Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2018/2019 9783504386474

Das Steuerberater-Jahrbuch bietet der Beratungspraxis Jahr für Jahr eine detaillierte Auseinandersetzung mit ausgewählte

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German Pages 740 [726] Year 2019

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Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2018/2019
 9783504386474

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Steuerberater-Jahrbuch 2018/2019

Steuerberater-Jahrbuch 2018/2019 zugleich Bericht über den 70. Fachkongress der Steuerberater Köln, 30. und 31. Oktober 2018

Herausgegeben im Auftrag des Fachinstituts der Steuerberater von

Prof. Dr. Thomas Rödder

Prof. Dr. Rainer Hüttemann

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Universitätsprofessor

Zitierempfehlung: Verfasser, StbJb. 2018/2019, Seite …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0081-5519 ISBN 978-3-504-62665-5 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Der 70. Fachkongress der Steuerberater, den das Fachinstitut am 30. und 31. Oktober 2018 im Gürzenich zu Köln veranstaltete, wurde mit einem Einführungsvortrag über den „Steuerstandort Deutschland“ eröffnet. Sodann widmete sich der Kongress – wie in den letzten Jahren – am Vormittag des ersten Tages unter dem Leitthema Unternehmenssteuerrecht 1 den „Rechtsprechungs-Highlights“ bei der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Der nachfolgende Beitrag über „Aktuelle steuerpolitische Vorhaben“ gab einen Überblick über bereits umgesetzte und noch geplante Schwerpunkte in der Steuergesetzgebung der 19. Legislaturperiode. Eines der umstrittensten Vorhaben beleuchtete das Referat über die „Anzeigepflicht für Steuergestaltungen“. Das Leitthema Unternehmenssteuerrecht 2 hatte „Aktuelle gesellschafterbezogene Steuerprobleme in Familienunternehmen“ zum Gegenstand. Dabei wurden die Aspekte „Ausscheiden gegen Abfindung, Anteilsveräußerung im Gesellschafterkreis und Wegzug“ einerseits sowie „Schenkung und Vererbung“ andererseits erörtert. Ein Schwerpunkt des Leitthemas Unternehmenssteuerrecht 3 waren dieses Jahr „Steuerfragen des Brexit“. Im Fokus des zweiten Referats stand das Thema „Beihilferecht und Steuern“. Im Rahmen des Leitthemas Bilanzsteuerrecht widmete sich der Fachkongress „Grunsatzfragen des Verständnisses des Maßgeblichkeitsgrundsatzes nach BilMoG“. Der nachfolgende zweite Beitrag setzte sich mit „Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums“ auseinander. Wie jedes Jahr wurde der bilanzrechtliche Vormittag mit einem Überblick über „aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts“ abgeschlossen. Das Leitthema Internationales Steuerrecht wurde in diesem Jahr wieder mit einem Beitrag zu den „Rechtsprechungs-Highlights“ eröffnet. Die beiden nachfolgende Vorträge erörterten das Thema „Umsetzung der ATAD“ mit den Schwerpunkten „Hinzurechnungsbesteuerung“ und „hybride Strukturen“. Am Anfang des Leitthemas Umsatzsteuerrecht stand ein Überblick über „Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht“. Der zweite Vortrag betrachtete das Thema „Jahressteuergesetz 2018 und aktuelle Entwicklungen“ aus umsatzsteuerlicher Sicht. Der dritte Vortrag behandelte das zunehmend praxisrelevante Thema „Digitale Geschäftsmodelle“. V

Vorwort

Im Rahmen des Leitthemas Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken wurden „Neue Rahmenbedingungen für Immobilieninvestments im Internationalen Steuerrecht“ dargestellt. Der abschließende Beitrag behandelte „Steuerliche Verzinsungsregelungen im strukturellen Niedrigzinsumfeld“. Köln, im Juli 2019 Thomas Rödder

VI

Rainer Hüttemann

Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Prof. Dr. Johanna Hey Universität zu Köln Steuerstandort Deutschland: Wo besteht Handlungsbedarf? . . . . . . .

1

I. Inhalte und Aufgaben steuerlicher Standortpolitik . . . . . . . . . . .

2

II. Internationale Entwicklung seit der Unternehmensteuerreform 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

III. Wo besteht Handlungsbedarf: Konkrete Maßnahmen . . . . . . . .

15

IV. Zeitpunkt der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

1. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 1 Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

I. Mitunternehmerstellung des Personengesellschafters . . . . . . . .

38

II. Teilanteilsveräußerung durch Prinzipal einer atypisch stillen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

III. Veräußerung an Schwestergesellschaft und § 6b EStG . . . . . . . .

49

IV. Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlage bei Einbringung nach § 20 UmwStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

V. Verrechenbarer Verlust iSd. § 15a EStG bei Teilanteilsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

VI. Keine Abfärbung von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

VII. Verluste aus Etablierungskosten eines Fonds . . . . . . . . . . . . . . . .

62

* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

VII

Inhalt

Dr. Peter Brandis Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

I. Bilanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

II. Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

III. Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

IV. Umstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Ministerialdirigent Dr. Steffen Neumann Finanzministerium NRW, Düsseldorf Aktuelle steuerpolitische Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren bzw. Gesetzesvorhaben des Jahres 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. Künftige Gesetzesvorhaben ab 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 IV. Länderinitiativen und Initiativen von dritter Seite . . . . . . . . . . 140 V. Koalitionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 VI. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 VII. Europäische Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 VIII. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht , Düsseldorf Ministerialrat Dr. Thomas Eisgruber Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München Anzeigepflicht für Steuergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Bestrebungen zur Einführung nationaler Anzeigepflichten . . . 172

VIII

Inhalt

IV. Anforderungen an die Umsetzung grenzüberschreitender und nationaler Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

2. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 2 Dr. Stefanie Beinert, LL.M. Rechtsanwältin/Steuerberaterin, Frankfurt Regierungsdirektorin Alexandra Pung Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Koblenz Aktuelle gesellschafterbezogene Steuerprobleme in Familienunternehmen I (Ausscheiden gegen Abfindung, Anteilsveräußerung im Gesellschafterkreis und Wegzug) . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Übertragungen im Zusammenhang mit Personengesellschaften (Beinert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Unternehmensnachfolge und Umstrukturierungen (Beinert) . 192 III. Ausscheiden gegen Abfindung bei Kapitalgesellschaften (Beinert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 IV. Wegzug (Pung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Rechtsanwalt/Steuerberater Dr. Achim Dannecker Stuttgart Aktuelle gesellschafterbezogene Steuerprobleme in Familienunternehmen II (Schenkung und Vererbung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 II. Beispielsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 III. Möglichkeit einer horizontalen Verbundvermögensaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Entstehung junger Finanzmittel bei Leistungen im Konzern . . 228 V. Kaskadeneffekt durch „Über“berücksichtigung von Gesellschafterkonten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 VI. Beteiligungen an Investmentfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

IX

Inhalt

Oberregierungsrat Wilfried Mannek Ministerium der Finanzen NRW, Düsseldorf Aktuelle gesellschafterbezogene Steuerprobleme in Familienunternehmen II (Schenkung und Vererbung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Inhalt und Stand der ErbStR 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Problematik und Lösungsansätze des 90 %-Tests . . . . . . . . . . . . 257 III. Geänderte Aufteilung des Verwaltungsvermögens . . . . . . . . . . . . 268 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

3. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 3 Rechtsanwalt/Steuerberater Dr. Norbert Schneider Düsseldorf Ministerialdirektor Dr. Rolf Möhlenbrock Bundesfinanzministerium, Berlin Auswirkungen des Brexit auf die Besteuerung in Deutschland . . . . 275 I. Einleitung und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 II. Allgemeine Auswirkungen des Brexit auf geltendes steuerrelevantes Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 III. Konkrete Auswirkungen des Brexit auf die Besteuerung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 IV. Zivil- und steuerrechtliche Folgen für Gesellschaften britischer Rechtsform in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 V. Exkurs: Auswirkungen auf Zoll und Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . 306 VI. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Prof. Dr. Axel Cordewener, LL.M. Rechtsanwalt, Bonn EU-Beihilferecht und Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Einleitung: rasante Bedeutungszunahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Überblick über den EU-rechtlichen Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 III. Überblick über den nationalen Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . 332 IV. Aktuelle Problemzonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 X

Inhalt

4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht Prof. Dr. Heribert Anzinger Ulm Regierungsdirektorin Evelyn Hörhammer Bundesfinanzministerium, Berlin Grundsatzfragen des Verständnisses des Maßgeblichkeitsgrundsatzes nach BilMoG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 I. Allgemeine Entwicklung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 II. Folgen für die Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 III. Folgen bei der Bestimmung von Herstellungskosten . . . . . . . . 401 IV. Rückstellungsbewertung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG . . . . . . . 404 V. Anwendbarkeit der Lifo-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 VI. Mögliche Auswirkungen der Änderungen des § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB auf die ertragsteuerliche Organschaft . . . . . . . . . . . 409 VII. „Ausweismaßgeblichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 VIII. Zukunft der Maßgeblichkeit nach der GKB . . . . . . . . . . . . . . . . 416 Regierungsdirektor Thomas Stimpel Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Steuerberater Prof. Dr. Andreas Schumacher Bonn Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 II. Wirtschaftliches Eigentum an Anteilen an Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 III. Wirtschaftliches Eigentum an Mitunternehmeranteilen . . . . . 423 IV. Wirtschaftliches Eigentum bei Ketteneinbringungen . . . . . . . . 425 V. Wirtschaftliches (Mit-)Eigentum bei Teilbetrieben . . . . . . . . . . 429 VI. Wirtschaftliches Eigentum bei Sicherungstreuhand . . . . . . . . . 433

XI

Inhalt

Prof. Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 I. Zum Einstieg: Steuerbilanzrecht „im Streit“ . . . . . . . . . . . . . . . . 438 II. Neues zu Rückstellungen: Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit, BFH v. 27.9.2017 – I R 53/15 (Fall 1) . . . . . . . . . . . 439 III. Steuerbilanzielle Behandlung von Bitcoins/Kryptowährungen (Fall 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 IV. Gewinnübertragung nach § 6b EStG bei Veräußerung an Schwesterpersonengesellschaft: BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14 (Fall 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 V. Anzahlungen und Realisationsprinzip: BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16 (Fall 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 VI. Fremdwährungsdarlehen und Teilwertzuschreibung: Divergierende FG-Rechtsprechung (Fall 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 VII. Zum Schluss: Plädoyer für mehr Systemorientierung im Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468

5. Leitthema: Internationales Steuerrecht Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH, München Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 I. Steuerfreier Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften – keine Betriebsausgabenfiktion gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG ohne Betriebsstätte . . . 474 II. Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 III. Gewerblich geprägte Personengesellschaft – ausländische Mitunternehmer und inländische Betriebsstätte – Zurechnung von Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 IV. Berücksichtigung finaler Verluste – Neues vom EuGH . . . . . . . 507

XII

Inhalt

Prof. Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Hamburg Leitender Ministerialrat Dr. Ingo van Lishaut Finanzministerium NRW, Düsseldorf Umsetzung der ATAD – Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . 509 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 III. Beteiligungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 IV. Niedrigbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 V. Von der Hinzurechnungsbesteuerung erfasste Einkünfte . . . . . 527 VI. Ausnahmen – Substanztest für EU/EWR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 VII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 Regierungsdirektor Thomas Rupp Finanzministerium Baden-Württemberg, Stuttgart Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 II. Verfahrensstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 III. Kritischer Überblick über die Hybrid-Regelungen der ATAD 2

547

IV. Analyse ausgewählter Abwehrregeln und Ausnahmen . . . . . . 557 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576

XIII

Inhalt

6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht Prof. Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . 581 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 II. Wirkungen der Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 III. Vorsteueraufteilung nach Nutzungsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . 588 IV. Die EuGH-Entscheidung Gmina Ryjewo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 V. EuGH-Nachfolge: Änderung der Rechtsprechung zu den Rechnungsanforderungen in § 14 Abs. 4 UStG . . . . . . . . . . . . . . . 604 Dr. Helga Marhofer-Ferlan Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München Jahressteuergesetz 2018 und aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . 609 I. Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 610 II. Weitere aktuelle Entwicklungen: EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Rechtsanwalt/Steuerberater Dr. Mathias Hildebrandt Berlin Roger Gothmann Hamburg Umsatzsteuer und Online-Handel. Bestimmungslandprinzip versus Online-Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 II. Aktuelle umsatzsteuerliche Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 III. Umsatzsteuer-Reformen ab 2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 IV. Fallbeispiel – Umsatzsteuer-Compliance eines Online-Händlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646

XIV

Inhalt

7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken Dr. Thomas Wagner Steuerberater, Düsseldorf Oberregierungsrätin Dr. Eva Oertel Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München Neue Rahmenbedingungen für Immobilieninvestments im internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 II. Ergänzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG – Verstrickung von Passiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 III. Ergänzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG – erweiterte Steuerpflicht bei Anteilsveräußerungen . . . . . . . . . . . 673 IV. Das BMF-Schreiben zur sog. „passiven Entstrickung“ v. 26.10.2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 Dr. Georg Roderburg Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf Steuerliche Verzinsungsregelungen im strukturellen Niedrigzinsumfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 II. Zinsen im Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 III. Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis . 709 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717

XV

Steuerstandort Deutschland: Wo besteht Handlungsbedarf? Prof. Dr. Johanna Hey Universität zu Köln I. Inhalte und Aufgaben steuerlicher Standortpolitik 1. Standortpolitik als Daueraufgabe 2. Allgemeiner Reformbedarf versus Standortpolitik 3. Exogene Auslöser und relationaler Charakter steuerlicher Standortpolitik II. Internationale Entwicklung seit der Unternehmensteuerreform 2008 1. Steuerwettbewerb: Anreize und Abwehrmaßnahmen 2. Fortgesetzter europäischer Steuerwettbewerb 3. OECD-/EU-Anti-BEPS-Gesetzgebung 4. U.S.-Steuerreform 5. Zwischenfazit: Auswirkungen auf Wirtschaftsdaten? III. Wo besteht Handlungsbedarf: Konkrete Maßnahmen 1. Steuerstandortpolitik als Teilbereich allgemeiner Wirtschaftspolitik

2. Ankündigungen im Koalitionsvertrag 3. Allgemeine Steuersenkung a) Entlastung von Kapitalgesellschaften = Absenkung des Körperschaftsteuersatzes? b) Das Strukturproblem des deutschen Unternehmensteuerrechts 4. Investitionsanreize a) Braucht Deutschland eine Patentbox? b) Verbesserung der Abschreibungsbedingungen? c) Steuerrechtliche Maßnahmen zur Beseitigung des Fachkräftemangels? 5. Zurücknahme von Abwehrmaßnahmen a) AStG-Reform b) Weitere Abwehrmaßnahmen, zB gewerbesteuerliche Hinzurechnungen IV. Zeitpunkt der Reform V. Fazit

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I. Inhalte und Aufgaben steuerlicher Standortpolitik 1. Standortpolitik als Daueraufgabe Bereits seit Mitte der letzten Legislaturperiode (2013–2017) zeichnet sich ab, dass Deutschland im steuerlichen Standortwettbewerb zurückfällt und dass Handlungsbedarf besteht.1 Steuerliche Standortpolitik ist eine sich permanent neu stellende Aufgabe, die man nicht ein für alle Male erledigen kann. Das wird schon dann deutlich, wenn man sich Meilensteine steuerlicher Standortpolitik in Erinnerung ruft: Im Standortsicherungsgesetz v. 13.3.19932 wurde der Körperschaftsteuersatz von zuvor 50 % auf 45 % gesenkt; es war zugleich die Geburtsstunde von § 8b KStG, damals noch beschränkt auf die Weiterausschüttung von Auslandsdividenden. Im Steuersenkungsgesetz v. 23.10.20003 fiel das Körperschaftsteueranrechnungsverfahren und der Körperschaftsteuersatz auf 25 %,4 im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.20075 schließlich auf 15 %. Alle sieben Jahre sah sich der deutsche Steuergesetzgeber genötigt, dem internationalen Steuerwettbewerb hinterherzulaufen. Die Schritte der Unternehmensteuerreformen 2000 und 2008 waren – für deutsche Verhältnisse – gewaltig, aber sie haben sich möglicherweise verbraucht. Die letzte standortpolitische Steuerreform liegt über zehn Jahre zurück. Warum verweigert sich der Gesetzgeber? Es fehlt ihm weder an Mehrheiten, noch an Geld.6 Besteht möglicherweise gar kein Handlungs1 S. zur 18. Legislaturperiode Spengel/Bräutigam, Steuerpolitik in Deutschland – eine Halbzeitbilanz der aktuellen Legislaturperiode im Kontext europäischer Entwicklungen, Ubg. 2015, 569 ff. 2 Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz – StandOG) v. 13.3.1993, BGBl. I 1993, 774. 3 Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG) v. 23.10.2000, BGBl. I 2000, 1433. 4 Von zuvor 40 %, die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402 erreicht worden waren. 5 BGBl. I 2007, 1912. 6 Dass die aktuelle Herbst-Steuerschätzung nach Jahren erstmals keine überproportional wachsenden Steuereinnahmen ausweist (s. das Ergebnis der 154. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“, https://www.bundesfinanzminis terium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen_ und_Steuereinnahmen/Steuerschaetzung/2018-10-26-ergebnisse-154-sitzung-

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bedarf? Oder liegt es an der komplexen Struktur unseres zweigleisigen Unternehmensteuersystems mit dem Nebeneinander von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer, die einfache Antworten verhindert? Vor der Frage, wo Handlungsbedarf besteht, muss man die Frage stellen, ob Handlungsbedarf besteht. Was gewinnt Deutschland bei einem nächsten Schritt im internationalen Steuerwettbewerb? Was verlieren wir, wenn wir ihn nicht tun? Beides lässt sich natürlich nicht trennen.

2. Allgemeiner Reformbedarf versus Standortpolitik Die Frage nach standortpolitischem Handlungsbedarf ist nicht deckungsgleich mit den allfälligen Reformforderungen, die zum Teil seit Jahren oder gar Jahrzehnten erhoben werden. Zwar dient grundsätzlich jede Maßnahme, die die Steuerbelastung senkt, steuerliche Investitionshemmnisse beseitigt oder das Steuerrecht vereinfacht, dem Standort.7 Aber handelt es sich dabei auch um Maßnahmen steuerlicher Standortpolitik? Um zu bestimmen, wo Handlungsbedarf besteht und wie Gesetzesänderungen auszugestalten sind, damit sie größtmöglichen Effekt im internationalen Standortwettbewerb erzeugen, muss man sich vergegenwärtigen, wie Standortentscheidungen unter steuerlichen Gesichtspunkten getroffen werden.8 Dass das Steuerrecht nur einer unter vielen Standortfaktoren und im Zweifel nicht der Wichtigste9 ist, versteht sich von selbst. Ansiedlungsentscheidungen10 werden idR nicht allein wegen besonders günstiger steuerlicher Rahmenbedingungen getroffen. Trotzdem

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steuerschaetzung-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2), lässt den Aufwuchs der letzten Jahre nicht entfallen. Materielle Steuergerechtigkeit, Einfachheit, Transparenz, Planungssicherheit und ökonomische Effizienz als Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit eines Steuersystems, vgl. J. Lang in FS Schaumburg, 2009, 45 (54). Hierzu Nussbaum, DStJG 39 (2016), 263 ff.; Büttner/Ruf, Tax incentives and the location of FDI: Evidence from a panel of German multinationals, Deutsche Bundesbank, Discussion Paper, No. 17/2005, 17 (https://www.econstor.eu/bit stream/10419/19525/1/200517dkp.pdf); Heckemeyer/Overesch, Die Betriebswirtschaft 2012, 451. Skeptisch zum Einfluss veränderter steuerlicher Rahmenbedingungen auf das Investitionsverhalten Reinhard/Li, The European Journal of Finance, 2011, 717 ff. Dies sieht anders aus, wenn es um „künstliche Gestaltungen“ zur Steuervermeidung geht, da die Verlagerung von Buchgewinnen ja gerade dadurch ge-

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existieren mittlerweile eine Reihe steuerlicher Länderrankings.11 Schneidet ein Staat hier im Vergleich zu anderen ebenfalls in Betracht kommenden Standorten besonders gut oder besonders schlecht ab, mag dies den Ausschlag geben. Am plakativsten und einfachsten ist es, nominelle Steuersätze gegenüberzustellen. Aussagekräftiger ist ein Vergleich effektiver Steuerlasten, in die bestimmte standardisierte Annahmen über Bemessungsgrundlagen einfließen.12 Weitgehend wertlos sind dagegen gesamtwirtschaftliche Belastungsvergleiche.13 Aber auch steuerliche Verwaltungslasten werden mittlerweile weltweit verglichen.14 In allen Länderrankings kommt dem Steuertarif eine große Bedeutung zu, das erklärt die Fokussierung auf Tarifmaßnahmen. Zugleich ist Sichtbarkeit eine zentrale Forderung wirksamer Standortpolitik. Tarifmaßnahmen von ein oder zwei Prozentpunkten bleiben unter der Wahrnehmungsschwelle, insbes. wenn ein Standort gegenüber zentralen Wettbewerbern bereits erheblich zurückgefallen ist. Jenseits von tariflichen Signalen stellt sich die Frage der Standortwirksamkeit allgemeiner Verbesserungen des Steuersystems, etwa Rücknahme von Verlustverrechnungsbeschränkungen und Betriebsausgabenabzugsverboten, Entschärfung von Abwehrmaßnahmen, marktgerechte Verzinsung von Steuerschulden oder Komplexitätsreduktion. Hier dürfte zu differenzieren sein: Geht es darum, Abwanderung zu verhindern, sind derartige Maßnahmen von zentraler Bedeutung. Dagegen werden sie im Zweifel keine zusätzlichen Direktinvestitionen aus dem Ausland anziehen. Attraktionswirkung entfalten dagegen Steuervergünstigungen, und zwar umso mehr, je spezifischer sie mobile Bemessungsgrundlagen begünstigen. Freilich ist hier der Grat zwischen international geächtetem

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kennzeichnet ist, dass sie ausschließlich bzw. überwiegend aus steuerlichen Gründen erfolgt. Besonders prominent die jährliche Studie von PwC und der Weltbank „Paying Taxes“ (www.pwc.com/payingtaxes). S. insbes. den vom ZEW entwickelten „European Tax Analyzer“ (http://ftp. zew.de/pub/zew-docs/div/taxanalyser.pdf); zu dessen Anwendung z.B. Eckerle, Steuerliche Standortunterschiede: Beurteilung der Steuerbelastung deutscher Unternehmen im internationalen Vergleich vor dem Hintergrund aktueller Steuerreformvorschläge, in Schriftenreihe des ZEW Band 49 (2000), 89 ff. Desens in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KSt. Anm. 130 (Aug. 2014) aE; auf einem solchen gesamtwirtschaftlichen Vergleich beruht die Aussage von Jarass/Tokman/Wright, IStR 2018, 143 (152 f.), die U.S.-Steuerreform sei aus deutscher Sicht wettbewerbspolitisch irrelevant. PwC/Weltbank, Paying Taxes (www.pwc.com/payingtaxes).

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und möglicherweise sogar beihilferechtswidrigem schädlichem Steuerwettbewerb und toleriertem allgemeinem Steuerwettbewerb schmal.15

3. Exogene Auslöser und relationaler Charakter steuerlicher Standortpolitik Um zu ermitteln, ob standortpolitischer Handlungsbedarf besteht, hilft es nicht, in die Verfassung zu schauen; auch mögliche Verteilungswirkungen des Steuersystems sind zunächst irrelevant. Vielmehr bedarf es einer Analyse und Einordnung in das internationale Umfeld. Standortpolitischer Reformbedarf entsteht exogen, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Das Ausmaß notwendiger Veränderung lässt sich nur in Relation zu den Bedingungen in anderen Staaten bestimmen. Dabei verhalten sich große Wirtschaftsstandorte typischerweise reaktiv, sind nicht Vorreiter attraktiver steuerlicher Wettbewerbsbedingungen, sondern hinken der internationalen Entwicklung eher hinterher.

II. Internationale Entwicklung seit der Unternehmensteuerreform 2008 1. Steuerwettbewerb: Anreize und Abwehrmaßnahmen Die internationale Entwicklung ist geprägt vom Steuerwettbewerb einerseits und dem Versuch, diesen einzudämmen, andererseits. Drei Entwicklungen kommen dabei besondere Bedeutung zu: (1) dem fortgesetzten europäischen Steuerwettbewerb, (2) den OECD-/EU-BEPS-Aktivitäten gegen schädlichen Steuerwettbewerb und „aggressive Steuergestaltungen“ sowie (3) der US-Steuerreform 2017.

2. Fortgesetzter europäischer Steuerwettbewerb Der europäische Wettbewerb um besonders niedrige allgemeine Körperschaftsteuersätze hat sich zwar im Vergleich zu den 1990er Jahren abgeflacht, ist aber keineswegs zum Erliegen gekommen.16 Auch nach 2008 ist der Körperschaftsteuersatz im EU-Durchschnitt weiter gesunken auf 15 S. Abschnitt II.1. 16 S. die Ländervergleiche der OECD (https://stats.oecd.org/index.aspx?Data SetCode=TABLE_II1); Schreiber/v. Hagen/Pönnighaus, Nach der US-Steuerreform 2018: Unternehmensbesteuerung in Deutschland im Steuerwettbewerb,

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nunmehr 20,8 % (im Jahr 2018),17 während in Deutschland im selben Zeitraum die nominelle Belastung von Kapitalgesellschaften in Folge von Erhöhungen der Gewerbesteuerhebesätze18 auf rund 31,7 % leicht angestiegen ist.19 Aktuell scheint sich der allgemeine Steuersatzwettbewerb wieder zu verschärfen; verschiedene Staaten haben weitere, zum Teil drastische Steuersatzsenkungen angekündigt. Das traditionelle Hochsteuerland Frankreich senkt seinen Körperschaftsteuersatz bis 2022 auf 25 %. Noch beeindruckender sind die Pläne Großbritanniens, den Körperschaftsteuersatz auf 17 % zu senken, und die „Steuervorlage 17“20 der Schweiz, die bis zu 150 % Sofortabschreibung erlaubt und von massiven Steuersatzsenkungen der Kantone flankiert werden soll. Damit finden sich (zukünftige) Drittstaaten mit hochattraktiven steuerlichen Rahmenbedingungen unmittelbar vor der Haustür. Daneben getreten ist mit den europäischen Patentboxen ein Wettbewerb um besonders mobile und lukrative Steuerquellen. Gab es im Jahr 2000 nur in zwei EU-Mitgliedstaaten Patentboxen, bieten 2018 vierzehn EUMitgliedstaaten sowie die Schweiz derartige Sonderregime an.21 Deutschland hat bisher nicht mitgemacht.

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Arbeitspapier, 5/2018, 16 f. (https://ub-madoc.bib.uni-mannheim.de/44719/ 1/Schreiber_vHagen_P%C3%B6nnighaus_02_05_2018.pdf). Der effektive Durchschnittssteuersatz liegt im Jahr 2018 bei 21,9 %; für die Entwicklung von 2003-2018 s. European Commission, Taxation Trends in the European Union, 2018, 35 f. (https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxa tion/files/taxation_trends_report_2018.pdf). Zur Gewerbesteuerhebesatzentwicklung Wagschal/v. Wolfersdorff/Andrae, Update Gewerbesteuer und Grundsteuer: Steuerentwicklung, Steuerwettbewerb und Reformblockaden, ifst-Schrift 508 (2016), 37 ff. BDI, Steuerpolitische Prioritäten 2018–2021, 6 (https://bdi.eu/publikation/ news/steuerpolitische-prioritaeten-2018-2021/); J. Lang, ifo Schnelldienst 4/2018, 12, unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Gewerbesteuerhebesatzes für Gemeinden über 50 000 Einwohner iHv. 453 % (für das Jahr 2017). S. das Bundesgesetz über die „Steuervorlage 17“ (https://www.admin.ch/opc/ de/federal-gazette/2018/2655.pdf), die dazu ergangene Botschaft des Schweizerischen Bundesrates (https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attach ments/51751.pdf) sowie den erläuternden Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements im Vernehmlassungsverfahren (https://www.newsd.admin.ch/ newsd/message/attachments/51851.pdf). Zur Entwicklung s. Raab, SWI 2018, 125.

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Die Ausbreitung der Patentboxen ist deshalb bemerkenswert, weil es sich hierbei um bereits Ende der 1990er Jahre seitens der OECD22 und der EU23 geächteten schädlichen Steuerwettbewerb24 handelt. Dies ist eindeutig, soweit Patentboxen genutzt werden, um mit dem Angebot niedrigster Steuersätze in anderen Staaten aufwandswirksam entwickelte immaterielle Wirtschaftsgüter, nicht aber notwendigerweise die dazugehörige Forschungsaktivität zu attrahieren.25 Noch bemerkenswerter ist, dass die EU-Kommission, obwohl sie das Beihilferecht an anderer Stelle extensiv zur Bekämpfung von schädlichem Steuerwettbewerb einsetzt,26 dieser Entwicklung mit ihrer Nichtaufgriffsentscheidung aus dem Jahr 2008 zum spanischen Patentbox-Regime nicht entgegengetreten ist.27

3. OECD-/EU-Anti-BEPS-Gesetzgebung Aufgegriffen worden sind Patentboxen erst im Rahmen der OECD-BEPSInitiative.28 Mit dem Modified Nexus Approach hat die OECD in Action 529 nicht unfairen Steuerwettbewerb generell gebrandmarkt, sondern ein Angebot für eine von ihr als unschädlich definierte Patentbox gemacht. Schädlicher Steuerwettbewerb wird beschränkt auf Maßnahmen, die in besonderer Weise Anlass für künstliche Gestaltungen bieten.30 Diese Vorgehensweise lässt sich als Reaktion auf das Scheitern der 1998er Kampagne der OECD gegen Harmful Tax Competition verstehen. 22 OECD, Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue, 1998. 23 Verhaltenskodex zur Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs vom 1.12.1997, ABl. EG 1998, Nr. C 2/2, Anhang 1, BR-Drucks. 814/97. 24 Selektivität dem Grunde nach bejahend Valta, StuW 2015, 257 (262 ff.); Hey, StuW 2015, 331 (341); Luts, EC Tax Review 2014, 258. 25 Empirisch belegbar s. Schnitzer, DStJG 39 (2016), 53 (65 f.). 26 S. vor allem die prominenten Verfahren gegen Apple, McDonald’s, Amazon, Fiat oder Starbucks, kurz kommentiert bei Klodt, Wirtschaftsdienst 2016, 704. 27 EU-Kommission, Pressemitteilung v. 13.3.2008, IP/08/216; dazu Luts, EC Tax Review 2014, 258 (264). Auch in der Folge ist keine einzige Patentbox als unerlaubte Beihilfe verboten worden. 28 Und in deren Folge auf EU-Ebene durch die Gruppe Verhaltenskodex, die nunmehr darauf drängt, dass die EU-Mitgliedstaaten dem Nexus Approach der OECD folgen, s. hierzu Hoeck/Schmid, IWB 2017, 758 (762). 29 OECD, Countering Harmful Tax Practices More Effectively, Taking into Account Transparency and Substance, Action 5, Final Report, 2015. 30 OECD (Fn. 29), 9; zum Substanzerfordernis als Novum in der Harmful-TaxCompetition-Definition Englisch/Yevgenyeva, British Tax Review 2013, 620 ff.

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Damals ist deutlich geworden, dass souveräne Staaten sich die Instrumente des Steuerwettbewerbs nicht einfach aus der Hand nehmen lassen. Dies ist auch der Hauptgrund, warum die OECD jenseits von Action 5 nicht den Steuerwettbewerb direkt, sondern die durch diesen ermöglichten Steuergestaltungen zum Ziel ihrer Bemühungen erklärt hat.31 Man kann dies als Versuch der Herstellung eines Level Playing Fields der Abwehrmaßnahmen verstehen. Zu glauben, dass das sehr viel besser funktioniert, als den Steuerwettbewerb direkt einzudämmen, ist aber ein vorhersehbarer Irrtum, weil die Abwehrmaßnahmen Teil des Steuerwettbewerbs sind32 und die Staaten hier zum Teil sehr disparate Strategien entwickelt haben. Deshalb werden sie auch hier – was sich in der Post-BEPS-Welt bereits zeigt – nicht bereit sein, ihre Handlungsspielräume nennenswert zu beschränken. Umso tragischer ist es, dass die EU mit den Anti-Tax Avoidance Directives (ATAD I und II)33 sowie den Änderungen der Amtshilferichtlinie (Directive on Administrative Disclosure – DAC 1 bis 6)34 vorangeprescht ist und die OECD-Empfehlungen in weiten Teilen in bindendes EU-Recht umgesetzt hat. Dass Deutschland der Treiber35 in diesem Prozess war, ist – angesichts der Ähnlichkeit der ATAD-Regeln mit bestehendem deutschem Recht – nicht fernliegend, noch dazu, nachdem man sich mit dem Mindestschutzkonzept des Art. 3 ATAD auch noch die Möglichkeit erhalten hat, überall dort, wo man sich nicht durchsetzen konnte, schärfere Regeln beizubehalten. Aber was bringt Deutschland eigentlich ein unionsweit einheitliches Abwehrregime nach deutschem Muster? Die Nachteile liegen auf der Hand: Strategiewechsel sind nur noch einstimmig möglich (Art. 115 AEUV). Das ist deshalb besonders problematisch, weil die sehr heteroge-

31 S. Ault/Schön/Shay, Bulletin for International Taxation 2014, 275 (276): „MNE tax avoidance is just the flipside of harmful tax competition.“ 32 S. etwa Faulhaber, Tax Law Review 2018, 311 (350 ff.). 33 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.6.2016 (ATAD I) idF der Richtlinie (EU) 2017/952 v. 29.5.2017 (ATAD II). 34 Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011 (DAC 1); Richtlinie 2014/107/EU v. 9.12.2014 (DAC 2); Richtlinie (EU) 2015/2376 v. 8.12.2015 (DAC 3); Richtlinie (EU) 2016/881 v. 25.5.2016 (DAC 4); Richtlinie (EU) 2016/2258 v. 6.12.2016 (DAC 5); Richtlinie (EU) 2018/822 v. 25.5.2018 (DAC 6). 35 Kofler in FS BFH, 2018, 699 (710) spricht (allgemein) von der Kommission als „verlängerter Werkbank der Fiskalinteressen der Mitgliedstaaten“. Es dürften oft deutsche Interessen sein.

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ne wirtschaftliche Positionierung der EU-Mitgliedstaaten zwangsläufig unterschiedliche Strategien im Steuerwettbewerb nach sich ziehen muss. Nicht zu jedem Staat passt jede Abwehrmaßnahme.36 Wir wissen nach wie vor zu wenig über Steuerwettbewerb, um ein bestimmtes Abwehrregime verbindlich für 28 bzw. 27 Staaten vorgeben zu können. Es ist bemerkenswert, dass sich Deutschland bei der Verabschiedung der ATAD trotzdem durchsetzen und den anderen Mitgliedstaaten seine Abwehrstrategie oktroyieren konnte; die einstimmige Annahme zeugt möglicherweise eher von einem Aufmerksamkeitsdefizit der anderen EU-Staaten, könnte aber auch aus einer gewissen Gelassenheit anderer mitgliedstaatlicher Finanzverwaltungen gegenüber dem praktischen Vollzug des anspruchsvollen Abwehrregimes resultieren. Andere Staaten werden dem Vollzug der ATAD-Regeln verständlicherweise nicht dieselbe Bedeutung beimessen wie Deutschland. Eine einheitliche Anwendung der Zinsschranke deutscher Prägung von Finnland bis Bulgarien dürfte eine Illusion sein. Unionsweit gleiche Rechtsvorschriften bedeuten nicht zwangsläufig unionsweit gleiche Rechtspraxis. Europäische Rechtsanwendungsgleichheit37 ist nicht zu erwarten. Dennoch dürfte es – nachdem große Teile des OECD-BEPS-Akkords europäisch festgeschrieben wurden – schwer sein, eine Kurskorrektur herbeizuführen, und zwar auch dann, wenn dies irgendwann gerade im deutschen Interesse liegen könnte. Gleichwohl hält der Koalitionsvertrag an der bisherigen Strategie fest, sich international und innerhalb der Europäischen Union für strengere Abwehrmaßnahmen einzusetzen.38 Auch von der angekündigten deutsch-französischen Initiative für eine gemeinsame Bemessungsgrundlage und Mindeststeuersätze für die Körperschaftsteuer39 verspricht man

36 Kofler (Fn. 36), 699 (715). 37 Auf Unionsebene nur schwach ausgeprägt s. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 3 Rz. 17 ff. 38 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12.3.2018 für die 19. Legislaturperiode, 69 (https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitions vertrag_2018.pdf?file=1). 39 Koalitionsvertrag (Fn. 38), 13 und Gemeinsames Positionspapier Deutschlands und Frankreichs zum GKB-Vorschlag v. 19.6.2018 (https://www.bundesfinanz ministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Europa/2018-06-20Meseberg-Anl2.pdf?__blob=publicationFile&v=1); zu dieser Initiative Dölker, BB 2018, 666 ff., mit Vergleich zum Grünbuch der deutsch-französischen Zusammenarbeit 2012.

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sich offenbar in erster Linie eine Eindämmung des Steuerwettbewerbs. Allerdings bedürfte es auch hier vor weiteren Harmonisierungsschritten einer sehr sorgfältigen Analyse der Rahmenbedingungen eines europaweit einheitlichen Vorgehens.

4. U.S.-Steuerreform Infrage gestellt wird die europäische Festschreibung der OECD-BEPSEmpfehlungen durch die U.S.-Steuerreform 2017 im sog. Tax Cuts and Jobs Act40. Denn die USA gehen ersichtlich eigene Wege. Zunächst führt die U.S.-Steuerreform in der Architektur des internationalen Steuerwettbewerbs zu einem regelrechten Erdrutsch. Zwar macht die Senkung auf 21 % bzw. 25,8 %41 einschließlich der Ebene der Bundesstaaten im OECD-42 und EU-Vergleich43 die USA nicht zu einem Niedrigsteuerland. Dramatisch ist aber das Ausmaß der Senkung von 14 Prozentpunkten in einem Schritt, zumal das sog. Full Expensing – der Sofortabzug für Anschaffungskosten beweglicher Wirtschaftsgüter – einen weiteren deutlichen Anreiz für Investitionen in den USA setzt. Dabei hat die U.S.-Steuerreform eine völlig andere Dimension als Steuersatzsenkungen in einem mehr oder weniger bedeutsamen EU-Mitgliedstaat. Der europäische Steuerwettbewerb hat sich in erheblichem Umfang im Angebot von BEPS-Opportunitäten abgespielt und drehte sich in großen Teilen um die Frage, wo sich Drittstaaten-Konzerne in Europa ansiedeln. Von niedrigen Steuersätzen in kleinen Staaten der europäischen Peripherie ging kein nennenswerter Anreiz aus, Investitionen aus Deutschland heraus zu verlagern. Im Verhältnis zu den USA scheint es dagegen plausibel, dass es in erheblichem Umfang zur Abwanderung von Realinvestitionen aus Deutschland kommen könnte,44 wohl nicht indem hierzulande Produktionsanlagen abgebaut werden, aber indem deutsche Konzerne, die bereits in den USA Standorte unterhalten oder aufbauen 40 Offiziell „Public Law 115-97“. 41 26,3 % für Kalifornien. 42 Für das Jahr 2020 wird im OECD-Durchschnitt eine Körperschaftsteuertarifbelastung von 23,4 % erwartet, vgl. Schreiber/v. Hagen/Pönnighaus (Fn. 16), 16 f. 43 Die Körperschaftsteuertarifbelastung im EU-Durchschnitt beläuft sich im Jahr 2018 auf 20,8 % (s. Fn. 17). 44 Spengel/Olbert/Stutzenberger, ifo Schnelldienst 4/2018, 3 (4) schätzen das Potential des Netto-Investitionsabflusses aus Deutschland in die USA auf 32 Mrd. Euro.

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wollen, neue Investitionen zukünftig in den USA statt in Deutschland ansiedeln. Dramatisch für Deutschland ist zudem der Verlust des letzten nennenswerten Hochsteuergefährten. Bisher ließen sich Forderungen nach Steuersenkungen auch mit dem Hinweis auf die USA zurückweisen. Zukünftig ergeben sich signifikante Belastungsvorteile in den USA.45 Allerdings haben die USA bereits vor dem Tax Cuts and Jobs Act eine deutlich andere Strategie gefahren als Deutschland, indem sie – im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit multinational agierender U.S.-Konzerne durch Tolerierung von BEPS-Praktiken – zugelassen haben, dass hohe Steuersätze auf U.S.-Gewinne abgemildert werden konnten.46 Das Welteinkommensprinzip stand nur auf dem Papier.47 Jetzt gehen die USA wiederum eigene Wege. Denn neben den neuen allgemeinen Körperschaftsteuersatz von 21 % tritt nun durch das Zusammenspiel von GILTI48 und FDII49 für Überrenditen international tätiger US-Unternehmen ein zweiter Steuersatz von 13,125 %. Auf der einen Seite wird auf diese Weise eine Untergrenze eingezogen, denn die bisher mögliche OffShore-Thesaurierung zum Steuersatz von nahezu 0 % ist nicht mehr möglich. Andererseits werden die Gewinne aber nicht auf das reguläre U.S.-Steuerniveau hochgeschleust.

45 Z.B. Watrin, Ubg. 2018, 1 (4); Spengel/Olbert/Stutzenberger, ifo-Schnelldienst 4/2018, 3 (4). Differenzierter Standortvergleich s. Kessler/Engelhoff/Probst, StuW 2018, 255 ff. Die von Jarass/Tokman/Wright, IStR 2018, 143 (152 f.) aufgestellte Gegenthese eines weitgehenden Gleichlaufs der Steuerbelastung in den USA und Deutschland ist wenig überzeugend, da sie nicht auf einem Vergleich (branchen-)individueller effektiver Steuersätze, sondern auf einer im Einzelnen nicht nachvollziehbaren Gesamtbetrachtung basiert. 46 S. etwa Kleinbard, Tax Notes 2014, 105. 47 Es konnte durch zeitlich nahezu unbegrenzte Offshore-Thesaurierung in Niedrigsteuerstaaten umgangen werden (sog. deferral), s. Avi-Yonah/Fishbien, Once More, with Feeling: The „Tax Cuts and Jobs“ Act and the Original Intent of Subpart F, University of Michigan, Paper No. 17-020 (2017), 5; Fleming/ Peroni/Shay, Journal of the Australasian Tax Teachers Association, Vol. 3, No. 2 (2008), 41. 48 Global Intangible Low-Taxed Income; hierzu im Einzelnen Pinkernell, IStR 2018, 249 ff.; Schildgen in Hey/Härtwig, US-Steuerreform, 2019, 137 ff. 49 Foreign-Derived Intangible Income; hierzu im Einzelnen und insb. zu den Auswirkungen auf § 4j EStG Pinkernell, IStR 2018, 249 (252 ff.); Zinowsky/Ellenrieder, IStR 2018, 314 ff.; Surmann in Hey/Härtwig, US-Steuerreform, 2019, 165 ff.

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Die U.S.-Steuerreform enthält aber noch eine andere Lehre: Zwar lassen sich die neue U.S.-Zinsschranke50 sowie die Hybrid-Regeln51 dahingehend deuten, die USA setzten die OECD-BEPS-Empfehlungen um. Zugleich stellt die U.S.-Reform das BEPS-Projekt aber massiv in Frage,52 und zwar gleich in dreifacher Hinsicht: Erstens belegt das FDII-Regime (Foreign-Derived Intangible Income), die Steuerbegünstigung für Übergewinne aus dem Export, dass der in Action 5 des OECD/BEPS-Projekts unternommene Versuch, schädlichen Steuerwettbewerb durch das Angebot einer nexus-konformen Modellpatentbox53 zu verhindern, gescheitert ist. Die neue U.S.-Regel lässt sich nicht ohne weiteres in das enge Schema der OECD einordnen. FDII mag gegen WTO-Recht verstoßen,54 ist aber keine schädliche Beggarmy-Neighbour-Policy im klassischen Sinne, weil sie nicht darauf ausgelegt ist, „künstliche“ Gewinnverlagerungen in die USA zu begünstigen. Vielmehr lässt sich FDII als eine Art Abwehrmaßnahme gegen die Verlagerung von U.S.-IP in Niedrigsteuerländer verstehen.55 Dort, wo Wegzugsteuern mit Sanktionen die Verlagerung von Wirtschaftsgütern verhindern, bietet FDII einen positiven Anreiz, (immaterielle) Wirtschaftsgüter nicht zu verlagern oder sogar in die USA zurückzuführen.56 Die konkrete Einordnung bereitet freilich erhebliche Schwierigkeiten, weil FDII ebenso wie GILTI mit fiktiven Größen arbeitet.57 Zweitens belegt GILTI, die neue Hinzurechnungsbesteuerung für Global Intangible Low-Taxed Income, dass der Versuch der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen durch Koordinierung von Anti-BEPSMaßnahmen – wie ihn auch die EU in der ATAD unternommen hat – gescheitert ist. Das ist nicht verwunderlich. Denn die Abwehrmaßnah50 Neufassung von Sec. 163(j) IRC; hierzu Pöschke in Hey/Härtwig, US-Steuerreform, 2019, 65 ff. 51 Sec. 245A und 267A IRC; hierzu Rüsch in Hey/Härtwig, US-Steuerreform, 2019, 85 ff. 52 Becker/Englisch, ifo Schnelldienst 4/2018, 9 (12). 53 Im Stil eines Gesetzgebungsvorschlags sogar mit einer Übergangsregelung kombiniert, s. OECD, Countering Harmful Tax Practices More Effectively, Taking into Account Transparency and Substance, Action 5, Final Report, 2015, 24 ff., 71 f. 54 Dazu Maywald, IWB 2018, 296 (302 f.). 55 Chalk et al., The Tax Cuts and Jobs Act: An Appraisal, IMF Working Paper, WP/18/185, S. 24. 56 Ausführlicher hierzu Hey in Hey/Härtwig, US-Steuerreform, 2019, 1 ff. 57 Pinkernell, IStR 2018, 249 (255); Zinowsky/Ellenrieder, IStR 2018, 134 (136).

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men sind, wie bereits ausgeführt,58 genauso Teil des Steuerwettbewerbs wie Steuervergünstigungen, so dass – außerhalb der EU – Einschränkungen der nationalen Souveränität hier genauso wenig hingenommen werden. Drittens belegt die neue Base Erosion and Anti-Abuse Tax (BEAT), die wie ein partielles Betriebsausgabenabzugsverbot von Zahlungen an im Ausland ansässige verbundene Unternehmen wirkt,59 dass die OECD nicht in der Lage war, durch Koordinierung von Abwehrmaßnahmen internationale Doppelbesteuerung und Doppelbelastungen zu verhindern.60 Es ist vielmehr zu befürchten, dass diese „erweiterte“ Zins- und Lizenzschranke Schule machen und andere Staaten zur Nachahmung anregen wird, wie dies bereits im Gemeinsamen Positionspapier der deutsch-französischen GKB-Initiative anklingt.61

5. Zwischenfazit: Auswirkungen auf Wirtschaftsdaten? Für den deutschen Steuergesetzeber bedeuten die jüngsten Entwicklungen, dass er sich nicht darauf verlassen kann, dass sich der Wettbewerbsdruck durch internationale Koordination oder europäische Harmonisierung wesentlich mindert. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich in dem Maße, wie „Steuerschlupflöcher“ geschlossen und schädliche Sonderregime eingeschränkt werden, der Druck auf den allgemeinen Körperschaftsteuertarif wieder verschärft.62 Dies spiegelt sich in den jüngsten Ankündigungen weiterer Senkungen des Körperschaftsteuersatzes wider. Vor diesem Hintergrund ist es umso problematischer, dass Deutschland beim Angebot attraktiver steuerlicher Rahmenbedingungen in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgefallen ist. Dass die Politik trotz dieses eindeutigen Befundes keine Handlungsbereitschaft zeigt, mag vor allem daran liegen, dass ein Einfluss auf die Wirtschaftsdaten bisher nicht erkennbar ist. Zwar haben sich die Steigerungsraten in 2018 abgeflacht, doch die deutsche Wirtschaft boomt wie 58 S. zuvor Abschnitt II.1. 59 Hierzu Kempelmann in Hey/Härtwig, US-Steuerreform, 2019, 179 ff. 60 S. aber Jochimsen, ISR 2018, 91 (94), der sich für eine Anrechnung nach DBA bzw. § 34c EStG ausspricht. 61 Bemerkenswert Nr. 18 des Gemeinsamen Positionspapier Deutschlands und Frankreichs zum GKB-Vorschlag v. 19.6.2018: Beschränkung des Abzugs von Zinsen, Lizenzgebühren und sonstigen Entgelten (!), die in einem Land mit einem günstigeren Steuersystem gezahlt werden. 62 Keen, Bulletin for International Taxation 2018, 220 (222 f.).

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in den vergangenen Jahren.63 Weder zeichnet sich in den Konjunkturdaten eine massive steuerlich induzierte Abwanderung deutscher Unternehmen ab, noch lässt sich entnehmen, dass das Steuerrecht ausländische Direktinvestitionen verhindert. Deshalb ist auch nicht auf den ersten Blick klar, was Deutschland gewinnt, wenn es durch Steuersenkungen im Wettbewerb nachzieht. Allerdings könnte der Schein der aktuell guten Wirtschaftslage trügerisch sein.64 Derzeit mag der Steuerfaktor durch andere Standortvorteile überkompensiert werden. Diesen Schluss legen Schätzungen des ZEW zu den Folgen des Zurückfallens Deutschlands im Steuerwettbewerb gegenüber den USA nahe. So gehen Christoph Spengel et al. von massiven Auswirkungen auf die bilateralen Investitionsbeziehungen mit den USA und einen massiven Nettokapitalabfluss in die USA aus.65 Dies wird insbes. dann zum Problem, wenn sich die Konjunkturaussichten insgesamt eintrüben. Weitere Anhaltspunkte für die an eine Neupositionierung im Steuerwettbewerb zu knüpfenden Erwartungen könnten die Effekte der hinter uns liegenden Unternehmensteuerreformen 200066 und 200867 geben. Zwar sind unmittelbare Erfolgsmessungen schwierig. Auch hängt die Bewertung von der Definition des Erfolgs ab, je nachdem, ob man zusätzliche Direktinvestitionen ausländischer Investoren,68 die Verbesserung der

63 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2018, 49 ff. 64 S. Antrag des Freistaates Bayerns zur steuerlichen Entlastung der deutschen Wirtschaft, BR-Drucks. 325/18, 1. 65 Spengel/Heinemann/Olbert/Pfeiffer/Schwab/Stutzenberger, Analysis of US Corporate Tax Reform Proposals and their Effects for Europe and Germany, Final Report – Update 2018, 3, 31 (http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/gutachten/ US_Tax_Reform_2018.pdf): Nettokapitalabfluss iHv. 32 Mrd. Euro (Zunahme deutscher Direktinvestitionen in den USA um 38,8 Mrd. Euro bei nur 6,33 Mrd. Euro US-amerikanischer Direktinvestitionen in Deutschland). 66 Becker/Fuest/Hemmelgarn, Corporate Tax Reform and Foreign Direct Investment in Germany – Evidence from Firm-Level Data, CESifo Working Paper Series No. 1722 (http://www.cesifo-group.de/DocDL/cesifo1_wp1722.pdf) kommen zu der Annahme positiver Effekte der Unternehmensteuerreform 2000 auf Direktinvestitionen ausländischer Investoren in Deutschland. 67 Finke/Heckemeyer/Reister/Spengel, FinanzArchiv 69 (2013), 72 ff. kommen zu dem Ergebnis geringerer Steuerplanungsaktivitäten. 68 Hierzu Büttner, The Impact of Taxes and Public Spending on the Location of FDI: Evidence from FDI-Flows within Europe, ZEW Discussion Paper No. 02-17, 2002 (ftp://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp0217.pdf).

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Wettbewerbsbedingungen für inländische Unternehmen oder die Reduktion von Gewinnverlagerungsaktivitäten zum Maßstab macht. Dennoch gibt es Anhaltspunkte für positive Effekte insbes. auf die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Unternehmen.69

III. Wo besteht Handlungsbedarf: Konkrete Maßnahmen 1. Steuerstandortpolitik als Teilbereich allgemeiner Wirtschaftspolitik Der fortgesetzte Steuerwettbewerb indiziert, dass der Versuch, die OECD und EU für die deutsche Abwehrstrategie zu instrumentalisieren, nicht aufgeht. Statt sich als Weltsteuerpolizei zu gerieren, sollte klarer definiert werden, wo deutsche Interessen liegen. Dass ein exportorientiertes Land kein Interesse an einer stärker am Bestimmungsland orientierten internationalen Steuerverteilung haben kann,70 ist Deutschland scheinbar erst im Laufe des OECD-BEPS-Prozesses bewusst geworden. Die EU-Vorschläge zur Digital Service Tax71 und digitalen Betriebsstätte („digitale Präsenz“)72 werden zu Recht von Deutschland nicht vorangetrieben,73 aber sie sind in der Welt und binden Kapazität. Was also sind originär deutsche und unilateral erreichbare Interessen im Steuerwettbewerb? Das Steuerrecht kann zum einen positive Anreize für zusätzliche Investitionen setzen, es kann aber auch außersteuerliche Nachteile des deutschen Standorts wie etwa die hohen Energiekosten74

69 Vgl. etwa Dobbins/Jacob (2016), Do Corporate Tax Cuts Increase Investments?, Accounting and Business Research, Forthcoming (https://ssrn.com/ abstract=2362258). 70 Zur sog. Destination-Based Corporate Cashflow Tax (DBCFT) s. Becker/Englisch, Wirtschaftsdienst 2017, 103; Heinemann/Spengel, DB 17/2017, M5; relativierend Richter, Wirtschaftsdienst 2017, 279. 71 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen v. 21.3.2018, COM(2018) 148 final. 72 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz v. 21.3.2018, COM(2018) 147 final. 73 Ganz überwiegend kritische Reaktion s. etwa Eilers/Oppel, IStR 2018, 361 (370); ablehnend auch Spengel, DB 15/2018, M4. 74 EEG-Umlage, Netzentgelte, Stromsteuer.

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ausgleichen75 oder wirtschaftliche Transformationsprozesse – etwa den Wandel von der traditionell stark anlagenorientierten deutschen Industrie hin zu digitalen Geschäftsmodellen – begünstigen. Auch die Beseitigung von Ineffizienzen des Kapitalmarkts und die Verbesserung der unternehmerischen Kapitalbeschaffung und der „Gründerkultur“ sind beliebte Gegenstände steuerlicher Wirtschaftsförderung, etwa durch steuerliche Begünstigung sog. „Venture Capital“,76 wobei die Effizienz derartiger Maßnahmen oft unklar ist. Schließlich drängt sich der unterstützende Einsatz des Steuerrechts zur Überwindung des Fachkräftemangels77 auf.78

2. Ankündigungen im Koalitionsvertrag Die Großkoalitionäre sind jedoch überaus zurückhaltend darin, Zusammenhänge zwischen Wirtschafts- und Steuerpolitik herzustellen. Die Dynamik, die der am 12. März 2018 zwischen CDU, CSU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag verspricht,79 erstreckt sich nicht auf das Steuerrecht.80 Das größte steuerpolitische Projekt ist die Rückführung des Solidaritätszuschlags mit einem Volumen von 10 Mrd. Euro für die Jahre 2018-202181, nicht etwa seine vollständige Abschaffung, zudem be-

75 Zwar hat der Gesetzgeber durch die Ausnahmetatbestände im Stromsteuergesetz Voraussetzungen geschaffen, die es energieintensiven Unternehmen überhaupt noch ermöglichen, in Deutschland tätig zu werden. Dies reicht aber nicht aus, um insgesamt wettbewerbsfähige Energiepreise sicherzustellen. 76 Steuerliche Maßnahmen auf diesem Gebiet zB der – nie in Kraft getretene – § 8c Abs. 2 KStG idF des MoRaKG v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1672 oder § 3 Nr. 71 EStG (Steuerfreiheit iHv. 50 000 Euro für staatliche Zuschüsse zum Erwerb von Wagniskapitalgesellschaften, sog. INVEST-Zuschuss). 77 Siehe Handelsblatt v. 2.11.2018 zur „Fachkräftestrategie der Bundesregierung“, 10. 78 Hierzu Abschnitt III.4.c. 79 S. Fn. 38. 80 S. Seer, SteuerStud. 2018, 293. Dies hat einzelne Länder zu weitergehenden Forderungen veranlasst (s. den Antrag von Nordrhein-Westfalen auf eine Entschließung des Bundesrats „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – Schritte zu einer modernen wettbewerbsfähigen Unternehmensbesteuerung“, BR-Drucks. 210/18 und den Antrag des Freistaats Bayern zur „steuerlichen Entlastung der deutschen Wirtschaft“, BR-Drucks. 325/18). 81 Ab 2021 soll es zu Entlastungen im Umfang von 10 Mrd. Euro beim Solidaritätszuschlag kommen, indem die Freigrenze auf knapp 17 000 Euro angehoben wird. Auf diese Weise soll der SolZ nur noch die obersten 10 % der Spitzenverdiener treffen.

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schränkt auf den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer. Daneben hat man eine wenig tauglich erscheinende Sonderabschreibung zur Förderung des Mietwohnungsbaus auf den Weg gebracht,82 sie wird weder das Problem massiv steigender Baukosten, noch Wohnungsnot und die in Ballungsgebieten explodierenden Mieten lösen können.83 Aussagen zu einer Entlastung von Unternehmen finden sich nicht. Reaktionen auf den Steuerwettbewerb, insbes. auch auf die U.S.-Steuerreform,84 werden als europäische Aufgabe angesehen. Deutschland wolle sich gemeinsam mit Frankreich stark machen für Bemessungsgrundlagenharmonisierung und die Einführung von Mindestsätzen. Eine deutsche Antwort auf den Steuerwettbewerb wird, abgesehen von dem neuerlichen Bekenntnis zu internationalen Maßnahmen gegen Steuervermeidung,85 nicht formuliert. Mehr Schwung ist erst in diesem Monat durch die Vorschläge von Wirtschaftsminister Altmaier86 in die Diskussion gekommen. Allerdings folgen der Präambel „in wirtschaftlich guten Zeiten durch eine zukunftsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik den Wohlstand von morgen sichern“ zu wollen, im Wesentlichen Allgemeinplätze. Die in Aussicht gestellten Einzelmaßnahmen sind ein Potpourri aus nicht näher konkretisierten Steuersenkungen, Mittelstandspolitik, FuE-Förderung und Vereinfachung. Für sich betrachtet sind das alles sinnvolle Maßnahmen, aber bei begrenztem Mitteleinsatz – Entlastungsvolumen 20 Mrd. Euro – fehlt eine klare standortpolitische Linie.

82 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus v. 20.9.2018, BR-Drucks. 470/18. 83 Kritik s. Hechtner, NWB 2018, 2761. 84 Zu möglichen Antworten s. Gsödl/Schmid, Die US-Steuerreform, der Brexit und deren Auswirkungen auf Deutschland, ifst-Schrift 524 (2018), 28. 85 Koalitionsvertrag (Fn. 38), 69: „Wir unterstützen ausdrücklich alle Bemühungen für eine gerechte Besteuerung großer Konzerne, insbesondere auch der Internetkonzerne. Dabei setzen wir weiterhin auf internationalen Konsens. Durch weltweit möglichst breite Implementierung der OECD-BEPS-Verpflichtungen sowie -Empfehlungen schaffen wir faire steuerliche Wettbewerbsbedingungen für grenzüberschreitende unternehmerische Tätigkeiten. Wir werden unsere Verpflichtungen aus der EU-Anti-Steuervermeidungsrichtlinie im Interesse des Standorts Deutschland umsetzen, die Hinzurechnungsbesteuerung zeitgemäß ausgestalten, Hybridregelungen ergänzen und die Zinsschranke anpassen.“ 86 Handelsblatt v. 12.10.2018, 8.

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3. Allgemeine Steuersenkung a) Entlastung von Kapitalgesellschaften = Absenkung des Körperschaftsteuersatzes? Die deutlichste standortpolitische Maßnahme läge in einer Verringerung des Abstands der Gesamtbelastung des Gewinns von Kapitalgesellschaften in Deutschland gegenüber den wichtigsten Wettbewerbern. Nicht notwendigerweise muss man sich am EU-Durchschnitt orientieren, da dieser verfälscht wird durch besonders niedrige Steuersätze kleinerer Mitgliedstaaten in Randlagen, die keine echten Konkurrenten im Standortwettbewerb darstellen.87 Naheliegend wäre aber eine nominelle Gesamtbelastung in der Nähe von 25 %, da Deutschland damit wenigstens wieder den Anschluss an andere große EU-Staaten88 sowie die USA fände. Es geht also nicht um dramatische Steuersenkungen, insbes. nicht darum, mit den Mitteln eines spektakulär niedrigen Steuersatzes zusätzliche Investitionen nach Deutschland zu locken. Vielmehr muss aus der Perspektive ausländischer Investoren verhindert werden, dass die Steuerbelastung bei einem Vergleich sämtlicher Standortfaktoren zum Ausschlusskriterium der Ansiedlung wird. Zum anderen geht es darum, Abwanderung zu verhindern und zusätzliche Investitionen in Deutschland ansässiger Konzerne nicht ins Ausland zu treiben. Eine solche Steuersatzsenkung kann durchaus über einen Zeitraum von mehreren Jahren umgesetzt werden, entscheidend ist aber die Signalwirkung einer im Endstadium spürbaren Entlastung. b) Das Strukturproblem des deutschen Unternehmensteuerrechts Eine in Deutschland keineswegs triviale Frage ist, wie eine Tarifsenkung umgesetzt werden kann. Einen ersten Beitrag könnte die Abschaffung des Solidaritätszuschlags zur Körperschaftsteuer leisten. Dabei handelt es sich freilich nicht primär um eine standortpolitische Maßnahme, sondern um eine verfassungsrechtlich gebotene, da die Kompetenzgrundlage des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG für den allein vom Bund beanspruchten Zuschlag nach richti-

87 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2018, 61. 88 Spanien: 25 %, Niederlande: 25 %; Frankreich: 25 % (ab 2022); Italien: 24 %; Großbritannien: 19 % (2018).

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ger Auffassung spätestens mit dem vollständigen Auslaufen des Solidarpaktes II, dh. mit Ablauf des Jahres 2021, entfällt.89 Standortpolitisch würde für sich allein betrachtet die hieraus resultierende Entlastungswirkung von 0,825 % verpuffen. Einer so geringfügigen Entlastung kommt keine Signalwirkung zu. Damit stellt sich die viel schwieriger zu beantwortende Frage, wie im Nebeneinander von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer eine weitere Tarifsenkung realisiert werden kann. Diese Frage hat verschiedene Aspekte: Zum einen geht es im Hinblick auf die gewünschte Signalwirkung um die Sichtbarkeit der Entlastung, zum anderen darum, wer die Mindereinnahmen trägt. Solange die Kommunen nicht zu Veränderungen bei der Gewerbesteuer bereit sind, wären dies in jedem Fall Bund und Länder. Dies gilt sowohl für eine weitere Absenkung der Körperschaftsteuer (zB auf 10 %90) als auch für die aktuell diskutierte pauschale Anrechnung nach dem Muster von § 35 EStG oder eine partielle Anrechnung der tatsächlich gezahlten Gewerbesteuer. In jedem Fall würde das Körperschaftsteueraufkommen91 gegenüber dem florierenden Gewerbesteueraufkommen92 weiter marginalisiert. Zu einer Beteiligung der Kommunen an den Mindereinnahmen käme es bei Streichung des Abzugsverbots der Gewerbesteuer in § 4 Abs. 5b EStG, da dieses sich auch auf die eigene Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer auswirkt. Die Rückkehr zur Abziehbarkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe ist jedoch standortpolitisch weniger geeignet, da sie die Ermittlung der tatsächlichen Belastung verkompliziert. Selbst steuersystematisch ist die Reaktivierung des Abzugs der Gewerbesteuer von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer sowie ihrer eige89 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 2 Rz. 6; Wiss. Beirat Ernst & Young, DStR 2014, 1309 (1311 ff.); Kube, DStR 2017, 1792 (1797 ff.); Kube, FR 2018, 408 (409), der allerdings eine Streckung der Abschaffung über mehrere Jahre für verfassungsrechtlich zulässig erachtet. Siehe auch die – allerdings das Streitjahr 2007 betreffende – neuerliche Vorlage des Nds. FG v. 21.8.2013 – 7 K 143/08, DStRE 2014, 534 ff. (Az. BVerfG 2 BvL 6/14); aA Bach, DB 30/2018, M4. 90 Steuermindereinnahmen von rd. 15 Mrd. Euro (einschließlich Solidaritätszuschlag). 91 2017: 32,3 Mrd. Euro Körperschaftsteuer (gegenüber 16,7 Mrd. Euro im Jahr 2008). 92 2017: 54,3 Mrd. Euro (gegenüber 41,1 Mrd. Euro im Jahr 2008), wobei in das Gewerbesteueraufkommen natürlich auch die Belastung der Personenunternehmen einfließt.

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nen Bemessungsgrundlage nicht uneingeschränkt erstrebenswert, weil die Abzugsfähigkeit der Einordnung und Rechtfertigung der Gewerbesteuer als Objektsteuer93, auf die auch die Hinzurechnungen des § 8 GewStG94 gestützt werden, neue Nahrung gäbe. Jede dieser Lösungen stellt eine Kapitulation gegenüber den Beharrungskräften der Gewerbesteuer dar. Man fragt sich, ob es dann – statt einer Rumpfkörperschaftsteuer – nicht konsequenter wäre, die Körperschaftsteuer ganz abzuschaffen und nur die Gewerbesteuer beizubehalten. Damit ließe sich wenigstens das Nebeneinander zweier Bemessungsgrundlagen beenden. Indes belegt die Entwicklung seit 2008, in der es in Deutschland im Gegensatz zum Ausland zu Erhöhungen der Steuerbelastung gekommen ist, dass die Steuerstruktur mit dem hohen Anteil kommunaler Unternehmensteuer nicht wettbewerbsfähig ist;95 Grund für den Anstieg der Belastung war der Anstieg der Gewerbesteuerhebesätze. Die Gemeinden sind nicht in der Lage, im internationalen Steuerwettbewerb zu agieren. Sie sind „schwächstes Glied in der Kette“, weshalb es verfehlt ist, ihnen hier die Hauptverantwortung zuzuweisen. Dies wird besonders deutlich anhand strukturschwacher Regionen mit hohen Hebesätzen, wie sie sich etwa im Ruhrgebiet finden. Die theoretisch bestehende Möglichkeit, durch Absenkung des Hebesatzes auf den Mindestsatz des § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG innerdeutsche Gewerbesteueroase zu werden und damit Investitionen zur Überwindung der Strukturprobleme anzuziehen, lässt sich aufgrund der Restriktionen der Kommunalhaushalte nicht umsetzen. Der interkommunale Steuerwettbewerb funktioniert noch nicht einmal innerhalb Deutschlands. Wie soll er dann im Verhältnis zum Ausland funktionieren? Zwar ließe sich das Problem durch teilweise Anrechnung der tatsächlich gezahlten Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer lindern, allerdings würde dies die so sorgsam verteidigte

93 BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 (27) = FR 2008, 818. 94 So jüngst in einer regelrechten Bankrotterklärung gegenüber jeglicher verfassungsrechtlicher Kontrolle der Gewerbesteuer BFH v. 14.6.2018 – R III 35/15, BB 2018, 2210 (2012) = FR 2018, 1009. 95 Zwar existieren auch in anderen föderal organisierten Staaten wie der Schweiz und den USA unterhalb der bundesstaatlichen Ebene regionale Steuern, zum Teil auch in beträchtlichem Ausmaß, allerdings sind diese idR nicht auf lokaler, sondern auf regionaler Ebene (Kantone, Provinzen, Bundesstaaten) angesiedelt, so dass größere haushalterische und gesetzgeberische Spielräume bestehen, um Wettbewerbspolitik zu betreiben.

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Gewerbesteuerhebesatzautonomie des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 GG ad absurdum96 führen.97 Hauptproblem im Standortwettbewerb bleibt damit die duale Struktur der deutschen Unternehmensbesteuerung. Dort, wo andere Staaten durch schlichte Senkung des Körperschaftsteuersatzes reagieren können, fehlt es im zweigeteilten deutschen Unternehmensteuersystem an Spielräumen. Auch wenn es aus der Mode gekommen ist, für eine Reform der Gewerbesteuer zu werben, so bleibt dies die zentrale standortpolitische Maßnahme und man sollte nicht müde werden, neuerliche Vorstöße zu unternehmen. Dies ist umso wichtiger, als der Politik bereits das Problembewusstsein, vom Handlungswillen ganz zu schweigen, zu fehlen scheint. Eine der wenigen konkreten Aussagen des Koalitionsvertrags zum Unternehmensteuerrecht ist die Ankündigung einer deutsch-französischen Initiative für eine europäische Harmonisierung der Bemessungsgrundlage und Mindeststeuersätze. Doch macht ein solcher Vorstoß – ungeachtet dessen, ob man diese Zielsetzung überhaupt für richtig hält – aus deutscher Sicht wenig Sinn, solange die Gewerbesteuer nicht in Einkommen- und Körperschaftsteuer integriert ist. Es ist hier nicht der Ort, die ausufernde Gewerbesteuerreformdiskussion nachzuzeichnen. An Reformvorschlägen98 fehlt es nicht. Ein neuerlicher Gewerbesteuerreformvorstoß müsste allerdings zwingend durch ein Übergangsregime99 flankiert werden. Die Reformwiderstände lassen sich nur durch ein eindeutiges Bekenntnis zu einer Kompensation der 96 Zwar bliebe die kommunale Hebesatzentscheidung bei nur partieller Anrechnung der tatsächlichen Gewerbesteuerlast immer noch spürbar, aber eben doch deutlich abgeschwächt. 97 Hierzu in Bezug auf § 35 EStG Levedag, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/ KStG, § 35 EStG Anm. 8 (Aug. 2018), der die Vereinbarkeit mit Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ua. im Hinblick darauf verneint, dass es nicht zu einer Anrechnung der tatsächlich gezahlten Gewerbesteuer kommt; dennoch Bedenken Bonk, FR 1999, 443 (447). 98 Aktueller Überblick bei Müller-Gatermann, FR 2018, 389 (397 ff.); ferner Wagschal/v. Wolfersdorff, in Wagschal/v. Wolfersdorff/Andrae, Update Gewerbesteuer und Grundsteuer: Steuerentwicklung, Steuerwettbewerb und Reformblockaden, ifst-Schrift 508 (2016), 54 ff. mit einer Umfrage unter 686 Bürgern zu den Gründen für das Scheitern der Reformbemühungen. 99 Zu den bundesstaatlichen Verteilungskonflikten einer Gewerbesteuerreform Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF, Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, 01/2015, 38 ff.

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unausweichlich entstehenden Verlierer im Kommunalbereich überwinden. Diesem Aspekt ist in vergangenen Reformdebatten möglicherweise zu wenig Beachtung geschenkt worden. Derartige finanzielle Kompensationen werden zulasten des Haushalts des Bundes bzw. der Länder gehen. Schon deshalb sollte man vorsichtig sein mit Hilfslösungen einer Anrechnung der Gewerbesteuer zulasten des Körperschaftsteueraufkommens, ohne diese mit den notwendigen Strukturreformen zu verbinden. Ebenso klar ist, dass weitere Absenkungen der Tarifbelastung von Kapitalgesellschaften für Personenunternehmen nachvollzogen werden müssen. Jedenfalls ist § 34a EStG entsprechend anzupassen. Sinnvoller erschiene es, erneut über eine Öffnung der Körperschaftsteuer zumindest für Personenhandelsgesellschaften nachzudenken.100 Weitere Folgeänderungen sind im Rahmen der Besteuerung von Dividenden und Gewinnen aus der Anteilsveräußerung erforderlich. Im Teileinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 EStG müsste der steuerpflichtige Anteil der Beteiligungseinkünfte angehoben werden. Für die Abgeltungsteuer stellt sich die Frage einer Anhebung des Abgeltungsteuersatzes, dann allerdings nicht nur für Dividenden und Veräußerungsgewinne, sondern auch für Zinsen. Dies würde es ermöglichen, die ungleiche Wirkung der Abgeltungsteuer für vorbelastete Beteiligungserträge gegenüber nur einfach belasteten Zinserträgen101 abzuschwächen.

4. Investitionsanreize a) Braucht Deutschland eine Patentbox? Statt allgemeiner Steuersenkungen und Strukturreformen lassen sich im Standortwettbewerb auch gezielt Investitionsanreize setzen. Diese haben den Charme, bei verhältnismäßig geringem Einsatz von Steueraufkommen, gezielt mobile Steuerquellen zu begünstigen, um die im Steuerwettbewerb besonders gerungen wird. Derartige Techniken sind 100 Aktuell s. den Vorstoß des IDW, Positionspapier zum Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung („Optionsmodell“), 2017 (https://www.idw.de/ blob/103098/24a9e427051be81d33520c12e6251cf5/down-positionspapier-rechts formneutrale-besteuerung-data.pdf); Überblick zu Vorschlägen einer rechtsformneutral(er)en Unternehmensbesteuerung s. Desens, in Herrmann/Heuer/Raupach, Einf. KStG Anm. 173 ff. (Aug. 2014); zu Optionsmöglichkeiten Anm. 185 (Aug. 2014). 101 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 8 Rz. 506.

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auch Deutschland keineswegs fremd, wie die bereits 1999 eingeführte102 Tonnagebesteuerung des § 5a EStG belegt. Aktuell lässt sich fragen, ob Deutschland mit seinen europäischen Wettbewerbern und den USA gleichziehen und ebenfalls eine Patentbox einführen sollte. Ein solches Sonderregime müsste zum einen OECD nexuskonform sein, schon weil es ansonsten in unerträglichem Widerspruch zur Lizenzschranke des § 4j EStG stünde. Es geht also gar nicht um das Anlocken besonders mobiler Einkommensquellen und die Setzung von Anreizen zur Verlagerung von Einkünften durch Übertragung von Patenten, sondern um die Forschungsaktivität selbst, die im Zweifel nicht mobiler ist als andere unternehmerische Tätigkeiten. Zum anderen besteht das Risiko, dass es kaum Aufmerksamkeit erregen würde, wenn Deutschland, nachdem alle wichtigen Wettbewerber vorangeprescht sind, nun auch eine IP-Box einführen würde, im Zweifel mit deutlich weniger attraktiven Steuersätzen als die schon seit Jahren bestehenden IP-Boxen in anderen EU-Mitgliedstaaten, die, auch nachdem sie nexus-konform gemacht wurden, mit Effektivbelastungen im niedrig einstelligen Bereich103 werben. Andererseits wird auch in Deutschland seit über einem Jahrzehnt die Einführung steuerlicher Forschungsförderung diskutiert.104 Immer wieder wird kritisiert, dass Deutschland im internationalen Vergleich durch das Fehlen105 steuerlicher Anreize für Forschung und Entwicklung negativ heraussticht.106 Hauptgrund für das Scheitern derartiger Reforminitiativen waren die befürchteten hohen Steuermindereinnahmen, falls eine derartige Maßnahme nicht sachlich eng umgrenzt werden würde. Dementsprechend äußert sich der aktuelle Koalitionsvertrag zu steuerlicher Forschungsförderung mit der Einschränkung, es gehe „insbesondere um forschende kleine und mittelgroße Unternehmen“107.

102 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402. 103 Überblick s. Raab, SWI 2018, 125 (128 f.); Dölker, BB 2017, 2906 (2908 ff.). 104 S. insb. Arbeitsgruppe „Steuerliche FuE-Förderung“ der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft, DStR 2009, 179. 105 Zu kurz kommt bei diesem Befund allerdings, dass bereits die allgemeine Regel des Verbots der Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter in § 5 Abs. 2 EStG durch den hiermit verbundenen Sofortabzug von Forschungs- und Entwicklungskosten als Anreiz für Forschungsaktivitäten verstanden werden kann, s. aber Dölker, BB 2017, 2906 (2908). 106 Spengel in FS Endres, 2016, 409 (410). 107 Koalitionsvertrag (Fn. 38), 13.

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Je nachdem, wie eine solche KMU-Maßnahme zugeschnitten ist, wird sie im internationalen Standortwettbewerb jedoch kaum relevant werden. Aus standortpolitischer Sicht ist zu unterscheiden, ob es darum geht, ausländisches IP bzw. ausländische Direktinvestitionen forschungsintensiver Unternehmen anzuziehen oder zusätzliche Forschungsaktivitäten deutscher Unternehmen in Deutschland anzuregen bzw. die Abwanderung ins Ausland zu verhindern. Hiernach entscheidet sich der erforderliche Zuschnitt der Maßnahme. Entscheidend dürfte sein, Deutschland als Forschungsstandort nicht steuerlich inakzeptabel zu machen. Dies könnte für eine deutsche Patentbox mit moderatem Steuersatz sprechen. Zwar sind unter Effizienzgesichtspunkten inputorientierte FuEFörderungen, insbes. Forschungsgutschriften, vorzugswürdig,108 indes müsste sich ein solches Instrument aus standortpolitischer Sicht daran messen lassen, welche Anreize es im Vergleich zu den bestehenden Patentboxen setzt. Hierzu gehört auch, dass die Maßnahme leicht verständlich sein muss und grundsätzlich nicht von Größenklassen abhängig sein darf. b) Verbesserung der Abschreibungsbedingungen? Weniger spezifisch, dafür gleichmäßiger wirken allgemeine Verbesserungen der Abschreibungsbedingungen. Zwar sind die Barwertvorteile verbesserter Abschreibungsbedingungen vor dem Hintergrund niedrigster Zinsen gering, beachtliche Investitionsanreize gehen allerdings von den Liquiditätseffekten aus. Dies erklärt, warum dem Sofortabzug in den USA so große Beachtung geschenkt wird.109 Zwar stellt sich in der aktuellen wirtschaftlichen Lage die Frage, ob es zusätzlicher Investitionsanreize bedarf, andererseits haben signifikant verbesserte Abschreibungsbedingungen gegenüber einer Senkung des allgemeinen Körperschaftsteuersatzes den Vorteil, dass sie nicht allgemein die Thesaurierung von Gewinnen begünstigen und damit weniger anfällig sind für Steuergestaltungen unter Ausnutzung des Steuersatzgefälles zwischen Körperschaftsteuer und höherer Einkommensteuer.

108 Spengel in FS Endres, 2016, 409 (411); Englisch, StuW 2017, 331 (339 f.). Für eine über die Lohnsteuer verrechnete Steuergutschrift auch der Antrag von Nordrhein-Westfalen, BR-Drucks. 310/18, 2. 109 Zwick/Mahon, American Economic Review, Vol. 107, No. 1 (2017), 217 (246); Gsödl/Schmid, ifst-Schrift 524 (2018), 28.

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c) Steuerrechtliche Maßnahmen zur Beseitigung des Fachkräftemangels? Breite Einigkeit besteht, dass deutsche Unternehmen unter Fachkräftemangel leiden. Hierin wird bereits aktuell, vor allem aber zukünftig, ein zentraler Standortnachteil gesehen. Fraglich ist, ob das Steuerrecht zur Problemlösung beitragen kann. Dabei bedarf es möglicherweise eines fundamentalen Politikwechsels. In den vergangenen Jahrzehnten ist es international und auch in Deutschland zu einer einkommensteuerrechtlichen Privilegierung von Kapital- gegenüber Arbeitseinkommen gekommen, auch als „duale Einkommensteuer“ bekannt. Ist nun nicht Kapital, sondern Arbeit knapp, stellt sich in entgegengesetzter Richtung die Frage nach der steuerlichen Entlastung von Arbeit.110 Zum einen geht es dabei darum, inwiefern die geltende Tarifstruktur zusätzliches Arbeitsangebot in Form von Mehrarbeit und Überstunden hemmt, zum anderen um gezielte Maßnahmen zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Michael Broer hat in diesem Kontext die angekündigten Maßnahmen im Bereich von Sozialversicherungsbeiträgen111 und Solidaritätszuschlag untersucht. Während sich die geplanten Senkungen der Sozialversicherungsabgaben positiv auswirken, führt das Abschmelzmodell für den Solidaritätszuschlag durch Verschiebung der Freigrenze auf 17 000 Euro – auch bei Abfederung durch eine Gleitzone112 – gerade bei besonders qualifizierten Arbeitnehmern (mit entsprechend hohen Gehältern), Selbstständigen und Gewerbetreibenden zu hohen Grenzsteuersätzen. Grenzbelastungen von knapp 65 %113 im Bruttolohnintervall zwischen 72 000 Euro und 79 000 Euro wirken sich gerade auf qualifiziertes Arbeitsangebot dämpfend aus. Der Gesetzgeber sollte bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen derartige Tarifsprünge und eine nach Einkommensklassen differenzierende Maßnahme unterlassen.114 Noch weitergehend könnte darüber nachgedacht werden die drosselnde Wirkung der Einkommensteuerprogression auf zusätzliches Arbeitsangebot zu beseitigen. So sieht Japan etwa eine Steuerbegünstigung für Gehalts-

110 In diese Richtung bereits Schön, FR 2014, 93 (94). 111 Geplante Senkung der Beiträge zur Arbeitslosen- und gesetzlichen Krankenversicherung. 112 Zu dem aktuell diskutierten Abschmelzmodell Kube, FR 2018, 408 (410). 113 Broer, BB 2018, 1058 (1060). 114 Kube, FR 2018, 408 (409 f.); Wernsmann, NJW 2018, 916 ff.

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steigerungen vor.115 Vorzugswürdig wäre es, den steilen Tarifanstieg abzuschwächen.116 Neben Anreizen für Mehrarbeit geht es auch um die Förderung der Arbeitsmigration. Hier stellt sich die Frage, ob die Verbesserung der ausländerrechtlichen Bestimmungen durch steuerliche Anreize zur Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland ergänzt werden sollte.117 Derartige Anreizsysteme sind mittlerweile recht weit verbreitet; sie finden sich etwa in den Niederlanden,118 der Schweiz,119 Italien,120 Schweden und Spanien121 und als Remittance Base für sog. Non-Domiciled Steuerpflichtige in Großbritannien.122 Neben Sondersteuerregimen123 besteht die Vergünstigung insbes. darin, dass der temporär Zugezogene im neuen Wohnsitzstaat nicht der Besteuerung mit seinem weltweiten Einkommen unterliegt, sondern nur mit seinem inländischen Einkommen. Dies führt, soweit der Begünstigte dennoch als ansässig iSd. jeweiligen DBA angesehen wird, zu einem Steuerverzicht vor allem für den Wohnsitzstaat zugewiesene Veräußerungsgewinne. Fraglich ist, ob derartige Maßnahmen Gefahr laufen, als schädlicher Steuerwettbewerb bzw. als verbotene Beihilfen eingestuft zu werden. Zwar führt die Beschränkung der Besteuerung auf inländische Einkünfte tatsächlich zugezogener Arbeitnehmer nicht zu der von Action 5 der OECD/BEPS geächteten 115 Arnold, IWB 2018, 661 (661 f.). 116 Zu dieser Diskussion s. Hey, DStZ 2017, 832 (635), und grundsätzlich Homburg, Allgemeine Steuerlehre7, § 42. 117 In diese Richtung auch bereits Schön, FR 2014, 93 (94). 118 Bal/Offermann, European Taxation 2012, 167 (169 ff.); de Vries, European Taxation 2001, 172. 119 Mutis, Bulletin for International Taxation 2018, Onlineveröffentlichung (https://www.ibfd.org/IBFD-Products/Journal-Articles/Bulletin-for-Internation al-Taxation/collections/bit/html/bit_2018_09_au_1.html). 120 S. Agenzia delle Entrate (italienische Steuerbehörde), Steuerliche Anreize zur Anziehung von Humankapital in Italien, 2018 (https://www.agenziaentra te.gov.it/wps/file/Nsilib/Nsi/Agenzia/Agenzia+comunica/Prodotti+editoriali/ Guide+Fiscali/Agenzia+informa/AI+guide+tedesco/Steuerliche+Anreize+zur+ Anziehung+von+Humankapital+in+Italien/Steuerliche_Anreize_zur_Anzie hung_von_Humankapital_in_Italien-Guida_Attrazione_Capitale_Umano.pdf); Beretta, Bulletin for International Taxation 2017, 437; Beretta, Bulletin for International Taxation 2018, 439. 121 Gabarró, Tax Notes International (7.4.2014), 71; Mutis (Fn. 118). 122 Hierzu Levedag, IWB 2011, 775. 123 ZB Abzüge von der Bemessungsgrundlage wie in den Niederlanden, s. de Vries, European Taxation 2001, 172 ff., oder Schweden, s. Sundgren, European Taxation 2001, 88.

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Trennung von Wertschöpfung und Besteuerung, sie entfaltet ihre Begünstigungswirkung aber durch die Entstehung weißer Einkünfte und bietet – wie sich im Verhältnis zu Großbritannien manifestiert hat – erhebliches Gestaltungspotential. Unproblematischer erscheinen steuerliche Lohnsubventionen. Bemessungsgrundlagenabzüge für Zugezogene wären zwar ähnlichen gleichheitsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wie § 3b EStG,124 sind als standortpolitische Maßnahmen aber rechtfertigungsfähig, zumal empirische Studien belegen, dass derartige Maßnahmen – jedenfalls aus der Perspektive kleiner Länder125 – durchaus effizient sind.126 Zu höheren Nettogehältern von Forschern könnte auch eine lohnaufwandsabhängige Ausgestaltung einer FuE-Förderung beitragen,127 dann allerdings nicht beschränkt auf den Zuzug ausländischer Wissenschaftler. Arbeitsmarktpolitische Anreize können ferner durch die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Gewinn- und Kapitalbeteiligung von Mitarbeitern128 gesetzt werden.

5. Zurücknahme von Abwehrmaßnahmen a) AStG-Reform Einigkeit besteht hinsichtlich des Reformbedarfs des Außensteuerrechts. Die seit langem erhobene Reformforderung129 hat sowohl durch den OECD-BEPS-Prozess, der die Hinzurechnungsbesteuerung in Action 3130

124 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. 22, 714 ff., 753 f.; Kanzler in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3b EStG Anm. 5 f. (Sept. 2013). 125 Für Dänemark s. Kleven et al., Quarterly Journal of Economics 2014, 333 ff. 126 Del Carpio, Global Migration of Talent and Tax Incentives: Evidence from Malaysia’s Returning Expert Program, The World Bank, 2016; allgemein zum Einfluss von Steuersatzunterschieden auf die Arbeitsmobilität Moretti/ Wilson, American Economic Review 2017, 1858 ff. 127 Spengel, Steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) in Deutschland. Ökonomische Begründung, Handlungsbedarf und Reformbedarf, 2009. 128 In diese Richtung speziell für sog. Start-Up-Unternehmen der Antrag von Nordrhein-Westfalen, BR-Drucks. 310/18, 6. 129 Besonders prominent durch den VorsRiBFH a.D. Franz Wassermeyer, DB 2007, 535. 130 OECD, Designing Effective Controlled Foreign Company Rules, Action 3, Final Report, 2015.

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behandelt, als auch durch die in Art. 7 und 8 ATAD enthaltenen Vorgaben für eine europaweite Hinzurechnungsbesteuerung neue Nahrung erhalten. Auch hier bedarf es jedoch zunächst einer Standortbestimmung und Definition der Zielsetzung. Abgesehen von notwendigen Einzelkorrekturen stellt sich die grundsätzlichere Frage, ob ein vor knapp 50 Jahren erlassenes und strukturell nie grundlegend reformiertes Maßnahmegesetz noch die richtige Positionierung im Steuerwettbewerb des Jahres 2018 ist.131 Es ist zunehmend unklar, welche Zwecke das AStG aktuell verfolgt. Geht es noch um die ursprünglich beabsichtigte Missbrauchsvermeidung?132 Oder sollen generell Vorteile eines Steuersatzgefälles abgeschöpft werden? Aus wettbewerbspolitischer Sicht ließe sich aber auch umgekehrt fragen, ob nicht in Deutschland ansässigen Unternehmen in bestimmtem Umfang ermöglicht werden sollte, niedrigere Steuern im Ausland auszunutzen, um Wettbewerbsnachteile zu verhindern. Ohne die U.S.-Steuerreform verklären zu wollen, ist eine GILTI, die eben nicht zum Heraufschleusen auf das U.S.-Steuerniveau, sondern zu einer ermäßigten Belastung i.H.v. rund 13 % führt, eine Konzession an die Wettbewerbsfähigkeit von U.S.-Multinationals bei gleichzeitiger Verfolgung fiskalischer Interessen. Analysiert man jenseits dieser Grundsatzfragen den Reformbedarf des AStG im Einzelnen, so ist zu unterscheiden, zwischen europarechtlich Gebotenem und standortpolitisch Sinnvollem. Beides kann sich durchaus decken. Dabei ist der unmittelbare Reformbedarf infolge der ATAD je nach Verständnis des in Art. 3 ATAD normierten Konzepts des Mindeststandards133 bemerkenswert gering. Unmittelbarer Anpassungsbedarf besteht im Hinblick auf die im Passivkatalog der ATAD enthaltenen Lizenz- und Dividendeneinkünfte in Zwischengesellschaften, die nach

131 Ähnlich Haase, AStG/DBA3, Teil I, Einleitung Rz. 2 ff.; Köhler in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 18.1 ff. (Feb. 2017); Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, AStG, Vor §§ 7–14 Rz. 15 ff. (Aug. 2016). 132 BT-Drucks. VI/2883, 14. Allerdings spricht die Gesetzesbegründung nicht explizit von „Missbrauch“, sondern von „ungerechtfertigten Steuervorteilen“. Zur Intention des historischen Gesetzgebers Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.2 ff.; Jacobsen, IStR 2018, 433 f. 133 Hierzu Hey, StuW 2017, 248 (250 ff.).

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§ 8 Abs. 1 AStG aktiv sein können.134 Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Art. 3 ATAD auch konzeptionelle Sonderwege135 deckt – zB Aktivkatalog statt Passivkatalog. Dies ist im Interesse effektiver Harmonisierung zu verneinen, weil es durch konzeptionelle Unterschiede weiterhin zu Brüchen kommt, die durch die Harmonisierung ja gerade vermieden werden sollen.136 Richtigerweise sollten die durch das Mindestschutzkonzept eröffneten Spielräume auf die Festlegung von Beteiligungsgrenzen, die Aufnahme zusätzlicher Missbrauchsfälle in den Passivkatalog oder die Niedrigsteuerschwelle beschränkt werden.137 Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, die Abwehrmaßnahmen des deutschen AStG seien schärfer als die Vorgaben der ATAD, weshalb kein grundsätzlicher Anpassungsbedarf bestehe.138 Dies mag mit dem Mindestschutzkonzept der ATAD vereinbar sein, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass massiver primärrechtlicher Reformbedarf besteht;139 weite Teile des AStG sind mit den Grundfreiheiten unvereinbar. So wäre die Absenkung der 25 %-Niedrigsteuerschwelle in § 8 Abs. 3 AStG nicht nur ein wichtiges Eingeständnis der veränderten standortpolitischen Rahmenbedingungen, sie ist vielmehr auch ein Gebot der Grundfreiheiten. Denn nach wie vor gilt, dass durch das AStG begründete Nachteile nur dann gerechtfertigt werden können, wenn sie der Missbrauchsvermeidung dienen. Zwar darf sich der Gesetzgeber hierfür des Instruments der Typisierung bedienen, nicht ausreichend ist indes die bloße Exkulpationsmöglichkeit, wie sie in § 8 Abs. 2 AStG geschaffen

134 Erschwert wird die Ermittlung des exakten Anpassungsbedarfs dadurch, dass die ATAD nicht nur den Umfang potentiell hinzurechnungspflichtiger Einkünfte – anders als Deutschland – über einen abschließenden Passivkatalog definiert, sondern die Hinzurechnung nach ATAD nur für nicht ausgeschüttete Gewinne eingreift, vgl. Heinsen/Erb, DB 2018, 975 (978). 135 Vergleich der Art. 7, 8 ATAD mit dem AStG Heinsen/Erb, DB 2018, 975 ff., allerdings ohne Festlegung, ob in Bezug auf strukturelle Unterschiede Transformationspflichten bestehen. 136 Insofern skeptisch, ob die ATAD zu hinreichender Uniformität führen wird Ginevra, Intertax 2017, 120 (137). 137 Ebenso Schönfeld, IStR 2017, 721 (723 f.). 138 Vielleicht ist dies Grund dafür, dass bis zum 31.10.2018 noch nicht einmal der Entwurf eines ATAD-Umsetzungsgesetzes vorlag, obwohl die Umsetzungsfrist Ende 2018 ausläuft. 139 Zu verfassungsrechtlichem Reformbedarf Jacobsen, IStR 2018, 433 ff.

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wurde, wenn der Tatbestand selbst nicht auf Missbrauchstypisierung beschränkt ist.140 Ein auslösender Steuersatz, der in einigen Fällen sogar über der kombinierten inländischen Tarifbelastung von 22,825 %141 liegt, wird dieser Anforderung nicht gerecht. Hierfür bedürfte es eines eindeutigeren Steuergefälles, wie es etwa in der ATAD mit 50 % der im Ansässigkeitsstaat des beherrschenden Gesellschafters geltenden Körperschaftsteuerbelastung142 vorgesehen ist. Dieselben Vorbehalte gelten gegenüber dem § 8 Abs. 1 KStG zugrundeliegenden Aktiv-/Passiv-Konzept, das jegliche Einkunft, die nicht im Katalog des § 8 Abs. 1 ATAD enumeriert ist, automatisch zu passiven Einkünften macht, und zwar auch, soweit sie aus neuen und deshalb nicht im Katalog des § 8 Abs. 1 AStG enthaltenen Geschäftsmodellen stammen,143 die mit Aktivität im Zielstaat verbunden und nicht steuerlich motiviert sind. Ein abschließender Passivkatalog, wie er in der ATAD vorgesehen, wohl aber nicht verbindlich vorgeschrieben ist,144 würde die derzeit durch ein kompliziertes Ausnahmen/Rückausnahmen-System belastete Rechtsanwendung zudem vereinfachen.145 Auch die nicht auf die gesellschaftsrechtliche Einflussnahmemöglichkeit, sondern auf das Ausmaß der Inländerbeteiligung abstellende Beherrschungskonzeption des § 7 Abs. 1 AStG ist nicht Ausdruck einer Missbrauchsvermutung.146 Dies gilt umso mehr für die erweiterte Hinzurechnung für Finanzierungsgesellschaften iSv. § 7 Abs. 6 AStG, für die bereits eine Beteiligung von 1 % ausreicht. Nicht nur grundfreiheitenrechtlich ist eine Beschränkung auf gesellschaftsrechtliche Beherr140 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), ECLI:EU:C:2006:54 = FR 2006, 987, Rz. 64; zu der hieraus folgenden fortbestehenden Unionsrechtswidrigkeit des AStG Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 13.142. 141 15 % Körperschaftsteuer, zzgl. Solidaritätszuschlag und 200 Punkte Mindesthebesatz nach § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG. 142 Wobei sich dann für Deutschland sofort die Frage stellt, ob die Gewerbesteuer mit einzubeziehen ist. 143 Ausdrücklich begrüßt, aber ohne europarechtliche Würdigung von Jacobsen, IStR 2018, 433 (440). 144 Str. für Wahlfreiheit Dehne, ISR 2018, 132 (135). 145 Heinsen/Erb, DB 2018, 975 ff.; Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293 (295). 146 Siehe im Unterschied hierzu Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD (iVm. mit der Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. 4 ATAD), wonach eine Beherrschung grds. voraussetzt, dass der Stpfl. selbst oder zusammen mit einem verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte hält.

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schungssituationen geboten, sondern auch aus Gründen der Vollzugsgleichheit, da sich weder die Anforderungen des § 7 Abs. 1 noch Abs. 6 AStG effektiv kontrollieren lassen.147 Gleichzeitig führt der derzeitige Verzicht auf ein gesellschaftsrechtliches Beherrschungserfordernis dazu, dass die Regelungen des AStG in den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen, da es hierfür nach Maßgabe der Rspr. des EuGH unabhängig von der tatsächlichen Beteiligungshöhe ausreicht, dass die inkriminierte Norm tatbestandlich keine, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft vermittelnde, Mindestbeteiligung erfordert.148 Sollte der Gesetzgeber am bisherigen Beherrschungskonzept festhalten, müsste jedenfalls der Anwendungsbereich der Exkulpationsmöglichkeit des § 8 Abs. 3 AStG auf Drittstaatensachverhalte ausgedehnt werden.149 Dass die Hinzurechnungsbesteuerung bereits seit Erlass des AStG im Jahre 1972 besteht, ändert hieran nichts. Eine Berufung auf die als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegende150 Standstill-Klausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV scheidet aus, weil der Regelungszusammenhang, in den die AStG-Vorschriften eingebettet sind, heute ein anderer ist als zum 1.1.1993. Dies reicht, wie der EuGH jüngst in der Rs. EV noch einmal verdeutlich hat,151 aus, um den Bestandsschutz für die Norm in Bezug auf Drittstaatensachverhalte entfallen zu lassen. Das leidige Problem der Anrechnungsüberhänge in der Gewerbesteuer, das der Gesetzgeber durch § 7 Satz 7 GewStG entgegen der seitens des BFH gefundenen Lösung152 gesetzgeberisch festgeschrieben hat, wäre bei entsprechendem gesetzgeberischen Willen unproblematisch lösbar.153 Es weist zudem zurück auf die durch die Zweigleisigkeit der Unternehmensbesteuerung verursachten Verwerfungen und den Bedarf nach einer grundsätzlichen Gewerbesteuerreform.

147 Waldhoff, StuW 2013, 221 ff. 148 EuGH v. 13.11.2012 – C-35/11 (Test Claimants in the FII Group Litigation), ECLI:EU:C:2012:707, Rz. 99. 149 In diese Richtung auch Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293 (298). 150 EuGH v. 13.10.2013 – C-181/12 (Welte), ECLI:EU:C:2013:662 = FR 2013, 1105, Rz. 29. 151 EuGH v. 20.9.2018 – C-685/16 (EV), ECLI:EU:C:2018:743 = GmbHR 2018, 1211, Rz. 79 f. 152 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1090 = FR 2015, 719. 153 Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293 (296).

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b) Weitere Abwehrmaßnahmen, zB gewerbesteuerliche Hinzurechnungen Generell wäre der deutsche Gesetzgeber gut beraten, das Geflecht der über die letzten Jahrzehnte gegen Steuerwettbewerb und vermeintlichen Missbrauch geschaffenen Abwehrmaßnahmen einer Bestandsaufnahme und generellen Überprüfung auf Zielgerechtigkeit und Eignung zu unterwerfen.154 Auch wenn der Schwerpunkt auf dem AStG liegt, sollte man nicht vergessen, dass Abwehrmaßnahmen auch in andere Gesetze Einzug gehalten haben und sich zum Teil überlagern. Dies gilt namentlich für die Hinzurechnung in der Gewerbesteuer. Man denke etwa an die Hinzurechnung von Lizenzgebühren nach § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG und ihr Verhältnis zur Lizenzschranke.155

IV. Zeitpunkt der Reform Dass Reformbedarf besteht, und zwar an mannigfaltigen Stellen, dürfte hinreichend deutlich geworden sein. Die Frage ist, wann die Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Wie lange hält ein großer Standort wie Deutschland ein massives Steuersatzgefälle aus, noch dazu wenn er seinen Unternehmen wenig Schlupflöcher lässt, man könnte auch von Atemlöchern sprechen, die es erlauben, die hohe Inlandsbelastung durch Ausnutzung des niedrigen Steuerniveaus im Ausland zumindest partiell zu neutralisieren?156 Bezüglich der europa- und verfassungsrechtlich induzierten Reformnotwendigkeiten ist die Antwort auf den richtigen Zeitpunkt eindeutig: So schnell wie möglich! Für die Umsetzung der ATAD drängt die Zeit; die Umsetzungsfrist (Art. 11 Abs. 1 ATAD) läuft zum 31.12.2018 ab. Die Loyalitätspflicht des Art. 4 Abs. 3 EU-Vertrag zwingt den Gesetzgeber zudem zur sofortigen und rückwirkenden157 Umsetzung von EuGH-Urteilen. Aber auch mit der Beseitigung des mittlerweile nicht mehr von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG gedeckten Solidaritätszuschlags sollte sich der Gesetzgeber keine Zeit lassen. In Anbetracht der bereits seit Jahren be154 Zur Notwendigkeit einer Bestandsaufnahme Hey, DStZ 2017, 632 (639). 155 Mit der Vorschrift sollen Gewinnverlagerungen verhindert werden („lex IKEA“), vgl. BT-Drucks. 16/4841, 31; dazu Keß in Lenski/Steinberg, GewStG, § 8 Nr. 1 Buchst. f Rz. 4 (Juni 2018). 156 So die U.S.-Strategie vor 2018, s. zuvor Abschnitt II.4. (Fn. 47). 157 StRspr. des EuGH, s. zum Steuerrecht insbes. EuGH v. 6.3.2007 – C-292/04 (Meilicke), ECLI:EU:C:2007:132 = GmbHR 2007, 378, Rz. 34 ff.; hierzu auch Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 11 Rz. 8.

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stehenden eklatanten Diskrepanz zwischen den Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag und den Zuweisungen an die neuen Länder liegt die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags, und zwar bereits aktuell, und nicht erst mit dem endgültigen Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2021, auf der Hand. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar über die diesbezügliche Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts158 noch nicht entschieden. Auch mag der Gesetzgeber darauf hoffen, dass ihm in jedem Fall eine Übergangsfrist eingeräumt würde. Andererseits zeigt die Entscheidung zur Kernbrennstoffsteuer, dass das Bundesverfassungsgericht die finanzverfassungsrechtliche Kompetenz- und Einnahmenverteilung ernst nimmt und ggf. auch rückwirkend durchsetzt.159 Schwieriger ist die Antwort auf die Frage, wann es einer weiteren Absenkung der Tarifbelastung unternehmerischer Gewinne bedarf. Einer der Hauptkritikpunkte der U.S.-Steuerreform ist, dass die massive Entlastung in einer Phase wirtschaftlicher Stabilität und Vollauslastung der Wirtschaft zur Unzeit gekommen160 und nicht seriös gegenfinanziert ist. Dies führt zu Zinsanstieg161 und lässt zukünftige Kürzungen im U.S.-Sozialsystem befürchten. Eine mit massiven Haushaltsrisiken verbundene Steuersenkung gefährdet ihre eigenen Ziele, weil im Standortwettbewerb auch Verlässlichkeit großes Gewicht hat. Deshalb müsste eine Reform seriös finanziert sein. Dies könnte für die schrittweise Absenkung des Körperschaftsteuersatzes bei gleichzeitiger Ankündigung eines Zielwerts sprechen. Ungeachtet dessen, wie man die politische Frage des richtigen Zeitpunkts des nächsten Schritts einer Tarifmaßnahme im Ergebnis beantwortet, müssen Vorarbeiten hierzu sofort aufgenommen werden. Die Beweglichkeit des deutschen Steuergesetzgebers ist aufgrund der Zweigleisigkeit der Unternehmensbesteuerung stark eingeschränkt. Dort, wo andere Staaten durch schlichte Absenkung ihres Körperschaftsteuersatzes reagieren, stellt der internationale Steuerwettbewerb die Grundkonzeption des gesamten Unternehmensteuersystems in Deutschland in Frage. Wie schwierig es ist, diese Strukturdefizite zu beseitigen, ist in vergangenen erfolglosen Versuchen grundlegender Unternehmensteuerreform deut158 S. zuvor Fn. 89. 159 BVerfG v. 13.4.2017 – 1 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171 (Rz. 162). 160 Wirtschafts- und Geldpolitische Bedenken wegen der massiven Budgetdefizite Belke/Burghof, Wirtschaftsdienst 2017, 172 (174 f.). 161 Für die Entwicklung der U.S.-Leitzinsen (Prime Rate) s. http://www.fedpri merate.com/wall_street_journal_prime_rate_history.htm.

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lich geworden. Deutlich ist aber auch, dass ein solcher Umbau unausweichlich ist. Die erforderlichen Arbeiten hierzu sollten sofort aufgenommen werden, denn sie werden Zeit benötigen. Reformvorschläge liegen zwar in vielfältiger Form auf dem Tisch. Es sind jedoch nach wie vor viele Fragen offen. Insbesondere – dies betrifft vor allem die Reform der Gewerbesteuer – ist sorgfältig an der Ausgestaltung des Übergangs zwischen neuem und altem Rechtszustand zu arbeiten.

V. Fazit Deutschland sollte zunächst seine eigenen standortpolitischen Ziele definieren. Ob sie dann so rücksichtslos durchgesetzt werden, wie dies den USA vorgeworfen wird, steht auf einem anderen Blatt. In jedem Fall sollte Deutschland Abstand davon nehmen, seine Ziele unreflektiert über die EU durchzusetzen. Diese Strategie ist durch den Verlust von Handlungsoptionen nach Harmonisierung teuer erkauft. Schließlich sollte Deutschland auch nicht darauf vertrauen, dass OECD-Initiativen die Probleme des Steuerwettbewerbs lösen.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München

I. Mitunternehmerstellung des Personengesellschafters 1. Verhältnis von Gesellschafterund Mitunternehmerstellung 2. BFH-Urteil vom 22.6.2017 – IV R 42/13 (FR 2018, 312) 3. BFH-Urteil vom 1.3.2018 – IV R 15/15 (BStBl. II 2018, 539) 4. Bestimmung der Mitunternehmerstellung nach Grundsätzen des wirtschaftlichen Eigentums 5. Mitunternehmerstellung unabhängig von Dauer der Beteiligung 6. Mitunternehmerstellung und Nießbrauch 7. Gewinnerzielung bei Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums II. Teilanteilsveräußerung durch Prinzipal einer atypisch stillen Gesellschaft 1. BFH-Urteil vom 1.3.2018 – IV R 38/15 (BStBl. II 2018, 587) 2. „Eigenes“ und „treuhänderisches“ Vermögen des Prinzipals 3. Teilanteilsübertragung von Prinzipal auf stillen Gesellschafter III. Veräußerung an Schwestergesellschaft und § 6b EStG 1. Buchwerttransfer zwischen Schwesterpersonengesellschaften?

2. BFH-Urteil vom 9.11.2017 – IV R 19/14 (BStBl. II 2018, 575) 3. Übertragung des Gewinns aus der Veräußerung an eine Schwesterpersonengesellschaft nach § 6b EStG IV. Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlage bei Einbringung nach § 20 UmwStG 1. BFH-Urteil vom 29.11.2017 – I R 7/16 (FR 2018, 508) 2. Bestätigung der zeitpunktbezogenen Betrachtung für Übertragungen und Veräußerungen von Sachgesamtheiten V. Verrechenbarer Verlust iSd. § 15a EStG bei Teilanteilsübertragung 1. BFH-Urteil vom 1.3.2018 – IV R 16/15 (BStBl. II 2018, 527) 2. Verrechenbarer Verlust bei unentgeltlicher Teilanteilsübertragung 3. Verrechenbarer Verlust bei entgeltlicher Teilanteilsübertragung VI. Keine Abfärbung von Verlusten 1. BFH-Urteil vom 12.4.2018 – IV R 5/15 (FR 2018, 959) 2. Grenzen der Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG

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Wendt, Rechtsprechungs-Highlights zu Personengesellschaften VII. Verluste aus Etablierungskosten eines Fonds 1. BFH-Urteil vom 26.4.2018 – IV R 33/15 (FR 2018, 1145)

2. Keine fiktiven Investitionskosten bei Anlauf eines Fonds

I. Mitunternehmerstellung des Personengesellschafters 1. Verhältnis von Gesellschafter- und Mitunternehmerstellung Personengesellschaften, die eine unternehmerische Tätigkeit ausüben, sind Mitunternehmerschaften iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG; die Gewinnanteile sind den Mitunternehmern als Einkünfte zuzurechnen. Grundsätzlich decken sich die zivilrechtliche Stellung als Gesellschafter und die steuerrechtliche Stellung als Mitunternehmer. Weil steuerrechtlich vom zivilrechtlichen Eigentum abgewichen wird, wenn die Voraussetzungen für wirtschaftliches Eigentum nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO erfüllt sind, kann auch eine Person als Mitunternehmer anzusehen sein, die nicht zivilrechtlich Gesellschafter ist, aber iS eines wirtschaftlichen Eigentümers an dessen Stelle tritt. Was wirtschaftliches Eigentum ausmacht, hat der BFH dahin beschrieben, dass ein Anderer den zivilrechtlichen Eigentümer für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, weil ihm auf Dauer, nämlich für die voraussichtliche Nutzungsdauer, Substanz und Ertrag des Wirtschaftsguts wirtschaftlich zustehen.1 In ähnlicher Weise muss es sich auch beim wirtschaftlichen Eigentum an einem Personengesellschaftsanteil verhalten, wobei hier die Besonderheit besteht, dass der Anteil selbst kein Wirtschaftsgut ist, sondern nur die ideellen Anteile an den Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens verkörpert.2 Auch dieser Anteil kann einem Anderen als dem Gesellschafter zuzurechnen sein. Ein häufiger Anwendungsfall für das Auseinanderfallen von wirtschaftlichem und zivilrechtlichem Eigentum ist die dem Erwerb des Eigentums vertraglich vorgeschaltete Phase des Übergangs von Besitz und wirtschaftlichen Lasten. Wird dem Erwerber das Wirtschaftsgut bereits

1 StRspr., aus neuerer Zeit etwa BFH v. 22.9.2016 – IV R 1/14, BStBl. II 2017, 171 = FR 2017, 1099. 2 Vgl. zB BFH v. 26.6.1990 – VIII R 81/85, BStBl. II 1994, 645 = GmbHR 1990, 525.

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Wendt, Rechtsprechungs-Highlights zu Personengesellschaften

vor dem Eigentumsübergang mit der Verpflichtung zur Übernahme der wirtschaftlichen Lasten übergeben, kann der Erwerber unter dem rechtlichen Schutz des Anwartschaftsrechts von diesem Augenblick an den zivilrechtlichen Eigentümer auf Dauer von der Fruchtziehung und der Substanzverwertung ausschließen. Einen ähnlich vorgezogenen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums muss es auch bei der Stellung als Gesellschafter einer Personengesellschaft geben. Mit den Anforderungen an den Übergang der Mitunternehmerstellung in einem solchen Fall hatte sich der BFH in zwei neueren Urteilsfällen zu befassen.

2. BFH-Urteil vom 22.6.2017 – IV R 42/13 (FR 2018, 312) Das Urteil vom 22.6.2017 – IV R 42/133 betraf eine KG, die im Streitjahr 2008 Anteile von mehreren Kommanditisten einer Publikumsfonds-KG erworben hatte. Jene Fonds-KG betrieb ein Schiff und ermittelte ihren Gewinn pauschal gem. § 5a EStG nach der Tonnage. Alle erworbenen Anteile hatte die Klägerin wenig später mit Gewinn an einen Zweitmarktfonds weiterveräußert. Im Rahmen der Gewinnfeststellung für die Schiffs-KG lehnte es das FA ab, die Klägerin als Mitunternehmerin aufzunehmen und ihr den erklärten Gewinnanteil von 4,85 Euro zuzurechnen. Das FG gab der Klage statt.4 Der BFH bestätigte das Urteil des FG. Der Mitunternehmerstellung stehe es nicht entgegen, wenn der Erwerber eines Personengesellschaftsanteils von Anfang an die Absicht habe, den Anteil kurzfristig weiterzuveräußern. Wenn er dabei einen Gewinn nur aus der Weiterveräußerung des Anteils anstrebe, reiche dies für die Gewinnerzielungsabsicht aus. Die Klägerin sei Mitunternehmerin gewesen, obwohl sie die zivilrechtliche Stellung als Gesellschafterin bis zur Weiterveräußerung der Anteile noch nicht hatte erwerben können. Zwar sei Mitunternehmer grundsätzlich der Gesellschafter. Werde dem Erwerber schuldrechtlich aber eine rechtlich geschützte Position verschafft, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden könne und die ihm die Übernahme des Mitunternehmerrisikos sowie die Wahrnehmung der Mitunternehmerinitiative si-

3 BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, FR 2018, 312, mit Anm. von Baldauf, HFR 2018, 202; Bohn, DStR 2018, 1265; Pflüger, GStB 2018, 43; Weiss, EStB 2018, 3; Wendt, BFH/PR 2018, 53; Wendt, FR 2018, 318. 4 FG Hamburg v. 18.10.2013 – 6 K 175/11, EFG 2014, 360.

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chere, sei ihm anstelle des Gesellschafters die Mitunternehmerstellung als wirtschaftlichem Eigentümer des Gesellschaftsanteils zuzurechnen. Weil die Schiffsfonds, deren Anteile die Klägerin erworben und sogleich weiterveräußert hatte, ihren Gewinn pauschal gem. § 5a EStG nach der Tonnage ermittelten, waren die Veräußerungsgewinne der Klägerin mit dem Pauschbetrag abgegolten. Während das FA darin einen Gestaltungsmissbrauch sah, weil die Klägerin ihr Geschäft auch als Vermittler mit einer nicht durch die Pauschale abgegoltenen Provision hätte organisieren können, hatte der BFH keine Bedenken dagegen, dass auch bei kurzfristiger Beteiligung die Abgeltungswirkung der Pauschale genutzt werden kann.

3. BFH-Urteil vom 1.3.2018 – IV R 15/15 (BStBl. II 2018, 539) Im Fall des Urteils vom 1.3.2018 – IV R 15/155 ging es um den zweistufigen Verkauf aller Anteile an einer GmbH & Co. KG an einen Investor. Die Anteile aller Kommanditisten an der KG sowie die Anteile an deren Komplementär-GmbH wurden mit notariellem Vertrag vom 13.1.2000 an eine AG veräußert. Der Vertrag sah vor, dass Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises zunächst 75 % der Anteile zum 31.1.2000 übergehen sollten (sog. Übertragungsstichtag I). Die restlichen Anteile von 25 % sollten zum 31.1.2001 (sog. Übertragungsstichtag II) gegen Zahlung des Restkaufpreises übergehen. Der gesamte Kaufpreis war aber bereits ab dem 1.2.2000 zu verzinsen. Ua. unter Hinweis darauf traten die Verkäufer ihre Gewinnanteile aus der KG sowie das Gewinnbezugsrecht aus der Komplementär-GmbH ab dem 1.2.2000 bereits vollständig an die AG ab. Zugleich wurde der Gesellschaftsvertrag der KG geändert, wonach das anfallende Ergebnis ab dem 1.2.2000 der AG zustehen und die Verkäufer weder am Gewinn noch Verlust beteiligt sein sollten. Die Verkäufer verpflichteten sich außerdem, ab dem 1.2.2000 in der Gesellschafterversammlung der GmbH nicht gegen die AG zu stimmen. Die Abtretungen standen unter mehreren Bedingungen, insbes. einer Nichtuntersagungsverfügung des Bundeskartellamts. Im Handelsregister wurden im Juli 2000 der Eintritt der AG als weitere Kommanditistin und im März 2001 das Ausscheiden der Altkommanditisten eingetragen.

5 BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539 = FR 2018, 951, mit Anm. von Dorn, Ubg. 2018, 559; Formel, EStB 2018, 319; Greco, BB 2018, 2034; Hoheisel, StuB 2018, 660; Wendt, BFH/PR 2018, 260; Wendt, FR 2018, 958.

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Das FA stellte im Gewinnfeststellungsbescheid 2000 einen Gewinn aus der Veräußerung der gesamten Mitunternehmeranteile für die Altkommanditisten fest. Diese waren der Auffassung, ihnen sei im Jahr 2000 nur die Veräußerung von 75 % der Anteile zuzurechnen, konnten sich damit aber weder beim FA noch beim FG6 durchsetzen. Der BFH wies auch die Revision zurück. Die Altkommanditisten hätten im Streitjahr 2000 nicht nur 75 %, sondern sämtliche Mitunternehmeranteile auf die Erwerberin übertragen. Denn das wirtschaftliche Eigentum an den Restanteilen von 25 % sei bereits vor dem zivilrechtlichen Anteilserwerb übergegangen. Erfülle ein Anderer als der zivilrechtliche Gesellschafter die Voraussetzungen eines Mitunternehmers, weil er anstelle des Gesellschafters vollständig dessen gesellschaftsrechtliche Position einnehmen könne, die es ihm ermögliche, Mitunternehmerrisiko zu tragen und Mitunternehmerinitiative zu entfalten, sei diesem der Anteil an der Personengesellschaft zuzurechnen. Mitunternehmerrisiko und -initiative seien bereits zum Übertragungsstichtag I voll auf die Erwerberin übergegangen. Mit dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums sei der Veräußerungsgewinn entstanden. Das FA habe ihn deshalb zutreffend voll im Streitjahr 2000 erfasst.

4. Bestimmung der Mitunternehmerstellung nach Grundsätzen des wirtschaftlichen Eigentums Mit den beiden Urteilen macht der BFH deutlich, dass sich die Zurechnung der Mitunternehmerstellung für einen Gesellschaftsanteil, der grundsätzlich dem Gesellschafter eine Mitunternehmerstellung verschafft, nach dem wirtschaftlichen Eigentum an dem Gesellschaftsanteil richtet. Grundsätzlich knüpft das Steuerrecht an die Zivilrechtslage an, enthält aber für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern eine Ausnahmeregel in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, wonach diese einem vom zivilrechtlichen Eigentümer abweichenden wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen sind. Die Regelung wendet der BFH auch auf die Zurechnung eines Personengesellschaftsanteils an, der ja ertragsteuerlich als Summe der ideellen Anteile an den Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens verstanden wird. Die Abweichung vom zivilrechtlichen Eigentum setzt nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO voraus, dass der zivilrechtliche Eigentümer für die gesamte (Rest-)Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts weder auf die Erträge 6 FG Hamburg v. 2.2.2015 – 6 K 277/12, EFG 2015, 976.

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noch die wirtschaftliche Substanz des Wirtschaftsguts zugreifen kann. Für einen Personengesellschaftsanteil bedeutet dies nichts anderes, als dass ein Anderer als der Gesellschafter an dessen Stelle das Mitunternehmerrisiko trägt und die Mitunternehmerinitiative ausüben kann, denn nur so ist ihm der alleinige wirtschaftliche Zugriff auf Substanz und Erträge der Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens in Höhe des dem Gesellschafter zustehenden Anteils möglich. Während bei der Frage, ob ein Gesellschafter überhaupt eine Mitunternehmerstellung einnimmt, dessen Initiativ- und Vermögensrechte abgewogen werden müssen, ist für den Übergang der bestehenden Mitunternehmerstellung des Gesellschafters auf eine andere Person erforderlich, dass alle für Mitunternehmerrisiko bzw. -initiative maßgebenden Rechte auf die andere Person übergegangen sind. Der Anteil des Gesellschafters ist danach bereits dem Erwerber zuzurechnen, wenn Letzterer anstelle des Gesellschafters dessen gesellschaftsrechtliche Position einnehmen kann, die es ihm ermöglicht, Mitunternehmerrisiko zu tragen und Mitunternehmerinitiative zu entfalten. Das setzt voraus, dass der Erwerber rechtsgeschäftlich eine auf den Erwerb des Gesellschaftsanteils gerichtete, rechtlich geschützte Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann und die ihm schon vor Erwerb der Gesellschafterstellung die Übernahme des Mitunternehmerrisikos sowie die Wahrnehmung der Mitunternehmerinitiative anstelle des Veräußerers sichert. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des Gesellschaftsvertrags und der Bedingungen des Übertragungsvertrags zu prüfen. Das aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem Gesellschafter und dem Anteilserwerber folgende Risiko der vollständigen Vertragsabwicklung ist kein „Mitunternehmer“-Risiko, weil es nicht aus dem Gesellschaftsverhältnis folgt. Es ist deshalb insoweit ohne Bedeutung, dass es im Fall der zwischenzeitlichen Insolvenz des Erwerbers zur Rückabwicklung des Übertragungsgeschäfts und damit im Ergebnis doch noch zu einer Haftung für Verluste kommen könnte.

5. Mitunternehmerstellung unabhängig von Dauer der Beteiligung Im Fall des Urteils vom 22.6.2017 – IV R 42/137 hatte das FA die Mitunternehmerstellung des Anteilserwerbers verneint, weil dieser Beteiligungen nur zum Zweck der gewinnbringenden baldmöglichen Weiter7 BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, FR 2018, 312.

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veräußerung erworben hatte. Die Anteile wurden dann auch tatsächlich nur wenige Tage nach Abschluss der Erwerbsverträge und noch vor Erwerb der zivilrechtlichen Gesellschafterstellung weiterveräußert. Dies steht nach Meinung des BFH aber einer Mitunternehmerstellung für die Zeit, in der der Anteil dem Erwerber als wirtschaftlichem Eigentümer zuzurechnen ist, nicht entgegen. Es bedarf auch nicht der Absicht, in der kurzen Zeit der Beteiligung einen Anteil am laufenden Gewinn zu erhalten, weil auch der Gewinn aus dem sofortigen Weiterverkauf des Anteils ein Gewinn aus der Beteiligung als Mitunternehmer ist und die Absicht auf Erzielung eines solchen Gewinns als Gewinnerzielungsabsicht des Zwischenerwerbers ausreicht. Noch nicht entschieden hat der BFH, ob Mitunternehmer auch wird, wer den Anteil erwirbt, um ihn sofort – nach einer logischen Sekunde – weiterzuveräußern. Das FG München hatte in einem durch Rücknahme der Revision rechtskräftig gewordenen Urteil aus dem Jahr 2008 für einen derartigen Fall das Mitunternehmerrisiko wegen des bereits feststehendem Veräußerungspreises und die Mitunternehmerinitiative wegen der Unmöglichkeit laufender unternehmerischer Tätigkeiten in dem Zeitraum, in dem der Veräußerer Gesellschafter war, verneint.8 Dieser Auffassung hat sich später das FG Hamburg angeschlossen.9 Dem Urteil des BFH vom 22.6.2017 IV R 42/1310 lässt sich demgegenüber entnehmen, dass als Mitunternehmerrisiko bereits die Kombination von potentieller Teilnahme am laufenden Gewinn und Verlust sowie der realen Aussicht auf Erzielung eines Veräußerungsgewinns ausreichen dürfte. Auf die tatsächliche Ausübung von Mitunternehmerinitiative kommt es für eine Mitunternehmerstellung grundsätzlich ebenfalls nicht an. Insoweit wäre allenfalls die Frage zu stellen, ob eine reale Möglichkeit zur Ausübung bestehen muss oder ob die in der logischen Sekunde bestehende rechtliche Möglichkeit zur Ausübung der Initiative ausreicht.11

6. Mitunternehmerstellung und Nießbrauch Häufig diskutiert wird in der letzten Zeit die Frage, wem ein Anteil zuzurechnen ist, an dem ein Nießbrauchrecht bestellt wird. Hier wird zT vertreten, es könnten sowohl Gesellschafter als auch Nießbraucher Mit-

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FG München v. 7.10.2008 – 6 K 3945/06, EFG 2009, 184, rkr. FG Hamburg v. 25.11 2015 – 2 K 203/13, EFG 2016, 499, rkr. BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, FR 2018, 312. ME reicht die strukturell mögliche Ausübung der Initiative aus.

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unternehmer in Bezug auf denselben Mitunternehmeranteil sein.12 Nach den Grundsätzen der hier vorgestellten Urteile kann eine solche „Verdoppelung“ der Mitunternehmerstellung nicht in Betracht kommen. Denn wenn die Mitunternehmerstellung des Personengesellschafters von der Zurechnung des Gesellschaftsanteils nach § 39 AO abhängt, kann es für einen Gesellschaftsanteil nur einen Mitunternehmer geben. Dabei kann Mitunternehmer auch wiederum ein Personenzusammenschluss, beispielsweise eine Unterbeteiligungsgesellschaft, sein. Dann wird die Mitunternehmerstellung aber dieser Beteiligungsgesellschaft zuzurechnen sein und erst auf deren Ebene wird es zu einer Verteilung der Einkünfte kommen. Gedanklich muss dann eine Übertragung vom bisherigen Mitunternehmer auf die Unterbeteiligungsgesellschaft vorausgegangen sein. Sollte die Würdigung eines Nießbrauchverhältnisses dahin gehen, dass Gesellschafter und Nießbraucher nur noch gemeinsam Unternehmerrisiko tragen und Initiative ausüben können, ist mE von der konkludenten Gründung einer Innengesellschaft auszugehen, auf die die Mitunternehmerstellung übertragen worden ist. Der aus einem BFH-Urteil aus dem Jahr 199413 mE zu Unrecht abgeleiteten Vorstellung von einer „diagonalen Spaltung“ des Mitunternehmeranteils14 mit der Folge einer Vervielfachung der Mitunternehmerstellung kann danach nicht gefolgt werden. Auch der jüngst vertretenen These von der „Anteilserweiterung“ auf der Ebene der Personengesellschaft durch die Bestellung eines Vorbehaltsnießbrauchs ist vor diesem Hintergrund nicht zu folgen.15

7. Gewinnerzielung bei Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums Im Fall des Urteils vom 1.3.2018 – IV R 15/1516 betraf der Rechtsstreit auch die Frage, in welchem Veranlagungszeitraum der Gewinn aus der 12 So etwa Bode in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 15 EStG Rz. 366; Haep in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Anm. 443; Wacker in Schmidt, EStG37, § 15 Rz. 309; aA Desens/Blischke in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Anm. C 145. 13 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241. Das Urteil enthält keine Aussage zur Mitunternehmerstellung des Nießbrauchers, sondern betrifft allein die Frage, ob der Gesellschafter auch nach Bestellung eines Vermächtnisoder Zuwendungsnießbrauchs weiterhin Mitunternehmer ist. 14 Söffing/Jordan, BB 2004, 353. 15 Hermes, Das Nießbrauchrecht an Mitgliedschaften im Gesellschafts-, Bilanzund Steuerrecht, 2018, 252 ff.; Hermes, Ubg. 2018, 566. 16 BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539 = FR 2018, 951.

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Übertragung der zweiten Tranche der Kommanditanteile zu versteuern war. Ein Veräußerungsgewinn erhöht die Einkünfte des Jahres, in dem er realisiert ist. Der BFH knüpft dafür nicht an die allgemeinen Grundsätze des Realisationsprinzips an, sondern sieht in der Veräußerung von Sachgesamtheiten iSd. § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG einen in sich geschlossenen, vom laufenden Gewinn zu trennenden, einheitlichen Vorgang, dessen Besteuerung besonderen Regelungen folgt.17 Zur Realisation des Veräußerungsgewinns kommt es danach mit Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der vereinbarte Kaufpreis sofort fällig, in Raten zahlbar oder langfristig gestundet ist und wann der Verkaufserlös dem Veräußerer tatsächlich zufließt.18 Wann das zivilrechtliche Eigentum im Anschluss an den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber übergeht, ist für die Realisation des Veräußerungsgewinns ebenfalls ohne Bedeutung. Diese Grundsätze gelten auch für die Übertragung eines (ganzen) Mitunternehmeranteils, wobei sich Besonderheiten dadurch ergeben, dass Subjekt der Gewinnermittlung die Mitunternehmerschaft selbst ist. Die Veräußerung des Anteils eines Mitunternehmers hat auf den Gewinn der Mitunternehmerschaft selbst keinen Einfluss. Zivilrechtlich erzeugt die Veräußerung eines Personengesellschaftsanteils auch keine Zäsur in der Gewinnermittlung. Vielmehr wird der Gewinn mit Ablauf des Wj. erzielt und den zu diesem Zeitpunkt beteiligten Gesellschaftern zugerechnet. Steuerrechtlich erzielt der ausscheidende Mitunternehmer durch die Veräußerung seines Mitunternehmeranteils einen Gewinn, der mit dem Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums realisiert ist. Dieser Zeitpunkt bestimmt auch die zeitliche Zuordnung des Gewinns zu dem ertragsteuerlichen Veranlagungszeitraum. Das gilt selbst dann, wenn die Mitunternehmerschaft ihren Gewinn für ein abweichendes Wj. ermittelt, denn § 4a Abs. 2 Nr. 2 EStG ist auf den ausscheidenden Mitunternehmer nicht anwendbar.19 Abweichend vom Zivilrecht ist der laufende Gewinn der Mitunternehmerschaft nicht den am Ende des Wj. beteiligten Mitunternehmern, sondern den jeweiligen Mitunternehmern für die Zeit ihrer mitunternehmerischen Beteiligung zuzurechnen. Wenn nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG der Gewinnanteil des Mitunternehmers Bestandteil seiner Einkünfte ist, kann er diese nur in einem Zeitraum erzielen, in dem die Betei17 BFH v. 19.7.1993 – GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897. 18 BFH v. 25.6.2009 – IV R 3/07, BStBl. II 2010, 182 = FR 2010, 329 mwN. 19 BFH v. 18.8.2010 – X R 8/07, BFHE 230, 429, BStBl. II 2010, 1043.

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ligung besteht. Mit dem Ausscheiden aus der Mitunternehmerschaft endet die Erzielung von Einkünften aus dieser Quelle. Daraus folgt, dass der Gewinnermittlungszeitraum der Mitunternehmerschaft in Bezug auf den einzelnen Mitunternehmer nur für die Dauer seiner Beteiligung an der Mitunternehmerschaft Geltung haben kann. Der Gewinnermittlungszeitraum für den im Lauf des Wj. ausscheidenden Mitunternehmer endet mit dem Ausscheiden, und zwar unabhängig davon, ob das Wj. mit dem Kj. identisch ist oder davon abweicht. Nur so wird dem Erfordernis Rechnung getragen, den Mitunternehmer einem Einzelunternehmer gleichzustellen, dessen Wj. auch mit der Einstellung der Tätigkeit enden würde. Ein Veräußerungsgewinn des Einzelunternehmers wäre dann in dem Kj. entstanden, in dem das letzte Wj. endet. Gleiches muss für den Mitunternehmer gelten, ungeachtet dessen, dass für die verbleibenden Mitunternehmer das Ausscheiden nicht zu einem RumpfWj. führt. Die Feststellung des Zeitpunkts, in dem die Einkunftserzielungstätigkeit geendet hat und in dem folglich der bis dahin erzielte laufende Gewinn und der Veräußerungsgewinn entstanden sind, ist eine mit den Einkünften im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlage iSd. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Sie ist deshalb im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus der Mitunternehmerschaft vom BetriebsstättenFA festzustellen. Die betreffende Feststellung erlangt damit Bindungswirkung für die Besteuerung des Einkommens des Mitunternehmers. Diese Bindungswirkung erstreckt sich allerdings nicht auf die Frage, in welchem Veranlagungszeitraum der mit dem Ausscheiden entstandene Gewinn der Besteuerung beim Mitunternehmer unterliegt. Darüber hat vielmehr das für die Besteuerung des Einkommens zuständige FA eigenständig zu entscheiden.

II. Teilanteilsveräußerung durch Prinzipal einer atypisch stillen Gesellschaft 1. BFH-Urteil vom 1.3.2018 – IV R 38/15 (BStBl. II 2018, 587) Im Fall des BFH-Urteils vom 1.3.2018 – IV R 38/1520 war der Gesellschafterwechsel bei einer GmbH & atypisch Still zu beurteilen. Am Stammkapital der GmbH waren drei Gesellschafter beteiligt, nämlich

20 BFH v. 1.3.2018 – IV R 38/15, BStBl. II 2018, 587 = FR 2018, 797 mit Anm. ua. von Baldauf, HFR 2018, 606; Heß, BB 2018, 1458; Weiss, EStB 2018, 234; Wendt, BFH/PR 2018, 174; Wendt, FR 2018, 801.

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zwei mit jeweils 22 800 DM und eine Gesellschafterin mit 5700 DM. Weil jene Gesellschafterin zusätzlich eine atypisch stille Beteiligung mit einer Einlage von 17 100 DM übernommen hatte, hielten die drei Gesellschafter wirtschaftlich je 1/3 der Anteile an der GmbH. Im Jahr 2003 sollte eine Nur-GmbH-Gesellschafterin ausscheiden und ein neuer Gesellschafter eintreten. Die Drittel-Parität sollte dabei im Ergebnis beibehalten werden, allerdings nun in der Form, dass der neue Gesellschafter nur atypisch still beteiligt sein sollte. Die Ausscheidende veräußerte daraufhin ihre GmbH-Anteile zum Verkehrswert an die GmbH, während der Eintretende denselben Betrag zur Leistung seiner Einlage an die GmbH überwies. Zur Beibehaltung der Drittel-Parität wurde nur ein geringer Teilbetrag als stille Einlage, der Restbetrag als Agio behandelt. Das FA erfasste den Differenzbetrag als Gewinn aus der Einbringung der bisherigen atypisch stillen Gesellschaft in eine neue atypisch stille Gesellschaft und rechnete den Gewinn der bisherigen stillen Gesellschafterin und der GmbH nach deren Anteil an der bisherigen stillen Gesellschaft zu. Das FG teilte diese Auffassung im Ergebnis; beiden bisherigen Gesellschaftern seien stille Reserven „abgekauft“ worden.21 Der BFH beurteilte den Sachverhalt anders und ging nur von einer Gewinnverwirklichung durch die GmbH aus. Diese habe entweder einen Gewinn aus der Veräußerung eines Teilanteils ihrer Beteiligung an der atypisch stillen Gesellschaft oder – gleichbedeutend – einen Gewinn aus der Einbringung eines Teilanteils in eine neue stille Gesellschaft für Rechnung des neuen Gesellschafters erzielt. Die Zahlung des neuen Gesellschafters sei in ein Vermögen der GmbH erbracht worden, das diese neben dem mitunternehmerisch durch die stille Gesellschaft gebundenen Vermögen gehalten habe.

2. „Eigenes“ und „treuhänderisches“ Vermögen des Prinzipals In mehreren Entscheidungen der letzten Jahre hat der BFH deutlich gemacht, dass er die atypisch stille Gesellschaft als eine fiktive Innen-KG versteht, bei der der Inhaber des Handelsgewerbes der fiktive Komplementär und der stille Gesellschafter der fiktive Kommanditist sind.22 21 Saarl. FG v. 1.7.2015 – 1 K 1414/12, EFG 2015, 1732. 22 ZB BFH v. 18.6.2015 – IV R 5/12, BStBl. II 2015, 935 = FR 2015, 1131; v. 8.12.2016 – IV R 8/14, BStBl. II 2017, 538 = FR 2017, 693; v. 21.12.2017 – IV R 44/14, BFH/NV 2018, 407 = GmbHR 2018, 439; s. dazu auch Wendt, StbJb. 2014/2015, 3 (7); Wendt, StbJb. 2015/2016, 35 (52 ff.).

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Der Inhaber des Handelsgewerbes verwaltet sein der stillen Gesellschaft gewidmetes Vermögen für Rechnung der Innen-KG und erhält seinen Anteil am Gewinn der stillen Gesellschaft wie ein Komplementär von der fiktiven KG. Im jetzigen Urteilsfall stellte sich die Frage, ob der Inhaber des Handelsgewerbes, der die stille Beteiligung an seinem gesamten Betriebsvermögen bestellt hat, im Bild von der fiktiven KG noch eigenes und nicht für Rechnung der KG verwaltetes Vermögen haben kann. Dies bejaht der BFH, was bedeutet, dass etwa im Fall einer GmbH & Still das Vermögen der GmbH in ein fiktives KG-Vermögen und das „eigene“ Vermögen der GmbH aufgespalten werden muss. Zum „eigenen“ Vermögen der GmbH gehört etwa ihr fiktiver KG-Anteil, auch wenn dieser steuerbilanziell gesehen kein Wirtschaftsgut darstellt.23 In das „eigene“ Vermögen der GmbH müssen auch die Gewinnanteile der GmbH aus der stillen Gesellschaft eingehen, die nicht stehen gelassen werden müssen und auch nicht wie Fremdkapital der stillen Gesellschaft zur Verfügung belassen werden. In das „eigene“ Vermögen gehört dann schließlich auch der Erlös aus dem Verkauf eines Teils der Beteiligung an einen anderen stillen Gesellschafter. Deshalb konnte der BFH im Urteilsfall zu dem Ergebnis kommen, dass nur der GmbH und nicht allen Mitunternehmern der stillen Gesellschaft ein Gewinn aus dem „Verkauf stiller Reserven“ an den neuen Gesellschafter zuzurechnen war.

3. Teilanteilsübertragung von Prinzipal auf stillen Gesellschafter Veräußert der Inhaber des Handelsgewerbes einen Teil seines Anteils an der stillen Gesellschaft an einen stillen Gesellschafter, indem er seinen Gesellschaftsanteil gegen ein Entgelt reduziert, muss dieser Vorgang so behandelt werden, als hätte der Komplementär einer KG seinen Anteil gegen Entgelt reduziert. Übernimmt diesen Anteil einer der bisherigen anderen Gesellschafter, ist der Vorgang als Veräußerung eines Teilmitunternehmeranteils zu beurteilen. Erwirbt ein neuer Gesellschafter den Teilanteil, wird der Vorgang nach stRspr. des BFH als Einbringung der Anteile an der bisherigen Gesellschaft in eine neue Gesellschaft mit dem

23 StRspr., zB BFH v. 6.11.1985 – I R 242/81, BStBl. II 1986, 333 = FR 1986, 212; v. 28.11.2002 – III R 1/01, BStBl. II 2003, 250 = FR 2003, 344.

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neuen Gesellschafter verstanden.24 Dafür kann das Wahlrecht zur Buchwertfortführung nach § 24 UmwStG genutzt werden, soweit von Altgesellschaftern für eigene Rechnung eingebracht wird.25 Wer seinen Anteil gegen Entgelt teilweise auf den Neugesellschafter überträgt, bringt seinen bisherigen Anteil entsprechend anteilig für Rechnung des Neugesellschafters in die neue Gesellschaft ein. Insoweit kommt es nicht zur Buchwertfortführung, sondern zur Erzielung eines Gewinns in Höhe der Differenz zwischen anteiligem Kapitalkonto und Entgelt durch den Altgesellschafter und zur Aktivierung des betreffenden Betrags in einer Ergänzungsbilanz für den Neugesellschafter. Nach diesem Vorbild wird auch bei der atypisch stillen Gesellschaft verfahren,26 obwohl § 24 UmwStG mangels neuer Gesellschaftsrechte direkt nicht anwendbar ist.

III. Veräußerung an Schwestergesellschaft und § 6b EStG 1. Buchwerttransfer zwischen Schwesterpersonengesellschaften? Im Zusammenhang mit Unternehmensumstrukturierungen besteht häufig der Wunsch, wertvolle Wirtschaftsgüter, wie insbes. Grundstücke und Beteiligungen, aber auch immaterielle Güter in ein anderes Betriebsvermögen zu verlagern, ohne stille Reserven dabei aufzudecken. Ist eine Personengesellschaft von einer solchen Umstrukturierung betroffen, kann daran gedacht werden, die betreffenden Wirtschaftsgüter in eine Schwesterpersonengesellschaft zu transferieren, also in eine Personengesellschaft, an der mindestens ein Gesellschafter der Ausgangspersonengesellschaft ebenfalls beteiligt ist. Ein Buchwerttransfer nach § 6 Abs. 5 EStG bereitet allerdings Schwierigkeiten, weil die Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft in das Gesamthandsvermögen einer Schwestergesellschaft nicht in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG geregelt ist. Vor Inkrafttreten des § 6 Abs. 5 EStG waren solche Übertragungen zum Buchwert allerdings nach dem sog. Mitunternehmer-Erlass möglich.27 Die Übertra24 Z.B. BFH v. 23.5.1985 – IV R 210/83, BStBl. II 1985, 695 = FR 1985, 626; v. 8.12.1994 – IV R 82/92, BStBl. II 1995, 599; v. 17.9.2014 – IV R 33/11, BStBl. II 2015, 717 = FR 2015, 653. 25 BFH v. 12.10.2005 – X R 35/04, BFH/NV 2006, 521; v. 17.9.2014 – IV R 33/11, BStBl. II 2015, 717 = FR 2015, 653. 26 BFH v. 8.12.2016 – IV R 8/14, BStBl. II 2017, 538 = FR 2017, 693. 27 BMF v. 20.12.1977 – IV B 2 - S 2241 - 231/77, BStBl. I 1978, 8 = StEK EStG § 15 Nr. 70.

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gung eines Wirtschaftsguts zwischen den Gesamthandsvermögen war als Einbringung durch alle Doppelgesellschafter aus dem Betriebsvermögen der bisherigen Gesellschaft in das Betriebsvermögen der Schwestergesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten anzusehen.28 Eine Sonderstellung nehmen Übertragungen zwischen personen-, ggf. sogar beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften ein. Denn hier sind alle an den stillen Reserven beteiligten Personen mitunternehmerschaftlich miteinander verbunden. Im Fall beteiligungsidentischer Gesellschaften würde eine Buchwertübertragung zwischen den Gesamthandsvermögen darüber hinaus keine Verlagerung von stillen Reserven auf andere Steuersubjekte bewirken. Ein sachlicher Grund dafür, dass solche Übertragungen nicht in den Katalog des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG aufgenommen worden sind, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, obwohl die Frage Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens gewesen ist.29 Sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat waren Anträge zur Aufnahme solcher Übertragungen in § 6 Abs. 5 EStG gestellt worden. Diese Anträge hatten jeweils keine Mehrheit in den Ausschüssen gefunden.30 Die Gesetzeslage hatte auch Meinungsverschiedenheiten in der Rspr. zur Folge. Für beteiligungsidentische Schwestergesellschaften hatte der IV. Senat des BFH in einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung die Buchwertfortführung für möglich gehalten, nachdem sie vom I. Senat des BFH kurz zuvor abgelehnt worden war. Zwischenzeitlich liegt die Frage auf Beschluss des I. Senats des BFH vom 10.4.2013 – I R 80/1231 dem BVerfG vor.32 Die Senate des BFH stimmen jetzt darin überein, dass eine Aufdeckung stiller Reserven in einem solchen Fall dem Gleichheitssatz widersprechen würde. Verschiedener Meinung sind die Senate nur noch darüber, ob der Verfassungsverstoß durch Auslegung des geltenden Gesetzes beseitigt werden kann oder ob es einer Verwerfung der Norm durch das BVerfG bedarf.

28 BFH v. 6.9.2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229 = FR 2001, 75 unter Hinweis auf Tz. 57 und 62 des Mitunternehmererlasses (Fn. 27). 29 Vgl. etwa BR-Plenarprotokoll 767, 511. 30 BT-Drucks. 14/7343, 3; BR-Drucks. 638/1/01 und 638/3/01. 31 BFH v. 10.4.2013 – I R 80/12, BStBl. II 2013, 1004 = FR 2013, 1084, s. dazu auch Wendt, StbJb. 2014/2015, 3 (15 ff.). 32 Dortiges Az. 2 BvL 8/13.

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Bis zur Klärung der Frage kommt als Ausweichgestaltung die Nutzung des § 6b EStG in Betracht, sofern das zu übertragende Wirtschaftsgut die dortigen Voraussetzungen erfüllt. Das Wirtschaftsgut muss dann entgeltlich übertragen werden, wobei der bei der Veräußerin entstandene Gewinn auf die anteiligen Anschaffungskosten der Gesellschafter bei der Erwerberin übertragen und dadurch neutralisiert werden kann. Diese Gestaltung wird von der Verwaltung ausdrücklich als Gestaltungsmöglichkeit empfohlen33 und war nun auch Gegenstand eines BFH-Urteils v. 9.11.2017 – IV R 19/14, das sehr schnell im BStBl. II veröffentlicht worden ist.34

2. BFH-Urteil vom 9.11.2017 – IV R 19/14 (BStBl. II 2018, 575) Klägerin war dort eine GmbH & Co. KG, die ursprünglich zur Hälfte an einer GmbH mit einem Stammkapital von 800 000 DM beteiligt gewesen war. Als die GmbH 1996 sanierungsbedürftig wurde, leistete die Klägerin eine Zahlung von 400 000 DM in die Kapitalrücklage der GmbH, erwarb die andere Anteilshälfte zu einem symbolischen Kaufpreis von 50 DM und nahm für ihren eigenen Anteil eine Teilwertabschreibung auf 250 DM vor. Die GmbH setzte im Jahr 1998 ihr Kapital gegen Verrechnung mit dem Verlustvortrag auf 500 DM herab, um es sogleich um 599 500 DM wieder zu erhöhen. Die Klägerin übernahm die neue Stammeinlage, zahlte 199 500 DM ein und behandelte 400 000 DM als bereits erbracht. Im Streitjahr 2006 wurde die Beteiligung an der GmbH an eine von dem alleinigen und zu 99 % an der Klägerin beteiligten Kommanditisten gegründete Ein-Mann GmbH & Co. KG (Schwester-KG) veräußert. Der Kaufpreis von ca. 540 000 Euro war anhand eines Wertgutachtens festgelegt worden. Der auf den Kommanditisten entfallende Anteil am Gewinn aus dieser Veräußerung von ca. 230 000 Euro wurde nach § 6b EStG auf die Anschaffungskosten der Schwester-KG übertragen. Nach einer Außenprüfung ging das FA davon aus, dass zur Übertragung nach § 6b EStG nur der Betrag in Betracht komme, der sich nach einer Wertaufholung des Buchwerts als Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung ergebe.

33 BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10002 – DOK 2011/0973858, BStBl. I 2011, 1279 = FR 2012, 49, Rz. 20. 34 BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14, BStBl. II 2018, 575 = FR 2018, 366.

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Die gegen den entsprechend geänderten Gewinnfeststellungsbescheid erhobene Klage hatte weder vor dem FG35 noch dem BFH Erfolg. Der BFH entschied, der Gewinn habe zwar mit dem auf den Kommanditisten entfallenden Anteil übertragen werden können. Der übertragbare Gewinn ergebe sich aber aus der Differenz von Veräußerungspreis und einem fiktiven Buchwert am Veräußerungstag, bei dessen Ermittlung eine Wertaufholung zu berücksichtigen sei. Ein solcher fiktiver Buchwert müsse auch bei der Feststellung des Gewinns aus einer 100 %igen Kapitalbeteiligung berücksichtigt werden.

3. Übertragung des Gewinns aus der Veräußerung an eine Schwesterpersonengesellschaft nach § 6b EStG Da § 6b EStG jedenfalls seit 2002 eine gesellschafterbezogene Steuervergünstigung ist,36 können Gewinne aus der Veräußerung nach § 6b EStG qualifizierter Wirtschaftsgüter durch eine Personengesellschaft nicht nur auf Reinvestitionsgüter im Gesamthandsvermögen, sondern auch auf den Gesellschaftern als Einzel- oder Mitunternehmer zuzurechnende Reinvestitionsgüter übertragen werden. Eine Übertragung ist demzufolge auch bei Reinvestition in dem Gesamthandsvermögen einer anderen Personengesellschaft möglich, soweit dieses anteilig einem Doppelgesellschafter zugeordnet wird und soweit der übertragbare Gewinn auf diesen Doppelgesellschafter entfällt. Es kann sich bei dem veräußerten Gut und dem Reinvestitionsgut sogar um dasselbe Wirtschaftsgut handeln, wie der BFH hier ausdrücklich bestätigt. Deshalb wird die Veräußerung unter Nutzung des § 6b EStG zu Recht als Ausweichgestaltung für eine Übertragung zwischen beteiligungsidentischen Schwestergesellschaften gegen Minderung bzw. Erhöhung von Gesellschaftsrechten empfohlen,37 deren Abwicklung zum Buchwert bis zur Entscheidung des BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 8/13 ungeklärt ist. Die Berechnung des Gewinns, der nach § 6b EStG übertragen werden kann, setzt die Ermittlung eines fiktiven Buchwerts auf den Zeitpunkt der Veräußerung voraus. Dabei werden nicht nur laufende Abschreibun35 Nds. FG v. 1.4.2014 – 13 K 315/10, EFG 2014, 1463. 36 In den VZ 1999–2001 ordnete der damalige § 6b Abs. 10 EStG in bewusster Abkehr von der vorherigen Auslegung des § 6b EStG eine gesellschaftsbezogene Anwendung an; vgl. dazu etwa Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6b EStG Anm. 25; BFH v. 9.2.2006 – IV R 23/04, BStBl. II 2006, 538 = FR 2006, 689. 37 S. Fn. 33.

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gen zu berücksichtigen sein, die den übertragbaren Gewinn erhöhen, sondern es sind auch Wertaufholungen vorzunehmen, die dann den übertragbaren Gewinn reduzieren. In einem solchen Fall kann die Veräußerung zwischen Schwestergesellschaften einen Buchwerttransfer über die Kapitalkonten nicht ersetzen, denn es käme zur sofortigen Erfassung des Wertaufholungsgewinns in der Gewinnfeststellung für die veräußernde Gesellschaft, während bei Anwendung des § 6 Abs. 5 EStG der Buchwert so, wie er bei der abgebenden Gesellschaft bestand, auf die aufnehmende Gesellschaft übergeht. Lagen die Voraussetzungen für die Wertaufholung am letzten Bilanzstichtag vor dem Transfer nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG vor, muss diese natürlich dort vorgenommen werden. Ist diese Bilanz aber Gegenstand einer nicht mehr änderbaren Gewinnfeststellung gewesen, geht der fehlerhaft nicht angehobene Buchwert nach § 6 Abs. 5 EStG auf die aufnehmende Gesellschaft über, bei der dann allerdings die Wertaufholung zum nächsten Bilanzstichtag vorzunehmen ist.

IV. Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlage bei Einbringung nach § 20 UmwStG 1. BFH-Urteil vom 29.11.2017 – I R 7/16 (FR 2018, 508) Im Fall des BFH-Urteils vom 29.11.2017 – I R 7/1638 hatten die klagenden Ehegatten ein in ihrem Miteigentum stehendes Grundstück X-Straße zum Teil an den Ehemann für dessen Gewerbebetrieb vermietet. Zum 1.1.1999 gründeten die Ehegatten eine GmbH, an der sie zu je 50 % beteiligt waren. Der Ehemann vermietete der GmbH sein Einzelunternehmen und die Ehegatten den gewerblichen Grundstücksteil. Im Februar 1999 übertrug die Ehefrau ihren GmbH-Anteil auf den Ehemann. Im Oktober 2001 erwarb der Ehemann ein Grundstück in der Z-Straße, das er anschließend mit Gewerberäumen bebaute. Im Dezember 2002 übertrug der Ehemann einen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Grundstück unentgeltlich auf die Ehefrau. Die Grundstücksgemeinschaft vermietete das Grundstück anschließend an die GmbH, die ihren Sitz dorthin verlegte. 38 BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, FR 2018, 508 mit Anm. etwa von Brandis, BFH/ PR 2018, 189; Brühl/Weiss, GmbHR 2018, 649; Märtens, jurisPR-SteuerR 27/2018 Anm. 5; Messner, AktStR 2018, 407; Micker/Trossen/Bergmann, Ubg. 2018, 354; Pflüger, GStB 2018, 270; Strahl, NWB 2018, 2172; Strahl, BeSt. 2018, 34; von Glasenapp, BB 2018, 1266; Wacker, DStR 2018, 1019; Weiss, EStB 2018, 197; Wendt, FR 2018, 513.

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Im August 2006 übertrug der Ehemann mit Wirkung zum 1.1.2006 sein Besitzunternehmen im Wege einer „Ausgliederung zur Aufnahme“ gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten auf die GmbH. Den Anteil am Grundstück Z-Straße behielt der Ehemann zurück. Nach einer Außenprüfung war das FA der Auffassung, die Voraussetzungen einer Einbringung nach § 20 UmwStG lägen wegen der Zurückbehaltung des Grundstücks nicht vor. Deshalb erfasste das FA einen „Veräußerungsgewinn“ iSd. § 16 EStG, der sich aus den aufgedeckten stillen Reserven in den GmbH-Anteilen, im Anlagevermögen des bisherigen Einzelunternehmens und im Miteigentumsanteil am Grundstück Z-Straße zusammensetzte. Die Ehegatten begehrten den Ansatz des eingebrachten Betriebsvermögens mit dem Buchwert und erhoben gegen den geänderten ESt.-Bescheid 2006 Klage. Diese blieb sowohl vor dem FG39 als auch vor dem BFH erfolglos. Der BFH ging bei seinem Urteil davon aus, dass unstreitig eine Betriebsaufspaltung zwischen dem Einzelunternehmen des Ehemanns und der GmbH bestanden habe. Das Besitzunternehmen sei in die GmbH eingebracht worden, allerdings ohne die Voraussetzungen des § 20 UmwStG für eine Buchwertfortführung zu erfüllen, weil eine wesentliche Betriebsgrundlage des Besitzunternehmens zurückbehalten worden sei. Denn der Miteigentumsanteil des Ehemanns sei notwendiges Betriebsvermögen des Besitzunternehmens gewesen, weil die Vermietung nach den Feststellungen des FG der Verbesserung der Vermögens- und Ertragslage der GmbH gedient habe. Zu Recht habe das FG das Grundstück auch als wesentliche Betriebsgrundlage des Besitzunternehmens betrachtet. Die Zurückbehaltung des Grundstücks stehe der Buchwertfortführung nach § 20 UmwStG entgegen. Das Grundstück sei nicht etwa vor der Einbringung ausgegliedert worden. Wenn eine wesentliche Betriebsgrundlage im Zeitpunkt der Einbringung noch zum Betriebsvermögen gehöre und dann zurückbehalten werde, komme es nicht automatisch zu einer „zeitgleichen“ Entnahme mit der Folge, dass durch diese Ausgliederung das eingebrachte Betriebsvermögen zur Buchwertfortführung berechtige. Die Rspr. des IV. Senats zur „zeitgleichen“ Ausgliederung bei Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG40 stehe nicht entgegen. Einerseits habe es sich im Fall des IV. Senats nicht um einen Fall von Zeitgleichheit gehandelt, andererseits könne einem Verständnis, wonach eine Entnahme zurückbehaltener wesentlicher Betriebsgrundlagen eine Buchwertfortführung 39 FG Bad.-Württ. v. 10.12.2015 – 1 K 3485/13, EFG 2016, 423. 40 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, FR 2012, 1113.

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ermögliche, nicht gefolgt werden. Da das eingebrachte Besitzunternehmen auch kein begünstigt einzubringender Teilbetrieb gewesen sei, müsse der Gesamtvorgang als Betriebsaufgabe beurteilt werden.

2. Bestätigung der zeitpunktbezogenen Betrachtung für Übertragungen und Veräußerungen von Sachgesamtheiten Die zu § 20 UmwStG ergangene Entscheidung bestätigt zunächst die bisherige Rspr. des BFH, dass eine Einbringung zu Buchwerten die Einbringung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen erfordert. Was den Umfang der einzubringenden Wirtschaftsgüter betrifft, schafft der BFH hier aber über die bisherige Rspr. hinaus Klarheit: eingebracht werden muss, was im Zeitpunkt der Einbringung zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen der eingebrachten Sachgesamtheit gehört. Vorherige Ausgliederungen sind danach unschädlich. Damit bestätigt der I. Senat des BFH die in der Vergangenheit vom X. und IV. Senat entwickelte Rspr., wonach ein für die Übertragung einer Sachgesamtheit einschlägiger Tatbestand dann erfüllt ist, wenn alle im Zeitpunkt der Übertragung zu der Sachgesamtheit gehörenden Wirtschaftsgüter übertragen werden. Die vorherige Ausgliederung von Wirtschaftsgütern ist unschädlich, sofern nur eine funktionsfähige Sachgesamtheit verblieben ist. Die bisherigen Entscheidungen des BFH betrafen unentgeltliche Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG41, Veräußerungen nach § 16 Abs. 1 EStG42 und Einbringungen nach § 24 UmwStG43. Zu einer Einbringung nach § 20 UmwStG hatte der BFH zwar bereits in einem Urteil v. 25.11.2009 – I R 72/0844 eine ähnliche Sichtweise anklingen lassen. Erst das jetzige Urteil v. 29.11.2017 – I R 7/1645 enthält aber ein ausdrückliches Bekenntnis zur zeitpunktbezogenen Betrachtung. Das Urteil macht außerdem deutlich, dass die zeitpunktbezogene Betrachtung der Übertragung nicht nur positive, sondern auch negative Folgen haben kann. Denn wird nicht die ganze Sachgesamtheit übertragen, ist auch der die Übertragung der Sachgesamtheit fordernde Tatbestand nicht erfüllt. Welche Folgen es für den Stpfl. hat, wenn der die Übertragung der Sachgesamtheit fordernde Tatbestand nicht erfüllt wird, hängt von den 41 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, FR 2012, 1113; v. 9.12.2014 – IV R 29/14, FR 2015, 457; v. 12.5.2016 – IV R 12/15, FR 2016, 952; v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 1452. 42 BFH v. 9.12.2014 – IV R 36/13, BStBl. II 2015, 529 = FR 2015, 710. 43 BFH v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638 = FR 2012, 584. 44 BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471 = FR 2010, 381. 45 BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, FR 2018, 508.

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Rechtsfolgen der Norm ab. Negativ für den Stpfl. würde sich insbes. auswirken, wenn die Norm eine Privilegierung enthält, wie etwa das Privileg, trotz eines Rechtsträgerwechsels stille Reserven nicht aufdecken zu müssen. Eine solche Privilegierung enthält § 20 UmwStG, dessen Anwendung im hiesigen Urteilsfall vom Stpfl. begehrt wurde. Die Einbringung eines Betriebs in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ist ohne die Sonderregelung des § 20 UmwStG als Veräußerung des Betriebs an die Kapitalgesellschaft zu beurteilen, die zur Aufdeckung stiller Reserven führt. Die Einbringung des Betriebs setzt voraus, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen auf die Kapitalgesellschaft übergehen, womit bei zeitpunktbezogener Betrachtung alle im Zeitpunkt der Übertragung vorhandenen wesentlichen Betriebsgrundlagen gemeint sind. Bleibt eine wesentliche Betriebsgrundlage beim Übertragenden zurück, ohne dass er sie zuvor entnommen oder in ein anderes Betriebsvermögen transferiert hat, ist nicht die Sachgesamtheit „Betrieb“ übertragen worden mit der Folge, dass der Tatbestand des § 20 Abs. 1 UmwStG nicht erfüllt ist. Die Buchwertfortführung scheitert dann, wie der BFH hier mE zu Recht entschieden hat. Eine gescheiterte Buchwerteinbringung ist entweder – wie hier vom BFH angenommen – als Betriebsaufgabe iSd. § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG anzusehen, wenn die zurückbehaltene wesentliche Betriebsgrundlage nach der Einbringung der übrigen Wirtschaftsgüter dem Privatvermögen des Übertragenden zuzuordnen ist. Oder der Vorgang ist als Veräußerung der eingebrachten Wirtschaftsgüter zu verstehen, wenn das zurückbehaltene Wirtschaftsgut notwendiges Betriebsvermögen eines anderen Betriebs des Übertragenden oder dessen Sonderbetriebsvermögen bei einer Mitunternehmerschaft wird.46 Im letztgenannten Fall werden die stillen Reserven im zurückbehaltenen Wirtschaftsgut nach § 6 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 EStG nicht aufgedeckt, während die Betriebsaufgabe zur Aufdeckung aller stillen Reserven führt. Tarifbegünstigt nach § 34 Abs. 2 EStG kann der entstehende Gewinn nur im Fall der Betriebsaufgabe sein, weil dafür die Aufdeckung aller stillen Reserven erforderlich ist. Aber selbst bei einer Betriebsaufgabe könnte die Tarifbegünstigung noch scheitern, wenn nämlich vor der Einbringung eine weitere quantitativ wesentliche Betriebsgrundlage zum Buchwert ausgegliedert worden sein sollte.

46 S. zu einer vergleichbaren Fallkonstellation BFH v. 29.11.2017 – X R 8/16, BStBl. II 2018, 426 = GmbHR 2018, 537, Rz. 51.

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V. Verrechenbarer Verlust iSd. § 15a EStG bei Teilanteilsübertragung 1. BFH-Urteil vom 1.3.2018 – IV R 16/15 (BStBl. II 2018, 527) Das BFH-Urteil vom 1.3.2018 – IV R 16/1547 betraf eine GmbH & Co. KG, deren einzige Kommanditisten Ehemann und Ehefrau waren. Nach dem Gesellschaftsvertrag wurden für jeden Gesellschafter ein festes Kapitalkonto und daneben nur ein sog. Privatkonto geführt. Der Ehemann schenkte seiner Ehefrau mit Wirkung auf den 1.1.2007 einen Teil seines Kommanditanteils. Nach dem Schenkungsvertrag sollten alle Ansprüche aus dem Privatkonto des Ehemanns unberührt bleiben; das Konto sollte unverändert für ihn fortgeführt werden. Die KG vollzog die Teilanteilsübertragung auf den festen Kapitalkonten und führte die Privatkonten unverändert fort. Auf den 31.12.2006 waren für den Ehemann verrechenbare Verluste iSd. § 15a EStG festgestellt; sein Privatkonto war negativ. Bei der Feststellung verrechenbarer Verluste auf den 31.12.2007 ordnete das FA den auf das Ende des Vorjahrs festgestellten Betrag weiter allein dem Ehemann zu. Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das FG statt und rechnete die verrechenbaren Verluste entsprechend dem übertragenen Teilanteil der Ehefrau zu.48 Die dagegen erhobene Revision des FA hatte keinen Erfolg. Der BFH berief sich darauf, dass Ausgangspunkt des § 15a EStG die handelsrechtlich ausgelöste wirtschaftliche Belastung mit Verlusten sei. Mit den Verlusten sei danach derjenige belastet, der handelsrechtlich spätere Gewinnanteile zur Wiederauffüllung des Kapitalkontos stehen lassen müsse. Dies sei der jeweilige Inhaber des Kommanditanteils, weshalb bei unentgeltlicher Übertragung eines ganzen Anteils der verrechenbare Verlust mit übergehen müsse. Anteilig gehe der verrechenbare Verlust dann auch bei der Schenkung eines Teilanteils über.

47 BFH v. 1.3.2018 – IV R 16/15, BStBl. II 2018, 527 = FR 2018, 698 mit Anm. etwa von Dötsch, jurisPR-SteuerR 30/2018 Anm. 2; Formel, EStB 2018, 275; Otto, BB 2018, 1585; Siegmund/Hautkappe, NWB 2018, 3150; Wendt, FR 2018, 702; Wendt, BFH/PR 2018, 200. 48 FG Düss. v. 22.1.2015 – 16 K 3127/12 F, EFG 2015, 813.

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2. Verrechenbarer Verlust bei unentgeltlicher Teilanteilsübertragung Das Urteil betrifft in erster Linie die Frage, inwieweit bei der Schenkung eines Teil-Kommanditanteils auch verrechenbare Verluste auf den Beschenkten übergehen und ob ein Übergang der Disposition der Gesellschafter unterliegt. In Bezug auf die unentgeltliche Anteilsübertragung könnte man Zweifel daran haben, ob nicht die Übernahme des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten ein Entgelt ist. Würde man dies bejahen, gäbe es bei einem negativen Kapitalkonto keine unentgeltliche Anteilsübertragung. Der BFH sieht in der Übernahme des negativen Kapitalkontos indessen bei einer als unentgeltlich vereinbarten Übertragung kein Entgelt,49 soweit der Negativsaldo nicht durch vom Kommanditisten zurückzugewährende unzulässige Entnahmen entstanden ist, so dass ein solcher Anteil nach § 6 Abs. 3 EStG zum Buchwert übertragen werden kann. Für die Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG ist es danach ohne Bedeutung, ob und in welchem Umfang das negative Kapitalkonto auf den Übertragungsempfänger übergeht. Für die Anwendung des § 15a EStG muss diese Frage jedoch beantwortet werden, und sie wird vom BFH dahin beantwortet, dass verrechenbare Verluste dem Gewinnbezugsrecht und nicht der Person des Kommanditisten zugerechnet werden, weil verrechenbare Verluste durch Entstehung oder Erhöhung eines negativen Kapitalkontos entstehen und das negative Kapitalkonto handelsrechtlich eine Verpflichtung des Kommanditisten bedeutet, künftige Gewinnanteile zur Auffüllung des Kapitalkontos stehen zu lassen (sog. Verlusthaftung mit künftigen Gewinnanteilen50). Wird das Gewinnbezugsrecht übertragen, geht damit auch diese „Verlusthaftung“ über.51 Eine Übertragung des Kapitalanteils einschließlich des Gewinnbezugsrechts hat deshalb automatisch den Übergang des negativen Kapitalkontos zur Folge, soweit es auf Verlustanteilen beruht. Dies gilt nach Meinung des BFH auch bei der unentgeltlichen Übertragung eines Teils der Kommanditbeteiligung, wenn die Übertragung einen 49 BFH v. 10.3.1998 – VIII R 76/96, BStBl. II 1999, 269 = FR 1998, 887; anders bei einer als entgeltlich vereinbarten Übertragung, BFH v. 9.7.2015 – IV R 19/12, BStBl. II 2015, 954. 50 Z.B. BFH v. 10.11.1980 – GrS 1/79, BStBl. II 1981, 164 = FR 1981, 199; BGH v. 23.10.1985 – IVb ZR 62/84, NJW-RR 1986, 226 = MDR 1986, 297. 51 Dies ist eine Folge des Abspaltungsverbots nach § 717 Satz 1 BGB iVm. § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB.

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Anteil am Gewinnbezugsrecht einschließt. Die „Verlusthaftung“ geht dann anteilig auf den Übertragungsempfänger über, weshalb auch die verrechenbaren Verluste anteilig übergehen müssen. Eine von der Übertragung des Gewinnbezugsrechts unabhängige Dispositionsbefugnis über die Aufteilung der verrechenbaren Verluste haben Übertragender und Übertragungsempfänger nicht.

3. Verrechenbarer Verlust bei entgeltlicher Teilanteilsübertragung Auch wenn der entschiedene Fall als unentgeltliche Übertragung zu würdigen war, lassen sich dem Urteil auch Erkenntnisse zu entgeltlichen Übertragungen entnehmen. Veräußert der bisherige Kommanditist seinen Anteil, werden die verrechenbaren Verluste zum Ausgleich mit dem Veräußerungsgewinn herangezogen. Zu dem Veräußerungsgewinn gehört auch der Betrag des negativen Kapitalkontos, das der Veräußerer nicht mehr auffüllen muss. Im Idealfall wird dieser Gewinn identisch mit den aufgelaufenen verrechenbaren Verlusten sein. Selbst wenn die verrechenbaren Verluste beim Ausgleich des Gewinns nicht voll verbraucht werden sollten, geht kein Restbetrag auf den Erwerber des Anteils über. Zwar muss der Anteilserwerber nun auf die Entnahme von Gewinnanteilen verzichten. Dieser Verpflichtung stehen aber entsprechend erhöhte Anschaffungskosten gegenüber, die in einer Ergänzungsbilanz ausgewiesen werden und das Kapitalkonto iSd. § 15a EStG erhöhen. Wird lediglich ein Teilanteil veräußert, können nach den Grundsätzen dieses Urteils entgegen der bisher meist vertretenen Ansicht52 nicht alle verrechenbaren Verluste zum Ausgleich des Veräußerungsgewinns herangezogen werden. Wegen der unlösbaren Verknüpfung der verrechenbaren Verluste mit dem Kapitalanteil des Kommanditisten darf im Fall der Teilanteilsveräußerung auch nur der Teil der verrechenbaren Verluste zum Ausgleich genutzt werden, der dem veräußerten Teil des Kapitalanteils entspricht. Der Restbetrag bleibt dem Veräußerer zum Ausgleich mit künftigen Gewinnanteilen aus seinem nun verkleinerten Anteil.

52 Z.B. Lüdemann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15a EStG Anm. 138 „Umfang der Verrechnung bei Teilveräußerung“; aA und wie hier Bolk, Bilanzierung und Besteuerung der Personengesellschaft und ihrer Gesellschafter3, Rz. 17.78.

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VI. Keine Abfärbung von Verlusten 1. BFH-Urteil vom 12.4.2018 – IV R 5/15 (FR 2018, 959) An der klagenden GbR, die aus einem Formwechsel hervorgegangen war und deren Tätigkeit sich auf die Vermietung von zwei Geschäftsgrundstücken beschränkte, waren zwei Gesellschafter je zur Hälfte beteiligt. Dieselben Personen waren ebenfalls je zur Hälfte auch an einer zweiten GbR (IM-GbR) und einer GmbH beteiligt. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte der IM-GbR einen Grundstücksteil zur Nutzung als Büro vermietet. In den Streitjahren wurden Bürotätigkeiten für alle drei Gesellschaften in diesen Räumen ausgeübt. Mietzahlungen wurden seit Jahren nicht mehr geleistet. Die Tätigkeit der IM-GbR beschränkte sich in den Streitjahren auf die Vermietung von Büroeinrichtung an die GmbH für eine jährliche Miete von 2400 Euro. Die GmbH handelte mit Grundstücken und erzielte Gewinne, die in den Streitjahren nicht ausgeschüttet wurden. Nachdem für die Klägerin zunächst erklärungsgemäß Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung festgestellt worden waren, kam das FA nach einer Außenprüfung zu der Ansicht, die Klägerin erziele als Besitzgesellschaft einer mit der GmbH bestehenden Betriebsaufspaltung gewerbliche Einkünfte, die auf sämtliche Einkünfte abfärbten. Im Klageverfahren gegen den Änderungsbescheid vertrat das FG53 die Auffassung, sowohl mit der IM-GbR als auch mit der GmbH bestehe eine Betriebsaufspaltung. Die daraus resultierende Abfärbung sei nicht unverhältnismäßig, weil die Mieteinnahmen für die Büroräume, auf deren Einziehung die Klägerin lediglich verzichtet habe, zwischen 6,53 % und 7,16 % der Umsätze der Klägerin betragen hätten. Der Revision der Klägerin gab der BFH mit Urteil vom 12.4.2018 – IV R 5/1554 statt und hob den Änderungsbescheid auf. Eine Betriebsaufspaltung setze Gewinnerzielungsabsicht auf der Ebene des Besitzunternehmens voraus, die bei unentgeltlicher Nutzungsüberlassung fehle. Da die Räume hier entgegen der Würdigung des FG unentgeltlich überlassen worden seien, komme eine Betriebsaufspaltung mit der IM-GbR nicht

53 FG Münster v. 9.12.2014 – 15 K 1556/11 F, EFG 2015, 473. 54 BFH v. 12.4.2018 – IV R 5/15, FR 2018, 959 mit Anm. etwa von Kanzler, FR 2018, 962; Korn, DStRK 2018, 222; Korn, BeSt. 2018, 37; Levedag, GmbHR 2018, R232; Levedag, DStR 2018, 2094; Riedel, GmbHR 2018, 861; Sobisch, EStB 2018, 273; Weiss, NWB 2018, 2302; Wendt, BFH/PR 2018, 198.

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in Betracht. Mit der GmbH könne zwar eine Betriebsaufspaltung vorliegen, wenn infolge der Unentgeltlichkeit höhere Gewinnausschüttungen der GmbH erwartet worden wären, weil die Ausschüttungen Sonderbetriebseinnahmen bei der Klägerin sein würden. In den Streitjahren seien allerdings keine Ausschüttungen vorgenommen und deshalb keine positiven Einkünfte erzielt worden. Verluste könnten aber nicht zur Abfärbung auf vermögensverwaltende Einkünfte führen.

2. Grenzen der Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG kommt es zur Abfärbung, wenn eine Personengesellschaft „auch eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 ausübt“, also auch eine gewerbliche Tätigkeit entfaltet. Danach müsste jede gewerbliche Tätigkeit eine Abfärbung auslösen, egal, ob und in welchem Umfang sie zu Einkünften führt. Eine so enge Auslegung hielt der BFH aber aus Gründen des verfassungsrechtlich zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für unzulässig und entwickelte die Einschränkung, dass äußerst geringfügige Tätigkeiten nicht zur Abfärbung führen dürfen. Die Grenzen dieser äußersten Geringfügigkeit sind im Anschluss daran leider nicht vom Gesetzgeber bestimmt worden, so dass sich der BFH genötigt sah, diese selbst abstrakt zu definieren. In Urteilen vom 27.8.2014 hat der VIII. Senat des BFH eine Abfärbung auf freiberufliche Einkünfte abgelehnt, wenn die daneben erzielten Nettoumsatzerlöse aus der gewerblichen Tätigkeit 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse der Gesellschaft und den Betrag von 24 500 Euro im Veranlagungszeitraum nicht übersteigen.55 Beide Grenzen müssen unterschritten sein, um eine Abfärbung zu vermeiden. Bei einem Verlust aus der gewerblichen Tätigkeit, aber einer Überschreitung der Umsatzgrenze käme es danach zur Abfärbung. So lag der Fall hier, weshalb das FG auch von einer Abfärbung ausgegangen war. Allerdings unterschied sich der hiesige Fall von den im August 2014 entschiedenen Fällen dadurch, dass hier in der Hauptsache vermögensverwaltende und nicht freiberufliche Einkünfte erzielt wurden. Zumindest in einem solchen Fall lehnt der BFH nun die Abfärbung unabhängig von dem Umsatzverhältnis ab, wenn die gewerblichen Einkünfte negativ sind.

55 BFH v. 27.8.2014 – VIII R 6/12, BStBl. II 2015, 1002; v. 27.8.2014 – VIII R 41/11, BStBl. II 2015, 999, s. hierzu auch Wendt, StbJb. 2015/20116, 35 (38 ff.).

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Hintergrund dafür ist der Zweck der Abfärbungsregelung, der aus zwei Komponenten besteht. Einerseits soll das GewSt.-Aufkommen geschützt werden, denn dieses wäre gefährdet, wenn man durch die Verknüpfung der gewerblichen Tätigkeit mit einer nicht der GewSt. unterliegenden Tätigkeit erreichen könnte, die GewSt. auf die gewerblichen Teile der Tätigkeit zu vermeiden. Andererseits wird ein Vereinfachungszweck bei Personengesellschaften verfolgt, die handelsrechtlich eine einheitliche Gewinnermittlung aufstellen müssen. Die einheitliche Gewinnermittlung soll dann auch steuerrechtlich bestehen bleiben, so dass die erzielten Einkünfte nur einer Einkunftsart zugewiesen werden. Letzteres kommt bei einer vermögensverwaltenden GbR nicht in Betracht, denn diese unterliegt nicht den Regelungen des Handelsrechts und ist insoweit auch zu keiner einheitlichen Gewinnermittlung verpflichtet. Werden aus der gewerblichen Teiltätigkeit keine positiven Einkünfte erzielt, kann auch kein schutzwürdiges GewSt.-Aufkommen existieren. Der hier entscheidende IV. Senat des BFH lässt im Übrigen offen, ob er der vom VIII. Senat beschriebenen Grenze für die Abfärbung auch im Fall positiver Einkünfte folgen würde. Zweifel ergeben sich einerseits deshalb, weil die kumulative Verknüpfung der relativen und absoluten Grenze bei gewerblichen Gewinnen zur Abfärbung führt, obwohl die schädlichen Einkünfte unterhalb des GewSt.-Freibetrags liegen und deshalb isoliert betrachtet kein GewSt.-Aufkommen ausgelöst hätten. Andererseits führt die Anknüpfung an den Umsatz anstelle des Gewinns ebenso zur Abfärbung in Fällen, in denen der Gewerbeertrag noch unter dem Freibetrag liegt. Unbeantwortet ist bisher zudem die Frage, ob es nicht auch eines Nachhaltigkeitskriteriums bedarf, um bei um die Abfärbungsgrenze schwankenden schädlichen Einkünften einen ständigen Wechsel zwischen Gewerbebetrieb und Nicht-Gewerbebetrieb und damit zwischen Betriebseröffnung und Betriebsaufgabe zu vermeiden.

VII. Verluste aus Etablierungskosten eines Fonds 1. BFH-Urteil vom 26.4.2018 – IV R 33/15 (FR 2018, 1145) Im Fall des BFH-Urteils vom 26.4.2018 – IV R 33/1556 ging es um die Gründung einer GmbH & Co. KG, die als Fonds in Schiffsgesellschaften 56 BFH v. 26.4.2018 – IV R 33/15, FR 2018, 1145, mit Anm. von Kaminski, AktStR 2018, 571; Keller, StuB 2018, 761; Möller, EStB 2018, 276; Riedel, FR 2018, 1149; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 35/2018 Anm. 3; Wendt, BFH/PR 2018, 236.

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investieren sollte, die Containerschiffe einer bestimmten Größenklasse betrieben und ihren steuerlichen Gewinn pauschal nach der Tonnage ermittelten. Das Fondskonzept hatten die Gründungsgesellschafter im Jahr 2007 entworfen. Die geworbenen Anleger konnten schriftlich über das im Emissionsprospekt beschriebene Konzept abstimmen und stimmten mit mehr als 96 % später zu. Anhand des Konzepts ließ die KG nach geeigneten Zielfonds suchen, erwarb die erste Beteiligung zum 1.1.2008 und im Anschluss daran bis 2010 insgesamt über 400 Beteiligungen. In ihrer Gewinnermittlung für 2007 behandelte die KG die Etablierungskosten (zB für Eigenkapitalvermittlung, Entwicklung der Konzeption, Erstellung der Emissionsunterlagen, Prospektgutachten, Rechtsberatung und Analyse von Zielfonds) ebenso wie die laufenden Verwaltungskosten als sofort abziehbare Betriebsausgaben. Der entsprechend abgegebenen Gewinnfeststellungserklärung folgte das FA zunächst, änderte aber später seine Auffassung und ging davon aus, dass die Etablierungskosten Anschaffungskosten der später erworbenen Beteiligungen seien. Die laufenden Verwaltungskosten betrachtete das FA zu 95 % als Sonderbetriebsausgaben bei den Beteiligungsgesellschaften und ging von deren Abgeltung durch den Tonnagegewinn aus. Die dagegen erhobene Klage hatte erstinstanzlich nur in Bezug auf die laufenden Verwaltungskosten Erfolg.57 Der wegen der Etablierungskosten eingelegten Revision der KG gab der BFH statt und verwies das Verfahren an das FG zurück. Zwar sei die Rspr. bei einheitlichem Vertragswerk bisher von Gestaltungsmissbrauch ausgegangen und habe Etablierungskosten als Anschaffungskosten behandelt. Diese Rspr. sei durch Einführung des § 15b EStG ab 2007 aber überholt. § 15b EStG regele Verrechnungsbeschränkungen für Anfangsverluste bei Steuerstundungsmodellen. Fonds, bei denen Etablierungskosten bisher als Anschaffungskosten behandelt wurden, fielen nun unter § 15b EStG, der als spezielle Regelung zur Missbrauchsbekämpfung die Generalklausel des § 42 AO verdränge. Die Kosten seien dann im Rahmen der Gewinnfeststellung als Betriebsausgaben zu behandeln. Ein Abzugsverbot könne sich vor Erwerb der Beteiligungen an tonnagebesteuerten Zielfonds auch nicht aus § 5a EStG ergeben.

57 FG Hamburg v. 18.6.2015 – 2 K 145/13, EFG 2015, 1911.

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2. Keine fiktiven Investitionskosten bei Anlauf eines Fonds Insbesondere Eigenkapitalvermittlungsprovisionen, die handelsbilanziell nicht aktiviert werden dürfen (§ 248 Abs. 1 Nr. 2 HGB), hatte der BFH seit 2001 als Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Investitionsobjekts behandelt, wenn die Kosten Bestandteil eines vom Anleger nur einheitlich zu akzeptierenden Vertragsbündels waren. Mit Urteilen des IX. Senats58 und des IV. Senats59 war ein Streit zwischen diesen beiden Senaten60 über die Behandlung von gewerblich geprägten und nicht gewerblich geprägten Immobilienfonds beigelegt worden. Seither ging der BFH bei gebündelten Verträgen im Zusammenhang mit der Einwerbung von Fondsanlegern von einem Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO aus.61 Die angemessene Gestaltung bestimmte er aus der Perspektive des Anlegers, der nach Meinung des BFH seine gesamten Aufwendungen als Investition in die Beteiligung an dem Fonds ansieht. Weil die Etablierungskosten des Fonds so nicht mehr als sofort abziehbare Betriebsausgaben, sondern als Anschaffungs- oder Herstellungskosten behandelt wurden, kam es nicht mehr zu Anlaufverlusten, sondern lediglich über die Nutzungsdauer des Investitionsguts zu höheren Abschreibungen und ggf. zu einem geringeren Gewinn bei einer Veräußerung des Investitionsguts oder des Anteils am Fonds.62 Mit dem 2007 eingeführten § 15b EStG wollte der Gesetzgeber nach Meinung des BFH alle Gestaltungen treffen, die dem Anleger zunächst hohe Verlustanteile, später aber Gewinnanteile vermitteln. Dazu gehören insbes. auch Fonds, die hohe Anlaufverluste durch Kosten aus der Entwicklung und Umsetzung des Konzepts und der Einwerbung von Eigenkapital erzielen. In der gesetzgeberischen Regelung ist danach eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift zu sehen, die der auf die Generalklausel des § 42 AO in dessen bis 2007 geltender Fassung gestützten bisherigen Rspr. zu Fondetablierungskosten den Boden ent-

58 BFH v. 8.5.2001 – IX R 10/96, BStBl. II 2001, 720 = FR 2001, 1005. 59 BFH v. 28.6.2001 – IV R 40/97, BStBl. II 2001, 717 = FR 2001, 885. 60 S. Beschluss des IV. Senats über die Vorlage an den Großen Senat, BFH v. 29.4.1999 – IV R 40/97, BStBl. II 1999, 828 = FR 1999, 896, zurückgenommen mit BFH v. 28.6.2001 – IV R 40/97, BStBl. II 2001, 717 = FR 2001, 885. 61 BFH v. 14.4.2011 – IV R 8/10, BStBl. II 2011, 709 = FR 2011, 667; v. 14.4.2011 – IV R 15/09, BStBl. II 2011, 706; v. 14.4.2011 – IV R 36/08, BFH/NV 2011, 1361; v. 29.2.2012 – IX R 13/11, BFH/NV 2012, 1422. 62 Ausführlich zur bisherigen Handhabung des BFH auch Wendt, StbJb. 2011/ 2012, 31 ff.

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zieht. Für den Anleger ist diese Neuorientierung möglicherweise ungünstiger. Denn nach § 15b EStG kommt es zum Abzug der Kosten nur insoweit, als später auch tatsächlich Gewinne aus dem Fonds entstehen. Bleiben die Gewinne hinter den Anlaufverlusten zurück, wirken sich die Kosten insoweit endgültig nicht einkommensmindernd aus. Nach der bisherigen Rspr. kam es auf die Höhe der späteren Gewinne nicht an; über die Aktivierung blieben die Kosten entweder in Gestalt von Abschreibungen abziehbar oder minderten zumindest den Gewinn des Fonds aus der Veräußerung des Investitionsguts oder den Gewinn des Anlegers aus der Veräußerung seines Fondsanteils.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften Dr. Peter Brandis Richter am BFH, München I. Bilanzierung 1. Leitsätze und Sachverhalt 2. Fragestellungen 3. Nachteilsausgleich 4. Bewertung der Jubiläumsrückstellungen 5. Heubeck-Tafeln 2018 G II. Organschaft 1. Vorbemerkungen 2. Ausgleichszahlungen an Minderheitsgesellschafter und Verlustübernahmevereinbarung bei Änderung des Aktienrechts a) Leitsätze und Sachverhalt b) Steuerrechtliche Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses c) Ausgleichszahlungen der (vermeintlichen) Organgesellschaft d) Verlustübernahme 3. Haftung (§ 73 AO) bei mehrstufiger Organschaft a) Leitsatz und Sachverhalt b) Haftungsumfang c) Haftungsgegenstand d) Mögliche Reaktionen des Gesetzgebers e) Gewerbesteuerliche Organschaft 4. Keine sachliche Unbilligkeit bei verzögerter Registereintragung a) Leitsatz und Sachverhalt b) Abweichende Steuerfestsetzung c) Voraussetzungen

d) e) f) g) h)

Erstmalige Zurechnung Zulässige Typisierung Empfehlung Reaktionen? Ausblick

III. Verdeckte Gewinnausschüttung 1. Erdienbarkeit bei Barlohnumwandlung a) Leitsätze und Sachverhalt b) Entscheidungsfragen c) Abzugsvoraussetzungen d) Erdienbarkeit e) Umstellung des Durchführungswegs f) Exkurs 2. Verschmelzung nach Forderungsverzicht mit Besserungsabrede a) Leitsätze und Sachverhalt b) Fragestellungen c) Passivierung d) VGA (Teil 1) e) Exkurs f) VGA (Teil 2) g) Wechsel des Veranlassungszusammenhangs h) Ergänzende Hinweise IV. Umstrukturierungen 1. Rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns II nach einer Aufwärtsverschmelzung a) Leitsätze und Sachverhalt b) Fragestellungen c) Qualifizierter Anteilstausch d) „Veräußerung bei Aufwärtsverschmelzung“

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften e) Reaktionen im Schrifttum f) Exkurs 2. Gewinn aus als Gegenleistung für Vermögensübertragung an Anteilseigner zu gewährende Aktien – keine Rückwirkung a) Leitsätze und Sachverhalt b) Streitfrage c) § 2 UmwStG d) § 12 UmwStG e) Vermögensübertragung 3. Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlage bei Einbringung a) Leitsatz und Sachverhalt b) Streitfrage

c) Ausgangspunkt d) Einbringung e) Betriebsaufgabe 4. Berücksichtigung negativer Anschaffungskosten im Rahmen des § 20 Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002 a) Leitsatz und Sachverhalt b) Streitfrage c) Ermittlung des Einbringungswerts d) Entnahmen/Einlagen im Rückwirkungszeitraum e) Korrektur der Anschaffungskosten f) Auswirkungen und Ausblick

I. Bilanzierung 1. Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 27.9.20171 hat zur Rückstellungsbildung für einen sog. Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit und zur Anwendung der aktuellen Pauschalwerttabelle zur Bemessung von Jubiläumsrückstellungen Folgendes entschieden: „1. Arbeitgeber dürfen hinsichtlich laufender Altersteilzeitarbeitsverträge keine Rückstellungen für den sog. Nachteilsausgleich gemäß § 5 Abs. 7 TV ATZ bilden. 2.

Ein Arbeitgeber, der Jubiläumsrückstellungen in seiner Bilanz zum 31. Dezember 2005 anhand der Pauschalwerttabelle des BMF-Schreibens vom 12.4.1999 (BStBl. I 1999, 434) bemessen hatte, darf später im Rahmen einer noch „offenen“ Veranlagung für das Jahr 2005 zur Anwendung der im BMF-Schreiben v. 8.12.2008 (BStBl. I 2008, 1013) veröffentlichten Pauschalwerttabelle übergehen.“

Zum Sachverhalt: Die Klägerin (eine Sparkasse in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts) bildete eine Rückstellung für Nach1 BFH v. 27.9.2017 – I R 53/15, BFHE 260, 45 = BStBl. II 2018, 702 = FR 2018, 517; Anmerkungen (zB): Bolik, DStRK 2018, 93; Bolik/Kummer, BB 2018, 624; Bolik/Kummer/Thaut, StuB 2018, 535; Brandis, BFH/PR 2018, 107; jh, StuB 2018, 148; Kolbe, StuB 2018, 292; Märtens, jurisPR-SteuerR 14/2018 Anm. 3; Möller/ Lemp, EStB 2018, 88; Weber-Grellet, FR 2018, 521.

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teilsausgleich bei der Altersteilzeit; sie hatte mit Mitarbeitern Verträge über Altersteilzeit abgeschlossen (Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand [Altersteilzeitgesetz] v. 23.7.1996, BGBl. I 1996, 1078; Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im Öffentlichen Dienst v. 5.5.1998 [TV ATZ]). Nach § 5 Abs. 7 TV ATZ haben die Mitarbeiter einen tariflichen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung wegen der zu erwartenden Rentenkürzung aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente (sog. Nachteilsausgleich): „Arbeitnehmer, die nach Inanspruchnahme der Altersteilzeit eine Rentenkürzung wegen einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente zu erwarten haben, erhalten für je 0,3 v.H. Rentenminderung eine Abfindung i.H.v. 5 v.H. der Vergütung …, die bzw. der dem Arbeitnehmer im letzten Monat vor dem Ende des Altersteilzeitverhältnisses zugestanden hätte, wenn er mit der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit … beschäftigt gewesen wäre. Die Abfindung wird zum Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses gezahlt.“

Die künftigen Abfindungszahlungen hat die Klägerin in ihren Bilanzen ab Abschluss des jeweiligen Altersteilzeitvertrags in voller Höhe (nur abgezinst) als Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten passiviert. Das FA meinte, die Rückstellungen dürften gemäß dem BMF-Schreiben v. 28.3.20072 (dort Rz. 15) nicht bereits bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags in voller (abgezinster) Höhe passiviert werden, sondern müssten (wie die Rückstellungen für die Lohn-Aufstockungszahlungen bei Altersteilzeit) ratierlich angesammelt werden. Auf dieser Grundlage ermittelte das FA für das Streitjahr 2004 eine Gewinnerhöhung um … Euro und für das Streitjahr 2005 eine Gewinnminderung um … Euro. Es erließ entsprechend geänderte Körperschaftsteuerbescheide. Streitig ist auch die Höhe von Rückstellungen für Zuwendungen anlässlich von Dienstjubiläen: Die Klägerin gewährte ihren Mitarbeitern entsprechende Zuwendungen sowohl nach den jeweils geltenden Tarifverträgen als auch nach übertariflichen Sonderzahlungen und bildete dafür Rückstellungen (sog. Jubiläumsrückstellungen). Zum 31.12.2005 bildete sie die Jubiläumsrückstellungen in der Bilanz, soweit die maßgebenden Dienstverhältnisse mindestens zehn Jahre bestanden und die Zuwendung das Bestehen eines Dienstverhältnisses von mindestens 15 Jahren vorausgesetzt hatte. Den steuerlichen Ansatz der Jubiläumsrückstellungen zum 31.12.2005 hat die Klägerin nach dem sog. Pauschalwertverfah-

2 BMF v. 28.3.2007 – IV B 2 - S 2175/07/0002 – DOK 2007/0136390, BStBl. I 2007, 297 = FR 2007, 452.

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ren3 und den darin vorgegebenen Pauschalwerten mit insgesamt … Euro bemessen. Diesem Pauschalwertverfahren lagen die „Richttafeln 1998“ von Dr. Klaus Heubeck (Heubeck) zugrunde. Das FA berücksichtigte die Jubiläumsrückstellungen bei Festsetzung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr 2005 erklärungsgemäß. Die Klägerin beantragte im Einspruchsverfahren, die Jubiläumsrückstellungen mit … Euro anzusetzen. Dieser Betrag ergebe sich nach Maßgabe der von der Finanzverwaltung auf der Grundlage der „Richttafeln 2005 G“ von Heubeck im BMFSchreiben v. 8.12.20084 verlautbarten neuen Pauschalwerttabelle. Das FA lehnte die Änderung ab, weil seiner Auffassung nach der ursprüngliche Ansatz nicht fehlerhaft gewesen sei. Die Klage hatte in beiden Punkten Erfolg (FG München, Außensenate Augsburg, v. 9.6.2015 – 6 K 1824/13, EFG 2015, 1560). Im Revisionsverfahren ergingen Änderungsbescheide. Der BFH hob das angefochtene Urteil auf und wies die Klage zur Körperschaftsteuer 2004 ab; zur Körperschaftsteuer 2005 hat er die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

2. Fragestellungen Es waren zwei „materielle“ Einzelfragen aus dem praxiswichtigen Rückstellungsbereich zu klären: Zum Einen ging es um den sog. Nachteilsausgleich bei „noch laufenden“ Altersteilzeitvereinbarungen (s.u. zu c), zum Zweiten um die Rückstellungshöhe (Jubiläumsrückstellung) bei Anwendung einer sog. Pauschalwerttabelle (s.u. zu d). Im Übrigen war für ein Streitjahr eine verfahrensrechtliche Hürde zu nehmen: Eine streitjahrbezogene „Beschwer“ als sog. Sachurteilsvoraussetzung (§ 40 Abs. 2 FGO) liegt in aller Regel nur dann vor, wenn im Prozess eine Herabsetzung der jeweiligen Steuerschuld im Raum steht. Dies war für das Streitjahr 2005 nicht eindeutig: Denn in dem Fall, dass die Klägerin in beiden Streitpunkten obsiegt hätte, wäre für dieses Streitjahr mit Blick auf die Einkommensauswirkung von Rückstellungsposten per Saldo eine höhere Steuer festzusetzen gewesen. Im Streitfall „schadet“ dies aber nicht: Denn die Klägerin ist dadurch beschwert, dass das FA in dem Bescheid 2005 die Rückstellungen niedriger bemessen hat, als von ihr 3 BMF v. 12.4.1999 – IV C 2 - S 2175 - 3/99, BStBl. I 1999, 434 = FR 1999, 476. 4 BMF v. 8.12.2008 – IV C 6 - S 2137/07/10002 – DOK 2008/0690725, BStBl. I 2008, 1013 = FR 2009, 141.

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beantragt („zu hoher Gewinn“). Diese Beschwer entfällt nicht dadurch, dass sich aufgrund der Rechtsauffassung der Klägerin zu dem anderen Streitpunkt (Rückstellungen Nachteilsausgleich) für 2005 eine gegenläufige Gewinnminderung ergeben würde. Anders wäre es nur, wenn beide Streitpunkte inhaltlich in einer Weise miteinander verknüpft wären, dass ein Obsiegen in dem ersten Streitpunkt zwangsläufig auch zu einem Obsiegen im zweiten Streitpunkt führen müsste. So liegt der Fall hier aber nicht. Denn beide Streitpunkte sind inhaltlich nicht miteinander verbunden. Folge: Ist eine (einheitliche) Rückstellungsfrage über einen mehrjährigen Prüfungszeitraum streitig, besteht nur in den Streitjahren eine „Beschwer“, in denen im Saldo konkret eine Einkommensminderung angestrebt wird.

3. Nachteilsausgleich Die Rückstellung (Nachteilsausgleich betr. laufende Arbeitsverträge) war nicht zu bilden. Denn ein Zahlungsanspruch setzt ua. voraus, dass dem Arbeitnehmer nach dem Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses tatsächlich nur ein „gekürzter“ gesetzlicher Rentenanspruch zusteht. Dazu fehlt es aber an der wirtschaftlichen Verursachung der jeweiligen Verbindlichkeit in den bis zu den Bilanzstichtagen abgelaufenen Wj. (aA zB Weber-Grellet, FR 2018, 521; Bolik/Kummer/Thaut, StuB 2018, 535). Es handelt sich bei der Rentenkürzung um den eigentlichen wirtschaftlichen Beweggrund für die Leistung der Abfindung. Der tatsächliche Eintritt der bei Vertragsschluss erwarteten Rentenkürzung ist daher nicht nur in rechtlich-formaler, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs. Sonach hätte die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31.12.2004 keine Rückstellungen für die Verpflichtungen nach § 5 Abs. 7 TV ATZ aus laufenden Altersteilzeitarbeitsverträgen bilden dürfen. Der vom FA anerkannte (Teil-)Betrag5 bleibt allerdings im Finanzprozess unberührt (sog. Verböserungsverbot). Das BMF6 hat die allgemeine Anwendung des Urteils verfügt, sieht aber einen Vertrauensschutz für Situationen vor, die sich auf die bisherige 5 S. insoweit BMF v. 28.3.2007 – IV B 2 - S 2175/07/0002 – DOK 2007/0136390, BStBl. I 2007, 297 = FR 2007, 452 – dort Rz. 15. 6 BMF v. 22.10.2018 – IV C 6 - S 2175/07/10002 – DOK 2018/0835766, BStBl. I 2018, 1112 = StEK EStG § 5 Rückst. Nr. 232; dazu Anmerkung Bolik, NWB 2018, 3288 f.

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Verwaltungsauffassung bezogen haben; Stichtag für die Anwendung der Rechtsprechung: Teilzeitarbeitsverhältnisse, die nach dem 22.11.2018, der Veröffentlichung des BMF-Schreibens im BStBl. I, beginnen. Nach der neuen BMF-Auffassung steht eine Rückstellungsbildung allerdings weiterhin offen für einen (allgemeinen?) Nachteilsausgleich des Arbeitgebers für finanzielle Nachteile aus dem Arbeitsverhältnis (ratierliche Bildung).

4. Bewertung der Jubiläumsrückstellungen Die Jubiläumsrückstellungen zum 31.12.2005 sind hingegen auf der Grundlage der im BMF-Schreiben v. 8.12.20087 verlautbarten Pauschalwerte („Richttafeln 2005 G“ von Heubeck) zu bemessen. Dass die Klägerin in ihrer Steuererklärung noch die Pauschalwerte aus dem BMF-Schreiben v. 12.4.19998 zugrunde gelegt hatte, steht dem nicht entgegen. Für die Bemessung des Teilwerts von Jubiläumsrückstellungen bedarf es zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des Ausscheidens von Mitarbeitern wegen Todes oder Invalidität eigentlich spezifischer versicherungsmathematischer Berechnungen. Die Praxis nutzt aber häufig die Möglichkeit der sog. Pauschalbewertung: Die Finanzverwaltung setzt auf der Grundlage der Richttafeln von Heubeck Pauschalwerte fest und veröffentlicht diese in Form einer Tabelle, aus der der Stpfl. die Höhe der anzusetzenden Jubiläumsrückstellungen anhand der vom betreffenden Arbeitnehmer bereits abgeleisteten Dienstjahre und des Leistungszeitpunkts der jeweiligen Jubiläumszuwendung ablesen kann. Von der gewählten Bewertungsmethode kann der Stpfl. nach den Vorgaben des BMF für alle Verpflichtungen nur einheitlich Gebrauch machen; zudem ist an der getroffenen Wahl grundsätzlich für fünf Wirtschaftsjahre festzuhalten.9 Dieser Verfahrensmöglichkeit stimmt der BFH ausdrücklich zu. Hier geht es um den Übergang auf eine aktualisierte Tabelle – die Veranlagung des Streitjahrs war noch „offen“, als die neue Tabelle im Zusammenhang mit der Jubiläumsrückstellung vom BMF in 2008 ergänzend bekannt gemacht wurde, und für die Klägerin ließ sich damit ein höherer

7 BMF v. 8.12.2008 – IV C 6 - S 2137/07/10002 – DOK 2008/0690725, BStBl. I 2008, 1013 = FR 2009, 141. 8 BMF v. 12.4.1999 – IV C 2 - S 2175 - 3/99, BStBl. I 1999, 434 = FR 1999, 476. 9 BMF v. 29.10.1993 – IV B 2 - S 2175 - 47/93, BStBl. I 1993, 898 = FR 1993, 817; v. 8.12.2008 – IV C 6 - S 2137/07/10002 – DOK 2008/0690725, BStBl. I 2008, 1013 = FR 2009, 141 – dort Rz. 11.

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Rückstellungsbetrag belegen. Außerdem endete das der Veranlagung zugrunde liegende Wj. nach dem 6.7.2005,10 nämlich am 31.12.2005. Dass die Klägerin bislang für die Bemessung der Höhe der Jubiläumsrückstellungen noch die „alten“ Pauschalwerte zugrunde gelegt hatte, gereicht ihr nach der Entscheidung des BFH nicht zum Nachteil (keine Bindung an den auf dieser Grundlage ebenfalls rechtmäßigen Ansatz). Das BMF beschränkt die Anwendung der neuen Tabelle nicht auf die Situation des erstmaligen Wertansatzes nach Veröffentlichung.

5. Heubeck-Tafeln 2018 G Inzwischen sind unter dem 20.7.2018 die neuen Richttafeln „2018 G“ veröffentlicht worden, die zu einem (moderaten) Anstieg der Pensionsrückstellungen führen können.11 Nach der PM der Heubeck AG vom 4.10.2018 gibt es inzwischen eine korrigierte Version „RT 2018 G“.12 Das BMF hat inzwischen eine Anwendung verfügt.13

II. Organschaft 1. Vorbemerkungen (1.) Bei der Besprechung der bis zur letztjährigen Tagung (69. Fachkongress 2017) bekannt gewordenen BFH-Urteile zur Organschaft14 war mit Blick auf das von der Finanzverwaltung bevorzugte Tatbestandserfordernis einer Erfüllung aller Organschaftsbedingungen während der Mindestlauf10 S. insoweit BMF v. 16.12.2005 – IV B 2 - S 2176 - 106/05, BStBl. I 2005, 1054 = FR 2006, 98. 11 So die PM der Heubeck AG, ua. in NWB 2018, 2461; s. auch Zwirner, DB 2018, 2066; JS, DStZ 2018, 633. Zu Auswirkungen auf Abschlüsse nach HGB/ IFRS s. die PM des IDW v. 17.9.2018 (www.idw.de); Oser/Bischof, BB 2018, 2352; Zwirner, DB 2018, 2518; Schiffers/Köster, DStZ 2018, 833 (835 f.). 12 S. Brinkmeier, GmbH-StB 2018, 341. 13 BMF v. 19.10.2018 – IV C 6 - S 2176/07/10004:001 – DOK 2018/0833103, BStBl. I 2018, 1107 = StEK EStG § 6a Nr. 257 – mögliche Anwendung für Wj., die nach dem 20.7.2018 enden, letztmalige Anwendung der alten Tabelle für ein Wj., das vor dem 30.6.2019 endet; Unterschiedsbetrag (§ 6a Abs. 4 Satz 2 EStG). Dazu zB Schwetlik, GmbH-StB 2018, 391. 14 Brandis, StbJb. 2017/2018, 57 (73 ff.); s. auch weitere Literatur, zB AltrichterHerzberg, GmbHR 2018, 296; Brühl/Binder, NWB 2018, 331; Hemme, Ubg. 2017, 678; Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470 (471 ff.); Hoheisel, StuB 2018, 325; Petersen, WPg. 2018, 320 und 659; Prinz, FR 2018, 916; Schell, FR 2018, 13; Walter, GmbHR 2018, 63; Weiss, GmbH-StB 2018, 86.

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zeit („keine Organschaftspause“) gemutmaßt worden, es drohe angesichts anderslautender Rspr. eine „gesetzgeberische Gegenaktion“.15 Der aktuelle Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (früher: „JStG 2018“) adressiert dieses Thema nicht. (2.) Zwar hatte FG Bremen v. 14.12.201716 zur gewerbesteuerrechtlichen Organschaft die Revision zur Klärung der Rechtsfrage zugelassen, „ob es für eine finanzielle Eingliederung iSd. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG genügt, dass der bürgerlich-rechtlich zu 50 % an der Organgesellschaft beteiligte Organträger nur aufgrund eines schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrags zwischen ihm und dem Mitgesellschafter die Mehrheit der Stimmrechte in der Organgesellschaft hat, kraft der er die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung in der Organgesellschaft maßgeblich bestimmen kann“

(es genügt nach dem FG-Urteil für den 50 %-Gesellschafter eine Mehrheit der Stimmrechte nur kraft Stimmbindungsvertrag mit dem Mitgesellschafter nicht, es „zählen“ nur die Stimmrechte kraft eigener oder jedenfalls wirtschaftlich zurechenbarer Beteiligung), aber das Urteil ist rechtskräftig geworden. Nach Maßgabe der neueren Rspr. des BFH17 könnte der Mangel fehlender finanzieller Eingliederung allerdings im Folgejahr „geheilt“ werden.18 (3.) Zu BFH v. 10.5.201719 – betr. Mindestlaufzeit eines GAV bei Organschaft (hier: umwandlungssteuerrechtliche Rückwirkungsfiktion) – ist nun die Entscheidung im zweiten Rechtsgang bekannt geworden: Da § 302 Abs. 1 AktG nur eine Minderung der Verlustübernahmeverpflichtung durch die Auflösung von anderen Gewinnrücklagen, nicht jedoch durch die Auflösung von Kapitalrücklagen erlaubt, ist eine entsprechende Verlustübernahmevereinbarung (Verlustausgleichsverpflichtung erst nach Ausgleich mit Kapitalrücklagen) – und damit die Organschaft – steuerrechtlich nicht anzuerkennen.20 15 S. Schewe, DStRK 2017, 342. 16 FG Bremen v. 14.12.2017 – 3 K 12/17 (1), EFG 2018, 228 = GmbHR 2018, 321; dazu Anm. G. Wendt, EFG 2018, 231; Brühl, GmbHR 2018, 325; Schwetlik, GmbH-StB 2018, 107; Weiss, DStRK 2018, 86; Hesse, EStB 2018, 113. 17 S. die Nachweise bei Brandis, StbJb. 2017/2018, 57 (73 ff.). 18 S. auch Brühl, GmbHR 2018, 325 (326 f.). 19 BFH v. 10.5.2017 – I R 19/15, BFHE 258, 344 = BStBl. II 2019, 81 = FR 2018, 39; s. auch Brandis, StbJb. 2017/2018, 57 (73). 20 FG Düss. v. 17.4.2018 – 6 K 2507/17 K, GmbHR 2018, 1088, rkr.; dazu Anmerkungen (zB): Brühl/Weiss, DStR 2018, 2368 (evtl. könne zukünftig § 14 Abs. 5

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(4.) Zu Verfahrensfragen im Besteuerungsverfahren von Organgesellschaften (örtliche Zuständigkeit, Zuständigkeitsvereinbarung) s. FinMin. NRW v. 2.8.2018, DB 2018, 2151 = StEK KStG § 17 Nr. 23. Zur Frage der Organträgereigenschaft eines Betriebs gewerblicher Art bzw. einer Eigengesellschaft s. OFD Karlsruhe v. 19.7.2018 – S 270.6/57-St 213, DB 2018, 1953.21

2. Ausgleichszahlungen an Minderheitsgesellschafter und Verlustübernahmevereinbarung bei Änderung des Aktienrechts a) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 10.5.201722 betrifft Ausgleichszahlungen an Minderheitsgesellschafter und die Verlustübernahmevereinbarung bei Änderung des Aktienrechts: „1. Die Vereinbarung von Ausgleichszahlungen des beherrschenden Unternehmens an einen außenstehenden Gesellschafter der beherrschten Gesellschaft steht der körperschaftsteuerrechtlichen Anerkennung eines Gewinnabführungsvertrags entgegen, wenn neben einem bestimmten Festbetrag ein zusätzlicher Ausgleich gewährt wird, dessen Höhe sich am Ertrag der vermeintlichen Organgesellschaft orientiert und der zu einer lediglich anteiligen Gewinnzurechnung an den vermeintlichen Organträger führt (Bestätigung von BFH v. 4.3.2009 – I R 1/08, BStBl. II 2010, 407 = FR 2009, 1110). 2.

Eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft mit einer GmbH als Organgesellschaft setzt nach § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG aF voraus, dass ausdrücklich die Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG (in allen seinen Bestandteilen

KStG je nach Anfechtungsgegenstand bei Annahme einer Teilbestandskraft „helfen“); Walter, GmbHR 2018, 1091; Weiss, DStRK 2018, 295; s. auch OFD NRW v. 11.7.2018, DB 2018, 1700 = StEK KStG § 17 Nr. 22. 21 Dazu zB JS, DStZ 2018, 638. 22 BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15, BFHE 259, 49 = DB 2017, 2650 = FR 2018, 844; dazu Anmerkungen (zB): Adrian/L’habitant, NWB 2017, 3824; Brandis, BFH/ PR 2018, 27; Brühl/Binder, NWB 2018, 331 (337); Brühl/Weiss, BB 2018, 94; Görden, GmbH-StB 2018, 4; Gronenschild, GmbHR 2018, 40; Günther, EStB 2017, 469; Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470 (474); Jäckel/Schwarz, DStR 2018, 433; jh, StuB 2017, 930; JS, DStZ 2017, 899; Kuszewska-Rode, DStRK 2018, 12; Märtens, jurisPR-SteuerR 3/2018 Anm. 4; Petersen, WPg. 2018, 320; Prinz/Keller, DB 2018, 400; s. auch – zugleich zu der bevorstehenden gesetzlichen Änderung des § 14 Abs. 2 KStG durch das „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (früher: „JStG 2018“) – Weiss/Brühl, BB 2018, 2135; Nürnberg, NWB 2018, 2856; Hasbach, DStR 2019, 81. Zur unterbliebenen Ausgleichszahlung s. Badde, DStR 2019, 194.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften und in den jeweiligen Regelungsfassungen) vereinbart worden ist. Dieses Vereinbarungserfordernis bezieht sich auch auf solche Regelungsbestandteile des § 302 AktG, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gewinnabführungsvertrags noch nicht in Kraft getreten waren (hier: § 302 Abs. 4 AktG). Im Falle der Änderung des § 302 AktG ist demnach eine dieser Vorschrift entsprechende Vereinbarung – durch Anpassung des ursprünglichen Gewinnabführungsvertrags – zu treffen.“

Zum Sachverhalt: Die Stadt B hielt zunächst unmittelbar 51 % des Stammkapitals der klagenden GmbH (Versorgungsbetrieb). B gliederte später ihren Bäder-Regiebetrieb auf eine neu gegründete GmbH (WB) aus und übertrug dieser die Mehrheitsbeteiligung. IHv. 49 % war die A GmbH beteiligt, die zugleich den Betrieb der Klägerin führte. Nach dem Gesellschaftsvertrag erhielt die A GmbH von dem ausgewiesenen Jahresüberschuss vorab eine Gewinnausschüttung. Der verbleibende Gewinn war im Verhältnis der Beteiligungsquoten aufzuteilen. In 2004 schlossen die Klägerin und WB einen Gewinnabführungsvertrag (ertragsteuerliche Organschaft). Danach verpflichteten sich die Klägerin zur Abführung ihres gesamten Gewinns und die WB zur Übernahme etwaiger Jahresfehlbeträge. In Abs. 2 der in § 2 des Vertrags geregelten Verlustübernahme war die entsprechende Anwendung des § 302 Abs. 1 und 3 AktG angeordnet. Kurze Zeit später fügte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.12.2004 dem § 302 AktG einen vierten Absatz an. Dieser enthält eine Verjährungsregelung für den Verlustübernahmeanspruch des beherrschten Unternehmens. § 3 des Gewinnabführungsvertrags enthielt Bestimmungen für die Ausgleichszahlung an den außenstehenden Gesellschafter. Danach garantierte die WB, an diesen für jedes volle Geschäftsjahr eine jährliche Ausgleichszahlung iHv. … Euro je 1000 Euro Nennbetrag eines Geschäftsanteils zu leisten. Die WB verpflichtete sich weiterhin, jährlich einen variablen Zuschlag zur Ausgleichszahlung zu gewähren: Ausgangsgröße der Berechnung war der Jahresüberschuss der Klägerin vor Ergebnisabführung, Ausgleichszahlung und Ertragsteuern; davon waren die originäre bzw. fiktive Gewerbeertragsteuer und die fiktive Körperschaftsteuer einschließlich des Solidaritätszuschlags sowie die feste Ausgleichszahlung in Abzug zu bringen. Das Ergebnis dieser Berechnung war schließlich mit der Beteiligungsquote zu multiplizieren. Im Fall eines negativen Rechenergebnisses sollte dieser Wert auf neue Rechnung vorgetragen werden und die Ausgangsgröße für die Berechnung der künftigen variablen Ausgleichszahlung mindern. Auf dieser Grundlage erhielt die A GmbH als außenstehende Gesellschafterin die vertraglich vereinbarten festen und variablen Ausgleichszahlungen. Die Verlustübernah76

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meregelung blieb (ohne Anpassung der Klausel an die Verjährungsregelung in § 302 Abs. 4 AktG) unverändert. Das FA meinte, dass wegen der Höhe der Ausgleichszahlungen (zwischen 56 % und 63 % des Jahresüberschusses der Klägerin) von einer Abführung „des gesamten Gewinnes“ nicht gesprochen werden könne. Die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG sah die am Gewinn der Organgesellschaft orientierte Ausgleichsregelung als schädlich an. Es beanstandete zusätzlich die Verlustübernahmeregelung wegen des fehlenden Verweises auf § 302 Abs. 4 AktG.23 Der BFH folgte dem FG; die Revision der Klägerin war in der Sache erfolglos. b) Steuerrechtliche Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses Wird der „gesamte Gewinn“ abgeführt, wenn eine Verpflichtung besteht, eine Ausgleichszahlung an den Minderheitsgesellschafter zu zahlen (s. zu c), und wie sieht eine ordnungsgemäße Verlustübernahmeklausel aus (s. zu d)? Zum ersten Aspekt hat dieses Urteil „höchste Bedeutung für kommunale Querverbundsgestaltungen unter Einbindung von privaten Versorgungsunternehmen als Mitgesellschafter“;24 der zweite Aspekt betrifft auch Organschaftsstrukturen ohne außenstehende Gesellschafter. Beide Aspekte tragen das Ergebnis der Revisionsentscheidung selbständig. c) Ausgleichszahlungen der (vermeintlichen) Organgesellschaft Zwar stehen solche Zahlungen der steuerrechtlichen Anerkennung einer Organschaft grundsätzlich nicht entgegen, weil §§ 16, 17 Satz 1 KStG die Leistung von Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter bei der Statuierung der Selbstversteuerungspflicht der Organgesellschaft vorausgesetzt haben. Allerdings darf durch eine (vollständige oder zumindest teilweise) Koppelung der Zahlung an das Ergebnis der Organgesellschaft vor Gewinnabführung die tatsächliche Durchführung der Gewinnabführungsverpflichtung nicht in Frage gestellt werden. Und jedenfalls dann, wenn dem außenstehenden Gesellschafter infolge der Ausgleichszahlung der Gewinn der Organgesellschaft in dem Verhältnis zufließt, in dem er ohne Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag zu verteilen gewesen wäre, liegt die von § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG vorausgesetzte Abführung des ganzen Gewinns an den Organträger nicht vor. 23 Nds. FG v. 11.11.2015 – 6 K 386/13, EFG 2016, 1193 = GmbHR 2016, 1002. 24 So JS, DStZ 2017, 898 (899).

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Dies alles gilt ungeachtet des Umstands, dass die Ausgleichszahlungen nach zivilrechtlichen Maßgaben wirksam vereinbart worden sind. Insoweit bestimmen daher die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben die ertragsteuerliche Rechtsanwendung nicht abschließend. Steuerrechtlich muss verhindert werden, dass es die Beteiligten faktisch in der Hand haben, das von der Organgesellschaft erzielte Einkommen beliebig zwischen Organgesellschaft (vgl. § 16 KStG), Organträger (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) und außenstehendem Gesellschafter aufzuteilen. Das ist zum einen mit dem Zweck des Tatbestandsmerkmals „Abführung des ganzen Gewinns“ nicht zu vereinbaren. Zum anderen würden damit die Organschaftsregelungen, die als Ausnahmebestimmungen einer Einkommensverwendungsabrede in engen Grenzen steuerliche Wirkung beilegen, zweck- und systemwidrig ausgeweitet. Steuerrechtlich sind deshalb für die AG und auch für die GmbH grundsätzlich nur solche Ausgleichszahlungsvereinbarungen anzuerkennen, die gesellschaftsrechtlich dem dort zwingend Gebotenen Rechnung tragen und nicht zu einer beliebigen Aufteilung des von der Organgesellschaft erzielten Einkommens führen. Diesen Maßgaben wurde hier nicht entsprochen: Die Ausgleichszahlungsregelung ist darauf angelegt, die Gesellschafter der Klägerin finanziell im Wesentlichen so zu stellen, wie sie ohne Organschaft gestanden hätten. Maßgeblich hierfür ist nicht die volle betragsmäßige Übereinstimmung der Ergebnisverteilung vor und nach Abschluss des Gewinnabführungsvertrags, sondern die wertende Betrachtung der Abrede. Danach hat im Streitfall eine Orientierung an der bisherigen Gewinnverteilungsregelung der (vermeintlichen) Organgesellschaft stattgefunden. Die Entscheidung wurde überwiegend kritisch aufgenommen.25 Es wird nun empfohlen, auf Klauseln, die sich am Gewinn der Organgesellschaft orientieren, zu verzichten;26 es wird auch vorgeschlagen, in typischen Situationen des „steuerlichen Querverbunds“ eine weitere Stufe („Zwischen-Holding“) einzubauen und jeweils Ergebnisabführungsverträge mit den direkt Beteiligten zu vereinbaren und einen variablen Teil an dem Ergebnis der Zwischenholding zu orientieren.27

25 ZB Brühl/Weiss, BB 2018, 94; Brühl/Binder, NWB 2018, 331 (338 f.); Jäckel/ Schwarz, DStR 2018, 433; Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470 (474). 26 Kuszewska-Rode, DStRK 2018, 12; Hoheisel, StuB 2018, 325 (328). 27 Jäckel/Schwarz, DStR 2018, 433 (439).

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Allerdings sieht der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (früher: „JStG 2018“) nun „rechtsprechungsbrechend“ einen neuen § 14 Abs. 2 KStG vor („Garantiedividende“; Festschreibung der Verwaltungsregelung28) – nach § 14 Abs. 2 KStG-E soll die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG genannte Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft (Abführung des „ganzen Gewinns“) auch dann erfüllt sein (gesetzliche Fiktion!), wenn Ausgleichszahlungen an außenstehende Aktionäre vereinbart werden, die über den in § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG geregelten Mindestbetrag (durchschnittlicher Gewinnanteil auf Basis der bisherigen Ertragslage und der künftigen Ertragsaussichten) hinausgehen. Der übersteigende Betrag muss jedoch nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein. Wenn die Ausgleichszahlung in Summe dem Gewinnanteil entspricht, der an den außenstehenden Gesellschafter ohne Organschaft hätte geleistet werden können, ist dies unschädlich. Zeitliche Anwendung: auch für Veranlagungszeiträume vor 2017 (§ 34 Abs. 6b KStG-E). Es wird schon in Frage gestellt, ob die zunächst gewählte Formulierung bei Einbezug defizitärer Tätigkeiten in den Organkreis zielführend ist.29 Insoweit sieht daher die Ausschussempfehlung im Gesetzgebungsverfahren vor, den § 14 Abs. 2 KStG um folgenden Satz zu ergänzen: „Ist eine Eigengesellschaft im Sinne des § 8 Absatz 7 Satz 1 Nummer 2 Satz 2 Organgesellschaft, kann zur Bestimmung des Anteils am Gewinn nach Satz 2 auf den Gewinn einer oder mehrerer Tätigkeiten im Sinne des § 8 Absatz 9 abgestellt werden.“

(s. BR-Drucks. 372/1/18); diese Ergänzung ist allerdings im Gesetzesbeschluss des Bundestags nicht mehr enthalten und daher nicht Gesetz geworden.30 d) Verlustübernahme Der Gewinnabführungsvertrag muss eine dem § 302 AktG entsprechende Vereinbarung über die Verlustübernahme durch den Organträger enthalten. Einbezogen werden muss seit Einfügung der Verjährungsregelung 28 BMF v. 20.4.2010 – IV C 2 - S 2770/08/10006 – DOK 2010/0216002, BStBl. I 2010, 372 = FR 2010, 490. 29 S. JS, DStZ 2018, 513 mit Hinweis auf Belcke/Westermann, BB 2018, 1431. 30 BR-Drucks. 559/18. Ausführliche Würdigung der gesetzgeberischen Planungen bei Nürnberg, NWB 2018, 2856; Weiss/Brühl, BB 2018, 2135.

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(§ 302 Abs. 4 AktG – mit Wirkung v. 15.12.2004) auch diese (s. nunmehr auch das Erfordernis eines „dynamischen“ Verweises auf § 302 AktG gem. § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG). Die Tatsache, dass zivilrechtlich § 302 AktG im GmbH-Vertragskonzern analog anzuwenden ist und damit auch ohne gesonderte Regelung im Vertrag zivilrechtlich „automatisch“ gilt, ist steuerrechtlich unbeachtlich. Zwar genügte die Verlustübernahmeregelung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG aF (Verweis auf die Abs. 1 und 3 des § 302 AktG). Allerdings erstrecken sich die zeitlichen Erfordernisse des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG auch auf die Verlustübernahmeregelung mit der Folge, dass eine dem § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG aF genügende Regelung während der gesamten fünfjährigen Geltungsdauer durchgeführt worden sein muss. Hieran fehlte es im Streitfall, da die ab dem 15.12.2004 geltende Sonderregelung des § 302 Abs. 4 AktG nicht Grundlage der vertraglichen Rechtsbeziehungen war. Dieser rechtlichen Beurteilung steht der Wortlaut des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG nicht entgegen. Die dort verwendete Formulierung „vereinbart wird“ enthält die Aufforderung des Gesetzgebers an die Rechtsanwender, im Fall einer Änderung des § 302 AktG die Übereinstimmung des zuvor geschlossenen Vertrags mit dem neu gefassten § 302 AktG wieder herzustellen. Dabei war nicht zu entscheiden, wie (insbes. innerhalb welcher zeitlichen Grenzen) der Vertrag im Streitfall nach Inkrafttreten des § 302 Abs. 4 AktG anzupassen gewesen wäre. Jedenfalls bestehen nach Auffassung des BFH keine durchgreifenden Bedenken gegen eine (Beobachtungs- und) Anpassungsobliegenheit – bei Dauerrechtsverhältnissen ist es grundsätzlich Sache der Vertragsbeteiligten, die Übereinstimmung der vertraglichen Abmachungen mit den gesetzlichen Vorgaben im Zeitverlauf sicherzustellen (ersetzbar durch einen „dynamischen Verweis“ wie in § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG). Zu einer Heilung der unzureichenden Verlustübernahmeklausel gem. § 17 Abs. 2 KStG nF ist es, obgleich die Voraussetzungen hierfür tatbestandlich vorlagen (Fallgruppe des unvollständigen Verweises auf § 302 AktG), nicht gekommen. Die hierfür erforderliche Vertragsanpassung hätte bis zum 31.12.2014 vorgenommen werden müssen. Eine Anerkennung der Organschaft auf der Grundlage des BMF-Schreibens v. 16.12.200531 kommt nicht in Betracht. Denn diese Verwaltungs31 BMF v. 16.12.2005 – IV B 7 - S 2770 - 30/05, BStBl. I 2006, 12 = FR 2006, 193.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften

anweisung entfaltet für die Gerichte keine Bindungswirkung. Auch wenn es sich um eine sachliche Billigkeitsregelung handeln würde, bedürfte auch sie der Umsetzung in eine konkrete Einzelfallentscheidung (abweichende Steuerfestsetzung gem. § 163 [Abs. 1] AO) der zuständigen Finanzbehörde (eine nach außen hin als solche erkennbare Willensäußerung des FA). Diesen Erklärungswert hat eine erklärungsgemäße Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nicht (immerhin liegt aber eine antragsgemäße Bescheiderteilung mit einer Steuerfestsetzung vor, die dem Ergebnis einer stattgebenden Billigkeitsentscheidung entspricht). Für Steuerbescheide, die nach dem 1.1.2017 (Art. 97 § 29 EGAO) ergehen, ist allerdings § 163 Abs. 3 AO zu beachten – eine mit einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung verbundene Billigkeitsmaßnahme steht unter dem Vorbehalt des Widerrufs, der nach Satz 3 der Regelung mit dem Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung entfällt (dies spricht dafür, dass das Gesetz nunmehr davon ausgeht, dass mit der Steuerfestsetzung ein entscheidungsreifes Billigkeitsverfahren stets [mit-]abgeschlossen ist).32

3. Haftung (§ 73 AO) bei mehrstufiger Organschaft a) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 31.5.201733 betrifft die Haftung (§ 73 AO) bei mehrstufiger Organschaft. „Der Gegenstand der Haftung (§ 73 Satz 1 AO) ist für eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) auf solche Steueransprüche beschränkt,

32 S. auch Weiss/Brühl, DStZ 2018, 451 (454). IÜ sehen Weiss/Brühl (BB 2018, 2135, 2140) im Hinblick auf das BMF-Schreiben v. 16.12.2005 (es habe die Stpfl. dazu verleitet, die Anpassung ihrer GAV zu unterlassen) die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses als erfüllt an (Bindung an die [Fehl-]Einschätzung nach Treu und Glauben). Kritik an der Anpassungsverpflichtung zB bei Adrian/L’habitant, NWB 2017, 3824 f.; Brühl/Weiss, BB 2018, 94 (96 ff.); Heurung/Schmidt/ Kraft, BB 2018, 470 (474). 33 BFH v. 31.5.2017 – I R 54/15, BFHE 259, 1 = BStBl. II 2018, 54 = DStR 2017, 2214; Anmerkungen (zB): Arendt, StuB 2018, 98; Bormann, GmbHR 2017, 1286; Brandis, BFH/PR 2018, 9; Günther, EStB 2017, 433; Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470; Hoheisel, StuB 2018, 325, 328; jh, StuB 2017, 836; Knaupp, DStRK 2017, 366; Märtens, jurisPR-SteuerR 47/2017 Anm. 4; Marx, FR 2018, 142; Moritz, DB 2017, 2702; Petersen, WPg 2018, 320; Prinz/Keller, DB 2018, 400; Schimmele, AO-StB 2017, 365 u. GmbH-StB 2017, 370; TK, DStZ 2017, 822; Weiss, GmbH-StB 2018, 58, 62.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften die gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Organträger gerichtet sind. Dies ist auch bei mehrstufigen Organschaften zu beachten.“

Zum Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH, der Rechtsnachfolgerin der B GmbH. Im Jahr 1990 hatte die B GmbH mit ihrer damaligen Muttergesellschaft, der C GmbH, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Im Jahr 2000 wurde die C GmbH (unter Beibehaltung der Organschaft mit der B GmbH) auf die D AG verschmolzen, die wiederum mit dem sie beherrschenden Unternehmen, der E AG, einen Gewinnabführungsvertrag (mit Wirkung zum 1.1.2001) abgeschlossen hatte. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E AG nahm das FA die A GmbH (als Rechtsnachfolgerin der B GmbH) mit auf § 191 iVm. § 73 sowie § 45 Abs. 1 AO gestützten Haftungsbescheid für einen Teil der rückständigen Körperschaftsteuer 2001 und 2002 sowie Solidaritätszuschläge 2001 und 2002 der E AG iL in Anspruch. In diesem Bescheid hatte das FA unter dem Gesichtspunkt einer „Veranlassungshaftung“ den Haftungsanteil durch den Anteil des Einkommens der B GmbH (originäres Organeinkommen) an der Summe der (aller) positiver Organeinkommen bei der E AG bestimmt. Die weiteren Gesellschaften, die mit der E AG in den Jahren 2001 und 2002 eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft gebildet hatten, wurden ebenfalls nach dieser Berechnungsmethode nach § 73 AO in Anspruch genommen. Die Klage gegen den Haftungsbescheid war erfolglos.34 Der BFH hob das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid auf. b) Haftungsumfang Streitig war der Umfang der Haftung bei einer sog. mehrstufigen Organschaft (als mehrstufiges Beteiligungsverhältnis mit organschaftlicher Vereinbarung parallel zum unmittelbaren Beteiligungsverhältnis), hier eine Haftung der Enkelgesellschaft für Steuern der Muttergesellschaft. Es geht nicht um eine sog. mittelbare oder Klammer-Organschaft (finanzielle Eingliederung vermittels der mittelbaren Beherrschung und direkter Vereinbarung zwischen Mutter- und Enkelgesellschaft) – bei dieser dürfte die Entscheidung keine Wirkung haben.35

34 FG Düss. v. 19.2.2015 – 16 K 932/12 (H(K), GmbHR 2015, 1116. 35 Schimmele, GmbH-StB 2017, 370 f.; Schimmele, AO-StB 2017, 365 (366); Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470 (471).

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c) Haftungsgegenstand Der BFH macht es (sehr) kurz: Der Gegenstand der Haftung sei für eine Organgesellschaft auf die Steueransprüche beschränkt, die sich gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Organträger richten. Zwar bezwecke die Haftungsnorm, die steuerlichen Risiken auszugleichen, die mit der Verlagerung der Rechtszuständigkeit auf eine andere Person verbunden sind – aber der Wortlaut sei eben enger.36 Dass bei gestuften Organschaftsverhältnissen ein weiter gehender Haftungsumfang zweckgerecht sei („Haftungslücke“), sei eine rechtspolitische Frage, die nicht von den Gerichten, sondern zuvörderst vom Gesetzgeber zu beantworten sei und nicht Gegenstand einer ausdehnenden Gesetzesauslegung sein könne. d) Mögliche Reaktionen des Gesetzgebers Man wird nachvollziehen können, dass der Gesetzgeber hier möglicherweise „nachjustieren“ wird, um die durch das übergegangene Besteuerungssubstrat konkret ausgelöste Steuer bei der Person (als Steuerschuldner), der das verlagerte Besteuerungssubstrat tatsächlich als Besteuerungsgrundlage zugerechnet wird, zu erfassen. Dadurch würde eine zweckungerechte (weil durch willkürliches Einziehen einer Stufe [zB als UG haftungsbeschränkt37 iS einer Isolierung nachgeordneter Gesellschaften gestaltbare) „Abschirmwirkung“ in der mehrstufigen Organschaftskette vermieden.38 Vielleicht könnte der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit auch eindeutig regeln, dass sich die Haftung auf den Solidaritätszuschlag (der nicht Gegenstand der organschaftlichen Vereinbarung ist) erstreckt (so wohl AEAO zu § 73 Nr. 3.1 Abs. 6). Allerdings adressiert der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (früher: „JStG 2018“) das Thema nicht.

36 Personelle Beschränkung auf den Organträger; krit. zB Knaupp, DStRK 2017, 366. 37 S. Arendt, StuB 2018, 98 (99). 38 S. auch Knaupp, DStRK 2017, 366; Arendt, StuB 2018, 98 (99).

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e) Gewerbesteuerliche Organschaft Die Grundsätze der Entscheidung werden entspr. auf die gewerbesteuerrechtliche Organschaft (ebenfalls „stufenweise Zurechnung entlang der Kette“) anwendbar sein,39 nicht aber auf die umsatzsteuerrechtliche.40

4. Keine sachliche Unbilligkeit bei verzögerter Registereintragung a) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 23.8.201741 betraf die Frage der sachlichen Unbilligkeit bei verzögerter Registereintragung: „Wird eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft infolge einer verzögerten Eintragung des Gewinnabführungsvertrags in das Handelsregister erst in dem auf das Jahr der Handelsregisteranmeldung folgenden Jahr steuerlich wirksam, liegt darin keine sachliche Unbilligkeit. Das gilt auch, wenn die verzögerte Eintragung auf einem Fehlverhalten einer anderen Behörde – hier: Registergericht – beruhen sollte.“

Sachverhalt: Die klagende GmbH schloss am 15.3.2006 mit der A GmbH als Organträgerin einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag; der Vertrag sollte „mit der Eintragung in das Handelsregister … wirksam [sein] und … rückwirkend ab dem 1. Januar 2006 [gelten]“. Der Notar meldete den Vertrag unter dem 18.9.2006 zur Eintragung in das Handelsregister beim zuständigen Amtsgericht an (Eingang: 24.10.2006). Der Rechtspfleger erstellte unter dem 6.12.2006 eine Quittung, er habe das „Schreiben nebst Anlagen heute erhalten“. Die Quittung ging am 12.12.2006 beim Notar ein. Die Eintragung erfolgte erst am 26.1.2007. Mit Nachtragsvereinbarung (2007) verlängerte man die Mindestlaufzeit des Vertrags um ein Jahr. Die Klägerin führte den Gewinn 2006 an die A GmbH ab. Das FA setzte insoweit eine vGA an (unwirksamer Vertrag). Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Bereits am 29.8.2008 hatte

39 Marx, FR 2018, 142 (144); wohl implizit auch Märtens, jurisPR-SteuerR 47/2017 Anm. 4 – zu D. 40 Marx, FR 2018, 142 (144); aA Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470 (471). 41 BFH v. 23.8.2017 – I R 80/15, BFHE 259, 405 = BStBl. II 2018, 141 = GmbHR 2018, 212; dazu Anmerkungen (zB): Brandis, BFH/PR 2018, 64; von Freeden/ Lange, DK 2018, 191; Görden, GmbH-StB 2018, 37; Hoheisel, StuB 2018, 325 (327); Märtens, jurisPR-SteuerR 5/2018 Anm. 4; Möller, DStRK 2018, 56; TK, DStZ 2018, 93; Veser, AO-StB 2018, 73; Wachter, DB 2018, 272; Weiss, GmbH-StB 2018, 58 (61).

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die Klägerin beim FA beantragt, die Steuerfestsetzung wegen Unbilligkeit aufzuheben. Die Klage gegen die Ablehnung war erfolglos.42 Der BFH wies die Revision der Klägerin zurück. b) Abweichende Steuerfestsetzung Der „letzte Rettungsanker“ der GmbH war nach rechtskräftiger Bestätigung der Steuerfestsetzung (unter Ansatz der vGA) der Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (hier: sachliche Unbilligkeit). c) Voraussetzungen Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 163 Abs. 1 AO sind aber bekanntlich recht eng: Insbesondere rechtfertigt eine für den Stpfl. ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, keine Billigkeitsmaßnahme. d) Erstmalige Zurechnung Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG ist das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger erstmals für das Kj. zuzurechnen, in dem das Wj. der Organgesellschaft endet, in dem der Gewinnabführungsvertrag wirksam wird. Dabei setzen § 17 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertrags voraus, die wiederum auch die Handelsregistereintragung erfordert. Ein wegen fehlender Eintragung nichtiger Vertrag ist für die Zeit seiner Durchführung nicht nach den zivilrechtlichen Grundsätzen der sog. fehlerhaften Gesellschaft als wirksam zu behandeln.43 e) Zulässige Typisierung Wenn damit der Gesetzgeber die Besteuerung der Organgesellschaft zwischen dem (auch rückwirkend möglichen) Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags und seiner Eintragung in das Handelsregister bewusst in Kauf genommen hat (dies war bezweifelt worden für Fälle, in denen keine „reibungslose Abwicklung“ vorliegt), besteht hier kein Überhang des gesetzlichen Tatbestands des § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG über die mit der Norm verbundenen Wertungen des Gesetzgebers. Ein Erlass der auf dem 42 FG Bad.-Württ. v. 21.4.2015 – 6 K 1284/14, EFG 2015, 2156. 43 Abl. dazu Wachter, DB 2018, 272.

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Gewinn der Organgesellschaft lastenden Körperschaftsteuer würde vielmehr die Geltungsanordnung des Gesetzes unterlaufen. Bei einer zutreffenden Anwendung der steuerlichen Vorschriften komme eine Billigkeitsmaßnahme nicht in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn die verzögerte Eintragung auf einem etwaigem Fehlverhalten des Registergerichts beruht (hier: starke Arbeitsbelastung wegen Zusammenlegung von Registergerichten). Denn der Gesetzgeber hat – obwohl ihm in Bezug auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen des Vertrags ein Abstellen auf von der Organgesellschaft zu beeinflussende Umstände durchaus möglich gewesen wäre – im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis die Wirkungen und Umstände des jeweiligen Einzelfalls bewusst unberücksichtigt gelassen und maßgeblich auf die Eintragung abgestellt. f) Empfehlung Es bleibt als Empfehlung:44 Der Eintragungsprozess beim Handelsregister ist zu begleiten/kontrollieren (evtl. ist der Verfahrensstand abzufragen); der Vertrag sollte so formuliert sein, dass trotz verspäteter Eintragung die 5-Jahres-Frist eingehalten wird. Eine Nachtragsvereinbarung (mit einer Laufzeitverlängerung) kann aber die Organschaft in den Folgejahren „retten“.45 Evtl. kann auch eine Amtspflichtverletzung vorliegen (Schadensersatzanspruch aus § 839 BGB). g) Reaktionen? Dass der Gesetzgeber tätig wird46 – zB um als zeitliche Zäsur die Handelsregisteranmeldung (und nicht die erfolgreiche Eintragung) zu installieren – ist zZt. nicht erkennbar, ebenfalls nicht, dass die FinVerw. für „verunglückte Fälle“ eine allgemeine Billigkeitsregelung in den KStR anweist.47

44 Görden, GmbH-StB 2018, 37 (38); Hoheisel, StuB 2018, 325 (328); Möller, DStRK 2018, 56; Wachter, DB 2018, 272 (278); Weiss, GmbH-StB 2018, 58 (62). 45 Märtens, jurisPR-SteuerR 5/2018, Anm. 4 – zu D.; Weiss, GmbH-StB 2018, 58 (62). 46 Aus dem Urteilswortlaut abgeleitete Hoffnung bei von Freeden/Lange, DK 2018, 191 (193 f.); Wachter, DB 2018, 272 (278 f.). 47 Ss. den Vorschlag von Wachter, DB 2018, 272 (278).

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h) Ausblick In Kürze sind weitere BFH-Entscheidungen zu Rechtsfragen der Organschaft zu erwarten, und zwar BFH I R 16/1648 „1. In welchem Umfang sind die im Zusammenhang mit der Veräußerung einer Unternehmensgruppe vereinnahmten Gelder nicht als Teil des Kaufpreises, sondern als Zinsen für eine Stundung des Kaufpreises anzusehen? 2.

Ist ein im Rahmen einer mittelbaren Organschaft beim Organträger gebildeter aktiver steuerlicher Ausgleichsposten bei Verschmelzung der Organgesellschaft auf die Zwischengesellschaft aufzulösen?“

und BFH I R 78/1649 „Dürfen Haftungsschulden iSd. § 73 AO den steuerlichen Gewinn der Organgesellschaft mindern?“

III. Verdeckte Gewinnausschüttung 1. Erdienbarkeit bei Barlohnumwandlung a) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 7.3.201850 betrifft die sog. Erdienbarkeit bei Barlohnumwandlung: „1. Werden bestehende Gehaltsansprüche des Gesellschafter Geschäftsführers in eine Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung umgewandelt, dann scheitert die steuerrechtliche Anerkennung der Versorgungszusage regelmäßig nicht an der fehlenden Erdienbarkeit. 2.

Wird bei einer bestehenden Versorgungszusage lediglich der Durchführungsweg gewechselt (wertgleiche Umstellung einer Direktzusage in eine Unterstützungskassenzusage), so löst allein diese Änderung keine erneute Erdienbarkeitsprüfung aus.“

Zum Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, zahlte ihrem Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer, dem im April 1952 geborenen G, auf48 Vorgehend FG Münster v. 19.11.2015 – 9 K 3400/13 K, F, EFG 2016, 594. 49 Vorgehend FG Münster v. 4.8.2016 – 9 K 3999/13 K, G, EFG 2017, 149 = GmbHR 2017, 265. 50 BFH v. 7.3.2018 – I R 89/15, BFHE 261, 110 = BStBl. II 2019, 70 = GmbHR 2018, 878; dazu Anmerkungen (zB): Brandis, BFH/PR 2018, 193; Breinersdorfer, DStRK 2018, 220; Görden, EStB 2018, 284; Görden, GmbH-StB 2018, 243; Hainz, BB 2018, 1829; jh, StuB 2018, 520; kk, KÖSDI 2018, 20819; Kohlhepp, DB 2018, 2521 (2524 f.); Märtens, jurisPR-SteuerR 31/2018 Anm. 5; Paus, NWB 2018, 2089; Paus, NWB 2018, 2956; Pfirrmann, HFR 2018, 728; TK, DStZ 2018, 559.

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grund eines Anstellungsvertrages seit Juli 1995 ein Grundgehalt iHv. 10 000 DM (5113 Euro), ab Januar 2010 angehoben auf 5750 Euro. Im Jahre 1994 hatte G die Zusage erhalten, bei Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren eine Altersrente von 60 % seines letzten Grundgehalts zu erhalten. Diese Zusage wurde im Juni 2010 abgeändert: Hinsichtlich des zu diesem Zeitpunkt noch nicht erdienten Teils der Pension (sog. future service) wurde der Durchführungsweg der Altersversorgung auf eine rückgedeckte Unterstützungskassenzusage („Unterstützungskassenzusage 1“) wertgleich umgestellt. Die Klägerin entrichtete in der Folge Beiträge an eine Unterstützungskasse. Hinsichtlich des bereits erdienten Teils blieb es bei der Direktzusage. Das FA passte daraufhin die Pensionsrückstellung an; es ließ den Betriebsausgabenabzug der Zahlungen an die Unterstützungskasse zu. Im August 2010 gab die Klägerin eine zusätzliche Unterstützungskassenzusage („Unterstützungskassenzusage 2“). Nach der „Vereinbarung Entgeltumwandlung über Unterstützungskasse“ wurde das monatliche Grundgehalt des G um 2070 Euro ab September gekürzt; die Klägerin zahlte die gekürzten Gehaltsanteile an die Versorgungskasse (N). Die Klägerin hatte (als Arbeitgeberin) dafür zu sorgen, dass N dem G eine Versorgungszusage erteilt und mit den ihr zugewendeten Gehaltsteilen eine zugunsten des G zu verpfändende Rückdeckungsversicherung abschließt. Die Klägerin behandelte die Beitragszahlungen an die Unterstützungskasse als Betriebsausgaben. Dem folgte das FA nicht. Es war der Auffassung, dass sich der zum Zeitpunkt der Zusage bereits 58 Jahre alte G die zusätzliche Altersversorgung nicht mehr erdienen könne. Die Zahlungen an die Unterstützungskasse seien durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und als vGA nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen. Das FG gab der Klage statt.51 Der BFH hat die Revision des FA zurückgewiesen. b) Entscheidungsfragen Es waren „rund um die Altersversorgung des (Mehrheits-)Gesellschafter-Geschäftsführers“ zwei Fragen streitig: Musste die durch Entgeltumwandlung eigenfinanzierte (mittelbare) Versorgungszusage für eine steuerrechtliche Anerkennung von dem Begünstigten noch „erdient“ werden? Waren die Zahlungen auf eine Unterstützungskassenzusage 51 Thür. FG v. 25.6.2015 – 1 K 136/15, EFG 2016, 1634.

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(wertgleiche Umwandlung bzw. Umstellung betr. „future service“) zu Recht als Betriebsausgaben anerkannt und nicht als vGA qualifiziert worden? Die Antworten des BFH „entschärfen“ die mit dem Erdienbarkeitserfordernis (Grundlage: sog. Fremdvergleich) verbundenen Problemlagen. c) Abzugsvoraussetzungen Nach § 4d Abs. 1 Satz 1 EStG kommt es für die Abzugsfähigkeit der Zahlungen an eine Unterstützungskasse darauf an, ob bei gedachten unmittelbaren Versorgungszahlungen des Trägerunternehmens die betriebliche Veranlassung gegeben wäre. Zuwendungen einer Kapitalgesellschaft als Trägerunternehmen für Versorgungsleistungen an ihren GesellschafterGeschäftsführer sind danach nicht abziehbar, wenn sich die Versorgungsleistungen als vGA darstellen. Dies kann der Fall sein, wenn der Begünstigte diese Leistungen (sei es als Erstzusage, sei es als Erhöhungszusage) im Zeitraum zwischen Zusage und seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis nicht mehr „erdienen“ könnte (sog. Erdienbarkeit) – dies gilt auch für mittelbare Versorgungszusagen, wie zB rückgedeckte Unterstützungskassenzusagen. Fehlende Erdienbarkeit stellt ein gewichtiges (aber dennoch widerlegbares) Indiz für die (Mit-)Veranlassung des Versorgungsversprechens durch das Gesellschaftsverhältnis dar. Der Würdigung durch das FG kommt insoweit eine besondere Bedeutung zu. (Regel-)Maßstab ist bei einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer, ob zwischen der Erteilung der Zusage und dem vorgesehenen Eintritt in den Ruhestand ein Zeitraum von mindestens zehn Jahren liegt. Es liegt insoweit allerdings keine gesetzliche Frist vor – nach den Gegebenheiten des Einzelfalls kann auch anderweitig sichergestellt sein, dass mit der Zusage die künftige Arbeitsleistung des Begünstigten abgegolten werden soll. d) Erdienbarkeit Dabei erkennt der BFH nun (abweichend von der FinVerw.!52) zur ersten Frage (s. hier zu b] und zugleich Leitsatz 1, bezogen auf den Sachverhalt ist dies die „Unterstützungskassenzusage 2“) dahin, dass es auf die Erdienbarkeit nicht ankommt, wenn die Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung vom Arbeitnehmer (selbst) finanziert wird („keine fi-

52 S. zB OFD Nds. v. 15.8.2014 – S 2742 - 259 - St 241, DB 2014, 2441.

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nanzielle Mehrbelastung“53 bzw. „es kostet die Gesellschaft nichts“54). Die Indizwirkung der fehlenden Erdienbarkeit für die außerbetriebliche Veranlassung einer Versorgungszusage ist regelmäßig entkräftet, wenn bestehende Gehaltsansprüche des Begünstigten zugunsten seiner Altersversorgung umgewandelt werden. Denn bei der durch Entgeltumwandlung finanzierten Altersversorgung disponiert der Arbeitnehmer wirtschaftlich betrachtet ausschließlich über sein eigenes (künftiges) Vermögen, indem er Aktivbezüge zugunsten künftiger Altersbezüge zurücklegt. Dann besteht in aller Regel (anders evtl. bei einem vorherigen [im zeitlichen Zusammenhang stehenden] „Gehaltssprung“55; Frage wurde vom BFH offengelassen; im Streitfall: angemessenes Grundgehalt war rd. 15 Jahre nahezu gleichgeblieben und Erhöhung um ca. 650 Euro] – wenn die Gehaltserhöhung eine vGA darstellt, geht eine darauf bezogene Barlohnumwandlung ins Leere, da insoweit schon kein Arbeitslohn vorliegt56) aber auch keine Veranlassung, die Entgeltumwandlung am Maßstab der Erdienbarkeit („künftige Betriebstreue“) daraufhin zu überprüfen, ob zwischen der Leistung des Arbeitgebers (risikobehaftete, wirtschaftlich sehr belastende Versorgungszusage) und der (uU zeitlich begrenzten) Gegenleistung des Arbeitnehmers ein Missverhältnis besteht. Allerdings57 muss die Entgeltumwandlungsvereinbarung als solche den Anforderungen des sog. formellen Fremdvergleichs genügen. Nicht erörtert wurde die Frage der „Überversorgung“;58 dies könnte dafür sprechen, dass diese aus § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG abgeleitete Bilanzierungs-Restriktion im Anwartschaftszeitraum59 in dieser Situation entfällt60. Umgekehrt: Die Entgeltumwandlung darf auch nicht dazu führen, dass die Barbezüge in einem Maß absinken, dass sie nicht mehr zur Deckung des laufenden Lebensunterhalts ausreichen oder ganz ent-

53 54 55 56 57 58 59

Märtens, jurisPR-SteuerR 31/2018 Anm. 5 – zu C. kk, KÖSDI 2018, 20819. ZB Pfirrmann, HFR 2018, 728. Breinersdorfer, DStRK 2018, 220. Plakativ Pfirrmann, HFR 2018, 728: „kein Freibrief“. kk, KÖSDI 2018, 20819. „Stichtagsprinzip“; s. dazu BFH v. 20.12.2016 – I R 4/15, BFHE 256, 483 = BStBl. II 2017, 678 = FR 2017, 737; dazu zB Brandis, StbJb. 2017/2018, 57 (87 ff., mwN); s. auch BFH v. 31.5.2017 – I R 91/15, BFH/NV 2018, 16 = GmbHR 2018, 98. 60 S. kk, KÖSDI 2018, 20819.

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fallen (sog. Nur-Pension61; im Streitfall: verbleibendes Grundgehalt 3700 Euro mit Weihnachts- und Urlaubsgeld). e) Umstellung des Durchführungswegs Zur zweiten Frage (s. hier zu b] und zugleich Leitsatz 2, bezogen auf den Sachverhalt ist dies die „Unterstützungskassenzusage 1“) bestand für den Senat „Klarstellungsbedarf“: Zwar hatte man im Urteil v. 20.7.201662 die tatrichterliche Würdigung einer Änderung des Durchführungswegs als Neuzusage mit der Folge einer (erneuten) Erdienbarkeitsprüfung nicht beanstandet. Allerdings war dort nicht in grundsätzlicher Weise der Rechtssatz aufgestellt worden, dass bei der Umstellung des Durchführungswegs einer ursprünglich betrieblich veranlassten Versorgungszusage stets zu prüfen sei, ob die Versorgung noch erdient werden kann. Denn dort war die Änderung des Durchführungswegs zugleich mit einer Erhöhung der zugesagten Versorgungsleistungen verbunden (streitig war auch nur eine vGA betr. den auf die Zusageerhöhung entfallenden Teil der Beitragszahlung). Es fand damit nicht nur ein Wechsel des steuerrechtlich maßgeblichen Rechtsregimes für die Zusage statt (Direktzusage iSd. § 6a EStG einerseits, Unterstützungskasse gem. § 4d EStG andererseits), sondern zugleich wurde ein Lebenssachverhalt verwirklicht, der nach allgemeinen Grundsätzen eine Erdienbarkeitsprüfung auslöst.63 Hier ging es hingegen darum, dass eine bereits bestehende Versorgungszusage ohne finanzielle Mehrbelastung für das Unternehmen (keine Zusageerhöhung; „wertgleiche Umstellung“) geändert wurde, so dass eine Erdienbarkeitsprüfung nicht in Betracht kam.64 f) Exkurs Zur Rechtsfolge eines Verzichts auf erdiente Ansprüche beim Versorgungsempfänger (ggf. Zufluss und Einlage, auch bei einer „Flucht aus der

61 S. Märtens, jurisPR-SteuerR 31/2018 Anm. 5 – zu C.; Pfirrmann, HFR 2018, 728. 62 BFH v. 20.7.2016 – I R 33/15, BFHE 254, 428 = BStBl. II 2017, 66 = GmbHR 2016, 1275; dazu zB Brandis, StbJb. 2017/2018, 57. 63 Eine solche Konstellation lag wohl auch dem Urteil des FG Köln v. 6.4.2017 – 10 K 2310/15, EFG 2017, 1537 (rkr.; mit Anm. Neitz-Hackstein) zugrunde. 64 Dies ist nach Pfirrmann, HFR 2018, 728 die „Hauptaussage“ des Urteils.

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Überversorgung“) s. BFH v. 23.8.2017.65 Zu weiteren Bilanzierungsfragen (Versorgungsleistungen, die ohne die Voraussetzung des Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis gewährt werden, und von vererblichen Versorgungsanwartschaften) s. BMF v. 18.9.2017.66 In der Literatur67 wird geltend gemacht, das BFH-Urteil I R 89/15 eröffne die Möglichkeit einer Neubewertung der als zu restriktiv empfundenen Voraussetzungen für die steuerrechtliche Anerkennung einer Pensionszusage (angesprochen werden folgende Voraussetzungen: 10-Jahres-Frist, „Nur-Pension“, „75 %-Grenze“, Weiterbeschäftigung nach Pensionseintritt, Pensionsalter, Warte- und Probezeit).

2. Verschmelzung nach Forderungsverzicht mit Besserungsabrede a) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 21.2.201868 behandelt Rechtsfolgen einer Verschmelzung nach einem Forderungsverzicht mit Besserungsabrede: „1. Wird eine vermögenslose und inaktive Kapitalgesellschaft, deren Gesellschafter ihr gegenüber auf Darlehensforderungen mit Besserungsschein verzichtet hatten, auf eine finanziell gut ausgestattete Schwesterkapitalgesellschaft mit der weiteren Folge des Eintritts des Besserungsfalls und dem ‚Wiederaufleben‘ 65 BFH v. 23.8.2017 – VI R 4/16, BFHE 259, 304 = BStBl. II 2018, 208 = FR 2018, 331: „1. Verzichtet ein Gesellschafter-Geschäftsführer gegenüber seiner Kapitalgesellschaft auf eine bereits erdiente (werthaltige) Pensionsanwartschaft, ist darin nur dann keine verdeckte Einlage zu sehen, wenn auch ein fremder Geschäftsführer unter sonst gleichen Umständen die Pensionsanwartschaft aufgegeben hätte. 2. Wurzelt die Zusage der Altersversorgung im Anstellungsvertrag, führt der Verzicht auf die erdiente und werthaltige Anwartschaft zu einem Lohnzufluss in Höhe des Teilwerts. 3. Insoweit handelt es sich um eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit, bei der die Anwendung der Fünftelregelung (§ 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 EStG) in Betracht kommt.“ 66 BMF v. 18.9.2017 – IV C 6 - S 2176/07/10006 – DOK 2017/0761018, BStBl. I 2017, 1293 = FR 2017, 979. 67 Paus, NWB 2018, 2956. 68 BFH v. 21.2.2018 – I R 46/16, BFHE 261, 27 = FR 2018, 755; dazu Anmerkungen (zB): Bodden, BeSt. 2018, 41; Brandis, BFH/PR 2018, 212; Burek, DStRK 2018, 210; Fey, BB 2018, 2152; Gänsler, BB 2018, 2539 (2540); jh, StuB 2018, 483; Klein, FR 2018, 748; Kohlhepp, DB 2018, 2521 (2526); Märtens, jurisPRSteuerR 29/2018 Anm. 4; Ott, StuB 2018, 579; Schimmele, GmbH-StB 2018, 239; Unterberg, GmbHR 2018, 813.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften der Forderungen verschmolzen, so kann die beim übernehmenden Rechtsträger ausgelöste Passivierungspflicht durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung wegen einer vGA zu korrigieren sein. 2.

Weder umwandlungssteuerrechtliche Sonderregelungen noch der ursprünglich betriebliche Charakter der Darlehensverbindlichkeiten bei der übertragenden Körperschaft stehen der Annahme einer vGA entgegen.“

Sachverhalt: An der Klägerin (einer GmbH) waren in den Streitjahren 1995 und 1996 sechs natürliche Personen beteiligt. Diese waren zugleich Gesellschafter der G GmbH. In 1996 erwarb die Klägerin zunächst sämtliche Anteile an der G GmbH zum Nennwert der Stammeinlage (Übergang der Gewinnbezugsrechte mit Wirkung vom 1.1.1996). Sodann wurde die G GmbH als übertragende Rechtsträgerin mit der Klägerin als übernehmender Rechtsträgerin verschmolzen (Grundlage: Bilanz der G GmbH vom 31.12.1995 als Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft; Stichtag: 31.12.1995, 24 Uhr).69 Die Verschmelzung wurde am … 1996 in das Handelsregister der Klägerin als übernehmender Rechtsträgerin eingetragen. Die G GmbH war in den Jahren vor der Verschmelzung nur noch mit der Verwaltung und Umschichtung eigenen Wertpapiervermögens befasst. Am … 1995 wurde der gesamte Wertpapierbestand auf Basis der Steuerkurswerte vom 31.12.1995 auf die Schwestergesellschaft A GmbH entgeltlich übertragen und der Geschäftsbetrieb eingestellt. Bereits in ihrer Bilanz zum 31.12.1994 hatte die G GmbH bei einem gezeichneten Kapital von … DM einen Verlustvortrag von … DM und einen Jahresfehlbetrag von … DM und damit einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag iHv. … DM ausgewiesen. Die Bilanz per 31.12.1995 wies einen Jahresüberschuss von … DM aus; das Eigenkapital belief sich hiernach auf … DM. Dem Jahresüberschuss lag ein außerordentlicher Ertrag von … DM zugrunde, der aus dem Verzicht der beiden mit 25 % beteiligten Gesellschafter B und L auf Gesellschafterdarlehen herrührte, die ursprünglich zur Finanzierung der geschäftlichen Aktivitäten der G GmbH gewährt worden waren. Die Verzichtserklärungen vom Mai 1995 lauteten: „Wir verzichten mit unseren kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen gegen die ‚G GmbH‘ bis zum Betrag einer bilanzmäßig ausgewiesenen Überschuldung dieser Firma. Eine Rückzahlung unserer Forderungen soll erst in den Jahren erfolgen, 69 Hinweis: Der Leitsatz des BFH spricht von einer Verschmelzung unter Schwestergesellschaften. Dies dürfte jedenfalls ungenau sein – im Augenblick der Umwandlung lag eine sog. upstream-Situation vor.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften in denen Gewinne entstehen, aus denen die Rückzahlungen erfolgen können. Eine Rückzahlung soll auch im Fall von Liquidationserlösen erfolgen. Durch diese Vereinbarung wird die rechtliche Verpflichtung zur Zahlung evtl. Zinsen (derzeit 8 %) und deren Fälligkeit nicht berührt.“

Nach der Verschmelzung sah die finanziell gut ausgestattete Klägerin die Besserungsbedingung aus den Verzichtserklärungen als gegeben an und verbuchte in ihrer GuV für das Streitjahr 1996 außerordentliche Aufwendungen aus der Passivierung der Besserungsscheinverpflichtungen der ehemaligen G GmbH gegenüber ihren Gesellschaftern (… DM). Die Darlehen wurden zunächst nicht getilgt. Der handelsrechtliche Bilanzgewinn betrug im Jahr 1996 vor Berücksichtigung der Besserungsscheinverpflichtungen … DM. Das FA ging in Höhe der außerordentlichen Aufwendungen von einer vGA aus. Die Klage blieb ohne Erfolg.70 Die Revision der Klägerin wurde vom BFH zurückgewiesen. b) Fragestellungen Ein Gestaltungsmodell? Die Umstrukturierung (Einstellung der Geschäftstätigkeit der G GmbH nach den Forderungsverzichten der Gesellschafter, Übertragung der Anteile an der G GmbH auf die Klägerin, Verschmelzung der G GmbH auf die Klägerin) stellte die Rückführung der darlehensweise hingegebenen Gelder an die Gesellschafter sicher – ging es damit „nur“ darum, durch Übernahme der G GmbH als (so ausdrücklich das FG!) „leere Hülle“ (verbunden mit der Belastung zu erfüllender Verbindlichkeiten bei Eintritt des Besserungsfalls) die Verbindlichkeiten aus der Besserungsabrede zugunsten der Gesellschafter zu übernehmen? Jedenfalls sollte es im Zusammenhang mit dieser „upstream-Verschmelzung“ bei dem wirtschaftlich potenteren „neuen Schuldner“ zu einem Wiederaufleben von Verpflichtungen aus Gesellschafterdarlehen kommen. Der BFH konnte bei dem Streit um die Höhe des Einkommens der Klägerin offenlassen, ob und in welcher Höhe die Klägerin Besserungsscheinverpflichtungen – wie von ihr begehrt – gewinnmindernd passivieren musste, da im Umfang der Gewinnminderung eine außerbilanzielle Einkommenskorrektur wegen einer vGA vorzunehmen wäre.

70 FG Hamburg v. 29.6.2016 – 6 K 236/13, EFG 2016, 1721.

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c) Passivierung Der BFH hat jedenfalls Zweifel, ob es im Zuge der Verschmelzung im Hinblick auf das bei der Klägerin vorhandene (Kapitalrücklage) und das entstehende Vermögen (Bilanzgewinn 1996) zur „Besserung“ gekommen ist, oder ob nicht die Erklärungen nach den im Verzichtszeitpunkt gegebenen Umständen so zu verstehen sind, dass es auf die Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse gerade des vom Verzicht begünstigten Schuldners (der G GmbH!) ankommt. Weitere Folge hiervon wäre, dass die so verstandene Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse die später im Wege der Verschmelzung mit der Klägerin erfolgte Zuführung von deren Vermögen nicht erfassen würde. d) VGA (Teil 1) Die Wiedereinbuchung der Verbindlichkeiten hatte eine Vermögensminderung zur Folge71 (gegenläufig zur damaligen ertragswirksamen Verbuchung des Verzichts in Höhe des wertlosen Teils der Forderung, im Umfang eines werthaltigen Teils hätte damals eine verdeckte Einlage vorgelegen). Zur Werthaltigkeit („welchen Betrag hätte die Gesellschaft für die Herbeiführung des Verzichts aufwenden müssen?“) als Differenzierungskriterium s. auch FG München v. 9.4.2018.72 Der Verzicht aus gesellschaftlichen Gründen auf einen werthaltigen Teil der Forderung hätte zur verdeckten Einlage geführt (Erhöhung des Einlagekontos des § 27 KStG und der Beteiligungs-Anschaffungskosten des Gesellschafters), die Wiedereinbuchung wäre eine erfolgsneutrale Einlagerückgewähr und keine vGA.73 Hinweis: Berührt die Gestaltungsidee bei kurzfristigem Ablauf (Verzicht, Umwandlung, Besserung) die Frage, ob eine werthaltige Forderung vorliegt?74 71 BMF v. 2.12.2003 – IV A 2 - S 2743 - 5/03, BStBl. I 2003, 648 = FR 2004, 109 – dort Nr. 2 Buchst. a. 72 FG München v. 9.4.2018 – 7 K 729/17 (EFG 2018, 1126, rkr., mit Anm. Forchhammer; s. auch Seppelt, BB 2018, 2482; Kolbe, StuB 2018, 637) mit dem Maß: Wirtschaftliche Werthaltigkeit bei positivem Eigenkapital der Gesellschaft (EK laut Handelsbilanz zzgl. stille Reserven). 73 S. BMF v. 2.12.2003 – IV A 2 - S 2743 - 5/03, BStBl. I 2003, 648 = FR 2004, 109; zur Frage des Einlagekontos s. BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682 – dort Rz. 29 (negativer Bestand möglich) und zur Frage eines „Direktzugriffs“ auf das Einlagekonto s. Wacker, DB 2017, 26; Ott, StuB 2018, 579 (580). 74 S. Hinweis von Ott, StuB 2018, 579 (584 mwN).

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e) Exkurs Ergibt sich75 daraus eine Vermeidungsstrategie mit Blick auf § 8 Abs. 4 KStG aF bzw. § 8c KStG? – „Zum „Forderungsverzicht mit Besserungsschein“ hat der BFH (zu § 8 Abs. 4 aF, aber sinnentspr. bei § 8c KStG anwendbar76) die Anwendung von § 42 AO abgelehnt:77 Es ging dort um einen vor der Anteilsübertragung ausgesprochenen Forderungsverzicht des Gesellschafters gegen Besserungsschein mit anschließender Anteilsübertragung und Abtretung der Forderung an den Neu-Gesellschafter („Gläubigerwechsel“) und späterer Zahlung an diesen (Besserungsfall). Bei dieser Gestaltung (für die Kapitalgesellschaft: „Ertrag vor der Anteilsübertragung, Aufwand danach“ – bei Verzicht auf eine nicht werthaltige Forderung78 – sonst: verdeckte Einlage) mit anschließender Besserung durch Verschmelzung mit einer ertragreichen Gesellschaft seien sowohl die Einzelschritte als auch der Gesamtkomplex steuerrechtlich anzuerkennen – insbes. werde die betriebliche Veranlassung (aus der Sicht der Kapitalgesellschaft: Zahlung auf eine betriebliche Schuld) nicht durch die Abtretung überlagert (damit: keine vGA); es liege auch keine unangemessene Gestaltung vor. Allerdings ist seit VZ 2008 beim Neu-Gesellschafter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und. Satz 2 EStG (Erträge aus Besserungsschein sind stpfl.) anzuwenden.79 Es können „günstige“ Wirkungen dieser Rspr. bei grenzüberschreitenden Situationen bestehen bleiben; inzwischen hat sich das FG Schleswig-Holstein der Rspr. des I. Senats des BFH für eine vergleichbare Sachverhaltskonstellation auch zur Gesellschafter-Ebene angeschlossen (kein Gestaltungsmissbrauch iSd. § 42 AO aF im Zuge des Forderungserwerbs; späterer Forderungsausgleich ist keine vGA).80 Auch hat das Hessische FG81 – zu § 8c KStG – die Verschmelzung einer Ge75 Hinweis auf Brandis in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8c KStG Rz. 23a (Juni 2018). 76 Zutr. zB Fuhrmann, KÖSDI 2016, 19733 (19741). 77 BFH v. 12.7.2012 – I R 23/11, BFHE 238, 344 = FR 2013, 127; dazu Anmerkungen (zB) Hoffmann, DStR 2012, 2062; Hoffmann, GmbHR 2012, 1192; Hoffmann, StuB 2012, 769; s. auch Gosch, BFH/PR 2012, 402; Märtens, jurisPRSteuerR 51/2012 Anm. 5; Dörr/Eggert, NWB 2013, 22. 78 S. Dörr/Eggert, NWB 2013, 22. 79 Pohl, DB 2008, 1531 (1533); s. auch Hoffmann, GmbHR 2012, 1193. 80 Schl.-Holst. FG v. 24.4.2015 – 3 K 19/11, EFG 2015, 1150, Rev.-Az. BFH VIII R 21/15; dazu Anmerkungen (zB) Hennigfeld, EFG 2015, 1153; Hoffmann, StuB 2016, 41. 81 Hess. FGv. 29.11.2017 – 4 K 127/15, EFG 2018, 486, Rev.-Az. BFH I R 2/18; dazu Anmerkungen (zB) Loewens, EFG 2018, 489; Mückl, DStRK 2018, 154; s. auch Riedel, DB 2018, 245 (246).

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winn- auf eine Verlustgesellschaft im Grundsatz der Anwendung des § 42 AO (nF) entzogen. Immerhin hat der Gesetzgeber ab 2013 mit § 2 Abs. 4 Satz 3–6 UmwStG einen eigenen Missbrauchstatbestand für die Verschmelzung einer Gewinn- auf eine Verlustgesellschaft geschaffen.82“ f) VGA (Teil 2) Diese Vermögensminderung war nach den Tatsachenfeststellungen des FG ausschließlich durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Der Vorgang war auch geeignet, auf Seiten der Gesellschafter B und L einen Vorteil auszulösen, da sie nun (wieder) Zahlungen auf ihre Forderungen beanspruchen konnten.83 Dass ihre Anteile an der Klägerin durch die Einbuchung der erheblichen Verbindlichkeiten zugleich auch an Wert verloren haben, konnte daran nichts ändern, weil die Anteilswertminderung alle Gesellschafter betraf, während das Wiederaufleben der Forderungen allein B und L begünstigte. Aber hätte man nicht von einem „Fortwirken des ursprünglichen betrieblichen Veranlassungszusammenhangs“ ausgehen müssen? Hier war zu beachten, dass es einen Schuldnerwechsel gegeben hatte (im BFHFall aus dem Exkurs – s.o. zu e – lag ein Gläubigerwechsel vor). Aus der maßgeblichen Sicht des Neuschuldners kommt der im Wege der Einzelrechtsnachfolge (Schuldübernahmevertrag zwischen dem Dritten und dem Schuldner, § 415 BGB) oder der gewillkürten Gesamtrechtsnachfolge (Verschmelzungsvertrag) bewirkte Übergang der Verbindlichkeit in wirtschaftlicher Betrachtung der Neubegründung einer Schuld gleich. Erhält der Neuschuldner im Zuge der Schuldübernahme zudem „als Ausgleich“ keine (respektive: keine ausreichenden) nutzbaren Finanzmittel (weder aus einer typischerweise zum Ansatz von Verbindlichkeiten führenden Kreditaufnahme noch ursprünglich kreditfinanzierte aktive Wirtschaftsgüter der vermögenslosen, vom FG als „leere Hülle“ qualifizierten G GmbH), ist der Anlass für die Schuldbegründung „neu“ zu würdigen. Hier lag der Schuldnerwechsel im alleinigen Interesse der Gesellschafter;84 für die Vermögenslage der Klägerin entstanden durch die Verschmelzung nur Nachteile, aber keine Vorteile.85 Schließlich standen auch die umwandlungssteuerrechtlichen Spezialregelungen einem Ansatz einer vGA nicht entgegen. Auch wenn die je82 83 84 85

S. Mückl, DStRK 2018, 154. Ablehnend Kohlhepp, DB 2018, 2521 (2526). Schimmele, GmbH-StB 2018, 239 (240). Märtens, jurisPR-SteuerR 29/2018 Anm. 4 – zu C.

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weils einbezogenen Umwandlungsvorgänge grds. „vGA-frei“ sein sollten, war hier zu beachten, dass die Verschmelzung ausschließlich durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst war (Erhöhung der Werthaltigkeit der Gesellschafterdarlehensforderungen durch einen Schuldnerwechsel). Jedenfalls aber lag die vGA-auslösende Vermögensminderung zeitlich und gegenständlich außerhalb des Umwandlungsvorgangs. Denn die vGA wird hier nicht durch den Geschäftsvorfall der Verschmelzung als solchen, sondern durch den „Eintritt des Besserungsfalls“ (also durch einen Umstand, der der Verschmelzung nachfolgt), ausgelöst. In der Schlussbilanz der übertragenden G GmbH war die Darlehensverbindlichkeit nicht auszuweisen, weil die Gesellschafter auf die Forderungen verzichtet hatten und die auflösende Bedingung nicht eingetreten war. Demgemäß ergab sich auf Seiten der Klägerin als übernehmender Körperschaft zum umwandlungssteuerrechtlich für den Vermögensübergang und die hieraus zu ziehenden steuerlichen Folgen maßgeblichen Stichtag (31.12.1995) aufgrund des gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 UmwStG entsprechend anwendbaren § 4 Abs. 1 UmwStG weder eine durch Einbuchung einer Verbindlichkeit bewirkte Vermögensminderung als denkbarer Gegenstand sondergesetzlicher Beurteilung noch (im Unterschied zur Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft mit einem Überhang aktuell bestehender Verbindlichkeiten) ein Verschmelzungsverlust iSd. § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG, der die Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sperren könnte. Die Vermögensminderung trat auch noch nicht mit dem zivilrechtlichen Wirksamwerden der Verschmelzung (Handelsregistereintragung im August 1996) ein, sondern erst mit Ablauf des 31.12.1996, als feststand, dass die Klägerin in diesem Jahr tatsächlich einen Bilanzgewinn erzielt hatte, also neues Vermögen angefallen war. Mit anderen Worten: Zum umwandlungssteuerrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt war der Besserungsfall ein zukünftiges ungewisses Ereignis. „VGA-frei“ wäre selbstverständlich die der Verschmelzung vorgehende Sanierung der übertragenden GmbH;86 es wird daher anders (iS einer betrieblichen Veranlassung) zu entscheiden sein, wenn „ein aktiver mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestatteter Geschäftsbetrieb übergeht“.87 Wird der Verzicht nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag, aber vor der Eintragung im Handelsregister ausgesprochen, dürfte den86 Burek, DStRK 2018, 210; Bodden, BeSt. 2018, 41 (42). 87 Unterberg, GmbHR 2018, 813 (815); s. auch Klein, FR 2018, 748 (750): Übergang eines per Saldo – dh. unter Einbeziehung der bedingten Verpflichtung – positiven Vermögens auf die übernehmende Gesellschaft.

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noch (jedenfalls wirtschaftlich) von einem „Schuldnerwechsel“ auszugehen sein.88 Unterberg89 weist im Übrigen mit guten Gründen darauf hin, dass eine vGA auch dann im Raum steht, wenn es – ohne vorherigen Verzicht auf die Gesellschafterforderung – zu einer Verschmelzung zwischen Schwester-Kapitalgesellschaften kommt und die finanziell besser gestellte Rechtsnachfolgerin nunmehr die Verbindlichkeit begleichen kann. Es bleibt – wenn eine vGA nicht vorliegen sollte – die Frage, ob in der „Nutzung des Besserungsscheins“, die im Ergebnis zur Folge hat, dass wirtschaftlich (entgegen dem Übertragungshindernis des § 12 Abs. 3 Halbs. 2 iVm. § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG) ein Verlust übertragen wird, eine „Umgehung iSd. § 42 AO“ angenommen wird.90 g) Wechsel des Veranlassungszusammenhangs Zu einem Wechsel des Veranlassungszusammenhangs iVm. einem Forderungsverzicht gegen Besserungsschein s. auch BFH v. 24.10.2017 (hier geht es um einen Werbungskostenabzug im Zusammenhang mit dem Teileinkünfteverfahren).91 h) Ergänzende Hinweise In Kürze sind weitere Entscheidungen des BFH zur vGA zu erwarten, und zwar BFH I R 77/1692 „Ist bei der Beurteilung, ob Leistungen einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter verdeckte Gewinnausschüttungen darstellen, nicht auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern im Zeitpunkt der Leistungsgewährung abzustellen, wenn sich erhebliche Veränderungen der Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern oder zwischen den Gesellschaftern untereinander ergeben haben?“

sowie BFH I R 34/15.93 88 S. Ott, StuB 2018, 579 (583). 89 Unterberg, GmbHR 2018, 813. 90 S. den „Warnhinweis“ von Klein, FR 2018, 748 (751); s. auch den „Exkurs“ oben zu e). 91 BFH v. 24.10.2017 – VIII R 19/16, BStBl. II 2019, 34 = GmbHR 2018, 1279. 92 Vorgehend FG Sachs.-Anh. v. 13.7.2016 – 3 K 467/16, EFG 2017, 1020 – s. nun BFH v. 12.9.2018 – I R 77/16, juris. 93 Vorgehend Hess. FG v. 24.3.2015 – 4 K 2179/13, EFG 2015, 1299 – s. nun BFH v. 11.4.2018 – I R 34/15, BFHE 262, 16 = FR 2019, 124; dazu Anmerkungen (zB) Böhmer, DStRK 2019, 9; Brandis, BFH/PR 2019, 29; Brühl, GmbHR 2018, 1327; Märtens, jurisPR-SteuerR 49/2018 Anm. 3; Pohl, NWB 2019, 244; Weiss, BB 2018, 2866.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften „Stellt eine als Sachausschüttung bezeichnete Rückübertragung von Aktien zum Buchwert auf die alleinige Gesellschafterin der Klägerin, eine gemeinnützige Stiftung, eine (steuerfreie) verdeckte Gewinnausschüttung dar und inwieweit sind dann ggf. nichtabziehbare Betriebsausgaben auf der Grundlage des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG zu berücksichtigen?“

IV. Umstrukturierungen 1. Rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns II nach einer Aufwärtsverschmelzung a) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 24.1.201894 behandelt die Rechtsfrage der rückwirkenden Besteuerung des Einbringungsgewinns II nach einer Aufwärtsverschmelzung: „1. Einem qualifizierten Anteilstausch iSd. § 21 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 UmwStG 2006 idF des JStG 2009 steht weder entgegen, dass die übernehmende Gesellschaft vor der Einbringung keine Anteile an der erworbenen Gesellschaft inne hatte, noch, dass jeweils hälftige Beteiligungen – nicht aber eine einheitliche Mehrheitsbeteiligung – eingebracht wurden. Erforderlich ist insoweit lediglich, dass die übernehmende Gesellschaft nach der Einbringung – und damit unter Berücksichtigung sämtlicher eingebrachter Anteile – insgesamt die Stimmrechtsmehrheit hat. 2.

In der Verschmelzung der Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft („Verschmelzung zur Aufnahme“, Aufwärtsverschmelzung) liegt eine Veräußerung iSd. § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006 idF des JStG 2009.“

Sachverhalt: Der Kläger und A waren mit Anteilen von jeweils 50 % an einer GmbH (A GmbH), deren Stammkapital 25 000 Euro betrug, beteiligt (Anteilserwerb je zum Buchwert von 27 500 Euro). In 2011 wurde das Stammkapital der T GmbH (beteiligt: der Kläger und A je zu 50 %) von 25 600 Euro auf 27 600 Euro erhöht. Die zwei neu gebildeten Gesellschaftsanteile (je 1000 Euro) übernahmen der Kläger und A unter Einbringung ihrer Anteile an der A GmbH (Ansatz der Buchwerte; gemeiner 94 BFH v. 24.1.2018 – I R 48/15, BFHE 261, 8 = BStBl. II 2019, 45 = FR 2018, 752; dazu Anmerkungen (zB) Bolik, StuB 2018, 597; Brandis, BFH/PR 2018, 226; Brühl/Weiss, DK 2018, 306; Brühl/Weiss, GmbHR 2018, 951 (954); Dreßler/ Schwechel, Ubg. 2018, 439; Glahe, FR 2018, 754; von Glasenapp, BB 2018, 1650; Glaser, DStRK 2018, 229; jh, StuB 2018, 565; Märtens, jurisPR-SteuerR 41/2018 Anm. 4; Martini, HFR 2018, 736; Moritz, DB 2018, 1829; Ronneberger, NWB 2018, 3155; Schimmele, EStB 2018, 233; Schimmele, GmbH-StB 2018, 238; Stangl/Binder, DStR 2018, 1793.

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Wert: 30 121 Euro). Mit Wirkung zum 31.12.2011 (damit im Jahr der Einbringung) wurde die A GmbH zu Buchwerten auf die T GmbH verschmolzen („Verschmelzung zur Aufnahme“, Aufwärtsverschmelzung). Das FA setzte für das Streitjahr (2011) einen Veräußerungsgewinn aus diesem Vorgang iHv. 1310 Euro an (Ansatz nach dem Teileinkünfteverfahren mit 787 Euro – keine Kürzung des Einbringungsgewinns II, da die Umwandlung im Einbringungsjahr stattfand). Die Klage, mit der geltend gemacht wurde, dass die Verschmelzung nicht zu einem Einbringungsgewinn geführt habe, hatte Erfolg.95 Der BFH hat auf die Revision des FA das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. b) Fragestellungen Es geht um die Besteuerung des Anteilseigners („Einbringungsgewinn II“, § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006/2009) mit Blick auf die spätere Umstrukturierung innerhalb der 7-Jahres-Frist nach der Einbringung seiner Kapitalgesellschaftsanteile (mit Buchwertansatz bei der aufnehmenden Gesellschaft) – dies ist im Ergebnis die rückwirkende Veräußerungsgewinnbesteuerung in den Händen des Einbringenden infolge der Rückgängigmachung der Privilegierungen der §§ 20 f. UmwStG. Eine Steuerpflicht hatte im Streitfall zwei Voraussetzungen: Die Einbringung der Anteile an der A GmbH in die T GmbH (aufnehmende Gesellschaft) durch den Kläger gegen Gewährung neuer Anteile an den Kläger musste als qualifizierter Anteilstausch iSd. § 21 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 UmwStG 2006 anzusehen sein (s. hier zu c), und die eingebrachten Anteile an der A GmbH mussten im Zuge der Aufwärtsverschmelzung iSd. § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006 (als Weiterübertragung durch die aufnehmende Gesellschaft) veräußert worden sein (s. hier zu d). Beide Voraussetzungen wurden vom BFH (zur zweiten Voraussetzung abweichend vom FG) als erfüllt angesehen. Streiterheblich ist insoweit § 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG 2006: Satz 1–5 der Regelung gelten entsprechend, wenn die übernehmende Gesellschaft die eingebrachten Anteile ihrerseits durch einen Vorgang nach § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1–5 UmwStG 2006 weiter überträgt. c) Qualifizierter Anteilstausch Steuerneutrale Einbringung in die Kapitalgesellschaft (unter „Statusverbesserung“, da nun für die Gesellschafter das Teileinkünfteverfahren verlassen ist und für die Kapitalgesellschaft § 8b Abs. 2 KStG eröffnet ist): 95 FG Hamburg v. 21.5.2015 – 2 K 12/13, EFG 2015, 1876.

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Ein (zB) Buchwertansatz setzt ua. voraus, dass die übernehmende Gesellschaft nach der Einbringung aufgrund ihrer Beteiligung einschließlich der eingebrachten Anteile nachweisbar unmittelbar die Mehrheit der Stimmrechte an der erworbenen Gesellschaft hat (§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006). Dabei ist nicht erforderlich, dass die übernehmende Gesellschaft vor der Einbringung bereits Anteile an der erworbenen Gesellschaft inne hatte. Ebenso kommt es (hier: Situation des einheitlichen Übertragungsvorgangs) nicht darauf an, dass jeweils hälftige Beteiligungen (nicht aber eine einheitliche Mehrheitsbeteiligung) eingebracht wurden. Erforderlich ist insoweit lediglich, dass die übernehmende Gesellschaft „nach der Einbringung“ – und damit unter Berücksichtigung sämtlicher eingebrachter Anteile – insgesamt die Stimmrechtsmehrheit hat. Dies entspricht auch der Auffassung der FinVerw.96 Hier: Einbringungen innerhalb desselben notariellen Vertragswerks, so dass ein einheitlicher Vorgang vorlag (es ist offen, ob ohne eine solche Verknüpfung ein zeitlicher Zusammenhang ausreicht). Wird diese „Statusverbesserung“ („nach Einbringung ist § 8b KStG möglich“) nun durch die Aufwärtsverschmelzung (lediglich) wieder rückgängig gemacht?97 Oder liegt ein („missbräuchliches“) Ausnutzen dieses neuen Status‘ vor? d) „Veräußerung bei Aufwärtsverschmelzung“ Nach dem Umwandlungssteuer-Erlass98 stellen „Umwandlungen und Einbringungen … auf der Ebene des übertragenden Rechtsträgers sowie des übernehmenden Rechtsträgers Veräußerungs- und Anschaffungsvorgänge hinsichtlich des übertragenen Vermögens dar“. Veräußerung iSd. § 22 Abs. 2 UmwStG 2006 ist (jedenfalls soweit unmittelbare Veräußerungen betroffen sind) grundsätzlich die Übertragung von Gesellschaftsanteilen auf einen anderen Rechtsträger, wobei es sich um einen entgeltlichen Vorgang („gegen eine Gegenleistung“) handeln muss. Immerhin werden bei einer Aufwärtsverschmelzung keine neuen Anteile gewährt (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 68 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwG) – fehlt es damit an einer Gegenleistung? 96 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 – sog. UmwStE, dort Tz. 21.09. 97 So Glahe, FR 2018, 754 (755): Veräußerung von Anteilen der aufnehmenden Gesellschaft (die auch die stillen Reserven der übertragenen Kapitalgesellschaft repräsentieren) führt bei den Gesellschaftern nun wieder in das Teileinkünfteverfahren. 98 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 – sog. UmwStE, dort Tz. 00.02.

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Erhält ein Anteilseigner im Zuge einer Verschmelzung der Körperschaft, an der er beteiligt ist, auf eine andere Körperschaft Anteile dieser (anderen) Körperschaft, ist dies (obwohl die Anteile an dem übertragenden Rechtsträger untergehen und es insoweit zu keinem Rechtsträgerwechsel kommt) aus der Sicht dieses Anteilseigners einem Tausch der Anteile an der übertragenden Körperschaft gegen die Anteile an der übernehmenden Körperschaft gleichzustellen und damit in Bezug auf die Anteile am übernehmenden Rechtsträger als entgeltlicher Erwerb sowie (soweit die Anteile an dem übertragenden Rechtsträger betroffen sind) als entgeltliche Veräußerung zu beurteilen.99 Diese Erwägungen sind auf Fälle übertragbar, in denen die Gesellschaft, deren Anteile eingebracht wurden, auf den alleinigen Anteilseigner (Muttergesellschaft) als übernehmenden Rechtsträger verschmolzen wird. Zwar entstehen im Rahmen dieser (Aufwärts-)Verschmelzung keine neuen Anteile. Jedoch geht das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers (Tochtergesellschaft) einschließlich der Verbindlichkeiten auf die Muttergesellschaft über („Gesamtrechtsnachfolge“ – Übergang kraft Gesetzes und nicht unmittelbar aufgrund eines synallagmatischen Vertragsverhältnisses). „Im Gegenzug“ gehen die von ihr gehaltenen Anteile an der Tochtergesellschaft unter. Somit stellt sich die Aufwärtsverschmelzung aus Sicht der Muttergesellschaft100 als ein tauschähnlicher Vorgang dar, der einer Veräußerung der Anteile gleichzustellen ist (weite Auslegung des Begriffs der „Veräußerung“ im umwandlungssteuerrechtlichen Kontext). Die Aufwärtsverschmelzung ist damit „actus contrarius zur Sachgründung“.101 Da eine „Veräußerung“ iSd. § 22 Abs. 2 UmwStG vorliegt, musste eine Entscheidung zu § 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG (Ersatzrealisationstatbestände – „weiter übertragen“ bzw. Auflösung der Kapitalgesellschaft) nicht getroffen werden.102 e) Reaktionen im Schrifttum Da der BFH auf diese Weise eine Gestaltungsvariante für Umwandlungen „sperrt“, bei der anstelle einer direkten Verschmelzung zweier Schwes99 So im Erg. auch BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 – sog. UmwStE, dort Tz. 22.23. 100 „Außenperspektive“, so Martini, HFR 2018, 736 f. 101 Martini, HFR 2018, 736 (737). 102 Martini, HFR 2018, 736 (737).

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ter-Kapitalgesellschaften über den Umweg einer Anteilseinbringung im Wege des qualifizierten Anteilstauschs mit anschließender Aufwärtsverschmelzung der eingebrachten Anteile an der ursprünglichen Schwester zivilrechtlich das gleiche Ergebnis, steuerlich jedoch eine Steuerfreistellung für die stillen Reserven der Schwestergesellschaft erreicht werden sollte,103 wird der Ausgang als „enttäuschend“ bezeichnet.104 Der Widerspruch in der Literatur wird ua. mit dem Umstand begründet, dass eine Missbrauchsverhinderungsnorm (mit typisierten Strukturen) Anwendung finden soll, obgleich – wie der BFH selbst anmerkt – die endgültige Struktur auch ohne eine vorangehende Einbringung steuerneutral hätte erreicht werden können (es wird damit eine zweckgerichtete einschränkende Auslegung ausgeschlossen). Jedenfalls bleiben für „steuerunschädliche“ Folgeumwandlungen (nur) die ausdrücklich angeführten Situationen der § 22 Abs. 1 Satz 6, Abs. 2 Satz 6 UmwStG, evtl. auch (Billigkeits-)Anträge iSd. Umwandlungssteuererlasses105 (hier nicht einschlägig)106, ansonsten „droht“ die Vollbesteuerung.107 Im Übrigen wird prognostiziert, man werde bei Umstrukturierungen auf Kapitalgesellschaften als aufnehmenden Rechtsträger häufiger anstelle von Ausgliederungen über Abwärtsspaltungen nachdenken, da jene mit §§ 15 ff. UmwStG einem anderen Sperrfristregime unterliegen würden.108 f) Exkurs (1.) Zur Frage der Einbeziehung des Einbringungsgewinns II bei der Ermittlung des Gewerbeertrages s. Schleswig-Holsteinisches FG v. 21.3.2018.109 103 So von Glasenapp, BB 2018, 1650. 104 ZB Brühl/Weiss, DK 2018, 306; Brühl/Weiss, GmbHR 2018, 951 (955 f.); Dreßler/Schwechel, Ubg. 2018, 439; abl. auch zB Bolik, StuB 2018, 597; Schimmele, GmbH-StB 2018, 238 (239); Stangl/Binder, DStR 2018, 1793 (1795 ff.); Glahe, FR 2018, 754 (755). Es gibt aber auch Zustimmung (zB Moritz, DB 2018, 1829 [1831]; von Glasenapp, BB 2018, 1650; Ronneberger, NWB 2018, 3155 [3159]). 105 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 – sog. UmwStE, dort Tz. 22.23. 106 S. auch Stangl/Binder, DStR 2018, 1793 (1799) – keine rechtlichen Bedenken gegen die Billigkeitsregelung wie zum sog. Sanierungserlass, da hier nicht „normersetzend“. 107 Brühl/Weiss, GmbHR 2018, 951 (956). 108 S. Stangl/Binder, DStR 2018, 1793. 109 Schl.-Holst. FG v. 21.3.2018 – 1 K 1/16, EFG 2018, 861 = GmbHR 2018, 872, nrkr., Rev.-Az. BFH I R 13/18, mit Anmerkung Engellandt, EFG 2018, 864;

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(2.) Das FG Köln ist zum Thema „rückwirkende Gewerbesteuerpflicht bei sukzessiver anteiliger Veräußerung erhaltener Anteile durch den Einbringenden innerhalb der Sperrfrist?“ folgender Meinung:110 „Ein im Falle der Veräußerung erhaltener Anteile durch den Einbringenden innerhalb des Siebenjahreszeitraums gemäß § 22 Abs. 1 UmwStG rückwirkend entstehender Einbringungsgewinn I (EBG I) unterliegt nicht deswegen der Gewerbesteuer, weil nicht sämtliche erhaltenen Anteile in einem Vorgang veräußert werden (entgegen Tz. 22.07 AEUmwStG 2006). Vielmehr ist auch ein aufgrund einer zurückwirkenden Teilaktienveräußerung nachträglich entstehender EBG I nicht gewerbesteuerbar, wenn die Voraussetzungen des § 7 Satz 2 GewStG nicht vorliegen.“

(3.) Im aktuellen Gesetzgebungsverfahren befindet sich der Vorschlag einer Ergänzung des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG und des § 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG dahin, dass das Erfordernis einer aktiven Handlung des Stpfl. implementiert wird, um eine nachträgliche Versteuerung des Einbringungsgewinns auszulösen (Antwort auf den „Brexit“).111 Zur „passiven Entstrickung aufgrund einer erstmaligen Anwendung eines DBA“ s. BMF v. 26.10.2018.112

2. Gewinn aus als Gegenleistung für Vermögensübertragung an Anteilseigner zu gewährende Aktien – keine Rückwirkung a) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 17.1.2018113 befasst sich mit dem Gewinn aus als Gegenleistung für eine Vermögensübertragung an Anteilseigner zu gewährende Aktien:

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s. auch Unterberg, GmbHR 2018, 875; Weiss/Brühl, DB 2018, 1548; Weiss/ Brühl, GmbHR 2018, 951 (956); Brühl/Weiss, DK 2018, 207; Weiss, EStB 2018, 213. FG Köln v. 19.7.2018 – 6 K 2507/16, EFG 2018, 1730 = GmbHR 2018, 1224, nrkr., Rev.-Az. BFH I R 26/18; dazu Anmerkungen (zB) Hennigfeld, EFG 2018, 1732; Mückl, DStRK 2018, 327; Riedel, GmbHR 2018, 1227; Weiss, StuB 2018, 777. S. BR-Drucks. 372/1/18, 30 f. und dazu Olligs, DStR 2018, 2237; Holle/Weiss, IWB 2018, 800. BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01 – DOK 2018/0734820, BStBl. I 2018, 1104 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 307. BFH v. 17.1.2018 – I R 27/16, BFHE 261, 1 = BStBl. II 2018, 449 = GmbHR 2018, 651; dazu Anmerkungen (zB): Bleschick, EStB 2018, 201; Bleschick, GmbH-StB 2018, 200; Brandis, BFH/PR 2018, 187; Broemel, DStRK 2018, 182; Gänsel, BB 2018, 2539; Graw, jurisPR-SteuerR 27/2018 Anm. 4; jh, StuB 2018, 414; Kubik, BB 2018, 1330; Unterberg, GmbHR 2018, 654.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften „1. Die Rückwirkung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 erfasst nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Vorschrift das von der übertragenden Körperschaft auf die Übernehmerin übertragene Vermögen, nicht hingegen die für das übertragene Vermögen erbrachten Gegenleistungen (hier: Aktien) an die Anteilseigner der übertragenden Körperschaft. 2.

Für eine erweiternde Auslegung des in § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 1995 enthaltenen Begriffs der ‚Anteile an der übertragenden Körperschaft‘ iSd. Einbeziehung des durch die Gewährung der Aktien an die Anteilseigner der übertragenden Körperschaft realisierten Gewinns besteht angesichts des eindeutigen Normwortlauts kein Spielraum.“

Sachverhalt: Der Kläger (ein Versicherungsverein aG) war mehrheitlich an der ehemaligen … AG (später: B AG) beteiligt. Die frühere A AG, an der der Kläger nicht beteiligt war, verpflichtete sich durch Vermögensübertragungsvertrag vom 17.6.1999, ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter Auflösung ohne Abwicklung nach § 174 Abs. 1 UmwG im Wege der Vermögensübertragung mit Wirkung zum 1.1.2000/0:00 Uhr (handelsrechtlicher Übertragungsstichtag) auf den Kläger zu übertragen. Als Gegenleistung sollte der Kläger den Aktionären der A AG mit Wirksamwerden des Übertragungsvertrags vinkulierte Namensaktien der B AG gewähren. Die Aktien sollten an die … Bank als Treuhänderin mit der Maßgabe ausgehändigt werden, sie nach Wirksamwerden der Vermögensübertragung an die Aktionäre zu übergeben. Die Vermögensübertragung wurde noch im Jahr 2000 in das für die A AG zuständige Handelsregister eingetragen. Am 14.11.2000 wurden den Aktionären der A AG die Namensaktien (B AG) übertragen. Der Buchwert der Aktien belief sich in der Bilanz zum 31.12.1999 auf … DM. Der Kläger berücksichtigte die – durch die nicht zu Buchwerten erfolgte Anteilsübertragung – realisierten stillen Reserven erst in der Steuer- und der Handelsbilanz zum 31.12.2000 und in der KSt.-Erklärung für 2000 und bildete für den hierdurch entstandenen Gewinn eine Rückstellung für Beitragsrückerstattungen gem. § 21 Abs. 2 KStG. Das FA meinte, dass nach § 2 Abs. 1 UmwStG 1995 in der im Streitjahr (1999) geltenden Fassung sowohl die Übertragung des Vermögens der A AG an den Kläger als auch die Gewährung der Gegenleistung durch den Kläger an die Aktionäre der A AG auf den steuerrechtlichen Übertragungsstichtag zurückzubeziehen und daher bereits in der Bilanz zum 31.12.1999 zu erfassen seien. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg – das FA habe den von der Klägerin im Streitjahr erzielten Gewinn zu Unrecht um den Gewinn aus

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der Aufdeckung der stillen Reserven der B-Aktien erhöht.114 Der BFH hat die Revision des FA zurückgewiesen. b) Streitfrage Streitig war der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung infolge der Hebung der stillen Reserven, die in den (als zeitversetzte Gegenleistung zur Vermögensübertragung übertragenen) Aktien lagen: Wurde das allgemeine Prinzip (handelsrechtliche GoB in der Form des Realisationsprinzips des § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 HGB) durch Spezialregelungen des UmwStG verdrängt? Jedenfalls kann eine Spezialität nicht unbesehen einem gesamten Regelungskomplex zugewiesen werden: Auch wenn nach der Rspr.115 das UmwStG 2006 für die einbezogenen Umwandlungsvorgänge einen eigenständigen und sondergesetzlichen Rechtskreis bestimmt, der den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften abschließend vorgeht, kann dies im Einzelfall nur für solche Regelungsbereiche gelten, die überhaupt vom UmwStG 2006 erfasst und dort spezialgesetzlich geregelt werden. Im Streitfall folgt weder aus § 2 Abs. 1 Satz 1 noch aus § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 1995 – die in der Situation der Vermögensübertragung iSd. § 174 Abs. 1 UmwG anwendbar sind –, dass die allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätze verdrängt würden. Folge: Der angesprochene Gewinn (betr. die Gegenleistung in Sachwerten) ist nicht bereits in 1999 zu berücksichtigen. c) § 2 UmwStG § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 enthält eine Fiktion, wonach bezogen auf die übertragende Körperschaft sowie die Übernehmerin die Einkommens- und Vermögensermittlung so vorzunehmen ist, als wäre die Übertragung des betreffenden Vermögens von der übertragenden Körperschaft auf die Übernehmerin bereits mit Ablauf des vorangegangenen steuerlichen Übertragungsstichtags erfolgt. Für steuerliche Zwecke wird danach ein Übertragungsstichtag fingiert, der von der zivilrechtlichen Regelung über die Wirksamkeit des Übertragungsvorgangs abweicht und sich stattdessen am Stichtag der letzten (nach § 17 Abs. 2 Satz 4 114 FG Hamburg v. 5.4.2016 – 6 K 93/15, EFG 2016, 1039. 115 BFH v. 9.1.2013 – I R 24/12, BFHE 240, 115 = BStBl. II 2018, 509 = FR 2013, 514; dazu zB Gosch, BFH/PR 2013, 213.

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UmwG bis zu acht Monaten vor der Registeranmeldung liegenden) handelsrechtlichen Schlussbilanz orientiert. Nach dem Gesetzeswortlaut erstreckt sich die Fiktionswirkung allein auf die steuerliche Behandlung des angesprochenen übertragenen Vermögens. Ob die Übernehmerin für den Erhalt des übertragenen Vermögens eine Gegenleistung erbringt, ist hingegen nicht relevant. Nichts anderes ergibt sich unter dem Gesichtspunkt einer systematischen Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 und nach dem mit der Regelung verfolgten Zweck. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Norm auf rein praktischen Erwägungen und Vereinfachungsgründen beruht und sich diese allein auf das Vermögen beziehen, das vom übertragenden Rechtsträger auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen soll. Für den Stand dieses Vermögens sollte derjenige des letzten handelsrechtlichen Jahresabschlusses ausreichen und nicht zusätzlich noch eine zeitpunktgenaue Umwandlungsbilanz erstellt werden müssen. d) § 12 UmwStG Auch aus § 12 UmwStG 1995 folgt nichts anderes. Denn der von der Klägerin bei der Erbringung der Gegenleistung (Aktienübertragung in 2000) realisierte Gewinn ist nicht Teil des Übernahmeergebnisses nach § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 1995. Einzige Position, die dem Wert der übergegangenen Wirtschaftsgüter gegenüberzustellen ist, ist der Buchwert der wegfallenden Anteile an der übertragenden Körperschaft. Für eine erweiternde Auslegung des in § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 1995 enthaltenen Begriffs der „Anteile an der übertragenden Körperschaft“ iS. der Einbeziehung des durch Übertragung der B-Aktien realisierten Gewinns besteht angesichts des eindeutigen Normwortlauts kein Spielraum. Zweck der §§ 11 und 12 UmwStG 1995 ist es lediglich, die Besteuerung der in den übertragenen Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven zu sichern. Nur für diese übertragenen Wirtschaftsgüter besteht demnach ein geschlossenes Regelungssystem und soll es nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 zu einer Rückwirkung auf den vorangehenden steuerlichen Übertragungsstichtag kommen. e) Vermögensübertragung Gegenstand des Urteils ist eine Vermögensübertragung (§ 174 Abs. 1 UmwG), da mit Blick auf den Status/Unternehmensgegenstand des Klägers (VVaG) eine Verschmelzung ausgeschlossen war (eine Gewährung 108

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von Anteilen des übernehmenden Rechtsträgers an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers war ausgeschlossen – es kam als Gegenleistung zur Übertragung von Anteilen an einer anderen Gesellschaft). Das Urteil betrifft auch Vermögensübertragungen nach Maßgabe des UmwStG 2006 (Identität des Wortlauts116). Daher ist (auch dort) zu differenzieren:117 Soweit die Gegenleistung in Sachwerten besteht und dem Gesellschafter des Überträgers gewährt wird, sind die stillen Reserven erst im Übertragungszeitpunkt zu erfassen.

3. Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlage bei Einbringung a) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 29.11.2017118 betrifft die sog. Buchwerteinbringung (Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlage bei Einbringung): „Eine nach § 20 UmwStG 2002 begünstigte Buchwerteinbringung setzt voraus, dass auf den übernehmenden Rechtsträger alle Wirtschaftsgüter übertragen werden, die im Einbringungszeitpunkt zu den funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen des betreffenden Betriebs gehören.“

Sachverhalt: Die Kläger (zusammen veranlagte Eheleute) vermieteten den gewerblichen Teil des in ihrem Miteigentum stehenden Grundstücks X-Straße seit 1996 an den Kläger, der dort ein Einzelunternehmen (Maschinenbau) betrieb. Nach Gründung der X GmbH (GmbH), deren Gesellschafter die Kläger zunächst zu je 50 % waren, vermietete der Kläger ab dem 1.1.1999 die Maschinen und den Kundenstamm seines Einzelunternehmens sowie die Eheleute den vorgenannten Grundstücksanteil an die GmbH. Nachdem das FA den Klägern mitgeteilt hatte, es gehe von einer Betriebsaufspaltung zwischen den Klägern und der GmbH aus, übertrug

116 S. § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006 – s. Bleschick, GmbH-StB 2018, 200 (201); Graw, jurisPR-SteuerR 27/2018 Anm. 4 – zu D. 117 S. Bleschick, GmbH-StB 2018, 200 (201). 118 BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, BFHE 260, 334 = FR 2018, 508; dazu Anmerkungen (zB): Bergmann, Ubg. 2018, 359; Brandis, BFH/PR 2018, 189; Brühl/ Weiss, GmbHR 2018, 649; von Glasenapp, BB 2018, 1266; jh, StuB 2018, 414; JS, DStZ 2018, 444; Märtens, jurisPR-SteuerR 27/2018 Anm. 5; Micker, Ubg. 2018, 354; Schütz, DStRK 2018, 179; Strahl, BeSt. 2018, 34; Strahl, NWB 2018, 2172; Trossen, Ubg. 2018, 358; Wacker, DStR 2018, 1019; Weiss, EStB 2018, 197; Weiss, GmbH-StB 2018, 198; Wendt, FR 2018, 513.

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die Klägerin am 25.2.1999 ihren GmbH-Anteil dem Kläger, der damit Alleingesellschafter-Geschäftsführer der GmbH wurde. Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 18.10.2001 das unbebaute Grundstück Z-Straße, das er unter Inanspruchnahme einer unter seiner Einzelfirma beantragten öffentlichen Finanzhilfe mit Gewerberäumen bebaute. Nachdem der Kläger am 17.12.2002 unentgeltlich seinen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Grundstück in der Z-Straße der Klägerin übertragen hatte, verlegte die GmbH ihren Unternehmenssitz nach der Fertigstellung der Gewerberäume in die Z-Straße. Die Grundstücksgemeinschaft vermietete sodann für die Dauer von zehn Jahren mit Vertrag vom 17.9.2003 das Grundstück rückwirkend zum 1.3.2003 für … Euro p.M. zuzüglich USt. an die GmbH. Der Kläger teilte zunächst die Einschätzung des FA, dass sein hälftiger Miteigentumsanteil (Grundstück Z-Straße) zu seinem Besitzeinzelunternehmen gehöre und berichtigte seine ESt.-Erklärung 2002 entsprechend. Zudem erklärte er (betreffend seinen Miteigentumsanteil) für die Jahre 2003–2005 gewerbliche Vermietungseinkünfte und erläuterte dies jeweils mit „50 % anteilig … (Kläger) Betriebsvermögen“. Das FA veranlagte die Kläger erklärungsgemäß. Mit Rücksicht auf zwischenzeitliche Erweiterungsbauten wurde der Mietvertrag durch den Vertrag vom 16.12.2008 ersetzt und die Vertragslaufzeit bis zum 30.11.2018 verlängert sowie im Jahre 2014 erneut geändert (weitere Mieterhöhung). Mit notariell beurkundetem Vertrag über die „Ausgliederung zur Aufnahme“ vom 25.8.2006 übertrug der Kläger sein Besitzeinzelunternehmen zum 1.1.2006 gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten der GmbH; seinen Anteil am Grundstück Z-Straße behielt er zurück. In ihrer ESt.-Erklärung 2006 (Streitjahr) gaben die Kläger insoweit keinen Aufgabegewinn an; vielmehr gingen sie von einer steuerneutralen Einbringung nach § 20 UmwStG 2002 aus. Das FA widersprach, weil das Grundstück Z-Straße nicht mit eingebracht worden sei. Der Teilwert der GmbH-Anteile wurde im Einvernehmen mit dem Kläger auf … Euro festgelegt. Die aufgedeckten stillen Anlagevermögen des Besitzeinzelunternehmens entfielen mit … Euro auf die GmbH-Anteile, mit … Euro auf die Maschinen sowie weiteres Anlagevermögen des Besitzeinzelunternehmens und mit … Euro auf den Miteigentumsanteil des Grundstücks Z-Straße. Das FA setzte einen steuerbaren

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„Veräußerungsgewinn“ (§ 16 EStG) an. Die Klage war erfolglos.119 Der BFH hat die Revision zurückgewiesen. b) Streitfrage Steuerbegünstigte Einbringung oder steuerpflichtige Betriebsaufgabe? Der dazu gebildete Leitsatz der BFH-Entscheidung bringt insoweit gegenüber der bisherigen Rspr. nichts Neues. Zum Gegenstand der Entscheidung: Das Begehren der Kläger ging dahin, dass der Veräußerungspreis, den der Kläger mit Einbringung seines Einzelunternehmens in die GmbH erzielt hat, mit dem Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens angesetzt wird. Der BFH war allerdings der Auffassung, dass aufgrund des Rückbehalts eines Grundstücksanteils die Einbringung der weiteren Wirtschaftsgüter des Besitzeinzelunternehmens in die GmbH nicht nach § 20 UmwStG 2002 steuerrechtlich zu Buchwerten vollzogen werden konnte und deshalb zugleich auch zum Anfall eines Betriebsaufgabegewinns nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm. Abs. 3 EStG geführt hat. c) Ausgangspunkt Der Kläger hatte aufgrund der Überlassung der Maschinen seines bisherigen Einzelunternehmens ab 1999 eine Betriebsaufspaltung mit der GmbH als Betriebsunternehmen begründet. Denn der Kläger hatte im Besitz- wie im Betriebsunternehmen seinen Willen durchsetzen können und der GmbH insoweit wesentliche Betriebsgrundlagen überlassen. Zum Betriebsvermögen des Besitzeinzelunternehmens gehörten folglich neben den Maschinen auch die Beteiligung an der GmbH sowie der Miteigentumsanteil des Klägers am Grundstück Z-Straße. Hingegen war das Grundstück nicht Betriebsvermögen der Grundstücksgemeinschaft geworden, weil durch dessen Vermietung an die GmbH keine weitere Betriebsaufspaltung begründet wurde. Der Kläger beherrschte die Grundstücksgemeinschaft nicht (Beteiligung: 50 %). d) Einbringung Zwar war die Einbringung grds. „tatbestandstauglich“ – der durch die Begründung einer Betriebsaufspaltung in Form des Besitzunternehmens entstandene Betrieb kann Gegenstand einer Einbringung iSd. § 20 Abs. 1

119 FG Bad.-Württ. v. 10.12.2015 – 1 K 3485/13, EFG 2016, 423.

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UmwStG 2002 sein. Die Einbringung eines solchen Betriebs ist aber steuerlich nur dann begünstigt, wenn alle funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übertragen werden. Ob dies der Fall ist, ist eine Frage der Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, die vorrangig dem sog. Tatsachengericht (FG) obliegt. Vorfrage 1: Der BFH teilt die Ansicht des FG, dass der Miteigentumsanteil des Klägers am Grundstück in der Z-Straße notwendiges Betriebsvermögen seines Besitzeinzelunternehmens gewesen ist. Zwar hat die Eigentümergemeinschaft das Grundstück Z-Straße dem Besitzeinzelunternehmen des Klägers nicht überlassen, sondern es an die GmbH vermietet, so dass es nicht unmittelbar dem Betrieb des Besitzeinzelunternehmens diente. Allerdings sollte mit der Vermietung des Grundstücks, dessen betriebliche Nutzung nach dem Grundstückskaufvertrag sowie nach der beantragten Finanzhilfe von Anfang an beabsichtigt war, die Vermögensund Ertragslage der GmbH verbessert und der Wert der Beteiligung erhalten werden. Vorfrage 2: Das Grundstück Z-Straße war auch wesentliche Betriebsgrundlage des Besitzeinzelunternehmens des Klägers. Das Grundstück bildete nicht nur die räumliche und funktionale Grundlage für die Produktionstätigkeit der GmbH, sondern zugleich auch des Besitzeinzelunternehmens, dessen Geschäftszweck in der entgeltlichen Maschinenüberlassung an die GmbH bestand. Das Grundstück Z-Straße war insoweit für die GmbH als Betriebsunternehmen unverzichtbar; es ermöglichte dieser, ihren Geschäftsbetrieb auszuüben. Das Problem: Nach der zutreffenden Auslegung des Ausgliederungsvertrags durch das FG war der Miteigentumsanteil des Klägers am Grundstück Z-Straße nicht auf die GmbH übertragen worden. Und im Streitfall war die von den Klägern begehrte Buchwerteinbringung auch nicht deshalb anzuerkennen, weil das Zurückbehalten des Grundstücksanteils unschädlich wäre. Insoweit „hilft“ insbes. das zu § 6 Abs. 3 und 5 EStG ergangene BFH-Urteil v. 2.8.2012120 nicht: Zwar scheidet nach dessen Leitsatz unter Geltung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG die Aufdeckung der stillen Re-

120 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFHE 238, 135 = FR 2012, 1113; dazu zB Wendt, BFH/PR 2013, 3.

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serven im unentgeltlich übertragenen Mitunternehmeranteil auch dann aus, wenn ein funktional wesentliches Betriebsgrundstück des Sonderbetriebsvermögens „vorher bzw. zeitgleich“ zum Buchwert nach § 6 Abs. 5 EStG übertragen wird. Diese Aussage war indessen nicht entscheidungserheblich, weil dem dortigen Streitfall gerade keine zeitgleiche Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zugrunde lag. Im Übrigen weist der I. Senat darauf hin, dass er einem Verständnis des § 20 UmwStG 2002, wonach die Zurückbehaltung einer wesentlichen Betriebsgrundlage für die Annahme einer steuerneutralen Betriebseinbringung unschädlich sei, wenn sie als Folge der Einbringung zu einer Entnahme führe, nicht folgen wolle. Dies schon deshalb, weil in einer derartigen Konstellation gerade nicht alle im Einbringungszeitpunkt vorhandenen wesentlichen Betriebsgrundlagen des vorhandenen Betriebs eingebracht werden. e) Betriebsaufgabe Lagen mithin im Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 UmwStG 2002 nicht vor, war die Einbringung des Besitzeinzelunternehmens in die GmbH gegen Gesellschaftsanteile an der übernehmenden Gesellschaft nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm. Abs. 3 EStG steuerbar. Zwar handelt es sich bei der Einbringung von Betriebsvermögen (hier: des Besitzeinzelunternehmens des Klägers) in eine Kapitalgesellschaft gegen Gesellschaftsanteile an der übernehmenden Gesellschaft um einen tauschähnlichen und damit um einen entgeltlichen (Veräußerungs-)Vorgang. Da der Kläger jedoch seinen Anteil am Grundstück Z-Straße zurückbehalten und damit nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen der GmbH übertragen hat, ist der Gesamtvorgang als Betriebsaufgabe zu werten. Zum Aufgabegewinn gehören nach § 16 Abs. 3 Satz 7 EStG auch die stillen Reserven der Wirtschaftsgüter, die im Zuge der Einbringung in das Privatvermögen des Klägers überführt worden sind (Grundstücksanteil Z-Straße; Beteiligung an GmbH). Für weitergehende Erwägungen wird auf den Beitrag von Wendt (in diesem Band) verwiesen.

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4. Berücksichtigung negativer Anschaffungskosten im Rahmen des § 20 Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002 a) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 7.3.2018121 behandelt die Rechtsfrage einer Berücksichtigung negativer Anschaffungskosten im Rahmen des § 20 Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002: „Die Minderung der Anschaffungskosten des Einbringenden nach § 20 Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002 durch Entnahmen im Rückwirkungszeitraum kann auch zu einem negativen Wert führen.“

Sachverhalt: Der Kläger ist Geschäftsführer und alleiniger Anteilseigner einer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (GmbH). Am 30.8.2005 beschloss er eine Erhöhung des Stammkapitals der GmbH von 25 000 Euro auf 26 000 Euro. Die neue Einlage war als Sacheinlage durch Einbringung der Rechtsanwalts-Einzelpraxis des Klägers zu leisten (steuerlicher Übertragungsstichtag: 2.1.2005; wirtschaftlicher Übergang: 31.8.2005). Da der Buchwert des einzubringenden Betriebsvermögens zum 2.1.2005 negativ war (./. 56 750 Euro), wurde bei der GmbH (entsprechend der Einbringungsvereinbarung) eine Forderung gegen den Kläger in dieser Höhe aktiviert. Vom 2.1. bis zum 30.8.2005 (Rückwirkungszeitraum) wurden im Einzelunternehmen ein Gewinn (1 318 021 Euro) erzielt und (in Geld) Einlagen von 18 475 Euro und Entnahmen von 463 614 Euro getätigt (Saldo der Entnahmen/Einlagen nach weiteren Nutzungsentnahmen: 458 365 Euro). Das FA war aufgrund des negativen Buchwerts des eingebrachten Betriebsvermögens der Ansicht (Hinweis auf § 20 Abs. 2 Satz 4, Abs. 7 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 UmwStG 2002), dass jener Saldo das Betriebsvermögen unter Berücksichtigung der Einlageverpflichtung nicht mindern dürfe und entsprechend höhere Anschaffungskosten für das Betriebsvermögen des eingebrachten Einzelunternehmens zu berücksichtigen seien – daher sei das Betriebsvermögen der GmbH als aufnehmende Gesellschaft zum 2.1.2005 um 458 365 Euro zu erhöhen. Auf Ebene des Klägers als Einbringendem ermittelte man unter Hinweis auf § 20 Abs. 4 Satz 1

121 BFH v. 7.3.2018 – I R 12/16, BFHE 261, 251 = FR 2018, 1153; dazu Anmerkungen (zB): Brandis, BFH/PR 2018, 265; Bünning, BB 2018, 2162; Hellmann/ Krinninger, DStR 2018, 2565; Gänsel, BB 2018, 2539 (2541 f.); jh, StuB 2018, 565; Mitschke, FR 2018, 1155; Weiss, EStB 2018, 278; Weiss, GmbH-StB 2018, 274.

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UmwStG 2002 einen Veräußerungsgewinn gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG in entsprechender Höhe. Das FG wies die Klage, die darauf gerichtet war, das eingebrachte Vermögen mit dem Buchwert iHv. 56 750 Euro zzgl. 1000 Euro anzusetzen, ab.122 Die Revision des Klägers war erfolgreich. b) Streitfrage Es geht um die Sacheinlage eines Einzelunternehmens durch den Alleingesellschafter in „seine“ GmbH. Die Frage der Bewertung des eingebrachten Betriebsvermögens und der Gesellschaftsanteile (§ 20 UmwStG 2002) hat unmittelbar Auswirkungen auf die Besteuerung des Anteilseigners (§ 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG). c) Ermittlung des Einbringungswerts Ausgangspunkt im Streitfall ist die Ermittlung des Einbringungswerts bei der GmbH nach einer Sacheinlage mit negativem Buchwert des eingebrachten Vermögens. § 20 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 2002 sieht dazu vor, dass dann, wenn die Passivposten des eingebrachten Betriebsvermögens die Aktivposten übersteigen, das eingebrachte Betriebsvermögen mindestens so anzusetzen ist, dass sich die Aktivposten und die Passivposten ausgleichen; dabei ist das Eigenkapital nicht zu berücksichtigen. Insoweit hatte die GmbH zwar grundsätzlich das Wahlrecht, das eingebrachte Betriebsvermögen gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2002 mit seinem Buchwert anzusetzen. Dieser Buchwert betrug zum 2.1.2005 aber ./. 56 750 Euro und war demnach zu korrigieren. Die GmbH hat dazu zutreffend und vom FA insoweit unbeanstandet eine Forderung gegen den Kläger iHv. 56 750 Euro ausgewiesen und unter Berücksichtigung der Erhöhung des Stammkapitals um 1000 Euro einen Wert iHv. 57 750 Euro aktiviert. d) Entnahmen/Einlagen im Rückwirkungszeitraum Gilt für den Umfang dieses Ausgleichs eines negativen Buchwerts Abweichendes, wenn im Rückwirkungszeitraum (§ 20 Abs. 7 UmwStG 2002) Entnahmen/Einlagen getätigt wurden? Nach Satz 2 der Regelung gilt die (zulässige) Rückwirkung des Betriebsvermögensübergangs „hinsichtlich des Einkommens … nicht für Entnahmen und Einlagen, die 122 Hess. FG v. 1.12.2015 – 4 K 1355/13, EFG 2016, 687.

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nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag erfolgen“. In diesem Fall sind „die Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile (Abs. 4)“ um den Buchwert der Entnahmen zu vermindern und um den sich nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG ergebenden Wert der Einlagen zu erhöhen (Satz 3). War damit im Streitfall anstelle des bei der GmbH tatsächlich angesetzten Betrags (0 Euro) ein Zwischenwert von 401 615 Euro zu berücksichtigen, weil der Saldo aus Entnahmen und Einlagen im Rückwirkungszeitraum (458 365 Euro) dem Buchwert des einzubringenden Betriebsvermögens zum steuerlichen Übertragungsstichtag (./. 56 750 Euro) hinzuzurechnen war? e) Korrektur der Anschaffungskosten Der BFH beantwortet die Rechtsfrage dahin, dass aus dem zwischen § 20 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002 bestehenden Regelungszusammenhang nicht folgt, dass Abs. 2 Satz 4 über seinen Wortlaut (negativer Buchwert des Einbringungsgegenstandes am steuerlichen Übertragungsstichtag) hinaus auch insoweit gilt, dass der negative Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens durch Entnahmen im Rückwirkungszeitraum (ggf. korrigiert um Einlagen) beeinflusst wird. Gegenstand der Regelung des Abs. 7 Satz 3 ist „lediglich“ eine Korrektur der sich nach § 20 Abs. 4 UmwStG 2002 ergebenden Anteilsanschaffungskosten, nicht hingegen die Vorgabe eines „Mindestansatzes“ des eingebrachten Betriebsvermögens. Maßgebend ist allein der Bestand zum Zeitpunkt des steuerlichen Übertragungsstichtags. Damit (Buchwertfortführungswahlrecht, auch wenn durch Entnahmen im Rückwirkungszeitraum zwischen dem gewählten Übertragungsstichtag und dem Vollzug der Einbringung ein negatives Kapitalkonto entstanden ist – das negative Kapitalkonto führt lediglich zu einer Verminderung der Anschaffungskosten für die entstandenen Anteile an der Kapitalgesellschaft) widerspricht der BFH der Verwaltungsauffassung.123

123 BMF v. 25.3.1998 – IV B 7 - S 1978 - 21/98, BStBl. I 1998, 268 = GmbHR 1998, 444 – dort Tz. 20.25 (und in der Sache aufrecht erhalten – zu § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG 2006 – in BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 – sog. UmwStE, dort Tz. 20.19).

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Der negative Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens zum 2.1.2005 ist danach im Ergebnis nur um 56 750 Euro statt um 458 365 Euro (als Saldo aus Entnahmen und Einlagen im Rückwirkungszeitraum), also bis auf Null, zu erhöhen und als Einbringungswert folglich kein Zwischenwert iHv. 401 615 Euro anzusetzen. Weitere Rechtsfolge: Der spätere Veräußerungsgewinn (Ermittlung unter Abzug der Anschaffungskosten der Beteiligung [hier: der negativen Anschaffungskosten!] – § 20 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 EStG/§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) ist damit größer (allerdings: Teileinkünfteverfahren bzw. Abgeltungsteuer).124 f) Auswirkungen und Ausblick Die Entscheidung „wirkt“ auch nach Maßgabe des (insoweit unveränderten) neuen Rechts in § 20 UmwStG 2006.125 In Kürze sind weitere Entscheidungen des BFH zu Umstrukturierungen zu erwarten, und zwar BFH I R 31/16,126 „Grenzüberschreitende Abwärtsverschmelzung: Wird die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG, welche sich konkret auf den Wertansatz von Anteilen an der übernehmenden Gesellschaft in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft bezieht, durch § 11 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG eingeschränkt oder modifiziert?“

BFH I R 35/16127 „Gehören die bei einer Abwärtsverschmelzung auf die Gesellschafter der übertragenden Körperschaft übergehenden Anteile an der übernehmenden Körperschaft zu den übergehenden Wirtschaftsgütern iSv. § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006, mit der Folge, dass im Fall von ausländischen Gesellschaftern die Anteile in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft im Regelfall mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind?“

124 S. Weiss, GmbH-StB 2018, 274 (276). 125 ZB Levedag, GmbHR 2018, Heft 16, R248; Weiss, GmbH-StB 2018, 274 (276). 126 Vorgehend FG Düss. v. 22.4.2016 – 6 K 1947/14 K, G, EFG 2016, 951 = GmbHR 2016, 1216 – s. nun BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BFHE 262, 45 = BStBl. II 2019, 136 = FR 2019, 81; dazu Anmerkungen (zB) Brandis, BFH/PR 2019, 31; Kempermann, FR 2019, 85; Krüger/Gebhardt, Ubg 2019, 114; Kusch, Ubg 2019, 119; Lieber, jurisPR-SteuerR 6/2019 Anm. 2; Otto, BB 2019, 307; Pfirrmann, HFR 2019, 52; Swoboda, DStRK 2019, 29; Trossen, Ubg 2019, 117; Weiss, GmbH-StB 2019, 8; ders., GmbHR 2019, 32. 127 Vorgehend FG Rh.-Pf. v. 12.4.2016 – 1 K 1001/14, EFG 2016, 1392 = GmbHR 2016, 1218 – s. nun BFH v. 30.5.2018 – I R 35/16, BFH/NV 2019, 46.

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sowie BFH I R 19/16128 „1. Darf bei einer gleichzeitigen (und einheitlichen) Einbringung zweier Mitunternehmeranteile, mit negativem und positivem Kapitalkonto, ein Ausgleich zwischen den Kapitalkonten erfolgen, mit der Folge, dass im Rahmen der Einbringung des Mitunternehmeranteils mit negativem Kapital die Aufdeckung der stillen Reserven bis zur Höhe des negativen Kapitals entfällt? 2.

Sind Verrechnungskonten zwischen zwei personenidentischen Personengesellschaften Betriebsvermögen der Personengesellschaft oder Privatvermögen der Gesellschafter?“

128 Vorgehend FG Berlin-Brandenb. v. 10.2.2016 – 11 K 12073/15, EFG 2016, 954 – s. nun BFH v. 13.9.2018 – I R 19/16, DB 2019, 341; dazu Weiss, EStB 2019, 79.

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Aktuelle steuerpolitische Vorhaben Ministerialdirigent Dr. Steffen Neumann Finanzministerium NRW, Düsseldorf I. Vorwort II. Abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren bzw. Gesetzesvorhaben des Jahres 2018 1. Gesetz zur Stärkung und steuerlichen Entlastung der Familien sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen – Familienentlastungsgesetz 2. Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer Vorschriften (vormals Jahressteuergesetz 2018) a) Stand b) Umsatzsteuer c) Einkommensteuer aa) Steuerbefreiung für das Job-Ticket bb) Steuerbefreiung für die Nutzung betrieblicher Fahrräder cc) Sanierungsklausel gem. § 3a EStG dd) 1 %-Regelung ee) Einführung einer Verzinsungsregelung in § 6b Abs. 2a EStG d) Körperschaftsteuer aa) Gesellschafterwechsel und Verlustwegfall (§ 8c KStG) bb) Ausgleichszahlung in der Organschaft (§ 14 Abs. 2 KStG – neu) e) Sonstige Bestimmungen

3. Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus III. Künftige Gesetzesvorhaben ab 2019 1. Anzeigepflichten von Steuergestaltungen a) Grenzüberschreitende Steuergestaltungen b) Nationale Anzeigepflichten 2. Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union – Brexit-Steuerbegleitgesetz 3. Reform der Grundsteuer 4. Restanten aus der ATADRichtlinie zur Verhinderung hybrider Gestaltungen IV. Länderinitiativen und Initiativen von dritter Seite 1. Grunderwerbsteuer a) Eindämmung von share-deal Gestaltungen (NordrheinWestfalen) b) Freibetrag für Wohnimmobilien (Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) 2. Unternehmenssteuerreform a) Antrag des Landes NRW „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – Schritte zu einer modernen wettbewerbsfähigen Unternehmensbesteuerung“ (BR-Drucksache 310/18)

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben b) Antrag des Freistaats Bayern zur „steuerlichen Entlastung der deutschen Wirtschaft“ c) Anträge der Landesregierung von Hessen und Bayern BR-Drucksachen zur „Absenkung des gesetzlichen Zinssatzes nach § 238 AO“ d) Vorschläge vom Bundesminister für Wirtschaft Peter Altmaier e) Vorschläge von dritter Seite (BDI, IDW) 3. Steuerliche Vereinfachungen und Entlastungen für die Mitte der Gesellschaft (NRW)

1. Abbau des Solidaritätszuschlags 2. Energetische Gebäudesanierung 3. Abschaffung Abgeltungsteuer VI. Rechtsprechung VII. Europäische Vorhaben 1. Besteuerung der digitalen Wirtschaft 2. Mehrwertsteuerreform 3. Zusammenarbeit von Frankreich und Deutschland: Gemeinsame (konsolidierte) Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage – G(K)KB VIII. Ausblick

V. Koalitionsvertrag

I. Vorwort Kurz vor Weihnachten des Jahres 2018, in dem die nachstehenden aktuellen steuerpolitischen Entwicklungen als Momentaufnahme eingebettet sind, zeichnet sich in vielfacher Hinsicht außenpolitisch wie innenpolitisch unruhig aus. Ein in wirtschaftlicher Hinsicht ausgesprochen stabiles Deutschland, das auf langjährige und immer wiederkehrende Steigerungsraten bei den Steuereinnahmen zurückblickt, hohe Beschäftigungsquoten und eine damit verbundene geringe Arbeitslosigkeit und bestens gefüllte Kassen der öffentlichen Haushalte verzeichnet, ist innerlich gleichwohl in erheblichem Umfang unzufrieden und verunsichert, was sich in den jeweiligen Wahlergebnissen der Länderparlamente widerspiegelt, ohne dass die die Ursachen dieses Zustands griffig wären. Ein Zeitenwechsel bei der unverändert in Regierungsverantwortung stehenden CDU/CSU steht an. Der angestrebte Brexit in Großbritannien, die massiven Unruhen in Frankreich und eine vielfach als unverantwortlich angesehene Haushaltspolitik in Italien wiegen schwer. Die Kriegs- und Unruheherde in der Welt mit ihren damit ausgelösten Wanderungsbewegungen nehmen nicht ab, und die Politik des 41. Präsidenten der USA tut ein Übriges. Die Steuerpolitik des ausgehenden Jahres 2018 spiegelt die-

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sen Zustand hingegen keineswegs wider. Die ausgelösten Diskussionen in Bezug auf anstehende und angemahnte Steueränderungen in der kommenden Zeit vermitteln jedoch einen anderen Eindruck. Der Brexit wird gesetzgeberisch vorbereitet. Gedanken zu einer Reform der Unternehmensbesteuerung werden laut. Auf internationaler Ebene ragen die Einführung einer Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Gestaltungen und die sog. Digitalsteuer hervor. Im Nachfolgenden bemüht sich der Autor um eine Darstellung der steuerpolitischen Lage in Deutschland vor Jahresende und weist vorsichtshalber darauf hin, dass es sich nur um eine Momentaufnahme handeln kann.

II. Abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren bzw. Gesetzesvorhaben des Jahres 2018 1. Gesetz zur Stärkung und steuerlichen Entlastung der Familien sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen – Familienentlastungsgesetz Für den Herbst 2018 war die Veröffentlichung des aktuellen Existenzminimumberichts erwartet worden. Das veranlasste die Bundesregierung, im Vorgriff eine Anhebung der steuerfreien Grundfreibeträge vorzunehmen. Zusätzlich sollen inflationsbedingte Mehrsteuern an die Bürger zurückgegeben werden. Schließlich will dieses Gesetzespaket Familien steuerlich entlasten. Zu den Maßnahmen dieses Gesetzes, das der BT in 2./3. Lesung1 am 9.11.2018 beschloss und dem der BR am 23.11.2018 zustimmte, im Einzelnen: –



Anhebung des Grundfreibetrags (§ 32a EStG) –

ab VZ 2019 von bisher 9000 Euro auf 9168 Euro und



ab VZ 2020 auf 9408 Euro

Kalte Progression: Ab 2019 werden zum Inflationsausgleich alle Eckwerte des Einkommensteuertarifs um 1,84 % (= voraussichtliche Inflationsrate des Jahres 2018) und ab 2020 (außer Grundfreibetrag) um 1,95 % (= voraussichtliche Inflationsrate des Jahres 2019) nach rechts verschoben.

1 Vgl. hierzu Gesetzentwurf BT-Drucks.19/4723 v. 4.10.2018, Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des BT v. 7.11.2028, BT-Drucks. 19/ 5583; BR-Drucks. 558/18.

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Kindergeldanhebung: Das Kindergeld wird pro Kind ab dem 1.7.2019 um 10 Euro je Monat erhöht. Damit wird ein wenig verdeckt, dass das Kindergeld in 2019 je Monat und Kind um lediglich 5 Euro angehoben wird und die Verdoppelung dann ab 2020 erfolgt.



Kinderfreibetrag: Als Folgeänderung zur Kindergelderhöhung wird auch der Kinderfreibetrag erhöht, und zwar ab dem VZ 2019 von bisher 2394 Euro auf 2490 Euro je Elternteil und ab dem VZ 2020 auf 2586 Euro je Elternteil.

2. Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer Vorschriften (vormals Jahressteuergesetz 2018) a) Stand Dieses Gesetzesvorhaben auf der Grundlage eines Entwurfs der Bundesregierung wurde am 8.11.2018 in 2. und 3. Lesung vom Deutschen Bundestag2 verabschiedet. Der Bundesrat stimmte ihm am 23.11.2018 zu. Dieses Gesetz ist ein Sammelsurium von Einzelregelungen und hat den Charakter eines Jahressteuergesetzes. Der Kernbereich der in ihm enthaltenen Neuregelungen besteht in der Haftung von Betreibern von Internet-Marketplaces für Steuern, die Gewerbetreibende vorwiegend aus Drittstaaten für den eigenen Handel per online nutzen, ohne die anfallende Umsatzsteuer zu entrichten. Er ist Namensgeber des Gesetzes geworden. Im Einzelnen zu den wesentlichen neuen Bestimmungen: b) Umsatzsteuer Neu werden die eingefügten §§ 22f und 25e UStG sein. Diese bestimmen grundsätzlich, dass der Betreiber eines elektronischen Marktplatzes für die nicht entrichtete Steuer aus der Lieferung eines Unternehmers, der diesen Marktplatz für eigene Handelszwecke nutzt, zu haften hat. Für die betroffenen Unternehmen (allen voran zB Amazon) sind die gesetzlich zugelassenen Exkulpationsmöglichkeiten von erheblicher Bedeutung. Hat das FA dem Betreiber mitgeteilt, dass der Nutzer der Plattform dem FA be2 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des BT v. 7.11.2018, BT-Drucks.19/5595; BR-Drucks. 559/18.

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kannt ist, scheidet idR eine Haftung für fremde Umsatzsteuerschulden aus. Teilt ihm das FA mit, dass der Internethändler seinen Pflichten nicht nachkommt, hat der Plattformbetreiber die Möglichkeit, den weiteren Handel des unzuverlässigen Geschäftspartners zu beenden, so dass auf seiner Plattform keine weiteren Handelsaktivitäten stattfinden können. Unterlässt er dies, begibt er sich in die Gefahr der Haftung. Anwendbar wird diese Haftungsregelung für liefernde Unternehmer mit einem Geschäftssitz außerhalb der EU oder des EWR-Wirtschaftsraums ab dem 1.3.2019 und für liefernde Unternehmer mit einem Geschäftssitz innerhalb der EU oder EWR-Wirtschaftsraums ab dem 1.10.2019 sein. c) Einkommensteuer aa) Steuerbefreiung für das Job-Ticket In einem neuen § 3 Nr. 15 EStG sollen Zuschüsse, die Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber zu ihren Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr (keine Taxikosten!) zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn erhalten, steuerfrei bleiben. Gleiches gilt für mittelbare Vorteile etwa durch Abschluss und Finanzierung eines Rahmenabkommens mit einem Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel. Eine solche Vergünstigung gab es schon einmal in den Jahren 1994–2003. Die Vergünstigungen durch den Arbeitgeber mindern die Entfernungspauschale des Arbeitnehmers. Eine doppelte Begünstigung ist damit nicht möglich. bb) Steuerbefreiung für die Nutzung betrieblicher Fahrräder In § 3 Nr. 37 EStG ist neu geregelt worden, dass die geldwerten Vorteile aus der unentgeltlichen Überlassung eines betrieblichen Fahrrads vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer steuerfrei bleiben sollen. Dies gilt für Fahrräder jeder Art, also für Elektrofahrzeuge wie mechanisch betriebene herkömmliche Fahrräder. Ist ein Fahrrad hingegen verkehrsrechtlich als Fahrzeug anzusehen, zB bei erreichbaren Geschwindigkeiten von mehr als 25 km/h, gelten die Regelungen für Dienstfahrzeuge. Insbesondere greifen bei Elektrofahrrädern dann die steuerlichen Vorteile für Elektrofahrzeuge ein (s.u. zu dd). Ergänzend zu § 3 Nr. 37 EStG wird bei der Entnahme der Nutzungsvorteile eines betrieblichen Fahrrads geregelt, dass diese Vorteile sich nicht gewinnerhöhend auswirken. Beim Werbungskostenabzug bleibt für den Arbeitnehmer aus Vereinfachungsgründen der Abzug der Entfernungs123

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pauschale erhalten. § 3c Abs. 1 EStG wird insoweit für nicht anwendbar erklärt. Die Steuerfreiheit des § 3 Nr. 37 EStG wird allerdings nur dann gewährt, wenn die Möglichkeit, betriebliche Fahrräder für private Zwecke zu nutzen, zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gewährt wird. Die Neuregelung eignet sich daher nicht für Gehaltsumwandlungsmodelle, die derzeit ungemein populär sind. cc) Sanierungsklausel gem. § 3a EStG Mit Beschluss v. 28.11.20163 hat der Große Senat des BFH entschieden, dass der mit BMF-Schreiben v. 27.3.2002 geregelte Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit verstoße und deshalb verfassungswidrig sei. Der Gesetzgeber hat als Folge dieser Entscheidung die Regelungen, die bislang als Billigkeitsmaßnahme vorgesehen waren, im Wesentlichen in §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Da insbes. aufgrund der Erfahrung mit § 8c Abs. 1a KStG nicht auszuschließen war, dass die EU-Kommission (Generaldirektion Wettbewerb) in dieser Neuregelung die Erfüllung eines Beihilfetatbestands erblicken könnte, wurde vorsichtshalber die Anwendbarkeit der gesetzlichen Sanierungsklausel unter den Vorbehalt der Feststellung der Europäischen Kommission, dass die Neuregelung nicht gegen die Beihilfebestimmungen verstößt, gestellt.4 Nunmehr hat sich die Kommission zur EU-Vereinbarkeit in einer Weise geäußert, dass sie derzeit keine Unvereinbarkeiten zu erblicken vermag, hat aber die förmliche Feststellung – wie sie in der Anwendungsbestimmung vorgesehen war – nicht ausgesprochen. Diese Entwicklung hatte nun zur Folge, dass der Anwendung des § 3a EStG nichts mehr im Wege stünde, wenn nicht der gesetzliche Vorbehalt der förmlichen Feststellung wäre. Der Gesetzgeber hat daher diesen Vorbehalt ausdrücklich aufgehoben. In einem Art. 15a dieses Gesetzes ist geregelt, dass §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG am Tag nach der Verkündung des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.20175 in Kraft treten. Außerdem ist Art. 6 Abs. 2 dieses Gesetzes aufgehoben worden.

3 BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296. 4 Vgl. Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074. 5 BGBl. I 2017, 2074.

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Des Weiteren erachtete der BFH mit Urteilen v. 23.8.20176 die Vertrauensschutzregelung der FinVerw. für Fälle der Übergangszeit7 ebenfalls als verfassungswidrig. Die FinVerw. belegte diese Urteile im Interesse der betroffenen Stpfl. zwar mit einem Nichtanwendungserlass.8 Eine Ergänzung von § 52 Abs. 4a und 5 EStG sieht nunmehr vor, dass die Regelungen der §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG auch in den Fällen anzuwenden sind, in denen der Schuldenerlass vor dem 9.2.2017 (= bisheriger Anwendungsstichtag) stattgefunden hat. Das Gesetz wird damit mit einer gesetzlichen Rückwirkung versieht, so dass den Bedenken der Rspr. letztlich Rechnung getragen wird. Entsprechende Änderungen wurden für Zwecke der Gewerbesteuer im Gewerbesteuergesetz vorgenommen. dd) 1 %-Regelung Die 1 %-Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG wird für betriebliche PKW, die auch privat von Arbeitnehmern des Unternehmens und vom Unternehmer selbst genutzt werden, steuerlich für ökologisch sinnvolle PKW (Elektrofahrzeuge, Hybridelektrofahrzeuge) gemindert. Die pauschalierte Nutzungsentnahme soll für Kraftfahrzeuge, die nach dem 31.12.2018 und vor dem 1.1.2022 angeschafft werden, nur noch 1,0 % des halben Listenpreises betragen. Voraussetzung dabei ist für Hybridelektrofahrzeuge, dass diese Fahrzeuge extern aufladbar sind und die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 des Elektromobilitätsgesetzes erfüllen. Auch die übrigen Bemessungsgrundlagen werden entsprechend halbiert (§ 8 Abs. 2 Satz 3 und 5 EStG). Soweit Hybridelektrofahrzeuge hiernach nicht begünstigt sind, bleibt es für diese bei dem bisherigen Nachteilsausgleich durch Minderung des Bruttolistenpreises um die pauschalen Beträge für das Batteriesystem. ee) Einführung einer Verzinsungsregelung in § 6b Abs. 2a EStG Werden Reinvestitionsgüter angeschafft, kommt eine steuerfreie Übertragung der stillen Reserven aus dem veräußerten Wirtschaftsgut nicht 6 BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, BStBl. II 2018, 232 = FR 2018, 18; v. 23.8.2017 – X R 38/15, BStBl. II 2018, 236 = FR 2018, 21. 7 Vgl. BMF v. 27.4.2017 – IV C 6 - S 2140/13/10003 – DOK 2017/0322100, BStBl. I 2017, 741 = FR 2017, 499. 8 BMF v. 29.3.2018 – IV C 6 - S 2140/13/10003 – DOK 2018/0193836, BStBl. I 2018, 588 = FR 2018, 384.

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in Betracht, wenn die Reinvestition nicht in Deutschland, sondern im Ausland stattfindet. Erfolgt die Reinvestition in einem anderen EU-Staat oder einem Staat des EWR, kann die auf den begünstigten Veräußerungsgewinn entfallende Steuer zinslos in fünf Jahresraten gezahlt werden. Wird allerdings kein Reinvestitionsgut angeschafft, besteht kein Grund für die Zinslosigkeit der Stundungsregelung. Deshalb wird mit der Ergänzung des § 6b Abs. 2a EStG die Zinspflicht in derartigen Fällen eingeführt. d) Körperschaftsteuer aa) Gesellschafterwechsel und Verlustwegfall (§ 8c KStG) Das BVerfG entschied mit Beschluss vom 29.3.20179, dass § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG verfassungswidrig sei. Der Gesetzentwurf sah in der Anwendungsregelung des § 34 Abs. 6 KStG zunächst vor, die Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG für die VZ 2008–2015 ersatzlos aufzuheben, so dass sie erst wieder mit dem VZ 2015 gilt. Aufgrund des Gesetzesbeschlusses erhält der § 8c Abs. 1 KStG jetzt eine Fassung, nach der allein und endgültig eine Änderung der Mehrheit an den Beteiligungsverhältnissen (mehr als 50 %) zu einem Wegfall des laufenden Verlusts und der bisherigen Verlustvorträge führt. An einem „Wiederaufleben“ des alten § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG ab dem VZ 2016 (wegen des neuen § 8d KStG) hält der Gesetzgeber nicht mehr fest. Ob dies das letzte Wort ist, ist nicht gesagt, weil die Wirtschaftsverbände im Rahmen einer angemahnten Unternehmenssteuerreform auch die Verlustnutzung nach einem Wechsel der Beteiligten thematisieren und eine Neuausrichtung der bisherigen Regelungstechnik des § 8c KStG etwa in die Richtung der alten Mantelkaufregelung fordern. Auch wird sich die Frage stellen, inwieweit Gestaltungen über die Veräußerung von Minderheitsbeteiligungen letztlich zur Aushebelung des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG bisheriger Fassung führen. Ungeachtet dessen ist ein Verfahren vor dem BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des vollständigen Verlustwegfalls im Fall eines Wechsels der Mehrheit an einer Kapitalgesellschaft anhängig.10 Der Ausgang dieses Verfahrens bleibt noch abzuwarten.

9 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1289 = FR 2017, 577. 10 2 BvL 19/17 aufgrund eines Vorlagebeschlusses des FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, EFG 2017, 1906 = FR 2017, 1134.

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bb) Ausgleichszahlung in der Organschaft (§ 14 Abs. 2 KStG – neu) Der BFH bestätigte mit Urteil vom 10.5.201711 seine Rspr., wonach die Vereinbarung einer variablen Ausgleichszahlung an einen außenstehenden Gesellschafter einer Organgesellschaft der Anerkennung einer steuerlichen Organschaft entgegensteht. Die Finanzverwaltung vertrat hingegen die Auffassung, dass es unschädlich sei, wenn neben einem festen Ausgleichsbetrag nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG ein zusätzlicher variabler Zahlungsbestandteil hinzukomme.12 Mit einem neuen § 14 Abs. 2 KStG will der Gesetzgeber nunmehr die bisherige Rspr. beseitigen, indem er es erlaubt, dass eine variable Ausgleichszahlung neben einer festen vereinbart wird. Die variable Ausgleichszahlung darf nur so hoch bemessen sein, dass sie zusammen mit dem festen Zahlungsbestandteil dem Gewinnanteil des außenstehenden Gesellschafters entspricht, den er ohne die Organschaft zu beanspruchen hätte. Hintergrund dieser Regelung sind Gestaltungen, die im öffentlichen Bereich anzutreffen sind, in denen zwischen Versorgungsgesellschaften und Betrieben gewerblicher Art Organschaftsverhältnisse bestehen und private Unternehmen (zumeist örtliche Versorgungsunternehmen) Minderheitsgesellschafter der Organgesellschaft sind, die aber aufgrund ihres Engagements eine disquotale Gewinnausschüttung zu beanspruchen hätten, bestünde die Organschaft nicht. Diese Besonderheit bei der Finanzierung hoheitlich beherrschter Gesellschaften durch Beteiligung privater Dritter will der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 14 Abs. 2 KStG „retten“. § 14 Abs. 2 KStG ist noch um eine Bestimmung erweitert worden, wie mit den Fällen umzugehen ist, in denen der Steuerpflichtige sich nach der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung richtete. Da die Auffassung der Finanzverwaltung von der jetzigen gesetzlichen Regelung abweicht, weil sie die jetzt vom Gesetz gezogene Obergrenze nicht kannte, soll den Steuerpflichtigen eine Übergangsmöglichkeit bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2021 eingeräumt werden. Halten die Parteien des GAV es für sinnvoll, den Vertrag zu beenden, soll der Beendigungsgrund ein außerordentlicher i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG und damit gerechtfertigt sein. Passen die Parteien den GAV an die nunmehr geltende gesetzliche Regelung an, so gilt dieser angepasste Vertrag nicht als Neuabschluss eines GAV, sondern als die Fortsetzung des bisherigen.

11 BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15, FR 2018, 844. 12 BMF v. 20.4.2010 – IV C 2 - S 2770/08/10006 – DOK 2010/0216002, BStBl. I 2010, 372 = FR 2010, 490.

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e) Sonstige Bestimmungen Weiterhin werden in dem Gesetz Regelungen zur Umsetzung von Entscheidungen des EuGH und des BFH eingefügt sowie notwendige fachliche Gesetzesanpassungen wie z.B. Folgeänderungen zum Investmentsteuerreformgesetz in Gestalt von Teilfreistellungen nach dem InvStG und der Organschaft (§ 15 KStG), um rechtsformabhängige Steuerbefreiungen nach Art. 3 des Investmentsteuergesetzes (Spezial-Investmentfonds) in die Systematik der Bruttomethode des § 15 KStG einzubetten.

3. Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus Die Bundesregierung unternimmt eine Wohnraumoffensive, um angesichts der derzeitigen Marktlage vor allem in Ballungszentren mit ihren steigenden Mieten bezahlbaren Mietraum für Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen zu schaffen, indem das Angebot an Mietraum erhöht wird.13 In einem neuen § 7b EStG soll zu diesem Zweck eine zeitlich begrenzte Sonderabschreibung eingeführt werden mit folgenden Eckpunkten: –

Baumaßnahme aufgrund eines nach dem 31.8.2018 und vor dem 1.1.2022 gestellten Bauantrags,



Schaffung neuen, bisher nicht vorhandenen Wohnraums in einem Gebäude,



Anschaffungs- oder Herstellungskosten überschreiten nicht 3000 Euro je m2.



Wohnung dient im Jahr der Anschaffung bzw. Herstellung und den folgenden neun Jahren Wohnzwecken.

13 Eine weitere nicht steuerliche Maßnahme besteht in der bereits erfolgten Einführung des Baukindergelds für Familien mit einem zu versteuernde Einkommen bis 75 000 Euro zzgl. eines Freibetrags von 15 000 Euro je Kind. Das gewährte Baukindergeld beträgt dann 1200 Euro je Kind über einen Zeitraum von zehn Jahren. Zuständig für die Durchführung dieser Maßnahme ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Des Weiteren ist die Einführung einer Grundsteuer C geplant, die den Gemeinden ermöglichen soll, für unbebaute Grundstücke eine erhöhte Grundsteuer zu verlangen, um dadurch die Neigung der Eigentümer, ihre Grundstücke für eine Wohnbebauung zur Verfügung zu stellen, zu erhöhen. Die Einführung der Grundsteuer C soll Teil der Neuregelung zur Grundsteuer werden.

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Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist folgende Rechtsfolge vorgesehen: –

Sonderabschreibung in Bezug auf die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten für die og. förderungsfähige Wohnung für eine Bemessungsgrundlage von maximal 2000 Euro/m2,



Sonder-AfA für das Jahr der Anschaffung bzw. Herstellung und die folgenden drei Jahre jeweils iHv. bis zu 5 % (Wahlrecht). Damit sind zusammen mit der Normal-AfA insgesamt jährlich bis zu 7 % abschreibungsfähig.

Kritisiert wird diese Regelung von der Wohnungsbauwirtschaft insbes. wegen der aus beihilferechtlichen Gründen vorgesehenen de-minimisReglung, weil dadurch ihnen der Zugang zur Sonder-AfA verwehrt werde. Die Bundesregierung hatte sich für die de-minimis-Regelung entschieden, weil sie ermöglicht, die Norm sofort in Kraft treten zu lassen. Ansonsten wäre ein länger dauerndes Notifizierungsverfahren erforderlich geworden. Im Referentenentwurf war noch der Ausschluss der Sonder-AfA vorgesehen, wenn noch anderweitige öffentliche Mittel parallel in Anspruch genommen werden. Hiergegen hatten sich die Wohnungsbauministerien der Länder erfolgreich zur Wehr gesetzt, weil anderenfalls der soziale Wohnungsbau nur noch eine untergeordnete Rolle gespielt hätte. Diese Gesetzesmaßnahme kostet rd. 10 Mrd. Euro p.a. für alle Gebietskörperschaften zusammen. Der Abschluss des Gesetzesvorhabens war am 14.12.2018 vorgesehen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung diesen Punkt jedoch von der Tagesordnung genommen, weil sich erheblicher Widerstand gegen diese Regelung erhoben hat. Sie sei nicht auskömmlich, um den Gesetzeszweck zu erreichen, viel zu bürokratisch und schwer zu administrieren. Nun bleibt abzuwarten, ob der Bundesrat im kommenden Jahr zustimmen wird. Eine inhaltliche Änderung der Norm ist in diesem Verfahrensstadium nicht mehr möglich.

III. Künftige Gesetzesvorhaben ab 2019 1. Anzeigepflichten von Steuergestaltungen a) Grenzüberschreitende Steuergestaltungen Die OECD-Empfehlungen zu BEPS sehen in Aktionspunkt 12 die Einführung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen vor, die zB bereits in Großbritannien, Irland, USA und Kanada existiert. Auch in Deutsch129

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land ist der Ruf laut geworden, eine Pflicht zur Anzeige von Steuergestaltungen in die AO zu implementieren, auch wenn ein entsprechender Vorstoß schon einmal im Jahr 2008 gescheitert war. Die Europäische Kommission hat die Anregung der OECD aufgegriffen und hierzu am 21.6.2017 einen Richtlinienvorschlag14 entwickelt, der schließlich mit der Richtlinie vom 25.5.2018 umgesetzt worden ist.15 Die Richtlinie sieht im Wesentlichen Folgendes vor: –

Die Richtlinie betrifft nahezu alle Steuerarten. Sie gilt lediglich nicht für die harmonisierten Steuern wie USt., Verbrauchsteuern und die Zölle.16



Anbieter oder Nutzer von grenzüberschreitenden Steuergestaltungsmodellen sollen verpflichtet werden, diese ihren nationalen Steuerbehörden zu offenbaren. Anzeigepflichtig sind in erster Linie die sog. Intermediäre. Darunter versteht man vor allem in einem Mitgliedstaat der EU ansässige Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer uÄ, die sich mit der Vermarktung oder Organisation eines grenzüberschreitenden Gestaltungsmodells befassen. Ist ein solcher Intermediär in der EU nicht vorhanden, weil er zB seinen Geschäftssitz in einem Drittstaat hat, geht die Meldepflicht auf den Nutzer, also den Stpfl. selbst, über.



Ob ein Gestaltungsmodell meldepflichtig ist, bestimmt sich nach einer Reihe von Kriterien, die in dem Anhang IV zu der Richtlinie (Kennzeichen, „hallmarks“) niedergelegt sind. Hierbei unterscheidet der Richtliniengeber solche Merkmale, bei denen zusätzlich ein Mainbenefit-Test (Steuerersparnis als Hauptvorteil) durchgeführt werden muss, von solchen, bei denen ein Main-benefit-Test nicht sachgerecht erscheint.



Inhalt der Meldepflicht sind das Modell selbst, die Art der Nutzer, das Steueroptimierungspotenzial und die betroffenen Mitgliedstaa-

14 „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modell“, COM(2017) 335 final. 15 Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Umsetzung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. EU L 139/1 v. 5.6.2018. 16 Ferner nicht für Sozialabgaben.

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ten. Rein nationale Steuergestaltungsmodelle werden von der Meldepflicht nicht erfasst. –

Die Meldefrist beträgt 30 Kalendertage und bemisst sich ab dem Tag, an dem die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird oder nach dem die meldepflichtige Gestaltung für den Nutzer umsetzungsbereit ist oder wenn durch den Nutzer der erste Schritt zur Umsetzung der Gestaltung gemacht wird.

Die Richtlinie der EU-Kommission sieht eine veranlagungsbegleitende Komponente vor, so dass gewollt ist, dass die gemeldete Gestaltung kritisch während des Besteuerungsverfahrens des Stpfl., der sie anwendet, gewürdigt wird. Die Richtlinie nimmt auch Rücksicht darauf, dass eine zwischen Berater und Mandanten bestehende Vertrauensbeziehung gefährdet werden könnte. In der Richtlinie ist vorgesehen, dass zur Wahrung dieses Verhältnisses dann der beratene Stpfl. selbst die entsprechende Auskunft zu geben hat. Hieraus wurde verbreitet schon gefolgert, dass es in Deutschland überhaupt keine Mitteilungspflicht von Steuerberatern ua. geben könne. Die Richtlinie sieht keine Verpflichtung zur Mitteilung von Modellen mit rein nationaler Bedeutung vor. In Deutschland wurde der Vorstoß politisch begrüßt, so dass die Richtlinie letztlich verabschiedet werden konnte. Die Richtlinie wurde am 5.6.2018 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und trat damit gem. Art. 3 der Richtlinie am 25.6.2018 in Kraft. Anwendbar ist die Richtlinie ab dem 1.7.2020. Die Richtlinie muss noch in das jeweilige nationale Recht umgesetzt werden. Hierfür haben die Mitgliedstaaten bis zum 31.12.2019 Zeit. In das nationale Recht sollen die Richtlinienbestimmungen durch eine entsprechende Regelung in der AO umgesetzt werden. Nach den bisherigen Plänen soll in einem neuen § 138d AO die Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen kodifiziert werden. Der § 138e AO – neu – nimmt die Kennzeichen aus der Anlage IV der EU-Richtlinie auf und übernimmt sie damit in das Gesetz. Ein § 138f AO – neu – regelt das Meldeverfahren im Detail. Wird die Anzeigepflicht verletzt, ist dieses Vergehen mit einem Bußgeld bewehrt. Die Missachtung dieser Pflicht soll als ein Steuergefährdungstatbestand (§ 379 AO) normiert werden, der ein Bußgeld von bis zu 25 000 Euro vorsieht.

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b) Nationale Anzeigepflichten Die Richtlinie sieht – wie bereits ausgeführt – keine Verpflichtung zur Mitteilung von Modellen mit rein nationaler Bedeutung vor. Die Finanzministerkonferenz der Bundesländer (FMK) hat am 9.11.2017 daher beschlossen, die Möglichkeit einer Mitteilungspflicht für inländische Gestaltungen in einer Arbeitsgruppe prüfen zu lassen. An der Erforderlichkeit einer nationalen Anzeigepflicht scheiden sich jedoch die Geister. ME. ist der Ansatz der EU-Kommission sinnvoll, weil bei grenzüberschreitenden Tatbeständen die Wirkungsweisen verschiedener Rechtssysteme mehrerer Staaten miteinander kombiniert und genutzt werden. Die Einzelheiten des jeweils ausländischen Rechtssystems sind nicht in den Einzelheiten bekannt, so dass aus diesem Grund eine frühzeitige Information zu solchen Gestaltungsoptionen von besonderem Interesse ist. Dieser aus meiner Sicht tragende Gesichtspunkt fehlt bei rein inländischen Gestaltungsplänen. Der deutsche Fiskus hat durchaus eine Fülle gesetzlicher Erkenntnismöglichkeiten, um vorgenommene Gestaltungen, die nicht vorab Gegenstand eines verbindlichen Auskunftsverfahrens gewesen waren, zu entdecken und rechtlich einzuordnen. Gleichwohl hat die FMK, nachdem ihr der Gesetzentwurf der Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein für eine nationale Anzeigepflicht vorgelegt wurde, diese mehrheitlich begrüßt und das BMF aufgefordert, eine entsprechende Gesetzesinitiative vorzunehmen. Das BMF ist dem Wunsch gefolgt und erarbeitet zusammen mit einer Reihe von Ländern auch eine nationale Anzeigepflicht. Die auf rein nationale Gestaltungsvorgänge bezogene Anzeigepflicht wird sich voraussichtlich an die Regelungs- und Mitteilungstechnik, die für international wirkende Gestaltungsmodelle normiert wird, anlehnen. Interessant dürfte es sein, wie dem Gesetzgeber die gesetzliche Formulierung der Merkmale für das Vorliegen eines Gestaltungsmodells gelingen wird. Es ist zu vermuten, dass er sich auch dabei an die Regelungstechnik der EU-Richtlinie anlehnen dürfte und dass er dabei die Besonderheiten, die gerade bei grenzüberschreitenden Gestaltungen häufig anzutreffen sind (zB hybride Gestaltungen, double-dip-Gestaltungen), vernachlässigen wird. Allerdings sind Merkmale („hallmarks“) wie etwa der Vertrieb standardisierter Gestaltungen, die nicht auf die Besonderheiten des jeweiligen Steuerfalls zugeschnitten sind, auch bei rein national wirkenden Steuergestaltungen denkbar. Weiterhin bleibt abzuwarten, ob die Bundesregierung auch einen Main-benefit-Test aus der Richtlinienregelung übernehmen wird, um einen möglichst weitgehenden Gleichklang 132

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zwischen grenzüberschreitenden und rein national wirkenden Gestaltungsmodelle zu erreichen. Unklar ist, ob auch hierbei eine veranlagungsbegleitende Komponente vorgesehen wird. Die Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben hierauf verzichtet und mE zutreffend nur den rechtspolitischen Aspekt der Anzeigepflicht herausgestellt. Wenn man der Auffassung ist, dass die Anzeigepflicht dazu dient, dem Gesetzgeber die Möglichkeit an die Hand zu geben, auf zwar unerwünschte, aber durchaus legale (und damit auch nicht gegen § 42 AO verstoßende) Gestaltungen frühzeitig hingewiesen zu werden, so kann das Interesse allein darin bestehen, die Gelegenheit für ein möglichst rasches gesetzgeberisches Gegensteuern zu erhalten. Damit spielt die Kenntnis, welcher Stpfl. bereits Nutzer dieses Modells ist, keine Rolle. Die von ihm gewählte Gestaltung ist aus Gründen der Vereinbarkeit mit dem gegenwärtigen Gesetz und aufgrund der Verbots der rückwirkenden Gesetzesänderung schutzwürdig. Nur zukünftige Gestaltungen sind bei entsprechender Gesetzesänderung nicht mehr machbar. Konsequenterweise spielen dann auch mandatsbedingte Vertrauensbeziehungen keine Rolle und sollten kein Anlass sein, eine Anzeigepflicht zu verhindern.

2. Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union – BrexitSteuerbegleitgesetz Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (UK) unterrichtete am 29.3.2017 den Europäischen Rat, aus der Europäischen Union austreten zu wollen. Damit löste es das in Art. 50 EUV beschriebene Verfahren aus. Nach Art. 50 Abs. 3 EUV endet die Mitgliedschaft zwei Jahre nach der Mitteilung, also zum 30.3.2019, sofern nicht der Europäische Rat mit UK einstimmig eine Verlängerung der Frist zuvor beschließt. Hiernach sieht es derzeit nicht aus. Alles deutet darauf hin, dass der Brexit, in welcher Form auch immer (weicher oder harter, dh. abkommensloser Brexit), Ende März 2019 stattfinden wird. Der hier zur Diskussion gestellte Gesetzentwurf will zugunsten von Personen steuerliche Nachteile abwenden, wenn die Betroffenen in Deutschland steuerpflichtig sind und wenn allein der Brexit für die Betroffenen steuerliche Nachteile auslöst, weil UK mit dem Austritt den Status eines 133

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Drittstaats erlangt. Solche Nachteile sieht der Gesetzentwurf bislang in den folgenden Sachverhalten: –

Hat ein Stpfl. aus seinem inländischen Betriebsvermögen Wirtschaftsgüter in seine in UK belegene Betriebsstätte überführt, sind die im Zeitpunkt der Überführung vorhandenen stillen Reserven aufzulösen. Die dadurch ausgelöste Besteuerung kann gem. § 4g Abs. 1 EStG vermieden werden, indem in Bezug auf die nämlichen Wirtschaftsgüter steuermindernde Ausgleichsposten in gleicher Betragshöhe wie die aufgelösten stillen Reserven gebildet werden. Verlassen die überführten Wirtschaftsgüter den Raum der Europäischen Union, indem sie in einen Drittstaat wechseln, sind die gebildeten Ausgleichsposten sofort in vollem Umfang gewinnerhöhend nach § 4g Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG aufzulösen. Ein neuer § 4g Abs. 6 EStG soll künftig regeln, dass allein der Austritt des UK aus der EU nicht dazu führt, dass ein als entnommen geltendes Wirtschaftsgut als aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der EU ausgeschieden gilt. Es bleibt dann bei der ratierlichen Besteuerung der stillen Reserven über den in § 4g EStG vorgesehenen Zeitraum von fünf Jahren. Wird das Wirtschaftsgut wieder aus dem UK, das inzwischen Drittstaat geworden ist, in das Inland zurückgeholt, bleibt es bei der in § 4g Abs. 3 EStG hierfür vorgesehenen steuerneutralen Auflösung des Ausgleichspostens.



Hat der Stpfl. im Rahmen eines sog. „Riester-Vertrags“ Kapital gebildet und ist er insoweit steuerlich gefördert worden, erlaubt das Gesetz, dieses angesparte Kapital unschädlich für die Anschaffung bzw. Herstellung einer selbstgenutzten Wohnung zu verwenden. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Wohnung innerhalb der EU bzw. des EWR befindet. Hat der Stpfl. den geförderten Sparbetrag für den Erwerb einer in UK gelegenen Wohnung verwendet, entfällt eine entscheidende Fördervoraussetzung, wenn aus dem UK ein Drittstaat wird, so dass die in Anspruch genommenen Altersvorsorgezulagen bzw. Steuerermäßigungen zurückzuzahlen wären. Ein neuer § 92a Abs. 1 Satz 5 EStG verhindert das, wenn im Zeitpunkt des Austritts des UK aus der EU eine Begünstigung nach § 92a Abs. 1 EStG in Anspruch genommen worden ist. Es ist unschädlich, wenn der Zulagenberechtigte eine Übertragung seines geförderten Kapitals an seinen überlebenden Ehe- oder Lebenspartner im Fall seines Todes vorsieht, sofern beide ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-/EWR-Staat haben.

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An dieser Rechtsfolge soll sich nichts ändern, wenn beide Ehe-/ Lebenspartner zuvor in dem UK lebten und dieses nunmehr zum Drittstaat wird (§ 93 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c EStG neu). Wechselt der Zulagenberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen Staat außerhalb von EU/EWR, verliert er die Zulagenberechtigung gem. § 95 EStG. Diese Rechtsfolge soll für „Altfälle“ vermieden werden. –

Vorgesehen ist auch eine Ergänzung des Umwandlungssteuergesetzes. Das UmwStG ist nur auf Unternehmen oder Rechtsträger anwendbar, wenn sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung innerhalb der EU bzw. des EWR haben (§ 1 Abs. 2 und 4 UmwStG). So ist es zB bisher möglich, dass ein in Deutschland ansässiges Unternehmen seine Betriebsstätte, die einen Teilbetrieb bildet, in eine britische Kapitalgesellschaft erfolgsneutral einbringt. Umgekehrt ist es einem britischen Unternehmen möglich, ebenfalls erfolgsneutral seine deutsche Betriebsstätte zu Buchwerten in eine deutsche Kapitalgesellschaft einzubringen. Sind solche Vorgänge bereits erfolgt, laufen die Beteiligten jetzt Gefahr, dass sie die Siebenjahresfrist in Bezug auf den Einbringungsgewinn I oder II nicht mehr einhalten können, so dass es dann noch zu einer rückwirkenden Versteuerung der Gewinne käme (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG iVm. § 1 Abs. 2 und 4 UmwStG). Wenn das UK zum Drittstaat mutiert, ist die erforderliche Voraussetzung, dass der einbringende Unternehmer bzw. die aufnehmende Gesellschaft den geforderten EU-/EWR-Bezug hat, nicht mehr erfüllt, und die Beteiligten rutschen damit unverschuldet in die Besteuerungsfalle. § 22 Abs. 8 UmwStG – neu – sieht deshalb vor, dass § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 und Abs. 2 Satz 6 UmwStG, die für den Wegfall des erforderlichen EU-/EWR-Bezugs die nachträgliche Besteuerungsfolge vorsehen, in den oben beschriebenen Konstellationen nicht anwendbar sind. Das gilt freilich nur für solche Einbringungs- und Tauschvorgänge, die zeitlich vor dem Brexit liegen. Später erfolgte Einbringungen müssen sich an den dann geltenden Regeln messen lassen.



Gibt ein wesentlich Beteiligter iSd. § 17 EStG seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. seinen Wohnsitz auf und verzieht er in das Ausland, so wurde die Steuer, die durch die Aufdeckung der stillen Reserven entstand, gestundet (§ 6 Abs. 5 AStG). Nach dem Gesetzeswortlaut ist die Stundung nicht allein deshalb zu widerrufen, weil das UK aus der EU ausscheidet. Die Stundung ist erst in den Fällen des § 6 Abs. 5 135

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Satz 5 AStG zu widerrufen. Die dort genannten Fälle knüpfen an ein weiteres Verhalten des Stpfl. an, das allein mit dem Austritt des UK nicht erfüllt wird. Damit bleibt es grundsätzlich bei der bisherigen Stundungsregelung. –

Verzieht eine Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat, so findet im Inland eine Liquidation gem. § 11 KStG statt. Hiervon wird gem. § 12 Abs. 3 KStG abgesehen, wenn die Kapitalgesellschaft in einen Staat der EU und des EWR wegzieht. Hatte bereits ein Wechsel der Kapitalgesellschaft in das UK stattgefunden, galten die og. Regeln, so dass eine sofortige Besteuerung nicht infrage kam. Hieran ändert sich nachträglich aufgrund des Ausscheidens des UK aus der EU und des Wechsels in den Status eines Drittstaates nichts.

Sonstiges: –

Nach § 1 Abs. 2a Satz 2 UStG gilt die Isle of Man als Gebiet des UK. Dies wird mit dem Brexit gegenstandslos, so dass diese Regelung überflüssig wird.



Sind Darlehen ausgebracht worden, die durch im UK liegende Grundstücke durch Grundpfandrechte gesichert sind, haben diese Darlehen Auswirkungen auf den Deckungsbestand inländischer Pfandbriefbanken sowie Bausparkassen. Auch hier soll ein gesetzlicher Bestandsschutz zugunsten von Altdarlehen gelten. Diese Regelungen sind nicht steuerlicher Art.

Das Brexit-Steuerbegleitgesetz ist anwendbar ab dem 29.3.2019, und zwar gleichgültig, ob es zu einem geregelten (weichen) oder ungeregelten (harten) Brexit kommen sollte. Es ist nur dann gegenstandslos, wenn der Brexit – was nach der Berichtslage unwahrscheinlich ist – ausbleibt. Hiervon zu trennen ist der Entwurf eines Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Übergangsgesetz).17 Dieses Gesetz geht von einer weichen geordnete Lösung aus und bestimmt, dass dann das gesamte innerstaatliche Recht mit Bezug auf die EU unverändert im Verhältnis zum UK anzuwenden ist. Kommt es zu einem harten Brexit, ist dieses Gesetz ohne Bedeutung.

17 BT-Drucks. 19/5313.

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3. Reform der Grundsteuer Das BVerfG hat mit Urteil vom 10.4.201818 entschieden, dass einige Regelungen des Bewertungsgesetzes verfassungswidrig sind, soweit sie die Bewertung bebauter Grundstücke außerhalb des Bereichs der Landund Forstwirtschaft und außerhalb der neuen Bundesländer betreffen. Nach der Entscheidung des BVerfG gilt das alte Recht weiter bis zum 31.12.2019. Hat der Gesetzgeber bis dahin eine neue Regelung geschaffen, wird ihm eine weitere Frist von fünf Jahren bis längstens zum 31.12.2024 zur Umsetzung des neuen Rechts eingeräumt. Die Länder hatten bereits ein Reformmodell zusammen mit dem BMF erarbeitet, das für die Fortentwicklung des Grundsteuerrechts tauglich sein könnte. Dieses sog. Kostenwertmodell wurde von den Ländern Hessen und Niedersachsen als Bundesratsinitiative in das Gesetzgebungsverfahren im Herbst 2016 eingebracht. Da dem jedoch die Länder Hamburg und Bayern widersprachen, griff der Bundestag diese Initiative nicht auf, so dass sie der Diskontinuität zum Opfer fiel und nunmehr gegenstandslos ist. Nunmehr ist die Politik aufgerufen, ein verfassungsgemäßes Modell zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für die Grundsteuer zu entwickeln. Das BMF sagte zu, ein solches zu entwickeln und noch in 2018 in das Gesetzgebungsverfahren einbringen zu wollen. Es ist derzeit völlig offen, wie es aussehen soll. Einem Ondit zufolge soll es ein wertabhängiges Modell sein, wobei die Werte sehr pauschal und vereinfachend etwa in der Größe von üblichen Mieten und Mietaufwendungen für vermietete Grundstücke hergeleitet werden könnten. Wie selbst genutzte Grundstücke etwa für gewerbliche Zwecke bewertet werden sollen, ist dabei noch offen. Es sollen im BMF wohl auch wertunabhängige Modelle geprüft werden. Bei diesen Modellarten werden der Grund und Boden in Abhängigkeit von der Fläche mit einer festen Äquivalenzzahl multipliziert. Die Gebäude werden in der Form erfasst, dass ihre Bruttogeschossfläche (einschl. Wände, Außenmauer, Keller) nutzungsabhängig (Wohngebäude, nicht Wohngebäude) mit unterschiedlichen Äquivalenzzahlen multipliziert werden. Die Äquivalenzzahlen sollen ein bestimmtes Verhältnis zwischen Grundstück und dem Gemeindeaufwand, der nicht durch

18 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 889/12 ua., NJW 2018, 1451.

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Gebühren und Beiträge abgegolten ist, ausdrücken. Wie sie sich jedoch schlüssig ermitteln, ist dem Verfasser nicht bekannt. Unklar ist bei dieser Diskussion, inwieweit auch finanzverteilungspolitische Aspekte eine Rolle spielen. Die Zuwendung zu wertunabhängigen Modellen wird insbes. damit begründet, dass wertbasierte Modelle zu einer erheblichen Umverteilung der Grundsteuerlast führten und dass solche Modelle zur Konsequenz hätten, dass reichere Bundesländer mehr einnähmen als ärmere, was wiederum Auswirkungen im Länderfinanzausgleich zeitigen würde.19 Diese Argumentation befremdet. Wenn eine Umverteilung in der Belastung mit Grundsteuern unter den Grundstückeigentümern unerwünscht sei, müsste man idealerweise beim bisherigen Modell verbleiben. Nun ist dieses aber verfassungswidrig, so dass eine verfassungsgemäße Lösung wohl unvermeidlich mit Belastungsverschiebungen einhergehen wird. Die Konsequenzen für den Länderfinanzausgleich mögen sicherlich interessant sein, sind aber keine verfassungsrechtliche Kategorie für die Findung eines verfassungsgemäßen Modells für die Grundsteuer. Auch Steuerungswirkungen werden angeführt, die man mit einer reinen Bodensteuer erreichen könne, weil dann im Vergleich zu bebauten Grundstücken die Belastung unbebauter Grundstücke relativ gesehen steigen würde, was einen Anreiz darstelle, das Grundstück nicht mehr unbebaut zu lassen. Ganz abgesehen von ökologischen Gesichtspunkten, die eine weitere Flächenversiegelung für Teufelszeug halten, stellt sich ernsthaft die Frage, wie man auf diese Weise den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden will. Weiterhin sollte bedacht werden, dass die Grundsteuer zwar nahezu jeden Bundesbürger (als Eigentümer oder Mieter/Pächter) betrifft, dass sie aber im Vergleich zu sonstigen Belastungen eher einen Bagatellcharakter hat, so dass eine ernsthafte Lenkungswirkung bezweifelt werden muss. Befürchtet wird auch, dass die Grundsteuer mietpreistreibend sei und dass deshalb der Vorschlag sinnvoll sei, dass im Mietrecht künftig dem Vermieter verboten werden soll, die Grundsteuer als Nebenkosten auf seine Mieter umzuwälzen. Die Verfasser solcher Ideen vergessen, dass der Mietzins im Markt sich aus beiden Komponenten zusammensetzt und dass Mieter bei ihrer Entscheidung die Gesamtkosten sehr wohl im Blick haben. Wenn nun aber sich bestimmte Mietniveaus brutto heraus19 Vgl. Handelsblatt v. 22.10.2018, 12 (Beitrag zur Grundsteuerreform „Die Tücken des Föderalismus“ mit weiteren Hinweisen).

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gebildet haben, dann werden die Vermieter in der Zeit die von ihnen zu tragenden Grundsteuerbeträge in ihrer Kalkulation zur Bemessung des Nettomietzinses einfließen lassen und am Markt auch durchsetzen können, wenn die Nachfrage entsprechend hoch und die Zahlungsbereitschaft der Mieter vorhanden ist. Ein besonderes Problem besteht darin, dass ca. 36 Mio. Grundstückseinheiten in Deutschland neu zu bewerten sein werden. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetzgebungsverfahren erst Ende 2019 abgeschlossen sein wird. Dann bleibt der FinVerw. nur ein Zeitraum von fünf Jahren für die Bewältigung dieser Aufgabe bis zum entscheidenden ersten Hauptfeststellungszeitpunkt auf der Grundlage des neuen Rechts. Um das schaffen zu können, muss das neue Modell schon recht einfach konstruiert sein. um das Administrationsproblem beherrschbar werden zu lassen. Ob darüber hinaus noch Zeit bleibt, die Auswirkungen des Modellwechsels auf den einzelnen Stpfl. oder auf bestimmte Gruppen von Stpfl. (zB Eigenheimbesitzer) prüfen zu können und die geänderte Betroffenheit den Eigentümern der jeweiligen unterschiedlichen Grundstücksarten vermitteln zu können, ist fraglich. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die vorsichtshalber schon die modellunabhängigen Probleme aufarbeitet. Dazu zählen vor allem Probleme der Automation und der Schnittstellen zwischen den Behörden, die über die notwendigen Daten, die für die Bemessung der künftigen Grundsteuer von Bedeutung sind, verfügen. Das Ziel ist es, unbedingt eine grundsteuerfreie Zeit zu vermeiden. Das Grundsteueraufkommen beträgt bundesweit rd. 14 Mrd. Euro.

4. Restanten aus der ATAD-Richtlinie zur Verhinderung hybrider Gestaltungen Weiterhin müssen noch Regelungsinhalte aus der ATAD II-Richtlinie (Anti-Tax-Avoidance-Directive) der EU in das nationale Rechtssystem transferiert und transformiert werden. Dabei geht es im Wesentlichen um die Verhinderung sog. hybrider Finanzierungen, also um solche Gestaltungen, bei denen Zahlungen beim hiesigen Stpfl. als Betriebsausgaben/Werbungskosten anerkannt werden, bei dem Empfänger jedoch überhaupt nicht oder nicht regulär besteuert werden. Auch aus der ATAD I-Richtlinie fehlen noch Regelungen, die in das nationale Recht übernom-

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men werden müssen. Es geht dabei vornehmlich um Verrechnungspreise und um Anrechnungsüberhänge bei der Hinzurechnungsbesteuerung.

IV. Länderinitiativen und Initiativen von dritter Seite 1. Grunderwerbsteuer a) Eindämmung von share-deal Gestaltungen (Nordrhein-Westfalen) Share-deal-Gestaltungen sind solche, bei denen der Grundbesitz in einer Kapitalgesellschaft gehalten wird. Soll das Grundstück verkauft werden, wird nicht dieses unmittelbar, sondern werden die Anteile an der grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft veräußert. Eine Veräußerung einer Beteiligung an einer solchen Gesellschaft von unter 95 % löst keine Grunderwerbsteuer aus (§ 1 Abs. 1a GrEStG). In Zeiten des Anwachsens der Grunderwerbsteuersätze wird bei Großimmobilien mit steigender Beliebtheit eine Share-deal-Konstruktion gewählt. Steuerpolitisch geriet dies in Misskredit und wird vielfach als missbräuchliche Umgehung verstanden, obgleich die Besteuerung des Anteilseignerwechsels eine Erweiterung und nicht eine Einengung des Besteuerungstatbestands darstellt. Gleichwohl stieß die Politik eine Untersuchung an, auf welchem Weg solche unerwünschten Gestaltungen unterbunden werden können. Als Lösungsmöglichkeiten wurden zwei Ansätze diskutiert: Einmal könnte das Heil in der Herabsetzung der kritischen Beteiligungsgrenze gesehen werden. Erwogen wurde eine Absenkung der 95 %-Grenze auf eine 75 %-Grenze. Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Grunderwerbsteuer quotal in Stufen anfallen zu lassen, wenn bestimmte Anteile an der grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft erworben werden. Die Länder haben diese Modelle auf ihre finanzverfassungsrechtliche Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz gutachterlich untersuchen lassen. Das Ergebnis des Gutachtens war ernüchternd. Die Folge wird mE wohl sein, dass der große Wurf nicht gelingt, sondern lediglich punktuelle Maßnahmen (zB Verlängerung der Behaltefristen im Grunderwerbsteuerrecht) denkbar wären. Die Finanzministerkonferenz hat am 21.6.2018 gleichwohl mehrheitlich den Abteilungsleitern/-innen von Bund und Ländern den Auftrag zur Formulierung einer Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 90 % und für ergänzende Maßnahmen, die der Eindämmung der share-deal-Gestaltungen dienen können, erteilt. Dieser Prozess ist derzeit noch nicht abgeschlossen. 140

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b) Freibetrag für Wohnimmobilien (Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und NRW hatten sich für die Einführung eines Freibetrags für natürliche Personen bei Erwerb eines Ein- oder Zweifamilienhauses oder einer Eigentumswohnung stark gemacht. Der Freibetrag soll von dem Kaufpreis für die Immobilie, der Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist, abgezogen werden. Die Landesregierung NRW brachte diesen Vorschlag bereits als Entschließungsantrag am 5.9.2017 in den Bundesrat ein, dessen Beratung in den Ausschüssen noch auf sich warten lässt. Wie die Bundesregierung, die nach dem Inhalt des Koalitionsvertrags dem Vorschlag aufgeschlossen gegenübersteht, sich hierzu letztlich verhält, muss abgewartet werden. Zu den Erfolgschancen dieses Vorstoßen muss man berücksichtigen, dass die FDP-Fraktion des deutschen Bundestags bereits am 17.4.2018 den Gesetzgeber aufgefordert hatte,20 eine entsprechende Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen. Der Finanzausschuss des BT lehnte diesen Antrag mit den Stimmen aller anderen dort vertretenen Parteien jedoch in seiner Sitzung am 13.6.2018 ab. Die SPD-Fraktion verwies die FDP insbes. darauf, dass sie dort, wo sie in den Ländern mitregiere (zB NRW), in erster Linie sich um die Absenkung des Grunderwerbsteuersatzes kümmern solle. Auch hier bleibt die Entwicklung abzuwarten, ob aufgrund der Beratungen in den Ausschüssen des BR eine Änderung der gegenwärtigen politischen Haltung erkennbar wird.

2. Unternehmenssteuerreform a) Antrag des Landes NRW „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – Schritte zu einer modernen wettbewerbsfähigen Unternehmensbesteuerung“ (BR-Drucksache 310/18) Der Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Parteien zeichnet sich dadurch aus, dass er – von einer steuerlichen Förderung von F&E-Aufwendungen einmal abgesehen – steuerliche Erleichterungen für deutsche Unternehmen nicht vorsieht. Die letzte Steuersenkung für die Unternehmen stammt aus dem Jahr 2008, als der Körperschaftsteuersatz auf 15 % abgesenkt wurde und die Belastung der Körperschaften zusammen mit der Gewerbesteuer etwa 30 % erreichte. Inzwischen sind zwei Entwicklungen eingetreten, die für den Wirtschaftsstandort Deutsch20 BT-Drucks. 19/1696.

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land nicht förderlich sind: zum einen ist die Belastung infolge steigender Gewerbesteuerhebesätze doch klar über 30 % angestiegen, zum anderen haben viele Staaten die Steuerbelastung ihrer Unternehmen deutlich unter 30 % abgesenkt oder planen dieses, so dass die Steuersenkung aus dem Jahr 2008 zunehmend verblasst. Dies erkennend hat NRW mit dem og. Antrag einen Vorstoß gemacht, mit dem mit vielen Einzelregelungen versucht wird, die steuerliche Attraktivität von Deutschland für die hier ansässigen Unternehmen zu verbessern oder zumindest zu stabilisieren. Folgende Handlungsfelder wurden ausgemacht, wobei ausdrücklich auf die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes verzichtet wurde. Im Einzelnen: –

Steuerliche Förderung für Forschung und Entwicklung (F&E): dieser Vorschlag knüpft an eine BR-Initiative aus dem Jahr 2016 an, mit der innovative kleine und mittlere Unternehmen mit einer 10 %igen Gutschrift auf die Personalkosten für F&E-Aufwendungen gefördert werden sollten. NRW zeigt sich zudem grundsätzlich bereit, auch Großunternehmen in die Förderung einzubeziehen.



Verbesserte Sofortabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter. Der Vorschlag geht dahin, die Betragsobergrenze von derzeit 800 Euro auf 1000 je Wirtschaftsgut anzuheben und die sog. Poolabschreibung im Gegenzug abzuschaffen.



Anreiz für eine verbesserte Wohnsituation durch Einführung einer linearen Abschreibung von bisher 2 % auf 3 % p.a.



Verbesserung der Thesaurierungsbegünstigung bei Personenunternehmen, die nach § 34a EStG einbehaltene Gewinne ermäßigt mit 28,25 % besteuern können: diese Thesaurierungsbegünstigung leidet an einigen Stellen an Erschwernissen, die den Umgang mit dieser Regelung letztlich nur für sehr wohlhabende Unternehmen sinnvoll erscheinen lassen. Der Thesaurierungssteuersatz hat eine Höhe, die für kleine und mittlere Personengesellschaften nicht attraktiv ist. Ähnliches gilt für nicht abziehbare Betriebsausgaben, so dass zu überlegen ist, ob diese genannten Beträge dem Gewinnteil zugerechnet werden sollten, der ermäßigt besteuert wird. Die Verwendungsreihenfolge in Bezug auf entnommenen Gewinne führt zu hemmenden lock-in-Effekten bezüglich Altrücklagen. Schließlich müssen Umwandlungen einer thesaurierenden Personengesellschaft leichter und ohne die gegenwärtigen steuerlichen Folgen möglich sein.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben



Eine Erleichterung bei der Mindestbesteuerung gem. § 10d Abs. 2 EStG sollte endlich vorsehen, dass Verluste in den Fällen der Umwandlung oder Liquidation nicht untergehen.



Eine Rechtssicherheit bei der steuerlichen Entlastung von Sanierungsgewinnen wird angemahnt. Nachdem nunmehr die Neureglung des § 3a EStG im Grundsatz grünes Licht von der EU-Kommission erhalten hat, ist damit dem Anliegen von NRW Rechnung getragen worden. Nun gilt es, die Reglung „gängig“ zu machen.



Aufforderung zur Schaffung eines Systems, das beim Verlustabzug im Fall des Anteilseignerwechsels (§ 8c KStG) eine größere Rechtssicherheit angesichts der Schwebesituation infolge der noch offenen Entscheidung des BVerfG zu s§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG (Anteilseignerwechsel von mehr als 50 %) einräumt.



Anpassung des § 35 EStG an gestiegene Gewebesteuerhebesätze, um eine sachgerechtere Entlastung der Einkommensteuerpflichtigen zu ermöglichen.



Anpassung gewerbesteuerlicher Regelungen durch Erhöhung des Hinzurechnungsfreibetrags nach § 8 Nr. 1 GewStG von derzeit 100 000 Euro auf 150 000 Euro oder 200 000 Euro, um eine Entlastung kleinerer Gewerbesteuerzahler zu bewirken.



Start-up-Unternehmen könnten gefördert werden, indem immer dann, wenn die Einräumung von Beteiligungen an dem Unternehmen etwa an eigene Arbeitnehmer der Bindung dieses Personenkreises an das Unternehmen dient, die mit diesem geldwerten Vorteil verbundenen (lohn-)steuerlichen Folgen durch Einräumung eines besonderen Freibetrags gemildert werden.



Ferner sieht der Vorschlag von NRW vor, dass das Außensteuerrecht im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung reformiert werden müsse durch folgende Maßnahmen: –

Absenkung der Niedrigsteuerschwelle von derzeit 25 % auf einen realistischen angemessenen Satz (zB 15 %).



Sachgerechte Aktualisierung des Katalogs hinzurechnungspflichtiger Einkünfte, so dass insbes. Dividenden außen vor bleiben.



Berücksichtigung von Überhängen ausländischer anrechnungsfähiger Steuern erforderlichenfalls bei der Gewerbesteuer.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben



In Bezug auf die Umsatzsteuer macht NRW folgende Vorschläge: –

Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft: der Automatismus, nach dem derzeit die Begründung oder Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft bei Vorliegen der gesetzlichen Kriterien eintritt, ist für Stpfl. wie auch den Fiskus gleichermaßen unbefriedigend.



Anpassung der Voraussetzungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugs an die Rspr.: hier gilt es, die Anforderungen an Abrechnungsunterlagen für den Vorsteuerabzug in Übereinstimmung mit der Rspr. des BFH zeitnah und praxisgerecht umzusetzen.



Neugestaltung der Verzinsung von Steuerforderungen-/erstattungen: obgleich ein Leistungsaustausch neutral ist, kann es durch den verweigerten und erst später zugestandenen Vorsteuerabzug zu Zinsbelastungen kommen, die unter Beachtung des Unionsrechts kritisch überprüft werden sollten.

Es finden sich im NRW-Antrag auch einzelne Maßnahmen, die sich zu Lasten der Stpfl. auswirken können, aber gleichwohl sachgerecht erscheinen. Es handelt sich dabei um folgende Vorschläge: –

Bekämpfung von Wettbewerbsnachteilen durch BEPS-Umsetzung: NRW erinnert die Bundesregierung hier an die konsequente Umsetzung der Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie der EU. Hierzu gehören insbes. Regelungen zur Verhinderung doppelter Nichtbesteuerung bei sog. hybriden Gestaltungen.



Ausschluss von „Windfall-Profits“ bei der Umsatzsteuer: Ändert sich die Umsatzsteuer im Nachhinein aufgrund geänderter Rspr. zuungunsten des Unternehmers, besteht vielfach Vertrauensschutz zugunsten des Unternehmers (§ 176 Abs. 1 AO), während der erhöhte Vorsteuerabzugsbetrag nicht versagt wird. NRW ist der Auffassung, dass hier besondere Korrekturvorschriften angebracht sind, die die beiderseitige Berichtigung iS einer gesetzlichen Korrespondenz erlauben.



Wirksame Besteuerung des Internethandels: hier finden sich Forderungen, die die Bundesregierung mit ihren Haftungsbestimmungen in ihrem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer Vorschriften (s.o. zu II.2.) bereits aufgegriffen hat.



Verfahrensrechtliche Absicherung der Wirkungen verbindlicher Auskünfte: mitunter werden Absprachen gerade in Wegzugsfällen getrof-

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

fen, die es den Stpfl. erlauben, wegzuziehen, ohne die stillen Reserven ihres Betriebsvermögens aufdecken und versteuern zu müssen. Infolge geänderter Rspr. erweist sich diese Einschätzung als fehlerhaft, kann aber infolge eingetretener Verjährung nicht mehr geändert werden. Hier wäre mitunter eine Möglichkeit der rückwirkenden Korrektur sachgerecht (vgl. hierzu das Problem des § 50i EStG). Ein am Schluss der Liste befindlicher Vorschlag zur Erhöhung der Rechtssicherheit im Steuerrecht, nämlich die Rückkehr zur Gutachterzuständigkeit des BFH, wird mit großer Nichtbeachtung von der Fachöffentlichkeit bedacht. b) Antrag des Freistaats Bayern zur „steuerlichen Entlastung der deutschen Wirtschaft“ Mit seinem Antrag vom 4.7.201821 verfolgt Bayern eine Entschließung des Bundesrats mit folgenden Anliegen: –

Anpassung in der Hinzurechnungsbesteuerung aufgrund europarechtlicher Vorgaben (vgl. ATAD II-Richtlinie) unter Berücksichtigung der Attraktivität des Standorts Deutschland bei der Festlegung der Niedrigbesteuerungsgrenze im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung.



Einführung von europarechtlichen Regelungen zur Verhinderung von doppelten Nichtbesteuerungen bei hybriden Gestaltungen (vgl. ATAD II-Richtlinie).



Absenkung der Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften durch teilweise Anrechnung der Gewerbesteuer bei der Körperschaftsteuer. Dies führe mittelbar auch zur Abmilderung der ertragsunabhängigen Besteuerungselemente der Gewerbesteuer.



Angleichung der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen für die Einführung eines Mindeststeuersatzes auf EU-Ebene.



Berücksichtigung von kleinen Kapitalgesellschaften bei der ersten Stufe des Abbaus des Solidaritätszuschlags.



Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung.

21 BR-Drucks. 325/18.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

c) Anträge der Landesregierung von Hessen und Bayern BR-Drucksachen zur „Absenkung des gesetzlichen Zinssatzes nach § 238 AO“ In dem Kontext einer nicht gerechtfertigten Belastung der Wirtschaft durch hohe Zinszahlungen für vergangene Jahre nach einer Betriebsprüfung bringt Hessen die Absenkung des gesetzlichen Zinssatzes von 6 % gem. § 238 AO auf 3 % ins Spiel.22 Da diese Maßnahme, die auch von Bayern begrüßt wird, über die Besteuerung von Unternehmen hinausgeht, werden die Einzelheiten hierzu unter VI. dargestellt. d) Vorschläge vom Bundesminister für Wirtschaft Peter Altmaier Jüngst hat der Bundeswirtschaftsminister ebenfalls Vorschläge für eine Unternehmenssteuerreform gemacht und hierzu folgenden 10-PunktePlan vorgelegt:23 –

Vollständiger Abbau des Solidaritätszuschlags,



steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung,



Ausbau der Anrechnungsmöglichkeiten der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer und auch auf die Körperschaftssteuer,



Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für alle Innovationsgüter,



Anzeigepflicht für Steuersparmodelle ohne Ausdehnung der Anzeigepflicht auf nationale Gestaltungen,



Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter mit einem Wert von höchstens 1000 Euro,



Verlustverrechnung bei Anteilseignerwechsel: gänzliche Abschaffung des § 8c Abs. 1 KStG,



verbesserte Besteuerung im Fall einbehaltener Gewinne bei Personengesellschaften,



Reformierung der Hinzurechnungsbesteuerung im Außensteuerrecht,



Absenkung des Zinssatzes von 6 % auf 3 %.

Die Schnittmenge zu den NRW-Vorschlägen ist groß. Abweichungen ergeben sich bei der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer (Vorschlag von Bayern), Verbesserung der Abschreibungsbedingun22 BR-Drucks. 324/18, 396/18 und 397/18. 23 Vgl. Handelsblatt v. 12./13./14.10.2018.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

gen, die mE sich eher in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs anbieten würde, und bei der Halbierung des Zinssatzes von 6 %. In Bezug auf die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre ein entsprechender Vorschlag eines Bundeslandes wohlfeil, da es über eine Steuer entscheidet, die ihm überhaupt nicht zusteht. Aus diesem Grund verzichtete NRW in seiner Initiative auf einen solchen Vorstoß, der für Kapitalgesellschaften zu einer Entlastung von 0,825 % führen würde. Der Vorschlag von Altmaier würde den Bund 23 Mrd. Euro p.a. kosten. Auf § 8c Abs. 1 KStG gänzlich zu verzichten und damit dem Mantelkauf Vorschub zu leisten, verbunden mit einem Steuerausfall von rd. 1 Mrd. Euro p.a., sehen die meisten Länder kritisch. e) Vorschläge von dritter Seite (BDI, IDW) Die Vorschläge der großen Wirtschaftsverbände unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, die bereits vom Bundeswirtschaftsministerium und den Ländern NRW und Bayern gemacht wurden. Insbesondere das IDW schlägt jedoch ein Optionsmodell vor, wonach Personengesellschaften wie Kapitalgesellschaften behandelt werden können. Um ein solches Optionsmodell möglichst reibungsfrei umsetzen zu können, müssen eine Fülle von Einzelheiten zufriedenstellend gelöst werden. Die größten Probleme sind mit den Übergängen in die Besteuerung als Kapitalgesellschaft und wieder zurück aus der Besteuerung als Kapitalgesellschaft verbunden. Insbesondere muss das Sonderbetriebsvermögen bei dem Wechsel des Besteuerungsregimes entweder eingelegt oder entnommen oder in ein anderes Betriebsvermögen überführt werden. Ob solche Vermögensverschiebungen von den Beteiligten gewollt sind, ist die Frage. NRW wird sein Augenmerk auf bekannte Normen wie § 34a EStG richten und eher versuchen, dort zu Verbesserungen zu kommen, als das Wagnis der Einführung eines völlig neuen Systems einzugehen.

3. Steuerliche Vereinfachungen und Entlastungen für die Mitte der Gesellschaft (NRW) Mit dieser BR-Initiative verfolgt NRW ein Bündel von Maßnahmen zur Entlastung der gesellschaftlichen Mitte. Es handelt sich dabei um folgende Vorschläge: –

Entlastung für Familien und Bildung: –

Anhebung des Höchstbetrags von berücksichtigungsfähigen Kinderbetreuungskosten von 4000 Euro auf 6000 Euro p.a., 147

Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

– –





Anhebung des Freibetrags für Sonderbedarf für Kinder in der Ausbildung von 924 Euro auf 1200 Euro,

Entlastung für das Ehrenamt: –

Anhebung der Übungsleiterpauschale von 2400 Euro auf 3000 Euro,



Anhebung der Ehrenamtspauschale von 720 Euro auf 840 Euro,



steuerpflichtige Einnahmegrenze von wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben: Anhebung von 35 000 Euro auf 45 000 Euro.24

Entlastung in den Bereichen Gesundheit und Pflege: –

Förderung der Mitarbeitergesundheit: Anhebung des steuerfreien Betrags von 500 Euro auf 1200 Euro,25



Anhebung des Pflegepauschbetrags von 924 Euro auf 1200 Euro,



Anhebung der Pauschbeträge für behinderte Menschen um 30 %.

Sonstiges: –

Erhöhung der Steuerbefreiung für Belegschaftsrabatte von 1080 Euro auf 1200 Euro p.a.

Die Initiative befindet sich in den Ausschussberatungen des BR, deren Ausgang es abzuwarten gilt.

V. Koalitionsvertrag 1. Abbau des Solidaritätszuschlags Aus dem Solidarpakt II wird in 2021 voraussichtlich die letzte Zahlung von etwa 2 Mrd. Euro an die neuen Bundesländer geleistet werden. Dann ist der Solidarpakt II endgültig ausgelaufen. Spätestens ab 2022 stellt sich die Frage nach der Berechtigung des Solidaritätszuschlags. Angesichts der sinkenden Jahresraten in dem Unterstützungspaket wird die Erhebung des Solidaritätszuschlags immer zweifelhafter, weil die vom Stpfl. vereinnahmten Zahlungen immer größer werden und in den allgemeinen Haushalt des Bundes fließen. Im Koalitionsvertrag wird ver24 Die Anhebung der Grenze war zudem Gegenstand eines Länderantrags; sie wurde am 21.9.2018 im BR zur Einbringung in den BT beschlossen (BR-Drucks. 308/18 [Beschluss]). 25 Vgl. hierzu auch die Änderung des § 3 Nr. 34 EStG durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

sprochen, dass in einem ersten Schritt ab 2021, also im kommenden regulären Wahlkampfjahr, 90 % aller Zahler des Solidaritätszuschlags in einem Umfang von rd. 10 Mrd. Euro entlastet werden sollen. Es wird zwar verschwiegen, welcher Personenkreis genau begünstigt werden soll. Nach eigenen Berechnungen werden es diejenigen sein, die etwa 70 000 Euro als jährliches Einkommen zu versteuern haben (Zusammenveranlagte das Doppelte). Erst im Herbst 2018 äußerte sich die Bundesregierung und kündigte an, dass die maßgebliche Grenze (Freigrenze) bei 61 000 Euro zvE liege26 (Zusammenveranlagte das Doppelte). Zur Vermeidung von Härten soll es noch eine Gleitklausel geben, die bis zu Einkünften ab rd. 70 000 Euro reicht. Jenseits der Reichweite der Gleitklausel würden dann Stpfl. mit einem zvE von etwa 70 000 Euro an uneingeschränkt belastet bleiben. Die Bundeskanzlerin äußerte sich jüngst aufgrund entsprechender Kritik an diesen Vorstellungen in den eigenen Reihen hierzu und teilte mit, dass diese Lösung Teil der Vereinbarung mit dem Koalitionspartner sei, die sie aber nicht inhaltlich teile. Ein Kompromissvorschlag gehe jetzt dahin, aus der Freigrenze einen Freibetrag iHv. 61 000 Euro zu machen.27 Ob dies auch für Körperschaften, für die bislang keinerlei Entlastung vorgesehen ist, entsprechend gelten wird, ist nicht erkennbar und damit offen.

2. Energetische Gebäudesanierung Nach mehreren vergeblichen Anläufen in den Jahren 2012 und 2015 ist dieses Vorhaben von den Koalitionären erneut vereinbart worden. Ob und wann dieses Thema wiederum mit steuerlicher Wirkung aufgegriffen wird, ist offen.

3. Abschaffung Abgeltungsteuer Im Koalitionsvertrag wird die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinserträge genannt. Wörtlich heißt es dort:28 „Die Abgeltungsteuer auf Zinserträge wird mit der Etablierung des automatischen Informationsaustausches abgeschafft“. Eine Abkehr von der Abgeltungsteuer, die sich inzwischen etabliert hat und in Bezug auf steuerliche Belastungen – wenngleich bei Zinseinnah26 Handelsblatt v. 5.11.2018, 4. 27 Handelsblatt v. 5.11.2018, 5. 28 S. 69.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

men mit Vorbehalten – als vertretbar erachtet wird, dürfte zu beträchtlichen Umwälzungen bei der künftigen Besteuerung von Kapitaleinkünften führen. Es stellt sich damit durchaus die Frage, ob ein stabiles Besteuerungssystem, das offenkundig in der Gesellschaft akzeptiert wird, ohne Not aufgegeben werden sollte. In naher Zukunft ist jedoch keine Änderung zu erwarten, da die Abschaffung der Abgeltungsteuer von dem Funktionieren des automatischen Informationsaustauschs in Bezug auf ausländische Kapitaleinkünfte anhängig gemacht wird. Die Einrichtung eines derartigen Informationssystems ist gerade in vollem Gange, dürfte jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Dabei wird der Blick jedoch verengt auf Zinszuflüsse aus ausländischer Quelle. Ein solches Informationssystem müsste letztlich auch im Inland installiert werden. Wann solche Vorbereitungen abgeschlossen sein werden, ist völlig offen, so dass absehbar mit der Abschaffung der Abgeltungsteuer nicht zu rechnen sein dürfte.

VI. Rechtsprechung Als Konsequenz aus der Entscheidung des BFH vom 25.4.201829 in einem Verfahren zum vorläufigen Rechtsschutz, in dem er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von 6 % äußerte, hat das BMF mit Schreiben vom 14.6.201830 die Einzelheiten geregelt, wie mit dieser Sachlage vorerst umzugehen ist. Danach werden alle Zinsbescheide weiterhin auf der Grundlage des geltenden Rechts ergehen, allerdings mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen. Erstattungszinsen werden daher in voller Höhe ausgezahlt. Nachzahlungszinsen müssen auch in vollem Umfang gezahlt werden, es sei denn, der Stpfl. legt Einspruch ein und begehrt die Aussetzung der Vollziehung. Dann wird er den auszusetzenden Zinsbetrag nicht zahlen müssen. In der Verwaltung ist derzeit noch unklar, ob man sich der Auffassung des VIII. Senats des BFH insoweit anschließt, dass die beschriebene Rechtslage bereits für Verzinsungszeiträume ab 1.4.2012 gelten solle, oder ob man die BFH-Entscheidung zum Anlass nehmen sollte, jegliche zeitliche Beschränkungen herauszunehmen.

29 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 414; vgl. auch den inhaltlich ähnlichen Aussetzungsbeschluss des BFH v. 3.9.2018 – VIII B 15/18, FR 2019, 143, allerdings schon für Verzinsungszeiträume ab dem 1.11.2012. 30 BMF v. 14.6.2018 – IV A 3 - S 0465/18/10005-01 – DOK 2018/0482980, BStBl. I 2018, 722 = StEK AO § 233a Nr. 43.

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Inzwischen haben die Landesregierungen von Hessen und Bayern Anträge zur Absenkung des gesetzlichen Zinssatzes gestellt und schlagen dessen Halbierung vor.31 NRW vertritt hierzu eine andere Position und verweist auf die noch anhängigen Verfahren vor dem BVerfG32 zur Höhe des Zinssatzes, deren Ausgang zunächst abzuwarten ist. Sollte man den Anträgen von Hessen und Bayern folgen, geriete man schon jetzt in Bezug auf die Zinssätze in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e und § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG iHv. 5,5 % bzw. 6 % in politischen Zugzwang und müsste sie entsprechend nach unten korrigieren, was mit erheblichen Steuerausfällen verbunden wäre.

VII. Europäische Vorhaben 1. Besteuerung der digitalen Wirtschaft Die EU-Kommission – ursprünglich angestoßen von Frankreich und Deutschland – macht Vorschläge zur Besteuerung von Unternehmen der Digitalwirtschaft. Unter diesen Vorschlägen sind eine Zwischenlösung und eine langfristige Lösung. Die Zwischenlösung sieht eine Abgabe iHv. 3 % auf Umsätze vor, die durch Vermittlungsleistungen auf digitalem Weg, auf digitale Werbeleistungen und Übermittlung gesammelter Nutzerdaten im Inland erzielt werden (nicht jedoch der internetbasierte Handel mit Waren!). Die vorgeschlagene Steuer beschränkt sich auf Unternehmen mit einem Gruppenumsatz von mehr als 750 Mio. Euro weltweit und einem einschlägigen steuerpflichtigen Umsatz von mehr als 30 Mio. Euro innerhalb der EU. Die langfristige Lösung strebt die Schaffung eines neuen steuerlichen Anknüpfungspunkts an: die digitale Betriebsstätte. Ursprung dieser Vorschläge sind die exorbitanten Gewinne großer Unternehmen, die mit Hilfe der Digitalisierung Geschäftsmodelle kreieren, die dank entsprechender internetaffiner Kundschaft derartige Gewinne erzielen lassen. Das Internet ermöglicht, dass das Unternehmen vom Ausland aus gesteuert werden kann, die Kunden des Unternehmens jedoch leicht und mühelos überall auf der Welt erreicht werden können. Herkömmliche Einrichtungen als Betriebsstätten und als Anknüpfungspunkt für Besteuerungsinteressen des jeweiligen Fiskus sind entbehrlich geworden. Durch diese neue Beweglichkeit auf Internetbasis ist es ope31 BR-Drucks. 324/18, 396/18 und 397/18. 32 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17.

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rierenden Unternehmen möglich geworden, ihre Gewinne fernab von den Orten, in denen die Gewinne erwirtschaftet werden, auszuweisen und zu versteuern. Bei den einschlägigen Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple (daher GAFA-Steuer) kam hinzu, dass es mit Hilfe hybrider Gesellschaften mit Sitz in der Karibik gelang, die in Europa erzielten Gewinne letztlich in keinem Staat der EU einer nennenswerten Besteuerung zu unterwerfen. Auch in der Karibik wird eine angemessene Besteuerung nicht stattgefunden haben. Die Neuartigkeit der Geschäftsmodelle mit Hilfe der Digitalisierung verknüpft mit der aggressiven Nutzung hybrider Gestaltungsmöglichkeiten hat zu der Forderung einer angemessenen Besteuerung international agierender Unternehmen in Europa geführt. Doch ist inzwischen eine gewisse Ernüchterung eingetreten: –

Die Nutzung hybrider Gestaltungen, die immer ein Mitwirken von Nationalstaaten voraussetzt (in Europa zB Luxemburg, Irland, Malta), durch US-Gesellschaften ist durch die jüngste US-Steuerreform stark eingeschränkt worden.



Die Idee, dass der Fiskus, in dem das Unternehmen die geistigen Ursachen und die tragende Geschäftsidee verortet, den Löwenanteil des zu versteuernden Gewinns beanspruchen kann, ist Allgemeingut. Wollte man diese aufgeben, führte dies zu erheblichen Nachteilen für den deutschen Fiskus. Da stellt sich die Frage, warum dies für die Entwicklung der maßgeblichen Algorithmen in der Digitalwirtschaft anders sein soll.



Die Steuer, die an die Nutzung der Produkte anknüpft, lehnt sich an das Bestimmungslandprinzip an und hat damit den Charakter einer Umsatzbesteuerung und nicht den einer Ertragsbesteuerung, die dem Ursprungslandprinzip folgt.



Folglich führt eine Zusatzbelastung von 3 % auf den einschlägigen Umsatz zu einer Doppelbelastung, die an sich bei der Bemessung der Gesamtbelastung zu berücksichtigen ist. Mit anderen Worten: Warum soll ein Internetunternehmen mit Sitz in Deutschland, das seine Gewinne uneingeschränkt in Deutschland versteuert, mit dieser zusätzlichen Belastung versehen werden? Wenn hierfür kein sachlicher Grund besteht, dann muss immer eine Vorbelastung mit Ertragsteuern berücksichtigt werden, wobei es wiederum gleichgültig ist, welcher Fiskus sie vereinnahmt.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

NRW schlägt daher erhebliche Einschränkungen in Bezug auf diese Besteuerungsidee vor, die – soweit ersichtlich – die meisten Länder und das BMF wohl noch nicht teilen. Im September war zu hören, dass das BMF von seiner bisherigen Haltung abrücken werde. Von einem Schlingerkurs war schon die Rede. Der Bundesminister der Finanzen Olaf Scholz äußert nunmehr in einem Gastbeitrag33 durchaus von der bisherigen Linie des BMF abweichende Vorstellungen gegenüber der EU-Kommission. Er betont, dass digitalisierte Geschäftsmodelle weiter voranschreiten und sich mit herkömmlichen vermischen. Zutreffend weist er darauf hin, dass grundsätzlich die Staaten das Recht zur Ertragbesteuerung haben, in denen das jeweilige Unternehmen seinen Sitz/seine Geschäftsleitung hat. Eine Besteuerung durch den Staat, in dem das Produkt konsumiert wird, unterliegt dort der Umsatzsteuer. Ein ernsthaftes Problem tritt nur dann auf, wenn der Staat, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, auf eine Besteuerung verzichtet oder wenn diese unangemessen gering ist. Er schlägt deshalb als generelle Lösung einen verbindlichen Mindeststeuersatz vor, der global gilt und den kein Staat unterschreiten darf. Dabei bleibt die Freiheit aller Staaten, einen Steuersatz oberhalb des Mindeststeuersatzes zu wählen, unberührt. Verletzt ein Staat die Übereinkunft und unterschreitet den Mindeststeuersatz, würde dies die anderen Staaten berechtigen, ihre einschlägige Abwehrgesetzgebung gegenüber der abtrünnigen Nation anzuwenden. Auf deutsche Verhältnisse übertragen bedeutet dies, dass in einem solchen Fall zB die Hinzurechnungsbesteuerung greift oder die Lizenzschranke nach § 4j EStG. Derzeit sieht es danach aus, dass die EU-Kommission – getrieben von der gegenwärtigen österreichischen Ratspräsidentschaft und vor allem von Frankreich – den Weg der digitalen Besteuerung trotz der beschriebenen Schwierigkeiten weitergehen wird. Zwar könnte die Einführung von einer zumindest auf OECD-Ebene gefundenen Lösung anhängig gemacht und insoweit hinausgeschoben werden. Eine solche globale Einigung ist allerdings unwahrscheinlich, so dass eine Einführung ggf. ab 2021 nicht unwahrscheinlich ist.34 Es kann auch sein, dass die OECD und die EU-Kommission verstärkt auf die Realisierung ihres endgültigen Lösungsvorschlags hinarbeiten und die Einzelheiten für eine digitale Betriebsstätte als steuerlichen An33 Welt am Sonntag v. 21.10.2018. 34 Handelsblatt v. 5.11.2018, 4 f.

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knüpfungspunkt zügig erarbeiten werden, um die Zwischenlösung zu vermeiden. Bei der angedachten endgültigen Lösung (digitale Betriebsstätte) werden nur bestimmte Unternehmen betroffen sein, die digitale Dienstleistungen in Gestalt von Überlassung digitaler Produkte (Software, upgrades), Vermittlungsleistungen, Internetwerbung, Kommunikationsforen, Verkauf von Nutzerdaten etc. anbieten. Nicht erfasst werden soll der Verkauf von Produkten über das Internet. Das betroffene Unternehmen muss zudem eine hinreichende digitale Präsenz aufweisen, was sich in der Zahl der Nutzer (mehr als 100 000 im Jahr), der geschlossenen Verträge (mehr als 3000) und der erzielten Erträge (mehr als 7 Mio. Euro p.a. in dem jeweiligen Mitgliedstaat) in diesem speziellen Geschäftsbereich niederschlägt.35 Die deutsche Position zu diesen Vorschlägen besteht darin, dass eine rein europäische Lösung abgelehnt wird. Akzeptiert wird allein eine verbindliche Einführung auf OECDEbene.

2. Mehrwertsteuerreform Die EU-Kommission treibt ihr Vorhaben, das Mehrwertsteuersystem auf der Grundlage des Bestimmungslandprinzips umzugestalten, konsequent voran. Außerdem sind erhebliche Liberalisierungen beim Steuersatz (mehrere Steuersätze für die Mitgliedstaaten zur Wahl) und bei der Besteuerung von Kleinunternehmen (erhebliche Anhebung der Größenmerkmale) vorgesehen. Deutschland befürchtet zum einen in Bezug auf die Vielfalt der Steuersätze einen erheblichen Aufwuchs an Bürokratie und zum anderen hinsichtlich der Besteuerung von Kleinunternehmern einen Rückschlag bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Die Ankündigung der Ermöglichung mehrerer unterschiedlich hoher Steuersätze hat Wirkungen insoweit gezeigt, als dass die Politik sich des Themas „ermäßigter Steuersatz“ wieder einmal annehmen möchte und versuchen will, eine systematische Ordnung in das gegenwärtige System zu bringen. Ob dies letztlich politisch gelingt, muss abgewartet werden.

35 Vgl. hierzu Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz v. 21.3.2018, COM(2018) 147 final.

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3. Zusammenarbeit von Frankreich und Deutschland: Gemeinsame (konsolidierte) Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage – G(K)KB Mit Datum vom 19.6.2018 wurde ein gemeinsames Positionspapier Deutschlands und Frankreichs zum GKB-Vorschlag vorgelegt, Danach legten die beiden Länder einen Katalog von Einzelmaßnahmen vor, die innerhalb der EU zur Harmonisierung und Transparenz der Unternehmensbesteuerung beitragen sollen. Der Katalog umfasst folgende grundlegende Vorstellungen: –

Bekenntnis zum Betriebsvermögensvergleich als Gewinnermittlungsmethode,



Verzicht auf jegliche Steueranreize, wie zB für Forschung und Entwicklung, und über Eigenkapitalfinanzierung; dies berührt jedoch nicht Steueranreize außerhalb der Ermittlung der Bemessungsrundlage, etwa über Steuergutschriften,



kein grenzüberschreitender Verlustausgleich,



nationale Gruppenbesteuerungssysteme bleiben vorerst bis zur Verabschiedung einer GKKB-Richtlinie bestehen.

In den wesentlichen Details besteht in Folgendem Einigkeit: –

Abzugsfähigkeit aller Steuern mit Ausnahme der Körperschaftsteuer und ähnliche Steuern und Sonderabgaben wie Bankenabgaben,



Befreiung von Beteiligungsgewinnen außer einem Pauschalabzug von 5 % der steuerfreien Einkünfte,



Angemessene Bewirtungs- und Repräsentationskosten sind iHv. 75 % abziehbar,



Abzugsfähigkeit von Spenden und Zuwendungen an gemeinnützige Einrichtungen,



Abschreibung von Wirtschaftsgütern –

Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter, keine Poolabschreibung,



Abschreibung eines erworbenen Firmenwerts mit ggf. schrittweiser Einführung einer solchen Abschreibungsmöglichkeit in den jeweiligen Mitgliedstaaten,



Berechtigung zur Abschreibung beim wirtschaftlichen Eigentümer, wobei bei Leasingverhältnissen der Leasinggeber stets als wirtschaftlicher Eigentümer gilt, 155

Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben



Rückstellungsbildung mit stärkerem Gewicht auf wirtschaftliche Realitäten als zivilrechtliche Inhalte, Abzinsung bei langfristigen Verbindlichkeiten,



Verlustberücksichtigung: Mindestgewinnbesteuerung, einjähriger Verlustrücktrag, Mantelkaufregelung in Fällen eines qualifizierten Anteilseignerwechsels,



Bekenntnis zu den vorgeschlagenen Bestimmungen zu Sicherungsinstrumenten gem. Art. 26 der GKB-Richtlinie mit partiellen Einschränkungen sowie zu den versicherungstechnischen Rückstellungen, deren Abzugsfähigkeit jedoch gewährleistet werden muss,



Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung im Grundsatz,



Konzept einer Mindestbesteuerung in der EU, Verhinderung von Ausnutzung des Steuersatzgefälles,



Bekenntnis zur Zins- und Lizenzschranke.

VIII. Ausblick Verglichen mit dem eher ruhigen Steuerjahr 2018 dürfte 2019 turbulent werden. Viele Projekte müssen auf den Weg gebracht werden, so dass die Politik die Themen nicht weiter vor sich herschieben kann. Da die Entscheidung zu vielen Einzelfragen noch offen ist und viele Probleme ausgesprochen kontrovers gesehen werden, dürfte der kommende Diskurs auch mit der interessierten Öffentlichkeit recht interessant werden. Warten wir ab, mit welchen Entscheidungen wir es eines Tages zu tun haben werden!

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Anzeigepflicht für Steuergestaltungen Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Ministerialrat Dr. Thomas Eisgruber Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München I. Einführung II. Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen 1. Historie 2. DAC 6 a) Zielsetzung der DAC 6 b) Wesentliche Inhalte der DAC 6 aa) Sachlicher Anwendungsbereich bb) Insbesondere Vorliegen eines speziellen Kennzeichens (Hallmark) cc) Persönliche Meldepflicht dd) Fristen und Inhalt der Anzeige 3. Umsetzung in Deutschland

III. Bestrebungen zur Einführung nationaler Anzeigepflichten 1. Historie 2. Aktueller Stand IV. Anforderungen an die Umsetzung grenzüberschreitender und nationaler Anzeigepflichten 1. Verfassungsrechtliche Probleme der Anzeigepflichten a) Prüfungsmaßstäbe b) Freiheitsgrundrechte c) Sonstige verfassungsrechtliche Bedenken 2. Praktische Probleme der Anzeigepflichten V. Fazit

I. Einführung Das Zusammenspiel von grundsätzlicher Mobilität des Kapitals, von immateriellen Wirtschaftsgütern, technischem Fortschritt (Digitalisierung) und kleineren Ländern, die Arbeitsplätze oder (wenn auch geringes) Steuersubstrat zu Lasten großer Länder durch das Angebot von niedrigen oder Nullertragsteuersätzen schaffen wollten, hat in der Vergangenheit bewirkt, dass wirtschaftlich oftmals unangemessene steuerliche Strukturen geschaffen wurden. Die Folge waren (und sind) Steuerausfälle in den großen Ländern. Pinkernell hat mit seiner Darstellung des Google-Geschäftsmodells 2012 als einer der Ersten diese steuerlichen Wirkungen

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Benz/Eisgruber, Anzeigepflicht für Steuergestaltungen

im deutschsprachigen Raum beschrieben.1 Die Aktionspunkte der G 20 gegen solche Base Erosions und Profit Shiftings (BEPS), die auf langjährigen Vorarbeiten der OECD aufbauen, versuchen seitdem, diese Gestaltungen einzudämmen. Die EU hat bereits 2016 mit dem Anti Tax Avoidance-Maßnahmenpaket Vorgaben zur Umsetzung der BEPS-Aktionspunkte gemacht.2 Neben materiellrechtlichen Steuerregelungen, die in Deutschland immer noch der Umsetzung harren,3 wurde eine länderbezogene Berichterstattung (Country by country-Reporting) vorgeschlagen, die in der Folge in § 138c AO umgesetzt wurde. Nunmehr sollen auch die gleichfalls von der OECD/G 20 vorgeschlagenen Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen eingeführt werden. Diese sollen nach Auffassung des BMF zudem noch um entsprechende Pflichten für rein nationale Gestaltungen ergänzt werden. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der gesetzlichen Ausgestaltung solcher Anzeigepflichten.

II. Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen 1. Historie Das BEPS-Projekt der OECD/G 20 sieht eine Vielzahl von Maßnahmen zur Einschränkung des schädlichen Steuerwettbewerbs zwischen Staaten und gegen die künstliche Verlagerung von Gewinnen mit dem Ziel der Verringerung der Steuerbelastung von multinational agierenden Unternehmen vor. Dabei geht es grundlegend um die Verbesserung der Kohärenz der Besteuerungssysteme (Aktionspunkte 2–4), die Anknüpfung an eine bestimmte Besteuerungssubstanz (Aktionspunkte 5–10) und um die Verbesserung der Transparenz bezüglich der Einkünfte und des Verhaltens von Stpfl. (Aktionspunkte 11–13). Die Einführung von Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen auf europäischer Ebene ist auf Aktionspunkt 12 („Mandatory Disclosure Rules“) des BEPS-Projekts als Maßnahme zur Transparenzverbesserung zurück-

1 Pinkernell, StuW 2012, 368. 2 Vgl. zu dem Maßnahmenpaket Benz/Böhmer, DB 2016, 307; Benz/Böhmer, DB 2016, 2501. 3 Die Umsetzung steht in Deutschland weiterhin aus; das Gesetzgebungsverfahren soll allerdings im Laufe des Frühjahrs 2019 begonnen werden.

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zuführen.4 Der Bericht zu Aktionspunkt 12 stellt die unterschiedlichen Modelle von Anzeigepflichten, die es bislang gibt, dar und möchte dadurch eine Vorlage für Staaten schaffen, die bestrebt sind, Anzeigepflichten einzuführen.5 Auf Druck des Europäischen Parlaments, solche Anzeigepflichten auch innerhalb der EU gesetzlich zu verankern, veröffentlichte die EU Kommission am 21.6.2017 einen Richtlinienentwurf zur Änderung der EUAmtshilfe-Richtlinie.6 Da diese die 6. Änderungsrichtlinie zur EU-Amtshilfe-Richtlinie darstellen würde, wurde sie von Beginn an als DAC 6 bezeichnet.7 Nach zwischenzeitlicher intensiver Diskussion im ECOFIN wurde schließlich am 25.5.2018 eine abgeänderte Fassung verabschiedet, die am 25.6.2018 in Kraft getreten ist.8 In Abschnitt II, der Regelungen zum verpflichtenden automatischen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten enthält, wurde nach Art. 8aa, der die Vorgaben für das Country by country-Reporting enthält, ein neuer Art. 8ab eingeführt.9 In insgesamt 18 Absätzen wird – vergleichbar den Regelungen zum Country by country-Reporting – nicht nur geregelt, wie der automatische Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden der Mitgliedstaaten un4 Siehe detailliert OECD, Mandatory Disclosure Rules, Action 12 – 2015 final report, abrufbar unter http://www.oecd.org/tax/mandatory-disclosure-rules-action12-2015-final-report-9789264241442-en.htm (zuletzt abgerufen am 25.3.2019). 5 Die OECD wertet in diesem Bericht die bereits existierenden Anzeigepflichten, insbes. die in den USA und Großbritannien, aus und versucht, systematische Vorgaben für diejenigen Länder zu machen, die bislang noch keine Anzeigepflichten kennen. Weitere Länder, die bereits ein derartiges System der Anzeigepflichten implementiert haben, sind Irland, Israel, Kanada, Portugal, Südafrika und Südkorea. Vorgeschlagen wird seitens der OECD/G 20, sich für ein Modell zu entscheiden. Wie in dem weiteren Beitrag zu zeigen sein wird, will die EU-Richtlinie alle Modelle in einem eigenen Modell vereinen, was entgegen der ursprünglichen Idee des Aktionspunkts 12 ist. 6 COM(2017) 335 final. 7 Die Bezeichnung kommt von der englischen Bezeichnung der EU-AmtshilfeRichtlinie, nämlich „Directive on Administrative Cooperation“, DAC. 8 Richtlinie (EU) 2018/822 v. 25.5.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. EU 2018, L 139/1 (DAC 6). 9 Die Überschrift des Art. 8ab lautet: „Umfang und Voraussetzungen des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen“. Ursprünglich war vorgesehen, einen neuen Art. 8aaa einzuführen. Aufgrund der geringeren Übersichtlichkeit wurde die gefundene Regelung jetzt jedoch in einen Art. 8ab eingefügt.

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tereinander zu erfolgen hat, sondern auch, wie die steuerlichen Gestaltungen überhaupt den Finanzbehörden erstmalig zu melden sind, also Vorgaben für das rein innerstaatliche Recht. Um das Funktionieren des Binnenmarkts überwachen zu können, soll zudem der EU Kommission grundsätzlich Zugang zu den gemeldeten Informationen gewährt werden.10 Ergänzt wird Art. 8ab durch einen neuen Anhang IV zu der EUAmtshilfe-Richtlinie, der die sog. „Hallmarks“ (Kennzeichen) enthält, deren Vorliegen Voraussetzung einer Anzeigepflicht ist.11 Die nationale Umsetzung der DAC 6 hat spätestens bis zum 31.12.2019 zu erfolgen, wobei die nationalen Vorschriften sodann ab dem 1.7.2020 anzuwenden sind. Unmittelbar oder mittelbar von der Meldepflicht Betroffene sind allerdings bereits während einer Übergangsphase gehalten, Dispositionen zu treffen, da eine Verpflichtung zur Nachmeldung von Gestaltungen, deren erster Schritt zwischen dem Tag des Inkrafttretens der Richtlinie und dem 1.7.2020 umgesetzt wurde, besteht.

2. DAC 6 a) Zielsetzung der DAC 6 Entsprechend den Ausführungen des EU-Rats ist das oberste Ziel der Richtlinie die Gewährleistung des Funktionierens des Binnenmarkts.12 Daraus leitet der europäische Gesetzgeber seine Richtlinienkompetenz gem. Art. 115 AEUV unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips aus Art. 5 Abs. 2 EUV her. Dies wurde bereits bei Veröffentlichung des Richtlinienentwurfs kritisiert.13 Diese Kritik mag insoweit begründet 10 Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 11 Auch insoweit folgt dies dem Vorbild des Country by country-Reporting, in dem Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung in Anhang II enthalten sind, und Anhang III das Musterformular für den länderbezogenen Bericht enthält. 12 Erwägungsgründe 10 und 19 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 13 Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zum Vorschlag für eine Änderungsrichtlinie bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle – COM (2017) 335 final –, abrufbar unter https://www.bstbk.de/de/ presse/stellungnahmen/archiv/20170829_stellungnahme_bstbk/index.html (zuletzt abgerufen am 25.3.2019); Stellungnahme Nr. 39/2017 der Bundesrechtsanwaltskammer – Zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/ EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle vom 21. Juni 2016 COM(2017) 335 final, abrufbar unter https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/

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sein, als der primäre Zweck der Anzeigepflichten die Sicherstellung des Steueraufkommens der Mitgliedstaaten ist. Die Regelungskompetenz im Bereich der direkten Steuern würde demnach nicht dem europäischen Gesetzgeber, sondern den Mitgliedstaaten selbst zustehen. Die in der DAC 6 geregelten Anzeigepflichten14 verfolgen umfassende Zwecke:15 Indem die Anzeigen den Finanzverwaltungen zusätzliche Informationen verschaffen, haben diese eine veranlagungsunterstützende Funktion. Zudem soll der Gesetzgeber in die Lage versetzt werden, durch die in der Anzeige mitgeteilten Informationen frühzeitig ungewollte Gestaltungen durch Gesetzesänderungen zu verhindern. Weiterer Zweck ist die Abschreckungswirkung, um Stpfl. und Berater von der Umsetzung respektive Vermarktung von ungewollten Gestaltungen sowie der Nutzung etwaiger Ineffizienzen von Steuersystemen abzuhalten.16 Die Richtlinie sieht ausdrücklich vor, dass die Verletzung der Anzeigepflichten nach nationalem Recht sanktionsbewehrt sein muss. Zur Erreichung der angestrebten Ziele der Anzeigepflichten müssen die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.17 Diese umfassende Zielsetzung steht im Gegensatz zu den Vorgaben des OECD/G 20-Berichts zu Aktionspunkt 12, der vorschlägt, dass Anzeigepflichten entweder nur dem einen oder nur dem anderen Ziel dienen sollen. Da der Stpfl. gerade nicht von einer ausbleibenden Reaktion der Finanzverwaltung darauf schließen können soll, dass die angezeigte Steuergestaltung seitens der Behörde anerkannt oder deren rechtliche Behand-

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stellungnahmen-deutschland/2017/november/stellungnahme-der-brak-2017-39. pdf (zuletzt abgerufen am 25.3.2019), 2 f.; s. auch Fischer/Riedlinger, IWB 2018, 416 (420); Stober, BB 2018, 1559 (1566 f.). Vgl. zB für Zusammenfassungen der Richtlinie Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 549; Schnitger/Brink/Welling, IStR 2018, 513. Vgl. grundsätzlich zu den Zielsetzungen von Anzeigepflichtsystemen: Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle in Deutschland – Hinweise für eine zulässige und zugleich effiziente gesetzliche Regelung, Gutachten des MaxPlanck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen v. 23.9.2016 im Auftrag des BMF, abrufbar unter https://www.tax.mpg.de/fileadmin/TAX/ docs/TL/MA/Gutachten_Anzeigepflichten_MPI.pdf (zuletzt abgerufen am 25.3.2019), 7 ff. Siehe insbes. die Erwägungsgründe 2, 3 und 7 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). Erwägungsgrund 15 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6).

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lung akzeptiert wird,18 verfolgt die DAC 6 zumindest nicht den Zweck der Steigerung der Rechtssicherheit für den Rechtsanwender.19 b) Wesentliche Inhalte der DAC 6 aa) Sachlicher Anwendungsbereich Sachlich erfasst die DAC 6 Steuergestaltungen mit grenzüberschreitendem Bezug, folglich Gestaltungen, die – in näher bestimmter Weise – entweder mehr als einen Mitgliedstaat oder einen Mitgliedstaat und einen Drittstaat betreffen. Erfasst werden gerade keine Steuergestaltungen mit einzig nationalem Bezug. Den Mitgliedstaaten bleibt es entsprechend den Erwägungsgründen zur DAC 6 jedoch unbenommen, Regelungen zu nationalen Anzeigepflichten zu verabschieden.20 Die terminologische Anknüpfung an „Gestaltungen“ eröffnet durch das Fehlen einer Begriffsdefinition einen weiten Anwendungsbereich, und genau dies bezweckt die Richtlinie auch, da nicht durch Ausschlusskriterien von vornherein eine bestimmte Gestaltung nicht meldepflichtig sein soll. Das der Richtlinie zugrunde liegende Konzept ist die umfassende Meldung. Steuergestaltungen sind allerdings nur für bestimmte Steuerarten anzuzeigen, nämlich solche, die in Art. 2 Abs. 1 und 2 der EU-AmtshilfeRichtlinie genannt sind. Dies sind zum einen sämtliche direkten Steuern, bei den indirekten Steuern jedoch nicht die Umsatzsteuer, Zölle, Verbrauchsteuern. Ausgenommen sind Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung. Grenzüberschreitende Steuergestaltungen können neben den Unternehmenssteuern und die Einkommensteuer also auch die Erbschaft- und Schenkungsteuer oder die Grunderwerbsteuer betreffen.21 bb) Insbesondere Vorliegen eines speziellen Kennzeichens (Hallmark) Voraussetzung für die Pflicht zur Anzeige einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung, die sowohl modellhaft als auch einzelfallbezogen sein

18 Erwägungsgrund 2 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 19 Vgl. Schick, DStR 2018, 1583 (1584). 20 Erwägungsgrund 10 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). Beachtet werden sollte in diesem Zusammenhang, dass der automatische Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sich nicht auf solche Informationen erstreckt, die über die Gewinnung von Informationen im Rahmen der Meldepflicht für grenzüberschreitende Anzeigepflichten hinausgeht. 21 Siehe auch Adrian/Heinsen, WPg 2018, 1181 (1183).

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kann,22 ist die Erfüllung eines der im Anhang IV der DAC 6 aufgeführten Kennzeichen (Hallmarks23).24 Der Richtliniengeber hat auf eine positive Definition der Steuergestaltung verzichtet und verwendet eine Regelungstechnik, in der die Hallmarks auf ein potentielles Risiko der Steuervermeidung oder des Steuermissbrauchs hindeuten sollen und dadurch meldepflichtige Gestaltungen indizieren.25 Gestaltungen, die eine dieser Hallmarks erfüllen, sind „potentiell aggressiv“ und müssen angezeigt werden.26 Bei einer Gestaltung kann es sich auch um eine Reihe von Gestaltungen handeln oder eine Gestaltung, die aus mehreren Schritten oder Teilen besteht.27 Die Hallmarks sind in fünf Kategorien geordnet. Unterschieden wird zwischen allgemeinen Kennzeichen (generic hallmarks) der Kategorie A, die auf die äußeren Umstände der Gestaltung abstellen, und spezifischen Kennzeichen (specific hallmarks) der Kategorien B-E, die auf die Erfassung von risikobehafteten Strukturelementen von Gestaltungen abzielen. Zusätzlich bedarf es neben der Erfüllung eines der Kennzeichen in den Kategorien A und B sowie bestimmter Kennzeichen der Kategorie C28, dass 22 Die Unterscheidung zwischen marktfähigen, mithin Steuergestaltungen, die nicht individuell angepasst werden müssen, und einzelfallbezogenen, dh. nicht marktfähigen Gestaltungen, hat keine Auswirkungen auf den sachlichen Anwendungsbereich der DAC 6, sondern in Bezug auf die Ausgestaltung der Meldung in inhaltlicher und zeitlicher bzw. turnusgemäßer Hinsicht. Ursprünglich war überlegt worden, nur sog. Steuergestaltungsmodelle der Anzeigepflicht zu unterwerfen. Im Hinblick auf einen möglichst weiten Anwendungsbereich wurde dieses Ansinnen allerdings wieder fallengelassen. 23 Eine sehr gute Übersicht und Beschreibung der Kennzeichen findet sich bei Ditz/Engelen, DStR 2019, 352 (354 ff.). 24 Die Übersetzer der EU Kommission haben „Hallmarks“ mit „Kennzeichen“ übersetzt. Sprachlich wäre eher der Begriff „Merkmale“ zutreffend gewesen, denn eine Gestaltung weist bestimmte Merkmale, nicht aber Kennzeichen auf. 25 Art. 3 Nr. 19 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 26 Erwägungsgrund 9 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 27 Art. 3 Nr. 18 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 28 Diese sind: Der Empfänger einer grenzüberschreitenden Zahlung ist in einem Staat ansässig, der keine Körperschaftsteuer oder eine Körperschaftsteuer von nahe 0 % erhebt (Anhang IV Teil II.C.1.b.i zur Richtlinie [EU] 2018/822 [DAC 6]), die Zahlung ist bei dem Empfänger von der Steuer befreit (Anhang IV Teil II.C.1.c zur Richtlinie [EU] 2018/822 [DAC 6]) oder die Zahlung kommt in dem Staat, in dem der Empfänger steuerlich ansässig ist, in den Genuss eines präferentiellen Steuerregimes (Anhang IV Teil II.C.1.d zur Richtlinie [EU] 2018/822 [DAC 6]).

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nach dem sog. Main benefit-Test der Hauptvorteil oder zumindest einer der Hauptvorteile der Steuergestaltung, den eine Person vernünftigerweise von der Gestaltung erwarten kann, die Erlangung eines Steuervorteils ist.29 Die Richtlinie enthält keine Beschränkung dahingehend, dass der Steuervorteil in einem Mitgliedstaat der EU anfallen muss, so dass auch Drittstaaten in die Ermittlung eines zu erwartenden Steuervorteils einzubeziehen sind. Unter welchen Voraussetzungen zu ermitteln ist, dass ein steuerlicher Hauptvorteil gegeben ist, insbes. ob nach qualitativen oder quantitativen Gesichtspunkten, regelt die Richtlinie nicht.30 Eines der allgemeinen Kennzeichen der Kategorie A soll im Einzelnen erfüllt sein, wenn die Einhaltung einer Vertraulichkeitsklausel gegenüber anderen Beratern jedweder Art (steuerlich, rechtlich, finanziell, betriebswirtschaftlich oä.) – die Richtlinie bezeichnet diese „Helfer“ des Stpfl. als „Intermediäre“31 – oder gegenüber Steuer- bzw. Finanzbehörden oder eine Vergütung des Intermediärs in Abhängigkeit von dem durch die Gestaltung erlangten Steuervorteil vereinbart wurde (Erfolgshonorar), oder wenn es sich um standardisierte Dokumentationen handelt, die ohne wesentliche Anpassung für mehr als einen Stpfl. verfügbar sind. Während man bei dem zweiten Kennzeichen eine steuerlich aggressive Gestaltung vermuten kann, ist dies bei dem dritten Kennzeichen schon fraglich. Vollends unverständlich ist aber das erste Kriterium: Eine Vertraulichkeitsklausel wird in vielen Ländern stets in Mandatsvereinbarungen geregelt, da der Mandant regelmäßig kein Interesse daran hat, dass seine Daten einem Dritten (zB einem anderen Intermediär) bekannt werden. In Deutschland besteht sogar die Verpflichtung von Rechtsanwälten und Steuerberatern zur beruflichen Verschwiegenheit. Die allgemeinen spezifischen Kennzeichen der Kategorie B umfassen die Nutzung eines Verlustmantels durch künstliche Strukturen, Umwandlung von regulär steuerpflichtigen Einkünften in niedrig besteuerte oder steuerbefreite Einkünfte und zirkuläre Transaktionen bzw. solche Transaktionen, die sich gegenseitig aufheben.

29 Vgl. Anhang IV Teil I zur Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 30 Siehe zu Problembereichen im Rahmen der Ermittlung des maßgeblichen Steuervorteils Duttiné/Partin, BB 2017, 3031 (3034). Auszugehen sei von einem weiten Verständnis der Annahme eines Steuervorteils, Ditz/Engelen, DStR 2019, 352 (354); Eilers/Sommer, ISR 2019, 75 (76). 31 Zur Definition des Intermediärs s. sogleich unter II.2.b)cc).

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Darüber hinaus betrifft die weitere Kategorie C Kennzeichen hinsichtlich der Vorteile aus der Involvierung von zwei Staaten bei grenzüberschreitenden Transaktionen. Vorteile dieser Art sind die mehrfache Abzugsfähigkeit von Zahlungen, in mehreren Staaten vorgenommene Abschreibungen, mehrfache Anträge auf Befreiung von einer Doppelbesteuerung sowie wesentliche Unterschiede hinsichtlich des für einen Vermögenswert anzusetzenden Werts zwischen den beteiligten Hoheitsgebieten. Weiterhin sind neben Kennzeichen in Bezug auf die Aushöhlung des automatischen Informationsaustauschs über Finanzkonten und Gestaltungen mit intransparenten Ketten an rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Eigentümern, so dass es zur Verschleierung des wirtschaftlichen Eigentümers kommt (Kategorie D), solche bezüglich der Verrechnungspreisgestaltung geregelt. Ein Kennzeichen kann bei Gestaltungen unter Nutzung unilateraler Safe Harbour-Regeln, der Übertragung von sog. hard to value intangibles (schwer bewertbare immaterielle Wirtschaftsgüter) und bei bestimmten gruppeninternen Übertragungen von Funktionen, Risiken und/oder Wirtschaftsgütern (Kategorie E) erfüllt sein.32 Die Kennzeichen der Kategorie C–E weisen in der Tat eine sehr starke steuergestalterische Komponente auf, so dass, befürwortet man insgesamt eine Anzeigepflicht, insoweit eine Anzeige gerechtfertigt erscheint. Dies gilt für die Kennzeichen der Kategorie A und B jedoch nicht. Diese können bei jeder Art von gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierung gegeben sein. Zu Recht schränkt daher der Main Benefit-Test die grundsätzliche Anzeigeverpflichtung wieder ein. Der Zweck des Tests scheint damit klar: Die Gestaltung soll nicht aus steuerlichen Gründen durchgeführt werden, sondern es muss ein wirtschaftlicher (außersteuerlicher) Grund für die Gestaltung gegeben sein. Liest man die Stelle im Anhang allerdings unbefangen, kann sich auch Folgendes ergeben: Ein Unternehmen will sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen gesellschaftsrechtlich umstrukturieren, zB eine Verschmelzung durchführen. Die direkte Durchführung (Gestaltung 1) würde Steuern auslösen. Durch die Zwi32 Hier sollte bedacht werden, dass die Vereinbarung eines Erfolgshonorars berufsrechtlich für Steuerberater (gem. § 9a Abs. 1 Satz 1 StBerG) und Wirtschaftsprüfer (gem. § 55a Abs. 1 Satz 1 WPO) verboten ist. Für Rechtsanwälte gilt, dass die Vereinbarung eines Erfolgshonorars gem. § 49b Abs. 2 BRAO iVm. § 4a RVG nur in sehr engen Grenzen möglich, mithin im Grundsatz unzulässig ist. Eine auf dieses Kennzeichen gestützte Meldepflicht würde zu einer Selbstbelastung des betroffenen Intermediärs führen und damit gegen den sog. Nemo tenetur-Grundsatz verstoßen, s. dazu auch unter IV.1.b.

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schenschaltung von weiteren Schritten lässt sich die Steuer vermeiden (Gestaltung 2). Die Gestaltung 2 wird folglich ausschließlich aus steuerlichen Gründen gewählt. Der Main Benefit-Test wäre folglich erfüllt. Betrachtet man die gesamte Gestaltung, sind wirtschaftliche Gründe gegeben; der Main Benefit-Test wäre daher nicht erfüllt. Gesetzgeberisch wäre daher klarzustellen, ob die gesamte Gestaltung zu betrachten ist und sämtliche Beweggründe für diese Gestaltung in die Prüfung des Main Benefit-Tests einzubeziehen sind. cc) Persönliche Meldepflicht Die Pflicht zur Anzeige der Steuergestaltung trifft primär den Intermediär, dh. gem. Art. 3 Nr. 21 der DAC 6 die Person, die eine anzeigepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung konzipiert, vermarktet, organisiert oder zur Umsetzung bereitstellt oder die die Umsetzung einer solchen Gestaltung verwaltet. Als Intermediär wird ebenso eine Person angesehen, die – unter Berücksichtigung der relevanten Fakten und Umstände und auf der Grundlage der verfügbaren Informationen sowie des einschlägigen Fachwissens und Verständnisses, die für die Erbringung solcher Dienstleistungen erforderlich sind – weiß oder vernünftigerweise wissen müsste, dass sie unmittelbar oder über andere Personen im Hinblick auf die vorgenannten Tätigkeiten Hilfe, Unterstützung oder Beratung geleistet hat. Wenngleich insbes. Rechtsanwälte und Steuerberater als Intermediäre in den Blick gefasst werden, besteht keine Begrenzung der persönlichen Meldepflicht auf bestimmte Berufsgruppen.33 Danach sind zB auch Banken als Finanzintermediäre meldepflichtig.34 Die Person muss in jedem Fall jedoch einen – in der DAC 6 näher konkretisierten – Bezug zu einem Mitgliedstaat aufweisen.35 Danach ist allerdings nicht nur derjenige Intermediär, der die Gestaltung entwickelt hat (idR der steuerliche Berater), sondern auch derjenige, der sie (technisch) umsetzt. Dies kann dann auch ein Rechtsberater sein, der von dem steuerlichen Berater unabhängig ist. Selbst wenn der Rechtsberater keinerlei steuerrechtliches Wissen aufweist bzw. die dort arbeitenden Rechtsanwälte noch nicht einmal verstehen, was die steuerlichen Konsequenzen der Gestaltung sind, die sie gerade umsetzen – was in der Praxis der Normalfall sein dürfte –, fällt die Anzeigepflicht nicht weg. Theoretisch muss sich der Rechtsberater für solche Fälle wappnen und ei33 Vgl. Adrian/Heinsen, WPg. 2018, 1181 (1187). 34 Für weitere Beispiele siehe Bindl/Stadler, RdF 2019, 33 (34). 35 Art. 3 Nr. 21 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6).

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ne eigene steuerliche Analyse durchführen lassen. In der Praxis wird der Rechtsberater verlangen (müssen), dass der steuerliche Berater oder der Stpfl. die Anzeige durchführt und ihm dies auch nachweist. Nur dann dürfte der Rechtsberater einer Geldbuße entgehen. Gemäß Art. 8ab Abs. 9 der DAC 6 haben die Mitgliedstaaten Regelungen zu treffen, dass sämtliche an einer Steuergestaltung beteiligten Intermediäre ihrer Meldepflicht nachkommen. Ist der Intermediär zur mehrfachen Meldung, folglich in verschiedenen Mitgliedstaaten, verpflichtet, ist die Meldung vorrangig in dem Mitgliedstaat vorzunehmen, in dem der Intermediär steuerlich ansässig ist.36 Eine Entlastung eines Intermediärs von der Meldepflicht kann nur erfolgen, wenn dieser nachweist, dass bereits ein anderer Intermediär die zu meldenden Informationen bei den Steuer- bzw. Finanzbehörden vorgelegt hat. Gleiches gilt gem. Art. 8ab Abs. 4 der DAC 6 im Fall der Anzeige in mehreren Mitgliedstaaten, wenn der Nachweis der Meldung bereits in einem anderen Mitgliedstaat gelingt. Vorstehendes findet im Grundsatz auch auf einen zur Meldung verpflichteten Stpfl. Anwendung. Bei mehreren relevanten Stpfl. ist vorrangig der Stpfl. zur Meldung verpflichtet, der die Gestaltung mit dem Intermediär vereinbart hat.37 Der Stpfl. ist lediglich subsidiär zur Anzeige verpflichtet. Als „relevanter Steuerpflichtiger“ iSd. DAC 6 wird gem. Art. 3 Nr. 22 jede Person betrachtet, der eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird, die zur Umsetzung einer meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung bereit ist oder die Person, die den ersten Schritt einer solchen Gestaltung umgesetzt hat. Eine Meldepflicht dieser auch als „Nutzer“ bezeichneten Stpfl. ergibt sich, wenn der Intermediär aufgrund einer beruflichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit keine Anzeige machen darf. Allerdings ist der Intermediär dann verpflichtet, ggf. andere Intermediäre respektive den subsidiär meldepflichtigen Stpfl. über deren Meldepflicht zu informieren. Überdies sind Stpfl. selbst meldepflichtig, wenn an der Steuergestaltung kein Intermediär oder nicht in der von der DAC 6 geforderten Weise beteiligt war. Dies ist beispielsweise bei der Entwicklung von Steuergestaltungen durch Konzernsteuerabteilungen der Fall.38

36 Art. 8ab Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 37 Art. 8ab Abs. 10 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 38 Art. 8ab Abs. 6 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6); Pohl, DStZ 2018, 827 (830).

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dd) Fristen und Inhalt der Anzeige Während die Anzeige von Gestaltungen, deren erster Schritt in der Übergangsphase umgesetzt wurde, bis zum 31.8.2020 zu erfolgen hat,39 sind nach der Übergangsphase Steuergestaltungen gem. Art. 8ab Abs. 1 der DAC 6 innerhalb von 30 Tagen nach dem Tag zu melden, an dem das mitteilungspflichtige Ereignis eingetreten ist.40 Dies ist der Tag, an dem entweder die Gestaltung dem Nutzer zur Umsetzung bereitgestellt wird, die Gestaltung für den Nutzer umsetzungsbereit ist oder der Nutzer den ersten Schritt zur Umsetzung vorgenommen hat. Maßgeblich ist das zuerst eintretende Ereignis. Der Inhalt der Anzeigepflicht des Intermediärs bzw. Stpfl. (Nutzer) ergibt sich mittelbar aus den Anforderungen an die Informationen, die von den nationalen Steuerbehörden im Wege des automatischen Informationsaustauschs den Mitgliedstaaten bereitzustellen sind. Ein erster Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten soll bis zum 31.10.2020 stattfinden. Nach Art. 8ab Abs. 14 der DAC 6 sind umfassende Angaben zu der Person des Intermediärs und des Stpfl. sowie zu der konkreten grenzüberschreitenden Gestaltung zu machen. Nicht nur bei den Hallmarks hat der Richtliniengeber auslegungsbedürftige Begriffe verwendet, sondern durchaus auch bei den zu meldenden Informationen. Beispielsweise soll der „Wert der Gestaltung“ angegeben werden, ohne dass es Anhaltspunkte dahingehend gibt, wie der maßgebliche Wert bestimmt und berechnet werden soll. Diesbezüglich sind für die Rechtsanwendung Konkretisierungen notwendig.41 Die Anzeige ist grundsätzlich in einer der Amtssprachen der EU, ggf. Schlüsselelemente in festgelegter Amtssprache, zu übermitteln.42

3. Umsetzung in Deutschland Zur Umsetzung der Vorgaben der DAC 6 existieren bislang nur ein Diskussionsentwurf des BMF v. 11.9.2018, der den Referatsleitern AO zur

39 Art. 8ab Abs. 12 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6). 40 Diese kurze Zeitspanne der Meldepflicht wird im Hinblick auf die praktische Umsetzung zurecht kritisch gesehen, vgl. Ditz/Engelen, DStR 2019, 352 (359); Eisgruber, FR 2018, 625 (628); Kepp/Schober, BB 2018, 2455 (2462). 41 Vgl. Adrian/Heinsen, WPg. 2018, 1181 (1188); Eilers/Sommer, ISR 2019, 75 (77); Kepp/Schober, BB 2018, 2455 (2460 ff.). 42 Art. 20 Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6).

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Besprechung auf der AO-Sitzung III/2018 übersandt worden war, sowie ein im Nachgang angefertigter Referentenentwurf des BMF v. 30.1.2019. Letzterer sieht eine Ergänzung der AO um die §§ 138d-138i vor. Der Referentenentwurf ist weitgehend eine inhaltsgleiche Umsetzung der DAC 6. Insbesondere wurde auch die Regelungstechnik durch die Anknüpfung an Hallmarks – unter Beibehaltung der Übersetzung als Kennzeichen – nach Vorgabe der Richtlinie umgesetzt. Entsprechend der deutschen Gesetzestechnik wurden die Begriffsdefinitionen nicht vorangestellt, sondern finden sich integrativ in den Einzelregelungen. Rechtsbegriffe wurden terminologisch an das deutsche Recht angepasst und stellenweise konkretisiert. § 138d AO-E übernimmt die Regelungen aus Art. 8ab der DAC 6 sowie die Anknüpfung an den Main benefit-Test des Teils I des Anhangs IV der DAC 6, § 138e AO-E führt die Kennzeichen der Anlage IV Teil II auf und § 138f AO-E schließlich macht Vorgaben, wie die Anzeige technisch gegenüber der Finanzverwaltung zu erfolgen hat. §§ 138g–138i AO-E enthalten Regelungen zur Information der Landesfinanzbehörden, zur Auswertung der Anzeigen sowie die (an sich selbstverständliche) Anordnung der entsprechenden Geltung der Regelungen der AO und der FGO. Das BMF hat in § 138d Abs. 3 Satz 1 AO-E eine Konkretisierung des Begriffs des Steuervorteils vorgenommen. Danach liege ein steuerlicher Vorteil vor, wenn durch die Steuergestaltung Steuern erstattet, Steuervergütungen gewährt, Steueransprüche verringert oder die Entstehung von Steueransprüchen in andere Besteuerungszeiträume oder auf andere Besteuerungszeitpunkte verschoben werden soll. Positiv hervorzuheben ist, dass gesetzlich vorgesehene Steuervorteile im Rahmen des Main-Benefit-Tests nicht berücksichtigt werden sollen, also zB die Nutzung von Steuerfreiheiten gem. § 3 EStG oder § 6a GrEStG bzw. die Fortführung eines Verlustvortrags gem. § 8d KStG. Nicht ausgenommen sind allerdings Steuergestaltungen, die der Steuerverwaltung bereits bekannt sind (wie zB das „Mittelstandsmodell“43) und bezüglich derer der Gesetzgeber offensichtlich keinen Handlungsbedarf in Form einer gesetzlichen Änderung sieht; daher wird man davon ausgehen müssen, dass auch diese Gestaltungen anzuzeigen sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung

43 Eine Unternehmensgruppe mit einer Mitunternehmerschaft als Holdinggesellschaft erhält steuerfreie ausländische Betriebsstätteneinkünfte durch Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft, die organschaftlich mit der HoldingMitunternehmerschaft verbunden wird.

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zu dem BMF-Entwurf soll ein etwaiger Steuervorteil unbeachtlich sein, wenn zwingende kommerzielle Gründe der konkreten Steuergestaltung zugrunde liegen würden. Anzeigepflichtig soll grundsätzlich der Intermediär sein. Während im Diskussionsentwurf noch vorgesehen war, dass die Verpflichtung zur Anzeige auf den Nutzer der Gestaltung, dh. den „relevanten Steuerpflichtigen“ iSd. DAC 6 übergeht, wenn die Anzeige durch den Intermediär „gegen eine gesetzliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit verstoßen“ würde (§ 138d Abs. 6 Satz 3 AO idF des Diskussionsentwurfs), sieht der Referentenentwurf vor, dass die Anzeige in abstrakter Form, dh. ohne Nennung des Namens des Nutzers in jedem Fall durch den Intermediär erfolgen muss (§ 138f Abs. 3 AO-E), während lediglich die Informationen über den Stpfl. durch diesen selbst nachzureichen sind (§ 138f Abs. 4 AO-E).44 Technisch geschieht dies dadurch, dass der Intermediär eine Registriernummer erhält, die er dem Nutzer mitzuteilen hat. Unter Verwendung dieser Registriernummer hat der Nutzer sodann seinen Namen oder seine Firma mitzuteilen. Diese Regelung wäre, würde sie so umgesetzt, für Rechtsanwälte und Steuerberater von großer Bedeutung. War man bisher davon ausgegangen, dass diejenigen, die beruflichen Verschwiegenheitsverpflichtungen45 unterliegen, von den Anzeigepflichten entbunden sind, wäre dies nicht mehr der Fall. Die mit der Übermittlung der anzeigepflichtigen Daten verbundenen Kosten wären dann primär von den Intermediären zu tragen;

44 Die technische Ausgestaltung der Anzeigepflicht zulasten des Intermediärs dürfte sich aus der Regelungstechnik des Gesetzes ergeben. Die Pflichten werden nämlich für grenzüberschreitende und nationale Anzeigepflichten gleich geregelt, indem für die nationalen Anzeigepflichten weitgehend auf die grenzüberschreitenden Meldepflichten verwiesen wird (s. hierzu nachstehend III.2.). Da bei nationalen Anzeigepflichten nur eine abstrakte Anzeige ohne Nennung des Nutzers erfolgen soll, wurde diese abstrakte Anzeigepflicht auch bei den grenzüberschreitenden Anzeigepflichten aufgenommen. Ergänzend muss dann bei den grenzüberschreitenden Anzeigepflichten nur noch der Nutzer seinen Namen oder seine Firma angeben. 45 § 43a Abs. 2 BRAO iVm. § 2 BORA für Rechtsanwälte und § 57 Abs. 1 StBerG iVm. § 5 BOStB für Steuerberater. Gleiches gilt auch für Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 WPO iVm. § 10 BS WP/vBP; vgl. hierzu auch die weiteren Ausführungen unter IV.1. Die beruflichen Verschwiegenheitsverpflichtungen haben aufgrund von § 203 StGB iÜ auch eine strafrechtliche Relevanz.

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ggf. müssen in diesem Fall ergänzende Honorarvereinbarungen zwischen Intermediär und Stpfl. (Nutzer) getroffen werden. § 138f Abs. 6 ff. AO-E enthalten weitere Regelungen, wie Anzeigen durchzuführen sind: Ist kein Intermediär in Deutschland steuerlich ansässig, so muss der Nutzer selbst die Gestaltung anzeigen. Dies gilt dann nicht, wenn der Nutzer nachweisen kann, dass die Gestaltung bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat angezeigt wurde (§ 138f Abs. 6 AO-E). Sind mehrere Nutzer mitteilungspflichtig, ist die Gestaltung selbst von dem Nutzer anzuzeigen, der die vertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Beratungsleistung mit dem Intermediär abgeschlossen hat. Dies wird regelmäßig die Konzernobergesellschaft sein. Diese kann auch die persönlichen Daten der anderen Nutzer gem. § 138f Abs. 4 AO-E mitteilen (zu allem § 138f Abs. 7 AO-E). Hat der Nutzer die Gestaltung selbst konzipiert (ohne Einschaltung von Intermediären), tritt er an die Stelle des Intermediärs und wird anzeigepflichtig (§ 138f Abs. 10 AO-E). Ergänzend sind § 138d Abs. 5 und 6 AO-E zu beachten, die systematisch – ebenso wie § 138d Abs. 4 AO-E – besser in § 138f AO-E Aufnahme finden sollten: Ist eine grenzüberschreitende Gestaltung bereits durch den Intermediär in einem anderen EU Mitgliedstaat angezeigt worden, so muss keine Anzeige mehr in Deutschland erfolgen (§ 138d Abs. 5 AO-E). Sind mehrere Intermediäre vorhanden, so ist ein Intermediär nicht mehr anzeigepflichtig, wenn er nachweisen kann, dass die Gestaltung bereits zuvor durch einen anderen Intermediär angezeigt wurde (§ 138d Abs. 6 AO-E). In der Praxis sollte daher ein koordiniertes Vorgehen gewählt werden, um die Kosten einer doppelten Anzeige zu vermeiden. Die Nichterfüllung der Anzeigepflichten soll nach einem neu einzufügenden § 383a AO-E eine Ordnungswidrigkeit darstellen, die mit einer Geldbuße von bis zu 25 000 Euro geahndet werden kann. Der Referentenentwurf bestimmt das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) als zentrale Stelle.46 Die Anzeigen sind daher nicht gegenüber dem jeweils zuständigen lokalen FA des Intermediärs oder des Stpfl. (Nutzer) abzugeben, sondern einheitlich gegenüber dem BZSt (§ 138f Abs. 1 AO-E). Dieses Amt soll dann auch für die Auswertung der Anzeigen und die Weitergabe der daraus gewonnenen Informationen an das BMF und an die Landesfinanzministerien zuständig sein (§§ 138h und 138g AO-E). Wei-

46 Vgl. § 5 Abs. 5c, 5f, 5g und 43 Finanzverwaltungsgesetz-E.

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terhin soll das EU-Amtshilfegesetz um Vorschriften zur automatischen Übermittlung der erlangten Informationen erweitert werden. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) soll in Deutschland wie bei anderen Informationsaustauschverfahren auch als zentrale Schnittstelle für die erlangten und weiterzugebenden Informationen dienen.47

III. Bestrebungen zur Einführung nationaler Anzeigepflichten 1. Historie Nachdem die Einführung von Anzeigepflichten für nationale Steuergestaltungen im Zuge eines Gesetzesentwurfs des BMF im Jahr 2007 gescheitert war,48 wurden in der Folge des OECD/G 20-Berichts zu Aktionspunkt 12 innerhalb des BMF erneut Überlegungen angestellt, ob und wie man in Deutschland Anzeigepflichten einführen könnte. Dies geschah zeitlich bereits deutlich bevor die EU-Kommission ihre diesbezüglichen Arbeiten aufgenommen hat. In einem ersten Schritt wurde seitens des BMF am 30.7.2015 ein Gutachten zur verfassungsrechtlichen Machbarkeit von Anzeigepflichten in Auftrag gegeben, das in der Folge dann von dem Max Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München, erstellt wurde.49 Nachdem das Gutachten zu dem Schluss kam, dass gesetzliche Anzeigepflichten möglich seien, wurde sodann im September 2016 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Führung von Schleswig-Holstein eingerichtet, die seit November 2017 durch eine länderoffene Arbeitsgruppe auf Ebene der Staatssekretäre ergänzt wird. Am 21.6.2018 fasste die Finanzministerkonferenz auf Vorschlag der Arbeitsgruppen den Beschluss, durch den Bundesrat die Einführung rein nationaler Anzeigepflichten zu verlangen. Diskutiert wurde im Zuge dessen eine Regelung von Anzeigepflichten für nationale und grenzüberschreitende Steuergestaltungen zusammenfassend in einem Gesetz.

47 Vgl. insbes. § 7 EU-AHiG-E. 48 Für eine Zusammenfassung der Kritik an dem Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2007 und mwN Stöber, BB 2018, 1559 (1560). 49 Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle in Deutschland – Hinweise für eine zulässige und zugleich effiziente gesetzliche Regelung, Gutachten des Max Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen v. 23.9.2016 im Auftrag des BMF.

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Dem Beschluss der Finanzministerkonferenz lag ein Gesetzgebungsvorschlag der Arbeitsgruppe zugrunde, in dem die nationalen Anzeigepflichten ebenfalls in einem neuen § 138d AO eigenständig geregelt werden sollten. Die Anzeigepflichten verfolgen einen rechtspolitischen Ansatz und sollen als wesentliches Element die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherstellen. Anders als die DAC 6 sah dieser Gesetzentwurf allerdings nur die Anzeige von modellhaften Steuergestaltungen vor (also zB durch das Aufsetzen von Lizenzierungs-KGs in Gewerbesteueroasen [Monheim bei Düsseldorf, Grünwald bei München]). Der zunächst weit gezogene sachliche Anwendungsbereich sollte durch positive und negative Regelbeispiele konkretisiert werden. Zu melden war danach auch nur die Gestaltung an sich ohne Nennung des Stpfl. selbst. Die Gestaltung sollte dann mit einer Art Registriernummer versehen werden, die der Stpfl. bei Nutzung der Gestaltung in seiner Steuererklärung anzugeben hat.50

2. Aktueller Stand Der Referentenentwurf fasst die Regelungen zur nationalen Anzeigepflicht in einem neuen § 138j AO zusammen. Danach sind alle Steuergestaltungen meldepflichtig, die (i) keine grenzüberschreitende Gestaltung sind, (ii) die eine Steuer vom Einkommen oder Vermögen, die Gewerbesteuer, die Erbschaft- und Schenkungsteuer oder die Grunderwerbsteuer zum Gegenstand haben, (iii) die ein spezielles „nationales“ Kennzeichen erfüllen und (iv) bei denen der Hauptvorteil der Gestaltung ein steuerlicher Vorteil ist (§ 138j Abs. 2 AO-E). Nicht nur in der letztgenannten Übernahme des Main Benefit-Tests51 zeigt sich, dass die nationalen Anzeigepflichten deutlich den grenzüberschreitenden Anzeigepflichten nachgebildet sind. So besteht § 138j AO-E auch weitgehend aus Wiederholungen der Formulierungen der §§ 138d–138f AO-E bzw. der entsprechenden Bezugnahme auf diese Regelungen. Dementsprechend sind die Anzeigen ebenfalls gegenüber dem BZSt zu erstatten und nicht gegenüber dem lokalen FA.

50 Vgl. zum konkreten Inhalt des Gesetzgebungsvorschlags Hamminger, NWB 2018, 2267; ferner die Analyse von Hermenns/Münch, ifst-Schrift 525 (2018), 29 ff.; ua. zu rechtspolitischen Aspekten nationaler Anzeigepflichten Osterloh-Konrad, FR 2018, 621. 51 Die Definition des Main-Benefit-Tests in § 138j Abs. 4 AO-E entspricht weitgehend der Definition in § 138d Abs. 3 AO-E).

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Die „nationalen“ Kennzeichen finden sich in § 138j Abs. 3 AO-E. Die nach bisherigen Verlautbarungen erwartete Beschränkung der nationalen Anzeigepflichten auf modellhafte Gestaltungen findet sich allerdings dort nicht. Vielmehr sollen Kennzeichen einer nationalen anzeigepflichtigen Gestaltung auch der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung52 bzw. eine Erfolgsvergütung oder eine zirkuläre Transaktion sein (vgl. § 138j Abs. 3 Nr. 1 und 4 AO-E). Lediglich die neuen Nr. 2 und 3 des § 138j Abs. 3 AO-E sehen einen Bezug zu einer Art von modellhaften Gestaltungen vor, wenn auf eine standardisierte Dokumentation oder auf die Möglichkeit einer wiederholten Sachverhaltsverwirklichung abgestellt wird. Die in der Gesetzesbegründung angekündigte weitgehende Beschränkung des meldepflichtigen Personenkreises stellt sich als ein weitgehend stumpfes Schwert dar. Nach § 138j Abs. 6 AO-E gilt bereits ein „Konzern“ mit zwei Gesellschaften als meldepflichtig. Damit werden vielleicht Handwerksbetriebe von der Anzeigepflicht befreit, noch nicht einmal aber der kleine oder mittlere Mittelstand.

IV. Anforderungen an die Umsetzung grenzüberschreitender und nationaler Anzeigepflichten 1. Verfassungsrechtliche Probleme der Anzeigepflichten a) Prüfungsmaßstäbe Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Zulässigkeit der neuen Anzeigepflichten ist zwischen den Meldungen hinsichtlich grenzüberschreitender Steuergestaltungen und rein nationaler Steuergestaltungen zu unterscheiden. Während letztere an den Bestimmungen des Grundgesetzes zu messen sind, gilt dies nicht für die grenzüberschreitenden Gestaltungen. Da diese der Umsetzung europarechtlicher Normen (der DAC 6) dienen, gilt für diese der Maßstab der den Grundrechten vergleichbaren Rechte der EU-Grundrechtecharta.53 Nachfolgend wird lediglich auf ei-

52 Zur diesbezügliche Problematik s. bereits vorstehend unter II.2.b)bb). 53 Das BVerfG wird die nationalen Umsetzungsvorschriften bei einer inhaltsgleichen Umsetzung der DAC 6 im Allgemeinen nicht anhand des Grundgesetzes prüfen, vgl. nur BVerfG v. 11.3.2008 – 1 BvR 256/08, DVBl 2008, 569. Stöber, BB 2018, 1559 (1567 ff.) sieht in der Einführung grenzüberschreitender Anzeigepflichten eine Verletzung europäischer Grundfreiheiten und Grundrechte der GRCh, die vor dem EuGH zu rügen wären; vgl. auch Lüdicke/Oppel,

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nen möglichen Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht eingegangen.54 Soweit die EU-Grundrechtecharta vergleichbare Bestimmungen enthält, sollten die Ausführungen dort entsprechend gelten.55 b) Freiheitsgrundrechte Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung mit den Anzeigepflichten ist der Schutz der berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten der Intermediäre sowie die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Vertraulichkeit des Mandatsverhältnisses zu beachten.56 Die Preisgabe von spezifischen Mandanten- und Mandatsinformationen würde diese grundrechtlich geschützte Vertraulichkeit verletzten.57 Der nationale Gesetzgeber ist daher gehalten, von der Ermächtigung des Art. 8ab Abs. 5 der DAC 6 Gebrauch zu machen,58 den primär zur Anzeige verpflichteten Intermediär von dieser Verpflichtung zu entbinden, sofern gesetzliche Verschwiegenheitsverpflichtungen durch die Anzeige verletzt würden. Ausweislich des Referentenentwurfs käme er dieser Verpflichtung nach. Überdies ist der Aspekt des Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG in der Ausprägung als

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IWB 2019, 58 (60). Nach Ansicht von Hey, FR 2018, 633 (634), ist zusätzlich auch noch die EMRK zu prüfen. Siehe hierzu auch die umfangreichen Erwägungen hinsichtlich der Ausgestaltung von Anzeigepflichten im nationalen Steuerrecht in: Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle in Deutschland – Hinweise für eine zulässige und zugleich effiziente gesetzliche Regelung, Gutachten des Max Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen v. 23.9.2016 im Auftrag des BMF, 22 ff. Hey, FR 2018, 633 (634), weist zu Recht darauf hin, dass für die Auslegung der EU-Grundrechtscharta der EuGH zuständig ist und nicht vorherzusehen ist, ob dieser der Argumentation des BVerfG folgen wird. Siehe umfassend zum Aspekt des verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriffs in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG aufgrund der Belastung der Berufsangehörigen der steuerlichen Gestaltungsberatung durch Anzeigepflichten Hey, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer, abrufbar unter https://www.bstbk.de/export/sites/stan dard/de/ressourcen/Dokumente/04_presse/pressemitteilungen_anlagen/2018/ Gutachten_Prof.Hey_Anzeigepflichten_Feb-2018.pdf (zuletzt abgerufen am 25.3.2019), 10 ff. Vgl. Hey, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer, 23 ff.; Stöber, BB 2018, 1559 (1562 f.). Siehe auch Erwägungsgrund 8 der Richtlinie (EU) 2018/822 (DAC 6).

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Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu bedenken. Im Hinblick auf die Datenerhebung durch die individualisierte Anzeige von Steuergestaltungen und aufgrund der umfassenden mitzuteilenden Informationen könnte insoweit ein Verstoß denkbar sein.59 Ungeachtet der spezifischen Erwägungen im Rahmen der Grundrechtsprüfungen sollte den verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Eingriffs in Grundrechte des Stpfl. oder des Intermediärs auf Rechtfertigungsebene nur begegnet werden können, indem ein Verwaltungssystem ausgeprägt wird, das die erhaltenen Informationen sinnvoll verarbeiten kann. Die praktische Umsetzung der Zielrichtungen der Anzeigepflichten steht insbes. dann in Zweifel, wenn die Finanzverwaltung aufgrund der Masse der Anzeigen nicht in der Lage ist, diese in sachgerechter Weise zu würdigen. Zudem sollte kritisch gesehen werden, wenn bereits hinlänglich bekannte Steuergestaltungen abermals und wiederholt gemeldet werden müssten, mithin die Finanzverwaltung bereits Kenntnis über eine Steuergestaltung erlangt hat. Es müssten eindeutige gesetzliche Regelungen geschaffen werden, wonach die Anzeigepflicht für solche bereits bekannten Gestaltungen vollumfänglich entfällt. Im Schrifttum wird zudem vertreten, dass es verfassungsrechtlich geboten sein könnte, wenn der Meldepflichtige durch die Finanzverwaltung über bereits bekannte Steuergestaltungen informiert wird. Dies könnte beispielsweise durch eine stetig aktualisierte Auflistung durch das BMF erfolgen.60 c) Sonstige verfassungsrechtliche Bedenken Die Meldepflicht auch von Gestaltungen, die nach dem 25.6.2018 umgesetzt wurden, dürfte eine unechte Rückwirkung darstellen und daher verfassungsrechtlich zulässig sein.61 Fraglich ist, ob der Bestimmtheitsgrundsatz eine sachliche Begrenzung der Anzeigepflichten, insbes. des Anwendungsbereichs der Hallmarks er-

59 Vgl. Hey, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer, 26 ff. 60 Kepp/Schober, BB 2018, 2455 (2463). 61 AA Eilers/Sommer, ISR 2019, 75 (78 f.). Kritisch Hey, FR 2018, 633 (638). Diese gibt gleichwohl zu bedenken, dass die Rspr. des EuGH zum Vertrauensschutz und zur Rückwirkung, an der die Richtlinie zu messen ist, großzügiger als die des BVerfG sei.

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fordert.62 Der gesetzlich zur Anzeige Verpflichtete muss absehen können, welche Gestaltungen von den Anzeigepflichten erfasst werden. Ein zu weiter Anwendungsbereich der Hallmarks birgt daher die Gefahr, dass nicht nur Gestaltungen angezeigt werden, an deren Offenlegung ein gesteigertes Interesse besteht,63 sondern vielmehr eine allgemeine Anzeigepflicht für jegliche Gestaltungen statuiert würde. Des Weiteren darf es aufgrund des Nemo tenetur-Grundsatzes keine Anzeigepflichten für illegale Gestaltungen geben (auch wenn die DAC 6 dies ausweislich ihrer Präambel so fordert).

2. Praktische Probleme der Anzeigepflichten Da das Nachkommen der Verpflichtung zur Anzeige von Steuergestaltungen nicht nur aus Compliance-Gesichtspunkten relevant ist, sondern auch aufgrund ihrer Sanktionierung, sind Stpfl. und Intermediäre in besonderem Maße dazu angehalten, den Anzeigepflichten nachzukommen. Intermediäre und meldepflichtige Stpfl. werden aus Vorsichtsgründen zu einem „Überreporting“ tendieren, dh. deutlich mehr melden, als sie vielleicht müssten. Dies ist nicht nur in der Sanktionierung einer NichtMeldung, sondern auch in den erheblichen sachlichen Unschärfen zur Abgrenzung zwischen meldepflichtigen und nicht meldepflichtigen Steuergestaltungen begründet.64 Sollten die Meldepflichten tatsächlich auch auf nationale Steuergestaltungen erweitert werden, so ist neben der grundlegenden Frage der Verfassungsmäßigkeit und Sachgerechtigkeit solcher Meldepflichten in Zweifel zu ziehen, inwieweit die Finanzverwaltung den zusätzlichen Informationsfluss überhaupt bewältigen kann. In diesem Zusammenhang

62 Hey, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer allgemeinen Anzeigepflicht für Steuergestaltungen im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer, 31 ff.; Hey, FR 2018, 633 (637 f.); Seer, DB 2018, Heft 16, M 28; s. auch die Ausführungen von Heber, IStR 2017, 559 (561 f.). 63 In Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle in Deutschland – Hinweise für eine zulässige und zugleich effiziente gesetzliche Regelung, Gutachten des Max Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen v. 23.9.2016 im Auftrag des BMF, 94 ff., werden als solche Gestaltungen modellhafte Gestaltungen bezeichnet, die über den Einzelfall hinausgehen, und ggf. besonders innovative Gestaltungen. 64 Zu den überschießenden Tendenzen der sachlichen Ausgestaltung der Richtlinie mit Beispielen auch Ditz/Engelen, DStR 2019, 352 (355 ff.).

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ist der Zweck der Anzeigepflichten kritisch zu sehen, durch die Anzeige dem Gesetzgeber kurzfristige Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, unerwünschten – hingegen nicht illegitimen – Gestaltungen zu begegnen. Denn Beispiele der Vergangenheit wie Goldfinger-Gestaltungen zeigen auf, dass der Finanzverwaltung bekannte Gesetzeslücken nicht zwingend umgehend durch den Gesetzgeber geschlossen werden. Dieser Problembereich eröffnet sich überdies bei grenzüberschreitenden Gesetzeslücken und zur Schließung solcher Lücken verabschiedeten unilateralen Regelungen.65 Es ist auch nicht immer möglich, oder zur Vermeidung überschießender Wirkungen mit entsprechenden „Kollateralschäden“ zumindest nicht immer sinnvoll, eine grenzüberschreitende Gesetzeslücke durch eine unilaterale Regelung zu schließen. Gerade im grenzüberschreitenden Bereich entsteht das Gestaltungsmoment idR länderspezifisch, ergibt sich aus ungewöhnlichen oder unerwarteten Regelungen eines bestimmten Landes, manchmal auch durch eine nationale Gesetzesauslegung, etwa in Folge einer geänderten Rspr. Es existiert zudem kein europaeinheitliches Verständnis, was ein „Modell“ ist. So schafft die belgische Notional Interest Deduction mit ihren fiktiven Eigenkapitalzinsen einen Anreiz, belgisches Fremdkapital in ausländisches Fremdkapital umzuwandeln, und in Belgien damit ein höheres Eigenkapital zu schaffen. Es wird aber schwer sein, mit Belgien ein einheitliches Verständnis zu finden, dass der „Flurschaden“ im Ausland dies zu einem Steuermodell klassifiziert, wenn lediglich dem von Belgien angestrebten Anreiz gefolgt wird. Dabei muss man aber nicht groß mit dem Zeigefinger auf andere Staaten zeigen. Die deutsche Organschaft und das besondere deutsche Verständnis der Besteuerung transparenter Unternehmen, insbes. im Hinblick auf den Sonderbetriebsvermögensbereich oder die Erweiterungen durch die Fiktion gewerblich geprägter Betriebe, ist ein Fundus für ausländische Gestalter. Es sind genügend Modelle bekannt, die diese deutschen Besonderheiten nutzen. Dennoch wurde es bisher nie gewagt, eine entsprechende grundlegende Reform des deutschen Steuerrechts anzupacken. In Anbetracht der politischen Widerstände ist das zwar verständlich, ein gutes Omen für eine zeitnahe, effiziente und systemkonforme Umsetzung für gestaltungsvermeidende Neuregelungen ist dies indes nicht. Ein ganz praktisches Problem der deutschen Finanzverwaltungen – und wahrscheinlich auch aller übrigen europäischen Administrationen – wird 65 Siehe ausführlich Eisgruber, FR 2018, 625 (627).

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die Verwaltung der durch diese Pflichten entstehenden Datenmenge sein. Es gibt derzeit noch kein erprobtes Klassifizierungssystem von Gestaltungen. Wenn ähnliche Modelle von mehreren Intermediären gemeldet werden, sollte eigentlich sichergestellt sein, dass erkannt wird, ob das gemeldete Modell bereits erfasst ist. Bei den zu erwartenden Datenmengen, muss die Klassifizierung im Wesentlichen automationsunterstützt geschehen. Es ist derzeit schwer vorstellbar, dass dies in absehbarer Zeit gelingen wird. Unklar ist auch, welche Auswirkungen die eingehenden Anzeigen auf das Gesetzgebungsverhalten in Deutschland haben werden. Es besteht eine nicht unerhebliche Gefahr, dass ein Bedürfnis entsteht, jede „erkannte“ Lücke sofort zu schließen. Das geschah bisher nur, wenn eine reale oder vermeintliche Gesetzeslücke öffentlich wurde. Die gesetzlichen Reaktionen haben die Systematik des Gesetzes idR nicht verbessert. Ein dauerhaftes „Gesetzesflimmern“ wird hier nicht hilfreich sein.

V. Fazit Intermediäre und Stpfl. dürften es sich selbst zuzuschreiben haben, dass der Gesetzgeber nun mit umfassenden Anzeigepflichten „zurückschlägt“. Insbesondere die gesamte Industrie des Tax Based Structured Finance hat jahrelang gesetzliche Lücken ausgenutzt und für künstliche steuerliche Vorteile gesorgt. Problematisch ist nunmehr, dass die Anzeigepflichten scheinbar unendlich ausgestaltet sind. Damit wird auch der gesetzesehrliche Intermediär und Stpfl. durch – auch finanziellen – Mehraufwand geschädigt. Zugleich bergen die unbegrenzten Anzeigepflichten das Risiko, dass eher zu viele als zu wenige Meldungen abgegeben werden. Wenn die Finanzverwaltung, und insoweit das BZSt, das für die Auswertung zuständig sein soll, in Anzeigen „ertrinkt“, kann es gar nicht zu einer sinnvollen Auswertung der Anzeigen kommen. Da schon heute nicht ersichtlich ist, wie das BZSt seine offenen Stellen mangels entsprechender Bewerbungen besetzen soll, erscheint es illusorisch, dass die Anzeigen überhaupt angesehen, geschweige denn sinnvoll ausgewertet werden können.66 Die Anzeigen werden dann zwar durchgeführt,

66 In dieser Hinsicht ebenfalls kritisch Podeyn/Tschtsch/Fischler, DB 2019, 633 (636), unter Hinweis auf die Begründung des Referentenentwurfs, nach dem „eine vollautomatische Auswertung der Anzeigen voraussichtlich nur in einem sehr eingeschränkten Umfang möglich sein“ wird.

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aber letztlich nur für den Papierkorb. In diesem Fall hätte man das ganze Unterfangen auch von vornherein unterlassen können. Daher wäre es sinnvoll, wenn der nationale Gesetzgeber die unbeschränkte Anzeigeverpflichtung auf ein sinnvolles und vor allem auswertbares Maß beschränken würde.67 Entsprechend dem Zweck der DAC 6, auch wenn dieser umfassend geraten ist, sollte dies auch richtlinienkonform möglich sein. Es bleibt abzuwarten, ob dem Gesetzgeber dies gelingen wird.

67 So auch Bindl/Stadler, RdF 2019, 33 (35), nach denen eine Begrenzung der Begriffsdefinition dahingehend sachgerecht wäre, dass das in den Bereich einer Steuergestaltung fallende Handeln über die reine Verwirklichung von konkreten Lebenssachverhalten hinausgehen muss sowie rein wirtschaftlich vorteilhaftes Handeln ausgenommen wird. Um das Merkmal der Steuergestaltung zu erfüllen, müssten demnach qualifizierte Anforderungen gestellt werden. Lüdicke/Oppel, IWB 2019, 58 (62) wollen in dieser Hinsicht Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich ausnehmen, in denen ein Hallmark nur zufällig erfüllt wird.

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Aktuelle gesellschafterbezogene Steuerprobleme in Familienunternehmen I (Ausscheiden gegen Abfindung, Anteilsveräußerung im Gesellschafterkreis und Wegzug) Dr. Stefanie Beinert, LL.M. Rechtsanwältin/Steuerberaterin, Frankfurt Regierungsdirektorin Alexandra Pung Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Koblenz I. Übertragungen im Zusammenhang mit Personengesellschaften (Beinert) 1. Unentgeltliche, teilentgeltliche Übertragung 2. Realteilung a) Echte/unechte Realteilung b) Liquidität/Verbindlichkeiten c) Kapitalgesellschaft II. Unternehmensnachfolge und Umstrukturierungen (Beinert) 1. Grundlagen 2. Zu § 20 UmwStG: I R 7/16 3. § 6 Abs. 3 EStG und Dilemma der juristischen Sekunde 4. Exkurs: Beibehaltung der Gesamtplanbetrachtung bei §§ 16, 34 EStG III. Ausscheiden gegen Abfindung bei Kapitalgesellschaften (Beinert) 1. Ausgangspunkt 2. Ertragsteuerliche Fragen

3. Schenkungsteuer a) Ausgangslage b) § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG c) § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG d) § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG e) § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG f) Exkurs: Wille zur Unentgeltlichkeit bei Anteilsabtretung an Mitgesellschafter, Bewertungsunsicherheiten IV. Wegzug (Pung) 1. Zuordnung von Kapitalbeteiligungen zu einer inländischen Betriebsstätte a) Fragestellung b) DBA-Fall c) Nicht-DBA-Fall d) Unterschied zwischen DBAund Nicht-DBA-Fall 2. Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG/ § 21 Abs. 2 UmwStG aF)

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Beinert/Pung, Steuerprobleme in Familienunternehmen I

I. Übertragungen im Zusammenhang mit Personengesellschaften (Beinert) 1. Unentgeltliche, teilentgeltliche Übertragung Fall: Ein Elternteil will seine Beteiligung an Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) samt Sonderbetriebsvermögen auf ein Kind übertragen. Es ergibt sich bei dem betroffenen Elternteil ein Veräußerungsgewinn gem. § 16 Abs. 2 EStG, wenn und soweit die Gegenleistung den Buchwert seines Kapitalkontos übersteigt. Das ist Ausfluss der sog. Einheitstheorie, wonach eine teilentgeltliche Veräußerung eines Mitunternehmeranteils nicht in ein entgeltliches und ein unentgeltliches Geschäft zu zerlegen ist.1 Der Veräußerungsgewinn ist im Kj. des Ausscheidens des Veräußerers zu erfassen, und zwar auch bei abweichendem Wj. der Gesellschaft.2 Da der Veräußerer gewinnrealisierend sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen überträgt, ist der Veräußerungsgewinn tarifbegünstigt (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG).3 Im Schrifttum wird teilweise eine Rechtsprechungsänderung gefordert, weil es zu keiner Aufdeckung sämtlicher stiller Reserven komme.4 Für das Kind vollzieht sich der Erwerb des Mitunternehmeranteils, dh. der ideellen Anteile an den Wirtschaftsgütern der Gesellschaft,5 erfolgsneutral. Es kommt zu keiner Aufdeckung stiller Reserven, soweit der Veräußerungspreis hinter dem gemeinen Wert des Anteils zurückbleibt; die stillen Reserven gehen insoweit auf den Erwerber über.6 Mit Urteil v. 9.5.2017 entschied der BFH, dass es keine Vorschrift gibt, wonach die übergehenden stillen Reserven beim Erwerber in Form eines „Erwerbsgewinns“ sofort aufzudecken wären.7 1 ZB BFH v. 9.5.2017 – VIII R 1/14, BFH/NV 2017, 1418 Rz. 57 mwN. Ist das Entgelt nicht höher als der Buchwert, ist eine voll unentgeltliche Übertragung iSv. § 6 Abs. 3 EStG anzunehmen. 2 § 4a Abs. 2 Nr. 2 EStG ist auf einen ausscheidenden Mitunternehmer nicht anwendbar; bestätigt durch BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539 = FR 2018, 951. 3 ZB BFH v. 9.12.2014 – IV R 36/13, BStBl. II 2015, 529 = FR 2015, 710, juris Rz. 26. 4 Patt, EStB 2018, 330 (333 ff.); vgl. auch Wacker, Ubg. 2016, 245 (252). 5 BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BStBl. II 2017, 34 = FR 2015, 552. 6 BFH v. 10.7.1986 – IV R 12/81, BStBl. II 1986, 811 = FR 1986, 489; v. 6.4.2016 – X R 52/13, BStBl. II 2016, 710 = FR 2016, 992. 7 BFH v. 9.5.2017 – VIII R 1/14, BFH/NV 2017, 1418 Rz. 58. So bereits für die teilentgeltliche Übertragung eines verpachteten Betriebs BFH v. 6.4.2016 – X R 52/13, BStBl. II 2016, 710 = FR 2016, 992.

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Beinert/Pung, Steuerprobleme in Familienunternehmen I

Zu beachten ist, dass der Erwerber bereits vor der zivilrechtlichen Übertragung des Anteils Mitunternehmer sein kann, wenn er eine auf den Erwerb des Gesellschaftsanteils gerichtete, rechtlich geschützte Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann und die ihm die Übernahme des Mitunternehmerrisikos sowie die Wahrnehmung der Mitunternehmerinitiative sichert.8 Dies gilt auch, wenn der (zivilrechtliche) Eigentumsübergang bei einem Kommanditanteil aus Haftungsgründen von der Eintragung im Handelsregister abhängig gemacht wird.9 Vorsicht ist nötig bei der gleichzeitigen Übertragung von Sonderbetriebsvermögen. Das FG Köln entschied mit Urteil v. 26.6.2017 über eine Schenkung. Laut Schenkungsvertrag sollte der Kommanditanteil mit Wirkung zum 1.1.2014, 00:01 Uhr (Stichtag) übergehen, aber aus Haftungsgründen unter der aufschiebenden Bedingung der Handelsregistereintragung. Vom Stichtag an hielt der Schenker den Anteil treuhänderisch für den Beschenkten (Vereinbarungstreuhand). Im selben Vertrag wurde ein Grundstück verschenkt (Sonderbetriebsvermögen). Besitz, Nutzen und Lasten gingen am Stichtag über. Die Auflassung wurde im Vertrag erklärt, die Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch wurde bewilligt und beantragt. Die Schenkung sollte ertragsteuerneutral gewesen sein. § 6 Abs. 3 EStG sollte im vorliegenden Fall anwendbar sein, da das wirtschaftliche Eigentum am Gesellschaftsanteil wie am Grundstück am selben Stichtag überging.10 Das FG Köln entschied über die Schenkungsteuer. Es stellte beim Gesellschaftsanteil auf die zivilrechtliche Sicht ab (aufschiebende Bedingung nach § 12 Abs. 1 ErbStG iVm. § 4 BewG) und bewertete die (frühere) Übertragung des Grundstücks daher wie eine isolierte Übertragung 8 BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, BFH/NV 2018, 265 juris Rz. 35; BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539 juris Rz. 31; BFH v. 20.9.2018 – IV R 39/11, DB 2018, 3100 = FR 2019, 180. 9 Vgl. BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, BFH/NV 2018, 265 = FR 2018, 312, juris Rz. 40 (im konkreten Fall wurde der Gesellschafter bis zur Eintragung im Handelsregister als atypisch stiller Gesellschafter beteiligt); Patt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 16 EStG Rz. 300 (März 2013); Hoheisel, StuB 2018, 660 (661). Einschränkend Bohn, DStR 2018, 1265 (1271); Dorn, Ubg. 2018, 559 (565). 10 Wälzholz, ZEV 2017, 535 (539). Nicht auf das wirtschaftliche Eigentum abstellend Götz, DStR 2018, 115 (118); Müller/Dorn, NWB 2018, 2031 (2034); Dorn, Ubg. 2018, 559.

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von Vermögen, für das §§ 13a, 13b ErbStG nicht greifen. Die Vereinbarungstreuhand sei irrelevant.11 Dem Urteil ist mE nicht zu folgen. Hinsichtlich des Gesellschaftsanteils ist auf das Vorliegen der Mitunternehmerschaft abzustellen, die am Stichtag durch die Vereinbarungstreuhand begründet wurde (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG verweist auf § 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG und damit auf die ertragsteuerlichen Grundsätze).12 Hinsichtlich des Grundstücks wäre bei Anwendung der Regeln einer isolierten Grundstücksschenkung die Schenkung bereits mit Vertragsschluss (30.12.) ausgeführt worden, da zu diesem Zeitpunkt die Auflassung erklärt wurde und dem Vollzug der Auflassung keine weiteren Vollzugshindernisse entgegenstanden (R E 9.1 ErbStR 2011). Auch wenn das FG Köln beim Gesellschaftsanteil auf den Stichtag (1.1.) abgestellt hätte, würde also eine zeitliche Differenz bleiben. Da aber ein einheitlicher wirtschaftlicher Übergang der gesamten Wirtschaftseinheit beabsichtigt und vereinbart war, finden die Regeln einer isolierten Grundstücksschenkung mE keine Anwendung, sondern es ist von einer einheitlichen Ausführung der Zuwendung auf den 1.1. auszugehen.13 Bis zur Entscheidung über die Revision empfiehlt es sich in vergleichbaren Fällen, den Notar anzuweisen, die Auflassung dem Grundbuchamt erst und unverzüglich einzureichen, wenn der Kommanditistenwechsel im Handelsregister eingetragen wurde. Dies sollte einen gleichzeitigen Stichtag für schenkungsteuerliche Zwecke herbeiführen.14

11 FG Köln v. 26.6.2017 – 7 K 1654/16, ZEV 2017, 535, nrkr., Rev. Az. BFH II R 38/17. 12 So zu Recht Wälzholz, ZEV 2017, 535 (539); Götz, DStR 2018, 115 (117 f.); Götz in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 7 Rz. 167.3 (Juli 2018). 13 Wälzholz, ZEV 2017, 535 (539); Müller/Dorn, NWB 2018, 2031 (2034). Bisher wurde auch bei nur begrenzt zeitlich versetzter Übertragung des Sonderbetriebsvermögens und des Mitunternehmeranteils im Rahmen eines einheitlichen Vertragswerks allerdings keine Ausnahme zugelassen, vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 128 (Nov. 2017). 14 Vgl. Wälzholz, ZEV 2017, 535 (539); Demuth, KÖSDI 2018, 20806 (20807). Zur Ausführung einer lebzeitigen Grundstücksschenkung mit dem Tod des Schenkers, wenn der Beschenkte von der Eintragungsbewilligung erst ab diesem Zeitpunkt Gebrauch machen darf, ua. BFH v. 2.2.2005 – II R 26/02, BStBl. II 2005, 312 = FR 2005, 767; Hess. FG v. 20.11.2017 – 1 V 10/17, EFG 2018, 312, rkr.; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 9 Rz. 96 (Mai 2018).

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2. Realteilung a) Echte/unechte Realteilung Fall: Ein Elternteil will seine Beteiligung an einer Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) auf ein Kind übertragen, sich aber ausreichende Mittel vorhalten. Der BFH entschied im grundlegenden Urteil v. 17.9.2015, dass die Realteilung ein steuerlicher Spezialbegriff ist, der vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens, betriebswirtschaftliche Umstrukturierungen zu ermöglichen, auch die Sachwertabfindung eines ausscheidenden Gesellschafters erfasst.15 Im Urteil v. 16.3.2017 bezeichnet der BFH es als „echte Realteilung“, wenn der Gewerbebetrieb aufgegeben und das Vermögen zwischen den Realteilern verteilt wird. Eine „unechte Realteilung“ liegt hingegeben vor, wenn (mindestens) ein Mitunternehmer unter Mitnahme von Gesellschaftsvermögen aus der fortbestehenden Mitunternehmerschaft ausscheidet. Im ersten Fall liegt eine Betriebsaufgabe, im zweiten Fall eine Aufgabe des Mitunternehmeranteils (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG) vor.16 Die Voraussetzungen der Buchwertfortführung sind jeweils gleich.17 Es gilt eine personen- und objektbezogene Betrachtung. Der BFH führt im Urteil v. 16.3.2017 (echte Realteilung) aus, dass es ausreichend ist, wenn jedenfalls einer der Realteiler eine der ihm zugeteilten Betriebsgrundlagen in ein eigenes Betriebsvermögen übernimmt. Die steuerneutrale Buchwertfortführung soll dem einzelnen Realteiler (personenbezogen) zugute kommen, der das im Rahmen der Realteilung erhaltene Betriebsvermögen in einem anderen eigenen Betriebsvermögen weiternutzt und so sein unternehmerisches Engagement in anderer Form fortsetzt. Der Aufschub der Versteuerung anlässlich einer Betriebsaufgabe an sich aufzudeckender stiller Reserven soll (objektbezogen) nur insoweit erfolgen, als das erhaltene Betriebsvermögen tatsächlich in einem anderen eigenen Betriebsvermögen weiter genutzt wird. Soweit das nicht der Fall ist, werden die in den Wirtschaftsgütern ruhenden stillen Reserven durch Ansatz der gemeinen Werte nach § 16 Abs. 3 Satz 7 15 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567, juris Rz. 41 f. 16 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32. Gleiches gilt bei der Aufgabe eines Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA iSv. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. 17 Wendt, StbJb. 2017/2018, 27 (34).

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EStG aufgedeckt. Auf der Ebene der Gesellschaft entsteht insoweit ein Aufgabegewinn.18 Die Verteilung des durch den Ansatz des gemeinen Werts entstehenden Gewinns für einkommensteuerliche Zwecke ist umstritten. Teilweise wird vertreten, der betreffende Gewinn sei allen Mitunternehmern entsprechend der allgemeinen Gewinnverteilungsquote zuzurechnen.19 Dem widerspricht § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG, der mE so zu verstehen ist, dass es zwingend zur Zuweisung des Aufgabegewinns an den das jeweilige Wirtschaftsgut übernehmenden Realteiler kommt.20 Sollte der Gewinn entsprechend der allgemeine Gewinnverteilungsquote zuzurechnen sein, wäre es richtig, dass die Gesellschafter den Gewinn vertraglich allein dem Ausscheidenden zurechnen können.21 Bereits aus den Entscheidungsgründen des Urteils des BFH v. 17.9.201522 ließ sich entnehmen, dass aus der Behandlung des Ausscheidens als Aufgabe des Mitunternehmeranteils geschlossen werden muss, dass die Realteilungsgrundsätze auf jede Form der Abfindung aus Gesellschaftsmitteln Anwendung finden.23 Ausdrücklich entschied der BFH im Urteil v. 30.3.2017, dass bei allen Fällen der Sachwertabfindung das 18 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32, juris Rz. 42. 19 So wohl BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32, juris Rz. 42; ebenso BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93, Rz. 9 zur echten Realteilung („Entnahmen der Realteilungsgemeinschaft“) sowie Rz. 10 zur unechten Realteilung. Aus dem Schrifttum ua. Pupeter in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Anh. 10 Rz. 838 (Juli 2014); wohl auch Paus, NWB 2018, 504. 20 So wohl auch Stenert, DStR 2017, 1785 (1788); Wendt, StbJb 2017/2018, 27 (35); Wacker in Schmidt, EStG37, § 16 Rz. 551; Reiß in Kirchhof, EStG17, § 16 Rz. 237. Im Erg. (bei Sachwertabfindung) auch Steiner/Ullmann, Ubg. 2017, 448. Nach Graw in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 16 Rz. F 123, F 159 (Dez. 2017) kommt es wegen § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG zur Verteilung nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel nur, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen an verschiedene Erwerber veräußert werden; so auch Schallmoser in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 16 EStG Rz. 554 (Aug. 2017). 21 Vergleichbar zur Auffassung der Finanzverwaltung bei Vorliegen eines Sperrfristverstoßes nach § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG, BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93, Rz. 29. So ua. Pupeter in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Anh. 10 Rz. 839 (Juli 2014); Levedag, GmbHR 2017, 113 (116); Stenert, DStR 2017, 1785 (1788); Pupeter, DB 2017, 2122 (2126). 22 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567, juris Rz. 38. 23 Wendt, FR 2016, 536 (539); Steiner/Ullmann, Ubg. 2017, 448.

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Ausscheiden eines Mitunternehmers als Aufgabe des Mitunternehmeranteils zu behandeln ist. § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG betrifft demnach Realteilungen mit Teilbetrieben, Mitunternehmerschaften und einzelnen Wirtschaftsgütern gleichermaßen.24 Hinweis: Der BFH widersprach damit der bisherigen Verwaltungsauffassung, die von der Vorstellung auszugehen schien, dass der Vorgang „betriebsaufgabeähnlich“ sein muss, weshalb die Realteilung auf EinzelWirtschaftsgüter als Sachwertabfindung nicht anzuwenden sei.25 Mit BMF-Schreiben v. 19.12.2018 hat sich die Finanzverwaltung nunmehr dem BFH angeschlossen.26 Dabei ist unerheblich, ob die Übertragung in ein bestehendes Betriebsvermögen des Realteilers erfolgt oder ob der Betrieb erst im Zuge der Realteilung entsteht.27 Hinweis: Denkbar ist eine vorherige Einbringung der Anteile an der Mitunternehmerschaft in das Gesamthandsvermögen einer anderen Personengesellschaft, an der ausschließlich ein oder mehrere Realteiler beteiligt sind. Der BFH entschied im Urteil v. 30.3.2017, dass dies einer anschließenden Realteilung der Mitunternehmerschaft mit Buchwertfortführung weder unter dem Aspekt einer Gesamtplanbetrachtung noch wegen § 42 AO entgegensteht.28 Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass „zu gewagte“ Gestaltungen gestaltungsmissbräuchlich sein könnten;29 mE kann es hier aber nur um § 42 AO gehen, wie er bei jeder Gestaltung zu beachten ist. b) Liquidität/Verbindlichkeiten Dem Abfindungsgut können vor der Realteilung liquide Mittel oder Verbindlichkeiten frei zugeordnet werden.30 Eine Grenze dafür ist nicht er24 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29. 25 BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002 :004 – DOK 2016/1109299, BStBl. I 2017, 36 = FR 2017, 304. 26 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93, Rz. 2. Zur Erbauseinandersetzung BMF v. 27.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10004 – DOK 2018/1029934, BStBl. I 2019, 11 = StEK EStG § 16 Nr. 125. 27 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93, Rz. 12. 28 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29; vgl. auch BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93, Rz. 7. 29 Paus, NWB 2018, 504 (505). 30 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567, juris Rz. 44.

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sichtlich. Im Schrifttum wird zwar darauf hingewiesen, dass die Zuteilung eines größeren (absoluten oder relativen) Umfangs an Finanzmitteln als missbräuchlich angesehen werden könnte;31 worauf sich das stützt, ist aber unklar. Ausnahme ist wohl eine kurzfristige, uU fremdfinanzierte Einlage vor Realteilung.32 Die wohl hM sieht darin zu Recht eine „Scheineinlage“ (§ 42 AO), da die Mittel von Anfang an dazu bestimmt seien, an den ausscheidenden Gesellschafter ausgekehrt zu werden, so dass unter wirtschaftlichen Aspekten eine Veräußerung vorliege.33 Fehlt es an dieser Bestimmung der Geldeinlage, sollte der Vorgang der Einlage unschädlich sein. Der BFH hat noch nicht entschieden, ob eine Realteilung (und keine Anteilsveräußerung) auch dann vorliegt, wenn als Abfindung (nur oder fast nur) Liquidität/Aktiendepots in ein Betriebsvermögen des ausscheidenden Gesellschafters übertragen werden.34 Hinweis: Nach dem BMF-Schreiben v. 19.12.201835 liegt kein Fall der Realteilung vor, wenn der ausscheidende Mitunternehmer eine Abfindung in Geld erhält. Auf weitere Details geht das BMF-Schreiben nicht ein. Geht man mit dem BFH davon aus, dass das Ausscheiden eines Mitunternehmers gegen Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen eine Aufgabe des Mitunternehmeranteils ist, so sollte dies unabhängig von der Art des Wirtschaftsguts gelten (auch Geld ist ein Wirtschaftsgut36).37 Zu beach31 Nach Paus, NWB 2018, 504 (506) ist dies eine offene Frage. 32 Wacker in Schmidt, EStG37, § 16 Rz. 550; Rogall/Belz, Ubg. 2017, 79. Wendt, FR 2016, 536 (541) spricht von einer Einlage unmittelbar vor der Realteilung. 33 Wacker in Schmidt, EStG37, § 16 Rz. 550; Kanzler, FR 2016, 567 (574); kritisch auch Wendt, FR 2016, 536 (541). Für unschädlich hält dies Stenert, DStR 2017, 1785 (1790), der aber Vorsicht für geboten hält. Offen Neu/Hamacher, GmbHR 2017, 897 (899). Levedag, GmbHR 2017, 113 (121) spricht hier auch eine Kreditaufnahme der Gesellschaft im Vorfeld einer Realteilung an, durch die eine Zuordnung von liquiden Mitteln zur Vermeidung eines Spitzenausgleichs erst ermöglicht wird. 34 Wendt, StbJb. 2017/2018, 27 (31); Wacker in Schmidt37, § 16 Rz. 536; Paus, NWB 2018, 504 (505). 35 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93, Rz. 3. 36 Heinicke in Schmidt, EStG37, § 4 Rz. 301. 37 Für das Vorliegen einer Realteilung Rogall/Belz, Ubg. 2017, 79; Stenert, DStR 2017, 1785 (1790); Neu/Harmacher, GmbHR 2017, 897 (899); wohl auch Reiß

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ten ist, dass es wegen der Kapitalkontenanpassung zwar zu einer Verlagerung stiller Reserven kommt, aber zu keinem Untergang derselben, so dass kein Steuersubstrat verloren geht. Die Ertragsteuerneutralität wird auch nicht durch die Übernahme von Verbindlichkeiten beeinträchtigt.38 Bei einer Anwendung von § 6 Abs. 5 EStG würde dagegen wohl die sog. strenge Trennungstheorie zur Anwendung kommen, so dass ermittelt werden müsste, in welchem Umfang der Vorgang wegen der Übernahme von Verbindlichkeiten entgeltlich ist. In diesem Umfang wären die stillen Reserven aufzudecken.39 c) Kapitalgesellschaft Die Realteilungsgrundsätze haben eigene Missbrauchsregelungen. So ist die Buchwertfortführung bei Übertragung von bestimmten Einzel-Wirtschaftsgütern an eine dreijährige Sperrfrist gebunden (§ 16 Abs. 3 Satz 3 EStG). Daneben kommt es zum Ansatz des gemeinen Werts, soweit Einzel-Wirtschaftsgüter (unmittelbar oder mittelbar) auf eine Körperschaft iSv. § 1 KStG übertragen werden, die an der Personengesellschaft vermögensmäßig beteiligt ist (sog. Körperschaftsklausel, § 16 Abs. 3 Satz 4 EStG). Hierdurch soll vermieden werden, dass die stillen Reserven in den Wirtschaftsgütern auf eine Kapitalgesellschaft „überspringen“ und anschließend zB durch eine Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile das Teileinkünfteverfahren greift.40 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass es grundsätzlich41 zu keiner Aufdeckung der stillen Reserven kommt, wenn

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in Kirchhof, EStG17, § 16 Rz. 236. Gegen das Vorliegen einer Realteilung Pupeter in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Anh. 10 Rz. 159 (Juli 2014); Reiß, FR 2017, 458 (462). Ua. Reiß, FR 2017, 458 (463); Rogall/Belz, Ubg. 2017, 79 (82). Ley verweist auf den Vorlagebeschluss an den Großen Senat des BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81 = FR 2016, 318 (Ley, KÖSDI 2018, 20750 [20763]). Das Verfahren wurde zwischenzeitlich wegen Abhilfe durch das FA beendet, BFH v. 30.10.2018 – X R 28/12, BFH/NV 2019, 39 = GmbHR 2019, 88; v. 30.10.2018 – GrS 1/16, BStBl. II 2019, 70 = FR 2019, 184. Satz 4 greift nach hM zu Recht nur, soweit sich die Beteiligung der Kapitalgesellschaft an den Wirtschaftsgütern erhöht (teleologische Reduktion), Wacker in Schmidt, EStG37, § 16 Rz. 555; Schallmoser in Blümich, EStG/KStG/ GewStG, § 16 EStG Rz. 416 (Aug. 2017). Wurde ein Einzelwirtschaftsgut entgeltlich nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG auf die Personengesellschaft übertragen und wurde durch die Bildung einer Ergänzungsbilanz die Verschiebung stiller Reserven verhindert, führt eine Realteilung innerhalb von sieben Jahren nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG zum rückwirkenden Teilwertansatz, Heerdt, Ubg. 2018, 70 (76).

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die Kapitalgesellschaft einen Teilbetrieb (inkl. 100 %-Beteiligungen an Kapitalgesellschaften) oder einen Mitunternehmeranteil erhält.42 Eine Realteilung könnte daher zB so bewerkstelligt werden, dass eine natürliche Person das Umlaufvermögen übernimmt und die Kapitalgesellschaft den Betrieb fortführt.43 Dies gilt auch im Fall der Realteilung einer zweiköpfigen Personengesellschaft, bei der das Vermögen der Kapitalgesellschaft anwächst.44

II. Unternehmensnachfolge und Umstrukturierungen (Beinert) 1. Grundlagen Fall: Ein Elternteil will eine Beteiligung an einer Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) einem Kind schenken, aber ein ertragbringendes Wirtschaftsgut zurückbehalten. Nach § 6 Abs. 3 EStG sind bei der unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten die Wirtschaftsgüter mit den Buchwerten anzusetzen, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Der Rechtsnachfolger ist nach § 6 Abs. 3 Satz 3 EStG an diese Werte gebunden. Daneben findet § 6 Abs. 5 EStG Anwendung. Nach stRspr. des IV. Senats sind § 6 Abs. 3 und Abs. 5 EStG zwei zwingende gesetzliche Anordnungen, die sich logisch nicht widersprechen, womit sie grundsätzlich auch nebeneinander zu befolgen sind.45 Eine einschränkende Auslegung des § 6 Abs. 3 EStG käme nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der entsprechenden Sachgesamtheit durch Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern in einer Weise berührt

42 Wacker in Schmidt, EStG37, § 16 Rz. 555; Schallmoser in Blümich, EStG/ KStG/GewStG, § 16 EStG Rz. 416 (Aug. 2017); Ley, KÖSDI 2018, 20750 (20763); aA wohl (implizit) Paus, NWB 2018, 504 (509). Kritisch Reiß in Kirchhof, EStG17, § 16 Rz. 242. 43 Ley, KÖSDI 2018, 20750 (20764). 44 Ley, KÖSDI 2018, 20750 (20764). 45 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/NV 2012, 2053 = FR 2012, 1113, Rz. 33; v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 1452. Für den „umgekehrten“ Fall, in dem der Übergeber eines Mitunternehmerteilanteils unter Zurückbehaltung wesentlichen Sonderbetriebsvermögens dieses kurze Zeit später zum Buchwert nach § 6 Abs. 5 EStG ausgliedert, BFH v. 12.5.2016 – IV R 12/15, BFH/NV 2016, 1376 = FR 2016, 952.

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werde, dass es wirtschaftlich zu einer Zerschlagung des Betriebs und damit zu einer Betriebsaufgabe käme.46 Der IV. Senat ließ am 30.6.2016 mangels grundsätzlicher Bedeutung keine Revision in dieser Frage mehr zu.47 Anders dagegen (immer noch?) die Finanzverwaltung. Sie stellt auf den Übertragenden ab und fordert, dass dessen betriebliche Einheit als Ganzes übertragen werden muss.48 § 6 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 3 EStG seien insbes. deshalb nicht gleichzeitig anzuwenden, da anderenfalls die Möglichkeit einer schrittweisen steuerneutralen Übertragung auf mehrere Rechtsträger eröffnet würde.49 Nach Auffassung des IV. Senats stehen vorherige Veränderungen des Betriebsvermögens der Buchwertfortführung nicht entgegen, sofern diese nicht den Untergang der Sachgesamtheit als funktionsfähige betriebliche Einheit bewirkt haben. Dies gilt nicht nur für § 6 Abs. 5 EStG, sondern auch bei (gewinnrealisierenden) Entnahmen50 und Veräußerungen51 und nicht nur für Mitunternehmeranteile, sondern auch für Betriebe.52

2. Zu § 20 UmwStG: I R 7/16 Es ist mittlerweile gefestigte Rspr. des I. Senats, dass eine Buchwertfortführung nicht dadurch berührt wird, dass (auch in engem zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang) vor der Übertragung wesentliche Be-

46 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/NV 2012, 2053 = FR 2012, 1113, juris Rz. 39. 47 BFH v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 1452, juris Rz. 3 f. 48 So das Verständnis der Finanzverwaltung ua. bei Blumers, DB 2013, 1625 (1626); Reiß in Kirchhof, EStG17, § 16 Rz. 86c; Danz, Ubg. 2018, 287 (289); Danz, FR 2018, 703 (707); Riedel, Ubg. 2018, 457 (460). 49 BMF v. 12.9.2013 – IV C 6 - S 2241/10/10002 – DOK 2013/0837216, BStBl. I 2013, 1164 = FR 2013, 917; bestätigt durch BMF v. 19.3.2018 – IV A 2 - O 2000/17/10001 – DOK 2018/0151652, Anlage 1, BStBl. I 2018, 322 = StEK AO § 4 Nr. 32; vgl. auch Vees, DStR 2013, 743. 50 BFH v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 1452 (anschließende Entnahme des überführten Wirtschaftsguts in das Privatvermögen). 51 Zum Verkauf des Sonderbetriebsvermögens unmittelbar vor der unentgeltlichen Übertragung des Anteils BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BFH/NV 2015, 415 = FR 2015, 457. 52 BFH v. 14.7.2016 – IV R 19/13, BFH/NV 2016, 1702. Generell für eine gleiche Behandlung von Ausgliederungen, Entnahmen und Veräußerungen zu Recht Riedel, Ubg. 2018, 457 (459 f.)

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triebsgrundlagen aus der betrieblichen Sachgesamtheit entfernt werden.53 Die Finanzverwaltung hat diese Urteile im Bundessteuerblatt veröffentlicht, wendet sie also an. Der Zweck der §§ 20, 24 UmwStG besteht ebenso wie bei § 6 Abs. 3 EStG darin, betriebswirtschaftlich sinnvolle Vermögensübertragungen auf andere Rechtsträger nicht zu erschweren, auch wenn es nur auf Antrag des Stpfl. und nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Buchwertfortführung kommt. Die Tatbestandsmerkmale Betrieb, Teilbetrieb und Mitunternehmeranteil können nur einheitlich verstanden werden. Daraus folgt: Es ist auch eine Kombination von § 6 Abs. 5 EStG und §§ 20, 24 UmwStG möglich. Es reicht für §§ 20, 24 UmwStG aus, dass am Stichtag eine lebensfähige Einheit eingebracht wird.54 Der I. Senat hat nun mit Urteil v. 29.11.201755 über den Fall einer Betriebseinbringung nach § 20 UmwStG aF unter Zurückbehalt einer wesentlichen Betriebsgrundlage entschieden. Es ging um einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück, über den der Unternehmer eines Besitzeinzelunternehmens (der zugleich 100 % der Betriebs-GmbH hielt) verfügte. Das Grundstück wurde an die Betriebs-GmbH vermietet. Da der Gesellschafter die Grundstücksgemeinschaft nicht beherrschte, bestand keine gesonderte Betriebsaufspaltung. Der Miteigentumsanteil war aber (notwendiges) Betriebsvermögen des Besitzunternehmens. Entscheidend ist insoweit, ob das Grundstück der Betriebs-GmbH zur Verbesserung von deren Vermögens- oder Ertragslage und damit zum Erhalt der Beteiligung an der Betriebs-GmbH überlassen wurde oder ob es primär darum ging, möglichst hohe Mieterträge zu erzielen. Im konkreten Einzelfall war ersteres der Fall, da die betriebliche Nutzung nach dem Grundstückskaufvertrag sowie nach der damit im Zusammenhang stehenden Finanzhilfe nachweislich von Anfang an beabsichtigt war. Evtl. wurde das übersehen. Jedenfalls übertrug der Gesellschafter (nur) das Besitzunternehmen gegen Anteilsgewährung.

53 Zu § 20 UmwStG und Buchwertausgliederung BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471 = FR 2010, 381. Zu § 24 UmwStG und zur gewinnrealisierenden Veräußerung BFH v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638 = FR 2012, 584; zustimmend BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BFH/NV 2015, 415 = FR 2015, 457. 54 Brandenberg, DB 2013, 17 (21); Herlinghaus, FR 2014, 441 (452 f.); Mielke, DStR 2015, 673 (676 f.); Förster/Förster, FR 2016, 596 (603); Neu/Hamacher, GmbHR 2017, 897 (900); aA Schulze zu Wiesche, DStR 2012, 2414 (2419). 55 BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, BFH/NV 2018, 810 = FR 2018, 508.

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Der BFH verneinte die Anwendbarkeit des § 20 UmwStG. Eine Einbringung nach § 20 UmwStG liege nur vor, wenn auf den übernehmenden Rechtsträger alle Wirtschaftsgüter übertragen werden, die im „Einbringungszeitpunkt“ (dieser wird vom BFH nicht weiter definiert) zu den funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen des eingebrachten (Teil)betriebs gehören. Daran fehlt es, wenn einzelne Wirtschaftsgüter nicht übertragen werden, sondern der übernehmende Rechtsträger nur ein obligatorisches Nutzungsrecht erhält. Die Zurückbehaltung des Miteigentumsanteils war daher schädlich und schloss nicht nur den § 20 UmwStG aus, sondern führte auch zur Aufgabe des Besitzunternehmens und damit zur Aufdeckung aller stiller Reserven des Besitzunternehmens. Im konkreten Fall war dies sehr misslich. Dem Gesellschafter war evtl. nicht bewusst, dass der Mitunternehmeranteil zum Betriebsvermögen seines Besitzeinzelunternehmens gehört. Zudem stellt sich die Frage, ob und wie der Gesellschafter den Miteigentumsanteil vorab aus dem Betriebsvermögen des Besitzeinzelunternehmens hätte herauslösen können.56 Das Urteil hat große Bedeutung. Dem Urteil57 lässt sich entnehmen: Es gilt eine zeitpunktbezogene und keine zeitraumbezogene Betrachtung. Wacker schreibt dazu in einer Urteilsanmerkung „Das Besprechungsurteil sucht erkennbar den Akkord mit der – zugleich ausgedeuteten – Rechtsprechung des IV. Senats“.58 Wendt schreibt: „Mit dem hiesigen Urteil wird deutlich, dass die zeitpunktbezogene Betrachtung in allen Fällen gilt, in denen Tatbestandsmerkmal die Übertragung einer Sachgesamtheit ist“.59 Trossen formuliert: „Der I. Senat legt seiner Entscheidung eine zeitpunktbezogene Betrachtung („im Einbringungszeitpunkt“) zugrunde“.60 Daraus folgt, dass es nicht möglich ist, gleichzeitig eine wesentliche Betriebsgrundlage in das Privatvermögen zu entnehmen und den verblei-

56 Zur Übertragung in das Gesamthandsvermögen einer GbR, an der ein NichtGesellschafter mind. 50 % hält, vgl. Strahl, NWB 2018, 2172 (2175). 57 Für eine Erstreckung des Urteils auch auf § 24 UmwStG, wenn das Wirtschaftsgut – ohne vorab ausgegliedert zu werden – nach der Umwandlung gewinnneutral einem anderen Betriebsvermögen des Einbringenden zuzurechnen ist, zB Wacker, DStR 2018, 1014 (1020). 58 Wacker, DStR 2018, 1014 (1020). 59 Wendt, FR 2018, 513 (514). 60 Trossen, Ubg. 2018, 513 (514).

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benden Betrieb nach § 20 UmwStG ertragsteuerneutral in eine Kapitalgesellschaft einzubringen.61 Denkt man den Gedanken der zeitpunktbezogenen Betrachtung zu Ende, liegt darin die Ablehnung einer Gesamtplanbetrachtung. Wacker formuliert: „eine andere Würdigung kann – so wird man den Gedanken der stichtagsbezogenen Beurteilung zu Ende führen müssen – … nur geboten sein, wenn … „vorab“ […] ausgegliedert wird.“62 Das Wort „kann“ ist mE nicht als Zweifel daran zu verstehen, dass die zeitpunktbezogene Betrachtung zu Ende geführt werden muss. Wendt schreibt: „Bleibt eine wesentliche Betriebsgrundlage beim Übertragenden zurück, ohne dass er sie zuvor entnommen oder in ein anderes Betriebsvermögen transferiert hat, ist nicht die Sachgesamtheit „Betrieb“ …“.63 Darüber entschieden hat der I. Senat in I R 7/16 zwar nicht.64 Es deutet sich aber keine Rückkehr zur Gesamtplanbetrachtung an. Exkurs: Wie oben beschrieben vertritt die Finanzverwaltung bei § 6 Abs. 3 UmwStG derzeit noch eine zeitraumbezogene Sichtweise. Im UmwSt.-Erlass 2011 Tz. 20.07 heißt es, dass die Anwendung der Gesamtplanrechtsprechung zu prüfen sei, wenn zB funktional wesentliche Betriebsgrundlagen (oder nach wirtschaftlichen Zusammenhängen zuordenbare Wirtschaftsgüter) im zeitlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Einbringung eines Teilbetriebs in ein anderes Betriebsvermögen überführt oder übertragen werden.65 Dies ist zu ändern.66 Exkurs: Ein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) liegt nur, vor wenn Einzel-Wirtschaftsgüter nicht auf Dauer ein anderes rechtliches Schicksal nehmen sollen.67

61 62 63 64 65

BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, BFH/NV 2018, 810 = FR 2018, 508. Wacker, DStR 2018, 1014 (1020). Wendt, FR 2018, 508 (514). So der Hinweis von Trossen, Ubg. 2018, 349 (359). UmwSt-Erlass 2011, BMF v. 11.11.2011 – IV C 2- S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314. 66 Die kommentarlose Veröffentlichung des BFH-Urteils v. 29.11.2017 mit seiner Ablehnung einer allgemeingültigen Gesamtplanbetrachtung war hier vielleicht bereits der 1. Schritt, vgl. BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, BFH/NV 2018, 810 = FR 2018, 508. 67 Zum Aspekt der Dauerhaftigkeit vgl. BFH v. 25.11.2009 – I R 72/08, BStBl. II 2010, 471 = FR 2010, 381; v. 20.5.2010 – IV R 74/07, BStBl. II 2010, 1104 = GmbHR 2010, 992; v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638 = FR 2012, 584; Förster/Förster, FR 2016, 596 (600).

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3. § 6 Abs. 3 EStG und Dilemma der juristischen Sekunde Der IV. Senat spricht bei einer „Vorab“-Ausgliederung bislang von „vorher bzw. zeitgleich“.68 Wendt schreibt: „Den von der Finanzverwaltung kritisierten Urteilen lagen jeweils Fallgestaltungen zugrunde, in denen Wirtschaftsgüter durch Veräußerung oder Entnahme vor der Übertragung der verkleinerten Sachgesamtheit ausgegliedert worden waren … Das Urteil macht deutlich, dass die zeitpunktbezogene Betrachtung der Übertragung nicht nur positive, sondern auch negative Folgen haben kann. Denn wird nicht die ganze Sachgesamtheit übertragen, ist auch der die Übertragung der Sachgesamtheit fordernde Tatbestand nicht erfüllt“.69 Der Sachverhalt des Beschlusses IV B 2/16 war mE allerdings kein Fall eines „vorher“.70 Eine Änderung der Rspr. des IV. Senat ist angesichts der Urteilsanmerkungen erwartbar. Die Gelegenheit dazu bietet sich mit der anhängigen Revision IV R 14/18. Das FG Düsseldorf entschied mit Urteil v. 19.1.2018 über einen Betriebsaufspaltungsfall, in dem neben der Besitzgesellschaft eine Bruchteilsgemeinschaft an einem Grundstück bestand, das der Betriebs-GmbH zur Nutzung überlassen wurde.71 Die beherrschende Gesellschafterin der Betriebs-GmbH war zu 75 % an dem Grundstück beteiligt, so dass wohl eine sog. doppelte Betriebsaufspaltung vorlag. Gewollt war eine Unternehmensnachfolge auf den Sohn, wobei eine teilweise Anteilsübertragung auf Dritte erforderlich war. Um sicherzustellen, dass die Betriebsaufspaltung nicht beendet wird, übertrug die beherrschende Gesellschafterin ihren Grundstücksanteil auf ihren Sohn und trat diesem einen Teil ihres Anteils an der Betriebs-GmbH ab. Die restlichen GmbH-Anteile veräußerte sie an den zweiten Gesellschafter der Grundstücks-GbR sowie an dessen Bruder. Sämtliche Übertragun-

68 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFH/NV 2012, 2053 = FR 2012, 1113; v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 1452. 69 Wendt, FR 2018, 508 (514). 70 FG Düss. v. 10.12.2015 – 8 K 633/13 F, juris Rz. 38, 42 f. Wohl ebenfalls „gleichzeitig“ Nds. FG v. 16.8.2013 – 2 K 172/12, EFG 2013, 1825, rkr. (gleichzeitige Entnahme ins Privatvermögen): zwar Entnahme mit Werten zum 31.12.1999, während Betriebsübergang zum 1.1.2000, vgl. Rz. 5 sowie Rz. 52. Das Nds. FG schreibt aber selbst „Selbst wenn dieser einheitliche Vorgang zum Jahreswechsel noch „taggleich“ sein sollte …“, Rz. 52). 71 FG Düss. v. 19.4.2018 – 15 K 1187/17 F, EFG 2018, 1092, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 14/18.

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gen wurden in einer Urkunde durch aufschiebende Bedingungen miteinander verklammert und erfolgten so auf denselben Stichtag. Nach Auffassung des FA lag eine Aufgabe des Mitunternehmeranteils vor, weil wegen des taggleichen Verkaufs der GmbH-Anteile nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen unentgeltlich auf den Sohn übertragen wurden. Das FG Düsseldorf gab der Klage statt unter Berufung darauf, dass der Empfänger eine funktionsfähige Einheit erhielt, die es ihm ermögliche, den Betrieb fortzuführen.72 Es stellt sich das „Dilemma der juristischen Sekunde“. Wacker schreibt: „Folgt man dem, so bleibt das ‚Dilemma der juristischen Sekunde‘ und mithin die Ungewissheit darüber, ob von einer ‚Vorab‘-Ausgliederung auch noch dann gesprochen werden kann, wenn sie taggleich oder gar gleichzeitig mit der Einbringung (§§ 20, 24 UmwStG) oder der Buchwertübertragung (§ 6 Abs. 3 EStG) nicht nur vereinbart, sondern auch vollzogen wird.73 Wendt schreibt: „…(zum „Dilemma der juristischen Sekunde“, vgl. Wacker, DStR 2018, 1019 [1020])“.74 Das heißt wohl, es bedarf einer „echten“ Sekunde (aber eben auch nicht mehr), damit sich in dieser Sekunde das Betriebsvermögen verändert und die betriebliche Gesamtheit anschließend übertragen wird.75 Bei Betriebsaufspaltungen wären dann evtl. vorherige Maßnahmen erforderlich. Die Finanzverwaltung plant offenbar nunmehr ein Schreiben sowohl zur Rspr. des IV. Senats zu § 6 Abs. 3 EStG als auch zu den Erfordernissen einer Einbringung nach §§ 20, 24 UmwStG.76

4. Exkurs: Beibehaltung der Gesamtplanbetrachtung bei §§ 16, 34 EStG Eine zeitraumbezogene Betrachtung greift dagegen weiterhin im Rahmen des § 34 EStG, weil die Tarifbegünstigung voraussetzt, dass alle

72 FG Düss. v. 19.4.2018 – 15 K 1187/17 F, EFG 2018, 1092, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 14/18; dazu ua. Riedel, Ubg. 2018, 457. 73 Wacker, DStR 2018, 1019 (1020). 74 Wendt, FR 2018, 508 (514). 75 Nach meinem Verständnis der bisherigen Rspr. des IV. Senats wäre eine zeitgleiche Übertragung nicht schädlich; so zB auch Riedel, Ubg. 2018, 457 (460). 76 Strahl, BeSt. 2018, 34 (35 f.).

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stillen Reserven geballt realisiert werden.77 § 34 EStG ist daher nicht anwendbar, wenn eine betriebliche Sachgesamtheit veräußert (oder aufgegeben) wird und zuvor im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang damit wesentliche Betriebsgrundlagen zum Buchwert ausgegliedert werden, deren stille Reserven also nicht realisiert werden.78 Die OFD Karlsruhe will bei einem Zeitraum von weniger als 24 Monaten regelmäßig einen schädlichen Gesamtplan annehmen und bei einem Zeitraum zwischen 24 und 35 Monaten von einer widerlegbaren Vermutung ausgehen, wonach kein Gesamtplan vorliegt.79

III. Ausscheiden gegen Abfindung bei Kapitalgesellschaften (Beinert) 1. Ausgangspunkt Im Gesellschaftsvertrag finden sich oftmals Regelungen, nach denen bei Eintritt bestimmter Sachverhalte die Anteile (unter Wert) eingezogen werden können.80 Oftmals werden diese Regelungen durch die Verpflichtung zur Abtretung der Anteile an die Gesellschaft, einen Mitgesellschafter oder einen Dritten flankiert, um höhere Flexibilität zu ermöglichen.81

77 BFH v. 22.11.2013 – III B 35/12, BFH/NV 2014, 531. 78 BFH v. 9.12.2014 – IV R 36/13, BStBl. II 2015, 529 = FR 2015, 710. Der Freibetrag des § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG greift demgegenüber, da hier eine zeitpunktbezogene Betrachtung gilt. 79 OFD Karlsruhe v. 20.6.2006 – S 2241/27 - St 111, StEK EStG § 6 Abs. 5 Nr. 11. 80 In der Technik ist zu differenzieren (vgl. zB Perzborn, RNotZ 2017, 405 [416 mwN]). Bei einer GmbH wird der Nominalbetrag des Stammkapitals der Gesellschaft durch die Einziehung nicht berührt, ebenso wenig der Nominalbetrag der verbleibenden Stammeinlagen. Es kommt lediglich zu einer Anwachsung der gesellschaftsrechtlichen Rechte und Pflichten bei den Mitgesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung am Stammkapital. Bei einer AG verweist das Gesetz auf die Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung (§ 237 Abs. 2 Satz 1 AktG iVm. §§ 222 ff. AktG). Wesentliche Erleichterungen sieht das Gesetz nur unter den Voraussetzungen der § 237 Abs. 3 AktG vor (vereinfachte Kapitalherabsetzung). 81 Bei einer AG sind Abtretungsklauseln in der Satzung allerdings unzulässig, da § 54 AktG ein grundsätzliches Verbot der Begründung von Nebenpflichten (eine Abtretungsklausel in der Satzung wäre eine solche) begründet, vgl. Perzborn, RNotZ 2017, 405 (425).

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2. Ertragsteuerliche Fragen Eine Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen ist einer Kapitalherabsetzung vergleichbar, weshalb das Einziehungsentgelt wie ein Veräußerungserlös behandelt wird (§ 17 Abs. 1 EStG).82 Bei einer AG, bei der es einer Kapitalherabsetzung bedarf, gilt dies nach Verwaltungsauffassung ohne Rücksicht auf die Art der Kapitalherabsetzung.83 Das Schrifttum verfolgt demgegenüber eine differenzierende Sicht. Bei einer vereinfachten Kapitalherabsetzung, bei der die Aktien zu Lasten des Bilanzgewinns bzw. anderer Gewinnrücklagen eingezogen werden, wird der Vorgang als veräußerungsähnlich eingestuft und § 17 Abs. 1 EStG angewandt. Bei einer Einziehung zu Lasten des Nennkapitals wendet das Schrifttum dagegen § 17 Abs. 4 EStG an.84 Unterschiede im Ergebnis ergeben sich nach ganz herrschender Ansicht dabei nicht, da § 17 Abs. 4 EStG auf § 17 Abs. 1 EStG verweist. Vereinzelt wird im Schrifttum zwar angenommen, dass das Einziehungsentgelt nicht als Veräußerungserlös qualifiziert, sondern als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG.85 Dieser Ansicht sind Rspr. und Finanzverwaltung aber zu Recht nicht gefolgt, da aus Sicht des Gesellschafters gesehen (und darauf wird abgestellt) eine entgeltliche Einziehung von Anteilen einem Verkauf an Dritte gleichsteht. Bei einer Anteilsabtretung liegt eine gemischte verdeckte Einlage vor, wenn und soweit das Entgelt hinter dem Wert der Anteile zurückbleibt (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ESG).86 Trotz Bilanzierungsverbots für eigene Anteile (BilMoG) ist beim Gesellschafter § 17 EStG anzuwenden.87

82 BFH v. 22.7.2008 – IX R 15/08, BStBl. II 2008, 927 = GmbHR 2008, 1232; FG Rh.-Pf. v. 4.11.2015 – 1 K 1214/13, EFG 2016, 228, rkr. 83 BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78, Rz. 16, 20. 84 Vgl. ua. Pung/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 17 EStG Rz. 150 (Jan. 2017); R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 89 (Sept. 2017); Gosch/Oertel in Kirchhof, EStG17, § 17 Rz. 54. 85 So Weber-Grellet in Schmidt, EStG37, § 17 Rz. 101 (soweit nicht gem. § 27 KStG Einlagen verwendet werden); wohl auch Jäschke in Lademann, EStG, § 17 Rz. 140 (Juni 2018). 86 BFH v. 6.12.2016 – IX R 7/16, BFH/NV 2017, 724 = GmbHR 2017, 768. 87 BFH v. 6.12.2017 – IX R 7/17, BFH/NV 2018, 576 = FR 2018, 372; glA BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78, Rz. 20 Satz 1.

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Es stellt sich die Frage, ob die verdeckte Einlage nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG zu nachträglichen Anschaffungskosten iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG führt, wenn die gesamte Beteiligung eingelegt wird. Eine verdeckte Einlage führt zu einer Erhöhung der Anschaffungskosten der Beteiligung.88 Ob das aus § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG (Erhöhung um den Teilwert) folgt89 oder ob sich die Anschaffungskosten um den gemeinen Wert der verdeckt eingelegten Anteile erhöhen90, ist dabei umstritten. Nach im Schrifttum vertretener, meiner Ansicht nach zutreffender Auffassung sind die nachträglichen Anschaffungskosten – mangels Alternativen – unmittelbar bei den verdeckt eingelegten Anteilen nach § 17 EStG zu berücksichtigen.91 Im Ergebnis würde dadurch der Veräußerungsgewinn neutralisiert. Das Ergebnis ist allerdings nicht zweifelsfrei, da der BFH92 in einem Urteil zur alten Fassung von § 17 EStG nachträgliche Anschaffungskosten (nur) annimmt, soweit diese nach Begründung der wesentlichen Beteiligung entstehen, wobei „nach“ iSv. „während“ verstanden wird.93

3. Schenkungsteuer a) Ausgangslage Anteilseinziehungen sind in der Praxis eher selten, insbes. weil die §§ 13a, 13b ErbStG (wohl) nicht greifen, da kein Anteil übertragen wird, sondern lediglich der diesem innewohnende Wert.94 Dies ist allerdings nicht ganz unstreitig bei einer GmbH, wenn das Stammkapital nicht herabgesetzt, sondern das Nennkapital der anderen Anteile angepasst wird. Hierdurch wird im Ergebnis der Zustand herbeigeführt, der bestünde, wenn die Anteile an die Mitgesellschafter übertragen worden wären. Ein solcher Vorgang wäre nach §§ 13a, 13b ErbStG begünstigt.95 88 BFH v. 29.7.2015 – X R 37/13, BFH/NV 2016, 536. 89 Pung/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 17 EStG Rz. 374 (Jan. 2017). 90 Kulosa in Schmidt, EStG37, § 6 Rz. 743; R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Rz. 141 (Aug. 2018). 91 Schmid, DStR 2017, 1306 (1307) entgegen BFH v. 6.12.2016 – IX R 7/16, BFH/ NV 2017, 724 = GmbHR 2017, 768. Nach Kulosa in Schmidt, EStG37, § 6 Rz. 742 ist Schmids Ansatz „zu bedenken“. 92 BFH v. 20.4.2004 – VIII R 52/02, BStBl. II 2004, 556 = FR 2004, 787. 93 Weber-Grellet in Schmidt, EStG37, § 17 Rz. 163. 94 R E 3.4 Abs. 3 Satz 9 ErbStR 2011; Weinmann in Moench/Weinmann, ErbStG, § 7 Rz. 253 (Febr. 2015); Schneider/Blunk, UVR 2018, 144 (148). 95 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 198 (Okt. 2018).

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Bei einer Anteilsabtretung sind die §§ 13a, 13b ErbStG dagegen anwendbar.96 Nur auf die Anteilsabtretung an die Gesellschaft (unter Wert) wird nachfolgend weiter eingegangen. b) § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG Bei einer Abtretung kommt – mangels Einziehung der Anteile – § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG (betrifft ohnehin nur GmbH) nicht zur Anwendung. c) § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG (betrifft ohnehin nur vollständiges Ausscheiden97) kann vermieden werden. Zwar gilt nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG als Schenkung auch der auf dem Ausscheiden eines Gesellschafters beruhende Übergang eines Anteils (auf die anderen Gesellschafter oder die Gesellschaft), soweit der Wert des Anteils den Abfindungsanspruch übersteigt. Eines Willens zur Unentgeltlichkeit bedarf es nicht.98 Ob der Betroffene zwangsweise oder freiwillig ausscheidet, spielt keine Rolle.99 § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG greift aber nicht für den derivativen Erwerb von Anteilen durch rechtsgeschäftliche Übertragung.100 Der BFH schließt 96 Nach Götz in Wilms/Jochum, ErbStG, § 7 Rz. 336.1 (Juli 2018) ist fraglich, ob die Finanzverwaltung bei einer Anteilsabtretung an die Gesellschaft die Vergünstigungen nach § 13a ErbStG gewährt. Die Finanzverwaltung stellt aber einzig auf die Erfüllung des Tatbestands des § 7 Ab. 7 ErbStG als begünstigungsfähigen Erwerbstatbestand ab, R E 13b.2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ErbStR 2011; vgl. Carlé, KÖSDI 2018, 20949 (20958). 97 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 405 (Nov. 2017); Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 7 Rz. 159; Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 193 (Okt. 2018). Nach Weinmann in Moench/Weinmann, ErbStG, § 7 Rz. 250 (Nov. 2015) sieht dies die Finanzverwaltung anders unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut, der auch von einem Übergang des „Teils eines Anteils“ spricht. Die Notwendigkeit der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Ausscheidens“ wird durch diesen Gesetzeswortlaut aber nicht suspendiert. 98 BFH v. 1.7.1992 – II R 12/90, BStBl. II 1992, 925. 99 H E 7.9 Satz 2 ErbStR 2011; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 7 Rz. 395 (Jan. 2012); Esskandari, DStR 2016, 1251 (1253). 100 BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BStBl. II 2018, 284 = FR 2016, 679; vgl. auch FG Düss. v. 14.4.2017 – 4 K 2596/16 Erb, EFG 2017, 1390, nrkr., Rev. Az. BFH II R 34/17. Der BFH hatte dies bereits für die alte Fassung der Vorschrift entschieden (BFH v. 1.7.1992 – II R 70/88, BStBl. II 1992, 921 = GmbHR 1993, 307). Das Urteil v. 20.1.2016 betrifft die Neufassung des § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402.

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dies daraus, dass die im Gesetz verwendeten Begriffe „Ausscheiden eines Gesellschafters“ und „Abfindungsanspruch“ üblicherweise nicht für die rechtsgeschäftliche Übertragung eines Gesellschaftsanteils und einen dafür zu entrichtenden Kaufpreis verwendet werden. Die Finanzverwaltung sah dies früher anders.101 Sie hat sich aber nunmehr dem BFH angeschlossen.102 Ein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) liegt darin nicht.103 Nach Ansicht des FG München im Urteil v. 5.4.2017 gilt dies auch dann, wenn für den Fall des Ausscheidens die Verpflichtung zur rechtsgeschäftlichen Übertragung im Gesellschaftsvertrag geregelt ist. § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG sei nur anwendbar, wenn die Anteilsübertragung unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag folge. Sehe der Gesellschaftsvertrag aber die rechtsgeschäftliche Abtretung (nur) als eine Folgepflicht vor, sei § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG nicht einschlägig. Im konkreten Fall kam hinzu, dass nach der Regelung im Gesellschaftsvertrag die Mitgesellschafter den Erwerber des Anteils bestimmen konnten. Das Urteil wurde durch Rücknahme der Revision seitens der Finanzverwaltung rechtskräftig.104 Sog. obligatorische Zwangsabtretungsklauseln, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Gesellschafter verpflichtet ist, seinen Geschäftsanteil zu übertragen, sind danach unschädlich. Dingliche Varianten der Zwangsabtretung wären demgegenüber zu vermeiden. Dingliche Varianten einer Zwangsabtretung wären mE sowohl die bereits im Gesellschaftsvertrag vorgenommene, auf die Fassung des Einziehungsbeschlusses aufschiebend bedingte Abtretung als auch die Aufnahme einer Abtretungsermächtigung in die Satzung, mit der der Gesellschafter der Gesellschaft die unwiderrufliche Befugnis einräumt, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen seinen Anteil an einen noch näher zu bestimmenden Dritten abzutreten.105 Eine gewisse Unsicherheit erwächst allerdings daraus, dass es auch nach Veröffentlichung des Urteils des FG München im Schrifttum heißt, dass ein auf einem Gesellschaftsvertrag beruhendes Ausscheiden (das zur 101 Gleich lautende Ländererlasse v. 14.3.2012, BStBl. I 2012, 331 Tz. 2.4.1. 102 Gleich lautende Ländererlasse v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 = GmbHR 2018, 763, Tz. 2.4.2. Überholt uE Schuck in Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG5, § 3 Rz. 248, 250, nach dem die Finanzverwaltung dies bei einer freiwilligen Anteilsabtretung anders sehe; vgl. auch Carlé, KÖSDI 2018, 20949 (20956). 103 So (zu Managermodellen) Billig, UVR 2017, 214 (215). 104 FG München v. 5.4.2017 – 4 K 711/16, EFG 2017, 1027, rkr. 105 Zu dinglichen Varianten der Zwangsabtretung zB Clevinghaus, RNotZ 2011, 449 (468 f.); Blath, GmbHR 2012, 657.

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Anwendung des § 7 Abs. 7 ErbStG führt) auch dann gegeben sei, wenn aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Klausel der Gesellschafter verpflichtet sei, seinen Gesellschaftsanteil zu den im Gesellschaftsvertrag vorgegebenen Bedingungen auf einen Dritten zu übertragen (zur Anwendung des § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG kommt es freilich nur bei Übertragung auf einen Gesellschafter oder die Gesellschaft).106 Es wird daher empfohlen, parallel zum Gesellschaftsvertrag Rechtgrundlagen für einen rechtsgeschäftlichen Erwerb zu treffen (zB Call-Optionen).107 ME ist dies nicht erforderlich. Zum Pooltreuhänder für die Abwicklung von Managementbeteiligungen auf Zeit ist derzeit eine Revision anhängig (II R 34/17). Im Urteil des FG Düsseldorf v. 14.4.2017, gegen das Revision eingelegt wurde, ging es um einen Pooltreuhänder, der den Geschäftsanteil eines aus Altersgründen ausgeschiedenen Gesellschafters einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zum Nennwert erwarb, um ihn treuhänderisch bis zur Aufnahme eines neuen Gesellschafters zu halten, der den Anteil zum Nennwert erwerben konnte. Das FG Düsseldorf verneinte – dem BFH folgend – die Anwendbarkeit von § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG, weil die Veräußerung eines Anteils unter Lebenden, also der derivative Erwerb, nicht erfasst werde. Das FG Düsseldorf wies aber auch darauf hin, dass es an der für § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG erforderlichen Vermögensverschiebung fehlte, weil der Treuhänder den Anteil treuhänderisch gebunden nur auf Zeit bis zur Aufnahme eines neuen Gesellschafters zu halten hatte, der den Anteil zum Nennwert erworben konnte.108 Zu diesem Aspekt noch einige Anmerkungen: Nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG ist die Differenz zwischen dem Abfindungsanspruch einerseits und dem Wert des Anteils iSv. § 12 Abs. 2 ErbStG andererseits steuerpflichtig. ME hat es bei dieser Feststellung nicht sein Bewenden.109 Die Bestimmung enthält zwar eine Fiktion. Dies ändert aber nichts daran, dass sie eine objektive Bereicherung der anderen Gesellschafter oder der Gesellschaft voraussetzt.110 Es stellt sich die Fra-

106 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 193 (Okt. 2018). 107 Carlé, KÖSDI 2018, 20949 (20956). 108 FG Düss. v. 14.4.2017 – 4 K 2596/16 Erb, EFG 2017, 1390, nrkr., Rev. Az. BFH: II R 34/17. 109 So aber zB Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 7 Rz. 400 (Jan. 2017). 110 BFH v. 1.7.1992 – II R 12/90, BStBl. II 1992, 925; v. 30.1.2013 – II R 38/11, BStBl. II 2018, 656 = GmbHR 2013, 668; FG Düss. v. 13.11.2013 – 4 K 834/13 Erb, EFG 2014, 220, rkr.; v. 14.4.2017 – 4 K 2596/16 Erb, EFG 2017, 1390, nrkr., Rev. Az. BFH II R 34/17.

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ge, ob diese Bereicherung auch dann fehlen kann, wenn es zu keiner Wertminderung nach BewG kommt.111 Es geht insbes. um die Fallgruppe der nicht vollwertigen Beteiligungen. Das sind Beteiligungen, bei denen kein Mehrwert auf die verbleibenden Gesellschafter oder die Gesellschaft übergeht, weil dem Ausscheidenden dieser Mehrwert nicht zusteht.112 Zu denken ist hier an die sog. Nakedin/Naked-out-Abfindungsklauseln, bei denen leitende Mitarbeiter eine Beteiligung zu günstigen Konditionen erwerben (regelmäßig zum Nominalwert), diese aber im Fall ihres Ausscheidens wieder zu ähnlichen Konditionen übertragen müssen (regelmäßig zum Nominalwert, zzgl. der während der Dauer der Beteiligung erwirtschafteten thesaurierten Gewinne). Der Rechtsgedanke des § 7 Abs. 5 ErbStG spricht dafür, solche Umstände nicht unberücksichtigt zu lassen. Nach § 7 Abs. 5 ErbStG gilt – wenngleich dem Wortlaut nach nur bei Personengesellschaften mit Buchwertklauseln – die den Abfindungsbetrag übersteigende Vermögensbeteiligung als auflösend bedingt erworben. Konsequenterweise kann der Betroffene diesen Mehrwert auch nicht im Rahmen des § 7 Abs. 7 ErbStG übertragen.113 Es handelt sich in der Sache um eine teleologische Reduktion des § 7 Abs. 7 ErbStG.114 d) § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG Der Grundtatbestand der freigebigen Zuwendung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) greift bei Abtretung an die Gesellschaft ebenfalls nicht. § 7 111 Anders wohl Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 199.5 (Okt. 2018), der meint, dass das Problem auf der Ebene des § 9 Abs. 3 Satz 2 BewG angesiedelt sei, wonach außergewöhnliche Umstände für die Bewertung des Gesellschaftsanteils ohne Bedeutung sind. Es käme daher darauf an, ob die nur eingeschränkte Veräußerbarkeit vom BFH als wertmindernder Faktor anerkannt werde, womit nicht zu rechnen sei. 112 Esskandari, DStR 2016, 1251 (1252); Esskandari in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 7 Rz. 560; Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG6, § 7 Rz. 542; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 7 Rz. 164. 113 Esskandari in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 7 Rz. 560; Esskandari, DStR 2016, 1251 (1255); Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 7 Rz. 164. 114 Im Erg. auch Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG6, § 7 Rz. 542; Kawka/Vocke/L’habitant, BB 2017, 1694 (1698); Götz in Wilms/Jochum, ErbStG/ BewG/GrEStG, § 7 ErbStG Rz. 333.2 (Juli 2018) zu Manager- bzw. Mitarbeitermodellen und Naked-in/Naked-out-Abfindungsklauseln („[W]er ohne Entgelt in eine Gesellschaft eintritt und auch ohne Entgelt wieder austritt, bereichert die Mitgesellschafter nicht.“). Wohl weitergehend Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 3 Rz. 257 (Okt. 2014).

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Abs. 1 Nr. 1 ErbStG scheitert zwar nicht bereits wegen der Annahme einer Leistung causa sociae. Nach stRspr. des BFH ist eine Zuwendung, die in einem rechtlichen Zusammenhang mit einem Gesellschaftszweck steht, nicht als unentgeltlich anzusehen.115 Diese Grundsätze sind aber – so der BFH erstmals im Urteil v. 20.1.2016 – nur anwendbar, wenn dem Gesellschafter die mit der Vermögensübertragung erstrebte Förderung des Gesellschaftszwecks zugute kommen kann. Daran fehlt es, wenn er gleichzeitig mit der Vermögensübertragung aus der Gesellschaft ausscheidet.116 Bei einer unter dem gemeinen Wert erfolgten Veräußerung des Anteils an die Gesellschaft handelt es sich aber um eine verdeckte Einlage des Anteils in diese iSd. § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG. Ein Erwerb einer Kapitalgesellschaft durch verdeckte Einlage kann nicht zugleich als Erwerb durch freigebige Zuwendung gewertet werden. Die Finanzverwaltung hat sich dem dahingehenden Urteil des BFH v. 20.1.2016117 mittlerweile angeschlossen.118 Auf den ersten Blick könnte man fragen, ob das Urteil des BFH auch noch nach dem BilMoG gilt. Die Finanzverwaltung differenziert nicht danach,119 mE zu Recht. Der BFH entschied mit Urteil v. 6.12.2017, dass der entgeltliche Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft auch nach dem BilMoG ein Veräußerungsgeschäft iSv. § 17 Abs. 1 EStG darstellt. Er ließ allerdings ausdrücklich offen, ob der Vorgang auf Gesellschaftsebene entsprechend der durch das BilMoG geänderten Vorschriften (Einfügung des § 272 Abs. 1a und 1b HGB) steuerrechtlich nicht mehr als Erwerbsvorgang anzusehen ist, sondern nunmehr als „Teilliquidation“ und daher „wie“ eine Kapitalherabsetzung zu behandeln ist.120 Es ist mE nicht eindeutig, ob der Fokus des BFH im Urteil v. 20.1.2016 darauf liegt, dass der Vorgang entgeltlicher Natur ist und deshalb nicht zugleich dem ErbStG unterfällt, oder ob der BFH maßgebend auf die 115 116 117 118

BFH v. 17.10.2007 – II R 63/05, BStBl. II 2008, 381 = GmbHR 2008, 220. BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BStBl. II 2018, 284 = FR 2016, 679. BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BStBl. II 2018, 284 = FR 2016, 679. Gleich lautende Ländererlasse v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 = GmbHR 2018, 763, Tz. 2.4.2. 119 Gleich lautende Ländererlasse v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 = GmbHR 2018, 763, Tz. 2.4.2. 120 BFH v. 6.12.2017 – IX R 7/17, BFH/NV 2018, 576 = FR 2018, 372. Siehe die Darstellung des Meinungsstands bei Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 8b KStG Rz. 129b (März 2018); s. auch FG Münster v. 13.10.2016 – 9 K 1087/14 K, G, F, EFG 2017, 423, rkr.

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Qualifizierung des Erwerbs auf Ebene der Gesellschaft abstellt. Dies kann aber dahingestellt bleiben. Ein Vorrang der verdeckten Einlage bestünde allenfalls dann nicht, wenn man auf die Gesellschaftsebene abstellte121 und auf dieser Ebene von einem liquidationsähnlichen Vorgang (und nicht von einem Erwerbsvorgang) ausginge. In dem Fall läge mE aber auch keine – von § 7 Abs. 1 ErbStG geforderte122 – Vermögensverschiebung substanzieller Art vor.123 Aus dem BewG ergibt sich bereits deshalb nichts anderes, weil eigene Anteile bewertungsrechtlich keinen eigenständigen Wert haben.124 Es fehlt zudem am Willen zur Unentgeltlichkeit. Das wird vom FG München im Urteil v. 5.4.2016 bestätigt: Der Ausscheidende war nach dem Gesellschaftsvertrag verpflichtet, im Anschluss an seine Kündigung seinen Anteil zum Nennwert zurück zu gewähren (an einen Mitgesellschafter oder einen Dritten). Der ausscheidende Gesellschafter hatte daher keine andere Wahl als die der Abtretung des Gesellschaftsanteils zum Nennwert. Ein Wille zur Unentgeltlichkeit liege daher – so das FG München – nicht vor.125 e) § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG Es bleibt die Frage der Anwendbarkeit von § 7 Abs. 8 ErbStG. Nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG gilt als Schenkung die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die ein Gesellschafter durch eine Leistung einer anderen Person (Zuwendender) an die Gesellschaft erlangt. Eines Willens zur Unentgeltlichkeit bedarf es nicht; unklar ist, ob ein Bewusstsein der Unausgewogenheit der Leistungsbeziehung erforderlich ist.126 §§ 13a, 13b ErbStG sind nicht anwendbar, da nur der Anteilser121 So Schmidtmann, FR 2018, 372 (375); evtl. auch Trossen, HFR 2017, 500 (502). Dagegen verweisen uneingeschränkt auf BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14 zB Weber-Grellet in Schmidt, EStG37, § 17 Rz. 110; Wälzholz, DNotZ 2016, 779 (784); Gosch/Oertel in Kirchhof, EStG17, § 17 Rz. 80. 122 BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, BStBl. II 2018, 656 = GmbHR 2013, 668. 123 In diese Richtung auch Potsch, Ubg. 2014, 646 (648 f.); anders wohl Rodewald/Mentzel, GmbHR 2016, 498 (502). 124 Potsch, Ubg. 2014, 646 (649); anders Hartmann, ErbStB 2014, 244, der den fehlenden wirtschaftlichen Wert eigener Anteile als persönliche Umstände begreift, die nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG irrelevant sind. 125 FG München v. 5.4.2017 – 4 K 711/16, EFG 2017, 1027, rkr. 126 Vgl. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 416 (Mai 2018); Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG6, § 7 Rz. 570. Nach den gleich lautenden Ländererlassen v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 = GmbHR

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werb begünstigungsfähig ist, nicht aber die Werterhöhung solcher Anteile, die sie aufgrund von Leistungen an die Gesellschaft erfahren haben.127 Der BFH musste sich im Urteil v. 20.1.2016128 mit der Vorschrift nicht auseinandersetzen, weil diese erstmalig auf Erwerbe Anwendung findet, für die die Steuer nach dem 13.12.2011 entstanden ist (§ 37 Abs. 7 Satz 1 ErbStG). Während die Finanzverwaltung früher die Auffassung vertrat, dass die Regelung bei einem Übergang des Anteils eines Gesellschafters auf die Gesellschaft nicht zur Anwendung kommt,129 ist nach jetziger Ansicht der Finanzverwaltung § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG zu prüfen.130 Fraglich ist, ob in einer (zwangsweisen) Anteilsabtretung an die Gesellschaft eine „Leistung“ des Gesellschafters liegt. Im Schrifttum wird teilweise ein sehr weites Verständnis des Begriffs der „Leistung“ vertreten, nach dem grundsätzlich jedes Tun, Dulden oder Unterlassen als Leistung erfasst wird.131 Zu berücksichtigen ist aber der Grund für die Schaffung des § 7 Abs. 8 ErbStG, nämlich die Rspr. des BFH zu disquotalen Einlagen.132 Es bedarf daher eines substantiellen Wertetransfers in das Gesellschaftsvermögen.133 Dieser liegt beim Erwerb eigener Anteile nicht vor, da diese den inneren Wert des Unternehmens nicht erhöhen. Das liegt auf der Hand, wenn man nach dem BilMoG den Erwerb eigener Anteile nicht als Erwerbsvorgang, sondern als liquidationsähnlichen Vorgang ansieht (offen gelassen vom BFH im Urteil v. 6.12.2017134).135

127 128 129 130 131

132 133 134 135

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2018, 763, Tz. 3.4.3 kommt es für die Höhe der Bereicherung iSv. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG auf die Erkenntnismöglichkeiten und Wertvorstellungen der Gesellschafter in dem Zeitpunkt an, in dem die Leistung bewirkt wird. Weinmann in Moench/Weinmann, ErbStG, § 7 Rz. 278 (Febr. 2015). BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BStBl. II 2018, 284 = FR 2016, 679. Gleich lautende Ländererlasse v. 14.3.2012, BStBl. I 2012, 331, Tz. 2.4.1. Gleich lautende Ländererlasse v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 = GmbHR 2018, 763, Tz. 2.4.2. Rodewald/Mentzel, GmbHR 2015, 841 (842); Götz in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 7 ErbStG Rz. 352 (Juli 2018); Schuck in Viskorf/ Knobel/Schuck/Wälzholz, ErbStG/BewG5, § 7 ErbStG Rz. 263; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 415 (Mai 2018). BFH v. 9.12.2009 – II R 28/08, BStBl. II 2010, 566 = GmbHR 2010, 727. Hartmann in Gürsching/Stenger, BewG ErbStG, § 7 ErbStG Rz. 620 (Jan. 2016). BFH v. 6.12.2017 – IX R 7/17, BFH/NV 2018, 576 = FR 2018, 372. So wohl Potsch, Ubg. 2014, 646 (651 f.); vgl. auch Kawka/Vocke/L’habitant, BB 2017, 1694 (1700).

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Es gilt mE aber auch, wenn man von einem Erwerbsvorgang ausgeht. Denn das wäre allein die ertragsteuerliche Behandlung. Der Unternehmenswert erhöht sich durch die eigenen Anteile aber nicht; er wird nur nach § 97 Abs. 1b BewG auf weniger Anteile aufgeteilt.136 Bei § 7 Abs. 8 ErbStG bedarf es aber einer Erhöhung des Unternehmenswerts der Gesellschaft.137 Zwar könnte – iS einer Kontrollüberlegung – ein (teilentgeltlicher) Erwerb der Anteile durch einen Mitgesellschafter der Besteuerung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegen. Die Fiktion des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG reicht aber nicht soweit, die Kapitalgesellschaft völlig auszublenden und den Gegenstand unmittelbar (und abweichend von der Zivilrechtlage) den Mitgesellschaftern zuzurechnen. Die Vorschrift fingiert nur, dass in der eintretenden Werterhöhung der Anteile eine Zuwendung liegt; weiter geht die Fiktion nicht. Es bedarf einer Leistung an die Gesellschaft, an der es hier fehlt.138 Es stellt sich zudem die Frage der Exklusivität von § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG. Die Frage ist offen.139 Von einigen Autoren wird diese Exklusivität bejaht.140 Dem ist zuzustimmen. Zwar regelt das Gesetz das Konkurrenzverhältnis der Steuerarten nicht ausdrücklich; da die verdeckte Einlage durch § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG aber ertragsteuerlich als Veräußerungsvorgang qualifiziert wird, liegt es jedenfalls nahe, hiervon auch schenkungsteuerlich auszugehen, und zwar nicht nur für Zwecke des

136 Hält die Gesellschaft eigene Anteile, wirkt sich dieser Umstand nicht auf die Bewertung der Gesellschaft aus. Allerdings sind die eigenen Anteile im Rahmen der Aufteilung des Werts der Gesellschaft zu berücksichtigen und mindern den Wert des gesamten Nennkapitals um ihren Nennwert (§ 97 Abs. 1b BewG; R B 11.5 ErbStR 2011), vgl. ua. Dötsch in Gürsching/Stenger, BewG ErbStG, § 97 BewG Rz. 1910 (April 2016); Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 97 Rz. 35 (April 2016), § 199 Rz. 20 (April 2017); Horn in Fischer/ Pahlke/Wachter, ErbStG6, § 12 Rz. 404. 137 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 235 (Okt. 2018); Götz in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 7 ErbStG Rz. 358 (Juli 2018). 138 Potsch, Ubg. 2014, 646 (652). 139 Gosch/Oertel in Kirchhof, EStG17, § 17 Rz. 80. 140 Dräger/Dorn, DStR 2016, 1852 (1854); wohl auch Weber-Grellet in Schmidt, EStG37, § 17 Rz. 101; Thiele/Beckmann, FR 2016, 656 Fn. 32; ähnlich Geck, NZG 2016, 577 (560), der aber eine gewisse Unsicherheit sieht. Im Erg. auch Crezelius, DStZ 2015, 399 (400) am Beispiel der vGA bei Umwandlungen nach dem UmwStG.

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§ 7 Abs. 1 Satz 1 ErbStG,141 sondern auch für Zwecke des § 7 Abs. 8 ErbStG.142Andere Autoren sehen dies allerdings anders. Da § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG keine freigebige Zuwendung und auch keinen Bereicherungswillen voraussetze, könne eine Leistung sowohl im ertragsteuerlichen Sinn entgeltlich als auch schenkungsteuerrechtlich relevant sein. Die Werterhöhung der Anteile der anderen Gesellschafter sei für § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG ausreichend.143 Der Gesetzgeber habe die Frage der schenkungsteuerlichen Behandlung der verdeckten Einlage in § 7 Abs. 8 ErbStG geregelt, und zwar unbenommen der Einkommensteuerpflichtigkeit.144 Letztendlich kann die Frage der Exklusivität dahingestellt bleiben kann, da es – wie oben ausgeführt – bereits an der Leistung fehlt. Im Schrifttum wird derzeit – für die nicht vollwertigen Beteiligungen – empfohlen, wegen § 7 Abs. 8 ErbStG nicht die Gesellschaft erwerben zu lassen, sondern einen Mitgesellschafter.145 § 7 Abs. 8 ErbStG wäre dann nicht anwendbar. Zwar gilt dann § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG146 und wird diese Norm nicht wegen der Exklusivität der verdeckten Einlage ausgeschlossen; bei den nicht vollwertigen Beteiligungen sollte es aber am für § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erforderlichen Willen zur Unentgeltlichkeit

141 Der II. Senat des BFH geht davon aus, dass ein ertragsteuerlich relevanter Vorgang zwischen Gesellschaft und Gesellschafter nicht noch zusätzlich als freigebige Zuwendung gewertet werden kann. So führt er aus, dass es im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihren Gesellschaftern neben betrieblich veranlassten Rechtsbeziehungen lediglich offene und verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Kapitalrückzahlungen gebe, aber keine freigebigen Zuwendungen (vgl. nur BFH v. 13.9.2017 – II R 42/16, BStBl. II 2018, 299 = GmbHR 2018, 275). Auf der gleichen Linie liegt das Urteil zum Verhältnis von verdeckter Einlage und § 7 Abs. 1 ErbStG (BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BStBl. II 2018, 284 = FR 2016, 679). Zu anderen Fallgruppen des Konkurrenzverhältnisses zwischen Ertragsteuern und ErbStG vgl. Meßbacher-Hönsch, ZEV 2018, 182. 142 Dräger/Dorn, DStR 2016, 1852 (1854); Geck, NZG 2016, 557 (560). 143 Konkret zu § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG Rodewald/Mentzel, GmbHR 2016, 498 (502) sowie Revenstorff in Weinmann/Revenstorff/Offerhaus/Erkis, ErbStG4, Teil B. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen Rz. 17. Von einer Steuerpflicht nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG ausgehend (allerdings ohne Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zur Einkommensteuer) auch Wobst/Zintl, MittBayNot. 2018, 88 (89). 144 Wälzholz, DNotZ 2016, 779 (785); Revenstorff in Weinmann/Revenstorff/Offerhaus/Erkis, ErbStG4, Teil B. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen Rz. 17. 145 Kawka/Vocke/L’habitant, BB 2017, 1694 (1700). 146 § 7 Abs. 7 ErbStG scheitert am derivativen Erwerb des Mitgesellschafters.

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fehlen. Dies erscheint richtig. Bei anderen Beteiligungen muss am Ende das Risiko eines Eingreifens des § 7 Abs. 8 ESG gegen das Risiko einer Annahme eines Willens zur Unentgeltlichkeit abgewogen werden. f) Exkurs: Wille zur Unentgeltlichkeit bei Anteilsabtretung an Mitgesellschafter, Bewertungsunsicherheiten Die frühere Rspr. hielt die Fälle des Ausscheidens unter Wert nicht für steuerbar, sondern verneinte die erforderliche Freigebigkeit. Dies wurde auf den sog. Wagnisgedanken gestützt. Der Wille zur Freigebigkeit fehle, wenn sich ein Gesellschafter bewusst sei, dass seine Rechtsposition vage sei, da sie zwar eine Erwerbschance böte, zugleich aber mit der Gefahr eines Vermögensverlusts behaftet sei. Die Gesellschafter würden ein Wagnis eingehen, da der Ausschluss des Abfindungsrechts ihnen sowohl zugute kommen könnte, nämlich wenn sie in der Gesellschaft verblieben, als auch zu ihren Lasten gehen könnte, nämlich wenn sie selbst ausschieden.147 Der Gesetzgeber nahm diese Rspr. zum Anlass, die Sondertatbestände des § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG und des § 7 Abs. 7 ErbStG einzuführen, um diese Fälle für steuerbar zu erklären (im Wege einer Fiktion). Seitdem musste sich der BFH mit dem Thema „Wagnis“ im Zusammenhang mit der freigebigen Zuwendung nicht mehr auseinandersetzen. In einer Entscheidung zu § 7 Abs. 7 ErbStG ist der BFH zwar in einem obiter dictum von der Wagnisrechtsprechung abgerückt.148 Ungeklärt ist aber, ob der BFH nicht in Situationen, die nicht unter die Sondertatbestände fallen, doch wieder auf den Wagnisgedanken zugreifen würde. In der Literatur wird dem Ergebnis des BFH (keine freigebige Zuwendung zwischen den Gesellschaftern wegen des Wagnisses) überwiegend zugestimmt. Die dogmatischen Begründungsansätze unterscheiden sich zwar im Detail. Ihnen gemein ist aber, dass sie darauf abstellen, dass gesellschaftsvertragliche Regelungen regelmäßig in sich ausgewogen sind und die Leistungsbeziehungen zwischen den Gesellschaftern widerspiegeln.149 Für die gesellschaftsvertragliche Abrede bestünden daher wirtschaftliche Gründe, die den Willen zur Freigebigkeit ausschlössen.150 Bei Gesellschaftern könne davon ausgegangen werden, dass sie sich ge147 148 149 150

BFH v. 15.5.1953 – III 65/51 S, BStBl. III 1953, 199. BFH v. 1.7.1992 – II R 12/90, BStBl. II 1992, 925. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 7 Rz. 370 (Jan. 2017). Hübner/Maurer, ZEV 2009, 361 (362).

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genseitig nichts schenken wollten. Der Abfindungsausschluss diene vielmehr regelmäßig dem Erhalt der Gesellschaft und habe damit einen wirtschaftlichen Hintergrund. Die negativen Folgen im Fall eines vorzeitigen Ausscheidens seien das notwendigerweise in Kauf genommene Übel.151 Das wird vom FG München bestätigt: Der Ausscheidende war nach dem Gesellschaftsvertrag verpflichtet, im Anschluss an seine Kündigung seinen Anteil zum Nennwert zurück zu gewähren. Der ausscheidende Gesellschafter hatte daher keine andere Wahl als die der Abtretung des Gesellschaftsanteiles zum Nennwert. Ein Wille zur Unentgeltlichkeit liege daher nicht vor.152 Eine freigebige Zuwendung könnte aber anzunehmen sein, wenn der gesellschaftsvertraglichen Regelung in Wirklichkeit private (und damit keine wirtschaftlichen) Gründe zugrunde liegen.153 Private Gründe liegen umso näher, je kleiner die Gesellschaft ist und je enger die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern sind.154 Wollen die Parteien eine steuerbare Schenkung vermeiden, stellen Bewertungsunsicherheiten ein praktisches Problem dar. Gehen die Beteiligten bei Übertragung des Geschäftsanteils in nachvollziehbarer Weise und unter fremdüblichen Bedingungen übereinstimmend davon aus, dass die Abfindung eine ausgewogene Gegenleistung ist, fehlt der Wille zur Unentgeltlichkeit auch dann, wenn sich dies anhand von nachträglich besseren Erkenntnissen als falsch erweist. Der Nachweis des Willens zur Unentgeltlichkeit obliegt dem FA. Besteht aber ein auffallendes Missverhältnis zwischen dem gemeinen Wert des Geschäftsanteils und der Abfindung, gehen Rspr.155 und Finanzverwaltung156 von einer widerlegbaren Vermutung des Willens zur Unentgeltlichkeit aus. Der BFH 151 Ausführlich zum Meinungsstand Hasbach, Gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln in der Erbschaft- und Schenkungsteuer, 2014, 52 ff. 152 FG München v. 5.4.2017 – 4 K 711/16, EFG 2017, 1027, rkr. 153 Gebel, DStR 1996, 685 (687); ähnlich auch Kreutziger, ZEV 2013, 252 (254); vgl. auch schon BFH v. 15.5.1953 – III 65/51 S, BStBl. III 1953, 199, der im Rahmen der Wagnisrechtsprechung die Vermutung, dass ein Wille zur Freigebigkeit bei gesellschaftsvertraglichen Regelung nicht gegeben sei, daran anknüpft, dass kein verwandtschaftliches Verhältnis besteht. 154 Hasbach, Gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln in der Erbschaftund Schenkungsteuer, 2014, 55; Jessen, DStZ 1983, 165 (167). 155 BFH v. 10.9.1986 – II R 81/84, BStBl. II 1987, 80. 156 Gleich lautende Ländererlasse v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 = GmbHR 2018, 763, Tz. 3.4.3.

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geht im Beschluss v. 5.7.2018157 unter Verweis auf Teile des Schrifttums158 davon aus, dass die Schwelle zum auffallenden Missverhältnis regelmäßig bei 20–25 % Wertdifferenz liegt. Damit entschärft der BFH auch das Problem der Bewertungsunsicherheit.

IV. Wegzug (Pung) 1. Zuordnung von Kapitalbeteiligungen zu einer inländischen Betriebsstätte a) Fragestellung Ist an einer inländischen Personengesellschaft ein im Ausland ansässiger Mitunternehmer beteiligt und befinden sich im Gesamthands- und/ oder Sonderbetriebsvermögen Anteile an Kapitalgesellschaften, stellt sich die Frage, in welchen Fällen Deutschland als Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht an den Kapitalgesellschaftsanteilen zusteht. ME muss für die Beantwortung der Frage zwischen folgenden Fallgestaltungen unterschieden werden: b) DBA-Fall Im DBA-Fall, dh. bei einem im DBA-Ausland ansässigen Mitunternehmer, besteht mE nur dann ein deutsches Besteuerungsrecht, wenn in Deutschland eine Betriebsstätte nach Art. 5 OECD-MA besteht und die Kapitalbeteiligung dieser Betriebsstätte auch zuzuordnen ist. Für die Prüfung des Vorhandenseins einer Betriebsstätte iSd. Art. 5 OECD-MA ist zu beachten, dass die Fiktionen des § 15 Abs. 3 EStG auf das Abkommensrecht nicht durchschlagen und auch ein Besitzunternehmen im Rahmen einer Betriebsaufspaltung keine Unternehmensgewinne iSd. Art. 7 OECD-MA erzielt.159 Für die Prüfung der Zuordenbarkeit ist die rein rechtliche Zuordnung zum Gesamthands- oder Sonderbetriebsvermögen bei Anteilen, bei denen die Kapitalgesellschaft in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig ist, mE nicht ausreichend. Vielmehr muss die Beteiligung nach den sog. Betriebsstättenvorbehalten (Art. 10 Abs. 4 OECD-MA) der DBA tatsäch157 BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, BStBl. II 2018, 660. 158 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 7 Rz. 51.1 (Juni 2015). 159 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 283, Rz. 2.2.1.

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lich funktional der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Beteiligung in einem funktionalen Zusammenhang mit der in der Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeit steht und die Beteiligungserträge Nebenerträge der aktiven Tätigkeit der Betriebsstätte darstellen. Fehlt es an einer tatsächlich funktionalen Zuordnung der Beteiligung zu einer inländischen Betriebsstätte der Personengesellschaft, hat Deutschland selbst dann kein Besteuerungsrecht an den Einkünften, wenn die nicht im Inland ansässigen Gesellschafter keine „konkurrierende Betriebsstätte“ im Ausland haben. Denn die DBA gehen von dem Grundsatz aus, dass der Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht hat. Der Auffassung,160 wonach die vorgenannten Grundsätze nur im sog. Outbound-Fall anzuwenden sind, ist mE nicht zu folgen. Denn die Auslegung der sog. Betriebsstättenvorbehalte hat nach DBA- und nicht nach nationalem Recht zu erfolgen. So hat der BFH in seinem Urteil v. 12.6.2013161 die Anwendung des Betriebsstättenvorbehalts nur deshalb verneint, weil die Kapitalgesellschaft in einem Drittstaat und nicht in einem der Vertragsstaaten ansässig war. Insoweit stellt sich mE auch nicht die Frage von sog. „betriebsstättenlosen“ gewerblichen Einkünften, die es nach Auffassung des BFH nicht geben kann162. Im Übrigen führt die aA von Töben regelmäßig dann zu einer Doppelbesteuerung, wenn ein funktionaler Zusammenhang der Beteiligung zu einer inländischen Betriebsstätte nicht besteht: Denn der Ansässigkeitsstaat des Mitunternehmers, aus dessen Sicht ein sog. Outbound-Fall vorliegt, besteuert mangels Eingreifen des Betriebsstättenvorbehalts. Deutschland als Betriebsstättenstaat besteuert ebenfalls, da nach der aA nur der Umfang des Betriebsvermögens nach inländischem Recht maßgebend ist. Spätestens in einem sich als Folge der Doppelbesteuerung ergebenden Verständigungsverfahren wird Deutschland sein Besteuerungsrecht nicht erfolgreich geltend machen können. Das Praxisproblem besteht darin, dass es zu der Frage der funktionalen Zuordenbarkeit weder Verwaltungsanweisungen noch gefestigte höchstrichterliche Rspr. gibt. Insbesondere bei sog. geschäftsleitenden Holdingpersonengesellschaften ist ungeklärt, ob diesen dem Grunde nach Beteiligungen funktional zugeordnet werden können.163 Eine solche Zuordnung setzt voraus, dass 160 161 162 163

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Töben, FR 2018, 991 (996). BFH v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 = FR 2014, 57, Rz. 11. BFH v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 = FR 2014, 57, Rz. 15. FG Münster v. 15.12.2014 – 13 K 624/11 F, EFG 2014, 704, rkr.

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auch eine Holdinggesellschaft eine originär gewerbliche Betätigung mit DBA-rechtlich hinreichender Betriebsstättenfunktion entfalten kann. ME ist eine Zuordnung möglich, wenn die Holding in einem entsprechenden Umfang Leistungsbeziehungen zu den unmittelbar nachgeordneten Gesellschaften unterhält. Ist die Kapitalgesellschaft, deren Anteile sich im Gesamthands- oder Sonderbetriebsvermögen der inländischen Personengesellschaft befinden, in einem Drittstaat ansässig, ist mE für die Zuordnung der Beteiligung zur inländischen Betriebsstätte die rein rechtliche Zuordnung zum Gesamthands- oder Sonderbetriebsvermögen dann ausreichend, wenn der ausländische Mitunternehmer im Ausland über keine weiteren Betriebsstätten verfügt. Denn in diesem Fall greifen die Betriebsstättenvorbehalte nicht. Somit ist die Zuordnung zum inländischen Betriebsvermögen nach nationalen Grundsätzen zumindest dann ausreichend, wenn im Ausland keine weitere Betriebsstätte besteht; ansonsten würden sog. betriebsstättenlose Einkünfte entstehen.164 Ist die Kapitalgesellschaft, deren Anteile sich im Gesamthands- oder Sonderbetriebsvermögen der inländischen Personengesellschaft befinden, in einem Drittstaat ansässig und verfügt der ausländische Mitunternehmer über weitere Betriebsstätten im Ausland, ist mE die Beteiligung dann der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen, wenn ein sog. Veranlassungszusammenhang besteht. Insoweit sind mE die Grundsätze des BFH zum Nicht-DBA-Fall (s. IV.1.c) auf den DBA-Fall übertragbar, da der DBA-Betriebsstättenvorbehalt nicht greift und somit die Frage, was als Unternehmensgewinn iSd. Art. 7 OECD-MA gilt, nach nationalen Grundsätzen, dh. nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ggf. iVm. § 2 Nr. 1 KStG zu entscheiden ist. c) Nicht-DBA-Fall Für den Nicht-DBA-Fall hat der BFH165 entschieden, dass auch eine gewerblich geprägte inländische KG nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG den ausländischen Gesellschaftern eine inländische Betriebsstätte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG iVm. § 2 Nr. 1 KStG vermitteln kann. Hinsichtlich der Zuordenbarkeit der Anteile zur inländischen Betriebsstätte geht der BFH davon aus, dass die rechtliche Zuordnung zum Ge164 BFH v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 = FR 2014, 57, Rz. 11 und 15. 165 BFH v. 29.11.2017, DB 2018, 804.

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samthandsvermögen jedenfalls dann nicht ausreichend ist, wenn im Ausland weitere Betriebsstätten des Gesellschafters existieren. In diesem Fall sind nach Auffassung des BFH die Anteile nach Maßgabe des Veranlassungsprinzips zuzuordnen. Dabei geht der BFH offensichtlich davon aus, dass eine Zuordnung nach dem Veranlassungsprinzip nicht nur für die Prüfung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG, sondern bereits für die Frage des Vorhandenseins von inländischen Einkünften iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erforderlich ist.166 Die Zuordnung nach dem sog Veranlassungsprinzip entspricht im Ergebnis der tatsächlich funktionalen Zuordnung von Kapitalbeteiligungen nach dem DBA-Betriebsstättenvorbehalt (s. Ausführungen zu IV.1.b). Verfügt der ausländische Gesellschafter, abweichend von dem Sachverhalt in dem o.a. Urteilsfall, im Ausland nicht über weitere Betriebsstätten, ist mE für die Zuordenbarkeit der Anteile zu der inländischen Betriebsstätte und damit für das Bestehen eines deutschen Besteuerungsrechts die allein rechtliche Zuordnung zum Gesamthandsvermögen ausreichend. Denn es kann sich keine aus dem Veranlassungszusammenhang ergebende abweichende Zuordnung zu einer ausländischen Betriebsstätte ergeben, dh. Deutschland hat auch dann das Besteuerungsrecht, wenn ein Veranlassungszusammenhang nicht besteht. Ansonsten käme es zu sog. betriebsstättenlosen gewerblichen Einkünften, die es nach Auffassung des BFH nicht geben kann.167 d) Unterschied zwischen DBA- und Nicht-DBA-Fall Zwischen dem DBA- und dem Nicht-DBA-Fall bestehen sowohl hinsichtlich der Frage des Bestehens einer inländischen Betriebsstätte als auch teilweise hinsichtlich der Frage der Zuordenbarkeit der Kapitalgesellschaftsanteile zur inländischen Betriebsstätte Unterschiede: Im DBA-Fall kann im Unterschied zum Nicht-DBA-Fall nur dann ein Besteuerungsrecht an im Gesamthands- oder Sonderbetriebsvermögen gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften bestehen, wenn im Inland eine Betriebsstätte nach Art. 5 OECD-MA vorhanden ist. Im NichtDBA-Fall liegen hingegen auch in den Fällen des § 15 Abs. 3 EStG bzw.

166 Vgl. auch Oppel, IWB 2018, 735; Klein, Ubg. 2018, 334; Hagemann, NWB 2018, 1687; Wacker, FR 2018, 562; Wacker, BB 2018, 2519 (2526); Martini/ Oppel/Staats, IWB 2018, 605; Katarzyna/Wellmann, FR 2018, 740. 167 BFH v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 = FR 2014, 57, Rz. 15.

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in Betriebsaufspaltungsfällen Einkünfte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vor. Hinsichtlich der Zuordenbarkeit der Kapitalbeteiligungen zu der inländischen Betriebsstätte ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Verfügt der ausländische Mitunternehmer im Ausland über weitere Betriebsstätten, besteht mE zwischen dem DBA- und dem Nicht-DBA-Fall kein Unterschied. Ein deutsches Besteuerungsrecht ergibt sich nur, wenn nach dem insoweit gleich auszulegenden tatsächlich funktionalen Zusammenhang bzw. dem Veranlassungsprinzip eine Zuordnung der Kapitalbeteiligung zu der inländischen Betriebsstätte des Mitunternehmers vorzunehmen ist. Weiter besteht mE kein Unterschied zwischen dem DBA- und dem NichtDBA-Fall, wenn der ausländische Mitunternehmer im Ausland über keine weitere Betriebsstätte verfügt und es sich bei den im Gesamthandsoder Sonderbetriebsvermögen der inländischen Personengesellschaft gehaltenen Anteilen um solche handelt, bei denen die Kapitalgesellschaft in einem Drittstaat ansässig ist. In diesem Fall besteht ein deutsches Besteuerungsrecht bereits dann, wenn die Kapitalbeteiligung nach nationalen Grundsätzen zum inländischen Betriebsvermögen gehört, dh. die rein rechtliche Zuordnung ist ausreichend. Verfügt der ausländische Mitunternehmer hingegen nicht über weitere Betriebsstätten im Ausland und ist die Kapitalgesellschaft, deren Anteile zuzuordnen sind, in einem der Vertragsstaaten ansässig, sind der DBA- und der Nicht-DBA-Fall mE unterschiedlich zu lösen: Im DBA-Fall hat Deutschland nur dann das Besteuerungsrecht, wenn die Beteiligung tatsächlich funktional der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Ansonsten hat der ausländische Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht (s. Ausführungen unter IV.1.b). Im Nicht-DBA-Fall hat Deutschland stets das Besteuerungsrecht (s. Ausführungen unter IV.1.c). Insoweit wird mE, wenn in der Literatur168 von einer Gleichstellung des Veranlassungsprinzips im Nicht-DBA-Fall und dem funktionalen Zusammenhang im DBA-Fall ausgegangen wird, zwischen den einzelnen Fallgestaltungen nicht hinreichend differenziert.

168 Vgl. Richter/Welling, FR 2018, 984 (989).

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2. Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG/§ 21 Abs. 2 UmwStG aF) Ist eine natürliche Person, deren Kapitalgesellschaftsbeteiligung zT aus Anteilen iSd. § 17 EStG und zT aus Anteilen iSd. § 21 UmwStG aF besteht, in das Ausland verzogen und wurde die „Wegzugsteuer“ unbefristet gestundet, ergeben sich hieraus in der Folgezeit vielfältige Praxisprobleme. Diese resultieren zum Einen aus den unterschiedlichen Regelungen: § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG aF sieht eine Besteuerung nur für den Fall des Ausschlusses, nicht jedoch für den Fall der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts vor. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG erfasst, wie die übrigen Entstrickungsvorschriften auch, sowohl den Fall des Ausschlusses als auch der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Weiter erfasst § 21 Abs. 2 Nr. 3 UmwStG aF mangels Abwicklung nicht den Fall der Insolvenz der Kapitalgesellschaft. § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG setzt hingegen nur die Auflösung, nicht auch die Abwicklung der Gesellschaft voraus. Weitere Probleme ergeben sich in Fällen, in denen das deutsche Besteuerungsrecht wieder begründet wird: Beispiel: A zieht in 2010 nach Frankreich. 2018 begründet er wieder seinen Wohnsitz in Deutschland. Sein Anteil an der A-GmbH ist zu 50 % ein Anteil iSd. § 17 EStG und zu 50 % handelt es sich um sog. alteinbringungsgeborene Anteile. Im Zeitpunkt des Wegzugs wurden jeweils die stillen Reserven aufgedeckt. Die Steuer wurde jeweils zinslos und unbefristet gestundet.

Eine Aufhebung der Wegzugsteuer nach § 6 AStG ist nach § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG grds. möglich. Fraglich ist, ob auch die Aufhebung nach § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG eine nachgewiesene Rückkehrabsicht im Zeitpunkt des Wegzugs voraussetzt. Hingegen kommt eine Aufhebung der Wegzugsteuer für die einbringungsgeborenen Anteile iSd. § 21 UmwStG aF nicht in Betracht. Eine dem § 6 Abs. 3 AStG entsprechende Regelung, nach der im Fall der Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts der Entstrickungsgewinn rückgängig gemacht wird, enthält § 21 UmwStG aF nicht. Durch die Verweisung in § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG auf § 6 Abs. 5 AStG wird der Entstrickungstatbestand nicht berührt, so dass ein einmal entstandener Entstrickungsgewinn bestehen bleibt.

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§ 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG verweist nur auf § 6 Abs. 5–7 AStG, nicht hingegen auf § 6 Abs. 3 AStG.169 Für dieses Ergebnis spricht auch, dass mit dem Wegzug der Realisationstatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG aF verwirklicht worden ist, der durch den Wiederzuzug in Deutschland nicht wieder rückgängig gemacht oder aufgehoben wird. Dies hat zur Folge, dass bei Wiederbegründung des deutschen Besteuerungsrechts die Anteile nicht mehr von § 21 UmwStG aF, sondern von § 17 EStG erfasst werden. Mit Erfüllung des Realisationstatbestands haben die Anteile ihre Eigenschaft als einbringungsgeborene Anteile verloren. Zu einer vergleichbaren Frage bei Antragstellung nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 UmwStG aF s. auch BFH v. 24.6.2008170.

169 Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 21 UmwStG (vor SEStEG) Rz. 160; Klein/Rippert, IStR 2018, 26; aA Häck, Ubg. 2017, 171 (Fall 5). 170 BFH v. 24.6.2008 – IX R 58/05, BStBl. II 2008, 872 = GmbHR 2008, 1047.

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Aktuelle gesellschafterbezogene Steuerprobleme in Familienunternehmen II (Schenkung und Vererbung) Rechtsanwalt/Steuerberater Dr. Achim Dannecker Stuttgart I. Einleitung II. Beispielsfall III. Möglichkeit einer horizontalen Verbundvermögensaufstellung 1. Problemstellung 2. § 13 Abs. 9 ErbStG erlaubt horizontale Verbundvermögensaufstellung 3. Horizontaler Verbund als Wahlrecht IV. Entstehung junger Finanzmittel bei Leistungen im Konzern 1. Grundlagen 2. Einlagen und Entnahmen bzw. Ausschüttungen a) Handhabung der Finanzverwaltung b) Kritik 3. Darlehen anstelle von Einlagen 4. Gewinnabführungen aufgrund EAV a) Fragestellungen b) Gewinnabführungen und Verlustausgleiche sind weder Einlagen noch Ausschüttungen c) Vorwegausschüttungen als Gestaltungsmöglichkeit

d) Forderungen und Verbindlichkeiten sind nicht anzusetzen 5. Umstrukturierungen a) Fragestellungen b) Umstrukturierungen im vertikalen Verbund c) Horizontaler Verbund 6. Zum Beispielsfall V. Kaskadeneffekt durch „Über“berücksichtigung von Gesellschafterkonten? VI. Beteiligungen an Investmentfonds 1. Grundlagen 2. Zivilrechtliche oder steuerliche Betrachtungsweise? 3. Auswirkungen des InvStG 2018 a) Zuordnungsfrage b) Investmentfonds iSd. Kapitels 2 InvStG 2018 c) Spezial-Investmentfonds iSd. Kapitels 3 InvStG 2018 4. Beteiligung an einem geschlossenen Fonds 5. Zum Beispielsfall VII. Fazit

I. Einleitung Als Konsequenz des Urteils des BVerfG v. 17.12.20141 wurden die Befreiungsnormen der §§ 13a, 13b ErbStG mit Wirkung zum 1.7.2016 umfas1 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 = BStBl. II 2015, 50 = FR 2015, 160. Ich danke meinem Kollegen RA Martin Weil für seine tatkräftige und wertvolle Unterstützung.

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send überarbeitet. Die Finanzverwaltung reagierte mit koordiniertem Ländererlass v. 22.6.20172 auf die Neuregelungen. Doch konnten auch hierdurch nicht alle offenen Fragen geklärt werden. Insbesondere mit Blick zu jungem Verwaltungsvermögen und jungen Finanzmitteln nimmt die Finanzverwaltung zudem eine Haltung ein, die auch nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen wirtschaftende Unternehmen – als Beispiel seien Handelsunternehmen genannt – vor Probleme stellt, ihr Verwaltungsvermögen in den Griff zu bekommen. Dies gilt vor allem für den systematisch nicht zu rechtfertigenden 90 %-Test. An sich unschädliche und für den laufenden Betrieb notwendige Finanzmittel wirken sich bei Schenkung bzw. Vererbung der Anteile dann schnell nachteilig aus. Dies erschwert die Nachfolgeplanung. Der Beitrag widmet sich einzelnen, in der täglichen Beratungspraxis im Umgang mit den Verschonungsregelungen auftretenden Problemen, für die dringend Lösungen gebraucht werden. Er zeigt Lösungsansätze auf, die mit der aktuellen Gesetzeslage vereinbar sind. Im Fokus stehen die Möglichkeit einer horizontalen Verbundvermögensaufstellung, die Problematik junger Finanzmittel durch Leistungen im Konzern (und wie solche de lege lata vermieden werden könnten), der Doppel-Berücksichtigung von Finanzmitteln bei Mitunternehmer-Gesellschafterkonten beim 90 %-Test sowie das Entstehen von jungem Verwaltungsvermögen bei Umschichtungen in Investmentfonds.3

II. Beispielsfall A und B sind zu jeweils 50 % als Kommanditisten an der A GmbH & Co. KG und der B GmbH & Co. KG beteiligt. A hat der A GmbH & Co. KG ein Darlehen iHv. 100 Mio. Euro gewährt. Der ausgereichte Betrag wurde von der A GmbH & Co. KG vollständig in Betriebsmittel investiert. Beide KGs haben dieselbe GmbH als Komplementärin, die mit 0 % am Kapital beteiligt ist und deren Anteile A und B zu je 50 % halten. Während die A GmbH & Co. KG und die nachgeschalteten Gesellschaften 2 Koordinierte Ländererlasse v. 22.6.2017, BStBl. I 2017, 902 = StEK ErbStG § 13a Nr. 48; abweichend BayLfSt. v. 14.11.2017 – S 3715.1.1-30/8 St 34, DStR 2017, 2554 = GmbHR 2018, 112. 3 Der Beitrag berücksichtigt noch nicht den nach dem 70. Fachkongress am 20.12.2018 auf der Homepage des BMF veröffentlichten Diskussionsentwurf der ErbStR 2019. Er weist an geeigneter Stelle auf sich dadurch ergebende Änderungen hin.

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über hohe Substanzwerte (Grundstücke, Gebäude, Anlagevermögen) verfügen, aber ertragsschwach sind und nur geringe Finanzmittel haben, ist die der B GmbH & Co. KG nachgeschaltete B OpCo GmbH ertragsstark und hat über die Jahre hohe Finanzmittel thesauriert. Die A GmbH & Co. KG ist zu 100 % an der A Holding beteiligt. Diese hat zwei hundertprozentige Tochtergesellschaften, die AT1 und AT2 (alle in der Rechtsform der GmbH). Mit AT2 besteht ein Ergebnisabführungsvertrag (EAV), innerhalb dessen Gewinne von der AT2 an die A Holding abgeführt und Verluste ausgeglichen werden. AT1 schüttet alljährlich ihre Gewinne an die A Holding aus. In den letzten beiden Jahren wurden zusammen 60 000 Euro ausgeschüttet. Vor einem Jahr fand eine Einlage iHv. 100 000 Euro statt. Im Laufe des letzten Jahres hat die AT1 außerdem ein Grundstück an die AT2 verkauft und übertragen. Im Unternehmen denkt man über weitere Umstrukturierungen nach. Erwogen wird zum einen die Verschmelzung der AT1 auf die AT2, zum anderen die Übertragung der Anteile der A Holding an der AT1 auf die B OpCo GmbH. Die A GmbH & Co. KG hält zudem Beteiligungen von etwas mehr als 25 % an dem als Sondervermögen organisierten Investmentfonds I sowie eine Beteiligung an einem geschlossenen Fonds (Investmentfonds II) in Form einer GmbH & Co. KG.

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III. Möglichkeit einer horizontalen Verbundvermögensaufstellung 1. Problemstellung Viele Erblasser und Schenker sind an unterschiedlichen Unternehmen (Einzelunternehmen, Personen- und Kapitalgesellschaften etc.) beteiligt. In Familienunternehmen gibt es des Öfteren Konstellationen, in denen die Familienmitglieder mit (nahezu) identischer Beteiligung an mehreren KGs Anteile halten, die ihrerseits Beteiligungen halten. Das Gesamt-Unternehmen ist dann in zwei oder mehr Teilgruppen organisiert, auch wenn es oft ein organisches Ganzes bildet. Es wird jedenfalls als eine Unternehmensgruppe am Markt wahrgenommen. Es kommt vor, dass die KGs und deren nachgeschaltete Gesellschaften unterschiedlich profitabel sind. So kann die eine (uU über einen langen Zeitraum historisch gewachsene) Teilgruppe über hohe Substanzwerte bei geringen Erträgen verfügen, während die andere ertragsstark ist und über finanzielle Mittel verfügt. Wegen der hohen Ausschüttungsbelastung ist ein Mitteltransfer zwischen den Teilgruppen nur über Darlehen möglich. In solchen Situationen droht bei der Schenkung bzw. Vererbung eine zumindest teilweise Versteuerung an sich unschädlicher und für den Betrieb notwendiger Finanzmittel, uU kann von der Cash-reichen Teilgruppe sogar der 90 %-Test des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht erfüllt werden, obwohl in einer Gesamtbetrachtung volle Begünstigungsfähigkeit gegeben wäre.

2. § 13 Abs. 9 ErbStG erlaubt horizontale Verbundvermögensaufstellung Anhand derartiger Unternehmenskonstellationen wird deutlich, dass nur mit einer horizontalen Konsolidierung jedenfalls der nach § 13b Abs. 9 Satz 2 ErbStG gesondert zu erfassenden Größen eine übermäßige und gleichheitswidrige Besteuerung verhindert werden kann. Die horizontale Konsolidierung ist die logische Konsequenz der Verbundvermögensaufstellung und mit dem Wortlaut des § 13b Abs. 9 ErbStG vereinbar. Danach ist die Verbundvermögensaufstellung vorzunehmen, wenn zum begünstigungsfähigen Vermögen Gesellschaftsanteile gehören. Dies ist auch dann zu bejahen, wenn der Gesellschaftsanteil selbst das begünstigte Vermögen darstellt, denn nach § 13b Abs. 1 ErbStG „gehören“ Anteile

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zum begünstigungsfähigen Vermögen.4 Die horizontale Konsolidierung ergibt sich aus dem Konsolidierungsgebot des § 13b Abs. 9 ErbStG, da dieser eine umfassende Transparenz und Zusammenschau des Betriebsvermögens will, ohne dass durch die konkrete gesellschaftsrechtliche Struktur oder Allokation des Vermögens Verzerrungen im Hinblick auf die nach Satz 2 zu erfassenden Größen eintreten. Das muss dann in alle Richtungen gelten und nicht nur im Hinblick auf nachgeordnete Gesellschaften. Die Finanzverwaltung äußert sich nicht explizit. Die Aussage, dass die Konzernbilanz keine Grundlage für die Verbundvermögensaufstellung bilde,5 schließt zumindest nicht aus, dass auch eine horizontale Konsolidierung jedenfalls der vom Gesetz in Satz 2 explizit genannten Größen möglich sein soll. Dies ist auch mit dem nach Wirtschaftseinheiten gegliederten Feststellungsverfahren des § 13b Abs. 10 ErbStG in Einklang zu bringen. Darüber hinaus ist der mit der Verbundvermögensaufstellung vom Gesetzgeber intendierte Zweck in die Auslegung der maßgeblichen Vorschrift einzubeziehen. Unter der Vorgängerregelung war es möglich, eine Vollverschonung nach § 13b Abs. 1 und 2 ErbStG aF zu erreichen, indem Vermögenswerte gezielt innerhalb einer Gruppe auf nachgelagerte Gesellschaften verlagert oder neue Holdingebenen in die Beteiligungskette zwischengeschaltet wurden.6 Die Neuregelung der Verbundvermögensaufstellung sollte dazu führen, dass schädliches (junges) Verwaltungsvermögen nicht mehr versteckt werden konnte. Weiter sollte der mit der Holdingklausel in § 13b Abs. 2 Nr. 3 ErbStG aF verbundene Kaskadeneffekt vermieden werden.7 Die Neuregelung des § 13b Abs. 9 ErbStG 4 Vgl. Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13b Rz. 238, der im Ergebnis unter Hinweis auf die Historie der Norm einen horizontalen Verbund ablehnt. Ähnlich Hofmann/Jülicher, StbJb. 2017/2018, 235 (250); ähnlich Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 99 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung; für Schwestergesellschaften verneinend Wachter in Fischer/ Pahlke/Wachter, ErbStG6, § 13b Rz. 711; ablehnend auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 412 (Nov. 2017). 5 Abschn. 13b.29 Abs. 1 Satz 3 AE-ErbSt. 2017; hierzu kritisch Kirnberger in Wilms/Jochum, ErbStG, § 13b Rz. 110 (Juni 2018). 6 Vgl. dazu Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13b Rz. 275 f.; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 97 f.; Schneider, UVR 2017, 113 (115). 7 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 98; Wachter in Fischer/Pahlke/ Wachter, ErbStG6, § 13b Rz. 707; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 411 (Nov. 2017); Stalleiken, DK 2016, 439 (441); Halaczinsky, UVR 2016, 364 (371).

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dient daher der Missbrauchsbekämpfung.8 Wird die Verbundvermögensaufstellung nicht nur vertikal, sondern auch horizontal erlaubt, wird dieser Zweck nicht beeinträchtigt.

3. Horizontaler Verbund als Wahlrecht Jedenfalls muss dies für Teilgruppen gelten, soweit sie einheitlich kontrolliert und einheitlich geführt werden. Im vorliegenden Fallbeispiel beherrschen die Gesellschafter A und B die beiden wirtschaftlichen Einheiten. Daneben ist die gemeinsame geschäftliche Leitung durch dieselbe Komplementär GmbH abgesichert. Als Geschäftsführerin beider KGs lenkt sie die Gesamt-Gruppe und stellt die einheitliche Unternehmensausrichtung sicher. Es findet mit ihr eine Verklammerung zweier Teilgruppen zu einem Gesamt-Unternehmen statt. Zumindest jedenfalls in diesen Konstellationen muss auch eine horizontale Verbundvermögensaufstellung möglich sein. Ist demnach die Verbundvermögensaufstellung auch für horizontal organisierte Gruppen dem Grunde nach möglich, stellt sich gleichwohl die Frage, ob der Stpfl. wahlweise auch aus der horizontalen Verbundvermögensaufstellung herausoptieren kann. Sieht man den horizontalen Verbund als vom Gesetz erfasst an, legt der Wortlaut des § 13b Abs. 9 Satz 1 ErbStG mit „sind … einzubeziehen“ eine Pflicht nahe. Allerdings wird der mit der Verbundvermögensaufstellung verfolgte Zweck des Verhinderns von gezielten Vermögensverschiebungen auch bei einer nach Unternehmenssträngen getrennten Vermögensaufstellung erreicht. Über die vertikale Verbundvermögensaufstellung werden auch hier jegliche Finanzmittel erfasst. Wie oben dargelegt, ist eine solche separate Betrachtungsweise mit Blick auf den 90 %-Test regelmäßig nachteilig. Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn der 90 %-Test auch bei horizontaler Konsolidierung insgesamt nicht bestanden wird oder die Voraussetzungen der Optionsverschonung bei horizontaler Konsolidierung nicht erfüllt werden, dies aber zumindest für eine wirtschaftliche Einheit möglich wäre und sie von der Begünstigung profitieren könnte. Außer dieser Erwägung spricht für ein Wahlrecht auch die Vereinfachung der Steuererklärung und -veranlagung, wenn es der Stpfl. bei einer vertikalen Konsolidierung belassen möchte. Deshalb kann die Möglichkeit der horizontalen Verbundvermögensaufstellung optional eingeräumt werden.

8 BT-Drucks. 18/5923, 25.

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Die hier vorgestellte Sichtweise ist mit der Handhabung der Finanzverwaltung im Grunde gut vereinbar, da diese teilweise auch auf das gesamte unternehmerische Engagement abstellt. So rechnet die Finanzverwaltung bei Vorliegen mehrerer wirtschaftlicher Einheiten die jeweiligen Mindestlohnsummen zur Ermittlung der Mindestlohnsumme nach § 13a Abs. 3 ErbStG zusammen.9 Nicht möglich soll eine gemischte Betrachtung dagegen bei der Verbundvermögensaufstellung junger Finanzmittel sein. Diese sind laut Verwaltung auf jeder Beteiligungsebene festzustellen. Die Begrenzung der jungen Finanzmittel auf den Wert der Finanzmittel geschieht dann aber erst auf der obersten Feststellungsebene.10 Letzteres ist kritikwürdig und ändert nichts an der Feststellung, dass die Finanzverwaltung in ihrer Praxis den Konsolidierungsgedanken unterschiedlich weit versteht. Letztlich muss das aber in ein Wahlrecht des Steuerbürgers münden. Schließlich handhabt die Finanzverwaltung auch den 20 %-Test für die Vollverschonung des § 13a Abs. 10 ErbStG nicht konsequent. Beantragt der Stpfl. die Vollverschonung, kehrt die Finanzverwaltung auch hier – im Gegensatz zur Verbundvermögensaufstellung – von einer Gesamtbetrachtung ab und betrachtet die übertragenen wirtschaftlichen Einheiten getrennt dahingehend, ob das Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 3 und 4 ErbStG jeweils die Grenze von 20 % überschreitet.11 Für die Versagung der Vollverschonung insgesamt greift die Finanzverwaltung dann aber wieder auf eine Gesamtbetrachtung aller wirtschaftlichen Einheiten zurück.12 Kommt aufgrund der Unternehmensstruktur für den Stpfl. eine horizontale Verbundvermögensaufstellung in Betracht, ist ihm daher ein Wahlrecht einzuräumen. Nur so kann der Vielfalt unterschiedlicher Unternehmensstrukturen hinreichend Rechnung getragen und ggf. eine Übermaßbesteuerung verhindert werden. Erwägt A im Beispielsfall, seine Beteiligungen an der A GmbH & Co. KG und der B GmbH & Co. KG auf einen Dritten schenkweise zu übertragen, besteht die Möglichkeit, die Verbundvermögensaufstellung für beide Teil-Gruppen zusammen 9 Abschn. 13a.6 Satz 2 AE-ErbSt 2017. 10 Abschn. 13b.29 Abs. 4 Satz 2 AE-ErbSt. 2017; jetzt R E 13b.29 Abs. 6 Satz 2 ErbStR 2019-E. 11 Abschn. 13a.20 Abs. 4 Satz 1 AE-ErbSt. 2017, jetzt R E 13a.21 Abs. 4 Satz 1 ErbStR 2019-E. 12 Abschn. 13a.20 Abs. 4 Satz 3 AE-ErbSt. 2017, jetzt R E 13a.21 Abs. 4 Satz 1 ErbStR 2019-E.

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durchzuführen, um eine sachgerechte Beurteilung des Gesamt-Unternehmens zu gewährleisten.

IV. Entstehung junger Finanzmittel bei Leistungen im Konzern 1. Grundlagen Innerhalb eines Konzerns werden regelmäßig Finanzmittel zwischen den Gesellschaften in unterschiedlicher Weise bewegt. Erbschaftsteuerlich kann dies zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen führen. Konzerninterne Forderungen und Verbindlichkeiten wirken sich regelmäßig nicht aus, sie werden nicht angesetzt (§ 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG). Ansonsten können sich indessen konzerninterne Umschichtungen von Finanzmitteln unterschiedlich auf das Verwaltungsvermögen oder die Finanzmittel auswirken. Insbesondere sind Einlagen, Entnahmen bzw. Ausschüttungen und Gewinnabführungen bzw. Verlustausgleiche in den Blick zu nehmen. Zum Vergleich und als möglicher Gestaltungsansatz wird die Regelung von Darlehen anstelle von Einlagen dargestellt. Schließlich werden Umstrukturierungen und damit verbundene Vermögensverschiebungen im Verbund erörtert. Von Sinn und Zweck der gesetzlichen Normen her gedacht sollten sich diese Vorgänge nicht auf das Verwaltungsvermögen oder die Finanzmittel auswirken, da der Gruppe insgesamt von „außen“ keine Mittel zufließen und die Verbundvermögensaufstellung die Gruppe als Ganzes „transparent“ macht.13 Damit kann nur bezogen auf Mittelzuführungen zum Verbund überhaupt ein Missbrauch vorliegen. Nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG gehören Finanzmittel zum Verwaltungsvermögen. Unter Finanzmittel fasst das Gesetz den Bestand an Zahlungsmitteln, Geschäftsguthaben, Geldforderungen und anderen Forderungen. Davon zu unterscheiden sind junge Finanzmittel. Diese sind nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 Halbs. 1 ErbStG definiert als positiver Saldo der eingelegten und entnommenen Finanzmittel, welche dem Betrieb im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen wa13 Die Berücksichtigung konzerninterner Vorgänge wird in der Literatur überwiegend abgelehnt, vgl. etwa Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 107; Korezkij, DStR 2016, 2434 (2439); Haag/Hamacher, ZEV 2018, 372 (375); Weber/Schwind, ZEV 2018, 509 (510 f.); Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13b Rz. 248.

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ren. Der Wert der jungen Finanzmittel wird durch die Finanzverwaltung lediglich auf den Wert aller Finanzmittel im Besteuerungszeitpunkt vor Abzug der abzugsfähigen Schulden und des Sockelbetrags begrenzt, unabhängig davon, ob die eingelegten Mittel verbraucht sind oder nicht.14 Diese jungen Finanzmittel sind nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 Halbs. 2 ErbStG Verwaltungsvermögen. Sie können nach § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG kein unschädliches Verwaltungsvermögen sein. Auch eine Saldierung mit Schulden findet für junge Finanzmittel nicht statt (§ 13b Abs. 8 Satz 1 ErbStG). Sie sind auch nicht um den Sockelbetrag des § 13 Abs. 4 Nr. 5 ErbStG zu kürzen. Im Ergebnis lösen sie immer Erbschaftsteuer aus. Wegen dieser kumulierten negativen Gesetzesfolgen geht es darum, den Anwendungsbereich der Regelungen zu jungen Finanzmitteln so zu definieren, dass es zu keiner Übermaßbesteuerung kommt.

2. Einlagen und Entnahmen bzw. Ausschüttungen a) Handhabung der Finanzverwaltung Nach Abschn. 13b.23 Abs. 9 Sätze 5, 6 AE-ErbSt 201715 sind bei der Ermittlung junger Finanzmittel die Einlagen und Entnahmen aller Gesellschafter anzusetzen, soweit sie das Gesamthandsvermögen betreffen. Sie sind nach dem Wert des Anteils des Gesellschafters am Gesamthandsvermögen zum gemeinen Wert des Gesamthandsvermögens auf die Gesellschafter aufzuteilen. Hierdurch wird das Gesamtbild verzerrt.16 Die Zuführung von Finanzmitteln eines Gesellschafters wirkt sich damit zwingend auf die übrigen Gesellschafter aus.17 Bei mehrstufigen Beteiligungen ist unter den Voraussetzungen des § 13b Abs. 9 ErbStG eine Verbundvermögensaufstellung durchzuführen. Bei Anwendung des § 13b Abs. 2–8 ErbStG sind zur Ermittlung des begünstigten Vermögens nicht die gemeinen Werte der Beteiligungen oder Anteile anzusetzen, sondern die gemeinen Werte der diesen Gesellschaften zuzurechnenden Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens, des

14 Abschn. 13b.23 Abs. 3 Sätze 2, 3 AE-ErbSt. 2017. 15 Jetzt R E 13b.23 Abs. 9 Sätze 6, 7 ErbStR 2019-E. 16 Vgl. auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b, Rz. 330 (Nov. 2017). 17 Siehe auch die Ausführungen von Mannek zur Aufteilung des Verwaltungsvermögens auf S. 268 ff.

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jungen Verwaltungsvermögens, der Finanzmittel, der jungen Finanzmittel und der Schulden.18 Diese sind mit dem Anteil einzubeziehen, zu dem die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung besteht.19 Die Finanzverwaltung geht wohl davon aus, dass junge Finanzmittel auf jeder Stufe entstehen können. Denn nach Abschn. 13b.29 Abs. 4 Satz 2 AE-ErbSt. 201720 sind die jungen Finanzmittel nicht auf jeder Beteiligungsstufe auf den Wert der Finanzmittel zu begrenzen.21 Dies ist nur dann möglich, wenn sie dort auch entstehen können.22 Diese Sichtweise deutet auch das Beispiel der Finanzverwaltung in den ErbStR zum jungen Verwaltungsvermögen im Verbund an, wonach ein an einen Dritten zur Nutzung überlassenes Grundstück von der Muttergesellschaft in die Tochtergesellschaft eingelegt wird und zu jungem Verwaltungsvermögen führt.23 Deshalb ist eine entsprechende Anwendung auch auf Finanzmittel zu erwarten.24 Einlagen innerhalb der Beteiligungskette sorgen daher zunächst bei der empfangenden Gesellschaft für junge Finanzmittel. Diese sind dann dem mittelbaren Gesellschafter (ggf. anteilig) zuzurechnen. Gleichzeitig werden Entnahmen der Gesellschafter auf der Stufe der jeweiligen Gesellschaft gegengerechnet. Im Fall der Beteiligung an Kapitalgesellschaften treten an die Stelle von Einlagen die offenen und verdeckten Einlagen und statt Entnahmen wird auf Ausschüttungen abgestellt.25

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Abschn. 13b.29 Abs. 2 Satz 1 AE-ErbSt. 2017. Abschn. 13b.29 Abs. 2 Satz 2 AE-ErbSt. 2017. Jetzt R E 13b.29 Abs. 6 Satz 2 ErbStR 2019-E. Kritisch zur Begrenzung auf oberster Stufe und zur Nichtberücksichtigung eines negativen Saldos auf einer Beteiligungsstufe zB Haag/Hamacher, ZEV 2018, 372 (374) und Korezkij, DStR 2017, 1729 (1734). Die Begrenzung der jungen Finanzmittel möchte die Finanzverwaltung – inkonsequent und entgegen dem Konsolidierungsgedanken – erst auf der obersten Feststellungsebene vornehmen; s. dazu bereits oben unter III.3. Vgl. H 13b.29 „Junges Verwaltungsvermögen im Verbund, Beispiel 3“ ErbStH 2011. Vgl. auch Haag/Hamacher, ZEV 2018, 372; Reich, DStR 2017, 1858 (1859). Mittlerweile hat die Finanzverwaltung ihre Sichtweise im Entwurf zu den ErbStR 2019 verdeutlicht. Nach R E 13b.29 Abs. 3 ErbStR 2019-E führen konzerninterne Einlagen entlang der Beteiligungskette explizit zu jungen Finanzmitteln. Weinmann in Moench/Weinmann, ErbStG, § 13b Rz. 201 (März 2018); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2438).

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Für den Beispielsfall bedeutet dies: Die von der A Holding vor einem Jahr in die AT1 eingelegten Vermögenswerte iHv. 100 000 Euro sind bei der Berechnung der jungen Finanzmittel zu berücksichtigten. Auch die von der AT1 innerhalb der letzten zwei Jahre vorgenommenen Ausschüttungen an die A Holding iHv. insgesamt 60 000 Euro sind einzubeziehen. Der (positive) Saldo beträgt hier 40 000 Euro, so dass auf Stufe der AT1 GmbH junge Finanzmittel iHv. 40 000 Euro vorhanden sind. Diese sind dem A über die Verbundvermögensaufstellung zu 50 % zuzurechnen. b) Kritik Die Erfassung junger Finanzmittel pro rechtlicher Einheit innerhalb eines Konzerns widerspricht der Grundanordnung der Verbundvermögensaufstellung, die eine konsolidierte Betrachtung verlangt.26 Beim Durchreichen von Einlagen im Konzern werden junge Finanzmittel ansonsten mehrfach über die Stufen im Konzern erfasst, obwohl sich am Bestand der Finanzmittel im Konzern insgesamt nichts geändert hat.27 Umgekehrt vermindern Ausschüttungen durch die Beteiligungskette an die Obergesellschaft mehrfach den Saldo der jungen Finanzmittel auf jeder Stufe. Würden nicht nur von außen kommende Einlagen, sondern auch konzerninterne Einlagen und Entnahmen zu jungen Finanzmitteln führen, wäre der in einer Holdingstruktur organisierte Erwerber gegenüber einem Einzelunternehmer oder einem in einer einstufigen Gesellschaftsstruktur organisierten Erwerber erheblich benachteiligt.28 Da die Vorschrift hinsichtlich der jungen Finanzmittel ein Mittel zur Missbrauchsvermeidung darstellt, gebieten allein schon Sinn und Zweck eine Begrenzung der Anwendung, soweit Missbrauch ausgeschlossen werden kann. Dies ist in Fällen der konzerninternen Einlage und Entnahme der Fall. Hier werden keine Mittel von außen in die Gesellschaft gebracht.29 26 Reich, BB 2017, 1879 (1881); Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG6, § 13b Rz. 714. 27 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2439); Haag/Hamacher, ZEV 2018, 372 (373) sprechen von einem „negativen Kaskadeneffekt“; Burwitz/Wighardt, NZG 2018, 172 (173). Die mehrfache Erfassung wird in R E 13b.29 Abs. 3 Satz 3 ErbStR 2019-E ausdrücklich anerkannt. 28 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 107. 29 S. Viskorf in Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG5, § 13b Rz. 228; Haag/Hamacher, ZEV 2018, 372 (375); Weber/Schwind, ZEV 2018, 509 (510 f.).

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Für eine konsolidierte Betrachtungsweise im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung spricht die Systematik des Gesetzes.30 Stalleiken führt dazu aus, dass nach § 13b Abs. 9 Satz 4 ErbStG § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG mit seiner Definition der jungen Finanzmittel in Satz 2 auf die Werte in der Verbundvermögensaufstellung anzuwenden ist. Durch das Zusammenspiel der beiden Vorschriften müsse „Betrieb“ iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG als der Verbund angesehen werden und nicht als einzelne Gesellschaft. Von Sinn und Zweck sowie Systematik ausgehend muss der Wortlaut von § 13b Abs. 9 Satz 2 ErbStG iS einer Gesamtkonsolidierung verstanden werden. Während unmittelbar und mittelbar gehaltene Finanzmittel nach Halbs. 1 in der Verbundvermögensaufstellung „zusammenzufassen“ sind, müssen junge Finanzmittel nach Halbs. 2 bloß „gesondert aufgeführt“ werden.31 Selbst wenn man das Zusammenspiel der beiden Halbsätze so auslegt, dass junge Finanzmittel auf jeder Stufe neben den übrigen Finanzmitteln ermittelt werden müssen und damit entstehen können, lässt sich daraus nicht die Erfassung konzerninterner Einlagen und Ausschüttungen ableiten. Vielmehr legt die unterschiedliche Bezeichnung eine unterschiedliche Funktionalität nahe. Schließlich sind Fälle denkbar, in denen auch auf einer unteren Stufe von „außen“ Finanzmittel in die Gesellschaft eingelegt werden, zB dann, wenn die übergeordnete Gesellschaft nicht zu 100 % beteiligt ist, daneben also noch weitere Gesellschafter bestehen, die der Gesellschaft unmittelbar Mittel zuführen können. Daneben spricht auch der Wortlaut des § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 Halbs. 2 ErbStG gegen eine Erfassung konzerninterner Umschichtungen. Die darin enthaltene Definition der jungen Finanzmittel ist betriebsbezogen. Erfasst werden nur solche entnommenen und eingelegten Finanzmittel, die „dem Betrieb“ weniger als zwei Jahre zuzurechnen waren. Der Betrieb muss sich als Konsequenz der Verbundvermögensaufstellung auf den ganzen Verbund beziehen.32

30 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13b Rz. 248; Korezkij, DStR 2016, 2434 (2439). 31 So auch Korezkij, DStR 2016, 2434 (2439). 32 In diese Richtung auch Stalleiken, DK 2016, 439 (442), der normsystematisch mit der Einführung der Verbundvermögensaufstellung trotz unveränderten Wortlauts „dem Betrieb zuzurechnen“ (§ 13b Abs. 2 Sätze 3 und 7 ErbStG aF) für die Neufassung des § 13b Abs. 7 Satz 2 iVm. Abs. 9 ErbStG auf den Verbund abstellt; ebenso Kußmaul/Müller, Ubg. 2017, 269 (246); ähnlich Schneider, UVR 2017, 113 (117), der auf den Konzern abstellt.

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Auch die Entstehungsgeschichte spricht dafür, dass nur Einlagen „von außen“ zur Entstehung junger Finanzmittel führen können.33 Der Bundestag hat in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Finanzausschusses v. 22.6.2016 die Definition der jungen Finanzmittel aus dem Entwurf der Bundesregierung v. 7.9.2015 übernommen. Dort führt diese aus, dass Umschichtungen von Finanzmitteln innerhalb einer Konzernstruktur sich auf der Ebene der Obergesellschaft beim Finanzmitteltest grundsätzlich nicht auswirken.34 In seiner Verfügung v. 14.11.2017 zum koordinierten Ländererlass zum ErbStG v. 22.6.2017 erklärt das Bayerische Landesamt für Steuern in Bezug auf junges Verwaltungsvermögen, dass für die Bestimmung des Zweijahreszeitraums iSd. § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG auch die Zeit angerechnet werden solle, in der das Verwaltungsvermögen zuvor ununterbrochen Betrieben verbundener Unternehmen iSd. § 13b Abs. 9 ErbStG35 zuzurechnen war.36 Zwar betrifft dies konkret nur das junge Verwaltungsvermögen. Für junge Finanzmittel darf aber nichts Gegenteiliges gelten. Diesem sinnvollen, schlüssigen und die Zielsetzung des Gesetztes optimal verwirklichenden Ansatz ist zu folgen.

3. Darlehen anstelle von Einlagen Zur Vermeidung junger Finanzmittel könnten grundsätzlich Darlehen anstelle von Einlagen gewährt werden. Da das Erbrecht ans Zivilrecht anknüpft, ist dies auch ohne weiteres möglich und anzuerkennen. Da Einlagen in das Eigenkapital oftmals zur Stützung von Krisengesellschaften gewährt werden, besteht in nicht wenigen Fällen allerdings die Gefahr, dass es sich um eigenkapitalersetzende Darlehen handelt, die zumindest

33 Näher zur Entstehungsgeschichte Reich, DStR 2017, 1858 (1860). 34 Vgl. Gesetzentwurf v. 7.9.2015, BT-Drucks. 18/5923, 30. § 13b Abs. 7 Satz 3, der die Verbundvermögensaufstellung betraf, lautete hier: „Finanzmittel, junges nicht begünstigtes Vermögen sowie der Saldo aus eingelegten und entnommenen Finanzmitteln sind gesondert aufzuführen“. In der Erläuterung zu Satz 3 heißt es: „Umschichtungen von Finanzmitteln innerhalb einer Konzernstruktur wirken sich auf Ebene der Obergesellschaft folgerichtig beim Finanzmitteltest grundsätzlich nicht aus.“ 35 In der Vfg. ist von § 13a Abs. 9 ErbStG die Rede, hier ist von einem redaktionellen Versehen auszugehen. 36 BayLFSt. v. 14.11.2017 – S 3715.1.1-30/8 St34, DStR 2017, 2554 = GmbHR 2018, 112. Ob dies nach wie vor gilt, bleibt angesichts von R E 13b.29 Abs. 4 ErbStR 2019-E abzuwarten.

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in einigen steuerlichen Fragen wie Eigenkapital behandelt werden.37 Zivilrechtlich und handelsbilanziell stellt ein Darlehen indessen ganz generell zunächst eine Verbindlichkeit der Gesellschaft dar. Aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 EStG ist es auch steuerrechtlich grundsätzlich Fremdkapital.38 In Ermangelung spezieller Regelungen39 darf es erbschaftsteuerlich auch nicht als Einlage erfasst werden. Im Rahmen der bei Finanzmitteln abzugsfähigen Schulden äußert sich die Finanzverwaltung in Übereinstimmung damit dahingehend, dass Darlehenskonten der Gesellschafter abzugsfähig sind, soweit sie ertragsteuerrechtlich als Fremdkapital zu qualifizieren sind.40 Eine Passivierung von Darlehen in der Steuerbilanz und damit ihre ertragsteuerliche Behandlung als Fremdkapital wird allenfalls durch § 5 Abs. 2a EStG eingeschränkt. Danach sind für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit zukünftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Dies kommt bei bestimmten Rangrücktritten oder dem Verzicht mit Besserungsabrede in Betracht.41 Nicht passiviert werden dürfen zB Verbindlichkeiten, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss, nicht jedoch aus sonstigen freien Mitteln zu tilgen sind.42 Für Ertragsteuerzwecke steht der Annahme einer Einlage nach dem BFH nicht entgegen, dass der Rangrücktritt nicht zum Erlöschen der Darlehensforderung führt; ebenso wenig, dass das Darlehen bei Anfall eines zukünftigen Bilanzgewinns wieder zurückzuzahlen ist.43 Für Erbschaftsteuerzwecke sollte aber auch in diesem Fall eine Einlage nicht vorliegen. Darlehen, die aufgrund eines nach Darlehensgewährung vereinbarten Rangrücktritts nicht mehr bilanziert werden dürfen, stel37 Zur steuerrechtlichen Funktion dieses „funktionalen“ Eigenkapitals, das im Gesellschafts- bzw. Insolvenzrecht insbes. wegen Aufhebung des § 32a GmbH und Änderung der §§ 39, 135 InsO durch das MoMiG aufgegeben wurde (vgl. Bäuerle in Braun, InsO7, § 39 Rz. 21), s. zB Vogt in Blümich, § 17 EStG Rz. 620 (Juli 2016) und § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG. 38 Vgl. BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = GmbHR 1992, 382. 39 Insbes. § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG. 40 Abschn. 13b.23 Abs. 4 Satz 4 AE-ErbSt. 2017. 41 Vgl. den Überblick zur differenzierenden Rspr. bei Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 957a ff. (März 2018). 42 Vgl. BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 = FR 2015, 995. 43 Vgl. BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769 = FR 2015, 995.

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len jedenfalls keine Einlagen für Zwecke der Ermittlung junger Finanzmittel dar. Der Begriff ist autonom auszulegen. Zunächst findet beim Rangrücktritt als solchem keine Mittelzuführung statt, die für den Begriff der Einlage iS des Erbschaftsteuerrechts konstitutiv ist. Eine Einlage von Finanzmitteln erfordert die Zuführung von Zahlungsmitteln, Geschäftsguthaben, Geldforderungen oder anderen Forderungen (vgl. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG). Eine Einlage ist deshalb jedenfalls nicht in Höhe des Nennwerts der Darlehensforderung, sondern allenfalls in Höhe des werthaltigen Teils des Darlehens, also in Höhe des Teilwerts, anzunehmen.44 Dieser ist bei Überschuldung der Gesellschaft mit 0 Euro anzusetzen.45 Sodann ging der Erbschaftsteuer-Gesetzgeber bei Schulden davon aus, dass es auch wirtschaftlich nicht belastende Schulden gibt (§ 13b Abs. 8 Satz 2 ErbStG). Die Erklärung eines Rangrücktritts führt deshalb lediglich zu einem Ausschluss der Saldierung von Verbindlichkeiten.46 Führte der Rangrücktritt bereits zu einer Einlage, wäre das Erfassen als nicht belastende Schuld nicht notwendig, da Eigenkapital generell nicht abzugsfähig ist. Im Ergebnis sind damit Schulden nie als Einlage zu erfassen, solange sie als solche zivilrechtlich bestehen. Aus Vorsichtsgründen sollte bei der Ausgestaltung eines Rangrücktritts bei Darlehen darauf geachtet werden, dass dieser die steuerbilanzielle Passivierungsfähigkeit des den zugeführten Mitteln zugrunde liegenden Darlehens nicht beeinträchtigt. Als Alternative zum Rangrücktritt als Mittel zur Abwendung einer drohenden Insolvenz kommt der endgültige Verzicht auf die Darlehensforderung in Betracht. Im Unterschied zum Rangrücktritt erlischt in diesem Fall die Forderung auch zivilrechtlich. Die Entscheidung des Großen Senats,47 wonach der Verzicht nur insoweit eine Einlage darstellt, als die Forderung werthaltig ist, ist dann auch im Rahmen der Erbschaftsteuer zugrunde zu legen. Die Mittel verbleiben hier dauerhaft bei der Gesellschaft. Sollen junge Finanzmittel verhindert werden, ist ein Forderungsverzicht nur bei vollständiger Wertlosigkeit des Darlehens zu empfehlen.

44 So auch Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 8b KStG Rz. 217 (März 2018). 45 Vgl. Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 8b KStG Rz. 218 (März 2018) mwN. 46 BT-Drucks. 18/8911, 44. 47 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723.

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4. Gewinnabführungen aufgrund EAV a) Fragestellungen Im Beispielsfall wird der Gewinn von der AT2 aufgrund des zwischen ihr und der A Holding bestehenden Ergebnisabführungsvertrags jährlich an die A Holding abgeführt. Schreibt die AT2 Verluste, sind diese von der A Holding aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags auszugleichen. Gerade mit Blick auf den Verlustausgleich ist die Entstehung junger Finanzmittel zu untersuchen. Besteht kein Ergebnisabführungsvertrag, müssten Verluste durch Einlagen in die Gesellschaft nicht ausgeglichen werden. Eine solche Pflicht der Gesellschafter besteht grundsätzlich nicht.48 b) Gewinnabführungen und Verlustausgleiche sind weder Einlagen noch Ausschüttungen Nach der Definition der jungen Finanzmittel wird nur der positive Saldo der eingelegten und entnommenen Finanzmittel erfasst, die dem Betrieb im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen waren (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 Halbs. 1 ErbStG). Der Wortlaut erfasst insoweit nur Einlagen und Entnahmen. Hierunter dürfen weder Gewinnabführungen noch Verlustausgleiche aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrags fallen. Bei einem Ergebnisabführungsvertrag handelt es sich nach hM seiner Rechtsnatur nach um einen Organisationsvertrag mit schuldrechtlichen Elementen.49 Letztere folgen insbes. aus den aus dem Vertrag einklagbaren Ansprüchen.50 Um einen solchen Anspruch handelt es sich bei der gesetzlichen Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG.51 Forderungen aus dem Ergebnisabführungsvertrag als schuldrechtliche Rechtsinstitute sind nicht mit einer Einlage bzw. Entnahme zu vergleichen.

48 Eine andere Frage ist, ob Mittel aus insolvenzrechtlichen Gründen zugeführt werden müssen, wenn die Insolvenz der Gesellschaft verhindert werden soll. Dies kann indessen, wie gerade gezeigt, auch über Darlehen geschehen. 49 Vgl. etwa Paschos in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 291 AktG Rz. 4; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht8, § 291 AktG Rz. 27a; Koch in Hüffer/Koch, AktG13, § 291 Rz. 17 f., jeweils mwN. 50 Altmeppen in MünchKomm. AktG4, § 291 Rz. 37. 51 § 302 AktG ist grundsätzlich – wie die §§ 291 ff. AktG insgesamt – auch auf die GmbH anwendbar, s. dazu Altmeppen in MünchKomm. AktG4, § 291 Rz. 19.

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Unter einer Einlage ist im Gesellschaftsrecht52 ein Beitrag des Gesellschafters an die Gesellschaft zu verstehen, der auf Bildung von Eigenkapital durch Leistung in das Gesellschaftsvermögen zielt.53 Entnahme wird definiert als jede unmittelbare oder mittelbare vermögenswerte Leistung aus dem Vermögen der Gesellschaft an den Gesellschafter in seiner Eigenschaft als Gesellschafter.54 Offene Ausschüttungen einer Kapitalgesellschaft beruhen auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss.55 Ein Rechtsgrund aus dem Gesellschaftsverhältnis besteht in den Fällen eines Ergebnisabführungsvertrags gerade nicht. Ein Ergebnisabführungsvertrag ist auch mit Nicht-Gesellschaftern möglich. Auch wenn Ergebnisabführungsverträge dem Grunde nach Organisationsverträge darstellen, handelt es sich bei den abzuführenden Gewinnen bzw. auszugleichenden Verlusten doch um rein schuldrechtliche Forderungen. Eine Gewinnabführung der Tochter- an die Muttergesellschaft beruht nicht auf einem Gewinnverteilungsbeschluss, sondern hat ihren Grund im Ergebnisabführungsvertrag. Sie kann daher nicht als Ausschüttung qualifiziert werden und ist nicht in die Saldoberechnung der jungen Finanzmittel einzustellen. Ebenso wenig kann der Verlustausgleich der Mutter- gegenüber der Tochtergesellschaft als Einlage qualifiziert werden. Der Ausgleich ist allein durch den Ergebnisabführungsvertrag begründet und nicht wie eine Einlage durch das Gesellschaftsverhältnis als solches veranlasst. Daher sind Gewinnabführungen und Verlustausgleiche aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrags nicht relevant für die Differenzrechnung bei den jungen Finanzmitteln. Die Ermittlung junger Finanzmittel ist auf Einlagen und Entnahmen beschränkt. Das zeigt auch der Vergleich zum jungen Verwaltungsvermögen. Da das Gesetz in der Definition des jungen Verwaltungsvermögens 52 Zu den steuerrechtlichen Begriffen der Einlage und Entnahme vgl. § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 8 EStG. 53 K. Schmidt in MünchKomm. HGB4, § 105 Rz. 177; Wertenbruch in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, HGB3, § 105 Rz. 185. 54 Priester in MünchKomm. HGB4, § 122 Rz. 5; Finckh in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht4, § 122 HGB Rz. 5; Ehricke in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, HGB3, § 122 Rz. 4. 55 ZB § 46 Nr. 1 GmbHG und § 174 AktG; Römermann in Michalski/Heidinger/ Leible/J. Schmidt, GmbH-G3, § 46 Rz. 79 f.; Rengers in Blümich, § 8 KStG Rz. 190 (Aug. 2017).

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darauf abstellt, dass dieses dem Betrieb weniger als zwei Jahre „zuzurechnen“ war, wendet die Finanzverwaltung die Zurechnung zum jungen Verwaltungsvermögen auch auf solches Verwaltungsvermögen an, das innerhalb des Zweijahreszeitraums aus betrieblichen Mitteln angeschafft oder hergestellt worden ist.56 Im Rahmen der Ausführungen zu jungen Finanzmitteln57 findet sich keine solche Erweiterung. Dies spricht für eine enge, am Wortlaut orientierte Auslegung der Einlagen und Entnahmen von Finanzmitteln. Auch Sinn und Zweck gebieten dies. Zwar zählen nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 Halbs. 2 ErbStG auch junge Finanzmittel zum Verwaltungsvermögen. Die Erweiterung der Finanzverwaltung auf Anschaffung und Herstellung bezieht sich jedoch nach § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG nur auf junges Verwaltungsvermögen, nicht hingegen junge Finanzmittel. c) Vorwegausschüttungen als Gestaltungsmöglichkeit Bleibt die Finanzverwaltung bei ihrem Standpunkt und erfasst sie konzerninterne Einlagen als junge Finanzmittel, lässt sich bei Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags der Saldo uU gleichwohl durch Vorwegausschüttungen steuern, indem die Ausschüttungen bei der Ermittlung der jungen Finanzmittel mindernd zu berücksichtigten sind. Dies gilt unabhängig davon, dass Vorabausschüttungen innerhalb einer bestehenden Organschaft für Ertragsteuerzwecke in der Gewinnabführung aufgehen und gerade nicht als Ausschüttungen erfasst werden. Auch Vorabausschüttungen sind Ausschüttungen und als Korrektiv in die Saldorechnung für junge Finanzmittel einzustellen. Nicht zum abführbaren Gewinn gehören zB Kapitalrücklagen oder vorvertraglich gebildete Gewinnrücklagen.58 Sie können außerhalb der Gewinnabführung ausgeschüttet werden. d) Forderungen und Verbindlichkeiten sind nicht anzusetzen Von der Frage, wie Geldflüsse aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrags erbschaftsteuerlich zu erfassen sind, ist die Erfassung von aus solchen Verträgen zunächst entstehenden Forderungen und Verbindlichkeiten zu trennen. Insoweit gibt die Regelung in § 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG 56 Abschn. 13b.27 Satz 2 AE-ErbSt. 2017. 57 Dazu Abschn. 13b.23 Abs. 3 AE-ErbSt. 2017; die Vorschrift wurde insoweit auch nicht durch R E 13b.23 Abs. 3 ErbStR 2019-E geändert. 58 Vgl. Altmeppen in MünchKomm. AktG4, § 301 Rz. 21, 27; Paschos in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht3, § 301 AktG Rz. 10, 14.

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vor, dass Forderungen und Verbindlichkeiten in der Verbundvermögensaufstellung nicht anzusetzen sind, soweit sie sich zwischen den Gesellschaften untereinander oder im Verhältnis zu dem übertragenen Betrieb oder der übertragenen Gesellschaft gegenüberstehen. Der Ansatz einer Forderung als Finanzmittel scheidet aus, soweit der Forderung eine Verbindlichkeit innerhalb der zum übertragenen Vermögen gehörenden Beteiligungsstruktur gegenübersteht.59 Es entstehen also allein durch Forderung und Verbindlichkeit keine jungen Finanzmittel.

5. Umstrukturierungen a) Fragestellungen Das Entstehen jungen Verwaltungsvermögens bzw. junger Finanzmittel ist auch im Rahmen von konzerninternen Umstrukturierungen problematisch. Werden Vermögensgegenstände und/oder Finanzmittel innerhalb von zwei Jahren vor Eintritt des Erbfalls oder der Schenkung zwischen Konzerngesellschaften übertragen oder Umstrukturierungen (zB durch konzerninterne Verschmelzungen) vorgenommen, können hierdurch junges Verwaltungsvermögen und junge Finanzmittel entstehen und wären diese stets zu versteuern.60 ME sollte jedenfalls die Fußstapfentheorie des § 4 Abs. 2 Satz 1 UmwStG auch für die Erbschaftseuer gelten. b) Umstrukturierungen im vertikalen Verbund Zunächst sind Umstrukturierungen im vertikalen Verbund zu betrachten. Überträgt im Beispielsfall die AT1 ein fremd vermietetes Grundstück an die AT2, entsteht nach Ansicht der Finanzverwaltung bei der AT2 junges Verwaltungsvermögen.61 Dies widerspricht dem Konsolidierungsgedanken. Ein Fall von Gestaltungsmissbrauch, dessen Bekämpfung die Ver59 Abschn. 13b.29 Abs. 3 Satz 2 AE-ErbSt. 2017. 60 In. R E 13b.29 Abs. 4 ErbStR 2019-E wird gesagt, dass zum jungen Verwaltungsvermögen innerhalb der Verbundvermögensaufstellung auch die Wirtschaftsgüter gehören, die innerhalb des Zweijahreszeitraums von einer Gesellschaft in eine andere Gesellschaft im Verbund eingelegt werden oder die von einer anderen Gesellschaft im Verbund erworben werden. Wie konzerninterne Umstrukturierungen zu werten sind, bleibt offen. 61 Vgl. H 13b.29 „Junges Verwaltungsvermögen im Verbund, Beispiel 1“ ErbStH 2011; jetzt auch R E 13b.29 Abs. 4 ErbStR 2019-E.

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bundvermögensaufstellung intendiert, liegt bei konzerninternen Umschichtungen gerade nicht vor. Das Grundstück als solches wird – wie auch eventuell übertragene Finanzmittel – durch die Verbundvermögensaufstellung erfasst und kann nicht im Verbund versteckt werden. Für die zusätzliche Qualifikation als junges Verwaltungsvermögen besteht kein Grund, wenn das Grundstück dem Verbund bereits seit mehr als zwei Jahren angehört. Die Erfassung im Verbund als Verwaltungsvermögen bleibt vor und nach der Übertragung unverändert. Diese Problematik stellt sich nicht nur bei Übertragungen von Vermögensgegenständen des Verwaltungsvermögens oder Finanzmitteln, sondern auch dann, wenn Gesellschaften innerhalb des Verbunds übertragen oder verschmolzen werden. Es handelt sich zwar im Grunde um Tauschvorgänge, die auch zu Anschaffungen führen. Allerdings sieht das UmwStG über die Fußstapfentheorie eine steuerliche Rechtsnachfolge vor, die mE auch für die Erbschaftsteuer gelten muss. Überträgt die A Holding alle Anteile an der AT1 gegen Gewährung von Anteilen an der AT2 auf diese, ändert sich gerade nichts an der Rechtsträgerschaft der AT1 an den in dieser Gesellschaft befindlichen Grundstücken und anderen Vermögensgegenständen des Verwaltungsvermögens, so dass hier auch bei gesellschaftsbezogener Betrachtung kein junges Verwaltungsvermögen im Verbund entsteht. Die Vermögensgegenstände verbleiben im vertikalen Verbund.62 Können die Anteile an der AT1 demnach ohne Entstehen jungen Verwaltungsvermögens im Verbund übertragen werden, stellt sich die Frage, ob dies auch für Verschmelzungen gilt.63 Hier erlischt der übertragende Rechtsträger und gehen die Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens und Finanzmittel auf den übernehmenden Rechtsträger über. Das Argument der Zuordnung zum ursprünglichen Rechtsträger fällt damit weg. Betrachtet man zunächst den Fall einer Upstream-Verschmelzung, verlassen die Gegenstände des Verwaltungsvermögens und die Fi-

62 Dies muss auch trotz R E 13b.29 Abs. 4 ErbStR 2019-E gelten. Übertragen werden nicht Vermögensgegenstände zwischen Gesellschaften im Verbund, sondern eine Gesellschaft des Verbunds als solche. 63 Die ErbStR 2019-E äußern sich nicht explizit zu Verschmelzungen. Wegen der Erweiterung der Erfassung von jungen Finanzmitteln und jungem Verwaltungsvermögen bei verbundinternen Vorgängen ist aber zu fürchten, dass auch Verschmelzungen als Vermögensübertragungen innerhalb des Verbunds erfasst werden.

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nanzmittel die Beteiligungskette und damit den vertikalen Verbund nicht. Allein dieser Verbund ist als maßgeblicher Bezugspunkt für die Ermittlung des jungen Verwaltungsvermögens und der jungen Finanzmittel anzusehen. Auch die Verschmelzung muss daher ohne Auswirkungen auf junges Verwaltungsvermögen bzw. junge Finanzmittel möglich sein. Für junge Finanzmittel muss dies schon mangels relevanter Einlagehandlung gelten. Aus diesem Grund kann dann auch eine Seitwärtsverschmelzung nicht anders beurteilt werden. Zusätzlich kann argumentiert werden, dass die übernehmende Gesellschaft in die Rechtsstellung der übertragenden Gesellschaft eintritt (§ 12 Abs. 3 UmwStG), so dass für einen Neubeginn der Zweijahresfrist kein Raum bleibt.64 c) Horizontaler Verbund Würde die AT1 das Grundstück auf die B OpCo – und damit auf die andere Teilgruppe – übertragen, entstünde bei Ablehnung des horizontalen Verbunds nach der Finanzverwaltung erst recht junges Verwaltungsvermögen. Mit der Argumentation zum horizontalen Verbund unter III. und fehlendem Missbrauchspotenzial darf aber auch in dieser Konstellation kein junges Verwaltungsvermögen entstehen. Dies gilt indessen ohne Weiteres, wenn die Anteile an der AT1 im Beispiel an die B OpCo übertragen werden und damit den vertikalen Verbund verlassen. Hier ist wieder der konkrete Gegenstand der Übertragung zu betrachten. Übertragen werden Anteile an einer Kapitalgesellschaft. Es werden nicht die einzelnen Vermögensgegenstände eingelegt. Für die Beurteilung von Geschäftsanteilen im Verwaltungsvermögen ist allein § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG maßgeblich. Da über 25 % der Geschäftsanteile übertragen werden, stellen die Geschäftsanteile bei der B OpCo kein Verwaltungsvermögen dar. Vielmehr ist im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung nach § 13b Abs. 9 ErbStG nach wie vor auf die – nun von der B OpCo gehaltene – AT1 abzustellen. Gehören bei dieser die Vermögensgegenstände seit mehr als zwei Jahren zum Vermögen, besteht kein Grund für die Entstehung jungen Verwaltungsvermögens. Damit können Anteile an Kapitalgesellschaften von über 25 % auch zwischen vertikalen Verbünden übertragen werden, ohne dass junges Verwaltungsvermögen entsteht.

64 Vgl. auch Weber/Schwind, ZEV 2018, 509 (513).

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Auch bei einer Verschmelzung auf eine Gesellschaft der anderen Teilgruppe wird zwar der vertikale Verbund, nicht aber das Gesamt-Unternehmen verlassen. Wie bereits dargelegt dienen die Vorschriften zum Verwaltungsvermögen maßgeblich der Missbrauchsbekämpfung. Ein solcher Missbrauch ist aber ausgeschlossen, wenn das Verwaltungsvermögen seit mehr als zwei Jahren der Gruppe als solcher angehört und nur innerhalb der Gruppe übertragen wird. Hier darf also nichts Anderes gelten. Die Entstehung jungen Verwaltungsvermögens ist abzulehnen.

6. Zum Beispielsfall Für den Beispielsfall bedeutet dies in Bezug auf junges Verwaltungsvermögen und junge Finanzmittel: Weder die Ausschüttungen der AT1 an die A Holding iHv. 60 000 Euro noch die Einlage der A Holding in die AT1 iHv. 100 000 Euro führen zu jungen Finanzmitteln, da die Finanzmittel dem Verbund bereits zuvor angehörten. Auch die Gewinnabführungen bzw. Verlustausgleiche im Verhältnis der A Holding zur AT2 stellen keine jungen Finanzmittel dar, da sie auf dem Ergebnisabführungsvertrag beruhen und daher nicht als Einlage oder Ausschüttung zu qualifizieren sind. Soweit im Unternehmen Umstrukturierungen geplant sind, entstehen auch hierdurch keine jungen Finanzmittel oder junges Verwaltungsvermögen. Das von der AT1 an die AT2 übertragene Grundstück gehört dem Verbund seit mehr als zwei Jahren an. Allein hierauf kommt es an. Soweit die AT1 vollständig auf die AT2 verschmolzen werden soll, bleibt auch hier das Vermögen im Verbund. Sollen die Anteile an der AT1 auf die B OpCo übertragen werden, würde zwar der vertikale Verbund verlassen. Das Vermögen bleibt aber innerhalb des horizontalen Verbunds. Gleichzeitig ändert sich nichts an der Rechtsträgerschaft der AT1 an ihren Vermögensgegenständen, die Beteiligung an der AT1 ist größer als 25 % und damit per se kein Verwaltungsvermögen.

V. Kaskadeneffekt durch „Über“berücksichtigung von Gesellschafterkonten? Im Beispiel ist A zu 50 % an der A GmbH & Co. KG beteiligt. Ihm werden daher 50 % des Verwaltungsvermögens der KG zugewiesen. Darüber hinaus hat A ein Darlehenskonto bei der KG, das einen Betrag von 100 Mio. Euro ausweist. In Höhe dieses Betrags besteht bei der KG daher auch eine Schuld gegenüber dem Gesellschafter. Bei A gehört die Darlehensforderung zu seinem Sonderbetriebsvermögen. 242

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Nach Abschn. 13b.12 Abs. 4 Satz 1 AE-ErbSt. 2017 wird das Verwaltungsvermögen bei Beteiligungen an Personengesellschaften aus dem Gesamthandsvermögen und dem mitübertragenen Sonderbetriebsvermögen berücksichtigt. Das Verwaltungsvermögen aus dem Gesamthandsvermögen wird dem Gesellschafter anteilig nach dem Wert seiner Beteiligung am Gesamthandsvermögen zugerechnet.65 Nach Abschn. 13b.23 Abs. 1, 2 AE-ErbSt. 2017 gehört zum Verwaltungsvermögen der gemeine Wert der Finanzmittel abzüglich des gemeinen Werts der Schulden. Zu den Finanzmitteln gehören neben Geld auch Forderungen im Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters, insbes. Forderungen des Gesellschafters gegen die Personengesellschaft. Die Darlehensforderung des A ist demnach ebenso zu berücksichtigen wie die – anteilige – Darlehenssumme bei der Gesellschaft. Allerdings ist von den Finanzmitteln der gemeine Wert der abzugsfähigen Schulden abzuziehen. Abzugsfähig sind nach Abschn. 13b.23 Abs. 4 Satz 4 AE-ErbSt. 2017 auch Darlehenskonten der Gesellschafter, soweit sie ertragsteuerrechtlich als Fremdkapital zu qualifizieren sind.66 Dem A ist im Beispiel folglich zunächst 50 % des gesamthänderischen Verwaltungsvermögens der A GmbH & Co. KG zuzurechnen. Hierunter fallen grundsätzlich die Finanzmittel der Gesellschaft, also auch der erhaltene Darlehensbetrag iHv. 100 Mio. Euro. Dieser ist aber bereits vollständig in Betriebsvermögen investiert, so dass dem A hier nichts zugerechnet wird. Gleichzeitig gehört die Darlehensforderung gegenüber der KG im Sonderbetriebsvermögen des A zu seinem Verwaltungsvermögen. Von diesem Betrag iHv. 100 Mio. Euro ist dagegen die Darlehensverbindlichkeit der KG gegenüber dem A nur anteilig zu 50 % abzugsfähig. Im Ergebnis erhöht die Darlehenssumme daher das Verwaltungsvermögen, soweit sie im Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters ist. Auswirken wird sich die Berücksichtigung des Sonderbetriebsvermögens vor allem dann, wenn bei gleichmäßiger Beteiligung an der KG die Darlehenskonten der Gesellschafter unterschiedlich hoch sind. Werden die Schulden nur anteilig im Verhältnis der Beteiligung zum Gesamthandsvermögen berücksichtigt und fließen aber die Darlehensforderungen in voller Höhe dem Verwaltungsvermögen der Gesellschafter zu, wirken

65 R E 13b.12 Abs. 4 Satz 3 ErbStR 2019-E sieht jetzt weiter vor, dass bei negativem Wert der Beteiligung am Gesamthandsvermögen das Verwaltungsvermögen Null ist. 66 Zu Folgen eines Rangrücktritts vgl. V.3.

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sich hohe Darlehenskonten zu Lasten des betreffenden Gesellschafters aus.67 Ein hohes Darlehenskonto des Gesellschafters führt dann zu hohen Finanzmitteln. So liegt es auch im Beispielsfall. Während für A ein Darlehenskonto iHv. 100 Mio. Euro besteht, hat der ebenfalls zu 50 % an der KG beteiligte B kein Darlehen gewährt und weist sein Darlehenskonto damit 0 Euro aus. Besonders nachteilig können die Folgen beim 90 %-Test des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG sein, wenn keine Kürzung um Schulden stattfindet. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG schließt die Begünstigung aus, wenn „das Verwaltungsvermögen nach Absatz 4 vor der Anwendung des Absatzes 3 Satz 1 […] sowie der Schuldenverrechnung und des Freibetrags nach Absatz 4 Nummer 5 […] mindestens 90 Prozent des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt“.68 Unklarheiten bestehen hier im Rahmen der Definition der Finanzmittel nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG. Danach gehört zum Verwaltungsvermögen „der gemeine Wert des nach Abzug des gemeinen Werts der Schulden verbleibenden Bestands an Zahlungsmitteln, Geschäftsguthaben, Geldforderungen und andere Forderungen (Finanzmittel)“. Fraglich ist insoweit, ob mit Finanzmitteln nur die vier aufgelisteten Aktivposten gemeint sind, oder ob der Abzug der Schulden in der Definition enthalten ist, ob also ein Brutto- oder NettoBegriff der Finanzmittel zugrunde zu legen ist.69 Wären Schulden nicht bereits im Begriff der Finanzmittel enthalten und ist der Begriff der Finanzmittel dann als Brutto-Wert zu verstehen, wären auch im Rahmen des 90 %-Tests des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Finanzmittel ohne entsprechende Schulden in die Berechnung des Verwaltungsvermögens einzustellen. Für einen Brutto-Wert wird in der Literatur angeführt, dass im Feststellungsverfahren nach § 13b Abs. 10 Satz 1 ErbStG der gemeine Wert der Finanzmittel und der Schulden nebeneinander festzustellen sind und dass auch im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung nach § 13b Abs. 9 Satz 2 ErbStG beide Positionen nebeneinander stehen.70 Auch die Richtlinien der Finanzverwaltung sind in Richtung einer getrennten, also

67 Vgl. auch Weinmann in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 13b Rz. 197 (März 2018). 68 Kritisch zur nur schwer verständlichen Formulierung Stalleiken, DK 2016, 439 (442). 69 Vgl. zur Problematik Stalleiken in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13b Rz. 87, 182; Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2427); Reich, BB 2016, 1879 (1881). 70 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2437).

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Brutto-Betrachtung zu verstehen.71 Der Wortlaut des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG ist aber offen. Auch eine historische Auslegung führt zu keinem Ergebnis.72 Möglich muss daher auch ein Netto-Verständnis der Finanzmittel iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG sein.73 Dies legt zumindest die Gesetzessystematik nahe, die Finanzmittel erst als Saldogröße dem Verwaltungsvermögen zuweist. Allerdings nimmt § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Berücksichtigung von Schulden nach Abs. 4 Nr. 5 ErbStG ausdrücklich aus, so dass für Zwecke des 90 %-Tests von einem modifizierten Finanzmittelbegriff ausgegangen werden könnte.74 Dem ist indessen nicht zu folgen, da Finanzmittel laut der Definition in § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG nur als Netto-Größe zu Verwaltungsvermögen werden, so dass sie in das ansonsten brutto zu ermittelnde Vermögen als saldierte Größe einfließen müssen.75 Unabhängig von der abweichenden Meinung der Finanzverwaltung in diesem Brutto- oder Netto-Begriff lässt es die Finanzverwaltung auch nicht zu, dass im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung Forderungen und Verbindlichkeiten, die sich im Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen einer Gesellschaft gegenüberstehen, nach § 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG nicht angesetzt werden, da es sich nicht um eine Beteiligung handele.76 Jedoch gehört auch das Sonderbetriebsvermögen zum Betrieb und kann die Gesellschaft als Verbundgesellschaft angesehen werden.77 Der Wortlaut des § 13b Abs. 9 Satz 3 ErbStG ist of71 Vgl. Abschn. 13b.23 Abs. 1 und 4 AE-ErbSt. 2017 sowie Rechnung in Abschn. 13b.9 Abs. 2 Satz 1 AE-ErbSt. 2017. 72 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13b Rz. 182. 73 In diese Richtung ist auch Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13b Rz. 147 (Okt. 2017) zu verstehen, der von der vollen Abzugsfähigkeit der Schulden bei Finanzmitteln ausgeht; vgl. auch Kußmaul/Müller, Ubg. 2017, 269. 74 So auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 427 (Mai 2018). 75 Für die Berücksichtigung von Finanzmitteln nach Abzug der Schulden auch Stalleiken, DK 2016, 439 (443); auch Erkis, DStR 2016, 1441 (1444) kann so verstanden werden, da er nur die quotale Schuldenverrechnung nach Abs. 6 bei der Berechnung des Verwaltungsvermögens für Zwecke des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ausnimmt. 76 Abschn. 13b.29 Abs. 3 Satz 5 AE-ErbSt. 2017. Vgl. jetzt auch die dies bestätigenden und ergänzten Ausführungen in R E 13b.29 Abs. 5 Satz 6 ff. ErbStR-E. 77 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 111; vgl. auch Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13b Rz. 74.1 (Okt. 2017) mit Hinweis darauf, dass Gegenstand des Erwerbs der Mitunternehmeranteil ist; zum (anteiligen) Nichtansatz von Gesellschafterforderungen auch Schneider, UVR 2017, 113 (117).

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fen.78 Die Formulierung „Soweit sich in der Verbundvermögensaufstellung Forderungen und Verbindlichkeiten […] im Verhältnis zu dem übertragenen Betrieb oder der übertragenen Gesellschaft gegenüberstehen, sind diese nicht anzusetzen“, lässt zu, dass Sonderbetriebsvermögen ein separater Bestandteil im Verbund ist und ein Ansatz der Darlehensforderung des Gesellschafters im Sonderbetriebsvermögen gegenüber der Gesellschaft wegen des korrespondierenden Darlehenskontos bei der Gesellschaft als Verbindlichkeit unterbleiben kann. Auf diese Weise würden die oben beschriebenen negativen Auswirkungen von hohen Finanzmitteln aufgrund von mitunternehmerischen Darlehenskonten beim 90 %-Test verhindert. Alternativ wäre daran zu denken, dass insgesamt eine konsolidierte Betrachtung der mitunternehmerischen Beteiligung stattfindet. Dies entspricht dann auch der erbschaftsteuerlichen Bewertung des Betriebsvermögens von Personengesellschaften. Hier bezieht die Finanzverwaltung neben Wirtschaftsgütern und sonstigen aktiven Ansätzen sowie Schulden und sonstigen Abzügen, soweit sie zum Gesamthandsvermögen gehören, auch die Wirtschaftsgüter aus dem Sonderbetriebsvermögen I und II ein.79 Anderenfalls bestehen Wertungswidersprüche. Setzt sich die Meinung der Finanzverwaltung durch, sind massive Probleme bei der Erbschaftbesteuerung von Mitunternehmerschaften zu erwarten.

VI. Beteiligungen an Investmentfonds 1. Grundlagen Im Fallbeispiel hält die A GmbH & Co. KG Beteiligungen an zwei Investmentfonds, von denen einer als Sondervermögen (Investmentfonds I) und einer als geschlossener Fonds in Form einer GmbH & Co. KG (Investmentfonds II) organisiert ist. Die Fondsbeteiligungen der A GmbH & Co. KG stellen typischerweise Verwaltungsvermögen dar. Es ist aber fraglich, ob Umschichtungen im Fondsvermögen zu jungem Verwaltungsvermögen der Gesellschaft nach § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG führen und im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung als solches zu berücksichtigen sind. Junges Verwaltungsvermögen definiert sich als Verwaltungsvermögen, das dem Betrieb im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen 78 Vgl. auch die Ausführungen bei Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13b Rz. 249. 79 R B 97.1 Abs. 1 ErbStR 2011.

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war. Dazu hat beispielsweise im März 2018 das FG Rheinland-Pfalz – wenn auch noch nicht rechtskräftig – entschieden, dass junges Verwaltungsvermögen nicht nur durch Einlage der betreffenden Wertpapiere entstehe, sondern ein reiner Aktivtausch genüge.80 Daneben liegen weitere finanzgerichtliche Entscheidungen zu Umschichtungsfällen vor.81 Während sich an der Beteiligung der Gesellschaft am Fonds nichts ändert, würde sich die Umschichtung beim Fonds möglicherweise auf die Gesellschaft auswirken, wenn der Fonds für Erbschaftsteuerzwecke transparent zu behandeln wäre. Daneben könnte das Fondsvermögen im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung zu berücksichtigen sein. Die Beurteilung der Beteiligung am Fonds hängt von dessen konkreter Ausgestaltung ab. Grundsätzlich können Investmentvermögen zivilrechtlich unterschiedlich ausgestaltet sein. Sie werden von ihrer Tätigkeit her definiert. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB ist Investmentvermögen jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl an Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren, und der kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist. Der Organismus iSd. § 1 Abs. 1 KAGB kann sehr unterschiedliche Rechtsformen haben, solange das Vermögen rechtlich oder wirtschaftlich verselbständigt ist.82 Lediglich für inländische Investmentvermögen gibt das KAGB zulässige Rechtsformen vor. Möglich sind demnach Sondervermögen iSd. § 1 Abs. 10 KAGB, also Sondervermögen als rein vertragliche Konstrukte, sowie Investmentaktiengesellschaften und Investmentkommanditgesellschaften.83 Für die ertragsteuerliche Behandlung ist seit diesem Jahr für den Großteil der Investmentvermögen das InvStG 2018 maßgebend. 80 FG Rh.-Pf. v. 14.3.2018 – 2 K 1056/15, EFG 2018, 1378, nrkr., Rev. Az. BFH II R 13/18. 81 Vgl. FG Münster v. 30.11.2017 – 3 K 2867/15 Erb, EFG 2018, 576, nrkr., Rev. Az. BFH II R 8/18, kritisch dazu Wachter, ZEV 2018, 229 (230); FG München v. 7.5.2018 – 10 K 468/17, EFG 2018, 1279, nrkr., Rev. Az. BFH II R 21/18; v. 7.5.2018 – 10 K 470/17, juris, nrkr., Rev. Az. BFH II R 18/18; s. dazu auch OFD Frankfurt v. 24.8.2018 – S 3812b A - 17 - St 115, DStR 2018, 2385 = StEK ErbStG § 13b Nr. 31, die die Rspr. zur alten Rechtslage auch auf die aktuelle Rechtslage erstreckt. 82 Vgl. Link in Herrmann/Heuer/Raupach, Anhang zu § 20 EStG, § 1 InvStG 2018 Rz. 6 (Feb. 2018). 83 Vgl. Übersicht bei Patzner/Schneider-Deters in Patzner/Döser/Kempf, Investmentrecht3, Vor § 1 KAGB Rz. 12.

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2. Zivilrechtliche oder steuerliche Betrachtungsweise? Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind Sachverhalte regelmäßig aufgrund der zivilrechtlichen Ausgestaltung zu beurteilen. Sofern der Fonds anhand seiner rechtlichen Ausgestaltung zu betrachten wäre und er als Kapitalgesellschaft organisiert ist, käme man bei einer Beteiligung von mehr als 25 % zu einer transparenten Berücksichtigung des Fondsvermögens jedenfalls im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung. Umschichtungen der letzten zwei Jahre wären als junges Verwaltungsvermögen erfasst. Zum selben Ergebnis käme man, wenn das Investmentvermögen als Personengesellschaft organisiert ist, hier wegen § 13b Abs. 9 Satz 5 ErbStG unabhängig von der Beteiligungshöhe. Bei einer Organisation als Sondervermögen hingegen käme man ohne weiteres zu einer Einordnung als Verwaltungsvermögen iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 4 ErbStG, das zwei Jahre nach der Anschaffung des Fondsanteils nicht mehr jung ist. Eine Beurteilung nach dieser Norm (mithin stets als Verwaltungsvermögen) wäre hingegen auch möglich, wenn lediglich die steuerliche Behandlung als Fondsvermögen in den Blick genommen wird. Im Einzelnen ist wie folgt zu differenzieren.

3. Auswirkungen des InvStG 2018 a) Zuordnungsfrage Nach dem InvStG 2018 hängt die Besteuerung davon ab, ob ein „normaler“ Investmentfonds iSd. Kapitels 2 des InvStG 2018 vorliegt oder ob es sich um einen Spezial-Investmentfonds iSd. Kapitels 3 des InvStG 2018 handelt. b) Investmentfonds iSd. Kapitels 2 InvStG 2018 Mit der Reform des Investmentsteuerrechts wurde – abgesehen von Spezial-Investmentfonds – die transparente Besteuerung bei Publikumsfonds abgelöst durch eine getrennte Besteuerung von Fonds und Anleger.84 Investmentfonds gelten nach § 6 Abs. 1 InvStG 2018 als Zweckvermögen iSd. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG bzw. Vermögensmassen nach § 2 Nr. 1 KStG und sind körperschaftsteuerpflichtig. Beteiligungseinnahmen des Fonds 84 Vgl. Patzner/Kempf/Nagler in Patzner/Döser/Kempf, Investmentrecht3, Einl. zum InvStG 2018 Rz. 3.

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iSd. § 6 Abs. 2 InvStG 2018 unterliegen einer definitiven Kapitalertragsteuer iHv. 15 % (§ 7 Abs. 1 InvStG 2018). Weiter unterliegen die Erträge aus Investmentfonds ebenfalls der Steuer (vgl. § 16 InvStG 2018 iVm. § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 8 Abs. 1 KStG) unter Beachtung der Teilfreistellung nach § 20 InvStG 2018. Investmentfonds werden damit nach dem InvStG 2018 unabhängig von der zivilrechtlichen Ausgestaltung als intransparent behandelt. Anteile an diesen Fonds müssen daher Verwaltungsvermögen iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 4 ErbStG darstellen. Die Finanzverwaltung nennt als Beispiele für Wertpapiere und vergleichbare Forderungen iSd. Vorschrift Geldmarktfonds und Festgeldfonds.85 Auch fallen Anteile an Investmentfonds unter den Wertpapierbegriff des § 11 BewG.86 Schichtet der Investmentfonds sein Vermögen um, kann sich dies nicht beim Anleger auswirken. Dieser hält nur seinen Anteil am Fonds, der als solcher als Verwaltungsvermögen iSd. § 13 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG zu qualifizieren ist. Denn der Investmentanteil ist nach § 2 Abs. 4 InvStG 2018 ein Anteil an einem Investmentfonds, unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des Anteils. Damit wird der Anteil unabhängig von seiner rechtlichen Einordnung unmittelbar dem Anleger zugeordnet. Konsequenterweise kann auf einer ersten Stufe auch nur dieser Anteil im Vermögen des Anlegers angesetzt werden und sind nicht die einzelnen Vermögensgegenstände des Fonds beim Anleger abzubilden. Ist der Fonds als Investmentaktiengesellschaft oder Investmentkommanditgesellschaft (hier nur als Organismen für die gemeinsame Anlage in Wertpapieren – OGAW – möglich, vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 InvStG 2018) organisiert, sprechen auch dann gute Argumente für die Unbeachtlichkeit von Umschichtungen, da das InvStG 2018 auch hier die intransparente Betrachtung vorgibt. Letztlich kann die konkrete Organisationsform eines Fonds nach dem InvStG 2018 nicht ausschlaggebend für die steuerliche Qualifikation sein. Eine Bilanzierung der Vermögensgegenstände des Fonds beim Anleger findet nicht statt. Umschichtungen beim Fonds, auf die der Anleger keinen Einfluss hat, können dann bei diesem grundsätzlich nicht zu jungen Verwaltungsvermögen führen. Vom Investmentfonds gehaltene Anlageprodukte werden daher – unabhängig von der Ausgestaltung des Fonds – nicht unmittelbar dem Vermögen des Anlegers zugeordnet. Dieser hält selbst nur seinen Anteil am Fonds. 85 Vgl. H 13b.22 ErbStH 2011. 86 Vgl. BayLfSt. v. 17.1.2018 – S 3102.1.1 – 14/4 St 34, DStR 2018, 414 = ErbStB 2018, 115.

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Auf einer zweiten Stufe ist die Behandlung des Fonds im Rahmen einer durchzuführenden Verbundvermögensaufstellung zu betrachten. Wegen der ausdifferenzierten Regelung des ErbStG für Anteile an Kapitalgesellschaften in § 13b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 2 ist – zB im Fall von Investmentaktiengesellschaften iSd. §§ 108 ff. KAGB – nach der Höhe der Beteiligung zu differenzieren. Bei einer Beteiligung von bis zu 25 % wird das Vermögen der Kapitalgesellschaft nicht in die Verbundvermögensaufstellung einbezogen, der Anteil an der Kapitalgesellschaft als solcher wird erfasst. Umschichtungen beim Fonds sind erbschaftsteuerlich dann irrelevant. Besteht eine Beteiligung zu mehr als 25 %, sind dagegen die Vermögensgegenstände des Fonds im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung anzusetzen. Umschichtungen führen aber auch hier nur dann zu jungem Verwaltungsvermögen, wenn es um nicht begünstigungsfähiges Betriebsvermögen geht. c) Spezial-Investmentfonds iSd. Kapitels 3 InvStG 2018 Die unter VI.3.b) dargestellte Betrachtung gilt grundsätzlich auch für Spezial-Investmentfonds. Gegenteilig könnten Anteile an Spezial-Investmentfonds iSd. §§ 25 ff. InvStG 2018 zu beurteilen sein, wenn der Fonds von der Transparenzoption nach § 30 Abs. 1 InvStG 2018 Gebrauch macht. Denn dann wird der Anleger so behandelt, als seien ihm die inländischen Beteiligungseinnahmen oder die sonstigen inländischen Einkünfte unmittelbar selbst zugeflossen. Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 InvStG 2018 gelten die Anleger als Gläubiger der inländischen Beteiligungseinnahmen und als Schuldner der Kapitalertragsteuer. In Konsequenz dessen könnte dem Anleger dann auch das Vermögen des Fonds zuzurechnen sein und könnten die Vermögensgegenstände des Fonds als solche direkt beim Anleger auszuweisen sein. Durch die Formulierung „gelten“ wird aber eine Fiktion bezogen auf die Einkünfte gebildet. Der Spezial-Investmentfonds ist nach wie vor Subjekt der Körperschaftsteuer. Es liegt nur eine sachliche Steuerbefreiung vor.87 Die vom Fonds gehaltenen Beteiligungen und damit sein Vermögen stehen immer noch dem Fonds zu und auch die Einnahmen fließen dem Fonds zu. Lediglich die Besteuerung wird unmittelbar für den Anleger durchgeführt. Demnach ist auch hier der Anteil am Spezial-Investmentfonds als maßgeblicher Teil des Verwaltungsvermögens 87 Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, Anhang zu § 20 EStG, § 30 InvStG 2018 Rz. 1 (Feb. 2018).

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iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 4 ErbStG anzusehen und dürfen sich Umschichtungen nicht beim Anleger auswirken. Dies muss jedenfalls gelten, wenn der Spezial-Investmentfonds nach § 27 Nr. 1 InvStG 2018 in Form eines Sondervermögens nach § 1 Abs. 10 KAGB gebildet wurde. Aus erbschaftsteuerlicher Sicht wäre zur Vermeidung von Risiken zu überlegen, ob bei als Sondervermögen organisierten Spezial-Investmentfonds die Transparenzoption nach § 30 InvStG 2018 nicht ausgeübt wird – was freilich mit allen anderen Vor- und Nachteilen abzuwägen ist. Etwas Anderes dürfte wiederum auf der Stufe einer etwaigen Verbundvermögensaufstellung gelten, wenn der Spezial-Investmentfonds nicht als Sondervermögen iSd. § 1 Abs. 10 KAGB, sondern – wie von § 27 Nr. 2 InvStG 2018 vorgesehen – in Form einer Investmentaktiengesellschaft iSd. §§ 108 ff. KAGB organisiert ist. Dann wäre in konsequenter Anwendung des § 13b ErbStG die Höhe der Beteiligung an der Investmentaktiengesellschaft über die Entstehung jungen Verwaltungsvermögens bei Umschichtungen im Fonds entscheidend. Bei einer Beteiligung von bis zu 25 % gehörte der Fondsanteil als solcher zum Verwaltungsvermögen. Dann blieben Umschichtungen unberücksichtigt. Nur bei einer Beteiligung von über 25 % würde im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung auf den Spezial-Investmentfonds geschaut und führten Umschichtungen bei diesem zu jungen Verwaltungsvermögen.

4. Beteiligung an einem geschlossenen Fonds Ist der Fonds ein geschlossener Fonds und als solcher regelmäßig als Personengesellschaft in Form einer GmbH & Co. KG organisiert, unterliegt der Fonds nicht dem InvStG 2018 (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 InvStG 2018). Er ist dann nicht nach dem InvStG 2018 intransparent, sondern nach den allgemeinen Regeln zu behandeln. Folglich ist unabhängig von der Beteiligungshöhe am Fonds und damit an der KG eine Verbundvermögensaufstellung nach § 13b Abs. 9 Satz 1–4 ErbStG durchzuführen. Die Ausnahme nach § 13b Abs. 9 Satz 5 ErbStG gilt nur für Anteile an Kapitalgesellschaften von bis zu 25 %, nicht jedoch für Personengesellschaften. In diesem Fall wirken sich Umschichtungen beim Fonds dann beim zu vererbenden Betrieb aus und können zu jungem Verwaltungsvermögen führen, wenn es um nicht begünstigungsfähiges Betriebsvermögen geht, zB in Wertpapieren investierte flüssige Mittel eines begünstigten Wohnimmobilienfonds. 251

Dannecker, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

5. Zum Beispielsfall Für unseren Beispielsfall gilt daher, dass Umschichtungen im Investmentfonds I nicht zu jungem Verwaltungsvermögen bei der A GmbH & Co. KG führen, wenn es sich um einen als Sondervermögen iSd. § 1 Abs. 10 KAGB organisierten Investmentfonds nach dem InvStG 2018 handelt. Die A GmbH & Co. KG weist in der Verbundvermögensaufstellung diesen Fondsanteil als Verwaltungsvermögen iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 4 ErbStG aus. Dieses ist zwei Jahre nach seiner Anschaffung nicht mehr jung. Ist der Investmentfonds als geschlossener Fonds in Form einer KG organisiert, wie vorliegend der Investmentfonds II, hat die A GmbH & Co. KG dagegen keinen Anteil auszuweisen. Vielmehr ist das Vermögen des Fonds in die Verbundvermögensaufstellung aufzunehmen. Bei der A GmbH & Co. KG kann hier bei Umschichtungen im Fonds junges Verwaltungsvermögen entstehen.

VII. Fazit Der Beispielsfall hat gezeigt, dass auch im Rahmen der seit nunmehr zweieinhalb Jahre geltenden Neuregelung der §§ 13a, 13b ErbStG noch Bedarf nach einer sachgerechten und am Gleichbehandlungsgebot orientierten Handhabung seitens der Finanzverwaltung besteht. Insbesondere für Fälle, in denen ein Missbrauch der Befreiungsnormen ausgeschlossen werden kann, sind die Vorschriften einschränkend auszulegen. Die hier aufgezeigten Lösungen ließen sich auch von der Verwaltung ohne Weiteres umsetzen: –

§ 13b Abs. 9 ErbStG erlaubt seinem Wortlaut nach eine horizontale Verbundvermögensaufstellung für Unternehmen, die aus mehreren, zusammen eine wirtschaftliche Einheit bildenden Teil-Gruppen bestehen, auch wenn diese über mehrere, nebeneinander stehende Holding-Gesellschaften organisiert sind. Diese Lesart ist mit der von der Vorschrift intendierten Missbrauchsbekämpfung vereinbar. Dem Schenker bzw. Erblasser der in Frage stehenden Beteiligungen ist ein Wahlrecht einzuräumen, das auch eine getrennte Betrachtung der jeweiligen Gruppe ermöglicht.



Umschichtungen von Finanzmitteln im Konzern dürfen nicht zur Entstehung junger Finanzmittel führen. Gerade bei konzerninternen Einlagen werden dem Unternehmen keine Mittel von außerhalb des

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Verbunds zugeführt. Dasselbe gilt für konzerninterne Umstrukturierungen. –

Als Alternative zur Einlage kommen konzerninterne Darlehen in Betracht. Diese führen auch bei Vereinbarung eines Rangrücktritts nicht zu einer Einlage in die Gesellschaft, da die Verbindlichkeit zivilrechtlich fortbesteht.



Auch Gewinnabführungen bzw. Verlustübernahmen im Rahmen von Ergebnisabführungsverträgen sind bei der Differenzrechnung für junge Finanzmittel nicht zu berücksichtigen. Sie beruhen auf schuldrechtlichen Forderungen und können daher nicht als gesellschaftsrechtlich veranlasste Einlage bzw. Ausschüttung qualifiziert werden.



Durch Umstrukturierungen im Verbund entstehen keine jungen Finanzmittel und kein junges Verwaltungsvermögen, wenn die betroffenen Vermögenswerte bzw. Finanzmittel dem Verbund insgesamt seit mehr als zwei Jahren angehören. Dies entspricht dem vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 13b Abs. 9 ErbStG verfolgten Zweck.



Finanzmittel iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG werden als Netto-Größe definiert. Für Zwecke des 90 %-Tests nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG sind Finanzmittel deshalb nur als saldierte Größe in die Berechnung einzustellen.



Soweit Forderungen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft im Sonderbetriebsvermögen vorhanden sind, sind sie im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung wegen der korrespondierenden Schuld der Gesellschaft nicht anzusetzen.



Anteile an Investmentfonds sind grundsätzlich Verwaltungsvermögen. Bei Anteilen an Investmentfonds nach dem InvStG 2018 werden dem Anleger unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des Fonds und der Ausübung der Transparenzoption nach § 30 InvStG 2018 nur die Anteile am Fonds zugerechnet, so dass sich Wertpapierumschichtungen im Fonds nicht auswirken. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn der Investmentfonds als AG (mit einer Beteiligung von über 25 %) oder KG ausgestaltet ist und eine Verbundvermögensaufstellung durchzuführen ist. Dann werden die Investitionsobjekte des Fonds unmittelbar in die Verbundvermögensaufstellung aufgenommen und führen Umschichtungen zu jungem Verwaltungsvermögen, soweit das Vermögen nicht begünstigt ist.

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Aktuelle gesellschafterbezogene Steuerprobleme in Familienunternehmen II (Schenkung und Vererbung) Oberregierungsrat Wilfried Mannek Ministerium der Finanzen NRW, Düsseldorf I. Inhalt und Stand der ErbStR 2019 II. Problematik und Lösungsansätze des 90 %-Tests 1. Begünstigungsprinzip 2. Quote unter 90 % als Voraussetzung für die Regelverschonung a) Regelungsinhalt b) Beispiel 1 c) Beispiel 2 d) Beispiel 3 3. Grundsätzliche Kritik 4. Lösungsansätze im Erbfall

5. Lösungsansätze im Schenkungsfall 6. Lösungshinweise in der Praxis III. Geänderte Aufteilung des Verwaltungsvermögens 1. Ausgangslage 2. Aufteilung des Verwaltungsvermögens nach den ErbStR 2011 3. Aufteilung des Verwaltungsvermögens ab 1.7.2016 IV. Zusammenfassung

I. Inhalt und Stand der ErbStR 2019 Das Bundesfinanzministerium hat zwischenzeitlich den Entwurf einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Anwendung des Erbschaftsteuerund Schenkungsteuerrechts 2019 (ErbStR 2019) erstellt. Der Entwurf ist in Zusammenarbeit mit den Ländern erstellt und mit diesen abgestimmt worden. Der 192 Seiten umfassende Entwurf enthält nicht die Hinweise zu den ErbStR 2019, in denen üblicherweise Berechnungsbeispiele und Rechtsprechungshinweise enthalten sind. Mit den Hinweisen wird nicht der Bundesrat befasst, sondern sie werden als gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder herausgegeben. Mit dem Entwurf der ErbStR 2019 sollen die ErbStR 2011 v. 19.12.20111 aufgehoben werden.

1 BStBl. I Sondernummer 1/2011, 2.

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Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

Die ErbStR 2019 erläutern im Wesentlichen die –

zwischenzeitlich erfolgten Rechtsänderungen,



zwischenzeitlich erfolgten Änderungen der Verwaltungsauffassung und



zwischenzeitlich ergangene höchstrichterliche Rspr.

sowie insbes. die Neuregelungen der Verschonung für unternehmerisches Vermögen für Erwerbe nach dem 30.6.2019 durch das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts v. 4.11.2016. Die ErbStR 2019 übernehmen insoweit weitestgehend die koordinierten Ländererlasse v. 22.6.2017.2 Die ErbStR 2019 werden nach Aussage des BMF grundsätzlich weder begünstigende noch belastende Wirkung entfalten. Eine mündliche Verbandsanhörung bzw. Ressortbesprechung ist nicht vorgesehen. Die Verbände bzw. Ressorts sind bereits mit Schreiben v. 20.12.2018 beteiligt worden. Sie hatten Gelegenheit, bis zum 24.1.2019 zum Entwurf schriftlich Stellung zu nehmen. Der Entwurf der ErbStR 2019 kann für eine Übergangszeit in einer Leseversion auch auf der Internetseite des BMF (http://www.bundesfinanz ministerium.de) eingesehen werden. In die ErbStR 2019 wurden beispielsweise folgende Erlasse eingearbeitet: –

Gleich lautende Ländererlasse v. 5.6.20143 zur Bewertung des Betriebsvermögens in Sonderfällen.



Gleich lautende Ländererlasse v. 8.1.2016 zur Bewertung des Grundvermögens im Sachwertverfahren.



Gleich lautende Ländererlasse v. 3.3.2016 zum Erwerb eines Familienheims von Todes wegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG, Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke nach § 13c ErbStG und Steuerbefreiung für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und Anteile an Kapitalgesellschaften nach § 13a ErbStG.

2 Koordinierte Ländererlasse (mit Ausnahme Bayerns) zur Anwendung der geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes v. 22.6.2017, BStBl. I 2017, 902 = StEK ErbStG § 13a Nr. 48. 3 Gleich lautende Erlasse v. 5.6.2014, BStBl. I 2014, 882 = StEK ErbStG § 10 Nr. 53.

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Gleich lautende Ländererlasse v. 20.4.20184 zu Schenkungen unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften.

Darüber hinaus hat sich die Finanzverwaltung zu den Fragen des –

jungen Verwaltungsvermögens und der



jungen Finanzmittel im Konzernverbund geäußert.

Ferner enthält der Entwurf der ErbStR 2019 klarstellende Berechnungshinweise bei den Begünstigungen und verschieden praktischen Fragestellungen, wie zur –

Zusammenrechnung von mehreren Erwerben innerhalb eines Zehnjahreszeitraums von nach § 13a und § 13b ErbStG begünstigten Erwerben beim Zusammentreffen von altem und neuem Recht sowie



zur unentgeltlichen Übertragung eines zunächst vorbehaltenen Nießbrauchsrechts einschließlich der Behandlung von nur teilweise nach § 10 Abs. 6 ErbStG abzugsfähigen Schulden.

Das Bundesfinanzministerium hat den Entwurf der ErbStR 2019 auch Anfang Juni 2019 noch nicht dem Bundesrat zugeleitet, obwohl nach Bekanntgabe des Entwurfs ein halbes Jahr vergangen ist. Die Gründe für die zögerliche Herausgabe der Richtlinien sind nicht erkennbar. Für die Beratungspraxis ist die Verzögerung bedauerlich, zumal die erläuternden Hinweise zu den ErbStR 2019 bislang auch nicht in der Entwurfsfassung öffentlich bekannt sind.

II. Problematik und Lösungsansätze des 90 %-Tests 1. Begünstigungsprinzip Nach § 13b Abs. 2 ErbStG ist die vor dem 1.7.2016 geltende Verwaltungsvermögensquote von 50 % durch das Netto-Verwaltungsvermögens-Prinzip abgelöst worden. –

Danach ist der grundsätzlich begünstigungs-„fähige“ Unternehmenswert um die Werte der zum Verwaltungsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter zu kürzen, wobei Schulden anteilig zugeordnet werden.



Der verbleibende Wert des begünstigungsfähigen Unternehmenswerts ist das „begünstigte“ Vermögen, das von den Verschonungsregelungen profitiert.

4 Gleich lautende Erlasse v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632 = GmbHR 2018, 763.

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Der Wert des Netto-Verwaltungsvermögens wird dagegen in vollem Umfang der Steuer unterworfen. Beispiel (vereinfachte Darstellung) Unternehmenswert des Gewerbebetriebs Netto-Verwaltungsvermögen (der Abschlag von 10 % für das unschädliche Verwaltungsvermögen ist bereits berücksichtigt)

12 000 000 Euro

– 2 000 000 Euro

Begünstigtes Vermögen Verschonungsabschlag von 85 %

10 000 000 Euro – 8 500 000 Euro

Anzusetzendes begünstigtes Betriebsvermögen Folgende Beträge sind bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs einzubeziehen: Netto-Verwaltungsvermögen Begünstigtes Vermögen

1 500 000 Euro

2 000 000 Euro 1 500 000 Euro

Summe

3 500 000 Euro

2. Quote unter 90 % als Voraussetzung für die Regelverschonung a) Regelungsinhalt Bei der Quotenberechnung ist bereits seit 2009 beanstandet worden, dass der Bruttowert des Verwaltungsvermögens zum Nettowert des Betriebsvermögens ins Verhältnis gesetzt wird. Wegen des Verhältnisses eines Bruttowerts zu einem Nettowert konnten sich in der Praxis rechnerisch leicht Quoten von über 100 % ergeben. Zwischenzeitlich erschien es so, dass die Entscheidung des Gesetzgebers überwiegend zumindest hingenommen wurde. Jedenfalls ist die Kritik mehr oder weniger in den Hintergrund geraten. Allerdings hat der Gesetzgeber die Problematik mit der neu eingeführten 90 % Quote, die seit dem 1.7.2016 gilt, fortgeführt. Ursächlich hierfür sind folgende Vorgaben bei der Berechnung der Quote: –

Bei der Berechnung der 90 %-Quote dürfen Finanzmittel weder um Verbindlichkeiten



noch um den Sockelbetrag von 15 % des gemeinen Werts des Betriebsvermögens gekürzt werden.



Das übrige Verwaltungsvermögen darf ebenfalls nicht um die anteilig verbleibenden Schulden und

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Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II



auch nicht um das unschädliche Verwaltungsvermögen von 10 % reduziert werden.

Mit den vorstehenden vier Vorgaben ist der – schon bisher kritisierte und zur Berechnung der Verwaltungsvermögensquote maßgebende – Bruttobetrag des Verwaltungsvermögens) zu Ungunsten des Steuerzahlers noch weiter erhöht worden. Das trägt zu einer mE berechtigten Kritik an der 90 %-Quote bei. Denn die (auch) aus Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bestehenden Finanzmittel sind von der Natur der Sache keineswegs als „schädliche“ Elemente eines Betriebs anzusehen. Insbesondere Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bilden die wesentliche Grundlage für den Erfolg eines Unternehmens. Die dennoch vom Gesetzgeber mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz 2013 eingeführte und mit der ErbSt.Reform übernommene grundsätzliche Zuordnung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zu den Finanzmitteln und damit zum Verwaltungsvermögen steht in einem mE unlösbaren inneren Zusammenhang mit der vollständigen Schuldenverrechnung und dem Abzug des Sockelbetrags von 15 % (vor dem 1.7.2016 betrug der Sockelbetrag 20 %) des gemeinen Werts des Betriebsvermögens. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers gehören Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (neben den übrigen Finanzmitteln) also nur dann zum Verwaltungsvermögen, wenn die Finanzmittel (bei einem schuldenfreien Betrieb) zumindest 15 % des gemeinen Werts des Betriebsvermögens überschreiten. Mit der Schuldenverrechnung und dem Abzug des Sockelbetrags soll aus der Sicht des Gesetzgebers pauschalierend sichergestellt sein, dass Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Allgemeinen nicht als Verwaltungsvermögen anzusetzen sind. Das erscheint sachgerecht. Mit dieser Entscheidung des Gesetzgebers wird gleichzeitig die schwierige Abgrenzung überflüssig, ob Forderungen aus Lieferungen und Leistungen aus dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr oder aus außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen resultieren. Diesen inneren Zusammenhang zwischen dem Ansatz von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen als Verwaltungsvermögen und dem Abzug der Schulden bzw. des Sockelbetrags von 15 % des gemeinen Werts des Betriebs hat der Gesetzgeber bei der Berechnung des 90 %-Tests jedoch aufgegeben.5

5 § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG.

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Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

Das führt dazu, dass zB Handelsunternehmen, denen möglicherweise keine oder nur wenige Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens gehören, mit einem üblichen Forderungsbestand selbst bei hohen Schulden bereits bei der Vorfrage des 90 %-Tests vollständig aus der Begünstigung herausfallen können. Das sollen die folgenden abstrahierten Beispiele verdeutlichen. Für die Ergebnisse ist im Wesentlichen die Berechnungstechnik des für die Quote maßgebenden Zählers ursächlich. Das nicht begünstigte Vermögen, also das steuerpflichtige Netto-Verwaltungsvermögen, wird im Normalfall wie folgt berechnet:6 Finanzmittel ./. Verbindlichkeiten positiver Saldo, mindestens 0 t ./. Sockelbetrag (15% des gemeinen Werts des Betriebsvermögens) positiver Saldo, mindestens 0 t + zuzüglich übriges Verwaltungsvermögen Saldo Verwaltungsvermögen ./. anteilig verbleibende Verbindlichkeiten (§ 13b Abs. 6 ErbStG) Netto-Verwaltungsvermögen ./. unschädliches Verwaltungsvermögen (10%-Abschlag) gekürzter Wert des Netto-Verwaltungsvermögens + junges Verwaltungsvermögen + junge Finanzmittel steuerpflichtiger Wert des Netto-Verwaltungsvermögens

Beim 90 %-Test berechnet sich der für die Quotenberechnung maßgebende Zähler jedoch nicht wie bei der Berechnung des nicht begünstigten Vermögens. Vielmehr werden bei der Berechnung des 90 %-Tests folgende Beträge nicht zum Abzug7 zugelassen, wobei hier aus Gründen der Übersichtlichkeit die bei Altersvorsorgeverpflichtungen8 geltenden Besonderheiten nicht berücksichtigt werden: Finanzmittel abzüglich Verbindlichkeiten positiver Saldo, mindestens 0 t ./. Sockelbetrag (15% des gemeinen Werts des Betriebsvermögens)

6 § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG. 7 § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG. 8 § 13b Abs. 3 sowie Abs. 2 Satz 2 ErbStG.

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Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II positiver Saldo, mindestens 0 t + übriges Verwaltungsvermögen Saldo Verwaltungsvermögen ./. anteilig verbleibende Verbindlichkeiten (§ 13b Abs. 6 ErbStG) Netto-Verwaltungsvermögen ./. unschädliches Verwaltungsvermögen (10%-Abschlag) gekürzter Wert des Netto-Verwaltungsvermögens + junges Verwaltungsvermögen + junge Finanzmittel steuerpflichtiger Wert des Netto-Verwaltungsvermögens

b) Beispiel 1 Ein mit dem Substanzwert von 500 000 Euro bewertetes Handelsunternehmen hat Forderungen von 450 000 Euro. Ferner gehört zum Betriebsvermögen das einem gewerblich genutzte Grundstück mit einem gemeinen Wert von 550 000 Euro, das mit einem noch nicht getilgten Betrag von 500 000 Euro fremdfinanziert ist. Maßgebend für den 90 %-Test ist das folgende Verhältnis, das die Grenze von 90 % nicht erreichen oder überschreiten darf, damit die Regelverschonung von 85 % in Betracht kommt:

Verwaltungsvermögen/Betriebsvermögen Verwaltungsvermögen/Betriebsvermögen M-GmbH Grundstück Forderung

550.000 450.000 1.000.000

BV Hypo

500.000 500.000 1.000.000

Forderung 450.000 = 90 % Gemeiner Wert BV 500.000 Da die Quote von 90 % erreicht wird, ist die Verschonung in vollem Umfang ausgeschlossen.

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Hinweis: Sofern sich bei einer Ermittlung des Unternehmenswerts im vereinfachten Ertragswertverfahren ein höherer gemeiner Wert als 500 000 Euro ergäbe, wäre der 90 %-Test im vorangegangenen Beispiel völlig unproblematisch. In der Praxis erfolgt die Bewertung des betrieblichen Vermögens ganz überwiegend im vereinfachten Ertragswertverfahren. Dabei kommt der mindestens anzusetzende Substanzwert nur in Ausnahmefällen zum Ansatz. Dennoch könnten sich auch in den Fällen einer Bewertung im vereinfachten Ertragswertverfahren rechnerisch vergleichbare Konstellationen ergeben. c) Beispiel 2 Ein neu gegründetes Unternehmen bietet die Wartung von Computerprogrammen an. Aufgrund eines laufenden Servicevertrags hat das Unternehmen einem Geschäftspartner eine Rechnung über 100 000 Euro ausgestellt, die noch nicht beglichen ist. Weiteres Vermögen ist nicht vorhanden. Der Wert des neu gegründeten Unternehmens ist mit dem Substanzwert zu bewerten, der dem Wert der Forderung von 100 000 Euro entspricht.

M-GmbH Forderung

100.000

BV

100.000

100.000 100.000

Forderung 100.000 = 100 % Gemeiner Wert BV 100.000 Da die Quote 100 % und damit mehr als 90 % beträgt, ist die Verschonung in vollem Umfang ausgeschlossen. Das Ergebnis ist unverständlich, weil das Unternehmen keine „klassischen“ Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens besitzt. Dennoch ergibt sich wegen der Existenz der Forderung ein vollständiger Verschonungsausschluss.

d) Beispiel 3 Ein neu gegründetes Unternehmen kauft Waren im Wert von 200 000 Euro auf Kredit. Es verkauft die Waren für 220 000 Euro. Die Forderung ist 262

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

noch nicht realisiert, die Schuld ist noch nicht getilgt. Weitere Wirtschaftsgüter sind nicht vorhanden. Das Unternehmen ist mit dem Substanzwert zu bewerten (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG), der mit der Differenz zwischen der Forderung 220 000 Euro und der Schuld 200 000 Euro identisch ist und somit 20 000 Euro beträgt.

M-GmbH Forderung

220.000

BV Vbl

100.000

20.000 200.000 100.000

Forderung 220.000 = 1.100 % Gemeiner Wert BV 20.000 Der 90 % Test führt zu einer Quote von 1.100 % und liegt damit über 90 %. Obwohl es sich um ein in „gutes“ Unternehmen i.S. einer gewerblichen Tätigkeit handelt, ist die Verschonung in vollem Umfang ausgeschlossen.

Die vorgenannten Fälle zeigen die grundsätzlich überschießende Tendenz des 90 %-Tests auf. Da bei einer Überschreitung der 90 %-Quote „insgesamt kein begünstigtes“ Vermögen mehr vorliegt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG), ist die Berechnung der 20 %-Quote als Voraussetzung für die Vollverschonung von vornherein ausgeschlossen. Würde man die 20 %-Quote dennoch berechnen, ergäben sich – rein rechnerisch – folgende Quoten: Beispiel 1

Forderung 450.000 − Hypo 500.000 =0% Gemeiner Wert BV 500.000 Beispiel 2

Forderung 100.000 − 15 % × 100.000 = 85.000 = 85 % Gemeiner Wert BV 100.000

263

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II Beispiel 3

Forderung 220.000 − Vbl 200.000 − 15 % × 20.000 = 17.000 = 85 % Gemeiner Wert BV 20.000

Damit wird deutlich, dass rechnerisch die 90 %-Quote überschritten und gleichzeitig die 20 %-Quote unterschritten werden könnte (vergleiche Beispiel 1).

3. Grundsätzliche Kritik Angesichts dieser wenig plausiblen Ergebnisse stellt sich die Frage, ob die gesetzlich vorgesehene Quotenberechnung des 90 %-Tests für das neue Recht zwingend gewesen wäre. Zunächst muss betont werden, dass – im Gegensatz zum vor dem 1.7.2016 geltenden Recht – das im Betriebsvermögen vorhandene steuerpflichtige Netto-Verwaltungsvermögen in vollem Umfang und ohne jede Verschonung besteuert wird. Somit ist für das steuerpflichtige Netto-Verwaltungsvermögen in tatsächlicher Hinsicht eine Steuer zu entrichten. Da sich der Verschonungsabschlag von 85 % lediglich auf das nach Besteuerung des steuerpflichtigen Netto-Verwaltungsvermögens verbleibende begünstigte Vermögen bezieht, könnte es letztlich gleichgültig sein, in welchem Verhältnis das Verwaltungsvermögen zu begünstigungsfähigem Vermögen steht. Eine zusätzliche Abfrage einer Verwaltungsvermögensquote erscheint daher nicht zwingend. Diese Zweifel dürften jedenfalls bei der Regelverschonung gelten. Bei der Vollbefreiung erscheint es dagegen grundsätzlich auch nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber eine Maximalquote fordert. Zwar wird auch bei der Vollverschonung nach § 13a Abs. 10 ErbStG das Netto-Verwaltungsvermögen ohne jede Verschonung besteuert. Jedoch kann man bei einer so umfangreichen Verschonung auch die Auffassung vertreten – wie der Gesetzgeber es verwirklicht hat –, dass in den Antragsfällen der Vollverschonung über die Besteuerung des Netto-Verwaltungsvermögens hinaus verschärfte Voraussetzungen erfüllt werden müssen. Dieser Gedanke entspricht letztlich auch den Forderungen des BVerfG, wonach eine Verschonung der Rechtfertigung bedarf, die umso höhere Anforderungen erfüllen muss, je umfassender die Verschonung ausgestaltet ist. Demzufolge erscheint der 20 %-Test als Voraussetzung für die Vollverschonung unproblematisch. Die grundsätzliche Akzeptanz des 20 %-Tests als Voraussetzung für die Vollverschonung kann aber nur vor dem Hintergrund begründet werden, 264

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

dass der 20 %-Test nicht zu einem völligen Ausschluss der Begünstigung führt. Sofern die Voraussetzungen des 20 %-Tests nicht erfüllt sind, geht – lediglich – die Möglichkeit einer Vollverschonung verloren. Die Voraussetzungen für die Regelverschonung von 85 % bleiben – je nach Fallgestaltung – erhalten. Allerdings entspricht diese theoretische Möglichkeit wegen der tatsächlichen Ausgestaltung des 20 %-Tests nicht der Realität. Denn die Voraussetzungen für den 90 %-Test sind zum Teil schwieriger zu erfüllen als die Voraussetzungen für den 20 %-Test. Zudem wirkt der 90 %-Test faktisch wie ein Alles-oder-nichts-Prinzip. Denn der Verschonungsabschlag wird – wie beim bis zum 30.6.2016 maßgebenden 50 %-Test – in vollem Umfang nicht gewährt, wenn das Verwaltungsvermögen um lediglich einen Euro zu hoch oder der gemeine Wert des Betriebsvermögens um einen Euro zu niedrig ist. Nach der Entscheidung des BVerfG dürfte eine derartige Regelung auch dann verfassungsrechtlich zweifelhaft sein, wenn das steuerpflichtige Netto-Verwaltungsvermögen ohne Verschonungsabschlag besteuert wird. Hinweis: Jedenfalls dürfte der 90 %-Test sowohl hinsichtlich der rechnerischen Ermittlung der Quote als auch hinsichtlich der Rechtsfolge eine überschießende Tendenz haben. Denn bei der rechnerischen Ermittlung ist die Verrechnung der Finanzmittel mit Schulden und dem Sockelbetrag von 15 % ausgeschlossen. Das kann bei Unternehmen, die über Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (Finanzmittel) und Schulden verfügen, zu einem vollständigen Ausschluss von der Begünstigung führen. Das erscheint nicht plausibel. Damit entspricht der 90 %-Test in seiner Wirkung dem bisherigen Alles-oder-nichts-Prinzip, dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit zweifelhaft erscheint.

4. Lösungsansätze im Erbfall Sofern ein Erbe aufgrund der Existenz von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen wegen des Erreichens oder Überschreitens der 90 %-Quote von den Verschonungsregelungen ausgeschlossen wird, dürfte der Begünstigungsausschluss in der Praxis häufig nicht final sein. Denn nach § 13b Abs. 5 ErbStG wird solches Vermögen, das zum Stichtag zum Verwaltungsvermögen gehört, im Fall einer Investition in NichtVerwaltungsvermögen rückwirkend nicht mehr dem Verwaltungsvermögen zugerechnet, sofern die Investition innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren erfolgt.

265

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

Das bedeutet: Wird eine am Stichtag zu den Finanzmitteln gehörende Forderung aus Lieferungen und Leistungen nach dem Stichtag realisiert und anschließend beispielsweise in neue Handelsware investiert, handelt es sich um eine – im Allgemeinen – rechtzeitige Investition, so dass die Finanzmittel nicht dem schädlichen Verwaltungsvermögen zugerechnet werden. Hinweis: Die in der Praxis befürchtete Hürde, nach der ein vorgefasster Plan des Erblassers Tatbestandsvoraussetzung für eine erfolgreiche Investition ist, dürfte hier wohl nicht allzu bedeutsam sein. Denn bei einem Handelsunternehmen gehören Kauf und Verkauf von Waren zum ständigen Plan des Unternehmens, der mE kaum aufwändig nachgewiesen werden muss. Auch die Tatsache, dass die erworbenen Warenbestände im Allgemeinen innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren wieder veräußert werden, erfüllt mE nicht den Tatbestand einer schädlichen „Ersatzbeschaffung“ von Verwaltungsvermögen. Dies wäre für eine erfolgreiche Investition iSd. § 13b Abs. 5 ErbStG schädlich. Zwar führt der Vorgang der Warenveräußerung zu Finanzmitteln in Form von Barmitteln oder Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Jedoch gehört der Kauf und Verkauf von Waren und der damit einhergehende Wechsel von Waren und Forderungsbeständen zum typischen Geschäftsbetrieb eines Handelsunternehmens. Der Begriff einer „Ersatz“-Beschaffung wäre mE bereits dem Grunde nach nicht erfüllt.

5. Lösungsansätze im Schenkungsfall In der Praxis dürfte der 90 %-Test im Schenkungsfall aus der Sicht des Steuerzahlers schwieriger zu lösen sein, weil in Schenkungsfällen die Investitionsklausel nicht gilt.9 Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass der 90 %-Test im Fall einer Schenkung unproblematisch ist, weil der Steuerzahler die Verwaltungsvermögensquote vor einer Übertragung prüfen und im Fall einer Quotenüberschreitung auf eine Schenkung verzichten kann. Die Vorstellung, dass der Steuerzahler die Verwaltungsvermögensquote im Fall einer Schenkung kennt, entspricht – insbes. bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen – nicht der Realität, weil dazu die Bewertung des Betriebsvermögens und die Ermittlung des Verwaltungsvermögens jeweils ein9 § 13b Abs. 5 ErbStG.

266

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

schließlich aller Beteiligungsstufen erforderlich wäre. Zudem müssten auch die Prüfung sowie die Feststellungen durch das FA oder die FÄ durchgeführt sein. Erst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen stünden verlässliche Entscheidungsgrundlagen für die Schenkung zur Verfügung. Dies gilt insbes. auch deshalb, weil bei der Bewertung des Betriebsvermögens die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens davon abhängig ist, dass das Ergebnis nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt.10 Diese Unsicherheiten sind für den Steuerzahler erst nach einer finalen Prüfung und förmlichen Feststellung einschließlich der Erteilung von Feststellungsbescheiden durch die Finanzverwaltung beseitigt. Somit legt der Gesetzgeber dem Steuerzahler die Last auf, vor einer Schenkung die Verwaltungsvermögensquote verantwortlich zu prüfen. Stellt sich dabei heraus, dass das Verwaltungsvermögen übermäßig ist, muss der Steuerzahler auf die Schenkung oder auf die Steuerbefreiung verzichten. Alternativ kann der Steuerzahler auch das Verwaltungsvermögen reduzieren. Hierzu hat er verschiedene Möglichkeiten, von denen nachfolgend typische Möglichkeiten aufgezeigt werden. Zunächst sollte aus der Sicht des Steuerzahlers versucht werden, vor der schenkweisen Übertragung keine Forderungsbestände zu schaffen. Aus der Sicht des Unternehmers und des laufenden Geschäftsbetriebs dürfte das jedoch eine in der Praxis kaum realisierbare Empfehlung sein. Sofern jedoch Forderungsbestände vorhanden sind, die vor der Übertragung nicht mehr realisiert werden können, wird der Steuerzahler zur Vermeidung der überschießenden Wirkung des 90 %-Tests versuchen, die Forderungsbestände aus dem Betrieb herauszulösen. Dies könnte durch einen Forderungsverkauf erfolgen. Die anschließend vorhandenen Bank- oder Barmittel sind zwar ebenfalls Finanzmittel. Dennoch kann der Unternehmer diese Beträge aus dem Unternehmen entnehmen, damit sie nicht innerhalb des Betriebs übertragen werden. Auf diese Weise kann nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die 90 %-Quote eingehalten und für das begünstigte Vermögen die Verschonung realisiert werden. Hinweis: Die Barbestände können in diesem Fall zwar nicht innerhalb des Betriebsvermögens übertragen werden. Sie können jedoch „privat“ übertragen werden. In beiden Fällen wäre im neuen Recht – sofern man 10 § 199 BewG.

267

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

von der für den Steuerzahler bei einer Übertragung innerhalb des Betriebsvermögens günstig wirkenden Schuldenverrechnung und dem Sockelbetrag11 absieht – keine Begünstigung möglich, weil es sich auch innerhalb des Betriebs um Finanzmittel (Verwaltungsvermögen) handelt. Dennoch ist der Schritt der Reduzierung des insgesamt vorhandenen Verwaltungsvermögens wichtig, damit die Betriebsübertragung wegen einer Überschreitung der 90 %-Quote nicht vollständig von den Verschonungsregelungen ausgeschlossen wird. Sofern im Betriebsvermögen Finanzmittel in Form von Barmitteln vorhanden sind, könnten diese – soweit die Kreditverträge das zulassen – verwendet werden, um etwaige zum Betriebsvermögen gehörende Schulden zu tilgen. Auch diese Maßnahme reduziert die rechnerische 90 %-Quote.

6. Lösungshinweise in der Praxis In der Vertragspraxis enthalten Übertragungsverträge im Allgemeinen Rückforderungsrechte für verschiedene Fallgestaltungen. Mit derartigen Rückforderungsrechten kann auch sichergestellt werden, dass im Fall des Erreichens oder Überschreitens der 90 %-Grenze eine Rückforderung mit den Folgen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ermöglicht wird.

III. Geänderte Aufteilung des Verwaltungsvermögens 1. Ausgangslage Das BVerfG hatte zu Recht beanstandet, dass es bei der vor dem 1.7.2016 geltenden Rechtslage möglich war, Verwaltungsvermögen über mehrere Beteiligungsstufen so zu verteilen, dass auf der obersten Ebene die Voraussetzungen des 50 %-Tests erfüllt waren und eine Verschonung gewährt werden musste, obwohl das Vermögen des gesamten Beteiligungskomplexes ganz überwiegend aus Wirtschaftsgütern des Verwaltungsvermögens bestand. Deshalb forderte das BVerfG den Gesetzgeber auf, den Kaskadeneffekt bei Beteiligungsstrukturen abzuschaffen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass das in Beteiligungsstrukturen vorhandene Verwaltungsvermögen über alle Beteiligungsstufen hinweg im Rahmen einer sogenannten Verbundvermögensaufstellung zusammengefasst werden muss. Allerdings handelt es sich nicht um eine Verbundvermögensaufstellung im engeren Sinne. Viel11 § 13b Abs. 6 und 7 ErbStG.

268

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

mehr handelt es sich um eine Rechentechnik, die bei der Feststellung der Werte des Verwaltungsvermögens auf jeder Beteiligungsstufe angewendet wird. Danach wird das Verwaltungsvermögen einer Tochtergesellschaft rechnerisch auch bei der Muttergesellschaft in dem Umfang erfasst und förmlich festgestellt, wie die Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft beteiligt ist. Eine Besonderheit ergibt sich bei Beteiligungen an Personengesellschaften. Das zum Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft gehörende Verwaltungsvermögen wurde bislang nach der Auffassung der Finanzverwaltung dem jeweiligen Mitunternehmer, der seine Beteiligung ganz oder teilweise übertragen hat, nach dem Gewinnverteilungsschlüssel zugeordnet. Der Gesetzgeber hat bislang mit keiner Rechtsgrundlage vorgegeben, wie die Aufteilung des Verwaltungsvermögens zwingend zu erfolgen hat. Die in den ErbStR 2011 festgelegte Maßgeblichkeit des Gewinnverteilungsschlüssels hätte nach Einführung der Verbundvermögensaufstellung bei Erwerben nach dem 30.6.2016 zu dem unerwünschten Ergebnis führen können, dass die Gestaltung einer Cash-Gesellschaft erneut möglich gewesen wäre. Denn die Verbundvermögensaufstellung hätte im Fall der gezielten Verlagerung von Finanzmitteln auf die Ebene einer Tochtergesellschaft die an sich angestrebte Besteuerung des Netto-Verwaltungsvermögens komplett aushebeln können. Mit dem AE-ErbSt. 2017 hat die Finanzverwaltung versucht, diese Möglichkeit zu verhindern, indem nicht – wie in den ErbStR 2011 – auf das Verhältnis der G+V-Verteilung abgestellt wird, sondern auf das Verhältnis des Werts nach § 97 Abs. 1a oder § 97 Abs. 1b BewG zum gemeinen Wert der Gesellschaft. Diese Regelungen sind in den Entwurf der ErbStR 2019 übernommen worden.12

12 Vgl. insoweit R E 13b.12 Abs. 4 Satz 2 E-ErbStR 2019 (Verwaltungsvermögen des Gesamthandsvermögens bei Personengesellschaften); R E 13b.12 Abs. 4 Satz 4 E-ErbStR 2019 (Verwaltungsvermögen des Gesamthandsvermögens bei Kapitalgesellschaften); R E 13b.23 Abs. 9 Satz 3 E-ErbStR 2019 (Finanzmittel bei Personengesellschaften); R E 13b.27 Satz 4 E-ErbStR 2019 (Aufteilung des jungen Verwaltungsvermögens bei Personengesellschaften); R E 13b.27 Satz 6 E-ErbStR 2019 (Aufteilung des jungen Verwaltungsvermögens bei Kapitalgesellschaften).

269

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

2. Aufteilung des Verwaltungsvermögens nach den ErbStR 2011 Beispiel A ist jeweils zu 100 % an der M-GmbH (Kasse 10 000) und V-GmbH (Kasse 99) beteiligt. Die Anteile an der (neu gegründeten) T-GmbH & Co. KG halten die M-GmbH zu 1 % und die V-GmbH zu 99 %. Die M-GmbH bringt die Kasse (10 000) in die T-GmbH & Co KG ein und erhält dafür eine Beteiligung von 1 % (Kapitalkonto I = 1); das Kapitalkonto II der M-GmbH beläuft sich auf 9999. Die V-GmbH bringt die Kasse (99) in die T-GmbH & Co. KG ein und erhält dafür eine Beteiligung von 99 %. Die G+V-Verteilung entspricht dem Verhältnis der Beteiligung (Kapitalkonto I). Feststellungsverfahren nach ErbStR 2011 T-KG Eigene Finanzmittel Nach dem bisher in den ErbStR 2011 maßgebenden Verhältnis des Gewinnverteilungsschlüssels wäre bei der M-GmbH zu erfassen gewesen: 1 % × 10 099 =

10 099

101

M-GmbH Eigene Finanzmittel

0

Summe

101

M-GmbH T-GmbH

10.000

A

10.000

V-GmbH 10.000

T-GmbH

10.000

99 99

T-GmbH & Co KG Kasse Kasse

10.000 99 10.099

M-GmbH I 1 M-GmbH II 9.999 V-GmbH I 99 10.099

Aufteilung nach ErbStR 2011 T-KG, Eigene Finanzmittel Verhältnis des G+V-Verteilungsschlüssels 1 % × 10.099 = M-GmbH, Eigene Finanzmittel Summe

270

10.099 101 0 101

A

99 99

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

Fazit: Durch die Verlagerung von Finanzmittel auf eine Tochtergesellschaft wäre es nach der Rechentechnik der ErbStR 2011 (vgl. H E 13b.20 ErbStH 2011) nicht möglich gewesen, die Finanzmittelbestände der Tochtergesellschaft bei der Übertragung von Anteilen an der Muttergesellschaft als Verwaltungsvermögen zu erfassen.

3. Aufteilung des Verwaltungsvermögens ab 1.7.2016 Seit dem 1.7.2016 legt die Finanzverwaltung bei der Aufteilung des Verwaltungsvermögens einer Personengesellschaft nicht mehr den Gewinnverteilungsschlüssel, sondern das Verhältnis des Anteilswerts zum gemeinen Wert der Gesellschaft zugrunde. Das ergibt sich sowohl aus AE-ErbSt. 2017 v. 22.6.201713 als auch aus dem Entwurf der ErbStR 2019.14 Damit ergibt sich folgende Lösung. Feststellungsverfahren ab 1.7.2016 T-KG Eigene Finanzmittel Aufteilung nach dem Verhältnis des bei der M anzusetzenden Anteilswerts an der T-KG 10 000 zum gemeinen Wert der T-KG (10 099): 10 099 × 10 000/10 099 = M-GmbH Eigene Finanzmittel Summe

10 099

10 000 0 10 000

13 Abschn. 13b.12 Abs. 4 Satz 2 AE-ErbSt. 2017. 14 Vgl. insoweit R E 13b.12 Abs. 4 Satz 2 ErbStR 2019, Verwaltungsvermögen des Gesamthandsvermögens bei Personengesellschaften; R E 13b.12 Abs. 4 Satz 4 E-ErbStR 2019, Verwaltungsvermögen des Gesamthandsvermögens bei Kapitalgesellschaften; R E 13b.23 Abs. 9 Satz 3 E-ErbStR 2019, Finanzmittel bei Personengesellschaften; R E 13b.27 Satz 4 E-ErbStR 2019, Aufteilung des jungen Verwaltungsvermögens bei Personengesellschaften; R E 13b.27 Satz 6 E-ErbStR 2019, Aufteilung des jungen Verwaltungsvermögens bei Kapitalgesellschaften.

271

Mannek, Steuerprobleme in Familienunternehmen II

M-GmbH T-GmbH

10.000

A

10.000

V-GmbH 10.000

T-GmbH

10.000

99

A

99

99

99

T-GmbH & Co KG Kasse Kasse

10.000 99 10.099

M-GmbH I 1 M-GmbH II 9.999 V-GmbH I 99 10.099

Aufteilung nach AEE ErbSt 2017 T-KG, Eigene Finanzmittel Verhältnis des MitU-Anteils zum gemeinen Wert der KG 10.099 × 10.000 / 10.099 = M-GmbH, Eigene Finanzmittel Summe

10.099 10.000 0 10.000

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Veränderung der Zuweisung des Verwaltungsvermögens auch in allen Fällen, in denen Anteile oder Beteiligungen an Gesellschaften übertragen werden, gegenüber dem bisherigen Recht zu völlig anderen rechnerischen Ergebnissen führen kann. Damit betrifft die geänderte Aufteilung des Verwaltungsvermögens keineswegs nur Umgehungsgestaltungen. Jedoch dürften mit der aktuellen Aufstellung des Verwaltungsvermögens bei Gesellschaften Umgehungsgestaltungen ausgeschlossen sein.

IV. Zusammenfassung Der 90 %-Test scheint zwar eine überschießende Tendenz zu haben. Jedoch ist zurzeit nicht erkennbar, dass seitens des Gesetzgebers eine Korrektur der Vorschrift in Aussicht gestellt wird. Bei der Verteilung des Verwaltungsvermögens bei Personengesellschaften hat die Finanzverwaltung Regelungen geschaffen, um neue Gestaltungsmöglichkeiten mit Cash-Gesellschaften zu vermeiden.

272

Auswirkungen des Brexit auf die Besteuerung in Deutschland Rechtsanwalt/Steuerberater Dr. Norbert Schneider Düsseldorf Ministerialdirektor Dr. Rolf Möhlenbrock Bundesfinanzministerium, Berlin1 I. Einleitung und Überblick II. Allgemeine Auswirkungen des Brexit auf geltendes steuerrelevantes Unionsrecht 1. Überblick und relevante Zeitpunkte 2. Grundsätzlich keine Geltung mehr von Unionsprimärrecht in Bezug auf das UK 3. Grundsätzlich keine Geltung mehr von Unionssekundärrecht in Bezug auf das UK 4. Keine Rechtsprechungsgewalt des EuGH mehr über das UK 5. Veränderung in der Behördenzusammenarbeit mit dem UK III. Konkrete Auswirkungen des Brexit auf die Besteuerung in Deutschland 1. Ertragsteuern a) Auswirkungen auf steuerneutrale Umwandlungen nach dem UmwStG aa) Zukünftige Umwandlungen nach dem Brexit

b) c)

d)

e)

f)

g) h)

bb) Vergangene Umwandlungen innerhalb der letzten sieben Jahre vor dem Brexit Handlungsunabhängige Entstrickungstatbestände Handlungsabhängiger Entstrickungstatbestand des § 12 Abs. 3 KStG Übertragung stiller Reserven bei der Veräußerung von Anlagegütern Dividendenzahlungen von britischer Tochter- an deutsche Muttergesellschaft: Problemfall gewerbesteuerliches Schachtelprivileg Dividendenzahlungen von deutscher Tochter- an britische Muttergesellschaft: Problemfall uU Kapitalertragsteuerpflicht Möglichkeit nicht steuerbarer Einlagenrückgewähr Entfallen des Substanztests als Gegenbeweismöglichkeit bei Hinzurechnungsbesteuerung

1 RA/StB Dr. Norbert Schneider ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP im Rheinland Büro. MD Dr. Rolf Möhlenbrock ist Leiter der Steuerabteilung im Bundesministerium der Finanzen (BMF). Die Autoren danken RA Dr. Markus D. W. Stoffels, LL.M., Mitarbeiter bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, für die Unterstützung bei diesem Beitrag.

275

Schneider/Möhlenbrock, Steuerauswirkungen des Brexit i) Entfallen der Stundungsmöglichkeit bei Wegzugsbesteuerung j) Weitere ertragsteuerliche Auswirkungen auf Privatpersonen 2. Auswirkungen auf die Nachfolgeplanung 3. Auswirkungen auf Grunderwerbsteuer

IV. Zivil- und steuerrechtliche Folgen für Gesellschaften britischer Rechtsform in Deutschland 1. Zivilrecht 2. Steuerrecht V. Exkurs: Auswirkungen auf Zoll und Umsatzsteuer VI. Zusammenfassung und Ausblick

I. Einleitung und Überblick Mittlerweile2 sind mehr als zweieinhalb Jahre vergangen, seitdem die Briten am 23.6.2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit – insgesamt 51,9 % der Stimmen, mit sehr unterschiedlicher lokaler Verteilung – für den Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der Europäischen Union (EU) gestimmt haben. Auch die Austrittsmitteilung iSv. Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) v. 29.3.2017 liegt bereits zwei Jahre zurück. Die durch diese Austrittsmitteilung ausgelöste Zweijahresfrist endet in Kürze: Nach ihrem Ablauf am 30.3.2019 um 0:00 Uhr MEZ wird das UK automatisch aus der EU ausscheiden. Am 25.11.2018 billigten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten den Entwurf eines Austrittsabkommens (Draft Withdrawal Agreement, DWA)3 iSv. Art. 50 Abs. 2 EUV, auf den sich die Unterhändler des UK und der EU nach zähen Verhandlungen zuvor geeinigt hatten. Auch wenn der Abschluss eines Austrittsabkommens keine Wirksamkeitsvoraussetzung des einseitigen Austritts aus der EU ist, ist ein solcher in Art. 50 EUV als wünschenswerter „Regelfall“ eines geordneten Austritts angelegt.4 Allerdings wurde dieses Austrittsabkommen am 15.1.2019 durch das britische Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt. Es erscheint zum jetzigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich, dass dieses vor dem Austrittsdatum noch in dieser oder ähnlicher Form angenommen wird. Ausgeschlossen ist in diesem politischen 2 Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts Anfang Februar 2019. 3 Draft Agreement on the withdrawal of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland from the European Union and the European Atomic Energy Community, as agreed at negotiators’ level on 14 November 2018, TF50 (2018) 55 – Commission to EU27. 4 Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (1).

276

Schneider/Möhlenbrock, Steuerauswirkungen des Brexit

Prozess aber (fast) nichts. Daher wird in diesem Beitrag an verschiedenen Stellen auch auf die durch das DWA vorgesehene Alternativrechtslage eingegangen werden. Dabei geht es auch darum, wie der Austritt hätte gestaltet werden können, da ein an entscheidenden Stellen ggf. verändertes Abkommen ggf. doch noch zustande kommen könnte. Hinsichtlich der künftigen Weitergeltung von Unionsrecht im UK waren nach dem DWA mehrere Rechtsregime zu unterscheiden:5 Zunächst sollte es eine grundsätzlich bis 31.12.2020 dauernde, aber verlängerbare Übergangszeit geben. Obwohl dann formell schon Drittstaat, sollte das UK in dieser Übergangszeit grundsätzlich weiter an das gesamte bis zum Austritt im UK geltende Unionsrecht gebunden bleiben.6 Institutionelle Mitwirkungsrechte des UK sollten hingegen stark eingeschränkt sein.7 Für den Fall eines Zustandekommens der Übergangszeit wurde aus deutscher Sicht am 17.1.2019 bereits das sog. Brexit-Übergangsgesetz (Brexit-ÜG)8 beschlossen, wonach das UK für die vereinbarte Übergangszeit für Zwecke der Anwendung des deutschen Rechts noch weiter als Mitgliedstaat der EU gilt – somit eine Art „zeitlich begrenzte fiktive weiter geltende EU-Mitgliedschaft des UK für Rechtszwecke“ besteht. Ein zweites Rechtsregime bezog sich auf solche Rechte und Verpflichtungen unter dem DWA, die zwar in Zukunft auch nach der Übergangszeit gelten sollen, aber inhaltlich Sachverhalte betreffen, die entweder bis zum EU-Austritt oder dem Ende der Übergangszeit abgeschlossen sein werden, nicht erst danach. Hierunter fallen beispielsweise die finanziellen Verpflichtungen des UK für Zeiten bis zum Austritt bzw. dem Ende der Übergangszeit9 oder das auch nach der Übergangszeit zeitlich grundsätzlich unbefristete Aufenthaltsrecht der Unionsbürger im UK bzw. der Briten in einem EU-Mitgliedstaat, sofern sie sich nur bis zum Ende der Übergangszeit in das jeweils andere Gebiet begeben und sich dort mindestens fünf Jahre legal aufgehalten haben, wobei Zeiten vor und nach der Übergangszeit zusammenzurechnen sind.10

5 6 7 8

Diese Rechtsregime unterscheidend Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (1 f.). Art. 126–132 DWA (Vierter Teil). Art. 128 DWA. Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (BrexitÜbergangsgesetz – BrexitÜG) v. 27.3.2019, BGBl. I 2019, 402. 9 Art. 133–157 DWA (Fünfter Teil). 10 Art. 15 f. DWA.

277

Schneider/Möhlenbrock, Steuerauswirkungen des Brexit

Ein drittes und im UK besonders umstrittenes Rechtsregime bildeten solche Bestimmungen, die auch nach Ablauf einer Übergangszeit als eine Art Notlösung („backstop solution“) entweder nur in Nordirland oder sogar im gesamten UK (weiter)gelten sollten, (nur) für den Fall, dass bei Beendigung der Übergangszeit ein Abkommen über die zukünftigen Beziehungen (Future Relationship Agreement) entweder nicht rechtzeitig geschlossen oder die Verhinderung einer „harten“ irischen Grenze nicht adäquat verhindert worden sein sollte. Diese teils umfangreichen Bestimmungen wurden in ein Protokoll betreffend Irland zzgl. zehn Anhänge ausgelagert.11 So sollten die EU und das UK im Notfall auch nach der Übergangszeit ein einheitliches Zollgebiet („single customs territory“) bilden,12 und auch wesentliche unionsrechtliche Regelungen zur Umsatzsteuer (nur in Nordirland)13 und zum Beihilfeverbot14 sollten weitergelten. Schließlich sollte nach Ablauf einer Übergangszeit das währenddessen auszuhandelnde Abkommen über zukünftige Beziehungen (Future Relationship Agreement) gelten. In Bezug auf letzteres wurde am 22.11.2018 eine unverbindliche politische Absichtserklärung veröffentlicht.15 Die politischen Voraussetzungen für einen geregelten Brexit erscheinen immer schwieriger. Wie bereits angesprochen, wurde das Austrittsabkommen (selbst nachdem eine erste Abstimmung im Dezember 2018 wegen der sich abzeichnenden Niederlage verschoben wurde) durch das britische Parlament am 15.1.2019 mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Die EU lehnt substanzielle Nachverhandlungen des Abkommens allerdings bisher weiter ab. Premierministerin May ist erheblich geschwächt (trotz jeweils negativen Ausgangs sowohl eines innerparteilichen Misstrauensvotums gegen sie selbst als auch eines Misstrauensantrags der Opposition gegen die Regierung May insgesamt), alternative mehrheitsfähige Positionen und Personen sind aber kaum erkennbar. Zunehmend wird mit der Implementierung von No Deal-Maßnahmen auf beiden Seiten des Kanals begonnen. Wie es tatsächlich weitergeht, ist völlig offen,

11 Vgl. das (erste) Protokoll betreffend Irland und Nordirland samt der zehn dazugehörigen Anhänge, die allesamt nach Art. 182 DWA iVm. Art. 21 Protokoll integraler Bestandteil des DWA sind. 12 DWA, Art. 6 Irlandprotokoll i.V.m. Anhängen 2–5. 13 DWA, Art. 9 Irlandprotokoll iVm. Anhang 6. 14 DWA, Art. 12 Irlandprotokoll iVm. Anhang 8. 15 Draft Political declaration setting out the framework for the future relationship between the European Union and the United Kingdom, 22.11.2018.

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aber politisch ist (jedenfalls theoretisch) weiterhin alles möglich: Eine – wenn auch inhaltlich begrenzte – Nachverhandlung des DWA und dessen Absegnung durch das britische Parlament in einer weiteren Abstimmung, ein ungeordneter No Deal-Brexit oder gar dessen Aufschub oder Absage. Hinzu kommen politische Unsicherheiten wie Mays freiwilliger Rücktritt, Neuwahlen oder ein zweites Referendum. Der politische Ausgang ist also noch unklar. Vor diesem Hintergrund zeigt der Beitrag16 die möglichen Konsequenzen eines No Deal-Brexit auf die Besteuerung in Deutschland auf, denen durch den deutschen Gesetzgeber zum Teil begegnet werden soll. An entsprechenden Stellen wird zudem darauf hingewiesen, wie das zwar abgelehnte, aber damit noch nicht unbedingt vollständig gegenstandslose Austrittsabkommen die steuerlichen Folgen beeinflusst hätte.

II. Allgemeine Auswirkungen des Brexit auf geltendes steuerrelevantes Unionsrecht 1. Überblick und relevante Zeitpunkte Sollte der Brexit nicht noch nach Art. 50 Abs. 3 Halbs. 2 EUV durch Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten verschoben oder durch das UK durch einseitiges Zurückziehen der Austrittsmitteilung17 „abgesagt“ werden (Status Quo als fünftes denkbares Rechtsregime), ist das UK am 30.3.2019 um 0:00 Uhr MEZ aus der EU ausgeschieden. Denn dann endet die Zweijahresfrist nach Austrittsmitteilung iSv. Art. 50 Abs. 3 Halbs. 1 EUV. Kommt es nicht zum Abschluss eines nachverhandelten Austrittsabkommens (und damit auch nicht zu einer Übergangszeit), käme es zu einem ungeordneten und plötzlichen „No Deal-Brexit“ zum 30.3.2019. Dieses Szenario wird in den nachfolgenden Erwägungen zugrunde gelegt. Ob und welche Abmilderungen insofern durch ein Future Relationship Agreement zwischen der EU und dem UK nach Ablauf einer etwaigen Übergangszeit möglich sind, ist aus jetziger Sicht trotz der Veröffentlichung der unverbindlichen politischen Absichtserklärung18 reine Spekulation. 16 Im Hauptteil III., nach Darstellung der allgemeinen Auswirkungen des Brexit in Teil II. 17 Die Möglichkeit des einseitigen Zurückziehens der Austrittsmitteilung ohne Zustimmung der übrigen EU-Mitgliedstaaten vor kurzem bejahend EuGH v. 10.12.2018 – C-621/18, ECLI:EU:C:2018:999, ABl. EU 2018, C 445, 10. 18 Draft Political declaration setting out the framework for the future relationship between the European Union and the United Kingdom, 22.11.2018.

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Eingegangen wird hingegen auf Abmilderungsmaßnahmen durch ein etwaig nachverhandeltes und angenommenes „Austrittsabkommen II“ oder den deutschen Gesetzgeber.

2. Grundsätzlich keine Geltung mehr von Unionsprimärrecht in Bezug auf das UK Mit Wirksamkeit des Austritts ist nach Art. 50 Abs. 3 Halbs. 1 EUV Unionsprimärrecht in Bezug auf das UK nicht mehr anwendbar. Das betrifft in erster Linie die Verträge EUV und AEUV. Für die Besteuerung relevant ist insbes. folgendes Unionsprimärrecht: Vorbehaltlich einer in einem nachverhandelten Austrittsabkommen ggf. noch enthaltenen Übergangszeit19 und einer backstop-solution danach20 würde zum einen EU-Beihilferecht in Art. 107–109 AEUV nicht mehr gelten. Vorbehaltlich abweichender oder einschränkender vertraglicher Regelungen zwischen der EU und dem UK erlaubte dies dem UK einen größeren Spielraum im Hinblick auf eine selektive steuerliche Wirtschaftsförderung, etwa durch britische Steuergesetze oder -praktiken. Zum anderen würden vier der fünf Grundfreiheiten nicht mehr gelten: die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV). Anwendbar bleibt hingegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV), die nach ausdrücklichem Wortlaut des Art. 63 Abs. 2 AEUV auch im Verhältnis von EUMitgliedstaaten zu Drittstaaten Anwendung findet. Damit gewinnt in Bezug auf das UK in Zukunft die Abgrenzung zwischen der nicht mehr anwendbaren Niederlassungsfreiheit und der weiter anwendbaren Kapitalverkehrsfreiheit stärker an Bedeutung. Diese erfolgt laut ständiger EuGH-Rspr. durch Abstellen „auf den Gegenstand der betreffenden Regelung“,21 also gerade nicht auf den tatsächlichen Lebenssachverhalt.22 Im Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen etwa fällt eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich der Niederlassungs-

19 Art. 126–132 DWA (Vierter Teil). 20 DWA, Art. 12 Irlandprotokoll iVm. Anhang 8. 21 EuGH v. 20.9.2018 – C-685/16 (EV/FA Lippstadt), ECLI:EU:C:2018:743 = GmbHR 2018, 1211, Rz. 33. 22 Diese Negativabgrenzung verdeutlichend Gosch/Schönfeld, IStR 2015, 755 (757).

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freiheit (Art. 49 AEUV), „die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen“.23 Von der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) hingegen sind nationale Bestimmungen erfasst, die Beteiligungen betreffen, „die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll“.24

3. Grundsätzlich keine Geltung mehr von Unionssekundärrecht in Bezug auf das UK Grundsätzlich gilt nach dem Brexit auch kein Unionssekundärrecht mehr im UK (erneut vorbehaltlich einer Übergangszeit oder sektoraler Bestimmungen als backstop-solution25 eines nachverhandelten und zustande gekommenen Austrittsabkommens). Unmittelbar in den EU-Mitgliedstaaten geltende Verordnungen finden auf das UK fortan grundsätzlich automatisch keine Anwendung mehr. Der britische Gesetzgeber will Verordnungen am Tag des Brexit jedoch zunächst freiwillig in britisches – später beliebig abänderbares – Recht überführen,26 um ein Rechtsvakuum zu vermeiden. Bereits vor dem Brexit in britisches Recht umgesetzte Richtlinien bleiben zwar auch nach dem Brexit britisches Recht; ihre Fortgeltung steht fortan aber zur freien Disposition des britischen Gesetzgebers. Ergehen die Richtlinien erst nach dem Brexit, müss(t)en sie im UK nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden.

23 EuGH v. 20.9.2018 – C-685/16 (EV/FA Lippstadt), ECLI:EU:C:2018:743 = GmbHR 2018, 1211, Rz. 34. In der Entscheidung wendet der EuGH entsprechend die Kapitalverkehrsfreiheit an, weil die relevante deutsche Regelung (§ 9 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 1 GewStG) eine 15 %-Grenze vorsieht, die eben keinen sicheren Einfluss auf die Beteiligung voraussetzt; dass die Klägerin des zugrunde liegenden deutschen Steuerstreits an der ausschüttenden Drittlandsgesellschaft tatsächlich zu 100 % beteiligt war, spielt konsequenterweise keine Rolle. 24 EuGH v. 20.9.2018 – C-685/16 (EV/FA Lippstadt), ECLI:EU:C:2018:743 = GmbHR 2018, 1211, Rz. 35. 25 Vgl. zu beidem bereits die vorstehenden Aussagen. 26 Siehe Section 3 paragraph 1 des European Union (Withdrawal) Act 2018: „Direct EU legislation, so far as operative immediately before exit day, forms part of domestic law on and after exit day.“

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Steuerrelevantes Unionssekundärrecht stellen dar: die Mutter-TochterRichtlinie,27 die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie,28 die Fusionsrichtlinie,29 die Mehrwertsteuersystemrichtlinie30, die Zollkodex-Verordnung31 sowie Richtlinien über Verfahren und Behördenzusammenarbeit32.

4. Keine Rechtsprechungsgewalt des EuGH mehr über das UK Nach dem Brexit wird der EuGH grundsätzlich keine Rechtsprechungsgewalt mehr über das UK haben. Im Ergebnis bedeutet dies einen größeren politischen Handlungsspielraum der britischen Exekutive und Legislative für die eigene Politik, die sich grundsätzlich in Zukunft „nur“ noch der britischen Judikative verantworten müssen. Damit geht zwar nicht notwendigerweise oder „per se“ ein Verlust an Rechtsschutz einher. Der Rechtsschutz wird aber (ua. für jene, die noch nicht eingehender mit der britischen Rechts- und Verfahrensordnung vertraut sind) anders und ggf. unvorhersehbarer ausfallen.33

27 Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, erstmals veröffentlicht in ABl. EWG 1990, L 225, 6 samt nachfolgenden Änderungen. 28 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, erstmals veröffentlicht in ABl. EU 2003, L 157, 49, samt nachfolgenden Änderungen. 29 Richtlinie 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABl. EU 2009, L 310, 34, samt nachfolgenden Änderungen. 30 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU 2006, L 147, 1, samt nachfolgenden Änderungen. Beachte: Nach Art. 51 Abs. 2 DWA soll die MwStSystRL bis zu fünf Jahre nach der Übergangszeit weitergelten, sofern der Sachverhalt noch in der Übergangszeit verwirklicht wird. 31 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013, L 269, 1, samt nachfolgenden Änderungen. 32 Vgl. hierzu sogleich zu 5. 33 Vgl. Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (3).

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5. Veränderung in der Behördenzusammenarbeit mit dem UK Bisher arbeiteten die nationalen Behörden der anderen EU-Mitgliedstaaten mit den britischen Behörden sehr eng zusammen. Die Rechtsgrundlagen dieser engen Behördenkooperation gehen insbes. zurück auf die Amtshilferichtlinie,34 die Beitreibungsrichtlinie35 oder die Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken.36 Jedenfalls nach einer etwaigen Übergangs- und Anschlusszeit37 und vorbehaltlich einer in einem Future Relationship Agreement ggf. vereinbarten engeren Zusammenarbeit fallen diese Kooperationsvehikel in Zukunft weg. Die Behördenzusammenarbeit fiele zurück auf das Niveau, das man im Verhältnis zu Drittstaaten kennt, wie etwa das Verständigungsverfahren (Art. 26), der Informationsaustausch (Art. 27) und die Amtshilfe (Art. 28) nach dem DBA GB.38

34 Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. EU 2011, L 64, 1, samt nachfolgenden Änderungen. 35 Richtlinie 2010/24/EU des Rates v. 16.3.2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen, ABl. EU 2010, L 84, 1, samt nachfolgenden Änderungen. 36 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. EU 2016, L 193, 1, samt nachfolgenden Änderungen. 37 Vgl. etwa Art. 100 Abs. 1 DWA, wonach die EU-Beitreibungsrichtlinie 2010/ 24/EU (s. Fn. 36) in gewissen Fällen noch fünf Jahre nach dem Ende der Übergangzeit zwischen der EU und dem UK anwendbar sein soll, etwa sofern Steuerbeträge betroffen sind, die vor dem Ende der Übergangszeit fällig geworden sind, oder jedenfalls die Transaktionen, an welche die Steuern anknüpfen, vor dem Ende der Übergangszeit stattgefunden haben, oder hinsichtlich der USt. in bestimmten Fällen (vgl. unten zu III.3.). 38 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen v. 30.3.2010, BGBl. II 2010, 1334 idF des Änderungsprotokolls v. 17.3.2014, BGBl. II 2015, 1298.

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III. Konkrete Auswirkungen des Brexit auf die Besteuerung in Deutschland 1. Ertragsteuern a) Auswirkungen auf steuerneutrale Umwandlungen nach dem UmwStG aa) Zukünftige Umwandlungen nach dem Brexit Für steuerneutrale Umwandlungen innerhalb der EU ist es nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 iVm. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG grundsätzlich erforderlich, dass sowohl der übernehmende als auch der übertragende Rechtsträger eine nach den Rechtsvorschriften eines EU- oder EWR-Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft iSd. Art. 54 AEUV bzw. 34 EWR-Abkommen39 sind, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sich innerhalb des Hoheitsgebiets eines dieser Staaten befinden. Von diesem „doppelten Europabezug“ gibt es lediglich drei abschließende Ausnahmen:40 Zum einen muss gem. § 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG keiner der beteiligten Rechtsträger einen Europabezug aufweisen, wenn eine Einbringung (eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils) in eine Personengesellschaft nach § 24 UmwStG vorliegt. Zweitens muss für die Steuerfreiheit eines Anteilstauschs nach § 21 UmwStG nur der übernehmende, nicht aber der übertragende Rechtsträger einen Europabezug aufweisen (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 iVm. Abs. 3 Nr. 1–4 UmwStG). Drittens ist für die Umwandlungsvorgänge in § 1 Abs. 3 Nr. 1–4 UmwStG ein Europabezug nur für den übernehmenden Rechtsträger zwingend. Ein fehlender Europabezug des übertragenden Rechtsträgers kann hingegen dadurch ausgeglichen werden, dass der Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile in Deutschland steuerverstrickt bleibt (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b UmwStG). Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass viele grenzüberschreitende Umwandlungen zwischen dem UK und Deutschland nach dem Brexit nach deutschem Um-

39 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. EG 1994, L 1, 3. 40 Diese Ausnahmen ebenso herausstellend Geyer/Ullmann, FR 2017, 1069 (1070).

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wandlungssteuerrecht grundsätzlich41 nicht mehr steuerneutral möglich sein werden.42 bb) Vergangene Umwandlungen innerhalb der letzten sieben Jahre vor dem Brexit Eine Steuerneutralität bereits vollzogener Umwandlungen wird durch den Brexit zwar im Grundsatz nicht mehr berührt. Anders könnte der Fall bei Einbringungen oder Anteilstausch (§§ 20, 21 UmwStG) wegen evtl. Ersatzrealisationstatbestände liegen. In der Literatur war zunächst äußerst umstritten, ob die rückwirkenden Ersatzrealisationstatbestände des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 sowie Abs. 2 Satz 6 UmwStG allein durch einen bloßen EU-Austritt eines Mitgliedstaats und damit ohne eigene aktive Handlung des Stpfl. ausgelöst werden könnten. Dafür wurde zunächst vorgetragen, dass weder der Wortlaut etwa des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG noch der jener Normen, auf die verwiesen wird (§ 1 Abs. 4 und 2 UmwStG), eine eigene, aktive Handlung des Stpfl. erfordere.43 Zudem seien als unstreitige Anwendungsfälle der Vorschrift neben Wegzug und Sitzverlegung auch die Änderungen von DBA44 erfasst. Der unilaterale EU-Austritt sei im Hinblick auf die Nichtbeeinflussbarkeit durch den Stpfl. von der bilateralen DBA-Änderung implizit erfasst, was durch die unterschiedliche Rechtsnatur nicht beeinflusst

41 Allenfalls in Ausnahmefällen bleibt die Steuerneutralität erhalten, etwa wenn eine britische Limited mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im UK einen in Deutschland belegenen Betrieb in eine deutsche GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland einbringt, wenn die als Gegenleistung erhaltenen Anteile an der deutschen GmbH nach der Einbringung einer deutschen Betriebsstätte funktional zugeordnet werden können. Vgl. zu diesem Beispiel Geyer/Ullmann, FR 2017, 1069 (1071). 42 Ebenso Gsödl/Schmid, Die US-Steuerreform, der Brexit, und deren Auswirkungen auf Deutschland, ifst-Schrift 525, 40 f.; Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705 (1709). 43 Vgl. etwa Jordan, DStR 2018, 1841 (1843); Bode/Bron/Fleckenstein-Weiland/ Mick/Reich, BB 2016, 1367 (1370); dieses Ergebnis zwar ablehnend, aber ebenfalls auf den ungünstigen Wortlaut bezugnehmend Gsödl/Schmid, Die USSteuerreform, der Brexit, und deren Auswirkungen auf Deutschland, ifstSchrift 525, S. 41. 44 Vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/2710, 47 unten oder Umwandlungssteuererlass (BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/ 0903665, BStBl. I 2011, 1314, zuletzt geändert durch BMF v. 10.11.2016 – IV C 2 - S 2761/0-01 – DOK 2016/1019067, BStBl. I 2011, 1252) Rz. 22.27.

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werde.45 Der Normzweck des Ersatzrealisationstatbestands liege darüber hinaus in erster Linie im Erhalt des deutschen Steuersubstrats, was nicht von einer aktiven Handlung des Stpfl. abhängig sei.46 Der daneben verfolgte Missbrauchsvermeidungszweck typisiere und vermute den Missbrauch unwiderlegbar und zulässigerweise, so dass auch dies keine eigene aktive Handlung fordere.47 Gegen eine Ersatzrealisation kann indes argumentiert werden, dass deren Zweck in erster Linie die Missbrauchsvermeidung ist und daher sowohl die subjektiv fehlende Missbrauchsabsicht als auch die objektiv fehlende eigene Handlung des Stpfl. gegen die Anwendung der Norm auf den Brexit sprechen. Der EU-Austritt eines Mitgliedstaats ist stets für sehr unwahrscheinlich gehalten worden. Darüber hinaus ist der unilaterale Brexit bereits deswegen nicht mit der bilateralen DBA-Änderung zu vergleichen, weil im letzteren Fall die beteiligten Staaten eine ausreichende Einflussmöglichkeit haben.48 Selbst wenn man die Missbrauchsvermeidung aber nicht als mindestens gleichrangigen Zweck der Ersatzrealisation ansähe und stattdessen allein auf den Erhalt des deutschen Besteuerungsrechts abstellte, wäre die Ersatzrealisation nicht vollumfänglich mit den handlungsunabhängigen Entstrickungstatbeständen in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG vergleichbar. Während zum einen die Entstrickungsbesteuerung nur, aber dafür ausnahmslos, jeden Verlust des deutschen Besteuerungsrechts in grenzüberschreitenden Sachverhalten erfasst, zielen die Ersatzrealisationstatbestände überwiegend auf rein nationale Sachverhalte ab. Darüber hinaus sind letztere nur in ganz bestimmten Fällen und nur innerhalb der Siebenjahresfrist anwendbar, so dass stille Reserven innerhalb der Frist nur zeitanteilig aufgedeckt werden und der deutsche Staat danach sogar vollständig auf seinen Besteuerungsanspruch verzichtet.49 Der Gesetzgeber hat diese akademisch zwar interessante, aber schwierige und umstrittene Rechtsfrage nun explizit zugunsten der Stpfl. ge-

45 46 47 48

Vgl. etwa Jordan, DStR 2018, 1841 (1843). Vgl. etwa Jordan, DStR 2018, 1841 (1843 f.). Vgl. etwa Jordan, DStR 2018, 1841 (1843 f.). Vgl. zu diesen Argumenten Geyer/Ullmann, FR 2017, 1069 (1077), letztlich aber eine teleologische Reduktion der Norm insgesamt gleichwohl ablehnend. 49 Zu diesen Unterschieden Geyer/Ullmann, FR 2017, 1069 (1076).

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klärt. Der durch Art. 3 des Brexit-Steuerbegleitgesetzes50 neu einzufügende § 22 Abs. 8 UmwStG soll lauten: „Absatz 1 Satz 6 Nummer 6 und Absatz 2 Satz 6 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass allein der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des § 1 Absatz 4 nicht mehr erfüllt sind. Satz 1 gilt nur für Einbringungen, bei denen in den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge der Umwandlungsbeschluss vor dem Zeitpunkt, ab dem das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und auch nicht wie ein solcher zu behandeln ist, erfolgt oder in den anderen Fällen der Einbringungsvertrag vor diesem Zeitpunkt geschlossen worden ist.“

Folglich wird der Brexit allein nicht zur Auslösung des Ersatzrealisierungstatbestands führen. b) Handlungsunabhängige Entstrickungstatbestände Nach § 12 Abs. 1 KStG und § 4 Abs. 1 Sätzen 3–5 EStG werden die stillen Reserven eines Wirtschaftsguts aufgedeckt und besteuert, sofern das deutsche Besteuerungsrecht in Bezug auf dieses ausgeschlossen oder beschränkt wird. Dies geschieht einkommensteuerlich durch eine Entnahmefiktion für betriebsfremde Zwecke und im Bereich der Körperschaftsteuer als Veräußerungs- oder Überlassungsfiktion. Als Regelbeispiel ist jeweils der Fall genannt, dass ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Stpfl. zugeordnetes Wirtschaftsgut in Zukunft einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Zur Herstellung der Unionsrechtskonformität wurde durch Einführung des § 4g EStG die Möglichkeit geschaffen, in Höhe der stillen Reserven einen Ausgleichsposten zu bilden, der über fünf Jahre mit jeweils einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen ist. Eine Entstrickungsbesteuerung tritt also auch hier ein, wird aber zeitlich gestreckt. Unstreitig kann nach dem Brexit für diese Tatbestände kein Ausgleichsposten mehr gebildet werden.51 Umstritten war aber die Frage (vergleichbar der Diskussion bei der Ersatzrealisation laut UmwStG), ob allein

50 „Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz – Brexit-StBG)“ v. 28.1.2019, BT-Drucks. 19/7377, im Folgenden „Regierungsentwurf Brexit-StBG v. 28.1.2019“. 51 Bode/Bron/Fleckenstein-Weiland/Mick/Reich, BB 2016, 1367 (1368).

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durch den Brexit ohne aktive Handlung des Stpfl. ein innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Brexit nach § 4g EStG gebildeter Ausgleichsposten mit dem Brexit sofort hätte gewinnerhöhend aufgelöst werden müssen. Dies hing ab von der Auslegung des § 4g Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG, wonach „das als entnommen geltende Wirtschaftsgut aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausscheidet“. Der Brexit wurde von einigen Stimmen als Anwendungsfall dieser Regelung angesehen, da der Wortlaut der Vorschrift sehr weit sei52 und dieser – im Gegensatz zu § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG oder § 12 Abs. 3 KStG – nicht explizit an eine aktive Handlung des Stpfl. anknüpfe.53 Teilweise wurde versucht, diese Anknüpfung mittelbar darüber zu erreichen, dass die Verwirklichung des Steuertatbestands dem Stpfl. nach § 38 AO zugerechnet werden müsse, und dieser die Einkünfte nach § 2 Abs. 1 EStG ja auch aktiv „erzielen“ müsse.54 Auch diese Frage wird nun für die Praxis durch Art. 1 Nr. 1 Brexit-StBG zugunsten der Stpfl. durch Einfügung eines neuen Abs. 6 in § 4g EStG konstitutiv55 geklärt werden. Dieser soll den Wortlaut haben: „Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 und Absatz 3 sind mit der Maßgabe anzuwenden, dass allein der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht dazu führt, dass ein als entnommen geltendes Wirtschaftsgut aus der Besteuerung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgeschieden gilt.“

Entsprechend sind bisher gebildete Ausgleichsposten allein wegen des Brexit nicht aufzulösen. c) Handlungsabhängiger Entstrickungstatbestand des § 12 Abs. 3 KStG Nach §§ 12 Abs. 3 iVm. 11 KStG gilt eine Körperschaft als aufgelöst, wenn sie ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz in einen Staat außerhalb

52 In diese Richtung Bode/Bron/Fleckenstein-Weiland/Mick/Reich, BB 2016, 1367 (1368). 53 Hierauf verweisend auch die Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs des Brexit-StBG v. 28.1.2019, BT-Drucks. 19/7377, 15 sowie bereits früher Cloer/Holle, FR 2016, 921 (926). 54 Herbst/Gebhard, DStR 2016, 1705 (1707 f.). 55 Die Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs des Brexit-StBG v. 28.1.2019 benutzt nicht den Begriff „Klarstellung“, sondern hebt hervor, dass de lege lata allein durch den Brexit der Ausgleichsposten nach § 4g EStG sofort und in vollem Umfang aufgelöst werden müsste, vgl. BT-Drucks. 19/7377, 19.

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der EU oder des EWR verlegt bzw. aufgrund eines DBA dort nicht mehr als ansässig gilt. Dies ist eine signifikante Schlechterstellung abhängig vom Zielland: Verlegt eine deutsche GmbH ihren Ort der Geschäftsleitung in einen anderen EU- oder EWR-Staat, so gelten lediglich die vorgenannten allgemeinen Entstrickungstatbestände, so dass nur die stillen Reserven in solchen Wirtschaftsgütern realisiert werden, an denen der deutsche Fiskus das Besteuerungsrecht verlieren würde. Ist das Zielland hingegen ein Drittstaat, so werden darüber hinaus aufgrund der Auflösungsfiktion auch die stillen Reserven in solchen Wirtschaftsgütern realisiert, an denen Deutschland das Besteuerungsrecht (zB wegen Fortbestehens einer deutschen Betriebsstätte, soweit dieser entsprechende Wirtschaftsgüter zugeordnet werden können) behalten hätte.56 Diese Vorschrift ist unstreitig anwendbar, wenn der Sitz oder die Geschäftsleitung einer Körperschaft nach dem Brexit tatsächlich ins UK verlegt werden sollte.57 Ob die Vorschrift aber auch ohne zukünftige tatsächliche Sitzverlegung allein durch den Austritt des UK aus der EU zur Anwendung gelangt, wurde überwiegend deswegen verneint, da der Wortlaut mit der „Verlegung“ explizit eine aktive Handlung des Stpfl. voraussetzt.58 Während mit derselben Begründung im Referentenentwurf des Brexit-StBG hierzu noch kein Regelungsbedarf gesehen wurde, soll dies nun doch gesetzgeberisch durch Einfügung eines Satzes 4 mit folgendem Wortlaut in § 12 Abs. 3 KStG klargestellt werden: „Dieser Absatz ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass allein der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht dazu führt, dass eine Körperschaft, Vermögensmasse oder Personenvereinigung dadurch als aus der unbeschränkten Steuerpflicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgeschieden gilt oder als außerhalb der Europäischen Union ansässig anzusehen ist.“59

Der Brexit führt daher nicht zu einer Vollrealisierung, sondern es kommt auf den tatsächlichen Verlust deutschen Besteuerungsrechts an.

56 Diesen Unterschied ebenso verdeutlichend Linn, DStR 2016, 557 (560). 57 Ebenso Demleitner, SteuK 2016, 478 (478); Herbst/Gebhard, DStR 2016, 1705 (1707). 58 Herbst/Gebhard, DStR 2016, 1705 (1707); Demleitner, SteuK 2016, 478 (478). 59 Art. 2 Regierungsentwurf des Brexit-StBG v. 28.1.2019, der im Referentenentwurf noch nicht vorgesehen war, wo ausweislich der Begründung noch kein Klarstellungsbedarf gesehen wurde.

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d) Übertragung stiller Reserven bei der Veräußerung von Anlagegütern Reinvestiert der Stpfl. in Wirtschaftsgüter, die nicht einer inländischen Betriebsstätte, sondern einer solchen im übrigen EU-/EWR-Gebiet zugeordnet werden (§ 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG), kann die Steuer auf die stillen Reserven nach § 6b Abs. 2a EStG auf Antrag des Stpfl. auf grds. fünf Jahre verteilt werden. Auch insoweit wurde gesetzgeberisch klargestellt, dass der Brexit allein diese Stundungsmöglichkeit für die Vergangenheit nicht berührt: Nach Art. 1 Nr. 2 des Regierungsentwurfs des Brexit-StBG wird dem § 6b Abs. 2a folgender Satz angefügt: „Zu den nach Satz 1 angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgütern gehören auch die einem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zuzuordnenden Wirtschaftsgüter, soweit der Antrag nach Satz 1 vor dem Zeitpunkt gestellt worden ist, ab dem das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland nicht mehr Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und auch nicht wie ein solcher zu behandeln ist.“60

Bestehende Steuerstreckungen aufgrund Reinvestitionen im UK sind daher nicht zu beenden, sondern können (bis zum Ablauf der relevanten Fünfjahresfrist) fortgeführt werden. e) Dividendenzahlungen von britischer Tochter- an deutsche Muttergesellschaft: Problemfall gewerbesteuerliches Schachtelprivileg Der Brexit kann auch Auswirkung auf die Besteuerung zukünftiger Dividenden haben. Dabei sind Outbound- und Inbound-Investitionen zu unterscheiden. Im Fall einer Dividendenzahlung von einer britischen Tochter- an eine deutsche Muttergesellschaft (aus deutscher Sicht also ein OutboundFall) sind zwei Dinge – sowohl vor als auch nach dem Brexit – zunächst unproblematisch: Zum einen erhebt das UK seit jeher keine Quellensteuer auf Dividenden.61 Zum anderen unterscheidet die (im Ergebnis) 95 %-Steuerbefreiung für erhaltene Dividenden bei der Körperschaftsteuer nach § 8b Abs. 1 und 5 KStG nicht danach, ob die Mutter im Inland, einem anderen EU-Mitgliedstaat oder einem Drittstaat ansässig ist.

60 Art. 1 Nr. 2 Regierungsentwurf des Brexit-StBG v. 28.1.2019, der im Referentenentwurf noch nicht vorgesehen war. 61 Vgl. Lüdicke, IStR 2017, 936 (939).

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Ein Problem wirft hingegen ggf. das gewerbesteuerliche Schachtelprivileg auf:62 Bisher unterscheidet das GewStG zwischen drei Fällen – Inlandsdividenden (§ 9 Nr. 2a GewStG, 15 % Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums notwendig), EU-Dividenden (§ 9 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 2 GewStG, 10 % Beteiligung, grundsätzlich zu Beginn des Erhebungszeitraums notwendig) sowie Drittlandsdividenden (§ 9 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 1 GewStG, grundsätzlich 15 % Beteiligung seit Beginn des Erhebungszeitraums notwendig, zusätzlich aber auch ein Aktivitätsnachweis). Vor dem Brexit gelten gewerbesteuerlich insofern also noch erleichterte Kürzungsvoraussetzungen (geringere Beteiligung, kein Aktivitätsnachweis). Nach einem britischen EU-Austritt wäre grundsätzlich die weniger günstige Drittstaatenklausel in Halbs. 1 der Vorschrift anzuwenden. Fraglich ist zum einen, ob Beteiligungen zwischen 10 und 15 % zukünftig wirklich schlechter stehen. Denn das – praktisch nunmehr wieder relevanter werdende – DBA GB sieht bereits ab 10 % ein abkommensrechtliches Schachtelprivileg in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 vor.63 Problematisiert wird jedoch die erstmals im aktuellen DBA GB enthaltene Klausel in Buchst. a, wonach die Einkünfte „nach diesem Abkommen im Vereinigten Königreich tatsächlich besteuert werden“ müssen. Dies könnte insofern ein Problem darstellen, als damit nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift die Besteuerung der Dividenden selbst (und nicht etwa des Einkommens der ausschüttenden Gesellschaft) gemeint ist und das UK keine Quellensteuer erhebt, indem es seit jeher auf die ihm zustehende Befugnis unter dem DBA unilateral verzichtet.64 Bis zum Brexit war dies unproblematisch, da laut Finanzverwaltung von einer Besteuerung auch dann „auszugehen war“, wenn eine Besteuerung tatsächlich infolge der Anwendung der Mutter-Tochter Richtlinie unterblieb.65 Im Ergebnis richtig, stellte dies jedoch rechtsmethodisch eher eine Nichtanwendbarkeit der Norm infolge teleologischer Reduktion des weiten Wortlauts dar,66 statt einer Anwendung qua Fiktion. Nach dem Brexit und der Unanwendbarkeit der Mutter-Tochter Richtlinie entfällt diese einschränkende Auslegungsmöglichkeit, und die Fra-

62 Vgl. hierzu eingehend auch Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (6 f.). 63 Im Ergebnis ähnlich, aber ohne Begründung Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705 (1712). 64 Vgl. Lüdicke, IStR 2017, 936 (939). 65 BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 277, Tz. 2.3.a. 66 Vgl. Lüdicke, IStR 2017, 936 (939 f.).

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ge, ob die Nichterhebung britischer Quellensteuer die subject to tax-Klausel erfüllt, wird wieder aktuell. Aufgrund des Wortlauts der Vorschrift67 und eines Umkehrschlusses aus dem BMF-Schreiben ist damit zu rechnen, dass die Finanzverwaltung die subject to tax-Klausel als nicht mehr erfüllt ansehen und daher auf die nationale gewerbesteuerliche 15 %Grenze für Drittlandsdividenden abstellen könnte. Lüdicke spricht sich dennoch mit folgender Begründung auch nach dem Brexit für eine teleologische Reduktion der Vorschrift für Schachteldividenden aus, falls ein Vertragsstaat unilateral auf sein Besteuerungsrecht verzichtet: Zum einen sei die Klausel insofern widersprüchlich, als nach ihrer wörtlichen Auslegung britische Schachteldividenden zwar einerseits unter die Freistellung fallen sollten, aber dies andererseits de lege lata doch nicht der Fall sein könne, da das UK keine Quellensteuer erhebe. Dieser Widerspruch hätte der deutschen Verhandlungsdelegation auffallen müssen; jedenfalls sei kaum vorstellbar gewesen, dass ihr nicht bekannt gewesen sei, dass das UK seit jeher keine Quellensteuer erhebt.68 So wünschenswert das Ergebnis ist, der Schluss von einer offensichtlichen Widersprüchlichkeit der Norm auf ihre teleologische Reduktion ist jedoch nicht zwingend:69 Denn Lüdicke lässt offen, warum die Klausel letztlich doch (im Vergleich zum Alt-DBA) eingefügt und auf Dividenden erstreckt worden ist, obwohl man sich der Tatsache bewusst war, dass das UK keine Quellensteuer erhebt. Zudem lässt er außer Betracht, dass der Verhandlungsdelegation ebenso bewusst gewesen sein könnte und müsste, dass damals eine Erhebung von Quellensteuer ohnehin gegen die MutterTochter-Richtlinie verstoßen hätte, womit der Generalbezug, soweit er auch Schachteldividenden erfasste, ohnehin nicht eingriff. Zweitens verweist Lüdicke auf den Sinn und Zweck von DBA, die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Vor dem Hintergrund, dass eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung ohnehin nur dann vollends vermieden werden könnte, wenn beide Staaten auf die Besteuerung von Dividenden verzichteten, trage auch der unilaterale Besteuerungsverzicht hierzu bei. Bei Anwendung der subject to tax-Klausel ergebe sich die inkonsistente Rechtslage, dass Deutschland zwar dann freistelle, wenn das UK eine noch so geringfügige Quellensteuer erhebe, hingegen nur anrechne, wenn das UK

67 Lüdicke, IStR 2017, 936 (940). 68 Lüdicke, IStR 2017, 936 (940). 69 Vgl. zu den folgenden Argumenten bereits Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (7).

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unilateral nicht besteuere.70 Diese Argumentation übersieht jedoch Folgendes:71 Auch wenn klassisches und immer noch dominantes Ziel und Wirkungsweise der DBA generell ist, eine Doppelbesteuerung durch Einschränkung doppelt bestehender nationaler Besteuerungsrechte zu vermeiden, so nutzen die Staaten DBA daneben punktuell auch vermehrt dazu, eine doppelte Nichtbesteuerung sog. „weißer Einkünfte“ durch das Schaffen von Besteuerungsrechten (in Deutschland vermittelt über bundesgesetzlichen Anwendungsbefehl des DBA) zu vermeiden.72 Ein klassischer Anwendungsfall hierfür ist gerade die Einfügung von subject to taxKlauseln in DBA.73 Im Ergebnis könnte hier für die Fallgruppe von Beteiligungen zwischen 10 und 15 % eine Verschlechterung drohen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Unklarheit bei einer anstehenden DBA-Revision beseitigt wird. Unabhängig davon – und für die Praxis idR sehr viel bedeutender – ist, dass die Frage der maßgeblichen Beteiligungshöhe nichts am Erfordernis des nach dem Brexit geltenden nationalen und abkommensrechtlichen (Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBA GB) Aktivitätsvorbehalts ändert, der damit als definitive Verschlechterung der Rechtslage verbleibt. In diesem Zusammenhang ergeben sich zahlreiche weitere Folgeprobleme, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll.74 Schließlich ist zu beachten, dass der EuGH erst kürzlich festgestellt hat, dass die Kapitalverkehrsfreiheit verbietet, mittels § 9 Nr. 7 GewStG strengere Bedingungen an eine (Gewerbe-)Steuerfreistellung von Dividenden zu knüpfen, die von Gesellschaften mit Sitz und Geschäftsführung in einem Drittstaat gezahlt werden, als wenn die Dividende durch eine inländische Kapitalgesellschaft gezahlt würde.75 Damit sind – nach jetzigem Recht – Inlands- und Drittlandsbeteiligungen gewerbesteuerlich gleich zu behandeln, und zwar konkret die (i) Notwendigkeit der Beteiligung von 15 % nur zu Beginn des Erhebungszeitraums sowie (ii) ohne Aktivitätsnachweis. Die Finanzverwaltung hat dieses Ergebnis nunmehr 70 Lüdicke, IStR 2017, 936 (940 f.). 71 Vgl. zu den folgenden Argumenten bereits Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (7). 72 Generell Lüdicke/Richter in Lüdicke/Sistermann, Unternehmenssteuerrecht2, § 20 Rz. 7. 73 Nicht speziell zum Brexit, aber zu subject to tax-Klauseln als Verhinderung weißer Einkünfte Schulz-Trieglaff, IStR 2012, 577 (578). 74 Vgl. hierzu Käshammer/Schmohl, IStR 2018, 297 ff. 75 EuGH v. 20.9.2018 – C-685/16 (EV/FA Lippstadt), ECLI:EU:C:2018:743 = GmbHR 2018, 1211.

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durch einen gleich lautenden Ländererlass v. 25.1.2019 bestätigt.76 Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die gesetzliche Regelung so bleibt, wie sie ist, und beide Fälle insgesamt ungünstiger geregelt werden. Unabhängig davon dürfte jedenfalls die Regelung für EU-Gesellschaften (die UKTochtergesellschaften durch den Brexit verlieren) mit 10 % Beteiligungsvoraussetzung und ohne Aktivitätsnachweis die günstigste sein und bleiben, ohne dass der deutsche Gesetzgeber diese Regelung einseitig (gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie) verändern könnte. f) Dividendenzahlungen von deutscher Tochter- an britische Muttergesellschaft: Problemfall uU Kapitalertragsteuerpflicht Zahlt im umgekehrten Fall eine deutsche Tochtergesellschaft eine Dividende an ihre britische Mutter, wird vor dem Brexit aktuell keine deutsche Kapitalertragsteuer erhoben. Insoweit setzt § 43b EStG die Bestimmungen der Mutter-Tochter-Richtlinie um. Technisch geschieht dies entweder durch ein Unterlassen des Steuerabzugs nach § 50d Abs. 2 EStG oder eine Erstattung gleichwohl einbehaltener Kapitalertragsteuer nach Abs. 1 der Vorschrift. Zwar gilt der Substanztest für zwischengeschaltete Auslandsgesellschaften in § 50d Abs. 3 EStG de lege lata noch unterschiedslos für Gesellschaften mit Sitz im EU-Ausland und im Drittland. Für erstere wurde auch die Neufassung jedoch durch den EuGH mit Blick auf § 43b EStG als unionsrechtswidrig angesehen, da es sich weiterhin um eine unzulässige Missbrauchsvermutung ohne Gegenbeweismöglichkeit handele.77 Der Gesetzgeber wird also erneut nachbessern müssen. Bereits vor Ergehen dieses Urteils zu § 50d Abs. 3 EStG nF wendet das BMF Satz 2 der Neufassung nicht mehr an,78 in Reaktion auf das EuGHUrteil, das die Altfassung der Vorschrift für unionsrechtswidrig hielt.79 Nach dem Brexit gelten insoweit jedoch weder § 43b EStG noch die Mutter-Tochter Richtlinie. Stattdessen erfolgt ein Rückfall auf Art. 10 Abs. 2 DBA GB, wonach Deutschland berechtigt ist, im Fall von mindestens 10 %-Beteiligungen in Zukunft 5 % des Bruttoertrags der Divi76 Gleich lautende Ländererlasse v. 25.1.2019, DStR 2019, 286 = EStB 2019, 97. 77 EuGH v. 14.6.2018 – C-440/17 (GS), ECLI:EU:C:2018:437 = GmbHR 2018, 851. 78 BMF v. 4.4.2018 – IV B 3 - S 2411/07/10016-14 – DOK 2018/0148776, BStBl. I 2018, 589 = FR 2018, 536. 79 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding ua.), ECLI:EU:C:2017:1009 = GmbHR 2018, 427.

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denden als Kapitalertragsteuer einzubehalten, in anderen Fällen sogar 15 %. Zudem ist nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber in zukünftigen Fassungen des § 50d Abs. 3 EStG versuchen könnte, Zwischengesellschaften mit Sitz in der EU und dem EWR zu privilegieren, was dem UK dann nicht mehr zugute käme (vorbehaltlich allerdings einer Zulässigkeit im Hinblick auf die weiterhin anwendbare Kapitalverkehrsfreiheit). Jedenfalls die vorgenannte, aktuelle Nichtanwendung des Satzes 2 durch die Finanzverwaltung bliebe dem UK sofort ab dem Brexit vorenthalten. Die Erhebung von Kapitalertragsteuer stellt eine eindeutige Verschlechterung der Rechtslage dar, der durch eine entsprechende DBA-Revision unter Reduzierung des Quellensteuersatzes etwa auf 0 % bilateral abgeholfen werden könnte.80 g) Möglichkeit nicht steuerbarer Einlagenrückgewähr Über § 27 Abs. 8 KStG können auch Körperschaften oder Personenvereinigungen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, eine Einlagenrückgewähr iSd. Abs. 1 der Vorschrift erbringen, die dann auf Anteilseignerebene nicht steuerbar ist (§ 20 Abs. 1 Satz 3 EStG, ggf. iVm. § 8 Abs. 1 KStG). Während der I. Senat des BFH entschieden hat, dass die Ausschlussfrist für die gesonderte Feststellung nach § 27 Abs. 8 Satz 4 KStG nicht unionsrechtswidrig sei, da das deutsche Verfahrensrecht dem unionsrechtlichen Effektivitäts- und Äquivalenzprinzip genüge,81 ist beim VIII. Senat eine wohl inhaltlich breitere Revision bezüglich der Frage anhängig, ob das Antragsverfahren insgesamt gegen Unions- oder deutsches Verfassungsrecht verstößt.82 Nach dem Brexit wird § 27 Abs. 8 KStG de lege lata nicht mehr auf das UK als (dann) Drittstaat anwendbar sein. Gleichwohl hat der BFH entschieden, dass für Drittstaatsdividenden der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Satz 3 EStG eine nicht steuerbare Einlagenrückgewähr nicht ausschließt und anderenfalls ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und die Kapitalverkehrsfreiheit vorliege.83 Damit ist eine Einlagenrückgewähr durch britische Kapitalgesellschaften an deutsche Anleger auch nach dem Brexit

80 Vgl. zu den folgenden Argumenten bereits Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (8). 81 BFH v. 27.2.2018 – I B 37/17, GmbHR 2018, 865. 82 BFH, anh. Rev. VIII R 18/17. 83 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFH/NV 2016, 1831 = FR 2017, 192 m. Anm. Kanzler.

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möglich. Wie vom BFH eingeräumt84 stehen die Anteilseigner von Drittstaatsgesellschaften sogar uU besser als Inlands- und EU-Gesellschafter. Dies wäre zB der Fall, wenn das britische Handelsrecht insoweit geringere Anforderungen stellte als das deutsche steuerliche Einlagekonto.85 Zudem sind die strengen Frist- und Verfahrensvorschriften des § 27 Abs. 8 KStG nicht anwendbar. h) Entfallen des Substanztests als Gegenbeweismöglichkeit bei Hinzurechnungsbesteuerung Unabhängig vom Vorliegen von aktiven Einkünften nach § 8 Abs. 1 AStG ist eine Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleistung in einem anderen EU- oder EWR-Staat nach Abs. 2 der Vorschrift dann keine Zwischengesellschaft für niedrig besteuerte Einkünfte, wenn die unbeschränkt Stpfl. nachweisen, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Die Privilegierung wurde als Reaktion auf die Cadbury Schweppes-Entscheidung86 des EuGH eingefügt. Eine niedrigere Besteuerung iSv. § 8 Abs. 3 AStG liegt für das UK vor, da der britische Körperschaftsteuersatz derzeit nur 19 % beträgt.87 Nach dem Brexit ist dieser Substanztest auf britische Gesellschaften nach dem Wortlaut der Regelung nicht mehr anwendbar. Es gilt dann insoweit die allgemeine Aktivitätsklausel in § 8 Abs. 1 AStG.88 Etwas anderes würde sich ergeben, wenn die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7–14 AStG insgesamt oder in Teilen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) verstieße, da diese auch für Drittstaaten gilt. Wie oben89 bereits angesprochen, stellt der EuGH grundsätzlich auf den „Gegen84 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFH/NV 2016, 1831 = FR 2017, 192 m. Anm. Kanzler, juris Rz. 28. 85 Demleitner, SteuK 2016, 478 (479). 86 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), ECLI:EU:C:2006:544 = FR 2006, 987. 87 Zur Höhe des Körperschaftsteuersatzes vgl. Gsödl/Schmid, Die US-Steuerreform, der Brexit, und deren Auswirkungen auf Deutschland, ifst-Schrift 525, 43. 88 Vgl. ebenso Gsödl/Schmid, Die US-Steuerreform, der Brexit, und deren Auswirkungen auf Deutschland, ifst-Schrift 525, 44; Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705 (1708 f.); Bode/Bron/Fleckenstein-Weiland/Mick/Reich, BB 2016, 1367 (1368); Demleitner, SteuK 2016, 478 (479); Linn, DStR 2016, 557 (560); Cloer/ Holle, FR 2016, 921 (927). 89 Vgl. zu II.2.

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stand der betreffenden Regelung“ ab, nicht die konkrete Beteiligung. Vor diesem Hintergrund ist die normale Hinzurechnungsbesteuerung im AStG nicht unmittelbar klar einzuordnen: Denn einerseits verlangt sie eine „Deutschbeherrschung“ von mehr als 50 % (§ 7 Abs. 2 AStG), was für einen „sicheren Einfluss“ auf die Gesellschaft und damit die Anwendung (nur) der Niederlassungsfreiheit sprechen könnte (was in UK-Fällen nach dem Brexit zu einer Verschlechterung führen würde).90 Allerdings muss die Beteiligung von mehr als 50 % gerade nicht durch einen Stpfl. (ggf. mit verbundenen Unternehmen) erreicht werden, sondern es reicht irgendeine Kumulation von (auch unverbundenen) unbeschränkt Stpfl.91 Für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter (Beteiligungsgrenze grundsätzlich 1 % ausreichend, ausnahmsweise auch unter 1 %) hat erst kürzlich GA Mengozzi gefolgert, dass die Hinzurechnung nach Abs. 6 und 6a der Vorschrift in den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt.92 Auch wenn er die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Standstill-Klausel nach (heute) Art. 64 AEUV für gerechtfertigt erachtet und im Übrigen nur noch hilfsweise Überlegungen anstellt, besteht die Möglichkeit, dass der EuGH im Vorlageverfahren93 die Auffassung einiger Stimmen in der Literatur94 teilt, wonach diese Vorschriften die Kapitalverkehrsfreiheit verletzten. Für das Entfallen des Gegenbeweises bei der Stiftungs-Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG stellen sich ähnliche Fragen.95 i) Entfallen der Stundungsmöglichkeit bei Wegzugsbesteuerung Für Anteile iSd. § 17 EStG wird eine Veräußerung nach Maßgabe des § 6 AStG fingiert, wenn eine mindestens zehnjährige unbeschränkte Steuerpflicht einer natürlichen Person durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet oder einer der dort genannten anderen Ersatzrealisationstatbestände verwirklicht wird. Um Einklang mit Uni90 Ebenso Demleitner, SteuK 2016, 478 (479). 91 Zu diesem Problem vertiefend Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 31 ff. 92 Schlussanträge des GA Paolo Mengozzi v. 5.6.2018 – C-135/17 (X-GmbH), ECLI:EU:C:2018:389. 93 Vorlage in C-135/17 (X-GmbH), vorgelegt durch BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642. 94 Vgl. statt vieler Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705 (1709). 95 Insoweit wird verwiesen auf die Ausführungen von Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (9).

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onsrecht herzustellen, wurde durch Abs. 5 der Vorschrift die Möglichkeit einer zeitlich unbegrenzten und zinslosen Stundung ohne Sicherheitsleistung gewährt, sofern der Stpfl. Staatsangehöriger eines EU- oder EWRStaats ist und auch der Zuzugstaat ein EU- oder EWR-Staat ist. Für EUBürger, die nach dem EU-Austritt des UK ihren deutschen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach Maßgabe dieser Vorschrift aufgeben und ins UK ziehen, wird diese Stundungsmöglichkeit nicht mehr zur Verfügung stehen. Das Gleiche gilt für Briten, und zwar auch dann, wenn sie aus Deutschland in einen anderen EU- oder EWR-Staat ziehen.96 Aber auch hier stellt sich die Frage, ob eine in der Vergangenheit gewährte, im Zeitpunkt des Brexit bestehende Stundung allein durch den EUAustritt ohne eigene aktive Handlung des Stpfl. zu widerrufen wäre. Dagegen spricht, dass § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG eine „Aufgabe“ des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland fordert.97 Gleichwohl wurde diskutiert, dass diese grammatische Auslegung nicht zwingend sei, wenn man den Telos der Norm mit einbeziehe. Danach sei die Stundungsmöglichkeit nur deswegen gewählt worden, weil die Möglichkeit der vollumfänglichen Kontrolle im Wege der Amtshilfe und Beitreibung iSv. § 6 Abs. 5 Satz 2 AStG bestand. Genau das könnte nach dem Brexit aber wegfallen.98 Auch eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG wurde diskutiert, da es der Gesetzgeber wohl nicht für möglich gehalten habe, dass eine unbeschränkte Steuerpflicht in einem EU-Mitgliedstaat durch den EU-Austritt eines Mitgliedstaats enden könne.99 Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht jedoch, dass der Gesetzgeber für den Besteuerungstatbestand mit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG gerade einen handlungsunabhängigen Auffangtatbestand geschaffen hat (Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts), während ein solcher in den Widerrufsgründen des § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1–4 AStG gerade fehlt.100

96 Ebenso Häck, ISR 2018, 265 (267); Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705 (1706); Demleitner, SteuK 2016, 478 (480). 97 Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705 (1706 f.); Demleitner, SteuK 2016, 478 (480). 98 Cloer/Holle, FR 2016, 921 (926); Kudert/Hagemann/Kahlenberg, EuZW 2017, 997 (1001). 99 Diesen Gedanken aufwerfend, ihn aber sogleich mit anschließender Argumentation widerlegend Linn, IStR 2016, 557 (560). 100 Linn, IStR 2016, 557 (560).

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Letztlich soll auch insoweit durch Einfügung eines neuen § 6 Abs. 8 AStG eine gesetzgeberische Klarstellung erfolgen, so dass der Brexit allein grundsätzlich nicht zum Widerruf der Stundung führt: „Abweichend von Absatz 5 Satz 4 führt der Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union nicht zum Widerruf der Stundung, wenn allein aufgrund dessen für den Steuerpflichtigen oder seinen Rechtsnachfolger im Sinne des Absatzes 5 Satz 3 Nummer 1 die Voraussetzungen für die Stundung nach Absatz 5 Satz 1 und 3 nicht mehr vorliegen.“101

Da die erfassten Stpfl. ausweislich der Gesetzesbegründung jedoch nur gleich-, nicht aber bessergestellt werden sollen,102 wurde zudem einschränkend geregelt, dass die Stundung zu widerrufen ist, wenn nach dem Brexit entweder die Anteile einer Drittstaatsbetriebstätte zugeordnet werden oder der Stpfl. seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einen Drittstaat verlegt und hierdurch ausschließlich einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht im Drittstaat unterliegt.103 Durch die geplante Gesetzesänderung ist die Gefahr eines Widerrufs der Stundung folglich auch nach eingetretenem Brexit nicht endgültig gebannt. 101 § 6 Abs. 8 Satz 1 AStG neu, vgl. Art. 4 Nr. 2 des Regierungsentwurfs des Brexit-StBG v. 29.1.2019. Auch diese Vorschrift war im vorhergehenden Referentenentwurf noch nicht enthalten. Stattdessen deutete aber dessen Begründung (S. 6) darauf hin, dass allein der Brexit nicht zu einem Widerruf der Stundung führe. 102 Zum Zweck der Vermeidung einer Besserstellung siehe die Begründung des Regierungsentwurfs des Brexit-StBG v. 29.1.2019, 22 f. 103 Wortlaut der geplanten einschränkenden Regelung in § 6 Abs. 8 Satz 2 AStG neu: „In den Fällen des Satzes 1 ist Absatz 5 Satz 4 auf die gestundeten Beträge weiterhin mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Stundung über die in Absatz 5 Satz 4 geregelten Tatbestände hinaus auch zu widerrufen ist 1. soweit die Anteile aufgrund einer Entnahme oder eines anderen Vorgangs, der nach inländischem Recht nicht zum Ansatz des Teilwerts oder des gemeinen Werts führt, weder einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland noch einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im Sinne des Absatzes 5 Satz 3 Nummer 3 zuzuordnen ist; 2. wenn für den Steuerpflichtigen oder für seinen Rechtsnachfolger im Sinne des Absatzes 5 Satz 3 Nummer 1 infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts weder eine mit der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbare Steuerpflicht im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland noch eine Steuerpflicht nach Absatz 5 Satz 1 besteht. In den Fällen des Satzes 2 gilt Absatz 7 entsprechend.“

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Stattdessen will der deutsche Fiskus durch Einfügung noch speziellerer Widerrufstatbestände weiter ein Auge darauf haben, wie sich die Zuordnung der Anteile, der Wohnsitz des Stpfl. bzw. dessen unbeschränkte Steuerpflicht entwickeln. j) Weitere ertragsteuerliche Auswirkungen auf Privatpersonen Da der Schwerpunkt dieses Beitrags auf dem Unternehmensteuerrecht liegt, soll im Folgenden zur Abrundung der ertragsteuerlichen Problematik lediglich ein kurzer Überblick darüber gegeben werden, wie Privatpersonen auch außerhalb von Gewinneinkunftsarten durch den Brexit betroffen sein können:104 Im Bereich der Einkommensermittlung ist zunächst auf die Verlustabzugsbeschränkungen des § 2a EStG für Einkünfte mit Bezug zu Drittstaaten hinzuweisen. Darüber hinaus stellen auch einige Steuerbefreiungstatbestände explizit auf eine EU- oder EWR-Mitgliedschaft eines anderen Staats ab. Betroffen wären zB Bezieher britischer Versicherungsund Sozialleistungen (§ 3 Nr. 2 Buchst. e EStG) oder Übungsleiter und sonst nebenberuflich Tätige im Dienst oder Auftrag einer britischen juristischen Person des öffentlichen Rechts (§ 3 Nr. 26, 26a EStG). Im Sonderausgabenbereich wären Vorsorgeaufwendungen an britische Versicherungsunternehmen nicht mehr abziehbar (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa sowie Abs. 1 Nr. 1, 3 und 3a EStG), ebensowenig Unterhaltszahlungen, Versorgungsleistungen und Ausgleichszahlungen an britische Empfänger (§§ 1a Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1a Nr. 1–4 EStG), Schulgeldzahlungen an britische Schulen (§ 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG) sowie Spenden an britische Empfänger (§ 10b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 EStG). Die Möglichkeit nach § 50a Abs. 3 EStG, in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehende Betriebsausgaben oder Werbungskosten bereits beim Steuerabzug berücksichtigen zu lassen, verlieren nach dem Brexit zum einen in Deutschland beschränkt steuerpflichtige Briten mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der EU bzw. dem EWR, zum anderen in Deutschland beschränkt steuerpflichtige Unionsbürger mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im UK. Darüber hinaus wirkt der Steuerabzug grundsätzlich abgeltend, da die wichtigste Aus-

104 Vgl. bereits die Übersicht über Privatpersonen bei Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (10).

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nahme der Antragsveranlagung in Deutschland für Briten nach dem Brexit entfällt (§ 50 Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 5 und Satz 7 EStG). Hinsichtlich des Tarifs ist zu beachten, dass ein Antrag auf Zusammenveranlagung in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, wenn der britische Ehegatte eines in Deutschland unbeschränkt Stpfl. nicht zugleich auch unbeschränkt steuerpflichtig ist (§§ 1a Abs. 1 Nr. 2 iVm. 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse und Dienstleistungen sowie Handwerkerleistungen ist für einen britischen Haushalt des Stpfl. nach dem Brexit nicht mehr möglich (§ 35a Abs. 4 EStG). Darüber hinaus entfällt grundsätzlich die deutsche Kindergeldberechtigung für Kinder des Stpfl., wenn erstere ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im UK haben (§ 63 Abs. 1 Satz 6 EStG). Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass durch Ergänzungen der §§ 92a, 93 und 95 EStG durch Art. 1 Nr. 2 bis 4 Brexit-StBG105 sichergestellt werden soll, dass in sog. „Altfällen“ eine schädliche Verwendung (Nachversteuerung) nicht allein deswegen ausgelöst wird, weil das geförderte Altersvermögen für eine selbst genutzte Wohnung im UK verwendet wurde, im Todesfall des Zulageberechtigten auf einen im UK lebenden Ehegatten übertragen wurde, oder der Zulageberechtigte im UK lebte.

2. Auswirkungen auf die Nachfolgeplanung Britische Familienheime (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a–4c ErbStG) werden nach dem Brexit ebenso nicht mehr begünstigt sein wie britisches Betriebsvermögen (§ 13b Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG) oder britische Grundstücke, die zu Wohnzwecken vermietet werden (§ 13d Abs. 3 Nr. 2 ErbStG). Zu beachten ist auch, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung106 die Steuerbefreiung für Kulturgüter in § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nur in Anspruch genommen werden kann, wenn sich die Gegenstände im Inland oder einem EU- bzw. EWR-Staat befinden und für mindestens zehn Jahre dort verbleiben. Danach könnten entsprechende Gegenstände nicht mehr steuerbefreit sein, wenn sie vor oder auch nach dem Brexit ins UK gelangen.107 105 Regierungsentwurf des Brexit-StBG v. 28.1.2019. 106 R E 13.2 Abs. 1 Satz 1 ErbStR. 107 Vgl. die Beispiele von Bron, ErbStB 2016, 177 (180).

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Darüber hinaus sind nach § 13a Abs. 3 Sätze 11 und 12 ErbStG bei Beteiligungen an britischen Unternehmen im Betriebsvermögen die britischen Löhne nicht mehr in den Lohnsummentest einzubeziehen.

3. Auswirkungen auf Grunderwerbsteuer § 6a Satz 1 GrEStG ordnet an, dass auf innerdeutsche Umstrukturierungsvorgänge im Konzern keine Grunderwerbsteuer erhoben wird. Zwar hat der EuGH die Unionsrechtskonformität der Norm erst kürzlich bestätigt, indem eine Beihilfe insofern mangels Selektivität verneint wurde, da eine (wegen der Konzernzugehörigkeit der am Umwandlungsvorgang beteiligten Gesellschaften) a priori selektive Maßnahme durch das Ziel der Vermeidung der übermäßigen Besteuerung gerechtfertigt sei.108 Der Begründungsansatz blieb aber hinter dem des GA Henrik Saugmandsgaard ØE zurück, der mit seinen Schlussanträgen bereits im Ausgangspunkt gegen eine Selektivität aufgrund des Vorliegens einer allgemeinen Maßnahme plädierte,109 worin zum Teil eine begrüßenswerte generelle Einschränkung des Selektivitätsbegriffs gesehen wurde.110 Satz 2 der Vorschrift erweitert die Vergünstigung auf konzerninterne Umstrukturierungen nach dem Recht eines anderen EU oder EWR-Staats. Nach dem Brexit wäre diese Vergünstigung für Umstrukturierungen nach britischem Recht nicht mehr anwendbar.111 Zwar ließe sich im Allgemeinen unter bestimmten Voraussetzungen ein Verstoß gegen das DBArechtliche Diskriminierungsverbot in Art. 24 OECD MA begründen.112 Der Gedanke ist aber auf britische Umstrukturierungen nach dem Brexit nicht übertragbar: Während Art. 24 Abs. 6 OECD MA den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsartikels „ungeachtet des Artikels 2“ auf „Steuern jeder Art und Bezeichnung“ erstreckt, beschränkt Art. 25 Abs. 7 DBA GB diesen explizit auf „die Steuern, die Gegenstand dieses Abkommens sind“, worunter nach Art. 2 DBA GB nur Ertrag- und Vermögensteuern fallen, nicht aber Verkehrsteuern.

108 EuGH v. 19.12.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:1024 = Ubg. 2019, 51. 109 Schlussanträge des Generalanwalts Henrik Saugmandsgaard ØE v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741. 110 Vgl. etwa Ellenrieder/Mörwald, IStR 2018, 861. 111 Ebenso Herbst/Gebhardt, DStR 2016, 1705 (1713). 112 Vgl. hierzu allgemein Lüdicke/Schnitger, DStR 2011, 1005.

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Als Gestaltungsmöglichkeit käme zwar das „Vorziehen“ einer ohnehin später erwogenen Umwandlung in Betracht.113 Gerade im Fall eines No Deal-Brexit könnten hingegen praktische zeitliche Probleme auftreten, sofern man auf die Eintragung der Umwandlung im Register als maßgeblichen Zeitpunkt für die Anwendbarkeit der Vorschrift abstellt.114

IV. Zivil- und steuerrechtliche Folgen für Gesellschaften britischer Rechtsform in Deutschland 1. Zivilrecht Der EU-Austritt des UK hat auch Auswirkungen auf die zivil- und steuerrechtliche Behandlung von Gesellschaften mit britischer Rechtsform in Deutschland, vor allem auf die britische „private company limited by shares“ (Limited). Einige Staaten, darunter Deutschland, folgen grundsätzlich der Sitztheorie. Danach unterstehen die Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft der Rechtsordnung des Staats ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes. Andere Staaten, wie das UK, folgen hingegen der Gründungstheorie, wonach Gesellschaften der Rechtsordnung unterstehen, nach der sie gegründet wurden. Nach ständiger EuGH-Rspr. erfordert die Niederlassungsfreiheit in der EU, dass der Staat des tatsächlichen Verwaltungssitzes hinsichtlich einer in einem anderen EU Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft im Ergebnis die in diesem vertretene Gründungstheorie akzeptiert.115 So kann etwa eine im UK gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz über die Grenze nach Deutschland verlegen und dabei ihre Rechtsform wie auch Rechts- und Parteifähigkeit behalten, sofern das britische Recht für Wegzugsfälle nicht den Verlust der Rechtsfähigkeit anordnet. Deutschland folgt dementsprechend zwar der Gründungstheorie, falls die Gesellschaft in einem anderen EU- oder EWR-Staat gegründet wurde. Im Übrigen hält Deutschland jedoch weiter an der Sitztheorie und 113 Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (12). 114 In Anlehnung an gleich lautende Ländererlasse v. 19.6.2012, BStBl. I 2012, 662 Tz. 8 iVm. 2.3. 115 Vgl. die Urteile des EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97 (Centros), ECLI:EU:C:1999: 126 = FR 1999, 449; v. 5.11.2002 – C-208/00 (Überseering), ECLI:EU:C:2002: 632 = GmbHR 2002, 1137; v. 30.9.2003 – C-167/01 (Inspire Art), ECLI:EU:C: 2003:512 = GmbHR 2003, 1260; v. 16.12.2008 – C-210/06 (Cartesio), ECLI: EU:C:2008:723 = GmbHR 2009, 86.

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damit auch am sog. numerus clausus der deutschen Gesellschaftsformen fest.116 Dies wurde deutlich etwa im Trabrennbahn-Fall des BGH im Jahr 2008: Eine Schweizer AG, die sich nicht durch Eintragung in das deutsche Handelsregister neu in Deutschland als Kapitalgesellschaft gründe, sei danach in Deutschland nur als rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln.117 Aus diesen Gründen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch UKLimiteds nach dem Brexit – vorbehaltlich Übergangs- und anderer vertraglicher Sonderlösungen – mangels Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit wieder entsprechend der Sitztheorie beurteilt werden.118 Sollte eine Limited bis zum Wirksamwerden des EU-Austritts des UK also noch nicht in eine deutsche Kapitalgesellschaft umgewandelt worden sein, würde sie – je nach Geschäftsgegenstand – entweder als GbR oder oHG behandelt und anderenfalls, wenn sie nicht mindestens zwei Gesellschafter hat, als Einzelunternehmen.119 In jedem Fall ginge dies mit einer zivilrechtlich unbeschränkten Haftung der Gesellschafter einher, die durch Gründung der Limited gerade verhindert werden sollte.120

2. Steuerrecht Fraglich ist, welche steuerlichen Folgen aus dieser zivilrechtlichen Änderung der Rechtsform in Deutschland zu ziehen sind. Zum Teil wird vertreten, die stillen Reserven würden sowohl im Vermögen der Gesellschaft als auch in den Anteilen an der Gesellschaft aufgedeckt. Zudem gälten offene Rücklagen als ausgeschüttet.121 Dieser Ansicht stand jedoch bereits die alte BFH-Rspr. entgegen, wonach eine Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts mit Geschäftsleitung im Inland auch dann nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 iVm. § 3 KStG unbeschränkt kör116 Seeger, DStR 2016, 1817 (1818 f.). 117 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = GmbHR 2009, 138. 118 Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, BT-Drucks. 19/ 5463, 7. 119 Vgl. zu diesen Rechtsfolgen des Brexit für Limiteds BT-Drucks. 19/5463, 7; bereits zuvor Seeger, DStR 2016, 1817 (1818 f.); Behme, ZRP 2018, 204; Schrade, DStR 2018, 1898 (1899); Neumann-Tomm, IWB 2017, 488 (488 f.). 120 BT-Drucks. 19/5463, 7; Brandi/Schmidt, DB 2018, 2417 (2418). 121 Zu diesen Rechtsfolgen Seeger, DStR 2016, 1817 (1819); darauf verweisend Hackemann in Ernst & Young, KStG, Aktuelles aus dem Unionsrecht, Rz. 12 (Stand 06/2017).

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perschaftsteuerpflichtig ist, wenn sie zwar im Inland zivilrechtlich nur als Personengesellschaft anerkannt sei, aber eine Prüfung im Einzelfall ergebe, dass die Gesellschaft „dem ‚Typ‘ und der tatsächlichen Handhabung nach einer Kapitalgesellschaft oder einer juristischen Person iSd. § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder einem anderen Körperschaftsteuersubjekt iSd. § 1 Abs. 1 Nr. 2–5 KStG entspricht und – wenn das der Fall ist – ob sie selbst den Tatbestand der Einkünfteerzielung erfüllt oder ob das Einkommen nach dem KStG oder dem EStG bei anderen Steuerpflichtigen zu versteuern ist.“122

Dies wurde im zu entscheidenden Fall für eine liechtensteinische AG bejaht. Im Jahr 2006 hatte der Gesetzgeber darüber hinausgehend durch die Einfügung des Worts „insbesondere“ in den Klammerzusatz des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG „klargestellt, dass es sich nicht um eine abschließende Aufzählung von Gesellschaftsformen handelt. Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig können danach auch solche Gesellschaften sein, die zwar nicht nach deutschem oder europäischem Recht gegründet worden sind, die aber nach ihrem Gründungsstatut einer Kapitalgesellschaft entsprechen (Typenvergleich). Auf diese Gesellschaften finden über § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG die für Kapitalgesellschaften geltenden Regelungen […] Anwendung.“123

Aus der seither ergangenen Rspr. geht zwar nicht eindeutig hervor, ob die unbeschränkte Steuerpflicht auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 5 KStG gestützt wird, da es in den entschiedenen Fällen vermutlich nicht darauf ankam. Trotzdem kann dies im Einzelfall von Bedeutung sein: Nach § 8 Abs. 2 KStG sind lediglich alle Einkünfte der nach § 1 Nr. 1–3 KStG unbeschränkt Stpfl. als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln, so dass ein „Kategoriewechsel“ der Limited von Nr. 1 zur Nr. 5 eine gewinnrealisierende Entnahme der betrieblichen Wirtschaftsgüter zur Folge haben könnte.124 Dass eine britische Limited strukturell eher einer deutschen Kapitalgesellschaft entspricht als den in Nr. 5 genannten Rechtsformen, spricht für eine Anwendung der Nr. 1. Dem scheint auch der Wille des Gesetzgebers seit der Gesetzesänderung zu entsprechen.125

122 BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972 = GmbHR 1993, 184 (juris Rz. 20). 123 BT-Drucks. 16/2710, 30. 124 Neumann-Tomm, IWB 2017, 488 (491). 125 Wohl hM, vgl. detailliert etwa Hummel in Gosch, KStG3, § 1 Rz. 109.

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Besteht – was regelmäßig der Fall sein wird126 – die konkret untersuchte Limited daher den Typenvergleichstest127 mit einer deutschen Kapitalgesellschaft, so drohen der Limited nach dem Brexit trotz der zivilrechtlichen Umqualifizierung in eine Personengesellschaft oder sogar ein Einzelunternehmen allein hieraus keine (zusätzlichen) steuerlichen Konsequenzen.128 Sollte die Limited zur Wiederherstellung der zivilrechtlichen Haftungsbegrenzung ihren Verwaltungssitz allerdings wieder ins UK zurückverlegen, greift hingegen die oben dargestellte129 fingierte Liquidationsbesteuerung.130 Insgesamt bleibt insofern als Ergebnis festzuhalten, dass rein steuerlich weniger Risiken allein aus der automatischen Änderung der zivilrechtlichen Rechtsform infolge des Brexit resultieren als aus einer proaktiven Umstrukturierung mit dem Ziel der Vermeidung der zivilrechtlichen Haftung.

V. Exkurs: Auswirkungen auf Zoll und Umsatzsteuer Die EU hat nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a AEUV die ausschließliche Zuständigkeit für die Zollunion. Vorbehaltlich abweichender Regelungen, die sich ergeben könnten (i) aus einer etwaigen Übergangszeit,131 (ii) aus einem DWA für nach einer solchen Übergangszeit noch nicht abgeschlossene Vorgänge132, (iii) aus einer backstop-solution, die ein einheitliches Zollgebiet vorsehen könnte,133 oder (iv) einer sogar dauerhaften Zollunion nach einem nicht auszuschließenden Politikwechsel, würde das UK mit dem Brexit auch das einheitliche Zollgebiet der EU verlassen. Konsequenterweise fände auch die EU Zollkodex-Verordnung134 keine An126 Neumann-Tomm, IWB 2017, 488 (490). 127 Sinnvolle Kriterien für den Typenvergleich bietet BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA - 22/04, BStBl. I 2004, 411 = FR 2004, 490 zur steuerlichen Einordnung der nach US-Recht gegründeten LLC unter Tz. IV. 128 Ebenso Schrade, DStR 2018, 1898 (1899). 129 Vgl. Kapitel I.1.c. 130 Darauf ebenso hinweisend Schrade, DStR 2018, 1898 (1899); Mentzel, IWRZ 2017, 248 (249). 131 Vgl. bereits oben Kapitel I. und Art. 126–132 DWA. 132 Vgl. Art. 47–50 DWA. 133 Vgl. bereits oben Kapitel I. sowie Art. 6 Irlandprotokoll iVm. Anhängen 2–5. 134 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013, L 269, 1 sowie nachfolgende Änderungen.

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wendung mehr. Es ist daher mit besonderen Anmeldeverfahren und Warenkontrollen zu rechnen, die einen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand mit sich bringen. Die Umsatzsteuer ist über Art. 113 AEUV iVm. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie135 weitgehend harmonisiert. Die Richtlinie hätte nach dem nunmehr (vorerst oder endgültig?) gescheiterten Austrittsabkommen grundsätzlich auch (i) während einer Übergangszeit,136 (ii) nach der Übergangszeit für in dieser verwirklichte Sachverhalte137 sowie (iii) nur für Nordirland als Notfalllösung im Fall einer nicht vermiedenen harten Grenze in Irland weitergegolten.138 Aber selbst ein No Deal-Brexit hätte zunächst insofern keine unmittelbaren automatischen Auswirkungen auf das britische nationale Umsatzsteuerrecht, da dieses letztlich die in nationales Recht umgesetzte MwStSystRL darstellt. Gleichwohl stünde das nationale Umsatzsteuerrecht nach dem EU-Austritt natürlich zur freien Disposition von Westminster. Von einer freiwilligen Orientierung an der MwStSystRL bis hin zu einer völligen Abschaffung der britischen Umsatzsteuer wäre rechtlich alles möglich. Da beides aber unwahrscheinlich ist,139 wird es ggf. auf den Mittelweg hinauslaufen, dass sich das britische Umsatzsteuerrecht mangels Bindung an EU-Recht mit zunehmender Zeit immer weiter von der MwStSystRL entfernt. Die Auswirkungen des Brexit auf das deutsche UStG hingegen sind – vorbehaltlich der drei vorgenannten Sonder- und Übergangsregime140 – unmittelbar und automatisch, da in Bezug auf das „Drittlandsgebiet“ iSv. § 1 Abs. 2a Satz 3 UStG andere Rechtsnormen und -regimes Anwendung finden als in Bezug auf das „übrige Gemeinschaftsgebiet“ iSd. § 1 Abs. 2a Satz 1 UStG: Bei Lieferungen vom UK nach Deutschland griffe statt eines innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG) das

135 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU 2006, L 147, 1, sowie nachfolgende Änderungen. 136 Art. 126–132 DWA. 137 Art. 51–53 DWA. 138 DWA, Art. 9 Irlandprotokoll iVm. Anhang 6. 139 Eine Abschaffung erscheint aufgrund der Bedeutung der USt. am Gesamtsteueraufkommen im UK jedoch äußerst unwahrscheinlich, worauf Scheller, DStR 2016, 2196 (2196) zu Recht hinweist. 140 Dem Übergangszeitraum würde auch für den Bereich der USt. das Brexit-ÜG in Deutschland Geltung verschaffen.

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Regime der Einfuhrumsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG). UU kämen Zölle als nicht vorsteuerabziehbare Definitivbelastung hinzu. Lieferungen von Deutschland ins UK wären zwar weiter umsatzsteuerfrei. Die Qualifikation als steuerfreie Ausfuhrlieferungen (§ 6 UStG) statt innergemeinschaftlicher Lieferungen (§ 6a UStG) hätte jedoch eine deutlich höhere und damit auch zeitaufwändigere und teurere Nachweispflicht der Steuerfreiheit zur Folge: Statt eines bloßen Belegnachweises iSv. §§ 17a–17c UStDV wären Ausfuhrnachweise nach §§ 8–17 UStDV erforderlich. Wo also vor dem Brexit idR noch ein unterzeichneter Frachtbrief oder gar ein Doppel der Rechnung ausgereicht hätte, werden nun Ausgangsvermerke erforderlich.141 Wichtiger und häufiger als mögliche Ortsverlagerungen bei Lieferungen (Nichtgeltung § 3c im Versandhandel oder Geltung des § 3 Abs. 8 UStG) wird der Ort der sonstigen Leistungen verlagert werden. So wird etwa der Ort für verschiedene Dienstleistungen an britische Privatpersonen in Zukunft grundsätzlich vom Inland (Grundsatz des § 3a Abs. 1 UStG)142 ins UK verlagert (Ausnahme des § 3a Abs. 4 UStG), einhergehend mit zusätzlichen Registrierungspflichten143 im UK. Auch Sondervorschriften und Spezialregime mit Bezug zum übrigen Gemeinschaftsgebiet werden nicht mehr anwendbar sein, insbes. §§ 1a Abs. 2, 3 Abs. 1a (innergemeinschaftliches Verbringen), § 1b (innergemeinschaftlicher Erwerb neuer Fahrzeuge) oder § 25b UStG (innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte).

VI. Zusammenfassung und Ausblick Ein No Deal-Brexit hätte grundsätzlich erhebliche Auswirkungen auf die Besteuerung in Deutschland.144 Ertragsteuerlich finden jene Normen mit EU-/EWR-Bezug, die erst durch EuGH-Rspr. überhaupt in das Gesetz gekommen sind, auf das UK nach dem Brexit keine Anwendung mehr. Nur in Einzelfällen scheint ein Berufen auf die auch im Verhältnis zu Drittstaaten geltende Kapitalverkehrsfreiheit erfolgversprechend. Durch das im März 2019 finalisierte Brexit-StBG hat der deutsche Gesetzgeber jedoch für einige dringende Fälle Vorsorge getroffen.

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Vgl. zu diesem Beispiel Demleitner, SteuK 2016, 478 (480). Vgl. Abschn. 3a.8 Nr. 2 UStAE. Höring, DStZ 2017, 77 (80). Zum Nachfolgenden ähnlich Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (14).

Schneider/Möhlenbrock, Steuerauswirkungen des Brexit

Negative Auswirkungen des Brexit drohen auch in Bezug auf die Nachfolgeplanung und die Grunderwerbsteuer, denen jedoch uU mit Vorziehen von Übertragungen und Umwandlungen begegnet werden könnte. Grundlegende Änderungen sind ebenso für den Zoll als ausschließliche EU-Kompetenz sowie die Umsatzsteuer als voll harmonisierter Rechtsbereich zu erwarten. Für britische Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland würde ein No Deal-Brexit erhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken mit sich bringen, weniger jedoch steuerliche. Bei proaktiven Umstrukturierungen zur Vermeidung der zivilrechtlichen Haftung ist jedoch genau zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen diese steuerneutral möglich sind. Auf die unsichere Rechtslage, oder gar bloße Erwartungen oder Hoffnungen, sollten sich die betroffenen Stpfl. aufgrund politischer Unvorhersehbarkeiten nicht verlassen. Sofern noch nicht geschehen, muss spätestens jetzt proaktiv nach Wegen gesucht werden, das unvorhersehbare Brexit-Risiko abzumildern. Selbst wenn das jedenfalls vorerst gescheiterte Austrittabkommen und damit auch eine entsprechende Übergangszeit doch noch nach partiellen Nachbesserungen und überparteilichen „Notstandsbündnissen“ im britischen Parlament zur Vermeidung eines No Deal-Brexit irgendwann (ggf. erst nach „Verschiebung“ des Brexit?) zustande kommen sollten, so würde dies die mit einem definitiven Brexit einhergehenden rechtlichen Probleme und Unsicherheiten allenfalls zeitlich verschieben, nicht aber dauerhaft lösen. Dies gilt sogar dann, wenn in einer Übergangszeit ein möglichst umfassendes Future Relationship Agreement ausgehandelt würde. Denn selbst das umfassendste Future Relationship Agreement bliebe von der Intensität her aller Wahrscheinlichkeit nach hinter einer britischen EU-Mitgliedschaft zurück, so dass sich die Beziehung des UK zur EU und damit auch zu Deutschland in jedem Fall und in jeder Hinsicht verändern wird.

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EU-Beihilferecht und Steuern Prof. Dr. Axel Cordewener, LL.M.* Rechtsanwalt, Bonn I. Einleitung: rasante Bedeutungszunahme II. Überblick über den EU-rechtlichen Rahmen 1. Problemstellung 2. Art. 107 AEUV: materielles Verbot mit Ausnahmevorbehalt a) Einordnung b) Verbotstatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV c) Ausnahmetatbestände in Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV 3. Verfahrensrechtliche Eckpunkte: Europäische Kommission als umfassend zuständige Wettbewerbsbehörde (Art. 108 AEUV) a) Zweck der Beihilfenkontrolle b) Repressive Kontrolle „bestehender“ Beihilfen c) Präventive Kontrolle „neuer“ Beihilfen aa) Bedeutung bb) Notifizierungspflicht der Mitgliedstaaten und Vorprüfverfahren cc) Hauptprüfverfahren (auch ohne Notifizierung) und Durchführungsverbot dd) Vorläufige und endgültige Anordnung der Beihilferückforderung

d) Abgestufte Kontrolle der Kommission durch EuG und EuGH III. Überblick über den nationalen Rechtsrahmen 1. Bedeutung 2. Durchsetzung der Beihilferückforderung 3. Schutz der Konkurrenten und des Wettbewerbs (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV) a) Absicherung des Durchführungsverbots b) Schutzaufgabe ex officio c) Sonderfall Konkurrentenklage IV. Aktuelle Problemzonen 1. Gegenstand 2. Verwaltungsmaßnahmen als potenzielle „Einzelbeihilfen“ a) „Rulings“ zu Verrechnungspreisen etc. b) Schuldenerlass durch Finanzbehörde im Vergleichsverfahren 3. Gesetzgeberische Maßnahmen als potenzielle „Beihilferegelungen“ a) Erläuterungsinhalt b) Verlusterhaltung trotz grundsätzlich schädlichen Beteiligungserwerbs (§ 8c Abs. 1 KStG) aa) „Sanierungsklausel“ (§ 8c Abs. 1a KStG)

* Katholieke Universiteit Leuven und Of Counsel bei Flick Gocke Schaumburg. Das Manuskript wurde am 15.11.2018 abgeschlossen.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern bb) „Fortführungsgebundener Verlustvortrag“ (§ 8d KStG) c) Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen aa) Sanierungserlass des BMF

bb) Gesetzliche Regelung in § 3a EStG d) Grunderwerbsteuerliche Konzernklausel (§ 6a GrEStG) V. Ausblick

I. Einleitung: rasante Bedeutungszunahme Der Umstand, dass die Steuersysteme der EU-Staaten ein „Beihilfenproblem“ haben, bedarf inzwischen keiner langen Erläuterung mehr. Das harsche Vorgehen der Europäischen Kommission gegen einige Mitgliedstaaten wegen der möglicherweise rechtswidrigen Gewährung von Steuervorteilen an zahlreiche Multinationals hat weit über die interessierte Fachwelt hinaus für Furore gesorgt. In dem wohl bekanntesten Fall des Technologiegiganten Apple hat das betroffene Unternehmen im September 2018 rund 14,3 Mrd. Euro an potentiell zurückzuzahlenden irischen Steuern nebst Zinsen1 auf ein Treuhandkonto überwiesen, und im zugehörigen Klageverfahren vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) ist erst vor kurzem der Versuch der US-Regierung gescheitert, Apple als Streithelfer gegen die Kommission zu unterstützen.2 Man darf wohl mit Fug und Recht behaupten, dass das EU-Beihilfeverbot aus steuerlicher Sicht lange Jahre völlig unterschätzt wurde. Rückblickend betrachtet ist das insofern erstaunlich, als die heutigen Bestimmungen der Art. 107, 108 AEUV bereits nahezu unverändert im EWGVertrag von 1957 angelegt waren und dies – anders als bei den Grundfreiheiten, deren primärrechtliche Sprengkraft sich ab Mitte der 1980er Jahre erst allmählich und dann exponentiell entfaltete – sogar ohne die sog. Übergangszeit3. Insofern verwundert es auch nicht, dass das erste EuGHUrteil zur abgabenrechtlichen Bedeutung des Beihilfeverbots (zu der sehr

1 Tax Notes International v. 24.9.2018 (13,1 Mrd. Euro Steuern zzgl. 1,2 Mrd. Euro Zinsen). 2 Siehe EuGH v. 17.5.2018 – C-12/18 P(I), United States of America ua./Kommission ua., ECLI:EU:C:2018:330, in Bestätigung von EuG v. 15.12.2015 – T-892/16 (Apple Sales International ua./Kommission), ECLI:EU:C:2017:925. 3 Art. 8 EWGV: zwölf Jahre (drei Stufen zu je vier Jahren) vom 1.1.1958 bis zum 31.12.1969.

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knapp formulierten Parallelvorschrift in Art. 4 Buchst. c des EGKS-Vertrags von 1950) bereits aus dem Jahre 1961 stammt.4 Anschließend blieb es jedoch lange Zeit verhältnismäßig still und waren nur einige recht unspektakuläre Fälle zu Randthemen verzeichnen,5 so dass die Ende 1998 von der Kommission veröffentliche Mitteilung „über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmenssteuerung“6 [sic] schon ein überaus ambitioniertes Projekt darstellte. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass zu jenem Zeitpunkt das Beihilfeverbot soeben als mögliches Instrument im Kampf gegen den sog. „unfairen Steuerwettbewerb“ entdeckt worden war.7 Tatsächlich wurden die EU-rechtlichen Beihilferegeln in der Folgezeit von der Kommission auch gegen verschiedene besonders vorteilhafte Steuerregime in Stellung gebracht: ab 2002 erging eine ganze Reihe von Negativentscheidungen gegen nationale Vorschriften ua. zu Koordinierungszentren und Finanzierungsgesellschaften,8 die allerdings gleichfalls wenig Aufsehen erregten, da die Kommission durchweg von einer Rückforderung der er4 EuGH v. 23.2.1961 – 30/59 (Steenkolenmijnen Limburg/Hohe Behörde), EuGHE 1961, 3. 5 Siehe insbes. EuGH v. 19.6.1973 – 77/72 (Capolongo), EuGHE 1973, 611; v. 2.7.1974 – 173/73 (Italien/Kommission), EuGHE 1974, 709; v. 14.7.1983 – 203/82 (Kommission/Italien), EuGHE 1983, 2525; v. 15.3.1994 – C-387/92 (Banco Exterior de España), EuGHE 1994, I-877. 6 ABl. EU 1998, C 384/3. Siehe anschließend auch Kommission, „Bericht über die Umsetzung der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung“, C(2004)434 v. 9.2.2004. 7 Siehe den „Monti-Bericht“ der Kommission „Taxation in the European Union – Report on the Development of Tax Systems“, COM(96) 546 final v. 22.10.1996, Tz. 3.13, 6.18 sowie Ratsentschluss v. 1.12.1997 „über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung“, ABl. EU 1998, C 2/2, Tz. J, N. 8 Vgl. u.a. Kommission, Entscheidung 2003/512/EG v. 5.9.2002 über die Beihilferegelung, die Deutschland zugunsten von Kontroll- und Koordinierungsstellen durchgeführt hat, ABl. EU 2002, L 177/17; Entscheidung 2003/438/EG v. 16.10.2002 über die staatliche Beihilfe C 50/2001 (ex NN 47/2000) – Finanzierungsgesellschaften – durchgeführt von Luxemburg, ABl. EU 2003, L 153/40; Entscheidung 2003/755/EG v. 17.2.2003 über die Beihilferegelung, die Belgien zugunsten von Koordinierungsstellen mit Sitz in Belgien durchgeführt hat, ABl. EU 2003, L 282/25; Entscheidung 2004/76/EG v. 13.5.2003 über die Beihilferegelung, die Frankreich zugunsten von Verwaltungs- und Logistikzentren durchgeführt hat, ABl. EU 2004, L 23/1.

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haltenen Steuervorteile von den begünstigten Unternehmen absah. Bis auf den Fall der belgischen Koordinierungszentren, hinsichtlich derer die begünstigten Unternehmen von der Kommission eine längere Übergangszeit für das Auslaufen erreichen wollten,9 wurden die betreffenden Kommissionsentscheidungen daher von keiner Seite angefochten. Retrospektiv gesehen war dies wohl die trügerische „Ruhe vor dem Sturm“. In den letzten rd. zehn Jahren hat sich das Vorgehen der EU-Kommission gegen gesetzlich oder in Verwaltungsanweisungen verankerte „Beihilferegelungen“10 der Mitgliedstaaten dermaßen intensiviert, dass in einer im Mai 2017 veröffentlichten Studie der Universität Heidelberg mehr als 130 Vorschriften des deutschen direkten wie indirekten Steuerrechts als beihilferelevant eingestuft wurden.11 Hinzugekommen ist in den letzten fünf Jahren außerdem das eingangs bereits angesprochene Vorgehen der Kommission gegen nationale „Einzelbeihilfen“12 in Form von sog. „rulings“ (dazu auch unten IV.2.a). Da diese Position der Kommission durch eine weite Auslegung des Verbotstatbestands in Art. 107 Abs. 1 AEUV seitens des EuGH unterstützt wird, mehren sich zunehmend Stimmen, die – wie der Wissenschaftliche Beirat beim BMF in einem Gutachten vom Oktober 201713 – eine ernsthafte Gefahr für die nationale Steuersouveränität sehen.14 Zuletzt war sogar die Rede von einem „Tsunami für die mannigfaltigen Regelungen des deutschen Steuerrechts …, die den deutschen Mittelstand besonders gut behandeln“15.

9 Siehe EuGH v. 22.6.2006 – C-182/03 u. C-217/03 (Belgien und Forum 187/Kommission), IStR 2006, 568. Dazu auch Cordewener, in L. Hinnekens/P. Hinnekens (Hrsg.), A Vision of Taxes within and outside European Borders – Festschrift Vanistendael, 2008, 203 (221 ff.). 10 Zum Begriff s. Art. 1 Buchst. d der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rats v. 13.7.2015 über besondere Vorschriften über die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2015, L 244/89 (nachfolgend: VerfVO). 11 Vgl. Brandau/Neckenich/Reich/E. Reimer, BB 2017, 1175 (1180 ff.). 12 Zum Begriff s. Art. 1 Buchst. e VerfVO (Fn. 10). 13 Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, „Steuervergünstigungen und EU-Beihilfenaufsicht: Problematik und Ansätze zur Lösung des Kompetenzkonflikts mit der Steuerautonomie“, Gutachten 3/2017, 5, 8, 23 ff., 36. 14 Stellvertretend etwa Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 16.4.2015 – C-66/14 (Finanzamt Linz), ECLI:EU:C:2015:242, Rz. 113; Kokott, ISR 2017, 395 (400); Kußmaul/Palm/Licht, GmbHR 2017, 1009 (1016); Eisendle, ISR 2018, 315 (317); Balbinot, FR 2018, 729 (734); Ismer in Drüen/Hey/Mellinghoff (Hrsg.), 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, 845 (857). 15 Bartosch, BB 2018, 2199 (2203).

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In der Tat bietet die rasante Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Beihilfeverbots gerade aus Sicht der betroffenen Unternehmen Anlass zur Sorge. Dies auch mit Blick darauf, dass einige Entwicklungsschritte noch gar nicht mit voller Wucht in Deutschland angekommen sind. Dazu sei zum einen beispielhaft auf das Urteil der Großen Kammer des EuGH im Fall „Congregación de Escuelas Pías“ verwiesen, in dem einer Ordensgemeinschaft von der nationalen Steuerbehörde – zumindest teilweise wohl zu Recht – die Berufung auf eine Freistellung von einer Gemeindesteuer versagt wurde, weil dem das EU-rechtliche Beihilfeverbot entgegenstehe.16 Ein weiteres aktuelles Beispiel bildet das Vorgehen der Kommission gegen Sonderabgaben, die seit 2014 insbes. in Ungarn sowie auch in Polen mit progressiven bzw. stufenweise aufgebauten Tarifstrukturen eingeführt wurden und nach Auffassung der Kommission eine selektive Begünstigung der in die unteren Tarifebenen fallenden (idR kleineren) Unternehmen darstellen: speziell für die ungarische Steuer auf Werbeumsätze ergibt sich aus der von der Kommission angeordneten Rückforderung17 der ungerechtfertigten Steuervorteile grds. die Konsequenz, dass nun im Nachhinein zahlreiche Unternehmen einer Steuererhöhung unterworfen werden müssen.18

16 EuGH v. 27.6.2017 – C-74/16 (Congregación de Escuelas Pías), EWS 2017, 281. Der Umstand, dass sich die begehrte Freistellung aus einem völkerrechtlichen Vertrag Spaniens mit dem Heiligen Stuhl ergab, lässt den Fall zwar etwas außergewöhnlich erscheinen, machte aber für die beihilferechtliche Beurteilung durch den EuGH keinen Unterschied. 17 Siehe Kommission, Beschluss (EU) 2017/329 v. 4.11.2016 über die Maßnahme SA.39235 (2015/C) (ex 2015/NN) Ungarns bezüglich der Besteuerung von Werbeumsätzen, ABl. EU 2017, L 49/36, Rz. 88 ff. In den übrigen Fällen war die Erhebung der nationalen Abgabe auf Anordnung der Kommission jeweils vom betroffenen Mitgliedstaat ausgesetzt worden. Vgl. Kommission, Beschluss (EU) 2016/1846 v. 4.7.2016 über die Maßnahme SA.41187 (2015/C) (ex 2015/NN) Ungarns bezüglich des Gesundheitsbeitrags der Unternehmen der Tabakindustrie, ABl. EU 2016, L 282/43; Beschluss (EU) 2016/1848 v. 4.7.2016 über die von Ungarn durchgeführte Maßnahme SA.40018 (2015/C) (ex 2015/NN) 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette [sic], ABl. EU 2016, L 282/63; Kommission, Beschluss (EU) 2018/ 160 v. 30.6.2017 über die staatliche Beihilfe SA.44351 (2016/C) (ex 2016/NN), die Polen in Bezug auf die Einzelhandelssteuer gewährt hat, ABl. EU 2018, L 29/38. Zum Thema auch Bartosch, BB 2018, 2199 (2200 und 2202). 18 Siehe Ekkenga/Safaei, DStR 2018, 1993 (1995); allgemein auch schon Kokott, ISR 2017, 395 (400 mwN.).

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II. Überblick über den EU-rechtlichen Rahmen 1. Problemstellung Woraus ergibt sich nun diese geradezu unheimliche „Sprengkraft“ des EU-Beihilferechts für die nationalen Steuersysteme? Dies liegt daran, dass hier rein wettbewerbsrechtliche, am Schutz eines unverfälschten Binnenmarkts orientierte Maßstäbe auf einen noch weitgehend unharmonisierten, von einzelstaatlichen Präferenzen im Hinblick auf Fiskalzweck- wie auch Sozialzweck- und Vereinfachungsnormen19 durchzogenen Rechtsbereich treffen. Und zu den materiellen EU-rechtlichen Vorgaben treten auch noch spezifische verfahrensrechtliche Mechanismen hinzu, die gleichfalls dem Schutz des Wettbewerbs dienen.

2. Art. 107 AEUV: materielles Verbot mit Ausnahmevorbehalt a) Einordnung Die materiell-rechtlichen Vorgaben des EU-Beihilferechts sind im Wesentlichen in Art. 107 AEUV enthalten, der sich in einem etwas vereinfachenden Sinne als Verbot mit Ausnahmevorbehalt begreifen lässt: während Abs. 1 der Norm einen weiten Verbotstatbestand enthält, lassen die Abs. 2 und 3 unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zu. b) Verbotstatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. Mit anderen Worten: „Beihilfen“, die die genannten Voraussetzungen erfüllen, sind EU-rechtlich unzulässig und damit verboten. Zum Prüfungseinstieg stellt der EuGH regelmäßig fest: „Es muss sich erstens um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss sie geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaatenzu beeinträchtigen. Drittens muss dem

19 In Orientierung an der Differenzierung bei Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 73 ff.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 4 Rz. 19 ff.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen“.20

EuG und EuGH haben die einzelnen Tatbestandsmerkmale dieser Verbotsnorm in zahlreichen Entscheidungen näher herausgearbeitet, und die Kommission hat diese Rspr. Mitte 2016 in ihrer ausführlichen Bekanntmachung zum „Begriff der Beihilfe“ zusammengefasst und detailliert erläutert.21 Für Zwecke der vorliegenden Darstellung lässt sich in aller Kürze konstatieren, dass die Frage nach dem vorstehend an dritter Stelle genannten selektiven Vorteil – also nach dem Vorliegen einer „Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“ – das entscheidende Kriterium bildet, mit dem regelmäßig die gesamte Beihilfeprüfung steht oder fällt. Wird es bejaht, ist bei einem dem Mitgliedstaat (einschließlich seiner Untergliederungen) zurechenbaren Handeln durch den unmittelbaren oder mittelbaren Eintritt eines staatlichen Einnahmeverzichts – parallel zur aktiven Subventionierung – auch das erstgenannte Kriterium erfüllt.22 An die beiden eng miteinander verbundenen übrigen Tatbestandsmerkmale der (zumindest drohenden) Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung wird nach bisheriger Rechtsprechungs- wie auch in der Kommissionspraxis nur ein sehr oberflächlicher und niedrig angesiedelter Maßstab angelegt;23 sie entfallen ausnahmsweise unter den Voraussetzungen der (auf Art. 108 Abs. 4 iVm. Art. 109 AEUV und eine Ermächtigungsverordnung des Rats24 gestützten) De mi20 Siehe nur EuGH v. 27.6.2017 – C-74/16 (Congregación de Escuelas Pías), EWS 2017, 281 Rz. 38 mit Bezugnahme auf EuGH v. 21.12.2016 – C-524/14 P (Kommission/Hansestadt Lübeck), EuZW 2017, 195; v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/World Duty Free Group [vormals Autogrill España] ua.), IStR 2017, 77. 21 Kommission, Bekanntmachung „zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“, ABl. EU 2016, C 262/1. 22 Vgl. etwa EuGH v. 27.6.2017 – C-74/16 (Congregación de Escuelas Pías), EWS 2017, 281 Rz. 74 ff. 23 Vgl. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.42 f. mwN.; Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 190 ff. Zuletzt auch EuGH v. 25.7.2018 – C-128/16 P (Kommission/Spanien, Lico Leasing u.a.), EuZW 2018, 765 Rz. 84 ff. 24 Verordnung (EU) Nr. 2015/1588 des Rats v. 13.7.2015 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen (kodifizierter Text), ABl. EU 2015, L 28/1; zuvor Verordnung (EG) Nr. 994/98 des Rats v. 7.5.1998 über

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nimis-Verordnung der Kommission,25 wenn der „Gesamtbetrag der einem einzigen Unternehmen von einem Mitgliedstaat“ zugewendeten Vorteile „in einem Zeitraum von drei Steuerjahren“ nicht größer ist als 200 000 Euro (Art. 3 Abs. 2).26 Im Hinblick auf das Kernkriterium des Art. 107 Abs. 1 AEUV sind des Weiteren eine Reihe von Differenzierungen zu beachten. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es sich im Grunde um zwei voneinander zu trennende Merkmale handelt, namlich das Erfordernis eines Vorteils („Begünstigung“) und dessen selektive Wirkung (zugunsten „bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“).27 Diese Unterscheidung ist ua. bereits deshalb relevant, weil sie je nach Art der staatlichen Maßnahme zu einem anderen Prüfungsschwerpunkt führt: soweit es um „Einzelbeihilfen“ geht (s.u. IV.2.), wird deren Selektivität durch die individuelle Gewährung an einen konkreten Empfänger unterstellt und konzentriert sich die weitere Analyse auf das Vorliegen eines Vorteils (zB in Form der Abweichung von Verrechnungspreisen oder der Gewinnallokation zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vom „arm’s length“Grundsatz); bei abstrakten „Beihilferegelungen“ hingegen stellt typischerweise die Selektivität den Prüfungsschwerpunkt dar.28

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die Anwendung der Artikel 92 und 93 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABl. EU 1998, L 142/1. Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission v. 18.12.2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen, ABl. EU 2013, L 352/1. Vgl. dazu unlängst im steuerlichen Kontext auch EuGH v. 28.2.2018 – C-518/16 (ZPT), ECLI:EU:C:2018:126, zur vorherigen Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Kommission v. 15.12.2006 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf „De-minimis“-Beihilfen, ABl. EU 2006, L 379/5. Auf die De minimisVO gestützt wurde bspw. § 7b Abs. 5 EStG idF des RegE eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus, BR-Drucks. 470/18, 2 und 11 f. = BT-Drucks. 19/4949, 6 und 13. Vgl. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.42 f. mwN.; Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 190 ff. Zuletzt auch EuGH v. 25.7.2018 – C-128/16 P (Kommission/Spanien, Lico Leasing u.a.), EuZW 2018, 765 Rz. 84 ff. Dazu insbes. EuGH v. 4.6.2015 – C-15/14 P (Kommission/MOL), BB 2015, 2209 Rz. 59; v. 30.6.2016 – C-270/15 P (Belgien/Kommission), EuZW 2016, 709 Rz. 48. Vgl. nur Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 16.4.2015 – C-66/14 (Finanzamt Linz), ECLI:EU:C:2015:242, Rz. 114; Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:

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Hinsichtlich der Anknüpfungspunkte für selektive Maßnahmen hat sich eine weitere Differenzierung eingebürgert: während es bei der regionalen Selektivität darauf ankommt, ob eine Maßnahme in einem Mitgliedstaat nur innerhalb einer territorial begrenzten Zone zur Anwendung kommt,29 betrifft die materielle Selektivität die Frage nach einer Bevorzugung eines bestimmten Wirtschaftssektors oder einer sonstwie abgegrenzten Gruppe von Unternehmen ggü. den übrigen Wirtschaftsteilnehmern.30 Eine solche materielle Bevorzugung tritt zumeist in Form der sog. de jure-Selektivität auf, indem eine begünstigende Maßnahme durch Verwendung konkreter tatbestandlicher Zugangskriterien zugeschnitten wird.31 Darüber hinaus kann aber auch bei allgemein und objektiv formulierten Maßnahmen eine sog. de facto-Selektivität vorliegen, wenn letztlich nur bestimmte Unternehmen die aufgestellten Voraussetzungen (zB hinsichtlich der Überschreitung bestimmter Schwellenwerte) erfüllen können.32 Trotz dieser zumindest vordergründig hilfreichen Systematisierung ist gerade die Frage, wie im Einzelfall eine nationale Maßnahme auf ihre materielle Selektivität zu prüfen ist, nach wie vor ein Mysterium.33 Der EuGH hat dazu über die Jahre hinweg ein Standardraster entwickelt, das aus drei Prüfstufen – einer zweistufigen Analyse der a priori- (bzw. auch: prima facie-)Selektivität sowie einer etwaigen Rechtfertigungsstufe – besteht und sich aktuell wie folgt darstellt:34

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2018:741, Rz. 47 ff.; Schnitger, IStR 2017, 421 (423); Ekkenga/Safaei, DStR 2018, 1993 (1994). Siehe Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 142 ff. mit weiteren Erläuterungen zu Besonderheiten bei föderal augebauten Mitgliedstaaten. Zudem EuGH v. 26.4.2018 – C-234/16 und C-235/16 (ANGED I), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 34; v. 26.4.2018 – C-236/16 und C-237/16 (ANGED II), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 29. Siehe Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 120. Siehe Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 121. Siehe Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 121 f. Siehe den plastischen Vergleich bei Bartosch, BB 2016, 855 mit einer „Meeresqualle“, die dem Zupackenden immer wieder entgleite. Ähnlich auch Soltész, EuZW 2018, 306 („Pudding an die Wand nageln“). Siehe EuGH v. 26.4.2018 – C-234/16 und C-235/16 (ANGED I), ECLI:EU:C: 2018:281, Rz. 33, 35; v. 26.4.2018 – C-236/16 und C-237/16 (ANGED II), ECLI: EU:C:2018:281, Rz. 28, 30, jeweils mit Bezugnahme auf EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/World Duty Free Group [vormals Autogrill España] u.a.), IStR 2017, 77, Rz. 57 f.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern „Für die Einstufung einer steuerrechtlichen Maßnahme als ‚selektiv‘ muss in einem ersten Schritt die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder ‚normale‘ Steuerregelung ermittelt und in einem zweiten Schritt dargetan werden, dass die geprüfte steuerliche Maßnahme vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden.“ „Keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist jedoch eine Maßnahme, die … a priori selektiv ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sie sich einfügt.“

Bei dieser Prüfungsstruktur geht es dem EuGH um die Feststellung, ob die nationale Maßnahme „als ‚diskriminierend‘ eingestuft werden kann“35. Zugleich betont der Gerichtshof aber immer wieder, dass die Beurteilung einer mitgliedstaatlichen Regelung am Maßstab des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht nach ihren „Gründen oder Zielen“ sowie „den verwendeten Techniken“, sondern ausschließlich „nach ihren Wirkungen“ zu erfolgen hat.36 Diese ergänzende Formulierung findet sich insbes. in Fallkonstellationen, in denen eine nationale Maßnahme sich nicht eindeutig als ausdrückliche Ausnahme von dem als „normale“ Steuerregelung identifizierten Bezugsrahmen (zB in Form einer persönlichen oder sachlichen Steuerbefreiung) darstellt, sondern von vornherein außerhalb des relevanten (eng gezogenen) Referenzsystem verbleibt.37 35 So ausdrücklich EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/ World Duty Free Group [vormals Autogrill España] u.a.), IStR 2017, 77, Rz. 54; v. 26.4.2018 – C-234/16 und C-235/16 (ANGED I), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 31; v. 26.4.2018 – C-236/16 und C-237/16 (ANGED II), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 26. 36 Siehe EuGH v. 15.11.2011 – C-106/09 P und C-107/09 P (Kommission und Spanien/Gibraltar und Vereinigtes Königreich), EuGHE 2011, I-11113, Rz. 87; v. 26.4.2018 – C-234/16 und C-235/16 (ANGED I), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 40; v. 26.4.2018 – C-236/16 und C-237/16 (ANGED II), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 35. Vgl. auch Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 128 ff. 37 Vgl. zur „Offshore“-Regelung in Gibraltar EuGH v. 15.11.2011 – C-106/09 P und C-107/09 P (Kommission und Spanien/Gibraltar und Vereinigtes Königreich), EuGHE 2011, I-11113, Rz. 88 ff.; zur Nichteinbeziehung kleinerer Einzelhandelsunternehmen in den „Geltungsbereich“ der spanischen Verkaufsflächenabgabe EuGH v. 26.4.2018 – C-234/16 und C-235/16 (ANGED I), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 39; v. 26.4.2018 – C-236/16 und C-237/16 (ANGED II), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 34; zur deutschen Brennelementesteuer EuGH v. 4.6.2015 – C-5/14 (KKW Lippe-Ems), EWS 2015, 202, Rz. 75 sowie dazu bereits Cordewener, Ubg. 2012, 607 (614 ff.). Auch die Kommission hat bei ih-

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c) Ausnahmetatbestände in Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV Liegt unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze eine tatbestandliche „Beihilfe“ iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV vor, kann diese unter engen Voraussetzungen genehmigungsfähig sein. Für steuerrechtliche Normen kommt dies allerdings nur begrenzt in Betracht, daher in aller Kürze: gem. Art. 107 Abs. 2 AEUV „sind“ bestimmte Verbraucher- und Katastrophenbeihilfen sowie Beihilfen im Zusammenhang mit der deutschen Teilung „(m)it dem Binnenmarkt vereinbar“. Außerdem „können“ nach Art. 107 Abs. 3 AEUV bestimmte weitere Beihilfen als „mit dem Binnenmarkt vereinbar … angesehen werden“, und zwar solche zur Förderung von Randgebieten oder Vorhaben im gesamteuropäischen Interesse, zur Beseitigung erheblicher Wirtschaftsstörungen in einzelnen Mitgliedstaaten, zur Entwicklungsförderung einzelner Wirtschaftszweige und -gebiete und zur Kulturförderung; (nur) durch einen Ratsbeschluss können auch noch „sonstige Arten von Beihilfen“ einbezogen werden, was bis dato aber nur für den Steinkohlebergbau erfolgt ist.38 Die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen kann im Grundsatz allein die EU-Kommission positiv feststellen (s.u. II.3.). Beachtenswert ist aber, dass in diesem Kontext auch Normen des Sekundär- bzw. Tertiärrechts39 sowie Regelungen des „EU soft law“ ins Spiel kommen. Wichtig ist zum einen die (auf der unter II.2.b bereits genannten Ermächtigungsverordnung des Rats beruhende) Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO), die zum 1.7.2014 in modernisierter Form in Kraft getreten ist40 und nach ihrem Art. 3 nationale Beihilfemaßnahmen in zahlreichen Tätigkeitsbereichen (Art. 1: zB „Regionalbeihilfen“, „Beihilfen für KMU“, „Umweltschutzbeihilfen“, „Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation“, etc.) für „im Sinne des Artikels 107 Absatz 2 oder 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar“ erklärt, wenn ja nach Beihilfeart näher vorgegebene qualitative und quantitative Anforderungen rem Vorgehen gegen die Tarife der Sonderabgaben in Ungarn und Polen (s.o. Fn. 17) auf diesen ergänzenden Argumentationstopos zurückgegriffen. 38 Siehe Kühling/Rüchardt in Streinz, EUV/EAUV3, Art. 107 AEUV Rz. 149 mwN. 39 Dies betrifft Rechtsakte der EU-Organe (idR der Kommission), die nicht unmittelbar auf dem Primärrecht beruhen, sondern – über Art. 290, 291 AEUV – auf einem Sekundärrechtsakt (idR des Rats). 40 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission v. 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2014, L 187/1.

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eingehalten werden; die Mitgliedstaaten müssen die Kommission dann lediglich mittels einer Freistellungsanzeige über die betreffende „Beihilfe“ informieren, und deren Genehmigung ergibt sich dann unmittelbar aus der AGVO. Dies ist insbes. für (Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV unterfallende) „Umweltschutzbeihilfen“ im Bereich der Strom- und Energiesteuer von Bedeutung.41 Zum anderen können je nach betroffenem Tätigkeitsbereich auch von der Kommission erlassene sog. Unionsrahmen und -leitlinien (früher: Gemeinschaftsrahmen/-leitlinien) einschlägig sein.42 Diese beziehen sich auf regionale, sektorale und sog. horizontale Beihilfen und zielen im Grundsatz darauf, die Ermessensausübung der Kommission im Rahmen von Art. 107 Abs. 3 AEUV zu steuern und damit auch die Vorhersehbarkeit von Beihilfeentscheidungen zu fördern. Über die primärrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes kommt es insofern zu einer Selbstbindung der Kommission an diese Verwaltungsvorschriften, sofern nicht sonstiges Primärrecht entgegensteht.43

3. Verfahrensrechtliche Eckpunkte: Europäische Kommission als umfassend zuständige Wettbewerbsbehörde (Art. 108 AEUV) a) Zweck der Beihilfenkontrolle Dem Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV kommt anerkanntermaßen keine generelle unmittelbare Anwendbarkeit – iS einer individuellen „Einklagbarkeit“ – zu, was insbes. mit den in Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV enthaltenen Ausnahmetatbeständen und dem in Art. 108 AEUV

41 Siehe z.B. EuGH v. 21.7.2016 – C-493/14 (Dilly’s Wellnesshotel I), ZfZ 2017, 23 zur alten AGVO von 2008; anhängig derzeit noch C-585/17 (Dilly’s Wellnesshotel II), ABl. EU 2018, C 13/6 (auch) zur neuen AGVO von 2014 (Fn. 40). 42 Vgl. zB Mitteilung „Leitlinien für Regionalbeihilfen 2014-2020“, ABl. EU 2013, C 209/1; Mitteilung „Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020“, ABl. EU 2014, C 200/1; Mitteilung „Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten“, ABl. EU 2014, C 249/1, sowie zu letzterer ausführlich Möhlenkamp, ZIP 2014, Beil. 3, 1 ff. Weitere Nachweise bei Kühling/Rüchardt in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 108 AEUV Rz. 124 ff. 43 Zu Einzelheiten siehe Gundel, EuZW 2016, 606 ff.; Kühling/Rüchardt in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 108 AEUV Rz. 125 f.

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verankerten Entscheidungsmonopol der Kommission begründet wird.44 Mittelbar kommt dem Beihilfeverbot aber sehr wohl ganz erhebliche Bedeutung innerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und damit auch für die nationalen Behörden und Gerichte zu. Gerade diese innerstaatliche Beachtung des Beihilfeverbots hat dabei eine sehr stark „dienende“ Funktion: sie soll vor allem iS einer vorläufigen Absicherung die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindern, bis die Kommission im Rahmen ihrer primärrechtlich verankerten Zuständigkeit mit dem ihr sekundärrechtlich auf der Grundlage von Art. 108 Abs. 4 iVm. Art. 109 AEUV zur Verfügung gestellten Instrumentarium – insbes. der Beihilfeverfahrens-Verordnung (VerfVO)45 – am Maßstab des gesamten Art. 107 AEUV (s.o. II.2.) eine endgültige Entscheidung über die Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Maßnahme mit dem EU-Binnenmarkt trifft. Die Beihilfenkontrolle dient somit im Endergebnis der Beachtung und ordnungsgemäßen Anwendung der materiellrechtlichen Beihilferegeln, entfaltet sich aber mit unterschiedlicher Dosierung über verschiedene verfahrensrechtliche Kanäle. Die zentrale Rolle als „Europäischer Wettbewerbsbehörde“ kommt hierbei der Kommission zu. Immer wichtiger in der Praxis wird daneben jedoch die ergänzende Rolle der nationalen Gerichte, wobei das diesen grds. zugewiesene Potenzial erst ansatzweise ausgeschöpft ist (dazu unten III.). b) Repressive Kontrolle „bestehender“ Beihilfen Gemäß Art. 108 Abs. 1 Satz 1 AEUV obliegt der Kommission zunächst die laufende („repressive“) Kontrolle von „bestehenden Beihilferegelungen“. Dieses Monitoring betrifft vor allem nationale Gesetzesbestimmungen, die entweder bereits vor dem Beitritt eines Mitgliedstaats zur EU in dessen nationalem System vorhanden waren („Altbeihilfen“)46 oder bereits erfolgreich das – nachstehend (unter II.3.c) beschriebene – Genehmigungsverfahren für „neue“ Beihilfen durchlaufen haben.47 In diesen Fällen kann die Kommission nur auf eine Änderung oder Beendi44 Siehe nur EuGH v. 22.3.1977 – 74/76 (Iannelli & Volpi), EuGHE 1977, 557, Rz. 11 f.; v. 22.3.1977 – 78/76 (Steinike und Weinlig), EuGHE 1977, 595, Rz. 9 f.; v. 27.10.1993 – C-72/92 (Scharbatke), EuZW 1994, 62, Rz. 19. Ebenso BGH v. 4.4.2003 – V ZR 314/02, EuZW 2003, 444, unter II.2.a.bb.(1). 45 Verordnung (EU) 2015/1589 (Fn. 10). 46 Siehe Art. 1 Buchst. b sub i) VerfVO (Fn. 10). 47 Zu Details siehe Art. 1 Buchst. b sub ii) sowie (für Fälle von Genehmigungsfiktionen) sub iii) VerfVO (Fn. 10).

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gung der betreffenden Beihilfe pro futuro durch den Mitgliedstaat hinwirken, wenn sie darin ein Problem für das „Funktionieren des Binnenmarkts“ sieht. Dies geschieht nach Art. 108 Abs. 1 Satz 2 AEUV durch den Vorschlag von „zweckdienlichen Maßnahmen“; führt der Mitgliedstaat diese nicht durch, hat die Kommission das Hauptprüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 Satz 1 AEUV (s.u. II.3.c.cc) einzuleiten und förmlich darüber zu entscheiden, ob die Beihilfe „mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 unvereinbar ist“ (Art. 21–23 VerfVO). Solange eine entsprechende Negativfeststellung nicht erfolgt ist, kann die Beihilferegelung fortgeführt werden48 und die Kommission auch Einzelbeihilfen nicht aufgreifen, die auf der Grundlage und innerhalb des Rahmens dieser Regelung gewährt werden.49 c) Präventive Kontrolle „neuer“ Beihilfen aa) Bedeutung Für die Praxis ungleich bedeutsamer ist demgegenüber die von der Kommission gleichfalls auszuübende („präventive“) Kontrolle von „neuen“ Beihilfen. bb) Notifizierungspflicht der Mitgliedstaaten und Vorprüfverfahren Nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV ist die Kommission „von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Behilfen so rechtzeitig zu unterrichten, dass sie sich dazu äußern kann“. Diese allein von den Mitgliedstaaten50 zu erfüllende sog. Notifizierungspflicht betrifft zunächst einmal die vollständige Neueinführung von „Einzelbeihilfen“ und „Beihilferegelungen“ (s.o. I. und II.2.b), wobei der wesentliche Unterschied darin besteht, dass sich die Kommission im letzteren Fall auf eine Überprüfung der allgemeinen Merkmale der Regelung als solcher

48 Siehe zB EuGH v. 15.3.1994 – C-387/92 (Banco Exterior de España), EuGHE 1994, I-877, Rz. 20; v. 29.11.2012 – C-262/11 (Kremikovtzi), ECLI:EU:C:2012: 760, Rz. 49; Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 16.2.2017 – C-74/16 (Congregación de Escuelas Pías), ECLI:EU:C:2017:135, Rz. 89 mwN. 49 Siehe zB EuGH v. 5.10.1994 – C-47/91 (Italien/Kommission), EuGHE 1994, I-4647, Rz. 24 f. 50 Potenziell begünstigte Beihilfeempfänger können nicht selbst die Notifizierung vornehmen; vgl. Kühling/Rüchardt in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 108 AEUV Rz. 14 mwN.

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beschränken kann und nicht auch jeden einzelnen ihrer Anwendungsfälle untersuchen muss.51 Zudem gilt die Notifizierungspflicht aber auch für Einzelbeihilfen, die den Rahmen von „bestehenden Beihilferegelungen“ iSd. Art. 108 Abs. 1 AEUV (s.o. II.3.b) überschreiten,52 sowie grds. auch für Anpassungen bereits bestehender Beihilferegelungen.53 Der Bereich, innerhalb dessen im Einzelfall eine Änderung unschädlich sein und einen „Bestandsschutz“ iSd. Art. 108 Abs. 1 AEUV fortwirken lassen kann, war ursprünglich nicht näher geregelt, hat dann aber Aufnahme in Art. 4 Abs. 1 der Durchführungs-Verordnung (DVO) zur VerfVO gefunden54 und wird derzeit vom EuGH näher ausgeleuchtet.55 Wegen der erheblichen praktischen Bedeutung dieser Frage56 wird dazu in Zukunft sicher noch weitere Rspr. zu erwarten sein. Darüber hinaus sind auch noch einige weitere Besonderheiten hinsichtlich der – grds. in besonders formalisierter Weise nach der DVO57 vorzunehmenden – Notifizierung „neuer“ Beihilfen zu beachten. Zunächst einmal entfällt eine entsprechende Pflicht des Mitgliedstaats, wenn die

51 Z.B. EuGH v. 15.11.2011 – C-106/09 P und C-107/09 P (Kommission und Spanien/Gibraltar und Vereinigtes Königreich), EuGHE 2011, I-11113, Rz. 122 mwN.; EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI:EU:T: 2018:563, Rz. 68. 52 Vgl. EuGH v. 5.10.1994 – C-47/91 (Italien/Kommission), EuGHE 1994, I-4647, Rz. 26. 53 Art. 1 Buchst. c VerfVO (Fn. 10). 54 Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission v. 21.4.2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 des EG-Vertrags, ABl. EU 2004, L 140/1. Vgl. auch Soltész/Wagner, EuZW 2013, 856 (857 ff.). 55 Siehe zu Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der DVO (Fn. 54) EuGH v. 20.9.2018 – C-510/16 (Carrefour Hypermarchés SAS u.a.), ECLI:EU:C:2018:751, Rz. 26 ff.; zu Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der DVO Generalanwalt Campos, Schlussanträge v. 26.9.2018 – C-492/17 (Rittinger u.a.), ECLI:EU:C:2018:777, Rz. 44 ff. Zur Qualifizierung der Verlängerung der Gültigkeitsdauer einer „bestehenden“ Beihilfe als „neue“ Beihilfe vgl. auch EuGH v. 26.10.2016 – C-590/14 P (DEI/Kommission), EuZW 2016, 947, Rz. 45 ff. 56 Dazu Blum/Zöhrer, SWI 2018, 61 (73 ff.) sowie umfassend Sutter in Drüen/ Hey/Mellinghoff (Fn. 14), 825, (833 ff.). 57 Siehe Verordnung (EU) 2015/2282 der Kommission v. 27.11.2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 hinsichtlich der Anmeldeformulare und Anmeldebögen, ABl. EU 2015, L 325/1.

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Voraussetzungen der De minimis-VO oder der AGVO vorliegen,58 da dann der Verbotstatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV als nicht erfüllt (s.o. II.2.b) bzw. die Genehmigung nach Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV (s.o. II.2.c, dort auch zur erforderlichen Freistellungsanzeige) als vorab erteilt gilt. Zudem kommt uU eine vereinfachte Notifizierung in Betracht, nämlich für relevante Veränderungen „bestehender“ Beihilfen sowie für Situationen innerhalb von Unionsrahmen und -leitlinien.59 Des Weiteren hat sich in der Praxis ein – EU-rechtlich nicht ausdrücklich geregeltes – Verfahren der sog. Pränotifizierung eingespielt im Hinblick auf Vorabkontakte zwischen dem Mitgliedstaat (zzgl. des/der potenziell Begünstigten) und der Kommission auf Entwurfsbasis.60 Und schließlich gibt es auch die Möglichkeit der Anmeldung einer Maßnahme als „Nicht-Beihilfe“, wenn ein Mitgliedstaat den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht für erfüllt hält, sich aber bei der Kommission absichern will.61 Besteht unter Berücksichtigung des Vorstehenden eine Notifizierungspflicht und kommt der betreffende Mitgliedstaat dieser nach, führt die Kommission das sog. Vorprüfverfahren durch, um sich eine „erste Meinung“ über die nationale Maßnahme zu bilden.62 Dieses Verfahren soll grds. innerhalb von zwei Monaten nach vollständiger Anmeldung abgeschlossen sein, wobei aber der Fristbeginn wesentlich von etwaigen Nachfragen seitens der Kommission abhängt.63 Sieht die Kommission in der nationalen Maßnahme eindeutig keine Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV oder hält sie diese offensichtlich für genehmigungsfähig (Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV), beendet sie bereits hier die Überprüfung mit einem ent-

58 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 VerfVO (Fn. 10) sowie auch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Ermächtigungs-VO (oben Fn. 24). 59 Vgl. dazu Mitteilung der Kommission (mit offensichtlich falschem Titel in der deutschen Fassung), ABl. EU 2009, C 136/3 sowie Kommission, State Aid: Manual of Procedures – Internal DG Competition working documents on procedures for the application of Articles 107 and 108 TFEU, 2013, Abschn. 8.1. 60 Vgl. dazu Mitteilung der Kommission „Verhaltenskodex für die Durchführung von Beihilfeverfahren“, C(2018) 4412 final v. 16.7.2018, Tz. 3 sowie Kommission, Manual of Procedures (Fn. 59), Abschn. 4. Siehe auch Petzold, EuZW 2009, 645 (646). 61 Dazu etwa Kühling/Rüchardt in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 108 AEUV Rz. 15; Bonhage/Dieterich, EuZW 2018, 716 (717 in Fn. 7). 62 Vgl. bereits EuGH v. 11.12.1973 – 120/73 (Gebrüder Lorenz), EuGHE 1973, 1471, Rz. 3. 63 Vgl. Art. 4 Abs. 5 und Art. 5 VerfVO (Fn. 10).

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sprechenden Beschluss.64 Erlässt die Kommission im Übrigen innerhalb der Frist keinen Beschluss, gilt die Maßnahme als genehmigt.65 cc) Hauptprüfverfahren (auch ohne Notifizierung) und Durchführungsverbot Hat die Kommission hingegen Bedenken bzgl. der Kompatibilität der nationalen Maßnahme mit Art. 107 AEUV, muss sie gem. Art. 108 Abs. 3 Satz 2 AEUV und Art. 4 Abs. 4 VerfVO die Eröffnung des förmlichen Hauptprüfverfahrens (Art. 108 Abs. 2 AEUV) beschließen. Im Eröffnungsbeschluss muss sie den betroffenen Mitgliedstaat über ihre vorläufige beihilferechtliche Würdigung informieren und auch die anderen „Beteiligten“ (insbes. den/die Begünstigten und etwaige Konkurrenten66) zur Stellungnahme auffordern.67 Das Hauptprüfverfahren, das grds. innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen sein soll (Art. 9 Abs. 6 Satz 2 VerfVO), dient der eingehenden Analyse der nationalen Maßnahme durch die Kommission. Diese muss am Ende per Beschluss feststellen, dass die Maßnahme entweder keine Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist oder als Beihilfe nach Art. 107 Abs. 2 oder 3 AEUV – ggf. mit Bedingungen oder Auflagen – genehmigt wird („Positivbeschluss“) oder mangels Genehmigung „mit dem Binnenmarkt unvereinbar“ ist („Negativbeschluss“).68 Im letztgenannten Fall der „unvereinbaren Beihilfe“ liegt dann eine materielle EU-Rechtswidrigkeit vor, die der Mitgliedstaat nach den konkreten Vorgaben der Kommission „binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat“ (Art. 108 Abs. 2 Satz 1 AEUV). Kommt der Mitgliedstaat dem nicht nach,

64 Siehe Art. 4 Abs. 2, 3 VerfVO (Fn. 10). Noch nicht endgültig geklärt ist, inwiefern die nationalen Instanzen (s.u. III.) an einen solchen Beschluss gebunden sind. Vgl. BVerwG v. 26.10.2016 – 10 C 3/15, BVerwGE 156, 199, unter 1. mit Anmerkung Rennert, EuZW 2017, 567 ff.; BGH v. 9.2.2017 – I ZR 91/15, EuZW 2017, 312, unter D. mit Anm. Ghazarian, RIW 2017, 390 ff. Zur Anfechtbarkeit eines solchen Beschlusses durch Konkurrenten der begünstigten Unternehmen s. EuG v. 15.11.2018 – T-793/14 (Tempus Energy Ltd ua./Kommission), ECLI:EU:T:2018:790, Rz. 57 ff. 65 Art. 4 Abs. 6 VerfVO (Fn. 10). 66 Siehe Art. 1 Buchst. h VerfVO (Fn. 10). 67 Vgl. Art. 6 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 VerfVO (Fn. 10). Die entsprechende Aufforderung wird idR im Amtsblatt der EU in allen Amtssprachen veröffentlicht. 68 Art. 9 Abs. 2, 3 und 5 VerfVO (Fn. 10).

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kann die Kommission ihn nach Art. 108 Abs. 2 Satz 2 AEUV iVm. Art. 28 Abs. 1 VerfVO unmittelbar vor dem EuGH verklagen. Nicht unmittelbar die Durchführung des Hauptprüfverfahrens als solche regelnd, aber doch in engem sachlogischen Zusammenhang damit stehend ist Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV: danach darf der jeweilige Mitgliedstaat „die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen …, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat“. Dieses sog. Durchführungsverbot stellt – insbes. wegen seiner unmittelbaren Anwendbarkeit in den nationalen Rechtsordnungen (s.u. III.) – eine absolute Kernvorschrift des gesamten EU-Beihilferechts dar. Zwar ließe sich der Normwortlaut so verstehen, dass das Durchführungsverbot nur ordnungsgemäß notifizierte Maßnahmen betrifft. Das Normziel, wonach nur mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen durchgeführt und auch vorläufig – bis zum Abschluss des (in diesen Fällen entweder auf Beschwerde eines Konkurrenten oder von der Kommission ex officio eröffneten69) Hauptprüfverfahrens – keine ggf. wettbewerbsverzerrenden Vorteile gewährt werden dürfen,70 gilt jedoch (erst recht) in gleicher Weise für pflichtwidrig nicht notifizierte Beihilfen.71 Dementsprechend ist das Durchführungsverbot nach Art. 3 VerfVO auch auf jede „(a)nmeldungspflichtige Beihilfe“ anwendbar. Setzt der Mitgliedstaat die Maßnahme dennoch in Kraft, handelt es sich nach der EU-rechtlichen Terminologie um eine „rechtswidrige Beihilfe“.72 Anders ausgedrückt liegt dann ein Fall der formellen EU-Rechtswidrigkeit der Beihilfemaßnahme vor. dd) Vorläufige und endgültige Anordnung der Beihilferückforderung Setzt ein Mitgliedstaat formell rechtswidrig eine Beihilfe in Gang, kommen dem vorstehenden Zweck des Durchführungsverbots entsprechend vorläufige Sicherungsmaßnahmen in Betracht. Insofern kann zwar grds auch die Kommission selbst eine Aussetzungsanordnung erlassen bzw. in dringenden Fällen sogar eine (einstweilige) Rückforderung der gewährten

69 Vgl. Art. 12 Abs. 1, Art. 24 Abs. 2 VerfVO (Fn. 10). 70 Siehe zB EuGH v. 12.2.2008 – C-199/06 (CELF I), EWS 2008, 180, Rz. 35 ff. 71 Siehe bereits EuGH v. 11.12.1973 – 120/73 (Gebrüder Lorenz), EuGHE 1973, 1471, Rz. 8 sowie etwa EuGH v. 21.11.2013 – C-284/12 (Deutsche Lufthansa), EuZW 2014, 65, Rz. 29 mwN. 72 Art. 1 Buchst. f VerfVO (Fn. 10); siehe auch EuGH v. 5.10.2006 – C-368/04 (Transalpine Ölleitung), EuZW 2006, 725, Rz. 40 mwN.

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Beihilfe(n) durch den Mitgliedstaat anordnen.73 Gerade hier liegt jedoch in der Praxis die Hauptaufgabe bei den nationalen Gerichten (s.u. III.).74 Anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn die Kommission am Ende des Hauptprüfverfahrens einen Negativbeschluss zu einer „unvereinbaren“ Beihilfe erlässt und die betreffende nationale Maßnahme damit für materiell rechtswidrig erklärt. In diesem Fall erhält das vorläufige Durchführungsverbot endgültigen Charakter,75 wobei die dauerhafte Verbotswirkung dann unmittelbar aus dem Negativbeschluss folgt. Die Kommission setzt dann dem Mitgliedstaat hinsichtlich der fraglichen Maßnahme eine Aufhebungs- bzw. Umgestaltungsfrist (Art. 108 Abs. 2 Satz 1 AEUV) zur Herstellung der Konformität mit Art. 107 AEUV und kann im Falle der Nichtbefolgung unmittelbar den EuGH anrufen (Art. 108 Abs. 2 Satz 2 AEUV). Spannend wird es bei materiell rechtswidrigen Beihilfen dann, wenn diese vom Mitgliedstaat formell rechtswidrig bereits gewährt wurden, sich also als „doppelt rechtswidrig“ darstellen. In dieser Konstellation erlässt die Kommission ergänzend zum Negativbeschluss gem. Art. 16 Abs. 1 Satz VerfVO einen Rückforderungsbeschluss.76 Dieser Beschluss ist ein Instrument von ganz erheblicher praktischer Relevanz, da einerseits der Kommission für den Erlass dieses Beschlusses eine Verjährungsfrist von (mindestens) zehn Jahren ab Gewährung der Beihilfe an den Empfänger zur Verfügung steht77 und der Rückforderungsbetrag für den jeweils maßgeblichen Zeitraums ab Beihilfeempfang zu verzinsen ist,78 wäh73 Art. 13 Abs. 1, 2 VerfVO (Fn. 10). 74 Vgl. auch Gundel, GewArch. Beil. WiVerw. Nr. 4/2011, 242 (243 f.) mit OVG Koblenz v. 24.11.2009 – 6 A 10113/09, EuZW 2010, 274. 75 EuGH v. 12.2.2008 – C-199/06 (CELF I), EWS 2008, 180, Rz. 47. 76 Siehe ausführlich auch Bekanntmachung der Kommission „Rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen: Gewährleistung der Umsetzung von Rückforderungsentscheidungen der Kommission in den Mitgliedstaaten“, ABl. EU 2007, C 272/4. 77 Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VerfVO (Fn. 10). Vgl. auch EuGH v. 8.12.2011 – C-81/10 P (France Telekom/Kommission), EuGHE 2011, I-12899, Rz. 80 ff. Durch Maßnahmen der Kommission, die sich auf die Beihilfe beziehen, kann die Frist unterbrochen werden und beginnt dann neu (Art. 17 Abs. 2 Sätze 2, 3 VerfVO); solange der Rückforderungsbeschluss „Gegenstand von Verhandlungen“ vor den europäischen Gerichten ist, erfolgt eine Aussetzung der Frist (Art. 17 Abs. 2 Satz 4 VerfVO). 78 Art. 16 Abs. 2 VerfVO (Fn. 10). Den Zinssatz bestimmt die Kommission; vgl. Art. 9–11 DVO (Fn. 54) sowie Koenig/Ghazarian in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 108 AEUV Rz. 52 mwN.

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rend andererseits der Mitgliedstaat seiner Verpflichtung fast nie durch die praktische Unmöglichkeit der Rückforderung79 entgehen kann und auch die betroffenen Beihilfempfänger nur in den seltensten Fällen eine Rückzahlung durch Berufung auf Vertrauensschutz80 abwehren können.81 Mit dem Rückforderungsbeschluss, der sich – wie der Negativbeschluss – nicht an die einzelnen Beihilfeempfänger, sondern allein an den betroffenen Mitgliedstaat richtet, wird der Ball von der Kommission an diesen Mitgliedstaat zurückgeworfen (dazu unten III.2.). Nimmt der Mitgliedstaat die Rückforderung nicht ordnungsgemäß innerhalb einer von der Kommission festgelegten Frist vor, kann sie ihn auch insofern unmittelbar vor dem EuGH verklagen (Art. 28 Abs. 1 VerfVO). d) Abgestufte Kontrolle der Kommission durch EuG und EuGH Die am Ende des Vorprüf- sowie auch des Hauptprüfverfahrens ergehenden Kommissionsbeschlüsse (einschließlich desjenigen über die Rückforderung) können mit der Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) vor dem EuG angefochten werden. Für die betroffenen Mitgliedstaaten als sog. privilegierte Kläger ist dies nach Art. 263 Abs. 2 AEUV unproblematisch möglich. Natürliche und juristische Personen hingegen, die – je nach Sachlage – entweder als begünstigte Beihilfeempfänger oder aber als deren potenzielle Konkurrenten gegen einen solchen Beschluss vorgehen wollen, müssen als nichtprivilegierte Kläger für die Zulässigkeit ihrer Klage die Hürde des Art. 263 Abs. 4 AEUV überwinden: da die betreffenden Beschlüsse nicht „an sie“ (sondern an den Mitgliedstaat) „gerichtet“ sind, scheidet eine Klagebefugnis nach dem 1. Fall aus; die betreffenden Personen müssen daher entweder darlegen, dass sie durch einen bestimmten Kommissionsbeschluss „unmittelbar und individuell“ betroffen sind (2. Fall) oder dass es sich dabei um einen „Rechtsakt mit 79 Vgl. zuletzt Generalanwalt Wathelet, Schlussanträge v. 11.4.2018 – C-622/16 P – C-624/126 P (Scuola Elementare Maria Montessori ua./Kommission), ECLI:EU:C:2018:229, Rz. 104 ff. sowie dem folgend EuGH v. 6.11.2018 – ECLI:EU:C:2018:873, Rz. 69 ff. Außerdem etwa Zellhofer/Solek, EuZW 2015, 622 ff. 80 Dazu zB Martini, StuW 2017, 101 (104 ff.) sowie eingehend jüngst Schönfeld/ Ellenrieder, IStR 2018, 444 ff. und (zur spanischen „goodwill“-Abschreibung) EuG v. 15.11.2018 – T-207/10 (Deutsche Telekom/Kommission), ECLI:EU:T: 2018:786, Rz. 33 ff. 81 Bei diesen beiden Aspekten handelt es sich jeweils um einen „allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts“ iSv. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 VerfVO (Fn. 10), welcher der Rückforderung entgegengehalten werden kann.

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Verordnungscharakter“ handelt, der sie „unmittelbar“ betrifft und „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich“ zieht (3. Fall). Obwohl es zum vorgenannten 2. Fall des Art. 263 Abs. 4 AEUV und dort insbes. zur individuellen Betroffenheit schon seit vielen Jahren eine feste EuGH-Rspr. gibt,82 wird eine von Unternehmen darauf gestützte Klagebefugnis gegen Beihilfebeschlüsse immer wieder von der Kommission in Frage gestellt.83 Noch stärker sogar wehrt sich die Kommission gegen eine Zulassung von Beihilfeklagen nach dem (erst durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen) 3. Fall, und zwar sowohl von Beihilfeempfängern84 als auch von potenziellen Konkurrenten85. Tendenziell will die Kommission damit diese Kläger aus dem unmittelbaren Rechtsschutzverfahren auf Unionsebene in nationale Verfahren drängen, was für die betroffenen Unternehmen – insbes. die Konkurrenten – zu erheblichen Hürden für die Erreichung ihres Rechtsschutzziels führen kann (s.u. III.2. und III.3.). Für den Fall einer Zulässigkeit der Klage ist zu beachten, dass die Anwendung des Art. 107 AEUV durch die Kommission einer abgestuften gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Während die Auslegung des in Art. 107 Abs. 1 AEUV enthaltenen Verbots im Grundsatz86 gerichtlich voll überprüft

82 Grundlegend EuGH v. 13.7.1963 – 25/62 (Plaumann/Kommission), EuGHE 1963, 199 (238); außerdem etwa EuGH v. 29.11.2007 – C-176/06 P (Stadtwerke Schwäbisch Hall ua./Kommission), EuZW 2008, 49, Rz. 19 ff. 83 Vgl. zuletzt noch zur „Sanierungsklausel“ (§ 8c Abs. 1a KStG; s.u. IV.3.b.aa – Fall 1) EuGH v. 28.6.2018 – C-203/16 P (Andres [vormals Heitkamp BauHolding]/Kommission), IStR 2018, 552, Rz. 30 ff.; v. 28.6.2018 – C-208/16 P (Deutschland/Kommission), EuZW 2018, 686 = AG 2018, 887, Rz. 30 ff.; v. 28.6.2018 – C-209/16 P (Deutschland/Kommission), ECLI:EU:C:2018:507, Rz. 29 ff.; v. 28.6.2018 – C-219/16 P (Lowell Financial Services [vormals GFKL Financial Services]/Kommission), DStR 2018, 1434, Rz. 28 ff. 84 Siehe etwa (zur spanischen „goodwill“-Abschreibung) EuGH v. 19.12.2013 – C-274/12 P (Telefónica/Kommission), ECLI:EU:C:2013:852, Rz. 23 ff. 85 Dazu zuletzt Generalanwalt Wathelet, Schlussanträge v. 11.4.2018 – C-622/16 P bis C-624/126 P (Scuola Elementare Maria Montessori & Ferracci), ECLI:EI:C:2018:229, Rz. 23 ff. und dem folgend EuGH v. 6.11.2018 – C 622/16 P bis C-624/16 P, ECLI:EU:C:2018:873, Rz. 19 ff. 86 Zur Ausnahme der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren „Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten“ bei Anwendung des „marketeconomy-investor“-Tests zur Bestimmung einer Vorteilsgewährung („Begünstigung“) s. zB EuGH v. 2.9.2010 – C-290/07 P (Kommission/Scott), EuGHE 2010, I-7763, Rz. 66.

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werden kann, ist dies bei den Ausnahmebestimmungen in Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV nur eingeschränkt der Fall. Zwar gehen EuG und EuGH davon aus, dass diese Ausnahmen prinzipiell eng auszulegen sind.87 Bei den „muss“-Ausnahmen des Art. 107 Abs. 2 AEUV, bei denen die Rechtsfolge bereits fest vorgegeben ist (s.o. II.2.c), hat die Kommission jedoch zumindest einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen.88 Die „kann“-Ausnahmen des Art. 107 Abs. 3 AEUV eröffnen ihr sogar einen anerkanntermaßen weiten,89 aber auch nicht unbegrenzten Ermessensspielraum: zum einen muss sie die von ihr selbst erlassenen Unionsleitlinien und -rahmen beachten90 und zum anderen muss sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren.91 Nach Art. 278 Satz 1 AEUV haben Klagen vor den Unionsgerichten hinsichtlich der angefochtenen Rechtsakte „keine aufschiebende Wirkung“. Zwar eröffnet Art. 278 Satz 2 AEUV grds. die Möglichkeit, „die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen“ zu können,92 doch wird hierfür idR ein strenger Maßstab angelegt.93 Art. 279 AEUV erlaubt zudem das Treffen von „einstweiligen Anordnungen“. Abschließend ist noch anzumerken, dass gegen ein erstinstanzliches Urteil des EuG per Rechtsmittel der EuGH angerufen werden kann.94

III. Überblick über den nationalen Rechtsrahmen 1. Bedeutung Während (allein) die Kommission als „Europäische Wettbewerbsbehörde“ für die Entscheidung über die materielle Vereinbarkeit einer natio-

87 ZB EuGH v. 30.9.2003 – C-301/96 (Deutschland/Kommission), EuGHE 2003, I-9919, Rz. 66 mwN.; EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI:EU:T:2018:563, Rz. 142 mwN. 88 Siehe Kühling in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 107 AEUV Rz. 115 mwN. 89 Vgl. EuGH v. 2.9.2010 – C-290/07 P (Kommission/Scott), EuGHE 2010, I-7763, Rz. 64; EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI:EU:T: 2018:563, Rz. 204, 206 mwN. 90 EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI:EU:T:2018:563, Rz. 87 f., 94 mwN. 91 EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI:EU:T:2018:563, Rz. 143 f. mwN. 92 Dazu etwa Jaeger, EuR 2013, 3 ff. sowie auch Art. 16 Abs. 3 VerfVO (Fn. 10). 93 Siehe am Beispiel der belgischen „excess profits rulings“ EuG v. 19.7.2016 – T-131/16 R (Belgien/Kommission), ECLI:EU:T:2016:427. 94 Siehe Art. 56 der EuGH-Satzung, ABl. EU 2010, C 83/1 (Protokoll Nr. 3).

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nalen Beihilfemaßnahme mit Art. 107 AEUV (s.o. II.2.) zuständig ist,95 kommen den Behörden und vor allem auch den Gerichten der Mitgliedstaaten wichtige Hilfsfunktionen bei der Anwendung der EU-rechtlichen Beihilferegeln zu. Dies betrifft zum einen die nachträgliche innerstaatliche Durchsetzung einer von der Kommission angeordneten Beihilferückforderung bei den Begünstigten (s.o. II.3.c.dd) und zum anderen die vorbeugende Absicherung einer abschließenden beihilferechtlichen Beurteilung relevanter nationaler Maßnahmen durch die Kommission mittels Aktivierung des Durchführungsverbots nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AO (s.o. II.3.c.cc). Dieses Verbot wurde vom EuGH bereits sehr früh für unmittelbar anwendbar erklärt96 und kann daher auch von Unternehmen (insbes. Konkurrenten) eingefordert werden.

2. Durchsetzung der Beihilferückforderung Erlässt die Kommission einen Rückforderungsbeschluss, muss der betroffene Mitgliedstaat „alle notwendigen Maßnahmen“ ergreifen, um die Rückforderung nach seinen einschlägigen innerstaatlichen Verfahrensregeln gegenüber den jeweiligen Beihilfeempfängern durchzusetzen.97 Nach den allgemeinen (aus dem Loyalitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 EUV abgeleiteten) unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität dürfen die entsprechenden Rückforderungsverfahren „im Vergleich zu Verfahren für entsprechende innerstaatliche Angelegenheiten nicht weniger günstig sein und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“98. Diese Anforderungen werden durch Art. 17 Abs. 3 Satz 1 VerfVO dahingehend präzisiert, dass die Rückforderung „unverzüglich“ erfolgen und „die sofortige und tatsächliche Vollstreckung des Beschlusses der Kommission“ ermöglichen muss.99

95 Vgl. EuGH v. 18.7.2007 – C-119/05 (Lucchini), EuZW 2007, 511, Rz. 51 f. mwN. 96 Siehe EuGH v. 15.7.1964 – 6/64 (Costa), EuGHE 1964, 1253 (1273); v. 11.12.1973 – 120/73 (Gebrüder Lorenz), EuGHE 1973, 1471, Rz. 4 ff.; v. 21.11.1991 – C-354/90 (Fédération nationale du commerce extérieur), EuGHE 1991, I-5505, Rz. 11 ff.; v. 21.11.2013 – C-284/12 (Deutsche Lufthansa), EuZW 2014, 65, Rz. 29 mwN. 97 Art. 16 Abs. Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VerfVO (Fn. 10). 98 Siehe Rückforderungsbekanntmachung (Fn. 76), Rz. 52 f. 99 Vgl. EuGH v. 5.10.2006 – C-232/05 (Kommission/Frankreich), EWS 2007, 417, Rz. 49.

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Auf nationaler Ebene eröffnet sich damit an dieser Stelle eine „Grauzone“ mit noch vielen offenen Fragen. So geht etwa das BMWi in einer ausführlichen Rückforderungsbekanntmachung vom Februar 2015 davon aus, dass jedenfalls im Fall einer „durch Verwaltungsakt“ gewährten Beihilfe die Rückforderung unter „Aufhebung“ dieses Verwaltungsakts „nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften, insbes. nach den §§ 48, 49a VwVfG ggf. in Verbindung mit dem jeweiligen Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes“, zu erfolgen habe und der vom jeweiligen Begünstigten zurückzuzahlende Beihilfebetrag „von der jeweiligen ursprünglich beihilfengewährenden Stelle … einzuziehen“ sei.100 Auf die spezielle Situation von Steuerverwaltungsakten im Anwendungsbereich der AO geht das BMWi hingegen nicht ein. Ein vergleichender Blick auf die insofern schon deutlich weiter fortgeschrittene verwaltungsgerichtliche Praxis zeigt, dass den betroffenen Unternehmen an dieser Stelle kaum noch effektive Verteidigungsargumente (insbes. mit Blick auf einen etwaigen Vertrauensschutz) zur Verfügung stehen.101 Der EuGH hat sogar ausdrücklich entschieden, dass Rechtsbehelfen gegen Rückforderungsbescheide auf nationaler Ebene keine aufschiebende Wirkung zukommen darf, um die „sofortige und tatsächliche Vollstreckung“ des Kommissionsbeschlusses nicht zu verzögern und dadurch den unzulässigen Wettbewerbsvorteil andauern zu lassen;102 damit wird nach Auffassung der Kommission auch die behördliche und gerichtliche Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung unzulässig.103 In zivilrechtlichen Streitigkeiten hat der EuGH es selbst zugelassen, dass die bereits eingetretene Rechtskraft eines Urteils dem beihilferechtlichen Rückforderungsanspruch nicht entgegengehalten werden konnte.104 100 BMWi, „Bekanntmachung über die Rückforderung unionsrechtswidrig gewährter staatlicher Beihilfen“, BAnz. AT 13.2.2015 B1, Tz. 2, 4.5. 101 Siehe insbes. im Anschluss an EuGH v. 20.3.1997 – C-24/95 (Alcan Deutschland), EuZW 1997, 276, Rz. 25 ff. zunächst BVerwG v. 23.4.1998 – 3 C 15/97, BVerwGE 106, 328 und dann BVerfG v. 17.2.2000 – 2 BvR 1210/98, EuZW 2000, 445. Außerdem etwa BVerwG v. 16.10.2010 – 3 C.44/09, BVerwGE 138, 322 (aufgehoben durch BVerfG v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11, NVwZ 2016, 238). 102 Siehe EuGH v. 5.10.2006 – C-232/05 (Kommission/Frankreich), EWS 2007, 417, Rz. 50 ff. 103 Siehe Rückforderungsbekanntmachung (Fn. 76), Rz. 57, insbes. mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines entsprechenden Aussetzungsantrags nach Art. 278 AEUV im Verfahren vor EuG oder EuGH (s.o. II.3.d). 104 Siehe EuGH v. 18.7.2007 – C-119/05 (Lucchini), EuZW 2007, 511, Rz. 59 ff.; v. 11.11.2015 – C-505/14 (Klausner Holz), EuZW 2016, 57, Rz. 27 ff. Näher dazu Kühling/Rüchardt in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 108 AEUV Rz. 69 f.

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Gerade vor dem Hintergrund dieser Begrenzungen ihres innerstaatlichen Rechtsschutzes ist es für die Beihilfeempfänger von erheblicher Bedeutung, bereits ein unmittelbares Vorgehen gegen den Negativ- und/oder Rückforderungsbeschluss vor den Unionsgerichten in Erwägung zu ziehen und auch zulässig erheben zu können (s.o. II.3.d). Dies auch mit Blick darauf, dass der Beihilfeempfänger sich nach ständiger EuGH-Judikatur im Klageverfahren vor dem nationalen Gericht nur dann (inzident) auf die – von letzterem Gericht ggf. im Wege einer Gültigkeitsvorlage nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV an den EuGH zu klärende – Ungültigkeit eines Kommissionsbeschlusses berufen darf, wenn er zugleich auch gegen diesen Beschluss „nach Art. 263 Abs. 4 AEUV fristgerecht eine Nichtigkeitsklage … erhoben hat oder dies deshalb nicht getan hat, weil er nicht ohne jeden Zweifel dazu befugt war“105. Im steuerverfahrensrechtlichen Bereich mangelt es zu den vielen Einzelfragen bei der Beihilferückforderung noch weitgehend an „Fallmaterial“.106 Immerhin jedoch hat der BFH bereits die Möglichkeit einer Durchbrechung der Festsetzungsverjährung nach § 169 AO zur Ermöglichung einer Beihilferückforderung anerkannt.107 Dies schließt die Möglichkeit einer Durchbrechung der Bestandskraft von Bescheiden notwendigerweise mit ein, doch ist insofern noch umstritten, auf welcher genauen Rechtsgrundlage Letztere gestützt werden kann.108 Andere Mitgliedstaaten haben in jüngerer Zeit ausdrückliche Gesetzgebung für Zwecke der Beihilferückforderung erlassen, wobei sich aber auch dort Besonderheiten im Bereich des Steuerrechts zeigen.109 105 Zuletzt EuGH v. 25.7.2018 – C-135/16 (Georgsmarienhütte GmbH ua.), NVwZ 2018, 1288, Rz. 17 mwN. 106 Zur Diskussion im speziellen Bereich der Investitionszulagen vgl. Hahn/ Suhrbier-Hahn, DStZ 2002, 632 ff. 107 BFH v. 30.1.2009 – VII B 180/08, BFH/NV 2009, 857, unter II.4.; v. 30.1.2009 – VII B 181/08, juris, unter II.4. (jeweils zur einjährigen Frist nach Nr. 1 für „Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen“). Zustimmend Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.65; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Vor §§ 169–171 AO, Rz. 41; Paetsch in Gosch, AO/FGO, § 169 AO Rz. 13; Levedag in Gräber, FGO8, Anh. Rz. 128. 108 Vgl. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.65 mwN; zuletzt eingehend auch Krumm, DStJG 41 (2018), 561 (592 ff.) sowie Kühn, ISR 2018, 360 (361 ff.). 109 Siehe jüngst das Beispiel der am 1.7.2018 in Kraft getretenen niederländischen „Wet terugvordering staatssteun“ v. 21.2.2018, NL-Staatsblad 2018 Nr. 75: nach Art. 2 Abs. 1 erfolgt die Rückforderung auf der Basis dieses Gesetzes,

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Weitere Detailprobleme im steuerlichen Kontext werden aber zunehmend erkennbar, zB hinsichtlich der Frage, wie der Rückzahlungspflichtige zu bestimmen ist. So haben sich im kürzlich entschiedenen EuGH-Fall zu einem spanischen Leasingmodell im Bereich der Schiffsfinanzierung die Beteiligten darum gestritten, ob nun die einzelnen Investoren oder die von ihnen gemeinsam mit einer Bank gegründete Wirtschaftliche Interessenvereinigung oder aber alle gemeinsam als „wirtschaftliche Einheit“ durch den erzielten Steuervorteil begünstigt wurden.110 Zudem wurde dem EuGH gerade ein Fall zur Vorabentscheidung vorgelegt, in dem die Kommission ergänzend zu ihrem Negativbeschluss (bzgl. der belgischen Beihilferegelung zu den „excess profit rulings“111) dem betroffenen Mitgliedstaat auferlegt hat, die unzulässigen Beihilfen jeweils „von dem Konzern, dem der Beihilfeempfänger angehört“, zurückzufordern: im konkreten Streitfall „Oracle Belgium“112 hatte bzgl. einer Konzerngesellschaft, der die fragliche Steuerbefreiung zugute gekommen war, nach Auslaufen des Begünstigungszeitraums (aber vor Einleitung von beihilferechtlichen Prüfungsmaßnahmen seitens der Kommission) eine Übernahme durch einen anderen Konzern stattgefunden, der über das von den belgischen Behörden gegen ihn erhobene Rückzahlungsverlangen wenig begeistert war.

3. Schutz der Konkurrenten und des Wettbewerbs (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV) a) Absicherung des Durchführungsverbots Die Hauptaufgabe der nationalen Behörden und – vor allem113 – der nationalen Gerichte besteht jedoch in der umfassenden Absicherung des

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nach Art. 2 Abs. 2 im Fall von Steuervergünstigungen aber „soweit wie möglich“ unter Anwendung der (mit gleichem Gesetz angepassten) Steuerverfahrensgesetze. Belgien arbeitet demgegenüber mit „ad hoc“-Gesetzgebung für Fälle, in denen die Kommission einen Rückforderungsbeschluss erlässt; vgl. am Beispiel der „excess profit rulings“ die Art. 100–119 der Programmawet (I) v. 25.12.2016, B-Staatsblad v. 29.12.2016 (2. Ausg.), 90879. Siehe (mit Rückverweisung an das EuG) EuGH v. 25.7.2018 – C-128/16 P (Kommission/Spanien, Lico Leasing ua.), EuZW 2018, 765 und dazu die kritische Anmerkung von de Weerth, EuZW 2018, 766 (777). Kommission, Beschluss (EU) 2016/1699 v. 11.1.2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (ex 2015/) (ex 2015/NN), ABl. EU 2016, L 260/61. Rs. C-318/18 (Oracle Belgium BVBA), ABl. EU 2018, C 294/14. Ausführlich dazu Kommission, Bekanntmachung „über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte“, ABl. EU 2009, C

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Durchführungsverbots nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV, das als unmittelbar anwendbares EU-Recht in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hineinwirkt und Vorrang vor entgegenstehenden nationalen Regelungen besitzt (s.o. III.1.). b) Schutzaufgabe ex officio Über die das vorrangige EU-Recht mit einschließende Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG)114 sowie auch über die EU-rechtliche Loyalitätspflicht115 sind bereits die deutschen Finanzbehörden zur Einhaltung des Durchführungsverbots verpflichtet.116 Da dieses Verbot aber an die Verwirklichung des materiellen Beihilfetatbestands iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV gekoppelt ist117 und dessen generalklauselartige Vorgaben nicht immer eindeutig sind, liegt die Hauptverantwortung letztlich bei den nationalen Gerichten: nur diese können durch ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV an den EuGH die Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 107 Abs. 1 AEUV im Hinblick auf eine bestimmte Maßnahme klären (lassen). Zudem besteht nur für die nationalen Gerichte die – wenig bekannte und noch weniger genutzte – Möglichkeit, die Kommission um „Übermittlung von Information“ oder gar um „Stellungnahme zu Fragen, die die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen betreffen“, zu bitten (Art. 28 Abs. 1 VerfVO). Auch die Finanzgerichte und der BFH müssen – weil gleichfalls über Art. 20 Abs. 3 GG „an Gesetz und Recht gebunden“ und außerdem der Unionsloyalität unterliegend118 – bei ihren Entscheidungen das vorran-

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85/1. Außerdem etwa EuGH v. 22.3.1977 – 78/76 (Steinike und Weinlig), EuGHE 1977, 595, Rz. 14; v. 21.11.2013 – C-284/12 (Deutsche Lufthansa), EuZW 2014, 65, Rz. 27 ff. Vgl. etwa Grzeszick in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Rz. VI.60. Siehe EuGH v. 22.6.1989 – 103/88 (Fratelli Costanzo), EuGHE 1989, 1839, Rz. 28 ff. Vgl. auch Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.61. Ausführlich dazu Rosenberg, Das beihilferechtliche Durchführungsverbot im Steuerverfahren: Konsequenzen für die Normanwendung durch die Finanzverwaltung, 2014. Siehe explizit zB EuGH v. 5.10.2006 – C-368/04 (Transalpine Ölleitung), EuZW 2006, 725, Rz. 39; v. 21.11.2013 – C-284/12 (Deutsche Lufthansa), EuZW 2014, 65, Rz. 34 f. Zu Letzterer EuGH v. 19.11.2009 – C-314/08 (Filipiak), IStR 2009, 892 Rz. 81 ff.

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gige Unionsrecht berücksichtigen. Im Rahmen des ihnen unterbreiteten Rechtsstreits können sie daher auch ohne entsprechenden Vortrag der Beteiligten eine potenzielle Beihilfeproblematik von sich aus aufgreifen. Begehrt etwa ein Unternehmen im Klageweg die Anwendung einer für ihn günstigen Steuernorm, darf das Gericht dieser Klage auch bei Erfüllung aller Voraussetzungen der fraglichen Norm nicht entsprechen, wenn dadurch gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot verstoßen würde. Bei Zweifeln daran, ob eine „neue“ Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 iVm. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV vorliegt, kann bzw. muss das nationale Gericht nach Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV den EuGH anrufen. Diesen Weg haben in steuerlichen Fällen zuletzt nicht nur diverse Gerichte aus anderen EU-Mitgliedstaaten eingeschlagen,119 sondern auch das FG Hamburg mit seinem Vorabentscheidungsersuchen zur Brennelementesteuer120 sowie der BFH mit seiner Vorlage zu § 6a GrEStG (s.u. IV.3.d – Fall 5). In einigen anderen Fällen hat der BFH von einer Vorlage abgesehen, weil er entweder die beihilferechtliche Beurteilung letztlich für nicht entscheidungserheblich erachtete,121 von einer „bestehenden“ Beihilfe (s.o. II.3.b) aus-

119 Vgl. nur zu Finnland EuGH v. 18.7.2013 – C-6/12 (P Oy), IStR 2013, 355; zu Österreich EuGH v. 6.10.2015 – C-66/14 (Finanzamt Linz), IStR 2015, 879; zu Spanien EuGH v. 27.6.2017 – C-74/16 (Congregación de Escuelas Pías), EWS 2017, 281; zu Belgien anhängige Rs. C-318/18 (Oracle Belgium BVBA), ABl. EU 2018, C 294/14. 120 FG Hamburg v. 19.11.2013 – 4 K 122/13, DStRE 2014, 1255 mit EuGH v. 4.6.2015 – C-5/14 (KKW Lippe-Ems), EWS 2015, 202. 121 Vgl. BFH v. 25.4.2012 – I R 24/11, BFH/NV 2012, 1512 = FR 2013, 43, unter II.b (Sanierungserlass); v. 23.10.2013 – I R 79/12, BFH/NV 2014, 582 = GmbHR 2014, 385, unter II.5 (alte „Sanierungsklausel“ § 8 Abs. 4 Satz 3 KStG aF); v. 7.11.2013 – IV R 4/12, BStBl. II 2014, 306 = FR 2014, 528, unter II.5 (Abzugsfähigkeit Kartellbußen); v. 17.9.2014 – I R 30/13, BStBl. II 2017, 726 = FR 2015, 723, unter II.5 (billigkeitsweiser Verzicht auf gewerbesteuerliche Hinzurechnung); v. 15.7.2015 – II R 31/14, BFH/NV 2015, 1697, unter II.B.4 (Hamburger Kultur- und Tourismusabgabe); v. 28.10.2015 – I R 65/13, BStBl. II 2016, 414 = GmbHR 2016, 546, unter II.2.f (Verschonungsregelung für Wohnungsunternehmen bei EK2-Nachbelastung); v. 1.12.2015 – VII R 51/13, BFH/NV 2016, 592; v. 1.12.2015 – VII R 55/13, BFH/NV 2016, 690, jeweils unter II.2.b (Luftverkehrsteuer); v. 22.12.2015 – I R 40/15, BStBl. II 2016, 537 = FR 2016, 724, unter II.3 (gewerbesteuerliche Kürzung bei Vercharterung von Handelsschiffen); v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter D. (Sanierungserlass); v. 27.9.2017 – II R 13/15, BFH/NV 2018, 138 = EStB 2018, 19, unter III.6.i (Grundsteuerbefreiung für Öffentlich Private Partnerschaft).

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ging122 oder aber – mit Blick auf den derzeitigen Diskussionsstand (s.o. II.2.b sowie unten IV.3.) aus der Perspektive des Art. 267 Abs. 3 AEUV eher bedenklich – den Verbotstatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht für erfüllt hielt.123 c) Sonderfall Konkurrentenklage Sehr komplexe Fragestellungen ergeben sich, wenn Unternehmen gegen die möglicherweise beihilfeverbotswidrige steuerliche Begünstigung von Wettbewerbern vorgehen wollen. Außerhalb des Steuerrechts sind diese Fälle (zB im Beamten- oder Gewerberecht) gängige verwaltungsrechtliche Praxis und es wird zwischen zwei Konstellationen unterschieden: bei der „negativen Konkurrentenklage“ geht es (nur) darum, den Wettbewerber von einer bestimmten für ihn vorteilhaften Position (zB höherer Dienstposten, Standplatz auf dem Wochenmarkt, Taxikonzession) auszuschließen; bei der „positiven Konkurrentenklage“ will der Kläger eine günstige Position für sich selbst in Anspruch nehmen, und zwar entweder neben seinem Wettbewerber (Gleichstellungsklage) oder unter Ausschluss dieses Konkurrenten (Verdrängungsklage).124 Für das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ist nach der EuGH-Judikatur völlig unstreitig, dass diese Vorschrift die Anwendung der (noch) nicht durch die Kommission genehmigten Beihilfe durch den Mitgliedstaat gerade deshalb untersagt, um die Konkurrenten des Beihilfeempfängers vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen.125 122 Vgl. BFH v. 31.7.2013 – I R 82/12, BStBl. II 2015, 123, unter B.IV.2 (KSt.-Befreiung von Krankenhausapotheken); v. 27.11.2013 – I R 17/12, BStBl. II 2016, 68 = FR 2014, 846, unter II.7.b (KSt.- und GewSt.-Befreiung von kommunalen Rettungsdiensten); v. 18.10.2017 – V R 46/16, BFH/NV 2018, 293, unter II.5.b (KSt.-Befreiung für Universitätsklinikum). 123 Vgl. BFH v. 9.2.2011 – I R 47/09, BStBl. II 2012, 601, unter III.2.b.ff (KSt.- und GewSt.-Befreiung von berufsständischen Versorgungswerken: keine Handelsbeeinträchtigung/Wettbewerbsverfälschung); v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696 = FR 2015, 895, unter B.IV.2.e (Sanierungserlass: nicht selektiv). 124 Vgl. allgemein bereits Brohm in Erichsen/Hoppe/von Mutius (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes – Festschrift Menger, 1985, 235 (239 ff.); außerdem etwa Geiger, BayVBl. 2010, 519 ff. 125 Z.B. EuGH v. 21.10.2003 – C-261/01 und C-262/01 (van Calster), EuZW 2004, 87, Rz. 53, 63 f.; v. 5.10.2006 – C-368/04 (Transalpine Ölleitung), EuZW 2006, 725, Rz. 38, 41, 46; v. 12.2.2008 – C-199/06 (CELF I), EWS 2008, 180, Rz. 38; v. 21.11.2013 – C-284/12 (Deutsche Lufthansa), EuZW 2014, 65, Rz. 30 f. Ausführlich zum Konkurrentenschutz auch Gundel, GewArch. Beil. WiVerw. Nr. 4/2011, 242 ff.; Weiß, ZHR 2016, 80 (96 ff. und 123 ff.).

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BVerwG126 und BGH127 haben den „drittschützenden“ Charakter der Norm anerkannt, und auch die in Ansätzen bereits bestehende BFH-Rspr. zum Instrument der Konkurrentenklage128 lässt sich für „beihilfenrechtliche Prüfungsmaßstäbe öffnen“129. Allerdings ist zu beachten, dass der EuGH eine „positive Konkurrentenklage“ auf Eröffnung des Zugangs zu einem beihilfewidrigen Steuervorteil für das bisher davon ausgeschlossene Unternehmen (auch für die weniger aggressive Variante der Gleichstellungsklage) prinzipiell ablehnt, da dies den EU-rechtswidrigen Zustand noch zu verschärfen droht.130 Es geht also im Kern nur um die Beseitigung der durch Art. 107 Abs. 1 AEUV untersagten „Begünstigung“ an ihrer Wurzel. Damit ist insbes. das Vorgehen gegen die eigene – im Vergleich zum Konkurrenten als zu hoch empfundene – Steuerbelastung regelmäßig ausgeschlossen.131 Ausnahmen hiervon sind nur in ganz speziellen Fällen denkbar.132 Der Schwerpunkt steuerlicher Fälle wird daher bei der „negativen Konkurrentenklage“ liegen, nämlich bei Situationen, in denen ein Unternehmen die vorteilhafte steuerliche Behandlung eines Wettbewerbers als ver126 BVerwG v. 16.12.2010 – 3 C 44.09, BVerwGE 138, 322 (aufgehoben durch BVerfG v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11, NVwZ 2016, 238); v. 26.10.2016 – 10 C 3/15, BVerwGE 156, 199, unter 1. Vgl. auch Rennert, EuZW 2011, 576 ff. 127 BGH v. 10.2.2011 – I ZR 136/09, BGHZ 188, 326, unter B.II.2; v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, BGHZ 196, 254 = MDR 2013, 897, unter II.1.a. 128 Näher dazu Englisch, StuW 2008, 43 ff. Zudem BFH v. 26.1.2012 – VII R 4/11, BStBl. II 2012, 541 = UR 2012, 564; v. 24.1.2013 – V R 34/11, BStBl. II 2013, 460 = UR 2013, 515. 129 So ausdrücklich Bode, FR 2011, 1034 (1042). 130 Vgl. EuGH v. 15.6.2006 – C-393/04 und C-41/05 (Air Liquide ua.), EWS 2006, 327, Rz. 45; v. 7.9.2006 – C-524/04 (Laboratoires Boiron), EWS 2006, 467, Rz. 30; Bode, FR 2011, 1034 (1043); Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.61. 131 Vgl. in diesem Sinne auch BFH v. 7.8.2012 – VII R 35/11, BFH/NV 2013, 382, unter II.2.b; v. 1.12.2015 – VII R 51/13, BFH/NV 2016, 592, unter II.2.b; v. 1.12.2015 – VII R 55/13, BFH/NV 2016, 690, unter II.2.b; v. 12.4.2016 – VII R 56/13, BFH/NV 2016, 1223, unter II.2.d. 132 Zu Situationen einer Abgabe als „integraler Bestandteil“ einer Beihilfemaßnahme zB EuGH v. 15.6.2006 – C-393/04 und C-41/05 (Air Liquide ua.), EWS 2006, 327, Rz. 46; v. 20.9.2018 – C-510/16 (Carrefour Hypermarchés), EuZW 2018, 997, Rz. 14 ff.; zur Beihilfe durch asymmetrische Auferlegung einer Belastung zB EuGH v. 7.9.2006 – C-524/04 (Laboratoires Boiron), EWS 2006, 467, Rz. 31 ff. Vgl. außerdem Bode, FR 2011, 1034 (1042 f. in Fn. 106); Cordewener, Ubg. 2012, 607 (610 ff.); BFH v. 1.12.2015 – VII R 51/13, BFH/NV 2016, 592; v. 1.12.2015 – VII R 55/13, BFH/NV 2016, 690, jeweils unter II.2.b.

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botene Beihilfe ansieht und die Beseitigung dieses Vorteils über das Durchführungsverbot einklagen will. Im Schrifttum133 sowie auch auf finanzgerichtlicher Ebene134 wird auf diese Möglichkeit zur Durchsetzung des EU-Beihilferechts bereits seit einiger Zeit ausdrücklich hingewiesen. Wird die Klage zulässig erhoben, beschränkt sich die Prüfungsbefugnis des Gerichts darauf, ob eine Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV verletzt wurde; ist beides der Fall, muss das Gericht den vom Begünstigten erlangten Vorteil grds. (zumindest vorläufig) bis zu dem Zeitpunkt zurückfordern, an dem die Kommission das Hauptprüfverfahren beendet.135 Allerdings erfordert dies typischerweise ein Vorgehen gegen einen fremden Steuerbescheid (den des Begünstigten), und zusätzlich erschwerend kann mitunter sogar hinzutreten, dass ein Vorgehen in einem anderen Mitgliedstaat gegen die dortige Besteuerung des Konkurrenten erforderlich ist. Mit Blick auf ein entsprechendes Vorgehen in Deutschland wird dies idR bedeuten, dass der potenzielle Kläger sich erst einmal nähere Informationen über die Besteuerung seines Konkurrenten verschaffen muss. Er muss daher einen Auskunftsanspruch gegen die Finanzbehörde geltend machen, wie ihn der BFH zum Zweck des Konkurrentenschutzes im Bereich der Mehrwertsteuer bereits (auf verfassungsrechtlicher Basis) unter punktueller Aufhebung des Steuergeheimnisses anerkannt hat.136 Zu Recht wird im Schrifttum betont, das ein solcher Anspruch im beihilferechtlichen Kontext unmittelbar auf Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV gestützt werden kann.137 Darüber hinaus wird es – in Anlehnung an entsprechende Äußerungen der Europäischen Kommission138 – auch für möglich gehalten, bereits im Wege des vorbeugenden Rechtsschutzes von vornherein die Anwendung einer nicht genehmigten Beihilfe untersagen zu lassen.139 133 Siehe Englisch, StuW 2008, 43 (53 und 56 ff.); Bode, FR 2011, 1034 (1042 f.); Cordewener/Henze, FR 2016, 756 (758); Schnitger, IStR 2017, 421 (434 f.). 134 Vgl. FG Bad.-Württ. v. 12.4.2011 – 3 K 526/08, EFG 2011, 1824, rkr., unter 4.; v. 17.8.2015 – 9 K 403/12, EFG 2016, 330, nrkr., unter II.3. 135 Siehe EuGH v. 12.2.2008 – C-199/06 (CELF I), EWS 2008, 180, Rz. 41; Kommission, Durchsetzungsbekanntmachung (Fn. 113), Rz. 30 ff. Zur Diskussion von Ausnahmesituationen BGH v. 9.2.2017 – I ZR 91/15, EuZW 2017, 312, unter C.VI. mwN. 136 Siehe BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243 = UR 2007, 59; dazu D. Roth, DStR 2008, 434 ff. mwN. 137 Grube, DStZ 2007, 371 (382); Bode, FR 2011, 1034 (1041 f.); de Weerth, DStR 2014, 2485 (2489). 138 Siehe Durchsetzungsbekanntmachung (Fn. 113), Rz. 26. 139 Vgl. Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.61.

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Die Aufgabenzuweisung des EuGH an die nationalen Gerichte geht jedoch noch weiter: nach der Judikatur des Gerichtshofs obliegt dem nationalen Gericht „die Anordnung von Maßnahmen, die geeignet sind, die Rechtswidrigkeit der Durchführung der Beihilfen zu beseitigen, damit der Empfänger in der bis zur Entscheidung der Kommission noch verbleibenden Zeit nicht weiterhin frei über sie verfügen kann“140. Insofern ist es zwar anerkannt, dass die nationalen Gerichte aus ihrer Pflicht, eine formell rechtswidrig in Kraft gesetzte Beihilfe zurückzufordern (s.o.), entlassen werden, wenn die betreffende Maßnahme von der Kommission nach Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV per Positivbeschluss genehmigt wird und somit materiell binnenmarktskonform ist;141 da die Genehmigung jedoch nicht heilend in die Vergangenheit zurückwirkt, sind vom Begünstigten für den Zeitraum der Beihilfegewährung bis zum Zeitpunkt der Genehmigung zwecks Vorteilsabschöpfung sog. „Rechtswidrigkeitszinsen“ zu verlangen.142 Wie all dies genau im Rahmen eines Finanzgerichtsprozesses – ggf. durch verstärkten Gebrauch von einstweiligen Anordnungen (§ 114 FGO) – umgesetzt werden kann, wird sich in der zukünftigen Praxis erst noch erweisen müssen. Es ist jedoch absehbar, dass sich die Finanzgerichte und der BFH im steuerlichen Kontext mit dem Thema des beihilferechtlichen Konkurrentenschutzes noch intensiv beschäftigen werden.

IV. Aktuelle Problemzonen 1. Gegenstand Im Nachfolgenden wird ein Überblick gegeben über eine Reihe von aktuellen Entwicklungen und Diskussionen zur Einwirkung des EU-Beihilfeverbots auf das nationale Steuerrecht. Die Darstellung folgt dabei der oben (I., II.2.b und II.3.c.bb) angesprochenen Differenzierung zwischen „Einzelbeihilfen“ und „Beihilferegelungen“.

140 Siehe EuGH v. 11.3.2010 – C-1/09 (CELF II), EuZW 2010, 587, Rz. 30; v. 21.12.2013 – C-284/12 (Deutsche Lufthansa), EuZW 2014, 65, Rz. 31. 141 EuGH v. 12.2.2008 – C-199/06 (CELF I), EWS 2008, 180, Rz. 46 f.; Kommission, Durchsetzungsbekanntmachung (Fn. 113), Rz. 34 f. mwN. 142 Siehe EuGH v. 12.2.2008 – C-199/06 (CELF I), EWS 2008, 180, Rz. 40 ff.; dazu Gundel, EWS 2008, 161 ff. Vgl. außerdem Kommission, Durchsetzungsbekanntmachung (Fn. 113), Rz. 37 ff.; BMWi, Rückforderungsbekanntmachung (Fn. 100), Tz. 4.6; Martini, StuW 2017, 101 (103).

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2. Verwaltungsmaßnahmen als potenzielle „Einzelbeihilfen“ a) „Rulings“ zu Verrechnungspreisen etc. Ab Mitte 2013 hat die Kommission mit einer eigens dafür gegründeten „Task Force“ in der Generaldirektion Wettbewerb eine umfassende Untersuchung von mitgliedstaatlichen Einzelmaßnahmen insbes. durch sog. Vorabbescheide („rulings“) gestartet, wobei sich der Prüfungsumfang allmählich über den zunächst visierten Bereich der Verrechnungspreise hinaus ausgedehnt hat. Resultat dieser Prüfungen waren zunächst zwei am 21.10.2015 ergangene Negativbeschlüsse gegen Luxemburg wegen eines Advance Pricing Agreements (APA) zugunsten von Fiat143 und gegen die Niederlande wegen eines APA zugunsten von Starbucks144, wobei den Mitgliedstaaten jeweils eine Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz vorgeworfen wird.145 Von den Unternehmen wurden zwischenzeitlich 23,1 Mio. Euro bzw. 25,7 Mio. Euro zurückgezahlt;146 beide Beschlüsse wurden allerdings sowohl von dem jeweils betroffenen Mitgliedstaat als auch den begünstigten Unternehmen mit Nichtigkeitsklagen vor dem EuG angefochten,147 über die noch nicht entschieden ist. Am 30.8.2016 erfolgte dann der mit Spannung erwartete Negativbeschluss in dem zeitgleich gegen Irland eröffneten Hauptprüfverfahren wegen einer Begünstigung von Apple durch „rulings“ hinsichtlich des in Irland zu versteuernden Gewinns,148 wobei die Kommission von ihrer zunächst auf einer Verrechnungspreisgestaltung basierenden Argumen-

143 Kommission, Beschluss (EU) 2016/2326 v. 21.10.2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat, ABl. EU 2016, L 351/1. 144 Kommission, Beschluss (EU) 2017/502 v. 21.10.2015 über die staatliche Beihilfe der Niederlande SA.38374 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Starbucks, ABl. EU 2017, L 83/38. 145 Für einen kurzen Überblick etwa Schnitger, IStR 2017, 421 (429 f.). 146 Siehe Kommission, Pressemitteilung IP/18/5831 v. 19.9.2018. 147 Siehe einerseits Rechtssachen T-755/15 (Luxemburg/Kommission), ABl. EU 2016, C 59/48, und T-759/15 (Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission), ABl. EU C 2016, C 59/49, sowie andererseits Rechtssachen T-760/15 (Niederlande/Kommission), ABl. EU 2016, C 59/50, und T-636/16 (Starbucks und Starbucks Manufacturing Emea/Kommission, ABl. EU 2016, C 462/15. 148 Kommission), Beschluss (EU) 2017/1283 v. 30.6.2016 über die staatliche Beihilfe SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) (ex 2014/CP) Irlands zugunsten von Apple, ABl. EU 2017, L 187/1.

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tation des Eröffnungsbeschlusses149 umschwenkte auf eine vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichende Gewinnallokation zwischen Stammhaus und Betriebsstätte.150 Auch über die hiergegen von Irland und Apple erhobenen Klagen151 hat das EuG noch nicht entschieden. Die zwischenzeitlich von der Kommission gegen Irland erhobene Vertragsverletzungsklage (Art. 258 AEUV) wegen Nichtvornahme der angeordneten Rückforderung152 wurde nach der jüngst von Apple erfolgten Zahlung (s.o. I.) inzwischen zurückgenommen.153 Innerhalb des letzten Jahres sind nun noch drei weitere Hauptprüfverfahren gegen Luxemburg beendet worden. So erging am 4.10.2017 ein Negativbeschluss wegen „rulings“ zur Verrechnungspreisgestaltung von Amazon,154 der ebenfalls vom Mitgliedstaat und dem Unternehmen angefochten wurde.155 Am 20.6.2018 folgte ein Negativbeschluss wegen eines „rulings“ zugunsten von ENGIE (früher GDF Suez/Gaz de France) im Hinblick auf innerstaatliche Finanzierungsstrukturen über ein zinsloses Wandeldarlehen;156 hiergegen wurden gleichfalls Klagen vor dem EuG erhoben.157 Im erstgenannten Fall wurden offenbar bereits 282,7 Mio. Euro vom Unternehmen zurückgezahlt, im zweitgenannten Fall ist die Rückforderung von rund 120 Mio. Euro noch nicht abgeschlossen.158 Am 19.9.2018 hat die Kommission erstmals ein Verfahren ohne Negativbe-

149 Kommission, Staatliche Beihilfe SA.38373 (2014/C) (ex 2014/NN) – Mutmaßliche Beihlfe für Apple, ABl. EU 2014, C 369/22. 150 Kurzüberblick bei Schnitger, IStR 2017, 421 (428 f.). 151 Rechtssachen T-778/16 (Irland/Kommission), ABl. EU 2017, C 38/35, und T-892/16 (Apple Sales International und Apple Operations Europe/Kommission), ABl. EU C 2017, C 53/37. 152 Rechtssache C-678/17 (Kommission/Irland), ABl. EU 2018, C 22/31. 153 Siehe Kommission, Pressemitteilung MEX/18/6148 v. 18.10.2018. 154 Kommission, Beschluss (EU) 2018/859 v. 4.10.2017 über die staatliche Hilfe Luxemburgs SA.38944 (2014/C) (ex 2014/NN) zugunsten von Amazon, ABl. EU 2018, L 153/1. 155 Rechtssachen T-816/17 (Luxemburg/Kommission), ABl. EU 2018, C 72/38, und T-318/18 (Amazon EU und Amazon.com/Kommission), ABl. EU 2018, C 276/51. 156 Commission, Decision C(2018) 3839 final v. 20.6.2018 on State Aid SA.44888 (2016/C) (ex 2016/NN) implemented by Luxembourg in favour of ENGIE. Zur Problematik vgl. Schnitger, IStR 2017, 421 (431). 157 Rechtssachen T-516/18 (Luxemburg/Kommission), ABl. EU 2018, C 399/40, und T-525/18 (ENGIE Global LNG Holding ua./Kommission), ABl. EU 2018, C 399/44. 158 Siehe Kommission, Pressemitteilung IP/18/5831 v. 19.9.2018.

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schluss beendet: den zunächst in ihrem Eröffnungsbeschluss159 erhobenen Vorwurf, Luxemburg habe McDonald’s durch „rulings“ zur Anwendung der Freistellungsmethode nach dem DBA Luxemburg-USA auf Gewinne von (nach innerstaatlichem US-Recht nicht bestehenden) USBetriebsstätten160 einen unrechtmäßigen Vorteil zugewendet, hält die Kommission nun nicht mehr aufrecht.161 Geprüft wird von der Kommission derzeit insbes. noch eine mögliche Beihilfe der Niederlande durch zwei APAs zugunsten von IKEA.162 Ergänzend anzumerken ist außerdem, dass die Kommission bereits am 11.1.2016 auch einen Negativbeschluss zu den belgischen „excess profit rulings“ erlassen hat,163 wobei insofern allerdings nicht die einzelnen „rulings“ (als „Einzelbeihilfen“) angegriffen wurden, sondern deren gesetzliche Grundlage als solche (als „Beihilferegelung“). Laut Kommission sind hiervon mindestens 35 internationale Unternehmen betroffen mit einem geschätzten Rückforderungsvolumen von rund 900 Mio. Euro, von dem der weit überwiegende Teil bereits zurückgezahlt sein soll.164 Belgien und fast alle betroffenen Unternehmen klagen derzeit noch hiergegen beim EuG.165 b) Schuldenerlass durch Finanzbehörde im Vergleichsverfahren In einer jüngeren Entscheidung vom 16.3.2017 zu einem Fall aus Italien hat der EuGH entschieden, dass ein gesetzlich für alle potenziellen Schuldner geregeltes Restschuldbefreiungs- oder Vergleichsverfahren als solches keine selektive Beihilferegelung darstellt.166 Hierzulande bis159 Kommission, Staatliche Beihilfe SA.38945 (2015/C) (ex 2015/NN) – Mutmaßliche Beihlfe für McDonald’s, ABl. EU 2016, C 258/11. 160 Insgesamt wurden offenbar mehr als 70 solcher „rulings“ erteilt; vgl. Tax Notes International v. 1.10.2018, 101. 161 Siehe Kommission, Pressemitteilung IP/18/5831 v. 19.9.2018. 162 Kommission, Staatliche Beihilfe SA.46470 (2017/C) (ex 2017/NN) – Mögliche staatliche Beihlfe zugunsten von Inter IKEA, ABl. EU 2018, C 121/30. 163 Kommission, Beschluss (EU) 2016/1699 v. 11.1.2016 über die Beihilferegelung Belgiens SA.37667 (2015/C) (ex 2015/NN), ABl. EU 2016, L 260/61; siehe auch Schnitger, IStR 2017, 421 (430 f.). 164 Siehe Kommission, Pressemitteilung IP/18/5831 v. 19.9.2018. Der Versuch Belgiens, eine Aussetzung des Rückforderungsbeschlusses zu erreichen, war gescheitert (s.o. Fn. 93). 165 Vgl. ua. Rechtssache T-131/16 (Belgien/Kommission), ABl. EU 2016, C 191/36. 166 EuGH v. 16.3.2017 – C-493/15 (Identi), BB 2017, 933 = UR 2017, 310, Rz. 25 ff. mit Anmerkung Vogel, BB 2017, 935 (936).

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lang wenig Beachtung gefunden hat jedoch ein etwas später ergangenes Urteil des EuGH vom 20.9.2017 zu einem slowakischen Fall:167 dort hatte das von der Insolvenz bedrohte Unternehmen Frucona seinen Gläubigern einen gerichtlich genehmigten Vergleichsvorschalg unterbreitet, wonach es jedem von ihnen 35 % der offenen Schulden zahlen werde, wenn die Gläubiger auf ihre Restforderungen verzichteten. Diesem Vorschlag schlossen sich alle fünf Gläubiger – einschließlich der örtlichen Finanzbehörde, deren Forderung rund 99 % des Gesamtbetrags ausmachte – an, und das Unternehmen zahlte in der Tat die vereinbarten 35 %. Aufgrund einer Beschwerde befasste sich dann aber die Europäische Kommission mit dem Fall und sah in dem mit der Zustimmung der Finanzbehörde verbundenen Erlass von 65 % der Steuerschulden eine nicht mit Art. 107 AEUV zu vereinbarende staatliche Beihilfe; sie vertrat insbes. die Auffassung, die Finanzbehörde hätte statt des Vergleichsverfahrens entweder ein Insolvenzverfahren oder ein Steuervollstreckungsverfahren vorziehen müssen, um den Steuerausfall zu minimieren.168 Die dagegen von Frucona erhobene Klage wies das EuG als unbegründet ab,169 doch auf das Rechtsmittel des Unternehmens hob der EuGH dieses Urteil auf und entschied, die Kommission habe bei ihrer Beurteilung das Kriterium des „privaten Gläubigers“ nicht zutreffend angewandt.170 Die Kommission erließ dann einen neuen Negativbeschluss,171 gegen den Frucona wiederum klagte. Das EuG gab dieser Klage statt, da die Kommission (noch stets) nicht hinreichend dargelegt habe, dass sich ein (hypothetischer) privater Gläubiger in der Position der Finanzbehörde gegen das Vergleichsverfahren entschieden habe.172 Das hiergegen nun 167 EuGH v. 20.9.2017 – C-300/16 P (Kommission/Frucona Kosˇice II), ECLI:EU: C:2017:706; kurz besprochen bei Cloer/Vogel, IWB 2017, 936 (938 f.). 168 Kommission, Entscheidung 2007/254/EG v. 7.6.2006 über die staatliche Beihilfe C 25/2005 (ex NN 21/2005), gewährt durch die Slowakische Republik zugunsten von Frucona Kosˇice a.s., ABl. EU 2007, L 112/14. 169 EuG v. 7.10.2010 – T-11/07 (Frucona Kosˇice/Kommission I), ECLI:EU:T: 2010:498. 170 EuGH v. 24.1.2013 – C-73/11 P (Frucona Kosˇice/Kommission I), ECLI:EU: C:2013:32, Rz. 70 ff. Zur Anwendung dieses Kriteriums im steuerlichen Kontext auch bereits EuGH v. 5.6.2012 – C-124/10 P (Kommission/EDF), EuZW 2012, 581 mit Anmerkung Melcher, EuZW 2012, 576 ff. 171 Kommission, Beschluss 2014/342/EU v. 16.10.2013 über die staatliche Beihilfe SA.18211 (C 25/2005) (ex NN 21/2005), die die Slowakische Republik zugunsten von Frucona Kosˇice a.s. gewährt hatte, ABl. EU 2014, L 176/38. 172 Kommission IEuG v. 16.3.2016 – T-103/14 (Frucona Kosˇice/Kommission II), ECLI:EU:T:2016:152, Rz. 129 ff. und 240 ff.

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von der Kommission eingelegte Rechtsmittel wies der EuGH schließlich zurück und nahm noch einmal grundlegend zum vorgenannten (auch als „market-economy-creditor“- oder allgemeiner „market-economy-operator“-Test bezeichneten173) Kriterium Stellung: danach liegt tatbestandlich – mangels „Begünstigung“ – keine Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV vor, „wenn das begünstigte Unternehmen denselben Vorteil, der ihm aus Staatsmitteln gewährt wurde, unter Umständen, die normalen Marktbedingungen entsprechen, hätte erhalten können“174. Der EuGH erläutert sodann eingehend, welche Überlegungen die Kommission hinsichtlich der Anwendbarkeit dieses Kriteriums anstellen muss. Daraus sowie auch aus der vorherigen Diskussion während des gesamten Verfahrens ergeben sich aber zumindest mittelbar auch Anhaltspunkte für nationale Finanzbehörden, unter welchen Voraussetzungen ihre Mitwirkung an Vergleichsverfahren (oder noch allgemeiner: die Vornahme von Steuererlassen) beihilferechtliche Relevanz entfalten kann.

3. Gesetzgeberische Maßnahmen als potenzielle „Beihilferegelungen“ a) Erläuterungsinhalt Nachfolgend werden nun die aktuellen Entwicklungen skizziert, die sich derzeit – Mitte November 2018 – im Hinblick auf potenziell dem Beihilfeverdacht ausgesetzte deutsche Bestimmungen feststellen lassen. Dabei konzentriert sich die Darstellung hinsichtlich der Ertragsteuern auf die Kernregelungen bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer; Vorschriften des GewStG und etwaige Nebeneffekte bei der Zinsschranke oÄ bleiben hier ausgeblendet. b) Verlusterhaltung trotz grundsätzlich schädlichen Beteiligungserwerbs (§ 8c Abs. 1 KStG) aa) „Sanierungsklausel“ (§ 8c Abs. 1a KStG) Fall 1: Die A-GmbH hatte ab 2007 Verluste erlitten (gesondert festgestellt zum 31.12.2008: ./. 200 000 Euro) und war im Jahr 2009 von der Insolvenz bedroht. Auf der Basis einer am 15.9.2009 erteilten verbindlichen Auskunft des zuständigen FA, dass alle für eine „Sanierung“ iSv. 173 Vgl. näher Kühling in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 107 AEUV Rz. 33 mwN. 174 EuGH v. 20.9.2017 – C-300/16 P (Kommission/Frucona Kosˇice II), ECLI:EU: C:2017:706, Rz. 21.

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§ 8c Abs. 1a KStG erforderlichen Voraussetzungen vorlagen, erwarb die Investorin B-AG am 1.10.2009 sämtliche Anteile an der A-GmbH, um ihr sofort anschließend über eine Kapitalerhöhung wesentliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und damit die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. In ihrer KSt.-Erklärung für 2009 ging die A-GmbH davon aus, dass sie die laufenden Verluste der Quartale I.–III. (./. 120 000 Euro) mit dem geringen Gewinn des IV. Quartals (20 000 Euro) per Verlustausgleich würde verrechnen können und dass sich dann zum 31.12.2009 ein um den Überschuss (./. 100 000 Euro) erhöhter verbleibender Verlustvortrag (§ 10d Abs. 4 EStG) iHv. ./. 300 000 Euro ergeben würde. In dem am 20.7.2010 erlassenen KSt.-Bescheid für 2009 wurde jedoch nur der Gewinn des IV. Quartals (20 000 Euro) der Besteuerung zugrunde gelegt und in dem gleichzeitig ergangenen Verlustfeststellungsbescheid per 31.12.2009 der verbleibende Verlustabzug auf 0,– Euro gesetzt. Das FA verwies dazu auf eine Anweisung des BMF vom 30.4.2010,175 wonach die „Sanierungsklausel“ des § 8c Abs. 1a KStG von der EU-Kommission überprüft werde und vorläufig nicht mehr anzuwenden sei; es liege daher ein „schädlicher“ Anteilseignerwechsel iSv. § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG („ab 50 Prozent“) vor mit der Folge, dass alle bis zum 30.8.2009 aufgelaufenen „nicht genutzten Verluste“ von der steuerlichen Berücksichtigung ausgeschlossen seien. Die verbindliche Auskunft wurde aufgehoben. Der von der A-GmbH hat gegen den KSt.-Bescheid 2009 eingelegte Einspruch wurde vom FA bis zur EU-rechtlichen Klärung einverständlich ruhend gestellt (§ 363 Abs. 2 Satz 1 AO) und geriet bei der A-GmbH allmählich in Vergessenheit. Ihr Geschäftsführer hat nun aber erfahren, dass sich „auf EU-Ebene“ eine günstige Entwicklung ergeben habe. Er möchte wissen, ob das FA den KSt.-Bescheid 2009 jetzt ändern und den Verlust berücksichtigen muss. Lösungsvorschlag: (1) Nationale Gesetzgebung Maßgebliche nationale Norm ist die sog. „Sanierungsklausel“ des § 8c Abs. 1a KStG, die nachträglich Mitte Juli 2009176 (mit Rückwirkung zum 1.1.2008) dem 175 BMF v. 30.4.2010 – IV C 2 - S 2745-a/08/10005:002 – DOK 2010/0332067, BStBl. I 2010, 488 = FR 2010, 533. 176 Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) v. 16.7.2009, BGBl. I 2009, 1959.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern seit 1.1.2008 als Nachfolger von § 8 Abs. 4 KStG anwendbaren § 8c KStG hinzugefügt wurde: dieser sieht in Abs. 1 für „schädliche Beteiligungserwerbe“ (unmittelbare und mittelbare Anteilseignerwechsel innerhalb von fünf Jahren) von „mehr als 25 Prozent“ eine quotale Verlustnutzungssperre (Satz 1) und für „mehr als 50 Prozent“ einen vollständigen steuerlichen Verlustuntergang (Satz 2) vor, wobei das BVerfG bekanntlich im März 2017 die Regelung in Satz 1 für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat177 und dem BVerfG derzeit auch die Regelung in Satz 2 zur Prüfung vorliegt.178 Die Ausnahme des § 8c Abs. 1a KStG war ursprünglich bis zum 31.12.2009 zeitlich befristet, doch wurde diese Befristung kurz vor Fristablauf aufgegeben.179 (2) Hauptprüfverfahren der KOM Anders als die noch in 2008 eingeführte Ausnahmeklausel für Wagniskapitalgesellschaften in § 8c Abs. 2 KStG („Private Equity“-Klausel),180 die der Kommission notifiziert und von dieser daraufhin für mit Art. 107 AEUV „unvereinbar“ erklärt wurde,181 nahm Deutschland bzgl. der „Sanierungsklausel“ keine Notifizierung vor. Die Kommission wurde daraufhin von Amts wegen tätig und eröffnete im Februar 2010 das Hauptprüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV (s.o. II.3.c.bb),182 das sie bereits im Januar 2011 mit einem Negativbeschluss beendete.183 Darin beurteilte die Kommission § 8c Abs. 1a KStG als prima facie selektive Maßnahme iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV, weil die Vorschrift eine Ausnahme vom Referenzsystem des § 8c Abs. 1 KStG darstelle, die nicht durch Natur bzw. inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sei. Die Vorschrift könne auch nicht nach Art. 107 Abs. 3 177 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 = FR 2017, 577 mit Frist für den Gesetzgeber zur (auf den 1.1.2008 zurückwirkenden) Neuregelung bis zum 31.12.2018. Vgl. dazu § 34 Abs. 6 Satz 1 KStG idF des RegE eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 1.8.2018, BR-Drucks. 372/18 = BT-Drucks. 19/4455, sowie § 8c Abs. 1 und § 34 Abs. 6 Sätze 1 und 2 KStG idF der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses v. 7.11.2018, BT-Drucks. 19/5595, 23 f., 26 f., die vom Bundestag am 8.11.2018, BR-Drucks. 559/18, 9 f., beschlossen wurden. 178 FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, EFG 2017, 1906 (Az. BVerfG: 2 BvL 19/17). 179 Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 22.12.2009, BGBl. I 2009, 3950. 180 Siehe MoRaKG v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1672. 181 Siehe Kommissions, Entscheidung v. 30.9.2009 über die Beihilferegelung C 2/09 (ex N 221/08 und N 413/08), die Deutschland zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen gewähren will, ABl. EU 2010, L 6/32 182 Beschluss v. 24.2.2010, ABl. EU 2010, C 90/8. 183 Kommission, Beschluss v. 26.1.2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10 „KStG, Sanierungsklausel“, ABl. EU 2011, L 235/26; mit Korrigendum K(2011) 2608 endgültig v. 15.4.2011.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Buchst. b oder Buchst. c AEUV gerechtfertigt werden, da die Voraussetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsrahmen und -leitlinien184 nicht erfüllt seien.185 Außerdem ordnete die Kommission gegenüber Deutschland die innerstaatliche Rückforderung bereits gewährter Steuervorteile an sowie die Übermittlung einer Liste der Begünstigten. Das BMF wies daraufhin die FÄ an, die „Sanierungsklausel“ nicht mehr anzuwenden.186 (3) EuG- und EuGH-Verfahren Der Negativbeschluss der Kommission wurde von mehr als einem Dutzend betroffener deutscher Unternehmen und durch Deutschland vor dem EuG angefochten, wobei die vom Gericht vorgezogene Klage der Bundesrepublik wegen Verfristung unzulässig war.187 In der Sache bestätigte dann das EuG mit Urteilen v. 4.2.2016 zu zwei der von den Unternehmen erhobenen Klagen die Position der Kommission hinsichtlich des Verlustuntergangs (§ 8c Abs. 1 KStG) als „Referenzsystem“ für die Selektivitätsprüfung mit der verlusterhaltenden Sanierungsklausel als Ausnahme: im Hinblick auf den Verlustuntergang hielt auch das Gericht alle verlustbehafteten Unternehmen – ungeachtet des Vorliegens der Sanierungsvoraussetzungen iSv. § 8c Abs. 1a KStG – mit einem relevantem Wechsel der An184 Siehe allgemein oben II.2.c sowie speziell im vorliegenden Kontext zum damaligen Zeitpunkt Kommission, Mitteilung „Vorübergehender Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise“, ABl. EU 2009, C 83/1 (ab 1.1.2011: „Vorübergehender Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise“, ABl. EU 2011, C 6/5); Mitteilung „Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten“, ABl. EU 2004, C 244/2; Mitteilung „Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007–2013“, ABl. EU 2006, C 54/13; Mitteilung „Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen“, ABl. EU 2008, C 82/1. 185 Hinweis: Der Kommissionsbeschluss v. 26.1.2011 (Fn. 183) enthält in Rz. 109 ff. Ausführungen zu einzelnen Beihilfen von bis zu 500 000 Euro, die aufgrund von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV iVm. dem „Vorübergehenden Gemeinschaftsrahmen“ (Fn. 184) genehmigungsfähig seien; diese werden daher für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt (Art. 2). Zur praktischen Anwendung dieser Ausnahme (vgl. auch § 34 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 KStG) ist nichts bekannt. Für Zwecke der vorliegenden Diskussion wird unterstellt, dass ihre Voraussetzungen nicht erfüllt sind. 186 BMF v. 30.4.2010 – IV C 2 - S 2745-a/08/10005:002 – DOK 2010/0332067, BStBl. I 2010, 488 = FR 2010, 533. 187 EuG v. 18.12.2012 – T-205/11 (Deutschland/Kommission), IStR 2013, 101; bestätigt durch EuGH v. 3.7.2014 – C-102/13 P (Deutschland/Kommission), ECLI:EI:C:2014:2054. Mit Rücksicht auf dieses Klageverfahren hatte FG Münster v. 1.8.2011 – 9 V 357/11 K, G, EFG 2012, 165 in einem konkreten Rückforderungsfall AdV gewährt.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern teilseignerstruktur für tatsächlich und rechtlich vergleichbar, wohingegen es die Ziele der Unterstützung von Unternehmen in Schwierigkeiten im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als taugliche Rechtfertigungsgründe ablehnte.188 Auf die Rechtsmittel der beiden betroffenen Unternehmen sowie der (jeweils als Streithelferin beigetretenen) Bundesrepublik hat der EuGH unlängst mit vier im Wesentlichen gleichlautenden Urteilen v. 28.6.2018 die erstinstanzlichen EuGUrteile sowie darüber hinaus auch den Kommissionsbeschluss v. 26.1.2011 aufgehoben, da das Referenzsystem falsch bestimmt worden und damit die gesamte nachfolgende Prüfung fehlgeleitet gewesen sei: aus der Rspr. des Gerichtshofs folge nämlich, „dass die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme anhand eines Referenzsystems, das aus einigen Bestimmungen besteht, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst wurden, nicht zutreffend beurteilt werden“ könne. Indem das EuG die allgemeine Vorschrift über den Verlustvortrag (§ 10d EStG) hier ausgeblendet habe, habe es das relevante Referenzsystem „offensichtlich zu eng definiert“. Eine solch fehlerhafte Identifizierung des Referenzsystems führe „zwangsläufig dazu, dass die gesamte Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität mit einem Mangel behaftet“ sei, und dies gelte in gleicher Weise für die Vorgehensweise der Kommission in ihrem Beschluss.189 (4) Nationale „Umsetzung“ der EuGH-Urteile (a) Suspendierungsklausel in § 34 Abs. 6 KStG Nach den vorgenannten Urteilen stellt sich nicht allein für die vor dem EuGH erfolgreichen Unternehmen, sondern für alle tatbestandlich in den Anwendungsbereich von § 8c Abs. 1a KStG fallenden Stpfl.190 die Frage, ob sie nun von der positiven Rechtsfolge dieser Norm profitieren und die in § 8c Abs. 1 KStG vorgesehene 188 EuG v. 4.2.2016 – T-287/11 (Heitkamp BauHolding GmbH/Kommission), ECLI:EU:C:2016:60, Rz. 103 ff., 128 ff., 158 ff.; v. 4.2.2016 – T-620/11 (GFKL Financial Services AG/Kommission), IStR 2016, 249, Rz. 112 ff., 136 ff., 152 ff. 189 EuGH v. 28.6.2018 – C-203/16 P (Andres [Insolvenzverwalter der Heitkamp BauHolding GmbH]), IStR 2018, 552, Rz. 103, 107, 109; v. 28.6.2018 – C-208/ 16 P (Deutschland/Kommission), EuZW 2018, 686 = AG 2018, 887, Rz. 101, 106, 111; v. 28.6.2018 – C-209/16 P (Deutschland/Kommission), ECLI:EU:C: 2018:507, Rz. 99, 104, 106; v. 28.6.2018 – C-219/16 P (Lowell Financial Services GmbH [vormals GFKL Financial Services AG]/Kommission), DStR 2018, 1434, Rz. 106, 111, 113. 190 Dies betrifft mindestens die Unternehmen auf der Liste, die das BMF der Kommission auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses v. 26.1.2011 (Fn. 183) zu übersenden hatte. Zudem mögen auch Unternehmen versehentlich nicht erfasst worden sein oder kann sich mitunter die Frage nach der Anwendbarkeit der „Sanierungsklausel“ erst später gestellt haben, weil zB im Rahmen einer Betriebsprüfung erstmals von einem schädlichen Vorgang iSv. § 8c Abs. 1 KStG ausgegangen wird.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Verlustverrechnungssperre vermeiden können.191 Diesbzgl. ist zu beachten, dass der Gesetzgeber noch während der laufenden Klageverfahren vor dem EuG durch das BeitrRLUmsG192 die Anwendbarkeit der „Sanierungsklausel“ durch den heutigen § 34 Abs. 6 Satz 1 KStG suspendiert und eine spezielle (Wieder-)Anwendungsregelung geschaffen hat, die derzeit in § 34 Abs. 6 Sätze 2–4 KStG wie folgt lautet: „§ 8c Abs. 1a ist nur anzuwenden, wenn 1. eine rechtskräftige Entscheidung des Gerichts oder des Gerichtshofs der Europäischen Union den Beschluss der Europäischen Kommission K(2011) 275 vom 26. Januar 2011 im Verfahren Staatliche Beihilfen C 7/2010 (ABl. L 235 vom 10.9.2011, S. 26) für nichtig erklärt und feststellt, dass es sich bei § 8c Abs. 1a nicht um eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union handelt, [oder] 2. die Europäische Kommission einen Beschluss zu § 8c Absatz 1a nach Artikel 7 Absatz 2, 3 oder Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. L 83 vom 27.3.1999, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 1) geändert worden ist, fasst und mit dem Beschluss weder die Aufhebung noch die Änderung des § 8c Absatz 1a gefordert wird, […]. Die Entscheidung oder der Beschluss im Sinne des Satz 2 Nummer 1 oder Nummer 2 sind vom Bundesministerium der Finanzen im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen. § 8c Abs. 1a ist dann in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 und 2 anzuwenden, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind“. Im Schrifttum wird teilweise angenommen, die Voraussetzungen des Satzes 2 (insbes. der dortigen Nr. 1) von § 34 Abs. 6 KStG lägen nun vor und es fehle nur noch die Bekanntmachung iSd. Satzes 3.193 Dies dürfte aber mit dem klaren Normwortlaut kaum zu vereinbaren sein. Zum einen hat der EuGH in seinen Urteilen v. 28.6.2018 zwar den Kommissionsbeschluss v. 26.1.2011 (wegen fehlerhafter Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV) für nichtig erklärt, jedoch nicht iSd. obigen Nr. 1 positiv „fest(ge)stellt, dass es sich bei § 8c Abs. 1a nicht um eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union handelt“. Eine solche Feststellung können EuG und EuGH im Rahmen einer nach Art. 264 AEUV allenfalls zu einem Gestaltungsurteil mit dem Inhalt der Nichtigerklärung führenden Klage nach Art. 263 191 Sofern der Gesetzgeber in Reaktion auf den Beschluss des BVerfG v. 29.3.2017 (Fn. 177) die bisherige Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG aufhebt, wird es für die dort bisher geregelten Fälle des quotalen Verlustuntergangs auf die Ausnahme nach § 8c Abs. 1a KStG zur Verlusterhaltung nicht mehr ankommen. 192 Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592 (dort § 34 Abs. 7c Sätze 3–5 KStG). 193 In diesem Sinne Micker, ISR 2018, 368 (369 f.); Korneev, DB 2018, 2088.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern AEUV auch schon rein prozessual gar nicht treffen,194 so dass die „überschießende“ gesetzliche Formulierung schon sehr verwundert. Dies auch deshalb, weil der Finanzausschuss des Bundestags im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum BeitrRLUmsG den nun (auf dem Umweg über das Rechtsmittelverfahren beim EuGH) eingetretenen Ausgang der Klagegeverfahren gegen den Kommissionsbeschluss v. 26.1.2011 bereits deutlich vor Augen hatte,195 nämlich den Fall, dass das EuG (bzw. nun der EuGH) ein „stattgebendes Urteil mit einem offenkundigen Beurteilungsfehler wegen einer falschen Prüfmethode der Europäischen Kommission begründen würde, ohne eine eigenständige Würdigung des § 8c Absatz 1a KStG vorzunehmen“. Für diesen Fall hielt der Finanzausschuss es für möglich, dass die Kommission nach der Nichtigerklärung ihres Beschlusses „noch einen weiteren Beschluss über die Sanierungsklausel des § 8c Absatz 1a KStG fassen kann“, und genau für diesen Fall wurde die o.g. Nr. 2 geschaffen: dann sollte die Sanierungsklausel erst wieder anwendbar werden, wenn die Kommission „daraufhin einen Beschluss fasst, in dem sie feststellt, dass es sich bei § 8c Absatz 1a KStG nicht um eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV handelt oder wenn sie feststellt, dass die Sanierungsklausel mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, ohne Auflagen oder Bedingungen zu stellen, die eine weitere Gesetzgebung erforderlich machen“. Zum anderen liegen aber die Voraussetzungen der Nr. 2 gleichfalls – jedenfalls noch – nicht vor. Prozessual ist es nämlich so, dass durch die Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses v. 26.1.2011 dieser rechtsgestaltend beseitigt ist und die Parteien damit in den Zustand „zurückversetzt“ werden, der vor Ergehen dieses Beschlusses bestand.196 Damit läuft letztlich das mit Beschluss v. 24.2.2010 eröffnete Hauptprüfverfahren wieder (bzw. weiter), und die Kommission ist erneut „am Ball“197. Da somit weder die Voraussetzungen von Nr. 1 noch von Nr. 2 erfüllt sind, ist im Übrigen auch die außerdem (bisher) in § 34 Abs. 6 Satz 4 KStG verlangte Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt nicht erfolgt. (b) Anpassung der Suspendierungsklausel in § 34 Abs. 6 KStG Der nationale Lösungsansatz für die vorgenannte Problematik besteht in einer Änderung des Wortlauts von § 34 Abs. 6 KStG. Der eine Woche vor den EuGH-Urteilen v. 28.6.2018 vorgelegte Referentenentwurf (eines JStG 2018) erhielt durch

194 Siehe allgemein Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 264 AEUV Rz. 1, 3; Ehricke in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 264 AEUV Rz. 2 mwN. Außerdem etwa Linn/Pignot, IStR 2018, 558 (559); Knebelsberger/Loose, NWB 2018, 2779. 195 Siehe Finanzausschuss, BT-Drucks. 17/7524, 17 f. und dazu auch Kessler/ Egelhof/Probst, DStR 2018, 1945 (1948 f.). 196 Vgl. Ehricke in Streinz, EUV/AEUV3, Art. 264 AEUV Rz. 1 mwN. 197 So ausdrücklich auch Eisendle, ISR 2018, 315 (318); ebenso bereits Ellenrieder, IStR 2018, 179 (180).

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern den am 1.8.2018 vom Bundeskabinett beschlossenen Regierungsentwurf198 nicht nur einen neuen Namen, sondern wurde auch inhaltlich um einen Vorschlag zur Ersetzung der oben zitierten Sätze 2–4 von § 34 Abs. 6 KStG durch die folgenden neuen Sätze 2 und 3 ergänzt: „§ 8c Absatz 1a in der Fassung des Artikels 2 des Gesetzes vom 22. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3950) findet erstmals für den Veranlagungszeitraum 2008 und auf Anteilsübertragungen nach dem 31. Dezember 2007 Anwendung. Erfüllt ein nach dem 31. Dezember 2007 erfolgter Beteiligungserwerb die Voraussetzungen des § 8c Absatz 1a, bleibt er bei der Anwendung des § 8c Absatz 1 Satz 1 und 2 unberücksichtigt“. Ziel war es, die Neuregelung am Tag nach der Gesetzesverkündung in Kraft treten zu lassen199 und damit die rückwirkende Anwendbarkeit der „Sanierungsklausel“ zu bewirken.200 Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme v. 21.9.2018 zu diesem Punkt keine Änderungsvorschläge unterbreitet,201 und nach der ersten Plenardebatte im Bundestag am 27.9.2018 wurde der Entwurf an den Finanzausschuss überwiesen.202 Dieser hat am 7.11.2018 vorgeschlagen, die vorstehende Formulierung inhaltlich unverändert als § 34 Abs. 6 Sätze 3 und 4 KStG anzunehmen,203 und der Gesetzesbeschluss des Bundestags vom 8.11.2018 ist dem gefolgt.204 (5) Ergebnisse (a) Thema erledigt? Man könnte meinen, mit der Verabschiedung dieser Änderung wäre die EU-rechtliche Thematik ausgestanden. Dem dürfte aber wohl (noch) nicht so sein. (b) Durchführungsverbot Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV Zunächst einmal ignoriert die Wiederinkraftsetzung des § 8c Abs. 1a KStG den o.g. Umstand, dass nach der Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses v. 26.1.2011 der förmliche Abschluss des Beihilfeprüfverfahrens fehlt. Das durch Beschluss v. 24.2.2010 eröffnete Verfahren ist daher momentan weiter (bzw. wieder) offen – und damit greift auch (wieder) das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV, denn nach dieser Norm darf nun einmal der Mitgliedstaat

198 Regierungsentwurf (Fn. 177). Dazu auch Knebelsberger/Loose, NWB 2018, 2772 (2779). 199 Art. 16 Abs. 1 des RegE (Fn. 177). 200 Vgl. die Begründung des RegE (Fn. 177), BR-Drucks. 372/18, 55 = BT-Drucks. 19/4455, 53. 201 BR-Drucks. 372/18 (Beschluss) gegenüber den Empfehlungen der Ausschüsse, BR-Drucks. 372/1/18, 18 ff., wo zumindest die verfassungsrechtliche Thematik angesprochen wurde. 202 BT-Drucks. 19/5159. 203 Finanzausschuss (Fn. 177), BT-Drucks. 19/5595, 27. 204 Gesetzesbeschluss (Fn. 177), BR-Drucks. 559/18, 10.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern „die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen …, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat“ (s.o. II.3.c.cc). Dass dieser Umstand im Gesetzgebungsverfahren nicht beachtet wurde, ist umso erstaunlicher, als der Finanzausschuss des Bundestags im Rahmen des Verfahrens zum BeitrRLUmsG genau hierauf explizit hingewiesen hat: „In einem solchen Fall bestünde aufgrund des … Beschlusses der Europäischen Kommission K(2010) 970 zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens gemäß der Rechtsprechung des EuGH bis zu einem weiteren Beschluss der Europäischen Kommission ein Durchführungsverbot“205. Deutlicher geht es kaum. (c) Materieller Maßstab Art. 107 AEUV Darüber hinaus fehlt es auch in materiell-rechtlicher Hinsicht noch an Rechtssicherheit darüber, dass keine selektive Maßnahme und damit verbotene Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt, zu der die Kommission ggf. einen „keine Beihilfe“-Beschluss (s.o. II.3.c.cc) erlassen könnte. Während ein Teil der Literatur der Auffassung ist, aus den Urteilsgründen des EuGH ergebe sich eindeutig, dass der Beihilfetatbestand insgesamt nicht erfüllt sei,206 hält eine beträchtliche Anzahl von Autoren diese Frage für noch offen.207 Zwar hat die Kommission durch die EuGH-Urteile v. 28.6.2018 einen erheblichen Dämpfer erhalten, doch muss dies nicht bedeuten, dass die Kommission von einer erneuten intensiven Befassung mit § 8c Abs. 1a KStG gänzlich Abstand nimmt und diesen nunmehr lediglich „durchwinkt“.208 Im Grunde ist damit die Diskussion auf ihre Anfänge zurückgeworfen,209 wobei sich ein möglicher Ansatzpunkt für eine Lösung aus einem Gedanken konkretisieren könnte, der von Generalanwalt Wahl in dessen Schlussanträgen vor dem EuGH angesprochen wurde:210 danach könnte man § 8c Abs. 1a KStG – unabhängig von der geänderten gesetzgeberischen Regelungstechnik (vgl. auch oben II.2.b) – als Nachfolger von § 8 Abs. 4 Satz 3 KStG aF ansehen, der für Sanierungsfälle davon ausging, dass die „wirtschaftliche Identität“ der verlustbehafteten Gesellschaft auch in Situationen der Anteilsübertragung unverändert blieb. Hiervon ausgehend 205 Siehe Finanzausschuss, BT-Drucks. 17/7524, 18. 206 So etwa Linn/Pignot, IStR 2018, 558 (559 f.); Knebelsberger/Loose, NWB 2018, 2772 (2779); Müller, DB 2018, 1630 (1632). 207 Siehe zB Ellenrieder/Kahlenberg, BB 2018, 1879 (1885); Kussmaul/Licht, BB 2018, 1948 (1954); Kessler/Egelhof/Probst, DStR 2018, 1945 (1949 ff.); Eisendle, ISR 2018, 315 (318); Luja, Highlights & Insights 2018, 131 (132 f.). Zuvor auch bereits Ellenrieder, IStR 2018, 179 (180 f.). 208 Vgl. nur den „Frucona“-Fall (oben IV.2.b), wo die Kommission einen zweiten Negativbeschluss erließ. 209 Siehe zB de Weerth, DB 2010, 1205 ff.; Drüen, DStR 2011, 289 (291 ff.); Breuninger/Ernst, GmbHR 2011, 673 (682 ff.); Blumenberg/Haisch, FR 2012, 12 (14 ff.). 210 Siehe Generalanwalt Wahl, Schlussanträge v. 20.12.2017 – C-203/16 P (Andres [Insolvenzverwalter der Heitkamp BauHolding GmbH]/Kommission), ECLI:EU:C:2017:1017, Rz. 9, 134 f.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern gäbe es dann zwar eine gesetzliche Differenzierung zwischen einerseits dem Grundprinzip, dass bei Fortbestand der wirtschaftlichen Identität auch die Verlustnutzung (§ 10d EStG) fortbesteht, und andererseits der Sondervorschrift des § 8c Abs. 1 KStG, wonach bei qualifizierten Anteilseignerwechseln die „wirtschaftliche Identität“ (nebst zugehöriger Verlustnutzungsmöglichkeit) verloren geht; es läge dann zum einen bei der Abweichung vom „Referenzsystem“ gar keine potenzielle „Begünstigung“ (sondern ein Nachteil) vor, und zum anderen wäre mit Blick auf das Kernkriterium der wirtschaftlichen Identität die Ansicht vertretbar, dass es sich schon nicht um sachlich und rechtlich vergleichbare Sachverhalte handelt.211 Das Urteil des EuGH v. 13.7.2013 zur finnischen „Sanierungsklausel“ stünde diesem Lösungsweg nicht entgegen, da der Gerichtshof sich dort zur prima facie-Selektivität letztlich nicht inhaltlich geäußert hat.212 (6) Ergebnis Fall 1 Zumindest momentan kann die A-GmbH noch nicht endgültig sicher sein, ob sie die begehrte Verlustberücksichtigung EU-rechtlich tatsächlich realisieren kann. Es ist erst noch der ausstehende Kommissionsbeschluss abzuwarten.213

bb) „Fortführungsgebundener Verlustvortrag“ (§ 8d KStG) Fall 2: Die C-GmbH wurde 2014 gegründet und erwirtschaftete zunächst nur Verluste (gesondert festgestellt per 31.12.2015: ./. 400 000 Euro; laufende Quartale I–III/2016: ./. 160 000 Euro). Zum 1.10.2016 wurden ihre gesamten Geschäftsanteile von der D-AG übernommen, und unter der Leitung eines neuen Geschäftsführers erzielte die C-GmbH im IV. Quartal 2016 einen geringen Gewinn (10 000 Euro). Im Rahmen ihrer KSt.-Erklärung für 2016 wies die C-GmbH nach, dass in der Zeit ab ihrer Gründung bis Jahresende 2016 die Anwendungsvoraussetzungen des § 8d Abs. 1 KStG (ununterbrochenes Halten ausschließlich desselben Geschäftsbetriebs) vorlagen und es in diesem Zeitraum auch 211 In diese Richtung Ekkenga/Safaei, DStR 2018, 1993 (1996). 212 Siehe EuGH v. 13.7.2013 – C-6/12 (P Oy), IStR 2013, 355, Rz. 21. 213 Anders als für das Vorprüfverfahren (s.o. II.3.c.bb) siehe die VerfVO (Fn. 10) für das Hauptprüfverfahren keine Genehmigungsfiktion nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne vor. Allerdings kommt die Möglichkeit in Betracht, dass die Kommission durch längere Untätigkeit hinsichtlich des ihr bekannten Sachverhalts bei betroffenen Unternehmen ein Vertrauen darauf erwecken kann, dass sie bzgl. etwaiger unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährter Vorteile keine Rückforderung anordnen werde; vgl. EuGH v. 24.11.1987 – 223/85 (RSV), EuGHE 1987, 4687, Rz. 12 ff., wo die Kommission über einen längeren Zeitraum (26 Monate) nicht tätig wurde und daher bei der Empfängerin einer Beihilfe den Eindruck erweckt hatte, gegen die Maßnahme bestünden keine Einwände.

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keine Einstellung des Geschäftsbetriebs oder ein sonstiges schädliches „Ereignis“ iSd. § 8d Abs. 2 KStG (zB Beteiligung an Mitunternehmerschaft; Begründung von Stellung als Organträger) gab. Die C-GmbH beantragte nach § 8d Abs. 1 Satz 1 KStG die Nichtanwendung von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG, und das zuständige FA erließ antragsgemäß einen KSt.-Bescheid für 2016 (zu versteuerndes Einkommen./. 150 000 Euro) sowie einen gesonderten Feststellungsbescheid über einen „fortführungsgebundenen Verlustvortrag“ (§ 8d Abs. 1 Sätze 6, 7 KStG iVm. § 10d Abs. 4 EStG) zum 31.12.2016 iHv. ./. 550 000 Euro. Auch im Jahr 2017 trat kein „Ereignis“ iSv. § 8d Abs. 2 KStG ein, so dass der Verlustvortrag im Rahmen der KSt.-Veranlagung iH eines Teilbetrags von 250 000 Euro mit dem in dieser Höhe erzielten Jahresgewinn 2017 verrechnet wurde. Das FA setzte die KSt.-Schuld iHv. 0,– Euro fest und minderte den zum 31.12.2017 gesondert festgestellten verbleibenden „fortführungsgebundenen Verlustvortrag“ auf ./. 300 000 Euro. Der Geschäftsführer der C-GmbH hat die Entwicklungen zur „Sanierungsklausel“ verfolgt und möchte wissen, ob die Verlustverrechnungen in 2016 und 2017 EU-rechtlich wasserdicht sind. Lösungsvorschlag: (1) Nationale Gesetzgebung Die hier maßgebliche nationale Regelung des § 8d KStG über den „fortführungsgebundenen Verlustvortrag“ bildet eine weitere Ausnahme zum Verlustuntergang nach § 8c Abs. 1 KStG und wurde Ende 2016 mit Wirkung bereits für den VZ 2016 eingeführt.214 Da zu diesem Zeitpunkt die Urteile des EuG v. 4.2.2016 zur „Sanierungsklausel“ (s.o. IV.3.b.aa – Fall 1) bereits vorlagen, war die Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilfeverbot durchaus thematisiert worden. Während dem Regierungsentwurf zu entnehmen ist, das Gesetz habe keine „(u)nmittelbare(n) Bezüge zum EU-Recht“215, war die Beihilfethematik im Finanzausschluss des Bundestags kontrovers erörtert worden. Mit Blick auf die in der Plenardiskussion immer wieder erwähnte Stärkung von jungen und innovativen Unternehmen („Gründerszene“)216 hatte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darauf hingewiesen, dass mit jeder tatbestandlichen Verengung das Beihilfeproblem stets mehr „in den Vordergrund“

214 Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 2998. 215 Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften, BT-Drucks. 18/9986, 10. 216 Vgl. hierzu Neyer, BB 2017, 415 mwN.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern trete.217 DIE LINKE hatte konstatiert, dass der Gesetzentwurf „die Möglichkeit zur Verlustverwertung breit erweitert“ habe, gerade weil „eine gezielte Begrenzung auf Start-Ups EU-beihilferechtlich nicht zulässig sei“.218 Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD schließlich hatte betont, dass „die Frage der Konformität des Gesetzentwurfs mit dem EU-Recht intensiv geprüft“ worden sei und man „positive Signale aus der EU-Kommission“ vernommen habe; daher habe man „beschlossen, keinen Vorbehalt in Bezug auf das Europarecht für das Inkrafttreten vorzusehen“,219 und dementsprechend wurde die Einführung von § 8d KStG der EU-Kommission auch nicht notifiziert. (2) Situation nach EuGH-Verfahren zur „Sanierungsklausel“ (s.o.)? Noch vor seiner Einführung sowie auch unmittelbar danach wurde § 8d KStG von der Finanzrichterschaft220 sowie auch von weiten Teilen des Schrifttums221 mit Blick auf die EuG-Urteile v. 4.2.2016 und die dortige Anerkennung von § 8c Abs. 1 KStG als maßgebliches „Referenzsystem“ für EU-rechtlich problematisch gehalten. In genau umgekehrter Richtung wurde nunmehr nach den EuGH-Urteilen v. 28.6.2018 (s.o. IV.3.b.aa – Fall 1) wieder vielfach „Entwarnung“ gegeben.222 Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Kommission hinsichtlich der „Sanierungsklausel“ des § 8c Abs. 1a KStG nochmals eine abschließende Prüfung vorzunehmen hat, sollte aber nicht voreilig in Euphorie verfallen werden. Davor ist selbst für den Fall zu warnen, dass die Kommission zur „Sanierungsklausel“ den oben (IV.3.b.aa – Fall 1) aufgezeigten Lösungsweg über die „wirtschaftliche Identität“ der verlustbehafteten Gesellschaft wählen sollte: zwar betont auch § 8d KStG gerade in Abs. 1 durch das Konzept des „fortführungsgebundenen Verlustvortrags“ in deutlicher Form den Grundgedanken, dass eine Körperschaft bei fortbestehender „wirtschaftlicher Identität“ auch ihre Verluste (§ 10d EStG) weiter nutzen darf;223 allerdings sieht die Norm in Abs. 2 Satz 2 Nr. 3–6 für bestimmte Konstellationen (Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs, Beteiligung an Mitunternehmerschaft, Begründung einer Organträgerstellung und Übernahme von Wirtschaftsgütern unter dem gemeinen Wert) den Wegfall des „fortführungsgebundenen Verlustvortrags“ vor, ohne dass die „wirtschaftliche Identität“ der 217 Beschlussempfehlungen und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 18/ 10495, 13. 218 BT-Drucks. 18/10495, 12. 219 BT-Drucks. 18/10495, 12. 220 Vgl. Stellungnahme Deutscher Finanzgerichtstag v. 17.11.2016, Tz. III; verfügbar unter https://www.bundestag.de (letzter Abruf 15.11.2018). 221 Siehe von Wilcken, NZI 2016, 996 (997 f.); Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (18); Kußmaul/Palm/Licht, GmbHR 2017, 1009 (1012 ff.); Suchanek/Rüsch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8d KStG Rz. 7. Eher offen Dörr/ Reinsich/Plum, NWB 2017, 573 (580 f.). 222 Vgl. Knebelsberger/Loose, NWB 2018, 2772 (2782); Linn/Pignot, IStR 2018, 558 (560); Fertig, Ubg. 2018, 521 (527); Hackemann in Mössner/Seeger, KStG, online (Stand Juli 2018), § 8d Rz. 26. 223 Siehe dazu auch Ellenrieder, IStR 2018, 179 (181).

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Körperschaft verloren geht.224 Insofern erscheint es hier schwieriger als bei § 8c Abs. 1a KStG, zwei Regelungen zu identifizieren, die in Abhängigkeit vom Fortbestand oder Wegfall der „wirtschaftlichen Identität“ den Verlustvortrag (§ 10d EStG) forbestehen oder wegfallen lassen und somit nicht vergleichbare Sachverhalte ohne Diskriminierung unterschiedlich regeln. (3) Ergebnis Fall 2 Momentan kann die C-GmbH noch nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass § 8d KStG außerhalb des Beihilfetatbestands iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV liegt und daher – mangels Notifizierung – nicht das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV (s.o. II.3.c.cc) gilt.

c) Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen aa) Sanierungserlass des BMF Fall 3: Die E-GmbH befand sich im Herbst 2009 in einer finanziellen Krise. Lieferant F erklärte sich dazu bereit, eine hohe Forderung aus Warenlieferungen iHv. 200 000 Euro zu erlassen, und die E-GmbH kam tatsächlich wieder „auf die Beine“. Im Rahmen der KSt.-Veranlagung 2009 gelang es der E-GmbH, dem zuständigen FA darzulegen, dass im Moment des Forderungsverzichts die Voraussetzungen des Sanierungserlasses des BMF v. 27.3.2003 (Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit der E-GmbH; Sanierungseignung des Forderungsverzichts; Sanierungsabsicht des Gläubigers F) erfüllt waren. Auf Antrag der E-GmbH stundete daraufhin das FA im Juli 2010 nach § 222 AO den auf die bei der E-GmbH eingetretene Betriebsvermögensmehrung entfallenden KSt.-Betrag unter Widerrufvorbehalt. Als nach Durchführung der KSt.-Veranlagung für 2010 klar war, dass sich kein nach 2009 rücktragsfähiger Verlust ergab, verfügte das FA Anfang September 2011 den Erlass (§ 227 AO) des gestundeten KSt.-Betrags für 2009. Die Geschäftsführung der E-GmbH war sehr froh, dass die verfassungsrechtliche Debatte um den Sanierungserlass und der daraus resultierende Zwist zwischen BFH und BMF an ihrem konkreten Fall vorübergegangen sind. Da alle Bescheide bestandskräftig sind und nach der AO sogar umfassende Verjährung eingetreten ist, meint man, die Sache sei jetzt „durch“. Oder sollte evtl. EU-rechtlich noch etwas zu beachten sein? 224 Darauf hinweisend insbes. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (18); Kußmaul/ Palm/Licht, GmbHR 2017, 1009 (1012 ff.); Kessler/Egelhof/Probst, DStR 2018, 1945 (1952). Mit ewas anderem Ansatz auch von Wilcken, NZI 2016, 996 (998).

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Lösungsvorschlag: (1) Nationale Rechtslage Maßgebliche nationale Regelung ist hier noch der sog. „Sanierungserlass“ des BMF v. 27.3.2003225: dieser sieht vor, dass bei unternehmensbezogenen Sanierungsmaßnahmen die Steuer auf einen durch den vollständigen oder teilweisen Schuldenerlass eintretenden Sanierungsgewinn – nach Ausschöpfung etwaiger Verlustverrrechnungsmöglichkeiten – auf Antrag des Stpfl. abweichend festzusetzen (§ 163 AO) bzw. zunächst zu stunden (§ 222 AO) sowie später (nach endgültiger Ermittlung) zu erlassen (§ 227 AO) ist, wenn das Unternehmen sanierungsbedürftig und -fähig war, der Schulderlass sanierungsgeeignet und der Gläubiger mit Sanierungsabsicht handelte. Ungefähr zum Zeitpunkt der Sachverhaltsverwirklichung im obigen Beispielsfall setzte allmählich eine verfassungsrechtliche Debatte zur Vereinbarkeit des Erlasses mit dem Gesetzesvorbehalt (Art. 20 Abs. 3 GG) ein, die sich bald zu einer kleinen „Schlacht“ entwickelte. In aller Kürze: Mit Urteil v. 14.7.2010 hielt der X. Senat diesen Grundsatz für „nicht tangiert“,226 und nachdem der I. Senat in einem Urteil v. 25.4.2012 die Frage noch offengelassen hatte,227 wurde sie vom X. Senat mit Beschluss v. 25.3.2015 erneut verneint, aber dennoch dem Großen Senat vorgelegt.228 Dieser wiederum bejahte in seinem (am 8.2.2017 veröffentlichten) Beschluss v. 28.11.2016 den Verfassungsverstoß, da der Sanierungserlass keinen Fall der sachlichen Unbilligkeit iSd. §§ 163, 227 AO regele.229 Im Vorgriff auf eine vom Bundesrat230 angeregte gesetzliche Regelung (§ 3a EStG; dazu nachfolgend IV.3.c.bb – Fall 4) ordnete das BMF am 27.4.2017 für Fälle des Forderungsverzichts oder Erteilung einer verbindlichen Auskunft bis zum 8.2.2017 die Weitergeltung des „Sanierungserlasses“ an.231 Der BFH hielt dies in zwei Urteilen v. 23.8.2017 für gleichfalls unvereinbar mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,232 worauf das BMF am 29.3.2018 mit einem Nichtanwendungserlass reagier-

225 BMF v. 27.3.2003 – IV C 6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, 240 = FR 2003, 478; ergänzt durch BMF v. 22.12.2009 – IV C 6 - S 2140/07/10001-01 – DOK 2009/0860000, BStBl. I 2010, 18. = FR 2010, 191 226 BFH v. 14.7.2010 – X R 34/08, BStBl. II 2010, 916 = FR 2010, 1099, unter B.II.4. 227 BFH v. 25.4.2012 – I R 24/11, BFH/NV 2012, 1512 = FR 2013, 43, unter II.b. 228 BFH v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696 = FR 2015, 895, unter B.IV.1. 229 BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter C.III. und D. 230 Siehe auch Sonnleitner/Strotkemper, BB 2017, 668 (671 f.). 231 BMF v. 27.4.2017 – IV C 6 - S 2140/13/10003 – DOK 2017/0322100, BStBl. I 2017, 741 = FR 2017, 499. 232 BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, BStBl. II 2018, 232 = FR 2018, 18, unter II.4.; v. 23.8.2017 – X R 38/15, BStBl. II 2018, 236 = FR 2018, 21, unter II.4.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern te233 und der BFH inzwischen in mehreren Beschlüssen auch dessen gesetzliche Grundlage verneinte.234 All dies braucht die E-GmbH im Beispielsfall nicht weiter zu beunruhigen, da der bereits in 2011 gewährte Erlass des auf den Forderungsverzicht entfallenden KSt.Betrags für 2009 insofern nach den Verfahrensvorschriften der AO nicht mehr nachträglich beseitigt werden kann. EU-rechtlich könnte dies jedoch anders aussehen, wenn es sich um eine entgegen dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV (s.o. II.3.c.cc) eingeführte Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt, die nicht nach Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV (s.o. II.2.c) genehmigt werden kann. Dann könnte nämlich eine die nationale Bestandskraft und Verjährung durchbrechende Rückforderung drohen (s.o. III.2.), deren EU-rechtliche Verjährungsfrist von (mindestens) zehn Jahren (s.o. II.2.b.cc) noch nicht abgelaufen ist. (2) EU-rechtliche Diskussion (a) Entstehung Die Diskussion um die beihilferechtliche Relevanz des „Sanierungserlasses“ setzte bereits unmittelbar ab dessen Einführung im Jahr 2003 ein.235 Mit dem Aufgreifen der „Sanierungsklausel“ des § 8c Abs. 1a KStG durch die Kommission (s.o. IV.3.b.aa – Fall 1) setzte dann im Schrifttum eine deutliche Intensivierung der Debatte ein,236 wobei ein breites Meinungsspektrum besteht, das hauptsächlich die Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV betrifft, teilweise aber auch eine Lösung über die Einstufung als „Altbeihilfe“ iSd. Art. 108 Abs. 1 AEUV sucht. (b) Materieller Maßstab Art. 107 AEUV Klar sein dürfte zunächst einmal, dass der „Sanierungserlass“ wegen der darin vorgesehenen strengen Ermessensbindung („Reduzierung auf Null“)237 als mögliche „Beihilferegelung“ (s.o. II.2.b) einzustufen ist.238 Gerade der o.g. verfassungsrechtliche Streit zeigt, dass der Erlass von Seiten der Finanzverwaltung wie eine eigenständige gesetzliche Grundlage gehandhabt wurde, und dies wurde sogar vom

233 BMF v. 29.3.2018 – IV C 6 - S 2140/13/10003 – DOK 2018/0193836, BStBl. I 2018, 588 = FR 2018, 384. 234 BFH v. 16.4.2018 – X B 13/18, BFH/NV 2018, 817 = GmbHR 2018, 760, unter 1.; v. 8.5.2018 – VIII B 124/17, BFH/NV 2018, 822 = GmbHR 2018, 862, unter 1.b.bb; v. 11.7.2018 – XI R 33/16, DB 2018, 2473 = EStB 2019, 7, unter II.2. 235 Siehe insbes. Herrmann, ZInsO 2003, 1069 ff.; Strüber/von Donat, BB 2003, 2036 (2040 ff.); später dann auch Khan/Adam, ZInsO 2008, 899 (906 f.). 236 Vgl. etwa Frey/Mückl, GmbHR 2010, 1093 (1097); Wehner, NZI 2012, 537 ff.; de Weerth, DStR 2014, 2485 (2488). 237 Vgl. BMF v. 27.3.2003 – IV C 6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, 240 = FR 2003, 478 Tz. 12; BGH v. 13.3.2014 – IX ZR 23/10, DStR 2014, 895 = GmbHR 2014, 525, unter B.I.1.a.aa und B.I.1.b.bb. 238 In diesem Sinne auch P. Reimer, NVwZ 2011, 263 (267).

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Großen Senat ausdrücklich bestätigt.239 Es dürfte daher nicht möglich sein, im Nachhinein die von der Finanzverwaltung sich selbst vorgegebene Ermessensbindung als nicht existent zu behandeln,240 denn trotz nachträglich erkannter Verfassungswidrigkeit wurde der Erlass zumindest faktisch einheitlich gehandhabt.241 Dies bedeutet zum einen, dass nicht jede konkrete Erlassmaßnahme isoliert als „Einzelbeihilfe“ zu prüfen ist, sondern dass das Schicksal aller Einzelmaßnahmen, die sich im Rahmen der Regelung halten, mit der Beurteilung dieser Regelung „steht und fällt“ (s.o. II.3.c.bb). Zum anderen bedeutet dies, dass eine Selektivität iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht schon an der Einzelmaßnahme festzumachen ist, sondern dass sie – von der Kommission242 – im Hinblick auf die im „Sanierungserlass“ getroffene Regelung als solche nachzuweisen ist (s.o. II.2.b). Und schließlich würde dies auch den Weg zu einem etwaigen Bestandsschutz nach Art. 108 Abs. 1 AEUV (s.o. II.3.b) eröffnen. Klar ist außerdem, dass der „Sanierungserlass“ auch nicht schon deshalb als selektive Regelung einzustufen ist, weil er den Finanzbehörden einen Ermessensspielraum eröffnen würde, die in seinen Anwendungsbereich fallenden Einzelsituationen unterschiedlich zu behandeln;243 die Ermessensreduzierung „auf Null“ schließt dies aus.244 Soweit bekannt, ist dies wohl auch der Grund, warum die EUKommission dem BMF mit einem Schreiben v. 18.7.2012 mitgeteilt hat, dass bei der beihilferechtlichen Überprüfung des Erlasses „keine Auffälligkeiten festgestellt“ worden seien.245 Dabei handelte es sich jedoch nicht um die Durchfüh239 Laut BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter C.III. 4 wurde das BMF insofern „in gesetzesvertretender Weise tätig“. 240 In diese Richtung aber evtl. Schnitger, JbFStR 2017/2018, 56. 241 Hinweisen ließe sich in diesem Zusammenhang auch auf Kommission, Eröffnungsbeschluss v. 1.10.2014, Staatliche Beihilfe SA.34914 (C/2013) (ex 2013/NN) – Körperschaftssteuersystem in Gibraltar, ABl. EU 2016, C 369/55, zu den – offenbar mehr oder weniger willkürlich ohne Tatsachenprüfung ergangenen – „rulings“ zur Körperschaftsbesteuerung in Gibraltar, die von der Kommission wegen ihrer systematischen Erteilung gleichfalls als „Beihilferegelung“ behandelt werden. 242 Siehe EuGH v. 28.6.2018 – C-203/16 P (Andres [Insolvenzverwalter der Heitkamp BauHolding GmbH]/Kommission), IStR 2018, 552, Rz. 84; v. 28.6.2018 – C-208/16 P (Deutschland/Kommission), EuZW 2018, 686 = AG 2018, 887, Rz. 81; v. 28.6.2018 – C-209/16 P (Deutschland/Kommission), ECLI:EU:C: 2018:507, Rz. 79; v. 28.6.2018 – C-219/16 P (Lowell Financial Services [vormals GFKL Financial Services]/Kommission), DStR 2018, 1434, Rz. 86. 243 Siehe dazu Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 123 ff. Vgl. außerdem EuGH v. 13.7.2013 – C-6/12 (P Oy), IStR 2013, 355, Rz. 25 ff. und dazu auch Hartmann/Zwirner, WPg. 2014, 1105 (1108 f.). 244 Vgl. bereits de Weerth, DStR 2014, 2485 (2488). 245 Siehe BMF v. 10.8.2012 – IV C 6 - S 2140/11/10001 – DOK 2012/0693011, ZKF 2013, 93. Vgl. dazu Gragert, NWB 2013, 2141 (2142); Blumenberg/Neumann, Ubg. 2016, 181 (190 in Fn. 80). Siehe auch IDW, News exclusiv v. 7.8.2014.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern rung eines Vor- oder gar Hauptprüfverfahrens (s.o. II.3.c.bb und II.3.c.cc), sondern lediglich um eine informelle Betrachtung eines Einzelfalls der Erlassanwendung.246 Zudem fehlt mit dem Ermessensspielraum zwar ein Indiz für eine mögliche Selektivität des „Sanierungserlasses“, doch bedeutet dies nicht, dass der Erlass nicht aus anderen Gründen selektiv iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV sein könnte.247 Betrachtet man den „Sanierungserlass“ zunächst aus der allgemeinen Perspektive seiner „Verfügbarkeit“ (vgl. die Diskussion unter IV.3.d – Fall 5), so ist festzustellen, dass er in seinem Anwendungsbereich nicht auf „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ (s.o. II.2.b) begrenzt ist, sondern für sämtliche Unternehmen im Sanierungsfall zur Verfügung steht. Teilweise wird ihm daher bereits aus diesem Grund die Selektivität abgesprochen.248 Allerdings ist es aus Sicht des EU-Wettbewerbs so, dass gerade die staatliche Unterstützung von Unternehmen in Sanierungssituationen als solche problematisch ist.249 So wird in den Unionsleitlinien von 2014 für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen250 seitens der Kommission mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass genau diese Beihilfen „zu den Beihilfearten [zählen], die den Wettbewerb am stärksten verfälschen“. Dies spricht dafür, solche Beihilfen einer strengen Prüfung am Maßstab des Art. 107 AEUV zu unterwerfen251 und das vom EuGH entwickelte dreistufige Prüfungssystem (s.o. II.2.b sowie auch unten IV.3.d – Fall 5) anzuwenden. Danach wird man um die Feststellung nicht herumkommen, dass das als „Referenzsystem“ heranzuziehende Grundprinzip des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts darin besteht, sämtliche betrieblichen Gewinne der Besteuerung zu unterwerfen, und dass der „Sanierungserlass“ hiervon für die darin näher definierten Sanierungsfälle eine Abweichung vorsieht, indem er die Steuerbelastung von Sanierungsgewinnen ganz oder teilweise entfallen lässt. Insofern lässt sich zwar dem bereits genannten „Identi“-Urteil des EuGH v. 16.3.2017 (s.o. IV.2.b) eine Bestätigung des Umstands entnehmen, dass mangels Vergleichbarkeit der jeweils betroffenen Personen/Unternehmen bereits eine prima facie-Selektivität entfallen kann.252 In der Sache hilft dieses Urteil hier jedoch wenig weiter, da dort lediglich die Aussage getroffen wurde, dass sich insolvente und nicht insolvente Personen bzgl. des Ziels einer Restschuldbefreiung nicht in einer tatsächlich und rechtlich vergleichbaren Situation befänden. Hier ist jedoch die Vergleichbarkeits246 Vgl. Hartmann/Zwirner, WPg. 2014, 1105 (1108). 247 Ebenso de Weerth, DStR 2014, 2485 (2488) sowie wohl auch OFD Magdeburg – v. 21.3.2013 – G 1498 - 3 - St 213, ZInsO 2013, 1068, Tz. 4. 248 Siehe etwa P. Reimer, NVwZ 2011, 263 (267); de Weerth, DStR 2014, 2485 (2488); BFH v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696 = FR 2015, 895, unter B.IV.2.e; Frey/Nebelin, GmbHR 2015, 823 (824 f.). 249 So ausdrücklich auch Schön, JbFStR 2017/2018, 62 f. 250 Kommission, Leitlinien Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen (Fn. 42), Tz. 6. 251 So Ismer in Drüen/Hey/Mellinghoff (Fn. 14), 845 (857). 252 Vgl. Schnitger, JbFStR 2017/2018, 57.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern prüfung an dem erheblich weiter gefassten Bezugsrahmen der „normalen“ Gewinnbesteuerung zu orientieren, und insofern fällt es schwer, einen Sanierungsfall schon deshalb als mit sonstigen Unternehmen unvergleichbar anzusehen, weil es sich bei dem freigestellten Sanierungsgewinn nur um einen „Scheingewinn“ handele.253 Hilfreicher erscheint demgegenüber die Richtung, die der BFH zum „Sanierungserlass“ eingeschlagen hat. Zwar haben sowohl der I. Senat des BFH in seinem Urteil v. 25.4.2012254 als auch der Große Senat im o.g. Beschluss v. 28.11.2016255 die beihilferechtliche Beurteilung offen gelassen, doch ist zumindest der X. Senat in seinem Vorlagebeschluss v. 25.3.2015 näher auf die Problematik eingegangen und hat dazu die Position eingenommen, dass der „Sanierungserlass“ sich auf die „Grundprinzipien der Steuerrechtsordnung“ stütze und „deshalb als gerechtfertigt anzusehen“ sei: er komme „nur notleidenden Unternehmen zugute“ und trage dazu bei, „dass die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gesichert und das Übermaßverbot gewahrt“ seien.256 Dieser auf eine systemimmanente Rechtfertigung (s.o. II.2.b) des „Sanierungserlasses“ zielende Argumentationsansatz wird von weiten Teilen des Schrifttums geteilt257 und dürfte durch den Umstand, dass der EuGH mit seinen Urteilen v. 28.6.2018 zur „Sanierungsklausel“ die – das Leistungsfähigkeitsprinzip als Rechtfertigungsgrund ablehnenden – Entscheidungen des EuG v. 4.2.2016 aufgehoben hat (s.o. IV.3.b.aa – Fall 1), noch etwas Rückenwind erhalten. Teilweise wird diese Argumenation auch noch durch den Gedanken der „Steuerstaatlichkeit“ ergänzt, wonach der auf Steuererträge angewiesene Staat Unternehmen nicht durch Steuererhebung in die Insolvenz treiben dürfe.258 Allerdings stößt dieser Rechtfertigungsansatz auf das Problem, dass der Große Senat in seinem Beschluss v. 28.11.2016 in der Besteuerung von Sanierungsgewinnen gerade keinen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip gesehen hat.259 Darüber hinaus hat diese Rechtfertigungslösung noch eine weitere „Achillesferse“, auf die im vorliegenden Kontext gleichfalls im Schrifttum bereits hingewiesen wurde:260 der „Sanierungserlass“ hatte – wie vom BFH inzwischen mehrfach bestätigt 253 254 255 256 257

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In diese Richtung zB Eicke, PIStB 2012, 131. BFH v. 25.4.2012 – I R 24/11, BFH/NV 2012, 1512 = FR 2013, 43, unter II.b. BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter D. BFH v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696 = FR 2015, 895, unter B.IV.2.e. ZB Seer, FR 2014, 720 (730); Frey/Nebelin, GmbHR 2015, 823 (824 f.); Kahlert, ZIP 2016, 2107 (2113); Geerling/Hartmann, DStR 2017, 752 (756); Blumenberg, Aktuelle Entwicklungen des EU-Beihilferechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, ifst-Schrift 516 (2017), 46. Dazu Ismer/Piotrowski, DStR 2005, 1993 (1998 f.) sowie in der Sache auch Seer, FR 2014, 720 (727: „Fiskazweckbefreiung“). BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter C.III.3.a.aa und C.III.3.a.bb. Kritisch zu diesem Punkt auch J. Roth, ZInsO 2016, 1877 (1881 f.). Z.B. Frey/Nebelin, GmbHR 2015, 823 (824 f.); Kahlert, ZIP 2016, 2107 (2113); Geerling/Hartmann, DStR 2017, 752 (756).

Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern wurde (s.o.) – keine gesetzliche Grundlage. Zwar ist dies im Grundsatz ein innerstaatliches und kein EU-rechtliches Problem. Im Rahmen der möglichen Rechtfertigung einer prima facie selektiven Maßnahme überprüft der EuGH jedoch insbes., ob ein dem nationalen Steuersystem inhärenter Grundgedanke konsistent und folgerichtig umgesetzt wurde und gerade dies zu der fraglichen Abweichung vom Referenzsystem geführt hat.261 Insofern kann man an einer konsequenten Verfolgung systemimmanenter Grundprinzipien durchaus Zweifel haben, wenn das konkret dafür eingesetzte Mittel eines Verwaltungserlasses gegen nationales Verfassungsrecht verstößt. (c) „Altbeihilfe“ iSv. Art. 108 Abs. 1 AEUV? Sollte es sich beim „Sanierungserlass“ tatbestandlich um eine Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV handeln, wird eine Genehmigung seitens der Kommission nach Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV (s.o. II.2.c) insbes. unter Berücksichtigung der Vorgaben der Unionsleitlinien von 2014 für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen262 nicht in Betracht kommen. Allerdings lässt sich die Frage aufwerfen, ob der Erlass nicht als eine „bestehende Beihilferegelung“ iSv. Art. 108 Abs. 1 AEUV zu beurteilen ist, die von der Kommission nicht mit Wirkung für die Vergangenheit aufgegriffen werden kann (s.o. II.3.b) und die überdies nicht dem – nur für „neue“ Beihilfen geltenden – Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV (s.o. II.3.c.cc) unterliegt. Diesbzgl. wird im Schrifttum mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass der „Sanierungserlass“ eine lange historische Tradition der Ertragsteuerbefreiung von Sanierungsgewinnen aus betrieblich bedingten Forderungserlassen fortführe:263 wie auch der Große Senat in seinem Beschluss v. 28.11.2016 im Detail nachgezeichnet hat,264 reichen die Anfänge dieser Entwicklung zurück auf die Rspr. des RFH in den 1920er Jahren. In der Tat liegt es daher nahe, von einer „Altbeihilfe“ aus der Zeit vor dem Beitritt Deutschlands zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auszugehen, die lediglich in den Anwendungsbereich von Art. 108 Abs. 1 AEUV fällt.265 Auch dieser Argumentationsansatz hat jedoch eine offene Flanke, die sich auch auf die gesetzliche Neuregelung des § 3a EStG (s.u. IV.3.c.bb – Fall 4) auswirken könnte. Selbst wenn man nämlich in sachlicher Hinsicht davon ausgeht, dass der „Sanierungserlass“ hinsichtlich seiner Voraussetzungen für das Vorliegen eines

261 Vgl. nur Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.23 mwN sowie Kommission, „Begriff der staatlichen Beihilfe“ (Fn. 21), Rz. 138 ff. 262 Kommission, Leitlinien Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen (Fn. 42). 263 Siehe nur Seer, FR 2014, 721 (725 ff.); Seer, Beil. ZIP 2014, 1 (10 f.); Kahlert, ZIP 2016, 2107 ff. 264 BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter C.I. 265 So insbes. Seer, FR 2014, 721 (730 f.); Seer, Beil. ZIP 2014, 1 (15); Schnitger, JbFStR 2017/2018, 58.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Sanierungsfalls an den vorkonstitutionellen Rechtszustand anknüpft266 und hierbei das über die Jahrzehnte hinweg eingetretene Wechselspiel hinsichtlich eines Vorrangs der Verlustverrechnung vor der Steuerbefreiung267 ausblendet, könnte sich in zeitlicher Hinsicht ein Problem ergeben: die letzte vor Ergehen des „Sanierungserlasses“ bestehende gesetzliche Regelung zum Sanierungsgewinn – § 3 Nr. 66 EStG 1977 – war nämlich bereits im Laufe des Jahres 1997 aufgehoben worden und (nach Verlängerung der zunächst vorgesehenen zeitlichen Anwendungsregelung268) „letztmals auf Erhöhungen des Betriebsvermögens anzuwenden, die in dem Wirtschaftsjahr entstehen, das vor dem 1. Januar 1998 endet“269. Durch den Erlass v. 27.3.2003 hat das BMF insofern zwar „die vom Gesetzgeber aufgehobene Steuerbegünstigung von Sanierungsgewinnen unter (leicht) modifizierten Bedingungen wieder ein(ge)führt“270, und der Erlass war nach seiner Tz. 13 auch „in allen noch offenen Fällen anzuwenden, für die die Regelung des § 3 Nr. 66 EStG … nicht mehr gilt“. Dennoch ergibt sich ein mehrjähriger Zwischenzeitraum, in dem Sanierungsfälle weder von der (bereits abgeschafften) Gesetzesregelung noch von dem (noch nicht existenten) Sanierungserlass profitieren konnten. Im Kontext der Bestandsschutzklausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV (früher Art. 57 Abs. 1 EG) ist es schädlich, wenn eine am 31.12.1993 „bestehende“ Beschränkung des Kapitalverkehrs (ggü. Drittstaaten) anschließend nicht ununterbrochen Teil der nationalen Rechtsordnung ist.271 Unter Berücksichtigung dieser Parallelproblematik lässt sich zumindest nicht von der Hand weisen, dass auch hinsichtlich der Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen mit der Abschaffung von § 3 Nr. 66 EStG aF eine schädliche „Zäsurwirkung“ eingetreten sein könnte.272 Daran würde auch der Umstand nichts ändern, dass zwischenzeitlich in Einzelfällen unmittelbar auf die §§ 163, 227 AO zurückgegriffen werden konnte273 (und evtl. auch wurde), denn dabei hätte es sich lediglich um „Einzelbeihilfen“ gehandelt. Der „Sanierungserlass“ wäre dann keine „bestehende Beihilfe-

266 Vgl. Seer, FR 2014, 721 (730); Seer, Beil. ZIP 2014, 1 (15); Schnitger, JbFStR 2017/2018, 58. 267 Vgl. Kahlert, ZIP 2016, 2107 (2108 f.). 268 Siehe § 52 Abs. 2h EStG idF des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform v. 29.10.1997, BGBl. I 1997, 2590 („letztmals auf Erhöhungen des Betriebsvermögens anzuwenden, die in dem Wirtschaftsjahr entstehen, das vor dem 1. Januar 1997 endet“). 269 Siehe § 52 Abs. 2i EStG idF des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung v. 19.12.1997, BGBl. I 1997, 3121. 270 So ausdrücklich BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter C.III.4. 271 EuGH v. 18.12.2007 – C-101/05 (A), IStR 2008, 66, Rz. 48 ff. 272 In diesem Sinne Glatz, IStR 2016, 447 (453); ebenso J. Roth, ZInsO 2016, 1877 (1882), der zudem von schädlichen inhaltlichen Veränderungen der Steuerbefreiung ausgeht. 273 Vgl. BT-Drucks. 13/7480, 192.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern regelung“ iSv. Art. 108 Abs. 1 AEUV, sondern eine „neue“ Beihilfe iSd. Art. 108 Abs. 3 AEUV – mit allen damit verbundenen Folgen. (d) Vertrauensschutz vor Rückforderung? Für Unternehmen, die in der Vergangenheit eine Steuerbefreiung auf der Basis des „Sanierungserlasses“ in Anspruch genommen haben, besteht daher innerhalb der Verjährungsfrist nach Art. 17 Abs. 1, 2 VerfVO weiterhin die Gefahr einer Rückforderung des Steuervorteils nebst Zinsen; nur für jene Unternehmen, für deren Steuervorteil die Frist bereits abgelaufen ist, gilt der Vorteil als „bestehende Beihilfe“ (Art. 17 Abs. 3 VerfVO). Die Frist beträgt zehn Jahre ab Beihilfeempfang (s.o. II.3.c.dd), wird aber durch „(j)ede Maßnahme, die die Kommission oder ein Mitgliedstaat auf Antrag der Kommission bezüglich der rechtswidrigen Beihilfe ergreift“, unterbrochen und läuft dann „von Neuem an“ (Art. 17 Abs. 2 Sätze 2, 3 VerfVO). Sollte daher der Kontakt zwischen dem BMF und der Kommission Mitte 2012 (s.o.) als entsprechende „Maßnahme“ zu werten sein, würde selbst für steuerfreie Sanierungsgewinne ab Mitte 2002 – also aus dem Rückwirkungszeitraum des „Sanierungserlasses“ – die Verjährungsfrist noch bis Mitte 2022 laufen. Insofern ergibt sich aus der EuGHRspr., dass kein förmlicher Akt wie die Eröffnung eines Hauptprüfverfahrens verlangt wird, sondern dass bereits ein Auskunftsersuchen der Kommission an den Mitgliedstaat ausreicht.274 Falls daher die Kommission ex officio Informationen von Deutschland zum „Sanierungserlass“ angefragt haben sollte, läge eine „Maßnahme“ im vorgenannten Sinne vor; möglicherweise könnte es dem aber wertungsmäßig gleichzustellen sein, wenn das BMF von sich aus der Kommission entsprechende Unterlagen vorgelegt hat. Mit Blick auf dieses Rückforderungsrisiko stellt sich aus Sicht der betroffenen Unternehmen die Frage, ob sie sich möglicherweise gegenüber einer Beihilferückforderung auf Vertrauensschutz berufen können, weil die Kommission dem BMF mit dem genannten Schreiben v. 18.7.2012 mitgeteilt hat, sie habe gegen den „Sanierungserlass“ keine Bedenken. Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 VerfVO müsste die Kommission einen unionsrechtlichen Vertrauensschutz der Beihilfeempfänger schon bei der Entscheidung berücksichtigen, ob ein Rückforderungsbeschluss gegen den Mitgliedstaat überhaupt ergehen kann (s.o. II.3.c.cc). Die Judikatur der Unionsgerichte zum Vertrauensschutz im Beihilfenrecht ist nicht ganz transparent. Betont wird allgemein, dass sich jeder auf diesen ungeschriebenen Primärrechtsgrundsatz berufen kann, bei dem ein Unionsorgan „durch bestimmte Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt“ hat; dies soll aber nicht gelten, wenn „ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer“ den Erlass einer seine Interessen berührenden Unionsmaßnahme vorhersehen konnte.275 Speziell zu Beihilfen ist es nach der Rspr. so, dass die Empfänger auf die 274 Siehe Bartosch, EU-Beihilfenrecht2, VO 2015/1589, Art. 17 Rz. 2 mwN. 275 Vgl. etwa EuGH v. 11.3.1987 – 265/85 (Van de Bergh en Jurgens BV ua./Kommission), EuGHE 1987, 1155, Rz. 44; v. 22.6.2006 – C-182/03 und C-217/03 (Belgien und Forum 187/Kommission), IStR 2006, 568, Rz. 147; v. 25.5.2000 –

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Ordnungsmäßigkeit der erhaltenen Beihilfe im Grundsatz nur vertrauen dürfen, wenn vor der Beihilfegewährung seitens des Mitgliedstaats das Notifzierungsverfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV durchgeführt wurde; einem „sorgfältigen Gewerbetreibenden“ sei es nämlich „regelmäßig möglich, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde.276 Ausnahmsweise und unter „außergewöhnlichen Umständen“ soll dann aber auch bei nicht notifizierten Beihilfen Vertrauensschutz möglich sein.277 Betrachtet man die vorliegende Situation aus der letztgenannten Perspektive des Beihilferechts, wurde der „Sanierungserlass“ nicht notifziert und ist auch schwer ersichtlich, worin hier „außergewöhnliche Gründe“ zu sehen sein sollten.278 Zudem ist auch weder der Inhalt des Schreibens der Kommission näher veröffentlicht noch bekannt, ob dem Schreiben der Zweck eines „Comfort letter“ (s.u. IV.3.c.bb – Fall 4) zukommen sollte. Insofern wäre denkbar, dass evtl. für den der Kommission vorgelegten Einzelfall von einer hinreichend konkreten „Zusicherung“ seitens der Kommission ausgegangen werden kann, nicht aber für sonstige Fälle darüber hinaus. (3) Ergebnis Fall 3 Auch die E-GmbH kann derzeit noch nicht rechtssicher davon ausgehen, dass der ihr durch Anwendung des „Sanierungserlasses“ gewährte Vorteil von einer EUrechtlich begründeten Rückforderung verschont bleibt. Trotz des relativ überschaubaren Beihilfebetrags wird sie sich in ihrem konkreten Fall auch nicht auf eine Ausnahme vom Beihilfe- und Durchführungsverbot nach der De minimisVO (s.o. II.2.b und II.3.c.bb) berufen können: zwar hat der BGH in ein Urteil v. 13.3.2014 diesen Weg grds. angedeutet,279 doch schloss die hier anwendbare Vor-

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C-82/98 P (Kögler/Gerichtshof), EuGHE 2000, I-3855, Rz. 33; v. 24.11.2005 – C-506/03 (Deutschland/Kommission), ECLI:EI:C:2005:715, Rz. 58. Vgl. etwa EuGH v. 20.9.1990 – C-5/89 (Kommission/Deutschland), EuGHE 1990, I-3437, Rz. 14; v. 20.3.1997 – C-24/95 (Alcan Deutschland), EuZW 1997, 276, Rz. 25; v. 11.11.2004 – C-183/02 und C-187/02 (Demesa ua.), EuGHE 2004, I-10609, Rz. 44 f.; v. 8.12.2011 – C-81/10 P (France Telecom), EuGHE 2011, I-12899, Rz. 59. Vgl. etwa EuGH v. 20.9.1990 – C-5/89 (Kommission/Deutschland), EuGHE 1990, I-3437, Rz. 16; v. 8.12.2011 – C-81/10 P (France Telecom), EuGHE 2011, I-12899, Rz. 63 f. Außerdem EuG v. 16.10.2014 – T-177/10 (Alcoa Trasformazioni/Kommission), ECLI:EU:T:2014:894, Rz. 61; v. 16.10.2014 – T-308/11 (Euralluminia/Kommission), ECLI:EU:T:2014:897, Rz. 60; v. 22.4.2016 – T-50/06 RENV II und T-69/06 RENV II (Irland und Aughinish Alumina), ECLI:C:T:2016:227, Rz. 214. Siehe auch Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2018, 444 (446 ff.). Für solche Umstände wird in der Rspr. idR verwiesen auf EuGH v. 22.3.1987 – 223/85 (RSV/Kommission), EuGHE 1987, 4617. Siehe BGH v. 13.3.2014 – IX ZR 23/10, DStR 2014, 895 = GmbHR 2014, 525, unter B.I.1.b.cc.(2).

Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern gängerversion der De minimis-VO280 in Art. 1 Abs. 1 Buchst. h „Beihilfen an Unternehmen in Schwierigkeiten“ von ihrem Anwendungsbereich aus.281

bb) Gesetzliche Regelung in § 3a EStG Fall 4: Der G-GmbH ging es Mitte 2018 finanziell sehr schlecht, und sie verhandelte daher mit ihren Gläubigern H und I über den jeweiligen Erlass von hohen Lieferschulden. Tatsächlich erklärten beide Gläubiger am 15.7.2018 den Verzicht auf ihre Forderungen iHv. insgesamt 500 000 Euro, wodurch eine Insolvenz abgewendet werden konnte. Ein Gutachten einer anerkannten WP-Gesellschaft bestätigt, dass zu diesem Zeitpunkt die in § 3a Abs. 2 EStG genannten Voraussetzungen („Sanierungsbedürftigkeit“ und „Sanierungsfähigkeit“ der G-GmbH, „Sanierungseignung des betrieblich begründeten Schuldenerlasses“ sowie „Sanierungsabsicht der Gläubiger“ H und I) erfüllt waren. Die G-GmbH möchte wissen, wie nun ihre Chancen stehen, dass die durch den Schuldenerlass eingetretene Betriebsvermögensmehrung im Rahmen der KSt.-Veranlagung für 2018 als steuerfreier „Sanierungsertrag“ iSd. § 3a Abs. 1 EStG behandelt wird. Lösungsvorschlag: (1) Nationale Rechtslage Die hier relevante nationale Vorschrift des § 3a EStG wurde (gemeinsam mit § 7b GewStG) auf Vorschlag des Bundesrats v. 10.3.2017282 – in Reaktion auf den Beschluss des Großen Senats des BFH v. 28.11.2016 zum „Sanierungserlass“ (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3) – in das Legislativverfahren zum „Lizenzschranken“-Gesetz aufgenommen.283 Die Regelung soll inhaltlich dem „Sanierungserlass“ entsprechen284 und enthält daher wie dieser für die Steuerfreiheit eines betrieblichen Ertrags „aus einem Schuldenerlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung“ die Voraussetzungen der „Sanierungsbedürftigkeit und … Sanierungsfähigkeit des Unternehmens“, der „Sanierungseignung des … Schuldenerlasses“ und der „Sanierungsabsicht der Gläubiger“ (§ 3a Abs. 2 EStG). Anders als der vom Bundesrat vorgeschlagene § 52 Abs. 4a EStG-E, der eine Anwendung von § 3a EStG „in allen offenen Fällen“ vorsah, ist die Steuerbefreiung nach dem letztlich verabschiedeten § 52 Abs. 4 Satz 1 EStG „erstmals in den Fällen anzuwenden, in

280 281 282 283

Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 (Fn. 25). Dazu näher Glatz, IStR 2016, 447 (454 ff.). Siehe BR-Drucks. 59/1/17 (B), 10 ff. Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074. 284 Vgl. Möhlenbrock/Gragert, FR 2017, 994 (996).

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8. Februar 2017 erlassen wurden“285. Das „Lizenzschranken“-Gesetz ist nach seinem Art. 6 Abs. 1 grds. „am Tag nach der Verkündung“ in Kraft getreten (also am 5.7.2017). § 3a EStG sowie auch § 7b GewStG (nebst zeitlicher Anwendungsvorschriften) stehen insofern aber nach Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes unter einem Vorbehalt: sie treten erst „an dem Tag in Kraft, an dem die Europäische Kommission durch Beschluss feststellt, dass die Regelungen … entweder keine staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen darstellen. Der Tag des Beschlusses der Europäischen Kommission sowie der Tag des Inkrafttretens werden vom Bundesministerium der Finanzen gesondert im Bundesgesetzblatt bekanntgemacht“. Hintergrund dessen war ein vom Finanzausschuss für notwendig erachtetes Notifizierungsverfahren nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV (s.o. II.3.c.bb) bei der Kommission.286 (2) Unklarer Verfahrensablauf bei der EU-Kommission Äußerungen von Vertretern des BMF im Schrifttum ist zu entnehmen, dass anschließend seitens der Bundesrepublik mit Blick auf den vorgenannten Vorbehalt das Notifizierungsverfahren auch in der Tat eingeleitet wurde.287 Seitens des Parlamentarischen Staatssekretärs Meister wurde dies in einer Antwort v. 9.10.2017 auf eine schriftliche Anfrage im Bundestag bestätigt288 und in einer weiteren Antwort v. 5.3.2018 darauf hingewiesen, dass „(w)egen wiederholter Nachfragen der Europäischen Kommission an die Bundesregierung zum Regelungsgehalt des neuen § 3a EStG … die beihilferechtliche Überprüfung durch die Europäische Kommission noch nicht abgeschlossen werden“ konnte.289 Für alle Interessierten sehr überraschend wurde dann Mitte August 2018 in der Tagespresse gemeldet, die Kommission habe dem BMF einen sog. „Comfort letter“ übersandt und mitgeteilt, dass man in § 3a EStG „keine rechtswidrige Beihilfe“ sehe.290 Dabei dürfte es sich allerdings um eine eher untechnische Darstellung der Abläufe und des Inhalts des betreffenden Schreibens handeln. Im Fachschrifttum sind anschließend nähere Details durchgesickert: danach soll es sich um ein Schreiben von Ende Juli 2018 handeln291 und habe das BMF den Finanzausschuss des Bundestags über dessen Inhalt wie folgt informiert:292 285 Siehe auch Empfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 18/12128, 17, 33 sowie BFH v. 23.8.2017 – X R 38/15, BStBl. II 2018, 236 = FR 2018, 21, unter II.3. 286 Finanzausschuss, BT-Drucks. 18/12128, 36. 287 Vgl. Möhlenbrock/Gragert, FR 2017, 994 (997). 288 BT-Drucks. 18/13683, 15. 289 BT-Drucks. 19/1126, 41 f. 290 So FAZ v. 13.8.2018, 18. 291 Vgl. Knebelsberger/Loose, NWB 2018, 2772 (2781 f.) zu einem Schreiben bzgl. „Tax exemption for reorganisation profits“. 292 Siehe Hechtner, NWB 2018, 2841.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern „Nach intensiven Gesprächen mit der Kommission ist die zuständige Generaldirektion Wettbewerb der Kommission zu dem Ergebnis gekommen, das es sich bei den Regelungen zur Steuerbefreiung von Sanierungserträgen um eine ‚bestehende Maßnahme‘ handelt, die nicht nach Art. 108 AEUV vorgelegt werden müsse und die angewandt werden kann. Der Inkrafttretensvorbehalt in Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen ist nunmehr aufzuheben.“ Mit anderen Worten hat die Kommission in ihrem Schreiben § 3a EStG also offenbar als bereits vor dem Beitritt Deutschlands zur EWG bestehende „Altbeihilfe“ eingestuft, die nicht der präventiven Kontrolle nach Art. 108 Abs. 3 AEUV und dem Durchführungsverbot (s.o. II.3.c) unterliegt, sondern lediglich der repressiven Kontrolle nach Art. 108 Abs. 1 AEUV (s.o. II.3.b). (3) Reaktion des Gesetzgebers Wie vom BMF im obigen Zitat bereits angedeutet, führt die Qualifizierung von § 3a EStG als „bestehende Beihilferegelung“ zu einem Problem mit dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 „Lizenzschranken“-Gesetz, das sich ähnlich darstellt wie bei § 34 Abs. 6 KStG im Kontext der „Sanierungsklausel“ (s.o. IV.3.b.aa – Fall 1): Art. 6 Abs. 2 verlangt für das Inkraftreten von § 3a EStG (und § 7b GewStG), dass „die Europäische Kommission durch Beschluss feststellt, dass die Regelungen … entweder keine staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen darstellen“. Einen solchen – das Hauptprüfverfahren (s.o. II.3.c.cc) beendenden – förmlichen „Beschluss“ (iSv. Art. 288 Abs. 1, 4 AEUV) hat die Kommission jedoch nicht erlassen, sondern es liegt nur der „Comfort letter“ der GD Wettbewerb vor. Offensichtlich hat Letztere mit Blick auf eine fehlende Notifizierungspflicht das Hauptprüfverfahren gar nicht eröffnet und noch nicht einmal ein Vorprüfverfahren (s.o. II.3.c.bb) durchgeführt, sondern ist bereits vorher – möglicherweise durch Behandlung der Notifizierung als bloße Pränotifizierung oder analog einer „Nicht-Beihilfe“-Anmeldung – (s.o. II.3.c.bb) auf die Spur des Art. 108 Abs. 1 AEUV „abgebogen“. Zur Lösung des Problems hat der Bundesrat am 21.9.2018 vorgeschlagen, in das Legislativverfahren für ein Gesetz zur Vermeidung von USt.-Ausfällen einen neuen Art. 15a aufzunehmen, um das „Lizenzschranken“-Gesetz so zu ändern, dass „(i)n Artikel 6 des Gesetzes über schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27. Juni 2017, BGBl. I S. 2074, … Absatz 2 aufzuheben“ ist.293 Nach dem Willen des Bundesrats soll § 3a EStG damit „unmittelbar in Kraft“ gesetzt werden294 (was gem. Art. 6 Abs. 1 des „Lizenzschranken“-Gesetzes bedeuten würde, dass die Vorschrift rückwirkend „am Tag nach der Verkündung“ jenes Gesetzes – also am 5.7.2017, s.o. – in Kraft tritt). Zugleich bat der Bundesrat mit Blick auf die Streitigkeiten zwischen BMF und BFH um den „Sanierungserlass“ (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3) zur Schaffung von Rechtssicherheit auch um 293 BR-Drucks. 372/18 (Beschluss), 37. 294 BR-Drucks. 372/18 (Beschluss), 37.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Prüfung, „ob eine Rechtsgrundlage für Besteuerungsfälle von Sanierungserträgen geschaffen werden kann, in denen der Schuldenerlass bis zum 8. Februar 2017 ausgesprochen oder in denen bis zu diesem Stichtag eine verbindliche Auskunft erteilt wurde“295. In ihrer Gegenäußerung von Anfang Oktober 2018 teilte die Bundesregierung mit, sie werde diese Vorschläge prüfen.296 Am 7.11.2018 empfahl der Finanzausschuss des Bundestags sodann zum einen die entsprechende Ergänzung von § 52 Abs. 4a EStG hinsichtlich einer Anwendbarkeit von § 3a EStG auch auf Fälle, „in denen die Schulden vor dem 9. Februar erlassen wurden“, sowie zum anderen die Aufhebung von Art. 6 Abs. 2 des Lizenzschranken-Gesetzes.297 Dem ist der Bundestag in seinem Beschluss v. 8.11.2018 gefolgt und hat speziell zum letztgenannten Punkt folgende neuformulierte Gesetzesänderung angenommen:298 „Die Artikel 2 und 3 Nummer 1 bis 4 und Artikel 4 Nummer 1 bis 3 Buchstabe a des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 2074) treten am Tag nach der Verkündung des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 2074) in Kraft. Artikel 6 Absatz 2 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 2074) wird aufgehoben.“ (4) EU-rechtliche Bedenken wirklich beseitigt? (a) Möglicherweise eher trügerische Sicherheit Auch hier könnte man zu der Auffassung neigen, dass EU-rechtlich alles geklärt und mit der nationalen Gesetzesanpassung nur noch eine lästige Formalität zu erledigen sei. Bei näherer Betrachtung ist aber vor voreiligen Schlüssen zu warnen. (b) § 3a EStG als „Altbeihilfe“ iSv. Art. 108 Abs. 1 AEUV Die Idee, § 3a EStG als eine bereits „bestehende Beihilferegelung“ i.S.d. Aret. 108 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren, stammt nicht originär von der Europäischen Kommission, sondern wurde zuvor bereits im Schrifttum in Anknüpfung an die gleich gelagerte Thematik beim „Sanierungserlass“ (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3) in die Diskussion eingebracht.299 Stuft man den „Sanierungserlass“ in diesem Sinne ein, liegt es in der Tat nahe, Gleiches auch für den sachlich an dessen Inhalt anknüpfenden § 3a EStG zu tun. Allerdings wird gerade in der Diskussion um § 3a EStG noch viel häufiger darauf hingewiesen, dass dessen Vorgänger in zeitlicher Hinsicht „nicht

295 BR-Drucks. 372/18 (Beschluss), 38. 296 BT-Drucks. 19/4858, 3. 297 Finanzausschuss, BT-Drucks. 19/5595, 13, 56 und 92 mit dem Hinweis, dass die Kommission „unbeschadet bestimmter formaler und administrativer Änderungen“ von einer „bestehenden Beihilferegelung“ ausgehe. 298 Gesetzesbeschluss, BR-Drucks. 559/18, 24; s. dazu auch Uhländer, DB 2018, 2788 (2789). 299 Vgl. Hey, FR 2017, 453 (455).

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern durchgängig anwendbar waren“300, und es werden sogar „erhebliche Bedenken“ gegen die Richtigkeit der Auffassung der Kommission angemeldet.301 Auch hat der Bundesrat unlängst im Gesetzgebungsverfahren selbst darauf betont, es fehle eine „gesicherte Rechtsgrundlage für Sanierungsfälle, die bis zum 8. Februar 2017 vollzogen wurden“302. Es besteht daher ein ernst zu nehmendes Risiko, dass die offene Flanke des „Sanierungserlasses“ – eine potenzielle Zäsur durch die Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG aF (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3) – auch auf § 3a EStG (und § 7b GewStG303) durchschlägt. (c) Materieller Maßstab Art. 107 AEUV Sollte es nach dem Vorstehenden tatsächlich so sein, dass § 3a EStG nicht als eine bereits „bestehende“ Beihilfemaßnahme zu qualifizieren ist, könnte der „Comfort letter“ aus Sicht der Bundesrepublik sogar eher schädlich sein, da er sich möglicherweise dahingehend interpretieren ließe, dass die Kommission jedenfalls vom tatbestandlichen Vorliegen einer „Beihilfe“ iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV ausgeht. Zumindest aber ist damit die Frage der materiellen Vereinbarkeit von § 3a EStG mit dem Beihilfeverbot nach wie vor aktuell. Erneut wird alles daran hängen, ob das Selektivitätskriterium des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt ist, denn wenn dies der Fall sein sollte, dürfte eine Genehmigung der derzeitigen Gesetzesfassung seitens der Kommission über Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV iVm. den Rettungsund Restrukturierungsleitlinien 2014 ausscheiden.304 Zum auch hier wieder kritischen Punkt der Selektivität gestaltet sich der Diskussionsstand nahezu identisch wie beim „Sanierungserlass“ (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3). Einerseits lässt sich gegen eine spezifische „Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“ anführen, dass die Steuerbefreiung nach § 3a EStG

300 So explizit Kanzler, NWB 2017, 2260 (2263); ganz ähnlich Kußmaul/Licht, DB 2017, 1797 (1799) sowie Skauradszun, ZIP 2018, 1901 (1906). 301 Möhlenkamp, ZIP 2018, 1907 (1915). 302 BR-Drucks. 372/18 (Beschluss), 38. 303 Dieser wurde im obigen Fall 4 ausgeblendet. Selbst wenn man ihn – wegen des Durchschlagens von § 3a EStG über die Gewinnermittlung auf den Gewerbeertrag nach § 7 Satz 1 GewStG – als „deklaratorisch“ erachtet (BTDrucks. 18/12128, 35), ist es doch so, dass der Sanierungserlass (Fn. 225) in Tz. 15 bzgl. Stundung und Erlass der Gewerbesteuer die ausschließliche Zuständigkeit der jeweiligen Gemeinde betonte, die ihrerseits an die Verwaltungsanweisung des BMF nicht gebunden war. Insofern wird nun erstmals gesetzlich festgelegt, dass die Anwendung des § 3a EStG zugleich eine Minderung des Gewerbeertrags und damit der Gewerbesteuer bewirkt; vgl. auch Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897 (1898). Insofern würde es noch erheblich schwerer fallen, von einer bereits „bestehenden Beihilferegelung“ zu sprechen. 304 Siehe Kußmaul/Licht, DB 2017, 1797 (1802 f.) sowie Möhlenkamp, ZIP 2018, 1907 (1914) zu möglichen Anpassungen, die mit der Kommission abzustimmen wären.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern allen Unternehmen offensteht, welche die Tatbestandsvoraussetzungen der Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit erfüllen.305 Andererseits ist aber auch hier zu berücksichtigen, dass gerade Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen im Hinblick auf drohende Wettbewerbsverfälschungen besonders problematisch sind.306 Zumindest nach der bisherigen EuGH-Judikatur ist daher zu erwarten, dass eine strenge Prüfung erfolgen muss, wozu bislang der dreistufige Diskriminierungstest herangezogen wird (vgl. auch unten IV.3.d – Fall 5). Dann werden sich relativ zügig die allgemeine steuerliche Erfassung betrieblicher Gewinne als „Referenzsystem“ und die Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne als Ausnahme davon herauskristallisieren, und sollte nicht an dieser Stelle bereits eine objektive Unvergleichbarkeit von „Buch-“ oder „Scheingewinnen“ im Sanierungsfall mit „echten“ Gewinnen bzw. von der Insolvenzordnung unterfallenden mit „gesunden“ Unternehmen307 angenommen werden, stellt sich (erneut) die Frage nach einer systemimmanenten Rechtfertigung dieser prima facie-Selektivität des § 3a EStG. Auch hier stehen sich dann wieder die Fronten von Literatur und BFH gegenüber: im steuerrechtlichen Schrifttum wird darauf verwiesen, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip die Nichtbesteuerung von Sanierungsgewinnen verlange;308 dem wird von wettbewerbsrechtlicher Seite309 entgegengehalten, dass der Große Senat im Beschluss v. 28.11.2016 nicht nur eine aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip folgende Pflicht zur Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen abgelehnt, sondern diese Freistellung auch ausdrücklich als „Subvention“310 bezeichnet habe, die das „wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziel“ verfolge, „die Sanierung eines wirtschaftlich notleidenden Unternehmens nicht zu erschweren und Arbeitsplätze zu erhalten“311. Insofern steht § 3a EStG zwar als gesetzliche Maßnahme auf einem stabileren Fundament als der „Sanierungserlass“ (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3); es bestehen jedoch begründete Zweifel, ob die Regelung den Anforderungen des EuGH an eine dem Steuerrecht immanente und konsistent umgesetzte Rechtfertigung entspricht.312 (d) Vertrauensschutz vor Rückforderung? Da die Kommission mit ihrem o.g. „Comfort letter“ zu erkennen gegeben hat, dass sie § 3a EStG nicht für Zwecke der Durchführung eines Hauptprüfverfahrens 305 Vgl. Hey, FR 2017, 453 (456). 306 Siehe Möhlenkamp, ZIP 2018, 1907 (1909); Ismer in Drüen/Hey/Mellinghoff (Fn. 14), 845 (863). 307 In diese Richtung Hey, FR 2017, 453 (456). 308 Hey, FR 2017, 453 (456); Desens, ZIP 2017, 645 (652); Desens, FR 2017, 981 (982 f.); Kußmaul/Licht, DB 2017, 1797 (1800 f.). 309 Siehe Möhlenkamp, ZIP 2018, 1907 (1911). 310 BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter C.III.3.c.aa.(4). 311 BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296, unter C.III.3.a.bb, C.III.3.c.bb und C.III.4. 312 Kritisch zB auch Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 3a EStG Rz. J 17–5.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern (s.o. II.3.c.cc) aufgreifen wird, stellt sich die Frage, ob die Vorschrift überhaupt noch einer EU-rechtlichen Prüfung unterworfen werden kann, in deren Rahmen die o.g. Probleme zur Sprache kommen könnten. Dies ist in der Tat der Fall, denn es kommt zum einen das Vorgehen eines Konkurrenten gegen ein von § 3a EStG begünstigtes Unternehmen in Betracht (s.o. III.3.c),313 zum anderen aber auch die – gerade mit Blick auf Fall 5 (s.u. IV.3.d) gar nicht so fernliegende – Möglichkeit, dass ein Unternehmen gegen die ihm von der Finanzverwaltung versagte Anwendung der Steuerbefreiung Klage erhebt und dann das FG mit Blick auf ein ggf. eingreifendes Durchführungsverbot (s.o. II.3.c.cc) die Beihilfethematik von Amts wegen aufgreift; dies könnte dann zu einem Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. a AEUV an den EuGH führen (s.o. III.3.b). Sollte der EuGH die Anwendbarkeit von Art. 107 Abs. 1 AEUV bejahen und das Vorliegen einer „Altbeihilfe“ ablehnen, käme die Kommission kaum daran vorbei, die (wohl abzulehnende; s.o.) Genehmigungsfähigkeit zu prüfen und einen abschließenden Beschluss zu erlassen. Sofern § 3a EStG dann zwischenzeitlich bereits in Kraft gesetzt wurde, käme außer einem Negativbeschluss auch ein Rückforderungsbeschluss (s.o. II.3.c.dd) in Betracht. Mit Blick auf das offenbar ausdrücklich als „Comfort letter“ von der Kommission versandte Schreiben v. 20.7.2018 stellt sich dann hier aber erneut die Frage, ob die Kommission nicht mit Rücksicht auf einen etwaigen Vertrauensschutz der begünstigten Unternehmen von einer Rückforderung absehen muss (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3)314. Dazu ist beachtenswert, dass das EuG sich jüngst in einem Urteil v. 19.9.2018 mit einer ganz ähnlichen Frage beschäftigt hat: dort hatte ein von Dänemark und Schweden zum Bau der Øresund-Brücke gegründetes Konsortium im Hinblick auf von beiden Staaten gewährte Finanzierungshilfen die Kommission um Bestätigung gebeten, dass es sich dabei nicht um Beihilfen iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV handele, und die Kommission hatte dies in identischen Schreiben im Jahr 1995 gegenüber der dänischen und der schwedischen Regierung (mit Blick auf die damalige EuG-Rspr. und Kommissionspraxis zu Infrastrukturprojekten im öffentlichen Interesse) in der Tat bestätigt. Mehr als 20 Jahre später folgte das EuG dieser Beurteilung der Kommission hinsichtlich der (nicht notifizierten) Finanzierungshilfen zwar nicht, gewährte aber dem Konsortium – und darüber hinaus auch den beiden beteiligten Mitgliedstaaten – Vertrauensschutz. Voraussetzungen dafür seien nach Auffassung des EuG (1) „präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite“, die (2) „geeignet sein [müssen], bei dem Adressaten begründete Erwartungen zu wecken“ und die (3) „den geltenden Vorschriften entsprechen“ müssen.315 Die ersten beiden Anforderungen waren laut EuG nach der Form und dem Inhalt der Schreiben 313 Vgl. im vorliegenden Kontext Möhlenkamp, ZIP 2018, 1907 (1913); Völkel, DB 2018, 2080 (2081). 314 Dazu auch de Weerth, ZInsO 2018, 1893 (1894 f.). 315 EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI:EU:T:2018:563, Rz. 306 mwN.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern erfüllt, und Gleiches galt (wegen der 1995 noch gehandhabten Praxis) auch hinsichtlich des dritten Kriteriums.316 Im vorliegenden Fall werden bzgl. des Kommissionsschreibens v. 20.7.2018 möglicherweise ebenfalls die ersten beiden Kriterien erfüllt sein. Ein Fragezeichen könnte man jedoch hinter die Erfüllung des dritten Kriteriums setzen. Dies zum einen deshalb, weil bisher kaum Erkenntnisse dazu vorliegen, welche näheren inhaltlichen Anforderungen EuG und EuGH mit diesem Kriterium verbinden. Und zum anderen ist es nach obiger Erörterung ja geradedie Frage, ob die Kommission im vorgenannten Schreiben nach den Vorgaben der „geltenden Vorschriften“ zu Recht von einer „bestehenden Beihilfe“ iSv. Art. 108 Abs. 1 AEUV ausgegangen ist. Ob insofern das frühere Kommissionsschreiben v. 18.7.2012 zum „Sanierungserlass“ (s.o. IV.3.c.aa – Fall 3) die Sichtweise der Kommission (und ein daran orientiertes Vertrauen von Unternehmen) unterstützen könnte, ist zweifelhaft, da die Kommission dort wohl schon tatbestandlich nicht von einer Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV ausging. Im Übrigen erscheint es auch unter Transparenzgesichtspunkten bedenklich, wenn sich zunehmend außerhalb der eigentlichen beihilferechtlichen Vorschriften eine Praxis zwischen der Generaldirektion Wettbewerb und nationalen Ministerien entwickelt, in die weder (Vertrauensschutz ggü. Beihilferückforderungen begehrende) begünstigte Unternehmen noch (unverzerrten Wettbewerb begehrende) Konkurrenten Einblick haben. (5) Ergebnis Fall 4 Völlig rechtssicher ist daher leider letztlich auch der endgültige Anspruch der G-GmbH auf eine Steuerbefreiung nach § 3a EStG noch nicht.

d) Grunderwerbsteuerliche Konzernklausel (§ 6a GrEStG) Fall 5: Die L-GmbH, der in Deutschland zahlreiche Grundstücke gehören, ist seit 2005 eine 100 %ige Tochtergesellschaft der M-AG. Mit Vertrag v. 10.5.2018 wird die T-GmbH (übertragender Rechtsträger) nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 2 Nr. 1 UmwG auf die M-AG (übernehmender Rechtsträger) hochverschmolzen. Mit der Handelsregistereintragung bei der M-AG am 20.6.2018 geht das gesamte Vermögen der T-GmbH – insbes. also die Grundstücke – auf die M-AG über und erlischt die T-GmbH. Die M-AG zeigt den Vorgang als grunderwerbsteuerbare Übertragung iSv. § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG dem nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GrEStG für die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zuständigen FA an und beantragt die Befreiung des Vorgangs von der Grunderwerbsteuer nach § 6a GrEStG.

316 EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI:EU:T:2018:563, Rz. 309 ff.

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Das FA teilt mit, dass derzeit Zweifel an der Anwendbarkeit von § 6a GrEStG bestünden: zwar seien nach dem BFH-Beschluss v. 30.5.2017 (II R 62/14) die Anwendungsvoraussetzungen von § 6a GrEStG insgesamt erfüllt, und dies auch hinsichtlich der (hier aus zwingenden umwandlungsrechtlichen Gründen nicht einhaltbaren und daher teleologisch zu reduzierenden) fünfjährigen Nachbehaltensfrist in Satz 4. Mit gleichem Beschluss habe der BFH jedoch dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es sich bei § 6a GrEStG um eine verbotene Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV handele. Um späteren Problemen bei einer etwaigen Rückforderung vorzubeugen, einigt sich die M-AG mit dem FA darauf, dass der Feststellungsbescheid zunächst ohne § 6a GrEStG ergeht und insofern mit einem Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 AO) versehen wird. Die M-AG möchte wissen, wie ihre Aussichten sind, von der Steuerbefreiung profitieren zu können. Lösungsvorschlag: (1) Nationale Rechtslage § 6a GrEStG wurde mit Wirkung ab dem 1.1.2010 eingeführt317 und sieht vor, dass für Grunderwerbsvorgänge im Rahmen bestimmter gesellschaftsvertraglich basierter Umstrukturierungsvorgänge „die Steuer nicht erhoben“ wird, wenn davon außer einem „herrschenden Unternehmen“ allein „abhängige Gesellschaften“ betroffen sind und das die Beherrschung begründende Beteiligungsverhältnis von mindestens 95 % innerhalb von fünf Jahren vor und nach der Transaktion ununterbrochen bestand. Ohne zu übertreiben wird man wohl feststellen können, dass bis zur Veröffentlichung der Beitrittsaufforderungen des II. BFH-Senats an das BMF v. 25.11.2015318 in vier Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG weder die breite Fachwelt noch Spezialisten des EU-Steuerrechts die beihilferechtliche Thematik dieser Norm auf dem Schirm hatten. Die Vorinstanzen hatten sich damit nicht befasst,319 und selbst in umfassenden aktuellen Analysen von § 6a GrEStG war ein potenzielles Beihilfenproblem nicht weiter untersucht worden.320 Da weder die jeweiligen 317 Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz (Fn. 179). 318 Siehe BFH v. 25.11.2015 – II R 50/13, BFH/NV 2016, 235, unter II.3; v. 25.11.2015 – II R 36/14, BFH/NV 2016, 239, unter II.3; v. 25.11.2015 – II R 62/14, BStBl. II 2016, 167 = GmbHR 2016, 133, unter II.3; v. 25.11.2015 – II R 63/14, BStBl. II 2016, 170 = GmbHR 2016, 135, unter II.3. Zu Einzelheiten vgl. Schanko/Behrens, StbJb. 2016/2017, 167 ff. 319 Siehe FG Münster v. 15.11.2013 – 8 K 1507/11 GrE, EFG 2014, 306 (zu II R 50/13); FG Düss. v. 7.5.2014 – 7 K 281/14 GE, EFG 2014, 1424 (zu II R 36/14); FG Nürnberg v. 16.10.2014 – 4 K 1059/13, EFG 2015, 434 (zu II R 62/14); Nds. FG v. 9.7.2014 – 7 K 135/12, EFG 2015, 1739 (zu II R 63/14). 320 Vgl. insbes. Arnold, Umstrukturierung inländischer Konzerne unter Beachtung des § 6a GrEStG, 2015.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Kläger noch die Finanzverwaltung ein Interesse an der Auslösung des Durchführungsverbots (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV; s.o. II.3.c.cc) haben, ist zudem anzunehmen, dass von Beteiligtenseite keine entsprechende Rüge vorgebracht wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der II. Senat – „inspiriert“ ua. durch die bis dahin erfolgten Entwicklungen bei der „Sanierungsklausel“ (s.o. IV.3.b.aa – Fall 1) – das Thema ex officio aufgegriffen hat.321 (2) Diskussionsstand im Schrifttum Die vorgenannten Beschlüsse v. 25.11.2015 haben eine intensive Diskussion im deutschen Schrifttum ausgelöst. Zu Recht wird dabei nicht näher problematisiert, ob es sich bei § 6a GrEStG um eine bestandsgeschützte „Altbeihilfe“ iSv. Art. 108 Abs. 1 AEUV (s.o. II.3.b) handeln könnte, denn dafür weist die Normgeschichte zu viele deutliche Zäsuren auf: zwar hatte schon § 1 Nr. 2 UmwStG 1934322 „Steuererleichterungen“ für die Grunderwerbsteuer bei Umwandlungen vorgesehen, doch war die später in § 27 UmwStG 1977323 enthaltene umfassende Grunderwerbsteuerbefreiung für Umwandlungs- und Einbringungsvorgänge zwischenzeitlich durch das GrEStG 1983324 abgeschafft worden.325 Wie kaum anders zu erwarten, steht die Frage, ob § 6a GrEStG eine selektive Begünstigung iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV (s.o. II.2.b) vorsieht, im Zentrum der Erörterungen. Dabei ist zwar zunächst auch hier allgemein festzustellen, dass die Vorschrift nicht auf einzelne Branchen zugeschnitten ist.326 Zum Teil wird auch darauf hingewiesen, dass allein die Erfüllung von 95 % Beherrschungsquote und Mindesthaltefristen noch nicht zu einer Begünstigung von „bestimmten Unternehmen“ führen könne;327 allenfalls ergebe sich eine selektive Wirkung der Norm gerade durch die von der Finanzverwaltung vertretene Auslegung in Orientierung am umsatzsteuerlichen „Unternehmer“-Begriff.328 Des Weiteren wird argumentiert, die Grunderwerbsteuer sei als Einkommens- und Vermögensverwendungssteuer zu begreifen und durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Grundstückserwerbers legitimiert: rein konzerninternen Übertragungen im Rahmen einer Umstrukturierung liege jedoch keine leistungsfähigkeitsindizierende Vermögensdisposition zugrunde, so dass sie sich bereits im Ausgangspunkt von Übertragungen auf dem freien Markt zwischen fremden Dritten unterscheiden und § 6a GrEStG somit bereits nicht prima facie selektiv wirke; jedenfalls aber sei die Befreiung konzerninterner Umstrukturierungen durch das Leistungsfähig-

321 In diese Richtung deutet die Anmerkung des Senatsmitglieds Schmid, DStR 2016, 127 f. 322 UmwStG 1934 v. 5.7.1934, RGBl. I 1934, 572. 323 UmwStG 1977 v. 6.9.1976, BGBl. I 1976, 2641. 324 GrEStG 1983 v. 17.12.1982, BGBl. I 1982, 1777. 325 Siehe Viskorf in Boruttau, GrEStG18, § 6a Rz. 3; Mensching/Tyarks, BB 2010, 87 f. 326 Mörwald/Brühl, DK 2016, 68 (74). 327 Linn/Pignot, StuB 2016, 573 (577 f.). 328 So Behrens, DStR 2016, 785 (786 f.).

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern keitsprinzip als Grundlage der Grunderwerbsteuer (sowie ergänzend durch den Grundsatz der Steuerneutralität) systemimmanent gerechtfertigt.329 (3) Vorlagebeschluss des BFH v. 30.5.2017 („A-Brauerei“) unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils v. 21.12.2016 „World Duty Free Group“ Der II. Senat des BFH hat die Frage der Vereinbarkeit von § 6a GrEStG mit dem Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. a iVm. Abs. 3 AEUV (s.o. III.3.b) anhand eines der vier bei ihm anhängigen Revisionsverfahren – nämlich einer dem hiesigen Bespielsfall entsprechenden einfach gelagerten upstream-Verschmelzung – dem EuGH vorgelegt.330 In seinem Vorlagebeschluss v. 30.5.2017 hat der Senat die vorgenannten Diskussionansätze teilweise zur Kenntnis genommen, allerdings keinen Schrifttumsbeitrag ausdrücklich zitiert. Der II. Senat wollte sich offenbar ein ganz eigenes Bild von der Systematik und den Wirkungen des § 6a GrEStG einerseits und den Vorgaben des EU-Rechts andererseits machen. Dazu gehört auch, dass er zunächst den Ausgang des vielbeachteten EuGH-Verfahrens „World Duty Free Group“ zu den spanischen goodwill-Abschreibungen abwartete, auf das allseits viel Hoffnung bzgl. einer Klärung des Selektivitätsbegriffs durch den Gerichtshof gesetzt worden war. Diese Hoffnungen wurden allerdings durch das Urteil der Großen Kammer des EuGH v. 21.12.2016 weitgehend enttäuscht. Ausgangspunkt des Falls war, dass die Kommission eine spanische Regelung, die beim Erwerb von Beteiligungen ab 5 % an Auslandsgesellschaften durch spanische Unternehmen eine besondere Abschreibungsmöglichkeit vorsah (auf den „finanziellen goodwill“ der Beteiligung, dh. auf die Differenz zwischen den Anschaffungskosten der „shares“ und dem tatsächlichen Wert der proportional dem erworbenen Anteilsumfang zuzurechnenden „assets“ der Auslandsgesellschaft) als selektive Maßnahme eingestuft hatte.331 Das EuG hatte dem widersprochen und entschieden, es könne für die Erfüllung des Selektivitätskriteriums nicht bereits ausreichen, dass eine Maßnah-

329 Vgl. Mörwald/Brühl, DK 2016, 68 (74). Für unvergleichbare Ausgangssituationen auch Schumacher, JbFStR 2016/2017, 119, (124 ff.). 330 BFH v. 30.5.2017 – II R 62/14, BStBl. II 2017, 916 = GmbHR 2017, 830. 331 Siehe für EU-Sachverhalte Kommission, Entscheidung v. 28.10.2009 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien, ABl. EU 2011, L 7/48; für Drittstaatssachverhalte Kommission, Beschluss v. 12.1.2011 über die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen C 45/07 (ex NN 51/07, ex CP 9/07) in Spanien, ABl. EU 2011, L 135/1; ergänzend für den Erwerb mittelbarer Auslandsbeteiligungen zudem Kommission, Beschluss (EU) 2015/314 v. 15.10.2014 über die staatliche Beihilfe SA.35550 (13/C) (ex 13/NN) (ex 12/CP) Spaniens Regelung für die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen, ABl. EU 2015, L 56/38.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern me „eine Abweichung von der allgemeinen oder ‚normalen‘ Steuerregelung“ bildet, wenn diese Maßnahme „potenziell von allen Unternehmen in Anspruch genommen werden kann“; vielmehr müsse „in allen Fällen eine Gruppe von Unternehmen festgestellt werden, die als einzige von der in Rede stehenden Maßnahme begünstigt werden“332. Der EuGH hingegen hob das Urteil des EuG auf und verwies auf seine stRspr., wonach die Prüfung der Selektivität die Feststellung verlange, „ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, ‚bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige‘ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann“333. Insofern müsse die Kommission zwar bei einer Beihilferegelung darlegen, dass „die Maßnahme, obwohl sie einen allgemeinen Vorteil vorsieht, diesen allein bestimmten Unternehmen oder Branchen verschafft“334. Diese Voraussetzung sei jedoch nach dem dreistufigen Prüfschema (s.o. II.2.b) erfüllt, wenn einerseits die Kommission nachweist, dass die Regelung „vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden“, und andererseits dem betreffenden Mitgliedstaat nicht der Nachweis gelingt, dass diese Unterscheidung „aus der Natur oder dem Aufbau des Systems“ gerechtfertigt ist.335 Entgegen der Auffassung des EuG sei es somit nicht erforderlich, „dass die Kommission bestimmte typische und spezifische Merkmale ermittelt, die den vom Steuervorteil begünstigten Unternehmen gemein sind und aufgrund deren sie von denjenigen unterschieden werden können, die davon ausgeschlossen sind“336.

332 EuG v. 7.11.2014 – T-219/10 (Autogrill España/Kommission), BB 2014, 2919, Rz. 44 f.; v. 7.11.2014 – T-399/11 (Banco Santander ua./Kommission), BB 2015, 1188, Rz. 45. Siehe zu einer ähnlichen Verengung des Selektivitätskriteriums gleichfalls mit Blick auf eine (österreichische) Regelung zu Abschreibungen auf Auslandsgesellschaften Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 16.4.2015 – C-66/14 (Finanzamt Linz), ECLI:EU:C:2015:242, Rz. 105 ff. 333 EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/World Duty Free Group [vormals Autogrill España] ua.), IStR 2017, 77, Rz. 54. 334 EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/World Duty Free Group [vormals Autogrill España] ua.), IStR 2017, 77, Rz. 55. 335 EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/World Duty Free Group [vormals Autogrill España] ua.), IStR 2017, 77, Rz. 57 f. 336 EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/World Duty Free Group [vormals Autogrill España] ua.), IStR 2017, 77, Rz. 70 f., 78. Ebenso zuletzt EuGH v. 25.7.2018 – C-128/16 P (Kommission/Spanien, Lico Leasing ua.), EuZW 2018, 765, Rz. 69.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern Die vom EuG vorgeschlagene Verengung der Selektivitätsprüfung wird daher vom EuGH nicht nachvollzogen, sondern es ist eher in Gegenteil sogar eine ausdehnende Tendenz erkennbar.337 Zwar hat der EuGH nicht durchentschieden, sondern das Verfahren zum zweiten Rechtszug zwecks Prüfung weiterer Angriffspunkte der Kläger gegen die Negativentscheidungen der Kommission an das EuG zurückverwiesen.338 An der Grundaussage zu den Anforderungen an das Selektivitätsmerkmal ändert dies jedoch nichts. Vor diesem Hintergrund muss das als Rechtssache C-374/17 „A-Brauerei“ registrierte Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 30.5.2017 als „Rüttelvorlage“ an den EuGH verstanden werden, die Reichweite und Folgen seiner Judikatur noch einmal zu überdenken und ggf. einschränkend zu korrigieren. (4) Schlussanträge des Generalanwalts v. 19.9.2018 Und tatsächlich scheint in Luxemburg etwas Bewegung in die Dinge zu kommen. Im Anschluss an eine kontroverse Diskussion in der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH339 wurden am 19.9.2018 die Schlussanträge von Generalanwalt Saugmandsgaard veröffentlicht, in denen dieser sich ausführlich mit der bisherigen Rspr. zum Begriff der „Selektivität“ im Bereich des Steuerrechts befasst. Er identifiziert dabei zwei Ansätze, nämlich zum einen den von ihm als „klassische Prüfmethode“ bezeichneten Ansatz, der das Kriterium der „allgemeinen Verfügbarkeit“ eines Steuervorteils verwende, und zum anderen die „Methode des Bezugrahmens“, die auf das Kriterium der „Diskriminierung“ abstelle: mit Blick auf die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten sowie die erheblichen Rechtsunsicherheiten bei den nationalen Verwaltungen und Gerichten und nicht zuletzt den von potenziellen Beihilferückzahlungen betroffenen Unternehmen spricht der Gene-

337 Siehe Eisendle, ISR 2017, 50 (52 f.); Spangler, EuZW 2017, 224 (225); Jochimsen/Kleve, IStR 2017, 265 (269 f.); von Bonin/Glos, WM 2017, 2221 (2225); Ellenrieder, IStR 2018, 480 (483 f.). Zu Differenzierungen bzgl. der Auswirkungen auf die Prüfung von de jure- und de facto-Selektivität vgl. Schnitger, IStR 2017, 84 (86). 338 Zur Diskussion in der dortigen mündlichen Verhandlung am 31.1.2018 vgl. Ellenrieder, IStR 2018, 480 ff. Siehe anschließend EuG v. 15.11.2018 – T219/10 RENV (World Duty Free Group ua./Kommission), ECLI:EU:T: 2018:784, Rz. 59 ff.; v. 15.11.2018 – T-399/11 (Banco Santander und Santusa Holding/Kommission), ECLI:EU:T:2018:787, Rz. 57 ff.; außerdem EuG v. 15.11.2018 – T-227/10 (Banco Santander/Kommission), ECLI:EU:T:2018:785, Rz. 46 ff.; v. 15.11.2018 – T-239/11 (Sigma Alimentos Exterior/Kommission), ECLI:EU:T:2018:781, Rz. 43 ff.; v. 15.11.2018 – T-405/11 (Axa Mediterranean Holding/Kommission), ECLI:EU:T:2018:780, Rz. 52 ff.; v. 15.11.2018 – T406/11 (Prosegur Compañía de Seguridad/Kommission), ECLI:EU:T:2018:793, Rz. 46 ff. 339 Zu Einzelheiten ausführlich Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2018, 682 ff.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern ralanwalt sich ganz grundsätzlich dafür aus, im Steuerrecht ausschließlich die erstgenannte Methode zu verwenden und auf letztgenannte zu verzichten.340 Für den konkreten Vorlagefall des BFH kommt Generalanwalt Saugmandsgaard dann allerdings mit beiden Methoden zum gleichen Ergebnis, nämlich einer fehlenden Selektivität des § 6a GrEStG. Bei Anwendung der „klassischen Prüfmethode“ begründet er dies im Kern damit, dass die deutsche Norm „auf alle Unternehmen unabhängig vom Gegenstand ihrer Tätigkeit Anwendung“ finde, dass sie „keine Voraussetzungen betreffend die Rechtsform, die Unternehmensgröße oder den Ort des Unternehmenssitzes“ vorschreibe und dass die von ihr erfassten „Umwandlungsvorgänge … in jeder Branche“ vorkämen.341 Im Übrigen hänge „jede Steuervergünstigung von der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen ab“, und allein das bloße Vorhandensein solcher Voraussetzungen könne „nicht ausreichen, um eine Steuervergünstigung als selektiv einzustufen, da sonst das gesamte Steuerrecht der Mitgliedstaaten dem Beihilfenrecht unterstellt würde“342. Im Rahmen der – nur hilfsweise geprüften – Anwendung der „Methode des Bezugsrahmens“ betont der Generalanwalt mit Nachdruck die auf jeder der drei Stufen des Diskriminierungstests (s.o. II.2.b) eintretenden Schwierigkeiten und spricht sich zunächst auf der ersten Stufe dafür aus, § 6a GrEStG als „eine Korrektur zum Anwendungsbereich von § 1 GrEStG“ einzuordnen und damit als „Teil des Bezugsrahmens“, so dass erstgenannte Norm bereits deshalb nicht selektiv sein könne.343 Auf der zweiten Stufe hebt er zunächst hervor, dass die vom Gerichtshof bisher aus EU-rechtlicher Perspektive im Rahmen der Beihilfeprüfung akzeptierten Regelungsziele nationaler Steuersysteme zu eng seien und dass sich vor dem Hintergrund der Ziele des § 6a GrEStG die davon erfassten und davon nicht erfassten Vorgänge nicht in vergleichbaren Situationen befänden;344 demzufolge seien weder die Voraussetzung der konzerninternen Umwandlungen noch das Erfordernis der 95 %igen Beteiligungsschwelle (prima facie) selektiv.345 Auf der dritten Stufe schließlich meint der Generalanwalt, eine etwaige Ungleichbehandlung sei jedenfalls durch die Ziele der „Vermeidung von Doppelbesteuerung“ sowie der Besteuerung der „objektive(n) Leistungsfähigkeit des Grundstückserwerbers bzw. Grundstücksveräußerers“ gerechtfertigt; ebenso ließen sich die

340 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 4 ff., 61 ff. 341 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 103. 342 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 111. 343 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 139. 344 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 141 ff. 345 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 162 ff., 168 ff. und 172 ff.

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern 95 %-Schwelle sowie die Vor- und Nachbehaltensfristen durch die Verhinderung „bestimmte(r) missbräuchliche(r) Praktiken“ rechtfertigen.346 Vor dem Hintergrund der Grundsätzlichkeit, mit der Generalanwalt Saugmandsgaard den vom EuGH gehandhabten Diskriminierungstest – noch stärker als einige seiner ohnehin bereits zunehmend kritischen Amtskollegen347 – in Frage stellt, darf das Urteil des Gerichtshofs mit Spannung erwartet werden. Der Umstand, dass sich dort die Große Kammer mit dem Fall befasst, lässt zumindest erkennen, dass man die Sache ernst nimmt. Daher ist es auch zu bedauern, dass es dem Plädoyer des Generalanwalts gerade hinsichtlich der von ihm aufgezeigten Dualität der Prüfungsansätze etwas an Überzeugungskraft mangelt.348 Insofern bezieht sich der Generalanwalt nämlich als Quelle für seine Differenzierung auf die Kommissionsbekanntmachung von 2016.349 Darin werden zwar in der Tat zwei verschiedene Prüfungsansätze dargelegt, doch stellt die dort neben den Diskriminierungstest tretende zweite Prüfungsmethode nicht auf die „allgemeine Verfügbarkeit“ eines Steuervorteils ab; vielmehr geht es in den vom Generalanwalt zitierten Rz. 128– 131 um das bereits dargelegte Problem, dass der Diskriminierungstest bestimmte Fälle nicht erfassen kann, weil sie sich außerdem des maßgeblichen „Bezugsrahmens“ bewegen; der EuGH will dann die Regelungstechnik des Mitgliedstaats in den Hintergrund treten lassen und vorrangig auf die „Wirkungen“ der nationalen Maßnahme abstellen (s.o. II.2.b). Auch vom Ergebnis her betrachtet erscheint es fraglich, ob der vom Generalanwalt unterbreitete Vorschlag, in steuerrechtlichen Fällen allein auf die „allgemeine Verfügbarkeit“ eines Steuervorteils abzustellen, wirklich einen Gewinn an Rechtssicherheit mit sich bringt. Denn schon der „Steuervorteil“ als Ausgangspunkt ist letztlich ein relatives Konzept, das sich nur durch den Vergleich zu einer ansonsten – ohne diesen Vorteil – eintretenden Steuerbelastungssituation ausfüllen lässt (und eben diese „benchmark“ ist nach der EuGH-Judikatur das „Referenzsystem“ bzw. der „Bezugsrahmen“350). Diesen Aspekt scheint der Generalanwalt zu übersehen,

346 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 187 ff. 347 Siehe insbes. Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 16.4.2015 – C-66/14 (Finanzamt Linz), ECLI:EU:C:2015:242, Rz. 105 ff.; Generalanwalt Bobek, Schlussanträge v. 21.4.2016 – C-270/15 P (Kommission/Belgien), ECLI:EU: C:2016:289, Rz. 19 ff.; Generalanwalt Wahl, Schlussanträge v. 20.12.2017 – C-203/16 P (Andres [Insolvenzverwalter der Heitkamp BauHolding GmbH]), ECLI:EI:C:2017:1017, Rz. 90 ff. 348 Kritisch dazu auch Eisendle, ISR 2018, 395 (397 f.); Ellenrieder/Mörwald, IStR 2018, 861 (862 ff.). 349 Siehe Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 19.9.2018 – C-374/17 (A-Brauerei), ECLI:EU:C:2018:741, Rz. 4. 350 Vgl. ausdrücklich EuGH v. 28.6.2018 – C-203/16 P (Andres [Insolvenzverwalter der Heitkamp BauHolding GmbH]), IStR 2018, 552, Rz. 88; v. 28.6.2018 – C-208/16 P, (Deutschland/Kommission), EuZW 2018, 686 = AG 2018, 887, Rz. 85; v. 28.6.2018 – C-209/16 P (Deutschland/Kommission), ECLI:EU:C:

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Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern so dass sein Vorschlag letztlich möglicherweise gar kein echtes aliud bzgl. des Prüfungsansatzes gegenüber dem Diskriminierungstest darstellt, sondern lediglich ein minus dazu, dass die ab etwa 2001 in der Rspr. des Gerichtshofs351 erkennbare Verschärfung zu einer dreistufig strukturierten Diskriminierungsprüfung auf die vorherige Entwicklungsstufe352 zurückwerfen will. Auch wenn erste Lockerungen der bisherigen Strenge sind in der jüngsten Rspr. durchaus erkennbar sind,353 bleibt derzeit abzuwarten, ob die Große Kammer des EuGH die vorstehend erörterten Schlussanträge zum Anlass nehmen wird, nur knapp zwei Jahre nach ihrem Urteil in „World Duty Free Group“ (s.o.) eine grundlegende Neuorientierung des Selektivitätskritriums einzuleiten.354 Aus Sicht der allgemeinen beihilferechtlichen Diskussion trifft Generalanwalt Saugmandsgaard jedoch ganz sicher den Zahn der Zeit, denn die Grundsatzkritik des Schrifttums an den Willkürlichkeiten bei der Durchführung der Diskriminierungsprüfung355 wird immer lauter und gipfelte zuletzt im Vorwurf der „Inhaltsarmut der darin transportierten Rechtsideen“356. Zugleich bildet sich im Schrifttum gerade eine allmählich zunehmende Meinungsgruppe heraus, die für eine stärkere Trennung der Merkmale des Vorteils („Begünstigung“) und dessen Selektivität (bzgl. „bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“) im Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV plädiert und für eine Verlagerung von bisher dem letztgenannten Merkmal zugeordneten Prüfungselementen hin zum erstgenannten Merkmal.357

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2018:507, Rz. 83; v. 28.6.2014 – C-219/16 P (Lowell Financial Services GmbH [vormals GFKL Financial Services AG]/Kommission), DStR 2018, 1434, Rz. 90. Siehe insbes. EuGH v. 8.11.2001 – C-143/99 (Adria-Wien Pipeline), EuZW 2002, 213, Rz. 41 ff.; dazu auch Cordewener, EC Tax Review 2012, 282. Vgl. zu den verschiedenen Entwicklungsschritten auch Ellenrieder, IStR 2018, 480 (481 ff.) sowie Generalanwalt Bobek, Schlussanträge v. 21.4.2016 – C-270/15 P (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C:2016:289, Rz. 25 ff. Vgl. EuGH v. 26.4.2018 – C-234/16 und C-235/16 (ANGED I), ECLI:EU:C: 2018:281, Rz. 42 ff.; v. 26.4.2018 – C-236/16 und C-237/16 (ANGED II), ECLI:EU:C:2018:281, Rz. 37 ff., jeweils zu einer spanischen Sonderabgabe für große Einzelhandelsgeschäfte; dazu auch Schlücke, ISR 2018, 244 (246). Vgl. außerdem EuG v. 19.9.2018 – T-68/15 (HH Ferries/Kommission), ECLI: EU:T:2018:563, Rz. 280 f. zur dänischen Gruppenbesteuerung. Eher skeptisch auch Schnitger, DB 2018, 2174 (2175 f.). Siehe etwa M. Lang, ISR 2013, 65 (66 ff.); Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, Rz. 9.28 und 9.32; Jochimsen/Kleve, IStR 2017, 265 (268 ff.). So Ekkenga/Safaei, DStR 2018, 1993 (1996). Vgl. Jung/Neckenich, ISR 2018, 83 (84 ff.); Balbinot, Beihilfeverbot und Rechtsformneutralität, 2018, 75 ff.; Balbinot, FR 2018, 729 (732 ff.); Ellenrieder, IStR 2018, 480 (488 ff.); Ellenrieder/Mörwald, IStR 2018, 861 (865 f.); Ismer in Drüen/Hey/Mellinghoff (Fn. 14), 845 (856 f.).

Cordewener, EU-Beihilferecht und Steuern (5) Ergebnis Fall 5 Auch für die M-AG lässt sich derzeit noch nicht rechtssicher feststellen, ob ihr die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG gewährt werden darf. Sollte sich der EuGH der Beurteilung seines Generalanwalts anschließen, wäre mangels Selektivität der Beihilfetatbestand nicht erfüllt. Sollte der Gerichtshof jedoch anderer Auffassung sein, müsste die – bisher offenbar von einer Beihilfe iSv. Art. 107 Abs. 1 AEUV ausgehende358 – Kommission im Rahmen eines Hauptprüfverfahrens noch über eine etwaige Genehmigungsfähigkeit nach Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV (s.o. II.2.c) entscheiden. Bis dahin würde dann weiterhin das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV (s.o. II.3.c.cc) eingreifen und müsste der BFH auch die bei ihm anhängigen Revisionsverfahren weiter aussetzen.359

V. Ausblick Das EU-rechtliche Beihilfeverbot hat innerhalb nur weniger Jahre erheblichen Einfluss auf das mitgliedstaatliche Steuerrecht gewonnen. Dabei geht das Ausmaß der aktuellen Konfliktzone noch deutlich über das Ausmaß dessen hinaus, was die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung von 1998 (s.o. I.) bereits angedeutet hatte. Dementsprechend ist die Thematik inzwischen sowohl bei den nationalen Staatsgewalten als auch den Unternehmen „angekommen“ und wird insbes. bei der Schaffung neuer Gesetzesbestimmungen frühzeitig darüber diskutiert, ob ggf. ein Anwendungsfall des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und eine Notifizierungspflicht besteht.360 Allen Rechtsanwendern muss dabei klar sein, dass es sich bei dem Beihilfeverbot um reines Wettbewerbsrecht handelt, das mit der vollen Wucht des EU-Primärrechts auf die nationalen Steuersysteme prallt und dabei – anders als die EU-Grundfreiheiten, die als Gleichbehandlungsgebote auch derivative Teilhaberechte an Steuervergünstigungen eröffnen können361 – im Grundsatz allein „destruktiv“ ausgerichtet ist, nämlich auf vorläufige und ggf. sogar endgültige Nichtanwendung von begünstigenden Maßnahmen. Ein Hauptproblem ist hierebei jedoch nach wie vor die fehlende Trennschärfe hinsichtlich der Identifizierung von Maßnahmen, die zu ei-

358 Siehe Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2018, 682 (683). 359 BFH v. 30.5.2017 – II R 62/14, BStBl. II 2017, 916 = GmbHR 2017, 830, unter II.5. 360 Vgl. stellvertretend etwa Wachter, DB 2016, 1273 ff.; von Wilcken, NZI 2016, 996 (998); Kußmaul/Licht, DB 2017, 1797 ff. 361 Siehe Cordewener, DStR 2004, 6 (12); Cordewener in Drüen/Hey/Mellinghoff (Fn. 14), 895 (916 ff.).

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ner untersagten „Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“ führen. Dieses Problem stellt sich nicht allein im Hinblick auf abstrakt-generelle (idR gesetzliche) „Beihilferegelungen“, sondern auch bzgl. individuell-konkreter (idR administrativer) „Einzelbeihilfen“. Gerade im letztgenannten Bereich testet die Kommission momentan die Grenzen des Möglichen aus (s.o. IV.2.a), wobei die daraus resultierenden Rechtsstreite mit den betroffenen Mitgliedstaaten und Unternehmen gleichfalls symptomatisch für den Zustand dieses gesamten Rechtsgebiets sind. Nationale Instanzen und Unternehmen werden sich nämlich zur Beurteilung einer bestimmten Rechtslage zunächst am Kommissionsbeschluss orientieren, dann ggf. an einem (bestätigenden oder abweichenden) EuG-Urteil und schließlich an einer (wiederum bestätigenden oder abweichenden) Entscheidung des EuGH im Rechtsmittelverfahren – die dann möglicherweise die Sache auch noch einmal zur Neuverhandlung an das EuG zurückverweist.362 Die hierdurch ausgelöste Rechtsunsicherheit in der Praxis ist nicht allein beträchtlich, sondern sie zieht sich auch noch über (zT sehr) viele Jahre hin. Dies ist vor allem aus Sicht der betroffenen Unternehmen nur schwer erträglich, insbes. dann, wenn der Mitgliedstaat (trotz privilegierten Klagerechts; s.o. II.3.d) selbst nicht gegen einen negativen Kommissionsbeschluss vorgeht und den Unternehmen innerstaatlich die von der Kommission auferlegte Rückforderung präsentiert (s.o. III.2.). Die Rechtsunsicherheit wird sogar noch verstärkt, wenn die Kommission – wie unlängst bei § 3a EStG geschehen (s.o. IV.3.c.bb – Fall 4) – lediglich einen allein an den Mitgliedstaat (bzw. ein nationales Ministerium) gerichteten „Comfort letter“ versendet.363 einerseits können begünstigte Unternehmer letztlich nur hoffen, dass der Inhalt eines solchen Schreibens klar und vor allem zutreffend ist, um ihnen Vertrauensschutz gegenüber einer Rückforderung zu gewähren; andererseits kann ein solches Schreiben aber auch von Seiten konkurrierender Unternehmen nicht angefochten und somit keiner unmittelbaren Überprüfung durch die Unionsgerichte zugeführt werden.

362 So etwa bei EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (Kommission/ World Duty Free Group [vormals Autogrill España] ua.), IStR 2017, 77, wo die Kommission bereits im Jahr 2007 das Hauptprüfverfahren gegen Spanien eröffnet hatte. 363 Kritisch dazu auch aus Transparenzgründen Uhländer, DB 2018, 2788 (2789). Ebenso zur gleichfalls fehlenden Transparenz beim Notifizierungsverfahren de Weerth, EuZW 2018, 776 (778).

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Auf diese Weise werden Situationen von Konkurrentenklagen (s.o. III.3.c), die die komplexe Mehrpoligkeit der ansonsten vor den Unionsgerichten ausgetragenen wettbewerbsrechtlichen Streite vor die mitgliedstaatlichen Gerichte bringen, geradezu provoziert. Und auch darüber hinaus wird den nationalen Gerichten ganz allgemein eine wichtige Aufgabe dabei zukommen, nach Art von „Minensuchern“ potenzielle beihilfeverbotswidrige nationale Regelungen zu entdecken und zur Sicherung des durch Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV garantierten Durchführungsverbots – wie zuletzt bei § 6a GrEStG geschehen (s.o. IV.3.d – Fall 5) – Fragen an den EuGH zu richten (s.o. III.3.b). Vor dem Hintergrund dieser schwierigen Gemengelage vermag der vorliegende Beitrag keine klaren und endgültigen Ergebnisse zu den näher erörterten Einzelthemen (s.o. IV.3.; Fälle 1–5) zu präsentieren, sondern kann lediglich eine Momentaufnahme bieten. Es ist jedoch für die nächsten Jahre eine ganze „Welle“ von EuG- und EuGH-Entscheidungen zu den steuerrechtlichen Implikationen des EU-Beihilferechts zu erwarten, die dann – hoffentlich – zu größerer Rechtssicherheit führen werden.

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Grundsatzfragen des Verständnisses des Maßgeblichkeitsgrundsatzes nach BilMoG Prof. Dr. Heribert Anzinger Ulm1 Regierungsdirektorin Evelyn Hörhammer Bundesfinanzministerium, Berlin2, 3 I. Allgemeine Entwicklung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) 1. BilMoG zunächst als handelsrechtliche Reform 2. Auswirkungen auf die Steuerbilanz unter besonderer Berücksichtigung von Wahlrechten 3. Verwaltungsauffassung: Das BMF-Schreiben vom 12.3.2010 4. Literaturauffassung II. Folgen für die Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 1. Unabhängiges steuerliches Wahlrecht? 2. Auffassung der Finanzverwaltung 3. Literaturauffassung und Auffassung (Anzinger) 4. Aktuelle gesetzliche Regelung in § 3a Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG

III. Folgen bei der Bestimmung von Herstellungskosten 1. Angemessener Anteil allgemeiner Verwaltungskosten als Herstellungskosten 2. Auffassung der Finanzverwaltung 3. Gesetzgeberische Reaktion IV. Rückstellungsbewertung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1. Praktische Relevanz durch handelsrechtliche Änderungen 2. Auffassung der Finanzverwaltung 3. Literaturauffassung 4. Stellungnahme (Anzinger) V. Anwendbarkeit der Lifo-Methode 1. Neue Rechtsunsicherheiten nach BilMoG 2. Verwaltungspraxis 3. Stellungnahme (Anzinger)

1 Prof. Dr. iur. Heribert Anzinger ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Ulm. 2 Evelyn Hörhammer ist Regierungsdirektorin, Berlin. 3 Der Beitrag beruht auf einem gemeinsamen Vortrag anlässlich des 70. Fachkongresses der Steuerberater am 31.10.2018 in Köln.

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses VI. Mögliche Auswirkungen der Änderungen des § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB auf die ertragsteuerliche Organschaft 1. Änderung der handelsrechtlichen Bewertung von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen 2. Ausschüttungssperre (§ 256 Abs. 6 HGB) gleich Abführungssperre? 3. Mögliche Einstellung in eine Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG

VII. „Ausweismaßgeblichkeit“ 1. Relevanz einer EK-/FKAusweismaßgeblichkeit 2. Verwaltungsauffassung 3. Literaturauffassung und Auffassung (Anzinger) 4. Mögliches Umdenken bei der Auslegung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (Hörhammer) VIII. Zukunft der Maßgeblichkeit nach der GKB

I. Allgemeine Entwicklung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) 1. BilMoG zunächst als handelsrechtliche Reform Ausgewiesenes Ziel des BilMoG war es, „das bewährte HGB-Bilanzrecht zu einer dauerhaften und im Verhältnis zu den internationalen Rechnungslegungsstandards vollwertigen, aber kostengünstigeren und einfacheren Alternative weiterzuentwickeln, ohne die Eckpunkte des HGBBilanzrechts und das bisherige System der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung aufzugeben.“4 Dabei sollte die HGB-Bilanz weiterhin Grundlage der Ausschüttungsbemessung und der steuerlichen Gewinnermittlung bleiben. Die Reform sollte sich steuerneutral vollziehen. Eben jene Gesetzesintention wurde in der Folge in der Literatur bemüht, um die später im BMF-Schreiben v. 12.3.20105 dargelegte Rechtsauffassung zur eigenständigen Ausübung von steuerlichen Wahlrechten in Frage zu stellen. Die handelsrechtlichen Neuerungen sahen erstmals die Abzinsung von Rückstellungen in § 253 Abs. 2 HGB vor.6 Zudem wurde das Verbot der 4 Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 30.7.2008, BT-Drucks. 16/10067, 1; Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft, BB 2008, 152. 5 BMF v. 12.3.2010 – IV C 6 - S 2133/09/10001 – DOK 2010/0188935, BStBl. I 2010, 239 = FR 2010, 398. 6 Scheffler in Schmiel/Breithecker (Hrsg.), Steuerliche Gewinnermittlung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, 2008, 227.

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses

Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (§ 248 Abs. 2 HGB) teilweise aufgehoben und durch die Pflicht zur Aktivierung der auf die Entwicklungsphase entfallenden Herstellungskosten ersetzt.7 Der handelsrechtliche Herstellungskostenbegriff wurde an den steuerlichen Herstellungskostenbegriff angepasst (§ 255 Abs. 2 HGB). Mit dieser Anpassung war eine Einschränkung des handelsrechtlichen Aktivierungswahlrechts verbunden. Dies sollte zu einer besseren Vergleichbarkeit und einer Anhebung des Informationsniveaus des handelsrechtlichen Jahresabschlusses führen. Zudem wurde das Wahlrecht zur Bildung von Aufwandsrückstellungen für Instandhaltung aufgehoben, wenn die Instandhaltung innerhalb des Geschäftsjahres nachgeholt wird (§ 249 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 HGB). Teil der handelsrechtlichen Reform war auch die Streichung der Öffnungsklausel des § 254 HGB, der GoB-widrige Ansätze zugelassen hatte, wenn dies zur Wahrnehmung steuerlicher Wahlrechte notwendig war. Damit dadurch steuerliche Wahlrechte, deren Ausübung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG aF von einer Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz abhängig war, nicht ins Leere liefen, musste diese Vorschrift aufgehoben werden, die mit dem Arbeitsbegriff der umgekehrten Maßgeblichkeit verbunden war. Dazu wurde § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG aF gestrichen und § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 durch folgenden Passus ergänzt: „… es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt.“ Diese Formulierung stellte die eigenständigen steuerrechtlichen Wahlrechte in den Fokus der Betrachtung und es folgte eine Diskussion, ob die autonome Ausübung unabhängig von der Handelsbilanz auch für sämtliche steuerlichen Wahlrechte gelten sollte.8 Die Abkehr von der sogenannten umgekehrten Maßgeblichkeit in § 5 Abs. 1 EStG führte in der Folge zu Zweifelsfragen insbes. im Zusammenhang mit den unterschiedlichen steuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften iSd. §§ 5 und 6 EStG.

2. Auswirkungen auf die Steuerbilanz unter besonderer Berücksichtigung von Wahlrechten Obwohl die Reform auf das Handelsrecht begrenzt bleiben sollte, handelsrechtliche Wahlrechte sogar zurückschnitt und im Gesetzgebungs7 Zur geringen Bedeutung in der Praxis von Keitz/Wenk/Jagosch, DB 2011, 2448. 8 Zur Entwicklung des Meinungsstands Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 272.

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses

verfahren deren Steuerneutralität vielfach betont wurde, löste das BilMoG eine erneute rechtspolitische Diskussion über den Zweck der Maßgeblichkeit aus und begründete neue Rechtsunsicherheiten zu deren Reichweite.9 Während sich Vertreter der Bundessteuerberaterkammer und Teile der Lehre weiter für eine weitreichende Maßgeblichkeit einsetzen,10 suchen andere Teile des Schrifttums nach Wegen einer bereichsspezifischen Ablösung der steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften.11 Sichtbar werden dabei unterschiedliche Interessenlagen. In größeren Unternehmen überwiegen die Vorteile einer unterschiedlichen Bilanzpolitik für Handels- und Steuerbilanz die Kosten der erforderlichen Planungsrechnungen. Wo das nicht der Fall ist, dominiert der Wunsch nach einer Einheitsbilanz.12 Dazwischen bemüht sich die Verwaltungspraxis um Kompromisse. Besonders deutlich werden diese unterschiedlichen Perspektiven bei der Bewertung der Voraussetzungen von Verfahren zur Bewertungsvereinfachung, bei der Ausübung von Wahlrechten und dem Verhältnis handels- und steuerrechtlicher Regeln über die Rückstellungsbewertung. Unterschiedliche Bewertungen erfahren auch die Bedeutung und die Zukunftsfähigkeit der Maßgeblichkeit. Nach einer Ansicht führte das BilMoG zu einer weiteren Auseinanderentwicklung von Handels- und Steuerbilanz,13 etwa durch die Lockerung des Aktivierungsverbots für selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter oder die Einführung einer Fair Value-Bewertung von zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumenten gem. § 340e Abs. 3 HGB. Dem sind Elemente einer strukturellen Annäherung der Handelsbilanz an die Steuerbilanz durch das BilMoG gegen-

9 Hennrichs, Ubg. 2009, 533 (542); Herzig/Briesemeister, DB 2009, 1 (2); Hüttemann, DStZ 2011, 507; Kahle/Günter, StuW 2012, 43 (45); Marx, DB 2011, 1003; Meurer, FR 2009, 117 (120); Stobbe, DStR 2008, 2432; Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 155. 10 Fischer/Kalina-Kerschbaum, DStR 2010, 399 (401); Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, DB 2009, 2570 (2572); Anzinger/Schleiter, DStR 2010, 395 (398); Hennrichs, Ubg. 2009, 533 (543); Schulze-Osterloh, DStR 2011, 534 (538). 11 Bruckmeier/Zwirner/Busch, DStR 2010, 237 (241); Dörfler/Adrian, Ubg. 2009, 385 (386 f.); Künkele/Zwirner, StuB 2013, 3 (4); Prinz, DB 2010, 2069 (2071); Weber-Grellet, DB 2009, 2402 (2403); Zwirner/Künkele, Ubg. 2013, 305. 12 Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 173. 13 Prinz, DStJG 34 (2011), 135 (143); Prinz, StuB 2017, 689; Weber-Grellet, ZRP 2008, 146 (147); Scheffler, DK 2016, 482 (489); Stobbe, DStR 2008, 2432 (2433).

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses

überzustellen, etwa die Aufhebung zahlreicher handelsrechtlicher Wahlrechte, die neu eingeführte grundsätzliche Abzinsung von Rückstellungen, die grundsätzliche Aktivierungs- und Abschreibungspflicht für den Geschäfts- oder Firmenwert und die Annäherung des handelsrechtlichen an den steuerrechtlichen Herstellungskostenbegriff. Umstritten bleiben die Zweckidentität oder Zweckverschiedenheit von Handels- und Steuerbilanz, die Rechtfertigung der Teilhaberthese14 sowie die Beiträge der Maßgeblichkeit zur Einheit der Rechtsordnung, zur Fortentwicklung des Bilanzrechts und zu einer Vereinfachung des Steuerrechts.15 Unterschiedliche Bewertung erfährt auch die Rolle der Maßgeblichkeit im Schutz der Stpfl. und des Fiskus vor einer referenzfreien Ausdehnung der Bemessungsgrundlage durch den Gesetzgeber oder einer aggressiven Steuerbilanzpolitik.16 Wo in Zweifeln an der Maßgeblichkeit die Leitlinien der GoB verlassen werden, entstehen Rechtsunsicherheiten, die in den aktuellen Problemfeldern Ausdruck finden. Dazu zählt die Ausübung steuerlicher Wahlrechte.

3. Verwaltungsauffassung: Das BMF-Schreiben vom 12.3.2010 Durch die Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit und die Ergänzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 um die Aussage, dass zukünftig steuerliche Wahlrechte unabhängig von der handelsrechtlichen Ausgestaltung vollzogen werden können, stellte sich die Frage, wie insbes. in den Fällen zu verfahren ist, in denen sowohl ein handelsrechtliches als auch ein steuerliches Wahlrecht gesetzlich festgeschrieben ist. Die Verwaltung hat sich mit dem BMF-Schreiben v. 12.3.201017 dazu entschieden, die Formulierung „steuerliche Wahlrechte“ in § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 dahingehend auszulegen, dass damit sämtliche steuerlichen Wahlrechte gemeint sind18 und nicht nur GoB-konforme Wahlrechte19. Dementsprechend lässt sich die Grundaussage des BMF-Schreibens v. 12.3.2010 hinsichtlich der Ausübung von Wahlrechten wie folgt zusammenfassen: 14 15 16 17

Marx, BB 2011, 1003. Zum Meinungsstand Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 160 ff. Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 164. BMF v. 12.3.2010 – IV C 6 - S 2133/09/10001 – DOK 2010/0188935, BStBl. I 2010, 239 = FR 2010, 398. 18 Vgl. hierzu Hörhammer/Schumann in Prinz/Kanzler, Handbuch-Bilanzsteuerrecht3, 660. 19 Zu den sog. subventionellen steuerrechtlichen Wahlrechten Arbeitskreis Bilanzsteuerrecht der Hochschullehrer für Rechtswissenschaft, DB 2009, 2570.

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Entsprechend der Entscheidung des Großen Senats v. 3.2.196920 sind handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte grundsätzlich steuerlich als Aktivierungsgebote und handelsrechtliche Passivierungswahlrechte grundsätzlich steuerlich als Passivierungsverbote zu behandeln.



Wahlrechte, die nur steuerrechtlich bestehen, können unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden; es kann zu einer Durchbrechung der Maßgeblichkeit kommen.



Sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich bestehende Wahlrechte können aufgrund der Neuregelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz unterschiedlich ausgeübt werden; auch hier kann es zu einer Durchbrechung der Maßgeblichkeit kommen.

Diese Verwaltungsauffassung findet ihre Begründung vor allem im nach dem BilMoG neuformulierten Gesetzestext in § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG, in dem uneingeschränkt „steuerliche Wahlrechte“ adressiert werden, die unabhängig von der handelsrechtlichen Vorgehensweise ausgeübt werden können. Der Gesetzestext lässt nach dieser Verwaltungspraxis keine einschränkende Auslegung zu.21

4. Literaturauffassung Im Schrifttum erfährt die Verwaltungsauffassung sowohl Zustimmung als auch Kritik. Eine Auffassung schließt sich im weiteren Kontext von Bestrebungen einer Ablösung der Steuerbilanz von der Handelsbilanz der Verwaltungspraxis an und betont eine weitreichende Wahlrechtsautonomie der Steuerbilanz.22 Die Gegenauffassung erinnert an das Gesetzgebungsverfahren und die Rolle von Wahlrechten in der Steuerbilanz.23 Im Gesetzgebungsverfahren war ungewöhnlich deutlich zum

20 BFH v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291. 21 So auch Klein, NWB 2010, 2042; Hörhammer/Schumann in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht3, Rz. 2587. 22 Ernsting, FR 2010, 1067 (1068); Geberth/Blasius, FR 2010, 408 (412); Herzig, DStR 2010, 1900 (1903); Kahle, Ubg. 2011, 178 (179); Kahle, StuB 2011, 163 (170); Mitschke, FR 2010, 214 (218); Prinz, DStJG 34 (2011), 135 (155); Werth, DStZ 2009, 508 (509 f.). 23 Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft, DB 2009, 2570 (2572); Hennrichs, GmbHR 2010, 399 (400); Hoffmann, StuB 2009, 515 (516); Schulze-Osterloh, DStR 2011, 534 (538).

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Ausdruck gekommen, dass ein Wahlrecht für eine Teilwertabschreibung durch das BilMoG nicht wieder aufleben sollte.24 Zudem widersprechen Wahlrechte dem Ziel einer objektivierten Gewinnermittlung und seien daher besonders rechtfertigungsbedürftig. Nach dieser Auffassung erfasst der Begriff der Wahlrechte in § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 nur solche Wahlrechte mit einem rechtfertigungsfähigen Lenkungszweck. Dazu zählen etwa das Steuervergünstigungswahlrecht zur Bildung einer den steuerlichen Gewinn mindernden Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG. Alle übrigen Wahlrechte sind nach dieser Auffassung in Übereinstimmung mit der Handelsbilanz auszuüben.25 Weil durch das BilMoG im Handelsbilanzrecht die Zahl der Wahlrechte stark zurückgenommen wurde, führt das dazu, dass grundsätzlich nur ein enger Spielraum für Steuerbilanzpolitik verbleibt. Unabhängig von der Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG ist die Vorfrage zu beantworten, ob steuerliche Normen überhaupt ein Wahlrecht gewähren. Diese Frage stellt sich bereits bei der Auslegung des § 6a Abs. 1 Satz 1 EStG, in der Verwendung des Worts „dürfen“. Nach einer Ansicht im Schrifttum folgt daraus ein Passivierungswahlrecht.26 Nach zutreffender Ansicht der Rspr.27 und der Verwaltungspraxis28 ist dies nicht der Fall.29 Handelsrechtlich zu passivierende Pensionsrückstellungen müssen unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 6a EStG passiviert werden.30 Die Frage der Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG stellt sich danach im Zusammengang mit § 6a EStG nicht.

24 Gegenäußerung der BReg., BTDrucks. 16/10067, 124; Rechtsausschuss des BT, Beschlussempfehlung und Bericht, BTDrucks. 16/12407, 83; zur Diskussion im Plenum des BT Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 155. 25 Hennrichs, Ubg. 2009, 533 (543). 26 Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz6, StR A Rz. 380. 27 BFH v. 13.2.2008 – I R 44/07, BStBl. II 2008, 673 = GmbHR 2008, 774; v. 14.1.2009 – I R 5/08, BStBl. II 2009, 457 = GmbHR 2009, 558. 28 BMF v. 12.3.2010 – IV C 6 - S 2133/09/10001 – DOK 2010/0188935, BStBl. I 2010, 239 = FR 2010, 398, Rz. 9. 29 Überzeugend Dommermuth in HHR, § 6a EStG Rz. 16. 30 Eine Ausnahme von diesem Bilanzierungsgebot regelt Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGHGB für Altzusagen. Zur Auffassung einer unabhängigen Ausübung dieses Wahlrechts in Handels- und Steuerbilanz s. Höfer in Höfer/Veit/Verhuven, Betriebsrentenrecht, Bd. II, Kap. 2 Rz. 20 (Juli 2018).

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II. Folgen für die Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 1. Unabhängiges steuerliches Wahlrecht? Eine andere Interpretation nimmt die Verwaltungspraxis nach BilMoG zur Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zum Wortlaut „kann“ ein. Mit diesem Wortlaut war bis zum Inkrafttreten des BilMoG, wie bei § 6a EStG, kein Wahlrecht diskutiert worden. Wegen der umgekehrten Maßgeblichkeit und des im Handelsrecht bestehenden Abschreibungsgebots war diese Interpretation nie praxisrelevant geworden. Entsprechend der o.g. Entscheidung der Finanzverwaltung im BMFSchreiben v. 12.3.2010 sind nach der Verwaltungspraxis steuerliche Wahlrechte zukünftig auch dann unabhängig von der Handelsbilanz auszuüben, wenn handelsrechtlich ein Bewertungswahlrecht besteht. Diese Grundsatzentscheidung ist auf die sog. steuerliche Teilwertabschreibung erweitert worden. Ihr wird nun ein Wahlrecht entnommen, das sich im Verhältnis zur handelsrechtlichen außerplanmäßigen Abschreibung durchsetzen kann. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG regelt nach dieser Verwaltungspraxis ein eigenständiges steuerrechtliches Wahlrecht. Die oben dargestellte Diskussion in der Literatur, die teilweise zwischen GoB-konformen und GoB-inkonformen Wahlrechten unterscheidet, fand daher insbes. rund um die Möglichkeit der Teilwertabschreibung in der steuerlichen Gewinnermittlung statt.

2. Auffassung der Finanzverwaltung So heißt es in Rz. 15 des BMF-Schreibens v. 12.3.2010: „Die Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung in der Handelsbilanz ist nicht zwingend in der Steuerbilanz durch eine Teilwertabschreibung nachzuvollziehen; der Steuerpflichtige kann darauf verzichten. Hat der Steuerpflichtige in einem Wirtschaftsjahr eine Teilwertabschreibung vorgenommen und verzichtet er in einem darauffolgenden Jahr auf den Nachweis der dauernden Wertminderung (z.B. in Zusammenhang mit Verlustabzügen), ist zu prüfen, ob eine willkürliche Gestaltung vorliegt.“

Diese Verwaltungsauffassung ist Konsequenz aus der oben dargestellten Lesart der Neuformulierung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG in Kombination mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, wo es heißt: „Ist der Teilwert auf Grund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger, so kann dieser angesetzt werden.“

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Dies hat auch zur Konsequenz, dass – trotz einer vorangegangenen und tatbestandlich weiter vorliegenden Teilwertabschreibung – eine Zuschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG in den Folgejahren auch wieder möglich ist. Denn in Satz 4 heißt es: „Wirtschaftsgüter, die bereits am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zum Anlagevermögen des Steuerpflichtigen gehört haben, sind in den folgenden Wirtschaftsjahren gemäß Satz 1 anzusetzen, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass ein niedrigerer Teilwert nach Satz 2 angesetzt werden kann.“

Diese Beweislastregelung wird seitens der Finanzverwaltung auch als eigenes „Wahlrecht“ dergestalt ausgelegt, dass es der Stpfl. in der Hand hat, trotz vorangegangener Teilwertabschreibung in den nachfolgenden Wj. eine Wertaufholung vorzunehmen, indem er den niedrigeren Teilwert nicht (mehr) iSd. o.g. Satzes 4 in § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG nachweist. Da jedoch der Verzicht auf eine Teilwertabschreibung steuerlich auch vorteilhaft für den Stpfl. sein kann, wenn durch die Teilwertabschreibung ein Verlust entstünde oder sich erhöht, der in den Folgejahren nur unter Berücksichtigung der Mindestbesteuerung genutzt werden könnte, sieht das BMF-Schreiben v. 12.3.2010 eine Art „Willkürprüfung“ vor. Diese Prüfung soll vor allem dann greifen, wenn der Verzicht auf eine Teilwertabschreibung dadurch steuerlich vorteilhaft wird, dass durch die Teilwertabschreibung ein Verlust entstünde, der in den Folgejahren durch einen Anteilseignerwechsel nach § 8c KStG vollständig unterzugehen droht. In diesen Fällen kann eine Wertaufholung einer früheren Teilwertabschreibung eine steuerrechtliche „Verlustnutzung“ darstellen und unterliegt damit der in Rz. 15 des BMF-Schreibens v. 12.3.2010 dargestellten „Willkürprüfung“.

3. Literaturauffassung und Auffassung Anzinger Im Schrifttum sind zwei Fragen umstritten. Zum einen wird in Zweifel gezogen, dass § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG überhaupt ein Wahlrecht zu entnehmen sei.31 Der Wortlaut der Norm, „kann“ lässt zwar eine Auslegung als Wahlrecht zu. Ebenso ist aber eine Interpretation vom Wortsinn gedeckt, die wie bei § 6a Abs. 1 Satz 1 EStG die höheren steuerrechtlichen Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung („dauernde“ Wertminderung) beschreibt und damit zum Ausdruck bringen soll, dass eine Teilwertabschreibung nur unter den handels- und den steuerrecht31 Hennrichs in Tipke/Lang22, § 9 Rz. 320; weniger deutlich Hennrichs in Tipke/ Lang23, § 9 Rz. 320 Fn. 758.

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lichen Voraussetzungen zulässig, dann aber auch geboten ist. Lässt der Wortsinn beide Interpretationen zu, gewinnen Zweck und Entstehungsgeschichte an Bedeutung. Der Zweck eines steuerlichen Wahlrechts zur Teilwertabschreibung bleibt dunkel, die Entstehungsgeschichte des BilMoG spricht gegen ein Wahlrecht, jedenfalls hatte die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme ein solches verneint.32 Gleichwohl sind die Auffassungen im Schrifttum geteilt.33 Die Befürworter dieses Wahlrechts verweisen auf seine Notwendigkeit, um ungewollte Belastungswirkungen der pauschalen Fiktion nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben bei Teilwertabschreibungen auf Anteile an Kapitalgesellschaften nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG zu vermeiden. Die Verwaltungspraxis zeigt die Schwierigkeiten eines Wahlrechts, dessen Zweck ungeklärt ist, dort, wo es versagt werden soll, wenn eine „willkürliche Gestaltung“ vorliegt. Der Vorwurf der willkürlichen Gestaltung setzt voraus, dass es einen Maßstab für die Ausübung des Wahlrechts gibt. Diesen legt die Verwaltungspraxis nicht offen. Sie kann es auch nicht, solange der Zweck des Wahlrechts nicht offengelegt wird. Für die Praxis ergibt sich daraus eine missliche doppelte Rechtsunsicherheit. Da sich die Rspr. bisher nicht zum Bestehen eines Wahlrechts bei § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG geäußert hat, sind Rechtsmittel gegen die Feststellung der willkürlichen Wahlrechtsausübung mit dem Risiko behaftet, dass die Verwaltungspraxis insgesamt nicht bestätigt und das Wahlrecht zumindest für Veranlagungszeiträume vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des § 3a EStG gänzlich verworfen wird. Die Bedeutung dieser Neuregelung ist sogleich darzustellen.

4. Aktuelle gesetzliche Regelung in § 3a Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG Die im BMF-Schreiben v. 12.3.2010 manifestierte Verwaltungsauffassung, dass sich aufgrund des Gesetzeswortlauts in § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG eine Einschränkung auf GoB-konforme Wahlrechte verbietet, wurde aktuell durch die gesetzliche Neuregelung in § 3a Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG bestärkt.34 Denn in § 3a Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG heißt es:

32 Gegenäußerung der BReg., BTDrucks. 16/10067, 124. 33 Gabert in HHR, § 5 EStG Rz. 411. 34 Eingefügt durch das Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074.

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses „Sind Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass nach Satz 1 steuerfrei, sind steuerliche Wahlrechte in dem Jahr, in dem ein Sanierungsertrag erzielt wird (Sanierungsjahr) und im Folgejahr im zu sanierenden Unternehmen gewinnmindernd auszuüben. Insbesondere ist der niedrigere Teilwert, der nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 Satz 2 und Nummer 2 Satz 2 angesetzt werden kann, im Sanierungsjahr und im Folgejahr anzusetzen.“

Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er von der von der handelsbilanziellen Verfahrensweise unabhängigen Ausübung der Teilwertabschreibung in der Steuerbilanz ausgeht und erkennt auch ein Wahlrecht zur Teilwertabschreibung an. Die Vorschrift ist nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG idF des JStG 201835 auf Antrag auch auf Sanierungsmaßnahmen vor 2017 rückwirkend anzuwenden. Damit lässt sich die Vorstellung des Gesetzgebers von der Teilwertabschreibung als Wahlrecht nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzen. Zum Zweck des Abschreibungswahlrechts enthält die Gesetzesbegründung zur Einführung des § 3a EStG keine Anhaltspunkte.36 Möglicher verfassungsrechtlicher Kritik an einem zweckfreien Wahlrecht ist der Gesetzgeber damit nicht entgegengetreten.

III. Folgen bei der Bestimmung von Herstellungskosten 1. Angemessener Anteil allgemeiner Verwaltungskosten als Herstellungskosten Das BMF-Schreiben v. 12.3.201037 enthält in Rz. 8 ein Beispiel zum Einbeziehungswahlrecht nach § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB. Hiernach ist der Kaufmann nicht verpflichtet, sondern berechtigt, angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtung des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung bei der Berechnung der Herstellungskosten einzubeziehen. Fraglich ist nun, welche steuerlichen Konsequenzen aus diesem handelsrechtlichen Einbeziehungswahlrecht im Lichte der Neuformulierung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG zu ziehen sind. Grundsätzlich sind bei der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 35 Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 11.12.2018, BGBl. I 2018, 2338. 36 BT-Drucks. 18/12128, 31. 37 BMF v. 12.3.2010 – IV C 6 - S 2133/09/10001 – DOK 2010/0188935, BStBl. I 2010, 239 = FR 2010, 398.

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EStG die Herstellungskosten anzusetzen, also alle Aufwendungen, die ihrer Art nach Herstellungskosten sind.38 Aus diesem Grundsatz in Zusammenhang mit der Rspr. des Großen Senats v. 3.2.196939 schlussfolgerte die Finanzverwaltung in dem o.g. BMF-Schreiben, dass auch die in § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB genannten Kosten dem Grunde nach Herstellungskosten seien, die aufgrund des Bewertungsvorbehalts des § 5 Abs. 6 EStG stets steuerlich als Herstellungskosten zu aktivieren seien. Dies sollte auch gelten, wenn der Kaufmann gem. § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB vom Ansatz dieser Kosten als Teil der Herstellungskosten in der Handelsbilanz absehen konnte.

2. Auffassung der Finanzverwaltung Die im BMF-Schreiben v. 12.3.2010 vertretene Auffassung, dass die in § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB aufgeführten Kosten der allgemeinen Verwaltung dem Grunde nach Herstellungskosten sind und auch dementsprechend zu aktivieren sind, findet letztlich ihren Ursprung im Vollkostenansatz40 sowie in der Rspr. des BFH. So hatte der BFH in seinem Urteil v. 21.10.199341 mit Verweis auf die Rspr. des Großen Senats42 entschieden, dass die Aufwendungen, die ihrer Art nach Herstellungskosten sind, bei der steuerlichen Gewinnermittlung als Herstellungskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu einem Aktivierungsgebot führen.

3. Gesetzgeberische Reaktion Es folgte eine sehr kontroverse Diskussion in der Literatur43 und Widerstand in der Wirtschaft, mit der die Finanzverwaltung massiv kritisiert wurde. Diese Kritik an dem hiermit angestrebten Vollkostenansatz44 in der Steuerbilanz führte zunächst zur vorläufigen „Suspendierung“45 der Aussage in Rz. 8 des BMF-Schreibens v. 12.3.2010.

38 39 40 41 42 43 44 45

BFH v. 21.10.1993 – IV R 87/92, BStBl. II 1994, 176. BFH v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291. Vgl. hierzu Schumann, DStZ 2013, 474. BFH v. 21.10.1993 – IV R 87/92, BStBl. II 1994, 176. BFH v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291. Vgl. zum Meinungsstand Prinz, StbJb. 2016/2017, 346–351. Vgl. hierzu Schumann, DStZ 2013, 474. Vgl. BMF v. 25.3.2013 – IV C 6 - S 2133/09/10001 :004 – DOK 2012/1160068, BStBl. I 2013, 296 = StBW 2013, 347.

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Schließlich reagierte jedoch der Gesetzgeber in dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens46 mit der Einführung des § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG. Hierdurch wird das handelsrechtliche Wahlrecht gem. § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB, bei der Berechnung der Herstellungskosten auf den Einbezug bestimmter nicht produktionsbezogener Kosten zu verzichten, auch im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung ermöglicht. Auch wenn der Gesetzgeber durch die Etablierung des steuerlichen Wahlrechts das unveränderte Begriffsverständnis des Vollkostenansatzes zu bestätigen scheint,47 wird hierdurch ein steuerliches Einbeziehungswahlrecht eingeführt. Der Gesetzgeber möchte mit dieser Einführung eines an der handelsrechtlichen Verfahrensverweise ausgerichteten Wahlrechts zu einer Vereinfachung bei der Ermittlung von Herstellungskosten iSd. § 253 Abs. 3 Satz 3 HGB beitragen. Zu diesem Zweck enthält § 6 Abs. 1 Nr. 1b Satz 2 EStG einen Übereinstimmungsvorbehalt für die Gewinnermittlung nach § 5 EStG: bei der Berechnung der Herstellungskosten brauchen angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung sowie angemessene Aufwendungen für soziale Einrichtungen des Betriebs, für freiwillige soziale Leistungen und für die betriebliche Altersversorgung iSd. § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB dann nicht einbezogen werden, wenn dies in Übereinstimmung mit Handelsbilanz erfolgt. Letztlich bestätigt der Gesetzgeber jedoch in der Gesetzesbegründung den bisherigen Vollkostenansatz der Finanzverwaltung, wenn es dort heißt: „Durch die Einführung der neuen Nummer 1b wird das steuerrechtliche Aktivierungsgebot für Kosten der allgemeine Verwaltung dem handelsrechtlichen Aktivierungswahlrecht angeglichen und in die Steuerbilanz übernommen.“48

Die damit gesetzlich geregelt Rückausnahme zu § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG ist insofern konsequent, als bereits das handelsrechtliche Wahlrecht in § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB eine Vereinfachungsfunktion in Gestalt einer Bewertungserleichterung enthält. Wird diese Bewertungserleichterung im Handelsrecht nicht in Anspruch genommen und der Nachweis der Zuordenbarkeit der Kosten der allgemeinen Verwaltung erbracht, lässt es sich schwer begründen, diese Erleichterung nur in der Steuer-

46 Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens v. 18.7.2016, BGBl. I 2016, 1679. 47 Vgl. hierzu Schumann/Hörhammer in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerecht3, Rz. 2641. 48 Vgl. BT-Drucks. 18/8434, 116.

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bilanz in Anspruch zu nehmen. Überzeugend ist deshalb aber auch, das Wahlrecht entsprechend in der Steuerbilanz zu gewähren.

IV. Rückstellungsbewertung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1. Praktische Relevanz durch handelsrechtliche Änderungen Nach der Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit in § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG aF gewann die Formulierung des Einleitungssatzes in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG eine neue Bedeutung. Hier heißt es: „Rückstellungen sind höchstens insbesondere unter Berücksichtigung folgender Grundsätze anzusetzen[…]“ Diese – zugegebenermaßen – nicht aus sich selbst direkt verständliche Formulierung wird sodann durch Heranziehung der Gesetzesmaterialien verständlich. In der Gesetzesbegründung hierzu heißt es nämlich: „Zum Einleitungssatz: Klarstellung, dass die in § 6 Absatz 1 Nummer 3a EStG genannten Grundsätze keine abschließende Aufzählung enthalten. Die beispielsweise in § 5 EStG festgelegten Regeln sind ebenfalls zu beachten. Ist der Ausweis für die Rückstellung in der Handelsbilanz zulässigerweise niedriger als der sich nach § 6 Absatz 1 Nummer 3a EStG ergebende Ausweis, so ist der Ausweis in der Handelsbilanz für die Steuerbilanz maßgebend.“49

Bisher erhielt diese Aussage insofern keine praktische Bedeutung, als die bisherigen handelsrechtlichen Bewertungsgrundsätze bis zum BilMoG nie dazu führten, dass es bei der Rückstellungsbewertung in der Handelsbilanz zu einem niedrigeren Ausweis als in der steuerlichen Bewertung kam. Dies war zum einen durch das fehlende Abzinsungsgebot im Bereich der handelsrechtlichen Rückstellung bedingt. Und zum anderen war der handelsrechtliche Abzinsungssatz bis zum BilMoG so ausgestaltet, dass der handelsrechtliche Wert bei Rückstellungsbewertung nie unter dem steuerrechtlichen lag. Durch das BilMoG wurde dies sodann durch die Neuregelung in § 253 Abs. 2 HGB anders: hiernach sind künftig alle handelsrechtlichen Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr – und damit auch solche für Sachleistungsverpflichtungen – mit einem fristenkongruenten Marktzinssatz abzuzinsen. Bislang war eine Abzinsung nur dann zulässig, wenn in der zugrunde liegenden Verbindlichkeit ein Zinsanteil enthalten war. Damit kann sich aus dieser handelsrechtlichen Änderung zukünftig die Situation – vor allem im Bereich der Sachleistungs49 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/443, 23.

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verpflichtungen – ergeben, dass der handelsrechtliche Wert unter dem steuerlich ermittelten Wert nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG liegt.50 Zudem wurde handelsrechtlich ein durchschnittlicher Marktzins bei der Rückstellungsbewertung eingeführt. Nach dem BilMoG ist hier mit dem durchschnittlichen Marktzins am Bilanzstichtag abzuzinsen, bei dem der Durchschnitt über die letzten sieben Geschäftsjahre zu bilden ist. Steuerrechtlich wird hingegen mit einem pauschalen Zinssatz von 5,5 % abgezinst.51 Damit kann es verstärkt zu der Konstellation kommen, die in der o.g. Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG dargestellt wurde: der handelsrechtliche Wert liegt unter dem in der steuerrechtlichen Bewertung. Diese Situation tritt verschärft im Bereich der Sachleistungsverpflichtungen auf, da hier der handelsrechtliche Abzinsungszeitraum vom steuerrechtlichen Zeitraum abweicht: Während nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG die Rückstellung für Sachleistungsverpflichtungen bis zum Beginn der Erfüllung abzuzinsen ist, kommt es handelsrechtlich zu einem längeren Abzinsungszeitraum.

2. Auffassung der Finanzverwaltung Aufgrund dieser handelsrechtlichen Änderungen bei der Bewertung von Rückstellungen kam es, vor allem im Bereich der Sachleistungsverpflichtungen, auf die Auslegung des Eingangstexts des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG an. Die Finanzverwaltung sieht im Gesetzestext sowie der entsprechenden Gesetzesbegründung den Grund für eine sog. „Deckelung“ des steuerlichen Werts gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG auf den niedrigeren handelsrechtlichen Wert.52 Diese Auffassung wird auch durch die Rspr. des BFH gestützt. Dieser hatte mit Urteil vom 11.10.201253 über einen Sachverhalt sog. Gemeinkosten, die der Pflicht zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen geschuldet sind, zu entscheiden. Im Rahmen seiner Begründung hebt der BFH sodann hervor: „Auszugehen ist hierbei davon, dass § 6 Absatz 1 Nummer 3a EStG die Bewertung von Rückstellungen nicht abschließend regelt, sondern – wie dem auf Vorschlag des Finanzausschusses eingeführten Einleitungssatz der Vorschrift unmissverständlich zu entnehmen ist – die nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz zu beach50 Vgl. zu den Effekten Hörhammer/Schumann in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht3, Rz. 2650. 51 „Erfüllungsbetrag“ iSd. § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB. 52 R 6.11 EStR. 53 BFH v. 11.10.2012 – I R 66/11, BStBl. II 2013, 676 = FR 2013, 501.

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses tende handelsrechtliche Bewertung nur dann durchbricht, wenn die steuerrechtliche Sonderbestimmung des § 6 Absatz 1 Nummer 3a Buchstabe a bis e EStG 2002 dazu führen, dass der handelsrechtliche Wertansatz (Höchstwert) unterschritten wird.“

3. Literaturauffassung Im Schrifttum ist diese Verwaltungspraxis auf Kritik gestoßen. Die Regelungen über die Rückstellungsbewertung bildeten nach § 5 Abs. 6 EStG ein vorrangiges steuerliches Bewertungssystem. Eine Lücke, die durch einen Rückgriff auf handelsrechtliche GoB geschlossen werden müsste, sei nicht ersichtlich. Und § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG sei die gesetzgeberische Wertung einer abschließenden Bewertungsregel zu entnehmen. Schließlich könne kein gesetzgeberisches Meistbegünstigungsgebot entnommen werden.54

4. Stellungnahme Anzinger Die Kritik im Schrifttum überzeugt in ihrer Abstimmung der handelsund steuerlichen Bewertungsregeln nicht, kann aber das Argument für sich in Anspruch nehmen, dass der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen Handels- und Steuerbilanzrecht an vielen Stellen nicht folgerichtig ausgestaltet. Ausgangspunkt bleiben nach der Grundkonzeption der Maßgeblichkeit stets die GoB. Mit Wörtern wie „dürfen“, „können“ oder eben auch „höchstens“ formulierte der Gesetzgeber einst Einschränkungen der Passivierung oder gewinnmindernder Abschreibungen im Verhältnis zu den handelsrechtlichen Vorschriften. Dementsprechend verweist der Einleitungssatz des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG ebenfalls auf eine solche durch den nachfolgenden Katalog an Bewertungsvorschriften gestaltete Obergrenze. Im Einzelfall kann dieses System durchbrochen werden, etwa wenn sich aus dem Zweck einzelner Regelungen deren abschließender und auch die GoB verdrängender Charakter ergibt. Denkbar ist dies etwa bei § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG. Ein anderes Auslegungsergebnis, iS der Kritik des Schrifttums an der Verwaltungspraxis, kann sich ergeben, wenn der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen Handels- und Steuerbilanzrecht weiter ohne inneres System gestaltet. 54 Briesemeister/Joisten/Vossel, FR 2013, 164 (165 ff.); Kahle, DStR 2018, 976 (979); Kahle, DStZ 2017, 904 (910); Günkel/Bongaerts in Prinz/Kanzler (Hrsg.), NWB Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht2, Rz. 5626a; Hainz, BB 2016, 1194; Prinz/Hütig, StuB 2012, 798 f.; Schiffers/Köster, DStZ 2013, 844; Schubert/Adrian in Beck BilKomm.11, § 274 HGB Rz. 224.

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V. Anwendbarkeit der Lifo-Methode 1. Neue Rechtsunsicherheiten nach BilMoG Ausgangspunkt für die jahrzehntelange Diskussion in der Literatur,55 sowie zwischen Finanzverwaltung und Stpfl. war die Auslegung des BFH-Urteils v. 20.6.2000.56 Hier hatte der BFH entschieden, dass eine Lifo-Bewertung nicht den handelsrechtlichen GoB entspreche und somit auch steuerrechtlich ausgeschlossen sei, wenn die Vorräte mit absolut betrachtet hohen Erwerbsaufwendungen in Frage stehen, die Anschaffungskosten ohne Weiteres identifizierbar seien und den einzelnen Vermögensgegenständen angesichts deren individueller Merkmale ohne Schwierigkeiten zugeordnet werden könnten. Durch die Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit durch das BilMoG stellte sich auch die Frage nach der Erheblichkeit des Tatbestandsmerkmals der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die steuerliche Lifo-Methode in § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG. Es stellte sich die Frage, ob es sich auch bei der Lifo-Methode zukünftig um ein eigenständiges Wahlrecht iSd. § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 nach dem BilMoG handelt, das zukünftig autark von der handelsrechtlichen Bewertungsmethode angewandt werden kann.

2. Verwaltungspraxis Die Verwaltungsanweisungen sahen bisher vor, dass nach R 6.9 Abs. 2 EStR die Lifo-Methode den handelsrechtlichen GoB entsprechen muss. Andererseits sieht R 6.9 Abs. 1 EStR vor, dass die Anwendung der LifoMethode nicht voraussetzt, dass der Stpfl. die Wirtschaftsgüter auch in der Handelsbilanz nach dieser Methode zwingend bewerten muss. Diese beiden Grundaussagen vorausgesetzt, nimmt das BMF-Schreiben v. 12.5.201557 zur Bewertung des Vorratsvermögens nach § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG Stellung. Hierbei wird herausgestellt, dass es sich bei der steuerlichen Lifo-Bewertung um ein eigenständiges Wahlrecht iSd. § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 handelt. Dieses kann unabhängig davon ausgeübt 55 Drüen/Mundfortz, DB 2014, 2245; Herzig, DB 2014, 1756; Hildebrandt, DB 2011, 1999; Hüttemann/Meinert, DB 2013, 1865. 56 BFH v. 20.6.2000 – VIII R 32/98, BStBl. II 2001, 636 = FR 2000, 1348 mit Anm. Meurer, BB 2015, 1394. 57 BMF v. 12.5.2015 – IV C 6 - S 2174/07/10001 :002 – DOK 2015/0348300, BStBl. I 2015, 462 = FR 2015, 530.

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werden, ob in der Handelsbilanz das entsprechende Wahlrecht gem. § 256 Satz 1 HGB ausgeübt wurde. Auch eine Einzelbewertung im IFRSAbschluss steht der Anwendung der Lifo-Methode in der Steuerbilanz nicht entgegen. Die handelsrechtliche Bewertungsvereinfachung Lifo muss jedoch handelsrechtlich dem Grunde nach zulässig sein. Die LifoMethode muss dabei nicht mit der tatsächlichen Verbrauchs- und Veräußerungsfolge übereinstimmen.

3. Stellungnahme (Anzinger) Bei der Lifo-Methode handelt es sich um ein Bewertungsvereinfachungsverfahren. Wo aufgrund der Fortschritte der Informationstechnologe und Änderungen der Betriebsabläufe kein Anlass für eine Bewertungsvereinfachung besteht, entfällt die Rechtfertigung für eine Durchbrechung des Einzelbewertungsgrundsatzes. Der Verwaltungspraxis ist darin zuzustimmen, dass es auf die tatsächliche Verbrauchs- und Veräußerungsfolge nicht ankommt. Eine Bewertung nach der Lifo-Methode ist aber nur dann zulässig, wenn sich die tatsächliche Verbrauchs- und Veräußerungsfolge nicht einfach bestimmen lässt. Dann kommt es auf diese Reihenfolge nicht an, weil man sie nicht kennt. Wenn man sie kennt oder einfach kennen kann, entfällt die Rechtfertigung für eine Bewertungsvereinfachung. Das gilt auch dann, wenn der Stpfl. sich, bildlich gesprochen, die Augen verbindet, um nicht sehen zu müssen, was er aus dem Lager holt, die alte oder die neue Ware. So lässt sich die programmtechnische Unterdrückung von Informationen umschreiben, die nicht genügen kann, um das Lifo-Verfahren doch zu rechtfertigen. Wo ERPund Warenwirtschaftssysteme eingesetzt werden und eine Verbrauchsfolge heute betriebstypisch erfassen, ist für Lifo-Verfahren kein Raum. Auf die Frage einer einheitlichen Wahlrechtsausübung kommt es deshalb gar nicht mehr an. Würde man die Anwendung der Lifo-Methode hingegen als steuerliche Subvention qualifizieren, wäre § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG als Subventionswahlrecht nach allen Auffassungen von § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EStG erfasst.

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VI. Mögliche Auswirkungen der Änderungen des § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB auf die ertragsteuerliche Organschaft 1. Änderung der handelsrechtlichen Bewertung von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen Durch das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften v. 11.5.201658 wurden die Bewertungsvorschriften von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen geändert. Demnach sind solche Rückstellungen nicht mehr mit dem durchschnittlichen Marktzins, der sich aus den vergangenen sieben Geschäftsjahren ergibt, sondern mit dem Marktzinssatz abzuzinsen, der sich aus den vergangenen zehn Geschäftsjahren ergibt (§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB). Durch die Anwendung dieser neuen Abzinsungsregelung ergeben sich in der Handelsbilanz der nächsten Jahre voraussichtlich geringere Rückstellungen und damit höhere Gewinne als bisher.59 Der durch die Neuregelung entstehende Unterschiedsbetrag zwischen den auf Basis des Zehnjahresdurchschnitts und den auf Basis des Siebenjahresdurchschnitts ermittelten Pensionsrückstellungen unterliegt gem. § 256 Abs. 2 Satz 2 HGB einer Ausschüttungssperre. Der Unterschiedsbetrag ist im Anhang oder unter der Bilanz darzustellen. Da die Neuregelung in § 253 HGB nur für die Handelsbilanz gilt und für die Steuerbilanz weiterhin die Bewertungsvorschrift des § 6a EStG unverändert geblieben ist, wird steuerbilanziell unverändert mit einem Zinssatz von 6 % gerechnet und es bestehen Bewertungsunterschiede in Handels- und Steuerbilanz.60

2. Ausschüttungssperre (§ 256 Abs. 6 HGB) gleich Abführungssperre? In der Folge stellte sich die Frage, ob die Ausschüttungssperre des § 256 Abs. 6 HGB auch als Abführungssperre im Rahmen einer Organschaft zu interpretieren ist. § 301 AktG sieht nach dem BilMoG vor, dass eine Ge-

58 Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften v. 11.3.2016, BGBl. I 2016, 396. 59 Dazu Anzinger, DStR 2016, 1829 (1831). 60 Kritisch hierzu Bolik/Sellig-Kraft, SteuK 2016, 247; Anzinger, DStR 2016, 1829 (1832).

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sellschaft „als ihren Gewinn höchstens den ohne die Gewinnabführung entstehenden Jahresüberschuss, vermindert um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr, um den Betrag, der nach § 300 in die gesetzliche Rücklage einzustellen ist, und den nach § 268 Absatz 8 HGB ausschüttungsgesperrten Betrag, abzuführen hat.“ Eine um den nach § 253 Abs. 6 Satz 2 HGB ausschüttungsgesperrten Betrag ergänzende Regelung ist jedoch in § 301 AktG unterblieben. Eine korrespondierende Abführungssperre bei Gewinnabführungsverträgen wurde, anders als für die Gewinne aus der Aktivierung selbst geschaffener Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, nicht geregelt. Daraus schlussfolgert die Finanzverwaltung in ihrem BMF-Schreiben v. 23.12.2016,61 dass die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG iVm. § 301 AktG notwendige Abführung des gesamten Gewinns (weiterhin) voraussetzt, dass auch Gewinne, die auf der Anwendung des § 253 HGB beruhen, vollständig an den Organträger abzuführen sind. Eine analoge Anwendung der Abführungssperre verbietet sich aufgrund des Fehlens einer planwidrigen, durch Analogie zu schließenden Regelungslücke. Diese „Ungleichbehandlung“ zwischen der Ausschüttungssperre nach § 253 Abs. 6 HGB und der fehlenden gesetzlichen Aufnahme einer Abführungssperre in § 301 AktG wurde in der Literatur kritisiert.62 Hierzu lässt sich jedoch sagen, dass der Gesetzgeber trotz entsprechender Hinweise im Gesetzgebungsverfahren eine entsprechende gesetzliche Änderung unterlassen und sich damit bewusst gegen eine der Ausschüttungssperre entsprechenden Abführungssperre entschieden hat.

3. Mögliche Einstellung in eine Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG Folge der oben dargestellten Auffassung im BMF-Schreiben v. 23.12.201663 ist, dass die sich aus der Änderung des § 253 Abs. 2 HGB für die Bewertung von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen ergebenden Abstockungsgewinne nicht abführungsgesperrt sind und als Teil des „ganzen Gewinns“ iSd. § 14 Abs. 1 KStG iVm. § 301 AktG abzuführen sind.

61 BMF v. 23.12.2016 – IV C 2- -S 2770/16/10002 – DOK 2016/1157209, BStBl. I 2017, 41 = GmbHR 2017, 167. 62 Hageböcke/Henntrich, DB 2017, 22; Kröner, WPg. 2017, 796. 63 BMF v. 23.12.2016 – IV C 2- -S 2770/16/10002 – DOK 2016/1157209, BStBl. I 2017, 41 = GmbHR 2017, 167.

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Das BMF-Schreiben sieht in der Änderung des § 253 HGB alleine keine grundsätzliche Rechtfertigung für die Einstellung in eine Gewinnrücklage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG in Höhe des nicht abgeführten Abstockungsgewinns. Dennoch kann es im Einzelfall möglich sein, dass die Einstellung in eine Rücklage nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein könnte. Ein solcher Ausnahmefall könnte beispielsweise angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Organträger aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht für die künftige Erfüllung der Altersversorgungsverpflichtung einstehen wird. Eine Rücklageneinstellung könnte daher auch dann prüfungswürdig sein, wenn ein betriebswirtschaftliches Gutachten eines Versicherungs- oder Pensionsprüfers vorliegt, das eine Erhöhung des Eigenkapitals zur Risikoabdeckung durch die Organgesellschaft für erforderlich hält. Sollte eine Einstellung in eine Rücklage nicht möglich sein, sieht das BMF-Schreiben zur Vermeidung unbilliger Härten bei der erstmaligen Anwendung der Grundsätze des Schreibens eine Übergangsregelung vor, wenn die Abführung des entsprechend zu ermittelnden Unterschiedsbetrags (Abstockungsgewinn) spätestens in dem nächsten nach dem 31.12.2016 aufzustellenden Jahresabschluss nachgeholt wird.

VII. „Ausweismaßgeblichkeit“ 1. Relevanz einer EK-/FK-Ausweismaßgeblichkeit Dem Ausweis von mezzaninen Finanzinstrumenten im Eigen- oder Fremdkapital der Steuerbilanz ist im Schrifttum eine zweifache Bedeutung zugeschrieben worden. Innerhalb der Bilanz wirkt sich die Umwandlung von Fremdkapitalinstrumenten in Eigenkapitalinstrumente (Debt-Equity-Swap) idR gewinnerhöhend aus. Diese negative steuerliche Wirkung unterbleibt, wenn ein Fremdkapitalinstrument auch nach Änderung der Rückzahlungsbedingungen und Einordnung als handelsrechtliches Eigenkapitalinstrument in der Steuerbilanz weiter dem Fremdkapital zuzuordnen ist.64 Außerhalb der Steuerbilanz soll nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum und nach der Verwaltungspraxis der Ausweis eines Finanzinstruments mit dem Betriebsausgabenabzugs-

64 Breuninger/Ernst, GmbHR 2012, 494; Höng, Ubg. 2014, 27; Lechner/Haisch, Ubg. 2012, 115; Link/Schlotter, StbJb. 2014/2015, 325; Oelke/Wöhlert/Degen, BB 2010, 299 (300 f.); Rusch/Brocker, ZIP 2012, 2193.

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verbot des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG tatbestandsmäßig verknüpft sein.65 Schließlich erlangt die Einordnung in jüngster Zeit eine neue Relevanz für die Behandlung der Einnahmen aus einem Initial Coin Offering (ICO).66

2. Verwaltungsauffassung Ausgangspunkt für die nun seit langem geführte Diskussion der bilanziellen Abbildung von Genussrechten67 war die Verfügung der OFD Rheinland v. 14.12.201168. Sie setzte sich mit Sachverhalten auseinander, bei denen sich in der Krise befindliche Kapitalgesellschaften unter Einsatz von Genussrechten steuerneutral entschulden wollten. Hierzu wurden nicht werthaltige Gesellschafterdarlehen in Genussrechte umgewandelt (sog. „Debt-Mezzanine-Swap“). Entsprechend der Maßgabe durch den Hauptfachausschuss in HFA 1/199469 ging die Finanzverwaltung davon aus, dass die Genussrechte handelsbilanziell als Eigenkapital zu werten seien und zugleich die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 KStG nicht erfüllen, da es idR an einer Beteiligung am Liquidationserlös fehle. Die Finanzverwaltung trat mit der Anweisung der hierzu in der Literatur vertretenen Auffassung70 entgegen, dass die Genussrechte zwar handelsrechtlich Eigenkapital darstellen, es sich steuerlich jedoch um Fremdkapital handele. Diese Verwaltungsauffassung wurde sodann mit der Verfügung der OFD NRW v. 12.5.2016 bekräftigt.71 Als Begründung wurde hierzu auf den Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG verwiesen, so dass eine handelsrechtliche Umqualifzierung der Verbindlichkeit in Eigenkapital infolge des Maßgeblichkeitsgrundsatzes auch eine steuerbilanzielle Umqualifizierung in Eigenkapital nach sich zieht. Ertragsteuerlich führte diese Auffassung zu einem steuerbilanziellen Ertrag, der im Fall der Werthaltigkeit der

65 Altvater/Hübner, RdF 2017, 65 (68); Höng, Ubg. 2014, 27 (31). 66 Niedling/Merkel, RdF 2018, 141 (146). 67 Altvater/Hübner, RdF 2017, 65; Anzinger, RdF 2018, 64; Höng, Ubg. 2014, 27 (31); Schrecker, Mezzanine-Kapital im Handels- und Steuerrecht, 2012, 95 ff. 68 OFD Rheinland v. 14.12.2011 – Nr. 56/2011, DB 2012, 21 = FR 2012, 191. 69 Hauptfachausschuss des IdW, HFA 1/1994, WPg 1994, 419. 70 Hoffmann, StuB 2016, 761. 71 OFD NRW v. 12.5.2016 – S 2742 - 2016/0009 - St 131, DB 2016, 1407 = GmbHR 2016, 1338.

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Forderung nicht durch den Abzug einer verdeckten Einlage außerbilanziell kompensiert werden konnte. Sowohl die Auslegung durch das IDW als auch die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung erfordern zum einen eine Auseinandersetzung mit der Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital innerhalb der Bilanz und zum anderen eine Untersuchung der möglichen Auswirkungen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes auf diese Qualifizierung im Einzelfall.

3. Literaturauffassung und Auffassung Anzinger Von einem Teil des Schrifttums ist die Verwaltungspraxis mit drei Argumenten angefochten worden. Die Geltung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes erstrecke sich nicht auf den Bilanzausweis. Zudem sei das Eigenkapital eine reine Saldogröße. Im Betriebsvermögensvergleich bilde es kein eigenständiges Zuordnungssubjekt. Und schließlich würde eine Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Ausweises für Genussrechte durch die besonderen Regeln des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG durchbrochen.72 Keines dieser Argumente überzeugt. Zutreffend ist, dass die handelsrechtlichen Gliederungsvorschriften nicht für die Steuerbilanz gelten und daher der Maßgeblichkeitsgrundsatz nicht die Zuordnung zu einzelnen Posten der Bilanz regelt und insbes. nicht die Aufgliederung des Eigenkapitals erfasst. Für den Bilanzansatz entscheidend ist aber die Qualifikation und Zuordnung von Schulden. Sie sind vom Eigenkapital abzugrenzen. Ein Genussrecht, das nach den GoB beim Kapitalnehmer als Verbindlichkeit zu qualifizieren ist, muss auch in der Steuerbilanz als Verbindlichkeit angesetzt werden. Daraus ergibt sich reflexhaft in der Negativabgrenzung, dass ein nach den GoB als Schuld auszuweisendes Finanzinstrument in der Steuerbilanz nicht im Eigenkapital ausgewiesen werden darf. Für die Abgrenzung von Schulden enthält das Steuerrecht keine eigenständigen Regeln. Es folgt den GoB und damit im Ergebnis, materiell, den Regeln für den Ausweis in der Handelsbilanz. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG enthält demgegenüber keine Bilanzierungsvorschrift, sondern eine Regelung über die Einkünfteermittlung, die sich außerhalb der Bilanz auswirkt.73 Deren Anwendung vollzieht sich unabhängig von der bilanziellen Zuordnung von mezzaninen Fi72 Breuninger/Ernst, GmbHR 2012, 494; Höng, Ubg. 2014, 27; Lechner/Haisch, Ubg. 2012, 115; Link/Schlotter, StbJb. 2014/2015, 325; Oelke/Wöhlert/Degen, BB 2010, 299 (300 f.); Rusch/Brocker, ZIP 2012, 2193. 73 Zutreffend Schallmoser in HHR, § 8 KStG Rz. 204.

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nanzinstrumenten, wie zum Beispiel Genussrechten. Deshalb durchbricht diese Vorschrift die Maßgeblichkeit nicht.74 Ausgangspunkt der Zuordnung von Finanzinstrumenten zum Eigenoder Fremdkapital bilden damit die GoB. Folgt man mit dem IDW dem Konzept einer materiellen (funktionalen) Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital, sind die funktionalen Merkmale von Eigenkapital maßstabsbildend. Das sind durch Eigenkapital vermittelte Mitwirkungsrechte und Anknüpfungskriterien für die Verantwortungsverteilung in der Gesellschaft, die Funktion der Gewinn- und Verlustverteilung, die Darstellung einer letztrangigen Haftungsmasse für alle Gläubiger und die Arbeits- und Kontinuitätsfunktion. Das IDW verknüpft den materiellen Eigenkapitalbegriff mit der Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung und diese mit der Voraussetzung einer Mindestlaufzeit der Kapitalüberlassung von fünf Jahren und einer Restlaufzeit am Stichtag von zwei Jahren. Überzeugend ist demgegenüber eine Zuordnung zum Eigenkapital erst dann, wenn die Haftungs-, Arbeits- und Kontinuitätsfunktion durch eine Laufzeitbindung gewährleistet ist, die eine Unentziehbarkeit des Kapitals durch den Kapitalgeber für die Dauer der längstlaufenden Verpflichtung bei nächstmöglicher Beendigung des Geschäftsbetriebs gewährleistet. Mit dieser Anforderung dürften Genussrechte in ihrer regelhaften Ausgestaltung nach den GoB bereits in der Handelsbilanz und damit auch in der Steuerbilanz dem Fremdkapital zuzuordnen sein.75

4. Mögliches Umdenken bei der Auslegung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (Hörhammer) Ausgangspunkt ist die Wirkungsweise des Maßgeblichkeitsgrundsatzes nach § 5 Abs. 1 EStG. Es stellt sich die Frage nach der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB für die steuerliche Bilanzierung und ob dieser Grundsatz auch für rein gliederungsrechtliche Vorschriften, wie § 266 Abs. 3 HGB, Geltung erlangen kann.

74 Janetzko in HHR, § 8 KStG Rz. 231; Lang in Dötsch ua., Die KSt., § 8 Abs. 3 KStG, Teil A Rz. 133; Große, DStR 2010, 1397 (1398); Anzinger, RdF 2018, 64 (69); aA Altvater/Hübner, RdF 2017, 65 (69); Breuninger/Ernst, GmbHR 2012, 494 (496); Höng, Ubg. 2014, 27 (31). 75 Dazu Anzinger, RdF 2018, 64 (71).

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§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG schreibt für die steuerliche Gewinnermittlung vor, dass das Betriebsvermögen anzusetzen ist, das nach den handelsrechtlichen GoB auszuweisen ist. Im Lichte dieser gesetzlichen Regelung ist bereits fraglich, ob der Hauptfachausschuss des IDW mit seiner abstrakten Auslegung von Genussrechten in IDW HFA 1/1994 den GoB entspricht.76 Davon unabhängig stellt sich konkret für die steuerliche Gewinnermittlung jedoch die Frage nach der Reichweite der Maßgeblichkeit der GoB. Diese Grundsätze sind ein System von Regeln und Konventionen, das die gesamte handelsbilanzrechtliche Rechnungslegung umfasst und entsprechend § 243 HGB für Kaufleute Gültigkeit hat. Der Begriff der GoB stellt hierbei einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der durch Rechtsnormen und Rspr. geprägt ist und von der Rspr. und Verwaltung jeweils im Einzelnen auszulegen und anzuwenden ist.77 Diese Grundsätze können sich durch Handelsbrauch, ständige Übung, Gewohnheitsrecht, gutachterliche Stellungnahmen und technische Änderungen weiterentwickeln und unterliegen demzufolge einem Wandel. Ausgangspunkt für die Auslegung der GoB sind die Grundprinzipien, die insbes. aus § 252 HGB abgeleitet werden können. Hierbei stellt § 252 HGB jedoch keine abschließende Grundlage dar. Die hieraus erwachsenen Grundprinzipien (Vollständigkeitsprinzip, Vorsichtsprinzip, Goingconcern-Prinzip etc.) sind dabei rechtliche Obersätze, aus denen unter Berücksichtigung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses einzelne (konkrete) Grundsätze entwickelt werden können. Hierbei ist auch der Zweck der Handelsbilanz zu beachten. Unter dieser Prämisse lässt sich zwar festhalten, dass auch die Empfehlung und die Verlautbarung des IDW einen Beitrag zur Auslegung der GoB beitragen können und auch in der Praxis Berücksichtigung finden. Für den konkreten Sachverhalt lässt sich jedoch festhalten, dass für die Zuordnung eines Wirtschaftsvorfalls zum Eigen- oder Fremdkapital – sowohl in der Handelsbilanz als auch Steuerbilanz – kein GoB besteht, nach dem dieser Sachverhalt grundsätzlich handelsrechtlich dem Eigen- oder Fremdkapital zuzuordnen ist. Denn die GoB gehen stets über die allgemeinen Gliederungsregelungen des § 266 HGB hinaus. Erst das materielle Bilanzrecht kann im Einzelfall darüber entscheiden, ob ein Finanzinstrument als Verbindlichkeit oder im Rahmen des Eigenkapitals Berücksichtigung findet. 76 Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072; Anzinger, RdF 2018, 64. 77 BVerfG v. 10.10.1961 – 2 BvL 1/59, BVerfGE 13, 153 = MDR 1962, 26.

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Erst dieser materiell-rechtliche Grundsatz würde einen GoB begründen, der wiederum aufgrund der Maßgeblichkeit des § 5 Abs. 1 EStG in die steuerliche Gewinnermittlung Einzug erhalten könnte. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass bereits fraglich ist, ob die abstrakten Maßstäbe der IDW-HFA Verlautbarung 1/1994 ausreichend wären, um die Qualität eines GoB zu erlangen.78 Zumindest kann hieraus allein ordnungsrechtlich über § 266 HGB unter Zuhilfenahme des Maßgeblichkeitsgrundsatzes kein Gliederungszwang für die steuerliche Gewinnermittlung gezogen werden.

VIII. Zukunft der Maßgeblichkeit nach der GKB Die Europäische Kommission hat am 25.10.201679 einen neuen und überarbeiteten Richtlinien-Entwurf für einen Vorschlag zur Neuauflage der Gemeinsamen (Konsolidierten) Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (G[K]KB) vorgelegt.80 Dieser sieht gegenüber dem aus dem Jahr 2011 stammenden Richtlinien-Vorschlag ein zweistufiges Rechtssetzungsverfahren vor. Danach sollen in einem ersten Schritt die Regeln für eine gemeinsame Bemessungsgrundlage implementiert werden. Die Konsolidierung soll dann in einem zweiten Schritt eingeführt werden.81 Grundsätzlich umfasst der Vorschlag einer GKB einheitliche Regeln für die Berechnung steuerpflichtiger Gewinne der in der EU tätigen Unternehmen. Die Idee ist, dass zukünftig Unternehmen zur Berechnung ihres Gewinns für Steuerzwecke anstelle der bisherigen nationalen unterschiedlichen Gewinnermittlungssysteme nur die Regeln eines einzigen EU-Systems zu befolgen haben. Nach diesem Grundverständnis sollen Unternehmen einen einheitlichen Rahmen der Unternehmensbesteuerung für Geschäftsaktivitäten im Binnenmarkt an die Hand gegeben bekommen. Der Vorschlag sieht nicht einen Vermögensvergleich vor, sondern beinhaltet eine Gegenüberstellung von Ertrag und Aufwand als Ausgangspunkt der Gewinnermittlung.82 78 So auch im Ergebnis Anzinger, RdF 2018, 64. 79 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage vom 25.10.2016 (COM(2016)) 685 final. 80 Zur Gewinnermittlungskonzeption und Entwicklung der G(K)KB Kahle/ Schulz, FR 2013, 49; Marx, DStZ 2011, 547; Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 180 f. 81 Scheffler/Köstler, ifst-Schrift 518 (2017). 82 Hennrichs in Festschr. 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, 1411 (1429); Scheffler/Köstler, ifst-Schrift 518 (2017), 30 ff.

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses

Im Rahmen der Verhandlungen zu diesem Richtlinien-Vorschlag stellt sich auf europäischer Ebene die Frage nach dem Verhältnis des GKB-Vorschlags zu den bisher schon bestehenden EU-Bilanz-Richtlinien83. Diese Richtlinien stellen bereits auf europäischer Ebene einen einheitlichen Rahmen für die Rechnungslegung bestimmter Unternehmen dar. Ausweislich der Erwägungsgründe der Richtlinie sollen diese Rahmenbedingungen dazu führen, dass die Gliederungsformen für Bilanzen in der Weise beschränkt werden, „dass es den Nutzern von Abschlüssen ermöglicht werden soll, die finanzielle Lage von Unternehmen innerhalb der Union besser vergleichen zu können“. Damit besteht bereits für die in den Anwendungsbereich der EU-Bilanz-Richtlinie fallenden Unternehmen ein europäisches einheitliches System der Rechnungslegung. Diese EU-Bilanz-Richtlinie wurde schließlich durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG)84 in nationales Recht umgesetzt und das HGB wurde hierdurch modifiziert. Damit stellt die Bilanzrichtlinie für den Jahresabschluss der unter die Richtlinie fallenden Unternehmen bereits einen ordnungsrechtlichen Rahmen und harmonisierte Maßstäbe für die Gewinnermittlung bereit. Parallel dazu handelt es sich bei dem Richtlinien-Vorschlag der GKB um die Bestrebung, einen einheitlichen Rahmen für die steuerliche Gewinnermittlung in den einzelnen Mitgliedstaaten zu begründen. Dementsprechend haben sich Deutschland und Frankreich als Ergebnis des Deutsch-Französischen Ministertreffens in Meseberg am 19.6.2018 (sog. Meseberger-Erklärung)85 gemeinsam zu den im Rahmen der GKBRichtlinie vorgeschlagenen Grundsätzen für die Erfassung von Gewinn und Verlusten bekannt.86 In der Erklärung heißt es hierzu: „Nichtsdestotrotz sind beide Länder der Ansicht, dass diese Grundsätze durch eine allgemeine Vorschrift ergänzt werden sollten, nach der die Bemessungsgrund83 EU-Jahresabschluss-Richtlinie v. 26.6.2013 (Richtlinie 2013/34/EU) idF der Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2014. 84 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates. 85 Im Internet abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/ erklaerung-von-meseberg-1140536 (zuletzt abgerufen am 31.5.2019). 86 Dazu Dölker, BB 2018, 666.

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Anzinger/Hörhammer, Grundsatzfragen des Maßgeblichkeitsverständnisses lage anhand von Grundsätzen der Rechnungslegung ermittelt und anhand des Betriebsvermögensvergleichs berechnet wird, damit ein einfaches und vergleichbares Verfahren Anwendung findet und der bürokratische Aufwand so gering wie möglich bleibt.“

Durch diese Erklärung wird deutlich, dass die Regelungen der GKB – sollten sie in nationales Recht umgesetzt werden – weiterhin auch Regelungen zur Rechnungslegung erforderlich machen. Demnach wäre das bisher nationale System der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB nach § 5 Abs. 1 EStG, auch bei Geltung der GKB-Grundsätze, für den steuerlichen Betriebsvermögensvergleich erheblich, wenn nicht sogar zwingend notwendig. Das führt zu der abschließenden Überlegung, ob nicht bereits auf europäischer Ebene über eine Weiterentwicklung der Jahresabschlussrichtlinie und eine Annäherung der GKB an die durch diese geprägten europäischen GoB nachgedacht werden sollte. Dazu wären Mitgliedstaaten- und Unternehmerwahlrechte in der Jahresabschlussrichtlinie zu reduzieren. Eine GKB könnte sodann einen Grundsatz der materiellen Maßgeblichkeit aufnehmen und auch Maßstäbe einer Überleitungsrechnung vorstrukturieren. Damit wäre ein Grundgerüst für ein System der steuerlichen Gewinnermittlung angelegt, das in der GKB-Richtlinie näher ausgestaltet werden kann und dabei auch Durchbrechungen der Maßgeblichkeit enthalten wird. Der Vorzug dieser Herangehensweise wäre, dass auf bekannten und in vielen Teilen bereits durch Rechtsprechung und Verwaltungspraxis vorgeprägten Instituten aufgebaut werden könnte. Bestehende Prinzipien könnten als Auslegungsleitlinie für ein europäisches Steuerbilanzrecht zusätzlich zur Rechtssicherheit beitragen. Ein weiterer Vorzug wäre, dass sowohl Staaten als auch Stpfl. zu einer besonnenen Gestaltung der Bemessungsgrundlage verpflichtet würden. Auf dem Weg zu einer solchen europäischen Maßgeblichkeit bietet sich der vorerwähnte Zwischenschritt an, in den nationalen Rechtsordnungen bei der Umsetzung einer GKB auf bewährten und rechtssicher vorstrukturierten Instituten aufzubauen. Eine Steuerbilanz wird auch in einer als reine Gewinnermittlung konzipierten GKB nicht entbehrlich sein. Mit den Folgefragen nach einer europäischen Finanzgerichtsbarkeit und einer Abstimmung der Verwaltungspraxis ist zunächst der erste Richtlinienvorschlag wiederzuentdecken, der dazu Vorüberlegungen enthalten hatte.

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Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums Regierungsdirektor Thomas Stimpel Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Steuerberater Prof. Dr. Andreas Schumacher Bonn I. Einführung II. Wirtschaftliches Eigentum an Anteilen an Kapitalgesellschaften III. Wirtschaftliches Eigentum an Mitunternehmeranteilen

IV. Wirtschaftliches Eigentum bei Ketteneinbringungen V. Wirtschaftliches (Mit-)Eigentum bei Teilbetrieben VI. Wirtschaftliches Eigentum bei Sicherungstreuhand

I. Einführung Nach § 39 Abs. 1 AO sind Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zuzurechnen. Übt jedoch ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen (sog. wirtschaftliches Eigentum). Beispiele für das wirtschaftliche Eigentum enthält § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO. Danach sind Wirtschaftsgüter bei Treuhandverhältnissen dem Treugeber, beim Sicherungseigentum dem Sicherungsgeber und beim Eigenbesitz dem Eigenbesitzer zuzurechnen. Die Rspr. hat für verschiedene Fallgruppen Kriterien herausgearbeitet, die nachfolgend an den untersuchten praktisch relevanten Fallgruppen erläutert werden.

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Stimpel/Schumacher, Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums

II. Wirtschaftliches Eigentum an Anteilen an Kapitalgesellschaften Nach stRspr. des BFH sind Anteile an einer Kapitalgesellschaft dem Käufer eines Anteils bereits vor dem Übergang des zivilrechtlichen Eigentums zuzurechnen, wenn der Käufer –

aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Anteils gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und



die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie



das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind.

Bei der Prüfung dieser Merkmale ist zu berücksichtigen, dass der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen ist. Eine von der zivilrechtlichen Inhaberstellung abweichende Zuordnung kann deshalb auch anzunehmen sein, wenn die vorstehend genannten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Zudem ist nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend.1 Beispiel 1:2 Die M AG schloss am 1.9.2006 einen Vertrag über den Verkauf sämtlicher Anteile an ihrer Tochtergesellschaft T GmbH ab. Als Effective Date wurde der 1.7.2006 bestimmt, die Kaufpreiszahlung erfolgte am 15.12.2006 (inklusive einer Verzinsung ab dem 1.7.2006). Aufschiebende Bedingung für die dingliche Übertragung war die Genehmigung durch die zuständigen Kartellbehörden. Während die USBehörde im November 2006 zustimmte, erfolgte die Zustimmung der EU-Behörde erst im Mai 2007. Das Gewinnbezugsrecht stand ab dem Effective Date dem Käufer zu und die M AG stand dafür ein, dass die T GmbH ihr Unternehmen bis zum Closing im gewöhnlichen Umfang fortführte und bestimmte Maßnahmen nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung des Erwerbers durchgeführt wurden.

1 Vgl. zB zu Put/Call-Strukturen BFH v. 11.7.2006 – VIII R 32/04, BStBl. II 2007, 296 = FR 2007, 251; v. 15.10.2013 – I B 159/12, BFH/NV 2014, 291; zur Wertpapierleihe BFH v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961 = FR 2016, 369. 2 Stark vereinfachter Sachverhalt von BFH v. 26.9.2018 – I R 16/16, GmbHR 2019, 548 (Vorinstanz: FG Münster v. 19.11.2015 – 9 K 3400/13 K, F, EFG 2016, 592).

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Stimpel/Schumacher, Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums Die M AG ging von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums im Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung am 15.12.2006 aus. Das FA war hingegen der Auffassung, dass das wirtschaftliche Eigentum bereits am 1.9.2006 überging, so dass die Verzinsung ab dem 1.9.2006 nicht Bestandteil des Veräußerungsgewinns iSd. § 8b Abs. 2 KStG ist.

Vorliegend hing der Anteilserwerb von der Genehmigung durch die Kartellbehörden ab, auf die der Käufer keinen Einfluss hatte. Daher ist bereits das erste Merkmal – eine Position des Käufers auf Erwerb der Anteile, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann – nicht erfüllt.3 Ob dies anders gesehen werden könnte, wenn kartellrechtliche Gesichtspunkte einer Anteilsübertragung zweifelsfrei nicht entgegenstehen, blieb in der Vorinstanz zum Revisionsverfahren I R 16/16 offen, da ein solcher Fall nicht vorlag.4 Die Verzinsung bis zur Kaufpreiszahlung ist jedenfalls bei Restzweifeln an der Genehmigung durch die Kartellbehörden Bestandteil des Veräußerungspreises iSd. § 8b Abs. 2 KStG. Die erforderliche (und zuvor auch tatsächlich zweifelhafte) Genehmigung der EU-Kartellbehörde lag erst im Mai 2007 vor, so dass der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums der Anteile – anders als von den Beteiligten unterstellt wurde – erst zu diesem Zeitpunkt anzunehmen ist.5 In der Praxis kann das wirtschaftliche Eigentum an Anteilen insbes. bei Vereinbarungen mit einem Minderheitsgesellschafter von Bedeutung sein. Beispiel 2: Ein Investor erwirbt 94 % der Anteile an einer GmbH, die inländischen Grundbesitz hält. Zur Vermeidung des Anfalls von Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG erwirbt ein Co-Investor die restlichen 6 % der Anteile.6 Dem Co-Investor stehen die Rechte aus seinen Anteilen uneingeschränkt zu. Dem Co-Investor wird vom Investor eine Mindestrendite zugesichert. Bei Verkauf der Anteile er-

3 Vgl. BFH v. 25.6.2009 – IV R 3/07, BStBl. II 2010, 182 = FR 2010, 329; v. 26.9.2018 – I R 16/16, GmbHR 2019, 548, Rz. 34. 4 Vgl. FG Münster v. 19.11.2015 – 9 K 3400/13 K, F, EFG 2016, 592, Rz. 68. 5 Zutreffend wäre es daher, erst in diesem Zeitpunkt die Gewinnrealisierung anzunehmen und § 8b Abs. 2 und 3 KStG anzuwenden (zur Stichtagsbezogenheit dieser Einkommenskorrekturen BFH v. 22.12.2010 – I R 58/10, BStBl. II 2015, 668 = FR 2011, 472; v. 12.3.2014 – I R 55/13, BStBl. II 2015, 658 = FR 2014, 811; BMF v. 24.7.2015 – IV C 2 - S 2750-a/07/10002 :002 – DOK 2015/0606474, BStBl. I 2015, 612 = FR 2015, 814). 6 Hinweis auf die derzeit diskutierten Gesetzesänderungen, insbes. die Einführung eines § 1 Abs. 2b GrEStG.

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Stimpel/Schumacher, Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums folgt zwischen Investor und Co-Investor ein Barausgleich, durch den der Investor Chancen und Risiken trägt.

Aufgrund der Rspr. des BFH zur Anwendung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO bei der Zurechnung von Anteilen an Personengesellschaften für Zwecke des § 1 Abs. 2a GrEStG7 kann nicht ausgeschlossen werden, dass für die grunderwerbsteuerliche Zurechnung der Anteile des Co-Investors auf die Grundsätze des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zurückgegriffen werden könnte. Dann würde Grunderwerbsteuer ausgelöst werden, wenn der Investor wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile des Co-Investors an der Ziel-GmbH wäre. Dies ist jedoch im Beispiel nicht der Fall, weil der Investor keine auf den Erwerb des Anteils gerichtete Position erworben hat. Allein das Tragen von Chancen und Risiken aus den Anteilen durch den Investor ist nicht ausreichend. Ergänzung des Beispiels 2: Zusätzlich zu den vorgenannten Vereinbarungen hat der Investor das Recht, nach Ablauf einer Frist einen Dritten zu benennen, an den der Co-Investor den Anteil verkaufen muss.

Das Benennungsrecht des Investors führt zwar dazu, dass dem Co-Investor der Anteil nach Ablauf einer bestimmten Frist gegen seinen Willen entzogen werden kann. Der Investor hat dadurch jedoch keine auf den Erwerb des Anteils gerichtete Position erworben, da er nur einen Dritten benennen und nicht selbst erwerben kann. Allein die Möglichkeit, dass die Anteile zu einem späteren Zeitpunkt auf einen noch nicht konkret bestimmten Dritten übergehen können, reicht für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht aus.8 Zwar ist nach der BFH-Rspr. das wirtschaftlich Gewollte ausschlaggebend. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise ist jedoch nur in dem von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO gesetzten Rahmen anwendbar.

7 Vgl. BFH v. 9.7.2014 – II R 49/12, BStBl. II 2016, 57 = GmbHR 2014, 1171; v. 25.11.2015 – II R 18/14, BStBl. II 2018, 783 = GmbHR 2016, 255; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314 = ErbStB 2019, 14, Tz. 5.1.2. 8 Vgl. FG Münster v. 19.11.2015 – 9 K 3400/13 K, F, EFG 2016, 592, Rz. 70 jedenfalls für den Fall, dass Wertsteigerungen dem Gesellschafter zustehen.

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Stimpel/Schumacher, Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums Beispiel 3: An der JV GmbH sind die A AG mit 40 % und die B AG mit 60 % beteiligt. Die Anteile der A AG an der JV GmbH unterliegen wegen einer Einbringung zu Buchwerten gem. § 20 UmwStG der Sperrfrist des § 22 Abs. 1 UmwStG. Die A AG hat im Rahmen der Einbringung eine Put-Option erhalten, aufgrund derer sie ihre Anteile jederzeit an die B AG verkaufen kann. Sie übt diese Put-Option nach Ablauf der Sperrfrist aus.

Da nur die A AG eine Put-Option hat, hat die B AG keine auf den Erwerb der Anteile gerichtete Rechtsposition. Unabhängig von der Ausgestaltung der Put-Option und der Gesellschafterrechte bei der JV GmbH kann die B AG daher nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile sein. Dabei ist es nicht von Bedeutung, wie wirtschaftlich vorteilhaft und damit wie wahrscheinlich die Ausübung der Put-Option durch die A AG ist. Denn die B AG ist nicht in der Lage, die A AG iSd. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich auszuschließen.9 Falls die B AG auch eine Call-Option hat, muss eine Einzelfallprüfung auf Grundlage der vom BFH aufgestellten Grundsätze erfolgen. Wenn der A AG quotenentsprechende Gesellschafterrechte (insbes. Gewinnbezugsrecht, Stimmrecht) zustehen, ist die B AG danach grundsätzlich nicht wirtschaftlicher Eigentümer. Dies gilt auch für einen Minderheitsgesellschafter, obwohl dieser in der Gesellschafterversammlung vom Mehrheitsgesellschafter überstimmt werden kann. Allerdings können Stimmrechtsvereinbarungen, durch die ein Gesellschafter die ihm zustehenden Rechte nicht mehr durchsetzen kann, dazu führen, dass ein Übergang der Stimmrechte angenommen wird.10

III. Wirtschaftliches Eigentum an Mitunternehmeranteilen Im Ergebnis gelten die Grundsätze zu Anteilen an Kapitalgesellschaften entsprechend für Mitunternehmeranteile.

9 Vgl. zur vergleichbaren Frage beim Leasing BFH v. 13.10.2016 – IV R 33/13, BStBl. II 2018, 81 = FR 2017, 527; v. 21.12.2107 – IV R 56/16, BFH/NV 2018, 597. 10 Vgl. BFH v. 11.7.2006 – VIII R 32/04, BStBl. II 2007, 296 = FR 2007, 251, Rz. 31 in juris; v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539 = FR 2018, 951, Rz. 45.

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Stimpel/Schumacher, Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums Beispiel 4:11 Die Kommanditisten der A KG schlossen am 14.1.2000 Verträge über den Verkauf ihrer Kommanditanteile und ihrer Anteile an der Komplementär-GmbH in zwei Tranchen. Dabei wurde vereinbart, dass 75 % des Kommanditkapitals zum 31.1.2000 und die restlichen 25 % des Kommanditkapitals zum 31.1.2001 übergehen sollten. Die Gewinne für die restlichen 25 % standen ab dem 31.1.2000 dem Erwerber zu und die Altgesellschafter mussten ihre Stimm- und Mitwirkungsrechte in Übereinstimmung mit dem Erwerber ausüben. Das FA ging davon aus, dass die Veräußerung der Mitunternehmeranteile vollständig im Jahr 2000 zu erfassen war.

Die steuerlichen Rechtsfolgen liegen neben der zeitlichen Erfassung des Veräußerungsgewinns in der Anwendung der Steuerermäßigung nach § 35 EStG12 und der Anwendung des § 7 Satz 2 GewStG.13 Der BFH wandte für die Frage des Zeitpunkts der Veräußerung des Mitunternehmeranteils § 39 AO an, obwohl ein Mitunternehmeranteil kein Wirtschaftsgut ist. Denn ein Mitunternehmeranteil verkörpert die Zusammenfassung aller Anteile an den Wirtschaftsgütern, die zum Gesellschaftsvermögen gehören und die dem Gesellschafter zuzurechnen sind. Erfüllt ein anderer als der zivilrechtliche Gesellschafter die Voraussetzungen eines Mitunternehmers, weil er anstelle des Gesellschafters vollständig dessen gesellschaftsrechtliche Position einnehmen kann, die es ihm ermöglicht, Mitunternehmerrisiko zu tragen und Mitunternehmerinitiative zu entfalten, ist diesem der Anteil an der Personengesellschaft als wirtschaftlichem Eigentümer zuzurechnen.14 Hierfür muss der Erwerber eine unentziehbare Rechtsposition auf den Erwerb der Anteile haben und zudem müssen Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative übergegangen sein. Aufgrund der getroffenen Vereinbarungen zur Gewinnbeteiligung und den Stimmrechten war dies auch für die restlichen 25 % der Fall.

11 Stark vereinfachter Sachverhalt von BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539. 12 Diese steht nur den am Ende des Erhebungszeitraums beteiligten Mitunternehmern zu (vgl. BFH v. 14.1.2016 – IV R 5/14, BStBl. II 2016, 875; BMF v. 3.11.2016, BStBl. I 2016, 1187, 28). 13 Bei Annahme einer Veräußerung der restlichen 25 % in 2001 läge in 2000 unabhängig von der Rechtsform der Mitunternehmer eine gewerbesteuerpflichtige Teilanteilsveräußerung vor. 14 Vgl. BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539, Rz. 32 f.

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IV. Wirtschaftliches Eigentum bei Ketteneinbringungen Sog. Kettenumwandlungen haben in der Praxis bei der Abwicklung von Umwandlungsvorgängen eine erhebliche Bedeutung. Hierbei sind Vorgänge gemeint, bei denen auf den gleichen steuerlichen Übertragungsstichtag mehrere Übertragungen iSd. UmwStG durchgeführt werden. Die umwandlungssteuerrechtliche Beurteilung dieser Umwandlungsvorgänge bestimmt sich im Grundsatz nach der vom Stpfl. gewählten Reihenfolge.15 So ist es regelmäßig unproblematisch, bei Kettenumwandlungen die jeweils einander nachgeschalteten Umwandlungsvorgänge auf den gleichen Stichtag durchzuführen. Dies ist bei zulässiger Inanspruchnahme der steuerlichen Rückwirkung regelmäßig ein in der achtmonatigen Vergangenheit liegender steuerlicher Übertragungsstichtag und hat zur Folge, dass bei Kettenumwandlungen mit Ausnahme der letzten Umwandlung die vorangegangenen Umwandlungsvorgänge nur für eine juristische Sekunde vollzogen werden. Dies wirft die Frage auf, ob diese eine juristische Sekunde zur Erlangung von wirtschaftlichem Eigentum iSv. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ausreichen kann und welche steuerlichen Rechtsfolgen dies im Fall einer Verneinung auslösen kann. Problematisch ist dies in erster Linie bei Einbringungsvorgängen und Beteiligungen von Mitunternehmerschaften, da die Erlangung einer Mitunternehmerstellung von der ausreichenden Ausprägung der Merkmale Mitunternehmerinitiative und Mitunterrisiko abhängt. Der BFH hat mit Urteil vom 26.1.201116 grundsätzlich entschieden, dass ein zivilrechtlicher Durchgangserwerb (in Gestalt einer juristischen Sekunde) nicht zwangsläufig auch einen steuerlichen Durchgangserwerb iS der Erlangung des wirtschaftlichen Eigentums begründen müsse. Vielmehr sei die steuerliche Zuordnung nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zu beurteilen. Bei der Feststellung des wirtschaftlichen Eigentums gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO komme es entscheidend auf das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte an, also auf die konkreten tatsächlichen Umstände. Hierfür sei eine juristische Sekunde unerheblich, da sie nur eine nicht reale gedankliche Hilfskonstruktion darstelle.17 15 Siehe hierzu Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 2 UmwStG Rz. 38–41 mwN. 16 BFH v. 26.1.2011 – IX R 7/09, BStBl. II 2011, 540 = FR 2011, 529. 17 Im konkreten Urteilsfall ging es um die Steuerpflicht eines Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG unter Zugrundelegung der Wesentlichkeitsgrenze von 10 % im Streitjahr. Der Ehemann erwarb einen Anteil von 15 % und

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Diese restriktive Sichtweise ist indes im Kontext von Kettenumwandlungen nicht einschlägig bzw. diese führen aus anderen Gründen gleichwohl auch zur Erlangung von wirtschaftlichem Eigentum. Zu unterscheiden sind hier zwei verschiedene Sachverhaltsszenarien. Zum einen die Einbringung eines Mitunternehmeranteils (Beispiel 5) und zum anderen die Einbringung einer begünstigten Sachgesamtheit18 in eine Mitunternehmerschaft (Beispiel 6). Beispiel 5: M AG MU-Anteil Einbringung I T GmbH MU-Anteil

• Die M AG bringt den MU-Anteil (Einbringung I) gegen Gewährung neuer Anteile gem. § 20 Abs. 5 und 6 UmwStG in 02 rückwirkend zum 31.12.01 in die T GmbH ein • Auf den demselben steuerlichen Übertragungsstichtag bringt die T-GmbH den MU-Anteil in die E-GmbH ein.

Einbringung II E GmbH

Der Mitunternehmeranteil kann der T GmbH steuerlich maximal nur für eine logische Sekunde zugerechnet werden. Diese Zurechnung ist steuerlich essenziell, weil nur hierdurch die gewünschte zweifache Einbringung eines Mitunternehmeranteils iSv. § 20 UmwStG möglich wäre. Zwar müsste man die Erlangung des wirtschaftlichen Eigentums für diese eine Sekunde bei der T GmbH vor dem Hintergrund des o.a. BFHUrteils v. 26.1.201119 verneinen. Dies wird hier jedoch durch die bei Umwandlungsvorgängen fast ausnahmslos gesetzlich normierte steuerliche Rechtsnachfolge verdrängt. So tritt der übernehmende Rechtsträger (hier T GmbH im Rahmen der Einbringung I) gem. § 23 UmwStG iVm. §§ 12 Abs. 3, 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG in die Rechtsstellung des

räumte seiner Ehefrau entsprechend einem vorab geschlossenen Unterbeteiligungsvertrag ab dem Tag des Erwerbs eine Unterbeteiligung von 5,1 % ein. Der BFH lehnte es ab, dem Ehemann auch nur für eine juristische Sekunde die gesamten Anteile zuzurechnen, da bezüglich der 5,1 % von Beginn an wirtschaftliches Eigentum zugunsten der Ehefrau bestanden habe. 18 Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil. 19 BFH v. 26.1.2011 – IX R 7/09, BStBl. II 2011, 540 = FR 2011, 529.

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übertragenden Rechtsträgers ein. Dies bedeutet, dass der von der M AG gehaltene Mitunterunternehmeranteil20 der T-GmbH als steuerlicher Rechtsnachfolger für die erforderliche juristische Sekunde zuzurechnen ist. Diesbezüglich ist auch irrelevant, ob in einer derart kurzen Zeitspanne überhaupt eine Mitunternehmerstellung begründet werden kann.21 Die Mitunternehmerstellung muss hier nämlich nicht erst von der T GmbH erstmals begründet werden,22 sondern ihr wird die in der Ausgangssituation bestehende Mitunternehmerstellung der M AG zugerechnet. Dies hat der BFH in einem Realteilungsfall, bei dem im Vorfeld einer Realteilung eine kurzfristige Einbringung eines Mitunternehmeranteils nach § 24 UmwStG in eine zwischengeschaltete Oberpersonengesellschaft erfolgt ist, mit Urteil v. 30.3.201723 ausdrücklich bestätigt. Hiernach könne dahinstehen, ob der Erwerb einer Mitunternehmerstellung überhaupt von einer zeitlichen Komponente abhänge oder ob bereits ein Durchgangserwerb ausreiche. Die Mitunternehmerstellung der Zielgesellschaft ergebe sich vielmehr schon aus deren Eintritt in die steuerliche Rechtsstellung des Einbringenden gem. §§ 24 Abs. 4, 23 Abs. 1, 12 Abs. 3 UmwStG. Dieser Lösungsansatz (steuerliche Rechtsnachfolge) greift indes gem. § 23 Abs. 1–3 UmwStG nur bei Ansatz der Buchwerte, Zwischenwerte oder gemeinen Werte iVm. einem Vorgang der Gesamtrechtsnachfolge. Soll bei einer Einbringung im Wege der Einzelrechtsnachfolge der Ansatz von gemeinen Werten erfolgen, kommen die Regelungen der steuerlichen Rechtsnachfolge nicht zur Anwendung. Nur in diesem Fall kommt es also auf die höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage an, ob eine „Ein-Sekunden-Mitunternehmerstellung“ denkbar ist. Der BFH-Rspr.24 ist jedoch uE die klare Tendenz zu entnehmen, auch in die-

20 In ihrer Person sind die hierfür erforderlichen Merkmale der Mitunternehmerinitiative und des Mitunternehmerrisikos in der Ausgangslage unzweifelhaft gegeben. 21 Zu einer nur kurzfristigen Mitunternehmerstellung s. BFH v. 22.6.2017 – IV R 42/13, FR 2018, 312. 22 Auch dies würde man indes bejahen, wenn man die abstrakte Gefahr eines verlustbringenden Ereignisses in dieser einen Sekunde für die Bejahung eines Mitunternehmerrisikos für ausreichend erachten würde. In diese Richtung gehend BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766 = FR 2016, 510. 23 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29, Rz. 37. 24 BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766 = FR 2016, 510; v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29.

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sen Fällen eine Mitunterstellung zu bejahen.25 Dies leitet sich aus der streng zeitpunktbezogenen Betrachtungsweise ab, die der BFH bei Umstrukturierungsvorgängen in inzwischen gefestigter Rspr. vornimmt und hierbei eine Verklammerung mehrerer Vorgänge unter dem Blickwinkel eines sog. Gesamtplans kategorisch abgelehnt.26 Ist nach den o.a. Erwägungen die Einbringung I wegen Begründung auch von wirtschaftlichem Eigentum bei der T GmbH nach § 20 UmwStG begünstigt, dann erfüllt auch die zweite Einbringung die Voraussetzungen des § 20 UmwStG, weil die T GmbH sodann in die Lage versetzt ist, den in sie eingebrachten Mitunternehmeranteil weiter einzubringen. Beispiel 6: M AG MU-Anteil

Ausgliederung

T KG Einbringung T GmbH

• Die M AG bringt den MU-Anteil (Einbringung I) gegen Gewährung eines Kommanditanteils im Rahmen einer zivilrechtlichen Ausgliederung nach § 24 UmwStG rückwirkend zum 31.12.01 in die T KG ein (§§ 24 Abs. 4, 20 Abs. 5 und 6 UmwStG ) • Auf den demselben steuerlichen Übertragungsstichtag bringt die T-KG den MU-Anteil rückwirkend gem. § 20 UmwStG in die T-GmbH ein.

Die Anwendung des § 24 UmwStG auf die Ausgliederung auf die T KG erfordert, dass die M AG Mitunternehmer wird. Die Anwendung des § 20 UmwStG auf die Einbringung in die T GmbH erfordert, dass ein Mitunternehmeranteil eingebracht wird. Dieser Fall ist insoweit vom vorangegangenen Beispielsfall zu unterscheiden, als die erwähnten Regelungen zur steuerlichen Rechtsnachfolge hier nicht weiterhelfen bzw. nicht einschlägig sind. Die für die Anwendbarkeit von § 24 UmwStG auf die Einbringung I erforderliche Erlangung einer Mitunternehmerstellung der M AG in der T KG kann nur durch die Einbringung unmittelbar begründet werden, weil sie kein zurechenbares 25 AA Pyszka, GmbHR 2017, 721; zu den Fallkonstellationen s. auch Bohn, DStR 2018, 1265. 26 Etwas Anderes könne nur unter Heranziehung von § 42 AO anzunehmen sein. Die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs ist in dem hier relevanten Kontext indes auszuschließen.

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bereits in der Ausgangslage bei der M AG bestehendes Tatbestandsmerkmal ist.27 Hier kommt es entscheidend darauf an, ob die steuerliche Zurechnung für eine logische Sekunde unter dem Blickwinkel des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO für die Begründung einer Mitunternehmerstellung ausreicht. Bejaht man dies aufgrund der obigen Erwägungen, würde die beschriebene Kettenumwandlung funktionieren. Anderenfalls müssten unterschiedliche steuerliche Übertragungsstichtage gewählt werden.

V. Wirtschaftliches (Mit-)Eigentum bei Teilbetrieben Im Rahmen des UmwStG gelten die allgemeinen Grundsätze für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern. Daher liegt die Übertragung eines Wirtschaftsguts vor, wenn das wirtschaftliche Eigentum übergeht. Dies entspricht im Grundsatz der Auffassung der Finanzverwaltung28 und der hM im steuerlichen Schrifttum.29 Die Rspr. hat sich hierzu noch nicht abschließend bekannt. Während der BFH in seinem Urteil v. 7.4.201030 ausdrücklich offen gelassen hat, ob die Begründung von wirtschaftlichem Eigentum ausreichend ist, hat dies zumindest das FG Berlin-Brandenburg mit rechtskräftigem Urteil v. 1.7.201431 abgelehnt. Von hoher praktischer Bedeutung ist diese Rechtsfrage bei der Bestimmung von nach dem UmwStG begünstigten Sachgesamtheiten, insbes. im Zusammenhang mit dem steuerlichen Teilbetrieb, dessen es insbes. bei Spaltungsvorgängen (Ab- und Aufspaltung sowie Ausgliederung) nach §§ 15, 20 UmwStG zur Erlangung einer Steuerneutralität bedarf. Erforderlich ist nach Verwaltungsauffassung unter Zugrundlegung des sog. europäischen Teilbetriebsbegriffs die Übertragung aller nach funktiona-

27 Dies gilt selbst dann, wenn die M AG bereits vor der Ausgliederung Mitunternehmer der T KG ist. Der Anwendungsbereich von § 24 UmwStG ist für die Einbringung I nur eröffnet, wenn sie diese Mitunternehmerstellung durch zusätzliche (für sich eine Mitunternehmerstellung gewährende) Gesellschaftsrechte erweitert. 28 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 15.07. 29 Siehe hierzu Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 15 UmwStG Rz. 102 mwN. 30 BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467 = FR 2010, 890, Rz. 28. 31 FG Berlin-Brandenb. v. 1.7.2014 – 6 K 6085/12, EFG 2014, 1928, rkr.

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len Gesichtpunkten wesentlichen Betriebsgrundlagen und der nach wirtschaftlichen Zusammenhängen zuordenbaren Wirtschaftsgüter.32 Bei der Beurteilung der Frage, ob es zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums gekommen ist, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 39 Abs. 2 AO. Erfüllt demnach ein Treuhandverhältnis die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO, steht die zivilrechtliche Zurückbehaltung des betreffenden Wirtschaftsguts der wesentlichen Betriebsgrundlage bei der Beurteilung der Teilbetriebseigenschaft nicht entgegen, weil das wirtschaftliche Eigentum übergegangen und dies aus den o.a. Gründen ausreichend ist. Fraglich bzw. unklar ist hierbei aber, ob diese Betrachtung für sämtliche Wirtschaftsgüter gilt oder aber zumindest die Finanzverwaltung bei Grundstücken stets eine Übertragung des zivilrechtlichen Eigentum fordert. Beispiel 7: M AG

T1 GmbH TB 1

TB 2

• Der Teilbetrieb 2 soll von der T1 GmbH auf die T2 GmbH abgespalten werden.

T2 GmbH

• Eine wesentliche Betriebsgrundlage des TB 2 dient beiden Teilbetrieben. Diese soll zivilrechtlich bei der T1 GmbH verbleiben und für die T2 GmbH soll im Spaltungsvertrag wirtschaftliches Miteigentum begründet werden.

Hält man die Übertragung von wirtschaftlichen Eigentum im Grundsatz für ausreichend, ist kein systematisch überzeugender Grund erkennbar, warum hierbei für Grundstücke andere Grundsätze gelten sollen als für die anderen Wirtschaftsgüter. Die Finanzverwaltung fordert diesbezüglich bei gemischt genutzten Grundstücken im Grundsatz eine zivilrechtliche Aufteilung und Übertragung und erkennt nur aus Billigkeitserwägungen eine idelle Aufteilung in Bruchteilseigentum im Verhältnis der tatsächlichen Nutzung an.33 Anderseits wird auch in Rz. 15.08 des

32 Siehe hierzu BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 15.02, Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, Die KSt., § 15 UmwStG Rz. 96 ff. und Schumacher in Rödder/ Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 15 Rz. 135 ff. 33 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 15.08.

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UmwSt.-Erlasses der in der vorangehenden Rz. 15.07 generell und nicht auf bestimmte Wirtschaftgüter eingeschränkte Grundsatz, dass die Übertragung des (nur) wirtschaftlichen Eigentums ausreichend sei, nicht eingeschränkt. Insoweit ist die Verwaltungsauffassung an dieser Stelle wegen dieser fehlenden Verzahnung der beiden Rz. des UmwSt.-Erlasses etwas unklar. Vermutlich hat die Rz. 15.08 des UmwSt.-Erlasses nur den Sonderfall der gemischt genutzten Grundstücke im Blick, so dass wohl die Finanzverwaltung auch bei Grundstücken nicht davon abrücken möchte, dass die Begründung von wirtschaftlichen Eigentum ausreichend ist.34 In konkreten Einzelfall sollte vor dem Hintergrund dieser Unklarheit die Einholung einer verbindlichen Auskunft erwogen werden. Kritisch sind in der Praxis die oben bereits angesprochenen Sachverhalte, in denen eine wesentliche Betriebsgrundlage gemischt genutzt wird, mithin mehreren Teilbetrieben zuzuordnen ist und im Grundsatz ein Spaltungshindernis darstellt. Würde im vorangegangen Beispielsfall das Grundstück beiden Teilbetrieben dienen und zu deren wesentlichen Betriebsgrundlagen zählen, wäre eine steuerneutrale Abspaltung weder bei vollständiger Übertragung noch bei vollständiger Zurückbehaltung möglich, da in beiden Konstellationen dem doppelten Teilbetriebserfordernis nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UmwStG nicht Rechnung getragen werden könnte.35 Gemischt genutzte wesentliche Betriebsgrundlagen müssen im Rahmen einer Spaltung aufgeteilt werden36 (vgl. UmwSt.-Erlass, Rz. 15.08). Da – abgesehen von dem dargestellten „Restrisiko“ bei Grundstücken – das wirtschaftliche Eigentum ausschlaggebend ist, muss eine solche Aufteilung nicht zivilrechtlich durchgeführt werden, sondern kann auch durch Begründung von wirtschaftlichem Miteigentum erfolgen. Zwar reicht im Grundsatz eine bloße Nutzungsüberlassung nicht aus, was die Finanzverwaltung im UmwSt.-Erlass auch ausdrücklich he-

34 In diesem Sinne auch Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 15 UmwStG Rz. 139. 35 Anders wäre es indes bei der Ausgliederung eines Teilbetriebs nach § 20 UmwStG. Da hier das zurückbleibende Vermögen keine Teilbetriebsqualität aufweisen muss, wäre eine vollständige Mitübertragung der gemischt genutzten wesentlichen Betriebsgrundlage steuerneutral möglich. 36 Siehe hierzu die obigen Ausführungen zu BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 15.08.

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rausstellt.37 Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass durch eine klassische Nutzungsüberlassung regelmäßig kein wirtschaftliches Eigentum vermittelt werden kann. Dies muss indes nicht zwingend so sein. So kann das Nutzungsrecht im Einzelfall gezielt so ausgestaltet werden, dass es hierbei nach Maßgabe der allgemeinen Abgrenzungskriterien des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO38 zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums kommt. Dies wäre in Übertragung der Leasing-Grundsätze39 beispielsweise der Fall, wenn über die gesamte betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer ein Nutzungsrecht (im Umfang der Nutzung im betreffenden Teilbetrieb) eingeräumt würde.40 Hierdurch wird von einem materiellen Wirtschaftsgut ein Nutzungsrecht abgespalten, das seinerseits als materielles Wirtschaftsgut (wirtschaftliches Miteigentum) zu bilanzieren ist.41 Auch ist uE der Bilanzansatz des Ausgangswirtschaftsguts entsprechend aufzuspalten, dh. die Anschaffungskosten sind entsprechend ergebnisneutral abzuspalten und fortan dem aufgrund des Nutzungsrechts zu bilanzierenden wirtschaftlichen Miteigentumsanteil zuzuordnen und vom Übernehmer entsprechend weiter zu bilanzieren und abzuschreiben. Durch die Schaffung von wirtschaftlichem Eigentum an einem Teil des Wirtschaftsguts mittels eines anteiligen Nutzungsrechts kann daher ein Wirtschaftsgut passgenau in mehrere Wirtschaftsgüter aufgespalten werden. Dies mag uU Bedenken hervorrufen, ist aber in einem vergleichbaren Sachzusammenhang durchaus im Einklang mit der höchstrichterlichen Rspr. So hat der BFH bezüglich der Quotentreuhand an einem Geschäftsanteil entschieden, dass auch die Treuhand am Teil eines Wirtschaftsguts unter § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO fällt.42

37 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 15.07. 38 Siehe hierzu die Ausführungen zu I. 39 Siehe BMF v. 19.4.1971 – IV B/2 - S 2170 - 31/71, BStBl. I 1971, 264 = StEK EStG § 5 Akt. Nr. 54; v. 21.3.1972 – F/IV B 2 - S 2170 - 11/72, BStBl. I 1972, 264 = StEK EStG § 5 Akt. Nr. 56; v. 23.12.1991 – IV B 2 - S 2170 - 115/91, BStBl. I 1992, 13 = FR 1992, 116. 40 Vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 15 Rz. 155. 41 Dies ist insbes. für die Abschreibung relevant. Hier gelten die bei Mietereinbauten entwickelten Rechtsgrundsätze entsprechend; s. hierzu BFH v. 15.10.1996 – VIII R 44/94, BStBl. II 1997, 533 = FR 1997, 525. 42 BFH v. 6.10.2009 – IX R 14/08, BStBl. II 2010, 460 = FR 2010, 664.

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VI. Wirtschaftliches Eigentum bei Sicherungstreuhand Ein sog. CTA (Contractual Trust Arrangement) beinhaltet eine Verwaltungstreuhand, aufgrund derer der Treuhänder das sog. Planvermögen für den Treugeber verwaltet. Des Weiteren wird idR eine Sicherungstreuhand zugunsten der Arbeitnehmer vereinbart, aufgrund derer die Arbeitnehmer im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers eigenständige Leistungsansprüche gegen den Treuhänder haben. Es handelt sich also hierbei regelmäßig um ein doppeltes Treuhandmodell zur privatrechtlichen Insolvenzabsicherung, bei dem der Arbeitgeber als Treugeber die betreffenden Vermögensgegenstände des Deckungsvermögens (sog. Planvermmögen) auf einen vom Unternehmen unabhängigen Treuhänder („Trust“) überträgt.43 Beispiel 8: Arbeitgeber (Treugeber) 100% T AG h

CTA

Treuhänder

• Der Arbeitgeber hat mit dem Treuhänder ein sog. Contractual Trust Arrangement („CTA“) abgeschlossen. Dieses dient der Absicherung von Ansprüchen der Arbeitnehmer aus betrieblicher Altersvorsorge. • Im Rahmen des CTA überträgt der Arbeitgeber die Aktien an der T AG auf den Treuhänder. • Die T AG hat nicht genutzte Verluste iSd. § 8c KStG.

Handelsrechtliches Ziel ist eine Verrechnung des Planvermögens mit den entsprechenden Rückstellungen nach IFRS und/oder HGB gem. § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB. Das BAG44 hat auch im Insolvenzfall eine wirtschaftliche Zuordnung des Planvermögens zum Vermögen des Treugebers und damit zur Insolvenzmasse bejaht. Es besteht allerdings ein Absonderungsrecht des Treuhänders gem. § 51 Nr. 1 InsO.45 Aus steuerlicher Sicht stellt sich insbes. die Frage, ob das vom Treuhänder verwaltete Vermögen gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO im wirtschaftlichen Eigentum des Treugebers verbleibt. Anderenfalls läge eine Veräußerung dieses Vermögens an den Treuhänder unter Begründung einer Forderung des Treugebers vor und die Einkünfte aus dem Treugut 43 Siehe hierzu Hageböke, DK 2018, 383 (385). 44 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, DB 2013, 2395 = MDR 2013, 1410. 45 Siehe hierzu die Ausführungen zu den insolvenzrechtlichen Rechtsgrundlagen bei Hageböke, DK 2018, 383 (386).

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wären fortan dem Treuhänder zuzurechnen. Im o.a. Beispielsfall würde dies auch zu einem schädlichen Beteiligungserwerb iSd. § 8c Abs. 1 KStG auf der Ebene der T AG führen, weil das Treugut hier eine Mehrheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit nicht genutzten Verlusten ist. Die Finanzverwaltung nimmt im Einklang mit den vom BFH aufgestellten Grundsätzen zur steuerlichen Anerkennung von Treuhandverhältnissen bei CTA-Modellen unter folgenden Voraussetzungen eine unveränderte Zurechnung beim Treugeber unter Annahme von wirtschaftlichem Eigentum vor.46 –

Der Treuhänder hat die überlassenen Barmittel oder anderen Vermögenswerte nach vom Treugeber aufgestellten Richtlinien anzulegen oder zu verwalten;



das eigene Vermögen des Treuhänders und das Treuhandvermögen werden getrennt verwaltet, so dass eine Identifizierung der vom Treuhänder übertragenen Vermögenswerte jederzeit gewährleistet ist;



Geschäfte mit dem Treugut werden im Namen des Treuhänders, aber nur für Rechnung des Treugebers getätigt;



der Treugeber kann die Herausgabe des endgültig nicht mehr benötigten Treuhandvermögens verlangen;



den Treugeber treffen die wirtschaftlichen Entwicklungen der Vermögensanlage einschließlich des Risikos einer Wertminderung sowie der nicht zweckgerichteten Verwendung endgültig.

Diese Voraussetzungen werden in der Praxis regelmäßig erfüllt. Zwingende Rechtsfolge der unveränderten steuerlichen Zurechnung des Planvermögens beim Treugeber ist mithin auch die Erfassung der hieraus erzielten Einkünfte beim Treugeber. Die Frage der Zurechnung der laufenden Einkünfte ist Gegenstand eines derzeit beim BFH unter dem Az. I R 19/18 anhängigen Revisionsverfahrens. Ausweislich des vorinstanzlichen Urteils des FG Düsseldorf47 sind die Verfahrensbeteiligten abweichend von den oa. Grundsätzen aus nicht nachvollziehbaren Gründen von einer Einkünftezurechnung beim Treuhänder ausgegangen. Dies war im Streitfall ein eingetragener Verein, dem aus dem CTA-Vermögen ua. Dividendenerträge zugerechnet 46 BMF v. 18.1.2016 – IV C 1 - S 2252/08/10004 :017 – DOK 2015/0468306, BStBl. I 2016, 85 Rz. 157. 47 FG Düss. v. 15.5.2018 – 6 K 357/15 K, EFG 2018, 1474.

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Stimpel/Schumacher, Praxisfragen des wirtschaftlichen Eigentums

worden sind. Streitig waren die Anwendung des § 8b Abs. 5 KStG und die vorgelagerte Frage der Einkunftserzielungsabsicht. Steuerliche Zurechnungsfragen im Zusammenhang mit § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO sind vom FG Düsseldorf nicht erörtert worden. Diese Entscheidung scheint indes – wie im veröffentlichten Sachverhalt beiläufig erwähnt (Rz. 12) – den Sicherungsfall nach zuvor eingetretener Insolvenz des Treugebers zu betreffen. Aufgrund der dann bestehenden Sicherungstreuhand ist jedoch zweifelhaft, ob das Planvermögen und die Einkünfte daraus dem Treuhänder zuzurechnen sind. Denn wie aus den Grundsätzen der oa. BAG-Entscheidung folgt, ist das Vermögen weiterhin wirtschaftlich dem Treugeber zuzurechnen und eine Verwertung erfolgt zur Erfüllung seiner Verpflichtungen. Ein Zurechnungswechsel zum Treuhänder erfolgt daher auch im Sicherungsfall nicht. Sofern nachfolgend durch den Treuhänder eine Verwertung des Sicherungsguts vorgenommen wird (§ 173 Abs. 1 InsO), erfolgt dies auf Rechnung des Sicherungsgebers, so dass Chancen und Risiken aus dem Treugut unverändert dem Treugeber zustehen.48 Es bleibt daher abzuwarten, ob diese vom FG Düsseldorf vernachlässigte vorgreifliche Rechtfrage vom BFH aufgegriffen wird. Sollte dem so sein, dürfte eine Zurückverweisung des Falls nicht unwahrscheinlich sein.49

48 So auch Hageböke, DK 2018, 383 (389 f.). 49 Es sei denn, die Zurechnung der Einkünfte ist aufgrund von besonderen Umständen des Einzelfalls zutreffend vom FG Düsseldorf geprüft und entschieden worden und dies erschließt sich nur nicht aus der Darstellung des Sachverhalts im veröffentlichten Urteil.

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Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts Prof. Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln I. Zum Einstieg: Steuerbilanzrecht „im Streit“ II. Neues zu Rückstellungen: Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit, BFH v. 27.9.2017 – I R 53/15 (Fall 1) 1. „Dauerbaustelle“ Ansatz/ Bewertung von Rückstellungen in der Steuerbilanz 2. „Überraschungsurteil“ des BFH: Keine Rückstellung für tarifvertraglichen Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit 3. BMF v. 22.10.2018 als Reaktion auf die Rechtsprechung 4. Folgen für die Handelsbilanz III. Steuerbilanzielle Behandlung von Bitcoins/Kryptowährungen (Fall 2) 1. Ausgangspunkt: BlockchainTechnologie, „Krypto-Hype“ und virtuelle Börsengänge als neue steuerbilanzielle Herausforderungen 2. Steuerbilanzielle Grundfragen rund um Kryptowährungen a) Typischer Ausgangssachverhalt b) Erwerb/Verwendung von Bitcoins c) Bitcoin-Mining: Schaffung neuer Bitcoin-Einheiten d) ICO als virtueller Börsengang mit Ausgabe von „Token“

IV. Gewinnübertragung nach § 6b EStG bei Veräußerung an Schwesterpersonengesellschaft: BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14 (Fall 3) 1. Fremdüblicher Wirtschaftsgutverkauf zwischen Schwesterpersonengesellschaften als „steuerschonende Gestaltungsalternative“ 2. BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14: Gewinnübertragung nach § 6b EStG und Wertaufholungsgebot 3. Ergänzende Beratungshinweise V. Anzahlungen und Realisationsprinzip: BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16 (Fall 4) 1. Streit um das Realisationsprinzip als Grundpfeiler handelsrechtlicher GoB 2. BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16: Erhaltene Anzahlungen, Ausstrahlung auf die Aufwendungsseite 3. Wichtige Beratungserkenntnisse VI. Fremdwährungsdarlehen und Teilwertzuschreibung: Divergierende FG-Rechtsprechung (Fall 5) 1. Ausgangspunkt: Höchstwertprinzip bei Fremdwährungsverbindlichkeiten 2. Sicht der Finanzverwaltung im Teilwerterlass 3. Streitige Teilwertzuschreibung bei Schweizer Franken-Darlehen

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts 4. Ergebnisrealisierung bei Fremdwährungsdarlehen 5. Besteuerungspraktische Konsequenzen

VII. Zum Schluss: Plädoyer für mehr Systemorientierung im Bilanzsteuerrecht

I. Zum Einstieg: Steuerbilanzrecht „im Streit“ In den letzten Jahren hat es keinerlei neue strukturgebende Gesetzgebungsmaßnahmen im Steuerbilanzrecht gegeben. Die letzte praxiswichtige Gesetzesänderung betrifft die Anhebung der wertmäßigen Rahmenbedingungen für die Sofortabschreibung von geringwertigen Wirtschaftsgütern (§ 6 Abs. 2 EStG) sowie die Poolabschreibung für Sammelposten (§ 6 Abs. 2a EStG) mit Wirkung ab 1.1.2018.1 Ungeachtet dessen hat die „Zerklüftung“ des Steuerbilanzrechts in den vergangenen Jahren aufgrund der wirtschaftsrealen Entwicklungen und einer Vielzahl höchstrichterlicher Judikate und Anweisungen der Finanzverwaltung nach den Erfahrungen in der Praxis weiter zugenommen. Zu nennen sind etwa folgende Aspekte: –

Die Praxis sucht seit dem BilMoG v. 25.5.2009 weiter nach dem „richtigen“ Maßgeblichkeitsverständnis. Dies betrifft insbes. den Umgang mit steuerlichen Wahlrechten und etwaigen Steuerlatenzen in der Handelsbilanz, die handelsbilanziell vorgeprägten steuerlichen Bewertungseinheiten sowie die von der Finanzverwaltung geforderte „Maßgeblichkeitskappung“ bei Rückstellungen.2 Der Maßgeblichkeitsgrundsatz „entpuppt“ sich zuweilen immer mehr als durch die Finanzverwaltung genutztes Instrument zur „Generierung von Steuermehreinnahmen“.



Die Digitalisierung3 – verstanden als stetiger Veränderungsprozess durch informationstechnologische Entwicklungen – schreitet auch im Steuerbilanzrecht voran mit Folgen für E-Bilanzen, system- und verprobungsorientierte Betriebsprüfungen und Risikomanagementsysteme der Finanzverwaltung, Tax Compliance-Projekte sowie Schnittstellen von Handels- und Steuerbilanz im Tax Accounting.



Zunehmende Steuerrelevanz immaterieller Wirtschaftsgüter vor allem bei vernetzten Wertschöpfungsketten, neuartiger Formen techno-

1 Vgl. dazu Prinz, StbJb. 2017/2018, 381. 2 Vgl. als aktuellen Überblick Prinz, StuB 2019, 1. 3 Zur Einordnung des Digitalisierungsbegriffs und der verschiedenartigen Digitalisierungsphänomene vgl. Bravidor/Lösse, StuB 2018, 783.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

logiegeleiteter Nutzungsrechte zwischen Fremden und in Konzernstrukturen und den dadurch bedingten Anwendungsfragen des § 5 Abs. 2 EStG.4 –

Das unionsrechtliche Schicksal der GKB (Gemeinsame Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, CCTB) als europaweit harmonisiertes Gewinnermittlungsrecht ist weiter offen, auch wenn sich die deutschfranzösische Initiative zur Harmonisierung des Unternehmensteuerrechts auch für die GKB stark macht. Folge einer GKB werden „unionsrechtliche GoB“ sein, die in Teilen mit unseren deutschen GoB übereinstimmen werden, in Teilen aber vermutlich Abweichungen enthalten. Zudem ist die GKB ein auf Körperschaften ausgerichtetes Unionsprojekt. Für Personengesellschaften im deutschen Mittelstand und für die gemeinderelevante GewSt. müssen integrierte Lösungen speziell aus deutscher Sicht gefunden werden.



Schließlich ist ein eigenständiges steuerliches „Gewinnermittlungsgesetz“, das der Gesetzgeber vor Jahren zur Neuordnung der systemtragenden steuerbilanziellen Grundlagen ins Auge gefasst hatte5 und was bei anstehenden Steuerreformdiskussionen in Deutschland immer wieder auf der Reformagenda erscheint, nach wie vor in weiter Ferne.

Im Folgenden sollen einige aktuelle Grundsatz- und Detailfragen zum Steuerbilanzrecht in Gestalt von fünf Fällen aufgegriffen werden.

II. Neues zu Rückstellungen: Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit, BFH v. 27.9.2017 – I R 53/15 (Fall 1) 1. „Dauerbaustelle“ Ansatz/Bewertung von Rückstellungen in der Steuerbilanz Die Diskussion um Ansatz und Bewertung von Rückstellungen in der Steuerbilanz gehört zu den „Dauerbaustellen“ in der Praxis und ist Ge4 Vgl. Anzinger/Linn, StbJb. 2017/2018, 353. 5 In der Begründung des Regierungsentwurfs zum BilMoG ist zu lesen: „Daher wird zu analysieren sein, ob zur Wahrung einer nach der individuellen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Besteuerung und auch im Hinblick auf die Bestrebungen zur Schaffung einer einheitlichen konsolidierten körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage auf EU-Ebene eine eigenständige steuerliche Gewinnermittlung notwendig ist und erforderlichenfalls wie sie zu konzipieren ist“. Zum Nachweis Petersen/Zwirner, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz BilMoG Gesetze. Materialien. Erläuterungen, 2009, 163.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

genstand nahezu jeder Betriebsprüfung, vor allem im Mittelstand und bei Konzernen. Aktuell werden im Rückstellungsbereich nach meiner Erfahrung vor allem folgende Themen intensiv diskutiert:6 –

Rückstellungen für Aktienoptionsprogramme. Nachdem der BFH in seinem Urteil v. 15.3.20177 für einen sehr speziell gelagerten Sachverhalt Rückstellungen für ein Aktienoptionsprogramm mangels Vergangenheitsbezug abgelehnt hat, werden derartige Rückstellungen in der Praxis in breiter Front durch die Betriebsprüfungen aufgegriffen. Dabei ist durchaus fraglich, ob die restriktive BFH-Rspr. auch auf andere „Typen von Aktienoptionsprogrammen“ (ohne Exitereignis) anwendbar ist. Die Hinweise vom HFA des IDW8 zur Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten für ein in bar zu erfüllendes Aktienoptionsprogramm, die für die Handelsbilanzpraxis wegweisend sind, lassen durchaus mehr Spielraum für „notwendige Rückstellungsbildungen“. Hier wird deutlich: Das auf Gläubigerschutz ausgerichtete Vorsichtsprinzip im Handelsbilanzrecht und die leistungsfähigkeitsorientierte Ertragsbesteuerung lassen sich mitunter gerade beim Ansatz von Verbindlichkeitsrückstellungen nur schwerlich „zusammenbringen“, auch wenn die handelsrechtlichen GoB eigentlich unteilbar sind und in Handels- und Steuerbilanz – soweit keine steuergesetzlichen Sonderregelungen bestehen – deckungsgleich zur Anwendung kommen müssen. Vermutlich werden in naher Zukunft weitere Aktienoptionsfälle in finanzgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten geklärt werden müssen.



Kappung steuerbilanzieller Rückstellungen. Nach Meinung der Finanzverwaltung in R 6.11 Abs. 3 EStR darf die Höhe der Rückstellung in der Steuerbilanz mit Ausnahme der Pensionsrückstellungen den zulässigen Ansatz in der Handelsbilanz nicht überschreiten. Diese Rechtsauffassung wird abgeleitet aus dem Einleitungssatz des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, wonach Rückstellungen „höchstens insbesondere unter Berücksichtigung folgender Grundsätze anzusetzen“ sind. Betroffen sind in der Praxis vor allem Sachleistungsverpflichtungen etwa im Rekultivierungsrückbau und Entsorgungsbereich, wo gerade auf-

6 Vgl. als Überblick auch Prinz, WPg. 2018, 1157; Prinz, WPg. 2017, 1316. 7 Vgl. BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15, BStBl. II 2017, 1043 = FR 2018, 231. Es ging in dem Streitfall im Wesentlichen um ein zukünftiges Exitereignis eines Börsengangs/Unternehmensverkaufs als Ausübungsvoraussetzung für das Optionsrecht. 8 Vgl. HFA in IDW Life 2017, 1229.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

grund der begrenzten Dauer der steuerbilanziellen Abzinsung bis zum Beginn der Erfüllung durchaus Konstellationen auftreten können, in denen der handelsbilanzielle Rückstellungsansatz (Erfüllungsbetrag, marktkonforme Abzinsung bis zur Durchführung) über den steuerbilanziellen Werten liegen kann. Zur Abmilderung von Härten lässt die Finanzverwaltung die Verteilung des erstmaligen Auflösungsgewinns nach dem BilMoG über einen 15-Jahres-Zeitraum zu. Zwischenzeitlich hat das FG Rheinland-Pfalz v. 7.12.20169 die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung bestätigt. Gegen das Urteil wurde Revision beim BFH unter dem Aktenzeichen XI R 46/17 eingelegt, so dass einschlägige Fälle in der Praxis offen gehalten werden sollten. Aus meiner Sicht handelt es sich bei der Kappungsgrenze für steuerbilanzielle Rückstellungen durch die Handelsbilanzbewertung um ein rein fiskalgestütztes Maßgeblichkeitsverständnis, was systematischen Auslegungsgesichtspunkten widerspricht. –

Gegenrechnung „künftiger Vorteile“. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG sieht für die steuerbilanzielle Rückstellungsbewertung vor, dass „künftige Vorteile, die mit der Erfüllung der Verpflichtung voraussichtlich verbunden sein werden“ und nicht als Forderung zu aktivieren sind, wertmindernd berücksichtigt werden müssen. In der Praxis war in diesem Zusammenhang die Frage aufgetaucht, ob bei der Bildung betrieblicher Restrukturierungsrückstellungen im Zusammenhang mit geplanten betrieblichen Reorganisationsmaßnahmen die gewünschten Effizienz- und Kostenersparnisse rückstellungsbegrenzend gegenzurechnen sind.10 Für die Praxis erfreulich hat das FG Baden-Württemberg v. 12.9.2017 einem solchen „Begehren der Finanzverwaltung“ eine Absage erteilt. Ersparte Aufwendungen aus personalbezogenen Kündigungen und Aufhebungsvereinbarungen im Rahmen einer betrieblichen Restrukturierung stellen keine rückstellungsbegrenzend in Ansatz zu bringenden „künftigen Vorteile“ dar. Die Finanzverwaltung hat gegen diese finanzgerichtliche Entscheidung – trotz Zulassung der Revision – keine Rechtsmittel beim BFH eingelegt. Die Entscheidung des FG Baden-Württemberg sollte deshalb für die Praxis eine befriedende Wirkung haben.

9 Vgl. FG Rh.-Pf. v. 7.12.2016 – 1 K 1912/14, EFG 2017, 693, nrkr., Rev. Az. BFH XI R 46/17. Kritisch dazu etwa Marx, StuB 2017, 449; Hennrichs, NZG 2017, 620 sowie Prinz, WPg. 2017, 1322 f. 10 Ausgelöst wurde die Diskussion durch Ziegler/Renner, DStR 2015, 1264. Kritisch dazu vgl. Autenrieth, DStR 2015, 1937; Prinz/Keller, DB 2015, 2224; Prinz, WPg. 2015, 1228; Prinz, WPg. 2018, 1157.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts



Marktferner Zinssatz von 6 % bei Pensionsrückstellungen. Für die Praxis etwas überraschend hat das FG Köln in einer Entscheidung v. 12.10.201711 den 6 %-Festzins bei Pensionsrückstellungen gem. § 6a EStG in Zeiten einer dauerhaften Niedrigzinsphase dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens vorgelegt. Das Verfahren wird beim Bundesverfassungsgericht unter dem Aktenzeichen 2 BvL 22/17 geführt, was Rückstellungsdiskussionen um betriebliche Altersversorgungsmaßnahmen derzeit prägt. Die Literaturäußerungen zu den Erfolgschancen des Normenkontrollverfahrens sind höchst unterschiedlich, teils mit zustimmendem, teils mit ablehnendem Votum.12 Man wird zunächst einmal den Ausgang des Normenkontrollverfahrens abwarten müssen. Einspruchsverfahren werden üblicherweise insoweit gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO „zwangsruhend“ gestellt.13 In der Praxis werden Alternativszenarien „durchgespielt“. Die Bundesregierung hat ungeachtet dessen aber bislang keine Änderungsbereitschaft gezeigt und hält den für die Bewertung nach § 6a EStG zugrunde zu legenden Festzins für verfassungsgemäß.14

2. „Überraschungsurteil“ des BFH: Keine Rückstellung für tarifvertraglichen Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit Kürzlich hat der BFH seine tendenziell restriktive Rückstellungsjudikatur in einer neuen Entscheidung v. 27.9.201715 zur steuerbilanziellen Abbildung eines Nachteilsausgleichs bei Altersteilzeitverträgen, die in der Praxis vor allem im Rahmen des sog. Blockmodells abgewickelt werden, fortgesetzt. Zum Sachverhalt: Eine Sparkasse in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts schließt mit verschiedenen Mitarbeitern Verträge 11 FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, EFG 2018, 287 = FR 2018, 24. 12 Vgl. etwa Geberth/Sedemund, DStR 2018, 1217; Eilers/Bleifeld, Ubg. 2018, 65; Doralt, FR 2017, 377; Doralt, FR 2018, 347; Briese, DStR 2018, 148; Melan, DStR 2018, 1512. Weiterführend auch Weckerle, DB 2017, 1284; Prinz/Keller, DB 2016, 1033; Hey/Steffen, Steuergesetzliche Zinstypisierungen und Niedrigzinsumfeld, ifst-Schrift 511/2016. 13 Vgl. etwa FinMin. Schl.-Holst., Kurzinformation v. 19.2.2018 – 7/2018 VI 306 - S 2176, DStR 2018, 568 = StEK EStG § 6a Nr. 254. 14 Vgl. BT-Drucks. 19/3423 v. 17.7.2018. 15 BFH v. 27.9.2017 – I R 53/15, BStBl. II 2018, 702 = FR 2018, 517. Vgl. auch Bolik/Kummer, BB 2018, 624; Bolik/Kummer/Thaut, StuB 2018, 535; Kolbe, StuB 2018, 292; Oser/Wirtz, StuB 2019, 97.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

über Altersteilzeit im Blockmodell (Beschäftigungsphase, Freistellungsphase, Renteneintritt) ab. Gem. § 5 Abs. 7 des einschlägigen Tarifvertrags zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst (TV ATZ) haben die Mitarbeiter einen tarifvertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung wegen der zu erwartenden Rentenkürzung aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente (sog. Nachteilsausgleich). Die tarifvertraglich zugesagte und formelmäßig zu ermittelnde Abfindung – pro 0,3 % Rentenminderung ergibt sich eine Abfindung iHv. 5 % der letzten Vergütung – wird zum Ende des Altersteilzeitverhältnisses gezahlt. Die Sparkasse bildet für die künftigen Abfindungszahlungen mit Abschluss des Altersteilzeitvertrags in ihrer jeweiligen Handelsbilanz/ Steuerbilanz eine Verbindlichkeitsrückstellung in abgezinster Höhe. Die Finanzverwaltung dagegen erkennt nur eine ratierliche Ansammlung der Rückstellung über die Dauer der aktiven Altersteilzeit an.16 Es kommt zum gerichtlichen Rechtsstreit. Die Streitjahre sind 2004/2005.

Zur Lösung des BFH: Im Zusammenhang mit dem sog. Blockmodell nach dem Altersteilzeitgesetz hatte der BFH in seinem Urteil v. 30.11.200517 eine Ansammlungsrückstellung für in der Beschäftigungsphase erdiente Arbeitsentgelte, die in der anschließenden Freistellungsphase ausgezahlt werden, zugelassen. In dem neuen Judikat v. 27.9.2017 lehnt der I. Senat des BFH nun allerdings eine Rückstellung für Nachteilsausgleich im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung – überraschend auch für die Finanzverwaltung – in vollem Umfang ab. Dies wird in Leitsatz 1 der Entscheidung wie folgt zusammengefasst:

16 Vgl. BMF v. 28.3.2007 – IV B 2 - S 2175/07/0002 – DOK 2007/0136390, BStBl. I 2007, 297 = FR 2007, 452 Rz. 15. 17 Vgl. BFH v. 30.11.2005 – I R 110/04, BStBl. II 2007, 251 = FR 2006, 474. Zur Einordnung Prinz, WPg. 2006, 953.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts „Arbeitgeber dürfen hinsichtlich laufender Altersteilzeitarbeitsverträge keine Rückstellung für den sog. Nachteilsausgleich gem. § 5 Abs. 7 TV ATZ bilden.“

Nur aufgrund des verfahrensrechtlichen „Verböserungsverbots“ im Streitjahr 2004 konnte der BFH nicht hinter den von der Finanzverwaltung anerkannten Rückstellungsbetrag zurückgehen. Im Streitjahr 2005 erfolgt dann eine sog. Fehlerkompensation im Rahmen eines ansonsten „obsiegenden Urteils“ für die klagende Sparkasse. Denn die Pauschalbewertung von Jubiläumsrückstellungen gem. § 5 Abs. 4 EStG nach Maßgabe einer günstigen aktuellen verwaltungsseitigen Pauschalwerttabelle (auf Basis der Heubeck-Richttafeln 2005 G)18, die im ursprünglichen Streitjahr noch nicht vorgelegen hatte, wird zu Recht vom BFH anerkannt. Dies führt zu einer Höherbewertung der Jubiläumsrückstellung, die dann allerdings wegen der von der Finanzverwaltung bis dahin „zu Unrecht“ anerkannten Nachteilsausgleichsrückstellung wieder jedenfalls in Teilen reduziert wird. Insoweit erfolgt eine Rückverweisung der Sache an das erstinstanzlich zuständige Finanzgericht. Die Anwendung der seinerzeit aktuellen Pauschalwerttabellen nach Heubeck zur Bemessung von Jubiläumsrückstellungen gem. § 5 Abs. 4 EStG bei einer verfahrensrechtlich „offenen Altveranlagung“ ergibt sich auch aus dem Grundsatz der Selbstbindung der Finanzverwaltung und wurde deshalb vom BFH zu Recht zugelassen. Zentrale Rechtsaspekte des BFH-Urteils: Zunächst einmal liegt auch nach Meinung des BFH eine ungewisse Verbindlichkeit gem. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB bei den Ansprüchen der Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich vor. Allerdings soll es an der rechtlichen Entstehung – dies erscheint unzweifelhaft – sowie der wirtschaftlichen Verursachung der Abfindungsverbindlichkeit bis zum Bilanzstichtag des abgelaufenen Wj. fehlen. Das Argument des BFH lautet dabei: Der Abfindungsanspruch der altersteilzeitbetroffenen Arbeitnehmer entsteht erst, wenn es beim Eintritt in den Ruhestand tatsächlich zu einer Rentenkürzung kommt. Die Rentenkürzung ist nach Meinung des BFH der eigentliche wirtschaftliche 18 Zwischenzeitlich sind die „Heubeck-Richttafeln 2005 G“ durch die neuen „Heubeck-Richttafeln 2018 G“ ersetzt worden. Grund sind die veränderten biometrischen Grundlagen, die insbes. der angestiegenen durchschnittlichen Lebenserwartung in Deutschland Rechnung tragen. Die Finanzverwaltung hat die neuen Heubeck-Richttafeln zwischenzeitlich durch BMF v. 19.10.2018 – IV C 6 - S 2176/07/10004 :001 – DOK 2018/0833103, BStBl. I 2018, 1107 = StEK EStG § 6a Nr. 257 auch für steuerliche Zwecke anerkannt. Dies entspricht der Handhabung der Finanzverwaltung in der Vergangenheit. Vgl. auch Oser/Bischof, BB 2018, 2352.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

Beweggrund für die Leistung der Abfindung. Da diese nicht im abgelaufenen Wj. liegt, kommt keine Rückstellungsbildung in Betracht. Zur Kritik am Urteil: Im Grundsatz gehen I. und IV. Senat des BFH bei Auseinanderfallen von rechtlicher Entstehung und wirtschaftlicher Verursachung einer Außenverpflichtung einvernehmlich davon aus, dass für die Passivierung einer Rückstellung der jeweils frühere Entstehenszeitpunkt maßgebend ist. Formell betrachtet behält der I. Senat diese Rechtsauffassung im Urteil v. 27.9.2017 zum Nachteilsausgleich zwar bei. Seine wirtschaftliche Wertung der Verursachungsaspekte führt aber zu einem Gleichklang mit den rechtlichen Entstehungskriterien, was erst mit Renteneintritt des Arbeitnehmers zu Aufwandswirkungen im Unternehmen führt. Insoweit fehlinterpretiert der BFH mE das Rückstellungskriterium der „wirtschaftlichen Verursachung“. Vielmehr ist der Abschluss des Altersteilzeitvertrags mit der Kenntnis späterer Rentenkürzung das auslösende Veranlassungsmoment für die Zusage des Nachteilsausgleichs. Dieses liegt in der Vergangenheit. Auch kann sich das Unternehmen der Nachteilsausgleichsverpflichtung vor faktischem Renteneintritt nicht mehr entziehen und muss die Mittel dafür einmalig, zumindest aber im Wege der Ansammlung, bereitstellen. Ohne eine solche Nachteilsausgleichsrückstellung wird die „echte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ des zum Nachteilsausgleich verpflichteten Unternehmens überhöht besteuert. Zu der eigentlichen Streitfrage des Falls, ob eine Ansammlungsrückstellung oder eine Sofortpassivierung der Abfindungsverpflichtung mit dem Barwert geboten sind, braucht sich der BFH wegen Komplettversagung der Rückstellung nicht mehr zu äußern.

3. BMF v. 22.10.2018 als Reaktion auf die Rechtsprechung Zwischenzeitlich hat die Finanzverwaltung die BFH-Entscheidung v. 27.9.2017 im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht, zeitgleich damit aber ein „klarstellendes“ BMF-Schreiben v. 22.10.2018 publiziert.19 Es handelt sich um eine Art „verdeckten Nichtanwendungserlass“, auf dessen Rechtsbestand die Praxis nach Erfahrungen in anderen Bereichen nicht sicher vertrauen kann. Die Beurteilung durch die Finanzverwaltung ist dreistufig:

19 BMF v. 22.10.2018 – IV C 6 - S 2175/07/10002 – DOK 2018/0835766, BStBl. I 2018, 1112 = StEK EStG § 5 Rückst. Nr. 232. Zu Erläuterungen auch Lieb, BB 2018, 2802; Bolik, NWB 2018, 3289; Bolik/Schuhmann, StuB 2018, 837.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts



Zum ersten wird Rz. 15 des alten BMF-Schreibens v. 28.3.2007 neu gefasst. Danach ist es bei Nachteilsausgleichsverpflichtungen des Arbeitgebers „nicht zu beanstanden, diese Verpflichtung erstmals am Ende des Wirtschaftsjahres, in dem die Beschäftigungsphase beginnt, mit dem versicherungsmathematischen Barwert nach § 6 EStG unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 5,5 % zurückzustellen, um bis zum Ende der Beschäftigungsphase ratierlich anzusammeln.“

Insoweit können auch zukünftig Ansammlungsrückstellungen bei Nachteilsausgleichsvereinbarungen, die am Ende der Altersteilzeit ohne weitere Voraussetzungen geleistet werden, wohl aus Billigkeitsgründen zum Ansatz gelangen. Die Neufassung der Rz. 15 ist dabei erstmals bei Altersteilzeitarbeitsverhältnissen anzuwenden, die nach dem Tag der Veröffentlichung des neuen Schreibens im Bundessteuerblatt, also nach dem 22.10.2018, beginnen. –

Sofern Nachteilsausgleichsverpflichtungen den Eintritt eines bestimmten Ereignisses voraussetzen, dürfen zukünftig keine Rückstellungen mehr passiviert werden. Dies gilt nach Meinung der Finanzverwaltung auch dann, wenn am Bilanzstichtag der Eintritt des Ereignisses wahrscheinlich ist. Insoweit nimmt die Finanzverwaltung direkten Bezug auf die BFH-Entscheidung v. 27.9.2017.



Schließlich gewährt die Finanzverwaltung einen Bestandsschutz für Fälle, die auf Basis der bisherigen Rz. 15 Rückstellungen passiviert haben. Derartige Rückstellungen können planmäßig bis zur Auszahlung oder zum Wegfall des Nachteilsausgleichs weitergeführt werden.

Bei der zukünftigen Gestaltung von Nachteilsausgleichsvereinbarungen muss also darauf geachtet werden, die Anknüpfung der Verpflichtung an den Eintritt eines bestimmten Ereignisses zu vermeiden. Eine Konkretisierung des Nachteilsausgleichs in Abhängigkeit von der konkreten Rentenkürzung dürfte daher zukünftig für die Rückstellungsbildung im Unternehmen schädlich sein. Letztlich wird man die behutsame weitere Anerkennung von Nachteilsausgleichsrückstellungen durch die Finanzverwaltung aus der Interessenlage der Unternehmen heraus begrüßen. Die Rechtssicherheit einer solchen im Grundsatz positiven Verwaltungsanweisung dürfte allerdings bei dennoch entstehenden Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung in Anbetracht der restriktiven BFH-Rspr. sehr begrenzt sein. Vorherige Abstimmungen mit der Finanzverwaltung bei der Planung von Altersteilzeitvereinbarungen erscheinen daher rat-

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

sam. Eine „Einmalrückstellung“ für den gesamten diskontierten Abfindungsbetrag kommt wohl allenfalls in Sonderfällen in Betracht.

4. Folgen für die Handelsbilanz Die Handelsbilanzpraxis (Ersteller der Jahresabschlüsse und Abschlussprüfer) dürfte sich mit dem auf die handelsrechtlichen GoB gestützten BFH-Judikat v. 27.9.2017 mit der Rückstellungsversagung für Nachteilsausgleiche bei Altersteilzeitverträgen „schwer tun“. Sofern Unternehmen durch Abschluss von Altersteilzeitverträgen vor allem aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen mit hoher Gewissheit von Nachteilsausgleichsabfindungen ausgehen müssen, werden Rückstellungen unter Gläubigerschutzaspekten und im Hinblick auf das Vorsichtsprinzip in vielen Fällen weiterhin erforderlich sein. Eine abgezinste Sofortrückstellung wegen eines separierten Abfindungsrechtsverhältnisses dürfte in der Praxis dagegen deutlich seltener vorkommen. Sicherlich hilft das BMFSchreiben v. 22.10.2018 auch der Handelsbilanzpraxis. Man muss konstatieren, dass sich die auf Besteuerungszwecke ausgerichtete BFH-Rspr. bei der Interpretation handelsrechtlicher GoB von deren eigentlichem Zweck gläubigerschützender Kapitalerhaltung sowie der Umsetzung des Vorsichtsprinzips in Teilen entfernt hat.

III. Steuerbilanzielle Behandlung von Bitcoins/ Kryptowährungen (Fall 2) 1. Ausgangspunkt: Blockchain-Technologie, „Krypto-Hype“ und virtuelle Börsengänge als neue steuerbilanzielle Herausforderungen Kryptowährungen, die auf der Distributed Ledger Technologie (= manipulationsgeschützte, kryptografisch verifizierte und dezentral geführte Datenbanken) beruhen, werden wegen zunehmender Verbreitung derzeit intensiv unter steuer- und handelsrechtlichen Aspekten diskutiert.20 Die Blockchain-Technologie mit der virtuellen Währung „Bitcoin“ (= digita20 Vgl. etwa Gerlach/Oser, DB 2018, 1541; Richter/Augel, FR 2017, 937; Bünning/Park, BB 2018, 1835; kritisch Siegel, FR 2018, 306; Ummenhofer/Zeitler, DK 2018, 442; Heck, DStZ 2019, 106; Krüger/Lampert, BB 2018, 1154; Heuel/ Matthey, NWB 2018, 1037; Moritz/Strohm, DB 2018, 3012; Eckert, DB 2013, 2108. Vgl. umfassend auch Hötzel, Virtuelle Währungen im System des deutschen Steuerrechts, 2018, 17, 123 sowie Burniske/Tatar, Crypto-Assets, 2018, 3 ff. Die Grundkonzeption Blockchain-gestützter Bitcoin-Transaktionen geht

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les Tauschmittel) ist die bekannteste Ausprägungsform und hat in der jüngeren Vergangenheit einen „Krypto-Hype“ mit enormen Wertschwankungen ausgelöst. Zwischenzeitlich existiert neben den Bitcoins eine Vielzahl weiterer Kryptowährungen wie etwa Ethereum sowie Rippl. Auch gibt es bereits erste „Blockchain-Aktienfonds“. Die Verwendung von Kryptowährungen hat vielfältige Vorteile und Nachteile gegenüber konventionellen Zahlungsformen, befindet sich aber in einem permanenten disruptiven Veränderungsprozess. Aspekte dafür sind beispielsweise: Vor allem Bitcoins sind zwar kein gesetzliches Zahlungsmittel, aber sie werden als „Tauschwährung/Spekulationsobjekt“ mittlerweile in der innovativen Start-up- und Venture CapitalSzene weitgehend akzeptiert. Der Einsatz von Kryptowährungen ist hoch flexibel, sie haben im Grundsatz hohe Transaktionsgeschwindigkeit mit niedrigen Transaktionskosten, wobei vor allem Bitcoins mittlerweile als transaktionsbezogenes digitales Zahlungsmittel wegen enorm hohen Stromverbrauchs an Bedeutung verloren haben und insoweit durch andere Kryptowährungsformen (etwa Bitcoin Cash) abgelöst wurden. Manipulationsschutz und Datensicherheit sind tendenziell hoch durch Verwendung vorbestimmter mathematischer Algorithmen bei derzeit noch geringer Regulierungsdichte. Allerdings „tummeln“ sich in der Kryptowährungsszene neben „soliden Geschäftspartnern“ eine Reihe windiger bis betrügerisch agierender Personen und Institutionen. Deshalb wird dringlich mehr Regulatorik zur Schaffung eines transparenten Ordnungsrahmens im Bereich der Kryptowährungen gefordert. Eine besondere Bedeutung haben derzeit ICOs (Initial Coin Offerings) als Gestaltungsform eines virtuellen Börsengangs mit der Ausgabe sog. Token an Investoren, die meist über virtuelle Währungen abgewickelt werden und international handelbar sind. Mittlerweile sind ICOs ein bedeutendes Finanzierungsinstrument mit einem Milliarden US-DollarGesamtvolumen im Jahr 2018. ICO-Initiativen sind weltweit zu finden, Singapur hat derzeit wohl eine Art „Vorreiterrolle“.21 zurück auf ein White Paper von „Satoshi Nakamoto“. Dabei handelt es sich um ein bis heute nicht identifiziertes Pseudonym. 21 Vgl. JUVE Rechtsmarkt 11/2018, 68. Vgl. auch die Antwort der Bundesregierung zu einer Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP v. 1.10.2017 zur Start-upFinanzierung am Standort Deutschland. Insbes. Fragen 21–23 betreffen die praktische Bedeutung von ICO von in Deutschland ansässigen Unternehmen, BT-Drucks. 19/4701. Vgl. ergänzend auch van Aubel, in Habersack/Mülbert/ Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt4, 697–747.

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Wegen der wachsenden Bedeutung von Steuerfragen rund um Kryptowährungen befasst sich derzeit eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Finanzverwaltung mit diesem Thema. Erste ertragsteuerliche Überlegungen und Einordnungen für umsatzsteuerliche Zwecke hat die Finanzverwaltung zwischenzeitlich publiziert.22 Die Diskussion um das Thema „Kryptoassets“ erfolgt auch auf Ebene der G20 und internationalen Standardsetzer. Die Blockchain-Technologie ist zwischenzeitlich auch zum Einsatz gekommen als Instrument einer sog. Real Time Tax Compliance.23 Die „steuerlichen Antworten“ auf die neuen Herausforderungen der Blockchain-Technologie spiegeln lediglich eine „Momentaufnahme“ wider. Es besteht eine hohe Änderungsdynamik in der Beurteilung konkreter Phänomene, da diese ständig weiterentwickelt, modifiziert und ergänzt werden.

2. Steuerbilanzielle Grundfragen rund um Kryptowährungen a) Typischer Ausgangssachverhalt Die Behandlung von Kryptowährungen und damit zusammenhängenden Phänomenen wirft bei gewerblicher Tätigkeit mit Einkunftserzielungsabsicht auch im Steuerbilanzrecht neue Fragen auf. Es wird deutlich, dass unser prinzipienbasiertes Bilanzrecht auch für derartige neuartige technologische Entwicklungen tragfähige Lösungen bereithält, die allerdings im Rahmen des vorhandenen Normengefüges neue Justierungen und Blickwinkel erfordern. Zur Illustration folgender Sachverhalt: Steuerberater Dr. J. – alles andere als ein „Technikfreak“ – ist beratend in der Berliner Start-up-Szene mit innovativen internetbasierten Geschäftsmodellen tätig. Er wird immer wieder von Mandanten mit nachhaltiger gewerblicher Betätigung zu einigen grundlegenden Steuerbilanzierungsfragen rund um Kryptowährungen konsultiert. Diese betreffen: –

Steuerbilanzielle Behandlung von Erwerb/Verwendung von Bitcoins, die über eine sog. Bitcoin Wallet (= virtuelle Geldbörse mit privatem/ öffentlichem Sicherheitsschlüssel zur Authentifizierung und Iden-

22 Zu ertragsteuerlichen Überlegungen vgl. Kurzinfo OFD Nordrhein-Westfalen v. 20.4.2018, DB 2018, 1185. Zur Umsatzsteuer vgl. BMF v. 27.2.2018 – III C 3 - S 7160-b/13/10001 – DOK 2018/0163969, BStBl. I 2018, 316 = UR 2018, 299. 23 Vgl. Fettke/Risse, DB 2018, 1748.

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tifizierung) abgewickelt werden (gespeichert auf Computer, Tablet oder Smartphone). –

Steuerbilanzielle Behandlung der Schaffung neuer Bitcoin-Einheiten (sog. Mining durch Betrieb einer Blockchain zusammen mit anderen Teilnehmern des dezentralen Netzwerks) bei Zahlung/Erhalt von Transaktionsgebühren.



Ausgabe sog. Token (= Wertmarken) unter Nutzung bereits existierender Blockchains an Investoren im Rahmen eines ICO als Finanzierungsinstrument (eine Art Crowdfunding), unterschieden nach Emittent und Investor.

b) Erwerb/Verwendung von Bitcoins Bitcoins stellen als Gestaltungsform einer Blockchain-Technologie-basierten Kryptowährung kein anerkanntes gesetzliches Zahlungsmittel dar, werden aber als Rechnungseinheit gem. § 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 7 KWG durch die BaFin qualifiziert und unterfallen damit regulatorisch den im KWG geregelten Erlaubnistatbeständen für Geschäfte mit Finanzinstrumenten.24 Nach hM werden Bitcoins wegen ihrer selbständigen Bewertbarkeit und Verkehrsfähigkeit als immaterielle Wirtschaftsgüter behandelt und üblicherweise dem Umlaufvermögen zugeordnet, so dass das Aktivierungsverbot für selbst erstellte Anlagegüter gem. § 5 Abs. 2 EStG nicht zur Anwendung kommt.25 Nur bei dauerhafter Halteabsicht und entgeltlichem Erwerb ist eine Zuordnung zum Anlagevermögen möglich. Es erfolgt eine Einzelbewertung mit den Anschaffungskosten in Höhe des gezahlten Börsenkurses in Euro. Bei voraussichtlich dauernder Wertminderung können wahlweise Teilwertabschreibungen in Ansatz gebracht werden. Nicht realisierte Wertsteigerungen der Bitcoins über die historischen Anschaffungskosten hinaus sind nach allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen unzulässig. Bei Verwendung von Bitcoins bei Verkauf/Erwerb von Waren und Dienstleistungen sind bilanzsteuerliche Tauschgrundsätze mangels Qualifikation als Zahlungsmittel anzuwenden (§ 6 Abs. 6 EStG). Die jeweilige Bewertung erfolgt also zum gemeinen Wert des hingegebenen/erhaltenen Wirtschaftsguts. Dabei können Währungsgewinne/-verluste nach Maß24 Kritisch dazu KG v. 25.9.2018 – (4) 161 Ss 28/18 (35/18), BB 2018, 2705 mit Anm. Conreder: Bitcoins sind keine Rechnungseinheit i.S.d. KWG; dazu auch Krimphove, BB 2018, 2691 (2697 f.). 25 Vgl. Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1817.

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gabe des Buchwerts/Börsenkurses zum Verwendungsstichtag entstehen. Wegen „gleichartiger Wirtschaftsgüter“ kommt bei der Vorratsbewertung ggf. die Anwendung der Lifo-Methode gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG in Betracht (steuerbilanzielles Wahlrecht).26 c) Bitcoin-Mining: Schaffung neuer Bitcoin-Einheiten Die Schaffung neuer Bitcoin-Einheiten wird als sog. Mining (= Schürfen) bezeichnet, wobei sich Bilanzierungsfragen nur stellen, falls dieses Mining im unternehmerischen Haupt- oder Nebenzweck erfolgt. Konkret erfolgt die Teilnahme einer Person oder eines Unternehmens am Betrieb einer Bitcoin-Blockchain als Miner – ggf. im Rahmen eines sog. Mining Pools – durch Zurverfügungstellung von Rechenkapazität, Rechenspeicher und Rechenleistung. Dabei entstehen Energiekosten, Abschreibungen, Personalaufwand usw., die im Rechnungswesen als Aufwand (= Betriebsausgabe) zu erfassen sind.27 Derjenige Teilnehmer, der die gestellte mathematische Aufgabe zufallsbedingt im Rahmen der Algorithmen („kryptographisches Rätsel“) als Erster löst, erhält im Rahmen der durchgeführten Transaktion eine Gutschrift der durch das System in diesem Moment neu geschaffenen Bitcoins, die als nächster Block der Blockchain hinzugefügt werden. Darüber hinaus erhält der erfolgreiche Teilnehmer die im Umlauf befindlichen einschlägigen Transaktionsgebühren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob dieses Bitcoin Mining steuerbilanziell als Herstellung eines immateriellen Wirtschaftsguts zu werten ist, oder ob es sich bei den entstandenen und final zuzuordnenden Aufwendungen um zu aktivierende Anschaffungskosten für Bitcoins handelt. Die Meinungen im Schrifttum dazu sind uneinheitlich. Sofern die durch Mining geschaffenen Bitcoins dem Anlagevermögen zuzuordnen sind, käme wegen des Ansatzverbots des § 5 Abs. 2 EStG für den potentiellen Herstellungskostenaufwand ohnehin keine Aktivierung in Betracht. Im Ergebnis dürfte allerdings der gutgeschriebene Bitcoin-Betrag einen Erwerbsvorgang begründen, der üblicherweise im Umlaufvermögen erfolgt und mit dem Marktwert zum Gutschriftszeitpunkt zu erfassen ist. Ansonsten entstehen beim Miner laufende Betriebsausgaben. Der Bezug der Transaktionsgebühren stellt steuerpflichtigen Ertrag dar. 26 Vgl. Richter/Augel, FR 2017, 937. 27 Vgl. zum Mining und seiner bilanziellen Behandlung Gerlach/Oser, DB 2018, 1545; Pinkernell, Ubg. 2015, 19; Hötzel, Virtuelle Währungen im System des deutschen Steuerrechts, 2018, 229–253.

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d) ICO als virtueller Börsengang mit Ausgabe von „Token“ Die Ausgestaltungsform eines Token im Rahmen eines ICO als virtueller Börsengang kann sehr unterschiedlich sein. Im Grundsatz handelt es sich bei dem Token um eine Gegenleistung (= Werteinheit) des Start-upUnternehmens oder einer anderweitigen unternehmerischen Einheit zur Finanzierung ihrer Technologieplattform bzw. eines Projekts durch Investoren im Rahmen eines Private Sale, Public ICO oä., meist gegen Kryptowährung. Physisch erfolgt ein Registrierungseintrag des Token in der Blockchain. Die Ausgestaltung des Token wird in einem sog. White Paper als Informationsdokument mit ihren „Nutzungsbedingungen“ beschrieben. Schaut man sich einmal die in der Praxis vorzufindenden „Token Designs“ an, so lassen sich drei Grundfälle unterscheiden: –

Currency Token: Es handelt sich um eine Kryptowährung mit Geldersatzcharakter, die als Zahlungsmittel für den Einkauf von Waren/ Dienstleistungen durch den Investor plattformübergreifend eingesetzt werden kann.



Utility Token: Insoweit liegt ein konkretisiertes Nutzungsrecht nach Art eines „digitalen Gutscheins“ an den Unternehmensprodukten/ -dienstleistungen vor.



Security Token (= Investment bzw. Equity Token): Hier erfolgt eine Beteiligung an der Wertschöpfung des finanzierten Unternehmens, ähnlich einer virtuellen Aktie, Gewinnbeteiligung oder einem erfolgsabhängigen Zins. Der Security Token kann eigenkapital-/ fremdkapitalähnlich ausgestaltet sein. Teilweise ist in diesem Zusammenhang auch von „Asset Backed Token“ die Rede. Derartige Tokenformen ähneln Wertpapieren.

Bilanzielle Behandlung beim finanzierten Unternehmen: Es stellt sich die Grundfrage, ob die im Rahmen der ICO-Finanzierung erhaltenen Mittel als Eigen- oder Fremdkapital zu passivieren sind oder ob bei der Ausgabe des Token eine volle steuerliche Ertragswirksamkeit erfolgt. Bei der Ausgestaltungsform von „Currency Token“ dürfte unmittelbar steuerlicher Ertrag entstehen. Bei den anderen beiden Token-Ausgestaltungsformen ist die Behandlung stark einzelfallabhängig: Während Utility Token als erhaltene Anzahlung in Betracht kommen, dürften Security Token bei fremdkapitalähnlicher Ausgestaltung eine (partiarische) Darlehensverbindlichkeit begründen. Werden Security Token allerdings nach Art von Gesellschaftsrechten ausgestaltet, dürfte eine Behandlung 452

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als bilanzielles Eigenkapital, ggf. ähnlich den Genussrechten, in Betracht kommen. Bilanzielle Behandlung beim Investor: Der Erwerb eines Utility/Security Token dürfte bei einem bilanzierungspflichtigen Investor ein entgeltliches Anschaffungs- oder Tauschgeschäft im Anlage-/Umlaufvermögen darstellen, wobei eine planmäßige Abnutzbarkeit dieses immateriellen Wirtschaftsguts nicht vorliegt; ggf. kommt ein bilanzieller Ausweis als Wertpapier bei eigenkapitalähnlicher Ausgestaltung in Betracht. Bei Currency Token dürfte dagegen kein entgeltlicher Erwerb mangels konkreter Gegenleistung vorliegen; Folge wäre ein unmittelbarer Betriebsausgabenabzug.28 Bei einem Erwerbsgeschäft in Bezug auf den konkreten Token kommt bei voraussichtlich dauernder Wertminderung die Anwendung des Wahlrechts zur Teilwertabschreibung in der Folge in Betracht.

IV. Gewinnübertragung nach § 6b EStG bei Veräußerung an Schwesterpersonengesellschaft: BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14 (Fall 3) 1. Fremdüblicher Wirtschaftsgutverkauf zwischen Schwesterpersonengesellschaften als „steuerschonende Gestaltungsalternative“ Ob unentgeltliche bzw. gesellschaftsrechtlich begründete Buchwertübertragungen von Wirtschaftsgütern zwischen (mehr oder weniger) beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften gem. § 6 Abs. 5 EStG zulässig sind, wird laut Vorlagebeschluss des BFH v. 10.4.201329 durch das Bundesverfassungsgericht zu klären sein (Aktenzeichen: 2 BvL 8/13). Ausdrücklich erwähnt wird diese Fallvariante im Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nicht. Für die Praxis ist eine solche Buchwertübertragung daher derzeit nicht ohne Steuerrisiken zu realisieren. Als Gestaltungsalternative (= steuerliches Wahlrecht) kommt für bestimmte Anlagegüter uU die Bildung/Übertragung einer § 6b-Rücklage bei voll entgeltlicher Transaktion zwischen den Schwesterpersonengesellschaften in Betracht (Rücklagenbildung bei Schwester I, Reinvestition bei Schwester II mit Übertragung der bei Schwester I gebildeten Rücklage). Dies bewirkt naturgemäß lediglich eine Steuerstundung, keine „echte“ 28 Vgl. dazu auch Bünning/Park, BB 2018, 1835 mit dem Beispiel „Solar Coins“, die nur auf speziellen Marktplätzen gehandelt werden können. 29 BFH v. 12.4.2013 – I R 80/12, BStBl. II 2013, 1004 = FR 2013, 1084.

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Steuerersparnis. Sofern die Übertragung stiller Reserven auf eine EU-/ EWR-Betriebsstätte erfolgen soll, ist § 6b Abs. 2a EStG mit der fünfjährigen Streckung der Ertragsteuern auf den Veräußerungsgewinn zu beachten.30 Bei dieser europarechtlichen Komponente des § 6b EStG ist zudem die durch das „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ geschaffene neue Verzinsungsregelung für Fälle zu beachten, in denen es zu keiner oder nur einer partiellen EU-Reinvestition des Veräußerungsgewinns kommt. In diesen Fällen sind deshalb entsprechend der inlandsbezogenen Verzinsungsregelung des § 6b Abs. 7 EStG auch in Unionsrechtsfällen Zinsen in entsprechender Anwendung des § 234 AO zu erheben. Diese Neuregelung des § 6b Abs. 2a Satz 4-6 EStG gilt erstmals für Gewinne, die in nach dem 31.12.2017 beginnenden Wj. entstanden sind. Insoweit werden Inlands- und EU-/EWR-Auslands-Reinvestitionen zinstechnisch gleichbehandelt.31

2. BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14: Gewinnübertragung nach § 6b EStG und Wertaufholungsgebot Mit der Frage einer Rücklagenbildung und -übertragung gem. § 6b EStG bei (nahezu personenidentischen) Schwesterpersonengesellschaften befasst sich der IV. Senat des BFH in seinem Grundsatzurteil v. 9.11.2017.32 Dabei geht es um die Rücklagenübertragung dem Grunde nach und um die Höhe des § 6b-fähigen Veräußerungsgewinns unter Beachtung des sog. Wertaufholungsgebots. Es handelt sich im BFH-Rechtsstreit um einen Anwendungsfall des § 6b Abs. 10 EStG, bei dem Veräußerungs- und Reinvestitionsobjekt Kapitalgesellschaftsanteile sind. Der gesetzlich festgelegte Begünstigungshöchstbetrag von 500 000 Euro ist laut Sachverhalt eingehalten. Seit 2002 erfolgt auch bei § 6b Abs. 10 EStG eine gesellschafterbezogene Betrachtungsweise. 30 Vgl. dazu BMF v. 7.3.2018 – IV C 6 - S 2139/17/10001 :001 – DOK 2018/0024866, BStBl. I 2018, 309 = StEK EStG § 6b Nr. 83; ergänzend FinSen. Hamburg v. 20.6.2018 – O 1000-2018/001-52, DB 2018, 1894. 31 Vgl. dazu auch Ortmann-Babel/Bolik, DB 2018, 2893; Bartelt/Geberth, DStR 46/2018, VI. 32 BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14, BStBl. II 2018, 575 = FR 2018, 366. Zu Erläuterungen vgl. Strahl, NWB 2018, 1290; Strahl, KÖSDI 2018, 20879 (20888); Kanzler, FR 2018, 370; Farwick, StuB 2018, 315; Kanzler/Buchholz/Neumann, Ubg. 2018, 240–245. Vgl. ergänzend auch BFH v. 22.11.2018 – VI R 50/16, FR 2019, 270: keine Übertragung einer § 6b-Rücklage ohne Abzug von den AHK eines Reinvestitionswirtschaftsguts.

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Zum Sachverhalt:33 Die GmbH & Co. KG I ist 100 %iger Anteilseigner der D-GmbH. Deren Mitunternehmer sind die R-GmbH (= Komplementärin) mit 1 % und Herr A als Kommanditist mit 99 %. Im Jahr 06 gründet A (Kommanditist, 100 %ige vermögensmäßige Beteiligung) zusammen mit einer Komplementär-GmbH (0 % Beteiligungshöhe) die Schwesterpersonengesellschaft GmbH & Co. KG II. Am 28.12.06 veräußert die GmbH & Co. KG I ihre 100 %ige D-GmbH-Beteiligung zum Verkehrswert von 500 Einheiten an die GmbH & Co. KG II; ein belastbares Wertgutachten liegt vor. Der Buchwert der Anteile zum Veräußerungszeitpunkt betrug 300 Einheiten, wobei in früheren Jahren eine steuerwirksame Teilwertabschreibung von 100 Einheiten geltend gemacht wurde und diverse Kapitalbereinigungsmaßnahmen (Kapitalherabsetzung, Kapitalerhöhung, neuer Geschäftsanteil) im Zusammenhang mit Sanierungsmaßnahmen erfolgt sind. A möchte den entstehenden Veräußerungsgewinn – soweit wie möglich und der Beteiligungsquote entsprechend – in eine § 6bRücklage einstellen und auf die GmbH & Co. KG II mit den D-GmbHAnteilen als Reinvestitionsobjekt übertragen. Anlässlich einer Betriebsprüfung wird der Sachverhalt hinsichtlich der Höhe des Veräußerungsgewinns streitig gestellt.

33 Der Sachverhalt ist in vereinfachter Form nachgebildet BFH v. 9.11.2017 – IV R 19/14, BStBl. II 2018, 575 = FR 2018, 366.

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Lösungshinweise: Die Beurteilung des Sachverhalts durch den BFH erfolgt zweistufig: In einem ersten Schritt wird die Gewinnübertragung dem Grunde nach geprüft, in einem zweiten Schritt wird die Höhe der § 6b-Rücklage im Zusammenhang mit dem Wertaufholungsgebot beurteilt. Beide Rechtsaspekte haben für die Besteuerungspraxis große Bedeutung. Gewinnübertragung nach § 6b EStG zwischen Schwester-PersGes dem Grunde nach möglich: In Leitsatz 1 seiner Entscheidung v. 9.11.2017 lässt der BFH die Rücklagenübertragung dem Grunde nach zu. Dies verbessert für Gestaltungen in der Praxis die Rechtssicherheit deutlich: „Veräußert eine Personengesellschaft ein Wirtschaftsgut des Gesamthandsvermögens an eine andere Personengesellschaft, an der einer ihrer Gesellschafter ebenfalls als Mitunternehmer beteiligt ist, kann der auf den Doppelgesellschafter entfallende Veräußerungsgewinn unter den Voraussetzungen des § 6b EStG im Umfang des Anteils des Doppelgesellschafters am Gesamthandsvermögen der Schwestergesellschaft auf die Anschaffungskosten des nämlichen Wirtschaftsguts übertragen werden.“

Der IV. Senat des BFH erkennt damit die gewählte Gestaltungsmöglichkeit ausdrücklich an (Rz. 27 der Entscheidung). Es handelt sich nicht um einen Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO. Vielmehr gewährt § 6b EStG insoweit gerade bei Personengesellschaften ein sehr flexibel nutzbares Wahlrecht zur steuerneutralen Hebung stiller Reserven. Ganz entscheidend für die Abwicklung ist allerdings, dass eine durch entsprechende Nachweise dokumentierte vollentgeltliche Übertragung des betroffenen Wirtschaftsguts erfolgt und der Kaufpreis zwischen den Beteiligten fremdüblich abgewickelt wird. Sofern die Übertragung letztlich nur teilentgeltlich erfolgt, ist eine Entnahme des betroffenen Mitunternehmers bei der veräußernden Personengesellschaft anzunehmen, die nicht § 6bfähig ist. Die Handelsbilanzen bleiben von der § 6b-Stundungsmöglichkeit – abgesehen von eventuellen latenten Steuern – unberührt. Für Besteuerungszwecke werden Ergänzungsbilanzen als technisches „Übertragungsvehikel“ genutzt. Bei der Schwesterpersonengesellschaft I erfolgt eine Kompensation des im Gesamthandsvermögen realisierten Veräußerungsgewinns durch eine quotenentsprechende Bildung einer § 6bRücklage in der Ergänzungsbilanz des A. Es handelt sich um die Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts ohne Berührung der Handelsbilanz der GmbH & Co. KG I. Bei der erwerbenden Schwester-GmbH & Co. KG II wird die § 6b-Rücklage mittels einer negativen Ergänzungsbilanz übertragen, was zur Minderung des Kapitalkontos des betroffenen Mit-

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unternehmers führt, so dass gerade bei beschränkt haftenden Mitunternehmern etwaige Rechtsfolgen des § 15a EStG zu beachten sind. Höhe der § 6b-Rücklage; Wertaufholung: Bei der Ermittlung des Buchwerts des übertragenen Wirtschaftsguts sind allerdings frühere Wertaufholungen bezogen auf das „nämliche Wirtschaftsgut“ rücklagenmindernd zu berücksichtigen. Konkret beträgt die § 6b-Rücklage im streitigen Sachverhalt statt 200 Einheiten lediglich 100 Einheiten. Leitsatz 2 der Entscheidung des BFH v. 9.11.2017 lautet wie folgt: „Der nach § 6b EStG übertragbare Gewinn ergibt sich aus dem Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert übersteigt, mit dem das veräußerte Wirtschaftsgut im Zeitpunkt der Veräußerung anzusetzen gewesen wäre. Bei der danach erforderlichen Ermittlung des fiktiven Buchwerts auf den Zeitpunkt der Veräußerung sind alle Bewertungsregeln des § 6 EStG zu beachten, auch die Regelungen zur Wertaufholung.“

Folgende zentrale Rechtserkenntnisse des BFH sind wichtig: –

Der Buchwert des Wirtschaftsguts muss für § 6b-Zwecke etwaige Zuschreibungen wegen Wertaufholung bis zur Obergrenze der „historischen Anschaffungskosten“ bei Erhalt der „einheitlichen Beteiligung“ mit berücksichtigen. Dabei sind sämtliche Bewertungsregeln des § 6 EStG auf den Zeitpunkt der Veräußerung zu beachten.



Hinzuerwerb von Anteilen, sanierungsbedingte Herabsetzung des Nennkapitals bei gleichzeitiger Kapitalerhöhung und zivilrechtliche Zusammenlegung der Anteile (§ 46 Nr. 4 GmbHG) lassen die „Nämlichkeit des Wirtschaftsguts“ unberührt. Es bleibt deshalb bei einer einzigen Kapitalgesellschaftsbeteiligung, die mit ihren historischen Anschaffungskosten (nach Wertaufholung) für die § 6b-Übertragung zu bewerten ist. Eine „Kappung“ der Wertaufholung erfolgt deshalb nicht.



Die wertaufholungsbedingte Zuschreibung erfolgt letztlich im Gesamthandsvermögen der GmbH & Co. KG I und ist als laufender Gewinn ohne Anwendbarkeit des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a Satz 2 EStG, vorangegangene steuerwirksame Teilwertabschreibung) zu qualifizieren. Eine Berücksichtigung der wertaufholungsbedingten Zuschreibung bei der § 6b-Rücklage ist nicht möglich.

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3. Ergänzende Beratungshinweise Vor allem vier Aspekte erscheinen für die Beratungspraxis besonders wichtig: –

Zunächst einmal gelten die Urteilsgrundsätze des BFH über Kapitalgesellschaftsanteile hinaus für sämtliche § 6b-fähigen Wirtschaftsgüter, insbes. Immobilien. Neben der Übertragung zwischen Schwesterpersonengesellschaften kommen auch fremdübliche Transaktionen zwischen Mitunternehmer und Mitunternehmerschaft sowie bei mehrstöckigen Personengesellschaften unter § 6b-Aspekten in Betracht.



Eine Kappung der Wertaufholung ist nur durch frühzeitige Verlustrealisation mittels Verkauf bzw. einer sonstigen Transaktion möglich. In einem solchen Fall ist beim Erwerber wegen seiner eigenen verlustbedingt niedrigeren Anschaffungskosten kein Raum für eine Zuschreibung. Bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen ist im Hinblick auf etwaige Wertaufholungsbegrenzungen zu erwägen, den Hinzuerwerb von Anteilen über Dritte abzuwickeln.



Die „Fremdüblichkeit“ der § 6b-Transaktion muss nachweisbar und dokumentiert sein. Im Hinblick auf spätere Betriebsprüfungen nach der Veräußerung wird die Wertfrage üblicherweise auf den Prüfstand gestellt.



Vor Durchführung der Transaktion sollte die Technik der Ergänzungsbilanzwirkungen „durch alle Beteiligten“ durchgespielt werden. Auch sind etwaige Steuerlatenzierungen iSd. § 274 HGB bei den beteiligten Gesellschaften zu prüfen.

V. Anzahlungen und Realisationsprinzip: BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16 (Fall 4) 1. Streit um das Realisationsprinzip als Grundpfeiler handelsrechtlicher GoB Das Realisationsprinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, wonach Gewinne nur zu berücksichtigen sind, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind, hat als handelsrechtlicher GoB unmittelbare Relevanz auch für Aktivierungsfragen in der Steuerbilanz. Entsprechendes gilt für die aufwandsbezogene Realisation von Verbindlichkeiten und Verbindlichkeitsrückstellungen auf der Passivseite der Steuerbilanz. In der jüngeren Vergangenheit war die Behandlung von Abschlagszahlungen für Werkleistungen im Baugewerbe ein großes „steuerliches Aufregerthema“, was 458

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erst durch die Finanzverwaltung befördert, dann aber entschärft wurde.34 Im Zusammenhang mit der steuerbilanziellen Behandlung von Anzahlungen ist nun eine bemerkenswerte neue Entscheidung des III. Senats beim BFH v. 26.4.201835 zu vermerken, die zwar wenig grundsätzlich Neues enthält, aber die steuersystematischen Gesichtspunkte für die Behandlung schwebender Geschäfte auf Aufwands- und Ertragsseite weiter ausleuchtet und differenziert. Konkret geht es um die bilanzielle Behandlung von Provisionsvorschüssen und damit zusammenhängenden Aufwendungen eines Reisebüros.

2. BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16: Erhaltene Anzahlungen, Ausstrahlung auf die Aufwendungsseite Zum Sachverhalt: A betreibt seit Jahren ein Reisebüro, ermittelt seinen steuerlichen Gewinn durch kalenderjährlichen Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) und erhält für „alle zur Ausführung gelangten Buchungsgeschäfte“ Provisionen vom Reiseveranstalter (Agenturvertretung). Nach einer innerjährlichen Umstellung der Agenturabrechnungen werden die Provisionen vom Reiseveranstalter umgehend nach Erhalt an das Reisebüro ausgezahlt (jeweils nach Festbuchung und Anzahlung bzw. Begleichung des vollständigen Reisepreises durch den Kunden). Die Provisionsvorschüsse werden beim Reisebüro auf dem Konto „passive RAP“ geparkt und jeweils zum Reisedatum des Kunden gewinnrealisierend auf das Erlöskonto umgebucht. Etwaige Stornierungen von Kunden und sonstige Änderungen bei den Reiseabläufen werden zentral mit der jeweils nächsten Abrechnung des Reiseveranstalters „verrechnet“. In der Bilanz

34 Vgl. dazu als Überblick (mit Hinweis auf BMF v. 29.6.2015 – IV C 6 - S 2130/15/10001 – DOK 2015/0549466, BStBl. I 2015, 542 = FR 2015, 666 und BMF v. 15.3.2016 – IV C 6 - S 2130/15/10001 – DOK 2016/0228209, BStBl. I 2016, 279 = FR 2016, 343) Prinz, StbJb. 2016/2017, 351-355. Ausgangspunkt für die „Verwirrungen“ war die Entscheidung des BFH v. 14.5.2014 – VIII R 25/11, BStBl. II 2014, 968 = FR 2014, 1136 betr. Gewinnrealisierung bei Abschlagszahlung nach § 8 Abs. 2 HOAI aF. 35 BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16, BStBl. II 2018, 536 = FR 2018, 964. Zu Erläuterungen vgl. Schiffers/Köster, DStZ 2018, 833 (852 f.); Kolbe, StuB 2018, 689; Wendel, DStRK 2018, 235; Weber-Grellet, FR 2018, 967; Abele, BB 2018, 1778; s. ergänzend auch BFH v. 7.11.2018 – IV R 20/16, FR 2019, 305 (keine Gewinnrealisierung durch Bewilligung eines Vergütungsnachlasses für bilanzierenden Insolvenzverwalter); v. 7.12.2017 – IV R 23/14, BStBl. II 2018, 444 Rz. 21– 25.

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zum 31.12.01 enthält der „passive RAP“ nur Provisionen für im Folgejahr durch Kunden angetretene Reisen. Im Rahmen einer Außenprüfung wird die erfolgsneutrale Behandlung der erzielten Provisionsvorschüsse zwar akzeptiert. Die Betriebsausgaben, die mit den Provisionen im Zusammenhang stehen, seien aber wegen des Erfordernisses periodengerechter Erfolgsabgrenzung als „unfertige Leistungen“ zu aktivieren (anteilige laufende Miet-/Personalaufwendungen; Details der Aufwandsallokation bleiben in der Entscheidung offen). Es kommt zum finanzgerichtlichen Rechtsstreit. Lösungshinweise: Der Sachverhalt ist der BFH-Entscheidung III R 5/16 v. 26.4.2018 in vereinfachter Form nachgebildet. Im Ergebnis bekommt das Reisebüro vom BFH – in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlich tätigen Niedersächsischen Finanzgericht36 – in vollem Umfang Recht. An manchen Stellen erscheint das Judikat des BFH etwas „steuertheoretisch überladen“. Die Ausführungen im Tatbestand zur Behandlung der Provisionszahlungen beim Reiseveranstalter (insbes. Rz. 4 der Entscheidung) sind „verwirrend“; eine Korrespondenz zur steuerbilanziellen Behandlung beim Kläger (= Reisebüro) besteht nicht. Das Urteil enthält zwei für die Praxis wichtige Rechtsergebnisse: –

Für die erhaltenen Vorschüsse auf die Provisionsansprüche des Reisebüros erfolgt keine Gewinnrealisierung. Dies entspricht der Behandlung schwebender Geschäfte und ist sicher zutreffend. Leitsatz 1 der Entscheidung fasst dies wie folgt zusammen: „Solange der Provisionsanspruch des Handelsvertreters noch unter der aufschiebenden Bedingung der Ausübung des Geschäfts steht, ist er nicht zu aktivieren. Provisionsvorschüsse sind beim Empfänger als „erhaltene Anzahlung“ zu passivieren.“

Der III. Senat folgt bei seiner Subsumtion traditionellen Rechtsprechungsgrundsätzen. Erst mit „prinzipiell unentziehbarem Provisionsanspruch für seine Leistung“ ist der Gewinn realisiert. Dies erfolgt mit Ausführung der Reise durch den Kunden als Bedingungseintritt; erst dann kann ein Provisionsanspruch aktiviert oder bei Erhalt einer Vorauszahlung erfolgserhöhend vereinnahmt werden. Leistungsfähigkeitsbesteuerung und Gläubigerschutz verlangen gleichermaßen einen „so gut wie sicheren“ Gegenleistungsanspruch für die eigene Dienst- oder Werkleistung. Dies ist unabhängig von der Fälligkeit des Anspruchs oder etwaigen Abrechnungsmodalitäten. Entscheidend für 36 Nds. FG v. 12.1.2016 – 13 K 12/15, EFG 2016, 1158.

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die Einordnung der Zahlung als erfolgsneutrale Anzahlung oder Ertrag ist die Vertragsgestaltung im Einzelfall (konkreter Agenturvertrag). Die erfolgsneutrale Passivierung erfolgt als „erhaltene Anzahlung“, nicht als (subsidiärer) passiver RAP. –

Die im Zusammenhang mit der Erzielung der Provisionserlöse stehenden Aufwendungen sind laufende Betriebsausgaben und nicht als „unfertige Leistungen“ zu aktivieren. Dieser Teil der BFH-Entscheidung hat durchaus „Neuigkeitswert“ und ist „sehr grundsätzlich“ angelegt. Leitsatz 2 fasst das Rechtsergebnis des BFH wie folgt zusammen: „Aufwendung, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Provisionsvorschüssen stehen, sind nicht als „unfertige Leistung“ zu aktivieren, wenn kein Wirtschaftsgut entstanden ist.“

Diese Beurteilung durch den BFH erscheint mir zutreffend. Zentrale Argumente sind: Eine Aktivierung von Aufwendungen erfordert das Vorliegen eines Wirtschaftsguts; daran fehlt es bei laufenden Betriebsausgaben, die lediglich eine endgültige wirtschaftliche Belastung des Kaufmanns darstellen, ohne einen objektiv werthaltigen Vermögenswert zu schaffen. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit einzelnen Provisionsgeschäften war im vorliegenden Sachverhalt nicht festzustellen. Sofern im Einzelfall allerdings ein mit einer speziellen Reisebuchung konkret zusammenhängender Aufwand festzustellen ist, kommt mE eine Aktivierung in Betracht.37 Vor allem Weber-Grellet38 kritisiert die vom BFH abgelehnte Aktivierung der im Zusammenhang mit den Provisionsvorschüssen entstandenen Aufwendungen und geht von der Notwendigkeit eines „Abgrenzungspostens eigener Art“ aus. ME ist dies unzutreffend, da das zeitliche Tatbestandsmerkmal eines aktiven RAP, nämlich das Entstehen von Aufwand für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag, nicht erfüllt ist. Deshalb bleibt es der Beurteilung durch den III. Senat des BFH entsprechend beim „schlichten“ Betriebsausgabenabzug. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf das nicht rechtskräftige Urteil des FG Münster v. 28.4.2016 hinzuweisen, das entgegen der Beurteilung durch den BFH nach wie vor von einer Aktivierung provisionsveranlasster Aufwendungen als „unfertige Leistung“ ausgeht; die FG Münster-Entscheidung ist allerdings vor dem einschlägigen BFH-Urteil III R 5/16 ergangen. Es ist davon auszugehen, dass der BFH seine 37 So auch Schiffers/Köster, DStZ 2018, 833 (838 f.). 38 Vgl. Weber-Grellet, FR 2018, 967.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

Beurteilung auch in diesem „neuen Fall“ beibehalten wird.39 Dem folgend hat der BFH in seinem Urteil v. 29.8.2018 – XI R 32/16 entschieden: Aufwendungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Provisionsvorschüsse stehen, sind nicht zu aktivieren, wenn kein Wirtschaftsgut entstanden ist. Der XI. Senat des BFH schließt sich damit ausdrücklich der Entscheidung des III. Senats v. 26.4.2018 an. Die Rechtslage ist damit geklärt.

3. Wichtige Beratungserkenntnisse Die Entscheidung des BFH schafft insgesamt weiter Klarheit zu steuerbilanziellen Fragen des Realisationsprinzips auf der Aufwands- sowie der Ertragsseite. Damit wird ein wichtiger „GoB-Pfeiler“ für das auf eine sachgerechte Leistungsfähigkeitsbesteuerung ausgerichtete Steuerbilanzrecht weiter aufgefächert. Aus Beratersicht ist festzuhalten: –

Provisionsvorauszahlungen sind als „erhaltene Anzahlungen“ und nicht als passive RAP zu behandeln. Dies ist unter steuersystematischen Gesichtspunkten zutreffend, da ein passiver RAP nur subsidiär bei Erfüllung der Ertragsrealisationskriterien zur Anwendung kommen kann, weil eine konkrete Erfassung als negatives Wirtschaftsgut vorgeht.40 Dies ergibt sich auch aus dem Tatbestandskriterium „zeitraumbezogener Einnahmen für eine bestimmte Zeit“, woran es bei Provisionsvorauszahlungen fehlt. Die „erhaltene Anzahlung“ wird nämlich nicht im Hinblick auf eine zeitraumbezogene Gegenleistung gewährt, sondern lediglich wegen einer künftig zu erbringenden einmaligen Leistung. Auch wenn die Zielrichtung von passivem RAP und erhaltener Anzahlung letztlich vergleichbar ist, fordert der III. Senat des BFH zu Recht die Unterscheidung.



Im Ergebnis erteilt der BFH dem insbes. von Moxter entwickelten „Alimentationsgedanken“,41 wonach für eine Verbindlichkeitsrückstellung künftige Ausgaben konkret bereits realisierten Erträgen zugeordnet werden müssen, auf der Aktivseite eine Absage. Aufwen-

39 Das Revisionsverfahren gegen FG Münster v. 28.4.2016 – 9 K 483/14 K, G, F, Zerl, EFG 2016, 1284 (mit Anm. Oellerich), nrkr. wird unter dem Aktenzeichen XI R 32/16 geführt und wurde durch BFH v. 29.8.2018 – XI R 32/16, FR 2019, 276 zugunsten des Stpfl. entschieden. 40 Vgl. dazu eingehender Prinz in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht3, Rz. 6394. 41 Vgl. Moxter, Bilanzrechtsprechung6, 118-120, 129 f.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

dungen, die mit einem „schwebenden Geschäft“ auf der Ertragsseite zusammenhängen, bleiben nämlich ohne Entstehung eines Wirtschaftsguts abziehbar. Ein solcher gebotener wirtschaftlicher Verknüpfungsvorgang ist für Aktivierungszwecke nach dem Anschaffungskostenprinzip steuergesetzlich nicht vorgesehen und wird deshalb auch vom BFH nicht verlangt. –

Das Judikat des III. Senats enthält interessante Ausführungen zur Rechtsqualität des Bilanzpostens „unfertige Leistungen“. Der BFH erteilt Formulierungen wie „bloße Bilanzierungshilfe“ oder Einstufung „ähnlich einem RAP“ oder „einer Aufwandsstornierung“ eine Absage. Vielmehr muss bei aktivierungsfähigen/aktivierungspflichtigen unfertigen Leistungen ein „greifbarer Vermögenswert“ entstehen, der auch unter Leistungsfähigkeitsaspekten einer strengen Kontrolle unterliegen muss. Ansonsten würde ein zu hoher Gewinn besteuert, der wirtschaftlich gar nicht existiert.



Schließlich wird in der Entscheidung des BFH deutlich, dass die Judikatur eine vorsichtsgeprägte Bestimmung der Gewinnrealisation verlangt.

VI. Fremdwährungsdarlehen und Teilwertzuschreibung: Divergierende FG-Rechtsprechung (Fall 5) 1. Ausgangspunkt: Höchstwertprinzip bei Fremdwährungsverbindlichkeiten Die steuerliche Behandlung von Währungsgewinnen/-verlusten wird derzeit in vielen Facetten in Betriebsprüfungen diskutiert. Betroffen sind etwa Sicherungsgeschäfte und Bewertungseinheiten, außerbilanzielle Korrekturen gem. § 8b Abs. 3 KStG, § 3c Abs. 2 EStG, Termingeschäfte gem. § 15 Abs. 4 Satz 3 ff. EStG sowie die unionsrechtliche Problematik vagabundierenden Aufwands. Im Rahmen des Bilanzsteuerrechts soll im Folgenden konkret die Passivierung von Fremdwährungsverbindlichkeiten bei „erstarkter Auslandswährung“ diskutiert werden. Als Pendant zur wahlweisen Teilwertabschreibung wegen voraussichtlich dauernder Wertminderung stellt sich insoweit die Frage vorsichtsbedingter Teilwertzuschreibungen wegen dauerhafter ausländischer Währungsaufwertung (strenges Höchstwertprinzip). Die Rechtsgrundlage ist § 6 Abs. 1 Nr. 3 iVm. Nr. 2 Satz 2 EStG. Für handelsbilanzielle Zwecke ist die Währungsumrechnung 463

Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

gem. § 256a HGB (Durchbrechung des Realisationsprinzips bei kurzfristiger Restlaufzeit der Währungsposition) zu beachten. Eine Anwendung der Vorschrift im Steuerbilanzrecht ist allerdings wohl nach hM unzulässig.42 Im Blickpunkt der Praxis sind vor allem Schweizer FrankenDarlehen.43 Naturgemäß können aber auch andere Auslandswährungen betroffen sein.

2. Sicht der Finanzverwaltung im Teilwerterlass Die Finanzverwaltung hat sich im BMF-Schreiben v. 2.9.201644 zu Teilwertzuschreibungen bei Fremdwährungsverbindlichkeiten in den Kernpunkten wie folgt geäußert: –

Zunächst erfolgt die Bewertung der Fremdwährungsverbindlichkeit mit dem Wechselkurs zum Zeitpunkt des Entstehens der Verbindlichkeit.



Eine wahlweise Teilwertzuschreibung kommt nur bei voraussichtlich dauernder Erhöhung des Kurswerts nach Maßgabe einer objektivierten Prognosebeurteilung in Betracht. Es besteht eine systematische Kopplung mit einer Wertaufholung in „umgekehrter Richtung“. Bei „günstiger Währungskursentwicklung“ mit niedrigerem Eurorückzahlungsbetrag sind die historischen Anschaffungskosten der Verbindlichkeit beizubehalten. Eine erfolgserhöhende Teilauflösung der Verbindlichkeit ist wegen des Anschaffungskostenprinzips unter Vorsichtsaspekten unzulässig.



Die Dauerhaftigkeit der Teilwerterhöhung wird umschrieben als nachhaltige Erhöhung des Wechselkurses gegenüber dem Entstehungskurs. Dabei müssen mehr Gründe für als gegen die Nachhaltigkeit sprechen. Objektive Anzeichen sind zu berücksichtigen. Das BMF-Schreiben nimmt insoweit Rekurs auf die BFH-Entscheidung v. 23.4.200945 und bedient sich insoweit einer weitgehenden Typisierung. Das bestätigende BFH-Urteil des I. Senats v. 4.2.201446 wird in dem Teilwerterlass nicht angesprochen. Die Kernvoraussetzung für eine Teilwertzuschreibung aus Sicht der FinVerw. lautet:

42 Zum Diskussionsstand Hiller in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2018, § 256a HGB Rz. 46 f. 43 Vgl. auch bereits Prinz, StbJb. 2014/2015, 373. 44 BMF v. 2.9.2016 – IV C 6 - S 2171-b/09/10002 :002 – DOK 2016/0666535, BStBl. I 2016, 995 = FR 2016, 916 Rz. 30–33, 36. 45 BFH v. 23.4.2009 – IV R 62/06, BStBl. II 2009, 778 = FR 2009, 1056. 46 BFH v. 4.2.2014 – I R 53/12, HFR 2014, 1046.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts „Bei Fremdwährungsverbindlichkeiten, die eine Restlaufzeit von jedenfalls zehn Jahren haben, begründet ein Kursanstieg der Fremdwährung grundsätzlich keine voraussichtlich dauernde Teilwerterhöhung; die Währungsschwankungen werden in der Regel. ausgeglichen“.

Zu Restlaufzeiten von unter zehn Jahren äußert sich das BMFSchreiben nicht. Übliche Wechselkursschwankungen auf Devisenmärkten berechtigen nicht zur Teilwertzuschreibung.

3. Streitige Teilwertzuschreibung bei Schweizer FrankenDarlehen Zum Sachverhalt: Die UP-GmbH hat in den Jahren 2005–2007 verschiedene unbefristete Fremdwährungsdarlehen in Schweizer Franken aufgenommen (Bandbreite von 1,50 bis 1,70 Euro), die als sog. Roll-Over-Kredit unbefristet mit marktabhängig wechselnden Zinssätzen fortgeführt wurden. Aufgrund der am 6.9.2011 erwirkten Festlegung eines Mindestkurses von 1,20 CHF je Euro durch die Schweizerische Nationalbank hat die UP-GmbH in der Steuerbilanz zum 31.12.2011 eine aufwandswirksame Teilwertzuschreibung vorgenommen. Die erhöhten Teilwertansätze wurden in 2012 unverändert beibehalten. Ein Fremdwährungsdarlehen wurde in 2014 getilgt; ein anderes wurde per Novation in CHF umgeschuldet. Ergänzend ist zu beachten: Die Schweizerische Nationalbank hat am 15.1.2015 die Obergrenze des CHF zum Euro aufgegeben, was zu einer sprunghaften Frankenaufwertung führte. Heute liegt der Schweizer Franken in einer Bandbreite von 1,12 bis 1,19 pro Euro. Die Betriebsprüfung für die Jahre 2010-2012 will die Teilwertzuschreibung gestützt auf den verwaltungsseitigen Teilwerterlass nicht anerkennen. Es kommt zum Rechtsstreit. Lösungshinweise: Es gibt divergierende Beurteilungen der Möglichkeit einer Teilwertzuschreibung wegen dauerhafter Werterhöhung durch die Finanzgerichte. Der BFH wird Gelegenheit haben, seine bisherige Rspr. zur Nachhaltigkeit von Devisenkursveränderungen neu zu justieren. In der Besteuerungspraxis wird Ausgangspunkt für die Beurteilung stets die ökonomische Analyse der konkreten Darlehenskonditionen sowie die Prognose der einschlägigen Währungskursentwicklungen sein. Dabei trägt der Stpfl. die Feststellungslast.47 Im Übrigen sind Teilwertzuschreibungen von realisierten Fremdwährungsverlusten zu unterscheiden (dazu unten Gliederungspunkt 4.). 47 Vgl. zum Ganzen auch Bolik, StuB 2018, 145.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

Ausgehend vom durch den BFH geprägten, aber streitigen „Rechtssatz“, bei einer Restlaufzeit von jedenfalls zehn Jahren glichen sich Währungsschwankungen idR aus, gibt es diametrale FG-Entscheidungen: –

Das FG Baden-Württemberg erkennt in einem Urteil v. 11.7.201748 die Teilwertzuschreibung an. Zentrales Argument ist: Durch die Intervention der Schweizerischen Nationalbank am 6.9.2011 hat eine fundamentale Veränderung der wirtschaftlichen/finanzpolitischen Daten stattgefunden, die zu einer dauerhaften Werterhöhung des Franken-Darlehens führt. Das FG stuft die Roll-Over-Kredite als langfristig mit unbefristeter Laufzeit ein (ggf. Schätzung analog § 13 Abs. 2 BewG). Zum 31.12.2010 lag eine dauerhafte Teilwerterhöhung dagegen nicht vor. Dadurch wird die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank v. 6.9.2011 zu Recht als „wertbegründender Umstand“ gewertet. Zu einem gleich lautenden Rechtsergebnis der Zulässigkeit einer Teilwertzuschreibung ist das FG Baden-Württemberg auch bereits in einem Aussetzungsbeschluss v. 8.3.201649 gelangt, allerdings mit Angabe typisierender Schwankungsbreiten (Kursschwankung von mehr als 20 % am Bilanzstichtag, 10 % für zwei aufeinander folgende Bilanzstichtage). Entsprechendes ergibt sich aus der Entscheidung des 2. Senats beim FG Baden-Württemberg v. 16.5.2018, gegen die Revision beim BFH unter dem Az. IV R 18/18 eingelegt wurde. Der vom 2. Senat des FG Baden-Württemberg entwickelte Typisierungsrahmen dürfte allerdings letztlich nur schwer rechtlich begründbar sein.



Das FG Düsseldorf dagegen lehnt in einer aktuellen Entscheidung v. 23.7.2018 die Teilwertzuschreibung ab.50 Die Revision zu diesem Judikat wird beim BFH unter dem Aktenzeichen XI R 29/18 geführt. Zentraler Gesichtspunkt für das FG Düsseldorf ist: Mit Festlegung des Mindestkurses von 1,20 CHF pro Euro durch die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank am 6.9.2011 stand „keine dauerhafte Aufwertung des Franken fest“. Dieser Nationalbankbeschluss kann nicht als objektives Anzeichen für ein langfristiges Anhalten dieses Kursniveaus gedeutet werden. Denn bei einer Restlaufzeit von mehr als zehn Jahren kann der Währungskurs aufgrund der üblichen

48 FG Bad.-Württ. v. 11.7.2017 – 5 K 1091/15, EFG 2018, 100, rkr. 49 FG Bad.-Württ. v. 8.3.2016 – 2 V 2763/15, EFG 2017, 382, rkr.; v. 16.5.2018 – 2 K 3880/16, EFG 2018, 1982, nrkr., mit Anm. Oellerich. 50 FG Düss. v. 23.7.2018 – 6 K 884/15 K, G, F, EFG 2018, 1531, nrkr. (Rev. Az. BFH XI R 29/18) mit Anm. Graw, DB 2018, 2535.

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Wechselkursschwankungen auch durchaus wieder nach oben gehen. Der 6. Senat des FG Düsseldorf bezieht sich in seinem Judikat ausdrücklich auch auf eine Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen FG v. 9.3.2016,51 wo eine Teilwertzuschreibung ebenfalls abgelehnt wird.

4. Ergebnisrealisierung bei Fremdwährungsdarlehen Während Teilwertzuschreibungen wegen voraussichtlich dauerhafter Teilwerterhöhung auf der Passivseite bilanzrechtssystematisch durch das Imparitätsprinzip begründet sind, kommt bei tatsächlichen Fremdwährungsverlusten das im Grundsatz deutlich klarer anwendbare Realisationsprinzip zur Anwendung. Denn die Tilgung eines Fremdwährungsdarlehens in Euro führt „ohne Wenn und Aber“ zu Aufwand/Ertrag. Allerdings sind auch insoweit Novationsgestaltungen möglich, in denen ein bestehendes Schuldverhältnis aufgehoben und ein neues begründet wird, bei welchen durchaus Fragen der Ergebnisrealisierung auftreten. Hinweise dazu finden sich in der Entscheidung des FG Niedersachsen v. 23.2.2016.52 Dabei lässt sich wie folgt unterscheiden: –

Die Novation von Fremdwährungsdarlehen durch ein Eurodarlehen führt zu einer Ertragsrealisation. Ein künftiges Währungsrisiko entfällt. Dagegen hat eine Novation innerhalb von Eurodarlehen wegen des Nominalwertprinzips (§ 244 HGB) keine Gewinnauswirkungen.



Erfolgt dagegen die Novation innerhalb des Fremdwährungsdarlehens in gleicher Währung, wird eine Gewinnrealisierung nur dann ausgelöst, „wenn wirtschaftlich das frühere und das neue Schuldverhältnis nicht identisch sind“. Beurteilungsaspekte dabei sind: neue Sicherheitenvereinbarungen, Änderungen der Vertragspartei bei Darlehensgläubiger/Darlehensschuldner; geänderter Verwendungszweck des Darlehens. In solchen Fällen erfolgt auf der einen Seite die Realisation des Fremdwährungsergebnisses durch Tilgung des Altdarlehens; das Neudarlehen ist zu den aktuellen Anschaffungskosten in Ansatz zu bringen. Bei Novation des Darlehens in unterschiedlichen Fremdwährungen dürften an den steuerwirksamen Realisationsfolgen keine Zweifel bestehen.

51 Schl.-Holst. FG v. 9.3.2016 – 2 K 84/15, EFG 2016, 799, rkr. 52 Nds. FG v. 23.2.2016 – 8 K 272/14, EFG 2016, 883, rkr.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

5. Besteuerungspraktische Konsequenzen Bei der Beurteilung der voraussichtlich dauerhaften Werterhöhung bei Fremdwährungsdarlehen ist nach meiner Auffassung eine Neujustierung der nur sehr grob differenzierenden BFH-Rspr. erforderlich. Die durch den IV. Senat des BFH unterstellte typisierte „Ausgleichsautomatik“ bei Restlaufzeiten von mehr als zehn Jahren erscheint problematisch. Es sollte eine Widerlegung im Einzelfall möglich sein. Darüber hinaus bedarf die Behandlung von Fremdwährungsdarlehen von unter zehn Jahren ergänzender Hinweise. Die Finanzverwaltung sollte auch bei Teilwertzuschreibungen auf der Passivseite der Bilanz ähnlich wie bei Teilwertabschreibungen auf der Aktivseite eine Bagatellgrenze unter Vereinfachungsgesichtspunkten zulassen. So wäre etwa denkbar, dass bei einer Währungskurssteigerung von mehr als 5 % im Vergleich zum Erwerbszeitpunkt eine Dauerhaftigkeit der Werterhöhung typisierend annehmbar ist. Schließlich sollte unter Gestaltungsaspekten in der Praxis über eine zeitkritische Durchführung von Umschuldungen im Hinblick auf eine frühzeitige steuerliche Verlustrealisation nachgedacht werden. Dabei werden natürlich nicht nur steuerliche Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen sein.

VII. Zum Schluss: Plädoyer für mehr Systemorientierung im Bilanzsteuerrecht Die Fallanalyse neuerer Judikatur und moderner wirtschaftsrealer Entwicklungen mit ihren neuartigen Abbildungserfordernissen im Rechnungswesen zeigt sehr deutlich die bestehenden Stärken und Schwächen unseres Bilanzsteuerrechts. Auf der einen Seite gelten erprobte systemtragende Prinzipien, die auch bei modernen Wirtschaftsentwicklungen tragfähige Lösungen für die Steuerbilanz ermöglichen. Auf der anderen Seite stiftet gerade die Unbestimmtheit des Maßgeblichkeitsgrundsatzes mit der steuerrelevanten Bezugnahme auf die handelsrechtlichen GoB zunehmend Verwirrung in der Praxis. Es erscheint deshalb zur Orientierung im Bilanzsteuerrecht und ungeachtet der Vielzahl von Detailfragen ratsam, wieder mehr die Systemgrundsätze in den Blick zu nehmen. Aus meiner Sicht ist dabei Folgendes wichtig: –

Vor allem die durch das BilMoG v. 25.5.2009 wegen Beseitigung der Umkehrmaßgeblichkeit vorangebrachte Entkoppelung von Handels-

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und Steuerbilanz hat sich bislang im Großen und Ganzen als praktikabel erwiesen. Das Handelsbilanzrecht auf der einen Seite lässt seitdem durchaus stärker als in der Vergangenheit eine Öffnung für internationale Entwicklungserfordernisse zu (etwa die Steuerlatenzen gem. § 274 HGB). Das Steuerbilanzrecht auf der anderen Seite kann nach wie vor auf bewährte handelsrechtliche GoB zurückgreifen; insoweit benötigt das Steuerbilanzrecht derzeit mangels eigenständiger Bilanzierungsgrundsätze die Maßgeblichkeitsverknüpfung. Einheitsbilanzen sind spätestens seit dem BilMoG allerdings allenfalls sehr begrenzt bei kleineren und mittleren Unternehmen möglich. Im größeren Mittelstand und bei Konzernunternehmen besteht dagegen durchgängig die Notwendigkeit eigenständiger Erstellung und Fortführung von Steuerbilanzen, deren „Scharnier“ zur Handelsbilanz das Tax Accounting – vor allem mit der Notwendigkeit der Berücksichtigung von Steuerlatenzen – bildet. –

Allerdings erweist sich das derzeit im Steuerbilanzrecht vorzufindende Zusammenspiel von maßgeblichkeitsprägenden handelsrechtlichen GoB, steuergesetzlichen Ausnahme- und Sonderregelungen im Vergleich zur Handelsbilanz, dem steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt sowie den verschiedenen Sondertypen der Maßgeblichkeit als verwirrend. Ungeachtet einer Grundsatzdiskussion um „pro und contra“ Maßgeblichkeitsgrundsatz erscheint jedenfalls eine größere Regelungsdichte im Bilanzsteuerrecht mit weiterreichender und folgerichtig ausgestalteter eigener Kodifikation systemtragender Bilanzierungs-/Bewertungsgrundsätze erforderlich. Die steuerteleologische Auslegung handelsrechtlicher GoB bereitet dem Handelsbilanzrecht etwa im Bereich von Rückstellungen und Realisationsfragen gleichermaßen zunehmende Probleme, so dass die Erweiterung des Bilanzsteuerrechts um eigenständig kodifizierte Grundsätze leistungsfähigkeitsorientierter Bilanzierung und Bewertung Sinn macht. Bei dieser Gelegenheit sollten auch fiskalorientierte Sonderregelungen, die GoBwidrig sind, beseitig werden, wobei im Fiskalinteresse durchaus längerfristige Übergangsregelungen geboten sein können.

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH, München I. Steuerfreier Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften – keine Betriebsausgabenfiktion gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG ohne Betriebsstätte 1. BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144 a) Sachverhalt (gestrafft) b) Aus den Gründen 2. Anmerkungen II. Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht 1. Sachverhalt des BFH-Urteils v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 2. Normen und Erläuterungen a) Normen b) Erläuterungen 3. Entscheidungsgründe 4. Anmerkungen – auch zum Entwurf des „JStG 2018“

III. Gewerblich geprägte Personengesellschaft – ausländische Mitunternehmer und inländische Betriebsstätte – Zurechnung von Wirtschaftsgütern 1. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFHE 260, 209 = FR 2018, 558 a) Sachverhalt (vereinfacht) – Streitjahre: 2007 bis 2009 b) Einschläge Vorschriften c) Fallfragen d) Aus den Gründen – Revision des FA hat Erfolg e) Leitsätze 2. Anmerkungen IV. Berücksichtigung finaler Verluste – Neues vom EuGH 1. EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16 (A/S Bevola), FR 2018, 643 2. Anmerkungen

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

I. Steuerfreier Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften – keine Betriebsausgabenfiktion gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG ohne Betriebsstätte 1. BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144 a) Sachverhalt (gestrafft) Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft (Limited) mit Sitz und Geschäftsleitung in Bermuda. Sie unterhielt im Inland keine Betriebsstätte. Ihre ebenfalls in Bermuda ansässige Tochtergesellschaft (LP) erzielte im Streitjahr aus der Veräußerung des Anteils an einer inländischen AG einen Gewinn. Das FA ging davon aus, dass die LP transparent zu behandeln und deshalb der Klägerin rd. 11 % des Veräußerungsgewinns zuzurechnen sei. Ferner nahm es an, dass hiervon nach § 8b Abs. 3 KStG ein Anteil von 5 % der inländischen KSt. der Klägerin unterläge. Der BFH hat Ersteres (Transparenz der LP) offen gelassen; zum zweiten Punkt ist er der Ansicht des FA nicht gefolgt. b) Aus den Gründen Revision und Klage erfolgreich „7 Die Revision ist im Hinblick auf die Festsetzung der Körperschaftsteuer und des Verspätungszuschlags begründet und führt insoweit zur Aufhebung des FGUrteils. Der Körperschaftsteuerbescheid ist dahin abzuändern, dass die Körperschaftsteuer für das Streitjahr auf 0 Euro festgesetzt wird; der Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Hinsichtlich des Solidaritätszuschlags ist die Revision unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns 8 1. Die von der Klägerin im Streitjahr erzielten inländischen Einkünfte sind von der Körperschaftsteuer befreit. 9 a) Die Klägerin als Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Ausland hat und damit nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, unterliegt gemäß § 2 Nr. 1 KStG mit ihren inländischen Einkünften der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Als inländische Einkünfte steht hier ein (anteiliger) Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der L-AG durch die G-LP in Rede.

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Anteile an inländischer Kapitalgesellschaft 10 b) Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Steuerpflicht auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die unter den Voraussetzungen des § 17 EStG erzielt werden, wenn es sich um Anteile an einer Kapitalgesellschaft handelt, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland hat. Der in Bezug genommene § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG bestimmt, dass zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft gehört, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. hier: nur mittelbare Beteiligung 11 c) Die Vorinstanz ist – in Übereinstimmung mit den Beteiligten – davon ausgegangen, dass der von der G-LP aus der Veräußerung der Anteile an der L-AG erzielte Gewinn bei der Klägerin zu einem Anteil von 10,95 % als „mittelbarer“ Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sei. Inwiefern dies zutrifft, kann anhand der tatrichterlichen Feststellungen rechtlich und rechnerisch nicht vollständig nachvollzogen werden. Es fehlen insbesondere Feststellungen zur Rechtsnatur und zur Einordnung der G-LP aus nationaler steuerlicher Sicht, zur Höhe der Beteiligung der Klägerin an dieser Gesellschaft und zur Höhe der Beteiligung der G-LP an der L-AG. Zwar Steuerfreiheit gem. § 8b Abs. 2 KStG, aber 12 d) Es bedarf zur Entscheidung des Rechtsstreits jedoch keiner näheren Feststellungen zu diesen Punkten. Denn wenn die Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht nach den vorstehend beschriebenen Regelungen gegeben wären, wäre die Besteuerung vorliegend – was im Grundsatz auch FA und FG nicht anders beurteilen – aufgrund § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung, die gleichermaßen auf unbeschränkt wie beschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte anzuwenden ist (allg. Auffassung, z.B. Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8b Rz. 230; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8b Rz. 169; Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8b KStG Rz. 102), bleiben bei der Ermittlung des Einkommens u.a. Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG gehören, außer Ansatz. Bei den von der G-LP veräußerten Anteilen an der L-AG handelt es sich um derartige Anteile. Denn deren Leistungen (Dividenden aus Aktien) sind beim Empfänger Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. mangels inländischer Betriebsstätte keine Schachtelstrafe 13 e) Entgegen der Auffassung des FG wäre von dem auf die Klägerin entfallenden Veräußerungsgewinn i.S. des § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG kein Anteil von 5 % als nicht abziehbare Betriebsausgaben den beschränkt steuerpflichtigen inländischen

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Einkünften der Klägerin hinzuzurechnen. Zwar bestimmt § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG, dass von dem jeweiligen Gewinn i.S. des Abs. 2 Satz 1 der Norm 5 % als Ausgaben gelten, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Die Fiktion pauschalierter Betriebsausgaben geht indessen im Fall der Klägerin ins Leere, weil diese im Streitjahr mangels inländischer Betriebsstätte oder ständigen Vertreters keine inländischen Einkünfte erzielt hat, bei deren Ermittlung Betriebsausgaben berücksichtigt werden könnten. Ansichten der Literatur zur beschränkten KSt.-Pflicht 14 aa) Im Schrifttum bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaftsteuersubjekten zu einer Hinzurechnung nicht abziehbarer Betriebsausgaben führen kann, wenn die betreffende Körperschaft über keine inländische Betriebsstätte verfügt. Während ein Teil der Literatur dies – ebenso wie die Vorinstanz – bejaht (Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 8b KStG Rz. 178; Herlinghaus in Rödder/ Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 8b Rz. 282; Blümich/Rengers, § 8b KStG Rz. 263; Kröner in Ernst & Young, KStG, § 8b Rz. 143; Watermeyer in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 8b KStG Rz. 103; Gröbl/Adrian in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8b KStG Rz. 157), schließen andere eine solche Rechtsfolge aus (Gosch in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 49 Rz. 35b; Wassermeyer, Der Betrieb 2008, 430, 431; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 8b KStG Rz. 255; Mohr in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 2 Rz. 165; Kempf/Hohage, Internationales Steuerrecht – IStR – 2010, 806, 807; Nitzschke, IStR 2012, 125, 126; skeptisch auch Weiss, Der Konzern 2017, 174, 180 f.). BFH: Fiktion erfordert inländischen betrieblichen Aufwand 15 bb) Der Senat hält die letztgenannte Auffassung für zutreffend. Die Betriebsausgabenfiktion des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG greift zwar als typisierende Pauschalierung unabhängig davon, ob und in welchem Umfang beim Steuerpflichtigen tatsächlich Betriebsausgaben im Zusammenhang mit dem veräußerten Anteil angefallen sind (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 12. Oktober 2010, 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224). Fingiert werden aber lediglich der betriebliche Aufwand und dessen Nichtabziehbarkeit. Nicht Gegenstand der Fiktion ist der Besteuerungszugriff des deutschen Fiskus auf den fingierten betrieblichen Aufwand. Dieser muss sich daher aus anderen Bestimmungen ergeben. Die Fiktion nicht abziehbarer Betriebsausgaben durch § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG kann nur dann zu einer Erhöhung der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage führen, wenn der fingierte betriebliche Aufwand, falls er tatsächlich entstanden wäre, dem Besteuerungszugriff des deutschen Fiskus unterliegen würde. Bei der Klägerin ist dies nicht der Fall. hier nein, nur punktuelle Besteuerung des Veräußerungsgewinns 16 Die Klägerin erzielt zwar aufgrund der Bestimmung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa i.V.m. § 17 EStG inländische Einkünfte aus Gewerbe-

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht betrieb. Zur Ermittlung dieser Einkünfte ist jedoch keine Gewinnermittlung nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4, § 5 EStG durchzuführen, in deren Rahmen Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) berücksichtigt werden könnten. Objekt der beschränkten Steuerpflicht der Klägerin ist ausschließlich der Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG, d.h. der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Es handelt sich dabei um den sich punktuell aus dem einzelnen Veräußerungsvorgang ergebenden Differenzbetrag zwischen Veräußerungspreis einerseits und Anschaffungskosten sowie Veräußerungskosten andererseits. Dieser Saldobetrag wird aufgrund gesetzlicher Fiktion als gewerbliche Einkünfte qualifiziert, ohne dass insoweit ein Betriebsvermögensvergleich nach den Maßgaben von § 4 Abs. 1, § 5 EStG oder eine Einnahmen-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG durchzuführen wäre. Soweit in den Saldo tatsächlicher betrieblicher Aufwand in Form der Veräußerungskosten eingeht, ist dieser von der Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG umfasst und ist schon von daher nicht abziehbar (vgl. Senatsurteile vom 12. März 2014 I R 45/13, BFHE 245, 25, BStBl II 2014, 719; vom 9. April 2014 I R 52/12, BFHE 245, 59, BStBl II 2014, 861; Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 8b KStG Rz. 176). Ein etwaiger weiterer betrieblicher Aufwand der Klägerin, der in einem Veranlassungszusammenhang mit den veräußerten Anteilen steht, würde mithin in Ermangelung einer inländischen Betriebsstätte oder eines für das Inland bestellten ständigen Vertreters (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) nicht dem deutschen Besteuerungszugriff unterliegen. § 8b Abs. 2 KStG bewirkt vollständige Freistellung des Veräußerungsgewinns 17 cc) Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Sichtweise kann der vom Gesetz beschrittene rechtliche Weg der Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben nicht durch eine wirtschaftliche Betrachtung überspielt werden, der zufolge die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG im Ergebnis nur zu 95 % gewährt werden solle und § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG daher als Vorschrift verstanden werden müsse, die die Steuerfreistellung partiell wieder zurücknimmt (so aber Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 8b KStG Rz. 178). 18 Mit § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG flankiert das Gesetz die prinzipielle Freistellung des Veräußerungsgewinns nach § 8b Abs. 2 KStG durch Qualifizierung eines pauschalen Prozentsatzes des Nettogewinns als fiktive Nichtabzugsgröße ‚nichtabziehbare Betriebsausgaben‘ (Senatsurteile in BFHE 245, 25, BStBl II 2014, 719, und in BFHE 245, 59, BStBl II 2014, 861). Auch wenn diese Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben wirtschaftlich wie eine partielle Rücknahme der Steuerfreistellung um 5 % wirkt, ist der vom Gesetz gewählte Weg der Qualifizierung der Nichtabzugsgröße als nichtabziehbare Betriebsausgaben wörtlich zu verstehen und ernst zu nehmen. Aus diesem Grund hat der Senat zur Vorschrift des § 8b Abs. 7 KStG 1999 i.d.F. des Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13), der eine vergleichbare Betriebsausgabenfiktion hinsichtlich der gemäß § 8b Abs. 1 KStG 1999 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 von der Besteuerung freigestellten Dividenden enthält, entschieden, dass die vollständige

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Freistellung der Dividenden von der Besteuerung rechtlich nicht durch die 5 %-ige Betriebsausgabenfiktion beeinträchtigt wird und die Betriebsausgabenfiktion folglich nicht in Konflikt mit abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien steht (Senatsurteil vom 29. August 2012 I R 7/12, BFHE 239, 45, BStBl II 2013, 89; s.a. Senatsbeschluss vom 22. September 2016 I R 29/15, BFH/NV 2017, 324). Ein gleichermaßen wörtliches Normverständnis als echte Pauschalierung nicht abziehbarer Betriebsaufwendungen ist auch in Bezug auf die Betriebsausgabenfiktion des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG geboten (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 224, Rz. 53 f.). Folgen: KSt. iHv. null Euro 19 f) Das FG ist von einer anderen Auffassung ausgegangen. Sein Urteil ist daher im Hinblick auf die Festsetzung der Körperschaftsteuer aufzuheben. Die festzusetzende Körperschaftsteuer beträgt 0 Euro… .“ Leitsätze „1. Der von einer beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft erzielte Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft ist gemäß § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfrei. 2. Die Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben nach Maßgabe von § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG (sog. Schachtelstrafe) geht ins Leere, wenn die veräußernde Kapitalgesellschaft im Inland über keine Betriebsstätte und keinen ständigen Vertreter verfügt.“

2. Anmerkungen a) (Finanzverwaltung): Das Besprechungsurteil ist zwischenzeitlich im BStBl. Teil II veröffentlicht und wird somit von der Finanzverwaltung akzeptiert (s. auch OFD Frankfurt v. 23.2.2018, juris). b) Das Schrifttum stimmt gleichfalls mit allerdings unterschiedlicher Begründung zu (Loose, IWB 2017, 912; Berger/Tetzlaff, NWB 2018, 324; nur im Ergebnis glA Früchtl, IStR 2017, 1040: § 8b Abs. 3 KStG nicht Teil des Veräußerungsgewinns gem. § 17 EStG und damit auch nicht Gegenstand der beschränken Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG). c) Der Kernpunkt der Argumentation des Senats ist zum einen die zwischenzeitlich stRspr. des I. BFH-Senats, der § 8b Abs. 3 KStG – in enger Anlehnung an den Gesetzeswortlaut – als Fiktion nicht abziehbarer Betriebsausgaben und nicht als partielle Rücknahme der Steuerbefreiung versteht. Hiervon ausgehend erfordert die Kürzung fiktiver Betriebsausgaben zudem, dass der fingierte betriebliche Aufwand, falls er tatsächlich entstanden wäre, dem Bereich steuerbarer inländischer Einkünfte 478

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zugeordnet wäre. Dies wiederum setzt über den Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG hinaus voraus, dass die Anforderungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Betriebsstätte, ständiger Vertreter) erfüllt werden (Märtens, jurisPR-SteuerR 49/2017 Anm. 6). d) Ist dies (Zuordnung des Kapitalgesellschaftsanteils zur inländischen Betriebsstätte) zu bejahen und waren die veräußerten Kapitalgesellschaftsanteilenteile der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen, ist der Veräußerungsgewinn Teil des Betriebsstättengewinns (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG iVm. § 8b Abs. 2 und 3 KStG; zutr. Loose, IWB 2017, 917: effektive Belastung einschl. GewSt. rd. 1,5 %). e) Anderenfalls (keine Zuordnung des Kapitalgesellschaftsanteils zu einer inländischen Betriebsstätte; s. Besprechungsurteil und damit Nichtgeltung von § 8b Abs. 3 KStG, dh. keine Kürzung fiktiver Betriebsausgaben) bleibt allerdings unberührt, dass der nach § 17 iVm. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG steuerbare Veräußerungsgewinn ein Nettobetrag ist, in den die Veräußerungskosten (dh. die durch die Veräußerung veranlassten Aufwendungen) als Abzugsposten eingehen. f) (DBA) Die aus dem beschränkten Besteuerungsumfang der Normen des unilateralen Rechts abgeleitete Lösung des BFH setzt sich auch im DBA-Fall durch. g) Nicht zu entscheiden hatte der BFH über den Fall, dass eine im Ausland ansässige natürliche Person unmittelbar oder mittelbar über einen transparent zu behandelnden Rechtsträger an der inländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist. In dieser Konstellation greift selbstverständlich nicht die Steuerfreiheit gem. § 8b Abs. 2 iVm. Abs. 3 KStG, sondern gelten die für natürliche Personen zu beachtenden Besteuerungsgrundsätze des Teileinkünfteverfahrens (Blümich/Drüen, § 7 GewStG Rz. 71).

II. Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht 1. Sachverhalt des BFH-Urteils v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 Die luxemburgische Immobilien-S.à.r.l. (Kapitalgesellschaft = Klägerin) erhielt 2007 zum Zweck des Erwerbs von inländischem Grundbesitz von ihrer Muttergesellschaft ein Darlehen. Das Grundstück wurde zunächst vermietet, dann aber im Februar 2011 (Streitjahr) veräußert. Da die Darlehensrestschuld aus dem Veräußerungserlös nicht getilgt werden konnte, 479

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hat die Darlehensgeberin auch mit Rücksicht auf die Schuldsituation der Klägerin auf die restliche Tilgung im Dezember 2017 verzichtet. Fraglich war, ob der Ertrag aus Forderungsverzicht der beschränkten KSt.-Pflicht unterlag.

2. Normen und Erläuterungen a) Normen § 49 EStG „(1) Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Absatz 4) sind … 2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17), a) für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist, … f) die, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des Buchstaben a gehören, durch aa) Vermietung und Verpachtung oder bb) Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen, von Sachinbegriffen oder Rechten, die im Inland belegen oder in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind oder deren Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte oder anderen Einrichtung erfolgt, erzielt werden. 2§ 23 Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend. 3Als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten auch die Einkünfte aus Tätigkeiten im Sinne dieses Buchstabens, die von einer Körperschaft im Sinne des § 2 Nummer 1 KStG erzielt werden, die mit einer Kapitalgesellschaft oder sonstigen juristischen Person im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Körperschaftsteuergesetzes vergleichbar ist, oder…“

§ 8 Abs. 2 KStG „(2) Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 sind alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln.“

b) Erläuterungen –

Gewinne aus der Veräußerung von Grundbesitz sind bei inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften durchgängig steuerbar, nämlich als Einkünfte aus Gewerbebetrieb.



Im Fall der beschränkten KSt.-Pflicht der Kapitalgesellschaft bedarf es hierzu entweder einer originären gewerblichen Tätigkeit der Kapi-

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

talgesellschaft iVm. mit einer inländischen BetriebsstätteS (oder ständigen Vertreter; § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) oder jedenfalls einer gewerblichen Tätigkeit im Hinblick auf die Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem inländischen Grundbesitz (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG). –

Fehlt es auch hieran, würde sich – vorbehaltlich des Vorliegens eines privaten Grundstückveräußerungsgewinns nach § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 iVm. §§ 22 Nr. 2, 23 Satz 1 Nr. 2 EStG – im Vergleich zur Besteuerung der Grundstücksveräußerungsgewinne inländischer Kapitalgesellschaften ein Gefälle ergeben.



Letzteres wurde zunächst (ab VZ 1994) durch die Fiktion eines gewerblichen Veräußerungsgewinns beseitigt. Ab VZ 2009 ist die Fiktion der Gewerblichkeit dann auch im Interesse einer einheitlichen Einkünfteermittlung auf die Vermietungserträge ausgedehnt worden.



Fazit: § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG dient der Lückenfüllung (Loschelder in Schmidt, EStG37, § 49 Rz. 54) und der – allerdings nicht vollständigen (s. Besprechungsurteil) – Gleichbehandlung unbeschränkt und beschränkt KSt.-Pflichtiger.



Auch führt die Fiktion nicht zur Annahme einer inländischen Betriebsstätte iSv. § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG.

3. Entscheidungsgründe Das FA ging für den Sachverhalt, der dem Verfahren I R 76/14 (s.o.) zugrunde lag, von der Steuerpflicht der Erlassbeträge gem. § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f EStG aus. Dem ist der BFH nicht gefolgt. Das Urteil enthält zudem Ausführungen zur Zulässigkeit von Klagen, gegen KSt.-Bescheide, mit denen die KSt. auf 0 Euro festgesetzt wird. Leitsatz 2 „Zu den bei ausländischen Körperschaften nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG als gewerblich fingierten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder Veräußerung inländischen Grundbesitzes gehört nicht der Ertrag aus einem gläubigerseitigen Verzicht auf die Rückzahlung eines Darlehens, mit dem die Körperschaft den Erwerb der Immobilie finanziert hatte.“

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Aus den Gründen Ertrag aus Forderungsverzicht unterliegt nicht der beschränkten KSt.-Pflicht „16 II. … Der durch den Forderungsverzicht der B-L.P. bei der Klägerin im Streitjahr entstandene Ertrag gehört nicht zu deren der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden inländischen Einkünften. Insbesondere ist er – entgegen der Auffassung von FA und BMF – nicht im Rahmen der Ermittlung der (fiktiven) Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Maßgabe von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zu berücksichtigen. Vermietungseinkünfte der Klägerin aber steuerpflichtig 17 1. Die im Streitjahr erzielten Einkünfte der Klägerin aus der Vermietung und der Veräußerung des inländischen Grundstücks sind allerdings gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG inländische Einkünfte i.S. der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG). Keine inländische Betriebsstätte 18 a) Der – vorrangige – Tatbestand der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. der §§ 15 bis 17 EStG, für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist) liegt im Fall der Klägerin mangels inländischer Betriebsstätte und ständigen Vertreters nicht vor. Keine gewerblichen Einkünfte iSv. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG 19 b) Auch sind die Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung sind gewerbliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Doppelbuchst. aa) oder Veräußerung (Doppelbuchst. bb) u.a. von inländischem unbeweglichem Vermögen beschränkt steuerpflichtig, soweit sie nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fallen. Die Vorschrift ist im Streitfall nicht einschlägig, weil es sich bei den Einnahmen der Klägerin aus der Vermietung und der Veräußerung des streitbefangenen Grundstücks nicht um gewerbliche Einkünfte i.S. von § 15 Abs. 2 EStG handelt. Die Regelung des § 8 Abs. 2 KStG, der zufolge bei den unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind, gilt nicht für die beschränkte Steuerpflicht. Das streitbefangene Grundstück war nach den von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen tatrichterlichen Feststellungen des FG das einzige Vermietungs- und Veräußerungsobjekt der Klägerin, so dass es sich bei den Mieteinkünften originär um solche aus Vermögensverwaltung (Vermietung und Verpachtung, vgl. § 21 EStG) und nicht um solche aus gewerblicher Tätigkeit (§ 15 Abs. 2 EStG) gehandelt hat (vgl. zur Abgrenzung z.B. Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz. 47 ff., 80 ff.).

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Jedoch: Fiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG 20 c) Über das Fehlen der originären Gewerblichkeit hilft indessen die Fiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG hinweg. Danach ‚gelten‘ auch die Einkünfte aus den in Satz 1 der Norm beschriebenen Tätigkeiten, die von einer Körperschaft i.S. des § 2 Nr. 1 KStG erzielt werden, die mit einer Kapitalgesellschaft oder sonstigen juristischen Person i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG vergleichbar ist, als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Streitfall auszugehen. Zwar hat das FG keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, inwiefern die luxemburgische S.à.r.l. im Rahmen eines Typenvergleichs einer deutschen Kapitalgesellschaft (GmbH oder AG) oder sonstigen juristischen Person entspricht; es hat dies vielmehr offenkundig als selbstverständlich vorausgesetzt. Für die Zwecke des Revisionsverfahrens kann unterstellt werden, dass diese Annahme zutrifft. Verzichtertrag gehört nicht zu den fiktiven gewerblichen Einkünften 21 2. Der durch den Forderungsverzicht der B-L.P. verursachte Ertrag ist jedoch im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte des sonach fiktiven Gewerbebetriebs nicht gewinnwirksam zu berücksichtigen. Denn es handelt sich dabei weder um Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung noch um solche aus der Veräußerung des inländischen Grundstücks. Die gesetzliche Umqualifizierung der Vermietungs- und Veräußerungseinkünfte in gewerbliche Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG ändert daran nichts. Betriebsvermögensvergleich 22 a) Die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG (fiktiv) gewerblichen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Veräußerung sind – ebenso wie die originär gewerblichen Einkünfte aus jenen Tätigkeiten nach Satz 1 der Vorschrift – mangels anderslautender gesetzlicher Vorgaben nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 4 ff. EStG zu ermitteln. Der Senat hat dies zu der bis 2008 geltenden Fassung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG entschieden, welcher bereits eine der heutigen Regelung entsprechende Umqualifizierung von Einkünften aus der Veräußerung inländischen unbeweglichen Grundvermögens in gewerbliche Einkünfte angeordnet hatte (Urteile vom 5. Juni 2002 I R 81/00, BFHE 199, 300, BStBl II 2004, 344, und I R 105/00, BFH/NV 2002, 1433). Nichts anderes gilt für die mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) geschaffene, im Streitjahr anwendbare Fassung der Vorschrift, die zusätzlich auch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung inländischen unbeweglichen Grundvermögens – die zuvor, wenn sie nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fielen, der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG unterlagen – in die Umqualifizierung als gewerbliche Einkünfte einbezieht (Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2015 I B 93/15, BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66; BMF-Schreiben vom 16. Mai 2011, BStBl I 2011, 530 Rz. 7; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 633; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz. 45 f.; Blümich/Wied, § 49 EStG Rz. 138 f.; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz. 59; Frotscher in Frotscher/Geurts, EStG, § 49 Rz. 198;

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht zweifelnd Drüen, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht – JbFSt – 2010/2011, S. 837 f.). 23 b) Im Streitfall sind die umqualifizierten Vermietungs- und Veräußerungseinkünfte somit durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Eine Ermittlung durch Einnahmen-/Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG ist hier ausgeschlossen (und wird von der Klägerin auch nicht angestrebt), weil die Klägerin über die betreffenden Einkünfte jedenfalls freiwillig Buch geführt und den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt hat (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66). Auf die vom FA in seiner Revisionserwiderung erörterten Fragen, ob die Klägerin nach luxemburgischem Recht buchführungspflichtig gewesen sei und ob eine solche Buchführungspflicht gemäß § 140 AO auch für Zwecke der inländischen Besteuerung von Bedeutung wäre, kommt es mithin im Streitfall nicht an. 24 c) Obgleich es in den Konstellationen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG an einem realen inländischen Betriebsvermögen fehlt, ist sonach für die Zwecke der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG ein Vermögensvergleich zwischen einem Anfangs- und einem Endbestand eines (fiktiven) Betriebsvermögens durchzuführen (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66;…). Offen, ob einheitlicher Vermögensvergleich für Vermietung und Veräußerung 25 Zu den in den Bestandsvergleich einzubeziehenden Wirtschaftsgütern gehören die betreffende inländische Immobilie und die Forderungen und Verbindlichkeiten, die mit den inländischen Einkunftsquellen (d.h. der Vermietungs- bzw. Veräußerungstätigkeit) im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (…). Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, ob eine einheitliche Gewinnermittlung für alle umqualifizierten Einkünfte zu erfolgen hat (so BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 530, Rz. 8 f.; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 633) oder ob Vermietungs- und Verpachtungseinkünfte einerseits und Veräußerungseinkünfte andererseits in zwei Schedulen getrennt zu ermitteln sind (in diesem Sinne Mensching, DStR 2009, 96, 98; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz. 46 a.E.; Lieber/ Wagner, Ubg 2012, 229, 236). Finanzierungsdarlehen jedenfalls nicht Teil des Betriebsvermögensvergleichs 26 d) Dieser Frage muss im anhängigen Verfahren jedoch nicht nachgegangen werden. Denn die Verbindlichkeit aus dem der Klägerin von der B-L.P. gewährten Darlehen würde weder bei einer einheitlichen noch bei einer getrennten Gewinnermittlung zu den steuerwirksam in die Bestandsvergleiche einzubeziehenden Wirtschaftsgütern gehören. Zwar besteht zwischen dem Darlehen und der Vermietungs- und Veräußerungstätigkeit der Klägerin ein wirtschaftlicher Zusammenhang (Veranlassungszusammenhang). Denn die Darlehensmittel sind von der Klägerin verwendet worden, um das inländische Grundstück zu erwerben, welches sie sodann vermietet und später veräußert hat. Jedoch vermag eine Wertveränderung dieser Verbindlichkeit nicht zu Einkünften aus Vermietung und Ver-

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht pachtung oder zu Veräußerungseinkünften i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG führen. Fiktion führt nicht zur Erweiterung der Steuerbarkeit 27 aa) Die Steuerbarkeit nach § 49 EStG bezieht und beschränkt sich auf die dort abschließend aufgeführten inländischen Einkunftsquellen und Tätigkeiten (Objektsteuerprinzip). Auch die den beschränkt Steuerpflichtigen treffende Einkünfteermittlung richtet sich daher nur auf diese steuerbaren Einkünfte (Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260). In die Besteuerung des nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG ermittelten Ergebnisses dürfen daher nur Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung (Satz 1 Doppelbuchst. aa) und Veräußerung (Satz 1 Doppelbuchst. bb) inländischen unbeweglichen Vermögens einbezogen werden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Umqualifizierung der Einkünfte durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG in gewerbliche Einkünfte und der damit verbundene Wechsel der Gewinnermittlungsart den Umfang der der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkunftsquellen oder Tätigkeiten erweitern sollte (vgl. Wassermeyer, IStR 2009, 238, 240; Gläser/Birk, IStR 2011, 762, 763 f.; Schmid/Renner, FR 2012, 463, 465; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 633). Insbesondere wird durch die Fiktion der Gewerblichkeit nach allgemeiner – und zutreffender – Auffassung keine inländische Betriebsstätte fingiert (so auch BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 530, Rz. 15), welcher die Fremdfinanzierungsverbindlichkeit zugeordnet werden könnte. Entstehungsgeschichte 28 Aus der Gesetzeshistorie ergibt sich kein Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Gewerblichkeitsfiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zugleich eine Erweiterung der der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkunftsquellen und Tätigkeiten beabsichtigt hat. Bis einschließlich 1993 wurden außerhalb der Betriebsstättenbesteuerung nur die Erträge ausländischer Körperschaften aus dem Immobilienbesitz als inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG besteuert; Gewinne aus der Veräußerung von inländischem Grundbesitz waren nicht steuerbar. Diese Lücke ist mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) durch Schaffung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG geschlossen worden, welcher erstmals die Veräußerungsgewinne erfasst und – soweit sie nicht ohnehin gewerblicher Natur waren – in Einkünfte aus Gewerbebetrieb umqualifiziert hat. Die Einbeziehung auch der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in den Anwendungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG – welcher dem § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG vorgeht – durch das Jahressteuergesetz 2009 ist damit begründet worden (BTDrucks 16/10189, S. 58 f.), dass die Aufteilung von Veräußerungsgewinnen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb einerseits und Vermietungseinkünften als solche aus Vermietung und Verpachtung andererseits ‚zu einer Aufspaltung von einheitlichen wirtschaft-

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht lichen Vorgängen in verschiedene Einkunftsarten und damit einhergehend zur Anwendung unterschiedlicher Einkunftsermittlungsarten‘ führe, ohne dass es hierfür eine einleuchtende Rechtfertigung gebe. Mit der Änderung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG würden ‚die einer gewerblichen Tätigkeit des beschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnenden Einkünfte aus der zeitlich begrenzten Überlassung von Grundbesitz und Rechten künftig unabhängig von einer inländischen Betriebsstätte oder einem ständigen Vertreter im Inland als gewerbliche Einkünfte besteuert, so dass in solchen Fällen sowohl die laufenden Vermietungseinkünfte als auch der Veräußerungserlös den gleichen Gewinnermittlungsvorschriften unterliegen‘. Der Gesetzesbegründung ist mithin zu entnehmen, dass die bisher allein dem Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zugeordneten laufenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des unbeweglichen Inlandsvermögens nunmehr einer anderen Einkünfteermittlungsart unterstellt werden sollten. Dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers damit zugleich eine Erweiterung des Objekts der unbeschränkten Steuerpflicht verbunden sein sollte, fehlt es an jeglichem Anhalt. Wertveränderung nicht Teil der VuV-Einkünfte 29 bb) Die Wertveränderung der Fremdfinanzierungsverbindlichkeit für den Grundstückserwerb gehört nicht zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung; sie ist auch kein Bestandteil des Gewinns aus der Grundstücksveräußerung und ist daher im Rahmen der Ermittlung der nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zu versteuernden fiktiv gewerblichen inländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen (ebenso …). 30 aaa) Für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 Doppelbuchst. aa EStG) kann auf § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zurückgegriffen werden, der seinerseits grundsätzlich die Einkünfte des § 21 EStG umfasst (s. z.B. Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz. 85; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz. 109). Danach gehören zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung die Gegenleistungen für die zeitlich begrenzte Überlassung des Mietobjekts sowie alle sonstigen Entgelte, die in einem objektiven tatsächlichen Zusammenhang mit dieser Einkunftsart stehen und durch diese veranlasst sind (vgl. Blümich/Schallmoser, § 21 EStG Rz. 232). 31 Der durch den Verzicht auf die Darlehensforderung entstehende Vermögenszuwachs der Klägerin steht nicht in einem Veranlassungszusammenhang zur Vermietung des streitgegenständlichen Grundstücks durch die Klägerin. Die Vermietung war zum Zeitpunkt des Verzichts bereits seit mehreren Monaten beendet, weil die Klägerin das Grundstück veräußert hatte. Der Verzicht auf die Darlehensforderung hatte seine Ursache darin, dass die Klägerin, nachdem sie das Grundstück veräußert und die anderweitigen Verbindlichkeiten bedient hatte, zur Rückzahlung der Darlehensvaluta außerstande war und die Darlehensgeberin und mittelbare Gesellschafterin B-L.P. offenkundig bestrebt gewesen ist, eine Insolvenz der Klägerin zu vermeiden. Ein innerer Sachzusammenhang zur vormaligen entgeltlichen Gebrauchsüberlassung kann daraus nicht abgeleitet werden. Der Umstand, dass die Klägerin mit dem Darlehen den Grundstückserwerb finanziert hatte, hat zwar dazu geführt, dass die während der Vermietungszeit angefallenen

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Darlehenszinsen als Betriebsausgaben gewinnmindernd zu berücksichtigen waren. Entgegen der Sichtweise des BMF folgt daraus aber keineswegs, dass deshalb auch das für den Erwerb der Vermögenssubstanz aufgenommene Darlehensstammrecht als im Inland steuerverhaftet angesehen werden müsste. Von einem unzulässigen „Cherry picking“ seitens der Klägerin kann mithin nicht die Rede sein. Verzichtsertrag auch nicht Teil des Veräußerungsgewinns 32 bbb) Die infolge des Verzichts auf die Darlehensforderung eingetretene Vermögensmehrung gehört auch nicht zum Veräußerungsgewinn i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 Doppelbuchst. bb EStG aus dem Verkauf des Grundstücks. Veräußerungsgewinn im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist der Veräußerungspreis abzüglich Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten und Veräußerungskosten (vgl. Senatsurteile in BFHE 199, 300, BStBl II 2004, 344, und in BFH/NV 2002, 1433, sowie vom 22. August 2006 I R 6/06, BFHE 215, 103, BStBl II 2007, 163). Die verzichtsbedingte Vermögensmehrung kann nicht als Bestandteil des der Klägerin zugeflossenen Kaufpreises angesehen werden; denn es handelt sich dabei nicht um eine Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück. Der einzige Zusammenhang zwischen dem Darlehensverzicht und dem Verkaufserlös ist der Umstand, dass die geringe Höhe des erzielten Kaufpreises die Ursache für die prekäre Vermögenslage der Klägerin gewesen ist, welche sodann den Forderungsverzicht ausgelöst hat. Dies führt jedoch nicht dazu, die verzichtsbedingte Vermögensmehrung aus wirtschaftlicher Sicht als Gegenleistung zur Eigentumsverschaffung zu werten. Verzichtbedingte Vermögensmehrung im Inland nicht steuerbar 33 3. Sonach handelt es sich bei der verzichtsbedingten Vermögensmehrung nicht um der beschränkten Steuerpflicht unterliegende inländische Einkünfte der Klägerin. Auf die zwischen den Beteiligten des Weiteren streitige Frage, ob auf der Grundlage der Rechtsauffassung von FA und BMF das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nach dem für das Streitjahr geltenden Abkommen mit dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgeschlossen wäre oder nicht, kommt es somit für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.“

4. Anmerkungen – auch zum Entwurf des „JStG 2018“ a) Die Entscheidung wird von der FinVerw. akzeptiert (OFD Frankfurt v. 9.8.2017, juris; ausführlich OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, IStR 2017, 996 = StEK EStG § 49 Nr. 90) und ist zwischenzeitlich im BStBl. Teil II veröffentlicht worden. Zustimmend ebenso das Schrifttum, (zB) Weiss, EStB 2017, 242; Werth, DB 2017. 1057; Trautmann/ Dörnhöfer, IWB 2017, 499.

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b) Allerdings wird auch vereinzelt eine Differenzierung danach befürwortet, ob der Darlehensverzicht erst – wie im Streitfall – nach Beendigung der Vermietung oder noch während der Grundstücksüberlassung erklärt wird; in letzterem Fall gehöre der Ertrag zu den Einkünften nach § 21 EStG (Böhmer/Mundhenke, ISR 2017, 243). Hierfür gibt das Besprechungsurteil aber keinen hinreichenden Anhalt. c) Klar ist hiernach auch, dass Darlehenszinsen die gewerblichen VuVEinkünfte mindern. Nicht entschieden ist allerdings, ob hierbei an die Entstehung der Zinsschuld oder an die tatsächliche Bezahlung der Zinsen anzuknüpfen ist. Folgt man ersterer Betrachtung, so hat dies mE nicht zur Folge, dass ein Zinsverzicht des Gläubigers den BA-Abzug unberührt ließe; er wird vielmehr durch den Ertrag aus dem Wegfall der (noch nicht erfüllten) Zinsverpflichtung ausgeglichen. In der Sache entspricht dies bei VuV-Einkünften der Behandlung der WK-Erstattung als Einnahmen aus VuV (s. dazu Schmidt/Kulosa, EStG37, § 21 Rz. 121). d) Zur Frage, ob ein Veräußerungsgewinn nach § 6b EStG übertragen werden kann, s. verneinend OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, IStR 2017, 996 = StEK EStG § 49 Nr. 90; Weiss, EStB 2017, 242 (244: kein Anlagevermögen; aber uU unionswidrig). e) Beachte: Nach dem Entwurf zum „JStG 2018“ (genauer: Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften; BRDrs. 372/18) soll für Wertveränderungen ab 2019 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 3 EStG dahin ergänzt werden, dass „zu den Einkünften aus der Veräußerung von inländischem unbeweglichen Vermögen auch Wertveränderungen von WG gehören, die mit diesem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen“.

Die Entwurfsbegründung (BRDrs. 372/18, 50) verweist hierbei auf die Geltung des Veranlassungsprinzips sowie darauf, dass ohne Einbeziehung der Darlehensverbindlichkeiten zur Finanzierung des unbeweglichen inländischen Vermögens auch die Schuldzinsen nicht abziehbar wären. Darüber hinaus wird dem Besprechungsurteil (I R 76/14) eine „zu enge Sicht“ sowie ferner vorgehalten, es begünstige ausländische Investoren gegenüber inländischen Grundstücksgesellschaften. Erste Einschätzung: –

Die Entwurfsbegründung beruht nicht nur im Hinblick auf die Zurechnung von Zinsen zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf einem Missverständnis. Mit anderen Worten: Zinsen

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sind – wie ausgeführt – auch nach aktueller Rechtslage als Betriebsausgaben bei den umqualifizierten Einkünften aus VuV anzusetzen. –

Darüber hinaus wird das Veranlassungsprinzip nicht richtig gedeutet resp. missverstanden (zu Recht kritisch Cloer/Hagemann/Lichel/ Schmitt, BB 2018, 1751). Die Ausführungen des Entwurfs berücksichtigen insoweit nicht hinreichend, dass § 49 Abs. Nr. 2 Buchst. f Satz 3 EStG lediglich Vermietungseinkünfte im Wege der Fiktion in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert. Dies begrenzt – wie im Besprechungsurteil erläutert – den Bereich steuerbarer Einkünfte und damit durch Veranlassungsprinzip eröffneten Zurechnungszusammenhang.



Will man die Intention des Gesetzgebers umsetzen, wäre es deshalb vorzuziehen, das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte zu fingieren. Diese (fiktive) Betriebsstätte wäre dann auch zugleich der zutreffende Bezugspunkt für eine materiell korrekte Veranlassungsprüfung; s. aber nachfolgend, letzter Spiegelstrich.



Auf dieser Grundlage wäre zudem die nach aktuellem Stand vorgesehene und nicht recht nachvollziehbare Sonderregelung für Veräußerungsgewinne obsolet; dh. es könnte dann nicht fraglich sein, dass Wertveränderungen bei anderen Wirtschaftsgütern auch die umqualifizierten fingierten VuV-Einkünfte erhöhen könnten.



Im Schrifttum wird allerdings geltend gemacht, dass die Ausdehnung der Besteuerungsbefugnis nicht von den Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Vorschriften des jeweils einschlägigen Abkommens gedeckt werde (Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1751) und damit die Neuregelung DBA-rechtlich leer liefe. Der Einwand berührt das Spannungsverhältnis, dass einerseits die Frage der Einkunftsermittlung dem nationalen Recht zugewiesen ist, es sich andererseits aber um Einkommen „aus unbeweglichem Vermögen“ oder „aus der Veräußerung (von unbeweglichem Vermögen)“ handeln muss. Vielleicht ist hierin auch das Motiv für den Gesetzgeber sehen, von einer Betriebsstättenfiktion Abstand zu nehmen.

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III. Gewerblich geprägte Personengesellschaft – ausländische Mitunternehmer und inländische Betriebsstätte – Zurechnung von Wirtschaftsgütern 1. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFHE 260, 209 = FR 2018, 558 a) Sachverhalt (vereinfacht) – Streitjahre: 2007 bis 2009 An der Ende 2007 errichteten Klägerin zu 1., einer inländischen GmbH & Co. KG (I-KG), waren zwei chilenische Kapitalgesellschaften (S.A.; im Folgenden CL-Kapitalgesellschaften) – Klägerinnen zu 2. und 3. – mit Kommanditanteilen von 70 % und 15 % beteiligt. Die Kapitalgesellschaften handelten in Chile mit Y-Produkten. Nach dem Gesellschaftsvertrag war eine solcher Handel auch Unternehmensgegenstand der I-KG; tatsächlich handelte es sich jedoch um eine gewerblich geprägte Personengesellschaft. Zum Geschäftsführer der Komplementär-GmbH wurde A berufen. Die CL-Kapitalgesellschaften waren ferner mittelbar an der inländischen B-KG beteiligt, die ihren Handelsbetrieb (ebenfalls betreffend Y-Produkte) mit demjenigen ihres Hauptkonkurrenten in der inländischen I-GmbH vereinigte. Die Klägerin zu 1. (I-KG) erwarb zum 1.1.2007 einen Anteil von 50 % an der I-GmbH. In den Streitjahren 2008 und 2009 erhielt die Klägerin zu 1. Gewinnausschüttungen von der I-GmbH (3 490 060 Euro [2008]; 1 059 349 Euro [2009]). Die I-KG hatte zudem im Zuge des Unternehmenszusammenschlusses verschiedene WG von der B-KG erworben und diese zunächst an die Mieterin (G-KG) weiterhin vermietet. Da die I-KG weder über eigenes Personal noch über eigene Büroräume verfügte, hatte sie mit der B-KG einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen; die Geschäfte der B-KG führte ihre Komplementär-GmbH, zu deren Geschäftsführer wurde gleichfalls A bestellt. Die I-KG begehrte für die Streitjahre gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellungen unter Einbeziehung sämtlicher Gesellschafter sowie – zur Vermeidung der Abgeltungssteuer – der Gewinnausschüttungen der I-GmbH (einschl. der einbehaltenen Steuerabzugsbeträge: Kapitalertragsteuer, Zinsabschlag und Solidaritätszuschlag). Dem folgte das FA nicht. Das FG Bremen gab der dagegen gerichteten Klage statt (Urteil v. 25.6.2015 – 1 K 68/12 [6], EFG 2016, 88). Der BFH hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache mangels Entscheidungsreife an das FG zurückverwiesen. 490

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b) Einschläge Vorschriften (Hervorhebungen durch Verf.) „§ 49 EStG (1) Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht … sind … 2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17), a) für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist, …“ „§ 50 EStG (1) 1Die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn oder vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug auf Grund des § 50a unterliegen, gilt bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten. 2Satz 1 gilt nicht 1. für Einkünfte eines inländischen Betriebs …“ „§ 32 KStG (1) Die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen, ist durch den Steuerabzug abgegolten, … 2. wenn der Bezieher der Einkünfte beschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte nicht in einem inländischen gewerblichen oder land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb angefallen sind. …“

c) Fallfragen 1. Unterhält eine nur gewerbliche geprägte Personengesellschaft (hier: I-KG) einen Gewerbebetrieb und eine gewerbliche Betriebsstätte iSv. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit der Folge der beschränkten KSt.Pflicht der Kapitalgesellschaft? 2. Ist dies auch ein gewerblicher Betrieb iSv. § 32 KStG mit der Folge, dass die Dividendenerträge nicht mit dem Steuerabzug abgegolten sind? 3. Unter welchen Voraussetzungen sind Einkünfte iSv. § 32 KStG im inländischen Betrieb angefallen? d) Aus den Gründen – Revision des FA hat Erfolg „11 Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die Sache ist nicht spruchreif. Zur

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Frage der Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteuerabzugs (Ausschüttungen aus der KP GmbH) bedarf es weiterer Feststellungen, ob die Beteiligung an dieser Kapitalgesellschaft, soweit sie anteilig auf die Klägerinnen zu 2. und zu 3. entfällt, nach dem Veranlassungsprinzip deren durch ihre Beteiligung an der Klägerin zu 1. vermittelten inländischen Betriebsstätten oder ob sie den ausländischen Betriebsstätten der Klägerinnen zu 2. und 3. zuzurechnen sind, die diese aufgrund ihrer jeweils (eigenen) unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Ansässigkeitsstaat unterhalten. Keine Feststellungsverfahren bei Abgeltungswirkung 12 1. Gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) sind einkommen- und körperschaftsteuerpflichtige Einkünfte festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Gegenstand der einheitlichen Feststellung sind die von den Beteiligten gemeinschaftlich erzielten und im Inland steuerpflichtigen Einkünfte (z.B. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2013 I R 39/11, BFHE 241, 1, BStBl II 2016, 434; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 180 AO Rz. 56). Allerdings werden aus der Feststellung solche Einkünfte, die wegen beschränkter Steuerpflicht von Beteiligten einer abgeltenden Steuer unterliegen, ausgenommen, weil insoweit ein gesondertes Feststellungsverfahren keine ‚Bedeutung‘ für ein Steuerfestsetzungsverfahren hat (Senatsurteil vom 23. Oktober 1991 I R 86/89, BFHE 166, 74, BStBl II 1992, 185; Brandis in Tipke/Kruse, ebenda). Die Entscheidung hierüber ist in dem Feststellungsverfahren zu treffen, in dem ansonsten diese Einkünfte festzustellen wären (Senatsurteil in BFHE 166, 74, BStBl II 1992, 185). Keine Abgeltungswirkung, wenn Einkünfte im inländischen gewerblichen Betrieb angefallen sind 13 2. Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG ist die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die der Kapitalertragsteuer gemäß § 43 EStG unterliegen, durch den Steuerabzug abgegolten, wenn der Bezieher der Einkünfte beschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte nicht in einem inländischen gewerblichen Betrieb angefallen sind. Diese Regelung verwirklicht (wie auch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) das sog. Betriebsstättenprinzip. Eine Abgeltungswirkung ist bei beschränkter Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, wenn aufgrund einer Betriebsstätte Vollstreckungsmöglichkeiten gegeben sind (z.B. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 32 KStG Rz. 10a; Gosch, KStG, 3. Aufl., § 32 Rz. 21 und 26; Blümich/Werning, § 32 KStG Rz. 7; Hendricks in Rödder/Herlinghaus/ Neumann, KStG, § 32 Rz. 17; Becht in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 KStG Rz. 14). Klägerin zu 1. ist gewerblich geprägte Personengesellschaft 14 a) Die Klägerin zu 1., eine nach den Feststellungen des FG nicht gewerblich, sondern vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft (KG), bei der aus-

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht schließlich eine Kapitalgesellschaft persönlich haftende Gesellschafterin ist und nur sie zur Geschäftsführung befugt ist, ist eine sog. gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Demgemäß gilt ihre mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit – nach den Feststellungen des FG eine inländische Vermietungstätigkeit und das Halten einer inländischen Beteiligung – in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, so dass ihre Gesellschafter mitunternehmerisch gewerbliche Einkünfte erzielen. Diese Einkünftequalifizierung wird durch die Art der persönlichen Steuerpflicht der jeweiligen Gesellschafter nicht berührt (z.B. Mick/Dyckmans in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl., Rz. 8.68). Beschränkte KSt.-Pflicht der Klägerinnen zu 2. und 3. gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG iVm. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 15 b) Die Einkünfte sind auch insoweit, als sie der Klägerin zu 2. und der Klägerin zu 3. zuzurechnen sind, im Inland steuerpflichtig, da die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfüllt sind. Klägerinnen zu 2. und 3. sind nach Typenvergleich Kapitalgesellschaften 16 aa) Die Klägerin zu 2. und die Klägerin zu 3. sind nach den Feststellungen des FG Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts. Sie sind als ‚Körperschaften‘ ohne Geschäftsleitung (§ 10 AO) und ohne Sitz (§ 11 AO) im Inland beschränkt steuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 KStG), da sie ‚inländische Einkünfte‘ erzielen (zur gegenständlichen Begrenzung der beschränkten Steuerpflicht auf die inländischen Einkünfte s. z.B. Senatsurteile vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260; vom 10. April 2013 I R 22/12, BFHE 241, 251, BStBl II 2013, 728; Blümich/Rengers, § 2 KStG Rz. 30; Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2 KStG Rz. 70). Gewerbebetrieb mit inländischer Betriebsstätte 17 bb) Die Klägerinnen zu 2. und 3. haben inländische Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erzielt, weil für den Gewerbebetrieb (hier: § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Gewerbebetrieb umfasst auch gewerblich Prägung 18 aaa) Der Begriff des Gewerbebetriebs (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG) bezieht sich mit dem Verweis auf (u.a.) § 15 EStG auf alle dort angeführten Einzeltatbestände. Damit ist auch § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG einbezogen (z.B. Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 144, 160; Blümich/Wied, § 49 EStG Rz. 59; Schmidt/ Loschelder, EStG, 36. Aufl., § 49 Rz. 20).

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht 19 Inländische Betriebsstätte bbb) Die Klägerin zu 1. hat ferner als Grundlage der Einkünfteerzielung ihrer Gesellschafter eine inländische Betriebsstätte unterhalten. gem. innerstaatlichem Recht (§ 12 AO) – nicht DBA-Recht 20 (1) Maßgebend hierfür ist – da in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht auf anderweitige Maßgaben verwiesen ist – das innerstaatliche Recht und damit § 12 AO (z.B. Senatsurteile vom 15. Dezember 1999 I R 16/99, BFHE 191, 45, BStBl II 2000, 404; vom 4. Juni 2008 I R 30/07, BFHE 222, 14, BStBl II 2008, 922; s.a. Senatsurteil vom 20. Juli 2016 I R 50/15, BFHE 254, 365, BStBl II 2017, 230; Gosch in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 49 Rz. 13; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz. 22; Blümich/Reimer, § 49 EStG Rz. 65; Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 190; Kahle/Kindich, Unternehmensteuern und Bilanzen 2015, 782, 785; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 12 AO Rz. 3; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz. 5). Nach § 12 Satz 1 AO ist eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient (s. z.B. Senatsurteil vom 2. April 2014 I R 68/12, BFHE 245, 98, BStBl II 2014, 875). Da § 12 Satz 1 AO – im Gegensatz zur früheren Regelung in § 16 des Steueranpassungsgesetzes – nicht mehr die Ausübung eines stehenden Gewerbes, sondern allgemein die unternehmerische Tätigkeit fordert, werden von § 12 AO auch Betriebsstätten erfasst, die einem Betrieb zuzurechnen sind, dessen Tätigkeit kraft Gesetzesfiktion ertragsteuerrechtlich als Gewerbebetrieb gilt (so im Ergebnis wohl auch Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz. 20; Drüen in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 12 AO Rz. 17; Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 200; Wiese/Lukas, GmbH-Rundschau – GmbHR – 2016, 803; s.a. BMF-Schreiben vom 24. Dezember 1999, BStBl I 1999, 1076 Tz. 1.1.5.1). Auch für einen solchen Betrieb ist insbesondere mit Blick auf die mit der Tätigkeit ausgelöste Gewerbesteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes) eine räumliche Zuordnung der Einkünfte erforderlich (s. insoweit auch Senatsurteil in BFHE 245, 98, BStBl II 2014, 875; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz. 5). Dass die Gesetzesfiktion in grenzüberschreitenden Zusammenhängen unter Geltung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) ungeachtet von Art. 3 Abs. 2 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-Musterabkommen – OECD-MustAbk –) nicht geeignet ist, den abkommensrechtlichen Begriff der Unternehmensgewinne zu erfüllen, sodass vermögensverwaltende Personengesellschaften abkommensrechtlich keine Unternehmensgewinne i.S. Art. 7 OECD-MustAbk erzielen (z.B. Senatsurteil vom 28. April 2010 I R 81/09, BFHE 229, 252, BStBl II 2014, 754), spielt hierbei keine Rolle (zutreffend z.B. Kahlenberg, Internationale Steuer-Rundschau 2016, 424, 426; Salzmann, Internationales Steuerrecht – IStR – 2016, 309, 311; Hagemann/Kahlenberg/Cloer, Betriebs-Berater 2017, 599, 604 f.; Weiss, Neue Wirtschafts-Briefe 2016, 3148, 3155 f.; s.a. Lebelt, EFG 2016, 92 f.).

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht hier: Geschäftsleistungsbetriebsstätte 21 (2) Als Betriebsstätte ist nach der beispielhaften Aufzählung in Satz 2 des § 12 AO insbesondere die Stätte der Geschäftsleitung (Nr. 1) anzusehen. Die Geschäftsleitung befindet sich nach § 10 AO dort, wo der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung liegt. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i.S. von § 10 AO ist dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird. Es kommt hierbei darauf an, an welchem Ort die für die Geschäftsführung erforderlichen Maßnahmen von einigem Gewicht angeordnet werden. Regelmäßig ist das der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten, d.h. an dem sie die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte). Für Personengesellschaften bedeutet dies, dass sich der Mittelpunkt der Geschäftsleitung regelmäßig dort befindet, wo die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende Geschäftsführertätigkeit entfalten. Für die zur Geschäftsführung berufene Komplementär-GmbH einer KG ist deshalb entscheidend, an welchem Ort die für die GmbH handelnde Geschäftsführung die Geschäfte, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt, tatsächlich wahrnimmt. Mit den Tagesgeschäften sind diejenigen Geschäfte gemeint, die in die alleinige Zuständigkeit des Komplementärs fallen und keines Gesellschafterbeschlusses bedürfen (Senatsurteile vom 23. Januar 1991 I R 22/90, BFHE 164, 164, BStBl II 1991, 554; vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175; Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86; vom 12. Februar 2004 IV R 29/02, BFHE 205, 295, BStBl II 2004, 602; vom 5. November 2014 IV R 30/11, BFHE 248, 81, BStBl II 2015, 601). Ist der Komplementär verpflichtet, zu bestimmten Geschäften – i.S. der ‚über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes hinausgehenden‘ Handlungen i.S. des § 164 des Handelsgesetzbuchs (HGB) – die Beschlussfassung der Kommanditisten einzuholen, so ist ein derartiger Vorbehalt nicht geeignet, den mehr durch das Tagesgeschäft als durch die gesellschaftsrechtlichen Kontroll- oder Weisungsbefugnisse bestimmten Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung vom geschäftsführenden Komplementär auf die Kommanditisten zu verlagern (BFH-Urteil in BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86). Tagesgeschäfte von A erledigt 22 (3) Nach diesen Maßgaben hat das FG ohne Rechtsfehler dahin erkannt, dass die Klägerin zu 1. über eine inländische Stätte der Geschäftsleitung verfügt hat. Nach den Feststellungen des FG wurden die Tagesgeschäfte der Klägerin zu 1. (z.B. Buchführung; Fertigung von Steuererklärungen; laufende Geschäftsvorfälle) – auch wenn sie mit Rücksicht auf die Art der (vermögensverwaltenden) Tätigkeit der Klägerin zu 1. keinen großen Umfang eingenommen haben sollten – ausschließlich von dem im Inland ansässigen A als Geschäftsführer der Komplementärin erledigt.

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Abschluss eines Managementvertrags unschädlich 23 Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats enthält § 12 AO in seinem Satz 2 grundsätzlich eine Definitionserweiterung, die nicht notwendigerweise eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetzt (z.B. Senatsurteil vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148, zur Geschäftsleitungsbetriebsstätte; s. zur Abgrenzung z.B. Senatsurteil vom 17. September 2003 I R 12/02, BFHE 203, 400, BStBl II 2004, 396, zur Verkaufsstelle). Dieser Rechtsprechung wird in der Literatur teilweise zugestimmt (z.B. Blümich/Reimer, § 49 EStG Rz. 65; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 12 AO Rz. 23; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz. 25), teilweise wird sie abgelehnt (z.B. Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 205). Jedenfalls sind die allgemeinen Anforderungen – nämlich eine ‚feste‘ Geschäftseinrichtung mit einer festen Beziehung zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat (z.B. Senatsurteil in BFHE 245, 98, BStBl II 2014, 875, m.w.N.) – vom FG ebenfalls rechtsfehlerfrei als erfüllt angesehen worden. Verfügungsmacht in diesem Sinne bedeutet, dass dem Unternehmer ein für seine Tätigkeit geeigneter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung steht, wofür insbesondere die Identität der handelnden Organe der überlassenden und der nutzenden Gesellschaft spricht (z.B. Senatsurteil vom 23. Februar 2011 I R 52/10, BFH/NV 2011, 1354; BFH-Urteil in BFHE 248, 81, BStBl II 2015, 601). Auch die Tatsache, dass eine Gesellschaft sowohl hinsichtlich der von ihr genutzten Räumlichkeiten als auch für das benötigte Personal auf eine Managementgesellschaft zurückgreift, hindert die Annahme einer Betriebsstätte nicht. Vielmehr reicht es aus, dass die Gesellschaft aufgrund des zur Verfügung gestellten ‚sachlichen und personellen Organismus‘ in der Lage ist, ihrer unternehmerischen Tätigkeit ‚operativ‘ nachzugehen; dies gilt sowohl für den abkommensrechtlichen Zusammenhang (Senatsurteil vom 24. August 2011 I R 46/10, BFHE 234, 339, BStBl II 2014, 764) als auch für einen ‚reinen Inlandsfall‘. Hiervon ist nach den Feststellungen des FG auch im Streitfall auszugehen, da A sowohl Geschäftsführer der geschäftsführenden Komplementär-GmbH der B KG (als Dienstleister) als auch der Komplementär-GmbH der Klägerin zu 1. war. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG umfasst auch gewerblich geprägte Einkünfte 24 c) Die Klägerinnen zu 2. und 3. haben aufgrund der gewerblichen Prägung der Klägerin zu 1. nicht nur inländische Einkünfte erzielt. Zutreffend hat die Vorinstanz ferner angenommen, dass zu den Einkünften eines ‚gewerblichen Betriebs‘ i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG auch gewerblich geprägte Einkünfte (hier: § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) gehören. 25 Der Senat kann dem Wortlaut der Regelung keinen Anhalt dafür entnehmen, dass der Tatbestand eine aktive gewerbliche Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG voraussetzen und damit den Tatbestand des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ausschließen würde. Dass es – je nach Normzweck – sachgerecht sein kann, die Fiktion gewerblicher Einkünfte aus dem Tatbestand, der eine gewerbliche Tätigkeit erfordert, auszunehmen, ändert hieran nichts. Insbesondere kann das FA in-

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht soweit nicht mit Erfolg auf den Rechtsbegriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (§ 14 AO) und das dazu ergangene Senatsurteil vom 25. Mai 2011 I R 60/10 (BFHE 234, 59, BStBl II 2011, 858) verweisen. Wenn dort vermögensverwaltende Einkünfte trotz gewerblicher Prägung vom ‚wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb‘ ausgeschlossen und dem steuerbefreiten Teil einer Tätigkeit zugewiesen sind, hat dies seine Ursache in der durch den Aspekt des Wettbewerbsgedankens geleiteten und damit normspezifischen Auslegung der Regelungen des § 14 AO. Auch der Umstand, dass bei der Formulierung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG die Fiktion gewerblicher Tätigkeit (gesetzliche Regelung ab 1986) noch unbekannt war, kann nicht als tragfähiges gesetzeshistorisches Argument angesehen werden, das geeignet wäre, eine zweckgerechte und vom Wortlaut getragene Subsumtion zu beeinflussen. Aber: Ungeklärt, ob die Einkünfte im inländischen Gewerbebetrieb „angefallen“ sind 26 d) Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif, da der Senat auf der Grundlage der Feststellungen der Vorinstanz nicht entscheiden kann, ob die vorliegend streitigen Gewinnausschüttungen i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG im inländischen Gewerbebetrieb ‚angefallen‘ sind. Maßgeblich Veranlassungsprinzip – Betriebsstätten-Zurechnungsgrundsätze ohne Rücksicht auf Gesamthandsvermögenszugehörigkeit 27 Zwar ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass sowohl die vermieteten Wirtschaftsgüter als auch die Beteiligung an der KP GmbH als zivilrechtlich eigenes gesamthänderisches Gesellschaftsvermögen (§ 161 Abs. 2, § 105 Abs. 2 HGB, § 718 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zum Betriebsvermögen der Klägerin zu 1. gehören. Auch wenn dies für die ertragsteuerrechtliche Zuordnung eines rein innerstaatlichen Sachverhalts grundsätzlich genügt (zu den maßgebenden Prüfungskriterien innerstaatlichen Rechts s. z.B. BFH-Urteile vom 25. November 2004 IV R 7/03, BFHE 208, 207, BStBl II 2005, 354; vom 3. März 2011 IV R 45/08, BFHE 233, 137, BStBl II 2011, 552; s.a. Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz. 480 ff.), ist vorliegend der Umstand zu berücksichtigen, dass die Klägerinnen zu 2. und 3. nicht nur aufgrund ihrer Beteiligung an der Klägerin zu 1. inländische gewerbliche Einkünfte erzielt haben, sondern in ihrem Ansässigkeitsstaat auch eine weitere eigene unternehmerische Tätigkeit ausgeübt haben. Demgemäß bedarf es der Prüfung, in welchem Umfang die Wirtschaftsgüter, aus deren Nutzung Einkünfte erzielt werden, nach dem Veranlassungsprinzip der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Maßstab ist demgemäß – wie der Senat bereits entschieden hat – die wirtschaftliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu den in den einzelnen Betriebsstätten (Unternehmen) entfalteten betrieblichen Tätigkeiten. Dies gilt nicht nur – in Übereinstimmung mit den zu § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG und § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG zu beachtenden Grundsätzen – für den Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (z.B. Senatsurteile vom 24. Februar 1988 I R 95/84, BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663; vom 17. November 1999 I R 7/99, BFHE 191, 18, BStBl II 2000, 605; vom 12. Oktober 2016 I R 92/12, BFHE 256, 32; s.a. allgemein Gosch in Kirchhof, a.a.O.,

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht § 49 Rz. 15), sondern gleichermaßen auch, wenn, wie im Streitfall, zu erkennen ist, ob i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG die Einkünfte im inländischen gewerblichen Betrieb angefallen sind. Der Umstand, dass die Wirtschaftsgüter zum Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft gehören, steht dem erkennbar nicht entgegen. Im Gegenteil: Da nach der ertragsteuerrechtlich gebotenen Transparenzbetrachtung die Betriebsstätte der Klägerin zu 1. ihren Gesellschaftern (Klägerinnen zu 2. und 3.) zuzurechnen ist, müssen insoweit dieselben Zuordnungssätze zum Tragen kommen, die für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern zum ausländischen Stammhaus oder zur inländischen (nicht durch die Beteiligung an einer Personengesellschaft vermittelten) Betriebsstätte eines ausländischen Einzelunternehmers, einer ausländischen Personengesellschaft oder einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu beachten sind (Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz. 165 i.V.m. Rz. 408; Wassermeyer in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Rz. 9.4 f.; wohl auch Kraft/Hohage, Der Betrieb 2017, 2565, 2566 f.; unter Hinweis auf das Vorliegen von betrieblichem Gesamthandsvermögen im Ergebnis a.A. Töben, Finanz-Rundschau 2016, 543, 550 f.; Petersen, IStR 2012, 238, 241; Wiese/Lukas, GmbHR 2016, 803 f.). FG-Feststellung unzureichend 28 Das FG hat in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf den Erwerb der Beteiligung im eigenen Namen und mit eigenen Mitteln durch die Klägerin zu 1. sowie die Zuordnung zum dortigen Gesamthandsvermögen abgestellt. Zwar hat das FG im angefochtenen Urteil weiterhin festgehalten (s. dazu Rz. 219 des jurisNachweises), für die Zurechnung der Beteiligung zur Klägerin zu 1. spreche, dass die Erträge der Klägerin zu 1. aus dieser Beteiligung in den Streitjahren erheblich gewesen seien. Außerdem seien unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhänge der Beteiligung zu den ausländischen Betriebsstätten der Klägerinnen zu 2. und zu 3. in Chile nicht ersichtlich, da unmittelbare wirtschaftliche Kontakte in keiner Weise belegt seien. Dass solche intensiven Beziehungen tatsächlich bestanden hätten, könne das Gericht nicht erkennen. Diese Feststellungen reichen indes für eine Veranlassungsprüfung (Zuordnungsentscheidung) i.S. einer Gewichtung der Tätigkeiten im Inland und im Ausland auf der Grundlage der in den (ausländischen) unternehmerischen Betriebsstätten der Klägerinnen zu 2. und zu 3. ausgeübten Tätigkeiten bereits deshalb nicht aus, weil die eigenen und offenkundig nicht vernachlässigbaren unternehmerischen Tätigkeiten der Klägerinnen zu 2. und 3. in ihrem Ansässigkeitsstaat nicht streitig sind. Demgemäß hätte es der Aufklärung dieser Umstände und einer hierauf – ggf. unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze zur Feststellungslast – gestützten Zuordnungsentscheidung bedurft. Der Senat kann diese Feststellungen im Revisionsverfahren nicht nachholen. Höhe der Managementvergütung zwischenzeitlich unstreitig 29 3. Im Revisionsverfahren haben das FA und das BMF keine Einwendungen gegen das angefochtene Urteil erhoben, soweit dort die von der Klägerin zu 1. aufgrund des Geschäftsbesorgungsvertrages geleisteten Zahlungen an die B KG als

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Betriebsausgaben gewinnmindernd im Rahmen der im Streit befindlichen gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung der Klägerin zu 1. in den Streitjahren berücksichtigt worden sind. Der Senat teilt diese rechtliche Würdigung des FG und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab …“

e) Leitsätze „1. Eine nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewerblich geprägte (inländische) KG vermittelt ihren (ausländischen) Gesellschaftern eine Betriebsstätte i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 2 Nr. 1 KStG; die Abgeltungswirkung für den Kapitalertragsteuerabzug (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG) ist insoweit ausgeschlossen. 2. Übt der Gesellschafter einer solchen (inländischen) KG im Ausland eine (weitere) eigene unternehmerische Tätigkeit aus, bedarf es der Prüfung, ob die Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens der inländischen Betriebsstätte der KG oder der durch die eigene Tätigkeit des Gesellschafters begründeten ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Maßstab hierfür ist das Veranlassungsprinzip. Dies gilt auch bei Sitz/Ansässigkeit der Gesellschafter in einem Staat, mit dem kein DBA abgeschlossen ist.“

2. Anmerkungen Zu dem nachfolgenden Text s. Wacker, FR 2018, 562; Auswahl weiterer Urteilsbesprechungen: Brandis, BFH/PR 2018, 150; Schade, BB 2018, 1000; Kahlenberg, IStR 2018, 348; Hagemann, NWB 2018, 1687; Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388; Wacker, IStR 2018, Heft 10; Mroz/ Wellmann, FR 2018, 740. (1) Zunächst zur Kapitalertragsteuer (KapErtrSt.) (a) (Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils und NichtDBA-Fall). Gehört in dieser Ausgangskonstellation (s. vorliegend im Verhältnis zu Chile = Nicht-DBA-Staat) der Anteil an der inländischen Tochter-Kapitalgesellschaft zum inländischen gewerblichen Betrieb iSv. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG der beschränkt kst.-pflichtigen Kapitalgesellschaft (§ 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 KStG iVm. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG – was im Streitfall allerdings das FG erst noch zu untersuchen haben wird –), ist letztere ungeachtet dessen, ob sie unmittelbar im Inland eine Betriebsstätte unterhält oder ihr diese aufgrund des Gewerbetriebs einer (inländischen oder ausländischen) Personengesellschaft vermittelt wird – ggf. auf der Grundlage eines Feststellungbescheids – zur KStG zu veranlagen (§ 31 KStG iVm. § 25 KStG; § 20 Abs. 3 und 4 AO) mit der Folge, dass die dem KapErtrSt.-Abzug unterliegenden Dividendeneinkünfte (soweit nicht von der KSt. befreit) in die Einkommensermittlung einzube499

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ziehen sind und hiermit im Zusammenhang stehende Betriebsausgaben die Dividendeneinkünfte vorbehaltlich der Hinzurechnung nach § 8b Abs. 5 KStG mindern. Auf die KSt. ist die KapErtrSt. – im Rahmen des Erhebungs-, nicht des Festsetzungsverfahrens – nach Maßgabe von § 36 Abs. 2 EStG (iVm. § 31 KStG) anzurechnen. Dies gilt sowohl nach § 36 Abs. 2 Buchst. a EStG für nach § 8b Abs. 4 KStG steuerpflichtige Streubesitzdividenden (unmittelbare Beteiligung geringer als 10 %) als auch nach § 36 Abs. 2 Buchst. b EStG für nach § 8b Abs. 1 ggf. iVm. Abs. 6 Satz 1 KStG von der KSt. befreite Dividenden. Grund: der KapErtr.St-Abzug ist nach § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG ungeachtet der Steuerfreiheit der Dividenden gem. § 8b KStG vorzunehmen. Demgemäß kann die KapErtrSt.-Anrechnung auch zu einer Erstattung führen (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG; EuGH v. 20.10.2011 – C-284/09 [Kommission./.Deutschland], FR 2011, 1112 Rz. 49, 79; Loschelder in Schmidt, EStG37, § 36 Rz. 5). (b) (Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils und DBA-Fall). Besteht mit dem Ansässigkeitsstaat der beschränkt kst.-pflichtigen Kapitalgesellschaft ein DBA, so sind zwar mE die Grundsätze des nationalen Veranlassungsprinzips auch im Rahmen von Art. 7 OECD-MA zu beachten (grundsätzlich glA Gosch in Kirchhof, EStG17, § 49 Rz. 18, § 50 Rz. 19a). Auf die vorstehenden Ausführungen zur Veranlagung und Anrechnung ist deshalb zu verweisen. Das Besprechungsurteil (I R 58/15) thematisiert aber den Sonderfall der Betriebsstätte einer vermögensverwaltenden (aber gewerblich geprägten) Personengesellschaft, für deren Einkünfte Rspr. und mittlerweile auch die FinVerw. davon ausgehen, dass sie nicht den Unternehmensartikeln der DBA (s. Art. 7 OECD-MA) unterstehen (BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BFHE 229, 252 = BStBl. II 2014, 754 = FR 2010, 903; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 = StEK DoppBest. Allgemein Nr. 283 Tz. 2.2.1). Im Schrifttum wird hierzu erläutert, dass auch dann, wenn das DBA-rechtliche Verständnis des Unternehmensgewinns von demjenigen des gewerblichen Gewinns iSv. § 15 Abs. 3 EStG (einschl. deren Fiktionen) abweicht, der Begriff des gewerblichen Betriebs iSv. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG nach den unilateralen Vorgaben des deutschen Ertragsteuerrechts zu bestimmen ist (Gosch, KStG3, § 32 Rz. 21 aE). Dies ist – wie auch im Besprechungsurteil ausgesprochen – fraglos zutreffend. Die Meinung dürfte aber mit der weitergehenden Vorstellung verbunden sein, dass auch die nach dem einschlägigen DBA von der deutschen Besteuerung ausgenommenen Einkünfte (hier: keine inländische Betriebsstätte iSd. DBA) in die Veranlagung zur KSt. (gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG) eingehen und damit im Rahmen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 500

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Buchst. b EStG die Anrechnung und ggf. Erstattung der KapErtrSt. auslösen. Auch dem dürfte zuzustimmen sein. (c) (Keine Inlandszugehörigkeit des KapGesAnteils). Diese Konstellation kann entweder dadurch ausgelöst sein, dass im Inland keine BS (im unilateralen Sinne; s.o.) unterhalten wird oder die KapGesAnteile nach dem Veranlassungsprinzip nicht der (bestehenden) inländischen BS zuzurechnen sind. In beiden Fällen kann es zur Erstattung der einbehaltenen KapESt kommen; allerdings sind die sich hierbei ergebenden Rechtsfolgen unionsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. (aa) KapErtrSt.-Entlastung/Erstattung: –

Nach § 44a Abs. 9 Satz 1 EStG werden, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine beschränkt steuerpflichtige Körperschaft ist, zwei Fünftel der einbehaltenen KapErtrSt. (vgl. § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG: KapErtrSt. = 25 % der Kapitalerträge = Dividenden) nach Maßgabe der Bestimmungen des § 50d Abs. 1 Satz 3–12, Abs. 3 und 4 EStG (ua. Antrag beim BZSt.) erstattet. Dies führt zu einer Belastung in Höhe des des KSt.-Satzes (vgl. § 23 KStG) von 15 %.



Greift das Schachtelprivileg entsprechend Art. 10 Abs. 2 Nr. 1 OECDMA (dort: Höchstsatz von 5 % bei Beteiligung von mindestens 25 % an der die Dividenden zahlenden Gesellschaft), so berührt dies zwar vorbehaltlich der Freistellung im Steuerabzugsverfahren nicht den KapErtrSt.-Einbehalt (§ 50d Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 EStG). Hiervon unberührt bleibt jedoch der gegenüber dem BZSt. geltend zu machende Anspruch auf Erstattung des die Höchstgrenze übersteigenden KapErtrSt.-Einbehalts (§ 50d Abs. 1 Satz 2 ff. EStG). Für die Erstattung nach dem DBA-rechtlichen Schachtelprivileg ist die Zugehörigkeit der inländischen Tochter-Kapitalgesellschaft nach dem sog. Spezialitätenvorrang des Art. 7 Abs. 4 OECD-MA ohne Bedeutung; die Gegenausnahme des Betriebsstättenvorbehalts (Art. 10 Abs. 4 OECD-MA) greift tatbestandlich nicht, da es – gemäß der Grundannahme dieser Fallgruppe – auch für Zwecke des DBA-Rechts an der Zugehörigkeit des Anteils an der Tochter-Kapitalgesellschaft zu einer Betriebsstätte im Quellenstaat (Deutschland) fehlt.



Darüber hinaus ist die einbehaltene KapErtrSt. nach der in Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie (vgl Richtlinie 2014/86/EU v. 8.7.2014, ABll 2014, L 219/40) ergangenen Bestimmung des § 43b EStG in vollem Umfang zu erstatten. Auch hierfür sind die Bestimmungen des § 50d Abs. 1 und 2 EStG zu beachten (Freistellungs- oder 501

Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

Erstattungsverfahren; s. aber einschränkend § 43 Abs. 2 Satz 5 Halbs. 2 EStG). Voraussetzung ist in materieller Hinsicht, dass die EU-MutterGesellschaft (einschl SE und SCE; s. Anlage 2 zum EStG) zum Zeitpunkt des Entstehens der KapErtrSt. (oder des Gewinnverteilungsbeschlusses) für einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten nachweislich ununterbrochen zu mindestens 10 % unmittelbar am Kapital der deutschen Tochter-Kapitalgesellschaft beteiligt ist. (bb) Unionsrechtliche Bedenken Nachdem der EuGH v. 20.11.2011 – C-284/09 („Kommission./.Deutschland“), FR 2011, 1112 entschieden hatte, dass ein Mitgliedstaat die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) verletzt, wenn er aufgrund der Abgeltungswirkung des KapErtrSt.-Einbehalts beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Streubesitzdividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterwirft als solche Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz im Inland ausgeschüttet werden, hat der Gesetzgeber hierauf mit dem EuGH-UmsG v. 21.3.2013, BGBl. I 2013, 561 in zweifacher Weise reagiert: Zum einen hat er die Steuerfreiheit nach § 8b KStG für Streubesitzdividenden, die nach dem 28.2.2013 zufließen, beseitigt (§ 8b Abs. 4 iVm. § 34 Abs. 7a KStG nF), zum anderen wurde für EU/ EWR-Gesellschaften mit einer Beteiligung unter der Mindestschwelle des § 43b EStG ein Antragsrecht auf Erstattung in § 32 Abs. 5 KStG nF eingeführt, das allerdings für gem. § 8b Abs. 4 KStG nF nach dem 28.2.2013 zugeflossene und damit steuerpflichtige Streubesitzdividenden nicht greift (vgl. § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG nF). Im Schrifttum ist umstritten, ob hierdurch ein unionskonformer Rechtszustand hierbeigeführt worden ist. Zum Teil wird ausgeführt, durch § 8b Abs. 4 KStG nF sei die Diskriminierung beschränkt KSt.-Pflichtiger beseitigt worden (Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.34). Andere sehen hingegen fortdauernde Verstöße in verschiedener Hinsicht (s. zusammenfassend zB Blümich/Wernig, § 32 KStG Rz. 2): –

Steuerpflichtige Streubesitzdividenden unterliegen bei beschränkt KSt.-Pflichtigen einer abgeltenden Bruttobesteuerung, die auf 15 % der Dividende reduziert werden kann (s.o.). Diese haben jedoch grds. kein Veranlagungswahlrecht und damit auch keine Möglichkeit, die im Zusammenhang mit den Streubesitzdividenden angefallenen Betriebsausgaben steuermindernd geltend zu machen (Hinweis auf

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04, BStBl. II 2007, 352 zu § 50a EStG; glA Blümich/Rengers, § 8b KStG Rz. 181). –

Wird der Grenzwert für Streubesitzdividenden überschritten (dh. ab 10 %), wird ferner bezweifelt, ob die Benachteiligung von in Drittstaaten ansässigen Dividendenempfängern (Kapitalgesellschaften) gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt (Vgl. BFH v. 26.6.2013 – I R 48/12, BFHE 242, 195 = BStBl. II 2014, 367 = GmbHR 2013, 1279, Rz. 27; Blümich/Rengers, § 8b KStG Rz. 182 mit Hinweisen zur Abgrenzung von Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit).



Ferner wird bezweifelt, ob mit der konkreten tatbestandlichen Fassung des § 32 Abs. 5 KStG (Erstattung in Altfällen für EU-/EWR-Gesellschaften; s.o.) sämtliche nach dem Urteil des EuGH v. 20.11.2011 – C-284/09 („Kommission./.Deutschland), FR 2011, 1112 anzunehmenden Verstöße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit beseitigt wurden (dazu Gosch, KStG3, § 32 Rz. 52 f.; Blümich/Wernig, § 32 KStG Rz. 25 ff.).



Im Schrifttum wird schließlich auch in diesem Zusammenhang auf das Problem der Inländerdiskriminierung hingewiesen. Inländische Muttergesellschaften unterlägen mit ihren steuerfreien Dividenden der Regelung des § 8b Abs. 5 KStG, bei EU-ausländ. Muttergesellschaften würde hingegen nach § 43 EStG vom KapErtrSt.-Abzug abgesehen. Dies begründe allerdings nach stRspr. keinen Grundfreiheitenverstoß (zB EuGH v. 26.1.1993 – C-112/91 [Werner], ABl. EG 1993, C 46/11; BFH v. 18.9.2003 – X R 2/00, BStBl. II 2004, 17 = FR 2004, 82; v. 15.7.2005 – I R 21/04, BStBl. II 2005, 716 = FR 2005, 1252).

(2) Zum Veranlassungsprinzip (a) Zentraler Ausgangspunkt des Besprechungsurteils ist insoweit, dass die innerstaatliche Zuordnung, nach der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens – orbehaltlich ihrer Zugehörigkeit zum notwendigen Privatvermögen sowie vorbehaltlich missbräuchlicher Gestaltungen (zB nicht auf Dauer angelegter Übertragungen) – zum Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft gehören (Wacker in Schmidt, EStG37, § 15 Rz. 480 ff.), im grenzüberschreitenden Sachverhalt – zB Steuerpflichtiger unterhält sowohl im Ausland (Ansässigkeitsstaat) als auch im Inland eine Betriebsstätte – keine Anwendung finden kann. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass der inländische Besteuerungszugriff im grenzüberscheitenden Sachverhalt bei gewerblichen (unternehmerischen) Einkünften auf dem Begriff der Betriebsstätte als territorialem Anknüp503

Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

fungspunkt fußt (genuine link) und es hiernach insbes. nicht in das freie Belieben des Betroffenen gestellt ist, immaterielle Wirtschaftsgüter (wie bspw. Anteile an Kapitalgesellschaften) der inländischen oder ausländischen Besteuerung zu unterstellen. Maßgeblich ist vielmehr nach § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG der wirtschaftliche Zusammenhang und damit – wie im Urteil ausgeführt – die nach dem Veranlassungsprinzip zu bestimmende wirtschaftliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu den in den einzelnen Betriebsstätten (Unternehmen) tatsächlich entfalteten betrieblichen Tätigkeiten (einschränkend Hagemann, NWB 2018, 1687 [1692]: Vermutung für Inlandszuordnung im KG-Fall; unzutr.). Das auf einer wertenden Betrachtung fußende Veranlassungsprinzip zwingt den Rechtsanwender, die maßgeblichen Wertungskriterien offen zu legen (zB Gewichtung der verschiedenen Aktivitäten, Substanzanforderungen, primäre Zuordnung zum Stammhaus etc.). Dass sich hierbei – je nach individueller Einschätzung – unterschiedliche Ergebnisse einstellen können, ist kein methodischer Makel, sondern im Gegenteil Ausdruck der Transparenz der Entscheidungsfindung. Soweit im Schrifttum von einem Rechtsprechungswandel und davon die Rede ist, dass es im Gegensatz zu der den Veranlassungszusammenhang konstituierenden rechtlichen Zugehörigkeit um eine „wirtschaftliche Betrachtung“ gehe (Kahlenberg, IStR 2018, 348), werden die aufgezeigten Zusammenhänge verkannt. Zum einen fehlt es an einer Änderung der Rspr.; zum anderen fußt das Veranlassungsprinzip seit jeher auf einer wertenden Betrachtung, die die wirtschaftlichen Aspekte einer rechtlichen Würdigung unterzieht. (b) (Transparenz der Mitunternehmerschaft/Maßgeblichkeit der individuellen Merkmale). Der hiervon abweichenden Ansicht des FG, das die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Gesamthandsvermögen auch im grenzüberschreitenden Sachverhalt als bindend angesehen hat, war demnach nicht zu folgen. Das FG hat hierbei nicht nur die aufgezeigten Zusammenhänge, sondern darüber hinaus auch verkannt, dass Personengesellschaften sowohl im Kontext des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG als auch demjenigen der DBA-Unternehmensartikel als transparent mit der Folge behandelt werden, dass die Betriebsstätte der Personengesellschaft (= Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit) ihren Gesellschaftern (Mitunternehmern) als eigene Betriebsstätte zugerechnet werden (Wacker in Schmidt, EStG37, § 15 Rz. 165, 421: Maßgeblichkeit der individuellen Merkmale). Demgemäß kann es keinen Unterschied machen, ob die inländische Betriebsstätte des im Ausland Ansässigen in dessen Eigenvermögen gehalten wird oder zum Gesamthandsvermögen einer in- oder ausländischen Personengesellschaft gehört (zustimmend 504

Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

Kahlenberg, IStR 2018, 348 [351]). Folge hiervon ist des Weiteren, dass die Zuordnungsentscheidung an den individuellen Merkmalen des jeweiligen inländischen oder ausländischen Mitunternehmers auszurichten ist und deshalb im Vergleich der Mitunternehmer zueinander zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können (kritisch insoweit Hagemann, NWB 2018, 1687 [1691]). Das FG wird deshalb – was im Schrifttum zT nicht hinreichend beachtet wird (zB Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388 [390]) – zunächst einmal die inländischen und ausländischen Tätigkeiten ermitteln und hierauf aufbauend nach den Grundsätzen einer veranlassungsgerechten Zuordnung gewichten müssen. Dem konnte und wollte der BFH nicht vorgreifen. (c) Das Gesagte gilt grundsätzlich auch für gewerbliche geprägte Personengesellschaften. Sie unterfallen zwar nicht dem DBA-Unternehmensartikel, jedoch – wie das Besprechungsurteil erläutert – den Regelungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, die im Nicht-DBA-Fall (s. Besprechungsurteil im Verhältnis zu Chile) zugleich den inländischen Besteuerungszugriff bestimmen. Im DBA-Fall ist allerdings – wie erläutert – zu beachten, dass die gewerbliche geprägte Personengesellschaft ihren Mitunternehmern keine unternehmerischen Einkünfte vermittelt und deshalb das nationale Dividenden-Besteuerungsrecht aus den Art. 10 OECD-MA entsprechenden Zuteilungsartikeln zu entnehmen ist. (d) Zur Frage, ob das nationale Veranlassungsprinzip auch für die DBArechtliche Zuordnung im Rahmen von Art. 7 OECD-MA zu beachten ist, s. – im Grundsatz bejahend (mE zu Recht) – Gosch in Kirchhof, EStG17, § 49 Rz. 18, § 50 Rz. 19a; einschränkend Hagemann, NWB 2018, 1687 (1691 f.). Teilweise wird die Frage aufgeworfen, ob es damit – entsprechend der Rspr. zum DBA-rechtlichen Betriebsstättenvorbehalt – auf den tatsächlich funktionalen Zusammenhang ankommt (Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388 [390]). Der Einwand verkennt, dass der BFH bisher aus dem Merkmal nur dann eine Verengung des Zurechnungszusammenhangs abgeleitet hat, wenn es um die Zuordnung von Forderungen ging, die aus der Perspektive der Mitunternehmerschaft (Gesamthand) mit einer Verbindlichkeit korrespondieren; die Rspr. zielt mit anderen Worten darauf, den sog. Betriebsstättenvorbehalt und damit die Konkurrenz verschiedener Zuteilungsartikel zu lösen (zB Art. 7 OECD-MA gegenüber dem Zinsartikel des Art. 11). Im Besprechungsurteil war hingegen eine Zuordnungsentscheidung im Verhältnis von Stammhaus und Betriebsstätte zu treffen. Nebenbei: Exakt dies ist auch

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die Sicht des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (Entscheidung v. 18.10.2017 – Ro 2016/13/0014: funktionale Zuordnung). (e) Zur Einwirkung des AOA iVm. § 1 Abs. 5 AStG Gosch in Kirchhof, EStG17, § 49 Rz. 18, § 50 Rz. 19a; Wacker, DStR 2019, 836; Middendorf/ Eberhardt, StuB 2018, 388 (391 ff.) zu § 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV; einschränkend Mroz/Wellmann, FR 2018, 740 (744 f.). Weiteres Schrifttum: Schade, BB 2018, 1000; Kahlenberg, IStR 2018, 348 (350). (f) Zur Frage, ob dann, wenn im Ausland keine Betriebsstätte unterhalten wird, der Kapitalgesellschaftsanteil notwendigerweise der inländischen Betriebsstätte der gewerblichen oder gewerblich geprägten Personengesellschaft zuzuweisen ist (kein „floating income“), s. Hagemann, NWB 2018, 1687 (1692 f.); Kahlenberg, IStR 2018, 348 (349); ähnlich Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388 (392); Mroz/Wellmann, FR 2018, 740 (743 und 745 betr. Holdinggesellschaften); Wacker, DStR 2019, 836. (g) Die vorstehenden Grundsätze sind auch im Outboundfall sowie im Rahmen der Zurechnungsentscheidung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 iVm. Satz 6 f. KStG zu beachten (Beteiligung an Organgesellschaft gehört zu inländischen BS des Organträgers), Mroz/Wellmann, FR 2018, 740 (746 f.); Blumers, DB 2017, 2893. (h) Zum etwaigen Vorrang der gesetzlichen Zuordnungsentscheidung im UmwStG (dort §§ 5, 7) s. Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388; Mroz/ Wellmann, FR 2018, 740 (746). (i) Bemerkenswert schließlich, dass das Veranlassungsprinzip und seine normbezogene Konkretisierung in der jüngeren Rspr. des I. Senats zu grenzüberschreitenden Sachverhalten ein deutlich wahrnehmbares Gewicht erhält. Dies gilt nicht nur für die Frage der Schuldenzurechnung (BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFHE 256, 32 = FR 2018, 319). Sondern auch für die Frage, welche Aufwendungen iSv. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in „wirtschaftlichem Zusammenhang“ mit den zum Gewinn eines inländischen Betriebs gehörenden ausländischen Einkünften und damit deren Höhe sowie den hierauf fußenden Anrechnungshöchstbetrag stehen. (aa) BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BFHE 253, 348 = BStBl. II 2017, 48 = FR 2016, 911 (ua. zu gemischte Verwaltungskosten) Leitsätze „1. Ob Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen mit den den ausländischen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen i.S. des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bestimmt sich nach dem Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG)

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Wacker, Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht 2. Weisen die Aufwendungen sowohl mit ausländischen Einkünften i.S. des § 34d EStG als auch mit inländischen Einkünften oder mit mehreren Arten von ausländischen Einkünften einen Veranlassungszusammenhang auf, so sind sie aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen, zu denen sie vorwiegend gehören. 3. Diese Zurechnungsgrundsätze verstoßen weder gegen Verfassungs- noch gegen Unionsrecht.“

(bb) BFH v. 18.4.2018 – I R 37/16, BFHE 261, 166 = DStR 2018, 1476 (betr. Teilwertabschreibungen auf Darlehensforderungen gegen ausländische Gläubiger, Depotgebühren und Gewerbesteuer) Leitsätze „1. Bei verzinslichen Wertpapieren, die eine Forderung in Höhe ihres Nominalwerts verbriefen, ist eine Teilwertabschreibung unter den Nennwert allein wegen gesunkener Kurse regelmäßig nicht zulässig (Bestätigung des Senatsurteils vom 8. Juni 2011 I R 98/10, BFHE 234, 137, BStBl II 2012, 716). 2. Ob Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen mit den den ausländischen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen i.S. des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bestimmt sich nach dem Veranlassungsprinzip (Bestätigung des Senatsurteils vom 6. April 2016 I R 61/14, BFHE 253, 348, BStBl II 2017, 48). 3. In die Bemessung des Anrechnungshöchstbetrags nach § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG können auch Wertveränderungen des Vermögensstamms eingehen.“

IV. Berücksichtigung finaler Verluste – Neues vom EuGH 1. EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16 (A/S Bevola), FR 2018, 643 „Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft, die nicht eine Regelung der internationalen gemeinsamen Besteuerung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gewählt hat, auch dann verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen, obgleich sie zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.“

2. Anmerkungen Die Besprechungsentscheidung bricht mit den erst in EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14 (Timac Agro Deutschland), EU:C:2015:829, BStBl. II 2016, 362 507

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= FR 2016, 126 (hieran anschließend BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BFHE 257, 120 = BStBl. II 2017, 709 = FR 2017, 831) ausgesprochenen Grundsätzen und kehrt damit zur früheren Rspr. zurück. Die nationalen Gerichte werden auch dies nachzuvollziehen haben. Auch hier gilt, dass nicht der BFH seine Rspr. geändert hat, sondern der BFH ist an die geänderte Interpretation des AEUV durch den EuGH gebunden. Vgl. zu allem – „Zurück in die Zukunft“ – Brandis, DStR 2018, 2051 mit umfangreichen Nachweisen auch zu weiteren sowohl beim BFH als auch beim EuGH anhängigen Verfahren sowie dazu, ob eine gesetzliche Regelung angezeigt sein könnte.

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Umsetzung der ATAD – Hinzurechnungsbesteuerung Prof. Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Hamburg Leitender Ministerialrat Dr. Ingo van Lishaut Finanzministerium NRW, Düsseldorf I. Einleitung II. Grundlagen 1. Funktionsweise und Telos der Hinzurechnungsbesteuerung 2. Überblick über die CFCRegelungen der ATAD III. Beteiligungsvoraussetzungen 1. Inländerbeherrschung vs. Kontrolle 2. Mittelbare Beteiligungen 3. Art der Beteiligung: Stimmrechte, Kapitalanteile oder Gewinnansprüche 4. „Konkurrenz“ von Hinzurechnungspflichtigen 5. Fälle der Nichtbeherrschung IV. Niedrigbesteuerung 1. Steuersatz 2. Berücksichtigung ausländischer Körperschaftsteuer – Besonderheiten bei Auslandsbetriebsstätten

1. Aktiv- oder Passivkatalog; Motivtest 2. Ausländische Finanzierungsgesellschaften 3. Ausländisches FuE-Zentrum 4. Ausländische Einkaufs- und Vertriebsgesellschaften 5. Ausländische Dividenden VI. Ausnahmen – Substanztest für EU/EWR VII. Rechtsfolgen 1. Anrechnung der Steuerschuld 2. Verluste 3. Drittel-Regelung 4. Nachgeschaltete Zwischengesellschaften 5. Gegenkorrektur bei späteren Ausschüttungen oder Anteilsveräußerungen 6. Stichtag der Hinzurechnungsbesteuerung VIII. Fazit

V. Von der Hinzurechnungsbesteuerung erfasste Einkünfte

I. Einleitung Der deutsche Steuergesetzgeber ist verpflichtet, die Vorgaben der Richtlinie 2016/1164 zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes

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v. 12.7.2016 (Anti Tax Avoidance Directive, „ATAD“)1 bis zum 1.1.2019 in nationales Recht umzusetzen (Art. 288 Abs. 3 AEUV, Art. 11 Abs. 1 ATAD). Hierzu zählen insbes. die in Art. 7 und 8 ATAD enthaltenen Vorschriften für „beherrschte ausländische Unternehmen“ (controlled foreign companies, „CFC“), die den deutschen Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7–14 AStG grundsätzlich vergleichbar sind. Die seit dem Jahr 1972 bestehende Hinzurechnungsbesteuerung gilt in vielerlei Hinsicht als reformbedürftig.2 Aus Sicht der Wirtschaft, ihrer Berater und von weiten Teilen der Wissenschaft sind die Vorschriften zu kompliziert und unpraktikabel, der Aktivitätskatalog wird in einer arbeitsteiligen globalisierten Wirtschaft als überholt angesehen und ganz generell wird die Regelungskonzeption vor allem mit Blick auf die nicht in das System integrierte Gewerbesteuer als unzutreffend beanstandet.3 Ungeachtet der Existenz des nach dem Cadbury-Urteil des EuGH4 eingeführten Motivtests in § 8 Abs. 2 AStG sei die Hinzurechnungsbesteuerung in wichtigen Punkten mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten unvereinbar und zudem in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch, soweit Auslandssachverhalte steuerlich höher belastet werden als vergleichbare Inlandssachverhalte.5 Der Legislative und der Exekutive ist diese Kritik natürlich bekannt. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll sich derzeit mit einer Anpassung der Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7–14 AStG an die Vorgaben der ATAD beschäftigen.6 Allerdings sind konkrete Arbeitsergebnisse der Gruppe bislang noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Damit war zum Zeitpunkt des Vortrags auf dem 70. Fachkongress der Steuerberater am 31.10.2018 unklar, wie eine Umsetzung der ATAD-Vorschriften in innerstaatliches Recht aussehen soll. Dem Vernehmen nach hält sich – aus Sicht der Finanzverwaltung – der gesetzgeberische Änderungsbedarf in Grenzen. Die in der Richtlinie vorgegebene Verabschiedung noch vor Jahresende 2018 war nicht zu erwarten. In der Diskussion um die Anpassung des AStG verdient das in Art. 3 ATAD niedergelegte Mindestschutzniveau besondere Beachtung. Da1 2 3 4 5 6

ABl. EU 2016, L 193, 1. Vgl. Dehne, ISR 2018, 132 (133); Jabcobsen, IStR 2018, 433. Dehne, ISR 2018, 132 (133); Kraft, Global Taxes, TLE-05-2017. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, FR 2006, 987. BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642. Vgl. MinDirig. Kreienbaum im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Lüdicke, Internationales Steuerrecht am Scheideweg, 2018, 171 ff.

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nach sind die Mitgliedstaaten nicht gehindert, nationale Bestimmungen anzuwenden, die einen höheren Schutz der inländischen körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage erlauben, als es die ATAD vorgibt. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der nachfolgende Beitrag im Hinblick auf die verschiedenen Themenfelder der Hinzurechnungsbesteuerung mit zwei Fragen: Erstens damit, ob und inwieweit die Vorschriften des AStG angepasst werden müssen, um dem Mindeststandard der ATAD zu genügen. Und zweitens mit der Frage, wie mit solchen AStG-Vorschriften umzugehen ist, die über das in der ATAD geregelte Mindestschutzniveau hinausgehen.

II. Grundlagen 1. Funktionsweise und Telos der Hinzurechnungsbesteuerung Voraussetzung für die Hinzurechnungsbesteuerung ist der in § 7 Abs. 1 AStG geregelte Grundfall, dass unbeschränkt Stpfl. zu mehr als der Hälfte an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse iSd. KStG, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich des AStG hat und nicht gem. § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist, beteiligt sind. Dies bedeutet zugleich, dass ausländische Körperschaften, die (ggf. unbeabsichtigt) ihren Geschäftsleitungsort im Inland haben, mit ihren inländischen Einkünften beschränkt oder ggf. sogar unbeschränkt steuerpflichtig sind und für diese Einkünfte der Anwendungsbereich des AStG von vornherein nicht eröffnet ist.7 Die Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung hat sich im Zeitablauf gewandelt. Während das Ziel des AStG zunächst darin bestand, der Verlagerung (besser Separierung) von passiven (mobilen) Einkünften in nachgeordnete niedrig besteuerte ausländische Gesellschaften entgegenzuwirken und so unangemessene Steuervorteile aus der Nutzung des internationalen Steuergefälles durch nachgeschaltete Gesellschaften zu eliminieren, kam im Zuge des Systemwechsels vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren (heute Teileinkünfteverfahren) das Ziel der Herstellung einer ausreichenden Steuervorbelastung von Gewinnausschüttungen ausländischer Zwischengesellschaften hinzu.8 Freigestellt werden sollen nur solche Dividenden, die entweder aus aktiven Einkünften stammen oder, soweit sie aus passiven Einkünf7 Protzen in Kraft, AStG2, § 7 Rz. 35; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 7 AStG Rz. 9.3. 8 Vgl. BT-Drucks. IV/2412, 4; BT-Drucks. VI/2883, 14.

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ten stammen, einer steuerlichen Vorbelastung von mindestens 25 % unterlegen haben.9 Insofern unterscheidet sich das Ziel der Hinzurechnungsbesteuerung vom Ziel ausländischer sog. CFC-Regelungen, die in erster Linie einen Besteuerungsaufschub von beherrschten Auslandsgesellschaften durch Gewinnthesaurierung verhindern sollen.10 Die Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung sind von den auf dem Fremdvergleichsgrundsatz basierenden Gewinnabgrenzungsvorschriften des § 1 AStG bzw. § 8 Abs. 3 KStG abzugrenzen. Durch die mittlerweile umfangreichen Verrechnungspreisvorschriften des nationalen Rechts ist bereits sichergestellt, dass inländische Gewinne im Inland besteuert werden. Anders als bei Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung in den 1970er Jahren gewährleisten heute vielfältige Mitwirkungs- und Offenlegungspflichten (Verrechnungspreisdokumentation, länderbezogene Berichterstattung, Amtshilfe usw.) die effektive Besteuerung im Inland. Aus diesem Grund wird auch die Abschaffung der Mitwirkungstatbestände in § 8 Abs. 1 AStG (für Handel, Dienstleistungen, Vermietung und Verpachtung einschließlich Lizensierung) gefordert, zumal auch in der ATAD keine Mitwirkungstatbestände vorgesehen sind. Die Anwendung von Gewinnkorrekturregelungen im Rahmen der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags nach AStG bei nicht fremdüblichen Bedingungen hat der BFH jüngst mit Urteil v. 13.6.2018 bestätigt.11 Flankiert werden die im Abwärtsverhältnis zu nachgeordneten Gesellschaften wirkenden Regelungen über die Hinzurechnungsbesteuerung durch Regelungen wie die Zinsschranke (§ 4h EStG) oder die Lizenzschranke (§ 4j EStG), die auch bei Seitwärts- und Aufwärtsfällen Anwendung finden.

2. Überblick über die CFC-Regelungen der ATAD Die primärrechtliche Ermächtigungsgrundlage der ATAD stellt Art. 115 AEUV dar. Die für beherrschte ausländische Unternehmen wesentlichen Vorschriften finden sich in Art. 7 und 8 ATAD. Art. 1 und 2 Abs. 4 ATAD enthalten Regelungen zum Anwendungsbereich bzw. Begriffsbestimmungen, Art. 3 ATAD schreibt das sog. Mindestschutzniveau vor und Art. 11 ATAD die Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Im Einzelnen: 9 BT-Drucks. 12/2683, 132; BT-Drucks. 14/3366, 127. 10 Vgl. Schönfeld, IStR 2017, 721 (724). 11 BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79 = FR 2018, 1092.

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Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der ATAD ist Art. 115 AEUV, wonach der Rat einstimmig Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erlässt, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken. Zu der Frage, ob der Binnenmarkt zu seinem Funktionieren harmonisierter Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung bedarf, lassen sich unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die Mitgliedstaaten und die Kommission jedenfalls halten den Erlass von CFC-Regelungen als Mindestschutz zur Bekämpfung aggressiver Steuerplanungen für erforderlich.12 Hiergegen ließe sich einwenden, dass CFC-Regelungen in ihrem Kern protektionistische Maßnahmen sind, mittels derer einzelne Staaten den freien Verkehr von Arbeit und Kapital behindern, weil sie die Möglichkeit anderer Staaten konterkarieren, ihr Steuersystem autonom zu bestimmen.13 Dass der EuGH der ATAD aufgrund einer auf den primärrechtlichen Grundfreiheiten basierenden Klage die Rechtsgrundlage entziehen wird, ist in Anbetracht seiner Rspr. zu EU-Richtlinien aber wohl doch unwahrscheinlich.14 Anders sollte es sich indes in dem Bereich verhalten, in dem die CFC-Vorschriften der Mitgliedstaaten über den in der ATAD vorgegebenen Mindeststandard hinausgehen.15 Aus einer ökonomischen Perspektive lässt sich konstatieren, dass mittels der Hinzurechnungsbesteuerung eine kapitalexportneutrale Besteuerung erreicht wird. Bei der Verlagerung von passiven Einkunftsquellen ins Ausland spielen ertragsteuerliche Anreize der Zielländer dann keine Rolle mehr.



Gem. Art. 1 ATAD gilt die Richtlinie nur für Stpfl., die in einem Mitgliedstaat körperschaftsteuerpflichtig sind. Hierin besteht ein erheblicher Unterschied zur deutschen Hinzurechnungsbesteuerung nach AStG, die auch auf natürliche Personen Anwendung findet. Dass der deutsche Gesetzgeber von der Einbeziehung natürlicher Personen als Hinzurechnungsobjekt absehen wird, ist indes nicht zu erwarten. Anders als nach dem auf die Inländerbeherrschung abstellenden Beteiligungserfordernis des § 7 Abs. 2 AStG liegt nach dem auf das Kriterium der Kontrolle abstellenden Beherrschungserfordernis der ATAD

12 13 14 15

Siehe Erwägungsgrund (3) der ATAD. Schönfeld, IStR 2017, 721 (722). Musil, FR 2018, 933 (938). Eilers/Oppel, IStR 2016, 312; Musil, FR 2018, 933 (939); Dehne, ISR 2018, 132 (135).

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eine maßgebliche Beteiligung vor, wenn der Stpfl. selbst oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte, des Kapitals oder des Gewinnanspruchs des beherrschten Unternehmens hat (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD). Dabei bezeichnet der Ausdruck „verbundenes Unternehmen“ gem. Art. 2 Abs. 4 ATAD: „a) ein Unternehmen, an dem der Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung in Form von Stimmrechten oder Kapital von mindestens 25 % hält oder bei dem er Anspruch auf mindestens 25 % der Gewinne des Unternehmens hat; b) eine Person oder ein Unternehmen, die/das unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung in Form von Stimmrechten oder Kapital von mindestens 25 % an einem Steuerpflichtigen hält oder Anspruch auf mindestens 25 % der Gewinne des Steuerpflichtigen hat. Hält eine Person oder ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar eine Beteiligung von mindestens 25 % an einem Steuerpflichtigen und an einem oder mehreren Unternehmen, so gelten sämtliche betroffenen Unternehmen, einschließlich des Steuerpflichtigen, auch als verbundene Unternehmen.“ –

Wie bereits erwähnt, konstatiert die ATAD gem. Art. 3 ein Mindestschutzniveau, das von den Mitgliedstaaten nicht unterschritten werden darf; strengere Regelungen sind also ausdrücklich gestattet.16 Auch wenn der Mitgliedstaat also mehr verlangen kann, als die ATAD vorsieht, sind höheren Vorgaben Grenzen gesetzt, da sie am Maßstab der unionsrechtlichen Grundfreiheiten Bestand haben müssen.



Die wesentlichen Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung finden sich in Art. 7 und 8 ATAD. Sie geben den Mitgliedstaaten vor, wie eine Hinzurechnungsbesteuerung von Gewinnen beherrschter ausländischer Gesellschaften auszusehen hat. Generell können die Mitgliedstaaten zwischen einem sog. Principal Purpose Test und einer Hinzurechnung aufgrund eines (passiven) Einkünftekatalogs wählen. Es ist davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber am Konzept des Katalogs passiver Einkünfte grundsätzlich festhalten wird.

16 Zu Art. 3 ATAD ausführlich Fehling, DB 2016, 2862 ff.

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Was die ATAD-Umsetzung betrifft, so hatten die Mitgliedstaaten gem. Art. 11 Abs. 1 ATAD bis zum 31.12.2018 Zeit, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlich sind. Die neuen Vorschriften sollten mit Wirkung ab dem 1.1.2019 umgesetzt werden. Bislang hat der deutsche Gesetzgeber keine Regelungen zur Umsetzung der CFC-Regelungen der ATAD erlassen. Dem Vernehmen nach geht der Gesetzgeber vielmehr davon aus, dass die Hinzurechnungsbesteuerung nach AStG die Vorgaben der ATAD bereits hinreichend erfülle, so dass kein unmittelbarer Handlungsdruck bestehe. In jedem Fall sollte der Gesetzgeber allerdings davon absehen, ab dem 1.1.2019 solche Regelungen rückwirkend anzuwenden, in denen die ATAD einen höheren Standard vorgibt als das AStG in seiner derzeit geltenden Fassung.

III. Beteiligungsvoraussetzungen 1. Inländerbeherrschung vs. Kontrolle Nach § 7 Abs. 1 iVm. Abs. 2 AStG wird eine ausländische Gesellschaft als beherrscht angesehen, wenn unbeschränkt steuerpflichtige Personen allein oder gemeinsam mit erweitert beschränkt Stpfl. iSd. § 2 AStG zu mehr als 50 % an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind. Beteiligungen sind unabhängig von der Höhe und ungeachtet eines bestehenden Näheverhältnisses zu berücksichtigen und zu addieren.17 Demgegenüber ist nach der ATAD eine „Kontrolle“ der ausländischen Gesellschaft maßgebend.18 Die Unterschiede werden durch das folgende Beispiel veranschaulicht: Beispiel: An der in der Schweiz ansässigen Z-AG sind die in Deutschland ansässige A-AG zu 20 % und die ebenfalls in Deutschland ansässige B-AG zu 40 % beteiligt. Die B-AG ist eine Tochtergesellschaft der in den Niederlanden ansässigen C-BV, die die restlichen 40 % der Anteile an der Z-AG hält. A-AG und B-AG sind fremde Dritte. Graphisch:

17 Protzen in Kraft, AStG2, § 7 Rz. 99; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 7 AStG Rz. 39. 18 Vgl. Kraft in Kraft, AStG2, vor § 7 Rz. 148; Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293 (294).

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C-BV 100 %

Niederlande

A-AG 20 %

B-AG 40 %

40 %

Deutschland Schweiz

Z-AG Die Beteiligungsvoraussetzungen nach AStG liegen im Beispielsfall vor, da unbeschränkt Stpfl. (zusammen) zu mehr als der Hälfte an der Z-AG beteiligt sind. Die maßgebliche Inlandsbeherrschung gem. § 7 Abs. 1 AStG beruht auf der Beteiligung der in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen A-AG und B-AG, die gemeinsam zu 60 % an der Z-AG beteiligt sind, ohne dass es sich bei ihnen um verbundene Unternehmen handelt. Soweit auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen, ist eine Hinzurechnungsbesteuerung von 20 % der Zwischeneinkünfte der Z-AG bei der A-AG und von 40 % bei der B-AG, mithin von insgesamt 60 % der Zwischeneinkünfte der Z-AG vorzunehmen. Im Gegensatz dazu ist nach Art. 7 Abs. 1 ATAD eine Hinzurechnungsbesteuerung in Deutschland nur bei der B-AG möglich: –

Die A-AG hält allein 20 % der Anteile an der Z-AG. Insbesondere sind A-AG und B-AG keine verbundenen Unternehmen gem. Art. 2 Abs. 4 ATAD. Mithin übt die A-AG keine „Kontrolle“ über die Z-AG aus, weshalb eine Hinzurechnung nach ATAD bei der A-AG ausscheidet.



Die B-AG hält unmittelbar 40 % der Anteile an der Z-AG, was für sich genommen für eine Beherrschung der Z-AG nicht ausreicht. Allerdings ist die C-BV ein der B-AG verbundenes Unternehmen iSd. Art. 2 Abs. 4 Buchst. b ATAD, so dass deren 40 %-Beteiligung an der Z-AG der B-AG gem. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD zugerechnet wird. Im Er-

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gebnis „kontrolliert“ somit die B-AG die Z-AG. Eine Hinzurechnung in Deutschland wäre bei der B-AG zu 40 % der Zwischeneinkünfte möglich und in den Niederlanden bei der C-BV zu weiteren 40 %. Fraglich ist, ob eine Anpassung des AStG an die ATAD im Hinblick auf die Beteiligungsvoraussetzungen angezeigt ist. Soweit im Beispiel für die Zeit ab 1.1.2019 eine Hinzurechnungsbesteuerung bei der A-AG erfolgt, ist jedenfalls vor dem Hintergrund der europarechtlichen Vorgaben der ATAD eine überschießende Wirkung des § 7 Abs. 1 AStG nicht ausgeschlossen.19 Andererseits soll die ATAD nur Mindeststandards setzen, so dass der nationale Gesetzgeber über einzelne Regelungen hinausgehen kann.20

2. Mittelbare Beteiligungen Nach § 7 Abs. 2 AStG können auch mittelbare Beteiligungen an einer ausländischen Gesellschaft zu einer Hinzurechnungsbesteuerung führen. Mittelbare Beteiligungen werden aber nicht in voller Höhe berücksichtigt, sondern in Höhe des Anteils, zu dem die vermittelnde Beteiligung besteht (§ 7 Abs. 2 Satz 2 AStG). Sind unbeschränkt Stpfl. über eine oder mehrere Personengesellschaften an der ausländischen Gesellschaft beteiligt, so wird ihnen die Beteiligung an der Zwischengesellschaft direkt zugerechnet (§ 7 Abs. 3 AStG). Das Konzept der ATAD ist anders konstruiert. Nach Art. 7 Abs. 1 ATAD kann eine mittelbare Beteiligung über inländische Stpfl. zu einer Hinzurechnungsbesteuerung beim mittelbar Beteiligten führen, wenn dieser ein verbundenes Unternehmen des unmittelbar Beteiligten iSd. Art. 2 Abs. 4 ATAD ist. Das folgende Beispiel soll diese Zusammenhänge illustrieren. Beispiel: Die B-AG und die C-AG halten jeweils eine Beteiligung von 50 % an der ausländischen Z-Ltd. Die A-AG hält 24 % an der B-AG und 25 % an der C-AG. Graphisch:

19 Dehne in Lüdicke, Internationales Steuerrecht am Scheideweg, 2018, 139 ff.; Schönfeld, IStR 2017, 721 (723). 20 Schönfeld, IStR 2017, 721 (722); Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960.

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A-AG 24 %

25 %

B-AG

C-AG

50 %

50 %

Deutschland Ausland

Z-Ltd. Im Ergebnis dürften sowohl die Beteiligungsvoraussetzungen nach AStG als auch nach ATAD vorliegen, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen, dh. unterschiedlichen Hinzurechnungspflichtigen: Nach dem AStG ist der Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung wegen der unmittelbaren Beteiligung der inländischen B-AG und C-AG iHv. jeweils 50 % und der damit begründeten Inländerbeherrschung eröffnet. Es kommt – soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind – zu einer Hinzurechnungsbesteuerung bei der B-AG und der C-AG, nicht jedoch bei der A-AG. Anders nach ATAD: Gemäß Art. 7 Abs. 1 ATAD begründen die unmittelbaren Beteiligungen der B-AG und C-AG iHv. jeweils 50 % der Anteile an der ausländischen Z-Ltd. allein keine Hinzurechnungsbesteuerung, weil es sich jeweils nicht um „mehr als 50 %“ der Anteile handelt. Die Anteile des jeweils anderen bleiben wegen der fehlenden Verbundenheit unberücksichtigt, da die A-AG nicht zugleich eine Beteiligung von jeweils mindestens 25 % an der B-AG und der C-AG hält und es somit an der in Art. 2 Abs. 4 ATAD geregelten Verbundenheit fehlt. Gleichwohl dürfte es auch nach der ATAD zur Hinzurechnung kommen: –

Zunächst ist die A-AG wegen ihrer Beteiligung von 25 % ein mit der C-AG verbundenes Unternehmen iSd. Art. 2 Abs. 4 Buchst. a ATAD. Die von der C-AG gehaltene Beteiligung an der ausländischen Z-Ltd. von 50 % wird der A-AG für die Prüfung der Beherrschung damit (voll) zugerechnet.

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Darüber hinaus ist auf der Ebene der A-AG die über die B-AG gehaltene mittelbare Beteiligung anteilig zu berücksichtigen, denn nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD bestimmt sich die Beteiligungsquote nach der Beteiligung, die der Stpfl. selbst oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar an der ausländischen Gesellschaft hält. Durchgerechnet ist die A-AG über die unverbundene B-AG zu 12 % (50 % von 24 %) an der Z-Ltd. beteiligt.



Insgesamt vereinen A-AG und C-AG somit 62 % der Anteile an der Z-Ltd. und erfüllen insoweit die Beteiligungsvoraussetzung iSd. Art. 7 Abs. 1 ATAD.

3. Art der Beteiligung: Stimmrechte, Kapitalanteile oder Gewinnansprüche Eine ausländische Kapitalgesellschaft wird nach den Regeln des AStG von Inländern beherrscht, wenn diese zu mehr als der Hälfte an der ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt sind, mithin diesen mehr als 50 % der Anteile oder der Stimmrechte an der ausländischen Kapitalgesellschaft zuzurechnen sind (§ 7 Abs. 2 Satz 1 AStG).21 Von der Beherrschung zu unterscheiden ist die sog. Hinzurechnungsquote gem. § 7 Abs. 1 iVm. Abs. 5 AStG, nach der die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte der ausländischen Kapitalgesellschaft dem inländischen Stpfl. tatsächlich hinzugerechnet werden. Die Hinzurechnungsquote bestimmt sich im Normalfall nach der Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft (§ 7 Abs. 1 aE AStG). Fehlt es an einem Nennkapital oder weicht die Gewinnverteilung von der Beteiligung am Nennkapital ab, so bestimmt sich die Hinzurechnungsquote gem. § 7 Abs. 5 AStG nach dem Maßstab der Gewinnverteilung.22 Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD soll eine Hinzurechnungsbesteuerung greifen, wenn ein inländischer Stpfl. (i) entweder mehr als 50 % der Stimmrechte oder (ii) mehr als 50 % des Kapitals hält oder (iii) Anspruch auf mehr als 50 % der Gewinne des ausländischen Unternehmens hat. Da

21 Ist ein Gesellschaftskapital nicht vorhanden und bestehen auch keine Stimmrechte, kommt es auf die vermögensmäßige Beteiligung an der Kapitalgesellschaft an (§ 7 Abs. 2 Satz 3 AStG). 22 Vgl. Blumenberg/Hundeshagen in Kessler/Köhler/Kröner, Konzernsteuerrecht3, § 7 Rz. 186.

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die genannten Voraussetzungen in einem Alternativverhältnis stehen, ist die Beherrschungssituation bei Vorliegen nur eines der Kriterien gegeben. Das nachfolgende Beispiel zeigt, wie das Alternativverhältnis zu dem kurios anmutenden Ergebnis führen kann, dass die ausländische Kapitalgesellschaft von mehr als einem (unverbundenen) Unternehmen „beherrscht“ werden kann. Beispiel: Die A-AG hält 40 % des Nennkapitals und 60 % der Stimmrechte an der ausländischen Z-Ltd. Die B-AG hält umgekehrt 60 % des Nennkapitals und 40 % der Stimmrechte. A-AG und B-AG sind keine verbundenen Unternehmen iSd. Art. 2 Abs. 4 ATAD. Graphisch:

B-AG

A-AG 60 % der Stimmrechte 40 % der Anteile

40 % der Stimmrechte 60 % der Anteile

Deutschland Ausland

Z-Ltd. Nach dem AStG ist wegen der 100 %igen Inländerbeherrschung der Z-Ltd. eine Hinzurechnungsbesteuerung grundsätzlich möglich. Etwaig hinzuzurechnende Einkünfte der Z-Ltd. sind zu 40 % der A-AG und zu 60 % der B-AG hinzuzurechnen. Nach den Vorschriften der ATAD wird die Z-Ltd. sowohl von der A-AG (60 % Stimmrechte) als auch von der B-AG (60 % des Nennkapitals) beherrscht. Eine Hinzurechnungsbesteuerung wäre damit grundsätzlich bei der A-AG und der B-AG möglich. Man kann bezweifeln, dass dieses Ergebnis vom Richtliniengeber tatsächlich intendiert war, weil sich auf diese Weise die Besteuerung derselben passiven Einkünfte vervielfältigt.23

23 Vgl. Rautenstrauch/Suttner, BB 2016, 2391 (2393); Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (971).

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Die Richtlinie äußert sich zu dieser Problematik nicht. Auch die Vorgaben zur Hinzurechnungsquote in Art. 8 Abs. 3 ATAD geben diesbezüglich nichts her, da nur auf die „gehaltene Beteiligung im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe a“ verwiesen wird. Geht man dagegen davon aus, dass die ATAD in erster Linie dem Kontrollgedanken verpflichtet ist, könnte nach den Stimmrechten, sodann nach den Kapitalanteilen und schließlich nach der Gewinnverteilung entschieden werden.24 Mit der Beantwortung der Frage nach der Reihenfolge der Maßstäbe ist allerdings noch nichts darüber gesagt, in welchem Umfang eine Hinzurechnungsbesteuerung tatsächlich durchzuführen ist. UE spricht viel dafür, bei der Methode des AStG zu bleiben, da es hier methodisch nur zur Hinzurechnung von Einkünften kommt, die dem Inländer (zukünftige Beteiligung vorausgesetzt) auch tatsächlich zufließen können. Stimmrechte sind jedenfalls hierfür nicht relevant. In jeden Fall ist zu fordern, dass es nicht zu einer Hinzurechnungsbesteuerung von mehr als 100 % der Einkünfte der ausländischen Gesellschaft kommen darf. Insoweit lässt sich vertreten, der A-AG 40 % und der B-AG 60 % der Zwischeneinkünfte zuzurechnen.

4. „Konkurrenz“ von Hinzurechnungspflichtigen In Fällen, in denen neben Deutschland auch andere Staaten durch deren (ausländische) Hinzurechnung auf die Einkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft zugreifen, kann es zur doppelten oder gar mehrfachen Hinzurechnung kommen.25 Die deutsche Finanzverwaltung gewährt deshalb in derartigen Fällen die Anrechnung der ausländischen „Hinzurechnungssteuer“ auf die deutsche Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer entsprechend § 12 Abs. 1 AStG.26 Mit der unionsweiten Einführung von Systemen für beherrschte ausländische Unternehmen durch die ATAD steigt die Wahrscheinlichkeit eines mehrfachen oder konkurrierenden Besteuerungszugriffs durch verschiedene Staaten.27 Gleichwohl enthält die ATAD keinerlei Regelung, wie in derartigen Fällen zu verfahren ist. Eine ausländische Hinzurech24 Vgl. Wenzel, ISR 2017, 432 (439). 25 Vogt in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 12 AStG Rz. 4; Edelmann in Kraft, AStG2, § 12 Rz. 1; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 14 AStG Rz. 95. 26 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, SonderNr. 1 = StEK AStG Vor § 1 Nr. 16, Tz. 14.1.5 zweiter Spiegelstrich. 27 Kraft in Kraft, AStG2, vor § 7 Rz. 240.

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nungssteuer spielt weder bei der Ermittlung der Niedrigbesteuerung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD noch auf der Rechtsfolgenseite (also bei Anrechnung oder Abzug ausländischer Steuern) eine Rolle.28 Die Problemstellung soll anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht werden. Beispiel: Die deutsche M-AG ist zu 100 % an der T-AG beteiligt, die wiederum mit 100 % der Anteile an der in Land B ansässigen E-AG beteiligt ist, die in Land B keiner Körperschaftsteuer unterliegt. In Bezug auf die Ansässigkeit der T-AG werden drei Varianten betrachtet: (i)

Die T-AG ist ebenfalls in Deutschland ansässig.

(ii) Die T-AG ist in Land A ansässig, das ebenfalls eine Hinzurechnungsbesteuerung kennt, die passive, niedrig besteuerte ausländische Einkünfte einer CFC-Besteuerung von 25 % unterwirft. (iii) Wie Variante (ii) nur mit dem Unterschied, dass Land A die passiven, niedrig besteuerten Auslandseinkünfte aus Land B mit 10 % besteuert. Die Varianten stellen sich graphisch wie folgt dar („HZB“ bezeichnet die jeweilige Hinzurechnungssteuerbelastung):

M-AG

M-AG

M-AG

T-AG Deutschland Land A

T-AG

HZB 25 %

T-AG

HZB 10 %

E-AG

KSt 0%

E-AG

KSt 0%

Land B

E-AG

KSt 0%

Nach AStG kommt es derzeit im Fall (i) zur Hinzurechnungsbesteuerung auf Ebene der T-AG mit inländischer Körperschaft- und Gewerbesteuer. Eine Hinzurechnungsbesteuerung bei der M-AG greift nicht. Etwaige Dividenden der T-AG sind gem. § 8b Abs. 1, 5 KStG effektiv zu 95 % steuerfrei. Im Fall (ii) kommt es auf Ebene der M-AG grundsätzlich zur (übertragenden) Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 7 iVm. § 14

28 Rautenstrauch/Suttner, BB 2016, 2391 (2393).

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AStG. Da aber die in Land A auf der Ebene der T-AG anfallende „Hinzurechnungssteuer“ von 25 % im Inland angerechnet wird, fällt auf der Ebene der M-AG keine weitere Körperschaftsteuer an, wohl aber nach derzeitiger Rechtslage zusätzliche Gewerbesteuer. Fall (iii) ist ähnlich gelagert. Da die „Hinzurechnungssteuer“ auf der Ebene der T-AG allerdings nur 10 % beträgt, fällt neben der Gewerbesteuer auch eine zusätzliche Körperschaftsteuer von 5 % (zzgl. SolZ) an. Würden die ATAD-Regeln ohne weitere Konkretisierung umgesetzt, könnte es auch in Variante (i) zu einer weiteren Hinzurechnungsbesteuerung bei der M-AG kommen. Soweit die Anrechnung auf ausländische „Hinzurechnungssteuern“ begrenzt wird, unterliegt der Hinzurechnungsbetrag auf der Ebene der M-AG ein zweites Mal der Körperschaftund Gewerbesteuer, ohne dass hierfür eine Notwendigkeit besteht. In den Varianten (ii) und (iii) könnte eine zweite Hinzurechnungsbesteuerung bei der M-AG allein aufgrund der Anrechnung der Hinzurechnungssteuern des Landes A auf die deutsche Körperschaftsteuer abgemildert werden. Gewerbesteuer fiele in jedem Fall an. Vor diesem Hintergrund ist der inländische Gesetzgeber aufgefordert, die Wirkungszusammenhänge der ATAD-Bestimmungen und die (nicht unerhebliche) Mehrbelastung mit Gewerbesteuer in etwaige Reformüberlegungen einbeziehen. Es erscheint sachgerecht, wenn eine zwischengeschaltete Hinzurechnungsbesteuerung (im In- und Ausland) eine weitere Hinzurechnungsbesteuerung auf höher gelagerter Ebene ausschließt. Alternativ bietet sich die Freistellung der Einkünfte oder die vollständige Anrechnung sämtlicher ausländischer Steuern (einschließlich Hinzurechnungssteuern) sowohl auf die Körperschaft- als auch auf die Gewerbesteuer an.29

5. Fälle der Nichtbeherrschung Während das AStG grundsätzlich auf die Beherrschung durch Steuerinländer abstellt, kommt es bei den Regelungen der ATAD darauf an, ob ein Stpfl. (tatsächlich in der EU körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen) beherrschenden Einfluss auf die ausländische Kapitalgesellschaft besitzt. Voraussetzung nach der ATAD ist eine Beteiligung von 50 % an (alternativ) Kapital, Stimmen oder Gewinn. Demgegenüber führt nach § 7 Abs. 6 AStG bei sog. Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter eine Beteiligung von 1 % und in Fällen, in denen die ausländische 29 Becker/Loose, BB 2018, 215 (221); Jacobsen, IStR 2018, 433 (439).

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Gesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich solche Einkünfte erzielt, sogar jedwede Beteiligung zur Hinzurechnungsbesteuerung (vorbehaltlich eines Freibetrags von 80 000 Euro). Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten einzugehen, spricht bereits die fehlende Praktikabilität der aktuellen Regelungen für deren Entschärfung. Darüber hinaus begegnet das Thema der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung auch unionsrechtlichen Schwierigkeiten. Im Vorlagebeschluss v. 12.10.2016 bezweifelt der BFH30 die Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung bei Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter im Drittstaatenfall gem. § 7 Abs. 6 und 6a AStG mit dem Unionsrecht. Die Zweifel des BFH beruhen im Grundsatz zunächst auf der Annahme, dass die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV (Art. 56 EGV) auf den streitentscheidenden Fall anwendbar sei. Insbesondere werde sie wohl nicht aufgrund der sog. Standstill-Klausel des Art. 64 AEUV oder durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt.31 Der BFH geht sodann davon aus, dass die im Rahmen der Cadbury Schweppes-Entscheidung zur Niederlassungsfreiheit entwickelten Grundsätze zum einen auch auf die Kapitalverkehrsfreiheit und zum anderen auf das Verhältnis zu Drittstaaten übertragbar sein könnten. Der als Folge der Cadbury Schweppes-Entscheidung zur Herstellung der Unionsrechtmäßigkeit in § 8 Abs. 2 AStG eingeführte Motivtest war im zu entscheidenden Fall aber nicht anwendbar, denn die maßgeblichen Zwischeneinkünfte aus den streitrelevanten Wj. sowie die Drittstaatenbeteiligung waren nicht von dem Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 AStG umfasst. Vor diesem Hintergrund sieht der BFH einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit als gegeben an, wenn die vom EuGH entwickelten Grundsätze zur Niederlassungsfreiheit entsprechend Anwendung finden.

IV. Niedrigbesteuerung 1. Steuersatz Eine niedrige Besteuerung ist nach dem Status quo im AStG gegeben, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft einer Ertragsteuerbelastung von weniger als 25 % unterliegen.

30 BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642; anhängig beim EuGH – C 135/17. 31 So auch Kraft, Global Taxes, TLE-05-2017.

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Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b ATAD liegt eine niedrige Besteuerung vor, wenn die von der ausländischen Kapitalgesellschaft tatsächlich entrichtete Körperschaftsteuer auf ihre Gewinne niedriger ist „als die Differenz zwischen der Körperschaftsteuer, die nach der geltenden Körperschaftsteuerregelung im Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen für [die ausländische Kapitalgesellschaft] erhoben worden wäre, und der von [der ausländischen Kapitalgesellschaft] tatsächlich entrichteten Körperschaftsteuer auf […] ihre Gewinne.“

Die umständliche Formulierung besagt nichts anderes, als dass eine schädliche Niedrigbesteuerung iSd. ATAD vorliegt, wenn die ausländische Belastung mit Körperschaftsteuer weniger als 50 % der vergleichbaren inländischen Körperschaftsteuerbelastung beträgt.32 Die ATAD stellt dabei allein auf die Körperschaftsteuer ab.33 Nationale Besonderheiten wie die deutsche Gewerbesteuer werden von der ATAD nicht in den Blick genommen. Der rein rechnerische deutsche Referenzsteuersatz wäre dann 7,5 %.34 Dass der deutsche Gesetzgeber die Niedrigbesteuerungsgrenze so weit reduziert, ist nicht zu erwarten.35 Dem Vernehmen nach sehen weder der Gesetzgeber noch die Finanzverwaltung insoweit Handlungsbedarf. Große Hoffnungen auf ein Absenken des Referenzsteuersatzes unter 15 % sollte man sich eher nicht machen.

2. Berücksichtigung ausländischer Körperschaftsteuer – Besonderheiten bei Auslandsbetriebsstätten Nach AStG ist die Körperschaftsteuer für ausländische Kapitalgesellschaften, die in anderen Ländern über eine Betriebsstätte verfügen, für das ausländische Stammhaus und seine Betriebsstätte gemeinsam (konsolidiert) zu betrachten und die Einkünfte und deren Steuerbelastung sind nach funktionalen Gesichtspunkten zu ermitteln.36 Eine separate Betrachtung von Stammhaus und Betriebsstätte soll erfolgen, wenn ein inländisches Stammhaus über eine ausländische Betriebsstätte mit niedrig besteuerten passiven Einkünfte verfügt, die in Deutschland nach einem

32 Schönfeld, Aktuelle Fragen zum Europäischen Steuer- und Gesellschaftsrecht, 64 (69). 33 Dehne, ISR 2018, 132 (134); Jacobsen, IStR 2018, 433 (439). 34 Becker/Loose, BB 2018, 215 (216); Schönfeld, IStR 2017, 721 (723). 35 Vgl. MinDirig. Kreienbaum im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Lüdicke, Internationales Steuerrecht am Scheideweg, 2018, 171 ff. 36 AEAStG Tz. 8.3.1.1. Kraft in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 894.

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DBA freizustellen sind.37 Für diesen Fall ist anstelle einer Hinzurechnungsbesteuerung der Betriebsstätteneinkünfte ein Wechsel (Switchover) von der ggf. abkommensrechtlich gebotenen Freistellungs- zur Anrechnungsmethode vorgesehen (Treaty Override, § 20 Abs. 2 AStG). Nach Art. 7 Abs. 1 ATAD unterliegen Einkünfte eines ausländischen Unternehmens oder einer Betriebsstätte, die im Inland nicht der Steuer unterliegen oder steuerbefreit sind, der Hinzurechnungsbesteuerung, soweit die von der ausländischen Gesellschaft oder der Betriebsstätte tatsächlich entrichtete Körperschaftsteuer auf ihre jeweiligen Gewinne unterhalb des Niedrigsteuersatzes liegen. Im Gegensatz zum AStG bezieht sich die ATAD somit nicht ausschließlich auf die Steuerbelastung der Einkünfte aus passivem Erwerb, sondern umfasst dem Wortlaut nach („Gewinne“) auch aktive Einkünfte des Unternehmens.38 Beispiel: Die M-AG unterhält eine Betriebsstätte in Land B (M-BS), der passive Einkünfte von 100 zuzuordnen sind, die in Land B einer Ertragsteuerbelastung von 20 % unterliegen. Daneben hält die M-AG 100 % an der in Land A ansässigen T-AG. Diese wiederum unterhält in Land B ebenfalls eine Betriebsstätte. Die T-AG erzielt sowohl im Stammhaus als auch in der Betriebsstätte passive Einkünfte gleicher Art von jeweils 100. Die Ertragsteuerbelastung in Land A beträgt 30 %, in Land B 20 %. Land A wendet die ATAD-Regeln an, der Niedrigsteuersatz in Land A betrage 15 %. Zwischen Deutschland und Land B bzw. Land A und Land B bestehen DBA, die Betriebsstätteneinkünfte freistellen. Graphisch:

M-AG Deutschland Land A

T-AG

Passive Einkünfte 100 KSt 30%

Land B

M-BS

T-BS

Passive Einkünfte 100 KSt 20%

Passive Einkünfte 100 KSt 20%

37 Prokopf in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 20 AStG Rz. 136; Kraft in Kraft, AStG2, § 20 Rz. 44. 38 Vgl. Kraft in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 898.

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Nach geltendem Recht (§ 20 Abs. 2 AStG) kommt es bei der M-AG in Bezug auf die Einkünfte aus der M-BS zum Wechsel auf die Anrechnungsmethode, dh. die Einkünfte der M-BS unterliegen der deutschen Besteuerung mit Anrechnung der ausländischen auf die inländische Körperschaftsteuer von 15 %. Es verbleibt ein Anrechnungsüberhang von 5 %. Die passiven Einkünfte der T-AG von 200 unterliegen einer Steuerbelastung von 20 % von 100 plus 30 % von 100, also insgesamt von genau 25 % (50: 200). Mithin liegt nach dem AStG kein Niedrigsteuerfall vor, weil für § 8 Abs. 3 AStG nicht zwischen Stammhaus- und Betriebsstätteneinkünften zu unterscheiden ist. Nach den ATAD-Regeln ist das Ergebnis in Teilen anders: –

Die Einkünfte der M-BS sind in Deutschland steuerpflichtig (sofern der deutsche Niedrigsteuersatz bei 25 % verbleibt). Die ausländische Körperschaftsteuer wird angerechnet. Durch die ATAD-Regeln hätte sich im Vergleich zum Status quo nichts geändert.



Die Einkünfte der T-BS unterliegen bei der T-AG nicht der ausländischen Hinzurechnungsbesteuerung, da die Steuerbelastung oberhalb des Niedrigsteuersatzes des Landes A von 15 % liegt.



Bei der M-AG wird bezüglich der Stammhauseinkünfte von T-AG keine Hinzurechnungsbesteuerung ausgelöst, da die effektive Ertragsteuerbelastung der Stammhausgewinne der T-AG über 25 % liegt. Hingegen liegt die für die T-BS entrichtete Steuer von 20 % unter dem Niedrigsteuersatz, so dass es nach dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b ATAD insoweit zu einer Hinzurechnungsbesteuerung zu kommen scheint. Mit der gesonderten Betrachtung der Betriebsstättengewinne wirkt die ATAD also anders als das AStG.

V. Von der Hinzurechnungsbesteuerung erfasste Einkünfte 1. Aktiv- oder Passivkatalog; Motivtest Die der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegenden passiven Einkünfte sind nach geltendem deutschen Recht sämtliche Einkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft, welche die Kriterien des Aktivitätskatalogs

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in § 8 Abs. 1 AStG nicht erfüllen.39 Die Regelungstechnik des Aktivitätskatalogs ist kompliziert; es existiert ein unübersichtliches System von Ausnahmen, Rückausnahmen hiervon und teilweise Ausnahmen von den Rückausnahmen (s. nur die Mitwirkungstatbestände bei Handelseinkünften in § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG).40 Während Dividenden per se aktive Einkünfte sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG), sind Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften oder Umwandlung derselben nur dann aktive Einkünfte, wenn die Voraussetzungen in § 8 Abs. 1 Nr. 9 und 10 AStG vorliegen. Als Reaktion auf das EuGH-Urteil in der Rechtssache „Cadbury-Schweppes“ wurde in § 8 Abs. 2 AStG eine als „Motivtest“ bezeichnete Regelung eingeführt, die die Hinzurechnungsbesteuerung insbes. für den Fall einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit einer EU/EWR-Kapitalgesellschaft suspendiert.41 Zweck ist es, die Hinzurechnungsbesteuerung auf rein künstliche Gestaltungen zu begrenzen.42 Die ATAD gibt den Mitgliedstaaten die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Regelungstechniken: Die Mitgliedstaaten sollen entweder einen Passivitätskatalog nebst Substanztest (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD) oder einen generellen Missbrauchstatbestand (Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD) einführen.43 (i) Der abschließende Passivkatalog umfasst insgesamt sechs Kategorien „nicht ausgeschütteter Einkünfte“: –

Zinsen und sonstige Einkünfte aus Finanzanlagevermögen,



Lizenzgebühren oder sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum,



Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen,



Einkünfte aus Finanzierungsleasing,



Einkünfte aus Tätigkeiten von Versicherungen und Banken und anderen finanziellen Tätigkeiten sowie



Einkünfte von Abrechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen erzielen, die von verbundenen Unternehmen erworben oder an die-

39 Lehfeldt in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 8 AStG Rz. 1; Rödel in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 2. 40 Vgl. Jacobsen, IStR 2018, 433 (440); Quilitzsch/Engelen, FR 2018, 293 (295). 41 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = FR 2006, 987, Rz. 54; Anm. Körner, IStR 2006, 670. 42 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = FR 2006, 987, Rz. 55. 43 Vgl. Schönfeld, IStR 2017, 721 (724).

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se verkauft werden, und keinen oder nur geringen wirtschaftlichen Mehrwert bringen. Eine Hinzurechnung dieser Einkünfte soll unterbleiben, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, diese Tätigkeit auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten gestützt ist und dies durch relevante Fakten und Umstände nachgewiesen wird (sog. Substanztest).44 Neben dem allgemeinen Substanztest können die Mitgliedstaaten regeln, dass von einer Hinzurechnung der ausländischen Einkünfte abgesehen wird, wenn eine ausländische Kapitalgesellschaft oder Betriebsstätte maximal ein Drittel oder weniger der Einkünfte aus den o.g. Tätigkeiten erzielt (sog. Drittel-Option gem. Art. 7 Abs. 3 ATAD). Diese Möglichkeit besteht zudem für Finanzunternehmen, wenn sie ein Drittel oder weniger ihrer Einkünfte aus den o.g. Kategorien aus Transaktionen mit dem inländischen Stpfl. oder seinen verbundenen Unternehmen erzielen. (ii) Der generelle Missbrauchstatbestand (sog. Principal Purpose Test) sieht vor, dass nicht ausgeschüttete Einkünfte der ausländischen Kapitalgesellschaft aus unangemessenen Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck im Erlangen eines steuerlichen Vorteils besteht, hinzugerechnet werden. Eine Gestaltung oder eine Abfolge von Gestaltungen ist unangemessen, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft die den Einkünften zugrunde liegenden Vermögenswerte und Risiken nur aufgrund der Beherrschung durch das inländische Unternehmen hält bzw. trägt, dessen Entscheidungsträger die für diese Vermögenswerte und Risiken relevanten Aufgaben ausführen, die für die Erzielung der Einkünfte des beherrschten Unternehmens ausschlaggebend sind (Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD).45 Es ist davon auszugehen, dass sich der deutsche Gesetzgeber für einen Katalog entscheiden wird (Passivkatalog oder wie bisher Aktivkatalog); dies entspricht am ehesten der aktuellen Regelungstechnik. Einen generellen Missbrauchstatbestand gibt es ohnehin.46

44 Kraft in Kraft, AStG2, vor § 7 Rz. 207; Schönfeld, IStR 2017, 721 (727). 45 Vgl. Kraft in Kraft, AStG2, vor § 7 Rz. 210. 46 Vgl. Dehne, ISR 2018, 132 (135); Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (966).

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2. Ausländische Finanzierungsgesellschaften Einkünfte einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft aus der Aufnahme und darlehensweisen Vergabe von Kapital unterliegen der Hinzurechnungsbesteuerung, soweit die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG nicht vorliegen. Der inländische Gesellschafter muss nachweisen, dass das Kapital ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärkten und nicht beim inländischen Gesellschafter oder bei der Finanzierungsgesellschaft nahestehenden Personen aufgenommen und (i) außerhalb Deutschlands gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten, die ausschließlich oder fast ausschließlich Bruttoerträge aus aktiven Tätigkeiten iSv. § 8 Nr. 1–6 AStG erzielen, oder (ii) in Deutschland gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten zugeführt wurde.47 Nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a (i) ATAD unterliegen Zinseinkünfte oder sonstige Einkünfte aus Finanzanlagevermögen grundsätzlich der Hinzurechnungsbesteuerung. Auf die Aufnahme auf dem ausländischen Kapitalmarkt und eine Zuführung zu aktiven ausländischen Betrieben oder Betriebsstätten oder zu inländischen Betrieben oder Betriebsstätten kommt es nicht an. Der Anwendungsbereich der ATAD geht somit weit über den Anwendungsbereich des AStG hinaus.48 Soweit der Substanztest nach Art. 7 Abs. 2 Satz 2 ATAD auf EU/EWR-Gesellschaften beschränkt wird, dürfte es bei einer 1:1-Umsetzung der ATAD zu einer deutlichen Ausweitung der Hinzurechnungsbesteuerung im Vergleich zum Status quo kommen.

3. Ausländisches FuE-Zentrum Einkünfte aus der Überlassung der Nutzung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen sind von der Hinzurechnungsbesteuerung grundsätzlich nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a AStG erfasst. Eine Hinzurechnung der Einkünfte unterbleibt allerdings, soweit der inländische Stpfl. nachweist, dass die ausländische Kapitalgesellschaft die Ergebnisse eigener Forschungs- und Entwicklungsarbeit auswertet und diese Arbeiten ohne Mitwirkung des inländischen Gesellschafters oder einer diesem Gesellschafter nahestehenden Person unternommen wurden.49 47 Rödel in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 239; Lehfeldt in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 8 AStG Rz. 182.19. 48 Vgl. Schönfeld, IStR 2017, 721 (724). 49 Rödel in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 358.

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Die ATAD qualifiziert Lizenzgebühren und sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum hingegen grundsätzlich als Einkünfte, die bei Thesaurierung der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen können (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ii ATAD). Auf eine schädliche Mitwirkung durch Inländer kommt es nicht an.50 Ebenfalls spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob die ausländische Gesellschaft die Substanzanforderung des sog. Nexus-Approachs der OECD erfüllt. Allerdings dürfte bei EU/EWR-Fällen dann der Substanztest nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 ATAD erfüllt werden können.51

4. Ausländische Einkaufs- und Vertriebsgesellschaften Einkünfte aus ausländischer Handelstätigkeit sind zwar nach AStG grundsätzlich aktiv. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verfügungsmacht an den Waren oder Gütern weder (i) vom unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden Person, die mit ihren Einkünften hieraus im Inland steuerpflichtig ist, der ausländischen Gesellschaft verschafft werden (Export aus Deutschland, § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AStG), noch (ii) die ausländische Gesellschaft die Verfügungsmacht einem unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden Person, die mit ihren Einkünften hieraus im Inland steuerpflichtig ist, verschafft (Import nach Deutschland, § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AStG). Bei Inlandsbezug der Handelstätigkeit – Fall (i) und Fall (ii) – unterliegen die Einkünfte nur dann nicht der Hinzurechnungsbesteuerung, wenn der inländische Stpfl. nachweisen kann, dass die ausländische Gesellschaft einen für derartige Handelsgeschäfte in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unter Teilhabe am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhält und die zur Vorbereitung, dem Abschluss und der Ausführung der Geschäfte gehörenden Tätigkeiten ohne Mitwirkung durch den unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter oder eine diesem nahestehende Person, die mit ihren Einkünften hieraus im Inland steuerpflichtig ist, ausübt.52 50 Schönfeld, IStR 2017, 721 (725); Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (967). 51 Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (967). 52 Rödel in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 239; Lehfeldt in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, § 8 AStG Rz. 85.

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Ist die Tätigkeit der ausländischen Kapitalgesellschaft soweit reduziert, dass sie nicht (mehr) als Handel mit Waren oder Gütern qualifiziert, handelt es sich um eine Dienstleistung, die nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG zu prüfen ist. Eine Dienstleistung führt hiernach zu nicht der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegenden Einkünften, wenn die ausländische Gesellschaft (i) die Dienstleistung erbringt, ohne sich des unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters oder einer diesem nahestehenden Person, die mit ihren Einkünften aus der von ihr beigetragenen Leistung im Inland steuerpflichtig ist, zu bedienen (Bedienensfall, § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a AStG), oder (ii) die Dienstleistung einem unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden inländischen Person erbringt und nachgewiesen wird, dass die ausländische Gesellschaft einen für das Bewirken derartiger Dienstleistungen eingerichteten Geschäftsbetrieb unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unterhält und die zu der Dienstleistung gehörenden Tätigkeiten ohne Mitwirkung des unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters oder einer diesem nahestehenden Person, die mit ihren Einkünften aus der von ihr beigetragenen Leistung im Inland steuerpflichtig ist, ausübt (Erbringensfall, § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b AStG). Die komplexen, auf Handel und Dienstleistungen mit Inlandsbezug ausgerichteten und von schädlicher Mitwirkung geprägten Tatbestandsvoraussetzungen des AStG finden sich so nicht in der ATAD wieder. Nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a (vi) der deutschen ATAD-Fassung sollen Einkünfte von sog. Abrechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen erzielen, die von verbundenen Unternehmen erworben oder an diese verkauft werden und keinen oder nur geringen Mehrwert bringen, der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Dieser Tatbestand lässt sich kaum vernünftig abgrenzen. Zum einen ist nach der deutschen Fassung der ATAD auch Handel mit sowie Dienstleistungen an bzw. von konzernexternen Unternehmen erfasst, während sich in der englischen Fassung statt des „oder“ ein „and“ findet, so dass der Tatbestand dann auf rein konzerninterne Tätigkeiten begrenzt ist.53 Zum anderen ist das Tatbestandsmerkmal „kein oder nur geringer Mehrwert“ unbestimmt und setzt eine ökonomische Wertung voraus, die allein anhand des konkreten Einzelfalls vorgenommen wer53 Vgl. Becker/Loose, BB 2018, 215 (220).

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den kann.54 Streitanfällig dürfte insbes. sein, wenn einem Unternehmen, das zB aus Verrechnungspreisperspektive als sog. „Low-Risk-Distributor“ qualifiziert wird, nur ein geringer Mehrwert attestiert wird.55 Solche Unternehmen können im Gegenteil einen hohen Mehrwert bringen, wenn ihnen zB der relevante Kundenstamm gehört oder sie wichtiges VertriebsKnow-How besitzen. Aus der geringen Risikoübernahme des Low-RiskDistributors auf einen geringen Mehrwert zu schließen, verkennt jedenfalls die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge.

5. Ausländische Dividenden Nach § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG sind Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften stets als aktive Einkünfte zu bewerten. Diese Bewertung beruht einerseits darauf, dass insbes. die den Dividenden zugrunde liegenden Einkünfte nach § 14 AStG iVm. §§ 7 ff. AStG bereits der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Andererseits steht die Qualifizierung als aktive Einkünfte im Einklang mit § 8b Abs. 1, 2 KStG, wonach im Inland erzielte Dividenden steuerfrei gestellt werden.56 Demgegenüber sieht die ATAD eine Hinzurechnung der im Ausland thesaurierten Dividenden beim inländischen Stpfl. vor (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a (iii) ATAD). Der hiermit einhergehenden wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der zugrunde liegenden Einkünfte könnte durch die Anwendung von § 8b KStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags Rechnung getragen werden.57

VI. Ausnahmen – Substanztest für EU/EWR Eine Hinzurechnung der passiven Einkünfte soll nach der ATAD unterbleiben, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, diese Tätigkeit auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten gestützt ist und dies durch relevante Fakten und Umstände nachgewiesen wird (sog. Substanztest nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 ATAD). Die ATAD überlässt es den Mitgliedstaaten, ob sie den Substanztest nur für EU/EWR-ansässige oder auch für in Drittstaaten ansässige Kapitalgesellschaften zulassen wollen. 54 55 56 57

Dehne, ISR 2018, 132 (137); Becker/Loose, BB 2018, 215 (220). Schönfeld, IStR 2017, 721 (726); Becker/Schmelz, IStR 2017, 797 (803). Dehne, ISR 2018, 132 (137); Kraft in Kraft, AStG2, vor § 7 Rz. 185. Vgl. Schönfeld, IStR 2017, 721 (725).

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Aufgrund der weiten Definition passiver Einkünfte geht die Bedeutung des Substanztests der ATAD möglicherweise über die des Motivtests in § 8 Abs. 2 AStG hinaus. Bemerkenswert ist, dass der Wortlaut der ATAD von der EuGH-Entscheidung in Sachen Cadburry Schweppes und vom Motivtest in § 8 Abs. 2 AStG abweicht. Während letztere auf eine „wirkliche wirtschaftlich Tätigkeit“ („genuine economic activity“)58 abstellen, setzt die ATAD eine „wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit“ („substantive economic activity“) voraus. Es stellt sich deshalb die Frage, ob darin nur eine rein sprachliche Divergenz liegt oder ob es nach der ATAD nunmehr auf Quantität anstatt auf die Qualität der wirtschaftlichen Tätigkeit ankommt.59

VII. Rechtsfolgen 1. Anrechnung der Steuerschuld Nach AStG kann der Stpfl. die im Ausland erhobenen Steuern entweder gem. § 10 Abs. 1 AStG vom Hinzurechnungsbetrag abziehen oder die vom Hinzurechnungsbetrag erhobene inländische Einkommen- und Körperschaftsteuer nach § 12 AStG anrechnen. Diese Wahlmöglichkeit lässt die ATAD nicht zu. Nach Art. 8 Abs. 7 ATAD kommt nur noch eine Steueranrechnung in Betracht („Abzug […] von der Steuerschuld“). Der Richtlinie ist nicht eindeutig zu entnehmen, auf welche Steuer die Anrechnung zu erfolgen hat. Da die ATAD durchgängig nur auf die Körperschaftsteuer abstellt, ist fraglich, ob die ausländische Steuer auch auf die Gewerbesteuer angerechnet werden muss.60

2. Verluste Die Berücksichtigung von Verlusten aus passiven und niedrig besteuerten Einkünften richtet sich nach geltender Rechtslage nach den allgemeinen Vorgaben des § 10d EStG (§ 10 Abs. 3 Satz 5 AStG), so dass ein Verlustvor- bzw. -rücktrag möglich ist.

58 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 = FR 2006, 987, Rz. 54. 59 Dehne in Lüdicke, Internationales Steuerrecht am Scheideweg, 2018, 139 ff.; Schönfeld, IStR 2017, 721 (727). 60 Zustimmend Dehne, ISR 2018, 132 (136); Kraft in Kraft, AStG2, vor § 7 Rz. 181; Linn, IStR 2016, 645 (647).

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Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 ATAD werden Verluste nicht in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen. Sie können lediglich vorgetragen und in den nachfolgenden Steuerzeiträumen berücksichtigt werden.

3. Drittel-Regelung Nach der Freigrenze in § 9 AStG unterliegen passive und niedrig besteuerte Einkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft nicht der Hinzurechnungsbesteuerung, wenn die diesen Einkünften zugrunde liegenden Bruttoerträge nicht mehr als 10 % der gesamten Bruttoerträge der Gesellschaft betragen (relative Freigrenze), und die hiernach außer Ansatz bleibenden Einkünfte insgesamt 80 000 Euro nicht übersteigen (absolute Freigrenze). Neben dem allgemeinen Substanztest können die Mitgliedstaaten regeln, dass von einer Hinzurechnung der ausländischen Einkünfte abgesehen wird, wenn eine ausländische Kapitalgesellschaft oder Betriebsstätte maximal ein Drittel oder weniger der Einkünfte aus den o.g. Tätigkeiten erzielt (sog. Drittel-Option gem. Art. 7 Abs. 3 ATAD). Diese Möglichkeit besteht zudem für Finanzunternehmen, wenn sie ein Drittel oder weniger ihrer Einkünfte aus den o.g. Kategorien aus Transaktionen mit dem inländischen Stpfl. oder seinen verbundenen Unternehmen erzielen.

4. Nachgeschaltete Zwischengesellschaften Für nachgeschaltete Zwischengesellschaften sieht das AStG in § 14 die übertragende Hinzurechnung vor. Eine entsprechende Regelung fehlt in der ATAD.61 Zur Vermeidung von wirtschaftlicher Doppelbesteuerung von Einkünften nachgeschalteter Zwischengesellschaften und der hieraus resultierenden Dividenden sollten die Wirkungszusammenhänge auf der Ebene der letzten ausländischen Zwischengesellschaft bei etwaigen Reformüberlegungen berücksichtigt werden.

5. Gegenkorrektur bei späteren Ausschüttungen oder Anteilsveräußerungen Um eine Doppelbesteuerung von bereits hinzugerechneten Einkünften zu vermeiden, sehen Art. 8 Abs. 5 bzw. 6 ATAD vor, dass die an den Stpfl. ausgeschütteten steuerpflichtigen Gewinne bzw. die von diesem 61 Vgl. Kraft in Kraft, AStG2, vor § 7 Rz. 240.

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erzielten steuerpflichtigen Gewinne aus Anteilsveräußerungen um die zuvor hinzugerechneten Einkünfte zu mindern sind. Bezogen auf die derzeit geltenden Regelungen des AStG ergibt sich Folgendes: –

Gewinnausschüttungen: Nach geltendem deutschen Recht kommt es bei natürlichen Personen als Anteilseigner zur vollen Freistellung der Gewinnausschüttungen nur, wenn die Ausschüttung innerhalb der Sieben-Jahres-Frist erfolgt (§ 3 Nr. 41 Buchst. a EStG), so dass die ATAD-Regeln zeitlich weiter reichen als der Status quo. Da bei Kapitalgesellschaften Gewinnausschüttungen grundsätzlich unabhängig von der Sieben-Jahres-Frist zu 100 % steuerfrei sind (§ 8b Abs. 1 KStG) und es in diesem Fall nicht zu einer Doppelbesteuerung kommen kann, dürfte das Abzugsgebot insoweit leerlaufen.



Veräußerungsgewinne: Die ATAD-Regelung für Veräußerungsgewinne läuft für Kapitalgesellschaften weitgehend leer und stellt für natürliche Personen jenseits der Sieben-Jahres-Frist in § 3 Nr. 41 Buchst. b EStG eine Verbesserung dar.

6. Stichtag der Hinzurechnungsbesteuerung Nach § 10 Abs. 2 AStG gilt der Hinzurechnungsbetrag nach Ablauf des maßgebenden Wj. der ausländischen Gesellschaft als zugeflossen. Demgegenüber werden die hinzuzurechnenden Einkünfte nach Art. 8 Abs. 4 ATAD in dem Steuerzeitraum des inländischen Gesellschafters einbezogen, in dem das Steuerjahr der ausländischen der Kapitalgesellschaft endet.62 Es kommt nach den ATAD-Regeln nicht zu einer Phasenverschiebung zwischen Einkünfteerzielung durch die ausländische Kapitalgesellschaft und Hinzurechnung beim inländischen Gesellschafter.

VIII. Fazit Der Vergleich des Status quo mit den Vorgaben der ATAD zeigt zunächst, dass die beiden Regelungsbereiche nicht deckungsgleich sind. Das AStG bleibt in Teilen hinter den Vorgaben der ATAD zurück bzw. geht deutlich über sie hinaus. Es ist wünschenswert, dass der Gesetzgeber die ATAD zum Anlass nimmt, die Hinzurechnungsbesteuerung auf neue Füße zu stellen, den Niedrigsteuersatz auf ein zeitgemäßes Niveau abzusenken 62 Dehne in Lüdicke, Internationales Steuerrecht am Scheideweg, 2018, 139 ff.

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und das Konzept konsequent auf tatsächliche Missbrauchsfälle zu beschränken. In diesem Zusammenhang sollte zusätzlich auch die Berücksichtigung der Gewerbesteuer angegangen werden. Es ist nicht einzusehen, dass der Hinzurechnungsbetrag der Gewerbesteuer unterliegt, ausländische Steuern aber nicht auf die Gewerbesteuer angerechnet werden.

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Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen Regierungsdirektor Thomas Rupp Finanzministerium Baden-Württemberg, Stuttgart Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn I. Einleitung II. Verfahrensstand 1. ATAD-Richtlinien 2. Hybrid Regelungen Deutschland – Status Quo III. Kritischer Überblick über die Hybrid-Regelungen der ATAD 2 1. Ausgangspunkt BEPS Aktionspunkt 2 2. Überblick ATAD 2-Regelungen 3. Ausgewählte Kritik an den ATAD 2-Regelungen a) Konkurrenzprobleme aa) Verhältnis zu Quellensteuerregelungen bb) Verhältnis zur Zinsschranke

cc) Vorfahrtsregelungen zwischen den ATADRegeln und den Staaten dd) Verfassungsrecht b) Deformation des (deutschen) Steuerrechts IV. Analyse ausgewählter Abwehrregeln und Ausnahmen 1. Abzugsverbot hybride Finanzinstrumente 2. Deduction/No inclusion (Art. 9 Abs. 2) 3. Double Deduction (Art. 9 Abs. 1) 4. Umgekehrt hybride Gestaltungen (Art. 9a) 5. Importierte Hybride (Art. 9 Abs. 3) V. Zusammenfassung

I. Einleitung Im Rahmen des sog. „BEPS-Projekts“ der OECD/G 20-Staaten betraf der größte Einzelbericht die sog. „hybriden Strukturen“. Diese häufig sehr komplexen Gestaltungen wurden zwischenzeitlich auch durch die Europäische Union aufgegriffen und zum Gegenstand verbindlicher Richtlinien-Regelungen gemacht, die fast ausschließlich auf die Bekämpfung konzerninterner Fälle abzielen.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

Aus Sicht der Finanzverwaltung sind hybride Gestaltungen weit verbreitet und führen in den betroffenen Staaten zu einer Aushöhlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Insbesondere Unterschiede in der steuerlichen Behandlung eines Rechtsträgers (zB PersonengesellschaftQualifikation als transparent oder intransparent) oder eines Finanzinstruments (Qualifikation als Eigen- oder Fremdkapital) können genutzt werden, um entweder einen Betriebsausgabenabzug in einem Staat und eine Nichtberücksichtigung der korrespondierenden Erträge in einem anderen Staat oder einen doppelten Betriebsausgabenabzug zu erzielen (hybride Gestaltungen). Vergleichbare Effekte können sich aber durch unterschiedliche Qualifikationen und Zuordnungen im Zusammenhang mit Betriebsstättensachverhalten (sog. hybrid branches) ergeben. Dies hat negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und beeinträchtigt in erheblichem Maße die Steuergerechtigkeit gegenüber kleineren und mittelständischen Unternehmen, die nicht oder nur sehr eingeschränkt über internationale Unternehmensverflechtungen operieren. Wenngleich damit grundsätzlich der Adressatenkreis tendenziell „eng“ zugeschnitten wirkt (hybride Strukturen in Konzernen), so droht gleichwohl eine weit darüber hinausgehende praktische Bedeutung für (fast) alle international tätigen, in der EU ansässigen bzw. in der EU (beschränkt) steuerpflichtigen Unternehmen. Diese Besorgnis speist sich insbes. aus drohenden Abzugsverboten für Betriebsausgaben iVm./resultierend aus nachteiligen Beweislastregelungen. Denn die Richtlinie verlangt ua., dass in den Konzern hinein geleistete Betriebsausgaben (Zahlungen, Abschreibungen, Rückstellungsbildungen etc.) grundsätzlich ohne Beschränkung auf bestimmte Aufwandsarten (wie zB Zinsen oder Lizenzen) nur noch dann abzugsfähig sind, wenn diese nicht (auch nicht mittelbar und auch nicht in Drittstaaten) in eine hybride Struktur hineinfließen. Das Veranlassungsprinzip sowie das Vorliegen einer Betriebsausgabe sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach könnten damit ab 2020 keine hinreichenden Voraussetzungen mehr für deren Abzug sein. Je nach Ausformung/Umsetzung in deutsches Recht erhalten damit die Hybridregelungen „durch die Hintertür“ womöglich auch dann erhebliche praktische Bedeutung, wenn Unternehmen im Grundsatz eigentlich nicht davon betroffen sind.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

Insbesondere soweit die Beweislast bei den Unternehmen verortet werden sollte, bedeutete dies darüber hinaus erhebliche zusätzliche Dokumentationsanforderungen zum Erhalt des Betriebsausgabenabzugs und zusätzliche Aufgaben für „Tax Compliance-Managementsysteme“. Damit könnten eigentlich nur gegen exotische Sonderfälle gerichtete Spezialregelungen sowohl im Rahmen der laufenden Deklaration als auch der Abwehrberatung ein ständiger, lästiger „Begleiter“ werden.

II. Verfahrensstand 1. ATAD-Richtlinien Ausgangspunkt für die Hybrid-Regelungen der ATAD 2 ist der OECD/G 20-Bericht 2015 Aktionspunkt 21 im Rahmen der sogenannten BEPS Initiative v. 5.10.2015. Ergänzt wurde dieser Ausgangsbericht um Aussagen zu Betriebsstättensachverhalten, deren Ergebnis im Sommer 2017 im Bericht zur Neutralisierung der Effekte sog. „hybrid branches“ (Hybrid branch-Bericht 2017) veröffentlicht wurde. Die Empfehlungen im OECD/G 20-Bericht 2015 und im Hybrid branch-Bericht 2017 sind rechtlich nicht verbindlich, aber ein Bekenntnis der OECD/G 20-Staaten zu einer steuerpolitischen Gesamtausrichtung („common approach“), die die Konvergenz im Rahmen der nationalen Umsetzung durch die jeweiligen Staaten erleichtern soll. Gemäß Erwägungsgrund 28 der ATAD 2 soll bei der Umsetzung der Regelungen zu den Hybriden der OECD Bericht zu Aktionspunkt 2 einschließlich der Beispiele (486 Seiten) als Referenz oder zur Auslegung herangezogen werden, soweit dieser mit den Bestimmungen der Richtlinie und dem Unionsrecht vereinbar ist.2 Im Rahmen der Erstfassung der ATAD-Richtlinie (12.7.2016)3 wurden in Art. 9 bezüglich Hybride nur in kleinerem Ausmaß bestimmte EU-Fälle geregelt. Erst durch die Änderung der Richtlinie per 29.5.2017 (sog.

1 Neutralising the Effects of Hybrid Mismatch Arrangements, Action 2 2015 Final Report. 2 In diesem Zusammenhang mag man sich damit auch fragen, ob dieser Verweis auf den OECD-Bericht für die Regelungen zu den Hybriden zugleich auch Einfluss auf das sog. Mindestschutzniveau des Art. 3 der Richtlinie nimmt (dh. dieses im Zweifel verschärfend erhöht). 3 2016/1164/EU, ABl. EU 2016, L 193/13.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

ATAD 2)4 wurden umfassende weltweit wirkende Vorschriften (Definitionen in Art. 2 Abs. 9 und Abs. 11 sowie materielle [Abwehr-] Regelungen in Art. 9, 9a und 9b) zusätzlich eingefügt. Auch Art. 1, 4 und 10 wurden partiell angepasst. Die Umsetzung bzw. erstmalige Anwendung der Hybrid-Regelungen muss bis zum 1.1.2020 in allen Mitgliedstaaten erfolgt sein (Art. 2 Abs. 1). Lediglich bzgl. Art. 9a (sog. umgekehrt hybride Gestaltungen) gilt der 1.1.2022 (Art. 2 Abs. 3).

2. Hybrid Regelungen Deutschland – Status Quo Die ATAD-Richtlinie ist kein unmittelbar anwendbares Recht, sondern Vorgabe für die Umsetzung in das jeweilige nationale Recht der EUStaaten. Bislang hat Deutschland noch keine entsprechenden Gesetzentwürfe vorgelegt. Der Koalitionsvertrag enthält allerdings ein eindeutiges Bekenntnis zur Umsetzung der internationalen Vereinbarungen. Bereits in der Vergangenheit wurden bestimmte Regelungen gegen hybride Strukturen eingeführt. Diese betreffen zB –

§ 4i EStG,



§ 50d Abs. 9 EStG,



§ 8 Abs. 3 Sätze 3–5 KStG,



§ 8b Abs. 1 Sätze 2–4 KStG,



§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG.

Gleichwohl besteht darüber hinaus aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung – und auch aus Sicht der ATAD 2 – zusätzlicher zT weitgehender Regelungsbedarf. Nachstehende einführende Beispiele skizzieren dies.

4 2017/952/EU, ABl. EU 2017, L 144/1 ff. Zwar ist insofern häufig von der ATAD 2-Richtlinie die Rede. Tatsächlich gibt es aber nur eine ATAD-Richtlinie, die lediglich in zwei Schritten ihren vollen Regelungsgehalt erreicht hat. Entsprechend sind auch für die ATAD 2-Richtlinie im Übrigen die Bestimmungen der „ursprünglichen“ ATAD-Richtlinie zu beachten, da in dieses eingebettet (zB sonstige Definitionen oder auch das sog. Mindestschutzniveau gem. Art. 3).

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen Beispiel 1: Hybrides Finanzinstrument (D/NI)

A Co.

EK Dividende

B Co.

FK Zins

Zahlung Land A: steuerbefreite Dividende Land B: Zinsaufwendungen Das Finanzinstrument wird in Land B als Fremdkapital und in Land A als Eigenkapital angesehen. In Konsequenz dessen ist ein Fremdkapitalaufwand (Zins) in Land B abzugsfähig, während die Vergütung in Land A als steuerlich begünstigte/befreite Dividende (Gewinnanteil aus Eigenkapital) vereinnahmt werden kann. Die OECD empfiehlt in diesem Zusammenhang als Primärmaßnahme (Response) die Versagung des Betriebsausgabenabzugs in Land B, als Sekundärmaßnahme (Defensive Rule) die Besteuerung in Land A. Deutschland hat eine der sekundären Abwehrregel (Einbezug in die deutsche Besteuerung) entsprechende Norm bereits seit längerem in Kraft gesetzt (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Die Primärregel (Betriebsausgabenabzugsverbot) ist dagegen bislang in Deutschland kein Regelungsgegenstand. Bereits dieses Beispiel zeigt, dass im Rahmen der Umsetzung nicht nur einer Erweiterung der Tatbestände zu erwarten, sondern auch (idR) explizit zu regeln ist, ob eine Primärmaßnahme durch den deutschen Fiskus möglich ist, oder diesem ein Zugriff nur möglich ist, wenn der andere Staat seine Primärmaßnahme nicht vollzogen hat.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen Beispiel 2: Double Deduction

Zinszahlung Bank

F-SA Zinsaufwand

Darlehen

Double-Dip ? EK

Zinsaufwand § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG Æ Sonderbetriebsaufwand OT KG

In dieser Struktur hält eine ausländische Gesellschaft (zB französische Mutter) einen deutschen Kapitalgesellschaftskonzern über eine deutsche Holding KG, an welche die nachgeschalteten deutschen Kapitalgesellschaften per Ergebnisabführungsvertrag/steuerlicher Organschaft angebunden sind. Die französische Muttergesellschaft nimmt in Frankreich ein Darlehen auf, legte diese Mittel als Eigenkapital in die deutsche KG ein, und begehrt nach allgemeinen Grundsätzen in Deutschland hierfür einen Betriebsausgabenabzug (Sonderbetriebsausgaben des Sonderbetriebsvermögens II). In Frankreich wird der nämliche Aufwand allerdings nach französischem Steuerrecht ebenfalls als abzugsfähige Betriebsausgabe behandelt, was zu einer Double Deduction-Inkongruenz führt. Hinweis: Die Finanzverwaltung möchte zwar bereits nach dem BMFSchreiben zu Personengesellschaften v. 26.9.2014 (Beispiel 2 zu Tz. 5.1.2) den Aufwandsabzug nach § 50d Abs. 10 EStG versagen, dem dürfte aber BFH v. 12.10.2016 – I R 92/125 entgegenstehen. Es wird auch die Frage aufgeworfen, ob nicht über die Grundsätze des Dotationskapitals ein Aufgriff möglich ist.6 Gemäß § 4i EStG sind Sonderbetriebsausgaben in Deutschland jedoch nur noch insoweit steuerlich abzugsfähig, als der Stpfl. nachweisen kann, dass diesen Aufwendungen Erträge desselben Stpfl. gegenüberstehen, die

5 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, GmbHR 2017, 425. 6 Van Lishaut, BB 2018, 791.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

durch diese Aufwendungen gemindert werden, und diese Erträge nachweislich auch einer tatsächlichen Besteuerung im anderen Staat unterliegen. Mit anderen Worten: der Betriebsausgabenabzug im Inland (und damit der doppelte Abzug von Aufwendungen im In- und Ausland) wird von einem materiellen Korrespondenzprinzip, auch in Bezug auf die Einnahmen und deren tatsächliche (volle steuerliche) Erfassung in beiden Staaten, abhängig gemacht. Dabei liegt die Beweislast bei dem betreffenden Stpfl. Fehlt der Nachweis, entfällt der Betriebsausgabenabzug. Damit ist es nicht mehr hinreichend, dass dem Grunde und der Höhe nach eine Betriebsausgabe vorliegt. Vielmehr bedarf es darüber hinaus des Nachweises der tatsächlichen Besteuerung der Einnahmen im anderen Staat. Diese Regelung dürfte auch durch die Besonderheiten des Rechtsinstituts der „Sonderbetriebsausgaben“ ausgelöst sein. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass es sich um eine Sekundärmaßnahme gem. Art. 9 Abs. 1 ATAD handelt. Aufgrund der Besonderheiten des Mitunternehmerkonzepts bleibt § 4i EStG aber wohl ohne weitere Anpassung an die Richtlinie bestehen (also insbes. keine Einführung einer Mindestbeteiligungsgrenze iSd. § 1 Abs. 2 AStG oä., sondern ausschließliche Voraussetzung eine mitunternehmerische Beteiligung ohne Mindestbeteiligungsgrenze). Zusätzlich kann vorliegend § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG greifen. Wenn sich im Rahmen der Organschaft negative Einkünfte ergeben, werden diese vom Abzug ausgeschlossen, soweit diese auch im Ausland abgezogen werden. Anders als andere geltende deutsche Regelungen oder die Hybridregelungen der ATAD 2-Richtlinie zielt allerdings § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nicht auf einzelne Aufwandspositionen, sondern verbietet den Abzug ausschließlich für den Fall eines insgesamt negativen Saldos des Organkreises (negative Einkünfte). Vgl. hierzu auch das BFHUrteil v. 12.10.2016,7 wobei der BFH ausdrücklich offen gelassen hat, ob die Vorschrift auch bei Personengesellschaften als Organträger zur Anwendung kommen kann.

7 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFH/NV 2017, 685 = FR 2018, 319.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen Beispiel 3: Hybride Betriebsstättenfinanzierung

D GmbH

Kapital

Fiktiver Zins

„Zinsabzug“

Betriebsstätte Die deutsche D GmbH unterhält in einem ausländischen Staat eine Produktionsbetriebsstätte. Diese Betriebsstätte nutzt finanzielle Mittel der deutschen GmbH (Stammhaus) zur Finanzierung von Erweiterungsinvestitionen. Der Betriebsstättenstaat lässt für die Nutzung der finanziellen Mittel einen Zinsabzug aufgrund der Annahme eines fiktiven Darlehens („dealings“) der deutschen GmbH an ihre ausländische Betriebsstätte zu. Gemäß § 16 Abs. 3 BsGaV wird aus deutscher steuerlicher Sicht grundsätzlich nicht von dem Vorliegen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung ausgegangen (vgl. auch VWG BsGaV Tz. 174), mit der Folge, dass bei der deutschen GmbH korrespondierend kein fiktiver Zinsertrag zu erfassen ist. Gemäß ATAD 2 ist von einer hybriden Gestaltung iSd. Art. 2 Abs. 9 f. auszugehen. Hiergegen richtet sich in der Rechtsfolge Art. 9 Abs. 2, wonach primär der Betriebsstättenstaat den Abzug versagen sowie ersatzweise (sekundär) der Ansässigkeitsstaat des Stammhauses den fiktiven Zins steuerlich erfassen soll (letztere Regelung ist nur optional umzusetzen). Zwar kennt das deutsche Steuerrecht mit § 50d Abs. 9 EStG bereits eine Norm, nach der in bestimmten Fällen ein Einbezug ausländischer Einkünfte entgegen den DBA-Regelungen vorzunehmen ist. Vorliegende Konstellation dürfte allerdings hiervon nicht umfasst sein, so dass ge-

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messen am Regelungsziel der ATAD 2-Richtlinie eine ergänzende Regelung erfolgen könnte, aber nicht müsste, da die Richtlinie an dieser Stelle als Wahlrecht ausgeformt wurde, dh. insoweit kein Umsetzungszwang besteht.

III. Kritischer Überblick über die Hybrid-Regelungen der ATAD 2 1. Ausgangspunkt BEPS Aktionspunkt 2

Ausgangspunkt der Anti-Hybridregelungen ist der Report der OECD/ G 20 Staaten zu Aktionspunkt 2 v. 5.10.2015. Hierbei geht es insbes. um Korrespondenzregelungen, die entweder Fälle des doppelten Abzugs (Double Deduction, DD) oder des Abzugs beim Zahler ohne Einbezug beim Empfänger (Deduction/No Inclusion, D/NI) erfassen sollen. Diese hybriden Strukturen ergeben sich entweder aufgrund von Rechtsträgern, die in unterschiedlichen Staaten unterschiedlich qualifizieren, oder (Finanz)Instrumenten, die einen hybriden Charakter aufweisen.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

Zur Bekämpfung solcher hybriden Strukturen sind entsprechende Veränderungen der nationalen Normen vorzusehen, wobei sog. primäre und sekundäre Abwehrmaßnahmen unterschieden werden. Im Anwendungsbereich beziehen sich die vorgesehenen Regelungen auf verbundene Unternehmen/nahestehende Person (Konzernsachverhalte)8 sowie so genannte strukturierte Gestaltungen.9 Um eine umfassende Erfassung von hybriden Gestaltungen zu ermöglichen, sollen darüber hinaus nicht nur solche Stpfl., die unmittelbar Partei einer hybriden Gestaltung sind, erfasst werden, sondern darüber hinaus auch Fälle sogenannter „importierter“ Besteuerungsinkongruenzen; also solcher Fälle, in denen ein Stpfl. selbst zB nur einen „normalen“ Betriebsausgabenabzug (dh. aus einer nicht hybriden Struktur) begehrt, diese Betriebsausgaben aber an anderer Stelle in eine hybride Struktur hineinmünden und damit mittelbar (auch) Teil einer hybriden Struktur werden und deshalb gleichfalls aufzugreifen seien.

8 Bei genauer Betrachtung der diesbzgl. Voraussetzungen in der ATAD 2-Richtlinie ergibt sich jedoch das etwas überraschende Ergebnis (Art. 2 Nr. 4 letzter Unterabsatz), dass die Regelungen bereits ab einer (gemeinsamen) Beteiligung von Stpfl. bzw. verbundenen Unternehmen von genau 50 % greifen. Die im Übrigen im Rahmen der ATAD-Richtlinie häufig geltende geringere Beteiligungsquote von lediglich 25 % gilt wohl nur in Bezug auf Zahlungen auf ein Finanzinstrument oder in Fällen der Doppelansässigkeit (Art. 2 Nr. 4). Es bleibt allerdings abzuwarten, ob nicht der deutsche Gesetzgeber aus Gründen der Harmonisierung des Steuerrechts allgemein den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 AStG übernimmt. 9 Unabhängig vom Bestehen eines Beteiligungsverhältnisses werden in der ATAD 2-Richtlinie lediglich sog. strukturierte Gestaltungen in den Regelungsbereich einbezogen (Art. 2 Nr. 11). Hierbei soll es sich um eine absichtlich entwickelte hybride Gestaltung handeln, bei der insbes. auch eine Beteiligung des Stpfl. am erzielten Steuervorteil vorliegt oder die Inkongruenz in die Bedingungen der Gestaltung eingerechnet wurde.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

Die vorstehende Abbildung zeigt Überlegungen der Finanzverwaltung bzgl. einer möglichen strukturellen Herangehensweise zur Umsetzung in deutsches Steuerrecht. Ausgehend von dem Vorliegen von Hybriden können diese insbes. entweder zu so genannten „weißen Einkünften“ (Keinmalbesteuerung der Einkünfte) oder zu sogenannten „Double Dips“ (zB doppelter Abzug von Betriebsausgaben in zwei Staaten, doppelte Anrechnung nur einmal gezahlter Quellensteuern etc.) führen. Auf der nächsten Ebene ist zu unterscheiden, ob sich die steuerlichen Inkongruenzen aus einer unterschiedlichen Qualifikation der Einkünfte oder einer unterschiedlichen Qualifikation des Rechtsträgers ergeben. Weiterhin ist zu unterscheiden, ob es sich bezüglich der Inkongruenzen um laufende Einkünfte oder um (hohe) Einmalgewinne (Veräußerungsgewinne) handelt. Darauf aufbauend sind Regelungen zu entwickeln, die iS der Überlegungen der OECD jeweils abgestuft in ihrer Anwendungsreihenfolge zwischen einer Primärregel (vorrangig anwendbar) und der sekundären Regel (nachrangig anwendbar, falls primäre Regel nicht zur Anwendung gelangt) unterscheiden.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

Weiterhin sollten die Regeln so ausgestaltet sein, dass diese durch Beschreibung entsprechender Rückausnahmen überschießende Wirkungen möglichst ausschließen, um insgesamt möglichst treffsicher zu wirken. Es ist erkennbar, dass der Gesetzgeber hier vor erhebliche Herausforderungen gestellt wird. Dabei gelten die britischen Hybridregelungen, die über 20 Seiten umfassen, als abschreckendes Beispiel. Einige wichtige Fragen, die im weiteren Gesetzgebungsprozess zu beantworten sein werden, gehen zB dahin: –

Welcher sachliche bzw. persönliche Anwendungsbereich soll erfasst werden: nur (EU)-Kapitalgesellschaften (gemäß der Richtlinie) oder darüber hinaus alle in Deutschland steuerpflichtigen Personen, also sowohl die Körperschaften als auch natürliche Personen und Personengesellschaften?



Sollen nur verbundene Unternehmen erfasst werden oder zB bei natürlichen Personen auch das Nahestehen bzw. Verwandtschaftsverhältnisse Berücksichtigung finden?



Sollen nur Fälle einer vollständigen Nicht-Besteuerung aufgegriffen werden oder sind auch Fälle der Niedrigbesteuerung oder steuerlicher Sonderregime (zB Gewährung national interest deduction, Präferenzbesteuerung etc.) als Hybridfälle einzustufen, wodurch sich die erfassten Fallgruppen ganz erheblich über hybride (also inkongruente) Strukturen hinaus ausweiten würden.



Wann genau gilt Einkommen als qualifiziert steuerlich „berücksichtigt“, so dass kein Aufgriff unter den Hybridregelungen erfolgen muss: unzweifelhaft erscheint die reguläre, volle Erfassung zu „normalen“ Steuersätzen im anderen Staat. Aber neben den Fragen von zB Vorzugssätzen oder Teilbefreiungen (wie es gerade bzgl. der Besteuerung von Dividenden häufig vorkommt) oder besonders umfassender Anrechnungsmöglichkeiten stellen sich auch Fragen, ob zB ein Einbezug im Rahmen einer im anderen Staat gegebenen Hinzurechnungsbesteuerung oder eine Erfassung im Rahmen von Sondersteuerregimen (wie zB USA GILTI) gleichfalls hinreichend wären.



Wie soll mit zeitlichen Differenzen (und wenn ja, für maximal welche Zeiträume) oder Wertunterschieden (zB unterschiedliche Transferpreisregelungen oder unterschiedliche Herangehensweisen für Unternehmensbewertungen usw.) umgegangen werden?

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen



Soll im Hinblick auf die Frage, ob hybride/inkongruente Strukturen oä. vorliegen, auf das ausländische „Soll“-Recht abgestellt werden (mit anderen Worten: was hat der Gesetzgeber gemeint zu regeln) oder soll es auf die tatsächliche Durchsetzung des Rechts (zB weiche Gesetzesanwendung, „mildes Steuerklima“ etc.) ankommen?



Darüber hinaus wird der Ausgestaltung der Beweislastregelungen eine besondere Bedeutung zukommen, mit anderen Worten: was ist nachzuweisen, wer hat das zu beweisen, wie ist es nachzuweisen, wann ist es nachzuweisen (Nachweispflichten, Beweislastverteilung).

2. Überblick ATAD 2-Regelungen Die nachfolgenden Darstellungen in Form von tabellarischen Übersichten geben einen Überblick über den Regelungsaufbau der ATAD 2. In Art. 2 Nr. 9 erfolgen umfangreiche Definitionen dessen, was zu hybriden Strukturen führen bzw. als hybrid gelten kann. Darauf aufbauend regelt dann Art. 9 für unterschiedliche Fallgruppen Hybrider die Rechtsfolgen („primäre und sekundäre Abwehrregeln“). In Ergänzung dazu und auch mit bestimmten Abweichungen zu den vorgenannten Grundsätzen sehen die Art. 9a und 9b eigenständige, weitere Regelungen10 vor. Asymmetrien werden dabei insbes. dadurch bekämpft, dass –

entweder Betriebsausgaben (gegen die allgemeinen Grundsätze) vom Abzug ausgeschlossen werden oder



grundsätzlich nicht steuerbare Einkünfte (gegen die allgemeinen Grundsätze) dennoch in die Besteuerung einzubeziehen sind.

10 Sowohl Art. 9a als auch Art. 9b definieren „neben“ Art. 2 Abs. 9 eigenständig „Hybride“ iSd. Richtlinie.

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3. Ausgewählte Kritik an den ATAD 2-Regelungen a) Konkurrenzprobleme Die Anti-Hybridregelungen werden erhebliche Eingriffe in das Steuersystem bewirken, ja an der einen oder anderen Stelle die Dinge geradezu „auf den Kopf stellen“. Je schärfer und umfassender dabei die Eingriffe in das bestehende System ausfallen werden, desto schwerer werden auch die sich daraus ergebenden Probleme aufgrund von Überschneidungen und Konkurrenzen zu anderen Normen und deren Wirkungen wiegen. Wesentliche Bereiche, in denen Konkurrenzprobleme zu erwarten sein dürften, sind –

Unionsrecht,



Verfassungsrecht,



DBA/MLI,



Quellensteuern,



andere Abzugsbeschränkungen, zB –

Zinsschranke In- und Ausland (ggf. nur temporäre Wirkung),



§ 4i (Verbot doppelter Sonderausgabenabzug),



§ 4j (Lizenzschranke),



Hinzurechnungsbesteuerung (In- und Ausland)

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen



Vorfahrtsregeln –

zwischen den ATAD-Regeln,



zwischen den Staaten.

Beispielhaft seien folgende Aspekte näher skizziert: aa) Verhältnis zu Quellensteuerregelungen Soweit unter ATAD II-Regelungen der Betriebsausgabenabzug an der Quelle (gegen die allgemeinen Grundsätze) versagt wird, bedeutet dies im Übrigen keine Umqualifikation der Einkünfte für das sonstige (nationale) Steuerrecht. In Konsequenz dessen wären ohne zusätzliche Regelungen insoweit zwar quellensteuerpflichtige Zahlungen vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen, gleichwohl wäre grundsätzlich dennoch und zusätzlich der Quellensteuereinbehalt vorzunehmen. bb) Verhältnis zur Zinsschranke Soweit ein Abzugsverbot unter einer Hybridregelung und zugleich auch die Zinsschranke eingreifen würde, stellt sich die Frage, welche der beiden Normen vorgeht. Da die Zinsschrankenregelung grundsätzlich den Zinsabzug nicht generell ausschließt, könnte dies dafür sprechen, dass die Hybridregelungen vorrangig zur Anwendung gelangen, da diese zu einem finalen Abzugsverbot führen und nicht nur den Aufschub des möglichen Betriebsausgabenabzugs in zukünftige Perioden vorsehen. Wenn man aber zB zunächst davon ausgeht, dass ein Zinsabzug zu gewähren sei (der dann Gegenstand eine Zinsschrankenregelung werden kann) und sich erst in späteren Perioden herausstellt, dass unter einer Hybridregelung final kein Zinsabzug zulässig war, so wäre dann nachträglich ein Zinsvortrag zu kürzen und insoweit eine Hybridregelung (Betriebsausgabenabzugsverbot) doch noch vorrangig zur Anwendung zu bringen. cc) Vorfahrtsregelungen zwischen den ATAD-Regeln und den Staaten Die ATAD-Regelungen sehen zB im Rahmen von importierten Hybriden-Strukturen (Art. 9 Abs. 3) vor, dass ein bestimmter Staat nur dann eine Abwehrmaßnahme ergreifen soll, wenn kein anderer in eine (mehrstöckige) Strukturierung involvierter Staat bereits ein entsprechendes Abzugsverbot umgesetzt hat: reicht hierfür der Erlass eines entsprechenden Gesetzes oder muss konkret der Betriebsausgabenabzug in einem rechtskräftigen und nicht mehr änderbaren Steuerbescheid final versagt 554

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

worden sein? Dieses Beispiel zeigt, dass die steuerliche Reaktion (zB Betriebsausgabenabzugsverbot Ja/Nein) von dem Verhalten eines anderen Staats abhängt und davon, dass diese Information (rechtzeitig) bekannt ist. Wird erst nachträglich bekannt, dass auch ein zweiter Staat Maßnahmen ergriffen hat, stellt sich die Folgefrage, welcher Staat dann zurücktreten muss. Soweit grundsätzlich eine Reihenfolge festgelegt wurde (Primär- und Sekundärregelungen), sollte naturgemäß in dem Fall, dass beide Staaten tätig wurden, der Staat, der die Sekundärregelung umzusetzen hat, die zusätzlichen, nachteiligen Steuerfolgen seinerseits zurücknehmen müssen, da die Tatbestandsvoraussetzungen einer Sekundärmaßnahme dann nicht gegeben sind. Ob dies allerdings im Einzelfall dann tatsächlich stets geschieht, oder verfahrensrechtliche Probleme (rückwirkendes Ereignis bei verzögertem Aufgriff iSd. § 175 AO) vorliegen, erscheint nicht als gesichert. Weiterhin ergeben sich auch zwischen den unterschiedlichen Regelungen der ATAD 2 durchaus Überschneidungen, aufgrund derer man sich im Einzelfall die Frage stellen kann, welche der Normen nun (vorrangig) zur Anwendung gelangen sollen. dd) Verfassungsrecht Es erscheint aus Sicht der Steuerberatung diskussionswürdig, ob zB ein Abzugsverbot, das sich ausschließlich mit der Beseitigung von im Verhältnis zum Ausland gegebenen steuerlichen Inkongruenzen begründet, jedoch sich im Übrigen nicht mit einer Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeits- bzw. Nettoprinzip in Übereinstimmung bringen lässt, uneingeschränkt als verfassungsmäßig gelten kann, dies insbes. dann, wenn die Verhältnismäßigkeit als nicht mehr gewahrt anzusehen sein sollte (zB Abzugsverbot bereits/nur deshalb, da bestimmte Nachweise nicht oder nicht in der notwendigen Qualität [rechtzeitig] bereitgestellt werden konnten). Aus Sicht der Finanzverwaltung ist hierzu anzumerken, dass es sich im Zweifel um die Umsetzung einer EU-Richtlinie handelt und sich höchstens die Frage der Vereinbarkeit mit EU-Primärrecht stellen kann. b) Deformation des (deutschen) Steuerrechts Die Richtlinie enthält bestimmte Wahlrechte und faktische Spielräume, die die Staaten im Rahmen der Umsetzung wahrnehmen können. Damit stellt sich auch für Deutschland die Frage, wie die Umsetzung in Deutschland „im Detail“ erfolgen soll. Die ATAD 2-Richtlinie fordert zB verbindlich eine Anwendung der Regelungen grundsätzlich (mit Aus555

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

nahme so genannter strukturierter Gestaltungen) nur auf Körperschaften, die in der EU beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig sind. Folglich wäre es also ausreichend, entsprechende Verschärfungen nur im KStG vorzunehmen. Dem Vernehmen nach werden allerdings Regelungen angestrebt, die generell Einfluss auf die Einkünfteermittlung haben sollen. Ansonsten wäre es aus Sicht der Finanzverwaltung möglich, zB mittels vorgeschalteter Personengesellschaften weiterhin hybride Strukturen zu gestalten. Auch die Wettbewerbsneutralität spricht für eine Zentralregelung im EStG. Mit anderen Worten: voraussichtlich werden entsprechende Änderungen im EStG umgesetzt, die dann auch in das KStG und darüber hinaus in das GewStG hineinwirken dürften. Ein wichtiges Grundsatzproblem der ATAD 2-Richtlinie betrifft die Vielzahl von hierdurch ausgelösten Eingriffen in das deutsche Steuersystem, die ausschließlich durch ausländische Besteuerungs- bzw. Qualifikationskonflikte induziert werden. Denn die Hybridregelungen reagieren auf bestimmte „Mismatches“, die aus im Vergleich zum Inland anders lautenden Steuerregeln im Ausland resultieren. Liegt ein solcher Mismatch vor, so werden die „normalen“ und damit vom Gesetzgeber als richtig angesehenen Regelungen (zB Betriebsausgabenabzug für dem Grunde und der Höhe nach vorliegende Betriebsausgaben ist zu gewähren) durch andere „eigentlich falsche“ (zB doch kein Abzug von dem Grunde und der Höhe nach zutreffend bemessenen Betriebsausgaben) ersetzt, um dadurch in einer Gesamtschau über mehrere Staaten und Stpfl. ein bestimmtes Gesamtergebnis zu erzielen. Hieraus resultiert eine Abkehr von den Grundsätzen der individuellen Besteuerung/Trennungsprinzip/Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und Hinwendung zu einer Gesamtbetrachtung von verbundenen Unternehmen (Besteuerung eines „Konzernergebnisses über die Grenze hinweg“). Unmittelbar folgt daraus die Frage, warum einerseits das (deutsche) Steuerrecht auch im Konzern verbundene Kapitalgesellschaften grundsätzlich streng getrennt besteuert und die Gewinnabgrenzungsregelungen in voller Härte greifen lässt, andererseits aber immer weiter gehende Tendenzen zeigt, Konzerne für eine Besteuerung als Ganzes zu begreifen (dies begann ua. mit den Konzernregelungen des § 4h EStG und wurde im Rahmen der Regelung des § 4j EStG fortgesetzt). Darüber hinaus stellt sich die steuerpolitische Grundsatzfrage, ob vor diesem Hintergrund eine möglichst enge oder umfassende Umsetzung erfolgen soll. Mit anderen Worten: wie viel Deformation des deutschen Steuerrechts einschließlich komplexer Beweis- und Beweislastfragen ist 556

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

uns dies wert? Wie weit wollen wir uns vom Ausland abhängig machen? Oder noch zugespitzter: kann es wirklich richtig sein, dass die Besteuerungsregelungen in Deutschland zB von der Abgabe einer Check the box-Erklärung in den USA abhängt?

IV. Analyse ausgewählter Abwehrregeln und Ausnahmen 1. Abzugsverbot hybride Finanzinstrumente

Hybrides Finanzinstrument EK

M

Zahlung D-GmbH FK

Die Regelungen der ATAD 2 zu hybriden Finanzinstrumenten sind in Art. 2 Abs. 9a, Art. 9 Abs. 2 wie folgt ausgestaltet: Wenn eine Zahlung im Rahmen eines Finanzinstruments zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung führt und die Inkongruenz auf Unterschieden bei der Einordnung des Instruments oder der geleisteten Zahlung basiert und diese Zahlung nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums11 berücksichtigt wird, dann gilt als –

Primärregelung: ein Abzugsverbot beim Zahlenden sowie als



Sekundärregelung: ein Einbezugsgebot bei dem Empfänger.

11 Die Zahlung muss dabei vom Steuergebiet des Zahlungsempfängers entweder in einem Steuerzeitraum berücksichtigt werden, der innerhalb von 12 Monaten nach Ende des Steuerzeitraums des Zahlers beginnt; oder es sei vernünftigerweise davon auszugehen, dass die Zahlung vom Steuergebiet des Zahlungsempfängers in einem künftigen Steuerzeitraum berücksichtigt wird und die Zahlungsbedingungen drittüblich sind.

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Nach der gegenwärtigen deutschen Rechtslage gilt bislang „nur“ die Sekundärregelung, ein Einbezug gem. § 8b Abs. 1 Satz 2 ff. KStG. Eine der ATAD 2 entsprechende primäre Regelung eines Abzugsverbots gibt es in Deutschland dagegen bislang nicht. Der sich hieraus ergebende Änderungsbedarf betrifft in Bezug auf diese Regelung (anders als andere Regelungen der ATAD-Richtlinie, die sich nicht auf bestimmte Arten von Aufwand beschränken) „nur“ Zinsen. Gem. der Richtlinie müsste das Abzugsverbot ab einer Beteiligung von 25 % greifen. Der in diesem Zusammenhang relevante Rechtsgedanke hat etwas Ähnlichkeit mit dem der Lizenzschranke (§ 4j EStG): der Abzug im Inland hängt von einer (hinreichenden) Besteuerung im Ausland ab. Allerdings gilt § 4j EStG –

nicht für Finanzinstrumente,



auch bereits partiell bei Minderbesteuerung und nicht nur bei Nichtbesteuerung (sozusagen stets nivellierend auf ein bestimmtes Zielniveau einer Steuerlast).

Damit ist die Regelung des § 4j EStG zwar erkennbar in einigen Belangen ähnlich, jedoch bei weitem nicht gleich. Nach Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 Buchst. a iVm. Abs. 3 Buchst. e und f ATAD gilt eine Zahlung im Rahmen eines Finanzinstruments insoweit nicht als berücksichtigt, als die Zahlungen für Steuerermäßigungen (Buchst. e) infrage kommen, die dann unter Buchst. f als Steuerbefreiung, Verringerung des Steuersatzes, Steuergutschrift oder Steuererstattung (mit Ausnahme einer Gutschrift für an der Quelle einbehaltene Steuern) definiert werden. Demgegenüber stellt der OECD/G 20-Bericht 2015 darauf ab, ob die Aufwendungen beim Zahlungsempfänger als „ordentliche Einnahmen“ besteuert werden, dh. als Einnahmen, die dem vollen Grenzsteuersatz ohne irgendeine Steuererleichterung unterliegen (Rz. 32). Ein niedrigerer Steuersatz ist unschädlich, wenn dieser generell für Finanzinstrumente gilt (Rz. 41). Hier wird jedoch abzuwarten sein, wie umfassend ein deutsches Umsetzungsgesetz formuliert sein wird, dh. ob es alle (aber auch nur die ggf. anteiligen) ungewollten Steuervorteile aufgrund eines hybriden Elements erfasst. Diesbezüglich sei auf den sich hierbei möglicherweise ergebenden, völlig anderen systematischen Grundansatz hingewiesen: die ATAD 2-Richtlinie versucht nur Fälle einer tatsächlichen Inkongruenz zu erfassen, dh. 558

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

systematisch grenzüberschreitend nicht aufeinander abgestimmte Steuerregeln oder Steuersysteme, die nur genau deshalb zu einer Nichtbesteuerung führen, in ihren Folgen zu korrigieren. Die Richtlinie möchte damit zB nicht den Wettbewerb der Steuersysteme, soweit dieser über Steuersätze ausgetragen wird, bekämpfen. Würde dagegen ein deutsches Umsetzungsgesetz nicht nur Fälle einer tatsächlichen Inkongruenz (aus systematischen Gründen entstehende Nichtbesteuerung bzw. Nichterfassung) bekämpfen, sondern darüber hinaus mit Regelungen, die an das Grundprinzip der Lizenzschranke erinnern, einen Export eines gewissen als angemessen empfunden Mindeststeuerniveaus praktizieren, wäre dies der offene Versuch, gegen den Wettbewerb der Steuersysteme hinsichtlich der freien Entscheidung über die Höhe der anwendbaren Steuersätze vorzugehen. In diesem Zusammenhang wird auch näher zu definieren sein, was als „Besteuerung“ iS der Regelung gilt (die Richtlinie spricht von „Berücksichtigung“12), die nachzuweisen ist. Die Formulierung dürfte wohl nahe an dem sein, was die Kommentierung bzgl. der Auslegung zu § 4i EStG entwickelt hat.13 Gem. § 4i Satz 2 EStG liegt nach Ansicht der Gesetzesbegründung14 eine tatsächliche Besteuerung der Erträge dann vor, wenn bzw. soweit die Erträge in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden.15 Keine tatsächliche Besteuerung sollte dagegen vorliegen, soweit der andere Staat die Erträge nicht besteuern kann, zB weil diese nicht steuerbar bzw. sachlich steuerbefreit sind oder der Stpfl. persönlich steuerbefreit ist, bzw. aus anderen Gründen eine tatsächliche Besteuerung unterbleibt. Auch zB eine Verlustminderung wird als Besteuerung angesehen. Die weitere entscheidende Frage geht dahin: „wer muss was nachweisen“, also wie wird die Beweislast zwischen Stpfl. und Verwaltung ver12 Die Definition der Richtlinien zu dem Begriff der „Berücksichtigung“ lautet: „‚Berücksichtigung‘ den Betrag, der für die steuerpflichtigen Einkünfte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers berücksichtigt wird. Eine Zahlung im Rahmen eines Finanzinstruments gilt insoweit nicht als berücksichtigt, als die Zahlung für Steuerermäßigungen infrage kommt, die einzig und allein der Art der Einordnung der Zahlung nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers zuzuschreiben sind. Der Begriff ‚berücksichtigt‘ ist entsprechend auszulegen;“ 13 Vgl. Wacker in Schmidt, EStG37, § 4i Rz. 62. 14 Vgl. BT-Drucks. 18/9956, 4. 15 So auch Wacker in Schmidt, EStG37, § 4i Rz. 15; Kanzler NWB 2017, 326.

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teilt sein, dies insbes. auch vor dem Hintergrund evtl. erhöhter Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten. Nach der Richtlinie sollten die Anforderungen jedenfalls in Bezug auf hybride Finanzinstrumente wohl nicht all zu hoch sein, spricht diese doch davon, dass „vernünftigerweise“ als Vermutungsniveau einer Besteuerung im anderen Staat ausreichen solle. Soweit den Stpfl. Nachweispflichten treffen sollten, werden sich ganz konkret auch Fragen dahingehend stellen, ob Nachweise des Stpfl. selbst ausreichen oder weitergehend Nachweise durch unabhängige Dritte als erforderlich gelten werden. Dies könnten zB Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer sein, es könnten aber genauso Nachweise der betreffenden ausländischen lokalen Finanzbehörden gut geeignet sein. Weiterhin könnten sich innerhalb der EU wohl auch der Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden bzw. Auskunftsersuchen zwischen den Staaten als hilfreich zur Verifizierung von Angaben erweisen. Darüber hinaus stellt sich die verfahrensrechtliche Frage, ab bzw. bis wann der Abzug vorgenommen werden darf: –

generell Abzug bis zum Nachweis einer Nichterfassung beim Empfänger oder



generell kein Abzug bis zum Nachweis einer Erfassung beim Empfänger?

Möchte man wiederum eine Parallele zu dem bereits geltenden § 4i EStG ziehen, so wird in Übereinstimmung mit dem Wortlaut zu dieser Vorschrift eine sehr restriktive Haltung geäußert: Die tatsächliche Besteuerung von Erträgen iSd. § 4i EStG im anderen Staat ist vom Stpfl. nachzuweisen. Solange die Nachweise nicht vollständig erbracht werden, bleibt der Abzug versagt.16 Damit trifft den Stpfl. neben der objektiven auch die subjektive Feststellungslast.17 Die erhöhten Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 2 AO sind ebenfalls zu beachten.18 Kann der Nachweis erst später erbracht werden, gilt dies als rückwirkendes Ereignis.19 Vor dem Hintergrund vorstehender Aspekte sei an dieser Stelle nochmals auf die hierdurch ausgelöste Deformation des Steuerrechts und die sich hieraus ergebenden Grundsatzfragen hingewiesen: 16 17 18 19

Vgl. BT-Drucks.18/9956, 4. Wacker in Schmidt, EStG37, § 4i Rz. 65. Vgl. BT-Drucks. 18/9956, 4; Wacker in Schmidt, EStG37, § 4i Rz. 17. Wacker in Schmidt, EStG37, § 4i Rz. 66 mwN. Der Nachweis sei als rückwirkendes Ereignis iSd. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO einzuordnen.

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Warum ist die Leistungsfähigkeit einer deutschen Rechtsperson durch die Nicht-Besteuerung eines ausländ. Zahlungsempfängers gesteigert?



Liegt eine nicht begründbare Durchbrechung des Trennungsprinzips vor (nicht mehr nur zutreffende Besteuerung der einzelnen Gesellschaft, sondern gerade der Verzicht auf diesen Grundsatz zugunsten einer Zusammenfassung mehrerer grenzüberschreitend verbundener Gesellschaften zu einer „steuerlichen Einheit“)?



Bedeutet dies den Eintritt in eine „Konzernbesteuerung“: nicht nur die deutsche Gesellschaft, sondern auch ausländische Konzerngesellschaften sollen wirtschaftlich im Inland besteuert werden?

2. Deduction/No inclusion (Art. 9 Abs. 2) Nachfolgende Abbildung zeigt als einführendes Beispiel zu der nächsten Fallgruppe die Lizenzstruktur eines US-amerikanischen Internetversandhauses20. Hierbei handelt es sich hinsichtlich der steuerlichen Einordnung eines Unternehmens (Lux 1) um eine hybride Struktur:

20 Pressemeldung Europäische Kommission v. 4.10.2017 (IP/17/3701).

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Während es sich aus Sicht des US Steuerrechts (linke Seite der Abbildung) aufgrund einer sogenannten „check the box-Election“21 um eine dreistöckige Kapitalgesellschaftsstruktur handelt, wird die Luxemburger Obergesellschaft nach lokalem Luxemburger Recht (rechte Seite der Abbildung) als eine transparente Personengesellschaft behandelt, deren Gewinne entsprechend nur bei den Gesellschaftern steuerpflichtig sind. Da diese Gesellschaft in Luxemburg weder über Geschäftsräume noch eigenes Personal verfügte, fehlte in Luxemburg ein Anknüpfungspunkt für eine beschränkte Steuerpflicht der nicht in Luxemburg ansässigen Gesellschafter. Dies führte dazu, dass die Lizenzzahlungen bei dem Zahlenden abzugsfähig waren, jedoch empfängerseitig einerseits nicht in Luxemburg der Besteuerung unterworfen wurden (mangels steuerlichen Anknüpfungspunkts – grundsätzlich systematisch zutreffend), andererseits aber auch die USA sich an einer Besteuerung (jedenfalls bis zum Zeitpunkt einer späteren Ausschüttung) der Gewinne der Lux 1 gehindert sahen, da diese aus Sicht des US-Steuerrechts als eigenständige, intransparente Körperschaft zu besteuern ist (Trennungsprinzip – aufgrund der check the box-election) und daher auch in den USA keine Besteuerung erfolgte.22 Die ATAD 2-Richtlinie greift solche Strukturen ua. mittels eines Abzugsverbots beim Zahlenden (hier Lux 2) auf (Art. 9 Abs. 2).23 Gemäß Art. 9 Abs. 2 soll im Fall einer hybriden Gestaltung, die zu einem Abzug bei gleichzeitiger steuerlicher Nichtberücksichtigung führt, als Primärregel ein Abzugsverbot in dem Mitgliedstaat des Zahlenden greifen. Als sekundäre (Abwehr-)Regel ist der Einbezug im Empfängerstaat vorgesehen24. 21 Lux 1 wird aus US-Sicht als Körperschaft behandelt, da es für US-Steuerrecht zulässig ist, wahlweise auch ausländische Personengesellschaften als Kapitalgesellschaften zu behandeln und umgekehrt (sog. „check the box-election“). 22 In der Vergangenheit (bis einschließlich 2017) handelte es sich dabei allerdings grundsätzlich nur um einen Steueraufschub, da eine tatsächliche spätere Dividende in die USA der regulären US-Besteuerung unterlegen hätte. Seit 2018 sind allerdings Dividenden aus ausländischen Tochtergesellschaften ab einer Beteiligungsquote von 10 % grundsätzlich auch in den USA steuerfrei gestellt. 23 Erst ab 1.1.2022 (Art. 9a) gilt auch ein Einbeziehungsgebot bei dem Empfänger (Lux KG) Nach den Erwägungsgründen (29) der Richtlinie soll ein Einbezug nach Art. 9a der Richtlinie vorgreiflich sein. 24 Hierbei ist jedoch beachtlich, dass diese Sekundärregel nicht zwingend umzusetzen ist (Gegenausnahme in Art. 9 Abs. 4), dh. für die Mitgliedstaaten be-

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

M

KG Keine Geschäftsräume Kein Personal

D-GmbH Zahlung an hybrides Unternehmen

Unter geltendem Recht verfügt Deutschland nur über eine der Sekundärregelung angenäherte Norm bzgl. eines Einbezugs (§ 50 Abs. 9 EStG). Hierdurch würden wohl einige, aber nicht alle relevanten Fallgruppen erfasst. Eine entsprechende Ausweitung wäre auch nicht zwingend, da das sekundäre Einbeziehungsgebot nur optionalen Charakter hat, und damit anders, als die meisten anderen Regelungen der Richtlinie, nicht zwingend umzusetzendes Recht darstellt (Art. 9 Abs. 4). Mit anderen Worten: der deutsche Steuergesetzgeber könnte insoweit, muss aber nicht tätig werden. Ein der Primärregel entsprechendes und zwingend umzusetzendes Abzugsverbot ist dagegen im deutschen Recht bislang nicht gegeben. Hieraus ergibt sich entsprechender gesetzgeberischer Handlungsbedarf, der grob wie folgt skizziert werden kann: –

Der Abzug im Inland wird von einer steuerlichen Erfassung der Einnahmen bei dem Empfänger abhängig gemacht, steht die Möglichkeit, den Einbeziehungszwang gem. Art. 9 Abs. 2 als Sekundärregel trotz Abzug beim Zahlenden auszuschließen.

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dabei verlangt die Richtlinie nur, dass überhaupt eine Einbeziehung bei dem Empfänger erfolgt, nicht jedoch zB wie hoch der darauf zu entrichtende Steuersatz bzw. die effektive Steuerlast sein muss.25



Das Abzugsverbot wäre nicht auf bestimmte Arten von Betriebsausgaben (zB Zinsen oder Lizenzen) zu beschränken, sondern erfasst jedwede Betriebsausgabe (womöglich auch nicht zahlungswirksame, wie zB Abschreibungen oder Rückstellungen), die aufgrund einer hybriden Struktur bei dem Empfänger nicht in die Besteuerung (voll) einbezogen werden.

Bzgl. Beweislast und weiterer Verfahrensfragen kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

3. Double Deduction (Art. 9 Abs. 1) Die Double Deduction Fälle unterscheiden sich von anderen Hybrid-Regelungen insbes. dadurch, dass gar keine klassische Hybridsituation („mismatch“) Tatbestandsmerkmal ist, sondern sich im Grundsatz die Tatbestandsvoraussetzung darin erschöpft, dass die gleiche Zahlung in zwei Staaten abzugsfähig ist. Unter dieser Maßgabe greift als Primärregel ein Abzugsverbot im Mitgliedstaat des Investors, als Sekundär- bzw. Abwehrregel ein Abzugsverbot im Mitgliedstaat des Zahlenden, so dass sich eine Zahlung im Ergebnis nur einmal steuerlich auswirkt. Eine Gegenausnahme dazu gilt allerdings dann (also doch doppelter Abzug der gleichen Zahlung in zwei Staaten), wenn der Abzug gegen Einkünfte erfolgt, die steuerlich gleichfalls doppelt berücksichtigt werden.26 In zeitlicher Hinsicht gilt dies gemäß der Richtlinie unabhängig davon, ob dies im laufenden oder einem späteren Steuerzeitraum erfolgt. Die Regelung ähnelt damit dem Grundgedanken des § 3c Abs. 1 EStG. Hiernach können Aufwendungen für steuerliche Zwecke nur abgezogen 25 In der deutschen Finanzverwaltung gibt es allerdings wohl darüber hinausgehende Überlegungen, den Abzug ggf. auch von einer der Höhe nach bestimmten Mindestbelastung abhängig zu machen (vgl. zB die Regelungstechnik des § 4j EStG). 26 In Bezug auf § 4i EStG kritisiert zB Wacker in Schmidt, EStG37, § 4i Rz. 60, dass diese Art der Regelung zu eng gefasst sein kann. Denn auch in Fällen, in denen keine Erträge vorliegen bzw. die Aufwendungen die Erträge übersteigen, kann eine Anwendung eines Abzugsverbots wie des § 4i EStG systemwidrig sein.

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werden, wenn auch die Einnahmen steuerpflichtig sind.27 Dieser Grundsatz wird durch Art. 9 Abs. 1 sozusagen grenzüberschreitend gespiegelt: nur wenn in beiden Staaten die steuerpflichtigen Einkünfte zu berücksichtigen28 sind, können auch die Aufwendungen in beiden Staaten abgezogen werden. Dieser Symmetriegrundsatz ist letztlich Ausdruck dessen, dass in Anrechnungssystemen bzw. Anrechnungssituationen die doppelte Berücksichtigung von Einnahmen und Ausgaben systemimmanent ist und daher keine zu bekämpfende steuerliche Besonderheit. Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht die Thematik:

In vorstehendem Beispiel wird eine sowohl für US Steuerzwecke als auch deutsche Steuerzwecke transparente KG von einer US Muttergesellschaft (Kapitalgesellschaft) gehalten. Die steuerlich transparente KG ist wiederum an einer im Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft beteiligt. Diese Kapitalgesellschaft zahlt Lizenzen an die deutsche KG. Weiterhin zahlt die KG aufgrund einer Kapitalüberlassung Zinsen, für die in Deutschland der Abzug begehrt wird. Darüber hinaus ist der Zins aufgrund der auch aus US-Steuersicht transparenten KG gleichfalls in den USA steuerlich abzugsfähig. Diese Struktur enthält keine (klassischen) hybriden Elemente: alle Gesellschaften sind in beiden Staaten jeweils entweder als transparent oder intransparent einzustufen. Gleichfalls sind die hier relevanten Instrumente, also die Lizenz- bzw. Zinszahlun27 Wobei allerdings nach der innerstaatlichen Norm zusätzlich ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ausgaben und steuerfreien Einnahmen für das Eingreifen des Abzugsverbots vorausgesetzt wird. 28 Also in die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Einkünfte eingehen. 29 CTB = „Check the Box“-Election.

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gen nach dem Recht aller relevanten Staaten entweder als Betriebsausgabe oder als Betriebseinnahme zu berücksichtigen. Obwohl damit im vorliegenden Fall Aufwendungen doppelt abgezogen werden, ist dies gleichwohl auf Basis der Richtlinie nicht aufzugreifen, da auch die Lizenzeinnahmen in beiden Staaten der regulären Besteuerung unterliegen. Im Ergebnis wird damit nur durch den korrespondierenden doppelten Abzug zur gleichfalls doppelten Erfassung der Einkünfte ein steuerlich symmetrisches Ergebnis erreicht und eine anderenfalls drohende Doppelbesteuerung vermieden. Weit problematischer werden die Fragestellungen, wenn anstelle von voll steuerpflichtigen steuerbefreite Einnahmen treten. In der nachfolgenden leicht variierten Fallgestaltung soll daher die KG anstelle von Lizenzen Dividenden von ihrer Tochter beziehen.

Während die Dividenden im Investorstaat USA in der Vergangenheit voll steuerpflichtig waren (Rechtslage USA bis Ende 201730), werden diese seit 2018 steuerfrei gestellt und sind auch nach deutschem Recht (wirtschaftlich zu 95 % effektiv, aber rein rechtlich gesehen zu 100 %) befreit. Es stellt sich damit die Frage, ob dem doppelten Zinsabzug auch hier eine doppelte Berücksichtigung der Einkünfte (Dividende) gegenüber steht, da diese nicht (mit ihrem vollen Betrag) für die steuerpflichtigen Einkünfte in Deutschland (und seit 2018 auch nicht mehr in den USA) berücksichtigt werden und, in welchem Staat ggf. das Abzugsverbot greifen würde. 30 Für nachstehende Überlegungen werden gleichwohl die beiden US-Regime (bis Ende 2017 und ab 2018) gegenübergestellt.

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Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

Unter der Primäregel müsste der Investorstaat (annahmegemäß USA) den Zinsabzug versagen. Die USA sind allerdings kein Mitgliedstaat der EU und dürften sich kaum durch die ATAD 2-Richtlinie gebunden fühlen. Damit stellt sich die Frage, ob nach der Sekundärregel in Deutschland womöglich der Betriebsausgabenabzug zu versagen wäre. Mögliche Gegenargumente könnten sein: die Dividenden sind dem Grunde nach zunächst steuerpflichtig und nur der Höhe nach zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung (Vorbelastung an der Quelle, Freistellung beim Empfänger, in Summe damit systemgerechte Einmalbelastung) nicht ein zweites Mal Gegenstand der Besteuerung; mit anderen Worten: Dividenden sind zwar rechtlich, aber nicht wirtschaftlich steuerfreie Einnahmen und daher von der Richtlinien-Regelung nicht erfasst. Soweit man allerdings davon ausginge, dass auch eine systemgerechte Dividendenfreistellung gem. § 8b Abs. 1 und 5 KStG iS der Richtlinie als nicht berücksichtigte31 Einkünfte gelten würden (was nach den definitorischen Grundsätzen so wohl zu verstehen sein könnte, Art. 2 Nr. 9 Abs. 3 Buchst. e – wenn auch zugleich erkennbar nicht zu in Deutschland gewollten Ergebnissen führt), so wäre dann Deutschland als Mitgliedstaat nach der Sekundärregelung der Richtlinie womöglich vorliegend verpflichtet, die Zinszahlungen in Deutschland vom Abzug auszuschließen.32

31 „Berücksichtigung“: den Betrag, der für die steuerpflichtigen Einkünfte nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers berücksichtigt wird. Eine Zahlung im Rahmen eines Finanzinstruments gilt insoweit nicht als berücksichtigt, als die Zahlung für Steuerermäßigungen infrage kommt, die einzig und allein der Art der Einordnung der Zahlung nach den Rechtsvorschriften des Steuergebiets des Zahlungsempfängers zuzuschreiben sind. Der Begriff ‚berücksichtigt‘ ist entsprechend auszulegen. 32 Für dieses sekundäre Abzugsverbot spräche die Verprobung mit dem Rechtsgedanken des § 3c Abs. 1 EStG. Auch nach dieser Norm könnte es zu einem Abzugsverbot kommen. Im geltenden deutschen Recht hat(te) man die Anwendung der Norm allerdings über den „Kunstgriff“ des § 8b Abs. 5 KStG „ausgehebelt“. Über die „Hintertür“ der ATAD 2-Richtlinie erlangt der Rechtsgedanke des § 3c Abs. 1 EStG aber nun ggf. doch auch im deutschen Körperschaftsteuersystem in entsprechenden Fällen (zweiter Abzug im Ausland) wieder Bedeutung.

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Double Deduction: US Inbound Erwerbsfinanzierung

Outbound-Fall ► LP USA nimmt zum Erwerb einer KapGes im Ausland ein Darlehen auf ► Zinsaufwand aus dem Darlehen ist in USA abzugsfähig ► LP USA ist aus deutscher Sicht lediglich vermögensverwaltend tätig ► Zinsaufwand der LP USA ist auf Ebene der XGmbH Deutschland grds. abzugsfähig = Double Dip ► Art. 9 Abs. 1 RL: Abzugsverbot in Deutschland („Investorstaat“) als Primär Regel

KapGes (Deutschland) Zinsaufwand

Bankdarlehen

LP USA

Zinsaufwand

Target KapGes (Ausland) Vorstehender weiterer Fall betrifft eine „klassische hybride US InboundFinanzierung“. In derartigen Strukturen werden auf der Ebene einer aus deutscher Sicht transparenten US-Gesellschaft Darlehen (zB von Dritten) aufgenommen. Die US-Gesellschaft wird gesellschaftsrechtlich als „Limited Partnership“ (vergleichbar zu einer deutschen KG) errichtet und verfügt idR über (fast) keine lokale Substanz iS einer festen Geschäftseinrichtung oä. Für US-Steuerzwecke wird im nächsten Schritt für diese Gesellschaft eine sogenannte check the box-election abgegeben, wodurch für US-Steuerzwecke diese Gesellschaft dann nicht mehr als transparent, sondern steuerlich vielmehr als intransparente Kapitalgesellschaft behandelt wird. In Konsequenz dessen wird der Zinsaufwand damit auch der durch Wahlrechtsausübung nur für US-Steuerzwecke fiktiv existent gewordenen Kapitalgesellschaft zugeordnet. Der Zinsaufwand kann dann unter den allgemeinen geltenden US-Steuerregelungen zB mit Gewinnen aus (US) Tochtergesellschaften, die Teil einer US Tax Group bilden, verrechnet werden. Aus deutscher steuerlicher Sicht handelt es sich bei der US-Limited Partnership ohne relevante US-Betriebsstätte entweder um eine in den USA betriebsstättenlose Mitunternehmerschaft, oder aber je nach Detailausgestaltung sogar nur um eine nur vermögensverwaltende Personengesellschaft. Insbesondere im Rahmen der Ausgestaltung als ver568

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

mögensverwaltende Personengesellschaft, für die dementsprechend (zutreffenderweise) für deutsches Steuerrecht keine Betriebsstätte in den USA angenommen wird, gilt keine DBA-Befreiung für ausländische unternehmerische Aktivität (Art. 5, 7 DBA USA), sondern die Aktivitäten sowie Gewinne und Verluste (Zinsaufwand) werden vielmehr unmittelbar dem in Deutschland ansässigen Gesellschafter zugerechnet (§ 39 AO). Im Ergebnis werden damit die Zinsen auch in Deutschland (nochmals) steuerlich abzugsfähig. Demgegenüber werden bezogene Dividenden aus den über die US-Limited Partnership gehaltenen Beteiligung gem. § 8b Abs. 1 KStG zu 100 % bzw. gem. § 8b Abs. 5 KStG effektiv zu 95 % steuerfrei vereinnahmt. Auch diese Fallkonstellation könnte durch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie getroffen werden. Die Frage geht allerdings dahin, ob hierdurch auch eine Verbesserung des Steueraufkommens in Deutschland erwartet wird, oder ob diese Regelung eher dem Steueraufkommen in den USA dienlich ist. Denn jedenfalls solange und soweit aus einem Zinsabzug in Deutschland im Vergleich zu den USA eine höhere Steuerminderung erzielt werden könnte (was aufgrund der tendenziell höheren Steuerbelastung in Deutschland denkbar sein könnte, auch nach Beachtung der nur 75 %-Abzugsfähigkeit für die Gewerbesteuer – § 8 Nr. 1 GewStG) spricht vieles dafür, dass durch das Verbot eines doppelten Abzugs sich der Aufwand den „besseren Wirt“ suchen wird, der im Zweifel dann Deutschland hieße. Mit anderen Worten: läuft man Gefahr, dass man in ein Abzugsverbot wegen „Double Deduction“ hinein läuft, so wird man aus steuerplanerischer Sicht darauf achten abzusichern, dass der Aufwand in dem Staat abzugsfähig bleibt, in dem sich eine höhere Steuerminderung ergibt. Aufgrund der gegenwärtigen Steuersatzsituation zwischen den USA und Deutschland wäre folglich wohl tendenziell der Abzug in Deutschland vorteilhafter. Um diesen zukünftig sicherzustellen, dürfte jedoch in den USA kein Abzug mehr begehrt werden; mit anderen Worten: das Aufkommen in Deutschland bleibt unverändert, das Steueraufkommen in den USA steigt dagegen an und eine Investition deutscher Unternehmen in den USA wird steuerlich aufgrund höherer Steuerbelastung in den USA weniger attraktiv bzw. wettbewerbsfähig. Neben diesen Grundsatzthemen stellen sich auch wichtige systematische Fragen, wie zB: muss es sich um die nämlichen, identischen Einkünfte handeln (zB Zinsen), oder reicht es aus, wenn der Höhe nach Einkünfte in beiden Staaten bei der Besteuerung berücksichtigt werden, zB Abfluss als Zins(aufwand), Besteuerung im Empfängerstaat als (voll) 569

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

steuerpflichtige Dividende oder zB auch im Rahmen einer Hinzurechnungsbesteuerung.

4. Umgekehrt hybride Gestaltungen (Art. 9a) Gegenstand dieser Sonderregelung sind „hybride Unternehmen“, an denen Nicht-Ansässige (gemeinsam) mindestens 50 % halten. Als „hybrides Unternehmen“ gilt ein Rechtsträger, der in einem Mitgliedstaat eingetragen oder niedergelassen ist und dort als transparent, im Investorstaat dagegen als intransparent gilt. Aufgrund dieser hybriden Ausgangslage erfolgt im Ansässigkeitsstaat (Mitgliedstaat) grundsätzlich keine Besteuerung, weil diese auf Ebene der nicht ansässigen Gesellschafter durchzuführen wäre. Im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter (Investoren) erfolgt jedoch gleichfalls keine Besteuerung, da der (hybride) Rechtsträger in jener Perspektive als intransparent gilt. Investor Sicht

MS Sicht

M

M

D “GmbH”

D KG

Deutschland

Zinsen

Lizenzen Dividenden

Zinsen

Lizenzen

Dividenden

Um die dadurch ausgelöste Nichtbesteuerung, (jedenfalls mindestens bis zu einer späteren Ausschüttung) zu beseitigen, ordnet Art. 9a an, 570

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

dass das grundsätzlich transparente Unternehmen im Mitgliedstaat als ansässig zu betrachten ist und die Einkünfte insoweit zu besteuern sind, wie diese Einkünfte nicht anderweitig besteuert werden.33 Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass Art. 9a nicht den im Übrigen in der Richtlinie definierten Begriff „berücksichtigt“34 nutzt, sondern davon spricht, dass die Einkünfte insoweit „besteuert“ werden sollen (Rechtsfolgeanordnung), wie diese nicht anderweitig „besteuert“ werden (Tatbestandsvoraussetzung). Während die im Übrigen im Rahmen der ATAD 2 relevante Definition des Begriffs „berücksichtigt“ wohl so zu verstehen ist, dass die betreffenden Einkünfte in die Bemessungsgrundlage der tatsächlich steuerpflichtigen Einkünfte (voll) eingehen (und damit auch Regelungen wie zB § 8b KStG wohl zu unberücksichtigten Einkünften führen könnten), stellt sich die Frage, ob die Verwendung des abweichenden Begriffs „besteuert“ anders bzw. weiter zu verstehen sein könnte. Klar dürfte sein, dass es an einer Besteuerung jedenfalls dann mangelt, wenn es zu überhaupt keiner Erfassung kommt, etwa aufgrund einer fehlenden beschränkten Steuerpflicht (zB § 49 Abs. 1 EStG im Fall einer mangelnden Zuordnung zu einer inländischen Betriebsstätte und/ oder Abkommenschutz unter einem DBA). Auch Zugriffe unter ausländischen Außensteuerregeln könnten relevant sein: Seit der US-Steuerreform (2018) sind zwar Dividenden in den USA bei Bezug durch eine Kapitalgesellschaft ab einer 10 %-Beteiligung voll befreit. Gleichwohl könnten die Einkünfte auch in Zukunft dennoch einer gewissen US-Besteuerung unterliegen, da „Übergewinne“ in aus USSicht ausländischen Unternehmen, die über einen pauschaliert ermittelten Routinegewinn hinausgehen, anteilig in die US-Besteuerung einbezogen werden (sog. GILTI35). Womöglich würde auch insoweit der Wortlaut der Richtlinie den Schluss zulassen, dass eine Besteuerung erfolgt und damit der Mitgliedstaat keinem Einbeziehungszwang unterliegt.36 33 Entweder im Mitgliedstaat oder in einem anderen Steuergebiet. 34 Berücksichtigt: ein Betrag, der für die steuerpflichtigen Einkünfte berücksichtigt wird. 35 Einen kurzen Überblick zu den Kernbegriffen, deren Bedeutung und Wirkweise der großen US-Steuerreform geben zB Ehlermann/Köhler, ISR 2018, 37. 36 In diesem Zusammenhang dürfte nicht unentscheidend sein, ob es sich um die nämlichen Einkünfte handeln muss (Beispiel: der umgekehrt hybride Rechtsträger hat Zinsen bezogen, bei „Weiterausschüttung“ in den Ansässigkeitsstaat des Investors werden dort aber nicht Zinsen, sondern Dividenden der Besteuerung unterworfen), oder ob es ausreicht, dass der Höhe nach eine

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Die Einbeziehungspflicht gem. Art. 9a wird in echtes gesetzgeberisches Neuland und zu relativ weitgehenden Ausnahmen bzw. Durchbrechungen geltender Grundprinzipien des deutschen Steuerrechts führen.37 Denn bei näherer Betrachtung der Richtlinie stellt man fest, dass es nicht einfach nur um den Einbezug der Einkünfte in die Besteuerung im Mitgliedstaat geht,38 sondern dass vielmehr darüber hinaus angeordnet wird, dass das hybride Unternehmen selbst als ansässig zu betrachten ist und eine Besteuerung der Einkünfte bei diesem hybriden Unternehmen erfolgen soll. Dies muss wohl dahingehend verstanden werden, dass Personenunternehmen (insoweit) als Körperschaften zu behandeln und anderenfalls unbesteuerte Einkünfte in Deutschland der Körperschaftsteuer (und Gewerbesteuer?) zu unterwerfen wären. Die Richtlinie ordnet nur den Einbezug anderweitig nicht besteuerter Einkünfte an. Wie mit der Einkommensquelle selbst umzugehen ist, wird nicht (ausdrücklich) geregelt. Hieraus könnte man einerseits schließen, dass das Stammrecht (zB Kapitalforderungen, Gesellschaftsanteile, immaterielle Vermögensgegenstände usw.) nicht von der Einbeziehung umfasst werden. Da allerdings die Richtlinie den Einbezug aller anderweitig nicht besteuerter Einkünfte anordnet, würde dies wohl letztendlich auch Gewinne aus der Wertsteigerung der die Einkünfte generierenden Wirtschaftsgüter selbst umfassen.39 Erfassung der Einkünfte erfolgt. Wenn und soweit man als systemtragende Voraussetzung unterstellt, dass nur Fälle der Minder- oder Nichtbesteuerung aufgrund von Inkongruenzen die Abwehrregeln der Hybriden auslösen sollen, so spricht dies jedenfalls dafür, dass es nicht darauf ankommt dass es „formell“ die nämlichen Einkünfte sind, die einer Besteuerung unterworfen werden, sondern dass der Höhe nach die betreffenden Einkünfte einer Besteuerung zugeführt werden (mit anderen Worten, auf das vorstehende Beispiel zurückkommend: ob die Einkünfte im Investorstaat als Zinsen oder Dividenden besteuert werden, kann dahingestellt bleiben, entscheidend ist, dass es im Investorstaat zur Besteuerung dieser Einkünfte der Höhe nach gekommen ist – unabhängig davon, ob als Zinsen oder Dividenden). 37 Eine generelle Gegenausnahme von der Einbeziehungspflicht im Mitgliedstaat besteht nur für Organismen der gemeinsamen Anlage (Anlagefonds oder Anlageinstrumente, die sich im Streubesitz befinden, einen diversifizierten Wertpapierbestand aufweisen und im Land der Niederlassung einer Regulierung für den Anlegerschutz unterliegen). 38 Ausweitung der beschränkten Steuerpflicht gem. § 49 EStG iVm. einem „treaty override“. 39 Veräußerungsgewinne, (verdeckte) Einlagen, Tausch, verdeckte Ausschüttung etc.

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Der deutsche Gesetzgeber könnte insoweit auch auf die Empfehlungen 5.1 und 5.2 des OECD/G 20-Berichts zurückgreifen, wonach insbes. eine Verbesserung innerstaatlicher Regelungen erfolgen soll. Dies wäre idR zumindest die Ergänzung des § 49 EStG um einen Auffangtatbestand für diese Fälle. Denn im Ergebnis sehen Empfehlung 5.2 des OECD/G 20-Berichts 2015 und Art. 9a ATAD vor, dass ein umgekehrt hybrider Rechtsträger im Gründungsstaat wie ein Steuersubjekt behandelt wird und Erträge des umgekehrt hybriden Rechtsträgers insoweit besteuert werden, als diese anderenfalls weder im Gründungsstaat noch in einem anderen Staat einer tatsächlichen Besteuerung unterliegen. Es dürfte allerdings auch nicht ausgeschlossen sein, dass unter Beibehaltung der Besteuerungssystematik des Ansässigkeitsstaats Deutschland bei den Gesellschaftern der transparenten Gesellschaft die steuerliche Erfassung erfolgt. Eine weitere, wohl noch weitgehend ungeklärte Frage betrifft die Beendigung der Hybridsituation. Kommt es zB im Investorstaat zu einer Rechtsänderung, aufgrund der die hybriden Gestaltungen durch eine Qualifikationsverkettung40 aufgehoben oder zB eine ggf. erfolgte Check the box-Option nach der Bindungszeit von 5 Jahren widerrufen und dadurch der hybride Rechtsträger für beide Rechtsordnungen transparent wird, stellt sich die Folgefrage, ob in diesem Fall Deutschland eine Entstrickungsbesteuerung durchführen dürfte: Denn in dem Moment, in dem der Investorstaat den transparenten Rechtsträger gleichfalls als transparent ansieht, fehlt es bereits an einer Situation, die den unsystematischen Steuerzugriff durch den Mitgliedstaat noch legitimieren würde. Die „Lücke“ im Besteuerungssystem ist durch Wegfall des Qualifikationskonflikts geschlossen. Diese Überlegungen machen deutlich, wie sehr damit das Steuerrecht eines Mitgliedstaats von dem Steuerrecht anderer (Dritt-)Staaten und dem Verhalten der dort ansässigen Stpfl. abhängt.

5. Importierte Hybride (Art. 9 Abs. 3) Bei sog. importierten Inkongruenzen werden die Auswirkungen einer hybriden Gestaltung zwischen Parteien in Drittländern unter Verwendung eines nicht hybriden Instruments in die EU hinein verlagert, wodurch die Anti-Hybrid-Regelungen der Richtlinie unterlaufen würden, wenn in ei40 Was im Investitionsstaat als transparent gilt, gilt auch im Investorstaat als transparent.

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nem Mitgliedstaat abzugsfähige Zahlungen (mittelbar) in eine hybride Gestaltung zwischen Drittstaaten fließen. Entsprechend sah es der Richtliniengeber als notwendig an, ein Abzugsverbot auch für derartige Fälle vorzusehen.

Drittstaat

M Hybrid

Drittstaat

FinCo Darlehen

Deutschland

D GmbH Kein hybrides Instrument im Verhältnis zu einem Mitgliedsstaat

Dahersoll ein Mitgliedsstaat den Abzug einer Zahlung insoweit verweigern, als diese direkt oder indirekt in abzugsfähige Aufwendungen fließt, die zu einer hybriden Gestaltung durch eine Transaktion oder eine Reihe von Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen oder als Teil einer strukturierten Gestaltung führen. Das Abzugsverbot entfällt jedoch, wenn in einem der von den Transaktionen betroffenen Staaten eine „gleichwertige Anpassung“ auf die schädliche hybride Gestaltung vorgenommen wird. Die praktischen Auswirkungen der Regelungen zu den importierten Hybriden könnten uU sehr erheblich sein. Dies deshalb, da die Richtlinie im Prinzip keinerlei Einschränkungen macht, die eine zielgerichtete (eingeschränkte) Umsetzung in nationales Gesetz zuließe. Vielmehr ist im Grundsatz jede konzerninterne Zahlung, die ein Unternehmen macht und die zu einem steuerlichen Abzug führt, betroffen. Denn im Prinzip kann jede Zahlung direkt oder indirekt in eine hybride Gestal574

Rupp/Köhler, Umsetzung der ATAD 2 – Hybride Strukturen

tung führen oder aber auch Teil einer strukturierten Gestaltung auch mit fremden Dritten sein. Jedenfalls alle im EU-Raum getätigten aufwandswirksamen Zahlungen in den Konzern hinein dürften damit unter einer Art Generalverdacht stehen. Auch Zahlungen an solche fremde Dritte, die dafür bekannt sind oder im Verdacht stehen, strukturierte Gestaltungen (Art. 2 Nr. 11) – noch – anzubieten, dürften besonderer Aufmerksamkeit unterliegen. Im Grundsatz verlangt die Regelung damit (eigentlich), dass alle Zahlungen und Aufwandsverrechnungen im Konzern darauf zu prüfen wären, ob diese „irgendwo auf der Welt“ in eine hybride Gestaltung hineinlaufen. Entscheiden wird damit sein, mit welcher „Verbindung“ der deutsche Gesetzgeber die Empfehlung 8 des OECD/G 20-Berichts 2015, Empfehlung 5 des Hybrid branch-Berichts 2017 sowie Art. 9 Abs. 3 ATAD umsetzt. Denn hier greift ein Betriebsausgabenabzugsverbot für Aufwendungen, die nicht unmittelbar zu einer Besteuerungsinkongruenz (zB Darlehen) führen, aber über eine Reihe von Transaktionen eine zwischen anderen Staaten bestehende Besteuerungsinkongruenz ins Inland verlagern. Es muss eine Verbindung zwischen der Transaktion des Stpfl. und den Aufwendungen aus Transaktionen zwischen Personen in anderen Staaten bestehen, die zu einer Besteuerungsinkongruenz führen (hybride Aufwendungen). Dies ist bei einer durchgeleiteten Refinanzierung sicherlich der Fall. Fraglich ist allerdings, welche sonstige unmittelbare oder mittelbare betragsmäßige Verkettung der hybriden Aufwendungen mit den Erträgen aus der Transaktion des Stpfl. noch in den Anwendungsbereich fallen, denn Geld bzw. Betriebsausgaben sind nun einmal nicht „angestrichen“. Grenzwertig könnten hieraus womöglich auch multiple Abzugsverbote resultieren: Ist ein Konzern zB in allen EU-Staaten tätig und darüber hinaus auch in Drittstaaten, könnte bzw. müsste womöglich bei dem (vermeintlichen) Vorliegen nur einer hybriden Gestaltung in einen Drittstaat jeder der EU-Staaten (zunächst) ein Abzugsverbot vornehmen. Zwar soll bei dem Vorliegen einer gleichwertigen Anpassung durch einen anderen Staat kein weiteres Abzugsverbot greifen, jedoch stellt sich auch hier die Frage nach der „Vorfahrtsregel“. Bislang kennt Deutschland keine entsprechende Regelung, die ein so weitgehendes und auch noch indirektes Korrespondenzprinzip vorsieht. Dabei dürften hier die Regelungen zu den Beweismitteln und der Beweislastverteilung nochmals größere Bedeutung als in anderen Fallgrup575

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pen besitzen. Im Hinblick auf die Praxis in der Betriebsprüfung wäre womöglich auch noch zusätzlich danach zu unterscheiden sein, wer rein rechtlich die Nachweispflicht trägt und inwieweit es der Finanzverwaltung gelingt, durch Unterstellungen, Behauptungen und Vermutungen eine faktische Umkehr der Beweislast zu bewirken. Dies kann den Stpfl. ggf. in einen Beweisnotstand treiben, da es bekanntlich schwerfällt, den Nachweis darüber zu führen, dass es etwas nicht gibt (im gesamten Konzern keine hybride Gestaltung oder strukturierte Gestaltung und/oder den Nachweis darüber, dass keine Zahlung direkt oder indirekt im Fall des Bestehens einer hybriden Gestaltung in eine solche hybride Struktur direkt oder indirekt hineinfließt). Auch der Nachweis, ob bereits in einem anderen Steuergebiet eine „gleichwertige Anpassung“ dem Grunde und der Höhe nach vorgenommen wurde, dürfte nicht in jedem Einzelfall einfach sein. Weiterhin stellt sich hier die Frage nach der Reihenfolge. Für den Fall, dass mehrere Staaten wegen einer einzigen hybriden Gestaltung ein Abzugsgebot aussprechen, wäre zum einen wohl durch die Staaten zu prüfen, wie hoch die Auswirkungen aus dem hybriden Instrument im Drittstaat sind, und nur dann, wenn die Gegenkorrekturen mehrerer Staaten gemeinsam die Auswirkungen der hybriden Gestaltung übersteigen würden, bestünde wohl im Grundsatz das Gebot, ein „mehrstaatliches“ Abzugsverbot zurückzunehmen. Hierfür müsste aber die hybride Gestaltung und die Höhe ihrer Auswirkungen vollständig transparent offengelegt werden. Weiterhin mag sich im Fall eines mehrstaatlichen Abzugsverbots ein Staat auf den Standpunkt stellen, dass der betreffende Staat „zuerst“ das Abzugsverbot ausgesprochen hätte und daher die anderen Staaten (jeweils) das Abzugsverbot zurücknehmen müssten. Weiterhin erscheint jedenfalls aus fiskalischer Sicht auch noch die Diskussion denkbar, ob der Höhe nach die Strukturen nur dann voll erfasst seien, wenn dies auch der Höhe nach umfassend erfolgt ist (dh. nicht nur bzgl. der Bemessungsgrundlage, sondern auch bzgl. der Höhe des angewandten Steuersatzes).

V. Zusammenfassung Die vorstehende Diskussion der grundsätzlichen Wirkungen sowie ausgewählter Regelungen der ATAD 2-Richtlinie zeigen, wie umfassend und weitgehend mögliche Eingriffe in das deutsche Steuerrecht ausfallen und zu erheblichen Deformationen des Steuersystems führen könnten. Insbesondere Art, Umfang und Ausgestaltung von Beweislastrege576

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lungen dürften großen Einfluss auf die Relevanz dieser Besteuerungsregelungen nehmen. Denn käme es zu einer flächendeckenden Beweislast (-Umkehr) zu Lasten der Unternehmen, wie bereits heute in § 4i EStG der Fall, so wäre in weiten Bereichen ein Betriebsausgabenabzug von der Erfüllung umfangreicher und womöglich im Einzelfall kaum abschließend leistbarer Nachweise über Art, Umfang und Höhe der Besteuerung von Zahlungen beim Empfänger abhängig. Entsprechend dringend erscheint es, die Regelungen mit Augenmaß umzusetzen. Für die deutschen Unternehmen drohen hieraus mindestens erhebliche administrative Mehrbelastungen, beginnend bei der Beweisvorsorge, erschwerte Betriebsprüfungen im In- und EU-Ausland sowie ggf. (noch) mehr Rechtsstreitigkeiten und Doppelbesteuerungsfälle.41 Steuerpolitik ist immer auch Standortpolitik. Die Stpfl. sind aufgerufen, ihren fairen Beitrag zum Gemeinwesen beizutragen. Dies entbindet den Staat aber seinerseits nicht davon, gleichfalls für eine faire und ausgewogene Besteuerung zu sorgen. Eine unnötig scharfe Umsetzung der ATAD 2-Richtlinie stellte hierfür keinen Beitrag dar.

41 Diese dürften zumindest teilweise auch darauf beruhen, dass Betriebsprüfungen in Zweifelsfällen lieber gegen den Stpfl. entscheiden und mutmaßlich an der einen oder anderen Stelle eher „einmal zu viel als zu wenig“ von den neu eingeführten Abzugsverboten oder Einbeziehungsgeboten Gebrauch machen wollen.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht Prof. Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH1, München I. Einleitung II. Wirkungen der Organschaft 1. Berichtsgegenstand 2. Organschaft in der Landwirtschaft a) Leitsatz und Sachverhalt b) Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 UStG c) Zu den Wirkungen der Organschaft d) Tätigkeit der Organgesellschaft wird Organträger zugeordnet e) Wirkungen in der Landwirtschaft f) Weiteres Argument: Umsatzbezogene Auslegung der Rechtsgrundlage g) Rechtsform des Organträgers entscheidend 3. Organschaft und Margenbesteuerung a) Leitsatz b) Sachverhalt c) Voraussetzung der Margenbesteuerung d) Wirkungen der Organschaft in die Margenbesteuerung e) Einheitliche Leistung statt Unterscheidung von Hauptund Nebenleistung III. Vorsteueraufteilung nach Nutzungsanteilen

1. Leitsatz 2. Sachverhalt: Privatschule errichtet Sportanlagen – Vorsteuer in der Planungs- und Nutzungsphase 3. Entscheidung des V. Senats des BFH a) Problemstellung b) Keine Frage der Zuordnung – zuordenbar ist nur eine nichtwirtschaftliche, private Tätigkeit c) Rechtsgrundlagen für die Vorsteueraufteilung d) Richtlinienkonforme Auslegung des § 15 Abs. 4 UStG e) Präzision der wirtschaftlichen Zuordnung nach Nutzungszeiten f) Tatsächliche Nutzungszeiten entscheidend g) Indizien IV. Die EuGH-Entscheidung Gmina Ryjewo 1. Fragestellung 2. Der Sachverhalt: Gemeinde baut Kulturhaus 3. Die Lösung der Generalanwältin: Nachträgliche Zuordnungsmöglichkeit a) Argumentationsgang b) Nachträgliche Zuordnung durch Einlage – Einstieg in die Einlageentsteuerung

1 Der Autor ist Vorsitzender des V. Senats des Bundesfinanzhofs und Honorarprofessor an der Ruprecht Karls Universität in Heidelberg. Er hat diesen Beitrag nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht c) Hilfsargument: Das Handeln als Steuerpflichtiger 4. Die Lösung des Gerichtshofs in Kontinuität seiner Rechtsprechung a) Überblick b) Die Indizienwürdigung c) Folgen des Urteils d) „Konservative“ Interpretation zunächst geboten e) Auswirkungen, dargestellt an einem Fall

V. EuGH-Nachfolge: Änderung der Rechtsprechung zu den Rechnungsanforderungen in § 14 Abs. 4 UStG 1. Bedeutung 2. Sachverhalt 3. Die Auswirkungen von EuGH Geissel und Butin 4. Sustance over Form – Materielles Recht sticht Formerfordernisse

I. Einleitung Wenn wir uns mit einigen Höhepunkten der Rspr. zum Umsatzsteuerrecht beschäftigen wollen, werden wir uns an der Struktur des Gesetzes orientieren. Zur Person des Stpfl. interessieren zwei neue und grundlegende Entscheidungen zur Organschaft (II.). Vorsteueraufteilung ist stets ein problematisches Thema. Mit einer neuen Aufteilungsmethode anhand von Zeitanteilen beschäftigt sich eine BFH-Entscheidung mit interessanten Folgerungen (III.). Das Thema der Zuordnung hat drei Dimensionen. Zunächst gibt es die wirtschaftliche Zurechnung bei der Vorsteueraufteilung, von der unter III. die Rede ist (§ 15 Abs. 4 UStG). Eine weitere Zurechnung betrifft die Warenbewegung im innergemeinschaftlichen Reihengeschäft.2 Sodann können Gegenstände dem Unternehmen zugeordnet werden, wenn sie auch privat genutzt werden. Hier muss der Unternehmer schnell reagieren und die Zuordnungsfrist einhalten. Aber das EuGH-Urteil Gmina Ryjewa wirft neue Fragen auf. Gelingt mit seinen Maßstäben der Einstieg in die „Entsteuerung“ von Einlagen? Davon soll unter IV. die Rede sein. Einige Fragen sind nun aber durch die Rspr. eindeutig beantwortet. Das betrifft die Rechnungsanforderungen in Bezug auf die postalische Anschrift. Hier liegen nun die Folgeentscheidungen nach EuGH Geissel und Butin vor (V).

2 Dazu Heuermann, DStR 2018, 2078.

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II. Wirkungen der Organschaft 1. Berichtsgegenstand Die Organschaft war das große Thema der Entscheidungen des V. Senats aus dem Dezember 2015,3 mit denen er seine Rspr. zu den Voraussetzungen der Organschaft an Rechtsentwicklungen im Unionsrecht angepasst und strukturiert hat. Die Finanzverwaltung ist dem im Wesentlichen gefolgt.4 Zwei wichtige neue Entscheidungen betreffen die Rechtsfolge der Organschaft, ihre Wirkungen hinein in die Pauschalbesteuerung der Landwirte und in die Differenzbesteuerung.

2. Organschaft in der Landwirtschaft a) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 10.8.20175 beschäftigt sich mit dem Einfluss der Organschaft auf die Durchschnittsbesteuerung: Ist der Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs Organträger, so unterliegen auch die Lieferungen der Erzeugnisse dieses Betriebs durch die Organgesellschaft der Besteuerung nach Durchschnittssätzen (§ 24 UStG). Dem liegt ein sehr einfacher Sachverhalt zugrunde: K ist Landwirt und baut Gemüse an. Zugleich ist er alleiniger GmbH-Geschäftsführer der K-GmbH. K veräußert das Gemüse an die GmbH. Diese wäscht, verpackt und verkauft es. Zwischen K und seiner GmbH besteht eine Organschaft. Denn K ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer der GmbH, die zudem beim Warenabsatz der vom Kläger erzeugten Produkte tätig ist, so dass die Eingliederungsvoraussetzungen in finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Art erfüllt sind. Fraglich war, ob die Umsätze der GmbH aus dem Verkauf des Gemüses der Durchschnittsbesteuerung nach § 24 UStG unterliegen.

3 Vgl. BFH v. 2.12.2015 – V R 25/13, BFHE 251, 534 = BStBl. II 2017, 547 = UR 2016, 185; v. 2.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158 = BStBl. II 2017, 533 = UR 2016, 192; v. 2.12.2015 – V R 67/14, BFHE 251, 547 = BStBl. II 2017, 560 = UR 2016, 199; v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467 = BStBl. II 2017, 597 = UR 2017, 178; v. 10.8.2016 – XI R 41/14, BFHE 255, 300 = BStBl. II 2017, 590 = UR 2017, 119. 4 Zu möglichen Entwicklungen vgl. Wäger, UR 2017, 664 ff. 5 BFH v. 10.8.2017 – V R 64/16, UR 2018, 20.

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b) Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 UStG § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG gilt für die im Rahmen der Landwirtschaft ausgeführten Umsätze. Hier wäre K ganz unstreitig zur Anwendung von § 24 Abs. 1 UStG berechtigt. Die Pauschalbesteuerung gilt nach der Entscheidung des BFH aber auch für die Umsätze, die die GmbH als Organgesellschaft des K mit seinen Erzeugnissen ausgeführt hat. c) Zu den Wirkungen der Organschaft Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Die durch das Gesetz angeordnete Unselbständigkeit der Organgesellschaft führt dazu, deren Tätigkeit dem Organträger zuzurechnen. Die Wirkungen der Organschaft beschränken sich nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen des Organkreises. Da indes diese Unternehmensteile als ein Unternehmen zu behandeln sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG), ist die Organschaft auch im Verhältnis zu Dritten von Bedeutung d) Tätigkeit der Organgesellschaft wird Organträger zugeordnet Die Organschaft bewirkt zudem nicht nur eine Zurechnung von Umsätzen, sondern beeinflusst auch die Höhe der für den Organträger entstehenden Steuer. –

So kommt es für den Vorsteuerabzug des Organträgers auf die Verhältnisse des gesamten Organkreises an. Bezieht der Organträger eine Leistung, die er an eine Organgesellschaft weitergibt, bestimmt sich der Vorsteuerabzug nach der Verwendung der Leistung bei der Organgesellschaft.



Einfluss auf die Qualifikation der durch den Organkreis erbrachten Umsätze: –

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Liefert der Organträger zB ein Grundstück, das durch die Organgesellschaft bebaut wird, führt die Behandlung als ein Unternehmen dazu, dass – ebenso wie wenn sich eine Person zur Lieferung eines noch zu bebauenden Grundstücks verpflichtet – eine einheitliche Leistung vorliegt.

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Ebenso führt die Übertragung eines an eine Organgesellschaft vermieteten Grundstücks auf den Organträger nicht zu einer Geschäftsveräußerung, da der Organträger umsatzsteuerrechtlich keine Vermietungstätigkeit fortsetzt, sondern das Grundstück im Rahmen seines Unternehmens selbst nutzt.6

e) Wirkungen in der Landwirtschaft Die organschaftliche Zusammenfassung von Organträger und Organgesellschaft führt folgerichtig auch im Anwendungsbereich von § 24 UStG dazu, dass Umsätze iS dieser Vorschrift auch dann vorliegen, wenn die landwirtschaftliche Erzeugertätigkeit und die Lieferung der so erzeugten Gegenstände durch unterschiedliche Unternehmen des Organkreises ausgeführt werden. Deshalb unterliegen auch die Umsätze der GmbH, die K als Organträger zugerechnet werden, der Durchschnittsbesteuerung nach § 24 UStG. f) Weiteres Argument: Umsatzbezogene Auslegung der Rechtsgrundlage Nach der Rspr. spricht für dieses Ergebnis auch, dass § 24 UStG umsatz-, nicht aber betriebsbezogen auszulegen ist. Denn nach dieser Vorschrift geht es um die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs „ausgeführten Umsätze“. Auch Art. 125 MwStSystRL erfasst die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftlicher Dienstleistungen.7 g) Rechtsform des Organträgers entscheidend Eine weitere Wirkung der Organschaft ergibt sich bei der Auslegung von § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG.8 Danach gilt ein Gewerbetrieb kraft Rechtsform nicht als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb. Hier ist die Organgesellschaft als GmbH ein Gewerbebetrieb kraft Rechtsform. Indes kommt es hierauf nicht an, sondern auf die Rechtsform des Organträgers: Die GmbH als Organgesellschaft ist aufgrund der organschaftli6 BFH v. 6.5.2010 – V R 26/09, BFHE 230, 256 = BStBl. II 2010, 1114 = UR 2010, 902, Leitsatz 3. 7 BFH v. 13.11.2013 – XI R 2/11, BFHE 243, 462 = BStBl. II 2014, 543 = UR 2014, 357, unter II.4.b.aa. 8 Vgl. zu unionsrechtlichen Zweifeln BFH v. 16.4.2008 – XI R 73/07, BFHE 221, 484 = BStBl. II 2009, 1024 = UR 2008, 632.

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chen Zusammenfassung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 und 3 UStG wie eine feste Niederlassung des K zu behandeln. K als Organträger hat aber die Rechtsform als Einzelunternehmer.

3. Organschaft und Margenbesteuerung a) Leitsatz Nach BFH v. 1.3.20189 bewirkt die organschaftliche Zusammenfassung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bei Anwendung des § 25 UStG, dass es sich nur bei den von Organgesellschaften mit eigenen Betriebsmitteln erbrachten Leistungen um Eigenleistungen handelt, während die durch Organgesellschaften von Dritten bezogenen Leistungen Reisevorleistungen sind, die in die Margenbesteuerung einzubeziehen sind. Diese Entscheidung entwickelt die 2017 gefundenen Maßstäbe fort. b) Sachverhalt K war gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Organträger mehrerer Organgesellschaften, ua. der A-GmbH und der Z-GmbH. Die A-GmbH erbrachte in den Streitjahren 2003–2005 Reiseleistungen, auf die K die Margenbesteuerung nach § 25 UStG anwendete. Dabei handelte es sich insbes. um Reiseleistungen mit Flugbeförderungen nach ausländischen Zielorten. Die Flugbeförderungen erwarb die A-GmbH zivilrechtlich von der Z-GmbH. Diese führte die Flugbeförderungen aus dem In- in das Ausland und zurück (Auslandsflüge) mit eigenen Personal- und Sachmitteln aus, schaltete aber in die Erbringung der inländischen Transfer- und Zubringerflüge (Inlandsflüge) andere Luftfahrtunternehmen ein. Mit anderen Worten: Die Organgesellschaft kaufte Flüge von Dritten ein. K ging davon aus, dass bei der Margenbesteuerung die gesamte Flugbeförderung nicht zu berücksichtigen sei, da es sich insgesamt um Eigenleistungen des Organkreises gehandelt habe. Anders das FA, das demgegenüber der Auffassung war, dass es sich bei den von der Z-GmbH zugekauften (Transfer- und Zubringer-)Flügen um Reisevorleistungen gehandelt habe. Dies führte zu einer Minderung der von K erklärten Eigenleistungen und zu einer Erhöhung der steuerpflichtigen Marge. Klage und Revision des Organträgers K hatten keinen Erfolg.

9 BFH v. 1.3.2018 – V R 23/17, BStBl. II 2018, 503 = UR 2018, 605.

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c) Voraussetzung der Margenbesteuerung Nach § 25 Abs. 3 UStG bemisst sich die sonstige Leistung bei der Margenbesteuerung nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. Die Umsatzsteuer gehört nicht zur Bemessungsgrundlage. Das ist unionsrechtlich fundiert; denn auch Art. 308 MwStSystRL bemisst die Steuer nach der Marge des Reisebüros, also nach der Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro durch die Inanspruchnahme von Lieferungen und Dienstleistungen anderer Stpfl. entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute kommen. d) Wirkungen der Organschaft in die Margenbesteuerung Der BFH bezieht auch die Leistungen in die Margenbesteuerung ein, die Organgesellschaften von Dritten bezogen haben. Das ergibt sich aus den oben schon beschriebenen Wirkungen der Organschaft. Wegen der gesetzlich angeordneten Unselbständigkeit der Organgesellschaft muss der Sachverhalt so gewürdigt werden, wie wenn der Organträger selbst die Reisevorleistungen bezieht. Die organschaftliche Zusammenfassung bewirkt also bei Anwendung des § 25 UStG, dass es sich nur bei den von Organgesellschaften mit eigenen Betriebsmitteln erbrachten Leistungen um Eigenleistungen handelt, während es sich bei den durch Organgesellschaften von Dritten bezogenen Leistungen um Reisevorleistungen handelt, die in die Margenbesteuerung einzubeziehen sind. Durch die innerorganschaftliche Weitergabe dieser Fremdleistungen kommt es nicht zu einer Umqualifizierung von Reisevorleistung in Eigenleistung. Das ist der Kernsatz der BFH-Entscheidung, und dieser Maßstab gilt auch für die Fremdleistungen, die die Z-GmbH von Dritten bezogen und innerorganschaftlich an eine andere Organgesellschaft, die A-GmbH, weitergegeben hat. e) Einheitliche Leistung statt Unterscheidung von Haupt- und Nebenleistung Auch die Frage, ob die zugekauften Inlandsflüge etwa Nebenleistungen zu den von der Organgesellschaft erbrachten Auslandsflügen sind, ist vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelungen in § 25 Abs. 1 Satz 3 UStG nicht entscheidend. Es handelt sich danach vielmehr um einheit587

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liche Reiseleistungen vom ersten inländischen Abflugort bis zum ausländischen Zielort und zurück.

III. Vorsteueraufteilung nach Nutzungsanteilen 1. Leitsatz Eine wichtige Entscheidung zur Vorsteueraufteilung betrifft eine Privatschule, die Schulsportanlagen vermietet. Nach BFH v. 26.4.201810 führt die Aufteilung der Vorsteuerbeträge bei einer zeitlich abwechselnden Nutzung desselben Gebäudes zu steuerfreien oder steuerpflichtigen Zwecken nach den Nutzungszeiten zu einer präziseren wirtschaftlichen Zurechnung nach § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG als die Aufteilung nach Umsätzen oder Flächen.

2. Sachverhalt: Privatschule errichtet Sportanlagen – Vorsteuer in der Planungs- und Nutzungsphase Der Sachverhalt betrifft den Umfang des Vorsteuerabzugs einer Privatschule für den Anbau einer Sporthalle und eines Sportplatzes, die teilweise für steuerfreie eigenschulische Zwecke und teilweise für steuerpflichtige Vermietungszwecke an Vereine genutzt wurden. K ist eine GmbH, die eine als gemeinnützig anerkannte staatlich genehmigte Ersatzschule betreibt. Sie bezieht von den Schülern Aufnahmeentgelte und laufendes Schulgeld. Am 19.12.2006 erteilte der Landkreis K die Genehmigung zum Anbau einer Sporthalle und eines Sportplatzes. Im Bauantrag ist ausgeführt: „Für die internationale Schule … soll eine Dreifachsporthalle errichtet werden, wobei die schulische Nutzung etwa bis 15 Uhr erfolgen soll. Danach ist eine gewerbliche und außerschulische Nutzung bis gegen 22 Uhr vorgesehen“. Anfang 2008 wurden der Sportplatz und die Sporthalle erstmalig verwendet. Im Zuge der Abgabe der Umsatzsteuererklärungen stritten K und das FA um die Aufteilung der Vorsteuer, die auf den Ausbau der Sportstätten entfiel. K teilte einen täglichen Zeitraum von 8.00 Uhr bis 22.00 Uhr in eine vorsteuerschädliche Nutzung durch die Schule von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr in den Schulzeiten und die gesamte verbleibende Zeit (15.00 Uhr bis 22.00 Uhr in der Schulzeit und 8.00 Uhr bis 22.00 Uhr an Wochenenden und in den Ferienzeiten) für die Vermietung auf. Das FA 10 BFH v. 26.4.2018 – V R 23/16, UR 2018, 807.

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vertrat zunächst die Rechtsauffassung, dass es für 2006 und 2007 an einer rechtzeitigen Zuordnungsentscheidung fehle und in der tatsächlichen Nutzung ab 2008 durch steuerpflichtige Vermietung eine Änderung der Verhältnisse iSv. § 15a UStG anzunehmen sei und gewährte den Vorsteuerabzug entsprechend den tatsächlichen Verwendungsverhältnissen im ersten Jahr von 6,6 % für den Sportplatz und 0,87 % für die Sporthalle. Im Einspruchsverfahren erkannte das FA einen anteiligen Vorsteuerabzug ausgehend von einer außerschulischen Auslastung von 70 % abzüglich der Zeiten für schulische Sonderveranstaltungen an, woraus sich insgesamt ein abziehbarer Vorsteueranteil von 55 % in allen Streitjahren ergab. Es sei nicht die abstrakt mögliche, sondern die realistisch zu erwartende Vermietungszeit zugrunde zu legen. Mit der Klage begehrte K eine Erhöhung von 55 % anerkannter Vorsteuern auf 76 %. Das FG (EFG 2016, 1032) wies die Klage ab. Der Vorsteuerabzug für die Zeiten der Planungs- und Bauphase (2006 und 2007) sei nach der beabsichtigten Nutzung zu beurteilen, wobei die spätere tatsächliche Verwendung als Indiz in Betracht zu ziehen sei. Das Jahr der erstmaligen Verwendung (2008) müsse als Anlaufphase bei Bemessung der Quote außer Betracht bleiben. Die Höhe des Vorsteuerabzugs müsse geschätzt werden, weil K keine Belegungspläne vorgelegt habe. In die Aufteilung gingen nur das Verhältnis der tatsächlichen Vermietungszeiten, nicht aber auch Leerstandszeiten ein. Die von K vorgenommene Aufteilung sei nicht sachgerecht, soweit sie die gesamten Leerstandszeiten der beabsichtigten steuerpflichtigen Nutzung zuordne, denn eine Vollauslastung außerhalb der Schulzeiten könne nicht erwartet werden.

3. Entscheidung des V. Senats des BFH a) Problemstellung In der Tat ging es in diesem Fall maßgebend darum, wie man die Leerstandszeiten verteilt. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Das FG hat danach zutreffend entschieden, dass die Klage nicht bereits wegen Versäumung der Zuordnungsfrist abzuweisen war. Bei der Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG ist es ebenfalls zutreffend von einer zeitanteiligen Aufteilung der (steuerfreien) Verwendung für eigene Schulzwecke sowie der (steuerpflichtigen) Nutzung durch Überlassung der Halle und des Sportplatzes an Vereine ausgegangen und hat die Schätzung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Höhe vorgenommen.

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b) Keine Frage der Zuordnung – zuordenbar ist nur eine nichtwirtschaftliche, private Tätigkeit Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Die Frage der Versäumung der Zuordnungsfrist stellt sich hier aber nicht. Eine Zuordnungsentscheidung ist nur zu treffen, wenn es sich bei der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit um den Sonderfall einer Entnahme für private Zwecke (Art. 16 MwStSystRL) handelt.11 Vorliegend erbringt K eine insgesamt wirtschaftliche Tätigkeit, bei der die Überlassung der Halle und des Sportplatzes einer als Ersatzschule anerkannten Schule an ihre Schüler nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. aa UStG steuerfrei ist, während die entgeltliche stundenweise Überlassung an Vereine keine nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfreie Grundstücksvermietung, sondern steuerpflichtig ist.12 c) Rechtsgrundlagen für die Vorsteueraufteilung Nach der BFH-Entscheidung müssen die Vorsteuerbeträge anhand der Nutzungszeiten aufgeteilt werden. Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist gem. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln. § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG regelt schließlich für die seit dem 1.1.2004 bezogenen Eingangsleistungen, dass eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig ist, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.

11 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BFHE 259, 380 = UR 2018, 170, mwN. 12 BFH v. 31.5.2001 – V R 97/98, BFHE 194, 555 = BStBl. II 2001, 658 = UStB 2001, 264; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFHE 235, 554 = BStBl. II 2017, 869 = UR 2012, 272.

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d) Richtlinienkonforme Auslegung des § 15 Abs. 4 UStG § 15 Abs. 4 UStG ist unionsrechtskonform auszulegen. Satz 1 der Vorschrift schreibt eine Aufteilung nach wirtschaftlicher Zurechnung vor. Unionsrechtlich ist die Vorsteueraufteilung zwar nach den Gesamtumsätzen des Unternehmens gem. Art. 173 Abs. 1 MwStSystRL als Methode wirtschaftlicher Zurechnung iSv. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG anzuerkennen.13 Die Mitgliedstaaten können aber eine andere Berechnungsmethode anwenden, wenn sich dieser Aufteilungsschlüssel auf einen „bestimmten Umsatz“ bezieht und die herangezogene Methode eine „präzisere Bestimmung“ des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs als die Bestimmung anhand der Umsatzmethode gewährleistet.14 Dementsprechend ist § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG unionsrechtskonform auszulegen: Eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist nur zulässig, wenn keine andere – präzisere – wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.15 e) Präzision der wirtschaftlichen Zuordnung nach Nutzungszeiten Bei einer zeitlich abwechselnden Nutzung desselben Gebäudes zu steuerfreien oder steuerpflichtigen Zwecken führt die Aufteilung der Vorsteuern nach den Nutzungszeiten zu einer präziseren wirtschaftlichen Zurechnung als zB die Zuschreibung nach Flächen oder Umsätzen. In den unterschiedlichen Nutzungszeiten drückt sich nämlich die Zuordnung des Gebäudes zu den mit ihm ausgeführten Umsätzen aus. Diese Zuordnung ist damit verwendungsbezogen16 und führt in größerem Maße zu sachgerechten Ergebnissen als der (unternehmensbezogene oder objektbezogene) Umsatzschlüssel. Eine Vorsteueraufteilung anhand des objektbezogenen Flächenschlüssels kommt nach der Auffassung des BFH bei den in Rede stehenden Fallkonstellationen überdies nicht in Betracht. Denn das würde die getrennte Nutzung verschiedener Funktionsbereiche eines Gebäudes voraussetzen. Darum geht es hier aber nicht, 13 BFH v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416 = UR 2014, 531. 14 EuGH v. 8.11.2012 – C-511/10 (BLC Baumarkt), ECLI:EU:C:2012:689 = UR 2012, 968; v. 9.6.2016 – C-332/14 (Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR), ECLI:EU:C:2016:417 = UR 2016, 545. 15 BFH v. 7.5.2014 – V R 1/10, BFHE 245, 416 = UR 2014, 531, Rz. 29; v. 10.8.2016 – XI R 31/09, BFHE 254, 461 = UR 2016, 846. 16 Vgl. dazu Heuermann UR 2014, 505 ff.

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sondern um die zeitlich abwechselnde Nutzung derselben Gebäudeteile zu steuerfreien oder steuerpflichtigen Zwecken.17 f) Tatsächliche Nutzungszeiten entscheidend Ist nun geklärt, dass nach Zeitanteilen wirtschaftlich zuzurechnen ist, kommt es entscheidend darauf an, wie die Zeitanteile zu ermitteln sind. Der Unternehmer kann die jeweiligen Nutzungszeiten aufzeichnen. Auch dann wäre noch nicht vollständig geklärt, wie man die Leerstandszeiten zuordnen muss. Im vorliegenden Fall favorisierte K die Aufteilung nach Nutzungsblöcken, in die sowohl die Zeiten der tatsächlichen Nutzung als auch die Leerstandszeiten eingehen. Dem erteilte der BFH eine Absage: Eine solche Aufteilung könnte nämlich nur dann als sachgerechter Maßstab anzuerkennen sein, wenn die sich unterschiedlich auswirkenden Nutzungen zeitlich strikt getrennt werden und dies anhand substantiierter Aufzeichnungen – mindestens über einen repräsentativen Zeitraum – für das FA und das FG nachvollziehbar ist. Diese Voraussetzungen waren hier aber nicht erfüllt. g) Indizien Vorrangig: Aufzeichnungen. Hier hatte K bereits im Planungs- und Baustadium beabsichtigt, die Sporthalle auch außerhalb der üblichen Unterrichtszeiten für schulische Zwecke (zB kulturelle Aufführungen, Sportwettbewerbe sowie die halbjährlichen Schulkonferenzen) zu nutzen. Dies spricht gegen die von K behauptete strikte Trennung der Nutzungen. Zu Lasten der K wirkte sich insbes. aus, dass keine Belegungspläne für die Sportanlagen vorlegt werden konnten. Planungs- und Bauphase: Erwartbare Verwendung aufgrund objektiver Anhaltspunkte. Für den Vorsteuerabzug während der Planungs- und Bauphase ist mangels tatsächlicher Verwendung auf die durch objektive Anhaltspunkte belegte Verwendungsabsicht zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze abzustellen.18 Diese Prognose der zukünftigen Ver17 So wie der BFH auch Heinrichshofen in Hartmann/Metzenmacher, UStG, E § 15 Abs. 4 Rz. 71; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 Rz. 1773, 1777 f.; Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 184 Rz. 273; Boos, DStZ 2012, 267; Sterzinger, UVR 2015, 109. 18 StRspr., vgl. EuGH v. 28.2.2018 – C-672/16 (Imofloresmira – Investimentos Imobiliários), ECLI:EU:C:2018:134 = UR 2018, 440, Rz. 39; v. 22.10.2015 – C-126/14 (Sveda), ECLI:EU:C:2015:712 = UR 2015, 910.

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wendung richtet sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nach den Nutzungszeiten, die nach dem gewöhnlichen Ablauf zu erwarten sind. Es kommt also nicht auf lediglich erwünschte, baurechtlich maximal erlaubte und unter günstigen Umständen theoretisch erreichbare Vermietungszeiten an. Soweit zu bestimmten Randzeiten nicht nur ein vorübergehender, zB durch Mieterwechsel bedingter üblicher Leerstand, sondern ein fehlendes Interesse am Markt und damit ein dauerhafter Leerstand zu erwarten ist, fehlt es an einer für den Vorsteuerabzug hinreichenden ernsthaften Vermietungsabsicht. Es spricht aber für die bei wirtschaftlicher Betrachtung erwartbaren Umsätze des Unternehmers und damit für die durch objektive Anhaltspunkte belegbare Verwendungsabsicht, wenn später nach Fertigstellung und Beendigung einer Anlaufphase tatsächlich Umsätze erzielt werden.19 Folgerungen des FG sind bindend, wenn sie schlüssig sind. Die Feststellung, ob und in welcher Höhe eine realistische Verwendungsabsicht zur Ausführung von Vermietungsumsätzen bestand, ist eine Frage der Tatsachen- und Beweiswürdigung, die nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO dem FG obliegt. Das Revisionsgericht kann die Feststellungen der Tatsacheninstanz nur daraufhin überprüfen, ob sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Die Schlussfolgerungen des FG haben schon dann Bestand, wenn sie zwar nicht zwingend, aber möglich sind (§ 118 Abs. 2 FGO).20 Wichtig: Tatsächliche Nutzung in den Folgejahren als Indiz auch für die Planungs- und Bauphase. Der BFH beanstandete nicht die Entscheidung des FG, im Rahmen einer realistischen Vermietungsprognose in der Planungs- und Bauphase von dem durchschnittlichen Anteil der (tatsächlichen) gewerblichen Umsätze oder Nutzungszeiten der Folgejahre auszugehen. Das ist ein bedeutender Aspekt. Halten wir fest: Die tatsächliche Verwendung entscheidet dann im Rahmen der Schätzung darüber, wie bei beabsichtigter Verwendung aufzuteilen ist. Das liegt systematisch auch daran, weil das Gesetz in § 15a UStG die erstmalige Verwendung als Maßgröße für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs einführt. Das hat dann auch Bedeutung für die Folgejahre, in denen es zu Änderungen der für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse kommt. 19 Vgl. BFH v. 26.1.2006 – V R 74/03, BFH/NV 2006, 1164, Leitsatz 2. 20 Dazu zB BFH v. 3.5.2017 – X R 9/14, BFH/NV 2017, 1164, Rz. 26; v. 5.7.2016 – X B 201/15, BFH/NV 2016, 1572, Rz. 20; v. 11.4.2002 – VII R 1/02, BFH/NV 2002, 950, mwN.

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IV. Die EuGH-Entscheidung Gmina Ryjewo 1. Fragestellung Zuordnungen sind im Umsatzsteuerrecht allgegenwärtig. War soeben von zwei unterschiedlichen Zuordnungen bereits die Rede, so ist fraglich, ob es nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-140/07 Gmina Ryjewo21 bei den Grundsätzen bleiben kann.

2. Der Sachverhalt: Gemeinde baut Kulturhaus Den Sachverhalt kann man wie folgt zusammenfassen: Eine Kommune in Polen, die als Stpfl. bereits registriert war, baute im Jahr 2009 ein Kulturhaus, das sie zunächst dem gemeindlichen Kulturzentrum unentgeltlich überließ. Sie machte deshalb keinen Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten für das Gebäude geltend. 2014 äußerte die Gemeinde die Absicht, das Gebäude in ihr Eigentum zu überführen und es selbst zu verwalten. Anschließend wollte sie das Kulturhaus – neben seiner (hoheitlichen) Nutzung für eigene Zwecke – auch vermieten und insoweit steuerpflichtige Umsätze ausführen. Sie machte deshalb für 2014 den anteiligen Vorsteuerabzug nach den polnischen Vorschriften zur Vorsteuerberichtigung geltend. Die polnische Steuerbehörde lehnte das ab, weil die Gemeinde das Kulturhaus nicht in ihrer Eigenschaft als Stpfl. errichtet habe. Die spätere Nutzung zu steuerpflichtigen Umsätzen erlaube keinen nachträglichen anteiligen Vorsteuerabzug. Das oberste Verwaltungsgericht in Polen, zu dem die Sache schließlich gelangte, fragte den EuGH, ob hier eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs (Art. 167 ff., 184 ff. MwStSystRL) in Betracht käme.

3. Die Lösung der Generalanwältin: Nachträgliche Zuordnungsmöglichkeit a) Argumentationsgang Diese Frage hat der EuGH letztlich positiv beantwortet. Allerdings hat er sich nicht zu einer Einlageentsteuerung geäußert, sondern ist vielmehr der Hilfserwägung der Generalanwältin gefolgt.

21 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR 2018, 687.

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b) Nachträgliche Zuordnung durch Einlage – Einstieg in die Einlageentsteuerung In diese Richtung hat noch die Generalanwältin Kokott argumentiert, und zwar in ihrem Hauptantrag.22 Allerdings fehle in der MwStSystRL eine Regelung zur Einlage. Um aber zu einem gleichheitsgerechten Ergebnis (Art. 20 GrCh) zu gelangen, könne man aus Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL schließen, dass die Richtlinie selbst von einer nachträglichen Zuordnungsmöglichkeit eines bereits erworbenen Gegenstands durch eine nachträgliche wirtschaftliche Verwendung ausgehe. Denn diese Vorschrift stelle nicht mehr allein auf den Zeitpunkt des Erwerbs oder die Herstellung, sondern nunmehr auch auf die erstmalige Verwendung nach einem Erwerb („oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurde“) ab. Damit können Fälle gemeint sein, bei denen der Stpfl. den Gegenstand noch nicht seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zugeordnet hatte und damit noch nicht beim Erwerb einen (idR vollen und sofortigen) Vorsteuerabzug geltend machen konnte. Der Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung sei die Basis für spätere Vorsteuerkorrekturen, was einen (nachträglichen) Vorsteuerabzug im Moment der Verwendung zwingend voraussetze.23 Dieser am System orientierte gute Ansatz würde auch in allen anderen Fällen als der hier entschiedenen Konstellation zu einer Einlageentsteuerung führen. c) Hilfsargument: Das Handeln als Steuerpflichtiger Allerdings hat die Generalanwältin ihre Hauptstoßrichtung in ihren Schlussanträgen ergänzt durch ein Hilfsargument, dem der EuGH dann schlussendlich gefolgt ist. Basis ist eine großzügige Beurteilung des Erwerbs „als Steuerpflichtiger“. Dazu gab der Fall Anlass; denn im Gegensatz zu den bisher entschiedenen Fällen, in denen es um den Erwerb durch Nichtsteuerpflichtige ging,24 war die Gemeinde hier als Erwerberin des Hauses bereits eine Stpfl., die gerade keine ausdrückliche Entscheidung getroffen hat. Erwirbt ein Stpfl. einen Gegenstand, der seinem Wesen nach auch wirtschaftlich verwendet werden kann, und kann der Stpfl. noch nicht ausschließen, diesen Gegenstand innerhalb des Zeit22 Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott v. 19.4.2018 – C-140/17 (Gmina Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:273, Rz. 35–42. 23 Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott v. 19.4.2018 – C-140/17 (Gmina Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:273, Rz. 36 f. 24 ZB EuGH v. 2.6.2005 – C-378/02 (Waterschap Zeeuws Vlaanderen), ECLI:EU: C:2005:335 = UR 2005, 437.

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raums des Art. 187 MwStSystRL einmal zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze zu verwenden, kann in einem derartigen Fall vermutet werden, dass der Stpfl. den Gegenstand im Moment des Erwerbs als Stpfl. auch mit der Absicht einer ggf. späteren wirtschaftlichen Verwendung erworben hat.25

4. Die Lösung des Gerichtshofs in Kontinuität seiner Rechtsprechung a) Überblick Vor diesem Hintergrund und allein auf der Basis der gegebenen Fallkonstellation ist die Entscheidung des EuGH zu interpretieren. Der EuGH stellt also nicht auf eine nachträgliche Zuordnung eines bereits erworbenen Gegenstands ab, sondern in Kontinuität seiner Rspr. auf die Steuerpflicht zum Zeitpunkt der Vornahme des Erwerbs in der Eigenschaft als Stpfl.26 Denn das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht gem Art. 63 und 167 MwStSystRL, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht, also bei der Lieferung des Gegenstands. Nach der stRspr. des EuGH hängt die Anwendung des Mehrwertsteuersystems wie auch des Berichtigungsmechanismus vom Erwerb durch einen als solchen handelnden Unternehmer ab. Die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung eines Gegenstands oder einer Dienstleistung bestimmt demgegenüber nur den Umfang des ursprünglichen Vorsteuerabzugs und den Umfang etwaiger Berichtigungen während der darauf folgenden Zeiträume.27 Verengt der EuGH damit den Vorsteuerabzug wie auch die Vorsteuerberichtigung dem Umfang nach auf Leistungsbezüge, die der Unternehmer in dieser Ei-

25 Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott v. 19.4.2018 – C-140/17 (Gmina Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:273, Rz. 57. 26 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR 2018, 687, Leitsatz. 27 StRspr., vgl. EuGH v. 8.6.2000 – C–396/98 (Schloßstraße), ECLI:EU:C:2000: 303 = UR 2000, 336, Rz. 37 f.; v. 8.6.2000 – C-400/98 (Breitsohl), ECLI:EU:C: 2000:304 = BStBl. II 2003, 452 = UR 2000, 329, Rz. 35 f.; v. 30.3.2006 – C-184/04 (Uudenkaupungin kaupunki), ECLI:EU:C:2006:214 = UR 2006, 530, Rz. 38 f.; v. 16.2.2012 – C-118/11 (Eon Aset Menidjmunt), ECLI:EU:C:2012:97 = UR 2012, 230, Rz. 57; v. 29.11.2012 – C-257/11 (Gran Via Moinesti), ECLI:EU:C:2012:759 = UR 2013, 224, Rz. 28; v. 19.7.2012 – C-334/10 (X), ECLI:EU:C:2012:473 = UR 2012, 726, Rz. 17; v. 28.2.2018 – C-672/16 (Imofloresmira –Investimentos Imobiliários), ECLI:EU:C:2018:134 = UR 2018, 440, Rz. 9.

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genschaft bezieht,28 folgt er der Generalanwältin aber explizit in einem weiten Verständnis des Begriffs eines Erwerbs „als Steuerpflichtiger“29, um auf diese Weise die Neutralität der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten zu gewährleisten. Ob nun ein Stpfl. zu dem Zeitpunkt, zu dem ihm ein Gegenstand geliefert wurde, als Stpfl. gehandelt hat, dh. für Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit, ist eine Tatsachenentscheidung.30 Damit soll beurteilt werden, ob der Stpfl. die Investitionsgüter in der durch objektive Anhaltspunkte belegten Absicht erworben oder hergestellt hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. b) Die Indizienwürdigung Es ist also ein subjektives Merkmal, nämlich die Absicht des Stpfl., den Gegenstand wirtschaftlich zu verwenden, das es herauszufinden gilt. Natürlich ist das ziemlich einfach, wenn der Stpfl. seine Absicht, den Gegenstand bei Erwerb der wirtschaftlichen Verwendung zuzuordnen, ausdrücklich bekundet. Das relativ Neue an der EuGH-Entscheidung, in dem sich das weite Verständnis des Erwerbs „als Steuerpflichtiger“ zeigt, ist nun, dass diese Absicht, den Gegenstand wirtschaftlich verwenden zu wollen, auch implizit zum Ausdruck kommen kann, ohne dass es also einer ausdrücklichen Zuordnungsentscheidung bedarf. Wie soll das festgestellt werden? Subjektive Tatbestandsmerkmale ermittelt man im nationalen Recht wie auch in der unionalen Rechtsordnung durch eine Indizienwürdigung. Das impliziert dreierlei: –

Das Indiz muss tatsächlich vorliegen,



es muss den Schluss auf die Haupttatsache (Handeln als Stpfl.) zulassen – Ergiebigkeitsprüfung – und



es muss in der Gesamtheit der übrigen Indizien gewürdigt werden (Gesamtwürdigung).

Einige Indizien nennt nun der EuGH: Für die Absicht der wirtschaftlichen Verwendung sprechen zB die Art des Gegenstands, die eine gemisch-

28 Eingehend dazu Wäger in 100 Jahre Umsatzsteuer in Deutschland, 2018, 477. 29 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR 2018, 687, Rz. 54. 30 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR 2018, 687, Rz. 38.

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te Nutzung erlaubt,31 oder eine Registrierung der Gemeinde als mehrwertsteuerpflichtig.32 Obschon die Verwendung nicht unmittelbar für besteuerte Umsätze für sich gesehen ohne Bedeutung sein soll, ist es ein Indiz dafür, dass die Gemeinde nicht als Stpfl. handelt, wenn sie den Gegenstand zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben verwendet.33 Liegen nun solche Merkmale wie im Streitfall vor, dürfte wohl nur die ausdrückliche Aussage der Kommune, den Gegenstand nicht für wirtschaftliche Zwecke verwenden zu wollen, einer Korrektur des Vorsteuerabzugs entgegenstehen. Wichtig ist aber, dass die Indizienwürdigung den nationalen Gerichten obliegt.34 Indes können wir an dieser Entscheidung Gmina Ryjewo eigentlich gut studieren, dass Indizien in Wirklichkeit nicht allein in die Tatsachenermittlung gehören, sondern darüber hinaus – bei der Frage ihrer Ergiebigkeit für den Schluss auf die Haupttatsache – durchaus auch normative Elemente aufweisen. Das ist auch der Grund, warum der EuGH einige Indizien besonders hervorhebt. c) Folgen des Urteils Im Schrifttum hat das EuGH-Urteil ein großes Echo gefunden. Der Grundstein für die Einlageentsteuerung im Umsatzsteuerrecht sei – so Küffner/Kirchinger35 – gelegt. Nach Huschens36 wird es künftig einer Zuordnungsentscheidung im Zeitpunkt der Anschaffung einer Immobilie nicht mehr bedürfen. Auch Widmann ist der Auffassung, dass die Zuordnungsentscheidung wohl nun keine unionsrechtliche Grundlage mehr hat. Denn wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts sich bei dem Bezug einer Leistung gar keine Gedanken über die Zuordnung machen muss, könne auch die Zeitnähe der Entscheidung keine Rolle mehr spielen.37

31 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina 2018, 687, Rz. 49. 32 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina 2018, 687, Rz. 50, 43. 33 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina 2018, 687, Rz. 51, 52. 34 EuGH v. 25.7.2018 – C-140/17 (Gmina 2018, 687, Rz. 53. 35 Küffner/Kirchinger, UR 2018, 692 f. 36 Huschens, EU-UStB 2018, 69 f. 37 Widmann, UR 2018, 666 ff.

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Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR Ryjewo), ECLI:EU:C:2018:595 = UR

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d) „Konservative“ Interpretation zunächst geboten Eine gewisse Vorsicht bei der Übertragung der Maßstäbe des EuGH Gmina Ryjewo auf andere Situationen ist allerdings geboten.38 Im dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es ja nur um das, was wir im nationalen Recht als Zuordnungsverbot oder Aufteilungsverbot bezeichnen.39 Es geht um eine nicht-wirtschaftliche, aber unternehmenseigene im Verhältnis zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Hinzu kommt, dass nach nationalem Recht die Entsteuerung von Einlagen nicht möglich ist. Der BFH hat dazu ausgeführt, dass die Einlage eines für private Zwecke erworbenen Gegenstands in ein später entstandenes Unternehmen keine – anteilige – Vorsteuerentlastung im Wege einer Vorsteuerberichtigung eröffnet.40 Auch die Zuordnung zum Unternehmen als Wahrnehmen eines Zuordnungswahlrechts ist durch die Entscheidung Gmina Ryjewo mitnichten betroffen. Denn das Zuordnungswahlrecht besteht nicht für jede gemischte Nutzung eines Gegenstands, sondern nur für die gemischte Nutzung im Rahmen des „Sonderfalls einer Privatentnahme“ iSv. Art. 16 und 26 Abs. 1 MwStSystRL, bei der ein Unternehmer den gemischt wirtschaftlich und privat verwendeten Gegenstand voll dem Unternehmen zuordnen und dann aufgrund der Unternehmenszuordnung in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt sein kann.41 Es ist also völlig offen, wie sich die neuen Maßstäbe der Entscheidung Gmina Ryjewo auf die Divergenz zwischen wirtschaftlicher und privater Tätigkeit eines Unternehmers auswirken kann. Ob es zu einer Entsteuerung der Einlage auch in einem Fall kommen wird, in dem ein zunächst für private Zwecke erworbenes und entsprechend verwendetes Wirtschaftsgut innerhalb des Korrekturzeitraums für wirtschaftliche Zwecke verwendet wird, ist noch nicht entschieden. Will man diese Problematik aufnehmen, bedarf es einer weiteren Kommunikation zwischen den nationalen Gerichten, zB dem BFH, und dem EuGH, also weiterer Vorabentscheidungsersuchen. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob man diese Frage ohne den Richtliniengeber aus der MwStSystRL de lege lata schließen kann. So innovativ ich den Gedan38 Darauf weist zutreffend Sterzinger, UR 2018, 692 f. hin. 39 UStAE 15.2c. Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, vgl. dazu auch Heuermann in Sölch/ Ringleb, UStG, § 3 Rz. 316d. 40 BFH v. 11.4.2008 – V R 10/07, BStBl. II 2009, 741 = UR 2008, 750, Rz. 49 ff., mwN. 41 BFH v. 3.8.2017 – V R 62/16, BFHE 259, 380 = UR 2018, 170, Rz. 18, mwN, stRspr.

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ken der Generalanwältin mit ihrer Interpretation des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL finde, könnte eine Auslegung der erstmaligen Verwendung auf den Fall beschränkt sein, in dem es nämlich für den Vorsteuerabzug a priori auf die erstmalige Verwendung entscheidend ankommt (s.u. zu e). Jedenfalls ist die Argumentation aus Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL verallgemeinerbar auch auf Konstellationen, in denen ein Gegenstand zunächst lediglich zB privat genutzt wird, seine Verwendung sich im Berichtigungszeitraum aber ändert. Beispiel: Der Steuerberater A baut 01 ein Einfamilienhaus, um darin mit seiner Familie zu wohnen. Im Jahr 03 kauft er eine Wohnung und zieht mit seiner Familie dorthin um. Das Haus nutzt er ab 04 für seine Steuerberaterpraxis. Hier könnte die Auslegung des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL durch die Generalanwältin zum Vorsteuerabzug führen. Eine auf die Herstellung des Hauses folgende Privatnutzung hindert dann den Vorsteuerabzug eben nicht.42 Dann müsste man aber wohl auf jegliche Zuordnung verzichten und den Vorsteuerabzug allein im Umfang der Verwendung für entgeltliche Umsatztätigkeiten gewähren43 (aber Art. 168a MwStSystRL geht von Zuordnung aus!). Der Wortlaut des § 15a Abs. 1 UStG mit seinem Verwendungsbezug ließe eine derartige Auslegung des nationalen Gesetzes auf jeden Fall zu.

Indes betrifft der EuGH-Fall gerade nicht die Konstellation des Beispiels, sondern allein die Situation einer Verwendung im Hoheitsbereich oder nach dem Satzungszweck. Dazu der folgende Fall mit Variationen. e) Auswirkungen, dargestellt an einem Fall Eine Genossenschaft nimmt nach ihrer Satzung die Interessen frei schaffender Künstler wahr. Ihre Mitglieder zahlen an sie Beiträge, von denen der größte Teil für die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Interessen bestimmt ist. Daneben erbringt die eG ihren Mitgliedern eine Reihe individueller Dienstleistungen, für die sie eine gesonderte Vergütung berechnet. Diese Dienstleistungen (zB die Veranstaltung von Konzerten oder Verkaufsaktionen) werden auch Dritten angeboten. Die wirtschaftliche Tätigkeit der eG macht 50 % aus. Die eG schafft im Juli 01 eine IT-Anlage für 100 000 Euro + 19 000 Euro

42 So auch Kokott, Steuerrecht der EU, 2018, § 8 Rz. 565. 43 Fundamentalkritisch Wäger in 100 Jahre Umsatzsteuer in Deutschland, 2018, 477 ff.; und Heuermann, MwStR 2018, 1000 ff.

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Umsatzsteuer an, die sie zunächst nur für ihre wirtschaftliche Tätigkeit verwenden will. Später stellt sich heraus, dass sie die Anlage schon im Jahr 01 sowohl für ihre wirtschaftliche wie auch für ihre nicht wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich verwendet. 1. Es gibt bei Anschaffung (Anschaffungskosten IT-Anlage) nur einen teilweisen Vorsteuerabzug. Zuordnung zum Unternehmen44 ja, aber kein Wahlrecht zugunsten der wirtschaftlichen Tätigkeit.45 Die satzungsgemäße Tätigkeit gehört zwar zum Unternehmen der eG. Die eG kann Vorsteuerbeträge aber nur in dem Umfang abziehen, in dem sie wirtschaftlich tätig ist, also iHv. 50 %, hier zu 9500 Euro. Die Verwendung für ihre nicht-wirtschaftliche Tätigkeit wird nicht besteuert: Denn damit erfüllt die eG nicht den Tatbestand des § 3 Abs. 9a UStG. Das Verwenden nach dem Satzungszweck ist kein solches für „unternehmensfremde Zwecke“ iSd. Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL. Es handelt sich vielmehr um eine nicht wirtschaftliche, aber dem Unternehmen zugeordnete Tätigkeit. Hier ist also nicht die Herstellung oder der Erwerb und die damit verbundene Verwendungsabsicht Maßgröße für Korrekturen (§ 15a Abs. 1 UStG, Art. 187 MwStSystRL), sondern die erstmalige tatsächliche Verwendung für wirtschaftliche Zwecke (Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL). 2. Nutzt die eG die Anlage im Jahr 02 nur noch zu 10 % für ihre wirtschaftliche Tätigkeit, führt die um 40 % vermehrte Nutzung für nicht besteuerte Umsätze nicht zu einer Besteuerung nach § 3 Abs. 9a UStG, wegen der Änderung der Verhältnisse gegenüber dem ursprünglich in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug aber zu einer Korrektur nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG. Auf jedes Jahr des Berichtigungszeitraums (fünf Jahre, Art. 187 Abs. 2 MwStSystRL) entfällt mithin eine Vorsteuer von 3800 Euro Die Ausschlussumsätze betragen 90 %; die Veränderung im Verhältnis zum ursprünglichen Vorsteuerabzug (= 50 %) beträgt 40 %, so dass der Korrekturbetrag ./. 1520 Euro ausmacht. Denn im Jahr 02 sind nur 10 % (Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit) und damit lediglich 380 Euro abziehbar. 3. Erhöht sich der entgeltlich-wirtschaftliche Verwendungsanteil später, ist wiederum nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG zu Korrigieren. Nutzt die eG also im Jahr 03 ihre IT-Anlage zu 70 % für ihre wirtschaftliche Tätig44 EuGH v. 12.2.2009 – C-515/07 (VNLTO), ECLI:EU:C:2009:88 = UR 2009, 199. 45 EuGH v. 15.9.2016 – C-400/15 (Landkreis Potsdam-Mittelmark), ECLI:EU:C: 2016:687 = UR 2016, 840.

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keit, so verwendet sie also nur 30 % für ihre Ausschlussumsätze (nicht wirtschaftliche Tätigkeit für ihren Satzungszweck). Das bedeutet eine Änderung im Verhältnis zum ursprünglichen Vorsteuerabzug (50 %) von 20 %. Damit beläuft sich der Korrekturbetrag auf + 760 Euro. 4. Entnimmt die eG die IT-Anlage drei Jahre später, indem sie diese Anlage zB einem Angestellten unentgeltlich zuwendet, so ist die Entnahme gem. § 3 Abs. 1b UStG voll zu versteuern. Die Anschaffung der ITAnlage hatte zwar nur zum Teil zum Vorsteuerabzug berechtigt (s.o. zu e.1.). Da § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG konditional formuliert und nicht durch die restriktive Konjunktion „soweit“, erfüllt die eG den Steuertatbestand in vollem Umfang. Das würde dem Neutralitätsprinzip widersprechen, weil es zur Doppelbesteuerung führte: Die Vorsteuerkorrektur wäre durch die Entnahmebesteuerung überkompensiert.46. Deshalb ist nachträglich ein anteiliger Vorsteuerabzug durch eine Korrektur nach § 15a Abs. 8 UStG zu gewähren, die sich nach § 15a Abs. 9 UStG, § 44 Abs. 3 Satz 2 UStDV richtet. 5. Statt sie zu entnehmen, nutzt die eG die bislang gemischt genutzte Anlage im Jahr 03 nachhaltig und in vollem Umfang für die Satzungszwecke. Trotz der in Anspruch genommenen Vorsteuer ist der Vorgang nicht steuerbar. Denn nach Art. 26 Abs. 1 MwStSystRL würde das voraussetzen, dass die Anlage für unternehmensfremde Zwecke entnommen wird. Aber der Satzungsbereich gehört ebenso zum Unternehmen wie die wirtschaftliche Tätigkeit, so dass die Voraussetzungen einer steuerbaren Entnahme nicht gegeben wären. Dessen bedarf es auch nicht; denn die „Entnahme“ bedeutet im Kern nichts anders als eine Änderung des Verwendungsanteils. Das führt hier zu einer Vorsteuerkorrektur nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG (Art. 187 MwStSystRL). Auf jedes Jahr des Berichtigungszeitraums (fünf Jahre) entfällt eine Vorsteuer von 3800 Euro Die Ausschlussumsätze betragen im Jahr 03 nun 100 %; die Veränderung im Verhältnis zum ursprünglichen Vorsteuerabzug (= 50 %) beträgt also 50 %, so dass der Korrekturbetrag ./. 1900 Euro ausmacht – und dies vom Jahr 03 bis zum Jahr 05. 6. Die sechste Fallvariante ist nun die Konstellation der EuGH Entscheidung Gmina Ryjewo, quasi die Umkehrung der Variante 5, die man eigentlich nicht mit „Einlage“ kennzeichnen kann. Hier hatte die eG die Anlage zunächst zwei Jahre nur für ihre Satzungszwecke genutzt. Erst ab dem Jahr 03 ging sie dazu über, sie auch für wirtschaftliche Zwecke 46 Vgl. Heuermann, MwStR 2017, 729, 734, m.w.N.

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einzusetzen, und zwar nunmehr zu 50 %. Handelt die eG schon bei der Anschaffung der Anlage als Stpfl.? Sie hat sich über die Verwendung der Anlage zunächst nicht geäußert, ihren Einsatz für wirtschaftliche Zwecke aber nicht von vornherein ausgeschlossen. Dann sprechen die Indizien einschließlich der ihrer Art nach eine gemischte Nutzung ermöglichende Anlage47 für das Tätigwerden als Stpfl. Das hat zur Folge, dass die eG den Vorsteuerabzug wegen der Änderung des Verwendungsanteils von 0 % auf 50 % korrigieren kann (§ 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, Art. 187 MwStSystRL). Wir wissen bereits: Auf jedes Jahr entfallen Vorsteuern iHv. 3800 Euro. Die Ausschlussumsätze betragen im Jahr 03 nun 50 %; die Veränderung im Verhältnis zum bislang nicht gewährten Vorsteuerabzug (also gleich 0) beträgt also 50 %, so dass der Korrekturbetrag ./. 1900 Euro ausmacht – und dies vom Jahr 03 bis zum Jahr 05. Ist die eG vom Erwerb der Anlage an Stpfl., ist die geänderte Nutzung für ihre wirtschaftliche Tätigkeit keine Einlage, sondern nur eine Änderung des Verwendungsanteils. Das ist mE genau der Anwendungsfall des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL. § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG steht nicht entgegen. Wenn danach die Lieferung eines Gegenstands als nicht für das Unternehmen ausgeführt gilt, den der Unternehmer zu weniger als 10 % für sein Unternehmen nutzt, dann – so könnte man argumentieren – ist auch die Lieferung eines Gegenstands, den er (zunächst) gar nicht (also zu 0 %) für sein Unternehmen nutzt, von vornherein nicht als für das Unternehmen ausgeführt zu beurteilen.48 Dies gilt allerdings nur für das Jahr, in dem der Gegenstand nicht für das Unternehmen genutzt wird, nicht hingegen für die Jahre der Änderung und damit nicht im Rahmen einer Korrektur nach § 15a UStG. Die ausdehnende Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG, die zum Ausschluss der Berichtigung führen würde, ist schon im Wortlaut der Vorschrift nicht angelegt.49

47 EuGH-Urt. v. 25.7.2018 – C-140/17 Gmina Ryjewo, EU:C:2018:595, UR 2018, 687, Rz. 49. 48 Oelmeier, MwStR 2018, 972. 49 Eingehend dazu Heuermann, Non Profit Law Yearbook 2018, erscheint demnächst.

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V. EuGH-Nachfolge: Änderung der Rechtsprechung zu den Rechnungsanforderungen in § 14 Abs. 4 UStG 1. Bedeutung In der Sache nach übereinstimmenden Nachfolgeentscheidungen haben der V. und der XI. Senat des BFH ihre Rspr. zum Rechnungsmerkmal der „vollständigen Anschrift“ geändert.50 Danach setzt eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr (Änderung der Rspr.): Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.51 Das ist eine wichtige Rechtsprechungsentwicklung und eine große Erleichterung insbes. für den Bereich des E-Commerce und des Online-Handels.

2. Sachverhalt Als Sachverhalt nehmen wir hier den Grundfall des V. Senats (V R 25/15): K ist Kfz.-Händler. Er erwarb Kraftfahrzeuge von einem Einzelunternehmer Z, der „im Onlinehandel“ tätig war. Unter einer bestimmten Adresse hat Z dem K Rechnungen ausgestellt. Z hatte in N (Inland) von der dort ansässigen Firma U Räumlichkeiten angemietet. Ob es sich dabei um einen Raum oder nur um den Teil eines Raums handelte, ist streitig. Unstreitig ist, dass Z dort kein Autohaus unterhielt. Er vertrieb ausschließlich im Onlinehandel. Später zog Z nach Frankreich. Die Fahrzeuge kamen zu 15 % aus Deutschland und zu 85 % aus Frankreich von einer dritten Firma. Zahlungen leistete K teilweise direkt an diese Firma und teilweise an den Z auf dessen Konto bei einer französischen Bank. Das FA wollte K den Vorsteuerabzug versagen und stützte sich darauf, dass die Rechnungen des Z lediglich einen Briefkastensitz angaben. Nach der (früheren) Rspr. des BFH wird das Merkmal „vollständige Anschrift“ in § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG nur durch Angabe der Anschrift erfüllt, unter der eine wirtschaftliche Aktivität entfaltet wird. Das FG folgte dieser Ansicht nicht und gab der Klage statt. Im Revisionsverfah50 BFH v. 21.6.2018 – V R 25/15, BStBl. II 2018, 809 = UR 2018, 718; v. 21.6.2018 – V R 28/16, BStBl. II 2018, 806 = UR 2018, 721; v. 13.6.2018 – XI R 20/14, BStBl. II 2018, 800 = UR 2018, 800. 51 BFH v. 21.6.2018 – V R 25/15, BStBl. II 2018, 809 = UR 2018, 718, Leitsätze 1 und 2.

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ren bekam der BFH Zweifel, ob er an seiner restriktiven Rspr. festhalten kann, und legte den Fall dem EuGH vor. Dieser entschied, das Unionsrecht stehe einer nationalen Regelung entgegen, die verlangt, dass in der Rechnung die Anschrift anzugeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.52

3. Die Auswirkungen von EuGH Geissel und Butin Der V. Senat des BFH hält ebenso wenig wie der XI. Senat an seiner früheren Rspr. fest. § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jetzt jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern der leistende Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Diese Voraussetzungen erfüllten die streitigen Rechnungen. Die Sache war aber nicht spruchreif. Für 85 % der streitigen Fahrzeuglieferungen hatte das FG nämlich nicht geklärt, ob überhaupt die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erfüllt waren. Da die Fahrzeuge aus Frankreich stammten und der leistende Unternehmer Z später dort seinen Wohnsitz begründete und auch seine Bankverbindung hatte, liege es nahe, dass es sich bei den Lieferungen um steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen handelte. Dann würde aber die in den Rechnungen ausgewiesene Steuer nach § 14c UStG geschuldet werden und wäre – unabhängig von der Ordnungsmäßigkeit der Rechnungsanschrift – nicht als Vorsteuer abziehbar. Das FG muss insoweit die erforderlichen Feststellungen nachholen.

4. Sustance over Form – Materielles Recht sticht Formerfordernisse Im zweiten Fall53 bezog eine Unternehmerin in neun Einzellieferungen 200 Tonnen Stahlschrott von einer GmbH. In den Rechnungen war der Sitz der GmbH entsprechend der Handelsregistereintragung als Anschrift angegeben. Tatsächlich befanden sich dort die Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei. Die von der GmbH für die Korrespondenz genutz52 EuGH v. 15.11.2017 – C-374, 375/16 (Geissel und Butin), ECLI:EU:C:2017:867 = UR 2017, 970. 53 BFH v. 21.6.2018 – V R 28/16, BStBl. II 2018, 806 = UR 2018, 721.

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te Festnetz- und Faxnummer gehörten der Kanzlei, die als Domiziladresse für etwa 15–20 Firmen diente. Ein Schreibtisch in der Kanzlei wurde gelegentlich von einem Mitarbeiter der GmbH genutzt. Das alles reicht für die postalische Erreichbarkeit aus. Im Fall V R 28/16 konnte der BFH auch durchentscheiden. Allerdings war dort der Lieferung ein Umsatzsteuerkarussell vorgeschaltet und der leistende Unternehmer führte als sog. „missing trader“ die in den Rechnungen ausgewiesene Steuer nicht an das FA ab. Dennoch gewährte der BFH dem Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug: Sind nämlich – wie in diesem Fall – die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt, ist es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, einen Stpfl., der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Stpfl. getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu sanktionieren.54 War es früher durchaus üblich, Zweifeln an den materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht nachzugehen, sondern formelle Rechnungsmängel als Hebel für die Versagung des Vorsteuerabzugs zu nutzen, dürfte diese Praxis mittlerweile deshalb an ihre Grenzen gestoßen sein. Denn die neue Rechtsprechungsentwicklung steht in einem folgerichtigen Kontext. So sind spätere Rechnungsberichtigungen seit dem EuGH-Urteil v. 15.9.201655 mit umsatzsteuerlicher Rückwirkung (§ 31 Abs. 5 UStDV) auf den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs möglich.56 Die nun entschiedene Änderung im Bereich der Rechnungsanga-

54 EuGH v. 22.10.2015 – C-277/14 (PPUH Stehcemp), ECLI:EU:C:2015:719 = UR 2015, 917, Rz. 49; v. 13.2.2014 – C-18/13 (Maks Pen), ECLI:EU:C:2014:69 = UR 2014, 861, Rz. 26 ff.; v. 6.12.2012 – C-285/11 (Bonik), ECLI:EU:C: 2012:774 = UR 2013, 195, Rz. 36 ff.; v. 21.6.2012 – C-80/11 (Mahagében und Dávid), ECLI:EU:C:2012:373 = UR 2012, 591, Rz. 44, 45 und 47; v. 12.1.2006 – C-354, 355, 484/03 (Optigen ua.), ECLI:EU:C:2006:16 = UR 2006, 157, Rz. 51, 52 und 55; v. 6.7.2006 – C-439, 440/04 (Kittel und Recolta Recycling), ECLI:EU:C:2006:446 = UR 2006, 594, Rz. 44–46 und 60. Dem hat sich der BFH bereits angeschlossen, BFH v. 6.4.2016 – V R 25/15, BFHE 254, 139 = UR 2016, 598, Rz. 57. 55 EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex), ECLI:EU:C:2016:691 = UR 2016, 800. 56 BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 60.

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be nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG verstärkt diesen Trend, so dass sich die Finanzverwaltung wie auch die Finanzgerichte vermehrt der Prüfung der materiellen Voraussetzungen werden zuwenden müssen. Nachdem der BFH nun dieses Verfahren abgeschlossen hat, müsste das BMF den UStAE mit Blick auf die Rechnungsberichtigung (Senatex) und die Rechnungsmerkmale überarbeiten.57

57 Zutreffend Korn, DStRK 2018, 256.

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Jahressteuergesetz 2018 und aktuelle Entwicklungen Dr. Helga Marhofer-Ferlan1 Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München I. Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften 1. Gesetzgebungsverlauf 2. Verhinderung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren auf elektronischen Marktplätzen im Internet a) Neuregelungen b) Definitionen c) Weiter Anwendungsbereich d) Rechtsfolgen e) Vorzuhaltende Unterlagen für Unternehmer und Privatpersonen f) Bescheinigungsverfahren g) Haftung des elektronischen Marktplatzbetreibers h) Sonstige Verfahrensfragen i) Umsetzung Art. 14, 14a MwStSystRL 3. Umsetzung der GutscheinRichtlinie a) Neuregelungen b) Einzweckgutschein c) Mehrzweckgutschein 4. Umsetzung des „eCommerce-Package“, Erster Teil, ab 2019

a) Überblick b) EU-Unternehmer c) Drittlands-Unternehmer d) Änderungen zum 1.1.2021 5. Weitere Änderungen a) Aufhebung § 3 Abs. 9 Satz 3 UStG b) § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG II. Weitere aktuelle Entwicklungen: EU-Ebene 1. Endgültiges MwSt-System 2. Zertifizierter Steuerpflichtiger (CTP) 3. Quick Fixes a) Quick Fixe: Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften aa) Problemstellung bb) Vorschlag der Kommission cc) Alternativvorschlag b) Quick Fixe: Konsignationslager aa) Ausgangslage bb) Vorschlag der Kommission cc) Alternativvorschlag c) Quick Fixe: MwSt.-Identifikationsnummer

1 Leiterin des Referats für Umsatzsteuer im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat; Bundesratsbeauftragte für Gremien des Rates, indirekte Steuern, Mehrwertsteuer und Koordinatorin für Mehrwertsteuer. Der Beitrag wurde in nichtdienstlicher Eigenschaft verfasst. Er gibt den Stand zum 31.10.2018 wieder.

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Marhofer-Ferlan, Jahressteuergesetz 2018 und aktuelle Entwicklungen d) Quick Fixe: Nachweispflichten für Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen aa) Regelung bb) Vorschlag der Kommission cc) Alternativvorschlag e) Quick Fixe: Steuerbefreiung von Kostenteilungsgemeinschaften

4. 5. 6. 7.

MwSt.-Sätze Kleinunternehmer Zusammenarbeits-Verordnung Reverse Charge a) Pilotverfahren für nationale Umsätze b) Schnellreaktionsmechanismus

I. Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften 1. Gesetzgebungsverlauf Am 10.8.2018 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vorgelegt.2 Der Bundesrat hat hierzu in seiner Stellungnahme vom 21.9.2018 Änderungen zu Detailfragen angeregt.3 Der Arbeitstitel des Referentenentwurfs lautete noch Jahressteuergesetz 2018. Das Gesetz soll am 1.1.2019 in Kraft treten. Das Gesetz verfolgt im Regelungsbereich zur Umsatzsteuer4 folgende Ziele:

2. Verhinderung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren auf elektronischen Marktplätzen im Internet a) Neuregelungen Umsatzsteuerausfälle beim Handel mit Waren über elektronische Marktplätze haben ein erhebliches Maß angenommen und sollen durch die gesetzliche Neuregelung zukünftig verhindert werden.

2 BR-Drucks. 372/18. 3 BR-Drucks. 372/18 (Beschluss). 4 Art. 9 des Gesetzentwurfs (Umsatzsteuer).

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Hierzu werden im Umsatzsteuergesetz neue Regelungen geschaffen. § 22f (neu) UStG bestimmt, dass elektronische Marktplätze zum Vorhalten bestimmter Daten ihrer Nutzer für in Deutschland umsatzsteuerpflichtige Umsätze verpflichtet werden. § 25e (neu) UStG führt eine neue Haftung für entstandene und nicht abgeführte Umsatzsteuer aus den auf einem elektronischen Marktplatz ausgeführten Umsätzen ein, wenn die handelnden Unternehmer in Deutschland steuerlich nicht registriert sind. Nach § 27 Abs. 25 Satz 4 (neu) UStG sind diese Neuregelungen für Unternehmer aus dem Drittland für Rechtsgeschäfte ab 1.3.2019 und für Unternehmer aus dem Inland, der EU und dem EWR für Rechtsgeschäfte ab 1.10.2019 anwendbar. b) Definitionen Das Gesetz definiert neu eingeführte Begriffe. Ein „elektronischer Marktplatz“ ist eine Bereitstellung von Informationen über eine Website oder ein anderes Instrument, die einem Drittem die Ausführung von Umsätzen ermöglichen.5 Ein „Betreiber des elektronischen Marktplatzes“ ist, wer einen elektronischen Marktplatz unterhält und Dritten darauf Umsätze ermöglicht.6 c) Weiter Anwendungsbereich Diese Neuregelung führt zu einem weiten Anwendungsbereich. Sie ist als verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung für private und unternehmerische Händler bzw. Dienstleister ausgestaltet. Von der Definition her können auch gemeinsame Einkaufssysteme für mehrere Unternehmer umfasst sein. Beschränkt ist die Haftung auf in Deutschland steuerpflichtige Umsätze. Der Sitz des Marktplatzbetreibers oder des Händlers ist nicht maßgeblich. d) Rechtsfolgen Für Betreiber des elektronischen Marktplatzes ergeben sich durch die Neuregelung bei einer Umsatzsteuerpflicht der Händler in Deutschland umfangreiche Rechtsfolgen. Die besonderen Pflichten bestehen nur für

5 § 25e Abs. 5 UStG. 6 § 25e Abs. 6 UStG.

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Lieferungen anderer Unternehmer oder Privater.7 Sie umfassen das Vorhalten von Daten über die Händler, insbes. eine Bescheinigung über die steuerliche Erfassung des jeweiligen Händlers.8 Ansonsten greift die neue Haftungsregel.9 Das Gesetz regelt eine Ausnahme von dieser Haftung10 für den Fall, dass eine Bescheinigung oder elektronische Bestätigung des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) über die steuerliche Erfassung des unternehmerisch tätigen Händlers vorgehalten wird und der Marktplatzbetreiber gutgläubig hinsichtlich der Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen des Händlers ist. Ohne eine Bescheinigung wirkt die Gutgläubigkeit jedoch nicht haftungsbefreiend. e) Vorzuhaltende Unterlagen für Unternehmer und Privatpersonen Vom Marktplatzbetreiber sind für alle Händler, unternehmerische und private, folgende Unterlagen vorzuhalten:11 –

Vollständiger Name und vollständige Anschrift des liefernden Unternehmers oder der Privatperson,



Ort des Beginns der Beförderung oder Versendung der Ware und Bestimmungsort.



Zeitpunkt und Höhe des Umsatzes.

Nur bei Privatpersonen als Marktplatznutzer ist das Geburtsdatum aufzuzeichnen.12 Für Unternehmer als Händler ist dagegen die Steuernummer und die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des liefernden Unternehmers sowie Beginn- und Enddatum der Gültigkeit der Bescheinigung vorzuhalten. Die Aufbewahrungspflicht beträgt sechs Jahre,13 eine Verlängerung auf zehn Jahre ist angedacht. Das Gesetz eröffnet die Möglichkeit der Übermittlung der Unterlagen über die Unternehmer auf Aufforderung des FA in elektronischer Form.14

7 8 9 10 11 12 13 14

§ 22f Abs. 1 Satz 1 UStG. § 22f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–5 UStG. § 25e Abs. 1 UStG. § 25e Abs. 2 UStG. § 22f Abs. 1, 2 UStG. § 22f Abs. 2 Satz 2 UStG. § 147 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 1 AO. § 22f Abs. 3 UStG.

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f) Bescheinigungsverfahren Das Gesetz sieht ein neues Bescheinigungsverfahren auf Antrag des Unternehmers vor.15 Ein über einen elektronischen Marktplatz liefernder Unternehmer muss in Deutschland steuerlich erfasst sein. Ist er das nicht, muss er zunächst einen Antrag auf steuerliche Erfassung mit dem dafür vorgesehenen Fragebogen in deutscher Sprache stellen. Handelt es sich um einen Drittlands-Unternehmer, muss er mit dem Antrag, ohne Aufforderung des FA, einen Empfangsbevollmächtigten benennen.16 Die Benennung hat Dauerwirkung. Der Antrag des liefernden Unternehmers auf Bescheinigung ist bei dem für ihn zuständigen FA zu stellen.17 Für ausländische Unternehmer gelten Sonderzuständigkeiten.18 Mit dem Antrag auf Bescheinigung wird auch eine Einwilligung für die spätere Weitergabe des Inhalts der Bescheinigung in elektronischer Form vom BZSt an Marktplatzbetreiber erteilt.19 Die Ausstellung der Bescheinigung erfolgt zunächst in Papierform, sie ist auf bis zu drei Jahre befristet und vom liefernden Unternehmer dem Marktplatzbetreiber vorzulegen.20 Der Beginn der Möglichkeit der elektronischen Abfrage und das Kj., ab dem Daten elektronisch an die Finanzbehörden zu übermitteln sind, werden durch ein BMF-Schreiben geregelt, das im BStBl. veröffentlicht werden wird.21 Bis zur Einführung eines elektronischen Abfrageverfahrens wir die Bescheinigung in Papierform erteilt.22 Dabei ergeben sich jedoch Probleme in zeitlicher Hinsicht aufgrund des Erfordernisses der kurzfristigen Erfassung aller bestehenden Händler sowie der Neuerfassung tausender von Händlern, die über elektronische Marktplätze handeln wollen. Die Erteilung der Bescheinigung nur bei Vorliegen aller Voraussetzungen für die steuerliche Erfassung sowie die papiergebundenen Fragebögen in deutscher Sprache, die auch für Drittlands-Unternehmer, zB aus China, gelten, erschweren das Verfahren zusätzlich. Dies führt zwangsläufig zu langen Bearbeitungszeiten. Bayern bemüht sich daher intensiv um ein elektronisches Verfahren als Ersatz für eine Papierbescheinigung sowohl für bereits steuerlich regis15 16 17 18 19 20 21 22

§ 22f Abs. 1 Satz 3–7, § 27 Abs. 25 Satz 1–3 UStG. § 22f Abs. 1 Satz 4 UStG, § 123 AO. § 22f Abs. 1 Satz 2 UStG. § 1 Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung (UStZustVO). § 22f Abs. 1 Satz 5 und 6 UStG. § 22f Abs. 1 Satz 2 UStG. § 27 Abs. 25 Satz 1 und 2 UStG. § 27 Abs. 25 Satz 3 UStG.

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trierte als auch für neu zu registrierende Händler auf elektronischen Marktplätzen. g) Haftung des elektronischen Marktplatzbetreibers Neu eingeführt wird eine Haftung des Betreibers eines elektronischen Marktplatzes für nicht entrichtete Umsatzsteuer aus Lieferungen des Händlers bei Abschluss des Rechtsgeschäfts über den Marktplatz.23 Dieser kann er sich nur entziehen, wenn er eine Bescheinigung des FA oder eine elektronische Bestätigung durch das BZSt für den jeweiligen Händler vorlegt und gutgläubig hinsichtlich der Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Händlers ist.24 Die Beweislast für fehlende Gutgläubigkeit liegt beim FA. Handelt es sich um einen als Privatperson auf dem Marktplatz registrierten Händler, entfällt die Haftung bei Vorliegen der vorzuhaltenden Daten und Gutgläubigkeit hinsichtlich fehlender Unternehmereigenschaft aufgrund des Handelsvolumens.25 Die Haftung lebt trotz Bescheinigung und Gutgläubigkeit wieder auf,26 wenn eine Mitteilung des FA über die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten des Händlers ergeht.27 Sie umfasst diejenigen Umsätze, deren zugrunde liegende Rechtsgeschäfte nach Zugang der Mitteilung erfolgen. Entziehen kann sich der Betreiber des elektronischen Marktplatzes dieser Haftung nur, wenn er den Nachweis erbringt, dass der Händler innerhalb einer vom FA gesetzten Frist auf dem Marktplatz gesperrt wurde.28 Eine entsprechende Anwendung ordnet das Gesetz bei Privatpersonen als Händler an. Die Gutgläubigkeit des Marktplatzbetreibers und die Mitteilung des FA zu ihrer Entkräftung beziehen sich darauf, dass unternehmerische, umsatzsteuerpflichtige Umsätze der Privatperson vorliegen.29

23 24 25 26 27

§ 25e Abs. 1 UStG. § 25e Abs. 2 UStG. § 25e Abs. 3 UStG. § 25e Abs. 4 Satz 1 und 2 UStG. Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO; keine Verletzung des Steuergeheimnisses. 28 § 25e Abs. 4 Satz 3 UStG. 29 § 25e Abs. 4 Satz 4 UStG.

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h) Sonstige Verfahrensfragen Örtlich zuständig für den Haftungsbescheid ist das FA des liefernden Unternehmers.30 Schriftform,31 Ermessen32 und Gelegenheit zur Äußerung33 sind gewahrt. Bei Drittlands-Unternehmern ist keine vorherige Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners erforderlich.34 i) Umsetzung Art. 14, 14a MwStSystRL Zum 1.1.2021 sind Art. 14, 14a MwStSystRL für Fernverkäufe über Plattformen ua. in nationales Recht umzusetzen.35 Darunter fallen Fernverkäufe über die Nutzung einer „elektronischen Schnittstelle“, zB Marktplatz, Plattform, Portal, häufig verbunden mit einer WarenlagerRegelung. Erfasst werden Umsätze über neue Gegenstände, aber keine Pkw. Innergemeinschaftliche Fernverkäufe umfassen Lieferungen neuer Gegenstände, die (bereits) aus dem Drittland eingeführt wurden und von einem Mitgliedstaat in einen oder einen anderen Mitgliedstaat gelangen. Damit sind auch Inlands-Lieferungen in einem Mitgliedstaat betroffen. Dies ergibt sich eindeutig nach der englischen Sprachfassung der Richtlinienänderung. Nach der deutschen Sprachfassung ist dies missverständlich ausgedrückt worden. Die Regelung bezieht sich auch auf Fernverkäufe von (direkt) aus dem Drittland eingeführten Gegenständen bis 150 Euro Sachwert je Sendung. Diese Neuregelung sieht keine Haftung wie die nationale Regelung vor, sondern die fiktive Einbeziehung der Unterstützer der Fernverkäufe durch eine elektronische Schnittstelle (zB Plattform) als Stpfl. in die Lieferkette Verkäufer-Schnittstellenbetreiber-Endkunde. Erleichtert wird die Umsetzung durch die Anordnung einer Ist-Versteuerung der Betreiber elektronischer Schnittstellen mit Erhalt des Entgelts vom End30 31 32 33 34 35

§ 25e Abs. 7 UStG. § 191 Abs. 1 Satz 3 AO. § 191 Abs. 1 AO. § 91 Abs. 1 Satz 1 AO. § 219 AO, § 25 Abs. 8 UStG. Art. 2 und 4 der Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates v. 5.12.2017 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG und der Richtlinie 2009/132/EG in Bezug auf bestimmte mehrwertsteuerliche Pflichten für die Erbringung von Dienstleistungen und für Fernverkäufe von Gegenständen, ABl. EU 2017, L 348/7.

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kunden. Aufzeichnungen für leistende Unternehmer bei Erbringung von Fernverkäufen und Dienstleistungen sind mindestens zehn Jahre von den Betreibern einer elektronischen Schnittstelle aufzubewahren. Eine Reihe von Einzelheiten sind noch unklar. Detailregelungen sind von der Kommission daher bis Ende 2018 geplant.

3. Umsetzung der Gutschein-Richtlinie a) Neuregelungen Weiterhin wird mit dem Gesetz die sogenannte Gutschein-Richtlinie36 in §§ 3 Abs. 13–15, 10 Abs. 1 Satz 6, 27 Abs. 23 UStG umgesetzt. Sie gilt für ab 2019 ausgestellte Gutscheine.37 Das Gesetz definiert38 einen Gutschein als Instrument, das direkt zum Bezug eines Gegenstands oder einer sonstigen Leistung berechtigt, und Liefergegenstand oder sonstige Leistung oder Identität des leistenden Unternehmers ergeben sich aus dem Instrument selbst oder aus zusammenhängenden Unterlagen bzw. Nutzungsbedingungen. Nicht erfasst sind Fahrscheine, Eintrittskarten, Briefmarken uä. Dasselbe gilt für Rabattgutscheine.39 b) Einzweckgutschein Unter einem Einzweckgutschein40 versteht das Gesetz einen Gutschein, bei dem der Ort der Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, sowie die dafür geschuldete Umsatzsteuer zum Zeitpunkt der Ausstellung bereits feststehen. Zeitpunkt der Besteuerung ist die Leistungsausführung. Die Steuerbarkeit entsteht damit bereits mit Ausgabe oder Übertragung des Gutscheins als fiktive Leistung. Die spätere eigentliche Leistungserbringung mit Einlösung des Gutscheins ist nicht mehr steuerbar. Bei Nichteinlösung des Gutscheins entsteht keine Umsatzsteuer-Berichtigung beim leistenden Unternehmer bzw. Gutscheinaussteller, da die fingierte Leistung bereits bei Übertragung des Gutscheins vorliegt.

36 Richtlinie (EU) 2016/1065 des Rates v. 27.6.2016: spezielle MwSt.-Vorschriften in Art. 30a, 30b und 73a MwStSyStRL für Gutscheine für Umsätze nach dem 31.12.2018. 37 § 27 Abs. 23 UStG. 38 § 3 Abs. 13 Satz 1 UStG. 39 § 13 Abs. 1 Satz 2 UStG. 40 § 3 Abs. 14 UStG.

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Im Fall einer Rückerstattung des Entgelts für den Gutschein kommt es zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage,41 da die Leistung rückgängig gemacht wird. Beim Gutscheinhandel im fremden Namen wird der Verkäufer des Gutscheins nicht Teil der Leistungskette. Er erbringt nur eine Vermittlungsleistung. Bei einer Liefer- bzw. Dienstleistungskommission durch Einschaltung einer Mittelsperson, des Kommissionärs, um im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung des Auftraggebers oder Kommittenten Leistungen an einen Dritten, den Gutscheinkäufer, zu erbringen, liegen nach der Fiktion in § 3 Abs. 3 Satz 2 und § 3 Abs. 11 UStG inhaltsgleiche Leistungen vom Auftraggeber an die Mittelsperson und von der Mittelsperson an den Dritten, den Gutscheinkäufer, vor. c) Mehrzweckgutschein Ein Mehrzweckgutschein42 liegt vor, wenn mindestens ein Kriterium für den Einzweckgutschein nicht erfüllt ist. Im Zeitpunkt der Ausgabe liegen nicht alle Informationen vor, um eine Umsatzbesteuerung vorzunehmen. Hauptanwendungsfall sind Prepaid-Telefonkarten. Der Zeitpunkt der Besteuerung verschiebt sich bis zur Leistungserbringung. Steuerbar ist erst die Einlösung des Gutscheins zur Erbringung der Leistung, für die der leistende Unternehmer den Gutschein als Gegenleistung annimmt. Bei Nichteinlösung des Gutscheins erfolgt keine Umsatzbesteuerung. Die Bezahlung des Gutscheins unterliegt auch keiner Anzahlungsbesteuerung. Ein Gutscheinhandel wird wie ein Tausch von Bargeld in ein anderes Zahlungsmittel behandelt. Die bloße Übertragung des Gutscheins ist daher nicht steuerbar. Zu versteuern ist das tatsächliche Entgelt für den Erwerb des Gutscheins.43 Ist dieses unbekannt, wird der Gutscheinwert bzw. der Nennwert als Bemessungsgrundlage herangezogen.44 Zur Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung ist ein BMF-Schreiben geplant.

41 42 43 44

§ 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG. § 3 Abs. 15 UStG. § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG. § 10 Abs. 1 Satz 6 UStG.

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4. Umsetzung des „eCommerce-Package“, Erster Teil, ab 2019 a) Überblick Der erste Teil der Änderungen der MwStSystRL im Rahmen des „Digital Package“ oder „eCommerce-Package“45 zur Modernisierung der Mehrwertsteuer im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen und Fernverkäufe von Gegenständen, der sich auf die Änderung der Richtlinie und der Durchführungsverordnung beziehen, sind ab dem Jahr 2019 in nationales Recht umzusetzen. Weitere Änderungen sind ab 2021 umzusetzen. Die nationale Umsetzung ab 2019 erfolgt in §§ 3a Abs. 5, 14 Abs. 7 Satz 3, 18 Abs. 4c, 4d und § 27 Abs. 24 UStG. Diese Änderungen beziehen sich nur auf die bisherigen Umsätze über den Mini-One-Stop-Shop (MOSS) im Bereich der Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernseh- sowie elektronisch erbrachten Dienstleistungen.46 Unter „eCommerce“ werden Leistungen an Endverbraucher oder nicht vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer verstanden. b) EU-Unternehmer Für EU-Unternehmer gilt seit 1.1.2015 der Grundsatz, dass der Ort im Bestimmungs-Mitgliedstaat des Verbrauchs der Dienstleistung liegt und dort die Besteuerung über den MOSS erfolgt. Neu eingeführt wird eine 10 000 Euro-Schwelle netto p.a.47 Ort und Versteuerung verbleiben im Sitz-Mitgliedstaat des leistenden Unternehmers. Ihm wird eine Option für die Besteuerung im Verbrauchs-Mitgliedstaat eröffnet, um die bisherige Regelung beibehalten zu können. Die Ausstellung und Aufbewahrung der Rechnung48 richtet sich bei Nutzung des MOSS nach dem Recht des Registrierungs-Mitgliedstaats

45 Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates v. 5.12.2017 zur Modernisierung der MwSt.: Stärkung des digitalen Binnenmarkts zur Erbringung von Dienstleistungen und für Fernverkäufe von Gegenständen mit Änderung von Art. 58 MwStSystRL und der Richtlinie 2009/132/EG zur Einfuhr von Kleinsendungen, der VO (EU) Nr. 904/2010 über die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und der DV (EU) Nr. 282/2011, Durchführungsvorschriften der Verwaltungsbehörden und zur Betrugsbekämpfung bei der MwSt. 46 § 27 Abs. 24 UStG. 47 § 3a Abs. 5 UStG. 48 § 14 Abs. 7 UStG.

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des Unternehmers. Nachweiserleichterungen werden bei elektronisch erbrachten Dienstleistungen bis zu einer 100 000 Euro-Schwelle neu eingeführt. Es ist zukünftig ein statt zwei Beweismittel für die Bestimmung des Kundenstandorts ausreichend. c) Drittlands-Unternehmer Für nicht in der EU ansässige, aber einer Registrierungspflicht in der EU unterliegende Drittlands-Unternehmer sehen die Neuregelungen eine Parallelität der Verfahren49 vor. d) Änderungen zum 1.1.2021 Derzeit noch nicht ins nationale UStG aufgenommene Teile des eCommerce-Package werden erst ab 1.1.2021 umgesetzt werden. Für EU-Unternehmer werden aus den bisherigen Versandhandelsumsätzen innergemeinschaftliche B2C-Fernverkäufe. Eine Ausnahme gilt für verbrauchsteuerpflichtige und gebrauchte Gegenstände sowie Kunstgegenstände. Erfasst werden dann auch alle B2C-Dienstleistungen an EUVerbraucher aus der EU und aus dem Drittland. Die Erleichterungen im Rahmen der jetzt erfassten elektronisch erbrachten Dienstleistungen gelten dann für alle von der Neuregelung erfassten Umsätze. Die bisherigen Lieferschwellen im Versandhandel werden abgeschafft werden.50 Für Drittlands-Unternehmer werden ähnliche Sonderregelungen wie in der EU für Fernverkäufe aus dem Drittland mit einer Sachwertbegrenzung bis 150 Euro gelten. In diesem Zusammenhang wird die MwSt.-Befreiung für eingeführte Kleinsendungen bis 22 Euro aufgehoben werden.

5. Weitere Änderungen a) Aufhebung § 3 Abs. 9 Satz 3 UStG Das Gesetz hebt § 3 Abs. 9 Satz 3 UStG auf. Die Vorschrift ist nach dem Urteil des EuGH v. 18.1.2017 – Rechtssache C-37/16 (SAWP) nicht unionskonform. Gesetzlich festgelegte Abgaben, wie gesetzlich vorgesehene Vergütungen für geschützte Werke bei Verleih an öffentlich zugängliche Einrichtungen bzw. von Herstellern von Vervielfältigungsgeräten

49 § 18 Abs. 4c, 4d UStG. 50 In Deutschland 100 000 Euro (§ 3c Abs. 3 Nr. 1 UStG).

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nach den §§ 28, 54 UrHG begründen keine Leistung und sind nicht steuerbar. b) § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG In § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG wird der Begriffs des Entgelts an Art. 73 MwStSystRL angepasst. Es sind nicht die bisherige Sicht des Empfängers, sondern die Sicht des Leistenden und der Wert der Gegenleistung maßgeblich.

II. Weitere aktuelle Entwicklungen: EU-Ebene 1. Endgültiges MwSt-System Die EU-Kommission hat am 4.10.2017 einen umfassenden Vorschlag für ein endgültiges MwSt.-System vorgelegt.51 Die erste Stufe der Umsetzung des einheitlichen MwSt.-Raums durch ein endgültiges MwSt.-System betrifft nur Lieferungen. Die vorgeschlagene Änderung der MwStSystRL52 wurde ergänzt durch einen Kommissions-Vorschlag v. 25.5.2018 zur Einführung der detaillierten technischen Maßnahmen für die Anwendung des endgültigen MwSt.Systems für die Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten.53 Darin wird das Instrumentarium des „zertifizierten Steuerpflichtigen“ (CTP = certified taxable person), orientiert am zugelassenen Wirtschafts-

51 COM (2017) 569 final, Ratsdok.12880/17; COM (2017) 568 final, Ratsdok.12881/17; COM (2017) 567 final, Ratsdok.12882/17; – Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems und zur Einführung des endgültigen Systems der Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Vorschlag für eine Durchführungsverordnung des Rates zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 hinsichtlich bestimmter Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen – Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 hinsichtlich des zertifizierten Steuerpflichtigen. 52 Richtlinie 2006/112/EG. 53 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Einführung der detaillierten technischen Maßnahmen für die Anwendung des endgültigen Mehrwertsteuersystems für die Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, COM (2018) 329 final; Ratsdok. 9462/18.

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beteiligten im Zoll (AEO = Authorised Economic Operator), eingeführt. Es soll ins MIAS-Abfragesystem eingebunden werden. Darüber hinaus werden die rechtliche Grundlagen des endgültigen MwSt.-Systems beschrieben. Dazu gehört insbes. das Bestimmungslandprinzip. Ein neuer Begriff der „Lieferung innerhalb der Union“ soll die Steuerbefreiung im Abgangs-Mitgliedstaat und den steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungs-Mitgliedstaat ersetzen. Damit ist der Ort nach diesem Vorschlag immer im Eingangs-Mitgliedstaat der Gegenstände. Es soll für alle Umsätze ein „One-Stop-Shop“ (OSS, Einzige Anlaufstelle) eingeführt werden. Über diesen erfolgen Anmeldung und Abführung der MwSt. für Lieferungen in andere Mitgliedstaaten, später auch die Geltendmachung von MwSt. auf Einkäufe. Dies bezeichnet die Kommission als „Aufrechnung“ von MwSt. und Vorsteuer. Die MwSt. soll mit Rechnungsstellung, spätestens am 15. Tag des Folgemonats, entstehen. Die Zusammenfassenden Meldungen für Warenlieferungen innerhalb der Union sollen entfallen. Während der ersten Stufe soll eine Ausnahme vom Bestimmungslandprinzip und OSS in bestimmten Fällen gelten. „Zertifizierte Steuerpflichtige“ sollen für erworbene Gegenstände im Wege des Reverse Charge-Verfahrens mwst.-pflichtig sein. Nach Angaben der Kommission soll diese Ausnahmeregelung ca. 80 % der Fälle abdecken. Darüber hinaus enthält der Vorschlag so genannte Quick Fixes im geltenden Recht für Reihengeschäfte, Konsignationslager und die MwSt.Identifikationsnummer als materielle Voraussetzung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Die Änderung der DVO (EU) Nr. 282/2011 enthält einen weiteren Quick Fixe zur Harmonisierung und Vereinfachung des Nachweises der MwSt.Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Über die Änderung der VO (EU) Nr. 904/2010 wird der „zertifizierte Steuerpflichtigen“ in das MIAS-System54 eingebunden. Die zweite Stufe des Maßnahmenpakets soll die legislative Anpassung auf alle grenzüberschreitenden Leistungen, auch B2B-Dienstleistungen, enthalten. Damit wäre eine Gleichbehandlung aller inländischen und grenzüberschreitenden Umsätze erreicht. Als zeitliche Perspektive für die Einführung der zweiten Stufe weist die Kommission in ihren Vor54 MIAS = MwSt.-Informationsaustauschsystem.

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bemerkungen auf einen Einführungszeitpunkt nach einem Monitoring der ersten Umsetzungsstufe fünf Jahre nach Inkrafttreten der ersten Stufe hin. Mit der zweiten Stufe dürfte nach den bisherigen Planungen etwa im Jahr 2030 zu rechnen sein. Die Anwendung der Vorschläge für die Quick Fixes im geltenden Recht ist ab dem Jahr 202055 vorgesehen, die Umsetzung des endgültigen MwSt.-Systems für Lieferungen ab dem Jahr 2022 und zu den Dienstleistungen ca. ab dem Jahr 2030. Weitere Ziele der Kommission für das endgültige MwSt.-System sind auch schon vorgezeichnet. Sie möchte die Zusammenfassende Meldung56 insgesamt abschaffen und in allen Fällen die Rechnungstellungsvorschriften des Liefer-Mitgliedstaats für anwendbar erklären. Einhergehen soll dies mit einer Harmonisierung der Vorschriften zu Zeitpunkt der Rechnungstellung, Steuertatbestand und Steueranspruch bei Lieferungen von Gegenständen innerhalb der Union. Nach dem Stand der Erörterungen ist mit einem Abschluss der Beratungen in 2018 nicht zu rechnen. Vorbehalten der Mitgliedstaaten begegnen insbes. der „zertifizierte Steuerpflichtige“ und die Einführung des OneStop-Shops. Die derzeitige Österreichische Präsidentschaft57 will in den Beratungen Kompromisslinien ausloten und neue Vorschläge unterbreiten.

2. Zertifizierter Steuerpflichtiger (CTP) Nach dem Kommissions-Vorschlag v. 4.10.2017 soll im MwSt.-Recht ein „zertifizierter Steuerpflichtiger“58 in Anlehnung an das Zollrecht, den zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten, eingeführt werden. Dies setzt einen Antrag des Stpfl. bei den zuständigen Steuerbehörden am Sitz des Unternehmens voraus. Stpfl. mit Sitz und Umsätzen in der EU sind antragsberechtigt. Zuständig für die Gewährung sind nur Steuerbehörden der Mitgliedstaaten. Der Stpfl. hat den Steuerbehörden alle verlangten Informationen vorzulegen, die für die Entscheidung notwendig sind. Damit besteht keine Aufklärungspflicht der Steuerbehörden. Gegen die Ablehnung des Antrags besteht ein Rechtsmittel, eine verfahrensrechtliche Selbstverständlichkeit in Deutschland. 55 56 57 58

Die Umsetzung war ursprünglich für 2019 vorgesehen. Sog. MIAS-Eintrag; MIAS = MwSt.-Informationsaustauschsystem. Zweites Halbjahr 2018. Art. 13a MwStSyStRL.

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Voraussetzung der Gewährung des Status des „zertifizierten Steuerpflichtigen“ ist entweder der Status als zugelassener Wirtschaftsbeteiligter für Zollzwecke (AEO) ohne weitere Voraussetzungen oder alternativ die kumulative Erfüllung mehrerer Bedingungen. Es dürfen keine schwerwiegenden oder wiederholten Verstöße gegen Steuer- oder Zollrecht und keine schweren Wirtschaftsstraftaten von dem Stpfl. oder seinen rechtlichen Vertretern begangen worden sein. Zusätzlich muss ein hohes Maß an Kontrolle von Tätigkeiten und der Warenbewegungen über ein geeignetes System für Steuerprüfungen sichergestellt sein oder ein bescheinigter interner Prüfpfad, ein internes Kontrollsystem, vorgehalten werden. Weitere Voraussetzungen sind der Nachweis der Zahlungsfähigkeit, eine zufriedenstellende finanzielle Lage bzw. Garantien durch Dritte, wie Versicherungen, Banken oder zuverlässige Dritte. Ausgeschlossen ist die Erlangung des Status als „zertifizierter Steuerpflichtiger“ für Pauschallandwirte, Stpfl. mit Kleinunternehmerregelung oder mit steuerfreien Umsätzen ohne Vorsteuerabzugsrecht und gelegentliche Stpfl., zB bei der Lieferung neuer Fahrzeuge. Der Status ist für andere wirtschaftliche Tätigkeiten dieser Stpfl. aber möglich. Nach dem Stand der Erörterungen bestehen erhebliche Vorbehalte der Mitgliedstaaten gegen den „zertifizierten Steuerpflichtigen“. Die Kommission hält an dem Institut fest und will eine neue Liste mit Anforderungen an den „zertifizierten Steuerpflichtigen“ in Anlehnung an den AEO vorlegen.

3. Quick Fixes a) Quick Fixe: Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften aa) Problemstellung Die Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften ist davon abhängig, welche Lieferung in der Reihe die warenbewegte und damit ggf. die steuerbefreite ist. Die MwStSystRL sieht bisher für Reihengeschäfte keine Regelung vor, so dass die Handhabe in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ist. Dies ist für die Praxis ein Problem.

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bb) Vorschlag der Kommission Die Kommission hat mit ihrem Vorschlag eine Neuregelung mit Anknüpfung an den Status des „zertifizierten Steuerpflichtigen“59 vorgenommen. Soweit der erste bzw. der letzte Lieferer die Ware befördert oder versendet, kann nur die erste bzw. letzte Lieferung bewegt und steuerfrei sein. Befördert oder versendet der Zwischenlieferer die Ware, ist die Lieferung an ihn steuerfrei, wenn Lieferer und Zwischenlieferer „zertifizierte Steuerpflichtige“ sind, der Zwischenlieferer in einem anderen Mitgliedstaat als dem Liefer-Mitgliedstaat registriert und die Übermittlung des Namens des Eingangs-Mitgliedstaats der Ware an den Lieferer erfolgt ist. Dagegen ist die Lieferung durch den Zwischenlieferer, wenn er befördert oder versendet, steuerfrei, wenn eine der Bedingungen für die Steuerfreiheit der Lieferung an ihn nicht erfüllt ist. Dabei besteht kein Gutglaubensschutz bei nicht „zertifizierten Steuerpflichtigen“. Die Nachweispflicht der Steuerbefreiung liegt dann beim jeweiligen Stpfl. cc) Alternativvorschlag Die Länder Österreich, Ungarn und Deutschland haben einen Alternativvorschlag hierzu unterbreitet. Danach wird die Gewährung der Steuerbefreiung vom „zertifizierten Steuerpflichtigen“ entkoppelt. Nach diesem Vorschlag wird eine neue Ortsbestimmung der bewegten Lieferung60 eingeführt. Die Steuerfreiheit ist nur die Rechtsfolge. Wie im Vorschlag der Kommission kann bei Veranlassung des Transports der Ware vom ersten oder letzten Unternehmer in der Reihe nur die erste bzw. die letzte Lieferung die bewegte und damit ggf. steuerfreie sein. Erfolgt die Veranlassung des Transports durch den mittleren Unternehmer, wird eine typisierende Zuordnung der Warenbewegung der Lieferung an den mittleren Unternehmer vorgenommen. Eine Ausnahme ist durch Verwendung der MwSt.-Identifikationsnummer des Abgangs-Mitgliedstaats der Ware durch den mittleren Unternehmer möglich. Die Lieferung des mittleren Unternehmers wird dadurch die bewegte Lieferung und ist damit unter den weiteren Voraussetzungen steuerfrei. Die Aufnahme von Drittstaatenfällen wurde angeregt. Die Kommission hat den Alternativvorschlag ohne Drittstaatenfälle übernommen. Die anderen Mitgliedstaaten haben ebenfalls zugestimmt.

59 Art. 138a MwStSystRL. 60 Art. 39a MwStSystRL.

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b) Quick Fixe: Konsignationslager aa) Ausgangslage Die Kommission hat zudem einen Vorschlag zu Konsignationslagern61 vorgelegt, mit dem eine Vereinfachung und Vereinheitlichung für Call-off Stocks erzielt werden soll. Die Neuregelung führt zu einer einzigen steuerfreien Lieferung im Abgangs-Mitgliedstaat und zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb im Mitgliedstaat des Lagers. bb) Vorschlag der Kommission Voraussetzung ist nach dem Vorschlag der Kommission, dass der Lieferer und der spätere Erwerber „zertifizierte Steuerpflichtige“ sind, die Gegenstände über Verzeichnisse des Lieferers und des Erwerbers verfolgt werden können und in der Zusammenfassenden Meldung des Lieferers die Offenlegung der Identität des Erwerbers mit MwSt.-Identifikationsnummer erfolgt. Fehlt mindestens eine der Voraussetzungen, entfällt die Vereinfachung. Wie bisher ist dann die Lieferung ins Konsignationslager eine steuerfreie innergemeinschaftliche, der ein innergemeinschaftlicher Erwerb mit Registrierungspflicht des Lieferers im Mitgliedstaat des Lagers folgt. Zudem entsteht eine zweite Lieferung im Mitgliedstaat des Lagers bei Entnahme der Ware und Gelangen an den Erwerber. cc) Alternativvorschlag Zu diesem Vorschlag wurde ebenfalls ein Alternativvorschlag vorgelegt.62 Danach liegt eine einzige steuerfreie Lieferung im Abgangs-Mitgliedstaat und ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Mitgliedstaat des Lagers vor, wenn eine Verfolgung der Gegenstände über Register des Lieferers und des Erwerbers möglich, in der Zusammenfassenden Meldung des Lieferers die Offenlegung der Identität mit MwSt.-Identifikationsnummer des Erwerbers gewährleistet ist und der Abruf und die Lieferung aus dem Lager binnen zwölf Monaten erfolgen. Vor Ablauf dieser Frist ist eine vorherige Rücksendung der Ware in den Abgangs-Mitgliedstaat mit Verfolgung über die Registereinträge möglich. Nach Ablauf der zwölf Monate liegt ein Verbringen nach Art. 17 MwStSystRL vor.

61 Art. 17a, 243 Abs. 3, 262 MwStSystRL. 62 Art. 17a, 243 Abs. 3, 262 MwStSystRL.

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c) Quick Fixe: MwSt.-Identifikationsnummer Die MwSt.-Identifikationsnummer wird materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen.63 Der Lieferer muss die MwSt.-Identifikationsnummer des Erwerbers erfassen, im MIAS-System abfragen und selbst ordnungsgemäß im MIAS-System mit angeben.64 Zur Begründung weist die Kommission darauf hin, dass die MwSt.-Befreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen das Kernstück der bisherigen Regelung ist, aber gleichzeitig die Grundlage für Karussellbetrug darstellt. Die Nachverfolgung der ordnungsgemäßen Versteuerung im MIAS-System ist nur über die MwSt.-Identifikationsnummer des Erwerbers möglich. Der EuGH gewährt die Steuerbefreiung aber auch ohne MwSt.-Identifikationsnummer. Seit dem Wegfall der Zollgrenzen und der Zollunterlagen ist der MIAS-Eintrag die entscheidende Komponente des MwSt-Systems. d) Quick Fixe: Nachweispflichten für Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen aa) Regelung Über eine Änderung der Durchführungsverordnung werden die Nachweispflichten für Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen erleichtert.65 bb) Vorschlag der Kommission Nach dem Vorschlag der Kommission gilt eine Vermutung für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung für den Fall, dass der Verkäufer den Liefergegenstand befördert oder versendet, wenn er ein „zertifizierter Steuerpflichtiger“ ist und mindestens zwei Nachweise über die Beförderung bzw. den Versand66 vorweisen kann. Wenn der Erwerber die Ware befördert oder versendet, muss zur Erfüllung der Voraussetzungen für die Vermutung der Erwerber den Status eines „zertifizierten Steuerpflichtigen“ haben und eine schriftliche Erklärung über die Beförderung bzw. den Versand auf seine Rechnung mit Angabe 63 Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL. 64 Abgabe der Zusammenfassenden Meldung des Lieferers (Art. 262 MwStSystRL). 65 Art. 45a DV (EU) Nr. 282/2011. 66 ZB Empfangsbestätigung und CRM-Frachtbrief.

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des Bestimmungs-Mitgliedstaats bis zum zehnten Tag nach dem Liefermonat dem Verkäufer sowie mindestens zwei Nachweise über die Beförderung bzw. den Versand vorlegen. Die Finanzverwaltung kann die Vermutung widerlegen. Für den Fall, dass dies gelingt oder aus anderen Gründen keine Vermutung für einen innergemeinschaftlichen Umsatz greift,67 sind die bisherigen Regelungen in Auslegung durch den EuGH anwendbar. Die Nachweislast liegt wie bisher beim Stpfl., der sich auf die Steuerbefreiung beruft. cc) Alternativvorschlag Auch zu diesem Quick Fixe wurde ein Alternativvorschlag vorgelegt, der auf den Status des „zertifizierten Steuerpflichtigen“ als Voraussetzung für die Vermutung verzichtet. Für den Fall, dass der Verkäufer die Ware befördert oder versendet, benötigt er mindestens zwei sich nicht widersprechende Nachweise über die Beförderung bzw. den Versand von unabhängigen Parteien, wie Verkäufer und Erwerber.68 Wenn der Erwerber den Liefergegenstand befördert oder versendet, sind eine schriftliche Erklärung über die Beförderung bzw. den Versand auf seine Rechnung mit MwSt.-Identifikationsnummer und Angabe des Bestimmungs-Mitgliedstaats bis zum zehnten Tag nach dem Liefermonat und mindestens zwei Nachweise über die Beförderung bzw. den Versand vorzulegen. Die Finanzverwaltung kann die Vermutung widerlegen. e) Quick Fixe: Steuerbefreiung von Kostenteilungsgemeinschaften Im Rahmen eines Versuchs, von allen Mitgliedstaaten die politische Zustimmung69 für den Vorschlag der Kommission v. 4.10.2017 sowohl hinsichtlich der Quick Fixes als auch der Grundzüge des zukünftigen Mehrwertsteuersystems zu erlangen, legte die bulgarische Präsidentschaft70 einen Kompromissvorschlag im ECOFIN am 22.6.2018 vor. Danach soll auf den „zertifizierten Steuerpflichtigen“ im Rahmen der Quick Fixes im geltenden Recht verzichtet und das Instrumentarium im Rahmen des endgültigen Mehrwertsteuersystems eingehend beraten werden. 67 68 69 70

ZB kein Status als „zertifizierter Steuerpflichtiger“. ZB CRM-Frachtbrief und Empfangsbestätigung. Einstimmigkeitsprinzip (Art. 113 AEUV). 1. Halbjahr 2018.

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Hinsichtlich der bereits bekannten vier Quick Fixes sah der Vorschlag die Umsetzung des Alternativvorschlags von Österreich, Ungarn und Deutschland zu den Reihengeschäften vor. Ergänzt werden sollten die Quick Fixes um einen fünften Vorschlag für einen Art. 137a MwStSystRL, der eine Option der Mitgliedstaaten für eine Steuerbefreiung von Kostenteilungsgemeinschaften auch für steuerbefreite Umsätze nach Art. 135 MwStSystRL vorsah. Davon wären zB Umsätze von Banken oder Versicherungen erfasst. Der Vorschlag beruhte auf dem Wunsch von Frankreich und Italien. Hintergrund ist die Entscheidung des EuGH, dass eine Steuerbefreiung von Kostenteilungsgemeinschaften nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nur die Umsätze nach Art. 132 MwStSystRL erfassen kann71. Der Vorschlag ist auch am Widerstand der Kommission gegen diesen fünften Quick Fixe gescheitert. Die Beratungen hierzu wurden unter österreichischer Präsidentschaft72 fortgesetzt und im ECOFIN am 2.10.2018 beschlossen. Anstelle des fünften Quick Fixe wird die Kommission eine eigene Studie zu Kostenteilungsgemeinschaften erstellen und einen Vorschlag unterbreiten. Im Übrigen wurden die Alternativvorschläge zu Quick Fixes angenommen.73 Die Maßnahmen gelten ab 1.1.2020.74

4. MwSt.-Sätze Der Kommissions-Vorschlag v. 19.12.2017 zur unbefristeten Festschreibung des MwSt.-Mindestnormalsatzes von 15 % über den 31.12.201775 hinaus wurde im ECOFIN am 22.6.2018 beschlossen.76 Der Vorschlag der Kommission v. 1.12.2016 zur Einführung eines ermäßigten MwSt.-Satzes für eBücher, eZeitungen und eZeitschriften77 wurde im ECOFIN am 2.10.2018 ebenfalls beschlossen. Darüber hinaus liegt ein weiterer Kommissions-Vorschlag v- 18.1.2018 für eine Änderung der MwStSystRL zur Modernisierung der ermäßigten 71 EuGH v. 21.9.2017 – C-605/15 (Aviva), UR 2017, 801; v. 21.9.2017 – C-326/15 (DNB Banka), UR 2017, 806. 72 2. Halbjahr 2018. 73 Ratsdok. 12564/18. 74 Ursprünglich sollte die Umsetzung bis 1.1.2019 erfolgen. 75 Ratsdok. 15904/17. 76 ABl. EU 2018, L 162/1. 77 Ratsdok. 14823/16.

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MwSt.-Sätze78 vor. Die Kommission sieht bei Erreichung des Ziels der Besteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip keine Wettbewerbsverzerrungen mehr durch gleiche Besteuerung unabhängig vom Sitz des Unternehmers. Damit ist für sie eine Flexibilisierung bei den Steuersätzen durch die Mitgliedstaaten möglich. Der Vorschlag sieht eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der ermäßigten Steuersätze zwischen 5 % und 15 % vor. Wie bisher soll es bis zu zwei ermäßigte Sätze grundsätzlich auf alle Arten von Leistungen mit Wegfall des bisherigen abschließenden Positivkatalogs geben. Zusätzlich wird die Möglichkeit zur Einführung eines stark ermäßigten Steuersatzes von 1 % bis 5 % und eines Nullsatzes79 vorgesehen. Hierbei besteht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, diese nur Endverbrauchern zur Verfolgung von Zielen von allgemeinem Interesse zugutekommen zu lassen. Ausgeschlossen wird dies für Zwischenerzeugnisse. Für Leistungen, die nicht ermäßigt besteuert werden dürfen, wird ein Negativkatalog80 eingeführt. Die Beratungen zu diesem Vorschlag dauern noch an.

5. Kleinunternehmer Die Kommission hat am 18.1.2018 eine Änderung der MwStSystRL zur Modernisierung der Sonderregelung für kleine und mittelständische Unternehmen81 vorgeschlagen.82 Ziel ist die Modernisierung der veralteten KMU-Regelung mit dem Ziel der Entlastung der KMU durch Verringerung der Befolgungskosten, Abbau von Wettbewerbsverzerrungen durch rein nationale KMU-Regelungen und komplexe Regelungen bei grenzüberschreitender Tätigkeit sowie Förderung der Befolgung der Steuervorschriften. Die Anwendung der Vorschriften ist ab 1.7.2022 vorgesehen. Es wird eine neue Definition für KMU eingeführt. Darunter werden Unternehmen mit EU-weiten Umsätzen bis 2 Mio. Euro jährlich verstanden. Laut Kommission seien damit 98 % aller Unternehmen EU-weit er-

78 Ratsdok. 5335/18; BR-Drucks. 17/18. 79 Dies entspricht der Einführung einer Steuerbefreiung mit Vorsteuerabzug. 80 Dieser umfasst zB Edelmetalle, Schmuck, Juwelen, Kunst, Musikinstrumente, alkoholische Getränke, Tabak, Fahrzeuge und deren Reparatur, Kraftstoff, Öl, Gas, Waffen und Munition, elektronische Geräte, Uhren, Möbel, Spiele und Wetten, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. 81 KMU, Kleinunternehmer. 82 Ratsdok. 5334/18.

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fasst. Umgekehrt wäre die Folge, dass das endgültige MwSt.-System nur für 2 % aller Unternehmen in der EU gelten würde. Der Vorschlag sieht Vereinfachungen für KMU bis 2 Mio. Euro Umsatz bei der Rechnungstellung unabhängig vom Rechnungsbetrag, ein vereinfachtes Verfahren zum Erhalt einer MwSt.-Identifikationsnummer, bei der Aufbewahrung von Rechnungen sowie bei Aufzeichnungen und nur noch jährliche MwSt.-Erklärungen ohne Vorauszahlungen vor. Darüber hinaus greift eine EU-einheitliche Höchstgrenze von 85 000 Euro Umsatz netto jährlich für eine nationale MwSt.-Befreiung.83 Weitere Vereinfachungen für diese Unternehmen sind vorgesehen durch Befreiung von der Anzeige der Aufnahme einer Tätigkeit und der MwSt.-Identifikationsnummer bei rein national tätigen KMU, von der Rechnungsausstellungspflicht, von allen oder bestimmten Aufzeichnungspflichten nach dem Ermessen der Mitgliedstaaten und der Abgabe nur einer MwSt.Erklärung als vereinfachte Jahreserklärung. Im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt es, auf alle oder bestimmte Pflichten nach Art. 217–271 MwStSystRL84 für diese Unternehmer zu verzichten. Zusätzlich ist eine EU-weite Öffnung der nationalen MwSt.-Befreiung für in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Kleinunternehmer bis zu einem EU-weiten Netto-Jahresumsatz von 100 000 Euro jährlich vorgesehen. Die Erfassung und die Kontrolle der EU-weiten Umsätze muss durch den Ansässigkeits-Mitgliedstaat des KMU erfolgen. Damit besteht die Verpflichtung des Sitzlands zur Feststellung der Höhe aller Umsätze in der EU für bei ihm registrierte KMU. Unklar ist, wie die Finanzverwaltungen solche Unternehmen EU-weit kontrollieren sollen, obwohl diese fast keine Angaben mehr zu machen brauchen. Zudem besteht die Gefahr zu weitreichender Vereinfachungen und Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten anderer Unternehmer, ganz abgesehen von der Gefahr von Gestaltungen. Der Vorschlag wird in dieser Reichweite keine Zustimmung aller Mitgliedstaaten erfahren. Es besteht die Tendenz zur Abschwächung durch die österreichische Präsidentschaft.85 Beispielsweise könnten die KMU-Schwelle 500 000 Euro statt 2 Mio. Euro betragen und weiterhin unterjährige Umsatzsteuer-Zahlungen vorgesehen werden, um die Zahl der Mitgliedstaaten, die den Vorschlag unterstützen, zu erhöhen. 83 In Deutschland § 19 UStG (keine USt.-Erhebung). 84 Rechnungsausstellung, Zusammenfassende Meldung. 85 2. Halbjahr 2018.

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6. Zusammenarbeits-Verordnung Die Kommission hat am 30.11.2017 zudem einen Vorschlag für eine Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ursprünglich zur Umsetzung des „zertifizierten Steuerpflichtigen“ aus dem KOM-Vorschlag v. 4.10.2017, ergänzt um die Regelungen zur Betrugsbekämpfung, vorgelegt.86 Die Änderungen sollen ab 2019, 2020 und 1.7.2021 anwendbar sein. Der Vorschlag wurde im ECOFIN am 22.6.2018 als Kompromissvorschlag ohne Regelungen zum „zertifizierten Steuerpflichtigen“ beschlossen und im ECOFIN am 2.10.2018 offiziell angenommen. Er zielt auf die Bekämpfung drei verbreiteter Arten grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrugs, nämlich Karussellbetrug, Betrug beim Handel mit Neuwagen und Betrug im Zusammenhang mit den Zollverfahren 42 und 63.87 Wesentliche Maßnahmen hierzu sind die Zusammenarbeit der Steuerbehörden mit europäischen Strafverfolgungsbehörden, OLAF, Europol und der europäischen Staatsanwaltschaft, ein verbesserter Austausch über Einfuhren in die EU zwischen Steuer- und Zollbehörden sowie der Austausch von Informationen über Fahrzeug-Zulassungsdaten. Im Bereich von Prüfungen ergeben sich ab 2019 Änderungen aufgrund einer Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Wege des Informationsaustauschs sowie eines neuen Amtshilfeinstruments, der gemeinsamen Prüfungen mehrerer Mitgliedstaaten bei grenzüberschreitenden Umsätzen mit gleichen Befugnissen aller beteiligten Amtsträger. Es bestehen erweiterte Prüfpflichten der Mitgliedstaaten auf Ersuchen anderer Mitgliedstaaten mit eingeschränkten Ablehnungsmöglichkeiten. Eine zwingende Durchführung bei Beantragung einer gleichen Prüfung durch zwei Mitgliedstaaten ist in bestimmten Fällen vorgesehen. Während bisher bei MOSS-Umsätzen der Verbrauchs-Mitgliedstaat beim Stpfl. im Registrierungs-Mitgliedstaat Prüfungen durchführen muss, ist zukünftig der Registrierungs-Mitgliedstaat verpflichtet, bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen alle steuerlichen Kontrollen mit und

86 Einschließlich redaktionelle Anpassung der Verordnung (EU) 2017/2454 des Rates v. 5.12.2017 zur Änderung von Art. 17 der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 zum 1.1.2021 (Teil des eCommerce-Package); Ratsdok. 14893/17. 87 Steuerfreiheit von Einfuhren aus Nicht-EU-Staaten.

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Marhofer-Ferlan, Jahressteuergesetz 2018 und aktuelle Entwicklungen

auf Wunsch des Verbrauchs-Mitgliedstaats88 zu koordinieren und durchzuführen. Ab 2019 sind zudem Mitgliedstaaten-übergreifende MwSt.-Erstattungen aus Vorsteuer-Vergütungsansprüchen vorgesehen, wenn der Stpfl. MwSt.Schulden in anderen Mitgliedstaaten hat.

7. Reverse Charge a) Pilotverfahren für nationale Umsätze Der Kommissions-Vorschlag v. 21.12.2016 zur Änderung der MwStSystRL für ein auf fünf Jahre befristetes generelles Reverse Charge-Verfahren als Pilotverfahren für nationale Umsätze89 ist ein Vorschlag, den die Kommission nur ungern und nur auf Aufforderung des ECOFIN in seiner Sitzung vom Januar 201690 unterbreitet hat. Er wurde vor allem von Österreich und der Tschechischen Republik eingefordert, aber von Anfang an kontrovers diskutiert. Im Kompromissweg91 wurde als Voraussetzung ein Anteil von mehr als 25 % Karussellbetrug an der MwSt.-Lücke92 sowie ein Schwellenwert für Lieferungen über 17 500 Euro festgelegt. Eigentlich war die Entscheidung über den Vorschlag zusammen mit dem eCommerce-Package im Dezember 2017 geplant. Nach mehrfachen Beratungen im ECOFIN am 22.6.2018 und am 13.7.2018 konnten sich die Mitgliedstaaten im ECOFIN am 2.10.2018 einigen. b) Schnellreaktionsmechanismus Ein weiterer Kommissions-Vorschlag v. 25.5.2018 sieht die Verlängerung des fakultativen, sektorspezifischen Reverse Charge-Verfahrens nach Art. 199a MwStSystRL und des Schnellreaktionsmechanismus nach Art. 199b MwStSystRL als bis 20.6.2022 befristete Übergangslösung zur Betrugsbekämpfung bis zur Einführung des endgültigen MwSt.-Systems vor.93 Der ECOFIN hat den Vorschlag in seiner Sitzung am 2.10.2018 angenommen. 88 89 90 91 92

Diesem steht das Recht zur Besteuerung zu. Ratsdok. 15817/16; Ratsdok. 12617/17. Ratsdok. 5302/16. Ratsdok. 12565/18. Bericht der EU-Kommission v. 21.9.2018 zur MwSt.-Lücke 2018, veröffentlicht unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/business/tax-cooperationcontrol/vat-gap_de. 93 Ratsdok. 9461/18.

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Umsatzsteuer und Online-Handel Bestimmungslandprinzip versus Online-Handel Rechtsanwalt/Steuerberater Dr. Mathias Hildebrandt Berlin Roger Gothmann Hamburg I. Einleitung II. Aktuelle umsatzsteuerliche Systematik 1. Überblick 2. Grenzüberschreitende Lieferungen an Endverbraucher in der EU – die Versandhandelsregelung a) Bedeutung b) Anwendungsbereich des § 3c UStG c) Der Abnehmerkreis d) Problem und Lösung in der praktischen Umsetzung e) Die Lieferschwelle f) Lieferschwellenverzicht g) Zusammenfassung – Prüfalgorithmus h) Ausnahmen aa) Keine Versandhandelsregelung bei Differenzbesteuerung bb) Sonderwirtschaftszonen cc) Verbrauchsteuerpflichtige Waren dd) Neue Fahrzeuge 3. Grenzüberschreitende Lieferungen an Unternehmen in der EU a) Ausgangslage b) Buchnachweise c) Belegnachweise

4. Lieferungen in Drittstaaten a) Ausgangslage b) Buch- und Belegnachweise c) Sonderfall grenznahe Packstationen 5. Lieferungen in Drittstaaten – Sonderfall Schweiz ab 2019 III. Umsatzsteuer-Reformen ab 2021 1. Bedeutung 2. B2C-Lieferungen ab 2021 3. Aus dem MOSS wird ein OSS IV. Fallbeispiel – UmsatzsteuerCompliance eines OnlineHändlers 1. Ausgangslage 2. Status Quo 3. Mehrwertsteuer-Compliance bei Markteintritt ins EU Ausland a) Fragestellungen b) Versandhandelsregelung c) Verschiedene Steuersätze d) Flickenteppich an Verfahrensrecht e) Unterschiedliche Anforderungen an elektronischen Meldeverpflichtungen f) Verschiedene Zahlungsverpflichtungen g) Meldepflichten bei Nutzung von Fulfillment

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Hildebrandt/Gothmann, Umsatzsteuer und Online-Handel h) Weitere Meldepflichten i) Prozessoptimierung und Automatisierung

4. Vorgehensweise ab 2021/2022

I. Einleitung Mit über 500 Millionen Einwohnern stellt die Europäische Union (EU) einen der größten Binnenmärkte weltweit dar. Hinzu kommt eine technologische Infrastruktur in den meisten Mitgliedstaaten, die zur Erschließung dieses Binnenmarkts – insbes. für digitale Geschäftsmodelle – die Voraussetzungen schafft, um entsprechende Leistungen auch grenzüberschreitend anbieten zu können. Der Binnenmarkt ist eines der wesentlichen verbindenden Elemente zwischen den 28 Mitgliedstaaten und daher auch primärrechtlich in den Gründungsverträgen der EU verankert. „Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist.“1

Trotz des Wegfalls der Binnengrenzen und der damit einhergehenden Grenzkontrollen zum 1.1.1993 stellt die Umsatzsteuer trotz einer weitgehenden Harmonisierung noch immer eine der größten Barrieren für grenzüberschreitende Leistungen innerhalb der Europäischen Union (EU) dar. Im Folgenden wird der Fokus der Betrachtungen auf Lieferungen im Online-Handel liegen. Der Verkauf physischer Güter in der Europäischen Union über Webshops und elektronische Marktplätze findet zunehmend grenzüberschreitend statt. Trotz eines harmonisierten EU-Binnenmarkts stellt die Abwicklung der Umsatzsteuer-Pflichten, die sogenannte Umsatzsteuer-Compliance, eine noch immer große Hürde für viele Unternehmen dar. Unternehmen, die ihre Waren grenzüberschreitend verkaufen, tragen nach Schätzungen der EU-Kommission durchschnittliche Mehrwertsteuer-Befolgungskosten für jeden EU-Staat, in dem sie steuerpflichtig sind, iHv. 8000 Euro pro Kj.2 1 Art. 26 Abs. 2 AEUV. 2 EU-Kommission: Factsheet zur Modernisierung der Mehrwertsteuer für den elektronischen Geschäftsverkehr: Fragen und Antworten v. 5.12.2017 – MEO/16/3746.

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Hildebrandt/Gothmann, Umsatzsteuer und Online-Handel

Dennoch belaufen sich die Ausfälle im Bereich der Umsatzsteuer aller EU-Staaten auf bis zu 150 Mrd. Euro pro Kj. aufgrund der Nichtbefolgung der geltenden Regularien. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht immer nur kriminellen Ursprungs. Für Unsicherheit und Fehlbeurteilungen der Praxis sorgt insbes. das noch nicht konsequent umgesetzte Bestimmungslandprinzip innerhalb der EU. Beim grenzüberschreitenden Verkauf an Endverbraucher sind gewisse Schwellenwerte je EU-Staat zu beachten (die sogenannten Lieferschwellen), die dazu dienen, das Bestimmungslandprinzip zumindest bis zu einem gewissen Grad auszusetzen, um kleine und mittlere Unternehmen zu entlasten. Bei grenzüberschreitenden Lieferungen zwischen Unternehmen werden hingegen Umsätze künstlich in eine Lieferung und einen Erwerb aufgeteilt. Führt man sich vor Augen, dass im Bereich Online-Handel automatisierte Prozesse und damit einhergehende hohe Transaktionszahlen häufig die Treiber der Wertschöpfung sind, dann können Fehler im Bereich der Umsatzsteuer eine hohe Hebelwirkung entfalten – oftmals unentdeckt über viele Jahre.

II. Aktuelle umsatzsteuerliche Systematik 1. Überblick Die aktuelle umsatzsteuerliche Systematik grenzüberschreitender Lieferungen innerhalb der EU stellt eine seit 1993 währende Übergangslösung dar. Die mit der Vollendung des Binnenmarkts beabsichtige Erfassung grenzüberschreitender Umsätze im Ursprungsland (Ursprungslandprinzip) konnte bislang aus vielfältigen Gründen nicht vollzogen werden. Zur Wahrung des Steueraufkommens und aufgrund einer fehlenden Angleichung der Steuersätze zwischen den Mitgliedstaaten gilt daher seit 1993 das Prinzip der Besteuerung grenzüberschreitender Umsätze im Bestimmungsland (Bestimmungslandprinzip). „Die in dieser Richtlinie vorgesehene Regelung für die Besteuerung des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten ist eine Übergangsregelung, die von einer endgültigen Regelung abgelöst wird, die auf dem Grundsatz beruht, dass die Lieferungen von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen im Ursprungsmitgliedstaat zu besteuern sind.“3

Zu Beginn einer jeder umsatzsteuerlichen Prüfung steht daher die Frage, wo der entsprechende Umsatz steuerbar ist. Folgt man der Systematik 3 Art. 402 Abs. 1 MwStSystRL.

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Hildebrandt/Gothmann, Umsatzsteuer und Online-Handel

des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG und nimmt an, dass der jeweilige Umsatz im Online-Handel – im Folgenden nur Lieferungen – durch einen Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens und gegen Entgelt erbracht wird, ist die Fragestellung zunächst, ob der Ort der Lieferung im Inland liegt. „Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze: die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.“4

Kommt man im Rahmen dieser Betrachtung zu dem Schluss, dass der Ort einer Lieferung nicht im Inland liegt, ist die Prüfung für den OnlineHändler innerhalb der EU noch nicht beendet. Die Lieferung ist dann lediglich nur in Deutschland nicht steuerbar – möglicherweise aber in anderen EU-Staaten, was zu einer Steuerpflicht des Händlers im EUAusland führt. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL sorgt dafür, dass die Ortsbestimmung zwingend für alle EU-Staaten vorgenommen werden muss. Das Kriterium der Steuerbarkeit muss demnach zwingend umfassender geprüft werden. „Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze: a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt.“5

Wie eingangs erläutert, verfolgt das Umsatzsteuerrecht das Ziel, grenzüberschreitende Lieferungen im Bestimmungsland der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Allerdings werden dafür verschiedene Methoden verwendet, so dass zur Ortsbestimmung grenzüberschreitender Umsätze die folgenden Arten von Lieferungen klassifiziert und im weiteren Verlauf genauer betrachtet werden. (1) Lieferungen an Endverbraucher in der EU, (2) Lieferungen an Unternehmer in der EU, (3) Lieferungen in das Drittland und der (4) Sonderfall bestimmter Lieferungen in die Schweiz ab 2019. Das Umsatzsteuerrecht unterscheidet bei Lieferungen an einigen Stellen zwischen Beförderungen und Versendungen. Im Online-Handel treten überwiegend sogenannte Versendungslieferungen auf. Dabei wird die Ware nicht durch den Unternehmer selbst zum Leistungsempfänger 4 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG. 5 Art. 2 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL.

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Hildebrandt/Gothmann, Umsatzsteuer und Online-Handel

transportiert (Beförderung), sondern durch einen selbständigen Dritten, zB einen Logistikdienstleister. Den systematischen Einstieg zur Ortsbestimmung von Lieferungen bietet § 3 Abs. 5a UStG. Demnach kommt man erst dann zum allgemein bekannten Grundsatz, dass eine Lieferung dort als ausgeführt gilt, wo die Beförderung oder die Versendung an den Abnehmer beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG), wenn man sich eingehend mit den §§ 3c ff. UStG beschäftigt hat. Da im Online-Handel weder mit Gas, Elektrizität noch auf Schiffen gehandelt wird, führt § 3 Abs. 5a UStG in diesem Segment unmittelbar zu § 3c UStG und damit zur ersten Klasse von Lieferungen: den grenzüberschreitenden Lieferungen an Endverbraucher innerhalb der EU.

2. Grenzüberschreitende Lieferungen an Endverbraucher in der EU – die Versandhandelsregelung a) Bedeutung Einen Großteil grenzüberschreitender Umsätze in der EU machen so genannte Versandhandelsumsätze aus – Lieferungen an Endverbraucher. § 3c UStG, umgangssprachlich als Versandhandelsregelung bezeichnet, erscheint auf den ersten Blick leicht verständlich. b) Anwendungsbereich des § 3c UStG Demnach befindet sich der Ort einer Lieferung im Bestimmungsland, wenn die folgenden Tatbestandsmerkmale des § 3c Abs. 1 UStG erfüllt sind. Es handelt sich um eine (1) Beförderung oder Versendung (2) durch den Lieferer oder einen beauftragten Dritten und (3) der Gegenstand gelangt aus einem Mitgliedstaat in anderen Mitgliedstaat. c) Der Abnehmerkreis Wesentlich komplexer stellt sich § 3c Abs. 2 UStG dar. Dieser definiert den Kreis der Leistungsempfänger (Abnehmer), bei denen die Ortsverlagerung in das Bestimmungsland – also die in Abs. 1 genannte Rechtsfolge – greift.

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Hildebrandt/Gothmann, Umsatzsteuer und Online-Handel

Die Definition dieses Personenkreises, der von der Anwendung des § 3c UStG ausgeschlossen ist, findet sich in § 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b UStG. Das sind (1) Unternehmer, die den Gegenstand für ihr Unternehmen erwerben und (2) juristische Personen, die nicht Unternehmer sind oder den Gegenstand für nichtunternehmerische Zwecke erwerben. Demnach zielt § 3c UStG vornehmlich auf Endverbraucher ab – allerdings mit der weiteren Einschränkung des Abs. 2 Nr. 2. § 3c Abs. 2 Nr. 2 UStG weicht die in Nr. 1 definierte Beschränkung auf Endverbraucher wieder auf. Demnach fallen zusätzlich unter die Anwendung des § 3c UStG die folgenden Abnehmer: (1) Unternehmer, die nur steuerfreie Umsätze ausführen, die zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs führen, (2) Kleinunternehmer, die nach dem Recht des für die Besteuerung zuständigen Mitgliedstaats von der Steuer befreit oder auf andere Weise von der Besteuerung ausgenommen sind, (3) Unternehmer, die nach dem Recht des für die Besteuerung zuständigen Mitgliedstaats die Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger anwenden, und (4) juristische Personen, die nicht Unternehmer sind oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwerben. Zusätzlich dürfen die in (1)-(4) genannten Abnehmer die so genannte Erwerbsschwelle in ihren Sitzstaaten nicht überschritten oder darauf verzichtet haben. d) Problem und Lösung in der praktischen Umsetzung Die Abgrenzung der Personen, die als Abnehmer iSd. § 3c UStG gelten, erscheint kompliziert und umständlich. Darüber hinaus ergeben sich viele Unwägbarkeiten, die in der Praxis kaum zu meistern sind. So ist zB die Überwachung der Erwerbsschwelle durch den Lieferer nicht möglich. Zum einen variieren diese Werte je EU-Staat. Die MwStSystRL hat in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a lediglich definiert, dass der Wert nicht unter 10 000 Euro liegen darf. Zum anderen dürften die meisten Käufer nicht nur bei einem Unternehmer im Ausland einkaufen, so dass der Lieferer die Information zur Erwerbsschwelle beim Abnehmer einholen 638

Hildebrandt/Gothmann, Umsatzsteuer und Online-Handel

müsste. Das ist im Bereich Online-Handel – insbes. beim Handel über elektronische Marktplätze – technisch kaum (vor Ausführung der Lieferung) möglich. Diese Problematik lässt sich jedoch anhand des Telos des § 3c UStG lösen. Letztendlich soll die Versandhandelsregelung zu einer Ortsverlagerung in das Bestimmungsland führen, soweit der Abnehmerkreis nicht gesetzlich verpflichtet ist, einen so genannten innergemeinschaftlichen Erwerb iSd. § 1a UStG zu versteuern. Dazu sind Voll-Unternehmer, wie sie in § 3c Abs. 2 Nr. 1 UStG definiert sind, regelmäßig verpflichtet. So genannte atypische Unternehmer bzw. Schwellenunternehmer, wie sie in § 3c Abs. 2 Nr. 2 UStG genannt werden, unterliegen der Erwerbsbesteuerung nur dann, wenn sie die Erwerbsschwelle überschritten oder darauf verzichtet haben. Der Abnehmerkreis, der nicht zu den Adressaten des § 3c UStG gehört, weist sich somit durch die Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt.-IdNr.) aus, so dass auf dieses Merkmal abgestellt werden kann. e) Die Lieferschwelle Bislang lässt sich die Versandhandelsregelung wie folgt zusammenfassen: Gelangt die Waren im Rahmen einer Beförderung oder Versendung von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat und verwendet der Abnehmer keine USt.-IdNr., dann verlagert sich der Ort Lieferung in das Bestimmungsland nur dann, wenn der Lieferer entweder im Vorjahr oder im laufenden Kj. die Lieferschwelle des jeweiligen Bestimmungslands überschritten hat. Art. 34 MwStSystRL definiert lediglich zwei Werte für die Lieferschwelle: (1) 100 000 Euro (Standard) oder (2) 35 000 Euro (Option). EU-Staaten, die nicht der Eurozone angehören, übernehmen einen der beiden Werte in ihrer jeweiligen Landeswährung. Alle EU-Staaten haben nach Art. 34 Abs. 2 MwStSystRL das Recht, eine Lieferschwelle von 35 000 Euro umzusetzen, wenn bei einem Wert von 100 000 Euro von schwerwiegenden Wettbewerbsverzerrungen auszugehen ist. Mittlerweile haben fast alle EU-Staaten von dieser Option Gebrauch gemacht – zuletzt Frankreich zum 1.1.2016. 639

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f) Lieferschwellenverzicht Grundsätzlich kann auf die Anwendung der Lieferschwelle verzichtet werden (§ 3c Abs. 4 Satz 2 und 3 UStG). Das ist für jeden EU-Staat gesondert möglich. Der Verzicht gilt grundsätzlich immer nur für das gesamte Kj. und bindet den Unternehmer mindestens zwei Jahre. Der Verzicht ist in dem Staat zu erklären, der das Besteuerungsrecht verliert. In den meisten EU-Staaten ist das formlos möglich – insofern auch konkludent. Aus Gründen der Rechtssicherheit bzw. zur Dokumentation wird jedoch ein Verzicht in Schriftform empfohlen. g) Zusammenfassung – Prüfalgorithmus Die bisherigen Ausführungen lassen sich zu einem robusten Prüfalgorithmus zusammenfassen, der drei Stufen hat. (1) Gelangt die Ware von einem EU-Staat in einen anderen EU-Staat? (2) Verwendet der Käufer keine USt.-IdNr.? (3) Wurde die Lieferschwelle des Bestimmungslands überschritten oder darauf verzichtet? Können alle drei Fragen mit JA beantwortet werden, befindet sich der Ort der Lieferung gem. § 3c Abs. 1 UStG im Bestimmungsland. h) Ausnahmen aa) Keine Versandhandelsregelung bei Differenzbesteuerung Unter den Voraussetzungen des § 25a UStG können sogenannte Wiederverkäufer die Umsatzsteuer für ihre Lieferungen aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis bemessen. § 25a Abs. 7 Nr. 3 UStG schließt die Lieferungen aus dem Anwendungsbereich des § 3c UStG aus, die der so genannten Differenzbesteuerung unterworfen werden. Diese Lieferungen sind somit immer im Ursprungsland zu erfassen. bb) Sonderwirtschaftszonen Regionen wie die Kanarischen Inseln oder Helgoland gehören zwar zum Territorium der EU, gelten aber umsatzsteuerlich als Drittland. Lieferungen in diese Gebiete fallen somit nicht unter den Anwendungsbereich des § 3c UStG. Stattdessen liegen in diesen Fällen steuerfreie Ausfuhrlieferungen gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a iVm. § 6 Abs. 1 UStG vor.

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Eine Aufzählung der Abschn. 1.10. UStAE.

Sonderwirtschaftszonen

befindet

sich

in

cc) Verbrauchsteuerpflichtige Waren Waren, die der Verbrauchsbesteuerung unterliegen (Alkohol, Tabak und Mineralöle), fallen zwar unter den Anwendungsbereich des § 3c UStG – allerdings greift gem. § 3c Abs. 5 Satz 2 UStG die Anwendung der Lieferschwelle nicht. Diese Produkte sind somit immer ab dem ersten Umsatz im Bestimmungsland steuerbar. dd) Neue Fahrzeuge Da für neue Fahrzeuge iSd. § 1b Abs. 3 UStG das Bestimmungslandprinzip durch die so genannte Fahrzeugeinzelbesteuerung (§ 1b UStG) bereits hergestellt wird, fällt die Lieferung dieser Gegenstände nicht in den Anwendungsbereich des § 3c UStG.

3. Grenzüberschreitende Lieferungen an Unternehmen in der EU a) Ausgangslage B2B-Marktplätze stellen im Online-Handel noch eine Nische dar. Einige Betreiber etablierter B2C-Marktplätze investieren jedoch seit geraumer Zeit in den Aufbau von Plattformen für die Vermittlung von Lieferungen an Unternehmen. Bei grenzüberschreitenden Warenlieferungen innerhalb der EU zwischen Unternehmern wird das Bestimmungslandprinzip durch eine Aufspaltung des Umsatzes in zwei Transaktionen umgesetzt. Beim Erwerber führt der Umsatz zu einem steuerbaren und im Online-Handel auch fast immer steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb iSd. § 1a UStG bzw. Art. 20 MwStSystRL. Da der Umsatz bereits als Erwerb im Bestimmungsland der Steuerbarkeit und häufig auch der Steuerpflicht unterliegt, wird die Lieferung beim Verkäufer von der Umsatzsteuer befreit gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b iVm. § 6a Abs. 1 UStG. Eine so genannte innergemeinschaftliche Lieferung liegt vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Die Ware gelangt von einem EU-Staat in einen anderen EU-Staat und (2) der Gegenstand der Lieferung unterliegt beim Abnehmer der Erwerbsbesteuerung. 641

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Die Herausforderung und in der Praxis häufigste Fehlerquelle liegt in der Dokumentation der Voraussetzungen des Abs. 1. Diese Pflichten hat der Gesetzgeber mittels § 6a Abs. 3 UStG in die Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) ausgelagert. Die §§ 17a ff. UStDV teilen die erforderlichen Nachweise in sogenannte Buch- und Belegnachweise auf. b) Buchnachweise § 17c Abs. 1 UStDV fordert die buchmäßige Aufzeichnung der ausländischen USt.-IdNr. des Abnehmers. § 17c Abs. 2 UStDV verlangt darüber hinaus die Aufzeichnung zahlreicher Parameter des zugrunde liegenden Umsatzes. Ein Großteil der in Abs. 2 geforderten Informationen sollte in der Rechnung erfasst sein, die gem. § 14a Abs. 3 UStG innerhalb kurzer Frist zu erstellen und als Bestandteil des Belegnachweises vorzuhalten ist. c) Belegnachweise Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a Abs. 1 UStG) hat der Unternehmer im Geltungsbereich des Gesetzes durch Belege nachzuweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Die Voraussetzung muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben. In Abs. 2 des § 17a UStDV gibt der Gesetzgeber Empfehlungen zu eindeutig und leicht nachprüfbaren Belegnachweisen. Der EuGH hat wiederholt entschieden,6 dass Buch- und Belegnachweise grds. keine materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen sein dürfen, soweit kein Fall der Steuerhinterziehung vorliegt. Vor ähnlichen formalistischen Herausforderungen steht der Unternehmer bzw. sein steuerlicher Berater bei Lieferung in Drittstaaten.

4. Lieferungen in Drittstaaten a) Ausgangslage Lieferungen in Drittstaaten sind ebenso wie innergemeinschaftliche Lieferungen von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 1 Buchst. a iVm. § 6 6 Zuletzt EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15 (Josef Plöckl), UR 2016, 882.

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Abs. 1 UStG). Der Grund für die Umsatzsteuerbefreiung ist, dass in vielen Drittstaaten die Einfuhr von Gegenständen der Einfuhrbesteuerung unterliegt, so dass es bei einer steuerpflichtigen Lieferung anderenfalls zu einer Doppelbesteuerung kommen würde – jeweils im Ursprungsund im Bestimmungsland. Aus diesem Grund greift die Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen auch unabhängig davon, ob der Abnehmer ein Unternehmer oder ein Endverbraucher ist. Für den Online-Handel relevant sind die Fälle nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG, in denen der Unternehmer die Ware in das Drittland versendet. b) Buch- und Belegnachweise Das Tatbestandsmerkmal der Versendung in das Drittland muss durch den Unternehmer nachgewiesen werden. § 6 Abs. 4 UStG iVm. § 10 UStDV regelt in diesen Fällen die Möglichkeiten der Dokumentation aus der Sicht der Finanzverwaltung. Demnach können insbes. der Frachtbrief oder der Einlieferungsschein für im Postverkehr versendete Lieferungen als Nachweis dienen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStDV). Dieser Belegnachweis sollte zwingend mit dem für Ausfuhrlieferungen ebenfalls zu führenden Buchnachweis gem. § 13 UStDV verknüpft werden. Im Rahmen von Umsatzsteuer-Sonder- und Betriebsprüfungen stellen die genannten formalen Kriterien häufig einen Prüfungsschwerpunkt dar. c) Sonderfall grenznahe Packstationen Oftmals lassen sich Abnehmer mit Sitz im Drittland – insbes. aus der Schweiz – ihre Bestellungen im Online-Handel an grenznahe Paketstationen in Deutschland schicken. Von dort aus führen sie die Güter dann selbst in das Drittland aus. Oftmals wenden sich die Abnehmer im Nachgang an den Händler und bitten um Erstattung der deutschen Umsatzsteuer. Fraglich ist, ob in diesen Fällen eine steuerfreie Ausfuhrlieferung vorliegen kann. Zur Anwendung kommt in diesen Fällen § 6 Abs. 3a UStG – Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr. Eine entsprechende Klarstellung in Bezug auf Lieferungen an Packstationen bietet ua. eine Verfügung der Thüringer Landesfinanzdirektion.7

7 LFD Thüringen v. 15.6.2016 – S 7133 A - 03 - A 5.14, UR 2016, 860.

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Oftmals wird im Rahmen der Inlandslieferung an die Packstation eine Rechnung mit ausgewiesener deutscher Umsatzsteuer erstellt worden sein. Um eine Steuerfestsetzung nach § 14c Abs. 1 UStG zu vermeiden, sollte grds. immer ein Storno dieser Rechnung erfolgen. Weitere Klarstellungen enthält ein BMF-Schreiben aus dem Jahr 2014.8

5. Lieferungen in Drittstaaten – Sonderfall Schweiz ab 2019 Die Schweiz verzichtet aus administrativen Gründen bis zu einem Betrag von 5 CHF auf die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer. Diese sogenannten Kleinsendungen führen aufgrund der zunehmenden Bedeutung des Online-Handels zu einem immer stärker werdenden Wettbewerbsnachteil für Händler mit Sitz in der Schweiz. Da der Standardsteuersatz in der Schweiz lediglich 7,7 % beträgt, kann der Wert einer Kleinsendung bis zu 65 CHF (netto) betragen. Bis zu diesem Betrag können Endverbraucher in der Schweiz Lieferungen aus dem Ausland bislang ohne eine Belastung mit Schweizer Mehrwertsteuer beziehen. Die Schweiz führt aus diesem Grund zum 1.1.2019 eine so genannte Versandhandelslieferung ein, die mit § 3c UStG vergleichbar ist. Danach verlagert sich der Ort einer Lieferung aus dem Ausland in die Schweiz sowie aller folgenden Lieferungen, sobald der kumulierte Betrag aller Kleinsendungen den Wert von 100 000 CHF überschritten hat. Das führt zu einer Steuer- und Registrierungspflicht in der Schweiz, die grds. mit der obligatorischen Bestellung eines Fiskalvertreters verbunden ist. Es gilt zu beachten, dass eine Steuerpflicht erstmalig bereits zum 1.1.2019 eintreten kann, wenn der kumulierte Wert der Kleinsendungen in die Schweiz im Kj. 2018 den Wert von 100 000 CHF überschritten hat. Darüber hinaus liegt aus deutscher Sicht weiterhin eine steuerfreie Ausfuhrlieferung vor, für welche die in den §§ 8 ff. UStDV genannten Buchund Belegnachweise geführt werden müssen.

8 BMF v. 12.8.2014 – IV D 3 - S 7133/14/10001 – DOK 2014/0712080, UR 2014, 787

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III. Umsatzsteuer-Reformen ab 2021 1. Bedeutung Die vorherigen Ausführungen sowie das Fallbeispiel am Ende dieses Artikels verdeutlichen die Komplexität bei der umsatzsteuerlichen Beurteilung EU-weit grenzüberschreitender Lieferungen im Online-Handel sowie der dazugehörenden Umsatzsteuer-Compliance. Im Rahmen einer umfassenden Reforminitiative hat die EU-Kommission daher grundlegende Änderungen des Umsatzsteuerrechts vorgeschlagen. Diese Vorschläge wurden nach langen Verhandlungen am 5.12.2017 einstimmig durch den ECOFIN-Rat angenommen. Die Änderungen im Bereich Online-Handel sehen wie folgt aus.

2. B2C-Lieferungen ab 2021 Der Ort von Lieferungen an Endverbraucher wird ab dem 1.1.2021 grundsätzlich im Bestimmungsland liegen. Nationale Lieferschwellen werden durch einen EU-weit einheitlichen und globalen Schwellenwert iHv. 10 000 Euro ersetzt. Ein Online-Händler, der mit seinen grenzüberschreitenden Lieferungen diesen Wert überschritten hat, wird mit allen folgenden Lieferungen im jeweiligen Bestimmungsland steuerpflichtig.

3. Aus dem MOSS wird ein OSS Die genannte Neuregelung ab 2021 wird für viele Online-Händler zu Steuerpflichten in zahlreichen EU-Staaten führen. Um die damit einhergehenden Kosten für die Umsatzsteuer-Compliance nicht prohibitiv werden zu lassen, ist geplant, die Abgabe der Umsatzsteuer-Erklärungen über ein zentrales elektronisches Portal im Sitzstaat des Händlers zu ermöglichen. Im Bereich der digitalen Dienstleistungen ist das bereits über den sogenannten Mini One Stop Shop (MOSS) möglich. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, den MOSS zu einem One Stop Shop auszubauen, damit ab 2021 auch Lieferungen im Versandhandel darüber gemeldet werden können.

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IV. Fallbeispiel – Umsatzsteuer-Compliance eines OnlineHändlers 1. Ausgangslage Für Handelsunternehmen, ob klein oder groß, birgt die Umsatzsteuer das größte Risiko aus Tax Compliance-Gesichtspunkten. Dies liegt – wie oben erläutert – an den vielfältigen und unterschiedlichen rechtlichen Verpflichtungen auf der einen Seite, aber auch an der technischen Abbildung der einzelnen Transaktionen andererseits. Für Online-Händler erhöht sich das Risiko dadurch, dass bei der Internationalisierung der Geschäftstätigkeit die Komplexität der umsatzsteuerlichen Compliance exponentiell steigt. Die folgende Abhandlung soll sich dabei auf die Europäische Union mit ihrem harmonisierten Mehrwertsteuersystem beschränken. Das Fallbeispiel bezieht sich auf den B2C Online-Handel und klammert die oben genannten Sonderfälle aus. Allein dieser Grundfall macht deutlich, wie komplex die Umsatzsteuer-Compliance im EU-weiten Umfeld für einen Online-Händler ist. Für Länder außerhalb der EU gelten eigene Regeln, die teilweise stark vom Mehrwertsteuersystem der EU abweichen und eigenen Änderungen unterliegen.9 Aktuell sei nur auf die Entwicklung in der Schweiz10 und in den USA11 verwiesen.

9 Siehe überblicksmäßig zum Beispiel Korn, IStR 2018, 643, der über das Seminar J des diesjährigen IFA-Kongresses über die Erhebung der Mehrwertsteuer auf grenzüberschreitende Lieferungen und Dienstleistungen in bestimmungslandbasierten Mehrwertsteuersystemen berichtet. 10 Siehe zur bereits erwähnten Revision der Mehrwertsteuer Geiger, UR 2017, 738; Suter/Blättler, MwStR 2017, 911. Das Eidgenössische Finanzdepartement schätzt mit 30 000 mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmen zusätzlich und rund 40 Mio. CHF Mehreinnahmen, https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/ themen/steuern/steuern-national/revision-der-mehrwertsteuer/fb-revision_ mehrwertsteuer.html. 11 Eine Vielzahl von Bundestaates erheben eigene Verkaufssteuern („Sales Tax“) und Gebrauchssteuern („Use Tax“). Daraus ergibt sich ein Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen, die teilweise auch beim Onlinehandel und dem Versenden von Ware greifen. Zum aktuellen Urteil des US Supreme Court v. 21.6.2018 in der Rs. South Dakota vs. Wayfair zur Aufhebung des physischen Anwesenheitserfordernisses für die Anwendung der sales tax in einzelnen Bundesstaaten s. Loose, IStR-LB 2018, 63.

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2. Status Quo Der typische Online-Händler erbringt Lieferungen iSd. § 3 Abs. 1 UStG an Endverbraucher. Mögliche sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit der Lieferung teilen im Normalfall das Schicksal der Hauptleistung iSd. Abschn. 3.10. Abs. 5 UStAE. Im rein nationalen Fall fällt die jeweilige Umsatzsteuer des Mitgliedstaats an. Ist der Abnehmer Unternehmer iSd. § 2 Abs. 1 UStG, hat dieser Anspruch auf eine ordnungsgemäße Rechnung gem. § 14 Abs. 4 UStG. Handelt es sich beim Abnehmer um einen Endverbraucher, entfällt diese Verpflichtung zumindest in Deutschland. IdR wird der Online-Händler aber für jeden Abnehmer eine ordnungsgemäße Rechnung erstellen, da dies technisch nach einmaliger Implementierung keine Schwierigkeit darstellt. Eine Unterscheidung zwischen Unternehmer und Endverbraucher kann dann für den Online-Händler unterbleiben. Beim Verkauf auf Online-Marktplätzen bieten diese überwiegend die Erstellung der Rechnung auf ihrer Plattform an.

3. Mehrwertsteuer-Compliance bei Markteintritt ins EU Ausland a) Fragestellungen Will der Online-Händler in einen anderen EU-Mitgliedstaat seine Waren anbieten, stellen sich sofort mehrere Fragen. Der Markteintritt im Ausland kann über den eigenen Webshop oder Online-Marktplätze praktisch und technisch verhältnismäßig einfach umgesetzt werden. Letztlich sind ggf. eine andere Sprache, andere bzw. eher weitere Zahlungsmethoden und neue Logistikdienstleister die praktischen Themen. b) Versandhandelsregelung Mit dem Versenden von Waren in andere EU-Mitgliedstaaten unterliegt der Händler der oben beschriebenen Versandhandelsregelung iSd. § 3c UStG des jeweiligen Mitgliedstaats. Der Händler kann bis zum Erreichen der jeweiligen Lieferschwelle iSd. § 3c Abs. 3 UStG auch mit deutscher Umsatzsteuer fakturieren. Dies kann uU jedoch den Kunden verwirren, misstrauisch machen und gar vom Kauf abhalten. Dies hat negativen Einfluss auf die Conversion Rate, also das Verhältnis von Anzahl der Verkäufe zur Anzahl der Impressionen. Diese Impressions, die Ansichten eines Produkts im Onlineshop

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durch einen potentiellen Käufer, sind dabei oft durch Marketing und/oder Preispolitik teuer erkauft. Wendet der Händler die oben näher beschriebene Regelung zur Lieferschwelle an, muss er für den jeweiligen EU-Mitgliedstaat den dort geltenden Schwellenwert kennen und sich frühzeitig vor Erreichen der jeweiligen Umsatzgrenze um eine umsatzsteuerliche Registrierung im Bestimmungsland kümmern. Beim gleichzeitigen Markteintritt in mehrere EU-Länder sollte dann eine gute Planung und Überwachung der Umsätze erfolgen, um eventuelle negative Konsequenzen aus verspäteter Registrierung und Umstellung der Umsatzsteuer-Compliance sowie der technischen Umsetzung zu verhindern. Verzichtet der Händler bewusst gem. § 3c Abs. 4 UStG auf die Lieferschwellenregelung, fallen Registrierung und anschließende Meldepflichten sofort an. Der Händler erspart sich dafür die Umsatzplanung für die Lieferschwelle. c) Verschiedene Steuersätze Typischerweise wird der Online-Händler für viele Waren den Regelsteuersatz des jeweiligen Mitgliedstaats anwenden müssen. Um in der Preispolitik wettbewerbsfähig zu sein, muss der Händler bestenfalls alle anwendbaren ermäßigten Steuersätze pro Staat anwenden. Dies kann zu einiger Komplexität in der Recherche und Anwendung führen wie etwa in Deutschland die bekannte Frage zur Anwendung des Steuersatzes zum Überraschungsei zeigt. In Luxemburg und dem Vereinigten Königreich unterliegt beispielsweise Kleidung für Kinder einem ermäßigten Steuersatz von null Prozent. Die Definition der Kinderkleidung ist jedoch sehr unterschiedlich. Die Identifikation als Kinderkleidung ähnelt in ihrer Vielschichtigkeit dem Vorgehen bei der Tarifierung im Zollrecht. d) Flickenteppich an Verfahrensrecht Trotz des harmonisierten Mehrwertsteuersystems besteht neben unterschiedlichen Lieferschwellen ein Flickenteppich an verfahrensrechtlichen Regelungen zur Registrierung und Abführung der Mehrwertsteuer in der EU. Der Registrierungsantrag ist bei der zuständigen Behörde zu stellen. Einige Staaten verlangen neben der Unterschrift der gesetzlichen Vertreter auf dem Antrag eine notarielle Beglaubigung oder eine Apostille. Teilweise sind Kopien der Personaldokumente der Gesellschaftsvertreter einzureichen. In einigen Ländern benötigt man für den Versand 648

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der elektronischen Mehrwertsteuermeldung eine nationale Steuernummer einer natürlichen Person. Es gibt unterschiedliche Voranmeldungszeiträume und Meldefristen in den einzelnen Ländern. In einigen EU-Mitgliedstaaten existiert keine Jahreserklärung. In einer Reihe von Ländern ist die Ausstellung von Rechnungen an Endverbraucher verpflichtend. Der Online-Händler braucht zwangsläufig externe Unterstützung, die im Business Case bzw. in der Budgetplanung für den Eintritt in einen neuen Markt nicht zu vernachlässigen ist. Diese Kosten sollten als Investment verstanden werden, um negative finanzielle Folgen wie Verspätungszuschläge, Strafzahlungen und Zinsen, aber auch Sonderprüfungen und ggf. Reputationsschäden sowie persönliche Haftungen der Gesellschaftsvertreter zu verhindern. Die bekannten internationalen Kanzleinetzwerke oder Berater vor Ort erbringen neben der mehrwertsteuerrechtlichen Beratung auch Dienstleistungen im Bereich der Mehrwertsteuer-Compliance. Daneben haben sich verschiedene Dienstleister etabliert, die sich auf die Registrierung und Abwicklung der Mehrwertsteuer in Europa spezialisiert haben. e) Unterschiedliche Anforderungen an elektronischen Meldeverpflichtungen Die Voranmeldungen sind in allen Ländern elektronisch einzureichen. Dafür benötigt man bestimmte digitale Zertifikate, teilweise auch elektronische Token auf speziellen Speichermedien. In einigen Ländern existiert bereits die Verpflichtung, neben den Voranmeldungen auch weitere Daten an die Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln. In Spanien sind beispielsweise umsatzsteuerliche Angaben über Aus- und Eingangsrechnungen, bestimmte innergemeinschaftliche Transaktionen sowie Investitionsgüter innerhalb von vier Tagen zu melden („Suministro Inmediato de Información“ – SII). In Polen hat monatlich eine elektronische Meldung des so genannten Mehrwertsteuerregisters für Ein- und Verkäufe in Form des Standard Audit File – Tax (SAF-T) zu erfolgen. Ungarn hat zum 1.7.2018 die Übermittlung von Rechnungsdaten aus Ausgangsrechnungen in Echtzeit und ein Clearing-System für den Austausch von Rechnungen eingeführt. In Italien sind ab dem 1.1.2019 Rechnungen elektronisch auszustellen und über das offizielle Austauschsystem „Sistema di Interscambio“ (Sdl) zu versenden. Weitere Länder mit ähnlichen Anforderungen werden folgen.

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Aufgrund der Vielzahl von Einzeltransaktionen von Online-Händlern entstehen dabei schnell größere Datenmengen, die zu melden sind. Digitale Zertifikate müssen entsprechend implementiert werden. Der Händler muss ggf. Änderungen an seinem System vornehmen, um alle notwendigen Informationen in der vorgeschriebenen Frist intern zur Aufbereitung der Meldepflichten bereitzustellen. Dies kann einen größeren technischen Aufwand bedeuten. Es scheint derzeit auf dem Markt keinen Softwareanbieter zu geben, der für alle EU Länder die jeweiligen elektronischen Meldungen in einem Tool automatisiert vornehmen kann. Man ist deshalb derzeit auf die oben erwähnten Dienstleister und/oder die Entwicklung eigener Lösungen angewiesen. f) Verschiedene Zahlungsverpflichtungen Auch in Bezug auf die Zahlung der Mehrwertsteuer bestehen Unterschiede in der EU. So ist es in nur etwa der Hälfte der Mitgliedstaaten möglich, das Lastschriftverfahren anzuwenden. Einige Länder verlangen dazu ein Bankkonto im jeweiligen Staat. Der Bankeinzug hat den Vorteil, dass der Händler das Risiko von Zuschlägen für verspätete Zahlungen umgeht. Es sind ansonsten unterschiedliche Zahlungsfristen in den EU Mitgliedstaaten zu beachten. In Dänemark findet zum Beispiel keine Steuerzahlung im Juli aufgrund der Sommerferien statt, sondern erst nach der Erholung im August. Die Zuschläge für verspätete Zahlungen können empfindlich sein. Einige Länder erheben Strafzahlungen von bis zu 5 % der angemeldeten Steuer, ab nur einem Tag Verspätung. Insofern ist ein gut funktionierender Zahlungsprozess für den Händler unerlässlich. Dieser kann aufgrund steigender Compliance-Verpflichtungen und interner Freigabeprozesse für Voranmeldungen und Zahlungen mehrere Tage benötigen. Zudem muss den ggf. einbezogenen externen Dienstleister genügend Zeit für deren Abwicklung gegeben werden. Je mehr EU-Länder der Online-Händler bedient, umso effizienter müssen Planung und Abwicklung der Mehrwertsteueranmeldungen und -zahlungen sein. g) Meldepflichten bei Nutzung von Fulfillment Der Online-Händler kann neben dem Aufbau eigener Lagerkapazitäten auch andere Dienstleister für so genannte Fulfillment Services nutzen. Diese umfassen meist das Einlagern, Konfektionieren, Verpacken, Versenden und ggf. die Abwicklung von Rücksendungen. Einige Anbieter 650

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offerieren reine Logistikdienstleistungen. Aber auch Online-Marktplätze bieten überwiegend Fulfillment Services an. Nutzt der Händler dabei die eigene Lager-Infrastruktur oder einen Dienstleister mit Lagerhäusern in mehreren EU-Staaten, kann die Komplexität der Meldepflichten stark ansteigen. Oft werden Waren zwischen verschiedenen Lagern so verteilt, dass sie möglichst schnell den Kunden erreichen. Dabei greift man häufig bereits auf Künstliche Intelligenz zurück, um anhand der Analyse von historischen Bestelldaten, Wetterdaten, Feiertagen, Rabattaktionen wie Black Friday usw. die künftigen Bestellungen vorherzusagen. Eine andere Entscheidungsbasis können unterschiedliche Lagerkosten, Lagerkapazitäten oder auch unvorhergesehene Ereignisse wie Streiks, Bauarbeiten, Straßensperrungen uÄ sein. Deshalb kann es zu häufigen Umlagerungen kommen, bevor eine Ware tatsächlich an den Kunden geht. Bei einigen Marktplätzen liegt die Entscheidung über den Ort der Ein- und Umlagerung nicht mehr beim Händler selbst, sondern beim Anbieter der Fulfillment Services. Grenzüberschreitende Ein- und Umlagerungen ohne Veräußerung der Ware zwischen zwei Gesellschaften des Händlers stellen innergemeinschaftliche Verbringungen iSd. Abschn. 1a.2. UStAE dar. Diese gelten zugleich als zwei Umsätze des Unternehmers, als Lieferung (§ 3 Abs. 1a UStG) einerseits und als innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt (§ 1a Abs. 2 UStG) andererseits. Über diesen Vorgang hat der Händler eine sog. pro-forma-Rechnung auszustellen mit Angabe der USt.-Id-Nummern der betroffenen Länder, der Auflistung der verbrachten Gegenstände und der Angabe der Bemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 4 UStG. Der buchund belegmäßige Nachweis der innergemeinschaftlichen Verbringung muss in den Systemen des Händlers entsprechend für jeden Einzelfall implementiert und zeitnah gebucht werden. Dies gilt natürlich auch für den Fall, dass ein externer Anbieter die Fulfillment Services erbringt und dem Händler entsprechende Daten und Reports zur Verfügung stellt. Eine weitere Komplexität ergibt sich durch Rücksendungen. Hier ist die zugrunde liegende Lieferung an den Kunden umsatzsteuerlich rückabzuwickeln. Gelangt die Ware bei der Rücksendung jedoch in ein Lager in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem Ausgangslager der ursprünglichen Lieferung, und wird diese von dort an den nächsten Kunden versendet, liegt ebenso eine innergemeinschaftliche Verbringung vor. Das hat der

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EuGH bestätigt.12 Eine Verbringung sollte demnach bereits dann vorliegen, wenn von Beginn an feststand, dass Waren nicht in jedem Fall in das Ursprungsland zurückverbracht werden. Der Händler muss sich daher Gedanken machen, wann und wie diese Entscheidung getroffen wird und wie dies in den Systemen berücksichtigt wird. Nutzt der Händler einen Fulfillment Service Provider, ist diese Frage zwischen Händler und Dienstleister inhaltlich und technisch zu klären. h) Weitere Meldepflichten Neben den Voranmeldungen muss der Händler auch eine Zusammenfassende Meldung über innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a Abs. 1 UStG) sowie innergemeinschaftliche Verbringungen (§ 6a Abs. 2 UStG) gem. § 18a UStG erstellen. Diese ist monatlich elektronisch an das BZSt. zu melden. Übersteigt der Wert der Lieferungen in andere EU-Staaten 500 000 Euro oder der Wert der Erwerbe aus anderen EU-Staaten 800 000 Euro, hat der Händler zudem jeweils eine Intrastat-Meldung abzugeben. Bei dieser sind neben den entsprechenden Werten von Lieferungen und Erwerben auch Warennummern anzugeben, die sich aus dem Warenverzeichnis des Statistischen Bundesamts ergeben. Dafür sind weitere Informationen über die Waren nötig, was die Implementierung einer weiteren technischen Lösung, intern oder mithilfe eines Dienstleisters, für den Händler bedeutet. Die Meldungen sind ebenso für innergemeinschaftliche Verbringungen und zum Teil auch für Retouren zu erstellen. i) Prozessoptimierung und Automatisierung Der Händler muss, wie bereits erwähnt, seine eigenen Systeme entsprechend den verschiedenen angesprochenen Meldeanforderungen anpassen, um Verkäufe über seinen eigenen Webshop und seine eigene Lagerhaltung abzubilden. Vertreibt der Händler seine Waren über Online-Marktplätze und nutzt er Fulfilment-Dienstleister, müssen entsprechende Daten und Reports verarbeitet werden. Nutzt der Händler beide oder gar mehrere Verkaufskanäle und Fulfilment-Dienstleister, müssen die Daten zusätzlich noch konsolidiert werden. Diese Systemanpassungen sind nicht zu unterschätzen, da die meisten Enterprise Resource Planning (ERP) Systeme keine Standardlösungen bieten.

12 EuGH v. 6.3.2014 – C-606, 607/12 (Dresser-Rand), UR 2014, 933.

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Der Online-Händler sollte überlegen, ob und in welcher Form Prozessoptimierungen und Automatisierungen für seinen Fall Sinn machen. Diese sind innerhalb der eigenen Systeme und Prozesse möglich. Mit der Implementierung von Datenflüssen und Prozessen im ERP-System, der Nutzung von eigenständigen VAT-Tools, von Robotic Process Automation (RPA), von Excel-Tabellen und Makros, von Data Warehouses usw. bieten sich heute verschiedene Möglichkeiten der Automatisierung. Der Online-Händler muss überlegen, welche Investition für ihn Sinn macht. Dies wird vom Business Model, dem Internationalisierungsgrad des Geschäfts, den Zukunftsaussichten und auch dem möglichen Budget abhängen. Klar ist, dass mit höherem Automatisierungsgrad in größerem Ausmaß manuelle Fehler vermieden und die genannten Risiken verringert werden. Die andere Option besteht darin, möglichst viele Prozesse auf externe und für die Mehrwertsteuer-Compliance spezialisierte Dienstleister auszulagern. Diese bieten unterschiedlichste Dienstleistungen von reiner Übermittlung der Meldedaten an die Finanzbehörden bis zur umfangreichen Datenermittlung, -validierung und -analyse an. Dementsprechend gibt es verschieden gestaltete Vergütungsmodelle. Insbesondere für kleinere bis mittelgroße Online-Händler macht diese Option Sinn, wenn sie über keine eigene Steuerabteilung verfügen. Letztlich muss der Online-Händler entscheiden, welche Option und welcher Grad von Automatisierung am besten zu ihm passt. Bedeutet die Implementierung eigener Lösungen höhere Einzelinvestition mit geringeren Folgekosten, führt die Nutzung von externen Dienstleistern beim Ausbau der internationalen Marktabdeckung zu einer Steigerung der laufenden Kosten. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der internationale Markteintritt für Online-Händler eine Vielzahl von zu berücksichtigen Verpflichtungen bezüglich der Mehrwertsteuer und erhöhte Kosten bedeutet. Dies kann insbes. für kleinere Händler wie eine Markteintrittsschranke für andere EU-Mitgliedstaaten wirken, was der Idee des gemeinsamen europäischen Binnenmarkts zuwiderläuft.

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4. Vorgehensweise ab 2021/2022 Die EU hat deshalb eine Reform der Mehrwertsteuer beschlossen.13 Es wird allgemein auf das Bestimmungslandprinzip umgestellt, was durch die Versandhandelsregelung für den vorliegenden Fall des Online-Händlers bei Überschreiten der Lieferschwellen gilt. Die Etablierung des One Stop Shops ist zu begrüßen. Für Online-Händler, die lediglich sogenannte Fernverkäufe14 tätigen, wird sich damit die Meldepflicht wesentlich vereinfachen. Diese können dann über ein zentrales Online-Portal, vermutlich beim BZSt. in Deutschland, in ihrer Heimatsprache und dem im Sitzstaat geltenden Verfahrensrecht für alle betreffenden EU-Mitgliedstaaten die Mehrwertsteuer anmelden und an diese zentrale Stelle die geschuldete Steuer abführen. In Deutschland wird der Bankeinzug möglich sein. Die zentrale Stelle verteilt anschließend die Mehrwertsteuer unter den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Auch die Registrierung für mehrwertsteuerliche Zwecke in anderen Mitgliedstaaten wird damit entfallen. Rechnungen sollen für alle EU-Mitgliedstaaten nach den nationalen Regeln des Heimatstaats erstellt werden können. Dem Online-Händler wird es weiterhin obliegen, die Umsätze nach den verschiedenen Staaten getrennt zu melden und dementsprechend seine Systeme auszugestalten. Die genannten Erleichterungen werden aber spürbar sein und bisherige interne und/oder externe administrative Kosten senken. Interessant bleibt die Frage, wie das Datenformat der Meldungen über den OSS aussehen wird. Bislang ist lediglich klargestellt, dass es eine einheitliche quartalsweise Meldefrist geben wird. Keine Erleichterungen werden Online-Händler erfahren, die auf Fulfillment-Strukturen im EU-Ausland zurückgreifen. Diese werden zB ihre Inlandslieferungen in den jeweiligen EU-Staaten weiterhin bei den lokal zuständigen Finanzbehörden melden müssen. Fraglich ist derzeit auch, welcher Staat die Außenprüfung von mehrwertsteuerlichen Sachverhalten übernehmen wird. Ist die Steuerverwaltung des Heimatlands für die Prüfung der Sachverhalte aller EU-Mitgliedstaaten zuständig, muss der jeweilige Prüfer möglicherweise nationale Beson13 Langer/Breitsameter, DStR 2018, 97; Stiehr/Fleckenstein-Weiland, BB 2017, 2969; Prätzler, StuB 2018, 421. 14 Im Rahmen der Reformen wird der Terminus des Fernverkäufers eingeführt. Das sind Online-Händler, die ihre Waren grenzüberschreitend zentral aus einem EU-Staat heraus verkaufen.

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derheiten beherrschen. Dies würde für die Unternehmen eine wesentliche Vereinfachung bedeuten. Prüfen die jeweiligen Staaten selbst, wird der Händler weiterhin Unterstützung bei Beratern des jeweiligen Landes suchen müssen, welche die Landessprache und das nationale materielle Recht und Verfahrensrecht beherrschen. Die geplante größere Autonomie der EU-Staaten bei der Festlegung der ermäßigten Steuersätze wird für die Händler vermutlich eine umfangreichere Recherche zur Ermittlung des richtigen Steuersatzes bedeuten.

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Neue Rahmenbedingungen für Immobilieninvestments im internationalen Steuerrecht Dr. Thomas Wagner Steuerberater, Düsseldorf Oberregierungsrätin Dr. Eva Oertel Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München I. Einleitung II. Ergänzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG – Verstrickung von Passiva 1. Einleitung 2. Bisherige Rechtsauffassung/ Kontext der Änderung a) Übliche Konstellation und steuerpflichtige Einkunftsarten b) Historie Veräußerungsgewinne (Doppelbuchst. bb) c) Historie VuV-Einkünfte (Doppelbuchst. aa) d) Gewinnermittlungstechnik e) Umfang der beschränkten Steuerpflicht f) Forderungsverzichtsgewinne (BFH v. 7.12.2016) g) Begrenzung der Steuerpflicht durch die DBA aa) Überblick bb) VuV-Einkünfte cc) Veräußerungsgewinne 3. Gesetzliche Änderungen a) Erweiterter Wortlaut b) Gesetzesbegründung c) Folgen der Änderung d) Detailfragen

aa) Wirtschaftsgüter in wirtschaftlichem Zusammenhang bb) „Stehen“ cc) Einkünfte aus Veräußerung dd) Wertänderungen ee) Begrenzung durch DBA ff) Vermeidung einer Doppelbesteuerung e) Änderung für eine nicht besteuerungswürdige Situation 4. Zeitliche Anwendungsregelung und Strukturierungsüberlegungen 5. Fazit/Würdigung III. Ergänzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG – erweiterte Steuerpflicht bei Anteilsveräußerungen 1. Einleitung 2. Steuerpflicht bei Anteilsveräußerungen von Immobiliengesellschaften: Bisherige Rechtslage a) Inländische Kapitalgesellschaften mit ausländischen Anteilseignern aa) Ausgangsfall

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3. 4.

5.

6.

7.

bb) Nationales Recht: Steuerbarkeit cc) Abkommensrecht dd) Bemessungsgrundlage ee) Kapitalertragsteuerabzug b) Ausländische Kapitalgesellschaften mit ausländischen Anteilseignern c) Nationales Recht: Steuerbarkeit d) Abkommensrecht Änderungen des OECD-MA Änderungen im § 49 EStG a) Ausfüllung des Besteuerungsrechts nach dem OECD-MA 2017 b) Veräußerungsgewinne nach § 17 EStG ($ 1 %-Anteil) c) Zeitliche Anwendung Veränderungen gegenüber einer Bundesrats-Initiative aus dem Jahr 2016 Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf des JStG 2018 a) Überblick b) Streichung der Steuerbarkeit als Kapitaleinkünfte c) Klarstellung zur Ermittlung der Immobilienquote d) Anrechenbarkeit ausländischer Steuern Konsequenzen und Detailfragen a) Schranken durch abgeschlossene DBAs b) Steuerfolgen

c) Steuerabzug nach § 50a Abs. 7 EStG d) Besonderheiten bei Investmentfonds e) Übergangsregelung 8. Weitere praktische Probleme im Hinblick auf die Ermittlung der Immobilienquote a) Ausgangspunkt b) Buchwertermittlung im Zeitablauf c) Handelsrechtliche vs. steuerrechtliche Buchwerte d) Mittelbare Beteiligungen e) Zwischenfazit 9. Fazit/Würdigung IV. Das BMF-Schreiben zur sog. „passiven Entstrickung“ v. 26.10.2018 1. Überblick a) Bedeutung b) Art. 13 Abs. 4 OECD-MA und die deutsche Abkommenspolitik c) Entstrickungsbesteuerung bei Passivität des Steuerpflichtigen in der Literatur 2. Die Verwaltungsauffassung: Passive Entstrickung durch Neuabschluss eines DBA 3. Zeitpunkt der Entstrickung 4. Rechtsfolge: Anzeige- und Berichtigungspflichten nach AO 5. Würdigung

I. Einleitung Das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschrif-

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ten (ehemals JStG 2018)1 sieht Ergänzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e und f EStG vor. Die Änderung betreffen Investments von Ausländern in deutschen Grundbesitz (Inbound-Investments) und sollen im Folgenden diskutiert werden. Des Weiteren wird das BMF-Schreiben zur passiven Entstrickung aufgrund erstmaliger Anwendung eines DBA v. 26.10.20182 vorgestellt und auf die Konsequenzen für grenzüberschreitende Immobilieninvestment eingegangen.

II. Ergänzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG – Verstrickung von Passiva 1. Einleitung Mit der Ergänzung in § 49 Abs. 1 Nr. 2 f EStG soll der Umfang der beschränkten Steuerpflicht erweitert werden, wenn eine ausländische Körperschaft Einkünfte aus einer im Inland belegenen Immobilien erzielt.3 Zukünftig sollen „zu den Einkünften aus der Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen im Sinne dieses Buchstabens (…) auch Wertveränderungen von Wirtschaftsgütern [gehören], die mit diesem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.“ Die Erweiterung zielt im Kern auf eine Steuerbarkeit von Forderungsverzichtsgewinnen ab. Dem Gesetzgeber ist dabei insbes. ein jüngeres BFH-Urteil (v. 7.12.2016 – I R 76/14)4 ein Dorn im Auge. Das Urteil hat bisher die Folge, dass zwar die Schuldzinsen aus der Finanzierung der inländischen Immobilie im Zuge der Veranlagung der ausländischen Körperschaft steuerlich abzugsfähig sind. Die Verbindlichkeit als solche ist dagegen steuerlich nicht „verstrickt“, so dass auch eine entsprechende Wertveränderung der Verbindlichkeit irrelevant ist. Dieser Konstellation soll entgegengewirkt werden, wobei fraglich ist, ob die Gesetzesänderung ihr Ziel erreicht.

2. Bisherige Rechtsauffassung/Kontext der Änderung a) Übliche Konstellation und steuerpflichtige Einkunftsarten § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG betrifft Sachverhalte, bei denen eine ausländische Körperschaft iSd. § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 KStG (mithin idR eine Ka1 Gesetz v. 11.12.2018, BGBl. I 2018, 2338 ff. 2 BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01 – DOK 2018/0734820, BStBl. I 2018, 1104 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 307. 3 Vgl. zu dieser Thematik umfassend auch Wagner, DB 2018, 2660 ff. 4 BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 = GmbHR 2017, 661.

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pitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland) Eigentümerin einer in Deutschland belegenen Immobilie ist und diese entweder vermietet, verpachtet oder veräußert. Oftmals findet man in der Praxis Strukturen, in denen bspw. Luxemburger Vehikel in der Rechtsform einer S.à r.l. eine deutsche Immobilie halten. Hier wird sodann darauf geachtet, dass im Inland weder eine (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte begründet wird noch ein ständiger Vertreter bestellt ist. Anderenfalls bestünde eine Steuerpflicht bereits nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Da für die fraglichen Körperschaften die Gewerblichkeitsfiktion des § 8 Abs. 2 KStG nicht greift, lägen eigentlich VuV-Einkünfte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG oder – im Fall einer Veräußerung innerhalb der 10-jährigen „Spekulationsfrist“ – private Veräußerungsgeschäfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG vor. Allerdings greift an dieser Stelle Satz 3 des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG und fingiert gewerbliche Einkünfte. Die Veräußerungsgewinne sind dabei – anders als nach § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG – unabhängig von der Haltedauer steuerbar, dh. auch nach Ablauf von 10 Jahren. b) Historie Veräußerungsgewinne (Doppelbuchst. bb) Die Steuerpflicht der Immobilien-Veräußerungsgewinne wurde mit dem StMBG v. 21.12.19935 mit Wirkung ab dem VZ 1994 eingeführt. Zuvor waren Veräußerungsgewinne nur innerhalb der 10jährigen Spekulationsfrist nach § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG steuerbar. Dem sollte ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf6 entgegengewirkt werden, zumal Deutschland in diesen Fällen nach den einschlägigen DBA regelmäßig das Besteuerungsrecht zugewiesen war. Die Verankerung innerhalb der gewerblichen Einkünfte war wohl durch den Gedanken geprägt, dass auch ein Inländer mit originär oder aufgrund der Rechtsform gewerblichen Einkünften die Wertzuwächse losgelöst von der Spekulationsfrist versteuern muss. Insoweit sollte eine Gleichstellung ausländischer vermögensverwaltender Kapitalgesellschaften mit inländischen vermögensverwaltenden Kapitalgesellschaften erreicht werden.7 5 Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz v. 21.12.1993, BGBl. I 1993, 2310; BStBl. I 1994, 50. 6 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drucks. 12/5630, 64. 7 Damals war es indes erforderlich, dass die ausländische Körperschaft einer inländischen Kapitalgesellschaft, die nach den Vorschriften des HGB zur Führung von Büchern verpflichtet ist, gleichstand. Dieser Bezug wurde mit dem SEStEG

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c) Historie VuV-Einkünfte (Doppelbuchst. aa) Mit dem JStG 20098 wurden mit Wirkung ab dem VZ 2009 auch die Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung in die gewerblichen Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG integriert (als Doppelbuchst. aa). Diese Einkünfte waren auch bis einschließlich zum VZ 2008 schon als VuV-Einkünfte steuerbar nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Im Ergebnis kam es damit bis zum VZ 2008 zu einer Aufspaltung der Einkünfte aus der Immobilie in verschiedene Einkunftsarten, wenn die ausländische Körperschaft ihre Immobilie zunächst vermietete und anschließend verkaufte. In der Konsequenz wurden die Vermietungseinkünfte bis zur Gesetzesänderung als Überschusseinkünfte ermittelt (Privatvermögen), während für die gewerblichen Veräußerungsgewinne ein (fiktives) Betriebsvermögen vorlag. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum JStG 20099 war es das Ziel der Integration der laufenden Einkünfte in den Katalog der Einkünfte aus Gewerbebetrieb, dass sowohl die laufenden Vermietungseinkünfte als auch der Veräußerungserlös den gleichen Gewinnermittlungsvorschriften unterliegen. Ungeachtet der Änderung der Gewinnermittlungstechnik für die Vermietungseinkünfte war jedoch nicht zu erkennen, dass der Umfang der beschränkten Steuerpflicht mit der Umsiedlung der VuV-Einkünfte erweitert werden sollte.10 Selbst die Finanzverwaltung spricht lediglich von einer „Umqualifizierung“.11 d) Gewinnermittlungstechnik Infolge der Umqualifikation in gewerbliche Einkünfte handelte es sich bei dem für die Einkünfteerzielung genutzten Immobilienvermögen bereits in der Vermietungs- und Verpachtungsphase um (fiktives) Betriebsvermögen (zuvor: Privatvermögen).12 Die Finanzverwaltung vertritt hierzu die Auffassung, dass die Einkünfte stets durch Betriebsvermögensvergleich und mithin unter Aufstellung von Bilanzen ermittelt wer-

8 9 10 11 12

v. 7.12.2006 (BGBl. I 2006, 2782; BStBl. I 2007, 4) geändert, da § 8 Abs. 2 KStG für den Inlandsfall entsprechend angepasst wurde. Jahressteuergesetz v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794; BStBl. I 2009, 74. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 2.9.2008, BT-Drucks. 16/10189, 59. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 2.9.2008, BT-Drucks. 16/10189, 59. OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, StEK EStG § 49 Nr. 90 Abschn. 2. Damit ergaben sich eine Reihe von Folgefragen wie die Höhe des anwendbaren AfA-Satzes, die Möglichkeit zur Teilwertabschreibung, die Inanspruchnahme bspw. von § 6b EStG, die Anwendbarkeit der Zinsschranke etc. Auf diese Fragen soll vorliegend nicht näher eingegangen werden.

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den müssen. Eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG soll nicht möglich sein.13 Infolge der Notwendigkeit zur Bilanzierung sind nach Verwaltungsauffassung sämtliche Wirtschaftsgüter, die mit der inländischen Einkunftsquelle in Zusammenhang stehen, als (fiktives) Betriebsvermögen und in der Bilanz zu erfassen. Zu den Wirtschaftsgütern sollen neben der Immobilie insbes. die Mietkonten, Mietforderungen und Verbindlichkeiten zählen.14 Bei mehreren inländischen Grundstücken soll zudem eine einheitliche Gewinnermittlung für die gesamte inländische gewerbliche Betätigung erfolgen.15 Gegen eine solche einheitliche Gewinnermittlung spricht nach eigener Auffassung nichts, wenn hiermit eine Verwaltungsvereinfachung erreicht werden kann. e) Umfang der beschränkten Steuerpflicht Die Gewinnermittlungstechnik (vorliegend: Betriebsvermögensvergleich) hilft zwar bei der Berechnung des Gewinns, besagt jedoch nichts zum Umfang der Steuerpflicht.16 Der Umfang der Steuerpflicht ist durch das Quellenprinzip vielmehr auf die im Katalog des § 49 EStG genannten Einkünfte begrenzt. Im Ergebnis umfasste die beschränkte Steuerpflicht im Hinblick auf die inländischen Immobilieneinkünfte nach zutreffender Auffassung des BFH (Urteil v. 7.12.2016) bisher die nach § 21 EStG steuerbaren Tatbestände zuzüglicher einer Besteuerung des Veräußerungsgewinns aus der Immobilie. Anders als bei § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG greift diese Steuerpflicht unabhängig von der 10jährigen Spekulationsfrist.17 13 Vgl. so auch weiterhin OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, StEK EStG § 49 Nr. 90. BFH v. 15.10.2016 – I B 93/15, BStBl. II 2016, 66 = FR 2016, 282 hat ernstliche Zweifel an dieser Auffassung geäußert; s. jetzt BFH v. 14.11.2018 – I R 81/16, BFHE 263, 108. 14 Vgl. in diesem Sinne OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, StEK EStG § 49 Nr. 90. Siehe zur Schuldenerfassung auch BMF v. 16.5.2011 – IV C 3 - S 2300/08/10014 – DOK 2011/0349521, BStBl. I 2011, 530 = FR 2011, 590, Tz. 8. 15 Vgl. in diesem Sinne OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, StEK EStG § 49 Nr. 90. 16 Vgl. in diesem Sinne auch Werth, DB 2017, 1058. 17 Vgl. an dieser Stelle auch Cloer et. al., BB 2018, 1754. In dem Beitrag steht nach eigener Auffassung zutreffend: „Der BFH legt die maßgeblichen Einkunftstatbestände nach Maßstäben aus, die denen der Privatvermögenssphäre entsprechen.“

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f) Forderungsverzichtsgewinne (BFH v. 7.12.2016) Mangels Zuordenbarkeit zu den Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG (weder Doppelbuchst. aa noch Doppelbuchst. bb) hat der BFH in seinem bereits erwähnten Urteil v. 7.12.2016 nach eigener Auffassung vollkommen zutreffend entschieden, dass ein Darlehensverzichtsgewinn gegenüber einer ausländischen Kapitalgesellschaft nicht in Deutschland steuerbar ist. Im Urteilssachverhalt war zwar eine deutsche Immobilie mit dem Darlehen erworben worden. Allerdings erfolgte der Verzicht mehrere Monate nach dem Verkauf dieser Immobilie. Der BFH hatte dabei zwar den wirtschaftlichen Zusammenhang des fraglichen Darlehens mit der Vermietungs- und Veräußerungstätigkeit der Klägerin gesehen. Gleichwohl hat er diesen nicht ausreichen lassen, um eine Steuerbarkeit des Verzichtsgewinns in Deutschland anzunehmen. Insbesondere lag nach Gerichtsauffassung keine Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums am Grundstück vor,18 so dass eine Versteuerung des Verzichtsgewinns als Teil des Veräußerungsgewinns ausschied.19 g) Begrenzung der Steuerpflicht durch die DBA aa) Überblick Der BFH kam im genannten Urteil im Übrigen schon nach innerstaatlichem Recht zu dem Ergebnis, dass der Forderungsverzichtsgewinn nicht der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 EStG unterliegt. Der DBA-Ebene brauchte er sich mithin nicht zu widmen. Gleichwohl gilt auch hier, dass die dem OECD-MA folgenden DBA Deutschland als Belegenheitsstaat einer Immobilie nur punktuell das Besteuerungsrecht gewähren.

18 BFH v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 = GmbHR 2017, 661, Rz. 32. 19 Nach eigener Auffassung wäre die Entscheidung des BFH im Übrigen gleich ausgefallen, wenn die Immobilien noch nicht veräußert gewesen wären oder wenn die Darlehensverbindlichkeit auf gestundeten oder kapitalisierten Zinsen beruht hätte (aA wohl Böhmer/Mundhenke, ISR 2017, 244 f.; vgl. ferner differenzierend Hagemann/Kahlenberg/Cloer, BB 2017, 2719). Eine Zuordnung zu den laufenden Vermietungseinkünften kommt nach eigener Auffassung nur dann in Betracht, wenn die aufgelaufenen Zinsen faktisch rückgängig gemacht werden, weil in diesem Fall der Betriebsausgabenabzug zu korrigieren ist; vgl. hierzu BFH v. 31.1.2017 – IX R 26/16, BStBl. II 2018, 341 = FR 2019, 23.

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bb) VuV-Einkünfte Für die laufenden Einkünfte heißt es in Art. 6 Abs. 3 OECD-MA 2014: „(…) gilt für die Einkünfte aus der unmittelbaren Nutzung, der Vermietung oder Verpachtung sowie jeder anderen Art der Nutzung unbeweglichen Vermögens.“20 Demnach ist erkennbar, dass nach Abkommensrecht das Besteuerungsrecht nur dann Deutschland zugewiesen wird, wenn die Einkünfte aus der Nutzung der Immobilie als solcher generiert werden. Der Einfluss etwaiger Finanzierungsmaßnahmen ist irrelevant. Auch ein bloß mittelbarer Bezug zur Immobilie genügt nicht. Diese Sichtweise hat der BFH mit Urteil v. 28.4.2010 für Zinsen, die im Zusammenhang mit unbeweglichem Vermögen erzielt werden, bestätigt. Der BFH hatte in diesem Kontext Zinsen aus der Anlage von Überschüssen aus der Vermietung dem Zinsartikel (Art. 11) zugeordnet.21 Auch das BMF teilt mit Schreiben v. 16.4.201022 diese Ansicht. Im OECD-MK 2014 und 2017 (zu Art. 6, Nr. 2, letzter Satz) steht in diesem Sinne auch konsequenterweise: „Für Einkünfte aus Forderungen, die durch unbewegliches Vermögen gesichert sind, wurde keine besondere Bestimmung geschaffen, da diese Frage durch Artikel 11 geregelt ist.“ Sofern es sich demnach nicht unmittelbar um Einkünfte aus der Fruchtziehung aus der Immobilie handelt, hat der Belegenheitsstaat kein Besteuerungsrecht.23 Umgekehrt ausgedrückt: Nur für die Miet- oder Pachteinnahmen sowie für die sonstigen Vergütungen für die Überlassung oder anderweitigen Nutzung einer Immobilie wird dem Belegenheitsstaat das Besteuerungsrecht zugewiesen. cc) Veräußerungsgewinne Die Veräußerungsgewinne nach Art. 13 Abs. 1 OECD-MA sind im Abkommen nicht näher definiert. Es wird nur gefordert, dass es sich um

20 In der englischsprachigen Version des OECD-MA 2017 heißt es: „(…) shall apply to income derived from the direct use, letting or use in any other form of immovable property“. 21 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 = FR 2010, 903, Rz. 24 f.; vgl. bestätigend BFH v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482 Rz. 19 f. 22 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354 = FR 2010, 491, Tz. 2.3.2. 23 Vgl. in diesem Sinne wohl auch Reimer in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 6 Rz. 154.

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die Veräußerung von unbeweglichem Vermögen nach Art. 6 handeln muss.24 Es ist nicht erkennbar, dass dem Belegenheitsstaat über den eigentlichen Gewinn aus der Immobilienveräußerung hinaus ein Besteuerungsrecht zugeteilt werden soll.

3. Gesetzliche Änderungen a) Erweiterter Wortlaut In § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG wird folgender Satz 4 ergänzt: „Zu den Einkünften aus der Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen im Sinne dieses Buchstabens gehören auch Wertveränderungen von Wirtschaftsgütern, die mit diesem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.“ b) Gesetzesbegründung In der Gesetzesbegründung25 werden für diese Erweiterung diverse Motive und Argumente angeführt. Ziel ist jedenfalls die steuerliche „Verstrickung“ von für die Anschaffung oder Herstellung der inländischen Immobilie aufgenommenen Darlehen. Die Grundsätze des zuvor diskutierten BFH-Urteils v. 7.12.2016 sollen durchbrochen werden. In der durch dieses Urteil geschaffenen Rechtslage wird eine Begünstigung ausländischer Gesellschaften gegenüber Investitionen inländischer Gesellschaften gesehen. Nach Auffassung der Bundesregierung erscheint es nicht hinnehmbar, dass zwar die Schuldzinsen abziehbar sind, gleichzeitig aber die Darlehensverbindlichkeit nicht verstrickt ist. Um die gewünschte Gesetzesänderung argumentativ zu fundieren, wird auf das Quellenprinzip und den Grundsatz des Veranlassungszusammenhangs hingewiesen. Demnach seien (nur) diejenigen Wirtschaftsgüter, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit inländischen Einkunftsquellen stehen, als Bestandteil des inländischen Betriebsvermögens zu qualifizieren. Bei der Zuordnung von Verbindlichkeiten zum Betriebsvermögen sei sodann auf den auslösenden Vorgang ihrer Entstehung abzustellen. Maßgeblich sei also die tatsächliche Verwendung der Darlehensmittel.

24 Gleiches gilt auch für das OECD-MA 2017. 25 Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 24.9.2018, BT-Drucks. 19/4455, 92 f.

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Generell ist festzustellen, dass die Bundesregierung mit ihren Überlegungen stark von der Idee eines einheitlichen Betriebsvermögens geleitet ist. Die durch das Quellenprinzip bestehenden Beschränkungen werden dagegen ignoriert. c) Folgen der Änderung Die vom Gesetzgeber erwünschte Folge der Gesetzesänderung besteht vor allem in der Erfassung von Forderungsverzichtsgewinnen. Daneben würden wohl auch Abzinsungsgewinne iSv. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG bei unverzinslichen Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit am Bilanzstichtag von mindestens 12 Monaten erfasst. Fremdwährungseffekte bei Darlehen hatte der Gesetzgeben indes wohl nicht im Blick, obwohl auch diese den Darlehenswert verändern können.26 d) Detailfragen aa) Wirtschaftsgüter in wirtschaftlichem Zusammenhang Ausweislich der Gesetzesbegründung sind mit den Wirtschaftsgütern, die mit dem inländischen unbeweglichen Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, vor allem die Verbindlichkeiten zur Finanzierung des Erwerbs der Immobilie gemeint. Das im Inland belegene unbewegliche Vermögen selbst kann jedenfalls nicht gemeint ein.27 Im Übrigen ist davon auszugehen, dass unter den Begriff des „Wirtschaftsguts“ auch sog. „passive Wirtschaftsgüter“ zu fassen sind, da ansonsten die Zielsetzung der geplanten gesetzlichen Änderung schon an dieser Stelle gänzlich verfehlt würde. bb) „Stehen“ Nach dem vorgeschlagenen Gesetzeswortlaut müssen die Wirtschaftsgüter in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem unbeweglichen Vermögen stehen. Dies wird jedoch – anders als durch die Gesetzesbegründung suggeriert (Moment der Entstehung der Verbindlichkeit entscheidend) – nur bis zur Veräußerung der Immobilie der Fall sein, wenn

26 Vgl. zu den Fremdwährungseffekten auch Cloer et. al., BB 2018, 1751 (1755). 27 Ebenso Cloer et. al., BB 2018, 1751 (1754).

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die Verbindlichkeit zur Immobilienfinanzierung aufgenommen wurde.28 Eine nach der Veräußerung verbleibende Verbindlichkeit kann keinen Zusammenhang mit der Immobilie mehr haben, selbst wenn sie ursprünglich der Immobilienfinanzierung diente. Die Immobilienfinanzierung wird regelmäßig aus dem Verkaufserlös getilgt (und eine etwaige Grundschuld zugunsten des Finanzierenden gelöscht) oder zumindest zeitnah aus dem Veräußerungserlös zurückgeführt. Im Übrigen geht mit der Immobilienveräußerung generell der Nexus für die Besteuerung der Immobilieneinkünfte in Deutschland verloren, so dass die Verbindlichkeit steuerneutral „entstrickt“ wird. Im Kern wird damit ein Verzichtsgewinn nur dann steuerbar sein können, wenn der Verzicht eine Gegenleistung für die Übertragung der Immobilie als solcher darstellt (so wie im Sachverhalt des BFH-Urteils v. 31.1.2017). cc) Einkünfte aus Veräußerung Ausweislich des Gesetzeswortlauts gehören etwaige Wertveränderungen zu „den Einkünften aus der Veräußerung“. Ohne Veräußerung sind die Wertveränderungen damit irrelevant.29 Da eine Veräußerung zudem immer nur auf einen Zeitpunkt erfolgt (und nicht über einen Zeitraum), stellt sich die Frage, wie es hier überhaupt zu Wertveränderungen bei den Wirtschaftsgütern kommen kann. Vermutlich sollen solche Wertveränderungen in Verbindlichkeiten erfasst werden, die seit dem Erwerb der finanzierten Immobilie eingetreten sind. dd) Wertänderungen Als nächstes stellt sich sodann die Frage, was „Wertveränderungen“ sind. Mit Blick auf den „Wert“ als solchen stellt der Gesetzgeber vermutlich auf den steuerlichen Buchwert ab. Änderungen im Buchwert der Verbindlichkeit können nicht nur infolge von Verzichts- oder Abzinsungsgewinnen entstehen. Vielmehr verändert sich der Wert von Verbindlichkeiten in Gestalt von Darlehen auch durch das Ausreichen bzw. die Inanspruchnahme der Darlehen oder durch die Tilgung. Diese bilanzverlängernden oder -verkürzenden Vorgänge können indes nicht gemeint sein. Sinnvollerweise können nur solche Wertveränderungen eine

28 Vgl. an dieser Stelle auch Cloer et. al., BB 2018, 1751 (1755), die zudem auf weitere Formen der Umwidmung von Darlehen eingehen. 29 Ebenso Cloer et. al., BB 2018, 1751 (1755).

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Rolle spielen, die bei bilanzieller Betrachtung zu einem Ertrag oder einem Aufwand führen. ee) Begrenzung durch DBA Selbst wenn die Änderungen in § 49 EStG einen Anwendungsbereich haben sollten, ist im Fall eines dem OECD-MA nachgebildeten DBA davon auszugehen, dass Deutschland kein Besteuerungsrecht haben wird. Wie zuvor herausgearbeitet, darf unter Art. 6 OECD-MA nur die unmittelbare Fruchtziehung aus der Immobilie besteuert werden. Etwaige Ergebniseffekte aus Forderungsverzichtsgewinnen dürften indes nicht unter die Fruchtziehung fallen. Auch bei der Veräußerungsgewinnbesteuerung nach Art. 13 Abs. 1 OECD-MA dürften nur solche Verzichtsgewinne relevant werden, die eine unmittelbare Gegenleistung für die Verschaffung des wirtschaftlichen Eigentums an der Immobilie darstellen.30 Der vorgeschlagenen Gesetzesänderung ist im Übrigen nicht zu entnehmen, dass es sich um einen Treaty Override handeln soll, der einseitig etwaige Abkommenseffekte überschreibt. ff) Vermeidung einer Doppelbesteuerung Sofern Deutschland zukünftig die Darlehensverzichtsgewinne tatsächlich besteuern möchte und kann, droht die Gefahr einer Doppelbesteuerung.31 Im Regelfall wird auch der Ansässigkeitsstaat der ausländischen Kapitalgesellschaft besteuern wollen. Hier sollte Deutschland dann zumindest die Möglichkeit der Anrechnung der ausländischen Steuer vorsehen. Im derzeit vorgeschlagenen Gesetzestext gibt es eine solche Anrechnungsmöglichkeit nicht. e) Änderung für eine nicht besteuerungswürdige Situation Losgelöst von den Fragen im Detail ist sich vor Augen zu führen, dass mit der Änderung eine Situation getroffen werden soll, in der (i) eine insolvenzbedrohte Gesellschaft vorliegt und (ii) die Steuer nur aufgrund unzureichender Verlustverrechnungsmöglichkeiten entsteht. Der vom BFH

30 Vgl. auch Cloer et. al., BB 2018, 1751 (1756 f.), die ebenfalls davon ausgehen, dass das DBA-Recht der vorgeschlagenen Ausweitung der Veräußerungsgewinnbesteuerung in Deutschland entgegensteht. 31 Siehe zu den Doppelbesteuerungsrisiken auch Cloer et. al., BB 2018, 1751 (1756).

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mit Urteil v. 7.12.2016 entschiedene Fall war insofern typisch für zahlreiche weitere Fälle. In einem solchen typischen Fall wird die Darlehensfinanzierung zumeist beim Immobilienerwerb oder bei der Herstellung eines Gebäudes ausgereicht. In diesem Moment stehen den Verbindlichkeiten voll werthaltige Immobilien gegenüber. Ein etwaiger Forderungsverzicht auf ein Gesellschafterdarlehen wäre mithin steuerneutral (verdeckte Einlage). Erst im Zeitablauf stellt sich sodann heraus, dass die Immobilie an Wert verliert und/oder der Cash Flow nicht ausreicht, um die Zinslast zu bedienen. Die Zinsen werden dann zumeist gestundet. Durch den auflaufenden Zins erhöht sich sukzessive zugleich auch die Darlehensverbindlichkeit. Bereits in dieser Zinsstundungsphase ist das steuerliche Ergebnis der Gesellschaft zumeist negativ (Aufbau von Verlustvorträgen) oder nur infolge der Zinsschranke positiv (Aufbau von Zinsvorträgen). Beide Vorträge sind bei späteren Darlehensverzichtsgewinnen in weiten Teilen wertlos, weil (i) die Verrechnung der Vorträge bei späteren Erträgen begrenzt ist und (ii) diese Vorträge bei zwischenzeitlichen Gesellschafterwechseln untergehen. Der Zinsaufwand, der zum Aufbau der Vorträge geführt hat, hat sich damit in Deutschland zumeist gerade nicht steuermindernd ausgewirkt. Gleichwohl soll sodann ein steuerlicher Zugriff auf den Ertrag aus dem Wegfall der Verbindlichkeit erfolgen. Verzichtet wird im Übrigen im Regelfall erst nach dem Verkauf der Immobilie. Aus dem Verkaufserlös wird die Darlehensverbindlichkeit soweit wie möglich zurückgezahlt. Es verbleibt aber ein übersteigender Betrag an Verbindlichkeit. Bei der Immobilienveräußerung entsteht zwar steuerlich zumeist ein Verlust (Verzicht auf Teilwert-AfA vor Verkauf), allerdings kompensiert dieser laufende Verlust oftmals nicht vollständig einen möglichen Ertrag aus dem Wegfall der überschießenden Verbindlichkeit. Im Ergebnis kann dann zukünftig ggf. aus Furcht vor einer Ertragsteuerlast auf den übersteigenden Teil der Verbindlichkeiten nicht mehr verzichtet werden. In diesem Fall würde eine mit Ausnahme der Verbindlichkeit „leere“ Gesellschaft ggf. unsinnigerweise fortgeführt. Alternativ wird die Gesellschaft in die Insolvenz geführt, weil keine Liquidität zur Bedienung der Steuerschuld fehlt. In beiden Fällen gewinnt der deutsche Fiskus kein Substrat.

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4. Zeitliche Anwendungsregelung und Strukturierungsüberlegungen Die Neuregelung (vgl. § 52 Abs. 45a Satz 2 EStG) soll „(…) erstmals anwendbar auf Wertveränderungen (sein), die nach dem 31.12.2018 eintreten.“ Mit Blick auf den Wert der Darlehensverbindlichkeit ist davon auszugehen, dass der Gesetzesgeber den steuerbilanziellen Buchwert meint (s.o. 3.d.dd).32 Wenn dies der Fall ist, dann könnten insbes. bei Gesellschafterdarlehen gestalterische Maßnahmen getroffen werden, nach denen der Buchwert am 31.12.2018 gering ist. So könnte die Verzinslichkeit einer längerfristigen Verbindlichkeit aufgehoben (dann Abzinsung der Verbindlichkeit um 5,5 % p.a. Restlaufzeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Noch besser wäre ein absichtlich falsch formulierter Rangrücktritt oder eine sonstige Regelung, die die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2a EStG erfüllt. Die Verbindlichkeit wäre dann in der Steuerbilanz mit einem Wert von Null anzusetzen; ggf. ließe sich mit einer solchen Gestaltung sogar zukünftiges Steuersparpotenzial generieren, wenn die Verbindlichkeit im Wert nach dem 31.12.2018 wieder auflebt. Erfasst werden sollen nach dem Gesetzestext jegliche Wertveränderungen, was auch Wertveränderungen der Verbindlichkeit nach oben und damit die Schaffung zukünftiger Verluste umfassen sollte.

5. Fazit/Würdigung Mit der nun Gesetz gewordenen Ergänzung in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG sollen insbes. Forderungsverzichtsgewinne bei ausländischen Immobiliengesellschaften in die deutsche Steuerpflicht gezogen werden. Ob die geplante Ergänzung mit ihrer derzeitigen Formulierung ihr Ziel erreicht, ist jedoch mehr als fraglich. Schon nach innerstaatlichem Recht dürfte die Regelung oftmals leerlaufen. Zudem dürfte Deutschland in DBA-Fällen regelmäßig das Besteuerungsrecht fehlen. Darüber hinaus sollte sich der Gesetzgeber vor Augen führen, dass es sich letztlich um eine Besteuerung von Gesellschaften handelt, die im Fall einer Steuerpflicht Insolvenz anmelden müssten. Zusätzliche Steuereinnahmen dürften durch die geplante Ergänzung daher nicht zu erwarten sein. Im

32 Vgl. an dieser Stelle auch Cloer et. al., BB 2018, 1751 (1756). Diese schlagen aus guten Gründen vor, dass nur der werthaltige Teil der Darlehensverbindlichkeit als ins Betriebsvermögen eingelegt gilt.

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Ergebnis scheint es sich damit bei der geplanten Änderung allenfalls um die abstrakte Korrektur einer missliebigen BFH-Rspr. zu handeln.

III. Ergänzungen in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG – erweiterte Steuerpflicht bei Anteilsveräußerungen 1. Einleitung Mit der Ergänzung sollen die Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen in Deutschland steuerbar werden, wenn das Gesellschaftsvermögen überwiegend aus deutschen Immobilien besteht.33 Dies gilt auch für Anteile an Kapitalgesellschaften mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland. Damit sollen die unter dem neu gefassten OECD-MA 2017 vorhandenen Besteuerungsrechte nun auch nach nationalem Recht ausgenutzt werden.

2. Steuerpflicht bei Anteilsveräußerungen von Immobiliengesellschaften: Bisherige Rechtslage a) Inländische Kapitalgesellschaften mit ausländischen Anteilseignern aa) Ausgangsfall Einleitend wird der Fall einer inländischen Kapitalgesellschaft mit inländischem Immobilienbesitz behandelt. Die Anteile werden von Ausländern gehalten, die im Inland nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen. Bei den ausländischen Anteilseignern kann es sich um natürliche Personen oder andere Vehikel (insbes. Kapitalgesellschaften) handeln. Die Besonderheiten von sonstigen, nicht von § 8b KStG begünstigen Anlegern sollen vorerst aus Vereinfachungsgründen ausgeblendet werden. Aus dem gleichen Grund werden Strukturen unter Zwischenschaltung (ertragsteuerlich) transparenter Personengesellschaften ausgeblendet.

33 Vgl. zu dieser Thematik umfassend auch Wagner, DB 2018, 1886 ff.

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bb) Nationales Recht: Steuerbarkeit Die ausländischen Anteilseigner unterliegen der beschränkten Steuerpflicht im Hinblick auf einen Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland nur unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG. Hierfür ist ein Anteil iSd. § 17 EStG erforderlich. Innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung muss daher eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung am Kapital von mindestens 1 % bestanden haben. Die beschränkte Steuerpflicht ist übrigens nicht davon abhängig, dass es sich um eine Gesellschaft mit Grundbesitz im Inland handelt. Es kommt nur darauf an, dass entweder der Sitz oder der Ort der Geschäftsleitung der Gesellschaft im Inland ist. Veräußerungen von Beteiligungen unter der 1 %-Quote unterliegen nur unter sehr bestimmten Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht. Zwar sind diese Veräußerungsgewinne im reinen Inlandsfall (Veräußerung durch Inländer) seit Einführung der Abgeltungsteuer nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerpflichtig. Eine beschränkte Steuerpflicht besteht im Fall der Anteilsveräußerung durch einen Ausländer jedoch nur für Tafelgeschäfte, dh. wenn die Auszahlung oder Gutschrift gegen Aushändigung von Zinsscheinen oder durch Übergabe von Wertpapieren erfolgt (s. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. d EStG). 674

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Der Gewerbesteuer unterliegen die zuvor genannten Einkünfte regelmäßig nicht, weil es hierfür an der Betriebsstätte des Veräußernden im Inland fehlt. cc) Abkommensrecht Sofern überhaupt eine Steuerpflicht nach inländischem Recht vorliegt, weisen die DBA das Besteuerungsrecht regelmäßig dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zu (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA/DBA-Verhandlungsgrundlage34). Die neueren von Deutschland abgeschlossenen DBA enthalten dabei in Anlehnung an Art. 13 Abs. 4 OECD-MA eine im Detail unterschiedliche Grundbesitzklausel, nach der Gewinne aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen (auch) in Deutschland besteuert werden dürfen, wenn der Wert der Anteile zu mehr als 50 % unmittelbar oder mittelbar auf in Deutschland belegenem unbeweglichen Vermögen beruht.35 Anders als nach nationalem Recht ist die Qualifikation als Gesellschaft mit Grundbesitz im Inland auf DBA-Ebene damit relevant, weil Deutschland nur im Immobilienfall besteuern darf. Im Hinblick auf die Anwendung der Grundbesitzklausel bestehen jedoch erhebliche Anwendungsschwierigkeiten, weil diverse Zweifelsfragen nicht rechtssicher geklärt sind. Zu diesen Zweifelsfragen zählen ua.: –

Referenzgröße: Kommt es auf die Aktiva der Gesellschaft oder auf den Anteilswert (mithin auch die Passiva) an?36



Bewertung: Erfolgt die Bewertung zu Verkehrswerten oder dürfen vereinfachend vorhandene Bilanzwerte herangezogen werden?



Stichtag: Falls Bilanzwerte herangezogen werden dürfen: Darf dann vereinfachend auf den letzten Bilanzstichtag abgestellt werden?



Mittelbare Beteiligungen: Erfolgt eine bloße Addition von Werten oder sind Konsolidierungen vorzunehmen?37

34 Vgl. die DBA-Verhandlungsgrundlage v. 22.8.2013 – IV B 2 - S 1301/13/ 10009. 35 Der Sonderfall der Zuordnung zu deutschem Betriebsstättenvermögen – ggf. auch vermittelt durch eine Personengesellschaft – wird vorliegend nicht näher betrachtet. 36 Art. 13 Tz. 28.4 OECD-MK geht nur von der Relevant der Aktivseite aus. 37 Vgl. zu diesen Zweifelsfragen ua. Wagner/Lievenbrück, IStR 2012, 593 ff.; s. speziell für Fragen bei mittelbaren Beteiligungen Meining, Ubg. 2017, 34.

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dd) Bemessungsgrundlage Die zuvor genannten Zweifelsfragen sind bisher in der Praxis nur in wenigen Fällen von Gewicht. Dies hängt damit zusammen, dass die Anteilseigner der inländischen Immobiliengesellschaft oftmals Körperschaften sind. Schon in der Vergangenheit war man in diesen Fällen davon ausgegangen, dass § 8b KStG greift. Der BFH hat in diesem Zusammenhang zwischenzeitlich konkretisiert, dass die Fiktion nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben (5 % nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG) nicht anwendbar ist.38 Die entsprechenden Veräußerungsgewinne sind daher zu 100 % steuerbefreit. Dies gilt auch in Nicht-DBA-Fällen. Die Steuerpflicht der entsprechenden Veräußerungsgewinne ist damit im Wesentlichen nur für Anteilsveräußerungen durch natürliche Personen relevant, weil es hier nur eine 40 %ige Befreiung nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c) iVm. § 3c Abs. 2 EStG gibt (Teileinkünfteverfahren). ee) Kapitalertragsteuerabzug Mit der Ausnahme des Sonderfalls der Tafelgeschäfte unterliegen die Veräußerungsgewinne nicht der KapErtrSt. Die Anordnung des KapErtrSt.Einbehalts nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG für Veräußerungsgewinne nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG läuft außerhalb der Tafelgeschäfte mangels beschränkter Steuerpflicht nach § 49 EStG leer. Für die Veräußerungsgewinne iSd. § 17 EStG gibt es keinen (eigenständigen) KapErtrSt.Einbehalt. b) Ausländische Kapitalgesellschaften mit ausländischen Anteilseignern Aufbauend auf dem Fall zuvor soll nun nur die Immobilie im Inland belegen sein. Die Immobiliengesellschaft soll dagegen ebenso wie ihre Gesellschafter ausschließlich im Ausland steuerlich ansässig sein.

38 BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144 = GmbHR 2017, 1339.

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c) Nationales Recht: Steuerbarkeit Die Veräußerung der Anteile an der ausländischen Kapitalgesellschaft unterliegt nicht der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland. Die einzigen Ausnahmefälle sind umwandlungsbedingt verstrickte Anteile (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. bb EStG) sowie abermals die Tafelgeschäfte. d) Abkommensrecht Abkommensrechtlich darf Deutschland die Gewinne aus der Veräußerung dagegen regelmäßig besteuern, wenn das anwendbare DBA eine dem Art. 13 Abs. 4 OECD-MA nachempfundene Immobilienklausel hat. Im Ergebnis nutzt Deutschland insoweit die abkommensrechtlich vorhandenen Möglichkeiten zur Besteuerung der Anteilsveräußerungsgewinne nicht vollumfänglich aus.

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3. Änderungen des OECD-MA Mit dem OECD-MA 2017 wurde Art. 13 Abs. 4 im Vergleich zur Version aus 2014 ergänzt.39 Zum einen wurden vergleichbare Anteilsveräußerungen aufgenommen, wobei beispielhaft auf die Anteile an Personengesellschaften und Trusts hingewiesen wird. Zum anderen muss die Immobilienquote von mehr als 50 % nur noch an einem beliebigen Tag innerhalb der letzten 365 Tage vor der Anteilsveräußerung erfüllt sein. Letztere Änderung soll Gestaltungen entgegenwirken, mit denen die Steuerpflicht durch kurzfristige Kapitalinjektionen unterwandert werden konnte. Infolge dieser Kapitalinjektionen konnte die ImmobilienQuote am relevanten Stichtag auf unter 50 % gesenkt werden.

4. Änderungen im § 49 EStG a) Ausfüllung des Besteuerungsrechts nach dem OECD-MA 2017 Um die von den DBA zugewiesenen Besteuerungsrechte auszuüben,40 wird der Katalog der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte erweitert. Damit sollen Anteilsveräußerungen von „Immobiliengesellschaften“ unabhängig davon steuerpflichtig werden, ob diese Gesellschaften ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland haben. Erforderlich ist indes eines mindestens 1 %ige Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre (Anteil iSd. § 17 EStG). Obwohl die Erweiterung in § 49 EStG mit der Ausschöpfung der Möglichkeiten unter den DBA begründet wird, greifen die geplanten Änderungen auch für solche Fälle, bei denen die (veräußernden) Anteilseigner nicht in einem DBA-Staat ansässig sind. b) Veräußerungsgewinne nach § 17 EStG ($ 1 %-Anteil) Technisch werden die Erweiterungen der Besteuerungsrechte im Rahmen der gewerblichen Einkünfte bei den Anteile iSd. § 17 EStG angesiedelt. So sind nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e) Doppelbuchst. cc EStG die 39 Der Wortlaut ist nun: „Gains derived by a resident of a Contracting State from the alienation of shares or comparable interests, such as interests in a partnership or trust, may be taxed in the other Contracting State if, at any time during the 365 days preceding the alienation, these shares or comparable interests derived more than 50 per cent of their value directly or indirectly from immovable property, as defined in Article 6, situated in that other State.“ 40 Siehe hierzu die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/4455, 48 ff.

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Gewinne aus der Veräußerung einer Beteiligung iSd. § 17 EStG steuerpflichtig, „wenn es sich um Anteile an einer Kapitalgesellschaft handelt, deren Anteilswert zu irgendeinem Zeitpunkt während der 365 Tage vor der Veräußerung unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 50 Prozent auf inländischem unbeweglichem Vermögen beruhte und die Anteile dem Veräußerer zu diesem Zeitpunkt zuzurechnen waren“.

Die Gesetzesbegründung zum RegE weist zudem darauf hin, dass durch die einleitende Formulierung „unter den Voraussetzungen des § 17“ in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG sämtliche Absätze des § 17 EStG auch im Kontext dieser Neuregelung Anwendung finden sollen.41 Die Gesetzesbegründung stellt außerdem klar: Zwar müssen dem Anteilseigner für die Steuerbarkeit der Anteilsveräußerung die Anteile an einem Tag wirtschaftlich zugerechnet werden können, an dem die Immobilienquote überschritten ist. Es soll indes nicht erforderlich sein, dass er gleichzeitig auch zu mindestens 1 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Es kann demnach Fälle geben, bei denen der Anteilseigner aufgrund einer früher höheren Beteiligung in den Anwendungsbereich des § 17 EStG fällt. Erst nach der Reduktion der Anteile auf unter 1 % erwirbt die Gesellschaft Immobilien und erfüllt damit die Immobilienquote von mehr als 50 %. Dennoch soll ein Fall des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. cc EStG gegeben sein. c) Zeitliche Anwendung Die Ergänzung in § 49 EStG wird nach § 52 Abs. 45a EStG erstmals auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen anzuwenden sein, bei denen die Veräußerung nach dem 31.12.2018 erfolgt. Zudem werden Gewinne nur insoweit besteuert, als nach dem 31.12.2018 eingetretene Wertveränderungen zugrunde liegen.42

41 Siehe RegE, BT-Drucks. 19/4455, 49. 42 Siehe zu Zweifelsfragen im Zusammenhang mit dieser Übergangsregelung Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1686 (1687 f.). Diese weisen auch zu Recht auf die Parallelen bei der Herabsetzung der Beteiligungsquote iSd. § 17 EStG infolge der Entscheidung des BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05, 753, 1738/05, BStBl. II 2011, 86 = GmbHR 2010, 1045) sowie das im Anschluss ergangene Schreiben des BMF v. 20.12.2010 – IV C 1 - S 2244/10/10001 – DOK 2010/1006836, BStBl. I 2011, 16 = FR 2011, 92 hin.

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5. Veränderungen gegenüber einer Bundesrats-Initiative aus dem Jahr 2016 Eine ähnliche Erweiterung der beschränkten Steuerpflicht wie die nun umgesetzte war bereits im Jahr 2016 beabsichtigt. Die entsprechende durch den Bundesrat gestartete Initiative auf der Basis des bisherigen Wortlauts des Art. 13 Abs. 4 OECD-MA 201443 blieb jedoch erfolglos. Die nun Gesetz gewordene Ausdehnung des § 49 EStG wiederholt diese Initiative, allerdings im Kern mit zwei Änderungen: –

Zum einen wird anstelle von beschränkt steuerpflichtigen Kapitaleinkünften (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG) nun bei den gewerblichen Veräußerungsgewinne nach § 17 EStG (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG) angesetzt. Beteiligungen von weniger als 1 % sind damit irrelevant.



Zum anderen werden die zwischenzeitlichen Änderungen im OECDMA im Hinblick auf die 365-Tage-Regel gespiegelt.

6. Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf des JStG 2018 a) Überblick Die Änderungen heben sich – basierend auf dem insoweit unverändert zum Gesetz gewordenen RegE – zudem stark von der Fassung des RefE ab.44 In einigen ganz entscheidenden Punkten wurde – wohl auch auf externe Hinweise hin – deutlich nachgebessert. Die Änderungen sind dabei wie folgt: b) Streichung der Steuerbarkeit als Kapitaleinkünfte Nach dem RefE war neben der erweiterten Steuerbarkeit von Anteilen iSd. § 17 EStG auch eine ergänzende Steuerbarkeit im Rahmen der Kapitaleinkünfte geplant. Demnach wären im Ergebnis sämtliche Anteilsveräußerungsgewinne bei Gesellschaften mit ausreichendem Immobilieneigentum und somit unabhängig von der Beteiligungsquote (mithin auch , 1 %) steuerbar geworden.

43 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen, BR-Drucks. 406/16 (B). 44 Siehe zu dieser Fassung die Beiträge von Kempf/Loose/Oskamp, IStR 2018, 527 ff. sowie Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1686 ff.

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Die Gesetzesbegründung zum RegE kommentiert die Streichung der Erfassung von Kapitaleinkünften wie folgt: „Beteiligungen von unter einem Prozent werden aus administrativen Gründen nicht erfasst“. In der Tat hätte die Erfassung auch von Kleinstbeteiligungen zu einer ganzen Reihe von Problemen geführt, die man nun wohl vermeiden möchte. Zu den Problemen zählt ua. –

die Erhebung einer etwaigen Steuer als Kapitalertragsteuer, wobei das Gesetz für diesen Fall jedoch keinen Einbehaltspflichtigen vorsah und die Einführung einer solchen Einbehaltspflicht auch faktisch schwierig gewesen wäre45 und



das Problem der Datenbeschaffung für die Prüfung der Immobilienquote bei Gesellschaftern mit einer derart geringen Beteiligung.

c) Klarstellung zur Ermittlung der Immobilienquote Ausweislich des letzten Halbsatzes in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. cc EStG idF des RegE sind für die Ermittlung der Immobilienquote „die aktiven Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens mit den Buchwerten, die zu diesem Zeitpunkt anzusetzen gewesen wären, zugrunde zu legen.“ Diese Klarstellung ist neu. Der RefE des JStG 2018 enthielt keine diesbezügliche Aussage. Lediglich die Gesetzesbegründung stellte klar, dass die Immobilienquote bei mittelbaren Beteiligungen anhand einer konsolidierten Betrachtung der aktiven Wirtschaftsgüter der unmittelbar und mittelbar am inländischen unbeweglichen Vermögen beteiligten Gesellschaften ermittelt werden sollte. Diese Sichtweise entspricht auch jüngeren Verlautbarungen aus der Finanzverwaltung.46 In der Gesetzesbegründung zum RegE wurde diese Klarstellung jedoch gestrichen, obwohl sie (a) nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Klarstellung steht und (b) in der Aussagekraft teilweise über den vorgeschlagenen Gesetzestext hinausgeht. Die Klarstellung im Gesetzentwurf ist vor allem aus zwei Gründen zu begrüßen: –

Es kommt nur auf die Aktivseite der Beteiligung an, deren Anteile veräußert werden. Eine solche Sichtweise führt zum einen zur Ver-

45 Siehe dazu im Kontext der BR-Initiative aus dem Jahr 2016 bereits Wittenstein, IStR 2017, 179; s. ferner Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1686 (1690). 46 Vgl. FinSen. Berlin v. 8.5.2017 – III A - S 1301 - 4/2016, StEK DoppBest. Allg. Nr. 295.

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einfachung, da die Passivseite irrelevant ist. Zum anderen ist diese Klarstellung nach eigener Ansicht auch sachgerecht. Bei Berücksichtigung auch der Passivseite gäbe es bspw. Fälle von operativ tätigen Unternehmen, die eine nahezu wertlose Immobilie haben, allerdings bilanziell überschuldet sind (negatives Eigenkapital). Hier wäre die Immobilienquote stets erfüllt, was nicht das gewünschte Ergebnis sein kann. Das Abstellen nur auf die Aktivseite ist allerdings zumindest insofern bemerkenswert, als der Eingangssatz des Gesetzentwurfs auf den „Anteilswert“ abstellt, der eigentlich auch unter Berücksichtigung der Passivseite zu ermitteln wäre. –

Als Bewertungsmaßstab sollen die Buchwerte und nicht etwa die deutlich aufwändiger zu ermittelnden Verkehrswerte herangezogen werden. Diese Umstellung war schon allein aus technischen Gründen notwendig, da ansonsten ggf. im einfachsten Fall (nur eine Immobilie) 730 Verkehrswertgutachten erforderlich gewesen wären, um nachzuweisen, dass an keinem der letzten 365 Tage die Immobilienquote überschritten war (pro Tag eine Bewertung der Immobilie und zwecks Quotenbildung auch des gesamten Unternehmens). Bei steigender Immobilienzahl wäre die Anzahl der Gutachten entsprechend gestiegen. Ungeachtet dieser Vereinfachung gibt es immer noch eine Reihe von Fragen, die später in diesem Beitrag behandelt werden.

d) Anrechenbarkeit ausländischer Steuern Gemäß § 34d EStG zählen die unter § 49 EStG steuerbaren Einkünfte aus Anteilsveräußerungen zukünftig zum Katalog der ausländischen Einkünfte iSd. § 34c Abs. 1–5 EStG. Im Ergebnis können demnach ausländische Steuern im Rahmen des § 34c EStG angerechnet werden, auch wenn kein DBA besteht.47

7. Konsequenzen und Detailfragen a) Schranken durch abgeschlossene DBAs Da die bisher von Deutschland abgeschlossenen DBA nicht auf der Grundlage des OECD-MA 2017 mit der 365 Tage-Regel verhandelt wurden, wird die Neufassung der § 49 EStG in vielen Fällen durch das entsprechende DBA begrenzt sein.48 Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass 47 So auch die Gesetzesbegründung zum RegE, BT-Drucks. 19/4455, 48 f. 48 Siehe in diesem Sinne auch Kempf/Loose/Oskamp, IStR 2018, 527 (529).

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die Neuregelungen einen „Treaty Override“ darstellen sollen und unabhängig von der DBA-Situation Anwendung finden sollen.49 Auch sonstige Begrenzungen des Besteuerungsrechts durch die im Einzelfall anwendbaren DBA (gar keine Grundbesitzklausel, Klausel mit Mindestbeteiligung am Kapital der Gesellschaft, abweichende Immobilienquote etc.) dürften greifen.50 Im Zeitablauf, dh. bei Anpassung der DBA bspw. auch durch Umsetzung des Mehrseitigen Übereinkommens51 wird die Schrankenwirkung des DBA indes entfallen. Volle Wirkung unmittelbar nach Inkrafttreten der Änderungen in § 49 EStG dürften die geplanten Neuregelungen dagegen in Nicht-DBA-Fällen entfalten. b) Steuerfolgen Ungeachtet der Erweiterungen bei der beschränkten Steuerpflicht dürfte der Hinzugewinn an Steuersubstrat für Deutschland marginal sein. Für ausländische Körperschaften als Anteilseigner wären die Veräußerungsgewinne nach § 8b KStG zu 100 % steuerbefreit.52 Gewerbesteuer fiele mangels Betriebsstätte des Veräußernden im Inland ebenfalls nicht an. Damit entstünde eine Situation, in der der veräußernde Anteilseigner zwar grundsätzlich seine Gewinne durch Veranlagung im Inland erklären müsste, aber faktisch mangels Bemessungsgrundlage keine Steuer anfiele. Die praktische Erfahrung aus ähnliche Fallkonstellation unter geltendem Recht zeigt, dass hier oftmals keine Veranlagung erfolgt. Zusätzliches Steueraufkommen wäre damit nur bei solchen Anlegerkreisen zu erwarten, die nicht von § 8b KStG Gebrauch machen können. Hierzu zählen insbes. natürliche Personen („nur“ Teileinkünfteverfahren bei Einkünften nach § 17 EStG) und bestimmte Finanz- und Versicherungsunternehmen (Ausschluss nach § 8b Abs. 7 und 8 KStG). c) Steuerabzug nach § 50a Abs. 7 EStG Selbst bei fehlender spezialgesetzlicher Regelung zum KapErtrSt.-Einbehalt kann § 50a Abs. 7 EStG greifen, mithin insbes. für die Veräuße-

49 GlA Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1686 (1689). 50 Vgl. mit ähnlichen Hinweisen Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1686 (1689 f.). Für eine Übersicht über die DBA-Beschränkungen basierend auf der Rechtslage 2012 s. Wagner/Lievenbrück, IStR 2012, 593 ff. 51 Vgl. für diesen Hinweis Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1686 (1689). Zum Mehrseitigen Abkommen s. ua. Gradl/Kiesewetter, IStR 2018, 1. 52 BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144 = GmbHR 2017, 1339.

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rungsgewinne bei Anteilen nach § 17 EStG. Die Finanzverwaltung könnte demnach gegenüber dem Käufer einen Steuerabzug von bis zu 25 % des Kaufpreises anordnen. Hierbei wird jedoch regelmäßig zu berücksichtigen sein, dass insbes. bei Anteilsveräußerungen durch Körperschaften § 8b KStG greift, so dass die finale Steuerschuld 0 Euro beträgt. Damit kann die Anwendung von § 50a Abs. 7 EStG nicht auf die Sicherung eines Steueranspruchs gestützt werden. Das FA dürfte insofern auch kein Ermessen haben, dennoch einen Steuerabzug anzuordnen. d) Besonderheiten bei Investmentfonds Für Investmentfonds iSd. deutschen InvStG dürften die entsprechende Einkünfte weiterhin – zu Recht – nicht steuerbar sein. Zwar stellen sämtliche Einkünfte nach § 49 EStG „sonstige Einkünfte“ iSd. § 6 Abs. 5 InvStG dar. Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG sind indes ausdrücklich ausgenommen und zählen daher nicht zu den sonstigen Einkünften. Auch an dieser Stelle ist die Streichung der noch im RefE geplanten Erfassung der Einkünfte als Kapitaleinkünfte bedeutsam, weil gleichartige Einkünfte (zumindest diejenigen aus , 1 %-Beteiligungen) bei Investmentfonds sonst steuerpflichtig geworden wären. e) Übergangsregelung Nach der zeitlichen Übergangsregelung in § 52 Abs. 34b EStG sollen selbst im Fall einer Anteilsveräußerung nach dem 31.12.2018 nur Gewinne erfasst werden, denen nach dem 31.12.2018 eingetretene Wertveränderungen zugrunde liegen. Fraglich ist sodann, ob die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. cc EStG erfolgten Klarstellungen (nur Aktivseite, Buchwerte) auch auf die zeitliche Übergangsregelung durchschlagen. Zur Aktivseite: Wenn es mit Blick auf die Bestimmung der Immobilienquote nur auf die Aktivseite ankommt, sollte man konsequenterweise auch für die Übergangsregelung auf etwaige Wertgewinne in der Immobilie nach dem 31.12.2018 abstellen. Der Gesetzeswortlaut der Übergangsregelung zeigt diesen Bezug jedoch nicht, so dass es dem Wortlaut nach auf den Wertgewinn im Anteil als solchen ankommen könnte. Ein solcher Wertgewinn kann auch ohne jegliche Wertsteigerung der Immobilie und im Übrigen selbst ohne die laufend aus der Immobilie generierte Liquidität eintreten. Richtigerweise sollte daher auf die Wertveränderungen in der Immobilie als solcher abgestellt werden, wobei nach eigener Ansicht wertsteigernde Bau- und Investitionsmaßnahmen durch 684

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die Gesellschaft herausgerechnet werden müssten. Wenn die Immobilie (bereinigt um Bau- und Investitionsmaßnahmen) im Verkaufsmoment im Vergleich zum Verkehrswert am 31.12.2018 an Wert verliert, führt die Neuregelung zu einer Nichtsteuerbarkeit der Anteilsveräußerung. Zum Buchwertansatz: Wenn nur Wertveränderungen seit dem 31.12.2018 erfasst werden sollen, müssten für Zwecke der Übergangsregelung die Verkehrswerte der Immobilie herangezogen werden. Da ein (fremder Dritter als) Erwerber stets einen Kaufpreis auf der Basis eines Verkehrswerts zahlt, sollte der Wert zum 31.12.2018 ebenfalls auf der Basis von Verkehrswerten ermittelt werden. Für die Differenzberechnung sollte der Anteilskaufpreis sodann – wie üblich – durch Bereinigung von Verbindlichkeiten und sonstigen Aktiva auf den Verkehrswert der Immobilie zum Veräußerungsstichtag übergeleitet werden und dann mit dem Verkehrswert der Immobilie zum 31.12.2018 verglichen werden. Zugegebenermaßen wird die Überleitung des Anteilskaufpreises auf den Anteilsübertragungsstichtag nur bei einem Kaufpreismechanismus mit Closing Accounts funktionieren. Bei Locked Box sollte stattdessen der Kaufpreis zum sog. „Effective Date“ (wirtschaftlicher Übertragungsstichtag) übergeleitet werden, selbst wenn die Anteile rechtlich gesehen erst später übergehen.

8. Weitere praktische Probleme im Hinblick auf die Ermittlung der Immobilienquote a) Ausgangspunkt Mit Blick auf die Ermittlung der Immobilienquote stellen sich zahlreiche Detailfragen. Dies gilt trotz der Klarstellung der Relevanz der Buchwerte und losgelöst von den Fragestellungen rund um die zeitliche Übergangsregelung. Im Entwurfstext steht: „für die Ermittlung dieser Quote sind die aktiven Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens mit den Buchwerten, die zu diesem Zeitpunkt anzusetzen gewesen wären, zugrunde zu legen.“ b) Buchwertermittlung im Zeitablauf Die Klarstellung im Hinblick auf die Relevanz der Buchwert ist ausdrücklich zu begrüßen, wobei eine Öffnungsklausel zugunsten der Stpfl. mit alternativ möglichem Verkehrswertnachweis vorzugswürdig gewe-

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sen wäre.53 Da die Buchwerte standardmäßig nur zum Abschlussstichtag ermittelt werden, müssen nun die Buchwerte über den gesamten 365tägigen Betrachtungszeitraum fortentwickelt werden. Dabei geht es nicht nur um die Buchwerte der Immobilie selbst, sondern zwecks Quotenbildung müsste prinzipiell wohl die gesamte Bilanz fortentwickelt werden. Dies übersteigt die bisherigen Reporting-Pflichten selbst kapitalmarktorientierter Akteure deutlich, da hier bisher allenfalls quartalsweise Abschlüsse aufgestellt werden brauchen. Um dem Vereinfachungsgedanken Rechnung zu tragen, müsste es daher genügen, indikativ eine Quotenüberschreitung aufzuzeigen. Bei reinen Immobiliengesellschaften wird die Quote dabei regelmäßig überschritten sein. Bei Gesellschaften mit Immobilien von sehr untergeordneter Bedeutung (ggf. auch schon voll abgeschriebenen Immobilien) dürfte die Quote dagegen nicht erreicht sein. Bei allen anderen Gesellschaften ist keine einfache Lösung in Sicht. Man könnte allenfalls überlegen, ob man unterjährige „Buchwerte“ durch zeitanteiliges Interpolieren der Buchwerte von zwei Abschlussstichtagen ermittelt. Nach eigener Ansicht stellt dies die einzige praktikable Lösung dar, wenngleich damit der Gedanke der 365 Tage-Regel in Teilen wieder unterwandert würde. Beispiel: Ein ausländischer Gesellschafter hält eine 5 %-Beteiligung an einer Luxemburger Kapitalgesellschaft, die 10 Immobilien in Deutschland und 10 Immobilien in Frankreich besitzt. Vermögen außer dem Grundbesitz besteht nicht. Überschlägig soll der Wert des Grundbesitzes zu jeweils 50 % auf Deutschland und zu 50 % auf Frankreich entfallen. Der Ausländer veräußert seine Beteiligung unterjährig mit Wirkung zum 15.2.2018. Für die Quotenermittlung müssten die Bilanzen jeweils zum 31.12. der Jahre 2017, 2018 und 2019 aufgestellt sein (kalenderjahrgleiche Wj. unterstellt). Die Werte zum 15.2.2018 sowie für die 365 Tage zuvor werden durch Interpolation ermittelt. Wenn an keinem oder an allen drei Bilanzstichtagen die Quote überschritten ist, ist das Ergebnis auch ohne Interpolation eindeutig. Klar ist bei einer solchen Vorgehensweise indes auch, dass über die Frage der Besteuerung nicht entschieden werden kann, bis die Bilanz auf den der Veräußerung folgenden Stichtag (hier 31.12.2018) final aufgestellt ist.

c) Handelsrechtliche vs. steuerrechtliche Buchwerte Als nächstes wäre sodann die Frage zu beantworten, ob es auf handelsrechtliche oder steuerrechtliche Buchwerte ankommen soll. Der Geset53 Vgl. einen derartigen Vorschlag bei Wagner/Lievenbrück, IStR 2012, 593 (599).

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zesentwurf spricht nur allgemein von „Buchwerten“. Beide Rechenwerke führen letztlich zu Problemen. Bei Ansatz der handelsrechtlichen Buchwerte: –

Abhängigkeit vom (ausländischen) Rechnungslegungsstandard: Da es sich regelmäßig um ausländische Immobiliengesellschaften handelt, unterliegen diese den Rechnungslegungsvorschriften ihres jeweiligen Sitzstaats. Damit kämen je nach Sitzstaat unterschiedliche Regelungen zum Ansatz, was iS einer gleichmäßigen Besteuerung schlichtweg nicht gewollt sein kann.



Fehlende Prüfungspflicht: Das Problem der Vergleichbarkeit von Abschlüssen verstärkt sich, wenn die Bilanzen ggf. keiner Prüfungspflicht unterliegen, was bei Immobilienobjektgesellschaften häufig der Fall ist.



Bilanzierung nach IFRS: Wenn (aus Vergleichsgesichtspunkten günstig) nach IFRS bilanziert wird, würden faktisch oftmals wieder die Verkehrswerte zum Ansatz kommen. Dem Vereinfachungsgedanken würde hier dennoch Rechnung getragen. Die Verkehrswerte müssen zu den Bilanzstichtagen ohnehin ermittelt werden. Die nach dem RefE noch drohende Verkehrswertermittlung für alle 365 Tage vor einem Anteilsverkauf wäre dagegen nicht erforderlich – falls man die interpolierende Ermittlung zwischen den Bilanzstichtagen zulässt.

Bei Ansatz der steuerlichen Buchwerte: –

Keine Steuerbilanz verfügbar: Ein Ansatz der nach deutschen Vorschriften ermittelten steuerlichen Buchwerte für Zwecke der Quotenermittlung hätte den Vorteil einer gleichmäßigen Besteuerung unabhängig von Sitzstaat. Dennoch scheidet auch dieser Weg oftmals aus – jedenfalls bei nur mittelbarem Immobilienbesitz. Zwar wird die unmittelbar in deutschen Grundbesitz investierende Gesellschaft regelmäßig eine deutsche Steuerbilanz aufstellen. Dies gilt jedoch nicht für etwaige Muttergesellschaften, deren Vermögen bei mittelbaren Anteilsveräußerungen ebenfalls in die Quotenberechnung einzubeziehen wäre. Mit anderen Worten: Man müsste in diesen Fällen Steuerbilanzen aufstellen, obwohl die Muttergesellschaft außer eventuell mit ihrer Beteiligung an der immobilienhaltenden Tochter nicht in Deutschland steuerpflichtig ist.



Minderheitsgesellschafter: Anders als Handelsbilanzen sind Steuerbilanzen regelmäßig nicht öffentlich verfügbar. Ein Minderheitsgesellschafter (bei einer Quote von bspw. 1 %) wird idR die Gesell687

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schaft nicht veranlassen können, ihm sämtliche steuerlichen Daten inklusive Steuerbilanz zur Verfügung zu stellen. –

Einfluss von Bewertungswahlrechten/Teilwertabschreibungen: Nach Auffassung der Finanzverwaltung dürfen auch beschränkt steuerpflichtige Immobilienkapitalgesellschaften Teilwertabschreibungen vornehmen.54 Ungeachtet dessen zeigt die Praxis, dass diese Abschreibungen unterbleiben, um keine steuerlichen Verlustvorträge zu generieren, die sonst nur im Rahmen der Mindestbesteuerung verrechenbar sind. Steuerbilanziell sind diese Immobilien damit „überbewertet“, was zu einem Überschreiten der Immobilienquote führen kann.

d) Mittelbare Beteiligungen Die in der Gesetzesbegründung zum RefE enthaltene Klarstellung hinsichtlich einer konsolidierten Betrachtung bei mittelbaren Beteiligungen wurde bereits im RegE gestrichen, obwohl diese Sichtweise früheren Verlautbarungen aus der Finanzverwaltung entspricht.55 Vermutlich hat sich hier die Erkenntnis durchgesetzt, dass selbst die Konzernrechnungslegung nach deutschem Handelsrecht nur bei beherrschendem Einfluss eine (Voll-)Konsolidierung vorsieht (vgl. § 290 Abs. 1 Satz 1 HGB). Wie nun bei mittelbaren Beteiligungen vorgegangen werden soll, ist unklar. Neben der Konsolidierung wären auch stufenweise Tests denkbar. Hier würde dann zunächst die Immobilienquote bei der Gesellschaft getestet, die die Immobilie unmittelbar hält. Je nach Quote würde dann der Beteiligungsansatz beim direkten Gesellschafter ersetzt. Bei Beteiligungsketten würde sich der Ansatz durch die Kette durchziehen.56 e) Zwischenfazit Was die Ausführungen zuvor verdeutlichen sollen: Die Quotenberechnung ist aufwändig und viele Details sind ungeklärt. Zudem wird oftmals nur ein 100 %-Gesellschafter die notwendigen Einflussmöglichkeiten zur Berechnung der Immobilienquote haben. Minderheitsgesellschafter – 54 Vgl. OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, StEK EStG § 49 Nr. 90, Tz. 3.1; BMF v. 16.5.2011 – IV C 3 - S 2300/08/10014 – DOK 2011/0349521, BStBl. I 2011, 530 = FR 2011, 590, Tz. 11. 55 Vgl. FinSen. Berlin v. 8.5.2017 – III A - S 1301 - 4/2016, StEK DoppBest. Allg. Nr. 295. 56 Für Details zu diesen Ansätzen siehe Wagner/Lievenbrück, IStR 2012, S. 599 f.

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insbes. solche mit einer Splitterbeteiligung nahe 1 % – werden dagegen selbst bei bestem Willen zur „Compliance“ mit deutschen Steuervorschriften die erforderlichen Daten nicht zur Verfügung gestellt bekommen. Sofern man demnach überhaupt über Erweiterungen der Steuerpflicht mit Blick auf Immobiliengesellschaften nachdenkt, sollten nur 100 %-Fälle oder zumindest nur Mehrheitsbeteiligungen – und zwar bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen auf jeder Ebene – erfasst werden. Zudem müsste sichergestellt werden, dass die nach nationalem Recht angewandten Methoden im DBA-Fall auch vom jeweils anderen Staat übernommen werden. Anderenfalls kann es zu Doppelerfassungen kommen, die gleichwohl durch die Ergänzungen in § 34d EStG-E abgefedert würden.

9. Fazit/Würdigung Die Berechnung der Immobilienquote dürfte sich in der Praxis als regelmäßig nicht administrierbar herausstellen. Bei Körperschaften als Anteilseignern wird die Erweiterung indes kaum Steuersubstrat erzeugen, da sie regelmäßig zu 100 % nach § 8b KStG steuerbefreite Gewinne realisieren. Insoweit stellt sich die Frage, was mit der Neuregelung außer der abstrakten Ausfüllung von Besteuerungsrechten überhaupt erreicht werden soll.

IV. Das BMF-Schreiben zur sog. „passiven Entstrickung“ v. 26.10.2018 1. Überblick a) Bedeutung Die Entstrickungsbesteuerung ist im Zusammenhang mit Immobilieninvestitionen in den Fokus geraten. Ganz allgemein will die deutsche Finanzverwaltung stille Reserven, die der inländischen Steuerpflicht unterlegen haben, steuerlich erfassen, bevor das nationale Besteuerungsrecht endet. In dem Schreiben vom 26.10.2018 bejaht das BMF die – in der Literatur umstrittene – Frage, ob die erstmalige Anwendung eines neu abgeschlossenen bzw. revidierten DBA einen steuerlichen Realisationstatbestand darstellen kann, und macht Ausführungen zum relevanten Zeitpunkt, in dem die Steuer zu entrichten ist.

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b) Art. 13 Abs. 4 OECD-MA und die deutsche Abkommenspolitik Zurückzuführen ist die aktuelle Diskussion auf die Bestimmung in Art. 13 Abs. 4 OECD-MA57, der in seiner früheren Fassung 2002 erstmals in das Musterabkommen eingefügt wurde. Zwischenzeitlich ist er auch in Art. 13 Abs. 4 DBA-VG enthalten. Die deutsche Abkommenspolitik zielt darauf ab, bei DBA-Revisionen die OECD-Standards sowie die Standards der DBA-VG umzusetzen.58 Aus den bereits revidierten DBA ergeben sich dabei praktische Fragen und Probleme. Wird eine Immobilien-Klausel vereinbart, geht das Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen von Anteilen an Immobiliengesellschaften auf den Belegenheitsstaat des Vermögens über. Derartige Besteuerungsrechte waren vormals idR dem jeweiligen Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters zugewiesen. Die Übernahme der neuen OECD-Standards führt folglich dazu, dass bei in Deutschland ansässigen Gesellschaftern die Veräußerungsgewinne der Gesellschaftsanteile abweichend von der bisherigen Rechtslage im anderen DBA-Staat besteuert werden können. Die Immobilienklausel besagt Nichts über das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats.59 Die deutsche Verhandlungsposition ist daher idR darauf gerichtet, im Methodenartikel die Anrechnung zu vereinbaren. c) Entstrickungsbesteuerung bei Passivität des Steuerpflichtigen in der Literatur Die Umverteilung der Besteuerungsrechte kann im deutschen Steuerrecht eine Entstrickungsbesteuerung auslösen. Die Voraussetzungen sind an drei Stellen geregelt: § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bestimmt allgemein für die Gewinnermittlung, dass der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts einer steuerpflichtigen Entnahme gleichzusetzen ist. § 12 Abs. 1 KStG regelt Entsprechendes für Körperschaften.60 § 6 AStG zielt schließlich darauf ab, die stillen Reserven einer im Privatvermögen gehaltenen 57 Vgl. hierzu oben bereits unter III.2.d) und III.3. 58 Vgl. für eine Übersicht der von Deutschland abgeschlossenen DBA mit einer entsprechenden Klausel Reimer in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 13 OECD-MA Rz. 149. 59 Zum Ganzen Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 13 OECD-MA Rz. 123 und 159. 60 § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG fingiert nicht die Entnahme, sondern die Veräußerung. Umfassend dazu Förster/Hölscher, Ubg. 2012, 729.

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Beteiligung im Fall des Wegzugs des Anteilseigners zu erfassen. Alle Fälle stellen Ersatzrealisationstatbestände dar und verweisen hinsichtlich der Rechtsfolge auf andere steuerauslösende Grundtatbestände, welche die Aufdeckung der stillen Reserven zur Folge haben. Während § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG61 relativ kurz und präzise den „Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland“ als Voraussetzung benennen, enthält § 6 Abs. 1 AStG einen Grundtatbestand in Satz 1 und vier weitere ausdrücklich aufgelistete Ersatztatbestände in Satz 2. „Neuland“62 wurde mit der Schaffung von § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 betreten, der als allgemeiner Auffangtatbestand des § 6 AStG konzipiert ist.63 Dieser knüpft nicht an eine aktiv herbeigeführte Entstrickung infolge eines Wegzugs oder alternativer Handlungen an, sondern bezieht sich ganz allgemein auf alle sonstigen denkbaren Fälle, in denen künftig der Steuerzugriff des deutschen Fiskus ausgeschlossen ist. Ein aktives Tun oder Gestalten ist im Wortlaut nicht ausdrücklich vorgesehen. Der Ausschluss des Besteuerungsrechts ist gegeben, wenn ein bislang bestehendes Besteuerungsrecht nicht mehr ausgeübt werden kann.64 Eine Beschränkung liegt vor, wenn bezüglich eines bislang vollumfänglichen Besteuerungsrechts nach der Entstrickungshandlung eine Anrechnungsverpflichtung der ausländischen Steuer besteht. Der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kann denklogisch entweder durch tatsächliche Vorgänge, wie ua. die Überführung von Wirtschaftsgütern oder den Wegzug des Stpfl., oder durch rechtliche Vorgänge, beispielsweise das Inkrafttreten eines DBA, ausgelöst werden. Ob die letztgenannte Variante tatsächlich zu einer Entstrickungsbesteuerung führen darf, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.65 Problema61 Anzumerken ist, dass zwar § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG noch ein ergänzendes Regelbeispiel zu Satz 1 enthält, dieses aber selbst keine weitere Fiktion enthält und daher nur beschreibenden Charakter hat. 62 So Kraft, AStG2, § 6 Rz. 380 mit Hinweis darauf, dass hier die Sicherung des künftigen Zugriffs auf Veräußerungsgewinne im Fokus steht. 63 So die Begründung in BR-Drucks. 542/1/06, 11; ebenso BT-Drucks. 16/3369, 34. 64 Vgl. hierzu auch BMF v. 17.1.2018 – IV B 2 - S 1301/07/10017-09 – DOK 2018/0042503, BStBl. I 2018, 239. 65 Bejahend Kraft, AStG2, § 6 Rz. 380; Häck in Haase, AStG/DBA, § 6 AStG Rz. 108; Lampert in Gosch, KStG3, § 12 Rz. 102; aA Niehaves/Beil, DStR 2012, 209 (212); Bron, IStR 2012, 904 (905); Pohl in Blümich, AStG, § 6 Rz. 57; Binnewies/Wollweber, DStR 2014, 628 (632).

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tisch ist daran, dass ein passives „Nichtstun“ des Stpfl. eine Entstrickungsbesteuerung auslöst, wenn beispielsweise ein neues DBA in Kraft tritt, während der grenzüberschreitende Sachverhalt unverändert bleibt.66 Die kritischen Stimmen begründen ihre Auffassung vor allem mit dem Hinweis darauf, dass nach dem allgemeinen „Veranlassungsprinzip“ des deutschen Steuerrechts irgendeine Handlung oder Entscheidung des Stpfl. erkennbar sein müsse.67 Dem könnte jedoch der allgemeine Gedanke des § 38 AO entgegengehalten werden. Diese Vorschrift verlangt lediglich, dass ein gesetzlich normierter Tatbestand verwirklicht wird, damit die Rechtsfolge in Gestalt der Steuerentstehung eintritt. Der Wortlaut der Normen, welche die Rechtsfolge regeln, verlangt in diesem Sinne eben gerade kein aktives Tun des Stpfl.68

2. Die Verwaltungsauffassung: Passive Entstrickung durch Neuabschluss eines DBA Die Verwaltung hat sich mit dem BMF-Schreiben v. 26.10.201869 dahingehend positioniert, dass ein Ausschluss bzw. eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts keine Handlung des Stpfl. voraussetzt, sondern beispielsweise durch die beginnende Anwendbarkeit einer Regelung, wie Art. 13 Abs. 4 OECD-MA, ausgelöst werden kann.70 Der Tatbestand des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland iSd. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG, § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG oder gleich lautender Vorschriften wird allein durch eine Änderung der rechtlichen Ausgangssituation erfüllt. Es handelt sich dabei um eine passive Entstrickung, die den sonstigen (aktiven) Entstrickungshandlungen gleichsteht. Ganz konkret werden im BMF-Schreiben zwei geltende DBA benannt, in denen diese Auffassung von Relevanz ist: Zum einen handelt es sich um

66 Hackemann in EY, KStG, § 12 Rz. 31 mwN. 67 Ausführlich hierzu Binnewies/Wollweber, DStR 2014, 628 (632) mwN. 68 Español/Kaminski/Strunk/Pallast, IStR 2016, 653 (655); Benecke/Staats in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt., § 12 KStG Rz. 335. 69 BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01 – DOK 2018/0734820, BStBl. I 2018, 1104 = ISR 2019, 62. 70 Beobachter dürften hiervon wenig überrascht sein, da sich diese Auffassung grundsätzlich bereits an anderer Stelle, beispielsweise dem Protokoll zu Art. 13 DBA-Liechtenstein, abgezeichnet hatte; vgl. hierzu bspw. Hosp/Langer, IWB 2013, 15 (20) mwN.

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das DBA Spanien71 v. 3.2.2011, das am 1.1.201372 in Kraft getreten ist. Zum Anderen greift die Bestimmung auch für das DBA Luxemburg73 v. 23.4.2012, das am 1.1.201474 in Kraft trat. In beiden wurde in Art. 13 Abs. 2 jeweils eine Klausel entsprechend Art. 13 Abs. 4 OECD-MA bzw. DBA-VG vereinbart und dadurch das Besteuerungsrecht an Immobilienkapitalgesellschaften, welche die Voraussetzungen erfüllen, neu aufgeteilt.75 Abweichend von der bisherigen Abkommenslage wird in den nunmehr geltenden Fassungen der beiden DBA angeordnet, dass Spanien bzw. Luxemburg als Belegenheitsstaat einer Immobilie das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft haben, deren Aktivvermögen zu mehr als 50 % aus in Spanien bzw. Luxemburg belegenen Immobilien besteht. Für Veräußerungsgewinne aus Anteilen an der Gesellschaft haben bei einem in Deutschland ansässigen Gesellschafter folglich beide Staaten das Besteuerungsrecht. Schließlich wäre die Bundesrepublik Deutschland als Wohnsitzstaat des Gesellschafters verpflichtet, die in Spanien/Luxemburg bei einer Veräußerung der Anteile erhobene Steuer auf die deutsche Ertragsteuer anzurechnen. Darin liegt eine Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts.

3. Zeitpunkt der Entstrickung Festzuhalten ist somit, dass durch den Neuabschluss eines DBA grundsätzlich eine Steuerpflicht entstehen kann. Nach dem „OB“ ist sodann das „WANN“, also der genaue Realisationszeitpunkt, zu bestimmen. In Betracht kommen hierfür zwei Alternativen. Die Entstrickung könnte in der letzten logischen Sekunde der alten Rechtslage ausgelöst werden oder aber erste Rechtsfolge des Inkrafttretens der neuen Rechtslage mit geändertem Besteuerungsrecht sein. Argumentativ spricht für die erste Auffassung, dass eine Entstrickung gerade den Wechsel des Besteuerungsrechts voraussetzt. Dieser tritt erst dann ein, wenn das neue DBA in Kraft ist. Insofern ist der Wechsel des Besteuerungsrechts notwendige Voraussetzung dafür, dass in der nächsten logischen Sekunde 71 72 73 74 75

BGBl. II 2012, 18 = BStBl. I 2013, 349. Vgl. Art. 30 Abs. 2 des Abkommens. BGBl. II 2012, 1403 = BStBl. I 2015, 7. Vgl. Art. 30 Abs. 2 des Abkommens. Zum DBA Spanien Binnewies/Wollweber, DStR 2014, 628; Español/Kaminski/Strunk/Pallast, IStR 2016, 653; Herbort/Sendke, IStR 2014, 499; zum DBA Luxemburg Käshammer/Kestler, IStR 2012, 477; Jacob, IStR 2012, 749.

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die Voraussetzungen der Entstrickungsbesteuerung erfüllt sind. Die andere Ansicht fußt auf der Überlegung, dass ein Besteuerungsrecht grundsätzlich noch bestehen muss, um die Steuer vereinnahmen zu dürfen. Deshalb muss denklogisch jedenfalls an den Veranlagungszeitraum angeknüpft werden, in dem das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland noch zustand. Sobald mit dem Wechsel des Besteuerungsrechts der Zugriff auf das Steuersubstrat ausgeschlossen ist, kann keine deutsche Steuerpflicht mehr bestehen. Entscheidend ist nach dieser Auffassung also die letzte logische Sekunde der bisherigen Rechtslage. Für beide Auffassungen sprechen gute Gründe. Die Frage ist derweil nicht nur akademisch spannend, sondern vor allem praktisch von höchster Bedeutung. Von ihr hängt ab, in welchem Veranlagungszeitraum die entsprechende Steuer erklärt werden muss. Des Weiteren knüpfen auch alle sonstigen verfahrensrechtlichen Fragen daran an, etwa Verjährungsregeln und Korrekturvorschriften. Im Extremfall kann sogar die Frage nach der Wirksamkeit einer – aus anderen Gründen – abgegebenen strafbefreienden Erklärung davon abhängen, ob der Tatbestand im betroffenen Veranlagungszeitraum oder in einem anderen Veranlagungszeitraum hätte offengelegt werden müssen. Die Verwaltung hat sich dahingehend positioniert, dass die Rechtsfolgen der Entstrickung im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit des erstmals abgeschlossenen oder revidierten DBA eintreten.76 In praktischer Hinsicht bedeutet dies vor allem, dass die Verjährung der fraglichen Sachverhalte in Bezug auf spanische oder luxemburgische Immobilienkapitalgesellschaften nach hinten verlagert wird, weil die Steuer nicht im Veranlagungszeitraum des Auslaufens des alten DBA, sondern im Veranlagungszeitraum des Inkrafttretens des neuen DBA erklärt werden muss. Die verfahrensrechtlichen Verpflichtungen und die Zahllast entstehen somit im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit eines neu abgeschlossenen oder revidierten DBA.

4. Rechtsfolge: Anzeige- und Berichtigungspflichten nach AO Abschließend weist das BMF-Schreiben noch auf die Anzeigepflichten und Berichtigungspflichten der AO – insbes. auch § 138 Abs. 2 AO – hin. 76 Bezogen auf das revidierte DBA mit Luxemburg ist dies gem. Art. 30 Abs. 2 dieses Abkommens der 1.1.2014 – 0 Uhr, und bezogen auf das revidierte DBA mit Spanien v. 3.2.2011 ist dies gem. Art. 30 Abs. 2 dieses Abkommens der 1.1.2013 – 0 Uhr.

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Dieser allgemeine verfahrensrechtliche Hinweis hat vor allem klarstellende Funktion.

5. Würdigung In Fällen, in denen der Sachverhalt dem zuständigen FA bereits bekannt ist, besteht kein Handlungsbedarf. Für die Vergangenheit kommt im Hinblick auf die – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags – bereits eingetretene Regelverjährung der spanischen und luxemburgischen Sachverhalte nur noch die Prüfung strafrechtlich relevanter Aspekte in Betracht. Im Übrigen ist – soweit alle Melde- und Erklärungspflichten erfüllt wurden und der Steuerbescheid ohne Nebenbestimmungen ergangen ist – Festsetzungsverjährung eingetreten. Aufgrund der oben skizzierten unterschiedlichen Entscheidungsalternativen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass einige Stpfl. zwar die Sachverhalte offengelegt haben, die Frage der Steuerbarkeit jedoch von einem Gericht klären lassen werden. Die Judikative wird daher mit Sicherheit das letzte Wort zu den streitigen Fragen haben. Dabei wird es spannend zu beobachten sein, wie die Gerichtsbarkeit angesichts der neueren Rechtslage und der internationalen Entwicklungen mit der Thematik umgehen wird. 1975 – als das Internationale Steuerrecht noch ganz andere Rahmenbedingungen hatte – hat der BFH jedenfalls einmal entschieden, dass die Anwendbarkeit eines neuen DBA nicht „als ein Vorgang beurteilt werden kann, der einen Gewinnrealisierungstatbestand im betrieblichen Bereich“77 auslöst. Freilich kann das damalige Urteil nicht ohne Weiteres auf die heutige Rechtslage übertragen werden. Dennoch empfiehlt es sich, Sachverhalte ggf. vorsorglich offen zu halten. Für die Zukunft besteht beim Neuabschluss oder bei Revisionen von DBA ein Risiko, dass ähnliche Entstrickungen eintreten könnten. Daher sollten DBA-Verhandlungen – besonders wenn sich Ergebnisse abzeichnen – aufmerksam beobachtet werden.78 Falls im Zuge der Revisionen erneut Klauseln entsprechend Art. 13 Abs. 4 OECD-MA in DBA gelan77 BFH v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246. 78 Hierzu werden regelmäßig BMF-Schreiben zum Stand der Doppelbesteuerungsabkommen und anderer Abkommen im Steuerbereich sowie der Abkommensverhandlungen veröffentlicht, vgl. zuletzt BMF v. 17.1.2019 – IV B 2 - S 1301/07/10017-10 – DOK 2019/0034103, BStBl. I 2019, 31 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 310.

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gen, droht wiederum die Gefahr der passiven Entstrickung. Bislang nur im Ansässigkeitsstaat zu erfassende Veräußerungsgewinne (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA) können dann in beiden Staaten besteuert werden. Die Anrechnungsverpflichtung für die ausländische Steuer kann zur Entstrickung führen. Dies betrifft sowohl das steuerliche Privatvermögen (§ 6 AStG) als auch das Betriebsvermögen (§ 4 Abs. 1 EStG). Insofern ist das Thema sowohl für abgeschlossene als auch für künftige Sachverhalte von Bedeutung.79 Wünschenswert wäre es zudem, wenn bei DBA-Revisionen künftig Übergangsregelungen getroffen werden könnten. Beispielhaft kann hierzu auf das Protokoll des DBA Liechtenstein (dort Nr. 4 zu Art. 13) verwiesen werden. Hier wird die Steuer bei der passiven Entstrickung bis zum Aktivwerden des Stpfl. zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet und darüber hinaus eine etwaige zu hohe Steuer im Moment der Passiventstrickung nachträglich angepasst.

79 Weiß, EStB 2018, 426 ff.

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Steuerliche Verzinsungsregelungen im strukturellen Niedrigzinsumfeld Dr. Georg Roderburg Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf I. Einleitung II. Zinsen im Bilanzsteuerrecht 1. Rechtsgrundlagen 2. Reaktion des Gesetzgebers auf das Niedrigzinsumfeld im Handelsbilanzrecht 3. Auseinanderlaufen von Handelsbilanz und Steuerbilanz 4. Konkrete Normenkontrolle – Vorlagebeschluss des FG Köln v. 12.10.2017 a) Ausgangssachverhalt b) Verfassungsrechtliche Grundlagen aa) Maßstab bb) Gleichheitsprüfung im Bilanzrecht cc) Grenzen der Typisierung

dd) Die Frage der Vergleichsparameter (1) Kriterien (2) Vergleichsgröße (3) Vergleichszeitraum 5. Anpassungsmöglichkeiten III. Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis 1. Ausgangslage 2. Verfassungsmäßigkeit der Zinssatzhöhe 3. Vergleichsparameter 4. Entwicklung der Rechtsprechung 5. Reaktion der Finanzverwaltung 6. Anpassung des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO IV. Fazit

I. Einleitung Das in Folge der Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise entstandene dauerhafte Niedrigzinsumfeld1 stellt Unternehmen, Kommunen und Privatanleger vor neue Aufgaben. Während sich für die öffentlichen Haushalte in erster Linie eine Entlastung in ihrem Schuldendienst einstellt, werden private Anleger und Unternehmen durch die Niedrigzinsphase zunehmend am Vermögensaufbau gehindert. Im Kontext der betrieblichen Altersvorsorge kann das weitreichende Auswirkungen haben. Können die bereits gemachten Altersvorsorgezusagen nicht durch konservative Anlagemodelle erwirtschaftet werden, besteht die Gefahr, dass in 1 Der Leitzins der EZB hat seit Mitte 2009 die Marke von 1,5 % nicht mehr überschritten.

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risikoreichere Modelle investiert werden muss, was wiederum negative Auswirkungen auf die Finanzmarkstabilität haben kann. Diese Zwangslage wird durch die Diskrepanz zwischen handels- und steuerbilanziellen Vorschriften noch verstärkt. Neben diversen Stimmen im Schrifttum hat daher mittlerweile selbst der Wissenschaftliche Beirat des BMF die Anpassung des Rechnungszinsfußes bei Pensionsrückstellungen nach § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG an den jeweiligen Marktzinssatz als wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung ausgegeben.2 Ebenso steht der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO vorgesehene pauschale Zinssatz iHv. 0,5 % pro Monat, also 6 % pro Jahr, in der Kritik. Das BVerfG wird 2019 über zwei Verfassungsbeschwerden befinden3 und auch der BFH sieht in dem Zinssatz einen „sanktionierende[n], rechtsgrundlose[n] Zuschlag auf die Steuerfestsetzung“, der mit dem Übermaßverbot des Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar ist.4

II. Zinsen im Bilanzsteuerrecht 1. Rechtsgrundlagen Die Bildung von Rückstellungen zur Abbildung von Pensionsverpflichtungen wird handelsbilanziell durch § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB und steuerbilanziell durch § 6a EStG normiert. Während § 6a Abs. 1 EStG den bilanziellen Ansatz von Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen dem Grunde nach regelt, bestimmt § 6a Abs. 3 Satz 1 EStG den Ansatz der Höhe nach. Der Ansatz ist höchstens mit dem Teilwert erlaubt. Bei der Berechnung des Teilwerts sind ein Rechnungszinsfuß von 6 % und die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden. Da zwischen Abschluss der Pensionsvereinbarung und späterer Leistung durch den Arbeitgeber ein erheblicher Zeitraum liegt, sollen die Verzinsungsregelungen diese faktische zeitliche Differenz sinnvoll abbilden, denn eine zukünftige Zahlung belastet den Schuldner weniger als eine gegenwärtige. Mit der Abzinsung wird der Barwert der Verbindlichkeit, also der gegenwärtige Wert der zukünftigen Versorgungszahlungen, ermittelt.5 2 Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, Mai 2017, 6. 3 Anhängig unter den Aktenzeichen 1 BvR 2237/14 und 2 BvR 2422/17. 4 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 32. 5 Dommermuth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6a EStG Rz. 122 (02/2018).

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Durch die Rückstellungsbildung auf der Passivseite wird der steuerliche Gewinn gesenkt, obwohl die tatsächliche Inanspruchnahme und damit die Verminderung der Leistungsfähigkeit noch in der Zukunft liegt (Steuerstundungseffekt). Dieser Steuerstundungseffekt führt zu einem Liquiditätsvorteil, der durch den Rechnungszinsfuß abgeschöpft werden soll. Der Steuervorteil der Unternehmen (durch die Möglichkeit der Rückstellungsbildung) sollte so begrenzt werden.6

2. Reaktion des Gesetzgebers auf das Niedrigzinsumfeld im Handelsbilanzrecht Der Gesetzgeber hat für Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz den Zinssatz des § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG)7 variabel ausgestaltet. Der von der Deutschen Bundesbank monatlich herausgegebene Zinssatz orientiert sich an den Durchschnittszinssätzen der Null-Kupon-Zinsswapkurve der vergangenen sieben Geschäftsjahre.8 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie9 wurde der Durchschnittszeitraum auf 10 Jahre ausgedehnt, um „die Nachteile des Niedrigzinsumfelds für die Unternehmen abzumildern“.10 Die längere Beobachtungsdauer führt durch die Einbeziehung früherer (zinshöherer) Jahre zu einem insgesamt höheren Zinssatz. Die Rückstellungen müssen weniger hoch angesetzt werden und das Jahresergebnis in der Handelsbilanz wird „verbessert“. Der Wissenschaftliche Beirat des BMF ordnet die Verlängerung richtigerweise als bloßes „Window Dressing“ ein.11 Bilanzrechtliche „Entlastungen“ täuschen nur darüber hinweg, dass Erträge einer Kapitalanlage in einer Niedrigzinsphase tatsächlich schwieriger zu erwirtschaften sind als in einer Hochzinsphase. Je länger die Niedrigzinsphase andauert, desto weniger wirkt sich zudem die Erweiterung des Durchschnittszeitraums aus.12 Der Zinssatz nach § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB sinkt daher stetig weiter: 6 BT-Drucks. III/1811, 9. 7 BilMoG v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. 8 Einzelheiten zur Berechnung und den einzelnen Parametern bei Stapf/Elgg, BB 2009, 2134. 9 Ges. v. 11.3.2016, BGBl. I 2016, 396. 10 BT-Drucks. 18/7584, 148 f. 11 Herausforderungen der Niedrigzinspolitik für die Finanzpolitik, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen 2/2017, 25. 12 Vgl. auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, WD 7 – 3000 – 158/18, 9.

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2.2018 3.2018 4.2018 5.2018 6.2018 7.2018 8.2018 9.2018 10.2018 11.2018 12.2018

3,26 %

3,23 % 3,19 % 3,15 % 3,11 % 3,07 % 3,04 % 3,00 % 2,95 %

2,90 %

2,86 %

2,81 %

Übersicht 113

Der Zinssatz nach § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG bleibt dagegen unverändert hoch mit 6 %. Eine Anpassung jeglicher Art lehnt die Bundesregierung weiter ab. Vielmehr schütze ein fester (statt einem variablen) Zinssatz die Unternehmen in Zeiten steigender Kreditzinsen. Da sich der Rechnungszinsfuß an der Eigenkapitalverzinsung statt an der Fremdkapitalverzinsung orientiere, sei die momentan gewählte Höhe von 6 % zudem nicht unrealistisch hoch.14

3. Auseinanderlaufen von Handelsbilanz und Steuerbilanz Da der Zinssatz nach § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB weiter sinkt, der des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG jedoch fix bleibt, entwickeln sich die Zinssätze für Pensionsrückstellungen in Steuer- und Handelsbilanz immer weiter auseinander. Während sich die Rückstellungen in der Handelsbilanz aufgrund des sinkenden Zinssatzes erhöhen und korrespondierend der handelsbilanzielle Gewinn sinkt, bleibt der Ansatz der Rückstellungen in der Steuerbilanz gleichbleibend niedrig. Der steuerbilanzielle Gewinn verringert sich dadurch deutlich weniger. Eine Entlastung bleibt aus. Während der niedrige Zinssatz eine bilanzielle Gewinnverschiebung in spätere Jahre in der Handelsbilanz auslöst, kommt es aufgrund des überhöhten Zinssatzes in der Steuerbilanz zu einem vorgezogenen Gewinnausweis und damit zur Versteuerung von Scheingewinnen in der Gegenwart. Die wirtschaftliche Zwangslage der Unternehmen ist jedoch unabhängig von der bilanziellen Darstellung gleich: Durch die zumeist konservative Anlagestrategie von Vermögen, das zur Bedienung von Pensionsverpflichtungen eingeplant ist, wird in der Niedrigzinsphase nicht die erforderliche Rendite erzielt, was durch den Einsatz weiteren Vermögens ausgeglichen werden muss.15 Die wirtschaftliche Belastungswirkung der Pensionszusagen aber wird aufgrund des unrealistisch hohen Rechnungszinsfußes des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG nicht abgebildet: Es kommt zu einer Besteuerung von Scheingewinnen.16 13 10 Jahres-Durchschnitt bei einer Restlaufzeit von 10 Jahren. Quelle: Deutsche Bundesbank. 14 BT-Drucks. 19/3423, 2 f. 15 Möhlenbrock/Geberth, StbJb. 2015/2016, 275 (283). 16 Hentze, BetrAV 2016, 467 (468); Prinz/Keller, DB 2016, 1033 (1040).

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4. Konkrete Normenkontrolle – Vorlagebeschluss des FG Köln v. 12.10.2017 a) Ausgangssachverhalt Der noch aus 198117 stammende Rechnungszinsfuß von 6 % wurde nunmehr dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt, da das FG Köln § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG für unrealistisch hoch und daher für verfassungswidrig hält.18 Die Klägerin, eine deutsche GmbH, ging bis Ende 1979 Pensionsverpflichtungen ein, für die sie in der Handelsbilanz nach § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB Rückstellungen bildete, die sich bis zum 31.12.2015 auf ca. 11 Mio. Euro beliefen. In der Steuerbilanz dagegen betrugen die Pensionsrückstellungen nur etwa 7,5 Mio. Euro. Damit ergab sich eine Ertragsteuerquote von 98 % auf den handelsbilanziellen Gewinn. In wenigen Jahren würde die Steuerbelastung nach finanzmathematischen Prognosen auf über 100 % steigen.19 Die Klägerin griff den Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 2015 im Einspruchsverfahren mit der Begründung an, dass § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG verfassungswidrig sei. Das FA wies den Einspruch mit einem Hinweis auf die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers als unbegründet ab. b) Verfassungsrechtliche Grundlagen aa) Maßstab Ausgangspunkt der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG ist der in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gleichheitssatz. Dem Gesetzgeber steht im Rahmen der Auswahl des Steuergegenstands sowie des Steuersatzes ein weitreichender Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu. Er hat sich jedoch dabei an den Leitprinzipien der Leistungsfähigkeit sowie der Folgerichtigkeit zu orientieren. Die einmal getroffene Belastungsentscheidung muss folgerichtig umgesetzt werden (Gebot der Folgerichtigkeit). Ausnahmen bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes und müssen verhältnismäßig ausgestaltet sein.20

17 Einführung durch das Steueränderungsgesetz 1960 v. 30.6.1960, BGBl. I 1960, 616; heutiger Wert seit 2. HStruktG v. 22.12.1981, BGBl. I 1981, 1523. 18 FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, nrkr., Az. BVerfG 2 BvL 22/17. 19 Geberth/Sedemund, DStR 2018, 217 (218). 20 StRspr. BVerfG, vgl. nur BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 = FR 2015, 160, juris-Rz. 123.

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Roderburg, Steuerliche Verzinsungsregelungen im Niedrigzinsumfeld

bb) Gleichheitsprüfung im Bilanzrecht Ob das Folgerichtigkeitsgebot jedoch auch im Bilanzsteuerrecht Geltung beanspruchen kann, ist seit der Entscheidung des BVerfG zu Jubiläumsrückstellungen21 deutlich unklarer geworden. So judizierte das BVerfG, dass das Folgerichtigkeitsgebot nur für die „zentralen Fragen gerechter Belastungsverteilung“ Anwendung finde. Die steuerrechtlichen Regelungen zur Begrenzung des Grundsatzes der Maßgeblichkeit und der Anwendung des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips seien dagegen verfassungsrechtlich nicht erhebliche Einzelregelungen des Steuerrechts. Die Frage der Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten stelle eine solche Einzelfrage des Steuerbilanzrechts dar, die nicht umfassend durch das BVerfG zu kontrollieren sei.22 Auch das Leistungsfähigkeitsprinzip sei nicht einschlägig, da Rückstellungen nur das „Wann“, nicht aber das „Ob“ der Besteuerung betreffen.23 In diesen Fällen sei die Kontrolle durch das BVerfG auf eine Willkürprüfung beschränkt.24 Eine derartige Zurückdrängung des Folgerichtigkeitsgebots jedenfalls im Bilanzsteuerrecht durch die Jubiläumsrückstellungsentscheidung ist überwiegend kritisiert worden.25 Es bleibt unklar, welche Fragen das Verfassungsgericht nach diesen Maßstäben als zu komplex erachtet, um sie einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Auch ob die Entscheidung für Fälle außerhalb des Bilanzrechts gilt, bleibt offen. Obwohl es sich im Fall des Rechnungszinsfußes des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG mit dem FG Köln nicht um eine bilanzrechtliche Frage im eigentlichen Sinne, sondern eine Frage der Grenzen zulässiger Typisierung handelt, wäre die Entscheidung des BVerfG zu Jubiläumsrückstellungen selbst bei Einordnung als bilanzrechtliche Frage wohl kein Grund, eine verfassungsrechtliche Überprüfung schlechthin abzulehnen. Vielmehr stellt die Anwendung eines Rechnungszinsfußes, der sich nicht am realitätsnahen Fall orientiert, eine Verletzung des Willkürverbots dar, so dass selbst unter Anwendung der Maßstäbe der Jubiläumsrückstellungs-

21 BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 = FR 2009, 873. 22 BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 = FR 2009, 873, jurisRz. 32. 23 BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 = FR 2009, 873, jurisRz. 35. 24 BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 = FR 2009, 873, jurisRz. 31. 25 Vgl. Hey, DStR 2009, 2561 (2565 f.); Hey, FR 2016, 485 (495).

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entscheidung die Verfassungswidrigkeit von § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG gegeben wäre.26 cc) Grenzen der Typisierung Das FG Köln hat angenommen, dass es sich vorliegend nicht um eine bilanzrechtliche Frage im eigentlichen Sinne handelt, sondern vielmehr um eine Frage verfassungskonformer Typisierung.27 Damit stellte es gleichzeitig fest, dass es auch nicht um die Frage der Zulässigkeit der Abweichung des Rechnungszinsfußes für Pensionsrückstellungen in der Steuerbilanz vom Abzinsungssatz in der Handelsbilanz geht. Vielmehr steht die Abweichung zwischen gesetzlicher Typisierung und objektiv feststellbarem Marktzins auf dem Prüfstand. Wie oben bereits angesprochen, gesteht das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum bezüglich der Wahl von Steuergegenstand und Steuersatz zu. Die weitere Ausgestaltung muss sich am Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit orientieren. Abweichungen bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes.28 Zulässig sind jedoch typisierende und pauschalierende Regelungen, die im Steuerrecht als Massenfallverwaltung unerlässlich sind, auch wenn sie im Einzelfall unbillige Härten verursachen können. Der Gesetzgeber darf sich am Regelfall orientieren und muss nicht alle denkbaren Sonderfälle durch Ausnahmeregelungen berücksichtigen. Er darf jedoch nicht den atypischen Fall als Leitbild wählen.29 Dabei ist es regelmäßiges Merkmal einer Typisierung, dass sie zu Ungleichbehandlungen führt. Diese Ungleichbehandlung wird jedoch unverhältnismäßig, wenn sie außer Verhältnis zu den durch die Typisierung erreichten Vorteilen steht. Ist der der Besteuerung zugrunde liegende Sachverhalt leicht nachzuprüfen und zu bestimmen, sinkt der Typisierungsspielraum des Gesetzgebers.30 Der zehnte Senat des FG Köln äußert bereits Zweifel daran, ob ein „starrer“ Zinssatz überhaupt gerechtfertigt sein kann, da er, anders als ein variabler und an die Marktzinsentwicklung gekoppelter Zinssatz, Veränderungen der wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht zeitnah abdeckt. 26 27 28 29

So auch Hey, FR 2016, 485 (495). FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, juris-Rz. 60. FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24. StRspr., vgl. zuletzt BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, juris-Rz. 127. 30 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 147.

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Auch der variable Zinssatz in § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB zeigt eine derartige Veränderung durch die Durchschnittsbetrachtung der letzten zehn Jahre nur zeitverzögert an, aber im Fall einer nachhaltigen Änderung immer noch zeitnah. Der Einwand der Bundesregierung, dass Unternehmen vor den Belastungen durch kurzfristige Zinsschwankungen geschützt werden sollen,31 greift bei einer solchen Durchschnittsbetrachtung daher zu kurz. Der Zinssatz würde sich erst entscheidend verändern, wenn sich ein lang anhaltender Trend einstellt und damit sich auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten nachhaltig verändert haben. Noch 1984 hatte das BVerfG den Rechnungszinsfuß iHv. 6 % nach den damals gegebenen Marktverhältnissen nicht als überhöht angesehen. Schon damals stellte es aber fest: Sollten sich in der Zukunft die wirtschaftlichen Verhältnisse so einschneidend ändern, dass die Grundlage der gesetzgeberischen Entscheidung durch neue Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, könne der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sein, zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den gegebenen Verhältnissen aufrechtzuerhalten ist.32 Diese „Mahnung“33 hat der Gesetzgeber nach Auffassung des FG Köln nicht hinreichend ernst genommen.34 dd) Die Frage der Vergleichsparameter (1) Kriterien Um die Frage nach einer unzulässigen Abweichung vom objektiv feststellbaren Marktzins zu klären, muss zunächst herausgearbeitet werden, welche Vergleichsparameter gelten. Kernfrage ist, wie der zu vergleichende „Marktzins“ für Pensionsrückstellungen zu bestimmen ist und über welchen Zeitraum dieser beobachtet werden muss. (2) Vergleichsgröße Zum Teil wurde in der Literatur erwogen, an die durchschnittliche Eigenkapitalrendite von Unternehmen anzuknüpfen.35 Die Eigenkapital31 BT-Drucks. 19/3423, 2 f. 32 BVerfG v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287 = FR 1985, 241, jurisRz. 49. 33 Prinz/Keller, DB 2016, 1033 (1040). 34 FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, juris-Rz. 84. 35 So auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP, BT-Drucks. 19/3423, 2 f.

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rendite eines Unternehmens ist das Verhältnis des Jahresüberschusses zum Eigenkapital und verkörpert damit die Verzinsung des Eigenkapitals.36 Da das Eigenkapital gerade in Zeiten niedriger Fremdkapitalzinsen reduziert wird und die Eigenkapitalrendite allein dadurch schon signifikant erhöht wird, gibt diese Kennzahl aber keine geeignete Auskunft über das operative Ergebnis oder die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens.37 Aufgrund ihrer starken Abhängigkeit von individuellen Entscheidungen des Unternehmers ist die Eigenkapitalrendite außerdem zur Justierung des Vergleichsrahmens einer Typisierung systematisch ungeeignet.38 Eine gesetzliche Typisierung wie der Rechnungszinsfuß für Pensionsrückstellungen muss den Liquiditätsvorteil durch den Steuerstundungseffekt für möglichst viele Unternehmen in etwa realitätsgerecht erfassen. Dies ist im Fall eines derart schwankenden Werts nicht gewährleistet. Bilanziell sind Pensionsrückstellungen außerdem dem Fremdkapital zuzuordnen. Sie stellen ungewisse Verbindlichkeiten auf zukünftige Zahlungen an ehemalige Arbeitnehmer dar. Es ist daher sachnäher, auf die Höhe der Verzinsung von Fremdkapitalinstrumenten abzustellen, um den Zinseffekt bei Pensionsrückstellungen abzubilden.39 Eine Orientierung an durchschnittlichen Kapitalmarktzinsen kommt als Vergleichsparameter eher in Betracht. Durch eine Mischkalkulation aus Guthaben- und Sollzins stehen Eigen- und Fremdkapitalkomponente der Pensionsrückstellungen nebeneinander. Es wird ersichtlich, wie viel ein Stpfl. für die Beschaffung von Liquidität an Zinsen hätte zahlen müssen und wie viel er im Fall einer Kapitalanlage erhalten hätte. Auch der Gesetzgeber stellte auf eine „Mischkalkulation“ ab.40 Das bildet den Liquiditätsvorteil des Steuerstundungseffekts zielgenau ab. Auch das BVerfG hatte in seiner Entscheidung von 1984 auf einen Vergleich mit Kapitalmarktzinsen abgestellt.41 Der Kapitalmarktzins ist außerdem leicht zu ermitteln und kann grundsätzlich von jedem Stpfl. erzielt oder gezahlt werden, was der Grundlage einer steuerrechtlichen Typisierung inhärent sein sollte. 36 37 38 39 40 41

Eilers/Bleifeld, Ubg. 2018, 65 (67). Ebenso Weckerle, DB 2017, 1284 (1287). Eilers/Bleifeld, Ubg. 2018, 65 (67). Eilers/Bleifeld, Ubg. 2018, 65 (67). BT-Drucks. 9/795, 66. BVerfG v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287 = FR 1985, 241, jurisRz. 49.

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Das FG Köln hat zusätzlich die Gesamtkapitalrendite von Unternehmen als Vergleichsparameter herangezogen.42 Diese wird definiert als das Verhältnis des Jahresüberschusses zur Bilanzsumme.43 Die Berücksichtigung der Gesamtkapitalrendite überzeugt insofern, als sie der wirtschaftlichen Realität womöglich am ehesten entspricht. Die Direktzusagen werden zumeist nicht tatsächlich in Fonds angelegt werden, sondern aus dem operativen Gewinn bedient. Die Gesamtkapitalrendite unterliegt allerdings größeren Schwankungen und branchenüblichen Varianzen als Kapitalmarktzinsen, so dass sie für eine Typisierung tendenziell weniger geeignet erscheint.44 Diese Entscheidung zwischen Kapitalmarktzins und Gesamtkapitalrendite kann jedoch im Ergebnis offen bleiben. Sowohl der durchschnittliche Kapitalmarktzins als auch die Gesamtkapitalrendite liegen seit vielen Jahren weit unter 6 %.45 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% 2009

2010

Anlagezinsen

2011 Kreditzinsen

2012

2013 Anleihen

2014

2015

Gesamtkapitalrendite

Übersicht 246

42 43 44 45

FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, juris-Rz. 74 ff. FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, juris-Rz. 74. Ebenso Eilers/Bleifeld, Ubg. 2018, 65 (68). Vgl. insoweit auch die Darstellung des FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, juris-Rz. 69, 77. 46 Durchschnittszinssätze von Einlagen-, Kredit und Anleihezinsen aus den Zeitreihen BBK 01.SUD 004 sowie BBK 01.SUD 110 der Deutschen Bundesbank.

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(3) Vergleichszeitraum Ebenso wichtig ist die Klärung des Vergleichszeitraums. Die Größe, die am Ende einer Durchschnittsberechnung steht, hängt ganz entscheidend von der Länge des Betrachtungszeitraums ab. Die Finanzverwaltung hatte im Fall des FG Köln vorgetragen, dass Pensionsverpflichtungen typischerweise eine besonders lange Laufzeit aufweisen. Der Arbeitnehmer erarbeitet sich den Pensionsanspruch durch seine Arbeitstätigkeit im Laufe der Beschäftigungszeit. Daher sei auch ein sehr langer Zeitraum für die Durchschnittbetrachtung angemessen. Durchschnittlich werde die Rückstellung über 20 Jahre aufgebaut, so dass auch die Zinsbetrachtung der letzten 20 Jahre entscheidend sei. Dadurch würde sich insbes. aufgrund der vergleichsweise hohen Zinsen der 1990er Jahre im Rahmen dieser Betrachtung ein deutlich höherer Durchschnittszinssatz ergeben.47 Das FG Köln dagegen orientierte sich an der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des Rechnungszinsfußes aus dem Jahr 198448 und griff die dort ausgesprochene Mahnung wieder auf. Den Gesetzgeber treffe eine regelmäßige Prüfpflicht dahingehend, ob der Zinssatz noch realitätsgerecht sei. Dabei sei ein Prüfungsintervall von fünf Jahren denkbar, entscheidungserheblich sei diese Frage jedoch nicht. Der entscheidende Senat beurteilte die Untätigkeit des Gesetzgebers über die vergangenen 33 Jahre insbes. angesichts der Anpassungen des Zinssatzes in § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB durch das BilMoG sowie das BilRUG jedenfalls als Verstoß gegen seine Überprüfungspflicht. In dem derzeitigen strukturellen Niedrigzinsumfeld haben sich die Verhältnisse so entscheidend geändert, dass der Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichtet ist.49

5. Anpassungsmöglichkeiten Die Entscheidung der Verfassungswidrigkeit des Rechnungszinsfußes des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG obliegt nunmehr dem BVerfG. Wünschenswert wäre es jedoch, wenn der Gesetzgeber den Empfehlungen des Wis-

47 Eilers/Bleifeld, Ubg. 2018, 65 (68). 48 BVerfG v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287 = FR 1985, 241. 49 FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, juris-Rz. 85 f.

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senschaftlichen Beirats50 nachkommt und selbst Abhilfe schafft, ohne das Ultimatum einer Entscheidung des Verfassungsgerichts abzuwarten. Die fiskalischen Folgen einer Senkung des Rechnungszinsfußes sind jedoch nicht zu unterschätzen. Für die Senkung um einen Prozentpunkt verringern sich die Steuereinnahmen im Jahr der Umstellung schätzungsweise um etwa 12 Mrd. Euro.51 Demgegenüber ist jedoch der wirtschaftspolitische Handlungsbedarf zu sehen. Der hohe Abzinsungssatz führt zu einer leistungsfähigkeitswidrigen Besteuerung von Scheingewinnen. Seit dem Jahr 2008 haben allein mittelständische Unternehmen schätzungsweise mehr als 700 Mio. Euro Steuern auf fiktive Gewinne gezahlt.52 Das ist gerade angesichts der Entwicklung der Rentendiskussion in Deutschland ein rechtspolitisch höchst misslicher Befund. Das deutsche Rentensystem kann ohne die betriebliche Altersvorsorge nicht funktionieren. Durch den hohen Rechnungszinsfuß wird sie jedoch – zumindest in Form der Direktzusage53 – zu einer weiter zunehmenden wirtschaftlichen Belastung für die Unternehmen. Die fiskalischen Mindereinnahmen sind zudem nicht definitiv. Die Steuerbelastung der Unternehmen verlagert sich lediglich zeitlich weiter nach hinten (Steuerstundungseffekt). Der höhere Rechnungszinsfuß führt zu einem höheren Ansatz bei der Bildung der Rückstellung und dadurch zu einem geringeren Anstieg. Der jährliche gewinnmindernde Aufwand wird daher geringer. „Mindereinnahmen“ heute würden durch spätere „Mehreinnahmen“ kompensiert. Diese temporäre Lücke kann außerdem aufgrund der Niedrigzinsphase durch den Fiskus besonders günstig zwischenfinanziert werden.54 Ein Festhalten am gegenwärtigen Rechnungszinsfuß allein aus fiskalischen Gründen kann daher nicht überzeugen. Auch die konkrete Ausgestaltung einer Veränderung des Rechnungszinsfußes könnte die fiskalischen Auswirkungen zumindest im Rahmen halten. Denkbar ist einerseits eine Kopplung des Rechnungszinsfußes 50 Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, Mai 2017, 36. 51 Hentze in IW-Trends 3.2016, 16; Geberth, ifst-Schrift 507, 21. 52 Prinz/Keller, DB 2016, 1033 Fn. 40. 53 Welche der in Deutschland am weitesten verbreitete Durchführungsweg der betrieblichen Altersvorsorge ist, vgl. Wissenschaftliche Dienste, WD 3 – 3000 – 082/18, 4. 54 Berens/Prinz/Silge, FAZ v. 29.1.2018, 18.

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des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG an die Entwicklung des Zinssatzes nach § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB und damit eine Kopplung an den Kapitalmarktzins. Der Zinssatz würde nicht schlagartig um mehrere Prozentpunkte sinken, einen zukünftigen Abwärtstrend jedoch zumindest nachverfolgen.55 Um auch einen „Sicherheitsabstand“ bei steigenden Zinsen zwischen Handels- und Steuerbilanz zu halten, müsste der steuerliche Rechnungszinsfuß zudem gedeckelt werden, bis der handelsrechtliche Zinssatz eine entsprechende Größe überschritten hat.56 So kann ein Steigen des Abzinsungssatzes in unverhältnismäßige Höhen verhindert werden. Ebenfalls denkbar ist eine sofortige Senkung des Rechnungszinsfußes mit verpflichtender Verteilung des Aufwands über einen Zeitraum von 10 Jahren.57 Diese Vorgehensweise ist bei Änderungen mit hochvolumigen fiskalischen Ausfällen nicht ungewöhnlich (vgl. § 4f Abs. 1 und 3, § 5 Abs. 7 EStG). Ein fester Zinssatz erfordert jedoch eine kontinuierliche Anpassung durch den Gesetzgeber, eine realitätsgerechte Besteuerung wäre also nur vorübergehend sichergestellt.

III. Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis 1. Ausgangslage Eine ähnliche Diskussion wie bei den Pensionsrückstellungen betrifft aktuell den Zinssatz von 6 % nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Beim BVerfG sind für unterschiedliche Zeiträume verschiedene Verfahren zu seiner Verfassungsmäßigkeit anhängig.58 Der BFH hat in zwei Verfahren Aussetzung der Vollziehung gewährt, da „schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel“ gegen den Zinssatz bestünden.59 Auch die Verwaltung setzt für Zinszeiträume ab 2012 auf Antrag die Vollziehung aus.60

55 Geberth nennt dies einen „fiskalischen Sicherheitsabstand“, ifst-Schrift 507, 22. 56 Geberth, ifst-Schrift 507, 23. 57 Geberth, ifst-Schrift 507, 22. 58 Aktenzeichen 1 BvR 2237/14 und 2 BvR 2422/17. 59 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415; v. 3.9.2018 – VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279 = FR 2019, 143. 60 BMF v. 14.12.2018 – IV A 3 - S 0465/18/10005–01 – DOK 2018/1019336, BStBl. I 2018, 1393 = StEK AO § 233a Nr. 45.

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2. Verfassungsmäßigkeit der Zinssatzhöhe Bei Einführung der Verzinsungsregelung wurde die Verzinsung mit einem festen Zinssatz durch Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt. Der Verwaltung sei eine Verzinsung mit einem flexiblen Zinssatz nicht zumutbar, da die rückwirkende Bestimmung der Zinssätze für den jeweiligen Zinszeitraum erheblichen praktischen Schwierigkeiten begegne.61 In Zeiten, in denen die elektronische Datenverarbeitung auch in die Finanzverwaltung Einzug gefunden hat, kann dies jedoch nicht mehr ohne Weiteres Geltung beanspruchen. Die Höhe von monatlich 0,5 % wurde ohne jede Begründung festgelegt. Zur grundsätzlichen Rechtfertigung einer Verzinsung von Steuer- und Erstattungsansprüchen werden vor allem zwei Gründe angeführt. Zum Einen verfolgt die Verzinsung eine Ausgleichsfunktion. Der Stpfl., der seine Steuer mit größerem zeitlichen Abstand zum Entstehungszeitpunkt der Steuerschuld zahlt, hat gegenüber den Stpfl., die ihre Steuer (bspw. aufgrund des Lohnsteuereinbehalts) pünktlich oder sogar vorgelagert (Vorauszahlungen) zahlen, einen Liquiditätsvorteil. Ein daraus entstehender Zinsvorteil soll durch die Verzinsung jedenfalls abgeschöpft werden. Ebenso ist die Verzinsung von Steuererstattungen zu rechtfertigen. Dem Stpfl., der mehr Steuern gezahlt hat, als er schuldete, soll sein rechtswidriger Liquiditätsnachteil vergütet bzw. ausgeglichen werden. Zum Anderen dient die Verzinsung als Lenkungsinstrument, um die Stpfl. anzuhalten, ihre Steuerschuld frühzeitig zu begleichen und etwaige Vorauszahlungen angemessen anzusetzen.62 Um eine mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbare, belastungsgleiche Besteuerung zu gewährleisten, darf sich der Gesetzgeber Typisierungen und Vereinfachungsregeln bedienen. Eine Typisierung darf jedoch den Rahmen der wirtschaftlichen Realität nicht unangemessen überschreiten. Ebenso ist das Übermaßverbot des Art. 20 Abs. 3 GG zu beachten. Das verfolgte Ziel darf nicht außer Verhältnis zu seinen Folgen stehen.63

3. Vergleichsparameter Wie diese wirtschaftliche Realität, also der realitätsgerechte Zinssatz, aussieht, ist richtigerweise am Telos der Verzinsung, der Abschöpfungs61 BT-Drucks. 8/1410, 13. 62 Vgl. auch BT-Drucks. 8/1410, 4. 63 FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24, juris-Rz. 60.

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funktion, zu beurteilen. Im Fall einer verspäteten Steuerzahlung hatte der Stpfl. die Möglichkeit, jedenfalls kurzweilige Anlageformen zu nutzen, und hatte, abhängig von seiner sonstigen wirtschaftlichen Lage, keine Aufwendungen für Fremdkapitalmaßnahmen. Im Fall einer Steuererstattung verkehren sich die Vorzeichen. Der Stpfl. konnte das Geld, das er an den Staat hatte zahlen müssen, für diese Zeit nicht anlegen und musste die Steuerzahlung möglicherweise durch Fremdkapitalmaßnahmen finanzieren.64 Diese Überlegungen zeigen bereits die Schwierigkeiten einer Zinsfestlegung. Die Finanzierung von Steuerzahlungen hängt von subjektiven unternehmerischen Entscheidungen ab, sowie von der Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens selbst. Auch das individuelle Anlageverhalten bzgl. Risikofaktor und Kapitaleinsatz sind subjektiv geprägt. Derartige subjektive Momente sollen durch die Typisierung aber gerade ausgeglichen werden. Es gibt nicht den einen richtigen Zinssatz, der auf eine Dezimalstelle genau festgestellt werden kann. Dem Gesetzgeber steht vielmehr eine Einschätzungsprärogative bei der Auswahl aus einer Bandbreite angemessener Zinssätze zu. Diese Bandbreite ist durch die Berücksichtigung von Anlage- sowie Kreditzinsen zu bestimmen, um die Vorteile einer Steuernachzahlung sowie die Nachteile im Fall einer Steuererstattung abbilden zu können.65

4. Entwicklung der Rechtsprechung Noch 2009 hatte das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde gegen den zu hohen Zinssatz betreffend Zinszeiträume von 2003 bis 2006 nicht zur Entscheidung angenommen.66 Die Höhe des Zinssatzes beurteilte das BVerfG nicht als Verstoß gegen das Übermaßverbot. Nach dem gesetzgeberischen Willen sollte der konkrete Zinsvor- oder -nachteil nicht ermittelt werden, die pauschale Festlegung auf 0,5 % pro Monat sei nicht zu beanstanden, insbes. da sie sich sowohl zugunsten als auch zulasten des Stpfl. auswirken könne.

64 Vgl. auch BVerfG v. 3.9.2009 – 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, jurisRz. 28. 65 Vgl. auch BVerfG v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287 = FR 1985, 241, juris-Rz. 48. 66 BVerfG v. 3.9.2009 – 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115.

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Auch die Finanzgerichte haben sich dieser Rspr. für Zinszeiträume bis in das Jahr 2016 angeschlossen.67 Der BFH hatte noch 2017 entschieden, dass für Zinszeiträume bis 2013 der Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO nicht realitätsfern sei.68 Neben Verweisen auf den bereits angesprochenen Nichtannahmebeschluss des BVerfG bildete der III. Senat des BFH einen Referenzzins aus sowohl kurzfristigen, als auch langfristigen Anleihe- und Kreditzinsen.69 Schon hier fallen Besonderheiten ins Auge. Nicht nur die Betrachtung der Zinssätze für sowohl Kreditkartenrechnungen als auch Girokontenüberziehungen, die typischerweise besonders hoch verzinst sind und daher nur in geringem Umfang in Anspruch genommen werden, sondern auch die fehlende Gewichtung der einzelnen Parameter verzerren den Referenzzinssatz stark.70 Nur in sehr wenigen Fällen wird die Finanzierung von Steuerforderungen durch die Nutzung einer Kreditkarte oder eines Dispositionskredits erfolgen. Eine Abbildung des „realitätsgerechten Falls“ kann so nicht gelingen. Der IX. Senat des BFH ist dem III. Senat nicht einmal ein halbes Jahr später daher auch nicht gefolgt. Aufgrund „schwerwiegender verfassungsrechtlicher Zweifel“ an der Höhe der Zinsen gem. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ordnete er die Aussetzung der Vollziehung für Zinszeiträume seit April 2015 an.71 Anders als der III. Senat sieht der IX. Senat eine strukturelle und nachhaltige Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO überschreite daher den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße.72 Der durch den III. Senat festgelegte Referenzrahmen wird ausdrücklich abgelehnt: Kreditkarten- und Kontokorrentzinsen seien „Sonderfaktoren“, die nicht als Referenzwerte für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet sind.73 Anders als noch in den Zinszeiträumen des Nichtannahmebeschlusses des BVerfG (2003–2006) habe sich das Niedrigzinsumfeld mittlerweile hinreichend verfestigt. Eine derartige Überschreitung des Typisierungsspielraumes entbehrt nach Ansicht des IX. Senats zudem jeder Rechtfertigung. Vereinfachungs67 Vgl. exemplarisch FG Bad.-Württ. v. 16.1.2018 – 2 V 3389/16, EFG 2018, 997, juris-Rz. 28 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zum Streitstand. 68 BFH v. 9.11.2017 – III R 10/16, BStBl. II 2018, 255 = FR 2018, 478. 69 BFH v. 9.11.2017 – III R 10/16, BStBl. II 2018, 255 = FR 2018, 478, jurisRz. 32 ff. 70 Kritisch auch Sonnleitner/Witfeld, FR 2018, 487. 71 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415. 72 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 18. 73 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 18.

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gründe74 können angesichts der modernen EDV und des seit 1978 entscheidend veränderten technischen Umfelds nicht länger überzeugen.75 Auch das bayerische Kommunalabgabengesetz (KAGBay)76 sieht in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd eine Verzinsung von jährlich zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB vor. Wenn die bayerische Kommunalverwaltung zu einer flexiblen Zinsbestimmung in der Lage ist, so muss dies erst recht für die personalstärkere Finanzverwaltung gelten, wie der BFH feststellt.77 Für die Höhe der Zinsen von 0,5 % pro Monat kann es mangels Begründung ebenfalls keine Rechtfertigung geben. Der Sinn und Zweck der Verzinsung (Abschöpfungsfunktion) kann nicht fruchtbar gemacht werden. Im Rahmen der strukturellen Niedrigzinsphase bestand für den Stpfl. nicht einmal die Möglichkeit, die nicht gezahlten Steuerbeträge gewinnbringend anzulegen. Ein potentieller Nachteil für den Fiskus in dieser Höhe ist ebenfalls kaum ersichtlich. Durch das Niedrigzinsumfeld war die Fremdkapitalaufnahme besonders günstig, die Anlage einer unrechtmäßigen Steuerzahlung hätte jedoch auch für den Fiskus nur einen sehr geringen Zinsertrag erbringen können.78 Allenfalls der mit der Verzinsung von Steueransprüchen verbundene Lenkungszweck, das rechtzeitige Bedienen von Steueransprüchen anzuregen,79 kann eine Orientierung am oberen Rand des Referenzspektrums rechtfertigen. Neben dem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund der Überschreitung der Typisierungsbefugnis hält der IX. Senat des BFH auch einen Verstoß gegen das Übermaßverbot des Art. 20 Abs. 3 GG für möglich. Die Verzinsung wirke „wie ein sanktionierender, rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung“80. Diese Wirkung wird durch den unbegrenzten Zinslauf und die Nichtabziehbarkeit als Aufwendungen oder Ausgaben noch verschärft.81 Der VIII. Senat hat sich der Auffassung des IX. Senats uneingeschränkt angeschlossen. Er äußert verfassungsrechtliche Zweifel bereits für Ver74 So noch BT-Drucks. 8/1410, 13. 75 Zustimmend mit Hinweis auf die elektronische Buchführung und den Datenzugriff der Finanzbehörden Borggräfe/Staud, FR 2018, 857 (868 f.). 76 IdF der Bekanntmachung v. 4.4.1993 (GVBl. 1993, 264), zuletzt geändert durch Ges. v. 26.6.2018 (GVBl. 2018, 449). 77 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 20. 78 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 22 ff. 79 BT-Drucks. 8/1410, 4. 80 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 32. 81 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 32.

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zinsungszeiträume ab 2012, da vor dem BVerfG zwei Verfassungsbeschwerden anhängig sind, die Zinszeiträume ab 2010 (1 BvR 2237/14) und ab 2012 (1 BvR 2422/17) betreffen.82 Hervorzuheben ist insbes., warum der IX. und auch der VIII. Senat das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung als weniger gewichtig als das Aussetzungsinteresse des Stpfl. einstufen: Es sei davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Anpassung der Zinshöhe bekannt sei.83 Dies ginge aus den bereits vorgenommenen Anpassungen des HGB-Abzinsungssatzes für Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen (s. dazu oben zu II.4.) und der pauschalierenden Höhe des Verspätungszuschlages von nur 0,25 % pro Monat (§ 152 Abs. 5 Satz 2 AO) abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO hervor. Der BFH hatte zudem bereits 2014 darauf hingewiesen, dass den Gesetzgeber bei anhaltender Niedrigzinsphase eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Überprüfung der Zinshöhe treffe.84

5. Reaktion der Finanzverwaltung Das BMF hat in Folge der Entscheidungen des BFH verfügt, dass zunächst für Zinszeiträume ab 2015,85 mittlerweile auch für Zinszeiträume ab 2012,86 eine Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. Eine Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe gem. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO nimmt das BMF jedoch aufgrund der vorgehenden Beschlüsse des BVerfG nicht an. Eine Aussetzung der Vollziehung ist in diesen Fällen ausnahmsweise nicht mit einem weiteren Verzinsungsrisiko verbunden. Steuerliche Nebenleistungen werden gem. § 233 Satz 2 iVm. § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO nicht verzinst.

6. Anpassung des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO Auch für die Anpassung des Zinssatzes des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO kommen grundsätzlich unterschiedliche Ansätze in Betracht. Während einerseits die Herabsetzung auf einen „starren“ niedrigeren Zinssatz ange-

82 BFH v. 3.9.2018 – VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279 = FR 2019, 143. 83 BFH v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl. II 2018, 415, juris-Rz. 36; v. 3.9.2018 – VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279 = FR 2019, 143, juris-Rz. 26. 84 BFH v. 1.7.2014 – IX R 31/13, BStBl. II 2014, 925, juris-Rz. 21. 85 BMF v. 14.6.2018 – IV A 3 - S 0465/18/10005–01 – DOK 2018/0482980, BStBl. I 2018, 722. 86 BMF v. 14.12.2018 – IV A 3 - S 0465/18/10001 – DOK 2018/1019336, BStBl. I 2018, 1393 = StEK AO § 233a Nr. 45.

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dacht wird,87 ist auch ein flexibler, an den Basiszinssatz nach § 241 BGB gekoppelter Zinssatz möglich. Da sich auch dieser Basiszinssatz erst durch Aufschläge auf den Marktzinssatz ergibt, müssten für die Zinsen nach der AO ebenfalls geeignete Aufschläge gefunden werden. Vorgeschlagen wird für Nachzahlungszinsen ein Aufschlag von 3,5 Prozentpunkten.88 Gegen einen festen Zinssatz sprechen im Grunde dieselben Argumente wie auch in der Diskussion zu § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG. Sollten die Kapitalmarktzinsen stark steigen, wäre ein erneutes Eingreifen des Gesetzgebers zwingend. Ein dynamischer Zinssatz erscheint daher überzeugender. Die Bundesregierung jedenfalls plant aktuell keine Gesetzesänderung, sondern wartet die Entscheidungen des BVerfG ab.89 Vielfach wird die Anpassung des Zinssatzes des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO an das strukturelle Niedrigzinsumfeld gemeinsam mit der Anpassung des Rechnungszinsfußes des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG behandelt.90 Ein Gleichlauf der Regelungen ist jedoch nicht zwingend.91 § 238 Abs. 1 Satz 1 AO und § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG ist gemein, dass sie typisiert einen Liquiditätsvorteil abbilden und -schöpfen sollen. Dort erschöpfen sich ihre Gemeinsamkeiten jedoch. Während es sich bei den Zinsen nach den §§ 233 ff. AO um eine steuerliche Nebenleistung im Erhebungsverfahren handelt, betrifft § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG als Bilanzvorschrift die Gewinnermittlung. § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG betrifft also die Ebene der materiellen Steuerpflicht, in der uneingeschränkt das Leistungsfähigkeitsprinzip zu berücksichtigen ist.92 Zudem kann im Rahmen des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO möglicherweise ein höherer Zinssatz gerechtfertigt werden. Da die Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis neben der Typisierungsfunktion auch einen Lenkungszweck verfolgt,93 ist eine Orientierung am oberen 87 Vgl. den Entschließungsantrag des Landes Bayern, der eine Senkung auf 0,25 % pro Monat, also 3 % pro Jahr vorsieht (BR-Drucks. 324/18), sowie den Gesetzesantrag des Landes Hessen mit dem gleichen Vorschlag (BR-Drucks. 396/18). 88 Seer/Klemke, Neuordnung der Verzinsung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, ifst-Schrift 490, 11 plädieren für eine getrennte Behandlung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen und schlagen für Erstattungszinsen einen Aufschlag von 0,8 Prozentpunkten vor. 89 BT-Drucks. 19/2766, 11. 90 Bsplw. Höfer, DB 2018, 1698; Prinz/Keller, Ubg. 2016, 309. 91 So auch Hey, FR 2016, 485 (491 f.). 92 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 43. 93 Vgl. auch BT-Drucks. 8/1410, 4.

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Roderburg, Steuerliche Verzinsungsregelungen im Niedrigzinsumfeld

Rand des angemessenen Spektrums durchaus denkbar. Derartige Erwägungen können in der Diskussion zu § 6a EStG nicht angestellt werden. Auch wenn die Bundesregierung selbst noch zögert, ist im Rahmen der Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis eine größere politische Handlungsbereitschaft ersichtlich als bei Änderung des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG. So hat nicht nur die FDP-Fraktion auf eine Anpassung des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gedrängt,94 auch einige Länder haben in ihren Kommunalabgaben- oder Verwaltungsverfahrensgesetzen die mit den §§ 233 ff. AO strukturell vergleichbaren Regelungen angepasst95 und im Bundesrat auf eine Anpassung gedrängt.96 Scheinbar wurden diese Vorschläge aber nicht weiter verfolgt.97 Eine mögliche Erklärung für die höhere Handlungsbereitschaft könnten die vergleichsweise geringen Mindereinnahmen sein. Eine Senkung auf 3 % würde nur zu Mindereinnahmen von rund 900 Mio. Euro führen. Diese Summe fällt außerdem nicht ab sofort aus, da bereits vergangene Veranlagungszeiträume weiter mit 6 % verzinst würden. Ebenso ist der politische (und mediale) Druck bedeutend höher, da die Verzinsung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis prinzipiell alle Stpfl. treffen kann, statt nur Unternehmen mit Pensionsverpflichtungen. Zudem klagen nicht nur Bürger über die hohe Zinslast, auch Gemeinden haben Probleme, bspw. Gewerbesteuererstattungen in dieser Höhe zu verzinsen.98

IV. Fazit Die Zinssätze im Steuerrecht stehen in der (verfassungsrechtlichen) Kritik. Nach dem Vorlagebeschluss des FG Köln zur Höhe des Rechnungszinsfußes nach § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG und den Verfassungsbeschwerden zum Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist nun auch der Abzinsungssatz iHv. 5,5 % des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG durch einen AdV-Beschluss des FG Hamburg99 im Verdacht der Verfassungswidrigkeit. Der Gesetzgeber ist gut beraten, diese Baustellen nach jahrelanger Verweigerung endlich in Angriff zu nehmen.

94 BT-Drucks. 19/2579. 95 Vgl. § 49a Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG; Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd KAGBay. 96 Namentlich Bayern und Hessen, s. BR-Drucks. 324/18; BR-Drucks. 396/18. 97 Vgl. Plenarprotokoll 970. Sitzung des Bundesrats am 21.9.2018, 272. 98 Wissenschaftliche Dienste, WD 4 – 3000 – 011/17, 4. 99 FG Hamburg v. 31.1.2019 – 2 V 112/18, EFG 2019. 525.

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Stichwortverzeichnis

A

bfärbung – Grenzen 61 f. – Verluste 60 ff. Abwehrmaßnahmen – AStG-Reform 27 ff. – gewerbesteuerliche Hinzurechnungen 32 Allgemeine Steuersenkung 18 ff. – Entlastung von Kapitalgesellschaften 18 – Strukturproblem des Unternehmensteuerrechts 18 ff. Altersversorgungsverpflichtungen – Ausschüttungssperre 409 f. – Bewertung 409 – Einstellung in eine Gewinnrücklage 410 f. Anschaffungskosten – Korrektur bei Einbringung 116 f. Anzeigepflicht für Steuergestaltungen 129 ff., 157 ff. – BEPS 158 ff. – Freiheitsgrundrechte 175 f. – Fristen 168 – grenzüberschreitende 174 ff. – Historie 158 ff. – Inhalt der Anzeige 168 – nationale 172 ff. – persönliche Meldepflicht 166 f. – praktische Probleme 177 ff. – Rückwirkung 176 f. – sachlicher Anwendungsbereich 162 – spezielle Kennzeichen (Hallmarks) 162 ff. – verfassungsrechtliche Probleme 174 ff. – Zielsetzung 160 ff. ATAD – controlled foreign companies 510, 512 ff. – Hinzurechnungsbesteuerung 509 ff.; s. auch dort ATAD 2 539 ff., 551 ff.

– – – –

BEPS Aktionspunkt 2 547 ff. deduction/no inclusion 561 ff. double deduction 564 ff. hybride Strukturen 539 ff.; s. auch dort – importierte Hybride 573 ff. – Kritik 553 ff. – status quo in Deutschland 542 ff. – umgekehrt hybride Gestaltungen 570 ff. – Verfahrensstand 541 ff. Atypisch stille Gesellschaft – Teilanteilsveräußerung 46 ff. – Vermögen des Prinzipals 47 f. Aufwärtsverschmelzung – rückwirkende Besteuerung 100 ff. Ausgleichszahlungen 75 ff. Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft – Darlehensverzicht 479 ff. Ausscheiden gegen Abfindung – Kapitalgesellschaften 199 ff. – Schenkungsteuer 201 ff. Ausweismaßgeblichkeit 411 ff.

B

EPS – Aktionspunkt 2 547 ff. – Standortpolitik 7 ff. Betriebsstätte 474 ff., 490 ff. Bewertung – Jubiläumsrückstellungen 72 f. Bilanzierung – Rückstellungen 68 ff. Bilanzsteuerrecht 437 ff. – Anzahlungen 458 ff. – Fremdwährungsdarlehen 463 ff. – Kryptowährungen 447 ff. – Maßgeblichkeitsgrundsatz 391 ff. – Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit 68 ff., 439 ff. – Realisationsprinzip 458 ff., 467 – Streitfragen 438 f. – Systemorientierung 468 f.

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Stichwortverzeichnis – Teilwertzuschreibung 463 ff. Bitcoins s. Kryptowährungen Blockchain s. Kryptowährungen Brexit 133 ff., 275 ff. – Auswirkungen auf Unionsrecht 279 ff. – Behördenzusammenarbeit 283 – Dividendenzahlungen an deutsche Muttergesellschaft 290 ff. – Einlagenrückgewähr 295 f. – Entwurf eines Austrittsabkommens (DWA) 276 ff. – Gesellschaften britischer Rechtsform 303 ff. – Grunderwerbsteuer 302 f. – handlungsabhängiger Entstrickungstatbestand 288 ff. – handlungsunabhängige Entstrickungstatbestände 287 f. – Hinzurechnungsbesteuerung 296 f. – Kapitalertragsteuerpflicht 294 f. – Nachfolgeplanung 301 f. – Privatpersonen 300 f. – Rechtsprechungsgewalt des EuGH 282 – Umsatzsteuer 306 ff. – Umwandlungen 284 ff. – Unionsprimärrecht 280 f. – Unionssekundärrecht 281 f. – vergangene Umwandlungen 285 ff. – Wegzugsbesteuerung 297 ff. – Zoll 306 ff. – zukünftige Umwandlungen 284 f. Brexit-Steuerbegleitgesetz 133 ff. – Anwendbarkeit 136 – Entstrickung 134 – private Altersvorsorge 134 f. – Umwandlungen 135 – wesentliche Beteiligung 135 f. Buchwertübertragung – Schwesterpersonengesellschaften 49 ff. – Wertaufholung 51 f. – zeitpunktbezogene Betrachtung 55 f.

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DAC 6-Richtlinie

129 ff., 160 ff. – persönliche Meldepflicht 166 f. – sachlicher Anwendungsbereich 162 – spezielle Kennzeichen (Hallmarks) 162 ff. – Umsetzung in Deutschland 168 ff. – Zielsetzung 160 ff. Darlehensverzicht – ausländische Immobilienkapitalgesellschaft 479 ff.

Einbringung – – – –

Betriebsaufgabe 113 Einbringungswert 115 Entnahmen und Einlagen 115 f. Korrektur der Anschaffungskosten 116 f. – negative Anschaffungskosten 114 ff. – zeitpunktbezogene Betrachtung 55 f. – Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlagen 53 ff., 109 ff. Elektronische Marktplätze im Internet – Bescheinigungsverfahren 613 f. – Haftung des Marktplatzbetreibers 614 ff. – umsatzsteuerliche Neuregelungen 610 ff. – vorzuhaltende Unterlagen 612 Erbschaftsteuer – Beteiligung an Investmentfonds 246 ff. – horizontale Verbundvermögensaufstellung 224 ff. – Kaskadeneffekt 242 ff. Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019 255 ff. EU-Beihilferecht 312 ff. – Absicherung des Durchführungsverbots 336 f. – Ausnahmetatbestände 321 f. – Bedeutungszunahme 313 ff. – Beihilferückforderung 328 ff., 333 ff. – Comfort letter 386 f.

Stichwortverzeichnis – fortführungsgebundener Verlustvortrag (§ 8d KStG) 356 ff. – gesetzgeberische Maßnahmen 347 ff. – Hauptprüfverfahren 327 f. – Konkurrentenklage 339 ff. – Konkurrenzschutz 336 ff. – Kontrolle „bestehender“ Beihilfen 323 f. – Kontrolle der Kommission 330 ff. – Kontrolle „neuer“ Beihilfen 324 ff. – Konzernklausel (§ 6a GrEStG) 376 ff. – nationaler Rechtsrahmen 332 ff. – Notifizierungspflicht 324 ff. – Rulings 343 ff. – Sanierungsgewinne (§ 3a EStG) 359 ff. – Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) 347 ff. – Schuldenerlass 345 ff. – Schutzaufgabe 337 ff. – Verbot mit Ausnahmevorbehalt 316 ff. – Verbotstatbestand 316 ff. – Wettbewerbsbehörde Kommission 322 ff. – Zweck der Beihilfekontrolle 322 f.

F

amilienentlastungsgesetz 121 f. Familienunternehmen – gesellschafterbezogene Steuerprobleme 183 ff., 221 ff., 255 ff. Fondsetablierungskosten – fiktive Investitionskosten 64 f. – Verluste 62 ff. Förderung des Mietwohnungsneubaus 128 f. Fremdwährungsdarlehen – Ergebnisrealisierung 467 – Teilwertzuschreibung 463 ff.

G

ewinnübertragung – Schwesterpersonengesellschaften 52 f., 453 f. – Wertaufholungsgebot 454 ff.

Grunderwerbsteuer – Brexit 302 f. – Reform 140 f. Grundsteuer-Reform 137 ff. Gutscheinrichtlinie – Einzweckgutschein 616 f. – Mehrzweckgutschein 617 – Neuregelungen 616

Haftung – Gefährdungshaftung 611 – Gegenstand 83 – Marktplatzbetreiber 614 ff. – Organschaft 81 ff. – Umfang 82 Herstellungskosten – allgemeine Verwaltungskosten 401 ff. Heubeck-Tafeln 2018 G 73 Hinzurechnungsbesteuerung – Aktivkatalog 527 ff. – Anrechnung der Steuerschuld 534 – Art der Beteiligung 519 ff. – ATAD 509 ff. – Auslandsbetriebsstätten 525 ff. – Ausnahmen 533 f. – Berücksichtigung ausländischer Körperschaftsteuer 525 ff. – Beteiligungsvoraussetzungen 515 ff. – Brexit 296 f. – Dividenden 533 – Drittel-Regelung 535 – Einkaufs- und Vertriebsgesellschaften 531 ff. – erfasste Einkünfte 527 ff. – Finanzierungsgesellschaften 530 – FuE-Zentrum 530 f. – Funktionsweise 511 f. – Gegenkorrektur 535 f. – Inländerbeherrschung 515 ff. – Kontrolle 515 ff. – Konkurrenz von Hinzurechnungspflichtigen 521 ff. – mittelbare Beteiligungen 517 ff. – Motivtest 527 ff.

719

Stichwortverzeichnis – nachgeschaltete Zwischengesellschaften 535 – Nichtbeherrschung 523 f. – Niedrigbesteuerung 524 f. – Passivkatalog 527 ff. – Stichtag 536 – Substanztest für EU/EWR 533 f. – Telos 511 f. – Verluste 534 f. Horizontale Verbundvermögensaufstellung – Wahlrecht 226 ff. Hybride Strukturen – ATAD 2 539 ff.; s. auch dort – Finanzinstrumente 557 ff. – status quo in Deutschland 542 ff. – Steuerpolitik 139 f.

Immobilieninvestments – Anrechenbarkeit ausländischer Steuern 682 – Anteilsveräußerungen 673 ff. – Anzeige- und Berichtigungspflichten 694 ff. – beschränkte Steuerpflicht 664, 673 ff. – Buchwertermittlung 685 f. – DBA 665 ff., 670, 675, 677, 682 f., 692 f. – Entstrickungszeitpunkt 693 f. – Ermittlung der Immobilienquote 681 f., 685 ff. – Forderungsverzichtsgewinne 665 – gesetzliche Änderungen 667 ff. – Gewinnermittlungstechnik 663 f. – Internationales Steuerrecht 659 ff. – Investmentfonds 684 – Jahressteuergesetz 2018 680 ff. – Kapitalertragsteuerabzug 676 – mittelbare Beteiligungen 688 – nicht besteuerungswürdige Situation 670 f. – OECD-MA 678 – passive Entstrickung 689 ff. – Veräußerungsgewinne 662, 666 f., 678 f.

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– Verstrickung von Passiva 661 ff. – VuV-Einkünfte 663, 666 – zeitliche Anwendungsregelung 672 Internationales Steuerrecht – aktuelle Rechtsprechung 473 ff. – Anteilsveräußerung 474 ff. – ausländische Immobilienkapitalgesellschaft 479 ff. – Betriebsausgabenfiktion 474 ff. – Betriebsstätte 474 ff., 490 ff. – Darlehensverzicht 479 ff. – finale Verluste 507 f. – gewerblich geprägte Personengesellschaft 490 ff. – Immobilieninvestments 659 ff. – steuerfreier Gewinn 474 ff. – Zurechnung von Wirtschaftsgütern 490 ff. Investmentfonds – Auswirkungen des InvStG 2018 248 ff. – Beteiligungen 246 ff. – geschlossene Fonds 251 ff. – Internationales Steuerrecht 684 – Spezial-Investmentfonds 250 f.

Jahressteuergesetz 2018

122 ff. – ausländische Immobilienkapitalgesellschaft, Darlehensverzicht 479 ff. – betriebliche Fahrräder 123 f. – Elektrofahrzeuge 125 – Gesellschafterwechsel und Verlustwegfall 126 ff. – Immobilieninvestments 680 ff. – Job-Ticket 123 – Sanierungsklausel 124 f. – Umsatzsteuer 609 ff.; s. auch dort – Verzinsung bei Reinvestitionsgütern 125 f. Jubiläumsrückstellungen 68 ff. – Bewertung 72 f. Junge Finanzmittel – Ausschüttungen 229 ff. – Darlehen 233 ff. – Einlagen 229 ff.

Stichwortverzeichnis – – – – – – –

Entnahmen 229 ff. Forderungen 238 f. Gewinnabführungen 236 ff. Leistungen im Konzern 228 ff. Verbindlichkeiten 238 f. Verlustausgleich 236 ff. Vorwegausschüttungen 238

Kapitalgesellschaften – Ausscheiden gegen Abfindung 199 ff. – Organschaft 73 ff. – Realteilung 191 f. – Rechtsprechungs-Highlights 67 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung 87 ff. – wirtschaftliches Eigentum 420 ff. Ketteneinbringung – wirtschaftliches Eigentum 425 ff. Konzern – Ausschüttungen 229 ff. – Einlagen 229 ff. – Entnahmen 229 ff. – Entstehung junger Finanzmittel 228 ff. Kryptowährungen – Bitcoin-Mining 451 ff. – Blockchain-Technologie 447 ff. – Erwerb/Verwendung von Bitcoins 450 f. – steuerbilanzielle Grundfragen 449 ff.

Lifo-Methode M

407 f.

aßgeblichkeitsgrundsatz 391 ff. – allgemeine Entwicklung nach dem BilMoG 392 ff. – Altersversorgungsverpflichtungen 409 ff. – Auslegung 414 ff. – Ausweismaßgeblichkeit 411 ff. – Auswirkungen auf die Steuerbilanz 393 ff. – Herstellungskostenbestimmung 401 ff.

– Lifo-Methode 407 f. – Rückstellungsbewertung 404 ff., 409 ff. – Sanierungsgewinne 400 f. – Teilwertabschreibung 398 ff. – Verwaltungsauffassung 395 f. – Zukunft nach der GKB 416 f. Mitunternehmerschaft – kurzfristige Weiterveräußerung des Anteils 39 f. – Stellung des Personengesellschafters 38 ff. – Teilanteilsveräußerung 46 ff. – Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums 44 ff., 423 f. – zweistufiger Verkauf aller Anteile 40 f. Mitunternehmerstellung – Dauer der Beteiligung 42 f. – Gesellschafter 38 ff. – Grundsätze des wirtschaftlichen Eigentums 41 f. – Nießbrauch 43 f.

Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit – Rückstellungen 68 ff., 71 f., 439 ff. – Verwaltungsauffassung 445 ff. Negative Anschaffungskosten – Einbringung 114 ff. Nießbrauch – Mitunternehmerstellung 43 f.

Online-Handel

633 ff. – aktuelle umsatzsteuerliche Systematik 635 ff. – B2C-Lieferungen ab 2021 645 – Lieferungen in Drittstaaten 642 ff. – Lieferungen an EU-Unternehmen 641 f. – Lieferungen in die Schweiz 644 – Mini One Stop Shop 645 – Umsatzsteuer-Compliance 646 ff. – Umsatzsteuer-Reformen ab 2021 645 – Versandhandelsregelung 637 ff.

721

Stichwortverzeichnis Organschaft 73 ff. – Ausgleichszahlungen 75 ff. – Haftung 81 ff. – Landwirtschaft 583 ff. – Margenbesteuerung 586 ff. – steuerrechtliche Anerkennung 77 – Umsatzsteuer 583 ff. – Verlustübernahme 75 ff., 79 ff.

Patentbox – Investitionsanreiz 22 ff. Pensionsrückstellungen – Erdienbarkeit bei Barlohnumwandlung 87 ff. – Heubeck-Tafeln 2018 G 73 – Umstellung des Durchführungswegs 91 Personengesellschaften – Rechtsprechungs-Highlights 37 ff. – Übertragungen 184 ff. Personengesellschafter – Mitunternehmerstellung 38 ff.

Q

uick Fixes – Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen 626 f. – innergemeinschaftliche Reihengeschäfte 623 f. – Konsignationslager 625 – Kostenteilungsgemeinschaften 627 f. – MwSt.-Identifikationsnummer 626

Realteilung – echte 187 ff. – Kapitalgesellschaft 191 f. – Liquidität 189 ff. – unechte 187 ff. – Verbindlichkeiten 189 ff. Registereintragung – verzögerte, Unbilligkeit 84 ff. Reverse Charge – Pilotverfahren für nationale Umsätze 632 – Schnellreaktionsmechanismus 632

722

Rückstellungen – Altersversorgungsverpflichtungen 409 ff. – Bewertung 404 ff. – Bilanzierung 68 ff. – Jubiläumsrückstellungen 68 ff. – Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit 68 ff. – Pensionsrückstellungen s. dort

Schenkungsteuer

s. auch Erbschaftsteuer – Ausscheiden gegen Abfindung 201 ff. – Wille zur Unentgeltlichkeit 211 ff. Schwesterpersonengesellschaften – Buchwertübertragung 49 ff. – Übertragung des Veräußerungsgewinns 52 f., 453 ff. Sicherungstreuhand – wirtschaftliches Eigentum 433 ff. Standortpolitik 1 ff. – Abschreibungsbedingungen 24 – allgemeiner Reformbedarf 3 f. – allgemeine Steuersenkung 18 ff. – allgemeine Wirtschaftspolitik 15 f. – Ankündigungen im Koalitionsvertrag 16 f. – AStG-Reform 27 ff. – Auslöser 5 – Auswirkungen auf Wirtschaftsdaten 13 ff. – BEPS 7 ff. – Beseitigung des Fachkräftemangels 25 ff. – Investitionsanreize 22 ff. – Patentbox 22 ff. – Standortsicherungsgesetz 2 – Steuersenkungsgesetz 2 – Steuertarif 4 – Steuerwettbewerb 5 ff. – Strukturproblem des Unternehmensteuerrechts 18 ff. – Unternehmensteuerreformgesetz 2008 2 – U.S.-Steuerreform 10 ff.

Stichwortverzeichnis – Zeitpunkt der Reform 32 ff. – Zurücknahme von Abwehrmaßnahmen 27 ff. Steuergestaltungen – Anzeigepflicht s. Anzeigepflicht für Steuergestaltungen Steuerpolitik 119 ff. – Abgeltungsteuer 149 f. – Anzeigepflicht von Steuergestaltungen 129 ff. – Brexit-Steuerbegleitgesetz 133 ff. – Digitalbesteuerung 151 ff. – energetische Gebäudesanierung 149 – Entlastung der Wirtschaft 145 ff. – Familienentlastungsgesetz 121 f. – Förderung des Mietwohnungsneubaus 128 f. – G(K)KB 155 f. – Grunderwerbsteuerreform 140 f. – Grundsteuer-Reform 137 ff. – hybride Gestaltungen 139 f. – Jahressteuergesetz 2018 122 ff. – Koalitionsvertrag 148 ff. – Mehrwertsteuerreform 154 – Solidaritätszuschlag 148 f. – Steuervereinfachung 147 f. – Unternehmensteuerreform 141 ff. – Verzinsung 146 Steuerwettbewerb 5 ff.

Teilanteilsveräußerung – entgeltliche 59 – Mitunternehmerschaft 46 ff. – unentgeltliche 58 f. – verrechenbarer Verlust 57 ff. Teilbetrieb – wirtschaftliches Eigentum 429 f. Teilwertabschreibung – Maßgeblichkeitsgrundsatz 398 ff. – Wahlrecht 398 Teilwertzuschreibung – Fremdwährungsdarlehen 463 ff.

Ü

bertragungen – Gesamtplanbetrachtung 198 f.

– – – – –

juristische Sekunde 197 f. Realteilung 187 ff. teilentgeltliche 184 ff. unentgeltliche 184 ff. wesentliche Betriebsgrundlagen 193 ff. – zeitraumbezogene Betrachtung 198 f. Umsatzsteuer – B2C-Lieferungen ab 2021 645 – Brexit 306 ff. – Compliance 646 ff. – eCommerce-Package 618 f. – Einzweckgutschein 616 f. – elektronische Marktplätze im Internet 610 ff.; s. auch dort – endgültiges MwSt.-System 620 ff. – Gutscheinrichtlinie 616 f. – Jahressteuergesetz 2018 609 ff. – Kleinunternehmer 629 f. – Landwirtschaft 583 ff. – Margenbesteuerung 586 ff. – Mehrzweckgutschein 617 – Mini One Stop Shop 645 – MwSt.-Sätze 628 f. – Online-Handel 633 ff.; s. auch dort – Organschaft 583 ff. – quick fixes 623 ff.; s. auch dort – Rechnungsanforderungen 604 ff. – Rechtsprechungs-Highlights 581 ff. – Reformen ab 2021 645 – Reverse-Charge 623 – Vorsteueraufteilung nach Nutzungsanteilen 588 ff. – zertifizierter Steuerpflichtiger 622 f. – Zuordnungen 594 ff. – Zusammenarbeits-Verordnung 631 f. Umstrukturierung – Aufwärtsverschmelzung 100 ff. – Brexit 135, 284 ff. – horizontaler Verbund 241 f. – qualifizierter Anteilstausch 101 f. – Unternehmensnachfolge 192 ff.

723

Stichwortverzeichnis – Vermögensübertragung, Aktien 105 ff. – vertikaler Verbund 239 ff. – zeitpunktbezogene Betrachtung 195 f. Unbilligkeit – verzögerte Registereintragung 84 ff. Unternehmensnachfolge – Buchwertfortführung 193 ff. – Umstrukturierung 192 ff. Unternehmensteuerrecht – Kapitalgesellschaften 67 ff. – Personengesellschaften 37 ff. – Reform 141 ff. – Strukturproblem 18 ff. U.S.-Steuerreform 10 ff.

V

eräußerungsgewinn – Immobilieninvestments 662, 666 f., 678 f. – Übertragung an Schwesterpersonengesellschaft 52 f. Verdeckte Gewinnausschüttung – Erdienbarkeit bei Barlohnumwandlung 87 ff. – Verschmelzung nach Forderungsverzicht 92 ff. Verluste – Abfärbung 60 ff. – Fondsetablierungskosten 62 ff. Verlustübernahme 75 ff., 79 ff. Verrechenbarer Verlust – Teilanteilsveräußerung 57 ff. Verschmelzung – nach Forderungsverzicht 92 ff. Vertikaler Verbund – Umstrukturierungen 239 ff. Verwaltungsvermögen 257 ff. – Aufteilung des Verwaltungsvermögens 268 ff. – Netto-Verwaltungsvermögens-Prinzip 257 f.

724

– Regelverschonung 258 ff. Verzinsungsregelungen 697 ff. – Anpassung des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO 714 ff. – Anpassungsmöglichkeiten 707 ff. – Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis 709 ff. – Bilanzsteuerrecht 698 ff. – konkrete Normenkontrolle 701 ff. – Marktzins 704 ff. – Niedrigzinsumfeld 697 ff. – Rechtsprechungsentwicklung 711 ff. – Typisierung 703 f. – Verfassungsfragen 701 ff., 710 – Zinssatzhöhe 710

Wegzug – – – – –

Besteuerung 218 f. Brexit 297 ff. DBA-Fall 213 ff. Nicht-DBA-Fall 215 f. Zuordnung von Kapitalbeteiligungen 213 ff. Wertaufholung – Buchwertübertragung 51 f., 454 ff. Wirtschaftliches Eigentum 419 ff. – Anteile an Kapitalgesellschaften 420 ff. – Ketteneinbringungen 425 ff. – Mitunternehmeranteile 423 f. – Mitunternehmerstellung 41 f. – Sicherungstreuhand 433 ff. – Teilbetriebe 429 ff. – Übertragung 44 ff.

Zinsen

s. Verzinsungsregelungen Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlagen – Einbringung 53 ff., 109 ff.