/, /nemen/) als Akkusativ zu nehmen, /es/ begegnet 5mal in indirektem Mitteilen, bei /undanck sagen/, /bezugen/, /schweren/, /glauben/, /brufen und bewern/, und 3mal in sonstigen Feststellungen, bei /sehen/, /thun/,

System der Nebensätze

183

/amen/, /-ß/ bzw. /-s/ begegnet 6mal in indirektem Mitteilen, bei /wißen/, /bezugen/, /gnaden/, lmal in indirektem Heischen, bei /bitten/, und 6mal in sonstigen Feststellungen, bei /nemen/, /arnen/, /understen/, /vertragen/, /Ivo sin/, /für war haben/. Anstelle der Pronomen können mitunter auch sehr allgemeine entbehrliche Abstrakta als Platzhalter auftreten, /(al)so viel/ (3mal) oder /ein wenig/ (lmal) bei /sagen/, /ein(es) ding(es) (3mal) bei /lestern/, /sich rumen/, /glauben/, /ein anders/ (lmal) bei /forchten/. Sie fuhren an die Grenze von Objektsätzen und Attributsätzen,

s.u. S. 200, die, wenig-

stens in der Oberflächenstruktur, überschritten ist, wenn die Abstrakta spezifischeren semantischen Eigengehalt haben, dem Matrixsatz also eine Bedeutungsnuance hinzufügen, z . B . /ich bitt uch e y n e r g a b e n ,

das ir mir des gunnent das ich fare der frauwen

helffen/ 137,16. Über die Entbehrlichkeit solcher Abstrakta ließe sich im Einzelfall streiten. Attributsätze dieser Art sind gegenüber den Objektsätzen, aus denen sie sich entwickelt haben, nicht nur als stilistische Varianten zu werten. Sie eröffnen durch strukturelle Grenzverschiebung und syntaktische Umstrukturierung einen Weg zur Weitung des kommunikativen Effekts dieses Satztyps. Nichts damit zu tun haben die Fälle mit scheinbarem Platzhalter, Typ /wann er C l a u d a s wol erkante, das e r ein zier ritter was/ 71,19 (= /wann er wol erkante das C l a u d a s ein zier ritter was/), ähnlich 88, 2 und 113,8, wo, mit bewußt schwächerer Verkettung von Matrix- und Konstituentensatz, das Subjekt des Konstituentensatzes als Akkusativobjekt des Matrixsatzes vorgezogen ist und im Konstituentensatz nun nur als (wiederaufnehmendes) Pronomen erscheint. Das ist eine Art enumerativer Redeweise, die auch heute noch möglich ist und sich den vielfältigen Auflösungserscheinungen des Satzrahmens im Sprechen vergleichen läßt. Das gilt im Rahmen der Präpositional-Objektsätze ähnlich für die Präpositionalphrasen nach /gedencken/ und /unfro sin/ anstelle älterer Genitive, T y p / i r sint unfro umb u w e r m e i s t e r ,

das ir s i e nicht by uch

habent/ 84,27 (= /ir sint unfro das ir uwer meister nicht by uch habent/), ähnlich 38,24 und 79,7. Bei den sowieso selteneren offensichtlichen Präpositionalobjektsätzen sind im übrigen Präpositlonaladverbien als Platzhalter nicht selten, /darzu/ 9mal, /darnach/ 4mal, /da mit/ 2mal, /dar off/ lmal, /dar umb/ lmal, /da von/ lmal, /da vor/ lmal. Sie stehen im Zusammenhang mit den Verben /sten nach/ 4mal, /bringen zu/ 4mal, /erkisen zu/ 3mal, /thun mit/ 2mal, /achten off/ lmal, /wißen umbe/ lmal, /bringen von/ lmal, /behüten vore/ lmal, /triben zu/ lmal, /machen zu/ lmal. Bei den Subjektsätzen hängt es mit der Wortstellung im Matrixsatz zusammen, ob dieser selbst subjektlos ist (96mal) oder in Pronomina oder zusammenfassenden Abstrakten Platzhalter des /das/-Satzes enthält (62mal). Das gilt fiir den /das/-Satz als Nachsatz

Gabriele Schieb

184

(insgesamt 157 Fälle). Der Platzhalter kann verschiedene Stellungen einnehmen, wonach sich zwei Gruppen voneinander abheben lassen. In der ersten, größeren Gruppe, 53 Fälle umfassend, steht der Platzhalter des Konstituentensatzes vor dem Verbum finitum des Matrixsatzes in absoluter, oder, wenn der Matrixsatz ein konjunktionaler Nebensatz ist, relativer Anfangsstellung. Als Platzhalter fungieren die Nominative bzw. Genitive /es/ (24mal), /das/ dem (23mal), /das/ rel (lmal), /diß/ (lmal), /des/ (3mal), dazu die Abstrakta /ein ding/, /die mere/ (je lmal). In der zweiten,kleineren Gruppe, 9 Fälle umfassend, steht der Platzhalter des Konstituentensatzes nach dem Verbum finitum des Matrixsatzes in absoluter oder, bei zweigliedriger Verbalphrase mit Neigung zu Rahmenbildung, relativer Endstellung. Die Satzspitze vor dem Verbum finitum ist durch ein Fragepronomen oder ein Adverb besetzt, sofern das Verb sie nicht selbst einnimmt wie im Bedingungssatz ohne Initialelement. Als Platzhalter fungieren die Nominative /das/ dem (4mal), /es/ oder /'s/ (2mal), dazu die Abstrakta /ein ding/ (lmal), /abenture/ (lmal), /mere/ (lmal). Feststellungssätze sind in der Regel Nachsätze bzw. diesen strukturell gleich zu wertende Zwischensätze. In den selteneren Fällen eines /das/-Satzes als Vordersatz (3 Objektsätze, 8 Subjektsätze) beginnt der nachfolgende Matrixsatz immer mit einem Platzhalter, der den Subjektsätzen folgende mit /das/, der den zwei Genitivobjektsätzen folgende mit /des/, der eine Präpositionalobjektsatz mit /daroff/. Verbale Eröffnung 17

des Nachsatzes, der ja im Satzgefüge zweites Satzglied ist, scheint noch unüblich.

2.1.2. 2.1.2.1.

Belege: Indirekte Rede: Indirektes Mitteilen (483 Akkusativ-, Genitiv- oder Präpositionalobjektsätze, 3 Subjektsätze)

2.1.2.1.1. Konstituentensatz als Nachsatz, ohne Platzhalter im Matrixsatz (417 Fälle) Objektsätze:/Da s p r a c h die koniginne von Gaune d a s die rede also nicht enwere/ 46, 7 ähnl. 7,36. 23,2. 23,5. 24,31. 25,8. 35,23. 35,24. 40,4. 41,30. 45,6. 52,25. 57,9. 60,5. 60,23. 70,2. 71,2. 72,27. 74,28. 77,7. 77,28. 77,31. 79,32. 83,5. 84,8. 91,21. 98,14. 99,21. 90,27. 99,25. 103,9. 105,12. 119,5. 126,27. 127,3. 127,19. 127,26. 128,19. 130,13. 131,21. 132,25. 135,9, /das mynselbs

ritter hinder mir

s p r a c h e n d a s mir des nymant mocht gehelffen/ 49,25 ähnl. 74,25, /so s p r a c h

er

d a s sin hercz kein dingk getorst gedencken/ 36,1 ,/s p r a c h zu dem konig Ban d a s Claudas vil mit im hett geredet/ 4,28 ähnl.5,28. 47,32. 103,5, /Claudas s p r a c h

das

System der Nebensätze

185

e r im nye keyn truwe gegebe/ 100,4 ähnl. 75,1, / d a s p r a c h nicht me verliben wolt/ 16,10 ähnl. 39,16. 1 1 9 , 2 5 , / s p r a c h e r vil gern wer syn f r u n t / 4,29, / s p r a c h

e r d a s e r by der weit zu dem konig Ban . . .

das

zu im d a s e r von dem tag biß an den

funffczehenden tag wolt bereyt s i n / 32,29. /Diße rede s p r i c h t

d a s der konig Ban ist off

einen hohen felß gegangen/12, 8 ähnl. 1,10. 16,29. 19,22. 95,23. 97,17. 122,30. - /Man saget

im d a s es were.in dem großen thurne/ 69,30 ähnl. 11,20. 22,21. 25,10. 25,24.

50,29. 50,33

(2mal). 51,32. 51,33. 60,24. 64,6. 79,6. 80,15. 84,22. 85,30 (2mal).

85,31. 87,2 . 87,14. 89,13 . 91,14. 93,33 . 94,31. 110,1. 117,2 (2mal). 127,15. 130,12. 130,15. 140,10, /ich . . . s a g e n d a s wir fried haben/ 7,18, / i c h höre s a g e n

das

des konig Bannes sun von Bonewig dot sy mit dem v a t t e r / 28,11 ähnl. 61,17. 63,35. 94,27. 112,7, /und s a g t e yn d a s e r uß wolt ryten zu Claudasen/ 98,12 ähnl. 41,23. 103,1, /und h i e ß . . . s a g e n d a s der konig mit im wolt anbißen/ 22,27, /Die history s a g t

uns

f ü r war d a s ein konig was in Y r l a n t / 2 o , 3 ähnl. 19,25. 26,17. 29,7. 42,13. 113,30. 113,33. 117,15. 125,33, /und s a g e t die historia d a s der konig Artus alrest komen was von Scottenlant/ 46,37. - / a l l e die lüt j h e h e n gemeynlich d a s es dot s y / 117,4 ähnl. 24,21. - / D e r knapp a n t w u r t

im d a s e r synem fynde nymer tag me wolt gedienen

als lang als e r gelebte/ 33,1. - /Da c 1 a g t der konig Ban d a s e r im sin lant hett genomen zu unrecht/ 3,33, /und c l a g t

im d a s sin sun Dortns viel unfug hett gethan in döm

lande/ 33,24 ähnl. 22,33. - /Sie r i e f f e n alle mit eyner stym d a s sie Claudas a l l e r e r s t wolten döten/ 69,17. - / E r mag sich wol r ü m e n

d a s yn hut die weit allesampt ange-

storben ist mit dem tot/ 63,16 ähnl. 138,27. - /wolt e r uff mich b e z u g e n d a s ich ye keyn verretniß zu uch wert gethete/ 11,1. - /ich blnß . . . bereit zu g e z u g e n off dinen lip d a s du v e r r e t t e r y zu m i r hast gesprochen/ 31,34. - / d a s ir mich g e w i s s e n t m i r keyn ubel gesche/ 72,15. - / d a s i r uns g e l o b e n t

das

das

ir noch hut nach yn sendent/

85,11 ähnl. 2 3 , 1 . 23,17. 56,8. 56,11. 79,25. 86,20, / i c h wil uch g e l o b e n

...

das

ich uch wil geben diß rych a l l e s / 4 , 1 8 , / d e r Lambago hett g e l o b e t d a s e r im helffen solt Claudas döten/ 82,1 ähnl. 125,1. 129,10. - /So l o b e n t nicht e n d i i t / 5 6 , 8 . - /und s c h w u r

m i r . . . d a s ir da mit

d a s e r s a r n e t e / 4 0 , 1 3 ähnl. 25,30. 27,34. 40,23.

70,37. 78,23. 98,19. 104,4. 109,22, /und s c h w u r

. . . d a s e r yn alles ir lant wolt

wiedder g e b e n / 2 5 , 3 1 ähnl. 78,26, / d e r muß . . . s c h w e r n

d a s e r yn rechen solt/

134,6 ähnl. 44,28. 81,5. 88,6. 135,8. 135,11, / e r wolt im off den heiligen s c h w e r n

das

e r sie hielt mit e r e n / 25,19 ähnl. 87,35. 103,24 (2mal). 104,25. 107,5, / d e r muß m i r zu den heiligen s c h w e r n d a s e r mich rechen s o l / 127,2, / i r hant m i r auch g e s i c h e r t und g e s c h w o r n verschwurn

d a s i r in myn gefengniß sollent k o m e n / 7 9 , 1 9 . - / d a s e r sich

hete d a s e r yn Claudasen in gefengniß selb gelobet hett zu bringen und

Gabriele Schieb

186 des nit gethan hett/ 96,23. - /das ir schweret und mir s i c h e r t

in myne hant d a s

ir

dißen dryen herren nummer arg gethüt/ 81,2 ähnl. 75,18. 81,4, /Nu s i c h e r t

mir beide

d a s ir nymer uß mym gefengniß wollent komen/ 80,34 ähnl. 4,25, / s i c h e r t

mir in myn

h a n t . . . d a s ir in myne gefengniß komen solt/ 80,20. - / w i e sie konig Claudas s i c h e r wolt t h u n . . . d a s er sie nymer me geurloget/107,1. - /Sie z y h e n mich d a s ich sie ertötet hab und verraten/ 87,32 ähnl. 24,24. - / E r v e r w e i ß Pharien d a s er zu im nicht komen was/ 110,30. - / e r w o n d e d a s die jungfrauw sin mutter were/ 21,4 ähnl. 3,13. 3 , 1 4 . 11,19. 15,24. 15,25. 16,32. 21,11. 22,36. 23,8. 30,24. 34,24. 3 6 , 5 . 3 9 , 6 . 44,37. 45,33. 46,10. 46,31. 48,17. 49,13. 52,2. 57,16. 59,13. 59,34. 63,3. 68,14. 68.22. 68,27. 69,20 (2mal). 73,33. 78,29. 80,4. 80,36. 81,33. 84,17. 85,5. 94,5. 94,15. 95,32. 95,33. 98,6. 107,24. 108,16 [ . . . ] + VF + [ . . . ] + Bez El

/ / (KS) Rel + [ . . . ] + VF

/wann nymanne ist als gut zu gleuben b ö s e r m e r e als j h e n e m

der

(3 Fälle) selb da von zeugen

b r i n g t / 5, 8, / d e r muß allso wol geben d e n d i e e s nit bedörffen/ 33,30, / u n d was yn heimlicher dann a l l e n

den a n d e r n

d i e i n d e m hofe w a r e n / 60,26.

(MS/ N g ) [ . . . ] + Bez El + [ . . . ] + VF / / (KS) Rel + [ . . . ] + VF (1 Fall) /wie man d e m

7.2.4.2.

Ionen sol d e r den andern e n t e r b e / 90,13.

Konstituentensatz als Zwischensatz (5 Fälle)

(MS 1. T 1 . / h s ) [ . . . ] + VF + Bez El

/ / (KS) Rel + [ . . . ] + VF / / (MS 2. T l . / N g )

(1 Fall) /und bevalh a 11 e n d e n d i e synes dings pflagen, das s i e . . . / 23,30.

( M S I . T l . / H S o d N S ) [ . . . + ] VF + [ . . . ] [...]//

(MS 2 . T 1 . / N S )

/Nu wil ich a l l e n

+ Bez El + [ . . . ] / / (KS) Rel + [ . . . ] + Vf +

(2 Fälle)

d e n sagen d i e gern von schönen luten hören sprechen, wie schon

a l l e r syn lip w a s / 34, 29; /Mag e r an d e m finden, d e r

die kint in gewalt hat, das e r

die kint wil laßen s e h e n / 87,29.

(MS/^g i . x i . ^ [ " • ]

+

V F

+ B e z

E1 1 1

Rel

+ V F

11

< M S / H S 2 !TL> / D a zornt e r s e r e und traut d e m d e r

im den zorn hett gemacht wiedder syn frauwen,

und ging hinweg/ 4 1 , 1 3 . (MS 1.T1.

/u„)

/ HÖ

ohne Bez El (Dativobjekt) / / (KS) fiel + f . . . 1 + VF / / (MS 2. T l . / L

J

)

NS

(1 Fall) /Welch man mit truwen hilffet d e m e r zu recht helffen sol, des haltet u c h . , . / 74,4.

7.2.4.3.

Konstituentensatz als Vordersatz (3 Fälle)

(KS) Rel + [ . . . ] + VF / / (MS) Bez El + VF + [ . . . ] /Die

(2 Fälle)

i r truw behalten wolten d e n enwas es nit l e i t / 83,34 ähnl. 6 2 , 7 .

Gabriele Schieb

220

(KS) Rei + [ . . . ] + VF / / ( M S / f /der

) [ . . . ] + VF + [ . . . ] + Bez El + [ . . . ] (1 Fall)

durch uwern willen alsus gewunt w e r e , wie woltent i r s i m dancken?/ 89,15.

7.2.5.

Präpositionalobjektsätze (22 Fälle)

7.2.5.1.

Konstituentensatz als Nachsatz (15 Fälle)

(MS) [ . . . + ] VF [ + . . . ] + Bez El

/ / (KS) Rel + [ . . . ]

+ VF [ + . . . ]

(11 Fälle)

/woltestu im helffen w i e d d e r m i c h d e r din recht h e r r e bin/ 30,331, / o b e r sich nicht enreche v o n d e n d i e in d e r stat s i n t / 9 9 , 21 ähnl. 24,15. 121,35, / d a s der r i t t e r zwuschen d e r heiligen kirchen muß syn und z w u s c h e n d e n d i e ir unrecht thun w o l l e n / 1 2 1 , 7 , / d a s ir mich rechen solt v o n a l l e n d e n d i e sprechen d a s . . . / 135, 8 ähnl. 127,1, /und namen urlob zu a l l e n d e n d i e d a w a r e n / 1 1 0 , 1 4 ähnl. 47,17, / i c h wolt yn mynnen f ü r a l l d i e nu lebent/ 89,17, / E r enwolt sie nye angethun u m b a l l e s d a s yn Claudas gebitten künde und geflehen/ 108,36. ( M S / n s ) [ . . . ] + Bez El + VF / / (KS) Rel + [ . . . ] + VF

(1 Fall)

/ w a s sie d a r zu rieten d a s yn Claudas enbotten hett/ 105,6. (MS) [ . . . ] + VF [ + . . . ] pron. Komponente)^

+ Bez El (präp. Komponente) / / (KS) Rel (zugleich Bez El

. . . ] + VF [ + . . . ]

(2 Fälle)

/wann da sie die kint vor ir hett, da acht sie wenig o f f d a s da hinden beliben w a s / 60,13, /wann e r solt wenig achten o f f d a s ich hinder m i r han g e l a ß e n / 5 , 3 2 . (MS) ohne Bez El ( P r ä p . - O b j . ) / / (KS) Rel + [ . . . ] + VF (1 Fall) /manen ich dich . . . das du m i r rath gebest d a r u m b

ich dich f r a g / 29,32.

7 . 2 . 5 . 2 . Konstituentensatz als Zwischensatz (6 Fälle) (MS 1.T1.) [ . . . ] + VF + Bez El / / (KS) Rel +

+ VF / / (MS 2.T1.)

(1 Fall)

/Die höhsten von dem land gingen zu d e n d i e des thurnes hüten und hießen sie abegeen/ 96,16. (MS l . T l . / j ,) [ . . . ] + VF [ + . . . ] + Bez El / / ( K S ) Rel + [ . . . ] + VF / / HS od NS' (MS 2 . T l . / . ,) (4 Fälle) HS od NS'

System der Nebensätze

221

/ich wil uch rechen an dem d e r s uch gethan hat, ist es ein solch man das ich yn mit eren dot slagen mag/ 127,7, /Da Phariens die großen truw s a c h . . . das sie sich wolt laßen döten f ü r den d e r ir so manig leyt gemacht hett, da ließ e r synen nefen genesen/ 82,28, /schirmer, die sie zu recht Sölten halten v o r a l l e n den d i e yn gewalt deten, und Sölten sie irs unrechten wieddertriben/ 120,14, / e r e . . . die ich dem konig Artus nit dede umb a l l e s d a s ich geleisten mag, solt ich mit im ein kampff fechten/ 3 3 , 8 .

(MS1.T1./ N g ) [ . . . ] + Bez El + VF // (KS) Hei + [ . . . ] + VF // (MS 2.T1./ H g ) (1 Fall) /Welch ritter h e r w i e d d e r dut d a s ich uch hie gesaget han, er ist zu recht geyn der weit geuneret/ 123,3.

7.2.5.3.

Konstituentensatz als Vordersatz (1 Fall)

(KS) Rel + [ . . . ] + VF [ + . . . ] // (MS) Bez El + VF + [ . . . ] /Das ich spriche von der heiligen kirchen, da m i t meyn ich alle pfaffheyt/ 122,10.

8.

Typ 8

8.1.

Mit /w/-Wort (/wer/, /was/, /wes/, /wem/, /wen/, /wel(c)h-/, /welch/ (+Adj) +

Subst) als Initialelement und Nebensatzwortstellung. V e r a l l g e m e i n e r n d e

Relativsätze

(22 Subjektsätze, 2 Prädikativsätze, 25 Objektsätze). Die verallgemeinernden /w/-Relativa sind Satzglieder des Konstituentensatzes, dessen Subjekt (/wer/, /welher/, /welch(er) man/, /welch (fremd) ritter/), Akkusativobjekt (/was/, /wen/, /weihen/), Dativobjekt (/wem/, /welchem frummen man/) oder Genitivobjekt (/wes/) und 24 "Satellit" eines expliziten oder, hier noch häufiger, impliziten (pro)nominalen "Nucleus" unbestimmter Allgemeinheit im Matrixsatz. Die verallgemeinernden Relativa fallen der Form nach in unserem Text schon mit den /w/-Fragewörtern zusammen. Aber der alte Formunterschied zwischen /wer/Fragewort und /swer/ (/so wer so/, /so wer/, wer so/) verallgemeinerndes Relativ war in den meisten Fällen funktionell sowieso redundant und entbehrlich, denn der Funktionsunterschied liegt schon in den besonderen Gebrauchsbedingungen aller Relativsätze, auf ein nominales Element im Matrixsatz bezogen zu sein. Die verallgemeinernden Relativsätze sind in der folgenden Belegsammlung als Subjektsätze immer Vordersätze, als Prädikativsätze Nachsätze, als Objektsätze Nach-, Zwischen- oder Vordersätze. Im Fall des Konstituentensatzes als Vordersatz ist das (pro)nominale Bezugselement, das zu den Gebrauchs-

222

Gabriele Schieb

bedingungen jedes Relativsatzes gehört, im nachgestellten Matrixsatz immer explizit, hier / d e r / , / e r / , /das, /das alles/, / d e s / in absoluter oder relativer Spitzenstellung, / ' s / , / i m / in Späterstellung. Die Nach- und Zwischensätze haben gewöhnlich nur ein implizites Bezugselement im Matrixsatz. Nur in zwei Fällen des Konstituentensatzes als Objektsatz ist das (pro)nominale Bezugselement im Matrixsatz explizit, einmal / a l l e s / und einmal appositionell nachgestelltes /myn laster oder myn e r e / . Im Einzelfall kann ein Satz dieser Gruppe schon in die Nähe syntaktischer Synonymie mit den Relativsätzen mit /d/-Wort als Initialelement rücken, eine zufällige Vorwegnahme einer Möglichkeit, die im Neuhochdeutschen zur Norm gehört. Das gilt etwa fiir 67,37 /und Claudas hett a l l e s wol verstanden w a s

Phariens

gesprochen hett/, wo / w a s / mit / d a s / austauschbar wäre, da / a l l e s / die festumrissene Gesamtheit der vorstehenden Rede meint, vgl. o.S. 207 ff. Grenzfälle zu den Auskunftssätzen mit /w/-Fragewort als Initialelement enthält unser Text nicht. Beide Gruppen bleiben klar geschieden.

8.2.

Belege:

8.2.1.

Konstituentensatz als Vordersatz mit explizitem Bezugselement im Matrixsatz

(22 Subjektsätze, 13 Objektsätze) (KS) Verallg Rel + [ . . . ] + VF [ + . . . ] / / (MS) Bez El + VF + [ . . . ] Subjektsätze: / W e r e in des koniges hoff kam d e r must sich beBern/ 115,2 ähnl. 61,36. 122.2, /Wann w a s der man mit gutem urkunde thut, d a s glichet baß der warheit dann dem falsch/74,13, / W e l c h m a n gut ist, d e r macht alle syn gesellschaft f r o / 62,3 ähnl. 73,35 . 79,14. 122,31. 133,31. 1 3 4 , 3 , / w e l c h m a n d e r milt ist von natur.. . d e r muß frummen luten dießbedorffen geben/ 62,9, / W e l c h e r m a n den konig Artus urlagen sol, d e r muß me ritterschafft in sim lande han/ 30,29, /wann w e l c h r i t t e r sie sere mynnet, d e r ensol zu recht nit anders gedencken/ 27,1, / w e l c h f r e m d r i t t e r

des

tags allermeist gethan hett. . . d e r trug des abendes... das erst geriecht f ü r / 115,10; /ich han es gesworn off den heiligen, w e r in dißem urlag mit gewalt wirt gefangen, e r werd in behaltniß geleytt/ 4,21 ähnl. 52,29; / w e l c h m a n den konig Artus sol urlagen, e r muß wiser syn . . . / 3 0 , 8 ähnl. 74,2. 1 0 4 , 1 0 ; / W e l c h r i t t e r herwiedder d u t . . . e r ist zu recht geyn der weit g e u n e r e t / 1 2 3 , 3 ; / W e l c h e m f r u m m e n m a n ein laster wirt gethan, e r treyt es ummer in sim herczen/ 67,27. Objektsätze: / w a s e r mocht gewinnen d a s gab e r a l l e s hinweg/26,13 ähnl. 35,12, / w a s e r gelobt d a s leist e r nöte sins danckes/26,31 ähnl. 72,34. 89,17, / W a s ir mich

System der Nebensätze heißt...des

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wil ich nicht laßen/128,15 ähnl. 78,33. 83,29. 119,27, / w e s er hie be-

sprochen ist vor uch, d e s wil er sich entschuldigen für uch/ 24,24. (KS) Verallg Rel + [ . . . ] VF [ + . . . ] / / ( M S / N g ) [•••] + Bez El + [ . . . ] + VF [ + . . . ] Subjektsatz:/got von hymmel geb, w e i h e r under uns recht hab, das d e r hut prise und ere muß gewinnen/ 31,36. (KS) Verallg Hei + [ . . . ] + VF [ + . . . ] / / (MS) [ . . . ] + VF [ + . . . ] + Bez El + [ . . . ] Objektsätze: / w a s du gesprochen hast und gethan, ich weiß dir s großen danck/ 33,13, / W e l c h m a n sie ob im hett, alle die weit enhett im einen blutstropffen nit angewunnen/ 57,30. (KS) Verallg Rel + [ . . . ] + VF [ + . . . J / / (MS) HS + NS [ . . . ] + Bez El + [ . . . ] + VF Objektsätz: / W e l c h m a n mit truwen hilffet dem er zu recht helfien sol, des haltet uch an mynen lip, das im priß und ere geschieht!/ 74,4.

8.2.2.

Konstituentensatz als Nach- oder Zwischensatz mit explizitem Bezugselement

im Matrixsatz (2 Prädikativsätze, 2 Objektsätze) (MS) Bez El + VF [ + . . . ] / / (KS) Verallg Rel + [ . . . ] + VF [ + . . . ] Prädikativsätze! / D a s ist w a s ein ritter gethun mag mit frumkeit/ 130,11; /und d e r d r i t t sol sin w e i h e n i r darzu erkiesent von allen uwern rittern/ 80,7, (MS 1.T1.) [ . . . ] + VF + Bez El + [ . . . ] / / (KS) Verallg Rel + [ . . . ] + VF / / (MS Rest) Objektsatz: /Und Claudas hett a l l e s wol verstanden w a s Phariens gesprochen hett, und s p r a c h . . . / 67,37. (MS 1.T1.) [ . . . ] + VF / / (KS) Verallg Rel + [ . . . ] + VF / / (MS Rest) Bez El Objektsatz:/dalangk me sprechent w a s irwollent, m y n l a s t e r o d e r myn

ere/

49,4. mit implizitem Bezugselement im Matrixsatz (10 Objektsätze)