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German Pages 145 Year 2018
Recht und Politik
Beiheft 2
Zeitschrift für deutsche und europäische Rechtspolitik
Strafrecht: Reformvorhaben der Großen Koalition (2013–2017) kontrovers diskutiert Herausgegeben von Hendrik Wassermann und Robert Chr. van Ooyen
Duncker & Humblot · Berlin
Strafrecht: Reformvorhaben der Großen Koalition (2013–2017) kontrovers diskutiert
Recht und Politik Zeitschrift für deutsche und europäische Rechtspolitik
Begründet von Dr. jur. h. c. Rudolf Wassermann (1925–2008) Redaktion: Hendrik Wassermann (verantwortlich) Ernst R. Zivier Heiko Holste Robert Chr. van Ooyen
Beiheft 2
Strafrecht: Reformvorhaben der Großen Koalition (2013–2017) kontrovers diskutiert
Herausgegeben von Hendrik Wassermann und Robert Chr. van Ooyen
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buch.bücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 2567-0603 ISBN 978-3-428-15438-8 (Print) ISBN 978-3-428-55438-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85438-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Mit einer beispiellosen Niederlage wurde im September 2017 die Große Koalition aus CDU und SPD abgewählt. In der Öffentlichkeit herrschte der Eindruck, die vergangenen vier Jahre seien eine „bleierne Zeit“ gewesen. Dies war jedoch nicht der Fall, zumindest nicht in der Rechtspolitik: Während der 18. Legislaturperiode hat das Bundeskabinett 95 Gesetzentwürfe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz beschlossen – damit liegt das BMJVan der Spitze aller Ressorts und hat in diesem Zeitraum deutlich mehr Projekte auf den Weg gebracht als in der vorangegangenen Koalition aus CDU und FDP. Viele dieser Reformen wurden in Recht und Politik ausführlich und kontrovers diskutiert. Wir haben uns in diesem Beiheft bewusst auf das Strafrecht konzentriert, denn nirgends wird so deutlich, dass die von Vielen als bleiern empfundene Herrschaft der Volksparteien nur ein „gefühlter“ Stillstand war. In unserer Auswahl haben wir dabei zwei unterschiedliche Akzente gesetzt: abgeschlossene Reformprojekte der GroKo und andauernde Kontroversen, die in dieser Legislaturperiode wurzeln. Mario Bachmann bilanziert in seinem eröffnenden Beitrag sämtliche Strafrechtsreformen der Großen Koalition, die nicht nur das materielle Strafrecht, sondern gerade auch den strafrechtlichen Sanktionsapparat betreffen. Im materiellen Strafrecht setzen sich Eva Högl und Birgit Neumann vertiefend mit der Reform des Sexualstrafrechts auseinander, indem sie zu Recht postulieren, dass ein „Nein“ als Willenserklärung ernst genommen werden muss und auch tatsächlich „Nein“ bedeutet. Thea Christine Bauer und Manuel Ladiges erweitern diese Problematik, indem sie neue Anwendungsbereiche dieses Paradigmenwechsels aufzeigen, die der Justiz die rechtspolitische Herausforderung bringen wird, Menschen in ihrer gesamten Vielschichtigkeit gerecht zu erfassen. Die rechtspolitische Landschaft im Deutschland der Großen Koalition wurde aber noch durch viele andere Problemlagen gekennzeichnet: Beispiel Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: Michael Wagner-Kern widmet sich der, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkten, „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“. Kodifiziert werden damit Forderungen nach einer neuerlichen Verschärfung des strafrechtlichen Normenprogramms im Kontext der §§ 113, 114 StGB. Michael Wagner-Kern weist nach, dass der moderne Staat Härte zeigt – insbesondere in eigener Sache. Dass in den letzten Jahren das strafrechtliche Sanktionensystem zunehmend in den Vordergrund rückte, belegt auch die Analyse von Benedikt J. Lüthge und Maximilian L. Klein, die das jahrelang hoch umstrittene Reformvorhaben eines Fahrverbots als all-
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Vorwort
gemeiner Nebenstrafe einer näheren Betrachtung unterziehen. Während ein solches Fahrverbot von einigen als Allheilmittel im Kampf gegen die Kriminalität gepriesen wird, sprechen andere ihm eine besondere Wirkung ab; manche Kritiker fragen sogar, ob § 44 n.F. StGB nicht verfassungswidrig sein könnte. Dass es auch im materiellen Recht weiteren Handlungsbedarf gibt, stellt Alexander Bleckat in seiner Untersuchung zum Phänomen des „Cybermobbings“ fest. Gerade beim Cybermobbing stellt sich die Frage, ob die bestehenden Gesetze, die vor dem Internetzeitalter erlassen wurden, noch ausreichen. Die §§ 185 ff. StGB genügen jedenfalls, wie er feststellt, nicht, um Ehrverletzungen im Internet zu verfolgen. In der Zeit der GroKo musste Deutschland noch andere Spannungen verkraften. Deutschland war Ziel terroristischer Anschläge. Christin Armenat und Sebastian Kretzschmann untersuchen, inwieweit terroristische Anschläge rechtlich zulässig verhindert werden können. David Jungbluth untersucht unter dem Stichwort „Hasskriminalität“ die Forderung im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, § 46 Abs. 2 StGB zu novellieren. Er sieht darin keinen inhaltlichen Mehrwert gegenüber der bestehenden Gesetzeslage, weil die Probleme bei der Verfolgung rechtsextremistisch motivierter Straftaten augenscheinlich in anderen Bereichen als jenen der Strafzumessung liegen. Mit „Gestrigen“ gänzlich anderer Couleur setzt sich Roman Trips-Hebert auseinander: Mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung marschierten am 9. Mai 2013 in Uniform und mit Säbel und Gewehr ehemalige Angehörige der NVA, des Wachregiments des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) „Felix Dscherzynski“ sowie Sympathisanten vor dem Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park auf, um dort „zur Ehrung der Opfer des II. Weltkrieges und des Tages der Befreiung vom Faschismus“ eine militärische Gedenkzeremonie abzuhalten, inklusive Formationsmärschen und Kranzniederlegung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Möglichkeit der Erweiterung des strafrechtlichen Kennzeichenverbots allgemein auf „Symbole der DDR“ zweifelhaft ist. Vorzugswürdig erschiene dem Autor deshalb gegebenenfalls die Schaffung eines neuen eigenständigen Tatbestands. Klaus Pflieger schließlich, dessen Berufsleben entscheidend vom Terror der RAF geprägt war, wirbt im Interesse der historischen Aufklärung dafür, bei einem früheren RAF-Mitglied, das bereits eine lebenslange Freiheitsstrafe vollständig verbüßt hat, gemäß § 154 StPO auf eine erneute Strafverfolgung zu verzichten, wenn dieses Gruppenmitglied glaubhaft seine Beteiligung an einem weiteren versuchten oder gar vollendeten Mord einräumt. Zur Zeit der Drucklegung dieses Buches verhandeln CDU/CSU und SPD, ob Deutschland auch in der kommenden Legislaturperiode von einer Großen Koalition regiert werden wird. Rechtspolitisch gibt es eine Menge zu tun – Recht und Politik wird sich auch künftig für eine ergebnisoffene Diskussion einsetzen. Berlin, im Januar 2018 Hendrik Wassermann und Robert Chr. van Ooyen
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Inhalt AUFSÄTZE Reformen des Strafgesetzbuches durch die dritte „Große Koalition“ – Eine kritische Bilanz Mario Bachmann
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Schutzbedürftige Staatsgewalt? Über Grundströmungen der Reform des Normenprogramms zur Bestrafung von Gewalt gegen Polizeibeamte Michael Wagner-Kern
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Die Ausweitung des Maßregelrechts – Ein probates Mittel zur Verhinderung terroristischer Straftaten? Christin Armenat und Sebastian Kretzschmann
45
Das Fahrverbot als allgemeine Nebenstrafe. Ein neuer Reformansatz im strafrechtlichen Sanktionensystem Benedikt J. Lüthge und Maximilian L. Klein
59
Mobbing und Cybermobbing – Eine Strafbarkeitslücke? Alexander Bleckat
75
Explizite Aufnahme von „Hasskriminalität“ in das Strafgesetzbuch oder: Die Reform des § 46 Abs. 2 StGB als legislativer „error in persona“ David Jungbluth
83
Der Gruppentatbestand § 184j StGB-E im verabschiedeten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung Thea Christine Bauer
97
Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht: Zur Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt Nein!“ im deutschen Strafrecht Eva Högl und Birgit Neumann
111
Der Geschlechtsbegriff im Strafrecht. Zum Tatbestand „Verstümmelung weiblicher Genitalien“ in § 226a StGB Manuel Ladiges
124
Mit dem Strafrecht gegen DDR-Symbole? Zur Debatte um ein erweitertes strafrechtliches Kennzeichenverbot Roman Trips-Hebert
130
Straferlass nach § 154 StPO für verurteilte RAF-Mörder? Klaus Pflieger
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Autoren dieses Heftes
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Klaus Pflieger
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Reformen des Strafgesetzbuches durch die dritte „Große Koalition“ – Eine kritische Bilanz* Von Mario Bachmann
I. Einleitung In der Zeit zwischen dem Beginn der Regierungszeit der dritten „Großen Koalition“ (GroKo) am 17. 12. 2013 und dem 24. 9. 2017 – dem Tag der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag – sind insgesamt 28 Gesetze in Kraft getreten, mit denen Änderungen am StGB verbunden waren. Davon betreffen neun lediglich kleinere Neuerungen oder sogar nur redaktionelle Anpassungen, auf die vorliegend nicht näher eingegangen wird. Darüber hinaus wurden zum vorgenannten Stichtag fünf weitere Gesetze mit Bezug zum StGB verabschiedet, die allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten waren. Im Folgenden soll der Fokus zunächst auf die im Koalitionsvertrag1 angelegten Reformvorhaben gerichtet werden (II.). Um ein vollständiges Bild zu erhalten, ist es aber natürlich notwendig, auch die übrigen gesetzgeberischen Aktivitäten, die im Verlauf der 18. Legislaturperiode entfaltet wurden, in den Blick zu nehmen (III.). Auf die drei wesentlichen der insgesamt fünf zum Stichtag des 24. 9. 2017 noch nicht in Kraft getretenen Neuregelungen wird am Schluss des Beitrages in einer kurzen Zusammenschau eingegangen (IV.). Die nachfolgende Darstellung orientiert sich dabei an der Reihenfolge, in denen die von den Reformen betroffenen Vorschriften im StGB angeordnet sind.
* 1
Zuerst in: RuP 4/2017, 416–439. Abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013 - 12 17-koalitionsvertrag.pdf_blob=publicationFile (letzter Abruf: 1. 7. 2017).
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Mario Bachmann
II. Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Reformen und ihre Umsetzung 1. Fahrverbot als Hauptstrafe In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die GroKo vorgenommen, das Fahrverbot neben der Geld- und Freiheitsstrafe als dritte Hauptstrafe im StGB zu verankern.2 Dies wurde nicht umgesetzt. Stattdessen ist in dem vom Bundestag im Juni 2017 verabschiedeten „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ geregelt, dass das Fahrverbot die nach wie vor einzige Nebenstrafe bleibt. Allerdings wird ihr Anwendungsbereich durch eine entsprechende Neufassung des § 44 StGB erheblich erweitert.3 Zukünftig kann ein Fahrverbot neben der Hauptstrafe auch dann verhängt werden, wenn die betreffende Straftat nicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs steht, und zwar gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 StGB-E „namentlich“ dann, „wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder deren Vollstreckung vermieden werden kann.“ Ferner kann es (bei Erwachsenen) nicht mehr nur für höchstens drei, sondern für bis zu sechs Monate angeordnet werden. Schließlich wird das Fahrverbot in Zukunft nicht mehr bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam, sondern erst einen Monat später. Dies soll rein taktisch eingelegte Rechtsmittel, die der Verzögerung des Beginns eines Fahrverbotes dienen, reduzieren.4 Die Neuregelung des § 44 StGB kann überwiegend als sinnvoll angesehen werden. Für die Aufstufung des Fahrverbots zur Hauptstrafe, die bereits seit Jahrzehnten diskutiert wird, gibt es ohnehin keine zwingende Notwendigkeit, so dass die Nichtumsetzung des Koalitionsvertrages in diesem Punkt unerheblich ist.5 Darüber hinaus ist es zwar in der Wissenschaft stark umstritten, ob die Anordnung eines Fahrverbots einen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Tat und dem Führen eines Kraftfahrzeugs erfordert. Letztlich ist jedoch keines der dafür ins Feld geführten Argumente derart durchschlagend, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für ein deliktsunabhängiges Fahrverbot völlig unvertretbar erscheint.6 Uneingeschränkt zu befürworten ist die Anhebung der Höchstdauer der Verhängung auf sechs Monate, da dies die bisher vorhandene Lücke 2 3 4 5 6
10
Vgl. Koalitionsvertrag (o. Fn. 1), S. 146. Vgl. BT-Drs. 18/12785, S. 4 f. Vgl. BT-Drs. 18/12785, S. 50. Vgl. dazu bereits Bachmann, NJ 2014, 401 (402). Ausführliche Darstellungen der vorgebrachten Argumente finden sich in den schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen Verrel, S. 4 ff., abrufbar unter http://www.bundestag.de/ blob/499254/075d8e6ae60f341010aa43daf9a6691 f/verrel-data.pdf, Schöch, S. 1 ff., abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/499250/41cf 9f 84608d8d8f 34148e078f 62c8b9/ schoech-data.pdf und Ohlenschlager, S. 2 ff., abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/ 499246/607114a5ea3fe2c7be17a353308cf1bb/ohlenschlager-data.pdf ( jeweils letzter Abruf: 1. 7. 2017); s. ferner Wedler, ZRP 2016, 186 (186). Recht und Politik, Beiheft 2
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zum Entzug der Fahrerlaubnis im Sinne der §§ 69, 69a StGB (Sperrfrist für die Neuerteilung mindestens sechs Monate) schließt.7 Ferner ist es – gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Entlastung der Gerichte – vom Grundsatz her sachgerecht, den Beginn des Fahrverbots zu flexibilisieren. Diesbezüglich wird jedoch mit Recht darauf hingewiesen, dass eine Angleichung an die Regelung des Ordnungswidrigkeitenrechts in § 25 Abs. 2a StVG sinnvoll gewesen wäre, da sich diese in der Praxis bereits bewährt hat.8 Danach kann das Gericht dem Betroffenen eine Frist von bis zu vier Monaten gewähren, innerhalb derer er den Führerschein in amtliche Verwahrung zu geben hat. 2. Ausdrückliche Benennung menschenverachtender Motive in § 46 Abs. 2 StGB Des Weiteren wurde § 46 Abs. 2 StGB mit dem „Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages“,9 das am 1. 8. 2015 in Kraft getreten ist, entsprechend der Vereinbarung im Koalitionsvertrag dahingehend ergänzt, dass bei der Strafzumessung „besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe und Ziele des Täters zu berücksichtigen sind. Diese Neuregelung hat lediglich klarstellenden Charakter, denn die Berücksichtigung der vorgenannten Motive war bereits zuvor schon möglich.10 Mit Recht wird daher darauf hingewiesen, dass ihr kein Mehrwert gegenüber der bisherigen Rechtslage zukommt und der NSU-Untersuchungsausschuss – anders als der Name des Gesetzes suggeriert – keinerlei Empfehlung für eine Änderung des § 46 Abs. 2 StGB abgegeben hat.11 Zudem wird der Oberbegriff der „sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele“ vielfach als zu konturenlos kritisiert.12 Immerhin wird dieser Terminus in der Gesetzesbegründung etwas präzisiert: „Konkret kommen [solche Motive] in Betracht, die im polizeilichen Erfassungssystem zur PMK [= Politisch motivierte Kriminalität] unter dem Themenfeld ,Hasskriminalität‘ als weitere Unterthemen […] genannt werden […]: antisemitische, gegen die religiöse Orientierung, gegen eine Behinderung, gegen den gesellschaftlichen Status oder gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Beweggründe und Ziele. Mit dem Kriterium ,gesellschaftlicher Status‘ werden beispielsweise durch ein sozialdarwinistisches Weltbild geprägte Straftaten gegen Obdachlose oder sonst sozial Schwache erfasst.“13 7 Vgl. Bachmann, NJ 2014, 401 (402) m.w.N. 8 Vgl. Ohlenschlager (o. Fn. 6), S. 6; ebenso die Stellungnahme des Sachverständigen Beckstein, http://www.bundestag.de/blob/499244/18f0c502845974c9595dc1452e4c9cb4/becksteindata.pdf, S. 1 (letzter Abruf: 1.7. 2017). 9 Vgl. BT-Drs. 18/3007; s. dazu auch Maas, ZRP 2017, 130 (132). 10 So auch BT-Drs.18/3007, S. 14 m.w.N. 11 Vgl. Jungbluth, RuP 2015, 162 (169). 12 Vgl. Keiser, ZRP 2014, 127 (127); Tolmein, ZRP 2014, 127 (127); Bertram, ZRP 2012, 188 (189). 13 Vgl. BT-Drs. 18/3007, S. 15 f. Recht und Politik, Beiheft 2
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3. Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) Außerdem hatte sich die GroKo in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, das Recht der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus zu reformieren, indem insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu größerer Wirksamkeit verholfen werden sollte.14 Dieses Vorhaben wurde mit dem seit 1. 8. 2016 in Kraft befindlichen „Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften“ umgesetzt. § 63 StGB hat dabei in zwei wesentlichen Punkten eine Änderung erfahren.15 Zum einen wurden die Anforderungen an die Erheblichkeit der Straftaten, die zu erwarten sein müssen, konkretisiert. Eine erhebliche Straftat im Sinne des § 63 StGB lag bisher vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen war, den Rechtsfrieden empfindlich störte und geeignet war, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, was nicht ohne Weiteres auf Straftaten zutraf, die – wie z. B. die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) – im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind. Klarstellend hat der Gesetzgeber nunmehr Satz 1 des § 63 StGB dahingehend ergänzt, dass es sich um Taten handeln muss, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden“. Zum anderen wurde ein neuer Satz 2 eingefügt, wonach bei einer Anlasstat, die nicht erheblich ist, eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nur noch in Betracht kommt, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des Satzes 1 begehen wird. Die bereits erwähnte Stärkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes soll durch § 67d Abs. 6 S. 2 und 3 StGB n.F. bewirkt werden. Danach gilt:16 Bei einer Verweildauer von sechs Jahren wird nun regelmäßig vermutet, dass eine weitere Unterbringung unverhältnismäßig ist. Etwas anderes gilt nach § 67d Abs. 6 Satz 2 StGB nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer (und nicht nur erheblich!) geschädigt werden. Dass die GroKo eine Reform der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus beschlossen hat, ist zu begrüßen. Wie in der Gesetzesbegründung zutreffend ausgeführt wird, ist die Zahl der Untergebrachten in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Zudem hat sich die Verweildauer in der Maßregel des § 63 StGB spürbar verlängert, obwohl keine empirischen Belege für eine erhöhte Gefährlichkeit der untergebrachten 14 Vgl. Koalitionsvertrag (o. Fn. 1), S. 146. 15 Hier und im Folgenden Bachmann, BewHi 2016, 407 (408 f.). 16 Vgl. hier und im Folgenden Bachmann, BewHi 2016, 407 (413). 12
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Personen existieren.17 Deshalb verwundert es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen die unverhältnismäßig lange Dauer der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus moniert hat.18 Die beschriebene Gesetzesnovelle geht hier nach allgemeiner Meinung einen Schritt in die richtige Richtung, ohne freilich ein ganz „großer Wurf“ zu sein, da sie sich überwiegend darauf beschränkt, die bereits in Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Maßstäbe gesetzlich zu fixieren.19 4. Strafrechtliche Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. StGB) Mit dem „Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“, das am 1. 7. 2017 in Kraft getreten ist, hat sich die GroKo des Weiteren vorgenommen, die Regelungen zum Verfall gemäß den §§ 73 ff. StGB umfassend neu zu gestalten. Dabei wird das Ziel verfolgt, das Recht der Vermögensabschöpfung zu vereinfachen, die vorläufige Sicherstellung von Vermögenswerten zu erleichtern und die nachträgliche Abschöpfung von Vermögensgegenständen zu ermöglichen. Darüber hinaus sollen nicht vertretbare Abschöpfungslücken geschlossen werden.20 Zum wesentlichen Inhalt der Reform gehört zunächst der Wegfall der Differenzierung zwischen dem Verfall als dem, was durch eine Straftat erlangt wurde, und der Einziehung der aus der Straftat resultierenden oder zu ihrer Begehung verwendeten Gegenstände. Nunmehr gibt es nur noch den Begriff der Einziehung, der auch die früheren Fälle des Verfalls umfasst.21 Als Kernstück des Reformvorhabens bezeichnet die Gesetzesbegründung die Streichung des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB. Danach konnte eine Verfallsanordnung dann nicht ergehen, wenn Ansprüche von Verletzten der Straftat bestanden. Dadurch sollte eine doppelte Heranziehung des Täters vermieden werden. Das hatte in der Praxis dazu geführt, dass die Täter in zahlreichen Fällen Beuteteile behalten konnten, weil die Opfer häufig ihre zivilrechtlichen Ansprüche aus einer Vielzahl von Gründen (u. a. Kostenaufwand) nicht durchsetzen konnten.22 Das vom Gesetzgeber im Jahr 2006 zur Abhilfe eingeführte sogenannte „Rückgewinnungshilfeverfahren“ hatte sich rasch als zu kompliziert erwiesen.23 Die Entschädigung der Verletzten erfolgt nach dem gesetzgeberischen Willen nunmehr gesondert, d. h. unabhängig vom Strafprozess im Strafvollstreckungsverfahren (§ 459h StPO n.F.) oder im Insolvenzverfahren (§ 111i StPO 17 Vgl. BT-Drs. 18/7244; S. 10 m.w.N. 18 Vgl. hierzu Bachmann, BewHi 2013, 410 (413 ff.). 19 Ausführlich hierzu und zu den weiteren im Gesetz enthaltenen Neuerungen (u. a. §§ 64 und 67 Abs. 6 StGB n.F.) Schiemann, ZRP 2016, 98 ff.; Kaspar/Schmidt, ZIS 2016, 756 ff. 20 Vgl. hier und zum Vorstehenden BT-Drs. 18/9525, S. 48; s. ferner Maas, ZRP 2017, 130 (133); umfassend zur Neuregelung Köhler, NStZ 2017, 497 ff. 21 Vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 48. 22 Vgl. Bittmann, KriPoZ 2016, 120 (120). 23 Vgl. dazu etwa die Stellungnahme des Sachverständigen Heger, S. 2, abrufbar unter https:// www.bundestag.de/blob/481464/0ff 74501620370a881f 0a7416bed35f 7/heger-data.pdf (letzter Abruf: 4. 7. 2017); s. ferner Gebauer, ZRP 2016, 101 (101). Recht und Politik, Beiheft 2
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n.F.), wobei eine doppelte Inanspruchnahme des Täters nach wie vor ausgeschlossen ist.24 Des Weiteren bezweckt die Reform die Stärkung des „Bruttoprinzips“. Aus diesem Grund stellt § 73e StGB n.F. klar, dass vom erlangten Etwas nur noch solche Aufwendungen nicht abgezogen werden dürfen, die für die Tatbegehung oder -vorbereitung eingesetzt worden sind.25 Darüber hinaus hat die Gesetzesnovelle den früheren „erweiterten Verfall“ ( jetzt: „erweiterte Einziehung“) ausgedehnt. Als Anknüpfungspunkt kommt nunmehr gemäß § 73a Abs. 1 StGB n.F. jede rechtswidrige Tat in Betracht.26 Schließlich ist mit § 76a Abs. 4 StGB n.F. für die Bereiche der organisierten Kriminalität und des Terrorismuses ein rechtliches Instrument neu geschaffen worden, das die rechtliche Abschöpfungslücke für die Fallgruppe des aus Straftaten herrührenden Vermögens unklarer Herkunft schließt. Die vorgenannte Bestimmung ermöglicht es, Vermögensgegenstände selbstständig, d. h. unabhängig vom Nachweis einer rechtswidrigen Tat einzuziehen, wenn das Gericht von ihrer illegalen Herkunft überzeugt ist.27 Ähnlich wie bei der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bestand auch an der Reformbedürftigkeit der §§ 73 ff. StGB kein Zweifel.28 Auch hat die GroKo mit ihrer Gesetzesnovelle ohne Frage richtige Akzente gesetzt. Gleichwohl wird vielfach bemängelt, dass nach wie vor nicht unerhebliche Unklarheiten bestehen und der Gesetzgeber gewissermaßen auf halbem Weg stehen geblieben ist. So wird u. a. beklagt, dass der abschöpfungsrechtliche Tatbegriff weiterhin nicht hinreichend präzise konturiert ist, so dass das „erlangte Etwas“ nach wie vor nicht einfach zu bestimmen ist.29 Skepsis herrscht zum Teil auch bezüglich der Frage, ob die Opferentschädigung durch das neue Prozedere innerhalb des Strafvollstreckungs- oder Insolvenzverfahrens wirklich verbessert wird.30 Hier wird die Praxis in den nächsten Jahren gewiss näheren Aufschluss bringen. Schließlich hat die Regelung zur selbstständigen Einziehung gemäß § 76a Abs. 4 StGB n.F. verfassungsrechtliche Zweifel geweckt, weil diese für bestimmte
24 25 26 27 28
Vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 49 und 54. Vgl. Gebauer, ZRP 2016, 101 (101). Vgl. dazu BT-Drs. 18/9525, S. 57. Vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 58. Vgl. Gebauer, ZRP 2016, 101 (102); Heger (o. Fn. 23), S. 1 f.; zurückhaltend aber Meißner, KriPoZ 2017, 237 (240 f.). 29 Vgl. Bittmann, KriPoZ 2016, 120 (122 f.); Gebauer, ZRP 2016, 101 (103 f.); Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/480278/ d42feb5f8112db8741eba417855da329/drb_schneiderhan-data.pdf (letzter Abruf: 5. 7. 2017), S. 4 30 Vgl. Bittmann, KrPoZ 2016, 120 (130); Deutscher Richterbund (o. Fn. 29), S. 5 f.; a.A. etwa die Sachverständige Holznagel, S. 3 f.; abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/480642/ ecc94fde78c4b951c310d29ec1218dda/holznagel-data.pdf (letzter Abruf: 5. 7. 2017). 14
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Reformen des Strafgesetzbuches durch die dritte „Große Koalition“
Delikte eine Abschöpfung ohne Tatnachweis ermöglicht.31 Insoweit ist es daher nicht unwahrscheinlich, dass es zu einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht kommen wird. 5. Terrorismusstrafrecht Im Bereich des Besonderen Teils des StGB hat die GroKo zunächst den Terrorismus in den Blick genommen. Seit 20. 6. 2015 ist nun auch der Versuch, in ein Krisengebiet auszureisen, um sich dort in einem Terrorcamp ausbilden zu lassen oder sich an Anschlägen oder bewaffneten Kämpfen zu beteiligen, strafbar (vgl. § 89a Abs. 2a StGB).32 Ferner wurde der Tatbestand der „Terrorismusfinanzierung“ (§ 89c StGB) geschaffen. Beide Änderungen führen zu einer (erneuten) Verlagerung von Strafbarkeit weit ins Vorfeld tatsächlicher terroristischer Gewalttaten. War schon die „erste Runde“ der Implementierung eines Terrorismusstrafrechts durch die Einführung der §§ 89a und b, 91 StGB im Jahr 2009 als „rechtsstaatlicher Tiefpunkt“ kritisiert worden, gilt für die geschilderten Neuregelungen nichts anderes.33 Durch sie werden objektiv vollkommen neutrale Handlungen (z. B. Kauf von Nägeln, Bereitstellen von Geld) zum Anknüpfungspunkt von Strafbarkeit gemacht. Voraussetzung ist nur, dass die entsprechenden Verhaltensweisen subjektiv Bezug zu einer späteren staatsgefährdenden Gewalttat haben. Das wird sogar unter der Voraussetzung eines besonders engen Planungszusammenhangs für unverhältnismäßig erachtet,34 jedenfalls ist es mit erheblichen Beweisschwierigkeiten verbunden, die den praktischen Nutzen der Neuregelung erheblich in Frage stellen. 6. Abgeordnetenbestechung (§ 108e StPO) Bereits am 1. 9. 2014 ist zudem eine Neufassung des § 108e StGB in Kraft getreten. Er stellt die Bestechlichkeit von Mitgliedern der Volksvertretungen des Bundes und der Länder unter Strafe. Abs. 2 bestimmt die Strafbarkeit dessen, der einem Mandatsträger einen ungerechtfertigten Vorteil oder einem Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornimmt oder dies unterlässt. Abs. 3 stellt verschiedene Mitglieder anderer Organe bzw. Gremien den Abgeordneten des Bundestages und der Landtage gleich. Abs. 4 konkretisiert das Tatbestandsmerkmal „ungerechtfertigter Vorteil“.35
31 Vgl. etwa Gebauer, ZRP 2016, 101 (104); ausführlich zur selbstständigen Einziehung auch Meyer, StV 2017, 343 ff. 32 Vgl. Krings, ZRP 2015, 167 (169). 33 Vgl. Puschke, StV 2015, 457 (464). 34 Ausführlich hierzu Puschke, StV 2015, 457 (459 ff.). 35 Vgl. hier und zum Vorstehenden Bachmann, NJ 2014, 401 (404); s. ferner Maas, ZRP 2017, 130 (132). Recht und Politik, Beiheft 2
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Mit der Neufassung des § 108e StGB kommt Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption vom 27. 1. 1999 und dem UN-Übereinkommen gegen Korruption vom 31. 10. 2003 nach. Bis 2014 gehörte die Bundesrepublik neben Staaten wie Syrien und Saudi-Arabien zu den wenigen Ländern, die die vorgenannten Maßgaben noch nicht umgesetzt hatten. Problematisch an der Neufassung ist vor allem die praktisch schwierige Beweisbarkeit des Umstands, dass der Mandatsträger „im Auftrag oder auf Anweisung“ gehandelt hat. Anders als im Rahmen der §§ 331 ff. StGB werden zudem nachträgliche Vorteilsgewährungen für eine bereits vorgenommene Handlung eines Mandatsträgers nicht vom Tatbestand des § 108e StGB erfasst. Darüber hinaus ist die Ausnahmeregelung des § 108e Abs. 4 S. 1 StGB recht vage und eröffnet eine erheblichen Wertungsspielraum. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Bestimmung nämlich so auszulegen sein, dass ein ungerechtfertigter Vorteil u. a. dann nicht vorliegt, wenn die Annahme eines Vorteils „anerkannten parlamentarischen Gepflogenheiten“ entspricht.36 Vor diesem Hintergrund wird § 108e StGB durchaus berechtigt als „rechtspolitische Minimallösung“ bezeichnet.37 7. Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Am 30. 5. 2017 ist ferner ein Gesetz in Kraft getreten, das den Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften bezweckt. In dessen Zentrum steht der § 114 StGB, der den tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte – unter Verschärfung des Strafmaßes (drei Monate bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe) – selbstständig regelt. Gemäß § 115 Abs. 3 StGB wird nun nach § 113 StGB auch bestraft, „wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert. Nach § 114 wird bestraft, wer die Hilfeleistenden in diesen Situationen tätlich angreift.“ Schließlich wurde der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) um einen neuen Abs. 2 erweitert, der auch alle anderen Formen der Behinderung von hilfeleistenden Personen (z. B. durch „Gaffen“ bei Unfällen) unter Strafe stellt. Ob es in letzter Zeit tatsächlich einen Anstieg gewalttätiger Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten gegeben hat, wie in der Gesetzesbegründung behauptet wird, ist umstritten.38 Geradezu eine kriminologische Binsenweisheit ist es jedoch, dass mit Strafverschärfungen regelmäßig kein höheres Maß an generalpräventiven Effekten einher-
36 Näher hierzu und zum Vorstehenden Bachmann, NJ 2014, 401 (404 f.) m.w.N. 37 So Hoven, NStZ 2015, 553 (555). 38 Näher hierzu die Stellungnahmen des Sachverständigen Müller, S. 2 ff., http://www.bundestag. de/blob/499236/16b128a08cd347480cbe33a15344730d/mueller-data.pdf; Kubiciel, S. 3 ff., abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/499232/267f14c643ffca34f543bce040cc63 4f/kubieciel-data.pdf und Magnus, S. 1 f., abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/ 499234/75273cd6fb2304335883e7bf4e79d95c/magnus-data.pdf (letzter Abruf jeweils: 14. 7. 2017). 16
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geht.39 Müller und Magnus weisen zudem im Hinblick auf § 114 StGB n.F. mit Recht darauf hin, dass es kriminalpräventiv wenig sinnvoll und zudem dogmatisch nicht stimmig ist, tätliche Angriffe und damit Verhaltensweisen, die nicht einmal zwingend eine Körperberührung erfordern, mit erhöhter Mindeststrafe zu sanktionieren.40 Darüber hinaus stellt sich die Frage einer trennscharfen Abgrenzung zum Widerstand mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB.41 Schließlich wäre es systematisch sinnvoller gewesen, den Regelungsgehalt des § 115 Abs. 3 StGB n.F. – wie den der Behinderung von hilfeleistenden Personen – in der Nähe des § 323c StGB zu verankern, da Rettungseinsätze in aller Regel keine Vollstreckungshandlungen darstellen.42 8. Sexualstrafrecht a) Das Gesetz vom 21. 1. 2015 Wie im Koalitionsvertrag angelegt, hat die GroKo bereits Anfang 2015 eine recht umfangreiche Reform des Sexualstrafrechts vorgenommen. Zu den Kerninhalten gehören insbesondere eine Erweiterung der Geltung des deutschen Strafrechts bei Auslandstaten (§ 5 StGB) sowie des Täterkreises bei § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen). Weiterhin hat der Anwendungsbereich der §§ 184b und c StGB eine Ausdehnung auf Schriften erfahren, die die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Kindern und Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbezogener Körperhaltung zum Gegenstand haben. Ferner stellt § 184d StGB n.F. klar, dass sich auch strafbar macht, wer kinderpornografische Inhalte per Rundfunk oder Telemedien abruft oder der Öffentlichkeit zugänglich macht. Außerdem wurde § 184e StGB neu eingeführt, der das Veranstalten oder Besuchen von kinderoder jugendpornografischen Live-Darbietungen pönalisiert. Des Weiteren wurde in § 174 Abs. 2 StGB n.F. klargestellt, dass sich jeder Lehrer, Erzieher oder Betreuer in einer Einrichtung strafbar macht, wenn er sexuelle Handlungen an einem Kind oder Jugendlichen seiner Einrichtung vornimmt oder vornehmen lässt. Schließlich ruht die Verjährung von Taten im Sinne der §§ 174 bis 174c, 176 bis 179, 225 und 226a StGB nicht mehr bis zum 21., sondern bis zum 30. Lebensjahr (vgl. § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB). Zusätzlich wurde der Kreis der unter die vorgenannte Verjährungsregelung fallenden Delikte um die §§ 182 und 237 StGB erweitert. Die geschilderten Änderungen bzw. Neuregelungen setzen die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages vollständig um. Zum Teil waren sie aufgrund internationaler Ver-
39 Näher hierzu Bachmann/Goeck, in: Brunhöber/Höffler/Kaspar/Reinbacher/Vormbaum, Strafrecht und Verfassung, 2013, S. 37 (47). 40 Vgl. Müller (o. Fn. 38), S. 15. 41 Vgl. Magnus (o. Fn. 38), S. 3 f. 42 So mit Recht Müller (o. Fn. 38), S. 17. Recht und Politik, Beiheft 2
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pflichtungen erforderlich.43 Von verschiedener Seite wurde an der Gesetzesnovelle teils deutliche Kritik geübt. Davon betroffen ist etwa die Ausweitung der Verjährung nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB n.F., gegen die im Hinblick auf den Opferschutz Bedenken vorgebracht wurden.44 Die größte Kritik bezog sich aber auf das Fehlen einer Neuregelung des § 177 StGB, die alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen erfasst.45 b) Das Gesetz vom 4. 11. 2016 Letztgenannte Diskussion hat der Gesetzgeber jedoch im Jahr 2016 wieder aufgegriffen. Dies ist maßgeblich auf die Ereignisse der Silvesternacht 2015/2016 zurückzuführen, in der in Köln und anderen Städten Gruppen junger Männer gegen Frauen teils massiv sexuell übergriffig wurden.46 Befeuert wurde die Debatte außerdem durch das großes Aufsehen erregende Strafverfahren gegen das Model Gina-Lisa Lohfink, die der falschen Verdächtigung angeklagt war, nachdem sie zwei Männer wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung angezeigt hatte.47 Nun wurde mit beachtlicher Geschwindigkeit ein Gesetzgebungsprozess vorangetrieben, der im Ergebnis zur Implementierung des Prinzips „Nein heißt nein!“ führte. § 177 Abs. 1 StGB n.F. ist nunmehr so gefasst, dass es nicht mehr – wie bisher – entscheidend auf ein Moment der Nötigung oder des Ausnutzens einer schutzlosen Lage ankommt. Vielmehr ist es nun bereits ausreichend, dass ein sexueller Kontakt gegen den „erkennbaren Willen“ einer anderen Person zu Stande kommt. In § 177 Abs. 2 StGB n.F. werden dem Grundtatbestand des Abs. 1 Fälle gleichgestellt, in denen das Opfer keinen entgegenstehenden Willen bilden oder erkennbar äußern kann. Dabei wurde der Regelungsgehalt des (gestrichenen) § 179 StGB (sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen) zum neuen § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Die Fallkonstellation des früheren § 240 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB befindet sich nunmehr in § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB. Ferner stellt § 177 Abs. 3 StGB n.F. den Versuch unter Strafe. Außerdem enthalten die Abs. 4 bis 8 verschiedene Regelbeispiele und Qualifikationen. Schließlich sieht Abs. 9 für minder schwere Fälle diverse reduzierte Strafrahmen vor. Über die umfassende Reform des § 177 StGB hinaus, wurde mit § 184i StGB („sexuelle Belästigung“) ein neuer Straftatbestand geschaffen, der sexuelle Handlungen, die die Schwelle der Erheblichkeit im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB nicht erreichen, unter Strafe stellt. Diese Norm zielt damit vor allem auf die Fälle des sogenannten „Grabschens“ ab.48 Ferner wird gemäß § 184j StGB („Straftaten aus Gruppen“) nunmehr auch derjenige bestraft, der eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, 43 44 45 46 47 48 18
Näher hierzu Bachmann, NJ 2014, 401 (405 f.). Näher hierzu Bachmann, NJ 2014, 401 (405 f.) m.w.N. Näher zur damaligen Diskussion Bachmann, NJ 2014, 401 (406) m.w.N. Vgl. Wollmann/Schaar, NK 2016, 268 (274 f.). Vgl. Wollmann/Schaar, NK 2016, 268 (275 f.). Vgl. Högl/Neumann, RuP 2016, 155 (160). Recht und Politik, Beiheft 2
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wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i StGB begangen wird.49 Aus wissenschaftlicher Sicht ist die beschriebene Reform zunächst einmal deshalb begrüßenswert, weil Deutschland mit der grundlegenden Neugestaltung des § 177 StGB sowohl Art. 36 der „Istanbul Konvention“50 als auch der Rechtsprechung des EGMR Rechnung trägt, wonach grundsätzlich alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu pönalisieren sind. Ungeachtet dessen wird die konkrete Umsetzung jedoch aus verschiedenen Gründen zum Teil massiv kritisiert. So wird aus verfassungsrechtlicher Perspektive u. a. moniert, dass die Strafdrohung des § 177 Abs. 1 StGB n.F. vom bloßen Willen einer anderen Person abhänge und für den Normadressaten zu einem unter Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bedenklich hohen Grad an tatsächlicher Unsicherheit führe.51 Insbesondere bedürfe es spezieller Strafmilderungen für Fälle, in denen die sexuellen Handlungen einvernehmlich begonnen worden seien.52 Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Chancen für eine erfolgreiche verfassungsrechtliche Beanstandung des § 177 StGB n.F. aber freilich gering.53 Darüber hinaus wird – nicht zu Unrecht – auf Friktionen im Bereich der verschiedenen Strafandrohungen des § 177 StGB n.F. hingewiesen.54 Als problematisch wird zum Teil das Tatbestandsmerkmal des „erkennbaren Willens“ erachtet, dass das Delikt der Sache nach in die Nähe eines Fahrlässigkeitsdelikts rücke und zudem die Gefahr hervorrufe, dass innerhalb der Strafprozesse wieder vermehrt das Sexualverhalten des Opfers in den Mittelpunkt gerate, was für dieses zusätzliche Belastungen bedeuten könne.55 Dem wird jedoch entgegengehalten, dass es sich bei dem Merkmal „gegen den erkennbaren Willen“ um ein normales objektives Tatbestandsmerkmal handle, das im Kernstrafrecht zwar ein Novum darstelle, aber notwendig sei, um zu verhindern, dass die Strafbarkeit allein von der inneren Einstellung des Opfers abhänge.56 Weit einhelliger ist jedoch die Kritik an den neuen Tatbeständen der §§ 184i und 184j StGB. Bezüglich des erstgenannten Delikts wird mit Recht die Frage gestellt, ob es sich nicht der Sache nach um eine Ordnungswidrigkeit handelt, denn die Norm zielt 49 Eingehend zu diesem Straftatbestand Bauer, RuP 2017, 46 ff.; s. ferner Maas, ZRP 2017, 130 (131 f.). 50 Diese ist von der Bundesrepublik Deutschland erst spät – nämlich am 1. 6. 2017 – ratifiziert worden. 51 So etwa Löffelmann, StV 2017, 413 (414). 52 Vgl. Löffelmann, StV 2017, 413 (414 f.). 53 Vgl. Löffelmann, StV 2017, 413 (413), der dies grundsätzlich erkennt, aber bei § 177 StGB n.F. gleichwohl optimistisch in Bezug auf die Erfolgsaussichten einer Überprüfung der Neuregelung durch das BVerfG ist. 54 Vgl. hierzu die Beispiele bei Deckers, StV 2016, 410 (411); s. ferner Wollmann/Schaar, NK 2016, 268 (279). 55 Vgl. Wollmann/Schaar, NK 2016, 268 (280); Isfen, ZIS 2015, 217 (230). 56 Vgl. El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (165). Recht und Politik, Beiheft 2
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schließlich auf nicht erhebliche sexuelle Handlungen. Bezüglich § 184j StGB wird u. a. bemängelt, dass der fehlende Zusammenhang zwischen Tathandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung mit dem Schuldprinzip unvereinbar sei.57 Zudem werden Beweisschwierigkeiten befürchtet, da es bei § 184j StGB – im Gegensatz zum strukturell vergleichbaren § 231 StGB (Beteiligung an einer Schlägerei) – bereits ausreicht, dass der Täter rein körperlich anwesend ist und deshalb oftmals nicht klar feststellbar sein wird, wer zur Gruppe gehört und wer nicht.58 9. Cybermobbing und Cybergrooming Besonders hervorzuheben sind noch zwei spezielle Regelungen, die ebenfalls in dem bereits thematisierten Gesetz vom 21. 1. 2015 enthalten sind und der Umsetzung von Koalitionsvereinbarungen dienen. So wurde zum einen der Anwendungsbereich des § 201a StGB um bloßstellende Bildaufnahmen und solche von unbekleideten Personen erweitert, um den strafrechtlichen Schutz vor sogenanntem „Cybermobbing“ zu verbessern. Hierunter versteht man die Verwendung von Handy- oder Internetanwendungen, um einem Einzelnen über einen längeren Zeitraum hinweg vorsätzlich (etwa durch die Veröffentlichung kompromittierender Fotos) Schaden zuzufügen.59 Untersuchungen haben ergeben, dass bis zu einem Drittel aller 10- bis 18-Jährigen in Deutschland schon einmal von Cybermobbing betroffen waren, so dass es sich um ein ernstzunehmendes Phänomen handelt, das schwerwiegende Folgen für die Opfer – bis hin zum Suizid – haben kann. Als besonders belastend empfinden es die Betroffenen, wenn private Fotos oder Videos mit bloßstellendem Inhalt weiterverbreitet werden. Dass § 201a StGB n.F. nunmehr um kompromittierende Bildaufnahmen ergänzt wurde, ist also durchaus nachvollziehbar, auch wenn das Tatbestandsmerkmal „bloßstellend“ wenig präzise ist. Zum anderen wurde § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB um die Begehung mittels Informationsund Kommunikationstechnologie erweitert. Diese Änderung zielt auf das sogenannte „Cybergrooming“ ab. Hierbei handelt es sich um die gezielte Kontaktaufnahme von Erwachsenen zu Minderjährigen über Online-Medien, die das Ziel verfolgt, sich ihr Vertrauen zu erschleichen, um sie für sexuell motivierte Absichten zu missbrauchen. Auch dies ist ein praktisch relevantes Phänomen.60 Da bisher umstritten war, ob die Chat-Kommunikation dem Schriftenbegriff des § 11 Abs. 3 StGB unterfällt, schafft die Neuregelung insoweit Klarheit.
57 Vgl. Deckers, StV 2017, 410 (412); Bauer, RuP 2017, 46 (58); s. auch Wollmann/Schaar, NK 2016, 268 (279 f.). 58 Vgl. Bauer, RuP 2017, 46 (56). 59 Vgl. hier und im Folgenden Bachmann, NJ 2014, 401 (406 f.) m.w.N. 60 Vgl. Bachmann, NJ 2014, 401 (407) m.w.N. 20
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10. Datenhehlerei Durch das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“, das am 18. 12. 2015 in Kraft getreten ist, wurde mit § 202d StGB der neue Straftatbestand der Datenhehlerei geschaffen, dessen Abs. 1 folgenden Wortlaut hat: „Wer Daten (§ 202a Abs. 2), die nicht allgemein zugänglich sind und ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Ziel dieser neuen Regelung ist es, den Handel mit rechtswidrig erlangten Daten (z. B. Kreditkarten) in der Phase zwischen ihrem Erlangen und ihrem Verwenden zu pönalisieren.61 Die Schaffung des neuen § 202d StGB hat massive Kritik hervorgerufen. Bereits seine Notwendigkeit wird in Zweifel gezogen, da die Datenhehlerei bereits weitgehend von den §§ 202c Abs. 1 Nr. 1 StGB, 44 Abs. 1, 43 Abs. 2 BDSG, 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG erfasst sei und bestehende Schutzlücken im sogenannten „Darknet“ aufgrund der dortigen allgemeinen Zugänglichkeit der Daten nicht von § 202d StGB erfasst würden.62 Kritisiert werden ferner die zu große Reichweite und mangelnde Bestimmtheit des Tatbestandes. Gerade deshalb wurde Anfang des Jahres u. a. von mehreren Journalisten Verfassungsbeschwerde gegen die in Rede stehende Strafnorm eingelegt. In deren Begründung heißt es auf S. 6: „[…] § 202d StGB [ist] unhaltbar, weil er um den Kernbereich des eindeutig Strafbaren herum eine ,Aura des möglicherweise Strafbaren‘ schafft. Dies wirkt sich gerade auf den sensiblen Bereich der journalistischen Recherche – also das Vertrauensverhältnis zwischen Journalisten und ihren Quellen und anderen Auskunfts- und Hilfspersonen – verheerend aus.“63
Zwar hat der Gesetzgeber in § 202d Abs. 3 S. 1 StGB eine Regelung geschaffen, wonach keine Strafbarkeit nach Abs. 1 besteht, wenn es um Handlungen geht, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen. Diese Strafbarkeitseinschränkung ist jedoch – trotz der in Satz 2 genannten Beispiele – insgesamt wenig hilfreich, weil auch dadurch nicht hinreichend klar wird, welche beruflichen Tätigkeiten im Einzelnen erfasst sind und wann diese rechtmäßig im Sinne der vorgenannten Regelung sind.64 Angesichts der wenig gelungenen Umsetzung wäre es besser gewesen, auf die Schaffung des § 202d StGB zu verzichten und stattdessen die
61 Vgl. Stam, StV 2017, 488 (489); ausführlich zur Auslegung des neuen Tatbestandes Brodowski/ Marnau, NStZ 2017, 377 f. 62 Näher hierzu Stam, StV 2017, 488 (489 ff.); Singelnstein, ZIS 2016, 432 (438). 63 Die Verfassungsbeschwerde ist abrufbar unter https://freiheitsrechte.org/home/wp-content/ uploads/2017/01/Verfassungsbeschwerde_Datenhehlerei_public.pdf (letzter Abruf: 11. 7. 2017). 64 Vgl. Singelnstein, ZIS 2016, 432 (436). Recht und Politik, Beiheft 2
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explizit im Koalitionsvertrag verabredete Systematisierung der „bisher verstreut geregelten datenbezogenen Strafvorschriften“65 ernsthaft anzugehen. 11. Menschenhandel Durch das „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch“ vom 11. 10. 2016 wurden die §§ 232 ff. StGB grundlegend umgestaltet. § 232 Abs. 1 StGB n.F. regelt den Menschenhandel unter Ausnutzung einer Schwächesituation des Opfers, Abs. 2 denjenigen unter Einsatz schwerer Tatmittel wie Nötigung oder Entführung. § 232 Abs. 3 StGB n.F. enthält verschiedene Qualifikationen. Der Regelungsgehalt der bisherigen §§ 232, 233 StGB befindet sich nunmehr in den §§ 232a und b StGB. Neu sind § 233 StGB („Ausbeutung der Arbeitskraft“) sowie § 233a StGB („Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung“). Schließlich ist gemäß § 232a Abs. 6 StGB nun auch strafbar, weil als Freier die Dienste einer Zwangsprostituierten in Anspruch nimmt. Das soeben skizzierte Gesetz dient der (längst überfälligen) Umsetzung verschiedener europäischer Rechtsakte in nationales Recht.66 Sie wird allgemein als nicht gelungen angesehen. Wesentliche Kritikpunkte sind das Fehlen eines in sich stimmigen Gesamtkonzeptes, Wertungswidersprüche sowie mangelnde Europarechtskonformität.67 12. Strafverschärfung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 Abs. 4 StGB n.F.) Des Weiteren ist eine Strafverschärfung im Bereich des Wohnungseinbruchsdiebstahls (§ 244 StGB) erfolgt.68 Im Zentrum steht dabei eine Aufstufung des Diebstahls aus einer dauerhaft genutzten Privatwohnung zum Verbrechen (vgl. § 244 Abs. 4 StGB n.F.). Diesbezüglich wurde bereits im Zusammenhang mit den Ausführungen zu § 114 StGB n.F. darauf hingewiesen, dass sich durch derartige Strafverschärfungen in aller Regel nicht die gewünschten kriminalpräventiven Effekte einstellen.69 Zudem sind Abgrenzungsschwierigkeiten vorprogrammiert, denn zukünftig sind Wohnungen im Sinne von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht nur von Räumlichkeiten nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB, sondern auch von denen gemäß § 244 Abs. 4 StGB n.F. zu unterscheiden.70
65 Vgl. Koalitionsvertrag (o. Fn. 1), S. 147. 66 Vgl. Valerius, in: BeckOK-StGB, 34. Edition 2017, § 232 Rn. 1. 67 Ausführlich hierzu Renzikowski/Kudlich, ZRP 2015, 45 ff.; s. auch Bürger, JR 2015, 143 (153): „vertane Chance“. 68 Vgl. BT-Drs. 18/12933. 69 Siehe oben II. 7., s. ferner Bachmann, JR 2017, 445 (446); Busch, ZRP 2017, 30. 70 Vgl. Bachmann, JR 2017, 445 (446). 22
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13. Sportwettbetrug und Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben Zwei weitere neu geschaffene Straftatbestände betreffen den Bereich des Sports. Zum einen stellt § 265c StGB manipulative Absprachen unter Strafe, die das Ziel verfolgen, aus einer Sportwette einen unrechtmäßigen Gewinn zu erzielen („Sportwettbetrug“). Ferner pönalisiert § 265d StGB vorgenannte Verabredungen, wenn sie sich auf eine wettbewerbswidrige Verzerrung von berufssportlichen Wettbewerben beziehen. Ähnlich wie bei dem zuvor erörterten Tatbestand der Datenhehlerei hat die Schaffung der neuen §§ 265c und d StGB berechtigte Kritik hervorgerufen. Diese setzt vorliegend schon im Grundsätzlichen – nämlich bei der Frage nach dem geschützten Rechtsgut – an. Nach dem Willen des Gesetzgebers geht es um die „Integrität des Sports“ als Allgemeininteresse sowie um das Vermögen als Individualrechtsgut.71 Krack hat diesbezüglich treffend festgestellt: „Bei aller Freiheit des Gesetzgebers, strafrechtlich zu schützende Rechtsgüter auszumachen, ist nicht ersichtlich, wo die Grenzen dieser Rechtsgutslyrik liegen sollen. Sicher kommt dem Sport in unserem Gemeinwesen eine wichtige Bedeutung zu […]. Dennoch sind vage Allgemeininteressen wie die Integrität des Sports, die eher Programmsätze darstellen, anstatt einen gesicherten Kern strafrechtlich zu schützender Interessen zu beschreiben, nicht geeignet, zusammen mit der abstrakten Gefährdung von Vermögensinteressen eine Strafbarkeit zu begründen. Denn solche Allgemeininteressen lassen sich wohl beinahe bei jeder Gefährdung von Vermögensinteressen beschreiben.“72
Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Die beiden Tatbestände wären ohne Weiteres entbehrlich. Die Vermögensinteressen sind hinreichend durch den Tatbestand des – ggf. versuchten – Betruges nach § 263 StGB erfasst. Das Vertrauen in die Lauterkeit des Sports ist nicht zuletzt mit Blick darauf, dass das Strafrecht anerkanntermaßen nur ultima ratio sein kann, kein durch das StGB zu schützender elementarer Belang.73 Hinsichtlich der im Koalitionsvertrag angekündigten stärkeren Bekämpfung des Dopings ist im vorliegenden Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber insoweit mit dem „Anti-Doping-Gesetz“74 ein selbstständiges Regelungswerk mit eigenen Strafvorschriften erlassen hat, so dass das StGB nicht tangiert ist. 14. Nachstellung (§ 238 StGB) Da der GroKo die Quote der Verurteilungen nach § 238 StGB („Stalking“) mit etwa ein bis zwei Prozent75 als zu gering erschien, hat sie im Koalitionsvertrag vereinbart, „im Interesse der Opfer“ die „tatbestandlichen Hürden für eine Verurteilung“ zu senken76. 71 Vgl. BT-Drs. 18/8831, S. 10 ff. 72 Krack, ZIS 2016, 540 (545); kritisch ferner Feltes/Kabuth, NK 2017, 91 (92 ff.); Satzger, Jura 2016, 1142 (1152 ff.); Bohn, KriPoZ 2017, 88 ff. 73 So auch Satzger, Jura 2016, 1142 (1154). 74 Näher hierzu Zurawski/Scharf, NK 2015, 399 ff. 75 Vgl. den Überblick in BT-Drs. 18/9946, S. 10. 76 Vgl. Koalitionsvertrag (o. Fn. 1), S. 145. Recht und Politik, Beiheft 2
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Dies ist mit dem „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen“, das seit dem 10. 3. 2017 in Kraft ist, auch geschehen. Seitdem ist der im Jahr 2007 geschaffene Tatbestand des § 238 StGB kein Erfolgsdelikt mehr, sondern ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Die „schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“ des Opfers muss nun nicht mehr konkret vorliegen und entsprechend nachgewiesen werden. Vielmehr macht sich inzwischen schon strafbar, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass das Opfer in Folge der Nachstellungen seine Lebensweise (z. B. durch Umzug, Arbeitsplatzwechsel) gravierend verändert. Letzteres ist häufig schon aus finanziellen Gründen gar nicht geschehen.77 Die Reform hat ein recht unterschiedliches Echo hervorgerufen. Zum Teil wird die Änderung der Deliktsnatur des § 238 StGB als „lange überfällig“78 bezeichnet oder jedenfalls begrüßt79. Andererseits wird aber auch darauf hingewiesen, dass Gefährdungsdelikte im Bereich der Individualrechtsgüter eher Fremdkörper seien und die Strafbarkeit des Nachstellens nunmehr maßgeblich von der Einschätzung des Richters und nicht von derjenigen des Gesetzgebers abhänge, was bei Eingriffen in die Persönlichkeitssphäre – noch dazu bei einem Delikt an der Grenze zur straflosen Belästigung – nicht sein dürfe.80 Letztlich ist es vom Grundsatz her bedenklich, wenn Strafbarkeitsschwellen abgesenkt werden, um Anwendungs- oder Nachweisschwierigkeiten zu beheben und endlich mehr Verurteilungen durchführen zu können.81 Das ist nicht Aufgabe des materiellen Strafrechts. Köhne hat in diesem Zusammenhang bereits 2014 mit Recht darauf hingewiesen, dass es unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes sinnvoll wäre, verstärkt auch das zivil- und polizeirechtliche Handlungsinstrumentarium in den Blick zu nehmen.82 Immerhin hat der Gesetzgeber im Zuge der Reform auch das Gewaltschutzverfahren gestärkt.83 15. Korruption im Gesundheitswesen Durch das „Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen“ vom 30. 5. 2016 hat die GroKo auch ihr Vorhaben, Bestechung und Bestechlichkeit in dem genannten Bereich unter Strafe zu stellen, umgesetzt. Nach § 299a StGB macht sich nun strafbar,
77 Vgl. Mosbacher, NJW 2017, 983 (983). 78 So ausdrücklich Kubiciel, jurisPR-StrafR 8/2016 Anm. 1.; Kubiciel/Borutta, KriPoZ 2016, 194 (197 f.). 79 So etwa Mosbacher, NJW 2017, 983 ff. 80 Vgl. Kühl, ZIS 2016, 450 (451). 81 So – im Zusammenhang der neuen §§ 265c und d StGB – bereits Feltes/Kabuth, NK 2017, 91 (98). 82 Vgl. Köhne, ZRP 2014, 141 (142). 83 Näher hierzu Mosbacher, NJW 2017, 983 (985 f.). 24
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Reformen des Strafgesetzbuches durch die dritte „Große Koalition“ „wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er 1. bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, 2. bei dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind, oder 3. bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge“.
§ 299b StGB statuiert unter der Überschrift „Bestechung im Gesundheitswesen“ spiegelbildlich eine Strafbarkeit für diejenigen, die den Vorteil oder die Gegenleistung gewähren. Wie bei anderen neu eingefügten Strafvorschriften stellt sich auch bei den vorgenannten Korruptionstatbeständen die Frage nach deren Notwendigkeit. Bisher ist noch gar nicht hinreichend geklärt, inwieweit es im Gesundheitswesen tatsächlich verfestigte Bestechungsstrukturen gibt, denen nicht ausreichend im Wege der Selbstregulierung durch die entsprechenden Berufs- und Industrieverbände begegnet werden kann.84 Zudem erschließt sich nicht recht, warum gerade der Missbrauch von Vertrauenspositionen im Gesundheitswesen in besonderer Weise strafrechtlich verfolgt wird, bei anderen freien Berufen (Apotheker, Rechtsanwälte etc.) hingegen nicht.85 16. Fazit Insgesamt ist festzustellen, dass die GroKo ihr im Koalitionsvertrag angelegtes Reformprogramm nahezu vollständig abgearbeitet hat. Dass das Fahrverbot nicht als Hauptstrafe etabliert wurde, ist – wie gesehen – nicht zu kritisieren. Uneingeschränkt zu befürworten ist darüber hinaus lediglich die auf das Cybergrooming abzielende Erweiterung des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB. Unter dem Gesichtspunkt der Reformbedürftigkeit war es zudem grundsätzlich sinnvoll, dass sich die GroKo den Bereichen der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus, der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, der Abgeordnetenbestechung, des Sexualstrafrechts, des Menschenhandels und des Cybermobbings zugewendet hat. Allerdings gibt die Umsetzung der insoweit durchgeführten Reformen durchweg Anlass zu diversen (teils erheblichen) Beanstandungen. Bereits auf der Ebene des Reformbedarfs ist bezüglich der §§ 299a und b StGB sowie der Umgestaltung des § 238 StGB zum abstrakten Gefährdungsdelikt Skepsis angezeigt. Eindeutig überflüssig sind – wie dargelegt – die neu geschaffenen §§ 89c, 114, 184i und j, 202d, 265c und d StGB, die Strafverschärfung im Bereich des Wohnungseinbruchsdiebstahls sowie die Ergänzung des § 46 Abs. 2 StGB um menschenverachtende Motive. 84 Vgl. bereits Bachmann, NJ 2014, 401 (408); s. ferner Grzesiek/Sauerwein, NZWiSt 2016, 369 (371); a.A. Schröder, NZWiSt 2015, 321 (324 f.). 85 Vgl. Schneider, HRRS 2014, 473 (478). Recht und Politik, Beiheft 2
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III. Gesetzgeberische Initiativen ohne Bezug zum Koalitionsvertrag Ein ähnlich durchwachsenes Bild ergibt sich auch bei einem Blick auf die Reformen des materiellen Strafrechts, die erst nach Abschluss des Koalitionsvertrages initiiert wurden: 1. Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Um den Schutz vor extremistischen Straftaten zu erhöhen, hat der Gesetzgeber beschlossen, die elektronische Aufenthaltsüberwachung („Fußfessel“) im Rahmen der Führungsaufsicht sowie die fakultative Sicherungsverwahrung auf Straftäter auszuweiten, die wegen schwerer Vergehen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, der Terrorismusfinanzierung oder der Unterstützung einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt wurden. Für die Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung soll dies auch für Täter gelten, die wegen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt worden sind. Außerdem soll bei extremistischen Straftätern die Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung künftig schon dann möglich sein, wenn sie eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren – statt wie derzeit von drei Jahren – vollständig verbüßt haben.86 Die §§ 66 und 68b StGB wurden daher entsprechend geändert. Die erläuterte Reform ist in der Wissenschaft zwar zum Teil auf Zustimmung gestoßen, weil auch die typischerweise im Vorfeld eines terroristischen Übergriffs von extremistischen Straftätern verwirklichten Staatsschutzdelikte und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung eine Gefährdung potentieller Opfer indizierten, die mit Blick auf das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit einen dringenden Bedarf an entsprechenden Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht sowie die maßvolle Absenkung der Anordnungsvoraussetzungen für die Sicherungsverwahrung begründeten.87 Berechtigt ist allerdings auch der Einwand von Pollähne, wonach sich bereits die Vorfeldkriminalisierung der §§ 89a, 89c, 129 Abs. 5 StGB grundsätzlicher Kritik ausgesetzt sehe und es daher bedenklich sei, diese zur Grundlage einer Ausweitung des Maßregelrechts zu machen. Dies bestärke die bedenkliche Tendenz einer Verpolizeilichung des Strafrechts.88 Hierzu hat Baur jüngst ausgeführt: „Angesichts der geplanten Ausweitung der EAÜ [= Elektronische Aufenthaltsüberwachung] kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass dabei im Kern polizeirechtliche Instrumente
86 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BT-Drs. 18/11584, S. 1 f. 87 So die Stellungnahme des Sachverständigen Kinzig, S. 6 u. 8, abrufbar unter https://www. bundestag.de/blob/498828/b87e1b1d8b640e7a338aaeb33986b276/greven-data.pdf (letzter Abruf: 14. 7. 2017). 88 So die Stellungnahme des Sachverständigen Pollähne, S. 6, abrufbar unter https://www. bundestag.de/blob/498826/20cdc834209db5562fc93bf54a92bb55/pollaehne-data.pdf (letzter Abruf: 14. 7. 2017). 26
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Reformen des Strafgesetzbuches durch die dritte „Große Koalition“ der Gefahrenabwehr strafrechtlich geregelt werden, um die weitgehendere Legitimationswirkung des Strafrechts zur Rechtfertigung besonders eingriffsintensiver Maßnahmen zu nutzen.“89
Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber ein solches Vorgehen zukünftig nicht fortsetzen wird. 2. Begriff der „kriminellen Vereinigung“ im Sinne des § 129 StGB Des Weiteren hat der Gesetzgeber nunmehr den Begriff der kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB in einem neuen Abs. 2 definiert.90 Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, weil Deutschland damit (endlich) seiner Verpflichtung zur vollständigen Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. 10. 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität nachgekommen ist.91 Kritisiert wird jedoch, dass der deutsche Gesetzgeber zwar einerseits (und letztlich zwingend) den weiten europarechtlichen Begriff der kriminellen Vereinigung übernommen, andererseits aber den weitgehend misslungenen Versuch unternommen hat, den Anwendungsbereich wieder einzuschränken. So erscheint die Voraussetzung, dass die Vereinigung Straftaten ins Auge fassen muss, die im Höchstmaß mit mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, weitgehend ein Placebo zu sein, denn dadurch werden kaum Straftaten ausgeschlossen.92 Zudem gehen mit der Neufassung erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen Formen des kriminellen Zusammenwirkens mehrerer Personen – etwa zu derjenigen der Bande – einher.93 3. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung Seit 10. 12. 2015 macht sich ferner gemäß § 217 Abs. 1 StGB strafbar, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. In Abs. 2 der Vorschrift wird außerdem klargestellt, dass als Teilnehmer straffrei bleibt, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht. Dieser neue Straftatbestand ist in der Wissenschaft auf umfassende und nahezu einstimmige Kritik gestoßen.94 Er wird zum Teil bereits als nicht verfassungskonform angesehen. So wird u. a. dessen Verhältnismäßigkeit verneint, weil kein Zweifel daran bestehe, dass organisierte Sterbehilfe auch mittels einer Ahndung als Ordnungswid-
89 90 91 92 93 94
Vgl. Baur, KriPoZ 2017, 119 (123). Vgl. BT-Drs. 18/11275. Näher zum Ganzen Zöller, KriPoZ 2017, 26 ff. Vgl. Zöller, KriPoZ 2017, 26 (31 f.). So mit Recht Zöller, KriPoZ 2017, 26 (33 f.). Vgl. Berghäuser, ZStW (128) 2016, 741 ff.; Hoven, ZIS 2016, 1 (7) m.w.N.
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rigkeit unterbunden werden könne.95 Darüber hinaus sei unklar, worin eigentlich das geschützte Rechtsgut zu sehen sein soll.96 Fremdes Leben kann es in der Tat nicht sein, weil auch § 217 StGB einen freiverantwortlichen Suizid voraussetzt, der allerdings nicht strafbar ist.97 Nimmt man an, dass es darum geht, voreilige Suizide zu verhindern, ist nicht einsichtig, warum die Norm nur den Fall der geschäftsmäßigen Sterbehilfe erfasst.98 Zudem ist der Strafbarkeitsausschluss nach Abs. 2 dann nicht nachvollziehbar, weil gerade Angehörige oder nahestehende Personen ein Eigeninteresse an der Selbsttötung haben können.99 Schließlich wird auf unangemessen große Strafbarkeitsrisiken für Ärzte und Angehörige von Pflegeberufen hingewiesen, da das weite Tatbestandsmerkmal der „Geschäftsmäßigkeit“ grundsätzlich jede wiederkehrende Unterstützung von Suiziden erfasst.100 4. Korruptionsbekämpfung Durch das „Gesetz zur Bekämpfung der Korruption“, das am 26. 11. 2015 in Kraft getreten ist, wurde ferner die Strafbarkeit nach § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) durch Einfügung einer Nr. 2 in Abs. 1 auch auf Fälle ausgedehnt, in denen ein Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens ohne Einwilligung des Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen eine Handlung vornehme oder unterlasse und dadurch seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletze. Ferner wurde § 335a StGB geschaffen, der für Richter und bestimmte Bedienstete ausländischer oder internationaler Behörden sowie für Soldaten und bestimmte Bedienstete der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten der NATO, die sich zur Zeit der Tat im Inland aufhalten, den Anwendungsbereich der §§ 331 ff. StGB erweitert.101 Schließlich wurde die bisherige Straflosigkeit der sogenannten Selbstgeldwäsche (vgl. § 261 Abs. 9 S. 2 StGB) durch einen neuen Satz 3 dahingehend eingeschränkt, dass nunmehr auch derjenige nach § 261 StGB strafbar ist, der als Täter oder Teilnehmer der Vortat einen Gegenstand, der aus einer in § 261 Abs. 1 S. 2 StGB genannten rechtswidrigen Tat herrührt, in den Verkehr bringt und dabei die rechtswidrige Herkunft des Gegenstandes verschleiert.102 95 Vgl. Roxin, NStZ 2016, 185 (188); Hoven, ZIS 2016, 1 (8); für Unverhältnismäßigkeit auch Gaede, JuS 2016, 385 (387): a.A. Nakamichi, ZIS 2017, 324 (326 ff.); Kubiciel, ZIS 2016, 396 (400). 96 Näher hierzu Duttge, NJW 2016, 120 (123 f.). 97 Vgl. Roxin, NStZ 2016, 185 (188). 98 Näher hierzu Kubiciel, jurisPR-StrafR 1/2016. 99 Vgl. Grünwald, JZ 2016, 938 (946); Hoven, ZIS 2016, 1 (7); Kubiciel, jurisPR-StrafR 1/2016. 100 Näher hierzu Duttge, NJW 2016, 120 (124); Kubiciel, ZIS 2016, 396 (401). 101 Vgl. von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, 34. Edition 2017, § 335a Rn. 1. 102 Ausführlich dazu Barreto da Rosa, JR 2017, 101 ff. 28
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Auch an der vorstehend beschriebenen Reform ist zum Teil massiv Kritik geübt worden. Beispielhaft hierfür ist die Stellungnahme von Schünemann, der bezüglich der Erweiterung des § 299 StGB ausgeführt hat: „[D]iese Idee hat in einem rechtsstaatlich-liberalen Strafrecht nichts zu suchen, weil sie einem veralteten Strafrechtsdenken entspringt, kein strafrechtlich schutzwürdiges Rechtsgut aufzuweisen hat und darüber hinaus eine nicht legitimierbare, geradezu eines totalitären Staats würdige Vorfeldbestrafung intendiert.“103
In der Tat lässt sich nicht bestreiten, dass die Gesetzesnovelle wenig geglückt ist. Das zeigt sich schon in systematischer Hinsicht, denn obwohl § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F. keinen Wettbewerbsbezug aufweist, befindet sich die Regelung im Abschnitt über die Straftaten gegen den Wettbewerb und ist insoweit ein Fremdkörper. Gleichwohl wird – durchaus berechtigt – zu einer „Entdramatisierung“ geraten, da die Möglichkeit besteht, die in Rede stehende Neuregelung einschränkend wettbewerbsbezogen auszulegen.104 Was § 335a StGB anbelangt, dürfte der Gesetzgeber etwas „über das Ziel hinausgeschossen“ haben, indem auch rein lokale Bestechungsvorgänge durch die Neuregelung erfasst werden, wofür Dann treffend das Beispiel der Bestechung eines nigerianischen Amtsträgers zur Erlangung eines Vorteils ausschließlich in Nigeria angeführt hat.105 In derartigen Fällen geht es dann ausschließlich um den Schutz der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes ausländischer Staaten, was wohl kaum Aufgabe des deutschen Strafrechts sein kann.106 Überwiegend kritisch wird schließlich auch die Pönalisierung der Selbstgeldwäsche durch Vortatbeteiligte bewertet. Sie durchbricht (wertungswidersprüchlich) den Grundsatz der Straflosigkeit von Selbstbegünstigungshandlungen und stellt mit dem „Inverkehrbringen unter Verschleierung der rechtswidrigen Herkunft des Gegenstands“ auf eine systemwidrige Tatbegehungsweise ab, die praktisch kaum zu Verurteilungen führen wird.107
IV. Weitere bereits verabschiedete Reformen Wie bereits erwähnt, sind einige Gesetze zum Stichtag des 24. 9. 2017 zwar bereits verabschiedet gewesen, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten. Dies betrifft zum einen die Abschaffung des § 103 StGB („Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“), die durch das Schmähgedicht des Fernsehmoderators Jan Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten ausgelöst wurde.108 Die 103 Schünemann, ZRP 2015, 68 (69). 104 Näher hierzu Hoven, NStZ 2015, 553 (558 ff.) m.w.N. 105 Vgl. Dann, NJW 2016, 203 (206). 106 Vgl. Dann, NJW 2016, 203 (206). 107 Näher hierzu Barreto da Rosa, JR 2017, 101 (103 f.). 108 Vgl. BT-Drs. 18/11243, 18/11616; s. dazu auch Maas, ZRP 2017, 130 (132). Recht und Politik, Beiheft 2
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Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Insoweit reicht das Spektrum der vertretenen Ansichten von Zustimmung, einer Änderung in Anlehnung an § 188 StGB bis hin zur Beibehaltung.109 Durch das zukünftige Fehlen von § 103 StGB entsteht keine unerträgliche Schutzlücke, denn die §§ 185 StGB ff. erfassen auch die Beleidigung von ausländischen Staatsoberhäuptern. Es mag zwar sein, dass § 103 StGB nicht nur dem Schutz der von den §§ 185 ff. StGB erfassten Ehre dient, sondern auch dem der Würde des Amtes, das die von der Tat betroffene Person bekleidet, sowie der Würde des Staates, dessen Repräsentant die betroffene Person ist.110 Dies verliert jedoch an Brisanz, wenn man sich schlicht die faktische Situation vor Augen führt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass § 103 StGB vom Fallaufkommen her stets praktisch bedeutungslos war. Ferner wurde eine Reform des § 203 StGB verabschiedet. Im Kern geht es dabei um eine Einschränkung der Strafbarkeit von Berufsgeheimnisträgern, die bei ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit auf die Hilfeleistung anderer Personen angewiesen sind. In vielen Fällen ist es für Berufsgeheimnisträger nämlich wirtschaftlich sinnvoll, diese Tätigkeiten nicht durch Berufsgehilfen im Sinne des § 203 StGB erledigen zu lassen, sondern durch darauf spezialisierte Unternehmen oder selbständig tätige Personen.111 Das damit verfolgte Grundanliegen ist – bei diverser Kritik an der Umsetzung – auf breite Zustimmung gestoßen.112 Beschlossen wurde schließlich die Pönalisierung von verbotenen Kraftfahrzeugrennen durch die Schaffung des § 315d StGB n.F.113 Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet, durchführt oder daran teilnimmt. Die damit verbundene Aufstufung von einer bloßen Ordnungswidrigkeit zu einer Straftat hat – bei diverser Kritik an der Umsetzung – breite Zustimmung erfahren.114 Auf erhebliche Kritik sind jedoch zum 109 Vgl. Schelzke, HRRS 2016, 248 ff.; Heinze, GA 2016, 767 ff.; Mitsch, KriPoZ 2016, 101 ff.; Heinke, ZRP 2016, 121 f. 110 So die Stellungnahme des Sachverständigen Mitsch, S. 1 ff., abrufbar unter http://www. bundestag.de/blob/506910/5ec6fe85a6d104c26d353bcf072cb958/mitsch-data.pdf (letzter Abruf: 15. 7. 2017). 111 Vgl. BT-Drs. 18/11936, S.1. 112 Vgl. etwa die Stellungnahmen der Sachverständigen Momsen, S. 1 ff., abrufbar unter http:// www.bundestag.de/blob/506676/0278472e6dbb3a0bffe2b868f59b0b1b/momsen-data.pdf, Eisele, S. 1 f., abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/506898/414875f18190a69dab 20dadbd8ae5d04/eisele-data.pdf und Sinn, S. 1, abrufbar unter http://www.bundestag.de/ blob/506900/ee10356f95642a80b0b8cf81d22c5d6c/sinn-data.pdf (letzter Abruf jeweils 15. 7. 2017), s. ferner Kargl, StV 2017, 482 ff. 113 Vgl. BT-Drs. 18/12936; s. dazu auch Maas, ZRP 2017, 130 (132). 114 Vgl. etwa die Stellungnahmen der Sachverständigen Schuster, S. 4 ff., abrufbar unter http:// www.bundestag.de/blob/511216/35ff3dc802436f086aff295ce2586721/schuster-data.pdf und Müller, S. 2, abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/511214/4b6b0250fe17650 d33cc0f83cb45deac/mueller-data.pdf (letzter Abruf jeweils 15. 7. 2017); Dahlke/HoffmannHolland, KriPoZ 2017, 35 ff. 30
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Teil die ebenfalls unter Strafe gestellten Fälle des Einzelrasens (ohne Rennbezug) gestoßen. Pönalisiert wird nämlich gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB n.F. auch derjenige, der sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Beanstandet werden u. a. die Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale und die verfehlte systematische Stellung innerhalb des § 315d StGB.115
V. Schlussbetrachtung Löst man sich abschließend einmal von den einzelnen Reformen und blickt auf die hinter der Strafgesetzgebung sichtbar werdenden Grundstrukturen, bestätigen sich zahlreiche Bedenken, die schon seit geraumer Zeit immer wieder vorgebracht werden. Das betrifft einmal die Tendenz zu weiträumiger (Vorfeld‐)Kriminalisierung, wenig griffigen Rechtsgütern und damit letztlich einer Abkehr von dem allgemein anerkannten Prinzip vom Strafrecht als „ultima ratio“.116 Die Reformen zu § 238 StGB, zum Terrorismusstrafrecht oder zum Sportwettbetrug verdeutlichen dies eindrucksvoll. In diesen Zusammenhang gehört auch der häufig anzutreffende Begriff der „symbolischen Gesetzgebung“,117 mit dem sich u. a. die Erweiterung des § 46 Abs. 2 StGB sowie die Strafverschärfung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl kennzeichnen lässt. Ferner zeigen die Gesetzesnovellen der GroKo, dass die kriminalpräventive Wirkung von Strafverschärfungen seitens der Kriminalpolitik grundsätzlich überschätzt wird. Dies gilt etwa im Hinblick auf die Reformen im Bereich des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie bezüglich der Anhebung der Mindeststrafe beim Wohnungseinbruchsdiebstahl. Darüber hinaus lässt die handwerkliche Qualität der Gesetzesänderungen nicht nur im Neben-118, sondern auch im Kernstrafrecht mitunter sehr zu wünschen übrig. Dies findet seinen Ausdruck insbesondere in der (zu) häufigen Verwendung wenig griffiger Termini (u. a. im Bereich der Vermögensabschöpfung, der Abgeordnetenbestechung und der Datenhehlerei), der fehlerhaften systematischen Verankerung von Regelungen (s. etwa §§ 115 Abs. 3, 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F.), Wertungswidersprüchen (s. z. B. §§ 232 ff.; 261 Abs. 9 S. 3 StGB n.F.) oder in Friktionen im Bereich der Strafandrohungen (s. etwa §§ 114, 177, 244 StGB n.F.). Mitunter stellt sich auch ganz offen die Frage der Verhältnismäßigkeit (z. B. im Terrorismusstrafrecht oder bei den §§ 184i und 217 StGB n.F.). 115 Näher hierzu die Stellungnahme des Sachverständigen Schuster, S. 3 f., abrufbar unter http:// www.bundestag.de/blob/511254/99a5bca74334ba0ee41a998c211de1ce/franke-data.pdf (letzter Abruf: 15. 7. 2017). 116 Vgl. Zabel, ZRP 2016, 202 (203); Schellenberg, RuP 2016, 12; Heinrich, KriPoZ 2017, 1 ff. 117 Näher hierzu Heinrich, KriPoZ 2017, 1 (5). 118 Näher hierzu Saliger/von Saucken/Graf, ZRP 2016, 54 ff. Recht und Politik, Beiheft 2
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Des Weiteren handelt der Gesetzgeber gelegentlich in erschreckendem Maß aktionistisch bzw. überstürzt. Ein anschauliches Beispiel aus der Zeit der GroKo ist der Tatbestand des § 184j StGB, den der Gesetzgeber so schnell implementieren wollte, dass nicht einmal mehr schriftliche Stellungnahmen von Sachverständigen eingeholt werden konnten.119 Was die kommenden Legislaturperioden anbelangt, ist dem Gesetzgeber daher vor dem geschilderten Hintergrund Folgendes zu empfehlen: mehr Zurückhaltung beim Einsatz des Strafrechts (insbesondere Verzicht auf rein symbolische Gesetzgebung); größere Sorgfalt bei der Umsetzung von Reformvorhaben (u. a. stärkere Beachtung der Grundsätze hinreichender Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit, Vermeidung von Wertungswidersprüchen, vor allem hinsichtlich Systematik und Strafandrohungen); stärkere Beachtung kriminologischer Erkenntnisse. In inhaltlicher Hinsicht wäre es besonders zu begrüßen, wenn die von der GroKo wiederbelebte Diskussion um die Reform der Tötungsdelikte zukünftig (endlich) zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden könnte.120
119 Vgl. Bauer, RuP 2017, 46 (53 ff.). 120 Näher hierzu Maas, RuP 2014, 65 ff.; Haas, ZStW (128) 2016, 316 ff.; Bachmann, NJ 2014, 401 (408 f.). 32
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Schutzbedürftige Staatsgewalt?* Über Grundströmungen der Reform des Normenprogramms zur Bestrafung von Gewalt gegen Polizeibeamte Von Michael Wagner-Kern
I. Rahmung Der vorliegende Text1 behandelt ein aktuelles Beispiel (spät‐)modernen Strafrechts: Die am 30. Mai 2017 in Kraft getretene Reform der Widerstandsparagrafen – ausgerufen als „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“2 – kodifiziert Forderungen nach einer neuerlichen Verschärfung des strafrechtlichen Normenprogramms im Kontext der §§ 113, 114 StGB. Ihren gesetzestechnischen Ursprung hat diese Neuvermessung in einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung,3 wobei das Novellierungskonzept – zur Abstimmung stand schließlich ein identischer Antrag der Koalitionsfraktionen – am 27. April 2017, ohne dass über Änderungsanträge des Bundestagsrechtsausschusses zu befinden war,4 in zweiter und dritter Lesung vom Bundestagsplenum mit den Stimmen der Regierungsfraktionen verabschiedet wurde. Der Bundesrat ließ den gemäß Art. 77 Abs. 1 S. 2 GG zugeleiteten Gesetzesbeschluss am 12. Mai 2017 passieren.5 In diese Gesetzgebung einzulesen sind zudem (Diskurse
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Dieser Beitrag erscheint zeitgleich in RuP 1/2018. Es handelt sich um die Überarbeitung einer Stellungnahme, die der Verfasser für eine am 9. Mai 2017 durchgeführte Anhörung – zur Frage nach der Notwendigkeit schärferer Strafen bei Gewalt gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte – dem Innenausschuss des Landtags Rheinland-Pfalz vorlegte. BGBl. I, 1226 f. BT-Drs. 18/11547; BR-Drs. 126/17; übereinstimmend: Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 18/11161, vom 14. Februar 2017. Vorausgegangen waren noch weiter gehende Initiativen aus Hessen (BR – Drs. 165/15) und dem Saarland (BR-Drs. 187/15), die bereits im Jahre 2015 im Bundesrat beraten, jedoch mangels einer Bundesratsmehrheit (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG) nicht als Bundesratsinitiative (Art. 76 Abs. 1 GG) beim Bundestag eingebracht worden waren. BT-Drs. 18/12153. Siehe BT-Plenarprotokoll 18/231, S. 23257 (23268); BR-Drs. 339/17; BR-Plenarprotokoll 957, S. 227.
Recht und Politik, Beiheft 2 (2018), 33 – 44
Duncker & Humblot, Berlin
Michael Wagner-Kern
über) die bereits Anfang November 20116 vollzogene Neuausrichtung der §§ 113 ff. StGB und somit hergebrachte Begründungsmuster zugunsten damals schon eingeschriebener Verschärfungsmodelle. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit reflektiert die folgende Abhandlung einige empirische (unten II.), strafrechtliche (unten III.) und – in der Debatte zumeist und zu Unrecht vernachlässigte – kriminologische bzw. strafrechtssoziologische Problembereiche (unten IV.) des Änderungsgesetzes.
II. Statistische Zuführungen – empirische Begründungslinien der Novelle Als zentraler Impuls für die neuerliche Reform der §§ 113 ff. StGB ist der Hinweis auf seit Jahren gestiegene Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte auszumachen.7 Vornehmlich in Bezug genommen wird dabei der im Jahre 2011 eingeführte PKS-Katalog „Geschädigtenspezifik“, in dem Polizeivollzugsbeamte nicht nur als Opfer klassischer Widerstandshandlungen, sondern „umfassender als Opfer von ,Gewalttaten‘ (z. B. Körperverletzungen, Mord, Totschlag) erfasst werden“, wobei die Erfassung beschränkt ist auf „Straftaten gegenüber Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten in Ausübung ihres Dienstes“.8 Ergänzend hierzu wird erläutert, dass die Erfassungskategorie „Geschädigtenspezifik“ als Merkmal voraussetzt, dass „die Tatmotivation in den personen- und berufs- bzw. verhaltensbezogenen Merkmalen begründet ist oder in Beziehung dazu steht (sachlicher Zusammenhang). Das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen muss erkennen lassen, dass die Tathandlungen u. a. oder allein durch das im Einzelfall vorliegende Merkmal veranlasst war.“9 Auf dieser Grundlage wurden in den Reformbegründungen für die Jahre 2013 bis 2015 die Zahlen solcher Straftaten, bei denen Polizisten im genannten Sinne Opfer wurden, mit 59.044 (2013), 62.770 (2014) und 64.371 (2015) herausgestellt.10 In Kontinuität dieser Lesung benennt die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016 insgesamt 71.795 (derartige) Taten, bei denen Polizeibeamte Opfer wurden; bei vollendeten Straftaten dieser Art (im Jahre 2015: 56.822) wird eine erneute Steigerung, nun um 6.345 Fälle, auf 63.167 ausgewiesen.11 Mit diesen (Steigerungs‐)Zahlen wurde die Novellierung der §§ 113 ff. StGB bis in die Schlussberatungen hinein begründet.12 6 BGBl. I, 2130. 7 BR-Drs. 126/17, S. 4. 8 BMI, Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2016, S. 37, eingesehen unter https://www. bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/2017/pks-2016.html [Abruf 15. 10. 2017]. 9 BMI (o. Fn. 8), dort Fn. 11. 10 BR-Drs. 126/17, S. 1. 11 BMI (o Fn. 8). 12 BT-Plenarprotokoll 18/231, S. 23257 (Parl. Staatssekretär Lange). 34
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Eine solche Bezugnahme auf PKS-Daten und die so stark gemachte Legitimationsbasis der Gesetzgebung sind – wie bereits die empirische Begründungsbasis der Verschärfung im Jahre 201113 – Einwänden ausgesetzt. Wissenschaftlich anerkannt ist, dass die Aussagekraft der PKS und ihre Zahlen, die objektiv einzig die polizeiliche Registrierungsarbeit widerspiegeln, „deutlich relativiert“14 werden müssen. Eine Gleichsetzung der mittels der PKS erhobenen Zahlen mit der objektiv existierenden Kriminalität und der in den Gesetzesbegründungen sichtbare Gedanke, der Aussagewert linearer Betrachtungen mit dabei über die Jahre ausgewiesenen Abweichungen nach oben gehe so weit, objektive Kriminalitätsveränderungen abzubilden, ist nicht haltbar.15 Speziell mit Blick auf die hier im Raum stehende Registrierung von gewaltgeneigten Straftaten gegen Polizeibeamte sind zudem Besonderheiten bzw. eventuelle Einflüsse auf das Registrierungsverhalten zu berücksichtigen – wie die „Definitions- und Verfolgungsmacht“16, die Selbstbetroffenheit, die Verpflichtungen aus dem Legalitätsprinzip sowie die Möglichkeit, dass jenseits einer potenziell objektiv nicht verschlimmerten Gewaltlage eine modifizierte Gewaltperzeption vorliegt,17 verbunden mit potenziellen Auswirkungen (im Sinne einer entsprechenden Sensibilisierung) langjähriger und nachdrücklich vorgebrachter Beschreibungen und Reformforderungen der Polizeigewerkschaften. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass die im Gesetzgebungsverfahren in Bezug genommene Zunahme gewalttätiger Angriffe auf Polizeibeamte und Rettungskräfte nicht als objektive Größe zu unterstellen und – zumindest – grundlegend zu hinterfragen sind.18 Die genannten – und noch weitere19 – grundsätzliche Einwände gegen die in dem Gesetzentwurf sichtbare Verarbeitung der genannten PKS-Zahlen kamen im Gesetzgebungsverfahren zur Sprache, jedoch hatten diese Vorbehalte auf die zentrale Argumentationsbasis der Novelle, soweit ersichtlich, keinen Einfluss. Gerade die in der abschließenden Bundestagsberatung erkennbare Kontinuität der geschilderten PKSOrientierung20 belegt die begrenzte Wirkung wissenschaftlich-kritischer Erkenntnisse über die reduzierte Aussagekraft der PKS.
13 14 15 16 17 18
Vgl. etwa Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, 3. Aufl., 2012, S. 55. P.-A. Albrecht, Kriminologie, 4. Aufl., 2010, S. 176. Instruktiv: Kunz/Singelnstein, Kriminologie, 7. Aufl., 2016, § 16, Rn. 11 ff. Bosch, in: Münchener Kommentar, Strafgesetzbuch, Bd. 3, 3. Aufl. 2017, § 113, Rn. 4. Behr, in: Ohlemacher/Werner (Hrsg.), Polizei und Gewalt, 2012, S. 180. Ebenso skeptisch hinsichtlich gestiegener Zahlen: Bosch (o. Fn. 16); Zöller, KriPoZ 3/2017, S. 143. 19 Etwa die Stellungnahme von H. E. Müller vom 20. März 2017 (einzusehen unter www. bundestag.de/blob/499236/16b128a08cd347480cbe33a15344730d/mueller-data.pdf [Abruf: 16. 10. 2017]). 20 Etwa BT-Protokoll 18/231, S. 23259 (Parl. Staatssekretär Krings). Recht und Politik, Beiheft 2
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III. Strafrechtliche Kernbereiche und -regelungen der Novelle Die materiell-rechtliche Hauptströmung des Reformprogramms ist die Implementierung unterschiedlicher Verschärfungsmodelle. Hierzu wurden die §§ 113, 114 StGB erweitert bzw. neu konzipiert. 1. Verschärfung I – Die Ausweitung des Katalogs der Regelbeispiele (§ 113 Abs. 1 S. 2 StGB) Das strafschärfende Moment fand zunächst Eingang in einen modifizierten Katalog „besonders schwerer Fälle“ eines Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 2 S. 2 StGB). Bestimmt ist nun, das „Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs“ nicht mehr von dem gleichzeitigen Vorliegen einer subjektiven Verwendungsabsicht abhängig zu machen. Damit schreibt der Gesetzgeber bereits existierende Konstruktionen (etwa § 244 Abs. 1 Nr. 1a, 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB) als Regelbeispiel in den neuen § 113 StGB ein und überführt damit in die Widerstandsvorschrift die mit dieser (sprachlichen) Objektivierung verbundenen Schwierigkeit, den Kreis „gefährlicher Werkzeuge“ zu erfassen. Die entsprechenden Auslegungsprobleme bei mitgeführten Alltagsgegenständen und die bereits bei den genannten Referenznormen teilweise entgrenzenden Präzisierungsbemühungen lassen das Entstehen einer dem entsprechenden „Wirrnis“21 nun auch bei § 113 StGB befürchten. Ist heute angesichts einer nicht mehr überschaubaren Auslegungspraxis die Forderung nach einer Reform („Der Gesetzgeber muss den Fehler endlich korrigieren.“22) damit berechtigt, so muss dieser Neuerung aus dogmatischen wie aus praktischen Erwägungen widersprochen werden. Zusätzlich neu aufgenommen in den Katalog der Regelbeispiele wurde der Erschwernisgrund einer gemeinschaftlichen Tatbegehung (§ 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB). Auch hierbei knüpft der Gesetzgeber an bereits existierende Verschärfungsmodelle an (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Die Berücksichtigung dieser klassischen Formel einer gemeinschaftlichen Begehung legitimiert die Entwurfsbegründung mit dem Hinweis auf die „erhöht[e] Gefahr für die betroffenen Polizeibeamten“23. Problematisch ist jedoch, dass die mit Tathandlungen des § 113 StGB oft einhergehenden Großlagen (Demonstrationen, Eingriffsmaßnahmen gegenüber mehreren Adressaten) möglicherweise einen ausgedehnten Anwendungsbereich dieses Regelbeispiels zur Folge haben. Das Kernproblem des im Bereich der Regelbeispiele ausgeweiteten Normprogramms ist die damit verbundene Extension der „besonders schweren Fälle“. Gerade die Vagheit des nun auch hier auszulegenden Merkmals „gefährliches Werkzeug“ zeigt die Gefahr, dass die mit dem erhöhten Strafrahmen (sechs Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) gegenüber der Strafandrohung des § 113 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) eine übermäßige Bedeutung erlangen wird. Die Erforderlichkeit dieser Strafverschärfung wurde nicht nachgewiesen, 21 Fischer, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 64. Aufl., 2017, § 244, Rn. 15. 22 Fischer (o. Fn. 21), Hervorhebung dort. 23 BR-Drs. 126/17, S. 6. 36
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und die möglichen Folgen einer Dominanz des Regelbeispielkatalogs sind, soweit ersichtlich, nicht diskutiert worden. Die Empfehlung des BR-Rechtsausschusses, die Novellierung des § 113 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB zurückzunehmen,24 griff der Bundestag nicht auf. 2. Verschärfung II – Der neue § 114 StGB Die Novelle streicht zudem in dem bisherigen § 113 Abs. 1 StGB die Tathandlungsoption des „tätlichen Angriffs“. Diese weit gefasste Zuschreibung tauglicher Gewalthandlungen, die jede(n) – auch erfolglose(n) – Einwirkung(versuch) abdeckt und damit bereits die erfolglose – versuchte – Körperverletzung ausreichen lässt, wurde in den neu konzipierten § 114 StGB überführt. Über die Tathandlung des § 114 Abs. 1 StGB wird nun unter Strafe gestellt, dass ein Täter – unabhängig von konkreten Vollstreckungshandlungen und insoweit anders als in § 113 Abs. 1 StGB – demgemäß auf den Körper eines Polizeibeamten, Gerichtsvollziehers oder solchen Amtsträgern gleichgestellte Personen gewaltsam einwirkt bzw. einzuwirken versucht. Mit der Abkopplung der Strafandrohung vom Erfordernis einer konkreten Vollstreckungshandlung verbunden ist eine, verglichen mit § 113 Abs. 1 StGB, zudem deutliche Anhebung des Strafrahmens (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren). Diese Verbindung der weit gefassten Angriffs-Handlung mit dem gleichzeitigen Verzicht auf das Einschränkungskriterium der beim Amtsträger zum Zeitpunkt der Gewalttat vorzunehmenden Vollstreckungshandlung und die zusätzliche Strafrahmenerhöhung machen aus dem neuen § 114 StGB einen Straftatbestand, der die Logik des bisherigen Widerstandsparagrafen aufhebt. Denn weil nun diese verschärfte Strafbewährung neben der niedriger angesetzten Rechtsfolge des Widerstandsparagrafen existiert, ergibt sich ein nicht geklärter Wertungswiderspruch zwischen den nahe beieinander liegenden Tathandlungen des „Widerstandsleisten mit Gewalt“ (§ 113 Abs. 1 StGB) und dem tätlichen Angriff (§ 114 Abs. 1 StGB) einerseits und den deutlichen Unterschieden im Strafrahmen andererseits. Mit dem neu gefassten § 114 StGB rekurriert der Gesetzgeber zudem auf Verhaltensweisen, die von den §§ 223 ff. StGB erfasst werden. Bereits das vormals in § 113 Abs. 1 StGB geltende Tatbestandsmerkmal des „tätlichen Angriffs“ konnte schon immer als überflüssig kritisiert werden, weil die damit assoziierten Tathandlungen – spätestens seit der Strafbewährung auch des Versuchs einer einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 2 StGB) im Jahre 199825 – von den Körperverletzungsdelikten abgedeckt werden.26 War dies im Ergebnis mit Blick auf den alten Strafrahmen des § 113 Abs. 1 StGB (auch noch nach der Verschärfung im Jahre 2011) in der praktischen Auswirkung vielleicht von nachgeordneter Bedeutung, so geht der neue § 114 Abs. 1 StGB zumindest über die Strafandrohung des § 223 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) hinaus. Damit zeigt sich bereits an 24 BR-Drs. 126/1/17, S. 2 f. 25 BGBl. I, S. 175. 26 Wagner-Kern, Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/2010, S. 18. Recht und Politik, Beiheft 2
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dieser Stelle, dass der Gesetzgeber die Gewichtung zwischen (den Schutzgütern) der Körperverletzung und den Rechtsgütern der §§ 113, 114 StGB neu ausrichtet. Anders müsste die Analyse ausfallen, wenn nun § 114 Abs. 1 StGB so zu lesen wäre, dass mit ihm Taten sanktioniert werden sollen, die von den Körperverletzungsdelikten – nicht einmal im Versuch – (noch) nicht erfasst werden. Entsprechende Überlegungen, die bereits dem aktuell gültigen § 113 StGB einen dem entsprechend „neuen Bedeutungsgehalt“27 geben möchten, überzeugen nicht. Eine solche Lesart findet weder eine Stütze in den vorgelegten Begründungen, noch könnte sie die Strafandrohung in der neuen Vorschrift rechtfertigen. 3. Unscharfe Rechtsgutspolitik Eine Neuvermessung zeigt sich insbesondere dadurch, dass der aktuelle Legislativakt den ursprünglichen Sinngehalt des Widerstandsparagraphen mit Blick auf dessen Nötigungskern in sein Gegenteil verkehrt.28 Galt nämlich § 113 StGB bis zu seiner Verschärfung im Jahre 2011 mit seiner maximalen Strafhöhe von zwei Jahren nach weit verbreiteter Ansicht29 als Privilegierungstatbestand des Nötigungsparagrafen (§ 240 StGB), so stellte der Gesetzgeber mittels der 2011 vollzogenen Angleichung der Strafrahmen in den §§ 113 Abs. 1, 240 Abs. 1 StGB diese Privilegierungsidee erstmals in Frage.30 Der ursprüngliche Gedanke, dem Widerstands-Täter angesichts einer per se konfliktgeneigt gesehenen hoheitlichen Maßnahme eine (psychische) Ausnahmesituation zuzuschreiben und daher das Strafmaß unterhalb der allgemeinen Nötigungsvorschrift anzusiedeln, ist im Rahmen der Novelle sogar umgekehrt worden. Denn als zentrale Folge des Reformmodells übersteigt das Strafmaß des § 114 StGB die Sanktionsdrohungen in § 240 Abs. 1 StGB deutlich. Hierin spiegelt sich eine Verschiebung zwischen den der Idee des Widerstandparagrafens zugeschriebenen Rechtsgütern wider: Traditionell genannt als Zwecksetzungen werden – erstens – die strafrechtliche Absicherung der „Autorität staatlicher Vollstreckungsakte“ bzw. das „staatliche Gewaltmonopol“31 und – zweitens – der auch individuelle Schutz der handelnden Personen.32 Das (Spannungs‐)Verhältnis dieser Schutzrichtungen war zwar nie unumstritten, jedoch verbringt das neue Modell die Zweckrichtungen gänzlich ins Unklare. In Teilen benennen die Gesetzesbegründungen nun das Moment individuellen Schutzes, auch weil Polizeibeamte „bei allgemeinen Diensthandlungen nicht ständig eines Angriffs auf sich gewahr sein“33 müssten. Hinter dieser Linie tauchen die 27 Joecks, Studienkommentar, StGB, 11. Aufl., 2014, § 113, Rn. 3. 28 So auch die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, Nr. 06/17, eingesehen unter www. drb.de/stellungnahmen.html [Abruf: 15. 10. 2017]. 29 Etwa Kindhäuser, Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl., 2010, § 113, Rn. 35. 30 Vgl. Fischer (o. Fn. 21), Rn. 2. 31 Fischer (o. Fn. 30). 32 Heinrich, in: Dölling u. a., Gesamtes Strafrecht, Handkommentar, 4. Aufl., 2017, § 113, Rn. 1. 33 BR-Dr. 126/17, S. 6. 38
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impulsgebenden Wurzeln der vorliegenden Reform auf. Transportiert werden die initiativ wirkenden Argumentationsmuster, mit denen Polizeigewerkschaften eine Verschärfung der §§ 113 ff. StGB anmahnten.34 Flankierend erfolgt(e) seitens der (Jugendorganisation der) GdP – unterstützt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – die Hervorhebung eines persönlichen Schutzanspruchs mit Blick auf den pointiert stark gemachten Verweis auf die individuelle – körperliche – Integrität der betroffenen Polizeibeamten, auch im wörtlichen Sinne plakativ stark gemacht mit dem Slogan „Auch Mensch“35. Solche Begründungsinitiativen verschieben das Ursprungsmodell eines doppelten Schutzzwecks, das sowohl für die Fälle des Widerstandshandelns als auch für den tätlichen Angriff reklamiert wird,36 in Richtung einer stark individualschützenden Zuschreibung. Insoweit weisen die Impulsgebungen auf eine Tendenz zur Umkehrung der bisherigen Interpretation hin, nach der bei § 113 StGB das „öffentliche Schutzmoment“ zumeist als dominierend angesehen wird.37 Insoweit schreibt der Gesetzgeber einen quasi individualschützenden Paradigmenwechsel fort, der bereits im Jahre 2011 deutlich wurde, als die neu geschaffene Einbeziehung von Feuerwehrleuten, Rettungs- und Katastrophenschutzkräften (§ 114 Abs. 3 StGB) in den Schutzbereich verdeutlichte, dass eine Betonung bzw. Hervorhebung des Schutzzwecks auf klassische Hoheitsakte nicht (mehr) beabsichtigt erscheint.38 Soweit demnach mit der vorliegenden Novelle der ursprünglich einmal nachgeordnete Individualschutz erneut zur legitimierenden Kraft des Gesetzgebungsakts wurde, lässt sich dies unter Hinweis auf die oben genannte Schutzweite der Körperverletzungsdelikte kaum rechtfertigen. Der Gesetzgeber umgeht diesen Widerspruch, indem er in dem konkreten Gesetzgebungsverfahren die kollektive Zwecksetzung herausstellt. Danach „kommt in der Verurteilung allein wegen eines Körperverletzungsdelikts das spezifische Unrecht eines Angriffs auf einen Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols nicht zum Ausdruck“39. Und darauf gestützt („Vor diesem Hintergrund…“) wird die Novelle und ausdrücklich der neue § 114 StGB diesbezüglich eingeordnet, wobei der sodann benannte Sinngehalt wiederum in beide Richtungen verweist („Dies trägt dem Gefahrenpotential derartiger Angriffe für das Opfer Rechnung und erhöht die abschreckende Wirkung.“40). Es zeigt sich, dass der neue
34 Nw. bei Zöller (o. Fn. 18); ders., ZIS 2015, S. 445; vgl. ferner www.gdp.de/gdp/gdpnsf/id/de_ gdp_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_polizisten [Abruf: 15. 10. 2017]. 35 Siehe http://www.auchmensch.de/assets/downloads/AuchMensch2017_Die_Kampagne.pdf [Abruf: 15. 10. 2017]; vgl. auch den Titel „Polizei im Spannungsfeld“, in: Deutsche Polizei, 1/2016; dazu: Komolka, Polizisten sind keine Maschinen – Polizei braucht Unterstützung, a.a.O., S. 4. 36 Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 29. Aufl., 2014, Rn. 2. 37 Eser (o. Fn. 36), m. w. Nw. 38 Singelnstein/Puschke, NJW 2011, S. 3475; Fischer (o. Fn. 30). 39 BR-Drs. 126/17, S. 4. 40 BR-Drs. 126/17, S. 4 f. Recht und Politik, Beiheft 2
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§ 114 StGB, wie bereits die Verschärfung des § 113 StGB im Jahre 2011,41 aus seiner Logik heraus eine Schwerpunktsetzung hin zum Individualschutz stark macht. Dies drückt letztlich die Abkopplung der Tathandlung des tätlichen Angriffs vom Erfordernis der konkreten Vollstreckungshandlung aus. Denn soweit sich ein Täter gegen eine derart konkrete Hoheitsmaßnahme mit Gewalt wendet, ist die Nähe zur konkreten Ausübung des Gewaltmonopols sichtbar. Zugespitzt formuliert stärkt der § 114 StGB die einst nachgeordnete Idee des Individualschutzes (erneut), während der modifizierte § 113 StGB weiterhin der klassischen Dominanz einer kollektiven Schutzidee verschrieben bleibt. Anders: Der weit gefasste Tatbestand des § 114 Abs. 1 StGB wird von einer engen Verbindung an den Kollektivschutz gelöst. Insoweit beschreibt das Nebeneinander der neuen §§ 113, 114 StGB eine unklare Gemengelage nun noch unpräziserer Zwecksetzungen; die Existenz des neuen § 114 StGB erscheint so nicht vermittelbar.
IV. Desiderate – (oft ausgeblendete) Grundströmungen der Novelle 1. Die Auseinandersetzung mit den Problemen symbolischen Strafrechts Die Unklarheit über die sich in der Reform widerspiegelnden (widersprüchlichen) Rechtsgutsmodelle und die beharrlichen Hinweise auf die in ihrer Argumentationskraft jedoch anzuzweifelnden PKS-Zahlen verweisen auf den Charakter der Novelle als Musterbeispiel symbolischer Gesetzgebung. Dass die Verschärfungsprogramme der neuen §§ 113, 114 StGB dementsprechend einen (nur) symbolischen Steuerungsanspruch transportieren, formulierten nicht nur die Gegner des Gesetzes als Kritik, denn darüber hinaus wurde dies auch in den Reihen der die Änderungen tragenden Koalitionsfraktionen als positive Zielsetzung stark gemacht.42 Der parlamentarischen Auseinandersetzung um das symbolische Strafrecht fehlte es jedoch an einer differenzierten Berücksichtigung des damit in den Blick genommenen Analyserahmens. Die Debatte um das symbolische Strafrecht ist wissenschaftlich seit den 1980er Jahren etabliert.43 Die Kennzeichnung eines Gesetzgebungsakts als Ausdruck symbolischen Strafrechts enthält zumeist die Kritik an einer modernen Strafrechtsgesetzgebung, der es nicht mehr um einen die Ausweitung des Strafrechts begrenzenden Rechtsgüterschutz, sondern um die Demonstration politischer Handlungskompetenz geht. Symbolisches Strafrecht verzichtet nach dieser Lesart darauf, empirisch (eindeutig) belegbare Grundlagen und Wirkungen zu haben. Insofern knüpft auch die Kritik an dem jüngsten Gesetz zur Verschärfung der §§ 113 ff. StGB mit Blick auf die damit deutlich 41 Wagner-Kern (o. Fn. 26). 42 BT-Plenarprotokolle 18/231, S. 23261 (Mihalic, MdB: Verschwendung von „Zeit mit der Beratung solcher symbolischen Gesetze“); und S. 23265 (A. Schuster, MdB: „Dass das nach ihrer Meinung Symbolpolitik ist, finde ich ein gutes Zeichen. Insofern haben Sie uns eigentlich bestärkt. Sie haben verstanden, was wir wollen.“). 43 Scheerer, KJ 1985, S. 245 ff.; Hassemer, NStZ 1989, S. 552 ff. 40
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gewordenen Unklarheiten seines Rechtsgutskonzepts und auf seine unsichere empirische Basis an das kritische Moment dieses Deutungsrahmens an. Die Zuschreibung „symbolisches Strafrecht“ markiert eine auch den neuen §§ 113 ff. StGB erkennbare Abkopplung von der im klassischen Strafrecht angelegten Anbindung strafrechtlicher Normen an ein (klares) Rechtsgutskonzept. Dieses Konzept beschreibt die Idee der Begrenzung zulässigen Strafrechts auf solche Normen, die ein anerkanntes und klar konturiertes Rechtsgut schützen wollen. Symbolisches Strafrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es den Anspruch auf Anwendung und Durchsetzung so nicht (mehr) in sich trägt. Es verfolgt keinen klaren Strafzweck (mehr); seine Regelungswirkung ist, weil symbolisch motiviert, reduziert. Das heißt: Ein starker Steuerungsanspruch existiert nicht (mehr). Damit – als Kern der Kritik – überdehnt bzw. überfordert solch symbolische Ausrichtung das klassische Strafrecht. Und in diesem Sinne ist zu fragen, ob nicht das Strafrecht nunmehr erneut und konkret überfordert wird, wenn den neuen §§ 113, 114 StGB die Aufgabe zugeschrieben wird, vermeintlich verlorengegangenen Respekt44 gegenüber insbesondere den polizeilichen Vertretern des Staates einzufordern. Da, wie aufgezeigt, die hier angegriffenen Rechtsgüter durch das bestehende Strafrecht bereits geschützt werden, und weil von den bisherigen Widerstandsparagrafen und der vormaligen Verschärfung des alten § 113 StGB im Jahre 2011 die erhoffte Abschreckungswirkung nach der Logik der für die Novelle vorgelegten Begründungen nicht ausgegangen ist, fällt es schwer, nun die erneute Verschärfung gegen die Kritik einer darin liegenden symbolischen Gesetzgebung in Schutz zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als dass sich der Gesetzgeber einem problemorientierten und auch wissenschaftsorientierten Diskurs zu diesem Punkt – soweit ersichtlich – (auch) im Rahmen dieser Gesetzgebung entzog. 2. Reflexion der Opferorientierung Anknüpfend an die Phänomene symbolischer Gesetzgebung spiegeln sich in dem Normenprogramm bzw. in seinen Begründungen die Kennzeichen moderner Opferorientierung wider. Dieser opferbezogene Deutungsrahmen greift zurück auf kritische Analysen über die Kriminalpolitik einer „viktimären Gesellschaft“45. Erfasst wird damit die Ambivalenz moderner Gesetzgebungen, die zwar anerkannt vielfach zu Recht konkrete Opferinteressen bzw. -rechte zu berücksichtigen suchen, auf deren Kehrseite sich aber zeigt, dass ihre Mittel zunehmend und einseitig (Forderungen nach) Sanktionsverschärfungen sind. Auf der Legitimationsfolie des Opferschutzes werden so die tatsächlichen und „virtuellen Opfer“46 in Bezug genommen, um durch harte Strafen zu zeigen, dass der Staat für die Opfer viel tut und mehr noch: dass unter Berufung auf die
44 BR-Drs. 126/17, S. 1. 45 Barton, in: ders./Kölbel, Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts, 2012, S. 111. 46 Kunz/Singelnstein (o. Fn. 15), § 24, Rn. 30. Recht und Politik, Beiheft 2
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Interessen der Opfer ein verschärftes Strafrecht das wirksame und gewollte Mittel eines Opferschutzes sei.47 Soweit die Neukonzeption in ihrer Begründung die Verschärfungen in § 113 Abs. 2 S. 2 StGB und in § 114 StGB erhöhter Gefährdungspotenziale der „Opfer“48 und unter Verweis auf die genannten opferorientierten PKS-Zahlen auf eine dementsprechend deutlich werdende Opferorientierung stützt, formuliert die Reform einen entsprechenden Handlungswillen. Die Strafrechtsverschärfung, die wie bereits im Jahre 2011 auf entsprechend ausgelegte Kampagnen polizeilicher Standesorganisationen zurückgehen, vermischen die Ebenen konkreter und potenzieller Opfer(interessen) und lassen unklar, unter welche bzw. unter wessen Definitionskategorien die Opferorientierung dieses Gesetzes subsumiert wird. Zudem operiert die Gesetzgebung für die gesamten Opfergruppen der §§ 113 ff. StGB, die weit über den Kreis hoheitlich-polizeilicher Amtsträger hinausgehen, mit einem quasi einheitlichen Opferinteresse an den vorliegenden Sanktionsverschärfungen. Entsprechende Differenzierungen bzw. eine tiefere Berücksichtigung des Phänomens Opferorientierung spiegeln die vorhandenen Gesetzesbegründungen und die vorliegenden Diskussionen nicht wider. 3. Reflexionen des Interaktionsgeschehens Die Novelle korrespondiert mit der Vorstellung, mittels eines strafschärfenden Normenprogramms auf bezuglose bzw. auf im Rahmen zulässiger hoheitlicher Maßnahmen – und so quasi stets anlasslos bzw. kausalitätsfrei – aufkommende Gewalttaten zu reagieren. Transportiert wird so das verbreitete polizeiliche (Selbst)Bild, die Rolle der Polizei primär „reaktiv und defensiv“ zu beschreiben, die der „anderen Akteure dagegen als aktiv, provozierend, herausfordernd etc.“49 Diese Lesart blendet das sich in Taten nach §§ 113, 114 StGB häufig widerspiegelnde „Interaktionsgeschehen“ und somit die Tatsache aus, dass auch die polizeilichen Akteure (mit „Definitionsmacht“) immer wieder auch Einfluss auf das Geschehen nehmen.50 Als Konsequenz – mit potenziell negativen Folgen auch für eine differenzierte Interpretation der in Bezug genommenen Fallzahlen (oben II.) – bleiben polizeilich gesetzte Einflüsse auf die Gewalt- und Angriffshandlungen (Einsatzstrategien, Eingriffsschwellen – sich auch ändernde Verhältnismäßigkeitserwägungen beim Einsatz unmittelbaren Zwangs) so ebenfalls außerhalb der Betrachtung. 4. Wechselbeziehungen mit § 340 StGB (Körperverletzung im Amt) In diesen Kontext gehört die für den Polizeibereich diskutierte Korrelation zwischen polizeilich angezeigten Widerstands-Taten einerseits und den im selben Geschehenskomplex von den so Beschuldigten erhobenen Vorwürfen hinsichtlich einer Körper47 48 49 50 42
Schlepper, Strafgesetzgebung in der Spätmoderne, 2014, S. 126. BT-Drs. 18/11161, S.: 1 u. 2 bzw. BR-Drs. 126/17, S. 1 u. 2. Behr (o. Fn. 17), S. 177. Singelnstein/Puschke (o. Fn. 38), S. 3476. Recht und Politik, Beiheft 2
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verletzung im Amt andererseits. Diese Wechselbeziehung – wissenschaftlich, soweit ersichtlich, insgesamt zurückhaltend (wohl auch, weil empirisch schwer erreichbar) aufgegriffen – ist ein problematisches Phänomen.51 Beschrieben – gestützt auf Gespräche mit Polizeibediensteten – werden Hinweise „auf eine (gemutmaßte) hohe prophylaktische Anzeigenbereitschaft der Polizeibeamten bei widerständigen Bürgern“52. Wenn zugleich – aufzugreifen mit aller Zurückhaltung, auch ob methodischer Probleme – belastbare Anhaltspunkte dafür gesehen werden, dass in einer Größenordnung von bis zu 10 Prozent53 Tathandlungen nach § 113 StGB (alt) als Reaktion bzw. als prophylaktische Maßnahme in Bezug auf Strafanträge wegen § 340 StGB angezeigt wurden, so sind mit Blick darauf nicht nur erneut die das Reformwerk begründenden Fall- bzw. Opferzahlen präzisierend zu diskutieren, sondern auch die möglichen Auswirkungen der nunmehr vom Bundestag vollzogenen Verschärfungen hinsichtlich potenzieller Auswirkungen in Sachen (vorbeugender) Anzeige(nbereitschaft) bei Tatvorwürfen nach § 340 StGB. Die damit gegebenen Hinweise auf mögliche bzw. auf die wissenschaftlich diskutierten Zusammenhänge transportieren nicht die Behauptung einer ständig-bewussten Durchbrechung des Legalitätsprinzips mittels ungerechtfertigter Strafanzeigen wegen §§ 113 ff. StGB. Benannt werden einzig drängende, wissenschaftlich aufgenommene und (unbedingt) zu berücksichtigende Phänomene. Derart motiviert wird auch verwiesen auf potenzielle Einflüsse subjektiver Entscheidungskriterien und die Frage, warum Konflikte in der beschriebenen Weise „über eine Mobilisierung des § 113 StGB verrechtlicht“ werden.54 Diese Problematik muss in Diskussionen auch über die nun verschärften Widerstandsparagrafen einfließen. 5. Die Verarbeitung des § 113 StGB durch das Kriminaljustizsystem Ohne Widerhall blieben (auch) in diesem Gesetzgebungsprozess seit Jahren bekannte Hinweise55 auf eine (zumindest bis zum Jahre 2011) – verglichen mit dem allgemeinen Nötigungsparagrafen – ohnehin strenge Anwendung der Strafvorschrift des § 113 StGB. Die in diese Richtung gehenden Anmerkungen56 stellen zunächst Einschätzungen57 in Frage, die bis zur Novelle existierenden Sanktionsmöglichkeiten (in § 113 StGB) seien mit Blick auf die Ausnutzung des Strafrahmens bislang ins Leere gegangen. Dagegen steht die These: Rechtstatsächlich wird § 113 StGB (bereits) als schweres 51 Messer, Die polizeiliche Registrierung von Widerstandshandlungen, 2009: 231 ff.; Singelnstein/ Puschke (o. Fn. 50); Lehmann, in: Frevel (Hrsg.), Sicherheitsproduktion, 2017, S. 246. 52 Messer (o. Fn. 51, S. 231). 53 Singelnstein/Puschke (o. Fn. 50) verweisen auf Messer (o. Fn. 51, S. 231 ff.), „dessen Ergebnisse auf einen Anteil von bis zu 10 % hindeuten“. 54 Messer (o. Fn. 51), S. 55 f. 55 Paeffgen, in: NomosKommentar, Strafgesetzbuch, Bd. 3, 4. Aufl., 2013, § 113, Rn. 6 sowie 3. Aufl., 2010, § 113, Rn. 6. 56 Puschke, in: FS f. Eisenberg, 2009, S. 169; Bosch (o. Fn. 16). 57 LT-Drs. (RLP), 17/2246. Recht und Politik, Beiheft 2
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Delikt eingestuft.58 Damit gibt die aktuelle Ausweitung bzw. Verschärfung der §§ 113, 114 StGB erneut59 Anlass, die Folgen einer angesichts deutlich erhöhter Strafandrohungen erst recht zu erwartenden strengen Handhabung als vertieft zu erörterndes Problem herauszustellen. Wenn nämlich davon auszugehen ist, dass Taten der §§ 113, 114 StGB in dem nun abgesteckten Sanktionskonzept härter – orientiert an einer Ausschöpfung der neuen Bestrafungsgrenzen – verfolgt werden, so ist der neue Rechtsfolgenkatalog kritisch zu sehen.
V. Fazit Die Novelle transportiert (latent) typische Verstrafrechtlichungsprozesse (post‐)moderner Kriminalpolitik. Ihre Grundströmungen sind ein ob symbolischen Strafrechts flüchtiges Rechtsgutskonzept, eine amorphe Opferorientierung sowie die (erneute) Ausweitung eines punitiv angelegten bzw. wirkenden Normenprogramms entgegen (empirisch‐)wissenschaftlicher Vorbehalte. Skizziert sind damit zugleich (Teil‐)Koordinaten eines für den punitiv-starken Staat typischen Ordnungsmodells, das der Soziologe Trutz von Trotha als „präventive Sicherheitsordnung“60 beschrieben hat. Dabei schärft die Neuausrichtung der Widerstandsparagrafen diese Ordnung weiter zu: Das Opfernarrativ des starken Staates – Rückgrat und Kennzeichen der präventiven Sicherheitsordnung (gekennzeichnet dadurch, dass der Opferstatus zu einem „Jedermanns-Status“ wird, in dessen Folge nicht nur die „Verallgemeinerung des Opferstatus“, sondern auch die Renaissance eines harten Vergeltungsstrafrechts steht61) – betont nun den Opfercharakter des Amtsträgers, der gleichzeitig aber als Exponent eines starken Staates positioniert wird. In diesem Zirkelschluss einer übersteigert schutzbedürftigen Staatsgewalt werden Opfer und -schutz(instanzen) zu austauschbaren Größen. Der Staat expandiert den Opferstatus seiner Akteure und viktimisiert sich (zugleich) selbst. Diese Form der Opferorientierung zeigt eine rechtliche Schieflage: Der betonte individuelle Einschlag solcher Gewalthandlungen, die sich gegen Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols richten, gilt nun – verglichen mit Angriffen auf nicht erfasste Personengruppen bzw. auf Privatleute – als gesteigertes Unrecht. Verfassungsrechtlich ist diese Differenzierung bedenklich.62 Die Debatte um die Widerstandsparagrafen muss deshalb fortgesetzt werden; denn der Diskurs berührt zunehmend rechtsstaatliche Fragen.
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Bosch (o. Fn. 16). Wagner-Kern (o. Fn. 26), S. 19. von Trotha, KrimJ 2010, S. 24 ff.; Wagner-Kern, Präventive Sicherheitsordnung, 2016, S. 17 ff. von Trotha (o. Fn 60), Zitate: S. 33. Zöller (o. Fn. 18), S. 147 f.
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Die Ausweitung des Maßregelrechts – Ein probates Mittel zur Verhinderung terroristischer Straftaten?* Christin Armenat und Sebastian Kretzschmann Die Frage, wie terroristische Anschläge auf rechtlich zulässige Weise verhindert werden können, bevor sie verübt werden, ist keineswegs neu. Sie ist allerdings auch nach mittlerweile mehreren Jahrzehnten intensiver Diskussion nicht zufriedenstellend beantwortet. Zur Zeit ist sie wieder zentraler Gesprächsstoff von Politikern, Rechtswissenschaftlern und der breiten Öffentlichkeit. Inwieweit die zum 01. Juli 2017 in Kraft getretene1 Ausweitung des deutschen Maßregelrechts geeignet ist, der Lösung des Problems näher zu kommen, ist Thema dieses Aufsatzes.
I. Der aktuelle politische Diskurs Anlässlich der jüngeren Anschläge auf europäischem Boden hat sich nun auch der deutsche Gesetzgeber (erneut) an einem Lösungsvorschlag versucht,2 den der Bundestag am 27. April 2017 einstimmig angenommen hat.3 Dieser sieht vor, dass eine Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung (häufig auch als „elektronische Fußfessel“ bezeichnet4) nach einer Haft im Rahmen der Führungsaufsicht gem. § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 auch nach der Verbüßung einer Haftstrafe wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1 bis 3 StGB), Terrorismusfinanzierung (§ 89c Abs. 1 bis 3 StGB), Unterstützens einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 S. 1 Alt. 1 StGB, ggf. i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB) * 1 2 3
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Dieser Beitrag erscheint zeitgleich in RuP 1/2018. BGBl. 2017 I, S. 1612. Entwurf der CDU/CSU- und SPD-Fraktionen, BT-Drucks. 18/11162, dem sich die Bundesregierung angeschlossen hat, BT-Drs. 18/11584, S. 5. Angenommen in der Fassung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/12155, Deutscher Bundestag, 231. Sitzung der 18. Wahlperiode, Plenarprotokoll, S. 23322. Der Bundesrat hat am 12. Mai 2017 beschlossen, keinen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG zu stellen, BR-Drs. 338/ 17. Dazu Brauneisen, StV 2011, 311 (312); Groß, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. 2016, § 68b Rn. 24; Jehle, in: SSW-StGB, 3. Aufl. 2017, § 68b Rn. 16; Sinn, in: SK-StGB, 9. Aufl. 2016, § 68b Rn. 16.
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Duncker & Humblot, Berlin
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oder wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 S. 2 StGB, ggf. i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB) möglich sein soll. Zudem soll ein neuer § 68b Abs. 1 S. 5 StGB anordnen, dass für Straftaten nach dem Ersten und Siebenten Abschnitt des StGB abweichend von § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 1 StGB die vollständige Vollstreckung einer zweijährigen Freiheitsstrafe genügt, um eine Weisung nach § 68b Abs. S. 1 Nr. 12 StGB zu gestatten. Durch eine Aufnahme der ersten drei der bezeichneten Taten in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB soll nach deren Begehung zusätzlich fakultativ die Sicherungsverwahrung angeordnet werden können.5 Begründet werden die Änderungen mit der angeblichen Notwendigkeit der Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit vor schweren terroristischen Gewalttaten durch Täter, die auch nach der Verbüßung einer Haftstrafe noch radikalisiert sind.6 Nach alter Rechtslage war die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung oder einer fakultativen Sicherungsverwahrung nach einer Verurteilung wegen der genannten Taten nicht möglich, da es sich bei diesen nicht um Verbrechen, sondern um Vergehen handelt und sie nicht gesondert in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB oder § 68b Abs. 1 StGB aufgeführt waren. Die prozessuale Durchsetzbarkeit der Änderungen wird durch eine Folgeänderung des § 463a Abs. 4 S. 2 Nr. 5 StPO erreicht. Bei den Sachverständigen, die in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ihre Einschätzungen abgegeben haben, stieß der Entwurf gleichermaßen auf Zustimmung7 wie auf Vorbehalte8. Auch die zur Stellungnahme aufgeforderten Verbände kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen.9 Gegenstand der Uneinigkeiten waren vornehmlich die Schwere der Beeinträchtigung der Grundrechte der Betroffenen und die möglicherweise ausbleibende spezialpräventive Wirkung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung bei radikalisierten Tätern sowie die generelle Geeignetheit der Überwachung zur Verhinderung der in den Katalog aufgenommenen Straftaten.10 Parallel zu dem Vorgehen des Bundesgesetzgebers bestehen auch auf Landesebene aktuell teilweise Gesetzgebungsvorhaben, durch die die polizeirechtlichen Regelungen
5 BT-Drs. 18/11162, S. 3 ff. 6 BT-Drs. 18/11162, S. 5 f. Vgl. zu den Änderungen allgemein Kretzschmann/Armenat, JuS 2017, 647. 7 Greven, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 6 ff.; Maltry, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/ 11162, S. 2 ff. 8 Kinzig, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 2 ff.; Pollähne, Stellungnahme zur BTDrs. 18/11162, S. 1 ff. 9 Ablehnend Stellungnahme des Fachverbandes für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik zur BT-Drs. 18/11162; befürwortend Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zur BT-Drs. 18/11162. 10 Vgl. Greven, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 6; Pollähne, Stellungnahme zur BTDrs. 18/11162, S. 2. 46
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zum Präventivgewahrsam verschärft werden sollen.11 Da der Präventivgewahrsam kein Instrument des Maßregelrechts, sondern des Polizeirechts ist,12 sollen diese gesetzgeberischen Bemühungen trotz ihrer thematischen Nähe zur Kerndebatte um eine effektive Terrorismusbekämpfung13 im Rahmen dieses Aufsatzes nicht beleuchtet werden.
II. Unterschiede zwischen Strafen und Maßregeln Während der Gesetzgeber auf die Terroranschläge durch die RAF in den 1970er Jahren und den zunehmenden islamistischen Terror zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der Schaffung neuer Straftatbestände reagierte, indem er die §§ 129a, 129b StGB14 wie auch die §§ 89a, 89c und 91 StGB15 eingeführt bzw. verschärft hat, hat er nun eine Änderung des Maßregelrechts ins Visier genommen. Diese Entwicklung stellt keinen Zufall dar. 1. Das zweispurige Sanktionensystem Dem StGB liegt seit 193316 ein dualistisches Sanktionensystem zugrunde, welches zum einen Strafen und zum anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung umfasst. Die Zielrichtungen beider Rechtsfolgenstränge verlaufen diametral zueinander: Eine Strafe darf ausschließlich zur Tilgung einer Schuld verhängt werden und über besagte Schuld nicht hinausgehen.17 Sie richtet ihren Blick also auf schuldhaftes, in der Vergangenheit liegendes Verhalten des Täters. Die Maßregeln (§§ 61 ff. StGB) sind dagegen auf den zukünftigen Schutz der Bevölkerung vor besonders gefährlichen Gewaltstraftäter mit negativer Legalprognose ausgerichtet.18 Sie sollen zudem eine spezialpräventive Wirkung dort entfalten, wo der Strafe die Einflussnahme durch das Schuldprinzip verwehrt ist.19 11 Entwurf der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, LT-Drs. 17/7415; Entwurf des bayerischen Ministerrates, abrufbar unter https://www.innenministerium.bayern.de/assets/ stmi/ser/gesetzentwuerfe/gesetzentwurf_-_gesetz_zur_effektiveren_Überwachung_gefährli cher_personen.pdf (zuletzt abgerufen am 24. 04. 2017). 12 Zu überschießenden Regelungstendenzen auch auf dieser Ebene bereits VG Trier, NJW 2002, 3268. 13 Näher dazu Kauffmann/Lalissidou, JR 2014, 507 (507 ff., insbesondere 510 f.). Zur zunehmenden Überschneidung von Straf- und Polizeirecht Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (7 f.). 14 BGBl. 1976 I, S. 2181. 15 BGBl. 2009 I, S. 2347; BGBl. 2015 I, 926. 16 RGBl. 1933 I, S. 995. 17 Eser, in: FS Müller-Dietz, 2001, S. 213 (214); Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. (2014), Vor 3. Abschnitt Rn. 1. 18 Heger, in: Lackner/Kühl, § 61 Rn. 2; Radkte, in: MüKo-StGB, Vor § 38 Rn. 83. 19 Frisch, ZStW 102 (1990), 343 (345 ff.); Hassemer, StV 2006, 321 (324); Heger, in: Lackner/ Kühl, § 61 Rn. 2. Recht und Politik, Beiheft 2
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2. Das „Potential“ des Maßregelrechts Aus dem soeben Erläuterten ergibt sich die Antwort auf die Frage, warum der Entwurf eine Verschärfung des Maßregelrechts und nicht des Strafrechts im engeren Sinne zum Gegenstand hatte. Durch seine Unabhängigkeit vom Schuldprinzip eröffnet dieses weitreichendere Möglichkeiten im Bereich der Prävention und Gefährdungsbekämpfung. Auch dann, wenn das lückenloseste Strafensystem an seine Grenzen stößt, besitzt das Maßregelrecht noch immer Spielraum.20 Dies ist offensichtlich auch dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben. Dass ein solches „Potential“ in einem Rechtsstaat (und innerhalb des Geltungsbereichs der EMRK) verbreitet auf Kritik stoßen muss, liegt auf der Hand. Gerade die Sicherungsverwahrung, die einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Freiheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darstellt, ist auch heute noch häufig Gegenstand tiefgreifender Bedenken.21 Diesen begegnet das BVerfG in ständiger Rechtsprechung mit der Betonung und strengen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Verhängung von Maßregeln.22
III. Gewünschte Vorteile einer Ausweitung des Maßregelrechts Der Beweggrund des Gesetzgebers für sein Tätigwerden bestand vorliegend in dem – verständlichen – Wunsch, Terroranschläge, die oftmals eine große Anzahl an Menschen das Leben kosten, zu verhindern.23 Die Vorstellung, wie dieses Ziel erreicht werden soll, legt die Gesetzesbegründung umfassend dar.24 1. Elektronische Aufenthaltsüberwachung Die elektronische Aufenthaltsüberwachung als verhältnismäßig neue Maßnahme im Katalog der Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht25 zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine genaue Standortbestimmung des Täters ermöglicht, auch wenn dieser die Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung nicht erfüllt oder aus dieser entlassen wurde26.27 Dadurch wird die Kontrolle der Einhaltung von Aufenthaltsweisungen für 20 BVerfGE 109, 133 (174); Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, Vor §§ 61 ff. Rn. 3 m.w.N. 21 Frisch, ZStW 102 (1990), 343 (345); Kaiser, in: FS Pallin, 1989, 183 (183 ff.); Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2013, § 66 Rn. 50; Pollähne, in: NK-StGB, 4. Aufl. 2013, § 61 Rn. 16 ff.; Schöch, in: LK-StGB, 12. Aufl. 2008, Vor § 61 Rn. 21 ff. 22 Grundlegend BVerfGE 70, 297; zuletzt BVerfG, Stattg. Kammerbeschl. v. 16. 11. 2016 – 2 BvR 1739/14 –, juris Rn. 26. 23 BT-Drs. 18/11162, S. 6. 24 BT-Drs. 18/11162, S. 5 ff. 25 BGBl. 2010 I, S. 2300; BT-Drs. 17/3403, S. 16 ff. 26 Vgl. EGMR, NJW 2010, 2495 (2495 ff.). 27 BGBl. 2010 I, S. 2300; BT-Drs. 17/3403, S. 1 f. 48
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die Aufsichtsstelle erheblich erleichtert.28 Vor allem soll die elektronische Aufenthaltsüberwachung auch in positiv-spezialpräventiver Art und Weise die Selbstkontrolle des Überwachten steigern. Dieser soll durch das Wissen um die dauerhafte Ortungsmöglichkeit dazu veranlasst werden, aus Furcht vor der vereinfachten Feststellungsmöglichkeit seiner Anwesenheit am Tatort von der Begehung weiterer Straftaten abzusehen.29 Da das Gesetz lediglich von „technischen Mitteln zur elektronischen Überwachung des Aufenthaltsortes“ spricht, ist diese Methode zudem ohne Änderung des Gesetzestextes an neue technologische Entwicklungen problemlos anpassbar.30 Als besonders effektiv erweise sich nach Vorstellung des Gesetzgebers eine Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung in Verbindung mit einer Weisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB, die den Täter verpflichtet, entweder einen bestimmten Aufenthaltsbereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen (Nr. 1) oder bestimmte Bereiche nicht zu betreten (Nr. 2). Diese verfolgen ihrerseits den Zweck, den Täter von Bereichen, in denen für ihn eine „besondere kriminelle Gefährdung“ besteht, fernzuhalten.31 Zur Vermeidung terroristischer Straftaten käme im Rahmen einer Weisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB eine Benennung öffentlicher Orte mit großem Publikumsverkehr in Betracht, wie beispielsweise Bahnhöfe, Flughäfen oder Sportstadien („typische“ Anschlagsziele),32 andererseits aber auch Versammlungsstätten ortsgebundener terroristischer Netzwerke.33 Nähere sich der Überwachte einer Sperrzone, könne die Aufsichtsstelle nach der Alarmauslösung durch den GPS-Sender zeitnah die Polizei informieren, welche den Überwachten daraufhin gegebenenfalls festnehmen oder die Polizeipräsenz in der Nähe möglicher Anschlagsziele erhöhen könne.34 2. Sicherungsverwahrung Die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB birgt hinsichtlich terroristischer Straftaten keine besonderen Vorteile im Vergleich zur Verhinderung anderweitiger Straftaten. Wer sich nicht in Freiheit befindet, ist sowohl daran gehindert, selbst Straftaten zu begehen, als auch maßgeblich darin beschränkt, an
28 BGH, NStZ-RR 2014, 172 (174). Zum Anwendungsbereich insgesamt ausführlich Fünfsinn/ Kolz, StV 2016, 191 (193 ff.). 29 BT-Drs. 17/3403, S. 17, 38; OLG Bamberg, StV 2012, 737 (739); Sinn, in: SK-StGB, § 68b Rn. 16. 30 BT-Drs. 17/3403, S. 35. 31 BGH, NStZ-RR 2014, 172 (174); Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, § 68b Rn. 4; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 68b Rn. 3a f.; Ostendorf, in: NK-StGB, § 68b Rn. 10. 32 BT-Drs. 18/11162, S. 7. 33 Vgl. Kretzschmann/Armenat, JuS 2017, 647 (649); Maltry, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/ 11162, S. 6. 34 Maltry, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 6 f. Recht und Politik, Beiheft 2
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Straftaten anderer Menschen mitzuwirken.35 Dies ist wohl auch der Grund, aus welchem die Begründung des Gesetzes zu diesen nur außerordentlich knappe Ausführungen enthält.36
IV. Verfassungs- und konventionsrechtliche Schranken Auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit eventuellen Problemen der Gesetzesänderung verzichtet die Gesetzesbegründung bedauerlicherweise.37 Vor dem Hintergrund, dass das Maßregelrecht seit jeher sowohl als Gesamtkonzept als auch in seinen konkreten Ausprägungen vielfach Gegenstand verfassungs- und konventionsrechtlicher Kritik ist,38 ist eine Erörterung dieser Gesichtspunkte allerdings unumgänglich. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass der EGMR bereits einmal eine vom deutschen Gesetzgeber vorgenommene (und vom BVerfG abgesegnete39) Verschärfung des Maßregelrechts für mit zwei von der EMRK postulierten Menschenrechten (Artt. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK) unvereinbar erklärt hat.40 Auf eine Darstellung der auch aktuell noch diskutierten Probleme der Maßregeln der Besserung und Sicherung insgesamt soll an dieser Stelle verzichtet werden. Denn der EGMR und das BVerfG sind sich insoweit einig, dass es im Grundsatz ohne Konventions- oder Verfassungsverstoß möglich ist, von der Schuld eines Täters unabhängige Sanktionen zu verhängen, wenn von diesem auch nach der Verbüßung einer schuldangemessenen Strafe eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.41 Dass die Möglichkeit einer rechtmäßigen Ausgestaltung besteht und dass von dieser in den Augen der Gerichte in Deutschland auch bisher Gebrauch gemacht worden ist, bedeutet jedoch nicht zwingend, dass nach einer Veränderung der Rechtslage dieser Zustand erhalten geblieben ist. Speziell auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die geänderte Norm ist ein besonderes Augenmerk zu legen.42
35 Vgl. Rissing-van Saan/Peglau, in: LK-StGB, § 66 Rn. 3; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: MüKo-StGB, § 66 Rn. 4 ff. 36 BT-Drs. 18/11162, S. 7. 37 Lediglich ein Absatz in BT-Drs. 18/11162, S. 6 a.E. 38 Frisch, ZStW 102 (1990), 343 (345); Kaiser, in: FS Pallin, 1989, 183 (183 ff.); Pollähne, in: NK-StGB, § 61 Rn. 16 ff.; Rissing-van Saan/Peglau, in: LK-StGB, § 66 Rn. 38 ff.; Schöch, in: LK-StGB, Vor § 61 Rn. 21 ff. 39 BVerfGE 109, 133 (133 ff.). 40 EGMR, NJW 2010, 2495 (2495 ff.) (mit Anm. Eschelbach); im Anschluss daran u. a. EGMR, NJOZ 2011, 1494 (1494 ff.); EGMR, Urt. v. 13. 1. 2011 – 20008/07 –, juris Rn. 41 ff.. 41 EGMR, HRRS 2010, Nr. 886; BVerfGE 42, 1 (6 ff.); BVerfG, Stattg. Kammerbeschl. v. 16. 11. 2016 – 2 BvR 1739/14 –, juris. 42 Ebenso auch Kinzig, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 2; vgl. Rissing-van Saan/Peglau, in: LK-StGB, § 66 Rn. 40. 50
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1. Elektronische Aufenthaltsüberwachung a) Eignung zur Zweckerreichung Zur Verhältnismäßigkeit eines Gesetzes gehört es, dass dieses geeignet ist, den mit ihm verfolgten Zweck – der hier im Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung liegt und damit mehr als legitim ist – zumindest zu fördern.43 Dass eine solche Zweckförderung eintreten wird, kann im Voraus nur in den wenigsten Fällen gänzlich ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausnahmefall könnte jedoch vorliegend gegeben sein. Gleichwohl ist nicht zu vergessen, dass dem Gesetzgeber bei der Beurteilung der Geeignetheit ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht.44 Eine Zweckförderung kann höchstens mittelbar eintreten, da die Individualrechtsgüter, deren Schutz der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung anstrebt, von den Tatbeständen der geplanten Anlasstaten nur mittelbar geschützt werden. Unmittelbar bezwecken diese vor allem den Schutz des Bestandes sowie der inneren und äußeren Sicherheit des Staates.45 Zudem ist zu bedenken, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung den Überwachten maßgeblich dadurch von der Begehung weiterer Taten abhalten soll, dass er sich wegen des hohen Aufdeckungsrisikos gegen die Begehung entscheidet.46 Ob diese Wirkung bei „extremistischen Straftätern“ (ein Begriff, den das Gesetz ebenso wenig kennt wie eine Straftat des „Terrorismus“47) eintreten wird, ist mehr als fraglich. Denn extremistischen Straftätern kommt es in aller Regel darauf an, dass ein von ihnen durchgeführter Anschlag mit ihrer Person oder der Organisation, der sie angehören, in Verbindung gebracht wird. Weiterhin besteht die Gefahr, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung durch eine Stigmatisierungswirkung die Radikalisierung des Überwachten verstärkt.48 Des Weiteren treten alle oben erörterten und vom Gesetzgeber vorgestellten Vorteile nur dann ein, wenn man davon ausgeht, dass der zu Überwachende Terroranschläge ausführen wird, nicht aber, wenn man davon ausgeht, er werde lediglich erneut Vorfeldstraftaten begehen.49 § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 StGB verlangt aber gerade eine Erforderlichkeit der Weisung zur Verhinderung der Begehung der in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten Taten durch die Möglichkeit der Datenverwendung.50 Da der Kauf 43 BVerfGE 63, 88 (115); BVerfGE 115, 276 (308); Wienbracke, ZJS 2013, 148 (150). 44 Vgl. BVerfGE 55, 28 (29 f.); Wienbracke, ZJS 2013, 148 (150 f.). 45 Güntge, in: SSW-StGB, § 89a Rn. 1; Krauß, in: LK-StGB, § 129a Rn. 1; Paeffgen, in: NKStGB, § 89a Rn. 7; Schäfer, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. 2017, § 89c Rn. 1. 46 BT-Drs. 17/3403, S. 17, 38; OLG Bamberg, StV 2012, 737 (739); Sinn, in: SK-StGB, § 68b Rn. 16. 47 Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (11); Pollähne, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 3. 48 Bräuchle/Kinzig, Rechtspolitische Perspektiven der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung, 2017, S. 14; Kinzig, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 5. 49 Vgl. Kretzschmann/Armenat, JuS 2017, 647 (647). 50 BGH, NStZ-RR 2014, 172 (174); Fischer, § 68b Rn. 14a. Recht und Politik, Beiheft 2
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von Waffen, die Planung von Anschlägen, die Terrorismusfinanzierung, die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, das Werben von Mitgliedern und im Grunde jede sonstige Vorbereitungshandlung dank des Internets problemlos von einem Ort, im Zweifel der eigenen Wohnung (die gem. § 463a Abs. 4 S. 1 Hs. 2 StPO überwachungsfreier Raum ist), vorgenommen werden können und bei dem Wissen um eine Überwachung auch werden, ist die elektronische Aufenthaltsüberwachung zur Verhinderung dieser Handlungen gänzlich ungeeignet.51 Die Tatsache, dass die Anordnungsvoraussetzung des § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 StGB bei verständiger Würdigung niemals vorliegen wird, lässt die Eignung der Gesetzesänderung zur Zweckerreichung entfallen. Die Problematik der möglicherweise fehlenden Eignung hat der Gesetzgeber zum Teil erkannt, nimmt die Eignung aber ohne ausführliche Begründung an, da er das mögliche Förderungspotential für ausreichend erachtet.52 Diese Ansicht ist nach den vorangegangenen Ausführungen nicht vertretbar und hätte einer intensiven Auseinandersetzung mit der Problematik dringend bedurft.53 b) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Noch schwerer als die Darlegungsmängel bezüglich der Geeignetheit wiegt das Fehlen einer Erläuterung, warum die mit der Gesetzesverschärfung einhergehende Grundrechtsbeeinträchtigung der zukünftig elektronisch Überwachten angemessen in Relation zum verfolgten Gesetzeszweck ist. Da das Verhältnismäßigkeitsprinzip jede staatliche Intervention begrenzt,54 ist dessen Wahrung bei jeder Gesetzesschaffung oder -änderung zu überprüfen. Es handelt sich bei der Ermöglichung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für Taten nach den §§ 89a Abs. 1 bis 3, 89c Abs. 1 bis 3, 129a Abs. 5 S. 1 Alt. 1 und S. 2, ggf. i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB auf der einen und der Absenkung der Mindestdauer der vollständig vollstreckten Freiheitsstrafe, nach der die Anordnung der elektronischen Sicherungsverwahrung erst möglich ist, für Straftaten nach dem Ersten und Siebenten Abschnitt von drei auf zwei Jahre auf der anderen Seite um unterschiedliche Änderungen. Zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Änderungen müssen aus diesem Grunde beide getrennt betrachtet werden, obwohl es sich bei der Absenkung laut der Gesetzesbegründung55 um eine Anpassung handelt, die unmittelbar im Zusammenhang mit den in der Praxis für die geplanten Anlasstaten verhängten Strafen steht.
51 In eine ähnliche Richtung argumentierend Pollähne, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 7. 52 BT-Drs. 18/11162, S. 7. 53 Kinzig, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 2 f. 54 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 216 ff.; Sieber, NStZ 2009, 353 (357). 55 BT-Drs. 18/11162, S. 6. 52
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aa) Ausführungen der Gesetzesbegründung zur Verhältnismäßigkeit Hinsichtlich der Annahme der Verhältnismäßigkeit führt die Gesetzesbegründung aus, es handle sich bei der Hinzufügung der weiteren Anlasstaten lediglich um Erweiterungen der formellen Anordnungsvoraussetzungen, die ohnehin nur selten zum Tragen kommen würden. Die hohen materiellen Voraussetzungen blieben unberührt. Deswegen sei die Maßnahme nicht unverhältnismäßig. Die Absenkung der Dauer der vollverbüßten Freiheitsstrafe sei im Hinblick darauf notwendig, dass der Anlasstatenkatalog nach der Gesetzesänderung auch Vergehen erfassen werde. Erfahrungsgemäß würden die Gerichte wegen der Begehung dieser Taten Strafen von geringerer Höhe verhängen.56 bb) Angemessenheit der Erweiterung des Anlasstatenkatalogs Das in den Gesetzgebungsmaterialien angeführte Argument, es würden sich auch nach der Änderung kaum mehr Anwendungsfälle ergeben, überzeugt nicht. Jede Verschärfung eines Strafgesetzes ist prinzipiell geeignet, gegen das Übermaßverbot zu verstoßen, selbst dann, wenn dessen (neuer) Anwendungsbereich praktisch voraussichtlich gering57 sein wird. Dies gilt umso mehr dann, wenn die geplanten Änderungen darauf abzielen, Vorfeldstraftaten als Anlasstaten zur Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung genügen zu lassen. Denn nicht nur beim Maßregelrecht, auch bei der Kriminalisierung von Vorfeldhandlungen, wie sie im Bereich der strafrechtlichen Terrorismusbekämpfung (nach Jakobs „Feindstrafrecht“58) stattfindet, handelt es sich um einen Bereich, der in der Literatur mehrfach in aller Deutlichkeit als verfassungswidrig bezeichnet wird.59 Bemängelt wird dabei nicht nur die Angemessenheit der Normen, sondern auch deren Bestimmtheit, da die Tatbestände ihrem Wortlaut nach an neutrales Verhalten anknüpfen, ohne dabei besondere Anforderungen an die subjektive Tatseite zu stellen.60 Der BGH hat zwar entschieden, § 89a StGB sei verfassungsgemäß und die Norm daraufhin nicht dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Kontrolle vorgelegt.61 Zur Annahme der Verfassungsmäßigkeit gelangte er jedoch nur mittels einer einschränkenden Auslegung des Tatbestandes.62 Das gesamte Urteil lässt die Problematik der Vorverlagerung der Strafbarkeit im „Kampf“ gegen den Terrorismus mit Hilfe des 56 BT-Drs. 18/11162, S. 6. 57 Entsprechende Prognose zur Anwendungshäufigkeit BT-Drs. 18/11162, S. 9; Kinzig, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 4; Maltry, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 8. 58 Erstmals Jakobs, ZStW 97 (1885), 751 (756 ff.). 59 Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling, NStZ 2009, 593 (593 ff.); Mitsch, NJW 2015, 209 (209 ff.); Puschke, StV 2015, 457 (457 ff.); Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383 (390 ff.); Zöller, StV 2012, 364 (370 ff.); Fischer, § 89a Rn. 7 f. 60 Zu § 89a StGB Puschke, StV 2015, 457 (463 f.); Sieber, NStZ 2009, 353 (363 f.); Zöller, StV 2012, 364 (370); Fischer, § 89a Rn. 37; Schäfer, in: MüKo-StGB, § 89a Rn. 57. 61 BGHSt 59, 218 (218). 62 BGHSt 59, 218 (239 ff.). Recht und Politik, Beiheft 2
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Strafrechts insgesamt gut erkennen. Der Schluss, dass die Grenze des noch Verhältnismäßigen an dem Punkt überschritten sein könnte, an dem die Strafbarkeit reiner Gefährdungshandlungen und eine schuldunabhängige Sanktionierung aufeinandertreffen, drängt sich geradezu auf.63 Eng mit diesem Punkt verbunden ist das oben unter IV. 1. a) bereits angesprochene Problem, dass der Gesetzgeber plant, durch den Einsatz des Maßregelrechts vor allem die Vollendung von Terroranschlägen zu verhindern, nicht deren bloße Vorbereitung.64 Eine vorangegangene Verurteilung wegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts65 (im Vorfeld des Versuchsbeginns), das zu alledem lediglich ein Vergehen ist, lässt streng deduktiv betrachtet nicht den Schluss zu, der Verurteilte werde zukünftig Erfolgsdelikte begehen. Folgte man der Logik des Gesetzgebers, könnten beispielsweise auch vorsätzliche Taten nach § 316 StGB, der nach einer Ansicht ebenfalls mittelbar Individualrechtsgüter schützt,66 prinzipiell Anknüpfungstaten für Maßregeln darstellen. Wollte man diesen Schluss tatsächlich ziehen, würde das gesamte System der Angemessenheit von Sanktionen ausgehebelt. Ganz abgesehen von diesen grundlegenden Schwierigkeiten gehören zu einer Angemessenheitsentscheidung immer zwei gegeneinander abzuwägende Seiten, von denen in den Gesetzgebungsmaterialien nur eine, nämlich die der schutzbedürftigen Allgemeinheit, dargestellt wird.67 Über die Grundrechtseingriffe, mit denen der Überwachte durch die Aufenthaltsüberwachung konfrontiert wird, schweigt der Gesetzgeber. Dabei ist der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) des Überwachten alles andere als gering.68 Einerseits lässt sich die „Fußfessel“ bei einigen Aktivitäten des alltäglichen Lebens nicht verbergen (z. B. beim Sport).69 Auf diese Weise wird die Resozialisierung, die zur Deradikalisierung unerlässlich ist, erheblich erschwert. Das Resozialisierungspotential des Betroffenen darf indes nicht aus reinem Überwachungsinteresse gefährdet werden.70 Zudem ist der aktuell verwendeten Technik ein hohes Fehlalarmrisiko inhärent,71 sodass der Über-
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Vgl. Sieber, NStZ 2009, 353 (356 ff.). BT-Drs. 18/11162, S. 1 f. Schäfer, in: MüKo-StGB, § 89a Rn. 9, § 89c Rn. 3, § 129a Rn. 4. Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. 2016, § 316 Rn. 2; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 4. 12. 2007 – 2 BvR 38/06 –, juris Rn. 42 (insoweit nicht abgedruckt in StraFo 2008, 151). BT-Drs. 18/11162, S. 1 ff. Brauneisen, StV 2011, 311 (314 f.); Sinn, in: SK-StGB, § 68b Rn. 16. OLG Rostock, Beschl. v. 28. 3. 2011 – I Ws 62/11 –, juris Rn. 40 (insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2011, 521); Groß, in: MüKo-StGB, § 68b Rn. 24. OLG Bamberg, StV 2012, 737 (740); Heuchemer, in: BeckOK, StGB, 35. Edition 2017, § 68b Rn. 15a. Greven, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 5.
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wachte aufgrund von Missverständnissen schnell zum Objekt vermeidbarer polizeilicher Intervention werden kann.72 Im Ergebnis handelt es sich bei einer – an sich aus verfassungsrechtlicher Sicht schon mehr als fragwürdigen73 – Allüberwachung aufgrund eines vorangegangenen Gefährdungsvergehens um ein per se unverhältnismäßiges Einschreiten von staatlicher Seite. Die, wenn auch bloß formelle und an strenge materielle Voraussetzungen geknüpfte, Möglichkeit, völlig losgelöst von einer vorherigen Rechtsgutsverletzung tiefgreifende Grundrechtseingriffe anzuordnen, widerspricht dem Grundprinzip eines freiheitlichen Rechtsstaates.74 cc) Angemessenheit der Absenkung der Dauer der vollverbüßten Freiheitsstrafe Bei der Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung hat der Gesetzgeber viel Wert auf die Schaffung hoher formeller Anordnungsvoraussetzungen gelegt, zu denen auch die Vollverbüßung einer dreijährigen Freiheitsstrafe zählt.75 Durch die restriktiven Voraussetzungen soll nach der geltenden Rechtslage dem ultima-ratioCharakter des Strafrechts Ausdruck verliehen werden.76 Die Absenkung der zu verbüßenden Freiheitsstrafe vor Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung ist also ein weiteres Indiz dafür, dass es sich bei der geplanten Anknüpfung um eine unverhältnismäßige Verschärfung handelt. Wenn für eine Anknüpfungstat typischerweise Strafen verhängt werden, die die Voraussetzung des § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 1 StGB nicht erfüllen, wie es für die infrage stehenden Taten der Fall ist,77 sollte dieser Umstand zum Anlass genommen werden, deren Eignung zur Anlasstat zu hinterfragen, nicht, die Anordnungsvoraussetzungen unreflektiert abzusenken. Außerdem gerät die Änderung dieser Voraussetzung durch die ausdrückliche Bezugnahme auf ein Verfahren des OLG München (Az. 2 StE 7/10 – 1) 78 in den nicht unbegründeten Verdacht, ein Einzelfallgesetz zu enthalten.79 2. Angemessenheit der Anordnung der fakultativen Sicherungsverwahrung Die Gesetzesbegründung präsentiert die Ausweitung der Anordnungsmöglichkeiten der Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung als Kernstück der Gesetzgebungsinitiative.80 Dass die Verwirklichung dieses vermeintlichen Hauptziels nicht über 72 73 74 75 76 77 78 79 80
Pollähne, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 2 f. Streng, ZStW 111 (1999), 827 (851); Groß, in: MüKo-StGB, § 68b Rn. 24. Vgl. Kinzig, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 7; Sieber, NStZ 2009, 353 (356 ff.). BT-Drs. 17/3403, S. 18. Brauneisen, StV 2011, 311 (314); Heuchemer, in: von BeckOK, § 68b Rn. 15.4; Jehle, in: SSWStGB, § 68b Rn. 16. BT-Drs. 18/11162, S. 6. BT-Drs. 18/11162, S. 6. Pollähne, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 7. BT-Drs. 18/11162, S. 7 f.
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eine ausschließliche Änderung des § 68b StGB, sondern über eine Änderung des § 66 StGB erfolgt ist, dürfte allerdings schwerlich dem Zufall geschuldet sein.81 Für die Taten aus den §§ 89a Abs. 1 bis 3, 89c Abs. 1 bis 3 und § 129a Abs. 5 S. 1 Alt. 1 (ggf. i.V.m. § 129b Abs. 1) StGB ist so auch die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung ermöglicht worden. Diese ist zur Zweckerreichung so lange geeignet, wie der Kontakt der Verwahrten zu anderen Personen sowie sein Zugang zu Fernkommunikationsmitteln beschränkt ist, im Übrigen kann auf die Ausführungen zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung verwiesen werden. Das Problem der Angemessenheit ergibt sich gleichfalls – in umso deutlicherer Ausprägung – an vorliegender Stelle. Die oben angestellten grundlegenden Überlegungen zur fragwürdigen Anknüpfung von Maßregeln an Gefährdungsdelikte zur Verfolgung eines Zwecks, dem diese – wenn überhaupt – nur mittelbar dienen, mit dem Ziel der Verhinderung erstmaliger Erfolgsdelikte sind auf die Sicherungsverwahrung vollumfänglich übertragbar. Es ergibt sich, dass, wenn bereits die elektronische Aufenthaltsüberwachung als milderes Mittel82 nicht angemessen ist, dies in noch höherem Maße für die Sicherungsverwahrung als ultima ratio83 gelten muss. Die ultima-ratio-Qualität resultiert aus dem Eingriff in das durch Artt. 2 Abs. 2 S. 2 und 104 GG besonders garantierte Freiheitsrecht, welches als schützenswertes Recht des Betroffenen bei der Abwägung Berücksichtigung finden muss.84 Dieses auch in Art. 5 Abs. 1 EMRK verbriefte Recht hat der EGMR bereits nach den Ausweitungen der Sicherungsverwahrung der 1990er und 2000er Jahre einmal als verletzt gerügt,85 woraufhin sich das BVerfG gezwungen sah, den Gesetzgeber zu einer umfassenden Neuregelung anzuweisen.86
V. Einordnung in die Gesetzgebungshistorie Die Gesetzesänderung fügt sich in ihrer Konzeption nahezu perfekt in die Gesetzgebungsphilosophie der letzten Jahre ein. Die Verlagerung des Verständnisses vom Strafrecht als repressives Mittel hin zu einer Nutzung als Präventivinstrument ist innerhalb der letzten drei Jahrzehnte rapide fortgeschritten.87 Auf dem Feld des Terro81 82 83 84
Pollähne, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 5. BT-Drs. 17/3403, S. 38. BVerfGE 128, 326 (379); BVerfGE 131, 268 (293). Vgl. BVerfG, NStZ-RR 2016, 389 (389 ff.); Böllinger/Dessecker, in: NK-StGB, § 66 Rn. 39 ff., 76; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, § 66 Rn. 50; Jehle/Harrendorf, in: SSW-StGB, § 66 Rn. 40. 85 EGMR, NJW 2010, 2495 (2496 ff.) (mit Anm. Eschelbach). 86 BVerfGE 128, 326 (326, 404 ff.). 87 Vgl. OLG München, NJW 2007, 2786 (2787); Hassemer, ZIS 2006, 266 (269); Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (7 f.); Hettinger, NJW 1996, 2263 (2263 ff.). 56
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rismusstrafrechts hat der Gesetzgeber besondere Mühen unternommen, um die Minimierung der Anschlagsgefahr zu erreichen.88 Auch das Maßregelrecht ist in diesem Zeitraum vielfach Gegenstand von Ausweitungen und Anpassungen geworden.89 Es passt also zu dieser Vorgehensweise, dass der Gesetzgeber nun das Maßregelrecht und die Vorfeldstrafbarkeit verknüpft hat. Auch dass er sich dabei einer ad-hoc-Gesetzgebung90 bedient, die weniger auf einer einheitlichen, durchdachten Linie und mehr auf Einzellfallflickwerk beruht,91 ist nicht überraschend. Von der geplanten Ausweitung des Katalogs der Anlasstaten für die Sicherungsverwahrung konnte nur unter allen Umständen abgeraten werden, um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren und eine erneute (unter anderem auch kostspielige92) Beanstandung durch den EGMR zu vermeiden. Da das Änderungsgesetz bereits in Kraft getreten ist, ist es nun am Bundesverfassungsgericht, den Gesetzgeber nachträglich auf die bestehenden verfassungsrechtlichen Konflikte hinzuweisen und zur Rückänderung anzuhalten.
VI. Fazit Die Antwort auf die Titelfrage lautet also: Nein. Die Ausweitung des Maßregelrechts stellt in der bisher vom Gesetzgeber durchgesetzten Form kein rechtsstaatlich probates Mittel zur Eindämmung des Terrorismus dar. Es liegt in der Natur eines Rechtstaats, dass nicht bei jeder Straftat die Voraussetzungen, nicht einmal die formellen, einer Sicherungsverwahrung und/oder elektronischen Aufenthaltsüberwachung vorliegen können, auch wenn sich der Gesetzgeber in Bezug auf die „Terrorismusbekämpfung“ das Gegenteil zu wünschen scheint. Nicht vergessen werden darf, dass Verbrechen aus dem Bereich des Terrorismusbekämpfungsstrafrechts (z. B. § 129a Abs. 1 StGB) bereits nach der alten Rechtslage sowohl die Anordnung der Sicherungsverwahrung als auch die einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung zugelassen bzw. zum Teil sogar zwingend erfordert haben, § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b), Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12, S. 3 StGB. Die ausschließliche Anknüpfung an Verbrechenstatbestände und in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB an Erfolgsdelikte erfolgte aus gutem Grund: Aufgabe des Strafrechts – inklusive des Maßregelrechts – ist die Sanktionierung und Verhinderung von Unrecht, nicht von reiner „Gefährlichkeit“, deren Prognostizierung nicht ausreichend auf tatsächlich be-
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Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (11 ff.). Z. B. BT-Drs. 17/3403, S. 1 ff. Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (9). Vorliegend die Bezüge zum Fall Amri und dem Verfahren vor dem OLG München (Az. 2 StE 7/ 10 – 1), vgl. BT-Drs. 18/11162, S. 5 f.; Pollähne, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/11162, S. 4 f. 92 S. nur BGH, NJW 2014, 67. Recht und Politik, Beiheft 2
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gangenes Unrecht gestützt werden kann.93 Der Gesetzgeber ist, so schwierig diese Aufgabe auch sein mag, nur in diesem Rahmen zur Verbesserung der Sicherheit der Allgemeinheit berufen.
93 Mitsch, NJW 2015, 209 (211); Rackow, in: FS Maiwald, 2010, 615 (618 f.); Sieber, NStZ 2009, 353 (357 f., 363); Weißer, ZStW 121 (2009), 131 (161). Zu den Grenzen des Polizeirechts in dieser Hinsicht Heidebach, BayRVR v. 13. 3. 2017, abrufbar unter https://bayrvr.de/2017/03/ 13/der-gesetzentwurf-zur-effektiveren-ueberwachung-gefaehrlicher-personen-wider-rechts staatliche-kernsaetze-des-polizeirechts/ (zuletzt abgerufen am 24. 04. 2017). 58
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Das Fahrverbot als allgemeine Nebenstrafe* Ein neuer Reformansatz im strafrechtlichen Sanktionensystem Von Benedikt J. Lüthge und Maximilian L. Klein
Selten benötigte ein Reformvorhaben so viel Anlaufstrecke und selten wurde eine Änderung im Bereich des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches derart gegenläufig beurteilt wie die geplante Ausweitung des Fahrverbots, die kurz vor ihrem Durchbruch steht. Während sie von einigen als Allheilmittel im Kampf gegen die Kriminalität gepriesen wird,1 sprechen ihr andere eine besondere Effektivität ab2; nicht nur vereinzelt wird eine mögliche Verfassungswidrigkeit des § 44 StGB in seiner neuen Fassung vorgebracht3. Dieser mit Vehemenz geführte Diskurs soll nun zum Anlass genommen werden, die aktuelle Reform einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Nach einer kurzen Einführung in das Sanktionensystem des StGB widmet sich der Hauptteil dieser Abhandlung eingehend der Reform des Fahrverbots gemäß § 44 StGB. In diesem Rahmen wird zunächst die noch geltende Rechtslage dargestellt und die praktische Relevanz des Fahrverbots herausgearbeitet. Anschließend wird ein kursorischer Rechtsvergleich erfolgen. Diesem schließt sich eine Darstellung der Reformdebatte rund um das Fahrverbot von den 1950er Jahren bis zum heutigen Tage an. Darauf folgt eine ausführliche kritische Bewertung der vorgeschlagenen Änderung des § 44 StGB. Den Abschluss bilden eine Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse sowie ein Fazit.
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Zuerst in: RuP 4/2017, 440–455. Heribert Prantl etwa bezeichnete die Idee eines erweiterten Fahrverbots überschwänglich als „beste Idee seit der Erfindung der Gefängnisse“, Süddeutsche Zeitung vom 17. 09. 1992. So etwa Streng, ZRP 2004, 237 ff. Die Linkspartei und die Partei der Grünen äußerten anlässlich des Reformvorhabens (erhebliche) verfassungsrechtliche Bedenken, vgl. Legal Tribune Online vom 20. 04. 2015.
Recht und Politik, Beiheft 2 (2018), 59 – 74
Duncker & Humblot, Berlin
Benedikt J. Lüthge und Maximilian L. Klein
I. Einführung in das Sanktionensystem des StGB 1. Überblick Das Sanktionensystem des StGB ist im 3. Abschnitt des Allgemeinen Teils, welcher den Titel „Rechtsfolgen der Tat“ trägt, kodifiziert. Innerhalb dieses Abschnitts wird im Sinne der Zweispurigkeit des Sanktionensystems4 zwischen Strafen gemäß §§ 38 ff. StGB und Maßregeln der Besserung und Sicherung nach den §§ 61 ff. StGB differenziert. Erstere werden nach der Schuld des Täters zugemessen, letztere dienen vor allem dem Schutzzweck des Strafrechts und können auch ohne Schuld des Täters sowie unabhängig vom Maß seiner Schuld angeordnet werden.5 Die Strafen selbst untergliedern sich in Hauptstrafen und Nebenstrafen. Als Hauptstrafen kennt das StGB zum einen die Freiheitsstrafe, die, sofern sie nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, als sogenannte stationäre Strafe gilt. Zum anderen existiert die Geldstrafe, als sogenannte ambulante6, also nicht-freiheitsentziehende Sanktion. Als Nebenstrafe ist im Kernstrafrecht allein das Fahrverbot gemäß § 44 StGB vorgesehen. Eine Nebenstrafe unterscheidet sich insoweit von einer Hauptstrafe, als dass sie nur kumulativ und nicht alternativ zu einer Hauptstrafe verhängt werden kann.7 2. Zweck des Strafens Zunächst werden einige überblicksartige Erläuterungen zu den Gründen des Strafens vorgenommen. Diese Ausführungen sollen als Grundlage für eine an späterer Stelle erfolgende Diskussion über die Zweckmäßigkeit des hier thematisierten Reformvorhabens dienen. Das Strafrecht dient in besonderem Maße dem Rechtsgüterschutz.8 Mit dem Bundesverfassungsgericht ist oberstes Ziel des Strafrechts, „die Gesellschaft vor sozialschädlichem Verhalten zu bewahren und die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen“.9 Von der Aufgabe des Strafrechts zu unterscheiden ist der Zweck der Strafe. Dieser wurde zunächst, insbesondere durch Kant und Hegel, in absoluter Hinsicht ohne Bezug zu gesellschaftlichen präventiven Wirkungen verstanden. Der Grund des Strafens er-
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Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 64. Aufl. 2017, Vor § 38 Rn. 4; eingehend hierzu Häger, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Bd. 2, 12. Aufl. 2006, Vor §§ 38 ff. Rn. 8 ff. Häger (Fn. 4), Vor §§ 38 ff. Rn. 2. Vgl. BGHSt 24, 40, 43. Radtke, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2, 3. Aufl. 2016, Vor §§ 38 ff. Rn. 72 ff.; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, Vor §§ 38 ff. Rn. 28 ff. Ausführlich zu Haupt- und Nebenstrafen auch Häger (Fn. 4), Vor §§ 38 ff., Rn. 34 ff. Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 1; Radtke (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 1 ff. BVerfGE 45, 187, 254. Recht und Politik, Beiheft 2
Das Fahrverbot als allgemeine Nebenstrafe
schöpfte sich nach diesem Verständnis allein in der Vergeltung des schuldhaft verwirklichten Unrechts.10 Nach anderem Verständnis verfolgt Strafen daneben einen relativen, auf den Gemeinschaftsschutz bezogenen Zweck.11 Danach kommt der Strafe eine general- sowie eine spezialpräventive Aufgabe zu, die jeweils in positive und negative Aspekte unterteilt sind.12 Die einzelnen Ansätze wurden früh zu so genannten Vereinigungstheorien kombiniert, die heute von der Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur in verschiedenen Formen vertreten werden und auch § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB zugrunde liegen.13 Danach dient die Strafandrohung zunächst der negativen Generalprävention sowie dem Prinzip der Verteidigung der Rechtsordnung als Ausfluss der positiven Generalprävention.14 Ist die Prävention erfolglos und wird die Tat dennoch begangen, kommt der Verhängung der Strafe die Funktion zu, für Schuldkompensation zu sorgen. Die Schuld muss daher immer die Grundlage der Strafzumessung bilden.15 Im Rahmen des Strafvollzuges soll schließlich spezialpräventiv, vor allem also resozialisierend und zugleich abschreckend, auf den Täter eingewirkt werden.16
II. Zur Reform des § 44 StGB 1. Aktuelle Regelung a) Historie und praktische Relevanz Ausführlich soll nun die angestrebte Reform des Fahrverbots dargestellt werden. Dazu wird zunächst auf die aktuelle Regelung eingegangen. Das Fahrverbot wurde durch das 2. Straßenverkehrssicherheitsgesetz vom 26. 11. 196417 als § 37 in das StGB eingefügt. Das 2. Gesetz zur Reform des Strafrechts18 hat die Vorschrift mit Wirkung zum 1. 10. 1973 in der Sache unverändert als § 44 übernommen.
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Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 2 m.w.N. Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 2. Radtke (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 34. Vgl. Radtke (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 51 ff.; Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 11; s. auch BVerfGE 45, 187, 253 f. Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 3. So bereits RGSt 58, 106, 109; s. auch Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 6. Vgl. Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 7 ff. BGBl. I S. 921. BGBl. I S. 717.
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Das Fahrverbot besitzt eine hohe praktische Relevanz. Im Jahr 2015 wurde in mehr als 27.000 Fällen ein Fahrverbot nach § 44 StGB verhängt19, also in ca. 8 % aller im Jahr 2015 gefällten erstinstanzlichen Urteile und Strafbefehle20. Deutlich häufiger, nämlich in mehr als 346.000 Fällen wurde ein Fahrverbot gemäß § 25 StVG, also als Nebenstrafe zu einer Ordnungswidrigkeit, ausgesprochen.21 Diese Divergenz lässt sich zumindest teilweise damit erklären, dass jährlich etwa 200.000 Straftaten im Verkehr, hingegen deutlich mehr als 4 Millionen Ordnungswidrigkeiten im Verkehr begangen wurden.22 b) Zweck der Regelung und Rechtsnatur Das Fahrverbot soll der Repression und Warnung bei solchen Verkehrsverstößen dienen, die noch nicht eine mangelnde Eignung im Sinne des § 69 StGB, der Entziehung der Fahrerlaubnis, anzeigen. Dabei steht die spezialpräventive Einwirkung auf den Täter im Vordergrund.23 Das Fahrverbot stellt nach dem Willen des Gesetzgebers eine „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme“24 dar, die darauf abzielt, den Täter vor einem Rückfall zu warnen und ihm zugleich ein Gefühl dafür zu vermitteln, was es heißt, vorübergehend ohne Führerschein auskommen zu müssen.25 § 44 StGB ist als Nebenstrafe ausgekleidet. Für die Strafzumessung folgt daraus, dass es in einer Gesamtschau die Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe zu beachten gilt und beide zusammen das Ausmaß der Tatschuld nicht überschreiten dürfen (Stichwort: Schuldangemessenheit).26 Da das Fahrverbot nur bestimmte Tätergruppen adressiert, stellt es eine Sonderstrafe dar.27
19 Kraftfahrt-Bundesamtes (Hrsg.), Statistische Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes FE 10, Fahrerlaubnisse, Jahr 2015, Flensburg 2016, S. 31. 20 Eigene Berechnungen auf Basis von Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 2.3, 2015, Wiesbaden 2016, S. 26. 21 Kraftfahrt-Bundesamtes (Hrsg.), Statistische Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes FE 10, Fahrerlaubnisse, Jahr 2015, Flensburg 2016, S. 35. 22 Vgl. Statista (Hrsg.), Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im deutschen Straßenverkehr nach Punktezahl 2013, abrufbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5395/umfrage/ ordnungswidrigkeiten-und-straftaten-im-strassenverkehr-in-deutschland/; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10 (Rechtspflege), Reihe 2.3, 2015, Wiesbaden 2016, S. 24. 23 Mosbacher/Claus, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Aufl. 2016, § 44 Rn. 2; Fischer (Fn. 4), § 44 Rn. 2. 24 So BGHSt 43, 241, 246. 25 BT-Drucks. IV/651, S. 12; Mosbacher/Claus (Fn. 23), § 44 Rn. 3. 26 BGHSt 29, 58, 60 f.; Herzog/Böse, in: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, 4. Aufl. 2013, § 44 Rn. 6; Fischer (Fn. 4), § 44 Rn. 17; Wolters, ZStW 114 (2002), S. 63, 71 f. 27 Stree/Kinzig (Fn. 7), § 44 Rn. 1. 62
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Das Fahrverbot als allgemeine Nebenstrafe
c) Voraussetzungen Die Verhängung des Fahrverbots ist – neben der Verurteilung des Täters zu einer Hauptstrafe – an das Vorliegen einer Anlasstat geknüpft. Zu unterscheiden sind drei Varianten: Erfasst werden Straftaten, die bei dem Führen eines Kraftfahrzeuges, im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges sowie unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen werden. Von Interesse ist insbesondere die zweite Variante, die den erwähnten verkehrsspezifischen Zusammenhang voraussetzt. Ausreichend ist insoweit, wenn das Kraftfahrzeug zur Vorbereitung oder Durchführung einer Straftat eingesetzt wird, was von der Rechtsprechung weit ausgelegt wird.28 Für die Anordnung des Fahrverbots, welche im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht, gelten die allgemeinen Strafzumessungskriterien des § 46 StGB.29 Nach obergerichtlicher Rechtsprechung kommt die Verhängung eines Fahrverbots nur in Betracht, wenn der angestrebte spezialpräventive Strafzweck mit der Hauptstrafe allein oder mit einer empfindlichen Erhöhung derselben nicht verwirklicht werden kann.30 2. Rechtsvergleich Vor dem Hintergrund, dass Vergleichung als „reichste Quelle aller Entdeckungen in jeder Wissenschaft“31 gilt, soll nun ein kursorischer Rechtsvergleich erfolgen. In Österreich ist ein Fahrverbot im Strafgesetzbuch nicht vorgesehen. Es existiert lediglich ein Vormerksystem, das – ähnlich dem deutschen Punktesystem – zu einer behördlichen Einziehung des Führerscheins und zeitweisen Entziehung der Lenkerlaubnis führen kann. In der Schweiz existiert hingegen in Art. 67e StGB ein Fahrverbot. Dieses ist jedoch nicht als Strafe, sondern als Maßnahme ausgekleidet. Das Fahrverbot kann nur angeordnet werden, wenn ein Kraftfahrzeug „zur“ Begehung einer Straftat verwendet wurde – also ein verkehrsspezifischer Zusammenhang vorliegt – und überdies Wiederholungsgefahr besteht. Reformüberlegungen zur Ausweitung des Fahrverbots haben sich nicht durchgesetzt.
28 Herzog/Böse (Fn. 26), § 44 Rn. 11 ff.; Mosbacher/Claus (Fn. 23), § 44 Rn. 13; Fischer (Fn. 4), § 44 Rn. 8 ff. m. zahlr. Nachw. aus der Rspr. 29 Mosbacher/Claus (Fn. 23), § 44 Rn. 18. 30 OLG Hamm NZV 2004, 598, 599; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 23; vgl. auch BGHSt 24, 348, 350. 31 Feuerbach, Blick auf die deutsche Rechtswissenschaft, München 1810, S. 16. In diesem Sinne auch Sieber, in: ders./Albrecht, Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach, Berlin 2006, S. 78 (125): „Strafrechtsvergleichung [ist] die Disziplin, die […] fü r die zukünftige Strafrechtsentwicklung Europas im 21. Jahrhundert zentrale Bedeutung hat“ (Hervorhebung im Original). Allgemein zur Bedeutung des Rechtsvergleichs für die (Straf‐) Rechtswissenschaft vgl. Lüthge, Das Delikt der Untreue im internationalen Vergleich, Hamburg 2017, S. 1, 5 ff. Recht und Politik, Beiheft 2
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Eine stärkere Betonung des Fahrverbots als Strafe findet sich in England und Frankreich. In England ist in section 146 des Powers of Criminal Courts (Sentencing) Act 2000 geregelt, dass das Gericht anstelle oder in Verbindung mit einer anderen Strafe ein Fahrverbot für unbegrenzte Dauer für jedwede Art von Straftat verhängen kann. Das Fahrverbot ist somit als Hauptstrafe ausgestaltet und setzt einen verkehrsspezifischen Zusammenhang nicht voraus. In Frankreich kann das Fahrverbot nach Art. 131 – 6 Code pénal für jede Art von Straftat verhängt werden. Für den Fall, dass der verwirklichte Straftatbestand lediglich eine Geldstrafe androht, kann das Fahrverbot allein alternativ zu dieser Strafe ausgesprochen werden. In den übrigen Fällen ist nur eine kumulative Verhängung möglich. In den USA richtet sich das Sanktionenspektrum nach dem Recht des jeweiligen Bundesstaates. So ist etwa in New York nach section 60.36 des New York Penal Law in Verbindung mit der New York Vehicle and Traffic Law die Verhängung eines Fahrverbots nur bei verkehrsspezifischen Anlasstaten möglich. Interessanterweise darf nach diesen Vorschriften jedoch angeordnet werden, dass das Auto des Täters mit einer Alkohol-Zündschlosssperre versehen wird, die ein Starten des Motors erst nach erfolgreichem Bestehen eines Alkoholatemtests erlaubt.32 In vielen anderen Bundesstaaten der USA ist hingegen das sogenannte „creative sentencing“ in den jeweiligen Strafgesetzbüchern kodifiziert.33 Danach können vor allem weniger gravierende Straftaten wahlweise mit jeder denkbaren strafenden Maßnahme pönalisiert werden. Unter diese bedenklich weiten Vorschriften fallen Fahrverbote jeder Art, jedoch auch der Besuch von Yoga-Klassen, das Joggen zum Gefängnis und zurück oder die Anordnung von Pranger-Strafen, wie beispielsweise dem Hochhalten eines Schildes mit der Aufschrift: „Ich bin ein Idiot“.34 Es kann also festgehalten werden, dass Regelungen zum Fahrverbot als Strafe in anderen Staaten sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Nicht selten ist dabei ein verkehrsspezifischer Zusammenhang nicht erforderlich. 3. Gang der Reformdebatte und geplante Neuerung Die Diskussion um eine Reform des Fahrverbots ist so alt, wie die Sanktion selbst.35 Bereits in den 1950er Jahren sahen von Weber sowie der Alternativentwurf des StGB 1955 vor, das Fahrverbot als umfassende Hauptstrafe auszugestalten. Dieser Forderung
32 Siehe sec. 1193 des New York Vehicle and Traffic Law. 33 So etwa in Alabama, Arkansas, Connecticut, Delaware, Kansas, Maryland, Michigan und Utah. 34 Vgl. hierzu etwa den Beitrag der USA Today vom 24. 2. 2004, abrufbar unter http://usatoday30. usatoday.com/news/nation/2004 – 02 – 24-oddsentences_x.htm. 35 Geppert (Fn. 4), § 44 Rn. 117. 64
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schloss sich Schöch im Rahmen seines Gutachtens zum 59. Deutschen Juristentag 1992 an,36 was jedoch vom Plenum weithin abgelehnt wurde37. Diversen, zwischen 1998 und 2008 durch Opposition, Regierung und Bundesrat – hier unter anderen durch die Freie und Hansestadt Hamburg – eingebrachten Gesetzentwürfen, die in diese Richtung tendierten, war kein parlamentarischer Erfolg beschieden.38 Expertengruppierungen wie der 39. Deutschen Verkehrsgerichtstag 200139 sowie der 64. Deutsche Juristentag 200240 wandten sich indes jeweils mehrheitlich gegen eine Aufstufung des Fahrverbots zur Hauptstrafe sowie eine Ausweitung auf Nicht-Verkehrsdelikte.41 Das aktuelle Reformvorhaben basiert auf einer Vereinbarung der Regierungsparteien im Koalitionsvertrag von 2013, wonach eine Ausweitung des Fahrverbots damit begründet wird, „eine Alternative zur Freiheitsstrafe und eine Sanktion bei Personen zu schaffen, für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt“.42 Im Juni 2016 legte schließlich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen Referentenentwurf zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze vor. Anstelle einer Aufstufung zur Hauptstrafe soll der Charakter als Nebenstrafe beibehalten werden. Jedoch sieht der Entwurf vor, dass künftig ein Fahrverbot bei jeder Art von Straftat verhängt werden kann. Der entsprechende Halbsatz soll in § 44 StGB gestrichen werden. Weiterhin soll die Höchstdauer des Fahrverbots von drei auf sechs Monate angehoben werden.43 Auf dieser Grundlage brachte die Bundesregierung
36 Vgl. Schöch, Empfehlen sich Änderungen und Ergänzungen bei den strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug?, Gutachten C, Verhandlungen des 59. Dt. Juristentages, Band I, Teil C, S. 116 ff. 37 Vgl. Verhandlungen des 59. Dt. Juristentages, Band II, Teil O, S. 189; dazu auch König, NZV 2001, 6, 7; Geppert (Fn. 4), § 44 Rn. 118 m. Fn. 441. 38 Vgl. insbesondere die umfangreichen Nachweise von Zopfs, in: Festschrift für Wolter, 2013, S. 815 m. Fn. 1; vgl. auch Kubiciel, RuP 2014, 159, 160; ders., juris-PR-StrafR, 19/2016, Anm. 1; Kilger, ZRP 2009, 13. 39 Empfehlungen des 39. Deutschen Verkehrsgerichtstags, Goslar 2001. 40 Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages, Berlin 2002, S. 22. 41 Die Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems sprach sich überdies gegen eine Ausweitung auf Nicht-Verkehrsstraftaten aus, votierte jedoch einstimmig für die Aufstufung zur Hauptstrafe (vgl. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, 2000, S. 32, 34; die wesentlichen Beschlüsse sind abgedruckt in NZV 2000, 203). Vgl. Zur Reformdiskussion auch Geppert (Fn. 4), § 44 Rn. 118 f.; Kubiciel, RuP 2014, 159, 160. 42 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Berlin 2013, S. 146. 43 Eine nähere Diskussion dieser Erweiterung des Fahrverbots bleibt hier ausgeklammert. Recht und Politik, Beiheft 2
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im Dezember 2016 einen wortgleichen Gesetzesentwurf (nachfolgend: RegE) in den Bundestag ein.44 Der Deutsche Anwaltverein lehnte im August 2016 eine Ausweitung des Fahrverbots ab.45 Diesem Votum schloss sich auch der kürzlich in Goslar tagende 55. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2017 an.46 4. Bewertung Analysiert man die wissenschaftlichen Beiträge zu diesem Thema fällt auf, dass in diesen fast ausnahmslos ein Argumentationsgemisch vorzufinden ist, das eine klare Struktur vermissen lässt. Dies verwundert, da die Anforderungen, an denen ein Reformvorhaben der vorliegenden Art zu messen ist, grundsätzlich auf der Hand liegen: Zunächst muss die Ausweitung des Fahrverbots den rechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes genügen. Erst wenn diese Hürde genommen ist, kann in einem zweiten Schritt nach der Sinnhaftigkeit, also der rechtspolitischen Zweckmäßigkeit der Reform, gefragt werden. An diesen Kriterien orientiert sich folglich die nachfolgende Untersuchung. a) Rechtliche Vorgaben Das Grundgesetz stellt vor allem vier rechtliche Kernvorgaben an die Einführung oder Ausweitung einer strafrechtlichen Sanktion: Die Strafe muss dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG genügen, sie muss die Anforderungen des Schuldprinzips, welches aus Art. 20 Abs. 3 sowie Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird, einhalten, sie darf ferner nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen und darf schließlich nicht die einschlägigen Freiheitsgrundrechte, hier: die Berufsfreiheit, die Eigentumsgarantie, die Freizügigkeit und die allgemeine Handlungsfreiheit, verletzen. aa) Bestimmtheitsgrundsatz Danach ist zunächst festzustellen, dass das erweiterte Fahrverbot den Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG ausreichend Rechnung trägt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt der Bestimmtheitsgrundsatz auch für die Strafandrohung.47 Diese umfasst jedenfalls Haupt- und Nebenstrafen. Konkret müssen die Art und das Maß einer jeden Strafe durch den Gesetzgeber in vorhersehbarer Weise bestimmt werden.48 Hinsichtlich des Maßes der
44 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze. Beide Entwürfe sind abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Aenderung_StGB_StPO. html. 45 Vgl. die Stellungnahme des DAV, Nr. 47/2016, Berlin 2016, S. 5 ff. 46 Vgl. die Empfehlungen des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstags, Goslar 2017. 47 BVerfGE 105, 135, 153 m.w.N. – Vermögensstrafe. 48 BVerfGE 105, 135, 153 f. 66
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Strafe hat der Gesetzgeber einen Strafrahmen zu bestimmen, dem sich Mindest- und Höchstmaß entnehmen lassen.49 Die neue Fassung des § 44 StGB genügt diesen Anforderungen. Die Strafart ist mit dem Verbot, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen, eindeutig bestimmt. Dass die Begrenzung auf sogenannte Zusammenhangstaten nun wegfällt, schmälert die Bestimmtheit nicht; im Gegenteil, sie wird dadurch sogar erhöht, da die mit Problemen behaftete Auslegung des entsprechenden Merkmals nicht mehr zu erfolgen hat. Auch das Strafmaß ist mit einer Untergrenze von einem Monat und einer Obergrenze von sechs Monaten klar definiert.50 Da – anders als etwa bei der Einführung der Vermögensstrafe – keine neue Strafart eingefügt wird, war der Gesetzgeber überdies nicht gehalten, über die herkömmlichen Strafzumessungsgrundsätze hinaus besondere Leitlinien hinsichtlich der Auswahl und der Bemessung der Sanktion festzulegen. Insoweit genügen vielmehr die Kriterien des § 46 StGB sowie die bisherigen Praxiserfahrungen.51 Zuletzt läuft das Fahrverbot, anders als teilweise behauptet, nicht in Gefahr, nach Beliebigkeit oder Willkür verwendet zu werden.52 Allein die bei Nebenstrafen existierende notwendige Möglichkeit, die Strafe optional neben der Hauptstrafe zu verhängen, reicht insoweit nicht aus. Vielmehr hat der Gesetzgeber bereits mit § 46 StGB einer beliebigen Strafanwendung einen Riegel vorgeschoben. bb) Schuldprinzip Des Weiteren genügt das Fahrverbot den Anforderungen des Schuldprinzips. Die Schuld bildet die Grundlage dafür, dass dem Täter angesichts des verwirklichten Unrechts ein persönlicher Vorwurf gemacht werden kann. Die schuldhafte Verwirklichung von Unrecht ist Grundvoraussetzung für staatliches Strafen überhaupt.53 Man spricht insoweit von der Strafbegründungsschuld. Das Schuldprinzip fungiert zugleich aber auch als Maßprinzip der verfassungsrechtlich zulässigen Bestrafung, es stellt als sogenannte Strafzumessungsschuld somit eine spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar.54 Die Strafe muss dem Strafrichter eine Abmessung des Strafmaßes an den Einzelheiten von Unrecht und Schuld ermöglichen.55 Das Schuldprinzip gebietet die Angemessenheit von Tatbestand und Rechtsfolge. Unverhältnismäßige und ungerechte Strafen sind zu verhindern.56 Treffen – wie hier –
49 50 51 52 53 54
BVerfGE 105, 135, 156. RegE, S. 17. In diese Richtung auch RegE, S. 17. Eine solche Gefahr nachdrücklich betonend Fehl, DAR 1998, 379, 382 f. Vgl. BVerfGE 105, 135, 154; BVerfGE 109, 133, 171. Dazu sowie zum vorgehenden Radtke (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 14 f.; Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 17. 55 BVerfGE 105, 135, 154. 56 BVerfGE 105, 135, 155; Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 40. Recht und Politik, Beiheft 2
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Hauptstrafe und Nebenstrafe zusammen, müssen diese auch in Kombination schuldangemessen sein. Das Fahrverbot erfüllt diese Kriterien. Indem es an das Vorliegen einer vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Haupttat anknüpft, ist den Anforderungen der Strafbegründungsschuld Genüge getan. Der vorhandene Strafrahmen in Verbindung mit den Strafzumessungskriterien des § 46 StGB – welche Ausfluss des Schuldprinzips sind – erlauben eine einzelfallgerechte und angemessene, vor allem insgesamt schuldangemessene Strafe.57 Sofern einem Fahrverbot ausnahmsweise existenzvernichtende Wirkung zukommen kann, wird und muss der Strafrichter dies ebenfalls berücksichtigen; ansonsten würde seine Entscheidung im Einzelfall gegen das Schuldprinzip verstoßen und wäre damit aufzuheben. Deshalb ist eine gesetzlich geregelte optionale Einschränkung des Fahrverbots auf das Fahren außerhalb der beruflichen Tätigkeit, wie es etwa in Frankreich der Fall ist, von Verfassungs wegen nicht erforderlich. Anders als vereinzelt in der Literatur behauptet, fordert oder befürwortet das Schuldprinzip überdies keine spiegelbildliche Verknüpfung von Schuld oder Unrecht auf der einen und Strafe auf der anderen Seite im Sinne des Talionsprinzips.58 Insofern ist die Ausweitung des Fahrverbots auf Nicht-Verkehrsdelikte hinsichtlich des Schuldprinzips unschädlich. cc) Gleichheitsgrundsatz Ferner verstößt das erweiterte Fahrverbot nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz ist hier unter zweierlei Gesichtspunkten tangiert: Zum einen birgt ein ausgeweitetes Fahrverbot in verstärktem Maße die Gefahr eines Sonderstrafrechts für Fahrerlaubnisinhaber, welche nach aktuellen Schätzungen ca. 66 % der volljährigen Bevölkerung, also 54 Millionen Bürger, ausmachen.59 Denn nur gegen diese kann die Nebenstrafe nach § 44 StGB verhängt werden. Nur diese können – wegen den Anforderungen des Schuldprinzips – gegebenenfalls in den Genuss einer Reduktion der Hauptstrafe, die dafür zugleich mit einem Fahrverbot ausgesprochen wird, kommen. Zum anderen stehen Gleichheitsfriktionen auch innerhalb der Gruppe der Inhaber von Fahrerlaubnissen zu befürchten. Denn einen Berufskraftfahrer oder einen auf dem Land lebenden, auf sein Fahrzeug angewiesenen Arbeitnehmer trifft ein Fahrverbot deutlich härter als einen in der Großstadt wohnenden Gelegenheitsfahrer.60
57 Vgl. Stree/Kinzig (Fn. 7), Vor §§ 38 ff. Rn. 18. 58 Ähnlich aber wohl Streng, Verhandlungen des 64. Dt. Juristentages, Band II/2, Teil N, S. 179 f.; ders., ZRP 2004, 237, 238 ff. 59 Wedler, NZV 2015, 209, 211 mit Verweis auf Herzog/Böse (Fn. 26), § 44 Rn. 2. 60 König, NZV 2001, 6, 10 m.w.N. Mit diesen und weiteren Argumenten auch Fehl, DAR 1998, 379, 383. 68
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Festzustellen ist zunächst, dass die Problematiken bereits im geltenden Recht, das als Anlasstat eine Verkehrsstraftat verlangt, angelegt sind61 und durch die Reform allenfalls quantitativ verstärkt werden können. In der Sache ergibt sich, dass – entgegen einiger Stimmen in der Literatur62 – die genannten potentiellen Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sind. Nach der vereinheitlichenden Gesamtformel des Bundesverfassungsgerichts ist je nach Intensität der Ungleichbehandlung diese am Maßstab der früheren Willkürformel oder der sogenannten Neuen Formel zu messen.63 Betont man den Umstand, dass es jedem freisteht, eine Fahrerlaubnis zu erwerben, könnte man von einer lediglich geringen Ungleichbehandlung ausgehen.64 Spricht man hingegen dem Aspekt, dass eine Ungleichbehandlung von Personengruppen vorliegt, erhöhtes Gewicht zu, läge eine mehr als geringe Differenzierung vor. Eine abschließende Einstufung kann jedoch dahinstehen, da im Ergebnis die Ungleichbehandlungen selbst bei Annahme des strengeren Rechtfertigungsmaßstabs diesem genügen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem Gesetzgeber ein weitreichender Regelungsspielraum zu;65 insbesondere können Unterschiede geschaffen werden. Das Bundesverfassungsgericht prüft dabei allein, ob der Gesetzgeber die Grenzen der Gestaltungsfreiheit übertreten und verletzt hat.66 Maßgeblich ist insoweit, ob die Ungleichbehandlung einem anerkannten öffentlichen Zweck dient und verhältnismäßig ist. Dies ist hier der Fall. Denn zunächst dient das Fahrverbot sowohl in der aktuellen und erst Recht in der neuen Fassung der Erweiterung des strafrechtlichen Sanktionenspektrums67 und auf diese Weise gleichzeitig der Effektivität des Strafrechts und der Sachgerechtigkeit der Strafe. Vor allem soll das Fahrverbot eine „im Einzelfall differenzierende und damit spezial- und generalpräventiv wirkende Reaktionsmöglichkeit (…) schaffen“68, die wiederum einer (gleichsam angestrebten) verstärkt schuldangemessenen Sanktionierung zuträglich wäre. Darin ist freilich ein legitimer Zweck zu sehen. Überdies genügt das erweiterte Fahrverbot dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da es geeignet, erforderlich und angemessen ist. Insbesondere überwiegt der legitime Zweck gegenüber der Ungleichbehandlung. Das Gewicht der letzteren wird bereits durch zweierlei Tatsachen relativiert: Zum einen liegt eine Ungleichbehandlung bei Strafen in der Natur der Sache, da keine Strafe jeden Täter mit gleicher Härte trifft.69
61 62 63 64 65 66 67 68 69
König, NZV 2001, 6, 9. Etwa Sonnen, DRiZ 2010, 119. Vgl. BVerfGE 126, 400, 416; BVerfGE 129, 49, 68 f. In diesem Sinne – sowie zum vorstehenden – Wedler, NZV 2015, 209, 212. Diesen hebt auch der RegE in diesem Zusammenhang hervor, vgl. RegE, S. 16. Berwanger, ZRP 2014, 89. So auch Berwanger, ZRP 2014, 89. Wedler, NZV 2015, 209, 212. Franke, ZRP 2002, 20, 21; Wedler, NZV 2015, 209, 212.
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Dies gilt für Freiheitsstrafe, Geldstrafe und Fahrverbot gleichermaßen.70 Zum anderen ist zu beachten, dass ein Strafrichter bereits wegen des Schuldprinzips gehalten ist, die täterspezifischen Umstände individuell zu würdigen und in gewissen Fällen ggf. von einem Fahrverbot absehen oder dessen Dauer reduzieren muss.71 Dem legitimen Zweck ist vor dem Hintergrund des schuldangemessenen Strafens und den bereits erörterten Strafzwecken demgegenüber ein erhöhtes Gewicht beizumessen.72 dd) Freiheitsgrundrechte Schließlich verstößt § 44 StGB neue Fassung nicht gegen Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 11 Abs. 1 oder 2 Abs. 1 GG. Soweit in die Schutzbereiche dieser Grundrechte eingegriffen wird, liegt eine Rechtfertigung vor.73 Insbesondere ist der Eingriff in die Berufsfreiheit gerechtfertigt. Insoweit kann es vor allem bei Berufsfahrern zu einem Eingriff in die Berufswahlfreiheit im Sinne der zweiten Stufe kommen, der an erhöhten Anforderungen zu messen ist. Ein Fahrverbot hat insoweit einen ähnlichen Effekt wie eine Freiheitsstrafe. Eine Rechtfertigung erfordert nach der 3-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichts mithin eine Erforderlichkeit zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter.74 Diese Voraussetzung ist erfüllt. Denn das Fahrverbot dient unmittelbar der Erweiterung des Sanktionenspektrums und dem effektiven, schuldangemessenen Strafen. Mittelbar dient es der Verwirklichung der Aufgaben des Strafrechts, also dem Rechtsgüterschutz. ee) Ergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Erweiterung des Fahrverbotes den rechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes genügt. b) Rechtspolitische Zweckmäßigkeit In einem zweiten Schritt ist somit zu untersuchen, ob die Erweiterung des Fahrverbots auf jedwede Art von Straftatbeständen rechtspolitisch zweckmäßig ist. Möchte man eine Reform auf ihren Sinn und Zweck hin untersuchen, stellt sich zunächst die Frage nach den maßgeblichen Kriterien einer derartigen Analyse. Ein allgemeingültiger Bewertungsmaßstab für die Sinnhaftigkeit von strafrechtlichen Reformvorhaben existiert nicht. Auch die Literatur verzichtet in diesem Zusammenhang mit auffallender Hartnäckigkeit auf eine Definition der rechtspolitischen Zweckmäßigkeit.75 Auf den zu Beginn des Vortrags dargelegten Grundsätzen aufbauend, sollte nach hiesiger Ansicht eine neue oder modifizierte Sanktion zunächst in verstärktem 70 So auch König, NZV 2001, 6, 10; Berwanger, ZRP 2014, 89; Bachmann, NJ 2014, 401, 402; Kubiciel, juris-PR-StrafR, 19/2016, Anm. 1. 71 In diese Richtung auch König, NZV 2001, 6, 9; Wedler, NZV 2015, 209, 212. 72 So im Ergebnis auch Wedler, NZV 2015, 209, 212. 73 I. E. ebenso Berwanger, ZRP 2014, 89 f. 74 Grundlegend BVerfGE 7, 377, 405 ff. – Apothekenurteil. 75 Hinzuweisen ist aber auf die knappen Ausführungen hierzu von Berwanger, ZRP 2014, 89, 90. 70
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Maße den Zwecken des Strafens entsprechen, damit sie effektiv wirken und damit zum Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts beitragen kann. Daneben sollte die Strafe den aus dem Schuldprinzip entspringenden Regelungsauftrag an den Gesetzgeber umfassend Rechnung tragen. Als weiterer Aspekt sollte die Strafe möglichst kostengünstig sein und idealerweise zu keiner Mehrbelastung der Justiz führen. Untersucht man das erweiterte Fahrverbot anhand dieses Bewertungssystems, ist nach der hier vertretenen Ansicht von einer rechtspolitischen Zweckmäßigkeit des Reformvorhabens auszugehen. aa) Effektivität des Fahrverbots In einem ersten Schritt ist festzustellen, dass ein erweitertes Fahrverbot eine wirkungsmächtige Sanktion darstellt, welche die Zwecke des Strafens und damit auch die des Strafrechts fördert. Die eigene Kfz-basierte Mobilität nimmt einen hohen gesellschaftlichen Rang ein; sie ist oder erscheint im Alltag für viele nahezu unverzichtbar. Hinzu kommen der Prestigewert des Wagens und die Freude an dessen Benutzung. Der Verurteilte wird sich deshalb überlegen, ob er sich (gezwungenermaßen) einem erneuten Verzicht auf das Kraftfahrzeug aussetzen möchte.76 Insoweit stellt das Fahrverbot eine schmerzhafte und effektive Strafe dar, gerade auch bei solchen Tätern, für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt.77 Dementsprechend wird das Fahrverbot in der Schwere überwiegend zwischen Geldund Freiheitsstrafe – und damit als erheblich belastende Maßnahme – eingeordnet und wirkt wie eine „Freizeitstrafe“78 oder eine „Freiheitsbeschränkungsstrafe moderner Art“79. Die empfundene Wirkung als schwerwiegendes Übel und damit als effektive Sanktion wird durch empirische Untersuchungen gestützt. Zum einen hat eine im Rahmen der Kleingruppe Strafrecht AT II / BT I an der Bucerius Law School jüngst von den Verfassern durchgeführte Umfrage ergeben, dass, vor die Wahl gestellt, ein Großteil der 50 befragten Studenten eine Geldstrafe zu 60 Tagessätzen à 10 Euro oder eine zweimonatige zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe einem zweimonatigen Fahrverbot vorziehen würde. Zum anderen ist zumindest teilweise belegt, dass Adressaten eines Fahrverbots in geringerem Maße rückfällig werden, als anders bestrafte Täter. Teilweise wird argumentiert, dass der – unbestritten – hohe Wirkungsgrad des Fahrverbots dadurch beschränkt würde, dass die Bevölkerung ein solches erweitertes Fahrverbot nicht akzeptieren würde. Auf diese Weise stehe eine Minderung der präventiven Wirkungen sowie der Effektivität der in der Eigenverantwortung des Täters 76 77 78 79
Hierzu und zum vorstehenden König, NZV 2001, 6, 7. Vgl. RegE, S. 13 ff. Fehl, NZV 1998, 439, 440; Berwanger, ZRP 2014, 89. Schöch (Fn. 36), S. 120.
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liegenden Strafvollziehung zu befürchten.80 Auch schwäche eine – durch die nun mit der Ausweitung auf Nicht-Verkehrsdelikte einhergehende – (behauptete) sachfremde Verknüpfung von Unrecht und Strafe die Wirkung und Akzeptanz des Verbots weiter ab. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass auch Geld- oder Freiheitstrafen keine spiegelnden Strafen darstellen.81 Zwar haben in den Jahren 2001 und 2003 durchgeführte Befragungen von Jurastudenten an der Universität Erlangen-Nürnberg ergeben, dass etwa 70 % der Befragten ein erweitertes Fahrverbot als mit Gerechtigkeitsstandards nicht vereinbar einstufen.82 Die erwähnte, an der Bucerius Law School durchgeführte Untersuchung bestätigt dieses Ergebnis. Danach empfanden sogar 87 % ein solches Fahrverbot als „weniger gerecht oder weniger akzeptabel“ bzw. „gar nicht gerecht oder gar nicht akzeptabel“. Dieses – gerade bei jungen Leuten83 – ausgeprägte Gerechtigkeitsempfinden wird allerdings nicht zu einer signifikanten Schmälerung des Wirkungsgrades des Fahrverbots führen. Denn gerade neue oder modifizierte Strafarten benötigen – wie fast alle Veränderungen und neuen Vorstöße – eine gewisse Zeit, um in das Bewusstsein und die Akzeptanz der Gesellschaft vorzudringen.84 Die Bürger dürften die Strafe nach ihrer praktischen Implementierung als ebenso wertgleiche Strafe akzeptieren, wie die Geldstrafe.85 Andere halten dem Fahrverbot entgegen, seine Wirksamkeit werde durch mangelnde Überwachbarkeit und einfache Umgehungsmöglichkeiten geschwächt.86 Aber auch diese Einwände können pariert werden. Zum einen ist es um die Vollstreckung nicht derart schlecht bestellt, wie behauptet. Zwar liegt es in der Natur der Sache, dass ein Fahrverbot deutlich weniger konsequent vollstreckt werden kann, als eine Geld- oder Freiheitsstrafe. Allerdings wird die örtlich zuständige Polizei gemäß Nummern 11 und 46 Mistra über das angeordnete Fahrverbot informiert.87 Auch existiert mit § 21 StVG eine strafrechtliche Absicherung des Fahrverbots. Überdies zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die Selbstvollstreckung des Fahrverbots – soweit ersichtlich – gut funktioniert. Ferner könnten zukünftig neue technische Überwachungsmöglichkeiten nach U.S.-amerikanischem Vorbild hinzutreten, etwa eine digitale Führerscheinzündschlosssperre.88
80 Vehement in diese Richtung etwa Streng, ZRP 2004, 237, 239 f. An der gesellschaftlichen Akzeptanz zweifelnd auch Sonnen, DRiZ 2010, 119. Vgl. auch RegE, S. 13. 81 Nachdrücklich Verrel, Verhandlungen des 64. Dt. Juristentages, Band II/2, Teil N, S. 175. 82 Streng, ZRP 2004, 237, 239. 83 So auch Franke, ZRP 2002, 20, 22; Wedler, NZV 2015, 209, 214. 84 König, NZV 2001, 6, 9; Wedler, NZV 2015, 209, 214. 85 Kubiciel, juris-PR-StrafR, 19/2016, Anm. 1. 86 So etwa Zopfs, in: FS Wolter, 2013, S. 815, 819; vgl. auch RegE, S. 13 f. m.w.N. 87 König, NZV 2001, 6, 10; vgl. auch Verrel (Fn. 80), S. 175. 88 Auf die potentielle Relevanz technischer Neuentwicklungen in diesem Zusammenhang verweist auch Wedler, NZV 2015, 209, 213. 72
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Zum anderen verfängt der Umgehungseinwand nicht. Auch hier ist zuzugeben, dass ein Fahrverbot durch willige Familienmitglieder oder Freunde oder auch durch Taxifahrten oder ähnliches in gewissem Umfang ausgehebelt werden kann. Nichts anderes gilt jedoch für die Geldstrafe. Insbesondere darf aber nicht übersehen werden, dass ein Fahrverbot nicht nur die automobile Ortsveränderung verhindert, sondern gerade auch die jederzeitige und vor allem selbstständige Fortbewegung durch ein Kfz, die für Viele einen wichtigen Ausdruck an Freiheit darstellt.89 Eine Umgehung dieser Aspekte ist folglich nicht möglich. bb) Wertungen des Schuldprinzips Zweitens ist zu bemerken, dass das erweiterte Fahrverbot überwiegend dem dem Schuldprinzip entspringenden Regelungsauftrag entspricht. Nach hier vertretener Auffassung beinhaltet das Schuldprinzip den an den Gesetzgeber gerichteten Appell, ein möglichst schuldangemessenes Sanktionenrecht bereitzuhalten.90 Dies umfasst zum einen die Existenz eines ausdifferenzierten Strafenspektrums. Zum anderen ist daraus das Gebot abzuleiten, die Anwendung derjenigen unter gleich schuldangemessenen Strafen zu ermöglichen, die weniger entsozialisierend wirkt91; in anderen Worten gilt es also stationäre Sanktionen wenn möglich zu vermeiden. Letzteres wird jedenfalls insofern empirisch unterlegt, als dass gesichert ist, dass besonders schwere oder gar drakonische Strafen keine besonders abschreckende Wirkung besitzen.92 Zugleich zeigen empirische Befunde, dass Freiheitsentziehungen wenig bis keine positive verhaltenssteuernde Wirkung entfalten.93 Die Ausweitung des Fahrverbots bietet dem Strafrichter eine zusätzliche und weiterreichende Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen, die dem verwirklichten Unrecht und der Schuld des Täters in besonderem Maße Rechnung tragen.94 Dies ermöglicht auch ein individuelleres und gerechteres Strafen.95 Zugleich ist es zukünftig in einer deutlich größeren Anzahl von Fällen möglich, eine Hauptstrafe zu mildern und dafür mit der Nebenstrafe zu verbinden.96 Auf diese Weise kann häufiger die Verhängung – grundsätzlich unerwünschter – kurzer Freiheitsstrafen verhindert werden.97 Auch kann es
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Ähnlich RegE, S. 14. Ausführlich dazu BVerfGE 105, 135, 155 f. und 165; Wolters, ZStW 114 (2002), S. 63, 64 f. In diese Richtung Wolters, ZStW 114 (2002), S. 63, 69 f. Wolters, ZStW 114 (2002), S. 63, 67. Wolters, ZStW 114 (2002), S. 63, 68. Busemann, ZRP 2010, 239. Luczak, DRiZ 2010, 118. Vgl. auch RegE, S. 16, zur Kombinationsmöglichkeit des Fahrverbots mit Freiheits- oder Geldstrafen: Höhere „Dosierbarkeit“ der Gesamtsanktion. 96 So auch Wolters, ZStW 114 (2002), S. 63, 71. 97 Vgl. RegE, S. 12, 16. Recht und Politik, Beiheft 2
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Benedikt J. Lüthge und Maximilian L. Klein
Fälle geben, in denen statt einer Freiheitsstrafe dann eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe in Verbindung mit einem Fahrverbot ausgesprochen wird.98 cc) Kosteneffektivität, Mehrbelastungen der Justiz In einem dritten Schritt ist schließlich festzustellen, dass ein Fahrverbot aus haushaltsökonomischer Sicht insgesamt vorteilhaft ist. Denn aufgrund seiner automatischen Vollstreckung ist es kostengünstig.99 Etwas anderes gilt für den Einwand der Mehrbelastung der Justiz.100 Ein Strafrichter wird aufgrund der potentiell sehr großen Wirkungen des Fahrverbots die Umstände des Einzelfalls genau zu untersuchen haben. Auch ist ein Anstieg der Rechtsmittel nicht auszuschließen. Diesem Problem wird jedoch zumindest teilweise dadurch entgegen gewirkt, dass das Fahrverbot nach der neuen Fassung nunmehr erst einen Monat nach Rechtskraft des Urteils wirksam wird.101
III. Fazit und Ausblick Als Fazit ist festzuhalten, dass die Reform einen Schritt in die richtige Richtung darstellt. Mit ihr distanziert sich die deutsche Strafrechtsordnung zwar von den Nachbarstaaten Österreich und Schweiz, bewegt sich dafür aber im Fahrwasser Frankreichs, Englands und der USA. § 44 StGB neue Fassung genügt den Anforderungen, die das Grundgesetz an Strafen stellt und verstößt insbesondere weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen das Schuldprinzip. Darüber hinaus ist die Reform als rechtspolitisch zweckmäßig und damit begrüßenswert einzustufen. Als besonders wirksame Sanktion trägt sie den Zwecken des Strafens verstärkt Rechnung und vermag auf diese Weise einen effektiven Beitrag zur Funktionsfähigkeit des Strafrechts zu leisten. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass ein gegebenenfalls anfangs bestehendes Akzeptanzdefizit in der Bevölkerung die Wirksamkeit der Strafart nachhaltig beeinträchtigen wird. Da das erweiterte Fahrverbot das Sanktionsspektrum verfeinert und teilweise härtere Sanktionen entbehrlich macht, ist es schließlich auch vor dem Hintergrund des Schuldprinzips förderungswürdig.
98 RegE, S. 17 m.w.N. 99 König, NZV 2001, 6, 7; Franke, ZRP 2002, 20, 22; Wedler, NZV 2015, 209, 211. 100 Diese unterstreichen auch König, NZV 2001, 6, 10 und Franke, ZRP 2002, 20, 22, letzterer allerdings insbesondere für ein Fahrverbot als Hauptstrafe. 101 Vgl. RegE, S. 17. 74
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Mobbing und Cybermobbing – Eine Strafbarkeitslücke ?* Von Alexander Bleckat Im Zeitalter des Internets stellt sich die Frage, ob die bestehenden Gesetze, die weit vor dem Internet erlassen wurden, für die gesellschaftlichen Probleme genügen oder ob es neuer Gesetze bedarf. Beim Cybermobbing stellt sich diese Frage zu Recht. Die §§ 185 ff. StGB genügen nicht immer, um die Ehrverletzungen im Internet zu verfolgen. Mobbing ist nicht zwangsläufig eine Beleidigung und als vermeintlich anonyme Person im Netz fällt das Mobben leichter. Haben wir also eine Strafbarkeitslücke? Diese Frage soll mit folgendem Artikel geklärt werden.
I. Einleitung Sowohl in sozialen Medien als auch in Computerspielen sind Nutzer Opfer des so genannten Cybermobbings. Unter Cybermobbing ist die gezielte, wiederholte und damit anhaltende Bloßstellung, Belästigung oder Ausgrenzung eines Einzelnen durch mehrere andere Personen mittels Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie zu verstehen, welches die Lebensgestaltung des Opfers beeinträchtigt1. Diesem Zusammenwirken muss kein vorgefasster Plan zu Grunde liegen, sodass ein Ausnutzen der Gegebenheiten ausreichend ist2. Laut Statistik ist jeder dritte Schüler Opfer oder Täter von Cybermobbing3. Dabei wird unterschiedlich gemobbt. Am häufigsten mobben die Täter mit beleidigenden Mails (14,5 Prozent) und dem Weiterleiten vertraulicher Informationen (7,9 Prozent)4. Im Übrigen wird auch verstärkt in Online-Computerspielen gemobbt. Besonders das „Flamen“ oder „Ragen“ gegenüber anderen Mitspielern ist in solchen Spielen eher die Regel als die Ausnahme. „Flamen“ ist das (grundlose) Hervorheben der Schuld anderer und „Ragen“ ist der Ausdruck von
* 1 2 3 4
Zuerst in: RuP 1/2017, 59–65. Cornelius, ZRP 2014, 164. Cornelius, ZRP 2014, 164. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Cybermobbing-Studie-Jeder-dritte-Schueler-istOpfer-oder-Taeter-1924795.html (Stand: 14. 11. 2016). http://www.heise.de/newsticker/meldung/Cybermobbing-Studie-Jeder-dritte-Schueler-istOpfer-oder-Taeter-1924795.html (Stand: 14. 11. 2016).
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Alexander Bleckat
Wut5. Es wird daher deutlich, wie hochaktuell das Thema Cybermobbing ist. Im Folgenden wird zunächst die aktuelle Rechtslage erläutert, um anschließend die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung und dessen konkrete Ausformung darzustellen.
II. Aktuelle Rechtslage Nach aktueller Rechtslage kann grundsätzlich weder Mobbing noch Cybermobbing durch die Normen des Strafgesetzbuches Einhalt geboten werden. Aus dem Strafgesetzbuch kommen für eine Strafbarkeit insbesondere die Normen §§ 111, 185, 223 und 238 StGB in Betracht. 1. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten § 111 StGB Der Begriff der Aufforderung entspricht weitgehend dem der Anstiftung i.S.d. § 26 StGB6. Auffordern bedeutet eine verbale oder non-verbale Willenskundgebung gegenüber beliebigen Dritten, dass eine beliebige dritte Person einen Straftatbestand rechtswidrig verwirklichen soll7. Das bloße Befürworten reicht dagegen nicht aus8. Mobbing, welches die wiederholte und gezielte Bloßstellung, Belästigung und Ausgrenzung eines Einzelnen durch mehrere andere Personen darstellt, wird dagegen nicht von § 111 StGB umfasst. Es fehlt beim Mobbing in der Regel bereits daran, dass kein Dritter einen Straftatbestand rechtswidrig verwirklichen soll, sondern dass die Täter das Opfer selbst erniedrigen. Somit kann Mobbing grundsätzlich nicht von § 111 StGB umfasst werden. 2. Beleidigung § 185 StGB Angriffsobjekte der Beleidigung können sowohl die innere Ehre, d. h. der dem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommende Achtungsanspruch als auch die darauf gründende äußere Ehre, d. h. das Ansehen und der gute Ruf einer Person in der Gesellschaft sein9. Eine Beleidigung dieser Ehre liegt bei Kundgabe von Missachtung vor10. Maßgebend dafür, ob eine Äußerung die Missachtung eines Anderen zum Ausdruck bringt, ist nicht, wie der Täter sie versteht oder wie der Empfänger sie tatsächlich verstanden hat, sondern wie er sie verstehen durfte, d. h. ihr durch Auslegung zu ermittelnder objektiver Sinngehalt11. Beleidigende Wörter sind unter anderem Schimpfworte wie Lump, Schuft, Trottel, Schwachkopf, Schizophrener, Idiot, Schwein 5 6 7 8 9
https://de.wikipedia.org/wiki/Flame_(Netzkultur) (Stand: 14. 11. 2016). Schönke/Schröder/Eser, StGB, 29. Auflage, § 111, Rn. 3. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Auflage, § 111 Rn. 12. BeckOK StGB/Dallmeyer, StGB, 32. Edition, § 111, Rn. 4. BeckOK StGB/Valerius, StGB, 32. Edition, § 185 Rn. 2; BGH, Beschluß vom 18. 11. 1957 – GSSt 2/57, NJW 1958, 228, 229. 10 BeckOK StGB/Valerius, StGB, 32. Edition, § 185 Rn. 16. 11 Schönke/Schröder/Lencker/Eisele, StGB, 29. Auflage, § 185 Rn. 8. 76
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Mobbing und Cybermobbing – Eine Strafbarkeitslücke ?
oder Nazi12. Die Behauptung, man wolle einen anderen erschießen, wurde jedoch nicht als Beleidigung angesehen13. Darüber hinaus entfalten herabsetzende Werturteile, die lediglich eine wertende Zusammenfassung einer Tatsachengrundlage sind, keine selbstständige, herabsetzende Wirkung, wobei entscheidend ist, ob die Tatsachengrundlage wahr ist oder nicht14. Die Äußerung einer wahren ehrenrührigen Tatsache ist nach deutschem Strafrecht nicht strafbar15. Daran wird deutlich, dass in der Regel das Mobbing nicht von § 185 StGB umfasst werden wird. Zwar können die Täter für ihre Schimpfwörter belangt werden, aber soweit sie Schimpfwörter beim Mobbing weglassen und nur wahre, ehrenrührige Tatsachen kundtun, gibt es keinen Anwendungsbereich mehr für § 185 StGB. Der Anwendungsbereich des § 185 StGB sollte auch nicht um ein unverträgliches Maß auf Mobbing ausgedehnt werden. Insbesondere der Grundsatz „nulla poena sine legem“ (Keine Strafe ohne Gesetz) spricht gegen eine Ausdehnung. 3. Nachstellung § 238 StGB Der Straftatbestand der Nachstellung (sog. Stalking) soll andauernde Belästigungen, die sowohl in ihrer näheren Ausgestaltung als auch in ihren Auswirkungen mannigfaltig sind, erfassen16. Nun könnte man ein Cybermobbing-Opfer, welches rund um die Uhr bloßstellende oder beleidigende elektronische Nachrichten über SMS, Twitter, Facebook oder auch E-Mail enthält, einem Stalking-Opfer gleich setzen17. Als Tathandlung kommt § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB („unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht“) in Betracht. Der Tatbestand der Nachstellung wurde durch das 40. StÄndG v. 22. 03. 2007 (BGBl. I S. 354) mit der Intention eingefügt, bestehende Strafbarkeitslücken in Fällen des Stalkings zu schließen und so einen besseren Opferschutz zu gewährleisten18. Dem Begriff des Stalkings (Anpirschen, Anschleichen, Auflauern) werden vielfältige Verhaltensweisen zugeschrieben, bei denen der Täter dem Opfer wiederholt und gegen dessen Willen nachstellt19. Dem Stalking ist wesensimmanent, dass der Stalker Kontakt mit dem Opfer sucht und dies gegen dessen Willen mit überwiegend hoher Intensität geschieht20. Darum wird es in den Cybermobbingoder Mobbing- Fällen regelmäßig nicht gehen. Die Täter möchten die Opfer erniedrigen und sich über sie lustig machen. Es geht ihnen nicht darum, dass das Opfer 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Auflage, § 185 Rn. 9. OLG Oldenburg, Beschluss vom 6. 11. 2008 – Ss 412/08, NStZ-RR 2009, 77. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Auflage, § 185 Rn. 12. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Auflage, § 185 Rn. 11. BeckOK StGB/Valerius, StGB, 32. Edition, § 238, Rn. 1. Cornelius, ZRP 2014, 164, 166. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 29. Auflage, § 238 Rn. 1. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 29. Auflage, § 238 Rn. 1. Kerbein/Pröbsting, ZRP 2002, 76, 77.
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antwortet oder dass ein Kontakt hergestellt wird. Dementsprechend kann das Mobbing oder Cybermobbing aufgrund des Telos der Norm nicht unter § 238 StGB gefasst werden. 4. Körperverletzung § 223 StGB Die Vorschrift schützt die körperliche Unversehrtheit und physische Gesundheit von Menschen21. Die Gesundheitsschädigung ist aber nicht auf die Beeinträchtigung des körperlichen Zustandes beschränkt; vielmehr kann auch die Erregung oder Steigerung einer psychischen, pathologischen Störung Gesundheitsschädigung sein22. Einwirkungen, die nur das seelische Wohlbefinden berühren, fallen grundsätzlich nicht darunter23. Anders liegt es jedoch, wenn durch die psychischen Belastungen auch körperliche Beeinträchtigungen hervorgerufen werden, sodass auch das Aufbauen einer psychisch zermürbenden Atmosphäre der Feindseligkeit (Mobbing) unter diesem Gesichtspunkt als Tathandlung in Betracht kommen kann24. Die Annahme, dass eine psychische Krankheit als Folge der Handlung eines Anderen – z. B. Mobbing – im Einzelfall als Körperverletzungserfolg ausreichen kann, wird zwar bisweilen befürwortet25, aber eine psychische Einwirkung führt nur dann zu einer Gesundheitsschädigung i.S.d. § 223 Abs 1 StGB, wenn sie den Körper in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand versetzt26. In der Regel werden Veränderungen der Lebensgestaltung daher für den Taterfolg nicht ausreichen. Erst wenn sich das Mobbing auf den körperlichen Zustand auswirkt, kann eine Gesundheitsschädigung in Betracht kommen. Somit würden Reaktionen der Opfer, wie z. B. aus Angst nicht mehr zur Schule zu gehen oder einen Schulwechsel anzustreben, nicht mehr erfasst werden. Allein diese Umstände sprechen dafür, dass es eines speziellen Straftatbestandes bedarf. § 223 StGB wäre demnach lex generalis zum Mobbing-Paragraphen, wenn beide Strafnormen erfüllt wären. Ansonsten sollen die Fälle, die nicht von § 223 StGB erfassten werden und bei denen die seelische Belastung der Opfer dennoch hoch ist, vom Mobbing-Paragraphen umfasst werden. Dafür spricht auch der Umstand, dass § 238 StGB trotz der Regelung des § 223 StGB dennoch kodifiziert wurde. Der Straftatbestand der Körperverletzung sollte nicht zu weit gefasst werden, damit das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht verletzt wird.
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BeckOK StGB/Eschelbach, StGB, 32. Edition, § 223, Rn. 1. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Eser, StGB, 29. Auflage, § 223, Rn. 1. OLG Celle, Beschluss vom 17. 3. 2008 – 1 Ws 105/08, NJW 2008, 2202, 2203. OLG Celle, Beschluss vom 17. 3. 2008 – 1 Ws 105/08, NJW 2008, 2202, 2203. BeckOK StGB/Eschelbach, StGB, 32. Edition, § 223, Rn. 27. BGH, Urteil vom 9. 10. 2002 – 5 StR 42/02, NJW 2003, 150, 153. Recht und Politik, Beiheft 2
Mobbing und Cybermobbing – Eine Strafbarkeitslücke ?
III. Zwischenfazit Es ist festzuhalten, dass Mobbing oder Cybermobbing nicht unter die Normen des Strafgesetzbuches zu fassen sind. Die klassische Täter-Opfer-Konstellation des Phänomens Mobbing und Cybermobbing ist zum jetzigen Zeitpunkt strafrechtlich unbedenklich. Die Täter können fleißig mobben und sich der Situation ihrer Opfer erfreuen, ohne dass ihnen ein Denkzettel verpasst wird. Aufgrund dieser prekären Situation ist es geboten, einen neuen Straftatbestand einzuführen. Diese Ansicht teilt auch Cornelius in einem Plädoyer für einen Straftatbestand.27 Im Folgenden soll ein konkreter Straftatbestand für das Mobbing und Cybermobbing vorgestellt werden.
IV. Denkbare Regelung Es wäre denkbar § 185a StGB einzuführen. Der Tatbestand müsste sowohl das analoge als auch digitale Mobbing umfassen. Grundsätzlich sollte der Paragraph Elemente der Nachstellung aus § 238 StGB und der Ehrverletzungsdelikte aus §§ 185 ff. StGB enthalten. Aus § 238 StGB könnte die Beharrlichkeit und die (schwerwiegende) Beeinträchtigung der Lebensgestaltung übernommen werden, aus § 185 StGB die Ehrrührigkeit der Inhalte. Beharrlichkeit setzt eine wiederholte Begehung voraus, welche die Missachtung des entgegenstehenden Willens des Opfers aus gesteigerter Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringt und daher zukünftige Belästigungen nahe liegend erscheinen lässt28. Daraus folgt, dass zumindest das einmalige Mobben nicht strafbar sein dürfte. Als Tathandlung kann § 238 Abs.1 Nr. 2 StGB vom Grundgedanken her übernommen werden. Eine weitere Tathandlung wäre das analoge Mobben in z. B. einer Klassengemeinschaft durch verbale Kommunikation. Eine (schwerwiegende) Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers setzt eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände voraus, d. h. die Handlung des Täters muss das Opfer zu einem Verhalten veranlassen, dass es ohne Zutun des Täters nicht an den Tag gelegt hätte29. Das einschränkende Merkmal „schwerwiegend“ erfordert Folgen, die im konkreten Kontext ins Gewicht fallen, gravierend und ernst zu nehmen sind und die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen30. Dies ist im Wege der Rechtsfortbildung durch die Gerichte beim Mobbing-Paragraphen festzustellen. Grundsätzlich könnte man aber auch das Merkmal „schwerwiegend“ nicht übernehmen und eine „unzumutbare“ Beeinträchtigung der Lebensgestaltung kodifizieren. In Österreich wurde dieses Tatbestandsmerkmal in einer Regelung zum Cy27 28 29 30
Cornelius, ZRP 2014, 164 ff. BeckOK StGB/Valerius, StGB, 32. Edition, § 238, Rn. 10. BeckOK StGB/Valerius, StGB, 32. Edition, § 238 Rn. 16. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 29. Auflage, § 238 Rn. 30.
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bermobbing ebenfalls in § 107c StGB übernommen. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Lebensführung liegt nach der Vorstellung der österreichischen Regierung vor, wenn das Mobbing bzw. Cybermobbing-Verhalten derart unerträglich ist, dass auch ein Durchschnittsmensch seine Lebensgestaltung möglicherweise geändert hätte31. Dies bedarf in jedem Fall einer Einzelfallentscheidung anhand der konkreten Umstände32. Die Inhalte, die die Täter gegenüber dem Opfer32 äußern, müssten angelehnt an den §§ 185 ff. StGB objektiv dazu geeignet sein, einen anderen Menschen in der Ehre zu verletzen (Beispielsweise: Brillenschlange oder Pickelgesicht). Dabei ist es – im Gegensatz zur Strafbarkeit nach § 185 StGB – irrelevant, ob es sich um wahre Tatsachen handelt. Entscheidend ist, ob die wahren Tatsachen oder auch nur eine wahre Tatsache mit Beharrlichkeit gegenüber Dritten oder dem Opfer geäußert werden bzw. wird. Die einmalige Äußerung solcher Inhalte, egal auf welche Art und Weise, kann jedoch nicht unter den neuen Straftatbestand fallen. Im Ergebnis sind daher die Gesamtumstände für die Strafbarkeit entscheidend. Ebenfalls passend ist der Ansatz von Cornelius, dass dem Mobbing regelmäßig kein abgestimmter Plan zu Grunde liegt, sondern sich ergebende Gelegenheiten genutzt werden, sozusagen „auf den fahrenden Zug aufgesprungen“ wird, sodass eine Parallele zu beispielsweise § 231 StGB für die Strafbarkeit zu ziehen ist33. Daher sollte auch das Beteiligen an dem bereits erfolgenden Mobbing in den Straftatbestand aufgenommen werden. Dafür spricht, dass von einer „Mobbing“-Gruppe abstrakt mehr Gefährdungspotenzial für das Opfer ausgeht als von einem einzigen Täter. Darüber hinaus wäre es denkbar eine Erfolgsqualifikation zu kodifizieren. Diese greift bei Tötung des Mobbing-Opfers durch Suizid ein. Die Täter haben in diesen Fällen derart intensiv gemobbt, dass das Opfer keinen anderen Ausweg als den Tod wählen konnte, da es der psychischen Belastung nicht mehr gewachsen war. Im Übrigen überzeugt die Ansicht von Cornelius den Straftatbestand als Antragsdelikt auszugestalten und Regelbeispiele einzuführen, um dem jeweiligen Grad des Unrechts entgegenzutreten34. Der Straftatbestand des Mobbing sollte aber ein relatives Antragsdelikt sein, damit auch bei öffentlichem Interesse von Amts wegen ermittelt wird.
31 http://www.raoe.at/news/single/archive/cybermobbing-kuenftig-gerichtlich-strafbar/ (Stand: 16. 11. 2016). 32 http://www.raoe.at/news/single/archive/cybermobbing-kuenftig-gerichtlich-strafbar/ (Stand: 16. 11. 2016). 33 Cornelius, ZRP 2014, 164, 167. 34 Cornelius, ZRP 2014, 164, 167. 80
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V. Notwendigkeit der Regelung Die konkrete Ausgestaltung des Straftatbestands sollte Aufgabe der Bundesregierung sein. Es ist aber an der Zeit, dem Mobbing-Trend ein Ende zu setzen und diesen mit einem Straftatbestand zu bekämpfen. Die Jugendlichen und Heranwachsenden müssen sich darüber bewusst werden, dass Toleranz eine wichtige Charaktereigenschaft ist und Intoleranz von der Rechtsordnung nicht gebilligt wird. Die Statistiken, die eingangs angesprochen wurden, zeigen auch auf, dass die Norm einen erheblichen Anwendungsbereich aufweist und es eine Notwendigkeit dafür gibt. Dafür spricht auch, dass in Österreich bereits mit § 107c StGB ein Cybermobbing Paragraph eingeführt wurde. Den Opfern soll auch strafrechtlich eine Möglichkeit geboten werden, sich wehren zu können, damit sie im Extremfall nicht als letzten Ausweg den Suizid wählen. Die abstrakte Gefahr, die vom Mobbing ausgeht, ist nicht weiter hinnehmbar.
VI. Probleme Es drängt sich das Problem der Strafmündigkeit, die gem. § 19 StGB mit 14 Jahren beginnt, auf. Wie tritt man den Mobbing-Tätern unter 14 Jahren entgegen? Ist die Regelung somit sinnlos und geht ins Leere? Nein! Statistisch gesehen mobben Heranwachsende und ältere Jugendliche mehr als Kinder. Rund 7,3 % der 11-jährigen Jungen und 4,2 % der 11-jährigen Mädchen mobben laut Statistik35. Im Vergleich dazu mobben rund 15,8 % der 15-jährigen Jungs und 6,4 % der 15-jährigen Mädchen36. Des Weiteren sind sogar rund 1 Millionen Erwerbstätige am Arbeitsplatz vom Mobbing betroffen37. Mobbing ist somit allgegenwärtig. Die Kinder, die unter 14 Jahre alt sind und mobben, sind zwar straflos, aber in ihrem Alter lassen sie sich vermutlich durch die Erziehung der Eltern eher beeinflussen als die Heranwachsenden. Dies hat zur Folge, dass die Eltern regelmäßig bei Mobbing-Attacken ihrer Kinder intervenieren müssen. Dafür ist auch wichtig, dass sich die Eltern und Lehrer austauschen und zusammenarbeiten. Selbst wenn keine Intervention erfolgt, muss es die Aufgabe des Staates sein, mit Zusatzveranstaltungen zum Thema Mobbing an die Schulen zu treten38. Diese Veranstaltungen könnten z. B. durch Polizisten übernommen werden und für Abschreckung sorgen39.
35 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/218721/umfrage/mobbing-durch-kinder-und-ju gendliche-nach-alter-und-geschlecht/ (Stand: 16. 11. 2016). 36 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/218721/umfrage/mobbing-durch-kinder-und-ju gendliche-nach-alter-und-geschlecht/ (Stand: 16. 11. 2016). 37 https://www.ifb.de/mobbing-konflikt-betriebsrat/mobbing:-fakten-und-zahlen.html (Stand: 16. 11. 2016). 38 Cornelius, ZRP 2014, 164, 167. 39 Cornelius, ZRP 2014, 164, 167. Recht und Politik, Beiheft 2
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VII. Fazit Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Mobbing ein großes Problem darstellt. Sei es im realen Leben oder im Internet. Die Opfer werden aber mit der aktuellen Rechtslage alleine gelassen, da sich das Mobbing unter keine Strafnorm des Strafgesetzbuches subsumieren lässt. Daher ist es notwendig, dass eine neue Strafnorm kodifiziert wird und dem Mobbing die Stirn geboten wird. Die größte Gefahr, die bislang besteht, ist, dass die Heranwachsenden der Meinung sind, dass Schikane und Spaß auf Kosten der „Schwächeren“ rechtlich gebilligt werden könnten.
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Explizite Aufnahme von „Hasskriminalität“ in das Strafgesetzbuch oder: Die Reform des § 46 Abs. 2 StGB als legislativer „error in persona“* Von David Jungbluth
I. Einleitung Nach dem Bekanntwerden der Existenz einer Terrorgruppe namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und der Erkenntnis, dass diese rechtsterroristische Vereinigung in einem Zeitraum von nahezu vierzehn Jahren unbehelligt von den staatlichen Sicherheitsbehörden schwerste Straftaten begehen konnte, wurde ein sogenannter NSU-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages eingesetzt. Aus dessen Abschlussbericht1 ergab sich, dass eklatante Mängel in der Verfolgung der Straftaten des Nationalsozialistischen Untergrundes sowohl auf polizeilicher und justizieller wie auch auf der Ebene des Verfassungsschutzes zu verzeichnen waren.2 Der Untersuchungsausschuss kam daher fraktionsübergreifend zu dem Ergebnis, dass Reformen gerade auch für den Bereich der Strafverfolgung unbedingt notwendig seien. Zur Umsetzung dieser Empfehlung erging im Anschluss an den Abschlussbericht ein Gesetzentwurf der Bundesregierung3, welcher unter anderem in Artikel 2 eine Novellierung des § 46 Abs. 2 StGB beinhaltet. Der nachfolgende Beitrag setzt sich mit dieser beabsichtigten Änderung auseinander und wird aufzeigen, dass die damit anvisierten Neuerungen keinen nennenswerten Fortschritt darstellen, da sie eines inhaltlichen Mehrwerts gegenüber der derzeitigen Gesetzeslage entbehren. Zudem wird der Beitrag erläutern, dass die geplante Änderung im besten Fall als reine Symbolpolitik, im schlechtesten Fall aber sogar als politisches Ablenkungsmanöver von Seiten des Bundesjustizministeriums zu werten ist, liegen doch die Probleme bei der Verfolgung rechtsextremistisch motivierter Straftaten augenscheinlich in anderen Bereichen als jenen der Strafzumessung. Auch wird die Frage * 1 2 3
Zuerst in: RuP 2014, 162 – 172. BT-Drs. 17/14600 vom 22. 08. 2013. Siehe insofern BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), Dritter Teil unter „G. Schlussfolgerungen“. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 18. 08. 2014, im Folgenden: NSU-Gesetzentwurf.
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zu stellen sein, ob der der Novellierung des § 46 Abs. 2 StGB zugrundeliegende Impetus mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Ziele und Zwecke des Strafrechts überhaupt vereinbar ist.
II. Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses und Inhalt der geplanten Gesetzesänderung 1. Der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses Um eine Bewertung der Notwendigkeit der (materiell-rechtlichen) Gesetzesänderung vornehmen zu können, erscheint es zunächst ratsam, sich die vom NSU-Untersuchungsausschuss getroffenen Empfehlungen zu vergegenwärtigen. Der Ausschuss kommt in seinem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass Reformen im Bereich des Strafverfolgungsrechts dringend geboten seien.4 Der Bericht enthält insofern zunächst die Empfehlung, im polizeilichen Bereich bei allen Konstellationen der Gewaltkriminalität, welche in Anbetracht der Person des Opfer einen rassistischen oder einen anderweitig politisch motivierten Hintergrund besitzen könnten, im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine diesbezüglich prinzipielle Prüfung und eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen.5 Des Weiteren wurde für den polizeilichen Bereich die Empfehlung ausgesprochen, die Dienststellen und Sachbearbeiter für den sachgerechten Umgang mit eigenen Fehlern zu sensibilisieren; der Bericht spricht insofern von der erforderlichen „Entwicklung einer internen Fehlerkultur“6. Die Empfehlungen des NSU-Ausschusses lassen insgesamt deutlich erkennen, dass auf der polizeilichen Ebene insbesondere Defizite in der Erkennung rechtsterroristischer Motivationen der Taten vorlagen (oder entsprechende Anhaltspunkte sogar bewusst negiert wurden) und dass sich die entsprechenden Fehleinschätzungen wegen fehlender Fähigkeit zur selbstkritischen Reflexion im Weiteren auch noch fortsetzten und perpetuierten. Auch auf justizieller Ebene wurden Reformen angemahnt. Da in der überwiegenden Mehrheit der Straftaten, in denen der Generalbundesanwalt nach Aufdeckung des NSU ermittelt und Anklage erhoben hat, sich dieser vor dem 4. November 2011 als noch nicht zuständig angesehen hatte, kam der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die Prüfung der Zuständigkeiten des Generalbundesanwalts auf nicht zureichender rechtlicher Grundlage erfolgte.7 Daher wurde die Empfehlung ausgesprochen, eine Erweiterung der Zuständigkeit der Generalbundesanwaltschaft vorzunehmen. Des 4 5 6 7 84
BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 861. BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 861, Empfehlung Nr. 1. Vgl. insofern BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 861, Empfehlung Nr. 2 sowie S. 863, Empfehlung Nr. 16. BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 863 unter II. Recht und Politik, Beiheft 2
Explizite Aufnahme von „Hasskriminalität“ in das Strafgesetzbuch
Weiteren solle in diesem Zusammenhang sichergestellt werden, dass der Generalbundesanwalt in die laufenden Ermittlungen schnell einbezogen wird, wenn und soweit Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dessen Kompetenzbereich betroffen ist. Auch sollte die Möglichkeit der Begründung eines staatsanwaltschaftlichen Sammelverfahrens erleichtert werden.8 Darüber hinaus wurden in personeller Hinsicht für den Bereich der Justiz ebenfalls Empfehlungen ausgesprochen. Ziff. 29 der Empfehlungen besagt insofern: „Der Ausschuss empfiehlt daher, […] die Vorschrift des § 145 GVG auch tatsächlich zu nutzen, die eine gezielte Auswahl eines geeigneten sachleitenden Staatsanwalts durch die Behördenleitung ermöglicht.“9 Und weiter in Ziff. 30: „Auch die Aus- und Fortbildungsangebote für Richter und die Aus- und Fortbildung für Staatsanwälte und Justizvollzugsbedienstete müssen die Grundlage dafür legen, dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in ihrer Gefährlichkeit nicht unterschätzt werden. Auch hier sollen in die Aus- und Fortbildung die Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen einbezogen werden.“10 Des Weiteren wurden unter anderem auch Empfehlungen für den Bereich des Verfassungsschutzes11 sowie für die Auswahl und den Umgang mit V-Leuten12 ausgesprochen, auf die nachfolgend allerdings nicht weiter eingegangen werden kann. In den insgesamt 47 Empfehlungen des Berichts sind hingegen keinerlei Empfehlungen zu finden, die eine Änderung materiell-strafrechtlicher Vorschriften zum Inhalt hätten, sodass die geplante Änderung des § 46 Abs. 2 StGB zumindest hier keine (unmittelbare) Grundlage finden kann. 2. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages Diese Änderungsvorschläge im Hinterkopf behaltend, soll nun der gegenständliche Gesetzesentwurf betrachtet werden. Dieser enthält zunächst einige Änderungen betreffend die Kompetenzerweiterung des Generalbundesanwalts, insbesondere der §§ 120, 142a und 143 GVG.13 Mit nämlichen Modifikationen wird sich nachfolgend allerdings inhaltlich nicht weiter befasst, folgen diese doch weitetestgehend den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses und dürften daher, zumindest auf den ersten Blick (eine nähere Analyse kann an dieser Stelle diesbezüglich nicht geleistet werden) als folgerichtig erscheinen. Es soll im Weiteren daher lediglich mit der im Entwurf vorgenommenen Änderung des § 46 Abs. 2 S.2 StGB eine Auseinandersetzung erfolgen. Diesbezüglich ist vorgesehen, 8 9 10 11 12 13
Siehe insofern insgesamt BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 863 f., Empfehlungen Nr. 22 – 28. BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 863 f., Empfehlung Nr. 29 BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 864, Empfehlung Nr. 30. BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 864 ff., unter III. BT-Drs. 17/14600 (o. Fn. 1), S. 864 ff, unter IV. Siehe NSU-Gesetzentwurf (o. Fn. 3), S. 3.
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dass die bisher gültige Fassung des § 46 Abs. 2 StGB in ihrem zweiten Satz erweitert wird. Nach den Wörtern „Ziele des Täters“ soll hier nun die Formulierung „besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende,“ eingefügt werden.14
III. Stellungnahme 1. Schwerpunktmäßige Fixierung des Gesetzentwurfs auf Zuständigkeits- und Organisationsfragen Generell fällt zunächst auf, dass der Gesetzentwurf maßgeblich die Organisationsseite als entscheidendes Feld der erforderlichen Modifizierungen ansieht. So erläutert er bereits auf der ersten Seite im Rahmen des Problem- und Zielaufrisses: „Die Untersuchung möglicher Versäumnisse der betroffenen Verfassungsschutz-, Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden in der Folgezeit brachte für den Bereich der Strafverfolgung als wesentlichen Kritikpunkt zutage, dass die Ermittlungen zu den in mehreren Ländern begangenen Taten bis zum Bekanntwerden des NSU im November 2011 weder von polizeilicher Seite noch auf justizieller Ebene zentral geführt worden waren.“15 Hingegen verliert der Problemaufriss keine Silbe über die im Untersuchungsbericht unmissverständlich aufgezeigten Mängel in der Sensibilität der Ermittlungsbehörden bei der Einschätzung einer fremdenfeindlichen Motivlage (von einem absichtlichen Wegsehen ganz zu schweigen). Bereits die ersten Sätze des Gesetzentwurfs lassen mithin erahnen, wohin die legislative Reise im Wesentlichen gehen soll: Verbesserungsansätze innerhalb der zuständigen staatlichen Institutionen werden lediglich auf eine Neuverteilung von Zuständigkeiten und eine Verbesserung der Koordination beschränkt. Dass dieser Lösungsansatz dann aber auch mit einer besonderen Nachhaltigkeit verfolgt werden soll, manifestiert sich unter anderem darin, dass der Gesetzentwurf ausdrücklich der Empfehlung des Untersuchungsausschusses, die Vorschrift des § 202 RiStBV in formellen Gesetzesrang zu erheben, nachkommt. In diesem Zusammenhang geht es um die Vorlageverpflichtung der Länderstaatsanwaltschaften an den Generalbundesanwalt, wenn der Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen wurde, für die im ersten Rechtszug das Oberlandesgericht zuständig ist, woraus – gemäß § 142a Abs.1 S. 1GVG – die Verfolgungszuständigkeit des GBA folgt. Zwar haben die Generalstaatsanwälte der Länder gegenüber dem GBA zwischenzeitlich eine stringentere Beachtung der Nummer 202 RiStBV zugesichert, dennoch scheint dies dem Gesetzgeber nicht ausreichend zu sein.16
14 Siehe NSU-Gesetzentwurf (o. Fn. 4), S. 4. 15 Siehe NSU-Gesetzentwurf (Fn. 3), S. 1. 16 Siehe insgesamt NSU-Gesetzentwurf (o. Fn. 3), S. 12. 86
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2. Fehlende Notwendigkeit einer Änderung des § 46 StGB Schaut man sich die Begründung zur beabsichtigten Änderung des § 46 Abs. 2 StGB an, so fällt auf, dass versucht wird, diese unter Rekurs auf die Praxis der Strafgerichte sowie die herrschende Literaturmeinung zu bekräftigen. So wird zunächst erläutert, dass die angestrebte Änderung lediglich an die Auffassung in der Rechtsprechung sowie der ganz überwiegenden Literatur anknüpfe. Mit dem Gesetzentwurf werde eine zumindest in der Regel so gehandhabte Praxis des Umgangs mit „Hasskriminalität“ gesetzlich verankert.17 An dieser Stelle tun sich allerdings bereits die ersten Fragen auf: So lässt der Entwurf in seinen Ausführungen im Wesentlichen offen, um welche „zumindest weitgehend gängige Praxis“ es sich in concreto handelt, an die mit der beabsichtigten Gesetzesänderung angeknüpft werden soll. Nähere Ausführungen hierzu wären wünschenswert gewesen. Aber selbst für den Fall, dass die benannte Praxis ausgedeutet, konkretisiert und im Ergebnis verifziert werden könnte, ist die Notwendigkeit einer gesetzlichen Novellierung nicht erkennbar. Denn wenn und soweit die legislative Änderung an die gängige Praxis der Justizbehörden anknüpfen und diese auch in der Literatur weitgehende Bestätigung finden sollte, ist nicht ersichtlich, warum und inwieweit eine insofern dann lediglich deklaratorische Änderung des § 46 StGB als erforderlich anzusehen sein sollte – es sei denn, man wäre implizit von der Unterstellung ausgegangen, die ausgedeutete Praxis sei, einschließlich ihrer weitgehenden Bestätigung durch die Literatur, mit geltendem Recht unvereinbar, sodass dieses jetzt a posteriori der faktischen Praxis angepasst werden müsste. Die Begründung zur Änderung des § 46 Abs.2 S. 2 StGB weist des Weiteren darauf hin,18 dass das Gericht „natürlich weiterhin, auch andere als die dort ausdrücklich genannten Beweggründe und Ziele im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen“ habe. Es sei keinesfalls eine einseitige Gewichtung der in dem Entwurf genannten Motive gesetzlich implementiert, vielmehr sei es nach wie vor Sache des Gerichtes, nach den „anerkannten Grundsätzen der Strafzumessung“ die einzelnen Umstände als Zumessungsgesichtspunkte entsprechend ihrer Bedeutung und Gewichtung im jeweiligen einzelnen Fall sachgerecht gegeneinander abzuwägen. Die in § 46 Abs. 2 StGB genannten Motive stünden daher nicht dem Grundsatz entgegen, dass eine sachgerechte Strafzumessung eine umfassende Gesamtbetrachtung sowohl der Tat als auch der Persönlichkeit notwendig mache.19 Auch diese Erläuterungen vermögen aber wieder wenig zu überzeugen, denn wenn das Gericht ohnehin an die Grundsätze der Strafzumessung in tradierter Form gehalten ist, ist nicht erkennbar, welcher Mehrwert durch die Neuregelung Einzug erhalten soll. Vielmehr erscheint es doch – zumindest in rechtspraktischer Hinsicht – als wahr17 NSU-Gesetzentwurf (o. Fn. 3), S. 13. 18 NSU-Gesetzentwurf (o. Fn. 3), S. 16. 19 Siehe NSU-Gesetzentwurf (o. Fn. 3), S. 16. Recht und Politik, Beiheft 2
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scheinlich, dass sich der Rechtsanwender, im Falle des (mutmaßlichen) Vorliegens, primär auf die in § 46 Abs.2 S. 2 StGB genannten Motive „stürzen“ wird, während andere, ungeschriebene Strafzumessungsgründe im Zweifel weniger Berücksichtigung finden dürften oder, im Falle ihrer gleichzeitigen (und erkannten) Verwirklichung, diesen eine weniger schwerwiegende Bedeutung zugemessen werden könnte. 3. Erstmalige Aufnahme einer strafschärfenden Zumessungstatsache Letztere Gefahr könnte sich in der Praxis insbesondere insoweit verwirklichen, als die beabsichtigte Änderung erstmals strafschärfende Zumessungstatsachen in die Vorschrift des § 46 Abs.2 StGB mitaufnimmt. Zwar wird im Gesetzentwurf die Ansicht vertreten, dass die Novellierung der schon bisher dort verwendeten Regelungstechnik entspreche. So sei zu berücksichtigen, dass bereits der Strafzumessungsgrund „Verhalten nach der Tat“ mit der Hinzufügung des Wortes „besonders“ eine beispielhafte Aufzählung von Konstellationen enthalte, die eben nicht neutral gefasst seien. In diese Form der Regelungstechnik füge sich die vorgeschlagene Novellierung des § 46 StGB hinsichtlich der Motive des Täters nahtlos ein, die ebenfalls nicht wertfreier Natur seien. Der Einwand, dass erstmals die neutralen Formulierungen der Strafzumessungsumstände durchbrochen würden,20 könne daher nicht durchgreifen.21 Diese Argumentation entpuppt sich, bei Lichte betrachtet, als dogmatisches Täuschungsmanöver. Denn zum einen sind die in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB aufgeführten sieben Gruppen von Zumessungstatsachen grundsätzlich durchgängig sehr wohl neutral gehalten. Dies gilt auch für die vorletzte Gruppe (Nachtatverhalten), da hier selbstverständlich auch ein solches negativer Art strafschärfend in die Strafzumessung einfließen kann. So kann beispielsweise zu Ungunsten des Angeklagten Berücksichtigung finden, dass dieser im Rahmen seiner Verteidigung ein Verhalten aufzeigt, welches im Hinblick auf die Art der Tat sowie die Täterpersönlichkeit die Folgerung einer besonders ausgeprägten rechtsfeindlichen Einstellung und damit Gefährlichkeit erzwingt.22 Mithin lässt auch diese vorletzte Gruppe in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB prinzipiell sowohl strafschärfende wie auch strafmildernde Umstände im Rahmen der Strafzumessung als berücksichtigungsfähig gelten und ist folglich wertneutral verfasst. Alleine das Wort „besonders“ vor der Fallgruppe des Täterbemühens um Wiedergutmachung des Schadens, vermag an dieser Dipolarität nichts zu ändern. Aber selbst wenn man der Formulierung „besonders“ in § 46 Abs. 2 S. 2 Fallgruppe 6, Hs. 2 eine derart exponierte Bedeutung zumisst, dass sie eine neutrale Einstufung der Fallgruppe entfallen ließe, mithin im Halbsatz 2 eine besondere Privilegierungstatsache enthalten sein sollte, ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei eben um eine Abweichung vom Neutralitätssystem in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB zugunsten des Täters handeln 20 Vgl. zu diesen Bedenken die Stellungnahme Nr. 23/2013 der Bundesrechtsanwaltskammer , S. 5 Ziff. 3. 21 Zu dieser Argumentation siehe NSU-Gesetzentwurf (o. Fn. 3), S. 16. 22 Ständige Rechtsprechung, siehe nur BGH NStZ 1987, 171. 88
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würde. Die beabsichtigte Änderung des § 46 Abs. 2 S. 2 hätte aber – genau gegenteilig – die Aufnahme von (ausschließlich) konkreten strafschärfenden Zumessungstatsachen zur Konsequenz. Es handelt sich daher in jedem Fall – unabhängig von der Einstufung des § 46 Abs. 2 S. 2 Fallgruppe 6 Hs. 2 StGB – hierbei um ein Novum in der bisherigen Regelungstechnik des § 46 Abs. 2 StGB, welches in der Konsequenz einen systematischen Bruch darstellt. Dass dies in der Gesetzesbegründung übersehen, zumindest aber negiert wird, erscheint als zumindest fragwürdig. 4. Problematisches Verhältnis der beabsichtigten Änderung zu § 211 StGB bzw. den diesbezüglichen Reformvorhaben a) Kein Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit im Falle einer Reform des § 211 StGB Zudem könnte als (verfassungsrechtlich) problematisch zu erachten sein, dass durch die beabsichtigte Änderung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB ausdrücklich die Gesinnungsmerkmale des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit sowie der sonstigen menschenverachtenden Beweggründe in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollen, derselbe Gesetzgeber aber gleichzeitig konkrete Änderungspläne für eine umfassende Reform des § 211 StGB ins Auge gefasst hat, bei welchen als maßgebliches dogmatisches Argument die beabsichtigte Verbannung von eben solchen Attributen aus dem Strafgesetzbuch herangezogen wird. So äußerte das Bundesjustizministerium zu den letzteren Reformplänen: „Es widerspricht der Systematik im Strafrecht, sich an einem Tätertyp zu orientieren. Grundsätzlich stellt das StGB ein Handeln unter Strafe. „Moralisch aufgeladene Gesinnungsmerkmale wie die Heimtücke stellen die Praxis heute vor Schwierigkeiten.“23 Insofern wird gegen die beabsichtigte Änderung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB der Vorwurf erhoben, dass sich durch Aufnahme von Gesinnungsmerkmalen bei dem gleichzeitigen Ansinnen, solche im Rahmen der Reform des § 211 StGB aus dem Strafrecht zu entfernen, quasi um einen Fall des legislativen venire contra factum proprium handele.24 Ähnlich äußerte sich auch die Bundesrechtsanwaltskammer zu der geplanten Änderung.25 Diese Kritik könnte, unter verfassungsrechtlichen Prämissen, im Hinblick auf das Gebot der Folgerichtigkeit von Relevanz sein. Bei dem Gebot der Folgerichtigkeit, entwickelt von Bundesverfassungsgericht insbesondere im Rahmen von Judikaten zu steuerrechtlichen Sachverhalten, handelt es sich um einen Ausfluss aus dem Rechtstaatsprinzip und dem Willkürverbot des Art. 3 Abs.1 23 Siehe Meldung des Bundesjustizministeriums vom 20. 05. 2014, abrufbar unter http://www. bmjv.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2014/20140520_Expertengruppe_Reform_Mord paragraphen.html, letzter Abruf am 01. 04. 2015. 24 So Bommarius, FR-Online vom 28. 08. 2014, abrufbar unter http://www.fr-online.de/ meinung/leitartikel-gesinnungstaeter,1472602,28253126.html, letzter Abruf am 01. 04. 2015. 25 Mitteilung des Deutschen Anwaltvereins (DAV), wiedergegeben nach FD-StrafR 2014, 361282, abrufbar unter https://beck-online.beck.de/?words=FD-Strafr+2014 %2C+361282& btsearch.x=42&source=default&btsearch.x=0&btsearch.y=0, letzter Abruf am 02. 04. 2015. Recht und Politik, Beiheft 2
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GG. Das Gebot stellt die Forderung auf, dass eine hoheitliche Betätigung systematisch konsequent zu erfolgen hat, mithin eine gewisse Rechtskontinuität aufweisen muss. Ein Verstoß gegen dieses Gebot kommt daher in Betracht, wenn staatliches Handeln das Gegenteil einer schon längere Zeit geltenden Rechtsvorschrift anordnet, ohne dass sich diese Änderung rechtfertigen lässt.26 Aus dem Umkehrschluss zu diesem Grundsatz ergibt sich dann aber auch, dass soweit ein – sachlich begründeter – Wechsel der bisherigen Ausrichtung vorgenommen wird, sich dieser dann auch auf alle Bereiche eines einheitlichen Rechtsregimes beziehen muss, nicht aber nur auf Teile desselben. Es sei denn, für eine solche Differenzierung fänden sich wiederum sachliche Rechtfertigungsgründe. Daher könnte in der vorliegenden Konstellation insofern daran gedacht werden, einen Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit anzunehmen, als die beabsichtigte Änderung des Mordparagraphen einen Kurswechsel – weg vom Gesinnungsstrafrecht – beinhaltet beziehungsweise mit diesem Impetus maßgeblich begründet wird, die Reform des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB diese Änderungswillen jedoch nicht aufgreift, sondern vielmehr diesem entgegensteuert. Jedoch könnte sich aus der unterschiedlichen dogmatischen Einordung des Tatbestands des Mordes sowie der Strafzumessungsregel des § 46 StGB ein sachlicher Differenzierungsgrund ergeben. Grundlage der Strafzumessung, zu der die gegenständliche Regelung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB gehört, ist die Schuld des Täters, vgl. § 46 Abs.1 S. 1 StGB. Dies hat zur Konsequenz, dass die Täterpersönlichkeit, neben der Tat selbst, die zweite zentrale Größe ist, welcher der Richter im Rahmen der Strafbemessung zu berücksichtigen hat. Es spielt in diesem Zusammenhang dann aber auch eine Rolle, in welcher Art und in welchem Ausmaß die Persönlichkeit des Täters in der begangenen Tat ihren Ausdruck gefunden hat,27 die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat ist insofern durchaus berücksichtigungsfähig.28 Es besteht daher ein grundlegender dogmatischer Unterschied zwischen dem Tatbestandsmerkmal der niedrigen Bewegründe im Sinne des § 211 StGB und der – auch – täterbezogenen Strafzumessungsregel in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB.29 Die Bezogenheit des Strafzumessungsrechts auch auf die Persönlichkeit des Täters bildet mithin einen hinreichenden sachlichen Rechtfertigungsgrund für eine divergierende Behandlung von Gesinnungsmerkmalen im Rahmen strafrechtlicher Tatbestände auf der einen und Strafzumessungsregeln auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass § 46 Abs. 2 S. 2 26 Vgl. BVerfGE 123, 111 (123) sowie Anna Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, Tübingen 2002, S. 234. 27 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, 29. Auflage 2014, Rn. 4. 28 So zumindest im Umkehrschluss aus BGH NStZ-RR, 2001, 295 (295), wonach „Umstände der allgemeinen Lebensführung“ im Rahmen der Strafzumessung nur dann Berücksichtigung finden dürfen, wenn sie unter anderem „Einblicke in die innere Einstellung des Täters zur Tat gewähren“. 29 In diesem Bewusstsein auch das Bundesjustizministerium: „Die Täterpersönlichkeit spielt dann vor allem bei der Strafzumessung eine Rolle“, siehe Meldung des BMJ vom 20. 05. 2014 (o. Fn. 32). 90
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zweite Fallgruppe Var.1 StGB bereits auf die „Gesinnung“ des Täters („die aus der Tat spricht“) als Strafzumessungsmerkmal abzielt. Insofern fügt sich die anvisierte Neuregelung des § 46 Abs. 2 S. 2 Fallgruppe 1, in dieser Beziehung, in die bisherige Systematik des § 46 StGB nahtlos ein. Im Ergebnis könnte somit die beabsichtigte Änderung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB auch im Falle einer Novellierung des § 211 StGB, letztere mit der Zielsetzung einer Entfernung von Gesinnungsmerkmalen aus dem Strafgesetzbuch, keinen Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit auslösen. b) Dennoch: Gesetzgeberische Fehlwertungen der geplanten Änderung des § 46 Abs. 2 S.2 StGB im Verhältnis zur Mordstrafbarkeit aa) Argumentative Unschlüssigkeit im Falle einer Novellierung des § 211 StGB Auch wenn die Änderung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB mithin grundsätzlich keinen Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit zur Konsequenz hat, erscheinen die Ausführungen des Bundesjustizministeriums in der Gesetzesbegründung als irritierend, soweit sie das Verhältnis der neu aufzunehmenden Merkmalen in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB zum Tatbestand des § 211 StGB zum Gegenstand haben. So wird ausgeführt, dass die neu eingefügte Vorschrift des § 46 Abs. 2 S.2 StGB keinerlei Auswirkung auf den Tatbestand des Mordes bewirke, da ja bereits allgemein anerkannt sei, „dass rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe regelmäßig das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe im Sinne des § 211 StGB erfüllen“.30 Hier wird für den Fall der Umsetzung der angekündigten Novellierung des § 211 StGB der argumentative Bruch augenscheinlich: Denn wenn das Merkmal der niedrigen Bewegründe in § 211 StGB entfallen sollte, Umstände aber, die unter diesen Begriff von der bisherigen Rechtsprechung unter § 211 StGB subsummiert wurden, sich in § 46 StGB nun explizit wiederfinden, wird das Merkmal der „niedrigen Beweggründe“ gerade, zumindest in Teilen, nun eben auf Seiten der Strafzumessung, im Ergebnis beibehalten. Dies erscheint zwar insofern vertretbar, als auf dieser Ebene Beweggründe des Täters ein zulässiges Anknüpfungskriterium für die Bemessung der Strafe darstellen. Der Gesetzgeber führt sich aber dennoch in seiner Argumentation selbst ad absurdum, wenn er das Merkmal der „niedrigen Beweggründe“, welches er als explizit abschaffungsbedürftig ansieht, als Legitimation für die Änderung des § 46 Abs.2 S. 2 StGB heranzieht. Bildlich gesprochen, befinden sich die entsprechenden „menschenverachtenden“ Merkmale, für den Fall einer entsprechenden Änderung des § 211 StGB, in der legislativen Drehtür. Auch wenn Gesinnungsmerkmale auf der Strafzumessungsebene sinnvoller verortet werden können, erscheint es als wenig hilfreich beziehungsweise zumindest reichlich inkonsequent, zur diesbezüglichen Begründung auf einen Tatbestand zu verweisen, welcher in eben diesem Punkt reformiert, also gerade nicht aufrechterhalten werden soll.
30 Siehe NSU-Gesetzentwurf (Fn. 3), S. 17. Recht und Politik, Beiheft 2
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Eine entsprechende Änderung des § 211 StGB vorausgesetzt, könnte die Reform des § 46 Abs. 2 S.2 StGB zudem ganz praktische Auswirkungen haben, steht doch nach der jetzt wohl eintretenden Rechtslage einer Anwendung der „menschenverachtenden“ Merkmale in Bezug auf den Mordparagraphen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) noch entgegen, soweit die „niedrigen Beweggründe des § 211 StGB bereits die menschenverachtenden Motive umfassen“. Soweit aber die entsprechende strafbarkeitsbegründende Wirkung im Rahmen einer Reform des § 211 StGB entfallen sollte, könnte die Neuregelung des § 46 StGB Abs. 2 S. 2 StGB im Rahmen der Tötungsdelikte Relevanz entfalten. bb) Mögliche Relevanz der Änderung für die „besondere Schwere der Schuld“ im Rahmen der (aktuellen) Mordstrafbarkeit Auch erscheint es als fragwürdig, ob die Feststellung in der Begründung des Gesetzentwurfs, dass die Frage der Strafzumessung aufgrund der Bedrohung einer lebenslangen Freiheitsstrafe sich im Rahmen des § 211 StGB ohnehin nicht stelle,31 uneingeschränkt gefolgt werden kann. Das Doppelverwertungsverbot greift nämlich in jenen Fällen nicht ein, in welchen die Begehung mehrerer Alternativen desselben strafrechtlichen Tatbestandes erfolgt. Hier ist eine Verschärfung der Strafe dann möglich.32 Zwar ist es zunächst richtig, dass eine Strafverschärfung im Rahmen der Rechtsfolge einer lebenslangen Freiheitstrafe sinnnotwendig nicht in Betracht kommt. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass das Vorliegen menschenverachtender Motive im Rahmen des Schuldspruchs durchaus von Bedeutung sein kann. Denn die Erfüllung mehrerer Mordmerkmale (so beispielsweise auch der niedrigen Bewegründe) kann zu einer erheblichen Steigerung der Tatschuld führen und somit die Annahme des Vorliegens einer besonderen Schwere der Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB begründen.33 Im Rahmen der durch den Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung kann das Vorliegen einer solchen besonderen Schwere überhaupt nur dann angenommen werden, wenn die schuldverschärfenden durch die schuldmildernden Faktoren nicht ausgeglichen werden können.34 Dass dann aber auch die Feststellung eines Vorliegens von explizit in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB aufgeführten menschenverachtenden Motiven im Rahmen dieser vorzunehmenden Gesamtwürdigung eine evidente Bedeutung für die Frage eines möglichen Ausgleichs zuungunsten des Täters bewirken und damit zur Annahme einer besonderen Schwere der Schuld führen könnte, dürfte nicht völlig fernliegend sein. Gegebenenfalls könnte sogar eine Rechtspraxis eintreten, in welcher das Vorliegen von menschenverachtenden Motiven im Rahmen einer Strafbarkeit nach § 211 StGB regelmäßig den Tatrichter zu einer diesbezüglichen Annahme verleitet, stellen diese doch, wie beschrieben, expressis verbis die einzige strafschärfende Zu-
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Vgl. NSU-Gesetzentwurf (Fn. 3), S. 17. Siehe Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 46, Rn. 47. Siehe nur BGH NStZ-RR 2012, 339 (339). Stree/Kinzig (o. Fn. 42), § 57a, Rn. 5. Recht und Politik, Beiheft 2
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messungsregel im ansonsten neutral beziehungsweise zugunsten des Täters formulierten Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB dar. In Anbetracht des Umstands, dass die Annahme eines Vorliegens der besonderen Schwere der Schuld für die Frage der (vollständigen) Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe von Bedeutung ist, vermag die lapidare Einschätzung des Gesetzgebers, dass die Änderung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB im Verhältnis zur Rechtsfolgenseite des § 211 StGB keine Bedeutung zukomme, daher doch, erneut, als zumindest äußerst fraglich erscheinen. 5. Verfehlte Zielrichtung der Neuregelung in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB / Konflikt mit dem Schuldgrundsatz Des Weiteren erscheint die der Reform des § 46 StGB zu Grunde liegende Zielsetzung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als nicht unproblematisch. Die Begründung zum Gesetzentwurf führt insofern aus: „Die ausdrückliche Aufnahme rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenverachtender Beweggründe und Ziele in den Katalog der Strafzumessungsumstände des § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB soll […] die Bedeutung dieser Umstände für die gerichtliche Strafzumessung noch stärker hervorheben. Sie soll zudem unterstreichen, dass auch die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen schon frühzeitig solche Motive aufzuklären und zu berücksichtigen hat, da sich nach § 160 Absatz 3 der Strafprozessordnung (StPO) die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auch auf die Umstände erstrecken sollen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind.“ Nahezu verschämt wird dann noch ergänzt: „Schließlich spiegelt sich in dieser Hervorhebung auch die Aufgabe des Strafrechts wider, insbesondere zu Zwecken der positiven Generalprävention, für das Gemeinwesen grundlegende Wertungen zu dokumentieren und zu bekräftigen […].“35 Vergegenwärtigt man sich die primär aufgeführte Zielrichtung der Änderung des § 46 Abs.2 S. 2 StGB, so wird deutlich, dass als Adressaten der Normänderung die Gerichte, insbesondere aber die strafrechtlichen Ermittlungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft) zu sehen sind. Die vom NSU-Untersuchungsausschuss dringend und vornehmlich ausgesprochene Empfehlung, die Ermittlungsbehörden stärker für rassistische und/oder fremdendfeindliche Motive im Rahmen ihrer Ermittlungsarbeiten zu sensibilisieren, soll mithin auf dem Wege einer Änderung des materiellen Strafrechts eine legislative Umsetzung erfahren. So äußerte denn auch der Bundesjustizminister Maas, dass es Sinn und Zweck der Neuregelung sei, ,die Ermittlungsbehörden frühzeitig für derartige Motive [zu] sensibilisieren‘. Diese müssten ,bereits bei ihren Ermittlungen diese Motive besonders im Blick haben‘.36
35 Vgl. zu beiden Zitaten NSU-Gesetzentwurf (Fn. 3), S. 5 f. 36 Justizminister Maas auf Süddeutsche.de vom 25. 04. 2014, abrufbar unter http://www. sueddeutsche.de/politik/gesetzesentwurf-von-justizminister-maas-haertere-strafen-bei-verbre chen-aus-hass-1.1944241, letzter Abruf am 01. 04. 2015. Recht und Politik, Beiheft 2
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Eine solche Zielsetzung erscheint aber unter straftheoretischen und damit unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als fragwürdig. Insofern sollte sich die zur Frage des Strafzwecks vom Bundesverfassungsgericht vertretene Vereinigungstheorie vergegenwärtigt werden: In dieser hebt das Bundesverfassungsgericht hervor, dass als sachgerechte Kriterien einer strafrechtlichen Sanktion „Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht“ anzusehen sind.37 In diesen straftheoretischen und legitimationsstiftenden Zusammenhang sind auch die in § 46 Abs. 2 StGB normierten Strafzumessungstatsachen einzuordnen. Diese erhalten ihren Belang und damit auch ihre Rechtfertigung, indem sie zu den Strafzwecken sowie zu Tat und Täter in eine Relation gesetzt werden.38 Keiner der sich aus der Vereinigungstheorie ergebenden Strafzwecke enthält aber die Zielsetzung, staatliche Behörden zu einem sensibleren Umgang mit bestimmten Sachverhalten anzuhalten. Normadressaten des materiellen Strafrechts sind der Täter (Spezialprävention) sowie die Gesellschaft (Generalprävention), nicht aber die Justiz oder sonstige Ermittlungsbehörden. Die im Rahmen der Strafzumessung herzustellende Relation zwischen Strafzweck, Tat und Täter kann daher durch eine Norm, deren Zweck eine Erziehung und Anleitung staatlicher Institutionen ist, qua natura nicht erfolgen. Eine Normierung des materiellen Strafrechts, und sei es auch „lediglich“ in Gestalt einer Strafzumessungsregel, welche als unmissverständlichen primären Impetus die Disziplinierung der Ermittlungsbehörden in den Vordergrund stellt, erscheint mit dem Sinn und Zweck des Strafrechts und daher mit dem verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz als nur äußerst schwer vereinbar. Da der Gesetzgeber offensichtlich den Adressaten des Regelungsaktes verfehlt hat, handelt es sich mithin, im Jargon des Strafrechts verbleibend, um einen legislativen error in persona vel objecto.39
IV. Zusammenfassung Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der beabsichtigten Novellierung des § 46 Abs. 2 StGB kein dogmatischer Mehrwert gegenüber der bisherigen Gesetzeslage zukommt, ihr vielmehr eine zweifelhafte beziehungsweise unschlüssige Gesetzesbegründung zugrundliegt und sie darüber hinaus verfassungsrechtlich als zumindest nicht unproblematisch erscheint. Es ist bereits schwer nachvollziehbar, warum eine entsprechende Änderung erfolgen soll, ohne dass der NSU-Untersuchungsausschuss in seinem Abschlussbericht auch nur ansatzweise entsprechende Empfehlungen aufgeführt hat. Ein solches Unterlassen auf Ausschussseite steht einem gesetzgeberischen Tätigwerden natürlich nicht entgegen, 37 Siehe nur BVerfG NJW 1977, 1525 (1531). 38 Ähnlich von Heintschel-Heinegg, in: ders., Beck’scher Online-Kommentar StGB, Stand: 10. 11. 2014, Edition 25, § 46, Rn. 26. 39 Die zusätzliche Berufung auf generalpräventive Erwägungen in der Gesetzesbegründung, erscheint in dem Gesamtkontext des Erlasses der Vorschrift denn auch lediglich noch als argumentatives Feigenblatt. 94
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Explizite Aufnahme von „Hasskriminalität“ in das Strafgesetzbuch
jedoch erscheint es als recht befremdlich, dass der Gesetzgeber eine diesbezügliche Reform vornehmen möchte, ohne diesen legislativen „Überschuss“ zu begründen, und stattdessen den Eindruck erweckt, es handele sich bei der Novellierung um die unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen und Empfehlungen des Untersuchungsausschusses. Dies wäre selbstverständlich zu vernachlässigen, wenn die Änderungen inhaltlich einen Gewinn brächten. Dies ist allerdings nicht der Fall, da die Entwurfsfassung nicht über den Regelungsgehalt des herkömmlichen § 46 StGB hinausgeht. Im Gegenteil steht zu befürchten, dass die Strafzumessung nicht mehr in dem notwendigen ausgewogenen Maße erfolgt, wenn nun erstmals Zumessungstatsachen aufgenommen werden, die – entgegen der bisherigen Systematik – explizit strafschärfende Gründe aufführen. In umgekehrter Richtung könnte zudem die Rechtsanwendung – wenn auch unbewusst – dazu verleitet werden, dass sämtliche nicht aufgeführten Umstände, die bisher strafschärfend berücksichtigt wurden, als weniger gravierend, mithin nicht mehr „als ganz so schlimm“ angesehen werden. Mit einer nicht sachgerechten, und vom Gesetzgeber auch nicht intendierten, aber gleichwohl zu befürchtenden Unausgewogenheit in der richterlichen Strafzumessung, wäre am Schluss aber niemandem, weder Tätern noch Opfern, geholfen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich kein rassistisch motivierter Gewaltstraftäter durch die Neuformulierung abschrecken lassen dürfte, denn auch die bisherigen Möglichkeiten der Bestrafung haben einen hinreichenden Strafrahmen aufzuweisen, sei es im Rahmen der Körperverletzungs- oder gar der Tötungsdelikte. Insbesondere ist insofern zu beachten, dass schließlich keine Strafrahmenerweiterung durch die Novellierung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB erfolgt. Hingegen ist der teilweise erhobene Vorwurf, dass der Tendenz, Gesinnungsmerkmale aus dem Strafrecht zu verbannen, entgegengewirkt werde, letztlich unbegründet, da sich die beabsichtigte Änderung unter dieser Prämisse nicht als Systembruch darstellt, sondern in das auch täterbezogene Strafzumessungsregime einfügt. Dennoch kann die Gesetzesbegründung auch in diesem Kontext nicht überzeugen. Zudem ist die primäre Zielrichtung der geplanten Änderung des § 46 Abs.2 S.2 StGB unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schuldprinzips als äußerst problematisch zu werten. Die oben genannten Erwägungen zur Motivlage des Gesetzgebers sprechen hier eine deutliche Sprache: Die Ermittlungsbehörden, sollen im Wege einer Änderung des materiellen Strafrechts, zur Räson gebracht werden. Das materielle Strafrecht ist aber aufgrund straftheoretischer Erwägungen nicht legitimiert, Ermittlungsbehörden in ihrer Arbeit anzuleiten. Letzteres ist originärer Regelungsbereich der (straf)prozessualen Rechtsregime, wie dem GVG, vor allem aber der StPO und letztlich auch des Dienstrechts. Aufgrund des Impetus der beabsichtigten Änderung des § 46 Abs.2 S.2 StGB erscheint diese daher als gesetzgeberischer error in persona, der in verfassungsrechtlicher Hinsicht auf nicht unerhebliche Bedenken stößt und insofern als „beachtlicher“ Irrtum zu werten ist. Dies mutet umso bedenklicher an, als durch das Gesamtbild der Reform der Eindruck erweckt wird, dass die eigentliche Problematik, nämlich das Versagen der SicherheitsRecht und Politik, Beiheft 2
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behörden, mehr oder weniger überdeckt werden soll. Die Strafverfolgungsbehörden für entsprechende Vorgänge noch intensiver zu sensibilisieren, sei es in Form von Fortbildungen oder von Opfergesprächen, wäre der angemessenere – und überdies verfassungsrechtlich zulässige – Weg, mit den Versäumnissen der Vergangenheit umzugehen. In diesem Zusammenhang sollten auch Kontrollmechanismen zur Überprüfung, inwieweit rassistische Hintergründe ausreichend im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Berücksichtigung gefunden haben, implementiert werden.40 Wir ziehen mit dem Gesetzentwurf die Lehren aus erkennbar gewordenen organisatorischen Defiziten bei den Ermittlungen nach den NSU-Anschlägen“, so Bundesjustizminister Heiko Maas in seiner Stellungahme zu dem Gesetzentwurf zur Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Ob dies tatsächlich der Fall ist, unterliegt berechtigten Zweifeln.
40 Insofern wäre insbesondere an entsprechende statistische Erhebungen zu denken. 96
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Der Gruppentatbestand § 184j StGB-E im verabschiedeten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung* Von Thea Christine Bauer Nach gut zweijährigem Vorlauf und einer auf allen Ebenen intensiv geführten Grundlagendebatte hat der Deutsche Bundestag am 7. 7. 2016 den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung verabschiedet. Der Beitrag gibt einen Überblick über Hintergründe und Verlauf der Reform und stellt die wesentlichen Inhalte des verabschiedeten Gesetzesentwurfs kurz dar. Anschließend wird § 184j StGB-E als die problematischste der neuen Regelungen herausgegriffen und kritisch beleuchtet.
I. Einführung Das Sexualstrafrecht ist in den §§ 174 – 184 h StGB, dem 13. Abschnitt des StGB, geregelt. Wie bereits die Abschnittsüberschrift verdeutlicht, schützt dieser vorrangig das Individualrechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung. Dieses wird abgeleitet aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und überwiegend als ein individuelles Abwehrrecht verstanden, nicht gegen den eigenen Willen zum Objekt sexueller Übergriffe herabgewürdigt zu werden1. Die Opfer von sexueller Gewalt sind weit überwiegend weiblich, die Täter männlich.2 Bekanntgewordene Sexualstraftaten werden von der Öffentlichkeit so emotional begleitet wie * 1
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Zuerst in: RuP 1/2017, 46–58. So Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 29. Aufl. (2014), Vor §§ 174 ff. Rn. 1b; Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten. Die Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 2012, S. 13; Renzikowski, in: MünchKomm, StGB, Bd. 3, 2. Aufl. (2012), Vor §§ 174 ff. Rn. 8; für eine positive Bestimmung des Schutzbereichs hingegen Fischer, StGB, 63. Aufl. (2016), Vor § 174 Rn. 5. S. Fritzsche, Zwischen Opferschutz und Stigmatisierung: Prävention von Strafteten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Spannungsverhältnis zu den Rechten verurteilter Sexualdelinquenten, 2010, S. 30, 32 und Seifert, Der Umgang mit Sexualstraftätern. Bearbeitung eines sozialen Problems im Strafvollzug und Reflexion gesellschaftlicher Erwartungen, 2014, S. 95, 97, jeweils m.w.N. zu einschlägigen Erhebungen und (Dunkelfeld‐)Studien.
Recht und Politik, Beiheft 2 (2018), 97 – 110
Duncker & Humblot, Berlin
Thea Christine Bauer
kaum ein anderes Thema.3 Sollte im Prozess eine Verurteilung ausbleiben oder eine nach Meinung der Öffentlichkeit zu geringe Strafe verhängt werden, wird der Rechtsstaat scharf kritisiert.4 Dem nachdrücklichen Ruf der Öffentlichkeit nach den härtesten der vorhandenen Strafen des StGB für Sexualtäter können sich Politiker kaum widersetzen5 – im Gegenteil hat die Politik die Mobilisierungskraft dieses Themas unlängst für sich erkannt.
II. Hintergründe und Verlauf der jüngsten Sexualstrafrechtsreform Die Betrachtung der Hintergründe und des wesentlichen Verlaufs der jüngsten Sexualstrafrechtsreform ist erforderlich, um an späterer Stelle einzelne Inhalte des beschlossenen Gesetzesentwurfs besser erklären zu können. Denn auch der beschlossene Gesetzesentwurf ist – wie so häufig im Sexualstrafrecht – in Teilen eine politische Reaktion auf aktuelle Ereignisse und öffentliche Sicherheitsforderungen. 1. Die Auslöser der Reform Die jüngste Reform des Sexualstrafrechts hatte gleich zwei (Haupt‐)Auslöser. Zum einen warf die Identifizierung von Schutzlücken in der derzeitigen Rechtslage die Frage auf, ob der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG noch genügt werde6. Zum anderen begründeten völkerrechtliche Vorgaben eine Handlungspflicht des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts. a) Die Schutzlücken der noch geltenden Rechtslage Die derzeit noch geltende Rechtslage führt mit den §§ 177, 179 StGB nach überwiegender Auffassung der Experten und Verbände zu Schutzlücken für das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung7. Der Begriff Schutzlücke stand in der Debatte 3 4
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Seifert (o. Fn. 2), S. 65, 68 m.w.N. So titelte etwa die Bild am Sonntag v. 18. 9. 2016 in einem Fall von Kindesmissbrauch „Schämt euch für dieses Urteil“, s. hierzu https://www.wochenblick.at/irre-mildes-kindesmissbrauchurteil-fuer-afghanen/. S. Brüggemann, Entwicklung und Wandel des Sexualstrafrechts in der Geschichte unseres StGB. Die Reform der Sexualdelikte einst und jetzt, 2013, S. 26 und Seifert (o. Fn. 2), S. 69 ff. jeweils m.w.N. Vgl. Rabe/v. Normann, Schutzlücken bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen. Menschenrechtlicher Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht, Deutsches Institut für Menschenrechte, Policy Paper Nr. 24 (2014), S. 5, erhältlich unter: http://www.institut-fuer-menschen rechte.de/fileadmin/_migrated/tx_commerce/Policy_Paper_24_Schutzluecken_bei_der_ Strafverfolgung_von_Vergewaltigungen.pdf. So a.a.O., S. 11 f.; Hörnle, Wie § 177 StGB ergänzt werden sollte, GA 2015 S. 313, 314 sowie die schriftlichen Stellungnahmen zur Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 28. 1. 2015 von Clemm, S. 6 ff., erhältlich unter: http://www.bundestag.de/blob/357220/275289b6b4ea7ccc32f 2123164a22fdd/ clemm-data.pdf; Grieger, S. 3 ff., erhältlich unter: http://www.bundestag.de/blob/356898/47e Recht und Politik, Beiheft 2
Der Gruppentatbestand § 184j StGB-E im verabschiedeten Entwurf
schlagwortartig für in die sexuelle Selbstbestimmung eingreifende Verhaltensweisen, die strafwürdig und strafbedürftig, nach derzeitiger Rechtslage aber nicht8 oder nur in unzureichender Weise9 strafbar sind. De lege lata straflose Konstellationen sind insbesondere der sog. Überraschungsangriff, der fehlende Finalzusammenhang zwischen Nötigungsmittel und sexueller Handlung, die nur subjektiv schutzlose Lage nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB10 sowie Fälle des sog. „Klimas der Gewalt“11. Konstellationen mit de lege lata problematischer Regelungssystematik12 liegen bei Einsatz eines einfachen Nötigungsmittels durch den Täter (nur erfasst von § 240 Abs. 1, Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB), dem sog. „Grapschen“ unterhalb der Schwelle des § 184 h Nr. 1 StGB13 sowie in Gestalt der Schlechterstellung von behinderten Menschen durch § 179 StGB vor14.
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52c14440d89d38ce630dae016e97e/bff-data.pdf; Eisele, Schriftliche Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz v. 1. 6. 2016, S. 3 ff., erhältlich unter: https://www.bundestag.de/blob/357194/a75ae34f 805c0734 d3e40b030f4c7b20/eisele-data.pdf; Eisenhuth, S. 1 ff., erhältlich unter: http://www.bundes tag.de/blob/357198/2630349a41661014cc517432fed75e34/eisenhuth-data.pdf; Renzikowski, S. 4 ff., erhältlich unter: https://www.bundestag.de/blob/357202/87f20df8e8751bfb54b1e d22da85106a/renzikowski-data.pdf; a.A. insbesondere Cirullies, S. 3 ff. erhältlich unter: https:// www.bundestag.de/blob/357218/88a9617c670dbee8c9a34e3fef51f 720/cirullies-data.pdf und Fischer (o. Fn. 1), S. 5 ff., erhältlich unter: https://www.bundestag.de/blob/357200/ 18bdafafc324ec0f4c09a339a13753 ce/fischer-data.pdf; ders. ZIS 2015, S. 312, 318 f. sowie Frommel, Muss der Verbrechenstatbestand der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung – § 177 StGB – reformiert werden?, in: Rotsch u. a. (Hrsg.), FS f. Ostendorf, 2015, S. 321, 330 ff.; dies., NK 2015, S. 292 ff. S. Hörnle (o. Fn. 7), GA 2015, S. 313, 314; BT-Drucks. 18/8210 v. 25. 4. 2016, S. 8. S. Eisele (o. Fn. 7), S. 3 f., erhältlich unter: https://www.bundestag.de/blob/425524/ a950a0666f21cb3e7b7f177118dec89b/eisele-data.pdf. Zur (restriktiven) objektiven Auslegung des Begriffs der schutzlosen Lage in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB durch die Rechtsprechung s. BGH NStZ 2012, S. 268, 269; 2013, S. 466, 467; Eisele (o. Fn. 1), § 177 Rn. 8 ff.; Fischer (o. Fn. 1), § 177 Rn. 27 ff.; Renzikowski (o. Fn. 1), § 177 Rn. 42 ff. S. Eisele (o. Fn. 7), S. 3 f. m.w.N. Formulierung nach Eisele a.a.O. (o. Fn. 7), S. 4. Eine sexuelle Handlung i.S.v. §§ 177, 179 StGB erfordert nach der Begriffsbestimmung des § 184 h Nr. 1 StGB eine gewisse Erheblichkeit, was sich anhand von Bedeutung, Art, Intensität und Dauer der Rechtsgutsgefährdung bemisst, s. BGHSt 29, 336, 338; BGH NStZ 2007, S. 700; 2012, S. 269, 270. Das nicht in diesem Sinne erhebliche „Grapschen“ wird von der Rechtsprechung in Einzelfällen als sog. „Sexualbeleidigung“ nach § 185 StGB bestraft, s. hierzu näher Laubenthal (o. Fn. 1), 2012, S. 49 ff. Eisele (o. Fn. 7), S. 4 f. m.w.N.
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b) Völkerrechtliche Vorgaben In seinem Grundsatzurteil M.C. gegen Bulgarien15 aus dem Jahr 2003 leitete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus Art. 3 (Verbot von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Misshandlung) und Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eine Pflicht der Mitgliedstaaten her, alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen, auch wenn das Opfer keine physische Gegenwehr leistet16. Diese Ausführungen hat der EGMR in mehreren Folgeentscheidungen bestätigt.17 Vorgaben zum Sexualstrafrecht macht darüber hinaus auch das von der Bundesrepublik unterzeichnete, bisher noch nicht ratifizierte Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aus 201118 – die sogenannte Istanbul-Konvention. In Art. 36 Abs. 1 der Istanbul-Konvention verpflichten sich die Vertragsparteien, sämtliche vorsätzlichen, nicht einverständlichen sexuell bestimmten Handlungen unter Strafe zu stellen.19 2. Impulse durch die Frauenverbände und intensive öffentliche Diskussion Die jüngste Reform wurde durch eine ausgesprochen intensive Diskussion in der Öffentlichkeit begleitet. Die Grundlage hierfür bildeten u. a. die Positionspapiere und Studien verschiedener Frauenverbände20, die teils auch im Gesetzgebungsprozess große Beachtung fanden21. Sie forderten die Einführung des Grundsatzes „Nein heißt Nein“ in 15 EGMR Urt. v. 4. 12. 2003 – 39272/98. 16 A.a.O., Rn. 153, 166. Zu den Folgen der Rechtsprechung des EGMR für Deutschland s. Rabe/ v. Norman (o. Fn. 6), S. 18 ff. m.w.N. 17 EGMR, Urt. v. 155.2012 – 53519/07 (I.G. gegen Moldawien), Rn. 45; Urt. v. 24. 7. 2012 – 42418/10 (D.J. gegen Kroatien), Rn. 86; Urt. v. 24. 9. 2013 – 13424/06 (N.A. gegen Moldawien), Rn. 71. 18 ETS Nr. 201 v. 11. 5. 2011. 19 A.a.O., S. 15 f. Zu Art und Weise der Umsetzungspflicht des deutschen Gesetzgebers s. Eisele (o. Fn. 7), S. 5 ff. 20 Zu nennen sind vor allem: Deutscher Juristinnenbund e.V., Stellungnahme zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer Anpassung des Sexualstrafrechts (insbesondere § 177 StGB) an die Vorgaben der Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) von 2011, erhältlich unter: https://www. djb.de/Kom/K3/st14 - 07/; Grieger/Clemm u. a., 2014, „Was ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar“. Fallanalyse zu bestehenden Schutzlücken in der Anwendung des deutschen Sexualstrafrechts bezüglich erwachsener Betroffener, Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), erhältlich unter: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/ fallanalyse-zu-schutzluecken-im-sexualstrafrecht.html; Rabe/v. Norman (o. Fn. 6); TERRE DES FEMMES, 2014, Positionspapier zur Reformierung des § 177 StGB. Vergewaltigung – Schluss mit der Straflosigkeit!, erhältlich unter: http://www.frauenrechte.de/online/images/ downloads/hgewalt/gegen-vergewaltigung/Unterschriftenaktion-gegen-Vergewaltigungen-Po sitionspapier.pdf. 21 S. etwa BT-Drucks. 18/8210, S. 8. 100
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das deutsche Sexualstrafrecht. Der Hintergrund dieser Forderung ist, dass die sexuelle Selbstbestimmung nach der noch geltenden Rechtslage hierzulande nicht aus sich heraus geschützt ist – sexuelle Handlungen ohne beidseitiges Einverständnis sind nur strafbar, wenn zusätzliche Voraussetzungen, etwa in Form der Nötigung, der schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 StGB) oder einer Erkrankung bzw. Behinderung (§ 179 StGB) vorliegen22. „Nein heißt Nein“ bedeutet in diesem Zusammenhang, ausschließlich auf den entgegenstehenden Willen des Opfers abzustellen.23 Die Öffentlichkeit stand weit überwiegend hinter diesem Slogan;24 einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap zufolge befürworteten 86 % der Befragten eine entsprechende Verschärfung25. Die öffentliche Debatte wurde durch den medienwirksamen angeblichen Vergewaltigungsfall um das Model Gina-Lisa26 und, natürlich bedeutender, die Vorkommnisse in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln27 befeuert. Am Jahreswechsel hatten dort in Gruppen auftretende Männer, größtenteils Asylsuchende, Frauen gezielt umringt und aus dieser Situation heraus u. a. bestohlen, sexuell belästigt und sexuell genötigt.28 In der Folge wurden insgesamt über 1.000 Strafanzeigen gestellt, knapp 500 davon betrafen Sexualdelikte.29 Die verstärkte Zuwanderung im Rahmen der Flüchtlingskrise hatte bei Teilen der Bevölkerung große Ängste ausgelöst, sodass die diesbezügliche Debatte ohnehin sehr emotional geführt wurde. Durch die Geschehnisse in Köln wurde diese Situation ab Anfang des Jahres 2016 noch erheblich verschärft. Ohne Zweifel übte die teils nahezu panische Öffentlichkeit einen erheblichen Handlungsdruck auf die Politik aus, die Erkenntnisse von Köln (auch) in die aktuelle Sexualstrafrechtsreform einfließen zu lassen. 3. Die Diskussion auf politischer Ebene Auf politischer Ebene begann die Debatte im Jahr 2014 mit dem Antrag der Abgeordneten Schauws/Keul u. a. sowie der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Artikel 36 der Istanbul-Konvention umsetzen – Bestehende Strafbar-
22 S. BT-Drucks. 18/1969 v. 2. 7. 2014, S. 2; Clemm (o. Fn. 7), S. 4 f.; Grieger/Clemm u. a. (o. Fn. 20), S. 28; Högl/Neumann, RuP 2016, 155 f.; Hörnle (o. Fn. 7), S. 313 f. 23 Vgl. BT-Drucks. 18/9097 v. 6. 7. 2016, S. 2, 21 f. 24 S. Freudenberg, RuP 2016, 109, 110. 25 Die Ergebnisse der Studie sind erhältlich unter: http://www.infratest-dimap.de/umfragenanalysen/bundesweit/umfragen/aktuell/grosse-mehrheit-fuer-verschaerfung-des-sexualstraf rechts-bei-vergewaltigung/. 26 Für eine Chronologie des Falles s. http://www.stern.de/lifestyle/leute/gina-lisa-lohfinkchronik-einer-angekuendigten-schaendung-6888744.html. 27 Freudenberg (o. Fn. 24). 28 https://de.wikipedia.org/wiki/Sexuelle_Übergriffe_in_der_Silvesternacht_2015/16. Bemerkenswert ist, dass die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 einen eigenen umfangreichen Wikipedia-Eintrag erhalten haben. 29 S. ebenda. Recht und Politik, Beiheft 2
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keitslücken bei sexueller Gewalt und Vergewaltigung schließen“30. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD legten in der Folge den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vor, der eine Umsetzung von Art. 36 der Istanbul-Konvention hinsichtlich nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen aber noch bewusst aussparte31. Dagegen regte sich Widerstand, es folgten eine intensive politische Auseinandersetzung und verschiedene Gesetzesentwürfe von Regierung32 und Opposition33. Während Opposition und Bundesrat34 durchgehend vehement für eine konsequente Umsetzung der „Nein heißt Nein“-Lösung und der völkerrechtlichen Vorgaben eintraten, war die Bundesregierung lange zögerlich. Erst im Juni diesen Jahres legten Abgeordnete der Großen Koalition im Rahmen einer Sachverständigenanhörung ein Eckpunktepapier35 vor, das endlich den umkämpften Paradigmenwechsel36 vorsah. Am 7. 7. 2016 nahm schließlich der Bundestag den auf der Grundlage des Eckpunktepapiers noch kurzfristig grundlegend geänderten Gesetzesentwurf der Bundesregierung an. Mit seinem in der ersten Sitzung nach der Sommerpause am 23. 9. 2016 gefassten Beschluss, keinen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stellen37, machte dann auch der Bundesrat den Weg für das neue Gesetz frei.
III. Die wesentlichen Neuerungen des beschlossenen Gesetzesentwurfs Mit dem beschlossenen Gesetzesentwurf sollen ausweislich der Entwurfsbegründung u. a. der Wille des Opfers ins Zentrum gestellt und Art. 36 der Istanbul-Konvention umgesetzt werden38. Das Herzstück des Entwurfs bilden drei neue Paragraphen im 13. Abschnitt – der grundlegend überarbeitete § 177 StGB-E und die erstmals aufgenommenen § 184i und § 184j StGB-E. Wegen eines sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB-E ist künftig strafbar, wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt, von ihr vornehmen lässt oder sie zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an bzw. von einem Dritten bestimmt. Hierdurch wird erstmals die „Nein heißt Nein“-Lösung im
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BT-Drucks. 18/1969 v. 2. 7. 2014. BT-Drucks. 18/2601 v. 23. 9. 2014, S. 1. BT-Drucks. 18/2954 v. 22. 10. 2014; BT-Drucks. 18/8210 v. 25. 4. 2016. BT-Drucks. 18/5384 v. 1. 7. 2015; BT-Drucks. 18/7719 v. 25. 2. 2016. S. BR-Drucks. 91/16 v. 18.3.16, 1 f.; BR-Drucks. 162/16 v. 3. 1. 2016 (Beschluss), S. 1 ff. Högl/Winkelmeier-Becker u. a., Eckpunktepapier zur Reform des Sexualstrafrechts – mit dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ v. 1. 6. 2016, erhältlich unter: https://www.bundestag.de/blob/ 425890/08ddc9a8cced2c4ca8305b5ec2dccace/tischvorlage-data.pdf. 36 S. zum Begriff Högl/Neumann (o. Fn. 22), S. 156. 37 Plenarprotokoll 948 v. 23. 9. 2016, S. 343 (A). 38 BT-Drucks. 18/9097 v. 6. 7. 2016, S. 21. 102
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deutschen Sexualstrafrecht eingeführt.39 Denn der Tatbestand ist bereits erfüllt, wenn sich der Täter mit der Vornahme sexueller Handlungen über den – von einem objektiven Dritten erkennbaren – entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt, da dies die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers verletzt40. § 177 Abs. 2 Nr. 1 – 4 StGB-E regeln in Ausnahme zu § 177 Abs. 1 StGB-E Konstellationen, in denen das Opfer keinen entgegenstehenden Willen aufweist oder ihn nicht für den Täter erkennbar äußert.41 Die einzelnen Nummern schließen jeweils unterschiedliche Schutzlücken der geltenden Rechtslage. So ist etwa der sog. Überraschungsangriff künftig strafbar nach § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB-E, die sog. „Klima der Gewalt“-Fälle sind von § 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB-E erfasst. Der gesamte § 177 StGB-E ist nun unterschiedslos auf Menschen mit und ohne Behinderung anwendbar, sodass der wertungstechnisch problematische § 179 StGB gestrichen werden kann. Der Regelungsgehalt von § 240 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB wird weitgehend in § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB-E überführt, ersterer entfällt daher ebenfalls. Eine sexuelle Belästigung nach § 184i Abs. 1 StGB-E begeht, wer das Opfer in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt. Hierdurch werden die derzeit in den Fällen des „Grapschens“ häufig bestehenden Strafbarkeitslücken geschlossen. Denn § 184i StGB-E setzt gerade keine sexuelle Handlung i.S.d. § 184 h Nr. 1 StGB voraus und ist folglich auch auf Berührungen unter der Erheblichkeitsschwelle anwendbar.42 Wegen einer Straftat aus Gruppen nach § 184j StGB-E ist künftig strafbar, wer eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den § 177 oder § 184i StGB-E begangen wird. Eine Personengruppe iSd. § 184j StGB-E setzt mindestens drei Personen voraus.43 Da der Tatbestand auch dem Umstand Rechnung tragen soll, dass sich die Gruppenmitglieder regelmäßig gegenseitig motivieren, bestärken und auf diese Weise etwaige Hemmungen überwinden, sind bloße Menschenansammlungen nicht erfasst. Bedrängt wird das Opfer, wenn die Gruppe es nachdrücklich und mit einer gewissen Hartnäckigkeit in seiner Bewegungsfreiheit oder sonstigen Willensbetätigungsfreiheit hindert. § 184j StGB-E setzt weiter voraus, dass der Täter eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an der Personengruppe beteiligt, was nicht i.S.d. §§ 25 – 27 StGB, sondern umgangssprachlich verstanden werden soll. Die Gruppenmitglieder müssen gerade nicht bewusst und gewollt zusammenwirken. Schließlich muss ein Gruppenbeteiligter eine Tat nach § 177 StGB-E oder § 184i StGB-E an dem bedrängten Opfer begehen, das Merkmal ist eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. 39 40 41 42 43
A.a.O., S. 2, 21 f. A.a.O., S. 22. A.a.O., S. 23. A.a.O., S. 29 f. Hierzu sowie zum Folgenden a.a.O., S. 31.
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IV. Kritische Bewertung von § 184j StGB-E Der Bundestag verabschiedete den neuen § 177 StGB-E einstimmig und mit stehendem Applaus44. Bei § 184i StGB-E erfolgte nur eine einzige Enthaltung45, § 184j StGBE wurde indes gegen die Stimmen der GRÜNEN und der LINKEN beschlossen46. Dieses Stimmungsbild wirft hinsichtlich der Bewertung der neuen Tatbestände gewisse Schatten voraus. An dieser Stelle kann und soll nur der neue § 184j StGB-E kritisch beleuchtet werden. Die Motivation des Gesetzgebers für die Einführung von § 184j StGB-E hat die CDU-Bundestagsabgeordnete Widmann-Mauz in der Bundestagsdebatte vom 7. 7. 2016 treffend zusammengefasst mit ihrem Ausruf: „Von solchen Gruppen darf sich der Rechtsstaat doch nicht verhöhnen lassen“47. Bei näherer Betrachtung wirft § 184j StGB-E aber die Frage auf, ob seine Einführung dem Rechtsstaat tatsächlich so zuträglich sein wird, wie erhofft. 1. Überstürzt und inhaltlich nicht ausgereift Jedenfalls hinsichtlich des neuen § 184j StGB-E muss der Gesetzgebungszeitpunkt kritisiert werden48. Vollzieht man die einzelnen Schritte des Gesetzgebungsverfahrens zu § 184j StGB-E nach, kann man sich dem Eindruck einer überstürzten und dogmatisch unausgegorenen Reaktion auf die Ereignisse in Köln kaum erwehren. Denn bis zur Silvesternacht 2015/2016 wurde in keinem der vorgelegten Gesetzesentwürfe das, wie im Nachhinein suggeriert, massive Problem von Sexualdelikten durch Gruppen auch nur erwähnt. Bis dahin ging es in der Reformdiskussion einzig um die Schließung der Strafbarkeitslücken und die Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben; Gruppenphänomene spielten dabei keine Rolle. Offiziell regte erstmalig der Bundesrat in einer Stellungnahme aus dem Mai 2016 an, auch die Ereignisse in Köln in die aktuelle Reformdebatte einzubeziehen49. Der erste Vorschlag eines Gruppentatbestands erfolgte dann in dem erwähnten Eckpunktepapier50 vom 1. 6. 2016 durch Abgeordnete der Großen Koalition. Zwar trifft es zu, dass das Phänomen des sog. Antanzens51 auch 44 45 46 47 48
Plenarprotokoll 18/183 v. 7. 7. 2016, S. 18015 (D). A.a.O., S. 18024 (D). A.a.O., S. 18018 (D). Plenarprotokoll 18/183 v. 7. 7. 2016, S. 18007 (A). So auch Eisele (o. Fn. 9), S. 1 f. und Walter, Zu früh und zu weit – der aktuelle Referentenentwurf eines Gesetzes zur „Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“, JR 2016, S. 361 f. hinsichtlich der gesamten jüngsten Reform. 49 BR-Drucks. 162/16 v. 13. 5. 2016, S. 9 f.; s. auch die entsprechenden Forderungen mehrerer Redner in der vorausgegangenen Bundesratsdebatte in Plenarprotokoll 945 v. 13. 5. 2016, S. 193 (D), 194 (A), 195 (D), 197 (C). 50 Högl/Winkelmeier-Becker u. a. (o. Fn. 35). 51 Das Antanzen wird regelmäßig von einer organisierten Tätergruppe in einer unverfänglichen öffentlichen Situation (z. B. Oktoberfest, Kölner Karneval, Weihnachtsmärkte, etc.) durchgeführt. Aus einer vermeintlich fröhlichen Stimmung heraus nähert sich die Gruppe dem Opfer 104
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Der Gruppentatbestand § 184j StGB-E im verabschiedeten Entwurf
schon vor den Ereignissen in Köln existierte. So stellte bereits 2014 die CDU-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen den Antrag „Neues Kriminalitätsphänomen erfassen und konsequent gegen so genannte ,Antänzer‘ vorgehen!“52. Das Antanz-Phänomen trat bis dato aber gerade nicht als neue Begehungsform von Sexualdelikten, sondern vielmehr insbesondere von Diebstahlsdelikten53 zu Tage. In der Silvesternacht 2015/ 2016 in Köln wurden zweifellos zum ersten Mal in diesem Ausmaß auch Sexualdelikte durch Antanz-Gruppen begangen.54 Da im Frühjahr 2016 die Erkenntnis einer erheblichen Gefahr von Sexualstraftaten durch Gruppen also erst wenige Monate alt war und diese spezielle Problematik nichts mit dem Anliegen der laufenden Reform zu tun hatte55, wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, sie in der anstehenden großen Sexualstrafrechtsrefom56 mit zu behandeln. Wie eingangs erwähnt, ist es aber gerade im Bereich der Sexualkriminalität für Politiker äußerst schwierig, sich den öffentlichen Forderungen zu entziehen. So mag der umgehende Griff zum Strafrecht auch vom Bedürfnis der aufgrund ihrer Politik in der Flüchtlingskrise zum damaligen Zeitpunkt in der Kritik stehenden Bundesregierung getragen gewesen sein, Handlungsfähigkeit zu beweisen und die Öffentlichkeit zu beruhigen.57 Die Einführung des Gruppentatbestands bis zur großen Sexualstrafrechtsreform aufzuschieben, hätte auch den entscheidenden Vorteil gehabt, dass sich die Sachverständigen mit dieser Thematik noch intensiv hätten befassen können. Aufgrund der kurzfristigen Umsetzung konnten speziell zu § 184j StGB-E keine schriftlichen Stellungnahmen mehr
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körperlich, vorgeblich um etwa mit ihm zu schunkeln oder einen kleinen Papierball zu dribbeln. Nach der Begegnung vermisst das Opfer dann häufig sein Handy oder sein Portemonnaie, vgl. Landtag NRW Drucks. 16/6857 v. 23. 9. 2014, S. 1. Ebenda. S. ebenda. So ausdrücklich auch Bundesratsmitglied Gemkow, Plenarprotokoll 945 v. 13. 5. 2016, S. 197 (C). Außer natürlich der Tatsache, dass die Opfer vor der Tat naheliegenderweise auch „Nein“ gesagt und die Täter dies ignoriert haben werden. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im Februar 2015 eine Expertenkommission zur Überarbeitung des gesamten 13. Abschnitts des StGB eingesetzt, zu den konkreten Zielen s. https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2015/02202015_Stn_Re form_Sexualstrafrecht.html. Die Kommission soll bald erste Ergebnisse vorlegen. Ein entsprechender Eindruck drängt sich auch bei dem „Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern“ v. 11. 3. 2016, BGBl. I 2016, S. 349 ff., auf. Die Große Koalition hatte den entsprechenden Gesetzesentwurf nur wenige Wochen nach den Ereignissen in Köln vorgelegt, in der Begründung werden die Vorfälle in der Silvesternacht 2015/2016 ausdrücklich erwähnt, s. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern, BT-Drucks. 18/7537 v. 16. 2. 2016, S. 5.
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eingeholt werden.58 Einzig bei der Anhörung vom 1. 6. 2016 konnten die Sachverständigen zu dem ihnen als Tischvorlage unterbreiteten ersten Entwurf eines Gruppentatbestandes im Eckpunktepapier mündlich Stellung nehmen.59 Bereits aufgrund der in diesem Rahmen59 gemachten Anregungen wurde der damalige Entwurf grundlegend geändert, etwa die zuvor mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe60 völlig übersetzte Höchststrafandrohung auf bis zu zwei Jahre abgesenkt. Es ist anzunehmen, dass bei einer gründlichen Auseinandersetzung der Gruppentatbestand weitere sinnvolle Änderungen erfahren und am Ende eine dogmatisch ausgereiftere Gestalt als die des § 184j StGB-E erhalten hätte. Vor diesem Hintergrund muss § 184j StGB-E als überstürzt und der Gesetzgebungsprozess insoweit als mehr als unglücklich bewertet werden. 2. In bestimmten Konstellationen verfassungswidrig § 184j StGB-E wurde in der seiner Verabschiedung vorausgehenden Bundestagsdebatte von der Opposition scharf kritisiert. Die Regelung sei verfassungswidrig, da sie das Schuldprinzip außer Kraft setze61. Überprüft man diese schlagwortartige These, stellt man fest, dass § 184j StGB-E in bestimmten Konstellationen tatsächlich gegen das aus Art. 2 Abs. 1 GG, dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Gehalt des Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Schuldprinzip62 und damit gegen die Verfassung verstößt. Denn dieses verlangt jedenfalls, dass die Tatbestandserfüllung dem Täter individuell vorwerfbar sein muss63; er muss persönlich etwas „dafür können“64 und darf gerade nicht nach Art einer Zufallshaftung zur öffentlichen Strafdemonstration herangezogen werden. Denn anderenfalls läge überhaupt kein Normverstoß vor, auf den der Staat in legitimer Weise mit Strafe – verstanden als ein sozialethisches Unwerturteil hinsichtlich des Verhaltens65 – reagieren durfte66. 58 Kurze und noch völlig unspezifische Überlegungen zu einer möglichen Erfassung der jüngsten Gruppenphänomene finden sich einzig in den Stellungnahmen zur Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages v. 1. 6. 2016 von Eisele, S. 22 (erhältlich unter: https://www.bundestag.de/blob/425524/a950a0666f21c b3e7b7f177118dec89b/eisele-data.pdf); Hörnle (o. Fn. 7), S. 13 (erhältlich unter: https:// www.bundestag.de/blob/425248/45dd98986c19bc744e079c804490fd19/hoernle-data.pdf) und Ohlenschlager, S. 6 f. (erhältlich unter: https://www.bundestag.de/blob/424640/ 2e159207c633d31ffef3ee32c66bf284/ohlenschlager-data.pdf). 59 Protokoll-Nr. 18/101 des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages, S. 19 ff., 26 f., 31 f., 34 ff. 60 Högl/Winkelmeier-Becker u. a. (o. Fn. 35), S. 8. 61 Plenarprotokoll 18/183 v. 7. 7. 2016, S. 18005 (C), 18008 (B), 18134 (C). 62 S. BVerfGE 57, 250, 275; 58, 159, 163; 80, 244, 255; 86, 288, 313; 95, 96, 140. 63 S. BVerfGE 95, 96, 140; BGHSt 2, 194, 200; Fischer (o. Fn. 1), Vor § 13 Rn. 47; Freund, in: MünchKomm, StGB, Bd. 1, 2. Aufl. (2011), Vor §§ 13 ff. Rn. 237; Radtke, in: MünchKomm, StGB, Bd. 2, 3. Aufl. (2016), Vor §§ 38 ff. Rn. 14. 64 Vgl. BGHSt 18 94; Eisele (o. Fn. 1), Vor §§ 13 ff. Rn. 103 f. 65 BVerfGE 25, 269, 286; 27, 18, 29; 90, 145, 172; 90, 145, 201 Sondervotum – Graßhof; 90, 145, 213 – Sondervotum Sommer; 120, 224, 240. 106
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Der Gruppentatbestand § 184j StGB-E im verabschiedeten Entwurf
Der Tatbestand des § 184j StGB-E wurde bewusst an den des § 231 StGB angelehnt. Wegen Beteiligung an einer Schlägerei gem. § 231 StGB ist strafbar, wer sich in vorwerfbarer Weise an einer Schlägerei oder einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wenn als objektive Bedingung der Strafbarkeit durch die Schlägerei bzw. den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht wird. Die Norm ist nach herrschender Ansicht ein abstraktes Gefährdungsdelikt67; sie wurde eingeführt, um die aufgrund der Unübersichtlichkeit des Geschehens typischen Beweisschwierigkeiten bei Schlägereien zu überwinden68. Der Tod bzw. die schwere Körperverletzung ist eine objektive Bedingung der Strafbarkeit69, der Einzelne muss sie weder kausal durch seine eigene Beteiligungshandlung verursacht haben70, noch insoweit vorsätzlich71 oder fahrlässig gehandelt haben72. Wäre § 184j StGB-E mit § 231 StGB hinsichtlich seiner Struktur und der Art der Tatbestandsvoraussetzungen vergleichbar, dann wäre – jedenfalls mit der herrschenden Ansicht – die Verfassungsmäßigkeit zumindest nicht ausgeschlossen. Dass auch die Verfassungsmäßigkeit von § 231 StGB schon lange heftig umstritten ist und u. a. aus diesem Grunde im Vorfeld des 6. StrRG diskutiert wurde, den Tatbestand abzuschaffen73, sei an dieser Stelle nur erwähnt. Eine weitere Auseinandersetzung mit den insoweit vorgetragenen Argumenten74 ist hier nicht erforderlich, da sich § 184j StGB-E bereits in wesentlichen Punkten von § 231 StGB unterscheidet. a) Objektiver Tatbestand § 231 StGB setzt als Beteiligungshandlung ein aktives Verhalten voraus (Mitschlagen, Anfeuern, Abhalten von Helfern) 75, das deutlich wahrnehmbar nach außen tritt und mit dem der Täter zeigt, dass er sich mit dem Geschehen identifiziert. Für eine Beteiligung reicht es hingegen gerade nicht aus, nur passiv – etwa aus Neugier – am Rande 66 S. Freund (o. Fn. 63), Vor §§ 13 ff. Rn. 238 f.; Eisele (o. Fn. 1), Vor §§ 13 ff. Rn. 103 f. 67 BGHSt 14, 132, 134; 33, 100, 103; 39, 305, 307; Fischer (o. Fn. 1), § 231 Rn. 2; Hohmann, in: MünchKomm, StGB, Bd. 4, 2. Aufl. (2012), § 231 Rn. 2; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 231 Rn. 1. 68 BGHSt 16, 130, 132; Hohmann (o. Fn. 67), § 231 Rn. 26 m.w.N. 69 So die herrschende Ansicht, s. etwa BGHSt 14, 132, 134 f.; 16, 130, 133; 33, 100, 103; 39, 305, 307; Fischer (o. Fn. 1),S § 231 Rn. 5; Hohmann (o. Fn. 67), § 231 Rn. 21; Stree/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder (o. Fn. 67), § 231 Rn. 6. 70 BGHSt 14, 132, 135; 16, 130, 132; 33, 100, 103; Fischer (o. Fn. 1), § 231 Rn. 6 m.w.N. 71 Hohmann (o. Fn. 67), StGB, § 231 Rn. 20; Rönnau, Grundwissen – Strafrecht: Vorsatz, JuS 2010, 675, 676. 72 BGHSt 14, 132, 135; 33, 100, 103; 39, 305, 307; Fischer (o. Fn. 1), § 231 Rn. 9; Hohmann (o. Fn. 67), § 231 Rn. 20. 73 BT-Drucks. 13/8587 v. 25. 9. 1997, S. 35. 74 S. hierzu statt aller Rönnau/Bröckers, Die objektive Strafbarkeitsbedingung im Rahmen des § 227 StGB,GA 1995, S. 549 ff. (zu § 227 StGB a.F.). 75 Fischer (o. Fn. 1), § 231 Rn. 8; Stree/Sternberg-Lieben (o. Fn. 67), § 231 Rn. 4, jeweils m.w.N. Recht und Politik, Beiheft 2
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oder sogar mitten in der Schlägerei zu stehen, auch wenn dabei innerlich den Vorgängen zugestimmt wird76. Genau dieses Verhalten stellt bei § 184j StGB-E aber bereits die geforderte „Beteiligung an der Personengruppe“ dar; der Täter muss hier lediglich körperlich anwesend sein und dabei in keiner Weise tätig werden. Wenn die Gruppe in einer dicht gedrängten Menschenmenge agiert, wird ein objektiver Beobachter folglich rein äußerlich nicht immer eindeutig ausmachen können, wer zu der Gruppe gehört und wer nicht. Das kann zu Beweisschwierigkeiten führen, die durch die konkrete Ausgestaltung von § 184j StGB-E aber gerade vermieden werden sollen. b) Subjektiver Tatbestand Auch im subjektiven Tatbestand bestehen erhebliche Unterschiede zwischen § 231 StGB und § 184j StGB-E. § 231 StGB setzt zumindest Eventualvorsatz des Täters auf das Vorliegen einer Schlägerei und seiner Beteiligung daran voraus.77 Da diese definitorisch ein Streit mit wechselseitigen Körperverletzungen ist78, verlangt § 231 StGB implizit auch insoweit Vorsatz. Die Entwurfsbegründung zu § 184j StGB-E bleibt hingegen äußerst vage wenn sie ausführt: „Der Vorsatz des Täters muss umfassen, dass er durch sein Zutun die Begehung einer Straftat ermöglicht oder erleichtert. Typischerweise werden mit diesem modus operandi [gemeint ist die Begehung als Gruppe, Anm. der Verf.] neben den Sexualdelikten auch Vermögens- und Körperverletzungsdelikte begangen. Dabei kommt es auf subjektiver Ebene aber nur darauf an, dass irgendeine Straftat gemeint ist.“79 Nicht ganz deutlich wird hierbei, ob die Aufzählung der verschiedenen Delikte abschließend gemeint sein soll in dem Sinne, dass etwa ein vorgestelltes Freiheits-, Ehr- oder Tötungsdelikt eines Gruppenmitglieds nicht von § 184j StGB-E erfasst ist. Das erscheint aber fernliegend und die Aufzählung eher beispielhaft („typischerweise“), auch da die standardmäßig verwirklichte gemeinschaftliche Nötigung (§ 240, Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB) des Opfers durch die ihm den Weg versperrende Gruppe nicht erwähnt ist. Es muss also angenommen werden, dass es für den subjektiven Tatbestand von § 184j StGB-E ausreicht, wenn der Täter von der Begehung „irgendeines“ Delikts ausgeht und aus der Gruppe heraus dann tatsächlich – zufällig – „irgendein anderes“ Delikt in Gestalt von § 177 StGB-E oder § 184i begangen wird. c) Schwere Folge Unterschiede zwischen § 231 StGB und § 184j StGB-E bestehen schließlich auch hinsichtlich der schweren Folge. Bei § 231 StGB ist mit dem Tod oder der schweren Körperverletzung die schwere Folge eine solche, die erfahrungsgemäß mit einer 76 Vgl. Hohmann (o. Fn. 67), § 231 Rn. 16; Stree/Sternberg-Lieben (o. Fn. 67), § 231 Rn. 4. 77 Fischer (o. Fn. 1), § 231 Rn. 9; Hohmann (o. Fn. 67), § 231 Rn. 20; Stree/Sternberg-Lieben (o. Fn. 67), § 231 Rn. 5. 78 S. BGHSt 15, 369, 370; 31, 124, 125; Fischer (o. Fn. 1), § 231 Rn. 3; Stree/Sternberg-Lieben (o. Fn. 67), § 231 Rn. 2a. 79 BT-Drucks. 18/9097 v. 6. 7. 2016, S. 31. 108
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Der Gruppentatbestand § 184j StGB-E im verabschiedeten Entwurf
Schlägerei einhergeht und hinsichtlich der bei lebensnaher Betrachtung bei allen Schlägereien zumindest eine abstrakte Gefahr besteht80. Anders bei § 184j StGB-E. Selbst wenn man mit der Entwurfsbegründung annimmt, dass aus Gruppen heraus typischerweise Sexualdelikte, Vermögens- und Körperverletzungsdelikte begangen werden, bedeutet dies nicht, dass bei jeder gruppenmäßigen Begehung eine abstrakte Gefahr für alle diese Delikte besteht. Denn auch im Nachgang der Silvesternacht in Köln kann nicht bezweifelt werden, dass es Gruppen gibt, die nur auf eine bestimmte Art von Delikten spezialisiert sind und niemals eines der anderen Delikte begehen würden, sodass hinsichtlich letzterer gerade keine abstrakte Gefahr vorliegt. Ansonsten müsste man unterstellen, dass etwa jeder Dieb zwangsläufig immer auch ein potentieller Sexualstraftäter ist, was entschieden zurückgewiesen werden muss. Ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine abstrakte Gefahr hinsichtlich der von § 184j StGB-E erwähnten Sexualdelikte bestand oder ob diese nur zufällig begangen wurden, hängt also vom Tätigkeitszuschnitt der jeweiligen Gruppe bzw. den getroffenen Absprachen ab. § 184j StGB-E ignoriert dies und geht implizit von „dem Gruppenmitglied“ als einen bestimmten Tätertyp aus, der bei entsprechender Gelegenheit alle „typischen“ Gruppendelikte begeht. Ohne abstrakte Gefahr steht tatsächlich eine Verletzung des Schuldprinzips zu befürchten. Diese wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass § 184j StGB-E, anders als § 231 StGB, tatbestandlich das Fördern der Tat nach § 177 bzw. § 184i StGB-E verlangt. Welchen Inhalt das Tatbestandsmerkmal des Förderns in § 184j StGB-E haben soll, ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, noch eindeutig aus der Entwurfsbegründung. Diese führt hierzu nur aus: „Der Täter muss eine Straftat dadurch fördern, dass er sich an der Personengruppe beteiligt und mindestens billigend in Kauf nimmt, dass aus der Gruppe heraus Straftaten begangen werden“81. Nimmt man die Begründung beim Wort, hat das Merkmal keinerlei eigene Bedeutung und ist insbesondere nicht im Sinne einer irgendwie gearteten Kausalität zu verstehen. § 184j StGBE weist also im Vergleich zu § 231 StGB kein Mehr an begrenzenden Voraussetzungen auf. Vor diesem Hintergrund muss angenommen werden, dass § 184j StGB-E zu Fällen führen kann, die mangels Vorliegen einer abstrakten Gefahr mit dem Schuldprinzip nicht vereinbar sind.
V. Fazit und Ausblick § 184j StGB-E schießt wesentlich über sein Ziel hinaus und kann bereits vom jetzigen Standpunkt aus als Schwachpunkt des verabschiedeten Gesetzesentwurfs bezeichnet werden. Die Norm ist nicht nur unüberlegt und dogmatisch missglückt, sondern verstößt in Fällen der fehlenden abstrakten Gefahr auch gegen das Schuldprinzip. Es wird wohl nicht lange dauern, bis ein Strafverteidiger die Verfassungsmäßigkeit von 80 Vgl. BGHSt 14, 132, 134 f.; 16, 130, 132; 33, 100, 103; Hohmann (o. Fn. 67), § 231 Rn. 6. 81 BT-Drucks. 18/9097 v. 6. 7. 2016, S. 31. Recht und Politik, Beiheft 2
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§ 184j StGB-E zugunsten seines Mandanten durch das Bundesverfassungsgericht inzident überprüfen lässt. Wünschenswert wäre es gewesen, das Vorhaben eines Gruppentatbestandes vorerst auszusparen und zum Diskussionsgegenstand der anstehenden großen Sexualstrafrechtsreform zu machen. § 184j StGB-E wird dem Rechtsanwender absehbar nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereiten – es wird es sich zeigen, wie die Rechtsprechung mit diesen umgehen und die Norm im Lichte des Schuldprinzips auslegen wird. Mittelfristig bleibt abzuwarten, welche Gestalt der 13. Abschnitt des StGB durch die große Reform erhält und wie sich die § 177, § 184i und 184j StGB-E in das dann verfolgte neue Gesamtkonzept einfügen werden.
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Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht: Zur Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt Nein!“ im deutschen Strafrecht* Von Eva Högl und Birgit Neumann Über die Reform des Sexualstrafrechts wird bereits seit vielen Jahren diskutiert. Am 7. 7. 2016 haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages beschlossen, dass der Grundsatz „Nein heißt Nein“ ins Strafrecht aufgenommen wird. Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf in drei Teilen abgestimmt. Neben dem Grundsatz „Nein heißt Nein!“, der einstimmig beschlossen wurde, wurde über Artikel 1 Nr. 9 (Einfügung des § 184j StGB, Straftaten aus Gruppen) und Artikel 2 Abs. 3 (Änderung des Aufenthaltsgesetzes) separat abgestimmt, die jeweils mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen wurden. Der gesamte Gesetzentwurf wurde in der 3. Lesung ebenfalls einstimmig (Enthaltung der Opposition) angenommen1. Die parlamentarischen Beratungen wurden sehr intensiv und in relativ kurzer Zeit geführt. Über die Diskussionen und den damit ersichtlichen Willen des Gesetzgebers wird im Folgenden berichtet.
I. Hintergründe der Reformdebatte – Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, Strafbarkeitslücken, Wertewandel und Istanbul-Konvention 1. Recht auf sexuelle Selbstbestimmung Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird vom Grundgesetz gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Aspekt der Menschenwürde geschützt und umfasst die freie Entscheidung über das „Ob“, das „Wann“ und das „Wie“ einer sexuellen Begegnung2. Der konsequente Schutz dieses Rechts ist auch durch das Strafrecht sicherzustellen. Mit dem 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1974 erhielt der 13. Abschnitt des StGB die Überschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, womit der * 1
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Zuerst in: RuP 2016, 155 – 164. http://www.bundestag.de/blob/434770/c9c23aeef045c0638120c67bb52b2ff5/20160707_ 1-data.pdf und http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/amtlicheprotokolle/2016/ ap18183/434888. Renzikowski, Münchner Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, vor §§ 174 ff, Rn. 8.
Recht und Politik, Beiheft 2 (2018), 111 – 123
Duncker & Humblot, Berlin
Eva Högl und Birgit Neumann
Schutz des Individualrechtsgutes in den Mittelpunkt gestellt wurde. Zuvor war der Abschnitt mit „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ überschrieben. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass tatsächlich kein umfassender Schutz gewährleistet wird, sondern bestimmte sexuelle Angriffe nur partiell strafbar sind3. 2. Strafbarkeitslücken In den Fachdiskussionen über die Strafbarkeitslücken kristallisierte sich heraus, dass der Wortlaut des § 177 StGB und seine restriktive Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung dazu führten, dass es dem Gesetzgeber nicht gelungen war, die Schutzlücken vollständig zu schließen. Die vielbeachtete Fallanalyse des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe aus dem Jahr 20144 analysiert, in welchen konkreten Fallkonstellationen keine Verurteilungen möglich sind, weil diese nicht vom Tatbestand des § 177 StGB erfasst sind. Der Schutz des § 177 StGB bezieht sich tatsächlich nämlich nur auf die dort normierten Tatmodalitäten besonders schwerer Fälle. Insbesondere weil bei der Beurteilung des in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB genannten Tatbestandsmerkmals „Ausnutzung einer schutzlosen Lage“ auf eine objektive Betrachtungsweise abgestellt wird, kam es zu mitunter absurden Ergebnissen. Wenn sich das Vergewaltigungsopfer in einer schutzlosen Lage wähnt, weil es davon ausgeht, dass ein Fluchtversuch erfolglos wäre oder Hilfeschreie nicht gehört würden, objektiv aber die Möglichkeit zur Flucht besteht oder jemand in der Nachbarwohnung war, der die Hilferufe hätte hören können, so scheidet eine Strafbarkeit wegen Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus. Dies führt dazu, dass die Norm keinen bedingungslosen Schutz gewährleistet, sondern zusätzliche Handlungen der Betroffenen vorausgesetzt werden wie aktive Gegenwehr, die durchaus risikobehaftet sind5. Der bisherige Tatbestand des § 177 StGB setzt also ein Nötigungselement voraus, weshalb der zentrale Bezugspunkt für die Prüfung und Bewertung der Strafbarkeit in der Praxis ist die Widerstandsleistung des Opfers ist. Wer sich körperlich wehrt, um sexuelle Übergriffe abzuwehren, hat gute Chancen darauf, dass der Täter oder die Täterin bestraft werden kann. Wer allerdings lediglich verbal widerspricht oder nicht zu einer Abwehrhandlung in der Lage ist, dessen Chancen stehen schlecht. Häufig kommen die Täter davon. Gründe für diese sogenannte Widerstandsunfähigkeit gibt es mehrere: Viele Opfer können sich aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zu3 4
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Vgl. Hörnle, ZRP 2015, 190; Renzikowski, Münchner Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, § 177 Rn. 1. Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bff, „Was Ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar“, Fallanalyse zu bestehenden Schutzlücken in der Anwendung des deutschen Sexualstrafrechts bezüglich erwachsener Betroffener, Juli 2014. Heike Rabe / Julia von Normann, Schutzlücken bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen, Policy Paper Nr. 24 des DIMR, 2. Auflage, Juni 2014, S. 12. Recht und Politik, Beiheft 2
Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht
stands nicht wehren. Viele werden durch den Übergriff überrascht und sind derart überrumpelt, dass sie keinen Willen bilden können, um sich zu verteidigen. Viele wehren sich nicht, weil sie ihre Situation ohnehin als ausweglos erachten und ihre Gegenwehr diese Lage noch verschlimmern würde. Was deutlich wird und im Laufe des Reformprozesses als notwendiger „Paradigmenwechsel“ bezeichnet wurde: Für die Strafbarkeit einer Person war das Verhalten des Opfers maßgeblich und nicht in erster Linie das Verhalten des Täters. Diesen Widerspruch zu beseitigen, ist Ziel der Reform. 3. Gesellschaftlicher Wertewandel Das Strafrecht hat die Aufgabe, strafwürdiges Verhalten angemessen zu sanktionieren, wobei die Wertung, was als strafwürdig angesehen wird, durchaus einem gesellschaftlichen Wandel unterliegen kann. Dies gilt ganz besonders für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das im Laufe des letzten Jahrhunderts nahezu revolutionäre Änderungen erfahren hat. Mit dem sich wandelnden Verständnis der Geschlechter zueinander und der Stärkung der Rechte von Frauen änderte sich auch die gesellschaftliche Bewertung von Sexualverhalten. Ähnlich war es im Zuge der kontroversen Debatten um die Streichung des Wortes „außerehelich“ in § 177 StGB im Jahr 1997. Bis dahin war Vergewaltigung in der Ehe ein „Kavaliersdelikt“ und höchstens als sexuelle Nötigung strafbar. Und selbst im Rahmen der Diskussionen um die Implementierung des Grundsatzes „Nein heißt Nein!“ wurde immer wieder als Gegenargument vorgebracht, man würde mit einer entsprechenden Änderung die Pönalisierung „sozialadäquaten Verhaltens“ erreichen6. In der Bevölkerung überwiegt allerdings der Anteil der Menschen, die die Umsetzung des Grundsatzes „Nein heißt Nein!“ befürworten7. Entsprechend groß war die Verwunderung nach den fürchterlichen Vorkommnissen in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten, als die öffentliche Diskussion um die Verschärfung des Sexualstrafrechts intensiv geführt wurde und einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung bewusst wurde, welche Lücken das bestehende Sexualstrafrecht hat. Infolge der prominent geführten öffentlichen Debatte wuchs zunehmend der Druck auf den Gesetzgeber, diese Diskrepanz aufzuheben und dem gesellschaftlich vorhandenen Bedürfnis nachzukommen8. Genau dies ist Aufgabe des Gesetzgebers: Von der Gesellschaft als strafwürdig erachtetes Verhalten tatsächlich unter Strafe zu stellen. 6 7
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Siehe dazu unten Ziffer III. 2. Umfrage von Infratest-dimap vom 16. 6. 2016: 86 % befürworten die Reform, nur 10 % halten die bestehende Gesetzeslage für ausreichend. http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analy sen/bundesweit/umfragen/aktuell/grosse-mehrheit-fuer-verschaerfung-des-sexualstrafrechtsbei-vergewaltigung/. Siehe z. B. den offenen Brief des „Bündnisses Nein heißt Nein“ vom 24. 4. 2016, mit dem mehrere Verbände die Bundeskanzlerin und die Abgeordneten des Deutschen Bundestags zur Reform des Strafrechts auffordern (siehe z. B. unter https://www.djb.de/Kom/K3/pm16-12/).
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In der ersten Lesung des Deutschen Bundestags am 28. 4. 2016 über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Sexualstrafrechts9 zeichnete sich dementsprechend fraktionsübergreifend eine breite Mehrheit ab, noch über die Regelungsinhalte des Gesetzentwurfs der Bundesregierung hinauszugehen und den Paradigmenwechsel zur Implementierung des „Nein heißt Nein!“ umzusetzen. 4. Istanbul-Konvention Anstoß der Reformforderungen in der juristischen Debatte war das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, das am 11. 5. 2011 in Istanbul auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde (so genannte „Istanbul-Konvention“)10. Deren Artikel 36 verpflichtet die Vertragsstaaten, grundsätzlich alle erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen unter Strafe gestellt werden. Daneben sind weitere Tatalternativen sexueller Handlungen aufgeführt, die ebenfalls zu erfassen sind. Während die Vertreterinnen und Vertreter der „Nein heißt Nein!“-Forderung hieraus eindeutigen Handlungsbedarf für Deutschland herleiteten, wurde auch die Gegenposition vertreten, dass diese Vereinbarung bereits mit den geltenden Bestimmungen des deutschen Strafrechts umgesetzt sei. Der Reformbedarf wurde verneint.
II. Parlamentarische Initiative 1. Erste Lesung am 28. 4. 2016 Tatsächlich war die erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung am 28. 4. 2016 im Deutschen Bundestag die Geburtsstunde der Aufnahme des Grundsatzes „Nein heißt Nein!“ in das deutsche Strafrecht. Alle Rednerinnen und Redner forderten dies zum ersten Mal fraktionsübergreifend und übereinstimmend. Wenige Wochen vorher überwogen insbesondere in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion sowie im Bundeskanzleramt noch die Stimmen der Gegner dieser Änderungen. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers wurde bis zum 22. 12. 2015 mit der Begründung vom Bundeskanzleramt zurückgehalten, die vorgesehenen Änderungen gingen zu weit11. Auch der Bundesrat hatte sich in seiner Stellungnahme im 1. Durchgang zum Gesetzentwurf des BMJV für eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts ausgesprochen (Beschluss vom 13. 5. 2016, BR-Drs. 162/16). 9 BT-Drs. 18/8210. 10 https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?docu mentId=0900001680462535 . 11 Der Referentenentwurf des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz lag seit 14. 7. 2015 vor. Innerhalb des Kabinetts gab es von Seiten der unionsgeführten Häuser und des Bundeskanzleramts Widerstand. Erst am 22. 12. 2015 wurde der Entwurf für die Länder- und 114
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2. Initiative der Frauen Zeitnah im Anschluss an die Debatte am 28. 4. 2016 ergriffen einige Frauen der Koalitionsfraktionen12 die Initiative zur Erarbeitung eines Eckpunktepapiers, das auch einen konkreten Formulierungsvorschlag enthalten sollte. Sie waren übereinstimmend der Auffassung, dass sich eine historische Chance aufgetan hatte, um den Paradigmenwechsel endlich mit den erforderlichen politischen Mehrheiten zu erreichen13. Diese Chance sollte ergriffen werden. Das Risiko, dass das Sexualstrafrecht infolge einer halbherzigen Reform für lange Jahre nicht mehr Gegenstand parlamentarischer Beratungen sein würde, wollten die Parlamentarierinnen nicht eingehen. Sie wollten das laufende Verfahren zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Sexualstrafrecht nutzen, um die entsprechenden Ergänzungen einzubringen und zügig zu einem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zu kommen. Maßgabe war, das Verfahren vor der parlamentarischen Sommerpause 2016 abzuschließen. Bereits zu Beginn wurden fünf Grundlinien vereinbart: Zur Umsetzung der IstanbulKonvention sollte ein Grundtatbestand eingeführt werden, der alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stellt. Aufbauend auf den Grundtatbestand sollten Qualifizierungstatbestände normiert werden. Der besonderen Situation von Menschen mit Behinderungen sollte Rechnung getragen werden. Es sollte einen neuen Tatbestand geben, der sexuelle Übergriffe aus Gruppen heraus erfasst. Neu eingeführt werden sollte schließlich ein als Antragsdelikt ausgestalteter Straftatbestand der tätlichen sexuellen Belästigung.
Verbändeanhörung frei gegeben. Der Entwurf sah vor, die unstreitigen Strafbarkeitslücken zu schließen. Die Implementierung der „Nein-heißt-Nein!“-Lösung war innerhalb des Kabinetts nicht mehrheitsfähig. Nach dem ursprünglichen Zeitplan des BMJV war die Kabinettsbefassung für den 4. 11. 2015 vorgesehen, das parlamentarische Verfahren hätte bereits am 17. 3. 2016 beendet und das gesamte Verfahren mit der Beratung des Bundesrats am 22. 4. 2016 abgeschlossen sein können. Das erste Anzeichen für einen Meinungsumschwung innerhalb der Union war die Mainzer Erklärung des Parteitags der CDU am 8. und 9. 1. 2016, in der auf Seite 9 verlangt wird, ein klares „Nein“ des Opfers müsse ausreichen, auch wenn nicht zugleich der Tatbestand der Gewalt oder Nötigung vorliege (https://www.cdu.de/system/tdf/media/ dokumente/2016_01_09_mainzer_erklaerung.pdf ?file=1). 12 Die Initiative ging aus von Elke Ferner MdB (Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen), Annette Widmann-Mauz MdB (Vorsitzende der Frauen Union der CDU Deutschlands), Dr. Carola Reimann MdB (für die Frauen in der SPD-Bundestagsfraktion), Karin Maag MdB (Vorsitzende der Gruppe der Frauen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion), Dr. Eva Högl MdB (Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion für Recht und Verbraucherschutz) und Elisabeth Winkelmeier-Becker MdB (rechtspolitische Sprecherin der AG Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion). 13 Vgl. zum Reformwillen auch Freudenberg, RuP 2016, 109 (111): „Es ging also nicht darum, ob die Umsetzung des Prinzips ,Nein heißt Nein‘ möglich wird, sondern lediglich darum, ob sie gewollt wird.“ Recht und Politik, Beiheft 2
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3. Eckpunktepapier In einem Eckpunktepapier, das zur Anhörung des Rechtsausschusses am 1. Juni 2016 als Tischvorlage auslag14, wurden diese Grundlinien ausgearbeitet und in einen Formulierungsvorschlag überführt. So konnte die Expertise der Sachverständigen zu den vorgeschlagenen Regelungen des Eckpunktepapiers eingeholt werden.
III. Kernpunkte des Gesetzes – der Wille des Gesetzgebers Im Folgenden werden ausgewählte Fragestellungen erörtert, die im Vorfeld und während der parlamentarischen Beratungen besonders intensiv diskutiert und schlussendlich politisch konsentiert wurden. Ziel ist, den Willen des Gesetzgebers zu erläutern. 1. Aufbau und Struktur Kern der Reform ist die Einführung eines neuen, als Vergehen ausgestalteten Grundtatbestands des sexuellen Übergriffs in § 177 Abs. 1 und 2 StGB-E, der alle sexuellen Handlungen gegen den Willen der anderen Person unter Strafe stellt und mit dem Art. 36 der Istanbul-Konvention vollständig entsprochen wird. Durch einen Grundtatbestand der Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen wird der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck gebracht, dass ein „Nein“ auch nein heißt. Aufbauend auf diesem Grundtatbestand formulieren die folgenden Absätze 3 bis 9 des § 177 StGB-E verschiedene Tatmodalitäten, die in ihrem Unrechtsgehalt und dem entsprechend auch in ihrer Strafandrohung ansteigen15. Absätze 1 und 2 sind insoweit eine Besonderheit, da beide Grundtatbestandscharakter für die „Nein-heißt-Nein“-Lösung haben. Abs. 1 erfasst die Fälle, in denen der entgegenstehende Wille klar formuliert und eindeutig erkennbar ist. Abs. 2 erfasst die für die rechtliche Beurteilung schwieriger gelagerten Fälle, in denen die freie Willensbildung oder –äußerung aus bestimmten Gründen nicht möglich ist. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sahen beide Varianten als gleichgelagert an, was sich am gleichen Strafmaß zeigt. Ausgehend davon, dass das zentrale Element der sexuellen Selbstbestimmung der Wille des Opfers ist, muss das „Darüberhinwegsetzen“ des Täters der Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Strafwürdigkeit sein16. In den Fällen, in denen der entgegenstehende Wille nicht erkennbar gebildet oder geäußert werden kann, ist der Unrechtsgehalt der gleiche. 14 https://www.bundestag.de/blob/425890/08ddc9a8cced2c4ca8305b5ec2dccace/tischvorlagedata.pdf. 15 Der Aufbau orientiert sich an dem Vorschlag des Landes Mecklenburg-Vorpommern, den die Justizministerin Kuder im Rechtsausschuss des Bundesrates eingebracht hatte, dort aber nicht mehrheitsfähig war http://www.regierung-mv.de/Landesregierung/jm/Aktuell/?id=114420& processor=processor.sa.pressemitteilung. 16 Vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs in der Fassung des Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen, BT-Drs. 18/9097, S. 22. 116
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Etwaige systematische Unschärfen (zwei Grundtatbestände in zwei Absätzen einer Norm und eine Norm mit neun Absätzen) wurde von den Parlamentarierinnen und Parlamentariern zugunsten der Übersicht (Regelung aller Tatvarianten von sexuellen Übergriffe in einer Norm) entschieden17. In der Konsequenz ist der strafrechtliche Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung damit nicht (mehr) davon abhängig, dass das Opfer sich gegen einen Übergriff wehrt. Erfasst sind alle sexuellen Handlungen gegen den Willen einer anderen Person sowie Überraschungsfälle und andere Fälle, in denen sich beim Opfer kein Wille bilden konnte. Damit werden Fälle erfasst, in denen Druck ausgeübt, das Opfer überrumpelt wurde oder in denen eine schutzlose Lage bestand, ebenso wie Fälle, in denen zwar keine Gewalt zur Erzwingung der sexuellen Handlungen ausgeübt wird, aber aufgrund des Verhaltens oder von Äußerungen des Opfers dessen entgegenstehender Wille deutlich ist. Gleiches gilt für Fälle, in denen die Beziehung zwischen Täter und Opfer von körperlicher oder psychischer Gewalt geprägt ist, so dass das Opfer sich aus Angst nicht zu wehren wagt (so genannte „Klima der Gewalt“-Fälle). 2. Sozialadäquates Verhalten und Beweisfragen Nicht kriminalisiert wird sozialadäquates Verhalten, etwa bei der Anbahnung von sexuellen Kontakten. Die von Gegnern vorgetragene Befürchtung, es käme durch die „Nein-heißt-Nein!“- Lösung zu einer Pönalisierung sozial erwünschten Verhaltens, wurde von den Abgeordneten nicht geteilt. Zunächst ist darauf abzustellen, dass der Wille zum Zeitpunkt der Vornahme der sexuellen Handlung (noch) entgegenstehen muss. Es ist also durchaus möglich, dass zu Beginn des Kennenlernens noch „Nein!“ gesagt wird zu möglichen sexuellen Kontakten, im Laufe der Zeit der entgegenstehende Willen jedoch abgelegt wird und die sexuellen Handlungen letztlich einvernehmlich erfolgen. Genauso möglich ist es, dass der entgegenstehende Wille über einen längeren Zeitraum fortdauert – etwa in den „Klima der Gewalt“-Fällen18. Ob das der Fall ist, ist im Endeffekt eine Tat- und Beweisfrage, die in der Praxis einzelfallbezogen von der rechtsanwendenden Staatsanwalt- und Rechtsanwaltschaft sowie den Gerichten zu beantworten sein wird. Dieser Umstand ist keine Schwäche des Gesetzentwurfs, denn hier sind unterschiedliche Bereiche angesprochen: Aufgabe des Gesetzgebers ist, strafwürdiges Verhalten unter Strafe zu stellen. Aufgabe der Justiz ist zu klären, ob die Tatbestandsvoraussetzungen im konkreten Fall erfüllt wurden. Dass letzteres eine schwierige Aufgabe ist bei Sexualstrafdelikten, ist nichts Neues. Häufig sind zum Tatzeitpunkt nur zwei Personen zugegen, so dass es häufig zu „Aussage gegen Aussage“17 Die Notwendigkeit der Einführung mehrerer Grundtatbestände konstatierte die Sachverständige Prof. Dr. Hörnle im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 1. 6. 2016, S. 16 (http://www.bundestag.de/blob/434028/ 46778dbfeb02d4f3c2a1bbe8f9bb1820/wortprotokoll-data.pdf). 18 Sie werden von § 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB-E erfasst. Recht und Politik, Beiheft 2
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Konstellationen kommt. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass das strafwürdige Verhalten nicht tatbestandlich normiert wird. Dies wäre eine unzulässige Vermischung. Im Übrigen macht es für die Opfer durchaus einen Unterschied, ob sie in der Begründung eines Einstellungsbescheides lesen, die Tat sei dem Täter nicht nachweisbar gewesen, oder ob sie lesen müssen, die Tat sei gar nicht strafbar. Diese Wertung des Gesetzgebers hat zu Recht unmittelbare Auswirkungen auf das Vertrauen in die Rechtsordnung. Darüber hinaus liegt der Befürchtung, sozialadäquates Verhalten würde pönalisiert, die Annahme zugrunde, dass es sozialadäquat ist, sexuelle Handlungen auch dann vorzunehmen bzw. als Täter vornehmen zu dürfen, wenn sie nicht einvernehmlich erfolgen. Dass dies nicht der Fall ist, war unter den verhandelnden Abgeordneten unstreitig19. Sie betonten folgerichtig, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung uneingeschränkt und gegenüber jeder, jedem und überall gilt, auch innerhalb einer Beziehung und im häuslichen Privatbereich20. 3. Tatbestandsmerkmal „erkennbar“ in § 177 Abs. 1 StGB-E Das Tatbestandsmerkmal „erkennbar“ ist erforderlich, damit der Täter weiß und wissen kann, dass er gegen den Willen des Opfers handelt. Der entgegenstehende Wille ist erkennbar, wenn das Opfer ihn ausdrücklich (z. B. verbal) oder konkludent (z. B. durch Weinen, Abwehren der sexuellen Handlung, oder durch Wegdrehen) nach außen zum Ausdruck bringt. Ein lediglich innerer Vorbehalt des Opfers gegen die sexuelle Handlung ist nicht ausreichend. Für die Bewertung, ob der entgegenstehende Wille erkennbar ist, ist die Sicht eines objektiven Dritten maßgeblich. Unerheblich ist dabei, aus welchen Gründen das Opfer die sexuelle Handlung ablehnt. Der Gesetzgeber mutet den Beteiligten an dieser Stelle ein Mindestmaß an Kommunikation zu: Dem Opfer wird zugemutet, den entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig und nach Außen erkennbar zum Ausdruck zu bringen. Zweifelt der Täter, ist es auch ihm zuzumuten, sich ggf. zu vergewissern, wie der Wille des Opfers ausgestaltet ist. Zu diesem Punkt holten die Abgeordneten die Expertise der Sachverständigen der Anhörung am 1. 6. 2016 ein. Im Eckpunktepapier war die Formulierung „erkennbar“ noch nicht enthalten. Die Sachverständigen sprachen sich dafür aus, eine entsprechende Ergänzung vorzunehmen21. Die dafürsprechenden Einwände waren dogmatisch und rechtspolitisch begründet: Prof. Dr. Eisele führte aus, das Abstellen auf ein Handeln gegen den Willen bedeute nach gängiger Dogmatik, dass der innere Wille genüge und er nicht nach außen treten müsse, was schwierig sei. Darüber hinaus könne man mit der Ergänzung an gängige Kategorien tatbestandsausschließenden Einver19 Siehe dazu Ziffer I. 2 „gesellschaftlicher Wertewandel“. 20 Vgl. Eckpunktepapier vom 1. 6. 2016, a.a.O., S. 2. 21 So war es auch in den Gesetzentwürfen der Oppositionsfraktionen vorgesehen, vgl. Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen, BT-Drs. 18/5384 und Gesetzentwurf der Fraktion Die LINKE, BT-Drs. 18/7719. 118
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ständnisses anknüpfen und vermeide eine Sonderdogmatik für Sexualstraftaten. Die Sachverständigen Heike Rabe und Prof. Dr. Hörnle stimmte ihm zu22. Prof. Dr. Hörnle betonte darüber hinaus den Charakter der Strafnormen als Verhaltensnorm. So mache das Tatbestandsmerkmal „erkennbar“ klar, dass Personen ihren Willen kundtun müssen, was aus ihrer Sicht eine sinnvolle Verhaltensnorm sei23. 4. Sexuelle Übergriffe auf Menschen mit Behinderung – Verhältnis des § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB-E zu § 177 Abs. 4 StGB-E Die bisherige Rechtslage hatte in der praktischen Anwendung zur Folge, dass im Bereich der sexuellen Übergriffe auf Menschen mit oder ohne Behinderung ein ZweiKlassen-Strafrecht herrschte, da für Übergriffe auf Menschen mit Behinderung der mit geringerem Strafmaß versehene § 179 StGB herangezogen wurde24. Darüber hinaus wurden Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung eine eingeschränkte Willensbildungsfähigkeit haben, als „widerstandsunfähig“ angesehen. Die Gesetzeslage entspricht nicht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention. Dies sollte aus Sicht der Abgeordneten korrigiert werden. Dementsprechend greift § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB-E die Fallkonstellation des bisherigen § 179 Abs. 1 und 2 StGB auf (sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen). Es wird künftig keine Unterscheidung mehr zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung gemacht. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass auch Menschen mit den benannten Einschränkungen Sexualität leben sollen, wenn dies ihrem natürlichen Willen entspricht, entfällt die Strafbarkeit, wenn sich der Täter der Zustimmung der Person zur sexuellen Handlung versichert hat. Diese Regelung geht also über den Grundsatz „Nein-heißt-Nein!“ hinaus und implementiert die „Nur-Ja-heißt-Ja“-Lösung, bei der die einzelne sexuelle Handlung vorher konsentiert sein muss25. Gerechtfertigt sind diese unterschiedlichen Anforderungen durch die erhöhte Schutzbedürftigkeit der Personengruppe im Vergleich zu Personen, die uneingeschränkt zur freien Willensbildung und –äußerung in der Lage sind26. Auf die gleiche Begründung geht die Regelung des § 177 Abs. 4 StGB-E zurück, der eine Qualifikation zu § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB-E darstellt. Es werden Fälle erfasst, in denen die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden, absolut sein und auf einer Krankheit
22 Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 1. 6. 2016, a.a.O., S. 14 (Eisele), 16 (Hörnle) und 19 (Rabe). 23 Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung am 1. 6. 2016, a.a.O., S. 26. 24 Vgl. Stellungnahme der Staatlichen Koordinierungsstelle nach Art. 33 UN-BRK „Sexualstrafrecht reformieren – aber richtig!“ vom 27. 2. 2015, S. 3 f. 25 Auch insoweit wird der Forderung der Staatlichen Koordinierungsstelle, ebenda, S. 4, entsprochen. 26 Vgl. zum gesamten Komplex die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9097, S. 25 f. Recht und Politik, Beiheft 2
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oder Behinderung des Opfers beruhen muss27. Der Gesetzgeber sanktioniert diese Taten mit einer Mindeststrafe von einem Jahr. Das besondere Unrecht für die Ausgestaltung als Verbrechenstatbestand ist in der Ausnutzung der besonderen Schutzbedürftigkeit infolge von Krankheit oder Behinderung begründet28. 5. Sexuelle Belästigung gem. § 184i StGB-E / Erheblichkeitsschwelle des § 184 h StGB Weder im geltenden Strafrecht noch im Gesetzentwurf der Bundesregierung sind Fälle des so genannten Grabschens erfasst. Während verbale Entgleisungen als Beleidigungen nach § 185 StGB bestraft werden können, bleiben tätliche Übergriffe, die stärker in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, straffrei. Denn bisher gibt es keinen strafrechtlichen Schutz vor sexualbezogenen Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit unterhalb der Schwelle der Erheblichkeit des § 184 h Nr. 1 StGB29. Dieser sieht für die sexuellen Handlungen vor, dass sie im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut einige Erheblichkeit aufweisen müssen. Nach bisheriger Rechtsprechung wird das so genannte Grabschen in diesem Sinn als nicht erheblich angesehen. Bereits im Eckpunktepapier vom 1. 6. 201630 sprachen sich die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner für die Schaffung eines neuen Straftatbestands „tätliche sexuelle Belästigung“ aus, der die Fälle erfasst, die unter der Schwelle der Erheblichkeit des § 184 h Nr. 1 StGB liegen. Während über das „Ob“ bei allen Abgeordneten große Übereinstimmung bestand, wurde intensiv über das „Wie“ diskutiert. Im Rahmen der Anhörung des Rechtsausschuss wurde auch zu diesem Punkt die Expertise der geladenen Sachverständigen eingeholt. Nach der Auswertung der Anhörung schloss man sich dem überwiegenden Meinungsbild der Expertinnen und Experten an und entschied sich für die Einführung eines neuen Tatbestands § 184 i StGB-E „Sexuelle Belästigung“ unter gleichzeitiger Beibehaltung des § 184 h Nr. 1 StGB und dessen Erheblichkeitsschwelle31. Mit der Einführung des § 184i StGB-E wird sichergestellt, dass sexuell bestimmte Handlungen, die das Opfer körperlich berühren und die Schwelle der sexuellen Erheblichkeit nicht erreichen, es aber dennoch belästigen, künftig strafrechtlich zweifelsfrei erfasst werden32. Für die Beibehaltung des § 184 h Nr. 1 StGB sprach insbesondere, dass so
27 Zur Definition einer Behinderung wird auf § 2 SGB IX zurückgegriffen, vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9097, S. 27. 28 Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9097, S. 27. 29 Die sexuelle Belästigung kann bisher nur sanktioniert werden, wenn sie am Arbeitsplatz stattfindet (vgl. § 3 AGG) oder eine tätliche Beleidigung (§ 185 StGB) darstellt. 30 Vgl. a.a.O., S. 5. 31 Einen Regelungsvorschlag hatte auch der Bundesrat mit Beschluss vom 13. 5. 2015 (BRDrs. 162/16, dort S. 8) unterbreitet. 32 Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9097, S. 30. 120
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weiterhin auf die jahrelange Rechtsprechung zum AGG zurückgegriffen werden kann, die zum Begriff der „sexuellen Belästigung“ besteht33. Das Delikt ist als Antragsdelikt ausgestaltet. Zum einen, weil so dem vergleichsweise geringen Unrechtsgehalt einzelner in Betracht kommender Taten Rechnung getragen werden kann, zum anderen, damit das Opfer selbst bestimmen kann, ob es einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung als verfolgenswert erachtet oder nicht. 6. Straftaten aus Gruppen gem. § 184j StGB-E Die Einführung dieser Norm stellte sich in den parlamentarischen Beratungen als die am heftigsten umstrittene Regelung heraus. Die juristisch kontrovers geführte Debatte drehte sich um die Frage, ob ein weiterer Tatbestand erforderlich ist neben dem Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 6 StGB-E (gemeinschaftliche Begehung wird als besonders schwerer Fall definiert) und den allgemeinen Bestimmungen zu Täterschaft und Teilnahme, die das Strafrecht über die §§ 25 – 27 StGB vorsieht. Die Frage wurde schließlich bejaht. Das Regelungsbedürfnis erstarkte infolge der Vorfälle in der Silvesternacht, die in Köln und anderen deutschen Städten zu zahlreichen sexuellen Übergriffen geführt hatten. Aus Sicht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier stellen sexuelle Übergriffe aus Gruppen heraus eine besondere Gefahr für das geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung dar, weil die Übermacht einer Personenmehrheit die Lage für das Opfer erheblich verschlechtert34. Neben schlechteren Verteidigungs- und Fluchtchancen sind Gruppen durch eine motivierend wirkende Dynamik gekennzeichnet, die durch die gegenseitige Bestärkung der Gruppenmitglieder gespeist wird und die dazu führt, dass der Einzelne anderenfalls bestehende Hemmungen überwindet bzw. gar nicht erst zulässt35. Derartige Vorgehensweisen gibt es nicht erst seit Köln, sondern geschehen auch beim Oktoberfest, bei Festivals oder Public Viewings. Insbesondere die Abgeordneten der Union drängten darauf, dass jeder, der sich an der Gruppe beteiligt, aus der heraus sexuelle Übergriffe vorgenommen werden, strafbar sein sollte. Die Schwierigkeit bestand darin, nicht allein die bloße Teilnahme an einer Gruppe als strafbegründend im Sinne des § 184i StGB-E zu regeln. Zugleich sollte sichergestellt werden, dass sich ein Mitglied der Gruppe nicht mit der Begründung herausreden kann, es habe zwar die Begehung von Straftaten in Kauf genommen, der Vorsatz sei aber nicht auf die Begehung sexueller Übergriffe konkretisiert gewesen. Eine Analogie nach § 231 StGB (Beteiligung an einer Schlägerei) war nicht konsensfähig. Hiergegen sprach die mangelnde Vergleichbarkeit der zugrundeliegenden Sachverhalte, da bei einer Schlägerei die Beteiligten im Wechsel Täter und Opfer sind, 33 So die Sachverständigen Heike Rabe, Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung, a.a.O., S. 23, Prof. Dr. Eisele, ebenda, S. 27 und 30, Erik Ohlenschlager, ebenda, S. 31, Dagmar Freudenberg, ebenda, S. 15 f und 35. 34 Vgl. Eckpunktepapier vom 1. 6. 2016, a.a.O., S. 3 f. 35 Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9097, S. 32. Recht und Politik, Beiheft 2
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während die Beteiligten an einer Gruppe, aus der heraus Sexualdelikte begangen werden, niemals die Opfereigenschaft haben. Auch zu dieser Frage wurde die Expertise der Sachverständigen der Anhörung am 1. 6. 2016 eingeholt, zu der das Eckpunktepapier einen Formulierungsvorschlag unter § 179a StGB-E enthielt. Dort forderte der Sachverständige Ohlenschlager ausdrücklich die Einführung einer entsprechenden Norm, während sich die Sachverständigen Rabe und Clemm skeptisch äußerten in Bezug auf den Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht36. Um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, wurde auf Forderung der SPD das Merkmal des „Förderns“ einer Straftat nach den §§ 177 oder 184i StGB-E aufgenommen. Nach der Gesetzesbegründung muss der Täter eine entsprechende Straftat dadurch fördern, dass er sich an der Personengruppe beteiligt und mindestens billigend in Kauf nehmen, dass aus der Gruppe heraus Straftaten begangen werden. Die Beteiligung ist dabei nicht im Sinne der §§ 25 ff StGB zu verstehen. Damit soll sowohl ausgeschlossen werden, dass ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken im Sinne eines Mittätervorsatzes vorliegen muss als auch, dass ein doppelter Vorsatz im Sinne des Gehilfen- oder Anstiftervorsatzes verlangt wird. Allerdings muss der Täter billigend in Kauf nehmen, dass aus der Gruppe heraus (irgendwelche) Straftaten begangen werden und dass die Straftat nach den §§ 177 und 184i StGB-E tatsächlich begangen wird. Nur dann ist eine Strafbarkeit nach § 184i StGB-E möglich37. Die Ausgestaltung der Begehung der Straftaten nach den §§ 177 und 184i StGB-E als objektive Bedingung der Strafbarkeit geht auf den Vorschlag von Prof. Dr. Hörnle zurück. So wird klargestellt, dass die Begehung dieser Taten nicht vom Vorsatz des an der Gruppe Beteiligten umfasst sein muss. 7. Ausblick Das parlamentarische Verfahren im Deutschen Bundestag ist abgeschlossen. Zur Gesetzesreife sind noch die zweite Beratung des Bundesrates, die für den 23. 9. 2016 erwartet wird, sowie die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und die Verkündung im Gesetzblatt erforderlich. Gem. Art. 6 des Gesetzentwurfs tritt das Gesetz am Folgetag nach der Verkündung in Kraft. Dieser Tag wird von den vielen Unterstützerinnen und Unterstützer der „Nein-heißt-Nein!“-Lösung lange erwartet. Viele Betroffene werden von dem Paradigmenwechsel in positiver Weise profitieren. Es ist nicht sicher, ob mit der Gesetzesänderung massenhaft mehr Verurteilungen einhergehen, da nach wie vor Beweisschwierigkeiten überwunden werden müssen. Doch die Aussicht auf die zeitnahe Verankerung des „Nein-heißt-Nein!“ im deutschen Strafrecht und die endlich mögliche Ratifizierung der Istanbul-Konvention des Europarates sind ein großer Erfolg der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. 36 Vgl. Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung, a.a.O., S. 19 und 32 (Ohlenschlager), S. 20 (Rabe), S. 35 f (Clemm). 37 Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9097, S. 32. 122
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Über die Reform des Strafrechts hinaus brauchen wir flankierend Beratungs- und Hilfsangebote und die flächendeckende Möglichkeit der anonymen Dokumentation solcher Straftaten. Damit wird die Beweislage verbessert und die Opfer haben die Möglichkeit, sich in Ruhe zu überlegen, ob sie die Straftat anzeigen oder nicht.
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Der Geschlechtsbegriff im Strafrecht* Zum Tatbestand „Verstümmelung weiblicher Genitalien“ in § 226a StGB Von Manuel Ladiges
I. Einleitung Im Strafrecht spielt das Geschlecht in der Regel keine Rolle. Die Tatbestände sind entweder geschlechtsneutral formuliert (z. B. § 212 Abs. 1 StGB: „Wer einen Menschen tötet …“) oder sprechen allgemein vom „Täter“ (z. B. §§ 226 Abs. 2, 227 StGB), wobei dann selbstverständlich auch eine Täterin erfasst ist. Die erheblichen Differenzierungen nach der Geschlechtszugehörigkeit sowohl auf Opfer- als auch auf Täterseite im Sexualstrafrecht gehören im Wesentlichen der Vergangenheit an.1 Vor diesem Hintergrund ist die Frage berechtigt, ob es überhaupt noch lohnt, sich mit dem Geschlechtsbegriff im Strafrecht zu beschäftigen. Diese Frage ist zu bejahen. Zunächst gibt es weiterhin Tatbestände, die entweder ausdrücklich auf das Geschlecht abstellen (Beispiele: Exhibitionismus gem. § 183 StGB, Selbstabtreibung nach § 218 Abs. 3 StGB „die Schwangere“) oder zumindest implizit an eine bestimmte Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen (Beispiel: Wehrpflichtentziehung durch Verstümmelung gem. § 109 StGB2). Auch die Strafbarkeit des Geschwisterinzests (§ 173 StGB) setzt nach dem Bundesverfassungsgericht den geschlechtlichen Verkehr von verschiedengeschlechtlichen Personen voraus3, so dass eine Strafbarkeit von der Bestimmung des Geschlechts der beteiligten Personen abhängt.
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Zuerst in: RuP 2014, 15 – 19. Siehe zu diesen Differenzierungen ausführlich Sick, ZStW 103 (1991), 43 ff. Gleichwohl können das Geschlecht und insbesondere die Mutterrolle bei der Strafzumessung bedeutsam sein, vgl. OLG Jena, NJW 2006, 3654 ff. Zur Kontroverse um die Anwendbarkeit des § 109 StGB nach der „Aussetzung“ der Wehrpflicht siehe Ladiges, NZWehrr 2013, 203 ff. und Dau, NZWehrr 2013, 252 ff. BVerfGE 120, 224 (250); ebenso MüKo-StGB/Ritscher, 2. Aufl. (2012), § 173 Rdnr. 9.
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Der Geschlechtsbegriff im Strafrecht
Seit September 2013 gibt es ein weiteres Beispiel, den Tatbestand „Verstümmelung weiblicher Genitalien“ in § 226a StGB.4 Seither wird mit Freiheitsstrafe von 1 bis 15 Jahren bestraft, wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt. In der strafrechtlichen Diskussion5 und in den wissenschaftlichen Stellungnahmen6 zu den einschlägigen Gesetzesentwürfen ist wiederholt auf die Gleichheitswidrigkeit der Regelung hingewiesen worden. Dies hat den Gesetzgeber jedoch nicht davon abgehalten, mit § 226a StGB einen Straftatbestand mit weitgehend symbolischer Bedeutung zu schaffen. Eine weitere Regelung mit einer Geschlechtsdifferenzierung findet sich neuerdings in § 1631d BGB. Diese zivilrechtliche Vorschrift erlaubt die Beschneidung eines „männlichen Kindes“ unter bestimmten Voraussetzungen und wirkt damit als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund. Durch die Gegenüberstellung von § 1631d BGB einerseits und § 226a StGB andererseits wird die Ungleichbehandlung im Zusammenhang mit Eingriffen in die Geschlechtsteile von männlichen und weiblichen Personen noch greifbarer.7 Zugleich wird durch die Formulierungen „weibliche Person“ in § 226a StGB und „männlichen Kindes“ in § 1631d BGB deutlich, dass der Gesetzgeber jedenfalls in diesem Zusammenhang von der klassischen Dichotomie der Geschlechter ausgeht. Diese Unterscheidung, die bisher die einschlägigen Rechtsvorschriften beherrschte8,wird jedoch seit dem 1. November 2013 durch eine Änderung des Personenstandsgesetzes9 in Frage gestellt. Nach § 22 Abs. 3 PStG ist eine Geburt ohne Angabe des Geschlechts in das Geburtenregister einzutragen, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann.10
II. Geschlechtsbegriff im Strafrecht Im Folgenden soll es jedoch nicht um die Berechtigung oder Sinnhaftigkeit von § 22 Abs. 3 PStG gehen, sondern um die Probleme, die durch die fehlende personenstandsrechtliche Festlegung des Geschlechts im Strafrecht entstehen können. Es stellt 4 Siehe zur rechtspolitischen Diskussion etwa Wüstenberg, KritV 2012, 463 ff.; ders., RuP 2010, 111 ff. mit Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber. S.a. Hagemeier/Bülte, JZ 2010, 406 ff. 5 T. Walter, Das unantastbare Geschlecht, zeit-online vom 14. Juli 2013, http://www.zeit.de/ 2013/28/genitalverstuemmelung-gesetz-frauen (letzter Abruf am 30. Januar 2014). 6 Die Stellungnahmen zur Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages vom 24. April 2013 sind abrufbar unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/ archiv/46____Str__ndG/04_Stellungnahmen/index.html (letzter Abruf am 30. Januar 2014). 7 T. Walter (o. Fußn. 5). 8 Vgl. etwa BVerfGE 49, 286 (298); RG, JW 1931, 1495; Gössl, StAZ 2013, 301 (303). Zur Verwendung des Begriffs „Geschlecht“ in Art. 3 Abs. 3 GG BVerfGE 92, 91 (109 ff.). Überblicksartig zur Diskussion Coester-Waltjen, JZ 2010, 852 ff. 9 Personenstandsrechts-Änderungsgesetz vom 7. Mai 2013, BGBl. I, S. 1122. 10 Zur Änderung im Einzelnen Gössl, StAZ 2013, 301 (303); Bockstette, StAZ 2013, 169 (171 ff.). Recht und Politik, Beiheft 2
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sich die Frage, wie das Strafrecht mit Personen umgeht, die weder männlich noch weiblich im Sinne des Personenstandsrechts sind oder deren Geschlecht nach dem äußerlichen Eindruck vom Eintrag im Personenstandsregister abweicht. Können Tatbestände, die nach dem Geschlecht differenzieren, auf diese Personen angewandt werden oder muss das Strafrecht der (fehlenden) personenstandsrechtlichen Einordnung folgen? Vor der Einführung des § 22 Abs. 3 PStG stellte sich die Problematik im Zusammenhang mit der Strafbarkeit von Transsexuellen.11 Konkret ging es um die Frage, ab welchem Zeitpunkt das Strafrecht die erfolgte Modifikation der äußeren Geschlechtsmerkmale als rechtlich wirksame Änderung der Geschlechtszugehörigkeit anerkennen sollte. Derartige Fälle beschäftigten auch die Praxis. Michael Walter nennt als Beispiel den Fall einer operierten, ursprünglich männlichen transsexuellen Person12, die der Prostitution nachging und im Jahr 1972 – also vor dem Inkrafttreten des Transsexuellengesetzes (TSG) – wegen gewerbsmäßiger Unzucht zwischen Männern (§ 175 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.) angeklagt worden ist. Eine entsprechende Verurteilung erfolgte zwar nicht, aber nicht mit der Begründung, dass die angeklagte Person kein „Mann“ im Sinne des § 175 StGB a.F. war, sondern aufgrund ihrer seelischen Verfassung. Nach Auffassung des Gerichts hätte sich die angeklagte Person in zukünftigen Fällen auf die seelische Verfassung nicht mehr berufen können und es wäre zu einer Verurteilung gekommen.13 Diese Auffassung basierte also auf der Annahme, dass erst die personenstandsrechtliche Änderung und nicht schon die Veränderung der äußeren Geschlechtsmerkmale für das Strafrecht maßgeblich ist. Nach dem Inkrafttreten des TSG wurde dann in der Kommentarliteratur vertreten, dass die Rechtskraft der Entscheidung über den Geschlechtswechsel gem. § 10 Abs. 1 TSG für das Strafrecht maßgeblich sei, auch wenn die äußeren Geschlechtsmerkmale der Person bereits deutlich an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts angenähert worden sind.14 Auch das Kammergericht hat 2002 für den Bereich der Untersuchungshaft auf die rechtskräftige Entscheidung abgestellt. Vorher bestehe kein Anspruch auf die Verlegung in eine Vollzugsanstalt für Personen des erstrebten Geschlechts.15 Das LG Mannheim ließ dagegen in einer Entscheidung aus 1995 offen, ob
11 Angerissen wird diese Frage von OLG Frankfurt a.M., NJW 1966, 407 (408) und Koch, MedR 1986, 173 (175). 12 Hier wird bewusst eine geschlechtsneutrale Formulierung gewählt. 13 Vgl. M. Walter, JZ 1972, 263 (267) unter Hinweis auf Die Welt vom 4. April 1972, Hamburger Ausgabe, S. 21. Ein ähnlicher Fall findet sich bei Nevinny-Stickel/Hammerstein, NJW 1967, 663 (666). 14 Tröndle, StGB, 48. Aufl. (1997), § 177 Rdnr. 1a; LK-StGB/Dippel, 12. Aufl. (2010), § 173 Rdnr. 22; LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl. (2010), vor § 174 Rdnr. 85; LK-StGB/Laufhütte, 10. Aufl. (1988), vor § 174 Rdnr. 19. 15 KG, NStZ 2003, 50 (51). 126
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die Auslegung des Merkmals „Frau“ in § 177 StGB a.F. sich nach dem personenstandsrechtlichen Eintrag richtete.16 Andere lehnen eine personenstandsrechtliche Akzessorietät ab. Walter argumentierte bereits vor dem TSG, aus dem Eintrag der Geschlechtszugehörigkeit folge nicht, „daß das im Geburtenbuch vermerkte Geschlecht auf normativem Wege für alle Gesetze gilt, in denen an die Geschlechtszugehörigkeit Rechtsfolgen geknüpft werden.“ Bei der Frage der materiellen Erstreckung des personenstandsrechtlichen Geschlechts „ist in jedem Einzelfall zu prüfen, welcher Zweck hinter einer gesetzlichen Differenzierung an das Geschlecht steht“.17 Auch Reinhard hat sich im Zusammenhang mit § 177 StGB a.F. dagegen ausgesprochen, auf die Entscheidung nach § 10 TSG für die strafrechtliche Geschlechtszugehörigkeit abzustellen. Die Tauglichkeit, Opfer oder Täter einer Straftat zu sein, werde durch die dort benutzte Formulierung „vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten“ nicht berührt.18 Im Sexualstrafrecht komme es auf die „tatsächlichen biologischen Gegebenheiten [an], die mit Abschluss der genitalverändernden Operation geschaffen worden sind“.19 Für eine Bindung an das Personenstandsrecht spricht der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Bis zur Einführung des § 22 Abs. 3 PStG ließ sich die rechtliche Geschlechtszugehörigkeit durch einen Blick in das Personenstandsregister zweifelsfrei feststellen. Diese Bindung ist aber auch vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) im Strafrecht nicht zwingend. Es ist nach dem Sprachgebrauch nicht ausgeschlossen, eine Person, die äußerlich alle Geschlechtsmerkmale eines Mannes oder einer Frau aufweist, als zu diesem Geschlecht zugehörig zu bezeichnen, auch wenn die personenstandsrechtliche Einordnung davon abweicht, weil die gerichtliche Entscheidung nach §§ 8, 10 TSG noch nicht vorliegt oder weil kein Geschlecht eingetragen ist. Die Auslegung des Geschlechtsbegriffs im Strafrecht muss sich am Schutzzweck der jeweiligen Norm orientieren. Hinzuweisen ist darauf, dass der BGH auch sonst Merkmale eines Straftatbestandes nicht streng nach den familienrechtlichen Vorschriften, sondern nach den tatsächlichen Verhältnissen auslegt.20 Dazu zwei Beispiele: Der Grund der Strafbarkeit von exhibitionistischen Handlungen (§ 183 StGB) etwa liegt nicht in erster Linie darin, dass ein Mann exhibitionistische Handlungen vornimmt, sondern es geht um den Schutz von Belästigungen durch das Vorzeigen männlicher Geschlechtsorgane.21 Eine Person, die zwar nicht als Mann im Personenstandsregister eingetragen ist, jedoch über die äußeren männlichen Geschlechtsorgane verfügt, kann also das Schutzgut des § 183 StGB gleichermaßen wie ein „richtiger“ Mann verletzen und damit unter den Begriff „Mann“ im Sinne von § 183 16 17 18 19 20 21
LG Mannheim, NStZ 1997, 85. M. Walter, JZ 1972, 263 (267 Fn. 33). Reinhard, NStZ 1997, 86 (87). Reinhard, NStZ 1997, 86 (87). Vgl. BGHSt 31, 140 zu § 217 StGB a.F. und § 1591 BGB a.F. Vgl. in einem anderen Zusammenhang ebenso Herzberg, GA 1991, 145 (169 f.).
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StGB subsumiert werden. Beim Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB) kommt es darauf an, dass es zu einer Beischlafshandlung, also dem Eindringen des männlichen Glieds in den Scheidenvorhof, kommt. Weisen die Beteiligten unterschiedliche äußere Geschlechtsmerkmale auf, ist auf den tatsächlichen Ablauf und nicht den Geschlechtseintrag abzustellen.22 Fraglich ist weiterhin, ob der neue § 226a StGB voraussetzt, dass das Opfer als weiblich im Personenstandsregister eingetragen ist. Dagegen spricht, dass es nicht um den Schutz des weiblichen Geschlechts an sich geht, sondern – wie auch in der Tatbestandsüberschrift deutlich wird – um den Schutz vor Eingriffen in die äußeren weiblichen Genitalien. Weist eine Person diese äußeren Geschlechtsmerkmale auf, so dürfte eine Verstümmelung den Tatbestand des § 226a StGB auch dann verletzen, wenn es sich nicht um eine Frau im Sinne des Personenstandsrechts handelt. Hier kann nicht weiter der Bedeutung des § 226a StGB für medizinische Eingriffe bei intersexuellen Personen, bei denen häufig von einem Geschlechtseintrag nach § 22 Abs. 3 PStG abgesehen werden wird, nachgegangen werden. Allerdings dürfte die in der Praxis bedeutsame Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien bei intersexuellen Personen23 unter den Begriff der Verstümmelung fallen. Denn Verstümmelung bezeichnet jeden körperlichen Eingriff, der zum Verlust oder zur Funktionsunfähigkeit eines Körpergliedes oder eines Körperteils führt.24 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen lediglich „[r]ein kosmetische Eingriffe, wie Intimpiercing oder die in jüngerer Zeit auftretende Entscheidung der ›Schönheitsoperationen‘ im Genitalbereich“ nicht unter § 226a StGB fallen.25 Dann stellt sich das weitere Problem, ob bei Minderjährigen die Sorgeberechtigten wirksam in den medizinischen Eingriff einwilligen können. Der Gesetzgeber verneint dies offenbar, indem er davon ausgeht, dass eine Einwilligung stets gegen die guten Sitten (vgl. § 228 StGB) verstoßen würde.26 Träfe dies zu, dürften keine genitalangleichenden Eingriffe bei transsexuellen Frauen, die zu einem Verlust der äußerlichen weiblichen Genitalien führen, mehr vorgenommen werden. Solche Eingriffe sind jedenfalls nicht kosmetisch motiviert und damit nach dem gesetzgeberischen Willen nicht aus der Tathandlung ausgenommen. Der Tatbestand dürfte in diesem Zusammenhang allerdings zu weit geraten sein, denn dem Gesetzgeber ging es ersichtlich nicht darum, geschlechtsangleichende Operationen zu pönalisieren.
22 Anders, aber nicht überzeugend zum „Beischlaf“ im Sinne von § 177 StGB a.F. LG Mannheim, NStZ 1997, 85 (86) mit ablehnender Anmerkung Reinhard, NStZ 1997, 86 ff. 23 Vgl. Kolbe, KJ 2009, 271 (275). Siehe zum verfassungsrechtlich geforderten Schutz solcher Personen Schmidt am Busch, AöR 137 (2012), 441 (447 ff.). 24 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. (2010), § 109 Rdnr. 11. 25 BT-Drucks. 17/13707, S. 6. 26 BT-Drucks. 17/13707, S. 6. 128
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III. Ergebnis Die Möglichkeiten einer Geschlechtsumwandlung und einer fehlenden Zuordnung zu einem Geschlecht stellen die Ansicht, dass es bei Differenzierung nach dem Geschlecht im Strafrecht allein um „Begriffe von naturwüchsigen, auch biologischen, jedenfalls aber nicht sozialen Vorgängen oder Zuständen geht“27 in Frage. Gleichwohl lässt sich überzeugend vertreten, dass der Geschlechtsbegriff im Strafrecht sich nicht streng akzessorisch nach dem Personenstandsrecht richtet. Unabhängig davon ist festzustellen, dass der Gesetzgeber die Folgen der Einführung des § 22 Abs. 3 PStG auf andere Rechtsgebiete nicht ausreichend bedacht hat. Dies zeigt sich auch daran, dass in der parlamentarischen Debatte zu § 226a StGB die Frage der Geschlechtsdifferenzierung nicht weiter erörtert worden ist, obwohl zum Zeitpunkt der Gesetzesberatungen die Einführung des § 22 Abs. 3 PStG bereits beschlossen bzw. sogar im Bundesgesetzblatt verkündet war.
27 So aber Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl. (1991), 8/53. Recht und Politik, Beiheft 2
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Mit dem Strafrecht gegen DDR-Symbole?* Zur Debatte um ein erweitertes strafrechtliches Kennzeichenverbot Von Roman Trips-Hebert1
I. Einleitung Es schien so, als marschierten am 9. Mai 2013, mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung, leibhaftige Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR im Berliner Treptower Park auf. Tatsächlich aber hatten sich auf Initiative des „Traditionsverbands Nationale Volksarmee e. V.“ (nachfolgend: TV-NVA) offenbar ehemalige Angehörige der NVA, des Wachregiments des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie Sympathisanten vor dem dortigen monumentalen Sowjetischen Ehrenmal eingefunden. Uniformiert, mit Säbel und Gewehr versehen hielten sie „zur Ehrung der Opfer des II. Weltkrieges und des Tages der Befreiung vom Faschismus“2 eine militärische Gedenkzeremonie ab, inklusive Formationsmärschen und Kranzniederlegung.3 Während sich die Reaktionen der zufällig anwesenden Augenzeugen offenbar metropolentypisch zwischen Gleichgültigkeit, Schaulust und Amüsement bewegten, fand die partiell wie eine offizielle Zeremonie aus den Tagen des Warschauer Paktes anmutende Aktion in den Medien einen negativen Widerhall.4 Vertreter von Opferverbänden sowie Politiker erhoben die Forderung, das öffentliche Zeigen von Symbolen der DDR ebenso zu verbieten, wie dies bei nationalsozialistischen Kennzeichen der Fall sei.5 Die Parade im Treptower Park war kein Einzelfall: Bereits in den vorhergehenden Jahren hatten ähnliche Zusammenkünfte und Präsentationen der NVA-Veteranen stattge* 1 2 3 4 5
Zuerst in: RuP 2013, 216 – 223. Der Autor ist Referent in der Verwaltung des Deutschen Bundestages. Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder. Vgl. Pressemitteilung des TV-NVA vom 25. 05. 2013. Eine Videoaufzeichnung des Geschehens ist abrufbar auf dem Videokanal des TV-NVA bei Youtube. Hasselmann/Loy/Garrelts, Wenn die Stasi-Garde in Berlin trainiert, Der Tagesspiegel, 11. 05. 2013; Polizei ermittelt gegen DDR-Nostalgiker, Berliner Zeitung, 10. 05. 2013. CDU fordert Verbot von DDR-Symbolen, Die Welt, 21. 05. 2013. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger widersprach dem Ansinnen, vgl. Schütz, Bundesjustizministerin lehnt ein Verbot von DDR-Symbolen ab, Thüringer Allgemeine, 23. 07. 2013.
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Mit dem Strafrecht gegen DDR-Symbole?
funden und entsprechende Reaktionen hervorgerufen.6 Nachfolgend soll deshalb summarisch untersucht werden, ob sich im geltenden Kennzeichenstrafrecht eine Erweiterung der Strafbarkeit auf DDR-Symbole umsetzen ließe.7
II. Der Status quo: DDR-Symbole und das geltende strafrechtliche Kennzeichenverbot § 86a StGB stellt unter Strafe, Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation zu verbreiten oder öffentlich, in einer Versammlung oder in verbreiteten Schriften zu verwenden. Kennzeichen in diesem Sinne sind „namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen“ (§ 86a Absatz 2 StGB). Die durch das Kennzeichen in Bezug genommene „verfassungswidrige Organisation“ muss eine solche im Sinne des § 86 Absatz 1 Nr. 1, 2 oder 4 StGB sein, der seinerseits das Verbreiten von Propagandamitteln solcher Organisationen unter Strafe stellt. Erfasst sind damit vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Parteien (Nr. 1), Vereinigungen, die unanfechtbar verboten sind, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten (Nr. 2) und ehemalige nationalsozialistische Organisationen (Nr. 4). Die Staatssymbole der DDR und ihrer staatlichen Organisationen bzw. Organe fallen nach geltendem Recht damit nicht unter das strafrechtliche Kennzeichenverbot, da weder die DDR als solche noch ihre einzelnen staatlichen Organisationen unter eine dieser drei Fallgruppen des § 86 StGB subsumiert werden können. Einzig umstritten ist, ob die Kennzeichen der FDJ unter § 86a i. V. m. § 86 Absatz 1 Nr. 2 StGB fallen, was aber nur der Besonderheit geschuldet ist, dass in der Bundesrepublik Deutschland eine gleichnamige Schwesterorganisation der FDJ/Ost existierte, die sich des gleichen Symbols wie diese bediente und vom Bundesverwaltungsgericht verboten worden ist.8 Nachvollziehbar wird hierzu in der Literatur die Auffassung vertreten, dass in der heutigen Wahrnehmung das Tragen des FDJ-Symbols wohl eher als Bezugnahme auf das Kennzeichen der FDJ/Ost verstanden wird, weshalb eine Strafbarkeit nach geltendem Recht abzulehnen sei.9
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NVA-Offiziere feiern Armee-Geburtstag in Uniform, Spiegel Online, 07. 03. 2011. Bereits 2003 hatte der CDU-Politiker Nooke die Auffassung vertreten, das Tragen einer FDJ-Bluse sei eine Darstellung von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen, vgl. RP-Online, 25. 09. 2003. Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) erklärte 2010, eine entsprechende Initiative zum Verbot kommunistischer Symbole zu unterstützen. Nicht im Fokus stehen die – im Rahmen einer rechtspolitischen Gesamtabwägung ebenfalls zu berücksichtigenden – öffentlichrechtlichen Felder des bereits bestehenden versammlungsrechtlichen Waffen- und Uniformverbots sowie des Vereinsrechts. BVerwGE 1, 184 ff. Vgl. Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 116. Reuter, a.a.O. S. 182 f.
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Roman Trips-Hebert
III. Handlungsspielraum des Gesetzgebers 1. Sinn und Zweck des Kennzeichenverbots Entsprechend der Verortung des Kennzeichenverbots im Titel „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ werden als seine Schutzgüter überwiegend der demokratische Rechtsstaat und der öffentliche Friede angesehen, verbreitet auch die verfassungsmäßige Ordnung.10 Schutzzweck des § 86a StGB sei die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist.11 Die Vorschrift diene der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck vermieden werde, es gebe eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden.12 Weiterer Schutzzweck sei, die von der Verwendung des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation ausgehende gruppeninterne Wirkung – Gleichgesinnte könnten einander durch die Verwendung erkennen und sich als eine von „den anderen“ abgrenzbare Gruppe definieren – zu unterbinden.13 Ziel ist nach der Rechtsprechung eine Tabuisierung der betroffenen Kennzeichen in Form einer umfassenden Verbannung aus der Öffentlichkeit.14 Rechtsgut von § 86 StGB ist, wie dessen Absatz 2 entnommen wird, die verfassungsmäßige bzw. die freiheitliche demokratische Grundordnung und der Gedanke der Völkerverständigung.15 § 86 StGB ist, indem er nicht allein auf bestimmte Bestrebungen abstellt, sondern diese nur im Rahmen ihrer Zuordnung zu einer bestimmten Organisation erfasst, „mittelbares Organisationsdelikt“.16 Die §§ 86, 86a StGB sind abstrakte Gefährdungsdelikte17, also Tätigkeitsdelikte, deren Strafwürdigkeit auf der generellen Gefährlichkeit der tatbestandsmäßigen Handlung für das betroffene Rechtsgut beruht.18 Die Verwirklichung der Gefahr selbst gehört hier im Unterschied zu den konkreten Gefährdungsdelikten nicht zum gesetzlichen Tat-
10 Ellbogen, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar StGB, Edition 22, Stand 08. 03. 2013, § 86a vor Rdn. 1; Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), StGB, 27. Auflage 2011, § 86a Rdn. 1; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Auflage 2010, § 86a Rdn. 1; Steinmetz, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, § 86a Rdn. 1. 11 BGHSt 25, 30. 12 BGHSt 25, 30. 13 BGHSt 47, 354 unter Verweis auf Hörnle, NStZ 2002, 113, 114. 14 BVerfG NJW 2006, 3050; BGHSt 47, 354. 15 Kühl, a.a.O. § 86 Rdn. 1; Ellbogen, a.a.O. § 86 vor Rdn. 1; Paeffgen, a.a.O. § 86 Rdn. 2. 16 BGHSt 23, 65. 17 Vgl. nur Sternberg-Lieben a.a.O. § 86 Rdn. 1 sowie § 86a Rdn. 1. 18 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Auflage 1996, § 26 II 2. 132
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bestand, der sich stattdessen auf die Festlegung bestimmter Indizien für die abstrakte Gefährlichkeit beschränkt.19 Ob die Aufnahme sämtlicher DDR-Symbole in § 86a StGB bzw. vorgelagert die Nennung der DDR als solcher in § 86 StGB nach der so umrissenen ratio legis gerechtfertigt werden könnte, erscheint zweifelhaft. Zwar liegt die Annahme, dass in einer heutigen Identifizierung mit der DDR und ihren allgemeinen Staatssymbolen eine politische Komplettablehnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck kommt, nicht fern – zumal die DDR in Theorie und Praxis ganz bewusst die „strukturelle Verneinung, also der Gegenbegriff zum Rechtsstaat“20 war und sie in ihren maßgeblichen Axiomen eine Werteordnung verkörperte, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung diametral entgegengesetzt war.21 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch und gerade die Bildung und Äußerung von Überzeugungen, die das gegenwärtige Verfassungssystem ablehnen, unter dem grundgesetzlich verbürgten Schutz der Meinungsfreiheit stehen.22 Allein die – mittelbare – Ablehnung und Negation des gegenwärtigen deutschen Staates vermöchte mithin kaum eine Einordnung in die §§ 86, 86a StGB zu rechtfertigen. Für eine Einordnung in § 86 StGB erforderlich wäre vielmehr aufgrund der oben festgestellten ratio legis eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung, eine Gewaltimmanenz, die wenigstens abstrakt gefährdend eine Bedrohung des Staates mittels Gewalt evoziert und aufgrunddessen den Rechtsfrieden stört bzw. gefährdet. Ob dies bei einer allgemeinen Bezugnahme auf den Staat DDR und dessen allgemeine Staatssymbole – namentlich die Flagge – der Fall ist, dürfte eher fraglich sein. Möglicherweise kommt allerdings in Betracht, die bewaffneten Organe der DDR und ihre Symbole in §§ 86, 86a StGB einzuordnen. Der Begriff der „bewaffneten Organe“ der DDR ist in der einschlägigen Literatur eingeführt und wohl auch hinreichend klar umrissen.23 Zu ihnen wurden neben der NVA auch die DDR-Grenztruppen, die Zivilverteidigung, die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, das Wachregiment des MfS und die Deutsche Volkspolizei bzw. die Kasernierten Einheiten des Ministeriums des 19 Jescheck/Weigend, a.a.O. § 26 II 2. 20 Wassermann, NJW 1997, 2152, 2153. 21 Vgl. Körting RuP 1998, S. 129; Gauck, Unrechtsstaat DDR – Willkür. Gewalt. Macht. 21. Bautzen-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2010, S. 28; Haft, DtZ 1994, 258; Schröder, NJW 1999, 3312; Maiwald, NJW 1993, 1881; Aretz, Die DDR – ein Unrechtsstaat?, in: Kirche und Gesellschaft Nr. 242, 1997. Zum Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vgl. grundlegend BVerfGE 2, 1 (SRP-Urteil). 22 Vgl. nur Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 5 GG Rdn. 71 ff. 23 Vgl. etwa Bericht der Enquete-Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, BT-Drs. 12/7820, S. 40; Lapp, Stichwort „Bewaffnete Kräfte“, in: Eppelmann/Möller/Nooke/Wilms (Hrsg.), Lexikon des DDR-Sozialismus, 2. Auflage 1997; Nawrocki, Bewaffnete Organe in der DDR – Nationale Volksarmee und andere militärische sowie paramilitärische Verbände, 1979; Wikipedia, „Bewaffnete Organe der DDR“. Recht und Politik, Beiheft 2
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Innern (Bereitschaftspolizei) gezählt.24 Die begriffliche Verklammerung entsprach der gesellschaftlichen Wirklichkeit im „militarisierten Sozialismus“ der DDR.25 Die Verklammerung von Armee und sonstigen Schutz- und Sicherheitsorganen kam etwa auf dem X. Parteitag der SED 1981 zum Ausdruck, der einen gemeinsamen Klassenauftrag für die Streitkräfte und die Schutz- und Sicherheitsorgane beschloss.26 Sämtliche bewaffneten Organe waren, wie ihre Bezeichnung schon besagt, dazu in der Lage, Waffengewalt gegen Dritte anzuwenden. Teile der bewaffneten Organe hatten nach der Staatsorganisation der DDR zudem Aufgaben auszuführen, die im Bereich des DDRUnrechts mit der wohl größten Eingriffsintensität verbunden waren, nämlich der Anwendung menschenrechtswidriger körperlicher Gewalt unter Zufügung von Körperverletzungen bis hin zur Tötung von Menschen – namentlich, aber nicht nur bei den Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze.27 Dieses durch staatliche bewaffnete Organe ausgeführte Gewalt-Unrecht fand auch keineswegs nur in verstreuten Einzelfällen statt, sondern wurde vom SED-Herrschaftsapparat wie etwa im Falle des Schießbefehls systematisch durch eine ununterbrochene Befehlskette28 initiiert und – beispielsweise durch Geld- und Sachprämien für „erfolgreiche“ Mauerschützen – gefördert und hat damit insbesondere eine andere Qualität als – sicherlich in keiner Armee absolut auszuschließende – sporadische individuelle Verfehlungen und situative Gewaltexzesse.29 Den bewaffneten Organen kam damit eine Schlüsselrolle bei der Androhung und gegebenenfalls Durchsetzung von menschenrechtswidriger Gewalt gegen einzelne Bürger der DDR zu, die sich nicht in die sozialistische Gesellschaftsordnung nach Auffassung der SED fügten. Auch nach ihrem Selbstverständnis bildete die NVA als sozialistische Armee das wichtigste Klassen- und Machtinstrument des sozialistischen Staates unter Führung der SED.30 Dem entsprechend wurden auch Aufbau und Organisation der bewaffneten Organe ausgestaltet, wie sich namentlich am Beispiel der NVA ablesen lässt. Alle Spitzenfunktionen im Militär waren der personalpolitischen Zuständigkeit der höchsten Parteigremien der SED zugeordnet, womit sich die Partei die Entscheidung über die Besetzung aller relevanten Dienststellungen und Funktionen
24 Lapp, a.a.O. 25 Wenzke, Geschichte der Nationalen Volksarmee 1956 – 1990, 2013, S. 85; Rogg, Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, 2008, S. 9 bei Fn. 46. Der relative Erfassungsgrad der Bevölkerung in der DDR war größer als in jedem anderen Staat des Warschauer Paktes; die DDR wird deshalb als eine der am stärksten militarisierten Gesellschaften der neueren Geschichte beschrieben (Rogg a.a.O. S. 7 ff.). 26 Wenzke, a.a.O. S. 85. 27 Vgl. insofern Marxen/Werle (Hrsg.), Strafjustiz und DDR-Unrecht, Dokumentation, Band 2, Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, 2002. 28 Marxen/Werle, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht, 1999, S. 9. 29 Vgl. etwa Marxen/Werle, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht, 1999, S. 8 ff., 223 ff.; BT-Drs. 12/7820, S. 21 ff., 41. 30 Lapp, a.a.O. 134
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in der NVA sicherte.31 Die militärische Ausbildung und die politisch-ideologische Erziehung wurden in der NVA und den Grenztruppen der DDR stets als ein einheitlicher Prozess verstanden.32 Dem entsprach, dass seit den 1960er Jahren über 95 Prozent der Offiziere der NVA auch SED-Parteimitglieder waren.33 Den wenigen Offizieren, die entweder einer der Blockparteien angehörten34 oder gar parteilos waren, blieb ein Aufstieg in höhere Offiziersgrade von vornherein verwehrt – sie wurden meist in „rückwärtigen“ Bereichen eingesetzt.35 Parallel erfuhr die solcherart zusammengesetzte „Berufsgruppe der Waffenträger“ eine systematische gesellschaftliche Aufwertung.36 Die SED war integrierter Bestandteil aller bewaffneten Organe und unterhielt dort eigene Parteiorganisationen.37 Die Politische Hauptverwaltung (PHV) der NVA etwa war ein Organ des Verteidigungsministeriums, erfüllte aber auch die Funktion und hatte die Rechte einer SED-Bezirksverwaltung.38 Die bewaffneten Kräfte der DDR bildeten mithin den gewaltsamen Arm des SED-Machtapparates gegenüber denjenigen Bürgern, die von ihren Freiheits- und Menschenrechten Gebrauch machen wollten. Mag bei der bloßen affirmativen Bezugnahme auf „die DDR im allgemeinen“ noch die Meinungsfreiheit im Vordergrund stehen und jener eine nicht unmittelbar aggressivgewaltsame Tendenz entnommen werden können, beinhaltet ein Bezug auf gerade die bewaffneten Kräfte der DDR damit aber eine deutlich andere Qualität. Darin, dass gerade die Bewaffnung als maßgebliches verklammerndes Merkmal gewählt wird, wird zum einen ein Zwangs- und Gewaltpotenzial in den Vordergrund gerückt, das sich im Einsatz der Waffen zu realisieren vermag. Zusätzlich wird aufgrund der klaren aktivkämpferischen Einbindung der bewaffneten Organe der DDR in das damalige politische Unrechtssystem der potenzielle Einsatz der Gewaltmittel gerade gegen Gegner der eigenen Gesinnung zitiert – wie er ja auch tatsächlich leidvoll durch zahlreiche Opfer des SED-Regimes erlitten wurde.39 Maßgeblich ist hierbei also, dass in einem Bezug auf die bewaffneten Organe – auch wenn diese nicht als in toto verbrecherische Organisationen einzustufen sein mögen und auch wenn zahlreiche ihrer Angehörigen, zumal etwa der einfachen Ränge der NVA, keine konkrete Unrechtsverstrickung aufweisen 31 BT-Drs. 12/7820, S. 41; Wenzke, a.a.O. S. 105; Lapp, a.a.O. S. 148. 32 Wenzke, a.a.O. S. 107. 33 Heinemann, Die DDR und ihr Militär, 2011, S. 152. Die Offiziere waren sogar die mit Abstand größte Gruppe unter den Parteimitgliedern; zusammen mit den Offiziersschülern stellten sie zeitweise sogar fast die Hälfte der Parteimitglieder (Heinemann a.a.O.). Im Falle des Wachregiments des MfS betrug die Quote 100 Prozent, vgl. Nawrocki, a.a.O. S. 157. 34 Lapp geht sogar davon aus, dass „nicht ein einziger aktiver Offizier der NVA“ einer Blockpartei angehört habe, sondern 99 Prozent SED-Mitglied gewesen seien (a.a.O. S. 148). 35 Heinemann, a.a.O. S. 152. 36 Eisenfeld, Stichwort „Militarisierung der Gesellschaft“, in: Eppelmann/Möller/Nooke/Wilms (Hrsg.), Lexikon des DDR-Sozialismus, 2. Auflage 1997, S. 561. 37 Nawrocki, a.a.O. S. 47. 38 Nawrocki, a.a.O. S. 47; Lapp,a.a.O. S. 148. 39 Vgl. BT-Drs. 12/7820, S. 229 ff. Recht und Politik, Beiheft 2
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werden – deren systemimmanente Unrechtsgerichtetheit inkludiert wird. Ein solcher Bezug fügte sich jedoch hinsichtlich der materiellen Wertigkeit letztlich stimmig in die in § 86 StGB vorgenommene Typisierung abstrakter Gefährlichkeit ein, indem die Negation des bundesrepublikanischen, grundgesetzlichen Systems verknüpft wird mit einer durch das gewählte verklammernde Merkmal der Bewaffnung zum Ausdruck kommenden aggressiv-kämpferischen Vorgehensweise. 2. Systematik Regelungstechnisch schreibt § 86 StGB die abstrakte Gefährlichkeit bestimmten Organisationen allerdings dadurch zu, dass er auf ihrem ausdrücklichen Verbot als verfassungswidrige Organisation durch vorgelagerten Rechtsakt abstellt – was man als „Verbots- und Feststellungsprinzip“ beschreiben kann.40 Insofern verlagert § 86a i.V.m. § 86 StGB die Bewertungskriterien grundsätzlich in den außer- bzw. vorstrafrechtlichen Bereich des öffentlichen Rechts. Fraglich könnte zwar sein, ob dieser Grundsatz durch § 86 Absatz 1 Nr. 4 StGB durchbrochen wird, denn dort wird regelungstechnisch scheinbar abweichend von den Nummern 1 – 3 nicht allgemein von in einer bestimmten Weise verbotenen Organisationen gesprochen, sondern an eine inhaltlich definierte Gruppe von Organisationen – nämlich „ehemalige nationalsozialistische“ – angeknüpft und dabei dem Wortlaut nach kein einfachrechtlicher Verbotsakt vorausgesetzt.41 Die herrschende Meinung verweist hierzu jedoch darauf, dass die ehemaligen nationalsozialistischen Organisationen zu dem Zeitpunkt, wo diese Tatbestandsvariante über den Umweg des Versammlungsrechts42 Eingang in die bundesrepublikanische Strafgesetzgebung gefunden hat43, aufgrund alliierten Rechts44 verboten und faktisch auch aufgelöst waren und der Gesetzgeber hieran angeknüpft habe.45 Folgt man dieser Auffassung, stellt § 86 StGB mithin in allen seinen Varianten wenigstens konkludent auf einen vorgelagerten Verbotsakt ab. Den Verbotsweg zu beschreiten ist aber bei den nicht mehr bestehenden – zudem staatlichen – bewaffneten Organen der DDR 40 Reuter, a.a.O. S. 104. 41 § 86 Absatz 1 Nr. 4 StGB sieht sich auch deshalb zum Teil dem Vorwurf ausgesetzt, verfassungsrechtlich zweifelhaftes Gesinnungsstrafrecht zu verkörpern, vgl. von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 245; Meier, Parteiverbote und demokratische Republik, 1993, S. 261 f.; Lüttger, JZ 1960, 121, 129. 42 Vgl. § 4 des Versammlungsgesetzes in der Fassung vom 24. 07. 1953 (BGBl. I, 684). Das Verbot, „öffentlich oder in einer Versammlung Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen zu verwenden“ gelangte erst auf Betreiben des Bundesrates und als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens in das Versammlungsgesetz (vgl. BT-Drs. 1/4409). Ursprünglich hatte der Bundesrat vorgeschlagen, Kennzeichen der ehemaligen NSDAP zu erfassen sowie „die Farben und Symbole des früheren Deutschen Reiches“, soweit sie zur Bekundung einer politischen Gesinnung verwendet werden (BT-Drs. 1/1102, Anlage 2). 43 Und zwar mit dem Sechsten Strafrechtsänderungsgesetz 1960 als § 96a Absatz 1 Nr. 3 (BGBl. I, 478). Vgl. BT-Drs. 3/1746. 44 Vgl. Reuter, a.a.O. S. 52 f. Anderer Ansicht von Dewitz, a.a.O. S. 22. 45 Vgl. Reuter, a.a.O. S. 106 f.; Paeffgen, a.a.O. § 86 Rdn. 22. 136
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nicht möglich. Die Aufnahme einer eigenen neuen Fallgruppe in § 86 StGB für die ehemaligen bewaffneten Organe der DDR erscheint deshalb, wenn nicht die Systematik des geltenden Rechts insofern geändert werden sollte, kaum gangbar. 3. Neuer Tatbestand Wenn man die vorstehenden Erkenntnisse zusammenfassen will, so erscheint ein Verbot von Kennzeichen der bewaffneten Organe der DDR von der Ratio der Kennzeichenverbote her rechtfertigbar, eine nahtlose Integration in die Systematik des geltenden Strafrechts unter deren Beibehaltung jedoch kaum denkbar. Wollte der Gesetzgeber ein Kennzeichenverbot erlassen, käme daher zum einen in Betracht, lediglich § 86a StGB zu ändern, indem er direkt um eine entsprechende Fallgruppe ergänzt würde. Auch ein solches Vorgehen wäre jedoch fraglich, da § 86a StGB bislang, wie gesehen, hinsichtlich des Kreises betroffener Organisationen an § 86 StGB – wenngleich nicht vollkommen kongruent, da die Nr. 3 nicht mit umfasst ist – anknüpft. Stimmiger wäre es deshalb wohl, die miteinander eng verknüpften §§ 86, 86a StGB unangetastet zu lassen und eine neue Norm explizit für den vorliegenden, den politisch-historischen Umbrüchen geschuldeten Sonderfall aufzunehmen. In Betracht käme dann die Schaffung eines neuen §86b StGB: „Verwenden von Kennzeichen ehemaliger bewaffneter Organe der DDR“. Weiterer Vorteil eines solchen Vorgehens wäre, dass das in einem solchen Tatbestand verkörperte Unrecht mit einer eigenständigen Strafandrohung versehen und, wenn gewünscht, auch insofern von § 86a StGB abgegrenzt werden könnte.
IV. Fazit und Ausblick Die vorstehende kursorische Betrachtung hat ergeben, dass die Möglichkeit der Erweiterung des strafrechtlichen Kennzeichenverbots allgemein auf „Symbole der DDR“ zweifelbehaftet ist. Eine Inkriminierung von Kennzeichen der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR wiederum fügte sich vom Sinn und Zweck her stimmig in das geltende Kennzeichenstrafrecht ein, erweist sich aber als kaum mit der bisherigen Systematik der §§ 86, 86a StGB vereinbar. Vorzugswürdig erschiene deshalb gegebenenfalls die Schaffung eines neuen eigenständigen Tatbestands. Das rechtspolitische Für und Wider einer solchen Maßnahme ist hiervon unabhängig zu beurteilen. In die einschlägige Abwägung ließen sich zahlreiche Faktoren einstellen. So mag man gegen ein entsprechendes Tätigwerden des Gesetzgebers anführen, dass das geltende Versammlungsrecht in § 3 Absatz 1 sowie § 2 Absatz 3 VersG bereits ein Uniform- und Waffenverbot vorsieht, so dass einschlägigen Aufmärschen mit der Anwendung geltenden Rechts begegnet werden und zudem dass das Vereinsrecht zum Verbot eines einschlägig aktiven Vereins genutzt werden könne, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.46 Weiterhin denkbar ist, angesichts des Charakters des 46 Vgl. hierzu Baudewin, NVwZ 2013, 1049. Nicht erfasst wäre nach geltendem Recht freilich die in NVA-Uniform agierende Einzelperson. Recht und Politik, Beiheft 2
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Strafrechts als ultima ratio darauf hinzuweisen, dass es sich bei den in der Öffentlichkeit in Erscheinung tretenden Protagonisten wohl weit überwiegend um persönlich betroffene Veteranen handelt, deren Agieren der traumatische Bruch ihrer Biographie zugrundeliegen mag47, von denen jedoch langfristig kaum eine fundamentale Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Ganz grundlegend mag gegen ein Verbot eingewendet werden, dass eine selbstbewusste Zivilgesellschaft entsprechende Diskurse leisten könne, Aufmärschen mit Zivilcourage entgegentreten könne und sie sich nicht auf eine rechtliche Tabuisierung zurückziehen müsse.48 Für ein Verbot wiederum ließe sich der Gedanke der wehrhaften Demokratie anführen, zumal auch ein Blick in die Satzung des veranstaltenden Vereins Zweifel daran nährt, dass sich dessen Zielsetzung in harmloser Brauchtumspflege und Kameraderie erschöpft: Unter Verklärung der NVA als „der einzigen deutschen Armee, die keinen Krieg geführt“49 habe, werden mit der Satzung ehemalige Angehörige oder Zivilbeschäftigte der NVA, der Grenztruppen und der anderen bewaffneten Organe der DDR sowie „Sympathisanten“ zur Mitarbeit unter anderem mit dem Ziel eingeladen, sich „für die Interessen benachteiligter bzw. geschädigter Angehöriger der NVA, der Grenztruppen und der anderen bewaffneten Organe der DDR, die der Hilfe und Solidarität bedürfen“50 einzusetzen. Kaum verklausuliert bedient der Verein dabei die unhaltbare51 Legende von der „Siegerjustiz“, wenn er sich „gegen Kriminalisierung, Verunglimpfung, Diskriminierung und Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen“ wendet und sich mit allen „zu unrecht Verurteilten und Verfolgten“ solidarisch erklärt.52 Ein weiterer Gesichtspunkt, der sich rechtspolitisch für eine Regelung anführen ließe, wäre der Opferschutz: Es erscheint durchaus nachvollziehbar, wenn in den Westen geflohene Opfer der bewaffneten Kräfte der DDR oder auch Angehörige von Opfern es kaum ertragen können, sich nach dem Untergang der DDR nun erneut mit den einstigen, in aller Öffentlichkeit aufmarschierenden Tätern bzw. deren Abbild konfrontiert sehen. Es mag auch eine Rolle spielen, welche Vorstellung die Gesellschaft vom öffentlichen Raum hat: Wenn öffentliche Räume als „gelebte Räume“ durch die sie nutzenden Menschen interpretiert und angeeignet werden und eine Wechselwirkung von physisch konkretem und gesellschaftlich produziertem Raum besteht53 – welche Wirkung geht dann im Jahr 2013 von durch Heldenstätten der Sowjetarmee paradierende „NVA47 Vgl. Bickford, Fallen elites – the military other in post-unification Germany, 2011, S. 134 ff. 48 Vgl. in diesem Sinne etwa – unabhängig vom vorliegenden Fall – BVerfGE 124, 300; von Dewitz, a.a.O. S. 245 f. 49 Zitat aus einem Aufruf des TV-NVA an „alle Soldaten, Matrosen, Unteroffiziere, Maate, Fähnriche, Offiziere, Admirale, Generale und Zivilbeschäftigten der NVA, der Grenztruppen und der anderen bewaffneten Organe der DDR sowie Freunde und Sympathisanten“, Mitglied zu werden. 50 Vgl. § 2 Absatz 3 und § 5 Absatz 1 der Satzung des TV-NVA. 51 Vgl. nur Marxen/Werle, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht, 1999, S. 252 f. 52 Vgl. § 2 Absatz 3 der Satzung des TV-NVA. 53 Vgl. Hebert, Gebaute Welt – Gelebter Raum, 2012, S. 179 f. 138
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Truppen“ aus? Welche von einem vor dem Brandenburger Tor, nur wenige Meter entfernt von den zwei Gedenkorten „Weiße Kreuze“ für die Mauertoten lächelnd posierenden „DDR-Grenztruppler“, der sich gegen Entgelt von Touristen ablichten lässt? Und wenn im Sinne einer Erinnerungskultur Fragen der Tradierung von Geschichte und die Konstruktion von Vergangenheitsbildern eine zentrale Rolle für die Selbstvergewisserung von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen, von Staaten und Nationen spielen, um in einer Gegenwart Orientierung zu Zwecken künftigen Handelns zu erhalten54 – spräche nicht auch dies gegen die sanktionslose Hinnahme demonstrativer, öffentlich unternommener symbolhafter Erinnerungsfälschungen? Paradoxerweise ließe sich ein solches Verbot als später „Erfolg“ kommunistischer Geheimdienste verbuchen: Maßgeblich ausschlaggebend für die Einführung des bundesrepublikanischen strafrechtlichen Kennzeichenverbots mit dem Sechsten Strafrechtsänderungsgesetz im Jahr 1960 waren als unerträglich empfundene antisemtische Schmierereien Ende 1959/Anfang 1960.55 Diese aber entpuppten sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als Störmanöver des tschechischen Geheimdienstes mit dem Ziel, die Bundesrepublik Deutschland international zu diskreditieren.56
54 Welzer, APuZ 25 – 26/2010, 16 f., 22. 55 von Dewitz, a.a.O. S. 54. 56 Schroeder, JA 2010, 1 f. Recht und Politik, Beiheft 2
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Straferlass nach § 154 StPO für verurteilte RAF-Mörder?* Von Klaus Pflieger In einem SPIEGEL-Gespräch1 habe ich mich dafür ausgesprochen, bei früheren RAFMitgliedern, die bereits eine lebenslange Strafe verbüßt haben, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn sie einen weiteren Mord gestehen. Diesen Vorschlag möchte ich erläutern: Im bislang letzten RAF-Prozess gegen Verena Becker haben frühere RAF-Angehörige als Zeugen die Aussage verweigert und damit eine nähere Aufklärung des BubackAttentats2, insbesondere hinsichtlich des Todesschützen verhindert. Diese Verweigerung entspricht dem Schweigegebot, das innerhalb der RAF seit ihren Anfängen gilt. So hieß es 1973 in einem Brief an RAF-Gefangene: „Keiner spricht mit Bullen. Kein Wort!“ So hieß es auch in einem Zeitungsartikel vom 07. 05. 2010, der „von einigen, die zu unterschiedlichsten Zeiten in der RAF waren“ verfasst wurde: „Wenn von uns niemand Aussagen gemacht hat, dann nicht, weil es darüber eine besondere ›Absprache‘ in der RAF gegeben hätte, sondern weil das für jeden Menschen mit politischem Bewußtsein selbstverständlich ist… Keine Aussagen zu machen, ist keine Erfindung der RAF. Es hat die Erfahrung der Befreiungsbewegungen und Guerillagruppen gegeben, daß es lebenswichtig ist, in der Gefangenschaft nichts zu sagen, um die, die weiterkämpfen, zu schützen. … Genauso ist es für uns in der RAF eine notwendige Bedingung gewesen, daß niemand Aussagen macht. … Aber auch so. Wir machen keine Aussagen, weil wir keine Staatszeugen sind, damals nicht, heute nicht.“
Damit – insbesondere aber mit folgender Passage des Artikels – verweigern ehemalige RAF-Mitglieder die Übernahme von individueller Schuld: „Die Aktionen der RAF sind kollektiv diskutiert und beschlossen worden, wenn wir uns einig waren. Alle, die zu einer bestimmten Zeit der Gruppe angehört und diese Entscheidungen mitgetragen haben, haben natürlich auch die Verantwortung dafür.“
Diese Aussageverweigerung, die von Prozessbeobachtern als nahezu unerträglich beschrieben wurde, mag bedenklich sein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass RAFAngehörige ihren eigenen Vätern vorwarfen, sie würden nicht zu ihrer persönlichen * 1 2
Zuerst in: RuP 2014, 6 – 9. Der Spiegel vom 20. 01. 2014 S. 36 ff. Generalbundesanwalt Buback sowie seine Begleiter Göbel und Wurster wurden am 07. 04. 1977 von einem RAF-Mitglied vom Soziussitz eines Motorrads aus erschossen.
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Duncker & Humblot, Berlin
Straferlass nach § 154 StPO für verurteilte RAF-Mörder?
Verantwortung während der NS-Zeit stehen. Dieses Schweigen ist aber nach der Rechtsprechung des BGH zum Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zulässig und deshalb zu respektieren.3 Die Konsequenz dieser Omertá ist vor allem für Angehörige von RAF-Opfern schwer zu akzeptieren. Deshalb appellierte Silke Maier-Witt im Prozess gegen Verena Becker sinngemäß wie folgt an ihre früheren Kampfgenossen, ihr Schweigen zu brechen: „Wir sind alle alte Leute geworden und stehen kurz vor dem Rentenalter. Da macht es keinen Sinn mehr, das Versteckspiel aufrechterhalten zu wollen. Vielmehr ist es eine moralische Pflicht gegenüber den Opfern, Wissen über Anschläge zu offenbaren. So hat Michael Buback, der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, ein Recht darauf, zu erfahren, wer seinen Vater erschossen hat. Deshalb müssen alle jene reden, die es auf alle Fälle wissen müssten.“
Auch die Allgemeinheit ist an der vollständigen Aufdeckung einer Zeit interessiert, die für die deutsche Nachkriegsgeschichte von nicht unerheblicher Bedeutung war. Dieses spürbare Interesse unserer Gesellschaft an der historischen Wahrheit gewinnt seit geraumer Zeit gegenüber dem Strafverfolgungsbedürfnis mehr und mehr Gewicht. Dabei ist aus strafrechtlicher Sicht Folgendes zu bedenken: Obwohl davon auszugehen ist, dass die RAF unter historischen Aspekten „Geschichte“ ist, gehört sie, da Mord nicht verjährt (§ 78 Abs. 2 StGB), strafrechtlich nicht der Vergangenheit an, solange auch nur eines ihrer Attentate unaufgeklärt ist. Zwar ist es den Strafverfolgungsbehörden gelungen, viele der RAF-Anschläge einschließlich der Tatbeteiligten vollständig aufzudecken, etwa den Mord an Jürgen Ponto, die Entführung Hanns-Martin Schleyers mit der Ermordung seiner Begleiter in Köln oder das Sprengstoffattentat auf General Haig. Unaufgeklärt sind aber viele der Attentate der 3. Generation der RAF, z. B. die Morde an Ernst Zimmermann am 01. 02. 1985, an KarlHeinz Beckurts und Eckhard Groppler am 09. 07. 1986, an Gerold von Braunmühl am 10. 10. 1986 oder an Alfred Herrhausen am 30. 11. 1989. Vor allem steht bis heute auch nicht fest, wer die tödlichen Schüsse beim Buback-Attentat abgegeben und wer HannsMartin Schleyer erschossen hat. Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, wie man die Omertá der RAF überwinden kann, um der geschichtlichen Wahrheit näher zu kommen. Dies ist m. E. möglich, wenn man ehemaligen RAF-Mitgliedern einen Weg eröffnet, der ihnen eine Aussage ermöglicht, ohne sich selbst oder andere Gruppenangehörige einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Silke Maier-Witt hat bei ihrer Vernehmung zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schwierig sei, wenn RAF-Leuten bei einer Aussage eine erneute Haft drohe. Ein „Absehen von Strafverfolgung“ scheint mir ein tauglicher Weg, und zwar aus folgenden Gründen: Je länger eine Straftat zurück liegt, umso mehr erlangt das Interesse an der geschichtlichen Wahrheit gegenüber dem Interesse an der Strafverfolgung Gewicht. Dies belegen
3
Vgl. Beschluss vom 30. 06. 2011 (StB 8 und 9/11).
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vor allem Äußerungen von Angehörigen prominenter RAF-Mordopfer: So hat Michael Buback in einem blog zum Prozess gegen Verena Becker Folgendes formuliert: „Meiner Frau und mir würde es genügen, wenn Verena Becker die Wahrheit über das Karlsruher Attentat und die Täter sagen würde. Es geht uns nicht darum, dass sie und für welche Dauer sie vielleicht noch verurteilt wird. Das spielt für uns keine Rolle mehr.“
Auch bei manchen ehemaligen RAF-Angehörigen besteht heute offensichtlich ein Bedürfnis, mit der Vergangenheit aufzuräumen. So hat Verena Becker 2008 Folgendes notiert: „Nein, ich weiß noch nicht, wie ich für Herrn Buback beten soll. Ich habe kein wirkliches Gefühl für Schuld und Reue. Natürlich würde ich es heute nicht mehr machen – aber ist das nicht armselig, so zu denken u. zu fühlen?! …Was will ich erreichen? S. (u. andere) reinwaschen. Sagen, wie es wirklich war.“
Der Gedanke der Versöhnung und der Versuch, mit sich ins Reine zu kommen, wird insbesondere in einem Interview des früheren RAF-Mitglieds Werner Lotze4 deutlich, in welchem er erklärt, warum es ihm ein Bedürfnis war, über den von ihm begangenen Mord an einem Polizeibeamten in Dortmund Angaben zu machen: „Ich habe mich gefragt, was sage ich, wenn ich nach Dortmund gefragt werde. Und das war mir schon klar, dass ich bei dieser Frage nicht würde lügen können, und nicht die banale Frage, ob ich geschossen habe, sondern warum habe ich das gemacht. Und ich konnte mir nicht vorstellen zu sagen, ja ich war in Dortmund und hab geschossen, fertig aus. Es war nicht einfach damit getan, ja die RAF war Teil des internationalen Befreiungskampfes und in dem Zusammenhang habe ich einen Menschen erschossen, tut mir leid. Auf der Ebene ist das ja nicht stehengeblieben, sondern es ging schon in diesem Prozess der Aufarbeitung darum, einmal das richtige Bild von dem zu bekommen, was die Gruppe gemacht hat und nicht, was die Gruppe in Anspruch genommen, sondern was es tatsächlich ist, was sie gemacht hat und auch eine Erklärung zu finden, wie ich zu einem Mörder werden konnte. Und die Frage, die ich mir vorgestellt hatte, die meine Tochter an mich stellen würde: Hast Du das gemacht und warum hast Du das gemacht?“
Da es Opferangehörigen mehr und mehr darum geht, die historische Wahrheit zu erfahren und damit auch ihren inneren Frieden wiederzufinden, und frühere RAFAngehörigen aus ähnlichen Motiven zu Aussagen bereit sein könnten, falls ihnen keine erneute Strafverfolgung droht, liegt aus meiner Sicht eine Verfahrensweise nach § 154 StPO nahe. Diese Vorschrift lautet einleitend: „Die Staatsanwaltschaft (Anm.: ebenso das Gericht) kann von der Verfolgung einer Tat absehen, … wenn die Strafe …, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe …, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist …, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.“
Bezüglich früherer RAF-Mitglieder ist dabei zu berücksichtigen, dass die meisten von ihnen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurden und diese Strafen vollständig verbüßt sind. Wird – wie bei Verena Becker – bei einem solchen Gruppenmitglied nachträglich die Beteiligung an einer weiteren Straftat bekannt, ist nach der 4
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Interview für den SWR-Dokumentarfilm „Die Witwe und der Mörder – Die vergessenen Opfer der RAF“. Recht und Politik, Beiheft 2
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Rechtsprechung des BGH im Falle einer erneuten Verurteilung ein „Härteausgleich“ zu gewähren, weil mit der im früheren Urteil verhängten Strafe keine Gesamtstrafe gebildet werden kann.5 Bei Verena Becker hatte dies zur Folge, dass sie wegen Beihilfe zum Buback-Attentat zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren mit der Maßgabe verurteilt wurde, dass wegen der früher gegen sie verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe 2 ½ Jahre als verbüßt gelten, was bedeuten kann, dass die Vollstreckung der restlichen 18 Monate zur Bewährung ausgesetzt wird. Angesicht dieser Konstellation bin ich der Ansicht, dass bei einem früheren RAFMitglied, das bereits eine lebenslange Freiheitsstrafe vollständig verbüßt hat, gemäß § 154 StPO auf eine erneute Strafverfolgung verzichtet werden kann, wenn dieses Gruppenmitglied glaubhaft seine Beteiligung an einem weiteren versuchten oder gar vollendeten Mord einräumt.6 Meine Sorge ist, dass wir sonst die historische Wahrheit nie erfahren werden und damit auch die RAF-Zeit nicht sachgerecht aufarbeiten können.
5 6
BGH, Beschluss vom 08. 12. 2009 – 5 StR 433/09. § 154 StPO wurde – trotz fehlender Geständnisse – z. B. bereits bei Günter Sonnenberg in Bezug auf das Buback-Attentat oder bei Angelika Speitel in Bezug auf die Schleyer-Entführung angewendet.
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AUTOREN DIESES HEFTES Armenat, Christin ist Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung der Universität zu Köln sowie Werkstudentin in der Sozietät Pauka, von Dreden & Link. Bachmann, Mario, Dr. jur., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Köln. Publikationen: Bundesverfassungsgericht und Strafvollzug, Berlin 2014. Bauer, Thea Christine, Dr. jur., LL.B., MJur candidate (Univ. of Oxford). Publikationen: Die Neuregelung der Strafbarkeit des Jahresabschlussprüfers. Ein Vorschlag de lege ferenda zur Erfassung der strafwürdigen und strafbedürftigen Konstellationen von beruflichem Fehlverhalten des Jahresabschlussprüfers. Tübingen 2017. Bleckat, Alexander, Dipl.-Jur., Rechtsreferendar; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hannover. Högl, Eva, Dr. jur., ist Mitglied des Deutschen Bundestages, stellvertretende Vorsitzende der SPDBundestagsfraktion, Ministerialrätin a.D. Jungbluth, David, Dr. jur., Rechtsanwalt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht, Religionsverfassungsrecht und Kirchenrecht (Prof. Dr. Michael Droege) an der Eberhard Karls Universität Tübingen und unter anderem ehemaliger Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Klein, Maximilian L., 2010 Studium der Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School, Hamburg. 2014 Bachelor of Laws, Hamburg. 2016 Erstes Staatsexamen, Hamburg. Seit 2016 Doktorand bei Prof. Dr. Thomas Rönnau an der Bucerius Law School, Hamburg. Kretzschmann, Sebastian, LL.M., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Ladiges, Manuel, Dr. jur., LL.M., Publikationen: Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum, Berlin, 2. Aufl. 2013. Lüthge, Benedikt J., Dr. jur., LL.B., LL.M. (New York): 2006 Studium der Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School, Hamburg. 2010 Bachelor of Laws, Hamburg. 2011 Erstes Staatsexamen, Hamburg. 2012 – 2016 Doktorand bei Prof. Dr. Thomas Rönnau an der Bucerius Law School, Hamburg. 2013 Master of Laws an der Cardozo School of Law, New York. 2017 Zweites Staatsexamen und Promotion zum Dr. jur., beides Hamburg. Seit 2017 Rechtsanwalt in Hamburg. Neumann, Birgit, Juristin, AG Recht und Verbraucherschutz der SPD-Bundestagsfraktion. Pflieger, Klaus, Generalstaatsanwalt a. D., Baden-Baden. Publikationen: Die Rote Armee Fraktion – RAF – 14. 5. 1970 bis 20.4. 1998; Gegen den Terror – Erinnerungen eines Staatsanwaltes, Stuttgart 2016. Trips-Hebert, Roman, Dr. jur., Regierungsdirektor. Wagner-Kern, Michael, Dr. jur., M.A., Jurist und Kriminologe, Professor für Öffentliches Dienstrecht, Strafrecht, Strafprozessrecht und Eingriffsrecht an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (University of Applied Sciences), Fachbereich Polizei, Wiesbaden, und Lehrender im Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ (Deutsche Hochschule der Polizei, Münster).
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